Wann kommt das Reich Gottes?: Präsentationspredigt über Ev. Luca Cap. 17, 20–21 gehalten in der Neuen Kirche zu Berlin am 7. November 1880 [Reprint 2020 ed.] 9783111500232, 9783111134208


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Wann kommt das Reich Gottes?: Präsentationspredigt über Ev. Luca Cap. 17, 20–21 gehalten in der Neuen Kirche zu Berlin am 7. November 1880 [Reprint 2020 ed.]
 9783111500232, 9783111134208

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Wann kommt das Reich Gottes? Präsentationspredigt über Ev. Lucä Cap. 17, 20—21 gehalten in der Neuen Kirche zu Berlin

am 7. November 1880 von Lic. Hoßbach, Prediger zu St. Andreas in Berlin.

Berlin. Druck und Verlag von G. Reimer.

1880.

Luc. 17, 20. 21: Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden, man wird auch nicht sagen: siehe hier oder da ist es; denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Die Frage der Pharisäer in unserem Text: Wann kommt

das Reich Gottes? versetzt uns mitten hinein in die glühende

Erregtheit jener Tage, da unser Herr die Städte und Flecken des jüdischen Landes durchzog, sein Evangelium verkündigend.

Tief gedemütigt lag das Volk am Boden, das sich mit Stolz nannte das erwählte Volk, das Volk Gottes, das Volk des Eigentums.

Die stolzen Nacken mußten sich beugen unter

das Joch der römischen Eroberer, deren Hand mit eisernem'

Druck auf ihnen lag.

Aber mit dem Jammer und der Not

der Zeit richteten sich die Herzen auf an den Verheißungen

der alten Propheten, welche in glänzenden Farben die zu­ künftige Herrlichkeit des Volkes Gottes verkündigt, welche

geweissagt hatten das Kommen des Messias, der das Reich Gottes aufrichten werde in einer Herrlichkeit, die das Reich

Davids und Salomos überstralen werde.

Je größer das

Elend der Gegenwart war, umso brennender erfüllte alle

1*

4 Herzen die heiße Sehnsucht nach dem Kommen dieses Reiches, nach der Erscheinung des Messias.

Je tiefer sie im Staube

lagen, umso zuversichtlicher erhob sich die Hoffnung, der große

Tag des Herrn müffe nun bald anbrechen, da ihre Ketten gebrochen und das Gericht über die Heiden durch de» Messias

beginnen werde.

Da lag auf tausend und abertausend Lippe»

die Frage: Wann kommt das Reich Gottes? Wie war eS da

doch so natürlich, daß die Pharisäer, vie unablässig daS Feuer dieser Sehnsucht, dieser Hoffnung sch'rten, mit der gleichen

Frage an unsern Herrn herantraten. Kam eS ihnen auch nicht in den Sinn daß der, den sie fragten, der ersehnte Messias selber

sei, der gekommen, sein Reich, das Reich Gottes aufznrichten, durch daS ganze Land ging doch von ihm das Gerücht: es ist ein großer Prophet unter uns ausgetreten; weit und breit

wnrde er für den Vorläufer, für den Bahnbrecher deS Messias gehalten, der seine Anknnft verkündige.

Da war es ja er­

klärlich, daß sie diese alle Herze» bewegende, auf allen Lippen liegende Frage auch an ihn richteten: wann kommt daS Reich

Gottes? — Wol sind seitdem Jahrhunderte vergangen, wol wiffen wir, in unserm Herr» ist erschienen der Messias, nicht

blos der Heiland der Juden, sondern der Erlöser der Welt; wol wiffen wir: er hat sein Reich aufgerichtet auf Erden, «nd es hat sich auSgebreitet über die Länder; wol wiffen wir, eS ist kein irdisches Weltreich, wie die Juden es träumten,

sondern ganz andrer Art und Beschaffenheit.

Aber dennoch

ist die Frage, die damals die Herzen so mächtig bewegte, auch noch immer in «nS lebendig; auch in unsern Gedanken

drängt sie sich immer wieder hervor: Wann kommt das Reich Gottes? Oder wenigstens, es bewegen unsre Herzen «nd Ge­

müter solche Fragen, welche den Grundton dieser Frage in

5 sich tragen, welche entquellen dem heißen Verlangen unserer Herzen nach einem neuen Kommen seines Reiches.

Hat

unser Heiland uns beten gelehrt: Dein Reich komme, sollte nicht je inbrünstiger und heißer unsre Bitte ist, die Bitte un­

willkürlich zur Frage werden: wann wird es kommen? Aber ist unsre Frage die gleiche oder eine ähnliche wie die der

Pharisäer, so wird die Antwort, die unser Herr ihnen gibt,

auch für uns gegeben sein.

So sei denn der Gegenstand

unserer Betrachtung:

Die Unterweisung des Herrn über das Kommen

des Reiches Gottes.

Ich sage: auch wir ersehnen das Kommen des Reiches Gottes, auch wir fragen: wann kommt es? ohne daß wir freilich jene Träume der Juden von einem irdischen Welt­

reich zu den unsrigen machen.

Was für ein Ziel, was für

ein Zustand schwebt uns denn vor, wenn wir bitten um das

Kommen des Reiches Gottes, wenn wir arbeiten an der Ver­ wirklichung des Reiches Gottes auf Erden?

Ich meine:

eine Menschheit, die ihre Kniee beugt vor dem ewigen Gott als dem König aller Könige, die ihn anbetet im Geist und

in der Wahrheit, eine Menschheit, in der die Macht der

Sünde, der gottfeindlichen Gewalten gebrochen ist, die erlöst ist von der Sünde, die versöhnt ist mit Gott, die ihren Gott

erkannt hat als den Vater voller Gnade und Barmherzig­

keit, der sie zu Kindern Gottes berufen hat, in der hell lodert das Feuer heiliger Liebe zu Gott und damit zu allem

Guten, Heiligen, Göttlichen, die in Gott eingewurzelt, vom Geist Gottes erfüllt wandelt in göttlicher Lebenskraft, die

6 freudig Gottes Willen tut, demütig Gottes Schickungen trägt,

die in der Gewißheit der ewigen Gnade und Liebe Gottes den Frieden Gottes im Herzen hat, also eine Menschheit voll urkräftigster Religiosität, voll tiefinnigster Frömmigkeit,

eine Menschheit in der

alle Früchte des heiligen Geistes

reifen, ein Reich der Liebe, der Treue, der Gerechtigkeit, der Eintracht, des Friedens, der Wahrheit, kurz ein Himmelreich,

ein Himmel auf Erden.

Aber wenn wir von diesem Flug

der Gedanken in die Wirklichkeit zurückkehren, wenn wir auf

unser Volk sehen, wie weit sind wir nicht blos von solchen

Zuständen entfernt, sondern wie weit scheinen wir auch nur

von einer allmäligen Annäherung an solche Zustände, von einem noch so langsamen Fortschreiten nach der Verwirk­ lichung solches Gottesreiches hin entfernt zu sein! Weite Kreise

unsres Volkes sind dem religiösen Leben völlig entfremdet.

Stumpf und gleichgültig stehen die einen da ohne das ge­

ringste Verständnis, ohne die leiseste Ahnung von der uner­

meßlichen Bedeutung der christlichen Frömmigkeit für Herz und Gemüt, für das ganze Leben des Menschen; und solcher ist

wahrlich

eine

große

Schar.

In offner Verachtung

wenden andre dem Christentum den Rücken.

Wie jede Re­

ligion so erscheint ihnen auch das Christentum als eine über­

wundene und beseitigte Erscheinung, nicht wert, daß ein Ge­

bildeter unsrer Tage sich damit befasse; und auch ihrer sind

nicht wenige.

Ein Geschlecht aber, das verlernt zu trachten

nach dem was droben ist, wird unwiderstehlich hinabgerissen zu dem Trachten nach dem was auf Erden ist.

Erlahme in

dem Flug des Geistes nach den höchsten geistigen Gütern,

Du sinkest unrettbar in den Dienst des sinnlichen Wesens. Und so ist es ja auch in unsrer Zeit.

Die Krankheit unsrer

7 Zeit ist die materialistische Sinnes- und Handlungsweise.

Erwerben, Besitzen, Genießen ist das Feldgeschrei, dem viele

Tausend folgen, das Ziel, das all ihr Denken und Sinnen

und Arbeiten in Anspruch nimmt und ein Heer von bösen Leidenschaften wachruft, schwere sociale Misstände herbei­ führt.

Uebertreiben wir, wenn wir sagen, daß ein Strom

ungöttlichen Wesens mächtig durch unsre Zeit dahinbraust?

Und unsre Kirche, die mit der Botschaft des Evangeliums berufen ist anzukämpfen gegen die ungöttlichen Mächte und

Gottes Reich aufzurichten, hat sie in diesem Kampfe glän­

zende, in die Augen fallende, hat sie nur nennenswerte Er­ folge gehabt? mocht?

Hat sie die bösen Geister zu bannen ver­

Wie scheint sie doch so ohnmächtig dazustehen, aus

tausend Wunden blutend, zerrissen, selbst eine Stätte heftiger

Kämpfe, die mit stets wachsender Leidenschaftlichkeit geführt werden!

Ich möchte euch fragen: ist einer unter euch, dem

es heiliger Ernst ist um die Wiederbelebung des religiösen

Lebens, um die Pflege christlicher Frömmigkeit, der mit innerer

auf unsre Zeit blicken könnte als

auf eine

Zeit, in der machtvoll das Reich Gottes kommt?

Ich bin

Befriedigung

überzeugt: kein einziger. Aberda wird dann doch auch ganz unwillkürlich in uns allen, die wir diese Notstände und Schäden schmerzlich empfinden, die wir überzeugt sind, daß ein Volk,

das sich abwendet von der Religion, seinem Verfall entgegen geht, die Frage aufsteigen: Kommen denn nicht bald bessere

Zeiten, Zeilen neuer Erweckung zu neuem religiösen Leben?

Zeiten, da wieder die Ströme des Geistes in neuer Fülle strömen und die Herzen erfüllen mit neuem göttlichen Leben? Zeiten, in denen das Evangelium von Jesu Christo den Zu­

gang zu den Herzen wiederfindet und sich als die Gottes-

8 kraft bewährt, die die Schäden heilt?

Zeiten des Friedens,

in denen die aufgeregten Leidenschaften erlöschen und die

Kämpfe ruhen?

Forschend und fragend sehen wir uns um,

ob die Zeichen der Zeit noch immer auf harten Winterfrost deuten, ob nicht wärmere Lüfte zu wehen anfangen, die die Vorboten eines neuen Lenzes sind.

Oder mit andern Worten:

Auch in unsern Herzen, auf unsern Lippen ist doch dieselbe Frage der Sehnsucht und des Hoffens,

welche einst das

jüdische Volk bewegte, die Frage: WannkommtdasReich Gottes?

Nehmen wir denn auch die Antwort unsres Herrn

zu Herzen.

Es ist merkwürdig: was die Pharisäer fragen, beant­

wortet der Herr nicht; aber was sie nicht fragen, das be­

antwortet er.

Sie fragen, wann das Reich Gottes kommt,

er sagt ihnen, wie es kommt, wo

es kommt.

konnte er auch anders als so zu ihnen reden.

Aber wie

Das Gottes­

reich, das sie erwarteten, war ja doch ein Reich der Träume, daS niemals Wirklichkeit gewinnen sollte.

Das wahre Gottes­

reich aber war eben im vollen Kommen begriffen; er stand

ja vor ihnen, der Messias, der Bringer dieses Reiches.

Da

war es doch vor allen Dingen notwendig ihnen, statt die Frage nach dem Wann zu beantworten, das wahre Wesen seines Gottesreiches

aufzuschließen.

Aber wir lesen doch

auch in diesen Worten des Heilandes die Antwort auf ihre

Frage: Wann kommt das Reich Gottes?

Das Reich Gottes

ist ja schon da, das Reich Gottes, das der Messias bringen

soll, ist im vollen Kommen begriffen: er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt.

Ja das Reich Gottes ist

im Kommen begriffen, das soll die Zuversicht sein, die auch uns in unsrer Zeit erfüllen soll.

9 Aber sehen wir es denn wirklich kommen? Sehen wir es denn mehr und mehr verwirklicht werden auf Erden in

unserm Volk? Haben wir in religiös-sittlicher Beziehung nicht

viel mehr von Rückschritten als von Fortschritten zu berichten?

Reich

Gottes

kommt nicht mit äußerlichen Geberden,

d. h. es

Unser Herr antwortet

auch

uns:

Das

kommt nicht so, daß es beobachtet werden kann; es kommt

in der Stille und unvermerkt.

Das Samenkorn liegt im

Schoße der Erde, bedeckt mit der Schneedecke des Winters;

aber dem Auge des Menschen verborgen regt sich unter der starren Hülle doch mächtig das Leben, und das Samenkorn

keimt, bis es die Scholle sprengt und als grüner Halm ans

Tageslicht tritt. Gottes.

So ist's auch mit dem Kommen des Reiches

Die Juden schauten nach Zeichen vom Himmel,

nach Zeichen auf Erden, die das Nahen des Gottesreichs

verkündigen sollten; Galiläas,

in

seiner

indessen Würde

wandelte

und

durch

Bedeutung

die Fluren

von seinem

Volk nicht verstanden, des Menschen Sohn, der Säemann, der das Senfkorn ausstreute, das zu dem Baume werden

sollte, der seine Zweige über die Erde ausbreitete.

Das

Reich Gottes kam nicht mit äußerlichen Geberden.

Dort

zieht ein Saulus schnaubend und drohend mit Mord gen

Damascus; aber den Augen der Menschen verborgen nagt an seinem Herzen ein Wurm, der nicht stirbt, bohrt in seinem

Herzen ein Stachel, dem er sich nicht entziehen kann, arbeitet der Geist der Wahrheit an seinem Innern, bis der Tag von

Damascus für ihn anbricht.

Und wenn wir dann über­

schauen, was das Ergebnis aller der aufreibenden Lebensarbeit

des großen Heidenapostels war, wie geringfügig war es doch

nach gewöhnlichem Maßstab gemessen.

In.einzelnen großen

10 Städten kleine, verschwindend kleine Gemeinden, zumeist ge­

bildet aus den niedrigen Schichten des Volks, aus den kleinen Leuten,

den Sklaven,

das war das ganze.

Aber diese

kleinen schwachen Gemeinden hatten die Kraft des Sauerteigs in sich, der den ganzen Teig durchdringt.

kam nicht mit

äußerlichen Geberden.

Das Reich Gottes

Zweihundert Jahre

später und die ganze Macht des römischen Weltreichs wird

schließlich

aufgeboten gegen die junge Christenheit.

Von

blutigen Verfolgungen fast zu Tode gehetzt, hat sie der welt­ lichen Macht nichts

entgegenzusetzen

als

Schweigen

und

Dulden, als Leiden und Sterben; aber inmitten alles Lärmens

der Verfolgungen, während das Christentum in Strömen Blutes erstickt zu werden scheint, breitet sich geräuschlos immer

weiter aus das Reich Gottes, das Reich Jesu Christi. Es kam

nicht mit äußerlichen Geberden. Und umgekehrt: christliche Kö­

nige traten auf, und versuchten es mit äußerlichen Geberden zu bringen. Im Glaubenseifer bekämpften sie die heidnischen

Völker, bezwangen sie mit des Schwertes Schärfe, hieben

die alten Götterbäume um und pflanzten das Kreuz an deren Stelle, aber ob sie die Völker auch zum Christentum zwangen,

das Reich Gottes kam nicht mit äußerlichen Geberden.

Bis

die äußerlich Bezwungenen auch innerlich überwunden wurden, und das göttliche Leben in ihnen mächtig ward, dazu bedurfte es

der

stillen

verborgenen

Arbeit

vieler

Menschenalter.

Prächtige Dome wurden erbaut, ausgestattet mit aller sinn­

lichen Pracht, die das Auge blendet und den Sinn berückt. Mit dem Glanz weltlicher Fürsten umgaben sich Päpste und

Bischöfe.

Aber das religiöse Leben verfiel; das Reich Gottes

kam nicht mit äußerlichen Geberden.

Große Kirchenver­

sammlungen traten zusammen, um eine Reformation der

11 Kirche an Haupt und Gliedern zu beraten; aber ob die

Prälaten von allen Enden der Erde zusammenströmten, das

Reich Gottes kam nicht mit äußerlichen Geberden.

Aber

dort in der stillen Zelle des Augustinerklosters zu Erfurt, zu Wittenberg schlug

unter einer Mönchskutte ein

glühendes

Menschenherz, in welchem es wogte und gärte, ein Herz,

das nach dem Frieden Gottes rang,

welches der Geist

Gottes schmiedete zu seinem gewaltigen Rüstzeug, das be­ rufen war eine neue Aera des Reiches Gottes, ein neues

Kommen des Reiches Gottes für die Welt herbeizuführen.

Das Reich Gottes kam; aber es kam nicht mit äußerlichen Geberden.

Laßt uns das denn auch beherzigen, wenn wir in der Gegenwart zagen und verzagen, zweifeln und verzweifeln wollen, wenn wir keine Zeichen sehen, die auf das Kommen des Gottesreiches schließen lassen.

Laßt uns da das Wort

fest im Herzen behalten: es kommt nicht mit äußerlichen Ge­ berden!

Wenn es nahe scheint, dann ist es oft so fern; wenn

es fern scheint, ist es oft ganz nah.

Oder ist es denn so

etwas undenkbares, daß auch jetzt schon wieder einmal irgend­ wo in einem verborgenen Tal, von Menschen noch unbe­

achtet ein Bergmannssohn aufwächst, welchen der Ewige sich ersehen hat zum Gefäß seines Geistes, welcher berufen ist

das lösende Wort zu sprechen, das den Bann von den Geistern nimmt, dessen gewaltige Stimme die Schläfer wecken wird,

daß sie wieder hingehen zu dem Quell des Evangeliums und aus ihm neue Lebenskraft trinken? das ist uns doch

Aber wie dem auch sei,

gewiß, daß der Geist Gottes fort und

fort arbeitet an so vielen Herzen in geräuschloser Arbeit in

stiller Werkstatt.

Es ist doch merkwürdig: bei aller Gleich-

12 gülügkeit,

bei

aller noch

so weit verbreiteten Abwendung

von Kirche und Christentum und Religion ist es doch immer

wieder die religiöse Frage, die sich den Gemütern aufdrängt und sie in Bewegung bringt, sind es die Fragen des Glaubens,

die die tiefgehendste Erregung Hervorrufen. Und ein zweites ist uns doch auch gewiß, daß auf die Dauer die Menschen

die Religion nicht entbehren können, sowenig wie der Mensch die tägliche Nahrung

entbehren kann.

Mags eine Weile

angehen, der Hunger macht sich dann umsomehr geltend. Das hat doch unter euch so mancher erfahren, der im Ge­ räusch und Getreibe des Lebens seine Stellung zu seinem

Gott vergessen, der im Gewühl der Welt seinen Gott ver­ loren hatte.

Es ging eine Weile wol ohne Gott; aber dann

kamen Tage schwerer Drangsal, tiefen Leides; und wie der

Ertrinkende sich anklammert an die rettende Hand, die sich

ihm entgegenstreckt, so klammerte er sich an an den Gott seiner Kindheit, den er vergessen hatte, bei dem er jetzt Rettung

fand aus den Tiefen der Verzweiflung.

Und ein drittes ist

uns Christen doch auch gewiß: das Evangelium von Jesu

Christo ist doch die Gotteskraft, welche die Herzen und die

Welt überwindet.

Was dem Evangelium einst den Zugang

eröffnete zu den verschiedensten Völkern, zu Völkern von barbarischen Sitten wie zu den Culturvölkern der alten Welt, das war doch dies, daß der Inhalt dieses Evangeliums, die Botschaft von der Gnade und Liebe Gottes, von der Erlösung der sündigen Menschheit, von der Berufung zur Gotteskind­

schaft den tiefsten Bedürfnissen der Herzen entgegenkam, dem Bedürfnis nach Befreiung vom Druck der Schuld und Sünde, der Sehnsucht nach Erlösung von dem vergänglichen nichtigen

Wesen.

Aber diese tiefsten Bedürfnisse der Menschenherzen

13 sind dieselben bei allen Völkern und zu allen Zeiten; sie sind vorhanden, wo Menschenherzen schlagen. Wie darum bei dem

ersten Eintritt des Christentums in die Welt eine in aller

sie umgebenden Pracht und Cultur doch nach Erlösung und Frieden lechzende Menschheit das Evangelium aufnahm als den Labetrunk für die dürstende Seele und in ihm Genesung

fand für die Wunden, an denen sie litt, so wird dieses Evan­

gelium auch immer wieder — das ist unsere Zuversicht — seine Kraft an den Gemütern bewähren, der Labetrunk sein,

an dem sie ihren Durst stillen, der Heilquell, aus dem die matten Seelen neue Lebenskraft empfangen.

Auf die Zeiten

der Dürre folgen darum im Reiche Gottes ganz sicher Zeilen

neuer Blüte; alle Hemmungen schlagen um in Förderungen

des Reiches Gottes; alle Rückschritte legen nur den Grund zu neuen Fortschritten.

Mögen darum andere an der Zeit

und an der Wett verzweifeln, als Christen halten wir den

Glauben fest auch da, wo wir noch nicht sehen: das Reich

Gottes kommt doch; denn es kommt ja nicht mit äußerlichen Geberden.

Ist dies euch eine unbefriedigende Auskunft auf die Frage: wann kommt das Reich Gottes? sagt ihr, es sei doch

ein Wechsel auf unbestimmte Sicht? Aber wir werden uns

doch bei dieser Antwort beruhigen müssen, wie die Jünger des Herrn es mußten, als sie selbst eine ähnliche Frage an

ihn richteten.

Als sie ihn fragten: wirst du um diese Zeit

wieder aufrichten das Reich Israel? antwortete er ihnen: es gebäret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche

der Vater seiner Macht vorbehalten hat.

Dabei können wir

uns aber auch beruhigen. Denn es kann jeder einzelne von

uns schon jetzt das Kommen dieses Reiches erfahren, schon

14 jetzt dieses Reiches teilhaftig werden, seinen Frieden, seine Seligkeit empfangen. Unser Herr sagt: Das Reich Gottes ist

nicht hier oder da, denn sehet, es ist inwendig in euch.

Das Reich Gottes, das die Pharisäer von außen er­

warten, sollen sie im eigenen Herzen finden; und so auch wir. Unser Inwendiges, unser Herz soll die Stätte sein, wo Gottes

Reich verwirklicht wird.

Damit meint unser Herr freilich

nicht, daß das Innere des Menschen ohne weiteres ein Reich Gottes sei, daß die Pharisäer nur in ihr eigenes Herz zu

blicken brauchten, um es da zu finden.

Diese Herzen waren

ja nicht Gottes Reich, sie waren, um des Heilands Ausdruck zu gebrauchen, übertünchte Gräber.

Auch unser Inneres ist

nicht von Natur ein solches Reich Gottes, wo Gott allein

herrscht, sondern da übt die Sünde ihre Macht und Gewalt

aus; und wir haben alle diese Macht an uns erfahren, wir haben täglich mit ihr zu kämpfen.

Erst müssen diese Herzen

umgewandelt, erst muß die Macht des feindlichen Wesens

gebrochen werden, damit die Herzen ein Reich Gottes werden.

Und dazu ist eben unser Herr gekommen, und dazu weiß er sich von seinem Vater gesendet, die Menschen von diesen

Fesseln zu erlösen und dieses Reich in ihnen aufzurichten. Sagt er darum: es ist inwendig in euch, so will er nicht die Stätte bezeichnen, wo es vorhanden ist, sondern die Stätte, wo es aufgerichtet werden soll, aufgerichtet werden soll durch

ihn.

Und diese Stätte ist allein das menschliche Herz. Darum

ist er nicht gekommen als ein Eroberer, als ein irdischer

König, eine neue irdische Theokratie aufzurichten;

darum

ist er nicht gekommen als ein Gesetzgeber, als ein zweiter

Moses, den Menschen ein neues Gesetz, eine neue Satzung aufzuerlegen.

Darum ist er nicht gekommen, einen neuen

15 Sondern an die Herzen hat er

Tempeldienst einzurichten.

sich gewendet mit seinem Evangelium von der Liebe Gottes, an die geistlich Armen, an die Mühseligen und Beladenen,

an die nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden hat

er sich gewendet,

an ihre Herzen angeklopft, ob sie ihm

sich auftäten, daß er ihnen aus seiner göttlichen Fülle mit­ teile die Kraft zu neuem göttlichen Leben, die Kraft aus der

Höhe, daß er sie erlöse von der Macht der Sünde und ver­

söhne mit Gott, daß er sie gewiß mache der ewigen Barm­ herzigkeit, der Vergebung der Sünden und sie erfülle mit

Friede und Freude, daß er das zerknickte Rohr aufrichte in der Kraft des Glaubens, daß er in dem glimmenden Docht anfache die Flamme der Liebe zu Gott und den Menschen.

Und welche ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.

Das Reich Gottes ist inwendig in euch,

das sei denn auch uns die Antwort auf die Frage, wann

kommt es? Verwirklicht es im eigenen Herzen! es in die Erscheinung treten!

höchsten Gott!

laßt dort

Errichtet dort den Thron dem

Laßt ihn den Alleinherrscher sein in eurem

Herzen! kämpft nieder im tägliche n ernsten Kampf die feind

lichen Regungen des Herzens, die Macht der Sünde, welche Gott die Herrschaft streitig

machen will in euerm Innern!

Erfüllt euer Inneres mit der Kraft Gottes, daß ihr voll

göttlicher Kraft in eurem Beruf, den ihr habt,

wirkt mit

ganzer Treue, mit voller Freudigkeit die Werke

des der

euch gesandt hat, daß ihr in allen Lebensverhältnissen, in die

ihr gestellt seid, diese Kraft erweiset. Evangelium verkündigt;

Auch euch ist ja das

auch euch fließen die Wasser des

Lebens, daß ihr aus dieser Fülle schöpfen könnt Gnade um

Gnade, Kraft um Kraft.

Schöpft aus dieser Fülle, pflanzt

16 euch ein in unseren Heiland als die Reben in den Weinstock,

daß wie

der Saft des

Weinstocks die Rebe durchdringt,

auch euch der Geist und die Kraft Jesu Christi erfülle und

durchdringe; und ihr werdet wachsen von einer Kraft zur

andern, und euer Herz wird je mehr und mehr das Reich des ewigen Gottes werden, welches er erfüllt mit seiner Kraft,

mit seinem Frieden, daß ihr ausgerüstet mit der Kraft aus

der Höhe feste Tritte tut auf dem schlüpfrigen Boden dieser Welt, und in der Gemeinschaft mit eurem Gott, in der Gewißheit seiner Gnade in Freudigkeit und Geduld die Wege

wandelt, die er euch weist, auch die rauhen und steilen, und den Frieden Gottes im Herzen habt, welchen die Stürme

und Kämpfe auf Erden wol erschüttern aber nicht rauben können.

Denn wo Gottes Reich ist, da ist Friede und Freude

im heiligen Geist.

Ja das Reich Gottes ist nicht hier oder da; es ist in­ wendig in euch.

Laßt uns das doch recht ins Herz schreiben,

wenn wir unzufrieden sind mit den Verhältnissen, in die wir

gestellt sind.

Da ist so mancher voller Mismut über das

Feld, auf das er gesetzt ist es zu bearbeiten.

Er klagt, daß

er auf dürrem Boden ackere, daß das steinige Erdreich nicht die ihn befriedigende Ernte reifen lasse; er könne auf solchem Boden, in den kleinen und beschränkten Verhältnissen, in denen er stehe, in solchem unbedeutenden Wirkungskreis, bei

den Hindernissen und Widerwärtigkeiten, mit denen er zu

kämpfen habe, keine Freudigkeit, keine Kraft zu frischer Arbeit, keinen inneren Frieden empfangen; ja wenn er in andere

Verhältnisie eintreten könne, dann werde er Kraft und Frische und Freudigkeit und Frieden haben.

O täuscht euch nicht!

Auch euch ist das Wort gesagt: das Reich Gottes ist nicht

17 hier und da; denn sehet, es ist inwendig in euch.

Die Kraft

zu frischem Wirken, die Freudigkeit zum treuen Schaffen, der

Friede des Herzens sind nicht hier oder da zu finden, sie

entspringen nicht aus diesen oder jenen äußeren Verhältnissen;

sondern diese frischen Wasser

entspringen

in dem

liefen

Grunde des Herzens, in welchem Gott herrscht, welches Gottes

Ist unser Herz voll heiligen Geistes,

Reich geworden ist.

dann werden wir die göttliche Kraft, die in uns ist, auch

bewähren in allen Verhältnissen, auch bei widrigen Winden,

dann wird der Friede Gottes uns beseelen und beseligen auch in Lagen und Stellungen, welche Geduld und Demut

und

Selbstverleugnung

Mühen und Kämpfen.

verlangen,

auch in widerwärtigen

Fehlt uns dieser innere Friede, diese

innere Kraft, wir werden sie auch nirgend finden in anderen Lagen.

Gehe ein in neue Verhältnisse, verlaffe dein Vater­

land und deine Freundschaft, durchziehe Länder und Meere, nimm Flügel der Morgenröte und fliehe ans äußerste Meer: die Kraft die nicht in dir ist, findest du nirgend; den Frieden

Gottes, der nicht in deinem Herzen seinen Grund hat, er­ langst du nirgend.

Wer den Himmel nicht in sich hat, der

findet ihn nirgend weder im Himmel noch auf Erden.

Das

Reich Gottes ist nicht hier oder da; seht, es ist inwendig

in euch! Nun denn, wollen wir daß Gottes Reich, das Reich das unser Herr aufzurichten gekommen ist, verwirklicht werde, beginnen wir mit neuem Ernste an der Arbeit an uns selbst. Je mehr wir demütig bekennen,

daß in unserem eigenen

Innern noch so viele rebellische Gewalten sind, die Gott die

Herrschaft streitig machen und uns

den Frieden rauben,

umsomehr laßt uns einen neuen Anfang machen, mit neuer 2

18 Kraft an der immer völligeren Aufrichtung des Gottesreiches

in

unserem Innern zu arbeiten.

Laßt uns dieses Reich

Gottes bauen in den Herzen unserer Jugend, der Hoffnung für die Zukunft, für ein neues Kommen des Reiches Gottes, indem

sie erziehen in Gottesfurcht und Frömmigkeit.

wir

Laßt uns dieses Gottesreich aufrichten in unsern Häusern,

unsere Ehe führen in Keuschheit und Zucht, in Ehrbarkeit und Treue, daß in unseren Häusern göttlicher Friede wohne,

daß sie

seien eine Stätte

der Liebe, der Eintracht, des

Wenn Gottes Reich so in uns mehr und mehr

Friedens.

verwirklicht wird, wenn die Kraft göttlichen Lebens uns immer mehr durchdringt, wenn der Friede Gottes immer mehr unser unverlierbares Gut wird, dann werden wir auch den Jüngern

gleichen, welche, als der heilige Geist über sie gekommen war und ihre Herzen umgewandelt hatte zum Reiche Gottes, nun

nicht mehr in ungeduldiger Sehnsucht fragten: wann kommt das Reich Gottes? sondern in Kraft und Freudigkeit um­ stralt vom Frieden Gottes es ausbreiteten trotz aller Ungunst der damaligen Zeilen, und der völligeren Verwirklichung des

Gottesreiches in der Zukunft die Wege bahnten.

Ist Gottes

Kraft, ist Gottes Leben, ist Gottes Friede auch in uns vor­ handen,

so

wollen auch wir an unserer Stätte,

welche

Stellung, welchen Beruf wir haben, sei er groß oder klein,

fruchtbares

Ackerland

oder dürrer Boden,

als Männer,

als Frauen, unsere kleinen Bausteine hinzutragen zu dem Bau des großen Tempels Gottes in der Menschheit, zu dem

unser Heiland den Grund gelegt.

Und wenn auch in der

beim Blick auf das

große und ganze unsres

Gegenwart

Volkes von uns noch nicht das Wehen des Frühlingswindes verspürt wird,

der das Ende der winterlichen Erstarrung



19



verkündet, wir wollen in Kraft und Freudigkeit, in Geduld

und Treue, soweit unser Arm reicht, die Samenkörner göttlichen Lebens ausstreuen und unsere Aussat, unsere Arbeit dem

Herrn

der

Ernte

befehlen,

in der Gewißheit daß

der

Herr der Geister und der Zeiten die rechte Zeit und Stunde kennt, wo seine Geistesströme von neuem strömen werden,

wo unser Sehnen gestillt, unser Flehen erhört wird: Zu uns komme dein Reich!

Amen.