Was jeder Deutsche vom Grenz und Auslandsdeutschtum wissen muß [7. Aufl. Reprint 2019] 9783486769128, 9783486769111

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German Pages 205 [208] Year 1934

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erster Teil. Das deutsche Sprachgebiet
Zweiter Teil. Die deutschen außerhalb -des geschlossenen Sprachgebietes
Schluß
Zahlen-Literatur
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Was jeder Deutsche vom Grenz und Auslandsdeutschtum wissen muß [7. Aufl. Reprint 2019]
 9783486769128, 9783486769111

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Was jeder Deutsche vom Grenz- und Auslanddeutschtum wissen muß von

Dr. Gottfried Fittbogm Mit drei Karten im Text

Siebente erweiterte Auflage

München und Berlin 1934 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Volksdienst ist Gottesdienst.

/tue dem Vorwort zur ersten Auflage. Die vorliegende Schrift ist aus der Zusammenarbeit mit dem Verein für das Deutschtum im Ausland hervorgewachsen, speziell aus dem Streben, das unmittelbare Zusammengehörigkeitsgefühl zum Gemeingut aller Deutschen, ohne Ansehen der Staatsgrenzen, zu machen......... Die Darstellung weist notgedrungen manche Lücke auf. Richt nur über die in Ungarn jetzt angeblich bestehenden Schulen mit deutscher Unterrichtssprache, auch über manche anderen wichtigen Dinge war nichts Sicheres in Erfahrung zu bringen. Dabei scheint fast die Regel zu gelten: je näher uns ein Gebiet liegt, um so schwieriger ist es, darüber zuverlässige Nachrichten zu erhalten. Ergän­ zungen, namentlich von Auslanddeutschen selbst, sind daher sehr willkommen. Berlin, 30. August 1923.

Vorwort zur siebenten Auflage. Zehn Jahre lang hat diese Schrift still und unverdrossen dem Volksge­ danken gedient. Seit 1933 hat sich der Volksgedanke auch unter den Binnen­ deutschen mächtig durchgesetzt. So bedarf eine Schrift wie die vorliegende heute keiner Begründung und Rechtfertigung mehr. Sie ist nur noch notwendiger geworden. Denn mit dem Erwachen des Volksbewußtseins ist dem Binnen­ deutschen nicht ohne weiteres auch die Fähigkeit gegeben, sich in die besondere Lage des Auslanddeutschen hineinzudenken und hineinzufühlen. In neuer Bearbeitung und starker Erweiterung (die Entwicklung der letzten Jahre machte das nötig) setzt sie ihren alten Dienst fort. Wie bei den früheren Auflagen bin ich auch jetzt wieder vielen Gewährs­ männern zu Dank verpflichtet. Sie alle zu nennen, ist unmöglich; so müssen alle ungenannt bleiben. Berlin, Ende Mai 1934. Dr. 6. Zittbogen

Inhaltsverzeichnis. Einleitung. 1. Die Stellung zum eigenen Volk........................................................................... 2. Zersplitterung und Volksgemeinschaft.................................................................. 3. Gliederung des Stoffes...........................................................................................

Seite i 3 4

Erster Teil. Das deutsche Sprachgebiet. I. Oie unveränderten Gruppen.............................................................. 5 — 14 1. Liechtenstein........................................................................................................ 5 2. Die Schweiz........................................................................................................ 6 3. Luxemburg............................................................................................................ 8 4. Alt-Belgien............................................................................................................ 11 II. Die von Deutschland abgetretenen Gebiete.....................................14—54 1. Elsaß-Lothringen.....................................................................................................14 2. Cupen-Malmedy................................................................................................... 25 2b. Kelmis........................................................................................................................ 29 3. Nordschleswig...........................................................................................................29 4. Die Freie Stadt Danzig ................................................................................31 5. Memelgebiet............................................................................................................. 34 6. An Polen verlorenes Gebiet................................................................................40 Posen-Westpreußen............................................................................................ 40 Ost-Oberschleflen................................................................................................ 48 7. Hultschiner Ländchen ............................................................................................ 51 III. Der Anteil der Nachfolgestaaten Österreichs und Ungarns am deutschen Sprachgebiet............................................................................... 54—79 A. Das alte Österreich............................................................................................ 54 1. Bis 1918.....................................................................................................54 2. Die Auflösung Österreichs ....................................................................56 B. Die Nachfolgestaaten........................................................................................ 58 1. Deutschösterreich........................................................................................ 58 Der neue Staat.................................................................................... 58 Die abgetretenen Gebiete................................................................... 60 2. Tschechoslowakei........................................................................................61 Sudetenländer........................................................................................ 61 Slowakei.................................................................................................67 Karpathenrußland................................................................................72 3. Italien.........................................................................................................72 Kanal-Tal.................................................................. 72 Südtirol................................................................................................ 74 Alt-Italien....................................................................................... 7 9

Seite

Zweiter Teil. Die deutschen außerhalb -es geschloffenen Sprachgebietes. A. Europa. Vorbemerkung: Kolonisation................................................................... 8c> I. Die Nachfolgestaaten Österreichs und Ungarns............ 82—120 1. Ungarn....................................................................................... 82 2. Südslawien................................................................................... 88 Slowenien................................................................................ 90 Wojwodina............................................................................. 93 Kroatien-Slawonien................................................................... 95 Bosnien....................................................................................95 Gemeinsames......................................................................... 9 7 3. Rumänien....................................................................................98 Siebenbürger Sachsen................................................................ 99 Banater Schwaben.................................................................. 103 Bukowina............................................................................... 108 Bessarabien...............................................................................m Sathmarer Schwaben.............................................................. 115 Dobrudscha............................................................................... 117 Städtische Kolonien inAltrumänien............................................ 118 Gemeinsames........................................................................... 118 II. Die Nachfolgestaaten Rußlands........................................121 —159 1. Estland und Lettland..................................................................121 a) Die baltischen Provinzenbis 1918............................................ 121 b) Die nationalen Staaten........................................................... 124 Estland...............................................................................124 Lettland............................................................................... 127 2. Sowjet-Rußland........................................................................ 130 Die Deutschen an der Wolga...................................................... 131 Die deutschen Kolonisten imSchwarzmeergebiet............................137 Ukrainisch-Wolhynien.............................................................. 141 Kleinere Gruppen..................................................................... 144 3. Polen.........................................................................................145 Kongreßpolen............................................................................146 Polnisch-Wolhynien..................................................................148 Teschener Gebiet..................................................................... 150 Galizien.................................................................................. 151 Gemeinsames............................................................................154 4. Litauen..................................................................................... 155 B. Die außereuropäischen Erdteile. Vorbemerkung: Auswanderung........................................................... 159 I. Nord-Amerika.................................................................... 160—168 1. Die Vereinigten Staaten vonAmerika ........................................... 160 2. Kanada..................................................................................... 167 II. Süd-Amerika................................................................................. 168 1. Brasilien..................................................................................... 168

Seite

Rio Grande do Sul.................................................................................. 169 Santa Catharina...................................................................................... 173 Die übrigen Staaten Brasiliens.............................................................. 175 2. Chile........................................................................................................ 177 z. Argentinien.............................................................................................179 4. Das übrige Südamerika.........................................................................181 III. Afrika ..............................................................................................................182 Vorbemerkung (Algerien)..................................................................................182 1. Südafrikanische Union..............................................................................183 2. Südwestafrika..............................................................................................185 IV. Asien................................................................................................................. 188 Palästina (Die Templer)..........................................................................188 V. Australien ..................................................................................................... 190 Schluß...................................................................................................................... Zahlen-Literatur..................................................................................................

192 I93_I9g

Einleitung.

1. Die Stellung zum eigenen Volk. Vor dem Kriege haben wir unsere Volksgenossen im Ausland sträflich ver­ nachlässigt. Daß das anders werden muß, zumal da seit unserer Niederlage im Weltkrieg die Zahl der Deutschen, die außerhalb des Deutschen Reiches leben, um viele Millionen gewachsen ist, ist selbstverständlich. Heute ist es Pflicht eines jeden Bürgers, über die Volksgenossen außer­ halb der Reichsgrenzen Bescheid zu wissen, und die heranwachsende Generation muß schon in die Kenntnis dieser Dinge hineinwachsen. Aber welche innere Stellung sollen wir ihnen gegenüber einnehmen? Wir Deutschen, das hat unsere Geschichte mit sich gebracht, sind auf viele Staaten verteilt. Aber in welchem Staat wir auch leben, so sind wir doch Deutsche. Die Staatszugehörigkeit hebt die Volkszugehörigkeit nicht auf. Die Auslanddeutschen sind Glieder unseres Volkes, also stehen wir ihnen mit denselben Empfindungen gegenüber wie dem deutschen Volke selbst. Was treibt uns nun, für unser Volk zu arbeiten? Der Stolz auf dies Volk, das so viel Tüchtiges in sich birgt und so viel Großes geleistet hat? Oder was sonst? Es laufen hier in unserem Volk zwei Strömungen nebeneinander her. Am klarsten treten sie in unserer nationalen Dichtung in die Erscheinung, weil die Dichtung der reinste Ausdruck unseres Empfindens ist. Die eine beginnt mit Klopstock^). In seinem „Vaterlandslied" (aus dem Jahre 1770), um nur eins seiner bekanntesten und einfachsten Gedichte zu nennen, läßt er die junge Deutsche, der er die Verse in den Mund legt, sagen: Ich bin ein deutsches Mädchen! Mein Aug' ist blau und sanft mein Blick; Ich hab' ein Herz, Das edel ist und stolz und gut.

Und so fort. Was ist das? Das heißt: sich seiner selbst rühmen. Die Selbst­ beweihräucherung, die in Klopstocks Leben eine so große Rolle spielt (wurde doch im Klopstockschen Kreise das alte ehrliche Sprichwort vom Eigenlob umgefälscht zu dem Wort: Eigenlob duftet wie Morgentau!), wird von ihm auch in der vaterländischen Dichtung zum Prinzip erhoben. Seine Göttinger Jünger folgten ihm hierin blindlings. Und daß Klopstock bis in die jüngste Vergangenheit hinein eifrige Nachfolger gefunden hat, bedarf keines Beweises. x) Vgl. meinen Aufsatz: Klopstock der Patriot und Revolutionär (Deutsche Rundschau, Februar 1916, besonders S. 203, 201). Fittbogen, Auslanddeutschtum.

I

Aber ist das wirklich die richtige Stellung zum eigenen Volke? Fallen wir dabei nicht rettungslos der Selbsttäuschung anheim, daß wir das Ideal, das wir von unserem Volk im Herzen tragen, mit dem empirischen Volk verwechseln, dem doch vielleicht allerlei Erdenreste anhaften? Ziehen wir auf diese Weise nicht Pharisäer heran, die mit ungleichem Maße messen und die unvollkommene Wirklichkeit bei andern Völkern immer mit der doch nur in der Idee vorhandenen Vollkommenheit bei dem eigenen Volke vergleichen — jenes furchtbare Geschlecht von Patrioten, mit denen in ihrer Blindheit nichts anzufangen ist. Und wenn wir sehend sind, können wir dann wirklich uneingeschränkt stolz auf unser Volk sein? Aber andererseits: würden wir, selbst wenn wir uns seiner schämen müßten, aufhören, für unser Volk zu arbeiten? Müßten wir uns nicht um so eifriger und rückhaltloser in seinen Dienst stellen? Also mit dem Stolz allein kann es nicht getan sein. Es gibt allerdings etwas, das dem Stolz überlegen ist: schlichter, demütiger und stärker. Was das ist, erfahren wir von Heinrich von Steift1). In seinem „Katechismus der Deutschen, abgefaßt nach dem Spanischen", den er schrieb in der Zeit der tiefen Erniedrigung Preußens, von der wir einst glaubten, daß sie nie wiederkehren, geschweige denn überboten werden könne, — in diesem Kate­ chismus erteilt Kleist Unterricht über die wahre Stellung zum Vaterland, und was er vom Vaterland sagt, gilt genau ebenso vom Volke. Was also sagt Kleist da von den Vorzügen und Leistungen unseres Vaterlandes, auf die wir stolz sein dürfen? Frage: Du liebst dein Vaterland, nicht wahr, mein Sohn? Antwort: Ja, mein Vater, da tu ich. Frage: Warum liebst du es? Antwort: Weil es mein Vaterland ist. Frage: Du meinst, weil Gott es gesegnet hat mit vielen Früchten, weil viele schöne Werke der Kunst es schmücken, weil Helden, Staatsmänner und Weise, deren Namen an­ zuführen kein Ende ist, es verherrlicht haben? Antwort: Nein, mein Vater; du verführst mich. Frage: Ich verführe dich? Antwort: — Denn Rom und das ägyptische Delta sind, wie du mich gelehrt hast, mit Früchten und schönen Werken der Kunst und allem, was groß und herrlich sein mag, weit mehr gesegnet als Deutschland. Gleichwohl, wenn deines Sohnes Schicksal wollte, daß er darin leben sollte, würde er sich traurig fühlen und es nimmermehr so lieb haben wie jetzt Deutschland. Frage: Warum also liebst du Deutschland? Antwort: Mein Vater, ich habe es dir schon gesagt! Frage: Du hättest es mir schon gesagt? Antwort: Weil es mein Vaterland ist. H Vgl. meinen Aufsatz: Heinrich von Kleists vaterländische Dichtung (Deutsche Rundschau, Juli/August 1917).

Wie mit dem Vaterland, so ist es mit dem Volk. Ihm gegenüber hört alles Hervorsuchen seiner Vorzüge, alles Rühmen, aller Stolz auf. Wir lieben es aus keinem andern Grunde, als weil es unser Volk ist. Diese Liebe ist einfach da, ste ist ein Urphänomen. Sie macht nicht viel Wesens von sich, sie liebt keine geräuschvollen Worte. Hier scheiden sich die Wege. Der Weg Klopstocks ist ein Irrweg, Kleist nennt ihn geradezu Verführung. Nur der Weg Kleists führt zum Ziel. Wem wir zu folgen haben, ist keine Frage. Aber der Weg Kleists fordert von uns allen, vor allem von jedem Jugend-- und Volkserzieher, strenge Selbstkritik. Mit der richtigen Stellung zum eigenen Volk haben wir auch die richtige Stellung zu den Auslanddeutschen gewonnen. Sie sind unseres Blutes. Des­ wegen — irgendwelcher anderer Erwägungen bedarf es dazu nicht — gehen sie uns näher an als alle übrigen Menschen auf Erden. Daß das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Deutschen auf der Erde bereits kräftig entwickelt wäre, dies anzunehmen, wäre eine schädliche Illusion. Bei der ungeheuren Zersplitterung der Deutschen ist hier noch das Meiste zu tun. Hier gilt es, ungesäumt Hand anzulegen.

2. Zersplitterung unö Volksgemeinschaft. Wer die Äste eines Baumes betrachten will, darf den Stamm nicht außer acht lassen; wer die Zweige eines Volkes kennenlernen will, muß vom Stamm­ volk ausgehen. Die Geschichte unseres Gesamtvolkes zu zeichnen, ist hier nicht der Ort. Aber zwei Entwicklungslinien sind zu beachten: die weitgehende Zersplitterung auf der einen, das erwachende Volksbewußtsein auf der anderen Seite. Die Zersplitterung, die Auseinanderentwicklung der Teile beginnt schon im Mittelalter. Die Balten, die Siebenbürger Sachsen, die Zipser Deut­ schen suchen sich Wohnsitze außerhalb des geschloffenen deutschen Sprachgebiets. Aber auch auf dem deutschen Volksboden selbst kann das Volk, als die Ohn­ macht des Dreißigjährigen Krieges es befällt, seine Kinder nicht festhalten. Die Niederländer sondern sich ab und entwickeln sich zu einem eigenen Volk; die Schweizer gehen wenigstens staatlich ihre eigenen Wege und fühlen sich in der Abgeschlossenheit ihrer Berge den anderen Deutschen wenig verbunden; die Deutschen der habsburgischen Länder werden mehr und mehr von einem eigenen Staatsbewußtsein erfüllt. Hunderttausende, Millionen gehen übers Meer. Was kümmert sie ihr Volk? Nur für ihre eigene Person suchen sie ein besseres Fortkommen. Dann kommt der Weltkrieg. An seinem Ende reißen die Gegner viele Stücke aus dem deutschen Volkskörper heraus, um ihn zu schwächen. Die politische Zerstückelung steigt ins Ungemessene. Aber neben dieser Entwicklung gibt es noch eine andere: von innen her, aus dem Schoße des Volkes, erhebt sich das Volksbewußtsein, erblüht das

Gefühl der Zusammengehörigkeit. Mit Herder, dem Propheten des Volkstums, und der Romantik beginnt es. Auch die Gegner müssen ihm dienen: im Kampf gegen Napoleon I. wie gegen Napoleon III. ist es erstarkt; selbst der Weltkrieg mußte es fördern. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Krieg und Zusammen­ bruch haben den Durchbruch des Volksgedankens vorbereitet, das Jahr 1933 hat ihn bei den Binnendeutschen mächtig gefördert. So kann sich, was äußerlich getrennt ist, doch als innerlich zusammen­ gehörig empfinden.

3. Gliederung des Stoffes. Die Gliederung des Stoffes ergibt sich zwangsläufig aus der geogra­ phischen Situation. Die deutschen Volksteile außerhalb des Deutschen Reiches, die wir zu behandeln haben, wohnen teils noch im geschlossenen deutschen Sprach­ gebiet, teils außerhalb desselben. Darnach ergeben sich für unsere Darstellung die beiden Hauptteile: wir betrachten die Deutschen außerhalb des Reiches 1. im geschlossenen Sprachgebiet, 2. außerhalb des geschlossenen Sprachgebiets. Innerhalb dieser beiden tzauptgruppen gliedern sich die Deutschen am ein­ fachsten nach ihrer staatlichen Zugehörigkeit. Außer diesen bodenständigen Deutschen gibt es noch Deutsche, die — längere oder kürzere Zeit — im Ausland leben, namentlich in den großen Handels­ städten. Hier schließen sie sich zu Handels- und Gewerbekolonien zusammen, vorherrschend Reichsdeutsche, aber auch Hsterreicher, Schweizerdeutsche und andere. In London, Konstantinopel, Schanghai, Tokio usw. Sie haben besondere Be­ deutung als wirtschaftliche Stützpunkte; daß sie zu uns gehören, ist selbstver­ ständlich. Aber sie sind nicht mit dem Boden verwachsen, sie sind kein „geo­ graphischer Faktor", darum lassen wir sie außerhalb des Rahmens unserer Betrachtung. Praktisch gibt es natürlich zwischen den Angehörigen der deutschen Volks­ gruppen im Ausland und den Angehörigen der deutschen Handels- und Ge­ werbekolonien mannigfache Abstufungen und Übergänge; der grundsätzliche Unterschied aber zwischen beiden ist deutlich. Den deutschen Volksgruppen wenden wir uns nun zu.

Erster Teil.

Das -rutsche Sprachgebiet. I. Die unveränderten Gruppen. Die deutschen Gruppen im Westen und Südwesten des deutschen Sprach­ gebietes, die schon längst ihre eigenen Wege gegangen waren- sind von den Umwälzungen im Gefolge des Weltkrieges nicht direkt betroffen worden. Es sind das die Deutschen in Liechtenstein, in der Schweiz, im Großherzogtum Luxemburg, in Alt-Belgien. Doch ist ihre Lage sehr verschieden. Liechtenstein, auf allen Seiten von deutschem Sprachgebiet umgeben, ist in seinem Volkstum in keiner Weise gefährdet. Die anderen Teile des deutschen Volksbodens aber liegen sämtlich an der Sprachgrenze, und zwar an der französisch-wallonischen Sprachgrenze. In ihnen allen tritt der Gegensatz des französischen Volkstums gegen das deutsche in die Erscheinung. Es ist der Gegensatz, der Elsaß-Lothringen beherrscht, der sich inner­ halb Belgiens in dem Ringen zwischen Wallonen und Flamen in anderer Weise fortsetzt und der auch das kulturelle Leben der Luxemburger bestimmt. Alle diese deutschen Volksgruppen sind gewissen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einflüssen von Westen her ausgesetzt, die sich im einzelnen in sehr verschiedener Weise geltend machen und zu sehr verschiedenen Erscheinungen führen. An der Südgrenze der Schweiz tritt dazu noch die Berührung mit dem italienischen Volk. 1. Liechtenstein. 157 qkm; 1910: 10716, 1921: 11565, 1930: 10213 Einwohner. Der Rückgang der Bevölkerung um 10% in den letzten 10 Jahren ist nur scheinbar. Bis 1921 wurden auch die im Ausland lebenden Liechtensteiner mitgezählt, 1930 geschah das nicht mehr; es wurden nur die wirklich im Lande wohnenden Personen gezählt.

Das Fürstentum Liechtenstein ist ein lebendig gebliebenes Stück des alten Deutschen Reiches. Sein Gebiet ist aus zwei noch kleineren Territorien, der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, zusammengewachsen. Nach­ dem das in den österreichischen Ländern reichbegüterte fürstliche Haus Liechten­ stein beide Teilgebiete aus Gründen der Familienpolitik angekauft hatte, wurde das vereinigte Gebiet zu einem unmittelbaren Reichsfürstentum unter dem Namen seiner neuen Herren erhoben (1719). Einer der kleinen Territorialstaaten,

wie sie im alten Reich so zahlreich waren, fiel es nach dessen Auflösung (1806) aus dem größeren Ganzen heraus und wurde dadurch souverän. Die bei seiner Kleinheit nötige Anlehnung fand es — unbeschadet seiner Souveränität — bei Österreich. Im Weltkrieg blieb es neutral, hatte aber infolge des Zoll­ anschlusses als Teil des österreichischen Wirtschaftsgebietes unter derselben Not und denselben Entbehrungen zu leiden wie Österreich selbst. Das führte zu einer Entfremdung. Nach dem Kriege löste daher Liechtenstein — abgesehen von gewissen Be­ ziehungen in der Rechtspflege und im Eisenbahnwesen — sein Verhältnis zu Hsterreich und orientierte sich nach Westen: es führte die Schweizer Währung ein (1920), übertrug die Verwaltung des Post-, Telegraphen- und Telephon­ dienstes der Schweiz, vollzog endlich (am 1.1.1924) den Zollanschluß und wurde dadurch — unbeschadet seiner Souveränität — ein Teil des Schweizer Wirt­ schaftsgebietes. Kirchlich gehört es schon seit der Einführung des Christentums ohne Unter­ brechung zum Bistum Chur; doch bildet es innerhalb desselben einen eigenen Bezirk (Vikariat), der einem der liechtensteinischen Geistlichkeit angehörenden Landesvikar untersteht. Der Volkszugehörigkeit und Kultur nach ist es rein deutsch, der Stammes­ zugehörigkeit nach alemannisch. (Die Mundart gehört zur südalemannischen Gruppe, innerhalb derselben zum östlichen Mittelalemannischen.)

2. die Schweiz. Muttersprache Ober­ fläche qkm

Gesamt­ zahl

absolute Zahlen deutsch

franz.

Italien.

roman.

Prozentzahlen andere

d.

statt;

ital. rom. and.

rös. 3753293 2594186 7 93 264

302 578 40234 23 031 69,1 21,1 8,1 i/i 0,6

1920 41295 3880320 2750622 824 320

238 544 42 940 23 894 70,9 21,3 6,1 i/i 0,6

4066400 2924314 821100

241985 44 204 24 797 7i/9 20,4 6,0 i/i 0,6

1910

1930

Hat die Schweiz in und nach dem Weltkrieg auch äußerlich keine Änderung erlitten, so ist ihre Stellung doch tatsächlich nicht dieselbe geblieben. Sie hat ihre traditionelle Neutralitätspolitik aufgegeben, die ihr gestattete, im Kriegs­ fälle vollkommen, d. h. politisch, militärisch und wirtschaftlich neutral zu bleiben. Nach dem Eintritt in die Societe des Nations ist ihr nur die sog. differenzierte Neutralität, die keine volle Neutralität mehr ist, geblieben, d. h. sie muß sich am Kriege gegen einen Feind der Gesellschaft der Nationen mit wirtschaft­ lichen Maßnahmen beteiligen, nur die militärische Mitwirkung ist ihr erlassen.

Das Charakteristische für die innere Struktur der Schweiz ist ihre Dreisprachigkeit. Seit alters wohnen die Deutschen mit Welschen (so nennen sie die französisch sprechenden Schweizer), Italienern und einer geringen Anzahl von Rhätoromanen in demselben Staatswesen. Das Staatsbewußtsein einigt hier die Angehörigen von drei (oder vier) Völkern. Die verschiedenen Sprachgebiete sind im Wesentlichen klar voreinander geschieden. Auf ihrem Boden kann jede Nationalität ihr Volkstum pflegen. Und dies eben ist das Eigentümliche der Schweiz, daß auf ihrem Boden die verschiedenen „Volkstümer" ungehindert gedeihen und sich miteinander vertragen. Die Mehrsprachigkeit der Schweiz gilt nur für den Gesamtstaat, die Eidgenossen­ schaft, nicht für das Individuum, auch nicht für die Kantone. Die meisten Kan­ tone sind nämlich einsprachig; das ist um so wichtiger, als gerade die kultu­ rellen Angelegenheiten (Kirche und Schule) Sache der einzelnen Kantone und nicht des Bundes sind. Nicht weniger als 21 von den 25 Kantonen sind ein­ sprachig: 17 deutschsprachig, 3 französischsprachig (Genf, Neuenburg, Waadt), i italienischsprachig (Tessin); nur 4 sind gemischt, und zwar: 3 deutsch und fran­ zösisch (Bern, Wallis, Freiburg), einer deutsch, italienisch und rhätoromanisch (Graubünden). Der bundesstaatliche Aufbau der Schweiz begünstigt also die friedliche Entwicklung des Volkstums: tatsächlich leben die meisten Schweizer eben doch in den wichtigsten Lebensbeziehungen im einsprachigen Staat. Der einzelne Schweizer ist einsprachig. Nur eine Sprache ist seine Muttersprache. Und wenn mancher daneben auch eine der anderen Landessprachen mehr oder minder beherrscht, so bleibt sie für ihn doch Fremdsprache. Es gibt keinen Schweizer schlechthin, es gibt immer nur einen deutschen, welschen, italienischen, rhätoromanischen Schweizer. Im Schweizer prägt sich also immer ein bestimmtes Volkstum aus, natürlich im Rahmen des schweizerischen Staates. Diese Auffassung tritt auch in der Statistik zutage. Die schweizerische Statistik macht nicht den Versuch, eine doppelte Muttersprache zu konstruieren oder nach der Sprache, die man „am liebsten" spricht, zu fragen, sie macht auch nicht den Versuch, indem sie — wie in Belgien — nach den Sprachkenntnissen fragt, für die Verbreitung einer bestimmten Sprache Propaganda zu machen; sie teilt klar und einfach jeden Schweizer einer bestimmten Sprache als seiner Muttersprache zu. Allerdings sind in der Haltung der verschiedenen Volksgruppen Nuancen wahrzunehmen. Die deutschen Schweizer sind nicht nur der Zahl nach am stärk­ sten, sie haben auch die größte geschichtliche Bedeutung für die Schweiz; denn sie haben die Eidgenossenschaft gegründet. Sie sind auch heute noch die eigent­ lichen Träger des Staates. Dem Staatsgedanken sind nicht wenige deutsche Schweizer sogar bereit das Volkstum zu opfern. Wenn Deutsche verwelschen, begnügen sie sich mit dem Trost, daß sie ja auch, wenn sie zum französischen Volkstum übergegangen sind, doch immerhin Schweizer bleiben. Stärker ist das Volksbewußtsein bei den italienischen und namentlich den welschen Schwei­ zern entwickelt.

3. Luxemburg. 2586 qkm. davon Fremde Jahr

völkerung

1910 1922 1930

davon

Be­

259 891 260767 299 993

absolut

39723

33 436 55 831

0/ /o

15,28 12,82 18,61

Reichs­ deutsche

21 762 15 501 22 948

Italiener

10 138 6 170 14 050

Franzosen

Belgier

2 103

3 964 3 695 4 080

4 335

4 669

Für die Beziehungen Luxemburgs zu den drei Nachbarländern ist auch nicht ohne Bedeutung die Zahl der dort lebenden Luxemburger; es lebten in Deutschland 1925: 2578, „ Belgien 1930: 9726, „ Frankreich 1926: 28270 Luxemburger.

Bis 1839. Das Großherzogtum Luxemburg ist wie das Fürstentum Liechtenstein ein souverän gewordenes Stück des alten Deutschen Reiches. Aber während dies nie volksfremden Einflüssen ausgesetzt war, sind in Luxemburg seit Jahrhun­ derten französische und wallonische Einflüsse wirksam. Luxemburg ist ein natur­ haft deutsches Land mit französischer Staatssprache. Das heutige Luxemburg, dessen Geschichte mit dem Jahre 1839 (Londoner Kongreß) beginnt, gehört ganz und gar zum deutschen Sprachgebiet. (Die beiden Dörfer Doncols und Söller, die 1839 wallonisch waren, haben inzwischen die deutsche Sprache angenommen.) Aber das frühere Luxemburg war mehr als zur Hälfte wallonisch, dazu machten sich schon früh von Frankreich her kulturelle und politische Einflüsse geltend. Das heutige Luxemburg ist daher in seiner Eigentümlichkeit nicht zu verstehen ohne seine 600jährige Vorgeschichte, die innere wie die äußere. Die grundlegende Tatsache der inneren Geschichte des Landes ist, daß es seit alten Zeiten, mindestens aber seit der Regierung der großen Gräfin Ermefinde (1196—1247), doppelsprachig war. Dem deutschen Kern des Landes wurde das westlich angrenzende wallonische Gebiet hinzugefügt. Das Grafengeschlecht, unter dem Luxemburg seine Glanzzeit erlebte und das in mehreren Herrschern den Thron des Deutschen Reiches bestieg, stammte aus der Wallonei: die deut­ schen Kaiser Heinrich VII. und Karl IV. sind französisch erzogen. Bevorzugten aber die angestammten Herrscher französisches Wesen, so konnte es nicht aus­ bleiben, daß ein Teil des Adels ihrem Beispiel folgte. War auch das Land in zwei Verwaltungsbezirke — das deutsche und das wallonische „Quartier" — geschieden, so hatte in der Gesamtverwaltung doch das Französische das Über­ gewicht. Dies Übergewicht behielt es sechshundert Jahre lang.

Verstärkt wurde es noch durch die äußeren Schicksale des Landes. Mit dem Aussterben der luxemburgischen Kaiser nämlich verlor Luxemburg vielleicht nicht seine formale, wohl aber seine faktische Selbständigkeit (als Territorialstaat im Rahmen des Deutschen Reiches). Faktisch wurde es ein Anhängsel eines größeren Landkomplexes. Dies Gebiet aber wurde immer französisch verwaltet, sowohl Burgund, das als Zwischenreich zwischen Frankreich und Deutschland in die Höhe zu kommen suchte, wie auch die spanischen und die österreichischen Niederlande'). Das „deutsche Quartier" des Herzogtums Luxemburg bedeutete in all dieser Zeit sehr wenig. Schließlich wurde das Land gar von Frankreich annektiert, zu einer bloßen Provinz gemacht und sogar seines Namens beraubt (departement des forets). Nach fünfzehn Jahren holländischer Fremdherrschaft wurde es in die belgische Revolution hineingezogen und einige Jahre zum grc; ßeren Teil — nur die Hauptstadt mit ihrer Umgebung blieb unangetastet im Be­ sitz des rechtmäßigen Herrschers — von Belgien aus in französischer Sprache ver­ waltet. Der deutsche Teil des Großherzogtums (diesen Titel führt das Land seit dem Wiener Kongreß 1815) unterlag also seit 600 Jahren starken inneren, seit 400 Jahren auch starken äußeren französisch-wallonischen Einflüssen. Von 1839 bis zum Weltkrieg. Die belgische Revolution führte nun zwar zu einer Trennung der beiden „Quartiere". Der Londoner Kongreß sprach den wallonischen Teil des Landes (nebst einem Streifen deutschen Sprachgebietes) Belgien zu und machte den deutschen Rest, der bisher widerrechtlich als holländische Provinz verwaltet war, zu einem wirklichen Staatswesen. Aber dieser neue naturhaft deutsche Staat konstituierte sich nicht auf Grund seines physischen Zustandes, sondern auf Grund seiner Geschichte. Die Tradition der zweisprachigen Zeit nahm es in die ein­ sprachige Zeit hinüber. Französisch blieb die Staatssprache; der Code de Napo­ leon, der in der französischen Zeit eingeführt war, blieb die Grundlage des Rechtslebens, und der französischen Sprache wurde in den luxemburgischen Schulen eine intensive Pflege zuteil. Das Ideal der Zweisprachigkeit spielt, nament­ lich bei den Gebildeten, eine große Rolle. Dieser starke Einschlag französischer Kultur darf aber nicht darüber hinweg­ täuschen, daß die luxemburgische Kultur von unten her, aus der Wurzel, deutsch ist. Deutsch ist nicht nur der — über alles geliebte — Dialekt, deutsch ist auch die Sprache der Volksschule, der Kirche und der Presse. Auch im Parlament kann jeder Abgeordnete sich der deutschen Sprache bedienen. Unter der schweren Geschichte, die Luxemburg durchzumachen hatte, konnte sich kein klares Volksbewußtsein bilden. Bis 1839 war das schlechthin unmög­ lich; denn die Bewohner gehörten zwei verschiedenen Völkern an. Auch nach ') Luxemburg gehörte zu Burgund von 1443 bis 1506, zu Spanien von 1507 bis 1714, zu den österreichischen Niederlanden von 1715 bis 1795, zu Frankreich von 1795 bis 1814, und früher schon war es einmal unter Ludwig X IV. vorübergehend besetzt, 1684 bis 1697.

1839 waren die Umstände dafür nicht günstig. Was sich entwickelte, war ein Stammesbewußtsein, kein Volksbewußtsein. Man war froh, nun endlich einmal unter sich zu sein. Luxemburg gehörte endlich den Luxemburgern. Auf dem Boden der neuen Eigenstaatlichkeit begann ein luxemburgisches Selbstbewußtsein zu erwachsen. Es beruht auf einer starken Heimatliebe und einem ebenso starken Stammes­ bewußtsein. Sein äußeres Kennzeichen ist der Gebrauch des Dialekts, der alle Luxemburger ohne Unterschied der sozialen und politischen Stellung einigt. „Luxemburger ist, wer die Luxemburger Sprache redet." Danach aber, welchem Volk der Volksstamm, dem er mit Leib und Seele ergeben ist, angehört, fragt der Luxemburger in der Regel nicht. Am liebsten sähe mancher es vielleicht, sein Volksstamm wäre auch ein Volk. Da dieser aber wegen seiner Kleinheit sich nicht als Volk setzen und damit den Weg gehen kann, den einst die Niederlande gegangen sind, so ignoriert er diese Frage und begnügt sich damit, ein Luxemburger zu sein. Die politische Situation, in der sich Luxem­ burg befand, war nicht so, daß sie die Erweiterung des Stammesbewußtseins zum Volksbewußtsein begünstigen konnte, weder vor dem Weltkrieg, noch nach dem Weltkrieg. Vor dem Krieg gehörte Luxemburg zwar zum Deutschen Bunde und lehnte sich, als es — zur selben Zeit und aus demselben Anlaß wie Liechtenstein — aus ihm ausgeschieden war, auch weiterhin wirtschaftlich an Preußen-Deutsch­ land an (Beitritt zum Zollverein 1842, Eisenbahngemeinschaft 1871). Aber es trat weder dem Norddeutschen Bund, noch dem Deutschen Reich bei; es erreichte, daß Preußen seine Besatzung aus der Hauptstadt zurückzog und daß ihm zum Ersatz dafür die Neutralität von den europäischen Mächten zugesagt wurde. Auch die Errichtung eines eigenen Bistums Luxemburg (1870), dessen Grenzen mit den Staatsgrenzen zusammenfallen, liegt in der Linie der Ausbildung der Eigenstaatlichkeit. Endlich tat es 1890 den letzten Schritt zur vollen Selbständig­ keit: es löste die Personalunion mit Holland und gewann eine eigene Dynastie (das Haus Nassau-Weilburg). Das eifersüchtige Bewahren seiner Sonderart war in all dieser Zeit der Grundzug seines Strebens: „mir welle bleiwe, was mer sinn." Als dann die Feuersbrunst des Weltkrieges ausbrach und auch nach Luxemburg hinübergriff, und als Deutschland es war, dessen Truppen zuerst luxemburgischen Boden betraten, da war eine Situation geschaffen, die notwendig zu einer weiteren Ausprägung der Sonderart führen mußte. Nach dem Weltkrieg. Der Ausgang des Krieges konnte der Erweckung des Volksbewußtseins noch weniger förderlich sein. Die Stimmung der Kriegszeit wirkte nach. Die Lösung der wirtschaftlichen Beziehungen zu dem Deutschen Reich und der Eintritt in die belgische Zollgemeinschaft (die Verwaltung der luxemburgischen Eisenbahnen ist noch nicht definitiv geregelt), die Heirat der regierenden Großherzogin mit einem

französischen Prinzen aus dem Hause Bourbon-Parma, die Aufhebung der Neutralität im Vertrag von Versailles (Artikel 40), der Eintritt in die Gesell­ schaft der Nationen öffnen das Land einem starken Strom französisch-belgischen Einflusses in politischen, wirtschaftlichen wie kulturellen Dingen. Wie die neue Lage auf das Volkstum der Luxemburger wirken wird, ist nicht vorauszusehen. Jedenfalls aber sind die Luxemburger, wenn ihnen auch ein kräftiges Volksbewußtsein, wie es ihre nächsten Verwandten, die Sieben­ bürger Sachsen, haben, fehlt, ein naturhaft deutscher Volksstamm, der sich bisher in widrigen Verhältnissen zäh behauptet hat und der sich der Gefahr bewußt zu werden anfängt, die ihm von einer einseitigen kulturellen Orientie­ rung nach Westen drohen könnte.

4. Mt-Selgien. 29408 qkm (ohne Eupen-Malmedy); Einwohner 1920: 7405664, darunter 75000 Deutsche (50000 Altbelgier, 25000 ausländischer Herkunft); 1930: 8130000 Einwohner, davon 100000 Deutsche.

Flamen und Wallonen. Belgiens Eigentümlichkeit besteht darin, daß es zwei Hauptvölker verschie­ denen Blutes in einem Staatswesen vereinigt: die germanischen Flamen und die romanischen Wallonen; daß die Wallonen in ihm die geringere Volkszahl, aber trotzdem die politische und kulturelle Führung haben; daß aber die Flamen mehr und mehr erwachen und für ihr Volk die Gleichberechtigung anstreben. Schon in der Statistik prägt sich dies eigentümliche Verhältnis der beiden Völker aus. Die belgische Statistik zählt nämlich nicht die Volkszugehörigkeit oder die Muttersprache, sondern den Gebrauch der drei Landessprachen. Daher läßt sie die Kinder unter zwei Jahren von vornherein weg und zählt sie als Un­ mündige zu denen, die keine der Landessprachen sprechen. Sie zählt also nur den Sprachengebrauch der Belgier über zwei Jahre und kommt dabei für die fran­ zösische und flämische (niederländische) Sprache zu folgendem Ergebnis: Gebrauch der französischen und flämischen Sprache 1920. Sprache

Französisch. ■ Flämisch. . .

Nur eine Landessprache sprechen

Von denen, die zwei oder alle drei Landessprachen sprechen, sprechen am häufigsten

absolut

0/

2 850 825 3 185 100

417 894 605 767

3 268 719 3 790 867

44/14 5M9

Nur oder am häufigsten sprechen also

/0

Es stehen sich aber nun nicht etwa 44,14% Wallonen und 51,19% Flamen gegenüber. Diese Zahlen bedeuten vielmehr etwas anderes. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt bei der Gruppe derer, die zwei oder alle drei Landes-

sprachen sprechen und dabei am häufigsten fich des Französischen oder Flämischen bedienen. Die „am häufigsten gesprochene Sprache", wir können sie die Haupt­ sprache nennen, ist nämlich nicht identisch mit der Muttersprache. Die kulturelle Situation in Belgien bringt es mit sich, daß auch Nichtwallonen sich des Fran­ zösischen als ihrer Hauptsprache bedienen. Insbesondere find das die „Franskiljons", die ihre flämische Muttersprache geringschätzen und an die Überlegen­ heit der französischen Sprache und Kultur glauben. Die Zahlen derer, die „am häufigsten" französisch oder flämisch sprechen, bedeuten also etwas Verschiedenes. Bei den 600000 Mehrsprachigen, die Flämisch als Hauptsprache angeben, wird Flämisch fast immer auch die Muttersprache sein; unter den 400000 aber, die sich zum Französischen als zur Hauptsprache bekennen, sind auch viele, deren Muttersprache das Flämische ist. Der Prozentsatz der Wallonen, d. i. der Belgier mit französischer (wallonischer) Muttersprache, ist also kleiner als der Prozentsatz derer mit französischer Hauptsprache. Dieser Prozentsatz würde noch weiter finken, wenn die Kinder unter zwei Jahren auf die beiden Völker verteilt würden. Aber gerade in dieser ihrer eigentümlichen Form ist die belgische Statistik sehr instruktiv: sie zeigt, daß die französische Sprache über den Kreis derer, die sie (oder Wallonisch) als Muttersprache sprechen, Proselyten wirbt, und ist so selbst ein Denkmal der wallonisch-französischen Kulturexpanston in Belgien. Dieser wallonisch-französischen Kulturexpansion find nun auch die Deutschen Alt-Belgiens ausgesetzt, und zwar in noch höherem Maße als die Flamen. Wir sprechen hier nur von der bodenständigen Bevölkerung im geschlossenen deutschen Sprachgebiet Alt-Belgiens. Das deutsche Sprachgebiet. Neben seinen beiden Hauptvölkern nämlich beherbergt Belgien auch einen Teil des deutschen Volkes; doch ist dieser nur klein und verteilt fich zudem auf zwei getrennte Sprachgebiete: das kleinere im Nordosten Belgiens, zwischen Aubel und Aachen (mit etwa 20000 Deutschen); das größere im Südosten an der Grenze des Großherzogtums Luxemburg nördlich und südlich von Arel (Arlon), mit 30000 Deutschen (zusammen etwa 50000 Deutsche unter 62000 Einwohnern). Beide Teile gehören verschiedenen Provinzen an und sind auf verschiedene Weise an Belgien gekommen.

Das nördliche Sprachgebiet teilte bereits der Wiener Kongreß (1815) dem Königreich der Vereinigten Niederlande zu; Belgien übernahm es also schon in seiner Geburtsstunde (1830). Es sind 9 Gemeinden der belgischen Provinz Lüttich unmittelbar an der Grenze des Deutschen Reiches; als zehnte kam nach dem Weltkrieg Kelmis (französisch: La Calamine), das frühere Neutral-Moresnet, dazu, das im Versailler Vertrag Belgien zugesprochen wurde. Das südliche Sprachgebiet wurde erst infolge der belgischen Revolution (1830—1839) mit Belgien vereinigt: der Londoner Kongreß sprach dem neuen Staate außer dem wallonischen Sprachgebiet des Großherzogtums Luxemburg auch den deutschen Streifen nördlich und südlich von Arel zu. Es sind 21 Gemeinden mit 70 Ort-

schäften in der belgischen Provinz Luxemburg, dazu die isolierte Gemeinde Dochholtz (Beho). Deutsch war zwar von vornherein als dritte Landessprache anerkannt. Gesetze und Verordnungen wurden auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht (1830 bis 1839). Seitdem aber Belgien auf das Großherzogtum Luxemburg, das es gehofft hatte annektieren zu können, und damit auf den größten Teil der von ihm beanspruchten Deutschen hatte verzichten müssen, schlief das ein. Und gerieten der Bevorzugung des Französischen gegenüber schon die zahlenmäßig so starken Flamen arg ins Hintertreffen, wie viel mehr die Deutschen mit ihrer geringen Seelenzahl! In ihren Volksschulen auf dem Lande mußte sich die deutsche Sprache mit dem Französischen in die Stellung der Unterrichtssprache teilen, in der Provinzialhauptstadt Arel erfolgte der Unterricht in Volks- wie höherer Schule nur auf französisch. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts entstand hier spontan, ohne Zu­ sammenhang mit den Deutschen im Reich, als Parallelbewegung zur flämi­ schen Bewegung, eine deutsche Bewegung kultureller Natur. Der „Verein zur Hebung und Pflege der Muttersprache im deutschsprechenden Belgien" mit dem Sitz in Arel (gegr. 1893 von dem belgischen Historiker Gottfried Kurth), dem 1904 ein analoger Verein in Montzen für das nördliche Sprachgebiet zur Seite trat, kämpfte gegen zwei Fronten: die Gleichgültigkeit, mit der viele Belgien­ deutsche ihrer Muttersprache begegneten, und die Vernachlässigung der deut­ schen Sprache durch den belgischen Staat. Sein Ziel war, innerhalb des deut­ schen Sprachgebietes für die Muttersprache wirklich in Schule und Verwaltung die Geltung als dritte Nationalsprache durchzusetzen. Allerdings hatte der Ver­ ein gerade an dem Sitz der Vereinsleitung einen schweren Stand. Für Arel nämlich wurde die Erhebung zur Hauptstadt der belgischen Provinz Luxemburg verhängnisvoll: seitdem erhielt es starken Zuzug an Beamten, die sich sämtlich des Französischen als ihrer Umgangssprache bedienten und es damit zur ton­ angebenden Sprache machten. Die Stadtverwaltung von Arel lehnte sogar die Anbringung von deutschen Straßennamen neben (oder unter) den französischen ab und lud 1908 den internationalen Kongreß der Association pour la vulgarisation de la langue frangaise in die Mauern ihrer Stadt ein. Mit dem Aus­ bruch des Weltkrieges hat der Verein seine Tätigkeit eingestellt. Der Krieg mit seinen Folgen war für die Stellung des deutschen Elements in Belgien ungünstig. Unter der Feindschaft, die den Reichsdeutschen galt, hatten auch die deutschen Bürger des eigenen Landes zu leiden. Infolgedessen erlitt auch der deutsche Unterricht weitere Einbußen. In mehreren Gemeinden wurde er ganz aus der Schule verdrängt, Französisch wurde hier die einzige Unterrichts­ sprache der Volksschule. In der Mehrzahl der Gemeinden hielt er sich immerhin als „zweite Sprache". Eine Besserung bahnt sich langsam an. In vielen Ge­ meinden wird jetzt mit dem Deutschunterricht begonnen; zu ihm tritt allerdings noch das Französische allzufrüh und in allzugroßem Umfange hinzu. Die Über­ griffe der Wallonen (in Deutsch-Limburg auch der Flamen) haben unter der

deutschen Bevölkerung endlich eine Reaktion hervorgerufen. 1931 wurde ein Bund der Deutsch-Belgier gegründet. Er brach die absolute Stille, die so lange über den Deutschen Belgiens geruht hatte, und lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zum ersten Male wieder auf die ungelöste Frage der deutschen Sprache in Belgien. Das Ziel des Bundes ist, den Grundsatz: „die Sprache der Gegend Leitsprache des Unterrichts" auch für die Deutschen Altbelgiens zu ver­ wirkliche». Während im südlichen Sprachgebiet (Belgisch-Luxemburg) nach dem Kriege keine deutsche Zeitung wiederauferstanden ist, erscheinen im nördlichen Sprach­ gebiet (Limburg) zwei deutsche Lokalblätter, von denen das ältere und größere, „Die Fliegende Taube", die in Aubel erscheint, Sprachrohr des Bundes der Deutsch-Belgier ist. II. Die von Deutschlan- abgetretenen Gebiete. Die Deutschen, welche durch den Vertrag von Versailles von uns getrennt wurden, kamen völlig unvorbereitet in die neue Lage: innerhalb eines fremden Staates und beherrscht von einem fremden Volk auf eigenen Füßen stehen zu müssen. Werden sie dieser Aufgabe gewachsen sein? Für sie alle besteht jetzt die eine große Schicksalsfrage: werden diese Zweige, die das Friedensmesser von der deutschen Eiche abgeschnitten hat, eigene Wurzeln schlagen, als Ableger gedeihen und ein — wenn auch bescheidenes — Dasein führen? Werden sie allmählich verdorren? Oder wird ihnen die harte Gegen­ wart nur ein Durchgang und eine Prüfungszeit zu einer besseren Zukunft sein? Diese gemeinsame Schicksalsfrage aber nimmt je nach den verschiedenen Ver­ hältnissen besondere Gestalt an. Die Elsässer und Lothringer sind schon einmal außerhalb des Reiches ge­ wesen und waren hundert bis zweihundert Jahre fremden Einflüssen ausgesetzt. Bei ihnen kompliziert sich daher die Frage. Elsaß-Lothringen. Statistik. Muttersprache 1910 (reichsdeutsche Zählung). qkm

Elsaß . . Lothringen

Gesamtbevölkerung

davon haben als Muttersprache Deutsch absolut

Französisch 0/ /0

absolut

Deutsch u. Franz.

and. Sprache

%

absolut

%

absolut

%

94/6 73/5

4/7

2348

0,2

5490

481460

146 097 22,3

1047

0,2

26 607

0/5 4/0

Zusammen 14 525 i 874014 1634260

87/2

204 262 10,9

3 395

0,2

32 097

i/7

8394 1218 803 1152800 6228

655211

58165

Gesprochene Sprachen (langues parläes) 1931. e/o der sprachlich

Sprache

absolute Zahl

erfaßten Be­ völkerung

Dialekt allein...................................................... Dialekt und Deutsch.............................................. Deutsch allein...................................................... Französisch und Dialekt....................................... Französisch und Deutsch...................................... Französisch, Dialekt und Deutsch........................... Französisch allein.................................................. Andere Sprachen.................................................. Ohne Angabe......................................................

202 554 31586 126 640

n,5

Anwesende Bevölkerung......................................

i 885 823

100

108 248 503 332 119449 78 542 158 808 556 664

6,2 28,6 6,8

4/5 9/0 31/6

1/8

')

Für die Franzosen beginnt die Schwierigkeit, die Elsaß-Lothringer zu behandeln, schon bei der Statistik. In der reichsdeutschen Statistik ist alles klar; einzig die Personen mit dop­ pelter Muttersprache könnten Anlaß zu Zweifeln bieten. Ihre Zahl ist aber so gering, daß fle für das Gesamtresultat ohne Bedeutung sind. Die Bevölkerung scheidet sich in zwei große Gruppen, die eine mit deutscher, die andere mit französischer Muttersprache. Anders die französische Statistik. Sie fragt nicht nach der Muttersprache, sondern nach den Sprachen, die einer spricht. Dabei wendet sie viel Kunst auf, die natürliche Grup­ pierung der Bevölkerung zu verhüllen. Insbesondere arbeitet sie mit der Fiktion, als seien der deutsche Dialekt und Hochdeutsch verschiedene Sprachen. Ihr Zweck ist mehr, zu verwirren als klarzustellen. Trotzdem läßt auch sie bei genauerem Zusehen das erdrückende Übergewicht des deut­ schen Elements erkennen. Ihm sind nämlich zuzurechnen alle, die den heimischen Dialekt sprechen, alle, die nur hochdeutsch sprechen, die meisten oder alle, die keine Angabe über die von ihnen gebrauchte Sprache gemacht haben (denn kein Franzose hatte Anlaß, dieser Angabe auszuweichen; zur Vorsicht bringen wir 15000 für slawische oder italienische Arbeiterin Abzug); endlich zwei Drittel derer, die Hochdeutsch und Französisch sprechen. Also: Dialekt allein........................................................ 108248 Dialekt und Hochdeutsch............................................. 503332 Dialekt und Französisch........................................... 78542 Dialekt, Hochdeutsch und Französisch ....................... 556664 Hochdeutsch allein....................................................... 119449 ohne Angabe über die Sprache (abzüglich 15000) ... 111640 zwei Drittel der Hochdeutsch undFranzösisch Sprechenden 105872 deutscher Muttersprache........................................... 1 583747 3) 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Demgegenüber stehen 255000 Franzosen, nämlich: die nur Französisch Sprechenden...................................202554 ein Drittel derer, die Deutsch und Französisch sprechen 52956 französischer Muttersprache................................................255490 Das wären 1580000 Personen mit deutscher, 255000 mit französischer Mutter­ sprache. Die deutsche Naturgrundlage ist also unerschüttert geblieben. Freilich hat Kenntnis und Einfluß der französischen Sprache erheblich zugenommen — aus ihre erobernde Kraft rechnen die Franzosen.

Das Sprachgebiet. Im Elsaß bildeten seit 1871 die Vogesen nicht nur die politische Grenze gegen Frankreich, sondern auch die Volksgrenze. Nur in einigen Gebirgstälern griff und greift bodenständige romanische Bevölkerung ins Elsaß hinüber: (oberes Breuschtal jSchirmeckj, oberes Gießental, ein Stück des oberen Leber­ tales; Bechine- und Weißtal jSchnierlachj); ebenso auf der Grenze von den Vogesen bis zur Schweiz (Welschensteinbach, Alt-Münsterol, Ottendorf). In Lothringen dagegen ist ein größerer Teil des Landes, das westliche Drittel, romanischer Volksboden. Die Elsässer sind Alemannen (Oberdeutsche), die deutschen Lothringer Franken (Mitteldeutsche); doch greifen die Franken in den Norden des Unterelsaß hin­ über. Bis zum Dreißigjährigen Kriege teilte das Elsaß unangefochten die all­ gemeinen Geschicke des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation"; bei Lo­ thringen setzte der Abbröckelungsprozeß schon ein Jahrhundert früher ein. Dem französischen Streben nach der Rheingrenze kam die Schwäche des ermattenden Reichs entgegen. Die Besitzergreifung durch Frankreich. Elsaß.

Zur Zeit des Westfälischen Friedens war die Landschaft in zahlreiche Terri­ torien — etwa 50 — zersplittert. Die Habsburger hatten hier alten Hausbesitz (bes. den Sundgau im Oberelsaß). Die Besitzergreifung des Landes durch Frank­ reich vollzog sich in drei Stufen: 1648 erhält Frankreich den gesamten elsässischen Besitz Österreichs an Land und Prärogativen (V3 des Landes). Die Unklarheiten des Friedensvertrages geben ihm den Vorwand, seinen Besitz bald weiter auszudehnen. 1680 setzt Ludwig XIV. die Reunionskammern (chambres de reunion) ein, welche die Aufgabe haben, zu untersuchen, welche Gebiete jemals zu den in den letzten Friedensschlüssen an Frankreich abgetretenen Gebieten gehört hätten. Auf Grund ihrer Entscheidungen annektiert er ein weiteres Drittel (1681 Raub Straßburgs).

Das letzte Drittel, das deutschen Reichsfürsten und Grafen gehört, muß ebenfalls die französische Oberhoheit anerkennen, wird aber erst zur Zeit der Revolution wirklich dem Staate einverleibt; 1798 auch die eidgenössische Stadt Mülhausen. Zunächst aber war das Elsaß (bis 1766) von Frankreich durch das Herzog­ tum Lothringen getrennt; es lag als fremde Provinz (province effectivement etrangere) außerhalb des Königreiches. Es stand nicht mit Frankreich, wohl aber mit Deutschland in direkter Verbindung. Lothringen. Auf lothringischem Boden wohnten Romanen und Deutsche. Das Land war mit der zunehmenden Auflösung des Reiches in verschiedene Territorien zersplittert. Neben dem alten Herzogtum Lothringen standen die Bistümer Metz, Toul und Verdun, die freien Reichsstädte Metz, Toul und Verdun sowie kleinere reichsunmittelbare Gebiete. Zuerst verlor das Reich die 3 freien Städte an Frankreich (1552, Moritz von Sachsen), ihnen folgten die 3 Bistümer; diese wurden zur „Provinz der 3 Bistümer" vereinigt. Das Herzogtum selbst verteidigte seine Selbständigkeit zäh gegenüber dem Vordringen Frankreichs nach Osten. Aber seit dem Westfälischen Frieden, der Frankreich im Elsaß Fuß fassen ließ, geriet es, von Westen und Osten umklam­ mert, immer mehr in Abhängigkeit von Frankreich (1661 die erste französische Heerstraße mitten durch Lothringen ins Elsaß!). Als gar die alte Dynastie ihr Stammland aufgab und Herzog Franz, der Gemahl Maria Theresias und spätere Deutsche Kaiser (1745—1765), sich 1737 nach Toskana verpflanzen ließ, war der Sieg Frankreichs entschieden. Franz bekam zwar noch einen Nachfolger, den Polen Stanislaus Leszcinski; aber dieser war nur Platzhalter Frankreichs. Von Anfang an hatte er einen französischen Intendanten zur Seite, nach seinem Tode wurde das Land französische Provinz (1766). Erst zur Zeit der französischen Revolution wurde diese Provinz mit der „Provinz der drei Bistümer" ver­ schmolzen. Im deutschsprechenden Teil Lothringens wurde ein großer Teil der ein­ gesessenen Bevölkerung durch die Plackereien der Franzosen zur Auswanderung getrieben (1764—1772); auch französisch sprechende Lothringer schlossen sich der Auswanderungsbewegung an (vgl. die drei Kolonien St. Hubert, Charleville, Soltur im Banat). Die Fremdherrschaft. Für die Entwicklung dieser Deutschen unter der Herrschaft Frankreichs war es von verhängnisvoller Bedeutung, daß das alte Deutsche Reich in seiner Ohnmacht und seiner chaotischen Zersplitterung ihnen kein kräftiges Staats­ bewußtsein mitgeben konnte. Die Elsässer konnten — nach Lage der Dinge — weder einen Stolz auf einen ihrer kleinen Territorialstaaten noch den Stolz auf Fittbogen, Auslanddeutschtum.

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das Deutsche Reich mitbringen. Diesem staatlosen Empfinden der Deutschen stand ein sehr ausgeprägtes Staatsbewußtsein bei den Franzosen gegenüber. Und auch das Volksbewußtsein der Deutschen schlummerte, während das statt# zösische Nationalbewußtsein schon damals sehr lebhaft entwickelt war. Im ersten Jahrhundert seiner Herrschaft griff Frankreich nicht tief in die Verhältnisse des Elsaß ein. Schon die Außenlage der „fremden Provinz" hin# bette das. Außerdem aber besetzte Frankreich immer größere Teile des Elsaß unter Berufung auf die Rechte, die ihm der Westfälische Frieden verliehen habe; es konnte also diesen Rechtsboden nicht aufheben. Es übte daher zwar überall, wo es Fuß faßte, die Oberhoheit aus, ließ aber den bunten Unterbau der elsäs# fischen Territorialmächte (städtische, fürstliche, herrschaftliche, geistliche Gebiete) weiter bestehen. Die Lebensformen des Landes blieben deutsch. Französisch waren nur die Spitzen der Behörden (Intendant, Prätoren, oberste Gerichtsbarkeit); nur allmählich bildeten sich durch Einwanderung französische Kolonien in den Städten. Beide Völker und Kulturen aber lebten getrennt nebeneinander. Dabei kamen die überlegene gesellschaftliche Kultur und die Zurücksetzung der Protestanten zugunsten der Katholiken dem Vordringen des französischen Einflusses zugute. Erst das Zeitalter der Revolution und Napoleons brachte den entscheidenden Umschwung. Die Revolution fegte alle Hemmungen hinweg: sie legte die Schranke nieder, die das Land noch von dem eigentlichen Frankreich getrennt hatte, und rückte die Zollgrenze an den Rhein vor; sie beseitigte aber auch im Innern des Elsaß die territorialstaatlichen Gebilde und machte aus der buntscheckigen Land# schaft zwei Departements (Oberrhein und Niederrhein), die in ihrer Organisa# tion den übrigen französtschen Departements glichen wie ein Ei dem andern; sie koppelte Deutsch#Lothringen, die Lorraine allemande, mit französisch sprechen# den Bezirken zusammen (den größeren Teil mit dem Departement de la Moselle, den kleineren mit dem Departement de la Meurthe), und sie erfüllte die Elsässer und deutschen Lothringer mit demselben berauschenden Gefühl der Freiheit wie die Franzosen. Der Glanz und Ruhm des Napoleonischen Kaiserreichs riß sie dann voll# ends mit sich fort. So vollendete Napoleon, was die Revolution begonnen hatte: das positive und aktive Einleben der deutschen Bürger Frankreichs in den französischen Staat, die Annahme französischer Staatsgesinnung. Zum ersten Male hatten sie erlebt, was ein Staat bedeutet, das war ein Fortschritt; aber daß es der französische Staat war, an dem sie dies Erlebnis machten, wurde ihr Verhängnis. Seitdem ließ das Bewußtsein, Glieder eines mächtigen Staates zu sein und in fortgeschrittenen politischen Zuständen zu leben, sie, soweit sie am politischen Leben teilnahmen, geringschätzig auf die Kleinstaaterei und den Absolutismus blicken, unter dem die Deutschen in Deutschland immer noch litten oder zu leiden schienen. Die deutschen Bürger Frankreichs hatten (in ihrer füh# renden Schicht) den Zusammenhang mit ihrer Geschichte verloren. Dies fundamentale Ereignis wurde auch durch den Sturz des Kaiser# reiches nicht berührt. Die Folgen traten bald zutage. Sie zeigten sich darin, daß

das französische Staatsbewußtsein das — sowieso nur schwach entwickelte — deutsche Volksbewußtsein mehr und mehr überwucherte. Nachdem die führende Gesellschaftsschicht (Bourgeoisie: Großbürgertum, Notabeln) sich mit französischem Staatsbewußtsein erfüllt hatte, begann sie zum großen Teil sich auch der französischen Kultur anzuschließen — der An­ fang einer freiwilligen Französierung von oben her. Verstärkt wurde diese Ent­ wicklung durch das Wachsen persönlicher und verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Elsässern und Franzosen, die teils infolge der Einwanderung französi­ scher Familien ins Elsaß, teils infolge der Übersiedlung von Elsässern ins Innere Frankreichs entstanden. Außerdem aber beginnt nun die französische Regierung eine systematische Frauzösierungspolitik. Die oberen Beamten sind fast alle Franzosen. Elsässer, die in der Beamtenlaufbahn aufsteigen wollen, müssen ins innere Frankreich gehen. Das Schul- und Bildungswesen, das noch in der Napoleonischen Zeit fast ganz deutsch war (nur die Fakultäten der Academie de Strasbourg und ein Lyzeum hatten französische Unterrichtssprache) wird von Grund auf umgestaltet. Zuerst werden die mittleren und höheren Schulen in französische Schulen um­ gewandelt. Seit 1848 gewinnt das Französische das Übergewicht. 1853 wird für die Volksschule das Französische zur Unterrichtssprache erhoben; selbst der deutsche Unterricht muß in französischer Sprache erteilt werden; nur der Reli­ gionsunterricht ist teilweise noch deutsch. So werden französische Sprache und Kultur bis ins letzte Dorf getragen. Auch die Kleinkinderschule wird als Kampf­ mittel benutzt und begünstigt; ihre Aufgabe ist es, den deutschen Kindern das Französische „spielend" als lebende Sprache beizubringen und damit eine neue französisch sprechende Generation heranziehen zu helfen. Dieser Frauzösierungspolitik haben die Elsässer und Lothringer keinen ge­ schloffenen Widerstand entgegenzusetzen. Die Bourgeoisie versagt sich dem. Am meisten Schutz findet das deutsche Volkstum bei der Kirche beider Konfessionen. Trotz allem aber ist die Landbevölkerung — als die Wurzel des Volkstums — von selbst deutsch geblieben, und auch Kleinbürgertum und Arbeiterschaft sind überwiegend deutsch. Es war also eine Kulturmischung eingetreten, die in den einzelnen Schichten der Bevölkerung sehr verschiedene Grade erreicht hatte, also — wenn man will — eine „Doppelkultur". Das Ziel dieser Doppelkultur war aber offensichtlich nicht, ein Gleichgewicht oder eine harmonische Verschmelzung beider Kulturen herbeizuführen, sondern sie als Übergangsstadium zu einem vollen Siege der französischen Kultur zu benutzen. Dieser gefährlichen Entwicklung machte der Krieg von 1870 ein Ende. Die Wiedervereinigung mit Deutschland. Die Wiedervereinigung mit Deutschland brachte die Elsässer und deutschen Lothringer wieder mit dem deutschen Gesamtvolk in Berührung. Aber sie konnte die Wirkungen der langen Sonderentwicklung nicht mit einem Schlag aus-

löschen. Die Elsässer und Lothringer sind nun einmal die Deutschen, welche sich von uns Binnendeutschen unterscheiden, negativ dadurch: daß sie die Blütezeit der deutschen Kultur, das Zeitalter Schillers und Goethes, und das Heran­ reifen der nationalen Einigung von den Befreiungskriegen bis 1870 nicht mit uns erlebt haben, positiv dadurch: daß sie die Französische Revolution und Napoleon durchgemacht haben. Die Geschichte hat ihrem Charakter tiefe Spuren eingeprägt. Trotzdem hat — bei mancherlei Hemmungen im einzelnen — ihr Hinein­ wachsen in den deutschen Lebenskreis von 1871 bis 1914 gewaltige Fortschritte gemacht. Jetzt wird sofort im ganzen Lande (mit Ausnahme der französisch sprechen­ den Landesteile) die deutsche Schule wiederhergestellt, 1872 wird die Universität Straßburg eröffnet. Viele Deutsche aus dem übrigen Deutschland kommen ins Land, ein gewaltiger wirtschaftlicher Aufschwung — im Gefolge der wirtschaft­ lichen Entwicklung des Deutschen Reiches selbst — setzt ein. Die politischen Par­ teien des Landes finden allmählich den Anschluß an die politischen Parteien des Reiches. Nur langsam und zögernd, aber doch tatsächlich erfolgt die Ausgestal­ tung der Organisation des „Reichslandes" im Zeichen der Selbstregierung, so daß schließlich nur wenig zum vollen Bundesstaat fehlt; und im Zusammenhang damit entwickelt sich in dieser Zeit, in der die beiden Landschaften zum ersten Male zur Einheit zusammengefaßt werden, ein kräftiges elsaß-lothringisches Par­ tikularbewußtsein. Die Grundlage für alle diese Fortschritte ist doch die Tat­ sache, daß die Bevölkerung von Haus aus deutsch ist. Darum können, solange die Macht Deutschlands unerschüttert ist, auch die Gegenwirkungen von französischer Seite, die 1871 sofort einsetzen, keinen ent­ scheidenden Erfolg erringen. Zunächst beginnt 1871, besonders auf Betreiben der Ligue d'Alsace, eine Auswanderung größeren Stils: nicht nur die zahlreichen französischen Beamten, die nun in Elsaß-Lothringen nichts mehr zu tun hatten, wandern aus, auch viele bodenständige Elsässer und Lothringer, optieren für Frankreich (Optionstermin: 1. Oktober 1872) und verlassen die Heimat, zum großen Teil Angehörige der geistig führenden und besitzenden Schicht. In Frankreich wird diesen Emigranten eine bevorzugte Behandlung zuteil. Aber zugleich behalten sie ihre Hand in den elsaß-lothringischen Dingen; sie benutzen ihre verwandschaftlichen und persönlichen Beziehungen wie ihren Besitz (Haus­ und Grundbesitz der Optanten blieb unangetastet) dazu, in ständiger Verbindung mit dem nunmehrigen Reichsland zu bleiben und seine Bevölkerung, soviel an ihnen liegt, innerlich nie zur Ruhe kommen zu lassen. Seit 1904, dem Jahre der Aussöhnung zwischen England und Frankreich, wird diese Gegenwirkung in verstärktem Maße spürbar: Sport- und Musikvereine, Erinnerungsfesie an die gemeinsamen Taten der Elsaß-Lothringer und Franzosen im französischen Heer („Souvenir frangais“), Theateraufführungen, Vorträge, Zeitschriften usw. werden benutzt, um — meist unter der unehrlichen Flagge der Doppelkultur — der Verschmelzung der Elsaß-Lothringer mit dem

übrigen deutschen Volk entgegenzuarbeiten und den französischen Einfluß neuer­ dings zu verstärken. Nicht ganz ohne Erfolg. Aber trotz dieser Minierarbeit tun die Elsaß-Lothrin­ ger bei Ausbruch des Weltkrieges, von geringen Ausnahmen abgesehen, ihre Pflicht. Sie haben sich in ihrer übergroßen Mehrheit in Deutschland eingelebt. Kein Zweifel: ein glücklicher Ausgang des Krieges hätte diese Entwicklung zum krönenden Abschluß gebracht. Unsere Niederlage im Weltkrieg hat die entgegengesetzte Entscheidung her­ beigeführt. Nach dem Kriege. Die Elsaß-Lothringer wurden wieder der französischen Souveränität unter­ stellt, und zwar ohne Volksbefragung, einfach kraft der Macht des Siegers. Während über die übrigen Gebiete, die wir verloren haben, erst beim Friedens­ schluß entschieden wurde, wurde Elsaß-Lothringen bereits mit dem Tage des Waffenstillstandes (n. November 1918) de facto als französischer Besitz be­ handelt. Die Franzosen versuchten unmittelbar bei dem Jahre 1870 wieder anzu­ knüpfen. Vermöge der Legende vom rein französischen Charakter Elsaß-Lothrin­ gens schufen sie die Theorie, daß die Einverleibung von Elsaß-Lothringen keine Annexion, sondern eine bloße Restitutio in integrum sei (Reintegrations­ theorie). Darnach erhielt nicht, wie es sonst in derartigen Fällen üblich ist, die gesamte Bevölkerung des Landes die neue Staatsangehörigkeit, sondern nur der Teil, der — selbst oder in seinen Vorfahren — bereits 1870 die französische Staatsangehörigkeit besessen hatte. Der später hinzugekommene Teil (und seit 1870 waren sehr viele Zuwanderer aus Altdeutschland ins Land gekommen und hier heimisch geworden) erhielt sie nicht und mußte auswandern. So die grundsätzliche Stellung. Praktisch wurde das dann freilich, um die Lücken in der Bevölkerung nicht zu groß werden zu lassen und die Industrie nicht zu schä­ digen, dahin abgemildert, daß man den Arbeitern, wenn auch nicht die Staats­ angehörigkeit, so doch die Aufenthaltsgenehmigung erteilte. Aber ein bedeu­ tender Teil der Bevölkerung wurde kraft dieser Doktrin tatsächlich aus dem Lande verdrängt (über 150000 Menschen). Elsaß-Lothringen sollte auf diese Weise „deutschenfrei" gemacht werden. Die Elsaß-Lothringer von 1870 waren ja ehe­ malige französische Staatsbürger, also „Franzosen". Aber mit dieser Art, an 1870 anzuknüpfen, und mit dieser Doktrin ver­ sperrten sich die Franzosen die Erkenntnis der Wirklichkeit. Sie sahen nicht, wollten nicht sehen, daß diese französischen Staatsbürger Angehörige eines deutschen Volksstammes, also Deutsche sind. Das elsaß-lothringische Problem war damit ignoriert, aber nicht aus der Welt geschafft.

Aber diese Doktrin bestimmte nun auch die französische Politik in ElsaßLothringen. Die Unterscheidung zwischen Volkstum und Staatsbürgertum und, darauf sich gründend, die Anerkennung eines elsässischen Volkstums aufdeut-

scher Wurzel, liegt den Franzosen nicht; sie wollen ein elsässisches Franzosentum; d. h. also: die Vernichtung eben des Volksstamms, für dessen „Befreiung" sie den Krieg führten, seine vollständige Aufsaugung durch das Franzosentum. Wer französischer Bürger ist, muß auch in Sprache und Kultur französisch sein. Ist einer es noch nicht, muß man mit Gewalt nachhelfen. Darum war die erste Maßnahme, welche die Franzosen in dem schmalen Streifen des Elsaß, den sie zu Anfang des Krieges besetzen konnten, anordneten, daß sie in den rein deut­ schen Ortschaften das Französische als Unterrichtssprache einführten, da­ mit die kleinen Elsässer von Thann, Masmünster, Dammerkirch französisch sprächen wie die Kinder irgendeiner anderen französischen Provinz. In diesem Geist regieren sie seit dem November 1918 das ganze Land. Die Einführung des Französischen nicht bloß als Verwaltungs- und Gerichtssprache, sondern auch — in einem deutsch sprechenden Lande — als Unterrichtssprache, die Aus­ treibung so vieler Deutscher, die Einwanderung so vieler Franzosen aus dem Innern Frankreichs in die elsässischen und lothringischen Städte, die Übertragung aller irgendwie bedeutenden Stellen an Franzosen — das alles läßt dieselbe Tendenz erkennen: mit größter Beschleunigung aus Bewohnern der „befreiten" Provinzen Franzosen zu machen. Für die Übergangszeit hatte man dem Lande wenigstens einen eigenen Generalkommiffar gegeben (seit 1919), der an der Spitze der Verwaltung stand. War er auch nicht Organ des Landes, sondern Organ des Ministers, von dem er seine Befehle empfing, und hatte der conseil consultatif, der ihm mit nur be­ ratender Stimme zur Seite gestellt war, bloß dekorative Bedeutung, so lag darin doch immerhin eine gewisse Anerkennung der besonderen Art des Landes. Seit 1925 hat auch das ein Ende. Generalkommissar und conseil consultatif sind aufgehoben. Das Land bildet keine irgendwie faßbare verwaltungsmäßige Ein­ heit mehr; es gibt nur noch drei Departements, die wie jedes andere Departe­ ment der französischen Republik verwaltet werden. Der Zentralismus hat ge­ siegt. Nur eine dem Ministerpräsidenten unterstellte Dienststelle in Paris, die Generaldirektion für die Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle, die einige unbedeutende Abteilungen in Straßburg hat, erinnert verschämt daran, daß diese drei Departements tatsächlich etwas anderes sind als das übrige Frankreich. Der Schwerpunkt der elsaß-lothringischen Verwaltung liegt seitdem in Paris. Insbesondere die Schule muß dieser Politik dienen; ihr ist die Aufgabe gestellt, „aus Elsaß-Lothringen ein Land französischer Sprache zu machen". Bereits mit den Kleinen, im Kindergarten, beginnt das. In der Volksschule setzt dann vom ersten Tage Französisch mit voller Wucht als Unterrichtssprache ein; selbst als Hilfssprache für den französischen Unterricht ist die Muttersprache ausgeschaltet; der Unterricht in der fremden Sprache muß nach der „direkten" Methode erfolgen, d. h. in der fremden Sprache selbst. Erst vom vierten Halb­ jahr an erscheint der Unterricht im Deutschen schüchtern (mit 2—3 Stunden wöchent­ lich) auf dem Stundenplan. Wieviel Zeit und Arbeit in Wirklichkeit auf ihn

verwendet wird, ist eine andere Frage. Denn ein großer Teil der Lehrer ist aus Jnnerfrankreich gekommen, viele von ihnen können nicht oder kaum deutsch. Ihre wesentliche Aufgabe ist, die französische Sprache zu verbreiten. Wie sollen ste da den Unterricht im Deutschen ernst nehmen? Nur im Religionsunterricht ist die Muttersprache wenigstens in der Theorie unangetastet geblieben. Praktisch hat ste auch hier bereits Einbuße erlitten; denn der Lehrer kann, wie die Vor­ schrift besagt, die Sprache wählen, mit der er am besten an die Herzen der Schüler heranzukommen glaubt. (In Elsaß-Lothringen gilt im Unterschied zum übrigen Frankreich die konfessionelle Schule). Die höhere Schule ist be­ dingungslos dem Stand des innerfranzöfischen höheren Schulwesens angeglichen worden. Deutsch wird nur als fakultative Fremdsprache unterrichtet. Der Schüler kann also die ganze Anstalt durchlaufen, ohne auch nur ein einziges deutsches Wort zu hören. Die Universität in Straßburg ist radikal französiert. Aber diese Politik erregte doch bei nicht wenigen Enttäuschung. — Sollten die „befreiten" Provinzen nichts weiter sein als beliebige französische Departe­ ments, von Franzosen für Franzosen von Paris aus regiert? Und ihre Bewohner nichts anderes als Rohstoff, der in Franzosen umgebildet werden soll? In der deutschen Zeit waren sie doch etwas mehr gewesen; gerade in ihr hat sich bei ihnen ein eigenes Einheits- und Selbstbewußtsein entwickelt: die Angehörigen des „Reichslandes" Elsaß-Lothringe», das immer mehr einen bundesstaatlichen Charakter annahm, lernten sich als Elsaß-Lothringer fühlen. „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern!" war ihre Parole, und die Franzosen unterstützten sie — damals — in diesem Verlangen. Als Elsaß-Lothringer fühlen sie sich auch heute noch. Als solche besitzen sie manches, was sie sich nicht nehmen lassen möchten. So die starke Stellung der katholischen Kirche im öffentlichen Leben; denn bei ihnen ist die Trennung von Staat und Kirche nicht durchgeführt. Noch gilt hier das von Napoleon l. (1801) mit dem Papst geschloffene Konkordat. Und vor allem: man hat die deutsche Sprache; nicht nur den elsässischen und den deutsch-lothringischen Dialekt, den die Republik als ungepflegte Sprache der Unterschicht weitervegetieren zu lassen allenfalls bereit wäre, sondern die deutsche Sprache selbst; und durch sie hat man Teil an der Kultur des deutschen Volkes. Soll man auf das alles ver­ zichten? Ein allgemeines Unbehagen (le malaise) herrschte im Lande. Und als nun noch eine französische Regierung (es war der Linksblock unter Führung Herriots, der 1924 ans Ruder kam) das Assimilationsstreben verschärft, es auch auf das religiös-kirchliche Gebiet ausdehnt und die Durchführung der Laien­ gesetzgebung (Trennung von Staat und Kirche, Beseitigung der konfessionellen Schule, Entfernung des Religionsunterrichts aus der Schule usw.) auch für Elsaß-Lothringen ankündigt, geschieht plötzlich das Unerwartete: ein großer Teil der Bevölkerung erkennt, daß die rein opportunistische Haltung, die ihre Ver­ treter bisher der französischen Regierung und dem französischen Volk gegenüber eingenommen haben, verfehlt ist und bekennt sich zu sich selbst. Sie wollen sich

nicht restlos assimilieren und sich von zugewanderten Fremden regieren lassen, sie wollen ihre Eigenart in Sprache und Volkstum behalten und diese zur Grund­ lage der Neugestaltung ihres Daseins machen. Sie fordern die Anerkennung der deutschen Muttersprache in Schule, Ge­ richt, Verwaltung, die Beibehaltung der kirchlichen Sonderstellung, die Besetzung aller öffentlichen Stellen mit Elsaß-Lothringern und darum die Verwaltungs­ autonomie im Rahmen des französischen Staates („Regionalismus"). Zuerst trat 1925 die „Zukunft" als unabhängige Wochenschrift für die Heimat- und Volksrechte mit diesem Programm ins Leben. Ein Jahr später wurde der elsaß­ lothringische tzeimatbund gegründet. Die französische Regierung ging mit den schärfsten Maßregeln gegen die Heimatbewegung vor. Sie verbot die „Zu­ kunft", ließ die Führer der Bewegung wegen eines angeblichen Komplottes gegen die Sicherheit des französischen Staates verhaften und ihnen den Prozeß machen. Das Ergebnis des Prozesses (Kolmar, 1.—24. V. 1928) aber war für die Re­ gierung sehr mager: das Komplott ließ sich nicht nachweisen, die meisten An­ geklagten (11) mußten freigesprochen werden, nur 4 wurden zu einem Jahr Gefängnis verurteilt; den Verurteilten wurde aber das aktive und passive Wahl­ recht für die Zeit ihres Lebens abgesprochen. Die Führer der Bewegung sollten politisch ausgeschaltet werden. Aber eben durch diese Verfolgung hat die Heimat­ bewegung an Ausbreitung und Tiefe gewonnen. In zähem Kampf hat die Bevölkerung erreicht, daß den Verurteilten Amnestie zugestanden wurde. Und was wichtiger ist: An der Stellung zur Autonomie und zum Kolmarer Prozeß orientiert sich immer mehr die Entscheidung der Wähler. Bei den Gemeinderatswahlen von 1929 erhielten die Hauptstädte des Ober- und des Unter-Elsaß, Kolmar und Straßburg, heimatrechtliche Gemeinderatsmehrheiten und Stadtverwaltungen. Innerlich sehr verschiedene Parteien haben sich auf dem Boden der Heimat­ rechte zusammengefunden und bilden eine „Volksfront": die katholische Elsässische Volkspartei (nach dem Ausscheiden ihres assimilisationsfreundlichen Flügels, der „Nationalkatholiken"; „national" bedeutet hier immer französischnational), die elsaß-lothringische Fortschrittspartei, die autonomistische Landes­ partei, die elsäffische kommunistische Partei (die von der kommunistischen Partei­ leitung Sowjetrußlands wegen ihres Bündnisses mit den bürgerlichen Heimat­ rechtlern — Autonomisten und „Klerikalen" — aus der Dritten Internationale ausgeschlossen ist). Freilich nicht alle Parteien sind von der Heimatbewegung ergriffen. Die „Nationalkatholiken", die Demokraten und die Sozialdemokraten haben sich ihr versagt; sie sind nach wie vor assimilisationsfreundlich. Elsaß-Lothringen ist in sich gespalten. Die Stimmen der elsaß-lothringischen Abgeordneten im Pariser Parlament heben sich gegenseitig auf. Auch die Vertreter der Kirche sind nicht einheitlich gesinnt. Einen großen, den größten Teil des katholischen Seelsorgeklerus finden wir in der Heimatbewegung für Muttersprache und deutschen Religionsunterricht eintreten. Aber

die Verbindung von Staat und Kirche, wie sie in Elsaß-Lothringen auf napoleonischer Grundlage besteht, hat doch auch ihre Kehrseite. Die Regierung kann kraft der ihr zustehenden Rechte Männer ihrer Richtung in die leitenden Stellen der Kirche bringen, und diese — so heute die Bischöfe von Straßburg und Metz — begünstigen die Assimilierungsbestrebungen. Ähnlich steht es bei den Protestanten. So ist die innere Lage also auch hier zwiespältig. Aber es bekennen sich doch jetzt — anders als 1918 — weite Kreise der Elsaß-Lothringer offen zu ihrem Volkstum. Die Franzosen aber stehen dieser Volksbewegung verständnislos gegenüber. Bei der französischen Regierung wie bei dem französischen Volk beherrscht nach wie vor die nationale Intoleranz das Feld, die deutschgeborene Menschen in Franzosen verwandeln will.

2. Cupen-Malme-p. Statistik. Größe: 1036 qkm; so groß wie das frühere Fürstentum Waldeck, 1055 qkm, fast so groß wie Lippe-Detmold, 1215 qkm. Einwohner nach der Muttersprache 1910: 49494 mit deutscher Muttersprache 9683 „ wallonischer Muttersprache 67 „ deutscher und anderer Muttersprache 759 „ anderer Muttersprache 60003 mit Einwohner. Einwohner nach der Sprachenkenntnis 1920: Die belgische Statistik fragt, wie wir bereits gesehen haben (vgl. oben unter Alt-Belgien), nicht nach der Muttersprache. Doch ihre Erhebung der Sprachenkenntnis läßt immerhin einen Rückschluß auf die Muttersprache zu. Nach Lage der Dinge sind daher als Menschen deutscher Muttersprache anzusehen: die Personen, die nur deutsch sprechen................................................ 44933 die am häufigsten deutsch sprechen (nämlich von denen, die zwei oder alle drei Landessprachen sprechen) . . . 2205 die meisten Kinder unter 2 Jahren (2000 von 2436) . 2100 49238 Deutsche. Die Zahl der deutschen Einwohner ist also fast dieselbe geblieben wie 1910. Nur sind an die Stelle der 1920 verdrängten deutschen Beamten Wallonen und Flamen aus AltBelgien getreten, ein landfremdes Element. Die einheimischen Wallonen aber (und das ist bei der Volkszählung statistisch nicht zu erfassen) halten sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl zu ihren deutschen Heimatgenossen.

Die Annektion. Der Kreis Eupen ist ganz, der Kreis Malmedy zum größten Teil deutsch­ sprachig, nur im Nordwesten desselben bilden die Stadt Malmedy und die

benachbarten Landgemeinden ein kleines, überwiegend wallonisches Sprach­ gebiet, die „preußische Wallonie" (1910: 11545 Einwohner, davon 9445 mit wallonischer Muttersprache); der westliche Teil des rein deutschen Kreises Mon­ schau, ist fast ohne Bewohner an Belgien abgetreten. Die Gebiete haben, abgesehen von der kurzen Zeit der französtschen Fremd­ herrschaft auf dem linken Rheinufer 1795—1815, immer zum Verband des alten Deutschen Reiches, doch zu verschiedenen Territorien gehört. Seit 1815 (Wiener Kongreß) gehörten sie zu Preußen. Im November 1918 wurden die Kreise Eupen und Malmedy von den Truppen der Ententemächte besetzt. Die Annektion vollzog Belgien später teils auf Grund des Versailler Vertrages, teils willkürlich. Die beiden Kreise Eupen und Malmedy sind auf Grund der Artikel 31 bis Z9 des Versailler Vertrages an Belgien abgetreten. Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages (10.1.1920) ging auch die Souveränität an Belgien über. Doch zunächst nur provisorisch. Nach Artikel 34 des V. V. hatten die belgischen Behörden während der ersten 6 Monate danach Listen aus­ zulegen. Die Bewohner der beiden Kreise hatten das Recht, „darin schriftlich ihren Wunsch auszusprechen, daß diese Gebiete ganz oder teilweise unter deut­ scher Staatshoheit" blieben. Belgien kam dieser Verpflichtung in der Weise nach, daß es in jedem der beiden Kreise — sage und schreibe — eine Liste aus­ legte und durch ungeheuren Terrorismus die freie Willensäußerung der Be­ völkerung knebelte. Mit dieser Farce einer Volksbefragung hat es denn auch seinen Zweck erreicht: von etwa 30000 Stimmberechtigten ließen sich nur 271 in die Listen eintragen und protestierten damit gegen die Angliederung der Kreise an Belgien. Es waren fast nur solche, die sowieso aus „Neubelgien" fort­ gingen, meist Beamte. Die bleibende Bevölkerung lehnte eine Teilnahme an der „Abstimmung" ab. So wurde Belgien zwar (am 20. IX. 1920) vom Völker­ bund die volle Souveränität über Eupen-Malmedy zugesprochen, aber in der Bevölkerung bleibt, gerade infolge des gar zu klugen Verfahrens, das Be­ wußtsein des Unrechts lebendig. Über den Versailler Vertrag hinaus hat dann Belgien noch einen großen Teil des Kreises Monschau annektiert, etwa ein Fünftel, nämlich im Süden das Waldgebiet beim Truppenübungsplatz Elsenborn und den ganzen westlichen Teil des Kreises, der durch die Bahnlinie Raeren—Kalterherberg im Osten be­ grenzt wird (belgisch geworden am 1. XI. 1921). Die Bahnlinie bildet die Grenze des belgischen Gebietes. Die westlich der Bahn gelegenen Ortschaften sind aber, während die ihnen gehörenden Ländereien (Äcker, Wiesen, Wald) belgisch sind, — als deutsche Enklaven innerhalb des belgischen Gebietes — deutsches Staats­ gebiet geblieben, ebenso die beiden Chausseen. So ist eine unerhört komplizierte Grenze entstanden! Unter belgischer Herrschaft. Seit dem Beginn der belgischen Herrschaft sind zwei Perioden zu unter­ scheiden. Zuerst, vom 10. Januar 1920 bis 1. Juni 1925, wurde das neuerwor-

bene Gebiet unter ein Ausnahmeregime gestellt: das „Gouvernement Eupen­ Malmedy" unter dem Gouverneur General Baltia hatte diktatorische Voll­ macht. Wer irgendwie auffiel, hatte die Ausweisung zu gewärtigen. Es sind 7 deutsche Enklaven in

Belgien

entstanden: 1. Münsierbildchen

(Landkreis

Aa­

chen), 2. der Südteil von Rötgen mit der Anstedlung

Schwerz­

feld, 3. der westlich der Bahn

gelegene

Teil

von Lammersdorf, 4. ein Gehöft bei Bahnhof Konzen, 5. dasOorfMützenich, 6. die Anstedlung Ruitzhof bet Kalter­ herberg (Nr. 2—6 im Kreise Monschau), 7. der westlich der Bahn

gelegene

des Dorfes

Teil

Heme-

res (Kreis Prüm). Ferner

sind

im

Kreise Monschau

die

Straßen Rötgen-Lammersdorf und RötgenKonzen

bet

Deutsch­

land verblieben. der

Gabelung

Bei dieser

Straßen aber ist ein zum Gehöft

Frings­

haus gehörendes klei­ nes

Grundstück

Enklave

als

bei Belgien

geblieben. Dr. K. Kaehne gez.

Maßstab 1:250000.

Grenzsührung im Kreise Monschau.

Nach der Aufhebung der Diktatur wurde das Gebiet dem belgischen Staats­ organismus eingegliedert: seine drei Kantone Eupen, Malmedy, St. Vith, die den gleichnamigen preußischen Gerichtsbezirken entsprechen (Kreise als Verwal­ tungseinheiten kennt Belgien nicht), wurden der Provinz Lüttich einverleibt.

Seitdem haben die Eupen-Malmedyer nicht nur die Pflichten, sondern auch die Rechte belgischer Bürger. — Freilich die volle bürgerliche Gleichberechtigung ist damit doch noch nicht erreicht. Denn diese Eingliederung ist nur durch könig­ lichen Erlaß erfolgt; das endgültige Gesetz der Einverleibung steht noch aus. Das Gebiet steht also noch immer unter dem Regime der unbeschränkten Voll­ machten; diese sind nicht aufgehoben, sie sind vom Gouverneur Baltia auf den König zurückgegangen. Die Regierung kann durch königlichen Erlaß jedes Gesetz für die Kreise Eupen-Malmedy besonders modifizieren; sie kann es gelten lassen oder auch nicht. Auf zwei Gebieten namentlich hat sich ihre Lage verschlechtert: auf dem der Kirche und der Schule. Kirchlich wurden fie vom Erzbistum Köln los­ getrennt und nach dem kurzen Zwischenspiel eines eigenen Bistums EupenMalmedy (1921—1925) mit der altbelgischen Diözese Lüttich vereinigt; ein Teil der Geistlichen wurde durch Geistliche aus altbelgischen und ausländischen Diözesen ersetzt. Größer noch war die Veränderung im Schulwesen. Deutsch blieb zwar in den Volksschulen der deutschsprachigen Gemeinden Unterrichtssprache, aber an die Stelle der alten traten fast überall neue Lehrer, zum Teil solche, die nicht deutsch konnten. Belgien tritt den Eupen-Malmedyern wesentlich als französisch sprechende Institution entgegen und übt einen starken Druck zugunsten des Französischen aus. In den Volksschulen sucht es nach Möglichkeit Französisch zur zweiten Unterrichtssprache zu machen. Während nach dem Volksschulgesetz die zweite Sprache erst im 5. Schuljahr beginnt und als Fremdsprache unter­ richtet wird, wurde während der Diktatur Baltia der Unterricht im Französischen schon früher begonnen und weiter ausgedehnt, um Französisch zur zweiten Unter­ richtssprache zu machen. Nach der Aufhebung des Gouvernements Baltia hatten die Gemeinden größere Bewegungsfreiheit, und manche haben die Gelegenheit benutzt, den Unterricht dem Gesetze gemäß zu gestalten. Neuerdings aber wird vom Kultusminister wieder ein früherer Beginn des Französischen, vom 3. Schul­ jahr an, empfohlen (Erlaß vom 13. Juni 1933). Politisch werden die Interessen der Bevölkerung durch die Christliche Volks­ partei vertreten; deren Gründung wurde notwendig, als sich herausstellte, daß die katholische Partei Altbelgiens kein Verständnis für die Lage der EupenMalmedyer habe. Bei den Wahlen von 1932 (November) geschah es sogar, daß der Bischof von Lüttich, zu dessen Diözese Eupen-Malmedy gehört, in den Wahl­ kampf eingriff und gegen die Christliche Volkspartei auftrat. Die Heimattreue Wählerschaft hat sich gleichwohl gut behauptet. Auch die sozialdemokratische Partei verdankt ihre Anhänger in Eupen-Malmedy zum nicht geringen Teile dem Umstand, daß sie für die Heimatrechte eintritt und eine neue Volksabstimmung fordert. Die kulturellen Interessen der Eupen-Malmedyer vertritt der Heimatbund. Bei der Kleinheit des Gebietes ist er darauf angewiesen, auswärtige Kräfte zu seinen Veranstaltungen heranzuziehen (Redner, Künstler). Seit einigen Jahren

aber (seit 1931) versagt die belgische Regierung ihnen die Einreise, um auf diese Weise die Eupen-Malmedyer kulturell vom Reich abzuschnüren. Belgien ist Siegerstaat, also genießen die Neubelgier keinen internationalen Minderheitsschutz. Was ihnen aber zugute kommt, ist das Vorhandensein der flämischen Bewegung und die Anerkennung des Deutschen als der in Eupen­ Malmedy herrschenden Landessprache Diese Anerkennung beruht nicht nur auf der halbvergessenen Übung aus der Anfangszeit Belgiens (vgl. oben unter „Altbelgien"), sie ist vielmehr in dem königlichen Eingliederungserlaß vom 4. Oktober 1925 ausdrücklich ausgesprochen; damit ist Eupen-Malmedy, abge­ sehen von der kleinen wallonisch sprechenden Ecke, als deutsches Sprachgebiet anerkannt und demgemäß zu verwalten.

2 b. Kelmis. 3,5 qkm. 1920: 4216 Einwohner, davon 4100 Deutsche. Das frühere Neutral-Moresnet war kein wirklich neutrales Gebiet; es war vielmehr ein umstrittenes Gebiet, das beide Nachbarn, Preußen und Bel­ gien, für sich beanspruchten. Der Grund dafür lag weniger in Unklarheiten der Grenzziehung durch den Wiener Kongreß als in dem Vorhandensein eines Galmei-Bergwerkes (daher auch sein alter Name: Kelmis, französisch: La Calamine). Preußen hat also genau genommen nicht das Gebiet, wohl aber seine Ansprüche auf dies Gebiet an Belgien abgetreten. Kelmis wurde von Belgien nicht mit Eupen-Malmedy vereinigt oder ihm gleich behandelt. Es wurde schon vorher (Herbst 1919) annektiert und einfach zum Kanton Aubel der Provinz Lüttich geschlagen. Die Bevölkerung von Kelmis gehört zum geschlossenen deutschen Sprach­ gebiet. Die Volksschule hat nach der Einverleibung in Belgien deutsch als Haupt­ unterrichtssprache („Leitsprache") beibehalten, aber schon vom 2. Schuljahr ab ist Französisch als „zweite Sprache" eingeführt. Dagegen ist Französisch alleinige Verwaltungssprache geworden.

4. Norüschleswig. 3993 qkm; 1910: 166348 Einwohner, davon 40172 mit deutscher Muttersprache 123828 „ dänischer Muttersprache 732 „ deutscher und anderer Muttersprache 1616 „ anderer Muttersprache Summa: 166348

1921: 163622 Einwohner; davon 35000—40 000 Deutsche. Besitzergreifung. Bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrages (10.1.1920) blieb ganz Schleswig-Holstein unter preußischer Verwaltung. Mit diesem Tage wurde

die Zivilverwaltung des nordschleswigschen Abstimmungsgebietes (Zone I und 11) von der Internationalen Kommission übernommen, welche nach Artikel 109 die Volksabstimmung durchzuführen hatte. Das Ergebnis der Abstimmung war in beiden Zonen verschieden: Tag der Abstimmung

Stimmberechtigte

1. Zone

10. II. 1920

2. Zone

14.III.1920

Abgegebene Stimmen für Deutschland

Dänemark

109745

25 329

75431

71893

51724

12 800

Dementsprechend kehrte die zweite Zone, nachdem der von dänischer Seite unternommene Versuch der Jnternationalisierung abgeschlagen war, zu Preußen zurück; die erste wurde Dänemark zugesprochen, das am 16. VI. 1920 die Regie­ rungsgewalt übernahm. Allerdings sind bei der definitiven Festsetzung der Grenze (am 15. VI. 1920) noch mehrere Ortschaften der zweiten Zone von Preußen losgerissen. Unter dänischer Herrschaft. Die Deutschen in Nordschleswig (35000—40000) gehören zum Teil noch dem geschlossenen deutschen Sprachgebiet an (Gegend von Tondern, Hoyer, Tingleff); zum anderen Teil leben fie unter plattdänischsprechender Mehrheit (Apenrade, Soaderburg, tzadersleben u. a.). Die plattdänische Mundart, die sich vom Hoch­ dänischen sehr wesentlich unterscheidet, beherrscht noch völlig das flache Land in Nord­ schleswig. Auch dieser Teil unseres Volkes hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Immerhin haben die Deutschen hier doch wenigstens — innerhalb be­ stimmter Schranken — die Möglichkeit, ihre Kinder in deutsche kommunale Volksschulen zu schicken. Aber deren Leitung ist in die Hände der lokalen In­ stanz (Schulkommission) gelegt; wo diese nun, wie das häufig der Fall ist, dänische Mehrheit hat, kann sie die deutschsprachige Schule mit dänischem Inhalt füllen. Diese Schulen find daher von sehr verschiedenem Wert. An vielen Orten müssen private Volksschulen aushelfen (Anfang 1934: 28 kommunale deutschsprachige Volksschulen, 47 private deutsche Volksschulen, 1 private höhere Schule). Auch die kirchliche Lage ist nicht befriedigend. Die Bewohner des abge­ tretenen Gebiets, Deutsche und Dänen, wurden automatisch Mitglieder der dänischen Landeskirche. Zum größeren Teil sind das die Deutschen auch heute noch. Aber nur in den 4 Städten (Tondern, Apenrade, tzadersleben, Sonder­ burg) bestehen noch deutsche Kirchengemeinden mit deutschen Pastoren. Außer­ dem ist eine Reihe von Pastoren im Amt geblieben, welche nebenbei auch die deutschen Gemeindeglieder bedienen. Zum Teil aber mußten die Deutschen den Weg der Selbsthilfe beschreiten. In mehreren Fällen, wo ihnen deutscher Gottes­ dienst verweigert wurde, traten fie aus der Landeskirche aus und gründeten eigene Gemeinden, die fich an die Schleswig-tzolsteinsche Kirche anlehnen (bisher 5 Freigemeinden: Tingleff, Lügumkloster, Gravenstein, Wilstrup, Apenrade);

sie bilden die „Nordschleswigsche Gemeinde der Evg.-Luth. Landeskirche Schles­ wig-Holsteins". Wirtschaftlich haben die Deutschen unter den Folgen der Annektion zwiefach gelitten: der deutsche Bodenbesitz hat sich zugunsten des dänischen erheb­ lich verringert und die wirtschaftliche Not, die über Nordschleswig hereingebrochen ist, hat sie schwer getroffen. Diese Not Nordschleswigs wurde 1928 so groß, daß sie Angehörige beider Völkerschaften in der „deutsch-dänischen Sammlungs­ bewegung" zusammenführte, damit sie gemeinsam von der dänischen Regierung Abhilfe forderten. Nach der Sammlungsbewegung entstand die über ganz Dänemark verbreitete LS-Bewegung (LS., dänisch, Abkürzung von: „Landbrugernes Sammenslutning" = Zusammenschluß der Landwirte); es ist eine antu parlamentarische Bauernbewegung. Diese trägt in Nordschleswig einen eigenen Cha­ rakter, der stärker zum Protestieren neigt. Daneben gibt es eine NordschleswigscheFront,die aus Deutschen und Dänen besteht, die ohne Ansehen der Na­ tionalität sich eine Besserung der Wirtschaftsverhältnisse nur denken kann, wenn Nordschleswig bei weitestgehender minderheitenrechtlicher Berücksichtigung der fremden Nationalität in ein positives Verhältnis zum Deutschen Reich tritt. Die dänische Siedlung wirft sich mit Vorliebe auf Gebiete an der neuen Grenze, also auf die Gebiete, die von den Deutschen am stärksten besiedelt werden. Der Gefahr, die hier droht, zu begegnen, wurde eine deutsche Bodenkreditgesellschaft gegründet. Politisch sind die Deutschen in der „Schleswigschen Partei" zusammen­ gefaßt und durch einen Abgeordneten im dänischen Reichstag vertreten. Seit dem Frühjahr 1933 hat eine Erneuerungsbewegung unter den Deutschen Nord­ schleswigs eingesetzt und unter dem Namen „Nationalsozialistische Arbeits­ gemeinschaft Nordschleswig" (NSAN) Fortschritte gemacht. Wir werden solcher Erneuerungsbewegung noch anderwärts begegnen.

5. Die freie Staüt Danzig. Umfang: 1893 qkm; dazu 58 qkm vom Frischen Haff. Einwohner: 1910: 330630; 1923: 366730; 1929: 407517. Die Bevölkerung nach der Muttersprache: 1910

1923

Muttersprache

°/°

absolut

deutsch.......................................... polnisch...................................... kassubisch...................................... masurisch...................................... deutsch und polnisch .... deutsche und andere Sprache . andere Sprache........................

315336 9490 2165 56

Zusammen

330 630

s

j

544

') Mit Einschluß von kassubisch und masurisch.

1 s

I 3,5

°/°

348 493

95/4 \

2 547

492

absolut

>

95/0

) 12 027

j

}

3/3

j o,4

0,8 n,

i 629 *)

°/3

4 58i

i/3

100,0

366 730

100,0





Verselbständigung. Danzig wurde sehr gegen seinen Willen vom Deutschen Reiche abgetrennt und mit dem Geschenk staatlichen Eigenlebens beglückt. Nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages (io. 1.1920) führte zunächst der preußische Regierungs­ präsident zu Danzig die Verwaltung im Aufträge der alliierten Hauptmächte weiter. Am 11. II. 1920 übergab dieser die Zivilverwaltung an den Vertreter der alliierten und assoziierten Mächte. Am 15. XI. 1920 erfolgte die endgültige Konstituierung der „Freien Stadt Danzig". Das Gebiet wurde dem neuen Staatswesen ziemlich willkürlich zusammengeschnitten, aus dem Stadtkreis Danzig und Teilen der westpreußischen Kreise Berent, Danziger Höhe, Danziger Niederung (fast ganz), Dirschau, Elbing, Karthaus, Marienburg, Neustadt. Jetzt ist es in 5 Verwaltungsbezirke geglie­ dert: die Stadtkreise Danzig und Zoppot, die Landkreise Danziger Höhe, Dan­ ziger Niederung, Großer Werder. Ist dem Staat auch ein nicht unbeträchtliches Landgebiet zugewiesen — sein Gesamtumfang entspricht ungefähr dem des Saargebiets (= 1926 qkm) —, so beruht seine wirtschaftliche Bedeutung doch im wesentlichen auf der Stadt Danzig, nämlich seinem Hafen und Handel. Verfassung (Danzig, Polen und der Völkerbund). Danzig ist — im Unterschied vom Saargebiet, das durch eine fremde, internationale Regierungskommission verwaltet wird — ein wirklicher Staat. Es besitzt eigene Regierung und Verwaltung, eine eigene Währung (GuldenWährung). Die Souveränität geht vom Volk aus. Die gesetzgebende Gewalt übt der „Volkstag" aus, dessen Mitglieder aus allgemeinen Wahlen hervor­ gehen. Die vollziehende Gewalt ruht in den Händen des Senats, an dessen Spitze der Präsident steht. Doch ist Danzigs Bewegungsfreiheit gehemmt durch zwei andere Größen: durch Polen und durch die Gesellschaft der Nationen (Völkerbund). Beide genießen in Danzig bestimmte Rechte, die in der Danziger Verfassung festgelegt sind. Polen hatte bei den Friedensverhandlungen zunächst (mit französischer Unterstützung) nach der vollständigen Annektion Danzigs gestrebt. Mit diesem Anspruch drang es aber nicht durch; offenbar wollte England ihm nicht einen Hafen und Handelsplatz von der Bedeutung Danzigs ausliefern. Als Ersatz gestanden die Ententemächte ihm aber zu, daß es Danzig als freien Zugang zum Meer benützen dürfe. Aus dieser grundsätzlichen Konzession ergab sich eine Reihe bedeutsamer Vorrechte, die Polen in Danzig genießt. Der Hafen, das wichtigste Stück des Danziger Lebens, ist Danzig entzogen, allerdings auch nicht an Polen übergegangen; seine Leitung und seine Verwaltung ist einem besonders geschaffenen „Ausschuß für den Hafen und die Wasserwege von Danzig", der aus 5 Danzigern und 5 Polen besteht, unter dem Vorsitz eines neutralen Präsidenten übertragen; das ganze Gebiet von Danzig wurde ins

polnische Zoll- und Wirtschaftsgebiet aufgenommen; sämtliche Eisen­ bahnen wurden Polen zugeteilt (mit doppelsprachigen Aufschriften, aber Danziger Beamten und deutscher Verkehrssprache); Polen hat einen eigenen Post­ verkehr zwischen Polen und dem Hafen von Danzig auf Danziger Staatsgebiet einrichten dürfen und diesen sogar eigenmächtig mit eigenen Briefkästen in das Innere der Stadt ausgedehnt (Briefkasiensireit), wozu leider der Völker­ bundsrat nachträglich seine Zustimmung gab; ihm ist die diplomatische Aus­ führung von Beschlüssen Danzigs in auswärtigen Angelegenheiten und der Schutz seiner Staatsangehörigen im Ausland übertragen; endlich ist ihm sogar, obwohl es in Danzigs nächster Nähe einen neuen Kriegshafen bei Gdingen besitzt, ein Munitionsausladeplatz auf Danziger Gebiet (auf der Westerplatte) eingeräumt und dessen Bewachung durch polnische Soldaten, während Danzig selbst kein Militär unterhält und völlig waffenlos ist, gestattet worden. Also sehr wichtige Vorrechte! All diese Vorrechte Polens schränken Danzigs Souve­ ränität zwar empfindlich ein, heben sie aber nicht auf. Die Gefahr besteht darin, daß Polen seine Vorrechte noch weiter auszudehnen strebt. Den Schutz der Freien Stadt Danzig hat die Gesellschaft der Nationen (Völkerbund) übernommen. Sein Kommissar in Danzig mit dem Titel „Hoher Kommissar übt keine Verwaltungstätigkeit aus, sondern lediglich schiedsrichter­ liche Tätigkeit erster Instanz in den nur zu häufigen Streitfragen zwischen Polen und Danzig. Die zweite und letzte Instanz ist die Gesellschaft der Nationen selbst. Innere Lage. Die Deutschen in der Freien Stadt Danzig find, zum Unterschied von den meisten auslanddeutschen Siedlungsgebieten, keine Minderheit. Danzig ist ein deutscher Staat mit geringfügiger polnischer Minderheit, die weitgehenden Minderheitenschutz genießt. Die Zahl der Abgeordneten, welche die polnische Partei in das Danziger Parlament, den Volkstag, schickt, hat sogar abgenom­ men und beträgt heute nur noch 3 (1920: 7, 1923: 5, 1927: 3,1930: 2, 1933: 3 unter 120 Abgeordneten). Außer den Polen mit Danziger Staatsbürgerschaft leben aber auch Polen, welche Staatsbürger Polens sind und bleiben, in Danzig (1923: 6788 Danziger Staatsangehörige, 5239 Nicht-Danziger Polen, zusammen 12027 Einwohner mit polnischer Muttersprache); und die Zahl dieser polnischen Staatsangehörigen, die als Beamte, Angestellte, Arbeiter, Gewerbetreibende nach Danzig kommen, ist, scheint es, im Wachsen be­ griffen. Auch die Kirchen beider Konfessionen haben der staatlichen Selbständigkeit Danzigs Rechnung getragen. Die Bevölkerung ist zu drei Fünfteln evangelisch (224000), zu zwei Fünfteln katholisch (157000). Die katholischen Pfarrbezirke, die bisher zum größten Teil dem jetzt an Polen gefallenen Bistum Kulm, zum kleineren Teil dem bei Deutschland verbliebenen Bistum Ermland angehörten, find aus diesen Diözesen ausgeschieden und zu einem exemten (nur Rom unter­ stellten) Bistum erhoben. Die evangelischen Gemeinden bilden eine eigene LanFittbogen, Auslanddeutschtum.

3

dessynode, die aber der evangelischen Kirche Preußens, der altpreußischen Union, weiterhin angehört und deren Kirchenprovinzen gleichgestellt ist. Aber Danzigs Lage bleibt doch immer bedroht. Die Gefahr heißt Polen. Polen hat bisher die Souveränität Danzigs offiziell nicht anerkannt, und seine Politik war jahrelang darauf gerichtet, Danzig zu schwächen. Als Teil des pol­ nischen Wirtschaftsgebiets geriet Danzig durch die polnische Handelspolitik, die nur die Bedürfnisse Polens berücksichtigte, in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Insbesondere aber wandte Polen bedeutende Mittel auf, um seinen neuen Hafen Gdingen, den es erst 1920 nur 30 km von Danzig entfernt angelegt hatte, zu entwickeln. Dank der staatlichen Protektion überflügelte der Handel Gdingens bereits den Handel Danzigs. Polen schien gewillt, dasselbe Danzig, in dem ihm — als seinem einzigen Zugang zum Meere — eine bevorzugte Stel­ lung eingeräumt war, auf die Dauer lahmzulegen. Die neue nationalsozialistische Danziger Regierung, die im Juni 1933 ans Ruder kam, hat nun versucht, mit Polen zu einer Verständigung zu gelangen. In dem Abkommen zwischen Danzig und Polen (vom 5. August 1933) find zwei wesentliche Fragen geregelt: die Ausnutzung des Danziger Hafens durch Polen und die Behandlung der polnischen Minderheit in Danzig. Erstens: Polen fichert dem Danziger Hafen ein bestimmtes Verkehrs­ niveau und wird ihm für die Zukunft eine praktisch gleiche Behandlung mit Gdingen zuteil werden lassen. Zweitens: das Abkommen über die polnische Minderheit in Danzig beschränkt sich nicht nur — wie üblich — auf das Schulwesen in den Volks- und höheren Schulen, also auf das Notwendigste. Es regelt außerdem auch die Frage der Fortbildungsschule und der Hochschule (in Danzig also: der Technischen Hochschule) für die Danziger Staatsangehörigen polnischer Muttersprache, ebenso auch die Frage der Anerkennung von Zeugnissen und Diplomen, die in Polen erworben find und in Danzig für Berufsausbildung und -ausübung gebraucht werden. Es handelt sich also um eine ganz umfassende Regelung der gesamten Schul- und Berufsausbildung, die Danzig in Verwirklichung einer Bestimmung des Versailler Vertrages (Artikel 104.5) seiner polnischen Minderheit gewährt — freilich bisher ohne Gegenseitigkeit. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser großzügige Versuch einer Verständi­ gung bewähren wird.

H. Memelgebiet. Die Eigentümlichkeit der Bevölkerungsverhältnisse spiegelt sich in den Ergebnissen der Statistik wieder; sie entzieht sich der präzisen Erfassung. Auch die reichsdeutsche Volks­ zählung von 1910 bietet nur scheinbar klare Ergebnisse. Sie beachtet nämlich nicht, daß die Einwohner litauischer Muttersprache alle (oder so gut wie alle) auch deutsch sprechen und sich — unbeschadet ihrer Haussprache — zur deutschen Kulturgemeinschaft rechnen. In der Volkszählung von 1925 treten als neue Gruppe die „Memelländer" auf. Das sind offenbar diejenigen, die im Unterschied von den aus Alt-Litauen zugezogenen Litauern ihre Bodenständigkeit und kulturelle Eigenart betonen wollen, beide Sprachen beherrschen

Statistik. Umfang: 2417 qkm. Dazu 443 qkm vom Kurischen Haff. Bevölkerung nach der Muttersprache 1910: Einwohner

Summa:

Muttersprache

absolut

7.

71781 67 124

47,8

2028 305

i,4 0,2

141238

100,0

50,6

mit deutscher Muttersprache „ litauischer Muttersprache (die aber fast alle auch deutsch sprechen) mit deutscher und anderer Muttersprache „ anderer Muttersprache

Bevölkerung nach der Nationalität 1925: Einwohner

Nationalität

in Grundzahlen

in Prozenten

Deutsche............................... „Memelländer'....................... unbekannte Nationalität . . . 1 — 3 zusammen................... Litauer................................... Juden................................... Russen................................... andere...................................

59337 34337 4067

43/5 25,2 3/0 7J>7 2 7/6

Summe:

136367

97 741

37 626 578 267 155

o,4 0,2 0,1 100,0

Ausländer...............................

5278



Einwohner insgesamt:

141645



und sich zur deutschen Kulturgemeinschast halten. Die Personen unbekannter Nationalität dürsten zum größten Teil Deutsche sein, die sich aus irgendeinem Grunde scheuten, offen mit dem Bekenntnis ihrer Nationalität hervorzutreten (Winkler). Damit ergibt sich, daß schon hiernach mehr als zwei Drittel der Einwohner (71,7%) sich zur deutschen Kulturgemeinschaft rechnen. — Die Angabe über die Gruppe der „Litauer" erhielte erst dann Wert, wenn aus ihr zu ersehen wäre, wie viele davon aus Alt-Litauen eingewandert, wie viele im Memelgebiet bodenständig sind. Deutlicher noch tritt die starke Stellung desWeutschen in einer Schulzählung zutage. Die Schüler im Memelgebiet nach Abstammungs- und Denksprache (am 5. Mai 1928):

Abstammungssprache

Oenksprache

Sprache Gesamtzahl

°/o

Gesamtzahl

°/o

Nur deutsch............................. Deutsch und litauisch .... Nur litauisch............................ Sonstige......................................

10906 3530

63,27 20,48

69,20 18,73

2 749

15/95

51

0,30

ii 927 3229 2070 10

Zusammen:

17236

100,00

17236

100,00

12,01 0,06

Auch die Wahlen zum memelländischen Landtag zeigen ein ähnlich starkes Überwiegen der deutschen Stimmen. Aus alledem ergibt sich, daß die Deutschen im Mcmelgebiet keine Minderheit sind, sondern daß sie die Mehrheit der Bevölkerung bilden.

Abgrenzung des Gebiets. Das „Memelgebiet", d. i. der nördlich der Memel gelegene Teil der Pro­ vinz Ostpreußen, umfaßt den Stadtkreis Memel, die Landkreise Memel, Heydekrug (zum größten Teil, dazu ein kleines Stück des Kreises Niederung), ferner die nördlich der Memel gelegenen Teile der Kreise Ragnit und TilsitLand (nebst einem kleinen Teil des Kreises Tilsit-Stadt). Die beiden letzteren wurden zu dem neuen Kreis Pogegen zusammengefaßt, so daß das Gebiet jetzt aus den 4 Kreisen Memel-Stadt, Memel-Land, Heyde­ krug, Pogegen besteht. Ältere Geschichte. Das Memelgebiet hat bis zum Jahre 1920 eine selbständige Geschichte nicht gehabt; es hat nur als Teil an der Geschichte anderer Gebiete teilgenommen. Die deutsche Stadt Memel ist 1252 vom livländischen Zweig des Deut­ schen Ordens an der Stelle eines kurischen Dorfes — die ältesten historischen Bewohner der Gegend waren Kuren, nicht Litauer — gegründet worden; sie gehörte ursprünglich zu Kurland. Der Schwertbrüderorden nämlich, der ursprüng­ liche Herr Livlands (im alten Sinne), hatte sich bereits 1237 mit dem Deutschen Orden verschmolzen; dieser wurde dadurch auch Herr in Livland. Aber seine beiden Provinzen hatten noch keine Verbindung miteinander, zwischen ihnen lag ununterworfenes Gebiet. In dies drang von Norden her der livländische Ordens­ zweig vor und gründete Memel. Erst 1328 wurde die Stadt mit dem umliegen­ den Land der Ordensprovinz Preußen zugeteilt, seitdem gehörte sie ohne Unter­ brechung zu Ostpreußen. Die Landgrenze gegen Litauen liegt seit 1422 (Friede am Melnosee) fest. Deutsche und Litauer. Die ältesten Bewohner des heutigen Memelgebietes waren nicht Litauer, sondern Kuren im Norden, Schalauer, ein preußischer Volksstamm, im Süden. Zu ihnen gesellten sich nun (seit 1252) die Deutschen. Sie gaben dem Land

fortan das Gepräge. Litauer gab es nur außerhalb der Landesgrenzen. Sie waren Heiden und darum Feinde des Ordens. Erst als die Litauer (1386) zum Christentum übergetreten waren und die Kämpfe mit dem Frieden von 1422 ihr definitives Ende gefunden hatten, wurde das anders. Nun kamen (seit 1450) auch Litauer ins Land; aber sie kamen als Freunde, von den Deutschen gerufen, die sie zur Jnnenkolonisation heranzogen. Sie fiedelten sich in der Wildnis an; die ersten noch unter der Ordensherrschaft, die meisten erst unter Herzog Albrecht I. von Hohenzollern und seinen Nach­ folgern (seit 1525). Ihre Ausbreitung auf preußischem Boden ist also verhältnis­ mäßig jungen Datums. Um 1700 hörte sie auf; dann setzte wieder stärkerer deut­ scher Zuzug ein (tief. die Salzburger unter Friedrich Wilhelm I., 1732). Hier wurden sie evangelisch, lebten mit den Deutschen zusammen und wuchsen im Lauf der Jahrhunderte in die deutsche Kulturgemeinschaft hinein. Diese Entwicklung trennte sie von den Litauern jenseits der Grenze, die katho­ lisch blieben und erst unter polnischer, dann unter russischer Herrschaft ein dumpfes Dasein führten. Übergangszeit. Unter der Souveränität der alliierten Mächte (10. I. 1920—18. II. 1923). Den Grund für die Abtrennung des Memelgebietes bilden, abgesehen von dem Willen der Ententemächte, Deutschland zu schwächen, der Hafen der ganz deutschen Stadt Memel, der den einzigen Zugang zur See für das Hinterland (d. i. die „litauischen Territorien") bildet, und die litauische Haussprache eines Teils seiner Bewohner. Da die „Rechtsverhältnisse der litauischen Territorien" noch nicht bestimmt waren (Polen hätte am liebsten eine „Union" mit Litauen gesehen, also es sich einverleibt; Litauen erreichte erst am 20. Dezember 1922, daß die Alliierten es de jure als Staat anerkannten), trat zunächst ein Provi­ sorium ein: bis zur definitiven Regelung übernahmen die alliierten Mächte (England, Frankreich, Italien, Japan) die Souveränität über das Memelgebiet (10. 1.1920). In ihrem Namen führte ein französischer Oberkommissar (seit dem 15. II. 1920) die Verwaltung. Als Bewerber um den Besitz des Memelgebietes traten von vornherein Polen und Litauen auf. Die Bestimmung über seine Zukunft lag ausschließlich in der Hand der Ententemächte. Das Deutsche Reich war von vornherein aus­ geschaltet. Die Memelländer selbst, gleichgültig, ob deutscher oder litauischer Sprache (abgesehen von einer kleinen Gruppe großlitauisch Gesinnter) jagten, getrieben von dem Wunsch, nicht in die kulturellen und wirtschaftlichen Zu­ stände Osteuropas herabgezogen zu werden, dem Phantom eines memelländi­ schen Freistaates unter französischem Protektorat nach. Drei Jahre lang war nun das Memelgebiet Gegenstand eines jähen poli­ tischen Ringens zwischen Litauen, Polen und Frankreich. Litauen, das als un­ mittelbarer Nachbar Anspruch auf das Memelgebiet erhob, stieß auf den ver­ einigten Widerstand Polens und Frankreichs. Polen strebte selbst nach dem

Besitz des Memeler Hafens. War dies Ziel nicht gleich j» erreichen, so war ihm auch ein französisches Dauerprotektorat über das Memelgebiet willkommen. Denn Frankreich sagte ihm für diesen Fall sofort wichtige Vorrechte im Memeler Hafen zu und hätte ihm bald das Gebiet ganz überlassen. Frankreich be­ sorgte hier die Geschäfte seines östlichen Bundesgenossen. Polen als Herr des Memelgebietes bedeutete für Litauen aber die Gefahr einer tödlichen Umklam­ merung. Als nun die Entscheidung der Botschafterkonferenz gegen Litauen un­ mittelbar bevorstand, griffen litauische Freischaren zur Selbsthilfe. Sie fielen (am io. 1.1923) ins Memelgebiet ein, setzten ein memelländisches Landesdirek­ torium ein und erklärten die Vereinigung des Landes mit Litauen. Daß Frank­ reich sich gleichzeitig ins Ruhrabenteuer festbiß (11.1.), kam ihnen zugute: so konnte sich Frankreich nicht auch noch im Osten engagieren, es zog seine Truppen und seinen Oberkommissar zurück. Die Entente fand sich mit der vollzogenen Tatsache ab, verlangte nur die Ersetzung der revolutionären Landesregierung (Landesdirektorium) durch eine legale und übertrug — vielleicht als Entschädi­ gung für die Annektion Wilnas durch Polen — die Hoheit über das Memelgebiet unter gewissen Bedingungen, die in einem Memelsiatut festgelegt werden sollten (vor allem: Autonomie für das Memelgebiet, Vorrechte im Memeler Hafen für Polen) an Litauen. Da Litauen und Polen sich über die Hafenfrage nicht einigen konnten, hat es lange gedauert, bis das Memelstatut zustande kam. Erst 1924 wurde eine Regelung gefunden, mit der sich auch Litauen einver­ standen erklärte (14. III. 1924, von Litauen ratifiziert am 30. VII. 1924). Die Verwaltung des Hafens wird nicht Litauen gelassen, sondern einem Hafen­ direktorium von drei Mitgliedern übertragen, von denen je eins von der litau­ ischen Regierung, vom memelländischen Landesdirektorium und vom Völker­ bund ernannt wird. Unter litauischer Herrschaft. Nach dem Memelstatut bildet das Memelgebiet ein autonomes Territorium unter der Souveränität Litauens; es hat eigene Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung und Finanzwirtschaft. Den Einfluß Litauens im Memelgebiet wahrt der Gouverneur, der von der litauischen Regierung ernannt wird; die gesetz­ gebende Gewalt übt der Landtag (Seimelis) aus, der von den Bürgern des Memelgebietes gewählt wird. Die vollziehende Gewalt übt das „Direktorium des Memelgebiets" aus, das aber des Vertrauens des Landtages bedarf. Sein Präsident wird vom Gouverneur ernannt; der Präsident ernennt die übrigen Mitglieder. In der Praxis aber hatte die memelländische Autonomie von Anfang an mit großlitauischen Unterdrückungsbestrebungen zu ringen. Die ersten Wahlen, um Jahr und Tag zu spät ausgeschrieben (19. X. 1925), endeten mit einem großen Sieg der deutschen Parteien: von den 29 Abgeordneten wurde 27 auf die Ein­ heitsliste der drei deutschen Parteien, Landwirtschaftspartei, Volkspartei, Sozial­ demokratie gewählt, nur 2 waren Großlitauer. Aber der Landtag konnte nicht

ruhig arbeiten. Der Gouverneur suchte ihn lahmzulagen. Der Konfliktspunkt war immer derselbe: während das Direktorium des Memelgebiets verfassungs­ gemäß des Vertrauens des Landtages bedarf, also den Parteiverhältniffen des Landtages entsprechend zusammengesetzt sein muß, suchte der Gouverneur dem Landtag ständig großlitauisch gesinnte Männer (also Kreaturen des Gouver­ neurs) aufzuzwingen. Zudem legte er fortgesetzt sein Veto gegen die Beschlüsse des Landtages ein. Das führte zu mehrfachen Landtagsauflösungen und zu Neuwahlen, ohne daß sich grundsätzlich etwas an der Lage änderte. Als es end­ lich klar wurde, daß sich auf diese Weise nicht regieren ließe, und als nach einer neuen Auflösung des Landtages die deutschen Parteien in ungebrochener Mehrheit wiederkehrten, wurde der Gouverneur abberufen (1932). Der neue Gouverneur verfolgte eine Politik der Verständigung. Allerdings ist die Autonomie des Memelgebiets noch von einer anderen Seite her bedroht. Im Jahre 1926 ist — bei der Einführung der Diktatur in Litauen, Dezember 1926 — der „Kriegszustand" über den Gesamtstaat und damit auch über das Memelgebiet verhängt. Dieser Kriegszustand ermöglicht es dem Kriegskommandanten im Memelgebiet, allerlei Maßnahmen vorzunehmen, die sonst nicht möglich wären (Zeitungsverbote, Geldstrafen, Verhaftungen usw.). Der friedlichere Zustand dauerte aber nicht lange. Schon 1933 erfolgte ein neuer Umschwung. Der Erneuerungsbewegung, die auch im Memelgebiet auf­ tritt, hier bei den Stadtverordnetenwahlen von Memel den ersten großen Erfolg erringt, die das Ziel hat, die bisherigen deutschen Parteien zu überwinden und alle Memelländer in einer Volksgemeinschaft zu sammeln — dieser Bewegung steht die litauische Regierung verständnislos gegenüber. Sie beginnt aufs neue den Kampf gegen die Autonomie des Memelgebiets. Diesmal auf anderem Felde. Sie erläßt ein Gerichtsverfassungsgesetz, das — im Widerspruch zum Memelstatut — die Selbständigkeit der memelländischen Gerichtsbarkeit antastet und ihr einen wichtigen Teil der Gerichtssachen (z. B. Vergehen litau­ ischer Beamten im Memelgebiet) entzieht; sie führt ein neues Ausländergesetz ein, das die Autonomie des Memelgebiets nicht achtet, und beginnt auf Grund desselben, deutsche Beamte und Angestellte, die von den Behörden des Memel­ gebiets zugelassen sind, auszuweisen. Endlich erläßt sie (am 9. Februar 1934) ein Gesetz zum Schutz von Volk und Staat, das die Presse-, Versammlungs- und Redefreiheit aufhebt und die Memelländer der Willkür aus­ liefert, verhaftet die'Führer der Erneuerungsbewegung (besonders der „So­ zialistischen Volksgemeinschaft") und verbietet die beiden Parteien der Er­ neuerungsbewegung. (Im Memelgebiet hat sich nämlich die Erneuerungs­ bewegung in zwei Gruppen gespalten: die „Sozialistische Volksgemeinschaft", die Hauptbewegung, und die „Christlich-sozialistische Arbeitsgemeinschaft", die schwächere Gruppe). Auch die Kirche ist in diesen Konflikt hineingezogen. Es war gelungen, für die evangelische Kirche des Memelgebietes (die Bevölkerung ist fast ganz evangelisch) eine Lösung zu finden, die sie vor völliger Isolierung und der damit

drohenden Verkümmerung schützt (Abkommen vom 31. Juli 1925). Die evan­ gelischen Gemeinden des Memelgebiets bilden einen eigenen Synodalverband; aber dieser bleibt, u. a. durch Vertreter, die er zur ostpreußischen Provinzialsynode nach Königsberg wie zur Generalsynode nach Berlin entsendet, in Ver­ bindung mit der Mutterkirche. Dies Abkommen ist nun von der litauischen Re­ gierung außer Kraft gesetzt, da mit der Errichtung einer evangelischen Gesamt­ kirche in Deutschland im Jahre 1933 („Deutsche evangelische Kirche", abgekürzt inoffiziell „Reichskirche" genannt) die Rechtslage sich geändert habe. Schon seit der gewaltsamen Okkupation hat die litauische Regierung beson­ ders in Verwaltung und Schule litauisierend gewirkt (Ausweisung von deut­ schen Beamten, Import von Beamten aus Kowno-Litauen, Anordnung litau­ ischen Unterrichts in einem Teil der Schulen und im Lehrerseminar zu Memel). Doch sind die Erfolge in der Litauisierung der Volksschule dadurch gehemmt, daß die Zahl derer, die in litauischer Sprache zu unterrichten vermögen, nur gering ist. — An sich ist das Schulwesen Gebietssache, ist also von den Be­ hörden des Memelgebiets autonom zu verwalten. Gleichwohl ist gerade das Lehrerseminar durch die Eingriffe des litauischen Gouverneurs mehr und mehr dem Einfluß der Gebietsverwaltung entzogen und zu einer einseitig litauisch orientierten Anstalt gemacht. Deutsche Schüler werden fast ganz von der Aufnahme ausgeschlossen. Im Parlament des Gesamtstaates, dem Seim zu Kowno, war das Memel­ gebiet durch 5 (deutsche) Abgeordnete vertreten. Doch nicht lange. Denn noch im Jahre der Wahl, im Dezember 1926, wurde in Litauen die Diktatur eingeführt und daher das Parlament aufgelöst. Seitdem besteht in Litauen kein Parlament mehr (vgl. unten: das Kapitel über Litauen). Das Memelgebiet ist politisch ein Teil Osteuropas geworden; aber die autonome Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten kann für die Memel­ länder das Mittel werden, sich auf der kulturellen und wirtschaftlichen Höhe Mitteleuropas zu erhalten und das deutsche Volkstum zu schützen. 7. Mn polen verlorenes Gebiet. 46143 qkm; 1910: 3854961 Einwohner, davon 1364073 mit 2300221 „ 66224 „ ______124443 „ Summa: 3854961.

deutscher Muttersprache polnischer Muttersprache deutscher und anderer Muttersprache anderer Muttersprache

1. posen-westpreußen.

Gebietsumfang und Bevölkerung. Die an Polen abgetretene Ostmark, häufig Posen-Westpreußen genannt, setzt sich in Wirklichkeit aus Stücken von 6 verschiedenen preußischen Provinzen zusammen.

qkm Ostpreußen. . Westpreußen . Brandenburg. Pommern . . Posen. . . . Niederschlesien.

Be­ völkerung l.XII. 1910

501,37 15864,50 0,05

9,64

Muttersprache deutsch

polnisch

deutsch und andere

andere

104 9952)

93711)

24787 964704 —

9232 411 621

5 289 433 281

895 14807





224 946461 26 248

180 669 859

1263 346

— — 11194

9480

13149

2247

2062 i 372

I 100 372 I 715 109

29143

II7 800

26041,84 511,56

I

42 928,96

2962 424

44

— —

Den größten Teil liefern Posen und Westpreußen, kleinere Stücke haben Ostpreußen (Teile der Kreise Neidenburg sdas Soldauer Gebiets und Osterode [3 Gemeinden: Groschken, Klein-Lobenstein, Klein-Nappern; 1 Gutsbezirk: Klein-Nappern^) und Niederschlesten (Stücke der Kreise Wartenberg, Guhrau, Namslau und Militsch) verloren; aber auch Pommern hat Einbuße zu ver­ zeichnen (Stücke der Kreise Bütow, Stolp, Lauenburg), und selbst Brandenburg bleibt nicht unangetastet. Polen ist hier (im Kreise Friedeberg) auf einer län­ geren Strecke unmittelbar Nachbar der Kernprovinz des preußischen Staates geworden (etwa 30 km). Jetzt ist das Gebiet in die beiden Wojewodschaften Pommerellen und Posen zusammengefaßt. Die Zusammensetzung der Bevölkerung hat seit dem Über­ gang an Polen eine außerordentlich starke Verschiebung erfahren. Gebiet

qkm

darunter

Bevölkerung 1926

Deutsche

Pomerellen. .

16386

939000

Posen....

26 603

i 974 000

mindestens 118000 mindestens 225 000

2913 000

mindestens 343 000

Zusammen:

42 989

Polen

Kaschuben

Masuren

HO 000

9000

I 749 000





2 449 000

HO 000

9000

700 000

„Mindestens" 343000 Deutsche, d. h. diese Personen bekannten sich von selbst zum Deutschtum. Die volle Zahl der Deutschen ist also größer (ca. 370000). Abtretung. Der Verlust des Gebietes vollzog sich in mehreren Abschnitten: 1. Durch Gewalt. Vermöge des am 27. XII. 1918 in Posen ausgebro­ chenen Aufstandes bemächtigten sich die Polen großer Teile der RegierungsJ) Darunter 9 134 masurisch. 2) Darunter 104 332 kassubisch.

bezirke Posen und Bromberg. Erst durch das Abkommen vom 16. II. 1920 wurde das Aufstandsgebiet örtlich begrenzt durch eine Demarkationslinie. 2. Durch Friedensvectrag. Der übrige Teil des Abtretungsgebietes. Trat am 10. I. 1920 in Kraft, Durchführung der Besetzung vom 17. I. an. 3. Durch nachträglichen Machtspruch der Ententemächte. Er be­ traf je ein Stück des westpreußischen und des ostpreußischen Abstimmungsgebietes, beide östlich der Weichsel. Im westpreußischen Abstimmungsgebiet, Bezirk Marienwerder (am ii. VII. 1920), fiel die Volksabstimmung zwar für Deutschland günstig aus. Ostpreußen (zu dem dieser Teil Westpreußens jetzt geschlagen ist) mußte also auf dieser Strecke unmittelbar an die Weichsel grenzen. Trotzdem wurde der schmale Streifen am rechten Ufer der Weichsel samt den 5 Weichseldörfern (Johannis­ dorf, Außendeich, Neuliebenau, Kramershof, Kleinfelde), dem Hafen bei Kurzebrack und dem Brückenkopf der Eisenbahnbrücke bei Klein-Grabau Polen zu­ gesprochen. Die Weichseldämme werden durch die Staatsgrenze mehrfach ge­ schnitten, so daß eine ordnungsmäßige Instandhaltung der Deiche unter einheit­ licher Verwaltung nicht mehr gewährleistet und das Hinterland gefährdet ist. Die Abstimmung im ostpreußischen Regierungsbezirk Allenstein (Masuren) hatte gleichfalls mit einem glänzenden Siege geendet (11. VII. 1920). Trotzdem wurden auch hier einige Stücke von Deutschland losgerissen: drei Landgemeinden und ein Gutsbezirk im Kreise Osterode (siehe oben). Ältere Geschichte. Um die Zeit von Christi Geburt wohnten germanische Völker in diesen Gegenden: im Norden Goten, in der Mitte Burgunder, im Südosten Lugier, ein vandalischer Volksstamm. Nach der Völkerwanderung gingen Posen und Westpreußen verschiedene Wege. Westpreußen war schon im Mittelalter (seit 1310) deutsches Ordensland. Aber als nach der Schlacht von Tannenberg (1410) die Kraft des Ordens ge­ brochen war, kam es bald unter polnische Herrschaft. Sie dauerte dreihunhert Jahre (1466—1772). Während dieser Zeit ist natürlich das deutsche Element zugunsten des polnischen zurückgegangen; aber als Westpreußen an Preußen fiel, war es noch bedeutend an Zahl und Lebenskraft. In Posen faßte das germanische Element, nachdem während der Völker­ wanderung polnische Volksstämme sich hier festgesetzt hatten, in drei verschie­ denen Perioden wieder Fuß. Im Mittelalter riefen polnische Könige, Fürsten und Klöster, um die Entwicklung des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens zu fördern, deutsche Bauern und Bürger ins Land und gründeten mit ihnen deutsche Dörfer und deutsche Städte (etwa 1210—1370). Aber seit Jagiello die Kraft von Polen und Litauen zusammenfaßte (1386) und einheitlich gegen die Deutschen wandte, trat ein Rückschlag ein: als Westpreußen unter polnische Herrschaft geriet, der Deutsche Orden die polnische Lehnshoheit anerkennen mußte, da begannen auch im Innern des Landes Posen die deutschen Kolonisten

und Bürger sich dem polnischen Volkstum zu unterwerfen und sich zu polonisieren. Seit der Reformation kam neuer deutscher Zuzug ins Land. Das damals selbst von einem protestantischen Zuge erfaßte Polen gewährte vielen um des Glaubens willen Bedrängten Zuflucht. Großen Umfang nahm die deutsche Zuwanderung seit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges an. Denn Polen blieb vom Krieg verschont, und es gebrauchte Arbeitskräfte. Alte Städte er­ hielten eine deutsche Neustadt, auch einige neue Städte entstanden. Vor allem aber strömten still und geräuschlos bäuerliche Einwanderer aus den deutschen Nachbarländern Pommern, Brandenburg und besonders Schlesien über die Grenze. Ihre Arbeit geschah in doppelter Form: auf schon kultiviertem Boden gründete ein Schulze, als der Beauftragte des Grundherren, mit ihnen Dörfer in ähnlicher Weise, wie es im Mittelalter geschehen war, sog. Schulzendörfer; nur waren sie fronpflichtig. Wo das Land noch mit Sumpf und Wald bedeckt war, wie besonders in den sich meilenweit ausdehnenden Netzeniederungen, da trat eine Gruppe von An­ siedlern zusammen, übernahm den Boden vom Grundherrn, um ihn urbar zu machen (anfangs in Pacht, später in Besitz) und gründete ein sog. Holländerdorf. (Die Holländereien haben ihren Namen von den Holländern, die zuerst diese Form der Kolonisation erfanden und sie z. B. auf dem Danziger Werder aus­ übten; von da drang diese Methode an der Weichsel aufwärts und kam so auch nach Posen. Die Ausübenden waren in der Regel keine Holländer mehr. Die Volksetymologie machte aus ihren Gründungen dann „Hauländereien".) Sie waren frei vom Frondienst. Etwa 400 Holländereien entstanden; damals wurde die Netzeniederung deutsch besiedelt. Die Ansiedlung von Deutschen geschah bis tief ins 18. Jahrhundert hinein. Noch 1720—1750 siedelte die Stadt Posen auf ihren Kämmereidörfern Deutsche an, nach der Herkunft der meisten aus dem Bistum Bamberg „Bamberger" genannt. (Der deutschen Zeit blieb es vorbehalten, deren Polonisierung zu erleben.) Dann brachte die preußische Zeit neuen Zuzug von Deutschen. Aber sowohl in Westpreußen wie in Posen fand die preußische Herrschaft, die 1772 und 1793 begann, eine zahlreiche bodenständige deutsche Bevölkerung vor. Beide Völker, Polen wie Deutsche, sind hier heimatberechtigt. Polnische Erneuerung. Die Polen, welche die Teilung Polens unter das preußische Scepter führte (in den Grenzen von 1815), haben in den hundert Jahren seit dem Wiener Kon­ greß eine Entwicklung von großer Bedeutung durchgemacht und eine innere Er­ starkung erlebt. Um nur zwei Daten zu nennen: der Marcinkowski-Verein („Ver­ ein zur Unterstützung der lernenden Jugend", 1840 gegründet von Dr. Karl Marcinkowski) zog einen polnischen Mittelstand heran, und die Bodenpolitik ihrer landwirtschaftlichen Organisationen bewirkte eine gesündere Besitzver-

teilung (Zurückdrängung des polnischen Großgrundbesitzes zugunsten polnischer Bauerngüter) und Befestigung des polnischen Landbesitzes. Hier wurde in aller Stille, unbemerkt vom preußischen Staat, auf der Idee des Volkstums ein polnisches Gemeinwesen aufgebaut. Als dann, Ende 1918, die preußische Staatsgewalt versagte, zog dies Ge­ meinwesen die politische Konsequenz aus der Situation, es setzte einen „Obersten Volksrat" ein, sagte sich von Preußen los und vollzog den Anschluß an das neu­ gegründete (11. November 1918) Polen. Der Aufstand vom 27. Dezember stellte die Friedenskonferenz vor vollendete Tatsachen. In dem an Polen gefallenen Gebiet von Posen-Westpreußen gab aber nicht mehr der Adel den Ton an, sondern der Bürger. Unter polnischer Herrschaft. In der Republik Polen zeigen sich die Folgen, welche die Niederlage unseres Staates für den deutschen Volksboden und das deutsche Volkstum hat, am handgreiflichsten. Mit Leidenschaft und Energie wird hier der Kampf gegen das deutsche Volk mit den Waffen des Friedens fortgesetzt. Das letzte Ziel ist klar: alle Deutschen sollen von dem jetzt an Polen gefallenen Boden hinweggefegt werden. Die polnische Regierung verfährt dabei nicht ungeschickt. Sie will zunächst möglichst viele Deutsche aus den Grenzen Polens entfernen; je kleiner dann die Zahl der Deutschen ist, die in Polen ausharrt, um so leichter hofft sie dann mit dem Rest fertig werden zu können. 1. Dem ersten Ziel dienen die Bestimmungen über den Erwerb der polni­ schen Staatsbürgerschaft und der Liquidation reichsdeutschen Besitzes. Die Bewohner des abgetretenen Gebietes verloren zwar infolge des Wechsels der Souveränität ohne weiteres die deutsche und erwarben die pol­ nische Staatszugehörigkeit. Aber mit einem bedeutsamen Vorbehalt. Nur der erwarb die polnische Staatsbürgerschaft, der schon zwölf Jahre vor dem Über­ gang Posen-Westpreußens an Polen hier heimatberechtigt war (Artikel 91 des Versailler Vertrages, detailliert im Wiener Vertrage zwischen Polen und Deutschland vom 30. VIII. 1924). Alle übrigen blieben Reichsdeutsche. Sie konnten (und das ist der Zweck der Bestimmung) zum Verlassen des Staates genötigt werden. Vor allem konnte man gegen sie die Bestimmungen über die Liquidation reichsdeutschen Besitzes im feindlichen Ausland anwenden (Artikel 297 und 92 des Versailler Vertrages). Die Liquidation wird noch dadurch bedeutend ver­ schärft, daß nur eine ganz geringfügige Entschädigung gezahlt wird. So wird das Doppelte erreicht: deutscher Besitz geht für ein Butterbrot in polnische Hand über, und der enteignete Deutsche ist genötigt, das Land zu verlassen. Die Liqui­ dation traf besonders auch die deutschen Ansiedler. Der Gesamtverlust an Bodenbesitz, den die Deutschen infolge der Umwälzung erlitten haben, beträgt etwa 700000 ha (bis 1926).

Ein Zwang zur Abwanderung bestand ferner für Optanten, d. h. für die­ jenigen polnischen Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit, die (bis zum io. 1.1922) für Deutschland optiert hatten. Obwohl dieser Zwang zur Abwan­ derung im Versailler Vertrag nicht vorgesehen ist, wurde er doch von Polen ausgeübt, das die Optanten gruppenweise zu bestimmten Terminen auswies. (Da die Optanten die polnische Staatsangehörigkeit besaßen und sie auch hätten beibehalten können, konnte wenigstens die Liquidation nicht auf sie angewandt werden.) Das Verbot deutscher wirtschaftlicher Vereinigungen in den ersten Jahren, der sehr schnell eingeführte Zwang zum ausschließlichen Gebrauch der polnischen Sprache vor Behörden, Gerichten, bei staatlichen Prüfungen (z. B. der Appro­ bation von Ärzten), die zahlreichen Akte behördlicher Willkür und Schikanen aller Art — dies und vieles andere sollte es den Deutschen praktisch unmöglich machen, in Polen zu bleiben, ihnen mindestens das Leben dort verekeln! Dieser „friedliche" Feldzug zur Vertreibung der Deutschen aus PosenWesipreußen hat denn auch wahrhaft erschreckende Erfolge gehabt: Hundert­ tausende von Deutschen sind verdrängt, im ganzen etwa 730000. Die Gesamt­ bevölkerung des Landes aber hat deswegen nicht abgenommen. In die ent­ stehenden Lücken traten, abgesehen vom natürlichen Bevölkerungszuwachs, Zu­ wanderer aus Kongreßpolen und auch aus Galizien, das den größten Teil der neuen polnischen Beamten gestellt hat. Am stärksten ist die Bevölkerungsver­ schiebung in den Städten, empfindlich aber auch auf dem Lande. Es ist dies — das dürfen wir uns keinen Augenblick verhehlen — ein großer Sieg, den die Polen als Volk seit dem Friedensschluß über die Deutschen als Volk errungen haben. Und jeder Deutsche, der Posen-Westpreußen verläßt, hilft diesen Sieg vergrößern. Infolge der Abwanderung hat sich die soziale Struktur der deutschen Bevölkerung vollständig geändert. In den Städten war die Abwanderung sehr viel stärker als auf dem Lande. Vier Fünftel der deutschen Bevölke­ rung steht heute in der Landwirtschaft. Der Bauernstand ist heute der wich­ tigste Stand. 2. Gegen die an Zahl so stark verringerte bodenständige Bevölkerung, gegen die polnischen Staatsbürger deutscher Zunge, setzt die polnische Regierung den Feldzug fort. Einen besonderen Schlag führte fie gegen die Organisation, die sich zur Vertretung der Interessen der Deutschen gebildet hatte, den Deutsch­ tumsbund (Deutschtumsbund zur Wahrung der Minderheitsrechte in Polen): 1923 löste sie ihn auf wegen angeblicher Geheimbündelei und Hochverrats. Aber der Prozeß gegen die beschuldigten Personen ließ Jahr um Jahr auf sich warten. Erst 1930 kam er in Gang, ging durch mehrere Instanzen und führte zu Ge­ fängnisstrafen von 1—6 Monaten, die die polnische Regierung — auf An­ regung des Dreier-Komitees des Völkerbundes — im Februar 1934 durch Amnestie niederschlug. Aber die Wiedereröffnung des Deutschtumsbundes ist bisher nicht gestattet, die deutsche Organisation ist und bleibt zerschlagen.

Ein bevorzugtes Angriffsobjekt ist die Schule. Der sogenannte Minder­ heitenschutzvertrag (vom 26. Juni 1919), den die alliierten und assoziierten Hauptmächte Polen auferlegten, sollte die nichtpolnischen Volksgruppen unter einen gewissen Schutz stellen. Und wirklich sah es in den ersten Jahren des neuen Staates so aus, als solle den Deutschen in Posen-Westpreußen ein zwar stark verkümmertes, aber immerhin deutsches Schulwesen erhalten werden. Aber das dauerte nicht lange (bis etwa 1925). Verwaltungspraktiken aller Art erreichen nun, daß die Bestimmungen des Schutzvertrages illusorisch ge­ macht werden. So werden z. B. deutsche staatliche Volksschulen geschwächt und schließlich aufgelöst, indem man die Schulgemeinden neu aufteilt, und zwar so, daß die Normalzahl von 40 Kindern in keinem der Teilbezirke mehr erreicht wird. Die deutschen Kinder aber, die sie bisher besuchten, müssen nun in Schulen mit polnischer Unterrichtssprache gehen, oft mit dem Er­ gebnis, daß sie als Konfirmanden werden ordentlich deutsch noch polnisch sprechen und lesen können. Als Ausgleich war den Deutschen die Errichtung von Privatschulen auf eigene Kosten zugesichert. In Wirklichkeit wird der Aufbau der Privat­ schulen außerordentlich erschwert, in Pommerellen so gut wie unmöglich gemacht. Auf diese Weise ist es denn dahin gebracht, daß die Hälfte der deutschen Kinder polnische Schulen besuchen muß. Und dieser Prozentsatz ist noch im Steigen: Von der Gesamtzahl der deutschen Volksschüler in Posen und Pommerellen gingen Schuljahr in deutsche Unterrichtsbetriebe

in polnische Unterrichtsbetriebe

1924/25

70,2%

29/8%

1925/26

66,6%

33/4%

1926/27

63,4%

36,6%

1927/28

62,1 %

1928/29

58,2 %

37/9% 4i/8%

1929/30

55/9% 55/5% 52,9 % 50/9 %

1930/31 1931/32 1932/33

44/1% 44,5% 47,i% 49/i %

So im Gesamtgebiet Posen-Westpreußen. Im wesipreußischen Teilgebiet in Pommerellen, dem polnischen „Korridor", sieht es noch viel schlimmer aus: (Siehe Tabelle auf S. 47). Hier müssen bereits mehr als zwei Drittel der deutschen Schüler pol­ nische Schulen besuchen. Das neue Schulgesetz vom 11. März 1932 mit seinen Ausführungs­ bestimmungen öffnet dem bösen Willen der Verwaltungsbeamten Tür und Tor. — Das gleiche Gesetz verringert den Bestand an höheren Schulen.

Von der Gesamtzahl der deutschen Volksschüler in Pommerellen gingen Schuljahr in deutsche Unterrichtsbetriebe

in polnische Unterrichtsbetriebe

51/9 7° 47/0%

48,17°

1925/26 1926/27

46,5

7° 45/4 7° 37/5 7° 34/5 7°

53/5 7° 54/6 7*

1924/25

1927/28 1928/29 1929/30

53/0 7°

62,5% 65/5 7° 67,47°

1930/31

32,67«

1931/32

28,8 7°

71,270

1932/33

27,2%

72,8 %

Das deutschsprachige Gymnasium, das der Staat in Thorn noch unterhält, kann nicht mehr als deutsche Anstalt angesehen werden. Die Lehrerschaft sowohl an den staatlichen wie auch an den privaten Schulen ist recht- und schutzlos und kann in jedem Augenblick aus Amt und Brot getrieben werden. Auch die evangelische Kirche Posen--Westpreußens, die überwiegend aus Deutschen besteht, hat schwere Einbußen erlitten. Nicht bloß, daß ihre Mitgliederzahl auf ein Viertel des früheren Bestandes zurückgegangen ist (325000 Seelen), sie wurde auch, obwohl Staats- und Kirchengrenzen nicht notwendig zusammen­ fallen müssen, genötigt, ihre Beziehungen zur Mutterkirche zu lösen und sich als selbständige Kirche zu konstituieren: unierte evangelische Kirche in PosenWestpreußen. Übrigens ist sie nicht ausschließlich deutsch; auch eine größere Zahl polnisch sprechender Gemeinden gehört zu ihr, nämlich im südlichen Posen, das einst von Schlesien aus für die Reformation gewonnen wurde (in den Kreisen Kempen, Adelnau, Schildberg), in dem östlichen Teil des früher schlesischen Kreises Wartenberg und im Soldauer Zipfel. Die nationalen Unterschiede haben hier nicht zu Gegensätzen geführt. Die deutschen Katholiken (42000) haben über ständige Zurücksetzung zu klagen. Sie haben überwiegend polnische Geistliche. Deutsche Geistliche gibt es nur noch wenige. Der einzige Ausweg, die Berufung deutscher Ordensleute, die die Seelsorge für sie zu übernehmen hätten, ist bisher nicht beschritten. Von der Agrarreform, die 1926 begonnen hat, wird der deutsche Land­ besitz am schärfsten getroffen. Der Hauptvorstoß richtet sich auch hier gegen die Deutschen im polnischen Korridor. Jährlich wird die Namenslisie der Güter, die enteignet werden, veröffentlicht; dabei wird der deutsche Besitz sehr viel schärfer erfaßt als der polnische. Im „Korridor" waren in den letzten Jahren vom enteigneten Grundbesitz

1926: 1927: 1928: 1929: 1930:

91,91% deutsch, 0,09% polnisch. 69,05% „ 30,95 % „ 60,00% „ 40,00% „ 92,66 % „ 7,24 % ,, 72,88 % „ 27,12

Dies Vorgehen schafft ein Gefühl der Unsicherheit, das außerordentlich hem­ mend wirkt und die Wirtschaft schädigt. Inzwischen aber haben die Deutschen, nachdem der Umschwung katastrophenartig über sie hereinbrach und sie unvorbereitet traf, sich innerlich umgestellt. Ein weiterer zahlenmäßiger Rückgang des deutschen Elements dürfte nicht zu erwarten sein. Die Zeit der inneren Konsolidierung hat begonnen. Ob und wie weit der reichsdeutsch-polnische Zehnjahrespakt vom 26. Januar 1934 auf die Haltung der polnischen Regierung gegenüber den deutschen Staats­ bürgern Polens in Posen-Westpreußen wie in den übrigen Landesteilen zurück­ wirken und eine freundlichere Atmosphäre schaffen wird, bleibt abzuwarten. 2. Tschechoslowakei das Gebiet am 4. II. 1920. Nachträglich sind noch die beider Dörfer Haatsch und Sandau von Deutschland losgerissen (März 1923). !) 1923 hinzugekommen die Dörfer Haatsch und Sandau, mit 3358 Einwohnern (nac der preuß. Volksz. 1919). Gesamtbevölkerung also 51363 Einwohner.

Gegen ihren Willen sind nicht bloß die Deutschen des Landes, sondern auch die doppelsprachigen Bewohner des Landes mährischer Herkunft von Deutsch­ land losgerissen. Seit den Tagen Friedrichs des Großen haben diese Mährer sich in Deutschland — wirtschaftlich und kulturell — eingelebt. Neben ihrem eigenen mährischen Dialekt, der in Kirche und Haus seine unangetastete Stellung hatte, gebrauchten sie alle das Deutsche als Geschäfts- und Verkehrssprache. Die Nachricht von der bevorstehenden Abtretung des Landes an die Tschecho­ slowakei rief daher unter ihnen große Erregung hervor, die Bevölkerung prote­ stierte und suchte das Unheil abzuwenden; aber ihre Proteste und Petitionen ver­ hallten ungehört. Fremdherrschaft. Da die Tschechen über den geringen Grad der Dankbarkeit der Hultschiner für ihre „Befreiung" erstaunt und enttäuscht waren, stellte die Regierung das Land von vornherein unter den Ausnahmezustand. Die Grundlage der Ent­ wicklung ist die Regierungsverordnung vom 24. 1.1920, die den Ausnahme­ zustand über das Hultschiner Ländchen verhängte. Ein Regierungskommissar mit besonderen Vollmachten, der „Kommissär der tschechoslowakischen Republik für das Ratiborer Gebiet" (wie das Hultschiner Ländchen in der tschechischen Amtssprache heißt), wurde eingesetzt. Wenn auch nach einigen Jahren (1927) dieser Posten aufgehoben wurde, so doch nicht der Ausnahmezustand. Die Voll­ machten des Kommissars wurden auf den Landesprästdenten übertragen (das war zunächst der Landesprästdent von Tschechisch-Schlesten, dann — nach der Vereinigung von Mähren und Schlesien — der Landesprästdent von MährenSchlesien). Der Ausnahmezustand besieht also weiter. Ja, 1933 setzte — im Zusammenhang mit der Nervosität, die sich auch gegen die Deutschen der Sudetenländer zeigte (vergl. unten „Sudetenländer", Abschnitt: „unter tschechischer Herrschaft") — ein verschärftes Vorgehen ein, und im Januar 1934 wurden in 13 Gemeinden des Gebietes sämtliche deutschen Vereinigungen (mit Ausnahme der Feuerwehren) aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt. Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Zum Ausnahmezustand kam 1928 noch eine Änderung der Grenzen des Gebiets. Von seinen 38 Gemeinden wurden 12 zum Bezirk Troppau-Land ge­ schlagen, dagegen wurden 5 rein tschechische Gemeinden vom jenseitigen Ufer der Oppa mit dem Gebiet vereinigt. Als die Deutschen trotz diesem Zuwachs an tschechischen Stimmen die Hälfte (8) der Mandate in der Bezirksversammlung errangen, wurden sie durch nachträgliche Ernennung von weiteren tschechischen Vertretern in die Minderheit gebracht. Auf das verkleinerte Gebiet stürzt sich nun die ganze Arbeit der Tschechen. Der Ausnahmezustand lastet schwer auf den Hultschinern. Zur Vertretung ihrer Interessen hatten sie (1919) den deutsch-mährischen Volksbund gegründet. Der wurde sogleich verboten (1920). Den Hultschinern fehlt also ein Organ, das ihre gemeinsamen Angelegenheiten verfechten könnte.

Mit einem Schlage schloß die Regierung sämtliche deutschen Schulen des Landes (mit einziger Ausnahme der beiden rein deutschen Dörfer Thröm und Zauditz) und führte überall Tschechisch als Unterrichtssprache ein; über den allgemeinen Protest der Eltern ging sie zur Tagesordnung über. Was sonst in der ganzen Tschechoslowakei erlaubt ist, die Errichtung von Privatschulen, wurde hier verboten. Dem Hausunterricht der Kinder wie dem Besuch deutscher Schulen in benachbarten Städten Tschechisch-Schlestens wurden und werden nach Mög­ lichkeit Hindernisse in den Weg gelegt. Hunderte von Kindern bleiben so ohne deutsche Schule; aber für 5 Kinder zweier zugezogenen ortsfremden tschechischen Beamten in der deutschen Gemeinde Thröm wurde sofort eine tschechische Schule eröffnet — wir werden dieser Art von „Minderheitsschulen" für das Mehrheitsvolk des Staates noch begegnen (siehe: Sudetenländer, Abschnitt: Unter tschechischer Herrschaft). Bei der Volkszählung werden die Hultschiner unter dem Ausnahme­ zustand wie Unmündige behandelt. Die Volkszählung von 1921 stand im Zeichen der Gewalt. Da die Ergebnisse auf Grund der authentischen Angaben der Ge­ zählten nicht die gewünschten waren, wurde vielen mit nachträglichen Verhören, Geld- und Gefängnisstrafen, Entziehung des Passes zugesetzt, bis das gewünschte Ziel erreicht und die Zahl der Deutschen unter 20% herabgedrückt war. In einem solchen Bezirk arbeiten Verwaltung und Gericht nur tschechisch. In der Volkszählung von 1921 (die Resultate von 1930 liegen noch nicht vor; es wurde da aber mit denselben Mitteln gearbeitet) wurde die Zahl der Deutschen also künstlich auf 17% herabgedrückt. Ein anderes Ergebnis zeigen die Wahlen. Auch hier werden die deutschen Parteien unter Druck gesetzt, ihre Wahlvorbereitungen eingeschränkt oder ganz lahmgelegt, die Wähler mit Versprechungen bearbeitet. Trotzdem haben sie immer gut abgeschnitten. So entfielen z. B. bei den Bezirkswahlen im Jahre 1928 fast zwei Drittel der Stimmen auf die deutschen Parteien (stehe oben: Statistik). An den mehr als 3 Millionen Sudetendeutschen, ihren politischen Parteien wie dem nur kulturell arbeitenden deutschen Kulturverband haben die Hult­ schiner einen gewissen Rückhalt gefunden.

III. Der Anteil -er Nachfolgestaaten Österreichs un- Ungarns am -eutsthen Sprachgebiet. A. Das alte Österreich.

1. Bis 1918. Dis zum Jahre 1918 haben die Deutschen der jetzigen Nachfolgestaaten Österreichs eine gemeinsame Geschichte durchgemacht. Das hat ihnen, trotzdem Österreich nie ein Einheitsstaat gewesen ist, ein gemeinsames Gepräge gegeben. Dem seit dem Mittelalter im deutschen Volk waltenden Zuge zur Abson­ derung folgend, haben sie sich mehr und mehr von den übrigen deutschen Stäm-

men abgesondert und ein eigenes Selbstbewußtsein ausgebildet. Den Inhalt dazu bot ihnen die große historische Aufgabe, welche Österreich im Südosten Europas als Träger europäischer Kultur (und diese europäische Kultur war hier im wesentlichen deutsch) zu erfüllen hatte. Daran bildete sich ihr österreichisches Staatsbewußtsein. Und da sie in diesem eigentümlich buntscheckigen Staate mit mehreren andern Völkern zusammenlebten, konnte es gar nicht anders sein, als daß sie den österreichischen Staat, den sie selbst geschaffen hatten, höher stellten als das deutsche Volk. Staatsbegriff ging ihnen über Volksbegriff. Nicht anders erging es ja auch den Reichsdeutschen von 1871: sie setzten unwillkürlich ihr Deutsches Reich mit dem deutschen Volke gleich und waren blind für die Tat­ sache, daß Millionen Angehörige des deutschen Volkes — Deutsche wie sie selbst — außerhalb der Grenzen des Reiches lebten. Auch wir Reichsdeutsche setzten also den Staatsbegriff über den Volksbegriff. Erst als die slawischen Mitbewohner Österreichs (besonders die Tschechen und Slowenen) sich rührten und in den einzelnen Ländern angriffsweise gegen ihre deutschen Mitbewohner vorgingen, fing das Volksbewußtsein, das Gefühl, daß sie zuerst und vor allen Dingen einmal Deutsche seien, sich zu regen an, und zwar um so kräftiger, je mehr ihnen der Nationalitätenkampf auf den Leib rückte. Diese Deutschen Österreichs waren bessere Deutsche als wir Reichsdeutschen, sie waren Volksdeutsche, erfüllt von unmittelbarem Volksgefühl. Wie sehr dieser Teil der Deutschen Österreichs in dieser Beziehung den Reichsdeutschen voran war, zeigt sich deutlich in der Tatsache, daß im Jahre 1914 der Deutsche Schul­ verein für Österreich (mit dem Sitz in Wien) bei etwa 10 Millionen Deutsch­ österreichern an 250000 Mitglieder hatte, der entsprechende reichsdeutsche Verein aber, der Verein für das Deutschtum im Ausland, bei über 60 Millionen Reichs­ deutschen nur 58000. Das ist trotz sechsfacher Bevölkerung nur der vierte Teil der Mitglieder! Aber das offizielle Österreich durfte von dem deutschen Volks­ gefühl nichts wissen. Denn solange das alte Österreich bestand, mußte die Nation, die den Staat begründet hatte, ihn auch aufrechterhalten, sie mußte die Staats­ nation sein. Ja, sie mußte es dulden, daß ihr eigenes Volkstum dabei Schaden litt; denn nur so war es möglich, die andern Nationalitäten bei der Stange zu halten. Dem deutschen Volkstum in Hsterreich hat die Aufrechterhaltung des österreichischen Staates schwere Opfer gekostet. Als nun aber der österreichische Staat zusammenbrach, als die andern Nationalitäten sich eigene Nationalstaaten zimmerten (Tschechen und Slowenen) oder sich den Staaten ihrer Volksgenossen anschlossen (die Polen, Ruthenen, Italiener), da war auch für die den Staat zusammenkittende Nation der Weg frei. Was waren sie jetzt? Einen Staat, den mühsam aufrechtzuerhalten ihre Auf­ gabe war, gab es nicht mehr. Sie waren jetzt schlechthin Deutsche: jetzt galt es, sich ein Haus zu bauen, in dem sie als Deutsche wohnen konnten. Überall wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker proklamiert, also gingen auch sie daran, davon Gebrauch zu machen. Aber sie machten eigentümliche Erfah­ rungen damit.

2. Die Auflösung Österreichs. Die Austeilung Österreichs an die einzelnen Nachfolgestaaten geschah in folgender Weise: Davon österreichische Davon Anwesende Staats­ Bevölkerung österreichische angehörige 31. XII. Staats­ mit deutscher 1910 angehörige Umgangs­ sprache

Jetzige Staatszugehörigkeit

qkm

Deutschösterreich

79883

6 357 962

5 997 580

5787193

Tschechoslowakei

120 129

II 672 10643

11633 10490

8787 5 366

von Nieder-Österreich abgetreten

249

22315

22 123

14153

Tschechoslowakei

51947 22 221

6769 378 2 622 697 613 968

6 712 774 2 605 280 601403

2467554 719439 282 817

DeuLschösterreich, ohne Burgenland . . . Weitra, N.-S. . . Feldsberg, N.-Ö. .

. .

Böhmen...................... Mähren...................... Schlesien, tschech. Anteil

Südkärnten, italien. Anteil (Kanal-Tal) Südtirol...................... von Dalmatien (Zara u. Insel Lagosta. . Istrien (ohne Veglia u. Teile der Gemeinde Castua) .... Görz, Gradiska . . . Triest............................ Von Kram: i.Adelsberg ».Teile des polit. Bezirks Loitsch 2. Weißenfels . . . Untersteiermark. . . Südkärnten .... Krain, südslaw. Anteil

Dalmatien (ohne Zara u. Insel Lagosta) . Von Istrien Insel Veg­ lia (Krk) u. Teile der Gemeinde Castua .

„ „

4137

IOOO6043 9 9J9 457 3 469 §10

Sudetenländer

78305

Italien

332 14037

7 667 641 897

7 396 617 556

5 622 235379

"

103,4

19 966

19290

462

„ „

4472,5 2918

"

95

373 713 260721 229 510

356 862 249 893 190 913

12700 4486 ii 856



i 184

57 266

//

29

947

57 038 916

775

6050

486 568 17590 467712

478 189

457 8741

17445 462 303

73178 3 128 26 928

Slowenien

15248

971470

957 937

103 234

Südslawien

12 726,6

625 700

615565

2619

"

Südslawien

„ „

182



484,5

29853

29 601

35

Schlesien, poln. Anteil Galizien...................... Bukowina,Nordwestecke

Polen

„ „

i 010 78 499 53

142981 8 025 675 4872

140053 7980477 ca. 4 866

42 706 90 114 250

Bukowina, Hauptteil .

Rumänien

10 388

795 226 ca.794 923

168 601

Ost 6 ..

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Kordsee

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3j> Y I T A 4«L 1 eTv;^™ Das -rutsche Sprachgebiet und seine politische Zersplitterung. 1. 2.-8. 2. 3. 4. 5. 6. 7 a. 7 b. 8. y.—14.

Deutsches Reich Abgetretene Gebiete Elsaß-Lothringen Eupen-Malmedy-Monschau Nordschleswtg Freie Stadt Danzig Memelgebiet Ostmark Ost-Obecschlesten Hultschiner Ländchen Der Anteil der Nachfolgestaaten Österreichs und Ungarns am ge­ schlossenen deutschen Sprachgebiet

9. Deutschösterreich 10. Sudetendeutsche 11. Deutsche in Südsteiermark und Südkärnten 12 3. Kanal-Tal i2 b. Südtirol 13. Preßburg und Umgebung 14. Burgenland, ungarischer Anteil 15—18. Die unveränderten Gruppen 15. Liechtenstein 16. Deutsche Schweiz 17. Luxemburg 18. Das deutsche Sprachgebiet in AltBelgien.

B. Die Nachfolgestaaten. 1. Deutfchosterreich. Fläche 83833 qkm. Deutsche 1910

6 001797

1923

6 272 892

Tschechen

Slowaken

119 447*) 93 5531))

Serben Magyaren ».Kroaten

Andere

Gesamtbevölkerung

742102) 44 243 3> 26 5544)

23 129

6289380

49 641

6534481

Slowenen

5 1701) 43 3&32)

44771°

25 0714)

Der neue Staat. Die Deutschen Österreichs konstituierten sich als neue Republik Deutschösterreich und erklärten (am 12. November 1918) ihren Anschluß an das Deutsche Reich; aber die Ententemächte, Frankreich voran, gestatteten das nicht. Die Selbstbestimmung ging hier so weit, daß dem neuen Staate nicht einmal die Wahl seines eigenen Namens überlassen blieb; er durfte sich offiziell nicht Deutsch­ österreich, er durfte sich nur Österreich nennen (Gesetz vom 21. Oktober 1919), und ein großer Teil seines Gebietes wurde ihm geraubt (siehe unten!). Demgegenüber bedeutete der Zuwachs deutschen Gebietes, den die junge Republik durch den Anschluß des größeren Teils des — bisher ungarischen — Burgenlandes erhielt, keine reine Freude; denn er erfolgte erst nach einer schweren, für die Burgenländer selbst qualvollen Wartezeit, und er ließ einen Teil des Burgenlandes samt seiner Hauptstadt Ödenburg bei Ungarn (Übergabe an Deutschösterreich: 3. XII. 1921). National ist der Staat zwar ganz überwiegend einheitlich, das ist: deutsch. Aber bei seiner großen Schwäche bedeuten die fremden Minderheiten in seinen Grenzen (und an seinen Grenzen) eine größere Gefahr für ihn, als das sonst Burgenland, österreichischer Anteil. Jahr

qkm

Gesamtzahl

Deutsche

Magyaren

1910 1920

4 010 4 010

291 800 294 867

217 072 221 185

26 225 24 867

43 633

4870

44 753

4044

275 S56

222

2 062

1923

österr. Staatsangeh. Staasfremde

insgesamt 2) 2) 3) 4)

3 967

Kroaten

andere

417

9 606

41 j6i

9 753

4 335

4 373

253

792

285 6O9

226 752

13 979

42 014

2 864

Davon in Wien und Niederösierreich 1910:115025,1923: 90386 Tsch. + 4862 61. Davon in Kärnten 1910: 66463, 1923: 37292. Davon im Burgenland 1910: 43633, 1923: 42014. Davon im Burgenland 1910: 26225, 1923: 13979.

der Fall wäre. Sie sind nicht sowohl eine Gefahr für das deutsche Volkstum seiner Bewohner (d. h. die Deutschösterreicher sind nicht den Entnationalifierungsbestrebungen ausgesetzt wie jetzt so viele der deutschen Gruppen außerhalb der Reichsgrenzen) als vielmehr — infolge des Rückhaltes, den sie an einem benach­ barten Staat haben — eine Gefahr für diese Grenzen selbst. Burgenland, österreichischer Anteil. Von den Minderheiten sind nur die kroatischen Dörfer im Burgenland isoliert und daher ohne größere Bedeutung (1923: 42014); die magyarische Minderheit des Burgenlandes dagegen gravitiert staatlich nach Ungarn (1923: 13979). Besonders unangenehm macht sich fühlbar und lastet auf dem Wirtschafts­ leben des Landes, daß der größte Teil, fast 9/io/ des Großgrundbesitzes, der im Burgenland ungewöhnlich stark vertreten ist und etwa ein Viertel der Gesamt­ fläche ausmacht, ausländischen, d. i. magyarischen Adeligen gehört. Das führt zu einer unerwünscht starken Auswanderung der einheimischen Bevölkerung. Das markanteste Ergebnis der letzten Volkszählung ist die Verminderung des magyarischen Elements. Sie tritt schon bei der letzten ungarischen Volks­ zählung in die Erscheinung (1920), setzt sich aber bei der österreichischen Volks­ zählung in schnellerem Tempo fort; dabei mag Abwanderung wirklicher Magy­ aren nach Ungarn und Rückkehr von magyaristerten Deutschen zum deutschen Volkstum Hand in Hand gehen. Eine auffallend große Zahl, fast ein Drittel, der burgenländischen Magyaren ist staatsfremd, d. h. sie haben die ungarische Staatszugehörigkeit beibehalten. Der Abnahme des magyarischen entspricht eine stete Zunahme des deutschen Bevölkerungsanteils. Kärnten. Von den Slowenen (in Kärnten 1923: 37000) hat sich bei der Kärntner Volksabstimmung vom 10. X. 1920 ein großer Teil für das Verbleiben bei Deutschösterreich und damit für das langgewohnte Zusammenleben und Zu­ sammenarbeiten mit dem deutschen Volk entschieden, der andere Teil hat aber damals für den Anschluß an Südslawien gestimmt. Und von außen her be­ nutzen die Slowenen des Südslawenstaates die Stimmung dieser Gruppe, um unter den österreichischen Slowenen zu arbeiten und die staatsfeindliche Be­ wegung unter ihnen zu stärken. Wien und Niederösterreich. Während die Slowenen bodenständig und nur zum Teil in den Gegensatz gegen die Deutschen hineingetrieben sind, sind die Tschechen, die zahlreichste fremdsprachliche Minderheit, erst zugewandert. Sie sitzen fast nur in Wien und Niederösterreich (1923: 79278 + 11108 = 90386), aber hier treten sie einheit­ lich aggressiv auf. Sie pflegen nicht bloß ihr Volkstum und ihre Kultur (in Wien haben sie, gestützt auf den Brünner Vertrag vom 7. VI. 1920, die Ent-

Wicklung eines über die ganze Stadt verbreiteten, teils kommunalen, teils pri­ vaten tschechischen Schulwesens durchgesetzt), sondern sie fühlen sich auch, gleich­ gültig ob sie österreichischer oder tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit sind, als Vorposten des tschechischen Staates. So können diese drei Minderheiten — die magyarische, die slowenische, die tschechische — gegebenenfalls den Stützpunkt für eine auswärtige Macht ab­ geben, die dahin strebt, Teile Deutschösterreichs sich anzugliedern. Die süd­ slawische Regierung z. B. könnte das Vorhandensein von Slowenen in Kärn­ ten dazu benützen, um — etwa beim Anschluß Deutschösterreichs an Deutsch­ land — die „Kärntner Frage" wieder aufzurollen. Die abgetretenen Gebiete. Im einzelnen hat sich Deutschösterreich und haben sich die Bundesländer folgende Einbußen gefallen lassen müssen. Niederösierreich verlor das Gebiet von Weitra und das von Feldsberg an die Tschechoslowakei (auf der Übersichtskarte nicht angedeutet). Das Gebiet von Weitra umfaßt n Ortschaften in den Bezirken Weitra und Gmünd samt dem Staats- und Landesbahnhof von Gmünd mit der Vorstadt Böhmzeil; die Städte Weitra und Gmünd sind bei Österreich geblieben. Das Gebiet liegt südöstlich von Budweis. Die letzte österreichische und die erste tschechische Volkszählung ergaben folgende Daten: Nationalität

Staatsangehörig­ keit

°/o

absolut Jahr

Einwohner

Staats­ Staatsfrem­ bürger de')

44

9228

1839

2157 10376 6805

2403

cg

12541

0

12585 ii 067

tsche­ deutsche andere Staatsfremde chische

00

1910 1921

tsche­ chische

44

deut­ andere sche

I7,i

82,5

0,1

73/7

26,1

0,2

S 2 1 § o,3

Auffallend ist die hohe Zahl der Staatsfremden im Jahre 1921 (1839); es dürften meist einheimische Deutsche sein, die die österreichische Staatszugehörigkeit behalten haben und dadurch in ihrer Heimat zu „Ausländern" geworden sind. Auffallend ist auch die starke Verschiebung des Verhältnisses von Deutschen und Tschechen (Deutsche 1910: 82,5%/ 1921: 26,1 °/0: Tsche­ chen 1910: 17,1 °/o, 1921: 73,70/0). Das Gebiet von Feldsberg, südöstlich von Nikolsburg, nahe der mährisch-slowaki­ schen Grenze, umfaßt 5 Ortschaften; einschließlich der Stadt Feldsberg (tschechisch: Valtice). *) Für 1910 ist die Umgangssprache aller Einwohner, für nalität der Staatsbürger angegeben.

1923

nur die Natio­

Die Ergebnisse der Volkszählung: Nationalität

Staatsangeyorli Einwohner

absolut

°/o

Staats­ bürger

Staatsfremfce1)

tsch.

dtsch.

and.

0

153

5130

5443

4

1920

11 032

10 540

492

7256

3242

42

i/4

d

10577

xh

10 730

O

1910

H g §£

Steiermark verlor den Süden an Jugoslawien. Kärnten verlor Teile des Südens an Jugoslawien (Mießtal und Gebiet von Unterdrauburg) und Italien (Kanal-Tal). Tirol verlor Südtirol an Italien. Die deutschen Gebiete der Sudetenländer gingen in ihrem ganzen Um­ fang verloren (an die Tschechoslowakei). 2. Tschechoslowakei. 140 368 qkm, 3Vs Millionen Deutsche.

Die Bevölkerung des Gesamtsiaates. (Tabelle siehe S. 62.) Alle drei Landesteile der Tschechoslowakei — die Sudetenländer, die Slo­ wakei und Karpathenrußland — weisen deutsche Bevölkerung auf, doch von sehr verschiedener Zahl und Bedeutung. Wir werden jede Gruppe für sich betrachten, und ebenso werden wir später bei den anderen Ländern verfahren. Bei weitem die stärkste Gruppe sind die Deutschen der Sudetenländer, nicht bloß innerhalb der Tschechoslowakei, sondern unter allen deutschen Volksteilen außerhalb des Deutschen Reiches und Deutschösterreichs. Selbst den Deutsch­ schweizern sind sie um ein Erhebliches überlegen. 1. Sudeten landet. 78832 qkm, Statistik.

Von der tschechischen Regierung wird die Statistik als Kampfmittel gegen die Minder­ heiten gebraucht. Die Ergebnisse der tschechischen Volkszählung vom 15. Februar 1921 können daher nicht ohne weiteres verwendet werden. Die Tendenz ist offenkundig: je tiefer die Zahlen für die einzelnen Volksgruppen, insbesondere für die Deutschen, herabgedrückt werden, um so weniger braucht der Staat für sie zu leisten. Dieser Tendenz dient auch die Neuerung, daß die Juden sich als eigene Nationalität zählen können. Ein Teil von ihnen folgt — wie in der österreichischen Zeit — der Muttersprache und rechnet sich zu der Volks­ gruppe, deren Sprache er spricht, der andere Teil betrachtet die Judenschast als eigeneVolksgruppe. a) Für 1910 ist die Umgangssprache aller Einwohner, für 1921 nur die Natio­ nalität der Staatsbürger angegeben.

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