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German Pages 282 [285] Year 2015
Michael Treutler Die Ordnung der Sinne
Michael Treutler (Dr. rer. pol.) promovierte an der Professur Medienmanagement der Bauhaus-Universität Weimar und ist als freier Medienberater tätig.
Michael Treutler Die Ordnung der Sinne. Zu den Grundlagen eines ›medienökonomischen Menschen‹
Dissertation an der Bauhaus-Universität Weimar
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INHALT Vorwort
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Medienökonomie: Ein medientheoretischer Ansatz
13
1 2 3 4
17 23 29 37
Ökonomie und Medien Medienbegriff und Dimensionen des »Medialen« Transdisziplinäre Natur der Medienökonomie Grundlagen des ›medienökonomischen Codes‹ vom Menschen
Teil I: Die Technologien des Menschen
45
1
Der ökonomische Mensch
47
1.1
48 49
Die Herkunft des ökonomischen Menschen 1.1.1 Der Ursprung ökonomischer Menschenbilder 1.1.2! Entstehung der »Ökonomik« der Sozialwissenschaft
53!
1.2! Der Inhalt des homo oeconomicus Konzeptes 1.2.1! Die Charakteristika der »Neoklassik« 1.2.2! Der methodologische Individualismus 1.2.3! Rationale Nutzenmaximierung neoklassischer Prägung
55! 59! 63!
1.3! Der Geltungsbereich des homo oeconomicus Konzeptes 1.3.1! Die ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens 1.3.2! Die ökonomische Disposition als kulturelles Leitbild
67!
2! Neoklassischer homo oeconomicus und Medien
64!
68! 72 77!
2.1! Eingrenzung der medialen Objektschicht 2.1.1! Elementare Medienfunktionen 2.1.2! Aggregierte Medienfunktionen
79! 80! 83!
2.2! Die Reichweite des neoklassischen Ansatzes zur Betrachtung von Medien 2.2.1! Allokation von Medieninhalten als »Marktgüter« 2.2.2! Die Zeitrestriktion bei der Nutzung von Medien
87! 88! 89
3! Der medienökonomische Code I: Die Ausweitung des ökonomischen Menschen
93!
3.1! Medienfunktion in der Wirtschaftsgeschichte
94!
3.2! Medien als Ausweitung des menschlichen Sinnesapparates
98!
3.3! Medientechnische Implikationen für das homo oeconomicus Konzept
105!
Teil II: Die Strukturen des Handelns
111
1! Ökonomischer Mensch und handlungsleitende Institutionen
113!
1.1! Charakteristika der »Neuen Institutionenökonomik« 1.1.1! Relevanz von Institutionen in der ökonomischen Theorie 1.1.2! Institutionen als Spielregeln der Gesellschaft 1.2! Verhaltensannahmen der »Neuen Institutionenökonomik« 1.2.1! Begrenzte Rationalität und unvollständige Information 1.2.2! Opportunistisches Verhalten 1.3! Ökonomischer Mensch und institutionelles Umfeld 1.3.1! Institutionelle Ordnungen 1.3.2! Institutioneller Individualismus 1.3.3! Planbarkeit institutionellen Wandels 2! Begrenzte Rationalität und mediale Dispositive 2.1! Eingrenzung der medialen Schicht des Dispositivs 2.1.1! Die Regeln des Medialen 2.1.2! Institutionelle Medienfunktionen 2.2! Reichweite des institutionenökonomischen Ansatzes zur Betrachtung von Medien 2.2.1! Einbettung von Medien in gesellschaftliche Institutionengefüge 2.2.2! Einfluss medialer Dispositive auf institutionelle Ordnungen
115! 118! 125! 131! 132! 136! 140! 141! 145! 148 152! 154! 158! 165! 168! 169! 174
3! Der medienökonomische Code II: Das mediale Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen
179!
3.1! Institutionalisierte Medialität
180!
3.2! Implikation dispositiver Medialität für den ökonomischen Menschen
185!
Teil III: Die Grenzen des Wissens
195
1! Die Wahrnehmung des ökonomischen Menschen
199!
1.1! Die Rolle der »Unsicherheit« im kognitiven Institutionalismus
202!
1.2! Die Ausbildung sensorischer Ordnungen
206!
2! Sensorische Ordnung und symbolische Form 2.1
2.2
Eingrenzung der medialen Schicht der symbolischen Form 2.1.1! Mediales Wissen und sensorische Ordnungen 2.1.2! Symbolische Medienfunktionen Kognitiver Institutionalismus und Medien 2.2.1! Medienkultureller Bezugsrahmen und ökonomische Handlung 2.2.2! Mediale sensorische Ordnung und mediale Institutionen
3! Der medienökonomische Code III: Der mediale Habitus
213! 214 218! 224! 232 233! 241
248!
3.1! Mediale sensorische Ordnung und ökonomischer Mensch
249!
3.2! Implikation der symbolischen Medialität für den ökonomischen Menschen
253!
Die Ordnung der Sinne: Elemente eines ›medienökonomischen Menschen‹
257
1 2 3
259 262 264
Die Rolle der Medien innerhalb der Medienökonomie Thesen zum medienökonomischen Menschen Implikationen für die transdisziplinäre Medienökonomie
Verzeichnisse
269
Literatur
271
VORWORT Dieses Studie ist, wahrscheinlich in der artigsten Bedeutung des Wortes, ein ›Grenzgänger‹. Sie bezieht ihren Gegenstand, aber auch ihre Inspiration aus zwei Gebieten: den Medien und der Ökonomie. Sie versucht sich deshalb auch methodisch als Wandler zwischen den Welten, indem sie sich bemüht, zwischen zwei sehr unterschiedlichen Wissenschaften, der Ökonomie und den Medienwissenschaften, eine Verbindung zu etablieren, die im besten Sinne ›medienökonomisch‹ ist. Nicht nur in ihrer theoretischen, sondern auch in ihrer praktischen Entstehung waren dazu mehrere Grenzüberschreitungen nötig. Begonnen und beendet wurden die Arbeiten an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar, große Teile der Forschung und der schriftlichen Ausarbeitung sind jedoch ebenso am Economics Department der Washington University in St. Louis entstanden. In diesen verschiedenen akademischen Milieus zeigte sich deutlich, dass Ökonomie und Medienwissenschaften sich nicht nur in Hinblick auf ihren Gegenstand unterscheiden, sondern sich auch durch äußerst verschiedene Denkhaltungen, Methoden und letztendlich auch ›forschende Charaktere‹ auszeichnen. Der Wechsel zwischen den Welten hat sicherlich Spuren an dieser Arbeit hinterlassen, da hier zusammenkommt, was nicht per se zusammengehört. Manche Begrifflichkeiten werden so sicherlich für die Spezialisten ihres Faches mit einer gewissen Oberflächlichkeit behandelt. Dieser Umstand wurde jedoch bewusst in Kauf genommen, um zwei Disziplinen näher zusammenzubringen, welche sich meines Erachtens mehr zu sagen haben, als sie es in der Regel tun. Dennoch war es mein Anliegen, keines der zugrundeliegenden Konzepte so zu verbiegen, dass seine eigentliche Erklärungskraft oder Logik verloren geht. Ich hoffe, am Ende dieser Arbeit einen Text entworfen zu haben, der relevant für Interessierte aus beiden Lagern des ›disciplinary divide‹ ist. Ebenso hoffe ich, mit dem von mir erarbeiteten Ansatz die Gefahren des ›intellectual trespassing‹ weitestgehend umschifft zu haben.
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Großer Dank für die Begleitung auf diesem Weg gilt Prof. Dr. Matthias Maier, Dekan der Fakultät Medien in Weimar, der stets bereit ist, die Arbeit ›zwischen‹ akademischen Disziplinen zu motivieren und zu fördern. Ihm ist es zu verdanken, dass sich, langsam aber stetig, an der Bauhaus-Universität Weimar ein eigenständiger Ansatz der Medienökonomie etabliert, welcher ohne seine Arbeit und seinen Einsatz nicht existieren könnte. Prof. Lutz Köpnick PhD von der Washington University gilt großer Dank für seine hochmotivierende und konstruktive Begleitung bei der Erstellung dieser Studie. Für die offenherzige und intensive Zusammenarbeit am Economics Department der Washington University danke ich besonders Prof. Douglass North PhD, Assistant Professor Tara Sinclair PhD, Art Carden und Jeremy Meiners welche ausdauernde und lehrreiche Gesprächspartner waren. Sie haben einem Gebiet viel Aufmerksamkeit entgegenbrachten, das nicht das ihre war. Ihre Erklärungen, ihre Fragen und ihr Interesse haben diese Arbeit auf vielen Ebenen bereichert. Dank gilt auch meinen Lehrern und Kollegen an der BauhausUniversität, welche diese Studie auf unterschiedlichste Weise beeinflusst und unterstützt haben: Prof. Dr. Lorenz Engell, Prof. Dr. Joseph Vogl, Assistant Professor Markus S. Schulz PhD, Jun.-Prof. Dr. Alexander T. Nicolai, Dr. Lisa Gotto und insbesondere Jun.-Prof. Dr. Oliver Fahle. Weiterer Dank gilt der Thüringer Graduiertenförderung für die Unterstützung dieser Studie, der deutschen FulbrightKommission für die Ermöglichung des Forschungsaufenthaltes in den USA, Stefanie Gliesche für die gestalterische Begleitung und Svea Bräunert für die akribische Korrektur des Manuskriptes und für wunderbare Nachbarschaft in University City sowie allen anderen, die mich auf dem Weg begleitet haben und wissen, dass ich an sie denke. Abschließender und uneingeschränkt größter Dank gilt Karina Preiß, welche nicht nur stets eine unschätzbare Hilfe als kompetente Diskussionspartnerin und kritische Leserin war, sondern auch mich selbst in heiterer Gelassenheit ertragen hat. Diese Studie wäre nicht dieselbe ohne sie, denn ich wäre ein anderer. Michael Treutler
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»Ein Physiker, der nur Physiker ist, kann durchaus ein erstklassiger Physiker und ein hochgeschätztes Mitglied der Gesellschaft sein. Aber gewiß kann niemand ein großer Ökonom sein, der nur Ökonom ist – und ich bin sogar versucht hinzuzufügen, daß der Ökonom, der nur Ökonom ist, leicht zum Ärgernis, wenn nicht gar zu einer regelrechten Gefahr wird.« Friedrich August Hayek
»Bist du, Leser, denn sicher, daß du meine Sprache verstehst?« Jorge Louis Borges
1
MEDIENÖKONOMIE: EIN
MEDIENTHEORETISCHER
ANSATZ
Medien sind in all ihren Erscheinungsformen in den meisten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts ein bedeutender Bestandteil menschlichen Alltagslebens. Sie dienen der zwischenmenschlichen Interaktion, der Unterhaltung, der Darstellung und Speicherung kultureller Erzeugnisse, sind Arbeitswerkzeuge, Grundlage der Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Ereignissen und vieles mehr. Nicht zuletzt gewinnen sie durch die Erzeugung von Gütern und Dienst2 leistungen in zunehmendem Maße auch wirtschaftliche Kraft. Es ist die Aufgabe der jungen Disziplin der »Medienökonomie«, sich insbesondere mit dem letztgenannten Themenbereich, den Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Medien, zu beschäftigen. Die systematische Betrachtung des Verhältnisses zwischen ökonomisch handelnden Menschen und medialen Prozessen in einem solchen medienökonomischen Bezugsrahmen ist Ziel der folgenden Ausführungen. Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Verhältnis zwischen Mensch und Medien, wie es Marshall McLuhan, dessen Arbeiten als Ursprung gegenwärtiger medientheoretischer Disziplinen genannt werden, im Jahr 1967 umschrieb: »Media, by altering the environment, evoke in us unique ratios of sense perceptions. The extension of any one sense alters the way we think and act – the way 3 we perceive the world. When these ratios change, men change.« McLuhan nahm die für die damalige Zeit überraschende und auch heute noch innovative Sichtweise ein, dass mediale Entitäten, wie 1 2 3
Borges, Jorge Luis (1986): S. 62. Zu den Entwicklung innerhalb von Medienmärkten vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): Kapitel 6. McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 41.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ das Buch, das Kino oder auch das Telefon, Ausweitungen der menschlichen Sinnesorgane darstellen und somit massiv in menschliches Handeln eingreifen können. Die von einer Gesellschaft verwendeten Medien stellen nach McLuhan ein spezifisches Verhältnis der Sinneswahrnehmung zur Weltwahrnehmung der Akteure dar. Wenn sich dieses Verhältnis auf Grundlage neuer Medientechnologien verändert, so verändert sich dementsprechend die Denk- und Handlungsgrundlage des Menschen und damit letztendlich auch ›er selbst‹. Der Medienhistoriker Jochen Hörisch fasst die Implikation der aus dieser Denkhaltung McLuhans abgeleiteten und viel zitierten These, das Medium sei die Botschaft, prägnant zusammen: »Die Welt eines Analphabeten ist eine andere als die des Bewohners der Gutenberg-Galaxis als die des Televisionärs als die des Internet-Surfers. Und zwar weitgehend unabhängig davon, was der Bewohner der Gutenberg-Galaxis liest oder der Fern-Seher sieht und hört. Daß jemand liest und nicht fernsieht, macht einen größeren Unterschied, als daß A dieses und B jenes Buch liest [...]. McLuhans Grundeinsicht gilt schlicht deshalb, weil die jeweils ›diensthabenden‹ Medien für gänzlich unterschiedliche Raum-Zeit-Strukturen, Aufmerksamkeitsfokussierungen 4 und Sinn-Sinne-Konstellationen sorgen.« Dieser substantielle Einfluss von Medien auf eine im permanenten Wandel befindliche Umwelt ist der Ausgangspunkt medientheoretischer Überlegungen. Als grundlegende These für das Verhältnis zwischen ökonomischem Mensch und Medialität wird deshalb für die folgenden Ausführungen angenommen, dass sich medienökonomische Akteure an einer ›Ordnung der Sinne‹ orientieren, welche durch die Interaktion zwischen Menschen und Medien ausgeprägt 5 wird. Dieser hier zu untersuchenden Ordnung nahezu entgegengesetzt, erscheint die stabile ›rationale Ordnung‹ als traditioneller Ausgangspunkt ökonomischen Denkens. Von der Grundannahme einer dynamischen und von Medien beeinflussten Welt ist der (neo-)klassische »homo oeconomicus«, der selbstinteressierte und vollständig rational handelnde Akteur wirtschaftswissenschaftlicher Theorien, weit entfernt. Der gleichförmige homo oeconomicus ord-
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Hörisch, Jochen (2001): S. 71. Die begriffliche Nähe zu Foucaults Arbeiten zur »Ordnung der Dinge« soll hier nicht in die Irre führen. Auch wenn Foucaults Konzept des Dispositivs insbesondere im zweiten Teil dieser Arbeit eine wesentliche Rolle spielt, ist es nicht Ziel dieser Studie, eine Diskursanalyse durchzuführen.
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MEDIENÖKONOMIE - EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ net die Welt nach einer stabilen und gegebenen Rationalität, welche (theoretisch) nicht von äußeren (Modell-exogenen) Einflüssen tangiert wird, seien dies individuelle Sinneseindrücke oder kulturelle Institutionen, wie beispielsweise Medien. Dieser Ansatz war für die allgemeine ökonomische Theorie lange Zeit ein kraftvoller und aussagefähiger Ansatz, denn er erlaubte die Abstraktion von Einzelfällen und versuchte, Gesetzmäßigkeiten im menschlichen Handeln 6 festzustellen. So erfolgreich sogar, dass ökonomische Verhaltensannahmen auch von anderen Gesellschaftswissenschaften adaptiert 7 wurden. Für die junge Medienökonomie ist dieser Ansatz jedoch über weite Strecken unbefriedigend, da er eben den in Marshall McLuhans Zitat kondensierten Beitrag von Medien zum Handeln ökonomischer Akteure nicht abzubilden vermag. Diesen Zustand wünscht das vorliegende Buch zu ändern, indem ein medientheoretischer Ansatz verfolgt wird, welcher von der Grundannahme ausgeht, dass Medien nicht nur als Technologien betrachtet werden dürfen, sondern gleichzeitig ein Handlungsumfeld darstellen, welches auf die Sinneswahrnehmung und damit letztlich auf die Handlung menschlicher Akteure einwirken kann. ›Allgemeine‹ ökonomische Verhaltensannahmen werden zu diesem Zweck in Hinblick auf Medien untersucht, die recht gegensätzlichen Ausgangspunkte der Wirtschaftstheorie und der Medientheorie näher zusammengeführt und schließlich wird ein Framework entwickelt, welches besser zur Reflektion medienökonomischer Fragestellungen geeignet ist, als 8 der traditionelle ökonomische Rahmen. Die folgenden Ausführungen
6
7
8
Der »ökonomische Mensch« wird als eines der dauerhaftesten und erfolgreichsten Menschenbilder in den modernen Sozialwissenschaften angesehen, da er seit den frühen Tagen der durch Adam Smith ›gegründeten‹ Wirtschaftswissenschaften bis in das heutige Informationszeitalter fast 230 Jahre lang Staatsformen, Gesellschaften und Kulturen geprägt hat. Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000) und Vogl, Joseph (2002). Das Modell des »homo oeconomicus« dient häufig als Schnittstelle zu anderen Sozialwissenschaften, wie den Politik- und Rechtswissenschaften, aber auch zur Physik und Biologie. Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000), insbesondere Kapitel 4, S. 96-156 und 8, S. 258-288. Dieses Vorgehen ist sicherlich nicht ohne Risiken, denn ökonomische Theorie und Medientheorie arbeiten aus unterschiedlichen Wissenschaftskulturen heraus. Darüber hinaus ist die Medientheorie, wie die Medienökonomie, in Relation zur allgemeinen Ökonomie eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die ihrerseits noch in der Formung begriffen ist (vgl. Kirchmann, Kay (1998): S. 34ff). Jedoch haben sich sowohl Ökonomie als auch Medientheorie insbesondere in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts so weit entwickelt, dass der Versuch gewagt werden kann, sie für neue Erkenntnisse einer medienökonomischen Grundlagenarbeit zu ›verbinden‹.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ verstehen sich somit als eine medienökonomische Grundlagenarbeit, welche es sich zur Aufgabe macht, auf Basis eines medientheoretischen Ansatzes ein systematisches und medientheoretisch fundiertes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Medien und ökonomisch handelnden Menschen zu entwickeln. Um diese Aufgabe zu bewältigen, ist eine ›Reise‹ nötig, welche nicht entlang der etablierten Routen der Ökonomie oder der Medienwissenschaft verläuft. Um sich auf jener ›Reise‹ nicht zu verirren, werden in diesem einleitenden Kapitel die ›Koordinaten‹ des Gebietes festgelegt, welches im Verlauf der Studie erforscht wird. Zur näheren Eingrenzung dieses Gebietes wird deshalb in Kapitel 1 dieser Einleitung der Frage nachgegangen, welchen Zugang die Wirtschaftswissenschaften für gewöhnlich zum Gegenstandsbereich der Medien haben. In Kapitel 2 wird zur weiteren Orientierung eine medientheoretische Systematik in Hinblick auf das Feld der Medien entwickelt, um einen medientheoretischen Begriff des »Medialen« auszuarbeiten. Im Anschluss an diese Betrachtungen folgt in Kapitel 3 die Darstellung eines medienökonomischen Ansatzes, welcher in der Lage ist, die Sichtweisen aus Kapitel 1 und 2 zu verbinden. Die eigentliche Reiseroute und somit der Verlauf der Untersuchung wird in Kapitel 4 aufgezeigt.
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1. Ö K O N O M I E
UND
MEDIEN
Die Wirtschaftswissenschaften verstehen sich als gesellschaftswissenschaftliche Disziplin, welche menschliche Entscheidungen unter den Bedingungen des Wettbewerbs und der Knappheit untersucht. Ökonomische Akteure treffen im Rahmen des ökonomischen Denkens Entscheidungen, welche das Ergebnis einer rationalen, selbstinteressierten Abwägung von Anreizen und Restriktionen im Hin9 blick auf einen erwarteten Nutzen darstellen. Medien können in diesem Entscheidungsprozess unterschiedliche Rollen einnehmen. Je nach Ausprägung der Rolle der Medien lassen sich demnach zwei Hauptstränge identifizieren: 1.
Angewandte Medienökonomie: Medien werden innerhalb der traditionellen ökonomischen Figuren, »Markt«, »Haushalt«, »Produzent«, untersucht. »Medien« werden in diesem Ansatz meist als Medienunternehmen definiert, die als Produzenten von Medieninhalten auftreten, welche auf einem Markt für Medieninhalte angeboten und von Medienkonsumenten abgenommen bzw. rezipiert werden. Medien gehen hierbei nicht als handlungsbeeinflussende Größe in die ökonomische Theorie ein. Sie bleiben als Güter und Werkzeuge der menschlichen Kommunikation außerhalb der Theoriebildung und werden unter Berücksichtigung ihrer speziellen Eigenschaften als immaterielle Informationsgüter im Hinblick auf Kostenstrukturen, Konsumstrukturen und Markteigenschaften untersucht.
9
Die nach diesem Prinzip benannte »Rational-Choice-Theorie« kann als einer der Hauptbeiträge der Ökonomie zu den Gesellschaftswissenschaften gelten. Häufig wird dieser Ansatz als Grundlage der ökonomischen Methode, der »Ökonomik«, vom Gegenstandsbereich der Ökonomie, der Wirtschaft, abgegrenzt. Einen breiten Überblick über den Nutzen und die in den letzten Jahren immer deutlicher zu Tage tretenden Schwächen dieser Theorie bieten Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): Kapitel 6, S. 201-226 und Hill, Paul B. (2002).
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ 2.
Theoretische Ökonomie der Medien: Der medientheoretischen Ausgangsthese folgend, dass Medien nicht nur Werkzeuge des Menschen sind, sondern als mediale Bezugsgrößen auf den Menschen zurückwirken, wird die Rolle der Medien innerhalb der Beziehungen verschiedener ökonomischer Akteure analysiert. Dieser Ansatz impliziert die Einbindung von Medien in die Theoriebildung. »Medien« bilden in diesem Ansatz die Grundlage des Zusammenfindens von Angebot und Nachfrage im unpersönlichen Tausch, also die Grundlage ökonomischen Handelns überhaupt. Dementsprechend steht nicht nur die Rolle von Medien als handelbaren Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund, sondern auch ihre Rolle als ›Transaktionsmedien‹, d.h. ihr Einfluss in den Koordinations10 und Informationsprozessen ökonomischer Transaktionen.
Während sich dieses Buch dem zweiten Ansatz zuordnen lässt, dominiert der Bereich der angewandten Medienökonomie einen 11 Großteil der derzeitigen ökonomischen Medienforschung. In Hinsicht auf die grundlegenden Theorien hat sich die Medienökonomie in ihrer verhältnismäßig kurzen Geschichte verständlicherweise am ›Mainstream‹ ihrer ökonomischen Mutterdisziplin orientiert. Waren die frühen Schriften der Medienökonomie noch in der klassischen 12 Nationalökonomie verwurzelt, so basieren ein Großteil der jüngeren Einführungen zur medienökonomischen Analyse vorwiegend auf 13 teilweise erweiterten neoklassischen Ansätzen. Den Ausgangspunkt der hier dargelegten Betrachtungen zum Verhältnis zwischen ökonomischem Mensch und Medialität bilden deshalb auch die, noch 10 Wie noch weiter ausgeführt werden wird, ist diese Trennung aufgrund der zunehmenden Konvergenz von digitalen Technologien sicherlich immer schwerer aufrecht zu erhalten, da beispielsweise der Computer sowohl selbst handelbares Medium ist als auch als Werkzeug zur Produktion und zum Konsum von Medieninhalten dient und obendrein Transaktionsmedium in dem Sinne ist, dass er sowohl unternehmerische Koordination als auch finanzielle Transaktion ermöglicht. 11 Vgl. insbesondere die ausschließlich angewandten Beiträge des US-amerikanischen »Journal of Media Economics«, aber auch das Programm des deutschen Publikations- und Kommunikationsverbandes. 12 Dazu gehören insbesondere die Arbeiten des Nationalökonomen Karl Blüchers, der als erster den Vorsitz des 1916 gegründeten Leipziger Instituts für Zeitungskunde übernahm, aber auch die Arbeiten Karl Marx und Max Webers, welche im US-amerikanischen Raum häufig als Grundlage kritischer Studien der Medienwirtschaft herangezogen werden. Vgl. Just, Natascha/ Latzer, Michael (2002): S. 81f und Hickethier, Knut (2003): S. 7. 13 Vgl. exemplarisch Heinrich, Jürgen (1994 und 1999).
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1. ÖKONOMIE UND MEDIEN näher auszuführenden, Theorien der Neoklassik, welche durch die Annahmen der so genannten Institutionenökonomik erweitert werden. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es heute eine Vielzahl von ökonomischen Perspektiven auf Medien gibt. So untersucht die mikroökonomische Perspektive Medien-Märkte, 14 -Unternehmen und -Konsumenten und die makroökonomische Perspektive die politischen und volkswirtschaftlichen Zusammen15 hänge der Medienwirtschaft. Die industrieökonomische Perspektive 16 analysiert Mediengüter und ihre Produktions-Eigenschaften, Ver17 treter der Managementlehre untersuchen Stakeholderbeziehungen und Publikations- und Kommunikationswissenschaftler positionie18 ren Medienökonomik als Teil der Kommunikationswissenschaften. Die seit Anfang des letzten Jahrhunderts beobachtbaren rasanten und weiter anhaltenden Entwicklungen innerhalb der Medientechnologien, die in Schlagworten wie Informationsgesellschaft, Mediengesellschaft, Wissensgesellschaft etc. verarbeitet wurden und werden, haben so nicht nur Spuren im gesellschaftlichen Alltag hinterlassen, sondern haben auch akademische Diskurse ausgelöst und beeinflusst. Die wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung hat sich jedoch im Vergleich zu anderen Wissenschaften relativ spät zu Medien hingewandt. Häufig lediglich als Informationsgüter angesehen, spielten ›Transaktionsmedien‹ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts selten eine Rolle. Wenige Ausnahmen, insbesondere die Arbeiten des Wirtschaftshistorikers und Lehrers von Marshall McLuhan Harold A. Innis aus den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, bestätigten diese informelle Regel. Die lange ›Abwesenheit‹ der Medien innerhalb der ökonomischen Theoriebildung könnte als ein externer Effekt der
14 Zu den Grundzügen der Mikroökonomie der Medien: Albarran, Alan B. (1996). 15 Siehe exemplarisch zur Konstitutionellen Ökonomik: Buchanan, James M. (1975|1984) und beispielsweise zur Erweiterung dieser Ideen im Hinblick auf das Internet: Post, David G. (1995). 16 Die industrielle Begrenzung des allgemeinen Begriffs »Medienökonomie« geht dabei oft so weit, dass er für einige Vertreter des Faches lediglich die Untersuchung der »ökonomischen Bedingungen des Journalismus« bedeutet. Vgl. Heinrich, Jürgen (1994): S. 19. Auch weitergefasste Untersuchungen kommen aus der Tradition der industriellen Analyse, wie beispielsweise die Untersuchungen zur Internetökonomie. Vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999) und Shapiro, Carl/Varian, Hal (1999). 17 Vgl. Karmasin, Matthias (1998) und Karmasin, Matthias/Winter, Carsten [Hrsg.] (2002). 18 Vgl. zur Medienökonomie aus publikationswissenschaftlicher Sicht: Kiefer, Marie Luise (2001): S. 35ff.
19
MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ dominanten Position der bereits genannten »neoklassischen Theorie« gedeutet werden, da ein Axiom der neoklassischen Theorie vollstän19 dige Information von Marktteilnehmern voraussetzt. Diese Annahme führte dazu, dass Medien in vielerlei Hinsicht gar keine Rolle innerhalb von modellierten Wirtschaftsprozessen einnehmen konnten. Der vielleicht prominenteste Schritt zur Internalisierung dieses Effektes wurde durch George J. Stigler vollzogen, der 1961 mit seinem Aufsatz »The Economics of Information« die Rückkehr der 20 Information in die ökonomische Modellbildung einläutete. Die Einführung der Information als Kostenfaktor in die ökonomische Theoriebildung, kann bis heute als eine Grundlage der Integration von Medien in die ökonomische Theorie gesehen werden. Seit den 60er Jahren hat die Entstehung der »Neuen Institutionenökonomik« die ökonomische Theoriebildung weiter für exogene Faktoren geöffnet. Sie erlaubt die Einbindung von Medien sowohl als Bezugsysteme des Menschen, als auch als Mittel der Reduzierung von Informationskosten und somit als Element der Koordination von Transaktionen. Schließlich hat die Untersuchung der Rolle der individuellen Wahrnehmung auf den institutionellen Wandel innerhalb von Gesellschaften zu einer ihrerseits noch jungen Denkrichtung geführt, hier im Folgenden sehr lose als »kognitiver Institutionalismus« bezeichnet, welche die ökonomische Perspektive für den Einfluss von medialer Wahrnehmung auf ökonomische Akteure öffnet. Diese drei ökonomischen Theoriegebäude (Neoklassik, Neue Institutionenökonomik und kognitiver Institutionalismus) sowie ihre Implikationen in Hinsicht auf die Beziehung von Mensch und Medien sollen im weiteren Fortgang der Argumentation vertieft werden. Die Auswahl dieser Theorien ist dabei keinesfalls willkürlich getroffen. Denn die jeweiligen Ansätze bieten den Vorteil, dass sie einerseits inhaltlich aufeinander aufbauen und die jeweiligen Verhaltensannahmen über den ökonomischen Menschen schrittweise erweitern und dass sie andererseits durch die Erweiterung die Ein-
19 Diese Annahme befindet sich bis heute in den einführenden Lehrbüchern der Mikroökonomik. Vgl. exemplarisch Varian, Hal R. (1999). Die Ursachen für diese Annahme werden in Teil I vertieft. 20 Rückkehr insofern, dass sich insbesondere die klassischen Ökonomen stets im Klaren darüber waren, dass es keine vollständige Informationen gab. Die Tatsache, dass die neoklassische ökonomische Theorie das Phänomen Information zu dem Zeitpunkt ›entdeckte‹, als auch die frühen Arbeiten der Medientheorie erschienen, zeigt die gesellschaftliche Relevanz, die Medien, Kommunikation und Information durch die Durchsetzung nicht zuletzt des Fernsehens in den 50er Jahren erreichten.
20
1. ÖKONOMIE UND MEDIEN beziehung nicht nur rein marktlicher, sondern auch sozialer und kultureller Aspekte erlauben. Diese Bandbreite ist im Hinblick auf Medien notwendig, da sich allein die ›Produktion‹ von Medien bereits in einem Spannungsfeld zwischen kommerzieller und kultureller Produktionslogik bewegt. Matthias Maier hat dieses Spannungsfeld wie folgt zusammengefasst: »[B]ereits die Begriffe ›Medienproduktion‹ und ›Theorie der Medienproduktion‹ lassen ein rationales Kalkül vermuten oder sogar befürchten, welches den kreativen und kulturellen Dimensionen von Medien wenig oder keinen Raum lässt. Es klingt so, als wolle man Medien der gleichen Mechanik unterwerfen, wie sie Charlie Chaplin in seinem Film ›Modern Times‹ bildlich vor Augen führt. Medien in eben der gleichen Weise produzieren zu wollen, wie etwa Autos – aus genormten Einzelteilen und standardisierten Arbeitsgriffen – bedeutet dies nicht das Ende der 21 Medien?« Dieses Spannungsfeld gilt aus Sichtweise der Medientheorie nicht nur für die Produktion von Medien, sondern für alle Bereiche, in denen Medien mit Wirtschaft ›konfrontiert‹ werden. Für die medienökonomische Theoriebildung wird deshalb in dieser Studie die Verbindung rein ökonomischer Betrachtungen mit medientheoretischen Betrachtungen angestrebt, um daraus einen medienökonomischen Ansatz zu schaffen, der sowohl ökonomische als auch soziale und kulturelle Aspekte beachten kann. Es wird innerhalb dieser Studie deshalb nicht der Weg eingeschlagen, medienökonomische Theorien auf einen speziellen Sachverhalt anzuwenden, sondern vielmehr wird der Versuch unternommen, einen ›Schritt zurück‹ von der angewandten medienökonomischen Forschung zu gehen und deren theoretische Grundlagen medientheoretisch zu reflektieren. Um diese Aufgabe zu erfüllen, wird im Folgenden das aus der Medientheorie stammende Konzept der »medialen Schichten« ausgeführt, welches Anknüpfungspunkte bzw. Schnittstellen zwischen medientheoretischen und ökonomischen Konzepten bietet.
21 Maier, Matthias (2001): S. 21. Dieses Spannungsfeld wird besonders im Kontext der Medienökonomie häufig auf die Unterschiede zwischen ökonomischem und publizistischem Wettbewerb der Massenmedien bezogen (ist aber nicht auf dieses begrenzt). Während sich ökonomischer Erfolg in monetärem Erfolgen wie Gewinn, Marktanteilen, Absatz oder Umsatz auszeichnet, so gelten im publizistischen Wettbewerb andere, nicht direkt monetär umsetzbare Größen, wie Ausgewogenheit, Meinungsvielfalt, Aktualität, Wahrheit etc. Vgl. Heinrich, Jürgen (1994): S. 94f.
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2. M E D I E N B E G R I F F U N D D I M E N S I O N E N D E S »M E D I A L E N « Der Begriff »Medium« verweist auf eine Vielzahl von Konnotationen, welche auf unterschiedlichste Art und Weise benutzt werden und deshalb weniger auf der Ebene der Alltags, aber umso mehr auf der Ebene der Fachsprache für Verwirrung sorgt. Konsens besteht in den Wissenschaften laut Lorenz Engell und Joseph Vogl einzig über die wörtliche Bedeutung des Terminus Medium als »Mitte« und 22 »Mittleres«, »Vermittlung« und »Vermittler«. Dieser wörtlichen Bedeutung nach muss somit eine Frage nach dem Wesen der Medien immer eine Frage nach der Beschaffenheit, der Tätigkeit und Rolle 23 dieser Medialität, dieses »Dazwischen« sein. Was allerdings dieses wie auch immer geartete ›Dazwischen‹ bezeichnet, ist in der Fachsprache unsicher oder mindestens zentraler Streitpunkt in der Debatte über den Medienbegriff und seine Reichweite. Die Definitionen, was Medien seien, erstrecken sich auf einem Kontinuum, welches von einer historischen Verengung bis zu einer zeitgenössischen Überdehnung reicht. Da das Medienverständnis, welches einer medienökonomischen Betrachtung zugrunde liegt, wesentlich über die Sichtweise auf den eigentlichen Gegenstand und somit über das Sprachspiel der Disziplin entscheidet, ist das angelegte Medienkonzept von entscheidender Bedeutung für den Verlauf der jeweiligen Untersuchung. Gemäß der Prämisse dieser Studie, ökonomisches Denken medientheoretisch zu erweitern, wird im Folgenden das medientheoretische Konzept der medialen Schichtungen vertieft, welches den nachfolgend beschriebenen Gegensatz zwischen Veren24 gung und Überdehnung zu überwinden sucht.
22 Vgl. Engell, Lorenz/Vogl, Joseph (1999): S. 9. 23 Vgl. Engell, Lorenz/Vogl, Joseph (1999): S. 9. 24 Hier sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die Medientheorie über einen einheitlichen und gesicherten Medienbegriff verfüge. Ganz im Gegenteil entstanden in allen Strömungen der Medientheorie verschiedenste Ansätze von Medienbegriffen, welche sich teilweise in Nuancen ergänzen oder auch fundamental voneinander abweichen. Einen breiten Überblick hierzu bietet: Weber, Stefan [Hrsg.] (2003). Dies geht hin bis zu der These, dass es keine Medien in einem substanziellen und historisch dauerhaften Sinn gibt,
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ Ein ›enger‹ Medienbegriff versteht pars pro toto die Massenmedien Film, Hörfunk, TV, Zeitung und Zeitschriften sowie in neuerer 25 Zeit das Internet als »die Medien«. Der oft verwendete Zugang über öffentlichkeitsbildende, publizistischen Medien trägt den klassischen Medienbegriff in sich, welcher Medien als Werkzeuge der Übertra26 gung und Speicherung von Informationen definiert. Dieser Begriff arbeitet mit einer Transportmetapher, bei der das Medium als ein ›Behältnis‹ fungiert, in welches ein Sender eine Botschaft hineingibt und diese auf mehr oder weniger direktem Wege zum Empfänger schickt. Einmal angekommen, kann das Behältnis ›geöffnet‹ und die Nachricht ›gelesen‹ werden. Dieser lineare und mathematisch berechenbare Übertragungsbegriff prägte den Medienbegriff der empirischen Soziologie wie auch der Kommunikationsforschung, welche berechnen und erfragen, wie viel von dem, was als Nachricht ›in‹ das Medium gegeben wurde, beim Empfänger schließlich ankommt, sowie den des traditionellen Journalismus, welcher mit der »LasswellFormel« von 1927: »Wer sagt was, warum, wie und mit welchem 27 Effekt zu wem?« arbeitet, bis hin zu dem der Medienökonomie, welche sich noch immer häufig als Ökonomie der Massenmedien ver28 steht. Fungiert das Medium jedoch nur als Behältnis für eine Botschaft, so müsste es möglich sein, jede beliebige Botschaft in ein beliebiges Medium zu verpacken, und jeder beliebige Empfänger müsste ein und dieselbe Botschaft daraus lesen. Oder technokratisch ausgedrückt: Die Signale einer Nachricht lassen sich von beliebigen Empfängern wieder zur Nachricht zusammensetzen, wenn nur die Stö-
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da die Verwicklungen von Medien, Wahrnehmung und Mensch zu stark kontextgebunden sind. So schreibt Joseph Vogl: »Was Medien sind und tun, wie sie funktionieren und welche Effekte sie hervorbringen, der Ort, den sie innerhalb kultureller und sozialer Praktiken einnehmen, ihre Rolle als spezifische Kulturtechniken – all das und der Begriff des Mediums lassen sich nicht auf eine elementare Definition und auf einen einfachen Schnitt oder Gegenstand reduzieren.« Vogl, Joseph (2001): S. 121. Besonders in bisherigen Untersuchungen zur Medienökonomie taucht dieser enge Medienbegriff immer wieder auf. So definiert Heinrich Medienökonomie wie folgt: »Medienökonomie untersucht, wie die Güter Information, Unterhaltung und Verbreitung von Werbebotschaften in aktuell berichtenden Massenmedien produziert, verteilt und konsumiert werden. Sie untersucht also die ökonomischen Bedingungen des Journalismus.« Heinrich, Jürgen (1994): S. 19. Vgl. zum klassischen »Sender-Empfänger-Modell« Shannon, Claude E./ Weaver, Warren (1964) sowie Engell, Lorenz (1998): S. 278. Hier zitiert nach Winterhoff-Spurk, Peter (1989): S. 25. Vgl. exemplarisch Heinrich, Jürgen (1994): S. 19.
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2. MEDIENBEGRIFF UND DIMENSIONEN DES »MEDIALEN« rung – das Rauschen – hinreichend gering ist. Eine Öffnung dieses klassischen Medienverständnisses wurde um 1950 von Harold A. Innis eingeleitet, da dieser erkannte, dass sich das, was in einem Medium transportiert werden soll, dem Transportmittel anpassen muss. ›Inhalte‹ müssen laut Innis immer in Abhängigkeit ihrer 29 Transportwege betrachtet werden. Die Denkmöglichkeiten – die 30 »trade-routes of the mind« – sind durch die Apparate limitiert, denn Medien können immer nur das aussagen, was ihre technische Struktur zulässt. Marshall McLuhan erweiterte und radikalisierte diesen Ansatz, indem in seiner Konzeption jedes Werkzeug zu einem Medium wird, wenn es auf den Verwendungszusammenhang zurückwirkt. Diese Erweiterung des Medienbegriffs trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht jede Mediennutzung mit einer Öffentlichkeitsbildung einhergeht, wie dies bei den Massenmedien der Fall ist (wie beispielsweise der Brief, das Telefon, die eMail zeigt). McLuhan hat die Betrachtung des Gegenstandes Medien damit über die traditionelle Sichtweise hinaus geöffnet. Als Medium können demnach alle vom Menschen zum Zwecke der Kommunikation geschaffenen Gegenstände bzw. Technologien verstanden werden. McLuhan entwickelte über die Erweiterung des Medienbegriffes hinaus eine spezielle Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Menschen und Medien. Er interpretierte Medien als »Ausweitung des menschlichen 31 Nervensystems« , wodurch er den Grundstein für eine Medienwissenschaft legte, die ihren Gegenstand als systematisierbare Objekte versteht, welche das, was sie speichern, verarbeiten und vermitteln unter Bedingungen stellen, »die sie selbst schaffen und 32 sind«. Dieser ›erweiterte‹ Medienbegriff ist jedoch nicht unproblematisch, da durch ihn auch contra-intuitive Gegenstände wie Kleidung, 33 Flugzeuge oder das Fahrrad als Medien definierbar wären. Ein Medienbegriff, der anwendbar sein will, darf deshalb nicht mit Marshall McLuhans Aussage »Das Medium ist die Botschaft« enden, damit er nicht droht, in die Willkürlichkeit abzugleiten, denn »Wenn 34 Alles Medium wäre, dann wäre Medium Nichts.« Der positiven Erweiterung des Medienbegriffs muss demnach ein übergeordnetes Konzept des Medialen an die Seite gestellt werden, welches in der 29 30 31 32 33 34
Vgl. auch Engell, Lorenz (1999): S. 131. Innis zitiert nach Barck, Karlheinz [Hrsg.] (1997). Vgl. u.a. McLuhan, Marshall (1968): S. 43. Vgl. Engell, Lorenz/Vogl, Joseph (1999): S. 10. Wie es z.B. Marshall McLuhan (1968) tut. Engell, Lorenz (1999): S. 127.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ Lage ist, Eigenschaften zu abstrahieren, welche alle Einzelmedien weitestgehend verbinden, die Spezifik eines Mediums zu differenzieren und schließlich das Mediale vom Nicht-Medialen zu unterscheiden. Um sich dem Gegenstandsbereich des Medialen zu nähern, ist es deswegen nötig, Medium nicht nur als technisches Transportmittel zu verstehen, sondern zu untersuchen, in welchen medialen Kräftefeldern ein Medium wirkt, um daraus ein für die medienökonomische Theorie anwendbares Frameset zu entwickeln. Als Grundlage für die Darstellung dieses medialen Kräftefeldes wird auf das von Lorenz Engell entwickelte Konzept der medialen Schichtungen zurückgegriffen, welches nicht Einzelmedien in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, sondern drei »mediale Kräftefel35 der«: 1. Die erste Schicht ist die des »Objekts«, der technischen Präsenz eines Mediums. Diese Objektschicht umfasst reale Gegenstände, Hardware, Maschinerie und auch konkrete Institutionen, wie Fabriken oder Behörden. Sie beinhaltet den offensichtlichen Zweck eines Mediums, beispielsweise die Übertragung oder Speicherung. 2. Die zweite Schicht ist die des »Dispositivs«. Die Schicht des Dispositivs umfasst alle Bedingungsgefüge, welche mit der Anwendung eines Mediums einhergehen. Diese Bedingungsgefüge können als die bewussten oder unbewussten Regeln verstanden 36 werden, welche Medien ihren Benutzern ›aufzwingen‹. 37 3. Die »Symbolische Form« bildet die dritte Schicht des Medialen, jene, die beschreibt, wie Medien durch kognitive Prägung in der Lage sind, die individuellen Sinnschemata von Menschen zu ›überformen‹ und damit individuelle Sinnstiftung und den ›Weltzugriff‹ von Menschen zu beeinflussen. Damit aus beliebigen Objekten Medien werden, müssen sie, nach diesem Konzept, in allen drei Schichten ›wirken‹. Medien bestehen demnach gleichzeitig aus unterschiedlichen und in ihren Wirkungsweisen teilweise entgegengesetzten Kräftefeldern. 1. aus ihrer 35 Die nachfolgend vorgestellten »Schichten der Medialität« basieren auf: Engell, Lorenz (1998): S. 280-285. 36 »Hierzu gehören etwa die Strukturen möglicher Handlungen und Verhaltensweisen, die das Medium nahelegt oder gar erzwingt; auch die spezifischen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Dispositionen, die der Umgang mit dem Gerät, die der Gebrauch von den »Nutzern« erfordert oder die es fördert.« Engell, Lorenz (1998): S. 282. 37 Siehe vertiefend: Cassirer, Ernst (1998): S. 76-97.
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2. MEDIENBEGRIFF UND DIMENSIONEN DES »MEDIALEN« ›Technik‹ (Objektschicht), die ihre direkt sichtbare Funktion prägt; 2. aus ihrer ›Struktur‹ (Dispositiv), die als Teil der Lebenswelt bewusst oder unbewusst in die menschliche Handlung mit einfließt; und 3. aus ihrer ›Wahrnehmungswirkung‹ (symbolische Form), welche intentionales Handeln durch Herstellung sinnhafter Bezüge prägt. Der Gegenstand der Medien verlässt in dieser Sichtweise die Sphäre des rein technischen Apparates und wird als kultureller Gegenstand zum wesentlichen Bestandteil sozialer Gefüge. Medien 38 bestehen in dieser Konzeption als das »Verschiedene im Selben« , welches sich in den drei Kräftefelder systematisieren lässt, in denen 39 sich ein Medium ausbildet und wirkt.
Abbildung 1 – Schichten des Medialen Die Betrachtung des in der Abbildung 1 schematisierten abstrakten Medialen (M) als Einheit der Binnendifferenzen von Objekt, Dispositiv und Symbolischer Form erlaubt eine vielschichtige und doch strukturierte Analyse von Medien. Diesen medientheoretischen Ansatz in die ökonomische Theorie einzubetten, ist eine der Hauptauf40 gaben dieser Arbeit. Gelingen soll dies durch die Analyse des Ver-
38 Engell, Lorenz (1998): S. 281. 39 Diese Schichten der Medialität erlauben es, ein Medium als Technik, Struktur und Kultur zu verstehen, ohne es auf eines dieser Konzepte zu beschränken, wie es den medienwissenschaftlichen Ansätzen, die nur auf einer dieser Schichten beruhen, vorgeworfen wird. Vgl. zu deren Kritik Beck, Klaus (1994): S. 174f und Kirchmann, Kay (1998): S. 35. 40 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die hier entwickelte ›Arbeitsdefinition‹ die Grundlage zur Systematisierung der vorliegenden Arbeit in drei
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ hältnisses, welches der ökonomische Mensch zu den Schichtungen des Medialen einnimmt. Der sich daraus ergebene medienökonomische Code vom Menschen muss demnach Einheit der Differenzen berücksichtigen, welche sich aus den Schichtungen des Medialen ergeben. Im Erfolgsfall könnte dies ein Baustein auf dem Weg zu einer transdisziplinären ökonomischen Theorie der Medien darstellen, deren Grundlagen im Folgenden umrissen werden.
Hauptteile bildet, welche dazu dienen soll, abstrakte Grundzüge zu beschreiben, in die bestenfalls alle denkbaren Bezüge zwischen Mensch und Medien eingeordnet werden können, ohne diese zwingend alle in dieser Studie aufzuführen. Zur besseren Veranschaulichung wird dabei häufig auf Beispiele aus den Massenmedien zurückgegriffen. Die beschriebene Systematisierung lässt sich jedoch gleichermaßen auf Medien der Individualkommunikation oder der Kultur anwenden.
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3. T R A N S D I S Z I P L I N Ä R E N A T U R MEDIENÖKONOMIE
DER
Eine ökonomische Theorie der Medien steht bisher noch aus. Die angesprochene Unsicherheit des Medienbegriffs, das bescheidene Alter der Disziplin und die Vielfalt der möglichen ökonomischen Zugänge tragen das ihrige dazu bei, dass die ökonomische Betrachtung der Medien nicht auf die Welt der Unternehmen und Güter beschränkt bleiben sollte. Die Allgegenwärtigkeit der Medien in heutigen Gesellschaften wird auch die Nachfrage nach ökonomischen Erklärungen medialer Phänomene erhöhen. Einen Beitrag zu einer zukünftigen ökonomischen Theorie der Medien hofft diese Studie als Grundlagenarbeit im Hinblick auf einen ›medienökonomischen Menschen‹ beizusteuern. Die hier aufgegriffenen Kräftefelder des Medialen bilden den Rahmen, der dazu notwendig ist. Die Allgegenwärtigkeit von Medien in heutigen Gesellschaften macht einerseits die dynamische und spannende Vielfalt, andererseits aber auch die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Medien aus. Wie zur Wirtschaft haben Menschen in der westlichen Welt eine alltägliche Beziehung und somit häufig auch eine vorgefertigte Meinung zu Medien. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Wissenschaftler einen intuitiv aus ihrer Mutterdisziplin abgeleiteten Blickwinkel auf Medien einnehmen und insbesondere deren Wissenschaftssprache auf medienökonomische Betrachtungen 41 beziehen. Der Ökonom sieht in unausweichlichen, aber nicht beabsichtigten, inhärenten Wirkungen »externe Effekte«, der Kommunikationswissenschaftler sieht in diesen Medienwirkungen den »primären Zweck«, die gesellschaftlich zugewiesene Aufgaben der Informationsversorgung und Unterhaltung zu erfüllen. Der Medienwissenschaftler spricht von der »Kraft des Dispositivs«, der Ökonom
41 Karmasin und Winter weisen darauf hin, dass die Medienökonomie verschiedenste Blickwinkel einnehmen kann: Den wirtschaftswissenschaftlichen, den kulturwissenschaftlichen, den publikations- und kommunikationswissenschaftlichen oder auch den philosophischen. Alle haben ihre eigene Beziehung zu und Einflüsse auf die Medienökonomie. Vgl. Altmeppen, KlausDieter/Karmasin, Matthias [Hrsg.] (2003b).
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ 42
von der »Wirkung von Institutionen« und so fort. Gemeint ist häufig Ähnliches, wenn nicht Gleiches, häufig jedoch aus einer anderen Perspektive. Der Wechsel der Perspektiven, der Sprachspiele und der Zielsetzung repräsentieren Medienökonomie als heterogenes Feld, welches durch die Vermengung von Wirtschaftswissenschaften, Kommunikationswissenschaften und Medienwissenschaften etc. lebt. Diesen unterschiedlichen Belangen entsprechend, muss auf einer Metaebene geklärt werden, in welchem Verhältnis die Medienökonomie als Wissenschaftsdisziplin zu dem Gegenstand »Medien« steht, um darauf aufbauend weitere Betrachtungen anzustellen. In einer ersten Näherung wird zu diesem Zweck das Feld der Medienökonomie in ein Verhältnis zu vier Metaebenen gesetzt, welche Knut Hickethier für das Verhältnis von Wissenschaften zu Medien unter43 scheidet: 1. Wissenschaften, die Medien nur als Konstruktionselement ihrer übergeordneten Theorien benötigen, wie z.B. die Soziologie, Politologie oder Philosophie. Beispielhaft steht hierfür die Soziologie, beispielsweise Talcott Parsons oder Niklas Luhmanns, welche z.B. Macht oder Geld als Steuerungsmedien der Gesellschaft 44 verstehen. 2. Wissenschaften, denen die Medien Material für ihre nicht auf Medien gerichtete Problemstellung liefern, wie z.B. das Medienrecht als Teilbereich des eigentlichen Gegenstandsbereiches »Öffentliches Recht« in den Rechtswissenschaften oder die Analyse von Medien innerhalb der Geschichtswissenschaften sowie der Pädagogik und der Psychologie. 3. Wissenschaften, die sich den Massenmedien zuwenden, weil ihr eigentlicher Gegenstand von Medien zum Gegenstand gemacht wurde und dadurch verändert wurde, wie z.B. die Kunst-, Musik-, Theater- oder Literaturwissenschaft. 4. Wissenschaften, welche die Medien zu ihrem zentralen und einzigen Thema machen, wie die Medienwissenschaften und die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Diese Wissenschaften haben zum Anspruch, die in anderen Wissenschaften gewonnenen Erkenntnisse zu einem Gesamtbild der Medien zu integrieren, »also der zentrale Ort für die umfassende wissen-
42 Vgl. zu dieser Problematik auch: Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias [Hrsg.] (2003a): S. 10. 43 Vgl. zu dem folgenden Abschnitt Hickethier, Knut (2003): S. 5f. 44 Vgl. exemplarisch Parsons, Talcott (1975); Luhmann, Niklas (1975|1988).
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3. TRANSDISZIPLINÄRE NATUR DER MEDIENÖKONOMIE schaftliche Erschließung des Gegenstandsfeldes »Medien« zu 45 sein.« Betrachtet man diese Klassifikation der verschiedenen MedienWissenschaften aus dem Blickwinkel der ökonomischen Theorie im Allgemeinen, so ergeben sich interessante Aspekte zur Umrahmung des Feldes der Medienökonomie im Speziellen. zu 1.): Wissenschaften, die Medien nur als Konstruktionselement ihrer übergeordneten Theorien benötigen. Die Frage, ob die Wirtschaftswissenschaften im Allgemeinen Medien als theoretisches Konstruktionselement benötigen, lässt sich nur aus dem Kontext der theoretischen Hintergrundfolie beantworten. Wie später noch erläutert wird, schließt beispielsweise die neoklassische Ökonomie mit ihren strengen Modellannahmen die Notwendigkeit zur Kommunikation ihrer Akteure durch ceteris paribus (›unter sonst gleichen Umständen‹) Analysen schlicht aus. Informationen sind im Rahmen der vollständigen Rationalität einfach vorhanden. Die institutionalistische Ökonomie hingegen, geht von begrenzter Rationalität aus, also davon, dass ökonomische Akteure Informationen irgendwo her (dementsprechend vermittelt) bekommen. Im Gegensatz dazu spielen sie doch innerhalb dieses Theoriezweiges eine implizite und immer öfter auch explizite Rolle, auch wenn der Gegenstand der institutionenökonomischen Analyse nicht Medien an sich, sondern die von ihnen vermittelten Informationen, meist in einem sehr technischen Sinne, in den Mittelpunkt stellen. Der kognitive Institutionalismus setzt sich schließlich auch mit nicht-technischen Effekten von Informationsvermittlung auseinander und erweitert das ceteris paribus Prinzip im Sinne eines evolutorischen Ansatzes zum mutatis mutandis Prinzip (›unter den nötigen Abänderungen‹). Die Betrachtung und Entwicklung der ökonomischen Theoriegebäude erhält dadurch für die Medienökonomie besondere Relevanz. zu 2.): Wissenschaften, denen die Medien Material für ihre nicht auf Medien gerichtete Problemstellung liefern. Waren Medien schon immer wesentlicher Bestandteil unpersönlichen Tausches, so rückt der Einfluss der für Transaktionen verwendeten Medien auf Wirtschaftsprozesse erst in jüngerer Geschichte in den Vordergrund. Bereits die Tonplatten der babylonischen Händler dienten zur Kalkulation und Memorisation von Aufträgen. Auch komplexere wirtschaftliche Operationen, wie das seit der Renais45 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 6.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ sance in abendländischen Kulturkreisen dominante Prinzip der doppelten Buchführung, ist ohne den Einsatz medialer Hilfsmittel nicht möglich. Die Wirtschaftswissenschaften, besonders die Betriebswirtschaft, hat sich so stets implizit mit Medien auseinandergesetzt. Erst mit zunehmender Sensibilisierung der Geisteswissenschaften für mediale Prozesse wurde deutlich, dass die dabei entstehenden Analysesysteme, wie beispielsweise die Bilanz oder der Geschäftsbericht, selbst zum Medium, zur Vermittlung des Unternehmens an andere wurde. Medien liefern in der historischen Entwicklung zunehmend mehr Material für die Problemstellung der Wirtschaftswissenschaften. Medien erfüllen in Wirtschaftsprozessen demnach diverse Funktionen, die über die reine Markttransaktion hinausgehen und deren Systematisierung durch die Medienökonomie zunehmend notwendig wird. zu 3.) Wissenschaften, die sich den Massenmedien zuwenden, weil ihr ursprünglicher Gegenstand von den Massenmedien zum Gegenstand gemacht und dadurch verändert wurde. Die Reflektion wirtschaftlicher Prozesse innerhalb der Massenmedien wirkt an verschiedenen Stellen auf die allgemeine ökonomische Theorie zurück. So verweist die Doppelstruktur publizistischer Medien – welche als (möglichst) gewinnbringende Unternehmungen geführt werden, aber in Demokratien traditionell einen gesellschaftlichen Funktionsauftrag (sei es Bildung oder auch politische Kontrolle) erfüllen sollen – auf die Diskrepanz zwischen dem einerseits rein monetären Kapital, welches Medien z.B. durch Werbung erwirtschaften und dem kulturellen und sozialen Kapital anderseits, wodurch sie die gesellschaftliche Kommunikation aufrecht erhalten. Die zunehmende Kommunikationsnotwendigkeit, der wirtschaftende Unternehmen durch mediale Entwicklungen gegenüberstehen (Stichwort: Ökonomie der Aufmerksamkeit), führt immerhin zu einer Öffnung der Wirtschaftswissenschaften im Hinblick auf diese Prozesse. So verweist beispielsweise Birger P. Priddat darauf, dass Märkte nicht mehr ausschließlich über Preis-Mengen-Kommunikation gesteuert werden können, sondern zusätzlich über die Kommunikation, die außerhalb von Märkten »in den sozialen Netzwerken von Familie, Freunden, Bekannten, Kollegen, in den diversen Öf46 fentlichkeiten, medial und nicht-medial etc.« stattfindet. Die Dynamisierung wirtschaftlicher Theorien und auch deren Image sind durch vielfältige Medienbezüge und -kontakte verändert worden. Die
46 Priddat, Birger P. (2002): S. 225.
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3. TRANSDISZIPLINÄRE NATUR DER MEDIENÖKONOMIE gesellschaftlichen Grundlagen und der gesellschaftliche Wandel fallen somit in das Blickfeld der Medienökonomie. zu 4.): Wissenschaften, welche die Medien zu ihrem zentralen und einzigen Thema machen. Die Wirtschaftswissenschaften zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie Medien zu ihrem zentralen und einzigen Thema erheben. Warum sollten sie auch. Doch allein die Vorüberlegungen zum Verhältnis von Medien und Ökonomie haben gezeigt, dass Medienökonomie mehr sein sollte als die Beschreibung der ökonomischen Markt-Transaktionen von Medienbetrieben. Medienökonomie kann sich im Speziellen durchaus als Medienwissenschaft verstehen, auch wenn die Formulierung einer ökonomischen Theorie der Medien als Beitrag zum Verständnis von Medien im oben beschriebenen Sinne noch aussteht. Voraussetzung hierfür ist jedoch die differenzierte Auseinandersetzung mit dem, was »Medium« im Sinne der Medienökonomie bedeutet. Das Konzept des Medialen, dessen Kräftefelder in den oben genannten Punkten durchscheinen, muss dementsprechend von der Medienökonomie untersucht werden. Aus diesen Betrachtungen folgen verschiedene ›Aufgaben‹, welche die Medienökonomie als Disziplin auf sich nehmen muss, um nicht nur Anwendung zu sein, sondern einen eigenen Beitrag zur Theorie der Medien zu leisten. 1. Medienökonomie muss die theoretischen Grundlagen ihrer ökonomischen Mutterdisziplin sorgfältig reflektieren, da nicht alle wirtschaftlichen Theorien gleiche Annahmen über Information und Kommunikation zugrunde legen (siehe 1). 2. Die Differenzierung zwischen verschiedenen Funktionen von Medien (bspw. zwischen produzierten Gütern und produzierenden Gütern) muss getroffen werden (siehe 2). 3. Während Wirtschaftswissenschaften Medien analysieren, verändern Medien mit ihren Technologien und ihren symbolischen Funktionen auch die Wirtschaftswissenschaften. Die gesellschaftliche Entwicklung und der damit einhergehende ökonomische Wandel müssen also Bestandteil der Untersuchung sein (siehe 3). Medienökonomie muss demnach eine dynamische Theorie bieten, welche keine statischen Annahmen macht. 4. Um zum Verständnis der Medien als Gegenstand und gesellschaftlichem Phänomen beizutragen, muss Medienökonomie sich mit allen hier genannten Punkten beschäftigen und dafür ihr Verhältnis zum Gegenstand der Medien genauer beschreiben (siehe 4).
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ Doch da, wie erwähnt, von einer institutionell abgesicherten und erkenntnistheoretisch fundierten Medienökonomie heute noch nicht die Rede sein kann, ergeben sich aus dieser Komplexität mehrere Probleme. Die Theorievielfalt, welche auf die Disziplin der Medienökonomie einwirkt, hat einerseits Unübersichtlichkeit der Ansätze und Methoden und andererseits akademische ›Geltungsansprüche‹ 47 zur Folge. Darüber hinaus ist eine unzureichende Reflektion des Medienbegriffes in der Medienökonomie erkennbar, wodurch »klassische Medienökonomie« (also der publizierenden Massenmedien) beispielsweise der »Internetökonomie« gegenüber gestellt wird und die Systematisierung dessen, was Medienökonomie zum Gegenstand habe, teilweise beliebig wirkt. Diesen verschiedenen Problemen steht die Chance gegenüber, das Verhältnis von Medien und Ökonomie mit höherer methodischer Bandbreite und weniger großen Pfadabhängigkeiten zu beleuchten, als dies in einer vereinheitlich48 ten, mathematisierten ökonomischen Theorie der Fall wäre. Die Herausforderung besteht sicherlich auch darin, dass Medien sui generis disziplinen- und fächerübergreifend sind, und es gilt eben diese Vielheit in eine Einheit zu bringen, ohne den genannten Risiken zu erliegen oder die Chancen einer zu engen Betrachtung zu opfern. Eine Möglichkeit, diese Herausforderung anzunehmen, ist die Konzeption, Medienökonomie als eine »transdisziplinäre Ökonomie der Medien« zu verstehen, wie es Klaus-Dieter Altmeppen und Matthias Karmasin vorschlagen: »Die Auffassung der Medienökonomie als transdisziplinäres Projekt darf weder in einer Art ökonomischem Imperialismus bestehen, der alle Kommunikationsakte unter ökonomischen Prämissen interpretiert, noch in einer Kulturtheorie, die die Ökonomisierung der Kommunikation als Marginalie 49 oder als Devianzerscheinung interpretiert.« Transdisziplinär muss
47 Bei der Reflektion der Medienökonomie als Wissenschaft treten nicht selten Geltungsansprüche der Autoren in den Vordergrund, die diesen Wissenschaftszweig primär für ihre jeweilige Herkunftswissenschaft reklamieren. Exemplarisch hierfür die Definition der Medienökonomik von Kiefer: »[Medienökonomik ist] eine Teildisziplin der PKW [der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften], die wirtschaftliche und publizistische Phänomene des Mediensystems kapitalistischer Marktwirtschaften mit Hilfe ökonomischer Theorien untersucht.« Kiefer, Marie Luise (2001): 41. Eine Übersicht zu den verschiedenen Geltungsansprüchen bieten Siegert, Gabriele (2002) und Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 27f. 48 Zur Vielfalt dieser Bandbreite siehe Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias [Hrsg.] (2003a und 2003b). 49 Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 27 vgl. zur Konzeption der transdisziplinären Ökonomie der Medien auch S. 19-51.
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3. TRANSDISZIPLINÄRE NATUR DER MEDIENÖKONOMIE die Medienökonomie deshalb sein, weil Wirtschaftswissenschaften und Medien- sowie Medienkulturwissenschaften aus einer anderen Wissenschaftskultur herrühren und somit nicht nur ein Miteinander benachbarter Fächer, sondern tatsächlich ein Miteinander ›fremder‹ 50 Disziplinen benötigt wird. Folgt man dieser Auffassung, so kann das eben nicht heißen, dass passgenaue ökonomische (volks- oder betriebswirtschaftliche) Theorien mit den jeweils passenden kommunikationswissenschaftlichen Konzepten verbunden werden, da sonst kritische Sphären nicht erfasst werden. Beispielsweise kann die Theorie der Unternehmung nicht ohne weiteres auf Medienunternehmen angewandt werden, ohne beispielsweise die öffentliche 51 Aufgabe bzw. Wirkung der Medien zu thematisieren. Diese medienkulturwissenschaftliche Komponente des medienökonomischen Interesses müsste demnach fest in dem Programm der transdisziplinären Medienökonomie verankert sein. So schreiben Altmeppen und Karmasin: »Medienökonomie in transdisziplinärer Problemorientierung bedeutet den Versuch, Medienökonomie und Kulturwissenschaft der Medien, Wirtschaftsethik und öffentliche Aufgaben der Medien, Institutionenökonomie der Medienproduktion und Medienökonomie als Emanzipationstheorie arbeitsteilig hergestellter medi52 aler Produkte integrativ zu bewerten.« Die theoretischen Einflüsse für den transdisziplinären medienökonomischen Ansatz dieser Studie lassen sich wie folgt skizzieren:
50 Hickethier weist darauf hin, dass sich die Medienwissenschaft als Sammelbegriff als eine Text- und Kulturwissenschaft versteht, wohingegen die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sich aus ihrer Herkunft aus der Nationalökonomie und der Nähe zur Soziologie und Politologie vor allem als Sozialwissenschaft verstehe; vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 7. Darüber hinaus verweisen Altmeppen und Karmasin explizit auf die unterschiedlichen Wissenschaftskulturen zwischen Wirtschaftswissenschaften und Kommunikations- oder Medienwissenschaften. Vgl. Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 30ff. 51 Vgl. Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 31. 52 Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 35f.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ
Abbildung 2 – Theoriestränge der vorliegenden Untersuchung im Rahmen der Medienökonomie als transdisziplinärem 53 Forschungsprogramm Diese in den vorhergehenden Abschnitten beschriebenen und in Abbildung 2 dargestellten Stränge bilden nicht den einzig möglichen Zugang zur Untersuchung des ›medienökonomischen Menschen‹, jedoch einen konsistenten, der mit dem eigentlichen Gegenstand der Medien und deren Darstellung durch die Schichten des Medialen korrespondiert. Im folgenden Kapitel werden auf Grundlage des bisher Erarbeiteten die Grundlagen einer Theorie des ›medienökonomischen Menschen‹ dargestellt.
53 In Anlehnung an: Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 35.
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4. G R U N D L A G E N
DES
›MEDIENÖKONOMISCHEN CODES‹ MENSCHEN
VOM
Die Frage nach einem ›medienökonomischen Menschen‹ stößt, wie jede Frage nach dem, was der Mensch sei oder ihn bestimme, auf den Zirkel, dass derjenige, der fragt, auch derjenige ist, nach dem 54 gefragt wird. Diese Selbstreferenz führt zu der Konsequenz, dass Gesellschaftswissenschaften zur Untersuchung dessen, was den Menschen in seinen Handlungen leitet, ›Bilder‹ vom Menschen machen, welche analytische Abstraktion erlauben und in den ›Handwerkskasten‹ der jeweiligen Disziplin einfließen. Diese ›Menschenbilder‹ sind alles andere als konsistent. »Zum einen variieren die Aspekte des Menschen, die Bestandteil solcher Konzepte werden – Körper, Intelligenz, Geschlecht, moralisches Verhalten und anderes mehr. Zum anderen verschiebt sich die Gewichtung der vielfältigen – religiösen, juristischen, wissenschaftlichen, ethischen, politischen – Fäden, die bei der Ausbildung der entsprechenden »Vorstellungs55 systeme« zusammenfließen.« Bilder vom Menschen gehen somit stets – implizit oder explizit – als Basiseinheiten in gesellschaftswissenschaftliche Theorien ein. An ihnen misst sich die logische Konsistenz des Sets an Begriffen, Definitionen und Modellen, welche eine Theorie zur Bearbeitung eines Erkenntnisobjektes anbietet. Jede wissenschaftliche Betrachtung des Menschen ist so auch vom jeweiligen Blickwinkel, der wissenschaftlichen ›Brille‹, des Betrach56 ters geprägt. Im Hinblick auf die Medienökonomie stellt sich folglich die Frage, welche Aspekte des Menschen in ihre Konzepte eingehen und, damit einhergehend, welche Perspektive sie einnimmt. Dabei muss man im Auge behalten, dass ein medienökonomisches Men-
54 Vgl. Keck, Annette/Pethes, Nicolas (2001): S. 9. 55 Keck, Annette/Pethes, Nicolas (2001): S. 10. 56 »In jeder Disziplin blickt der Wissenschaftler durch eine konstruktivistische Brille, die ihm ein bestimmtes Bild von Welt und vom Menschen vermittelt. Dementsprechend liegt der Betrachtung immer schon ein Bild vom Menschen zugrunde.« Biervert, Bernd (1991): S. 42.
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ schenbild – wie jedes Menschenbild – ein Hilfsmittel ist, welches nicht dazu dient, den Menschen in all seinen Möglichkeiten und Facetten abzubilden, sondern seine für die jeweilige Untersuchung wesentlichen Eigenschaften festzulegen. Anstatt nach einem umfassenden Menschenbild, wird im Rahmen dieses Buches eher nach der Beschreibung eines medienökonomischen Codes gesucht, mit dessen Hilfe bestimmte Phänomene medienökonomisch ›gelesen‹ werden können, ohne den Menschen in all seinen Facetten vollständig zu beschreiben. Welche Aspekte dieser ›Code‹ innerhalb der vorliegenden Studie abdeckt, wird nachfolgend präzisiert. Nach Reiner Manstetten lassen sich innerhalb der Diskurse um ökonomische Menschenbilder die drei folgenden Ebenen unter57 scheiden: 1. Die axiomatische Ebene Die axiomatische Ebene bildet das Fundament der jeweiligen Wissenschaft. Gesetzmäßigkeiten werden in dieser Ebene festgeschrieben. Wirtschaft wird hierbei in der Regel als konsistentes System aus aggregiertem, spezifischen Verhalten von Individuen erklärt. 2. Die phänomenologische Ebene Diese Ebene diskutiert das Verhältnis zwischen den axiomatischen Modellannahmen und der empirisch vorfindlichen ökonomischen Realität. Auf dieser Ebene werden insbesondere die Defizite der mathematischen Modellierung diskutiert, welche verschiedene Verhaltensmöglichkeiten ausschließen. Kriterien, die den Menschen jenseits der axiomatischen Verhaltensannahmen in seinem Verhalten beeinflussen, werden auf dieser Ebene analysiert. 3. Die ethisch-politische Ebene Diese Ebene beinhaltet die normativen Diskurse, welche ökonomische Menschenbilder implizieren. Insbesondere die Legitimität und die Folgen ökonomischen Handelns werden hier abgewogen und in Bezug zu Kriterien der sozialen Wohlfahrt gesetzt. Der Anspruch der ›gerechten Verteilung‹ und der ›guten Wirtschaftspolitik‹ treten in diesem Kontext in Erscheinung. Wie beschrieben wurde, setzt sich der in den vorliegenden Ausführungen gewählte medienökonomische Zugang aus wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und medientheoretischen Bezügen zusammen. Zu einem vollständigen medienökonomischen Menschen57 Vgl. zur folgenden Unterteilung: Manstetten, Reiner (2000): S. 36.
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4. GRUNDLAGEN DES ›MEDIENÖKONOMISCHEN CODES‹ VOM MENSCHEN bild tragen jedoch sicherlich auch Fragen und Thematiken bei, die über den Rahmen dieser Studie hinausgehen. So bearbeiten Soziologie, Politikwissenschaften, aber auch Philosophie und Biologie Themen, welche zum Teil angesprochen, jedoch nicht fokussiert werden. Aus diesem Grund soll anhand von Manstettens Ebeneneinteilung noch einmal verdeutlicht werden, auf welche Aspekte eines ›medienökonomischen Menschen‹ in diesem Buch eingegangen werden. Grundsätzlich lassen sich die drei Ebenen ökonomischer Menschenbilder, ähnlich wie bereits beim Modell der medialen Schichten beobachtet, nur analytisch trennen. Dies zeigt sich bereits in der noch weiter auszuführenden wirtschaftswissenschaftlichen Entwicklung des Konzeptes vom ökonomischen Menschen. So wird im Verlauf dieses Buches ausgeführt, wie die Annahmen über den ökonomischen Menschen aus ›ethisch-politischen‹ Diskursen des Abendlandes entstanden sind und anschließend in eine rein axiomatische Ebene der sich formierenden Wirtschaftswissenschaften überführt wurden. Der ›Erfolg‹ dieser axiomatischen Verhaltensannahmen, namentlich der des selbstinteressierten, nutzenmaximierenden, rationalen Handelns, hat einerseits dafür gesorgt, dass eine ökonomische Rationalität in großem Maße in ethisch-politische Diskussionen über Wohl und Unwohl ökonomischen Verhaltens zurückgekehrt ist. Anderseits haben diese Annahmen auch zu Differenzen mit dem tatsächlich vorfindlichen Verhalten von gesellschaftlichen Akteuren geführt. Sie standen also teilweise im Widerspruch zu der Ebene, welche Manstetten die »phänomenologische Ebene« nennt und wurden deshalb ihrerseits auf der axiomatischen Ebene erweitert. Eine separate Diskussion der einzelnen Ebenen scheint somit kaum möglich, da sich stets zahlreiche Überschneidungen ergeben. Im Rahmen dieser Studie werden die axiomatischen Annahmen über ökonomisches Verhalten anhand der genannten theoretischen Überbauten Neoklassik, Institutionalismus und kognitiver Institutionalismus mit medientheoretischen Konzepten zusammengebracht, die im Erfolgsfall geeignet sind, das Verhältnis zwischen ökonomischen Verhaltensannahmen und der Beziehung zwischen Mensch und Medien aufzuzeigen. Es wird deshalb durchaus auf Diskrepanzen zwischen ökonomischen Verhaltensmodellen und medientheoretischen Bezügen eingegangen, jedoch wird keinerlei Aussage darüber angestrebt, wie sich der Mensch in ›idealer Weise‹ gegenüber Medien zu verhalten hat. Während erste und zweite Ebene somit innerhalb dieses Buches fokussiert werden, bleibt die dritte Ebene,
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MEDIENÖKONOMIE: EIN MEDIENTHEORETISCHER ANSATZ 58
die des ethisch-politischen Diskurses, weitgehend, ausgespart. So sollte im Folgenden auch kein abgeschlossenes und paradigmatisches Menschenbild der Medienökonomie erwartet werden, welches sich gleich einer ›Bedienungsanleitung des Menschen‹ innerhalb der Medienwirtschaft lesen ließe. Stattdessen sollen systematisch medienökonomische Bezüge analysiert werden, welche das Verhältnis des ökonomischen Menschen zur Medialität kennzeichnen. Zu diesem Zweck gliedert sich dieses Buch in drei Hauptteile, welche sich an die Schichtungen des Medialen anlehnen. In historischer Abfolge werden in jedem Teil des Buches die Verhaltensannahmen einer wesentlichen Denkströmung ökonomischer Theoriebildung dargelegt und parallel mit einer der Schichten des Medialen kontrastiert, um eventuelle Brüche oder Korrespondenzen aufzudecken. Im ersten Hauptteil, ›Die Technologien des Menschen‹, werden Herkunft, Inhalt und Geltungsbereich des homo oeconomicus Konzeptes als ›Urmodell‹ des ökonomischen Menschenbildes erarbeitet. Dieses Konzept wird anschließend in seinem Verhältnis zu Medientechnologien untersucht. Schlicht gesagt, es wird anhand ökonomischer Verhaltensannahmen betrachtet, was ›Menschen mit Medien‹ unter den Aspekten der rationalen Nutzenmaximierung tun. In dieser Sichtweise werden die ›technischen Medienfunktionen‹ von Medien dargestellt, welche sich von handelnden Akteuren ökonomisieren lassen. Durch die Kontrastierung dieser wohlgeordneten ökonomischen Welt mit den technologischen Medientheorien wird zweierlei erreicht: Erstens wird eine Bestandsaufnahme des ›standardmäßigen‹ ökonomischen Werkzeugkastens erstellt, zweitens werden die Defizite herausgearbeitet, welche sich innerhalb dieses neoklassischen Menschenbildes im Hinblick auf Medien ergeben. Diese Ergebnisse bilden die Grundlage für den zweiten Teil des Buches. Aus58 Dieses Vorgehen steht im direkten Widerspruch zur aktuellen Vorgehensweise medienökonomischer Arbeiten. Auf Grundlage der publizistischen Verantwortung, die zweifelsfrei mit journalistischen Medientätigkeiten einhergehen und der Tendenz des unterstellten Marktversagens, fordern Publikations- und Kommunikationswissenschaftler häufig eine ausschließlich normative Ausrichtung einer Medienökonomie. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit liegt jedoch aufgrund des angelegten erweiterten Medienbegriffes auf allgemeiner Einflüssen medialen Prozesse auf ökonomische Akteure. Politisch-ethische Implikationen beziehen sich im Medienbereich jedoch gerade häufig auf berufsspezifische Menschenbilder, wie beispielsweise die journalistische Ethik (vgl. Fengler, Susanne/Ruß-Mohl, Stephan (2003)). Der Rahmen der Arbeit ist weiter gespannt und geht deshalb nicht auf die Einzelheiten dieser berufsspezifischen Menschenbilder ein.
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4. GRUNDLAGEN DES ›MEDIENÖKONOMISCHEN CODES‹ VOM MENSCHEN gehend von den Annahmen der Neuen Institutionenökonomik werden im zweiten Teil, ›Die Strukturen des Handelns‹, Medien nicht mehr nur als Werkzeuge, sondern als Handlungswegweiser (ökonomisch: Anreize und Restriktionen) menschlicher Entscheidung betrachtet. Der Blickwinkel der Untersuchung wird damit von der vollständig rationalen Perspektive der Neoklassik (›Was machen Menschen mit Medien?‹) um die Auswirkungen von Medien auf menschliche Entscheidungen und somit Handlungen erweitert (›Was machen Medien mit Menschen?‹). Um diese Einflüsse zu systematisieren, werden in Anlehnung an den Institutionenbegriff der Neuen Institutionenökonomik ›institutionelle Medienfunktionen‹ systematisiert, welche unter den Bedingungen der begrenzten Rationalität und unvollständigen Information relevant für das ökonomische Verständnis von Medien werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse des ersten und zweiten Teils wird im dritten und letzten Teil des Buches, ›Die Grenzen der Wissens‹, der Einfluss medialer Wahrnehmung auf den ökonomischen Menschen untersucht. In diesem Teil wird unter Rückgriff auf Modelle der kognitiven Wissenschaften der These nachgegangen, dass Medien dem Menschen in Form vorkonfigurierter Wahrnehmungsmuster Anschlusspunkte zur Generierung von ›sinnvollen‹ Handlungen bieten, welche sich als spezifisch ›symbolische Medienfunktionen‹ beschreiben lassen und in die Sinnfindung ökonomischer Intentionalität eingehen. Abschließend werden die Ergebnisse zu den ›Elementen eines medienökonomischen Menschen‹ zusammengefasst, indem die Rolle der Medien innerhalb der Medienökonomie aufgrund des Erarbeiteten neu bewertet wird, Thesen zu einem ›medienökonomischen Menschen‹ aufgestellt werden und Implikationen für das transdisziplinäre Fach der Medienökonomie als Ausblick aufgeführt werden.
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T E I L I: DIE TECHNOLOGIEN
DES
MENSCHEN
»economic man. Econ. A hypothetical man supposed to be free from altruistic sentiments and motives interfering with a purely selfish pursuit of wealth and its enjoyment.« Webster's New International Dictionary
»Fabelwesen sind [...] gemeinhin schillernde Figuren, und von daher mag eine kurze Personenbeschreibung [...] nützlich sein.« Wolf-Rüdiger Bretzke
»Theory of Economics [...] is a method rather than a doctrine, an apparatus of the mind, a technique of thinking, which helps the possessor to draw correct conclusions.« John Maynard Keynes
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T E I L I: DIE TECHNOLOGIEN
DES
MENSCHEN
Versteht man die ökonomische Theorie als »technique of thinking«, wie es John Maynard Keynes angedeutet hat, so erscheinen nicht nur Medien als menschengemachte Kommunikationstechnologien, sondern auch das Konzept des ökonomischen Menschen stellt sich als eine Art (Denk-)Technologie dar, welche, manchmal explizit, aber oft implizit, als Grundlage der Wirtschaftswissenschaften fun60 giert. Als Ausgangspunkt des folgenden ersten Teils dieser Studie soll dementsprechend jenes, was sich herkömmlicher Weise unter dem Begriff des »ökonomischen Menschen« verbirgt, näher erläutert und mit der Objektschicht des Medialen in Verbindung gebracht werden. Zu diesem Zweck werden in Kapitel 1 die Herkunft, der Inhalt und der Geltungsbereich des ökonomischen Menschen bestimmt. Kern dieser Betrachtungen wird dabei die historische Entwicklung der ökonomischen Rationalität des »homo oeconomicus« bilden, welche vornehmlich in den Annahmen des Theoriegebäudes der »Neoklassik« kondensiert ist. Im Rahmen dessen wird der Wandel des ökonomischen Menschen von einem ganzheitlichen und umfassenden Menschenbild mit antikem Ursprung zu einem Bündel von abstrakten Verhaltensannahmen der modernen Wirtschaftswissenschaften nachvollzogen. Diese Verhaltensannahmen, welche unter dem lateinischen Namen »homo oeconomicus« zusammengefasst werden, bilden die
59 Zitiert nach Coase, Ronald H. (1998): S. 73. 60 Der Begriff der »Technologie« geht in diesem Zusammenhang über die ausschließliche Technik (Infrastruktur, Maschinen, Apparate, Hardware) hinaus und bezieht »die Wissenschaft von der Technik und im weiteren Sinne die symbolmanipulierende, mediale Technik« (Hartmann, Frank (2003): S. 49) mit ein.
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TEIL I: DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Grundlage der neoklassischen Ökonomik als übergreifender Methode der Sozialwissenschaften und werden in Kapitel 2 mit dem Gegenstand der Medien konfrontiert. Der mediale Gegenstandsbereich bleibt an dieser Stelle vorerst auf die mediale Objektschicht begrenzt, deren wesentlichen Medienfunktionen aus Sicht des homo oeconomicus ausgearbeitet werden, um somit die Reichweite des neoklassischen Ansatzes in Hinblick auf Medien zu erörtern. Das neoklassische homo oeconomicus Modell wird schließlich in Kapitel 3 mit technikorientierten, medientheoretischen Überlegungen kontrastiert. Ausgehend von der noch auszuführenden These, dass Medien zu einem gewissen Grade als Erweiterung der menschlichen Sinnesorgane verstanden werden können, liegt es im medientheoretischen Erkenntnisinteresse zu fragen, inwieweit spezifische technische Funktionen von Medien menschliche Kommuni61 Das Verhältnis dieser kation beeinflussen und überformen. Medienfunktionen zur Wirtschaft stellt sich in diesem Licht als wesentlicher dar, als es im herkömmlichen ökonomischen Diskurs reflektiert wird, da Medien in der historischen Betrachtung eine der Voraussetzungen des unpersönlichen Tausches darstellen. Die sich daraus ergebenden Defizite der traditionellen ökonomischen Sichtweise, werden anhand der Gegenüberstellung der neoklassischen Annahmen mit den entsprechenden medientheoretischen Betrachtung für die weitere Betrachtung systematisiert.
61 Für einen Überblick zu Techniktheorien der Medien siehe Hartmann, Frank (2003).
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»Even miniature versions of Economic Man have to be made quite complicated little creatures if they are to be seriously suggestive and very long discussion could be devoted to explaining and excusing the long rows of simplifying assumptions needed to constitute them.« David M. Bensusan Butt
1. D E R
ÖKONOMISCHE
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MENSCH
Hinter dem einheitlichen Begriff des ökonomischen Menschen entfaltet sich ein komplexer und heterogener Diskurs, welcher unterschiedliche Positionen über die Herkunft, den Inhalt und Geltungsbereich des ökonomischen Menschen verhandelt. Dies liegt nicht nur daran, dass die drei in der Einleitung skizzierten Diskursebenen, die axiomatische, die phänomenologische und die ethisch-politische Ebene, oft schwer voneinander zu trennen sind, sondern auch daran, dass die Wurzeln der Herkunft des Konzeptes des ökonomischen Menschen weit über die Ursprünge des Beginns der eigentlichen Wirtschaftswissenschaften bis tief in die Antike hinausreichen. Gemäß der langen Geschichte des ökonomischen Menschen, hat sich naturgemäß sein ›Inhalt‹ im Laufe der Jahre verfeinert und angepasst, so dass der moderne homo oeconomicus sich stark von seinen 63 Vorgängern unterscheidet. Der relative Erfolg des Ökonomischen und damit auch des dem ökonomischen Denkens zugrunde liegenden Menschenbildes, hat darüber hinaus zu dem Phänomen geführt, dass der Geltungsbereich des ökonomischen Menschen über das rein Wirtschaftliche hinaus gewachsen ist und ökonomische Konzepte auch auf nicht-ökonomische Sachverhalte angewandt werden. Ziel dieses Kapitels kann es aufgrund dieser Vielfalt nicht sein, alle denkbaren Facetten des ökonomischen Menschen langwierig wie64 derzugeben. Vielmehr sollen die, für sein Verhältnis zum Medialen
62 Bensusan-Butt, David M. (1978): S. 11. 63 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 65. 64 Ein solches Anliegen würde tatsächlich auch nicht weniger als die Darstellung der vollständigen wirtschaftswissenschaftlichen Geschichte sowie deren angemessene Würdigung und Kritik bedeuten. Da dies natürlich im Rahmen dieser Studie weder zielführend noch lesbar zu arrangieren wäre, sind die folgenden Betrachtung in ihrer historischen Dimension notwendigerweise
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN wesentlichen Meilensteine seiner Geschichte in Hinblick auf Herkunft, Inhalt und Geltungsbereich herausgearbeitet werden, um sie für den weiteren Verlauf der Argumentation zu systematisieren.
1.1 Die Herkunft des ökonomischen Menschen Fragestellungen der materiellen Versorgung von Menschen sind in der Geschichte stets von großem Interesse gewesen, jedoch kann von einer systematischen Diskussion ökonomischer Problematiken und der Ausprägung eines Konzeptes zur Beschreibung eines ökonomischen Menschen bis in das späte 18. Jahrhundert nicht gespro65 chen werden. Douglass C. North unterscheidet in seinem Buch »Structure and Change in Economic History« zwischen einer ersten und einer zweiten ökonomischen Revolution, welche jeweils auf spezifische Weise zu einem gravierenden Anstieg des gesellschaftlichen Produktionspotentials geführt hat und welche hier als historische Klammer für die Entwicklung des ökonomischen Menschen dienen. Die erste ökonomische Revolution ist laut North vor ca. 10.000 Jahren durch eine Hinwendung der Jäger und Sammler Gesellschaft zum besseren Nahrungs-Ertragsverhältnis der Agrarwirtschaft gekennzeichnet gewesen. Der hohe Ertragsanstieg und die Nahrungsmittelüberschüsse ermöglichten nicht nur den Handel von Nahrungsmitteln, sondern auch die Zuwendung auf Tätigkeiten, die nicht der Nahrungsmittelversorgung dienten und waren laut North somit Grundlage der Bildung von frühen zivilisatorischen Gesell-
lückenhaft. So konnten in den folgenden Darstellungen weder die Beiträge der deutschen historischen Schule noch der österreichischen Schule angemessen gewürdigt werden. Zum ausführlichen Überblick über das Konzept des homo oeconomicus und seiner Anwendung in den Gesellschaftswissenschaften sei hier deshalb zusätzlich auf Gebhard Kirchgässner (1991|2000) und auf Vladimir Avtonomov (1993), zum Überblick der Beiträge anderer hier nicht vertieften ökonomischen Denkschulen zum Konzept des ökonomischen Menschen sowie auf den Überblick der Geschichte des ökonomischen Denkens in Karl Pribram (1992a + 1992b) verwiesen. Darüber hinaus bietet Joseph Vogl (2002) eine Poetologie des ökonomischen Menschen vom Barock bis ins 19. Jahrhundert. 65 Vgl. Schauenberg, Bernd (1998): S. 18. Das ruft laut Joseph Vogl »den simplen Sachverhalt in Erinnerung, dass sich eine Ökonomie, die seit geraumer Zeit das Selbstverständnis und das Schicksal der abendländischen Menschen bestimmt, weder auf eine Natur der Dinge noch auf eine wie immer geartete Natur des Menschen zurückführen lässt. Begriff und Sache der Ökonomie sind historisch begrenzt.« Vogl, Joseph (2002): S. 11.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH schaftsformen, vom ägyptischen Pharaonenstaat über die grie66 chische Polis bis zum Römischen Imperium. Die zweite ökonomische Revolution wurde durch die schrittweise und systematische Verbindung von Wissenschaften und Technologie ermöglicht, wodurch ein exponentieller Anstieg im Wissensvorrat der Gesellschaf67 ten seitdem kontinuierlichen Fortschritt ermöglicht. Die zweite ökonomische Revolution kann demnach als kulminiertes Ergebnis der europäischen Aufklärung und der einsetzenden Industrialisierung angesehen werden. In dieses Klima fallen sowohl der Ausgangspunkt der systematischen Wirtschaftswissenschaften sowie die ersten, im heutigen Sinne, wirtschaftswissenschaftlichen Verhaltensannahmen über den Menschen, welche zumeist in den Werken des schottischen Aufklärers und Moralphilosophen Adam Smith gesehen werden. Während nun die Auswirkungen der zweiten ökonomischen Revolution zu dem geführt haben, was später in diesem Kapitel als axiomatisches homo oeconomicus Modell beschrieben wird, so hat die erste ökonomische Revolution dem Konzept vom ökonomischen Menschen Pfadabhängigkeiten beschert, welche zu seinem Verständnis und zum Verständnis der Wirtschaftswissenschaften nicht unwesentlich sind, denn sie zeigen den Wandel dessen, was als »ökonomischer Mensch« beschrieben werden kann, von einem auf allen, in der Einleitung beschriebenen Ebenen Manstettens vollständigen ›Menschenbildes‹ zu einem auf seine rein axiomatische Verhaltensannahmen reduzierten Modell.
1.1.1 Der Ursprung ökonomischer Menschenbilder Die Konzeption des ökonomischen Menschen, dessen Meilensteine in diesem Kapitel beschrieben werden sollen, entstand nicht aus einem kulturellen Vakuum. Die ersten Theorien der ökonomischen Klassiker über das Wesen des wirtschaftenden Menschen waren eingebettet in philosophische Denkhaltungen und Traditionen des Abendlandes, welche den Menschen »als Maß aller Dinge« ansa-
66 Vgl. North, Douglass C. (1981): Kapitel 7, S. 72-89. 67 »The First Economic Revolution created agriculture and ›civilization‹; the Second created an elastic supply curve of new knowledge which build economic growth into the system.« North, Douglass C. (1981): S. 171.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN 68
hen. Diese Traditionen waren von den Entwicklungen geprägt, welche North als Ergebnis der ersten ökonomischen Revolution beschreibt. Die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktionskraft und damit der Anstieg der überschüssigen, zum Handel nutzbaren Waren hatte starke Auswirkungen auf die Handelskoordination zwischen Menschen, welche sich graduell von interpersonaler Koordination und Gelegenheitstausch innerhalb der einfachen Gesellschaftsformen, wie der Jäger und Sammler und kleineren Dorfgemeinschaften zu beginnendem unpersönlichen Tausch der Basar69 ökonomien der ersten dorfübergreifenden Märkte entwickelte. Die Pfadabhängigkeiten des heutigen ökonomischen Menschen sind dementsprechend bis zu dem Punkt zurückzuverfolgen, an dem sich die ersten preisbildenden Märkte für unpersönlichen Tausch her70 ausbildeten, in der Agora Athens. Die Struktur der antiken griechischen Polis brachte viele Gegenstände ökonomischer Betrachtungen in eine erste gesellschaftliche Ordnung, welche als ›natürliche Hierarchie‹ angesehen wurde, in welcher sich der Mensch in der Aristotelischen Konzeption als 71 »Zoon Politicon« bewegte. Da der Mensch ein als eben dieses »von Natur aus auf Gemeinschaft angelegtes Lebewesen« sei, leitete Aristoteles daraus die Pflichten des Bürgers gegenüber der Gemein72 schaft, der Polis, ab. Das aufkommende Konzept des »Eigentums« (meist in Form des Landeigentums), welches sich laut North aufgrund sich durchsetzender Verfügungsrechte direkt aus der ersten 73 ökonomischen Revolution ableitete, war eine Basis für die Entwick-
68 »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, wie sie sind, der nichtseienden, wie sie nicht sind.« Protagoras, zitiert nach: Ritzmann, Franz (1999): S. 347. 69 Vgl. North, Douglass C. (1991): S. 98. 70 »The first known price making market was in the Athenian Agora in the sixth century B.C., but exchange had been going on for millennia before that.« North, Douglass C. (1981): S. 41f. Da sich die Geschichte des homo oeconomicus bis ins Antike Griechenland zurückverfolgen lasse, sei er demnach Grieche, scherzt Frank Ritzmann (1999): S. 347. 71 Vgl. Priddat, Birger P. (2002): S. 16f; vgl. auch North, Douglass C. (1981): S. 102f. 72 Vgl. Starbatty, Joachim (2000): S. 142f. 73 »Thus, primitive agriculture, which must have been organized as exclusive communal property, had the advantage over hunting in terms of the efficiency of the property rights. It is inconceivable that, from the very beginning, the first farmers did not exclude outsiders from sharing the fruits of their labor. [...] We shall see this difference between common property rights in hunting and exclusive communal rights in agriculture is crucial to
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH lung von Pflichten, welche jedes Individuum innerhalb der Polis 74 wahrnehmen konnte und musste. Die adligen Bürger der Polis (polites), welche Eigentum besaßen, waren für das Wohl der Stadt 75 verantwortlich, indem sie Arbeit durch Sklaven ausführen ließen 76 und ihr Leben der Politik widmeten. In der notwendigen Verwaltung dieses Eigentums lag der Ursprung des Begriffes der Ökonomie, der »oikonomia«, welcher auf Aristoteles zurückgeführt wird und ursprünglich auch nicht auf das umfassende gesellschaftliche Wirtschaften angelegt war, sondern die Lehre der fachgerechten Versorgung eines adligen Haushalts beschrieb, welcher durch einen Ver77 walter (den Ökonomen, dem »oikonomos«) zu erledigen war. Produzierte ein Haushalt mehr als für den Eigenbedarf notwendig war, so wurde das Überschüssige auf den Markt gegeben. Jedoch 78 hatte der dadurch entstehende gemeinschaftsübergreifende Handel enge ethische Grenzen, da dieser laut Aristoteles zu einer tendenziell »unnatürlichen« Ordnung führte. Die »natürliche« Ordnung be-
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an explanation of the First Economic Revolution.« North, Douglass C. (1981): S. 81f. Die ideale Verfügungsgewalt über das Eigentum innerhalb der Gesellschaft waren seit dem ›Auftreten‹ der Kategorie »Eigentum« stark umstritten. Ökonomen machen oft und gerne darauf aufmerksam, dass sie es waren, welche unter dem Stichwort »Tragik der Allmende« darauf hingewiesen haben, dass nicht-vorhandene oder unklare Verfügungsrechte aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Anreize dazu führen, dass öffentliche Güter nicht gepflegt werden. Tatsächlich geht diese Problematik jedoch bereits auf die Kollektivgutproblematik der Antike zurück. Aristoteles wandte sich von der platonischen Besitzgemeinschaft ab, da er der Meinung war, dass kollektive Verantwortung nicht bedeutete, dass sich jeder verantwortlich fühlte, sondern dass sich, ganz im Gegenteil, in Wahrheit niemand verantwortlich fühlte. Die christlichen Disputationen um Gemein- oder Privateigentum wurden aufgrund des aristotelischen Einwands gegen das platonische System zugunsten des Privateigentums entschieden. Vgl. Starbatty, Joachim (2000): S. 144. »Altgriechisch sind Sklaven organoi, Werkzeuge. Werkzeuge werden nicht verachtet, nur Menschen, die obwohl sie frei sind, sich selber zu Werkzeugen machen, indem sie arbeiten« Priddat, Birger P. (2002): S. 16; vgl. auch Starbatty, Joachim (2000): S. 143f. In dieser aristotelischen Konzeption war »Arbeit« (was meist Handwerk bedeutete) unter den Eigentümern durchaus verachtet. Wer arbeiten musste, hatte keine Zeit für Politik, denn er hatte dementsprechend keine Möglichkeit, die Muße aufzubringen, um in Gesprächen und Erörterungen Standpunkte und Urteilsfähigkeit zu bilden. Vgl. Priddat, Birger P. (2002): S. 16. Vgl. Heye, Paul (2000): S. 17; Priddat, Birger P. (2002): S. 20. Die Händler (Metöken), welche auf Märkten wie dem Athens auftraten, waren häufig aus anderen griechischen Städten zugewandert und genossen das Gewerberecht und Schutzrecht der Polis. Vgl. Starbatty, Joachim (2000): S. 143.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN stand seiner Ansicht nach darin, dass etwas produziert oder erworben wird, um es für den Eigenbedarf zu gebrauchen. Dem Handel um seiner selbst Willen, also der ausschließlichen Produktion für den Markt, fehlt diese natürliche Grenze des Eigenbedarfs, weshalb 79 er tendenziell als maßlos angesehen wurde. Und da alles Unbegrenzte als ziellos angesehen wurde, war es demnach auch geeignet, die Ordnung der Polis zu stören, da übermäßige wirtschaftliche Aktivitäten die Vermögensproportionen und damit Machtverhältnisse der Polis veränderten. Der Mensch musste sich als Träger der Ordnung des gemeinsamen Lebens, durch Bildung von ethischen Tugenden, zwischen der natürlichen Ordnung und der unnatürlichen, behaupten. Die Ethik, nach welcher der Mensch als Maß aller Dinge handelte, war in der Antike durchaus von hedonistischem Zügen geprägt. Allerdings war die Lust nicht das Gute an sich, sondern bloß 80 eine angenehme Begleiterscheinung für tugendhaftes Verhalten. Die Tugend bescherte dem wohlverstandenen Eigeninteresse eine angemessene Verhältnismäßigkeit. So hatte der Eigentümer der durch natürliches Wirtschaften ein Übermaß an Reichtum zur Verfügung hatte, nicht grundsätzlich unethisch gehandelt. Erst die untugendhafte Verwendung dieser Reichtümer wurde als verwerflich angesehen: »Das Maß, das eine Tugend bildet, ist die Fähigkeit, 81 Reichtum in soziale Werte zu transformieren.« Der eigennützige Mensch wurde so durch einen ethischen Rahmen in Harmonie mit der Gemeinschaft der Polis gebracht. Das Wirtschaftliche war folgerichtig von Beginn an stets an die Dimension der politische Ordnung geknüpft, welche ihrerseits auf 82 ethischen Grundlagen basierte. Das Menschenbild der vorklassischen Ökonomie entsprach so auch nicht einem im heutigen Sinne ökonomischen, sondern einem moralisch engagierten politischen Menschen, da die Begründung des Wirtschaftens eine metaphysisch83 philosophische war. Diese politisch-ethischen Grundlagen der Sicht 79 »Der Markt ist das scandalon, nicht die Wirtschaft als ›natürliche Erwerbsform‹.« Priddat, Birger P. (2002): S. 20 [Hervorhebung im Original]. 80 Vgl. Ritzmann, Franz (1999): S. 348. 81 Priddat, Birger P. (2002): S. 17 [Hervorhebung im Original]. 82 Vgl. Priddat, Birger P. (2002): S. 19. 83 Diese abendländische Tradition, den Menschen als »Zoon Politikon« zu betrachten, ist damit auch stets an eine ethisch-normative Intention geknüpft. Der heutige homo oeconomicus stellt deshalb auch kein ›Menschenbild‹ im Sinne von Theologie oder Philosophie dar, »mit dem der Mensch in der ganzen Breite seiner historischen und gegenwärtigen Existenz und seiner künftigen Möglichkeiten expliziert werden soll. Der homo oeconomicus stellt ein Modell vom Menschen dar, das auf positive (Folgen-)Analyse ganz be-
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH auf den Menschen und dessen Möglichkeiten, auf sein Schicksal überhaupt durch ethisches Verhalten einzuwirken, haben sich in teilweise erbitterten Auseinandersetzungen über das Mittelalter in die Renaissance und schließlich bis in die Zeit der Aufklärung erstreckt. Diese Entwicklungen hier nachzuvollziehen, wäre nicht zielführend für die hier verfolgte Argumentation, jedoch ist es wichtig festzustellen, dass der Ursprung des ökonomischen Menschen in ein ganzheitliches Menschenbild eingewoben ist, welches wirtschaftliche mit ethischen und politischen Gesichtspunkten verknüpft. Teil der starken Kritik, welche dem Modell des homo oeconomicus heute entgegenschlägt, ist darauf zurückzuführen, dass die Wirtschaftswissenschaften seit der Formation ihres Entstehens darauf bedacht waren, die ethische Ebene des Menschenbildes aus analytischen Gründen abzustreifen.
1.1.2 Entstehung der »Ökonomik« der Sozialwissenschaft Die zentrale Stellung, die das Individuum in den Wirtschaftswissenschaften seit Adam Smith Arbeiten einnimmt, wurde begleitet durch einen Wandel in der Art und Weise der Betrachtung wirtschaftlicher Zusammenhänge. Wurden, wie erläutert, in der Antike und im Mittelalter noch hauptsächlich ethische Gesichtpunkte wirtschaftlichen Handelns erörtert, so richteten sich die späteren Betrachtungen zur Verbesserung des staatlichen Wohlstands auf die ›Kunst‹ der Politischen Ökonomie (Political Economy). Insbesondere der Merkantilismus hatte zum Ziel, »den Regierenden Ratschläge zu geben, durch welche Maßnahmen in ihrem Staat die Produktivität gefördert und der Wohlstand vermehrt werden könnte – wobei sich das Interesse 84 letztlich auf die Vermehrung des Staatsschatzes erstreckte.« Durch Adam Smith veränderte sich diese Grundposition, da er die Betrachtung ökonomischer Zusammenhänge von einer ›Kunst‹ in eine ›Wissenschaft‹ für die ganze Volkswirtschaft überführte, die nicht nur das staatliche Wohlwollen im Blick hatte, sondern auch die Maßnahmen, »wodurch der einzelne in die Lage versetzt werden kann, beides [»reichlich Einkommen« und »Lebensunterhalt für die 85 Bevölkerung«] für sich selbst zu beschaffen [...]«. Wie Reiner stimmter, für die Ökonomik zentraler Positionen zugeschnitten ist.« Homann, Karl (1994): S. 401 [Hervorhebung im Original]. 84 Manstetten, Reiner (2000): S. 39. 85 Smith, Adam (1776|1978): S. 348.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Manstetten ausführt, wurde der Begriff der Politischen Ökonomie missverständlich, »da er, jedenfalls in der Zeit nach Smith, gleichermaßen den Versuch, wirtschaftliche Prozesse in gegebenen Situationen kunstmäßig zu steuern, und die wissenschaftliche Erfassung sich selbst überlassender Wirtschaftsabläufe, die nur von der »Na86 tur« geregelt wurden, bedeuten könnte.« Die systematische Ausarbeitung einer Wissenschaft von der Wirtschaft zu einer eigenständigen sozialwissenschaftlichen Methode, welche den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellte, mündete in der Disziplin der so genannten »Ökonomik«. Die »Ökonomik« (Economics) setzt sich seither von der »Ökono87 mie« (Economy) als Gegenstandsbereich ihrer Wissenschaft ab. Sie bemüht sich, Gesetze für menschliches Verhalten aufzustellen, wie es die Naturwissenschaften für das Verhalten von Molekülen aufstellen können. Um zu diesem Zweck die normative Dimension der ethischen und philosophischen Pfadabhängigkeiten abzuschütteln, versuchen Wirtschaftstheoretiker seit Adam Smith, die Positionierung der Wirtschaftswissenschaften als ›wertfreier‹ Ökonomie 88 durchzusetzen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht die so genannte »Subjektive Wende« der Neoklassik, deren Theorien in den Augen ihrer Vertreter Gültigkeit ohne Rücksicht auf jedwede Wertvorstellungen haben müssen: »In der neoklassischen Wirtschaftstheorie [...] ist das ethische Element bis zur Unkenntlichkeit verdampft. Menschliches Handeln wird durch Kurven und Kurvenver89 schiebungen sowie durch erste und zweite Ableitungen abgelöst.«
86 Manstetten, Reiner (2000): S. 41 [Hervorhebung im Original]. 87 »Die Ökonomik ist somit eine Methode der Sozialwissenschaften, während die Ökonomie einer ihrer Gegenstandsbereiche ist.« Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 2. 88 So schreibt Kirchgässner: »Die Ökonomik ist eine im Sinne Max Webers wertfreie Wissenschaft, keine normative, sondern eine ›positive‹ Wissenschaft, wie dies auch die Naturwissenschaften sind. Dies bedeutet u.a., dass die Aussagen dieser Sozialwissenschaften unabhängig davon Geltung besitzen müssen, ob sie mit den Wertvorstellungen der sie vertretenden Sozialwissenschaftler vereinbar sind oder ob sie konträr dazu stehen.« Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 3 [Hervorhebung im Original]. Von der Grundanlage wird diese Tendenz zur ›Wertfreiheit‹ auch Adam Smiths Laissez Faire zugeschrieben, jedoch folgt auch Smith den ethischen Grundsätzen seiner Zeit. Vgl. Manstetten, Reiner (2000). 89 Starbatty, Joachim (2000): S. 149. Diese Wertfreiheit hängt natürlich vom Maßstab ab, der angelegt wird. Mögen mathematische Operationen an sich wertfrei sein, unterliegt es natürlich weiterhin einer nicht wertfreien Auswahl, was z.B. der Ökonom untersucht.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Die »Ökonomik« als Methode arbeitet ihrerseits explizit mit axiomatischen Verhaltensannahmen über den Menschen. So ist laut Kirchgässner Ökonomik »der Versuch, menschliches Verhalten dadurch zu erklären, dass man unterstellt, dass sich die einzelnen Individuen ›rational‹ verhalten. Individuen handeln dadurch, dass sie aus den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine rationale Auswahl treffen, wobei sie sich in ihrer Entscheidung an den (er90 wartbaren) Konsequenzen ihres Handelns orientieren.« Diese Theorie der rationalen Wahlhandlung, welche auch als »Rational91 Choice-Theorie« bekannt ist, begründet die Grundlage der Ökonomik als Methode zur Erklärung menschlichen Verhaltens innerhalb der Gesellschaftswissenschaften und wird damit heute weitgehend als einheitlicher Kern ökonomischen Denkens angesehen. Strittig ist dem hingegen, welches Verhalten präzise unter dem Begriff der »Rationalität« zu verstehen ist und welche Eigenschaften konkret »Nutzen« charakterisieren. Die präzise Bedeutung dieser Begriffe zu hinterfragen ist umso wichtiger, da die Ökonomik für sich in Anspruch nimmt, nicht nur auf Marktverhalten, sondern genauso gut oder genauso schlecht auch auf nicht-marktliche Prozesse anwendbar zu sein, da sie ihr Verhaltensmodell als allgemein auf den 92 Menschen anwendbar ansieht. Die Definition dieser Begrifflichkeiten bilden mehr oder minder den ›Inhalt‹ des ökonomischen Menschen, der im Folgenden beschrieben wird.
1.2 Der Inhalt des homo oeconomicus Konzeptes Der Inhalt des homo oeconomicus Konzeptes beschreibt die allgemeine axiomatischen Verhaltensannahmen ökonomischen Denkens, welche besagen, dass Individuen selbstinteressiert und rational handeln. Diese sehr weit gefassten Grundannahmen lassen sich, wie der Ursprung der Wirtschaftswissenschaften, auf Adam Smith zurückführen, welcher im »Wohlstand der Nationen« schrieb: »Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst. Das ist stets der Sinn eines solchen Angebotes, und auf diese Weise erhalten wir nahezu alle guten Dienste, 90 Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 2 [Hervorhebungen im Original]. 91 Vgl. zum Überblick Hill, Paul B. (2002). 92 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 8.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN auf die wir angewiesen sind. Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschensondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, 93 sondern sprechen von ihrem Vorteil.« Gerade diese aufgeklärte Selbst-Interessiertheit ist es, die den ökonomischen Menschen in einen Garanten des Allgemeinwohls verwandelt. Denn der homo oeconomicus wird von einer »unsichtbaren Hand« geleitet, welche ihn nahezu durch eine List zum Wohltäter macht: »Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustandegekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gat94 tung.« Da diese Annahmen so allgemein gehalten sind, haben sich diese grundsätzlichen Verhaltensannahmen der Wirtschaftswissenschaften bis heute kaum verändert. Jedoch haben sich sowohl die Bedeutung der Begrifflichkeiten durch Ausdifferenzierung als auch die Bedeutung der Rahmenbedingungen unter denen diese Handlungen stattfinden sehr substantiell gewandelt und lassen sich heute nur noch (und selbst das nur unscharf) mit zusätzlichen Attributen wie ›neoklassische Verhaltensannahmen‹ oder ›neoinstutionalistische Verhaltensannahmen‹ beschreiben. Grundlage dieser Ausdifferenzierung war im Hinblick auf den homo oeconomicus jedoch vorerst die Entwicklung eines methodischen Vorgehens, welches den Menschen in das Zentrum ökonomischen Denkens rückte. Der Fokus auf die traditionellen Gegenstände der klassischen (politischen) Ökonomie, wie beispielsweise
93 Smith, Adam (1776|1978): S. 17. 94 Smith, Adam (1759|2004): S. 316f. Smith beschreibt das Konzept der unsichtbaren Hand das erste Mal in seinem Buch »Theorie der ethischen Gefühle« (1759|2004). Später fügt er im »Wohlstand der Nationen« hinzu: »Tatsächlich fördert er [der ökonomische handelnde Mensch] in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er, wie hoch der eigene Beitrag ist. [...] Und er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat.« Smith, Adam (1776|1978): S. 371.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH 95
der Produktion bei Adam Smith oder des Handels bei David Ricardo, wurde durch die Arbeiten John Stuart Mills auf den Men96 schen als zentrales Element verschoben. Er entwickelte vor dem Hintergrund der Theorien von Adam Smith und David Ricardo in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Idee einer konsistenten Wissenschaft von der Wirtschaft, welche menschliches Verhalten auf wenige Motive reduziert, um diese in systematisch gedachte Zusammenhänge einzusortieren und den Gegenstand der Wirtschaftswis97 senschaften dadurch festzulegen, wie er 1873 beschrieb: »Die politische Ökonomie hat es [...] nur mit denjenigen Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens zu tun, die in Folge des Strebens nach Vermögen (wealth) eintreten. Sie sieht von jeder anderen Leidenschaft (passion) und Beweggrund (motive) vollkommen ab, mit Ausnahme derjenigen, die sich in fortwährendem Antagonismus mit dem Verlangen nach Vermögen befinden, der Arbeitsscheu nämlich und dem Verlangen nach kostspieligen Genüssen. Diese bezieht sie bis zu einem gewissen Maße mit in ihre Kalkulationen ein, weil dieselben nicht nur wie unseren anderen Begierden (desires) gelegentlich mit unserem Streben nach Vermögen in Widerstreit geraten, sondern dasselbe immerwährend als ein Hindernis oder Hemmschuh begleiten und darum mit der Betrachtung desselben untrennbar verknüpft sind. Sie betrachtet die Menschheit als lediglich dem Erwerb und Verzehr von Vermögen beschäftigt und strebt danach zu zeigen, zu welcher Handlungsweise die im Gesellschaftszustande lebenden Menschen geführt würden, wenn dieser Beweggrund (motive) [...] unbedingte Gewalt über alle ihre Handlungen besäße. All diese Vorrichtungen (die man wirtschaftliche nennt – d. V.), von denen viele in Wahrheit das Ergebnis einer Vielzahl von Beweggründen sind, sieht die politische Ökonomie so an, als wären sie lediglich dem Verlangen (de98 sire) nach Vermögen entstammt.«
95 Für welche sinnbildlich Adam Smiths berühmtes Stecknadelbeispiel steht. Vgl. Smith, Adam (1776|1978): S. 9f. 96 Die klassische Ökonomie, welche 1776 mit dem Buch »An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations« (so der Originaltitel von Smith Werk) beginnt, kennt den Unterschied zwischen Volks- und Betriebswirtschaft noch nicht. Die Klassiker sind vor allem an Grundsatzfragen einer freiheitlich verfassten Wirtschaftsordnung interessiert. Besonders Smith setzt sich mit den Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung, des Wettbewerbs und der Wirtschaftspolitik auseinander. Vgl. Schauenberg, Bernd (1998): S. 18. 97 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 47f. 98 Mill, John Stuart (1873): S. 310, zitiert nach Manstetten, Reiner (2000): S. 48 [Anmerkungen von Manstetten, Hervorhebungen getilgt].
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Mill ging davon aus, dass es sich bei diesen Annahmen der Wirtschaftswissenschaft um eindeutige ›Als-ob‹ Hypothesen handeln müsse, die sich im wissenschaftlichen Rahmen zu bewähren haben, denn er ergänzt an gleicher Stelle: »Nicht daß je ein politischer Ökonom absurderweise angenommen hätte, daß die Menschheit wirklich so beschaffen ist, sondern dies ist die Art, in der Wissenschaft notwendiger Weise vorgehen muß.« Mill hatte somit die wesentlichen Grundlagen für die Entwicklung eines ökonomischen Codes vom Menschen gelegt, der nicht mehr dazu gedacht war, dem Menschen einen ethischen Rahmen für sein Handeln zu geben, sondern der wirtschaftliche Phänomene unter Zuhilfenahme abstrakter, auf menschliches Verhalten gerichteter Hypothesen analysierte. Obwohl Mill weder den Ausdruck »ökonomischer Mensch« (economic man) noch dessen lateinische Bezeichnung »homo oeconomicus« (homo economicus) verwendete, wird der Ursprung der entsprechenden methodischen Verhaltensannahmen auf ihn zurückgeführt. Wie Joseph Persky deutlich macht, waren diese zwar explizit hypothetischen, aber gleichwohl doch stark reduktionistischen Verhaltensannahmen Mills schon zu einem frühen Zeitpunkt stark kritisiert worden und mit polemischen Titeln versehen worden. So wurde das Menschenbild hinter Mills Annahmen nicht nur als »money-making animal«, sondern eben auch als »economic man« 99 deklassiert, wodurch der ökonomische Mensch augenscheinlich durch polemische Absichten seinen Namen erhielt. Nichtsdestotrotz war die Fokussierung auf Verhaltensannahmen in Mills Arbeit das Fundament für die »marginalistische Revolution«, welche zur Ausformulierung einer bis heute dominanten Basistheorie der Wirtschaftswissenschaften führte, dem Gedankengebäude der »Neoklas100 sik«. Die Neoklassik war es auch, welche die ökonomischen
99 Ersteres von dem Soziologe John Kells Ingram im Jahr 1888 und letzteres zwei Jahre später von John Neville Keynes (Vater des bekannteren John Meynard Keynes). Vgl. Persky, Joseph (1995): S. 222. 100 Paul Samuelson schreibt 1953: »In the recent years 90 per cent of American economists [...] have worked toward a synthesis of whatever is valuable in older economics and in modern theories of income determination. The result might be called neoclassical economics and is accepted in its broad outlines by all but about 5 per cent of extreme left wing and right wring writers.« Samuelson, Paul (1955): S. 212, zitiert nach Manstetten, Reiner (2000): S. 49.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Verhaltensannahmen systematisch unter der lateinischen Bezeich101 nung »homo oeconomicus« zusammenfasste. Wie sich im Verlaufe dieser Arbeit noch zeigen wird, hat die neoklassische Lehre die früh auftretende Kritik an der reduktionistischen Realitätsferne ihres Kernmodells, des homo oeconomicus und den mit ihm verbundenen Verhaltensannahmen, trotz zahlreicher Bemühungen nie vollständig ausräumen können und wurde seit den frühen 70er Jahren durch neuere Theorien ergänzt, die uns insbesondere im Bezug auf Medien noch beschäftigen werden. Da jedoch auch diese neueren Strömungen ökonomischer Theorie häufig auf dem Gedankengut der Neoklassik aufbauen und diese oft explizit erweitern statt ersetzen wollen, wird die orthodoxe neoklassische Sicht vom Menschen in diesem Kapitel vertieft, um das Konzept des ökonomischen Menschen in den nachfolgenden Teilen dieser Studie zu verfeinern.
1.2.1 Die Charakteristika der »Neoklassik« Die erste Verwendung des Begriffes »Neoklassik« als Beschreibung einer theoretischen ökonomischen Theorieschule wird Thorstein Veblen zugeschrieben, welcher damit die Denkschule des amerika102 Marshall nischen Ökonomen Alfred Marshalls charakterisierte. hatte die »marginalistische Revolution«, deren Anstoß fast gleichzeitig von Walras, Jevons, Menger u. a. erfolgte und von ihm, Pareto, Pigou u. a. aufgenommen wurde, in seinem Buch »The Principles of 103 Economics« zu einer systematischen Denkschule weiterentwickelt. Die »marginalistische Revolution« erweiterte die klassische Sichtweise des Wirtschaftens unter den Bedingungen der Knappheit und des Wettbewerbs um die subjektive Perspektive in Bezug auf die Entstehung von Wert. Vereinfacht gesagt, wurde die Generierung von Wert, beispielsweise einer Ware, innerhalb des klassischen
101 Die erste systematische Verwendung des Begriffs wird von Persky dem Ökonomen Vilfredo Pareto im Jahr 1906 zugeschrieben. Vgl. Persky, Joseph (1995): S. 222. 102 Aspromourgos (1987): S. 625, zitiert nach Manstetten, Reiner (2000): S. 49. Dies ist nicht unerstaunlich, da Thorstein Veblen damit nicht nur Namensgeber der Neoklassik wäre, sondern auch einer der Gründerväter des Institutionalismus. Siehe hierzu Teil II dieser Studie. 103 Marshall, Alfred (1890).
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN 104
Denkens größtenteils über den Produktionsprozess erklärt, während sich die Neoklassik der Wertbeschreibung durch Nutzenmaximierung durch die ökonomischen Akteure zuwandte. Die neoklassische Theorie stellt dementsprechend in ihren Modellen den ein105 zelnen Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtungen und befasst sich im Rahmen einer mikroökonomischen Analyse schwerpunktmäßig mit der Frage, wie individuelle ökonomische Akteure durch Angebots- und Nachfrageentscheidungen, also mit Hilfe des 106 Marktmechanismus, interagieren. Die wesentlichen Figuren der neoklassischen Mikroökonomik bilden dementsprechend der »Haushalt« (Theorie des privaten Haushalts), das »Unternehmen« (Theorie der Produktion) und der »Markt« (Theorie des Marktgleichgewichts). Sowohl die ökonomischen Akteure als auch die Figur des Marktes sind innerhalb der neoklassischen Mikroökonomik bewusst als Modellfiguren angelegt und sollten deshalb nicht mit Tatsa107 chenbehauptungen verwechselt werden. Es ist augenfällig, dass die in den Modellen gezeichneten Figuren bewusst einfach gehalten sind und nicht als in der ›Realität‹ vorkommend angesehen werden, da ökonomisches Geschehen meist weitaus komplexer ist, als es im Modell zum Ausdruck kommt. Um solche Modelle zu ›lesen‹, ist es deshalb vielfach hilfreich, die Annahmen genau zu betrachten, die dem Modell zu Grunde gelegt sind. Diese im Folgenden ausgeführten Annahmen trifft die neoklassische Theorie unabhängig von der spezifischen Rolle der ökonomischen Akteure im wirtschaftlichen Prozess (ob es sich beispielsweise um Unternehmer oder Konsumenten, Politiker oder Aktivisten handelt) in Hinblick auf deren 104 Dies natürlich in unterschiedlichsten Facetten, von der Wertsteigerung durch Arbeitsteilung in Adam Smiths Stecknadelbeispiel oder der Arbeitszeit, die ein Arbeiter mit der Produktion verbringt, bei Karl Marx. 105 Wie Kirchgässner anmerkt, versteht die Wirtschaftswissenschaft dies als den natürlichen Ausgangspunkt einer Sozialwissenschaft, die sich als Humanwissenschaft versteht und entspricht darüber hinaus der abendländischen Tradition, welche spätestens seit der Zeit der Aufklärung das Individuum in das Zentrum philosophischer und politischer Überlegungen stellte. Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 12. 106 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 66. Durch die Einführung der subjektiven Wende wird auch die Trennung in Mikro- und Makroökonomik eingeläutet. Während sich die Mikroökonomie mit dem Handeln einzelner ökonomischer Akteure beschäftigt, untersucht die Makroökonomik aggregierte Komponenten eines Wirtschaftssystems, wie die des Bruttosozialprodukts, der Arbeitslosenquote etc. Vgl. u.a. Just, Natascha/Latzer, Michael (2003): S. 85. 107 Vgl. dazu auch Schauenberg, Bernd (1998): S. 20 und Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 66.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Verhalten und deren Umwelt, also die Handlung beeinflussende Bezugsgrößen. Diese Änderung der Perspektive stellte die effiziente Allokation von knappen Ressourcen im Wirtschaftsprozess in den Mittelpunkt. »Effizient« bezeichnet in diesem Zusammenhang den Zustand, in dem alle Ressourcen so verteilt sind, dass kein zusätzlicher Wert durch alternative Verwendung derselben Ressourcen generiert wer108 den kann. Das Maß für diese optimale Verteilung sind die »Grenzkosten« (marginal costs), unter denen ökonomische Akteure in so genannten Kleinkostensituationen es als selbst-interessierte, rationale Individuen für schlicht zu teuer empfinden können, eine weitere Einheit eines Marktgutes zu produzieren, zu konsumieren oder in anderer Form auf dem Markt zu agieren. Der ›Wert‹, den das Individuum bei seiner Entscheidung zugrunde legt, entspricht in dieser Konstellation nicht zwingend ausschließlich einem direkten Preis, sondern bemisst sich am entgangenen Nutzen, eines nicht gewählten, alternativen Ressourceneinsatzes, welcher in »Opportunitäts109 kosten« gemessen wird. In der orthodoxen, neoklassischen Theorie kennt nun jeder Entscheider zu jedem Zeitpunkt alle anderen Optionen sowie deren Kosten und hat keinerlei Hindernisse alternative Optionen wahrzunehmen, da vollständige Information und vollständige Mobilität der Marktteilnehmer unterstellt wird. Durch diese Annahmen kann nach dem Prinzip dieser relativen Preise jederzeit friktionsfrei (d.h. ohne Kosten) eine optimale Allokation erreicht werden. Das Erreichen dieser optimalen Verteilung bedeutete nichts anderes, als die Verwirklichung des optimalen »Gleichgewichtes« (Equilibrium) zwischen Angebot und Nachfrage. Die Neoklassik interpretiert die Welt demzufolge als Gleichgewicht, welches sich einstellt, sobald selbst-interessierte, nutzenmaximierende Akteure unter den elementaren ›Umweltbedingung‹ (der einzigen echten neoklassischen Umweltbedingung) des vollkommenden Wettbewerbs handeln. Sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite des Marktes herrschen demnach vollständige Konkurrenz, in welcher viele Produzenten mit relativ geringen Marktanteilen ausgestattet sind und viele Nachfrager ein jeweils re108 Im Ökonomischen spricht man in dieser Hinsicht auch häufig von der so genannten »Pareto-Effizienz«, welche besagt, dass es keine »Möglichkeit gibt, eine Person besser zu stellen, ohne irgendeine andere zu benachteiligen.« Varian, Hal R. (1999): S. 291. 109 Als »Opportunitätskosten« werden die Kosten »entgangener Gelegenheiten« einer alternativen Handlung verstanden. Vgl. Varian, Hal R. (1999): S. 22, 164.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN lativ niedriges Volumen nachfragen, wodurch monopolistische Strukturen oder andere Marktmachtphänomene nicht ohne Störung 110 von außen eintreten. Da keiner der Akteure den Marktpreis beeinflussen kann, verhalten sie sich demnach als reine Mengenanpasser. Das bedeutet, dass eine Veränderung des Preises ceteris paribus 111 immer eine Veränderung der Nachfrage nach sich zieht. Der besondere Reiz und sicherlich auch die methodische Eleganz dieser Konzeption liegt darin, dass sie die Möglichkeit bietet, ökonomische Analysen auf mathematische Berechnungen zu stützen, die es erlauben, verschiedene Szenarien im Hinblick auf ihre Effizienz zu berechnen, wodurch die mathematische Formalisierung der ökonomischen Theorie einsetzte. Nach Reiner Manstetten stellt diese Mathematisierung des ökonomischen Denkens, neben der Hinwendung zu einem expliziten methodologischen Individualismus sowie der Anerkennung eines Nutzenmaximierungspostulates, das Hauptcharakteristikum der Neoklassik im Hinblick auf den homo 112 oeconomicus dar. Während die Mathematisierung besondere, noch auszuführende Auswirkungen auf den Geltungsbereich der ökonomischen Theorie und damit auf das Konzept des homo oeconomicus hatte, waren das Bekenntnis zum methodologischen Individualismus und zum Prinzip der rationalen Nutzenmaximierung insbesondere für die Verfeinerung der allgemeinen ökonomischen Annahmen über den Menschen von Bedeutung und werden deshalb im Folgenden genauer betrachtet.
110 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 67. 111 Allein in diesen zwei Sätzen verbirgt sich eine der gravierenden Schwächen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie der Neoklassik. Der Zeitraum und die Ereignisse innerhalb deren sich der Preis tatsächlich ändert, können im statischen neoklassischen Modellrahmen nicht abgebildet werden. »Since no one has market power, no one sets prices; yet they are set and changed. There are no good answers to these questions [...].« Arrow, Kenneth J. (1987): S. 203. Eine ausführlichere Kritik des neoklassischen Gedankengebäudes erfolgt im Abschluss von Teil I in Hinblick auf Medien. 112 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 50f. Tatsächlich ist es heutzutage nicht mehr unproblematisch, neoklassische Ansätze zu identifizieren, da sich einige Autoren explizit von dieser abwenden, jedoch dem Gedankengut der Neoklassik weiter in ihren Arbeiten verhaftet bleiben. Zugleich haben streng neoklassische Autoren Konzepte entwickelt, die über das eigentliche orthodoxe Frameset der Neoklassik hinausgehen.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH
1.2.2 Der methodologische Individualismus Das Postulat des »methodologischen Individualismus« vertritt die Grundposition, dass Individuen und nicht Organisationen, Klassen oder andere kollektive gesellschaftliche Gebilde die elementaren Bestandteile eines Wirtschaftssystems darstellen. Das Individuum steht demnach nicht nur im Zentrum der Analyse, sondern jede soziale Ordnung ist gemäß dieser Annahmen ausschließlich auf menschliches Handeln zurückzuführen. Kenneth Arrow fasst diese Grundhaltung wie folgt zusammen: »The starting point for the individualist paradigm is the simple fact that all social interactions are after all interactions among individuals. The individual in the economy or in the society is like the atom in chemistry; whatever happens can 113 ultimately be described exhaustively in terms of the individuals involved.« Diese Auffassung ist nicht auf den Geltungsbereich des Wirtschaftlichen beschränkt, denn das Konzept des methodologischen Individualismus steht in einer langen Tradition individualistischer Erklärungsansätze gesellschaftlicher Phänomene. So wie sich Thomas Hobbes »Leviathan«-Staat als politische Einheit nicht aus Tradition oder Religion, sondern letztlich aus individuellem Kalkül 114 begründet, so ist der methodologische Individualismus eine Strömung der gesamten Sozialwissenschaften und nicht allein der Öko115 nomie. Die Grundannahme des methodologischen Individualismus ist deshalb nicht gleichzusetzen mit den Annahmen der »RationalChoice-Theorie« der Ökonomik, da auch deren Verletzungen nichts 116 an dem individualistischen Ausgangspunkt der Theorie ändert. Nichtsdestoweniger kann die Auslegung des methodologischen Individualismus verschiedene Ausprägungen haben. Und wie in vielen Angelegenheiten, hat sich die neoklassische Theorie eines besonders strengen methodologischem Individualismus angenommen, der den
113 Arrow, Kenneth J. (1994): S. 3. 114 Vgl. Hobbes, Thomas (1651|1970): 17. Kapitel. 115 Der methodologische Individualismus ist ein umfangreiches philosophisches Grundkonzept innerhalb der Sozialwissenschaften, zu dessen historischer Entwicklung u.a. Carl Menger, Joseph Schumpeter, Max Weber, Friedrich A. von Hayek, Karl Popper und andere beigetragen habe. Da an dieser Stelle die Komplexität dieser Grundposition nicht angemessen gewürdigt werden kann, sei zur Übersicht auf Heine, Wolfgang (1983) verwiesen. 116 Vgl. Arrow, Kenneth J. (1994): S. 3.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN rationalen homo oeconomicus nahezu losgelöst von seiner Umwelt ansieht.
1.2.3 Rationale Nutzenmaximierung neoklassischer Prägung Die traditionelle Neoklassik geht vom Prinzip der vollständigen individuellen Rationalität aus, welche durch eine friktionsfreie Welt, in der unlimitierter und kostenloser Zugang zu Informationen sowie vollkommene und kostenlose Mobilität aller Akteure und Ressourcen unterstellt wird. »Ein völlig rationales Individuum hat die Fähigkeit, alles vorherzusehen, was geschehen könnte, und die möglichen Vorgehensweisen gegeneinander abzuwägen und sich zwischen ihnen 117 optimal zu entscheiden, und zwar augenblicklich und kostenlos.« Rational verhält sich der ökonomische Akteur, indem er Entscheidungen im Sinne seines Selbst-Interesses, d.h. zur Maximierung seiner persönlichen Präferenzen, also seines individuellen Nut118 Diese Rationalität neoklassischer Prägung setzt zens, trifft. dementsprechend den »Bildungsprozeß menschlicher Ziele als abge119 schlossen voraus.« Daraus folgt, dass ökonomische Akteure ihre Entscheidungen gemäß stabiler Präferenzen treffen und somit in wiederkehrenden Situationen die gleichen Entscheidungen treffen würden: »Der Mensch, gleichsam vor der Fülle seiner Neigungen und Strebungen stehend, bedient sich seiner Ratio, um Ordnung und Reihenfolge in seine Wünsche zu bringen und sie in mehr, gleich oder weniger bevorzugte Ziele, die im Rahmen bestehender Möglichkeiten zu verfolgen sind, zu transformieren, so daß sich als Re120 sultat eine ›Präferenzordnung‹ ergibt.« Sowohl diese Präferenzordnung als auch die einzelnen Präferenzen eines Individuums werden als konstant und von anderen Akteuren unabhängig modelliert. Neoklassische Akteure würden in wiederkehrenden Situationen dementsprechend gemäß einer transitiven Präferenzordnung stets die gleichen Entscheidungen treffen. Im Hinblick auf den homo
117 Kreps (1990) in Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 4. 118 Es gibt eine lange Diskussion darüber, ob Selbst-Interesse mit Egoismus gleichgesetzt werden sollte. Im Allgemeinen ist dies im ökonomischen Denken nicht der Fall. Der Wunsch nach altruistischem Handeln beispielsweise wird durchaus in utilitaristischer Tradition meist als aufgeklärtes SelbstInteresse interpretiert. 119 Manstetten, Reiner (2000): S. 83. 120 Manstetten, Reiner (2000): S. 83 [Hervorhebung im Original].
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH oeconomicus lässt sich das Bestehen einer solchen Präferenzordnung und die Bereitschaft ihr stets zu folgen als das exogene rationale Moment des ökonomischen Menschen beschreiben. Als endogenes rationales Element des homo oeconomicus lässt sich davon abgrenzen, wie wirksam, wie ›effizient‹ der homo oeconomicus die 121 ihm gegebenen Mittel für seine gesetzten Ziele einsetzt. Diese endogene Komponente zielt im Gebäude der Neoklassik dementsprechend auf das Maximierungspostulat, gemäß dessen der ökono122 mische Akteur sich als Maximand seines Nutzens verhält. Das Konzept des Nutzens, welches von der Neoklassik angelegt wird, unterscheidet sich, wie bereits erwähnt, deutlich von der physiokratischen Produktionswertlehre der Klassiker und steht in der Tradition der Denkhaltung des Utilitarismus. Die Utilitaristen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts stellten einen direkten Zusammenhang zwischen Reichtum und Glück her. Denn der Reichtum kann dazu verwendet werden, allgemeine Präferenzen des Individuums zu erfüllen. In seiner Abhandlung zur Politischen Ökonomie verband Jeremy Bentham jede Portion Reichtum mit einer entsprechenden Portion Glück; das größte Glück werde denen zufallen, die den größten Reichtum besitzen. Die von Bentham aufgestellten grundlegenden Wahlobjekte des Lebens, wie Gesundheit, Prestige, Sinnenfreuden, Wohlwollen oder auch Neid, lassen sich demnach 123 durch den Erwerb von Gütern und deren Verwendung erreichen. Pribram verweist darauf, dass Bentham jedoch auch die Auswirkun124 erkannte und annahm, dass die gen des Grenznutzenprinzips Menge Glück, die von einem Reichtumspartikel geschaffen werde, »mit jedem weiteren Teilchen abnimmt« und der Mehrbetrag an Glück beim Reichsten nicht so groß sein werde, wie der Mehrbetrag
121 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 84. 122 Entscheidungen werden dementsprechend nach einem »ökonomischen Prinzip« getroffen. Das ökonomische Prinzip der Nutzenmaximierungshypothese gebietet, entweder mit gegebenen Mitteln einen möglichst hohen Erfolg zu erzielen oder andersherum ein vorgegebenes Ziel mit einem möglichst geringen Aufwand zu erreichen. Vgl. Bartling, Hartwig/Luzius, Franz (1989): S. 9. 123 Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 4. 124 Als Grenznutzen wird der Nutzen bezeichnet, den der Konsum der nächsten zusätzlichen (marginalen) Einheit eines Gutes stiftet. Formal ist der Grenznutzen eines Konsumgutes die erste Ableitung der Nutzenfunktion nach der Konsummenge dieses Konsumgutes. Das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen (1. Gossensches Gesetz) besagt, dass jede weitere Einheit eines Gutes einen geringeren zusätzlichen Nutzen als die vorangegangenen Einheiten bringt. Ist der Grenznutzen gleich null, so ist die Sättigung erreicht. Vgl. auch Varian, Hal R. (1999): S. 61ff.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN 125
an Reichtum. Als ethisch wertvoll und damit im utilitaristischem Sinne rational gilt dementsprechend die Handlung, welche den größtmöglichen Gewinn von »Pleasures« der größtmöglichen Anzahl von Personen ermöglicht. Die strenge neoklassische Lehre übernimmt die Lehre der Wertentstehung durch Nutzen, jedoch bemüht sie sich, den von Bentham herrührenden, inhaltlich bestimmten hedonistischen Nutzenbegriff durch einen formalen, von inhaltlichen Annahmen über die Natur des Menschen weitgehend freien Begriff vom Nutzen zu ersetzen, 126 der dem Ziel der wertfreien Analyse entspricht. Die Nutzenfunktion eines ökonomischen Akteurs ist dementsprechend lediglich durch die Reihenfolge seiner Präferenzen (ordinal utility) festzustel127 len. Das bedeutet, der Nutzen eines Güterbündels wird als größer angenommen, wenn ein ökonomischer Akteur sich bei gleichem Preis einem anderen vorzieht. Der eigentliche Grund für die Herstellung dieser Präferenzordnung bleibt im Neoklassischen meist eine Black-Box, da intrapersonelle Vergleichbarkeit von Nutzenfunktionen nicht angenommen wird. »Nutzen« ist demnach an sich 128 nicht ohne weiteres quantifizierbar. Zum eigentlichen Grundnutzen kann stets ein psychologischer Zusatznutzen hinzukommen, der es aus Sicht der neoklassischen Theorie unmöglich macht, den Nutzen von Einzelgütern oder Güterbündeln für individuelle Akteure zu beziffern. Die neoklassische Terminologie spricht deshalb von Präferenzen, welche in eine Nutzenfunktion eingehen. 125 Vgl. Bentham, Jeremy (1798): Manual of Political Economy, London, zitiert nach: Pribram, Karl (1992): S. 272. 126 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 75 Die inhaltliche Ausdifferenzierung des Begriffes »Pleasures« ist eben nicht ganz unproblematisch. J. S. Mill differenzierte beispielsweise im Unterschied zu Bentham zwischen den Formen von Lust und argumentiert, dass selbst eine geringe geistige Freude (z.B. an Wissensgewinn) einem größeren leiblichen Lustempfinden vorzuziehen sei (vgl. seinen Satz »Lieber ein unzufriedener Sokrates als ein glückliches Schwein«). 127 Dem »ordinalen Nutzen« steht das Prinzip des »Kardinalnutzens« (cardinal utility) zur Seite, welcher beschreibt, in welchem Verhältnis ein Gut einem anderen gegenüber bevorzugt wird. Die klassischen Utilitaristen dachten, dieser Wert könnte berechnet werden. Doch die Neoklassik geht davon aus, dass es nicht feststellbar ist, ob ein Akteur ein Güterbündel zweimal so sehr bevorzugt, wie ein anderes oder nur anderthalbfach etc. Vgl. Varian, Hal R. (1999): S. 51ff. 128 Eine mathematische Ausnahme bildet die Spieltheorie, welche auf Oskar Morgenstern und John von Neumann zurückgeht und welche schwache, ordinale interpersonelle Vergleichbarkeit bei alternativen Handlungen annimmt. Jedoch gelten diese nur innerhalb sehr enger Szenarios, die mehr oder weniger alle Devianzen des Gefangenendilemmas darstellen.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Die Verhaltensannahme des »Mehrwollens« ist durch die Hinwendung zur subjektiven Nutzenmaximierung innerhalb der Neoklassik nun durchgehend auf jeden ökonomischen Akteur anwend129 bar. Eingeschränkt wird die maximale Nutzenerreichung lediglich durch die vorhandenen Restriktionen, welche im neoklassischen Modell hauptsächlich als monetäre Restriktionen, beispielsweise als Einkommen oder Preis, auftauchen. Die Beschränkungen, denen das Handeln ökonomischer Akteure unterliegt, sind oft leichter festzustellen, als die Präferenzen. Im einfachsten Fall, beispielsweise einer Konsumentenentscheidung innerhalb eines privaten Haushalts, sind die Restriktionen das Haushaltseinkommen sowie die Preise der einzelnen Güter. Die Präferenzen werden indirekt erfasst, d.h. vom Verhalten der Akteure wird auf deren Präferenzen zurückgeschlossen. Änderungen im Verhalten von Menschen werden deshalb häufig über Änderung der Restriktionen erklärt, wohingegen Präferenzen als stabil unterstellt werden und selten untersucht wird, woher 130 sie kommen.
1.3 Der Geltungsbereich des homo oeconomicus Konzeptes Der Geltungsbereich des ökonomischen Menschen ist insbesondere davon gekennzeichnet, dass er im Verlauf seiner jüngeren Geschichte eine Ausweitung von dem Gebiet der Ökonomie in alle Bereiche des täglichen Lebens erfahren hat. Voraussetzung für diese Ausweitung eines ökonomischen Ansatzes zur Betrachtung allgemeinen menschlichen Verhaltens war die Annahme, dass sich die 129 Unter den klassischen Ökonomen wie Smith und Ricardo hatte Rationalität eine relativ unscharfe, auf Firmen bezogene Bedeutung, welche aussagte, dass diese ›Mehr‹ gegenüber ›Weniger‹ bevorzugen. Seit Mill ist es in die ökonomische Theorie eingegangen, dass auch Individuen rational handeln können. Erst durch diese Einsicht war es nach Arrow überhaupt möglich, eine Theorie zu formulieren, welche die Nachfrage vom Preis abhängig machte. Wie Arrow schreibt, haben die Entwickler der marginalen Revolution (Jevons, Walras und Menger) durch ihre Hinwendung zum Individuum den Weg zur allgemeinen Gleichgewichtstheorie überhaupt erst ermöglicht. »Their rationality hypothesis for the consumer was the maximization of utility under a budget constraint. With this formulation, the definition of demand as a function of all prices was an immediate implication, and it became possible to formulate the general equilibrium of the economy.« Vgl. und Zitat Arrow, Kenneth J. (1987): S. 204. 130 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 12.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Einschränkungen bei menschlichen Verhaltensannahmen, welche sich in Marktbereichen erfolgreich gezeigt hatten, auch in NichtMarktbereichen erfolgreich anwenden ließen. Die augenscheinliche Objektivität, welche durch die Mathematisierung der Betrachtung menschlichen Verhaltens erreicht wurde, bestärkte die Wirtschaftswissenschaften in ihrem Streben, den ökonomischen Ansatz auf das gesamte Verhalten des Menschen auszuweiten und somit eine allgemeinverbindliche Erklärung menschlichen Verhaltens zu entwickeln. Diese Theorie wird nachfolgend beschrieben, wie auch die Probleme, welche entstehen, wenn die ökonomische Disposition des Menschen nicht nur zur Erklärung von menschlichen Verhalten auf Märkten, sondern für alle Situationen des Lebens angenommen wird.
1.3.1 Die ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens Einer der prominentesten Vertreter eines solchen ökonomischen Ansatzes zur Klärung menschlichen Verhaltens ist Gary S. Becker, wel131 cher diesen explizit formulierte. Becker legt als Ursprung seiner Überlegungen zum ökonomischen Ansatz die Beobachtung zu Grunde, dass der traditionelle Geltungsbereich der Wirtschaftswissenschaften, welcher traditionell auf Märkte und materielle Güter 132 beschränkt war, inzwischen auch Gegenstand anderer gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen sei und ebenso andere Gegenstandsbereiche in das Blickfeld der Ökonomie gerückt seien. Becker zufolge wäre es demnach notwendig, die Unterscheidung zu anderen Wissenschaften nicht durch ihren Untersuchungsgegenstand zu ziehen, sondern durch ihren methodischen Ansatz zur Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen. Der ökonomische Ansatz, den Gary Becker ausarbeitet, versucht, menschliches Verhalten so auch unter sehr verschiedenen Umständen und Situationsbedingungen zu erklären. Becker unterstellt den
131 Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 1-15. 132 Der Geltungsbereich der Ökonomie kann durch verschiedene Definitionen beschrieben werden. Becker nennt insbesondere Ökonomie als Wissenschaft von der Allokation materieller Güter zur Befriedigung materieller Wünsche (nach Albert Reiss), Wissenschaft vom Marktbereich (nach Arthur Cecil Pigou), Wissenschaft von der Allokation knapper Mittel zur Verfolgung konkurrierender Ziele (nach Lionel Robbins) oder schlicht das, »was Ökonomen tun« (nach Jacob Viner). Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 1f.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Wirtschaftsakteuren – Individuen, Unternehmen, Nationen – in neoklassischer Tradition explizit und extensiv nutzenmaximierendes Verhalten auf Grundlage stabiler Präferenzen. Das Verhalten der Akteure wird durch deren Handlungen über Märkte mit wechselnder 133 Effizienz koordiniert und in Einklang (ins Gleichgewicht) gebracht. Unterscheiden sich diese Annahmen nicht wesentlich von den all134 gemeinen neoklassischen Annahmen, so erweitert Becker den Geltungsbereich dieser Sichtweise, indem er das Opportunitätskostenprinzip auf den Nicht-Marktbereich ausweitet und den Prozess der Nutzenerstellung wieder in den Vordergrund rückt. Nicht nur entgangene alternative Verwendungen von wirtschaftlichen Ressourcen innerhalb eines Wirtschaftssystems gehen in seinem Konzept als Opportunitätskosten in die Allokation knapper Güter ein, sondern auch die Schattenpreise des Nicht-Marktbereiches, welche nicht im traditionellen monetären Sinne ohne Weiteres zu messen sind (z.B. psychische Kosten), gehen in Beckers Konzeption vom Gesamtbud135 get eines Akteurs ein. Die in der utilitaristischen Tradition Benthams als grundlegende Wahlobjekte des Lebens bezeichneten Präferenzen, wie Gesundheit, Prestige, Sinnenfreuden, Wohlwollen, Neid, werden laut Becker unter Aufwand von materiellen und immateriellen Marktgütern und – 136 leistungen, Zeit und anderen Faktoren »produziert«. Becker wendet sich damit von der von anderen Neoklassikern vertretenen Ansicht ab, dass ökonomischer Nutzen bereits im Konsum ›an sich‹, also bereits im Austausch von Geld gegen Markgütern oder Dienstleistungen zu suchen sei, da dies laut Becker »kein Licht auf die 133 Diese Grundannahme grenzt laut Becker den ökonomischen Ansatz von anderen Disziplinen wie der Soziologie oder der vergleichenden Psychologie ab, welche beispielsweise Traditionen, Pflichtgefühl, impulsives oder auch ›irgendein‹ Verhalten als Ansatz nehmen können. Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 3. 134 »Die Annahmen des nutzenmaximierenden Verhaltens, des Marktgleichgewichts und der Präferenzenstabilität – strikt und ohne Einschränkungen angewandt – machen zusammen den Kern des ökonomischen Ansatzes aus [...].« Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 6. 135 Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 5. Der erweiterte Kostenbegriff, beispielsweise die Einführung der »psychischen Kosten«, wird von Becker eher metaphorisch und ohne weitere Erklärung verwendet. 136 Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 4. Das Einführen der Zeitrestriktion in Ergänzung zum Einkommen und dem Marktpreis ist der dominante Schlüssel zu Beckers Ausdehnung des ökonomischen Ansatzes in den Nicht-Marktsektor. Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 5 und Becker, Gary S. (1965). Diese Erweiterung der ökonomischen Restriktionen spielt, wie im nächsten Kapitel dargestellt, eine wesentliche Rolle für die ökonomische Betrachtung von Medien.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Frage [werfe], ob der Nutzen aus dem Erwerb, aus dem Besitz oder 137 aus dem Gebrauch der gekauften Sache abgeleitet wird.« Durch die Annahme der aktiven Produktion von grundlegenden Wahlobjekten durch ökonomische Akteure, weitet Becker das Prinzip der Nutzenmaximierung als Generalprinzip auf alle Bereiche des Lebens aus und löst auch die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Unternehmer und Konsument auf, da für das Verhalten von beiden 138 immer Kosten die Ursachen für deren Verhalten sind. Da es sich jedoch bei diesen Kosten häufig um Schattenpreise handelt, sind diese für Ökonomen nicht immer leicht zu entdecken. Aus dieser Sichtweise ließe sich laut Becker beispielsweise erklären, dass Ehen geschieden werden, sobald die psychischen Kosten einer Beziehung ›zu hoch‹ werden oder dass Suchtabhängigkeiten wie Zigaretten oder Alkohol bestehen blieben, wenn der subjektive momentane Nutzengewinn das Risiko übersteige. Generalisierbar sei dieser Ansatz laut Becker, da er nicht nur annimmt, dass es stabile Präferenzordnung gäbe, sondern darüber hinaus, dass alle Menschen über die gleichen Präferenzen verfügten: »that all derive that utility from the same basic pleasures or preference function, and 139 differ only in their ability to produce these pleasures.« Aufgrund der Öffnung des ökonomischen Ansatzes für immaterielle Güter und Leistungen, ist Becker darüber hinaus der Auffassung, dass der ökonomische Ansatz nicht nur Verhalten auf dem Markt erklären, sondern »eine breite Skala menschlichen Verhaltens integrativ erfassen 140 kann« bzw. sogar »auf alles menschliche Verhalten anwendbar ist 141 [...].« Besonders wichtig für dieses Anliegen sei das Gelingen der Ausweitung des ökonomischen Prinzips in den Nicht-Marktbereich, der bislang von den Ökonomen weitgehend ignoriert wurde. Becker vermutet, dass die herkömmlichen »Beharrungstendenz von Definitionen, die die Ökonomie an die Beschäftigung mit materiellen Gütern binden, auf die Weigerung zurückzuführen [ist], bestimmte Formen menschlichen Verhaltens dem »kühlen« Kalkül der Ökono142 mie zu unterwerfen.« Dies sei laut Becker ein unbegründetes Zögern, da der von ihm beschriebene ökonomische Ansatz »vereinbar 137 Vgl. Becker, Gary S./Michael, Robert T. (1973): S. 153. 138 Die Konzepte des Kirznerischen »Findigen Unternehmers« oder des Schumpeterischen »schöpferischen Zerstörers« lassen sich in dieser Konzeption auch auf maximierende Privatpersonen anwenden. 139 Gary Becker zitiert nach Manstetten, Reiner (2000): 97. 140 Becker, Gary S. (1976): S. 3. 141 Becker, Gary S. (1976): S. 5. 142 Becker, Gary S. (1976): S. 2.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH mit der Betonung des Unterbewußten in der modernen Psychologie oder mit der Unterscheidung von manifesten und latenten Funkti143 onen in der Soziologie« sei. Becker möchte seine Vorgehensweise, das Ökonomische in alle Lebensbereiche hineinzuprojizieren, im Lichte des von ihm zitierten Georg Bernhard Shaw verstanden wissen: »Ökonomie ist die Kunst 144 das Beste aus dem Leben zu machen.« Natürlich steht Becker in der Tradition der Ökonomen, welche versuchen, mehr oder minder explizit die Naturgesetze menschlichen Verhaltens zu ergründen. Seine Arbeiten in Hinblick auf die ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens haben zweifellos die ökonomische Theorie, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, auch für die Medienökonomie anwendbar gemacht. Anderseits führt seine Annahme, die ökonomische Erklärbarkeit menschlichen Verhaltens sei allgemein und für alle Bereiche verbindlich, fast zwangsläufig in den Vorwurf des »ökonomischen Imperialismus«. Stellvertretend für viele Kritiker distanziert sich der Soziologe Pierre Bourdieu von einer solchen ökonomischen Methode, »über die Spezifiken und Besonderheiten eines jeden sozialen Mikrokosmos hinwegsehende Art von reduktionistischem Annexionismus, die heute gewisse Ökonomen zunehmend in der Überzeugung betreiben, man könne sich mit den allgemeinsten Konzepten eines von allen Verunreinigungen gesäuberten ökonomischen Denkens begnügen, um ohne jede Rücksicht auf die Arbeiten von Historikern oder Ethnologen so komplexe gesellschaftliche Realitäten wie die Familie, die Austauschbeziehungen zwi145 schen Generationen, die Korruption oder die Ehe zu analysieren.« Die Auffassung einer allgemein verbindlichen, ausschließlich ökonomischen Erklärung menschlichen Verhaltens ist tatsächlich nicht unproblematisch. Nicht nur menschliches Verhalten per se wird durch diesen Ansatz nach ökonomischen Gesetzen determi146 niert, sondern auch kulturelle bzw. räumliche Differenzen werden 143 144 145 146
Vgl. Becker, Gary S. (1976): S. 6. zitiert nach: Becker, Gary S. (1976): S. 1. Bordieu, Pierre (2002): S. 21. »Der Logik des Ansatzes (nicht etwa empirische Forschung) erfordert es, daß der Mensch, der homo oeconomicus der Theorie Beckers, als ein durch seine Natur und die Umstände vollständig determiniertes Wesen angesehen werden muß. Der Mensch ist demnach Natur in dem gleichen Sinne wie ein Elefant, eine Wanze, eine Amöbe oder ein Fliegenpilz. Wenn die Ökonomik bei Vorhersagen über menschliches Verhalten größere Probleme hat als die Biologie bei Tieren und Pflanzen, so liegt das an den unvollständigen Informationen auf seiten der Humanwissenschaftler oder an chaotischen Strukturen der hochkomplexen menschlichen Natur. Das ändert nichts daran, daß mit
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN im Rahmen einer solchen Konzeption weitgehend negiert. Dies war innerhalb der ökonomischen Theoriebildung nicht immer selbstverständlich. So ließen sich beim ökonomischen Menschen des 19. Jahrhundert noch durchaus Züge eines ›viktorianischen Gentleman‹ britischen Einschlags erkennen, wenn Mill den ökonomischen Menschen beschrieb: »[Those] who know the habits of the Continent of Europe are aware how apparently small a motive often outweighs the desire of money-getting, even in the operations which have 147 money-getting for their direct object.« Wie Persky hervorhebt, war das Konzept des ökonomischen Menschen in seiner ursprünglichen Anlage auf einen speziellen Kulturkreis begrenzt, der im anglo148 amerikanischen Raum angesiedelt war. Der ökonomische Mensch setzte demnach einen speziellen arbeitsteiligen Typ von Gesellschaft 149 voraus, in welchem das kommerzielle Moment das Elementare ist. »In so far as notions are occupied in ›buying and selling,‹ in so far will Political Economy, the exclusive theory of men buying and sell150 ing, come out right, and be true.« Diese kulturelle Komponente ist in der neoklassischen Verfeinerung des homo oeconomicus weitest151 gehend relativiert worden.
1.3.2 Die ökonomische Disposition als kulturelles Leitbild Der Geltungsbereich des neoklassischen homo oeconomicus hat somit durch Theorien wie die Beckers seinen maximalen Ausdehnungscharakter erreicht, indem er die ökonomische Disposition von Menschen zur Triebfeder jedweden menschlichen Handels erklärt.
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diesem Ansatz die menschliche Natur ›an sich‹ als eine vollständig determinierte zu beschreiben ist. Eine Anthropologie, die Freiheit als Möglichkeit mit einschließt, ist ausgeschlossen.« Manstetten, Reiner (2000): S. 103f [Hervorhebung im Original]. Mill (1843): S. 906, zitiert nach Persky, Joseph (1995): S. 227. Vgl. Persky, Joseph (1995): S. 228. Schon Adam Smith schrieb: »Hat sich die Arbeitsteilung einmal durchgesetzt, kann der einzelne nur noch einen Bruchteil seines Bedarfs durch Produkte der eigenen Arbeit decken. Er lebt weitgehend von Gütern, die andere erzeugen und die er im Tausch gegen die überschüssigen Produkte seiner Arbeit erhält. So lebt eigentlich jeder vom Tausch, oder er wird in gewissen Sinne ein Kaufmann, und das Gemeinwesen entwickelt sich letztlich zu einer kommerziellen Gesellschaft.« Smith, Adam (1776|1978): S. 22f. Bagehot, Walter (1879): S. 106, zitiert nach Persky, Joseph (1995): S. 227. Dies durchaus auf der Grundlage von Studien: vgl. Heinrich, Joseph et al. (2003).
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH Durch diese Ausweitung der wissenschaftlichen Abstraktion gerät jedoch genau der homo oeconomicus in Gefahr, als normatives Menschenbild in den gesellschaftlichen Alltag zurückzukehren. Diese Gefahr wird insbesondere dadurch begünstigt, dass zwar der grundsätzliche Modellcharakter der Verhaltensannahmen der Neoklassik weiter betont wird, jedoch zumindest das dahinter liegende Basiskonzept, der von Mill vehement vertretene ›Als-Ob-Charakter‹, zunehmend von Ökonomen verwässert wurde. So beschreibt Lionel Robbins bereits im Jahr 1935 zumindest Teile der von einer wissenschaftlichen Außenperspektive entwickelten Verhaltensannahmen als adäquate Wiedergabe der Verfasstheit des handelnden Menschen: »The proposition of economic theory [...] are obviously deductions from a series of postulates. [...] The main postulate of the theory of value is the fact that individuals can arrange their preferences in an order, and in fact do so. [...] These are not postulates the existence of whose counterparts in reality admits of extensive dispute once their nature is fully realized. We do not need controlled experiments to establish their validity: They are so much stuff of our everyday experience that 152 they have only to be stated to be recognised as obvious.« Robbins beansprucht demnach die Charakterisierung der durch Präferenzordnungen beschriebenen exogenen Rationalität »als eine adäquate Wiedergabe allgemeiner Züge der Verfaßtheit des Menschen, insofern er ein handelndes Wesen ist. Das bedeutet insbesondere, daß der homo oeconomicus im Sinne von Robbins nicht zu der Innenperspektive eines Menschen, der sich über sein Handeln Rechenschaft geben will, im Widerspruch steht: Eine angemessene Selbstwahrnehmung des Menschen wird ihn (nicht nur, aber auch) 153 als homo oeconomicus erscheinen lassen.« Demnach sei nicht rationales Handeln an sich eine wesentlichen Verhaltensannahme der Ökonomie, sondern vielmehr die Annahme, dass rationales Handeln erstrebenswert sei. »[The field of Economics] relies on no assumption that individuals will always act rationally. But it does depend for its practical raison d’être upon the assumption that it is desirable that they should do so. And thus in the last analysis Economics does depend, if not for its existence, at least for its significance, on an 152 Robbins, Lionel (1935): S. 78-80, zitiert nach Manstetten, Reiner (2000): S. 84 [Hervorhebung von Manstetten hinzugefügt]. 153 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 85 [Hervorhebung im Original].
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN ultimate valuation – the affirmation that rationality and the ability to choose 154 with knowledge is desirable.« Die objektiven Verhaltensannahmen nähern sich durch eine solche Betrachtung wieder einer normativen Ebene eines Menschenbildes. Dass dieser Widerspruch zwischen normativer Implikation (was sein sollte) und dem Anspruch einer ›objektiven‹ positiven Wissenschaft (was ist) nicht vollständig ausgeschaltet werden kann, ist auch innerhalb der Wirtschaftswissenschaften relativ unstrittig, wie Milton Friedman Jahre später feststellte: »Confusion between positive and normative economics is to some extent inevitable. [...] Normative economics and the art of economics, on the other hand, can155 not be independent of positive economics.« Laut Friedman ist es dementsprechend unerheblich, ob eine Modell-Annahme in der Realität auftritt, so lange sie innerhalb der objektiven Berechnung zu brauchbaren Ergebnissen führt. Die ökonomische Theorie kann demnach nicht die menschliche Entscheidung abnehmen, sie kann jedoch anhand eines rationalen Denkansatzes errechnete Kosten aufzeigen und dementsprechend Handlungsempfehlungen geben, welche verschiedene Szenarien in eine rationale Harmonie bringen (Prognose bedeutet in diesem Sinne also nicht Vorhersage). Diese objektive Position der Ökonomik beruht meist auf der Analogie, dass auch in den Naturwissenschaften stark reduktionistische Annahmen, beispielsweise über den Aufbau von Atomen, getroffen werden, die dann trotzdem zu richtigen Vorhersagen, beispielsweise chemischer 156 Reaktionen, führen. Der Ursprung dieser Ansicht lässt sich in der ›reinen‹ neoklassischen Ökonomik der epochalen Moderne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vermuten, deren methodologischer Individualismus sich zumindest teilweise an den wissenschaftlichen Königsdisziplinen der Naturwissenschaften orientierte. Diese Sichtweise, welche von Kritikern auch als »naiver« methodologischer Individualismus bezeichnet wurde, hat jedoch ein wesentliches methodisches Problem, welches der neoklassische homo oeconomicus in sich trägt, da lange Zeit nicht die Einsicht herrschte, dass intentional handelnde Menschen weniger leicht Gesetzmäßigkeiten in ihrem Handeln zei-
154 Robbins, Lionel (1932): S. 141 [Hervorhebung getilgt]. 155 Friedman, Milton (1953): S. 211. 156 Ein Vergleich, welcher auch heute von Ökonomen immer noch gerne und viel verwendet wird. Vgl. Arrow, Friedman, etc. Siehe auch Manstetten, Reiner (2000): S. 54ff und 90ff.
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1. DER ÖKONOMISCHE MENSCH 157
gen, als Atome. So wie die Physik nach naturwissenschaftlichen Kräften für die Bewegung von Atomen suchte, z.B. durch die Sätze der Thermodynamik, so erhoffte sich die Ökonomik im Prinzip der Nutzenmaximierung gleichwohl ein Gesetz analog zu den Naturgesetzen der Physik formuliert zu haben. Im Gegensatz zur theoretischen Physik hat jedoch der sozialwissenschaftliche Versuch, allgemeine ›Naturgesetze‹ für menschliches Verhalten aufzustellen das Problem, dass sich diese Beschreibungen, zumindest in der Terminologie, mit der lebensweltlichen Alltagswelt überschneiden. Wie Manstetten hervorhebt, gehören fast alle Termini der Ökonomik »Mensch«, »Nutzen«, »Präferenzen«, »Wirtschaft« sowie konkrete Gegenstände des Ökonomischen wie »Zins«, »Kapital«, »Arbeit« fast immer der Alltagswelt als auch der 158 ökonomischen Theorie an. Die Physik beispielsweise hat dieses Problem in geringerem Maße. Quanten, Quarks und Elektronen begegnen uns bestenfalls in physikalischen Modellen oder Science Fiction Serien, sie existieren jedoch gänzlich außerhalb eines Alltagsbezuges und treten deshalb auch nicht mit diesem in Konflikt. Anders verhält es sich mit dem ökonomischen Menschen. Auch wenn der neoklassische homo oeconomicus in seiner reduzierten nutzenmaximierenden, mathematischen Existenz nicht in der alltäglichen Lebenswelt von Nicht-Ökonomen auffindbar ist, so erkennen doch viele Menschen etwas von sich in seiner Grundkonzeption wieder. Die Annahmen des homo oeconomicus stehen somit stets in 159 Gefahr der reduktionistischen »Verfremdung«. Die Verfremdung entsteht beiderseitig, wenn etwa innerhalb der Alltagswelt sich die Meinung durchsetzt, der Mensch an sich habe sich beispielsweise nach ökonomischen Grundannahmen zu verhalten oder auch, wenn Ökonomen die kulturellen Annahmen ihrer Gesellschaft bedenkenlos in ihre allgemeinen Theorien einbauen. 157 Auch Gary Becker folgt laut Manstetten dieser Logik: »Die Logik von Beckers Ansatz impliziert indessen [...] einen vollständigen Determinismus: in letzter Konsequenz ist demgemäß alles menschliche Verhalten durch Gesetze festgelegtes Verhalten. In gewisser Weise ist eine Becker'sche Ökonomie nicht nur den Naturwissenschaften ähnlich, sie ist selber Naturwissenschaft: Wissenschaft von der Natur des Menschen, Wissenschaft einer Natur, die in keinem anderen Sinne Natur ist als das, was die Naturwissenschaften mit Natur bezeichnen.« Manstetten, Reiner (2000): S. 101 [Hervorhebung im Original]. 158 Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 90f. 159 Manstetten versteht Verfremdung »in solcher Art, daß zwar einige wesentliche Züge des Vertrauten erhalten bleiben, andere nicht weniger wesentliche Züge aber verschwinden oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden.« Manstetten, Reiner (2000): S. 90.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Die Kritik an einem ökonomischen Imperialismus und der damit verbundenen Simplifizierung ist exemplarisch für den normativen Gehalt, der den Annahmen des homo oeconomicus zugeschrieben wird. Problematisch wird das Konzept des homo oeconomicus dementsprechend erst, wenn der ursprünglich auf abstrakte Erklärung abzielende methodologische Anspruch eine normative Wende erfährt. Denn wenn der gesellschaftliche Anspruch an Menschen lautet, dass sich alle Menschen ausschließlich nach einem effizienten ökonomischen Rationalitätsprinzip verhalten sollen, so kommt der ökonomische Mensch schnell in den Ruf, ein »menschlich betrachtet, 160 [...] ziemlich unsympathisches Ekel« zu sein. Diese Sichtweise entspricht natürlich nicht der Interpretation der meisten Wirtschaftswissenschaftler, jedoch sollte die Position, welche der homo oeconomicus aufgrund seiner Nähe zum naturwissenschaftlichen Prinzip einnimmt, nicht vollständig aus dem Auge verloren werden. Joseph Vogl beschreibt diese wie folgt: »Zwischen der Frage nach einem kosmologischen bzw. physikalischen Gesetz einerseits und einem sozialem bzw. ökonomischem Funktionsprinzip andererseits steht vielmehr eine anthropologische Figur, die die Transmission vom ei161 nen zum anderen leistet.« Im Zusammenhang mit den nahezu alltäglichen Begriffen der ökonomischen Terminologie kann dies, nicht nur bei Laien, sondern gelegentlich auch bei Ökonomen, zu Verwechselungen führen. Dennoch sind die in diesem Kapitel angesprochenen ökonomischen Konzepte die Grundlage, die ökonomische Disposition des Menschen in Hinblick auf Medien nachzuzeichnen, wie im folgenden Kapitel dargestellt wird. 160 Bretzke, Wolf-Rüdiger (1983): S. 29. Manstetten ergänzt zu dieser Problematik folgendes: »Die Art und Weise, wie man sich sieht, ist von maßgeblichem Einfluß für die Art und Weise, wie man seine weiteren Möglichkeiten einschätzt. Ob die Gesellschaft sich (in den Augen der Mehrheit ihrer Mitglieder) als eine Ansammlung von Egoisten sieht, die nur ihren eigenen Nutzen suchen, oder ob sie sich für ein Kollektiv von Fanatikern hält, die die Herrschaft eines höchsten Wertes verbreiten wollen, oder sie sich als eine Gemeinschaft von Freien betrachtet, die um ein gemeinschaftlich Gutes ringen, wird private und politische Zielsetzungen sowie Einschätzungen über die Möglichkeiten, diesen zu folgen, entscheidend prägen. Der homo oeconomicus und die auf diesem Ansatz aufbauenden Theorien lassen sich als ein Bild verstehen, worin die Gesellschaft ihrer selbst inne werden zu versucht und von dem sie bei der Konzeption ihrer zukünftigen Möglichkeiten Gebrauch macht. Sollte dieses Bild einseitig oder verzerrt sein, so könnte es Anteil haben an einer einseitigen und verzerrten Selbstwahrnehmung der modernen Gesellschaft.« Vgl. Manstetten, Reiner (2000): S. 29 [Hervorhebung im Original]. 161 Vogl, Joseph (2002): S. 47.
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»Die einseitige Rationalität des homo oeconomicus, oft bestritten, aber nie ernstlich fallen gelassen, bestimmt die wirtschaftswissenschaftliche Analyse der Medien.« Klaus-Dieter Altmeppen und Matthias Karmasin
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2. N E O K L A S S I S C H E R H O M O OECONOMICUS UND MEDIEN Medien erscheinen in der ökonomischen Disposition der wohlgeordneten Welt der Neoklassik vornehmlich als Güter, da die Annahmen der vollständigen Rationalität (also auch der vollständigen Information) und der Nutzenmaximierung nach stabilen Präferenzen sowohl eine Rolle der Medien als handlungsleitende Institutionen im Marktprozess als auch jedweden Einfluss von Medien auf Präferenzbildung ausschließen. Güter im ökonomischen Sinne müssen drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen (1) direkt oder indirekt einer Bedürfnisbefriedigung dienen und demnach einen Nutzen stiften, sie müssen (2) auf eine Nachfrage treffen und sie müssen (3) 163 Der homo knapp sein, um einen Preis erzielen zu können. oeconomicus traditioneller neoklassischer Herkunft nimmt Medien dementsprechend hauptsächlich im Rahmen ihrer Objektschicht und unter Einhaltung seiner ökonomischen Disposition war. Diese Betrachtung von Medien ist, will man dem Eingangszitat von Altmeppen und Karmasin Glauben schenken, in der heutigen Medienökonomie immer noch stark verbreitet und kann deshalb als erste sinnvolle Annäherung des ökonomischen Menschen an den Gegenstand der Medien dienen. Jedoch sind Medien selbst in dieser relativ begrenzten Betrachtungsweise keine homogenen Güter, sondern relativ komplexe, menschengemachte Kommunikationstechnologien, deren Bestandteile sich durch eine »Transportmittelmetapher« beschreiben lassen, die sich an dem Kommunikationsbegriff von Claude Shannon und Warren Weaver anlehnt. Demnach existiert ein Medium lediglich als 162 Altmeppen, Klaus-Dieter/Karmasin, Matthias (2003): S. 26. 163 Vgl. Kiefer, Marie Luise (2001): S. 128.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN eine Art ›Behältnis‹, in welches ein Sender eine Botschaft hineingibt und diese auf mehr oder weniger direktem Wege zum Empfänger 164 schickt, welcher die Nachricht entnimmt und rezipiert. So linear und leichtfüßig wie diese Transportmittelmetapher auf den ersten Blick erscheint, so stellt sie doch das homo oeconomicus Konzept bereits vor das Problem, dass Medien auch auf der Objektebene komplexe technologische Systeme darstellen, welche aus einer Ein165 heit aus Apparaturen, Signalen und Kanälen bestehen. Alle Medien sind im Rahmen der Transportmittelmetapher menschengemachte Transportsysteme. Sie »leisten die Übertragung von etwas (das noch genauer zu bestimmen wäre) von einem Punkt in Raum und Zeit zu einem anderen (der noch genauer zu bestimmen wäre) auf jeweils eigenen Wegen und Kanälen (die noch näher zu 166 bestimmen wären) und damit auf eine jeweils besondere Weise.« Diese technologischen Einheiten können verschiedene ökonomische Funktionen erfüllen, je nachdem, ob beispielsweise ihre Inhalte (Etwas), ihre Leistung (die Übertragung »von einem Punkt in Raum und Zeit zu einem anderen«) oder die Art und Weise (die jeweils eigenen Wege und Kanäle) im Vordergrund stehen. Ziel dieses Kapitels ist es deshalb, die relevanten Funktionen der einzelnen Kategorien des linearen Kommunikationssystems innerhalb der medialen Objektschicht näher zu bestimmen, um sie mit dem homo oeconomicus neoklassischer Prägung in Bezug zu setzen.
164 Vgl. Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1964). 165 Diese Aufteilung entspricht der Gepflogenheit der Marktaufschlüsselung in einen Mediensektor, einen Kommunikationssektor und einen Informationstechnologiesektor (Übersicht im Anhang). Gemäß dieser Aufteilung konzentriert sich der Mediensektor stärker auf die Inhaltsproduktion, der Telekommunikationssektor eher auf infrastrukturellen Aspekte und der Informationstechnologiesektor auf die Entwicklung von datenverarbeitenden Apparaturen und deren Software. Die zunehmende Konvergenz dieser Sektoren, welche insbesondere durch die anhaltende Digitalisierung und der daraus resultierenden Konvergenz der entsprechenden Technologien begünstigt wurde, macht es zunehmend schwerer, diese Sektoren getrennt zu erfassen, weshalb heutzutage von noch recht unscharfen »(Multi-)Medien Märkten« gesprochen wird (vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): S. 34ff, 64, 103). Innerhalb dieser Multi-Medien-Märkte werden Medien nach der technologischen Durchdringungszeit und der Reichweite in Mikro-, Meso- und Megamedien unterschieden. Vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (2004): S. 24. 166 Engell, Lorenz (1999): S. 127.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN
2.1 Eingrenzung der medialen Objektschicht Zieht man zur Beschreibung der medialen Objektschicht das beschriebene Sender-Empfänger Modell nach Shannon und Weaver heran, so lässt sich zuallererst der Grad der Technisierung innerhalb des Kommunikationsprozesses in primäre, sekundäre und tertiäre Medien unterscheiden, wie es der Kommunikationswissenschaftler 167 Harry Pross vorgeschlagenen hat. »Primäre Medien« werden demnach bei Prozessen eingesetzt, welche keine gerätetechnischen Hilfsmittel benötigen. Entscheidend ist, dass »kein Gerät zwischen den Sender und Empfänger geschaltet ist und die Sinne der Menschen zur Produktion, zum Transport und zum Konsum der Bot168 schaft ausreichen.« Diese Definition ex negativo, also durch das Kriterium der Abwesenheit von Medientechnik, vereint demnach alle Dimensionen der direkten verbalen und non-verbalen Kommunikation, wie die Sprache in all ihren Dimensionen, als auch Mimik, 169 Gestik, Körperhaltung und Körperbewegung. Der Mensch wird deshalb z.B. von Jochen Hörisch selbst als primäres Medium angesehen, da er bereits als Kleinkind in der Lage ist, durchaus erfolgreich zu kommunizieren und demnach ein »medial begabtes Wesen, 170 ein Menschmedium, ein primäres Medium« darstellt. Dementsprechend können auch alle Ausdrucksformen, die der Mensch durch sich selbst ohne technische Hilfsmittel zu vermitteln vermag, wie beispielsweise Tanz und Theater, als primäre Medien gesehen wer171 den. Sekundär sind die Medien, welche bei der Abfassung von Inhalten, Botschaften und Aussagen zum Teil erheblichen Technikeinsatz benötigen, deren Betrachtung jedoch nicht. Zu »sekundären Medien« gehören demnach z.B. Rauchzeichen, Flaggensignale, 172 handgeschriebene oder gedruckter Text, aber auch die Malerei 173 oder die Fotografie. Zu den »tertiären Medien« gehören alle Medien, die sowohl zu ihrer Produktion, als auch zu ihrer Rezeption 167 Vgl. Pross, Harry (1972): S. 127f. 168 Pross, Harry (1972): S. 145. 169 Der Mensch würde demnach durch Einsatz seines kognitiven Sinnesapparates sowie unter Zuhilfenahme seiner diversen Artikulationsmöglichkeiten unmittelbar als Sender und Empfänger auftreten, der durch Sprache oder theatralischen Ausdrucksformen codierte Signale über natürliche Kanäle wie die Luft sendet. 170 Hörisch, Jochen (2001): S. 75. 171 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 22. 172 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 22. 173 Vgl. Hörisch, Jochen (2001): S. 76.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN den Einsatz von Geräten erfordern. Aus historischer Perspektive waren Phonographie und Telefonie die ersten bedeutenden Tertiärmedien, welche heute im Schatten von Film, elektronischen Massenmedien und computergestützter Kommunikation stehen. Die nutzenmaximierende Grundannahme des homo oeconomicus impliziert, dass der Nutzen des Einsatzes primärer, sekundärer oder tertiärer Medien in irgendeiner Weise evaluierbar sein muss, d.h. es muss festgestellt werden können, welcher Bedürfnisbefriedigung sie dienen und wodurch sie ihren relativen Wert erhalten. Um den Nutzen von Medientechnologien aus ökonomischer Sichtweise bestimmen zu können, ist es deshalb sinnvoll, in einer ersten Näherung ›technische Medienfunktionen‹ in elementare Medienfunktionen 174 und aggregierte Medienfunktionen zu unterscheiden. Elementare Medienfunktionen lassen sich an die Funktion der medientechnologischen Bestandteile im Sender, Kanal, Empfänger Schema anlehnen. Aggregierte Medienfunktionen orientieren sich eher an der übergeordneten Funktion, welche Medien erst durch die Kombination ihrer technologischen Bestandteile in der Lage sind auszuführen. Im Folgenden werden jeweils drei grundsätzliche Funktionsar175 ten der beiden Kategorien vorgestellt.
2.1.1 Elementare Medienfunktionen Elementare Medienfunktionen lassen sich am leichtesten als technischer Nutzen von Medien beschreiben, die zur Produktion von Inhalten notwendig sind. Es sind demnach Werkzeugfunktionen, welche vom Menschen für verschiedene Zwecke nutzbar gemacht werden können und deshalb häufig als ›Dienstleistungen‹ angeboten werden. 174 Diese im Folgenden beschriebenen Medienfunktionen sind abstakte Näherungen, welche im Einzelfall für die Betrachtung von Einzelmedien angepasst und gegebenenfalls erweitert werden müssen. Im Verlauf dieser Arbeit dienen sie jedoch dazu, die Nutzendimension des homo oeconomicus in Hinblick auf die mediale Objektschicht genauer zu vermessen. 175 Knut Hickethier unterscheidet lediglich vier grundsätzliche Funktionsarten von Medien: Medien der Beobachtung, Medien der Speicherung und der Bearbeitung, Medien der Übertragung und davon abgesetzt eine »Kombination der drei vorangegangenen«, die er sehr weitreichend als »Medien der Kommunikation« bezeichnet. Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 21f. Die nachfolgenden Beschreibungen für diese Ebenen sind an Hickethier angelehnt. Jedoch wurde die Unterscheidung zwischen elementaren und aggregierten Medienfunktionen eingeführt, um den Begriff der »Medien der Kommunikation«, der bei Hickethier sehr ungenau bleibt, weiter auszudifferenzieren.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN Medien der erweiterten Wahrnehmung dienen der Signalverstärkung und damit der Erweiterung und Leistungssteigerung der menschlichen (Fern-)Sinnesorgane. Hier stehen besonders mechanischen Hilfsmittel im Blickfeld, wie beispielsweise die Brille, das Fernglas, das Teleskop oder das Mikroskop zur Unterstützung der visuellen Wahrnehmung bzw. das Hörrohr oder das Megafon zur 176 auditiven Verstärkung. Medien der Speicherung und der Bearbeitung dienen dazu, Informationen aufzuzeichnen und diese dadurch prinzipiell zeitunabhängig zur Verfügung zu stellen. Medien der Speicherung können somit als ›externes‹ Gedächtnis fungieren, also das ›interne‹ Gedächtnis entlasten. Jedoch bietet die Möglichkeit der Bearbeitung gerade das Potential der Veränderung oder der Manipulation, da die Möglichkeit der Bearbeitung von der Speicherfunktion nicht zu trennen ist. Klassische Medien wie Tontafeln, Papier oder auch Grammofon, 177 Film und Schreibmaschine fallen ebenso in diese Kategorie wie heutige Computer. Medien der Übertragung dienen ausschließlich dem Transport von Signalen, Informationen bzw. Inhalten, richten sich also im Gegensatz zu den Speichermedien eher auf die Überwindung von Raumproblemen mit dem Nebenziel der Beschleunigung dieses Transports. Zu den klassischen Übertragungsmedien gehören demnach Kurierdienste, Brieftauben, Rauchfeuer, elektrische Kabelsysteme, Kabelnetze, Satellitenübertragungssysteme usw. Der ökonomische Mensch nutzt nun diese Medienfunktionen auf unterschiedliche Weise, um verschiedene Kommunikationsbedürfnisse von der Individualkommunikation bis zur Massenkommunika178 Elementare Medienfunktionen erhalten ihren tion zu erfüllen. Wert demnach durch die Leistung, mit welcher sie Signale verstär-
176 Hickethier bezeichnet diese Ebene als »Medien der Beobachtung«, da diese laut Hickethier nur die visuellen und auditiven Fernsinne verstärkten und kaum die taktilen, gustatorischen Wahrnehmungen (wie z.B. die Nahsinne Fühlen, Riechen, Schmecken) tangieren. Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 21. Da diese Binnendifferenz der Medien der Beobachtung durch die Technologien der Virtual Reality, z.B. über Tasthandschuhe oder ähnliches, zunehmend aufweichen können, wird hier der Ausdruck Medien der erweiterten Wahrnehmung bevorzugt. 177 Friedrich Kittler hat für diese Medien den Terminus der »Aufschreibesysteme« geprägt Vgl. Kittler, Friedrich (1987). 178 Die Kommunikationsverhältnisse treten in der Individualkommunikation im Verhältnis 1:1 auf, in der Gruppenkommunikation im Verhältnis N:N oder in der Massenkommunikation im Verhältnis 1:N oder N:1. Vgl. Maier, Matthias (2000): S. 12.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN ken und geeignet sind, Raum und Zeit zu überwinden. Als Ergebnis der Nutzung dieser elementaren Medienfunktionen durch den Menschen entstehen Signale, welche in gebündelter Form Informatio179 nen darstellen, die als Endprodukt aller Medien angesehen wer180 den. Lassen sich diese Informationen zu abgegrenzten Einheiten zusammenfassen, so werden diese meist als »Medieninhalte« beschrieben, welche die aggregierte Funktion der Kommunikation, der Unterhaltung oder der Information ausführen kann. Abgegrenzt werden müssen hierbei die Inhalte der Individualkommunikation, wie beispielsweise die Signale eines Telefongespräches, von den ökonomisch verwertbaren Signalbündeln, welche im ökonomischen Sinne als »Informationsgüter« betrachtet werden. Der Begriff der »Informationsgüter« umspannt die Gegenstände (materielle Informationsgüter/Träger) als auch die von diesen Trägern vermittelten Signale (immaterielle Informationsgüter/Zeichen). Die immateriellen Eigenschaften von Informationsgütern stehen für die angewandte Medienökonomie häufig im Vordergrund, da sich Mediengüter von Sachgütern unterscheiden. Denn Mediengüter als immaterielle Informationen betrachtet, nutzen sich im Gegensatz zu Sachgütern und anderen immateriellen Gütern, wie der Luft, nicht ab. Durch diese Eigenschaft kann eine einmal erstellte Information beliebig häufig verteilt werden, wodurch eine Nichtrivalität im Kon181 sum entsteht. Dieser Vorteil für Informationsgütermärkte wird teilweise dadurch relativiert, dass immaterielle Informationen einem Bewertungsparadoxon unterliegen, da man ihre Qualität erst beurteilen kann, nachdem sie konsumiert wurden. Es ist also sehr schwierig, eine Information vor dem Kauf zu inspizieren, wodurch 182 sie zum Erfahrungs- bzw. Vertrauensgut wird. Als »Informationsgüter« kommen nur die Produkte sekundärer und tertiärer Medien in Betracht, welche nicht das Ergebnis von Individualkommunikationen darstellen. Diesen Informationsgütern werden allgemeine Medien179 Ein technischer Informationsbegriff versteht Information als »irgendein[en] Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied ausmacht« (Gregory Bateson zitiert nach Luhmann, Niklas (1996): S. 39). Je nachdem, welcher Code zur Übersetzung von Signalen in Informationen angewendet wird, können Informationen einen hohen Abstraktionsgrad mit geringer Datendichte besitzen (z.B. der Unterschied zwischen 0 und 1 in binären Systemen) oder auch eine hohe Datendichte und einen geringen Abstraktionsgrad (z.B. in visuellen Systemen). Vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): S. 138. 180 Vgl. Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): S. 36. 181 Vgl. Heinrich, Jürgen (1994): S. 118. 182 Vgl. Preiß, Karina (2000): S. 9.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN funktionen zugeschrieben, welchen dementsprechend Nutzen zugewiesen werden kann. Der daraus entstehende Nutzen wird im Folgenden als ›aggregierte Medienfunktion‹ benannt. Diese komplexen Medienfunktionen entstehen dann, wenn die Einzelfunktionen der Wahrnehmungserweiterung, der Speicherung und Bearbeitung sowie der Vermittlung innerhalb eines Mediengefüges adaptiert werden, um spezielle Medieninhalte zu generieren, welche allgemeinen übergeordneten Medienfunktionen zugeschrieben werden können.
2.1.2 Aggregierte Medienfunktionen Aggregierte Medienfunktionen lassen sich am leichtesten als Nutzen von Medien beschreiben, welcher durch die Bündelung von elementaren Medienfunktionen entsteht. Aggregierte Medienfunktionen verbinden die elementaren Medienfunktionen der Wahrnehmungserweiterung, der Speicherung und Bearbeitung sowie der 183 Übertragung und entwickeln dadurch komplexe mediale Prozesse. Im ökonomischen Kontext entsprechen diese weniger einer Werkzeugfunktion, sondern vielmehr einer Güterfunktion. Dabei stehen allerdings nicht die Betrachtung einzelner ›Inhalte‹ der Medien im Vordergrund, sondern das Resultat aus der eigentlichen Verwendung von Medien in Hinblick auf soziale Netze. Die Kommunikationsfunktion von Medien dient dabei der Aufrechterhaltung individueller und gesellschaftlicher Kommunikation. Wesentlich ist bei der Betrachtung von Medien der Kommunikation die Abgrenzung zu der elementaren Übertragungsfunktion von Signalen. Medien der Kommunikation ermöglichen keine ausschließliche Signalübermittlung, sondern ermöglichen teilweise komplexe 184 Kommunikation in sozialen Netzwerken. Die Kommunikationsfunktion ist dabei nicht auf abgrenzbare oder bündelbare Inhalte gerichtet, sondern auf Medien, welche einen permanenten Austausch von Informationen ermöglichen, wie z.B. das Telefon oder die eMail, aber auch Medien der sozialen Kommunikation, wie Zeitungen oder Nachrichtensendungen.
183 Knut Hickethier schreibt diese Eigenschaft nur der Kommunikationsfunktion von Medien zu (vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 22). Diese Logik wird jedoch im Folgenden auf die aggregierten Medienfunktionen der Unterhaltung und der Bildung übernommen. 184 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 22.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Eine Unterhaltungsfunktion haben Medien insbesondere inner185 halb ihrer freizeitfüllenden Qualitäten. Medien der Unterhaltung, zu denen klassischerweise fiktionale Formate in Form von Bühnenstücken, Romanen, Filmen und Fernsehserien, aber auch Computerspielen gezählt werden können, werden als eindeutigste Mediengüter wahrgenommen, da sie im Gegensatz zu Medien der Kommunikation keinen permanenten Signalfluss darbieten, sondern abgrenzbare Informationsgüter sind. Die Unterhaltungsfunktion eines Mediums ›an sich‹ steht dabei im Zentrum der Betrachtungen und nicht nur dessen spezifischer Inhalt. Schließlich wird Medien eine Bildungsfunktion zugesprochen, welche insbesondere durch die Aufnahme von Informationen und deren Umwandlung in Wissen generiert wird. Medien haben diese Eigenschaft weniger aufgrund der tatsächlich bildenden Inhalte, sondern hauptsächlich, da sie das Wissen einer Gesellschaft (stock of knowledge) durch deren elementare Speicherfunktion über die Zeit sichern, wie dies beispielsweise in Bibliotheken, Archiven etc. der Fall ist. Wesentlich bei der Betrachtung auch dieser Funktion ist, dass auch hier nicht die eigentlich ›bildende Qualität‹ der Inhalte im Vordergrund steht, sondern der Beitrag, den Medien zur Bildung an sich als Gut leisten. Wie im weiteren Verlauf dieser Studie (insbesondere in Teil II) noch stärker thematisiert wird, sind die ›Bewertungen‹ medientechnischer Güter und Dienstleistungen durch Mediennutzer abhängig von dem jeweiligen Handlungskontext der Nutzung. Diese hier vorgeschlagenen übergeordneten Kategorien sind jedoch unabhängig davon, welche Funktion einem Medieninhalt von einem Nutzer tatsächlich zugeordnet wird. So kann ein Film wie beispielsweise »Fahrenheit 9/11« durchaus alle drei Funktionen erfüllen. Entscheidender ist, dass das Medium Kino überhaupt geeignet ist, alle drei Ebenen zu erfüllen und demnach Trennungen, die beispielsweise dem Telefon ausschließlich kommunikative Funktionen zusprechen, dem Kino ausschließlich unterhaltende und der Zeitung ausschließlich informative Funktionen, nicht immer in ihrer Ausschließlichkeit aufrecht erhalten werden können. Diese notwendige Unschärfe wird dadurch ausgelöst, dass Medien im Verlauf ihrer Evolution dazu nei-
185 Medien dienen in dieser Funktion im Sinne Luhmanns der Vernichtung überflüssiger Freizeit: »Sicherlich ist Unterhaltung auch eine Komponente der modernen Freizeitkultur, die mit der Funktion betraut ist, überflüssige Zeit zu vernichten.« Vgl. Luhmann, Niklas (1996): S. 96.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN 186
gen, Funktionen zu akkumulieren. Dies ist oft ein Prozess, der sich über eine lange Zeitspanne vollzieht. So begann beispielsweise der Film als reines Speichermedium und entwarf seine grundlegenden Bearbeitungsfunktionen der Montage erst Jahre später. War er aufgrund seiner materiellen Objekteigenschaften seither auf Distribution durch den herkömmlichen Versand der Filmrollen angewiesen, so entwickelt er eigenständige Übertragungsformen erst heute, nach knapp hundert Jahren Filmgeschichte, da digitale Aufzeichnungstechniken und breitbandige Übertragungskanäle die Entwicklung einer eigenständigen kinematografischen Übertragungsfunktion nahe legen. Diese Akkumulation der Medienfunktionen, welche durch digi187 tale Technologien zunehmend begünstigt wird, kann unter dem 188 Stichwort der »Konvergenz« zusammengefasst werden und veränderte nicht nur die traditionellen Wertschöpfungsketten der Industrie, sondern auch in vielen Hinsichten die Erwartungshaltung der Menschen an moderne Medien, welche häufiger als früher nicht mehr nur einem ausschließlich technologischen Nutzen dienen, sondern mehrere Funktionen aggregieren und zu komplexen Interaktionsstrukturen zusammenführen. Die Konvergenz, welche die elementaren Medienfunktionen technologisch zusammenwachsen lässt, begünstigt dementsprechend auch die Erfüllung verschiedener allgemeiner Medienfunktionen durch dieselben Apparaturen, da beispielsweise moderne Handys in der Lage sind, alle drei hier betrachteten allgemeinen Funktionen, von der Kommunikation, über
186 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 21f. 187 Der Einfluss der Digitalisierung auf Medien als Güter lässt sich anhand der Betrachtungen Nicholas Negropontes exemplarisch zusammenfassen. Negroponte unterscheidet Informationsgüter in »atomar« – physisch vorhanden – und »digital« – in Bits zerlegt. »Bits haben kein Gewicht und bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit. Die Grenzkosten für die Produktion von weiteren Bits sind gleich null. Man benötigt keine Lagerhallen für Bits. Man kann sie verkaufen und gleichzeitig behalten. Das Original und die Kopie sind voneinander nicht zu unterscheiden.« (Nicolas Negroponte in Downes/ Mui 1998, S. X, zitiert nach Zerdick, Axel [Hrsg.] (1999): S. 140). Atomare Informationsgüter sind z.B. Bücher und Zeitschriften, digitale Informationsprodukte, Software oder digitale Fotos. Vgl. Negroponte, Nicolas (1995): S. 9ff. Die Digitalisierung wird dabei zum modernen Kennzeichen von Informationsgütern schlechthin, da alle digitalisierbaren Leistungen als solche zu bezeichnen sind. Vgl. Shapiro, Carl/Varian, Hal (1999): S. 3. 188 »Die grundlegende Bedeutung des Begriffes Konvergenz stammt aus den Bereichen der Mathematik und Medizin. Konvergenz bedeutet demnach Annäherung, Zusammenlaufen, Streben nach demselben Ziel, Übereinstimmung.« Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): S. 129.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN die Information, bis nicht zuletzt zur Unterhaltung, zu erfüllen. Auch die von Pross vorgeschlagenen technischen Medienklassifikation werden in diesem Prozess zunehmend unschärfer, da die fortschreitende Digitalisierung zunehmend alle sekundären Medien wie das gedruckte Wort oder die Fotografie zumindest partiell in tertiäre Medien umwandelt. Auch wenn beispielsweise entwickelte Fotografien ihren sekundären Charakter nicht verlieren, so hat doch die Veränderung der Speichertechnologien dazu geführt, dass sich das Medium Fotografie zu einen erheblichen Anteil in Richtung tertiärer Medien entwickelt hat. Denn digitale Bilder lassen sich wie Jochen Hörisch es humoristisch verpackt, nur am Monitor ansehen, »die 189 Diskette anzusehen ist wenig sinnvoll.« Wie in der Übersichtsgrafik angedeutet ist, hat die technische Konvergenz jedoch unterschiedliche Auswirkungen auf die Unterscheidbarkeit der einzelnen elementaren Medienfunktionen und der allgemeinen Medienfunktionen. Während die technischen Medienfunktionen der Wahrnehmungsverstärkung, der Speicherung und Bearbeitung sowie der Übertragung prinzipiell unterscheidbar bleiben, auch wenn sie von einer Apparatur ausgeführt werden, ist es nicht möglich ausschließlich aufgrund der Betrachtung der technologischen Ebene abzuleiten, welche allgemeine Medienfunktion unter Zuhilfenahme einer Technologie tatsächlich realisiert werden.
Abbildung 3 – Technische Medienfunktionen Die hier dargestellten Eigenschaften der medialen Objektschicht stehen bereits in einem recht starken Spannungsverhältnis zur Neoklassik, da diese eine weitgehend statische Theorie ist und die Apparaturen, Signale und Kanäle, welche konstituierendes Merkmal 189 Vgl. Hörisch, Jochen (2001): S. 76.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN von Medien sind, einen Prozess voraussetzen, der ein Medium überhaupt erst zum Medium macht und es vom Ding unterscheidet. Die ökonomische Sichtweise auf Medien beschränkt sich deshalb auch häufig auf das Endergebnis dieses Prozesses, den Medieninhalt, dem wiederum Funktionen zugeschrieben werden, die hier als aggre190 gierte Medienfunktion beschrieben wurden. Im Folgenden sollen nun die Reichweite dieser Sichtweise auf Medien ausgearbeitet werden und daran verdeutlicht werden, welche Aspekte aus der neoklassischen Sicht ausgeschlossen werden.
2.2 Die Reichweite des neoklassischen Ansatzes zur Betrachtung von Medien Die Reichweite des neoklassische Ansatzes zur Beschreibung von Medien ist durch die Verhaltensannahmen der rationalen Nutzenmaximierung stark begrenzt. Das Postulat der vollständigen Information, welche mit der vollständigen Rationalität einhergeht, negiert jede Rolle, die Medien innerhalb des Marktgeschehens einnehmen könnten. Sie erfüllen damit innerhalb der Neoklassik keinerlei ökonomische Funktion. Dies widerspricht der Grundthese dieses Buches, dass Medien Einfluss auf menschliche Entscheidungen haben. Bevor diesem Sachverhalt jedoch weiteres Augenmerk geschenkt wird, soll vorerst untersucht werden, welche Sichtweise die Neoklassik im Rahmen ihrer Annahmen auf Medien einnehmen kann. Auch wenn Medien keinerlei ökonomische Funktion haben, so können sie im Rahmen des neoklassischen Denkens in ihren Elementarfunktionen als auf Märkten handelbare Werkzeuge und in ihren allgemeinen Funktionen als handelbare Informationsgüter aufgefasst werden, welche von Menschen nutzenmaximierend eingesetzt werden, um ihre Präferenzen zu bedienen. Diese zwei Sichtweisen werden im Folgenden dargestellt.
190 Das bedeutet nicht, dass die Neoklassik nicht in der Lage wäre, auch elementare Medienfunktionen als Güter darzustellen, um beispielsweise Aussagen über die Auswirkungen der Preisveränderung für die Sprachübertragung in Mobilfunknetzen auszuführen. Im Rahmen der bisherigen Medienökonomie dominiert jedoch häufig die Fixierung auf Medieninhalte.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN
2.2.1 Allokation von Medieninhalten als »Marktgüter« Menschen würden, gemäß der in der neoklassischen Theorie beschriebenen Annahmen, Medien genauso wie andere Güter behandeln. Das bedeutet, sie würden in Relation zu gegebenen und konstanten Präferenzen und Präferenzordnungen unter Abhängigkeit von monetären Restriktionen, wie des Preises oder der Einkommensrestriktion, gegeneinander abgewogen. Eine typische neoklassische Fragestellung wäre beispielsweise, wie sich eine Veränderung des Preises oder des Einkommens auf den Konsum auswirkt. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Präferenz ›Bildung‹, welche sich durch die entsprechende aggregierte Medienfunktion bedienen lässt, so wäre eine typische neoklassische Fragestellung, wie sich die Veränderung des Preises oder des Einkommens auf be191 grenzt substituierbare Güter auswirken würde. Für die Befriedigung der Präferenz ›Bildung‹ könnte nun beispielsweise für die Güter Tageszeitung und Wochenzeitschrift ein optimaler Konsumplan erstellt werden, der unter Abhängigkeit eines gegebenen Budgets darstellt, wie ein Haushalt sein Budget optimal zwischen diesen beiden Alternativen aufteilt, um die Präferenz zu erfüllen. Diese Vorgehensweise setzt jedoch vollständige Information voraus, da der Nutzer bereits wissen muss, welche Informationen innerhalb des Mediums qualitativ am besten zur Befriedigung seiner Bedürfnisse geeignet sind. Dies widerspricht jedoch der grundlegenden Eigenschaft von Informationsgütern, da sie einem Informationsbewertungsparadoxon unterliegen und nicht vor ihrer Rezeption bewertet werden können. Diese Paradoxie der Neoklassik in Bezug auf Medien liegt in dem Problem begründet, dass die Neoklassik die Entstehung des Nutzens nicht als Prozess begreift, sondern ihn mehr oder weniger durch die Markttransaktion (den Kaufakt) als gegeben ansieht. Diese zeitliche Gleichsetzung von Kauftransaktion und Nutzenherstellung ist jedoch bei keiner der Medienfunktionen gegeben. Da der Einsatz von Medien, wie im vorigen Abschnitt dargestellt wurde, zwangsläufig immer dem Prozess unterliegt, durch den Einsatz elementarer Medienfunktionen allgemeine Medienfunktionen zu generieren, ist die
191 Begrenzt substituierbar bedeutet, dass ein Haushalt beide Produkte einsetzen (substituieren) kann und will um die Präferenz ›Bildung‹ zu erfüllen. Wäre dem Haushalt eine der beiden Varianten genug, so wären die Güter vollständig substituierbar.
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN Zeitpunktanalyse der Neoklassik problematisch und kann nur unter Einbeziehung einer weiteren Restriktion gelöst werden, die an die Seite der traditionellen neoklassischen Restriktionen tritt, der Zeit.
2.2.2 Die Zeitrestriktion bei der Nutzung von Medien Eine besonders für den Bereich der Medien elementare Erweiterung der Beschränkung des monetären Ansatzes wurde durch Gary Beckers Entwicklung des »Haushalts-Produktionsfunktions-Ansat192 zes« erreicht. Beckers Ansatz ist die logische Schlussfolgerung aus der Ausweitung der ökonomischen Verhaltensannahmen auch auf Nicht-Marktbereiche. Becker unterstellt, dass Haushalte nicht nur konsumieren, sondern ›kleine Fabriken‹ sind, die Investitionsgüter, Rohstoffe, Arbeit und Zeit nutzenmaximierend in die Produktion 193 Aufbauend auf der »Theorie der nützlicher Güter investieren. Wahlhandlungen« beschreibt Becker das nutzenmaximierende Verhalten auf Basis Jeremy Benthams »elementarer Freuden«, nach denen sich die stabilen Präferenzen ausrichten, welche über Preise koordiniert werden. Die gleichzeitige Interpretation des Konsums als Austausch von Geld gegen Medientechnologien oder Inhalte einerseits und sofortigen Nutzenerwerb aus diesen Gütern andererseits, ist bei Betrachtung von Medien nicht hilfreich. Denn eine solche Interpretation des Konsums wirft kein Licht auf die Frage, ob sich der Nutzen aus dem Erwerb, aus dem Besitz oder aus dem Gebrauch der ge194 kauften Sache ableitet. Erst durch Integration der zusätzlichen Restriktion des Schattenpreises der eingesetzten Zeit lässt sich zumindest der Güterpreis des ›Dings‹ Medium auf einen ›Gesamtpreis‹ der Nutzung erweitern (bei einem Kinofilm beispielsweise Eintrittspreis 195 und aufgewendete Zeit).
192 Becker baute u. a. auf den Arbeiten von Bentham und Marshall auf. »Der von der Haushaltsproduktionsfunktion ausgehende Ansatz zur Erklärung des Konsumentenverhaltens übernimmt den Gedanken der häuslichen Produktion, weitet ihn aber so aus, daß alle Nichtmarkt-Aktivitäten einbezogen werden, und er mißt den technischen Aspekten einer Mehr-Güter-Produktion größere Bedeutung zu. Vgl. Becker, Gary S./Michael, Robert T. (1973): S. 154. 193 Vgl. Becker, Gary S. (1965): S. 101. 194 Vgl. Becker, Gary S./Michael, Robert T. (1973): S. 153. 195 »Die Preise der (vom Haushalt produzierten) Güter werden durch die Summe der Kosten ihrer Zeit- und Güter-Inputs gemessen.« Vgl. Becker, Gary S. (1965): S. 129.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Demnach verfügt jedes Individuum nicht nur über ein maximales Zeitbudget, das es mit höchstmöglichem Nutzen zu konsumieren 196 gilt, sondern der Nutzen generiert sich aus einem elementaren Gut, welches der Konsument über den Einsatz von Marktgütern und Zeit 197 produziert. Beispielsweise stellt eine erworbene Zeitung noch keinen Nutzen an sich dar. Erst wenn zusätzlich Zeit ›investiert‹ wird, um sie zu lesen, entsteht der Nutzen des Gutes, wie in der folgenden Zeichnung schematisch dargestellt ist:
Abbildung 4 – Kombination von Marktgut und Zeit zu elementarem Medien-Gut Das Budget von wirtschaftlichen Akteuren ist dementsprechend nicht mehr nur durch das Einkommen, sondern auch durch die 198 199 Kosten der Zeit, dem so genannten »Schattenpreis«, begrenzt.
196 Becker definiert diese elementaren Güter (commodities) nicht exakt, grenzt sie aber von den Marktgütern (goods) ab. In der Tradition von Jeremy Benthams »elementaren Freuden« geht er davon aus, dass diese Freuden teilweise durch am Markt erworbene Güter »produziert« werden. Als Beispiel dient ihm der Schlaf, welchen er als elementares Gut abhängig von den Marktgütern Bett, Haus, etc. und der Zeit als Input abhängig macht. Vgl. Becker, Gary S. (1965): S. 100 und Becker, Gary S./Michael, Robert T. (1973): S. 153. 197 »Es wird angenommen, daß die Haushalte Zeit und Güter kombinieren, um elementare Güter zu produzieren, die unmittelbar in ihre Nutzenfunktion eingehen.« Becker, Gary S. (1965): S. 100. 198 Der Preis der Zeit, den man beispielsweise für das Lesen der Zeitung ›zahlen‹ muss, misst sich am Schattenpreis der aufgewendeten Zeit. Diese Schattenpreise stellen die Opportunitätskosten einer wirtschaftlichen Entscheidung dar. Der Gesamtpreis des vom Haushalt produzierten Gutes ›Informationen
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2. NEOKLASSISCHER HOMO OECONOMICUS UND MEDIEN Diese monetären und zeitlichen Restriktionen können somit als Ge200 samtrestriktion des (Medien-)Konsums angegeben werden. Um diese gesamte Ressourcenrestriktion ökonomisch abzubilden, bindet Becker die Kosten der Zeit an das monetäre Einkommen einer Person. Gemäß der traditionellen Einteilung von Arbeitszeit und Freizeit würde die Gesamtressourcen-Restriktion dabei dem »vollen Einkommen« entsprechen, »wenn die gesamte Zeit und alle anderen Ressourcen des Haushalts der Erzielung von Einkommen gewidmet 201 würden [...]«. Diese Modellannahme ermöglicht es, den Wert der Zeit an das Einkommen des Wirtschaftssubjektes zu koppeln, »weil Zeit durch monetäres Einkommen in Güter umgesetzt werden 202 kann.« Zeit und Geld sind somit absolut austauschbare Komple203 mentärgüter. Zeit wird somit zur kostenintensiven Größe in die ökonomische Theorie eingebettet, bleibt aber strikt einer monetären Logik zugeordnet. Legt man die Annahmen des Produktions-Funktions-Ansatzes zugrunde, so bleiben die ursprünglichen Annahmen der Nutzenmaximierung in konkurrierenden Möglichkeiten unter Einfluss der gegebenen Restriktionen zunächst unangetastet. Beispielsweise bliebe die These, dass die Präferenz ›Bildung‹ unter der zusätzlichen Zeitrestriktion eine Verschiebung zugunsten der Zeitschrift (für die man nur einmal pro Woche Zeit aufwenden muss) bestehen, wenn es nur um die Betrachtung monetärer Anreize ginge. Unterstellt man jedoch, dass ›Bildung‹ im Sinne des Haushalts-Produktionsfunk-
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durch Zeitungslesen‹ bemisst sich demnach aus der Summe der Kosten des Marktgutes Zeitung und den Opportunitätskosten der Zeit des Zeitungslesens. Diese Begrenzung ist im wirtschaftlichen Sinne sogar elementarer als die monetäre Restriktion, denn im Gegensatz zu finanziellen Mitteln ist die Zeit der Wirtschaftsakteure, wie oben beschrieben, immer begrenzt: »Time constrains human activity more firmly than does money since it inevitably passes and subjects everyone to its passage.« Lash, Scott/Urry, John (1994): S. 226. Vgl. Becker, Gary S. (1965): S. 103. Becker, Gary S. (1965): S. 104. Becker gesteht seinem ›Modellmenschen‹ zu, dass er Zeit zur Regeneration aufwenden muss: »Natürlich würde gewöhnlich nicht die ganze Zeit »bei der« Arbeit verbracht; Schlaf, Nahrung, sogar Muße sind notwendige Voraussetzungen für Effizienz, und eine gewisse Zeit müßte ebenso wie andere Aktivitäten eingesetzt werden, um das monetäre Einkommen zu maximieren.« Becker, Gary S. (1965): S. 104. Becker, Gary S. (1965): S. 104. »Preise, seien dies die Geldpreise des Marktsektors oder die unterstellten »Schatten«-Preise des Nicht-Marktbereiches, messen die Opportunitätskosten des Einsatzes knapper Ressourcen, und der ökonomische Ansatz macht für die Reaktion auf »Schattenpreise« die gleichen Vorraussagen wie für die Reaktion auf Marktpreise.« Becker, Gary S. (1965): S. 5.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN tions-Ansatzes vom ökonomischen Akteur ›produziert‹ wird, um ›Bildung‹ in das Humankapital zur Generierung weiterer ›Produktionen‹ einfließen zu lassen (beispielsweise um Anschlussfähigkeit für den Beruf oder private Konversation herzustellen), so betritt man folgerichtig das Feld der sozialen Wechselwirkungen und verlässt die Betrachtung von Medien als rein dingliche Güter, welches im Rahmen der traditionellen Neoklassik nicht mehr analysiert werden kann und deshalb in Teil II ausgeführt wird.
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»Ich habe versucht, darzulegen, welch tiefgreifenden Einfluß das Kommunikationswesen auf die Kultur des Abendlandes hatte und daß merkliche Veränderungen bei den Kommunikationsmitteln weitreichende Auswirkungen zeitigten.« Harold A. Innis
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3. D E R M E D I E N Ö K O N O M I S C H E C O D E I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Das homo oeconomicus Konzept, wie es hier beschrieben wurde, bildet ein Set abstrahierter Verhaltensannahmen, welches als Grundlage ökonomischer Modelle zum Einsatz kommt. Es wurde dargelegt, dass die Wirtschaftswissenschaften diese Verhaltensannahmen Schritt für Schritt aus den ganzheitlichen Menschenbildern abendländischer Tradition herausgelöst haben und stets bemüht waren, einen Kern menschlichen Verhaltens zu entwickeln, der so weit reduziert werden kann, dass er sich zur modellhaften (mathematischen) Analyse von Entscheidungssituationen anbietet. Wie weiter gezeigt wurde, reduzieren die restriktiven Verhaltensannahmen der neoklassischen Theorie nicht nur das theoretische Verhalten von Menschen, sondern beschneiden auch die Betrachtung der Medien auf eine Informationsgüterperspektive, wodurch eine Rolle der Medien im eigentlichen Wirtschaftsprozess des Marktgeschehens ausgeschlossen wird. Die medienökonomische Perspektive, welche in dieser Studie verfolgt wird, setzt jedoch genau an dem Punkt an, den die Neoklassik ausschließt. Gesteht man Medien eine Rolle im Marktprozess zu, so folgt daraus, dass Medien dementsprechend ›zwischen‹ dem Menschen und seinen wirtschaftlichen Handlungen stehen. Um dieses Verhältnis zwischen ökonomischem Menschen und Medien zu verdeutlichen, wird im folgenden Kapitel zuerst das historische Verhältnis von Medienfunktionen als Teil des Handlungsraumes des Menschen beschrieben. Darauf aufbauend werden die Grundannahmen einer an Medientechnik orientierten
204 Innis, Harold A. (1947): S. 69.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Medientheorie beschrieben, welche auf den Werken Harold Innis und Marshall McLuhans beruht, wodurch das ursprüngliche Spannungsverhältnis dieser Arbeit wieder aufgegriffen wird, um den ersten Teil dieser Untersuchung abzuschließen und die Defizite des traditionellen homo oeconomicus im Hinblick auf Medien zu resümieren.
3.1 Medienfunktion in der Wirtschaftsgeschichte Die Verbindung von ökonomischen Fragestellungen und Medien ist sehr viel älter, als es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften normalerweise reflektiert wird. Aus medienwissenschaftlicher Sicht ist dies einigermaßen erstaunlich, da der unpersönliche Tausch als eigentlicher Kern dessen, was heute im Zentrum der Wirtschaftswissenschaften steht, nicht ohne die Erfindung und Nutzung von Medien möglich ist. Die ökonomische Erklärung für die Entstehung unpersönlichen Handels, welcher durch die erste ökonomische Revolution entstand, beschränkt sich dabei auf das Medium Geld. Jedoch zeigt sich selbst bei oberflächlicher Betrachtung der Wirtschaftsgeschichte, dass der unpersönliche Handel mit dem Aufkommen der ersten sekundären Medien zusammenfällt und die Zusammenhänge zwischen Medien und Wirtschaft von grundlegender Natur sind. Der Wirtschaftshistoriker Harold A. Innis untersuchte in dem von ihm initiierten Projekt »The Culture of Communications« den Einfluss von Kommunikationsmitteln auf die abendländische Kultur. Innis' Augenmerk richtet sich dabei hauptsächlich auf die Implikationen elementarer Medienfunktionen für Gesellschaften. Innis ist erst verhältnismäßig spät, in den letzten 10 Jahren seines Lebens, 205 zur Auseinandersetzung mit Kommunikationsmitteln gekommen. In seiner vorigen Laufbahn betrachtete er u. a. die historischen Auswirkungen von nationalen Transportwegen auf die kanadische Wirtschaft. In seinen Studien stellte er fest, dass die Haupthandelsgüter Kanadas wesentlich von den Transportwegen beeinflusst wur206 den. Im noch nicht erschlossenen Kanada des 19. Jahrhunderts dominierte auf dem Landweg der Fellhandel, da Felle leicht zu transportieren waren und auf dem Wasserweg der Holzhandel. Dies änderte sich erst mit dem Bau der ersten Bahnstrecken, welche die 205 Vgl. Heyer, Paul (2003): S. XII. 206 Vgl. exemplarisch: Innis, Harold A. (1923); ders. (1930).
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN 207
kanadische Wirtschaft nachhaltig veränderten. Innis entwickelte aus diesen Beobachtungen seine Hauptthese, dass die Handelskanäle, durch welche Wirtschaft im eigentlichen Sinne betrieben wird, das beeinflussen (in seinen Augen sogar determinieren), was überhaupt als Gut gehandelt werden kann. Von diesen Handels- und Transportwegen, den »trade-routes of the external world«, wandte er sich in seinen späteren Werken dem Einfluss von Kommunikationstechnologien, den »trade-routes of the 208 mind«, auf gesellschaftliche Konfigurationen zu. Dabei maß er den Medientechnologien eine äußerst dominante Rolle für die Ausprägung kultureller Tendenzen (biases) bei, die er wie folgt umriss: »Jedes einzelne Kommunikationsmittel spielt eine bedeutende Rolle bei der Verteilung von Wissen in Zeit und Raum, und es ist notwendig, sich mit seinen Charakteristiken auseinanderzusetzen, will man seinen Einfluß auf den jeweiligen kulturellen Schauplatz richtig beurteilen. Je nach seinen Eigenschaften kann solch ein Medium sich entweder besser für die zeitliche als für die räumliche Wissensverbreitung eignen, besonders wenn es schwer, dauerhaft und schlecht zu transportieren ist, oder aber umgekehrt eher für die räumliche als für die zeitliche Wissensverbreitung taugen, besonders wenn es leicht und gut zu transportieren ist. An seiner relativen Betonung von Zeit oder Raum zeigt sich deutlich seine Ausrichtung auf 209 die Kultur, in die es eingebettet ist.« Innis beschreibt in seinem Buch »The Bias of Communication« die Entstehung von Wissensmonopolen und ihrer jeweiligen Institutionalisierung innerhalb der Gesellschaft als ständigen Widerstreit zwischen Zentralisierung (zeitlich gebundene Wissensverbreitung) und Dezentralisierung (räumlich gebundene Wissensverbreitung). »Damit hat Innis den Gedanken formuliert, daß Medien nicht gegeneinander isoliert fungieren, sondern vielmehr geschichtlich wie systematisch aufeinander bezogen sind, was durch das Beispiel Schrift/Schriftlichkeit gut belegbar 210 ist.« Das technische Apriori, von dem auch Innis ausgeht, zeichnet er dementsprechend am Übergang von der oralen Kultur zur Schriftkultur nach, welche durch Veränderungen innerhalb der Trägertechnologien der Schrift in mehreren Stufen von Steintafeln und Pa-
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Vgl. Heyer, Paul (2003): S. 15. zitiert nach Barck, Karlheinz (1997): S. 4. Innis, Harold A. (1949): S. 95. Barck, Karlheinz (1997): S. 6. McLuhan wird diese These später in seiner Idee aufgreifen, dass jedes Medium ein anderes beinhaltet.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN 211
pyrus als Grundlage der Imperien des Altertums, über Papier als Grundlage der religiösen Dominanz innerhalb Europas und schließlich über die Durchsetzung der Wissenschaft durch die Erfindung der Druckerpresse verlief. So operierte beispielsweise der altägyptische Staat mit in Stein gemeißelten Hieroglyphen, wodurch ein hohes Maß an zeitlicher Kontinuität gewährleistet wurde, jedoch der räumliche Transport durch das Trägermaterial erschwert war. Die Einführung des Papyrus steigerte zwar die Flexibilität der Wissensverbreitung im jüngeren Ägypten, sorgte jedoch für die Erosion der pharaonischen Gottesgleichheit. Auf Basis von Pergament- und Papiertechnologien wurde eine flexibilisierte Anwendung der Schriftmacht möglich, die sowohl zeitliche als auch räumliche Ausdehnung von Wissen erlaubte und damit nicht nur dem Römischen Imperium, sondern auch der katholischen Kirche zur Expansion ihres Einflussbereiches verhalf. Die Verfügungsrechte und das Wissen über die Schrift sorgten für ein theokratisches Monopol über das Medium Schrift und die damit einhergehenden Machtstrukturen. Erst die Innovation der Druckerpresse störte das komplexe Gleichgewicht der Schriftmacht der Kirche fundamental und forcierte laut Innis die Reformation, den Nationalstaat und die Ausbreitung der bürgerlichen Gesellschaft in alle Bereiche des öffentlichen Raums. Innis beschreibt diesen Einfluss der Kommunikationsmedien auf die politische Organisation als »bias of communication«, als Tendenz, welche die angewandten Medientechnologien auf die jeweilige Gesell212 schaftsform haben. Das Aufkommen der Schriftkultur lässt sich bei Innis durchaus in Zusammenhang mit den Ursprüngen des ökonomischen Menschen betrachten, da Innis die Erfindung der Schrift mit dem ursprünglichen Prozess der Individualisierung in Verbindung bringt. »Schriftzeitalter waren im wesentlichen egozentrische Zeitalter. Die Energien, die für das Meistern der Schreibkunst aufgebracht werden mußten, ließen wenig Raum dafür, die Auswirkungen dieser Technik 213 zu überdenken.« Dabei ist jedoch zu beachten, dass die weiten
211 Vgl. Innis, Harold A. (1950|1972). 212 Den Arbeiten Innis wird oft das hohe Maß der Generalisierung und der in ihnen vorhandene technologische Determinismus vorgeworfen (vgl. exemplarisch Beck, Klaus (1994): S. 174). Analog zum Vorwurf der Realitätsferne des homo oeconomicus zielt, dieser im Detail sicherlich diskussionswürdige Einwand an der Tatsache vorbei, dass die Zusammenhänge, die Innis beschreibt, auch und vielleicht besonders in der Medienökonomie noch nicht ausreichend Betrachtung gefunden haben. 213 Innis, Harold A. (1947): S. 75, vgl. S. 74.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Bögen, die Innis in seinen Argumentationen leichtfüßig, Kritiker sa214 gen unzulässig, schlägt, weniger der vollständigen Analyse eines medialen Sachverhaltes dienen, als vielmehr dem grundsätzlichen Aufzeigen von Zusammenhängen von Medien und historischen Ereignissen, wie folgendes Beispiel über die historische Auswirkungen der Sprache verdeutlicht: »Dem Römischen Reich gelang es, die entzweiende Wirkung der griechischen und lateinischen Sprache unter Kontrolle zu bringen. Die Unfähigkeit, sich die griechische Kultur zu eigen zu machen, zeigte sich in der Verlegung der Hauptstadt von Rom nach Konstantinopel; und die Zähigkeit der griechischen Sprache und Kultur unterstützte das Byzantinische Reich bis zum Jahre 1453. Unter dem Druck der Umgangssprache verschwand Griechisch in Rom, ebenso Latein aus Konstantinopel. Das Alphabet hatte sich als zu flexibel und als zu anpassungsfähig an die Sprache erwiesen. Sprache erwies sich als zäher denn Waffengewalt. Die Geschichte des Abendlandes ist daher auch eine Geschichte der Anpassung 215 von Herrschaft an die Sprache.« Da Innis der Medientechnologie eine solch elementare Rolle innerhalb der historischen Entwicklung zugesteht, nimmt er eine andere Ausgangshaltung zum Menschen ein, als es ein neoklassisches Modell zulassen würde. Paul Heyer schreibt dazu: »The historical approach Innis employed, both in his economic and his later communication studies, is one in which individuals, almost in a Marxian sense, are the agents of broader institutional patterns and processes, 216 but not completely.« Der Verlauf der technologischen Entwicklung folgt in Innis' Arbeiten jedoch keiner historischen Gesetzmäßigkeit, wie es die Auffassung Marx tat. Innis wollte vielmehr zeigen, dass die Kommunikationswerkzeuge, welche Menschen einsetzen, nicht 217 ohne wissenschaftliche Betrachtung bleiben dürfen. Diese Auffassung unterstützte auch Harold Innis' Schüler Marshall McLuhan, welcher die Zusammenhänge zwischen Mensch und Medien zu einem Gedankengebäude erweiterte, das Konzeptes eines »medialen 218 entwirft, in welchem Medien als Ausweitung des Menschen« menschlichen Körpers beschrieben werden. 214 Beck spricht von »empirisch zum Teil äußerst fragwürdigen, monokausalen Erklärungen«. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 174. 215 Innis, Harold A. (1947): S. 79f. 216 Heyer, Paul (2003): S. 13. 217 Siehe Anfangszitat dieses Kapitels. 218 Dieser Ausdruck wurde nicht von McLuhan benutzt, aber seinem Konzept oft zugeschrieben. Vgl. Wiegerling, Klaus (1998): S. 135.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN
3.2 Medien als Ausweitung des menschlichen Sinnesapparates McLuhans grundlegende Geisteshaltung ist es, dass sich die Gesellschaft – ganz im Sinne Innis – mehr mit ihren Kommunikationsmitteln auseinandersetzen muss, um ihr Verständnis und auch ihre Wahrnehmung an die Umgebung neuer Medien anzupassen. McLuhans zentrale These zum besseren Verständnis von Medien ist die Auffassung, dass alle Medien als Ausweitungen des menschlichen 219 Körpers verstanden werden müssen. Als solche »Ausweitungen« verstärken Medien in McLuhans Theorie die Leistungsfähigkeit und die Wahrnehmung des Menschen. Da McLuhan einen extrem weiten Medienbegriff anlegt, begreift er »das Rad« als Ausweitung des Fußes, oder »Kleidung« als Ausweitung der Haut, ebenso wie das Radio 220 als Ausweitung des Gehörs. Eine Trennung zwischen technologischen Ausweitungen im Allgemeinen und medientechnologischen Ausweitungen im Speziellen lässt sich innerhalb seiner Argumentation am ehesten entlang der erweiterten Teile des menschlichen Körpers ausmachen. Während Technik als Ausweitung des menschlichen Körpers im Allgemeinen bezeichnet werden kann, erweitern analoge Medien nach McLuhan die menschlichen Sinnesorgane und elektronische Medien das zentrale Nervensystem des Menschen. Die Erklärung der spezifischen Wirkung von Medien auf die Sinnesorgane liefert McLuhan fragmentarisch und in einer recht eigenwilligen Terminologie, wodurch es zumindest teilweise schwierig ist, diese knapp und kohärent wiederzugeben. So unterscheidet er zwischen »heißen« und »kalten« Medien, welche den Sinnesapparat des Menschen in verschiedenem Umfang und verschiedener Intensität fordern. »Ein »heißes« Medium ist eines, das nur einen der Sinne allein erweitert, und zwar bis etwas »detailreich« ist. Detailreichtum ist der Zustand, viele Daten oder Einzelheiten aufzuweisen. Eine Fotografie ist optisch »detailreich«. Eine Karikatur ist »detailarm«, und zwar einfach, weil wenig optisches Informationsmaterial zur Verfügung steht. [...] Und die Sprache ist ein kühles Medium, weil so wenig geboten wird und so viel vom Zuhörer ergänzt werden muß. Andererseits fordern heiße
219 »All media are extensions of some human faculty – psychic or physical.« McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 26. 220 Vgl. McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 27f; McLuhan, Marshall (1968): S. 502.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Medien vom Publikum eine geringe Beteiligung oder Vervollständigung. Heiße Medien verlangen daher nur in geringem Maße persönliche Beteiligung, aber kühle Medien in hohem Grade persönliche Beteiligung oder Vervollständigung 221 durch das Publikum.« Kühle Medien, wie beispielsweise das Fernsehen, neigen dementsprechend dazu, häufig nicht nur einen Sinn anzusprechen, sondern das Zusammenspiel mehrerer Sinne einzufordern, was McLuhan als »taktil« beschreibt. »Die meisten technischen Formen bewirken eine Verstärkung, die in ihrer Trennung der Sinne deutlich wird. Das Radio ist eine Erweiterung des Gehörs, die sehr naturgetreue Fotografie erweitert den Gesichtssinn. Aber das Fernsehen ist vor allem eine Erweiterung des Tastsinns, der ein optimales Wechselspiel der 222 Sinne mit sich bringt.« Die Art und Weise, wie Medientechnologien dieses Wechselspiel der Sinne beeinflussen, ist nach McLuhan wesentlich entscheidender, als die Inhalte, die von den Medien übertragen werden, gerade weil die eigentlichen Medientechnologien in der Wahrnehmung des Menschen hinter die Inhalte zurücktreten: »Die Wirkung des Films ist ohne Beziehung zu seinem Programminhalt. Der Inhalt von Geschriebenem oder Gedrucktem ist Sprache, aber der Leser ist sich des Drucks oder der Sprache fast gar nicht 223 bewußt.« Die Annahme, dass die eigentlichen Medientechnologien im Bewussten des Menschen zurücktreten, jedwede menschliche Wahrnehmung jedoch durch ihr technisches Verhältnis zu den Sinnen beeinflussen, ist die Kernaussage für McLuhans vielzitiertes Diktum 224 »Das Medium ist die Botschaft«: »Denn die »Botschaft« jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos 225 oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.« Vom
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McLuhan, Marshall (1968): S. 44f. McLuhan, Marshall (1968): S. 502. McLuhan, Marshall (1968): S. 38. Siehe besonders Kapitel 1 aus McLuhan, Marshall (1968): S. 21-43. McLuhan, Marshall (1968): S. 23. Fast alle Kommunikationswissenschaftler machen McLuhan und dessen theoretischen Nachfolgern den Vorwurf, dass Inhalte dementsprechend unwesentlich für die Betrachtung von Medien seien. Wesentlich für McLuhans Argumentation ist jedoch, dass Inhalte an kürzere Zeitperioden und häufig an Ereignisse geknüpft sind und deshalb laut McLuhan »blind« gegenüber der eigentlichen »Wesensart des Mediums« machen (McLuhan, Marshall (1968): S. 23). Die Argumentation zielt bei McLuhan jedoch auf grundlegende Effekte von sich langfristig wandelnden Medientechnologien und damit auf die technische Evolution dessen, was im vorigen Kapitel als elementare Medienfunktionen beschrieben wurde.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Menschen ausgelöste Veränderungen in den Medientechnologien bewirken demnach bei McLuhan nicht nur den auch von Innis beschriebenen Wandel der gesellschaftlichen, kulturellen oder politi226 schen Landschaft, sondern auch einen Wandel in den Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen der Individuen, da Medien in der Lage sind, das Verhältnis der Sinne zur Weltwahrnehmung zu ver227 ändern: »Physiologisch wird der Mensch bei normaler Verwendung seiner technischen Mittel (oder seines vielseitig erweiterten Körpers) dauernd durch sie verändert und findet seinerseits immer wieder 228 neue Wege, um seine Technik zu verändern.« Die Beschreibung der Auswirkungen dieses medialen Einflusses auf den Menschen, zieht sich als roter Faden durch das Werk McLuhans. So beschreibt er in seinen früheren Werken »The Mechanical 229 Bride – Folklore of Industrial Man« (1951) sowie »The Gutenberg Galaxy – The Making of Typographic Man« (1962), das er selbst als Fußnote zur Arbeit von Harold Innis bezeichnete, den Weg des Menschen in die lineare Zeit des Buchdruckes. Im Allgemeinen lässt sich McLuhans Argumentation in diesen Werken als Versuch zusammenfassen, die Auswirkungen des Buchdrucks auf die menschliche Gesellschaft zu beschreiben. Die Drucktechnik, welche als heißes 230 Medium nur einen Sinn, den »Gesichtssinn« , erweitert, drängt dem
226 McLuhan beschreibt die umfassende gesellschaftliche Wirkung von neuen Technologien am Beispiel der Eisenbahn. »Die Eisenbahn hat der menschlichen Gesellschaft nicht Bewegung, Transport oder das Rad oder die Straße gebracht, sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert und beschleunigt und damit vollkommen neue Arten von Städten und neue Arten der Arbeit und Freizeit geschaffen. Und das traf zu, ob nun die Eisenbahn in einer tropischen oder nördlichen Umgebung fuhr, und ist völlig unabhängig von der Fracht oder dem Inhalt des Mediums Eisenbahn.« McLuhan, Marshall (1968): S. 23. 227 Wie er im Zitat beschreibt, welches bereits als Ausgangslage dieser Arbeit diente: »Media, by altering the environment, evoke in us unique ratios of sense perceptions. The extension of any one sense alters the way we think and act – the way we perceive the world. When these ratios change, men change.« McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 41. 228 McLuhan, Marshall (1968): S. 81. 229 Der Untertitel des Buches »The Mechanical Bride« verweist auf McLuhans Ansicht, dass die Sichtweise auf den Menschen stets an die jeweils dominanten Medien geknüpft ist: »We think of folklore as the beliefs, customs, and values passed down among a people through media such as tales and songs. It is of and for the people. McLuhan concluded the folklore of our society is determined, not by education or religion, but by mass media.« Meggs, Philip B. (2002). 230 McLuhans Bezeichnungen der Sinne sind nicht alltagstauglich. Während er den bereits zitierten »Tastsinn« im Sinne des Zusammenspiels verschiedener
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN menschlichen Denken die Prinzipien der Technologie der von McLuhan benannten »Gutenberg-Galaxis« auf: 1. die Linearisierung 231 und 2. die Zerlegung. Das Prinzip, dass jeder Text einen Anfang und eine Ende haben muss und im Gegensatz beispielsweise zu Bildmedien stets nur einen Sachverhalt zu einem Zeitpunkt verhandeln kann, geht demnach als Kulturtechnik in jedwedes menschliches Handeln ein. Hervorzuheben ist hierbei, dass sowohl die Linearisierung als auch die abstrakte Zerlegung bereits vorhandene Prinzipien waren, welche durch die Erfindung der Uhrzeit und des 232 Alphabets eingeführt wurden. Jedoch führte die Massentauglichkeit des Buchdrucks dazu, dass diese Prinzipien zur dominanten Kulturtechnik der Gutenberg-Galaxis wurden. McLuhan nimmt somit die These von Harold Innis wieder auf, dass Medien nicht isoliert voneinander existieren, sondern in einer historischen Kontinuitätsbeziehung stehen, in welcher jedes neue Medium ein anderes (häufig älteres) ›enthalte‹. »Die Wirkung des Mediums wird gerade deswegen so stark und eindringlich, weil es wieder ein Medium zum Inhalt hat. Der Inhalt des Films ist ein Ro233 man, ein Schauspiel oder eine Oper.« Aus dieser Sichtweise folgt jedoch laut McLuhan auch, dass Individuen und auch Gesellschaften, die mit neuen Medien konfrontiert werden, diese aus Sicht der nahen Vergangenheit betrachten und deshalb vorerst auch nur limitiert einsetzen können: »In the name of »progress,« our official cul234 ture is striving to force the new media to do the work of the old.«
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Sinne bezeichnet, ist der »Gesichtsinn« hauptsächlich dem Sehen zugeordnet. »Visuell« bedeutet jedoch bei McLuhan nicht den einfachen Vorgang des Sehens, sondern die lineare und separierte Betrachtung von Zusammenhängen, welche die Schrift beim Menschen durch Fokussierung des Gesichtssinnes auslöst. Vgl. Horrocks, Christopher (2000): S. 77; Wiegerling, Klaus (1998): S. 134. Vom Standpunkt McLuhans technologischer Determination ließe sich somit argumentieren, dass die Gutenberg-Galaxis die Logik der epochalen Moderne prägte, wodurch auch das wirtschaftswissenschaftliche Denken ein Produkt derselben darstellt. Vom Prinzip der Abstraktion als Grundlage des ökonomischen Denkens, über die Formationen des Nationalstaates als Basis für die Überlegungen Adam Smiths, über das Zerlegen der Arbeitstechnologien des Scientific Management im mechanischen Zeitalter – alles lässt sich in McLuhans Welt auf ein Schlüsselmedium zurückführen: das gedruckte Buch. McLuhan unterscheidet deshalb auch zwischen »Alphabetic Man«, der ›lediglich‹ die Auswirkungen des Alphabets in sich trägt und dem »Gutenberg Man«, der durch die Druckerpresse technisch determiniert ist. Vgl. Eco, Umberto (1967): S. 252. McLuhan, Marshall (1968): S. 38. McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 81.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN Individuen würden neue Entwicklungen demnach durch einen 235 »Rückspiegel« wahrnehmen. So wurde das Auto bei seiner Ankunft aus Sichtweise des Pferdewagen interpretiert und so hat das Fernsehen zuerst den Film und das Theater ›aufgenommen‹, bevor es eigenständige Formate entwickelte, welche die Fähigkeiten des neuen Mediums vollständig nutzten. Das Aufkommen der elektronischen Medien interpretiert McLuhan schließlich als Vollendung des Ausweitungsprozesses des Menschen, da er in seinem Hauptwerk »Understanding Media – The Extension of Man« (1964) elektronische Medien nicht mehr nur als Ausweitung menschlicher Extremitäten oder Sinnesorgane betrachtet, sondern als Ausweitung des menschlichen Nervensystems, welches durch elektronische Medien gewissermaßen externalisiert wird. »In den Jahrhunderten der Mechanisierung hatten wir unseren Körper in den Raum hinaus ausgeweitet. Heute, nach mehr als einem Jahrhundert der Technik und Elektrizität, haben wir sogar das Zentralnervensystem zu einem weltumspannenden Netz ausgeweitet und damit, soweit es unseren Planeten betrifft, Raum und Zeit aufgehoben. Rasch nähern wir uns der Endphase der Ausweitung des Menschen – der technischen Analogiedarstellung des Bewußtseins, mit der der schöpferische Erkenntnisprozeß kollektiv und korporativ auf die ganze menschliche Gesellschaft ausgeweitet wird, und zwar auf ziemlich dieselbe Weise, wie wir unsere Sinne und Nerven durch 236 verschiedene Medien bereits ausgeweitet haben.« Dieser Paradigmenwechsel, welcher sich vom Leitmedium Buch über das Radio bis zum Leitmedium des Fernsehens vollzieht, hat in McLuhans Sichtweise die Entliniearisierung der Welt zur Folge: »Seit dem Aufkommen des Fernsehens sei das Fließband aus der Industrie verschwunden, desgleichen die hierarchisch-lineare Struktur aus dem Mana237 gement der Betriebe.« Es dominiert vielmehr eine dominante Jetzt238 heit, welche sich aus der gleichzeitigen, unstetigen und nicht linearen, mosaikhaftigen Allgegenwärtigkeit von Informationen herleitet 239 und das Prinzip der linearen und stetigen Zerlegung abgelöst hat. Durch diese Effekte hat sich die wohlgeordnete Welt der Gutenberg-
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Vgl. u.a. McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 74f. McLuhan, Marshall (1968): S. 15. Marshall McLuhan zitiert nach Eco, Umberto (1967): S. 254. »Es kommt bei diesen jungen Menschen durch das Mosaikbild des Fernsehens zu einer totalen Einbezogenheit in eine allumfassende Jetztheit.« McLuhan, Marshall (1968): S. 505 [Hervorhebung im Original]. 239 Vgl. McLuhan, Marshall (1968): S. 503.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Galaxis ›elektrisch zusammengezogen‹ und in ein interdependentes 240 globales Dorf verwandelt. Diese tiefgreifenden Effekte von Medien zu verstehen, war nach McLuhans Ansicht wissenschaftlich nicht nur geboten, sondern auch gesellschaftlich unabdingbar, da er Medien die Fähigkeit zusprach, ihre Nutzer in einen sklavenähnlichen, selbst verursachten unterbewussten Dämmerzustand (»self-induced subliminal trance«) führen zu können, wenn diese nicht die radikalen Effekte der Medien sowohl wahrnehmen als auch verstehen und danach handeln wür241 den. Dieser potentiellen Gefahr stand jedoch seine grundlegend positive Einstellung von technologischem Wandel gegenüber, denn er stellte gleichermaßen in Aussicht, dass sich die Zukunft in der Gegenwart zeigen würde, wenn man die gegenwärtigen Effekte von Medien nur verstehen würde: »If we understand the revolutionary transformation caused by new media, we can anticipate and control 242 them.« Es kann heute vielleicht als McLuhans größte Leistung angesehen werden, Medien überhaupt eine solch dringende und entscheidende Rolle zuzusprechen, wodurch er den Grundstein für die Ansicht eines medialen Apriori legte, welcher sich auch in heutigen Diskursen findet, wenn beispielsweise Niklas Luhmann erklärt: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir Le243 ben wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« Ohne »die Rolle eines einzelnen Autors überschätzen zu wollen« lässt sich deshalb behaupten, »daß alle gegenwärtig wirksamen medientheoretischen 244 Ansätze ihre Wurzeln bei Marshall McLuhan haben.« Die weiten historischen Bögen und die fragmentarische Darstellung von Zusammenhängen, welche bei McLuhan häufig experimentell durch Referenzen auf künstlerische oder literarische Darstellungsformen wiedergegeben werden, blieben jedoch wie die Arbeiten von Harold Innis sowohl zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichungen als auch im nachfolgenden Diskurs nicht frei von methodischer Kritik. So kritisiert Umberto Eco beispielsweise, dass McLuhan Argumentationsfolgen so verkettet, als ob sie eine logische Folge
240 Vgl. McLuhan, Marshall (1968): S. 17. 241 Vgl. Forsedale, Louis (1974): S. 198. McLuhan selbst leitet diesen Umstand aus den Eigenschaften von heißen und kalten Medien ab: »So bewirkt also das Aufheizen eines Sinnes allein eher Hypnose, und das Abkühlen aller Sinne hat eher die Halluzination zur Folge.« McLuhan, Marshall (1968): S. 61. 242 Zitiert aus einem Interview mit Louis Forsedale (1974): S. 198. 243 Luhmann, Niklas (1996): S. 9. 244 Wiegerling, Klaus (1998): S. 133.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN wären. »McLuhan fragt nicht erst lange, ob seine Argumente auch 245 alle wahr sind: Ihm genügt es, daß sie alle da sind.« Die Theorie McLuhans verarbeitet somit Widersprüche nicht zu einer kongruenten Aussage, sondern er lässt sie für sich als Gleichzeitigkeit 246 nebeneinander stehen. Diese Darstellungsweise entspricht dabei durchaus McLuhans Auffassung, dass sich Wissenschaft im Zeitalter der elektronischen Medien nicht mehr an Maßstäben der Linearität, Kontinuität und Wiederholbarkeit präsentieren ließe, sondern ebenfalls eher mosaikhaften Charakter einnehmen muss, was ihm immer wieder den Vorwurf eingebracht hat, am ›Rande der Wissenschaft‹ 247 zu agieren. Die Arbeiten McLuhans sind deshalb nach einem Höhepunkt der Rezeption von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre kurzfristig in den Hintergrund wissenschaftlicher Diskurse getreten. Seine Schlussfolgerungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene jedoch, welche die Erosion der durch die Schrift und den Buchdruck initiierten nationalstaatlichen Institutionen und die Entwicklung der Erde zum »Global Village« antizipierten, haben sein Werk in den frühen 90er Jahren im Zuge der medialen Globalisierung und der damit einhergehenden Entfaltung des World Wide Web wieder verstärkt in die wissenschaftliche Rezeption zurückgeführt. Diese Entwicklungen der so genannten Informationsrevolution haben Christopher Horrocks zufolge eine Kultur geschaffen, welche einen »NeoMcLuhanism« begünstigten, der einem alten Botschafter mit dem Personal Computer ein neues Medium an die Seite stellt, welches 248 dessen Thesen endlich sichtbar werden lässt. Dieses neue Medium, welches der 1980 verstorbene McLuhan nicht mehr persönlich kennen lernte, hat die Fähigkeit, zumindest oberflächlich, jedes andere Medium zu verinnerlichen und zu imitieren. Dies beginnt mit der
245 Eco, Umberto (1967): S. 256 [Hervorhebung im Original]. Es sei dazu gesagt, dass Eco in keiner Weise die grundlegenden Erkenntnisse McLuhans anzweifelt, sondern die ungenaue und nach Ecos Dafürhalten »ärgerlichen« Momente des Nichtdefinierens und der offensichtlichen Unglaubwürdigkeit einiger seiner Argumente (was Eco als »Cognito Interruptus« bezeichnet): »Genau in dem Maße, wie uns McLuhans Diskurs höchst wertvolle Einsichten bietet, müssen wir von ihm verlangen, daß er nicht falschspielt.« Eco, Umberto (1967): S. 264. 246 Wodurch sich laut Eco das Problem ergibt, dass McLuhan »zitierfähige Passagen sowohl für einen Maoisten, der unsere Gesellschaft anprangern will, als auch für einen Theoretiker des neokapitalistischen Optimismus« bereitstellt. Eco, Umberto (1967): S. 256. 247 Vgl. Wiegerling, Klaus (1998): S. 132+134. 248 Vgl. Horrocks, Christopher (2000): S. 15.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN digitalen Schrift, die auf Webseiten immer noch so benutzt wird, als wäre sie Bestandteil eines Buches, geht mit zunehmender Perfektion an die Übertragung von Fernsehprogrammen, Musik und Filmen und generiert immer häufiger vollständig virtuelle Umgebungen für die Erschließung neuer Wirtschaftsräume oder virtueller Spielgemeinschaften. Das somit entstandene neue Metamedium hat für ein neues mediales Umfeld gesorgt, welches McLuhans Ideen deutlicher abbildet und die mediale Dominanz präsenter gemacht hat, als beim 249 Die PerErscheinen von McLuhans Arbeiten abzusehen war. spektivänderung, welche durch McLuhans Homologiesuche zwischen Medien und Körpern auf den Gegenstand des Medialen eingeleitet wurde, kann somit, auch wenn sie weiter erklärungsbedürftig ist, für die Medienökonomie wichtige Einsichten hervorbringen, da sie wesentliche Implikationen für die Betrachtung des ökono250 mischen Menschen enthält, die nachfolgend verhandelt werden.
3.3 Medientechnische Implikationen für das homo oeconomicus Konzept Das medientheoretische Werk Marshall McLuhans und auch selbst die Arbeiten des Wirtschaftshistorikers Harold Innis sind nicht ohne Schwierigkeiten in eine ökonomische Betrachtung von Medien einzubauen. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass beide Autoren keine kohärente Methodik hinterlassen haben, um ihre Ideen und Sichtweisen auf Medien wissenschaftlich zu verwenden. Dies ist vielleicht einer der Gründe, warum gerade die Medienökonomie bisher wenig Gebrauch von den Thesen gemacht hat, welche die Initialzündung für die Entwicklung der Medientheorie als Disziplin gegeben haben. McLuhans »aufwendig formulierte Binsen251 wahrheit«, dass Medien ›Ausweitungen‹ des menschlichen Körpers seien, ist für die medienökonomische Betrachtung jedoch keineswegs trivial. Denn sie bestätigen die ökonomische Sichtweise der 249 Horrocks sieht in der im Metamedium Computer stattfindenden »Zeichenkonvergenz des Virtuellen« eine echte Gefahr für den Begriff »Medium«, welcher zu überladen mit Einzelmedienbeschreibungen ist, wenn es um die Beschreibung der »Matrix« des Virtuellen geht. Vgl. Horrocks, Christopher (2000): S. 15. 250 Und wie Umberto Eco weiß, ängstigt die Suche nach strukturellen Homologien »nur die beschränkten Geister und Fachidioten, die nicht über den Tellerrand blicken können.« Eco, Umberto (1967): S. 263. 251 Eco, Umberto (1967): S. 260.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN nutzbringenden Eigenschaften von Gütern, welche sich durchaus mit einem neoklassischen Werkzeugkasten analysieren lassen. Wenn beispielsweise das Papier unser Gedächtnis verlängert oder der Fernseher unseren Seh-Sinn einmal um den Globus und darüber hinaus erweitert etc., so sind dies Medieneigenschaften, die sich für ihre elementaren oder die aggregierten Medienfunktionen und mit den gezeigten Einschränkungen im Hinblick auf die Annahme der vollständigen Information ökonomisieren lassen. Medien sind in dieser Sichtweise handelbare Güter, welche bestimmte Präferenzen bedienen und unter den Restriktionen von Geld und Zeit nutzenmaximierend konsumiert werden. Die Vorgehensweise, Medien als Ausweitung der menschlichen Sinnesorgane zu betrachten, negiert die neoklassischen Grundprinzipien keinesfalls, macht sie jedoch in mehrfacher Hinsicht unvollständig. Ihren besonderen Reiz und wie im Verlaufe dieser Studie gezeigt werden soll, auch ihre methodische Relevanz für die Medienökonomie, entfalten die medientheoretischen Perspektiven jedoch insbesondere im Hinblick auf eine Veränderung der Sichtweise auf den Gegenstandsbereich der Medien, der geeignet erscheint, Defizite der neoklassischen Theorie aufzuzeigen. Zusammenfassend lassen sich somit folgende Thesen aus dem bisher betrachteten ableiten: 1. Die Rationalität des ökonomischen Menschen kann nicht mehr als unabhängig von seinem medialen Umfeld betrachtet werden. Die ursprüngliche These von Harold Innis, dass die für die gesellschaftliche Kommunikation eingesetzten Medien die Kultur derselben beeinflussen, wurde von Marshall McLuhan insofern vertieft, als dass er implizit eine Begründung für diese These lieferte, indem er die menschliche Wahrnehmung in großem Maßstab als von Medien beeinflusst und abhängig definierte. In diesem Licht können ökonomische Entscheidungen nicht mehr in alleiniger Abhängigkeit einer eigenständigen individuellen Rationalität von Akteuren interpretiert werden. Aus McLuhans Thesen eines medial bedingten Menschen lässt sich folgern, dass das Denken und Handeln ökonomischer Akteure nicht unabhängig von äußeren Einflüssen im Allgemeinen und medialen Einflüssen im Besonderen sind. »Bedeutung, Inhalt, Sinn von Mitteilungen nämlich lassen sich, anders als naive Annahmen wollen, durchaus nicht übertragen. Übertragen lassen sich weder »Nachrichten« noch »Botschaften«. Übertragen lassen sich ausschließlich Signale, und diese können ausschließlich quantitativ,
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE I: DIE AUSWEITUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN
2.
mathematisch oder technisch beschrieben werden, nicht aber 252 »inhaltlich« oder auf irgendeine Aussagequalität hin.« Die Betrachtung von Medien muss damit über das Verständnis eines reinen Kommunikationsprozesses hinausgehen und die ökonomische Entscheidung muss im Hinblick auf das mediale Umfeld und die Sinneswahrnehmung des Akteurs kontextualisiert werden. Der Ausgangspunkt der medientheoretischen Betrachtung ist eine interdependente, dynamische Welt, welche der diskreten, statischen Welt der neoklassischen Theorie entgegensteht. Die Überlegung, insbesondere elektronische Medien als Ausweitung des menschlichen Nervensystems zu betrachten, die sich weltweit durch verschiedenste Prozesse vernetzen, zeichnet eine gänzlich andere Welt, als die gezeigten Annahmen der neoklassischen Ökonomik. Während sich in Letzterer ökonomische Entscheider im Wesentlichen auf eine objektive Rationalität, die aus einer stabilen und gleichförmigen Welt resultiert, verlassen können, ist die medientheoretische Welt eine der permanenten Veränderung und der subjektiven wie technischen Interdependenzen. In dieser Welt des kontinuierlichen und komplexen Wandels können weder Prozesse menschlicher Handlung noch Einzelmedien und auch nicht das Verhältnis von Medien und Menschen als separat voneinander betrachtet werden. Die ökonomische Entscheidung, welche im traditionellen homo oeconomicus Modell aus einer internen rationalen Kalkulation von Nutzen in Abhängigkeit zu einer ökonomischen Disposition besteht, muss somit aus medientheoretischer Sicht erweitert werden.
252 Engell, Lorenz (1999): S. 131f. Die Ökonomin Deirdre McCloskey zieht in ihrem Buch »The Secret Sins of Economics« einen Vergleich von mathematischen mit sprachlichen Regeln und verhandelt damit indirekt das semiotische Problem der Konnotation und Denotation. So, wie es Grundregeln aus dem Reich der Zahlen gibt, wie beispielsweise, dass ein doppeltes Negatives bei der Division oder Multiplikation etwas Positives ergibt (z.B. -4 : -2 = +2 oder -15 * -2 = 30), so lassen sich im Reich der Sprache ähnliche Regeln feststellen. Sprachen verhalten sich laut McCloskey in ihren Regeln grundsätzlich unmathematisch, da es beispielsweise Sprachen gibt, in denen ein doppeltes Negatives ein verstärktes Negativ ergibt (»Non voglio no cappuccino!«), jedoch gibt es trotzdem grammatikalische Regeln, die beispielsweise ausschließen, dass ein doppeltes Positives ein Negatives ergibt. Doch diese Regeln beziehen sich im Reich der Sprache nur auf den spezifischen Code der Sprache und können jederzeit durch ein gelangweiltes »Ja, ja...« durchbrochen werden. Vgl. McCloskey, Deirdre (2002): S. 31.
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TEIL I - DIE TECHNOLOGIEN DES MENSCHEN 3.
Medienfunktionen wandeln sich im historischen und kulturellen Kontext Die bisher beschriebenen Medienfunktionen, denen der ökonomische Mensch Nutzen zuweisen kann, reichen aus dem Blickwinkel der medientheoretischen Betrachtung wahrscheinlich nicht aus, denn sie wandeln sich potentiell mit jeder technischen Innovation. Dieser Wandel entspricht nicht ausschließlich einer verbesserten Leistung einer der beschriebenen elementaren oder aggregierten Medienfunktion, sondern ermöglicht jeweils neue Anwendungsmöglichkeiten. »Da Medien sich nicht gegenseitig auslöschen, vervielfältigt und kompliziert sich die Wahl 253 zwischen den Möglichkeiten ihrer Verwendung.« Der Rückspiegel-Theorie McLuhans entsprechend, findet diese Erweiterung medialer Funktionen jedoch nicht linear statt, sondern immer in Hinblick auf einen historischen Kontext.
Die folgenden zwei Teile dieses Buches werden sich auf Grundlage dieser Thesen mit den Möglichkeiten einer Erweiterung der Sichtweise des ökonomischen Menschen befassen. Die theoretische Integration eines handlungsleitenden und dynamischen medialen Umfeldes wird im anschließenden Teil II, ›Die Strukturen des Handelns‹, erörtert, während die Beziehung zwischen medialer Wahrnehmung und ökonomischen Entscheidungen in Teil III, ›Die Grenzen des Wissens‹, analysiert werden soll.
253 Barck, Karlheinz (1997): S. 6.
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T E I L II: DIE STRUKTUREN
DES
HANDELNS
»Denn es ist noch nie richtig erkannt worden, daß das Alphabetentum beim Aufbau der industriellen Wirtschaft eine grundlegende und archetypische Rolle spielte. Das Alphabetentum ist für einheitliche Verhaltensweisen, ganz gleich wo und wann, unerläßlich. Vor allem gilt das für die Praxis der Preissysteme und Märkte.« Marshall McLuhan
»Economics is a theory of choice – so far so good. But the discipline neglects to explore the context within which choice occurs.« Douglass C. North
254
T E I L II: DIE STRUKTUREN
DES
HANDELNS
In heutigen westlichen Gesellschaften, welche von arbeitsteiligen Prozessen in einer globalen Wirtschaft mit entsprechenden unpersönlichen Tauschvorgängen geprägt sind, nehmen die verwendeten Kommunikationsmittel eine wesentliche Rolle bei der Etablierung 255 und Koordination dieser Wirtschaftsabläufe ein. Medien gehören deshalb zu einem wesentlichen Handlungsumfeld ökonomischer Akteure, welche zur Anbahnung, Durchführung und Überwachung von ökonomischen Transaktion immer weniger auf persönlichen Tausch und immer mehr auf medial unterstützten unpersönlichen Tausch zurückgreifen. Folgt man der am Ende des ersten Teils beschriebenen medientheoretischen Auffassung von Innis und McLuhan, dass Medien in der Lage sind, menschliches Handeln zu beeinflussen, so muss die ökonomische Theorie in der Lage sein, Medien als Handlungsumfeld in ihre Betrachtungen zu integrieren. Die in Teil I dargestellten traditionellen Verhaltensannahmen der Neoklassik sind für eine solche Herangehensweise nicht geeignet, da sie den ökonomischem Menschen als vollständig rationalen und damit von anderen Lebewesen und äußeren Umständen autonomen Menschen erscheinen lassen. Wie in dem Anfangszitat von Douglass C. North zum Ausdruck gebracht wird, vernachlässigt die ökonomische Theorie damit den 254 North, Douglass C. (2005): S. 11. 255 Allein in den Vereinigten Staaten entfallen zum neuen Jahrtausend mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes auf so genannte »Transaktionskosten« (vgl. North, Douglass C. (2005): S. 91-93). Kosten, welche nicht zur Produktion oder für den Konsum aufgewendet werden, sondern lediglich zur Anbahnung solcher Tauschprozesse. Ein hoher Anteil dieser Kosten kann demnach als reine Informations- und Verhandlungskosten angesehen werden. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 50.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Kontext, in welchem ökonomische Entscheidungen stattfinden. Diese ›Robinson-Crusoe-Ökonomie‹ der orthodoxen Neoklassik hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, u. a. durch die so genannte »Neue Institutionenökonomik«, welche die Wirkung eines institutionellen Handlungsgefüges auf ökonomische Entscheidungen zu integrieren sucht, erhebliche Erweiterungen erfahren. Kernaufgabe dieses Teils der Untersuchung soll es demnach sein, ein Frameset zu entwickeln, welches ein mediales Handlungsumfeld von ökonomischen Akteuren im Sinne der Institutionenökonomik integriert. Die Institutionenökonomik ermöglicht es, ein mediales Umfeld von ökonomischen Akteuren zu beschreiben, indem sie wie im folgenden Kapitel 1 vertieft wird, Institutionen als gesellschaftliche Spielregeln auffasst, welche geeignet sind, menschliche Entscheidungen in Form von Anreizsystemen und Restriktionen zu beeinflussen. Diese Logik wird in Kapitel 2 aufgegriffen, in welchem als zweite Schicht des Medialen das medientheoretische Konzept des »Dispositivs« dargestellt wird. In Anlehnung an das Konzept des Dispositivs werden mediale Regeln entwickelt, aus denen sich institutionelle Medienfunktionen ableiten lassen. Abschließend wird in Kapitel 3 der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis die erweiterten Verhaltensmaßnahmen der Institutionenökonomik zu den entwickelten medialen Regeln stehen. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen unmittelbaren Anschluss, an die am Ende von Teil I aufgestellten Thesen zur ökono256 mischen Betrachtung von Medien. 1. Die Rationalität des ökonomischen Menschen wird durch die Einbeziehung eines medialen Umfeldes kontextualisiert. 2. Da Institutionen als Ergebnis menschlichen Handelns begriffen werden, welche durch Lernen im Laufe der Zeit zur Grundlage menschlichen Handelns werden, wird im Folgenden die statische Gleichgewichtstheorie der Neoklassik zugunsten einer zeitlich bedingten und nicht mehr friktionslosen Marktprozesstheorie aufgegeben, welche einer interdependenten, dynamischen Welt der Medientheorie entspricht. 3. Durch die Einbeziehung des institutionellen Wandels eröffnet sich die ökonomische Betrachtung von Medien in einem dynamischen sozialen und kulturellem Kontext. Das Verhältnis des ökonomischen Menschen zu Medien steht somit in einer wesentlich komplexeren Beziehung, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
256 Vgl. Teil I, Kapitel 3.3 dieser Arbeit.
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»Institutions are the rules of the game in a society or, more formally, are the humanly devised constraints that shape human interaction« Douglass C. North
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1. Ö K O N O M I S C H E R M E N S C H U N D HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN Um die Realitätsnähe der neoklassischen Verhaltensannahmen, welche vollständige Information und damit vollständige Rationalität in ihren Modellen voraussetzte, war es, wie bereits besprochen wurde, zu keiner Zeit gut bestellt, da Wirtschaftssubjekte weder isoliert voneinander handeln noch jemals vollständig informiert sind und 258 auch keine wandelnden Computer darstellen. Wie Kirchgässner anmerkt, sind diese Annahmen nicht nur stets als unrealistisch re259 flektiert worden, sondern zusätzlich empirisch falsifiziert. Die Diskussion darüber, ob eine solche Realitätsnähe in abstrakten wirtschaftswissenschaftlichen Modellen notwendig sei oder nicht, ist ein in den Wirtschaftswissenschaften lange geführter und immer noch 257 North, Douglass C. (1990): S. 3. 258 Thorstein Veblen kritisiert diese Annahmen, wie bereits die Namensgeber des ökonomischen Menschen (vgl. Seite 58, Teil I dieses Buches), im Hinblick auf dessen unhistorische Abgeschiedenheit in sozialen Gefügen: »Die hedonistische Konzeption des Menschen ist die eines blitzschnellern Berechners von Freuden und Leiden, der sich wie ein homogenes Elementarteilchen, welches ganz aus dem Streben nach Glückseligkeit besteht, unter dem Einfluss von Anstößen bewegt, die ihn in der Gegend herumschieben, selbst aber unversehrt lassen. Ihm geht nichts voraus und ihm folgt nichts nach. Er ist ein bestimmtes, isoliertes menschliches Datum, welches sich in einem stabilen Gleichgewicht befindet, sieht man einmal ab von den Stößen der auf ihn einwirkenden Kräfte, die ihn in die eine oder andere Richtung schieben. Auf sich selbst beschränkt im Elementarraum, wirbelt er symmetrisch um seine eigene geistige Achse, bis das Parallelogramm der Kräfte auf ihn Einfluss nimmt, woraufhin er der Richtung von dessen Resultaten folgt. Ist die Kraft des Impulses aufgebraucht, kommt er zur Ruhe, ein in sich abgeschlossenes Elementarteilchen von Wünschen wie zuvor.« Veblen, Thorstein (1898): 389f, zitiert nach und übersetzt von Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 28. 259 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 28.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS 260
unabgeschlossener Diskurs. Um die grundlegenden Annahmen des homo oeconomicus konstruktiv zu betrachten, ist es deshalb umso wichtiger, darauf hinzuweisen, dass dieses »kritisierte (Zerr-)Bild 261 des homo oeconomicus nur ein extremer Spezialfall ist«, der in der Wirtschaftswissenschaft dazu diente, die elementaren Bausteine der Ökonomik zu erarbeiten, weshalb der homo oeconomicus auch heute noch in mikroökonomischen Textbüchern als ein Verhaltensmodell dargestellt wird, welches einem »vollständig informierten und immer 262 blitzschnell entscheidenden wandelnden Computer« entspricht. Die Annahme der vollständigen Information impliziert vollständige Rationalität und somit die Abwesenheit von Unsicherheit im ökonomischen Entscheidungsprozess. Daraus folgt auch die Autonomie ökonomischer Akteure von anderen Individuen. Die Verhaltensannahmen haben für die Wirtschafts- und andere Sozialwissenschaften nützliche Ergebnisse gebracht. Allerdings haben sie auch verhindert, dass sich die Wirtschaftswissenschaften mit wesentlichen Dingen, wie dem permanenten Wandel in modernen Gesellschaften, auseinander setzten, wie North beklagt: »I believe that these traditional behavioral assumptions have prevented economists from coming to grips with some very fundamental issues and that modification of 260 Wie bereits in der Beschreibung der Herkunft des homo oeconomicus im ersten Teil dieser Arbeit und erneut im obigen Veblen-Zitat deutlich wird, ist die Realitätsnähe des ökonomischen Menschen eine Diskussion, welche die Wirtschaftswissenschaften mehr oder weniger seit ihrem Bestehen ›verfolgt‹. Ökonomen weisen innerhalb dieses Diskurses richtigerweise immer wieder darauf hin, dass wissenschaftliche Annahmen stets Abstraktionen der Wirklichkeit darstellen müssen und somit immer zu einem gewissen Maße widerlegbar sind. Die bereits angesprochene Denkhaltung der positiven Ökonomie im Sinne Milton Friedmans enthebt deshalb ökonomische Verhaltensannahmen sogar vollständig der Notwendigkeit der Realitätsnähe, solange die Ergebnisse der ökonomischen Theorie zu falsifizierbaren Ergebnissen führen (vgl. Friedman, Milton (1953)). Wie der Soziologe Ralf Dahrendorf schreibt: »Aus der ökonomischen Theorie ist die lange Diskussion darüber, ob das Modell des ständig Nutzen und Nachteil abwägenden homo oeconomicus ein realistisches Abbild des wirtschaftenden Menschen sei, heute eindeutig dahingehend entschieden worden, dass solcher Realismus ganz unnötig sei, solange die mit diesem Modell arbeitenden Theorien kräftige Erklärungen und brauchbare Prognosen liefern.« (Dahrendorf, Ralph (1963): S. 198, zitiert nach Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 29). Nichtsdestotrotz hat die permanente Kritik am homo oeconomicus sicherlich den positiven Effekt gehabt, dass die Wirtschaftswissenschaften die Arbeit an den Verhaltensannahmen niemals als abgeschlossen betrachtet haben und somit auch zu denen in diesem Teil erörterten, für Medien sehr relevanten Erweiterungen beigetragen haben. 261 Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 29. 262 Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 27.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN these assumptions is essential to further progress in the social sci263 ences.« Eines der wesentlichen Dinge, welches die traditionellen Verhaltensannahmen der Wirtschaftswissenschaften zumindest aus medienökonomischer Sicht verhindert haben, ist die Auseinandersetzung der ökonomischen Theorie mit den Auswirkungen menschlicher Kommunikationsmittel auf ökonomische Akteure. Während dies für andere Gegenstände weniger augenfällig ist, so macht eine Betrachtung medienökonomischer Zusammenhänge ohne die Einbeziehung eines menschlichen Handlungsumfeldes wenig Sinn. Die ökonomische Denkschule, welche sich insbesondere darum bemüht, eine ›realistischere‹ Sichtweise auf ökonomisches Handeln zu entwickeln, ist die so genannte »Institutionenökonomik«, welche davon ausgeht, dass der Mensch nicht als isoliertes Wesen zu betrachten ist, sondern in seinem individuellen Verhalten als soziales Wesen gesellschaftlichen Institutionen folgt. Die Institutionenökonomik hat demnach das Potential, Medien in ein ökonomisches Entscheidungsumfeld des Menschen mit einzubeziehen. In diesem Kapitel werden deshalb die wesentlichen Charakteristika der Institutionenökonomik (1.1) sowie nachfolgend deren Verhaltensannahmen (1.2) erarbeitet. Da die Institutionenökonomik gesellschaftliche Institutionen aus einer historischen Perspektive begreift, wird schließlich das Verhältnis von ökonomischem Menschen und institutionellem Wandel näher bestimmt (1.3).
1.1 Charakteristika der »Neuen Institutionenökonomik« Die Institutionenökonomik entwickelte sich im frühen 20. Jahrhundert aus einer eher losen und gemischten Gruppe aus Ökonomen und Soziologen, die sich insbesondere mit Fragen der »Legitimierung und der gesellschaftlichen Einbettung vorherrschender 264 Grundüberzeugungen rationalen Handelns« auseinander setzten. Institutionalismus als Bezeichnung einer ökonomischen Denkrichtung wird von vielen Ökonomen immer noch als recht unscharfer 265 und undurchsichtiger Begriff angesehen, was einerseits an der
263 North, Douglass C. (1990): S. 17. 264 Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 5. 265 Dies auch, weil die Bezeichnung »Institutionalismus« noch keine wirkliche Aussage über den Gegenstandsbereich der Untersuchung macht. Allgemeine Definitionen des Institutionalismus beziehen sich häufig auf den Begriff
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Vielfalt der möglichen Begriffsdefinitionen liegt, andererseits aber auch an der Tatsache, dass der Institutionalismus kein rein ökonomisches Konzept ist, sondern Brücken zwischen verschiedenen Gesellschaftswissenschaften, wie der Ökonomie, der Soziologie oder 266 den Rechtwissenschaften, schlägt. Gerade weil der Begriff der »Institution« zu den Hauptbegriffen mehrerer Wissenschaften gehört, erfreut er sich laut Helmut Dietl weder einer einheitlichen Verwendung noch einer inhaltlichen Schärfe. Wie Dietl zutreffend feststellt, bleibt dem Leser beim Studium »verschiedener Quellen, die sich mit dem Institutionenproblem beschäftigen, [...] nicht erspart, sich mit einer begrifflichen Heterogenität höchsten Grades auseinanderzusetzen, wird der Institutionenbegriff doch auf so unterschiedliche Phänomene, wie z.B. den Industriebetrieb, die Ehe, den Staat, die Gastfreundschaft oder das 267 Kindergeld, angewandt.« In alltagsweltlichen Zusammenhängen bedeutet die Bezeichnung eines Phänomens oder einer Einrichtung 268 als Institution vorerst meist, dass das Bezeichnete von Dauer ist. Als grundsätzliche Unterscheidung dieser ›Einrichtungen‹ lassen sich laut Dietl, wie in der folgenden Abbildung stilisiert, Regeln und Normen als Bedingungen menschlichen Handelns von organisierten sozialen Zusammenschlüssen in Form von korporativen Gebilden 269 unterscheiden. Die letztere Bedeutungsvariante umfasst beispielsweise Unternehmen, Verbände, staatliche Einrichtungen etc. Im ersten Fall der Institutionen als ›Regeln‹ lassen sich Recht, Eigentum, konventionelle Vereinbarungen, wie z.B. die Ehe, aber auch ›Uhrzeit‹, Maßeinheiten etc., als Institutionen beschreiben.
266
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selbst, ohne ihn weiter zu erklären, wie beispielsweise die Definition von Hasse und Krücken: »Als Institutionalismus kann man insgesamt diejenigen Ansätze bezeichnen, die sich mit der Untersuchung von Institutionen beschäftigen und dabei annehmen, daß Institutionen wichtig sind, um soziales Handeln und Prozesse der Gesellschaftsentwicklung zu verstehen.« Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 5. Vgl. Hutchison, Terence W. (1984): S. 20. Der Institutionalismus war für lange Zeit eine Domäne der Soziologie, die sich nach einem der Gründungsväter der soziologischen Disziplin, Emile Durkheim, als »Wissenschaft von den Institutionen« von der Ökonomie als Wissenschaft von den Märkten abgrenzte. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 34 und Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 7. Dietl, Helmut (1993): S. 35. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 35; Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 5. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 36f.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN
Abbildung 5 – Zweiteilung der Institutionen in Regeln bzw. Normen 270 einerseits und korporative Gebilde andererseits Von besonderem Interesse für die Institutionenökonomik ist die erste Bedeutungsvariante, d.h., wie Institutionen als Regeln und Normen auf menschliche Entscheidung einwirken und wie diese sinnvoll zu systematisieren sind. Institutionen werden somit als soziale Einrichtungen begriffen, welche Ergebnisse menschlicher Handlungen darstellen und Individuen einen institutionell legitimierten Handlungsrahmen bereitstellen, der es ihnen ermöglicht, ihr individuelles oder organisiertes Verhalten beispielsweise an Gesetzen oder sozialen Normen zu orientieren und gleichermaßen das Verhalten ihrer Mitmenschen innerhalb dieser Regeln zu antizipieren. Laut Douglass North misst die Institutionenökonomik den Institutionen deshalb besonderen Wert bei, weil sie in der Lage sind, Unsicherheiten des täglichen Lebens zu reduzieren und damit wesentliche Anreizsysteme menschlichen Handelns darstellen: »Institutions reduce uncertainty by providing a structure to everyday life. They are the guide to human interaction, so that when we wish to greet friends on the street, drive an automobile, buy oranges, borrow money, form a business, bury our dead, or whatever, we know (or can learn easily) how to perform these 271 tasks.«
270 Dietl, Helmut (1993): S. 71. 271 North, Douglass C. (1990): S. 4.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS
1.1.1 Relevanz von Institutionen in der ökonomischen Theorie Die Existenz gesellschaftlicher Institutionen war innerhalb der Wirtschaftswissenschaften seit ihrem Entstehen akzeptiert, jedoch variierte die Ansicht über die Relevanz von Institutionen erheblich innerhalb verschiedener ökonomischer Theoriegebäude. So spielten Institutionen in der Klassik eher eine Nebenrolle, obwohl bereits Adam Smith die Notwendigkeit sozialer Normen und Einrichtungen zur Überwindung von Unsicherheiten und menschlichem Fehlver272 halten beschrieb. Und in Hinblick auf den kulturellen Geltungsbereich ökonomischer Annahmen schrieb John Stuart Mill 1843 in seinen Grundlagen der ökonomischen Verhaltensforschung: »The causes of national character are scarcely at all understood, and the effect of institutions or social arrangements upon the character of the people is generally that portion of their effects which is least at273 tended to, and least comprehended.« Die aufkommende Neoklassik sah dies, aus den hier bereits erörterten Gründen, nicht als relevantes Problem an. Zugunsten der Abstraktion möglichst vieler Variablen des menschlichen Lebens und der damit einhergehenden Ausweitung des ökonomischen Geltungsbereiches, wurden Institutionen im neoklassischen Konsens als allokationsneutral angesehen, d.h. sie lösten im neoklassischen Optimierungsprozess keine Kosten aus und hatten somit innerhalb der Theorie keinerlei Einfluss auf indi274 viduelle Entscheidungen. Wie Dietl anmerkt, ist man »auf seinem Ausflug in die neoklassische Gleichgewichtstheorie zwar allseits von Tauschprozessen umgeben, doch die Frage, wer dafür sorgt, daß die Verpflichtungen eingehalten, vereinbarte Preise bezahlt und wodurch Vereinbarungen überhaupt erst möglich werden, wird weder 275 gestellt noch beantwortet.« Dieser Umstand begann sich erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu ändern, nachdem die Kritik an der Vernachlässigung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb der Ökonomie auch aus den eigenen Reihen der Wirtschaftswissen-
272 Zur Rolle von Institutionen in der Klassik vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 38; Hutchison, Terence W. (1984): S. 23. 273 Mill (1843): S. 905, zitiert nach Persky, Joseph (1995): S. 226. 274 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 10f. 275 Dietl, Helmut (1993): S. 33.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN 276
schaftler immer weiter zunahm. Einer der, aufgrund seiner scharfen und sarkastischen Rhetorik hervorstechendsten und heute häufig als Gründervater der amerikanischen Institutionenöko277 nomik genannten, Kritiker des neoklassischen Modellplatonismus war Thorstein B. Veblen, welcher Institutionen als »weitverbreitete Denkgewohnheiten« (habits of thought) auffasste, welche zu einer 278 gewissen Zeit in einer Gesellschaft dominieren. Veblen definierte in seinem Aufsatz »The Limitations of Marginal Utility« Institutionen wie folgt: »An institution is of the nature of a usage which has become axiomatic and indispensable by habituation and general 279 acceptance.« Institutionen auf diese Weise axiomatischen Charakter zuzuschreiben bedeutete, die Art und Weise anzugreifen, wie sich die ökonomische Theorie dem Problem der ökonomischen Entscheidungen nähert. So schreibt Terence W. Hutchison: »[T]his implied a radical criticism of orthodox theorising and of its fundamental assumption about rationality and knowledge. According to Veblen, it was the task of economists to study such customs, usages and habits of thought, or »institutions,« and their evolution, in order to explain how economic decisions and actions had been undertaken at different times and places, rather than to assume a 280 particular, highly simplified pattern as universal.« Als Hauptwerk dieser Kritik wird Veblens noch heute viel beachtete Studie zur »Theorie der feinen Leute – eine ökonomische Untersuchung der Institutionen« angesehen, durch welche insbesondere das
276 Hervorgehoben wird in der Literatur immer wieder die besondere Rolle der deutschen historischen Schule um Gustav Schmoller und Walter Euken, welche als Wirtschaftswissenschaftler die in der Soziologie besonders von Max Weber stark vertretende Auffassung teilten, dass die Entfaltung von wirtschaftlichem Erfolg institutionellen Umständen zu verdanken sei. Vgl. Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 8 und Hutchison, Terence W. (1984): S. 21f. 277 Wichtige Vertreter des amerikanischen wirtschaftlichen Institutionalismus waren vor allem Thorstein B. Veblen, Joseph A. Schumpeter, John R. Commons (vgl. Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 8). Die amerikanische Institutionenökonomik entwickelte sich nach Auffassung von Wirtschaftshistorikern in Anlehnung an die Arbeiten der deutschen historischen Schule (um Gustav Schmoller) und die österreichische Schule (um Carl Menger). Der deutsche Ökonom Gustav Schmoller hat laut Schumpeter sogar die ›Vaterrolle‹ des amerikanischen Institutionalismus eingenommen. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 34. 278 Vgl. Veblen, Thorstein B. (1899|1993): S. 186. 279 Veblen, Thorstein B. (1909): S. 225. 280 Hutchison, Terence W. (1984): S. 20.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Schlagwort des »demonstrativen Konsums« (conspicuous consumption) geprägt wurde. Veblen argumentiert in seinem Buch, dass beispielsweise Kleidung durch institutionelle Formung ihrer ursprünglichen Funktionalität enthoben wurde und eine ausschließlich auf soziale Effekte ausgerichteten Funktion erhielt: »Wie uns allen bekannt ist, liegt der Hauptwert vieler Kleidungsstücke nicht etwa darin, wie wirksam sie den Körper, sondern vielmehr darin, wie wirksam sie das Ansehen ihres Trägers schützen, und zwar nicht nur in den Augen seiner Mitmenschen sondern auch in seinen eigenen. Es geschieht nicht gerade selten, daß jemand es vorzieht, unbequem angezogen herumzulaufen, um dafür gut gekleidet zu sein. Weit mehr als die Hälfte dessen, was die Amerikaner tragen, kann man getrost in die Kategorie von Gesellschaftskleidung statt Anziehsachen einord281 nen.« Veblen ging demnach davon aus, dass Nutzen nicht mehr in einer objektiv rationalisierbaren Funktion zu suchen sei, sondern nur noch durch Analyse der entsprechenden, gesellschaftlich entwickelten Denkhaltungen. Diese Kritik Veblens und anderer an der neoklassischen Theorie und somit auch die Anerkennung der Relevanz von Institutionen blieb innerhalb der Wirtschaftswissenschaften Anfang des letzten Jahrhunderts vorerst im Schatten der sich immer weiter durchsetzenden mathematischen Strömung. Dies lag hauptsächlich daran, dass die Arbeiten des ›alten‹ Institutionalismus weitgehend dadurch geprägt sind, dass sie keiner strengen methodischen Theorie folgen, welche ihre Beobachtungen zusammenhält, sondern eher 282 situative historische Beschreibungen anbieten. Den Grundstein zur Änderung dieses Problems legte Ronald H. Coase, der sich ursprünglich mit der Frage beschäftigte, warum in freien Marktwirtschaften Firmen existieren, obwohl die ökonomische Theorie seiner Zeit davon ausging, dass alle marktlichen Koordinationsmechanismen den hierarchischen Koordinationsmechanismen, wie sie beispielsweise in einer Firma angelegt sind, überlegen seien. In seinem Aufsatz »The Nature of the Firm« von 1937 be281 Thorstein B. Veblen zitiert nach Innis, Harold A. (1929): S. 34. Die ökonomische Theorie benennt Güter, welche kein Grundbedürfnis erfüllen und trotzdem einen meist hohen Preis erzielen in Anlehnung an Veblen »SnobGüter« oder auch »Veblen-Güter«. 282 Wie Ronald Coase ausführt, sind die frühen institutionenökonomischen Arbeiten deshalb nicht weniger aufschlussreich, es mangelte ihnen für eine allgemeine Durchsetzung aber eben an strengen methodischen Ansprüchen der neoklassischen Kollegen. Vgl. Coase, Ronald H. (1998): S. 72.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN schreibt er die spezifische Funktion von Unternehmen, so genannte »Transaktionskosten« zu senken, welche durch die Nutzung eines 283 Marktes entstehen. Coase nimmt in seinen Arbeiten die Kritik der alten Institutionenökonomen auf und plädiert dafür, wirtschaftliche Prozesse nicht mehr als friktionslos anzusehen, sondern sich mit den Rahmenbedingungen des Wirtschaftens auseinander zu setzen: »Einzuwenden (gegen das, was die meisten Ökonomen getan haben) ist im wesentlichen, daß die Theorie in der Luft schwebt. Es ist so, als ob man den Blutkreislauf ohne den dazugehörigen Körper erforscht. Unternehmen haben keine 284 Substanz. Märkte bestehen ohne Gesetze [...].« Der »Transaktionskostenansatz«, welcher seitdem aus Coases Arbeit entwickelt wurde, erkennt an, dass Informationsprozesse in Form von Transaktionskosten mit in die ökonomische Entscheidungen 285 einfließen. In einer Welt, welche von informationsbedingter Unsicherheit und Transaktionskosten geprägt ist, erscheint es nicht nur für die von Coase ursprünglich untersuchten Firmen, sondern für alle ökonomischen Akteure rational, sich zumindest in wiederkehrenden Standardsituationen an gewisse Regelmäßigkeiten bei ökonomischen Tauschvorgängen zu halten, da dadurch Transaktionskosten der Suchvorgänge und Überwachungsprozeduren reduziert 286 werden. Die wirtschaftstheoretische Einbindung von Institutionen anhand des Konzeptes der Transaktionskosten, machten diesen Ansatz auf breiter Ebene ökonomisch anwendbar und damit für viele 287 Wirtschaftswissenschaftler erst interessant. Die auf Coases Essay aufbauenden Arbeiten zur Weiterentwicklung des Transaktionskos283 Unternehmen können laut Coase die Prozesse, welche zur Nutzung von Märkten, d.h. insbesondere die Suche nach Vertragspartnern, der Abschluss von Verträgen sowie die Durchsetzung dieser Verträge durch Inkorporation von Verträgen unter Aufwendung geringerer Transaktionskosten durchführen, als es über die Nutzung reiner Marktprozesse möglich wäre. Vgl. Coase, Ronald H. (1937). 284 Ronald Coase zitiert nach Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 40. 285 »The costliness of information is the key to the costs of transacting, which consist of the costs of measuring the valuable attributes of what is being exchanged and the costs of protecting rights and policing and enforcement agreements.« North, Douglass C. (1990): S. 27. 286 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 33. 287 Die neue institutionenökonomische Theorie erfüllt damit eine Forderung, des ›alten‹ Institutionenökonomen John R. Commons, der bereits 1934 forderte, dass »die Transaktion (Eigentumsübertragung) als die kleinste Einheit ökonomischer Analyse gesehen werden sollte.« Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 38.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS tenansatzes haben sich über die Jahrzehnte zum Theoriegebäude der »Neuen Institutionenökonomik« formiert, als deren ›Vater‹ heute 288 Ronald Coase geehrt wird. Die sich entwickelnde neue Disziplin bezieht sich von Beginn an 289 nur lose auf ihre soziologischen und ökonomischen Vorgänger und versucht teilweise, dem Vorwurf an die ›alte‹ uneinheitliche ökonomische Methode der Institutionenökonomen durch die Ausarbeitung eines formaleren Ansatzes entgegenzutreten. Die Neue Institutionenökonomik versteht sich deshalb auch nicht als Ersatz, sondern als eine notwendige Erweiterung der neoklassischen Theorie. Beibehalten werden die fundamentalen Annahmen der Knappheit und des Wettbewerbs. Auch die mikroökonomischen Analysewerkzeuge bleiben erhalten, stehen jedoch nicht mehr zwangsläufig im Mittelpunkt 290 Die hauptsächlichen und in diesem Kapitel der Betrachtung. nachfolgend präzisierten Veränderungen innerhalb des institutionenökonomischen Gedankengebäudes liegen in den Annahmen des Verhältnisses des ökonomischen Akteurs zu seiner Umwelt. Da Individuen nicht mehr unabhängig von gesellschaftlichen Regeln betrachtet werden, werden die traditionellen monetären Restriktio291 nen um ein institutionelles Framework ergänzt. Das Prinzip des statischen Gleichgewichtes der Neoklassik wird zugunsten einer Prozessperspektive aufgegeben, indem es anstatt zu nur einem effizienten Gleichgewichtpunkt zu mehreren Gleichgewichten kommen kann. Jedes ökonomische Problem bietet damit nicht mehr nur eine optimale Lösung, sondern mehrere stabile, von denen jedoch keine im ökonomischen Sinne effizient sein muss, da Institutionen auch zu 292 wirtschaftlicher Ineffizienz führen können. Die Anerkennung des
288 Dazu führte ein weiterer Aufsatz, den Coase 1969 veröffentlichte. In »The Problem of Social Cost« führt Coase den Nachweis, dass es in einer Welt ohne Transaktionskosten keine rechtlichen Institutionen benötigt würden, wenn nur alle Parteien frei (und kostenlos) über einen Streitfall verhandeln könnten (vgl. Coase, Ronald H. (1960)). Coase selbst ›akzeptiert‹ 1998 seine ›Vaterschaft‹, schreibt jedoch die Namensfindung »Neue Institutionenökonomik« Oliver Williamson zu (vgl. Coase, Ronald H. (1998): S. 73). Dieser verwendete ihn 1975 das erste Mal zur Abgrenzung von den alten Institutionenökonomen. Vgl. Williamson, Oliver E. (1975): S. 1. 289 Vgl. Hasse, Raimund/Krücken, Georg (1999): S. 5. 290 Die Aktivität »Transaktion« wird beispielsweise in Analogie zur orthodoxen Produktionsfunktion als »Transaktionsfunktion« aufgestellt. Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 62. 291 Vgl. North, Douglass C. (1991): S. 109. 292 North zeigt dies am Beispiel der ökonomisch ineffizienten Institutionen der Sowjetunion. Vgl. North, Douglass C. (2005): Kapitel 11, S. 146-154.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN 293
Marktgeschehens als Prozess fügt der ökonomischen Theorie ein in der Neoklassik nicht vorhandenes historisches und perspektivisches Zeitkonzept bei, welches die Betrachtung von Entstehung und Wandel einer institutionellen Ordnung in historischer Perspektive 294 erlaubt. Die dadurch entstehende komplexe und interdependente Welt besser zu erklären, ist das Anliegen der Neuen Institutionenökonomik. Laut Coase ist in der Welt der Institutionenökonomik wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr nur von effizienter Allokation durch rationale Akteure abhängig, sondern ebenso – und vielleicht entscheidender – von den Möglichkeiten anderer ökonomischer Akteure Inputfaktoren herzustellen, deren Bestandteile sie wiederum von anderen ökonomischen Akteuren erwerben, welche ihrerseits von ökonomischen Akteuren abhängig sind etc. Er schreibt: »Add to this the influence of laws, of the social system, and of the culture, as well as the effects of technological changes such as the digital revolution with its dramatic fall in information costs (a major component of transaction cost), and you have a complicated set of interrelationships the nature of which will take much dedicated work over a long period to discover. But when this is done, all of economics will have become what we now call »the new institutional eco295 nomics.«« Dieser Prozess ist heute noch weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein, doch hat sich zumindest das Transaktionskostenprinzip auf breiter Basis durchgesetzt, und die Rolle von Institutionen wird in 296 den meisten ökonomischen Textbüchern anerkannt (wenn auch 293 »In Abgrenzung zur neoklassischen Mikroökonomie, die die kostenlose und friktionsfreie Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten unterstellt, [...] werden Märkte als prozeßhaftes Geschehen beschrieben. Preise enthalten nicht mehr alle Informationen und führen zu einer hohen Unsicherheit des Marktprozesses und der darauf ablaufenden Transaktionen.« Zerdick, Axel et. al. [Hrsg.] (1999): S. 138. 294 »Perspective time puts an economic actor into time and describes his behavior as it is influenced by his temporal position [...].« Winston, Gordon C. (1982): S. 15; vgl. auch North, Douglass C. (1993): S. 359. Die Neoklassik bedient sich lediglich eines so genannten analytischen Zeitkonzepts, welches in den t0-tn Zeitreihen der komparativen Statik vorkommt: »Analytical Time, then describes the way time is divided up and over what duration those divisions are of analytical interest to the economic problem.« Winston, Gordon C. (1982): S. 14. 295 Coase, Ronald H. (1998): S. 73. 296 North vertritt eine ähnliche Ansicht: »That institutions affect the performance of economies is hardly controversial.« North, Douglass C. (1990): S. 3.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS nicht immer gewürdigt), wodurch weiterhin der Prozess des Wandels innerhalb der ökonomischen Theorie unterstützt wird. Die Ausweitung der nachfolgend erläuterten Modellannahmen der Neuen Institutionenökonomik hat bereits wesentliche Konsequenzen für die Methode der ökonomische Untersuchung im Allgemeinen nach sich gezogen. Dominiert in der Neoklassik durchweg die formalmathe297 matische Methode, so ist das methodische Feld der Neuen Institutionenökonomik heterogen aufgestellt. Mathematisch orientierten Beiträgen gesellen sich zunehmend ›verbal‹ orientierte Arbeiten hinzu, die sich eher an der erklärenden Analyse (historischer) 298 Institutionen orientieren. Diese Beiträge haben insbesondere zur Präzisierung des Institutionenbegriffs beigetragen und methodologische Anpassungen im Theoriegebäude erarbeitet, welche in den nächsten Abschnitten thematisiert werden, da sie elementar für den sukzessiven Wandel des ökonomischen Denkens sind, der sich laut Ronald Coase noch immer vollzieht: »This change will not come about, in my view, as a result of a frontal assault on mainstream economics. It will come as a result of economists in branches or subsections of economics adopting a different approach, as indeed is already happening. When the majority of economists have changed, mainstream economists will acknowledge the importance of examining the economic system in this way 299 and will claim that they knew it all along.«
297 Der formelle Zweig der Neuen Institutionenökonomik beschäftigt sich häufig mit Informations- und Vertragstheorien, welche jedoch nicht unproblematisch sind, da sie sich relativ eng an die neoklassische Denkweise halten und Institutionen häufig implizit auf den Begriff der »Verträge« reduzieren. Zum Überblick der formellen Transaktionstheorie siehe Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 62-70. 298 Dass dies keine Randerscheinung mehr darstellt, zeigt der 1993 verliehene Nobelpreis für den Institutionenökonomen Douglass C. North, der sich als Wirtschaftshistoriker in seinen späteren Arbeiten vollständig von formalistischen Methoden gelöst hat. Laut Furubotn und Richter halten über North hinaus »führende Vertreter« der Neuen Institutionenökonomik, wie beispielsweise Oliver Williamson, die formalmathematische Methode für geradezu kontraproduktiv, da grundlegende ökonomische Sachverhalte nicht untersucht werden und die Annahme der eingeschränkten Rationalität eine »mathematisch präzise Kalkulation für den einzelnen unmöglich macht.« Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 34. 299 Coase, Ronald H. (1998): S. 73.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN
1.1.2 Institutionen als Spielregeln der Gesellschaft Der Wirtschaftshistoriker Douglass C. North bemüht sich darum, den Institutionenbegriff, welcher innerhalb der Sozialwissenschaften so unterschiedlich verwendet wird, zu präzisieren und einzugrenzen. Um die verschiedenen Verwendungen von Regeln, Gesetzen, Konventionen, Normen und gesellschaftlichen Einrichtungen zu systematisieren, bedient er sich einer Terminologie, in welcher er Institutionen als Spielregeln (rules of the game) von den Spielern absetzt, die er als Organisationen (den korporative gebildeten Institutionen) 300 und Individuen beschreibt. North differenziert den Institutionenbegriff wie folgt: »Institutions are the humanly devised constraints that structure human interaction. They are made up of formal constraints (e.g., rules, laws, constitutions), informal constraints (e.g., norms of behavior, conventions, self-imposed codes of conduct), and their enforcement characteristics. Together they define the incen301 tive structure of societies and specifically economies.«
Abbildung 6 – Mikroanalyse der Institutionen als Regeln und Normen nach North Die in Abbildung 6 dargestellten Elemente dieses auf Regeln angelegten Institutionenbegriffs lassen sich wie folgt beschreiben.
300 »Organisation« versteht North allgemein als ein Verbund von Spielern, die den gleichen Zweck verfolgen: »If institutions are the rules of the game, organizations and entrepreneurs are the players.« Vgl. North, Douglass C. (1993): S. 361. Im einzelnen versteht er darunter: »Organizations include political bodies (political parties, the Senate, a city council, a regulatory agency), economic bodies (firms, trade unions, family farms, cooperatives), social bodies (churches, clubs, athletic associations), and educational bodies (schools, universities, vocational training centers). They are groups of individuals bound by some common purpose to achieve objectives.« North, Douglass C. (1990): S. 5. Hinzuzufügen wären dem aus heutiger Sicht die Non Governmental Organizations (NGOs) als Hybrid zwischen Political und Social Body. 301 North, Douglass C. (1993): S. 360; vgl. auch North, Douglass C. (1991): S. 97.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS 1.
2.
Formelle Regeln: Formelle Regeln beinhalten laut North die von Menschen intentional erstellten politischen, juristischen, ökonomischen Regeln 302 und die daraus entstehenden Verträge. Politische und juristische Regeln reichen dabei von allgemeinen konstitutionellen Regeln (der Verfassung einer Gesellschaft) bis zu speziellen Regeln zur Durchführung von Einzelverträgen. Ökonomische Regeln beziehen sich laut North hauptsächlich auf die Verteilung von Verfügungsrechten, einem Bündel von Regeln, welches die Nutzung oder Nicht-Nutzung sowie die Transferierbarkeit von Eigentum und das aus diesen Aktivitäten generierte Einkommen regelt. Formelle Regeln bilden somit die gesellschaftlich ausformulierten Regeln, welche individuelles Verhalten durch gesellschaftlich festgelegte Ordnungen begrenzen und somit Transaktionskosten reduzieren. Informelle Normen: Informelle Normen entsprechen den von Veblen charakterisierten »habits of thought«, welche laut North innerhalb von Gesellschaften einen weit größeren Einfluss auf ökonomisches Verhalten haben, als herkömmlich in der westlichen Moderne aner303 kannt wurde. Sie bestehen aus nicht formalisierten Konventionen und Verhaltenskodizes, welche Individuen aufgrund sozial vermittelter Informationen durch Lernprozesse verinnerlicht haben. Dazu gehören sowohl selbstdurchsetzende Regeln von Wertesystemen als auch die in sozialen Gruppen entwickelten 304 »Regeln der Strasse«. Wie North ausführt, ist die Betrachtung dieser informellen Normen für die ökonomische Theorie besonders schwierig, da sie weder einfach noch präzise im Sinne herkömmlicher ökonomischer Modelle zu erfassen sind. Die Anerkennung des Einflusses von informellen Normen innerhalb ökonomischer Entscheidungen öffnet die Theorie weit in Richtung der Betrachtung von Kultur und deren Einfluss auf die einzelnen Individuen. Wie North schreibt: »Culture provides a language
302 Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 47. 303 »In the modern Western World, we think of life and the economy as beeing ordered by formal laws and property rights. Yet formal rules, in even the most developed economy, make up a small (although very important) part of the sum of constraints that shape choices [...].« North, Douglass C. (1990): S. 36. 304 Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 41.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN
3.
based conceptual framework for encoding and interpreting the 305 information that the senses are presenting to the brain.« Sanktionierungsmechanismen: Sowohl formale Regeln als auch informale Normen zeichnen sich durch ein gesellschaftliches Sanktionierungspotential aus, dessen Effektivität durch die tatsächlichen Sanktionierungsmechanismen einer Gesellschaft bestimmt werden. Wie Dietl anmerkt, ist hierbei hervorzuheben, dass Institutionen nicht als automatisch sozial sanktionierte, sondern als sozial sanktionierbare Verhaltenserwartungen betrachtet werden. Ob sie sanktio306 niert werden, ist jedoch vorab ungewiss. In einer Gesellschaft beispielsweise, in welcher hervorragende formale Regeln zum Schutz von Eigentumsrechten herrschen, diese jedoch durch einen korrupten oder willkürlich handelnden Staatsapparat (oder auch durch dominante organisierte kriminelle Akteure, wie die Mafia) verdünnt werden, ist davon auszugehen, dass positive in307 stitutionelle Effekte, wie z.B. Wirtschaftswachstum, ausbleiben. Grundsätzlich unterscheidet die Ökonomik zwischen drei Arten der Sanktionierung: der Selbstkontrolle bzw. -durchsetzung (self-enforcement), der Durchsetzung durch Interaktionspartner (second party enforcement) und der Durchsetzung durch Dritte 308 (third party enforcement). Das Prinzip der Selbstkontrolle geht davon aus, dass ein Individuum externe gesellschaftliche und kulturelle Regeln und Normen durch Lernvorgänge internalisiert und somit ein inneres Wertesystem ausbildet, welches dafür sorgt, dass die gesellschaftlichen Institutionen ohne das Zutun
305 North, Douglass C. (1990): S. 37. 306 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 38. 307 North führt zur Verdeutlichung dieses Aspektes an mehreren Stellen aus, wie die mangelnde Betrachtung von Durchsetzungsmechanismen Wirtschaftsgefüge negativ beeinflusst, wobei er dieses Prinzip sowohl auf das Mittelalter als beispielsweise auch auf heutige Drittweltländer anwendet. North unterscheidet sich in seiner Betonung der Durchsetzungsmechanismen im Rahmen der institutionellen Analyse von anderen Institutionenökonomen, wie z.B. Oliver Williamson. Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 54. 308 Die Durchführung einer Sanktionierung ohne gesellschaftliche anerkannte Machtausübung würde jedoch keine Institution darstellen (vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 38f). Die Auffassung von Macht innerhalb der Institutionenökonomik zeigt demnach Parallelen zu einem differenzierten Machtbegriff, wie er beispielsweise von Hannah Ahrendt entwickelt wurde. Sanktionierung ohne sozial legitimierte Macht würde demnach lediglich als Form der Gewalt angesehen. Zum Gegensatz zwischen Macht und Gewalt siehe: Ahrendt, Hannah (1970).
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS 309
anderer eingehalten werden. Durchsetzung von Regeln durch einen direkten Interaktionspartner, wie z.B. die Entlassung durch den Firmeneigentümer bei Nichterfüllung des Arbeitsvertrages, impliziert häufig Durchsetzung in Form des ›Rechtes des Stärkeren‹, weshalb dieses gesellschaftlich durch dritte Instanzen ergänzt wird, welches meist durch staatliche Einrich310 tungen gewährleistet wird. Die Definition von Institutionen als Spielregeln steht zumindest begrifflich in einer recht deutlichen Pfadabhängigkeit zum wirtschaftswissenschaftlichen Zweig der mathematischen Spieltheorie (game theory), welche im Rahmen der neoklassischen »RationalChoice-Theorie« herangezogen wird, um strategische Handlungsoptionen in meist abgeschlossenen Systemen mit vorgegebenen Re311 geln (Spielen) zu untersuchen. Wirtschaftswissenschaftliche Anwendung findet die Spieltheorie, indem die Marktwirtschaft als ›Spiel‹ angesehen wird, in welchem die Akteure als ›Spieler‹ einen höchstmöglichen Gewinn zu erwirtschaften suchen. Der Informationsstand der Spieler ist innerhalb dieser Betrachtungen von besonderer Bedeutung. Um eine erfolgreiche Strategie innerhalb eines 309 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1991): S. 172. 310 Staatliche Einrichtungen sind jedoch nicht zwingend erforderlich. Beispielsweise zeigen Paul Milgrom, Douglass North und Barry Weingast in einer historischen Studie über französische Weinmärkte (Champaign Fairs), dass die Etablierung eines institutionellen Systems mit einer Sanktionierungsinstanz durch eine unparteiliche dritte Instanz von den Beteiligten etabliert wurde, um ökonomische Unsicherheiten über das redliche Verhalten von unbekannten Handelspartnern zu reduzieren. Der zunehmende unpersönliche Tausch der Weinmärkte führte laut den Autoren zu negativen Konsequenzen, da es keinerlei Möglichkeit gab, Händler beispielsweise für die Lieferung schlechter Ware zu belangen. Die französischen Weinbauern entwickelten deshalb ein eigenständiges Regelsystem, durch welches die Reputation der Händler überprüfbar wurde und ebenso Strafen für Fehlverhalten auf den Märkten durch ein unabhängiges Schiedsgericht ohne Einfluss staatlicher Gewalt etabliert werden konnte. Der so genannte »Law Merchant« war einerseits ein Regelsystem und bezeichnete gleichzeitig die Person, welche die Institution, gewissermaßen in Personalunion eines Registrars, Richters und Auskunftsstelle, verkörperte. North zeigt in seinem Aufsatz rückwirkend die spieltheoretisch begründbare Effizienzsteigerung des Weinhandels dieser, von den Händlern selbstauferlegten Regeln. Vgl. Milgrom, Paul R./North, Douglass C./Weingast, Barry R. (1990). 311 North, der diese Nähe in seinen Arbeiten oft herstellt, versteht die Institutionenökonomik jedoch keinesfalls als spieltheoretischen Unterzweig der Ökonomie. Vielmehr nutzt er die mathematische Spieltheorie als Kontrastfolie, um die Notwendigkeit der Betrachtung von Institutionen zu zeigen. Vgl. North, Douglass C. (1991a): S. 12.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN Spieles zu verfolgen, benötigt jeder Spieler möglichst viele Informationen über den nächsten möglichen Zug des anderen Spielers. Die Erwartungshaltung eines Spielers ist dabei durch eine doppelte Kontingenz gekennzeichnet, die dem Schema ›er denkt, dass ich denke, dass er denkt, dass ich denke‹ folgt. Ohne Spielregeln wäre ein solches Spiel nicht spielbar, da es keinen Verlauf, keinen Anfang und kein Ende mehr haben würde und somit jede Handlung in die Willkürlichkeit abgleiten würde. Institutionen im Sinne von Spielregeln dienen deshalb insbesondere dazu, die Erwartungshaltung von ökonomischen Akteuren angesichts hochgradig kontingenter 312 und somit von Unsicherheit geprägten Situationen zu stabilisieren. Denn die Unsicherheit zwingt den Menschen, sich »einem Mechanismus zu unterwerfen, der die Vielseitigkeit von Wahlhandlungen zu reduzieren vermag bzw. der den Menschen anregt, zur Vorbereitung einer Wahlhandlung lediglich ausgewählte Informationen in 313 Betracht zu ziehen.« Institutionen können laut Dietl dementsprechend als »sozial sanktionierbare Erwartungen [verstanden werden], die sich auf die Handlungs- und Verhaltensweisen eines oder mehrerer Individuen 314 beziehen.« Institutionen formen somit die Regeln der Gesellschaft und deren kulturellen Handlungsrahmen, indem sie eine Teilmenge sozial sanktionierbarer Handlungs- und Verhaltenserwartungen in einer potentiell nicht endlichen Menge aller möglichen Erwartungen darstellen, wie in der folgenden Darstellung schematisch dargestellt 315 wird.
312 Es ist zu vermuten, dass ein Grund, warum sich die Neue Institutionenökonomik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend etablieren konnte, derjenige ist, dass sich innerhalb der ökonomischen Spieltheorie nur Spiele mit komplett ausformulierten Regeln mathematisieren lassen, wodurch den Regeln eine besondere Bedeutung in spieltheoretischen Untersuchungen zukommt. Harvey Leibenstein, einer der Schüler der ›Erfinder‹ der kooperativen mathematischen Spieltheorie und Studienkollege des Begründers der nicht-kooperativen Spieltheorie John Forbes Nash, führt den Beginn der Institutionenökonomik sogar auf die Ursprünge der Spieltheorie zurück, indem er darauf verweist, dass Oskar Morgenstern und John von Neumann Spiele analysieren, welche multiple stabile Lösungsstrategien ermöglichten. Die jeweils am häufigsten gewählte Strategie bezeichneten sie als »standards of behavior«. Vgl. Leibenstein, Harvey (1984): S. 74 und Neumann, John von/Morgenstern, Oskar (1944): S. 44. 313 Holl, Christopher (2002): S. 3. 314 Dietl, Helmut (1993): S. 37. 315 Nicht-endlich ist die Menge der Erwartungshaltung, da menschliches Handeln an physikalische Grenzen stößt. Erwartungen grenzen sich deutlich von Prognosen ab, da falsche Prognosen nicht sanktionierbar sind. Diese Abgrenzung
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS
Abbildung 7 – Institutionen als echte Teilmenge der (nicht endlichen) 316 Menge aller möglichen Erwartungen Die Strukturierung von Erwartungshaltungen durch Institutionen wirkt auf menschliche Interaktionen dabei in zweierlei Weise. Einerseits grenzen Institutionen die Wahl- und Handlungsmöglichkeiten von ökonomischen Akteuren ein, anderseits bieten sie Anreize für spezielle Verhaltensformen. Institutionelle Anreize können im gewissen Sinne als Katalysatoren verstanden werden, welche geeignet sein können, gewisse Handlungen zu ›produzieren‹. Problematisch bei dem Versuch gewünschtes Verhalten herbeizuführen, ist jedoch die Komplexität der jeweiligen institutionellen Anreizgefüge, welche 317 zu externen Effekten von Einzelmaßnahmen führen kann. Die Sanktionierungsmechanismen formeller Institutionen zielen deshalb im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne meist genau darauf ab, es für Individuen ›rational‹ erscheinen zu lassen, sich an gesellschaftliche Regeln zu halten, da die Nichtbefolgung dieser Regeln mit erheblichen Kosten verbunden sein kann. Dies gilt potentiell für alle Akteure innerhalb gesellschaftlich geregelter Bereiche, von der individuellen Nichtbeachtung von Verkehrsregeln bis zu Preisabsprachen und Monopolbildung von Unternehmen. Die Erwartbarkeit von Bestrafung bei Regelabweichung des Einzelnen senkt somit prinzipiell die Gesamt-Transaktionskosten der
Dietls folgt der Analogie, dass jeder Mitspieler zwar erwarten kann, dass er gewinnt, aber niemanden für ein Verlieren verantwortlich machen kann. Dem hingegen kann eine Regelverletzung zur Disqualifikation vom Spiel führen. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 36. 316 Dietl, Helmut (1993): S. 38. 317 Im Hinblick auf Medien wird diese Thematik in Kapitel 2.2 dieses Teils wieder aufgegriffen.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN Gemeinschaft. Externe Regeln sind jedoch nicht zwangsläufig im reibungslosen Einklang mit internen Regeln ökonomischer Akteure. Das Wechselspiel zwischen internen und externen Regeln ist kompliziert, so dass es in bestimmten institutionellen Ordnungen rational erscheinen kann, externe Regeln zu brechen. Ein harmloses Beispiel ist die bewusste Verletzung von Verkehrsregeln durch Kraftfahrer, welche den Nutzen, beispielsweise zu hoher Geschwindigkeit (Zeitersparnis), der Regelverletzung mit den Kosten der zu erwartenden 318 Strafe abgleichen und deshalb die externe Regel brechen. Die einzige Sicherung der gesellschaftlichen Regeln ist nach North die Übereinstimmung derselben mit dem inneren Wertesystem des ökonomischen Akteurs, was North allgemein als »Ideologie« oder an anderer Stelle auch als »Belief System« bezeichnet (beispielsweise die 319 Verkehrsregeln nicht im Übermaß zu brechen). Da Ideologien als interne Regelsysteme stets in die Institutionenbildung mit einfließen, gibt es deshalb keinerlei Garantien, dass etablierte Institutionen 320 auch effizient sind. Institutionen stehen demnach zwischen einzelnen ökonomischen Akteuren und haben das Potential, deren Verhalten ebenso auf Märkten wie in nicht-marktlichen Bereichen zu beeinflussen. Da neoklassische Verhaltensannahmen Institutionen als allokationsneutral betrachten, müssen diese im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik erweitert werden.
1.2 Verhaltensannahmen der »Neuen Institutionenökonomik« Die Vertreter der Neuen Institutionenökonomik argumentieren, dass aufgrund des Vorhandenseins von Transaktionskosten die neoklas-
318 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 34. 319 North beschreibt seine Auffassung von »Ideologie« wie folgt: »By ideology I mean the subjective perceptions (models, theories) all people possess to explain the world around them. Wether at the microlevel of individual relationships or at the macrolevel of organized ideologies providing integrated explanations of the past and the present, such as communism or religions, the theories individuals construct are colored by normative views of how the world should be organized.« North, Douglass C. (1990): S. 23 [Hervorhebung getilgt]. 320 Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 83. Der Aspekt der inneren Regelsysteme wird von North insbesondere in (2005) ausgebaut und wird in Hinblick auf Medien in Teil III dieser Arbeit vertieft.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS sische Annahme der vollkommenden Rationalität aufgegeben werden muss, da ökonomisches Handeln in Anwesenheit von Transaktionskosten und in Abwesenheit vollständiger Informationen von starken Unsicherheiten, sowohl über Preis und Qualität von Gütern des ökonomischen Tausches als auch über das soziale Verhalten von Tauschpartner, geprägt ist. Diese Annahmen stellen Entscheidungssubjekte in ein ganz anderes Verhältnis zu den Entscheidungsgegenständen, weshalb die Neue Institutionenökonomik den Begriff 321 der »begrenzten Rationalität« einführt. Individuen sind in dieser Konzeption nicht mehr voll informiert. Dies bedeutet erstens, dass Informationen kostspielig sind und zweitens, dass Informationen nur 322 begrenzt erlangt und verarbeitet werden können. Für moderne Gesellschaften, in denen ökonomische Aktivitäten hauptsächlich über unpersönliche Tauschprozesse gesteuert werden, eröffnet sich deshalb für ökonomische Akteure das Potential zu opportunistischem Verhalten, beispielsweise durch das Vorenthalten von wesentlichen Informationen. Diese Erweiterungen der ökonomischen Verhaltensannahmen im Rahmen des institutionenökonomischen Denkgebäudes werden im Folgenden ausgeführt.
1.2.1 Begrenzte Rationalität und unvollständige Information Das den institutionenökonomischen Verhaltensannahmen zugrundeliegende Konzept der »eingeschränkten« oder »begrenzten Ratio323 nalität« lässt sich nach Oliver E. Williamson in Abgrenzung zur neoklassischen »substantiellen« Form der Rationalität als »halb324 starke« Form der Rationalität begreifen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Wirtschaftsakteure rationales Handeln intendieren, aber aufgrund begrenzter Informationsaufnahmekapazitäten und -verarbeitungskapazitäten nur begrenzt erreichen können, da jeder wirtschaftliche Akteur seine Möglichkeiten nur zum Teil kennt und sich 325 seine Kenntnisse von denen aller andere Akteure unterscheiden. 321 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 34. 322 Vgl. zur »Information« in der ökonomischen Theorie im Allgemeinen Stiglers Aufsatz: »The Economics of Information«. Stigler, George J. (1961). 323 Der Begriff »begrenzte Rationalität« (bounded rationality) geht auf Herbert A. Simon (1955) zurück. 324 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 32 und Williamson, Oliver E. (1990): S. 50ff. 325 Vgl. zu den folgenden drei Abschnitten Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 63. Der Begriff der begrenzten Rationalität ist innerhalb der Öko-
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN Da der unbegrenzte Erwerb von Wissen zu teuer und für in der 326 Zukunft liegende Entwicklungen schlicht unmöglich ist, erscheint der Mensch in diesem Licht als ›Suchorganismus‹, welcher rationale Verfahren zur Reduzierung von Informationslücken (und den damit verbundenen Transaktionskosten) aufwenden muss und sich deshalb an komplexitätsreduzierenden Institutionen orientiert. Wie ›eingeschränkt rational‹ das Verhalten der Individuen im einzelnen ist, hängt deshalb laut Kirchgässner im hohen Maße von den institutionellen Bedingungen ab, wobei dabei u. a. eine Rolle spielt, »wie gut die Individuen über die ihnen offenstehenden Alternativen informiert sind bzw. sein können, wie hoch die Kosten sind, die für zusätzliche Informationen aufgewendet werden müssen, und wie hoch der mögliche Ertrag solcher Informationen ist, bzw. wie hoch 327 die Kosten ›falscher‹ bzw. suboptimaler Entscheidungen sind.« Rationales Handeln an sich wird laut Williamson dementsprechend auch im institutionenökonomischen Kontext weiterhin als intendierte Einsparungsorientierung verstanden, jedoch mit dem zusätzlichen Fokus auf Senkung von Transaktionskosten versehen. Die Annahme der begrenzten subjektiven Erkenntnisfähigkeit ist dabei das Hauptargument für die Notwendigkeit der Untersuchung von Institutionen im Wirtschaftsgeschehen. Die daraus entstehende Notwendigkeit, Institutionen als komplexitätsreduzierende, entscheidungsbeeinflussende Erwartensgrundlage in die Methode der ökonomischen Theorie einzubauen, bedeutet für die Institutionenökonomik, ihre Sichtweise auf den Menschen anzupassen und die Rolle des Menschen im Verhältnis zu gesellschaftlichen Regeln zu reflektieren. Erweiterungen haben die ökonomischen Verhaltensannahmen so auch insbesondere in Hinblick auf den Informationsstand des ökonomischen Menschen und seine Handlungsfähigkeit im Angesicht der sich daraus ergebenden Unsicherheit und der Präsenz gesellschaftlicher Regeln erfahren. Laut Karl Brunner und William Meckling lassen sich die daraufhin nomie nicht unproblematisch aufgenommen worden. Ökonomen, welche sich laut Arrow häufig als »Hüter der Rationalität« (Arrow, Kenneth J. (1974): S. 16) verstehen, verwahren sich teilweise gegen ihn, da die Grenzen der Rationalität fälschlicherweise als Nicht-Rationalität oder Irrationalität gedeutet wurden. Sozial- und Kulturwissenschaftler, besonders der kritischen Schule, lehnen demgegenüber auch ein begrenzt rationales Konzept weiterhin ab, da dieses, wie auch das ökonomische Maximierungsprinzip, eine intendierte Rationalität nahe legt, die als zu großes Zugeständnis an ein ökonomisches Kalkül gewertet wird. Vgl. Williamson, Oliver E. (1990): S. 51. 326 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 4. 327 Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 32.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS angepassten Verhaltensannahmen in ihrer Substanz auf die folgen328 den drei wesentliche Grundlagen zusammenfassen: 1. Der Mensch bewertet seine Handlungen in Bezug auf die Welt, die ihn umgibt. Der Mensch bedient sich als Grundlage seiner Entscheidungen demnach nicht mehr lediglich seiner Präferenzen, sondern orientiert sich zuzüglich zu seinen Präferenzen an anderen Menschen und den Regeln des Umgangs mit diesen. Da er nicht über vollständige Information verfügt, versucht er die daraus resultierenden Unsicherheiten im ökonomischen Entscheidungsprozess zu vermindern, indem er die ihm zur Verfügung stehenden Informationen über die vorfindlichen Zustände der Welt differenziert, sortiert und ordnet, damit er alle vorgefundenen Zustände auf für ihn kommensurable Dimensionen reduzieren und in sein persönliches Wertesystem einordnen kann (welches ihm nicht immer zwingend bewusst sein muss). 2. Der maximierende Mensch erkennt, dass alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen limitiert sind. Nicht mehr nur materielle Ressourcen werden als knapp angesehen, sondern auch immaterielle Ressourcen. Das Individuum erkennt als Restriktionen demnach nicht nur Geld, sondern beispielsweise auch Zeit an und ist sich obendrein seines begrenzten Informationsstandes bewusst, zu dessen Verbesserung er Suchaktionen durchführen muss, deren Opportunitätskosten in seine Entscheidung einfließen. Dabei verhält er sich insofern weiterhin als Maximand, als dass er stets die bestmögliche Position zu erreichen versucht, die er unter den gegebenen und erkannten Restriktionen erreichen kann. Im Gegensatz zu den Verhaltensannahmen 328 Vgl. Brunner, Karl/Meckling, William H. (1977): S. 71-72. Brunner und Meckling beschreiben den Menschen als ideenreichen, wertenden und maximierenden Menschen, welches sie in Anlehnung an die englischen Begriffe »Resourceful, Evaluating, Maximizing Man« REMM-Modell nennen. Wie Brunner und Meckling anmerken, ist der »REMM« das Ergebnis von wenigstens zweihundertjähriger ökonomischer Forschungsarbeit, welche mit den in Teil I beschriebenen Arbeiten von Adam Smith und anderen begonnen hat. Die Bemühungen der neoklassischen Ökonomie diese Annahmen mathematisch zu kodifizieren haben ihrer Ansicht nach jedoch von diesen substanziellen Grundbedingungen oft abgelenkt und den Menschen als »brainy, but heartless calculating machine« (ebd. S. 72) erscheinen lassen, der es mit den gesellschaftlichen Realitäten der vorfindlichen Welt nicht aufnehmen kann. Sie entwickelten das REMM Modell demnach nicht explizit für die Institutionenökonomik, doch ihre Annahmen entsprechen denen von der Institutionenökonomik verwendeten. Zum Vergleich mit explizit institutionenökonomischen Annahmen siehe beispielsweise North, Douglass C. (1990): S. 18-22.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN
3.
der Neoklassik können Individuen jedoch durch rationales Verhalten kein mathematisches Optimum mehr erreichen, sondern können ihren Nutzen lediglich unter Nebenbedingungen der un329 vollständigen Information maximieren. In dieser Hinsicht wird häufig vom Begriff des Maximanten Abstand genommen und stattdessen davon ausgegangen, dass sich das Individuum als »Satisficer« verhält, welches einen unsicheren »erwarteten Nutzen« maximiert, d.h. »es sucht unter den ihm zugänglichen Alternativen so lange, bis es auf eine ›hinreichend‹ akzeptable 330 stößt, und es entscheidet sich dann für diese.« Der Mensch reagiert ideenreich auf seine Umweltbedingungen. Die Rolle, die das Individuum im Hinblick auf seine Restriktionen einnimmt, ist nicht mehr ausschließlich passiver Natur. Ökonomische Akteure reagieren nicht mehr automatisch in Abhängig von Restriktionen, sondern bringen durch intentionales Handeln selbst Problemlösungsstrategien in den ökonomischen Prozess ein. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Akteur mit neuen und unbekannten Situationen konfrontiert ist oder nach Wegen sucht, gegebene Restriktionen und Möglichkeiten zu verändern. Problembewältigung, Ausprobieren und Lernen drücken demnach alle den Ideenreichtum von Individuen aus und sind fester Bestandteil systematischen menschlichen Verhaltens.
Die erweiterten Verhaltensannahmen der Institutionenökonomik reflektieren somit in positiver Weise eine komplexere Welt, in welcher Entscheidungen des ökonomischen Menschen nicht mehr ausschließlich von direkt monetären Anreizen und Restriktionen abhängen. Institutionelle Restriktionen gesellen sich deshalb zu den klassischen ökonomischen Restriktionen. Doch nicht nur die Erweiterung der Restriktionen setzt die ökonomischen Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik von denen der Neoklassik ab, sondern auch die aktive Rolle des Menschen in der Beeinflussung von Institutionen zeichnet sich durch das Konzept aus, dass der Mensch ideenreich auf seine Umwelt reagieren und diese somit entscheidend mitprägen kann. Der ökonomische Mensch wendet in dieser Sichtweise sein Wissen an, um sich und seinesgleichen bewusst durch menschengemachte Regeln zu beschränken und damit ein
329 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 3. 330 Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 31.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS 331
besseres gesellschaftliches Ergebnis zu erzielen. Die Institutionenökonomik geht demnach davon aus, dass die von Adam Smith erdachte »unsichtbare Hand« der Klassik und Neoklassik aufgrund zu hoher Unsicherheiten zu langsam und zu teuer arbeitet, wenn ihr 332 keine unterstützenden Institutionen zu Hilfe kommen. Dem ökonomischen Menschen wird damit prinzipiell unterstellt, dass er in seinen Entscheidungen nicht nur blind sein Eigeninteresse maximiert, sondern bereit ist, Einschränkungen zum Wohle einer Gruppe zu akzeptieren und in seine Entscheidungen mit einzubeziehen.
1.2.2 Opportunistisches Verhalten Die Abkehr von passiver, individueller Nutzenmaximierung zu einer aktiven, wissensbasierten und ›ideenreichen‹ Rolle des Menschen eröffnet allerdings auch den Weg zu weniger lobenswerten Verhalten ökonomischer Akteure. So geht die Institutionenökonomik insbesondere im Hinblick auf formale Regeln und Verträge von der grundsätzlichen Fähigkeit des Menschen zu opportunistischem Handeln aus. Opportunistisches Verhalten wird laut Oliver E. Williamson häufig als die »Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List« verstanden. »Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. Häufiger bedient sich der Opportunismus raffinierter Formen der Täuschung. Sowohl aktive wie passive Formen und sowohl ex-ante333 wie ex-post-Typen gehören dazu.« Der spezifische Charakter des institutionenökonomischen »Opportunismus« lässt sich am ehesten als ein ›Nebenprodukt‹ der begrenzten Rationalitätsannahme verstehen, wenn man die vertragstheoretische Institutionenökonomik betrachtet. Diese geht davon aus, dass nicht alle Menschen gleich informiert sein können, wodurch sich bei allen ökonomischen Transaktionen zwangsläufig »Informationsasymmetrien« zwischen 331 Dieser Umstand stellt laut North eine radikale Abkehr von der ausschließlich individuellen Nutzenmaximierung dar: »Defining institutions as the constraints that human beings impose on themselves makes the definition complementary to the choice theoretic approach of neoclassical economic theory.« North, Douglass C. (1990): S. 5. 332 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 18. 333 Williamson, Oliver E. (1990): S. 54. North ergänzt gewissermaßen, dass in einer rein nutzenmaximierenden Welt Betrügen, Stehlen oder Lügen legitime Aktivitäten ökonomischer Akteure wären, sobald der Ertrag dieser Aktionen höher wäre, als der alternativer Aktionen. Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 30.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN den beteiligten Akteuren ergeben. Um Informationen beispielsweise über Zuverlässigkeit und Kompetenz von Vertragspartnern gegenseitig auszugleichen (symmetrischer zu machen), sind dementsprechend formale Regeln notwendig, die in Form von Verträgen zwischen Auftraggeber (Prinzipal) und Auftragnehmer (Agent) geschlossen werden und die Transaktionskosten sowohl zur Anbahnung von Verträgen (ex-ante) als auch zur Durchsetzung von Verträgen (ex post) zu reduzieren. Im Rahmen der sich mit diesen 334 Konstellationen beschäftigenden »Prinzipal-Agent-Theorie« wird davon ausgegangen, dass es aufgrund der Anwesenheit von Transaktionskosten und begrenzter Rationalität keine Verträge gibt, die alle Kontingenzen zur beidseitig erfolgreichen Vertragserfüllung ab335 bilden können. Daraus resultiert die Annahme grundsätzlich auftretender Informationsasymmetrien zwischen Auftraggeber und -nehmer, die aufgrund potentiell opportunistischen Verhaltens moralische Risiken (moral hazard) bergen, welchen nur durch Institutionen zu begegnen ist. Der Terminus »moralisches Risiko« weist darauf hin, dass die Annahme des opportunistisches Verhaltens nicht nur auf vorsätzlich unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, sondern auf grundsätzlich aus Vertragskonstellationen hervorgehende Informationsasymmetrien abzielt, welche prinzipiell von allen Vertragspartnern ausgenutzt werden können, auch wenn diese nicht grundsätzlich dem Opportunismus ›huldi336 gen‹. Agenten verhalten sich gemäß der Opportunitätsannahme demnach nicht grundsätzlich und von vorneherein (ex ante) und in schlechter Absicht opportunistisch, sondern werden häufig erst im 334 Siehe zur Vertiefung der vertragstheoretischen »Prinzipal-Agent-Theorie«: Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): Kapitel IV.4, S. 155-184. 335 Wie Richter und Furubotn ausführen, wären die dazu notwendigen »vollständigen Verträge« nur innerhalb einer neoklassischen vollständigen Rationalität denkbar. »Vollständige Verträge sind explizit vereinbarte Verträge mit symmetrischer Information. Sie sind in einem im vornhinein eindeutig definierten Sinne verbindlich, gleichgültig, ob es sich dabei um formale (schriftlich abgefaßte) oder informelle (mündliche) Vereinbarungen handelt. Sie können langfristig oder kurzfristig sein, Standardform haben oder komplex sein. Sie werden mit Hilfe Dritter durchgesetzt, das heißt, ihre relevante Information ist durch Gerichte überprüfbar. Ob sie Individual- oder Kollektivverträge und ob sie im eigenen Namen oder durch einen Agenten im Namen eines Dritten abgeschlossen werden, tut nichts zur Sache.« Richter, Rudolf/ Furubotn, Eirik G. (1996): S. 160 [Hervorhebung im Original]). In einer Welt mit Transaktionskosten sind diese Verträge kaum realisierbar (im abstrakten Sinne »zu teuer«) und haben deshalb weder in der Praxis noch in der institutionenökonomischen Analyse große Bedeutung (vgl. ebd.). 336 Vgl. Williamson, Oliver E. (1990): S. 54.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Rahmen der Vertragserfüllung (ex post) verleitet, entweder der Vertragserfüllung nicht aktiv nachzugehen (beispielsweise aufgrund eines besseren Angebotes von Konkurrenten) oder den Prinzipal nicht darüber zu informieren, dass ein elementarer Bestandteil des Vertrages sich geändert hat (z.B. das Ansteigen von Rohstoffpreisen durch Marktbewegung oder »externe Schocks«). Ersteres wird in der »Prinzipal-Agent-Theorie« als verstecktes Handeln (hidden action), letzteres als versteckte Information (hidden information) als Unter337 form des moralischen Risikos behandelt. Erst diese Annahmen potentiell regelwidrigen Verhaltens führen somit zu ex-post Unsicherheiten, welche erklären, warum Menschen ihre ›Freiheit‹ durch Institutionen ex-ante freiwillig beschränken. Dementsprechend vertritt Williamson die Ansicht, dass die ökonomische Annahme des Opportunismus nicht einfach auf die »primitive Reaktion« verkürzt 338 werden kann, dass Menschen »schlecht« seien. Diese Annahme des Opportunismus ist jedoch natürlich nicht dazu geeignet, den ›Ruf‹ des ökonomischen Menschen zu verbessern, da er nun nicht nur seinen Nutzen maximiert, sondern dies nun auch noch mit einem listigen Antrieb tut. Die Leichtigkeit, mit welcher Ökonomen opportunistisches Verhalten in ihren Modellen unterstellen, lässt sich ebenfalls aus dem nachfolgend beschriebenen Zusammenhang der spieltheoretischen Pfadabhängigkeiten der Institutionenökonomik besser kontextualisieren. In den von Oskar Morgenstern und John von Neumann beschriebenen »Nullsummenspielen« wird davon ausgegangen, dass diese Spiele, gemäß den Annahmen der vollständigen Rationalität, eine Auszahlungsmatrix besitzen, welche sie für Kooperation oder Nicht339 Kooperation entlohnt. In einfachen Spielen mit einer geringen Anzahl von Spielern, deren Dauer nur über eine Runde gespielt wird (one-shot game) bzw. in offensichtlichen Endrunden (end game) von mehreren Spielfolgen kann es nur einen ›Gewinner‹ geben, wodurch Nicht-Kooperation meist zum höheren Gewinn führt und somit op-
337 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 163. 338 Vgl. Williamson, Oliver E. (1990): S. 55. 339 Die Spieltheorie geht von einem sehr starken Rationalitätsbegriff aus, welcher vollständige Information über das bisherige Verhalten aller Spieler voraussetzt und Kenntnis aller Regeln. Unter diesen Voraussetzungen ist es dem nutzenmaximierenden Agenten stets möglich, die optimale Strategie innerhalb des Spieles zu entwerfen. Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 12.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN 340
portunistisches Verhalten zum einzig rationalen Verhalten wird. Kooperatives Verhalten hingegen lässt sich in der Welt der einfachen Spieltheorie fast nur bei wiederholten Spielen beobachten, deren wenige Spieler häufig interagieren und möglichst viele Informationen übereinander haben. Wie North ausführt, unterscheidet sich die relativ reine, präzise und simple Welt dieser Spiele deutlich von den komplexen, unpräzisen und eher tastenden Prozessen, mit 341 denen Menschen ihre Interaktionen strukturieren. Deutlichstes Beispiel dafür ist, dass der tatsächlich stattfindende unpersönliche Tausch auf Märkten die Anti-These für die Vorraussetzungen spieltheoretischer Kooperation darstellt. In einer Welt der Arbeitsteilung und des Massenkonsums ›spielen‹ viele Akteure, die wenig bis gar keine Informationen über die anderen Akteure haben und auch 342 nicht zwingend mehrfache Runden handeln. Die Antwort auf die Frage, warum es trotzdem zur Realisierung von unpersönlichem Tausch auf Märkten kommt, liegt für die Institutionenökonomik klar in der Funktion von Institutionen im Sinne von Spielregeln, opportunistisches Verhalten durch »Vertrauens- und Reputationsmechanismen« ›in Schach‹ zu halten. Der Aufbau von Vertrauen auf unpersönlichen Märkten ist ein kostspieliger Prozess, der im Regelfall durch den Aufbau einer Reputation erreicht wird, indem man sich an geltende Regeln (Institutionen) hält. Da Marktakteure miteinander kommunizieren, wird dem unpersönlichen Handeln der Charakter eines ›Endspiels‹ genommen. Opportunistisches Verhalten auf unpersönlichen Märkten wird somit in der Regel über die Zeit zur Verschlechterung der Reputation und damit langfristig zum Entzug des Vertrauens der potentiellen und vorhandenen Transaktionspartner 343 führen. Das Konzept des Opportunismus ist demnach weniger als eine grundsätzlich negative Haltung der Institutionenökonomik gegenüber dem Menschen zu verstehen, sondern ist vielmehr (wenn man so möchte) das Eingeständnis, dass die institutionelle Ordnung des Kapitalismus mit der dazugehörigen Anonymität unpersönlicher
340 Diese einfachen Spiele werden als »Nullsummenspiele« bezeichnet, da des einen Spielers Gewinn automatisch des anderen Verlust bedeutet. Vgl. Davis, Morton D. (1983): S. 11ff. 341 Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 15. 342 Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 12. 343 Aus diesem Grund haben sich in westlichen, unpersönlichen Märkten Institutionen, wie beispielsweise Markennamen und Garantien, durchgesetzt, welche geeignet sind, opportunistisches Verhalten zu sanktionieren und zu reduzieren. Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 240f.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Märkte und in Verbindung mit gegebener begrenzter Rationalität, Informationsasymmetrien entstehen lassen, welche den Menschen verleiten können, opportunistisch zu handeln. Aus diesem Grund sind zusätzliche Institutionen für die Effizienz von Märkten und letztendlich der Stabilität von arbeitsteiligen, privatwirtschaftlichen Gesellschaften notwendig. Diese Einsicht reflektiert eine wesentliche Grundlage des institutionenökonomischen Denkgebäudes, welche darin besteht, dass Institution nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern in spezifischen institutionellen Ordnungen, zu denen der Mensch in einem bestimmten Verhältnis steht, welches im Folgenden vertieft wird.
1.3 Ökonomischer Mensch und institutionelles Umfeld Eine der wesentlichen Annahmen der institutionalistischen Sichtweise ist, dass einzelne Institutionen nicht isoliert voneinander wirken, sondern ihre Wirksamkeit innerhalb von Gesellschaften erst durch das Vorhandensein eines komplexen »Institutionengefüges« entfalten. So setzt beispielsweise die, von der neoklassischen Theorie schlicht als gegeben angenommene Institution des Preismechanismus auf Märkten aus institutionenökonomischer Sicht bereits eine Vielzahl von ergänzenden vor- und nachgelagerten Institutionen zur vollen Funktionsfähigkeit voraus. So sind beispielsweise Privateigentum, Vertragsfreiheit, ein stabiles Währungssystem ebenso institutionelle Voraussetzungen eines Preissystems, wie gemeinsame Kommunikationsgrundlagen und geteiltes Wissen um ethische Normen und gesellschaftliche Sanktionierungsmechanismen. Ökonomische Akteure beziehen in ihre Entscheidungen demnach immer das ihnen bekannte Geflecht aus formellen und informellen Institutionen sowie den entsprechenden Sanktionierungsmechanismen ein. Solche komplexen Strukturen werden von einzelnen ökonomischen Akteuren häufig nicht bewusst rationalisiert, sondern in alltäglichen Situationen oft unbewusst in Anspruch genommen. Die Begrifflichkeiten für die institutionellen Ordnungen einer Gesellschaft sind entsprechend der häufig recht unscharfen Verwendung des Begriffes Institution ebenfalls nicht von einheitlicher Verwendung und begrifflicher Präzision gekennzeichnet. Verschiedene Autoren, wie North, Williamson, Dietl sowie Richter und Furubotn, benutzen unterschiedliche Darstellungen institutioneller
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN Ordnungen, welche sowohl in einer ontologischen als auch in einer historischen Entwicklung teilweise heterogen sind und gegenseitig aufeinander bezogen nicht immer schlüssig sind. Die folgenden Ausführungen bemühen sich darum, zumindest für den weiteren Verlauf dieser Studie, ein einheitliches Set an Begriffen und Zusammenhängen zu entwerfen, indem den Fragen nachgegangen wird, wie sich institutionelle Ordnungen systematisieren lassen, in welchem Verhältnis Institutionen zueinander stehen und inwiefern ökonomische Akteure Einfluss auf die Entwicklung institutioneller Gefüge haben.
1.3.1 Institutionelle Ordnungen Als erste Näherung lässt sich die institutionelle Ordnungen einer Gesellschaft in eine Makro-, eine Meso- und eine Mikroebene unterteilen. Die makroskopische Ebene des institutionellen Umfeldes bezeichnet North als »institutionelle Matrix«, welches ein historisch gewachsenes, »interdependentes institutionelles Netz« aus Regeln, Verhaltensweisen und Organisationen bildet, welches die dynamische Gesamtheit der sozialen und kulturellen Grundlagen 344 Die institutionelle Matrix einer einer Gesellschaft darstellen. Gesellschaft kann analytisch dementsprechend kaum in ihrer Ganzheit erfasst werden, da sie beispielsweise nicht nur die historische Entwicklung von Institutionen einer abgegrenzten Gesellschaft erfassen müsste, sondern auch deren Interaktionen mit allen anderen Gesellschaften und deren Institutionen. Der Begriff der institutionellen Matrix beinhaltet aufgrund seiner Komplexität weniger ein exakt analysefähiges Konzept, als vielmehr die Betonung, dass verschiedene spezifische »institutionelle Frameworks« innerhalb der allgemeinen institutionellen Matrix interagieren. Beispielsweise kann die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des dazugehörigen Frameworks in ihrer ›Ganzheit‹ nur in Abhängigkeit der spezifischen institutionellen Frameworks ihrer Handelspartner analysiert werden. Der Begriff des institutionellen Frameworks lässt sich dementsprechend als das in einem bestimmten Zeitraum existierende, spezifische Institutionengefüge beispielsweise einer sozialen Gruppe, einer ökonomische Branche oder auch einer Organisa345 tion beschreiben. Der Begriff des institutionellen Frameworks hat 344 Vgl. North, Douglass C. (1991): S. 109. 345 North selbst verwendet die Begriffe nicht einheitlich, so tendiert er dazu, in früheren Arbeiten den Begriff »institutional framework« in dem Sinne zu ver-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS immer noch eine recht weitgefasste Verwendungsbreite, ist jedoch bereits eingeschränkter als der Begriff der institutionellen Matrix. Am präzisesten abgrenzbar ist der Begriff »institutionelles Arrange346 ment« (institutional arrangement), welcher eine spezifische mikroskopische Ebene der Vertragsgestaltung sowie der dazugehörigen ›Überwachungs- und Durchsetzungssysteme‹ für Einzeltransaktio347 nen darstellt. Bereits aus der unterschiedlichen Reichweite dieser verschiedenartigen Institutionengefüge lässt sich ableiten, dass sich innerhalb gesellschaftlicher Ordnungen unterschiedliche Hierarchie348 stufen zuordnen lassen. In einer Institutionenhierarchie bilden fundamentale Institutionen die Grundlage der Ausprägung von Institutionen mit sekundärem, nachgelagertem Charakter. Zu den »fundamentalen Institutionen« gehören je nach Autor und Analyse entweder nur informelle Institutionen, wie z.B. Konventionen, Tra349 ditionen, Normen und Religionen, oder ein Mix aus formellen und informellen Institutionen, welcher Menschenrechte, Gesetze, Gastfreundschaft, Sprache, gesellschaftliche Verfassungen u. a. beinhal350 tet. Dem hingegen werden Organisationen, Unternehmen, Verbände, staatliche Einrichtungen etc., aber ebenso nicht konstitutionelle Gesetze, Gerichtsurteile, Verträge sowie die tatsächlichen Einrichtungen zur Überwachung und Durchsetzung von Regeln meist 351 als nachgelagerte, sekundäre, tertiäre etc. Institutionen gesehen. Welche Institutionen als fundamental und welche als sekundär angesehen werden, hängt meist vom Gegenstand und Geltungsbereich der jeweiligen Untersuchung ab. Vom Standpunkt des in der institutionenökonomischen Theorie weit verbreiteten kontrakttheo352 retischen Ansatzes, welcher Institutionen eines spezifischen
346 347
348 349 350 351 352
wenden, wie er später »institutional matrix« verwendet. Vgl. exemplarisch North, Douglass C. (1991): S. 108 vs. North, Douglass C. (2005): S. 2f. Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 288. Viele ökonomische Arbeiten widmen sich insbesondere diesen »GovernanceStrukturen«, indem sie institutionelle Arrangements zwischen ökonomischen Akteuren wie z.B. Unternehmen, Interessengruppen oder öffentliche Verwaltungen analysieren und Gestaltungsempfehlungen darüber abgeben, wie ökonomische Aktivitäten organisiert werden und in welcher Weise sich ökonomische Einheiten koordinieren sollten, damit sie beispielsweise kooperieren oder sich kompetitiv verhalten. Vgl. Williamson, Oliver E. (1993a): S. 112. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 74f. Williamson, Oliver E. (2000): S. 597. Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 70. Vgl. exemplarisch Dietl, Helmut (1993): S. 74. Diese Ansätze stehen in der Tradition der konstitutionellen Ökonomik. Die konstitutionelle Ökonomik setzt sich, dem Namen entsprechend, insbeson-
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN gesellschaftlichen Wirtschaftssystems untersucht, dienen »elementare konstitutionelle Regeln« als fundamentale Institutionen, welche durch transaktionskostensparende »elementare operationelle Re353 geln« ergänzt werden. Wie in der folgenden zusammenfassenden Tabelle dargestellt ist, differenzieren sich die elementaren operationalen Regeln in »allgemeine und spezifische operationelle Regeln« auf, welche insbesondere dazu dienen, die Kosten der Allokation von Gütern niedrig zu halten. elementare konstitutionelle Regeln !"(Privat-)Eigentum !"Übertragung von Verfügungsrechten gemäß des Grundsatzes der Vertragsfreiheit !"Haftung für schuldhaftes Handeln
Politischer Geltungsbereich
elementare operationelle Regeln allgemeine operationelle Regeln
spezifische operationelle Regeln
!" Sprache und Schrift, !" ethische Werte, !" Zahlensysteme, !" Maße und Gewichte, !" Zeiteinheiten (Stunden, Tage, Wochen), !" Rechen- und Tauschmittel-einheiten (Geldeinheiten) !" Allgemeinbildung !" Kommunikationsmittel !" Verkehrsmittel !" Geld (Münzstätten, Notenbank usw.)
Transaktionstätigkeiten !" ex ante – in der Phase vor Vertragsabschluss (Suche und Inspektion) !" während des Vertragsabschlusses !" ex post – in der Phase nach Vertragsabschluss (Erfüllung, Überwachung und Durchsetzung)
Kultureller Geltungsbereich
Ökonomischer Geltungsbereich
Tabelle 1 – Elementare konstitutionelle und operationelle Regeln 354 in einer liberalen Privateigentumswirtschaft dere mit den rechtlichen Institutionen einer Gesellschaft auseinander, die zur Handlungsgrundlage bei der Erstellung aller nachgelagerten Institutionen und schließlich auch der einzelnen Akteure werden. Zum Überblick vgl. Buchanan, James M. (1975|1984) und Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 62-70. 353 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 289f. 354 Inhalte zusammengefasst aus Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 289ff. Geltungsbereich wurde hinzugefügt. Dieses institutionelle Frameset unterscheidet aus wirtschaftshistorischer Sicht über das jeweilige gesellschaftliche Wirtschaftssystem. Als Beispiel nennen Richter und Furubotn die elementaren konstitutionelle Regeln des klassischen liberalen Staates, die ihn vom Idealtypus des Marktsozialismus abgrenzen. Vgl. Richter, Rudolf/ Furubotn, Eirik G. (1996): S. 514.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Dieser Ansatz entspricht jedoch einer beispielhaften Momentaufnahme, welcher die Institutionen einer liberalen Privatwirtschaft bereits als von den Individuen einer Gesellschaft akzeptiert voraussetzt. Die Entstehung der juristisch-politischen, kulturellen und ökonomischen institutionellen Gesichtspunkte wird in dieser Systematisierung nicht thematisiert. In einer solchen Perspektive wie sie in Abbildung 8 skizziert ist, sind somit keine Aussagen über die historische Entstehung und den Wandel von Institutionen enthalten, da Institutionen hier ausschließlich als Möglichkeit zur Einsparung von Kosten durch nutzenmaximierende ökonomische Akteure betrachtet werden.
Abbildung 8 – Institutionenhierarchie nach Richter und Furubotn Da fundamentale Institutionen den sekundären zwangsläufig historisch vorgelagert sind, nehmen die meisten neueren institutionenökonomischen Ansätze deshalb eine historische Perspektive ein, welche die »Pfadabhängigkeiten« bei der Entwicklung neuer Institu355 tionen in die Untersuchungen mit einbezieht. In einer solchen historischen Perspektive nehmen häufig die in der Tabelle dargestellten allgemeinen operationellen Regeln kultureller Prägung fundamentalen Charakter an, da diese allen denkbaren Vertragskonstellationen historisch vorgelagert sind, wie es die folgende Abbildung zeigt.
355 Das Konzept der Pfadabhängigkeiten schreibt North den Wirtschaftshistorikern Brian Arthur und Paul David zu (vgl. Arthur, Brian (1989); David, Paul (1985); North, Douglass C. (1991): S. 109). North beschreibt den Inhalt dieses Konzeptes wie folgt: »How the past connects with the present and future is the subject of path dependence [...].« North, Douglass C. (2005): S. 51.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN
Abbildung 9 – Institutionenhierarchie nach North oder Williamson Einen solchen Ansatz, welcher in der Abbildung 9 dem eher statischen von Richter und Furubotn (Abbildung 8) gegenübergestellt ist, verfolgen beispielsweise neuere institutionenökonomische Ansätze von North und Williamson, welche sowohl den informellen gesamtgesellschaftlichen Institutionen als auch den individuellen, internen Regelsystemen übergeordneten Charakter für die Entwicklung 356 institutioneller Ordnungen zuweisen. Diese Ansätze gehen davon aus, dass fundamentale Institutionen sich in langwierigen Evolutionsprozessen herausgebildet haben und von Mitgliedern einer Gruppe in internen Regelsystemen internalisiert und damit meist unbewusst in Anspruch genommen und vorausgesetzt werden. Institutionen beruhen in dieser Sichtweise auf spezifischen, kulturell geprägten Wahrnehmungsmustern, welche sich in externen Institutionen widerspiegeln. Bevor die Entstehensweise solcher Wahrnehmungsmuster in Teil III vertieft wird, werden nachfolgend die methodologischen Implikationen dieser Sichtweise thematisiert.
1.3.2 Institutioneller Individualismus Das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft wurde im Institutionalismus keineswegs immer einheitlich betrachtet. Auch wenn es zu jeder Zeit der theoretischen Auseinandersetzung Ausnahmen gab und gibt, so lässt sich laut Richter und Furubotn feststellen, dass in den Arbeiten der ›alten‹ Institutionenökonomen kollektivistische (holistische) Ansätze dominieren und in der ›neuen‹ individualistische Ansätze, weshalb sich das Verhältnis 356 Vgl. Williamson, Oliver E. (2000) und North, Douglass C. (2005).
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS des Individuums zu Institutionen als eines der Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen ›altem‹ und ›neuem‹ Institutionalismus 357 beschreiben lässt. Da die Autoren des alten Institutionalismus von jeher den methodologischen ›Modellplatonismus‹ der neoklassischen Ökonomie anprangerten, welcher das Wirtschaftsleben in ein institutionelles Vakuum verbannte und nur noch ausschließlich mit Hilfe der im ersten Teil umrissenen entscheidungslogischen Formalismen erklärte, lag es nahe, eine Sichtweise einzunehmen, welche im Gegensatz zu individualistischen Positionen eine eher kollektivistische Gegenposition aufbaut. Als kollektivistische oder holistische Denkrichtungen lassen sich nach Dietl im wesentlichen marxistische, funktionalistische, aber 358 auch systemtheoretische Ansätze unterscheiden. Kollektivistische Ansätze betrachten besonders die Entstehung und den Wandel von Institutionen als emergentes Phänomen sozialer Systeme und nicht als Ergebnis menschlichen Handelns. Aus Sicht dieser Theorien kann weder das einzelne Individuum noch eine Personenmehrheit institutionelle Ordnungen und deren Wandel grundlegend beeinflussen, sondern institutioneller Wandel ist gleichwohl als Eigenleistung des Institutionengefüges zu verstehen und deshalb auch häufig his359 Klassisches Beispiel kollektivistischer Antorisch determiniert. sätze ist die These der »historischen Determinierung« innerhalb marxistischer Theorien, welche institutionellen Wandel aus dem Spannungsverhältnis von ökonomischen Produktivkräften und dem, für die jeweilige Gesellschaftsform typischen institutionellen Überbau erklärt. Die teleologische Sichtweise des Kommunismus auf die Entwicklung von Gesellschaften geht davon aus, dass sich diese vom Urkommunismus primitiver Gesellschaften über die Sklavenhaltung der Antike, die Feudalgesellschaft des Mittelalters, den neuzeitlichen Kapitalismus in die höchste Stufe gesellschaftlicher Organisation, 360 Durch diese historische den Kommunismus, entwickeln wird. Determination stellt dieser Ansatz damit eine potentiell offene Zu-
357 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 39. Wie Richter und Furubotn ausführen, sind strenggenommen schon die Label »Alt« und »Neu« mit Vorsicht zu betrachten, denn auch heute noch gibt es ökonomische Ansätze, die einem eher holistischen Ansatz folgen. Vgl. Richter, Rudolf/ Furubotn, Eirik G. (1996): S. 514. 358 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 37. 359 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 47. 360 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 42.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN kunft in Frage und räumt dem Menschen somit wenig konzeptionel361 len oder tatsächlichen Gestaltungsraum ein. Weniger historisch als sozial determiniert, aber trotzdem in kollektivistischer Tradition stehend, werden die Ansätze des alten soziologischen Institutionalismus aus heutiger Sicht betrachtet. Institutionen wurden in diesen Theorien insbesondere in einer ausschließlichen struktur-funktionalistischen Perspektive erörtert. Demnach dienen Institutionen als gesellschaftlicher ›Mechanismus‹, mit dem alle möglichen menschlichen Handlungsschemata in ein integriertes System eingeordnet werden können, welches mit allen 362 Situationserfordernissen fertig werden kann. Auch die ausschließliche Fokussierung Veblens auf die »Denkgewohnheiten« gehen eher davon aus, dass Gesellschaften bestimmte Rollenanforderungen stellen (z.B. die des Arbeiters oder eben der »feinen Leute«), welche von Individuen mehr oder weniger ausschließlich bedient werden. Die angloamerikanische ökonomische Theorie verhält sich gegenüber kollektivistischen Ansätzen traditionell skeptisch, da beide Ansätze für lange Zeit politisch stark belastet waren und teilweise immer noch sind. Westliche Ökonomen sehen die individualistische Perspektiven deshalb häufig als »Hüter gegen kollektivistische The363 orien«, wie Arrow es 1994 formulierte. Jedoch erstrecken sich kollektivistische Ansätze nicht ausschließlich auf politisch beladene Theorien, sondern beispielsweise auch auf zeitgemäße soziologische Forschung. Der systemfunktionalistische Ansatz nach Niklas Luhmann liegt einem regelbasierten Ansatz, wie ihn auch die Neue Institutionenökonomik darstellt, prinzipiell recht nahe. Jedoch kommt dem Menschen als Mischung aus biologischem und psychischem System bestenfalls eine Rolle als Anreger externer Strukturanpassung zu, während die eigentlichen gesellschaftlichen Änderungen 364 durch Interaktion und Ausdifferenzierung der Systeme stattfinden. Das Problem, dass sich die Neue Institutionenökonomik angesichts der von ihr angenommenen zentralen Rolle von Institutionen sehr nahe an einer möglichen vollständigen Determiniertheit des 361 »Whether in Marxist or other forms, such theories relied heavily on disembodied actors such as classes or national spirits, rather than on actual persons.« Arrow, Kenneth J. (1994): S. 3. 362 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 43f. 363 »Social and historical determination is not as popular a viewpoint as it used to be, and an individualistic perspective is a guard against such theories.« Arrow, Kenneth J. (1994): S. 3. 364 Vgl. Dietl, Helmut (1993): S. 44.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Menschen bewegt, löst sie, indem sie ihre Methodologie an die Tradition des methodologischen Individualismus anlehnt, indem sie den Menschen als den Schöpfer und einzige Quelle der Veränderung von Institutionen ansieht: »Institutions are a creation of human beings. They evolve and are altered by human beings; hence our theory 365 must begin with the individual.« Sie übernimmt jedoch nicht die ›naive‹ Einstellung der Neoklassik, sondern integriert die durchdringende Rolle institutioneller Restriktionen in einem methodologischen Konzept, welches als »institutioneller Individualismus« be366 zeichnet werden kann. Der institutionelle Individualismus lässt sich am besten als ein dynamisches Konzept begreifen, welches anerkennt, dass Institutionen den Menschen prägen aber ebenso be367 tont, dass der Mensch Institutionen prägt. Da im Denkgebäude der Institutikonenökonomik kollektive Organisationen als Zusammenschluss von Individuen mit übereinstimmenden Intentionen gebildet werden, unterscheidet die Neue Institutionenökonomik nicht zwischen Organisationen und Einzelindividuen als ökonomischen Akteuren. Der Mensch wird damit als Auslöser aller Veränderung anerkannt, jedoch impliziert die begrenzte Rationalität, dass Institutionen ebenso den Menschen prägen und Ergebnisse menschlichen Handelns deshalb nicht immer der ihr zugrunde liegenden Planung entsprechen, wie nachfolgend vertiefend erläutert wird.
1.3.3 Planbarkeit institutionellen Wandels 368
Jede Art der bisher thematisierten institutionellen Ordnung ist somit abhängig von historischen Konfigurationen und kann deshalb im Sinne Friedrich August von Hayeks als »Ergebnis menschlichen Han369 delns, aber nicht menschlichen Entwurfs« beschrieben werden. Dar365 North, Douglass C. (1990): S. 5; vgl. auch North, Douglass C. (2005): S. 11 oder auch Williamson, der den Mensch als »Schöpfer von Verträgen« ansieht. Vgl. Williamson, Oliver E. (1990): S. 49-77. 366 Der Ausdruck wurde von Joseph Agassi (1975) geprägt. 367 Vgl. zu dieser Auffassung Held, Martin/Nutziger, Hans G. (1991a). 368 Der Begriff der Ordnung wird im Folgenden nicht mehr in einer statischen Dimension, sondern in Analogie zu einem zeitlich begrenzt existierenden Institutionengefüge verwendet: »Die zweckmäßigste Definition des Begriffes »Ordnung« scheint mir das Bestehen zwischen wiederkehrenden Elementen zu sein, die es für uns möglich macht, aufgrund der Kenntnis eines (räumlich und zeitlich) beschränkten Teils eines Ganzen Erwartungen bezüglich des Restes zu bilden, die gute Aussichten auf Erfüllung haben.« Vgl. Hayek, Friedrich A. von (1967a): S. 176. 369 Vgl. Hayek, Friedrich A. von (1967).
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN unter ist zu verstehen, dass jedwede Ordnungen nicht das alleinige 370 Ergebnis einer zeitlos rationalen Tätigkeit ordnender Wesen ist. Aufgrund der begrenzten Rationalität von sozialen Akteuren ist jede Art von Ordnung als Ergebnis eines Prozesses zu werten, bei dem von Menschen intendiertes Handeln zu unintendierten Ergebnissen führen kann. Das bedeutet in Hayeks Sinne, dass alle vom Menschen aufgrund rational gebildeter Intentionen konstruierten »geplanten 371 Ordnungen« stets auch »spontane Ordnungen« nach sich ziehen. Geplante Ordnungen entstehen, indem Menschen sich ihrer internen und externen Rationalität bedienen, um die einzelnen Teile eines vorfindlichen Ganzen zueinander in Beziehung zu setzen. »Es ergibt eine Art von Ordnung, die wir alle verstehen, weil wir wissen, wie sie hergestellt wird. Es ist aber nicht die einzige Art von Ordnung, auf der das Wirken der Gesellschaft beruht, und es kann auch nicht die ganze Ordnung der Gesellschaft auf diese Weise hergestellt 372 werden.« Diese Ordnungen gehen gemäß den Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik als externes Regelsystem in die Planungen anderer, nicht am ursprünglichen Planungsprozess beteiligter Individuen ein. Diese anderen Akteure sind den externen Regeln der ursprünglichen Planer jedoch nicht hoffnungslos ausgeliefert, sondern können vorhandene Strukturen ideenreich nutzen, 373 um ihre individuellen Ziele zu verfolgen. Sollten sich ideenreiche Strategien als erfolgreich erweisen, so werden diese potentiell wiederum von anderen Akteuren übernommen und institutionalisieren 374 sich aus Sicht der ursprünglichen Planer ›spontan‹. Spontane oder ungeplante Ordnungen entstehen deshalb nach Hayeks Ansicht nicht als vorhersehbare, intendierte Ergebnisse, »sondern als das unvorhergesehene Ergebnis von Verhalten, das die Menschen ange375 nommen haben, ohne ein solches Resultat im Sinn zu haben.« Laut Hayek ist somit ein Großteil dessen, »was wir Kultur nennen, eine solche spontan gewachsene Ordnung, die weder völlig unabhängig 370 371 372 373
Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 32. Vgl. zu den »Arten der Ordnung«: Hayek, Friedrich A. von (1963): 32ff. Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 34. Zur Durchsetzung der zur Bildung einer spontanen Ordnung erforderlichen Regeln wird jedoch gleichwohl eine vorgelagerte Instanz der geplanten Ordnung benötigt. Spontane Ordnungen sind dementsprechend zweckunabhängig (Nomokratie), Organisationen dagegen zweckabhängig (Teleokratie). Vgl. Hayek, Friedrich A. von (1967a): S. 163. 374 Diese Sichtweise impliziert jedoch in keiner Weise, dass spontane Ordnungen ohne menschliches Zutun entstehen. Sie sind lediglich kein Ergebnis eines »persönlich Ordnenden«. Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 34. 375 Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 36.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS von menschlichem Handeln entstand, noch planmäßig geschaffen wurde, sondern durch einen Vorgang, der irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten steht, die lange als die einzigen Alternativen 376 betrachtet wurden.« Pfadabhängigkeiten innerhalb eines Institutionengefüges entstehen somit nicht geradlinig, sondern entwickeln sich durch die Interaktion von Institutionen und ökonomischen Akteuren. Institutionengefüge sichern in diesem Sinne nur die Möglichkeiten, aber nicht die 377 Ergebnisse einer Gesellschaft. Ausgehend von der Annahme, dass die Zukunft offen ist und institutionelle Entwicklungen somit nicht teleologisch ablaufen, entstehen aus der Interaktion von begrenzt rationalen ökonomischer Akteure innerhalb der institutionellen Matrix immer wieder verschiedene, unvorhersehbare Ordnungen. Im Konzept des individuellen Institutionalismus haben weder die Regeln der Gesellschaft die vollständige Kontrolle über individuelles Verhalten, wie es kollektivistische Ansätze annehmen, noch hat das Individuum vollständige Kontrolle über die Gesamtheit der Regeln, wie es rein neoklassische Ansätze darstellen. Selbst eine institutionelle Ordnung, welche mit dem Ziel des Stillstands gesellschaftlicher Entwicklung geplant wäre (z.B. um ›gute Zeiten‹ zu konservieren), würde durch die unvollständige rationale Planung Lücken für nicht vorhergesehenes menschliches Handeln und somit potentiellen institutionellen Wandel lassen, wodurch die Welt der Neuen Institutionenökonomik zu einer Welt des 378 permanenten Wandels wird. In einer Welt des permanenten Wandels muss der Mensch dementsprechend durch Lernprozesse seine Fähigkeiten und sein Wissen anpassen. Wie Douglass North ausführt, hat die Einbeziehung dieser Lernprozesse wesentlichen Einfluss auf die Theorie des institutionellen Wandels, da diese nicht mehr ohne Rücksicht auf die Wahrnehmung von Akteuren und daraus resultierenden internen Regelsystemen erklärt werden kann. Grundsätzlich geht die ökonomische Theorie davon aus, dass ökonomische Akteure in Gegenwart von Knappheit und Wettbewerb fortlaufend in Wissen investieren müssen, um Unsicherheiten zu vermindern und wettbewerbsfähig zu bleiben. Welche Art des Wissens von ökonomischen Akteuren in diesem Prozess als relevant an-
376 Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 36. 377 Vgl. Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 40. 378 Diese Einsicht ist für Douglass North unter dem Begriff der »Non-ergodic world« ein Schlüsselkonzept des institutionellen Wandels, wie in Teil III, Kapitel 1.1 vertieft wird.
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1. ÖKONOMISCHER MENSCH UND HANDLUNGSLEITENDE INSTITUTIONEN gesehen wird, wird im hohen Maße von der spezifischen Wahrnehmung von Handlungsanreizen des Institutionengefüges bestimmt. Ob ökonomische Akteure diese Handlungsanreize wahrnehmen können, hängt im Wesentlichen von den Denkstrukturen (mental constructs) der ökonomischen Akteure ab, welche in Lernprozessen von den formalen Regeln, informellen Normen und den Sanktionierungsmechanismen der Gesellschaft geprägt wurden. Kommt es nun beispielsweise aufgrund technologischer oder wissensbasierter Entwicklungen zu einer relevanten Veränderung von Transaktionskostengefügen, da z.B. Informationen durch die Erfindungen der so genannten Informationsrevolution günstiger über Raum und Zeit zu verteilen sind, werden die neuen Kostenstrukturen zu neuen ökonomischen Entscheidungen führen. Diese neuen Entscheidungen werden, wenn sie von mehreren Akteuren getroffen werden, Grundlage neuen Regelverhaltens werden und sich somit über die Zeit institutionalisieren und ihrerseits die Wahrnehmung von Individuen 379 beeinflussen, welche Grundlage von deren Entscheidungen ist. Sowohl externe Regeln von Gruppen als auch interne Regelsystem der ökonomischen Akteure werden deshalb über die Zeit nicht als konstant angesehen werden und sich über die Zeit in einem re380 ziproken Verhältnis zueinander entwickeln. Institutionen ändern sich dementsprechend nicht ›von selbst‹, sondern in einem Spannungsfeld zwischen externen Regeln und internen Regelsystemen ökonomischer Akteure. Die Betrachtung, wie die Rolle von Medien im Wechselspiel zwischen externen Regelsystemen und internen Regelsystemen zu bestimmen ist, wird einen Großteil der verbleibenden Seiten in Anspruch nehmen.
379 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 59f. 380 Dabei wird prinzipiell davon ausgegangen, dass die (Kosten der) Veränderbarkeit von Institutionen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrem Alter steht, weshalb im Rahmen der Institutionenökonomik in der Regel davon ausgegangen wird, dass sich informelle Regeln nur selten und langsam ändern, wohingegen beispielsweise Transaktionsregeln im kontinuierlichen Wandel stehen. Vgl. Williamson, Oliver E. (2000): S. 597.
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»Wann immer man Apparate, Technologien oder Symbolzusammenhänge in ihren medialen Dimensionen analysiert, wird es zugleich um den historischen Stand und die Reichweite eines medialen Unbewußten gehen – das gilt für die Geschichte der Elektrizität oder des Kinos ebenso wie etwa für das Verhältnis von Massenliteratur und Lesesucht, Geldverkehr und die Intervention einer notorischen »unsichtbaren Hand«.« 381 Joseph Vogl
2. B E G R E N Z T E R A T I O N A L I T Ä T MEDIALE DISPOSITIVE
UND
Der Raum, den Medien in der, im ersten Teil dargestellten Modellwelt der Neoklassik einnehmen können, ist recht begrenzt. Da ökonomische Akteure in der Konzeption des traditionellen homo oeconomicus ihren individuellen Nutzen unabhängig von Umwelteinflüssen oder sozialen Interaktionen bewusst und rational maximieren, werden Medien lediglich als Konsumgüter oder Produktionsmittel wahrgenommen, deren Eigenschaften kaum unterschiedlich von denen anderer Güter oder Produktionsmittel wahrgenommen werden. Für eine Analyse von Medien, die über deren Güter- und Dienstleistungsstruktur hinausgeht und sogar in der Lage sein kann, nicht nur bewusste, sondern auch unbewusste Strukturen zumindest ansatzweise in die Analyse zu integrieren, ist aufgrund der vollständigen Rationalitätsannahme in dieser Welt kein Platz. Die im vorangehenden Kapitel dargestellten institutionenökonomischen Annahmen der begrenzten Rationalität und der unvollständigen Information erhöhen demgegenüber die Bandbreite der Problemstellungen, welche einer wirtschaftstheoretischen Analyse unterzogen werden können. Für die Einbeziehung von medialen Auswirkungen auf ökonomische Entscheidungen ist besonders hervorzuheben, dass innerhalb dieses Theoriezweiges Einigkeit darüber herrscht, dass menschliche Entscheidungen aufgrund der begrenzten Rationalität unter Unsicherheit stattfinden. Da die Institutionenökonomik davon ausgeht, dass die bestehenden Unsicherheiten im Prozess ökonomischer Entscheidung durch Informationen gemildert
381 Vogl, Joseph (1999): S. 374.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE oder sogar aufgehoben werden können, lassen sich Medien vertieft in eine ökonomische Untersuchung integrieren und lässt sich ein erweiterter Medienbegriff anwenden, welcher Medien als symbolische Interaktionsmechanismen und damit als potentiell handelnsleitende Strukturen anerkennt. Ökonomische Entscheidungen stehen folglich nicht mehr ›für sich alleine‹, indem sie einer singulären ›gegebenen‹ Rationalität folgen, sondern können (und müssen) im Kontext von gesellschaftlichen bzw. kulturellen Zusammenhängen betrachtet werden. Wie im letzten Kapitel gezeigt, dienen Institutionen innerhalb des institutionenökonomischen Denkgebäudes der Reduktion von Unsicherheiten durch die Darbietung von Spielregeln, welche menschliches Handeln zu einem gewissen Grade erwartbar machen. Zur Vermittlung dieser Spielregeln benötigt es jedoch kommunikativer Prozesse. Somit ist die Vermittlung von Institutionen ihrerseits abhängig von Medien. Wie ist jedoch diese gegenseitige Austauschbeziehung zwischen Institutionen und Medien beschaffen? Medien und deren Verwendung sind einerseits stets in juristische, politische, ökonomische oder andere gesellschaftliche Spielregeln eingebettet und stehen deshalb mit diesen im Wechselverhältnis. Andererseits bedingt die Verwendung von Medien ebenfalls das Befolgen bestimmter formeller, aber auch informeller Spielregeln, welche Menschen für erfolgreiche Kommunikation über Medien einhalten müssen. Diese, nachfolgend als ›mediale Spielregeln‹ bezeichneten Regeln, haben ebenfalls einen institutionellen Charakter. Während dies im formellen Bereich von Institutionenanalysen leicht nachzuvollziehen ist, beispielsweise durch diverse Rundfunkregulierungen, zeigen Medien insbesondere im informellen Bereich interessante Institutionalisierungsprozesse. Auch wenn von einer vollständigen Institutionalisierung informaler medialer Regeln im gesamtgesellschaftlichen Sinne vielleicht erst bei einer allgemeingültigen Durchsetzung gesprochen werden kann (beispielsweise der Durchsetzung von 20.15 Uhr als Prime-Time im deutschen Fernsehen), so zeigen doch alle Medien analysierbare Prozesse der informellen Institutionalisierung in ihren Regeln (wie etwa Sprachregelungen in Onlineforen oder Schriftregelungen in Chatforen). Medien bilden darüber hinaus jedoch nicht nur eigene institutionelle Zusammenhänge, sondern die medialen Regeln stehen ebenso ›zwischen‹ individuellen Akteuren und den ›allgemeinen‹ Institutionen, wie in der folgenden Abbildung dargestellt ist. Da sowohl formelle als auch informelle Institutionenbildung nur durch Kommunikation und dementsprechend mediale Kommunikations-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS mittel erreicht werden kann, können die allgemeinen gesellschaftlichen Institutionen und deren Ordnungen nicht unabhängig den medialen Regeln betrachtet werden, welche für diese Kommunika382 tion angewandt werden müssen.
Abbildung 10 – Ökonomische Akteure, allgemeine und mediale Spielregeln Diese komplexen Zusammenhänge genauer zu systematisieren, ist Aufgabe dieses Kapitels. Als Grundlage, mediale Spielregeln genauer zu systematisieren, wird das der dispositiven Schicht des Medialen zugrunde liegende Konzept des »Dispositivs« herangezogen, um die Regeln des Medialen zu beschreiben und somit ›institutionelle Medienfunktionen‹ zu erarbeiten (Kapitel 2.1). Darauf folgend wird die Reichweite des institutionenökonomischen Ansatzes zur Betrachtung von Medien thematisiert, indem das Verhältnis von Medien in allgemeine gesellschaftliche Institutionengefüge beschrieben und schließlich auf den Einfluss medialer Regeln auf institutionelle Ordnungen eingegangen wird (Kapitel 2.2).
2.1 Eingrenzung der medialen Schicht des Dispositivs Dispositive werden im Rahmen medientheoretischer Beschreibung als Bezeichnung für Anordnungen und Bedingungsgefüge unterschiedlicher Art herangezogen, welche geeignet sind, Raum und 383 Zeit, Wahrnehmung und Rezeptionskontexte zu strukturieren. Grundsätzlich lässt sich zwischen Analysen gesellschaftlicher Dispositive und der Analyse medialer Einzeldispositive unterscheiden. Die Bedeutung des Begriffes geht auf die zweckmäßige Anordnung der Rede (»dispositio«) innerhalb der klassischen Rhetorik zurück und wurde in seiner französischen Form (»dispositif«) von Michel 382 Dies entspricht der im vorigen Kapitel skizzierten Sichtweise, dass Institutionen des kulturellen Geltungsbereiches allen anderen voraus gehen. Vgl. Kapitel 1.3 dieses Teils. 383 Vgl. Lommel, Michael (2002): S. 66.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE Foucault in den 70er Jahren aufgegriffen und insbesondere durch seine Verwendung in gesellschaftlichen diskurs- und machttheo384 retischen Analysen geprägt. Das Dispositiv einer Gesellschaft beschreibt demnach die gesellschaftlichen Bedingungsgefüge, welche als Ensemble von sozialen Praktiken und Diskursen die Kommunikations- und Erkenntnisraster einer Epoche determinieren. Gesellschaftlichen Dispositiven wird damit die Eigenschaft und Fähigkeit zugesprochen, die Art des gesellschaftlichen Wissens zu organisieren, da sie vorgeben, welches Wissen wahrgenommen und von Subjekten als ›normal‹ empfunden wird. Dispositive manifestieren sich in dieser Sichtweise in Diskursen, Gesetzen, Regelwerken, sozialen Normen, aber auch konkreten staatlichen Institutionen, architektonischen Anordnungen, etc. Der französische Filmtheoretiker Jean-Luis Baudry bezog dieses Konzept auf die technisch-apparativen Bedingungsgefüge des 385 Kinos. Das Kino disponiert nach Baudry in seiner Gesamtheit aus architektonischen, räumlichen und zeitlichen Aspekten die Wahrnehmung der Kinorezipienten und arbeitet somit als »Simulationsmaschine«. So finden sich die Zuschauer meist zu festgelegten Zeiten im öffentlichen Raum des Kinosaales ein, in welchem sie sich in einer (und nur in einer) speziellen Konfiguration anordnen müssen, wodurch ihre Körper und ihre Blicke in Dunkelheit auf das Lichtund Schattenspiel der Projektion ausgerichtet sind. Durch das Dispositiv des Kinos entsteht eine spezifische kinematografische Wahrnehmung, welche geeignet ist, die Illusion der realitätsnahen 386 Wahrnehmung eines Kinofilms zu maximieren. Einzelmediendispositive, wie das von Baudry beschriebene Dispositiv des Kinos, existieren jedoch nicht für sich allein, sondern stehen ihrerseits in Korrespondenz mit anderen Einzelmediendispositiven und ebenso anderen gesellschaftlichen Dispositiven, da in das spezifische Mediendispositiv auch finanzielle, juristische, administrative, politische und auch kulturelle Strukturen der Gesellschaft eingehen, welche z.B. im Falle des Kinos über Zensur, Altersbewer387 tungen etc. entscheiden. Das Dispositiv ist demnach ein analytisches Konstrukt, welches sich aus mehreren Ebenen zusammen384 Vgl. Foucault, Michel (1976): 259f; Foucault, Michel (1978). 385 Vgl. Baudry, Jean-Louis (1975): S. 381-405. 386 Vgl. zum Dispositiv des Kinos: Baudry, Jean-Louis (1975). In den USA wurde der französische Diskurs unter dem Begriff der »Apparatus-Theory« diskutiert. Zur Einführung und Übersicht über den Begriff und das Konzept siehe auch Hickethier, Knut (2003): S. 186ff. 387 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 190.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS setzt, welche nicht immer genau zu unterscheiden sind, da das Konzept trotz seiner strukturellen Kraft einen recht dynamischen Cha388 rakter besitzt. Foucault selbst beschreibt die Vielschichtigkeit des Dispositivs als: »das Netz, das zwischen [...] Elementen geknüpft 389 werden kann.« Um nicht jede beliebige Anordnung von Dingen als Dispositiv zu begreifen, lassen sich Dispositive in zweierlei Hinsicht von anderen Strukturen abgrenzen. 1. Das Konzept des Dispositivs integriert immer einen oder mehrere Akteure, welche durch das Dispositiv in ein spezielles Wahrnehmungsverhältnis gesetzt werden. Strukturbetrachtungen, welche den Menschen in ihren Beschreibungen nicht einbeziehen, sind demnach nicht als Dispositive zu betrachten. 2. Auch wenn sich die Anordnung eines Dispositivs als statisch und zu einem Zeitpunkt beschreiben lässt, ist das grundsätzliche Wesen dispositiver Strukturen dabei stets auf einen Prozess hin 390 ausgerichtet. Das Konzept des Dispositivs bietet in Hinsicht auf Medien sehr gute Anknüpfungspunkte an die institutionenökonomische Theorie. Dispositive haben im impliziten Sinne den Charakter von Spielregeln, da man die von Medien determinierten Regeln ›befolgen‹ muss, um sie zu nutzen. Mediendispositive stellen somit, wie auch Institutionen, gleichzeitig Grundlage als auch Beschränkung menschlichen Handelns dar. In gewisser Analogie zu McLuhans These, dass das Medium die Botschaft sei, geht das Konzept des Dispositivs davon aus, dass die strukturellen Regeln eines Mediums entscheidender für dessen spezifische Wirkung sind, als seine Inhalte. Dies entspricht wiederum der Annahme der institutionenbasierten ökonomischen Analyse, dass für ökonomischen Erfolg (Wirkung) nicht wesentlich
388 Der Begriff des Dispositives hat demnach ein ähnliches ›Problem‹ wie der Begriff der Institution. Er bezeichnet etwas schwer abgrenzbares. Gilles Deleuze fasst dies wie folgt: »Es ist zunächst ein Durcheinander, ein multilinieares Ensemble. Es ist zusammengesetzt aus Linien verschiedener Natur. Und diese Linien im Dispositiv umringen oder umgeben nicht etwa Systeme, deren jedes für sich gesehen homogen wäre: das Objekt, das Subjekt, die Sprache usw., sondern sie folgen Richtungsvorgaben und zeichnen Vorgänge nach, die stets im Ungleichgewicht sind und die sich mal einander annähern und mal voneinander entfernen.« Deleuze, Gilles (1991): S. 153. 389 Foucault, Michel (1978): S. 119f. 390 Zum Begriff des Dispositivs im Allgemeinen vgl. Deleuze, Gilles (1991); und zum medialen Dispositiv im Speziellen Hans, Jan (2001); Paech, Joachim (1997).
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE ist, was gehandelt wird, sondern dass die institutionellen Rahmenbedingung effizient sind. In seiner ursprünglichen und vollständigen Ausprägung kann das Konzept des Dispositivs jedoch nicht vollständig von der ökonomischen Theorie integriert werden, da das Erkenntnisinteresse und die methodische Ausgangslage nicht identisch sind. Die von Foucault ausgeführte Analyse dispositiver Strukturen hat zum Ziel, spezifische gesellschaftliche Macht-Konstellationen aufzudecken. Dabei wird analysiert, welche speziellen Wissensformen von einer Gesellschaft bevorzugt und welche anderen Wissensformen durch die ge391 In dieser sellschaftliche Struktur gleichzeitig verdeckt werden. machttheoretischen Auseinandersetzung wird für gewöhnlich ein Standpunkt eingenommen, in welchem das Individuum unabhängig von seiner Intention in dispositiven Strukturen »gefangen« ist, und 392 auch keine oder geringe Möglichkeit hat, auf diese einzuwirken. Auch in spezifisch medientheoretischer Hinsicht wird das Dispositiv von Lorenz Engell als Analyse von Machtstrukturen verstanden: »Das Dispositiv, eine Zusammenballung von Bedingungsgefügen, die sich um ein materielles oder immaterielles Gerät herum oder in diesem auskristallisieren, schafft Machtstrukturen, indem es Bewegungen, Wahrnehmungen und allgemeine Zustände im Raum organisiert und darüber nochmals hinaus das Verhalten von Menschen 393 determiniert.« Die Neue Institutionenökonomik versteht sich grundlegend nicht als Machtanalyse, sondern als Entscheidungstheorie. Da die institutionenökonomische Theorie, wie im vorigen Kapitel erläutert, die Position eines entscheidungstheoretischen institutionellen Individualismus einnimmt, gesteht sie jedoch dem Individuum zu jeder Zeit pfadabhängige Einflussmöglichkeiten auf die gesellschaftlichen Konfigurationen zu, denen auch Dispositive zuzuordnen sind. Da die Neue Institutionenökonomik jedoch keine Aussagen über die Stärke 391 Als Beispiel kann Michel Foucaults Arbeit zur »Gouvernementalität« gelten, welche sich mit staatlichen Strukturen in modernen Gesellschaften beschäftigen, deren Dispositive häufig ein ökonomisches »Regierungswissen« bevorzugen (vgl. Foucault, Michel (1978|2000)). Es ist zu betonen, dass es bei dieser als auch bei anderen Arbeiten Foucaults keinen personifizierbaren Machthaber gibt, welcher solche Strukturen plant. Die machtpolitischen Kräfte liegen in der Struktur an sich und führen durch dispositive Kräftefelder zu einem »kollektiven Imaginären«, welches dazu führt, dass die Strukturen von den Individuen der Gesellschaft aufrecht erhalten werden, ohne Ergebnis geplanter Handlung von Machthabern zu sein. 392 Vgl. Foucault, Michel (1976): S. 259. 393 Engell, Lorenz (1998): S. 283.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS von Pfadabhängigkeiten macht, ist es sinnvoll, diese ›Stärke‹ als Kontinuum zu betrachten, welches sich von ›nicht vorhandenen‹ bis zu ›vollständigen‹ Pfadabhängigkeiten aufspannt. Nicht vorhandene Pfadabhängigkeiten würden demnach einem rein methodologischen Individualismus entsprechen und vollständige Pfadabhängigkeiten einem vollständig deterministischen Dispositiv. Im mittleren Bereich dieses Kontinuums bewegen sich die Annahmen der Neuen Institutionenökonomik. Die Diskussion von medialen Dispositiven bietet deshalb trotz der unterschiedlichen Ausgangslagen der beiden Theorien wesentliche Anknüpfungspunkte für die Analyse von Medien und deren institutionenökonomische Betrachtung. Obwohl aus institutionenökonomischen Analysen durchaus machttheoretische Schlüsse, beispielsweise über das ›Dispositiv von Marktstrukturen‹, zu gewinnen wären, so stehen diese nicht im Zentrum dieser Analysen. Stattdessen wird versucht, Handlungstheorie und Machttheorie zu verschränken, um im Folgenden mediale Regeln vollständiger zu erarbeiten, als es mit nur einer der beiden Ansätze möglich wäre.
2.1.1 Die Regeln des Medialen Medien sind im hohen Maße in gesellschaftliche Regeln eingebettet, welche Zugang zu und Umgang mit Medien institutionalisiert haben. Wie Hickethier beschreibt, wird die Entwicklung von Medientechnologien meist auf Grundlage ökonomischer Kriterien, wie z.B. Eigentums- und Verfügungsrechte, kulturell verankerter Vorstellungen über Einfluss und Macht gesellschaftlicher Akteure sowie 394 von Ansichten über das Wesen des Menschen beeinflusst. Wenn gesellschaftliche Regeln und Medien im ökonomischen Kurs zusammengeführt werden, so geschieht dies meist aus dem Erkenntnisinteresse der Frage nachzugehen, wie Medien in vorhandene gesellschaftliche Regeln eingebettet sind. Diese Perspektive wäre auch der natürliche Startpunkt einer institutionenökonomischen Analyse der Spielregeln von Medien und wird deshalb in Abschnitt 1.2. vertieft. Eine solche Analyse wäre jedoch aus medientheoretischer Sicht zwangsläufig unvollständig, wenn sie nicht die spezifischen Regeln und deren Auswirkungen beachtet würden, welche Medien, oft implizit, in diesen Prozess einbringen. Um den Einfluss von Medien auf ökonomische Entscheidung zu untersuchen, müssen deshalb die
394 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 31.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE ›Regeln des Medialen‹ beachtet werden, welche hier in Anlehnung an den Institutionenbegriff von North entwickelt werden, indem die Untersuchung an die Unterscheidung von Institutionen in formelle und informelle Aspekte sowie an die möglichen Sanktionierungsmechanismen angelehnt wird. 1. Formale Regeln des Medialen Die formalen Aspekte von Medien sind hauptsächlich darin zusehen, wie sie individuelle und gesellschaftliche Kommunikation durch technische und symbolische Codierung strukturieren. Alle durch Medien kommunizierten Signale werden durch von Menschen erdachte Systeme codiert und in eine räumliche wie zeitliche sequenzielle Reihenfolge gebracht. Die Zerlegung und Sequenzierung zu vermittelnder Signale in Intervalle ist ein grundlegendes Funktionsprinzip medialer Darstellung, von der 395 Sprache bis zum Computer. Zeitliche Intervalle lassen sich beispielsweise in den Sekundenzeigern der Uhr, in den Einzelbildern eines Films oder auch in der Reihenfolge der Buchstaben der Schrift analysieren und durch abstrakte, technisch generier396 bare Einheiten beschreiben. Räumliche Anordnungen finden sich gleichermaßen in der Anordnung von Buchstaben auf Papier oder dem Bildschirm sowie in der Komposition von Filmbildern oder Fotografien aber auch in der Trennung 397 zwischen Autor und Leser eines Textes. In Abgrenzung zur den eher räumlich basierten Medien der Gutenberg-Galaxis
395 Intervalle existieren als ›technischer Zwischenschritt‹: zeitlich oder räumlich. Ein zeitliches Intervall liegt beispielsweise der Wahrnehmung zwischen zwei Filmbildern, ein räumliches zwischen den Buchstaben eines Textes. Vgl. Engell, Lorenz (1996): S. 187. 396 Vgl. Kirchmann, Kay (1998): S. 348. 397 Der Zusammenhang zwischen Raum- und Zeitintervallen ist dabei meist ein struktureller. So benötigt der Film beispielsweise nicht nur ein Zeitintervall von 24 Bildern in der Sekunde, sondern zusätzlich ein räumliches Intervall, welches durch eine mechanische Unterbrechung der Bilder, durch einen ›blinden‹ Abstand auf dem Filmstreifen und einen zusätzlichen Stroboskopeffekt des so genannten Malteserkreuzes gewährleistet wird. Die Abstände zwischen den Einzelbildern bewirken im Zusammengang mit dem Stroboskopeffekt der Unterbrechungen der Film-Projektion durch das Malteserkreuz eine Nachbildwirkung. Das bedeutet, dass die Lichtimpulse auf der Netzhaut noch wirken, auch wenn das Bild gar nicht mehr da ist. Erst diese technischen Beeinflussungen der Augenträgheit im Zusammenhang mit dem konstanten Transport von 24 Bildern pro Sekunde, der durch die Perforation des Filmstreifens möglich wurde, konnte die Illusion der störungsfreien Bewegung perfekt werden lassen. Vgl. Schnell, Ralf (2000): S. 43 und Engell, Lorenz (1996): S. 186.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS haben elektronische Medien, wie der Film, das Fernsehen, der Hörfunk und der Computer meist einen zeitbasierten Charakter, der sich durch die in ihren technologischen Funktionsweisen eingeschriebenen, meist nicht mehr wahrnehmbaren, zeitlichen Intervalle ausmachen lässt. Diese technischen Intervalle sind in Einheiten der Sekunde und ihrer Bruchteile mathematisierbar und physikalisch in Taktfrequenzen wie Bilder pro Sekunde, (Mega-)Hertz, Baud etc. abbildbar. Sie bilden die Grundlage für die Wahrnehmungsmöglichkeiten von Medien. Durch die Digitalität und der damit einhergehenden Codierung von Informationen in 0 und 1 haben Medien ihr bisher abstraktestes und nicht mehr bewusst mit menschlichen Sinnen wahrnehmbares 398 technisches Intervall-Prinzip gefunden. Abgesehen von der technischen Codierungs- und Dekodierungsmöglichkeit muss jedoch auch eine symbolische Codierung und Dekodierung der 399 Signale eingehalten werden. Symbolische Regelwerke machen es erst möglich, dass wir die technischen, medieninternen Intervalle in Form von Schrift lesen, als Fernsehbild erkennen, als Sprache verstehen und als Bewegung im Film wahrnehmen können. Die formalen Regeln von Medien bestehen demnach aus technischer Codierung, welche Nutzern zeitliche und räumliche Regeln ›aufzwingt‹ und symbolischer Codierung, welche die ›Grammatik‹ der aus den Signalen generierten Symbolen formal 400 festlegt. Formale Regeln von Medien sind meist Ergebnis rationaler Planung, da Medienintervalle und Codes stets vom Menschen entwickelt wurden und nicht unabhängig von ihm verstanden werden können. Jedoch kann die Entwicklung der vorhandenen formalen Medienregeln nicht als geradlinig angesehen werden.
398 Beispielsweise vermögen Menschen akustische Signale nur als einzelne Töne wahrzunehmen, wenn wenigstens drei Millisekunden zwischen den Einzeltönen liegen, sonst erscheinen einzelne Töne als durchgehendes Geräusch. Um ein Stroboskoplicht nicht als kontinuierlichen Lichtstrahl zu empfinden, benötigen optische Signale bereits 20 bis 30 Millisekunden als Pausen-Intervall (vgl. Lotter, Wolf (2000): S. 86). Digitale Intervalle liegen dagegen im Nanosekundenbereich. 399 Symbolische Codes beruhen stets auf ihrer Institutionalisierung: »Ein Kode liegt nur dann vor, wenn es eine konventionalisierte und sozialisierte Korrespondenz gibt, wobei es unwichtig ist, mit welcher zwingenden Kraft, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum sie gilt.« Eco, Umberto (1977): S. 170. 400 Das direkteste Beispiel sind die ausformulierten Sprachregelungen verschiedener Landessprachen.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE
2.
Ebenso wie andere formale Institutionen haben sie sich im Laufe der Zeit durch eine lange evolutorische Entwicklung geformt, in welcher auch ungeplant entstandene Regeln, z.B. neue Wörter oder neue Verwendungsweisen, aber auch unvorhergesehene technische Verwendungsweisen medialer Apparaturen, über die Zeit formalisiert wurden. Informale Regeln des Medialen Informale Regeln bilden sich insbesondere nicht durch explizite Benutzungsregeln, sondern durch auf breiter Basis etablierte Gewohnheiten in der Anwendung von Medien durch deren Nut401 zer. Mediennutzer wenden Medientechnologien nicht nur nach vorgegebenen Regeln an, sondern entwickeln eigene Strategien, wie sie ein Medium ihren Bedürfnissen entsprechend verwenden, um bestmögliche mediale Anschlussfähigkeit an die Gesellschaft und andere Individuen zu sichern. Ist ein Medium nicht auf Einzelnutzung beschränkt, sondern geeignet, soziale Interaktionen durchzuführen, so entwickeln sich häufig informelle Nutzungsnormen, die, ohne formalisiert zu werden, standardisiert werden können. Ein zeitgemäßes Beispiel sind z.B. die ›Verhaltensregeln‹ der so genannten NettiQuette, welche von den Nutzern von Internet-Newsgroups als Selbstregulierung aufgestellt wurden. Häufig werden solche Nutzungskonventionen im Nachhinein als selbstverständlich hingenommen, mussten sich aber zu einem Zeitpunkt der Geschichte stets erst gegen andere Alternativen durchsetzen. So zeigen zahlreiche historische Beispiele die informelle Ausprägung medialer Verhaltensregeln. Als exemplarisches Beispiel hielt der Erfinder des amerikanischen Telefons Alexander Graham Bell den Gruß »Ahoi!« für die angemessene Form, sich am neuen Medium des Telefons zu melden. Durchgesetzt haben sich stattdessen in verschiede402 nen Regionen der Welt unterschiedliche Konventionen. Ähnlich wie bei allen informellen Normen, stellt sich der Ein-
401 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 54. 402 Zumindest in den USA zeigt die Anekdote um die Entwicklung des richtigen Umgangs mit dem damals neuen Medium die Verschränkung formaler und informeller Regeln. Bells Konkurrent Thomas Edison setzte sich mit der Wortschöpfung »Hello!« durch, welches er, als Abwandlung des englischen Wortes »Hallow« (ein altmodischer Hallo-Ruf), als angemessen für den telefonischen Gruß empfand. Laut Varian und Shapiro gelang dies Edison, da dieser die Bedienungsanleitungen zu den im amerikanischen Markt staatlich regulierten Telefonen lieferte. »Hello!« setzte sich somit bis 1880 als Standard durch und ist zumindest in den USA noch heute die konventionelle Begrüßung in Alltagstelefongesprächen. Vgl. Shapiro, Carl/Varian, Hal (1999): S. 207f.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS
3.
fluss von informalen medialen Regeln auf Individuen recht kompliziert dar, da dieser sich häufig dadurch auszeichnet, dass sich Mediennutzer dieser Regeln geringfügig oder gar nicht bewusst sind. Informelle Regeln des Medialen beeinflussen deshalb auch ein weites Feld von unbewussten Prozessen, welche beispielsweise Zeitgefühl, Emotionen, latente Aufmerksamkeit 403 etc. zu beeinflussen vermögen. Mediendispositive werden deshalb häufig als Technologien des Unbewussten beschrieben, als »optische Maschinen, um zu sehen ohne gesehen zu 404 werden« , welche Wahrnehmung auf eine zumeist unbewusste und deshalb oft als ›natürlich‹ oder ›selbstverständlich‹ angenommene Weise ordnen. Diese unbewusste Rolle, der durch Anwendung von Medien entstehenden, informellen Regeln des Medialen, lässt sich ganz im Sinne der allgemeinen informellen Normen des Northschen Institutionenbegriffs als kulturelle Praxis einer Gesellschaft beschreiben, die als implizites Wissen (tacit knowledge) in einen ›medialen Habitus‹ von Mediennutzern 405 eingehen. Mediale Sanktionierungsmechanismen Mediale Sanktionierungsmechanismen sind durch ihr strukturierendes Wesen und ihren Einfluss auf die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit oft von selbstdurchsetzendem Charakter. Die technischen Codierungen von Medien schließen so beispielsweise die Nutzung eines Mediums aus, wenn die technischen Regeln nicht eingehalten werden. Weder ein Telefongespräch lässt sich durchführen, ohne die Tasten zu wählen noch ein Kinofilm mit dem Rücken zur Leinwand konsumieren. Die Theorie der medialen Dispositive legt deshalb nahe, dass Medien einen ausgeprägten Charakter der kognitiven Steuerung von Individuen haben. Dieser lässt sich verdeutlichen, indem man die machttheoretischen Untersuchungen Foucaults auf Medien bezieht. Foucault entwickelt in seiner Analyse »Überwachen und Strafen« die Theorie einer aus den Sanktionierungsmitteln einer Gesellschaft (insbesondere der Geschichte des Gefängnisses) entstehenden Disziplinargesellschaft, welche aufschlussreiche Anknüpfungspunkte für die Sanktionierungsmechanismen von Medien bie-
403 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 230. 404 Deleuze, Gilles (1991): S. 154. 405 Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 54f.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE 406
tet. Laut Foucault etablieren Strafmethoden ein System der zeitlichen und räumlichen Ordnung, welche die Struktur einer Gesellschaft determiniert und somit diszipliniert. Diese Disziplinierung beschreibt Foucault in der strengen Ordnung der Disziplin von Zeitprozessen, wie z.B. der strengen Reglementierung 407 von Stundenplänen in Fabriken, Schulen oder Gefängnissen. Aus der strengen Ordnung der einzelnen Tätigkeiten folgt, dass der einzelne Körper zum Element wird, »das man platzieren, bewegen und an andere Elemente anschließen kann. [...] Der Körper konstituiert sich als Element einer vielgliedrigen 408 Maschine.« Aus der, durch diese Struktur möglichen Verortung der Individuen im Raum, erfolgt eine räumliche Macht-Struktur, welche Foucault »Panoptismus« nennt. Die panoptische Struktur, die er aus den Reglements zur Pestbekämpfung Ende des 17. Jahrhunderts und der Struktur des architektonischen Entwurfes des »Panopticon« von Jeremy 409 Bentham entwickelt, bildet dabei das Konzept einer Macht, die nicht von jemandem ausgeführt wird, sondern die innerhalb der Struktur selbst angelegt ist. Das bedeutet, dass sich die Gefängnisinsassen in dem Bau des Panopticons immer so verhalten, als ob sie beobachtet würden, da die Anlage des Gebäudes den Wärtern die Möglichkeit gibt, theoretisch in jeden Raum gleichzeitig zu schauen. Diese ständige, potentielle Transparenz des Alltagslebens der Beteiligten sorgt dafür, dass sie sich so verhalten, als würde die Überwachung stattfinden, selbst wenn der Wärter nicht da ist. Wie Foucault es beschreibt: »Dadurch ergibt sich die Hauptwirkung des Panopticons: die Schaffung eines bewussten und permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt. [...] Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzentrierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur, deren innere Mechanismen das Verhältnis herstellen, in welchem die In410 dividuen gefangen sind.«
406 407 408 409 410
Vgl. Foucault, Michel (1976). Foucault, Michel (1976): S. 192ff. Foucault, Michel (1976): S. 212. Vgl. Foucault, Michel (1976): S. 251ff und Abb. 17 in dessen Mittelteil. Foucault, Michel (1976): S. 258f.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Die Einsicht, dass sich Individuen unter Beobachtung potentiell anders verhalten als in Abwesenheit von Überwachung ist seit George Orwells Roman »1984« mit Medientechnologien verknüpft und wird aufgrund der zunehmenden potentiellen Ortungs- und Speichermöglichkeiten digitaler, mobiler Medientechniken zurecht kritisch reflektiert. Jedoch ist dies eine Dis411 kussion die anderswo geführt werden muss und geführt wird. Als wesentlich im Hinblick auf die medialen Regeln ist jedoch hervorzuheben, dass moderne Medientechnologien auch klassische Situationen des »second party enforcement« durch ihre Struktur potentiell zu »selbstdurchsetzenden Regeln« machen. Dies gilt sowohl für die theoretische Aufsichtspflicht der vierten Staatsgewalt Massenmedien als auch für individuelle Mediennutzer, welche sich gemäß den von ihnen angewandten Medientechnologien verhalten. Gesteht man Regeln einen dispositiven Charakter zu, der sich aus ökonomischer Sicht durch mediale Spielregeln beschreiben lässt, haben Medien ebenso wie andere gesellschaftliche Institutionen das Potential, Erwartungshaltungen zu stabilisieren, indem sie Handlungs- und Verhaltensweisen zu einem gewissen Grade erwartbar machen. Formale mediale Regeln bestimmen, in welcher Form gesellschaftliche Kommunikation strukturiert wird, informale mediale Regeln bestimmen darüber, welche Verwendungsweisen von Medien gesellschaftliche Anschlussfähigkeit bieten und die Sanktionierungsmechanismen des Medialen können zu einem gewissen Grade gesellschaftliche Kommunikation steuern. Da Spielregeln laut den Annahmen der Institutionenökonomik zur Minderung von Unsicherheiten bei ökonomischen Akteuren dienen, stellt sich die Frage, welche spezifischen Anreiz- und Restriktionssysteme sich für ökonomische Akteure aus einem solchen Verständnis extrahieren lassen. Um dies näher zu bestimmen, werden im Folgenden die ›institutionellen Medienfunktionen‹ erarbeitet, welche die elementaren und aggregierten technischen Medienfunktionen aus Teil I ergänzen.
411 Vgl. exemplarisch Schulzki-Haddouti, Christiane [Hrsg.] (2001) und Lyon, David (1998).
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE
2.1.2 Institutionelle Medienfunktionen Da Institutionengefüge im Rahmen institutionenökonomischer Analysen die Anreizsysteme von Gesellschaften bestimmen, kann man davon ausgehen, dass dispositive Strukturen von Medien ökonomische Funktionen im Sinne von Anreizsystemen übernehmen können und die technischen Medienfunktionen dementsprechend ergänzen. Aus den dargestellten medialen Spielregeln lassen sich demnach folgende erweiterten elementaren und aggregierten Medienfunktionen ableiten, welche im Verlauf dieser Studie als ›institutionelle Medienfunktionen‹ benannt werden. Medien der symbolischen Strukturierung lassen sich als die technischen Leitmedien einer Gesellschaft beschreiben, welche diese zur Interaktion zwischen Individuen benutzt. Historische Betrachtung von Leitmedien, welche sich beispielsweise nach McLuhan in Medien der Gutenberg-Galaxis und Medien des elektronischen Zeitalters aufteilen lassen oder in eine detailliertere historische Reihenfolge der Medien der oralen Sprache, Schrift, Radio, Fernsehen hin zum Computer bringen lassen, wie Hörisch es vorschlägt, bringen spezifische elementare, technische Medienfunktionen (Erweiterung der Wahrnehmung, Speichern und Bearbeiten, Übertragen) mit sich, welche gesellschaftliche Kommunikation im Sinne von Harold Innis sowohl räumlich und zeitlich strukturieren. Die daraus entstehende Struktur gesellschaftlicher Kommunikation würde somit beeinflussen, ob sich die allgemeinen Strukturen einer Gesellschaft auf langwierige, lineare Prozesse (wie beispielsweise durch das Leitmedium Buch impliziert) oder auf schnelle, kurzfristige Prozesse (wie beispielsweise durch die Leitmedien Fernsehen und auch Computer/ Internet impliziert) aufbaut. Zu den Medien der symbolischen Strukturierung gehören demnach alle Formen von Codes, welche Menschen zur Kommunikation entwickelt haben. Medien der symbolischen Speicherung lassen sich im allgemeinen Sinne als die Medien beschreiben, welche aufgrund gesellschaftlicher Konventionen die kulturellen und sozialen Kommunikationsnormen bestimmen. Weniger die technischen Funktionen und tatsächlichen Codierungen stehen hierbei im Vordergrund, sondern deren Verwendung als aggregierte Medienfunktionen (Kommunikation, Unterhaltung, Information). Zu den Medien der symbolischen Speicherung lassen sich demnach in Anwendung eines erweiterten Medienbegriffes alle kulturellen Speicher, wie beispielsweise Theater, Film, Literatur, Fernsehformate, Musik, aber auch wissenschaft-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS liche Publikationen oder Gesetzestexte, ohne Aussage über deren Massentauglichkeit fassen. Unter dem Aspekt der symbolischen Steuerung lassen sich Auswirkungen beschreiben, welche durch die Struktur- und Speichercharakteristiken von Medientechnologien impliziert (oder stärker ausgedrückt ›gesteuert‹) werden. Da Kommunikation nur stattfinden kann, wenn die Regeln der jeweiligen Medien eingehalten werden, neigen Medienregeln dazu, selbstdurchsetzend in dem Sinne zu sein, als das Individuen mit Kommunikationsintention ihnen folgen, ohne sie als verhaltenseinschränkende Regeln wahrzunehmen. Der Aspekte der symbolischen Steuerung beeinflusst im dispositiven Sinne die Art des Wissens, welches Individuen und Gesellschaft zur Verfügung steht. Dies geschieht auf zweierlei Weise. 1. Indem menschliches Handeln auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen transparent gemacht wird. 2. Indem sich die Art des Wissens welches der Gesellschaft zur Verfügung steht, durch technologische Innovation verändert. Im ersteren Sinne gehören zu den Medien der symbolischen Steuerung auf gesellschaftlicher Ebene die Massenmedien in ihrer Aufsichtsfunktion über die drei Staatsgewalten. Auch auf individueller Ebene werden jedoch in zunehmenden Maße interaktive, digitale Medien eingesetzt, wie beispielsweise mit Ortungspotential ausgestattete Mobilfunkgeräte, welche individuelles Verhalten am Arbeitsplatz oder auch im Hinblick auf Konsummuster transparent machen. Zu dem letzteren Aspekt gehören grundlegende Veränderungen in der symbolischen Umwelt von Akteuren. Diese werden meist durch das Aufkommen neuer Medientechnologien ausgelöst, welche neue Arten des Wissens bereitstellen. Die Art des Wissens, welches einer Gesellschaft zur Verfügung steht, wandelte sich über die Speicherung von Schriftzeichen durch den Buchdruck, über die Möglichkeit, grafische Informationen zu speichern und abzubilden letztendlich zur Möglichkeit, diese Informationen durch die elektronischen Medien auch zu übertragen.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE
Abbildung 11 – Institutionelle Medienfunktionen Die Betrachtung der in Abbildung 11 dargestellten institutionellen Medienfunktionen lassen Medien nicht mehr als lediglich technische Werkzeuge oder Güter erscheinen, sondern als komplexe menschengemachte Konfigurationen, in denen gesellschaftliche Arbeit, gesellschaftliche Regeln und Normen sowie gesellschaftliches Wissen kondensiert und institutionalisiert sind. Das Zusammentreffen dieser Institutionen in einer speziellen Konfiguration bildet das, was als Dispositiv eines Mediums beschrieben werden kann: eben die Anordnung seiner technischen Apparaturen, deren Symboliken, und der daraus resultierenden organisatorischen Sachverhalte, Praktiken und Wissensformen, welche mediale Dispositive bedingen, während diese gleichzeitig von ihnen geformt werden. Betrachtet man darüber hinaus, in welcher Form die erweiterten elementaren Medienfunktionen Informationen über Raum- und Zeit strukturieren, so stellen Medien nicht nur eine kommunikative Infrastruktur dar, sondern erfüllen spezifische aggregierte Aufgaben, welche sich als ökonomische, kulturelle und soziale Medienfunktion (erweiterte aggregierte Medienfunktionen) beschreiben lassen. Wesentliche ökonomische Medienfunktion ist in der dynamischen Welt der Institutionenökonomik die Veränderung von Transaktionskosten. Medien erscheinen durch die Ausweitung der ökonomischen Verhaltensannahmen nicht mehr nur als auf Märkten handelbare Güter und Dienstleistungen, sondern als Kommunikationswerkzeuge, welche Effizienz von Märkten beeinflussen. Grundlegende kulturelle Medienfunktion ist es, Kommunikation durch geteilte symbolische Umwelten überhaupt erst zu ermöglichen. Durch symbolische Strukturierung, Speicherung und Steuerung bilden mediale Dispositive massive kulturelle Pfadabhängigkeiten aus.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Als grundlegende soziale Medienfunktion kann die Möglichkeit, soziale Kommunikation zu erweitern benannt werden. Je mehr mediale Regeln von Individuen beherrscht werden, desto mehr potentielle Anschlusspartner und desto größere Reichweiten sind für die Kommunikation vorhanden. In welchem Ausmaß die institutionenökonomische Theorie in der Lage ist, mit diesen institutionellen Medienfunktionen zu arbeiten, wird im Folgenden thematisiert.
2.2 Reichweite des institutionenökonomischen Ansatzes zur Betrachtung von Medien Der Einfluss medialer Spielregeln wurde bisher von der ökonomischen Theorie wenig beachtet, da diese Medien hauptsächlich im Sinne technischer Medienfunktionen versteht, die gemäß ökonomischer Rationalität nutzbar gemacht werden, um immaterielle Produkte hörbar, lesbar, sichtbar und wahrnehmbar zu machen. Die Annahme der begrenzten Rationalität und der daraus folgenden Notwendigkeit gesellschaftlicher Institutionen eröffnet allerdings ein wesentlich weiteres Feld der möglichen Betrachtung von Medien, welche deren konstitutive Beteiligung an ökonomischen Entscheidungen berücksichtigen kann. Um die Reichweite institutionenökonomischer Ansätze vollständig zu erfassen, muss jedoch grundsätzlich unterschieden werden, was im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Der natürliche Ausgangspunkt der institutionenökonomischen Betrachtung wäre der Einfluss allgemeiner gesellschaftlicher Institutionen auf das ökonomische Verhalten in Hinsicht auf Medien. Es ließe sich somit untersuchen, welche institutionellen Anreizsysteme zur Benutzung von Medien vorhanden sind, da Medien wie alle sozi412 alen Entitäten in ein Institutionengefüge eingebettet sind. Eine andere mögliche Perspektive eröffnet sich durch die Herangehensweise, Medien im Sinne der oben skizzierten institutionellen Medienfunktionen zu begreifen, die ›Regeln des Medialen‹ als spezielles Set von Institutionen aufzufassen und den Einfluss medialer Dispositive auf institutionelle Ordnungen auszudehnen. Die nicht medialen institutionellen Anreizsysteme lassen sich demnach als externe 412 Dieser Gedanke ist nicht neu. Schon der Soziologe Talcott Parsons beschrieb die Einbettung aller Medien in ein Netz aus funktionalen Institutionen. Vgl. Parsons, Talcott (1975): S. 36f.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE Regel für den Gebrauch von Medien von den oben beschriebenen internen Regeln des Medialen absetzen. Beiden Sichtweisen wird in den folgenden zwei Abschnitten nachgegangen.
2.2.1 Einbettung von Medien in gesellschaftliche Institutionengefüge Institutionen bilden im institutionenökonomischen Kontext das Bindeglied zwischen gesellschaftlich genutzten Medien und den Handlungsträgern der dazugehörigen ökonomischen und politischen Sozialstrukturen sowie den Unternehmen, Märkten und Haushalten eines Wirtschaftsystems. Medien sind demnach in ein komplexes Gefüge aus Spielregeln eingebettet, welches es ›Spielern‹ auf Medienmärkten ermöglicht, miteinander zu interagieren. Die Spieler des ›Medienspiels‹ einer Gesellschaft bestehen aus Medienorganisationen, welche als Medienunternehmen, Sendeanstalten, Rundfunkräte, Landesmedienanstalten, Verbände etc. auftreten sowie aus handelnden Einzelakteuren. Im Rahmen von »Industrial Organisation Modellen« lässt sich somit beispielsweise für alle Einzelmedien ein ›Katalog‹ an beteiligten korporativen Institutionen und institutionalisierten Regeln aufstellen, die für einen spezifischen Medien413 markt entscheidend sind. Aus ökonomischer Sichtweise ist die Betrachtung von Medien insbesondere aufgrund ihrer Transaktionskosten beeinflussenden Wirkung interessant. Da Transaktionskosten, wie beschrieben, zu einem großen Teil aus den Kosten der Benutzung des Marktes bestehen, üben Mediengefüge auf Grundlage ihrer technischen und institutionellen Funktionen einen hohen Einfluss auf die Transaktionskosten einer Gesellschaft aus. Als erste Näherung an das Verhältnis von Medien und Institutionen lässt sich die Einbettung der wirtschaftlichen Produktion und des Konsums von Medien in die allgemeinen Institutionen einer Gesellschaft beschreiben. Nimmt man die oben beschriebene statische Klassifikation der Institutionen eines Wirtschaftssystems von Richter und Furubotn als Grundlage dieser Betrachtung, welche gesellschaftliche Regeln in elementare konstitutionelle und elementare operationelle Regeln unterscheiden,
413 Vgl. für eine allgemeine Abhandlung der Institutionen auf dem Medienmarkt Kiefer, Marie Luise (2001): Kapitel 3, S. 72-127. Für eine exemplarische Analyse der Institutionen des Musikmarktes vgl. Baumgärtel, Knut (2005).
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS so lassen sich folgende Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Institutionen und Medien ausmachen: 1. Medien und elementare konstitutionelle Regeln: Die von Richter und Furubotn beschriebenen elementaren konstitutionellen Regeln definieren die politisch-juristischen Grundlagen eines Wirtschaftsraumes. Die präzise definierten Verfügungsrechte sowie deren Übertragbarkeit und Durchsetzung sind demnach konstitutionelle Voraussetzung ökonomischer Verwendbarkeit von privaten Gütern auf Märkten. Die ökonomische Theorie geht im Allgemeinen davon aus, dass Güter nur problemlos auf Märkten gehandelt werden können, wenn ein Ausschlussprinzip praktizierbar ist, welches nur den eigentlichen Käufer eines Gutes zur Benutzung eines erstandenen Gutes berechtigt und alle anderen Individuen ausschließt. Die ökonomische Grundannahme der Knappheit impliziert in diesem System Konsumrivalität von Gütern, d.h. der Wert eines Gutes kann nur von einem Käufer voll realisiert werden und nicht von mehreren. Beispielsweise sind Nahrungsmittel nach einmaligem ›Gebrauch‹ aufgezehrt oder ein Auto erleidet durch Verschleiß einen monetären Wertverlust. In Gegenwart dieser Idealbedingungen können Güter und Dienstleistungen auf Märkten problemlos gehandelt werden, da es sich um eindeutig definierbare 414 »Privatgüter« handelt. Die Installation eines relativ schlanken Sets an Institutionen, welche Definition, Zuteilung und Durchsetzung von diesen Verfügungsrechten gesellschaftlich regelt, reicht aus Sicht der ökonomischen Theorie aus, um für eine gesellschaftlich (pareto-)optimale Verteilung von privaten Gütern über die Wirkung von Marktmechanismen zu sorgen. Medienprodukte erfüllen jedoch diese beschriebenen Eigenschaften nur in sehr eingeschränktem Maße. Da Mediengüter in der ökonomischen Theorie hauptsächlich als Informationsgüter 415 aufgefasst werden, zeigen deren immateriellen Anteile (der ›Content‹ oder eben die ›Information‹) eine »Nichtrivalität im 416 417 und eine »mangelnde Preisausschlussfähigkeit« Konsum« 414 Vgl. Kiefer, Marie Luise (2001): S. 132f. 415 Vgl. Teil I, Kapitel 2.1.1 416 Nichtrivalität im Konsum ergibt sich bei allen Medieninhalten, da sie weggegeben, jedoch gleichzeitig behalten werden können und sich zumindest die in ihnen enthaltene Information nicht abnutzt. »Der immaterielle Wert der Medienproduktion, also der Gehalt an Informationen, kann von beliebig vielen Rezipienten gleichzeitig und/oder nacheinander konsumiert werden, ohne dass er dabei verbraucht wird.« Heinrich, Jürgen (1994): S. 118.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE auf, welche mit spezifischen Problematiken der Zuordnung und Durchsetzung von immateriellen Rechten einhergehen. Da sich die Verfügungsrechte von Informationsgütern aufgrund ihres 418 immateriellen Charakters weder problemlos zuordnen noch durchsetzten lassen, zeigen Medienprodukte in ihrem Charakter Parallelen zu so genannten kollektiven oder öffentlichen Gütern. »Klassische Güter dieser Art sind zum Beispiel die Rechtsordnung eines Staates oder die Landesverteidigung. Sind sie erst einmal produziert, können sie praktisch niemandem mehr vor419 enthalten werden.« Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass kein privater Anwender Interesse daran hat, Güter mit solch öffentlichem Charakter zur Verfügung zu stellen, da sich die Kosten für die Erstellung der Güter nicht wieder über den Markt amortisieren lassen. Für dieses »Marktversagen« gibt es im Bereich der Medien zweierlei Gründe, welche sich (1) aus den spezifischen Eigenschaften von Informationsgütern und (2) aus der Annahme des nutzenmaximierenden Verhaltens herleiten. Informationsgüter zeigen eine Kostenstruktur, welche sehr hohe Kosten zur Erstellung einer ersten Kopie (first copy costs) und 420 sehr geringe variable Kosten aufweisen. In der ökonomischen Theorie wird davon ausgegangen, dass Industrien mit einer Struktur der hohen Fixkostendegression zu natürlichen Monopolen neigen und deshalb durch zusätzliche Institutionen er421 gänzt werden müssen. Dies ist der Fall, da der Wettbewerb auf Märkten den Verkaufspreis in Richtung der anfallenden Grenzkosten drückt, welche bei (digitalen) Informationsgütern gegen 417 Ist ein Ausschluss möglich, ohne dass eine Rivalität im Konsum besteht, so spricht man von Club- oder Mautgütern. Vgl. Kiefer, Marie Luise (2001): S. 133. 418 Weniger problematisch als die Zuordnung und Durchsetzung von Nutzungsrechten sind bei medialen Inhalten die Definition der Urheberrechte (zumindest bei nicht traditionell überlieferten Werken). 419 Kiefer, Marie Luise (2001): S. 133. 420 Vgl. Shapiro, Carl/Varian, Hal (1999): S. 20. 421 Traditionell wurden Industrien mit solchen Strukturen staatlicher Regulierung unterworfen. Dominante Beispiele waren das staatliche Telekommunikationswesen, das Energiewesen und die nationalen Verkehrswege. Seit den späten 70er Jahren in den USA und später auch in Europa wurde diese staatliche Regulierung zunehmend aufgelöst und privatisiert. Im Zuge dieser Privatisierungen ist die hier angesprochene institutionelle Ergänzung jedoch selten weggefallen, sondern meist durch andere korporative Institutionen übernommen worden. Exemplarische Beispiele hierfür sind im Medien- und Kommunikationssektor das Federal Communication Council in den USA oder die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Deutschland.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Null tendieren: »Information delivered over a network in digital form exhibits the first-copy problem in an extreme way: once the first copy of the information has been produced, additional cop422 ies cost essentially nothing.« Aus Sicht der ökonomischen Verhaltensannahmen sorgt darüber hinaus die Annahme der Nutzenmaximierung für ein potentielles »Freerider-Verhalten« ökonomischer Akteure: »Als rational seinen individuellen Nutzen maximierendes Wirtschaftssubjekt geht der Freerider davon aus, dass das Kollektivgut, zumal wenn die Gruppe der Begünstigten sehr groß ist, auch ohne seinen eigenen, dann relativ kleinen Beitrag zur Kostendeckung bereitgestellt wird, er also kostenlos profitieren kann. Er wird seine Präferenzen für das öffentliche Gut daher weder offen legen, noch dessen Bereitstellung durch Kostenübernahme sichern. Wenn alle sich so, also den Annahmen des ökonomischen Verhaltensmodells gemäß, verhalten, zahlt letztlich niemand für die Produktion des Kollektivguts. Auch wenn alle dieses Gut eigentlich wollen, wird es aufgrund des Freeriderverhaltens nicht bereitge423 stellt werden [...].« Das bedeutet, dass individuelle Nutzenmaximierung nicht zwangsläufig zu kollektiv optimalen Ergebnissen führt (»Collective Action« Problem) wenn die Nutzenmaximierung nicht durch geeignete Nebenbedingungen ergänzt wird. Damit Medienmärkte im ökonomischen Sinne effizient arbeiten können, benötigen sie deshalb ergänzende Institutionen zur Verbesserung der mit ihnen verbundenen Verfügungsrechte. Entwickelte Medienmärkte zeigen deshalb meist ein hohes Maß an korporativen Institutionen und formalen Regeln, welche geeignet sind, unscharfe Verfügungsrechte durch Institutionenbil422 Vgl. Shapiro, Carl/Varian, Hal (1999): S. 21. Im Falle digitaler Medienprodukten, welche über das Internet verteilt werden, stimmt diese Annäherung sogar buchstäblich. Waren die variablen Kosten für traditionell regulierte Industrien, wie Fluggesellschaften oder die Telekommunikation, mit hohen Kostendegressionen nur ›im Verhältnis‹ zu den Fixkosten vernachlässigbar, tendieren sie in digitalen Netzwerken tatsächlich gegen Null. 423 Kiefer, Marie Luise (2001): S. 133. Die Annahme des Freerider-Verhaltens durch Nutzenmaximierung wird von Kiefer zwar als Beispiel der Unzulänglichkeit der ökonomischen Rationalitätsannahme angeführt, da diese durch individuell rationales Verhalten zu »irrationalem« kollektiven Verhalten führen würde (ebd.). Doch gilt diese Aussage nur, wenn man nicht zwischen vollständiger und unvollständiger Rationalität unterscheidet. Tatsächlich entspricht die Annahme von Freerider-Verhalten einer Nutzenmaximierung unter begrenzter Rationalität, welche nicht mit irrationalem Verhalten zu verwechseln ist, da vollständige ökonomische Rationalität nicht zu einem Verhalten führen würde, dass zu Marktversagen führt.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE
2.
dung zu substituieren. Die Aufstellung und Pflege von konstitutionellen Regeln lassen sich als die politischen Transaktions424 kosten einer Gesellschaft beschreiben. Die Installationskosten eines institutionellen Frameworks für mediale Produktion sind 425 aufgrund dieser Komplexität als sehr hoch anzusehen. Medien und elementare operationelle Regeln: Richter und Furubotn unterscheiden elementare und operationelle Regeln in allgemeine operationale Regeln und spezifische operationelle Regeln, wobei erstere hauptsächlich der Senkung kultureller Transaktionskosten und letztere der Senkung der Kosten einzelner Markttransaktionen dienen. Unter Anwendung eines erweiterten Medienbegriffs sind mediale Regeln hauptsächlich durch technische und institutionelle Funktionen auf dem Gebiet der allgemeinen operationalen Regeln angesiedelt. Sprache und Schrift, allgemeine Kommunikationsmittel, Wissen (Allgemeinbildung), Geld, aber auch gesellschaftlich konventio426 Richter und nierte Zeiteinheiten finden sich hier wieder. Furubotns ›Sammlung‹ lässt sich präzisieren, da die Transaktionskosten zur Benutzung von Märkten von der Leistungsfähigkeit folgender medialer Funktionen beeinflusst werden: !"Die elementaren technischen Medienfunktionen (Erweiterung der Wahrnehmung, Speichern und Bearbeiten, Übertragen) stellen die kommunikative Infrastruktur einer Gesellschaft bereit. !"Die aggregierten technischen Medienfunktionen (Kommunikation, Unterhaltung, Bildung) beeinflussen Allgemeinbildung und ethische Wertbildung in Wirtschaftssystemen. !"Die elementaren institutionellen Medienfunktionen (symbolische Struktur, symbolische Speicherung, symbolische Steuerung) bestimmen über spezifische Sprache und Schrift, Zahlensysteme, Maße und Gewichte, Rechen- und Tauschmitteleinheiten eines kulturellen Wirtschaftsraumes.
424 Vgl. Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G. (1996): S. 291. 425 Diese abstrakten und in ihrer historischen Entwicklung nicht messbaren ›Installationskosten‹ für institutionelle Gefüge, sind als versunkende Kosten anzusehen, jedoch weißt North darauf hin, dass effektive institutionelle Gefüge die Grundlage funktionierender Wirtschaftssysteme darstellen, da sie umfangreiche Netzeffekte im Wirtschaftssystem nach sich ziehen, sobald die Kosten, z.B. für eine neue Verfassung und die entsprechenden nachgelagerten Institutionen, getätigt wurden. Vgl. North, Douglass C. (1990): S. 107ff. 426 Siehe Tabelle I auf Seite 143 (Kapitel 1.3.1 dieses Teils).
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Die allgemeinen operationalen Regeln werden durch spezifische operationale Regeln ergänzt (insbesondere Verträge und deren Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen), um die Kos427 ten einzelner Markttransaktionen zu senken. Die Institutionenökonomik erweitert ihre Sichtweise auf Medien demnach über die Betrachtung von Gütern und Dienstleistung hinaus auf ein recht weit gefächertes Potential der Transaktionskosteneinsparung, welche sie sowohl in der technischen Leistungsfähigkeit zur Benutzung des Marktes als auch in kulturellen Transaktionskosten durch Senkung der Kosten medialer Prozesse ansieht. Zudem sind politische Transaktionskosten von der Gesellschaft aufzubringen, um Probleme mit Eigentums- und Verfügungsrechten auf Medienmärkten auszugleichen. Medien haben in dieser Konstellation bereits auf ökonomisches Verhalten Einfluss, indem sie die Transaktionskosten einer Gesellschaft über ihre technischen Funk428 tionen zu verändern vermögen. Diese statische Sichtweise auf ein institutionelles Frameset erlaubt jedoch noch nicht die Einbeziehung der medialen Regeln, welche sich aus der Theorie des Dispositivs ergeben. Das institutionenökonomische Denkgebäude bietet allerdings nicht nur den Rahmen, die auf die Medienwirtschaft einwirkenden, nicht medialen Regeln zu analysieren, sondern ebenfalls die Grundlage, die beschriebenen dispositiven Regeln des Medialen und deren Einfluss auf allgemeine Institutionen einzubeziehen und zu systematisieren.
2.2.2 Einfluss medialer Dispositive auf institutionelle Ordnungen Der vorige Abschnitt hat die Einbettung medialer Strukturen in das Institutionengefüge der Gesellschaft thematisiert. Da die Institutionenökonomik jedoch davon ausgeht, dass Institutionen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen, müssen die beschriebenen Regeln des Medialen ins Verhältnis mit den übrigen institutionellen Regeln der Gesellschaft gesetzt werden. Dieses Verhältnis 427 Diese spezifischen operationellen Regeln beinhalten die Tauschverträge für spezielle Ressourcen für den Bereich der Medien, beispielsweise vertraglich gesicherte Bildrechte, Verwertungsrechte etc. 428 »Institutions provide the structure for exchange that (together with the technology employed) determines the cost of transacting and the cost of transformation.« North, Douglass C. (1990): S. 34.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE wird deutlich, wenn die Rolle medialer Regeln für das Konzept des institutionellen Wandels betrachtet wird. Institutioneller Wandel findet aus Sichtweise der Institutionenökonomik statt, sobald externe Entwicklungen (z.B. technologischer, politischer Natur, aber auch durch externe Schocks, wie beispielsweise Revolutionen oder Naturkatastrophen) zu einer Veränderung der Transaktionskostenstrukturen führen, welche eine vorhandenen Institution ineffizient werden lassen und deshalb die Institution von handelnden Akteuren verändert wird. Generell wird die Ansicht vertreten, dass sich dieser Wandel in meist sehr kleinen Schritten vollzieht und sich institutioneller Wandel aus diesem Grund nur über große Zeiträume beobachten lässt. Da die Kosten der Veränderbarkeit von Institutionen immer substanzieller werden, je höher man in der Institutionenhierarchie kommt, ist es interessant zu betrachten, welche Institutionen als fundamental und damit als vorgelagert und schwer (teuer) veränderbar angesehen werden. In der institutionenökonomischen Analyse ist diese Klassifikation, wie bereits erwähnt, keineswegs einheitlich. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, entspricht es häufig einer ökonomischen Sichtweise, konstitutionelle, also formelle Regeln als fundamentale Regeln festzulegen und operationale Regeln als abgeleitete zu begreifen. Aus Sichtweise der in Teil I vorgestellten Arbeiten von Harold Innis und Marshall McLuhan und auch aus Sichtweise der Theorie der medialen Dispositive müssen jedoch die allgemeinen operationellen Regeln, welche durch die Medienfunktionen bereitgestellt werden, als allen anderen Institutionen vorgelagert begriffen werden. Diese Sichtweise entspricht deutlicher der beschriebenen historischen Auffassung institutioneller Entwicklung von North und Williamson, welche informellen Institutionen einen übergeordneten Charakter zuweisen. Wenn informellen Institutionen ein fundamentaler Charakter zugewiesen wird, so ergibt sich daraus die zwangsläufige Folgerung innerhalb der ökonomischen Theorie, dass informelle Normen sich am langsamsten und teuersten verändern lassen. Und tatsächlich nimmt Williamson eine solche Perspektive ein, in welcher sich informelle Normen nur alle 100-1000 Jahre verändern. Williamson kommt zu diesem Schluss, da er davon ausgeht, dass Änderungen am institutionellen Arrangement (den Einzelverträgen) am kostengünstigsten durchzuführen sind. Erst die schrittweise Änderung von Verträgen würde somit über die Zeit in die Verhaltensweisen von
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Individuen übernommen werden und damit langfristig informelle 429 Normen ändern. Institutioneller Wandel würde folglich in Williamsons Konzeption stets nur durch marginale Änderungen an speziellen operationellen Regeln ausgelöst und sich über die Zeit in die fundamentalen Regeln einbetten. Diese teleologische Sichtweise ist aus dem Blickwinkel eines dispositiven Charakters von Medien nicht in dieser Deutlichkeit zu erkennen, da der dispositive Charakter einen unbewussten Aspekt in jeglicher Intention ökonomischer Akteure betont. Auf Grundlage einer dispositiven Betrachtung von Medien ist es demnach denkbar, dass nicht ausschließlich geplante, formale Regeln den Gebrauch von Medien ändern, sondern neue Medientechnologien (beispielsweise das Internet) zu neuen informellen Normen führen (beispielsweise Nutzungsverhalten in Abwesenheit globaler Regeln), welche dann erst in formale Regeln einfließen (z.B. die Etablierung neuer digitaler Verfügungsrechte). Der Wandel von Medienregeln wird auch dadurch zu einem gewissen Maße ›unplanbar‹, da Medien aus ökonomischer Sicht soziale und kulturelle »externe Effekte« auslösen können. Von externen Effekten wird innerhalb der Wirtschaftswissenschaften gesprochen, wenn nicht alle Kosten und Nutzen in einem ökonomischen Gut internalisiert sind, sondern von unbeteiligten Dritten indirekt getra430 Unbeteiligten Dritten entstehen demnach gen werden müssen. durch Produktion und Konsum bestimmter Güter Vor- oder Nachteile, denen diese ›ausgeliefert‹ sind. Industrielle Produktion ohne technische Filteranlagen löst durch die Nutzung von öffentlichen Gütern (z.B. Luft oder Wasser) für gewöhnlich negative externe Effekte in Form von Umweltschädigungen aus. Positive externe Effekte ergeben sich hingegen, wenn eine funktionierende Presselandschaft einer Gesellschaft den Informationsstand der Individuen anhebt. Öffentliche Güter haben, da das Ausschlussprinzip wie beschrieben nur begrenzt funktioniert, immer externe Effekte. Da die Informationsmedien einer Gesellschaft zumindest in ihrer technischen Grundkonfiguration die Struktur öffentlicher Güter teilen, ziehen diese ebenfalls meist externe Effekte nach sich. Für den Bereich der Medien lässt sich in diesem Zusammenhang die »Theorie der meritorischen Güter« anführen, welche davon ausgeht, dass es Güter gibt, deren Konsum positive externe Effekte für
429 Vgl. Williamson, Oliver E. (2000): S. 596f. 430 Vgl. Kiefer, Marie Luise (2001): S. 135.
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2. BEGRENZTE RATIONALITÄT UND MEDIALE DISPOSITIVE 431
die Gesellschaft haben. So wird innerhalb dieser Theorie beispielsweise davon ausgegangen, dass der Konsum von Büchern tendenziell geeignet ist, die Allgemeinbildung der Gesellschaft zu erhöhen und somit positive Auswirkungen auf die ökonomische Leistung eines Wirtschaftssystems zu haben. Allgemein wird angenommen, dass meritorische Güter aufgrund begrenzter Rationalität keine hohe Position innerhalb der Präferenzordnung ökonomischer Akteure haben und deshalb institutioneller Anreizsysteme benötigen, um den Konsum ›gesellschaftlich erwünschter‹ Güter zu erhöhen. Aus ökonomischer Sichtweise würde demnach begrenzte Rationalität dazu führen, dass individuelle Präferenzen ›verzerrt‹ sind, da beispielsweise die potentiell positive Auswirkungen von Medien auf Bildung nicht immer von ökonomischen Akteuren ›erkannt‹ wird. Die vollständig rationale Herangehensweise an Bildung wäre demnach, diese als Inputfaktor in das Humankapital anzusehen und sie mit dem Ziel der Realisierung höherer Einkünfte zu nutzen. Der Ansatz der meritorischen Güter ist aus diesem Grund in der orthodoxen ökonomischen Theorie nicht unbestritten, da dieser dem Konzept des homo oeconomicus widerspricht, der zu jeder Zeit weiß, was für ihn das Beste ist und somit eine gesellschaftliche Übereinkunft über individuelle Entscheidungen stellt. Das Konzept der meritorischen Güter zeigt die Probleme, welche sich aus einer ausschließlichen Konzentration auf monetäre ökonomische Dispositionen für die medienökonomische Theorie im Allgemeinen ergeben. Die Ausrichtung der Handlungen ökonomischer Akteure an monetäre Bezugsgrößen ist für die allgemeine Ökonomik eine wirksame Herangehensweise, für eine spezifische medienökonomische Entscheidungen greift sie jedoch meist zu kurz. Die Betrachtung medienökonomischer Prozesse lässt sich, wenn man dispositive Effekte von Medien integrieren will, nicht ohne die Integration der sozialen und kulturellen Dispositionen ökonomischer Akteure vollständig erfassen. Die im ersten Teil beschriebenen elementaren und aggregierten Medienfunktionen entscheiden demnach darüber, in welcher Art und Weise und mit welcher Reichweite gesellschaftliche Anschlussfähigkeit möglich ist. Technische Medienfunktionen bilden somit die Grundlage für die symbolische Struktur, welche die Grundlage der kulturellen Anschlussfähigkeit der Indivi-
431 »Meritorik meint, dass Produktion und Konsum dieser Güter gesellschaftlich erwünscht (meritorious) sind, Demeritorik, dass sie unerwünscht sind. Ihrer Grundstruktur nach sind meritorische Güter Güter mit positiven externen Effekten.« Kiefer, Marie Luise (2001): S. 136.
177
TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS duen innerhalb einer Gesellschaft bildet. Ohne gemeinsame institutionalisierte symbolische Strukturen sind Gesellschaften nicht interaktionsfähig. Der symbolischen Speicherung kommt die Sicherung dieser Anschlussfähigkeit über die Zeit zu, wodurch zukünftige Interaktion sichergestellt wird und gleichzeitig Pfadabhängigkeiten entstehen, die ihrerseits das Potential haben, unbewusste symbolische Steuerungsprozesse auszulösen. Zugang und Kenntnis medialer Institutionen entscheidet innerhalb einer Gesellschaft über die prinzipielle Anschlussfähigkeit zu gesellschaftlichen Teilgruppen (Milieus), wodurch die soziale Disposition ökonomischer Akteure durch die institutionellen Medienfunktionen mitbestimmt wird. Das Maß an konsumierten kulturellen Medien, wie dem Theater, dem Roman, wissenschaftlicher Literatur oder dem Kino, entscheidet in Mediengesellschaften darüber, in welchem Maße ein Individuum kommunikativ anschlussfähig an bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder andere Individuen ist. Aus medientheoretischer Sichtweise ist es aufgrund der sozialen und kulturellen Funktionen von Medien geboten, das Verhältnis von Individuen und Medien deshalb nicht ausschließlich aus Sichtweise monetärer Aspekte zu untersuchen. Diese Annahme stimmt mit der hier vertretenden Auffassung überein, dass Medien in ihrer institutionellen Funktion nicht nur Auswirkungen auf ökonomische, sondern auch auf kulturelle und soziale Dispositionen von Individuen haben. Wie das Verhältnis zwischen externen medialen Regeln und ökonomischem Akteur beschrieben werden kann, wird im folgenden Kapitel thematisiert, um somit das Konzept des Dispositivs, welches ja wie beschrieben die Auswirkungen einer Struktur auf das Individuum thematisiert, medienökonomisch zu integrieren.
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»All media work us over completely. They are so pervasive in their personal, political, economic, aesthetic, psychological, moral, ethical, and social consequences that they leave no part of us untouched, unaffected, unaltered.« Marshall McLuhan
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3. D E R M E D I E N Ö K O N O M I S C H E C O D E II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Die in diesem Teil skizzierten Erweiterungen ökonomischen Denkens sind im Zusammenspiel mit der Analyse der dispositiven Schicht des Medialen geeignet, eine der Ausgangsvoraussetzung der medientheoretischen Herangehensweise Marshall McLuhans in die ökonomische Theorie zu integrieren. McLuhans Forderung, dass Medien als ein wesentliches Handlungsumfeld des Menschen betrachtet werden müssen, lässt sich im Rahmen des Theoriegebäudes der Institutionenökonomik nachkommen. Da der ökonomische Mensch in der Institutionenökonomik nicht mehr unabhängig von dem, von ihm geschaffenen Umfeld an institutionellen Spielregeln betrachtet wird, eröffnet sich auch die Möglichkeit, mediale Spielregeln in die Betrachtung einzubeziehen. Zentrale Voraussetzung für die Einbettung der in diesem Teil in Form von institutionellen Medienfunktionen entwickelten medialen Regeln in die ökonomische Untersuchung menschlicher Entscheidungen, ist die Annahme der begrenzten Rationalität und der damit einhergehenden unvollständigen Information. Die Einführung der begrenzten Rationalität und der unvollständigen Information hat jedoch nicht nur zur Konsequenz, dass Medien überhaupt als Umfeld von Akteuren integriert werden können, sondern hat auch zur Folge, dass die Institutionenökonomik durch ihre methodologische Grundlage, welche oben als institutioneller Individualismus beschrieben wurde, die permanente Wandelbarkeit dieses Umfeldes anerkennt und sich somit ebenfalls noch
432 McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1967): S. 26.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS einen Schritt in die Richtung der von McLuhan geführten Argumentation öffnet. Da in den vorigen Kapiteln die These vertreten wurde, dass das mediale Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen hauptsächlich durch dispositive Prozesse geprägt wird, welche Auswirkungen nicht nur auf die ökonomische, sondern auch auf die kulturelle und die soziale Disposition der Akteure haben, kann das mediale Umfeld ökonomischer Akteure als ›externe mediale Handlungsordnung‹ beschrieben werden. Diese Sichtweise setzt eine Institutionalisierung von medialen Regeln voraus, welche in Kapitel 3.1 vertieft wird. Zu diesem speziellen Institutionengefüge stehen die Annahmen über den ökonomischen Menschen in einem bestimmten Verhältnis, der er in seiner Entscheidung nicht nur monetäre, sondern auch soziale und kulturelle Einflüsse einbeziehen muss. Wie ein solcher Ansatz im Sinne der Institutionenökonomik dargestellt werden könnte, wird in Kapitel 3.2 thematisiert. Die Integration von Medien in das Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen reicht allerdings noch nicht aus, um eine vollständige Betrachtung des Verhältnisses zwischen ökonomischem Menschen und Medien zu gewährleisten, wie in Kapitel 3.3 dargestellt wird.
3.1 Institutionalisierte Medialität Die institutionellen Funktionen, welche durch Medien eingenommen werden können, ergeben sich in der hier dargestellten Sichtweise daraus, dass Medien symbolische Prozesse über technologische Infrastrukturen abbilden, deren Anwendung individuelles und gesellschaftliches Vorwissen voraussetzt. Wie Hickethier ausführt, kann somit grundsätzlich »davon ausgegangen werden, dass Medien als Kommunikation organisierende Einheiten immer gesellschaftlich institutionalisiert sind, weil sie bei den Benutzern kulturell verankertes Wissen um ihre Funktion und ihren Gebrauch voraussetzen 433 und nur bestimmte Umgangsweisen mit den Medien ermöglichen.« Die von der technischen Struktur implizierten und auch die von Individuen erdachten Verwendungsweisen von Medien generieren symbolische Prozesse, welche durch gesellschaftliche Verwendung zu medialen Regeln gerinnen können. Wenn demnach von Institutionalisierung von Medien die Rede ist, so versteht sich dies als die
433 Hickethier, Knut (2003): S. 31 [Hervorhebung im Original].
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN konzeptionelle Einbettung von Technologien in eine kulturelle und soziale Praxis. »Mit dem Begriff der Institutionalisierung ist gemeint, dass Medien nicht einfach ›da‹ sind, sondern dass sie als kulturelle Errungenschaften der Menschen z. T. komplexe und komplizierte Apparaturen voraussetzen, in denen viel gesellschaftliche Arbeit enthalten ist und deren Gebrauch mit Einfluss und Macht – z.B. über die Vorstellungen der Menschen – verbunden ist. Wer Medien benutzt und in welcher Weise, ist deshalb gesellschaftlich geregelt, durch Gesetze, Richtlinien, 434 Eigentumsverhältnisse, aber auch durch Konventionen, Gewohnheiten etc.« Medien gewinnen somit eine institutionelle Funktion, in welcher sie im Sinne von Harold Innis den ökonomischen Menschen durch symbolische Strukturierung in eine spezifische Konfiguration zu Raum und Zeit versetzen, indem sie durch symbolische Speicherung gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und Dauer gewährleisten und durch symbolische Steuerung wesentlicher Bestandteil gesellschaftlicher Sanktionierungsmöglichkeiten sind. Externe symbolische Strukturierung, Speicherung und Steuerung machen gesellschaftliche Koordinationsprozesse damit in hohem Maße pfadabhängig von den gesellschaftlichen Kommunikationsmitteln. Aus dieser Sichtweise folgt jedoch auch, dass mediale Kommunikation, wie bereits in Teil 1 angesprochen, nicht auf ›unvorbereiteten‹ Boden treffen darf, sondern sogar auf dispositive Prozesse angewiesen ist. Individuen, welche nicht an mediale Dispositive gewöhnt sind, werden mit deren Verwendung nichts anzufangen wissen. Marshall McLuhans Aussage, dass das Medium die Botschaft sei, lässt sich demnach aus Sichtweise institutionalisierter medialer Dispositive durchaus unterstützen, da die Verwendung von Medien spezielle Wissensformen voraussetzt. Jedoch muss aus Sichtweise des institutionellen Individualismus der vollständige Determinismus von McLuhans Aussage relativiert werden. Umberto Eco kritisiert in einem ähnlichen Zusammenhang Marshall McLuhans zentrale Aussage: »Das Medium ist nicht die Botschaft, denn für den Kannibalenhäuptling ist der Wecker nicht Ausdruck seiner Entschlossenheit, die Zeit zu verräumlichen, sondern ein kinetischer Hals435 schmuck.« Ecos anekdotenhafter Einwand ist in seiner Aussage nicht unwesentlich, da er sowohl die kulturelle Kontextualisierung als auch den potentiell ›ideenreichen Umgang‹ mit Medien unter434 Hickethier, Knut (2003): S. 31 [Hervorhebung im Original]. 435 Eco, Umberto (1967): S. 262.
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS streicht. Diese Sichtweise Ecos unterstützt somit die methodologische Grundlage des institutionellen Individualismus, der davon ausgeht, dass Menschen die Regeln ihrer Interaktion beeinflussen und diese Regeln wiederum den Menschen. Denn wenn das Medium die Botschaft wäre, »bleibt uns nichts mehr zu tun, und wir sind (die Apokalyptiker wissen es) nur noch Sklaven der Instrumente, die wir 436 geschaffen haben.« In Verteidigung McLuhans lässt sich gegen Ecos Auffassung jedoch zweierlei einwenden: Erstens, dass sein Beispiel nur ein Beleg für die fehlende symbolische Institutionalisierung des ›Mediums Wecker‹ wäre und zweitens, dass die Wirkung von Medien nicht unabhängig von anderen Medien betrachtet werden kann. Analog zu der Annahme der Institutionenökonomik, dass Einzelinstitutionen nur in Institutionengefügen ihre volle Wirksamkeit entfalten können, ist auch davon auszugehen, dass mediale Institutionen nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. Selbst die heutzutage als verhältnismäßig selbstverständlich angenommene Benutzung einer Uhr (um bei Ecos Wecker zu bleiben), setzt ein hohes Maß an technischer Vorarbeit und gesellschaftlichem Wissen voraus. Ebenso wie der Preismechanismus nicht ohne vor- und nachgelagerte Institutionen funktioniert, funktioniert das sozialisierte Konzept der Zeit nicht ohne das Wissen um konventionierte Zeiteinheiten, wie z.B. das Wissen um die Kalenderzeit, die Uhrzeit, das eigene Alter, die zeitlichen Abstimmungen zwischenmenschlichen Handelns etc. Dieses Wissen ist nicht einfach bei Individuen vorhanden, es wurde durch langwierige evolutionäre Institutionalisierung zu einer selten 437 reflektierten Selbstverständlichkeit. Der Wecker, eingewoben in seiner vollen institutionellen Matrix, bleibt demnach zu einem gewissen Grade die Botschaft, da er als Uhr nicht ohne institutionellen Kontext zu verstehen ist. Nur als Gegenstand, als Ding, wird er zum Halsschmuck. Das angeführte Beispiel der zeitlichen Institutionalisierung verweist auf eine Eigenschaft, welche in der Tendenz alle dispositiven medialen Prozesse auszeichnet. Medien weisen die Tendenz auf, ihre technologischen Strukturen so zu organisieren, dass die medialen Prozesse vom Rezipienten nicht mehr als konstruiert wahrgenommen werden, wodurch sie tatsächlich, wie von McLuhan beschrieben, als Verlängerung der Sinne erscheinen können. Darüber 436 Eco, Umberto (1967): S. 262. 437 Vgl. Elias, Norbert (1984): S. XII und S. 6f, sowie Kirchmann, Kay (1998): S. 78.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN hinaus zeichnen sich mediale Regeln, wie auch andere Institutionen, häufig durch die Eigenschaft aus, dass sie sich nicht mehr auf natürlich vorfindbare Gegenstände beziehen, sondern ausschließlich aufgrund sozialer Übereinkunft ihre Geltung durchsetzen. So basiert die heutige Synchronisierung von Uhren nicht mehr auf dem Newtonschen Prinzip einer zentralistisch absoluten Himmelsuhr (gemessen z.B. an einer astronomischen Sternwarte), sondern an einem von Albert Einstein entwickelten System zur dezentralen Koordination von Uhrzeit, indem sich Uhren ausschließlich an einander abgleichen. Durch Einsteins Arbeit war Zeit nun nicht mehr nur im theoretischen Sinne ›relativ‹ zu ihrem Beobachter und dessen Bewegung, sondern existierte nun auch technisch-real nur noch ›relativ‹ – in Bezug auf andere Uhren. Einstein veränderte damit die Regeln der Zeitbestimmung, die wiederum den in einer Gesellschaft vorherrschenden Zeitbegriff beeinflussen: die Zeit war nicht mehr von einer festen Größe, den Sternen, abhängig, sondern ›relativ‹ von den eingesetzten Medien der Zeitmessung (wie z.B. Uhren, aber auch dem 438 Fernsehen, dem Radio etc.). Dieser Prozess der ›Entkopplung‹ von natürlichen Referenzen ist dabei nicht nur bei der Konvention der Uhrzeit auszumachen, sondern bei vielen institutionellen Prozessen, da sie Kennzeichen arbeitsteiliger und auf unpersönlichem Tausch und Fernkommunikation basierender Gesellschaften sind. So sind ähnliche Entkopplungsprozesse beispielsweise in die Entwicklung des Geldwesens eingeschrieben oder auch in die Entwicklung wirtschaftlich genutz439 ter Räume. Mediale Regeln liegen im Sinne Hayeks damit in ihrer Ordnung ›zwischen‹ der Natur und der Übereinkunft, da sie gewissermaßen die Natur gewordene Übereinkunft sind, welche sich Men440 schen durch ihre Sinne vermitteln.
438 Vgl. u.a. Galison, Peter (2000): S. 216f und Aichelburg, Peter C. (1988): S. 231. 439 Matthias Maier und Christine Wenzel beschreiben den Wandel des Geldwesens vom Goldstandard zum institutionell verankerten Prinzip der frei konvertierbaren Wechselwährungen und Karina Preiß beschreibt die Institutionalisierung wirtschaftlicher Räume von traditionellen, persönlichen Märkten zu infografischen Räumen des Cyberspace. Vgl. Maier, Matthias/Wenzel, Christine (2004) und Preiß, Karina (2006). 440 Hayek beschreibt diesen Zustand als »mittlere Kategorie« zwischen Natur und Übereinkunft bzw. »Konvention« (vgl. Hayek, Friedrich A. von (1963): S. 36). Dass es diese mittlere Kategorie im abendländischem Denken laut Hayek nicht gab, könnte eine Erklärung dafür sein, dass über einen so langen Zeitraum eine solche Vielzahl von Ansätzen über das Medienverständnis entstan-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Der Einsatz von Medien setzt somit stets eine kulturelle Praxis voraus, welche nicht nur durch allgemeine gesellschaftliche Institutionen, sondern auch durch die Regeln des Medialen geprägt wird. Aus medientheoretischer Sichtweise wird deshalb Technik erst durch den Prozess der Institutionalisierung zum Medium: »Durch die gesellschaftliche Institutionalisierung wird die Technik gesellschaftlich eingebunden und festgelegt, wobei zumeist nichttechnische 441 Kriterien (z.B. ökonomische) ausschlaggebend sind.« Damit aus Technologie ein mediales Regelsystem wird, sind jedoch heterogene historische Bedingungen notwendig, weshalb mediale Institutionalisierungen selten Ergebnis einer geradlinigen teleologischen Ent442 wicklung sind. »Viele mediale Effekte und Resultate sind nicht Ergebnis intentionaler Prozesse und langfristig durchgesetzter Strate443 gien.« Es gibt nach dieser Sichtweise keinen großen Plan und keine Drahtzieher hinter medialen Entwicklungen. Viele mediale Entwicklungen entstehen somit im Sinne der in 1.3.3 skizzierten »spontanen Ordnungen«. Ist ein mediales Regelsystem einmal entstanden, stellt es das Individuum im Sinne dispositiver Theorien in ein spezielles Verhältnis zu den medialen Regeln, wie im folgenden Kapitel thematisiert wird.
den sind und trotzdem keine einheitliche Definition gefunden werden konnte. 441 Hickethier, Knut (2003): S. 31. 442 »Die Medienfunktion lässt sich nur als Zusammentreten heterogener Momente begreifen, zu denen technische Apparaturen oder Maschinen genauso gehören wie Symboliken, institutionelle Sachverhalte, Praktiken oder bestimmte Wissensformen.« Vogl, Joseph (2001): S. 122. Beispielsweise lässt sich das Internet in dieser Sichtweise nicht als Ergebnis zielgerichteter Forschung und Entwicklung verstehen. Zu der speziellen, neuen Technologie des Hypertextes, der ›Vernetzung‹ sichtbar machen konnte, waren eine Vielzahl von anderen Voraussetzungen notwendig, um die gesellschaftliche Durchsetzung des Mediums zu gewährleisten. So benötigte es nicht nur eine zu anderen Zwecken aufgebaute massentaugliche Infrastruktur, das Telefonnetz, um den Zugang zur vernetzten Kommunikation zu gewährleisten, sondern auch eine Technologie, wie den Computer, der es erlaubte, elementare Medienfunktionen zu vereinen und neutrale Signale zu speichern und zu verarbeiten. Darüber hinaus benötigte es jedoch ebenfalls einen gesellschaftlichen Wandel, der seine Individuen aus der starren Industriegesellschaft in eine flexible Dienstleistungsgesellschaft entließ, um die Institutionalisierung des neuen Mediums zu gewährleisten. 443 Hickethier, Knut (2003): S. 189.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN
3.2 Implikation dispositiver Medialität für den ökonomischen Menschen Da die Theorie der Dispositive davon ausgeht, dass auf analytischer Ebene von einem Dispositiv nur gesprochen werden kann, wenn die Auswirkung einer Struktur auf die Position des Individuums berücksichtigt wird, wird der ökonomische Akteur nun in Hinblick auf sein Verhältnis zu medialen Spielregeln betrachtet. Wie bereits deutlich wurde, sind die hier auf Grundlage des Dispositiv-Konzeptes entwickelten institutionellen Medienfunktionen nicht überall reibungslos in die ökonomische Theorie einzubetten, da die vorherrschende Beschreibung ökonomischer Restriktionen durch ausschließlich monetäre Aspekte nicht-monetäre Wirkungen von Medien nicht abbil444 den kann. Viele der hier als ›unbewusst‹ bezeichneten Prozesse scheinen eher mit durch informelle Normung beeinflussten sozialen und kulturellen ›Kosten‹ zu korrelieren. Die Betonung des ›Unbewussten‹ in der medientheoretischen Konzeption des Dispositivs eröffnet deshalb auch ein starkes Spannungsverhältnis zur ökonomischen Kopplung von Rationalität an monetäre Dispositionen. Seitdem Adam Smiths Idee der unsichtbaren Hand, das einzig wirklich ›unbewusste‹ Konzept der ökonomischen Theorie, von Gerard 445 Debreu mathematisch formalisiert wurde, setzen sich alle ökonomischen Theorien mit den Untersuchungen und Auswirkungen monetärer Kosten auseinander (auch wenn die Gleichsetzung ›des Ökonomischen‹ mit monetären Aspekten heute meist als selbstverständlich gilt, war dies nicht immer so, die alten Institutionenökonomen, wie Veblen, haben durchaus versucht, diese Strenge Kopp446 lung zu ›sprengen‹). Die Dominanz monetärer Kosten impliziert
444 Dies liegt zu einem gewissen Teil auch daran, dass die für viele medienökonomischen Ansätze verwendeten kommunikationstheoretische Modelle, wie das einfache Sender-Empfänger-Modell, welches im ersten Teil herangezogen wurde, um technische Medienfunktionen zu erläutern, aber auch komplexere Kommunikationsmodelle, ausschließlich auf den Prozess der Informationsweitergabe ausgerichtet sind und deshalb die Ebene des ›Unbewussten‹ ebenfalls nur unzureichend abbilden können. Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 54. 445 Vgl. Debreu, Gerard (1991). 446 Wie Deirdre McCloskey herausstellt, hat eine fundamentale ökonomische Grundannahme gar nicht zwingend mit explizit monetären Anreizen zu tun. Grundsätzlich wird in der ökonomischen Theorie nur davon ausgegangen, dass zwei Akteure durch einen Markttausch nach dem Kauf ›besser gestellt‹ sind als zuvor, sonst würden sie ihre Tauschgegenstände behalten. Was ge-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS jedoch nicht, dass die ökonomische Theorie sich der Existenz anderer möglichen Kostenarten nicht bewusst ist. Sie tut sich lediglich mit deren Betrachtung sehr schwer, da andere als monetäre Kosten 447 schwer bis gar nicht quantifizierbar sind. Für die Betrachtung der institutionellen Medienfunktionen, welche aus den dispositiven Eigenschaften des Medialen abgeleitet wurden, greift eine ausschließlich monetäre Entscheidungsgrundlage ökonomischer Akteure jedoch höchstwahrscheinlich zu kurz, da die beschriebenen erweiterten elementaren Medienfunktionen der symbolischen Strukturierung, Speicherung und Steuerung nicht nur Einfluss auf die ökonomische Disposition ökonomischer Akteure haben, sondern ebenfalls auf deren kulturellen und sozialen Dispositionen. Im Hinblick auf ökonomische Entscheidungen lässt sich die Problematik, vor der sich die Medienökonomie befindet, an einem einfachen Beispiel illustrieren. Selbst in der Anwendung des Nutzenmaximierungspostulats hängt beispielsweise die simple Entscheidung, einen Kinofilm zu sehen, nur teilweise mit monetären Aspekten zusammen. Ebenso wichtig und vielleicht entscheidender sind erwarteter kultureller und sozialer ›Nutzen‹ bei der Entscheidung für einen Kinofilm. Diese Erwartungen an einen Kinofilm werden über ein spezifisches institutionelles Frameset gesteuert, zu dem institutionalisierte Starsysteme ebenso gehören wie Filmgenres oder auch Produktionsfirmen. Die Entscheidung, einen Film zu konsumieren, entsteht somit stets in Hinsicht auf vorangegangenen Medienkonsum, welcher zukünftige Konsumakte vorbereitet. Die eigentliche Wahl, die der Kinogänger zu treffen hat, entscheidet sich in den seltensten Fällen entlang der Evaluierung ausschließlich monetärer Opportunitätskosten der investierten Zeit und des Geldes für die Kinokarte, sondern eher entlang der Fragen, inwieweit ein Film ein gelerntes und erwünschtes Sehmuster bedient, wie er sich in das spezifische Wissen bisher konsumierter Filme einreiht (z.B. triviales Fanwissen über Stars oder theoretisches Wissen über Filme an sich) bzw. mit wem der Film innerhalb einer sozialen Konstellation konsumiert wird und welche nachträglichen kommunikativen Anschlussmöglichkeiten sich vom Konsum des Films versprochen werden können. tauscht wird, sollte deshalb weniger im Vordergrund stehen als warum getauscht wird. Vgl. McCloskey, Deirdre (2002): S. 11ff. 447 Gary Becker beispielsweise erwähnt zwar psychische Kosten in Form von psychischem Einkommen im Gegensatz zu Geldeinkommen, vertieft diesen Gedanken aber nicht weiter. Vgl. Becker, Gary S. (1965): S. 104 und Kuhn, Thomas/Mauer, Andrea (1995): S. 143.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN Dieses sehr einfache Beispiel zeigt die Vielfalt der Probleme, welche eine rein monetäre Herangehensweise an das Feld der 448 Medien mit sich bringt. Ein möglicher Weg für die medienökonomische Betrachtung, soziale und kulturelle Effekte in die Betrachtung zu integrieren, ist die Aufnahme des symbolischen Kapital449 begriffes des Soziologen Pierre Bourdieu. Bourdieu, der besonders dem neoklassischen Ansatz der Wirtschaftswissenschaften sehr kri450 tisch gegenübersteht, fasst unter diesem Begriff mehrere Erscheinungsformen von Kapital zusammen, namentlich das Ökonomische, das Kulturelle und das Soziale, welche er für das Verständnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen als wesentlich betrachtet: »Es ist nur möglich, der Struktur und dem Funktionieren der gesellschaftlichen Welt gerecht zu werden, wenn man den Begriff des Kapitals in allen seinen Erscheinungsformen einführt, nicht nur in der aus der Wirtschaftstheorie bekannten Form. [...] Dieser wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warentausch, der objektiv und subjektiv auf Profitmaximierung ausgerichtet ist und 451 vom ökonomischen Eigennutz geleitet ist.« Die drei Erscheinungsformen »symbolischen Kapitals« beschreibt 452 Bourdieu als interdependent und untereinander konvertierbar. 448 Trotz der Probleme ist es beachtenswert, dass die Verhaltensannahmen der Institutionenökonomik eine solche Sichtweise nicht per se als irrational erscheinen lassen. Der Besuch eines Kinofilms wäre demgegenüber für den neoklassischen homo oeconomicus ein wahrlich nüchternes Ereignis. Nachdem er sich, wahrscheinlich aus rationaler Einsicht biologisch notwendiger Arbeitspausen, dazu entschieden hätte, einen Abend seiner Präferenz ›Unterhaltung‹ zu widmen, hätte er nichts weniger als den qualitativ hochwertigsten Film im Theater mit dem günstigsten Ticketpreis gewählt. Da ihm aufgrund seiner perfekten Information der inhaltliche Verlauf des Films bereits bekannt wäre, versüßt er sich seine Langeweile nur durch das wohlige Bewusstsein, dass sein Kinobesuch in aggregierter Form dem allgemeinen gesellschaftlichen Wohl durch Erhaltung von Arbeitsplätzen und Kaufkraft der Besitzer und Angestellten der allgemeinen Filmindustrie dient. 449 Ein Vorgehen, dass auch Justus Haucap für die Analyse, warum manche Kinofilme erfolgreich sind und manche nicht, vorschlägt. Vgl. Haucap, Justus (2001). 450 »Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte. Sie darf deshalb nicht auf eine Auseinanderreihung von kurzlebigen und mechanischen Gleichgewichtszuständen reduziert werden, in denen Menschen die Rolle austauschbarer Teilchen spielen.« Bourdieu, Pierre (1983): S. 183. 451 Bourdieu, Pierre (1983): S. 184 [Hervorhebung im Original]. 452 Vgl. Papilloud, Christian (2003): S. 44 und Bourdieu, Pierre (1993): 54ff. Die Bezeichnung der Kapitalsorten ist in der Literatur nicht immer ganz einheit-
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS »Ökonomisches Kapital« (materieller Besitz verschiedenster Art) sei demnach »unmittelbar und direkt« in Geld umzuwandeln und institutionalisiert sich am deutlichsten in Form von Eigentumsrechten. »Kulturelles Kapital« (Wissen, Bildungstitel, Kunst, Manieren, etc.) institutionalisiert sich nach Bourdieu z.B. in schulischen Titeln. »Soziales Kapital« (das Netzwerk verwandtschaftlicher, freundschaftlicher, beruflicher etc. Beziehungen) institutionalisiert sich 453 nach Bourdieu beispielsweise in Adelstiteln. Beide letzteren Kapitalsorten sind nach Bourdieu ebenfalls unter bestimmten Umständen in ökonomisches Kapital umwandelbar. Diese Kapitalarten bilden sozusagen die Fülle der Eigenschaften, die ein Akteur über seine Lebensspanne besitzt und entwickelt. Individuen und auch Organisationen werden von Bourdieu als soziale Akteure beschrieben, welche eine Vielzahl praktisch konstruierter Beziehungen untereinander und zu verschiedenen Ebenen der Gesellschaft knüpfen und somit soziale Realitäten entstehen las454 sen. Das Geflecht, welches aus solchen Interaktionen entsteht, bezeichnet Bourdieu als »Felder«, welche gesellschaftliche Bereiche ausmachen, die ihrerseits in ihrer Gesamtheit die eigentliche Gesell455 schaft, den sozialen Raum darstellen. Die Beziehung zwischen Individuen und Gesellschaft ist in Bourdieus Logik von einer wechselseitigen Dynamik geprägt, welche einerseits beschreibt, wie Gesellschaft aus den Beziehungen der sozialen Akteure geprägt wird, aber anderseits ebenso wie die Akteure von den Kapitalstrukturen der Gesellschaft konstruiert werden. »Die ungleiche Verteilung von Kapital, also die Struktur des gesamten Feldes, bildet somit die Grundlage für die spezifische Wirkung von Kapital, nämlich die Fähigkeit zur Aneignung von Profiten und zur Durchsetzung von lich, wird aber im Verlauf dieser Arbeit in dem hier skizzierten Wege verwendet. 453 Vgl. Bourdieu, Pierre (1983): S. 184f. Bourdieus Analyse der Kapitalsorten ist an das Bild einer Klassengesellschaft geknüpft, weshalb er beispielsweise als Institutionalisierungsbeispiel für soziales Kapital etwas altmodisch »Adelstitel« angibt. Diese Sichtweise auf eine Klassengesellschaft wird im Folgenden nicht eingenommen, sondern eher die einer Gesellschaft, welche spezifische Milieus ausbildet, welche sich z.B. durch Medienkonsum voneinander abgleichen, wie es Gerhard Schulze in seiner »Erlebnisgesellschaft« ausgearbeitet hat. Vgl. Schulze, Gerhard (1997). 454 Vgl. Bourdieu, Pierre (1993): S. 28 zitiert nach Papilloud, Christian (2003): S. 30 Das Individuum wird demnach als Beziehung zwischen Identität und Differenz, als relationales Individuum konzipiert, welches sich aus »Disposition«, »sozialer Position« und »Position, die jemand bezieht« konstituiert. Bourdieu, Pierre (1998): S. 17 und Papilloud, Christian (2003): S. 31. 455 Vgl. Papilloud, Christian (2003): hier insbesondere S. 29-57.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN Spielregeln, die für das Kapital und seine Reproduktion so günstig 456 wie möglich sind.« Die Interaktion der beiden Ebenen der Gesellschaft, der sozialen Akteure und der Felder, zeichnen sich durch einen unterschiedlichen Umgang der Individuen mit den entsprechenden Kapitalsor457 ten aus, welcher laut Bourdieu in ihren »Habitus« eingegangen ist. Der Habitus kann laut Bourdieu als die Summe des symbolischen Gesamtkapitals verstanden werden, »weil es inkorporiert ist, den 458 Anschein von etwas angeborenem erweckt.« Künstler aus dem Feld der kulturellen Produktion streben deshalb nach Bourdieu beispielsweise eher den Erwerb kulturellen Kapitals und Manager die 459 Akkumulation ökonomischen Kapitals an. Die Konzeption Bourdieus, welche starke Ähnlichkeiten mit dem Frameset der Institutionenökonomik aufweist (u. a. die Ähnlichkeiten zwischen dem Konzept des Feldes und des institutionellen Framesets sowie dem sozialen Raum und der institutionellen Matrix), erweitert die Disposition des ökonomischen Akteurs von einer ausschließlich monetären Disposition in ein Set aus interdependenten ökonomischen, kulturellen und sozialen Dimensionen, wie in der folgenden Abbildung dargestellt ist.
Abbildung 12 – Individuelle Dispositionen gemäß der symbolischen Kapitalsorten nach Bourdieu 456 Bourdieu, Pierre (1983): S. 188. 457 »Der Habitus ist also ein relationales Prinzip, das die Akteure mit bestimmten gesellschaftlichen Gegenständen und mit bestimmten anderen Akteuren in Beziehung setzt. Da die Akteure in diesen Beziehungen zu den anderen oder zu sozialen Produkten ihre Welt kreieren, ist der Habitus auch ein generatives Prinzip, d.h. das Produktionsprinzip der Welt der Akteure.« Papilloud, Christian (2003): S. 44 und Bourdieu, Pierre (1998): S. 27. 458 Bourdieu, Pierre (1993): S. 127f. 459 Vgl. Bourdieu, Pierre (1999): S. 228f; Bourdieu, Pierre (1974).
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TEIL II - DIE STRUKTUREN DES HANDELNS Die Erweiterung der Dispositionen des ökonomischen Menschen um solche symbolische Kapitalsorten bringt für die ökonomische Theorie natürlich massive Probleme in Hinblick auf deren Quantifizierbarkeit mit sich. Doch die Fragen, welche sich durch eine solche Sichtweise auftun, z.B. wie sich die Konvertierung und auch die Akkumulation der verschiedenen Kapitalsorten genauer beschreiben und quantifizieren lässt, sind für die Medienökonomie wahrscheinlich nutzbringender als für andere ökonomische Disziplinen, da sie zumindest potentiell einige Aspekte des ›Unbewussten‹ in der 460 Mediennutzung aufhellen: »Weil die sozialen Beziehungen der Weitergabe und des Erwerbs von kulturellem Kapital viel verborgener sind, als dies beim ökonomischen Kapital der Fall ist, wird es leicht als bloßes symbolisches Kapital aufgefaßt; d.h. seine wahre Natur als Kapital wird verkannt, und es wird stattdessen als legitime Fähigkeit der Autorität anerkannt, die auf allen Märkten (z.B. dem Heiratsmarkt) zum Tragen kom461 men, wo das ökonomische Kapital keine volle Anerkennung findet.« Während die Ausarbeitung der angesprochenen Fragen an dieser Stelle nicht erfolgen kann, noch der Eindruck erweckt werden soll, dass alle Aspekte des Unbewussten durch eine solche Vorgehensweise geklärt werden könnten, hat Bourdieus Konzeption nichtsdestotrotz wesentliche Implikation für die Betrachtung eines medienökonomischen Menschenbildes. Die individuelle ›Ausrüstung‹ eines Akteurs mit den symboli462 schen Kapitalsorten, welche laut Bourdieu »wie Muskeln« an ein Individuum gebunden sind und über seine Lebenspanne kulminiert 463 werden, geht wie bereits angesprochen in ein individuelles Set an Regeln, den Habitus, ein. Auf Grundlage der in Kapitel 3.2 dieses Teils skizzierten institutionellen Medienfunktion kann davon ausgegangen werden, dass mediale Regeln in der Lage sind, die Bildung dieser Kapitalsorten zu beeinflussen und somit zu einem ›medialen
460 Was jedoch keineswegs heißt, dass nicht-monetäre Kapitalsorten nicht auch in den Wirtschaftswissenschaften durchaus Beachtung finden. So entspricht z.B. Bourdieus Konzept des sozialen Kapitals weitgehend dem von Coleman entwickelten Konzept des »Social Capital«, wird jedoch aufgrund der schwierigen Quantifizierbarkeit nicht immer von Ökonomen vertieft. Vgl. Coleman, James S. (1988). 461 Bourdieu, Pierre (1983): S. 187. 462 Vgl. Bourdieu, Pierre (1983): S. 186. 463 Vgl. Bourdieu, Pierre (1983): S. 188.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE II: DAS MEDIALE HANDLUNGSUMFELD DES ÖKON. MENSCHEN Habitus‹ beitragen, der in einem speziellen Verhältnis zu den medialen Regeln steht. Diesen Prozess durch die Verbindung von medialer Wahrnehmung auf die Entwicklung gesellschaftlicher Regeln genauer zu erklären, ist Aufgabe von Teil III dieser Studie.
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T E I L III: DIE GRENZEN
DES
WISSENS
»Neues entsteht dann, wenn sich die Handlungsbedingungen und -möglichkeiten von Wirtschaftsubjekten so verändern, daß dies nicht durch einen Algorithmus [...] abgebildet und prognostiziert werden kann.« Marco Lehmann-Waffenschmidt
»We seek a better, if imperfect, grasp of the complex interaction between cognitive processes, belief formation, and institutions.« Douglass C. North
464
T E I L III: DIE GRENZEN
DES
WISSENS
Im letzten Teil dieses Buches wird das Verhältnis des ökonomischen Menschen zu der dritten Schicht des Medialen, der Schicht der symbolischen Formen, analysiert. Hierzu werden die Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik aufgegriffen und im Sinne dessen erweitert, was Christopher Holl als »kognitiven Institutio465 nalismus« bezeichnet. Im Rahmen des kognitiven Institutionalismus wird versucht, ein vertieftes Verständnis über die Entstehung und den Wandel von Institutionen zu erlangen, indem Theorien aus den kognitiven Wissenschaften (Cognitive Sciences) auf institutionenökonomische Untersuchungsgegenstände angewendet werden. Am Ausgangspunkt dieser Forschungsrichtung steht die Annahme, dass Institutionen nicht von grundsätzlich gleich beschaffenen und gleich denkenden Menschen gestaltet werden, sondern von Individuen mit unterschiedlichen internen Regelsystemen initiiert werden, 466 die als »sensorische Ordnung« bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den ›allgemeinen‹ Annahmen der Neuen Institutionenökonomik ist die Betrachtung der Wahrnehmung ökonomischer Akteure im Zusammenhang mit Institutionenbildung ein relativ neues und noch nicht auf breiter Ebene beachtetes Forschungs467 gebiet. In diesem Kontext wird insbesondere den Fragen nach464 North, Douglass C. (2005): S. 25. 465 Vgl. Holl, Christopher (2002): S. 2. 466 Die Bezeichnung »sensorische Ordnung« wurde von dem Pionier auf diesem Gebiet, Friedrich August Hayek, geprägt (vgl. Hayek, Friedrich A. von (1952|1976)). North spricht unter Bezug auf Hayek in dieser Hinsicht von »belief systems« (vgl. North, Douglass C. (2005)). Im folgenden Text wird aus Gründen der Einheitlichkeit in diesem Zusammenhang stets der Ausdruck »sensorische Ordnung« verwandt. 467 Wie schon der in Kapitel 1.1 dieses Teils thematisierte Ansatz der sensorischen Ordnung von Friedrich A. Hayek von 1952, trifft auch der in der letz-
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS gegangen, welche Signale durch die Sinne des Menschen in seinem Bewusstsein angelangen und wie Menschen diese Signale verarbeiten, um sie zu verwendbarem Wissen ›umzuwandeln‹. Dieses Feld allein ist ein äußerst komplexes Thema, welches verschiedenste Fragen über die menschliche Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit von Informationen aufwirft und der Frage nachgehen muss, wie ›Lernprozesse‹ innerhalb des menschlichen Bewusstseins verstanden werden können, um somit die ›Grenzen des Wissens‹ auszu468 loten. Selbst ohne die vielfältigen Ergebnisse der Wahrnehmungspsychologie über die biologischen Mechanismen, Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Wahrnehmungssinne einzubeziehen, ist dieses Feld für die ökonomische Theorie ein Reise in eine weit ent469 fernte Region. Allein die Anerkennung der Möglichkeit unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster bei verschiedenen ökonomiten Dekade vollzogene ›cognitive turn‹ des Institutionenökonomen Douglass North nicht auf unkritischen Boden innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, da diese Ansätze zwangsläufig von den vereinfachten ökonomischen Annahmen des nutzenmaximierenden Individuum wegführen und sich bemühen, auch ›irrationales‹ Verhalten in die Betrachtung zu integrieren (Vgl. Fine, Ben/Milonakis, Dimitris (2003): S. 568). Trotzdem oder gerade deshalb bieten sie besonders für einen medienökonomischen Ansatz äußerst relevante Theorien und Anknüpfungspunkte. 468 »Menschliche Handlungen geschehen systematisch im Zustand des Unwissens, und je komplexer die menschliche Gesellschaft geworden ist, desto größer wird dieses Unwissen. Der gewaltige Zuwachs unseres Wissens schließt auch das zunehmende Unwissen ein. Je mehr wir wissen, desto unsicherer wird unsere Handlungsgrundlage. Dieser Zusammenhang ist Folge unserer eigenen Handlungen, die auf dem vermehrten Wissen aufbauen. Wir selbst erzeugen Unwissen, weil wir mehr wissen.« Herrmann-Pillath, Carsten (2002): S. 30f [Hervorhebung getilgt]. Der Theoriezweig der »Neuen Evolutorischen Ökonomik« oder auch »Evolutorik« beschäftigt sich mit der zentralen Problemstellung des Einflusses von Wissen bzw. Unwissen auf gesellschaftliche Ordnungen. Die Theorien, welche hier als »kognitiver Institutionalismus« bezeichnet werden und die »Evolutionsökonomik« haben einen vergleichbaren Ansatz, da sie beide gesellschaftliche Ordnungen aus Perspektive des Wissens und damit auch der Unsicherheit untersuchen. Im Hinblick auf die ökonomischen Betrachtung des Menschen bietet der kognitive Institutionalismus deutlichere Anknüpfungspunkte, da die sensorische Ordnung von Akteuren im Mittelpunkt steht und nicht ›nur‹ Wissen als eigenständige Entität. Zum Überblick zur Neuen Evolutorischen Ökonomik vgl. Priddat, Birger P./Wegner, Gerhard [Hrsg.] (1996); Herrmann-Pillath, Carsten (2002). 469 Welche ihrerseits noch wenig erschlossen ist: »The way we perceive the world and construct our explanations about that world requires that we delve into how the mind and brain work – the subject matter of cognitive science. This field is still in its infancy but already enough progress has been made to suggest important implications for exploring social phenomena.« North, Douglass C. (2005): S. 5.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS schen Akteuren stellt die traditionell als über alle Kulturen hinweg gleichförmig angenommene ›Rationalität‹ ökonomischer Akteure in Frage und ist deshalb für die ökonomische Theorie keinesfalls unproblematisch. Für die Betrachtung medienökonomischer Verhaltensannahmen ist diese Annäherung, welche sich ungefähr in den letzten zehn Jahren innerhalb der Institutionenökonomik entwickelt hat, jedoch besonders interessant, da sie letztendlich die Anknüpfungspunkte bietet, um das dritte Kräftefeld des Medialen, die symbolische Form, in die medienökonomische Betrachtung einzubeziehen. Die Analyse der Auswirkungen von Medien auf die menschliche Wahrnehmung stellt dabei natürlich nicht nur für die Ökonomie eine komplexe Aufgabe dar. Im Gegensatz zu gesellschaftlichen Institutionen, welche als aggregierte Produkte gesellschaftlicher Interaktion einen eigenständigen Analysegegenstand bieten, ist die menschliche Wahrnehmung von wesentlich individuellerer Natur und Generalisierungen sind wesentlich schwieriger zu fundieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zusammenhänge von individueller Wahrnehmung und menschlichem Handeln sich auch im medientheoretischen Rahmen entlang ungelöster Fragen bewegen. Der Grad des tatsächlichen Einflusses von Medien auf individuelles Verhalten kondensiert dabei in Diskussionen, welche die Auswirkungen zwischen beispielsweise politischer Macht und Medien, Gewalt und 470 Medien etc. thematisieren. Eine abschließende Beantwortung dieser ungelösten kognitiven Fragen kann in diesem Teil III deshalb ebenso wenig gelingen, wie die Darstellung aller möglicher Bezugspunkte der ökonomischen Theorie auf Wahrnehmung im Allgemeinen und auf mediale Wahrnehmung im Speziellen. Vielmehr orientiert sich der Fokus dieses letzten Teils an der Aufgabe, überhaupt einen Rahmen für eine Betrachtung der Wechselbeziehungen zwischen sinnlich aufgenommenen medialen Signalen und ökonomischem Handeln zu erarbeiten, innerhalb dessen eine Diskussion um den Einfluss medialer Wahrnehmung auf ökonomischen Entscheidungen geführt werden kann. Zu diesem Zweck wird in Kapitel 1 die institutionenökonomische Sichtweise erläutert, innere Regelsysteme als sensorische Ordnungen aufzufassen, welche bei individuellen Lernprozessen durch neuronale Verknüpfungen aufgebaut werden. Zugleich wird der Frage nachzugehen sein, wie die daraus entstehenden Wahrnehmungsmuster im Zusammenhang mit 470 Dieser Bereich überlappt großenteils mit dem Begriff der »Medienethik«. Zur Übersicht siehe: Wiegerling, Klaus (1998).
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Medien und der Entstehung und dem Wandel von Institutionen stehen. In Kapitel 2 werden auf Basis der dritten Schicht des Medialen symbolische Medienfunktionen erarbeitet, die es Individuen erleichtern, ihren Zugriff auf die sie umgebende Welt zu formen. In Kapitel 3 wird abschließend die mediale Wahrnehmung im Hinblick auf die medienökonomischen Verhaltensannahmen analysiert und somit das in Teil II angerissene Konzept eines ›medialen Habitus‹ vertieft.
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»We [...] possess knowledge about the phenomenal world which, because it is in this manner implicit in all sensory experience, must be true of all that we can experience through our senses.« 471
Friedrich A. Hayek
1. D I E W A H R N E H M U N G D E S ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Der menschlichen Wahrnehmung eine für die ökonomische Theorie relevante Rolle beizumessen, ist eine Denkweise, die sich innerhalb des ökonomischen Diskurses nur schrittweise entwickelt. Ihren Ursprung fand die Betrachtung von Wahrnehmungsprozessen in der ökonomischen Theorie aufgrund der in Teil II ausgeführten Annahme der unvollständigen Information. Da Akteure kein Wissen über das Resultat ihrer Handlungen haben, treffen sie, wie bereits beschrieben wurde, alle Entscheidungen unter »Unsicherheit«. Zur Verminderung dieser Unsicherheit ›suchen‹ ökonomische Akteure Informationen, welche ihnen helfen, bessere Prognosen über die Resultate ihrer Handlungen durchzuführen und dadurch Unsicherheiten abzubauen. Damit diese ›Informationssuche‹ nicht bei jeder Transaktion von neuem durchgeführt werden muss, entwickeln sich Institutionen, welche ihrerseits Informationscharakter haben und deshalb dazu geeignet sind, Unsicherheit abzubauen. Wäre die ökonomische Betrachtung von Institutionen hiermit am Ende, so ließe sich daraus ableiten, dass Institutionengefüge, welche in einer Gesellschaft funktionieren, ohne weiteres in andere Gesellschaften transferierbar wären und dort ähnliche Erfolge oder Misserfolge zeigen müssten. Da dies, wie North an verschiedenen Beispielen zeigt, jedoch nicht der Fall ist, wurde von ihm die These aufgestellt, dass kognitive Prozesse dafür verantwortlich sein müssen, dass Informationen verschiedenartig ›wahrgenommen‹ werden und deshalb unterschiedliche Menschen auch unterschiedlich mit Institutionen
471 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 168.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS 472
interagieren. Die Verhaltensannahmen der Ökonomie müssen deshalb aus seiner Sicht weiter angepasst werden: »I believe that [...] the traditional behavioral assumptions have prevented economists from coming to grips with some very fundamental issues and that a modification of these assumptions is essential to further progress in the social sciences. The motivation of the actors is more complicated (and their preferences less stable) than assumed in received theory. More controversial (and less understood) among the behavioral assumptions, usually, is the implicit one that the actors possess cognitive systems that provide true models of the worlds about which they make choices [...]. This is patently wrong for most interesting problems with which we are concerned. Individuals make choices based on subjectively derived models that diverge among individuals and the information the actors receive is so incomplete that in most cases these divergent subjective 473 models show no tendency to converge.« Diese Sichtweise bricht mit der herkömmlichen ökonomischen Annahme, dass Informationen ›an sich‹ in der Lage sind, Unsicherheiten abzubauen. Stattdessen wird angenommen, dass die ›Art und Weise‹ der Informationsaufnahme und das daraus entstehende Wissen ökonomischer Akteure eine wesentliche Rolle spielen. Da Individuen unterschiedliche Informationen in unterschiedlichen Wahrnehmungskontexten aufnehmen und über die Zeit zu Wissen akkumulieren, wird die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung von Akteuren betont und die prinzipielle Wandelbarkeit der Präferenzen 474 ökonomischer Akteure nahegelegt. 472 North selbst beschäftigt sich sowohl mit der Transferierbarkeit von westlichen Institutionen in Entwicklungsländer, als auch mit den Unterschieden in Wahrnehmung und Wandel der Institutionen der westlichen Hemisphäre sowie der Sowjetunion. Vgl. North, Douglass C. (2005): Kapitel 10 und 11. 473 North, Douglass C. (1990): S. 17. 474 In der ökonomischen Theorie gibt es ausführliche und langwierige Diskussionen darüber, ob sich menschliche Präferenzen, in diesem Zusammenhang oft als »Geschmack« (taste) bezeichnet, über den Verlauf ihres Lebens tatsächlich ändern oder ob die beobachteten Änderungen nur Anpassungen an »Preise« verschiedener Güter sind. Exemplarisch für die unterschiedlichen Positionen sind die Arbeiten Gary Beckers (vgl. Teil I dieser Arbeit und exemplarisch Becker, Gary S./Stigler, George J. (1977)), welche von gleichförmigen Präferenzen in Abhängigkeit zu monetären Kosten ausgeht und Ansätzen, die menschlichem Verhalten verschiedenste kulturell beeinflusste Präferenzen zugesteht. Vgl. North, Douglass C. (1990a und 2005). Im Gegensatz zur Wandelbarkeit von Präferenzen ist die Anerkennung unterschiedlicher Präferenzen bei verschiedenen Akteuren in der Ökonomie kein neuartiges Phänomen. Denn wie beispielsweise Kenneth Arrow anmerkt, befindet sich
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Der kognitive Institutionalismus erweitert durch diese Annahmen systematisch die in Teil II beschriebenen Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik. Hatte diese bereits die neoklassischen Annahmen des, von stabilen Präferenzen motivierten und in konstanter Umwelt agierenden, homo oeconomicus um den Aspekt einer dynamischen Umwelt erweitert, so fügt der kognitive Institutionalismus systematisch die Dynamik auch in die Präferenzen ökonomischer Akteure ein. Um ein besseres Verständnis zu erlangen, wie Präferenzen von Akteuren entstehen und sich wandeln, wendet sich der kognitive Institutionalismus den ›inneren Regeln‹ von Akteuren zu, welche durch die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen zur Ausprägung individueller sensorischer Ordnungen 475 führen. Diese sensorische Ordnung hilft dem ökonomischen Akteur, neues Wissen in gelernte Bezüge einzuordnen und somit Unsicherheit in Bezug auf seine Umwelt zu vermindern. Bevor in Kapitel 1.2 genauer auf den Prozess der Ausbildung der sensorischen Ordnung eingegangen werden kann, wird im folgenden Kapitel der ›Ursprung‹ des kognitiven Denkgebäudes, die ›fundamentale Unsicherheit‹ und deren Auswirkungen auf den ökonomischen Akteur und dessen ökonomisches Handlungsumfeld, vertieft.
die Gleichförmigkeitsannahme im logischen Wiederspruch zum Grundprinzip des wirtschaftlichen Handelns: »But if all individuals are alike, why do they not make the same choice? Why do we observe dispersion? [...] This dilemma is intrinsic. If agents are all alike, there is really no room for trade. The very basis of economic analysis, from Smith on, is the existence of differences in agents.« (Arrow, Kenneth J. (1987): S. 205). Die Sichtweise, dass alle Menschen gleich handeln, ist deshalb in der zeitgemäßen ökonomischen Theorie nicht mehr in der Deutlichkeit zu finden, wie sie einmal zu beobachten gewesen sein mag. Trotzdem wird heute von Ökonomen teilweise immer noch die Ansicht vertreten, dass menschliches Verhalten im ›Aggregat‹ über kulturelle Grenzen hinweg als einheitlich angesehen werden kann. 475 Wenn hier von ›inneren Regeln‹ die Rede ist, so verweist dies nicht auf die Diskussionen der so häufig mit dem ökonomischen Diskurs verknüpften ethischen Fragestellungen. Auch wenn diese ebenfalls in der ökonomischen Theorie kritisch geführt wird (vgl. McCloskey, Deirdre (voraussichtlich 2006)), stehen hier und im Folgenden die kognitionstheoretischen Implikationen für das ökonomische Denken im Vordergrund.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS
1.1 Die Rolle der »Unsicherheit« im kognitiven Institutionalismus Die Rolle der Unsicherheit in Hinblick auf ökonomische Entscheidungen wurde maßgeblich durch Frank Knights definitorische Un476 terscheidung zwischen »Unsicherheit« und »Risiko« geprägt. Knight unterscheidet zwischen ›vollständiger‹ Unsicherheit, welche es ökonomischen Akteuren nicht erlaubt, Wahrscheinlichkeitsprognosen über mögliche Resultate ihrer Handlung zu erstellen und kalkulierbarem Risiko, welches sich dadurch auszeichnet, dass sich bestimmte Resultate einer Handlung mit einer bestimmten Wahr477 scheinlichkeit voraussagen und somit strategisch absichern lassen. Eine Welt ohne Institutionen hätte in der in Teil II beschriebenen Sichtweise der Institutionenökonomik demnach vollständige Unsicherheit zur Folge, da in Abwesenheit von gesellschaftlichen Regeln Handlungen anderer nicht absehbar sind. Institutionen haben demnach innerhalb der ökonomischen Theorie nicht nur die Aufgabe, Unsicherheit von Handlungen zu minimieren, sondern Unsicherheit ebenso in ein strategisch und finanziell kalkulierbares Risiko zu überführen. Unsicherheit entsteht nach Ansicht von Armen A. Alchian aus mindestens zwei Gründen: Erstens, weil Menschen unvollkommene Voraussicht haben und zweitens, weil sie komplexe Probleme aufgrund einer zu hohen Anzahl von Variablen aufgrund mangelnder ›rechnerischer‹ Fähigkeiten nicht lösen können, selbst wenn es ein 478 errechenbares Optimum gibt. Obwohl das Prinzip der Unsicherheit durch Knights Arbeit seit 1921 bekannt ist, wurde dieser Aspekt aufgrund der dominanten vollständigen Rationalitätsannahme in ökonomischen Modellen lange Zeit als ›Ausnahme‹ modelliert, welche beispielsweise durch unvollständige Verträge entsteht. Wie in Teil II beschrieben, beschäftigt sich deshalb ein Zweig der Neuen Institutionenökonomik mit den Auswirkungen von Unsicherheiten durch unvollständige Verträge und sucht innerhalb der »Prinzipal-AgentTheorie« nach institutionellen Möglichkeiten, diese Unsicherheit in 476 »Uncertainty has a long history in economic literature. It is usually traced back to Frank Knight’s distinction between risk and uncertainty in a classic study published in 1921.« North, Douglass C. (2005): S. 13. 477 Vgl. Knight, Frank (1921). 478 »Uncertainty arises from at least two sources: imperfect foresight and human inability to solve complex problems containing a host of variables even when an optimum is definable.« Alchian, Armen A. (1950): S. 212.
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN kalkulierbares Risiko umzuwandeln. Dem in diesem Ansatz unterstellten, opportunistischen Verhaltenspotential soll dabei entgegengewirkt werden, indem vertragliche Kontingenzen, welche potentiell zu Unsicherheiten führen, aufgespürt und durch entsprechendes Design institutioneller Arrangements minimiert werden. Der kognitive Zweig der Institutionenökonomik versteht demhingegen Unsicherheit nicht als Ausnahmezustand, sondern als grundlegendes Element innerhalb menschlicher Interaktionen. Wie North beschreibt, wird durch elementare Unsicherheit der Wandel ›an sich‹ zur einzigen Konstante, in von unpersönlicher Kommunikation und unpersönlichem Tausch geprägten Gesellschaften: »[U]ncertainty is not an unusual condition; it has been the underlying condition responsible for the evolving structure of human 479 organization throughout history and pre-history.« North benutzt für die Bezeichnung dieser, vom permanenten Wandel geprägten Welt den Ausdruck der »nicht-ergodischen Welt« (non-ergodic world), welchen er aus der Physik entlehnt und dessen lexikalische Definition er anführt: »Ergodic is defined in Webster's dictionary as ›involving or relating to the probability that any state will recur, especially having zero probability that any state will never recur.‹ Therefore, ›an ergodic stochastic process simply means that averages calculated from past observations cannot be persistently different 480 from the time average of future outcomes [...].‹« Eine ergodische Welt würde durch die Gleichförmigkeit wiederkehrender Ereignisse dem gleichen Prognosepotential der in Teil I erläuterten neoklas481 sischen »Rational-Choice-Theorie« nach Paul Samuelson folgen. 479 North, Douglass C. (2005): S. 14. 480 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 19. 481 Der von North verwendete Begriff der »nicht-ergodischen Welt« für die Bezeichnung einer sich verändernden, nicht eindeutig prognostizierbaren Umwelt, ist selbst ein Beispiel für die Probleme der Verbindung von medienwissenschaftlicher und ökonomischer Theoriebildung. Der Begriff »ergodisch« kommt ursprünglich aus der Physik, wo er gemäß der von North zitierten Weise verstanden wird. Der Begriff wird jedoch auch in den Literaturwissenschaften als Bezeichnung für nichtlineare Texte benutzt. Insbesondere wird dadurch die aktive Veränderung des ›Textverlaufes‹ durch Anwendung von Hyperlinks durch den Leser in virtuellen Umwelten oder auch die aktive, erst durch die Spielhandlung entstehende ›Schreibung‹ des Spielsverlaufs in interaktiven Rollenspielen bezeichnet. Die Verwendung des Begriffes leitet sich hierbei jedoch nicht wie bei North aus einer lexikalischen Definition ab, sondern von dem griechischen Wortursprung, der eine Synthese der Wörter »ergon« (Arbeit) and »hodos« (Pfad) darstellt. (vgl. Aarseth, Espen J. (1997): S. 1). Da die Begriffe demnach zumindest in diesen beiden Ansätzen zu einem gewissen Grade gegensätzlich aufgefasst werden, wird im Folgen-
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Dieser Ansatz verliert in einer zunehmend globalisierten Welt unterschiedlicher kultureller Prägungen seine Erklärungskraft, da weder die komplexen Informationsstrukturen noch die individuellen Lernprozesse berücksichtigt sind, welche das Individuum durch seine 482 Interaktion mit seinem Umfeld durchschreitet. North’ Konzeption einer nicht-ergodischen Welt geht über die Ansichten eines dynamischen Institutionengefüges, wie sie in Teil II, Kapitel 1.3 beschrieben wurde, hinaus. Denn nicht nur das institutionelle Umfeld befindet sich in dieser Welt im Wandel, sondern auch die wahrgenommene Realität der ökonomischen Akteure. In der Interaktion dieser zwei dynamischen Entitäten – der Wahrnehmung und der Institutionen – vollzieht sich laut North permanenter Wandel der nicht-ergodischen Welt. Diesen Prozess beschreibt er als eine Art Regelkreis, der in der folgenden Abbildung skizziert ist.
Abbildung 13 – Ablauf des institutionellen Wandels nach North
483
Ökonomische Akteure treffen in diesem, von North etwas ›holzschnittartig‹ angelegten Schema auf unterschiedliche Herausforderungen mit unsicherem Ausgang. Akteure nehmen durch ihre Sinne ihre »menschlichen Umwelt« (human environment) und die sie umgebende »physische Umwelt« (physical environment) wahr und bilden gemäß dieser Wahrnehmung eine spezielle Realitätsauffassung aus, nach der sie ihre Handlungen ausrichten: »We choose among alternatives that are themselves constructions of the human 484 mind.« Diese individuelle Realitätswahrnehmung führt zu der Ausprägung interner Regelsysteme (»belief systems« bzw. »sensorischen Ordnungen«), welche individuelle Ideen und Theorien darüber enthalten, wie Unsicherheiten gegenüber der Welt zu überwinden sind. den weiter auf das Begriffspaar »statisch/dynamisch« zurückgegriffen, auch wenn damit eventuell nicht die volle, von North intendierte Bedeutung des Begriffes erfasst wird. 482 »If all choices were simple, were made frequently, had substantial and rapid feedback, and involved substantial motivation, then substantive rationality would suffice for all purposes. The rationality assumption would be both a predictive and a descriptive model of equilibrium settings, and learning models based upon it could be used to describe the dynamics out of equilibrium.« North, Douglass C. (2005): S. 23. 483 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 4. 484 North, Douglass C. (2005): S. 11.
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN Gemäß diesen Auffassungen schaffen ökonomische Akteure externe Regelsysteme zur gesellschaftlichen Koordination, welche im vori485 gen Teil als Institutionen beschrieben wurden. Diese Institutionen führen zu Handlungen (in North Beispiel politischen Handlungen), welche das menschliche Umfeld oder auch das physische Umfeld verändern und damit zu einer neuen ›Realität‹ führen, die über die Wahrnehmung des Menschen wiederum seine internen Regeln informiert u.s.w. Akteure schaffen nun durch die Implementierung von Problemlösungsstrategien, welche unter Unsicherheit entworfen wurden, stets neue Sachverhalte, welche sich bei Erfolg ihrerseits zu neuen Regeln auskristallisieren. Anderseits können diese neuen Regeln aber wiederum bei anderen Individuen zu neuen Unsicherheiten führen: »But the very efforts of humans to render their environment intelligible result in continual alterations in that environment and 486 therefore new challenges to understanding that environment.« Auch die zu einem Zeitpunkt stabilen Institutionen einer Gesellschaft können somit in der nicht-ergodischen Welt von North durch permanente Unsicherheit über die Zeit instabil werden. »Uncertainty in a non-ergodic world – The major change here is that institutions adopted for a particular time, even if optimal (that is, correct perception) at that time, may be far from optimal as the human en487 vironment changes over time.« Selbst Ordnungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt effizient sind, bedeuten in dieser Konzeption keine Garantie mehr, auch über die Zeit effizient zu bleiben, da die komplexen Interaktionen von allen, am sozialen Geschehen beteiligten Individuen zwar zur ›Ordnung‹ von Strukturen beitragen, jedoch durch die gegebene Dynamik stets auch gleichzeitig zur Quelle von ›Unordnung‹ werden können. Durch die enge Verbindung, die zwischen externen institutionellen Ordnung und inneren Regelsystemen geknüpft werden, sind nicht nur externe Institutionen von dynamischem Wandel betroffen, sondern auch die inneren Regelsysteme unterliegen einer permanenten Anpassung.
485 Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen informellen Institutionen, welche ihrem Wesen nach durch ›Vereinbarungen‹ bzw. Handlungsroutinen innerhalb von Gruppen entstehen und ›internen Regeln‹, welche ausschließlich an ein Individuum gekoppelt sind. 486 North, Douglass C. (2005): S. 5. Dieses Problem wird im Rahmen der Institutionenökonomik anhand kognitiver Dissonanzen zwischen dem Wissen (bzw. der Kompetenz) der ökonomischen Akteure und dem Schwierigkeitsgrad einer zu lösenden Aufgabe erklärt. Vgl. Heiner, Ronald (1983). 487 North, Douglass C. (2005): S. 22.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Unsicherheit, welcher aus begrenzter Rationalität und begrenzter Information entsteht, ist für den kognitiven Institutionalismus die Ursache, dass sich sowohl externe Regeln als auch innere Präferenzen von ökonomischen Akteuren über die Zeit wandeln können. Der ›kognitive Apparat‹, also das Bewusstsein des Menschen, bildet nach Hayek und North eine sensorische Ordnung aus, welche zwischen dem Menschen und seiner physischen wie sozialen Umwelt steht und ihm ebenso wie die gesellschaftlichen Institutionen hilft, Unsicherheit in Bezug auf das ›Verhalten‹ dieser Umwelt zu reduzieren. Was genau unter dem Begriff der sensorischen Ordnung zu verstehen ist, wird im Folgenden vertieft.
1.2 Die Ausbildung sensorischer Ordnungen Die Betrachtungen einer individuell ausgeprägten und für ökonomisches Verhalten relevanten sensorischen Ordnung wurde bereits 1952 von Friedrich August von Hayek in seiner Studie »The Sensory Order – An Inquiry into the foundations of Theoretical Psychology« ge488 legt. Wie Manfred E. Streit in seinem Vorwort zur deutschen Aus489 gabe der »Sensorischen Ordnung« schreibt, war Hayek selbst über die mangelnde Resonanz auf sein Buch irritiert, was heute umso verständlicher erscheint, da dessen »spekulativen Darlegungen zu neuronalen Verknüpfungen und Netzwerken [...] der modernen 490 Theorie neuronaler Netze sehr nahe [kommen].« Hayek selbst beschreibt seine Arbeit, welche er bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts begann, jedoch erst 30 Jahre später veröffentlichte, als schwieriges Unterfangen, da er selbst Probleme mit dem für die Sozialwissenschaften sehr ungewöhnlichen Gegenstand gehabt habe: »My difficulty then was, as I had been aware even at the time, that though I felt I had found the answer to an important problem, I 491 could not explain precisely what the problem was.« Das Problem, für das Hayek glaubte eine Antwort gefunden zu haben, beschäftigte sich mit Frage der »Wissensgewinnung und Wissensverwertung, der
488 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976). 489 Die deutsche Ausgabe erscheint voraussichtlich Mitte 2006 im Verlag Mohr Siebeck. 490 Streit, Manfred E. (2001): S. 8. 491 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. V.
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN neurosensorischen Dimension von Wahrnehmungs- und Denkver492 mögen.« Die Skepsis, welche Hayeks Ausführungen über Jahre entgegenschlug, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass er sich mit den Auswirkungen dessen beschäftigte, was der sprichwörtlichen Rationalität der Sozialwissenschaften entgegenstand, namentlich die Zusammenhänge zwischen den über die menschlichen Sinne (senses) aufgenommenen Reizen und deren Verknüpfung (linkages) durch das denkende Gehirn (mind) mit vorhandenen kognitiven Mustern (cognitive patterns). Diese im Folgenden ausgeführte Sys493 tematik war, wie Hayek selbst rückblickend erkannt hat, für die Sozialwissenschaften zu dem ursprünglichen Zeitpunkt entweder uninteressant oder unverdaulich und erfreut sich erst 50 Jahre nach ihrem ursprünglichen Erscheinen einer zunehmenden Rezeption. So stellen seine Thesen heute die Grundlage des kognitiven Institutionalismus und auch über weite Strecken der Strömung der »Evo494 lutorischen Ökonomik« dar. Im Mittelpunkt von Hayeks Theorie der sensorischen Ordnung steht die Annahme, dass Menschen die sie umgebende Realität nicht schlicht durch Sinneswahrnehmung im Bewusstsein reproduzieren, sondern alle durch die Sinne wahrgenommenen Impulse mit vorhandenen neuronalen Verbindungen ins Verhältnis setzten. »Perception is thus always an interpretation, the placing of something into one or several classes of objects. [...] The qualities which we attribute to the experienced objects are strictly speaking not properties of that object at all, but a set 495 of relationships by which our nervous system classifies them [...].« Die Wahrnehmung des Menschen ist demnach laut Hayek stets ein abstraktes Ergebnis von »Klassifikationen«, welche vom zentralen Nervensystem durch Ausbildung von neuronalen Relationen zwischen verschiedenen Sinneseindrücken gebildet werden. Das zentrale Nervensystem erscheint deshalb als ein »Apparat der multiplen Klassifikation oder besser, als einem Prozess der kontinuierlichen und simultanen Klassifikation und ständigen Reklassifikation auf vielen Ebenen (der Unzahl von Impulsen, die zu einem beliebigen
492 Streit, Manfred E. (2001): S. 8. 493 Vgl. Streit, Manfred E. (2001): S. 2. 494 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 32; Herrmann-Pillath, Carsten (2002): S. 35; Streit, Manfred E. (2001): S. 8. 495 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 143.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Zeitpunkt ablaufen), zunächst angewendet auf jegliche sensorische Wahrnehmung, aber im Prinzip auch auf alle die Arten von mentalen Ganzheiten, wie Gefühlsregungen, Konzepte, bilderhafte Eindrücke (images), Antriebe usw., die wir in dem mentalen Universum 496 vorfinden.« Die sensorische Ordnung kann demnach als ein relationales Muster angesehen werden, welches neu erfahrene Sinnesein497 drücke klassifiziert und in vorhandene Bezüge einbettet. Mehrfach wiederholte Sinneseindrücke ›verfestigen‹ gewissermaßen individuelle Verweisungszusammenhänge, welche es dem Menschen ermöglichen, die Welt um sich zu begreifen und seine Handlungen auf das aus diesen Verweisungszusammenhängen entstehende Muster abzu498 stimmen, um Unsicherheiten abzubauen: »Pattern matching is the way we perceive, remember, and comprehend. This is the key to our ability to generalize and use analogy. This ability makes us good not only at modeling »reality«, but also constructing theories in the face of real 499 uncertainty.« Diese von Hayek sehr früh theoretisierte Sichtweise ist im Verlauf der Zeit Kern des so genannten »Konnektionismus« bzw. des »Konnektivismus« der kognitiven Wissenschaften geworden, welche sich 500 auf die gleichnamige »connectionist theory« berufen. »Connectionist models« lassen sich als neuronale Netzwerkmodelle verstehen, in welchen die Verknüpfungen, die im Verarbeitungsprozess von Informationen im Gehirn gebildet werden, ein ›Image‹ bzw. ›Verständnis‹ über die vorfindliche Realität der Welt herstellen. Donald Merlin beschreibt ein solches Verständnis von kognitiver Realitätsbildung folgendermaßen: 496 Hayek, Friedrich A. von (1977): S. 289 [Übersetzung zitiert aus Streit, Manfred E. (2001): S. 4]. 497 Hayek benennt die reinen Sinneseindrücke als vorsensorische (pre-sensory) Erfahrung (vgl. Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 166), »welche in abstrakten Mustern gerinnt, die mit konkreten Sinneseindrücken abgeglichen werden und zur Entwicklung neuer Muster als Grundlage zukünftiger Erkenntnisleistungen führen.« Streit, Manfred E. (2001): S. 5. 498 Loasby bezeichnet diese ›gedanklichen Verknüpfungen‹ als »connections«, nach welchen ein Individuum seine Gedanken und Entscheidungen organisiert und welche sich über die Zeit stabilisieren müssen, damit sensorische Ordnungen entstehen. Vgl. Loasby, Brian J. (2001): S. 398-402. Der Begriff des »Verweisungszusammenhangs« ist auch von Schulze übernommen, der damit die reflexive Verbindung zwischen dem Subjekt und den es umgebenen Wirklichkeitsmodellen beschreibt. Vgl. Schulze, Gerhard (1997): S. 237f. 499 North, Douglass C. (2005): S. 27. 500 Vgl. zum Überblick Donald, Merlin (2001).
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN »Artificial neural nets acquire experience by changing their connectionist patterns after repeated exposures to the environment. They form impressions in essentially the same way a time-exposed astronomical photograph does, by passively gathering data over time. Several exposures to an object allow neural networks to extract consistencies in the world that relate to the object. These are 501 stored in connection patterns.« Die passive ›Sammlung von Daten‹, welche Merlin anspricht, betont die Komponente des unbewussten Wissens, welches sich durch 502 Wahrnehmungsvorgänge aufbaut. Die Problematik unbewussten Wissens wurde in ähnlicher Form von Hayek thematisiert: »The sphere of ›mental phenomena‹ in this sense is far more extensive than that of conscious phenomena and includes many events which 503 are undoubtedly not conscious.« Die sensorische Ordnung stellt deshalb in Hayeks Worten das dar, was normalerweise als Bewusstsein bezeichnet wird und welches in einem indirekten Verhältnis zur physikalischen Umwelt steht: »What we call ›mind‹ is thus a particular order of a set of events taking place in some organism and in some manner related to but not identical with, the physi504 cal order of events in the environment.« Aus Sichtweise der »Connectionist Theorien« des kognitiven Institutionalismus lässt sich für die ökonomische Theoriebildung ein wesentlicher anderer Lernprozess des ökonomischen Menschen ableiten, als er normalerweise in der Ökonomie angenommen wird. Herkömmlich modelliertes Lernen folgt in der ökonomischen Theorie normalerweise dem, was in den Kognitionswissenschaften als 505 »Artificial Intelligence Approach« (AI-Approach) bezeichnet wird. In einem solchen Ansatz wird eine Maschinenmetapher für die Datenverarbeitung des menschlichen Gehirns verfolgt. Lernvorgänge folgen demnach einem speziellen (rationalen!) Verarbeitungsmuster
501 Donald, Merlin (2001): S. 155. 502 Bei allen Wahrnehmungsvorgängen lässt sich »auf unbewusstes Wissen oder Erkenntnisse über Vorgänge in der Außenwelt« zurückgreifen. Streit, Manfred E. (2001): S. 5. 503 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 132. 504 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 16 [Hervorhebung getilgt]. Hayek nennt dies das Primat des Abstrakten: »all sensory perception is therefore in a sense ›abstract‹; it always selects certain features of or aspects of a given situation.« ebd. S. 143. 505 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 30f.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS und führen durch die Aufnahme von mehr Informationen zu mehr Wissen, welches das Gehirn zunehmend effizienter arbeiten lässt. In einem solchen maschinellen Ansatz ist die Rationalität tatsächlich nur von den Verarbeitungs- und Informationsspeicherkapazitäten des verarbeitenden Gehirns abhängig und ließe sich mit dem her506 kömmlichen Rationalitätsverständnis der Ökonomie vereinen. Die »Connectionist Theorien« zeichnen in Hinsicht auf das menschliche Lernen ein anderes Bild: »Learning entails developing a structure by which to interpret the various signals received by the senses. The initial architecture of the structure is genetic, but the subsequent scaffolding is a result of the experiences of the individual-experiences coming from the physical environment and from the socio-cultural linguistic environment. The structure consists of categories – classifications that gradually evolve from earliest childhood to organize our perceptions and keep track of our memory of analytic results and experiences. Building on these classifications, we form mental models to explain and interpret the environment-typically in ways relevant to some goal. Both categories and mental models will evolve reflecting the feedback derived from new experiences: feedback that sometimes strengthens our initial categories and models or may lead to modifications – in short learning. Thus mental models may be continually redefined with new ex507 periences, including contacts with others' ideas.« Das Lernen durch die Ausprägung von neuronalen Verweisungszusammenhängen ist demnach kein Prozess, in welchem ständig neue Informationen das Wissen des Informationsrezipienten zwangsläufig immer weiter vergrößern. Das einzige, was in diesem Prozess ›zwangsläufig‹ geschieht, ist die Veränderung der Relationen der ausgeprägten Verweisungszusammenhänge durch Aufnahme neuer,
506 Da ökonomische Unsicherheit innerhalb der Annahmen der Neuen Institutionenökonomik prinzipiell durch die Beschaffung und Aufnahme von Informationen beseitigt werden kann, wäre ein Zustand der vollständigen Informiertheit, wie er in der Neoklassik als gegeben vorausgesetzt wird, bei der Annahme des »AI-Approaches« auch weiterhin zumindest theoretisch erreichbar, wenn ökonomische Akteure nur Möglichkeiten hätten, ihre begrenzte Lernkapazitäten zu ›entgrenzen‹. Im Rahmen der institutionenökonomischen Analyse müssten ökonomische Akteure somit nur alle Regeln der Gesellschaft zu nutzen lernen, um eine Nutzenmaximierung gemäß ihrer sich nicht wandelnden Präferenzen zu erreichen. Einzige Herausforderung wäre für den ökonomischen Menschen in dieser Welt das Erlernen neuer Regeln, welche sich durch institutionellen Wandel ergeben. Unsicherheit wäre somit auf lange Sicht eliminierbar. 507 North, Douglass C. (2005): S. 25.
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1. DIE WAHRNEHMUNG DES ÖKONOMISCHEN MENSCHEN über die Sinne vermittelter Informationen. Allein die Möglichkeit der vollständigen Informiertheit ökonomischer Akteure weicht in dieser Sichtweise einer Auffassung, welche von einer dynamischen Veränderung menschlichen Wissens ausgeht. Neue Informationen erweitern somit sicherlich bis zu einem ungeklärten Rahmen das Wissen von Akteuren, ›rekontextualisieren‹ jedoch bereits vorhandene Informationen und lassen damit vorhandenes Wissen nicht unverändert. Der Ansatz, jede Art von Informationsverarbeitung durch neuronale Verknüpfungen zu erklären, impliziert, dass das Gehirn alle Klassifikationsprozesse aus sich selbst heraus entwickeln 508 muss. Auch wenn dieser Schluss naheliegend ist, bedeutet dies nicht, dass der Connectionist-Approach des kognitiven Institutionalismus 509 mit einem radikal konstruktivistischen Ansatz gleichzusetzen wäre, denn die institutionelle Bindung von Individuen an Kommunikations-, Bildungs- und Unterhaltungsstrukturen (in anderen Worten an die technischen Medienfunktionen) gewähren zumindest innerhalb von Kulturkreisen einen gewissen Grad an gesellschaftlich geteilten mentalen Mustern, welche sich in Institutionen abbilden: »The process of learning is unique to each individual but a common institutional/educational structure [...] will result in shared beliefs and perceptions. A common cultural heritage, therefore, provides means of reducing the divergent mental models that people in a society possess and constitutes the means for the 510 intergenerational transfer of unifying perceptions.« Jede Art von individueller Intentionalität ist demnach nicht nur von ›objektiv‹ gegebenen individuellen Präferenzen geprägt, sondern diese Präferenzen sind von kulturellen Pfadabhängigkeiten beein511 flusst. Diese Pfadabhängigkeiten wirken sich beispielsweise in der 508 »Es ist als System selbstreferenziell und selbstexplikativ, d.h. es weist seinen eigenen Zuständen Bedeutungen zu, die nur aus ihm selbst genommen sind.« Roth, G. (1987): S. 241, zitiert nach Streit, Manfred E. (2001): S. 7. 509 Der Konstruktivismus und auch die konstruktivistischen Medientheorien beschäftigen sich mit der Problematik, ob die Realität unabhängig vom Individuum existiert oder vielmehr durch individuelle Sinneswahrnehmung erzeugt wird. Zum Überblick über konstruktivistische Medientheorien vgl. Weber, Stefan (2003): S. 180-201 oder Beck, Klaus (1994): Kapitel 1, S. 1353. 510 North, Douglass C. (2005): S. 27. 511 »The structure we impose on our lives to reduce uncertainty is an accumulation of prescriptions and proscriptions together with the artifacts that have evolved as a part of this accumulation. The result is a complex mix of
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Form aus, dass Informationen, welche zu weit von den ›Mustern‹ des jeweiligen Kulturkreises abweichen, nicht ohne weiteres in die sensorische Ordnung des Akteurs eingebracht werden können, da ihnen die Anschlussfähigkeit an die neue Informationen fehlt. Bei der Ausprägung der kulturellen Pfadabhängigkeiten spielen Medien eine wesentliche Rolle, da sie Informationen symbolisch überformen. Durch diese Überformung der Informationen wird dementsprechend auch die Wahrnehmung dieser Information durch mediale Prozesse beeinflusst, was letztlich Auswirkungen auf die sensorische Ordnungen der ökonomischen Akteure hat. Diese Wirkung von Medien auf die sensorische Ordnung ist im folgenden Kapitel ausgeführt.
formal and informal constraints. These constraints are imbedded in language, physical artifacts, and beliefs that together define the patterns of human interaction.« North, Douglass C. (2005): S. 1.
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»Jede symbolische Form ist eine »Matrix« [...] der Kultur. Sie ist ein dynamische Zentrum, das den Prozess kultureller Deutungen bestimmt und strukturiert.« Heinz Paetzold
2. S E N S O R I S C H E O R D N U N G SYMBOLISCHE FORM
512
UND
Für die ökonomische Theorie ist die Integration und Anerkennung von Wahrnehmungsaspekten und wandelbaren sensorischen Ordnungen bereits eine nicht geringe Ausweitung der Sichtweise auf die Art und Rolle des in ökonomischen Entscheidungen angewendeten Wissens. Doch die Medienökonomie steht vor der zusätzlichen Herausforderung, noch eine weitere Komplexitätsebene in diesem Austauschprozess zu beachten. Aus medientheoretischer Sichtweise steht zwischen dem Informationsprozess von Individuen durch Institutionen noch zusätzlich die Ebene der medialen Kommunikation. Misst man der medientheoretischen Konzeption des Medialen Relevanz bei, so wirken Medien als Teil der physischen Umwelt (ObjektSchicht) unter Ausprägung von Regeln der menschlichen Umwelt (Dispositiv-Schicht) auf die Überformung von Informationen durch die mediale Umwelt (Schicht der symbolischen Form), welche in diesem Kapitel erläutert werden soll. In den nun folgenden Ausführungen wird die These vertreten, dass Medien über die Ausprägung von symbolischen Formen Einfluss auf die Wahrnehmung und somit auf die sensorischen Ordnungen von ökonomischen Akteuren haben. Dieser These wird nachgegangen, indem die Theorie der symbolischen Formen dargestellt und mit dem Konzept der sensorischen Ordnung in Verbindung gebracht wird (Kapitel 2.1). Darin werden sowohl Fragen des medialen Wissens als auch der symbolischen Medienfunktionen, welche als Sinnschemata ökonomische Akteure beeinflussen, thematisiert. Anschließend wird auf Grundlage der bis hier ausgeführten Argumentation die Reichweite der Annahmen des kognitiven
512 Paetzold, Heinz (1993): S. 43.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Institutionalismus im Hinblick auf Medien genauer bestimmt (Kapitel 2.2). Insbesondere wird dabei auf den medienkulturellen Bezugsrahmen ökonomischer Handlung und die Wechselwirkung zwischen medial geprägter sensorischen Ordnung und medialen Institutionen eingegangen.
2.1 Eingrenzung der medialen Schicht der symbolischen Form Die mediale Schicht der symbolischen Form lässt sich als Beschreibung der Art und Weise verstehen, in welcher Medien das menschliche ›Verständnis über die Welt‹ beeinflussen. Beschriebe man das Konzept der symbolischen Form mit dem Vokabular der Neuen Institutionenökonomik, so ließe sich feststellen, dass das Konzept der symbolischen Form Pfadabhängigkeiten einer ›symbolischen Umwelt‹ systematisiert, welche sich auf die aktive und ideenreiche Problemlösung individueller Akteure auswirken. Die Sichtweise auf die symbolischen Ordnungen, welche sich durch die Anwendung von durch Menschen erdachte Kommunikationsmittel ergeben, folgt dabei in mancher Hinsicht einer ähnlichen Logik, wie sie sich aus der Anerkennung dispositiver Strukturen auf kommunikative Prozesse erge513 ben. Eine Gleichsetzung beider Ebenen ließe jedoch außer Acht, dass die Theorie des Dispositivs und die der symbolischen Formung eine unterschiedliche Position im Hinblick auf die Verfassung des Individuums einnehmen. Während sich, wie in Teil II beschrieben, dispositive Theorien meist damit beschäftigen, wie Menschen durch gesellschaftliche oder technische Strukturen geleitet (oder stärker: dispositioniert) werden, setzt sich die Theorie der symbolischen Formung damit auseinander, welchen kommunikativen Einschränkungen bzw. kulturellen Pfadabhängigkeiten Menschen bei der aktiven und intentionalen Lösung von Problemstellungen durch ihre symbolische Kommunikation ausgesetzt sind. Die mediale Schicht der symbolischen Form spezialisiert die Betrachtung medialer Prozesse deshalb nicht nur auf den zeichenhaften Prozess der symbolischen Kommunikationen von Menschen, sondern erweitert die Sichtweise von der passiven Wahrnehmung sinnlicher Eindrücke auf eine aktive Verarbeitung dieser Eindrücke zu individuell wahrgenommenem ›Sinn‹. Während das Dispositiv des ökonomischen Menschen 513 Mediale Regeln werden so manchmal als symbolische Formen bezeichnet. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 335.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM demnach beispielsweise eher die Disposition von Akteuren innerhalb von ökonomischen Institutionen, wie etwa dem Markt und den zu seiner Aufrechterhaltung notwendigen Institutionen, in den Mittelpunkt stellen würde, setzt sich die Untersuchung symbolischer Formen prinzipiell eher mit den Einschränkungen des ›Weltzugriffes‹ auseinander, welche ökonomischen Akteuren in ihren intendierten Handlungen (beispielsweise des strategischen Handelns oder eben der Nutzenmaximierung) durch kulturelle Prägungen begegnen. Diese kulturellen Prägungen werden innerhalb der Theorie der symbolischen Formen als gesellschaftlichen Sinngebungsstrategien 514 Ernst Cassirer hat den und Sinngebungsprozesse verstanden. 515 Begriff der symbolischen Form wie folgt definiert: »Unter einer »symbolischen Form« soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird. In diesem Sinne tritt uns Sprache, tritt uns die mythisch-religiöse Welt und die Kunst als je eine 516 besondere symbolische Form entgegen.« Cassirers Ansatz zielt mit dieser Annahme der ›aktiven‹ Verarbeitung von Zeichen auf die Verfertigung von ›kulturellem Sinn‹ inner517 halb von semiotischen Prozessen. Kultureller Sinn in sozialen Zu514 Engell versteht Kultur im Sinne Siegfried Schmidts »als Gesamtheit gesellschaftlicher Sinngebungsstrategien und Sinngebungsprozesse.« Engell, Lorenz (1998): S. 272. 515 Cassirer hat den Ansatz in seinem dreibändigen Werk »Philosophie der symbolischen Formen« entwickelt. Zur Vertiefung seiner hier stark reduzierten Gedanken vgl. Cassirer, Ernst (1923|1964); (1925|1977); (1929|1982). 516 Cassirer, Ernst (1922|1983): S. 175. »Nicht also was das Symbol in irgendeiner besonderen Sphäre, was es in der Kunst, im Mythos, in der Sprache bedeutet und leistet, soll hier gefragt werden; sondern vielmehr wie weit die Sprache als Ganzes, der Mythos als Ganzes, die Kunst als Ganzes den allgemeinen Charakter symbolischer Gestaltung in sich tragen.« Cassirer, Ernst (1922|1983): S. 174. 517 »In der Totalität seiner eigenen Leistungen und der Erkenntnis der spezifischen Regel, durch die jede von ihnen bestimmt wird, sowie in dem Bewußtsein des Zusammenhangs, der alle diese besonderen Regeln wieder zur Einheit einer Aufgabe und einer Lösung vereint: in alledem besitzt nunmehr der Geist die Anschauung seiner selbst und die der Wirklichkeit.« (Cassirer, Ernst (1923|1964): S. 48). Wie Heinz Paetzold anmerkt, kann man Cassirers Zeichenverständnis der dreistelligen Semiotik im Sinne Charles Sanders Peirce zuordnen, nach der Zeichen erstens in Relation zu anderen Zeichen stehend verstanden werden (Syntaktik), zweitens bedeutungstragend sind (Semantik) und drittens als verständlich für einen Interpreten (Pragmatik) aufgefasst werden müssen (vgl. Paetzold, Heinz (1993): S. 42). Zur Abgrenzung vom
215
TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS sammenhängen ergibt sich in diesem Verständnis aus der permanenten Arbeit mit symbolischen Formen, welche tendenziell nie abgeschlossen ist und in der symbolische Formen als »eine Art Kraft 518 oder Energiequelle« wirken. Wie Lorenz Engell beschreibt, wird Sinn deshalb in dieser Hinsicht als Möglichkeitshorizont umschrieben: »Sinn kann dabei weder erreicht noch verfehlt werden; er fungiert vielmehr als ein Horizont von Möglichkeiten, die eine Handlung, ein sinnhaftes Phänomen, ein Erlebnis, vor allem aber einen Kommunikationsakt umgeben, ein Verweis, der sowohl in die Zukunft wie auch, dann als Geschichte, in die Vergangenheit, wie 519 auch als Kontingenz, in andere mögliche Gegenwarten geführt werden kann.« Die wesentliche Frage für medienökonomische Verhaltensannahmen, die sich aus einer solchen Sichtweise ergibt, ist jene nach der 520 Art und Weise der eigentlichen ›Produktion von Sinn‹. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Menschen nicht irgendwie oder irgendwelchen Sinn produzieren, sondern stets spezifischen Sinn, der sich im Rahmen von Verstehensprozessen und kul521 turellen Deutungsmustern einer Gesellschaft bewegt. Die Sinnpro-
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dualen Zeichenbegriff und zur Vertiefung des triadischen Zeichenbegriffes vgl. Eco, Umberto (1977): S. 28ff. Paetzold, Heinz (1993): S. 48. Engell, Lorenz (1998): S. 272. Ernst Cassirer schreibt dazu: »Die Zusammenfassung, die im Zeichen gegeben ist, gewährt daher neben dem bloßen Rückblick immer zugleich einen neuen Ausblick.« Cassirer, Ernst (1923|1964): S. 46. Sinnverfertigung ist dabei immer temporal bedingt: »Aller geistige Inhalt ist für uns notwendig an die Form des Bewußtseins und somit an die Form der Zeit gebunden. Er ist nur, sofern er sich in der Zeit erzeugt, und er scheint sich nicht anders erzeugen zu können, als dadurch, daß er sogleich wieder verschwindet, um der Erzeugung eines anderen neuen Raum zu geben.« (Cassirer, Ernst (1922|1983): S. 176). Egal, ob auf die Vergangenheit oder die Zukunft gerichtet, sinnvolles Handeln ist immer ein Handeln, dem sich ein nachfolgendes Handeln anschließen kann oder sich aus vergangenem Handeln rechtfertigt. Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 271. Umberto Eco bezeichnet diesen Prozess als Transformation vom »Signal zum Sinn« (vgl. Eco, Umberto (1969)). Die Frage zu klären, wie genau verschiedenen Zeichen in die Deutungsmuster einer Gesellschaft eingehen bzw. wie sie die »semiotischen Schwellen« in die Kultur überschreiten ist laut Eco eine der Kernfrage der Semiotik (vgl. Eco, Umberto (1972): Kapitel 2, S. 17-27). Die Ausführungen der Semiotik sind in ihrem Ursprung sehr stark auf Zeichenprozesse innerhalb der menschlichen Sprache angelegt gewesen und wurden dann auf andere Medien, wie beispielsweise Film, Malerei, Werbung etc. erweitert. Vgl. exemplarisch Eco, Umberto (1972): Kapitel B4 und B5: S. 250ff.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM duktion und die damit verbundenen Verstehensprozesse sind laut Cassirer nicht nur eng an eine Logik der Zeichen gekoppelt, sondern ›die Welt‹ und damit jede Art von Wirklichkeit erschließt sich dem Menschen ausschließlich über menschlich konstruierte Symbolwelten: »Durch sie allein erblicken wir und in ihnen besitzen wir das, was wir die »Wirklichkeit« nennen: denn die höchste objektive Wahrheit, die sich dem Geist 522 erschließt, ist zuletzt die Form seines eigenen Tuns.« Diese Kopplung der außerweltlichen Wahrnehmung an Zeichenprozesse geht mit der Annahme einher, dass innerhalb der Philosophie der symbolischen Formen »Medien als Materialitäten der Kommunikation nicht länger als neutrale Botschafter, sondern als 523 Medien durchaus sinnerzeugende Agenten betrachtet werden.« stellen demnach nicht nur technische Apparate zur Erfüllung eines bestimmten ökonomisierbaren Zwecks dar, sondern binden menschliche Handlungen über ihre institutionellen Medienfunktionen in einen kohärenten Horizont des Handelns und Erlebens ein, indem sie neue Ereignisse oder neue Informationen mit Vergangenem im Hinblick auf Zukünftiges verknüpfen. Medien laden demnach Technik über symbolische Prozesse mit ›Sinn‹ auf, der Individuen zur 524 Kontextualisierung ihrer Handlungen dienen kann. Im Rahmen dieses ›sinnvollen Handelns‹ haben Medien keine Rolle mehr als passive Technologie, sondern eine aktive Rolle bei der Generierung von Sinn. Heinz Paetzold interpretiert die symbolischen Formen somit auch in der Terminologie McLuhans: »Mit den symbolischen Formen schaffen sich Menschen Organe, die es ihnen ermöglichen, 525 kulturell bedeutsame Lebenswelten zu konstruieren.« Die Annahme der ›Konstruktion der Lebenswelt‹ folgt einer gewissen Analogie zur Ausprägung der sensorischen Ordnung als Grundlage der Weltanschauung ökonomischer Akteure. Diese nehmen, wie in Kapitel 1.2 beschrieben, neue Informationen durch ihre Sinne auf und kontextualisieren sie zu Verweisungszusammenhängen mit vor-
522 Cassirer, Ernst (1923|1964): S. 48. 523 Hartmann, Frank (2003a): S. 296 [Hervorhebung im Original]. Interessant ist im Hinblick auf Medientheorie im Allgemeinen, dass Cassirers Theorie im gewissen Sinne über den »linguistic turn« der Gegenwartsphilosophie hinausgeht, der alle Bewusstseinsprozesse (passiv) an Sprachprozesse koppelt, da nicht nur Sprachprozesse, sondern alle Zeichenprozesse relevant werden. Vgl. ebd. 524 Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 272. 525 Paetzold, Heinz (1993): S. 42f.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS handenem Wissen. Die Annahme, dass Medien nicht nur einfach technische Informationen übertragen, sondern in der Lage sind, komplexe Sinnzusammenhänge innerhalb von symbolische Formen zu transportieren impliziert, dass sensorische Ordnungen von Akteuren durch ›mediales Wissen‹ beeinflusst werden, wie im Folgenden thematisiert wird.
2.1.1 Mediales Wissen und sensorische Ordnungen Um das Verhältnis medialen Wissens und sensorischer Ordnung im Kontext des kognitiven Institutionalismus zu verorten, wird nachfolgend vorerst der Frage nachgegangen, was als ›mediales Wissens‹ im Kontext des kognitiven Institutionalismus verstanden werden kann, um nachfolgend den Einfluss medialen Wissens auf sensorische Ordnungen nachzuvollziehen. Im Hinblick auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung von Individuen lassen sich zumindest theoretisch zwei verschiedene Arten von Erfahrungen unterscheiden, bei denen Informationen gesammelt und zu ›Wissen‹ aufgebaut 526 werden können. Zum Ersten die alltäglichen Erfahrungen, die der Mensch kontinuierlich, unmittelbar und unvermeidbar im Alltag sammelt und zum Zweiten die ›medialen Erfahrungen‹, welche eher fragmentiert, indirekt und technologisch vermittelt wahrgenommen werden. Diese indirekte Form der medialen Erfahrungen unterscheidet sich für die Akteure wahrnehmbar von direkt gemachten Erfahrungen. Wegen der häufig impliziten räumlichen und zeitlichen Entfernung medial vermittelter Kommunikation weichen mediale Ereignisse, allein durch einen unterschiedlichen Kontext, in dem sie stattfinden, von dem alltäglichen persönlichen Kontext von Akteuren ab und ermöglichen so auch eine Distanzierung zu diesen Erfahrungen. Die Möglichkeit zur Unterscheidung dieser Erfahrung impliziert jedoch nicht die Unabhängigkeit der beiden Erfahrungsformen voneinander. Mediale Erfahrungen werden mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht und lösen beispielsweise bei Unterhaltungsmedien (wie einem Kinofilm) emotionale Reaktionen
526 Der Begriff des Wissens ist relativ komplex und dadurch seinerseits diffus. In den Wirtschaftswissenschaften war Wissen lange Zeit als reines Sammeln von Daten und Informationen angesehen (vgl. Herrmann-Pillath, Carsten (2002): S. 80). Im Folgenden wird der Begriff im Sinne des Ansatzes der sensorischen Ordnung verstanden, welcher besagt, dass Wissen entsteht, wenn Informationen mit der sensorischen Ordnung abgeglichen werden und dadurch zu stabilen sensorischen Verweisungszusammenhängen führen.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM 527
aus. Doch auch direkte persönliche Erfahrungen existieren nicht für sich allein, da diese innerhalb der sensorischen Ordnung mit bereits vorhandenen Verweisungszusammenhängen abgeglichen werden, welche ihrerseits ›medialen Ursprungs‹ sein können. Wissen, welches durch die kontinuierliche Ausbildung der sensorischen Ordnung entsteht oder verändert wird, lässt sich dabei, gemäß Hayeks Annahme von bewusstem und unbewusstem Wissen, 528 in referentielles und nicht-referentielles Wissen unterscheiden. Ökonomische Akteure sind Träger von beiden Wissensarten. Referentielles Wissen stellt dabei explizites Wissen dar, welches von zweckrational handelnden Individuen bei Entscheidungsfindungen ›abgerufen‹ werden kann. Diese Art des Wissens lässt sich durch die herkömmlichen Annahmen der Wirtschaftswissenschaften als den rationalen Umgang von ökonomischen Akteuren mit ›unsicherheitsreduzierender‹ Information verstehen. Nicht-referentielles Wissen bezieht sich demhingegen auf implizites Wissen (tacit knowledge), welches Individuen befähigt, in gewisser Art und Weise zu handeln, ohne das dazu nötige Wissen ›explizit‹ abrufen zu können. Exemplarisch lässt sich hier das Erlernen der Muttersprache bei Kindern anführen, welche in der Lage sind zu Sprechen, ohne die 529 entsprechende Grammatik erklären zu können. Dieses implizite Wissen kann von Individuen im Regelfall nur durch Reflektion in explizites Wissen umgewandelt werden. Implizites und explizites Wissen ist jedoch nicht nur Bestandteil der sensorischen Ordnungen von Individuen, sondern auch die in Teil II behandelten Institutionen sind Träger impliziten und expliziten ›gesellschaftlichen‹ Wissens. So sind formale Institutionen prinzipiell auf die Schaffung expliziten Wissens über das gesellschaftliche Miteinander ausgerichtet und informelle Institutionen können als Träger impliziten Wissens angesehen werden. Informelle Institutionen ›beinhalten‹ in dieser Sichtweise oft implizites Wissen, beispielsweise über Traditionen oder Konventionen, die als Vorbild gelten können, wie sich andere Individuen erfolgreich der in der Gesellschaft vorherrschenden Umweltbedingungen angepasst haben. 527 Vgl. Thompson, John B. (1995): S. 228f. 528 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Herrmann-Pillath, Carsten (2002): S. 82ff. 529 Das naturwissenschaftliche Beispiel für diese Art Wissen sind die genetischen Informationen, welche als implizites biologisches Wissen Individuen befähigt, Nahrung zu finden, zu laufen, zu kommunizieren, ohne zu wissen, warum sie diese Fähigkeit haben oder wie sie sich erklären lässt. Vgl. Herrmann-Pillath, Carsten (2002): S. 83.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Da informelle Ordnungen oft (wie in Kapitel 1.3.3 des zweiten Teils erläutert) den Charakter von spontanen Ordnungen haben, entsteht nicht-referentielles Wissen dabei zum Beispiel als Ergebnis der Stabilisierung von Verhaltensregelmäßigkeiten durch Umwelteinflüsse, wobei die Etablierung der Verhaltensregelmäßigkeiten nicht Teil bewusst rationaler Planung ist. Die Sanktionierungsmechanismen einer Gesellschaft dienen in dieser Hinsicht oft der ›ExplizitMachung‹ gesellschaftlicher Regeln, sowohl für ›nicht wahrgenommene‹ oder ignorierte formale Regeln als auch für die eher impliziten informellen Regeln. Im Rahmen des kognitiven Institutionalismus wird somit davon ausgegangen, dass sowohl ökonomische Akteure als auch Institutionen Träger von implizitem und explizitem Wissen sind. Die sensorische Ordnung als internes Regelwerk eines Akteurs steht in dieser Hinsicht in Interaktion sowohl mit anderen Akteuren als auch mit den Institutionen der Gesellschaft, welche als externe Regeln in die permanente Verarbeitung von sensorischen Verweisungszusammenhängen eingehen. Externe institutionalisierte Regelgefüge können folglich durch soziale Interaktionsvorgänge in die sensorische Ordnung von Akteuren eingehen, was für gewöhnlich als ›Internalisierung von Institutionen‹ beschrieben wird. Informelle Institutionen wirken dabei stärker auf implizites Wissen und formelle stärker auf explizites Wissen. Das für die Betrachtung von Institutionen Besondere an dieser Sichtweise auf ›Wissen‹, ist die Tatsache, dass kein Individuum das komplette Wissen zum vollständigen Verstehen des Institutionengefüges haben muss. Auch wenn Individuen die Regeln erkannt haben, so wissen sie nicht unbedingt etwas über die Ursache oder spezifische Funktionsweise dieser 530 Regeln.
530 Hayek beschreibt diese Sichtweise in seinem Aufsatz »The Use of Knowledge in Societies« in Bezug auf das ökonomische Preissystem. Hayek bezieht sich in seinem Essay auf die Erkenntnis, dass Preise nicht nur die Information über den monetären Tauschwert beinhalten, sondern darüber hinaus alle Information zusammenfassen, welche nötig waren, diesen spezifischen Preis auszuhandeln. Das dezentrale Marktsystem bringt demnach dezentrales Wissen über Raum und Zeit zusammen. Wissen, welches aufgrund seiner Komplexität niemandem vollständig zur Verfügung stehen würde. Wenn dieses dezentrale System funktioniert, so ist sichergestellt, dass Information im Marktsystem nicht verloren geht: »[The] whole acts as one market, not because any of its members survey the whole field, but because their limited individual fields of vision sufficiently overlap so that through many intermediaries the relevant information is communicated to all.« Hayek, Friedrich A. von (1945): S. 71.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM Nicht immer explizit, sondern häufiger implizit und außerhalb von medialen Kontexten, wendet sich das Denkgebäude des kognitiven Institutionalismus deshalb nicht nur den juristisch verstandenen formellen Institutionen zu, wie sie in Verfügungs- und Eigentumsrechten erscheinen, sondern zunehmend auch den kulturellen Institutionen, welche sich wesentlich häufiger durch informelle Normung auszeichnen und durch sprachliche und andere kommunikative Pfadabhängigkeiten geprägt sind. Die Einbeziehung dieses kulturellen Rahmens ist dabei eine direkte Folge der Anerkennung unterschiedlicher sensorischer Ordnungen bei unterschiedlichen ökonomischen Akteuren. Diese Erweiterung öffnet den ökonomischen Horizont für die medientheoretische Annahme, dass Kommunikation, sowohl direkt zwischen Individuen als auch über Institutionen, nur erfolgreich stattfinden kann, indem technische Signale gemäß der Ausprägung der sensorischen Ordnung interpretiert werden. Jede Art von Kommunikation muss demnach auf ›kulturell vorbereiteten Boden‹ fallen, damit die an der Kommunikation teilneh531 menden Individuen anschlussfähig sind. Dieser Interpretationsprozess ist geprägt von der Einordnung symbolischer Zusammenhänge in die Sinnschemata, welche durch die sensorische Ordnung ausgeprägt werden. Die medialen Regeln, welche in Teil II beschrieben wurden, gehen teilweise als explizites, teilweise als implizites Wissen in die Kommunikationsstrukturen einer Gesellschaft und ihrer Akteure ein. Da mediale Regeln durch die symbolische Speicherfunktion von Medien kommunikative Pfadabhängigkeiten aufbauen, nehmen sie zumindest tendenziell (am deutlichsten am Beispiel des Mediums der Sprache zu erkennen) den Charakter vor532 gelagerter fundamentaler kultureller Institutionen an. Diese ›Einbettung‹ einer sensorischen Ordnung in vorgelagerte kulturelle Institutionen trägt in Hinblick auf eine mediale Sichtweise eine starke Implikation eines ›medialen Apriori‹ in sich. Das Verhältnis, welches gesellschaftliche Akteure demnach zu der sie umgebenden Welt haben, kann über weite Strecken als durch die Medien der Gesellschaft geprägt angesehen werden, wie es Niklas Luhmann für den Kontext der Massenmedien feststellte: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir
531 Diese Auffassung entspricht den drei Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation Niklas Luhmanns: der Verständnisunsicherheit, der Unsicherheit des Erreichens und der Unsicherheit des Erfolgs von Kommunikation. Vgl. Luhmann, Niklas (1981): S. 56f. 532 Vgl. Teil II, Kapitel 1.3.1.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS 533
durch die Massenmedien.« Da nicht nur explizit mediale Erfahrungen, sondern auch persönliche Erfahrungen zumindest teilweise mit ›medialer Zusatzerfahrung‹ abgeglichen werden, geht in den Rahmen der Sinnbildung innerhalb des sensorischen Verknüpfungsapparats stets auch medial überformtes Wissen ein. Da Medien jedoch nicht für sich selbst existieren, sondern immer Ergebnis menschlichen Schaffens sind, sind in sie bereits viel individuelles wie gesellschaftliches Wissen und Sinnzusammenhänge eingegangen. Medien können deshalb in diesem Rahmen als ›auskristallisierte gesellschaftliche Sinnzusammenhänge‹ angesehen werden. Auf die Wahrnehmung der Akteure wirken sie wie ›präkonfigurierte kognitive Filter‹, welche verschiedene erfolgreiche (weil wahrgenommene) symbolische Kommunikationsstrategien und Informationen über die Welt an Individuen herantragen. Sie bieten somit nicht nur einzelne Bezüge, sondern ›komplette‹ Sinnschemata in Form von vorgefertigten Mustern von Verweisungszusammenhängen an, welche in der Lebenswelt von ökonomischen Akteuren existieren. Diese medialen Sinnschemata, welche in diesen menschlich konstruierten Symbolwelten eingearbeitet sind, gehen durch kommunikative Interaktion in die sensorische Ordnung von kommunizierenden Akteuren ein, welche bei neuen Informationen in Hayeks Sinne mit vorhandenen Verweisungszusammenhängen ab534 geglichen und kategorisiert werden. Mediale Prozesse sind auf diese Weise an der Ausbildung einer inneren Ordnung beteiligt, welche den Menschen mit referentiellem
533 Luhmann, Niklas (1996): S. 9. Luhmann ergänzt Hamlet I.1.: »Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und Geschichte, sondern auch für die Kenntnis der Natur. Was wir über die Stratosphäre wissen, gleicht dem, was Platon über Atlantis weiß: Man hat davon gehört. Oder wie Horatio es ausdrückt: So I have heard, and do in part believe it.« ebd. 534 Hayeks Denkweise über die Ausbildung von kognitiven Mustern ist der semiotischen Auffassung über die Wirkungsweise der Semiose (des Zeichenprozesses) nicht unähnlich. So werden Zeichen im Gegensatz zum Alltagsverständnis nicht als ausschließlich materielle Objekte (wie beispielsweise Verkehrszeichen) angesehen, sondern sind stets eine Relation aus verschiedenen Elementen, welche beispielsweise im dreistelligen Zeichenbegriff von Charles Sanders Peirce aus »sign, thing signified« und »cognition produced in the mind« bestehen. In der Betrachtung der Semiose spielt auch der Mensch eine wesentliche Rolle (»nothing is a sign unless it is interpreted as a sign«), welcher in wiederholten Zeicheninterpretationen »Interpretanten« ausbildet, welche zu einem gewissen Maße in Analogie mit Hayeks kognitiven Mustern stehen, da sie die nachhaltige Wirkung von Zeichen im Denken oder Fühlen eines Menschen ausdrücken. Vgl. Withalm, Gloria (2003): S. 136f [Charles S. Peirce zitiert nach ebd.].
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM und nicht-referentiellem Wissen über die Welt und ihre Zusammenhänge ausstattet. Diese, im Rahmen des kognitiven Institutionalismus als sensorische Ordnung bezeichnete Ordnung steht in untrennbarem Zusammenhang mit den institutionalisierten Gefüge medialer Regeln. Denn die Möglichkeiten der symbolischen Speicherung sichern die kommunikative Anschlussfähigkeit von Individuen über die Zeit, begrenzen jedoch auch das Wissen, an das sich sensorische Ordnungen anschlussfähig zeigen, da sich neue Informationen nur in Referenz zu vorhandenem Wissen und dessen sym535 bolischen Formen reklassifizieren lassen. Diese Anschlussfähigkeit ist nicht nur für kommunikative Prozesse entscheidend, sondern beispielsweise auch ausschlaggebend dafür, ob eine wirtschaftliche Arbitragegelegenheit überhaupt wahrgenommen werden kann oder nicht. Denn allein die Kenntnis über Mechanismen und Funktionsweise des marktlichen Preissystems kann nur durch mediale Prozesse vermittelt werden und unterliegt damit ebenfalls symbolischen Steuerungsprozessen. Die Prozesse der Interaktion zwischen innerem und äußerem Regelsystem sind dabei in keiner Weise als geradliniger Weg anzusehen, welcher eine einfache Stimulus-Response Reaktion auf mediale Sinnschemata nahe legt. Gemäß den in Teil II ausgeführten Annahmen des institutionellen Individualismus agieren Individuen nicht nur in einem Netzwerk aus unterschiedlichen medialen Dispositiven, an deren Regeln sie sich anpassen, sondern sie bewegen sich auf ihrem Weg durch mediale Prozesse, indem sie sich bemühen, Unsicherheiten durch die aktive Entwicklung eigener ›Strategien und Taktiken‹ zum ›sinnvollen‹ Einsatz von Medien zu überwinden. Bei der Verfertigung dieser Handlungsintentionen gleichen sie beständig ihre individuelle sensorischen Ordnung mit der institutionellen Ordnung ihrer Lebensumwelt ab. Als Vermittler zwischen diesen beiden Ordnungen dienen Medien, welche direkte, persönliche Erfahrung durch indirekte, mediale Erfahrung ergänzen. Ökonomisches Handeln kann somit, wie alles menschliche Handeln, in ein Gefüge aus persönlich gesammeltem und medial vermitteltem implizitem und explizitem Wissen eingebettet verstanden werden. Sensorische Ordnungen von ökonomischen Akteuren sind aus diesem Blickwinkel stets an mediales Wissen angepasst, da Indivi535 »While the process of reclassification involves a change of the frame of reference, or of what is a priori true of all statements which can be made about objects defined with respect to that frame of reference, it alters merely the particular presuppositions of all statements, but does not change the fact that such presuppositions must be implied in all statements that can be made.« Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 169.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS duen außerhalb von symbolischen Formen nicht kommunizieren können. Dementsprechend werden sowohl implizites als auch explizites mediales Wissen bei der Sinnverfertigung eingesetzt, wodurch sich Individuen die Welt durch symbolische Formen erschließen. Medienökonomisches Handeln ist in diesem Sinne immer davon beeinflusst, in welchem Maße gesellschaftliche Sinngebungsstrategien von Medien beeinflusst sind, wodurch sich letztlich auch die Relevanz einer medientheoretischen Betrachtung des ökonomischen Menschen begründet. ›Sinn‹ entsteht in diesem Prozess nicht immer wieder auf neue Weise, sondern Sinngebungsstrategien organisieren sich laut Lorenz Engell »oftmals entlang wiederholbarer, verfestigter, auskristallisierter und mithin gleichsam vorfabrizierter Schemata. Vielmehr bilden sich im Lauf der Entwicklung relativ festgefügte Formen der Sinnproduktion oder des sinnhaften Zugangs zur Welt 536 heraus, die dann reproduzierbar und variierbar sind.« Diese Sinnschemata können als ›symbolische Medienfunktionen‹ verstanden 537 werden, welche nachfolgend erläutert werden.
2.1.2 Symbolische Medienfunktionen Folgt man dem Ansatz der sensorischen Ordnung, so können die symbolischen Medienfunktionen, welche in diesem Abschnitt beschrieben werden, von Individuen bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken herangezogen werden, um neue Eindrücke mit der bestehenden sensorischen Ordnung ins Verhältnis zu setzen und gegebenenfalls entsprechende Verweisungszusammenhängen zur Sinn538 produktion zu knüpfen. Aus Sichtweise eines kognitiven Institutionalismus orientieren sich Menschen bei dieser spezifischen Art der Sinnproduktion an ihren eigenen Erfahrungen und den Erfah536 Engell, Lorenz (1998): S. 272. 537 Welche geteilten kognitiven Muster innerhalb von Gesellschaften ausgebildet werden, ist letztendlich eine Frage verschiedener Disziplinen. Sowohl die Soziologie als auch die wirtschaftliche motivierte Trendforschung und die kulturwissenschaftlichen Teilbereiche (z.B. die Cultural Studies) setzen sich damit auseinander. 538 Die Bezeichnung der »symbolischen Medienfunktion« steht im gewissen Widerspruch zur untechnischen Natur dieser ›Funktionen‹. Der hier benutzte Begriff der »symbolischen Medienfunktion« soll nicht in einem technischen, auf den Zweck ausgerichteten Sinne verstanden werden, sondern im Sinne Engells als ein reproduzier- und veränderbares gesellschaftliches »Sinnschema«. Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 272. Nachfolgend wird diesem Ansatz entsprechend ein Set an medienökonomisch relevanten Sinnschemata aufgestellt.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM rungen anderer, welche in dem der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Wissen kondensiert sind. Gesellschaftliches Wissen, welches in Inhalten, aber auch technologischen Strukturen oder Institutionen eingebettet sein kann, ist in der hier angelegten Sichtweise durch mediale Vermittlung und die damit verbundenen institutionellen Medienfunktionen symbolisch überformt. Da, wie bereits beschrieben, in allen, vom Menschen geschaffenen Medien sowohl individuelle (z.B. durch innovative Ideen) als gesellschaftliche Arbeit (durch Institutionalisierungsprozesse) enthalten ist, bieten Medien einen Pool an bereits ›getesteten‹ erfolgreichen Kommunikationsmustern, die Menschen einerseits ›apriorisch‹ beeinflussen können, an denen sie sich jedoch auch orientieren können, um kommunikative Unsicherheiten abzubauen. Das Wissen, welches in Medien in Form von Inhalten, aber auch durch spezielle Kommunikationstechnologien und -regeln eingebettet ist, korrespondiert bei der aktiven Verfertigung von ökonomischen Intentionen mit dem persönlichen, inneren Regelsystem von Akteuren. Medien stellen in einer solchen Sichtweise spezifische Muster von ›vorformatierten‹ Verweisungszusammenhängen dar, welche als ›symbolische Medienfunktionen‹ beschreibbar sind. Diese symbolischen Medienfunktionen werden überall dort relevant, wo ökonomische Akteure zur Überwindung konstitutioneller Unsicherheit medial vermittelte Informationen heranziehen. Denn diese Informationen sind, wie bereits in Teil I und Teil II ausgeführt, durch technologische und institutionelle Medienfunktionen überformt. Im Sinne der in diesem Teil beschriebenen sensorischen Ordnung ökonomischer Akteure werden deshalb im Folgenden die speziellen Sinnschemata untersucht, nach welchen Individuen ihre Umwelt darstellen (Realität), anhand derer sie sich selbst in Bezug zu dieser Umwelt setzen (Identität) und nach welchen sie ihre Handlungen innerhalb dieser Umwelt ausrichten (Rationalität). Medien beeinflussen diese Sinnschemata durch ihre symbolischen Formen, welche insbesondere in Gestalt von Realitäts-, Identitäts- und Rationalitätsbezügen in die menschlichen Handlungen eingehen und nachfolgend als elementare symbolische Medienfunktionen definiert sind. Diese Sinnschemata beeinflussen in ihrer Gesamtheit das Aufmerksamkeitsschema eines Individuums. Eine solche Aufmerksamkeitsstruktur, als aggregierte symbolische Medienfunktion verstanden, ermöglicht es dem Individuum erst, eine Auswahl aus dem Informationsangebot zu treffen. Diese Medienfunktionen sind in der folgenden Abbildung in ihrem Bezug zueinander schematisch dargestellt.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS
Abbildung 14 – Symbolische Medienfunktionen Wenn nun diese drei wichtigen Bezugspunkte als symbolische Medienfunktionen im Hinblick auf den ökonomischen Menschen beschrieben werden, so geschieht dies in dem Bewusstsein, dass alle drei Konzepte natürlich unabhängig von einer medientheoretischen Betrachtung existieren und besonders in ihrer historischen Dimension wesentlich weiter greifen, als hier dargestellt werden kann. Jedoch hat insbesondere die Entwicklung moderner Massen- und Kommunikationsmedien dafür gesorgt, dass sich die möglichen Zugänge zum Verständnis dieser Konzepte nicht mehr auf jeweils eine allgemeingültige Definition reduzieren lassen, sondern mehrfache Blickwinkel auf diese Bezüge möglich und, zumindest aus Sicht eines medientheoretisch basierten ökonomischen Menschen, auch notwendig sind. Über die von Medien vermittelte ›Medienrealität‹, also den durch Medien vermittelten und bereitgestellten Realitätsbezügen, entwickelt sich eine der Grundfragen zahlreicher medientheoretischer Diskurse: Welche Aspekte der Welt sind als ›real‹ im Sinne einer unverfremdeten vorfindlichen Welt anzusehen und welche Aspekte sind medial vermittelt, also durch technische und symbolische Pro539 zesse überformt. Die Frage, in welcher Art und Weise Menschen 539 Dies ist natürlich keine genuin medientheoretische, sondern eine philosophische Frage, die sich seit Platons »Höhlengleichnis« mit dem Gegensatz zwischen Wahrhaftigkeit und Wirklichkeitsabbildern beschäftigt. Die Medienphilosophie hat bei ihrer Problemstellung jedoch das kommunikative Problem, dass sie die Wirkung ihres eigenen Gegenstandes in ihren Arbeiten berücksichtigen muss. Der Diskurs zu diesen Problemstellungen ist erwartungsgemäß äußerst umfangreich. Für eine sehr kompakte Übersicht über medienphilosophische Strömungen, denen letztendlich natürlich auch die »Philosophie der symbolischen Formen« zuzuordnen ist. Vgl. Hartmann, Frank (2003a): S. 294-324.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM im Medienzeitalter überhaupt noch auf irgendeine Form ›natürlicher‹ Realität zurückgreifen können, wurde besonders durch die Thesen von Jean Baudrillard und der mit ihm verbundenen »Simu540 lationstheorie« dramatisiert. Das oben verhandelte ›mediale Apriori‹ der Medientheorie legt ebenfalls nahe, dass es in heutigen Gesellschaften keine Realitätsauffassungen mehr geben kann, welche nicht durch mediale Prozesse beeinflusst sind, wie Frank Hartmann feststellt »Der Mensch hat es nie mit den wirklichen Dingen zu tun, sondern mit mediatisierter Wirklichkeit, das heißt mit symbolischen Formen wie Sprache, Mythos, Kunst, Religion, Wissenschaft. Es sind diese Symbolsysteme, die seine Wirklichkeit erschließen und ihr 541 immer wieder neue Dimensionen hinzufügen.« Da auch persönliche Erfahrungen durch kognitive Verkettungen mit medialen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden, sind diese Aspekte wohl kaum noch zufriedenstellend zu trennen. Das impliziert jedoch nicht prinzipiell, dass mediale Erfahrungen, wie beispielsweise filmische Realität, nicht mehr von der Alltagsrealität unterscheidbar wären. Jedoch impliziert diese Medienfunktion, dass durch symbolische Umwelten vermitteltes Wissen über ›Realität‹ im weitesten Sinne ebenfalls zur Entscheidungsfindung herangezogen werden kann und 542 die Grenzen zumindest teilweise verschwimmen. Identitätsbezüge bieten »einem Individuum etwas Stabiles, etwas Gleichbleibendes, etwas Unverwechselbares [...]«. Sie verleihen »nicht mehr und nicht weniger als eine akzeptable und kulturgeschichtlich produzierte Sinnfigur, die durch zahlreiche kulturelle 543 Maßnahmen und Instanzen bis heute unterstützt wird [...]«. Diese Bezüge waren lange Zeit durch feste Rollen und Normen in der Gesellschaft festgelegt. Die Zuordnung zu einzelnen Identitätsgruppen orientierte sich im Abendland von der Antike, über den Feudalis-
540 Baudrillard zeichnet in seiner »Agonie des Realen« eine Welt, in welcher Zeichenwelten (Simulakra) jede Art von eigentlicher Realität überlagern. Vgl. Baudrillard, Jean (1978). 541 Hartmann, Frank (2003a): S. 304f [Hervorhebung getilgt]. 542 Dies tritt insbesondere dort zu Tage, wo neue Medientechnologien neue Zugänge zu ›altem‹ Wissen ermöglichen. Einer der historisch aktuellsten Brüche in dieser Hinsicht ist das, was Frank Hartmann den »Austritt aus der Gutenberg-Galaxis« nennt. Die Verschiebung von Textwelten in Bilderwelten, welche sich ca. in den letzten 100 Jahren anhand der Entwicklung neuer Bildtechnologien ereignete. »Neue Technik [...] [erlaubt] nicht nur neue Welten und neue Entwürfe [...], sondern auch die Reinterpretation des Vorhandenen.« Hartmann, Frank (2003a): S. 300f. Zum Themenbereich der medialen Historiographien vgl. Lorenz Engell/Joseph Vogl [Hrsg.] (2001). 543 Engell, Lorenz (1998): S. 272.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS mus, bis in die Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts an traditionellen oder wirtschaftlichen Herrschaftsstrukturen und den daraus resultierenden festen Rollenvorgaben, wie beispielsweise denen der 544 industriellen Klassengesellschaft. In der auf die zweite ökonomische Revolution folgenden Industrialisierung waren Identitäten (beispielsweise die des Arbeiters, des Beamten oder des Unternehmers) durch lebenslange, gleichförmige und kohärente Lebensweisen und -konventionen bestimmt und orientierten sich an einer ›Rationalisierung der Lebensführung‹, welche bewusstes Planen und Gestalten des eigenen Lebens im Rahmen der gegebenen Identität an Zie545 len wie Effektivität und Erfolg orientierte. Im Zuge der Globalisierung, Medialisierung, Pluralisierung und sich kontinuierlich verändernden und verbessernden Lebensbedingungen begann sich diese lebenslange Identitätsbindung des ›modernen Menschen‹ aufzulö546 sen. Der zunehmende Wohlstand in den industrialisierten Nationen in Verbindung mit immer ausführlicheren Mediendarstellungen von alternativen und häufig räumlich weit entfernten Lebenskonzepten haben Identität zu einem Gegenstand der Reflexion und vor 547 allem der aktiven Gestaltung werden lassen. Die strukturellen Veränderungen von Identitätskonzepten können nach der Ansicht von John B. Thompson durch Medien verstärkt und beschleunigt werden. Nicht nur, da durch Medien das Wissen um alternative Lebensentwürfe nicht mehr räumlich und zeitlich gebunden ist, sondern da Individuen in zunehmendem Maße aus parallel laufenden Darstellungen von Texten, Bildern und Tönen aktiv auswählen können, was zu ihrem eigenen ›Identitätsentwurf‹ passt. In und durch Medien werden somit Lebensstile präsentiert und entwickelt, welche Individuen in ihre Identitätsfindung einbeziehen können. Überdies treten sie zum Teil, wie vorangehend schon festgestellt, neben frühere, für Identitätskonstruktion wichtige, ›starrere‹ Einrichtungen, wie die Familie, die Kirche bzw. Traditionen. Durch diese Entwicklung der Kommunikationsmedien, von frühen Formen des Buchdrucks bis zum heutigen Cyberspace, wurde alltägliches Wissen erweitert und teilweise durch nicht alltägliches Wissen bzw. durch vom eigenen sozialen Kontext weit entfernten Informationen verdrängt. Medien fungieren in diesem Zusammenhang als Vermittler zwischen einem entfernten Ereignis und einem
544 545 546 547
Vgl. Behringer, Luise (1998): S. 21f. Vgl. Behringer, Luise (1998): S. 22. Vgl. Keupp, Heiner (1999): S. 20f. Vgl. Thompson, John B. (1995): S. 207.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM dispersen Publikum bzw. einer räumlich und zeitlich entfernten Öffentlichkeit. Das Bewusstsein über eine individuelle Identität hat sich laut Thompson durch die Ausdehnung virtueller Welten und medialer Erfahrungen erweitert und umgeformt und ermöglicht die 548 Distanzierung zum alltäglichen Leben. Die Identitätsentwicklung wurde daher durch den Zugang zu Medien zu einem reflexiven Prozess, indem Individuen auf eine große Anzahl von symbolischen Inhalten zugreifen können, um sie als ›symbolisches Projekt‹ in eine kohärente und kontinuierliche ›Ich-Erzählung‹, in einen niemals 549 endenden Identitätsbildungsprozess einzubinden. Die Individuen einer Gesellschaft bekommen damit die Möglichkeit und unterliegen allerdings auch der Notwendigkeit, ihr Leben gleichermaßen als ›Projektentwurf‹ selbst zu gestalten. Die Gleichförmigkeit der von starren Gesellschaftsgefügen vorgegebenen Lebenswege, welche beispielsweise in die gesellschaftlichen Klassen eingeschrieben waren, verschieben sich laut Gerhard Schulze in einer postmodernen Gesellschaft zu einer von flexiblen Milieus gekennzeichneten Gesellschaft mit unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Lebensstilen, welche Individuen frei wählen und kombinieren können, 550 um ›ihre‹ Identität aufzubauen. In dem hier beschrieben Kontext der von Medien ausgeprägten symbolischen Formen werden auch Rationalitätsbezüge des Menschen als an die von ihm verwendeten Zeichensysteme gekoppelt und daher nicht mehr als vollständig und einheitlich ›objektiv‹ erachtet, sondern als durch medienkulturelle Prozesse geprägt: »Der Mensch gilt fortan nicht bloß als rationales Wesen, sondern als animal symbolicum. Damit werden kulturtechnisch bedingte Erfahrungsmodalitäten des Menschen herausgearbeitet und in einer The551 orie des kulturellen Sinnverstehens systematisch begründet.«
548 Vgl. Thompson, John B. (1995): S. 212f. 549 Die Möglichkeit zur Identitätsbildung im Allgemeinen wird deshalb teilweise auch vollständig den Medien zugeschrieben: »Kurz, daß es so etwas wie einen eigenen, persönlichen Lebensentwurf überhaupt geben kann, daß man sich das Leben überhaupt als selbstbestimmt und selbst verfertigt vorstellen kann, dafür hat erst der Buchdruck die Voraussetzungen geschaffen.« Engell, Lorenz (1996a): S. 169. 550 Vgl. Schulze, Gerhard (1997). Göbel und Clermont haben diese Phänomene für die »Tugend der Orientierungslosigkeit« bei postmodernen Konsumenten analysiert. Vgl. Göbel, Johannes/Clermont, Christoph (1999). 551 Hartmann, Frank (2003a): S. 304 [Hervorhebung im Original]; auch Umberto Eco spricht von dem Menschen als symbolischem Wesen: »Der Mensch [...] ist ein symbolisches Wesen, und in diesem Sinne sind nicht nur die Wortsprache, sondern die Kultur insgesamt, die Riten, die Institutionen, die sozialen Be-
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS ›Rationalität‹ geht in einem medialen Verständnis von einem objektiv ermittelbaren und zu jedem Zeitpunkt errechenbaren Sachverhalt in einen zu den hier beschriebenen Medienfunktionen relativen Zustand über. Rationales Handeln bedeutet in diesem Kontext demnach nicht mehr zwingendermaßen eine im neoklassische Sinne objektiv nutzenmaximierende Handlung, sondern eine Handlung, welche in Einklang mit der kulturellen Prägungen des Handelnden ein konsistentes Ergebnis in Hinsicht auf vorformulierte Ziele unter der Restriktion der symbolischen Kosten verspricht. Da in die kulturelle Prägung von Individuen zumindest teilweise mediale Erfahrungen eingehen, stehen die jeweiligen Leitmedien einer Gesellschaft über ihre technischen und institutionellen Funktionen in Wechselwirkung mit den vorherrschenden Rationalitätsmustern einer Gesellschaft, da, wie erläutert, durch die Verwendung von Medien sensorische Ordnungen von Akteuren beeinflusst werden. Zumindest aus medienökonomischer Sicht kann der Annahme gefolgt werden, dass Medien zum individuellen Sinnverstehen beitragen, indem die symbolischen Prozesse Anknüpfungspunkte für die intentional rationalen Handlungen von Individuen darstellen. Medial geprägte Realitäts-, Identitäts- und Rationalitätsschemata bilden gemeinsam mit den unmittelbar gewonnen Bezügen dieser Kategorien eine Struktur für gesellschaftliche Kommunikationsanschlüsse, welche dazu dienen, neue Informationen zu kontextualisieren und somit einer sinnhaften Interpretation zuzuführen. Durch die Einschreibung dieser Bezüge in die sensorische Ordnung von Individuen wirken diese Sinnschemata auf die spezifische Aufmerksamkeit, welche Individuen bestimmten Sachverhalten in ihrem aktiven Handeln zukommen lassen, da ohne diese Aufmerksamkeitsfunktion keine Informationsselektion möglich wäre. Die Aufmerksamkeit, welche Individuen einem Gegenstand, einem Sachverhalt oder einer anderen Personen zukommen lassen, ist zumindest in westlichen Gesellschaften durch eine kritische Knappheit gekennzeichnet, welche ausgeprägter ist, als die Knappheit an monetären Mitteln: Zeit. Für Ökonomen ist dieses Phänomen, wie in Teil I anhand der Theorien von Gary Becker zur Allokation von Zeit beschrieben, von hohem Interesse, da Zeit aufgrund
ziehungen, die Bräuche usw. nichts anderes als symbolische Formen [...], in der er seine Erfahrungen faßt, um sie austauschbar zu machen: Man stiftet Menschheit, wenn man Gesellschaft stiftet; aber man stiftet Gesellschaft, wenn man Zeichen austauscht.« Eco, Umberto (1977): S. 108 [Hervorhebungen im Orginal].
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM biologisch begrenzter Lebensdauer das kritische Kriterium für eine ökonomische Intentionsbildung bliebe, selbst wenn alle anderen 552 AufmerksamkeitsRessourcen im Überfluss vorhanden wären. diskurse, die sich damit beschäftigen, wie und warum Menschen ihre Zeit verbringen, erfreuen sich deshalb besonders mit ansteigender Mediatisierung der Gesellschaft auch in der Ökonomie zunehmender 553 Beliebtheit. In medienökonomischer Hinsicht kann Aufmerksamkeit als ein Selektionsmechanismus betrachtet werden, welcher aus der Vielzahl von Informationen diejenigen auswählt, die im begrenzt speicher- und verarbeitungsfähigen kognitiven Apparat des Men554 schen verarbeitet werden. Aufmerksamkeit ›dient‹ als kognitiver Selektionsmechanismus hauptsächlich dazu, dass das Gehirn befähigt wird, aus der Interferenz von Außenweltinformationen zu selektieren, damit diese Informationen in eine bestehende sensorische 555 Ordnung integriert werden können. Unterschieden werden kann bei der medialen Betrachtung von Aufmerksamkeit zwischen dem »Zustand der wachen Achtsamkeit« (awareness) und dem Zustand 556 des »gezielten Achtgebens« (attention), der insbesondere darauf abzielt, ob eine Situation lediglich unwillentlich bzw. passiv wahrgenommen wird oder willentlich als aktive Tätigkeit erfolgt und verar-
552 Tatsächlich ist Information, wie in vielen ökonomischen Theorien immer noch angenommen (vgl. North, Douglass C. (2005): S. 17), oft kein knapper Faktor mehr. Zeit ist der einzige knappe Faktor, wenn Informationen und Geld nicht mehr knapp sind. Zu den Konzepten und Problematiken ökonomischer Theorien im Hinblick auf von Medien überformten Zeitkonzepten siehe Treutler, Michael (2002). 553 Zum Aufmerksamkeitsdiskurs haben dabei verschiedenste Disziplinen, wie die Psychologie, die Soziologie, die Anthropologie aber auch die Ökonomie oder die Medientheorie, beigetragen (vgl. Eder, Jens (2002): S. 16). Eine Übersicht und Diskussion der unterschiedlichen Perspektiven auf Aufmerksamkeit bietet Fodermeyer, Florian (2004): insbesondere Kapitel 3.2, S. 45-57. Auch wenn teilweise verschiedene Ansätze über die Funktion und Rolle der Aufmerksamkeit in diesen Disziplinen vertreten werden, so wird im Folgenden auf einen funktionalistischen Ansatz zurückgegriffen, wie er u. a. in der experimentellen Ökonomie verwendet wird und der sich damit auseinandersetzt, wie Individuen ihre Aufmerksamkeit ›zuordnen‹. Vgl. Kahnemann, Daniel (1973). 554 Aufmerksamkeit wird in physiologischer Hinsicht als ein Vorgang im Gehirn beschrieben, der an die gleichzeitige neuronale Aktivität verschiedener Hirnbereiche gebunden ist. Vgl. Eder, Jens (2002): S. 17. 555 Zu den Selektions-, Integrations- und dem Tätigkeitsaspekt von Aufmerksamkeit vgl. Neumann, Odmar (1996): 622f. 556 Vgl. Franck, Georg (1998): S. 28f.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS 557
beitet wird. Insbesondere auf die aggregierten Integrationsaspekte der Aufmerksamkeit, also das aktive Einordnen von neuen Informationen in vorhandene Bezüge, werden Aufmerksamkeitsaspekte über die elementaren symbolischen Medienfunktionen beeinflusst. Die hier beschriebenen symbolischen Medienfunktionen, welche sich nur über eine kognitive Sichtweise auf ökonomische Akteure in die ökonomische Theorie integrieren lassen, werden im Folgenden mit den Annahmen der Institutionenökonomik in Verbindung gebracht, um die durch die Einbeziehung kognitiver Theorien ausgeweitete Reichweite des institutionalistischen Ansatzes in Hinblick auf Medien zu untersuchen.
2.2 Kognitiver Institutionalismus und Medien Zu den wesentlichsten Annahmen des kognitiven Institutionalismus gehört die Verankerung ökonomischen Verhaltens in einem kulturellen Umfeld, da sensorische Verweisungszusammenhänge durch kulturelle Einflüsse buchstäblich verändert werden können, wie Merlin Donald beschreibt: »Cultures restructure the mind, not only in terms of its specific contents, which are obviously culture-bound, but also in terms of its fundamental neurological organization. [...] Culture can literally reconfigure the use patterns of the brain; 558 [...].«
557 Diese Unterscheidung führt vor allen Dingen in den statistischen Medienwissenschaften zu Problemen. Denn in der Medienpraxis wird die synchron zugewandte Aufmerksamkeit vieler Individuen als ›kollektive Aufmerksamkeit‹ in Form von »Einschaltquoten und Auflagenhöhen [...] als Ergebnisse statistischer Registrierung aufmerksamen Handelns« (Eder, Jens (2002): S. 34) von Individuen (den Rezipienten) gemessen. Beobacht- und damit messbar sind jedoch nur die Handlungen der Rezipienten als einer Selektion aus einem vielfältigen Repertoire von Möglichkeiten, wie z.B. Kaufentscheidungen bei Zeitungen, technisch beobachtbaren Übertragungssignalen im Fernsehen oder in ›Page Impressions‹ im Internet. Aus diesen statistischen Zahlen kann jedoch lediglich der Zustand der Awareness abgeleitet werden. Der tatsächliche Intensitätsgrad der Attention beim Rezipienten ist trotz vielfältiger Bemühungen schwer nachweisbar und es bleibt daher meist offen, »in welchem Maße und auf welche Weise er dann tatsächlich aufmerksam ist [...].« (ebd.) 558 Donald, Merlin (1991): S. 14.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM Da das Konzept der sensorischen Ordnung ökonomische Rationalität nicht nur in Hinsicht auf Verarbeitungskapazitäten begrenzt, sondern auch Wahrnehmung als kulturell geprägt ansieht, steht der einheitlich aufgefasste, rational nutzenmaximierende Mengenanpasser nicht mehr im Zentrum der Betrachtung, sondern ein kulturell geprägter, begrenzt rational handelnder Akteur. Waren die hier skizzierten traditionellen ökonomischen Theorien lange Zeit davon ausgegangen, dass die von ihnen aufgestellten Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich menschlichen Verhaltens unabhängig von den jeweiligen kulturellen Zusammenhängen existieren, so geht der Ansatz des kognitiven Institutionalismus über diese Sichtweise hinaus und betrachtet wirtschaftliches Handeln innerhalb kultureller Kontexte. »Kultur« als solche wird im Rahmen der kognitiven Institutionenökonomik meist als Gemeinsamkeit der institutionellen Framesets und der ausgebildeten Sinnschemata der sensorischen Ordnung verstanden, welche zu einem Zeitpunkt existieren und sich über die Zeit 559 wandeln. Medien spielen in diesem kulturellen Umfeld eine große Rolle, da sie sowohl zu den Regeln der Gesellschaft als auch zu den gesellschaftlich geteilten Sinnschemata beitragen. Dies gilt insbesondere für heutige ›Mediengesellschaften‹, welche nicht nur auf unpersönlichem Tausch, sondern auch auf unpersönlicher Kommunikation beruhen. Zur genaueren Beschreibung des medialen Anteils an den kulturellen Kontexten einer Gesellschaft wird im weiteren Verlauf dieses Abschnitts die Rolle medialer Institutionen als ›medienkulturelles Umfeld‹ ökonomischer Akteure in ein Verhältnis mit denen aus der sensorischen Wahrnehmung skizzierten Sinnschemata gesetzt (Kapitel 2.2.1), um nachfolgend die dynamische Interaktion zwischen medial geprägter sensorischer Ordnung und den Institutionengefüge der Gesellschaft zu thematisieren (Kapitel 2.2.2).
2.2.1 Medienkultureller Bezugsrahmen und ökonomische Handlung Der Einfluss von Medien auf ökonomisches Handeln stellt sich in der bisherigen Argumentation als Doppelrolle dar. Medien haben, wie in Teil II dargestellt, durch die Ausprägung ökonomischer, sozialer und
559 »Culture not only determines societal performance at a moment of time but, through the way in which its scaffolding constraints the players, contributes to the process of change over time.« North, Douglass C. (2005): S. VIII.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS kultureller Regeln eine Rolle als externes Handlungsumfeld ökonomischer Akteure. Wie in Teil III bisher dargestellt wurde, gehen mediale Prozesse jedoch ebenfalls über das Angebot von vorgefertigte Sinnschemata in die ›interne‹ sensorische Ordnung von Akteuren ein. Der kognitive Institutionalismus geht nun davon aus, dass ökonomische Akteure Institutionen in Anlehnung an ihre inneren Ordnungen bilden. Institutionengefüge werden eben dann als effizient wahrgenommen, wenn ihre Funktionsweise mit den Sinnschemata der sensorischen Ordnung übereinstimmen – wohlgemerkt gilt dies unabhängig davon, ob die Institutionen tatsächlich effizient sind oder nicht. Die sensorische Ordnung ist zumindest im Rahmen des kognitiven Institutionalismus von dem geprägt, was Douglass North 560 als kulturprägende Größen ansieht. North hat in diesem Zusammenhang die Einflüsse der Lebenswelt von ökonomischen Akteuren durch eine Interaktion von Akteuren mit einer physischen Umwelt (physical environment) und der menschlichen Umwelt (human 561 environment) beschrieben. Der Begriff der Kultur ist deshalb im institutionenökonomischen Kontext durch die enge Kopplung von sensorischer Ordnung und institutioneller Ordnung bestimmt. »[T]he culture of a society is the cumulative structure of rules and norms (and beliefs) that we inherit from the past that shape our 562 present and influence our future.« Diese Kopplung besteht sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch innerhalb von ökonomischen Organisationen. Sie ist als Einheit der von Milieustrukturen geteilten sensorischen Sinnschemata und institutioneller Matrix zu verstehen. Kultur bildet demnach eine Einheit aus menschengemachten externen und internen Regeln, zu denen Medien als Teil des den ökonomischen Akteur umgebenden Umfeldes ihren ›medienkulturellen‹ Beitrag leisten. Der mediale Anteil der kulturellen Prägungen lässt sich vielleicht am ehesten extrahieren, wenn man Medien als ›dritte Kategorie‹ zwischen physischem und menschlichem Umfeld positioniert, welche physische Interaktionen (Medientechnologie), soziale Interaktionen (institutionalisierte Regeln) und individuelle Sinngebungsstrategien (interne Regeln) vereinen. Die tatsächlichen kulturellen Prägungen ›medialer Landschaften‹ – um in der Terminologie von
560 »Culture provides a language-based conceptual framework for encoding and interpreting the information that the senses are presenting to the brain.« North, Douglass C. (1990): S. 37. 561 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 7. 562 North, Douglass C. (2005): S. 6.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM North zu bleiben – auf Gesellschaften lassen sich für verschiedene Gesellschaftsformen sicherlich nur durch die Betrachtung der spezifischen Pfadabhängigkeiten einzelner Gesellschaftsformen beschreiben. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass selbst das als ›kulturfrei‹ angelegte Konzept des homo oeconomicus sich, wie in Teil I kursorisch dargestellt wurde, aus verschiedenen Aspekten der abendländischen Kultur entwickelte, zu denen theologische Einflüsse ebenso beigetragen haben wie die europäische Aufklärung und die naturwissenschaftliche Prägung der daraus entstandenen 563 Wissenschaften. Die Darstellung der medienkulturellen Einflüsse auf den ökonomischen Menschen lässt sich im Kontext heutiger Mediengesellschaften am deutlichsten anhand der Einflüsse von Technologien auf die Kultur nachvollziehen. Der kulturelle Rahmen, in dem sich ökonomische Menschen in einer von unpersönlicher Kommunikation geprägten Gesellschaft bewegen, hat sich in etwa entlang des Übergangs von der Gutenberg-Galaxie in die ›digitale Galaxie‹ gewandelt. Die technologischen Entwicklungen, welche sich in dieser Zeit durch die Auswirkungen der zweiten ökonomischen Revolution durch das komplette 20. Jahrhundert und darüber hinaus entwickelten und entwickeln, sorgten dafür, dass alle »Artefakte, mit deren Hilfe die gemeinten Sinnbezüge artikuliert werden sollen, [...] industriell und mit technischen Mitteln, technischen Verfahren, zielgerichtet herstellbar gemacht, sowie zweckrational verkauft und vertrieben werden können – Kulturindustrie und Datenverarbeitung entstehen [in diesem Pro564 zess].« Die technologischen Entwicklungen machten, in Einheit mit zunehmendem Wohlstand, Auflösung traditioneller Klassenstrukturen und internationaler Öffnung der Gesellschaften, individuelle Sinnschemata zumindest zu einem gewissen Grade ›aktiv wählbar‹. Die Entstehung einer prinzipiellen Wählbarkeit, innerhalb derer sich Individuen an verschiedenen, meist in subkulturellen Gruppen auskristallisierten »Stilen« der Lebensführung orientieren und dementsprechend ›Sinn‹ facettenreich ›generieren‹ können, geht über
563 Für den asiatischen Raum beispielsweise wäre eine Kulturgeschichte des Ökonomischen schlecht bedient, ausschließlich den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Die methodologische Hinwendung zum Individuum trägt auch das christliche Religionsverständnis in sich, dass Christen ein individuelles Verhältnis zu Gott haben und nur ihm gegenüber für ihre Handlungen verantwortlich sind. In buddhistischen Religionen ist dem hingegen das spirituelle ›Wohlsein‹ des Einzelnen an die Gesamtheit seiner Lebensgemeinschaft geknüpft. 564 Engell, Lorenz (1998): S. 273.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS die starren Strukturen und Begrifflichkeiten der industriellen Mo565 derne hinaus. Diese Flexibilisierung von Sinnschemata ökonomischer Akteure können dementsprechend unter dem Stichwort der »Postmoderne« thematisiert werden, welche die Relevanz der hier 566 beschriebenen symbolischen Medienfunktionen unterstreicht. So haben sich postmoderne Diskurse über die Realitätsbezüge, welche Individuen in Anwesenheit unpersönlicher Kommunikation aufbauen, insbesondere entlang der Problematik der technologischen Manipulierbarkeit von Bildmedien und vernetzten digitalen Medien entwickelt. Die Reflektion von Identität als individuell ›modellierbarem‹ Projekt wurde ihrerseits erst durch die Herauslösung aus festen Herrschafts- bzw. Machtstrukturen der Moderne und den Übergang in klassenlose Gesellschaften zum Massenphänomen. Die Idee der Rationalität schließlich, welcher seit der Aufklärung als Schlüsselbegriff der Moderne gelten kann, ist spätestens unter dem Banner der Strömungen der »postmodernen Theorie« ›dekonstruiert‹ worden und erfreut sich keineswegs mehr einer einheitlichen 567 Auffassung. ›Wahrnehmung‹ kann in dieser Sichtweise nicht mehr als kulturunabhängig angenommen werden, sondern befindet sich im starken Wechselspiel mit den institutionellen Funktionen von Medien, da diese die Schnittstellen dazu bieten, wie die ›Welt‹ überhaupt von der Gesellschaft wahrgenommen werden kann bzw.
565 Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 276; eine ähnliche Argumentation verfolgt Schulze, Gerhard (1997): insbesondere S. 186-188. 566 Der postmoderne Diskurs zeichnet sich insbesondere durch einen Perspektivwechsel in Hinblick auf das aus, was Kultur ausmacht. Lorenz Engell fast in Abgrenzung vom antiken und mittelalterlichen Kulturbegriff, der Kultur als bearbeitete Natur auffasste, das ›moderne‹ Kulturverständnis wie folgt zusammen: »Natur ist das, was immer schon vorhanden ist und war, dem ich als Mensch ausgeliefert bin, auf das ich nur reagieren kann. [...] Kultur ist dementgegen alles, was der Mensch selbst verfertigt, worauf er Einfluß hat, das Produzierte, das Gemachte.« (Engell, Lorenz (1998): S. 267). Die empfundene ›Auslieferung‹ der Menschen an die Technik im Industriezeitalter, ließe diese als »Natur zweiter Ordnung, auf die Natur angewendeten Natur« erscheinen und wurde damit traditionell von Kultur abgegrenzt (vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 268). In einer postmodernen Perspektive ist diese Trennung nicht mehr aufrecht zu erhalten, denn Technologien des Menschen werden gleichfalls zum Bestandteil seiner Kultur. 567 Aus institutionenökonomischer Sicht kann argumentiert werden, dass Rationalitätskritik aufgrund der Relevanz von Institutionen bei der Rationalitätsbildung wichtig ist, jedoch Rationalität nicht prinzipiell als Prinzip abgelehnt werden kann, da sonst die Annahmen des institutionellen Individualismus nicht mehr greifen würden.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM 568
bestimmen, welche Art der Wahrnehmung kulturell vorbereitet ist. Die Ökonomen David F. Ruccio und Frank Amariglio fassen die Auswirkungen von Medien auf den postmodernen Akteur wie folgt zusammen: »In some postmodern strands, the subject is said to be overloaded, or ›saturated,‹ by images, identities, cultural events, and social relationships, force-fed by the increased volume and pace of market transactions, electronic mail, MTV, and so on. Changes in our experience of time and space have both expanded the 569 social world and compressed it (because it is now ›global‹).« Dieser Prozess der »Überladung« oder »Sättigung« wird durch die in Teil II, Kapitel 3.1 beschriebenen ›Entkopplungstendenzen‹ von Medien unterstützt, da insbesondere elektronische Medien durch ihre technischen Medienfunktionen die Anzahl der möglichen kommunizierten Signale erhöhen und Kommunikation unabhängig von Zeit und Raum sowie persönlicher Interaktion machen. Innerhalb der Annahmen des kognitiven Institutionalismus, welche weiterhin von einem institutionellen Individualismus ausgehen, führen jedoch die durch technischen Wandel und Entkopplungstendenzen genährte Flexibilisierung innerhalb postmoderner Kul570 turen nicht in einen Zustand der vollständigen Irrationalität. Vielmehr betonen diese Flexibilisierungstendenzen den, in Kapitel 1 dieses Teils beschrieben, Umstand der Unsicherheit, der durch ein solches dynamisches Umfeld nie überwunden, sondern lediglich aktiv durch neue Strategien zur Stabilisierung von individuellen Handlungen gemildert werden kann. Dieser Zustand wird in verschiedenen Zusammenhängen als »Flexibilität« ökonomischer Akteure beschrieben, welche sich entlang diskontinuierlicher Lebensführung zeitlich und räumlich, jedoch auch in Hinblick auf ihre Sinnschemata flexibel, an ihre Umgebung anpassen. Die Notwendigkeit, immer neuen Unsicherheiten flexibel zu begegnen, wird dabei 568 Die in Teil II bereits angesprochenen machttheoretischen Diskursanalysen Michel Foucaults verweisen genau auf diesen Aspekt: »[Foucault] hat den Keil der Kritik dort angesetzt, wo sich die uniformierenden Strukturen am hartnäckigsten bewahren und ihre widerstandsfähigsten Wurzeln besitzen: im Zentrum des Denkens und der Kategorien selber, die die Rede über Wirklichkeit organisieren und die Codes der Normalität sanktionieren.« Mersch, Dieter (1993): S. 148. 569 Ruccio, David F./Amariglio, Jack (2003): S. 13. 570 Ein Zustand, der, so die Kritik, in postmodernen Gesellschaften oft entstehe, da es keine objektiven Wahrheiten mehr gebe. Vgl. Mersch, Dieter (1993): S. 191f.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS zumindest teilweise als Auswirkung der modernen Kommunikationsmittel auf Gesellschaften angesehen. Die Argumentation verläuft dabei meist in zwei Richtungen: 1. Die gesellschaftlichen Anforderungen der Mediengesellschaft bedingen eine flexible Aneinanderreihung unterschiedlicher Lebensabschnitte in schneller Abfolge, was sich beispielsweise in der Ausführung mehrerer diskontinuierlicher ›Jobs‹, anstatt der kontinuierlichen ›Arbeit‹ in einem Betrieb darstellt. Räumliche und zeitliche Bezüge eines traditionellen Arbeitsverständnisses werden damit in Frage gestellt. Verantwortung, aber auch Gestaltungsspielraum für die Ausgestaltung des Lebens werden in diesem Prozess von der Gesellschaft auf das Individuum über571 tragen. 2. Zunehmende Verfügbarkeit und Verbreitung medialer Informationen konfrontieren den Menschen vermehrt mit einer diskontinuierlichen Komplexität, die es schwierig macht, eine ›stabile‹ Sichtweise auf die Dinge herzustellen bzw. dauerhaft ausreichendes referentielles Wissen zu akkumulieren, wodurch lebenslanges Lernen notwendig wird. Sinnschemata, wie beispielsweise die hier beschriebenen symbolischen Medienfunktionen, unterliegen damit dem zeitlichen medialen Wandel.
571 Im Hinblick auf die Identitätsbildung haben Medien innerhalb der postmodernen Betrachtung insbesondere Auswirkung auf die traditionellen Sinnbezüge der Akteure. Der traditionell lineare Begriff des Arbeiters wird beispielsweise aufgelöst und durch einen nomadischen Arbeitskraftunternehmer mit flexibler Persönlichkeit ersetzt. In Hinblick auf Medien wird deshalb nicht nur aufgrund technischer Möglichkeiten neuer Medien selten einer klassischen Rhetorik gefolgt, die zwischen Medienproduzenten und -konsumenten unterscheidet, sondern alle Mediennutzer fungieren im Allgemeinen als »Symbolanalytiker« und »Symbolproduzenten«, welche sich nomadisch als »Datentouristen«, »virtuelle Spieler« oder »digitale Aboriginies« in medialen Umwelten bewegen (vgl. Slevin, J. (2000): S 164; Tarlow, Mikela/Tarlow, Philip (2002)). Auch McLuhan sah diesen Wandel von ausschließlichen Konsumenten und Produzenten zu »Prosumenten« voraus: »Die Automation erfaßt nicht nur die Produktion, sondern jede Phase des Konsums und Marketings, denn der Konsument wird im Kreislauf der Automation genauso zum Produzenten, wie der Leser der mosaikartigen telegrafischen Presse sein eigenes Nachrichten-»Bild« macht oder überhaupt selbst Nachricht ist.« Vgl. McLuhan, Marshall (1968): S. 525. Es sei angemerkt, dass McLuhan an dieser Stelle nicht ökonomischen Wirkungsweisen nachgeht, sondern sich mit den Konsequenzen der Automation auf die Massenproduktion im Allgemeinen und den Massenmedien im Speziellen auseinandersetzt. Für eine kritische Betrachtung dieser Zusammenhänge vgl. Sennett, Richard (2000).
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM Vermittler zwischen dieser flexiblen äußeren und inneren Welt sind mediale Prozesse, welche die aktive Verfertigung individueller Sinnschemata medientechnologisch beeinflussen und medial überfor572 men. Der Diskontinuität und Informationsüberforderung, welche sich durch die rasante Entwicklung ›flexibler‹ Medien ergeben, begegnet der medienökonomische Akteur seinerseits durch selektive 573 Verwendung seiner Aufmerksamkeit. Insbesondere selektieren Individuen anhand der von ihnen ausgeprägten Sinnschemata, welchen Informationen sie ihre aktive Aufmerksamkeit zukommen lassen. Das menschliche Gehirn ist deshalb auch, im Gegensatz zur Annahme ökonomischer Theorien, nicht hauptsächlich damit beschäftigt, Informationen zu suchen und rational zu verarbeiten, sondern möglichst viele Informationen zu vernichten, um ›entschei574 dungsfähig‹ zu bleiben. In der Informationsflut von Mediengesellschaften reichen aber die Filterfunktionen des Gehirns allein nicht mehr zur Selektion aus. Somit werden die symbolischen Medienfunktionen als ›attention-beeinflussende‹ Filter notwendig. Während die in der Aufmerksamkeitsforschung beschriebenen AwarenessProzesse eher unbewusst dem kognitiven Apparat überlassen werden, kann davon ausgegangen werden, dass medienökonomische Akteure ihre Attention-Prozesse, gemäß der in Teil II beschriebenen subjektiv geschätzten Opportunitätskosten ihres symbolischen Kapitals steuern. Leider tun sich die Wirtschaftswissenschaften traditionell mit der Integration kultureller Strömungen in ihre Theorien recht schwer, da die Anerkennung kultureller Relevanz die häufig angestrebte Allgemeingültigkeit ihrer Theoreme in Hinsicht auf menschliches Verhalten in Frage stellt. Dies gilt insbesondere für ›postmoderne‹ Bezüge, da diese einen ›engeren‹ Kulturbegriff der Moderne ›entgrenzen‹, da »nahezu alle Verhaltensweisen und in Sonderheit jedes einigermaßen kohärent faßliche Konsumverhalten als eine an575 gebbare Spielart der Kultur gefaßt werden kann.« Die Verbindung der durch von Hayek beschriebenen sensorischen Ordnung des kognitiven Institutionalismus ragt jedoch weit in kulturelle Zusammenhänge der Gesellschaft hinein und bietet deswegen zumindest prin572 Vgl. Thompson, John B. (1995): S. 207. 573 Vgl. Thompson, John B. (1995): S. 216. 574 Von einer Million Informationen lässt das Gehirn laut Neurowissenschaftlern nur eine übrig, die in das Bewusstsein gelangt. Alles andere gelangt ins Unterbewusstsein oder wird schlicht vergessen, was Michael Gleich als »delete complete« bezeichnet. Vgl. Gleich, Michael (2002): S. 170. 575 Engell, Lorenz (1998): S. 276.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS 576
zipielle Anschlussfähigkeit an kulturtheoretische Bezüge. Durch die Verbindung der sensorischen Ordnungen mit der Theorie der symbolischen Formen wird deshalb auch die Betrachtung eines medienkulturellen Umfeldes ökonomischer Akteure möglich, wobei der spezifische medienkulturelle Bezugsrahmen durch die gesellschaftlich geteilten, medial geprägten Sinnschemata dargestellt wird. In einer solchen medienkulturellen Betrachtungen finden Medien nicht nur Beachtung als Kommunikationstechnologien, sondern können in Hayeks Worten als »Natur gewordene Übereinkunft« bezeichnet 577 werden, da sie über mediale Institutionalisierungsprozesse vielen direkten Erfahrungen vorgängig sind und somit Sinnschemata der sensorischen Ordnung medienkulturell prägen. In dieser Logik des Medialen wirken Medien von ihrem ursprünglichen ›technischen Zweck‹ der Übertragung von Signalen und deren Aggregate (in Teil I als technische Medienfunktionen beschrieben), über die Ausprägung der zur Übertragung und Interpretation dieser Signale nötigen medialen Regeln (institutionelle Medienfunktionen) zu ihrem symbolischen Sinn (welcher den medialen Prozessen von Akteuren in Abhängigkeit der von ihnen ausgebildeten Sinnschemata zugeschrie578 ben wird). Die besondere Leistung der Medien liegt folglich darin begründet, die durch Kommunikationstechnologien übertragenen Signale durch symbolische Überformung mit kulturellem Sinn aufzuladen und dadurch mit einem zeitlichen Horizont und kontingenten Anschlussmöglichkeiten zu versehen. Die Leistung der Medien nutzenden Individuen umfasst schließlich die Einbettung dieser Transformation gemäß ihrer sozialen, kulturellen und ökonomischen Dispositionen in die von ihnen ausgeprägten Sinnschemata. In diesem Spannungsfeld zwischen den Sinnschemata der sensorischen Ordnungen und der institutionellen Matrix einer Gesellschaft entwickeln sich laut North die Intentionen ökonomischer Akteure, welche den institutionellen Wandel vorantreiben. Der Rolle des Medialen im Prozess des Wandels von institutionellen Gefügen wird deshalb im Folgenden aus der Perspektive des kognitiven Institutionalismus nachgegangen.
576 Was nicht bedeutet, dass kulturelle Aspekte aus orthodoxen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien vollständig ausgeschlossen waren. Zur Kritik des Begriffes der Postmoderne innerhalb des anglo-amerikanischen ökonomischen Diskurses ebenso wie zu den »Postmodernen Momenten in der modernen ökonomischen Theorie« vgl. Ruccio, David F./Amariglio, Jack (2003). 577 Vgl. Teil II, Kapitel 1.3.3 und Kapitel 3.1. 578 Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 282.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM
2.2.2 Mediale sensorische Ordnung und mediale Institutionen Aus institutionenökonomischer Sicht ist die treibende Kraft hinter allen gesellschaftlichen Prozessen das Anliegen des Menschen, seine Umwelt zu verstehen und damit Unsicherheit zu reduzieren. Unsicherheiten, die sich aus dem permanenten Wandel dessen ergeben, was North als physische und menschliche Umwelt bezeichnet hat und denen die dritte Kategorie der medialen Umwelt im letzten Abschnitt an die Seite gestellt wurde, zeichnen sich durch permanenten Wandel aus, wie bereits in Teil II, Kapitel 1.3.3 und 2.2.2 sowie in Kapitel 1.1 dieses Teils thematisiert wurde. Die Frage, welche in diesem Abschnitt geklärt werden soll, ist die, wie die sensorische Ordnung mit der institutionellen Ordnung der Gesellschaft interagiert und welche Rolle mediale Prozesse in dieser Interaktion spielen. Zu diesem Zweck wird vorerst auf die Sichtweise der abstrakten Prinzipien der ›Ordnung‹ und ›Unordnung‹ innerhalb des kognitiven Institutionalismus eingegangen. Daran anschließend werden diese mit den ›medialen Ordnungen‹, wie sie in diesem Teil bisher als ›medial geprägte sensorische Ordnung‹ und als ›mediale gesellschaftliche Regeln‹ (Teil II) beschrieben wurden, in Bezug gesetzt. Stabile institutionelle Ordnungen im Angesicht permanenten Wandels der Umwelt zu etablieren, ist in der Auffassung von North ein jahrhundertealtes gesellschaftliches Dilemma und bleibt ein 579 zentrales Problem auch in der modernen Welt. ›Ordnung‹ impliziert aus institutionenökonomischer Sichtweise eine Reduzierung von Unsicherheiten durch die Installation von Institutionen, welche soziales Verhalten anderer leichter vorhersehbar machen. ›Unordnung‹ wird dem hingegen als Zustand verstanden, welcher Verhalten von anderen (im ökonomischen Kontext meist in Hinsicht auf Eigentums- und Verfügungsrechte) unvorhersehbarer macht und 580 dadurch Unsicherheit erhöht. Da Institutionen Ergebnis mensch-
579 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 103 und vertiefend Kapitel 8, S. 103-115. 580 »Order implies a reduction of the uncertainties that inevitable characterize the human condition as a result of institutions that provide greater predictability in human interaction. Disorder increases uncertainty as rights and privileges of individuals and organizations are »up for grabs« as a consequence of unstable relationships in both political and economic markets. Understanding the underlying conditions of order and disorder is essential for coming to grips with the process of economic change.« North, Douglass C. (2005): S. 7.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS lichen Handelns sind, ist es die Auffassung des kognitiven Institutionalismus, dass die Wahrnehmung ökonomischer Akteure im Wesentlichen beeinflusst, wie der Mensch ›seine‹ Institutionen und damit auch sein gesellschaftliches Miteinander gestaltet. Aus medienökonomischer Sicht ist dieser Prozess besonders interessant, da nicht nur die physische und die menschliche Umwelt, sondern auch die mediale Umwelt ebenfalls als Quelle von ›Ordnung‹ und ›Unordnung‹ institutioneller Prozesse auftreten kann. Die folgenden Ausführungen bringen deshalb die bis hier ausgelegte Auffassung des Medialen mit dem Phänomen des institutionellen Wandels in Verbindung. Institutionelle Ordnung, wie sie soeben ökonomisch charakterisiert wurde, impliziert in keiner Hinsicht mehr eine starre oder hierarchische Ordnung, welche ausschließlich durch autoritäre Sicherung formeller Regeln garantiert wird. Moderne institutionelle Ordnungen, sowohl in der Politik als auch in Unternehmen, werden häufiger als Konsens-Ordnungen verstanden, in denen insbesondere informelle Regeln in geteilten Sinnschemata ›internalisiert‹ werden und dieser Konsens in ein Institutionengefüge übersetzt wird, welches von den beteiligten Akteure als legitim angesehen wird. In dieser Konsens-Ordnung ist die unsicherheitsreduzierende Wirkung der institutionellen Ordnung erkannt und die Ordnung selbst wird 581 von den Beteiligten als öffentliches Gut gewertet. Unbestimmte Ereignisse, welche als »externe Schocks« oder gar »Revolutionen« bezeichnet werden können, verändern die Wahrnehmung von ökono582 mischen Akteuren auf die vorhandene Ordnung. In anderen Worten, eine veränderte wahrgenommene ›Realität‹ sorgt für die Veränderung der sensorischen Ordnung individueller ökonomischer Akteure, welche nun stärker als vor dem Ereignis von der institutionellen Ordnung abweichen, so dass es dementsprechend im Idealfall zur Anpassung der externen Institutionen kommt. Dieser bereits in Kapitel 1.3 angesprochene Prozess ist aus medienökonomischer Sichtweise medial überformt, da zwischen den Individuen, aber auch zwischen Individuen und ›allgemeinen‹ Institutionen, ›mediale Institutionen‹ stehen, welche auf die sensorischen Ordnungen der Beteiligten einwirken. Das von North skizzierte Schema des institutionellen Wandels in Gesellschaften des unpersönlichen Tausches ist durch den unpersönlichen Austausch von Kommunikationen
581 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 104. 582 Vgl. North, Douglass C. (2005): S. 103.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM durch mediale Prozesse unterbrochen, wie in der folgenden Abbildung dargestellt ist.
Abb. 15 – Mediale Prozesse im Modell des instit. Wandels nach North Institutionenbildung und institutioneller Wandel sind demnach aus medienökonomischer Perspektive nicht nur als Ergebnis von Veränderungen in der physischen oder der menschlichen Umwelt zu betrachten, sondern auch in der im vorigen Kapitel beschriebenen medialen Umwelt, welche zur Quelle von Ordnung und auch Unordnung werden kann. Zur Ordnung, also zur Reduktion von Unsicherheit, tragen Medien auf vielfältige Weise durch alle medialen Schichtungen bei. Dieses ist am deutlichsten anhand ihrer technischer Medienfunktionen zu beobachten, da sie Informationen über Raum und Zeit leichter oder in größerer Menge zugänglich machen. Institutionelle Medienfunktionen sichern darüber hinaus über die Zeit die Anschlussfähigkeit der Akteure untereinander und an den institutionellen Rahmen der Gesellschaft. Die symbolischen Medienfunktionen schließen den Kreis, indem sie ökonomischen Akteuren die Möglichkeiten an die Hand geben, Informationen durch Bezug auf die beschriebenen Sinnschemata auf ein kommensurables Niveau referentiellen Wissens zu senken. Zur Unordnung allerdings, also zur Vermehrung von Unsicherheit, tragen Medien auf ebenso vielfältige Weise bei. Die rasanten Entwicklungen medialer Technologien haben dafür gesorgt, dass Medien nicht nur für breitere Durchsetzung und größere Verbreitung von Informationen gesorgt haben, sondern sogar darüber hinaus zu einem Informationsüberfluss beitragen, den der kognitive ›Apparat‹ des Menschen verarbeiten muss und der zu einer unüberschaubaren Vielfalt von Information in alltäglichen Situationen in westlichen Gesellschaften geführt hat. Um in diesen alltäglichen Situationen mit medialen Kommunikationen zurecht zu kommen, dienen prinzipiell die institutionellen Medienfunktionen. Jedoch drohen diese, beispielsweise aufgrund eines Wandels der technologischen Bedingungen, die Unsicherheiten von Akteuren durch institutionelle Pfadabhängigkeiten im kompletten institutionellen 243
TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Spektrum ebenfalls zu erhöhen. Rechtsunsicherheiten entstehen durch überholte formelle Institutionen, Verständnisunsicherheiten bei Wandel von informellen medialen Spielregeln und Verhaltensunsicherheiten durch veränderte potentielle Sanktionierungsmaßnahmen. Die symbolischen Medienfunktionen schließlich können ihrerseits über Awareness-Prozesse mediale Regeln ›unbewusst‹ internalisieren, wodurch es zu ›spontanen‹ Veränderungen in den Verweisungszusammenhängen der sensorischen Ordnung kommen kann, wodurch wiederum Diskrepanzen mit den vorhandenen insti583 tutionellen Ordnungen entstehen können. Ökonomische Akteure sind jedoch aufgrund von sensorischen Pfadabhängigkeiten nicht immer in der Lage, diese Diskrepanzen zu erkennen, da Verknüpfungen, welche auf in der Vergangenheit erlernten Verknüpfungen beruhen, fehlbar sind, wie Hayek ausführt: »While there can thus be nothing in our mind which is not the result of past linkages (even though, perhaps, acquired not by the individual but by the species), the experience that the classification based on the past linkages does not always work, i.e., does not always lead to valid predictions, forces us to revise that classification. In the process of this reclassification we not only establish new relations between the data given within a fixed framework of reference, i.e., between the elements given classes, we are led to adjust that frame584 work itself.« 583 In Teil II wurde darauf hingewiesen, dass Institutionen in ihrer Gesamtheit aus formellen Regeln, informellen Normen und Sanktionierungsmechanismen »Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht zwingend menschlichen Entwurfs« darstellen. Diese Aussage Hayeks beruft sich auf den Umstand, dass institutionelle Entwicklung von Pfadabhängigkeiten geprägt ist, die lange Zeit die sensorische Ordnung von Akteuren beeinflussten und betont darüber hinaus, dass Ordnungen nicht nur geplanter Natur sind, sondern auch spontanen Charakter haben (vgl. Teil II, Kapitel 1.3.3). Wie Manfred Streit betont, kann die sensorische Ordnung laut Hayek als spontane bzw. ungeplante Ordnung angesehen werden. Vgl. Streit, Manfred E. (2001): S. 7. 584 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 168f. Am deutlichsten zeigt sich ein solcher Prozess sicherlich an der so genannten »Informationsrevolution«, also der Durchsetzung vernetzter Strukturen des Internet, in der medialen Umwelt ökonomischer Akteure. Als durch die technischen Entwicklung des Internet deutlich wurde, dass herkömmliche Gesetze zum Schutz immaterieller Güter nicht ausreichten, reagierte die internationale Organisation zum Schutz von intellektuellen Verfügungsrechten (die »World Intellectual Property Organization (WIPO)«) 1996 mit der Anpassung der formellen Institutionen in Form eines »WIPO Copyright Treaty«, deren Richtlinien sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch in der Europäischen Union im »Digital Millennium Copyright Act«, bzw. in der »EU Copyright Directive« von 2001 umgesetzt wurden (vgl. Wilde, Erik/Schwerzmann, Jaqueline (2004):
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM Aufgrund dieser Gefahr des Versagens von institutionellen Gefügen müssen diese Gefüge selbst eine gewisse Flexibilität aufweisen, die S. 1). Die Schaffung eines rechtlichen Rahmens war sicherlich ein wesentlicher Schritt für die betroffenen Anbieter von digitalen Inhalten, insbesondere der Musik- und Filmindustrie, jedoch reichte dieser – bekannter Maßen – zum Schutz der Betroffenen nicht mehr aus. Schuld daran war jedoch nicht eine lückenhafte Gesetzgebung oder durch technologische Entwicklung angeregte ›kriminelle Energie‹. Vielmehr sorgte die für die Industrien ›unglückliche‹ Kombination aus technologischen Entwicklungen (in North Sinne »externer Schock« bzw. »Revolution«) mit den informellen Pfadabhängigkeiten aus der Zeit analoger Datenträger für die Expansion des Problems in dem heute erreichten Ausmaß. Die technologischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Datenkompression kollidierten mit den ausgeprägten informellen Normen, welche im Hinblick auf die Weitergabe von geschützter Musik und Film-Datenträger noch aus der Zeit der analogen Kopien stammte. In dieser Zeit hat sich die informelle Norm des »Fair Use« durchgesetzt, welche auch von der Musikindustrie akzeptiert waren: »Fair use is what enables users to use copyrighted material to a certain extent, so that they can create private copies of their CDs, even give these away to their friends, without doing anything illegal« (Wilde, Erik/Schwerzmann, Jaqueline (2004): S. 2). Diese informelle Norm wurde von der Musikindustrie als effizient akzeptiert, da sie soziale Präferenzen mit individuellen Präferenzen zusammenbrachte. Perfekter Schutz von Verfügungsrechten wurde von der Musikindustrie nie angestrebt, da es negative Auswirkungen auf die Popularität von Musikstücken gehabt hätte. Diese bereits in Teil zwei angesprochenen Netzwerkeffekte sorgten darüber hinaus dafür, dass in der Anfangszeit Internetinhalte von Usern als ›kostenfrei‹ wahrgenommen wurden, da die meisten Unternehmen diese (aufgrund der Kostenstruktur von Informationsgütern) anfänglich ›umsonst‹ zur Verfügung stellten, um sich beispielsweise über Werbung zu refinanzieren. Tauschbörsenbenutzern fehlte somit zumindest teilweise ein Unrechtsbewusstsein, da informelle Normen nicht für die massiven technischen Entwicklungen ausgelegt waren. Da die Musikindustrie mit der Schaffung eines legalen Online Marktes wartete, bis alle rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt waren, konnten technologische Entwicklung und informelle Normen sich über Jahre zu einem massiven Problem für die Industrie entwickeln, welches nun mit einer massiven Sanktionierung der formellen Normen und entsprechenden Kommunikationskampagnen wieder zum Aufbau selbstdurchsetzender informeller Normen in Hinblick auf Datendiebstahl führen soll. Die Strategie der Musikindustrie zielt dabei eindeutig auf eine geplante Anpassung medialer Regeln. Über die massive Sanktionierung formeller Medienregeln sollen letztendlich die informellen Regeln so angepasst werden, dass sie eine ›Bewusstseinsänderung‹ bewirken. Zur Änderungen dieser informellen Normen wird interessanter Weise auf die symbolische Steuerungsfunktion des Internets zurückgegriffen, da die über weite Strecken wahrgenommene Anonymität von Nutzern aufgehoben werden soll, wie Eric Schlachter beschreibt: »[T]here is a built-in limitation to the scope and size of anonymous actions, particularly if any element of the activity is commercial; at a certain point the activity should become large enough to leave at least shreds of evidence, both in physical space and cyberspace, sufficient to allow attribution.« Schlachter, Eric (1997) [Webdokument].
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS nicht an die Pfadabhängigkeiten einzelner Akteure gebunden sind. North nennt diese Fähigkeit zur Anpassung an externe Veränderungen »adaptive efficiency«, die er als Fähigkeit von Gesellschaften ansieht, sich flexibel an externe Schocks anzupassen und ein Institutionengefüge zu entwickeln, welches in der Lage ist, mit verän585 derten ›Realitäten‹ umzugehen. Da Medien durch zunehmende Konvergenz und abstrakte Signalvermittlung der digitalen Technologien gegenüber den eigentlichen Inhalten, die durch sie ›transportiert‹ werden, blind sind, können vom Menschen gemachte, institutionalisierte Medienregeln als adaptive Regeln angesehen werden, die weder starr noch unabänderbar sein müssen. Sie stehen als »adaptive Institutionen« zwischen Individuen der Gesellschaft und passen sich an die Sinnschemata der einzelnen Individuen an. Medien als adaptive Institutionen können gesellschaftlichen Wandel aufnehmen und begleiten, aber, wie im Falle der Druckerpresse oder des Internet, auch auslösen. Als Intermediär zwischen verschiedenen Individuen und Institutionen können sie diese Änderung in neue Sinnschemata überführen, welche zu neuen gesellschaftlichen Konventionen und Institutionen führen. Diese neuen Institutionen wirken ihrerseits auf die sensorischen Ordnungen von Akteuren ein. Das System von sensorischen Verknüpfungen wird somit »unter dem Eindruck neuer Wahrnehmung ständig und kreativ handlungsrelevant angepasst. Es ist adaptiv und evolutorisch und kann daher als komplexes, adaptives Sys586 tem betrachtet werden.« Die Evolution sensorischer Ordnungen und auch institutioneller Ordnungen ist jedoch, wie North ausführt, nicht vollständig im bio587 logischen Sinne evolutionär. Während zumindest in darwinistischen Evolutionstheorien auch vollkommen zufällige Mutationen eine Rolle spielen, so findet institutionelle Evolution auch aufgrund 585 »Adaptive efficiency entails an institutional structure that in the face of the ubiquitous uncertainties of a non-ergodic world will flexibly try various alternatives to deal with novel problems that continue to emerge over time.« North, Douglass C. (2005): S. 154; vgl. auch S. 6. 586 Streit, Manfred E. (2001): S. 7. 587 »In contrast to Darwinian evolutionary theory, the key to human evolutionary change is the intentionality of the players. The selection mechanisms in Darwinian evolutionary theory are not informed by beliefs about the eventual consequences. In contrast, human evolution is guided by the perceptions of the players; choices-decisions-are made in the light of those perceptions with the intent of producing outcomes downstream that will reduce uncertainty of the organizations – political, economic, and social – in pursuit of their goals.« North, Douglass C. (2005): S. VIII.
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2. SENSORISCHE ORDNUNG UND SYMBOLISCHE FORM spontaner Ordnungsprozesse statt. Dennoch ist diese Evolution in ihrem Grundwesen immer Ergebnis intendierten menschlichen Handelns, auch wenn sich das Ergebnis durch soziale Interaktion anders darstellt als der ursprüngliche Entwurf. Die Intentionalität von ökonomischen Akteuren hat sich nun wie in Teil I dargestellt zumindest aus Sichtweise der Wirtschaftswissenschaften stets an einem monetär geprägten, rein ökonomischen Habitus festgemacht. Die Anerkennung externer Regeln einerseits, aber auch der unterschiedlichen inneren Verfasstheit des ökonomischen Akteurs andererseits, lässt jedoch die These zu, dass medienökonomische Akteure ihre Aufmerksamkeit und somit auch ihre Intentionalität nicht nur auf monetäre Aspekte beziehen, sondern entlang der in Teil II, Kapitel 3.2 beschriebenen symbolischen Kosten einen ›medialen Habitus‹ entwickeln, der sich durch die Wechselwirkung zwischen (›internen‹) symbolischen Medienfunktionen und (›externen‹) institutionellen Medienfunktionen herausbildet, wie Kapitel 3 abschließend beschreibt.
247
»Auf der Ebene der Maschinen waren wir noch im Bereich der Kybernetik, die sich für das Signal interessiert. Durch die Einführung des Menschen sind wir zur Welt des Sinnes übergegangen. « 588
Umberto Eco
3. D E R
MEDIENÖKONOMISCHE
DER
MEDIALE
C O D E III:
HABITUS
Die Erörterung des ökonomischen Menschen und dessen Verhältnisses zur Medialität hat sich in dieser Arbeit über die Betrachtung von Medien als nutzbaren Technologien (Teil I) über die Beschreibung von ›medialen Regeln‹ als externem symbolischen Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen (Teil II) bis zur medialen Prägung seiner inneren Regeln (Teil III) erstreckt. Während die Betrachtungen des ersten Teils auf die Darstellung technischer Medienfunktionen und deren Verhältnis zum ökonomischen Menschen beschränkt war, ist die Betrachtung der in Teil II aufgestellten institutionellen Medienfunktionen geeignet, Medien gemäß McLuhans medientheoretischem Grundsatz in das dynamische Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen einzubetten. Die Einbeziehung des zweiten Teils von McLuhans These, dass Medien das Verhältnis der Sinne des Menschen ändern könnten, gelingt durch die erweiterten Annahmen des kognitiven Institutionalismus. Schlüssel zu dieser Sichtweise auf Medien war die These, dass Medien spezielle Sinnschemata in Gestalt symbolischer Formen ausprägen, welche ihrerseits in die sensorische Ordnung von Akteuren eingehen. Im Rahmen dieser Betrachtung ›innerer‹ medial geprägter Regeln wurden die ökonomischen Verhaltensannahmen nochmalig in Hinsicht auf die Wandelbarkeit von Präferenzen erweitert und hinsichtlich der »Unsicherheit« ökonomischer Entscheidung präzisiert. Dabei wurden die in Teil II eingeführten Konzepte der begrenzten Rationalität und der unvollständigen Information beibehalten und um eine Theorie der Lernfähigkeit von ökonomischen Akteuren, welche an
588 Eco, Umberto (1968): S. 192.
248
3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE III: DER MEDIALE HABITUS das Konzept der »sensorischen Ordnungen« der kognitiven »Connectionist-Theorien« geknüpft ist, erweitert. Durch diese Konzeption stehen sich, ganz im Gegensatz zu der ursprünglichen Anlage des neoklassischen homo oeconomicus, ein dynamisches Umfeld und ein in seinen Präferenzen dynamischer Akteur gegenüber. In der Wechselbeziehung zwischen äußerer Umwelt und innerer Verfasstheit ökonomischer Akteure spielen Medien, dem in dieser Studie zu Grunde gelegten Konzept des Medialen folgend, eine wesentliche Rolle bei der Interaktion zwischen Umwelt und Akteur, da dieser seine Umwelt nach den ihm zur Verfügung stehenden Sinnschemata beurteilt, an deren Ausbildung Medien beteiligt sind. Medial geprägte Sinnschemata, welche hier als ›symbolische Medienfunktionen‹ entwickelt wurden, stehen in Mediengesellschaften somit zwischen dem Individuum und der Welt – eine Auffassung, welche ein spezielles Verhältnis zwischen ökonomischem Mensch und medial geprägter sensorischer Ordnung nahe legt, die als ›medialer Habitus‹ von ökonomischen Akteuren beschrieben werden kann, wie im folgenden Kaptitel 3.1 ausgeführt wird. Die Verbindung der kognitiven sensorischen Ordnung und der Schicht der symbolischen Formen ist für die ökonomische Theorie und damit auch für die Medienökonomie jedoch nicht ohne ›Komplikationen‹, welche in Kapitel 3.2 thematisiert werden.
3.1 Mediale sensorische Ordnung und ökonomischer Mensch In diesem letzten Teil der Studie wurde die These verfolgt, dass Medien als ›präkonfigurierte Sinneinheiten‹ verstanden werden können, welche Individuen verschiedene Sinnschemata für deren Umgang mit ihrer Umwelt anbieten. Ausschlaggebend für diese Sichtweise ist die bereits in Teil II entwickelte These, dass Medien als symbolisches Handlungsumfeld ökonomischer Akteure diese über dispositive Prozesse in sozialer, kultureller und ökonomischer Hinsicht ›dispositionieren‹. Dieses externe Handlungsumfeld geht durch den Gebrauch von Medien über Ritualisierungs- und Habitualisierungsprozesse in die von ihnen ausgebildeten Sinnschemata 589 ein. Geprägt ist die sensorische Ordnung jedoch nicht nur durch 589 Mediale Umwelten bieten in dieser Hinsicht verschiedene lebensweltliche Bezüge (z.B. über Raum- und Zeitstrukturen), welche Orientierungspunkte in Hinblick auf Realitäts-, Identitäts- und Rationalitätsauffassung von Indivi-
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS die Internalisierung externer medialer Regeln, sondern auch durch medial gebildete symbolische Formen, auf welche Menschen bei der Sinnbildung zurückgreifen. Zumindest in der hier vertretenen Auffassung kann man Knut Hickethier recht gegeben geben, wenn er schreibt: »Medien modellieren den Menschen als kulturelles Wesen. In der Technik-Mensch-Anordnung ist das betrachtende Ich ein 590 zentraler Faktor.« Auch wenn sensorische Ordnungen an Individuen gebunden sind, so ist die Ausprägung dieser Sinnschemata jedoch keine ausschließlich individuelle Leistung, sondern auch das Ergebnis gesellschaftlich geteilter Sinnschemata, welche als Kultur im weitesten Sinne verstanden werden. Jedweder Vorgang der Kommunikation bzw. Informationsvermittlung ist in dieser Sichtweise kulturell von symbolischen Formen medialer Kommunikation überformt. Die Regelmäßigkeiten und Gewohnheiten, die das »betrachtende Ich«, welches sich die Welt über symbolische Formen erschließt, im Umgang mit Medientechnologien ausbildet, lassen sich in ihrer Gesamtheit als »Habitus« beschreiben, wie ihn Pierre Bourdieu beschrieben hat und wie er schon in Teil II Kapitel 3.2 angesprochen 591 wurde. Der Begriff des Habitus kann in diesem Zusammenhang als abstrakte Konstruktion verstanden werden, »die dazu dient, die Grundzüge der einverleibten Dispositionssysteme der Akteure, ihrer Prinzipien und Handlungen, die daraus entstehen, in Bezug auf 592 deren Position logisch zu organisieren.« Der ›mediale Habitus‹ lässt sich in dieser Hinsicht als eine von Medien geprägte kulturelle Praxis beschreiben, die zum konstitutiven Teil der Identität von 593 Akteuren geworden ist. Bourdieu betont die aktive Rolle des Akteurs an der Verfertigung dieses Habitus:
590 591 592
593
duen anbieten, die diese Bezüge in ihre Entscheidungsfindung einbauen. Jede individuelle Entscheidung unterliegt dabei nicht immer gleichwertig allen Bezügen, sondern einem Set an privilegierten Bezügen, folglich jenen, die das Individuum in seiner spezifischen Situation als am wichtigsten erachtet. Entscheidungen werden beispielsweise mal mehr in Hinblick auf die Vergangenheit oder aber stärker im Hinblick auf die Zukunft getroffen. Vgl. Loasby, Brian J. (2001): S. 400. Hickethier, Knut (2003): S. 198. Vgl. Bourdieu, Pierre (1974): S. 143. Papilloud, Christian (2003): S. 40. Der Habitus ist damit ein Komplex von präformierten Einstellungen, Erwartungen, Gewohnheiten und Interpretationsschemata. Vgl. Bourdieu, Pierre (1974): S. 132-143. Vgl. Hickethier, Knut (2003): S. 191.
250
3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE III: DER MEDIALE HABITUS »Ich wollte [...] den Gedanken betonen, daß der Habitus eine sehr stark produktive Größe ist. Der Habitus ist, kurz gesagt, ein Produkt von Konditionierungen, das die objektive Logik der Konditionierung tendenziell reproduziert, sie dabei aber einer Veränderung unterwirft; er ist eine Art Transformationsmaschine, die dafür sorgt, daß wir die sozialen Bedingungen unserer eigenen Produktion ›reproduzieren‹, aber auf eine relativ unvorhersehbare Art, daß man nicht einfach mechanisch von der Kenntnis der Produktionsbedingungen zur Kenntnis der Pro594 dukte gelangen kann.« Ganz im Sinne des institutionellen Individualismus ›reagiert‹ der Akteur in dieser Konzeption nicht nur auf externe Regeln durch Internalisierung derselben. Er ›arbeitet‹ mit diesen Regeln, indem er sie in seine Sinnproduktion einbettet und über die Zeit und innerhalb seiner Möglichkeiten an seine Sinnschemata anpasst. Den Sinn ihrer Handlungen ›produzieren‹ medial geprägte ökonomische Akteure unter Rücksicht auf die symbolischen Kapitalsorten, welche in Teil II, Kapitel 3.2 beschrieben wurden. Die medial geprägte sensorische Ordnung von Individuen enthält demnach Strukturen, welche durch die Dispositionierung der Akteure gemäß ihres kulturellen, ökonomischen und sozialen Kapitals ausgeprägt wurden. Wie genau die individuelle Bewertung der dementsprechenden symbolischen Kosten geschieht, bleibt aus ökonomischer Sichtweise dabei vorerst ebenso verschleiert, wie die subjektive Bewertung »psychischer Kosten« (die wie beschrieben manchmal als »Schattenpreise« be595 schrieben werden). Symbolische Kosten entstehen jedoch, analog zu psychischen Kosten, aus Differenzen der inneren mit den exter596 nen Regelsystemen. Ein medialer Habitus von Individuen kann dementsprechend einen wesentlich breiteren Rahmen an Komponenten für eine ökonomische Entscheidung hervorbringen, als es ein rein ›ökonomischer Habitus‹ könnte. Ein Individuum, welches mit einem ausschließlich ökonomischen Habitus ausgestattet wäre, würde seine Intentionsbildung ausschließlich an monetären Aspekten ausrichten, die es nach institutionellen Sachverhalten ordnet. Ein mit einem medialen Habitus ausgestatteter Akteur hingegen, würde seine Auf594 Bourdieu, Pierre (1993): S. 128. 595 Vgl. Teil I, Kapitel 1.3.1. 596 Diese Annahme ist analog zu den Annahmen der Ökonomie über psychische Kosten. »Entsprechend der Theorie der kognitiven Dissonanz entstehen dann Kosten, wenn sich die Individuen bewusst entgegen internalisierten (und damit auch von ihnen selbst akzeptierten) Normen verhalten.« Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991|2000): S. 60.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS merksamkeitsstruktur (und damit seine Intentionen) unter Einbeziehung der symbolischen Kosten entwickeln, die er in Bezug auf institutionelle und symbolische Medienfunktionen ausbilanziert und durch die aktive ›Sinnarbeit‹ einen speziellen ›Lebensstil‹ bildet, der unter anderem aus internalisierten medialen Regeln und medial geprägten Wahrnehmungsvorgängen besteht. In einer solchen Sichtweise geht das Verhältnis zwischen Mensch und Medien weit über das eines Schöpfers und seiner zweckrational genutzten Technologie hinaus. Stattdessen entsteht ein Verhältnis, welches Knut Hickethier wie folgt beschreibt: »Technische Anordnungen, kulturelle Ritualisierung sowie unsere Wahrnehmung als Subjekt gehen offenbar eine enge Verbindung ein, die weitgehende Auswirkungen auf die kulturellen Gewohnheiten und Gewissheiten hat. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass wir als Subjekte in starkem Maße geprägt und damit geschaffen werden, oder anders formuliert, dass die Medien die Menschen in 597 ihrem Bewusstsein und ihren Verhaltensweisen in starker Weise modellieren.« Dieser Vorgang ist nur zu einem gewissen Maße empirisch beobachtbar und deshalb für die ökonomische Theorie recht schwer zu ›greifen‹. Denn die Aneignung medialer Regeln und symbolischer Formen, welche sich durch mediale Habitualisierung vollzieht, vollzieht sich – und das ist sicherlich ein Problem für die Betrachtung derselben – häufig durch ›unbewusste‹ Awareness-Prozesse. Ein Prozess, der die Internalisierung von Medien als Ausweitung des Körpers im Sinne der in Teil I beschriebenen Thesen Marshall McLuhans nahe legt: »Die Auswirkungen der Technik zeigen sich nicht in Meinungen und Vorstellungen, sondern sie verlagern das Schwergewicht in unserer Sinnesorganisation oder die Gesetzmä598 ßigkeiten unserer Wahrnehmung ständig und widerstandslos.« Auch wenn McLuhans Thesen in vielerlei Hinsicht zu Technikdeterministisch bleiben mögen, da sie symbolische Prozesse vollkommen ausgrenzen und dem Menschen auch keine Möglichkeit einräumen, mit den Auswirkungen der von ihm geschaffenen Kommunikationsmitteln umzugehen, so bietet sein Verständnis von Medien doch die Anschlusspunkte der hier ausgeführten Logik des Medialen, dass Medien ein wesentlich vielfältigeres Verhältnis mit ökonomischen Akteuren eingehen, als dass sie ›Informationen zur Verminderung von Unsicherheit‹ bereitstellen. 597 Hickethier, Knut (2003): S. 189 [Hervorhebung im Original]. 598 McLuhan, Marshall (1968): S. 38f.
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE III: DER MEDIALE HABITUS Die in diesem Teil dargestellten Annahmen des kognitiven Institutionalismus eröffnen durch die Einbeziehung der Wahrnehmung ökonomischer Akteure ein weiteres Feld der ökonomischen Betrachtung von Medien. Einen Blickwinkel, in welchem Medien nicht nur als Güter- oder Dienstleistungen oder mediale Regeln miteinander konkurrieren, sondern ebenfalls als kognitive Muster, welche, um sich durchzusetzen, sowohl anschlussfähig an die medialen Habitus der Akteure sein als auch ihr Sinnmuster erfolgreich gegen andere Medien behaupten können müssen. Die Betrachtung des Verhältnisses von ökonomischen Menschen und Medialität ist somit von den zu beschreibenden Schichten an ihr Ende gelangt. Die in Teil I, Kapitel 1.3 aufgestellten medientheoretischen ›Forderungen‹, dass zur hinreichenden Beschreibung der Beziehung des ökonomischen Menschen in Hinblick auf Medialität die statischen Modellannahmen der Neoklassik ebenso wie der zeitlos rationale und nicht von kulturellen Einflüssen geprägte ›Charakter‹ fallen gelassen werden müssen, können durch die Einbeziehung der Annahmen der Neuen Institutionenökonomik und deren Erweiterung des kognitiven Institutionalismus ›eingelöst‹ werden. Diese bis hier vollzogenen ›Reise‹ durch die Entwicklung innerhalb der ökonomischen Theorie, welche sich von der statischen diskreten Welt der Neoklassik bis zu den noch unzureichend erschlossenen Prozessen der Wahrnehmung ökonomischer Akteure in einer dynamischen Welt erstreckt hat, bringt jedoch die Ökonomie und damit auch die Medienökonomie teilweise an Grenzen, welche vor der abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse thematisiert werden.
3.2 Implikation der symbolischen Medialität für den ökonomischen Menschen Die prinzipielle, von der ökonomischen Theorie unterstellte selbstinteressierte, rationale Nutzenmaximierung über Marktkoordination kann in einem Denkgebäude wie dem des kognitiven Institutionalismus nicht mehr als grundsätzliche ›Natur des Menschen‹ angesehen werden, sondern stellt vielmehr ein erlerntes Verhalten bzw. einen ›kulturellen Stil‹ zeitgenössischer Gesellschaften dar. Das Verhalten unter Wettbewerbsbedingung sowie die Anwendung von Marktmechanismen müssen aus Sichtweise der Institutionenökonomik institutionell verankert und kulturell erlernt werden. Die ökonomische Theorie hat sich also aus sich selbst heraus bis zu einem
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS Punkt entwickelt, an dem sie in ihren Argumentationen zu einem gewissen Grade den Zirkelschluss ›aushalten‹ muss, dass Ökonomie als Wissenschaft selbst symbolische Formen hervorgebracht hat, die ihr ursprüngliches Hauptanliegen des Auffindens ›objektiver‹ Ge599 setzmäßigkeit sozialen Handels relativiert haben. Die ökonomische Theorie unterliegt damit einem ähnlichen Sachverhalt, wie ihn Cassirer mit Blick auf die Naturwissenschaften ausführte: »Jedes »Gesetz« der Natur nimmt für unser Denken die Gestalt einer allgemeinen »Formel« an – jede Formel aber läßt sich nicht anders denn durch eine Verknüpfung allgemeiner und spezifischer Zeichen darstellen. [...] Die Logik der Sachen, d.h. der inhaltlichen Grundbegriffe und Grundbeziehungen, auf denen der Aufbau einer Wissenschaft beruht, kann nach der Grundüberzeugung, die er [der Wissenschaftler] vertritt und festhält, von der Logik der Zeichen nicht getrennt wer600 den.« ›Sinn‹ kann innerhalb dieser Wissenschaftsform nur innerhalb der von ihr verwendeten Zeichengefüge hergestellt werden. Die Erkenntnis stellt sich somit zumindest teilweise auch innerhalb der ökonomischen Theorie ein, dass auch Ökonomen durch die mathematischen Symbole, mit denen sie in der orthodoxen Theorie das Verhalten des ökonomischen Menschen beschreiben, eine symbolische Form geschaffen haben, welche die Sinnzusammenhänge 601 ihrer Disziplin für lange Zeit geprägt haben.
599 Insbesondere die Ausprägungen der Neoklassik haben symbolischen Formen ausgebildet, außerhalb derer sich ökonomisches Denken nur sehr begrenzt bewegen konnte. Schon Ernst Cassirer hat sich die von ihm beschriebene Philosophie der symbolischen Formen aus einer ähnlichen Problematik im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen wissenschaftlichen Zeichensystemen der ökonomischen Vorbildsdisziplin der Physik und deren sinnlichen Erfahrungen aufgebaut: »Was der Physiker in den Erscheinungen sucht, ist die Darstellung ihrer notwendigen Verknüpfung. Aber diese Darstellung läßt sich nicht anders vollziehen, als dadurch, daß er die unmittelbare Welt der sinnlichen Eindrücke nicht nur hinter sich läßt, sondern sich scheinbar vollständig von ihnen abwendet. [...] Und seither zeigt die gesamte Naturwissenschaft, wie in der Tat jeder Fortschritt ihrer Problemstellung und ihrer Begriffsmittel mit einer zunehmenden Verfeinerung ihres Zeichensystems Hand in Hand ging.« Cassirer, Ernst (1923|1964): S. 17. 600 Cassirer, Ernst (1923|1964): S. 18. 601 Nicht nur die Institutionenökonomik spielt in dieser Entwicklung eine Rolle, sondern auch der Diskurs, der von ›ehemaligen‹ etablierten Neoklassikern wie Deirdre McCloskey vorangetrieben wird. Vgl. exemplarisch McCloskey, Deirdre (2002).
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3. DER MEDIENÖKONOMISCHE CODE III: DER MEDIALE HABITUS Viele der ökonomischen Kernbegriffe transformieren in diesem Entwicklungsprozess der ökonomischen Theorie von starren Axiomen zu ›relativen‹ Begriffen. So verändert sich beispielsweise der Begriff der ökonomischen »Effizienz« von einem absoluten Zustand (dem des Gleichgewichtsoptimums bei kompletter Markträumung) zu einem ›fließenden‹ und relativen Zustand ohne singulären Gleichgewichtspunkt (beispielsweise die zu einem Zeitpunkt gegebenen, geringst möglichen Produktions- und Transaktionskosten im Verhältnis zu den gegebenen Produktionstechnologie- und Informa602 tionskosten). Auch die »Nutzenmaximierung« folgt im Hinblick auf Medien einem Mechanismus, der nicht ohne weiteres in die formale mathematische Ökonomie der bisher beschriebenen Ansätze passen will, da die Annahme, dass die technischen Signale erst beim Nutzer in einen sinnvollen Inhalt umgewandelt werden, impliziert, dass diese Inhalte nach unterschiedlichen Erfahrungen und Situationen sowie unter verschiedenen Dispositionen symbolischer Kosten von verschiedenen Akteuren sehr unterschiedlich bewertet werden können. Unterschiedliche Mediennutzer werden somit im Sinne des institutionellen Individualismus zu sehr unterschiedlichen und ausdifferenzierteren Formen der Nutzenmaximierung gelangen können. Der eigentliche Nutzen lässt sich deshalb nur noch begrenzt in mathematischen Formulierungen generalisieren. Die Annahmen des kognitiven Institutionalismus, dass ökonomische Akteure Institutionenbildung auf Basis ihrer durch individuelle sensorische Ordnungen ausgeprägten Sinnschemata und nicht zwingend aufgrund ›objektiver‹ Rationalität vorantreiben, führt schließlich den Kernbegriff ökonomischen Denkens, die »Rationalität«, in einen relativen Zustand über. Dabei muss jedoch vorsichtig unterschieden werden zwischen einer vollkommenden Abkehr von rationalem Verhalten und einer institutionellen Kontextualisierung von rationalen Zusammenhängen. Die Neue Institutionenökonomik wie auch der kognitive Institutionalismus betonen keineswegs, dass menschliches Verhalten beliebig wäre oder »Rationalität«rein kulturrelativistisch zu sehen sei. Ausschließlich die Wandelbarkeit der inhaltlichen Auffassung darüber, was gesamtgesellschaftlich unter »Rationalität« zu verstehen sei, wird in den Vordergrund gestellt. Rationales Handeln bleibt somit im ökonomischen Diskurs weiterhin stets ein auf
602 Auch Douglass North stellt fest: »There is no necessary identification between institutions and efficiency as economists use (and misuse) the term.« North, Douglass C. (2005): S. 15.
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TEIL III - DIE GRENZEN DES WISSENS (›neuer Weise‹ wandelbare) Präferenzen bezogenes, von (›neuer Weise‹) dynamischen Institutionen beeinflusstes Handeln. Der kognitive Ansatz bricht demnach mit dem in Teil I beschriebenen traditionellen Anspruch der Ökonomik, die im Newtonschen Sinne ›physikalischen‹ Grundregeln menschlichen Verhaltens ent603 wickelt zu haben, was von Douglass North kritisiert wird: »Part of the reason for our limited understanding is that there do not appear to be any fundamental ›power laws‹ in the social sciences comparable to those in physical sciences. A more fundamental reason is the non-ergodic nature of the 604 world we are continually altering.« Weder die sensorischen Ordnungen ökonomische Akteure noch physische-, menschliche- oder die hier beschriebene mediale Umwelt bleiben demnach in ihrer Entwicklung statisch, sondern interagieren kontinuierlich in einem Zustand permanenten Wandels miteinander. Aus medienökonomischem Blickwinkel lässt sich dieses Wechselspiel zwischen externen medialen Regeln und interner medial geprägter sensorischen Ordnung als ›Ordnung der Sinne‹ beschreiben, wie sie diese Studie abschließend zusammenfassen wird.
603 Während die Physik laut North in ihren Theorien eventuell auf einen Status kommen kann, in welchem sie fundamentale Annahmen über die Unveränderbarkeit von gewissen Zuständen machen kann, ist die Ökonomie laut North weit von einem solche Zustand entfernt (vgl. North, Douglass C. (2005): S. 19)). Dies liegt insbesondere darin begründet, dass sich viele Ansätze der Ökonomie eher an einem statischen Newtonschen Weltbild orientieren, anstatt an einem moderneren, ›relativen Weltbild‹ der Physik, (ob das die Probleme der Vergleichbarkeit lösen würde, ist allerdings unklar). 604 North, Douglass C. (2005): S. 16. Dieser Umstand wurde bereits von Friedrich von Hayek thematisiert, indem dieser den Unterschied zwischen physikalischen und sozialwissenschaftlichen Phänomenen benennt: »The problems of the physical sciences arise thus from the fact that objects which appear alike to us do not always prove to behave in the same way towards other objects; or that objects which phenomenally resemble each other need not be physically similar to each other, and that sometimes objects which appear to us to be altogether different may prove to be physically very similar. [...] Whenever we study qualitative differences between experiences we are studying mental and not physical events, and much that we believe to know about the external world is, in fact, knowledge about ourselves.« Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 5ff.
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»All we know about the world is of the nature of theories and all experience can do is to change those theories.« Friedrich A. von Hayek
605
DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹ Das Verhältnis zwischen dem ökonomischen Menschen und Medialität stellt sich abschließend als eine ›Ordnung der Sinne‹ dar. Diese ›Ordnung der Sinne‹ hat sich im Verlauf dieser Studie als bipolares Konzept gezeigt, welches das Verhältnis zwischen ökonomischem Menschen und Medien in einer ›äußeren‹ und einer ›inneren‹ Hinsicht beschreibt: 1. Die ›äußere‹ Ordnung der Sinne ist die Ordnung der medialen Regeln, welche beschreibt, wie externe mediale Regeln einen elementaren Bestandteil des Handlungsumfeldes ökonomischer Akteure darstellen. 2. Die ›innere‹ Ordnung der Sinne beschreibt die dem ökonomischen Akteur innewohnende, medial geprägte Ordnung, welche er aufgrund der sensorischen Kontextualisierung von medial vermittelten und über die Sinne aufgenommenen Signalen ausbildet. Diese Ordnung, so die hier vertretene These, welcher der Mensch in von unpersönlicher Kommunikation geprägten Gesellschaften entwickelt und von der er geleitet wird, ist weder ausschließlich durch die gesellschaftlichen Regeln noch durch individuelle Regelsysteme vollständig determiniert. Vielmehr kennzeichnet die ›Ordnung der Sinne‹ ein relationales Verhältnis, welches sich zwischen ihren beiden Polen aufspannt. Sie ist dementsprechend keine statische Ordnung, welche sich Element für Element aufbauen oder verändern ließe. Lediglich analytisch lässt sie sich, wie im Verlaufe dieser
605 Hayek, Friedrich A. von (1952|1976): S. 143.
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DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹ Studie geschehen, anhand ihrer einzelnen Komponenten aufgliedern. Zur Verdeutlichung dieser Komponenten kehren wir zum Abschluss dieser Studie noch einmal an den Ausgangspunkt des Weges zurück, der im Rahmen der hier beschrittenen Argumentation begangen wurde. Die Reise begann mit dem Ziel, das Verhältnis des ökonomischen Menschen zum Gegenstand der Medien zu klären und somit für die Disziplin der Medienökonomie vertiefte Erkenntnisse über die Zusammenhänge oder auch Unvereinbarkeiten zwischen dem ökonomischen Basiskonzept des ökonomischen Menschen und ihrem eigentlichen Gegenstand, den Medien, zu erhalten. Als Zielpunkt wurde die Entwicklung eines medienökonomischen Framesets anvisiert, welches es erlaubt, den Betrachtungsrahmen der Medienökonomie auf den Einfluss von Medien auf ökonomische Entscheidungen zu erweitern. Sozusagen als ›Kompass‹ für diesen Weg wurde das medientheoretische Konzept des Medialen vorgestellt, welches sich von der Analyse einzelner Medien löst und auf einer übergeordneten Ebene unterschiedliche Wirkungen und Eigenschaften medialer Schichten vermisst. Die anhand dieser medialen Schichten zurückgelegten Strecken wurden weniger aufgrund von etabliertem medienökonomischem Gedankengut eingeschlagen, sondern haben sich daran orientiert, allgemeine, nicht auf Medien bezogene ökonomische Theorien mit medientheoretischen Konzepten in Verbindung zu bringen. Diese Vorgehensweise hat es im Laufe der Arbeit erlaubt, Wege zu beschreiten, welche teilweise weit vom herkömmlichen ›Pfad‹ ökonomischer Betrachtungen abweichen. Nun stellt sich am Ende dieser Ausführungen die Frage, was mit der so angelegten transdisziplinären Verbindung von Medientheorie und Ökonomik für die Disziplin der Medienökonomie gewonnen werden kann, denn wie der Ökonom annimmt und hoffentlich auch der Medientheoretiker bis hier versteht, stellen die Wege, welche nicht beschritten wurden, die Opportunitätskosten einer Reise dar. Auch wenn es für die hier angelegte, breite Thematik sicherlich weitere Anschlusspunkte und verfolgenswerte Aspekte gibt, so ist im Rahmen ihrer Bearbeitung zumindest eine Art ›Landkarte‹ entstanden, welche bei der weiteren Erkundung des medienökonomischen Gebietes von Nutzen sein kann und eine Stütze für die weitere medienökonomische Erforschung von Medien anbietet. Die wesentlichen ›Landmarks‹ dieser Karte, welche sich im Verlauf dieser Studie gezeigt haben, werden deshalb nachfolgend noch einmal aus einem medienökonomischen Blickwinkel zusammengefasst. Diese sind 1. die hier entwickelte Sichtweise zur Rolle der Medien inner-
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1. DIE ROLLE DER MEDIEN INNERHALB DER MEDIENÖKONOMIE halb medienökonomischer Betrachtungen, 2. die daraus entwickelten Thesen zum Konzept eines ›medienökonomischen Menschen‹ und 3. die Implikationen, welche sich daraus für die zukünftige medienökonomische Forschung ergeben.
1. Die Rolle der Medien innerhalb der Medienökonomie Der Richtungsgeber für die Rolle von Medien innerhalb der medienökonomischen Theoriebildung ist in dieser Studie das Schichtenkonzept der Medialität. Dieses Konzept geht davon aus, dass Medien auf alle Kommunikations- und Informationsprozesse Einfluss haben. Dieser Einfluss zeigt sich auf verschiedene Weise innerhalb der drei verschiedenen Schichten des Medialen, indem Medien als Technologien, als gesellschaftliche Regeln und als wahrnehmungsbeeinflussende Sinnagenten verstanden wurden. Wie sich im Verlauf der Argumentation gezeigt hat, ist die medientheoretisch differenzierte Sichtweise auf Medien nicht immer ohne weiteres mit den traditionellen ökonomischen Konzepten menschlichen Verhaltens vereinbar. Ausgehend von dem traditionellen Verhaltensmodell des neoklassischen homo oeconomicus wurde deshalb den institutionalistischen Erweiterungen in Hinblick auf die ökonomischen Verhaltensmaßnahmen nachgegangen. Für das Verständnis des medialen Einflusses auf ökonomische Entscheidungen wurden insbesondere drei wesentliche Erweiterungen thematisiert, bei denen es sich namentlich um die Annahmen der unvollständigen Information, der begrenzten Rationalität und der konstitutionellen Unsicherheit handelte. Diese drei eng miteinander verknüpften Annahmen haben sich im Laufe der Studie als zentral für die Integration medialer Einflüsse in ökonomische Entscheidungen dargestellt. In Verbindung mit dem Konzept der medialen Schichten gelang es so, den Blickwinkel der ökonomischen Theoriebildung auf Medien ebenfalls deutlich auszudifferenzieren und zu erweitern. Teil I war noch von der traditionellen ökonomischen Perspektive dominiert, in welcher ökonomische Akteure nach statischen Präferenzen innerhalb eines statischen Handlungsumfeldes agieren. Die Annahme der vollständigen Information ließ Medien über eine Rolle als handelbaren Gütern und -dienstleistungen hinaus kaum Relevanz zukommen. Medien wurden innerhalb dieses Denkgebäudes hauptsächlich als menschengemachte Kommunikationswerkzeuge verstanden, die keinerlei Einfluss auf ökonomische Entscheidungen haben und sich insbesondere in Hinsicht auf ihre Gütereigenschaften und die daraus
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DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹ resultierenden Besonderheiten für Medienmärkte analysieren lassen. In Teil II wurde anhand der Öffnung der ökonomischen Verhaltensannahmen in Hinblick auf die sozialen Interaktionen des ökonomischen Akteurs die Rolle der Medien erweitert, indem Medien als handlungsrelevanter Teil eines dynamischen Umfeldes von ökonomischen Akteuren dargestellt wurden. Durch dispositive Ausprägung spezifischer medialer Regeln tragen Medien zu den Regeln der Gesellschaft (Institutionen) bei, nach denen sich ökonomisches Handeln ausrichtet. Medien erscheinen in dieser Sichtweise als Träger von kulturellen, sozialen und ökonomischen Aspekten, welche gesellschaftliche Interaktion über die Zeit ermöglichen und sichern. Die Annahmen des kognitiven Institutionalismus ermöglichten schließlich in Teil III durch ihre Hinwendungen auf die kognitiven Aspekte einer inneren sensorischen Ordnung einen weiteren Perspektivwechsel auf den Gegenstandsbereich der Medien. Der Einfluss von Medien wurde hier nicht mehr auf technische Güter oder externe Regeln menschlicher Kommunikation begrenzt. Medien können in dieser Sichtweise als sinnerzeugende Agenten beschrieben werden, welche durch die Entwicklung symbolischer Formen ›Sinnschemata‹ anbieten, die ihrerseits in die Ausprägung individueller und dynamischer Sinnsysteme von ökonomischen Akteuren eingehen können. Diese unterschiedlichen Funktionen, welche Medien einnehmen können, wurden in den einzelnen Teilen unter den Begriffen der technischen, institutionellen und symbolischen Medienfunktionen zusammengefasst. Aus medienökonomischer Perspektive ist dabei sicherlich der Perspektivwechsel hervorzuheben, dass Medien nicht nur als Güter begriffen werden, deren Handel von Marktpreisen bestimmt wird, sondern ebenfalls als Transaktionskosten einsparende Institutionen. Medien wirken somit durch ihre institutionellen Funktionen auf die Anreizstrukturen einer Gesellschaft. Die aktive Rolle, welchen Medien durch diesen Perspektivwechsel im Wirtschaftsprozess zugestanden wird, führt schließlich in die Problematik, dass Medien durch ihre symbolischen Funktionen nicht nur das ökonomische Kapital, sondern auch kulturelles und soziales Kapital von Individuen beeinflussen können. Tabelle 2 fasst die wesentlichen Ergebnisse der ökonomischen Verhaltensannahmen in Bezug auf die behandelten ökonomische Verhaltensannahmen, die entwickelten Medienfunktionen und der daraus resultierenden Rolle von Medien innerhalb der ökonomischen Theorie zusammen.
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1. DIE ROLLE DER MEDIEN INNERHALB DER MEDIENÖKONOMIE
ASPEKT
TEIL
Verhaltensannahmen
I
II
III
sozial sozial beeinflusstes, kognitiv und sozial unabhängiges, begrenzt rationales beeinflusstes, vollständig Verhalten begrenzt rationales rationales Verhalten Verhalten
Interne Aspekte der Handlungsrationalität (Sinnsysteme)
statisch (ergodisch)
statisch (ergodisch)
dynamisch (nicht ergodisch)
Externe Aspekte der Handlungsrationalität (Institutionen)
statisch (ergodisch)
dynamisch (nicht ergodisch)
dynamisch (nicht ergodisch)
Medienfunktionen
technisch
institutionell
symbolisch
Durch Medien beeinflusste Kosten
Keine
Transaktionskosten
Symbolische Kosten
Einfluss von Medien auf ökonomische Entscheidungen
Keine
Wandel der institutionellen Anreize
Wandel der Anreizwahrnehmung
Medienentwicklung beeinflusst durch
Marktpreise
Institutionengefüge und dessen Wandel
kognitive Prägung
Güter und Dienstleistungen
Regeln der medialen Kommunikation
vorkonfigurierte Sinnschemata
Rolle von Medien in der ökonomischen Theorie
Tabelle 2 – Medienfunktionen und ökonomische Verhaltensannahmen Medien lassen sich in der hier dargelegten Weise nun auch innerhalb der ökonomischen Theorie, erstens als wesentlicher Bestandteil der den Menschen umgebenden institutionellen Umwelt begreifen und zweitens, durch ihre Wirkung auf die menschliche Wahrnehmung, auch als Einflussgröße der ökonomischen Handlungsrationalität auffassen. McLuhans Grundposition, dass Medien als Ausweitung des Menschen die Art und Weise menschlichen Denkens ändern, indem sie sowohl in die Umwelt als auch in die Sinneswahrnehmung von Menschen eingreifen, ist zumindest im Kontext dieser Studie auch für die medienökonomische Theorie erklärbar, wie im Folgenden anhand von Thesen zum medienökonomischen Men606 schen dargestellt wird.
606 Vgl. das Zitat McLuhans auf S. 13 dieses Buches.
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DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹
2. Thesen zum medienökonomischen Menschen Gemäß der bipolaren Anlage, welche der Betrachtung des medienökonomischen Menschen in diesem Kapitel zugeschrieben wurde, werden im Folgenden zwei Sets an Thesen aufgestellt. Der ersten drei Thesen fassen dabei die hier entwickelten Annahmen über das Verhältnis von Medien und ökonomischem Menschen zusammen. Die darauf folgenden drei Thesen stellen nochmals die aus den allgemeinen ökonomischen Theorien abgeleiteten Verhaltensannahmen als explizit medienökonomische Verhaltensannahmen dar. Der erste Block von Thesen, welcher die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch und Medialität in Hinsicht auf Annahmen über das Verhältnis von Medien und ökonomischem Menschen betrachtet, wurde im Verlauf der Studie systematisch durch die Verbindung von grundlegenden ökonomische Theorien und elementaren medientheoretischen Konzepten freigelegt, wie in den jeweils abschließenden Kapiteln der einzelnen Teile dargelegt wurde: 1. Medien werden als Ausweitung des ökonomischen Menschen verstanden. Der Mensch erfindet und nutzt Medien zur Verbesserung seiner Speicherungs- und Verarbeitungsfähigkeiten für Informationsaufnahme. Die vom Menschen entwickelten und genutzten Technologien schaffen erstens eine mediale Umwelt und ›verändern‹ zweitens den ökonomischen Akteur an sich. 2. Medien bilden ein dispositives Handlungsumfeld des ökonomischen Menschen aus. Die vom Menschen geschaffene mediale Umwelt besteht aus technischen und symbolischen Strukturen, welche einen Teil der Regeln der Gesellschaft (Institutionen) bilden, nach denen sich ökonomisches Handeln ausrichtet. 3. Mediale Sinnschemata gehen in einen medialen Habitus ökonomischer Akteure ein. Medien beeinflussen über die Signalaufnahme durch die menschlichen Sinne die Wahrnehmung ökonomischer Akteure. Sowohl die Kenntnis über mediale Regeln als auch durch Medien vermitteltes ›mediales Wissen‹ wird somit Teil der sensorischen Ordnung der Akteure. Aus diesen grundsätzlichen Thesen über das Verhältnis zwischen Mensch und Medien lassen sich medienökonomische Verhaltensannahmen zusammenfassen, welche die institutionenökonomischen Verhaltensannahmen in Bezug auf Medien präzisieren:
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2. THESEN ZUM MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN 1.
2.
3.
Der medienökonomische Mensch agiert selbstinteressiert unter Wahrnehmung und Bezug auf die mediale Umwelt, die ihn umgibt. Die mediale Umwelt kann analytisch in technische, institutionelle und symbolische Aspekte unterteilt werden, wodurch Marktpreise, Transaktionskosten und symbolische Kosten als Restriktionen medienökonomischen Verhaltens gelten können. ›Selbstinteresse‹ bezieht sich in dieser Hinsicht nicht auf ein isoliertes, ausschließlich egoistisches Wesen, sondern auf einen selbstwahrnehmenden, in seine ökonomische, soziale und kulturelle Umwelt eingebetteten Akteur. Der medienökonomische Akteur optimiert seine Handlung unter der Bedingung der begrenzten Rationalität unter Anwendung der von ihm ausgeprägten medialen sensorischen Ordnung und dem Einfluss der Regeln des Medialen. Der Mensch handelt aufgrund unvollständiger Information und begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten unter der Bedingung der Unsicherheit. Um diese Unsicherheit zu mindern, nutzt er eingeschränkt rational interne und externe Regeln. Interne und externe Regeln bleiben nicht statisch, sondern unterliegen einem permanenten Wandel, der von ökonomischen, aber auch von sozialen und kulturellen Einflussgrößen geprägt wird. Ökonomische Kernbegriffe, wie beispielsweise der Nutzenmaximierung, der Effizienz und auch der Rationalität, werden dadurch keineswegs obsolet. Sie werden lediglich in einen relationalen sozialen und kulturellen Kontext eingebettet. Der medienökonomische Mensch reagiert ideenreich und aktiv auf sein mediales Umfeld. Medienökonomische Akteure sind weder unbeeinflusst, noch vollständig von Medien determiniert. Sie folgen in der Anwendung technischer Medienfunktionen einem institutionellen Individualismus, welcher medienökonomische Handlungen durch institutionelle Medienfunktionen an die Vergangenheit bindet und die Gegenwart und die Zukunft durch die Ausprägung symbolischer Medienfunktionen beein607 flusst. Die Zielsetzung, welche ökonomische Akteure bei der
607 Das Verhältnis zwischen Menschen und Medien ist demnach keine Einbahnstrasse, in der ökonomische Akteure den von ihnen geschaffenen Technologien im dem Sinne ausgeliefert wären, wie es Marshall McLuhan durch seine Thesen implizierte. Der folgenden Sichtweise McLuhans müsste deshalb aus der hier vertretenen Sicht eine deutliche Absage erteilt werden, da sie ähnlich deterministisch ist, wie das neoklassische Weltbild: »Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfs.«
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DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹ Anwendung und Schaffung von Medien verfolgen, kann dabei unterschiedlichster Prägung sein, denn das ideenreiche und aktive ›Reagieren‹ auf Medien benötigt nicht die vollständige Kenntnis ihrer Wirkung, sondern lediglich Kenntnis der Regeln ihrer Anwendung. Diese medienökonomischen Verhaltensannahmen, welche im Kontext dieser Studie erarbeitet und hier thesenartig wiedergegeben wurden, bringen Implikationen für das eingangs beschriebene Projekt einer transdisziplinären Medienökonomie mit sich, welche abschließend als Ausblick für weitere Forschungen zusammengefasst werden.
3. Implikationen für die transdisziplinäre Medienökonomie Was steht am Ende dieser Bemühungen, medientheoretisches und ökonomisches Gedankengut für die Disziplin der Medienökonomie zusammen zu führen? Das übergeordnete Ergebnis dieser Arbeit verweist gemäß ihrer Anlage vorerst in Richtung beider hier zusammengeführter Disziplinen. 1. Wenn die (Medien-)Ökonomie zum Verständnis des Gegenstandes der Medien beitragen will, tut sie gut daran, Medien nicht nur in Form von Gütern und Dienstleistungen zu begreifen. Sie sollte ihre Aufmerksamkeit ebenfalls auf die Frage richten, welchen Einfluss die von einer Gesellschaft genutzten Medien auf die gesellschaftlichen Institutionen haben. Um dies zu tun, sollte sie sich darüber hinaus auch mit dem Einfluss von Medien auf die Wahrnehmung ökonomischer Akteure auseinandersetzen, da die Wahrnehmung von Akteuren, wie in Teil III beschrieben, die Grundlage institutioneller Entwicklung darstellt. Zumindest vom Standpunkt der hier ausgeführten Argumentation ist dieses Vorgehen für den Bereich der Medienökonomie geboten. 2. Wenn die Medientheorie an einem umfassenden Verständnis ihres Gegenstandes interessiert ist, wird sie nicht umher kommen, ökonomische Einflüsse auf die Entwicklung von Medien mit einzubeziehen. Medientheoretisches Interesse an ökonomischer Theorie endet häufig mit dem (oft indirekten) McLuhan, Marshall (1968): S. 37f. Dem grundlegenden Richtungswechsel im Denken über Medien, welches McLuhan einleitete, tut dies keinen Abbruch.
264
3. IMPLIKATIONEN FÜR DIE TRANSDISZIPLINÄRE MEDIENÖKONOMIE Verweis auf die Realitätsferne der traditionellen ökonomischen Verhaltensannahmen und den bereits in der Einleitung angesprochenen Widerspruch von kultureller und ökonomischer Produktion. Medientheorie wendet sich deshalb häufig mit dem Verweis auf die ›nicht-rationalen‹ oder ›unbewussten‹ Aspekte von Medien von ökonomischen Betrachtungen ab. Durch die Berücksichtigung des hier ausgeführten Rahmens aus institutionenökonomischer Theorie und deren kognitiver Erweiterung verliert diese medientheoretische ›Abneigung‹ gegen ökonomische Aspekte hoffentlich ein Teil ihres Bodens. Ein medientheoretische Ansatz der Medienökonomie, wie er in dieser Studie angelegt ist, macht die Arbeit von Medienökonomen, wie an mehreren Stellen der Argumentation ersichtlich wurde, auf der einen Seite deutlich komplexer. Auf der anderen Seite jedoch bietet er ein Framework, welches dazu beitragen kann, die technischen, institutionellen und symbolischen Zusammenhänge von Medien, auch in Hinblick auf soziale und kulturelle Zusammenhänge, vertieft zu untersuchen. Grundsätzlich kann für eine medienökonomische Perspektive, welche Medien nicht nur als Güter- und Dienstleistungen versteht, der Beitrag von Medien zum Ausbau institutioneller Strukturen nicht übersehen werden, beispielsweise in Form der elementaren Regelung einheitlicher Kommunikationsgrundlagen oder der konstitutionellen Informationsfreiheit in westlichen Gesellschaften. Ausgangspunkt der medienökonomischen Untersuchung darf innerhalb der medienökonomischen Betrachtung demnach nicht ›nur‹ der Mensch sein. Die bipolare Struktur dessen, was hier als ›Ordnung der Sinne‹ beschrieben wurde, das heißt, die durch Medien geschaffenen institutionellen Strukturen und Wahrnehmungsweisen, sollten in die medienökonomische Theorie mit eingeschlossen werden. Ein solcher medienökonomischer Ansatz, der Medien nicht nur als rational verwendete Mediengüter versteht, sondern seinen Blick auf die vollständige Bandbreite der medialen Schichten aus technischen, institutionellen und kognitiven Aspekten lenkt, kann hoffentlich nicht nur das Verständnis einer spezifischen Ökonomie der Medien verbessern, sondern ermöglicht auch die dargestellte diversifizierte Sichtweise auf den Gegenstand der Medien. Als weiterführendes Resultat dieser Betrachtungen treten dabei folgende Fragen besonders deutlich hervor:
265
DIE ORDNUNG DER SINNE: ELEMENTE EINES ›MEDIENÖKONOMISCHEN MENSCHEN‹ 1.
2.
Der Einfluss von medial geprägten sensorischen Ordnungen auf den Wandel von Institutionengefügen der Gesellschaft kann vertieft untersucht werden. Die Rolle der Medien in den kognitiven Aspekten des institutionellen Wandels, wie er von Douglass North beschrieben wurde, kann vertieft und ausgeführt werden. Dies scheint insbesondere in Gesellschaften, in welchen Medien einen immer größeren Beitrag zum täglichen Leben leisten, geboten. Die Medienökonomie kann bei dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen, da sich die allgemeinen Wirtschaftswissenschaften bisher wenig mit den eigentlichen Wirkungsweisen von Medien beschäftigt haben. Auch die transdisziplinäre Zusammenarbeit kann hierbei fruchtbar fortgesetzt werden. Die Aufschlüsse, welche der kognitive Institutionalismus in Hinsicht auf das Gebiet der Wahrnehmung bisher erarbeitet hat, sind sicherlich ergänzungsbedürftig und finden nicht nur innerhalb der kognitiven Wissenschaften wichtigen Anschlüsse, sondern beispielsweise auch in der Tradition der medienphilosophischen Wahrnehmungslehre. Medienökonomische Restriktionen und Handlungsmotivationen lassen sich vertieft betrachten. Zu den medienökonomischen Restriktionen gehören nicht nur monetäre Aspekte, sondern auch institutionelle. Insbesondere der Einfluss informeller Institutionen auf Medienanwendung und -gebrauch ist noch wenig erforscht. In dieser Hinsicht kann auf monetären Gewinn ausgerichtetes opportunistisches Verhalten sicherlich weiterhin im medienökonomischen Kontext Bestandteil von Analysen sein (z.B. bei der Betrachtung komplizierter immaterieller Eigentumsrechte), ist jedoch in vielerlei Hinsicht nicht mehr zur Betrachtung medienökonomischen Handelns ausreichend. Andere Handelnsmotivationen, wie beispielsweise kulturelles oder soziales Handeln, sind für eine medienökonomische Betrachtung aufgrund der Annahme eines medialen Habitus ebenso wichtig zu vertiefen. Die schwierige Quantifizierbarkeit von symbolischen Kosten muss deshalb thematisiert werden. Die Medienökonomie hat, im Gegensatz zur allgemeinen Ökonomie, wesentlich mehr Einsichten über ihren Gegenstand zu gewinnen, weshalb sich die Beschäftigung mit diesen Kapitalsorten für die Medienökonomie vielversprechender als für die allgemeine ökonomische Theorie darstellt. Anschlusspunkte für diese Thematik hat sicherlich die Soziologie, aber auch das Feld der Cultural Studies zu bieten.
266
3. IMPLIKATIONEN FÜR DIE TRANSDISZIPLINÄRE MEDIENÖKONOMIE 3.
Die Medienfunktionen in der Wirtschaftsgeschichte können neu betrachtet werden. Die hier vertretene Sichtweise, Medien als konstitutionelle Grundlage des unpersönlichen Tausches aufzufassen, erlaubt es, wirtschaftliche Entwicklungen unter dem Blickwinkel der ›Leitmedien‹ einer Epoche zu betrachten. Die von Harold Innis begonnene, in Teil I beschriebene Untersuchung der Medienfunktionen innerhalb der Wirtschaftsgeschichte kann aus medienhistorischer Perspektive aufgenommen und unter einem diversifizierterem Blickwinkel angelegt werden. Die Medienökonomie kann somit einen Beitrag leisten, um die Erkenntnisse über kulturelle und soziale Zusammenhänge von Medien und gesellschaftlichen Institutionen zu erhöhen. Einzelmedien können hierbei ebenso im Zentrum der Betrachtung stehen, wie beispielsweise auch von Medien beeinflusste Konzepte (wie das der Zeit und des Raums). Für diesen Themenkomplex bietet die Medienkulturwissenschaft ein breites Spektrum an medienökonomischen Anknüpfungspunkten.
Auch wenn einige dieser Fragen bereits im vorliegenden Buch angeklungen sind, so bedeutet dies nicht, dass die für die weitere Arbeit der Medienökonomie wichtigen Zusammenhänge zwischen Medientheorie und Ökonomik schon vollständig erschlossen wären oder hier abschließend dargestellt werden konnten. Aber zumindest weisen sie für eine Medienökonomie, die sich als transdisziplinäres Projekt versteht und Medien zu ihrem zentralen und einzigen Thema macht, in eine vielversprechende Richtung. Denn der anfänglich beschriebene Gegensatz in den Ausgangspunkten der Medientheorie und der ökonomischen Theorie, der sich durch die Auffassung von McLuhan über das Verhältnis von Menschen und Medien darlegte, stellt sich nun nicht mehr als unüberbrückbares Hindernis dar. Und obwohl diese Studie sicherlich nur ein Umriss der Landkarte ist, die das Gebiet verzeichnet, welches Medientheorie und Ökonomie zusammen ›bereisen‹ können, zeigt sie eines sicherlich sehr klar: Eine Menge Arbeit geschieht bereits, aber noch mehr Arbeit wartet auf die transdisziplinäre Disziplin der Medienökonomie. Wenn die nun beendeten Ausführungen zum Verhältnis von ökonomischem Menschen und Medialität einen strukturierten Rahmen für die weitere gemeinsame Reise bieten können, wäre das Ziel dieser Ausführungen erreicht.
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VERZEICHNISSE Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2:
Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5:
Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15:
Schichten des Medialen Theoriestränge der vorliegenden Untersuchung im Rahmen der Medienökonomie als transdisziplinärem Forschungsprogramm Technische Medienfunktionen Kombination von Marktgut und Zeit zu elementarem Medien-Gut Zweiteilung der Institutionen in Regeln bzw. Normen einerseits und korporative Gebilde andererseits Mikroanalyse der Institutionen als Regeln und Normen nach North Institutionen als echte Teilmenge der (nicht endlichen) Menge aller möglichen Erwartungen Institutionenhierarchie nach Richter und Furubotn Institutionenhierarchie nach North oder Williamson Ökonomische Akteure, allgemeine und mediale Spielregeln Institutionelle Medienfunktionen Individuelle Dispositionen gemäß der symbolischen Kapitalsorten nach Bourdieu Ablauf des institutionellen Wandels nach North Symbolische Medienfunktionen Mediale Prozesse im Modell des instit. Wandels nach North
27!
36! 86! 90!
117! 125! 130! 144! 145! 154! 167! 189! 204! 226! 243!
Weitere Abbildungen Die künstlerischen Arbeiten, die sich auf den Titelblättern der einzelnen Teile dieses Buches befinden, wurden freundlicherweise von Frau Stefanie Gliesche von der Universität der Künste in Berlin für diese Arbeit entwickelt und zur Verfügung gestellt.
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DIE ORDNUNG DER SINNE
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Tabelle 2:
Elementare konstitutionelle und operationelle Regeln in einer liberalen Privateigentumswirtschaft 143! Medienfunktionen und ökonomische Verhaltensannahmen 261
Verzeichnis der Anfangszitate Anfang:
Teil I:
Teil II: Teil III:
»Ein Physiker...« zitiert nach den Webseiten der Hayek Gesellschaft, http://www.hayek.de/frames/ biographie.html [Stand: Herbst 2004] »economic man...« zitiert nach Brockway, George P. (2001): S. 9 »Fabelwesen...« zitiert nach Bretzke, Wolf-Rüdiger (1983): S. 28 »Denn es ist noch nie ...« zitiert nach McLuhan, Marshall (1968): S. 489 »Neues entsteht dann...« zitiert nach LehmannWaffenschmidt, Marco (1995): S. 112
Alle Anmerkungen und Ergänzungen von Zitaten in eckigen Klammern ([]) sind, wenn nicht anders vermerkt, vom Autor hinzugefügt.
270
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Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung Oktober 2006, ca. 225 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-591-X
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Helga Lutz, Jan-Friedrich Mißfelder, Tilo Renz (Hg.) Äpfel und Birnen Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften August 2006, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-498-0
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Michael Treutler Die Ordnung der Sinne Zu den Grundlagen eines ›medienökonomischen Menschen‹ Juli 2006, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-514-6
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