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German Pages IX, 187 [187] Year 2020
Juliane Bräuer · Juliane Kaminski
Was Hunde wissen
Was Hunde wissen
Juliane Bräuer · Juliane Kaminski
Was Hunde wissen 2. Auflage
Juliane Bräuer Jena, Thüringen, Deutschland
Juliane Kaminski Department of Psychology University of Portsmouth Portsmouth, UK
ISBN 978-3-662-61859-2 ISBN 978-3-662-61860-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1.Aufl.: © Franckh Kosmos Verlag 2011 2.Aufl.: © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen Nora Tippmann. Mit 53 Aufnahmen von Viviane Venzke/Kosmos © Fotonachweis Umschlag: © Juliane Bräuer Umschlaggestaltung: deblik Berlin Planung/Lektorat: Stefanie Wolf Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Danksagung
Wir möchten an dieser Stelle allen Dank sagen, die uns beim Zustandekommen dieses Buches geholfen haben. Und uns bei all denen entschuldigen, die wochenlang darauf Rücksicht nehmen mussten, dass wir mit dem Buch beschäftigt waren, insbesondere unseren Familien. Besonders möchten wir uns bei Matthias Braun und Carmen Bräuer für das Korrekturlesen bedanken.
V
Inhaltsverzeichnis
1
Warum der Hund? 1
2
Wie aus dem Wolf der Hund wurde 11
3
Der Hund ist kein Wolf 29
4
Was verstehen Hunde über Andere? 47
5
Lernen Hunde durch Beobachtung anderer? 65
6
Wie deuten Hunde menschliche Gesten? 85
7
Kommunikation zwischen Hund und Mensch 103
8
Was wissen Hunde über ihre Umwelt? 131
9
Wann Hunde helfen 157
10 Ausblick 171 Zum Weiterlesen 179 Stichwortverzeichnis 185
VII
Über die Autoren
Juliane Kaminski und Juliane Bräuer untersuchen seit 20 Jahren die kognitiven Fähigkeiten von Hunden. Die Autorinnen haben beide Biologie studiert, danach am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig promoviert und zahlreiche Verhaltensstudien durchgeführt. Juliane Kaminski ist als Assistenzprofessorin an der Universität Portsmouth tätig und leitet dort das Zentrum für Hundekognitionsforschung. Sie interessiert sich für die Kommunikation zwischen Mensch und Hund und ist Mitherausgeberin des Buches „The social dog: behaviour and cognition“. Juliane Bräuer leitet die „HundeStudien“ am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Sie interessiert sich dafür, welche Fähigkeiten Hunde im Laufe der Domestikation entwickelt haben. Sie ist Autorin des Buches „Klüger als wir denken: wozu Tiere fähig sind“.
IX
1 Warum der Hund?
Im Juni des Jahres 2004 ging ein Raunen durch die Hundewelt. Rico, ein 9jähriger Border Collie, hatte unter wissenschaftlichen Bedingungen bewiesen, dass er 200 verschiedene Objekte am Namen unterscheiden konnte. Und nicht nur das, er konnte neue Namen für Spielzeuge auch auf eine Art und Weise lernen, wie sie bis dahin nur bei Kindern nachgewiesen worden war. In der Presse war von dem „Einstein der Hundewelt“ zu lesen, und eine große deutsche Zeitung verstieg sich gar zu der Aussage: „Endlich bewiesen: Hunde verstehen Deutsch“. Es schien, als sei eine der großen Fragen gelöst! Hunde verstehen uns. Sie verstehen jedes Wort! Aber ist das wirklich so? Was verstehen Hunde über uns Menschen? Begreifen sie, was wir ihnen mitteilen möchten? Was verstehen sie über die Welt, in der sie leben? Um diese Fragen soll es im vorliegenden Buch gehen. Es handelt von der Kognition, das heißt von dem Erkenntnisvermögen von Haushunden. Uns interessiert, wie Hunde ihre Umwelt wahrnehmen und welche Erkenntnisse sie darüber erlangen können. Zum einen geht es darum, was Hunde über ihre unbelebte Umwelt verstehen. Begreifen Hunde z. B. einfache Zusammenhänge wie Erdanziehungskraft. Wissen sie, dass Gegenstände, die man fallen lässt, immer auf der Erde landen? Zum anderen geht es um die Frage, was Hunde von ihrer belebten, das heißt sozialen Umwelt begreifen. Was verstehen Hunde über uns Menschen? Wie kommunizieren wir mit ihnen und sie mit uns? Im Verlaufe dieses Buches werden Sie sehen, dass
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_1
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in diesem Bereich offensichtlich die große Begabung unseres Haustieres liegt. Hätten Sie z. B. gedacht, dass Ihr Hund unterscheiden kann, ob Sie die Augen geöffnet haben oder nicht? Oder dass Objekte für ihn einzig und allein dadurch spannend werden, dass Sie diese berührt haben?
Warum der Hund? Warum aber beschäftigen wir uns ausgerechnet mit der Kognition des Haushundes? Beim Thema Kognition fallen einem sicher als erstes die Großen Menschenaffen ein, weil sie so nah mit uns Menschen verwandt sind. Oder man denkt zumindest an ein Tier, das in freier Natur überleben muss. Wie z. B. der Wolf. Aber man denkt doch eher nicht an ein Haustier. Tatsächlich wurde der Hund auch in der Wissenschaft lange etwas abwertend als domestizierter, als „unvollständiger“ Wolf betrachtet. Er hat viele Fähigkeiten seines wilden Vorfahren verloren. So besitzt er z. B. ein kleineres Gehirn, und man nimmt auch an, dass er schlechter hört und riecht als sein wilder Verwandter. Viele Wissenschaftler haben Forschung mit Hunden abgelehnt, weil Hunde angeblich in einer „künstlichen“ Umgebung leben würden. Ergebnisse solcher Versuche würden nicht die „wahre Natur“ widerspiegeln. In letzter Zeit hat sich jedoch die Meinung durchgesetzt, dass Hunde nicht in einer unnatürlichen, sondern einfach in einer anderen Umgebung leben als Wölfe (Abb. 1.1). Die natürliche Umgebung des Hundes ist
Abb. 1.1 Viel hat sich verändert im Leben des Hundes im Vergleich zum Wolf
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die Umgebung des Menschen. Das heißt, hier sind andere Fähigkeiten gefragt als in freier Natur. Da Hunde schon sehr lange mit dem Menschen zusammenleben, sehen viele Wissenschaftler unsere Vierbeiner zunehmend als interessantes Modell. Denn während dieses langen Zusammenlebens könnten sie besondere Fähigkeiten entwickelt haben, um sich an das Leben mit dem Menschen anzupassen. Dieses Umdenken in der Betrachtungsweise des Hundes gab seit der Jahrtausendwende Anstoß zu zahlreichen neuen Untersuchungen.
Über dieses Buch Über Hunde wird viel geschrieben und behauptet. Es gibt eine Menge Bücher, in denen das Verhalten des Hundes interpretiert und teilweise vermenschlicht wird. Im vorliegenden Buch möchten wir neueste wissenschaftliche Ergebnisse anschaulich darstellen. All diese Erkenntnisse sind auf Studien zurückzuführen, die von Wissenschaftlern in der ganzen Welt durchgeführt wurden. Wir möchten erklären, wie solche Studien durchgeführt werden, und was ihre Ergebnisse bedeuten und wie sie interpretiert werden. Das heißt, was Sie hier lesen, ist nicht unsere persönliche Einschätzung oder Meinung. Natürlich ist auch dieses Buch trotzdem nicht völlig objektiv. Wir mussten eine Auswahl aus vielen Studien treffen, und einige haben wir vielleicht übersehen. Andere haben wir weggelassen, weil wir sie unwichtig fanden oder nicht überzeugend, weil sie unserer Meinung nach methodisch schlecht durchgeführt waren. Trotzdem haben wir uns bemüht, Ihnen einen sehr breiten Überblick zu geben, was wir bis heute über Hunde wissen. Teile dieses Buches sind vor Jahren schon einmal veröffentlicht worden – aber nun haben wir alles überarbeitet, und auf den aller neuesten Stand gebracht. Durch die vielen neuen Studien hat sich das Bild vom Hund in der Wissenschaft in den letzten 10 Jahren wieder ein bisschen gewandelt. Schwerpunkte in der Forschung haben sich verschoben und neue Methoden wie z. B. die Magnetresonanztomografie und physiologische Messungen wurden angewendet. So sind in diesem Buch ganz neue Kapitel – wie das über Zusammenarbeit zwischen Mensch und Hund dazu gekommen, andere sind grundlegend umgeschrieben oder verkürzt worden. Insgesamt versuchen wir Ihnen mit diesem Buch ein aktuelles und umfassendes Bild von der Hundekognitionsforschung zu geben.
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Wozu brauchen wir Studien? Immer wieder werden wir von Hundebesitzern1 gefragt: wozu wir überhaupt diese Tests brauchen. Jeder Besitzer weiß doch am besten über seinen Zögling bescheid. Den meisten Teil des Tages wird der Hund beobachtet. Und tatsächlich liefern solche Beobachtungen immer wieder gute Ideen für neue Tests. Das Problem liegt darin, wie das Verhalten der Hunde interpretiert wird. Es gibt Hundebesitzer die, ohne zu zögern, bei allem, was ihr Hund tut, ein großes Verständnis voraussetzen. Jedes Verhalten wird mit menschlichen Maßstäben gemessen. Das geht teilweise soweit, dass zwischen Mensch und Hund eigentlich keine Unterschiede gesehen werden. Auch wir selbst sind Hundebesitzer und wissen aus eigener Erfahrung, wie schnell man mit einer Erklärung zur Hand ist, die den eigenen Hund ins rechte Licht rückt. Jedoch gibt es zu jedem Verhalten mehrere mögliche Interpretationen. Die Tests dienen dazu die richtige Erklärung für ein Verhalten zu finden und alternative Interpretationen auszuschließen. Nehmen wir ein Beispiel, das viele von Ihnen sicher kennen. Sie wollen mit ihrem Hund in den Park. Bevor es losgehen kann, brauchen Sie jedoch noch das Spielzeug, mit dem Sie ihrem Hund draußen eine Freude machen können. Sie schauen sich suchend um finden es jedoch nicht. Dann sehen Sie, dass ihr Hund in der Ecke des Zimmers bei der Schrankwand steht und zwischen Ihnen und der Schrankwand hin und her blickt. Weil Sie nicht sofort reagieren, wird er noch deutlicher und springt schließlich an der Schrankwand hoch und läuft hin und her. Schließlich verstehen Sie was Ihr Hund ihnen „sagen“ möchte. Das Spielzeug befindet sich in dem Schrank. Sie öffnen den Schrank und siehe da, da ist es. Wie kann man das auffällige Verhalten Ihres Hundes erklären? Hat Ihr Hund genau gewusst was Sie gesucht haben und wollte Sie darüber informieren wo sich das Spielzeug befindet? Menschen teilen sich auf diese Art mit. Hätte diese Kommunikation zwischen zwei Menschen stattgefunden, wäre sie in der Tat sicher so gemeint. Die eine Person erkennt das Bedürfnis der anderen und reagiert darauf indem sie das benötigte anzeigt und damit helfend zur Seite steht. Es ist möglich, dass Ihr Hund sich in der oben beschriebenen Situation genau gleich verhält. Jedoch gibt es andere mögliche Erklärungen für das Verhalten Ihres Hundes. Vielleicht weiß Ihr Hund, dass der Spaziergang losgeht. Dies merkt er z. B. daran, dass Sie sich die Schuhe angezogen haben oder nach der Leine gegriffen haben. 1Mit
‚Besitzer‘ wird immer ‚Besitzer und/oder Besitzerin‘ gemeint.
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Möglicherweise zeigt Ihr Hund dann einfach automatisch das Spielzeug an, weil er das egoistische Interesse hat, dass dieses Spielzeug mitgenommen wird. Es geht ihm also nicht darum, Ihnen durch seine Kommunikation bei ihrer Suche zu helfen. Es geht ihm nur um sein Bedürfnis das Spielzeug zu bekommen. Da er das Spielzeug nicht selber erreichen kann, braucht er Sie wie eine Art „Werkzeug“, um für ihn an das Spielzeug zu gelangen. Daraus ergeben sich zwei mögliche Erklärungen. Die erste These wäre, dass Hunde kommunizieren, um ihnen bei der Suche zu helfen, da sie ihr Bedürfnis erkennen. Die zweite These wäre, dass sie ausschließlich aus egoistischen Motiven handeln, um für sich selber einen Vorteil zu erlangen. Wie können wir nun also herausbekommen, was das Verhalten ihres Hundes wirklich bedeutet? Dies ist der Moment, in dem ein Test helfen kann. Er ist notwendig, um wirklich zu wissen, was hinter dem Verhalten des Hundes steckt. Es werden sogenannte kontrollierte Bedingungen geschaffen. Das heißt, wir konfrontieren unsere Testhunde mit einer bestimmten festgelegten Situation. Dabei sorgen wir dafür, dass der Ablauf immer gleich ist. Nur bestimmte Anteile in diesem Ablauf werden gezielt verändert. Dies bezeichnen wir als die verschiedenen Bedingungen. Nun vergleichen wir das Verhalten der Hunde unter diesen Bedingungen. So werden wir eingrenzen können, aus welchem Grund sich der Hund so verhalten hat. Wichtig bei diesen Tests ist, dass der Versuchsleiter versucht, unvoreingenommen zu sein. Denn oft sieht man das, was man sehen will. Zusätzlich wird, wenn möglich, das Verhalten der Hunde in den Studien mit der Videokamera aufgezeichnet. Das hat zum einen den Vorteil, dass man dann das Material in Ruhe auswerten kann. Zum anderen kann das Material dann auch von anderen, völlig unvoreingenommenen Personen begutachtet werden. Im besten Fall von einer Person, die nicht einmal die Fragestellung der Studie kennt. Sie soll das Verhalten der Hunde nach klaren und eindeutig festgelegten Kriterien bewerten. Nur wenn der unbefangene Beobachter in seiner Bewertung des Verhaltens mit dem Leiter der Studie übereinstimmt, sind die Ergebnisse der Studie glaubwürdig. Aber mit der Videoauswertung sind wir auch noch nicht am Ende unseres Versuchs. Denn nun folgt die statistische Auswertung. Selten sind die Ergebnisse auf den ersten Blick ganz eindeutig. Selten werden sich alle Hunde der einen Gruppe anders verhalten als alle Hunde der anderen Gruppe. Deshalb braucht man statistische Tests. Sie beantworten die Frage: Sind unsere Ergebnisse durch Zufall zu erklären? Dann hätten sich die Hunde völlig willkürlich verhalten und unabhängig davon in welcher Testsituation sie sich waren? Oder sind unsere Ergebnisse nicht zufällig. Das hieße, das Verhalten
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der Hund hatte wirklich etwas mit den verschiedenen Bedingungen zu tun, in denen sie sich befanden. Wenn unsere Ergebnisse nicht auf dem Zufall beruhen, sind sie aussagekräftig. Aber wie interpretiert man nun das Verhalten der Vierbeiner? Wenn ein Hund einen Test nicht „besteht“, kann es dafür mehrere Gründe geben. Vielleicht war der Versuchsaufbau nicht sinnvoll. Vielleicht gab es irgendetwas, was den Hund abgelenkt hat? War er motiviert? Ist er rein physisch in der Lage dieses Problem zu lösen? Hat man solche Schwächen ausgeschlossen und der Hund scheitert nach wie vor, kann er das Problem vermutlich aufgrund seines fehlenden Verständnisses nicht lösen. Und wenn die Hunde die Aufgabe lösen können? Heißt das dann, sie verstehen so viel wie wir? Oder nutzen sie vielleicht eine völlig andere Strategie und kommen zu dem gleichen Ergebnis? Haben die Tiere die Lösung vielleicht innerhalb des Versuches gelernt? Auch dies müssen wir prüfen, denn wir interessieren uns eher für das spontane Verhalten der Hunde und weniger für das erlernte. Dies alles sind Fragen, die beantwortet werden müssen, bevor eine Aussage über die Fähigkeiten der Hunde möglich ist.
Hundespaß oder Tierversuch Hundebesitzer erzählen, was sie mit ihren Zöglingen erlebt haben. Diese und auch unsere eigenen Beobachtungen liefern die Ideen für Studien. Oberster Grundsatz bei dieser Art von Arbeit mit den Hunden ist es jedoch, dass alles auf freiwilliger Basis abläuft. Es soll allen Beteiligten Spaß machen. Nur dann kann der Hund ja auch zu Bestleistungen kommen. Die Situationen, die zum Zweck der Studie erschaffen werden, sind meistens sehr spielerisch. In den meisten Versuchen gilt es ein irgendwie geartetes Problem zu lösen. Als Anreiz dient entweder Futter oder Spielzeug (Abb. 1.2). Der Ball muss z. B. gefunden werden. Oder ein Hebel muss gedrückt werden, um an Futter zu gelangen. Wenn die Hunde das Problem gelöst haben, dürfen sie das Futter fressen. Oder es wird eine Runde gespielt. Diese Motivationsphasen zwischendurch helfen den Hund bei Laune zu halten. Für diese Art von Studien ist es wichtig, dass die Hunde nicht ihre Motivation verlieren. Denn dies könnte die Ergebnisse verfälschen. In einem solchen Fall könnte das Tier dann vielleicht das Problem lösen, hat aber „keine Lust“ mehr. Es ist also im Interesse aller Beteiligten, dass die Hunde ihren „Spaß“ an der „Arbeit“ nie verlieren. Den meisten Hunden scheinen unsere Tests sehr gut zu gefallen. Egal ob in Leipzig, Jena oder Portsmouth –
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Abb. 1.2 Beides kann den Hund motivieren: Spielzeug ebenso wie Futter
Hundebesitzer erzählen uns immer wieder, dass ihre Zöglinge auf dem Weg in den Park selbstständig zu den Hunde-Testräumen abbiegen. Eine neue Studie scheint also besser zu sein als ein bekannter Spaziergang. In den Testräumen erleben die Hunde Spiel, Suche nach Futter und – wenn gewünscht – Kontakt mit Artgenossen. Und vor allem gibt es dort einen Menschen, der sich nur mit ihnen beschäftigt. Je nachdem, welche Frage in dem Test gestellt wird, sind die Besitzer manchmal Teil der Studie, und manchmal nicht. Um die Rahmenbedingungen unserer Untersuchungen so konstant wie möglich zu halten, werden viele Studien ohne die jeweiligen Hundebesitzer durchgeführt. Denn Hunde sind überaus sensibel für kleinste Zeichen ihrer Besitzer. Daher möchten wir vermeiden, dass die Besitzer ihren Tieren diese kleinen Hilfestellungen geben. Dies kann sogar unbewusst geschehen. Denn der Wunsch, dass der eigene Hund die Aufgabe bewältigt ist kaum zu unterdrücken. Uns interessiert aber vor allem, wie die Hunde das Problem selbstständig lösen können! Für andere Studien ist es sogar entscheidend, dass der Besitzer mitspielt. Z. B., wenn man wissen will, wie Hund und Herrchen/Frauchen miteinander kommunizieren oder ob der Hund lieber bekannte Menschen unterstützt als fremde Leute. Dann ist der Besitzer natürlich ganz wichtig für den Test. Manchmal bekommt er oder sie dann ganz genaue Vorgaben, wie er/sie sich im Test zu verhalten hat – je nach Bedingung in der jeweiligen Studie. In anderen Fällen darf der/die Besitzer/in sich mit seinem/ ihrem Hund frei bewegen und so verhalten, wie sie das auch unbeobachtet tun würde. Dann wird die freie Interaktion zwischen Hund und Besitzer/in aufgenommen und analysiert.
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Einige der in diesem Buch beschriebenen Versuche lassen sich gut zu Hause nachstellen. Sie werden daher immer wieder Anregungen dazu finden, das eine oder andere doch einmal mit ihrem Hund zu versuchen. Vielleicht beschert Ihnen ein solcher Test nicht nur ein paar neue Erkenntnisse über ihren eigenen Hund. Sondern sorgt auch dafür, dass Ihr Vierbeiner einen interessanten Nachmittag hat.
Der Vergleich Sie werden sich vielleicht wundern, dass es in diesem Hundebuch nicht nur um Hunde geht. Oft kommen Arbeiten mit Kindern, Affen, ja sogar mit Ziegen zur Sprache (Abb. 1.3a–c). Das liegt weniger daran, dass Hunde allein nicht genug Gesprächsstoff bieten. Der Grund ist vielmehr, dass dieser vergleichende Ansatz für die Kognitionsforschung eine wichtige Rolle spielt. Es stellt sich die Frage nach der Evolution, also der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Ohne Zweifel hat der Mensch ein sehr hohes Maß an Erkenntnisvermögen entwickelt. Dies gilt sowohl für sein ausgeprägtes Verständnis über die unbelebte Welt (Mengen, Farben, Formen etc.) als auch für sein ausgeprägtes Verständnis für die soziale Umgebung, in der er sich bewegt. Wir wissen, was andere in manchen Situationen sehen oder nicht sehen können. Wir verstehen, was sie uns mitzuteilen versuchen. In bestimmten Fällen können wir sogar Ziele und Absichten unseres Gegenübers erkennen. Wir gehen mit diesem Wissen täglich um. Das bedeutet, dass wir Menschen in der Lage sind andere als eigenständige Individuen mit eigenen Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen wahrzunehmen. Die vergleichende Kognitionsforschung stellt sich die Frage, ob andere Arten dazu auch in der Lage sind. Untersuchungen mit Affen scheinen in diesem Zusammenhang besonders
Abb. 1.3 Der Vergleich zwischen den Arten ist wichtig, um zu verstehen, wie sich kognitive Fähigkeiten in der Evolution entwickelt haben
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nahe liegend. Menschenaffen sind die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. Wenn wir also vergleichbare Fähigkeiten finden sollten, dann hier. Aber der Hund? Wie könnte der Hund in solche Untersuchungen hineinpassen, abgesehen davon, dass man als Hundeliebhaber natürlich gerne mit diesen Tieren arbeitet? Hunde sind aus zwei Perspektiven betrachtet interessant. Zum einen sind sie Säugetiere. Sie gehören also zu der gleichen systematischen Gruppe wie Menschen und auch Affen. Sie sind jedoch weitaus entfernter verwandt mit dem Menschen als Affen. Dies macht sie für vergleichende Untersuchungen interessant. Denn wenn man verschiedene Tierarten miteinander vergleicht, kann man feststellen, wie weit im Tierreich bestimmte Fähigkeiten verbreitet sind. Der Vergleich ist nicht nur mit uns sehr nah verwandte Arten wichtig, sondern eben auch mit ferner verwandten. Der zweite Grund, weshalb der Hund als Vergleich interessant ist, wurde schon erwähnt. Es geht um das lange und intensive Zusammenleben mit dem Menschen. Man vermutet, dass der Hund in diesem Verhältnis besondere Fähigkeiten entwickelt hat. Wenn wir z. B. hören, dass der Border Collie Rico Namen von Gegenständen durch Zuordnen lernt, sind wir vielleicht gar nicht so erstaunt. Wenn wir jedoch erfahren, dass diese Fähigkeit bis jetzt ansonsten nur noch bei Menschen nachgewiesen wurde, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Auf diese Besonderheiten bei den Fähigkeiten unserer Hunde möchte Sie dieses Buch aufmerksam machen. Wenn man das Verhalten der Hunde betrachtet, ist wiederum der Vergleich mit dem nächsten Verwandten des Hundes, dem Wolf, von besonderem Interesse. Vor allem, wenn sich die Frage stellt, inwieweit der Prozess der Domestikation einen Einfluss auf die Fähigkeiten der Hunde hatte. Diesem Vergleich widmet sich ein ganzes Kapitel dieses Buches. Gemeinsamkeiten zwischen Hund und Wolf sagen etwas über die Fähigkeiten der Gattung Hund im Allgemeinen aus. Unterschiede zeigen, was sich in der langen Zeit der Domestikation verändert hat. Im Vergleich mit den anderen Arten sehen wir, dass Hunde einige Dinge besonders gut können und andere nicht. Damit stellt sich die Frage, warum das so ist. Das hängt damit zusammen, welche Fähigkeiten in ihrer Umgebung gebraucht werden. Dort liegen ihre „Begabungen“. Die Studien sind grundsätzlich darauf angelegt, dass sie Fähigkeiten verlangen, die für die Hunde auch relevant sind. Wir testen also nicht, ob Hunde sprechen können. Oder ob sie eine Zahl durch 17 dividieren können. Sondern wir versuchen dem Testhund eine Aufgabe zu stellen, deren Lösung für ihn auch in seinem täglichen Umfeld von Bedeutung ist.
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Natürlich bekommen wir oft die Frage gestellt: Wie klug ist denn nun der Hund? Wenn man seine Fähigkeiten mit denen von kleinen Kindern vergleicht, wie klug ist er dann? So klug wie ein zweijähriges oder wie ein fünfjähriges Kind? So einfach lässt sich diese Frage natürlich nicht beantworten. Da kommt es ganz auf die Aufgabe an. Wie Sie beim Lesen dieses Buches sehen werden, gibt es Bereiche in denen schneiden Hunde ähnlich gut ab wie dreijährige Kinder. In anderen Gebieten können sie nicht einmal einem zehn Monate alten Kind das Wasser reichen. Und in einem Bereich schneiden sie wahrscheinlich sogar besser ab als Menschen – nämlich dadurch, dass sie so eine feine Nase haben. Hunde verstehen vielleicht mehr über die Geruchswelt – und was damit zusammenhängt, als wir Menschen. Aber davon wissen wir bis jetzt noch wenig. Vielleicht wird Ihnen auffallen, dass wir in den folgenden Seiten nie von „Intelligenz“ sprechen. Damit wollen wir nicht etwa sagen, dass Hunde nicht intelligent seien. Wir sprechen aber lieber von kognitiven Fähigkeiten. Denn dieser Ausdruck lässt eine differenzierte Sichtweise zu. Hunde sind nicht intelligent oder dumm. Sondern manches können sie, und manches eben nicht.
2 Wie aus dem Wolf der Hund wurde
Wann es begann Eine Szene auf der Hundewiese: Ein Golden Retriever balgt mit einer Schäferhündin. Ruhig steht ein Bernhardiner daneben. Stattliche 85 kg bringt er auf die Waage. Schon allein sein Kopf ist größer als der ganze Zwergdackel, der ein paar Meter weiter sein Bein hebt. Dazwischen flitzen zierliche Windhunde hin und her, die sich gegenseitig fangen. Ein Labrador wird nicht müde wieder und wieder den Ball zu holen, den sein Besitzer geworfen hat. Ein Puli kommt hinzu. Unter dem langen Fell, kann man sein Gesicht nur erahnen. Kaum zu glauben, dass all diese verschiedenen Tiere nah miteinander verwandt sein und denselben Stammvater haben sollen: den Wolf. Deshalb wurde lange spekuliert, ob auch noch andere Hundeartige wie Goldschakal und Kojote als nächste Verwandte des Hundes in Frage kämen. Allerdings war schon länger bekannt, dass Hunde sich sowohl in freier Wildbahn als auch in Kreuzungsversuchen nicht oder nur ganz selten mit Kojoten oder Schakalen paaren. Mit Wölfen tun sie das. Auch alle neueren Untersuchungen sprechen dagegen, dass Kojoten oder Schakale als Hundevorfahren eine Rolle spielten. Genetiker, Morphologen und Verhaltenswissenschaftler sind sich einig: der nächste lebende Verwandte unseres heutigen Haushundes ist der Wolf (Abb. 2.1a, b). Unter Anatomen gibt es Diskussionen, ob der Hund eine eigene Art darstellt (Canis familiaris) oder eine Unterart des Wolfes ist (Canis lupus familiaris). Doch das soll uns hier nicht weiter beschäftigen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_2
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Abb. 2.1 Eindeutig erwiesen: Hund und Wolf haben einen gemeinsamen Vorfahren
Wichtig für uns ist im Folgenden, zwischen dem Stammvater Wolf und dem heutigen Wolf zu unterscheiden. Denn der heutige Wolf ist nicht der direkte Vorfahre unseres Hundes, sondern sein Cousin. Hund und heutiger Wolf stammen also von einem gemeinsamen Vorfahren ab, so wie Cousin und Cousine gemeinsame Großeltern haben. Wenn wir die Unterschiede zwischen Hund und Wolf betrachten, müssen wir das bedenken: Wir können die Hunde in unseren Studien heute nicht mit dem Stammvater, dem „Urwolf“ vergleichen, sondern nur mit seinem heute lebenden Cousin. Und auch dieser hat sich natürlich in den letzten 40.000 Jahren weiterentwickelt. Z. B. wurde der Wolf an vielen Stellen der Welt intensiv bejagt. Man kann sich also vorstellen, dass nur die scheuesten Wölfe überlebt und sich fortgepflanzt haben. Bei den Hunden wiederum haben sich diejenigen durchgesetzt, die besonders gut mit Menschen zurechtkamen. Was die Hunde angeht, spricht alles dafür, dass sie – vom Rehpinscher bis zur Deutschen Dogge – vom „Urwolf“ abstammen. Als sicher gilt auch, dass Hunde die ältesten domestizierten Tiere sind. Sie leben schon viel länger mit uns als z. B. die Ziege, die als nächstes domestiziert wurde. Wann aber passierte es genau, wann wurde der Wolf zum Hund? Wann bekam er Schlappohren und fing an zu bellen? Diese Frage lässt sich aus dem Erbmaterial nicht so leicht ablesen. Man kann sich zwar anschauen, wie sehr Hund und Wolf miteinander verwandt sind. Aber dann lässt sich nur schätzen, wann die Aufspaltung der Arten stattgefunden hat. Biologen sind sich noch uneinig, weil verschiedene genetische Methoden zu verschiedenen Ergebnissen geführt haben. Inzwischen hat man sich darauf geeinigt, dass
2 Wie aus dem Wolf der Hund wurde 13
die Domestizierung des Haushundes vor etwa 35.000–40.000 Jahren begann. Archäologen können das bestätigen. Schon seit dem Eiszeitalter lassen sich Knochen von Wölfen in der Nähe von denen früher Menschen finden. Das kann daran liegen, dass beide Arten zu der Zeit weit verbreitet waren. Vielleicht hat die Beziehung zwischen ihnen schon damals begonnen. Aber darüber lässt sich nur spekulieren. Einig sind sich die Wissenschaftler über den ältesten Knochenfund, der eindeutig von einem Hund stammt. Es handelt sich um einen Kieferknochen aus einer Ausgrabung bei Oberkassel in Deutschland. Der Knochen ist etwa 14.000 Jahre alt. Eine ganze Reihe von Funden aus der Zeit danach bestätigt, dass es damals auf der ganzen Welt schon Hunde gab. Demnach wurden Hunde also in einer Zeit domestiziert, als wir Menschen noch nicht sesshaft waren. Sie zogen mit unseren Vorfahren umher und besiedelten mit ihnen neue Gegenden, zum Bespiel den amerikanischen Kontinent. Als Columbus vor über 500 Jahren Amerika entdeckte, gab es dort nur ein einziges Haustier, das auch in der Alten Welt bekannt war: den Hund. Eine umfassende genetische Studie hat gezeigt, dass die Ureinwohner Amerikas Hunde nicht selbst ein weiteres Mal domestiziert haben. Die ersten Einwanderer Amerikas sind schon von Hunden begleitet worden, als sie den Kontinent besiedelten. Es ließ sich nämlich nachweisen, dass die amerikanischen Hunde sibirische Vorfahren hatten und nicht etwa von amerikanischen Wölfen abstammten. Diese Studie zur Herkunft der amerikanischen Hunde hatte noch ein weiteres überraschendes Ergebnis: offensichtlich haben die Hunde in Nordamerika das traurige Schicksal ihrer Besitzer geteilt. Genauso wie die Ureinwohner Nordamerikas sind auch ihre Hunde stark dezimiert worden. Das heißt, dass sich kaum genetische Spuren von ihnen in der heutigen Hundepopulation in den USA und Kanada finden lassen. Hund und Mensch besiedelten gemeinsam die Erde – und zwar insgesamt verhältnismäßig schnell. Jedoch trafen sie auf Schwierigkeiten, über den 20. Breitengrad hinaus nach Süden zu gelangen. Denn in den Tropen kamen die Hunde erst vor 5000 bis 3000 Jahren an. Frühere Autoren nahmen an, dass Hunde sich dort nicht verbreiteten, weil sie nicht so nützlich gewesen seien. Man vermutete zunächst, dass sie keine große Hilfe bei der Jagd im tropischen Regenwald gewesen seien, weil dort die Vegetation sehr dicht ist. Inzwischen geht man jedoch davon aus, dass Krankheiten der Grund waren, dass die Hunde nicht über den 20. Breitengrad kamen. Es dauerte offensichtlich tausende von Jahren ehe sich Hunde an die Erreger von Staupe, Leishmaniose und Schlafkrankheit angepasst hatten. Aber nachdem sie diese
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Hürde überwunden hatten, wurden sie auch im Süden heimisch – wie überall dort, wo es Menschen gibt. Verschiedene Hundetypen, die man nach Aussehen und Nutzen unterscheiden kann, lassen sich vor 3000 bis 4000 Jahren erstmals finden. Es gab Windhundartige, die offensichtlich für die Jagd genutzt worden waren. Andere von großer und kräftiger Statur dienten vielleicht der Bewachung. Im Römischen Reich gab es dann erstmalig eine systematische Zucht, wie wir sie heute kennen. Seitdem sind vor allem in kulturellen Blütezeiten immer wieder neue Hunderassen entstanden. In Krisenzeiten vermischten sich diese Rassen wieder mit anderen und verschwanden. Nicht selten tauchen sie dann später in ähnlicher Form wieder auf. Heute zählen wir rund 400 bis 450 Rassen, die sich nicht nur in Größe und Aussehen beträchtlich unterscheiden, sondern auch in ihrem individuellen Verhalten und ihrem Temperament.
Wie es begann Mensch und Hund haben also schon eine sehr lange Zeit miteinander verbracht. Wie aber ist die erste Annäherung verlaufen? Wie kam der Mensch zum Hund? Darüber lässt sich heute nur spekulieren. Lange wurde angenommen, dass die Initiative für das Zusammenleben von den Menschen ausging. Man stellte sich vor, dass der urzeitliche Jäger eine Wölfin erlegte, und die Welpen an sich nahm. Auch könnten die Frauen eine besondere Rolle gespielt haben. Die Welpen wirkten mit ihrem großen runden Kopf, der kurzen runden Schnauze und den tollpatschigen Bewegungen anrührend und weckten vielleicht mütterliche Instinkte. Ein Welpenblick ist schließlich fast unwiderstehlich; darüber wird später noch zu reden sein. Vielleicht begann es so: Eine Frau hatte gerade ihr Neugeborenes verloren und begann, einen hilflosen Wolfswelpen zu umsorgen. Womöglich stillte sie ihn sogar. Warum erscheint uns eine solche, etwas rührselige Geschichte wahrscheinlich? Wir wissen, dass nur sehr junge Wolfswelpen sich an den Menschen gewöhnen. Denn in sehr jungem Alter sind Welpen noch von Milch abhängig. Damals aber gab es jedoch noch keine anderen Haustiere. Was wiederum heißt, dass sie von menschlicher Milch ernährt worden sein müssen. Vielleicht finden Sie das recht abwegig, dass eine Menschenfrau ein Hundebaby stillt. Dies war aber sehr viel mehr Kulturen verbreitet, als man vermuten möchte; vor allem in Süd-Ostasien, Australien, Tasmanien, Ozeanien, und in ganz Amerika. Es deshalb wahrscheinlich, dass das Stillen von Welpen zur Domestizierung beigetragen hat.
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Wolfswelpen wurden also von Menschen aufgezogen und gezähmt. Was aber passierte, wenn der bald ausgewachsene Wolf sich nicht unterwürfig verhielt? Einen Hausgenossen, der sich nicht beherrschen ließ, wollten sich die Menschen gewiss nicht leisten. Zeigte sich der Wolf aggressiv oder griff er gar Menschen an, so wurde er sicherlich getötet oder verjagt. War er trotz menschlicher Fürsorge scheu und schreckhaft, so kehrte er wahrscheinlich von selbst in die Wildnis zurück. Also blieben nur Tiere im Dorf, die keine Angst hatten und sich ohne weiteres dem Menschen unterordneten. Dort konnten sie sich dann fortpflanzen. Es gibt noch ein weiteres vorstellbares Szenario, wie das Zusammenleben von Mensch und Hund begonnen hat. Dieses halten die meisten Wissenschaftler inzwischen sogar für wahrscheinlicher. Der Wolf nämlich hat sich vielleicht selbst domestiziert. Nehmen wir an, wir haben eine größere Gruppe von vielleicht 15 Wölfen. In einer solchen Gruppe sind niemals alle identisch; weder in ihrer Anatomie, noch in ihrer Persönlichkeit. Sagen wir, in unserer Gruppe gibt es fünf relativ zahme Individuen, die wenig Angst vor Menschen haben. Der Rest des Rudels ist nicht so mutig, aber diese fünf haben mit der Nähe von Menschen kein Problem. Durch ihre Zahmheit haben diese Tiere nun einen Vorteil. Denn wo Menschen jagen, fallen Reste ab, die vielleicht ein gutes und leicht zugängliches Futter abgeben. Daneben könnte es noch einen zweiten Vorteil gegeben haben. Die Wölfe waren in der Nähe von Menschen besser vor ihren Raubfeinden geschützt. Es könnte also sein, dass sich unsere fünf Wölfe eine eigene kleine Nische erobert haben. Dieser Vorteil wiederum, könnte dazu geführt haben, dass sie mehr eigene Nachkommen hervorgebracht haben. Diese hatten folglich auch eher „zahme“ Gene als die Nachkommen der übrigen 10 Wölfe aus dem ursprünglichen Rudel. Je länger die „zahmen“ Wölfe in menschlicher Nähe zubrachten und sich fortpflanzten, desto weniger Scheu hatten sie, sich dem Menschen anzunähern. Und so entstand über mehrere Generationen eine ganz neue Population sogenannter „Protohunde“. Sie sahen noch wolfsähnlich aus, waren aber mit jeder neuen Generation weniger wolfsähnlich im Verhalten. Vielleicht werden wir nie genau wissen, wie Hund und Mensch zusammen kamen. Denkbar ist sicher auch eine Mischung aus beiden beschriebenen Szenarien: Mensch und Wolf haben sich gleichermaßen einander angenähert. Eine weitere Frage ist, wo geografisch der „Urwolf“ zum Hund wurde. Ist das an vielen Stellen gleichzeitig passiert, oder vielleicht nur ein einziges Mal? Das ist eine Frage für Genetiker, die das Erbmaterial von Tieren untersuchen. Einige vertreten die Ansicht, dass der Domestikationsprozess
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nur ein oder zwei Mal im östlichen Asien stattgefunden hat. Danach, so die Vermutung, haben sich Hunde auf der ganzen Welt verbreitet. Andere bezweifeln das und gehen davon aus, dass es an mehreren Orten zu einer Annäherung zwischen „Urwolf“ und Mensch gekommen sein muss. Je nachdem welches genetische Material untersucht wird, unterscheiden sich die Erkenntnisse beträchtlich. Z. B. sind die in der Forschung bislang noch vernachlässigten Straßenhunde genetisch untereinander viel unterschiedlicher als Rassehunde untereinander. Aber warum fällt es den Genetikern so schwer, eine klare Antwort zu finden? Die Antwort fällt leicht, wenn man bedenkt, dass es über die Jahrtausende hinweg offensichtlich immer wieder Kontakt zwischen Wölfen und Hunden gab. In der Geschichte haben sich Hunde mit ihren wilden Verwandten zu verschiedenen Zeiten immer einmal wieder neu gepaart und Genmaterial ausgetauscht. Dass es diesen wiederholten Austausch gegeben hat, das erschwert heute die Forschungen der Genetiker.
Warum es begann Bis jetzt ging es darum, wie die Beziehung zwischen Mensch und Hund entstand. Jetzt wollen wir uns die Frage stellen, warum es dazu kam. Warum wurde z. B. ausgerechnet der Wolf domestiziert? Ein ganz entscheidender Punkt war sicher, dass beide, sowohl Menschen als auch Wölfe, sehr soziale Lebewesen sind. Auch sonst gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen den Arten. Beide verfügen über ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten. Sie bilden persönliche Bindungen zu den einzelnen Gruppenmitgliedern. Um den Nachwuchs kümmern sich beide Elternteile, sowie die ganze Gruppe. Sie spielen mit ihren Kindern. In der Zeit in der Mensch und Wolf aufeinander trafen, lebten beide in ähnlich strukturierten Familienverbänden mit sozialen Hierarchien. Mensch und Wolf passten offensichtlich gut zueinander, doch welchen Nutzen zogen sie aus dieser Beziehung? Über den Nutzen für die Tiere – der erleichterte Zugang zum Futter – ist schon berichtet worden. Über den Nutzen für den Menschen wird viel spekuliert. Ein wichtiger Aspekt ist sicher, dass Hunde den Menschen bei der Jagd halfen. Hierzu gibt es eine interessante Theorie, die erklären will, warum Hunde ausgerechnet am Ende des Eiszeitalters domestiziert wurden. Das habe mit unserer Ernährung zu tun. Denn Menschen können nicht nur Proteine aufnehmen, sie müssen die Hälfte ihres Energiebedarfs durch Kohlehydrate oder Fette decken. Wenn keine pflanzlichen Kohlehydrate verfügbar waren,
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dann mussten die Menschen auf tierische Fette zurückgreifen. Am Ende des Eiszeitalters gab es einen starken Rückgang sehr großer Beutetiere. Kleinere Tiere aber sind aufwendiger zu jagen, und man braucht auch mehr davon, um die gleiche Menge an Menschen satt zu bekommen. Zudem speichern größere Tiere mehr Fett als kleinere. Logischerweise ist es sehr viel effektiver, ein einzelnes Mammut zu erlegen als mehrere Rehe. Weil aber die Mammuts nach der letzten Eiszeit ausstarben, mussten die Menschen einen sehr viel größeren Aufwand betreiben, um ihren Energiebedarf zu decken. Und hier kommen die Hunde ins Spiel. Sie waren in dieser Situation vielleicht eine willkommene Hilfe. Als Menschen begannen, mit Pfeil und Bogen zu jagen, konnten Hunde das fliehende Wild aufspüren und stellen. Nicht so leicht vorstellbar ist jedoch, wie die noch sehr wolfsähnlichen Hunde die erjagte Beute freiwillig dem Menschen überließen. Vielleicht hat sich der Mensch auch zuerst ihre Wachsamkeit zunutze gemacht. Er konnte sie beobachten, um zu wissen, wann Gefahr drohte. Wahrscheinlich zogen sie sich dann einfach zurück. Vielleicht bellten die ersten Hunde auch schon. Aber dann wären die Raubfeinde auf sie aufmerksam geworden. Und es ist unwahrscheinlich, dass Hunde in diesem frühen Stadium schon ihr Leben eingesetzt hätten, um einen Menschen zu verteidigen. Unter Umständen hielten sie auch den Wohnplatz sauber. Sie fraßen nicht nur die Abfälle des Menschen, sondern dienten auch als Windelersatz. Die Hunde hielten sich in der Nähe der Kinder auf und fraßen deren „Hinterlassenschaften“. Dies war z. B. bei dem in Kenia lebenden Turkana-Stamm üblich. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, den Hund als „Wärmekissen“ zu nutzen, wie es die australischen Aborigines in kalten Nächten taten. In andere Kulturen wurden die Felle von getöteten Hunden für dieselben Zwecke genutzt. Auch als Packtier hat man den Hund nutzen können. Da unsere Vorfahren als Nomaden lebten, haben die Tiere womöglich das Gepäck mit getragen, wenn eine Gruppe von Ort zu Ort zog. So war es bei einigen Volksgruppen der nordamerikanischen Ureinwohner vor der Zähmung der Mustangs üblich. Wenn man bedenkt, dass große Hunde 15–20 kg tragen können, waren sie auf den Wanderungen eine große Hilfe. Vielleicht wurden die frühen Hunde auch gegessen, wie es heute noch in einigen Kulturen nicht unüblich ist. Dies geschah vor allem im Rahmen besonderer Rituale. Ein Grund für die Domestizierung wird das jedoch kaum gewesen sein, denn Mensch und Hund sind Nahrungskonkurrenten. Sie haben im Prinzip einen ähnlichen Speiseplan. Es wäre also gar nicht sinnvoll gewesen, Hunde zu „mästen“, um sie dann zu verzehren.
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Dazu eignen sich Pflanzen fressende Ziegen deutlich besser. Ziegen sind denn auch nach dem Hund dasjenige Haustier, das als nächstes domestiziert wurde, und zwar vor etwa 9000 bis 12.000 Jahren. Vermutlich hat man dann relativ bald Hunde zum Hüten von Ziegenherden eingesetzt. Der zentrale ursprüngliche Nutzen des Wolfsnachfahren war dies ganz sicher nicht. Wie die allerersten Hunde genutzt wurden, können wir also nicht mit völliger Gewissheit sagen. Mit Sicherheit wissen wir aber, dass der Hund bei der Jagd eine entscheidende Rolle gespielt hat. Denn Hunde können dabei eine große Hilfe sein. Dies belegt eindrucksvoll eine Untersuchung aus Helsinki, Finnland. Hier wurden Daten über Jagderfolge ausgewertet. Die Wissenschaftler analysierten über 5000 Elchjagden. Sie interessierte vor allem der Vergleich zwischen Jägern die Hunde mit sich führten und solchen, die keine Hunde hatten. Außerdem wollten sie wissen, welchen Einfluss die Anzahl der Jäger auf den Erfolg der Jagd hatte. Die Ergebnisse waren eindeutig. Mit Hunden war die Jagd sehr viel erfolgreicher. Jäger in Begleitung von Hunden erlegten bis zu 56 % mehr Elche als ihre hundelosen Kollegen! Waren die Jäger allein unterwegs, brauchte es eine gewisse Gruppengröße, wenn sie erfolgreich sein wollten. Hatten sie jedoch einen Hund dabei, so reichten weniger Jäger für einen optimalen Erfolg – egal ob 9 oder 19 Jäger zusammen jagten. Sobald mehr als zehn Jäger unterwegs waren, erwiesen sich mehrere Tiere als hilfreich. Mit ihnen konnte dann ein größeres Gebiet nach Wild abgesucht werden. Dies ist eine der ersten Studien, die einmal systematisch den großen Nutzen des Hundes bei der Jagd von großem Wild aufzeigt. Vielleicht finden Sie diese Ergebnisse gar nicht so erstaunlich: Jagdhunde sind nützlich. Wenn man sich aber noch einmal klar macht, was dies für den prähistorischen Menschen bedeutete, so sieht die Sache etwas anders aus. Schon wenige Jäger waren mit einem Hund sehr erfolgreich und erlegten viel mehr Wild als ohne Hund. So konnte mithilfe ihrer domestizierten Gefährten das Überleben der Gruppe besser gesichert werden. Was auch immer Mensch und Hund zusammengebracht hat, es muss für beide Seiten von großem Vorteil gewesen sein. Es war und ist eine erfolgreiche Verbindung. Denn wie wir schon gesehen haben, breitete sich der Hund gemeinsam mit dem Menschen schnell über die gesamte Erde aus. Wenn Hunde wirklich so früh domestiziert wurden, wie die meisten Genetiker meinen, dann gab es damals sogar noch Neandertaler. Und vielleicht war das neu gebildete Mensch-Hund-Team in seiner Zusammenarbeit sogar so erfolgreich, dass es zum Aussterben der konkurrierenden Neanderthaler beitrug. Das jedenfalls nimmt eine amerikanische
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nthropologin an. Wirkliche Beweise für eine so weitreichende Behauptung A gibt es allerdings noch nicht. Fakt ist jedenfalls, dass die Domestikation dazu führte, dass Hunde schließlich in Abhängigkeit des Menschen lebten – obwohl diese Abhängigkeit in den verschiedenartigen Kulturen der Welt sehr unterschiedlich stark sein mag – aber darüber wissen wir noch wenig. Fakt ist auch, dass wir Menschen Hunde auf bestimmte Eigenschaft selektiert haben – wir reduzierten Scheu, förderten Trainierbarkeit und den Hundeblick, obwohl wir nicht sagen können, ob das bewusst oder unbewusst geschah. Diese hundetypischen Fähigkeiten haben sich also im Laufe der Domestikation entwickelt, und werden auf den folgenden Seiten beschrieben und erklärt.
Helfer oder Parasit? Wie aber sieht die Beziehung aus, die sich in der langen gemeinsamen Zeit zwischen Mensch und Hund entwickelt hat? Der Hund ist vom Menschen abhängig. Aber ist vielleicht auch das Gegenteil der Fall? Sind wir auch abhängig von ihm? Unbestritten ist die Tatsache, dass Hunde auch heute noch unser Leben enorm erleichtern können. Wir machen Gebrauch von ihrer feinen Nase, ihrer Schnelligkeit und ihren sozialen Fähigkeiten. Noch immer nutzen wir sie für die Jagd, als Wachhund und um Schafe zu hüten. Aber in neuerer Zeit sind viele Einsatzarten dazu gekommen wie z. B., die des Behindertenbegleithundes. Nach einer sehr aufwendigen Ausbildung sind sie dazu in der Lage, Blinden auf der Straße zu führen. Andere lernen Rollstuhlfahrer bei ihren täglichen Handlungen zu unterstützen. Sie öffnen Türen, betätigen Lichtschalter und bringen wichtige Gegenstände, wie z. B. das Telefon (Abb. 2.2). In der Zukunft werden Hunde vielleicht noch verstärkt im medizinischen Bereich eingesetzt. Schon jetzt werden sie z. B. in der Psychiatrie genutzt. Wie eine Studie in Leipzig gezeigt hat, könnten sie bei der Diagnose psychischer Störungen helfen. Für diesen Versuch wurden Kinder und Jugendliche 25 min lang mit einem Therapiehund beobachtet. Die psychische Störung der jungen Patienten war bekannt. Ihr Verhalten gegenüber dem Hund wurde nun analysiert. Je nach Störung verhielten sich die Patienten verschieden. Die autistischen Kinder beschäftigten sich z. B. häufig und kurz mit dem Tier. Die Patienten mit Angststörungen spielten selten, aber dafür länger mit dem Therapiehund. Die Art, wie sie sich zu dem Hund verhielten, sagte also etwas über ihre Störung aus. Dies könnte künftig bei der Diagnose solcher Störungen helfen.
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Abb. 2.2 Behindertenbegleithund in Aktion
Auch bei der Diagnose körperlicher Krankheiten können Hunde hilfreich sein. Sie sind in der Lage Blasenkrebs zu erkennen, in dem sie an Urinproben von erkrankten Menschen riechen. Sie erkennen sogar bei Epilepsiepatienten, wenn ein Anfall bevorsteht und bei Diabetespatienten, wenn ein diabetischer Schock droht. Welche Hinweise die Hunde dabei nutzen, ob sie sich an Verhalten, Körperhaltung, Gesichtsausdruck oder Geruch des gefährdeten Menschen orientieren, wird gerade erforscht. In jedem Fall kommt ihnen dabei zugute, dass sie den Menschen immer im Auge behalten, ein Fakt, der uns noch beschäftigen wird. Schon lange machen Menschen sich die exzellenten Hundenasen zunutze, beispielsweise bei der Polizei oder bei der Bergwacht. In jüngster Zeit werden Hunde nicht mehr nur zum Aufspüren von lebenden oder toten Menschen, von Sprengstoff oder Drogen eingesetzt, sondern auch im Naturund Artenschutz. In Wäldern zeigen sogenannte Käferspürhunde den schädlichen asiatischen Laubholzbockkäfer an und helfen damit, befallene Bäume schnell zu erkennen. Auch werden Hunde auf die Spuren von Luchsen, Igeln, Schlangen, Fledermäusen, Vögeln, Wölfen und Fischottern trainiert und so zur Bestandsüberwachung bedrohter Arten eingesetzt. Es gibt sogar Spürhunde, die auf Booten eingesetzt werden, um den Kot von Walen im Meereswasser zu erschnüffeln. Da neuere Studien zeigen, dass die Bestandsüberwachung mit Hunden sehr effektiv ist, wird sich der Einsatz von Artenspürhund noch mehr durchsetzen.
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Der Hund nützt uns also heute noch auf verschiedene Art und Weise. Es gibt jedoch Wissenschaftler, die eine provokante These vertreten: Sie behaupten, dass der beste Freund des Menschen ein außerordentlich erfolgreicher Parasit sei. Das heißt ein Tier, das sich auf Kosten eines anderen Lebewesens – in diesem Fall des Menschen – ernährt und fortpflanzt. Die Kosten für einen ganz normalen Familienhund würden seinen Nutzen bei weitem übersteigen. Tatsächlich werden für die 6,9 Mio. Hunde, die es in Deutschland gibt, etwa 4,5 Mrd. EUR ausgegeben. Und ein US-Amerikaner investiert durchschnittlich 502 US$ pro Jahr in seinen Hund. Glaubt man der Parasitenthese, dann manipulieren uns unsere Hausgenossen mit ihrem niedlichen Gesicht (Abb. 2.3). Sie bringen uns durch ihr Aussehen dazu, dass wir uns um sie kümmern. Ungefähr so, wie ihre Vorfahren, die Wolfswelpen, die mütterliche Fürsorge damaliger Mütter geweckt haben mögen. Es gibt sicher nur wenige Menschen, die einem Hundewelpen mit seinen großen runden Augen widerstehen können, wenn dieser Schwanz wedelnd auf sie zukommt. Aber auch ausgewachsene Hunde wecken unsere Fürsorge. Forscher der Universität Portsmouth haben untersucht, was Menschen dazu bringt, Hunde aus Tierheimen zu adoptieren. Dazu filmten sie 29 Tierheimhunde je zwei Minuten lang. Alle Hunde gehörten einer ähnlichen Rasse an, dem Molosser-Typ. Dann analysierten die Wissenschaftler das Hundeverhalten im Detail, sie benutzen dazu ein spezielles Kodierprogramm, bei dem sie sogar einzelne Muskeln
Abb. 2.3 Rufen Hunde mit ihrem niedlichen Gesicht unsere Fürsorge hervor?
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verfolgen konnten, die die Mimik im Gesicht steuern. Außerdem ließen sich die Forscher vom Tierheim informieren, wie lange es dauerte, bis die gefilmten Hunde jeweils von neuen Besitzern mitgenommen wurden. Aus diesen Daten berechneten sie, welches Hundeverhalten zur schnellsten Adoption führte. Die Überraschung war groß, denn weder Bellen noch Schwanzwedeln hatte einen Einfluss, sondern nur der „süße“ Hundeblick. Genauer gesagt, entschied das Heben der inneren Augenbraue über das Hundeschicksal. Hunde, die besonders oft die innere Augenbraue anhoben, wurden schneller adoptiert! Inzwischen wissen wir, dass Hunde diesen mimischen Ausdruck vor allem zeigen, wenn wir Menschen sie anschauen (siehe auch Kap. 7). Noch interessanter ist der Vergleich mit dem Wolfsverwandten. Denn Wölfe besitzen diesen bestimmten Muskel gar nicht. Sie können die innere Augenbraue nicht hochziehen, selbst wenn sie wollten. Der sprichwörtliche Hundeblick ist also etwas, das sich im Laufe der Domestikation entwickelt hat. Wir Menschen bevorzugen Hunde, die besonders süß dreinschauen. Das spricht also ein bisschen für die Parasiten-These. Wir kümmern uns um Hunde, statt eigenen Nachwuchs zu bekommen! Tatsächlich spielen wir mit Hunden wie mit Kindern. Tatsächlich streicheln wir sie und reden mit ihnen in Babysprache. Zudem wird vermutet, dass Menschen im Laufe der Domestikation die Hunde besonders gefördert haben, die sich wie menschliche Kinder verhielten. Und vielleicht ersetzen sie diese auch manchmal. Dafür spricht eine Studie, in der zehn Familien mit bzw. ohne Kinder verglichen wurden. Jede besaß einen Hund. Die kinderlosen Erwachsenen beschäftigten sich viel öfter und intensiver mit dem Tier, als die Eltern es taten. Ist unser Hund also wirklich ein Parasit? Ist der Blick aus niedlichen runden Hundeaugen nur eine Manipulation? Bringt uns der Hund mit diesem Blick dazu, sehr viel Zeit und Geld zu investieren, um seine Probleme zu lösen? Nun ist, das müssen auch die Vertreter der Parasiten-These zugeben, der Nutzen eines solchen Haustieres schwer zu messen. Viele Studien belegen, dass Hundebesitzer gesünder leben. Das ist nicht nur darauf zurück zu führen, dass sie regelmäßig an der frischen Luft spazieren gehen. Nachgewiesen ist auch, dass sie weniger anfällig gegen Stress und bestimmte Herzkrankheiten sind. Das geht so weit, dass die Wahrscheinlichkeit ein Jahr nach einem Herzinfarkt noch am Leben zu sein für Hundebesitzer acht Mal so hoch ist als für Menschen ohne Hund! Allein die Beschäftigung mit einem Tier senkt Blutdruck und Herzfrequenz. Es ist auch nachgewiesen, dass ältere Hundebesitzer seltener zum Arzt gehen als Gleichaltrige ohne Hund. Für Deutschland gibt es sogar konkrete Berechnungen, dass die Anzahl der Arztbesuche durch die Heimtierhaltung
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um etwa 2 % verringert sein könnte. Dadurch werden die Ausgaben für das Gesundheitssystem um 1,5–3 Mrd. EUR reduziert, hier lässt sich der Nutzen eines Hundes sogar in Zahlen berechnen. Nutzen bringen uns Hunde auch noch auf einer anderen Ebene. Sie erleichtern Kontakte mit anderen Menschen. Das ist ebenfalls in einer Reihe wissenschaftlicher Tests gezeigt worden. In jedem dieser Versuche war eine Versuchsperson mit einem Hund unterwegs. In der Kontrollsituation ging sie denselben Weg – aber ohne Begleiter. Nun wurde geschaut, wie oft diese Person mit Fremden in Kontakt kam. Egal ob im Park oder in der Stadt, ob der Hund gut erzogen war oder nicht, immer gab es positive Reaktionen von anderen Menschen. Die gab es nicht, wenn die Person allein unterwegs war. In einer dieser Studien wurden Rollstuhlfahrer mit Hund acht Mal auf ihrer Runde angesprochen, ohne Hund jedoch nur einmal. In Begleitung eines Labradors wurde die Versuchsperson zwar öfter angelächelt als mit einem Rottweiler, aber auch dieser erleichterte den Kontakt mit fremden Menschen. Sicher kann das jeder Besitzer bestätigen. Wie oft wird man im Park angesprochen: „Rüde oder Hündin?“, „Wie alt ist sie?“, „Ist das ein Golden Retriever?“. Schnell kommt man ins Gespräch. Unsere vierbeinigen Begleiter erhöhen das Selbstwertgefühl und erleichtern Stresssituationen. Sie bringen Entwicklungsvorteile für Kinder, die mit ihnen aufwachsen (Abb. 2.4). Es gibt sogar Studien, die darauf hindeuten, dass Trauerfälle in der Familie leichter zu überwinden sind, wenn ein Hund im Haushalt lebt. Der Gewinn für uns Menschen allein durch die Anwesenheit der Tiere ist also kaum zu ermessen. Das haben inzwischen auch viele Krankenhäuser und Altenheime erkannt, die sie als vierbeinige Therapeuten einsetzen.
Der Hund bleibt ein Hund Auch wenn der Nutzen eines ganz normalen Familienhundes oft unterschätzt wird, haben die Vertreter der Parasiten-These jedoch in einem Punkt sicher Recht. Wir sind bereit, sehr viel für unseren vierbeinigen Freund zu investieren. Ob unsere Liebe diesem immer gut tut, ist zu bezweifeln. Sicher schadet es dem Mops nicht, wenn er mit Streicheleinheiten überhäuft wird. Auch der Pudel der alten Dame, die überzeugt davon ist, dass ihr Zögling „jedes Wort“ versteht, kann ein schönes Leben haben. Eine wissenschaftliche Befragung von Besitzern aus Pennsylvania, USA hat sogar nachgewiesen, dass man seinen Hund dann für besonders klug hält, wenn man eine besonders enge Bindung zu ihm hat.
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Abb. 2.4 Ein Hund in der Familie fördert die kindliche Entwicklung
Aber übertriebene „Hundeliebe“ zeigt noch ganz andere Auswüchse. So gibt es Hundewellness oder auch die Möglichkeit, die Asche des verstorbenen Gefährten zum Diamanten pressen zu lassen. Schönheits-OPs für Hunde werden auch angeboten. Besonders beliebt sind beispielsweise Silikonhoden, die kastrierten Rüden angeblich das Männlichkeitsgefühl zurückgeben sollen. Es ist unklar, ob manche Spielart der vermenschlichten Fürsorge den betroffenen Hunden nicht sogar eher schadet als nützt. Erwiesen ist jedoch der Schaden für den Hund, wenn die Liebe durch den Magen geht. Der Hund war seit seiner Domestizierung vorwiegend Abfallfresser oder Selbstversorger; in vielen Teilen der Welt ist er es auch heute noch. Offensichtlich hat er auf diese Weise sehr gut überlebt. Das hält viele in der westlichen Welt nicht davon ab, eine Menge Theorien über die ideale, die wirklich passende Hundeernährung zu verbreiten. Aber ganz gleich, ob Frauchen oder Herrchen trockenes oder nasses Futter geben oder „barfen“, die meisten Hunde sind heutzutage zu dick. Schätzungsweise
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40 % der Haustiere in den Industrieländern Mitteleuropas haben Übergewicht. In Deutschland gibt es sogar verlässliche Zahlen: Eine Studie der Universität München spricht von 52 % der Hunde, die zu viel Gewicht auf die Waage bringen, in den USA seien es sogar 56 %. Und hier beginnt der wirkliche Schaden für den Hund: überflüssige Pfunde können die Lebenserwartung bis zu zwei Jahre reduzieren. Wie beim Menschen sind Diabetes, Arthritis und Herzerkrankungen häufige Begleiterscheinungen. Doch damit nicht genug. Durch die Vermenschlichung entstehen weitere Probleme. An den Hund werden nicht nur Ansprüche gestellt, die er nicht erfüllen kann. Er wird oft missverstanden. Denn auch wenn wir uns zuweilen so fühlen mögen, sind wir nicht die geborenen Hundeversteher. Wir müssen Hundesprache erst lernen. Eine ganze Reihe neuer Studien haben gefragt, wie gut Menschen Hunde verstehen. Um das herauszufinden, werden Testpersonen unterschiedliche Bilder oder Videoclips gezeigt oder Geräusche von Hunden vorgespielt. Die Versuchsteilnehmer sollen daraufhin einschätzen, ob der Hund auf den Aufnahmen eher ängstlich oder aggressiv oder fröhlich ist. Alle diese Studien zeigen, dass Menschen nicht sehr gut darin sind, die Körpersignale von Hunden zu verstehen. Offensichtlich sind nicht alle Hundegefühle gleich gut zu identifizieren, denn Menschen können besser positive Emotionen wie beispielsweise Freude erkennen. Bei negativen Emotionen wie Angst liegen sie oft daneben. Gefährlich kann es werden, wenn Kinder wütende oder aggressive Hundegesichter für fröhliche halten und schlecht erkennen, wenn ein Hund ängstlich ist. Überraschenderweise sind Menschen, die einen Hund besitzen, nicht unbedingt besser darin, Hundeemotionen korrekt einzuschätzen. In einigen Studien schnitten sie sogar schlechter ab als Zeitgenossen, die wenig oder gar keinen Kontakt zu Hunden haben. Wir alle kennen den Satz: „Der will nur spielen“. Wenn er gesagt wird, erwarten wir geradezu, dass etwas passiert. Denn allzu oft schätzen Hundebesitzer ihre Zöglinge falsch ein. Und solche Missverständnisse können zu Beißunfällen führen, die immer wieder Erschrecken auslösen. Wir scheinen ein bestimmtes Bild vom „besten Freund des Menschen“ zu haben, von unserem loyalen Gefährten. Wir erwarten von ihm, dass er immer freundlich und verspielt ist. Aber wenn er das in unseren Augen einmal nicht ist, wenn er sich selbst, sein Revier oder sein Futter verteidigt oder wenn er seinem Jagdtrieb folgt, dann handelt ein Hund ebenso artgerecht. Vielen Menschen gilt er dann aber als unberechenbar und aggressiv. Dabei sind Beißunfälle durchaus vermeidbar, wenn grundlegende Verhaltensregeln beachtet werden. Eine ganze Reihe von Studien haben in den letzten Jahren umfangreiche Statistiken über Beißunfälle ausgewertet.
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Sie alle finden ähnliche Muster. Die Opfer sind insbesondere Männer oder Kinder zwischen fünf und neun Jahren. Die Kinder werden eher im Kopf- und Halsbereich verletzt, die Erwachsenen eher an den Extremitäten. Die Hunde, die zubeißen, sind zumeist männlich, nicht kastriert und mittelgroß. Außerordentlich selten sind Hunde darauf trainiert, Menschen anzugreifen. Oft hingegen spielen soziale Unsicherheit und nicht rassegerechte Haltung eine wichtige Rolle. Nicht selten beißen Hunde unter besonderen Umständen zu, beispielsweise wenn Menschen in Kämpfe zwischen Hunde eingreifen. Interessanterweise, und das mag für viele überraschend klingen, kennen sich Hunde und Opfer zumeist. Dass wildfremde Hunde auf Spaziergänger losgehen, kommt eher selten vor. Auch streunende Hunde, die keinen Besitzer haben, beißen verhältnismäßig selten. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang oft gestellt wird, ist die, ob bestimmte Rassen besonders gefährlich sind. Eine groß angelegte Fragebogenaktion in den USA mit über 1500 Teilnehmern brachte hierzu überraschende Ergebnisse zutage. Demzufolge sind die Hunde, die am häufigsten zuschnappen, eher klein. Dackel, Chihuahuas und Jack Russell Terrier beißen sowohl ihre Herrchen als auch Fremde. Australische Cattle Dogs zeigen sich Fremden gegenüber besonders aggressiv, während Cocker Spaniel und Beagles häufig nach ihren Besitzern schnappen. Grundsätzlich passieren sehr viele Beißunfälle mit Schäferhunden. Das liegt sicher auch daran, dass diese sehr weit verbreitet sind. Retriever hingegen, so zeigt sich, sind ausgesprochen friedlich. Mit genauen Daten über die Risiken lassen sich gezielt Präventions maßnahmen vorschlagen. Wichtig ist beispielsweise die Sozialisation der Hunde, das heißt ihr Kontakt zu anderen Menschen und Hunden im ersten Lebensjahr. Denn auch Hunde müssen lernen, wie man sich sozial verhält. Tiere, die eine Welpenstunde besucht haben, agieren sozialer und beißen nachgewiesenermaßen seltener zu. Ebenso hilfreich sind das Trainings des Grundgehorsams und eine regelmäßige Beschäftigung. Es ist wichtig, Hunde den nötigen Auslauf und Abwechslung zu verschaffen. Dabei gibt es bekanntermaßen große rassetypische Unterschiede. Ein Border Collie hat ganz andere Ansprüche als ein Berner Sennenhund oder ein Labrador Retriever. Der immer wieder geforderte allgemeine Leinenzwang hingegen ist sicherlich kein gutes Rezept gegen Hundebisse. Eine Studie aus Kiel belegt, wie wichtig Bewegung, Reizvielfalt und Kontakte zu anderen Artgenossen sind. Ein Hund, der täglich ein und denselben Weg an einer kurzen Leine gehen muss, wird nicht nur in seiner natürlichen Bewegung eingeschränkt. Er kann sich auch nur auf einer Strecke bewegen, die seine Besitzer nach ausschließlich menschlichen Bedürfnissen auswählt. So lernt
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er nicht, wie er sich zu anderen Hunden verhalten muss. Er hat auch keinerlei Möglichkeiten, selbstständig Kontakt aufzunehmen und Erfahrungen mit seiner Umwelt zu machen. Und daran sind Hunde interessiert, genauso wie wir Menschen. Ganz entscheidend für die Vermeidung von Beißunfällen sind jedoch weniger die Hunde, als die Besitzer. Je besser Hundehalter ihre Tiere kennen und verstehen, umso besser können sie kritische Situationen vorhersagen. Denn viele Hunde reagieren gar nicht grundsätzlich, sondern nur in ganz spezifischen Situationen aggressiv. Statistiken sagen außerdem, dass geschenkte Hunde öfter beißen. Vielleicht werden gefährliche Hunde einfach öfter verschenkt. Womöglich spielt auch hier wieder das Hundeverständnis des Besitzers eine wichtige Rolle. Auf einen Hund, den man geschenkt bekommen hat, ist man sicherlich schlechter vorbereitet als auf einen, den man sich selber besorgt hat. Kinder werden deshalb häufig Opfer von Beißunfällen, weil sie Hunde oft missverstehen, gerade wenn diese Angst zeigen. Das soll nicht heißen, dass Kinder nicht mit Hunden spielen sollten. Ganz im Gegenteil: Hunde tun Kindern gut. Aber vor allem kleine Kinder sollten nur unter Aufsicht mit Hunden zusammen sein. Auch sollte ihnen immer wieder das Verhalten ihres vierbeinigen Freundes erklärt werden. Denn auch wenn Menschen keine intuitiven Hundeversteher sind, können sie doch lernen, die Tiere richtig zu deuten und Beißunfälle zu vermeiden. Das heißt, wir müssen beachten – unser Gefährte ist kein Mensch, er ist „nur“ ein Hund. Das heißt zum einen, er stammt vom Wolf ab, von einem sozialen Raubtier, das sein Revier verteidigt. Vor allem aber heißt es, dass er seine Umwelt durch Hundeaugen betrachtet und sich nach seinen Regeln verhält. Unsere Aufgabe als Besitzer ist es, diese Regeln zu verstehen. Zwar hat der Hund in der langen gemeinsamen Zeit mit dem Menschen einige besondere Fähigkeiten entwickelt. Zwar ist er hervorragend daran angepasst mit in unserer Welt zu leben und ein sehr enges Verhältnis zu uns zu entwickeln. Jedoch ist er natürlich nicht in der Lage, in der Menschenwelt die Führung zu übernehmen. Es bleibt zu hoffen, dass unsere Jahrtausende alte Beziehung zum Hund eine Zukunft hat. Auch wenn sich die Umstände geändert haben – und wir nicht mehr als Jäger und Sammler umherziehen, so ist der Hund doch fantastisch an ein Zusammenleben mit uns angepasst. Und dieses Zusammenleben ist gut möglich – wenn auch wir versuchen, ihn zu verstehen und seiner Art entsprechend zu behandeln.
3 Der Hund ist kein Wolf
Ernstbrunn liegt in Österreich, rund 40 km nördlich von Wien. Ein ganz normaler Wildpark befindet sich in dem kleinen Ort. Weitläufige Gehege in Eichenwäldern gefüllt mit Mufflons, Wildschweinen und Alpensteinböcken. Auch mehrere Wolfsgehege gibt es hier. Aber was ist das? Das sind gar keine Wölfe, das sind Haushunde, die da durch das Gehege laufen. Die Hunde werden hier im 2009 gegründete Wolf Science Center genauso gehalten wie ihre wilden Cousins. Denn in Ernstbrunn suchen Wissenschaftler nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Hund und Wolf. Sie möchten herausfinden, was genau den Hund zum Hund macht und was ihn vom Wolf unterscheidet. Denn üblicherweise hinkt der Vergleich zwischen Hund und Wolf immer ein wenig. Wer beispielsweise Wölfe in einem Zoo und Hunde in einer Wohnung testet, hat es mit Tieren zu tun, die in sehr verschiedenen Welten aufgewachsen sind. Wenn diese sich in experimentellen Situationen unterschiedlich verhalten, könnte das einfach daran liegen, dass beide unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Unterschiede im Verhalten wären also gar nicht auf Unterschiede zwischen Arten zurückzuführen. Die Lösung für dieses Dilemma, die in Ernstbrunn gefunden wurde, besteht darin, dass man Vertreter beider Arten genau gleich aufwachsen lässt (Abb. 3.1a, b). Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder lässt man Wölfe wie Hunde aufwachsen, versucht also sie an Halsband und Straßenlärm zu gewöhnen. Das wurde tatsächlich bereits versucht, beispielsweise von Budapester Wissenschaftlern. Daraus entstanden ein paar interessante Studien, aber insgesamt lief es nicht besonders gut. Denn unsere heutigen Wölfe sind sehr © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_3
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Abb. 3.1 Hundewelpen und Wolfswelpen im Vergleich
schreckhaft und scheu und lassen sich kaum wie Hunde erziehen. Wie schon erwähnt, wurden Wölfe extrem bejagt. Es haben diejenigen überlebt, die dem Menschen unter allen Umständen aus dem Weg gegangen sind. Und diese Tiere sind natürlich nicht gut an das Leben in einer europäischen Großstadt angepasst. In Ernstbrunn hat man sich deshalb für die zweite Möglichkeit entschieden. Man hält Hunde wie Wölfe, in Rudeln, im Gehege. Das ist vermutlich nicht ganz so ideal für die Hunde, die ja Menschen als Sozialpartner bevorzugen. Aber in Ernstbrunn haben Wölfe wie Hunde aufgrund eines intensiven Studienbetriebs ja sehr viel Kontakt zu den Pflegern, Assistenten und Wissenschaftlern. Was aber konnten uns diese Studien zeigen, wo liegen die entscheidenden Unterschiede zwischen Hunden und ihren nicht domestizierten Cousins? Im Vergleich der beiden Arten fällt einem vielleicht zuerst die erstaunliche Formenvielfalt der Hunderassen ein. Wölfe unterscheiden sich zwar auch beträchtlich in der Größe. So wiegt der Arabische Wolf nur etwa 20 kg. In der Arktis wurden schon Tiere gefunden, die stattliche 80 kg auf die Waage brachten. Aber nur bei Haushunden finden wir diese durch Zucht bedingte Variabilität in Gestalt, Färbung und Haarkleid. Hunde können auch zweimal im Jahr Junge bekommen. Bei Wölfen gibt es maximal einmal jährlich Nachwuchs. Auch anatomische Unterschiede gibt es. Das Hundegebiss ist im Verhältnis zum Körpergewicht kleiner als das des Wolfes. Auch das Gehirngewicht ist um etwa 30 % reduziert. Besonders stark sind die Hirngebiete verkleinert, die Augen, Ohren und Nase zugeordnet sind. Deshalb nimmt man an, dass die meisten Hunde schlechter sehen, riechen und hören können als ihre wilden Verwandten. Was uns aber in diesem Kapitel vor allem interessiert, ist, was sich in ihrem Verhalten und ihren kognitiven Fähigkeiten verändert hat.
3 Der Hund ist kein Wolf 31
Im Rudel Wölfe leben, wie wir wissen, in Rudeln. Aber auch Straßenhunde und die „Gehegehunde“ von Ernstbrunn bilden solche sozialen Gruppen. In einer Studie wurde beobachtet, wie Wölfe und Hunde gruppeninterne Hierarchien ausbilden und Futter miteinander teilen. Wenn ein Beutetier ins Gehege gelegt wurde, dann versuchte jeweils das dominante Tier das Futter zu verteidigen. Die unterlegenen Hunde akzeptierten das üblicherweise, und der dominante Hund durfte die Mahlzeit für sich behalten. Hingegen ließen sich subdominante Wölfe nicht einfach so vom Alphatier vertreiben. Sie fraßen mit von der Beute. Dass Individuen um Nahrung konkurrieren müssen, ist ja ein typischer Nachteil des gemeinsamen Lebens in einer Gruppe. Das gilt nicht nur für Wölfe, sondern für alle sozialen Tiere. Was aber passiert, wenn es ernsthaft Streit gibt? Dann wäre es wichtig, dass man sich alsbald wieder versöhnt. Nur so kann die Gruppe weiterhin zusammen bleiben und miteinander kooperieren. Auch bei Tieren sprechen wir inzwischen von Versöhnung, wenn sich vormalige Kontrahenten nach einem Konflikt wieder einander annähern. In Ernstbrunn haben Wissenschaftler nun verglichen, wie sich Wölfe und Hunde nach Konflikten verhalten. Dazu wurden über 900 h Videomaterial ausgewertet. Als Versöhnung wurde gewertet, wenn sich Konkurrenten kurz nach einem Konflikt gegenseitig beschnupperten, aneinander rieben oder zusammen hinlegten. Die Wissenschaftler beobachteten folgendes: Hunde schienen auf den ersten Blick friedlicher zu sein als ihre wilden Verwandten. Sie gerieten seltener in Konflikt. Wenn aber ein Streit ausbrach, dann wurde er viel aggressiver geführt als bei den Wölfen. Noch wichtiger: die Hunde versöhnten sich nicht, sie gingen sich nach einem Konflikt aus dem Weg. Die Wölfe hingegen schienen Meister darin zu sein, Frieden zu stiften. Sie versöhnten sich meist schon innerhalb der ersten Minute nach einem Konflikt! Die Rudelhunde erschienen dagegen unversöhnlich. Manchmal eskalierten die Konflikte so stark, dass einzelne Hunde aus dem Ernstbunner Rudel entfernt werden mussten, was bei den Wölfen viel seltener passierte. Alles in allem passen diese Beobachtungen sehr gut ins Bild, Wölfe sind perfekt an ihr Rudelsystem angepasst, bei Hunden klappt es nicht immer so gut. Konflikte können auch deshalb ausarten, weil rassetypische Beschränkungen die Kommunikation erschweren. Z. B. wurde in einer Statistik erfasst, dass Großpudel mit kupierter Rute besonders häufig in Kämpfe verwickelt sind. Vielleicht liegt das daran, dass ihre Gegner die Signale nicht verstehen.
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Verwilderte Hunde bilden zwar auch Rudel, jedoch unterscheiden sich die Lebensweisen solcher Gruppen je nach den Umweltbedingungen beträchtlich. Entscheidend ist dabei vermutlich das Futterangebot und das Verhalten der Menschen in der jeweiligen Region. Fast immer leben diese Hunde von Abfällen und gehen nicht gemeinsam jagen. Dadurch sind sie sehr vom Menschen abhängig. In der Umgebung der italienischen Hauptstadt Rom wurden verwilderte Hunde über Jahre sehr intensiv beobachtet. Sie bilden hier auch größere Gruppen mit nicht selten über 20 Tieren. Diese Hundegruppen zeigen typischen Merkmale von Wolfsrudeln. Das heißt, sie haben eine auf Altersunterschieden basierende Hierarchie. Meist können sich nur bestimmte dominante Tiere fortpflanzen. In Italien haben die Wissenschaftler auch beobachtet, dass diese Rudel ihre Jungen gemeinsam aufziehen und ihr Territorium gegenüber anderen Hunderudeln verteidigen. Vielleicht würden diese Hunderudel sogar – wie Wölfe – gemeinsam jagen. Allerdings ist das hier nicht nötig, die italienischen Hunderudel ernähren sie sich vorwiegend von menschlichen Abfällen. Insgesamt wissen wir aber noch nicht allzu viel darüber, wie verwilderte Hunde oder Straßenhunde in verschiedenen Weltregionen leben. Es gibt da eine enorme Bandbreite. Sie reicht von Streunern, die zuweilen wieder nach Hause finden, über auf der Straße lebende Hunde, die regelmäßig gefüttert werden, bis hin zu fast wild lebenden Hunden, die Menschen eindeutig meiden. Völlig unklar ist noch, was für Faktoren hier eine Rolle spielen, ob diese Hunde Einzelgänger bleiben, kleine lose Gruppen oder wolfsähnliche, strukturierte Rudel bilden. Fest steht nur, Hunde sehen nicht nur sehr verschieden aus, sie sind auch daran angepasst unter den verschiedensten Umständen zu überleben.
Welpen und Menschen Was Hunde aber am meisten von Wölfen unterscheidet, ist ihre starke lebenslange Bindung an den Menschen. Wolfswelpen entwickeln sich schneller als ihre domestizierten Verwandten und können sich nur an den Menschen gewöhnen, wenn sie in den allerersten Wochen sehr viel menschlichen Kontakt haben. Hundewelpen hingegen zeigen von sich aus ein besonderes Interesse am Menschen. In Budapest wollten Forscher genau wissen, wen oder was ihre 3 bis 5 Wochen alten, mit der Hand aufgezogenen Hunde- und Wolfswelpen bevorzugen würden. Dazu führten sie einen ganz einfachen Versuch durch.
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Ein Welpe durfte sich für fünf Minuten frei in einem Raum bewegen, in dem sich zwei verschiedene Objekte oder Lebewesen befinden. In der einen Ecke saß immer die jeweilige „Adoptivmutter“, die Bezugsperson des Welpen. In der anderen Ecke befand sich entweder die Babyflasche mit Milch, mit der der Welpe ernährt wurde. Oder eine unbekannte Person. Oder da saß ein unbekannter Hund. Oder da lag ein schlafendes Geschwister. Für wen oder was würde sich das Tier mehr interessieren? Die Wissenschaftler beobachteten, wie sich der Welpe verhielt, wo er hinlief und mit wem oder was er sich länger beschäftigte. Beide Arten, Hunde und Wölfe hielten sich natürlich sehr viel bei ihrer menschlichen Bezugsperson auf. Die zahmen Wolfswelpen interessierten sich auch sehr für den unbekannten Hund. Sie liefen aber auch zu dem fremden Menschen – besonders als er noch ganz unbekannt war. Die Hundewelpen waren jedoch ganz auf den Menschen fixiert, am Anfang blieben sie mehr bei ihrer Adoptivmutter, mit fünf Wochen näherten sie sich auch dem fremden Menschen. Im Gegensatz zu den Wölfen interessierten sie sich kaum für ihren Artgenossen. Noch interessanter sind vielleicht die Unterschiede, die Wissenschaftler außerdem feststellen konnten. Die Hunde gaben viel mehr Laute von sich – sie fiepten und winselten. Es wird vermutet, dass junge Wölfe grundsätzlich weniger Geräusche von sich geben, damit sie nicht von Raubfeinden entdeckt werden. Außerdem wedelten die Hunde mit dem Schwanz. Die Wolfswelpen taten das in diesem Test überhaupt nicht, obwohl sie das Signal grundsätzlich auch nutzen. Die Wissenschaftler aus Budapest vermuten, dass Wölfe nur dann mit dem Schwanz wedeln, wenn sie sich unterwerfen, während Hunde es einfach tun, wenn sie mit jemanden Kontakt aufnehmen wollen. Vor allem aber schauten die Hundewelpen schon in diesem frühen Alter den Menschen aufmerksam ins Gesicht. Dieser oft zitierte Hundeblick wird uns in diesem Kapitel noch weiter beschäftigen.
Ungern allein Zunächst wollen wir uns aber erst einmal die Frage stellen, wie sich diese Bindung zum Menschen weiterentwickelt und was dies für Konsequenzen haben kann. Verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern haben dazu mit erwachsenen Hunden einen Test durchgeführt, der ursprünglich für Kinder entwickelt worden war. Es ging um die Bindung zwischen Kind und Mutter. Getestet wurde, wie sich Kinder in unbekannter Umgebung verhalten würden, wenn die Mutter entweder anwesend oder abwesend war.
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Die Wissenschaftler erwarteten, dass Hunde eine ähnliche Bindung zu ihrer Bezugsperson entwickeln wie Kinder zu ihrer Mutter. Zu Beginn des Versuchs betraten Besitzer und Hund einen Raum. Später kam eine fremde Person hinzu. Nach einem vorher festgelegten Plan verließen die Menschen den Raum und kehrten zurück. Es gab demnach sieben verschiedene Episoden. Der Hund war entweder allein, nur mit Besitzer, nur mit der fremden Person, oder mit Besitzer und dem Fremden gemeinsam in diesem Raum. Nun wurde beobachtet, wie sich der Hund unter den jeweiligen Bedingungen verhielt. Genauso wie Kinder bei Abwesenheit der Mutter reagierten die Hunde sichtbar gestresst, sobald ihr Besitzer den Raum verließ. Daran änderte auch die Anwesenheit einer fremden Person nichts. Nun verglichen die Budapester Wissenschaftler ihre von Hand aufgezogenen Wölfe mit Hunden. Letztere waren unter verschiedenen Bedingungen aufgewachsen. Die eine Gruppe der Hunde bestand aus von Hand aufgezogenen Welpen. Zum anderen wurden Familienhunde getestet, die bei ihren Müttern aufgewachsen waren. Dieser Vergleich sollte helfen, das Verhalten der einzelnen Tiere zu beurteilen. Diese Hunde und Wölfe waren alle von Hand aufgezogen und unter denselben Bedingungen aufgewachsen. Sie hatten also dieselbe „persönliche“ Vergangenheit. Wenn sie sich ähnlich verhielten, dann ist es auf ihre eigene Entwicklung zurückzuführen. Alle getesteten Hunde hatten aber auch etwas gemeinsam. Sie gehörten zur Art Haushund. Das heißt, sie haben dieselbe evolutionäre Vergangenheit. Verhielten sie sich ähnlich und anders als die Wölfe, dann hat sich wohl während der Domestikation etwas verändert. Was würde in diesem Test einen größeren Einfluss haben, die persönliche oder die evolutionäre Vergangenheit? Die 16 Wochen alten Welpen wurden mit den festgelegten Episoden konfrontiert. Die Rolle der Bezugsperson übernahm für die Wölfe die jeweilige „Adoptivmutter“. Die Hunde wurden mit ihrem Besitzer getestet. Im Ergebnis zeigten sich eindrucksvolle Unterschiede zwischen den Arten. Die Wölfe verhielten sich zu beiden Menschen ähnlich. Sie nahmen Kontakt mit ihnen auf und spielten mit beiden gleichermaßen. Sie bevorzugten ihre „Adoptivmutter“ dabei nicht. Nur wenn sie ganz allein gelassen wurden, zeigten sie sich gestresst. Sobald ein Mensch im Raum war, entspannten sie sich wieder. Ganz anders die Hunde. Sie bevorzugten in den einzelnen Episoden eindeutig ihren Besitzer. Sie suchten seinen Kontakt und spielten vor allem mit ihm. Sobald er den Raum verließ, versuchten sie ihm zu folgen und standen die meiste Zeit an der Tür bis er zurückkam.
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Wie ist das Verhalten der Welpen zu erklären? Beginnen wir mit den Wölfen. Sie waren von Menschenhand aufgezogen. Hatte sie das einfach auf Menschen allgemein geprägt? Machten sie keine Unterschiede zwischen ihnen? Andere Tests in Budapest haben eindeutig gezeigt, dass von Hand aufgezogene Wölfe Personen sehr wohl unterscheiden können. Sie begrüßen ihre Adoptivmutter sehr viel stürmischer als andere Menschen. Der Unterschied zum Hund ist vermutlich der, dass sie von ihrer Bezugsperson weniger abhängig sind. Interessant ist, dass sich alle Hunde gleich verhielten. Alle bevorzugten eindeutig ihren Besitzer. Ihre persönliche Vergangenheit hatte auf dieses Verhalten keinen Einfluss. Es war egal, ob sie die ersten Wochen bei der Mutterhündin oder bei einer menschlichen Adoptivmutter verbracht hatten. Die starke Bindung zu ihrem Menschen ist demzufolge typisch Hund – etwas, das sich höchstwahrscheinlich im Laufe der Domestikation entwickelt hat. Diese Ergebnisse sind nicht überraschend. Denn das ist, was jeder Besitzer erlebt, der ohne seinen Hund das Haus verlässt. Er wird oft bis zur Tür begleitet und stürmisch begrüßt, wenn er wieder zurückkommt. Diese Versuche illustrieren eindrucksvoll, dass es für das soziale Tier Hund unangenehm ist, ohne uns zu sein. Obwohl sie natürlich lernen können, in bekannter Umgebung allein zu sein. Glücklicherweise ist diese Bindung an den Menschen sehr flexibel. Hunde aus dem Tierheim, die erst später im Leben von ihren neuen Besitzern adoptiert werden, verhalten sich im oben genannten Test mit Besitzer und Fremden genauso wie Tiere, die schon im Welpenalter bei ihren Besitzern eingezogen waren. Überraschend ist, wie schnell Tierheimhunde neue Menschen in ihr Herz schließen. Wiederum in Budapest wurden Tierheimhunde in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen wurden drei Mal für zehn Minuten von einer Person besucht. Diesen Menschen hatten sie vorher noch nie gesehen. Er spielte dann im Versuch die Rolle des Besitzers, der Bezugsperson. Für die Hunde in der zweiten Gruppe waren beide Menschen fremd. Sie zeigten auch im Test auch keine Vorliebe für eine bestimmte Person. Ganz anders die Tiere, die vorher besucht worden waren. Obwohl schon erwachsen, hatten diese Hunde offensichtlich in der kurzen Zeit eine Bindung zu dieser Person aufgebaut. Sie bevorzugten sie eindeutig vor dem ganz fremden Menschen. Sie suchten seinen Kontakt und begrüßten ihn, wenn er den Raum betrat. Wenn er ging, folgten sie ihm, aber nicht dem Fremden. Das heißt, sie verhielten sich zu diesem Besucher fast so, wie Familienhunde zu ihrem Besitzer. Ein Besuch von drei Mal zehn Minuten
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reichte aus. Das große Verlangen nach menschlichem Kontakt ließ diese Hunde sich so schnell an einen neuen Menschen anschließen! Wie wichtig dieser Kontakt insbesondere für Zwingerhunde ist, zeigt eine Studie aus Mansfield, USA. Die getesteten Tiere hatten für längere Zeit jeweils mit einem Artgenossen zusammen im Zwinger gelebt. Für den Versuch wurden sie für vier Stunden in einen ganz neuen Raum gebracht. Entweder waren sie dort ganz allein. Oder sie wurden von dem Artgenossen begleitet, der mit ihnen zusammen im Zwinger lebte. Im dritten Fall war der Pfleger anwesend, der sie versorgte. Natürlich waren die Hunde in der neuen Situation unruhig und gestresst. Da half auch die Anwesenheit des anderen Hundes nichts. Interessanterweise waren sie aber messbar weniger gestresst, wenn ihr Pfleger bei ihnen saß! Immer wieder suchten sie seine Nähe, und beruhigten sich dann auch schneller als in den anderen Situationen. Diese Ergebnisse zeigen noch einmal sehr eindrücklich, wer für den Hund am wichtigsten ist: nicht der Gefährte der eigenen Art, sondern der Mensch. Allerdings gibt es, wie eine neue Studie zeigt, auch hier wieder große individuelle Unterschiede. Die meisten Hunde orientieren sich eher an ihrem Besitzer, manche Hunde aber entwickeln auch eine sehr enge Bindung zu Artgenossen, die im selben Haushalt leben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hunde eine sehr enge Bindung zu ihren Sozialpartnern eingehen, egal ob das Menschen oder – seltener – andere Hunde sind. Offensichtlich sind sie sehr flexibel, sich an verschiedene Arten zu binden. Das machen wir uns bei den Herdenschutzhunden zunutze, die jetzt wieder vermehrt eingesetzt werden. Sie werden schon als Welpen an Schafe oder anderes Vieh gewöhnt, und leben dann in der Herde, um diese vor Raubfeinden zu schützen.
Wildtier versus Haustier Hunde entwickeln im Gegensatz zu Wölfen eine sehr enge Bindung zum Menschen. In Ernstbrunn wurden in den letzten Jahren noch viele weitere Unterschiede zwischen den beiden Arten gefunden. Hunde können besser menschliche Gesten deuten. Allerdings können das von Hand aufgezogene Wölfe auch lernen. Außerdem sind Hunde geduldiger und warten durchschnittlich bis zu über eine Minute auf eine zukünftige Belohnung. In dem entsprechenden Test können sie sozusagen zwischen dem Spatz in der Hand (akzeptables Futter) und der Taube auf dem Dach (sehr leckeres Futter, das es erst später gibt) wählen. Hunde warten hierfür mehr als doppelt so lang als ihre Verwandten. Denn Wölfe sind ja Wildtiere, die in der freien Natur
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überleben müssen. Deshalb haben sie bestimmte Fähigkeiten, die sie genau dafür brauchen. Passives Warten auf leckeres Futter können sie sich nicht leisten. Andererseits können sie Mengen besser unterscheiden und kausale Zusammenhänge besser verstehen als ihre domestizierten Verwandten. Sie sind beharrlicher, wenn es ein Problem zu lösen gilt und gehen eher ein Risiko ein als Hunde. In bestimmten Situationen arbeiten Wölfe besser mit Artgenossen zusammen als Hunde (siehe dazu Kap. 9). Können Wölfe demnach Probleme in ihrer Umwelt besser lösen als Hunde? In einer Studie in Flint, USA wurden wieder Hunde- und Wolfwelpen bei der Lösung verschiedenen Aufgaben verglichen. Die Wölfe schnitten insgesamt sehr viel besser ab als die Hunde. Sie lösten durchschnittlich sechs der acht Aufgaben, die Hunde hingegen nicht einmal zwei. Was bedeutet das? Vielleicht sind Wölfe einfach gieriger, mehr verfressen. Der Anreiz an das Futter zu gelangen wäre demzufolge höher. Oder sie sind neugieriger und erkunden aufmerksamer ihre Umwelt. Oder sie interessierten sich mehr für Objekte. Oder vielleicht können Wölfe den Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dessen Folgen besser zu begreifen. All diese Fragen sind noch nicht endgültig geklärt und werden die Forscher in Ernstbrunn noch lange beschäftigen. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit, warum Hunde schlechter Probleme selbstständig lösen als Wölfe. Sie werden durch den Menschen beeinflusst. Dies haben Wissenschaftler aus Budapest eindrucksvoll bewiesen. Sie nutzten den sogenannten A-aber-nicht-B-Test (Abb. 3.2a–d). Stellen Sie sich zwei Barrieren vor. Der Versuchsleiter nimmt nun ein Spielzeug und versteckt es vor Ihren Augen hinter der Barriere A. Sie haben natürlich kein Problem es zu finden. Dies wird drei Mal wiederholt. Nun versteckt der Versuchsleiter das Spielzeug plötzlich hinter der Barriere B. Kein Problem für Sie, auch jetzt das Spielzeug zu finden. Kleinen Kindern unterläuft hier allerdings oft ein Fehler. Sie wählen weiterhin die Barriere A, obwohl sie doch gesehen haben, wie das Objekt hinter der Barriere B verstand. Dies hat Wissenschaftler lange beschäftigt. Vergessen die Kinder so schnell den jetzigen Ort des Spielzeuges? Können sie nicht unterdrücken hinter die Barriere A zu schauen, weil sie dort so oft erfolgreich waren? Nun scheint die Antwort gefunden. Die Kleinkinder sind durch den Versuchsleiter beeinflusst. Der hat sie natürlich angeschaut und zu ihnen gesprochen, als er das Spielzeug versteckt hat. Die Kinder haben das Gefühl, der will ihnen etwas lehren, wenn er zu ihnen spricht und dabei das Spielzeug mehrmals hinter Barriere A versteckt. Sobald der Versuchsleiter nämlich die Kinder nicht mehr anspricht, unterläuft ihnen auch der Fehler nicht mehr. Dann konzentrieren sie sich
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Abb. 3.2 Wenn der Hund mehrmals sieht, wie der Versuchsleiter den Ball hinter der Barriere A versteckt, so wählt er Barriere A. Wenn er anschließend sieht, wie der Ball hinter Barriere B verschwindet, wählt er manchmal wieder Barriere A
ganz auf das Problem, und können es ohne Weiteres lösen. Nun kommt die große Überraschung. Hunde machen den gleichen Fehler. Aber genau wie die Kinder können sie im entscheidenden Durchgang zur richtigen Barriere B gehen, wenn der Versuchsleiter nicht zu ihnen spricht. Ganz anders die von Hand aufgezogenen Wölfe. Egal, ob der Versuchsleiter zu ihnen spricht oder nicht, sie konzentrieren sich auf das Problem und können es lösen. Hund und Wölfe unterscheiden sich hier also nicht grundsätzlich in ihren kognitiven Fähigkeiten. Sondern die Hunde lassen sich unter Umständen vom Menschen zu sehr beeinflussen. Dies zeigt auch eine weitere Studie aus Budapest. Hier wurden zwei Gruppen von Hunden getestet, die sich in ihre Bindung zum Besitzer unterschieden. Die einen hatten ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Menschen. Sie lebten mit in der Wohnung und gehörten zur Familie. Die zweite Gruppe waren Arbeitshunde. Das heißt, sie wurde für einen ganz bestimmten Zweck gehalten. Z. B. wurden sie als Wachhund genutzt. Sie wohnten auch nicht mit in der Wohnung, sondern sie wurden in Hof oder Garten gehalten. Ihre Besitzer hatten kein enges Verhältnis zu ihnen.
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Die Hunde aus beiden Gruppen wurden jeweils mit ihrem Besitzer getestet. Vor dem Testtier befand sich eine Reihe Futterbehälter, die unter einem Zaun geschoben waren. Um an das Futter zu gelangen, musste der Hund an den Griffen ziehen, die an den Behältern befestigt waren. Der Besitzer saß daneben und wartete zweieinhalb Minuten bis er seinen Hund schließlich dazu ermutigte, sich das Futter zu holen. Wie würden die Hunde dieses Problem lösen? Es wurde gemessen, wie lang es dauerte bis sich das getestete Tier zum ersten Mal mit den Behältern beschäftigte. Würde es dafür auf die Aufforderung des Besitzers warten? Versuchte es das Problem schon vorher zu lösen, oder brauchte es dazu die Ermutigung? Im Ergebnis zeigten sich große Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Arbeitshunde versuchten ganz selbstständig an das Futter zu kommen, was ihnen auch gelang. Sie verhielten sich unabhängig von ihrem Besitzer und lösten das Problem schneller. Dies ist sicher nicht darauf zurückzuführen, dass etwa besser für diese Aufgabe geeignet waren als die Familienhunde. Denn in beiden Gruppen waren ähnliche Rassen vertreten. Die Arbeitshunde waren auch nicht besonders trainiert. Sie waren nur einfach unabhängiger. Die Familienhunde hingegen warteten fast immer erst die Aufforderung des Besitzers ab bis sie sich mit den Behältern beschäftigten. Demzufolge konnten sie in der begrenzten Testzeit an weniger Futter gelangen. Sie verhielten sich auch im Allgemeinen viel abhängiger vom Besitzer, blieben immer in seiner Nähe und folgten ihm auf Schritt und Tritt. Und sie schauten ihn sehr oft an. Allein ihre Abhängigkeit zum Besitzer hielt sie davon ab, das Problem selbstständig zu lösen.
Der Hundeblick In vielen der geschilderten Studien fiel den Wissenschaftlern eines auf: Egal ob die fünf Wochen alten Welpen oder die erwachsenen Familienhunde. Immer wieder schauten die Hunde den Menschen an. Zur Untersuchung dieses Phänomens wurden wiederum Hunde mit den von Hand aufgezogenen Wölfen aus Budapest verglichen. Diesmal waren sie mit einem unlösbaren Problem konfrontiert (Abb. 3.3a, b). Ihre Bezugsperson stand hinter ihnen, während ein leckeres Stück Fleisch vor ihnen in einem kleinen Gitterkäfig lag. Dieser war verschlossen. Die Tiere konnten das Futter zwar sehen und riechen. Doch es war unerreichbar! Die jungen Wölfe versuchten wieder und wieder, den Käfig zu öffnen, um an das Futter zu gelangen. Sie bissen in die Gitterstäbe und versuchten sogar, sich unter
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Abb. 3.3 Der Harzer Fuchs schaut zur Besitzerin, wenn er das Problem nicht lösen kann
dem Kasten durch zu graben. Wölfe erwarten demnach keine Hilfe, sie versuchen ihre Probleme allein zu lösen. Die Hunde hingegen gaben nach wenigen Versuchen auf. Sie drehten sich um und schauten dem Menschen in die Augen. Sie nutzten den sprichwörtlichen „Hundeblick“. Warum tun sie das? Und was hat es zu bedeuten? Grundsätzlich ist es eine gute Strategie den Menschen zu beobachten. Denn alles was der Mensch tut, könnte für den Hund wichtig sein. Interessant ist, dass die Hunde den Menschen vor allem in Situationen anschauten, in der sie offensichtlich keine Lösung wussten. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Hunde mit diesem Blick Kontakt mit dem Menschen aufnehmen. Wollen sie ihm damit etwas sagen? Wollen sie auf diese Art wirklich um Hilfe bitten? Diese Fragen können wir mit diesen Versuchen noch nicht eindeutig beantworten. Zu vermuten ist jedenfalls,
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dass Menschen grundsätzlich auf solche Blicke sehr verständig reagieren. Sie wissen sicher genau, was zu tun ist, wenn Ihr Hund zur Fütterungszeit vor Ihnen sitzt und immer abwechselnd auf den Futterbehälter und auf Sie schaut. Oder wenn er Schwanz wedelnd an der Haustür steht, weil sich der Spaziergang verzögert hat. Den Menschen anschauen, anstatt es selber zu versuchen? Das klingt vielleicht erst einmal bisschen faul. Aber wie Sie selbst im täglichen Leben mit ihrem eigenen oder einem ihnen bekannten Hund feststellen können, ist dies eine sehr effektive Strategie von ihm, um sein Ziel zu erreichen! (Abb. 3.4). Der sprichwörtliche Hundeblick hat für die Beziehung zwischen Mensch und Hund eine noch viel größere Bedeutung als bislang angenommen. Ein japanisches Forscherteam hat Blicke zwischen Hunden und ihren Besitzern beobachtet und gleichzeitig die Hormonkonzentrationen bei beiden gemessen. Sie analysierten die Konzentration des sogenannten „Kuschelhormons“ Oxytocin. Dieser Botenstoff kommt bei Säugetieren vor und beeinflusst die sozialen Interaktionen. Er ist wichtig für die Geburt von Kindern und fürs Stillen und steuert die Bindung zwischen Sozialpartnern. Besonders gut untersucht ist die Rolle des Oxytocins bei der Bindung zwischen Mutter und Kind. Vor dem Versuch der japanischen Wissenschaftler wurde der Urin von 30 Hunden und ihrer Besitzer analysiert, um die Oxytocin-Konzentration zu messen. Das war der Grundwert, mit dem dann spätere Werte verglichen werden konnten. Im Verlauf des Testes durften Besitzer und Hund für 30 min miteinander frei interagieren, allerdings ohne Futter oder Spielzeug.
Abb. 3.4 Hunde behalten den Menschen immer im Auge
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Dabei wurden sie gefilmt. Nachdem der Versuch beendet war, gaben die Probanden noch einmal Urin ab. Nach der Videoanalyse wurden die MenschHunde-Paare in Gruppen eingeteilt, und zwar danach wie lange der Hund den Menschen angesehen hatte und wie oft der Mensch den Hund streichelte. Es stellte sich heraus, dass sich durch den Hundeblick und die Menschenberührung die Oxytocin-Konzentration im Urin erhöhte und zwar bei beiden, bei Besitzern und Hunden. Die Wissenschaftler wollten aber noch genauer wissen, wie Verhalten und Hormone zusammenhängen. In einem zweiten Versuch durften die Besitzer den Hund nicht streicheln. Einer Hälfte der teilnehmenden Hunde wurde Oxytocin verabreicht, der anderen nicht. Die Besitzer wussten nicht, ob ihr eigener Hund mit dem Hormon oder mit einer Placebolösung behandelt worden war. Im Ergebnis wurde klar, dass diejenigen Hunde, die Oxytocin aufgenommen hatten, deutlich öfter zum Besitzer schauten, und auch bei den Besitzern erhöhte sich der Oxytocinspiegel. Bei den Hunden hingegen wurde diesmal keine Erhöhung des Hormons gemessen. Das ist logisch, denn sie waren ja nicht gestreichelt worden. Folgerichtig erklären die japanischen Forscher den Zusammenhang zwischen Hundeblick, Streicheln und Oxytocin mit einem sich selbst verstärkenden Kreislauf. Der Hundeblick fördert, dass das Bindungshormon bei den Besitzern ausgeschüttet wird, diese wiederum reagieren mit mehr Kontakt, was dann dazu führt, dass die Hunde mehr Oxytocin bilden und den Besitzer noch öfter anschauen. Ein Kreislauf der Zuneigung. Vermutlich ist dieser Kreislauf, diese enge Bindung zwischen Mensch und Hund, im Verlauf der Domestikation entstanden. Die japanischen Wissenschaftler testeten im selben Versuch außerdem von Hand aufgezogene Wölfe. Diese schauten sehr viel seltener zu ihrer Bezugsperson als die Hunde. Und wenn sie es taten, erhöhte sich die Oxytocin-Konzentration beim Menschen nicht.
Sieht aus wie ein Wolf, ist aber keiner! Nun ist Hund nicht gleich Hund – wie alle Besitzer wissen, gibt es große Unterschiede zwischen den Rassen. Viele Studien der letzten Jahre beschäftigen sich damit, wie sich die etwa 400 bis 450 heutigen Hunderassen unterscheiden. Grundsätzlich spielt dabei natürlich eine große Rolle, wofür eine Rasse jeweils genutzt wurde oder wird – daraus ergibt sich für welche Fähigkeiten, die dieser Rasse zugehörigen Hunde einst selektiert wurden. In einer groß angelegten Studie hat ein amerikanisches Team fünf verschiedene Rassegruppen nach genetischen Merkmalen identifiziert: 1)
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die alten Rassen – wie Basenji, Afghane, Sibirischer Husky; 2) Mastiffs und Terrier – wie Deutscher Schäferhund, Boxer; 3) Hütehunde und Sichtjäger – wie Border Collie; 4) Berghunde – wie Bernhardiner, Rottweiler und 5) moderne Rassen wie Cocker Spaniel und Pudel. Unterschiede zwischen diesen Rassegruppen haben sich vor allem in der Trainierbarkeit gezeigt. In einer wissenschaftlichen Umfrage in Ungarn wurden fast 6000 Besitzer über die Eigenschaften ihrer Hunde befragt. Diese gehörten 98 verschiedenen Rassen an. Es zeigte sich, dass die genetischen Unterschiede auch messbare Verhaltensunterschiede bedingten. Die alten Rasse waren schwieriger zu trainieren besonders im Vergleich zu Hüte-und Jagdhunden. Die Hunde aus der Mastiff-Gruppe waren nach Einschätzung ihrer Besitzer mutiger als andere Hunde. Ein bisschen müssen wir diese Ergebnisse mit Vorsicht betrachten. Diese beruhen ja nur auf den Aussagen der Besitzer – und diese sind – auch nach unseren persönlichen Erfahrungen – ja manchmal nicht ganz objektiv, wenn es um den eigenen Hund geht! Eine weitere Frage ist, ob man von rein äußerlichen Merkmalen einer Rasse auf die nahe genetische Verwandtschaft zum Wolf schließen? Manche Hunderassen sehen ja eindeutig wolfsähnlicher aus als andere. In einer Studie stellten Forscher aus Southampton die Frage, ob die Hunde, die äußerlich besonders weit vom Wolf entfernt sind, sich auch von ihrem Verhalten und der Körpersprache anders verhalten als der wilde Verwandte. Sie verglichen äußere Eigenschaften mit der Kommunikation des Hundes mit anderen Vertretern seiner Rasse. Zu den untersuchten Signalen gehörten z. B. Knurren, steifer Gang, sowie passive und aktive Unterwerfung. Tatsächlich verwendeten viele wolfsähnlich aussehende Hunde mehr wolfstypische Signale als andere Hunde. Z. B. kommunizierte der Sibirische Husky am ehesten wie ein Wolf. Aber es gab auch ein Gegenbeispiel: der Deutsche Schäferhund zeigte deutlich weniger Signale als sein wolfsähnliches Aussehen erwarten lässt. Die Entwicklung des Hundes war ja ein fortschreitender Prozess. Aber das Aussehen des Hundes kann uns nur bedingt Auskunft darüber geben, wie weit dieser Prozess bei einer Rasse schon fortgeschritten ist. Das Beispiel des Schäferhundes zeigt es sehr deutlich. Hat sich eine Hunderasse einmal sehr weit von Wolf entfernt, dann hilft es auch nicht dafür zu sorgen, sie im Nachhinein wieder äußerlich wolfsähnlich zu züchten. Wolfsähnliches Verhalten kehrt damit nicht automatisch zurück. Wie eine Hunderasse aussieht, das lässt demnach kaum eine Aussage über die verwandtschaftliche Nähe zum Wolf zu. Erklären lässt sich das mit der Entstehung der Rassen. Verschiedene Hundetypen wie Windhunde, Mastiffs und Stöberhunde gibt es schon seit rund 1000 Jahren. Das
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aber heißt nicht, dass jeder Windhund ein direkter Nachfahre eines Windhundes ist, den wir auf manchem mittelalterlichen Gemälde sehen. Denn genau darauf geachtet, welcher Hund sich mit welchem paart, wird erst seit etwa 100 bis 200 Jahren. Das heißt erst seit dem 19. Jahrhundert gibt es die heutigen Hunderassen mit ihren von Vereinen kontrollierten Rassestandards. Dieses Standards betreffen sowohl bestimmte Verhaltensweisen wie beispielsweise den Jagdtrieb als auch körperliche Merkmale wie z. B. die Fellfarbe. Deshalb stimmt die herkömmliche Systematik von Rassegruppen wie wir sie etwa von der Fédération Cynologique Internationale kennen, nicht unbedingt mit der genetischen Einteilung überein. Findige Züchter haben auf bestimmte Funktionen und ein bestimmtes Aussehen selektiert und dabei immer einmal wieder Hunde anderer Rassen eingekreuzt.
Kluger Dackel, dummer Bernhardiner? Selbstverständlich ist es legitim, Hunde nicht nur anhand ihren genetischen Merkmalen sondern gemäß ihrer Funktion in Rassegruppen einzuteilen. Das ist beispielsweise sinnvoll, wenn man Verhaltensunterschiede zwischen einzelnen Gruppen untersuchen möchte. Wir werden immer wieder gefragt, welche Rassen denn besonders klug seien. Bestimmt sei dies der Border Collie. Andere fragen uns, welche Rassen besonders dumm sind, der Chow-Chow vielleicht? Was soll man darauf antworten? Ganz sicher lassen sich Rassenunterschiede in Temperament und Motivation nachweisen. Es ist beispielsweise wissenschaftlich bewiesen, dass Hütehunde besonders gut zu trainieren und Terrier besonders mutig sind. Hütehunde sind darauf selektiert worden, mit dem Menschen gut zusammen zu arbeiten. Terrier hingegen arbeiteten eher selbstständig, wenn sie Fuchs oder Dachs aus deren unterirdischen Bau treiben. Eine Frage, die man sich auf jeden Fall stellen sollte, wenn man sich für eine bestimmte Rasse entscheiden möchte, lautet: Wofür ist diese Rasse einst gezüchtet worden? In einer Studie in Stockholm wurden Deutsche Schäferhunde und Labrador Retriever miteinander verglichen. Die Forscher konfrontierten die Vierbeiner mit einer ganzen Batterie von Verhaltenstests (Abb. 3.5). Der Hunde wurde mit den verschiedensten Situationen konfrontiert. Da tauchten übergroße Pappfiguren wie aus dem Nichts am Wegesrand auf oder eine Metallleiter fiel laut scheppernd um. Es wurde aufgezeichnet, ob die Hunde aggressiv auf die Attacke eines Fremden reagieren und ob sie einem sich schnell bewegenden Objekt hinterher jagen. Die Studie zeigte deutliche Verhaltensunterschiede zwischen Labrador und
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Abb. 3.5 Um Verhaltensunterschiede zwischen Rassen zu untersuchen, werden Hunde mit einer ganzen Serie Tests konfrontiert
Schäferhund. So bewiesen die Labradore stabile Nerven und mehr Mut in beängstigenden Situationen. Sie reagierten außerdem gelassener auf Schussfeuer und waren in Bezug auf Menschen insgesamt freundlicher als die Schäferhunde. Diese zeigten mehr Verteidigungsverhalten, was nicht verwundert, weil sie auf Schutzverhalten hin selektiert wurden. Wir können also davon ausgehen, dass es wissenschaftlich nachgewiesene rassetypische Eigenschaften gibt. Aber trifft das auch für grundlegende kognitive Fähigkeiten zu? Ist ein Bernhardiner dümmer als ein Dackel – oder umgekehrt? Nach allem, was wir wissen, ist dies nicht der Fall. Ein Beispiel: Wie in Kap. 6 noch genau erklärt werden wird, können Hunde die menschliche Zeigegeste sehr gut nutzen, um beispielsweise Futter zu finden. Eine sogenannte Metaanalyse vieler verschiedener Studien, in denen diese Zeigegeste untersucht wurde, fand keine Unterschiede zwischen verschiedenen Rassen. Nur gelegentlich schneiden Arbeitshunde besser ab als bestimmte Zwergrassen. Umgekehrt gilt, dass auch vermeintlich clevere Hunde bei bestimmten Aufgaben ihre Schwierigkeiten haben. So konnte Rico, der angebliche „Einstein der Hundewelt“, verstecktes Futter nicht aufgrund eines Geräusches finden. Auch er verstand – wie alle anderen getesteten Hunde auch – offensichtlich nicht den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, dass nämlich Futter in einem geschüttelten Becher ein Geräusch erzeugt (siehe Kap. 8). Trotzdem hat Kognition auch etwas mit Trainierbarkeit, Neugier, Selbstsicherheit und Motivation zu tun. Und natürlich gibt es – auch unabhängig
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von der Rasse – große individuelle Unterschiede. Es gibt Hunde, die sind sehr beharrlich, wenn es ein Problem zu lösen gilt. Andere sind das nicht. Sie schauen vielleicht sofort zu ihrem Besitzer, wahrscheinlich, damit er ihnen hilft. Seit einigen Jahren spricht man deshalb auch bei Hunden von Persönlichkeitsmerkmalen. Wissenschaftler haben Persönlichkeitstests für Hunde entwickelt. Diese bestehen wiederum aus einzelnen Testbatterien, die von Tausenden von Hunden durchlaufen werden. Dabei werden nach bestimmten Kriterien Punkte für das Verhalten der Hunde vergeben. Daraus berechnen Wissenschaftler ähnlich wie in der menschlichen Persönlichkeitspsychologie, welche der Verhaltensweisen am ehesten zusammengehören. Ist beispielsweise ein besonders freundlicher Hund auch besonders unerschrocken? Und ist ein Hund, der schnell bereit ist, seinen Besitzer zu verteidigen auch insgesamt aggressiver? Daraus ergeben sich letztendlich typische Persönlichkeitsmerkmale, die sich in den fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit einordnen lassen. Erfasst wird z. B., wenn ein Hund sehr verspielt ist und vielleicht wenig aggressiv. Ein anderer ist wiederum sehr neugierig und hat dazu einen starken Trieb zu jagen. Abgesehen davon, dass wir gern wissen wollen, welche Persönlichkeit unser Hund hat, ergeben sich aus solchen Forschungsergebnissen auch hilfreiche Schlussfolgerungen für die praktische Arbeit. So ist bei Deutschen und Belgischen Schäferhunden nachgewiesen, dass die Persönlichkeit des Hundes einen direkten Einfluss auf dessen Leistungsfähigkeit als Arbeitshund hat. Dabei spielt auch die Erfahrung des Besitzers eine Rolle. Aber auch ein noch so erfahrener Hundebesitzer wird aus einem eher trägen Hund keinen überragenden Arbeitshund formen können. Vermutlich kommen aktive, spielbegeisterte und wenig schüchterne Hunde besser mit neuen Situationen zurecht und lernen daher leichter als eher ängstliche Tiere. Wie dem auch immer sei, wichtig ist festzuhalten: Hunde haben eine Persönlichkeit. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Wenn wir nun noch den Wolf in diese Überlegungen einbeziehen, dann können wir diese Erkenntnis folgendermaßen auf den Punkt bringen: Hunde sind zwar sehr variabel hinsichtlich ihres Aussehens, ihres Temperaments und ihrer Persönlichkeit. Aber die Unterschiede zwischen einzelnen Hunderassen sind bei weitem nicht so groß wie die Unterschiede zwischen Hunden und Wölfen. Selbst wer Wölfe mit der Flasche aufzieht, wird aus diesen keine Hunde machen. Wenn man bedenkt, dass der gemeinsame Vorfahr beider Arten vor 35.000 bis 40.000 Jahren gelebt hat, dann verwundert das nicht. Seitdem hat sich aus dem Wolfsvorfahren der von Menschen abhängige Hund entwickelt. Ein Begleiter, mit dem sich meist gut leben und arbeiten lässt.
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Eine Szene im Park: Am Wegesrand liegt ein altes Wurstbrot. Meine Hündin Mora hat es sofort entdeckt und beißt hinein. „Aus!“, rufe ich. Gehorsam lässt sie das verlockende Futter fallen. Ich lobe sie und laufe weiter. Doch kaum habe ich mich weggedreht, ist sie wieder beim Brot. Hinter meinem Rücken hat sie es in Windeseile verschlungen. Jeder Hundebesitzer kennt solche Situationen. Man verlässt den Raum und schon sitzt der Hund auf dem Sofa, das ihm eigentlich verboten ist. Man dreht sich herum und schon springt der Hund auf, obwohl ihm doch „Platz“ gesagt war (Abb. 4.1). Im täglichen Umgang mit Hunden stellt sich immer wieder die Frage: Wissen Hunde, was Menschen denken? Können sie z. B. einschätzen, ob sie vom Menschen gesehen werden oder nicht? Wissen sie, wie sie von dem Menschen ‚wahrgenommen‘ werden? Wenn man sich die Sache genauer überlegt, wäre dies eine große Leistung: Es hieße der Hund nimmt seine Umwelt selbst wahr, aber versteht darüber hinaus, dass sein Mensch manchmal eine andere Wahrnehmung hat als er selbst. Die Hunde müssten verstehen, dass der Mensch ein Wesen mit eigenen Gedanken, eigenen Absichten und eigenem Wissen ist. In dem Beispiel mit dem Wurstbrot ist die Frage, versteht Mora wirklich, dass ich eine andere Sicht auf die Dinge habe, wenn ich das Brot nicht anschaue? Die Frage, ob Hunde das können, ist nicht leicht zu beantworten. Auch wenn es für mich so wirkt, als ob Mora den Augenblick, in dem ich mich umdrehte, extra abgewartet hat, gibt es auch andere Erklärungen für ihr Verhalten. Die Szene muss nicht bedeuten, dass sie weiß, was ich sehen oder © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_4
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Abb. 4.1 Wenn seine Besitzerin nicht darauf achtet, macht sich der Beagle über die Kekse her
eben nicht sehen kann. Es kann z. B. Zufall sein, dass Mora ausgerechnet in dem Moment das Verbot übertrat, als ich mich umdrehte. Oder sie hatte das Verbot nach kurzer Zeit einfach vergessen. Oder sie hat im Laufe ihres Lebens gelernt, dass keine Strafe droht, wenn sie etwas Verbotenes tut, während sie meine Augen nicht sieht oder mein Gesicht. Um die Frage zu untersuchen, ob Mora wirklich versteht, was im anderen vor sich geht, was ich sehen oder nicht sehen kann, müssen wir all diese alternativen Erklärungen ausschließen.
Was sehen Hunde? Um heraus zu finden, was Hunde über das Sehen des Menschen wissen, müssen wir erst einmal ein paar grundsätzliche Fragen klären. Die erste ist, was können Hunde überhaupt sehen? Wenn sie etwas über ihr Gegenüber verstehen sollen, müssen sie ihn und seine Augen zumindest wahrnehmen können. Jeder hat schon einmal davon gehört, dass Hunde außerordentlich gut riechen können. Aber über ihr Sehvermögen gibt es erstaunlich wenige Untersuchungen. Die derzeitigen Erkenntnisse stammen weniger aus Verhaltenstests, sondern werden aus der Anatomie und Physiologie abgeleitet. Man geht von den Erkenntnissen aus, die man über das menschliche Auge hat. Daraus schließt man auf den Hund. Demzufolge sehen unsere Begleiter sehr viel unschärfer als wir. Details, die sie nur auf 20 m erkennen, können wir noch auf 75 m ausmachen. Oft wird angenommen, dass Hunde
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farbenblind seien. Jedoch besitzen sie wie wir Menschen die anatomischen Voraussetzungen für die Farbunterscheidung. Sie können zwei verschiedenen Farben unterscheiden, Jedoch tun sie dies schlechter als Menschen. Sie erkennen Blau- und Gelbtöne, können aber offensichtlich rot schlecht von grün unterscheiden. Außerdem können sie in der Dämmerung und annähernder Dunkelheit besser sehen als wir. Vor allem aber sind sie in der Lage bewegte Objekte sehr gut auszumachen. Polizeihunde haben in einem Test gezeigt, dass sie Bewegungen noch auf 800 bis 900 m Entfernung wahrnehmen können. Vielleicht werden Sie diese Fähigkeit ihres Hundes manches Mal verfluchen. Dann nämlich, wenn er auf dem Feld hunderte von Metern entfernt einen Hasen entdeckt hat, und sich nur schwer zurückhalten lässt. Meine Hündin Mora kann mich also sehen – und auch die Bewegung, mit der ich mich umdrehe. Die nächste Frage wäre, ob sie darauf achtet, wo ich hinschaue. Wenn sie sich dafür interessiert, dann sollte sie meinem Blick folgen. Das heißt sie sollte dahin gucken wo ich hinschaue. Diese Situation kommt auch im menschlichen Zusammenleben oft vor. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Café. Die Eingangstür befindet sich hinter Ihnen. Ihr Gegenüber schaut plötzlich zu der Tür. Ganz automatisch folgen Sie seinem Blick. Sie drehen sich um. Denn Sie wollen auch wissen, wer da kommt. Die Fähigkeit, dem Blick von anderen zu folgen, gibt es auch bei unseren nächsten Verwandten. Sie können das mit einem Affen im Zoo überprüfen. Stellen Sie sich vor ihn, schauen Sie ihn an und warten Sie bis er zurückschaut. Dann gucken Sie plötzlich ganz aufmerksam an die Decke. Höchstwahrscheinlich wird er Ihrem Blick folgen und auch nach oben schauen. Vielleicht hat der Affe einfach im Laufe seines Lebens gelernt, dass es sich lohnt dorthin zu sehen, wo andere hinschauen. Vielleicht aber kann er sich wirklich in Ihre Perspektive hineinversetzen. Wenn es an der Decke nichts Interessantes zu sehen gibt, schauen die Affen oft noch einmal prüfend in das Gesicht ihres Gegenübers. So als würden sie prüfen wollen, wo genau schaut der denn hin? Oder als würden sie sich fragen, warum starrt der denn da hoch, wenn da nichts ist? Ob Affen wirklich einschätzen, was ihr Gegenüber sieht, kann man aus diesem einfachen Versuch zwar nicht ableiten. Aber verschiedene weitere Versuche haben gezeigt, dass zumindest Menschenaffen dies können. Z. B. bevorzugt ein rangniedriger Schimpanse Futter, das der dominante Affe nicht sieht. Das heißt er hat offensichtlich ein Verständnis, was der andere sieht und was nicht. Wölfe folgen ebenso dem Blick ihrer Artgenossen und in der Tat scheint diese Fähigkeit im Tierreich recht weit verbreitet zu sein.
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Wie aber ist es bei den Hunden? Sie können den Test aus dem Zoo auch mit Ihrem Hund versuchen. Setzen Sie sich in Augenhöhe vor ihn und schauen Sie nach oben. Im Gegensatz zum Affen wird er sie höchstwahrscheinlich weiterhin angucken. Aber er wird wahrscheinlich nicht dahin sehen, wo sie hinsehen. Das gilt vor allem dann, wenn ihr Hunde im Laufe seines Lebens trainiert wurde besonders auf ihre Augen zu achten. Hunde, die sehr auf die Augen des Menschen achten und ihn anschauen, folgen ihm dann seltener an die Decke. Die Sache sieht anders aus, wenn sie durch ihren Blick dem Hund mitteilen wollen wo Futter oder ein Ball ist. Aber das soll in Kap. 6 besprochen werden. Hunde nutzen den Blick des Menschen also nur in bestimmten Situationen. Bedeutet das, dass sie nichts darüber verstehen, was der Mensch sieht? Jedes Tier ist speziell an seine Lebensweise angepasst. Für Affen ist es sehr nützlich dem Blick eines Artgenossen zu folgen. So sind sie in der Lage, zusätzliche Informationen über Ihre Umwelt zu erlangen. Z. B. können sie Früchte zum Fressen finden, die sie sonst vielleicht übersehen hätten. Oder sie werden auf Gefahren aufmerksam. Vielleicht gibt es einen Konflikt innerhalb der Gruppe, in den sie eingreifen sollten. Oder ein Fressfeind schleicht sich an. Interessante Dinge geschehen hinter ihm, an den Seiten und auch über ihm. Es ist für einen Affen also immer vorteilhaft, darauf zu achten, wo die anderen hinschauen. Hunde beobachten zwar auch ständig ihren Menschen. Jedoch wird es im Leben eines Hundes nur selten vorkommen, dass etwas für ihn Relevantes an der Decke passiert! Sie leben auf dem Boden, und das, was sie interessiert sind vor allem Futter, Spielzeug und der Mensch.
Das verbotene Futter Die interessanten Versuche sind immer die, die einen direkten Bezug zur Lebensweise des untersuchten Tieres haben. Man versucht eine Situation nachzustellen, die für das Tier wirklich relevant ist – in dem Fall für Mora. Durch Wiederholungen schließt man aus, dass das Verhalten zufällig auftritt. Der Aufbau des Versuches soll bei der Erklärung des Verhaltens weiterhelfen. Was Mora erlebt hat, ist eine alltägliche Situation für einen Hund. Ein Leberwurstbrot wird ihm verboten, aber dann ist der Besitzer unaufmerksam. Diese Szene liefert die Idee für eine Studie in Leipzig (Abb. 4.2). Zu Beginn des Durchgangs wurde ein Stück Futter vor den Testhund gelegt. Der Mensch sagte nun: „Aus“. Das heißt, er verbot dem Tier, das Futter zu
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Abb. 4.2 Der Hund frisst das verbotene Futter nur, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf ihn gerichtet ist
fressen. Nun gab es mehrere Bedingungen, in denen sich der Mensch verschieden verhielt. Entweder verließ er den Raum. Oder er drehte sich weg von dem Hund. Oder er beschäftigte sich mit einem Gameboy-Spiel. Oder er hielt die Augen geschlossen. In jedem dieser Fälle war ihre Aufmerksamkeit also nicht auf den Hund gerichtet. In der Kontrollbedingung schaute sie jedoch den Hund an. Jeder Durchgang war drei Minuten lang. Wenn der Hund das Futter fraß, zeigte der Mensch keine Reaktion. Wenn das Futterstück nach drei Minuten noch dort war, hob es der Mensch auf und steckte es zurück in die Tüte. Zugegeben, dies war keine leichte Situation für einen gut erzogenen Hund. Jedoch hatte er ja die Möglichkeit, sich in der richtigen Situation über das Verbot hinweg zu setzen. Genauso, wie es Mora im Park tat. Wann würden Sie das Verbot übertreten? Natürlich nur, wenn Sie nicht angeschaut werden. Tatsächlich verhielten sich die Hunde genauso.
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Sie fraßen das Futter oft, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf sie gerichtet war. Und selten, wenn der Mensch sie ansah. Was aber sollte ein Testhund tun, der besonders großen Appetit auf das Futter hat? Dummerweise ist es gerade in der Bedingung, in der der Mensch ihn anschaut. Keine Chance! Der Raum ist leer, in der Mitte liegt das verlockende Futter, und der Mensch guckt. Die Leipziger Wissenschaftler konnten nun etwas Interessantes beobachten. Wenn sich die Hunde in dieser Situation entschieden, das Futter zu fressen, taten sie es oft auf eine besondere Art und Weise. Sie bewegten sich langsam und näherten sich dem Futter auf Umwegen. Es war, als schlichen sie wie „eine Katze um den heißen Brei.“ Warum die Hunde das taten, lässt sich nur spekulieren. Vielleicht waren sie hin und her gerissen zwischen Verbot und Appetit? So näherten sie sich und entfernten sich wieder. Vielleicht testeten sie so aus, ob das Verbot noch galt? Sie schlichen langsam zum Futter und horchten, ob der Mensch noch einmal „Aus!“ sagen würde. Vielleicht wollten sie auch bei ihrem verbotenen Tun Blickkontakt mit dem Menschen vermeiden? Also drehten sie sich weg wenn sie sich dem Futter näherten, sodass sie ihn beim Fressen nicht mehr sehen konnten. Vielleicht wollten sie tatsächlich mit ihrem Körper das Futter verdecken? Sie bewegten sich zwischen Futter und Mensch, sodass dieser nicht sehen konnte, wie sie es fraßen. Noch ist unklar, aus welchen dieser Gründe die Hunde den Umweg gingen. Was können wir aus diesen Ergebnissen schlussfolgern? Kann man daraus schließen, dass Hunde wissen, was ein Mensch sehen kann? Leider ist es so, dass selten ein einziger Versuch eine solche Frage beantworten kann. Aus dem geschilderten Test können wir lediglich schließen, dass Hunde offensichtlich unterscheiden können, ob ein Mensch sie ansieht oder nicht. Und dass sie sich dementsprechend unterschiedlich verhalten. Besonders interessant ist dabei, dass sie sogar zwischen offenen und geschlossenen Augen unterscheiden können. Dies setzt eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit des Hundes auf das Gesicht des Menschen voraus. Abgelenkte, weg gewandte oder schlafende Besitzer erlebt ein Wohnungshund täglich. Vielleicht haben diese Hunde einfach im Laufe Ihres Lebens gelernt, dass man Befehle nur befolgen muss, wenn der Mensch einen anguckt? Oder, noch einfacher, vielleicht haben die Hunde eine einfache Regel gelernt, und zwar folgende Assoziation: Wenn ich die offenen Augen des Menschen sehen kann, dann muss ich mich an Regeln halten. Aber wenn ich die Augen des Menschen nicht sehe, dann kann ich tun, was ich will. Um diese Vermutung zu überprüfen, führten Wissenschaftler aus Leipzig eine Studie durch. Sie wollten wissen, unter welchen Bedingungen Hunde
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leckeres Futter stehlen, von dem sie wissen, dass sie es nicht nehmen sollen. Nachdem das verbotene Futter auf dem Boden platziert war, änderte sich die Art und Weise, in welcher der Raum beleuchtet wurde. Entweder lag das Gesicht des Menschen oder das Stück Futter oder beides im Dunkeln. Oder es war alles beleuchtet (Abb. 4.3). Wenn es den Hunden nur darum gehen sollte, die oben zitierten Regel zu befolgen („Wenn ich die Augen des Menschen sehe, dann muss ich den Befehl befolgen.“), dann dürften sie das Futterstück nur nehmen, wenn die Augen des Menschen nicht sichtbar sind. Frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ob das Futter beleuchtet ist oder nicht, sollte also keine Rolle spielen. Wenn aber Hunde tatsächlich verstehen, wann der Mensch sie sehen kann, dann sollte die Beleuchtung um das Futter entscheidend sein. Denn nur wenn das Futterstück beleuchtet ist, kann der Mensch sehen, dass der Hund sich ihm annähert. Nun, die Hunde stahlen deutlich häufiger Futter, wenn der Raum komplett dunkel war. Daraus lässt sich schließen, dass die Hunde generell die Raumbeleuchtung in ihre Entscheidung einbezogen. Die Hunde entschieden, ob sie verbotenes Futter stehlen sollten, auch abhängig davon, was beleuchtet wurde. War das Futter beleuchtet, zögerten die Hunde, bevor sie es vielleicht doch stahlen. Nur die Beleuchtung des Menschengesichts hatte keinen Einfluss. Demnach folgt die die Entscheidung der Vierbeiner nicht einer einfach erlernten „Augen-sind-sichtbar-oder-nicht“-Regel.
Abb. 4.3 Hunde stehlen verbotenes Futter eher, wenn es im Dunkeln liegt. Wenn es hell erleuchtet ist, und der Mensch sie gut sehen kann, dann zögern sie. Ob das Gesicht des Menschen erleuchtet ist oder nicht, spielt keine Rolle
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Das Ergebnis scheint vielmehr zu zeigen, dass Hunde unterscheiden können, ob man sie direkt anschaut oder nicht.
Von wem muss ich betteln? Unsere große Frage lautet, was wissen Hunde über das Sehen des Gegenübers. Um der Antwort näher zu kommen, ist es hilfreich, dieselbe Sache in einem ganz anderen Aufbau zu untersuchen. So können wir herausfinden, ob die Fähigkeiten der Hunde flexibel sind. Wie z. B. verhalten sie sich in einer kooperativen Situation? Das heißt, wenn sie den Menschen nicht hintergehen, sondern mit ihm zusammenarbeiten? Gibt es da ebenfalls Hinweise, dass sie wissen, was Menschen sehen können? Achten sie z. B. darauf, dass die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist, wenn sie betteln? Dies wollten Wissenschaftler aus Budapest, Ungarn herausbekommen. Sie führten dazu zwei Versuche durch. In dem ersten saßen sich zwei Personen an einem Tisch gegenüber. Jede aß ein Leberwurstbrot. Der Hund befand sich nicht weit von der Stirnseite des Tisches sodass er von beiden Menschen gleich weit entfernt war. Einer der Menschen war ihm zugewandt, und der zweite schaute zur anderen Seite. Man versucht es zu vermeiden aber die meisten Hunde betteln in einer solchen Situation. Davon gingen die Wissenschaftler in Budapest aus. Sie fragten sich, von welcher Person die getesteten Hunde betteln würden. Was bezeichneten sie als Betteln? Vermutlich kennen Sie solche Verhaltensweisen. Die Person und das Wurstbrot anstarren. Bellen. Oder die Person anstupsen. Die Pfote geben. Oder an der Person hochspringen. Die meisten Menschen verstehen dieses Verhalten als Betteln, und geben dem auch manchmal nach. Die Personen saßen also an dem Tisch, und der Testhund wurde von der Leine gelassen. Tatsächlich bettelten die Hunde bevorzugt bei der Person, die ihnen zugewandt war. Hatten sie einfach gelernt, dass von dieser Person das Futter eher zu erwarten war? Jedenfalls konnten sie es nicht während des Versuches gelernt haben, denn sie wurden hier nie für ihr Betteln belohnt. Die Hunde unterschieden eine zugewandte von einer abgewandten Person. Würden sie auch in dieser Situation auf die Augen der Menschen achten? Diese Frage sollte mit einem zweiten Versuch beantwortet werden (Abb. 4.4). Diesmal saßen beide Personen so, dass sie dem Hund zugewandt waren. Beide hatten ein Tuch um den Kopf. Bei der einen bedeckte es die Augen. Und bei der anderen die Stirn. Demzufolge konnte nur diese Person den Hund sehen. Und von ihr bettelten die getesteten Tiere auch bevorzugt.
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Abb. 4.4 Der Hund bettelt nur von dem Menschen, der ihn auch sehen kann
Vielleicht fragen Sie sich, warum auch diese zweite Person ein Tuch trug, auch wenn es nicht die Augen bedeckte. Dies tat man, um sicher zu gehen, dass die Hunde nicht einfach zwischen Tuch und kein Tuch unterschieden. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Hunde auch darauf achteten, wo sich das Tuch befand – ob es nämlich die Augen bedeckte oder nicht. Auch in dieser neuen Situation, zeigten sich die Hunde sensibel für die Aufmerksamkeit des Menschen. Diese Fähigkeit scheint also sehr flexibel zu sein.
Wann muss ich gehorsam sein? Die Wissenschaftler aus Budapest wollten nun wissen, ob die Hunde auch noch in einer weiteren Situation darauf achten, ob die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist (Abb. 4.5a, b). Diesmal wurden die Tiere mit ihren Besitzern getestet. Die konkrete Frage war, wie sie Befehle befolgten, wenn ihr Besitzer abgelenkt war. Bei diesem Versuch gab es einen Vortest. Der Besitzer schaute seinen Hund an und sagte: „Platz.“ Nur wenn sich der Hund innerhalb der nächsten fünf Sekunden hinlegte, wurde er anschließend getestet. Der Versuch war ja darauf angelegt, Unterschiede im Gehorsam zu finden. Ein Hund, der nicht tat, was sein Besitzer sagte, war für die Wissenschaftler in
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Abb. 4.5 Der Hund folgt dem Kommando „Platz“, aber nur, wenn die Besitzerin hin schaut
diesem Fall nicht interessant. Die Voraussetzung war, dass der Hund das Kommando erst einmal befolgte. Die Testsituation sah nun folgendermaßen aus: Der Besitzer unterhielt sich mit dem Versuchsleiter. Sein Hund befand sich an der Leine in einer Ecke des Zimmers. Nun sagte der Besitzer „Platz!“. Dieses Kommando wurde noch zwei Male wiederholt, wenn sich der Hund nicht hingelegt hatte. Nun variierte, wo der Besitzer hinschaute, während er das Kommando gab. Entweder sah er zu seinem Gesprächspartner. Oder geradeaus an die Wand. Oder er sah in Richtung des Hundes, wobei in diesem Fall die Sicht durch eine Barriere blockiert war. In allen drei Bedingungen war seine Aufmerksamkeit nicht auf das Tier gerichtet. In der Kontrollsituation wurde der Hund hingegen während des Befehls angeschaut. Wann würden sich die Hunde brav hinlegen? Tatsächlich befolgten die Hunde den Befehl am besten, wenn der Besitzer sie direkt anschaute.
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War die Aufmerksamkeit nicht auf sie gerichtet, legten sie sich oft erst nach dem dritten Kommando. Oder gar nicht. Interessanterweise ignorierten sie den Befehl besonders oft, wenn der Besitzer seinem Gesprächspartner zugewandt war. Offensichtlich sind Hunde auch in dieser Situation sehr sensibel, ob die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist. Jeder Besitzer kann das bestätigen. Gehe ich allein mit meiner Hündin spazieren, gehorcht sie auf jedes Wort. Bin ich mit jemandem unterwegs und unterhalte mich, muss ich immer mehrmals rufen!
Bring es her! Es ist vielleicht nicht empfehlenswert, die eben geschilderten Versuche zu Hause nachzustellen. Denn damit fördern sie vielleicht die schlechten Gewohnheiten Ihres Hundes wie Kommandos ignorieren, betteln und Futter stehlen. Jedoch haben uns diese Tests bei der Beantwortung unserer Frage, ob Hunde wissen, was der Mensch sieht, ein ganzes Stück weiter gebracht. Wir wissen jetzt, dass Hunde in verschiedenen Situationen unterscheiden können, ob der Mensch ihnen zugewandt ist oder nicht. Wir haben auch festgestellt, dass sie auf die Augen achten. Dabei spielt es eine Rolle, ob der Hund die Augen des Menschen sehen kann oder nicht. Er kann sogar unterscheiden, ob die Augen ihn ansehen oder nicht. Wir wollen uns die ganze Sache noch einmal in einer Spielsituation betrachten. Dieser Test lässt sich einfach nachstellen, wenn Ihr Hund gern Spielzeug apportiert. Sie werfen einen Ball. Während Ihr Zögling danach rennt, drehen sie sich um. Wird er den Ball trotzdem vor sie hinlegen, damit sie ihn sehen? Dazu muss er erst einmal um Sie herumlaufen. Wenn er sich so verhält wie in Budapest getestete Hunde, dann wird er das selten tun. Oft legt er den Ball hinter Ihnen ab. Heißt das, er weiß nicht, dass Sie das Spielzeug so nicht sehen können? Vermutlich sind Hunde es einfach nicht gewöhnt, dass sich der Besitzer beim Ballspiel umdreht. Und offensichtlich haben sie Schwierigkeiten, sich flexibel auf diese neue Situation einzustellen. Allerdings bellen manche Hunde, wenn Sie den Ball hinter den Besitzer gelegt haben. Vielleicht wollen sie den Menschen dadurch aufmerksam machen? Die Wissenschaftler aus Budapest entwickelten einen weiteren Test, bei dem der Hund etwas apportieren sollte. Der Besitzer saß auf einem Stuhl. Er war dem Hund entweder zugewandt oder abgewandt. Nun gab der Versuchsleiter dem Hund ein Objekt in die Schnauze. Es war ein persönlicher
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Gegenstand des Besitzers. Der Versuchsleiter sagte zu dem Hund: „Bring es dem Herrchen!“. Und der Besitzer wiederholte: „Bring es her!“ Die Frage war wieder, wo der Hund das Objekt hinbringen würde. Diesmal legten die Hunde das Objekt fast immer vor den Besitzer. Sie taten das auch, wenn der Besitzer umgedreht dasaß und sie um ihn herum laufen mussten. Zwar brauchten sie dafür länger. Aber es deutet darauf hin, dass sie wiederum etwas über die Aufmerksamkeit des Menschen verstanden. Denn der muss den Gegenstand ja sehen, wenn er ihn in Empfang nehmen soll. Fassen wir noch einmal zusammen, was uns die geschilderten Studien gezeigt haben. Hunde verstehen offensichtlich, wann die Aufmerksamkeit des Menschen auf sie gerichtet ist. Sie fressen weniger verbotenes Futter und befolgen Kommandos schlechter, wenn der Mensch abgelenkt ist. Sie betteln bevorzugt jemanden an, der ihnen zugewandt ist und legen einen Gegenstand vor ihren Besitzer. In ganz verschiedenen Situationen zeigen die Hunde diese Sensibilität für die Aufmerksamkeit. Immer verhalten sie sich dann dementsprechend. Diese Fähigkeit scheint sehr flexibel zu sein. Die Frage ist nun, ob sich die Hunde wirklich in unsere Perspektive hineinversetzen können. Vielleicht gehen sie einfach von sich selbst aus: „Ich sehe die Augen des Menschen, also muss ich gehorsam sein.“ Oder „Ich muss dort betteln, wo die Augen sind.“ Forscher aus Leipzig wollten nun herausfinden, ob Hunde tatsächlich etwas über unsere Perspektive verstehen (Abb. 4.6a–c). Dazu wurden die Hunde wiederum aufgefordert, Gegenstände zu einem Menschen zu bringen. Die Situation sah folgendermaßen aus: Der Hund saß an der einen Seite des Raumes, der Mensch an der anderen. Zwischen ihnen lagen zwei Spielzeuge. Für den Hund waren beide Spielzeuge gleichermaßen sichtbar. Der Mensch hingegen sah nur ein Spielzeug, denn zwischen ihm und den Spielzeugen standen zwei kleine Barrieren: eine durchsichtige aus Plexiglas und eine undurchsichtige aus Holz. Nun sagte der Mensch: „Bring es her!“ Wenn der Hund einschätzen konnte, was der Mensch sehen kann, sollte er das Spielzeug hinter der Plexiglasbarriere bringen. Denn nur dieses eine konnte der Mensch sehen, nur dies konnte er also gemeint haben. Genau das taten die Hunde! Nun gibt es die Möglichkeit, dass die Hunde gar nichts über die Perspektive des Menschen verstehen, sondern einfach lieber das Spielzeug hinter der Plexiglasbarriere bringen. Deshalb gab es zwei Kontrollbedingungen, in denen es keinen Grund gab, das Spielzeug hinter der Plexiglasbarriere zu bevorzugen. Entweder befand sich der Mensch auf derselben Seite wie der Hund. Nun konnte der Mensch beide Spielzeuge gleichermaßen sehen. Die Hunde zeigten auch keinerlei Präferenz. Oder der Mensch saß mit dem Rücken zum Hund auf seinem ursprünglichen Platz.
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Abb. 4.6 Der Mensch sieht entweder nur ein Spielzeug, nämlich das hinter der durchsichtigen Barriere. Dieses wird ihm der Schäferhund bringen. Wenn der Mensch beide oder kein Spielzeug sieht, ist egal, welches der Hund bringt
Er konnte also keines der Spielzeuge sehen. Nun brachten die Hunde zwar das Spielzeug hinter der Plexiglasbarriere etwas öfter als das hinter der Holzbarriere. Aber die Präferenz für das Spielzeug hinter der Plexiglasbarriere war viel größer, wenn der Mensch nur eines der beiden Spielzeuge sehen konnte. Diese Studie bestätigt demzufolge, dass Hunde wirklich sensibel für die Perspektive des Menschen sind. Sie wählen dasjenige von zwei Spielzeugen
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aus, das der Mensch sehen kann. Wenn sie einen apportierfreudigen Hund haben, ist dies ein Test, der sich einfach nachstellen lässt, sei es zu Hause oder im Park.
Was hört der Mensch? Hunde sind also sensibel dafür, was Menschen sehen können. Es gibt aber auch andere Sinne, mit denen wir Menschen wie auch unsere vierbeinigen Begleiter die Umwelt wahrnehmen. Das Gehör beispielsweise. Die Frage, ob Hunde auch eine Sensibilität dafür besitzen, was wir Menschen hören können, liegt nahe. Um dies zu testen, bietet es sich wieder an, dem Hund etwas zu verbieten. Rhesusaffen und Schimpansen wurden in solchen Situationen bereits untersucht. Es zeigte sich, dass diese Menschen- und Tieraffen darauf bedacht sind, sich möglichst geräuschlos zu verhalten, wenn sie Futter stehlen. Eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler aus Maryland wollte es genauer wissen (Abb. 4.7a, b). Sie fragten sich, wie sich Hunde in ähnlichen Situationen verhalten würden. Der Test begann damit, dass ein strenger Versuchsleiter dem Hund ein Stück Futter verbot. Erst nach fünf Minuten wurde dem Hund erlaubt, das Futter doch zu fressen. Danach wurden zwei Futterstücken vor den Augen des Hundes in zwei Behältern versteckt. An der Öffnung dieser Behälter befanden sich jeweils Bänder mit kleinen Glöckchen. Bei einem der Behälter war aus dem Glöckchen der Klöppel entfernt worden, sodass es kein Geräusch von sich geben konnte. Also gab der eine Behälter ein Geräusch von sich, wenn man Futter hinein legte oder der Hund sich daran zu schaffen machte, der andere jedoch nicht. Nun war die spannende Frage, aus welchem Behälter die Hunde wohl fressen würden.
Abb. 4.7 Der Malinois wählt den geräuschlosen Becher und frisst daraus
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Man würde ja davon ausgehen, dass die Tiere versuchen würden, an das Futter zu kommen, ohne dass der strenge Versuchsleiter es bemerkte. Der Versuch wurde mit zwei Gruppen von Hunden durchgeführt. Die eine Gruppe hatte einen strengen Versuchsleiter, der aber seinen Kopf auf seine Knie gelegt hatte und die Hunde nicht beachtete. In dieser Gruppe wählten 18 von 20 Hunden den geräuschlosen Behälter. Sie wollten offensichtlich nicht gehört werden. Der strenge Versuchsleiter könnte wegen des Geräuschs ja aufschauen und ihnen wieder das Futter verbieten. Aber ebenso gut könnte es sein, dass die Hunde, aus welchen Gründen auch immer, grundsätzlich den leisen Behälter bevorzugen. Vielleicht ist ihnen der laute einfach unheimlich. Also wurde eine zweite Gruppe getestet. Diesmal beobachtete der Versuchsleiter, was die Hunde taten; er schaute sie an. Hier verhielten sich die Tiere, wie es der Zufall erwarten lassen würde. Nur die Hälfte von ihnen bevorzugte den geräuschlosen Behälter. Wenn also der strenge Versuchsleiter ohnehin zuschaut, dann gibt es ja auch keinen Grund, sich möglichst still zu verhalten. Damit war bewiesen, dass Hunde nicht nur sensibel dafür sind, was Menschen sehen können, sondern auch dafür, was sie hören. Eine weitere Studie bestätigte dieses Ergebnis. In diesem Verhaltensversuch wurden Hunde mit dem folgenden Problem konfrontiert. Ein verbotenes Futterstück wurde in einem kleinen Tunnel platziert, durch den die Hunde ihre Pfote stecken mussten, um es zu bekommen. Das war auch grundsätzlich ganz und gar unproblematisch. Dann konnten die Hunde wählen. Sie konnten sich dem Tunnel über einen Teppich nähern, ohne Geräusche zu machen. Ein Versuchsleiter, der dem Hund gegenüber saß, konnte damit nicht hören, wie der Hund sich dem Tunnel näherte. Die Hunde konnten aber auch über eine Knisterfolie zum Tunnel laufen. Natürlich würde der Versuchsleiter dann hören können, dass der Hund zum Tunnel lief. Das Ergebnis war eindeutig, denn die meisten Hunde bevorzugten die leise Seite. Sie taten dies, obwohl sie den Versuchsleiter nicht sehen konnten, während sie das verbotene Futterstück zu sich nahmen. Offensichtlich konnten sie gut in Erinnerung behalten, dass ein Mensch anwesend war. Die Hunde bevorzugten den stillen Weg aber nur dann, wenn dies wirklich notwendig erschien, wenn also ein Mensch im Raum war und wenn das Futter wirklich verboten war. Wenn der Versuchsleiter den Raum entweder während des Versuchs verließ oder dem Hund das Futter erlaubte, dann wählten die Hunde irgendeinen Weg zum Futter. Damit wurde ausgeschlossen, dass die Hunde beispielsweise Angst vor der Knisterfolie hatten. Sie verstanden tatsächlich, wann es für sie besser war, nicht gehört zu werden.
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Sehen führt zu Wissen Eine weitere interessante Frage wäre, ob Hunde verstehen, dass Sehen zu Wissen führt? Das ist nicht ganz einfach. Denn es ist eine Sache, dass Hunde verstehen, was Menschen in einem bestimmten Augenblick sehen. Komplizierter ist es zu begreifen, dass Menschen das, was sie früher einmal gesehen haben, so schnell nicht wieder vergessen. Oder umgekehrt: dass Menschen etwas, das sie noch nicht gesehen haben, auch nicht wissen können. Sie erinnern sich vielleicht an den kleinen Verhaltenstest, in dem die Hunde immer das eine von zwei Spielzeugen brachte, das auch der Mensch sehen konnte (Abb. 4.6). Stellen Sie sich nun vor, dass diesmal beide Spielzeuge hinter zwei Holzbarrieren liegen. Der Versuchsleiter kann nun also keines der beiden Spielzeuge sehen. Nur der Hund sieht beide. Der Versuch beginnt damit, dass der Hund beobachtet, wie zwei Spielzeuge von einem Helfer platziert wurden. Wichtig ist, was der Versuchsleiter macht. Der war zwar dabei, wie das erste der beiden Spielzeuge hinter die eine Holzbarriere gelegt wurde. Er war jedoch nicht im Raum, als das zweite Spielzeug hinter der anderen Barriere platziert wurde. Die Frage war nun, welches der beiden Spielzeuge der Hund bringen würde, wenn der Versuchsleiter ihn dazu auffordert. Eigentlich kann er nur das erste meinen, denn er war dabei, als dieses hinter die Barriere gelegt wurde. Es sind zwar beide Spielzeuge hinter Barrieren versteckt, aber nur das erste hat er gesehen. Im Ergebnis zeigte die Studie, dass die Hunde nicht begriffen, was der Versuchsleiter gesehen hatte oder nicht. Sie brachten nicht bevorzugt die Spielzeuge, die der Versuchsleiter gesehen hatte. Französische Wissenschaftler aus Marseille versuchten der gleichen Frage mit einem etwas anderen Versuchsaufbau nachzugehen. Dieser Aufbau war zuvor schon mit Affen genutzt worden. Die Frage war, ob Hunde unterscheiden zwischen einer Person, die etwas „weiß“, und einer Person, die lediglich „rät“. Der Versuch ging so: Hunde sahen eine Reihe von vier Bechern. In einem war Futter versteckt, die anderen waren leer. Die Hunde konnten nicht sehen, in welchem Becher das Futter versteckt worden war. Aber sie konnten sehen, wie eine Person (der Wissende) das Verstecken des Futters beobachtete. Und sie konnten sehen, wie eine zweite Person (der Ratende) daneben stand, aber so von den Bechern abgewandt, dass sie nicht sehen konnte, wo das Futter versteckt wurde. Dann zeigten beide Personen, der Wissende und der Ratende, gleichzeitig auf verschiedene Becher. Wenn also Hunde verstehen sollten, dass Sehen zu Wissen führt, dann sollten sie
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nun zwischen beiden Menschen unterscheiden. Sie sollten der Zeigegeste des Wissenden folgen. Denn diese Person hatte ja gesehen, wo das Futter versteckt worden war. Auch sollten die Hunde den Hinweis des Ratenden ignorieren. Denn diese Person konnte nichts wissen, weil sie nichts gesehen hatte. Und tatsächlich unterschieden die Hunde zwischen beiden Personen und folgten der Zeigegeste des Wissenden. Damit zeigte sich, dass in dieser Situation die Hunde durchaus berücksichtigen können, was Menschen gesehen haben. Möglicherweise also begreifen Hunde, dass Sehen zu Wissen führt. Weitere Studien werden aber nötig sein, um wirklich zu wissen, was Hunde hier verstehen.
Unser Fazit Wie immer bleiben also Fragen offen. Bestätigt hat sich, was Besitzer immer wieder erzählen: Hunde können sehr gut unterscheiden, ob unsere Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist oder nicht. Sie sind sogar sensibel dafür, was wir aus unserer Perspektive sehen können. Damit sind sie nicht allein im Tierreich. Neue Studien haben gezeigt, dass nicht nur Affen, sondern auch viele andere soziale Säugetiere und Vögel einschätzen können, was ihr Gegenüber sieht. Was also geht im Kopf meiner Hündin vor, wenn sie wieder im Park verbotenerweise ein Wurstbrot frisst? Wir wissen jetzt, dass Mora unterscheiden kann, ob meine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist oder nicht. Wir wissen auch, dass sie während der Annäherung an das Futter nicht gehört werden möchte und dass es ihr nicht nur darum geht, der simplen Regel „aus den Augen aus dem Sinn“ zu folgen. Aber heißt das, dass Mora sich Gedanken über meine Gedanken macht? Das sie sich wirklich in mich hineinversetzt? Um das zu verstehen, dazu braucht die Wissenschaft noch mehr Zeit.
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Mein Hund Ambula wartet auf sein Abendbrot. Ungeduldig belagert er die Küche, seinen Napf, in dem sich noch nichts befindet, immer fest im Blick. Ich öffne den Schrank, hole das Futter heraus und fülle ihm seine Abendportion in den Napf. Danach stelle ich die Futtertüte wieder an ihren Ursprungsort, verschließe den Schrank und gehe ins Wohnzimmer. Ambula frisst, ich lese. Wenige Minuten später höre ich ein lautes Knistern aus der Küche. Ambula hat die Schranktür geöffnet, die Futtertüte herausgezogen und frisst genüsslich noch die ein oder andere weitere Portion. ‚Geschickt‘ denke ich ‚das hat er sich von mir abgeguckt‘. Möglicherweise hat Ambula genau hingesehen, als ich den Schrank aufgemacht habe, und vielleicht hat er etwas dabei gelernt. Sicher hat er wahrgenommen, dass sich das Futter in diesem Schrank befindet. Möglicherweise hat er sich aber auch genau von mir abgeguckt wie man den Schrank öffnet und hat das dann später nachgemacht. Aber ist das wirklich so? Können Hunde durch reines Beobachten etwas von anderen lernen? Oder war Ambulas Verhalten vielleicht nur ein Zufall?
Soziales Lernen Als Hundebesitzer hat man oft das Gefühl der eigene Hund guckt sich etwas von anderen ab. Sei es von anderen Hunden oder auch von Menschen. Diesen Vorgang, bei dem man durch Beobachten anderer lernt, nennt man soziales Lernen. Wir Menschen sind sozusagen Weltmeister im sozialen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_5
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Lernen. Wir gucken uns ständig etwas von anderen ab. Dabei nutzen wir eine Form des sozialen Lernens, die wir als Imitation bezeichnen, als Nachahmung. Schon kleine Kinder in einem Alter von etwa zehn Monaten beginnen andere nachzuahmen. Dabei machen sie nicht einfach etwas, was ungefähr so aussieht, wie das was jemand anderes getan hat. Sie kopieren zum Teil exakt das, was sie bei anderen gesehen haben, sie imitieren also. Stellen wir uns z. B. vor, dass ein Kind beobachtet wie ein Erwachsener einen Schalter bedient, um ein Licht anzuschalten. Einfach aus Spaß klatscht der Erwachsene zusätzlich noch in die Hände, bevor der Schalter gedrückt wird. Das Kind sieht also folgenden Ablauf der Dinge: klatschen, Schalter bedienen, Licht geht an. Das Klatschen hat eigentlich nichts mit dem angeschalteten Licht zu tun, trotzdem wird es oft von den Kindern nachgemacht, wenn sie die Möglichkeit bekommen das Licht selber einzuschalten. Dieses Beispiel soll zeigen wie groß die Bereitschaft der Kinder ist, nicht nur zuzugucken, was der Erwachsene da macht, sondern wirklich ganz genau zu kopieren was der Erwachsene gemacht hat. Sie tun dies selbst mit Handlungen, die eigentlich gar nicht notwendig sind, um das Problem zu lösen. Die Kinder werden vermutlich sogar die rechte oder linke Hand benutzen je nachdem welche Hand der Erwachsene vorher benutzt hat. Es ist also nicht nur wichtig, was der Erwachsene gemacht hat, um das Problem zu lösen, sondern es ist auch wichtig, wie der Erwachsene das gemacht hat. Und das genau ist die Definition von Imitation. Imitation bedeutet eine genaue Kopie des ‚was‘ und des ‚wie‘. Ist das nun vielleicht eine ganz besondere Fähigkeit des Menschen? Wie sieht das bei anderen Tieren aus? Gibt es nicht den Begriff des nach-äffens genau deswegen, weil Affen auch so gut darin sind? Dass es so einfach nicht ist, zeigen Studien mit verschiedensten Tierarten. Bei keinem Tier, nicht einmal bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, findet sich ein so starker Drang sich bei anderen das Was und das Wie abzugucken, wenn sie ihnen bei der Lösung eines Problems zusehen wie bei uns Menschen. Handelt es sich also doch um eine ganz besondere Fähigkeit des Menschen? Die Frage ob sich mein Hund etwas von mir abgeguckt hat wird damit plötzlich eine ganz wichtige wissenschaftliche Frage. Hunde könnten nämlich, im Zusammenleben mit dem Menschen, etwas entwickelt haben, was den Fähigkeiten des Menschen ähnelt. Das wäre ja auch sehr praktisch für die Hunde. Sie könnten in kurzer Zeit einfach dadurch viel lernen, dass sie es sich von anderen abgucken. Die Wissenschaftler, die sich mit der Frage des sozialen Lernens bei Hunden beschäftigen, interessieren sich in erster Linie für zwei Fragen: Lernen Hunde durch Beobachtung anderer etwas über die Lösung eines Problems? Und: Gucken sie sich auch genau ab wie ein anderer ein Problem löst?
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Hunde lernen voneinander Es gibt im Alltag reichlich Beispiele, die uns deutlich zeigen, dass Hunde sehr wohl davon profitieren, wenn sie andere bei einer Handlung beobachten. Auch wissenschaftliche Studien belegen das. So hat eine Studie österreichischer Wissenschaftlicher untersucht, ob es Hunden leichter fällt, Angst vor neuen Gegenständen zu überwinden, wenn sie sehen, wie andere Hunde sich diesen Gegenständen nähern. Das Verhalten der Hunde wurde mit dem von Wölfen verglichen. Den Tieren wurden neue Objekte präsentiert, die sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zuvor noch nie gesehen hatten. Einmal waren die Tiere alleine mit dem neuen Objekt, ein anderes Mal waren sie mit Artgenossen zusammen. Es stellte sich heraus, dass sich Hunde und Wölfe grundsätzlich intensiver mit neuen Gegenständen befassen, wenn ihre Artgenossen dabei sind. Im Versuch näherten sich die Tiere den neuen Gegenständen mehr an und untersuchten diese länger. Ein anderes Beispiel sind die Straßenhunde im indischen Kolkata, das früher Kalkutta hieß. Deren Welpen schauen sich von erwachsenen Hunden ab, welche Nahrung sie bevorzugen sollten. Denn Straßenhunde leben meistens von menschlicher Nahrung, die in der Regel sehr reich an Kohlenhydraten und arm an Proteinen ist. Wissenschaftler beobachteten, dass erwachsene Hunde in dieser Umgebung sehr stark Fleisch bevorzugen, wenn sie die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten haben. Die Welpen der beobachteten Gruppen hatten jedoch keine Präferenz und ließen das Fleisch zuweilen links liegen. Die Forscher folgerten daraus, dass Hunden es nicht angeboren ist, Fleisch zu bevorzugen. Vielmehr entwickeln Hunde eine Vorliebe für Fleisch nach der Geburt erst mit der Zeit und im sozialen Miteinander. Ungarische Wissenschaftler aus Budapest konnten nachweisen, dass Hundewelpen schon im jungen Alter von rund acht Wochen voneinander lernen. Der Versuch ging so: Die Wissenschaftler gaben den Hunden eine Box, die mit einem kleinen Mechanismus geöffnet werden konnte. In der Box befand sich Futter. Eine erste Gruppe Welpen konnte andere Hunde (oder Menschen) dabei beobachteten, wie diese die Box erfolgreich öffnete, um an das Futter zu kommen. Eine zweite Gruppe Welpen hatte lediglich Gelegenheit, andere Hunde (oder Menschen) zu sehen, die sich in der Nähe der Box aufhielt, ohne diese zu öffnen. Diejenigen Welpen, die beobachtet hatten, wie eine Box geöffnet wurde, lernten schneller, wie die Box zu bedienen war, als die Welpen, die nicht die Chance hatten, das Öffnen zu beobachten.
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Daran sehen wir, dass Hunde etwas schneller lernen, wenn sie mit Problemen in einem sozialen Kontext konfrontiert werden. Man könnte deshalb sagen, Hunde lernten sozial, indem sie beispielsweise imitieren. Aber wir müssen vorsichtig sein! Imitation ist nur eine bestimmte Form des sozialen Lernens, und zwar eine von vielen anderen möglichen Formen. Die Frage, die sich Wissenschaftler deshalb stellen ist, wie das soziale Lernen der Hunde genau vor sich geht. Gleich werden wir sehen, wie Wissenschaftler versuchen, sich der Frage systematisch zu nähern.
Die Zaunstudie In einer Serie von Untersuchungen widmete sich die Forschergruppe in Budapest dieser Frage. Dazu bedienten sie sich des Zaun-Testes (Abb. 5.1). Im Zaun-Test wurde ein Zaun in der Form eines V aufgestellt. Im Inneren des V lag Futter, welches die Hunde sehen konnten. Um es zu erreichen mussten die Hunde dann um ein Ende des Zauns rennen. Damit gelangten sie in das Innere des V’s und konnten das Futter fressen. Im Gegensatz zu Dingos brauchen Haushunde ohne Hilfe sehr lange, um an das Futter zu gelangen. Die Wissenschaftler sehen als einen Grund für die Schwierigkeiten der Hunde, dass sie sich, um das Problem zu lösen, stetig von dem Futter wegbewegen müssen. Die Forscher gehen davon aus, dass der Wunsch des Hundes in der Nähe des Futters zu bleiben, möglicherweise so stark ist, dass er sie daran hindert das Problem zu lösen. Wie auch immer das Verhalten der Hunde in dieser Situation zu erklären ist, die Wissenschaftler hatten, was sie wollten. Ein Problem, welches den Hunden schwer fiel und bei dem sie demnach von Hilfe profitieren würden. Nun war es möglich zu untersuchen ob es den Hunden helfen konnte, wenn sie jemanden bei der Lösung des Problems beobachten konnten. Um dies zu überprüfen, verglichen die Wissenschaftler nun drei verschiedene Gruppen von Hunden miteinander. Eine Gruppe von Hunden hatte nie die Lösung des Problems gesehen. Eine andere Gruppe von Hunden sah, wie ein fremder Mensch um den Zaun herum ging, ein Spielzeug oder Futter ablegte, und um den Zaun herum wieder zurück ging. Nun hatten die Hunde die Lösung des Problems gesehen. Der Weg zur Belohnung führt um den Zaun herum. Um jedoch auch noch zu überprüfen, ob es einen Einfluss auf das Verhalten des Hundes hat, wie gut er den Menschen kennt, testeten die Wissenschaftler auch eine dritte Gruppe von Hunden. Diesen Hunden wurde die Lösung des Problems ebenfalls demonstriert, in diesem Fall jedoch von ihrem eigenen Besitzer. Es zeigte sich, dass die Hunde schneller das Problem lösten, also schneller
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Abb. 5.1 Hunde finden schneller den Weg zum Futter um den Zaun, wenn sie sehen, wie jemand um den Zaun herum geht. Aber wenn sie ein Plastikauto um einen Zaun herumfahren sehen, dann hilft ihnen das genauso gut
den Umweg um den Zaun fanden, wenn sie vorher gesehen hatten, wie der Mensch um den Zaun herum ging. Sie brauchten nicht einmal halb so lange, um den richtigen Weg zu finden wie die Hunde, die nichts gesehen hatten. Dabei war es egal ob der Mensch ein Fremder oder der Besitzer war. Jemandem zuzusehen wie das Problem gelöst wurde, half den Hunden. Sie können dies gut einmal mit ihrem Hund zu Hause ausprobieren. Suchen Sie einen Gartenzaun oder etwas ähnliches, den der Hund an zwei Seiten umlaufen kann. Legen Sie nun, zunächst ohne dass Ihr Hund Sie dabei beobachtet ein Spielzeug(oder Futter) auf die andere Seite des Zaunes. Dann darf Ihr Hund wieder hinsehen, und wenn Sie sicher sind, dass er gesehen hat, dass da etwas Interessantes auf der anderen Seite des Zaunes ist, lassen Sie ihn los. Nun schauen Sie auf die Uhr und messen einmal,
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wie lange Ihr Hund braucht, um an das Spielzeug zu gelangen. Nachdem Sie dies ausprobiert haben, legen Sie das Spielzeug erneut hinter den Zaun. Diesmal lassen Sie ihren Hund aber dabei zusehen. Ihr Hund sieht Sie nun also um den Zaun herum gehen, das Spielzeug ablegen und wieder zurück auf die andere Seite kommen. Sie werden nun feststellen, dass es Ihrem Hund viel leichter fällt, dass Problem zu lösen. In der Studie in Budapest war der Drang der Hunde den Umweg, um den Zaun zu nehmen, wenn sie einen Menschen einmal dabei beobachtet hatten sogar so groß, dass sie nicht einmal damit aufhörten, wenn es eine viel kürzere Alternative gab. Nachdem die Hunde den Menschen bei dem Umweg um den Zaun beobachtet hatten, wurde eine Tür in der Mitte des Zauns geöffnet. Durch diese gab es nun einen direkten Zugang zu dem Futter. Trotzdem wählten die Hunde weiter den nun gelernten Umweg. Dies konnte nicht daran liegen, dass die Hunde nicht verstanden, dass die Tür den direkten Zugang zum Futter ermöglichte. Denn Hunde, die den Menschen nicht vorher beobachtet hatten, wie er um den Zaun läuft, wählten diesen direkten Weg. Hatten die Hunde also einmal einen Weg um den Zaun gefunden, dann wichen sie auch nicht mehr davon ab. Dies gilt für Hunde verschiedenster Rassen und Altersstufen. Junge Hunde lösten dieses Problem nach Beobachtung anderer ebenso gut wie ältere Hunde und Dackel ebenso gut wie Schäferhunde oder Collies. Auch wenn sie einen anderen Hund um den Zaun herum gehen sahen, half ihnen das bei der Lösung des Problems. Hunde lernen also auch etwas durch die Beobachtung anderer Hunde.
Schauen sie genau hin? Die Hunde haben also einen echten Nutzen davon, wenn sie gesehen haben, wie ein Mensch oder ein anderer Hund das Problem löst. Aber sahen die Hunde auch genau hin, wie der andere das Problem löste? Interessanter Weise kopierten die Hunde nicht ganz genau, was sie gesehen hatten. Der Mensch lief manchmal rechts oder links um den Zaun herum. Ob der Hund danach links oder rechts um den Zaun herum lief, war jedoch völlig unabhängig davon was der Mensch vorher genau getan hatte. Die Hunde fanden ihren Weg um den Zaun also schneller, aber wie genau der Mensch das Problem gelöst hatte kopierten sie nicht.
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Mit einem anderen Problem konfrontierten nun Leipziger Wissenschaftler die Vierbeiner (Abb. 5.2). Sie wollten ebenfalls untersuchen, was ein Hund durch die Beobachtung eines anderen lernen konnte. Dazu bedienten sie sich folgenden Tests. Unter einen umgedrehten Gitterkorb wurde Futter gelegt. Damit war das Futter zwar sichtbar, aber schwer erreichbar für den Hund. Es gab jedoch eine Lösung des Problems. Die Hunde konnten ein Handtuch, auf dem das Futterstück lag unter dem Korb hervorziehen und damit gelangten sie an das Futter. Die Wissenschaftler interessierte nun, ob die Hunde davon profitieren würden einen anderen Hund – den Modellhund – bei der Lösung des Problems zu beobachten. Vor allem wollten sie wissen, ob die Hunde sich genau abgucken, wie der Modellhund das Problem löst. Um dies zu untersuchen,
Abb. 5.2 Hunde profitieren bei der Lösung der Aufgabe schon dadurch, einen anderen Hund in der Nähe des Korbes fressen zu sehen
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wurden der Hund, der für alle anderen Modell stand, trainiert das Handtuch auf zwei verschiedene Arten hervorzuziehen. Er lernte das Tuch entweder mit der Schnauze zu ziehen oder mit der Pfote herauszukratzen. Eine Gruppe von Zuschauern sah nun, wie das Handtuch mit der Pfote herausgekratzt wurde. Die andere Gruppe sah, wie es mit der Schnauze herausgezogen wurde. Alle Hunde gelangten nach der erfolgreichen Demonstration durch den trainierten Modellhund recht schnell am Futter. Aber gucken sie sich auch ab wie das Problem gelöst wird? Die Antwort ist nein. Die Hunde benutzen vorzugsweise die Pfote. Dies taten die Hunde, die gesehen hatten, wie der Modellhund mit der Pfote kratzte, ebenso wie die Hunde, die gesehen hatten, wie der Modellhund mit der Schnauze zieht. Die Hunde lernten also möglicherweise etwas darüber, was gemacht werden musste, um das Problem zu lösen, aber das wie schien nicht so wichtig. Dies änderte sich auch nicht, wenn der eigene Besitzer zeigte, wie es geht. Den Wissenschaftlern stellte sich nun aber noch eine ganz andere Frage. Brauchten die Hunde wirklich eine Situation, in der sie einen anderen bei der Lösung des Problems beobachten konnten? Lernten sie also wirklich durch genaue Beobachtung der Handlung des anderen oder spielte vielleicht etwas anderes eine entscheidende Rolle?
Ein Plastikauto Die Forschergruppe in Leipzig unterzog die Hunde einem weiteren Test, der ein überraschendes Ergebnis lieferte. Wieder war die Frage, ob die Hunde es schaffen konnten das Futter unter dem Korb hervorzuziehen. Und wieder konnten die Hunde einem anderen Modell zusehen, wie er an das Futter gelangte. Diesmal gab es jedoch einen großen Unterschied. Der Modellhund musste überhaupt kein Problem lösen, um an das Futter zu kommen. Das Futter lag zwar auf dem Handtuch, aber außerhalb des Korbes. Das Handtuch musste also nicht gezogen werden, um an das Futter zu gelangen. Alles was die Zuschauer sahen, war einen anderen Hund, der Futter fraß, das auf einem Handtuch in der Nähe eines Korbes lag. Nachdem die Hunde dies beobachtet hatten, wurden sie nun aber wieder mit dem ursprünglichen Problem konfrontiert. Und siehe da, sie zogen das Handtuch ebenso schnell heraus, wie die Hunde, die auch das Herausziehen beobachtet hatten. Also hatte allein die Tatsache einen anderen Hund in der Nähe des Korbes fressen gesehen zu haben, einen Einfluss auf das Verhalten der Hunde. Dies hieß aber auch, dass es den Hunden eigentlich egal war, was das Modell tat, dem sie zuschauten.
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Wenn man sich das Verhalten der Hunde in der vorher beschriebenen Zaunstudie näher betrachtet (Abb. 5.1), dann gibt es eine mögliche einfache Erklärung für das, was sie tun. Sie müssen gar nicht unbedingt wirklich auf den Menschen oder den anderen Hund geachtet haben, um das Problem zu lösen. Oder, anders formuliert, es war möglicherweise relativ egal, was der andere machte. Es ging nur darum überhaupt jemanden in der Nähe des zu lösenden Problems gesehen zu haben. Es gibt einen Mechanismus, den nennt man lokale Verstärkung. Dieser Mechanismus erklärt Verhaltensweisen bei denen ein Tier, nachdem es etwas oder jemanden an einem bestimmten Ort gesehen hat, seine Aufmerksamkeit verstärkt auf diesen Ort richtet und sich dann auch verstärkt mit diesem Ort beschäftigt. Sie kennen das möglicherweise selbst. Jemand fasst etwas an und schon wird es für sie ebenfalls spannend. Manchmal wird ein Ort oder ein Gegenstand aber auch schon dadurch interessant, dass irgendetwas in der Nähe dieses Ortes oder Gegenstandes passiert. Stellen Sie sich z. B. vor, Sie stehen im Wald und es fällt ein Tannenzapfen von einem Baum. Der Tannenzapfen fällt auf einen Stein, der auf dem Waldboden liegt. Nur dadurch, dass der Tannenzapfen zu Boden gefallen und dabei den Stein berührt hat, werden Sie überhaupt auf den Stein aufmerksam. Sollte nun der Stein Teil eines bestimmten Problems sein, sind Sie durch den Vorgang der lokalen Verstärkung auf diesen Stein aufmerksam geworden. Allein durch die verstärkte Beschäftigung mit einem Ort, an dem sich die Lösung des Problems befindet, kommen Tiere also möglicherweise schneller zu ihrer eigenen Lösung. Dieser Lernmechanismus ist im Tierreich relativ weit verbreitet. Auf unsere beiden Studien übertragen hieße das, die Aufmerksamkeit der Hunde richtet sich verstärkt auf den Korb oder das Ende des Zauns und somit auf die Lösung des Problems. Dies passiert allein deswegen, weil sie jemanden in der Nähe gesehen haben. In der Zaunstudie wird die Aufmerksamkeit allein dadurch verstärkt auf das Ende des Zauns gerichtet, dass der Hund einen Menschen um den Zaun hat herumgehen sehen. Nur dadurch wird das Ende des Zauns für die Hunde interessanter, sie werden überhaupt erst dar auf aufmerksam. Danach ist es für die Hunde ein leichtes auch um den Zaun herumzugehen. Nun könnte man schlussfolgern: der Mensch zeigt dem Hund das Ende des Zauns und der Hund lernt dadurch etwas. Es gibt also die soziale Situation und egal durch welchen Mechanismus, der Hund lernt etwas aus dieser sozialen Situation. Wir könnten nun unsere Frage abschließend beantworten und sagen, dass Hunde in diesem Fall etwas aus einer sozialen Situation lernen. So einfach ist es jedoch nicht. Denn wenn man von diesem einfacheren Mechanismus der lokalen Verstärkung ausgeht, dann müsste es
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nicht einmal der Mensch sein, der um den Zaun herum geht und den Hund auf die Lösung aufmerksam macht. Es müsste nicht einmal ein Lebewesen sein. Es würde reichen, dass z. B. ein Gegenstand um den Zaun herumgezogen wird. Auch dann würde die Aufmerksamkeit des Hundes verstärkt auf das Ende des Zaunes gerichtet. Genau eine solche Situation untersuchten die Wissenschaftler in Leipzig. Sie wollten wissen, ob die Hunde diesen einfachen Mechanismus nutzen, um das Zaunproblem zu lösen. Es stellte sich heraus, dass die Hunde das Problem genau so schnell lösen, wenn sie gesehen hatten, wie ein kleines Plastikauto um den Zaun herum gezogen wurde. Die Hunde machten da zwischen dem Plastikauto und dem Menschen keinen Unterschied (Abb. 5.1). Dies zeigt, dass die Hunde in der Zaunstudie vielleicht doch eher eine einfache Strategie verfolgten. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch den Menschen wie auch durch das Plastikauto auf das Ende des Zaunes gelenkt und dann war es ein leichtes für sie das Problem zu lösen. Hunde lernen also durchaus durch Beobachtung. Die soziale Situation mit dem Menschen wird dafür jedoch nicht unbedingt benötigt. Auf die Korbstudie bezogen hieße das, nur durch die Tatsache, dass die Hunde einen anderen Hund in der Nähe des Korbes fressen sehen, wird die Aufmerksamkeit der Hunde verstärkt auf diesen Teil des Korbes gelenkt. Die Hunde werden so auch überhaupt erst auf das Handtuch aufmerksam und beschäftigen sich daraufhin verstärkt mit dem Handtuch. Durch die verstärkte Beschäftigung mit dem Handtuch kommen sie aber auch leichter auf die Lösung des Problems. Dass ihnen ein anderer Hund oder auch ein Mensch die Lösung des Problems vorgemacht hat, ist also gar nicht der entscheidende Punkt. Die Hunde achten gar nicht unbedingt auf die Handlung anderer also nicht auf das was. Der entscheidende Punkt ist, dass sich ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf den Korb richtet, wenn sie jemanden oder etwas in der Nähe bemerken. Lassen Sie mich den Mechanismus, den die Hunde hier bevorzugt verwenden, noch einmal an einem Beispiel verdeutlichen. Sie kennen das vielleicht. Ihr Hund ist in der Lage die Tür zu öffnen. Um dies zu tun springt er hoch, drückt mit seinen Pfoten den Griff hinunter und schon ist die Tür offen. Vielleicht gehören Sie auch zu den Hundebesitzern, die annehmen, Ihr Zögling habe sich das von einem anderen Vierbeiner abgeguckt. Spielen wir diese Möglichkeit einmal in Gedanken durch. Ihr Hund sieht wie ein anderer an der Tür hochspringt, beobachtet außerdem, wie
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dieser dabei den Türgriff bedient und danach die Belohnung bekommt. Die Tür ist offen. Nun ist Ihr Hund an der Reihe. Er wiederholt Schritt für Schritt das Gesehene. Hochspringen, Türgriff bedienen, das war’s. Nun möchten sie aber vielleicht, dass ihr Hund die Tür nicht mehr öffnet. Sie verändern etwas. Eine ganz einfache und sehr wirksame Veränderung ist es, den Türgriff einfach umzudrehen. Nun muss man ihn nicht mehr herunterdrücken, man muss ihn hochziehen. Stellen sie sich nun weiter vor, es gäbe einen Hund, der auch diese Methode beherrscht. Ohne Probleme öffnet er die Tür, indem er den Griff nach oben drückt. Ihr Hund, der immer noch die andere Technik im Kopf hat, sieht das. Was, glauben Sie, wird Ihr Vierbeiner nun tun? Wenn Ihr Hund wirklich durch die soziale Situation etwas über die Zusammenhänge gelernt hat, wie die Tür geöffnet werden kann, dann sollte er nun neue Informationen erfolgreich verwenden. Für Sie als sein Besitzer, wäre das überhaupt kein Problem. Neues Problem, gucken wie es andere machen, neue Lösung. Für Ihren Hund schon. Dies erklärt auch, warum diese Änderung in der Anordnung des Griffs ein so hilfreiches Mittel ist, den Hund vom Türöffnen abzuhalten. Obwohl er Sie, seinen Besitzer, ständig die Tür öffnen sieht, wird er diese neue Methode kaum erlernen. Was erklärt dann die Situation zu Beginn dieses Beispiels am besten? Das Prinzip der lokalen Verstärkung. Ihr Hund sieht einen anderen Hund gegen die Tür springen. Weil er aufgeregt ist, springt Ihr Hund vielleicht mit. Dabei geht die Tür auf. Ein Zusammenhang ist hergestellt. Hochspringen führt zum Öffnen der Tür. Ihr Hund wird dieses selbst ausprobieren und dabei auch einmal mit den Pfoten an dem Türgriff hängen bleiben. Dann hat er das Problem selber gelöst – das lernt er. Aber er lernt nichts über den genauen Zusammenhang. Daher kann er das Gelernte nicht auf eine neue Situation übertragen. Ein Argument bei dem Korb- und auch bei der Zaunstudie könnte jedoch auch sein, das beides relativ leichte Probleme sind. Vielleicht sogar zu leicht. Zu leicht deswegen, weil die Hunde möglicherweise viel zu schnell alleine auf die Lösung kommen. Vielleicht müssen sie sich gar nichts von anderen abgucken. Sie sind es zwar ein bisschen schneller, wenn sie es tun. Aber vielleicht ist es immer noch so einfach, dass sie es auch gut schaffen, ohne wirklich auf die Handlungen anderer zu achten.
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Eine schwierigere Aufgabe Wenn man es sich genau überlegt, dann lohnt es sich ja am meisten etwas abzugucken, wenn man selber nicht oder schwer auf die Lösung kommt. Und es lohnt sich vor allem dann abzugucken, wie ein anderer ein Problem gelöst hat, wenn man selbst keine Vorstellung hat, wie es zu lösen ist. Deshalb unterzogen Wissenschaftler in Budapest Hunde einem etwas schwierigeren Problem. Dieses Problem bestand darin, an einer Box einen Griff zu einer Seite zu bewegen. Wenn dies geschehen war, rollte aus der Box ein Ball heraus. Die Hunde mussten dann um die Box herum laufen, konnten den Ball nehmen und bekamen die Gelegenheit mit dem Ball zu spielen. Vor Beginn der Studie wurden die Hunde in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die Hunde in einer Gruppe sahen z. B. die gesamte Abfolge der Dinge: Der Besitzer betätigte den Griff zu einer Seite, der Ball rollte heraus und Besitzer und Hund spielten daraufhin miteinander. Es wurde hier genau darauf geachtet, dass manche Hunde sahen wie der Griff nach links geschoben wurde und andere wie er nach rechts verschoben wurde. Dies sollte wiederum zeigen, ob die Hunde nicht nur auf das was achteten, sondern auch auf das wie. Eine zweite Gruppe von Hunden sah lediglich wie der Besitzer den Griff betätigte, aber kein Ball rollte heraus und daher wurde danach auch nicht gespielt. Eine dritte Gruppe von Hunden sahen nur wie die Besitzer entweder einfach den Griff berührten, ohne ihn zu betätigen. Eine vierte Gruppe wiederum sah, wie der Besitzer die obere Seite der Box berührte, aber nicht den Griff. Um zu sehen, wie Hunde ohne jede vorherige Beobachtung mit der Box umgehen würden, gab es noch eine letzte Gruppe. Sie sahen die Box, aber keinerlei Berührung der Box durch den Besitzer. Wenn wir uns an die vorherigen Erläuterungen zu der lokalen Verstärkung erinnern, dann ist klar, dass die Einteilung in diese verschiedenen Gruppen nun darauf abzielte, zu unterscheiden ob die Hunde wirklich etwas von dem Menschen abgucken oder wieder eine eher einfache Strategie verfolgen. Wenn es hier lediglich, wie bei der Zaunstudie und auch bei dem Korbstudie um den Mechanismus der lokale Verstärkung ginge, dann würden wir erwarten, dass die Hunde, die jemanden mit der Box haben umgehen sehen, das Problem schneller lösen können als die jenigen, die gar nichts gesehen haben. Wir würden außerdem erwarten, dass es kaum einen Unterschied zwischen den Tieren gab, die die ganze Abfolge der Handlungen gesehen haben und denen, die irgendetwas gesehen haben. Die Hunde, die gesehen haben wie der Griff wirklich benutzt wird, sollten das Problem ebenso
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schnell lösen wie die, die nur gesehen haben wie der Griff angefasst und dadurch verstärkt wurde. So einfach ist es diesmal jedoch nicht. In dieser Situation scheinen die Hunde wirklich etwas genauer hingesehen zu haben, was der Besitzer mit der Box genau gemacht hat. Die Hunde, die die gesamte Abfolge der Handlungen gesehen hatten, waren schnell in der Lage das Problem zu lösen. Ebenso schnell konnten es die, die gesehen hatten wie der Besitzer den Griff betätigte ohne dass der Ball herausrollte. Beide Gruppen waren deutlich schneller als alle anderen Hunde. Nicht mal die Tiere, die gesehen hatten wie der Griff angefasst, aber nicht bedient, wurde konnten die Aufgabe so schnell lösen. Hier hatten die Hunde also scheinbar wirklich etwas aus der Beobachtung des Besitzers gelernt. Sie waren nicht nur dadurch, dass der Besitzer irgendetwas mit der Box machte, verstärkt auf den Griff aufmerksam geworden. Auch in dieser zuletzt beschriebenen Situation guckten die Hunde jedoch nicht ganz genau hin, was gemacht wurde. Ob der Besitzer den Griff nach links oder nach rechts geschoben hatte, war ihnen anscheinend egal. Sie schoben den Griff nach links oder nach rechts – unabhängig davon was sie bei dem Menschen beobachtet hatten. Trotzdem schienen die Hunde genauer hinzusehen und insgesamt mehr von den Handlungen des Menschen zu lernen als in anderen Studien. Sehen Hunde möglicherweise erst dann an genauer hin, wenn die Aufgabe schwieriger wird? Dann, wenn sich lernen durch Beobachtung wirklich lohnt?
Der Kontext zählt? Wissenschaftler in Wien gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie stellten sich die Frage, ob Hunde vielleicht nicht nur das Verhalten anderer kopieren, sondern dabei sogar auf den Kontext achten, in dem eine Handlung vollführt wird. Sie nahmen an, dass Hunde vielleicht die Handlungen anderer besonders dann kopieren, wenn sie nicht die naheliegende Lösung des Problems darstellen. Dieses geschieht dann nach dem Motto „normalerweise lässt sich das Problem anders lösen, sie machte es aber demonstrativ so, also muss es auch so gemacht werden“. Das Problem sah so aus: An einem Baum hing eine Holzbox in der sich Futter befand (Abb. 5.3a–c). Um an das Futter zu kommen, musste man eine Klappe öffnen. An dieser Klappe war ein Seil mit Griff angebracht. Die Klappe konnte geöffnet werden, indem das Seil an dem Griff nach unten
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Abb. 5.3 Die Modellhündin bedient den Griff mit der Pfote. Entweder hängt ein Ball am Griff, oder sie trägt den Ball im Maul oder es ist kein Ball zu sehen. Die beobachtenden Hunde nutzten das Maul, wenn der Ball sichtbar war
gezogen wurde. Wenn sie vorher niemanden an der Box beobachtet hatten, bevorzugten die Hunde den Griff mit dem Maul nach unten zu ziehen, um an das Futter zu gelangen. Interessant wurde es bei den Hunden, die eine Hündin – als Modell – an der Box beobachtet hatten. Eine Gruppe Hunde beobachtete die Hündin, die mit einem Ball im Maul zu der Box ging und dann das Seil mit ihrer Pfote herunter zog. Das Seil mit der Pfote zu ziehen, war hier die naheliegende Lösung, denn die Hündin hatte ja einen Ball im Maul und konnte dieses daher nicht benutzen. Eine andere Gruppe Hunde beobachtet dieselbe Hündin wie sie mit leerem Maul auf die Box zuging und wiederum das Seil mit der Pfote herunter zog. In diesem Fall war die Pfote zu benutzen nicht die naheliegende Lösung, denn das Maul der Hündin war ja frei, sie hätte also das Maul benutzen können. Wenn sie nun selbst mit dem Problem konfrontiert waren, verhielten sich beide Gruppen von Hunden unterschiedlich. Die, die das Modell mit einem Ball im Maul die Pfote benutzen sahen, benutzen selbst ihr Maul um das Problem zu lösen. Die, die beobachteten, wie die Hündin ohne Ball im Maul die Pfote benutzte, benutzen selbst auch die Pfote, um das Seil zu ziehen. Die Wissenschaftler begründeten dies damit, dass die Beobachter vermutlich den Kontext mit interpretierten. Die Argumentation lautet folgendermaßen: Die Handlung des anderen Hundes wird kopiert, aber nur dann, wenn die Handlung sozusagen wirklich so „gemeint“ war und es keine nahe liegende Alternativ-Handlung gibt. Die Wissenschaftler behaupten also, dass Hunde nicht nur anderen
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imitieren, sie tun dies sogar unter Berücksichtigung der Rationalität einer Handlung. Das wäre in der Tat bemerkenswert, denn solches Verhalten ist bisher nur bei Menschenaffen und dem Menschen nachgewiesen worden. Wissenschaftler aus Leipzig stellten jedoch eine Gegenhypothese auf. Sie behaupteten, dass die Hunde wenn sie einen anderen Hund mit Ball im Mund sahen, nicht das Maul benutzen, weil sie dieses als die rationale Aktivität betrachteten. Sondern sie tun es ganz einfach deswegen, weil einen Ball zu sehen, dazu anregt das Maul zu benutzen. Dieses, so meinten die Wissenschaftler, geschieht völlig unabhängig von der beobachteten Handlung. Um dies zu belegen, führten die Leipziger Wissenschaftler, neben den schon oben beschriebenen Bedingungen, eine weitere Bedingung ein. In dieser beobachtete eine Gruppe Hunde wieder eine Modellhündin wie sie mit leerem Maul an die Box ging und mit ihrer Pfote das Seil hinunter zog, um an das Futter zu gelangen. Nun war zwar ein Ball präsent, er war nur nicht im Maul des Hundes. Er hing an der Box und hatte auf die Handlung, die die Hündin vollführte, gar keinen Einfluss. Es zeigte sich, dass die beobachtenden Hunde nun ebenfalls das Maul benutzten, einfach, weil ein Ball zu sehen war. Ob der Ball einen Einfluss auf das Verhalten der demonstrierenden Hündin hatte, spielte für sie keine Rolle. Das Verhalten der beobachtenden Hunde war ganz einfach zu erklären: Ball sichtbar – Maul benutzen, kein anderer Faktor schien für die Hunde wichtig zu sein.
Von Hund zu Hund Also sind Hunde doch keine Kopierweltmeister? Profitieren Hunde also doch nur geringfügig davon, andere Hunde zu beobachten? Was ist mit dem Phänomen, dass jeder Hundebesitzer kennt, der mehr als einen Hund zu Hause hat. Einem Hund wurde ein Befehl beigebracht, z. B. „Sitz“. Nun kommt ein neuer Hund ins Haus und der Besitzer will dem neuen Hund nun auch „Sitz“ beibringen und siehe da, der neue Hund lernt es viel schneller als der Erste. Ist es da nicht naheliegend, dass der junge Hund es deswegen so schnell gelernt hat, weil er es sich von dem Alten abgeguckt hat? Diese Vermutung legten Wissenschaftler aus Leipzig einer Studie zugrunde (Abb. 5.4ab). Sie trainierten eine Hündin darauf, bestimmte Handlungen durchzuführen, die sie zuvor nicht in ihrem Repertoire hatte. Manchmal sollte sich die Hündin beispielsweise bewegungslos auf die Seite legen, so als würde sie schlafen. Das ist sicherlich etwas, auf das die meisten Hunde nicht trainiert sind. Zu jeder Handlung gab es einen Befehl,
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Abb. 5.4 Der Golden Retriever beobachtet, wie die Modellhündin sich auf ein Kommando hin auf die Seite legt. Nun bekommt der Retriever dasselbe Kommando, kann es jedoch nicht mit der Handlung verknüpfen
den andere Hunde ganz gewiss nicht kannten. Manche Befehle waren einfach die Namen von Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Versuch zu tun hatten, wie z. B. „Josep“. Während des Versuchs gab es sogenannte Beobachterhunde. Diese sahen wiederholt, wie die frisch trainierte Hündin sich auf das Kommando „Josep“ auf die Seite legte und dafür belohnt wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt erhielten die Beobachterhunde denselben Befehl. Die Erwartung war, dass sie es der Hündin gleichtaten. Das war jedoch nicht der Fall, und zwar unabhängig davon, ob dem Beobachterhund die Handlung bereits bekannt oder völlig neu war. Aber heißt das nun, dass der neu hinzu kommende Hund von der guten Erziehung des anderen nicht profitieren kann? Es kann durchaus sein, dass ein junger Hund beim Erlernen eines Befehles von der Anwesenheit eines Artgenossen profitiert. Dies ist vor allem bei Verhaltensweisen der Fall, welche Hunde auch von sich aus zeigen, wie z. B. dem „Sitz“, Das hat aber
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dann möglicherweise mehr mit der generellen Anwesenheit eines anderen Hundes, als mit dem direkten Beobachten seines Verhaltens. Wenn ein Hund bereits auf den Menschen achtet und in Lernbereitschaft ist, dann wird der andere sich auch besser auf den Menschen konzentrieren. Er muss nicht erst heran gerufen werden, vermutlich sitzt er schon da, einfach weil der andere auch da sitzt. Dies hat nichts mit dem Imitieren eines Verhaltens zu tun. Es ist lediglich die soziale Situation an sich, die die Hunde dazu motiviert eine Verhaltensweise, die sie sowieso regelmäßig durchführen, öfter zu zeigen. Wenn die Hunde dann von dem Menschen dafür belohnt werden, haben sie die Verknüpfung schnell gelernt. Es ist klar, dass für den normalen Alltag eines Hundes ein einfacher Mechanismus, bei dem er nicht genau hingucken muss, völlig ausreichend ist. Hunde müssen nicht unbedingt lernen wie komplizierte Gegenstände wie Dosenöffner oder Scheren funktionieren. Sie müssen auch nicht lernen, wie man ein Bett bezieht oder sich die Schuhe zubindet. Ein leichterer Lernmechanismus als der, den wir Menschen entwickelt haben, ist also eigentlich völlig ausreichend und führt, wie oben gesehen, meistens auch zum Ziel. Wir Menschen hingegen haben eine besonders flexible Art des sozialen Lernens entwickelt. Wir sehen genau hin was andere tun, aber wir achten auch genau darauf wie andere ein Problem lösen. Es wird angenommen, dass wir Menschen dadurch überhaupt die Fähigkeit entwickelt haben, mit so komplizierten Gegenständen umzugehen und in so kurzer Zeit so viele komplexe Techniken zu entwickeln. Wir gucken genau wie andere es machen und lernen so in kurzer Zeit viel, was wir sonst in mühevoller Arbeit alles selbst hätten ausprobieren müssen. Der Frage wie und wann nun Hunde genau von anderen etwas lernen, werden sich sicher viele weitere Untersuchungen widmen.
„Mach es mir nach“ Vor einigen Jahren veröffentlichten ungarische Wissenschaftler aus Budapest eine Studie, in der sie zeigen konnten, dass ein Behindertenbegleithund trainiert werden konnte, auf Befehl zu imitieren. Dem Hund wurde eine Handlung gezeigt, beispielsweise stellte der Besitzer einen Eimer auf einen Tisch. Dann sah er den Hund an und sagte: „Mach es mir nach“. Der Hund nahm daraufhin einen weiteren Eimer in seine Schnauze und stellte diesen dorthin, wo bereits der andere Eimer stand. Das funktionierte wunderbar in vielen verschiedenen Situationen. So drehte sich der Hund beispielsweise auf Befehl um sich selbst, wenn er vorher einen Menschen gesehen hatte,
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der sich um sich selbst gedreht hatte. Scheinbar hatte der Hund gelernt, auf Befehl zu imitieren. Das Training war außerordentlich aufwendig und es bedurfte sehr vieler Übungsstunden, bis der Hund die generelle Regel des Befehls „Mach es mir nach“ verstanden hatte. Sobald aber die Regel gelernt war, imitierte er sehr verlässlich auch neue Handlungen, wenn er die Anweisung dazu erhielt. Was können wir nun daraus über Hunde lernen? Ist das der Beweis, dass Hunde imitieren? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich ansehen, was genau der Hund hier eigentlich gelernt hat. Der ursprüngliche Auslöser für das scheinbare Imitationstalent, ist eine erlernte Regel. Die Regel, die der Hund hier eigentlich gelernt hat, nennt man „Matching-to-sample-Regel“. Am besten übersetzen lässt sich das mit „Abgleich mit dem Original“. Stellen sie sich einmal folgende Situation vor. Ein Hund sitzt vor einem Bildschirm. Darauf werden ihm zwei Figuren gezeigt. Ein gelber Kreis und ein blaues Dreieck. Später wird ihm ein blaues Dreieck gezeigt. Der Hund soll nun mitteilen, ob dieses mit einem der beiden Originale übereinstimmt. Hunde können das lernen. Blaues Dreieck ist gleich blaues Dreieck. Sie brauchen dafür vielleicht etwas Zeit, aber sie verstehen das Grundprinzip irgendwann und können es dann auch auf neue Situationen übertragen. Wir können also festhalten, dass Hunde, die dem „Mach es mir nach“-Befehl folgen, eine einmal erlernte „Abgleich mit dem Original“ Regel auf ihre Umgebung und auf körperliche Handlungen anwenden können. Das ist wirklich bemerkenswert. Aber es heißt nicht, dass sie spontan imitieren.
Anwendungen im Alltag Dass Hunde soziale Lerner sind, das können wir uns im Alltag auf vielfältige Art zu nutzen machen. Unsichere Hunde können etwas von selbstsicheren Artgenossen lernen, junge Welpen etwas von erfahrenen Alten. Amerikanische Wissenschaftler aus New York haben in einer Untersuchung mit verschieden alten Zwergdackel-Welpen gezeigt, dass sogar sehr junge Welpen von sozialen Lernsituation profitieren können. Bereits drei Wochen alte Welpen vermochten es, schneller an Futter zu gelangen, wenn sie vorher andere Welpen dabei beobachtet hatten, wie diese die Aufgabe erfolgreich lösten. Je älter die Welpen wurden, desto schneller lernten sie. Drei Wochen alten Welpen profitierten von der Beobachtung anderer ebenso wie acht Wochen alte. Jedoch war es für die älteren Welpen leichter,
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die Aufgabe zu lösen als für die jüngeren. In ihrem weiteren Leben verlernten die Hunde dann diese Fähigkeit nicht mehr. Wenngleich dieses Verhalten möglicherweise wieder mit einem relativ einfachen Mechanismus zu erklären wäre, es ist beeindruckend, dass es funktioniert. Die Welpen haben nur durch Zusehen etwas fürs Leben gelernt. Noch deutlicher zeigte sich das Potenzial sozialen Lernens in einem weiteren Versuch. Südafrikanische Wissenschaftler aus Pretoria zeigten, dass Welpen den Zusammenhang zwischen dem Geruch bestimmter Drogen und dem Apportieren bestimmter Gegenstand lernen konnten. Das Erlernen erfolgte schlichtweg dadurch, dass sie ihre Mutter dabei beobachteten, wie sie dieses wiederholt machte und dafür belohnt wurde. Interessant war, dass vor allem jene Welpen davon profitierten, die länger als die üblichen acht Wochen, nämlich zwölf, bei ihren Müttern verblieben waren. Aber auch hier erlernten die Hunde ihre Fähigkeit vermutlich aufgrund relativ einfacher Mechanismen. Welpen wurden nur durch Beobachtung ihrer Mutter an Verhaltensweisen herangeführt, die für ihre spätere Ausbildung zu Drogensuchhunden unersetzlich war. Das Beispiel zeigt also noch einmal, wie effektiv selbst einfache Mechanismen sind. Und es zeigt eine von zahlreichen alltäglichen Einsatzmöglichkeiten von Hunden. Im Alltag mit meinem Hund ist mir klar, dass ich ein wenig aufpassen muss, wenn mein Hund mir zuguckt. Die Szene in der Küche hat es gezeigt. Vielleicht hätte es gereicht, wenn ich aus Versehen gegen den Schrank gelaufen wäre. Hätte Ambula danach Futter bekommen, hätte er es vermutlich mit der Schranktür verknüpft. Vielleicht hätte er dann selber einmal probiert, was man mit der Schranktür so alles machen könnte und wäre zum Ziel gelangt. Aber selbst ein Gegenstand, der die Schranktür berührte, würde die Aufmerksamkeit meines Hundes darauf lenken. Wie auch immer also mein Hund wirklich von meiner Handlung etwas abgeguckt hat, er hat ja etwas gelernt. Vielleicht etwas fürs Leben, und ich muss jetzt einen anderen Ort finden, an dem ich das Futter aufbewahre.
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Eine Szene am See. Ich werfe meinem Hund Ambula einen Ball. Aus Versehen landet der Ball nicht im See, sondern stattdessen im Gebüsch. Ambula ist bereits los geschwommen, weil er, wie manchmal, die tatsächliche Flugbahn des Balles etwas außer Acht gelassen hat. Als er merkt, dass da kein Ball mehr kommt, schwimmt er zurück. Was nun? Ich weiß, der Ball ist im Gebüsch, aber Ambula weiß es nicht. Da ich nun aber zu faul bin, den Ball für ihn zu holen gebe ich ihm einen Hinweis. Ich zeige auf das Gebüsch und sage „Bring den Ball“. Ambula dreht sich herum, folgt meinem gestreckten Finger, findet den Ball und rennt damit weg. Mein Hund hat also meine kommunikative Geste, das Zeigen, genutzt. So eine Szene spielt sich im Leben eines Hundes mehrfach täglich ab. Nichts Besonderes werden sie sagen. Mein Hund kann das auch, werden sie sicher auch sagen. Menschen verständigen sich viel über Zeigegesten. Den meisten Menschen fällt das gar nicht auf. Hunde nutzen diese Zeigegesten. Dies ist etwas, was jeder Hundebesitzer weiß. Es ist auch etwas, was in die Hundeerziehung eingebaut wird. So zeigt man z. B. auf das Spielzeug, welches apportiert werden soll. Oder dem Hund wird durch das Zeigen auf sein Körbchen oder seine Decke verdeutlicht, dass er sich auf seinen Platz legen soll. Sei es bewusst oder unbewusst, jeder Hund ist immerzu mit Gesten des Menschen konfrontiert. Also ist das nichts Besonderes? Nichts was irgendwie mit Erkenntnisvermögen zu tun hat?
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_6
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Der Objekt-Wahl Test Verschiedene Forschergruppen in der ganzen Welt haben untersucht, ob Affen in der Lage sind Zeigegesten des Menschen zu nutzen. Dazu bedienten sie sich eines sehr einfachen Tests, des sogenannten Objekt-Wahl Tests (Abb. 6.1). Vor dem Tier werden zwei identische Becher aufgestellt. Nun versteckt ein Mensch unter einem dieser Becher ein Stück Futter. Das Tier weiß jedoch nicht unter welchem der beiden Gefäße sich das Futter befindet. Entweder verdeckt eine Barriere den Versteckvorgang. Oder der Mensch verbirgt das Futter in der Hand, mit der er unter beide Becher fasst, um es unter einem heimlich abzulegen. Nachdem das Futter versteckt ist, gibt der Mensch einen deutlichen Hinweis auf den Platz, an dem das Futter versteckt wurde. Er zeigt auf den richtigen Becher. Dieses tut er mit der Absicht, dem
Abb. 6.1 Hunde folgen der Zeigegesten, um verstecktes Futter zu finden
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Tier zu verdeutlichen, wo sich das Futter befindet. Das heißt, die Zeigegeste erfolgt kommunikativ. Danach darf das Tier wählen. Wählt es richtig, folgt es also der Geste, dann bekommt es das Futter. Wählt es falsch, wird ihm gezeigt, dass dieser Becher leer ist und sich das Futter in dem anderen befindet. Kleine Kinder finden diese Aufgabe sozusagen kinderleicht. Bereits wenn sie etwa ein Jahr alt sind, nutzen Kinder alle möglichen Formen von kommunikativen Gesten. Umso erstaunlicher, dass Affen, selbst unsere allernächsten Verwandten, die Menschenaffen, an dieser Aufgabe scheitern. Keine menschliche kommunikative Geste und sei sie noch so deutlich wird in dem Objekt Wahl Test von den Menschenaffen erfolgreich genutzt. Die einzige Ausnahme bilden Affen, die in sehr engen Kontakt zu Menschen leben und aufgezogen wurden. Unsere nächsten Verwandten sind nur unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage eine Aufgabe zu lösen, die für uns selbstverständlich ist und die dem Hund ebenso leicht zu fallen scheint. In der Tat ist es so, dass Studien verschiedener Forschergruppen ergeben haben, dass Hunde in dem Objekt-Wahl Test nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, verschiedene Gesten des Menschen zu nutzen. Zeigt der Mensch auf den richtigen Becher, so finden die getesteten Hunde das Futter auf Anhieb. Und nicht nur das, es reicht auch auf den richtigen Becher zu blicken. Für manche Hunde ist es sogar ausreichend, wenn der Mensch lediglich zu dem richtigen Becher hin blinzelt. Diesen Test können Sie ganz leicht mit Ihrem Hund zu Hause nachstellen. Nehmen Sie einfach zwei identische Becher oder Tassen aus Ihrer Küche, und verstecken Sie unter einer der Tassen ein Stück Futter oder ein kleines Spielzeug. Stellen Sie sicher, dass Ihr Hund nicht gesehen hat, unter welchem Becher sich das Futter befindet. Nun zeigen Sie auf den Becher, unter dem sich das Futter befindet und lassen den Hund wählen. Sie werden sehen, dass Ihr Hund sich ohne große Schwierigkeiten für den richtigen der beiden Becher entscheiden wird.
Der Nase nach? Ein erster Verdacht könnte sein, dass die Hunde das Futter unter dem Becher gerochen haben und daher immer richtig wählen. Sie sind also vielleicht nicht der Zeigegeste gefolgt, sondern einfach ihrer Nase. Um dies auszuschließen führten die Wissenschaftler folgenden Test durch. Hier wurde zwar ebenso wie vorher ein Futterstück versteckt, aber der Hund sah keine Geste, die ihm beim Auffinden des Futters hätte helfen können.
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Der Mensch saß oder stand einfach ruhig zwischen den Bechern, ohne irgendetwas zu tun. Wenn nun also die Hunde einfach in der Lage wären das Futter zu riechen, so sollten sie auch in dieser Situation erfolgreich sein und das Futter finden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sehen die Hunde keine Geste des Menschen, so finden sie das Futter nicht. Sie können also mit der Nase allein das Problem nicht lösen. Eine weitere grundsätzliche Frage, die geklärt werden musste, ist, ob die Hunde wirklich dem Hinweis folgen oder lediglich der Bewegung, die der Mensch ausführt. Dies ist ein großer Unterschied. In Kap. 5 wurde ja bereits der Begriff der lokalen Verstärkung angesprochen. Es wurde verdeutlich, wie schnell die Aufmerksamkeit eines Tieres auf einen Ort oder einen Gegenstand gerichtet werden kann allein dadurch, dass das Tier etwas an diesem Ort wahrgenommen hat. Dies kann ein anderes sich bewegendes Lebewesen sein oder ein sich bewegender Gegenstand. Was auch immer die Bewegung auslöst, sie ist es, die das Interesse des Tieres auf einen bestimmten Ort lenkt. Wenn Hunde wirklich die Zeigegesten als kommunikatives Signal nutzen, dann hieße das, es ist der ausgestreckte Zeigefinger, der sie an einen bestimmten Ort lenkt. Wenn man sich eine solche Zeigegeste jedoch genauer ansieht, dann wird deutlich, dass sie natürlich auch eine auf den Becher gerichtete Bewegung darstellt. Es gibt daher die Möglichkeit, dass diese Bewegung zu dem Becher hin allein den Hund zu dem Futter lenkt. Dies entspräche dann dem Prinzip der lokalen Verstärkung und hätte nichts damit zu tun, dass die Hunde das Zeigen als kommunikative Geste nutzen. In diesem Fall wäre es dann so, dass möglicherweise auch völlig andere auf den Becher gerichtete Bewegungen die Aufmerksamkeit des Hundes auf diesen Becher ziehen. Um dies auszuschließen führte eine Forschergruppe aus Atlanta, USA verschiedene Tests durch. Zum Bespiel bewegte sich der Mensch zum falschen Becher, stellte sich hinter ihn und zeigte von da aus zum richtigen Becher. Er zeigte dabei mit dem Arm, der sich auf derselben Seite wie der falsche Becher befand. Um die Bewegungen zu dem richtigen Becher zusätzlich zu verringern, wurde der Arm nicht voll ausgestreckt, sondern es wurde mit leicht angewinkeltem Arm gezeigt. Dies alles sollte dazu dienen, die auf den richtigen Becher gerichteten Bewegungen zu reduzieren und damit den Mechanismus der lokalen Verstärkung auszuschließen. Das Verhalten der Hunde in diesem Test zeigt, dass es die Zeigegeste allein ist, die die Hunde nutzen. Sie wählen weiterhin den richtigen Becher, also den, auf den der Mensch zeigte und dies obwohl der Mensch sich aktiv zu dem anderen
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Becher hin bewegt hatte. Es ist also nicht die Bewegung allein, die eine Rolle spielt, wenn Hunde einer Zeigegeste folgen.
Welche Hinweise nutzen Hunde genau? Faktoren wie Geruch und die zum Becher hin gerichtete Bewegung allein, helfen den Hunden also nicht bei der Suche nach dem Futter. Das Zeigen des Menschen scheint ein wichtiger Hinweis für die Hunde zu sein. Aber welche Formen von Gesten nutzen Hunde noch? Und was verstehen die Hunde über die Situation, in der sie sich befinden? Eine wichtige Frage, mit der sich die Wissenschaftler beschäftigen ist, ob die Hunde das Zeigen wirklich als „kommunikativ“ begreifen. Dies müssen sie nicht unbedingt, um die Zeigegeste des Menschen erfolgreich zu nutzen. Die Hunde könnten auch eine ganz einfache Strategie verfolgen und einfach den Becher wählen, der in der Nähe des Fingers ist, mit dem gezeigt wird. Wissenschaftler in Budapest verglichen verschiedene Formen der Zeigegesten miteinander, um Genaueres über die Strategien der Hunde herauszufinden. Die Forscher entdeckten dabei, dass die Hunde Schwierigkeiten hatten, den Hinweisen nachzugehen, wenn die Zeigehand nicht bis zu einem gewissen Teil über den Körper des Menschen hinausragte (Abb. 6.1). Es waren also klare, auf den richtigen Becher gerichtete und für den Hund gut sichtbare körperliche Hinweise des Menschen nötig, damit der Hund das Futter finden konnte. Interessanterweise scheint es schon so, als müsse es die menschliche Hand sein, die den Hinweis gibt. Wenn sich nämlich ein Mensch zwischen beide Bechern stellte und wie zufällig mit einem Stock auf den richtigen wies, dann folgten die Hunde diesem Hinweis nicht. Für sie spielte es also eine entscheidende Rolle, dass es die menschliche Hand war, die den Hinweis gab. Sie nutzten nicht einfach irgendeinen Hinweis. Eine Studie Leipziger Wissenschaftler wies nach, dass Hunde nicht nur in unmittelbarer Nähe eines ausgestreckten Zeigefingers nach Futter suchen. Junge ebenso wie erwachsene Hunde nutzen Zeigegesten, um sich auch auf Orte hinweisen zu lassen, die weit entfernt von der zeigenden Hand liegen. In dem Versuch standen die Becher anstatt in der Nähe der zeigenden menschlichen Hand nunmehr rechts und links neben dem Hund. Um erfolgreich zu sein, muss das Tier sich also von der Hand des Menschen wegbewegen. Wenn die Hunde also lediglich der Strategie folgen würden, dort zu suchen, wo die Menschenhand ist, dann können sie das Problem nicht lösen.
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Deutlich wird dies auch in einer weiteren Leipziger Studie. Hier wollten die Wissenschaftler wissen, ob Hunde kommunikative Gesten von zufälligen Bewegungen unterscheiden. Die zufälligen Bewegungen ähnelten der Geste, waren aber nicht kommunikativ gemeint. Für den Versuch wurden wieder Becher aufgestellt, und wieder wussten die Hunde nicht wo das Futter versteckt war. Die Wissenschaftler verglichen nun zwei Situationen miteinander. Einmal zeigte der Versuchsleiter gewollt kommunikativ. Er streckte also den Finger aus, stellte Blickkontakt mit dem Hund her und zeigte auf den Becher, in dem das Futter versteckt war. Während der Versuchsleiter auf den Becher zeigte, wanderten seine Blicke zwischen diesem und dem Hund mehrmals hin und her. In anderen Durchgängen machte der Versuchsleiter eine zufällige Bewegung, die der üblichen Zeigegeste ähnelte. Er streckte seinen Finger aus und verglich die aktuelle Uhrzeit auf einer Armbanduhr, die er trug, mit der Uhrzeit auf einer Wanduhr, die sich im Versuchsraum befand. Die Bedingungen in dieser zweiten Situation erschienen also ähnlich zur ersten: es gab einen ausgestreckten Finger und es gab eine regelmäßige Kopfbewegung. Allein die Geste war nicht gewollt kommunikativ. Tatsächlich unterschieden die Hunde deutlich zwischen beiden Situationen. Sie folgten der Geste nur dann, wenn sie gewollt kommunikativ war und ignorierten zufällige Bewegungen des Versuchsleiters und dessen zufällig ausgestreckten Zeigefinger. Das heißt, Hunde rennen nicht einfach dorthin, wohin ein Finger zeigt. Vielmehr nehmen sie Gesten als kommunikativ wahr und wissen, kommunikative Absichten zu deuten. Dazu passt auch eine Studie aus Budapest. Ungarische Wissenschaftler verglichen zwei Situationen miteinander. In einer schaute ein Mensch intensiv auf den richtigen Becher (Abb. 6.2). Wie erwartet waren die Hunde danach in der Lage, das versteckte Futter zu finden. In einer zweiten Situation drehte der Mensch seinen Kopf ebenfalls in die Richtung des Bechers, in dem sich Futter befand, blickte danach aber über den Becher hinweg an die Decke. Die Körperhaltung des Menschen war ähnlich wie in der ersten Situation, aber es war keine kommunikative Absicht vorhanden. Der Kopf des Menschen war wie zufällig in Richtung des Bechers gedreht. Es zeigte sich, dass die Hunde in der zweiten Situation nicht den richtigen Becher bevorzugten. Damit war noch einmal nachgewiesen, dass Hunde zwischen kommunikativ gemeinten Gesten und zufälligen Handlungen zu unterscheiden verstehen. Doch damit nicht genug. Hunde achten auch darauf, wer eine Geste zeigt. Sie folgen der Geste bereitwilliger, wenn sie vorher die Erfahrung gemacht haben, dass die zeigende Person zuverlässig ist. Japanische
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Abb. 6.2 Hunde können unterscheiden, ob der Mensch auf den Becher schaut, oder obendrüber
Wissenschaftler aus Kyoto konnten dies in einem Versuch nachweisen. Wenn Hunde die Erfahrung machen mussten, dass ein Versuchsleiter zuweilen auf einen leeren Becher zeigt, dann ignorieren sie dessen Hinweise schließlich. Hunde, die nicht enttäuscht wurden, reagieren zuverlässiger auf eine Zeigegeste. Es gibt noch weitere Forschung zu diesem Thema. Italienische Wissenschaftler aus Neapel wollten wissen, wie wichtig Gesten für Hunde sind. Die Wissenschaftler arbeiteten mit einer Gruppe von Hunden, die für bestimmte Befehle sowohl einen gesprochenen Befehl gelernt hatten als auch eine Geste. Wenn Hunden im Versuch entweder das eine, die Geste, oder das andere, der Sprachbefehl, präsentiert wurde, dann folgten sie. Beispielsweise machten sie zuverlässig Sitz, ganz gleich ob sie durch eine Geste oder über Sprache dazu aufgefordert wurden. Aber wie würden die Tiere reagieren, wenn sie beide Hinweise gleichzeitig erhielten? Und was würden sie tun, wenn Sprache und Geste zwei unterschiedliche Befehle ausdrückten? Wie würden sie sich entscheiden, wenn der gesprochene Befehl ‚Platz‘ und die Geste ‚Sitz‘ bedeutete? Beide Anweisungen gleichzeitig zu befolgen, das ist nicht möglich. Es stellte sich heraus, dass Hunde in solchen Fällen eher der Geste folgen als dem gesprochenen Wort. Sie setzten sich, wenn sie die Geste für „Sitz“ sahen, selbst wenn der Besitzer gleichzeitig „Platz“ sagen sollte. Das Ergebnis zeigt einmal mehr, welche zentrale Bedeutung unsere Körpersprache für Hunde offensichtlich hat. Sie achten sehr genau darauf, was wir ihnen über unseren Körper mitteilen.
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Von Hund zu Hund Eine Frage in diesem Zusammenhang ist natürlich, ob es unbedingt Hinweise des Menschen sein müssen, damit die Hunde erfolgreich sind. Eine Forschergruppe in Atlanta verglich inwieweit Hunde unterscheiden, ob der Hinweis auf den Ort, an dem das Futter versteckt ist von einem Menschen kommt oder von einem Artgenossen. Um dies zu untersuchen bedienten sich die Wissenschaftler erneut des bereits bekannten Objekt-Wahl Tests. Nun lag jedoch das Futter statt in einem von zwei Bechern, hinter einer von zwei Barrieren. Der Testhund stand auf der anderen Seite des Raumes und konnte nicht sehen, was sich hinter diesen beiden Barrieren befand. In manchen der Durchgänge zeigte oder guckte nun ein Mensch hinter eine der beiden Barrieren mit der offensichtlichen Absicht, den Hund zu informieren, wo sich das Futter befindet. Dies ist nichts Neues und hier zeigten sich erneut die Fähigkeiten der Hunde, diesen Hinweisen zu folgen. In manchen Durchgängen führten die Wissenschaftler jedoch eine wichtige Veränderung ein. Hier wurde der zeigende Mensch durch einen Hund ersetzt. Dieser blickte nun aus eigenem Interesse an dem Futter ausschließlich hinter die Barriere, hinter der das Futter auch versteckt war. Der Hund wurde angeleint, um zu verhindern, dass er selbst das Futter fraß. Die getesteten Hunde zeigten überhaupt keine Schwierigkeiten, aus den interessierten Blicken eines Artgenossen den richtigen Ort abzuleiten, an dem sich das Futter befand. Es gibt aber auch interessante Unterschiede. Budapester Wissenschaftler haben einen Test entworfen, bei dem ein Film auf einer großen Leinwand gezeigt wurde. Im Film war ein Hund in Lebensgröße zu sehen. Vor der Leinwand saß ein weiterer Hund, der getestet werden sollte. Dieser erhielt vom Filmhund eindeutige Hinweise auf eine Richtung, in der etwas Interessantes zu sehen war. Dafür drehte der Filmhund seinen Kopf in Richtung eines von zwei Tellern, unter denen Futter lag und starrte diesen an. Frühere Studien hatten ergeben, dass Hunde auch der Geste eines gefilmten Menschen folgen. Wenn nun aber der Filmhund etwas länger auf einen der beiden Teller starrte, vermieden die zu testenden Hunde genau diesen Teller und wählten den anderen. Wenn also eine Blickgeste von einem anderen Hund kam und nicht von einem Menschen, dann wurde sie eher als bedrohlich empfunden und vermieden. Daraus lässt sich schließen, dass die Fähigkeit von Hunden, menschliche Hinweise zu nutzen, eine relativ neue Entwicklung ist. Sie entstand möglicherweise aufgrund der besonderen Aufmerksamkeit von Hunden für Menschen.
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Diese Feststellung führt uns nun zu der Frage, was der Ursprung für diese Fähigkeiten des Hundes ist? Müssen Hunde all dies lernen? Oder ist es ihnen vielleicht zumindest teilweise angeboren?
Angeboren In allen oben beschriebenen Studie gab es Unterschiede zwischen den einzelnen Hunden. So gab es Hunde, die die Hinweise eines Artgenossen besser nutzten als die Hinweise eines Menschen. Umgekehrt gab es ebenfalls Tiere, die Hinweise eines Menschen besser nutzen konnten als die eines Artgenossen. Es gab auch Hunde, die generell mit einer Zeigegeste des Menschen mehr anfangen konnten als andere. Wenn sich Hunde so unterschiedlich verhalten, dann möglicherweise deswegen, weil sie in ihrem Leben verschiedene Erfahrungen gemacht haben. Möglicherweise lernen Hunde erst im Laufe ihres Lebens verstärkt auf den Menschen zu achten und die kommunikativen Hinweise des Menschen zu nutzen. Dies führt natürlich unweigerlich zu einer wichtigen Frage. Nämlich zu der Frage, ob die Fähigkeit menschlichen Gesten zu folgen von den Hunden expliziert erlernt werden muss oder eine gewisse Bereitschaft Gesten zu folgen den Hunden angeboren ist. Wie schon erwähnt, ist jedem Hundebesitzer sicher klar, wie oft man im Umgang mit seinem Hund kommunikative Gesten nutzt. Es wäre also durchaus möglich, dass der Hund im Laufe seines Lebens einfach lernt diese Gesten zu nutzen, weil immer, wenn er es tut etwas Gutes passiert: der Hund findet den Ball, das Futter, den Weg usw. Selbst wenn der Hundebesitzer seinem Tier diese Gesten nicht gezielt antrainiert hat, kann der Hund gelernt haben, diese Gesten zu nutzen. Der Frage nach der persönlichen Entwicklung dieser Fähigkeiten bei Hunden, widmen sich verschiedenen Forschergruppen. Sie untersuchten z. B. inwieweit bereits Welpen die Fähigkeit besitzen, kommunikativen Hinweisen des Menschen zu folgen. Erstaunlicher Weise nutzen bereits Welpen im Alter von sechs Wochen verschiedenen Gesten, um verstecktes Futter zu finden (Abb. 6.3a, b). In Atlanta verglichen Wissenschaftler das Verhalten 16 Wochen alter Welpen, die beinahe ohne menschlichen Kontakt gelebt hatten, mit dem Verhalten erwachsener Familienhunde und dem Verhalten von Schimpansen. Es zeigte sich, dass die Welpen die Gesten des Menschen ebenso gut nutzen wie die erwachsenen Hunde und besser als die Schimpansen.
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Abb. 6.3 Welpen können bereits im Alter von 6 Wochen Zeigegesten des Menschen erfolgreich nutzen
Kann es sein, dass Hunde besser als Affen in der Lage sind, menschliche Gesten zu nutzen? Ist ihnen möglicherweise die Bereitschaft angeboren, kommunikative Hinweise des Menschen zu nutzen? Für diese Fragen ist es interessant, dass erwachsene Hunde ebenso wie Welpen, die weitgehend ohne menschliche Kontakte aufgewachsen sind, die menschliche Gesten nutzen können. Leipziger Forscher konnten zeigen, dass Hunde, die als Straßenhunde in ein Tierheim aufgenommen wurden, Menschengesten genauso gut zu nutzen verstehen wie normale Familienhunde. Auch eine andere Studie mit frei herumlaufenden Straßenhunden aus Kolkata, dem früheren Kalkutta, konnte zeigen, dass dortige Straßenhunde schon als kleine Welpen, die Zeigegesten von Menschen nutzen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es möglicherweise keines expliziten Trainings bedarf, damit Hunde die Kommunikation des Menschen nutzen können. Dies belegt auch eine Studie der Budapester Wissenschaftler, in der Hunde im ersten Jahr ihres Lebens begleitet und jeden Monat neu auf ihre Fähigkeit kommunikative Gesten des Menschen zu nutzen getestet wurden. Die Studie begann als die Hunde zwei Monate alt waren und endete mit dem Erreichen des ersten Lebensjahres. Die Fähigkeit der Hunde die Gesten des Menschen zu nutzen änderte sich nicht. Sie wurde nicht besser oder schlechter, sondern war gleichbleibend gut. Ebenso zeigte sich, dass die Art des Trainingshintergrundes der Hunde keinen Einfluss auf das Verhalten hatte. So waren Hunde, die an Agility-Kursen teilnahmen (in denen ja viel über Gesten kommuniziert wird) nicht besser in der Studie als Hunde, die keine solche Kurse besuchten. Aber heißt das nun, dass diese Fähigkeit dem Hund angeboren ist? Und hat sich diese Fähigkeit speziell bei Hunden entwickelt, weil Hunde schon so lange mit Menschen zusammen leben? Oder ist es vielleicht so, dass
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Hundeartige im Allgemeinen besonders gut darin sind kommunikativen Hinweise des Menschen zu nutzen? Um diese Frage zu beantworten, wäre es wichtig, sich das Verhalten des nächsten Verwandten des Hundes genauer zu betrachten, den Wolf. Verschiedenen Studien zeigen, dass Wölfe, wenn sie direkt mit dem Hund verglichen werden, Gesten des Menschen schlechter nutzen. Dieses gilt sogar dann, wenn die Wölfe von dem Menschen wie Hunde aufgezogen wurden. Besonders systematisch untersuchte die Forschergruppe aus Budapest diese letzte Frage. In Kap. 3 wurde bereits erwähnt, wie hier Wolfswelpen und Hundewelpen systematisch von Menschen aufgezogen wurden. Die Welpen wurden ab dem Alter von zwei Wochen Betreuern zugeordnet, die sie mit nach Hause nahmen und bei denen sie im gleichen Umfeld lebten wie ein Wohnungshund. Die Wolfswelpen wurden ebenso wie die Hundewelpen vollkommen in das Familienleben integriert. Ab einem bestimmten Alter wurden dann beide Gruppen von Welpen in einer Objekt-Wahl Situation getestet, um zu sehen wie sie in der Lage waren menschliche Hinweise zu nutzen. Durch die identischen Aufzuchtbedingung war nun der einzige Faktor der variierte, die Art, der die Welpen angehörten: Hund oder Wolf. Die Hunde waren deutlich besser in der Lage die menschlichen Hinweise zu nutzen als die Wölfe. Dies ist nun ein deutlicher Beweis dafür, dass sich bei dem Hund ein Verhalten neu entwickelt hat, welches sich so bei seinem nächsten Verwandten, dem Wolf, nicht zeigt. Es ist jedoch nicht so, dass Wölfe gar nicht lernen können Gesten des Menschen zu folgen. Wenn sie ein intensives Training erhalten, welches gezielt darauf abgestimmt ist, Gesten des Menschen zu folgen, dann können auch Wölfe lernen diese Gesten zu nutzen. Sie werden diese Fähigkeit jedoch weitaus später erwerben als ihre domestizierten Verwandten und auch weniger flexibel mit menschlichen Gesten umgehen können als Hunde.
Drei Thesen Eine Frage, die sich natürlich anschließt, ist, warum und wie die Fähigkeit des Hundes, kommunikative Gesten des Menschen zu nutzen, entstanden ist. Hier gibt es im Moment verschiedene Überlegungen. Zum einen kann es sein, dass diese Fähigkeit des Hundes durch Auswahl bestimmter Fähigkeiten bei dem gemeinsamen Vorfahren von Hund und Wolf, entstanden ist. In Kap. 2 werden die Vorgänge, durch die der Wolf vermutlich zum Hund wurde ja bereist näher erläutert. Gehen wir also die verschiedenen Thesen in
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Ansätzen noch einmal durch. Wolf und Mensch näherten sich einander an. Im Zuge dieser Annäherung kann es sein, dass der Mensch bewusst immer die Wölfe ausgewählt hat, mit denen es sich am leichtesten umgehen ließ. Dies waren sicher die Tiere, die sich lenken ließen und die man in einer bestimmten Weise einsetzen konnte z. B. um zu jagen oder später zum Hüten oder Schützen der Herden. Auf diese Weise könnte es sein, dass der Mensch bewusst die Tiere zur Weiterzucht ausgewählt hat, die besonders gut auf Hinweise des Menschen reagierten. Daraus entstand dann ein Hund, dem die Fähigkeit Gesten des Menschen zu nutzen angeboren war. Das ist ein mögliches aber schwieriges Szenario. Es setzt voraus, dass die damaligen Menschen einen bestimmten Plan hatten, als sie mit dem Wolf in Kontakt kamen. Es setzt in gewisser Weise auch voraus, dass es Möglichkeiten gab Wölfe zu halten, selbst wenn diese noch nicht so zahm waren. Die Menschen mussten ja in der Lage sein, sich das Verhalten der Wölfe genauer anzusehen, um sich für den einen oder den anderen zu entscheiden. Man hätte die Wölfe möglicherweise einsperren müssen, um dann die auswählen zu können, die am besten auf Zeichen reagierten. Diese Möglichkeiten hat es jedoch zu der Zeit als Wölfe domestiziert wurden (vor ca. 35.000 Jahren) höchstwahrscheinlich noch nicht gegeben. Die These, dass Menschen bewusst Wölfe auswählten, die gut auf menschliche Zeichen reagierten, ist also eher schwer zu belegen. Es gibt jedoch auch noch eine zweite These. Diese geht von einer weniger bewussten Planung des Menschen aus, als eher von einem indirekten Ablauf der Dinge. Betrachten wir das Ganze einmal aus Sicht des Wolfes. Es ist sicher so, dass die Wölfe, die sich dem Menschen näherten, einen Vorteil hatten gegenüber denen, die sich nicht dem Menschen annähern mochten. Diesen Vorteil hatten sie dadurch, dass sie in der Nähe des Menschen vor anderen Feinden beschützt waren und im Umkreis des Menschen leicht zu erbeutendes Futter fanden. Man kann sich weiterhin vorstellen, dass die Wölfe, die in der Lage waren Gesten des Menschen zu nutzen einen noch größeren Vorteil hatten. Sie konnten möglicherweise noch mehr Futter finden, weil sie durch Gesten des Menschen erst darauf aufmerksam wurden. Oder sie waren noch besser geschützt, weil sie bestimmte Gesten des Menschen als Warnhinweise nutzen konnten. So könnte es sein, dass sich über Generationen genau die Wölfe in der Nähe des Menschen durchgesetzt haben, die für Gesten des Menschen sensibler waren als andere. So hätte sich also eher indirekt etwas entwickelt, was wir heute bei dem Hund sehen, nämlich die Fähigkeit kommunikative Gesten des Menschen zu nutzen. Wie schon erwähnt, achten Wölfe generell weniger auf den Menschen als Hunde. Sie sehen den Menschen weniger
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an, sie sind weniger darauf bedacht Blickkontakt zu dem Menschen aufzunehmen als der Hund. Dies, so zeigen auch die oben beschriebenen Studien zu dem Verständnis von Zeigegesten, hat natürlich auch einen Einfluss darauf wie Wölfe, im Vergleich zu Hunden, auf kommunikative Signale achten. Es kann also sein, dass Hunde einfach generell mehr auf den Sozialpartner Mensch achten und damit auch mehr auf seine kommunikativen Signale. Zuletzt gibt es noch ein dritte und völlig andere These, wie es zu den besonderen Fähigkeiten gekommen sein könnte. Diese These geht davon aus, dass eine Selektion gegen Aggression und Angst dazu geführt haben könnte, dass die Hunde diese Fähigkeiten entwickelt haben. Menschen haben demnach die Hunde nach Zahmheit ausgewählt, und dann entstand als Nebenprodukt, die Fähigkeit menschliche Gesten zu nutzen. Im Umkreis des Menschen haben sich vermutlich die Wölfe am besten durchgesetzt, die wenig aggressiv, wenig ängstlich und eher zahm waren. Besonders aggressive Tiere wurden sicher vertrieben oder sogar getötet, ängstliche Tiere liefen weg. Es konnten sich in der Nähe des Menschen nur die Tiere behaupten, die freundlich und mutig waren. Allein diese Auswahl, wird über mehrere Generationen zu zahmen, angst- und aggressionsfreien Tieren geführt haben. Diese konnten sich dann gerne und relativ stressfrei dem Menschen annähern. Und sicher haben sie sich verstärkt für den Menschen zu interessieren begonnen. Unsere erste These besagt ja, dass sich Hunde in gewisser Weise selbst domestiziert haben. Und genau darauf basiert die dritte These. Wenn nämlich nun ein Tier sich dem Menschen stressfrei annähern kann, ist es nur noch ein kleiner Schritt dazu, auch verstärkt Hinweise des Menschen zu nutzen. Durch den stressfreien Umgang mit dem Menschen und des verstärkten Interesses für den Menschen ist sozusagen die Grundlage entstanden auf der die Fähigkeit der heutigen Hunde basiert. Der Unterschied zu den vorherigen Thesen ist jedoch, dass hier nicht speziell immer wieder die Tiere ausgewählt wurden, die Hinweise nutzen konnten, um mit ihnen weiter zu züchten. Sondern diese Fähigkeit wäre als eine Art Nebenprodukt von etwas anderem entstanden, nämlich der angeborenen Zahmheit. Um diese letzte These zu prüfen, wurden Füchse auf einer Farm in Sibirien getestet. Auf dieser Farm werden seit mehreren Jahrzehnten Silberfüchse gezüchtet und zur Weiterzucht in zwei verschiedene Gruppen eingeteilt. In der einen Gruppe gibt es bestimmte Auswahlkriterien, die erfüllt sein müssen, bevor die Tiere zur Weiterzucht zugelassen werden. Der Grad der angeborenen Zahmheit dieser Tiere wird überprüft. Nur besonders angstfreie und wenig aggressive Tiere werden für diese Gruppe ausgewählt.
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Für die Tiere der anderen Gruppe herrschen keine solchen Auswahlkriterien. Diese Tiere sind normal aggressiv und normal ängstlich. Um den Grad der Zahmheit der Tiere zu überprüfen gab es einen einfachen Test. Für diesen Test hielt eine Person die Hand in den Käfig der Tiere. Näherten sich die Tiere ohne Scheu und frei von Aggression an, so galten sie als angeboren zahm und wurden der ersten Gruppe zugeteilt. Sie durften sich mit den anderen Tieren dieser Gruppe verpaaren und sich fortpflanzen. Zeigten die Tiere Anzeichen von Scheu indem sie sich von der Hand zurückzogen oder reagierten sie aggressiv, dann wurden sie der anderen Gruppe zugeteilt. Wählte man die Tiere nach diesen Kriterien über mehrere Generationen aus, dann zeigten sich erstaunliche Veränderungen in der Gruppe der zahmen Füchse. Hier wurden nach mehreren Generationen Individuen geboren, die typisch hundeartige Merkmale aufweisen, wie z. B. hängende Ohren, geflecktes und farbiges Fell, Ringelschwänze und anderes. Auswahl nach Zahmheit hatte also einen überraschenden Effekt auf das Aussehen der Füchse, das dann sehr an das Aussehen von Hunden erinnert. Und nicht nur das. Die angeboren zahmen Füchse bellten mehr als die anderen. Sie wedelten auch verstärkt mit dem Schwanz. Sie zeigten also verstärkt hundeartiges Verhalten. Aber haben diese nach Zahmheit ausgewählten Füchse auch die Fähigkeit menschliche Gesten zu nutzen? Um das zu überprüfen testeten die Wissenschaftler aus Atlanta diese Füchse in dem beschriebenen Objekt-Wahl Test und verglichen sie mit den normalen Füchsen. Es zeigte sich, dass die nach Zahmheit ausgewählten Füchse die Hinweise ebenso gut nutzen wie Hundewelpen und besser als die normal aggressiven Füchse. Es gibt aber ein Problem mit dieser Studie. Der Test auf Zahmheit – das Interesse für die Hand – auf dem die Selektion der Tiere beruht, ist dem Test auf die kommunikativen Fähigkeiten der Tiere sehr ähnlich. Die zahmen Füchse sind ja die, die sich ohne Probleme der menschlichen Hand annähern. Ein Interesse an der menschlichen Hand könnte natürlich in diesem Fall auch zu dem erfolgreichen Nutzen der Zeigegeste geführt haben. Das heißt, die Füchse, die sich der Hand annähern, werden zur Weiterzucht in die zahme Gruppe aufgenommen. Die anderen nicht. Das Verhalten, für das die Tiere hier ausgewählt wurden, zeigen sie dann auch in dem durchgeführten Objekt-Wahl Test. Sie gehen zu der Hand. Dass diese Hand auf einen Becher mit Futter zeigt, ist möglicherweise nebensächlich. Wie auch immer die Frage nach der Entwicklung dieser besonderen Fähigkeiten der Hunde in Zukunft beantwortet wird, die Annahme, dass es sich dabei lediglich um ein Nebenprodukt von Domestikation handelt, ist eine sehr interessante Hypothese. Sie lässt sich möglicherweise durch die
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Untersuchung anderer, ebenfalls domestizierter Arten überprüfen. Wenn Domestikation allein einen Einfluss auf diese Fähigkeiten hat, sollten sie auch bei anderen domestizierten Tieren zu finden sein.
Andere Tiere Vergleicht man verschiedene Tierarten miteinander, dann zeigt sich, dass eines von zwei Kriterien erfüllt sein muss, damit die Tiere in der Lage sind kommunikative Gesten des Menschen zu nutzen. Entweder die Tiere sind domestiziert, wie z. B. Ziegen, Katzen und Pferde. Oder die Tiere haben eine spezielle Ausbildung erhalten, wie z. B. Affen, Delfine und Seelöwen. Letztere lebten alle in Zoos oder Tierparks und hatten Erfahrung mit dort üblichen Tiershows, bei denen die Tiere auf bestimmte Sichtzeichen hin verschiedene Aufgaben ausführen. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Tiere dadurch gelernt haben, diese Sichtzeichen auch in einem anderen Zusammenhang, wie dem Objekt-Wahl Test, zu nutzen. Ohne solches spezielle Training, sind tatsächlich nur domestizierte Tiere in der Lage die kommunikativen Gesten des Menschen zu nutzen. Dies trifft z. B. für die getesteten Ziegen zu, die in einem Zoo weitestgehend ohne menschlichen Kontakt aufgewachsen waren. Hier konnten bereits vier Monate alte Jungtiere Gesten, wie z. B. das Zeigen, erfolgreich zu nutzen. Dies kann man nun alles als Beweis dafür sehen, dass der Prozess der Domestikation allein zu der Fähigkeit führt, die kommunikativen Gesten des Menschen zu nutzen. Jedoch ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, ob andere Tierarten auch so viele verschiedene Gesten nutzen können wie der Hund. Ziegen nutzen z. B. nicht den Blick eines Menschen als Informationsquelle, während Hunde dazu sehr wohl in der Lage sind. Schweine nutzen Gesten des Menschen, wenn sie ausreichend Erfahrung mit Menschen haben. Pferde nutzen Gesten, aber nicht mit derselben Sensibilität wie Hunde. Und bei den Katzen bedurfte es einer gezielten Vorauswahl, um überhaupt Tiere zu finden, die an diesem Test Interesse hatten. Der Prozess der Domestikation allein ist also sicher nicht ausreichend, um zu erklären, wie diese Fähigkeiten bei dem Hund entstanden sind. Möglicherweise spielte im Laufe der Domestikation beides eine Rolle: die Auswahl der freundlichsten Tiere und die Auswahl der Tiere, die gut auf Signale reagierten. Zusammen haben sie das hervorgebracht, was wir heute haben: einen Hund, der sehr gut auf menschliche Gesten reagiert.
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Geste als Information? Wir wissen nun, welche Hinweise Hunde nutzen und dass menschliche Gesten für sie eine große Bedeutung besitzen. Hunde scheinen offensichtlich darauf zu achten, ob Menschen eine kommunikative Absicht haben. Wir haben zudem gesehen, welche Kommunikationsformen für Hunde entscheidend sind, beispielsweise der Blickkontakt. Wir haben weiterhin erfahren, dass Hunde diese Kommunikationsformen nicht erlernen müssen, es für sie also eine angeborene Fähigkeit ist, über die ihr nächster Verwandter, der Wolf, nicht verfügt. Und schließlich wissen wir, dass andere domestizierte Tierarten solche Gesten gleichfalls nutzen können, der Hund ihnen aber darin weit überlegen ist. Kommen wir deshalb zu einem weiteren Aspekt. Dieser lässt sich mit der Frage auf den Punkt bringen, ob Hunde die Zeigegeste als Information verstehen? Was geht in Hunden vor, wenn Menschen auf Becher zeigen? Denken sie dann: „Oh, da muss Futter sein“? Wir wissen inzwischen, dass Kinder bereits in einem Alter von nur einem Jahr menschliche Zeigegesten als eine Information verstehen. Auch Kinder zeigen anderen Dinge mit der Absicht, sie zu informieren. Sie unterscheiden dabei Situationen, in denen ein Gegenüber gesehen hat, wo etwas versteckt wurde, von Situationen, in denen die andere Person das nicht gesehen hat. Wenn ein Gegenüber etwas nicht gesehen hat, weisen Kinder ihn darauf hin. Sie informieren. Würden Hunde das auch tun? Verstehen sie, dass einer, der etwas zeigt, informieren will? Wissenschaftler aus Leipzig wollten das genauer wissen. Sie haben eine Studie durchgeführt, in der sie zwei Situationen miteinander verglichen. In der einen Situation wurde Futter versteckt, und der Hund konnte nicht sehen, in welcher von zwei Boxen. Der Versuchsleiter zeigte im Anschluss auf die richtige Box und blickte den Hund, der ihm gegenübersaß, dabei an. Neben dem Versuchsleiter saß eine zweite Person. In der zweiten Situation handelte der Versuchsleiter genauso; allein, er blickte nun beim Zeigen nicht den Hund an, sondern die zweite Person, die neben ihm saß. Die Hunde unterschieden beide Situationen voneinander. Wenn der Versuchsleiter den Testhund anschaute, dann folgte dieser seiner Geste und wählte den richtigen Becher. Schaute der Versuchsleiter aber den zweiten Menschen, der neben ihm saß an, dann ignorierte der Hund seine Geste und traf eine zufällige Wahl. Nun ist es so, dass Hunde zwischen beiden Situationen nicht unterscheiden würden, wenn sie die Geste des Versuchsleiters als Information einstuften. Denn die vom Versuchsleiter gegebene Information ist ja immer die gleiche: „Das Futter ist in dem Becher, auf den ich zeige.“
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Daran ändert sich nichts, ganz gleich wen ich anschaue. Kinder beispielsweise unterscheiden beide Situationen nicht. Ihnen ist es egal, an wen eine Information gerichtet ist. Hauptsache es ist eine Information. Sie folgen der Zeigegeste, in jedem Fall. Aber warum tun Hunde das nicht? Ein Grund dafür könnte sein, dass sie die Zeigegeste als eine Anweisung verstehen, als einen Befehl. Und wenn eine solche Anweisung nicht direkt an sie gerichtet ist, dann können sie diese auch ignorieren. Das würde erklären, warum Hunde Zeigegesten ignorieren, wenn sie nicht direkt an sie gerichtet sind. Das Ganze ließe sich auch als eine perfekte Anpassung an das gemeinsame Leben mit den Menschen verstehen. Denn historisch wurden Hunde ab einer gewissen Zeit wie soziale Werkzeuge eingesetzt. Sie waren willige Helfer, die über eine Distanz bestimmte Arbeiten verrichten konnten, z. B. eine Herde zusammenhalten oder ein Wildtier jagen. Für beide Tätigkeiten müssen Hunden unterschiedliche Anweisungen über teils längere Distanzen gegeben werden. Dazu wäre es ausreichend, wenn Hunde auf Zeigegesten wie auf Anweisungen reagierten. Dazu müssten sie auch nicht verstehen, dass Geste informierenden Charakter haben können. Was auch immer Hunde von der gestischen Kommunikation des Menschen verstehen, erstaunlich bleibt, mit welcher Sensibilität sie darauf reagieren. Das unterscheidet sie fundamental von Wölfen. Es irrt also, wer meint, Hunde seien einfach dumme Wölfe, die viele beeindruckende Wildtierfähigkeiten verloren haben. Hunde haben im Laufe der Zeit mit dem Menschen vielfältige neue Kompetenzen hinzugewonnen, über die Wölfe nicht verfügen.
Nutzen im Alltag Nun können wir uns die Frage stellen, welchen Nutzen diese Fähigkeiten im täglichen Umgang mit dem Hund haben. Und sicher fallen jedem Hundebesitzer zahlreiche Beispiele ein. Denn wir haben gesehen, die Tatsache, dass der Hund diese Fähigkeit besitzt, ist sicher auch einer der Gründe, warum er sich so erfolgreich an das Leben mit dem Menschen angepasst hat. Es ermöglicht dem Schäfer seinen Hunden über weite Distanzen Signale zum Hüten der Schafe zu geben. Der Jäger ist in der Lage den Hund zu lenken, ohne das Wild zu verschrecken. Gelähmte Menschen können über Augenbewegungen mit ihren Hunden kommunizieren, und besonders eindrucksvoll zeigen sich die Fähigkeiten der Hunde im Umgang mit taubstummen Menschen, bei denen die gesamte Kommunikation mit dem Hund über Sichtzeichen abläuft.
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Es gibt jedoch auch mindestens ein Beispiel, das zeigt, wie sehr der Hund davon profitiert, dass er diese Fähigkeit hat. So können taube Hunde ein weitgehend normales Leben führen und gut die ihnen gegebenen Befehle verstehen, wenn sie in Form von Sichtzeichen erfolgen. Der Nutzen im täglichen Umgang mit dem Hund ist groß, und jeder Hundebesitzer kommuniziert auf diese Art mit seinem Hund. Sei es bewusst oder unbewusst. Ich profitiere zumindest sehr davon, dass mein Hund meine Gesten versteht, denn nun muss ich nicht in das Gebüsch kriechen und nach dem verloren gegangenen Ball suchen. Ich zeige für meinen Hund einfach auf das Gebüsch und dann kann er das selber machen.
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Eine Szene auf der Hundewiese. Luna, eine Terrierhündin, bellt. Sie bellt alles an, was ihr entgegen kommt. Menschen, andere Hunde, sogar Vögel werden verbellt. Bald wird es Lunas Besitzer zu viel. „Luna, sei bitte still. Komm jetzt bitte sofort hier hin“ ruft er. Luna hört nicht auf ihn und bellt stattdessen weiter. Lunas Besitzer verstärkt sein Rufen. Er ruft nun lauter und seine Stimmer klingt bestimmter. Trotzdem denkt Luna nicht daran zu hören. Sie hat ganz andere Sorgen. Eine Gruppe von Krähen muss dringend vertrieben werden. Luna verzieht dabei ihr Gesicht. ‚Jetzt wird sie böse‘ denkt sich Lunas Besitzer. „Luna, jetzt ist aber mal Schluss und jetzt kommst Du aber bitte sofort hier hin“ schreit er. Luna denkt nicht dran. Als Luna kurz davor ist sich einem Fahrradfahrer zu widmen, startet Lunas Besitzer einen letzten Versuch. Nun muss es schnell gehen „Luna, hierhin“. Und siehe da. Luna stoppt, dreht sich herum und folgt dem Befehl. Beinahe aufs Wort. Hunde kommunizieren wie kein anderes nicht-menschliches Lebewesen täglich mit uns Menschen. Aber was kommt eigentlich davon an? Wie flexibel ist die Kommunikation von Hunden mit uns und mit ihren Artgenossen? Verstehen Hunde unsere Sprache? Was meinen Hunde überhaupt, wenn sie bellen oder knurren? Und wie ist das mit der Mimik? Verstehen Hunde, was es heißt, wenn wir unsere ‚Miene verziehen‘? Können Hunde vielleicht sogar unsere Emotionen lesen? Und wie sieht es umgekehrt aus? Wie verstehen wir die Mimik des Hundes?
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_7
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Wie Hunde bellen Wenden wir uns zunächst dem Bereich der Produktion von Lauten zu und sehen uns daraufhin den Hund genauer an. Eine Kommunikationsform von Hunden, das hat auch das oben beschriebene Beispiel gezeigt, ist sehr auffällig. Hunde bellen (Abb. 7.1). Jeder Hundebesitzer weiß, sie tun dies zu einem bestimmten Zweck. Mancher Hundebesitzer nimmt vielleicht auch an, sie wollten einem damit etwas Bestimmtes sagen, wie z. B. „Spiel mit mir“ oder „Laß mich in Ruhe“. Ein anderer Hundebesitzer hat möglicherweise sogar das Gefühl sein Hund sage „Guten Morgen“ Oder „Füttere mich“. Dass Hunde uns mit ihrem Bellen etwas „sagen“ möchten, stimmt, wenn auch nur bedingt. Wenn Hunde bellen, tun sie dies auf viele verschiedene Arten. Kleine Hunde bellen heller als große, was ganz einfach daran liegt, dass die Stimmbänder großer Hunde länger sind und ähnlich den tiefen Seiten eines Streichinstruments anders schwingen. Es gibt also ganz naheliegende Gründe für unterschiedliches Bellen. Es gibt aber auch noch andere, kompliziertere. Amerikanische Wissenschaftler aus Davis haben beispielsweise
Abb. 7.1 Hunde bellen je nach Situation verschieden
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herausgefunden, dass Hundebellen verschiedene Klangqualitäten hat, und zwar abhängig davon, aus welchem Grund gebellt wird. So lassen sich nicht nur einzelne Hunde anhand ihres Gebells messbar auseinanderhalten, sondern es bellt auch derselbe Hund unterschiedlich. Das Gebell eines beunruhigten Hundes klingt anders, als das eines spielenden Vierbeiners oder eines Individuums, das von seiner Gruppe isoliert wurde. Das gilt unabhängig von Geschlecht, Alter und Größe der Tiere. Hunde variieren ihre Laute also abhängig von der jeweiligen Situation, in der sie sich befinden. Ungarische Wissenschaftler aus Budapest haben Hundeknurren in verschiedenen Kontexten aufgenommen: beim Spielen, beim Bewachen und bei der Reaktion auf einen bedrohlichen Fremden. Sie stellten zunächst fest, dass sich das Spielknurren akustisch von den beiden anderen Knurrarten unterscheidet. Dann spielten sie die Laute anderen Hunde vor (Abb. 7.2). Und tatsächlich: das Knurren zum Schutz des Knochens hielt andere Hunde davon ab, einen scheinbar unbeaufsichtigten Knochen zu nehmen. Die beiden anderen Knurrarten hatten nicht den gleichen Effekt. Hunde, die ein Spielknurren von sich geben, wirken für Artgenossen größer als sie eigentlich sind. Auch das ergab sich aus der Budapester Studie. Dazu wurden Hunden zwei verschiedene Knurrarten vorgespielt. Das erste Knurren war in einem spielerischen Kontext aufgenommen worden, das zweite in einem Kontext, in dem Futter bewacht worden war. Gleichzeitig wurden den Hunden jeweils zwei Fotos gezeigt, die beide den
Abb. 7.2 Hunde unterscheiden zwischen Spielknurren und aggressivem Knurren. Sie nähern sich einem Knochen an, wenn sie Spielknurren von einem Tonband hören, aber nicht, wenn sie aggressives Knurren hören
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Hund zeigten, der geknurrt hatte. Auf einem Foto stimmte die Größe des Hundes. Auf dem anderen Foto war der Hund vergrößert dargestellt. Die Hunde schauten auf das richtige Bild, wenn sie Knurren hörten, mit dem Futter bewacht wurde. Daraus lässt sich schließen, dass es sich bei diesem Knurren um ein ehrliches Signal handelt. Ein solches Signal vermittelt Informationen, die einem Gegenüber mitteilen, womit er es zu tun hat. Die Hunde schauten jedoch auf das Bild mit dem künstlich vergrößerten Hund, wenn sie das Spielknurren zu hören bekamen. Möglicherweise ist es so, dass spielende Hunde ihre gesendeten Signale übertreiben, um die spielerische Interaktion zu verstärken. Britische Wissenschaftler aus Sussex wollten wissen, ob Hunde am Bellen anderer Hunde erkennen können, ob ein kleiner oder ein großer Hund auf sie zukommt. Sie spielten ihren Teilnehmern unterschiedliche Bellgeräusche von verschieden großen Hunden vor. Gleichzeitig zeigten sie diesen zwei Hundemodelle. Während das eine Modell in der Größe mit dem bellenden Hund übereinstimmte, war das andere kleiner. Es stellte sich heraus, dass die Hunde das kleinere Modell deutlich häufiger ansahen. Längere Blickzeit ist ein Zeichen für Überraschung und aus dem langen Gucken lässt sich schlussfolgern, dass Hunde in der Lage sind, das Bellen und das Foto abzugleichen. Sie können offensichtlich Informationen über die Körpergröße anderer Hunde aus deren Bellen zu ziehen. Die unterschiedlichen Laute von Hunden werden auch von Menschen verschieden wahrgenommen. Das ist das Ergebnis einer ungarischen Studie. Die Wissenschaftler spielten Testpersonen von einem Tonband Hundegebell vor. Dann baten sie die Testteilnehmer darum, das Bellen in mehrerlei Hinsicht zu beurteilen. Die Teilnehmer konnten in einem vorgefertigten Bewertungsbogen für aggressives, ängstliches, verzweifeltes, verspieltes oder glückliches Bellen Punkte vergeben. Dabei gab es keine bestimmten Kriterien, an denen die Teilnehmer sich hätten orientieren können. Sie waren gebeten, nach ihrem Gefühl zu urteilen. Es kam heraus, dass Menschen nicht nur in der Lage sind, verschiedene Bellarten von Hunden zu unterscheiden. Sie können sogar richtig beurteilen, ob es sich um einen wütenden, einen ängstlichen oder einen glücklichen Hund handelt. Menschen können zudem sehr feine Unterschiede wahrnehmen. In der Studie spielte man Testteilnehmern die drei oben beschriebenen Knurrarten vor. Sie ordneten diese daraufhin zumeist den richtigen Emotionen zu. Das Zuordnen gelang weiblichen Teilnehmern noch besser als männlichen. Auch schnitten hier Teilnehmer, die über Erfahrungen mit Hunden verfügten, besser ab als die übrigen.
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Hundesprache? Hunde geben also unterschiedliche Laute von sich, ihr Bellen hängt von der Situation ab, in der sie sich gerade befinden. Und wir Menschen verstehen Hunde bis zu einem gewissen Grad. Aus dieser Feststellung ergibt sich eine wissenschaftlich interessante Frage: Können wir sagen, dass Hunde über eine Sprache verfügen, die mit der menschlichen Sprache vergleichbar wäre? Wir wissen, dass Hunde eine Palette von Lautäußerungen entwickelt haben. Diese sind sind möglicherweise lediglich Ausdruck verschiedener Gefühlszustände, ähnlich einem allein gelassenen Löwenjungen, das kläglich vor sich hin weint, oder einem wütenden Löwen, der bedrohlich brüllt. Dies wären Lautäußerungen, die sich zu dem Zweck entwickelt haben, eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, die von einem Gegenüber verstanden werden kann. In der Wissenschaft nennt man das Signal. Wir können also festhalten, dass Hunde Signale senden, die von Menschen verstanden werden, und auf die Menschen entsprechend reagieren können. Die interessante Frage ist jedoch, wie flexibel solche Signale sind. Um sie zu beantworten, stellen wir uns eine Szene vor. Ein Einbrecher betritt ein Haus, und der Hund fängt an, bedrohlich zu bellen. Wie lässt sich das übersetzen? Will der Hund sagen: „Wütend, wütend, wütend!“ Oder will er etwas Komplexes mitteilen, wie beispielsweise: „Ich möchte, dass Du gehst, denn ich weiß, Du gehörst hier nicht her.“ Um das zu entscheiden, wollen wir auf die Studie zurückkommen, in der gezeigt wurde, dass Hunde unterschiedliches Knurren von Artgenossen in verschiedenen Konfliktsituationen voneinander unterschieden können (Abb. 7.2). Spielerisches Knurren unterscheidet sich grundsätzlich von aggressiverem Knurren. Wenn man dies bedenkt, müsste man davon ausgehen, dass die oben gefundene Erklärung zutrifft und unterschiedliches Bellen lediglich verschiedene innere emotionale Zustände ausdrückt. Es fällt jedoch auf, dass die Hunde in der Studie, denen verschiedenes Knurren aus zwei konfrontativen Situationen vorgespielt wurde, den Unterschied tatsächlich erkannten und jeweils deutlich anderes Verhalten zeigten. Das ist tatsächlich bemerkenswert, kann man doch davon ausgehen, dass der innere Gefühlszustand eines knurrenden Hundes in beiden Situationen recht ähnlich sein könnte („Wütend, wütend, wütend!“). Damit haben wir einen Hinweis bekommen, dass Hundelaute mehr als ein Signal sein könnten. Einen Beweis haben wir allerdings noch nicht. Es ist gut möglich, dass Hunde lediglich gelernt haben, Signale zu unterscheiden und verschiedenen Situationen zuzuordnen. Über eine Sprache verfügen sie damit nicht.
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Denn unsere menschliche Sprache ermöglicht uns den Austausch über komplizierte Sachverhalte, ohne dass unsere inneren Gefühlszustände eine Rolle spielen. Wir können über Liebeskummer ebenso wie über Mathematik sprechen. Wir sind in der Lage, uns darüber zu unterhalten, dass wir in der Vergangenheit wütend waren und Angst hatten, als Einbrecher ins Haus eindrangen. Wir können das, auch wenn die konkrete Situation bereits sehr lange her ist und die eigentlichen Gefühle längst verflogen sind. Gleichermaßen können wir Menschen unsere Gefühle unterdrücken, wenn wir uns über möglicherweise belastende Dinge unterhalten. Wichtig daran ist, dass menschliche Sprache unabhängig von inneren Zuständen funktioniert. Darin besteht die Besonderheit menschlicher Sprache im Unterschied zum Hundegebell. Vielleicht aber hat es zwischen Mensch und Hund eine besondere Anpassung in diesem Bereich gegeben. Um das herauszufinden, nutzten ungarische Wissenschaftler aus Budapest eine für die Hundeforschung neue Technologie, die Magnetresonanztomografie. Mit dieser Technologie ist es möglich, die Gehirnaktivität (nicht nur) von Hunden zu untersuchen, ohne die Tiere durch invasive Eingriffe zu verletzen. Für die Studie wurden Hunde darauf trainiert, für eine gewisse Zeit vollständig ruhig dazuliegen. Während des Versuchs wurden ihnen im Magnetresonanztomografen unterschiedliche Geräusche vorgespielt. Auf diese Weise wollten die Wissenschaftler zunächst herausfinden, ob es im Hundehirn bestimmte Orte gibt, die ganz speziell auf menschliche Stimmen reagieren. Dazu wurden den Hunden unterschiedliche Geräusche vorgespielt, stimmlichen und nicht-stimmliche. Die Gehirnaktivitäten der Hunde zeigten deutlich, dass es einige Bereiche gibt, die besonders auf menschliche Stimmen reagieren. Diese Bereiche werden jedoch nicht ausschließlich durch menschliche Sprache aktiviert, so wie im menschlichen Gehirn, sondern durch menschliche Laute. Anders als Menschen verfügen Hunde offensichtlich nicht über Hirnregionen, die ganz gezielt auf menschliche Sprache reagieren. Deshalb geht man derzeit davon aus, dass sich das Hundegehirn nicht direkt an die menschliche Sprache angepasst hat.
Warum bellen Hunde überhaupt? Es ist durchaus bemerkenswert, welche Vielzahl von Lautäußerungen den Hunden zur Verfügung steht. Deshalb gibt es Wissenschaftler, die argumentieren, dass sich die große Bandbreite von Lautäußerungen beim
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Hund entwickelt hat, weil dieser schon so lange mit Menschen zusammen lebt. Lautäußerungen wären demnach eine Anpassung des Hundes an das Zusammenleben mit dem Menschen. Vielleicht entwickelten sich manche Laute sogar extra dafür, um mit Menschen zu kommunizieren? Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass es vor allem solche Anpassungsleistungen waren, die Hunde zu hervorragenden Gefährten für Menschen werden ließen. Vielleicht gehören die verschiedenen Arten des Hundebellens ja dazu? Wir haben es hier mit einem klassischen Henne-Ei-Problem zu tun. Was war zuerst da? Wir können getrost davon ausgehen, dass die menschliche Fähigkeit, verschiedene Bellarten zu unterscheiden, sich nicht erst im Zusammenleben mit Hunden entwickelt hat. Wenn man sich hier selbst testen möchte, so könnte man versuchen, ein aggressives Löwengebrüll von einem freundlichen Löwenknurren zu unterscheiden. Das wird meistens gut klappen. Ebenso wird jeder instinktiv erkennen können, ob eine Hauskatze vor Hunger verzweifelt miaut oder eine Kuh wohlig vor sich hinmuht, weil sie auf einer grünen Wiese steht. Kurz, es scheint eine angeborene menschliche Fähigkeit zu sein, manche Tierrufe zu unterscheiden und zu interpretieren. Es ist leicht vorstellbar, dass es im Verlauf der Evolution sehr von Vorteil war, ein aggressives von einem freundlichen Tier zu unterscheiden. Denn zu fliehen kostet immer wertvolle Energie. Bei jedem Tierlaut sofort auf einen Baum zu klettern, wäre eine sehr aufwendige Strategie. Sie würde viel Energie verbrauchen, die dann für anderes nicht mehr verfügbar wäre, beispielsweise für die Aufzucht von Nachwuchs. Wer also abzuschätzen weiß, ob ein aggressives Tier vor sich hat oder ein friedliches, der spart Energie. Dass Menschen diesen evolutionären Vorteil genutzt haben, erscheint naheliegend. Menschen verfügten also sehr bereits früh über grundlegende Voraussetzungen, um Hunde zu verstehen. Für die weitere Entwicklung gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens könnte es sein, dass dem Urahn des Hundes, dem „Urwolf“, bereits eine Vielzahl von Lautäußerungen zur Verfügung stand, die weitgehend unverändert geblieben sind. Mit diesem Repertoire im Gepäck hat sich der Wolf allmählich an das gemeinsame Leben mit den Menschen angepasst. Das Repertoire hat sich in der weiteren Entwicklung kaum verändert. Dass die Möglichkeit ausscheidet, das haben wir bereits in Kap. 2 gesehen, in dem es darum ging wie der Hund zum Wolf wurde. Zweitens könnte es sein, dass Wölfe bereits über eine ganze Palette möglicher Lautäußerungen verfügten, dass aber die zukünftigen Hunde im Laufe ihres Zusammenlebens mit dem Menschen weitere neue Laute entwickelt haben. Diese zweite Annahme wird von Untersuchungen aus Kiel bestätigt,
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in denen Lautäußerungen von Hunden, mit denen von Wölfen verglichen wurden. Die Wissenschaftler stellten fest, dass Hunde unterschiedliche und vor allem weitaus mehr Lautäußerungen verwenden als Wölfe. Die größere Bandbreite könnte also eine direkte Anpassungsleistung darstellen. Beispielsweise ließe sich argumentieren, dass Hunde so viele verschiedene Lautäußerungen entwickelt haben, weil Menschen in der Lage sind, diese zu unterscheiden. Wenn Menschen lediglich in der Lage wären, zwei Laute zu unterscheiden, hätten sich beim Hund sicher nur zwei Laute entwickelt. Menschen verstehen jedoch, sinnbildlich gesprochen, ein ganzes Alphabet. Im Verlauf der Evolution hatten Hunde, die über eine größere Bandbreite an Lauten verfügten, vielleicht sogar einen Vorteil, weil sie besser verstanden wurden. Dieser Vorteil könnte vielleicht darin bestanden haben, dass sie mehr Mittel zur Verfügung hatten, unterschiedliche Bedürfnisse zu äußern. So konnten durch den Menschen auch mehr dieser Bedürfnisse befriedigt werden. Die entsprechenden Hunde überlebten dadurch besser, sie pflanzten sich häufiger fort, und bald gab es immer mehr Hunde, die ebenso viele Laute von sich geben konnten. Das Ergebnis dieser Entwicklung wäre der Hund, wie wir ihn heute kennen. Ein Tier mit einem großen Repertoire an unterschiedlichen Bellarten. Zusammenfassend können wir sagen, dass Hunde vielerlei Geräuschsignale aussenden, die von Menschen verstanden werden können. Diese Lautäußerungen sind aber mit menschlicher Sprache nicht vergleichbar, da sie nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht völlig losgelöst von inneren Gefühlszuständen zustande kommen.
Kommunikation durch Mimik Eine weitere Form der Kommunikation zwischen Mensch und Hund findet durch Mimik statt. Gemeint sind Gesichtsbewegungen, die in sozialen Situationen zusätzliche Signale darstellen und Information vermitteln. Wenn wir uns ein Hundegesicht anschauen, so fällt zunächst einmal auf, wie vielfältig Hundegesichter sind. Das hängt natürlich in erster Linie mit anatomischen Unterschieden zwischen Rassen zusammen. Manche Hunde haben lange Schnauzen, andere kurze. Manche haben große Augen, andere kleinere. Manche Hunde haben langes Fell, andere kurzes. Aber allen Hunden gleich ist, dass sie ihr Gesicht bewegen, über eine Mimik verfügen. Die wissenschaftliche Erforschung von Hundemimik aber steht vor einem Problem. Viele Jahre lang erfolgte die Betrachtung von Gesichtsbewegungen des Hundes durch subjektive Beobachtung. Forscher widmeten
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sich den Gesichtsbewegungen des Hundes und interpretierten das, was sie sahen, durch eine vermenschlichte Brille. Das muss nicht verwundern. Wenn Menschen die Mimik anderer Menschen sehen, dann können sie gar nicht anders, als emotionalen Ausdrücke in menschlichen Kategorien zu verstehen. Wenn wir einen Menschen betrachten, der seine Mundwinkel nach oben zieht und lächelt, dann verstehen wir ihn als glücklich oder zumindest fröhlich. Sehen wir einen Menschen mit zusammengezogenen Augenbrauen, dann glauben wir, dass derjenige nachdenklich ist. Das ist auch überhaupt kein Problem. Denn wir werden mit unseren Vermutungen in den meisten Fällen richtig liegen. Aber hilft uns das, Hunde zu verstehen? Bereits in den siebziger Jahren beschrieben der Psychologe Paul Ekman und sein Kollege Friesen insgesamt fünf Grundemotionen und die dazugehörigen Gesichtsausdrücke. Diese betrachtete er als universal. Universal heißt, jeder Mensch auf der Welt, unabhängig von seinem kulturellen Hintergrund, erkennt diese Ausdrücke und interpretiert sie etwa gleich. Diese universalen Gesichtsausdrücke sind Freude, Angst, Trauer, Ekel und Ärger. Wir bekommen aber ein Problem, wenn wir dieses menschliche System unkontrolliert auf andere Arten übertragen. Im Zweifelsfall können wir mit unseren Interpretationen richtig daneben liegen. Britische Wissenschaftler aus Lincoln stellten sich die Frage, warum Kinder so oft von Hunden ins Gesicht gebissen werden. Es stellte sich heraus, dass kleine Kinder Hunde oft umarmen wollen, selbst wenn diese mit ihrer Körpersprache ausdrücken, dass das gefährlich werden könnte. Die Wissenschaftler testeten eine Vermutung. Sie zeigten vier bis sechs Jahre alten Kindern Fotos von Hunden, die verschiedene Gesichtsausdrücke zeigten. Dann fragten sie die Kinder, welchen Hund sie gerne umarmen würden. Es stellte sich heraus, dass die Kinder besonders gerne den Hund umarmen wollten, der einen aggressiv knurrenden Ausdruck zeigte. Dieser Hund hatte seine Lefzen besonders weit nach hinten gezogen. Gefragt warum sie ausgerechnet diesen Hund umarmen wollten, antworteten die Kinder: „Weil der so glücklich lächelt.“ Das war natürlich eine gefährliche Fehlinterpretation. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie schwierig eine Interpretation von Hundemimik sein kann, wenn wir subjektiv vorgehen. Und auch einen weiteren Aspekt gilt es zu beachten. Das sind unsere unbewussten Präferenzen. Menschen haben eine deutliche Präferenz, die sie kaum bewusst wahrnehmen. Sie lieben möglichst kindliche Gesichtsausdrücke, sie lieben das sogenannte Kindchenschema. In einem Versuch zeigten amerikanische Wissenschaftler aus New York ihren Probanden Fotos von Hundegesichtern. Jeder Proband sah zwei Fotos nebeneinander. Auf beiden Fotos war das gleiche Hundegesicht abgebildet. Eines der Fotos
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war aber ganz leicht manipuliert, ein bestimmter Aspekt im Hundegesicht war verändert. Die Probanden sollten wählen, welches der beiden Fotos sie bevorzugten. Sie hatten dafür nur sehr wenig Zeit, weil sie eine unbewusste Entscheidung fällen sollten. Im Ergebnis waren die Präferenzen der Probanden eindeutig. So wählten sie beispielsweise bevorzugt das Foto in dem der Augenabstand des Hundes etwas erweitert wurde. Ein größerer Augenabstand lässt ein Gesicht runder erscheinen, ein klassisches Merkmal von Babygesichtern. Die Probanden wählten auch Fotos, in denen die Augen des Hundes etwas vergrößert wurden. Große, weit geöffnete Augen sind ein weiteres Merkmal von Babygesichtern. Kurz gesagt: Die Probanden trafen ihr Entscheidungen mit einer deutlichen Präferenz für dem Kindchenschema entsprechende Hundegesichter. Vielleicht erinnern Sie sich an die Studie britischer Wissenschaftler aus Portsmouth (siehe Kap. 2). Diese hatten gezeigt, dass solche Hunde einen deutlichen Vorteil haben, die ihre Augenbrauen häufig bewegen (Abb. 7.3). Für diese Studie analysierten die Forscher die Gesichtsbewegungen von Hunden. Dazu bedienten sie sich einer technischen Methode, dem sogenannten HundeFACS. Das ist eine Methode, bei der jedem Gesichtsmuskel eine Bewegung an der Oberfläche des Gesichtes zugeordnet wird. Gesichtsbewegungen werden durch Zahlen belegt und getrennt voneinander analysiert. Auf diese Weise wird eine subjektive Interpretation von Mimik verhindert und eine objektive Betrachtung ermöglicht. Die Methode basiert
Abb. 7.3 Hunde haben einen Augenmuskel, den Wölfe nicht haben und mit dem sie die Augenbrauen hoch- und zusammenziehen können, so, dass es für Menschen unwiderstehlich ist
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auf dem von Paul Ekman entwickelten MenschenFACS und folgt denselben Grundprinzipien. Die Frage, die sich Wissenschaftler nach diesem ersten Ergebnis stellten, war, ob Hunde vielleicht gelernt hatten, ihre Augenbrauen zu bewegen, um den Menschen zu manipulieren; ob Hunde die Augenbrauen bewusst einsetzen, um beispielsweise mehr Futter zu bekommen. Um dies herauszufinden, führten die Wissenschaftler eine weitere Studie durch. In dieser stellte sich ein Mensch einem angeleinten Hund gegenüber. Einmal stand der Mensch dem Hund zugewandt, ein andermal mit dem Rücken zu ihm. Dabei hielt der Mensch einmal Futter in der Hand, ein andermal nicht. Nun beobachteten die Wissenschaftler die Gesichtsbewegungen des Hundes. Sie sahen, dass die Hunde mehr Gesichtsbewegungen zeigten, wenn der Mensch ihnen zugewandt stand. Vor allem die Augenbrauen bewegten sich. Die Hunde setzten also ihre Gesichtsmuskeln vor allem dann ein, wenn der Mensch sie sehen konnte. Es spielte indes keine Rolle, ob der Mensch dabei Futter in der Hand hielt oder nicht. Es war also nicht so, dass Futter die Gesichtsbewegungen der Hunde verstärkt hätten. Wenn die Hunde gelernt hätten, die Augenbrauenbewegung bewusst einzusetzen, dann würde man doch erwarten, dass sie diese Bewegung noch verstärken sollten, sobald Futter im Spiel ist. Das war jedoch nicht der Fall. Wir gehen deshalb nicht davon aus, dass Hunde ihre Mimik bewusst einsetzen. Die Mimik aber gibt Hunden einen Selektionsvorteil. Im Verlauf der Evolution haben Menschen jene Hunde unbewusst bevorzugt, die die Augenbrauenbewegung häufiger zeigten. Um zu sehen, ob sich die Anatomie der Gesichtsmuskulatur von Hunden speziell für die Gesichtskommunikation mit Menschen verändert hat, verglichen britische Wissenschaftler aus Portsmouth die Gesichtsanatomie von Hunden mit der von Wölfen. Basierend auf den Präparationen von Hunde- und Wolfsköpfen wurde klar, dass die Gesichtsmuskulatur von Hunden und Wölfen identisch ist – mit Ausnahme eines Muskels: des Levator anguli oculi medialis. Dieser Muskel ist bei Hunden für das intensive Anheben der inneren Augenbraue verantwortlich. Wölfe besitzen ihn nicht. Er sorgt dafür, dass die Augenbrauenbewegungen von Hunden mit der höchsten Intensität produziert werde kann. Damit lässt sich eindeutig sagen, dass der Hundeblick ein Ergebnis der Selektion des Hundes nach unbewussten Präferenzen des Menschen ist. Nun könnten wir uns umgekehrt die Frage stellen, wie der Hund den Gesichtsausdruck des Menschen wahrnimmt und was er darüber versteht. Wissenschaftler aus Kyoto zeigten, dass Hunde sehr wohl das Gesicht ihres Besitzers erkennen. Um das zu beweisen, wurden den Hunden Fotos von
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den Gesichtern ihrer Besitzer gezeigt sowie Fotos von Gesichtern fremder Personen. Gleichzeitig wurde ihnen die Stimme des Besitzers von einem Tonband vorgespielt oder die Stimme einer fremden Person. Die Hunde sahen nun manchmal die Gesichter ihrer Besitzer und hörten deren Stimme oder sie sahen den Besitzer, hörten aber die Stimme der fremden Person usw. Wenn Stimme und Gesicht übereinstimmten, dann schauten die Hunde kürzer auf die Fotos. Die Wissenschaftler folgerten daraus, dass die Hunde sehr wohl wahrnahmen, dass Stimme und Gesicht nicht zusammengehörten und dass sie dann länger auf das Foto schauten, um mehr Information zu erhalten. Dass Hunde die Gesichter ihrer Besitzer von Gesichtern fremder Personen unterscheiden können, zeigte auch eine Studie aus Wien. Die Wissenschaftler zeigten ihnen gleichfalls Fotos ihrer Besitzer im Vergleich zu fremden Personen. Die Hunde erkannten sogar die Gesichter ihrer Besitzer, wenn diese auf den inneren Umriss reduziert waren, wenn also Haare und Ohren mit einem Tuch bedeckt waren. Hunde nehmen zudem die Gesichtsbewegungen des Menschen wahr. Sie unterscheiden lächelnde Gesichter von neutralen, glückliche von angeekelten. In einer Studie britischer Wissenschaftler aus Lincoln wurden Hundegesichter oder Menschengesichter gezeigt. Den Hunden wurden jeweils zwei Fotos präsentiert, die beide verschiedene Ausdrücke zeigten: entweder glücklich/verspielt oder wütend/aggressiv. Gleichzeitig wurden den Tieren Laute derselben Person oder desselben Hundes mit positivem oder negativem Ausdruck vorgespielt oder ein neutrales Rauschen. Es stellte sich heraus, dass die Hunde länger auf das Gesicht sahen, dessen Ausdruck zu der Lauten passte, die sie gleichzeitig hörten. Dabei war es ganz gleich, ob auf den Fotos ihre Artgenossen oder Menschen abgebildet waren. Diese Ergebnisse zeigen, dass Hunde wichtige Informationen über die Gefühle eines Gegenübers sowohl aus den Lauten als auch aus dem Gesichtsausdruck gewinnen. Sie unterscheiden dabei zwischen positiven und negativen Ausdrücken. Hunde achten also auf den Gesichtsausdruck von Menschen und unterscheiden verschiedene Gesichtsausdrücke. Aber heißt das nun, dass Hunde Emotionen des Menschen erkennen und lesen können? Emotionen zu erkennen, hieße, der Hund würde innere Zustände des Menschen interpretieren oder sie in Betracht ziehen. Aber tun Hunde das wirklich? Die Alternative ist, dass Hunde lernen, bestimmte Gesichtsbewegungen mit einem bestimmten Kontext zu assoziieren. Wenn Hunde beispielsweise ein lächelndes Gesicht sehen, könnten sie einfach gelernt haben, diese mit etwas Gutem zu assoziieren. Ganz nach dem Motto: „Das ist das Gesicht,
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das mein Besitzer macht, wenn etwas Gutes passiert.“ Es wird die Arbeit der Wissenschaftler sein zu versuchen, beides voneinander zu unterscheiden. Einen kleinen Hinweis, welche Erklärung die richtige sein könnte, gibt es vielleicht schon. Unterscheidungen zwischen Gesichtsausdrücken fallen Hunden in fast allen Studien leichter, wenn das Gesicht auf dem Foto das Gesicht ihres Besitzers ist. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um eine gelernte Unterscheidung handelt. Und die Möglichkeiten, es am Gesicht des eigenen Besitzers zu lernen, waren für die Hunde einfach größer.
Rico Einer Forschergruppe in Leipzig fiel im Jahr 2002 ein Hund auf, von dem es hieß, er könne eine Vielzahl von Spielzeugen am Namen unterscheiden. Rico, ein Border Collie, trat in der Fernsehsendung „Wetten Dass“ auf. Seine Besitzer wetteten, ihm würden bei der Suche nach dem richtigen Spielzeug höchstens drei Fehler unterlaufen. „Rico, wo ist denn der BVB?“ Auf der Suche nach dem BVB durchstöberte Rico sorgfältig seine Spielzeuge. Etwa 80 davon waren im Kreis um seine Besitzerin ausgelegt. Es dauert nur kurze Zeit, da hatte er das richtige gefunden. Der BVB, ein schwarz gelber Ball, wurde von Rico richtig identifiziert und zu seiner Besitzerin gebracht. „Und wo ist der Joschka?“ wurde er erneut losgeschickt und wieder dauerte es nicht lang bis er die richtige Wahl getroffen hatte. So ging das Minuten lang und wenn es nach Rico gegangen wäre, hätte es auch Stunden so weiter gehen können. Rico schien in der Lage, diese vielen verschiedenen Gegenständen am Namen auseinander zu halten. Aber konnte er das wirklich? Oder steckte vielleicht etwas anderes hinter seinem Verhalten? Rico damals im Fernsehen bei seiner Arbeit zu sehen, ließ zunächst folgende Frage aufkommen. Es konnte sein, dass es sich bei Rico um einen „klugen Hans“ der Hundewelt handelte. Der kluge Hans war ein Pferd, welches am Anfang des 20ten Jahrhunderts lebte und von dem es hieß, es könne rechnen. Sein Besitzer, Herr von Osten, hatte das Pferd trainiert und festgestellt, dass es in der Lage war einfache Rechenoperationen zu lösen. Das Ergebnis von 2 + 4 signalisierte das Pferd z. B. indem es sechsmal mit dem Vorderhuf über den Boden scharrte. Menschen in der ganzen Welt wurden auf die Fähigkeiten des besonderen Pferdes aufmerksam, und sehr bald beschäftigten sich auch namhafte Wissenschaftler mit dem Phänomen. Immer wieder wurden dem Pferd Rechenaufgaben gegeben und immer wieder war das Pferd in der Lage diese zu lösen. Im Jahr 1904 war es dann
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der Psychologe Oskar Pfungst, der – auf das Pferd aufmerksam geworden, Studien mit ihm durchführte. Sein erster Verdacht war, dass Hans nicht wirklich die Rechenaufgaben löste, sondern stattdessen kleine Hilfestellungen aus seiner Umgebung nutzte. Um dieser Frage nachzugehen war der erste Schritt, Hans diese Hilfestellungen zu nehmen. Herr Pfungst wollte so heraus finden, ob das Pferd dann nach wie vor die Aufgaben lösen konnte. Der Wissenschaftler konstruierte zu diesem Zweck eine besondere Art Scheuklappen, die es verhinderte, dass der kluge Hans seinen Besitzer oder einen anderen Menschen in der Umgebung sehen konnte, während die Aufgabe gestellt wurde. Trug Hans diese Scheuklappen, so konnte er keine der gestellten Aufgaben lösen. Nun scharrte er beliebig lange, egal welche Rechenaufgabe gestellt war. Nahm man die Scheuklappen wieder ab, so änderte sich das und die Fähigkeiten des Tieres kehrten zurück. Es brauchte die Anwesenheit von Menschen, die die Lösung der Aufgabe kannten, damit das Pferd seine außergewöhnlichen Rechenfähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Und nicht nur das, Hans musste die ihn umgebenden Menschen auch sehen können. Eine nähere Untersuchung dieses Zusammenhangs ergab, dass Hans eine bemerkenswerte Sensibilität für Hinweise entwickelt hatte, die Menschen in seiner Umgebung unbewusst aussendeten. So drehten manche Menschen ein wenig den Kopf, sobald das Pferd mit seinem Hufscharren die richtige Lösung erreicht hatte. Andere hielten vielleicht die Luft an, und dies war für Hans das Signal mit dem Scharren aufzuhören. Unbewusst waren es also die Menschen, die die Rechenaufgabe lösten und nicht das Pferd. Die Tatsache, dass das Pferd an dieser Stelle eine außergewöhnliche und an sich bemerkenswerte Sensibilität bewies, wurde in der Folge oft vergessen. Dieser Fall ging von nun an in die Lehrbücher ein – als ein Negativbeispiel für die Überbewertung eines mit einfachen Mitteln zu erklärenden Phänomens. War der Border Collie Rico nun einfach ein kluger Hans der Hundewelt? War er vielleicht besonders sensibel für gestische Hinweise, die von seiner Besitzerin ausgingen und die ihm halfen den richtigen Gegenstand zu suchen? Oder war er wirklich in der Lage aus der Erinnerung, die Namen den zahlreichen Gegenständen zuzuordnen? Um dies festzustellen führten Wissenschaftler aus Leipzig einen einfachen Test durch (Abb. 7.4a, b). Sie stellten die Frage, ob Rico auch noch in der Lage sein würde, die Gegenstände am Namen zu unterscheiden, wenn niemand mit ihm im selben Raum war, während er die Spielzeuge durchsuchte. Wenn Rico niemanden sehen konnte, während er suchte, hatte er keine Möglichkeit unbewusste Hilfestellungen zu nutzen. Die Wissenschaftler verteilten also Ricos Spielzeuge in einem von mehreren Räumen in der Wohnung,
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Abb. 7.4 Einige Hunde können Spielzeuge am Namen unterscheiden. apportieren die korrekten Gegenstände auf Befehl, z. B.: „Bring die Ente!“
Sie
in der er mit seinen Besitzern lebte. Die Besitzerin befand sich in einem anderen Raum. Wenn Rico in den Raum lief, in dem sich die Spielzeuge befanden, konnte er keinen Menschen sehen, während er suchte. Ebenso konnte ihn niemand bei der Suche beobachten. Es hieß Rico könne 200 Spielzeuge unterscheiden. Um dies zu untersuchen, wurden alle Spielzeuge zufällig in Gruppen von je 10 Spielzeugen aufgeteilt und aus jeder Gruppe wurden zwei abgefragt. Ricos Besitzerin gab ihm also den Befehl, eines der Spielzeuge aus dem benachbarten Raum zu holen. Rico rannte los, durchsuchte die Wohnung und kam mit dem richtigen Spielzeug zurück. Am Ende dieser Untersuchung hatte Rico nur drei Fehler gemacht. Damit war
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erwiesen, dass es sich bei ihm nicht um einen „klugen Hans“ handelte. Rico war in der Lage seine zweihundert verschiedenen Spielzeuge am Namen zu unterscheiden, selbst wenn er keinerlei Hilfestellung bekam. Rico war kein Einzelfall in der Tierwelt. Es gibt Individuen verschiedener Tierarten, die zu echten Berühmtheiten der Wissenschaft geworden sind. Der Bonobo Kanzi ist z. B. ein solcher Fall. Kanzi ist in der Lage, über zweihundert abstrakten Symbolen (sogenannten Lexigrammen) Begriffe zuzuordnen. Darunter befinden sich Namen für Dinge wie Joghurt, Marmelade, Kokosnuss und Rucksack. Aber Kanzi kennt auch Begriffe wie Fluß, kleiner Finger, Beobachtungsraum und Fußboden. Unter den Lexigrammen, die der Bonobo benutzen kann, gibt es auch welche, die für Verben stehen, wie z. B. tragen, suchen und haben. Um mit seiner Betreuerin zu kommunizieren, drückt Kanzi auf einer Tastatur eines der Lexigramm-Symbole. So kann er mitteilen, wenn er z. B. Joghurt haben will oder eine Kokosnuss. Er drückt dann das Lexigramm für „Joghurt“ und das Lexigramm für „haben“. Eine andere Berühmtheit war der Graupapagei Alex. Alex war in der Lage menschliche Lautäußerungen zu produzieren, also zu „sprechen“. Diese menschlichen Lautäußerungen nutzte er im richtigen Zusammenhang. Sein „Vokabular“ belief sich auf weit über 100 Begriffe. Darunter waren Zahlen, Verben – wie weggehen oder wollen und Begriffe für verschiedenste Objekte – wie Papier, Mais oder Schlüssel. Daraus konnte der Papagei sogar Wortkombinationen bilden wie „will Mais“ oder „will weggehen“.
Verständnis von Sprache Heißt das nun, dass Rico, Alex und Kanzi menschliche Sprache verstehen? Dass Rico, weil er gesprochene Wörter nutzen kann um Spielzeuge zu unterscheiden, verstand was Menschen sagen? Wenn wir uns mit dem Verständnis von Sprache befassen, dann sind zwei Ebenen von Interesse. Zum einen: wie sprechen Menschen eigentlich mit Hunden? Gibt es in der Art wie Menschen mit Hunden kommunizieren irgendwelche besonderen Merkmale? Und zum anderen: was versteht der Hund über das Gesagte. In einer Untersuchung in Eastern Kentucky, USA wurde herausgefunden, dass Menschen mit Hunden ganz ähnlich sprechen wie mit kleinen Kindern. Man nutzt im Umgang mit seinem Hund die sogenannte Babysprache. Diese ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass in höherer Stimmlage gesprochen wird. Außerdem wird vereinfacht gesprochen, in kürzeren Sätzen und unter Verwendung von Wiederholungen.
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Die Wissenschaftler schließen aus der Tatsache, dass Menschen dazu neigen mit Hunden in Babysprache zu sprechen, dass diese ähnliche Funktion erfüllt wie bei Kindern auch. Babysprache soll Freundlichkeit und Zuwendung signalisieren. Dies dient dazu die Bindung zu dem Gegenüber zu erhöhen und eine Vertrauensbasis zu schaffen. Dies lässt sich gut auf die Kommunikation zwischen Mensch und Hund übertragen. Für die erfolgreiche Mensch-Hund Beziehung ist eine gute Vertrauensbasis eine wichtige Grundvorrausetzung. Dass Babysprache diese Funktion im Umgang mit dem Hund hat, weist eine weitere Studie dieser Forschergruppe nach. Sie zeigt, dass mit fremden Hunden anders gesprochen wird als mit dem eigenen. Der fremde Hund wird von den Menschen mehr gelobt als der eigene, und es wird in längeren Sätzen zu ihm gesprochen. Die Personen reden in höherer Stimmlage und verwenden insgesamt mehr Babysprache, als im Umgang mit dem eigenen Hund. Dies, so vermuten die Wissenschaftler, dient dazu für den fremden Hund freundlicher zu wirken und ihn zu beschwichtigen. Es diente auch dazu, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Es ist ein deutliches Beispiel dafür, dass sich bestimmte Funktionen der Babysprache auf den Hund anwenden lassen. Die Babysprache hat aber auch noch eine andere, wichtige Funktion. Sie soll die Aufmerksamkeit des Gegenübers steigern. Eine Studie aus Sussex zeigte, dass Hunde auf Fotos eines Menschen besonders achten, wenn gleichzeitig eine Stimme in hoher Stimmlage zu hören ist. Dies ist auch schon bei Hundewelpen der Fall und führt zu der Annahme, dass diese Aufmerksamkeit für hohe Stimmlagen des Menschen bei Hunden angeboren sein könnte. Babysprache hilft besonders dann, wenn dem Gegenüber etwas beigebracht werden soll, z. B. ein neuer Begriff. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass sie besonders dann verwendet wird, wenn das Gegenüber nur eine begrenzte Möglichkeit hat, das Gesagte zu verstehen. Dieses trifft auf den Umgang mit Hunden genauso zu wie auf den Umgang mit kleinen Kindern. Die Tendenz von Menschen, in diesen Situationen Babysprache zu verwenden ist uns vermutlich angeboren. Sie hat sich entwickelt, um Kindern zu helfen, Sprache zu lernen. Dazu passt, dass Frauen im Umgang mit Kindern mehr Babysprache verwenden als Männer. Waren es doch in vielen Kulturen die Frauen, die die Kinder betreuten. Es sind ja wahrscheinlich auch eher die Frauen gewesen, die sich um die Hunde kümmerten (siehe Kap. 2). Vielleicht setzen deshalb Frauen im Umgang mit Hunden deutlich mehr Babysprache ein als Männer. Babysprache hilft beim Spracherwerb der Kinder. Aber soll sie diese Funktion auch bei dem Hund erfüllen? In diesem Zusammenhang ist es interessant sich die Unterschiede zwischen der Babysprache, die an Kinder
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gerichtet ist und der Babysprache, die an Hunde gerichtet, ist genauer anzusehen. Mit den Kindern wird erklärend gesprochen. In relativ langen Sätzen und ohne viele Wortwiederholungen. Dies entspricht also dem Schema, das man erwartet, wenn man davon ausgeht, dass die Babysprache bei dem Spracherwerb helfen soll. Im Gegensatz dazu wird mit Hunden in kurzen Sätzen gesprochen. Außerdem nutzen Menschen eher einen Befehlston als einen erklärenden Ton. Es werden auch oft Worte oder ganze Sätze wiederholt. Hilfe beim Spracherwerb ist demnach keine direkte Funktion, die Babysprache im Umgang mit dem Hund erfüllen soll. Wir sprechen mit Hunden ähnlich wie mit Kindern, aber was kommt bei dem Hund davon an? Versteht der Hund was wir sagen? Und welcher Teil des Gesagten spielt für den Hund eine Rolle? Bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigten sich Leipziger Forscher mit dieser Frage. Hierzu wurde ein Hund trainiert sich auf den Befehl „Sitz“ zuverlässig hinzusetzen. Dann wurde der Befehl abgewandelt und aus „Sitz“ wurde „Fitz“ oder „Sinn“. Es zeigte sich, dass der getestete Hund deutlich schlechter auf alle abgewandelten Kommandos reagierte. Derselben Idee folgten Wissenschaftler aus London. Sie untersuchten nun jedoch eine große Gruppe von Hunden. Hier zeigte sich ebenfalls, dass die Hunde auf abgewandelte Formen von Befehlen für „Sitz“ oder „Komm“ schlechter reagierten als auf das originale Kommando. Wenn aus „Sitz“ z. B. „Chitz“ wurde so setzen sich die Hunde deutlich seltener hin. Hier spielten noch weitere Faktoren eine Rolle. Für die Hunde waren zwei Umstände besonders wichtig. Sie mussten die Möglichkeit haben, die originale Stimme ihrer Besitzer zu hören. Wenn die Stimme von einem Tonband abgespielt wurde, bekamen die Hunde Schwierigkeiten. Besonders problematisch wurden es interessanter Weise dann, wenn die Hunde in dieser Situation keine Möglichkeit hatten, die Augen ihrer Besitzer zu sehen. Wenn also die Augen mit einer Sonnenbrille verdeckt waren und die Stimme des Besitzers außerdem von einem Tonband kam, folgten die Hunde dem Befehl nicht. Vielleicht ist es so, dass die Hunde sich, wenn die Stimme des Besitzers von einem Tonband kommt, zumindest an der Mimik des Herrchens oder Frauchens orientieren können. Daher haben sie besondere Schwierigkeiten, wenn ihnen diese Möglichkeit genommen wird. Wie aufmerksam die Hunde in die Augen ihres Besitzers blicken, wurde ja in Kap. 3 bereits besprochen. Hier zeigt sich noch einmal wie wichtig die Mimik des Besitzers für die Hunde ist, wenn sie verunsichert sind. Kommt die Stimme des Besitzers nicht von einem Tonband und der verunsichernde Umstand fehlt, dann ist es den Hunden egal, ob sie die Augen des Besitzers sehen können. Sie folgen dem Befehl, ob der Besitzer eine Sonnenbrille trägt oder nicht.
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Kleine Veränderungen in den Befehlen, haben einen Einfluss auf die Reaktion des Hundes. Wenn die äußeren Umstände stimmen, scheinen Hunde aber sehr genau hinzuhören. Dies erklärt, warum Rico z. B. sogar Begriffe wie „Joschka“ und „Oscar“ unterscheiden konnte. Jedoch bekam er auch manchmal Probleme, wenn Wörter sich zu sehr ähnelten. So verwechselte er manchmal Begriffe wie „handy“ und „wendy“. Dies kam jedoch selten vor, und Rico war in der Lage eine bemerkenswert große Zahl von Spielzeug en am Namen zu unterscheiden.
Neue Begriffe lernen Eine Frage, die die Forscher in Leipzig nun besonders interessierte war, wie Rico neue Begriffe für neue Objekte lernen konnte. Die Forscher wollten wissen, ob Rico in der Lage war, Begriffe auf eine Art zu lernen, von der man bisher annahm, dass nur Menschen sie beherrschten. Ein besonderes Merkmal beim Spracherwerb ist ja, dass Kinder in einer beeindruckenden Geschwindigkeit lernen. Kinder in einem Alter von zwei Jahren lernen bis zu zehn neue Begriffe täglich. Wenn Rico neue Namen lernte, so sagten seine Besitzer, dann reichte es aus, den Begriff ein bis zweimal zu wiederholen. Man hielt den Gegenstand vor ihm hoch, nannte den neuen Namen und schon konnte er das neue vom alten Spielzeug unterscheiden. Wenn Kinder neue Begriffe lernen, dann sind sie nicht nur in der Lage sich schnell neues zu merken, sie nutzen auch besondere Lernmechanismen, die ihnen den schnellen Spracherwerb vereinfachen. So können sie z. B. neue Begriffe indirekt zu erfassen. Nehmen wir an ein Kind kennt den Begriff „blau“ bereits und es bekommt einen blauen und einen olivgrünen Gegenstand gezeigt. Nun bittet man das Kind den „olivgrünen“ Gegenstand zu holen und nicht den blauen. Dreijährige Kinder sind in der Lage zu verstehen, dass der Begriff „olivgrünen“ für den grünen und nicht für den blauen Gegenstand stehen muss. Sie können also ein Ausschlussverfahren anwenden, um so der unbekannten Farbe den neuen Begriff zuzuordnen. Aber nicht nur das. Unter Anwendung dieses Ausschlussverfahrens lernen sie auch, dass diese Farbe wohl „olivgrün“ genannt wird. Mit dieser Methode können Kinder sehr schnell viele neue Begriffe erfassen. Die Leipziger Wissenschaftler, die sich mit Rico beschäftigten, stellten sich nun die Frage, ob Rico möglicherweise einen ähnlichen Mechanismus anwenden konnte, um neue Begriffe zu lernen (Abb. 7.5). Sie wollten untersuchen, wie schnell und unter welchen Bedingungen Rico die Namen für
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seine Spielzeuge lernte. Außerdem wollten sie heraus finden, wie flexibel Rico mit seinem „Wissen“ umgehen konnte. Also legten sie erneut ein paar von Ricos bekannten Spielzeugen in einen Raum, aber nun mischten sie ein Spielzeug darunter, welches Rico noch nie zuvor gesehen hatte. Zunächst wurde Rico von seiner Besitzerin aufgefordert eins oder zwei der bekannten Spielzeuge zu bringen. Die Forscher wollten so ausschließen, dass Rico einfach aus Freude über das neue Spielzeug, dieses gleich als erstes bringt. Dann wäre nicht klar, ob er wirklich versteht, dass das neue Wort für den neuen Gegenstand steht. Nachdem Rico also einen oder zwei der bekannten Gegenstände gebracht hatte, gab es erneut einen Suchbefehl. Nun verwendete die Besitzerin ein Wort welches Rico im Zusammenhang mit Spielzeug noch nie gehört hatte, wie z. B. „Frühling“. Mit diesem neuen Namen konfrontiert, wählte Rico aus allen Spielzeugen das neue aus. Um sicher zu gehen, dass es sich bei Ricos Verhalten nicht nur um einen einmaligen Zufall handelt, wurde dieser Versuch zehnmal wiederholt. Jedes mal wurde ein anderes fremdes Spielzeug unter eine Menge bekannter Spielzeuge gemischt. Rico brachte in sieben von zehn Fällen das neue Spielzeug, wenn der neue Name verwendet wurde. Also war es kein Zufall. Rico war in der Lage, über Ausschlussverfahren einen neuen Namen einem neuen Spielzeug zuzuordnen. Die Frage, die sich anschloss, war nun, ob Rico über dieses Ausschlussverfahren die neuen Namen für die neuen Spielzeuge auch gelernt hatte. Um dies zu überprüfen wurden Rico die neu eingeführten Spielzeuge zunächst für vier Wochen vorenthalten. Ein weiterer Test sollte nach dieser Zeit zeigen, ob Rico sich nach wie vor an die Namen für die neuen Spielzeuge erinnerte. Dazu wurden erneut verschiedene Spielzeuge in einem
Abb. 7.5 Rico lernte den neuen Begriff im Ausschlussverfahren
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der Zimmer der Wohnung versteckt. Vier Spielzeuge, die Rico bekannt waren, vier Spielzeuge, die Rico völlig unbekannt waren und das eine Spielzeug, dessen Namen Rico vor vier Wochen durch Ausschlussverfahren gelernt hatte. Auch nach diesen vier Wochen erkannte Rico drei der sechs präsentierten Spielzeuge nach wie vor richtig. Die ist statistisch gesehen allerdings eine zufällige Erfolgsquote. Also nichts gelernt? Stellte man Rico die oben beschrieben Aufgabe bereits zehn Minuten nach der erstmaligen Zuordnung des neuen Namens, so erkannte er vier der sechs präsentierten Spielzeuge richtig. Dies ist statistisch gesehen kein Zufall mehr. Rico ordnete also nicht nur neue Begriffe neuen Gegenständen zu, er lernte diese neuen Begriffe auch während er dies tat. Diese Art des Lernens nennt man schnelles Zuordnen. Wie bereits erwähnt, hatte man angenommen dies sei einer der Lernmechanismen, den ausschließlich Menschen nutzen, wenn sie neue Begriffe lernen. Da Rico ebenfalls in der Lage war, auf diese Art neue Begriffe zu lernen, kann das nicht stimmen. Hier gibt es also eine unerwartete Gemeinsamkeit zwischen Hund und Mensch. Aber heißt das nun, dass Rico alles verstand, was man sagt? Dass er, obwohl er nicht sprechen konnte, zumindest gelernt hatte zu verstehen? So einfach ist es sicher nicht. Rico schien eine Regel verstanden zu haben. Die Regel lautete, dass Spielzeuge Namen haben. Diese Regel ermöglichte es ihm das Ausschlussverfahren anzuwenden. Jedoch konnten sich Ricos Besitzer weiterhin frei über den am nächsten Tag geplanten Tierarztbesuch unterhalten, ohne dass sich ihr Hund ängstlich unter dem nächsten Tisch verkroch. Auch ein Gespräch über die im Wohnzimmer versteckten Leckerchen konnte Rico nicht dazu verleiten sofort auf die Suche zu gehen.
Ricos Fähigkeiten hinterfragt Es gibt Wissenschaftler, die sich mit dem Wortlernen von Kindern beschäftigen und die sagen, dass Ricos Fähigkeiten nicht wirklich mit dem Wortlernen von Kindern zu vergleichen wären. Da ist zum einen die Frage, ob es immer die Besitzerin sein musste, die die Suchbefehle gab. Dies könnte dann ein Hinweis darauf sein, dass Ricos Verständnis von der Situation nicht sehr flexibel war. Dass es immer die gleiche Stimme, also der gleiche Reiz sein musste, damit er seine Leistung zeigen konnte. Dies war jedoch nicht der Fall. Jeder konnte Rico fragen. Auch Sie hätten fragen können und er hätte den richtigen Gegenstand apportiert. Die Besitzerin konnte sogar ihre Stimme verstellen und ohne Schwierigkeiten konnte ihr
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Hund die Spielzeuge unterscheiden. Dahin gehend war Ricos Fähigkeit sehr flexibel. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob Rico wirklich den neuen Namen mit dem neuen Objekt unter Anwendung des Ausschlussverfahrens verknüpfte. Kritiker sagen, es könnte sein, dass Rico nicht wirklich verstand, dass „Frühling“ für das neue Objekt steht. Dass er also nicht aus einem Verständnis für die Beziehung zwischen dem neuen Begriff und dem neuen Objekt heraus das neue Objekt brachte. Es könnte sein, dass er es einfach kaum abwarten konnte, endlich das Neue zu nehmen. Der neue Begriff wäre in diesem Fall möglicherweise einfach wie ein Loslassbefehl. Endlich durfte er tun, was er wollte, er durfte das neue Spielzeug holen. Aber wenn dies der Fall gewesen wäre, wie lernte Rico die neuen Begriffe dann? „Frühling“ wurde als Wort nicht wiederholt, sobald Rico mit dem Spielzeug bei seiner Besitzerin angekommen war. Der einzige Moment in er den neuen Gegenstand mit dem neuen Namen verknüpfen konnte, war der Moment, in dem er es aus den anderen auswählte. Dies bedeutet aber auch, dass er nicht einfach auf einen „Loslassbefehl“ reagierte. Rico musste eine Vorstellung gehabt haben, welches Spielzeug „Frühling“ war. Alle anderen kannte er, es musste als das unbekannte sein. Ein letzter Diskussionspunkt war, ob Rico den Befehl „Bring den Gegenstand“ wirklich verstand. Dieser Satz beinhaltet das Verb bringen und den Namen für den Gegenstand auf den sich das Verb bezieht. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, ob Rico wirklich in der Lage war, die Bedeutung dieser Wörter zu verstehen und sie in Relation zueinander zu setzen. Wäre er z. B. auch in der Lage gewesen einen Gegenstand zu ziehen? Oder zu drücken? Wäre er vielleicht sogar in der Lage gewesen einen Satz wie „zieh das Pony und drück den Papagei“ zu verstehen und diese Handlungen nacheinander zu vollziehen? Hier hilft eine Studie, die kürzlich in Amerika mit einem anderen Supertalent, Chaser, durchgeführt wurde. Chaser ist eine vierjährige Border Collie Hündin, die unter kontrollierten Bedingungen bewies, dass sie 1022 Gegenstände am Namen unterscheiden kann. Das ist an sich schon außergewöhnlich. Jedoch beherrscht Chaser nicht nur Namen von Objekten, sie kann auch verschiedene Verben. Sie kennt den Befehl „Take“ (englisch für „Nimm“ – daraufhin nimmt sie einen Gegenstand ins Maul. Sie kennt jedoch auch den Befehl „Paw“ (englisch für „Pfote)“ – dann berührt sie den Gegenstand. Ebenso kennt sie den Befehl „Nose (englisch für Nase)“ – daraufhin berührt sie den Gegenstand mit der Nase. Sie ist in der Lage mit verschiedenen Objekten verschiedene Handlungen (also „Nimm“, „Pfote“ oder „Nase“) durchzuführen. Damit zeigt sie, dass sie
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beide Anteile, also das Verb und den Namen des Objektes als verschiedene Informationen interpretiert. Sie versteht, dass sich das jeweilige Verb auf den Gegenstand bezieht.
Ein Ausnahmetalent? Von Chaser lernen wir, dass Rico kein Ausnahmetalent war, kein wundersamer Einstein der Hundewelt. Ebenso zeigt eine Untersuchung, die von Leipziger Wissenschaftlern durchgeführt wurde, dass es neben Rico und Chaser noch mindestens zwei weitere Hunde gibt, die bis zu 300 Spielzeuge unterscheiden können. Dazu wurden sie unter den gleichen Bedingungen wie Rico und Chaser getestet. Ebenso wie diese zwei, zeigten sie entsprechende Fähigkeiten. Damit ist klar, dass auch andere Hunde, wenngleich nicht alle, über das Talent verfügen, eine große Anzahl an Gegenständen am Namen zu unterscheiden. Die Fähigkeit scheint auch bis zu einem gewissen Grad unabhängig von der Rasse des Hundes zu sein. Die wissenschaftliche Literatur beschreibt beispielsweise eine Yorkshire Terrier Hündin, die zweihundert Gegenstände am Namen unterscheiden konnte. Bei allen anderen Hunden, bei denen diese Fähigkeit bis jetzt wissenschaftlich untersucht wurde, handelt es sich jedoch interessanter Weise um Border Collies. Border Collies gelten unter Hundekennern als besonders kluge Hunde. Und obwohl sich diese Einschätzung hartnäckig hält, gibt es bislang eigentlich keine systematischen Untersuchungen, die dies in irgendeiner Form belegen. Könnte also die Tatsache, dass es sich bei den Hunden mit den beschriebenen Fähigkeiten bislang ausschließlich um Border Collies handelt, ein Beweis für die außergewöhnliche Klugheit dieser Rasse sein? Oder gibt es vielleicht für den Zusammenhang zwischen Rasse und den hier beschriebenen Fähigkeiten eine andere Erklärung? Border Collies sind Hütehunde, die speziell gezüchtet wurden eine Herde zum Schäfer zu führen. Es ist anzunehmen, dass sie deshalb ein angeborenes „Bring“ Verhalten zeigen. Border Collies haben also von Geburt an den angeborenen Drang zu bringen, also auch zu apportieren. Schauen wir uns nun die Aufgabe an, die Rico und die anderen Hunde so gut beherrschen, so ist klar, dass Hunde, die nicht apportieren, für diese Aufgabe nicht geeignet sind. Border Collies oder, allgemeiner formuliert, Hunde, die gerne Gegenstände apportieren sind im Gegensatz dazu bestens ausgerüstet. Wenn nun also ein Dackel an dieser an ihn gestellten Aufgabe scheitern würde, so müsste das keineswegs heißen, dass er diese Fähigkeit nicht vielleicht doch
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prinzipiell besitzt. Und ist ein Rhodesian Ridgeback nicht zum apportieren zu motivieren, wie soll ihm dann der prinzipielle Ablauf dieser Studie vermittelt werden? Neben der Tatsache, dass Border Collies angeborenes Apportierverhalten zeigen, gelten sie auch als hochmotivierte Arbeitshunde. Dies macht Border Collies zu einer anspruchsvollen Rasse, die nur bedingt als Familienhund geeignet ist. Diese Hunde müssen in besonderer Weise gefördert werden. Sie sind nur unter der Voraussetzung in den normalen Familienalltag zu integrieren, dass die Besitzer bereit sind diesem hohen Anspruche Rechnung zu tragen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Hunde aus einer Zuchtlinie stammen, die speziell zur Arbeit gezüchtet wurden. Border Collies sind also Hunde, die gerne apportieren und zudem hoch motiviert sind. Bei der Frage nach den Fähigkeiten eines bestimmten Hundes in einer bestimmten Situation spielt also die Rasse des Hundes und damit angeborene Verhaltensmuster unweigerlich eine Rolle. Eine andere Frage, die Leipziger Wissenschaftler interessierte, war, wie flexibel das Kommunikations-Verständnis dieser Border Collies ist. Es ist offensichtlich, dass diese Hunde die ihnen vorgestellten Objekte an deren Namen und damit an einem hörbaren Signal unterscheiden können. Was aber passiert, wenn man den Hunden statt eines hörbaren ein visuelles Signal präsentiert, beispielsweise ein Symbol (Abb. 7.6a, b). Werden die Hunde dann auch in der Lage sein, das richtige Objekt zu finden? Um dies herauszufinden, konfrontierten die Wissenschaftler drei Border Collies mit der folgenden Situation: den Hunden wurden acht ihnen bekannte Objekte in einem Raum bereitgelegt. Da die Hunde in einem benachbarten Raum warteten, wussten sie nicht, welche Objekte sich wo befanden. Sie bekamen nun von ihrem Besitzer ein visuelles Signal dafür, welches Objekt sie apportieren sollten. Anstatt den Namen des Objektes laut zu sagen, hielten die Besitzer eine exakte Kopie des Gegenstandes, der gebracht werden sollte, vor die Augen des Hundes und sagten: „Bring dies!“ Alle drei Border Collies wussten sofort, was was von ihnen erwartet wurde. Sie identifizierten im Nachbarraum das richtige Objekt und brachten es zum Besitzer. Im Anschluss erschwerten die Wissenschaftler die Situation. Sie ließen den Besitzer anstatt einer exakten Kopie des Gegenstandes lediglich eine sehr viel kleinere Miniatur präsentieren. Dies sollte zeigen, ob die Hunde auch mit einem abstrakteren Hinweis etwas anzufangen wussten. Auch hier hatten die Border Collies keine Schwierigkeiten, den geforderten Gegenstand zu identifizieren. In einer weiteren Testvariante präsentierten die Besitzer lediglich ein Foto des gesuchten Gegenstandes in Originalgröße. Und plötzlich war nur noch einer der drei Border Collies erfolgreich. Die anderen beiden
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Abb. 7.6 Die sprachtrainierten Border Collies sehen ein Modell des bekannten Spielzeuges und bekommen das neue Kommando: „Bring das!“. Sie bringen daraufhin das Original
wussten mit diesem Hinweis nichts anzufangen und konnten den korrekten Gegenstand nicht identifizieren. Eine Frage, die sich natürlich auch stellt, ist warum bisher nur so wenige Hunde mit diesen speziellen Fähigkeiten gefunden werden konnten. Handelt es sich vielleicht um besonders talentierte Hunde oder um ein besonders effektives Training der Besitzer? Alle Hunde, die in der Lage sind, diese große Vielzahl von Spielzeugen zu unterscheiden, wurden bereits als junge Hunde an dieses Spiel herangeführt. Auch wenn es keinen Grund gibt anzunehmen, dass ein Hund dies nicht auch noch später in seinem Leben erlernen kann, so ist das frühe Heranführen an die Aufgabe sicher von Vorteil gewesen. In manchen Fällen entstand dies aus einer Art Notsituation heraus. Aufgrund einer Verletzung war es zweien der Hunde nicht erlaubt, frei zu laufen und sich viel zu bewegen. Einen jungen Hund, der nicht abgeleint werden kann, so zu beschäftigen, dass er am Abend müde
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ist, ist sicher eine Herausforderung. Einen jungen, hoch motivierten, unausgelasteten Border Collie zu beschäftigen, ist sicher eine besonders große Herausforderung. Die Besitzer eines solchen Hundes müssen sich also etwas einfallen lassen. Da kommt ein Suchspiel, das man in der Wohnung spielen kann, gerade recht. Sie kennen das möglicherweise. Gegenstände werden in der Wohnung versteckt und der Hund wird aufgefordert diese zu suchen. Systematisch wird Ihr Hund die Wohnung durchkämmen, immer auf der Suche nach dem gewünschten Objekt. Dem Hund dazu noch Namen für Spielzeuge beizubringen und ihn die Spielzeuge unterscheiden zu lassen, lastet ihn geistig ausreichend aus und ersetzt im Notfall den Spaziergang. Ist es also die Kombination dieser verschiedenen Faktoren, die zu den besonderen Fähigkeiten dieser Hunde geführt hat? Angeborenes Apportierverhalten, ein hohes Maß an Motivation und eine frühe geistige Förderung? Sicher spielen alle diese Faktoren eine wichtige Rolle, aber so einfach scheint es nicht zu sein. Es gibt Berichte von Hundebesitzern, die zwei Border Collies besitzen. Beide sind in der gleichen Weise aufgewachsen, beide in der gleichen Weise trainiert und gefördert, aber nur einer der beiden Hunde zeigt die Fähigkeit, Objekten am Namen zu unterscheiden. Dazu kommt, dass die Besitzer aller drei getesteten Hunde berichten, dass es sozusagen die Hunde waren, die dieses Spiel begonnen haben. Ganz automatisch sagt man zu dem Hund „Bring das Pferd“ und nicht einfach „Bring das Ding“. Man gibt den Spielzeugen also Namen, wenn man mehrere davon unterscheiden möchte. Den Besitzern der drei getesteten Hunde ist nach einiger Zeit aufgefallen, dass die ihre Tiere begannen die Spielzeuge dann auch wirklich zu unterscheiden. Sie stellten fest, dass der Hund also, wenn er aufgefordert wurde das Pferd zu bringen immer das Pferd brachte und nicht den Ball oder das Krokodil. Nur bedingt wurde das Unterscheiden der Spielzeuge wirklich trainiert. Handelt es sich also doch um ein besonderes Talent, welches sich hier zeigt? Etwas, was nicht unbedingt jeder Hund mitbringt, egal wie sehr er gefördert wird? Diese und viele andere Fragen werden sicher Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
Resümee Was also haben wir über die Kommunikation zwischen Menschen und Hunden gelernt? Wir wissen jetzt, dass Hunde recht genau hinhören, wenn ihnen ein Befehl erteilt wird. Die Aussprache von Befehlen ist demnach nicht ganz unwichtig. Kein Hundebesitzer muss sich schämen, wenn er mit seinem Hund in Babysprache spricht. Denn erstens können wir diesen
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Drang ohnehin nur schwer unterdrücken. Und zweitens erfüllt Babysprache auch beim Hund ihren Zweck. Darüber hinaus wissen wir, dass Hunden eine große Bandbreite unterschiedlicher Lautäußerungen zur Verfügung steht, die sie vermutlich erst im Laufe ihres Zusammenlebens mit Menschen entwickelt haben. Selbst Personen, die keinen Hund haben, können solchen Lauten verschiedene Gefühlszustände zuordnen. Und um solche handelt es sich vermutlich ausschließlich. Weiterhin haben wir gesehen, dass Hunde auf die Mimik von Menschen achten. Sie unterscheiden Gesichtsausdrücke. Umgekehrt kann auch der Mensch die Mimik von Hunden lesen. Schließlich haben wir erfahren, dass es einige große Talente in der Hundewelt gibt. Diese besitzen beispielsweise die Fähigkeit, eine große Anzahl verschiedener Begriffen voneinander zu unterscheiden. Aber selbst Hundehalter, die einen überdurchschnittlich begabten Hund besitzen, müssen sich keine Sorgen machen, worüber sie sich vor den Hundeohren unterhalten. Denn zu sagen, dass diese Fähigkeit etwas mit einem echten Verständnis von menschlicher Sprache zu tun habe, wäre derzeit reine Spekulation.
8 Was wissen Hunde über ihre Umwelt?
Eine Szene im Foyer des Instituts: Wir sind gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt. Nun möchte sich meine Kollegin in der Cafeteria einen Kaffee holen. Ihr Schäferhundrüde Benny strebt seiner Besitzerin hinterher. Doch in der Cafeteria sind Hunde nicht erlaubt. Ich werde ihn schon einmal mit ins Büro nehmen und führe ihn in Richtung Fahrstuhl. Der befindet sich in der Mitte des Foyers. Von dort aus kann man durch die großen Glasscheiben in die Cafeteria schauen. Benny kommt zwar gehorsam mit in den Fahrstuhl. Doch kaum ist er drin, dreht er sich herum. Er zieht an der Leine – in Richtung seiner Besitzerin, die er noch immer sehen kann. Die Fahrstuhltür schließt sich, und geht Sekunden später im ersten Stock wieder auf. Keine Besitzerin mehr zu sehen. Benny wundert sich offensichtlich – nicht. Er zieht nicht mehr an der Leine und lässt sich ohne Probleme ins Büro führen. Natürlich, werden Sie sagen. Er weiß, dass er mit dem Fahrstuhl einen Stock höher gefahren ist. Aber hat er das wirklich verstanden? In den voran gegangen Kapitel dieses Buches ging es darum, was der Hund über den Menschen versteht. Wir haben darüber gesprochen, ob er vom Menschen lernt und wie er auf Worte und Gesten reagiert. Aber all die geschilderten Situationen waren sozial. Das heißt immer spielte der Mensch oder zumindest ein Artgenosse eine Rolle. Jetzt wollen wir uns die Frage stellen, was der Hund über seine Umwelt versteht. Kann er einfache physikalische Zusammenhänge nachvollziehen? Weiß er z. B., dass Gegenstände, die man fallen lässt, immer auf der Erde
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_8
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landen? „Wundert“ er sich, wenn etwas Unerklärbares passiert? Wie findet er sich in seiner Umgebung zurecht? Kann er Mengen unterscheiden? Was uns aber am meisten interessiert, ist, wie flexibel diese Fähigkeiten sind. Die Frage dabei ist, ob sich Hunde auf neue Situationen einstellen können. Im Zusammenleben mit dem Menschen zeigen sich unsere Zöglinge ja sehr flexibel. Z. B. haben wir gesehen, dass Hunde nicht nur sensibel für die Aufmerksamkeit des Menschen sind, wenn sie von ihm betteln. Sondern auch, wenn sie nach verbotenem Futter schnappen oder ihm ein Spielzeug bringen. Sind Hunde genau so flexibel, wenn es um ihre unbelebte Umwelt geht?
Die Objekt-Permanenz Kommen wir erst einmal zum Schäferhundrüden Benny zurück. Vielleicht weiß er genau, wie ein Fahrstuhl funktioniert. Aber das ist relativ unwahrscheinlich. Wenn er es nicht weiß, ist es seltsam, dass er sich nicht „gewundert“ hat, als die Fahrstuhltür aufging. Denn seine Besitzerin war plötzlich nicht mehr zu sehen? Warum wunderte sich Benny nicht? Hat er etwa in so kurzer Zeit vergessen, dass sie eben noch da stand, als die Fahrstuhltür zu ging? Weiß er nicht, dass jemand oder etwas weiter existiert, auch wenn man es nicht sieht? Aus den Augen, aus dem Sinn? Natürlich nicht, werden sie sagen, sonst wäre es kein lustiges Spiel, das Lieblingsspielzeug Ihres Zöglings zu verstecken. Denn der sucht den Ball, wenn sie ihn haben verschwinden lassen. Manche Hunde holen sogar heute den Stock vom gestrigen Spaziergang wieder aus dem Gebüsch. Und meine Hündin Mora vergisst anscheinend nie die Existenz eines Komposthaufens, von dem sie sich einmal erfolgreich einen Knochen geholt hat. Es sieht also so aus, als ob Hunde ein Verständnis von O bjekt-Permanenz haben. Das heißt, sie verstehen, dass jemand oder etwas weiter existiert, auch wenn man es gerade nicht wahrnehmen kann. Versuche von verschiedenen Forschergruppen haben das bestätigt. Wie testet man Objekt-Permanenz? Wie immer geht es um Spielzeug oder Futter. Außerdem sind mehrere Barrieren neben einander in einer Reihe aufgestellt. Der Hund sitzt ihnen gegenüber, sodass er nicht dahinter sehen kann. Nun wird ein Ball vor den Augen des Testtieres hinter einer Barriere versteckt. Die Frage ist ganz einfach: Wo wird der Hund suchen? Die Übung fällt ihm nicht schwer, er geht zur richtigen Barriere, um seinen Ball wieder zu finden. Damit verhält er sich wie ein 8 Monate altes Baby. Wenn es sieht, wie man ein Spielzeug unter einer Decke versteckt, wird es diese anheben, um sich
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das Spielzeug wieder zu holen. Hunde wie Kinder in diesem Alter vergessen also das Spielzeug nicht, sondern suchen zielgerichtet danach. Vielleicht gibt es für das Verhalten der Hunde aber noch eine andere Erklärung. Vielleicht sind sie nur deshalb so zielstrebig zur richtigen Barriere gegangen, weil sie ihren Ball gerochen haben? Wissenschaftler aus Quebec, Kanada wollten dies mit Sicherheit ausschließen und griffen dabei zu einer etwas eigenartigen Methode. Sie benutzen vier identische Spielzeuge aus Gummi. Alle vier Barrieren wurden genauso wie die Spielzeuge mit stark duftendem Rosenwasser eingesprüht. Außerdem legten sie drei der vier Spielzeuge schon hinter die Barrieren, bevor der Test begann. Nun wurde wie vorher ein Spielzeug vor den Augen des Hundes versteckt. Das heißt, jetzt rochen alle vier Barrieren gleich: nach Gummispielzeug und nach Rosenwasser. Die Hunde liefen auch jetzt zur richtigen Stelle. Sie bewiesen also, dass sie das Problem nicht mithilfe ihrer Nase, sondern mithilfe ihres Kopfes lösen konnten.
Der Ball im Behälter Was aber passiert, wenn die Aufgabe etwas schwieriger wird? Wenn die Hunde nicht direkt beobachten können, wie das Spielzeug versteckt wird? In diesen Versuchen spielt außer dem Ball und den Barrieren auch noch ein kleiner Behälter eine Rolle (Abb. 8.1). Nun ist der Vorgang, den die Hunde
Abb. 8.1 Der Ball wird vor den Augen des Hundes in den Behälter getan. Der Mensch läuft mit dem Behälter hinter eine der Barrieren und zeigt dem Hund dann, dass der Behälter nun leer ist. Wo ist der Ball?
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sehen, etwas komplizierter: Der Ball wird in den Behälter getan. Dann verschwindet dieser hinter einer der Barrieren. Wenn der Behälter danach wieder hervor kommt, wird den Hunden gezeigt: er ist leer. Da sich der Ball schwerlich in Luft aufgelöst haben kann, muss er also nun hinter jener Barriere liegen. Um diesen Vorgang zu verstehen, muss man im Kopf nachvollziehen, was man nicht sehen kann. Man muss sich nicht nur vorstellen, wie der Ball aus dem Behälter hinter die Barriere getan wird. Sondern man muss sich auch merken, wo es war. Sind die Hunde dazu in der Lage? Verschiedene Forschergruppen haben diese Versuche durchgeführt. Meist laufen die Hunde zur richtigen Barriere – hinter der der Behälter mit dem Ball vorher verschwunden war. In Quebec wurden Hunde so wohl vor die leichtere als auch vor die schwerere Aufgabe gestellt. Das Spielzeug wurde also entweder direkt vor den Augen der Testtiere versteckt. Oder es wanderte erst in den Behälter und dann hinter die Barriere. Es überrascht sicher nicht besonders, dass die Hunde das schwierige Problem mit dem Behälter zwar lösten, aber schlechter abschnitten als bei dem leichten. Zudem stellten die Forscher fest, dass die Hunde dann mehr ihre Nase zur Hilfe nahmen. Sie schnüffelten auf dem Boden, an den Barrieren und am Behälter. Auch wenn ihnen das nicht nützte, versuchten sie offensichtlich zusätzliche Informationen zu bekommen, wenn sie die Aufgabe nicht so einfach lösen konnten. Was aber machte die Aufgabe für die Hunde schwieriger? Lag es vielleicht am Gedächtnis? Können sich die Hunde nicht merken, wo das Spielzeug ist, wenn sie nicht direkt sehen, wo es versteckt wird? Die Wissenschaftler fanden eine einfache Methode, diese Frage zu beantworten. In der einen Bedingung ließen sie die Hunde gleich nach dem Versteckvorgang los. Im anderen Fall mussten die Testtiere 10 bzw. 20 s warten, ehe sie ihr Spielzeug suchen durften. Die Ergebnisse waren eindeutig, die Hunde schnitten immer gleich gut ab, egal ob sie warten mussten oder nicht. Sie konnten sich also sehr wohl merken, wo der Behälter bzw. der Ball hingewandert war. Die Hunde sind in der Lage, das Problem zu lösen und zur richtigen Barriere zu gehen. Ob sie den Vorgang aber wirklich verstehen – darüber streiten sich die Wissenschaftler noch. Einige nehmen an, dass sich die Hunde nach einfachen Regeln richten. Z. B. suchen sie den Ball nach der Regel: „Geh zu der Barriere, wo der Behälter als letztes war.“ Oder: „Geh zu der Barriere, wo der Behälter daneben steht.“ Für den Behälter, in dem der Ball verschwunden ist, interessieren sich die Hunde jedenfalls sehr. Es gibt noch etwas, was die Hunde bei diesem Versuch beeinflusst haben könnte. Das ist der Mensch selbst. Wir haben in Kap. 6 gesehen, wie gut Hunde menschliche Gesten als Hinweis auf verstecktes Futter deuten
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können. Wir wissen auch, dass Gegenstände für die Hunde allein dadurch interessant werden, dass sich ein Mensch damit beschäftigt hat. In unserem Versuch muss der Ball ja irgendwie in den Behälter gelangen, und dieser dann hinter die Barriere. Die Wissenschaftler haben zwar immer versucht darauf zu achten, dass der Mensch dabei keine große Rolle spielte. Z. B. war oben an dem Behälter ein Holzstiel angebracht. Der Mensch berührte den Behälter also nie direkt, sondern bewegte ihn mithilfe des Stiels. Auch die Spielzeuge waren meist an einer Schnur befestigt, sodass sie nicht angefasst werden mussten. Trotzdem kann man nicht ganz ausschließen, dass das Verhalten des Menschen die Hunde bei ihrer Suche beeinflusst hat. Wir wissen also immer noch nicht genau, was in den Köpfen der Hunde vor sich geht, wenn sie mit diesem Problem konfrontiert sind. Hier kann uns wiederum ein Vergleich mit Kindern weiter helfen. In Budapest wurden dazu 4 bis 6jährige Kinder getestet. Der Versuch lief hier etwas anders ab. Das Spielzeug wurde wieder in einen Behälter getan. Diesmal verschwand der Behälter jedoch nach einander hinter allen drei Barrieren, um dann leer wieder zu erscheinen. Die Kinder konnten nur raten, wo das Spielzeug versteckt war. Sie konnten aber schlussfolgern, dass es hinter einer der Barrieren versteckt war. Denn wo anders konnte er ja nicht sein. Nun wurden die Kinder aufgefordert, das Spielzeug wieder zu finden. Manchmal errieten sie sofort die richtige Stelle. Uns interessieren aber die Durchgänge, in denen sie falsch lagen. Wenn sie das Spielzeug hinter der ersten Barriere nicht fanden, liefen sie schnell zur zweiten, und noch schneller zur dritten. Offensichtlich verstanden die Kinder die Logik des Spiels ganz genau: Wenn das Spielzeug hinter der ersten und der zweiten Barriere nicht zu finden war – dann waren sie sich ganz sicher: es musste hinter der dritten liegen! Wenn man sie nach dem vergeblichen Besuch der zweiten Barriere gefragt hätte, wo sie das Spielzeug finden würden, dann hätten sie sicher geantwortet: „Dort, hinter der dritten Barriere muss es sein.“ Hunde vermögen auf solche Fragen leider nicht zu antworten. Aber man kann sie in dem selben Aufbau testen. Das taten die Wissenschaftler in Budapest. Auch die Hunde suchten nach dem Ball. Fanden sie ihn hinter der ersten Barriere nicht, liefen sie zur zweiten und zur dritten. Der entscheidende Unterschied zu den Kindern war, dass sie dabei nicht schneller wurden, sondern langsamer. Jede negative Erfahrung – nämlich, dass der Ball hinter einer Barriere nicht zu finden war, senkte offensichtlich ihren Anreiz, weiter zu suchen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie so schnell das Interesse an dem Spielzeug verloren. Meine Hündin Nana würde stundenlang nach einem Ball suchen, der ins Gebüsch gerollt ist, wenn man sie ließe. Auch
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die Hunde in dem Versuch wollten sicher den Ball finden. Denn wenn sie ihn dann hinter der dritten Barriere fanden, spielten sie damit. Der Grund warum sie beim Suchen immer langsamer wurden war offensichtlich ein anderer. Sie waren davon entmutigt, dass sie den Ball nicht fanden. Und sie konnten – im Gegensatz zu den Kindern – nicht schlussfolgern, er muss hinter der dritten Barriere liegen. In anderen Worten, sie hatten die Logik des Spieles nicht ganz begriffen. Was heißt das nun alles? Hunde verstehen zwar, dass ihr Spielzeug weiter existiert, wenn sie es nicht mehr sehen. Sie schauen dort nach, wo es verschwunden ist. Wenn das Spielzeug erst in einen Behälter getan wird, und dann hinter einer Barriere verschwindet, suchen sie auch meist an der richtigen Stelle. Aber sie können sich offensichtlich nicht vorstellen, wie der Ball aus dem Behälter hinter die Barriere getan wird.
Hütchenspiele Im Kopf nachzuvollziehen, wie ein versteckter Gegenstand bewegt wird, damit haben die Hunde offensichtlich Schwierigkeiten. Das zeigen auch die so genannten „Hütchenspiele“. Sicher haben auch Sie schon einmal den Taschenspielertrick gesehen, wenn zwei flinke Hände eine Münze unter einer von drei Streichholzschachteln verstecken, und diese dann blitzschnell verschieben. Wenn das sehr zügig passiert, werden Sie am Ende kaum sagen können, wo die Münze jetzt versteckt ist. Werden die Schachteln jedoch so langsam bewegt, dass sie jeden einzelnen Zug nachvollziehen können, so haben Sie gewiss keine Schwierigkeiten, die Münze wieder zu finden. Auch unsere nächsten Verwandten, die Großen Menschenaffen können dieses Problem lösen. In dem Versuch wurden Schimpansen und Orang Utans getestet. Statt der Streichholzschachteln wurden umgedrehte Becher verwendet. Die Belohnung war in diesem Fall natürlich auch keine Münze, sondern Stückchen von Apfelsine oder Pampelmuse. Der Affe saß dem Menschen gegenüber. Zwischen den beiden befanden sich auf einem Holzbrett zwei Becher. Diese waren umgedreht und standen nebeneinander in einem Abstand von etwa einem halben Meter. Nun wurde das Apfelsinenstück vor den Augen der Affen unter einen Becher getan. Dann wurden die Becher vertauscht, indem sie der Mensch auf dem Brett entlang schob. Nun sollte der Affe auf einen Becher zeigen. Dieser wurde angehoben. War das Futter dort, durften sie es fressen. Lagen sie jedoch falsch, gab es keine Apfelsine. Und der nächste Durchgang begann. Die Affen wählten auf Anhieb richtig. Selbst wenn man die Becher noch ein zweites Mal verschob,
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sodass sie wieder auf ihrem Ausgangsplatz standen, fanden die Affen das Futterstück wieder. Schimpansen und Orangutans können sich offensichtlich vorstellen, wie das Apfelsinenstück in dem Becher mit verschoben wird. Und was tun die Hunde? Sie können diesen Versuch ganz einfach nachstellen (Abb. 8.2a–d). Genau wie bei den Affen stellen sie zwei umgedrehte Becher vor Ihren Hund. Sie verstecken vor den Augen Ihres Zöglings ein Stück Futter oder sein Lieblingsspielzeug und vertauschen die beiden Becher. Sie werden etwas enttäuscht sein. Denn vermutlich wird ihr Hund immer zum falschen Becher gehen. Er wird nämlich dort suchen, wo das Futter versteckt wurde. Er kann offensichtlich nicht nachvollziehen, dass das Futterstück mit dem Becher verschoben wird. Selbst wenn Sie die Aufgabe etwas vereinfachen, wird Ihr Hund diesen Fehler machen. Zwei verschieden aussehende Becher sollten die Sache enorm erleichtern. Wenn der Hütchenspieler eine rote, eine grüne und eine blaue Streichholzschachtel verwendet, werden Sie bei Ihrer Wahl immer richtig liegen. Sie verstehen ja, dass die Münze mit der Schachtel bewegt wird. Nun merken Sie sich einfach, dass die Münze in die rote Streichholzschachtel gewandert ist. Jetzt kann Sie auch das blitzschnelle Hin- und Herschieben sie nicht mehr verwirren. Sie wählen die rote Schachtel. Ihrem Hund werden die verschieden aussehenden Becher
Abb. 8.2 Der Schäferhund sieht, wie das Futter versteckt und mit dem Becher verschoben wird. Aber er sucht das Futter dort, wo es verschwunden ist
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bei der Wahl nicht weiterhelfen. Das liegt sicher nicht daran, dass er Farbe und Form der Becher nicht unterscheiden kann. Es liegt sicher auch nicht daran, dass er sich nicht merken kann, wo das Futter verschwunden ist. Sondern daran, dass er den ganzen Vorgang des Verschiebens nicht begreift. Vielleicht tröstet Sie ein bisschen: Katzen schneiden in dieser Übung auch nicht besser ab. Es gibt nur eine Bedingung, in der Hunde – und auch die Katzen – ein solches Problem lösen können. Nämlich, wenn die Becher seitwärts in eine Richtung verschoben werden. Nehmen wir an, der linke ist gefüllt, und beide Becher werden nach rechts verschoben. Links steht nun also kein Becher mehr, in der Mitte der gefüllte und rechts der leere. Das heißt jetzt steht gar nichts mehr an dem Ort, wo das Futter verschwand. Nun wählen die Hunde richtig. Aber das hat vermutlich nichts damit zu tun, dass sie begreifen, dass das Futter mit dem Becher verschoben wird. Sondern sie suchen einfach in dem Becher, der dem Ort am nächsten steht, an dem das Futter verschwand. Vermutlich nutzen sie auch die Bewegungsrichtung beim Verschieben als Hinweis. Die Hunde lösen also die Aufgabe wiederum nicht mir ihrem Verständnis, sondern mit einer bestimmten Strategie. Dies wird uns im Folgenden noch öfter begegnen. Warum aber verstehen Hunde solche Versteckvorgänge offensichtlich nicht. Warum können sie nicht im Kopf nachvollziehen, wie ein versteckter Gegenstand bewegt wird? In anderen Tests schneiden sie doch sehr gut ab, manchmal sogar besser als die Menschenaffen. Die Antwort ist ganz einfach: Weil sie dieses Verständnis eigentlich nicht brauchen. Es ist ja eine sehr sinnvolle Strategie, immer dort zu suchen, wo das Spielzeug verschwunden ist. In den meisten Fällen werden die Hunde damit erfolgreich sein. Denn selten werden versteckte Gegenstände verschoben. Z. B. legen Sie den Ball ihres Zöglings in den Schrank, wenn Sie von einem Spaziergang zurückkommen. Der Schrank wird dann sicher nicht verschoben. Der Ball bleibt darin, bis Sie ihn für den nächsten Spaziergang wieder heraus nehmen. Und das begreift auch Ihr Hund.
Der Zauberbecher Nun stellt sich die Frage, ob sich die Hunde auch merken, was genau versteckt wurde. Wenn man z. B. Futter in einen Becher mit Deckel versteckt, merken sie sich einfach, da war irgend etwas zum Fressen? Oder erwarten sie genau das Futter, das man versteckt hat? Forscher aus Leipzig haben dies bei Hunden und Menschenaffen getestet (Abb. 8.3a–c). Der Ablauf war ganz
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Abb. 8.3 Der Labrador sieht, wie ein Würstchen im Zauberbecher versteckt wird. Dann wird der Zauberbecher geschlossen. Wenn der Zauberbecher wieder geöffnet wird, liegt aber nur ein Stück Brot darin. Der Labrador sucht mit der Nase nach dem verschwundenen Würstchen
einfach. Ein Stück Futter wurde vor den Augen des Tieres in einen Becher getan. Der Deckel wurde geschlossen und gleich darauf wieder geöffnet. Jedoch war der Becher mit einem doppelten Boden so konstruiert, dass ein anderes Futterstück zum Vorschein kommen konnte, wenn der Becher wieder geöffnet wurde. Die Forscher wollten wissen, ob die Tiere staunen würden, wenn plötzlich anderes Futter im Becher liegt. Ein leckeres Wurststück – für den Hund – oder eine Weintraube – für den Schimpansen – verschwand im Becher. Der Becher wurde wieder geöffnet, doch plötzlich lag da nur ein langweiliges Stück Brot oder Möhre. Doch wie staunt ein Hund oder ein Schimpanse? Er reißt natürlich nicht die Augen auf oder sagt. „Oh!“. Trotzdem lässt es sich an seinem Verhalten ablesen. Beide Tiere fraßen zwar das langweilige Futter, aber sie suchten dann nach dem verschwundenen. Die Schimpansen beugten sich nach vorn, um genau in den Becher zu schauen, die Hunde rochen an Becher und Deckel. Das taten sie nicht, wenn nach dem Schließen des Deckels dasselbe Futterstück im Becher lag. Sie merkten sich also sehr wohl, was genau versteckt worden war. Sogar im umgekehrten Fall, wenn langweiliges Futter in den Becher getan worden war, und dann plötzlich ein leckeres Wurststück oder eine Weintraube zum Vorschein kam, suchten die Tiere nach dem ursprünglichen Futter. Sie bewiesen also: sie merken sich nicht nur, dass irgendwas zum Fressen im Becher versteckt wurde, sondern erinnern sich ganz genau an die Art des Futters.
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Nun denken Sie vielleicht, die Forscher haben die gute Nase des Hundes außer Acht gelassen? Er kann ja das noch vorhandene Futter im doppelten Boden gerochen haben? Aber das haben die Forscher mit einem kleinen Trick kontrolliert. In manchen Durchgängen wurde ein Wurststück versteckt und wanderte also beim Schließen des Bechers in den doppelten Boden. Beim Öffnen des Bechers fanden die Hunde ein identisch aussehendes Stückchen Wurst. Sie rochen diesmal nicht am Becher, sie fraßen die Wurst und liefen davon. Ihr Riechverhalten hatte also nichts mit der Wurst im Becher zu tun – die war ja noch im doppelten Boden versteckt, sondern mit ihrer Erwartung. Und die war ja erfüllt worden: Wurst versteckt, Wurst wieder da. Lecker!
Was ist wo? Hunde erwarten genau das Futter wieder zu finden, das im Becher versteckt wurde. Nun wollten Wissenschaftler wissen, ob sich Hunde auch erinnern können, was wo versteckt war. Wahre Meister in dieser Art von Übung sind übrigens Vorrat sammelnde Vögel wie z. B. die Buschhäher. Von denen ist bekannt, dass sie sich nicht nur merken, was für Futter wo versteckt wurde, sondern auch wann. Angenommen leckere Würmer und weniger leckere Nüsse werden versteckt. Dürfen die Vögel nach kurzer Zeit zu den Verstecken, holen sie sich die bevorzugten Würmer. Lässt man sie aber erst nach fünf Tagen das Futter aus den Verstecken holen, dann suchen sie nach den Nüssen. Die Buschhäher schlussfolgern nämlich anscheinend, dass die Würmer dann schon verdorben sind! Sie merken sich also, was wann wo versteckt wurde. Bei den Hunden stellte sich erst einmal die Frage, ob sie sich merken, was wo versteckt wurde. Dazu wurde Rico getestet und ein weiterer Border Collie, der ebenfalls Objekte am Namen unterscheiden konnte. 12 den Hunden jeweils bekannte Objekte wurden in zwei Räumen verteilt. Der Test lief wie ein gewöhnliches Suchspiel ab. Die Besitzerin saß in einen dritten Raum und rief Rico zu sich. Sie forderte ihn auf, eines der Spielzeuge zu bringen: „Bring den Frosch!“. Im ersten Durchgang wusste Rico noch nicht, welche seiner vielen Objekte da lagen und wie sie verteilt waren. Er lief also durch beide Räume bis er den gewünschten Gegenstand gefunden hatte und brachte ihn der Besitzerin. Dass er das konnte, hatte er ja schon in anderen Tests bewiesen. In den folgenden Durchgängen forderte die Besitzerin nach und nach alle 12 Spielzeuge. Die Wissenschaftler wollten wissen, wie Rico nach ihnen suchen würde. Und das Erstaunliche war: Rico suchte von nun
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an immer im richtigen Zimmer! Er war ein einziges Mal durch beide Räume gegangen, und hatte sich gleich gemerkt, was wo versteckt war! Dies ist eine Leistung, mit der manch unkonzentrierter Erwachsener seine Schwierigkeit hätte! Nun stellt sich wieder die Frage, ob das typisch „Einstein“ Rico ist. Der andere getestete Border Collie war in seiner Suche weniger zielstrebig. Jedoch ist es gut möglich, dass sich auch andere Hunde gut merken können, was wo versteckt wurde. Nur kann man sie nicht in der beschriebenen Situation testen, so lang sie nicht Objekte mit Namen unterscheiden können.
Welche Information ist wichtig? Im folgenden soll es darum gehen, nach welchen Regeln Hunde suchen, wenn sie gar nicht wissen können, wo die Belohnung versteckt ist. Diese Studie wurde in Quebec durchgeführt. Es ging um Spielzeug und Barrieren. Der Hund sah, wie sein Ball hinter eine Barriere gelegt wurde. Dann wurde ein Vorhang davor gezogen. Das getestete Tier konnte also nicht beobachten, was nun geschah. Die Barriere wurde nach einer Seite verschoben. Auf die andere Seite wurde eine zweite dazu gestellt. In der Mitte, wo der Ball verschwunden war, stand jetzt also gar nichts mehr. Nun durfte der Hund sein Spielzeug suchen. Wenn Sie vor derselben Situation stünden, wüssten Sie auch erst einmal nicht, wo Sie suchen sollten. Sie würden einfach raten, wo der Ball ist. Was aber würden Sie tun, wenn Ihnen – wie den Hunden – zwanzig Durchgänge lang nicht gesagt wird, wo sich das Spielzeug befindet? Dann würden Sie sich vermutlich fragen, nach welcher Regel der Ball versteckt wird. Solche Regeln gab es tatsächlich. Die eine Hälfte der Hunde konnte sich nach räumlichen Hinweisen richten. Die Barriere mit dem Spielzeug wurde z. B. immer nach rechts verschoben. Um das Spielzeug zu finden, mussten die Hunde einfach immer hinter der rechten Barriere suchen. Das lernten sie auch sehr schnell. Die zweite Hälfte der Hunde sollte sich nach einer anderen Regel richten. Jetzt unterschieden sich die Barrieren. Die eine war rot mit gelben Vierecken drauf und wurde senkrecht aufgestellt. Die andere stand waagerecht und hatte schwarze Kreise auf weißen Grund. Der Ball war nun immer hinter der roten Barriere zu finden. Diesmal konnten die Hunde also die Eigenschaften der Barriere nutzen: ihre Farbe, ihr Muster und ihre Form. Jedoch fiel ihnen das offensichtlich schwer. Sie lernten es jedenfalls nicht innerhalb der 20 Durchgänge, immer hinter der roten Barriere zu suchen.
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Räumliche Hinweise spielen offensichtlich eine größere Rolle für Hunde als die Eigenschaften der Barriere. Die Regel: „Such immer hinter der roten Barriere!“ fiel ihnen viel schwerer als die Regel: „Such immer hinter der rechten Barriere!“. Diese Ergebnisse bestätigen sich auch immer wieder in anderen Versuchen. Z. B. beim Objektwahlversuch, der in Kap. 6 beschrieben wird. In jenen Tests wird ja immer in einem von zwei Bechern Futter versteckt. Und die Hunde wissen nicht, in welchem. Nun bekommen sie einen Hinweis, wo sich das Futter befindet, und müssen sich entscheiden. Wenn die Hunde mit diesem Hinweis nichts anfangen können, dann bevorzugen sie oft eine Seite. Genauso wie in diesem Versuch mit den Barrieren, richten sie sich dann nach einer räumlichen Regel. Z. B.: “Geh immer rechts!“. Oder eben „Geh immer links!“ Wiederum führt diese Strategie oft zum Ziel, denn das Futter ist immerhin in der Hälfte der Fälle auf einer Seite versteckt!
Orientierung im Raum Eine ganz wichtige Fähigkeit, die im Prinzip jedes Tier braucht, ist sich in der Welt zu orientieren. Wissenschaftler haben sich deshalb die Frage gestellt, wie Hunde das tun. Auch das testeten sie, indem die Tiere ihr Spielzeug hinter Barrieren suchen durften. Z. B. ging es um die Frage, ob Hunde sich egozentrisch oder allozentrisch orientieren. Was ist damit gemeint? Wenn Sie z. B. in einer beliebigen Stadt die Waldstraße suchen, dann haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder Sie fragen einen Passanten am Straßenrand. Der wird Ihnen erklären: „Sie gehen geradeaus, dann biegen sie rechts ab. Hinter der nächsten Ampel halten sie sich halblinks. Dann ist rechts der Bahnhof, und links von ihnen beginnt die Waldstrasse.“ Das heißt, der Passant beschreibt Ihnen den Weg, indem er von ihrem Blickwinkel ausgeht. Er setzt die Umgebung in Bezug zu ihrer Position. Dies bezeichnet man als egozentrische Orientierung. Sie sind sozusagen der Mittelpunkt. Sie haben aber auch noch eine zweite Möglichkeit, die Waldstraße zu finden. Sie benutzen einen Stadtplan. Hier sehen Sie die ganze Sache von oben. Sie stellen fest: die Waldstraße liegt nördlich vom Bahnhof. In dem Fall spielt Ihre Position erst einmal keine Rolle. Sie setzen die Dinge unter einander in Bezug. Sie orientieren sich somit allozentrisch. Wir Menschen können also beides nutzen. Je nach Situation beziehen wir uns entweder auf uns selbst: „Die Waldstraße liegt links von mir.“ Oder
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auf die Dinge unter einander: „Die Waldstraße befindet sich nördlich vom Bahnhof.“ Wie aber verhalten sich die Hunde? Natürlich benutzen sie keine Stadtpläne. Gehen sie also immer von sich selbst aus, wenn sie sich orientieren? Um dies heraus zu bekommen, wurde von Wissenschaftlern aus Quebec, Kanada ein etwas komplizierter Test entwickelt (Abb. 8.4). Ein Spielzeug verschwand vor den Augen des Hundes in einer von drei Boxen. Wir werden sie als Zielbox bezeichnen. Ein Vorhang verhinderte nun, dass der Hund sehen konnte, was weiter geschah. Die Boxen wurden verschoben. Es gab mehrere Möglichkeiten. Z. B. die Zielbox stand in der Mitte. Alle drei Boxen wurden nun parallel nach rechts verschoben. Der Hund konnte das aber nicht wissen, wenn er nun auf die Suche ging. Die Zielbox befand sich zwar nun immer noch in der Mitte der drei Boxen. In Bezug auf den Hund war sie aber nun eine Position weiter rechts. Wenn die Hunde die Boxen untereinander in Bezug setzten, dann sollten sie zur mittleren Box gehen. Wenn sie von sich ausgingen, dann sollten sie die linke Box wählen. Was sie auch taten. Sie orientierten sich also egozentrisch. Sie merkten sich, dass das Spielzeug gerade vor ihnen verschwunden war. Genau wie wir, wenn wir uns klar machen: „Die Waldstraße liegt links von mir.“ Weitere Tests haben aber gezeigt, dass Hunde sich auch auf die allozentrische Art orientieren können. Das heißt, wenn es nicht anders möglich ist, dann können sie auch Gegenstände unter einander in Bezug setzen. In diesem Fall merken sie sich, dass die Zielbox die mittlere von den dreien ist. Was also vergleichbar wäre mit unserer Einschätzung: „Die Waldstraße befindet sich nördlich vom Bahnhof.“ Wenn sie sich im Raum zurechtfinden müssen, verhalten sich Hunde demnach sehr flexibel. Wie wir Menschen können sie zwei verschiedene Möglichkeiten nutzen, um ein unbekanntes Ziel zu erreichen.
Abb. 8.4 Der Pudel sieht, wie der Knochen im mittleren Kasten versteckt wird. Alle drei Kästen werden verschoben. Der Pudel sucht den Knochen nun im rechten Kasten, er geht von sich aus und orientiert sich egozentrisch. Würde er sich allozentrisch orientieren, würde er den mittleren Kasten wählen
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Können Hunde zählen? Wir haben uns bis jetzt damit beschäftigt, was Hunde über versteckte Spielzeuge verstehen, und wie sie danach suchen. Nun soll es darum gehen, ob sie auch darauf achten, wie viele Dinge im Spiel sind. Wissenschaftler aus Michigan haben sich die Frage gestellt, ob Hunde Mengen unterscheiden können (Abb. 8.5). Dies lässt sich bei Ihrem eigenen Hund leicht testen. Er muss nur verfressen sein. Lassen Sie ihn zwischen zwei Häufchen Hundepellets wählen. Auf dem einen Haufen liegen fünf Pellets und auf dem anderen nur zwei. Wir nehmen nun an, dass Ihr Hund lieber mehr als weniger fressen will. Geht er zu den 5 Pellets? Vermutlich ja. Hunde können Mengen von 1 bis 5 Pellets gut unterscheiden. Genauso wie wir Menschen und auch Affen sind sie darin besser, wenn sich Differenz größer ist. In anderen Worten, sie können 2 und 5 besser unterscheiden als 3 und 4. Einige Hunde sind sogar dazu in der Lage, diese Aufgabe im Kopf zu lösen. Beide Mengen Pellets liegen in kleinen Schalen mit Deckeln. Wenn der Test beginnt, sind beide Häufchen Pellets verdeckt. Nun wird einer der Deckel angehoben, sodass ein Häufchen für den Hund sichtbar wird. Dann wird dieser Deckel wieder geschlossen. Anschließend wird der andere Deckel angehoben und wieder geschlossen. Nun haben die Hunde die Wahl. Entscheidend ist hier, dass sie das Problem im Kopf lösen müssen, sie sehen ja nie beide Mengen gleichzeitig. Sie müssen sich also die Anzahl der Pellets auf beiden Schalen merken und im Kopf vergleichen. Und das können sie.
Abb. 8.5 Hunde können zwischen fünf Pellets und zwei Pellets unterscheiden
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Nun wollten italienische und amerikanische Forscher wissen, ob Hunde Futter eher nach der Anzahl, also der Quantität, oder dem Umfang, also dem Volumen, auswählen. Die Tiere mussten z. B. zwischen vier kleinen und zwei sehr großen Futterpellets auswählen. Die beiden großen Pellets hatten insgesamt ein größeres Volumen, als die vier kleinen Pellets. Sie waren also die bessere Wahl für einen hungrigen Hund. Es stellte sich heraus, dass Hunde nicht die Anzahl der Futterstücke als entscheidend ansahen, sondern das Volumen. Sie wählten in der Regel die beiden großen Pellets. Das ist ja auch sinnvoll, wenn es darum geht, so viel wie möglich zu fressen. Interessanterweise lassen sich die Hunde leicht von ihren „Rechenkünsten“ ablenken. Nämlich durch den Besitzer. In diesem Test sind zwei Mengen gleich großer Pellets zu sehen. Wenn sich der Besitzer nun über die kleinere Menge beugt und enthusiastisch das leckere Futter lobt, dann wählen die Hunde plötzlich die kleinere Anzahl Pellets. Sie vertrauen sozusagen eher dem Besitzer als ihrer eigenen Wahrnehmung. Dass für die Hunde ein solcher sozialer Hinweis wichtiger ist, als das, was sie sehen, wird uns noch öfter begegnen.
Die Schwerkraft Wir wollen uns weiterhin die Frage stellen, was Hunde über ihre unbelebte Umwelt wissen. Haben sie Erwartungen zu bestimmten physikalischen Gesetzmäßigkeiten? Z. B. zur Schwerkraft? Erwarten sie also, dass ein Objekt in einer geraden Linie zur Erde fällt, wenn man es loslässt? Damit beschäftigten sich Wissenschaftler aus Exeter, England (Abb. 8.6a, b). Der Versuch lief folgendermaßen ab. Vor dem Testhund befand sich undurchsichtige Röhre. Sie stand senkrecht und mündete in eine Futterschüssel. Daneben befanden sich noch zwei solcher Futterschüsseln, die aber keine Verbindung zur Röhre hatten. Nun wurde vor den Augen des Tieres ein Stück Futter in eine Röhre geworfen. Der Hund konnte weder hören, noch sehen, wo das Stück ankam. Aber er durfte danach suchen. Die Hunde entschieden sich richtig. Das heißt, sie liefen immer zu dem Futterbehälter, der direkt unter der Röhre stand. Offenbar erwarteten sie, dass das Futter in gerader Linie nach unten fällt. Was aber passiert, wenn die Röhre nicht mehr senkrecht, sondern diagonal verläuft? Dann wird das Futter auf seinem geraden Weg abgelenkt. Die Belohnung fällt dann in einen der seitlich stehenden Behälter. Die Wissenschaftler konfrontierten die Hunde mit dieser neuen Situation. Doch
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Abb. 8.6 Hunde erwarten das Futter im Becher unter der senkrechten Röhre. Sie verstehen nicht, dass das Futter durch die diagonale Röhre abgelenkt wird
diese suchten immer wieder genau unter dem Punkt, in dem das Futter eingeworfen worden war. Sie verstanden offensichtlich nicht, dass das Futter durch die Röhre abgelenkt wird. Sie konnten zwar im Laufe einiger Durchgänge lernen zum korrekten Behälter zu gehen, aber nur, wenn sich dieser immer an derselben Stelle befand. Dann richteten sie sich vermutlich wieder nach der einfachen räumlichen Regel: „Geh immer rechts“ (oder „Geh immer links!“). Denn wenn die Röhre abwechselnd mal nach links und mal nach rechts verlief, wählten die Hunde wieder falsch. Sie begriffen den Mechanismus nicht. Das heißt, sie verstanden nicht, wie eine diagonal verlaufende Röhre die Gesetze der Schwerkraft beeinflusst. Wiederum haben die Hunde aber eine Strategie gefunden, das Problem fast immer zu lösen. Sie erwarten, dass Dinge gerade nach unten fallen. Das ist auch das, was normalerweise passiert. Wenn das nicht der Fall ist, suchen sie nach einer räumlichen Regel.
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Tau ziehen Ebenfalls in Exeter wurde ein weiterer Versuch durchgeführt, um zu testen, ob Hunde bestimmte Zusammenhänge verstehen (Abb. 8.7). Ein Stück Futter lag außer der Reichweite. Es befand sich in einem Kasten, der mit Gitter überzogen war. Die Hunde konnten es also sehen und riechen, aber sie konnten nicht direkt daran gelangen. Das Futter war an einem Strick befestigt. An der anderen Seite ragte das Strickende über den Kasten hinaus und war mit einem Stück Holz verbunden. Im ersten Teil der Studie wurde getestet, ob Hunde lernen, mithilfe des Holzstücks das Futter heran zu ziehen. Alle Testtiere lernten das ohne große Schwierigkeiten. Sie zogen das Holzstück manchmal mit der Schnauze heran, aber meist benutzten sie ihre Pfoten. Im Laufe der zehn Durchgänge wurden sie dabei immer geschickter und lösten das Problem immer schneller. Im zweiten Teil der Studie wurde die Aufgabe schwieriger. Jetzt ging es nicht mehr allein um Geschicklichkeit, sondern auch um das Verständnis der Situation. Jetzt lagen da zwei Strickenden. Aber nur eins von beiden war mit Futter verbunden. Die Stricke lagen entweder parallel oder über Kreuz. Um an die Belohnung zu kommen, mussten die Hunde also den Strick bis zu seinem Ende verfolgen. Sie sollten dann natürlich den wählen, an dem das Futter hing. Aber das taten sie nicht. Sie zogen einfach immer an dem Strickende, das dem Futter am nächsten lag. Vermutlich ist der Anreiz sehr hoch, mit den Pfoten und Schnauze so nah wie möglich ans Futter zu kommen. Diese Strategie führt zwar oft zum Ziel – aber eben nicht, wenn beide Stricke über Kreuz liegen! Aus diesem Versuch schlossen die Wissenschaftler, dass Hunde das Prinzip nicht begriffen hatten, dass das Futterstück mit dem Strick verbunden war. Denn sie verfolgten den Strick nicht bis zum Futter, um das richtige
Abb. 8.7 Hunde verfolgen einen Strick nicht zum Futter. Sie ziehen an dem Strickende, das dem Futter am nächsten erscheint
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Ende zu wählen. Jedoch hatte dieser Versuchsaufbau einen Haken. In den meisten dieser Studien bedeutet eine falsche Entscheidung für die Hunde: keine Belohnung. Hier durften sie aber so lange an den Stricken ziehen bis sie an das Futterstück kamen. Das heißt, wenn sie sich erst falsch entschieden hatten, konnten sie danach noch an dem anderen Ende ziehen und erreichten schließlich das Futter. Der Anreiz, sofort am richtigen Ende zu ziehen, war auf diese Art und Weise gar nicht so hoch. Vielleicht würde mancher Hund nach einem Misserfolg eine flexiblere Entscheidung treffen? Vielleicht wäre er aber auch so frustriert, dass er an keinem Strickende mehr ziehen würde! Aber auch das können Sie ja zu Hause ausprobieren. Trotz dieser Unstimmigkeit im Versuchsaufbau, sind die Ergebnisse glaubhaft. Und wieder sieht es so aus: Die Hunde können das Problem zwar meist lösen. Aber sie haben das Prinzip nicht begriffen.
Hundelogik Wissenschaftler in Leipzig stellten sich ebenfalls die Frage, ob Hunde bestimmte Zusammenhänge erkennen können. Diesmal ging es um ein Geräusch. Und um den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Nehmen wir an, Sie haben ein Sparschwein. Sie können nicht hineinschauen, es sei denn, sie machen es kaputt. Was tun Sie, um festzustellen, ob Geld darin ist? Sie schütteln es. Und das Klimpern der Münzen verrät Ihnen, dass etwas drin ist. Durch das Geräusch schließen Sie auf die Existenz des Geldes. Genau so etwas sollten die Hunde in dem Versuch tun. Es war ein Objekt-Wahlversuch mit zwei Bechern. In dem einen war ein Stück Trockenfutter versteckt. Aber die getesteten Hunde wussten nicht, in welchem. Wie in Kap. 6 ausführlich beschrieben, bekommen die Tiere nun einen Hinweis, wo das Futter versteckt ist. Diesmal war dieser Hinweis aber nicht kommunikativ. Das heißt der Mensch verhielt sich nicht so, als wollte er dem Hund bewusst etwas mitteilen. Sondern es war ein ursächlicher Hinweis. Man konnte ihn verstehen, wenn man den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erkannte. Wie das Sparschwein wurde der Becher mit dem Futterstück geschüttelt. Es entstand ein Geräusch. Es schien erst einmal so, als ob die Hunde das Problem lösen konnten: Sie wählten den korrekten Becher. Es gab jedoch noch eine zweite Bedingung. Jetzt wurde der leere Becher geschüttelt. Die Hunde mussten also verstehen, dass kein Futter in diesem Becher sein konnte, weil kein Geräusch entstand. Des Weiteren mussten
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sie dann daraus schließen, dass die Belohnung in dem anderen Becher versteckt sein musste. Menschenaffen können diese Aufgabe lösen. Die Hunde scheiterten jedoch. Sie bevorzugten sogar den leeren Becher. Wahrscheinlich deshalb, weil ihn der Mensch angefasst und geschüttelt hatte. Sie begriffen vermutlich das Prinzip nicht, dass das geschüttelte Futter das Geräusch erzeugt. Stattdessen suchten sie nach einem sozialen Hinweis. Und liefen dann zu dem Becher, der dadurch interessant war, das ihn der Mensch berührt hatte. Wölfe hingegen schneiden bei dieser Aufgabe besser ab: sie verstehen offensichtlich den kausalen Zusammenhang: nämlich, dass das Futter in dem geschüttelten Becher das Geräusch erzeugt. Nur in einer leichteren Version können Hunde das Problem lösen (Abb. 8.8). Wieder wird ein Stück Futter oder ein Spielzeug in einem von zwei Bechern versteckt. Nun zeigt man, dass der eine Becher leer ist. Jetzt können die Hunde die logische Schlussfolgerung ziehen: die Belohnung muss in dem anderen Becher sein. Aber auch hier gilt wieder: die Hunde lösen das Problem nur, wenn sie nicht durch den Menschen beeinflusst werden. Wenn dieser einen der beiden Becher betont, indem er ihn berührt, schüttelt oder darauf schaut, dann verlassen sich die Hunde auf den Menschenhinweis anstatt auf Logik. Diese Ergebnisse weisen noch einmal darauf hin, dass Hunde vielleicht in manchen Tests gar nicht so schlecht abschneiden würden, wenn sie sich nicht vom Menschen beeinflussen lassen würden!
Abb. 8.8 Der Border Collie schlussfolgert: wenn der eine Becher leer ist, muss die Belohnung im anderen Becher sein
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Wissen Hunde, was sie riechen? Wie wir gesehen haben, schneiden Hunde in Tests über die physikalische Umwelt oft nicht so gut ab. Die meisten Studien aber, die wir bis jetzt betrachtet haben, basieren auf einem Sinn, der für uns Menschen sehr wichtig ist, und zwar auf dem Sehsinn. Dabei wissen wir eigentlich, dass Hunde ihre Umwelt vorwiegend über ihre Nase wahrnehmen, also über den Geruchssinn (Abb. 8.9). Man könnte also vermuten, dass sie sehr wohl einiges über ihre Umwelt verstehen, sobald der Geruch eine Rolle spielt. Das aber ist sehr schwer zu testen, weil wir Menschen nicht gut riechen können. Wir verarbeiten Geruch eher unbewusst. Wir wissen bereits genauer, dass unterschiedliche Gerüche eine wichtige Rolle spielen, wenn Hunde mit ihren Artgenossen kommunizieren. Darüber hinaus nutzen sie ihre Nase, um fressbares von nicht ungenießbarem Futter zu unterscheiden. Es heißt gemeinhin, Hunde könnten etwa 10.000 bis 100.000 besser riechen als Menschen. Damit ist gemeint, dass sie unvorstellbar niedrige Konzentrationen von Chemikalien wahrnehmen können. Problemlos können sie auch lernen, unterschiedliche Gerüche zu erkennen. Besonders geschulte Hunde zeigen das Vorhandensein spezifischer Stoffe an. Sie sind beispielsweise in der Lage, so verschiedene Gerüche wie jene von Drogen, Sprengstoff, Pflanzen, Parasiten und Leichen zu erkennen oder auch verschiedene Krankheiten wie Krebs und Diabetes anzuzeigen (siehe auch Kap. 2). Schließlich sind Hunde in der Lage, mehrere Gerüche miteinander zu vergleichen. Sie können bestätigen oder verneinen, dass zwei Gerüche aus derselben Quelle stammen.
Abb. 8.9 Für Hunde ist der Geruchssinn sehr wichtig
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Hunde werden in der Praxis von Jägern oder Polizisten oft genutzt, um Geruchsspuren zu verfolgen. Dabei ergibt sich die Frage, wie Hunde ihren Geruchssinn einsetzen, um ein Ziel zu finden. In einer Studie irischer Wissenschaftler aus Belfast wurde untersucht, wie Hunde die Richtung einer von Menschen hinterlassenen Geruchsspur bestimmen. Die Forscher benutzen dafür ein T-förmigen Testaufbau. Ein Mensch lief von A nach B, und zwar auf dem Oberstrich des „T“. Nach einer Stunde wurden ausgebildete Fährtenhunde am Fuß des „T“ losgelassen. Sie sollten herausfinden, ob der Mensch von A nach B oder von B nach A gelaufen war. Es wird vermutet, dass Hunden das gelingt, indem sie danach forschen, in welche Richtung sich die Konzentration der Geruchspartikel erhöht oder verringert. Das heißt, sie wenden sich in die Richtung, in der der Geruch stärker wird. Die Autoren der Studie wollten wissen, wie viele Schritte des Menschen die Hunde brauchen, damit sie die Richtung fehlerfrei bestimmen können. Die Antwort ist: fünf. Es braucht für ausgebildete Fährtenhunde nur fünf Menschenschritte, um zweifelsfrei zu erkennen, wohin ein Mensch gelaufen ist. Das ist wirklich erstaunlich! Wir wissen also zumindest etwas darüber, was Hunde riechen können. Aber wir haben wirklich kaum eine Ahnung davon, wie Kognition und Geruch miteinander zusammenhängen. In Jena wurde eine der ersten Studien durchgeführt, um zu verstehen, wie Hunde die Welt durch ihre Nase wahrnehmen und verstehen. Die Wissenschaftler wollten wissen, ob Hunde eine Vorstellung davon haben, was sie riechen. Haben Hunde, wenn sie etwas riechen, ein Bild vor Augen? Für diese vergleichsweise aufwendige Studie wurden fast 50 spielzeug-begeisterte Hunde getestet, von denen die Hälfte regelmäßig im Einsatz bei der Polizei oder der Rettungshundestaffel waren (Abb. 8.10). Die Studie begann mit einem Vortest in einem kleinen Raum. Dort wurden für jeden Hund zwei Spielzeuge ausgewählt, die er möglichst in gleichem Maße mochte, also vielleicht ein Ball und ein Ring. Dann verließ der Versuchsleiter mit beiden Spielzeugen den kleinen Raum, um ein Spielzeug in einer Box verschwinden zu lassen. Mit dem anderen legte er in den Testräumen eine Spur, indem er es auf dem Boden rollte. Schließlich versteckte er es hinter einer von vier kleinen Barrieren. Nun kam der Hund mit seinem Besitzer den Raum. Der Besitzer, der nicht wusste, welches Spielzeug versteckt worden war, zeigte dem Hund den Anfang der Spur und schickte ihn mit den Worten los: „Bring es her!“. In dem Versuch gab es zwei Bedingungen. Entweder stammte die Geruchsspur von dem Spielzeug, das im Versteck lag. Das war die Normalbedingung. Oder am Ende der Spur lag das Spielzeug, von dem der Geruch
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Abb. 8.10 Hunde haben eine Erwartung, was sich am Ende einer Spur befindet. Sie sind überrascht, wenn am Ende einer Spur nicht genau das Spielzeug liegt, das die Spur hervorgerufen hat
nicht stammte. Das war die Überraschungsbedingung. Die Wissenschaftler wollten nämlich wissen, ob die Hunde sich erstaunt zeigen würden. Und tatsächlich verhielten sich die getesteten Tiere in der Überraschungsbedingung anders als in der Normalbedingung. Insbesondere im ersten Durchgang der Überraschungsbedingung brachten sie das Spielzeug nicht sofort. Vielmehr suchten sie weiter. Die Wissenschaftler vermuteten, dass die Hunde nach dem richtigen Spielzeug suchten, nämlich nach dem, von dem die Spur stammte. Sie konnten also feststellen, wenn die Spur nicht mit dem versteckten Spielzeug übereinstimmte. Dies deutet darauf hin, dass die Hunde während des Tests tatsächlich eine genaue Erwartung hatten, wohin die Geruchsspur sie führen sollte. Wenn Hunde also eine Spur aufnehmen, dann unterscheiden sie offensichtlich nicht nur zwischen guter und schlechter, interessanter und langweiliger Spur. Sondern sie entwickeln vermutlich wirklich eine Art Vorstellung, was sie am Ende erwartet. Die Jenaer Wissenschaftler schauten sich das Suchverhalten von den Hunden noch etwas genauer an. Wenig überraschend war, dass Tiere mit Ausbildung die Spielzeuge grundsätzlich schneller brachten. Familienhunde ohne Ausbildung, die zunächst schlechter abschnitten, steigerten ihre Leistungen im Verlauf der Tests aber so stark, dass sie im vierten Durchgang genauso schnell waren. Das zeigt noch einmal ihre große Lernfähigkeit.
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Die Jenaer Forscher konnten auch noch bestimmte Strategien identifizieren. Beispielsweise fanden die Hunde die Spielzeuge, die hinter den zwei mittleren Barrieren lagen, eher mit ihrem Seh- als mit ihrem Geruchssinn. Für Spielzeuge hinter der rechten und linken Barriere hingegen, nutzten sie durchweg eher ihren Geruchssinn. Wann und warum Hunde entscheiden, bei der Suche den einen oder den anderen Sinn einzusetzen, das muss noch erforscht werden.
Überlebenswichtig! Hunde zeigen bemerkenswerte Fähigkeiten, wenn es darum geht, etwas zu erschnüffeln. Bei den meisten anderen Studien hingegen, die in diesem Kapitel geschildert wurden, nutzten die Hunde zur Problemlösung bestimmte Strategien. Oft verstanden sie aber die damit zusammenhängenden Vorgänge nicht. Das führt uns zu der Frage, warum sie in vielen solcher Tests über ihre unbelebte Umwelt relativ schlecht abschneiden? Es gibt drei verschiedene Möglichkeiten. Noch wissen wir nicht, welche zutrifft. Entweder Hundeartige können das einfach nicht. Vielleicht würde auch der nächste Verwandte, der Wolf, in solchen Tests scheitern. Von den meisten Tierarten wissen wir nicht, wie sie in diesen Versuchen abschneiden würden. Getestet sind bis jetzt vorwiegend Menschenaffen. Die lösen die meisten dieser Aufgaben und scheinen die jeweiligen Zusammenhänge zu verstehen. Es ist also möglich, dass diese Fähigkeiten tatsächlich dem Menschen und seinen nächsten Verwandten vorbehalten sind. Die zweite Möglichkeit wäre, der Wolf kann diese Probleme lösen. Deshalb ist es so interessant den wilden Cousin zu testen. Hunde haben demnach diese Fähigkeiten im Laufe der Domestikation verloren. Neue Studien deuten darauf hin, dass dies der Fall sein könnte. Z. B. verstehen Hunde nicht, dass Futter im geschüttelten Becher ein Geräusch erzeugt. Wölfe schon. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Wölfe können es, und Hundewelpen auch. Aber im Laufe ihres Lebens beim Menschen verlernen die Hunde diese Zusammenhänge. Weil sie es nicht brauchen. Und damit sind wir an einem sehr wichtigen Punkt. Denn die Frage, warum sie schlecht abschneiden, ist eigentlich nicht die wichtigste. Es sollte weniger darum gehen, ob Hunde bestimmte Prinzipien begreifen. Sondern darum, wie sie überleben können, ohne diese Prinzipien zu verstehen. Fassen wir noch einmal zusammen, was die geschilderten Studien gezeigt haben: Hunde verstehen, dass der Ball weiter existiert, auch wenn sie
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ihn nicht sehen und nicht riechen können. Warum aber müssen sie sich vorstellen, wie er in einem Behälter verschoben wird? Es ist eigentlich eine sehr sinnvolle Strategie, immer dort zu suchen, wo etwas verschwunden ist. Und falls da nichts ist, dann gehen sie dorthin, wo es beim letzten Mal lag. Wenn das alles nichts bringt, kann ja die sensible Nase bei der Suche helfen. Orientieren können sich Hunde sehr gut. Das war sicher wichtig für den verwandten Wolf, und das bleibt offensichtlich auch wichtig für das Haustier Hund. Ein Grundverständnis von Zahlen könnte nützlich sein: Der Mensch hat zwei Steaks auf dem Küchentisch liegen lassen, und dann zwei wieder weggenommen. Demzufolge liegt keins mehr dort. Leider. Es ist auch sicher hilfreich, wenn ein Hund weiß, dass ein Apfel senkrecht vom Baum fällt. Dann kann er ihm ausweichen. Aber diagonale Röhren, die den Weg eines fallenden Gegenstandes verändern, gibt es selten. Ebenfalls ist es eine gute Taktik, mit den Pfoten möglichst nah an unerreichbarem Futter zu kratzen. Und wenn man den ursächlichen Zusammenhang zwischen Geräusch und Futter nicht kennt, ist es eine gute Strategie zu dem geschüttelten Becher zu gehen. Hunde verstehen viele der geschilderten Vorgänge nicht, weil sie es nicht brauchen (Abb. 8.11). Die meisten von uns haben auch keine Ahnung, wie ein Computer wirklich funktioniert, und können ihn trotzdem bedienen. Mithilfe verschiedener Strategien kommen die Hunde auch ans Ziel. Und mithilfe des Menschen. Denn selten müssen Hunde in unserer Umgebung ursächliche Probleme selbst lösen, das tun wir Menschen für sie. Sie brauchen sich weder ihr Futter selbst erjagen, noch müssen sie die Wurfhöhle selbst
Abb. 8.11 Hunde können sehr gut überleben, ohne bestimmte Vorgänge in ihrer menschlichen Umwelt zu begreifen
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graben. Warum sollten sie Energie für so etwas verschwenden? Es geht ja auch ohne! Das wichtigste für sie ist der Mensch. Und deshalb liegen ihre außerordentlichen Fähigkeiten auch eher im sozialen Bereich. Den Menschen beobachten und seine Hinweise zu nutzen, darin liegt die Stärke unsere Haushunde. Tatsächlich sind sie sogar manchmal so auf den Menschen fixiert, dass sie das davon ablenkt, ein Problem selbstständig zu lösen. Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen. Man kann sich vorstellen, dass es für einen Hund vielleicht gar nicht so sinnvoll ist, alle Vorgänge in der menschlichen Umgebung zu begreifen. Denn oft ist es da ganz und gar unmöglich, logische Zusammenhänge zu erkennen. Und damit wären wir wieder bei Schäferhund Benny, der sich nicht wundert, wenn seine Besitzerin nicht mehr hinter der Tür ist. Eine Erklärung für sein Verhalten wäre wie gesagt, dass er die Funktionsweise eines Fahrstuhls genau versteht. Dass er weiß, wie der Aufzug mithilfe eines Elektromotors funktioniert. Wir können es nicht ausschließen. Aber es ist nicht anzunehmen. Jedoch wissen wir, dass Benny schon oft Fahrstuhl gefahren ist. Vielleicht war er beim ersten Mal tatsächlich „verwundert“, als die Fahrstuhltür wieder aufging und die Umgebung sich plötzlich verändert hatte. Würde er aber versuchen, alle Vorgänge zu verstehen, die um ihn herum passieren, wäre das wahrscheinlich nur verwirrend oder gar beängstigend für ihn. Wie viele andere Hunde auch, kennt Benny nicht nur Fahrstuhl, sondern auch Auto und Zug fahren. Aus dem Radio kommen Stimmen, obwohl kein Mensch da ist. Objekte erscheinen und verschwinden in seiner Abwesenheit aus der Wohnung. Dieselbe Tür lässt sich manchmal von ihm aufklinken und manchmal nicht. Sich über all das nicht zu „wundern“, kann auch vorteilhaft sein!
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Fast jeder kennt die Geschichte der Colliehündin Lassie, die den Menschen hilft, wenn diese in Gefahr sind. Lassie rettet Menschen aus dem Wasser, sie weist auf akute Gefahren hin, sie holt Hilfe, wenn jemand verletzt ist. Und vielleicht würde sie sogar ihr Futter mit den Menschen teilen. Lassie hilft Menschen, und zwar völlig freiwillig, ohne ein Leckerli zu erwarten. Ist Lassie nun eine reine Fiktion? Oder sind Hunde wirklich so selbstlos? Um das zu klären, müssen wir zunächst sagen, was wir mit „helfen“ genau meinen. Sagen wir so: Helfen heißt, dass ein Akteur (in unserem Fall Lassie) einen Empfänger (in unserem Fall verschiedene Filmhelden) in irgendeiner Weise aktiv unterstützt. Der Akteur investiert dafür Energie in einem nicht geringen Umfang. Biologen stellen sich die Frage nach der Evolution eines solchen Verhaltens. Wie kann es sein, dass jemand von sich aus für einen Anderen seine wertvolle Energie investiert? Darwins Evolutionstheorie lässt sich auf eine einfache Formel bringen: die kräftigsten, gesundesten und fittesten Individuen überleben. Nur diese können ihre Gene weitergeben. Aber in der Geschichte gibt ein Individuum – nämlich die Hündin Lassie – freiwillig etwas von seiner Fitness ab. Warum konnte sich ein solches Verhalten entwickeln? Die Antwort erscheint ebenso logisch wie einfach: wenn der Helfer am Ende des Tages doch einen Nutzen hat, sei dieser auch indirekt, dann lohnt sich sein Einsatz für andere. Ein klassisches Beispiel für den indirekten Nutzen für das Helfen ist die sogenannte Verwandtenselektion. Individuen unterstützen Verwandte, denn dadurch sorgen sie auch dafür, dass ihre eigenen Gene verbreitet werden. Dieser Mechanismus funktioniert © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_9
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b eispielsweise in einem Wolfsrudel. Dort beteiligen sich ältere Geschwister sowie Onkel und Tanten an der Welpenaufzucht. Aber in unserem Ausgangsbeispiel ist der Filmhund Lassie ja gar nicht mit den Verletzten verwandt. Lassie hilft deshalb eher nach dem Motto: Wie Du mir, so ich Dir. In der Biologie nennt man das Reziprozität. Lassie investiert jetzt Energie, weil sie – sicher zu Recht – davon ausgehen kann, dass sich die Menschen später revanchieren. Dabei trifft sie wahrscheinlich gar nicht die bewusste Entscheidung zu helfen, damit ihr später geholfen wird. Sondern die Motivation zu helfen, ist ihr angeboren, so wie bei uns Menschen. Auch wir handeln nicht immer bewusst und berechnen, wie wir unsere Fitness erhöhen können, indem wir anderen helfen. Vielmehr war die gegenseitige Hilfe als soziale Verhaltensweise für die Menschheit insgesamt vorteilhaft und hat sich deshalb in der Evolution durchgesetzt. Eine interessante Frage ist auch die nach dem persönlichen Grund dafür, andere zu unterstützen. Hilft Lassie mit Absicht? Versteht sie, was sie tut? Um jemandem zu helfen, benötigt man ja zwei Voraussetzungen: Verständnis und Motivation. Die Aufgabe, die der Helfer zu lösen hat, besteht darin, soziale Situationen zu verstehen. Dazu muss er erstens das Ziel des Anderen erkennen. Das heißt Lassie müsste beispielsweise verstehen, dass ein Schwimmer das sichere Ufer erreichen will. Zweitens müsste er verstehen, wie dieses Ziel möglichst kraftsparend zu erreichen wäre. Lassie müsste also darauf kommen, den ertrinkenden Schwimmer ans nächstgelegene Ufer zu ziehen. Im folgenden Kapitel werden wir uns mit verschiedenen Arten des Helfens beschäftigen: mit dem Informieren, dem praktischen Helfen, dem fairen Teilen und dem gegenseitigen Helfen. Wir wollen uns insbesondere die Frage stellen, ob helfende Hunde menschliche Absichten verstehen und ob sie von sich aus motiviert sind. Denn es ist immer eine Möglichkeit, dass Hunde schlichtweg darauf trainiert wurden, bestimmten Befehlen zu folgen oder auf bestimmte Situationen in bestimmter Weise zu reagieren. Um noch einmal auf unseren Filmhund zurückzukommen: Wir wollen die Frage beantworten, ob Lassie einfach ein gut trainierter Hund ist oder ein wirklich authentisches Exemplar seiner Rasse.
Informieren Zu helfen bedeutet nicht nur, jemanden aus dem Wasser zu ziehen oder Nahrung mit ihm zu teilen. Es kann für den Empfänger auch sehr vorteilhaft sein, lebenswichtige Informationen zu erhalten.
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Wir wissen inzwischen, dass Hunde menschliche Hinweise sehr gut nutzen können (siehe Kap. 6). Aber funktioniert das auch umgekehrt? Können Hunde dem Menschen auch Informationen liefern? Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass Hunde unwissende Menschen über den Ort von verstecktem Futter oder Spielzeug informieren, ohne dass sie ein spezielles Training erhalten haben (Abb. 9.1a, b). In all diesen Studien informierten Hunde jedoch lediglich über Gegenstände, die für sie selbst wichtig sind. Ihr Verhalten ist also für sie selbst und nicht für den Menschen vorteilhaft. Wir haben helfen jedoch anders definiert. Leipziger Wissenschaftler untersuchten daher, ob Hunde einem unwissenden Menschen helfen würden, einen verborgenen Gegenstand zu finden. Die Forscher variierten, ob der jeweilige Gegenstand entweder für Hunde, für Menschen, für beide oder für keinen von beiden wertvoll war. Je nach Bedingung wählten sie dafür das Lieblingsspielzeug (interessant für Hunde), einen Spielring (interessant für beide),
Abb. 9.1 Auch untrainierte Hunde informieren ihre Besitzer, wo ein Spielzeug versteckt ist, z. B. indem sie zwischen Spielzeug und Person hin und her schauen
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einen Aktenlocher (interessant für Menschen) oder eine Vase (interessant für keinen). Zu Beginn des Versuchs beschäftigten sich der Versuchsleiter und/oder der Hund mit dem jeweiligen Gegenstand. Dann verließ der Versuchsleiter den Raum, weil er abgelenkt wurde. Eine zweite Person betrat den Raum und versteckte das jeweilige Spielzeug an einem von vier zuvor definierten Orten, die alle für den Hund nicht zugänglich waren. Der Hund konnte also sehen, wo der Gegenstand versteckt wurde, aber der Versuchsleiter war nicht anwesend. Er konnte daher nicht wissen, wo sich der Gegenstand nunmehr befand. Nachdem der Versuchsleiter den Raum wieder betreten hatte, zeigten die Hunde die versteckten Objekte an. Aber sie zeigten fast ausschließlich die Objekte an, die auch für sie selbst interessant waren: das liebste Spielzeug oder den Spielring. Sie taten dies, indem sie zu den Verstecken liefen und an der Wand hochsprangen oder indem sie immer abwechselnd den Versuchsleiter und das Versteck anschauten. Selten zeigten die Hunde jene Objekte an, an denen sie nicht interessiert waren: den Aktenlocher oder die Vase. Dabei spielte keine Rolle, ob der Mensch den Gegenstand wirklich benötigte. Vor allem dann, wenn der eigene Besitzer derjenige war, den sie über das Versteck informieren sollten, verhielten sie sich zuweilen etwas seltsam. Während nämlich die Besitzer verzweifelt umherschauten und laut ihren Hund ansprachen („Wo ist es nur hin?“), zeigten diese oft einfach irgendein Versteck an. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Hunde ihre eigenen Besitzer auf diese Weise täuschen wollten. Wahrscheinlicher ist, dass sie helfen wollten, aber nicht wussten wie. Dafür spricht, dass sie auch nach mehreren Versuchsdurchgängen nicht müde wurden anzuzeigen. Die Hunde erschienen also motiviert, ihre Besitzer zu informieren. Mindestens wollten sie diesen gefallen und wurden durch das Suchverhalten angeregt, irgendetwas zu tun. Fest steht, dass sie nicht in der Lage waren zu verstehen, welches Ziel ihre Besitzer in dieser Situation verfolgten. Wissenschaftler aus Portsmouth haben das Thema aufgriffen. Sie wählten einen Versuchsaufbau, in dem drei Objekte eine Rolle spielten. Das erste Objekt, ein Notizbuch, war für den Menschen interessant. Das zweite Objekt, ein Hundespielzeug, war natürlich für den Hund spannend. Als drittes Objekt wurde ein zufälliger Gegenstand genommen, in diesem Fall ein Bürogegenstand. Die Objekte wurden wieder im Beisein des Hundes durch einen Helfer versteckt. Wieder wusste der Versuchsleiter nicht, wo die Objekte sich befanden. Diesmal aber gab es nur zwei Verstecke. Und der Helfer benutzte zuweilen beide Verstecke gleichzeitig. In allen drei
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Bedingungen versteckte er zunächst das Hundespielzeug und dann entweder das Notizbuch, das Zufallsobjekt oder gar nichts. Wieder betrat der Versuchsleiter den Raum erst, nachdem der Helfer die Objekte versteckt hatte. Er hielt dabei einen Stift in der Hand, denn er suchte ja sein Notizbuch. Es stellte sich heraus, dass die Hunde am häufigsten ihr Spielzeug anzeigten. Jedoch unterschieden sie zwischen Notizbuch und den anderen Gegenständen. Sie zeigten dem Versuchsleiter das Notizbuch deutlich beharrlicher an. In einem weiteren Versuch wurde gar kein Spielzeug versteckt, sondern entweder das Notizbuch oder das Zufallsobjekt. Auch hier zeigten die Hunde das Notizbuch länger an. Das taten sie insbesondere, wenn der Versuchsleiter zu ihnen mit hoher Stimme sprach, um seine Verzweiflung über das vermisste Notizbuch auszudrücken (siehe Kap. 7). Daraus können wir ersehen, dass die Hunde wiederum sehr motiviert waren, ein für sich kaum interessantes Objekt anzuzeigen. Sie unterschieden diesmal sogar, ob das Objekt für den Menschen wichtig war oder nicht. Wie aber sie die Situation genau verstanden haben und ob sie wirklich bewusst helfend informieren wollten, das ist damit noch nicht gesagt. Interessant ist, dass Menschenaffen in einem ähnlichen Test ein völlig anderes Verhalten zeigten. Auch sie deuteten am häufigsten auf solche Objekte, die sie selbst nutzen konnten. In den ersten Durchgängen einer Verhaltensstudie zeigten sie sogar jenes Objekt an, das nur für den Versuchsleiter interessant war. Aber sobald sie merkten, dass für sie dabei nichts weiter heraussprang, hörten sie einfach damit auf. Daraus können wir schließen, dass Menschenaffen durchaus Situationen verstehen können und sich vorstellen können, was der Mensch sucht. Aber sie sind kaum motiviert zu helfen. Im Gegensatz zu Menschenaffen und Hunden versorgen wir Menschen unsere Artgenossen in der Regel sehr zuverlässig mit unterschiedlichsten Informationen. Kleine Kinder beginnen bereits im Alter von ein bis zwei Jahren damit. Sie zeigten in ähnlichen Versuchen verschiedene Objekte an, die Erwachsene in bestimmten Situationen benötigten. Die Kinder taten dies unabhängig davon, ob sie von ihrem Verhalten profitierten oder nicht. Auch zeigte sich, dass ihre Motivation über viele Durchgänge hinweg nicht nachließ. Wir können also sicher sein, dass kleine Menschenkinder über beides verfügen: ein Verständnis für Situationen, in denen sich andere befinden, und eine Motivation, helfend zu informieren.
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Praktische Hilfe Nun soll es um praktische Hilfe gehen. Die Frage lautet, ob Akteure ihrem jeweiligen Empfänger so helfen, dass es ihm tatsächlich etwas nützt. Wenn also Filmhündin Lassie einen Menschen aus dem Wasser zieht, würden dann andere Hunde ähnlich handeln? Oder passiert so etwas nur im Film? Leipziger Forscher wollten wissen, ob Hunde dabei helfen würden, eine Tür zu öffnen (Abb. 9.2). Wie wir ja wissen, bereitet es Hunden zuweilen Probleme, Ziele und Absichten anderer zu verstehen. Die Idee war deshalb, eine für den Hund möglichst offensichtliche Situation sowie eine möglichst eindeutige Absicht zu gestalten. Die Anordnung war also die folgende: Ein Mensch versuchte, einen abgesperrten Raum zu betreten, um seinen dort auf dem Boden liegenden Schlüssel aufzuheben. Dieser Raum war von hüfthohen Plexiglaswänden umgeben und hatte eine transparente Plexiglastür. Die zu testenden Hunde lernten vor Versuchsbeginn, die Tür zu öffnen, indem sie einen Taster drückten. Während des Versuchs gab es drei Bedingungen. Die Hilfe-Bedingung, die Kontroll-Bedingung und die Futter-Bedingung. In der Hilfe-Bedingung drückte der Mensch mit seinem Körper aus, dass er den abgesperrten Raum betreten wollte. Dafür rüttelte er an der Tür, beugte sich über die Plexiglaswand, um nach dem Schlüssel zu greifen, und sprach den Hund an, erzählte ihm laut von seinem Problem. Natürlich benutzte er dabei auf keinen Fall einen dem Hund bekannten Befehl oder zeigte etwa auf den Taster. Die Hilfe-Bedingung wurde mit der
Abb. 9.2 Hunde öffnen eine Tür zu einem Raum, wenn sie am Verhalten des Menschen merken, dass dieser in den Raum gelangen möchte
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Kontroll-Bedingung verglichen. In dieser lag der Schlüssel wieder unerreichbar im abgesperrten Raum, aber der Mensch las einfach ein Buch und interessierte sich nicht weiter dafür. Offensichtlich brauchte er den Schlüssel nicht. In der Futter-Bedingung schließlich las der Mensch wieder ein Buch. Diesmal aber lag anstatt eines Schlüssels leckeres Futter im abgesperrten Raum. In dieser Bedingung öffneten die Hunde fast immer selbstständig und unaufgefordert die Tür. Genauso häufig öffneten die Hunde die Tür, wenn sie dem Menschen helfen. In der Kontroll-Bedingung hingegen öffneten sie die Tür nur selten. Wenn also weder Mensch noch Hund einen Grund hatten, den abgesperrten Raum zu betreten, dann ließen es die Hunde bleiben. Nun ließe sich annehmen, die Hunde zeigten in der Hilfe-Bedingung einfach das vorher erlernte Verhalten. Sie öffneten die Tür, weil sie wussten, wie es geht, und weil sie den Menschen aufgeregt erlebten. Diese Annahme aber stellte sich nach weiteren Versuchen mit aufgeregten Menschen als eher unwahrscheinlich heraus. Außerdem öffneten die Hunde über mehrere Durchgänge hinweg die Tür, ohne eine Belohnung dafür zu erhalten. Deshalb sahen sich die Wissenschaftler bestätigt darin, dass Hunde grundsätzlich sehr motiviert sind zu helfen, dass sie jedoch häufig Probleme haben, menschliche Absichten zu erkennen, wenn diese nicht klar kommuniziert werden. Hunde haben jedoch nicht nur dann Probleme, wenn sie menschliche Absichten nicht erkennen. In manchen Situationen fehlt ihnen wahrscheinlich auch das Wissen, wie sie überhaupt helfen könnten. Forscher aus Ontario in Kanada wollten wissen, ob Hunde bei anderen Hilfe suchen, wenn ihre Besitzer in eine Notlage geraten. In der Studie täuschten die Hundebesitzer einen Herzinfarkt vor. Ein Zeuge beobachtete die Situation aus der Nähe. Die Hunde hatten die Möglichkeit, zu diesem Zeugen zu gelangen, um ihn aufzufordern zu helfen. Anders als unser Filmhund Lassie suchten die Hunde in der Studie nicht die Hilfe des Zeugen. Wahrscheinlich ist es so, dass die Hunde nicht so recht wussten, wie sie in dieser Situation helfen sollten. Ebenso ist es möglich, dass sie die Situation nicht als Notfall wahrnahmen. Die Besitzer taten ja einfach nur so, als hätten sie eine Herzattacke. Der Notfall war nicht real, was die Hunde vermutlich merkten. Es verdichten sich nämlich die Hinweise darauf, dass Hunde auf tatsächliche epileptische Anfälle oder auch Zuckerschocks bei Diabetikern reagieren (siehe Kap.2). Es könnte gar sein, dass sie diese sogar vorherzusagen vermögen, selbst wenn sie dafür nicht ausgebildet wurden. Es ist nicht ganz klar, ob Hunde eine Motivation haben, ihren Besitzern in solchen Situationen zu helfen oder ob sie lediglich aufgeregt sind, weil ihr Besitzer ungewöhnlich riecht und sich ungewöhnlich verhält. In der Studie mit
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dem nachgestellten Herzinfarkt jedenfalls berichteten die Autoren, dass die Hunde ihre Besitzer in der gespielten Notfallsituation genau beobachteten. Dies lässt zumindest vermuten, dass die Hunde sich um die Besitzer sorgten. Andererseits könnte es auch einfach so sein, dass die Hunde es seltsam oder beängstigend fanden, wie sich ihre Besitzer da aufführten. Ein Vergleich mit Schimpansen zeigt, dass auch diese ihren Artgenossen helfen. Sie öffnen einem nicht verwandten Gruppenmitglied die Tür oder versorgen es mit einem Werkzeug, das dieses braucht. Sie können dabei sogar einschätzen, welches Werkzeug der Empfänger benötigt, um an Futter zu gelangen. Von Hand aufgezogene Schimpansen helfen sogar ihren menschlichen Adoptiveltern, wenn diese nach etwas greifen wollen, das außerhalb ihrer Reichweite liegt. Das bedeutet, Schimpansen können die Ziele von möglichen Hilfeempfängern einschätzen und sind auch motiviert zu helfen. Wenngleich Hunde und Menschenaffen unter bestimmten Umständen helfen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir Menschen in der Art und Weise einzigartig sind, wie wir uns gegenseitig helfen. Kleinkinder helfen anderen Kinder und nicht mit ihnen verwandten Erwachsenen bereits in einem Alter von zwei Lebensjahren bereitwillig, in ganz unterschiedlichen Situationen. Es scheint ihnen ein inneres Bedürfnis zu sein.
Teilen macht Spaß? Als eine weitere Art des gegenseitigen Helfens könnte man das Teilen von Futter ansehen. Wir wissen, dass erwachsene Tiere bereits gekautes Futter wieder hochwürgen, um ihren Nachwuchs zu füttern. Von diesem Verhalten abgesehen, lässt sich aktives Teilen zwischen Tieren üblicherweise kaum beobachten. Dass aber Tiere, die Futter „besitzen“ tolerant genug sind, um Artgenossen mitfressen zu lassen, das kommt häufiger vor. Wie wir in Kap. 3 gesehen haben, sind Hunde darin schlechter als Wölfe. Eine ganz ähnliche Frage ist, ob und wie Hunde andere mit Futter versorgen, wenn sie selbst davon nichts abbekommen. In der Vergleichenden Psychologie sprechen wir in solchen Fällen vom pro-sozialen Verhalten. Die Idee ist die folgende: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Zeitschrift ausgelesen und nun die Wahl, sie entweder wegzuwerfen oder einem anderen zu geben. Wie entscheiden Sie sich? In den meisten Fällen würden Sie eine ausgelesene Zeitschrift sicherlich weitergeben. Denn es kostet Sie ja nichts bringt Ihnen soziale Prestige-Pluspunkte ein. Der Freund oder Kollege, dem Sie die Zeitschrift gegeben haben, wird sich sicherlich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen. Wie aber handeln Hunde in ähnlichen Situationen?
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Wissenschaftler testen solches Verhalten, indem sie Individuen zwischen egoistischen und pro-sozialen Möglichkeiten wählen lassen. Logischerweise braucht es dazu zwei Versuchsteilnehmer, von denen sich einer entscheiden muss (der Testhund) und ein anderer der Entscheidung ausgeliefert ist (der Empfänger). In der pro-sozialen Variante gehen beide mit einer Belohnung aus der Situation, in der egoistischen Variante bekommt der Empfänger nichts, der von der Entscheidung des anderen abhängig ist. Im konkreten Versuch wurde Futter auf einem Tablett präsentiert. Der Testhund konnte das Tablett heranziehen und so sich selbst und den Empfänger mit Futter versorgen. Der Testhund hatte dabei die Wahl zwischen zwei Tabletts, eines enthielt Futter für ihn selbst und den Empfänger, ein zweites enthielt nur Futter für ihn selbst. Es stellte sich heraus, dass die Hunde die pro-soziale Variante bevorzugten. Sie wählten dasjenige Tablett, das Futter für beide Hunde enthielt. Die Testhunde machten ihr Verhalten dabei abhängig von ihrer Beziehung zu ihren Artgenossen. Sie „spendeten“ nur dann Futter, wenn der andere Hund ihnen vertraut war. Für einen fremden Hund taten sie es nicht. Nun ließe sich argumentieren, dass Hunde ja in den Menschen ihren eigentlichen Sozialpartner sehen. Wissenschaftler in Wien führten deshalb den eben beschriebenen Test so durch, dass nunmehr Menschen die abhängige Rolle des Empfängers übernahmen. Überraschenderweise zeigten die Hunde in diesem Fall gar kein pro-soziales Verhalten. Sie unterschieden auch nicht zwischen ihnen bekannten und unbekannten Empfängern. Es fiel jedoch auf, dass die Testhunde die abhängigen Menschen deutlich länger anschauten als abhängige Artgenossen. Dies ließe sich beispielsweise damit erklären, dass die Tiere auf ein Signal warteten. Vielleicht empfanden sie es als ungewöhnlich, dass die Menschen gar nicht mit ihnen kommunizierten. Etwas allgemeiner gesagt, deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Hunde entweder Probleme haben, solche anspruchsvollen Situationen zu verstehen, oder ihnen die Motivation fehlt, Futter abzugeben. Schimpansen übrigens versorgen in ähnlichen Situationen ihre Artgenossen auch nicht mit Futter, selbst wenn es sie nichts kostet. Eine interessante Frage ist nun, ob Tiere einen Sinn für Fairness haben. Finden Tiere es ungerecht, wenn ein anderes Tier mehr oder besseres Futter bekommt? Wissenschaftler haben, um sich einer Antwort anzunähern, Affen getestet. Mit ihrem Experiment haben sie große mediale Aufmerksamkeit erlangt. In kurzen Videosequenzen, die man auf Youtube aufrufen kann, ärgern sich Kapuzineräffchen sichtlich darüber, dass Artgenossen besseres Futter erhalten. Leider sind diese Studien methodisch mangelhaft. Deshalb wird in der Fachwelt eher angezweifelt, dass Tiere einen Sinn für Fairness haben, der mit unserem vergleichbar wäre.
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Eine Wissenschaftlergruppe in Wien hat Hunde getestet, um der Frage nachzugehen. Die Hunde mussten eine Aufgabe erfüllen, die darin bestand, die Pfote reichen oder einen Taster zu drücken. Sie wurden dafür mit Futter belohnt, das akzeptabel, aber nicht wirklich lecker war. Wenn sie fertig waren, dann bekam ein Artgenosse, der sich in Sichtweite befand, für die Lösung derselben Aufgabe entweder das gleiche Futter oder sehr viel besseres. Im Ergebnis erfüllten die Testhunde ihre Aufgaben, ohne sich weiter dafür zu interessieren, welches Futter sie oder ihre Artgenossen bekamen. Wölfe und Gehegehunde jedoch schienen einen Unterschied zu machen, jedoch war der Effekt sehr gering. Was jedoch alle Tiere schlecht aushielten, war, wenn sie gar nicht belohnt wurden. Das erscheint uns zunächst logisch. Die Arbeitsmoral von Menschen lässt ja auch nach, wenn wir für unsere Mühen gar nicht belohnt werden. Aber das hat eher nichts mit Fairness zu tun. Sehr viel interessanter war, dass die Hunde zwischen Situationen unterschieden, in denen der Partner belohnt wurde und Situationen, in denen es gar keinen Partner gab. In Situationen, in denen es keine Belohnung gab, ließ ihr Eifer deutlich schneller nach, wenn ein Artgenosse dabei war, der belohnt wurde. Ob deshalb schon von einem Sinn für Fairness gesprochen werden kann oder nicht, das wird in der Fachwelt noch diskutiert. Die Anwesenheit eines Artgenossen scheint zumindest eine Rolle zu spielen. Die „Arbeitsmoral“ lässt schneller nach, wenn der Artgenosse belohnt wird. Es könnte auch sein, dass die Hunde aufhören mitzumachen, weil sie selbst Futter erwarten, wenn sie sehen, wie andere belohnt werden. Doch nicht nur Futter lässt sich teilen, sondern auch Aufmerksamkeit. Es haben mehrere Studien großes öffentliches Aufsehen hervorgerufen, in denen angeblich Eifersucht bei Hunden nachgewiesen worden ist. In diesen Studien wurde mit einem künstlichen Hundemodell gearbeitet, das von einem Menschen Futter oder Zuwendung erhält. Die Wissenschaftler beobachteten dann, ob die Hunde eine typisch eifersüchtige Reaktion zeigten. Versuchten sie beispielsweise die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich zu lenken oder Rivalen anzugreifen. Es ist allerdings völlig unklar, ob die getesteten Hunde diesen künstlichen Rivalen überhaupt als richtigen Hund wahrnahmen. Sofern Sie im täglichen Leben zuweilen die Erfahrung machen, dass Ihr Hund Sie bedrängt, während Sie Nachbars Hund streicheln, dann gibt es hierfür eine viel einfachere Erklärung. Vermutlich geben Sie in einer solchen Situation durch ihre Körpersprache und ihre Sprache das übliche Signal, es sei jetzt Zeit für körperlichen Kontakt. Sie können davon ausgehen, dass Ihr Hund darauf reagiert.
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Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Hunde doch Eifersucht empfinden. Es ist lediglich noch nicht bewiesen. Wissenschaftler in Leipzig haben eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse dagegen sprechen. Die Studie ging der Frage nach, wie Hunde Menschen beurteilen. Natürlich kann unser Hausgenosse unterscheiden, ob jemand freundlich zu ihm ist oder nicht. Hunde merken sich beispielsweise, wer einmal Ball mit ihnen gespielt hat. Wenn sie diese Person wiedertreffen, versuchen sie diese zu animieren. Aber wie schaut es aus, wenn Testhunde erfahren, wie ein Hund aus ihrem Haushalt behandelt wird? Der Versuchsaufbau ist klassisch. Es gibt einen „lieben“ und einen „bösen“ Versuchsleiter. Ersterer streichelt den Hund und spielt mit ihm, letzterer ignoriert ihn einfach. Was verhält sich nun ein Testhund, der dies beobachtet hat? Lernt er aus der Beobachtung? Nein, das tut er nicht. Es stellte sich heraus, dass die Hunde nicht den „lieben“ Versuchsleiter bevorzugten. Sie konnten offensichtlich nur im unmittelbaren eigenen Erleben lernen, aber nicht durch Beobachtung dessen, was einem anderen Hund geschah. Wenn dem so ist, dann fehlt es Hunden an Grundvoraussetzungen, um Fairness und Eifersucht so zu empfinden, wie wir sie bei uns Menschen kennen.
Gegenseitig helfen Wir haben uns nun mit verschiedenen Hilfearten beschäftigt, bei denen einzelne Akteure bestimmte Empfänger unterstützen. Nun wollen wir uns mit klassischer Kooperation beschäftigen. Die Frage lautet, ob und wie Hunde miteinander oder mit dem Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen können. In diesem Fall sind beide gleichermaßen Akteur und Empfänger. Jenaer Wissenschaftler untersucht, ob und wie Hunde und Wölfe zusammenarbeiten (Abb. 9.3). Sie gestalteten einen Verhaltenstest, der eine Jagdsituation nachstellen sollte, wie sie entsteht, wenn zwei Raubtiere gemeinsam versuchen, einen größeren Pflanzenfresser wie z. B. einen Elch zu schlagen. Das Konzept ging davon aus, dass in freier Wildbahn eines der Raubtiere die Aufmerksamkeit – und das gefährliche Geweih – des Pflanzenfressers auf sich lenken muss, damit das andere Raubtier angreifen und die Beute zu Fall bringen kann. In einer solchen Situation muss das Raubtier, das bei der Jagd das größere Risiko eingeht, unbedingt darauf vertrauen können, dass es einen fairen Teil der gemeinsam erjagten Beute erhält. Der Versuchsaufbau bestand aus einer T-förmigen Barriere, die die Tiere von
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Abb. 9.3 Bei dieser Aufgabe müssen sich die Tiere so koordinieren, dass sie gleichzeitig jedes an einer Seite der Schiebtür stehen. Sobald ein Tier durch die Öffnung gelangt, bleibt die Schiebtür stehen, und auch das andere Tier kann durch die Öffnung zum Futter gelangen
zwei gefüllten Futternäpfen trennte. Links und rechts der Barriere befanden sich verschließbare Öffnungen. Sobald sich bei einem Testdurchlauf ein Tier einer der Öffnungen näherte, wurde diese geschlossen, während die andere Öffnung offenblieb. Die Tiere mussten sich also koordinieren, sodass sie sich gleichzeitig an den Öffnungen positionierten. Das Tier, das geduldig gewartet hatte, konnte als erstes zum Futter gelangen, während das aktivere Tier zuerst den Stamm des „T“ umrunden musste, um gleichfalls fressen zu können. Hunde und Wölfe meisterten diese Aufgabe gleichermaßen erfolgreich. Sie gelangten durchschnittlich in drei von vier Fällen an das Futter. Allerdings teilten die Hunde genau wie die Wölfe das Futter nicht immer. Das aktivere Tier, das die Barriere noch umlaufen musste, hatte zuweilen einen Nachteil, weil es später an das Futter gelangte. Paare, bei denen das dominantere Tier die aktive Laufarbeit erledigte, hatten einen Vorteil. Das aktivere Tier nahm zwar potenziell das Risiko auf sich, seinen Futteranteil nicht zu erhalten. Sein höherer Rang aber sicherte ihm seinen Anteil selbst dann, wenn es später zum Futter kam als der rangniedrige Jagdpartner. Diese Studie illustriert, wie Kooperation und Wettbewerb manchmal zusammenhängen. Denn eigentlich sollte die Zusammenarbeit untersucht werden. Es stellte sich aber heraus, dass auch der Wettbewerb um die Belohnung das Verhalten der Paare beeinflusste.
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Die Aufgabe, die Hunde und Wölfe in dieser Studie zu lösen hatten, war relativ einfach. Die Tiere mussten sich untereinander abstimmen, um an Futter zu gelangen. Sie benötigten dafür kein Training. Bei komplexeren Kooperationsaufgaben scheinen Wölfe jedoch besser abzuschneiden als Hunde. Wissenschaftler aus Ernstbrunn bei Wien verglichen Wölfe und Hunde bei einer Aufgabe, bei der diese zusammen ein Brett heranziehen sollten (Abb. 9.4). Das Brett enthielt zwei Belohnungen und stand zu Versuchsbeginn außer Reichweite. Dafür war es durch zwei lose Seilenden mit dem Tiergehege verbunden, und zwar so, dass ein Tier nicht beide Enden erreichen konnte. Es mussten beide Tiere gleichzeitig an beiden Seilenden ziehen, um an das Tablett und damit an das Futter zu gelangen. Die Ernstbrunner Wölfe schnitten in diesem Verhaltenstest sehr viel besser ab als die im Gehege aufgezogenen Hunde. Familienhunde konnten die Aufgabe recht gut lösen. Auch hier spielt wahrscheinlich wieder eine Rolle, ob und wie das Futter auf dem Tablett geteilt wurde. Dies fällt Wölfen leichter. Darüber hinaus erscheint die Aufgabe weder für Hunde noch für Wölfe ganz einfach, sie erfordert ein intensives Training. Wie wir aus Kap. 8 wissen, sind Hunde gemeinhin nicht gut darin, etwas zielgerichtet zu sich zu ziehen. Und tatsächlich hatten alle Tiere in der Ernstbrunner Studie bereits ausgiebige Erfahrung damit gesammelt, Futter an einem Seil zu sich heranzuziehen. Es könnte deshalb sein, dass Hunde in dieser Kooperationsaufgabe vergleichsweise schlecht abschneiden, weil sie ihre physische Welt nur
Abb. 9.4 Um dieses Problem gemeinsam zu lösen, müssen die beiden Kooperationspartner zur gleichen Zeit an den beiden Enden des Seils ziehen, um an das Futter auf dem Brett zu gelangen
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in einem begrenzten Maße verstehen. Auch sind sie weniger hartnäckig als Wölfe. Wir haben bereits oft gesehen, dass die natürlichen Sozialpartner von Hunden nicht seine Artgenossen sind, sondern die Menschen. Aus diesem Grund testeten die Wissenschaftler in Ernstbrunn auch Hund-Mensch-Paare und Wolf-Mensch-Paare in dem Tablettversuch. Dabei schnitten Hunde genauso gut ab wie von Hand aufgezogene Wölfe. Beide bereitete es kaum Mühe, gemeinsam mit dem Menschen das Tablett heranzuziehen. Es zeigten sich aber auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Arten. Einen brachten die Forscher folgendermaßen auf den Punkt: Wölfe führen, Hunde folgen. Die Wölfe neigten eher dazu, zur Kooperation aufzufordern und auch die Führung zu übernehmen. Hunde hingegen warteten oft darauf, dass der Mensch aktiv wurde. So verhielten sie sich selbst dann, wenn sie näher am Brett standen. Sie schauten zum Menschen, um zu sehen, was der vorhatte. Die Hunde versuchten auch nicht, ganz im Gegensatz zu den Wölfen, dem Menschen ein Seilende wegzunehmen. Aus diesem Verhalten schlossen die Wissenschaftler, dass Hunde deshalb so gut mit Menschen zusammenarbeiten, weil sie ihn besser einzuschätzen wissen als einen Artgenossen und sie sich ihm bereitwillig unterwerfen. Schauen wir abschließend noch einmal auf unseren berühmten Filmhund Lassie. Sind Hunde nun auch im richtigen Leben klug und selbstlos, oder gibt es so etwas nur im Kino? Wie viel Wahrheit steckt in der Geschichte vom nimmermüden Collie, der selbstlos Menschen hilft, dabei immer den Überblick behält und stets weiß, was zu tun ist? Kurz gesagt: Unseren alltäglichen Hunden mangelt es weniger an Selbstlosigkeit, denn Hunde sind in verschiedenen Situationen höchst motiviert, mit uns zusammenzuarbeiten. Woran es eher hapert, das ist die „Klugheit“. Hunde bereitet es nicht selten Probleme, die Situation umfassend zu verstehen. Sie wissen häufig einfach nicht, was aus Menschensicht zu tun wäre, um wirklich zu helfen. Wenn Menschen ihren Hunden aber klare und unmissverständliche Hinweise geben, dann helfen Hunde sehr zuverlässig und auch ohne Futterbelohnung.
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Wir haben auf den vorigen Seiten einiges über unsere Hunde gelernt. Manches war vielleicht neu für Sie. Manches auch nicht. Für manches, das Sie längst geahnt haben, kennen sie nun einen wissenschaftlichen Beleg. Und wir hoffen, dass Sie von den Leistungen der Hunde und Wölfe, die wir ihnen vorgestellt haben, zuweilen überrascht waren. Wir haben damit begonnen, was es mit den Anfängen des Hundes auf sich hat. Vielleicht kannten Sie bis jetzt nur die Geschichte, wie der urzeitliche Jäger einen Wolfswelpen mit nach Hause bringt. Nun haben sie gesehen, dass nach einer neuen Theorie sich vielleicht auch der Wolf in gewisser Weise selbst domestiziert hat. Sie haben weiterhin erfahren, was genau sich getan hat, als der Wolf zum Hund wurde. Sie wissen jetzt, dass Ihr Hund einige Fähigkeiten seines Stammvaters verloren, aber dafür neue hinzugewonnen hat. Wenn Sie Ihren Hund demnächst wieder einmal alleine lassen müssen, weil Sie etwas Dringendes zu erledigen haben, dann wird Ihnen klar sein, warum es ihm so schwer fällt, alleine zurückzubleiben. Das Bedürfnis, in menschlicher Nähe zu sein, ist Hunden in die Wiege gelegt worden. Sie sollten sich demnächst auch nicht mehr wundern, wenn Ihr Hund immer genau zu wissen scheint, wann der beste Moment ist sich Futter vom Tisch zu holen. Der Verdacht, den Sie möglicherweise schon lange hatten, ist wissenschaftlich bestätigt. Hunde haben ein Gespür dafür, was wir Menschen sehen und was wir nicht sehen können. Sie sind sehr sensibel dafür, wann wir aufmerksam sind und wann nicht.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8_10
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Sie haben aber auch etwas über die Grenzen Ihres Haustieres erfahren. Es hat Sie vielleicht erstaunt, dass Hunde kaum lernen, in dem sie jemandem zuschauen. Zwar können sie davon profitieren, wenn sie anderen bei der Lösung eines Problems zusehen. Aber sie machen es nicht genau nach. Dies ist ein Thema, das Hundebesitzer immer wieder aufhorchen lässt. Hat Labrador Ben nicht von seiner Mutter gelernt, die Tür auf zu klinken? Vielleicht hat er aber einfach nur an derselben Stelle wie sie mit seinen Pfoten gekratzt. Oder es wurde einfach noch nicht der richtige Test entwickelt, um diese Art von Lernen nachzuweisen? Bis dieser Test gefunden ist, tröstet Sie vielleicht, dass auch Affen schlecht „nachäffen“. Denn dieses genaue Kopieren einer Handlung scheint etwas typisch menschliches zu sein. Es gibt einen weiteren Bereich, in dem sich Hunde schwer tun. Sie verstehen erstaunlich wenig über Ihre unbelebte Umwelt. Das Interessante ist, dass Sie oft eine Strategie entwickeln, um die jeweiligen Probleme zu lösen. Sie ziehen z. B. an einem Strick, der mit einem Futterstück verbunden ist. Schaut man aber genauer hin, stellt sich heraus, dass die Hunde den Vorgang nicht wirklich verstanden haben. Sie ziehen einfach an dem Strickende, der dem Futter am nächsten ist. Sie verfolgen nicht den Strick bis zum Futter. Diese Strategien helfen auch meist, das Problem zu lösen. Aber nicht immer! Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Hund immer wieder zu einem leeren Futterbehälter geht. Wenn Sie diesen schütteln, um zu zeigen, dass nichts darin ist, wird Ihr Zögling das nicht verstehen. Aber seien Sie nicht enttäuscht. Andere Hunde schaffen das auch nicht! Verschiedene Strategien helfen oft weiter, aber noch öfter hilft der Mensch. Die Hunde sind so gut an uns angepasst, dass sie kaum noch ohne uns überleben können. Sie sind auf uns angewiesen. Deshalb gibt es einen Bereich, in dem sind unsere Hunde echte Spezialisten. Und zwar dann, wenn es darum geht, mit uns Menschen zu kommunizieren. Z. B. kann Ihr Hund ihnen sicher sehr gut anzeigen, wo sein Lieblingsspielzeug versteckt ist. Dafür müssen Sie ihn nicht einmal trainieren. Vielleicht noch beeindruckender sind seine Fähigkeiten, wenn es darum geht, unsere Kommunikation zu verstehen. Seien es unsere Gesten oder auch unsere gesprochenen Befehle, Hunde können unsere Signale sehr gut nutzen. Wenn Sie also demnächst mit ihrem Hund kommunizieren, denken Sie daran wie empfänglich er für die kleinsten Hinweise sein kann. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass er sogar sensibler für diese Hinweise ist, als unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen. Ein Tier welches sogar unser Blinzeln als Zeichen deutet muss man nicht anschreien, damit
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es einen versteht. Vielleicht konnten wir hier dazu beitragen, dass Sie ihren Hund jetzt ein wenig mit anderen Augen betrachten.
Viele Fragen bleiben offen! Dieses Buch kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir wollten einen Einblick vermitteln, auf welchem Stand die Wissenschaft gerade ist. Dies kann sich schnell ändern. In diesem Bereich wird viel geforscht. Wissenschaftler auf der ganzen Welt führen inzwischen Studien zu dem Thema Kognition bei Hunden durch. Denn Hunde lassen sich gut testen. Meist sind sie sehr unkompliziert und freundlich. Man kann sie gut motivieren. Und man braucht dafür nicht einmal in den Zoo zu gehen. Denn es gibt sie überall! Vielleicht wird gerade im nächsten Monat eine Studie veröffentlicht, die wieder einmal eine unserer Vorstellungen über unseren vierbeinigen Begleiter über den Haufen wirft. Denn sehr viele Fragen sind noch offen. So wissen wir nach wie vor sehr wenig darüber, wie Hunde beispielsweise Gerüche verstehen und interpretieren. Dabei ist die Nase das vielleicht wichtigste Sinnesorgan für sie. Wir Menschen aber stehen erst am Anfang zu begreifen, was Hunde in diesem Bereich vielleicht tatsächlich verstehen. Auch die Mimik des Hundes gilt es noch, systematisch zu untersuchen. Wir haben jetzt neue und objektive Methoden, um uns genau anzusehen, wann und wie Hunde ihre Gesichtsmuskeln bewegen. Vielleicht kann ein detailliertes Ethogramm von Hundemimik das Ergebnis dieser Forschung sein.
Warum ist das wichtig? Warum beschäftigen wir uns mit diesem Thema? Zum einen natürlich deshalb, weil uns als Hundeliebhaber interessiert, was in unserem Schützling so vor sich geht. Aber dies ist nicht der einzige Grund. Zu verstehen, was der Hund versteht ist, auch wichtig in Bezug auf die Entwicklung des Menschen. Einer der großen Fragen ist ja, wie sich die menschliche Kognition im Laufe der Evolution entwickelt hat. Was einzigartig menschlich ist. Viele Fähigkeiten des Menschen hat man lange für einzigartig gehalten. Aber je näher man diese Fähigkeiten untersucht hat, umso öfter ist man auf Parallelen in manchen Tierarten gestoßen. Dies ist wichtig. Es gibt uns Aufschlüsse über uns selbst. Darüber, was sich im Laufe unsere
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Entwicklung verändert hat und welche Fähigkeiten wir mit anderen Arten teilen. Der Hund ist einer der am meisten geeigneten Kandidaten, um solche Fähigkeiten zu untersuchen. Man nahm z. B. an, dass nur Menschen in der Lage sind neue Begriffe durch indirektes Zuordnen zu erlernen. Findet man dies nun auch bei einem Tier, kann es mit der Einzigartigkeit nicht weit her sein. Es ist nun nachgewiesen, dass der Border Collie Rico genau auf diese Art und Weise neue Begriffe lernen konnte. Also ist dies keine Fähigkeit, die nur Menschen entwickelt haben. Rico war kein Mensch und damit ist die Annahme widerlegt. Wir haben außerdem erfahren, wie gut Hunde darin sind, unsere Zeigegesten zum Auffinden von Futter zu nutzen. Demzufolge kann dies keine ausschließlich menschliche Kommunikationsform sein. Selbst dann nicht, wenn unsere nächsten Verwandten große Schwierigkeiten damit haben, unsere Gesten zu nutzen. Interessant wird es besonders dann, wenn Hunde bestimmte Fähigkeiten entwickeln, die man sonst bei keiner anderen Tierart findet. Die man außer beim Hund nur noch beim Menschen findet. Z. B. spricht einiges dafür, dass unsere Haushunde besser darin sind als Zeigegesten zu nutzen als alle anderen Tiere. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Hunde besondere Fähigkeiten im Zusammenleben mit dem Menschen entwickelt haben. In der langen gemeinsamen Zeit wurden vermutlich bestimmte Dinge gefördert und andere nicht. Man kann sich z. B. gut vorstellen, dass die Hunde einen Vorteil hatten, die dem Menschen gegenüber besonders aufmerksam waren. Sie reagierten besser auf ihn, deshalb bevorzugte er sie. Sie bekamen vielleicht etwas mehr Futter als die weniger aufmerksamen Hunde, und konnten sich besser fortpflanzen. So hat sich dann dieses Verhalten durchgesetzt. Vielleicht können uns diese besonderen Fähigkeiten der Hunde sogar Auskunft über unsere eigene Entwicklung geben. Z. B. darüber, was bei uns Menschen die natürliche Selektion beeinflusst haben könnte. Wir haben höchstwahrscheinlich die freundlichen, aufmerksamen Hunde gefördert, die mit uns Kontakt aufnahmen. Vielleicht haben sich auch bei der Entwicklung des Menschen besonders die freundlichen Individuen durchgesetzt. Vielleicht ist es daher zu der Ausbildung einiger besonderer Fähigkeiten gekommen. Z. B. ist es typisch für uns Menschen, dass wir sehr gut miteinander kooperieren. Noch ist es reine Spekulation, ob wir aus den Fähigkeiten der Hunde solche Schlussfolgerungen ziehen können. Vielleicht aber tragen diese Untersuchungen tatsächlich dazu bei, auch etwas über uns selbst zu erfahren.
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Tierwohl Aber es gibt noch einen weiteren, aus unserer Sicht sehr wichtigen Grund, weswegen wir die kognitiven Fähigkeiten von Hunden studieren sollten. Das Tierwohl. Wenn wir nicht verstehen, was im Kopf des Hundes vor sich geht, laufen wir Gefahr, Hunde systematisch falsch einzuschätzen. In der Arbeit mit dem Hund gibt es zwei Extreme. Das eine ist der sogenannte Behaviourismus. Darunter versteht man die Annahme, dass Verhaltensänderungen des Hundes ausschließlich durch Konditionierung und Training herbeigeführt werden können. Hund, so lautet die dahinterstehende Annahme, sind zu einem flexiblen Denken kaum in der Lage. Das andere Extrem ist der sogenannte Anthropomorphismus. Das bedeutet so etwas wie die „Vermenschlichung“ von Hunden. Die Annahme, die diesem Denken zugrunde liegt, lautet, dass alles menschenähnliche Verhalten, das Hund an den Tag legen, auch menschliches Verständnis beinhaltet. Wer so denkt, wird überzeigt davon sein, dass Hunde alles verstehen, was wir Menschen sagen und fühlen, dass Hunde fraglos empathisch sind und so weiter. Sicher ist, dass beide extreme Denkweisen unseren Hunden nicht gerecht werden. Sowohl der Behaviorismus als auch der Anthropomorphismus stehen einem wirklichen Verständnis von Hundes entgegen. Schauen wir uns beispielsweise die Empathie an. Wenn wir Empathie sagen, dann meinen wir das Erkennen, das Verständnis und das Nachempfinden von Gefühlswelten eines anderen Individuums. Können Hunde das? Können Hund erkennen, verstehen und nachempfinden, wenn wir Menschen fröhlich oder traurig sind? Die Wissenschaft kann diese Frage noch nicht beantworten. In einer Wiener Studie konnte gezeigt werden, dass Hunde auf emotionale Geräusche von Menschen und Artgenossen reagieren, zuweilen mit Stress. Wenn aber nun Hunde tatsächlich von menschlichen Gefühlen gestresst werden, dann müssten wir aber vielleicht über ihren Einsatz in tiergestützter Therapie nachdenken. In solchen Therapien werden Hunde manchmal mit sehr emotionalen Situationen konfrontiert. Müsste man nicht fragen, ob ein eher sensibler Hund auf diese Weise nicht einem Stresslevel ausgesetzt wird, der dem Tierwohl widersprechen könnte? Um solche und viele andere Fragen besser beantworten zu können, dazu brauchen wir Wissenschaft. Wir sollten verstehen, wie Hunde unterschiedliche Situationen erleben und verstehen, bevor wir sie damit konfrontieren.
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Wie klug ist mein Hund? Hunde sind fester Bestandteil unseres menschlichen Alltags. Es erscheint daher vielleicht bemerkenswert, wie wenig wir immer noch über sie wissen. Wir hoffen deshalb, dass Sie in diesem Buch erfahren haben, wie wichtig es ist, Hundeverhalten zu hinterfragen. Oft nehmen Menschen an, hinter einer bestimmten Verhaltensweise stecke ein ähnlicher „Gedanke“ wie bei ihnen selbst. In diesem Buch haben Sie erfahren, dass dies wirklich nicht unbedingt der Fall sein muss. Dass muss aber nicht heißen, dass es Ihren Hund weniger liebenswert macht, wenn er bestimmte Sachen nicht begreifen kann. Denn auch ohne ein solches Verständnis sind unsere Haushunde sehr erfolgreich. Sie haben sich perfekt an das gemeinsame Leben mit uns Menschen angepasst. In unseren Städten und Dörfern leben Millionen von ihnen. Und ein Blick in ein beliebiges Geschäft für alltäglichen Tierbedarfs zeigt, dass wir uns unser gemeinsames Leben mit den Hunden einiges kosten lassen. Aber sie nützen uns ja auch. Eine Studie aus Finnland beispielsweise hat eindrucksvoll gezeigt, wie nützlich ein Hund für Jäger sein kann. Die Unterstützung durch einen Hund erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit von Jägern um mehr als 50 %. Das ist wahrscheinlich schon so, seitdem Menschen und Hunde vor mehreren Zehntausend Jahren begannen miteinander zu kooperieren. Heute sind Hunde als zuverlässige Blindenführer, als gründlich suchende Retter oder als engagierte Herdenhüter tätig. Vielfach sind sie aber nur unsere Begleiter. Und jeder Hundebesitzer weiß, dass das Zusammenleben mit einem Vierbeiner kaum mit Geld aufzuwiegen ist. Aber wie klug ist nun der Hund? Vielleicht hätten sie sich an dieser Stelle eine genaue Antwort auf diese Frage gewünscht. Wie klug ist er denn? Steht als Gesamtnote eine „1“ oder eine „6“ auf seinem Zeugnis? Wenn sie es so wollen, dann gäbe es vielleicht eine „1“ für das Nutzen von Zeigegesten, und eine „4“ für soziales Lernen. Aber wir möchten das nicht werten. Denn wer sollte entscheiden, welche Fähigkeit die wichtigste ist? Würde ein Hund ein Buch schreiben, dann würde vielleicht darin stehen: „Das Entscheidende ist eine gute Nase.“ Tatsächlich, Hunde riechen bestimmte Stoffe ca. 100.000 Mal besser als wir. Zudem können sie sich den Individualgeruch eines Menschen oder Artgenossen sehr gut merken, um ihn dann zuzuordnen. Das können wir nicht. Sind wir deshalb dümmer als Hunde? Sicher nicht. Denn jeder hat genau die Fähigkeiten entwickelt, die er braucht.
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Wir hoffen, dass Sie in diesem Buch einiges über Hunde erfahren haben, das Sie noch nicht wussten. Wir hoffen, wir konnten Ihnen einen kleinen Einblick darüber geben, was Hunde über die Welt verstehen, in der sie leben. Noch mehr würden wir uns freuen, wenn wir auf diesem Wege einige Vorurteile über den Wolfsnachfahren ausräumen könnten. Der ist nämlich weder ein alles verstehender „besserer Mensch“, noch eine durch Reflexe gelenkte Bestie. Sondern ein fantastischer Begleiter.
Zum Weiterlesen
Wie aus dem Wolf der Hund wurde Archer, J. (1997). Why do people love their pets? Evolution & Human Behavior, 18, 237–259. Bonanni, R., & Cafazzo, S. (2014). The social organization of a population of free-ranging dogs in a suburban area of Rome: A reassessment of the effects of domestication on dog behaviour. In J. Kaminski, & S. Marshall-Pescini (Hrsg.), The social dog: Behaviour and cognition (S. 65–104). Elsevier. Coppinger, L., & Coppinger, R. (2002). Dogs: A new understanding of Canine origin, behavior and evolution. Chicago: The University of Chicago Press. Kaminski, J., & Marshall-Pescini, S. (2014). The social dog: Behavior and cognition. Elsevier. Kaminski, J., Waller, B. M., Diogo, R., Hartstone-Rose, A., & Burrows, A. M. (2019). Evolution of facial muscle anatomy in dogs. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(29), 14677–14681. Serpell, J. (1995). The domestic dog: Its evolution, behaviour and interactions with people. Cambridge: Cambridge University Press. Thalmann, O., Shapiro, B., Cui, P., Schuenemann, V. J., Sawyer, S. K., Greenfield, D. L., & Wayne, R. K. (2013). Complete mitochondrial genomes of ancient canids suggest a European origin of domestic dogs. Science, 342(6160), 871–874. Waller, B. M., Peirce, K., Caeiro, C. C., Scheider, L., Burrows, A. M., McCune, S., & Kaminski, J. (2013). Paedomorphic facial expressions give dogs a selective advantage. PLoS ONE, 8(12), e82686.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8
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Stichwortverzeichnis
A
Ausbildung 152
Domestikation 9, 19, 22, 34, 35, 42, 98, 99, 153
B
F
Babysprache 119 Behindertenbegleithund 19 Bellen 12, 22, 54, 57, 103–107, 109 Bernhardiner 11, 43–45 Bestandsüberwachung 20 Blickkontakt 5, 19, 22, 31, 33, 40, 41, 49, 50, 52, 65, 87, 90, 92, 97, 100, 113, 142, 176 Border Collie 1, 9, 26, 43, 44, 115, 116, 124–128, 140, 141, 149, 174 C
Cocker Spaniel 26, 43
Fuchs 40, 44, 97, 98 G
Gehirn 2, 30, 108 genetische Methode 12 genetische Studie 13 genetische Verwandtschaft 43 genetisches Material 16 genetisches Merkmal 42 Geruchssinn 151 Gesichtsausdruck 20, 113, 114 Geste kommunikative 87 H
D
Dackel 11, 26, 44, 45, 70, 82, 125 Diagnose körperlicher Krankheiten 20
Hundeblick 19, 22, 33, 39, 42, 113
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bräuer und J. Kaminski, Was Hunde wissen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61860-8
185
186 Stichwortverzeichnis I
P
Imitation 66, 68
Pferd 99, 115, 116, 128 Polizei 20, 49, 151 Pudel 23, 31, 43, 143
J
Jagd 13, 14, 16, 18, 19, 25, 43, 44, 167 K
Käferspürhund 20 Katze 52, 99, 109, 138 Kind 1, 8, 10, 16, 17, 19, 22–27, 33, 34, 37, 38, 41, 66, 87, 100, 101, 111, 118, 119, 121, 123, 133, 135, 136, 161, 164 Knurren 43, 103, 105–107, 109, 111 kognitiv 2, 8, 10, 30, 38, 45, 175 L
Labrador 11, 23, 26, 44, 45, 139, 172 Lassie 1, 10, 12–14, 23, 24, 26, 29, 30, 36, 38, 44, 46, 157, 158, 162, 163, 170 Lernen soziales 66
R
Rassegruppeneinteilung 44 Rico 1, 9, 45, 115, 116, 118, 121–125, 140, 174 S
Schäferhund 11, 26, 43–46, 59, 70, 131, 132, 137, 155 Schimpanse 49, 60, 93, 136, 137, 139, 164, 165 Schwein 29, 99, 148 Spielzeug 1, 4, 6, 50, 62, 68, 87, 121, 124, 132, 135, 136, 140, 142, 149, 152, 159, 161 apportieren 57, 58, 85 Unterscheidung 115, 116, 118, 121, 122, 125, 127 verstecktes 37, 134, 138, 141, 143, 151 Spracheverständnis 118 Spürhund 20 Straßenhund 16, 31, 32, 67, 94
M
Material genetisches 16 Menschenaffen 2, 9, 49, 79, 87, 136, 138, 149, 153, 161, 172 Merkmal genetisches 42
T
Terrier 26, 43, 44, 103, 125 Therapiehund 19 Tierheim 21, 35, 94 Trainierbarkeit 43
Stichwortverzeichnis 187 V
Verhaltenstest 44 Verhaltensunterschied 43, 44 Verstärkung 73, 75, 76, 88 Verwandtschaft genetische 43
Windhund 11, 14, 43, 44 Wolf 2, 9, 11–16, 20, 22, 27, 33–40, 42, 43, 46, 49, 67, 95–97, 100, 101, 109, 110, 113, 149, 153, 154, 164, 166–171 Z
W
Welpen 14, 15, 21, 26, 32–37, 39, 67, 82, 83, 93–95, 98, 119, 153, 158, 171
Zeigegeste 45 Ziege 8, 12, 18, 99 Züchtung 44