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German Pages 1360 [1364] Year 2011
Waldeyer Anatomie des Menschen 18. Auflage
Waldeyer Anatomie des Menschen 18. Auflage
Herausgegeben von J. Fanghänel, F. Pera, F. Anderhuber, R. Nitsch
DE GRUYTER
G
BERLIN · N E W YORK
Herausgeber Prof. Dr. J. Fanghänel Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c 17487 Greifswald E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. R. Nitsch Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12 10115 Berlin E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. F. Pera Institut für Anatomie Wilhelms-Universität Münster Vesaliusweg 2-4 48149 Münster E-Mail: [email protected]
Begründer Prof. Dr. med. et phil. A. Waldeyer f , ehem. Direktor des Anatomischen Institutes der Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. F. Anderhuber Anatomisches Institut Karl-Franzens-Universität Graz Harrachgasse 21 8010 Graz Österreich
Herausgeber und Bearbeiter der 8.-15. Auflage
unter Mitarbeit von Dr. med. U. Waldeyer t , ehem. 1. Oberärztin am Anatomischen Institut der Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. med. A. Mayet t , ehem. Direktor des Anatomischen Institutes der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: [email protected] Das Buch enthält 883 Abbildungen und 45 Tabellen.
Bibliografische Information der Deutschen
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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar
© Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren und Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfaltiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige
Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder aus Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Grafiken: A. Hambrosch und A. Stelzl, Graz; Christel Speidel, Berlin - Reproduktion der Abbildungen: druckpunkt, Berlin - Textkonvertierung: I. Ullrich, Berlin - Druck und buchbinderische Verarbeitung: Passavia Druckservice GmbH, Passau Printed in Germany ISBN 978-3-11-019353-4
Vorwort
Der Wiener Anatom Josef Hyrtl (1811-1894) erwähnte in seinem „Lehrbuch der Anatomie" (zitiert aus der 9. Auflage von 1866) ein Lehrbuch von Paaw aus dem Jahre 1615 und bemerkte dazu: „Ich würde es nicht auffuhren, wenn ich es nicht sehr unterhaltend gefunden hätte, was man von anatomischen Werken nur selten sagen kann, deren ausschließliches Vorrecht: langweilig zu sein, starr und steif aus jeder Zeile spricht". Die Herausgeber haben sich diese Mahnung des Altmeisters Hyrtl zu Herzen genommen. Für die hier vorgelegte 17. Auflage wurden alle Kapitel von einem neuen Autorenteam bearbeitet und größtenteils völlig neu geschrieben. Der neue Waldeyer soll neben einem ausfuhrlichen und gut bebildertem Lehrbuch - nun wieder auf dem aktuellen Wissensstand - auch ein Lesebuch bleiben, in das auch persönliche Ansichten der Autoren und zwischen den Zeilen versteckte Nachdenklichkeiten einfließen durften. Wir wollten durch die Neubearbeitung der Kapitel und durch die Hereinnahme weiterer Themen, die sonst in Anatomie-Lehrbüchern nicht zu finden sind, ein bewährtes Lehrbuch neu auflegen, das auch für Anfanger verständlich ist und das eigene Nachdenken des Lesers fordert und fordert. Wir waren bemüht, durch straffe Gliederung einen roten Leitfaden zu geben und das Buch „studentenfreundlich" zu gestalten. In einem ausfuhrlichen Glossar werden die in diesem Buch verwendeten anatomischen und klinischen Fachausdrücke auf ihre sprachliche Herkunft zurückgeführt, damit die zunächst so fremd klingenden Begriffe (ζ. B. Musculus gastrocnemius - bauchiger Wadenmuskel) verständlich werden. Manches lateinisch-griechische Wortungetüm reduziert sich dabei zu einer ganz einfachen Aussage.
Die Studierenden stellen sich bei der Lektüre eines Lehrbuchs erfahrungsgemäß stets die Frage: Was muss ich davon in der Prüfung wissen? Das vorliegende Lehrbuch ist sicher umfangreicher, denn es enthält mehr als den Lernstoff, der in der zentralen schriftlichen Prüfung und in den mündlichen Kursund Physikumsprüfungen erwartet wird; es ist also auch zum späteren Nachschlagen in den klinischen Semestern und im ärztlichen Alltag gedacht. Dabei wurde selbstverständlich der Gegenstandskatalog berücksichtigt. Es war unser Anliegen, in der Neuauflage auch den Bezug der Anatomie zur Biochemie und Physiologie und vor allem zur Klinik aufzuzeigen und damit zu einer besseren Verflechtung von Vorklinik und Klinik beizutragen, wie es auch die neue Approbationsordnung verlangt. Auch ein umfangreiches Lehrbuch soll und kann die Vorlesung nicht ersetzen; es kann auch keine Grenze zwischen Grundlagenwissen und Expertenwissen ziehen, sondern es hat die Aufgabe, das vorhandene Wissen vorzustellen. Ob man daraus einen prüfungsrelevanten Extrakt erstellt oder es als Basis für die weitergehende Spezialisierung in bestimmten Fragestellungen benutzt, bleibt den Nutzern selbst überlassen. Zwar versteht sich die Anatomie in wissenschaftlicher Hinsicht von jeher in erster Linie als naturwissenschaftlich orientierte Disziplin; aus ihrem Lehrauftrag als theoretische und praktische Einführung in die Medizin und in den Arztberuf, wie es den Studierenden vor allem im Präparierkurs unmittelbar bewusst wird, leitet sich aber auch ab, dass der notwendigerweise körperbetonte Umgang mit dem Leichnam, der Körperspenderin und dem Körperspender, nicht als Arbeit an einer seelenlosen Materie gesehen werden darf, weder von den Wissenschaftlern noch von den Studierenden. Daher haben wir in diesem Buch auch den Gedan-
VI ken, Erwartungen und Ängsten der Studierenden im Präparierkurs Raum gegeben. Viele fleißige Hände haben bei der Vorbereitung und Herstellung des Buches mitgeholfen, und ohne Ausnahme ist jeder der Autoren und der Herausgeber persönlich einer großen Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Dank verpflichtet: für die Schreibarbeiten, für die Erstellung des Bildmaterials, für das Korrekturlesen, für das kritische Beurteilen. In unseren Dank sind auch die Studierenden eingeschlossen, die die Manuskripte aus studentischer Warte vorab gelesen und beurteilt haben, und die Kollegen aus der Klinik für die klinischen Hinweise und für ihre Verbesserungsvorschläge. Ihnen allen gebührt an dieser Stelle eine Laudatio. In diesem Zusammenhang möchten wir Frau Esther Erdmann, Chefsekretärin im Institut für Anatomie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, ganz besonders danken. Sie hat mit großem Engagement und Sorgfalt das gesamte Manuskript nach
Vorwort
den zahlreichen Korrekturen geschrieben. Ebenso möchten wir Frau Astrid Hambrosch danken, die mit enormem Einsatz für viele Kapitel hervorragende Zeichnungen erstellt hat. Ein aufrichtiger Dank gilt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Verlages, ganz besonders Frau Ingrid Ullrich, die keine Mühe bei der Gestaltung des Textes gescheut und alle unsere Wünsche berücksichtigt hat. Großer Dank gilt auch Herrn Dr. Josef Kleine für die Geduld und die sachdienliche Beratung. Alle Leser bitten wir um helfende und konstruktive Kritik und Hinweise, denn von der Resonanz lebt ein Buch. Greifswald, Münster, Graz und Berlin, Oktober 2002 Jochen Fanghänel Franz Pera Friedrich Anderhuber Robert Nitsch
Wer war Waldeyer?
Anton Johannes Waldeyer (1901-1970) wurde in einer westfälischen Bauernfamilie in Tietelsen geboren. Wilhelm von Waldeyer-Hartz (18361921) war sein Großonkel. Beide Waldeyer hatten in Paderborn ihre Schulausbildung und katholische Weltanschauung erfahren. Dennoch waren Anton Waldeyer scholastisches Denken und Dogmatismus in der Wissenschaft fremd. Anatomie lernte er in Münster bei Emil Ballowitz, später in Berlin bei weiteren namhaften Anatomen (u. a. Rudolf Fick, Franz Kopsch). Curriculum vitae. Nach dem medizinischen Vorexamen studierte er in Würzburg (mit Zwischensemestern in München, wo er 1925 mit einem anthropologischen Thema promovierte). Schon in dieser Zeit war er in der Anatomie tätig und verbrachte einen Teil seiner Medizinalpraktikantenzeit in diesem Fach. Insbesondere die Präparierübungen verbanden ihn nachhaltig mit der Anatomie. 1927 wurde er approbiert. Noch im gleichen Jahr promovierte er ein weiteres Mal, diesmal in Würzburg mit einem Thema der vergleichenden Anatomie. Er ging dann nach Kiel, später nach Freiburg. Seine erste Professur erhielt er in China und erlebte alle sprachlichen, ethnischen und mit dem chinesischen Leichenwesen verbundenen Schwierigkeiten. Seine Bestrebungen, die Ausbildung optimal zu gestalten, erhielten hier vielleicht ihre stärksten Impulse. Er wollte morphologisch und funktionell denkende Ärzte und keine reinen Morphologen heranbilden. 1935 wechselte Anton Waldeyer nach Berlin. Lehrbuchautor. 1942 erschien der 1. Band der Anatomie des Menschen, ein Grundriß für Studierende undÀrzte, in dem er weg von den damaligen Gepflogenheiten zur angewandten (funktionellen) Anatomie vorzudringen suchte. Die Originalität wurde von der Fachwelt anerkannt, das Werk aber als für Studierende ungeeignet eingestuft. Diese Auffassung teilten die Studierenden gar nicht.
Anton Johannes Waldeyer, 1901-1970 (aus dem Besitz des Institutes für Anatomie der Charité)
Innerhalb eines Jahres war die 1. Auflage bereits vergriffen, für diese Zeit äußerst ungewöhnlich. Der Krieg zerstörte den Umbruch des 2. Bandes. Doch der Verlag wagte später einen Neuanfang in Wien, und dieser Band konnte 1950 erscheinen. Nachdem der 1. Band zehn Jahre lang vergriffen war, konnte 1953 die 2. Auflage herausgebracht werden. Waldeyer lehrte inzwischen in Münster, kehrte aber später nach Berlin zurück. Er widmete sich dem dortigen Wiederaufbau des im 2. Weltkrieg zerstörten Anatomischen Instituts.
Vili Den Unterricht konzipierte Waldeyer nach seinen Vorstellungen komplett neu, führte „Anatomie am Lebenden" ein und kämpfte ständig mit der Anpassung der Anatomieausbildung an die zunehmenden Kürzungen. Hierin sah er eine intensive Bedrohung der nur durch Praxis schulbaren Fähigkeiten im Beobachten und exakten Arbeiten. Er wollte, „dass durch die Inanspruchnahme neuer Hirnrindenfelder, durch neue Engramme, die Haftfähigkeit verbessert, d. h. die Erinnerungsbilder fester verankert werden." Eponyme. Während der Mittelpunkt von Anton Waldeyers Tätigkeit die Ausbildung von Studenten war, sind die Mehrzahl der namentlichen Asso-
Wer war Waldeyer?
ziationen mit anatomischen Entitäten auf Wilhelm Waldeyer-Hartz zurückzufuhren. Viele davon sind insbesondere von klinischer Relevanz (WaldeyerRachenring). Beziehung zu Studierenden. Bei seinen Studierenden war der eher kleinwüchsige, kräftige Anton Waldeyer überaus beliebt, galt als sehr gütig und als Helfer. In den Prüfungen war er hingegen durchaus gefurchtet. Mit dem „Greifer", wie er seine Pinzette nannte, tippte er auf einzelne Strukturen (und stopfte mit ihm zwischendurch auch mal seine Pfeife nach), die dann kurz und prägnant benannt werden mussten. Herumschwätzen des Prüflings liebte er nicht.
Autoren und Mitarbeiter
Autoren Prof. Dr. F. Anderhuber Anatomisches Institut Karl-Franzens-Universität Graz Harrachgasse 21, 8010 Graz, Österreich
PD Dr. J. Giebel Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c, 17487 Greifswald
PD Dr. H. Bade Zentrum Anatomie Universität Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9, 50931 Köln
Prof. Dr. Th. Kocher Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Rotgerberstraße 8, 17487 Greifswald
PD Dr. I. Bechmann Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
Prof. Dr. J. Koebke Zentrum Anatomie Universität Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9, 50931 Köln
PD Dr. Th. Beck Institut für Anatomie Universität Rostock Gertrudenstraße 9, 18055 Rostock
Dr. Th. Koppe Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c, 17487 Greifswald
PD Dr. A. Brehmer Anatomisches Institut Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 9, 91054 Erlangen
Prof. Dr. D. Kubein-Meesenburg Zentrum Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen
Prof. Dr. J. Fanghänel Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c, 17487 Greifswald PD Dr. T. J. Filier Institut für Mikrotherapie Universität Witten/Herdecke Universitätsstraße 142, 44799 Bochum Prof. Dr. R. H. W. Funk Institut für Anatomie Technische Universität Dresden Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
Dr. C. Lemke Institut für Anatomie Friedrich-Schiller-Universität Jena Teichgraben 7, 07743 Jena Prof. Dr. W. Linß Institut für Anatomie Friedrich-Schiller-Universität Jena Teichgraben 7, 07743 Jena Ass. Prof. Dr. H. Maurer Institut für Anatomie Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Müllerstraße 59, 6010 Innsbruck, Österreich
χ
Autoren und Mitarbeiter
Dr. B. Miehe Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c, 17487 Greifswald
Prof. Dr. G. Reiss Anatomisches Institut Universität Witten/Herdecke Alfred-Herrhausen-Straße 50, 58448 Witten
Prof. em. Dr. H. Nägerl Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen
Prof. Dr. H.-M. Schmidt Anatomisches Institut Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn Nußallee 10, 53115 Bonn
Prof. Dr. R. Nitsch Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
Prof. Dr. H.-P. Schmiedebach Institut für Geschichte der Medizin Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Walter-Rathenau-Straße 48, 17487 Greifswald
Prof. Dr. F. Pera Institut für Anatomie Wilhelms-Universität Münster Vesaliusweg 2-4, 48149 Münster
Prof. Dr. E. Schulte Anatomisches Institut Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Saarstraße 19-21, 55099 Mainz
Dr. E. T. Peuker Institut für Mikrotherapie Universität Witten/Herdecke Universitätsstraße 142, 44799 Bochum
PD Dr. Chr. Splieth Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Rotgerberstraße 8, 17487 Greifswald
PD Dr. A. Prescher Institut fur Anatomie I Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
Dr. J .Weingärtner Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23c, 17487 Greifswald
Koreferenten Verlag, Herausgeber und Autoren danken den nachstehenden Wissenschaftlern und Studenten, die mit ihrem fachlichen Rat und ihren Hinweisen zu den klinischen Bezügen sowie mit kritischer Durchsicht von Texten die Arbeit an diesem Buch unterstützend begleitet haben. Dr. G. Arnold Neurologische Klinik Humboldt-Universität zu Berlin Schumannstraße 20/21, 10098 Berlin
Prof. Dr. H. Bünte Klinik und Poliklinik für Allgemeine Chirurgie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Waldeyerstr. 1, 48149 Münster
PD Dr. E. Beinder Frauenklinik Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
cand. med. L. Dölken Fritz-Reuter-Weg 11, 17509 Lubmin
Universitätsstraße 21-23, 91054 Erlangen Dr. Th. Berns Abt. für Allgemein- und Viszeralchirurgie St. Agnes Hospital Barloer Weg 125, 46379 Bocholt
Prof. Dr. D. Eichner Institut für Anatomie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Vesaliusweg 2-A, 48149 Münster Dr. J. Fanghänel Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Rotgerberstraße 8, 17487 Greifswald
Autoren und Mitarbeiter
XI
Dr. G. Fischer Institut fur Anatomie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Vesaliusweg 2 - 4 , 48149 Münster
Prof. Dr. G. Lorenz Institut für Pathologie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23e, 17487 Greifswald
Dr. H.-J. Goller II. Chirurgische Klinik Klinikum Coburg Ketschendorfer Straße 35, 96450 Coburg
Prof. Dr. G. Meyer Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Rotgerberstraße 8, 17487 Greifswald
Prof. Dr. D. H. W. Grönemeyer Institut für Mikrotherapie Universität Witten/Herdecke Universitätsstraße 142, 44799 Bochum
Dr. U. Meyer ehemals Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
PD Dr. B. Ebert-Hampel Institut fur Medizinische Psychologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Heekweg 43, 48161 Münster
Dr. Chr. Peuker Abt. für Kernspintomografie Clemenshospital Münster Düesbergweg 124, 48153 Münster
cand. med. B. Hoffmeister Meissenweg 9, 58285 Gevelsberg
Prof. Dr. R. Rettig Institut für Physiologie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Greifswalder Straße 11 c, 17495 Karlsburg
Prof. Dr. W. Hosemann Klinik für Hals-, Nasen- Ohrenkrankheiten Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Walter-Rathenau-Straße 43^15, 17487 Greifswald Dr. D. Ihlow Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde Abt. Kieferorthopädie Georg-August-Universität Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen PD Dr. E. Kauschke Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23c, 17487 Greifswald Prof. Dr. Chr. Kessler Klinik und Poliklinik für Neurologie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Ellernholzstraße 1 - 2 , 17487 Greifswald cand. med. V. Koberstein Rotgerberstraße 5, 17489 Greifswald Prof. em. Dr. B. Lindemann Institut für Physiologie Medizinischer Campus Universität des Saarlandes Gebäude 58 66421 Homburg/Saar
Prof. em. Dr. W. Richter Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin PD Dr. W. Rösch Urologische Klinik Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 12, 91054 Erlangen Dr. E. Rumpel Institut für Anatomie Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23c, 17487 Greifswald Dr. F. Stahnisch Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Glückstraße 10, 91054 Erlangen Doz. Dr. M. Vahlensieck Radiologische Gemeinschaftspraxis Endenicher Straße 8 1 , 5 3 1 1 5 Bonn Dr. M. Wiesner Ostseeklinik Kühlungsborn Waldstraße 51, 18225 Kühlungsborn
XII
Prof. Dr. F. Wilhelm Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg Magdeburger Straße 28, 06112 Halle/Saale cand. med. A. Winkelmann Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
A u t o r e n u n d Mitarbeiter
Dr. M. Zenker Institut für Humangenetik Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage 10, 91054 Erlangen Dr. R. Zschenderlein Neurologische Klinik Humboldt-Universität zu Berlin Schumannstraße 20/21, 10098 Berlin
Wir danken weiterhin für die Mithilfe für
Fotos und Grafiken
MRT- und CT-Bilder des Gehirns
A. Hambrosch, A. Stelzl Anatomisches Institut Karl-Franzens-Universität Graz Harrachgasse 21, 8010 Graz, Österreich
Dr. J. Rohman, V. Romahn Radiologische Gemeinschaftspraxis Coburg Ketschendorferstr. 33, 96450 Coburg
Funktionelle MRT-Bilder PD Dr. S. Brandt, Prof. Dr. A. Villringer Neurologische Klinik Humboldt-Universität Berlin Schumannstraße 20/21, 10098 Berlin
Präparator Dipl.-Ing. G. Wilke Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
S. Lewandowski, B. Mannsfeld, D. Wachenschwanz Institut fur Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin I. Dirks Institut für Anatomie Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23 c, 17487 Greifswald J. Geiling Institut für Anatomie Friedrich-Schiller-Universität Jena Teichgraben 7, 07743 Jena
Sekretariatsunterstützung M. Pollrich Institut für Anatomie Humboldt-Universität zu Berlin Philippstraße 12, 10115 Berlin
Inhalt
Gegenstand und Arbeitsgebiete der Anatomie Orientierung am menschlichen Körper Franz Pera, Jochen Fanghänel, Timm J. Filier und Hans-Peter 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.3 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
Was ist Anatomie? Definition der Humananatomie Einteilung Fachrichtungen in der Anatomie.... Betrachtungsmöglichkeiten in der Anatomie Bedeutung des Faches Sterben und Tod Einführung in den Präparierkurs Wer sind die Körperspender? Was geschieht im Präparierkurs eigentlich? Rechtliche Fragen Psychische Situation
1 1 1 1
1.3.5 1.3.6 1.4 1.5
2 3 4 5 5 5 6 6
1.5.1 1.5.2 1.5.2.1 1.5.2.2 1.5.2.3 1.5.2.4
Schmiedebach
Vorbereitung auf den Kurs Weiterfuhrende Gedanken zum Präparierkurs Leichenkonservierung Orientierung am menschlichen Körper, Achsen, Ebenen des Körpers und Richtungsbezeichnungen Geschichtliches Orientierung am Körper Achsen Ebenen Richtungsbezeichnungen Bewegungsrichtungen und -bezeichnungen
7 7 8
9 9 12 12 12 13 13
Allgemeine Anatomie Timm J. Filier, Elmar T. Peuker, Franz Pera, Erik Schulte, Jochen und Cornelius Lemke, unter Mitarbeit von Hans Nägerl 2.1
Bauplan des menschlichen 15 15 16 17 19
2.1.1 2.1.2
2.1.3 2.1.4 2.1.4.1
Kindliches Wachstum und 19
2.1.4.2 2.1.5 2.2.1 2.2 2.2.1.1
Wachstum auf Organ- und Zellebene Organe und Organsysteme Knochen, Ossa Bewegungsapparat Aufbau eines Knochens
20 21 22 22 22
2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4 2.2.1.5 2.2.1.6 2.2.1.7 2.2.1.8 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.3 2.2.3.1
Fanghänel
Knochenarten Gefaßversorgung von Knochen Knochenformen Knochenbildung Apophysen Biomechanik von Knochen Klinischer Ausblick Knochenverbindungen Kontinuierliche Knochenverbindungen Diskontinuierliche Knochenverbindungen Skelettmuskulatur Aufbau eines Skelettmuskels
74 76 76 7Ί ?8 ?9 30 30 31 3? 41 41
Inhalt
XIV 2.2.3.2 2.2.3.3 2.2.3.4 2.2.3.5 2.2.3.6 2.2.3.7 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.1.3 2.3.1.4 2.3.1.5 2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4 2.3.2.5 2.3.2.6 2.3.2.7 2.3.2.8 2.3.2.9 2.3.2.10 2.3.2.11 2.3.2.12 2.3.2.13 2.3.2.14 2.3.2.15 2.3.2.16 2.3.2.17 2.3.3 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.4 2.3.4.1 2.3.4.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.3.1
Biomechanik von Muskeln Wachstum Muskelschlingen Innervation Propriozeption des aktiven Bewegungsapparates Hilfseinrichtungen Herz-Kreislauf-System Kreislauf Aufgaben und Einteilung des Kreislauf-Systems Großer und kleiner Kreislauf Pfortaderkreislauf Pränataler Kreislauf. Uteroplazentarer Kreislauf Gefäße Aufgaben und Einteilung des Gefäßsystems Allgemeiner Wandbau Mechanik des Gefäßsystems Blutdruck Verteilung des Blutes im Blutgefaßsystem Rezeptoren in den Gefäßwänden ... Nervöse Versorgung Endo-und parakrine Regulatoren .. Anordnung, Verlauf und Dehnbarkeit der Gefäße Arterien und Arteriolen Kapillaren und Sinus Venen und Venolen Gefäßtypen nach dem Versorgungsmodus Drossel-und Sperrgefäße Anastomosen Anatomische und funktionelle Endgefäße Vasavasorum Übersicht über die großen Arterienstämme Körperkreislauf Lungenkreislauf. Kurze Übersicht über die großen Venenstämme Körperkreislauf Lungenkreislauf. Blut, Sanguis Zusammensetzung und Funktion ... Blutplasma Blutzellen Erythrozyten
43 45 45 46 46 47 49 49 49 51 51 51 52 52 52 53 54 55 56 56 57 57 57 58 60 61
2.4.3.2 2.4.3.2.1 2.4.3.2.2 2.4.3.2.3 2.4.3.2.4 2.4.4 2.4.4.1 2.4.4.2 2.4.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.2.1 2.5.2.2 2.5.3 2.5.3.1
2.5.4 2.5.4.1 2.5.4.2 2.5.4.3 2.5.4.4 2.5.4.5 2.5.4.6
2.5.4.7 2.6
64 64 64 66 67 67 67 70 70 70 70 71 71 71 71 71
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5
2.6.5.1 2.6.5.2 2.6.5.3 2.6.5.4 2.6.6
2.6.6.1
Leukozyten Granulozyten Monozyten Lymphozyten Bluttplättchen, Thrombozyten Blutbildung, Hämatopoese Primitive Hämatopoese Definitive Hämatopoese Postnatale Hämatopoese Mechanismus und Organe der Immunabwehr Unspezifische Abwehr Spezifische Abwehr Antigene (Ag) Lymphozyten Immunkompetente Organe, lymphatisches Gewebe Lymphknoten, Nodus lymphaticus (Nodus lymphoideus, Lymphonodus) Lymphgefäße, Vasa lymphatici Einteilung der Lymphgefäße Lymphfluss Mandeln, Tonsillen Bries, Thymus Milz, Lien, Spien Schleimhautassoziiertes Lymphgewebe, Mucosa Associated Lymphatic Tissue (MALT) Wurmfortsatz, Appendix vermiformis Nervensystem, Systema nervosum Einteilung des Nervensystems Grundbegriffe zum Gehirn des Menschen Funktionelle Systeme des Zentralnervensystems (ZNS) Sinnesorgane, Organa sensuum Peripheres Nervensystem, Pars peripherica (Systema nervosum periphericum) Spinalnerven, Nn. spinales Hirn(Kopf)nerven, Nn. craniales.... Anastomosen und Plexusbildung... Periphere und radikuläre Hautinnervation Vegetatives Nervensystem (VNS), Divisio autonomica (Pars autonómica systematis nervosi peripherici) Übersicht über das VNS
72 72 74 75 75 76 76 77 79 82 83 83 83 84 86
86 88 88 88 90 90 90
90 91 91 91 92 93 94
94 94 96 96 97
98 99
XV
Inhalt
2.6.6.2 2.6.6.3 2.6.6.4 2.6.6.5
Aufbau Transmitter des VNS und ihre Rezeptoren Entwicklung des VNS Pars sympathica, Sympathicus
100
2.6.6.6
102 102 104
2.6.6.7 2.6.6.8 2.6.6.9 2.6.6.10
113 114
3.5.1.2 3.5.1.3
115 116 117 120
3.5.1.4
Pars parasympathica, Parasympathicus 106 Trophische Innervation 109 Reflexe 109 Übergeordnete vegetative Zentren. 111 Enterisches Nervensystem (ENS).. 111
Allgemeine Embryologie Axel Brehmer 3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.4.3 3.3.5 3.3.5.1 3.3.5.2 3.3.5.3 3.3.6 3.4 3.4.1 3.4.1.1 3.4.1.2 3.4.1.3 3.4.2
3.4.2.1 3.4.2.2
Gametogenese, Proontogenese, Progenese Genetische Substanz Zellzyklus, Zellteilungen Genetische Gametopathien Progenese im männlichen Geschlecht Primäre Geschlechtsdrüse: Hoden, Testis Samenbildung, Spermatogenese, Spermiogenese, Spermien Sekundäre (akzessorische) Geschlechtsdrüsen, Sperma Progenese im weiblichen Geschlecht Primäre Geschlechtsdrüse: Eierstock, Ovar Oogenese, Follikulogenese, Ovulation Hormone, Zyklus Schwangerschaftsverhütung, Kontrazeption Blastogenese Erste Entwicklungswoche:
122 3.5.3 122 123
3.6 125 125 126 129 130 131
Zweite Entwicklungswoche: Implantation, zweiblättrige Keim136 136 Embryoblast: zweiblättrige Keim138 140 Dritte Entwicklungswoche:
3.5.1.1
Gastrulation
3.5.3.1 3.5.3.2 3.5.4
125
131 131 134 135
3.5 3.5.1
3.5.1.5 3.5.1.6 3.5.2
140 140
3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3 3.7.4 3.7.5 3.7.6 3.7.7 3.8 3.9 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4 3.10
Neurulation Differenzierung des intraembryonalen Mesoderms Intraembryonale Leibeshöhle, Zölom Ursegmente, Somiten Blutgefäße Vierte Entwicklungswoche: Abfaltungen, Embryonalkörper Formentwicklung bis zur 8. Entwicklungswoche Kopf-Hals-Region Rumpf. Ubersicht über Blasto- und Embryogenese Fetogenese, Geburt, Reifezeichen Fetogenese Geburt Reifezeichen des Neugeborenen.... Mutterkuchen, Placenta, Fruchthüllen ab 3. EW Entstehung der Plazentazotten Plazentareifung, Plazentaschranke. Plazentaschichten, Plazentateile Reife Placenta Plazentafunktion Fruchthüllen Nabelschnur, Funiculus umbilicalis Mehrlinge Fehlbildungslehre, Teratologie.... Einteilung der Fehlbildungen Fehlbildungsformen Phasenspezifität der Fehlbildungsentstehung Ursachen von Fehlbildungen Morphologische Aspekte der Pränatalmedizin
142 145 146 147 148 148 153 153 156 156 157 157 157 158 158 158 159 161 162 163 163 165 165 167 167 168 169 169 170
XVI
3.10.1 3.10.2 3.10.3
Inhalt
Schwangerschaftszeichen, Uteruswachstum . 170 Schwangerschaftsdauer, Gestationsalter . 170 Methoden der Pränatal-diagnostik und -therapie . 171
3.10.3.1 3.10.3.2 3.10.3.3 3.10.3.4
Bilddarstellung durch Ultraschall (Sonographie) Alters- und Größenbestimmung durch Ultraschall Invasive Methoden Pränataltherapie
171 172 173 173
Kopf, Cranium, und Hals, Collum Jochen Fanghänel, unter Mitarbeit von Jürgen Giebel, Thomas Koppe, Bärbel Miehe, Christian Splieth, Thomas Kocher, Jens Weingärtner und Dietmar Kubein-Meesenburg 4.1 4.1.1 4.1.1.1 4.1.1.2 4.1.2 4.1.2.1
4.1.2.2 4.1.2.3 4.1.3 4.1.4 4.1.4.1 4.1.4.2 4.1.4.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.1.4 4.3.1.5 4.3.1.6
Entwicklung des knöchernen Schädels, Schiunddarm Ontogenese des Schädels Entwicklung des Neurokraniums... Entwicklung des Viszerokraniums und Schiunddarms Phylogenese Proportionsverschiebungen von Neuro- und Viscerocranium
178 178 178
4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2
181 184
4.3.2.3 4.3.2.4 4.3.2.5 4.3.2.6
184 185
4.3.2.7 4.3.2.8
185 186 186 186
4.3.2.9 4.3.2.10
Weitere Faktoren fur die Schädel-
Kraniosynostosen, Kraniostenosen, Stenokephalie Syndrome, Systemerkrankungen.... Schädelansichten Ansicht von oben, Norma verticalis Ansicht von der Seite, Norma lateralis Ansicht von vorn, Norma frontalis. Ansicht von hinten,
187 187 188
188 189 191 191 191 191 191 191
4.3.2.11 4.3.2.12 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.3
Keilbein, Wespenbein, 192 196
4.5 4.5.1
196 196
4.5.2
Nahtknochen, Ossa suturalia,
Viscerocranium Siebbein, Os ethmoidale Untere Nasenmuschel, Concha nasalis inferior Nasenbein, Os nasale Pflugscharbein, Vomer Tränenbein, Os lacrimale Jochbein, Wangenbein, Os zygomaticum Gaumenbein, Os palatinum Oberkiefer, Oberkieferbein, Maxilla Unterkiefer, Mandíbula Vergleich zwischen Ober- und Unterkiefer Zungenbein, Os hyoideum Gehörknöchelchen, Ossicula auditus Geschlechtsdimorphismus Schädelbasis, Basis cranii Äußere Schädelbasis, Basis cranii externa Vorderer Teil Mittlerer Teil Hinterer Teil Innere Schädelbasis, Basis cranii interna Vordere Schädelgrube, Fossa cranii anterior Mittlere Schädelgrube, Fossa cranii media Hintere Schädelgrube, Fossa cranii posterior Konstruktiver Bau des Schädels. Verstärkungen der Schädelkonstruktion Pneumatisation und Kaudruckpfeiler
200 200 200 200 201 201 201 201 202 203 205 205 205 206 206 206 206 206 208 209 209 210 213 214 214 214
XVII
Inhalt
4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.6 4.6.1 4.6.1.1 4.6.1.2 4.6.1.3 4.6.1.4
4.6.2 4.6.2.1 4.6.2.2 4.6.2.3 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.2.1 4.7.2.2 4.7.2.3 4.7.2.4 4.7.2.5 4.8 4.8.1 4.8.1.1 4.8.1.2 4.8.2 4.8.2.1 4.8.2.2 4.8.2.3 4.8.3 4.8.3.1 4.8.3.2 4.9 4.9.1
Spezifische Strukturen der Mandíbula Beteiligung der Dura mater Praktische Bedeutung der Rahmenkonstruktion Höhlen und Gruben Viscerocranium Augenhöhle, Orbita Öffnungen der Orbita Inhalt der Orbita Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales Seitliche Schädelgegend Schläfengrube, Fossa temporalis.... Unterschläfengrube, Fossa infratemporalis Flügelgaumengrube, Fossa pterygopalatina Gelenke des Kopfes Kopfgelenke Kiefergelenk, Articulatio temporomandibularis Embryologie Aufbau Gefäße und Nerven Mechanik des Kiefergelenkes Moderne Erkenntnisse in der Kiefergelenksforschung Muskulatur des Kopfes und des Halses, Musculi capitis et colli Muskeln des Kopfes, Musculi capitis Mimische Muskulatur, Musculi faciei Kaumuskeln, Mm. masticatorii Halsmuskeln Oberflächliche Halsmuskeln Mittlere Schicht der Halsmuskulatur Das Zusammenspiel der Hals-, Kau- und Nackenmuskeln Faszien und Bindegewebsräume des Halses Halsfaszie, Fascia cervicalis Spalträume und Logen des Halses . Arterien des Kopfes und des Halses Gemeinsame Kopfschlagader, A. carotis communis
4.9.2
215 215 216 217 217 217 218 219
219 219 219 220 220 221 221 221 221 221 222 222 223 225 225 225 231 234 234 236 240 240 240 242 244 244
Innere Kopfschlagader, A. carotis interna 4.9.3 Äußere Kopfschlagader, A. carotis externa 4.9.3.1 Ventrale Äste 4.9.3.2 Medialer Ast 4.9.3.3 Dorsale Äste 4.9.3.4 Endäste 4.9.4 Schlüsselbeinschlagader, A. subclavia 4.10 Venen des Kopfes und des Halses 4.10.1 Venen im Schädel 4.10.2 Venen der Kopfweichteile 4.10.3 Venenplexus 4.10.4 Große abführende Venen 4.11 Lymphgefäße, Vasa lymphatica, und Lymphknoten des Kopfes und des Halses, Nodi lymphatici (lymphoidei) capitis et colli 4.11.1 Genereller Lymphabfluss 4.11.2 Regionäre Lymphknoten des Kopfes 4.11.3 Regionäre Lymphknoten des Halses 4.12 Nerven des Kopfes, Nervi craniales, und des Halses, Nervi cervicales . 4.12.1 Hirnnerven, Kopfnerven, Nn. capitales 4.12.2 Halsgeflecht, Plexus cervicalis 4.12.2.1 Hautäste 4.12.2.2 Muskeläste 4.12.3 Kopfsympathicus 4.12.4 Kopfparasympathicus 4.13 Mundhöhle, Cavitas oris 4.13.1 Zunge, Lingua 4.13.1.1 Aufbau 4.13.1.2 Gefäße und Nerven 4.13.2 Große Kopfspeicheldrüsen, Glandulae salivariae majores 4.13.2.1 Ohrspeicheldrüse, Glandula parotidea 4.13.2.2 Unterkieferdrüse, Glandula submandibularis 4.13.2.3 Unterzungendrüse, Glandula sublingualis 4.13.3 Zähne, Dentes und Zahnhalteapparat, Parodontium 4.13.3.1 Embryologie 4.13.3.2 Funktion und Aufbau des Gebisses 4.13.3.2.1 Funktion des Gebisses
244 245 245 247 247 248 249 249 250 251 252 252
253 253 253 254
255 255 266 267 268 269 269 270 272 272 276 277 278 279 280 281 282 285 285
XVIII
4.13.3.2.2 Aufbau des Gebisses 4.13.3.3 Makroskopischer Aufbau des Zahnes 4.13.3.4 Mikroskopischer Aufbau des Zahnes 4.13.3.5 Zahnhalteapparat, Parodontium 4.13.3.6 Beschreibung der einzelnen Zähne 4.13.3.7 Okklusion der Zahnreihen 4.13.4 Gaumen, Palatum 4.13.4.1 Struktur des Gaumens 4.13.4.2 Schiundenge, Isthmus faucium 4.14 Schlund, Pharynx 4.14.1 Lage und Befestigungen des Pharynx 4.14.2 Etagengliederung und Inhalt des Pharynx 4.14.2.1 Innenrelief des Schlundes 4.14.2.2 Histologie 4.14.3 Pharynxmuskeln, Musculi pharyngis 4.14.3.1 Schlundschnürer 4.14.3.2 Schiundheber 4.14.3.3 Schluckakt 4.14.4 Gefäße und Nerven des Pharynx.... 4.14.5 Mandeln, Tonsillen, Tonsillae 4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales 4.15.1 Nasenhöhle, Cavitas nasi 4.15.1.1 Äußere Nase 4.15.1.2 Nasenvorraum, Vestibulum nasi 4.15.1.3 Nasenhöhle, Cavitas nasi 4.15.1.4 Gefäße und Nerven 4.15.2 Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales 4.15.2.1 Kieferhöhle, Sinus maxillaris 4.15.2.2 Stirnhöhle, Sinus frontalis 4.15.2.3 Siebbeinzellen, Cellulae ethmoidales 4.15.2.4 Keilbeinhöhle, Sinus sphenoidalis . 4.16 Kehlkopf, Larynx 4.16.1 Kehlkopfskelett 4.16.2 Kehlkopfbänder 4.16.3 Kehlkopfgelenke
Inhalt
286
4.16.4
287
4.16.5 4.16.6 4.16.7
288 292
4.16.8 296 299 299 299 302 302 303 303 303 305 306 306 309 309 309 311
312 313 313 315 315 318 321 322 323 324 324 325 326 327 329
4.16.9 4.16.10 4.17 4.17.1 4.17.2 4.17.3 4.17.4 4.17.5 4.17.6 4.18
4.18.1 4.18.2 4.18.3 4.18.4 4.18.5 4.19
4.19.1 4.19.1.1 4.19.1.2 4.19.2 4.19.2.1 4.19.2.2 4.19.2.3 4.19.2.4 4.19.3 4.19.4
Kehlkopfmuskeln, Musculi laryngis Kehlkopfhöhle, Cavitas laryngis.... Gefäße und Nerven Geschlechts- und Altersunterschiede des Kehlkopfes Nachbarschaftsbeziehungen des Kehlkopfes Lagebeziehungen des Kehlkopfes zum Skelett Leistungen des Kehlkopfes Schilddrüse, Glandula thyroidea Embryologie Funktion Gestalt, Hüllen, Größe Histologie Topographie Gefäße und Nerven Beischilddrüsen (Nebenschilddrüsen), Epithelkörperchen, Glandulae parathyroideae Embryologie Funktion Gestalt und Lage Histologie Gefäße und Nerven Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel Kopfregionen Topografische Anatomie der Schädeldecke Topografische Anatomie des Gesichtes Halsregionen Relief und Einteilung in Regionen. Regio colli anterior Regio colli lateralis Regio sternocleidomastoidea Spatium lateropharyngeum Beziehungen des Halses mit der Lungenspitze und der Pleurakuppel
329 332 335 336 336 336 337 337 337 338 338 339 340 340
341 341 341 341 341 341
341 341 341 342 343 343 343 347 350 351
353
XIX
Inhalt
5
Zentrales Nervensystem, Systema nervosum centrale, Gehirn, Encephalon, und Rückenmark, Medulla spinalis Ingo Bechmann und Robert Nitsch, unter Mitarbeit von Franz Pera, Andreas Winkelmann, Frank Stahnisch
5.1
Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems 5.1.1 Allgemeine Einführung und Grundlagen der Neuroanatomie 5.1.2 Frühe Entwicklung 5.1.3 Entwicklung des Rückenmarks 5.1.4 Entwicklung des Gehirns und der Ventrikelräume 5.1.5 Entwicklung der weißen Substanz. 5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS.. 5.2.1 Hirnteile und Achsen 5.2.2 Die äußere Gestalt des Großhirns .. 5.2.2.1 Ansicht von oben und seitlich (Facies superolateralis hemispherii cerebri) 5.2.2.2 Die Lappen des Telencephalon 5.2.2.3 Ansicht von medial (Facies medialis hemispherii cerebri) 5.2.2.4 Ansicht von basal (Facies inferior hemispherii cerebri) 5.2.3 Systematische Gliederung des ZNS 5.2.4 Zerebrale Computertomographie und Magnetresonanztomographie . 5.2.4.1 Intravitale versus postmortale Neuroanatomie: cCT und MRT 5.2.4.2 Horizontale Schichten durch den Kopf 5.2.4.3 Frontale Schichten durch den Kopf 5.2.4.4 Sagittale Schichten durch den Kopf 5.2.5 Regionale Anatomie des Vorderhims, Prosencephalon 5.2.5.1 Endhirn, Telencephalon 5.2.5.2 Basalganglien, Nuclei basales 5.2.5.3 Das Großhirnmark: Fasersysteme.. 5.2.5.4 Zwischenhirn, Diencephalon 5.2.5.4.1 Lage 5.2.5.4.2 Gliederung 5.2.6 Regionale Anatomie des Hirnstamms 5.2.6.1 Mittelhirn, Mesencephalon 5.2.6.2 Rautenhirn, Rhombencephalon 5.2.7 Rückenmark, Medulla spinalis 5.2.7.1 Übersicht
355
5.2.7.2 5.2.7.3
355 357 360
5.2.7.4
363 368
5.3
369 369 370
5.3.1 5.3.2
371 376 377 380 382
5.2.7.5
5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.3 5.3.4 5.3.4.1 5.3.4.2 5.3.4.3 5.3.4.4 5.3.4.5
382 5.3.4.6 383 387 391
5.4 5.4.1
391
5.4.2 5.4.2.1 5.4.2.2 5.4.2.3 5.4.2.4 5.4.3
395 395 398 400 404 404 404 411 412 415 423 423
5.4.3.1 5.4.3.2 5.4.3.3 5.4.3.4 5.4.3.5 5.4.3.6 5.4.4
Rückenmarksquerschnitte Morphologie und Topographie des Rückenmarks Graue und weiße Substanz des Rückenmarks Segmentale Gliederung des Rückenmarks Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS Übersicht Hirn- und Rückenmarkshäute, Meninges Die Hüllen des Gehirns Hüllen des Rückenmarks Ventrikelsystem Gefaßversorgung von Gehirn und Rückenmark Arterien des Gehirns Arterien des Rückenmarks Venen des Gehirns Venen des Rückenmarks Lymphabflüsse von Gehirn und Rückenmark Blut-Hirn-Schranke, Blut-LiquorSchranke und Immunprivileg des ZNS Funktionelle Systeme des ZNS.... Was ist funktionelle Neuroanatomie? Visuelles System Definition Sehbahn Visueller Cortex Okulomotorik Auditorisches (akustisches) und vestibuläres System Definition Spiralorgan, Corti-Organ, Organum spirale und Hörnerv, N. cochlearis. Hörbahn Hörrinde, Auditiver Cortex Afferenzen der Vestibulariskerne... Efferenzen der Vestibulariskerne.... Olfaktorisches System
423 425 427 431
433 433 433 434 439 441 443 443 450 451 454 455
455 456 456 456 456 456 459 461 469 469 469 470 472 473 474 477
XX
Inhalt
5.4.4.1 5.4.4.2 5.4.4.3 5.4.4.4 5.4.5 5.4.5.1
Riechhärchen, Fila olfactoria Riechhirn, Rhinencephalon Riechstrang, Tractus olfactorius Verschaltung der Riechsignale Gustatorisches System Geschmacksknospen, Caliculi gustatorii 5.4.5.2 Geschmacksnerven und Geschmacksbahn Topographie und funktionelle 5.4.6 Gliederung der sensiblen Systeme und Bahnen Allgemeiner Bauplan der sensiblen 5.4.6.1 Bahnen 5.4.6.2 Hinterstrangbahn Anterolaterals System 5.4.6.3 Spinozerebelläre Bahnen 5.4.6.4 Trigeminales System 5.4.6.5 Motorisches System 5.4.7 Übersicht 5.4.7.1 Funktionsebenen der Motorik 5.4.7.2 5.4.7.3 Monosynaptisches spinales System (Muskeleigenreflex) 5.4.7.4 Polysynaptisches spinales System (Hautreflexe, Fremdreflexe) 5.4.7.5 Übergeordnete motorische Systeme 5.4.7.5.1 Pyramidalmotorisches System 5.4.7.5.2 Extrapyramidalmotorisches System (EPS)
477 477 478 478 479
5.4.8 5.4.8.1
5.4.8.2 479 5.4.8.3 479 5.4.8.4 480 481 482 483 484 486 489 489 490 491 495 496 497 503
5.4.8.5 5.4.8.6 5.4.8.7
5.4.9 5.4.9.1 5.4.9.2 5.4.9.3 5.4.10 5.4.10.1 5.4.10.2 5.4.11 5.4.11.1 5.4.11.2 5.4.11.3 5.4.11.4
Funktionelle Anatomie des Kleinhirns, Cerebellum Funktionelle und entwicklungsgeschichtliche Gliederung des Cerebellum Organisation der Afferenzsysteme des Cortex cerebelli Kleinhirnkerne, Nuclei cerebellares Efferente Fasersysteme des Kleinhirns Kleinhirnstiele Funktionen des Kleinhirns Verbindungen der motorischen Systeme zum Rückenmark: motorische Endstrecke Vegetative Steuersysteme Organisation und Hierarchie vegetativer Zentren Formado reticularis Vegetative Zentren Integrative und kognitive Systeme. Limbisches System Kortikale Systeme Neuroendokrine Systeme Überblick Hypothalamo-hypophysäres System Zirkumventrikuläre Organe Zirbeldrüse, Corpus pineale, Glandula pinealis, Epiphyse
509
510 511 512 513 514 515
516 518 518 518 519 521 521 531 543 543 544 548 549
Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes Richard H. W. Funk
6.1 6.1.1
555 Äußere Augenhaut,
6.1.1.1
6.1.1.2 6.1.1.3
6.1.2 6.1.2.1 6.1.2.2
Hornhaut, Cornea Vordere und hintere Augenkammer (Vorderkammer, Hinterkammer), Camera bulbi anterior et posterior und Kammerwasser,
555 555 557
6.1.2.3 6.1.2.4 6.1.2.5 6.1.3 6.1.3.1 6.1.3.2 6.1.4
558
6.2
560 560
6.2.1 6.2.2
Mittlere Augenhaut, Tunica
Ziliarkörper, Strahlenkörper, 561
Linse, Lens Glaskörper, Corpus vitreum Aderhaut, Choroidea Innere Augenhaut, Augenbecherschichten, Tunica interna bulbi Pigmentepithel Netzhaut, Retina Gefäße und Nerven des Bulbus oculi Bewegungsapparat des Augapfels Augenmuskeln, Musculi oculi Fettkörper, Corpus adiposum orbitae, Bindegewebeapparat der Augenhöhle
563 S66 Paarige vv. comitantes. Die meisten Extremitäten-Arterien werden von paarigen Begleitvenen begleitet. O Singulare v. comitans. Die großen Arterien (z. B. A. iliaca ext., A. femoralis, A. poplítea) haben gewöhnlich nur eine Begleitvene. \> Vv. subcutaneae. Hautvenen verlaufen ohne Arterien. Sie liegen unter der Haut auf der Faszie und werden häufig von oberflächlichen Lymphgefäßen begleitet. Diese Venen sind sehr variabel in ihrem Verlauf und anastomosieren oft mit tiefer gelegenen Begleitvenen. Dabei ist die Blutflussrichtung durch Klappen nach innen gerichtet. Klinik: Entzündungen können sich in vorgeformten Bindegewebsräumen infiltrativ ausdehnen (Phlegmone). Ursache sind vielfach hämolysierende Streptokokken. Entlang einer Gefaßnervenstraße können sich Phlegmone rasch über große Strecken ausbreiten. • Verlauf von Gefaß-Nervenstraßen. Gefäße und Nerven verlaufen an Extremitäten typischerweise über die Beugeseite der Gelenke, um bei Beugung nicht überdehnt zu werden. Wichtig ist dabei der Bezug zur Bewegungsachse. In Bereichen, wo große Flächen oder Räume unbeweglicher sind (ζ. B. Kopf), wirkt dieses ordnende Prinzip weniger. Die Gefäße wählen i. d. R. den kürzesten Weg zum Erfolgsorgan. Wenn sie einen langen Weg zurücklegen müssen, ist das meist durch Verlagerungen während der Entwicklung zu erklären. Beispiele: • Die Keimdrüsen, die ursprünglich in der oberen Lenden- und unteren Thoraxgegend angelegt wurden (Umierenderivate), beziehen ihre Arterien (Aa. testiculares sive ovaricae) direkt aus der Bauchaorta. • Untere Extremität. Weichen die Hauptstämme von Gefäßen und Nerven von der Regel eines gemeinsamen Verlaufs (über die Beugeseite) ab, so ist vielfach ein im Laufe der Evolution geänderte Gelenknutzung (ζ. B. bei der Aufrichtung des Menschen) die Ursache. Arterien können sich - anders als Nerven - rückbilden und Kol-
58
lateralen, die günstiger liegen, die Aufgabe übernehmen. So findet sich die Hauptschlagader des Menschenbeines rumpfnah nicht beim N. ischiadicus, sondern die A. femoralis hat diese Aufgabe übernommen. • Verlagerung. Bei der Beugung werden die Gefaßstämme durch Zug des umgebenden Bindegewebes so verlagert, dass sie weniger abknicken, als es der Winkel des gebeugten Gelenkes impliziert. Das Beispiel der A. poplítea zeigt, dass dennoch die mechanische Belastung in Gelenknähe bei Arterien eine Prädilektion für degenerative Veränderungen ist. • Bei beweglichen oder verschieblichen inneren Organen und bei Knochen lagern sich die Leitungsbahnen im Zentrum oder der Achse der Bewegung zusammen, um an dieser Stelle gemeinsam in das Organ einzutreten (Hilum). • Gefaßvarietäten sind sehr häufig und meist aus der Entwicklungsgeschichte zu erklären. Die Vielfalt ist groß, aber begrenzt durch Variationen der Neu-, Um- und Rückbildungprozesse in der frühen Embryonalphase. Im Allgemeinen sind die Arterien in ihrem ganzen Verhalten (Größe, Verlauf usw.) konstanter als die Venen. Die Arterien und Venenstämme sind am Anfang in dem frühen Gefäßnetz des Embryos nicht differenziert. Sie treten erst allmählich daraus hervor, wenn sie an Volumen zunehmen. Die Stämme sind in erster Linie erblich bedingt, die Details sind Anpassungen an die Funktionen. • Altersveränderungen. Venen können leichter als die Arterien gedehnt werden. Arterien sind besonders in der Länge, Venen in der Quere dehnbar. Lässt die Dehnbarkeit der Arterien im Alter nach, so zeigt sich eine stärkere Schlängelung z. B. die oft gut sichtbaren Aa. temporales superficiales bei älteren Menschen. • Gefäßverzweigungen. Die Gefäße verzweigen sich nach drei wesentlichen Mustern. Die Gefäßverzweigungen folgen dabei wesentlich den hämodynamischen Anforderungen des Blutstroms. Das Blut soll mit geringstem Energieverlust verteilt werden. Dazu gehört die Vermeidung von Verwirbelungen. Scharfe Knicke fehlen daher weitgehend. t> Monopodial. Ein Hauptstamm gibt zahlreiche kleinere Arterien ab. Die Gefäße gehen des Öfteren in spitzem, seltener in rechtem und stumpfen Winkel vom Hauptstamm ab.
2 Allgemeine Anatomie
> Dichotom. Teilt sich der Hauptstamm in 2 etwa gleich starke Äste, so spricht man von dichotomischer Teilung. Diese muss nicht angelegt sein, sondern kann, wie bei den Iliakalarterien, die Aufweitung von monopodialen Ästen (hier segmentalen Ästen) im Rahmen funktioneller Änderungen sein. t> Die Aufzweigung eines Gefäßes in ein Büschel kleinerer Gefäße ist nur in wenigen Organen verwirklicht (Pinselarteriolen der Milz). Klinik: Stumpfwinklige Gefäßabgänge sind ungünstige Blutstrom-Richtungsänderungen. Hier entstehen häufiger Verwirbelungen. Bei Arterien sind dies Prädilektionsstellen arteriosklerotischer Plaques (z. B. kraniale Abgänge aus dem Aortenbogen); bei Venen kann es Stauungen und damit Varizenbildungen geben.
2.3.2.10 Arterien und Arteriolen Nach dem Aufbau unterscheidet man Arterien vom elastischen und muskulären Typ (Abb. 2.22). Der Übergang ist kontinuierlich. Nach der Größe teilt man die Arterien formal in große, mittelgroße, kleine und präkapillare Arterien (Arteriolen, s. u.) ein. Dabei haben Arterien gleicher Größe keinesfalls immer gleiche Aufgaben. Diese hängen vielmehr vom Organ oder Gewebe ab.
2.3.2.10.1 Arterien vom elastischen Typ Zum elastischen Typ gehören die großen herznahen Gefäße {Aorta, Truncus brachiocephalicus, A. carotis communis, Truncus pulmonalis usw.), jedoch nicht die Aa. coronariae, da sie (besonders links) vermehrt in der Diastole durchblutet werden und daher die oben beschriebene, zur Systole gehörende Funktion nicht erfüllen (s. Kap. 2.3.2.5, S. 56). Die Gefäße vom elastischen Typ haben eine Windkesselfunktion und werden auf Dehnung beansprucht. Sie zeigen im Gegensatz zu den mittleren Gefäßen eine dickere Intima, keine besonders ausgeprägte Elastica interna und in der Tunica media zahlreiche gefensterte, elastische Membranen.
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2.3 Herz-Kreislauf-System
2.3.2.10.2 Arterien vom muskulären Typ Mit der Entfernung vom Herzen prägt sich der muskuläre Typ stärker aus. Wandschichten. Wir unterscheiden 3 Wandschichten, die bei den mittelgroßen Gefäßen am deutlichsten ausgeprägt sind (Abb. 2.22).
Abb. 2.22: a. Arterie vom elastischen Typ. b. Arterie vom muskulären Typ. c. Vene. Man beachte die unscharfe A b g r e n z u n g von M e d i a und Adventitia bei der Vene
Klinik: 1. Die häufigste Krankheit der Arterien ist die Arteriosklerose. Sie wird u. a. als Störung des Lipidstoffwechsels in der arteriellen Intima charakterisiert (Atherosklerose). Es handelt sich jedoch um einen Sammelbegriff verschiedener pathogenetischer Veränderungen. Dabei kommt es im Endstadium zur Ablagerung von Kalziumkonkrementen. Dies stört z. B. die Windkesselfunktion. 2. Die geschwächte Wand kann auch aneurysmatisch werden. Die meisten Komplikationen sind organbedingt und oftmals Folge der Lumeneinengung (z. B. Angina pectoris, Infarkt, Claudicatio intermittens, Gangrän).
• Tunica interna (Intima). Sie besteht neben den Endothelzellen aus feinen, elastischen und kollagenen Fasern. Sie wird vorwiegend in Strömungsrichtung beansprucht, weshalb die Strukturelemente vorwiegend in Längsrichtung angeordnet sind. Die Membrana elastica interna bildet die Grenze gegen die Tunica media. • Tunica media (Media). Diese ist auf Dehnung und Pulsation eingestellt. Sie besteht aus einer dicken Lage flach-schraubenförmig verlaufender, glatter Muskelzellen. Die Membrana elastica externa bildet die Grenze gegen die Tunica externa. • Tunica externa (Adventitia). Hier sind vorwiegend längs verlaufende elastische und kollagene Fasem in Form eines Scherengitters angeordnet. Sie müssen den pulsatorischen Volumenschwankungen nachgeben können. Alle elastischen Fasern der Gefäßwand bilden mit den elastischen Fasern der Umgebung zusammen ein Raumgitter.
2.3.2.10.3 Rankenarterien, Aa. helicinae Rankenarterien sind geschlängelte Arterien in Organen, die großen Volumenschwankungen unterworfen sind (Genitalapparat) oder an Orten, wo die Gefäße stark bewegt werden (einige Gesichtsbereiche). Diese Schlängelungen bilden Reservelängen, z. B. bei der A. facialis (Kaubewegung). Diese Deutung klärt aber nicht alles auf, da beispielsweise die seitlich am Uterus verlaufende A. uterina am Ende der Schwangerschaft (also bei stärkster Ausdehnung des Uterus) nach wie vor geschlängelt ist. Die Hämodynamik liefert hier wahrscheinlich eine weitere Erklärung. Bei der ebenfalls stark gewundenen A. splenica (lienalis) ist diese Schlängelung gleichfalls nicht etwa Folge der Atemverschieblichkeit, sondern (vermutlich) ein Rudiment der Blutspeicherfunktion, die die Milz mangels Muskelzellen beim Menschen nicht mehr ausübt (statt dessen größeres Volumen der Arterie durch Längenreserve).
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2.3.2.10.4 Arteriolen Mit der Größenabnahme der Arterien zur Peripherie hin nehmen alle ihre Schichten, vorwiegend aber die Tunica media, ab. Die Arteriolen als Terminalarterien (Durchmesser 20-80 μηι) besitzen nur noch eine, oft nicht mehr geschlossene Muskellage (Abb. 2.23). Im Bereich der Arteriolen findet ein starker Blutdruckabfall statt. Dies erklärt sich wesentlich aus dem bedeutend größeren Gesamtquerschnitt (Volumenzunahme) der Arteriolen gegenüber den kleinen Arterien. Arteriolen werden auch als Widerstandsgefäße bezeichnet, da bereits kleine Lumenverkleinerungen eine deutliche Widerstandserhöhung bewirken. Man erklärt dies durch die Erhöhung der Reibung des Blutes an der Gefäßwand und durch die Veränderung seiner Fließeigenschaften bei der Verringerung der Strömungsgeschwindigkeit.
2.3.2.11 Kapillaren und Sinus Die Kapillaren sind dünnwandige, enge Gefäße mit schwankendem Lumen, durch die noch Erythrozyten durchtreten können (Durchmesser 3-15 μιη, Länge im Mittel 500 μιτι). Sie sind die Stelle des Stoffaustausches zwischen Blut und Gewebe.
2 Allgemeine Anatomie
Wandschichten. Ihre Wand besteht lumenwärts aus einer Endothelschicht (Abb. 2.23). Die untereinander durch Zellverbindungen (tight junctions, gap junctions, selten Desmosomen) verknüpften platten Endothelzellen (0,1-1 μηι Dicke) sind mit ihrer Längsachse in Richtung des Gefäßes eingestellt. Die sich anschließende stark dehnungsfahige, sehr dünne Basalmembran wird vorwiegend von den Endothelzellen gebildet. Sie stellt unter physiologischen Bedingungen keine wesentliche Permeabilitätsschranke dar, ist aber für pathologische Vorgänge von Bedeutung. Phagozytierende Adventitiazellen befinden sich außerhalb der Basallamina und liegen der Kapillarwand nur auf. Kapillarbett. Untereinander bilden die Kapillaren ein Netzwerk, das in Dichte, Art der Vernetzung und Form vom Blutbedarf und der Struktur des jeweiligen Organs abhängig ist. Die Sauerstoffausschöpfung ist ein wesentlicher Faktor für Art und Umfang der Kapiiiarisierung eines Gewebes. Kapillaren können vom Körper leicht nachgebildet oder ersetzt werden (Granulationsgewebe nach Verletzungen, wachsendes Fettgewebe). Kapillartypen. Im Hinblick auf die Wandgestaltung werden 3 Kapillartypen unterschieden: O Kapillaren mit zusammenhängendem Endothel besitzen eine durchgehende Basallamina ohne Poren (Fenestrae). Sie kommen u. a. in Gehirn, Retina, Hoden, Thymus, Lungen und
Abb. 2.23: Terminale Gefäßstrecke: a. Arteriole, b., c. Kapillaren, d. kleine Vene
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2.3 Herz-Kreislauf-System
Muskulatur vor. Der Stoffaustausch durch aktive transendotheliale Transportvorgänge und paraendotheliale Diffusion ist streng kontrolliert. l> Kapillaren mit intrazellulären Poren. Ihre Endothelzellen besitzen Poren (Fenestrae; fenestriertes Endothel) mit einem Durchmesser von ca. 60 nm oder darunter (bis zu 9 nm). Meist sind die Poren von einem Porendiaphragma verschlossen, können aber auch offen sein. Dieser Kapillartyp kommt in den endokrinen Organen, im Dünndarm, im Knochenmark und in peritubulären sowie glomerulären Kapillaren der Niere vor. Der Stoffaustausch ist erleichtert. Sinusoide sind besonders (30^40 μιη). Ihr Endothel keine zusammenhängende sowohl intrazelluläre Poren läre Lücken.
weite Kapillaren besitzt keine oder Basallamina und als auch interzellu-
Dieser Typ kommt in der Leber, in der Milz und im roten Knochenmark vor. Hier vollzieht sich der Stoffaustausch am leichtesten. Venöse Sinus sind kleine, erweiterte Gefäßstrecken (ζ. B. im Nebennierenmark, in der Hypophyse oder in der Leber). Das Blut fließt hier langsamer (längere Kontaktzeit). Blut-Gewebe-Schranken. Die Kapillarwand bildet einen Teil der Blut-Gewebe-Schranke. Der Stoffaustausch erfolgt transzellulär durch Diffusion und - vermutlich - Zytopempsis (transzellulärer Stofftransport in Vesikeln mit kontrollierter Endound Exozytose) sowie interendothelial. In erster Linie sind der Blutdruck, der osmotische und kolloidosmotische Druck daran beteiligt. Präkapilläre Sphinkteren. Zu den grundlegenden Eigenschaften kapillärer Gefaßstrecken gehört die periodische Öffnung und Schließung von präkapillären Sphinkteren (Periode von 2 - 8 s). Mit diesen feinen muskulären Sphinkteren, die am Ursprung der Kapillaren liegen (Sphinkterkapillaren), wird der Blutgehalt der Kapillaren reguliert. Terminale Strombahn. Als terminale Strombahn bezeichnet man die für den Stoffaustausch mit dem Gewebe und seine Regulation zuständigen Gefäßgebiete. Dieser Bereich der Mikrozirkulation unterliegt wegen des geringen Durchmessers der Kapillaren besonderen Theologischen Bedingungen.
Biologisches Verhalten der Kapillaren. Grundsätzlich kann es zu einer Kapillarerweiterung (Vasodilatation) mit Streckenverkürzung und zu einer Längung (Elongation) mit kleinerem Lumen kommen. Ändert sich zudem die Wanddicke (Lumenänderungen der Haargefäße durch An- oder Abschwellung des Kapillarendothels), ist Vasodilatation und Elongation gleichzeitig möglich (erleichterter Stoffaustausch). Diese Veränderungen sind bedeutend für physiologische (ζ. B. Muskelhypertrophie) und pathologische Vorgänge (ζ. B. chronische Entzündungen, Kaposi-Sarkom). Die Bedeutung der kapillären Nervenversorgung ist nicht geklärt. Es werden sowohl sensible als auch zunehmend vegetativ-efferente Fasern nachgewiesen. Nicht alle die terminalen Gefäße begleitenden Nerven sind für deren Versorgung zuständig. Die Gefäße können auch der Versorgung der Nerven dienen und sie im Sinne einer Leitstruktur in das Zielgebiet bringen (ζ. B. bei Regenerationsprozessen oder in der Organogenese).
2.3.2.12 Venen und Venolen Die Nomina Anatomica benennen etwa 400 Venen. Herzfern sind sie zumeist paarig oder geflechtartig in einer gemeinsamen Bindegewebshülle (Gefäßscheide) aus Kollagenfasern in statistischer Ordnung (vorzugsweise konzentrisch) um die Arterien gelegen (arteriovenöse Koppelung, Abb. 2.21). Verlauf, Funktion. Im Urogenitaltrakt - und regelmäßig in der Nabelschnur - begleiten 2 Venen eine Arterie. Im Urogenitaltrakt ist es of anders herum. Diese Venen sind teilweise muskelstärker als die zugehörige Arterie. Regelmäßig finden sich 2 Arterien und 1 Vene in der Nabelschnur. In den Venen unterliegt der Druck anderen Rhythmen als dem Puls (z. B. der Atmung). Klappen gewährleisten die Strömungsrichtung. Sie sind Voraussetzung für die Muskelpumpe. Dabei handelt es sich um eine Massage der Venen durch sich kontrahierende Muskeln. Die kollagenfasrige Scheide und die Klappen bedingen, dass sich die Venen durch diese Kompression herzwärts entleeren. Ähnlich wirkt auch die Peristaltik des Darms auf die Pfortaderzuflüsse. Die großen herznahen Venen und die meisten Venen am Kopf verfügen auf Grund der dort vorherrschenden Druckverhältnisse über keine Klappen. Klappen und Adventitia fördern auch bei jeder anderen Komprimierung
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den venösen Rückstrom (Belastung der Fußsohle, Kompressionstrümpfe zur Thromboseprophylaxe). Eigenständige Verlaufsmuster. In Gebieten relativer Ruhe (Rumpf, weite Teile des Gesichtes, Schädelinneres) können Venen unabhängig von Arterien verlaufen und eigenständige Verzweigungsmuster aufweisen. Diese Venen haben zumeist anderslautende Namen als die in der Nachbarschaft verlaufenden Arterien. Ebenfalls eigenständige Namen haben Hautvenen, da es keine größeren Hautarterien gibt. Hautvenen stehen über nach innen leitende (Klappen!), die Körperfaszie durchtretende Perforansvenen mit dem tiefen Venensystem in Verbindung (Abb. 2.20) Einteilung. Nach der Größe unterscheidet man große, mittelgroße, kleine und kleinste (Venolen) Venen. Wandaufbau. Man kann auch bei Venen einen Dreischichten-Aufbau erkennen, der aber weniger deutlich und stärker variabel ist (Abb. 2.22). • Tunica intima (Intima). Sie besteht aus einer Endothelschicht und einer wechselnd dicken Lage von feinen, kollagenen und elastischen Fasern, in die bei manchen Venen, besonders denen der unteren Extremitäten und des Genitale, noch zahlreiche längs verlaufende, glatte Muskelzellen eingelagert sein können. Eine Membrana elastica interna ist nicht immer klar ausgeprägt. • Tunica media (Media). Diese ist dünner und aufgelockerter als bei Arterien und oft nur schwach entwickelt. Die V. cava inferior und die Vv. suprarenales besitzen nahezu ausschließlich Längsmuskulatur. Durch eine Zunahme des kollagenen Bindegewebes sind die Muskelzellen zu einzelnen Bündeln auseinander gedrängt. Es lassen sich 2 Schichten abgrenzen. Die innere ist stärker spiralisiert, die äußere flacher. Damit sind die Venen (wie der Ureter, der Ductus deferens oder die Tuba uterina - alle mit überwiegend dreischichtiger Tunica muscularis, vgl. Adventitia) zu einer „Melkbewegung" befähigt (d. h. Lumenerweiterung am Ort der Kontraktion). Diese ist herzwärts gerichtet. Daneben kommt ein zartes Netzwerk elastischer Fasern vor. Ist eine Membrana elastica interna vorhanden, bildet sie vorwiegend Längsnetze, deren Fasern in der Intima dünn und außen dick sind.
2 Allgemeine Anatomie
• Tunica externa (Adventitia). Sie ist in der Dicke wechselnd und ähnlich wie die der Arterien gebaut. Zumeist ist sie die dickste der 3 Wandabschnitte. Die Adventitia enthält meist Bündel schwach spiralisierter, vorzugsweise längs verlaufender glatter Muskelzellen, so dass die meisten Venen faktisch über 3 Muskelschichten verfugen. Man kann diese Muskelzelllage auch der Media zurechnen. Die Verankerung der Venenwand mit der Umgebung ist sehr variabel. Die meisten Venen kollabieren bei zu geringem venösen Blutdruck. An der unteren Extremität ist die Adventitia verdickt, um den intravasalen Druck besser aufzunehmen. Wandstärke. Die Venen haben oft eine wesentlich dünnere Wand als gleichgroße Arterien. Damit wird dem niedrigeren Blutdruck im venösen Schenkel Rechnung getragen. Die Variabilität im Aufbau der Venenwand ist besonders groß; sie wird von den hämodynamischen Momenten der einzelnen Körperabschnitte bestimmt. Bei der Aufrichtung aus dem Liegen in den Stand bleiben durch die Venenfüllung über 500 ml Blut in der unteren Extremität. Mit zunehmendem hydrostatischen Druck (also in den unteren Extremitäten) steigt die Muskelstärke. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Venenklappen zu. Die V. saphena magna ist gebaut wie eine starke Arterie. An den oberen Extremitäten, Kopf und Hals finden wir meist muskelschwache Venen (niedriger intravasaler Druck gegenüber den Arterien). Die Dicke der Venenwand korreliert jedoch keineswegs mit der Größe des Lumens. Besonders variabel sind die kleinen Venen in ihrem Aufbau. Einander relativ ähnlich sind noch die mittelgroßen Extremitätenvenen. Klinik: Eine (gesunde) Hautvene der unteren Extremitäten kann aufgrund ihrer Wandstärke als autolog transplantierter arterieller Bypass (z. B. der Herzkranzgefäße) verwendet werden. Die Venen sind langstreckig und unter der Haut gut erreichbar. Von den begleitenden Hautnerven lassen sie sich gut isolieren. Der Verlust der vegetativen Innervation wird durch die Autokontraktionsfähigkeit der Media ausgeglichen. Unter der pulsierenden Druckbelastung nimmt die Vene zunehmend arteriellen Charakter an. Wegen der Venenklappen muss das Transplantat in umgekehrter Richtung eingenäht werden. Das Herkunftsgebiet wird hinreichend redundant entsorgt und kann den Verlust kompensieren.
63
2.3 Herz-Kreislauf-System
Venenklappen, Valvulae sind herzwärts geöffnete Intimaduplikaturen (Abb. 2.21), die eine bindegewebige Grundlage aus elastischen und kollagenen Fasern haben und an beiden Seiten von Endothel überzogen werden. Es existieren 2 Klappentypen. •
Der größere Klappentyp hat eine dicke, fibröse, flächige Grundlage und ist sichtbar an die Venenwand angeheftet. Bei Füllung wölbt sie sich in das Lumen der Vene vor und die Klappenhälften lagern sich einander an. Die Venenwand ist im Bereich hinter diesen Klappen sinusartig ausgeweitet. • Der kleinere Typ ist dagegen meist nicht sichtbar und muss im Präparat an der eröffneten Vene durch einen dünnen Wasserstrahl demonstriert werden. Diese Klappen verschließen das Lumen der Venen vielfach nur partiell. Klappen kommen an allen kleinen und mittelgroßen venösen Gefäßen vor. Besonders zahlreich sind sie in den Venen der Extremitäten und der Rumpfwand; an den unteren Extremitäten finden sich größenordnungsmäßig alle 2 cm Venenklappen. Stehen die Klappen besonders dicht, so bekommt die gefüllte Vene ein perlschnurartiges Aussehen (Rosenkranzvene = V. saphena parva). Die Klappen sind zumeist paarig gebaut und liegen bevorzugt distal der Einmündung anderer Venen. Sie verhindern den Rückstrom des Blutes und geben den Weg in Richtung Herz frei. Venenklappen
*
Perforansvene
/
2.3.2.12.1 Venolen Venolen haben einen Durchmesser von 10-30 μιη. Sie sind den Kapillaren nachgeschaltet. Ihr Wandaufbau ähnelt noch sehr dem der Kapillaren. Vereinzelt treten bereits glatte Muskelzellen auf (Abb. 2.23).
2.3.2.12.2 Perforansvenen, Vv. perforantes Vorkommen und Bedeutung. Perforansvenen kommen vor allem an den Extremitäten vor. Sie verbessern die Kommunikation des oberflächlichen mit dem tiefen Venensystem. Dabei fließt das Blut von epifaszial in die durch die Muskelpumpe (insbesondere an den unteren Extremitäten) geleerten subfaszialen Venen. Die Klappen der Vv. perforantes (sie „perforieren" die Körperfaszien) unterstützen diesen Blutfluss. Ein Versagen oder Fehlbildungen führen zu einer umgekehrten Blutströmung. Man unterscheidet direkte von indirekten Perforansvenen. •
Bei den indirekten Perforansvenen verläuft die Kommunikation der oberflächlichen mit den tiefen Venen über ein kleines, tieferes Epifaszialvenennetz (Abb. 2.24). Die Hauptvenenstämme der Extremitäten (Vv. saphenae magna et parva sowie Vv. basilica et cephalica) perforieren direkt und drainieren in die Begleitvenen der Arterien, sind also selber Perforansvenen. indirekte Perforansvene
1 —
Dermis
— epitassiale Vene
epifasziales Venengeflecht
— Körperfaszie
•
tiefes Venensystem
Abb. 2.24: Schema der Verbindung oberflächlicher und tiefer Venen einer Extremität mittels Perforansvenen und epifaszialem Venengeflecht
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2 Allgemeine Anatomie
• Darüber hinaus gibt es im engeren Sinne direkte Perforansvenen insbesondere an den unteren Extremitäten. Sie sind hier mit Eponymen belegt. Klinik: Für Varizen der unteren Extremitäten sind häufig Insuffizienzen der Perforansvenen verantwortlich, in deren Bereich am Unterschenkel nicht selten ein Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür) oder Stase-bedingte (Stauungsbedingte) Ekzeme (entzündliche Hautveränderungen) auftreten. Insuffiziente Perforansvenen weiten ihre Fasziendurchtrittsstelle auf und sind dann palpatorisch zu diagnostizieren.
tet. Diese Sperrvorrichtungen können durch Kontraktion das Gefaßlumen verengen und damit eine Stauung im Kapillarbett verursachen. Sie befinden sich u. a. in der Nasenschleimhaut, den Lungen, den Speicheldrüsen, endokrinen Drüsen und den Schwellkörpern der Genitalien. • Sperrarterien bzw. Polsterarterien. Es handelt es sich um kleine Arterien, die dem Kapillargebiet vorgeschaltet sind. Sie besitzen muskuläre Intimapolster oder in das Lumen vorspringende Muskelzellen und können die Blutzufuhr einschränken oder temporär ganz unterbrechen. Sie sind u. a. in der Haut, Nasenschleimhaut, Speiseröhre, den Bronchien, im Ovar und den Schwellkörpern der Genitalien finden.
2.3.2.12.3 Muskelfreie Venen In Organen mit einem gleichbleibend großen Blutbedarf finden sich Venen ohne Muskelzellen in ihren Wänden. •
Ein Beispiel sind die Sinus durae matris, Blutleiter der harten Hirnhaut im Schädel. Ihre starren Wände sichern einen gleichmäßigen Rückstrom des Blutes und verhindern somit Volumenschwankungen. • Die Trabekelvenen der Milz sind ebenfalls nur mit Endothel ausgekleidete Hohlräume in den Bindegewebsbalken der Milz und können daher nicht kollabieren oder einen nennenswerten Widerstand aufbauen. Sie münden in die V. portae hepatis (wichtiger Zusammenhang bei Pfortaderstauungen). 2.3.2.13
Gefäßtypen nach dem Versorgungsmodus
• Vasa privata sind Blutgefäße, die sich nur am nutritiven (ernährenden) Kreislauf eines Organs beteiligen (z. B. Bronchialgefaße, Herzkranzgefäße, Leberarterien). • Vasa publica stehen im Dienste des Gesamtorganismus (z. B. Aorta, Vv. cavae, Aa. pulmonales, V. portae hepatis); sie dienen primär nicht der Eigenversorgung eines Organs. 2.3.2.14
Drossel- und Sperrgefäße
• Drosselvenen. Es sind kleine Venen, die zirkulär und längs verlaufende Muskelzellen (Sphinktereu) besitzen. Sie sind den Venolen nachgeschal-
2.3.2.15
Anastomosen
Anastomosen (gr. ana = zusammen, stoma = Mund) sind Verbindungen von Gefäßen untereinander. Sie kommen zwischen arteriellen, venösen und lymphatischen Gefäßen vor und sichern die Zirkulation, wenn einer der Äste zeitweise oder dauernd verlegt ist. Die große Zahl der Anastomosen, insbesondere bei den Venen, erklärt die hohe Variabilität der Blutversorgung. Bei der Entwicklung von Verbindungen bei Gefäßen gleicher Art entsteht die Möglichkeit, dass eine Arterie (oder Vene) das Versorgungsgebiet der anderen übernimmt. Dem operativ tätigen Arzt eröffnet sich die Möglichkeit der Gefaßunterbindung ohne die Blutversorgung zu gefährden. Vorkommen. Organe endodermalen Ursprungs weisen häufig ausgeprägte Anastomosierungen ihrer Blutgefäße auf. In Organen und Geweben, die vom Mesoderm abstammen, ist die Ausprägung von Anastomosen wechselnd; entsprechend variieren sie erheblich in ihrer Reaktion auf Ischämien. Ektodermabkömmlinge sind oft von Endarterien versorgt (keine Anastomosen). Sie sind anfällig für Unterbrechungen der Blutzufuhr. Arten von Anastomosen 1. Arteriovenöse Anastomosen. Diese Anastomosen sind spezielle, lokale Kurzschlußverbindungen zwischen kleinsten Arterien bzw. Arteriolen und Venen bzw. Venolen unter Umgehung des Kapillargebietes. Arteriovenöse Anastomosen dienen der Durchblutungs-, Blutdruck- und Thermoregulation.
2.3 Herz-Kreislauf-System
Während ihre Bedeutung bei Schwellkörpern oder bei der Thermoregulation weitgehend gesichert ist, sind viele dieser regionalspezifischen Vorrichtungen in ihrer Bedeutung noch nicht klar erfasst. Man unterscheidet 2 Arten (Abb. 2.25): arterieller Schenkel
venöser Schenkel
I
ru
Abb. 2.25: Schematische Darstellung der arteriovenösen Anastomosen. Links: Brückenanastomose. Rechts: Knäuelanastomose. Der arterielle Schenkel wurde jeweiles schwach, der venöse stark punktiert. Pfeile: Blutstromrichtung
•
Brückenanastomosen sind kurze, bügelartige Gefäßverbindungen mit einem arteriellen und venösen Schenkel. In der Tunica media liegen unter dem Endothel modifizierte glatte Muskelzellen. Durch Quellung oder Kontraktion wirken sie als Sperrvorrichtung. Auch können ihnen ringförmig angeordnete Muskelzellen aufliegen. Zumeist werden die Anastomosen durch sympathische Nervenfasern innerviert. • Knäuelanastomosen (Glomus-Anastomosen) stellen ein Konvolut dickwandiger, gewundener und durch faserreiches Bindegewebe kapselartig eingehüllter Gefäße dar. Typische Knäuelanastomosen findet man in großer Zahl in der Haut von Akren (besonders der Nase, Glomerula cutanea), in Finger- und Zehenspitzen (Glomerula digitalia) sowie an der Steißbeinspitze (Glomus coccygeum), weiterhin in der Zunge, den Speicheldrüsen, der Schilddrüse und in Schwellkörpern. 2. Arterielle Anastomosen, Kollateralen. Es handelt sich um Äste (kleinerer Arterien oder Venen), die von einem Hauptstamm abgehen und im allgemeinen die Richtung desselben beibehalten. Sie können, wenn der Hauptstamm verlegt ist, mit anderen Kollateralen oder auch mit rückläufigen Gefäßen zum Hauptstrombett ausgeweitet werden und damit einen Umgehungskreislauf bilden. So entstandene Kollateralkreisläufe spielen für die Prognose von Gefäßverschlüssen und für Gefaßunterbindungen eine wichtige Rolle. Auch Vasa
65
vasorum bergen die Möglichkeit der Kollateralisierung des Gefäßes, das sie eigentlich versorgen. Beispiele: • Anastomosen größerer Arterienäste findet man vorwiegend zwischen den Darmarterien (z. B. Riolan-Anastomose, eine Gefäß V e r b i n d u n g der A. mesenterica superior mit der A. mesenterica inferior über Endäste der A. colica media und sinistra), aber auch an den Gliedmaßen (im Bereich der Gelenke), an Hals und Kopf. • Kollateralen. Während einige Organe eine ausgeprägte Eigenversorgung (z. B. Gehirn) haben, sind andere sehr auf die Blutzufuhr anderer Organe angewiesen (z. B. Pankreas). Die Gewährleistung der Gefaßversorgung eines Organs oder Gewebes hängt wesentlich von dem Umfang und der Effizienz kollateraler Zirkulation zwischen den versorgenden Gefäßen ab. Die A. centralis retinae und die Verzweigung der A. mesenterica superior sind Beispiele der 2 möglichen Extreme der Blutversorgung. Die Netzhaut (Retina) wird von einer anatomischen Endarterie versorgt. Ihr endgültiger Verschluss fuhrt zum Absterben der kompletten Retina. Im Fall der A. mesenterica superior wird durch die Darmbewegungen (Peristaltik) ständig die Blutzufuhr einzelner der 10-16 Aufzweigungen unterbrochen, ohne dass das abhängige Kapillargebiet eine Minderung der Durchblutung erfährt. Arkaden (bogenförmige Anastomosen) übernehmen durch Kollateralisierung die Versorgung. Allerdings ist die Durchblutung des Darms bei einem Gefäßverschluss der intramuralen Äste insuffizient. 3. Gefäßnetz, Rete. Sie bestehen aus kleineren Gefäßen, die zumeist flächenhaft miteinander in Verbindung stehen. • Gefaßgeflecht, Plexus vasculosus. Liegen die Gefaßnetze in mehreren Ebenen oder im dreidimensionalen Raum und stehen diese untereinander in Verbindung, spricht man von einem Gefaßgeflecht, Plexus vasculosus. Beispiele: • Die ausgedehntesten Anastomosierungen finden sich an langen tubulären Strukturen (Tuba uterina, Verdauungskanal). • Bei der Schilddrüse, der Harnblase oder dem Pankreas fuhrt ein umfangreiches arterielles System den Organen Blut zu, wobei die einzelnen
2 Allgemeine Anatomie
66 Arterien leiterartig miteinander in Verbindung stehen. Eine Unterbrechung einzelner beteiligter Gefäße, auch Hauptgefäße, bleibt folgenfrei. Das Pankreas kann als gutes Beispiel angesehen werden. Kopf (Caput) und Hakenfortsatz (Proc. uncinatus) erhalten Blut aus der oberen und unteren A. pancreaticoduodenalis, Körper (Corpus) und Schwanz (Cauda) werden von den leiterartig verbundenen Aa. splenica (lienalis) und pancreatica magna (aus der A. splenica) versorgt. Das Pankreas ist demnach von einem Netzwerk von Arterien umgeben, die die Gewebe ihrer unmittelbaren Umgebung versorgen.
Klinik: Die Verbindung zwischen arteriellen und venösen Blutgefäßen bzw. Gefäßsystemen (z. B. zwischen großem und kleinem Kreislauf) bezeichnet man auch als Shunt. 1. Physiologisch finden sich z. B. pulmonale arteriovenöse Anastomosen (1. über Bronchialvenen, 2. alveolär über das Kapillargebiet wenig belüfteter Lungenbezirke und 3. extraalveolär über die Vv. cardiacae minimae). Dabei gelangt venöses Blut in den großen Kreislauf. 2. Pathologische Shunts dagegen finden sich z. B. bei angeborenen Herzfehlern (in Abhängigkeit von den Druckverhältnissen in den Herzkammern als Links-Rechts-, Rechts-Links-Shunt bzw. vorübergehend als Pendelshunt), als arteriovenöse Fistel sowie bei arteriovenösem Aneurysma. 3. Iatrogene Shunts. Operativ werden Shunts z. B. zur Hämodialyse angelegt oder in der palliativen Therapie zur Umgehung von Stauungsgebieten (z. B. bei Leberzirrhose).
• Wundernetz, Rete mirabile (frühere Bezeichnung) ist ein Kapillarnetz, welches einem ersten Kapillargebiet nachgeschaltet ist. Die beiden Kapillargebiete sind über eine Pfortader miteinander verbunden. • Arterielle Wundernetze finden sich beispielsweise in den Nieren an jedem Nephron (Glomerulum und peritubuläres Kapillargebiet im Nierenmark; Pfortader ist das Vas efferens) • Ein venöses Wundernetz ist das dem Darmkapillargebiet nachgeschaltete Gefäßbett in der Leber (Pfortader ist die Vena portae). Andere wichtige Beispiele sind das hypothalamo-hypophysäre System und das Knochenmark. • Venöse Anastomose. Besonders zahlreich und vielgestaltig sind die Anastomosen zwischen den größeren Venenästen. Sie haben eine große praktische Bedeutung. Bei den paarigen Begleitvenen der Arterien sind die Anastomosen häufig so zahlreich, dass die Arterien von einem Venennetz umgeben sind.
2.3.2.16 Anatomische und funktionelle Endgefäße •
Endarterien sind baumartig verzweigte Gefäße, die keine präkapillären Anastomosen haben (Abb. 2.26). Sie versorgen alleine ein Kapillargebiet. Anatomische Endarterien (letzte Arterie vor dem abhängigen Kapillargebiet) kommen u. a. in Gehirn, Milz, Niere, Schilddrüse und Netzhaut des Auges vor. • Funktionelle Endarterien (Abb. 2.26) Bei ihnen sind Anastomosen in der Endstrombahn
Abb. 2.26: Arterielle Endstrombahn. Links: Endstrombahn mit zahlreichen Anastomosen. Nach einem Gefäßverschluss (Pfeilspitze) ist ein Umgehungskreislauf möglich (Pfeile), dagegen nicht bei „funktionellen Endarterien" (rechts). Rechts: Endarterien ohne Anastomosen. Bei Verschluss einer Endarterie (Pfeilspitze) entsteht entsprechend dem Aufzweigungsgebiet ein keilförmiger Gewebsuntergang (Infarkt), gestrichelt umrandetes Feld
67
2.3 Herz-Kre¡slauf-System
vorhanden. Nach plötzlichem Verschluss reicht der Kollateralkreislauf für die Sauerstoffversorgung des betroffenen Bezirkes jedoch nicht aus (z. B. Koronararterien)·, bei einem langsamen Verschluss hingegen können sich die Kollateralen aufweiten (ein bekanntes Beispiel dafür sind Verschlüsse des Circulus arteriosus Willisii an der Hirnbasis, welcher allerdings nur in 35 % der Fälle vollständig ausgeprägt ist). Klinik: Ist eine Endarterie verschlossen, kann das zugehörige Gewebe nicht mehr versorgt werden. Es entsteht eine Gewebsnekrose (anämischer Infarkt). In der Milz liegt das Prinzip einer segmentalen Verteilung der Arterien vor. Schon vor dem Hilum teilt sich das versorgende Gefäß, und mehrere Arterienäste (mit korrespondierenden Venen) treten in das Organ ein. Verschluss eines dieser Gefäße führt zu einem keilförmigen Infarkt, d. h. das Stromgebiet der Milz ist in distinkte vaskuläre Kompartimente aufgeteilt.
2.3.2.17
Vasavasorum
Vasa vasorum („Gefäß ernährende Gefäße") entspringen meist von rückläufigen kleineren Ästen der Arterie bzw. der die Vene begleitenden Arterie. Die Wände größerer Gefäße können nicht mehr allein über Diffusion aus ihrem Gefäßlumen versorgt werden. Bei den hohen Flussraten ist ein Stoffaustausch auch nicht vorgesehen. Dieser gewährleistet in einem gesunden großen Gefäß noch die Ernährung der Intima und einer mehr oder weniger großen Schicht der Media. Die Tiefe des Vordringens der Vasa vasorum von außen gegen das Lumen hängt von der Gesamtwandstärke des zu ernährenden Gefäßes ab. Zum einen ist die Diffusionstrecke begrenzend, also der Teil, der noch vom Lumen aus ernährt werden kann. Zum anderen muss der intravasale Druck (des zu ernährenden Gefäßes) von dem Druck in den ernährenden Kapillaren überwunden werden. In den Lungenarterien dringen beispielsweise die ernährenden Gefäße weiter gegen die Intima vor. Es ergibt sich, dass sowohl eine Hypertonie als auch arteriosklerotische Intimaverdickungen eine für die Gefäßwandversorgung kritische Situation hervorrufen können. Zu den Vasa vasorum gehören auch Lymphgefäße.
2.3.3
Übersicht über die großen Arterienstämme
Die verschiedenen diagnostischen Verfahren zur Angiologie und nicht zuletzt die Ansätze zu mikrotherapeutischen intravasalen Therapieverfahren machen ein zunehmend größeres anatomisches Detailwissen erforderlich, um diagnostische Ergebnisse interpretieren und therapeutische Möglichkeiten erkennen zu können. Dabei darf die klare Vorstellung von dem Plan und die Übersicht über die Ordnung, nach der das Gefäßsystem arrangiert ist, nicht verloren gehen.
2.3.3.1
Körperkreislauf (Abb. 2.19, 27)
Alle Gefäße des Körperkreislaufes werden aus der Aorta gespeist.
Anteile der Aorta Das arterielle Blut wird über die Äste der zentralen großen Körperschlagader, Aorta, in den Körper befördert. Sie geht aus der linken Herzkammer hervor. Zunächst steigt ein als Pars ascendens aortae (Aorta ascendens) bezeichneter Abschnitt aufwärts, wendet sich dann spazierstockartig im Bogen (Arcus aortae) nach dorsal vor die (im Alter links der) Wirbelsäule etwa in Höhe des 3.^4. Brustwirbelkörpers bzw. 2. (sternalen) Rippenansatzes (Oberkante). Danach zieht sie als Pars descendens aortae (Aorta descendens) nahezu geradlinig abwärts bis zum 4. Lendenwirbel. Die an dieser Stelle stark vergrößerten Segmentalarterien (Aa. iliacae communes) erwecken den Eindruck einer Gabelung (Bifurcatio aortae). Diese beiden großen Äste versorgen die unteren Gliedmaßen und das Becken. Der verbleibende Endast der Aorta zieht als A. sacral is mediana vor dem Kreuzbein abwärts. 1. Aorta ascendens, Pars ascendens aortae (s.Kap. 10.7.2.1.1, S. 877). Sie gibt die beiden Koronararterien für die Versorgung des Herzmuskels ab: [> A. coronaria dextra [> A. coronaria sinistra
68
2 Allgemeine Anatomie
— A carotis interna - A. carotis externa A. carotis communis Α. subclavia Truncus brachiocephalics A. subclavia _
A. brachials —
Arcus aortae
Aorta thoracica et ^ - Aa intercostales posteriori
-Truncus coeliacus • A. mesenterica sup. " A . renalis - A o r t a abdominalis Α. radialis A. ulnaris
— A. mesenterica inf. — A. iliaca communis — - A. iliaca interna — A. iliaca externa
- A. femoralis
- A. poplítea
— Α. tibialis anterior — A. tibialis posterior A. peronea (fibularis)
Abb. 2 . 2 7 : Ü b e r s i c h t Ober d i e g r o ß e n K ö r p e r a r t e r i e n
2.3 Herz-Kreislauf-System
2. Aortenbogen. Arcus aortae (s. Kap. 10.7.2.1.1, S. 877). Vom Aortenbogen entspringen 3 große Arterienstämme: t> der Truncus brachiocephalicus für die Versorgung des rechten Arms, ζ. T. der Brustwand und der rechten Hals- und Kopfhälfte. Er teilt sich in O die A. carotis communis dextra und die A. subclavia dextra [> die A. carotis communis sinistra für die linke Hals- und Kopfhälfte und t> die A. subclavia sinistra für den linken Arm und z. T. die Brustwand. 3. Kopfarterien, (s. Kap. 4.9, S 244). Die A. carotis communis teilt sich wie auch auf der linken Seite in die A. carotis externa und die A. carotis interna für die anteilige Versorgung von Kopf, Hals und den entsprechenden Eingeweiden. 4. Armarterien (s. Kap. 9.1.3.1, S. 720). Die beiderseits zum Arm ziehende A. subclavia setzt sich in die A. axillaris fort, die durch die Achselhöhle verläuft, und in die A. brachialis des Oberarmes übergeht. Sie gibt zur Oberarmrückseite die A. profunda brachii ab. In der Ellenbeuge wurde die A. brachialis früher Λ. cubitalis genannt. Sie gabelt sich hier in die an der Speichen-(Radius-)Seite des Unterarms verlaufende A. radialis und die an der Ellen-(Ulna-)Seite verlaufende A. ulnaris auf. In der Handfläche kommunizieren die beiden Arterien wieder über den oberflächlichen und tiefen arteriellen Hohlhandbogen, Arcus palmaris superficialis und profundus. Über diese doppelte Anastomose wird auch bei Greifarbeit die sichere Versorgung der Finger gewährleistet (s. Kap. 9.1.3.1.3, S. 722, und Kap. 9.1.3.1.4, S. 723). 5. Brustschlagader, Aorta thoracica, Pars thoracica aortae (s. Kap. 10.7.2.1.1, S. 877). Der Brustteil der Pars descendens aortae (Aorta thoracica - oberhalb des Zwerchfells), gibt als parietale Äste I> die paarigen Aa. intercostales posteriores III-XI ï> Aa. subcostales t> Aa. phrenicae superiores für die Versorgung der Brustwand (z. T. Rücken, Wirbelkanal) und des Zwerchfells sowie als viszerale Abgänge O die Rr. bronchiales t> Rr. oesophageales ï> Rr. mediastinales und t> Rr. pericardiac!
69
für Lungen, Speiseröhre, hinteres Mediastinum und Herzbeutel ab. Sie geht im Zwerchfellschlitz, Hiatus aorticus, in den Bauchteil, Pars abdominalis aortae der Pars descendens aortae, über. 6. Bauchschlagader, Pars abdominalis aortae (s. Kap. 12, S. 931). Dieser Bauchteil entsendet als parietale (paarige) Äste O die Aa. phrenicae inferiores und t> die 4 Aa. lumbales fur die Versorgung von Zwerchfell, Rumpfwand, z. T. Rücken und Wirbelkanal. Viszerale Gefaßabgänge sind D> die Aa. suprarenales mediae zu den Nebennieren, [> die Aa. renales zu den Nieren (und Nebennieren) und t> die Aa. testiculares sive ovaricae zu den Keimdrüsen. Schließlich gibt der Bauchteil der Aorta noch 3 große unpaare Eingeweideäste nach ventral ab: [> den Truncus coeliacus (Tripus Halleri) mit den Hauptaufzweigungen A. gastrica sinistra, A. hepático communis und A. lienalis (Α. splenica) für den Magen, die obere Hälfte des Zwölffingerdarmes, die Leber, Milz und die Bauchspeicheldrüse, t> die A. mesenterica superior folgt unmittelbar darunter für die Versorgung von Dünndarm, Blinddarm mit Wurmfortsatz, aufsteigendem und queren Teil des Dickdarms (bis zur Flexura coli sinistra). D> die A. mesenterica inferior fur den restlichen Teil des Dickdarms und z. T. des Mastdarms. 7. Bifurcatio aortae (s. Kap. 12.4.5, S. 1021). Die Aa. iliacae communes teilen sich beiderseits jeweils vor dem Kreuzbein-Darmbein-Gelenk in die Aa. iliacae externae und internae. Die letzteren ziehen ins kleine Becken, versorgen die Beckeneingeweide, das Gesäß, den Beckenboden und Teile des Oberschenkels. Jede A. iliaca externa versorgt mit Ästen die Bauchwand (und Hodenhüllen) und geht unter dem Leistenband durch die Lacuna vasorum in die Oberschenkelarterie, A. femoralis, über. 8. Beinarterien (s. Kap. 14.1.3, S. 1165). O\eA. femoralis entsendet die A. femoris profunda auf die Oberschenkelrückseite, verläuft dann an der ventralen und medialen Seite des Oberschenkels und gelangt schließlich als A. poplítea zur Kniekehle. Hier gabelt sie sich in die Schienbeinarterien, Aa.
70
2 Allgemeine Anatomie
tibialis anterior und posterior, auf. Die letztere entsendet noch die A. peronaea (A. fibularis). Die beiden Aa. tibiales teilen sich nochmals auf bzw. unter dem Fuß jeweils in 2 Äste, die weiter distal wieder über Arterienbögen miteinander Verbindung aufnehmen
2.3.3.2
Lungenkreislauf
Aus der rechten Herzkammer geht die Lungenschlagader, Truncus pulmonalis, hervor und zweigt sich unter dem Aortenbogen in die rechte und linke Lungenarterie, Aa. pulmonales dextra und sinistra, auf (s. Kap. 10.7.2.1.3, S. 883).
2.3.4
Kurze Übersicht über die großen Venenstämme
2.3.4.1
Körperkreislauf
1. Hohlvenen, Vv. cavae. Das venöse Blut wird aus dem Körperkreislauf über die obere Hohlvene, V. cava superior, und die untere Hohlvene, V. cava inferior, zum rechten Vorhof des Herzens befördert. V. cava superior (s. Kap. 10.7.2.2.2, S. 885). Das von Kopf und Hals (V. jugularis interna) und der oberen Extremität (V. subclavia, aus der V. axillaris) zurückströmende Blut sammelt sich beiderseits zu der Arm-Kopf-Vene, V. brachiocephalica. Im Bereich dieses Zusammenflusses leitet links der Ductus thoracicus und rechts der kurze Ductus thoracicus dexter (Ductus lymphaticus dexter) die Lymphe dem Blut zu. Die rechte und die längere linke V. brachiocephalica vereinigen sich hinter der rechten 1. Sternokostalverbindung zu der rechts gelegenen V. cava superior. V. cava inferior (s. Kap. 12.4.5, S. 1021). Das Blut der unteren Extremität fließt durch die Oberschenkelvene, V. femoralis, aus der Kniekehlenvene, V. poplítea, kommend, deren Zuflüsse die Venen des Unterschenkels, Vv. tibiales anteriores, posteriores und peroneae sind, in die V. iliaca externa. Von der Oberfläche leitet die V. saphena parva Blut in die V. poplítea und die lange V. saphena magna drainiert am sog. Venenstern in die V. femoralis.
Die V. iliaca externa vereinigt sich mit der aus dem Becken kommenden V. iliaca interna zur V. iliaca communis. Die beiden Vv. iliacae communes fließen rechts vor der Wirbelsäule zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbel zur V. cava inferior zusammen. Letztere nimmt t> die segmentalen Venen der Bauchwand, Vv. lumbales III, IV, O die Venen des Zwerchfells, Vv. phrenicae und t> die der paarigen Bauchorgane, V. renalis dextra und sinistra, t> V. suprarenalis dextra, > V. testicularis sive ovarica dextra, auf. (Die linke V. suprarenalis und die V. testicularis sive ovarica fließen in die V. renalis sinistra). 2. Pfortader, V. portae (s. Kap. 12.2.3.3, S. 954). Das Blut der unpaaren Bauchorgane (MagenDarm-Kanal, Milz, Bauchspeicheldrüse) wird durch die Pfortader, V. portae hepatis, der Leber zugeführt. Nach der Passage der Leber fließt es durch 2 - 4 kurze Lebervenen, Vv. hepaticae, ebenfalls in die V. cava inferior. 3. Längsvenensystem, Azygossystem (s. Kap. 10.7.2.2.3, S. 885). Parallel zur unteren Hohlvene sammeln die Vv. lumbales ascendentes Blut vorzugsweise der hinteren Bauchwand. Diese setzen sich nach Durchtritt durch das Zwerchfell rechts in die V. azygos und links in die V. hemiazygos fort. Die V. azygos nimmt die V. hemiazygos auf, bevor sie in die obere Hohlvene mündet. 4. Herzvenen, Vv. coronaria. Aus der Herzwand wird das Blut von den Herzvenen über den Sinus coronarius direkt dem rechten Vorhof des Herzens zugeführt (s. Kap. 10.7.1.5.2, S. 867).
2.3.4.2
Lungenkreislauf
Aus dem Lungenhilum treten jederseits die Lungenvenen, Vv. pulmonales, aus. Der Zufluss zum linken Vorhof des Herzens ist paarig, wobei sich der Vorhof unterschiedlich weit auf die Lungenvene ausdehnen kann. Damit sind von 2 bis 16 einzelnen Einmündungen (zumeist 4) alle Varianten möglich (s. Kap. 10.6.6, S. 830).
71
2.4 Blut, Sanguis
2.4
Blut, Sanguis
2.4.1
Zusammensetzung und Funktion
enthält: Proteine (Albumine, Globuline, Fibrinogen), Mineralien, Vitamine, Nährstoffe, Gase, Stoffwechselendprodukte, Hormone, Enzyme
Lernziele: Blutplasma, Blutzellen Die Zusammensetzung des Blutes (lat. sanguis, gr. haima ist: 1. Blutplasma, 2. Blutzellen (Blutkörperchen). Blutmenge: 1/12 des Körpergewichts. Auf das Blutplasma entfallen 55 % des Gesamtvolumens, auf die Blutkörperchen 45 % (Abb. 2.28, 29).
Gerinnung: Dabei wandelt sich das Fibrinogen in Fibrin um. Dadurch kann außerhalb des Körpers aufgefangenes Blut zu einer blutzellhaltigen Masse präzipitieren, Blutkuchen. Darüber setzt sich als eine zellfreie Flüssigkeit das Serum ab. Serum ist nicht mehr gerinnungsfähig, enthält aber noch die anderen Blutplasmabestandteile, u. a. Immunglobuline.
Funktion des Blutes • Transport von Gasen: 0 2 , C0 2 • Aufrechterhaltung des Säure-Basen-Gleichgewichtes durch Puffersysteme • Aufrechterhaltung des osmotischen und onkotischen Druckes durch Elektrolyte und Proteine • Regulierung des Wasser- und Elektrolythaushaltes • Regulierung der Körpertemperatur durch Wärmeabgabe/-aufnahme über die Körperoberfläche • Blutgerinnung, um Blutverluste zu vermeiden. • Abwehr von Krankheitserregern • Entsorgung von Giften und anderen Fremdstoffen • Transport/Verteilung von Hormonen.
2.4.2
Blutplasma
Das Plasma ist eine hellgelbe Flüssigkeit, die ca. 8 % gelöste oder suspendierte Substanzen
2.4.3
Blutzellen
Wir unterscheiden: 1. Rote Blutkörperchen, Erythrozyten (44 Vol. % des Gesamtblutes), 2. Weiße Blutkörperchen, Leukozyten, 3. Blutplättchen, Thrombozyten. Nur 1 Vol. % sind Leukozyten und Thrombozyten (Abb. 2.29).
2.4.3.1
Erythrozyten
Erythrozyten sind kreisrunde, bikonkave Scheiben. Durchmesser 7-8 μηι. Sie sind nicht aktiv beweglich, können aber aufgrund ihrer hohen Formelastizität Kapillaren mit einem Mindestdurchmesser von 3 μιη passieren. Erythrozyten des Menschen sind kernlos, besitzen außer dem Plasmalemm keine Organellen mehr und damit auch keinen Proteinsyntheseapparat. Erythrozyten
reife Blutzellen
Monozyten Leukozyten Thrombozyten
Blut
Granulozyten
basophile
Vorläuferzellen
Gerinnung
Fibrin-Gerinnsel Serum
Abb. 2.28: Zusammensetzung des Blutes
eosinophile
Lymphozyten
unreife
Blutplasma
neutrophils
72
•
2 Allgemeine Anatomie
2.4.3.2.1 Granulozyten
Funktion
• Transport von 0 2 und C0 2 • Zusammensetzung: 33-37 % Hämoglobin (Hb, roter Blutfarbstoff), 1 % Enzymproteine, 65 % Wasser. Hb bindet Sauerstoff reversibel, Erythrozyten gewährleisten den Sauerstofftransport. • Blutgruppenantigene. Die Oberfläche der Erythrozyten ist negativ geladen. Dadurch wird eine Adhäsion der Zellen untereinander und mit der Gefäßwand verhindert. Am Plasmalemm tragen Erythrozyten Blutgruppenantigene: Α, Β, Ο; M, N, Rh u. a. • Alterung. Zum Signal, das für die Elimination gealterter Erythrozyten verantwortlich ist, gibt es verschiedene Hypothesen: a) die Bindung von IgG an sogenannte „Seneszenzantigene" mit nachfolgender Aggregation der Komplexe, b) eine Herabsetzung der Deformierbarkeit durch Veränderung des Membranskelettes, c) eine Anreicherung von Phosphatidylserin im äußeren Blatt der Lipid-Doppelschicht. Lebensdauer der Erythrozyten ca. 120 (115 ± 9,5) Tage. Bei einem 70 kg schweren Menschen werden täglich 200 Milliarden Erythrozyten gebildet und abgebaut, 2,3 Millionen pro Sekunde! Abbauorte sind Milz, Leber, KM.
2.4.3.2
Leukozyten
Die Blutzellen, die kein Hb enthalten, heben sich im ungefärbten Zustand als farblose, „weiße" Zellen (gr. leukos = weiß) von den Erythrozyten ab (Abb. 2.29). • Bestandteile und Normwerte des weißen Blutbildes: Leukozyten Stabkernige Neutrophile Segmentkernige Neutrophile Eosinophile Basophile Monozyten Lymphozyten Thrombozyten
4000-11 000/μ1 3-5 % 50-70 % 2-5 % 0-1 % 2-6 %
20-35 % 150000-400000/μ1
Granulozyten sind durch Granula im Zytoplasma charakterisiert. Nach deren färberischem Verhalten unterscheidet man (Klinikjargon): 1. Neutrophile, 2. Eosinophile, 3. Basophile.
Neutrophile Granulozyten • Funktion. Die Zellen vollziehen eine Phagozytose. Neutrophile werden auch als Mikrophagen bezeichnet. Die effektive Phagozytose von Mikroorganismen ist IgG- und komplementvermittelt. Sind die Partikel zu groß, um endozytiert zu werden, so sezernieren die Neutrophilen Enzyme der Primär- und Sekundärgranula. Die Mikroorganismen werden außerhalb der Zellen zerlegt, die Bruchstücke endozytiert und intrazellulär vollständig abgebaut (frustrierte Phagozytose). Den Neutrophilen stehen dazu u. a. Myeloperoxidase und antimikrobielle Peptide aus den Familien der Defensine und Cathelicidine zur Verfügung. • Bau. Neutrophile haben einen Durchmesser von 9-12 μηι. Kern. Stab-, Segmentkernige. Der Kern unreifer Neutrophiler hat die Form eines einfach oder s-förmig gekrümmten Stabes (stabkernige Granulozyten), später wird er segmentiert (Segmentkerniger = Polymorphkerniger). Zwischen den Kernsegmenten befinden sich dünne Chromatinbrücken. Ausgereifte Neutrophile können 3-5 Kernsegmente enthalten (Abb. 2.29). Übersegmentierte. 6 oder mehr Kernsegmente weisen auf eine Überalterung der Zellen (= Rechtsverschiebung im peripheren Blutbild) hin (Beispiel: perniziöse Anämie). Die typische rotviolette Anfarbung der Azurgranula bei der Pappenheim-Färbung ist einerseits auf die Bindung des roten Farbstoffes Eosin an basische Proteine zurückzuführen, andererseits auf die Bindung der blauen und basischen Azurfarbstoffe an sauren Glykosaminoglykane. Die Azurfarbstoffe ändern nach Bindung ihre Spektraleigenschaften und nehmen einen roten Farbton an (Metachromasie). • Migration, Neutrophilen-Pool. Es existiert immer ein Pool reifer neutrophiler Granulozyten im Knochenmark. So können bei Bedarf innerhalb weniger Stunden größere Mengen Neutrophiler in die Blutbahn abgegeben werden.
73
2.4 Blut, Sanguis
Dieser Speicherpool im KM reicht aus, um in der Peripherie eine Versorgung mit Neutrophilen für 4 - 8 Tage zu gewährleisten. Im Blut verbleiben die Zellen wenige Stunden (HWZ 6,7 Std.). Sie treten dann in die Organbindegewebe ein, wo sie für einen evtl. Bedarf zur Verfügung stehen (HWZ 2-3 Tage). Kontinuierlich emigrieren sie auf die inneren Oberflächen, bilden dort die erste Abwehr gegenüber bakteriellen Invasionen: Mundhöhle, Magen-Darm-Trakt, ableitende Harnwege, serös ausgekleidete Körperhöhlen. Klinik: Eiter wird am Entzündungsort durch toxische Schädigung und degenerativen Umbau der neutrophilen Granulozyten (sog. Eiterkörperchen) gebildet. Das Einschmelzen erfolgt durch Freisetzung proteolytischer Enzyme der Neutrophilen.
Eosinophile Granulozyten • Funktion. Das Phagozytosevermögen Eosinophiler entspricht dem der Neutrophilen, jedoch sind Eosinophile weniger effektiv in der Elimination von Bakterien. Der Grund liegt möglicherweise im unterschiedlichen Wirkmechanismus der Peroxidasen. Im Vergleich zur Myeloperoxidase der Neutrophilen ist die Eosinophilen-Peroxidase nur in der Lage, sich mit J", jedoch nicht mit Cl" zu verbinden. • Bau. Durchmesser: 12-15 μπι, etwas größer als Neutrophile. Lichtmikroskopisch sind 2 Kennzeichen wegweisend: 1. Zweigelappter Kern, 2. Eosinophile Granula. In der PappenheimFärbung sind die eosinophilen Granula für den roten bis rotbraunen Farbton verantwortlich (Abb. 2.29). • Migration. Eosinophile verbleiben nur kurze Zeit in der Blutbahn (HWZ: 17-33 Std.) und penetrieren in das Parenchym, geleitet durch chemotaktische Substanzen. Im Parenchym verweilen sie 3 - 6 Tage. Klinik: Eosinophilie (= Anstieg der Eosinophilen) im peripheren Blutbild wird diagnostisch verwertet bei: 1. Wurmerkrankung. Das basische Hauptprotein und das eosinophile-kationische Protein, beides Bestandteile der spezifischen Granula, wirken toxisch auf Würmer (Helminthen s. u.). 2. Protozoenbefall (Urtierchen). 3.
Allergische Erkrankung, ζ. Β Asthma bronchiale. Eosinophile sind im Bronchialgewebe, -Schleimhaut, Sputum nachzuweisen. Degranulation zerstört die Bronchialschleimhaut und verursacht indirekt eine Hyperreaktivität der glatten Bronchialmuskulatur. Bei der atopischen Dermatitis beteiligen sich die Eosinophilen an der Entzündungsreaktion der Haut.
Basophile Granulozyten Im nachfolgenden Abschnitt werden basophile Granulozyten und Mastzellen gemeinsam besprochen, obwohl nur die basophilen Granulozyten im peripheren Blut zu finden sind. Es wird angenommen, daß beide Zellen aus einer gemeinsamen Stammzelle hervorgehen. Sie weisen auch funktionell und morphologisch viele Ähnlichkeiten auf. • Funktion. Basophile und Mastzellen sind durch Synthese und Freisetzung von: •
Histamin, Proteoglykanen und Proteasen aus intrazellulären Granula • Leukotrienen und Prostaglandinen • verschiedenen Cytokinen einbezogen in allergische Reaktionen vom Soforttyp (Anaphylaxie, akutes Asthma), allergische Reaktionen vom verzögerten Typ und chronisch allergische Reaktionen. Mastzellen sind darüber hinaus auch wesentlich mitverantwortlich fur die angeborene Immunität. Letztere Funktion können Mastzellen auf Grund von Stimuli bestimmter Bakterien, Viren, Parasiten, Toxinen oder durch Komplement-Aktivierung, all diese Prozesse laufen unabhängig von IgE, realisieren. • Freisetzung von Histamin. Sie kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: Bei ungefähr 20 % der Allergiker bilden Plasmazellen in der Sensibilisierungsphase IgE-Ak gegen Allergene (Ag), Basophile und Mastzellen besitzen Rezeptoren fur IgE und können die gegen die Allergene gerichteten IgE-Ak binden. Bei erneutem Allergenkontakt heftet sich das Allergen, vermittelt über das plasmalemmal gebundene IgE, an Basophile und Mastzellen. Wenn ein Allergen an 2 IgE-Moleküle gleichzeitig bindet, so nähern sich die benachbarten IgE-Rezeptoren. Dadurch wird transmembranär eine Aktivierung von Enzymkaskaden ermöglicht, durch die es
74
zur Fusion der Granula mit dem Plasmalemm und zur extrazellulären Freisetzung von Histamin kommt. • Spätphase der allergischen Reaktion. In ihr werden von Basophilen und Mastzellen neben Histamin andere, stärker vasodilatorische Substanzen freigesetzt: Prostaglandin D,, Leukotrien C4. Dabei werden Histamin freisetzende Faktoren (zytokinähnliche Substanzen), die von einer Reihe von Zellen gebildet werden, an der Membran von Basophilen und Mastzellen gebunden und lösen sowohl IgE-abhängig als auch IgE-unabhängig die Bildung und Freisetzung oben genannter Mediatoren aus. • Bau. Durchmesser: 8-10 μιτι. Nach Pappenheim-Färbung erscheinen die Granula intensiv blauviolett. Durch Bindung des basischen Anilinfarbstoffes an saure Glykosaminoglykane (Heparin) in den Granula kommt es zur Metachromasie. Der gelappte Kern (keine Segmentierung!) hebt sich nach der Färbung nicht deutlich von den Granula ab (Abb. 2.29). • Migration. Basophile verbleiben nur Stunden in der Blutbahn (HWZ: 6 Std.). Sie migrieren dann ins Gewebe, wo sie sich etwa 24 Stunden aufhalten. Basophile sind kurzlebige Zellen, die nach Degranulation ihre Granula nicht wieder regenerieren können. Mastzellen. Sie bilden sich ebenfalls wie basophile Granulozyten aus CD 34 "-hämatopocti sehen Stammzellen (Abb. 2.32). Man findet sie: • in Schleimhäuten von Atmungs- und Intestinaltrakt (Mucosa-Mastzelle) • im Bindegewebe der Haut, im Peritoneum, in der Adventitia der Gefäße (Bindegewebe-Mastzelle). • Mastzellen produzieren ebenso Histamin und Heparin, sie enthalten im Gegensatz zu Basophilen Laktoferrin, Lysozym, Tryptase. • Mastzellen zirkulieren im Gegensatz zu den Basophilen nicht im Blut. Bereits ihre Vorläufer erreichen über die Blutbahn die entsprechenden Gewebe. Sie vollenden ihre Differenzierung in der Peripherie. Unter bestimmten Bedingungen können sie ihre Proliferationskapazität erhalten. Mastzellen sind langlebig, nach Degranulierung sind sie in der Lage, Granula zu regenerieren.
2 Allgemeine Anatomie
2.4.3.2.2 Monozyten Monozyten sind Zellen des peripheren Blutes. In den Geweben differenzieren sie sich zu Makrophagen. In diesem Kapitel werden Monozyten und Makrophagen gemeinsam besprochen. Die nachfolgend erwähnten Funktionen treffen nur für Makrophagen zu: • Funktion. Bekämpfung mikrobieller Infektionen und anderer Entzündungen durch die Fähigkeit zur Phagozytose / Pinozytose und zur Abgabe entzündungshemmender Faktoren. Phagozytose großer Partikel: Bakterien, Protozoen, Pilze, Schmutz-, Staubpartikel, Fremdzellen, als „fremd" erkannte körpereigene Zellen Pinozytose kleiner Partikel: Viren, Immunkomplexe, gelöste Makromoleküle. Erkannt werden sowohl opsonierte Partikel (IgG beladen oder komplement-vermittelt), als auch nicht-opsonierte Partikel. Beide Prozesse laufen unter Einbeziehung von Membranrezeptoren ab. Eleminierung dieser Partikel oder Antigenpräsentation an B- und T-Lymphozyten mit nachfolgender Aktivierung der Lymphozyten Beeinflussung des Mikromilieus in verschiedenen Organen durch Produktion unterschiedlicher Zytokine: ζ. B. der Hämatopoese im Knochenmark • Bau. Durchmesser 12-20 μηι. Monozyten besitzen einen nierenförmigen Kern und einen breiten, basophilen Zytoplasmasaum, der nach Pappenheim-Färbung graublau erscheint (Abb. 2.29). Die Azurgranula, die primären Lysosomen entsprechen und mit zunehmender Reifung der Monozyten verschwinden, enthalten neben hydrolytischen Enzymen auch Peroxidase. Es handelt sich dabei um Myeloperoxidase, die auch in den neutrophilen Granulozyten vorkommt. Im Blut verbleiben die Zellen nur 1-2 Tage (HWZ 17,4 Std.). Danach wandern sie in die Gewebe und in die mit Serosa ausgekleideten Höhlen, um sich dort zu Makrophagen zu differenzieren.
75
2.4 Blut, Sanguis
• Makrophagen monozytärer Abstammung
2 . 4 . 3 . 2 . 3 Lymphozyten Funktionell wird zwischen B-, T-Lymphozyten und natürlichen Killerzellen unterschieden.
Die Umwandlung von Monozyten in Makrophagen geht mit markanten morphologischen und biochemischen Veränderungen einher. • • Zytokinproduktion. Die Palette der produzierten Zytokine ändert sich. Welche Zytokine produziert werden, ist abhängig von der Lokalisation im Gewebe. Ruhende Makrophagen müssen erst aktiviert werden, um Pathogene zu erkennen und zu phagozytieren. Eine wesentliche Funktion scheint in diesem Zusammenhang dem Interferon-gamma zu zukommen, das die mikrobizidale und tumorozidale Aktivität der Makrophagen erhöht. Makrophagen, die sich aus Monozyten differenzieren, sind mitotisch inaktiv und haben in den Organen eine Lebensdauer von 1-2 Wochen. Diese Population erneuert sich ständig durch Einwanderung von Monozyten aus dem Blut. Dabei ist die Monozyten-Influxrate in Leber und Milz hoch, in Lunge und Peritonealhöhle niedrig. •
Residente (ortsständige) Makrophagen. Sie haben ein proliferatives Potenzial, das die Fähigkeit zur Selbsterneuerung einschließt. Ihr Anteil ist in den Organen verschieden. Die Lebensdauer beträgt bis zu einem Jahr. Sie entwickeln sich in der Fetalperiode aus primitiven Makrophagen über die Stufe der fetalen Makrophagen unter Umgehung des monozytären Differenzierungsweges. • Mononukleäres Phagozytensystem (MPS). Die Makrophagen stellen eine sehr heterogene Population dar. Residente Makrophagen und die sich ständig neu über Monozyten rekrutierenden Makrophagen werden unter dem Begriff MPS zusammengefasst. Dieser Begriff schließt folgende Zellen ein: • • • • • • •
Histiozyten (Bindegewebe) Kupffer-Zellen (Leber) Makrophagen (Knochenmark) Typ Α-Zellen (Synovia) Alveolarmakrophagen (Lunge) Makrophagen (Endokrine Organe) Mikroglia, perivaskuläre Makrophagen (Zentralnervensystem) • Pleural-, Perikardial-, Peritonealmakrophagen (Körperhöhlen)
Einteilung
T-Lymphozyten unterteilt man in zytotoxische (Effektor-)Zellen ( T ^ J , Helfer-Zeilen (T|)dJ r v(T. und Suppressor-Zellen ). ' Suppressor' 1. Gedächtniszellen (memory cells) finden sich unter den B- und T-Lymphozyten. Sie entsprechen morphologisch kleinen Lymphozyten. 2. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) sind in der Lage, bereits beim Erstkontakt bestimmte Viren, intrazelluläre Bakterien, Parasiten und Tumorzellen zu zerstören (angeborene Immunität). Die Reifung der NK-Zellen erfolgt unabhängig vom Thymus. Sie bilden 20 % der Zellen in der Lymphozytenpopulation des peripheren Blutes und 5 % der Zellen in der Milz-Lymphozytenpopulation. •
Bau
Lymphozyten stellen 2 0 ^ 0 % der Leukozyten. Morphologisch unterscheiden wir 2 Arten (Abb. 2.29): 1. Kleine Lymphozyten (Durchmesser 6 - 9 μιη): stark kondensiertes Chromatin und damit kräftig gefärbter Zellkern, dünner basophiler Zytoplasmasaum. 2. Große Lymphozyten (Durchmesser 9-16 μιτι). Der Kern kann einseitig leicht abgeplattet oder eingezogen werden und weniger intensiv gefärbt sein. Der Zytoplasmasaum ist etwas breiter.
2 . 4 . 3 . 2 . 4 Blutplättchen, Thrombozyten •
Funktion. Sie stehen im Dienste der Blutstillung. Einen wichtigen Speicher für Thrombozyten stellt die Milz dar. Sie ist in der Lage beim Gesunden bis zu 30 % der Gesamtmenge an Thrombozyten zu speichern. Bei Blutungen können dadurch sofort größere Mengen an Thrombozyten in die Zirkulation entlassen werden. Blutplättchen regulieren darüber hinaus entscheidend den Serotonin-Spiegel im Blut. Sie können in ihren delta-Granula (dense bodies) aus dem Blut aufgenommenes Serotonin speichern.
76
2 Allgemeine Anatomie
• Bau. Kleinste Blutzellen, kein Zellkern. Durchmesser 1—4 μηι (Abb. 2.29). Sie bleiben 8-12 Tage in der Zirkulation, Abbau in Milz und Lunge.
Erythrozyten
Granulatypen. 3 Granula werden unterschieden: neutrophiler
- feine rot-violette
Granulozyt
Azurgranula - mehrfach segmentierter Kern
- große dunkelviolette
basophiler
Granula, die den Kern
Granulozyt
überragen - gelappter Kern
- rot-braune Granula
eosinophiler
2 Kernsegmente,
Granulozyt
die sich deutlich abheben
1. Alpha-Granula mit Plättchenfaktor 4 (bindet Heparin, stimuliert Histaminfreisetzung, wirkt chemotaktisch), Beta-Thromboglobulin (aktiviert Thrombin, wirkt chemotaktisch), ein den Plättchen entstammender Wachstumsfaktor (platelet-derived growth factor = PDGF), Fibrinogen, Fibronektin, Thrombospondin, von Willebrand-Faktor = vWF (Adhäsionsprotein, Carrier-Protein fur Gerinnungsfaktor VIII) und Gerinnungsfaktor V. Der überwiegende Anteil an Proteinen in den AlphaGranula sind Gerinnungsfaktor V, vWF, Fibronektin. Über Plättchenfaktor 4, beta-Thromboglobulin, TGF-beta (Tumor-Wachstumsfaktor-beta), die hemmend auf die Thrombopoese wirken, können die Thrombozyten durch negative Rückkopplung ihre Eigenproduktion beeinflussen. 2. Delta-Granula (dense bodies) mit Serotoninund ADP.
- schmaler basophiler
kleiner und
Zytoplasmasaum
großer
- Kern exzentrisch,
Lymphozyt
gelegentlich mit
3. Lambda-Granula sind primäre Lysosomen, mit sauren Hydrolasen, Kathepsin, Heparinase.
Einkerbung
Peroxisomen enthalten Katalase.
- Zytoplasma rauchgrau,
Monozyt
feine Azurgranulation - eingebuchteter Kern
Klinik: Die routinemäßige Differenzierung der Leukozyten nutzt ein Verfahren der Flowzytometrie. Durch Registrierung der Streuung von Laserstrahlen, die von der Größe, dem Granulagehalt im Zytoplasma und von der Kerngestalt abhängt, werden die Leukozyten im natürlichen, unfixierten Zustand als Punktwolke im „Scattergramm" identifiziert. Die morphologische Beurteilung im Mikroskop ergänzt die Entscheidung bei unklaren Daten des Gerätes.
im Ausstrich als
Thrombozyten
-S»ί
blaue Punkte,
"S1
häufig in Gruppen liegend, erkennbar
Abb. 2.29: Zellen des peripheren Blutes. Farbcharakteristika nach Pappenheim-Färbung
2.4.4
Blutbildung, Hämatopoese
2.4.4.1
Primitive Hämatopoese
Lernziele: primitive Hämatopoese, definitive Hämatopoese, postnatale Hämatopoese, Stammzellen
77
2.4 Blut, S a n g u i s
• Diese Phase der Hämatopoese beginnt im Dottersack am 18. Entwicklungstag und dauert bis zur 6. Schwangerschaftswoche (Abb. 2.30). • Aus der Primitivstreifen-Region (s. Kap. 3.5.1.1, S. 140) wandern Hämangioblasten in das extraembryonale Mesenchym des Dottersackes ein. Sie bilden Zellaggregate, aus denen sich im weiteren Verlauf peripher Endothelzellen differenzieren. Der überwiegende Anteil zentraler Zellen dieser Aggregate verschwindet wieder, nur ein Rest differenziert sich weiter zu haematopoetischen Zellen. Aus ihnen entstehen die so genannten Blutinseln. •
Erste Kommunikationen zwischen extra- und intraembryonalem Kreislauf scheinen bereits am 21./22. Entwicklungstag (3-5 Somiten) zu existieren, da hämatopoetische Zellen aus dem Dottersack im Embryo angetroffen werden. Die vitellinen (zum Dottersack gehörigen) Gefäße entstehen jedoch erst am 30. Entwicklungstag und verbinden den Dottersackkreislauf mit dem intraembryonalen Kreislauf. • Bereits am 24. Entwicklungstag sind im Dottersack weder hämangioblastische Zellaggregate noch intravaskuläre Blutinseln mehr zu sehen. Der Dottersack ist reich vaskularisiert und enthält 2 Zellarten: 1. Megaloblasten. Im Dottersack dominiert die Erythropoese. Die Reifung der roten Blutzellen verläuft jedoch unabhängig von dem für die adulte Hämatopoese notwendigen Erythropoetin. Es entstehen große kernhaltige Erythrozyten, Megaloblasten, mit einer verkürzten Lebensdauer. Diese
Zellen enthalten schon den embryonalen, aber auch den fetalen (HbF) und adulten Typ (HbA^ des Hämoglobins, wobei der fetale Typ überwiegt. Die unterschiedlichen Hämoglobintypen beruhen auf unterschiedlichen Globinketten. Die DottersackHämatopoese findet intravasal statt. Die Erythrozyten brauchen keine Gefäßwände zu passieren. Die Kernausstoßung unterbleibt. 2. Makrophagen. In geringem Grade gehen in den Dottersackgefäßen aus den hämatopoetischen Stammzellen auch primitive Makrophagen hervor, die in das Mesenchym auswandern und das extraembryonale Coelom erreichen. Dort differenzieren sich die Zellen zu fetalen Makrophagen, die dann auch phagozytotisch aktiv sind. Die hämatopoetischen Stammzellen des Dottersackes haben ein beschränktes Differenzierungspotenzial, auch ihr proliferatives Potenzial ist sehr begrenzt
2.4.4.2 •
Definitive Hämatopoese
Aorta-Gonaden-Mesonephros (AGM)-Region
Definitive hämatopoetische Stammzellen werden erstmalig im Bereich der ventralen Wand der dorsalen Aortae in Form von Zellaggregaten am 27. Entwicklungstag gefunden, z. T. in der bereits fusionierten Aorta, z. T. oberhalb in den noch nicht fusionierten Abschnitten. Es wird vermutet, dass Hämangioblasten aus dem umgebenden Dottersack AGM-Region Leber Knochenmark
Gestationswochen
Abb. 2.30: Primitive u n d definitive H ä m a t o p o e s e , zeitlicher Verlauf u n d O r g a n i o k a l i s a t i o n
78
2 Allgemeine Anatomie
Chorda dorsalis
hämatopoetische Stammzellen in der ventralen W a n d der Aorta
- Vena cardinaiis
Urniere mit WolffGang
hämatopoetische Stammzellen im viszeralen M e s o d e r m
Abb. 2.31: Definitive Hämatopoese in der Aorta-Gonaden-Mesonephros-Region
Mesenchym im Bereich der Urnieren und Gonaden (Splanchnopleura-Mesoderm) und/oder aus dedifferenzierten Endothelzellen der ventralen Aortenwand stammen und in das Lumen der Aorta hineinwandern (Abb. 2.31). Diese Stammzellen sind in der Lage, in alle hämatopoetischen Zelllinien zu differenzieren und eine Langzeitbesiedlung anderer hämatopoetischer Organe vorzunehmen. Etwa am 40. Entwicklungstag verschwinden die Zellaggregate im Bereich der ventralen Aorta. •
Leber
Nach dem 32. Entwicklungstag findet man hämatopoetische Stammzellen auch in der Leber. Diese wandern aus der AGM-Region in die Leber ein. Zu diesem Zeitpunkt haben die Zellaggregate in der Wand der Aorta ihre maximale Größe erreicht. Ab 6. Woche ist die Leber das primäre haematopoetiche Organ. In der Leber bilden sich alle Blutzellreihen, einschließlich der B- und T-Lymphozyten, jedoch dominiert die Ausbildung roter Blutzellen. Das dafür notwendige Erythropoetin wird in der Leber selbst gebildet. Erst am Ende der Schwangerschaft übernimmt die Niere dessen Produktion.
Charakteristisch ist der enge zelluläre Kontakt zwischen den erythroiden Zellen und den fetalen Hepatozyten. Da die fetalen Hepatozyten anfangs noch einen lockeren Zellverband bilden und keine Polarisierung aufweisen, können sie von erythroiden Zellen allseitig umlagert werden. Erstmalig in der Leber treten Erythroblasteninseln auf, die durch einen zentralen Makrophagen, der von unreifen erythroiden Zellen umgeben ist, charakterisiert sind. Die Erythropoese verläuft extravasal. sich kernlose Erythrozyten aus.
Es bilden
Hämoglobinsynthese. In der hepatischen Phase erfolgt ein Wechsel in der Hb-Synthese vom embryonalen Hb-Typ —> fetalen Typ. Perinatal erfolgt ein Wechsel zum adulten Typ (1/3 HbF, 2/3 HbA,). Mit dem Wachstum der Leber wachsen die Hepatozyten immer dichter aufeinander zu, bilden die Leberzellstränge aus und verdrängen das hämatopoetische Gewebe. Zum Zeitpunkt der Geburt sind hepatische hämatopoetische Herde kaum noch vorhanden. Nach der 1. postnatalen Woche sistiert die Blutbildung in der Leber. •
Milz
Entgegen früheren Annahmen ist man heute der Meinung, dass in der fetalen Milz keine Hämatopoese stattfindet. Es lassen sich zwar ab 13. Woche haematopoetische Vorläuferzellen (CFU-G/M, BFU-E, CFU-E) nachweisen, jedoch in wesentlich geringerer Zahl als in der Leber. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um zirkulierende Vorläuferzellen aus dem peripheren Blut handelt, die in der Milz nur vorübergehend eingefangen werden. Vorrangig findet man reife myeloische Zellen in der Milz. Unter pathologischen Bedingungen ist die adulte Milz in der Lage, hämatopoetische Vorläuferzellen einzufangen und zur Proliferation anzuregen, z. B. bei den myeloproliferativen Erkrankungen. In diesem Falle herrschen in der Milz günstigere Milieubedingungen als im Knochenmark. •
Knochenmark
In den fetalen langen Röhrenknochen beginnt die Hämatopoese in der 10. Woche, bleibt aber auf die Diaphysen bis zur 15. Woche beschränkt. Die Granulopoese dominiert gegenüber der Erythropoese. Die granulopoetischen Zellen bilden abgegrenzte
79
2.4 Blut, S a n g u i s
solide Stränge, die mit zunehmender Größe verschmelzen. Ab 16. Woche nimmt die Hämatopoese im Bereich der Diaphysen wieder ab.
2.4.4.3
Postnatale Hämatopoese
Die postnatale Hämatopoese findet im Knochenmark statt. Hämatopoetische Stammzellen treten mit einer Häufigkeit von 1-2 pro 104 mononukleäre Knochenmarkzellen auf.
Klinik: 1. Für die Rekonstruktion von Knochenmark können ebenso hämatopoetische Stammzellen aus dem peripheren Blut von Kindern und Erwachsenen, entweder für eine allogene oder für eine autologe (Spender und Empfanger identisch) Transplantation gewonnen werden. 2. Stammzellen aus Nabelschnurblut, peripherem Blut und Knochenmark unterscheiden sich im Differenzierungsverhalten und hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Langzeit-Hämatopoese.
1. Sie befinden sich in der G () -Phase des Zellzyklus und können auf einen Stimulus hin proliferieren und sich differenzieren, sich selbst erneuern, d. h. durch Proliferation gleiche Zellen bilden, ohne den Weg der Differenzierung einzuschlagen. Dadurch wird der Pool von Stammzellen aufrechterhalten. 2. Sie können immunologisch durch den Nachweis von Oberflächen-Ag charakterisiert werden. Hierbei spielt das CD 34-Antigen eine besondere Rolle (CD= cluster of differentiation, in der Zellkultur findet man Zellhaufen, sogenannte cluster). Hämatopoetische Stammzellen sind CD 3 4 \ man hat jedoch auch eine Subpopulation hämatopoetischer Stammzellen gefunden, die dieses Antigen nicht aufweisen, möglicherweise sind diese Zellen noch unreifer.
Hämatopoetische Stammzelldifferenzierung geschieht in 2 Richtungen (Abb. 2.32). Bildung von 1. myeloischen Stammzellen, 2. Bildung von lymphoiden Stammzellen. Unklar ist zurZeit noch, ob die Stroma-Stammzellen (= mesenchymale Stammzellen) aus den hämatopoetischen Stammzellen hervorgehen, oder eine selbstständige Population darstellen.
3. Sie sind im peripheren Blut nachweisbar.
Andererseits gibt es aber auf der Ebene der Vorstufen eine hohe Plastizität innerhalb der hämatopoetischen Zellen: Transdifferenzierung ist zwischen einzelnen Entwicklungwegen möglich, z. B. zwischen B-und T-Vorläuferzellen, zwischen erythroiden Zellen und megakaryozytären Vorläuferzellen, aber auch Redifferenzierung innerhalb einer Entwicklungsreihe kann vorkommen.
Fetalzeit. Stammzellen aus dem Dottersack, später aus der AGM-Region werden über die Blutbahn an die hämatopoetischen und lymphopoetischen Organe verteilt. Klinik: Bei der Geburt sind hämatopoetische Stammzellen im Nabelschnurblut vorhanden und können daraus für eine allogene (genetisch differenter Spender) Transplantation gewonnen werden. Postnatalzeit. Durch eine mäßige Überproduktion von Stammzellen soll gesichert werden, dass alle Plätze für Stammzellen im Knochenmark (Stammzellnischen) besetzt sind. Stammzellen, die sich im Knochenmark eingenistet haben, und zirkulierende Stammzellen konkurrieren um die verfügbaren „Nischen". Diejenigen Stammzellen, die keine Nischen finden, unterliegen dem Abbau auf Grund des Fehlens von Wachstumsfaktoren.
Die Entwicklung der Zellreihen aus der hämatopoetischen Stammzelle erfolgt hierarchisch: Teilung und Differenzierung: pluripotente Stammzellen —• multipotente Zellen, die unterschiedliche Entwicklungswege einschlagen können. Je weiter die Differenzierung fortschreitet, desto mehr wird die Vielfalt der Entwicklungsrichtungen eingeschränkt.
Die Identifizierung der Vorläuferzellen gelang durch Zellkultivierung. In der Zellkultur bilden diese Zellen Konglomerate (bursts) bzw. etwas kleinere Zellanhäufungen (Kolonien). Aus diesem Grunde wurden für diese Zellen die Begriffe burstforming-unit (BFU) bzw. colony-forming-unit (CFU) geprägt. Differenzierung der dendritischen Zellen Aus der hämatopoetischen Stammzelle entwickeln sich auch die dendritischen Zellen (DC). Die Bezeichnung erfolgte auf Grund der weit verzweigten (dendritischen) Zellausläufer, die insbesondere bei den reifen dendritischen Zellen vorhanden sind.
80
2 Allgemeine Anatomie
Selbsterneuerung
Proliteration
pluripotente Stammzelle
lymphoide Stammzelle
myeloische Stammzelle
BFU-E
4*
CFU-Meg
Megakaryozyt
Thrombozyten
CFU-E
i
Erythrozyt
CFU-GM
I
CFU-M
i
φ
CFU-Baso/Eo
^
I
\
CFU-6
I II:
Monozyt
neutrophiler
eosinophiler
basophiler
ι
Granulozyt
Granulozyt
Granulozyt
Makrophage
Mastzelle
¡-Lymphozyt
T-Lymphozyt
ι
natürliche Killerzelle
Plasmazelle
Abb 2.32: Hämatopoetische Differenzierung
Sie bilden einen wichtigen Teil des Immunsystems. In den peripheren Geweben nehmen dendritische Zellen Antigene auf und präsentieren die von ihnen aufbereiteten Antigene den Lymphozyten. Hinsichtlich der Antigenpräsentation sind dendritische Zellen wesentlich effizienter als Monozyten. An Hand unterschiedlicher Membranantigene kann zwischen dendritischen Zellen, die sich aus der myeloischen Stammzelle, und dendritischen Zellen, die sich aus der lymphoiden Stammzelle entwickeln, unterschieden werden (Abb. 2.33). Neu gebildete myeloische dendritische Zellen verlassen das Knochenmark und migrieren über den Blutstrom in nicht-lymphatische Organe. Dort nehmen sie Antigene auf. Sie wandern dann über Blut- oder Lymphgefäße zu den T-Zell-Regionen bzw. B-Zell-Regionen der sekundären lymphatischen Organe, um als reife dendritische Zellen eine Immunantwort auszulösen. Lymphoide dendritische Zellen findet man im Thymus (Thymus-DC2), andererseits im periphe-
ren Blut und in den T-Zell-Regionen der sekundär lymphatischen Organe (periphere DC2). Beide Zelltypen entwickeln sich aus der lymphoiden Stammzelle, bzw. deren Nachkomme, der plasmozytoiden (= plasmazellen-ähnlichen) dendritischen Zelle (pDC2), wobei sich die Thymus-DC2 innerhalb des Thymus differenzieren. Die peripheren DC2 nehmen einen anderen Entwicklungsweg, sie reifen außerhalb des Thymus. Lymphoide dendritische Zellen sind für die TZell-abhängige Immunantwort verantwortlich. Außerdem beseitigen sie potenziell autoreaktive T-Lymphozyten. Differenzierung von Osteoklasten Osteoklasten differenzieren sich ebenfalls aus der hämatopoetischen Stammzelle. Dabei gibt es 2 unterschiedliche Entwicklungswege. Einerseits können Osteoklasten direkt aus Vorläuferzellen hervorgehen (CFU-O), andererseits können sie durch Fusion von Makrophagen über die Stufe
2.4 Blut, S a n g u i s
81
pDC2 lymphoide DC Vorläuferzelle (P =plasmocytoid = plasmazellen-ähnlich)
Langerhans-Zelle in nicht-lymphatischen Geweben Geweben, Epidermis, Schleimhäute, Lunge
interstitielle OC Interstitiumvon Dermis, Leber, Niere, Pankreas u. a.
m i
Thymus DC2 IThymusl
periphere DC2 (peripheres Blut und T-Zellen-Regionen der Lymphknoten)
interdigitierende DC = IDC T-Zellen-Regionen der sekundär lymphatischen Organe
Keimzentrum DC B-Zellen-Regionen der sekundär lymphatischen Organe
Abb. 2.33: D i f f e r e n z i e r u n g s w e g e d e r d e n d r i t i s c h e n Z e l l e n
nichtresorbierender polynukleärer gebildet werden. (Abb. 2.34).
Makrophagen
Stromazellen des Knochenmarks Das Knochenmarkstroma setzt sich aus Endothelzellen, Fibroblasten, Myofibroblasten, Adipozyten, und Osteoblasten zusammen. Sie schaffen ein Mikromilieu für die sich entwickelnden hämatopoetischen Zellen durch: • Extrazelluläre Matrixmoleküle: Kollagen, Fibronektin, Vitronektin, Tenascin. • Zytokine • Zelluläre Interaktion mit hämatopoetischen Zellen
Klinik: Sowohl hämatopoetische Stammzellen als auch mesenchymale Stammzellen im Knochenmark sind in der Lage, sich in andere Zellen zu differenzieren. Das erschließt neue Wege u.a. zur Behandlung von nervalen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen, zukünftig möglicherweise aber auch Wege zur Synthese ganzer Organe. 1. Hämatopoetische Stammzellen: Differenzierung in: hepatische Oval-Zellen (bipotente Zellen, die zu Hepatozyten und Gallengangsepithelien differenzieren können. 2. Knochenmark-Stroma-Stammzellen: Differenzierung in: Nervenzellen, Astrozyten, Oligodendrozyten, Skelettmuskelzellen, glatte Muskelzellen, Herzmuskelzellen, Chondroblasten, Tendozyten, Zellen des Glomerulums der Niere, Parenchymzellen der Lunge.
2 Allgemeine Anatomie
82
CD 34* Stammzelle
CFU-0
Makrophage
Osteoklast
polynukleärer Makrophage
Abb. 2.34: Differenzierung von Osteoklasten
2.5
Mechanismus und Organe der Immunabwehr
Lernziele: Mechanismen der Abwehr, unspezifische, angeborene Mechanismen, spezifische, erworbene Mechanismen. Organe der Abwehr: Thymus, Milz, Lymphknoten. Tonsillen, schleimhautassoziiertes Lymphgewebe Funktion •
Abwehrstrategien. In lebensbedrohlicher Umgebung mussten evolutionär Mechanismen einer effektiven Abwehr entwickelt werden. Viele
Seitenzweige der Evolution haben dies nicht bewältigt und sind ausgestorben. Es mussten unterschiedliche Strategien der Abwehr entwickelt werden, die sich zunehmend miteinander verzahnt haben. Wir unterscheiden eine unspezifische und eine spezifische Abwehr (Abb. 2.35).
83
2.5 Mechanismus und Organe der Immunabwehr
einwandern und zu Gewebsmakrophagen differenzieren: Mononukleäres Phagozytensystem. Makrophagen sind fortsatzreich (große Oberfläche), enthalten zahlreiche Lysosomen bzw. abgebaute Reste. Prädilektionsstellen • • • • • • • •
Abb. 2.35: Vereinfachte Übersicht der Abwehrwege gegen einen Fremdstoff
2.5.1
• •
Lunge (Alveolarmakrophagen) Bauchfell (Peritonealmakrophagen) Wand der Milzsinus Retikulum des Lymphknotens Thymus, besonders an der Rinden-MarkGrenze Mesangiumzellen des Nierenkörperchens Mikroglia im Gehirn Chondroklasten, Osteoklasten in Knorpel und Knochen Kupffer-Sternzellen der Leber Hofbauer-Zellen der Plazenta
Makrophagen verarbeiten phagozytierte und veränderte Ag und reichen sie an Lymphozyten weiter, die eine Immunantwort einleiten.
Unspezifische Abwehr 2.5.2
Unspezifische Abwehr ist eine angeborene Abwehr, die keines Antigen-(Ag)-Kontaktes bedarf: 1. Erste Reihe der Abwehr, 2. Zweite Reihe, 3. Mikrophagen, 4. Makrophagen. 1. Erste Reihe der Abwehr. Innere und äußere Oberflächen des Körpers: Haut, Schleimhäute mit Epithelien und Sekreten: Flimmerhaare, Schweiß, Talg, Schleim, Tränen, Speichel, Bitterstoffe (Gehörgang), Salzsäure (Magen), Milchsäure (Vagina). In den Sekreten befinden sich teilweise bakterienabtötende, körpereigene Abwehrenzyme: ζ. B. Lysozym, welches die Zellwand von Bakterien zerstört. 2. Zweite Reihe der Abwehr. Fresszellen (Phagozyten), die im Inneren des Körpers patroullieren und ihn nach eingedrungenen Fremdstoffen oder veränderten körpereigenen Zellen absuchen. 3. Mikrophagen. Die kurzlebigen neutrophilen Granulozyten durchdringen amöboid Kapillarwände und erreichen, chemotaktisch angelockt, Orte von Entzündungen. Sie erzeugen u. a. Lysozym. Im Verlauf dieser Vorgänge sterben sie selbst bald ab (Lebensdauer ca. 1 Woche). 4. Makrophagen. Blutmonozyten, Fresszellen mit verlängerter Lebensdauer, die in Gewebe
Spezifische Abwehr
Die spezifische Abwehr ist eine postnatal erworbene Abwehr durch Ag-Kontakt. Immunantwort. Induziert durch B-, T-Lymphozyten: 1. Zelluläre Immunität (Lymphozyten direkt, als Zellen) 2. Humorale Immunität (Lymphozyten indirekt, über lösliche Abwehrstoffe).
wirken wirken
Vorläuferzellen der T- und B-Lymphozyten stammen aus dem Knochenmark und bilden neben der myeloischen Reihe von Blutzellen (Granulozyten, Monozyten) die lymphatische Entwicklungslinie.
2.5.2.1
Antigene (Ag)
Antigene sind Substanzen jeglicher Art, die die Bildung von Antikörpern auslösen können. Ag können sein: 1. Potenziell pathogene Mikroorganismen, 2. Körpereigene Bestandteile, die als „fremd" erkannt werden (ζ. B. Krebszellen).
84
2 Allgemeine Anatomie
Eigenschaften •
Strukturelle Unterscheidung von körpereigenen Molekülen • Molekülkonformation bleibt gleich, sonst wird es in der Sekundärantwort nicht mehr erkannt • Je größer das Molekulargewicht, um so mehr Unterschiede zu körpereigenen Strukturen sind möglich. Diese Voraussetzungen sind am deutlichsten bei Eiweißstoffen und einigen langkettigen Kohlenhydratmolekülen gegeben: Polysaccharide in den Zellwänden von Bakterien, Blutgruppensubstanzen in der Erythrozytenmembran.
2.5.2.2
Lymphozyten
Vorstufen der lymphatischen Zellreihe stammen aus dem extraembryonalen Mesenchym: Blutinseln von Dottersack, Chorion, Amnion, Haftstiel und evtl. aus der fetalen Leber. Später entstehen sie im Knochenmark. Prägung. Lymphozyten besiedeln vor der Geburt zentrale (primäre) lymphatische Organe: Thymus und Knochenmark. Hier erfolgt in mehreren Differenzierungsschritten ihre Reifung zu immunkompetenten Zellen (Prägung). Hormonähnliche Stoffe spielen dabei eine Rolle. • T-Lymphozyten (thymusgeprägte Lymphozyten) reifen im Thymus • B-Lymphozyten reifen im Knochenmark (engl, bone marrow = Knochenmark). Die ursprüngliche Nomenklatur bezieht sich auf die Vorgeschichte: Bei Vögeln existiert ein mit der Kloake in Verbindung stehender Blindsack, die Bursa Fabricii. In diesem, den Säugern fehlenden Lymphorgan erfolgt die Prägung zu sensibilisierten B-Immunzellen. Reifung (immunkompetente Zellen). Lymphozyten verlassen die zentralen lymphatischen Organe und siedeln sich in peripheren Lymphorganen an: Milz, Lymphknoten, Tonsillen, schleimhautassoziierte Lymphgewebe. Retikulumzellen schaffen die erforderlichen Bedingungen. B- und T-Zellregionen sind lokal getrennt. Standort. Die immunkompetenten Zellen verändern laufend ihren Standort: sie rezirkulieren. Mit
dem Lymphstrom gelangen sie in das Blut und besiedeln andere Lymphorgane über Leiteinrichtungen: Postkapilläre Venulen, die sich durch ein kubisches bis zylindrisches Endothel auszeichnen, dessen Oberflächenmoleküle in Verbindung mit Oberflächenstrukturen der Lymphozyten diese in Lymphorgane dirigieren. Rezirkulation. Durch Venulen (fehlen in Milz, Knochenmark) gelangen Lymphozyten aus dem Kreislauf wieder in die Lymphorgane. Diese Rezirkulation gewährleistet die weiträumige Verteilung der jeweils gegen ein bestimmtes Ag gerichteten Lymphozyten; sie „tasten" den Organismus ständig nach dem passenden Ag ab. Treffen sie auf dieses, beginnen Vermehrung und Transformation zu Effektorzellen. Lymphozyten sind die einzigen Blutzellen, die teilungsfahig und teilweise langlebig sind (10-20 Jahre). Lichtmikroskopisch wirken sie eintönig. Ein runder Zellkern mit überwiegend kondensiertem Chromatin wird von einem Plasmasaum umgeben. Bei kleinen Lymphozyten ist er sehr schmal, bei den großen Lymphozyten ist die Kern-Plasma-Relation mehr zu Gunsten des Zytoplasmas verschoben. Elektronenmikroskopisch ist die Oberfläche der T-Lymphozyten glatt, B-Lymphozyten haben fingerförmige Fortsätze.
2.5.2.2.1 B-Lymphozyten B-Lymphozyten sind Träger der humoralen Abwehr. Vom Knochenmark aus besiedeln sie periphere Lymphorgane. B-Zellregionen entsprechen im Lymphknoten und anderen Lymphanhäufungen den Lymphfollikeln, in der Milz den Malpighi-Körperchen. Auf der Grundlage dendritischer Retikulumzellen bilden Lymphozyten zunächst Primärfollikel und nach antigener Stimulation Sekundärfollikel: Dichter Wall aus kleinen Lymphozyten, helles Zentrum mit Lymphoblasten (Reaktions- = Keimzentrum). Ergebnis nach Proliferation und Transformation sind: •
Plasmazellen (Enddifferenzierungsstufe der BLymphozyten) bilden Antikörper (Ak)
85
2.5 Mechanismus und Organe der Immunabwehr
• langlebige B-Gedächtniszellen, die bei erneutem Ag-Kontakt eine sofortige, verstärkte Immunantwort auslösen. Plasmazellen sind große, bis 20 μιη messende Zellen mit einem exzentrischen Kern. Fleckförmige Chromatinverdichtungen an der Innenseite der Kernmembran vermitteln den Eindruck einer „Radspeichenstruktur". Sie besitzen einen gut ausgebildeten Proteinsyntheseapparat, Ak-Synthese: stark ausgebildetes rER, wodurch die Basophilie des Zytoplasmas bedingt ist, prominenter GolgiApparat. Klinik: Ein bösartiger Tumor der B-Zellen ist das Plasmozytom (Plasmazellvermehrung im Knochenmark mit Immunglobulinen ohne AkEigenschaften). 2.5.2.2.2 Antikörper (Ak) Immunglobuline sind Proteine, die von Plasmazellen synthetisiert und in das Blut abgegeben werden, Gammaglobulinfraktion der Bluteiweiße. B-Lymphozyten haben bereits vor dem 1. Ag-Kontakt bis zu 100 000 Ak als Rezeptoren auf der Zellmembran. Ag binden unter der Vielzahl von Ak an das passende Immunglobulin; dadurch wird die Transformation der B-Lymphozyten in Plasmazellen und die Produktion und Abgabe der Ak in das Blut angeregt. Jede Zelle kann nur einen Ak-Typ mit rasanter Geschwindigkeit synthetisieren. Pro Stunde soll eine Plasmazelle 1000-2000 Moleküle erzeugen. Jeder Ak reagiert nur mit einem einzigen Ag. Es entsteht ein Ag-Ak-Komplex, der durch Makrophagen aufgenommen und abgebaut wird.
in 5 Klassen: 1. IgA: Wichtigster Abwehrstoff in Sekreten äußerer und innerer Oberflächen. 2. IgD: Ag-Rezeptor auf Lymphozyten. 3. IgE bindet an Mastzellen, die daraufhin nach AgRekontakt Substanzen, die im Entzündungsgeschehen eine Rolle spielen, freisetzen. 4. IgG: häufigstes Ig, das Gifte bindet und der Mikrobenabwehr dient. Als relativ kleines Molekül passiert es die Plazentaschranke und vermittelt dem Kind in den ersten Lebensmonaten Leihimmunität, bis das eigene Abwehrsystem die Funktionsfähigkeit erreicht. 5. IgM bindet im Blut an Bakterien. 2.5.2.2.3 T-Lymphozyten Träger der zellulären Abwehr, produzieren keine Ak. Die Zellen tragen spezifische T-Zell-Rezeptoren auf der Zellmembran, die fremde Ag auf der Membran körpereigener Zellen erkennen. T-Zellen sind das Abwehrsystem gegen intrazelluläre Mikroorganismen, wenn diese auf dem Plasmalemm antigene Moleküle erzeugen. Auch sie reagieren jeweils nur mit einem Ag. Bei Ag-Kontakt proliferieren T-Lymphozyten. Vorstufen stammen ebenfalls aus dem Knochenmark, reifen im Thymus und wandern in periphere Lymphorgane. T-Zellregionen. Grundlage dafür sind interdigitierende Retikulumzellen, die im Lymphknoten die interfollikulären und marknahen, parakortikalen Zonen einnehmen, in den Lymphfollikeln der Schleimhäute die Regionen zwischen den Follikeln und in der Milz die periarteriellen Lymphscheiden. T-Zell-Populationen sind: • T-Killer- und T-Gedächtniszellen • T-Helfer- und T-Suppressorzellen.
Ak-Grundstruktur: Y-förmige Moleküle aus 4 Polypeptidketten, je 2 davon sind identisch. Nach dem Molekulargewicht gibt es 2 leichte und 2 schwere Ketten. Das Ag wird an den oberen Schenkeln des Y gebunden.
T-Killerzellen binden an infizierte (ζ. B. mit Viren) oder anderweitig veränderte körpereigene Zellen (ζ. B. Karzinom) und zerstören diese enzymatisch. Ebenso werden unverträgliche Transplantate abgebaut. Sie wirken also zytotoxisch.
Klinik: Immunglobuline (Ig) mit 107 bis 108 unterschiedlichen Antikörperspezifitäten können von Plasmazellen synthetisiert werden. Nach dem Schwerkettengehalt unterteilt man
T-Gedächtniszellen sichern bei erneutem Ag-Kontakt eine schnelle Sekundärreaktion. T-Helferzellen unterstützen durch Sekretion von Lymphokinen regulierend B-Lymphozyten bei der
2 Allgemeine Anatomie
86
Ak-Bildung und nehmen indirekt Einfluss auf die Ig-Entstehung. Sie befähigen über die Lymphokin-Abgabe auch Makrophagen zur Phagozytose und regulieren die Ausbildung der zytotoxischen T-Zellen. T-Suppressorzellen hemmen die Ak-Bildung in den B-Lymphozyten. Klinik: Das HI-Virus (Aids) wird an einen Membranrezeptor gebunden und infiziert diese Zellen. Die Zerstörung der CD4-Helferzellen hat eine Immunschwäche zur Folge.
2.5.3
Immunkompetente Organe, lymphatisches Gewebe
2.5.3.1
Lymphknoten, Nodus lymphaticus (Nodus lymphoideus, Lymphonodus)
2.5.3.1.1 Aufbau Wir unterscheiden am Lymphknoten: 1. Kapsel, 2. Parenchym, bestehend aus Rinde und Mark (Abb. 2.36). •
Kapsel. Kollagenes Bindegewebe, das den Lymphknoten begrenzt und Ansatz für die Verankerung bietet. Von ihr und vom Hilum aus zweigen in das Innere Septen ab, die ein dreidimensionales Stützgerüst schaffen. In den Bindegewebssepten verlaufen die am Hilum eintretenden größeren Blutgefäße.
Lymphknoten sind durch eine deutliche Kapsel aus straffem kollagenen Bindegewebe abgegrenzt und damit nicht mit Lymphozytenanhäufungen in Geweben zu verwechseln; sie sind in den Lymphstrom eingeschaltet. Funktion •
Lymphknoten sind Filter für Fremd- (z. B. Kohlenstaub aus der Lunge) und Schadstoffe (Bakterien, Krebszellen) • Sie haben Speicherfunktion für verschiedene Stoffe • Ag-Stimulation immunkompetenter Zellen: B-, T-Lymphozyten differenzieren sich zu immunologischen Effektorzellen. B-Lymphozyten - Plasmazellen - humorale Immunantwort. T-Lymphozyten - Killerzellen - zellvermittelte Immunantwort. Strukturelle Erfordernisse zur Erfüllung dieser Funktionen sind: • organhafte Abgrenzung durch eine Kapsel • große innere Oberfläche durch ein Schwammwerk von Lymphbahnen, durch das der Lymphstrom träge sickert • lymphatisches Gewebe mit B-, T-Zellregionen, Makrophagen.
Abb. 2.36: Schema verschiedener Lymphknotentypen. Oben links: Typ la, oben rechts: Typ II, Mitte: Typ III, unten: Typ Ib. Inset: Schematische Darstellung eines Lymphknotens
87
2.5 Mechanismus und Organe der Immunabwehr
•
P a r e n c h y m . Es besteht aus retikulärem Bindeg e w e b e mit Retikulumzellen, Retikulinfasern und eingelagerten Lymphozyten, aktives Gewebe.
1. Rinde. Sie unterlagert die Kapsel und fehlt im Hilum: verdichtetes retikuläres B i n d e g e w e b e , dichtere Lagerung lymphoider Zellen. Unterteilung in äußere, innere Rinde. Ä u ß e r e Rinde. L y m p h o z y t e n h a u f e n = Primärfollikel; nach A g - K o n t a k t , Sekundärfollikel mit 1. d u n k l e m Rand kleiner Lymphozyten, 2. hellem Z e n t r u m (= K e i m z e n t r u m ) . Dieses Reaktionszentrum ( K e i m z e n t r u m ist m o r p h o l o g i s c h e s Zeichen einer a b l a u f e n d e n B - Z e l l - l m m u n r e a k t i o n . Die Follikel repräsentieren die B-Zellregion des Lymphknotens. Innere Rinde, parakortikale Z o n e . Sie liegt interfollikulär zwischen den Follikeln und d e m Mark. T - L y m p h o z y t e n - A n s i e d l u n g = T-Zellregion des Lymphknotens. Typisch für diesen Rindenabschnitt sind die postkapillären Venulen, deren kubisches Endothel infolge besonderer O b e r f l ä c h e n m o l e k ü l e L y m p h o z y t e n aus d e m Blutkreislauf w i e d e r in den L y m p h k n o t e n zurückkehren lässt; also eine Rezirkulation erlaubt. 2. M a r k . Markstränge bilden ein dreidimensionales N e t z w e r k . Sie gehen aus der Rinde hervor und enden frei im Hilum. Das Mark erscheint aufgelockert, da sich zwischen den Strängen weite Marksinus befinden. Die Markstränge enthalten Retikulumzellen, Retikulinfasern, M a k r o p h a g e n , Plasmazellen. 3. B l u t v e r s o r g u n g der L y m p h k n o t e n . Sie erfolgt über die am Hilum eintretende Arterie. Alle Anteile sind gut vaskularisiert. Das Blut fließt über die a m Hilum austretende Vene ab. Individuelle Strukturvarianten sind a b h ä n g i g von Region, Alter, Geschlecht, Lebensweise, Ernährung, G e s u n d heitszustand.
2.5.3.1.2 Lymphweg Die L y m p h e beschreibt diesen Weg: Vasa afferentia, Lymphsinus, Randsinus (Marginalsinus), Intermediärsinus, Marksinus, Vasa efferentia.
Vasa afferentia. Viele L y m p h g e f ä ß e treten an der Konvexität des L y m p h k n o t e n s ein. Zahlreiche Klappen regulieren die Stromrichtung. L y m p h s i n u s . L y m p h r ä u m e , deren Wand von spezialisierten Retikulumzellen gebildet wird, die als Uferzellen zur P h a g o z y t o s e befähigt sind (im G e g e n s a t z zu den üblichen Endothelzellen). In ihren Verband sind M a k r o p h a g e n und Plasmazellen eingeschaltet. Die A u s k l e i d u n g ist lückenhaft, es fehlt eine B a s a l m e m b r a n . R a n d s i n u s . Der Marginalsinus ist ein von Retik u l u m z e l l e n d u r c h z o g e n e r Spaltraum zwischen Kapsel und Rinde, in den die afferenten Lymphgefäße einmünden. Intermediärsinus. D ü n n e L y m p h g ä n g e zwischen den Follikeln, durch die Rand- und Marksinus verb u n d e n werden. M a r k s i n u s . L y m p h r ä u m e zwischen den M a r k strängen. Fortsätze der Uferzellen durchqueren das L u m e n und bilden ein S c h w a m m w e r k : freier Kontakt der L y m p h e zu Zellen der M a r k s t r ä n g e (Makrophagen, phagozytierenden Retikulum-, Plasmazellen). Vasa efferentia. Wenige a b f ü h r e n d e L y m p h g e f ä ß e verlassen am Hilum den Lymphknoten: Konvergenz des Lymphstromes. G e f ä ß k l a p p e n lassen den L y m p h s t r o m nur in efferenter Richtung zu. Histophysiologie L y m p h e kann F r e m d s t o f f e (Ag) enthalten, z. B. nach einer Infektion: Vergrößerung der Reaktionszentren der Sekundärfollikel, Vermehrung der B - L y m p h o z y t e n unter M i t w i r k u n g von T-Helferzellen, Lymphoblasten. Damit sind B - Z e l l r e i f u n g u n d Bildung von B - G e d ä c h t n i s zellen eingeleitet. Viele sterben a b und werden phagozytiert. Plasmazellen entstehen erst bei W a n d e r u n g der Lymphoblasten in die Markstränge. Ort der Auslösung des I m m u n g e s c h e h e n s und Ort der A b g a b e von I m m u n g l o b u l i n e n sind getrennt. Die S t i m u l i e r u n g der T-Zellregion fuhrt zur Verm e h r u n g der T-Zellen in der parakortikalen Region, größere Lymphoblasten, aus denen hervorgehen: Killer-, T-Helfer-, T-Suppressor-, T-Gedächtniszellen.
88
2 Allgemeine Anatomie
Klinik: Regionäre Lymphknoten. Durch Konvergenz des Lymphstromes wird die Lymphe regionalen Lymphknotengruppen zugeführt. Diese reagieren bei Entzündungen oder bösartigen Tumoren als erste. Ihre Kenntnis ist für Diagnostik, Therapie und Prognosebeurteilung essenziell.
2.5.4
Lymphgefäße, Vasa lymphatici (lymphoidei)
Lernziele: Lymphkapillaren, lymphatische Sammelgcfaßc, Lymphstämme: Bau, Topographie, Lymphabfluss
den Blutgefäßen und für jedes Organ charakteristisch. Anastomosen sind häufig. Die kleineren Gefäße haben 2 Schichten: eine innere aus Endothel und longitudinalen elastischen Fasern und eine äußere mit longitudinal ausgerichtetem elastischem Bindegewebe. Die größeren Lymphgefäße haben zusätzlich zwischen diesen beiden Schichten zirkuläre glatte Muskulatur, die zur Autokontraktion befähigt ist. I> Lymphstämme, Transportgefäße, Trunci lymphatici. Sie besitzen eine Tunica media, in der sich spiralförmig angeordnete glatte Muskelzellen befinden.
2.5.4.2 Das nicht ins Blut reabsorbierte Filtrat der Blutkapillaren wird in die Lymphkapillaren aufgenommen und über Lymphkollektoren den prä- und den postnodären Lymphgefäßen, dann weiter den Lymphstämmen (Trunci) und schließlich dem Ductus thoracicus und Ductus lymphaticus dexter zugeführt.
2.5.4.1
Einteilung der Lymphgefäße
O Lymphkapillaren. Sie beginnen als geschlossene Sacculi im Gewebe und sind mit dachziegelartig angeordneten Endothelzellen ausgekleidete Hohlrohre. Diese klappenfreien Gefäße sind gewöhnlich weiter als die Blutkapillaren und bilden ausgeprägtere weitmaschige Netze. Druckschwankungen in den Geweben bewirken einen Nettoeinstrom durch die Spalten zwischen den Endothelzellen. Im Gegensatz zu Blutkapillaren gibt es keine Basalmembran und keine Fenestrierung. •
Lymphkapillaren fehlen im Zentralnervensystem (wahrscheinlich), in Epithelien und im Knochenmark. • Milz, Leber, Plazenta und Muskulatur enthalten Lymphkapillaren nur in ihren kollagen-bindegewebigen Anteilen. • Lymphkapillaren drainieren in lymphatische Sammelgefäße. > Lymphatische Sammelgefäße, Lymphkollektoren. Es handelt sich um dünnwandige Gefäße mit zahlreichen Klappen (im Abstand von 2 - 3 mm). Ihr Verlauf ist unabhängig von
Lymphfluss
Die Lymphe des Körpers wird dem Ductus thoracicus zugeleitet und im Bereich des Venenzusammenflusses (Venenwinkels) von V. subclavia sinistra und V. jugularis interna sinistra dem Blut zugeführt. Lediglich der rechte Thorax, Arm und die rechte Kopfhälfte drainieren in den kleineren Ductus lymphaticus dexter. Lymphabfluss der Körperregionen. Er ist durch die Gruppierung der Lymphknoten hierarchisch gegliedert und fließt in Richtung auf den Venenwinkel der unteren Halsgegend zu. O Von den zu den einzelnen Organen gehörenden Lymphkapillaren wird interstitielle Gewebeflüssigkeit zu den regionären Lymphknoten geleitet. [> Deren Vasa efferentia sammeln die Lymphe aus größeren Einzugsgebieten, um schließlich abzufließen O in die großen Trunci, die die Flüssigkeit wieder dem venösen Blut zuführen. Bevor die Lymphe des Armes beispielsweise in den Truncus subclavius fließt, hat sie in der Axilla 4 - 5 hintereinandergeschaltete Filterstationen passiert und sich dabei mit Anteilen der Lymphe der Brustwand vereinigt. Alle lymphatischen Sammelgefäße entleeren sich in einen der 8 großen Trunci. Während die großen Lymphgefäße der Extremitäten oberflächennah verlaufen und daher bei operativen Zugängen berücksichtigt werden müssen, begleiten die großen Stämme die Blutgefäße zentripetal.
89
2.5 Mechanismus und Organe der Immunabwehr
Ductus thoracicus. Das zentrale und größte Lymphgefäß, welches die meisten anderen Stämme aufnimmt, ist der Ductus thoracicus. Ihm fließt über 6 Trunci die gesamte Lymphe unterhalb des Zwerchfells und die gesamte Lymphe der linken Körperhälfte zu. Weitere 4 Trunci bilden für das rechte obere Körpervicrtel den sehr viel kürzeren Ductus lymphaticus dexter (Abb. 2.37). Lymphpumpe. Die Lymphe wird durch die kontraktile Tätigkeit der glatten Muskulatur der Lymphgefäße aktiv gegen einen Druckgradienten zwischen Interstitium und Blut befördert. Die Lymphflussrichtung wird durch zahlreiche Klappen bedingt. Für die spontane Erregung (Depolarisation), die sich entlang der Lymphgefäße in beide Richtungen ausbreitet, sind eigene Schrittmacher verantwortlich, die ganze Regionen koordinieren. Die Frequenz der Schrittmacher ist u. a. Kalziumabhängig. Neben mechanischen Faktoren (Druck und Dehnung) regulieren neurale und humorale Mediatoren direkt oder indirekt die Spontankontraktionen. Klinik: 1. Das Ausmaß der Bildung neuer Lymphbahnen nach Durchtrennung ist umstritten. Dennoch entsteht relativ selten ein posttraumatisches oder postoperativ lang anhaltendes
Lymphödem (von radikalen Lymphknotenentfernungen abgesehen). Wesentlich ist eine vermehrte Kollateralisierung und kompensatorische Leistungssteigerung der verbleibenden Lymphbahnen. 2. Bestimmte Filarien (Fadenwürmer) besiedeln bevorzugt Lymphbahnen und fuhren als Abflusshindernis zu teilweise monströsen Ödemen (Elephantiasis). 3. Bei einer Lymphangitis kommt es zu einer Entzündung der Lymphgefäße infolge einer Infektion. Dabei erscheinen die subkutanen Lymphbahnen als rote Streifen unter der Haut. 4. Lymphangiome sind zumeist gutartige neoplastische Bildungen von Lymphkapillaren. Verschiedene andere primäre und sekundäre Bildungsstörungen des Lymphgefäßsystems sind beschrieben. 5. Die Enteropathia lymphoangioectatica ist eine angeborene zystische Erweiterung der Lymphgefäße in der Darmschleimhaut mit der Konsequenz enteraler Verluste von Proteinen. Sie ist von weiteren kongenitalen Fehlbildungen des lymphatischen Systems begleitet.
Gefäße im Einzelnen und ihre Topografie (Abb. 2.37) > Cisterna chyli. Bei ca. 20 % aller Menschen findet sich am Beginn des Ductus thoracicus
90
2 Allgemeine Anatomie
in Höhe zwischen Thl2 und L3 eine Dilatation (Cisterna chyli). Typischerweise liegt sie dorsal der unteren Hohlvene. t> In die Cisterna chyli münden der Truncus intestinalis (es können auch mehrere sein) aus dem Darm sowie die Trunci lumbales dexter und sinister aus dem Beckenbereich und den unteren Extremitäten. > Der Ductus thoracicus (s. Kap. 10.7.6, S. 896) zieht rechts und dorsal von der Aorta durch den Hiatus aorticus, verläuft zunächst rechts von der Mittellinie, neben der Aorta vor der Wirbelsäule aufwärts bis zum 4. Brustwirbel, wendet sich dann allmählich hinter der Speiseröhre nach links und zieht in einem nach oben konvexen Bogen von hinten in die V. subclavia sinistra an deren Vereinigungsstelle mit der V. jugularis interna sinistra (Venenwinkel = Angulus venosus). Durch die Lage der Einmündung kann sich die Lymphflüssigkeit bis zum Herzen in einem großen Blutvolumen verteilen. D> Hier nimmt er von der linken Kopf- und Halshälfte den Truncus jugularis sinister und vom linken Arm her den Truncus subclavius sinister auf und mündet ampullenartig in den Blutkreislauf. O Ein Truncus bronchomediastinalis sinister (aus der linken Thoraxhälfte) kann vorhanden sein und in den Ductus thoracicus fließen. t> Der Ductus lymphaticus dexter mündet entsprechend in den rechten Venenwinkel mit einem kürzeren Gefäß bis zum Herzen. Er nimmt den Truncus subclavius dexter, Truncus jugularis dexter und den Truncus bronchomediastinalis dexter auf. Varianten. Der Ductus thoracicus kann auch doppelt oder vielfach angelegt sein. Die Einmündungsstelle weist erhebliche Variationen auf. Der Ductus kann sich vor der Einmündung nochmals in ein Geflecht aufspalten. Häufig mündet der Ductus in mehreren kleineren Trunci. Die folgenden Trunci münden häufig unabhängig von den Ductus thoracici im Bereich des Venenwinkels: ΐ> t> O O
Truncus jugularis internus Truncus subclavius Truncus paratracheobronchialis und/oder Truncus mediastinalis (anterior).
Es gibt 2 zusätzliche Trunci, die direkt in die tiefen Halsvenen münden können:
\> Truncus transversus cervicalis und O Truncus mammarius internus. Neben dem Venenwinkel kann auch die Vena brachiocephalica Einmündungsstelle sein. Im Grunde handelt es sich eher um eine Gegend für mögliche Einmündungen. Eine Kreuzung des Ductus thoracicus nach rechts ist seltener. 2.5.4.3
Mandeln, Tonsillen
Die Tonsillen sind Organe aus lymphoepithelialem Gewebe, die um den Isthmus faucium (Schiundeingang) und die Choanen (hintere Nasenöffnung) angeordnet sind. Daneben gibt es diffus verteiltes lymphatisches Gewebe in der gesamten Rachenschleimhaut und im weichen Gaumen (s. Kap. 4.14.5, S. 311) 2.5.4.4
Bries, Thymus
Der Thymus ist Rinde und Mark. epithelial wegen Anteile aus den S. 886)
2.5.4.5
ein pseudolobuläres Organ mit Dieses Organ nennt man lymphoseiner entodermalen epithelialen Schiundtaschen, (s. Kap. 10.7.3,
Milz, Lien, Spien
Das Gewebe der Milz wird in rote und weiße Pulpa eingeteilt. Die terminale Strombahn weist Öffnungen zum Parenchym und Stroma des Organs auf (s. Kap. 12.2.3.7, S. 977). Die Milz ist im Gegensatz zum Lymphknoten in die Blutbahn eingeschaltet. Somit ist sie fur die „Innenabwehr" von Fremdkörpern im Blut zuständig.
2.5.4.6
Schleimhautassoziiertes Lymphgewebe, M u c o s a Associated Lymphatic Tissue (MALT)
Es handelt sich um eine diffuse oder mehr organisierte Anhäufungen von subepithelialem Lymphgewebe in der Lamina propria mucosae von Hohlorganen: Verdauungs-, Respirations-, Urogenitaltrakt. Bei Ag-Stimulation reicht es bis in die Submucosa, Sekundärfollikel mit Reaktionszentren bilden sich. Das MALT vermittelt den immunologischen Schutz von Schleimhäuten als Ag-exponierte innere Oberfläche. IgA ist sekretorischer Ak in Schleimhaut-
91
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
Sekreten. Das MALT-System ist in sich funktionell relativ geschlossen. In ihm zirkulieren bevorzugt B-Lymphozyten und ihre Abkömmlinge. Prädilektionsstellen. Das MALT setzt sich aus 2 wesentlichen Komplexen zusammen. 1. Darmtrakt (GALT = Gut Associated Lymphoid Tissue), mit besonders prominenten Strukturen im Sinne von Folliculi lymphatici (lymphoidei) aggregati im terminalen Ileum (Peyer-Platten, Peyer-Plaques, Folliculi lymphoidei aggregati) (s. Kap. 12.3.3, S. 988) und in der Appendix vermiformis (Darmtonsille).
2.6
Einteilung des Nervensystems
Das Nervensystem besteht aus Gehirn, Hirnnerven, Rückenmark, Spinalnerven mit ihren Geflechten und peripheren Nerven, Ganglien, vegetativen Geflechten und Rezeptoren. Für eine erste Betrachtung des Nervensystems des Menschen bieten sich 3 Ausgangspunkte an: funktionelle Betrachtungsweise, topografische Betrachtungsweise, Orientierung am Bau der Nervenzelle. •
2.5.4.7
Wurmfortsatz, Appendix vermiformis
Rings um das Lumen des Wurmfortsatzes finden sich zahlreiche solitäre Lymphfollikel (s. Kap. 12.3.5.2, S. 1001). Wie die Peyer-Plaques übt die Appendix am Übergang von Dünndarm zu Dickdarm eine Art Wächterfunktion aus über die hier wechselnde bakterielle Besiedelung.
Nervensystem, Systema nervosum
Lernziele: Einteilungen des Nervensystems, morphologische Grundlagen, Wachstumsprozesse, Afferenzen, Efferenzen, wichtige Systeme, Nervi spinales, Nervi craniales, Plexus, Hautinnervation, vegetatives Nervensystem (Funktionen, Komponenten und Bauprinzipien)
2.6.1
2. Bronchialbaum (BALT = Bronchial Associated Lymphoid Tissue).
Funktionell unterscheidet man einen somatischen (animalen) von einem viszeralen (vegetativen, autonomen) Anteil. Ersterer setzt sich vorzugsweise mit der Umwelt auseinander, letzterer mit dem Körper. Dabei weist der Begriff autonom darauf hin, dass hier vieles nicht der bewussten Kontrolle unterliegt, während der somatische Anteil vor allem der Wahrnehmung und Integration von Reizen und der motorischen Steuerung dient. Die Grenzen zwischen somatisch und viszeral sind teilweise unscharf gefasst.
•
Topografisch gliedert man in zentrales peripheres Nervensystem.
und
1. Als zentral gelten Gehirn und Rückenmark. 2. Peripher sind die 12 Hirn(Kopf)nervenpaare, die 31 (32) Spinalnervenpaare und ihre Aufzweigungen sowie die außerhalb von Rückenmark und Gehirn gelegenen Anteile des vegetativen Nervensystems (VNS = Sympathicus, Parasympathicus; ENS = enterisches Nervensystem sowie granuläre und vaskuläre Nervenzellen). Dabei folgen die Spinalnervenpaare einem einheitlichen Aufbau, der die Leitung und Verteilung motorischer Efferenzen, sensorischer Afferenzen und vegetativer Fasern gewährleistet. 3. Die Anteile des zentralen und peripheren Nervensystems, die nicht dem VNS zugeordnet werden, nennt man oikotropes Nervensystem (Umwelt-Nervensystem). 4. Die großen Sinnesorgane nehmen eine Sonderstellung ein. Für die Einteilung und Orientierung ist es wichtig, sich mit der Embryologie vertraut zu machen. •
Bau der Nervenzelle
1. Neuron. Es ist die funktionelle Grundeinheit des Nervensystems. Es besteht aus dem Zellkörper (Soma, Perikaryon), der den Zellkern enthält, sowie aus Fortsätzen. Alle Nervenzellen haben die Fähigkeit, elektrische Erregungen weiterzuleiten. 2. Nervenzellfortsätze können Neuriten (Axone) oder Dendriten sein. Dendriten dienen dem Erre-
92
2 Allgemeine Anatomie
gungsempfang, Neuriten der Erregungsweitergabe. Je nach ihrer Lage werden sie bei Bündelbildung mal als Tractus (im ZNS), als Nervus (im PNS) bzw. als Spinalnerv (am Übergang zwischen ZNS und PNS), als Fasciculus oder Truncus (in Plexus) bezeichnet. Mit Radix sind die Wurzelfasern beim Verlassen des Rückenmarks gemeint. Unter Innervation versteht man die nervöse Versorgung eines Organs ohne weitere Spezifizierung der Faserqualitäten. 3. Afferenz, Efferenz. Je nach Richtung der Erregungsleitung werden Afferenz und Efferenz unterschieden. Eine Afferenz ist zuleitend, eine Efferenz wegleitend. Die Efferenzen des somatischen Nervensystems sind erregend, die des VNS erregend oder hemmend. Bei der Verwendung der Begriffe Afferenz und Efferenz muss unbedingt beachtet werden, ob man sich auf die makroskopische oder mikroskopische Ebene bezieht. In der Makroskopie bezeichnet man alles das als efferent, was vom ZNS in die Peripherie Impulse bringt, um dort eine Reaktion auszulösen, und das als afferent, was Informationen dem ZNS zuträgt. In der Mikroskopie ist nicht das ZNS, sondern sein funktionstragender Baustein (das Neuron) Bezugspunkt. Efferent sind die Nervenzellfortsätze, die eine Erregung von dem Zellsoma wegleiten (Axon oder Neurit), und afferent die zuleitenden Fortsätze (Dendriten). Demnach kann beispielsweise das (efferente) Axon einer sensiblen Nervenzelle im Spinalganglion als afferent bezeichnet werden, wenn damit (auf makroskopischer Betrachtungsebene) seine Informationsleitung hin zum Rückenmark gemeint ist.
2.6.2
Grundbegriffe zum Gehirn des Menschen
• Hirngewicht. Die Evolution des Menschen ist durch eine auffallige Zunahme von Hirnmasse gekennzeichnet. Jedoch hat der Mensch keinesfalls das größte Gehirn. Der Elefant (ca. 5000 g) oder der Blauwal (ca. 7000 g) sind dem Menschen (1200-1500 g) in dieser Hinsicht weit voraus. Auch den Vergleich des relativen Hirngewichtes (Himmasse/Körpergewicht) fuhrt der Mensch nicht an (Blauwal: 0,01-0,02%, Elefant: 0,1-0,2%, Mensch: 2 - 2 , 5 % , Maus: 2 - 3 %, Klammeraffe Ateles: 6,6 %). Bei Menschen untereinander ist das Gehirngewicht nur dann vergleichbar, wenn Gleichaltrigkeit
vorliegt und das 15. Lebensjahr vollendet ist. Da ein größerer Teil des Gehirns direkt oder indirekt mit der Motorik befasst ist, besteht eine grobe Korrelation zwischen einer größeren Muskelmasse und einem größeren Gehirn. Die Frau hat dabei ein im Mittel um 100 g leichteres Gehirn als der Mann. Gemessen an der Relation zur Muskelmasse verfugen Frauen im Mittel über das größere Gehirn, d. h. weniger Muskelzellen werden von einer Nervenzelle innerviert (s. Kap. 5.4.7.3, S. 491). Die Beziehung zwischen einer Nervenzelle und ihren Muskelzellen wird als motorische Einheit bezeichnet (s. Kap. 2.2.3.5, S. 46). •
Hirnoberfläche. Die Hirnoberfläche ist beim Menschen bemerkenswert vergrößert (CircaWerte je Hemisphäre Mensch: 112 500 mm 2 und im Vergleich: Schimpanse: 40 000 mm 2 , Pferd: 57 000 mm 2 , Elefant: 302 000 mm 2 ). Qualitativ sind die Hirnanteile nur bedingt mit denen der Tiere vergleichbar. Als Ζerebralisationsindex bezeichnet man den Quotienten aus Neopallium (stark entfalteter Hirnabschnitt der Säugetiere) und als ursprünglich angesehenen Hirnanteilen (Mensch: 170, Weißflankendelphin: 121, andere Primaten: 49, Papagei: 27,6, Igel: 0,78).
• Graue und weiße Substanz. Man unterscheidet nach der Verteilung der Anteile graue Substanz und Ganglien (entsprechend den Nervenzellkörpern) sowie weiße Substanz und Fasern (entsprechend den Nervenzellfortsätzen). • Nervenzellzahl. Die Zahl der Nervenzellen des Menschengehirns werden auf bis zu 10" geschätzt, der überwiegende Teil davon in der Großhirnrinde. Die überschlagene Größenordnung der synaptischen Verbindungen liegt bei 10'4. Der alters- und belastungsabhängige Verlust soll 10 000 bis 100 000 Nervenzellen pro Tag betragen. • Architektonik. Darunter verstehen wir insbesondere eine Einteilung von Groß- und Kleinhirnrinde nach morphologischen Kriterien. Dazu gehört eine Anordnung von ähnlichen Zelltypen in Schichten. Am ausgedehntesten ist das Prinzip von sechs Schichten von Nervenzellen in der Großhirnrinde, das allerdings im Detail variiert. Eine funktionelle Zuordnung ist nur bedingt möglich. Neben der Gestalt der Nervenzellen (ζ. B. Zytoarchitektonik nach Brodman) werden Gliazellen (Glia-Architektonik) und hier speziell die Myelinisierung (Myeloarchitektonik), das
93
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
Gefäßversorgungmuster (Angioarchitektonik), zytochemische und andere Eigenschaften zur Gliederung herangezogen. • Isokortex, Allokortex. Die Entstehung der als Isokortex („gleich gebaute Rinde") bezeichneten Anteile ist ein in mehrere Phasen unterteilter Wachstumsprozess, der zur Bildung des charakteristischen 6-Schichten-Baus führt. Der Isokortex wird auch als Neokortex bezeichnet. Demgegenüber ist der Allokortex („anders gebaute Rinde") phylogenetisch älter und umfasst nur 5 % der Hirnrinde. Er besteht aus Archi- und Paläokortex und geht mit einer Übergangszone (Mesokortex) in die phylogenetisch jüngeren Hirnareale über. •
•
Liquorräume sind die Hohlräume des Gehirns ( Ventrikel) und der Flüssigkeitsraum, in dem das Gehirn schwimmt (Subarachnoidealraum). Die Ventrikel dienen einer inneren Stabilisierung des Gehirns („Wasserskelett"). Ihr Vorhandensein ist entwicklungsgeschichtlich begründet. Der Subarachnoidealraum bietet als Flüssigkeitsbett Gehirn und Rückenmark mechanischen Schutz. Die Auftriebskräfte des Liquors dienen zudem der Formerhaltung des Gehirns (s. Kap. 5.3.3, S. 441). Hirnhäute umgeben das Zentralnervensystem. Sie sind insbesondere durch die Lagebeziehungen zu den äußeren Liquorräumen und den verschiedenen Gefäßen von herausragender klinischer Bedeutung. Es werden 2 weiche Hirnhäute (Leptomeningen) unterschieden, die einerseits dem Gehirn (Pia mater), andererseits (Arachnoidea) der harten Hirnhaut (Dura mater) anliegen (s. Kap. 5.3.2, S. 433).
•
Pyramidalmotorisches System: Es gilt als eine der wichtigsten Leitungsbahnen für die willkürlichen Bewegungsimpulse an die Körpermuskulatur. Sie wirkt hemmend auf die Regulation des Muskeltonus und auf das Zustandekommen der Muskeleigenreflexe • Extrapyramidalmotorisches System (EPS): Es besteht aus dem s triaren System (Putamen, Nuclei caudatus, pallidus, subthalamicus und ruber sowie Substantia nigra) und motorischen Integrationszentren (Kleinhirn, Thalamusanteile, Formatio reticularis, Nucl. vestibularis und Kortexareale). Sie sind wesentlich für glatte (eingeübte) Bewegungen und Begleitmotorik (Gleichgewichtsaufgaben, affektive Begleitmotorik wie z. B. Mimik). Ein wesentliches Subsystem des EPS ist das vestibulozerebellare System, das der Gleichgewichtsregulation dient und bei der zeitlichen Koordinierung von Bewegungen beteiligt ist •
Epikritische Sensibilität: Es handelt sich um eine spezifische Oberflächensensibilität, die Informationen über Berührungsreize, Vibrations· und Gelenkempfindungen und deren Diskriminationen und Modulationen umfasst • Protopathische Sensibilität: Sie ist eine unbestimmte, wenig abgrenzbare Oberflächensensibilität, die der Wahrnehmung von Druck, Schmerz- und Temperaturreizen dient sowie von vorwiegend unspezifischen Afferenzen (Jucken) für die Steuerung der allgemeinen Aktivität im ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem). Epikritische und protopathische Sensibilität können als Exterozeption zusammengefasst werden •
2.6.3
Funktionelle Systeme des Zentralnervensystems (ZNS)
Die wesentlichen Aufgaben des ZNS sind die Bildung von Reaktionen auf innere wie äußere Reize, die Generierung von Aktionen (Willensakten) und die Speicherung von Informationen. In der Geschichte der Erforschung des ZNS sind verschiedene Systeme identifiziert worden, denen bestimmte Funktionen zugeordnet wurden. Die häufig genannten sind nachfolgend aufgeführt:
Propriozeption: Sie bestimmt innere Zustände und ermöglicht teilweise deren Bewusstwerdung (Körperpositionen, Kaudruck). Sie wird in dieser Hinsicht der Exterozeption (Aufnahme von Reizen aus der Umwelt) gegenübergestellt. Propriozeption im engeren Sinne stellt Informationen über Bewegungen und Stellung des Körpers oder seiner Teile zur Verfügung. • Limbisches System. Ihm gehören vorzugsweise phylogenetisch ältere Hirnanteile an, die als funktionell eng zusammengehörig angesehen werden. Die Funktionen sind allerdings trotz klar definierter Bahnen eher konzeptionell als anatomisch beschrieben (Emotionen wie Euphorie, Furcht, Wohlbefinden, Wertung
94
2 Allgemeine Anatomie
von Sinneseindrücken, Gedächtnisfunktionen, Triebverhalten) • Hypothalamo-hypophysäres System. Es besteht aus 2 Anteilen, die beide endokrine Steuerungsaufgaben wahrnehmen. Dabei wird der Körper indirekt über nachgeschaltete endokrine Drüsen (via zwischengeschalteter Adenohypophyse) oder direkt (via Neurohypophyse) kontrolliert. Neurosekretion findet außerdem im Corpus pineale statt. Des weiteren finden sich im Hypothalamus übergeordnete vegetative Steuerungszentren • Verschiedene Neurotransmittersysteme. Sie sind chemisch durch ihre Botenstoffe für die Erregungsübertragung charakterisiert. • Sinnesorgane werden auch als funktionelle Systeme gesehen und haben teilweise ihre eigenen Reflexe (Lidschluss, Hinwendbewegungen).
2.6.4
Sinnesorgane, Organa sensuum
Neben den diffus in Haut und den verschiedenen Organen verteilten Wahrnehmungsaufgaben sind fur einzelne physikalische Einflüsse der Umwelt rezeptive (aufnehmende) Organe besonders entwickelt worden. Diese werden im engeren Sinne als Sinnesorgane zusammengefasst. 1. Rezeptoren. Sie sind Empfangs- oder Aufnahmeeinrichtungen für spezifische Reize. Dabei werden die Reize in Signale der Nervenzellen transformiert im Sinne einer Codierung in Aktionspotentiale.
eigenen Körper in Verbindung stehen (z. B. Auge oder Ohr im Gegensatz zum Gleichgewicht). •
Telezeptoren: Geruch, Geschmack, Licht, Schall, Schwerkraft, Beschleunigung.
Funktioneller Zusammenhang zum ZNS. Sinnesorgane sind nicht isoliert vom Gehirn begreifbar. So kann beim Menschen bis zu einem Viertel der Hirnrinde an der Verarbeitung visueller Informationen beteiligt sein. Sinnesorgane haben zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht nur zentripetale Impulsströme (zum Gehirn fuhrende Erregungen), sondern von einigen ist auch eine efferente Innervation bekannt (z. B. Innenohr). Diese dient der Modulation der Erregungsschwelle, d. h. das Sinnesorgan wird an die vorhandene Reizmenge oder den Informationsbedarf des Gehirnes angepasst. Adäquater Sinnesreiz. Unter einem adäquaten Sinnesreiz versteht man diejenige Umwelteigenschaft, deren Änderungen oder Zustände spezifisch von Sinneszellen erfasst und als Information zentripetal weitergeleitet werden. Sinneszellen können auch durch nicht-adäquate Reize erregt werden („Sterne sehen" bei einem Schlag auf die Augen).
2.6.5
Peripheres Nervensystem, Pars peripherica (Systema nervosum periphericum)
Zum peripheren Nervensystem gehören Spinalnerven und Hirn(Kopf)nerven.
2.6.5.1
Spinalnerven, Nn. spinales (s. Kap. 5.2.7.5, S. 431)
Für die Sensibilität des Körpers sind dies • •
Nozizeptoren: heller und dumpfer Schmerz Thermozeptoren: für niedrige und hohe Temperaturen • Mechanozeptoren: für feinen und groben Druck, Tast- und Berührungssinn, Vibration, Muskelspannung, Bänderspannung (Propriozeption, Tiefensensiblität) • Enterorezeptoren: Osmo-, Chemo-, Barozeptoren.
2. Telezeptoren. Als Telezeptoren bezeichnet man diejenigen Sinnesorgane, die Informationen aufnehmen können, welche nicht unmittelbar mit dem
Es gibt 31 (32) paarweise aus einem Rückenmarkssegment austretende Nerven D> C1-C8 t> T h l - T h l 2 t> L1-L5 t> S1-S5 D> Co 1 - C o 2
Halsnerven, Nn. cervicales (8) Brustnerven, Nn. thoracici (12) Lendennerven, Nn. lumbales (5) Kreuzbeinnerven, Nn. sacrales (5) Steißbeinnerv(en), N. coccygeus (1/2)
Bau. Die efferenten Axone verlassen in kleinen Bündeln, den vorderen Wurzeln (Radices ventrales), ventrolateral das Rückenmark. Die afferenten Axone ziehen aus der Peripherie kommend, eben-
95
2.6 Nervensystem, Systema nervosum Radix dorsalis
1
Spi nalgang I ienzelle
Ganglion spinale Relaiszellen
R. dorsalis
I
R. commumcans albus
t
R. commumcans griseus
./ /. / / /
somatoefferente Ganglion tranci sympathici
viszeroefferente
/
/
viszeroafferente
/
/
/
/
somatoafferente Nervenfasern im Ramus ventral is
Abb. 2.38: Zusammensetzung eines Spinalnervs falls als Bündel, den hinteren Wurzeln (Radices dorsales), zum Rückenmark. Die Spinalganglien sind längliche Knoten, die an den hinteren Wurzeln, noch innerhalb der Dura mater liegen. Im Kopfgebiet entsprechen den Spinalganglien die Ganglien der sensiblen Hirnnerven. Distal von den Spinalganglien, in denen die pseudouniaxonalen primär-afferenten Nervenzellen (Ganglienzellen, Neurone) liegen, vereinigt sich die Radix ventralis mit der jeweiligen Radix dorsalis zum gemischten, kurzen (1 cm) N. spinalis. Die vom Spinalnerv abgehenden Äste können theoretisch alle Faserqualitäten enthalten. Ihre Hautäste versorgen gürtel- oder ringförmige Hautzonen (Dermatome) am Rumpf (s. Kap. 5.2.7.5, S. 431).
Stamm des Spinalnervs. Er teilt sich in 5 Äste (Abb. 2.38): [> Ramus ventralis: stärkster, gemischter Ast. Er verläuft in der vorderen Rumpfwand, im Brustgebiet jeweils im Zwischenrippenraum, im Bauchgebiet zwischen den Bauchmuskeln. Er versorgt mit dem motorischen Anteil die ventrale Rumpfmuskulatur. Da die Extremitäten Ausstülpungen der ventralen Rumpfwand sind, werden sie (nur) von den Rami ventrales versorgt. Der sensible Anteil versorgt mit Rr. cutanei laterales et mediales die seitliche und vordere Bauchwand (besonders die Haut) sensibel.
96
2 Allgemeine Anatomie
[> Ramus dorsalis: kleinerer, hinterer Ast. Er zieht zum Rücken, teilt sich in einen medialen und lateralen Zweig, versorgt die tiefe oder autochthone (bodenständige) Rückenmuskulatur und mit den Rr. cutanei mediales et laterales die Haut des Rückens. O Ramus meningeus: kleiner Ast mit sensiblen und sympathischen (vasomotorischen) Fasern. Er läuft ventral von jedem Spinalnerven wieder in den Wirbelkanal zurück, wo er mit Ästen der Gegenseite und benachbarter Segmente ein feines Geflecht für den Wirbelkanal und die Rückenmarkshäute bildet. t> Rami communicantes·. 2 „Verbindungen" zu den p a r a v e r t e b r a l , neben der Wirbelsäule gelegenen Grenzstrangganglien des Sympathicus. Bei Tieren bestehen sie meistens aus einem weißen (markhaltigen) und einem grauen (markarmen) Ast. •
In dem weißen, markhaltigen Ast, R. communicans albus, verlaufen vorzugsweise die Axone der präganglionären sympathischen Neurone, die von der Seitensäule des Rückenmarks über die vordere Wurzel bis zum Grenzstrangganglion ziehen. Nachdem der größere Teil der Fasern im Grenzstrangganglion auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet wurde, ziehen die postganglionären, grauen, marklosen oder markarmen Axone im R. communicans griseus wieder zum Spinalnerven, um diesem sympathische Axone fur die Gefäße, Drüsen usw. zuzuführen. Dabei können sie innerhalb des Grenzstrangs die Segmenthöhe wechseln. Beim Menschen ist eine scharfe Trennung zwischen R. communicans albus und R. communicans griseus oft nicht möglich.
2.6.5.2
Hirn(Kopf)nerven, Nn. craniales (s. Kap. 4.12.1, S. 255, Kap. 5.2.6.2, S. 415)
Wir unterscheiden Afferenzen •
somatisch (Schmerz, Temperatur, Berührung, Druck, Propriozeption) • spezialisiert somatisch (Auge, Innenohr) • viszeral (Zustand der Eingeweide, z. B. Schmerz, Dehnung) • spezialisiert viszeral (Geschmack, Geruch). Efferenzen •
somatisch (Skelettmuskulatur, z. B. Zungenbeinmuskeln, Augenmuskeln) • viszeral (glatte Muskulatur, Herzmuskulatur, Drüsen) • •
sympathisch parasympathisch
•
branchiogen
Die einzelnen Hirn(kopf)nerven. Sie werden auch mit lateinischen Ziffern I—XII bezeichnet. O [> t> [> [>
I II III IV V
Riechnerv, N. olfactorius Sehnerv, N.opticus Augenbewegungsnerv, N. oculomotorius Augenrollnerv, N. trochlearis Drillingsnerv, N. trigeminus, mit seinen 3 Hauptästen O V, Augenhöhlennerv, N. ophthalmicus [> V, Oberkiefernerv, N. maxillaris t> V, Unterkiefernerv, N. mandibularis \> VI Augenabziehnerv, N. abducens O VII Gesichtsnerv, Ν. facialis O VIII Hör- und Gleichgewichtsnerv, N. vestibulocochlearis (früher N. statoacusticus) t> IX Zungen-Rachennerv, N. glossopharyngeus O X Umherschweifender (vagabundierender) Nerv, N. vagus [> XI Beinerv, N. accessorius t> XII Unterzungennerv, N. hypoglossus
2.6.5.3 Die Einteilung der Hirn(Kopf)nerven ist komplizierter als die der Spinalnerven, bei denen die Kategorien somatisch/vegetativ und afferent/efferent ausreichen. Neben spezialisierten Nerven für die Sinnesorgane kommen bei den Hirnnerven ergänzend branchiale Nerven vor. Nicht alle Faserqualitäten kommen in allen Hirnnerven vor.
Anastomosen und Plexusbildung
• Anastomose. Es handelt sich um einen Faseraustausch zwischen verschiedenen Nerven. Er kann einfach {Anastomosis simplex) oder gegenseitig sein (Anastomosis mutua). Der Begriff Anastomose (gr. stoma = Mund), Einmündung, ist aus der Gefaßlehre entlehnt und die Bezeichnung anastomoticus wird in der neueren Nomenklatur durch communicans ersetzt. Die Integrität der
97
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
Fasern bleibt erhalten. Rami communicantes kommen regelmäßig und als Varietäten in der Peripherie zwischen den verschiedenen Nerven vor. Ein ausgedehnter Faseraustausch fuhrt zur Bildung von Geflechten. •
Plexus Plexus sind Geflechte aus ventralen Ästen der Spinalnerven. Sie entstehen aus den Ästen derjenigen Bereiche des Rückenmarks, die für die Innervation der aussprossenden Extremitäten zuständig sind.
Beim Embryo laufen die Spinalnervenäste dabei noch getrennt in die Extremitäten. Es kommt jedoch zu einer Umlagerung und Durchflechtung der zunächst durch die Metamerie des Körpers geordneten Fasern in dem Maße, wie die Muskelanlagen sich weiterentwickeln und zu neuen, zusammengelagerten und umgelagerten Muskelindividuen gestaltet werden. Wenn Material aus 2 oder mehr Muskelsegmenten zu 2- oder mehrsegmentigen Muskeln zusammenfließt, so müssen auch Nervenfasern aus 2 bzw. mehr Spinalnerven zu diesen Muskeln ziehen, da die ursprüngliche Nervenfaser-Muskelzellenverbindung bestehen bleibt. Die entstehenden primären Geflechte trennen sich beim Wachstum in intramuskuläre Anteile und wirbelsäulennahe Bereiche, in dem sie quasi dazwischen in die Länge gezogen werden. Damit entsteht für die Nervenfasern in ihren langstreckigen Verlaufsanteilen ein Schutz vor den Bewegungen der Extremitäten mit ihren langen Hebeln. Die Muskeln werden durch Vermittlung der Geflechte durch überschaubare und besser zu schützende Nervenstränge verbunden. Es gibt die Hals-, Arm- und Beingeflechte, Plexus cervicalis, brachialis und lumbosacralis. Die ventralen Äste der thorakalen Rückenmarksnerven sowie die Rr. dorsales der Rückenmarksnerven bilden keine Plexus. Plexus des Körpers sind: ï> C1-C4 l> C5-C8, Thl
Halsnervengeflecht, Plexus cervicalis Armnervengeflecht, Plexus brachialis
t> LI L3, z. T. L4
Lendennervengeflecht, Plexus lumbalis [> L4, L5, S1-S5, Co Kreuzbeinnervengeflecht, Plexus sacralis (Plexus ischiadicus, Plexus pudendus, Plexus coccygeus) Klinik: Der Arzt muss zwischen verschiedenen möglichen Lokalisationen einer Schädigung anhand unterschiedlicher peripherer Ausfallmuster differenzieren lernen: Wurzel-, Spinalnerv-, proximaler und distaler Plexus- und peripherer Nervenschädigung. Kenntnisse im Bau des jeweiligen Plexus, der Nerven sowie der Prinzipien der Innervation sind für die Diagnostik und Prognostik damit ebenso essenziell wie fur die Therapie. Der Ausfall (z. B. infolge Durchtrennung) eines peripheren Muskelastes (periphere Lähmung) ergibt eine vollständige Lähmung des Muskels. Fällt dagegen bei einem mehrsegmentigen Muskel nur eine vordere Wurzel aus (radikuläre Lähmung), so ist noch die Versorgung aus den restlichen Segmenten erhalten.
2.6.5.4
Periphere und radikuläre Hautinnervation
Dermatome. Die ursprüngliche Gliederung der Haut besteht in hintereinander gereihten Bezirken (Dermatomen), die jeweils von einem Rückenmarksnerven versorgt werden. Solche sind am Rumpf am besten erkennbar (Rr. dorsales von Th2-L2 und die Rr. ventrales von Th2-12). • Hiatuslinien sind Grenzen von Dermatomen, welche nicht aus benachbarten Rückenmarksegmenten versorgt werden („Segmentsprung"). Die Extremitätenbildung fuhrt auch im Bereich der Haut zu Materialverlagerungen. Bestimmte Dermatome verschwinden vom Rumpf ganz und werden auf den Arm oder das Bein verlagert. Sie verlieren dadurch ihre ursprüngliche Verbindung mit der Mittellinie des Körpers und bilden an den Extremitäten längs verlaufende schmale Hautstreifen. Die Hiatuslinien geben die Stellen an, wo 2 ursprünglich voneinander entfernte Dermatome nebeneinander liegen. Am Rumpf grenzt ventral das Dermatom C4 an das Dermatom Th2. Dieser Segmentsprung ist Folge
98
2 Allgemeine Anatomie
der vollständigen Verlagerung der Dermatome C5-Th 1 auf den Arm. • Überlappung. Da sich die Dermatome an den Rändern überlagern, gibt der Ausfall einer Radix dorsalis keinen vollständigen Sensibilitätsausfall in dem versorgten Gebiet. Die meisten Hautbezirke werden gleichzeitig von mehreren Nerven versorgt. Die Überlagerung der Innervationsgebiete benachbarter Hautnerven ist aber oft nicht vollständig. Manche Nerven versorgen deshalb einen kleinen Hautbezirk allein (Autonomgebiet). Wird ein solcher Nerv verletzt, so tritt nur in diesem Gebiet ein völliger Sensibilitätsausfall ein. In seinem wesentlich größeren Verzweigungsgebiet, das sich mit denen der benachbarten Nerven überlagert, ist dagegen nur eine Abschwächung der Sensibilität feststellbar (.Maximalgebiet). Durch die Plexusbildung sind Dermatom und Autonomgebiet nicht deckungsgleich.
system kontrolliert werden. Der Arzt bedient sich dabei in seiner therapeutischen Tätigkeit vielfach des vegetativen Nervensystems als effizientes endogenes Steuerungssystem. Das VNS kooperiert ferner mit endokrinen, parakrinen und humoralen Regulationssystemen. Das beinhaltet auch, dass die Hormone die Tätigkeit des VNS beeinflussen. Seine Tätigkeit ist in einigen Funktionen vom Willen unabhängig, jedoch von der Psyche her und mit bestimmten Techniken beeinflussbar (autogenes Training). Umgekehrt können vegetative Aktivitätsniveaus auch auf das übrige ZNS rückwirken (Meditation).
Klinik: Die Unterscheidung radikulärer (segmentaler) und peripherer Hautversorgung ist von großer diagnostischer Bedeutung. Bei der Gürtelrose (Herpes zoster), einer Entzündung einzelner Spinalganglien, hält sich die Hauterkrankung genau an die zugehörigen Dermatome.
1. Darstellung der zentralen und peripheren A nteile des VNS 2. Ontogenese und die sich in ihr spiegelnde Wiederholung der Evolution 3. Auf der Ebene übergeordneter (zentraler) vegetativer Zentren ist die Kopplung an das hormonelle System und speziell das hypothalamohypophysäre System zu berücksichtigen.
2.6.6
Vegetatives Nervensystem (VNS), Divisio autonómica (Pars autonómica systematis nervosi peripheric!)
Während das somatische (animale oder oikotrope) Nervensystem den Zustand der Umwelt erfassen (Nerven der Oberflächen- und Tiefensensibilität, der Sinnesorgane und der Skelettmuskeln) und im wesentlichen mit Körperbewegungen beantworten soll, dient das vegetative (viszerale oder idiotrope) Nervensystem den inneren Funktionen des Körpers (Homöostase). Neben den vegetativen sensorischen Informationen werden dafür auch somatische Afferenzen und deszendierende Impulsströme höherer zentralnervöser Zentren integriert. Grundsätzlich kann eine körperbezogene Funktion durch ein Organ (Autoregulation), durch Hormone (endokrine Regulation) oder durch ein Nerven-
•
•
Betrachtungsweise. Für das vegetative Nervensystem haben sich die ursprünglichen Definitionen teilweise erheblich gewandelt und sind für die klinische Anwendung immer wieder erweitert worden. Für ein funktionelles Verständnis und für die klinische Anwendung sind folgende anatomische Betrachtungen erforderlich:
Bau. Durch die zentralen Verbindungen zu dem somatischen NS, durch die intensive Verknüpfung mit den zerebrospinalen Nervenfasern und durch die Durchflechtung in den Organen ist das Charakteristische einer vegetativen Struktur schwierig zu fassen Ein einheitliches morphologisches Substrat aller Anteile des VNS gibt es nicht. Der afferente Abschnitt ist baugleich mit dem somatischen Nervensystem. Der efferente Abschnitt weist als Besonderheit Nervenzellen außerhalb des zentralen Nervensystems auf.
•
Bedeutung. Da das VNS in den meisten Fällen sehr rasch und effizient auf Veränderungen des inneren Milieus reagiert und die Homöostase wieder herstellt, sind vegetative Dysfunktionen von erheblicher klinischer Tragweite. Umgekehrt können durch das vegetative Nervensystem bedingte Über- oder Unterfunktionen anatomischer Strukturen den Gesamtorganismus
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
erheblich beeinträchtigen. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf solche pathologischen Zustände mittels des VNS ist Ursache fur das große Interesse der Medizin an diesem System. Letztlich dient die Homöostase keinem Selbstzweck, sondern der Bereitstellung von Leistungen zur Beeinflussung der und Reaktion auf die Umwelt. Dazu gehört auch die Bereithaltung einer autonomen (d. h. willkürlich nicht zugreifbaren) Leistungsreserve für Ausnahmesituationen.
2.6.6.1
Übersicht über das VNS
Das vegetative Nervensystem kann topografisch nach zentralen und peripheren Komponenten unterteilt werden, nach pharmakologischen Kriterien, funktionellen Einheiten oder in klassischer Weise in Sympathicus und Parasympathicus. • Anteile. Das VNS unterhält 4 wesentliche Kontroll- und Regulationseinheiten: •
Verdauung und Atmung·. Branchialnerven, Grenzstrang und enterisches Nervensystem • Herz und Kreislauf, Urogenitalapparat, endokrine Organe: viszerale Gefaßganglien • Temperaturregulation: zentral und peripher • Stoffwechsel: trophische Innervation der Gewebe 1. Zentrale Komponenten. Die zentralen Anteile finden sich in Rückenmark, verlängertem Rückenmark, Brücke, Mittel- und Zwischenhirn. Die Areale sind am besten über ihre Funktion fassbar (Vasomotorik, Körpertemperatur, Sexual- und Fortpflanzungsfunktion, Verdauung, Wasserhaushalt, Tätigkeit der Großhirnrinde, Kreislauf, Adaptation von Auge und Ohr, Kontrolle des hormonellen Systems, Bronchialtonus, Ausscheidung). Im Hypothalamus findet sich ein übergeordnetes Steuerungszentrum für das gesamte periphere vegetative Nervensystem, dessen Reizung zu einer generalisierten Reaktion im ganzen Körper fuhrt (s. Kap. 5.4.9, S. 518). 2. Periphere Komponenten. Bei den peripheren Anteilen lassen sich 6 Bereiche abgrenzen. Es werden alle vorhandenen somatischen Nervenbahnen von den vegetativen Fasern mitbenutzt, im Bereich der Rumpfwand und der Extremitäten gibt
99
es keine eigenen vegetativen Nerven. Eine bilaterale Symmetrie wie bei den somatischen Nerven existiert wegen Anlageart der inneren Organe für das VNS nicht. Topografische Einheiten sind: [> Hirnnerven V3, VII, IX und X zugeordnete (parasympathische) Fasern [> Grenzstrang (sympathisch) mit zugehörigen Nerven und Geflechten D> Sakrale (parasympathische) viszerale Spinalnervenäste [> Prävertebrale und vaskuläre Ganglien D> ENS (enterisches Nervensystem) [> Paraganglien und chromaffine Zellen Andere Einteilungen. Therapeutisch wird vor allem folgende funktionelle Unterteilung genutzt: [> Sympathicus (oder Orthosympathicus, 5 periphere Rezeptortypen, thorakolumbal) [> Parasympathicus (1 peripherer Rezeptortyp, kraniosakral) Dabei ist nur der Sympathicus einigermaßen einheitlich gebaut. Im Gegensatz zum Parasympathicus innerviert er die Organe eher diffus, weil [> die Fasern seines ersten Neurons (präganglionäre Fasern) auf 4 - 2 0 und mehr zweite Neurone (Grenzstrang-Ganglienzellen) divergieren t> die Umschaltung vom ersten auf das zweite Neuron Organ-fern stattfindet t> die Fasern seines zweiten Neurons zahlreiche Zielzellen innervieren t> er über die Nebenniere humoral (also über den Blutweg) ubiquitär wirken kann. Die historisch zunächst funktionell gemeinten Begriffe Sympathicus und Parasympathicus wurden später zur Benennung eines anatomisch relativ gut abgrenzbaren Anteiles (Sympathicus) und für den Rest (Parasympathicus) verwendet. Die funktionelle Sicht wandelte sich mit dem Verständnis eines weitgehenden Antagonismus der beiden Teile. Mit zunehmenden Erkenntnissen in der Pharmakologie stellten sich jedoch auch Antagonismen innerhalb der einzelnen Komponenten heraus. Eine enge Verbindung zum hormonellen System durch modifizierte vegetative Nervenzellen in eigenständigen endokrinen Organen (Paraganglien) komplizieren heute die Begrifflichkeit der eher historisch begründeten Vokabeln.
100
2 Allgemeine Anatomie
Die Aufteilung in Sympathicus und Parasympathicus ist für das Verständnis des efferenten Abschnittes sinnvoll. Das Bauprinzip ist eine Hintereinanderschaltung zweier Neurone.
2.6.6.2
Aufbau
• Antagonismus. Die übliche (traditionelle) Unterscheidung beschreibt 2 teilweise antagonistisch wirkende Abschnitte des vegetativen Nervensystems: den Sympathicus und den Parasympathicus. Vereinfacht dargestellt erhöht der Tag-aktive Sympathicus zumeist die Energieentfaltung und regt die Tätigkeit der Organe an (ergotropes System, „fight or flight"-Charakter), während der Nacht-aktive Parasympathicus
den Organismus auf Einsparung von Energie und auf Erholung einstellt (trophotropes oder regeneratives System). Wesentliche Ausnahmen von diesem Antagonismus betreffen bestimmte Organe (Tränendrüse) und diejenigen, die nur von einem dieser Anteile innerviert werden (Schweißdrüsen, Mm. piloarrectores, viele Arteriolen). In manchen Organen besteht ein qualitativer Antagonismus (ζ. B. Speichelzusammensetzung). • Modulation statt Induktion. Für die spätere klinische Nutzung ist es wichtig zu beherzigen, dass nicht - wie im somatischen NS verbreitet - Funktionen induziert werden, sondern dass vorhandene Tätigkeiten im Wechselspiel moduliert werden. Die meisten Effektororgane werden dazu von sympathischen und parasympathischen Fasern versorgt. Im Gegensatz zu
Tabelle 2.3: Vegetative Wirkungen Organ
Sympathicus
Auge
weite Pupille
Nahakkommodation, e n g e Pupille
Speichel
wenig, zäh
viol, η ¡(ìdrici viskos
Weitstellung
Engstellung, Sekretion
Tränendrüse Bronchien
Parasympathicus
Sekretion
Sinusknoten
hohe F requenz
niedrige f requenz
AV Knoten
beschleunigte Überleitung
verzögerte Überleitung
I Iis, Purkinje
schnellere Spontandepolarlsalion
(geringe Effekte)
Myokard
verbesserte Kontraktllität
(geringe Effekte)
Koronarien
Vasokonstriktion (α-Rezeptor ),
Vasodilatation und -konstrlktlon (?)
Magen-Darm
geringe Durchblutung, hoher Sphinktertonus
Vasodilatation (ε-Rezeptor) Sekretion, Peristaltik, niedriger Sphinktertonus Harnblase
hoher Sphinktertonus, niedriger Detrusortonus niedriger Sphinktertonus, hoher Detrusortonus
/NS
Antrieb, Aufmerksamkeit
keine Wirkung
Gehirngefäße
Vasokonstriktion
Vasodilatation (?) keine Wirkung
Leber
G l y k o g e n a b b a u , Glucose-F relsetzung
Gallenblase
Kontraktion
Dilatalk m
Pankreas
Sekretionshemmung, Vasokonstriktion
Sekretion
I ettgewebe Skelettmuskel
fhglyceridabbau G l y k o g e n a b b a u , Vasokonstrikllon (cx-Rez.),
keine Wirkung keine Wirkung
Vasodilatation (ε-Rez.) Hautgefäße
Vasokonstriktion
keine Wirkung
Schweißdrüse
Sekretion
keine Wirkung
Detrusor vesicae
E rschlaffung
Kontraktion
f r i g o n u m vesicae
Kontraktion
Erschlaffung
Sexualorgane
Ejakulation
Erektion
Uterus
fokolyse
Wehenförderung, - h e m m u n g
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
dem nur erregend wirkenden somatischen Nervensystem kann eine Aktivierung des VNS eine Erregung oder Hemmung bewirken (Abb. 2.28, Tab. 2.3). Dabei ist der Grundtonus der Antagonisten keinesfalls gleich, sondern üblicherweise hat je nach Organ der eine oder andere Anteil ein physiologisches Übergewicht. Alter oder Krankheitsstatus können diese Vorherrschaft verändern. Beispielsweise dominiert im Kindesalter am Herzen der Sympathicus. Das somatische Nervensystem induziert (erregt), das vegetative Nervensystem moduliert (erregt und hemmt) Funktionen. •
Neuronaler Bau. Der Natur seines neuronalen Aufbaues entsprechend ist das VNS ein eher efferentes Nervensystem, und Efferenzen überwiegen auch bei seiner Tätigkeit. Prinzipiell werden vegetative Fasern aus dem Rückenmark über ein vegetatives Ganglion (para- oder prävertebral oder intramural) geleitet, bevor sie das Erfolgsgewebe erreichen. Das 1. Neuron im ZNS heißt präganglionär und wird in einem peripheren vegetativen Ganglion auf das 2. postganglionäre Neuron umgeschaltet.
•
Umschaltung. Hinsichtlich der Umschaltung von prä- auf postganglionär unterscheiden wir 4 Situationen. t> Das präganglionäre Neuron des Sympathicus wird zumeist in den rückenmarksnahen paraoder prävertebralen Ganglien (also organfern) umgeschaltet. D> Die Umschaltung des präganglionären parasympathischen Neurons erfolgt in organnahen parasympathischen Ganglien. Eine Ausnahme davon bilden die Tränen- und Speicheldrüsen. 0 Daneben existieren erste Neurone, die erst im Erfolgsorgan umgeschaltet werden (ENS und vaskuläre Nervenzellen). t> Eine 4. Gruppe von Neuronen zieht ohne Umschaltung zu den Paraganglien (Nebennierenmark). Ein postganglionäres Neuron kann mit mehreren Zellen des Erfolgsorgans Synapsen bilden, wobei nicht synaptische Endknöpfe, sondern Verdickungen der Nervenaxone im „Vorbeilaufen" (Synapse en passant) gebildet werden. So werden bei dem Sympathicus größere Zellgebiete trotz lokaler Wirkung des Transmitters aktiviert.
101
• Trennung. Eine klare Trennung in Sympathicus und Parasympathicus ist nur in jenen Anteilen möglich, die vom Rückenmark und vom Gehirn ausgehen. In der äußersten Peripherie, in den Organen und im übergeordneten zentralen Bereich (im Gehirn) ist eine Differenzierung schwierig. Die Nervenzellkörper des 1. Neurons des Sympathicus finden sich überwiegend im thorakalen und lumbalen Rückenmark, die des Parasympathicus im Hirnstamm (75 % aller parasympathischen Fasern liegen im N. vagus) und im sakralen Rückenmark (für Colon descendens bis Rectum, Harnblase und unterer Ureter sowie äußere Geschlechtsorgane). Die meisten sympathischen Nervenzellen des Sympathicus liegen thorakolumbal, die des Parasympathicus kraniosakral. • Afferenz. Der afferente Schenkel eines vegetativen Reflexbogens wird durch primärafferente, pseudounipolare Neurone (viszerosensibel) gebildet, die in Spinalganglien bzw. in den entsprechenden Ganglien von Hirnnerven liegen. Der vegetative Reflexbogen besteht demnach aus einem afferenten und mindestens 2 efferenten Neuronen. • Vegetative Nerven. Die vegetativen Fasern können wie somatische selbständig verlaufen (Kopfnerven, Grenzstrang des Sympathicus, präganglionäre Fasern zu den präaortalen Ganglien = Nn. splanchnici). Überwiegend schließen sich ihre Axone aber den Spinalnerven an oder verlaufen mit den Gefäßen, um die sie Geflechte bilden. Mit den somatischen Nerven gelangen sie zur glatten Muskulatur und zu den Drüsen der Haut, aber auch zur quergestreiften Muskulatur. Die Benennungen „rein sensibler Nerv" (ζ. B. für Hautnerven) oder „rein motorischer Nerv" (für Muskeläste) sind daher insofern unrichtig, als sie sich ausschließlich auf den somatischen Anteil des Nerven beziehen (und im Falle des motorischen Astes sogar die somatischen Afferenzen der Muskelspindeln ignorieren). Die präganglionären Fasern sind myelinisiert und < 3 μηι im Durchmesser. Die postganglionären Fasern sind nicht oder schwach myelinisiert,
2 Allgemeine Anatomie
102 < 2 μιτι im Durchmesser und entsprechend langsam in der Erregungsweiterleitung (< 2 m/s).
2.6.6.3
Transmitter des VNS und ihre Rezeptoren
• Transmitter. Die oben skizzierte Terminologie sagt nichts über die aus pharmakologischer Sicht wichtige Natur der Transmitter. • •
Die präganglionären Fasern sind cholinerg Die sympathischen postganglionären Fasern sind in der Mehrheit adrenerg (Transmitter hauptsächlich Noradrenalin) • die Versorgung der Schweißdrüsen jedoch cholinerg • Die parasympathischen postganglionären Fasern sind ebenfalls cholinerg (muscarinerg). •
Rezeptoren. Unter pharmakologischen Gesichtspunkten muss neben den Transmittern die Rezeptorart differenziert werden. Ein und derselbe Transmitter kann je nach Rezeptor antagonistische Wirkung entfalten. Die meisten Ausnahmen betreffen das Herz. Das Ansprechen der Rezeptoren ist zudem abhängig von der Konzentration der Transmitter.
2.6.6.4
Entwicklung des VNS
Die Genese des VNS kann nicht von der des übrigen Nervensystems getrennt werden. Es gibt zwar eindeutige morphologische und funktionelle Unterschiede, aber das VNS ist nicht unabhängig vom übrigen somatischen Nervensystem. Die kooperative Entwicklung ist der Schlüssel dafür, dass bei allen somatischen Funktionen auch das vegetative Nervensystem beteiligt ist. • Abkömmlinge der Neuraileiste. Aus der Neuralleiste (s. Kap. 3.5.1.2, S. 142) gehen folgende Zellen hervor: • • • • •
Grenzstrang, Truncus sympathicus (s. Kap. 10.7.9, S. 899, Kap. 12.4.5, S. 1021) vegetative Afferenzen im Spinalganglion (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94) vegetative Afferenzen der präaortalen Ganglien (s. Kap. 12.4.5, S. 1021) vegetative Afferenzen der vaskulären Ganglien zentrale Zellen des VNS.
Die Zellen differenzieren sich abhängig von ihrer Lage in Sympathiko- (zentral) oder Parasympathikoblasten (an den Polen des Embryos). Die Festlegung auf einen Transmitter hängt wahrscheinlich vom Zielorgan ab. Bei den Wanderungsbewegungen gelangen von den vegetativen Zellen nicht nur afferente Ganglienzellen in das Spinalganglion, sondern auch efferente Sympathikoblasten können sich - statt in den Grenzstrang zu gelangen - hierher verirren, so dass das Spinalganglion durchaus auch efferente Neurone enthält. • Vegetative Kopfganglien. Die vegetativen Kopfganglien enthalten ausschließlich parasympathische zweite Neurone. Sie sind alle an Äste des N. trigeminus assoziiert. Es handelt sich um: t> Ggl. ciliare (N. oculomotorius, s. Kap. 6.4.2, S. 588). Es tritt von allen als erstes auf und wird als Sinnesorgan-Ganglion mit efferentem Charakter definiert (für Mm. ciliaris und sphincter pupillae). [> Ggli. pterygopalatinum und submandibulare (N. facialis, s. Kap. 4.12.1, S. 255). Sie sind bereits bei den Reptilien vorhanden. t> Ggll. oticum und sublinguale (letzteres beim Menschen nur selten ausgeprägt) finden sich erst bei den Mammalia (N. glossopharyngeus). Die postganglionären Fasern erreichen mit den Ästen des N. trigeminus ihre Zielorgane (Speicheldrüsen, s. Kap. 4.13.2.1, S. 278). D> Darüber hinaus finden sich vegetative Ganglien in den Nn. glossopharyngeus und vagus. •
Paraganglien. Die granulierten, sympathischen Zellen sind beim Menschen in geringerer Zahl angelegt. Sie arbeiten endokrin und wirken damit generalisiert auf das Gefäßsystem. Die aus diesen Zellen hervorgegangenen (chromaffinen) Paraganglien konzentrieren sich und bilden bei den Säugetieren vor allem das Nebennierenmark.
Nur wenige weitere, vorzugsweise in der Entwicklungsphase aktive Paraganglien (größtes: Paraggi aorticum abdominale = Zuckerkandl-Organ) sind beim Menschen bis zum 2. Lebensjahr zu finden. Relativ regelmäßig lassen sich im Bereich des Plexus cardiacus Paraganglien nachweisen (Paragli, supracardialia). Weitere benannte Paraganglien liegen im Bereich der luftleitenden
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
Organe. Insgesamt bilden die Paraganglien wohl eine funktionelle Einheit. Zuweilen wurden auch Knötchen, die parasympathische Fasern erhielten (wie das Glomus caroticum), als (parasympathische) Paraganglien bezeichnet und ihnen wurde wegen der intensiven Vaskularisation endokrine Aktivität nachgesagt. Nachgewiesen sind jedoch nur enterozeptive Funktionen. Die Zellen stammen auch nicht aus dem Pool vegetativer Blasten. Klinik: Paraganglien können benigne (Phäochromozytom) und gelegentlich maligne Tumoren (Phäochromoblastom) bilden, die meist endokrin (autonom) tätig sind. • System der vaskulären Nervenzellen. Das System vaskulärer Nervenzellen ist beim Menschen sehr ausgeprägt. Die Entwicklung einer differenzierten vaskulären Innervation kann als entscheidend für die Evolution der Vertebraten angesehen werden. Für den Menschen hat es überhaupt erst die Voraussetzungen für die komplexen Anpassungsvorgänge des Kreislaufes beim Übergang in den Zweibeinerstand geschaffen. Sie ermöglicht auch die mit der bipeden Lokomotion notwendig gewordene effiziente Temperaturregulation. Externe, interne und zentrale Impulse erlauben die gezielte Kontrolle einzelner Gefaßgebiete (Verdauungssystem, Genitaltrakt, Körperoberfläche, somatische Muskulatur, Thoraxorgane) und damit die separate ökonomische Anpassung an jeweilige Aktivitätszustände. Die (sympathischen) vaskulären Nervenzellen bilden zu diesem Zwecke gefäßassoziierte, möglichst Gefäßgebiet-bezogene (organnahe) Ganglien, deren segmentale Anlage beim erwachsenen Menschen nicht mehr zu erkennen ist. Die Ganglien lagern sich an die viszeralen Gefäßstämme an. Präparatorisch ist die vaskuläre Innervation von der übrigen Organinnervation schon in den prävertebralen Ganglien nicht zu trennen (s. u.). Die Durchblutung hängt dabei eng mit der Organfunktion zusammen. • Beziehung zu den Gefäßen. Die phylogenetisch relativ junge Entwicklung der Lunge ist ein Raum fordernder Prozess, der eine Umorganisation der segmentalen Anlagen in parallel zur Körperachse angeordneten Funktionseinheiten zur Voraussetzung bzw. zur Folge hat. Dies gilt
103
auch für die Blutgefäße. Mit dem Deszensus der Organe geraten die Gefäße und mit ihnen die vaskulären Nervenzellen nach kaudal, so dass sich die nervöse Verbindung mit den Ausgangssegmenten um 6 und mehr Segmente in die Länge streckt (präganglionäre Fasern aus dem Thorakalmark zusammengefasst als Nn. splanchnici thoracici). Im Abdomen müssen sie sich dann in einem vergleichsweise kleinen Abschnitt zusammendrängen. Durch die bedeutenden ontogenetischen Umorientierungen entsteht insgesamt eine erhebliche Variabilität in diesem Teil des VNS. Im endgültigen Versorgungsgebiet sind die an die Gefäße gebundenen Ausbreitungswege so individuell wie der Gefäßverlauf selbst. Die ausgeprägte Plexusbildung zieht sich entlang der Gefäße bis zu den Kapillaren. In der Konsequenz ist die Situation der vaskulären Innervation sehr unübersichtlich. Klinik: Die differenzierte Steuerung der Organdurchblutung erlaubt es dem menschlichen Organismus mit weit weniger Blut auszukommen, als bei maximaler Dilatation aller Blutgefäße zur Füllung erforderlich wäre. Das Herz wird so ergonomisch entlastet. Gleichzeitig wirken sich Blutverluste stärker aus und es entsteht die Gefahr der Schock-Reaktion. • Herzinnervation. Eine besondere Situation ist bei der Innervation des Herzens durch die vaskulären Nervenzellen entstanden. Der Sinus venosus erhält allgemein nur Fasern über den nahen N. vagus, und für die Vertebraten gilt, dass auch die Atria nur über den N. vagus efferente (präganglionäre) Fasern empfangen. Demgegenüber wachsen Nervenfasern von den Plexus der Aa. subclaviae (meist aus dem mittleren und unteren zervikalen Ganglion) auf die Ventrikel und die Koronararterien. Verschiedene Anteile des Herzens werden normalerweise auch von getrennten vegetativen Fasern versorgt. Die rechte und die vordere Seite, der Sinusknoten, der AV-Knoten und das Septum interventriculare werden von rechts innerviert. Von links kommende vegetative Fasem versorgen insbesondere den linken Ventrikel (Inotropie).
104
2.6.6.5
2 Allgemeine Anatomie
Pars sympathica, Sympathicus (Abb. 2.39)
Die Pars sympathica ist der Teil des vegetativen Nervensystems, der morphologisch weitgehend über die Zugehörigkeit zum Grenzstrang abgrenzbar ist. Funktionell ist er wesentlich für die Leistungsbereitschaft des Körpers gegenüber der Umwelt verantwortlich. • Anteile. Topographisch lassen sich 3 Abschnitte auseinander halten: 1. Grenzstrang, Truncus sympathicus. Zu beiden Seiten der Wirbelsäule (paravertebral) liegt je eine Ganglienkette, der Grenzstrang, Truncus sympathicus. Er reicht von der Schädelbasis bis zum Steißbein und besteht aus einem Hals-, Brust-, Bauch- und Beckenteil. Jeweils die benachbarten der 22 und mehr Ganglien sind untereinander durch Rr. interganglionares verbunden. Direkte Verbindungen von linkem mit rechtem Grenzstrang sind unregelmäßig. Solche Rami transversi, Verbindungen zu den Ganglien der Gegenseite, sind im Brust- und Bauchgebiet seltener, im Beckengebiet häufiger. Kaudal kann ein singuläres Ggl. impar gefunden werden. Die Rr. interganglionares bestehen je zur Hälfte aus efferenten (präganglionären) und afferenten Fasern. Charakteristisch ist, dass die zugehörigen zentralen Ursprünge kranial und kaudal von den Plexus der Extremitäten begrenzt sind. Dabei enthalten jeweils die kaudalen Wurzelfasern des Plexus brachialis und die kranialen Wurzelfasern des Plexus lumbalis noch präganglionäre Fasern. 2. Prävertebrale Ganglien. An den Abgängen der 3 unpaaren Eingeweideäste der Aorta (Truncus coeliacus, A. mesenterica superior und inferior) liegen 3 größere Ganglien, die umfangreich untereinander verbunden sind und selbst aus zahlreichen kleineren Ganglien bestehen. Bei der Präparation können diese retroperitonealen Strukturen leicht mit Lymphknoten verwechselt werden. Die in ihrer Form sehr wechselnden prävertebralen Ganglien bekommen Fasern aus den Nn. splanchnici thoracici majores et minores, dem Truncus vagalis posterior und direkt aus dem anliegenden Grenzstrang. Die aus ihnen hervorgehenden Äste bilden Geflechte um die Gefäße und verlaufen mit ihnen zu den Eingeweiden.
3. Sympathische Geflechte. Die von den sympathischen Ganglien abgehenden postganglionären Nerven lagern sich entweder den Spinalnerven oder den Gefäßen an. Um die Gefäße bilden sie Geflechte, Plexus, die mit den Gefäßen gleichnamig sind. Der genauere Verlauf der Geflechte wird bei den einzelnen Regionen besprochen. Mit den Gefäßverzweigungen gelangen die postganglionären Axone zu ihren Zielgebieten. Gleichzeitig werden die entsprechenden Gefaßabschnitte selbst innerviert. •
Ursprung. Der Ursprung des Sympathicus ist auf den Brust- und Lendenteil des Rückenmarks beschränkt. Üblicherweise stehen etwa 5000 präganglionäre Neurone pro Körpersegment in der Seitensäule im Bereich von Thl bis L2 zur Verfugung. Der Beginn dieser als Columna intermediolateralis bezeichneten Zellsäule (s. Kap. 5.2.7.3, S. 425) schwankt mit der Höhe der Anlage des Plexus brachialis zwischen C8 und Th2. Entsprechend können die letzten kaudalen Fasern zwischen LI bis L3 das Rückenmark verlassen. Diese Schwankungsbreite ist bei Anästhesien zu berücksichtigen.
• Faserverlauf. Die Efferenzen (präganglionäre sympathische Axone), die den Spinalnerven aus den Segmenten C8-L3/4 zugeordnet werden, verlassen durch die Radix ventralis das Rückenmark. Sie gelangen in den gemischten N. spinalis und ziehen durch den R. communicans albus zum zugehörigen Grenzstrangganglion. In ihm schaltet der größere Teil der Axone auf das 2., postganglionäre Neuron um. Ein weiterer Teil zieht durch die Rr. interganglionares zu benachbarten Grenzstrangganglien und schaltet dort auf das 2. Neuron um. Dabei können durchaus auch in den durchzogenen Ganglien synaptische Kontakte hergestellt sein. Oberhalb von Th7 steigt die Mehrzahl der Fasern auf, unterhalb von T h l l finden sich vorzugsweise deszendierende Fasern in den Rr. interganglionares. Schließlich zieht noch ein Teil der Fasern ungeschaltet durch die Grenzstrangganglien, gelangt z. B. in die Nn. splanchnici thoracici und zieht in ihnen zu den prävertebralen Ganglien. Erst hier findet dann die Umschaltung auf das 2. Neuron statt. Die Zielorgane in der Körperwand werden über die somatischen Nerven (via Rr. communicantes grisei) erreicht, wobei die dorsalen Äste der Spinalnerven
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
I Gl. lacrimalis i
Gl. parotidea
I Gl. sublingualis I
Gl. submandibular
I Brusteingeweide |
Baucheingeweide inklusive Darm bis Cannon-Böhm-Punkt
Beckeneingeweide inklusive Oarm ab Cannon-Böhm-Punkt
Abb. 2.39: Schematische Übersicht des Sympathicus
105
2 Allgemeine Anatomie
106 bevorzugt werden. Daher sind Nacken und Rücken reich an Sympathikusfasern (es sträuben sich die Nacken-, nicht aber die Barthaare) und ein Schauer läuft einem über den Rücken, nicht über den Bauch). Die Anzahl der Rezeptoren ist jedoch auf der Ventralseite exzessiv größer als auf der Dorsalseite (vgl. ζ. B. Bauchdeckenreflexe). • Charakteristika. Die Neuriten der 2. Neurone, deren Zellleiber im Grenzstrang oder in den prävertebralen Ganglien liegen, sind markarm oder marklos. Sie verlaufen entweder durch die Rr. communicantes grisei zurück zu den Nn. spinales oder mit den Gefäßen zu den Zielorganen. Da der Ursprung nur auf das Gebiet von C8 bis L3/4 beschränkt ist, fehlen im Hals-, unteren Lenden- und im Kreuzbeingebiet fast immer die Rr. communicantes albi. Hingegen kommen die Rr. communicantes grisei überall und auch bei einigen Hirnnerven vor. Ein wichtiges Merkmal der peripheren, efferenten sympathischen Leitungsbahn ist, dass sie aus 2 hintereinandergeschalteten Neuronen, dem präganglionären und dem postganglionären Neuron, besteht und sowohl eine Hemmung wie eine Erregung des Zielorgans möglich ist (Unterschied gegenüber den nur erregenden somatischen Nerven). • Viszerosensible Fasern. Neben den bisher beschriebenen efferenten sog. viszeromotorischen Fasern, die die Hauptmasse ausmachen, ist auch eine geringere Zahl von afferenten, sog. viszerosensiblen Fasern in den sympathischen Nerven nachzuweisen, deren Zellleiber in den sensiblen Hirnnervenganglien bzw. in den Spinalganglien und im Grenzstrang liegen. Die afferenten Fasern verlaufen in der Peripherie zusammen mit den Efferenzen in den vegetativen Geflechten. In größerer Anzahl finden sie sich in den Nn. splanchnici thoracici. Die Afferenzen gelangen durch die vordere (kleiner Teil) und hintere Wurzel vorzugsweise an Nervenzellen im Seitenhorn. Sie leiten Erregungen von den Eingeweiden in das Zentralnervensystem. Meist werden diese viszerosensiblen Erregungen nur reflektorisch auf efferente Bahnen umgeschaltet. Der Sympathicus vermittelt vorzugsweise Schmerzen (für sonstige Organempfindungen s. Parasympathicus, s. Kap. 2.6.6.6, S. 106), die
auch bewusst werden können (Magen-, Blasenschmerzen usw.). • Umfang. Die Zahl der postganglionären Neurone übertrifft die der präganglionären mehrfach. Das bedeutet, dass es in der Peripherie zu einer divergenten Erregungsausbreitung kommt. Diese Verbreiterung ist notwendig, wenn man das kleine Ursprungsgebiet mit dem Versorgungsgebiet (sämtliche Organe) in Beziehung setzt. Andererseits können auch mehrere präganglionäre vegetative Nervenzellen mit einem der zweiten Neurone Synapsen bilden, so dass zudem Konvergenz beobachtet werden kann. Klinik: Die einfache motorische und sensorische Funktionsprüfung kann in manchen Fällen nicht zur Differenzialdiagnose einer peripheren Lähmung ausreichen. So ist die Symptomatik eines Wurzelfaserausrisses C7 oft ähnlich einer peripheren N. ulnaris-Lähmung (oder L5 ähnlich N. fibularis). Hier hilft eine Überprüfung der Hautfeuchtigkeit (Intaktheit der vegetativen Schweißdrüseninnervation). Da sich die Hauptmasse der vegetativen Fasern erst dem Spinalnerv beigesellt, können sie bei einem Wurzelfaserausriss im Bereich eines Segmentes nicht merklich gestört sein (Schweißdrüseninnervation intakt).
2.6.6.6
Pars parasympathica,
Parasympathicus (Abb. 2.40)
Die Pars parasympathica ist ein funktioneller, durch Physiologie und Pharmakologie geprägter Begriff. Funktionell dient das System vor allem regenerativen und aufbauenden Prozessen. • Anteile. Der teilweise recht komplizierte Faserverlauf des kranialen Parasympathicus wird im Zusammenhang mit den Kopfnerven detailliert besprochen (s. Kap. 4.12.1, S. 255). Die Gefäßund Herzmuskulatur wird nur wenig vom Parasympathicus innerviert, die Effekte sind daher gering. Eine intensivere parasympathische Versorgung erfahren jedoch die Gefäße der äußeren Geschlechtsorgane aus dem sakralen Parasympathicus.
2.6 Nervensystem, Systeme nervosum
107
I Gl. lacrimalis] Ganglion ciliare Iris, Ziliarkörper [ Ganglion pterygopalatlnum Gl. parotidea Ganglion oticum Gl. sublingualis Ganglion submandibulare I Gl. submandibulars
Ganglion Brusteingeweide
cardiacum
Ganglia coeliaca
BauchHingewelde inklusive Darm bis
Sakralteil
S2 bis S 4
Nn. splanchnici pelvini (Nn. engentes)
Beckeneingeweide inklusive Darm ab Cannon-Böhm-Punkt
Abb. 2.40: Schematische Übersicht des Parasympathicus
2 Allgemeine Anatomie
108 1. Der Kopfteil hat seine Kerngebiete im Mittelund Rautenhirn. Die präganglionären Fasern ziehen in den Nn. III, VII, IX und X zu den parasympathischen Ganglien, wo sie auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet werden. D> Der N. oculomotorius hat Fasern vom Nucleus oculomotorius accessorius (Edinger-Westphal), die zum Ganglion ciliare (s. Kap. 6.4.2, S. 588) ziehen. [> Der N. facialis (Intermediusanteil) enthält sekretorische Fasern von Nucleus salivatorius superior. Diese werden in der Chorda tympani zum Ganglion submandibulare und im N. petrosus major zum Ganglion pterygopalatinum geleitet (s. Kap. 4.12.1, S. 255). [> Der N. glossopharyngeus leitet Fasern vom Nucleus salivatorius inferior über den N. petrosus minor zum Ganglion oticum (s. Kap. 4.12.1, S. 255). \> Der N. vagus enthält alle Parasympathikusfasern für die Innervation der Hals-, Brust- und Baucheingeweide bis zum Cannon-BöhmPunkt (in der Nähe der linken Kolonflexur). Sie entspringen im Nucleus dorsalis nervi vagi. Aus dem Geflecht des Oesophagus gehen die Trunci vagalis anterior und posterior hervor, die sich auf den Magen weiter fortsetzen (s. Kap. 10.7.8.2, S. 898). 2. Der Sakralteil entstammt den Seitenhörnern im sakralen Abschnitt des Rückenmarks (S2-S4). Die präganglionären Nervenfasern bilden hier die Nn. splanchnici pelvini, welche den restlichen Teil des Darms, der nicht vom N. vagus innerviert wird, z. B. die Beckenorgane, Nn. erigentes, versorgen. Der sakrale Parasympathicus ist in Wechselwirkung mit dem Sympathicus und mit somatomotorischen Nerven an der Regelung der Genitalfunktionen einschließlich der Drüsen und der Entleerung der Harnblase und des Mastdarms beteiligt. Die Fasern verteilen sich wesentlich über die diversen pelvinen Geflechte, die teilweise zusammengefasst werden (z. B. der Frankenhäuser-Plexus, s. Kap. 13.6.2.3.8, S. 1076) 3. Periphere Ganglien. Bei der Auswanderung der medullären parasympathischen Ganglienzellen (vornehmlich mit dem N. vagus) in eine organnahe Lage bleiben viele Nervenzellen im Stamm des N. vagus liegen (manchmal als sichtbare Ganglien). Das Ggl. cardiacum (Wrisbergi) findet sich häufig im Bereich der vagalen Herznerven; sonst
sind an dieser Stelle überall Ganglienzellen zu finden. Die sympathischen Ganglien, wie das Ggl. renale für die Niere enthalten, auch parasympathische 2. Neurone. •
Ursprung. Der Parasympathicus entspringt kranial und kaudal vom Sympathicus. \> Der kraniale Parasympathicus (Kopfparasympathicus) nimmt seinen Ursprung in spezifischen Kernen des Mittelhirnes und des verlängerten Rückenmarkes. Details und Umschaltungen s. Kap. 5.4.9, S. 518. > Der sakrale Parasympathicus hat seine Ursprungskerne im Sakralmark (zumeist S3 und S4). •
Faserverlauf. Die Fasern des Parasympathicus verlaufen in der Peripherie zumeist nicht selbständig, sondern zusammen mit anderen Nervenfasern. Die efferente Leitung besteht wie beim Sympathicus aus 2 Neuronen, einem prä- und einem postganglionären Neuron. Im Unterschied zum Sympathicus werden nur die inneren Organe, aber nicht die Leibeswand parasympathisch versorgt. Der Parasympathicus versorgt die inneren Organe, der Sympathicus die inneren Organe und die Leibeswand.
• Charakteristika. Die Perikarya der 1. efferenten Parasympathikusneurone liegen im Hirnstamm (Kopfteil) und im Sakralbereich/Sakralteil des Rückenmarks. Die Umschaltung der präganglionären Nervenfasern auf das 2. Neuron erfolgt im Gegensatz zum Sympathicus nahe am Erfolgsorgan. • Viszerosensible Fasern. Ähnlich wie im Sympathicus verlaufen auch im Parasympathicus afferente Fasern von den Organen zum ZNS, deren Perikarya in den sensiblen Hirnnervenganglien bzw. in den Spinalganglien liegen. Die Hirnnerven übertragen Afferenzen aus Pharynx, Larynx und Oesophagus (für die übrigen Thoraxorgane ist der Sympathicus zuständig). Sie vermitteln ferner das Gefühl des Harn- und Stuhldranges und teilweise genitale Afferenzen. Aus dem Darmbereich kann das Gefühl der Übelkeit gemeldet werden •
Interozeption. Viele wichtige vegetative Reflexe haben spezifische Sensoren (Interozeptoren). Die wichtigsten sind:
> Chemorezeptoren zur Messung von pH, pC0 2 , p 0 2 z. B. im Aortenbogen oder Glomus caroticum
2.6 Nervensystem, Systema nervosum
109
[> Atriale Mechanozeptoren erkennen Vorhofdeh- oder die Reaktionsschwelle eines Muskels heraufgesetzt sein; auch das zentrale Nervensystem wird nung etwa in Folge vermehrten Blutvolumens t> Barorezeptoren (ζ. B. Sinus caroticus) regis- vegetativ versorgt. trieren den Blutdruck, adaptieren aber und sind Klinik: 1. Wegen der intensiven Überlagerung dadurch kein Schutz gegen sich langsam entwiund der Divergenz von prä- nach postganglionär ckelnden Hypertonus. Sie können allerdings bei treten bei einer partiellen Ausschaltung des VNS einigen Menschen hypersensitiv sein und durch keine „vegetativen Lähmungen" auf. Der Ausexternen Druck (beidseitiges Pulsftihlen an der fall äußert sich nur in teilweise schwer fassbaren A. carotis) eine Blutdrucksenkung auslösen. Funktionseinschränkungen. Ein weiterer Grund ΐ> Zentrale lnterozeptoren sind im ZNS lokalidafür ist, dass das VNS vorhandene Funktionen siert und kontrollieren den pH-Wert des Liquor nur moduliert, diese aber grundsätzlich autocerebrospinalis, den osmotischen Druck in den nom (ζ. B. Herz) oder durch das somatische Gefäßen und die arteriovenöse BlutzuckerdiffeNervensystem (ζ. B. Skelettmuskelkontraktion) renz. hervorgerufen sind. 2. In chronische SchmerzZwischen den Reflexen bestehen vielfältige Intersyndrome und reflektorische sympathische aktionen. Insbesondere die pulmonalen Reflexe Dystrophien sind afferente und efferente Anteile beeinflussen wesentlich die kardiovaskulären des sympathischen VNS involviert. Die genaue Reflexe. afferent-efferente Verbindung in der Peripherie ist ungeklärt (parasympathisch ist sie nicht Klinik: 1. Als vagovasale Synkope bezeichnet beschrieben). Blockade der Efferenzen ist man eine extreme Vagusreizung (peripher beijedoch in den meisten Fällen eine mögliche spielsweise durch Schmerz oder hypersensitiTherapie (ζ. B. Stellatumblockade nach postven Karotissinus, zentral beispielsweise durch traumatischen dystrophischen Zuständen der Schreck) mit akuter ausgedehnter Vasodilatation oberen Extremität). (Sympathicus-vermittelt) und Bradykardie, die zu einer Hypotonie fuhrt. Die dadurch bedingte Reduktion des Herzzeitvolumens kann infolge zentraler Hypoxie zur Bewusstlosigkeit fuhren 2.6.6.8 Reflexe (Synkope). 2. Ein Schlag in die Gegend des Plexus coeliacus und angrenzender Plexus kann Die Funktion des VNS wird durch periphere ebenfalls zu einem massiven Blutdruckabfall Reflexbögen aufrecht erhalten, die auch nach und zusätzlich zu Atemnot führen. Je intensiver Verlust zentraler Verbindungen (Querschnittsdie auslösende Ursache einer vegetativen Reakläsion) weiter funktionieren. Die lokal erzeugten tion, desto mehr Funktionseinheiten werden nervösen Grundmuster (ζ. B. für die Peristaltik) aktiviert bzw. gehemmt. gelten als Baustein.
2.6.6.7
Trophische Innervation
Trophik (engl, trophic state) bedeutet Ernährungszustand eines Gewebes oder Organs bzw. Stoffwechselzustand. Der Wortteil -troph hat die entsprechende Bedeutung. Neben der Durchblutungsregulation greift das VNS noch direkt in den Stoffwechsel der Organe ein. Es gibt kein Organ, welches nicht wenigstens von sympathischen Fasern versorgt wird. Bei vegetativen Innervationsstörungen können in der Haut die Empfindlichkeit der Tastsinnesorgane herabgesetzt
Sowohl von viszeroafferent auf somatoefferent als auch in umgekehrter Richtung von somatoafferent auf viszeroefferent bestehen reflektorische Verbindungen. Viszerosensible Axone werden im Rückenmark mit den somatischen Motoneuronen durch Schaltzellen verbunden. Auf diesem Weg wird bei Eingeweideschmerzen der Tonus quergestreifter Muskeln erhöht (z. B. harte Bauchdecken bei Entzündungen im Bauchraum = viszerosomatomotorische Reflexe). Es lassen sich folgende Reflexbeziehungen unterscheiden: [> viszero-viszeral: viszerale Afferenzen führen zu viszeralen Reaktionen (Blasenentleerung, Peristaltik)
2 Allgemeine Anatomie
110
Zwerchfell (C 4)
Th 3 . 4 . 5 Herz (Th 3, Th 4)
- Speiseröhre (Th 4, Th 5) Th 8
M a g e n (Th 8) Th 9, 10 Leber und Gallenblase (Th 9~Th 11 ) Th 11 -
Dünndarm (Th 10)
-
Dickdarm (Th 11-4.1)
Th 12 —
Harnblase (Th 1 1 - L 1 )
Niere und Hoden (Th 1 0 - L 1 )
Abb. 2.41: Segmentale Versorgung einiger innerer Organe. Hautbezirke (dunkel, getönt), in denen bei Erkrankung dieser Organe durch viszerokutane Reflexe Hyperämie und Hyperalgesie auftreten können (Head-Zonen). Schema, verändert nach Treves-Keith
E> viszero-kutarr. viszerale Afferenzen fuhren zu Reaktionen in der Haut (die vermehrte Durchblutung kann auch durch den ausstrahlenden Schmerz bedingt sein) (Abb. 2.41) [> viszero-motorisch: viszerale Afferenzen sorgen für einen erhöhten segmental zugeordneten Muskeltonus oder -spasmus (Abwehrspannung bei „akutem Abdomen") [> kutisviszeral: somatische Afferenzen stimulieren vegetative Efferenzen entsprechend der Head-Zonen (Abb. 2.41) In Analogie zu der motorischen Einheit (s. Kap. 2.2.3.5, S. 46) kann man auch das 2. efferente Neuron zusammen mit den von ihm innervierten Organanteilen als Funktionseinheit begreifen. Die vegetativen Ganglien werden daher zuweilen als Organganglien bezeichnet. Klinik: 1. Bei Erkrankungen der Herzkranzgefaße strahlen Schmerzen in die Brust (Angina pectoris) oder in den linken Arm aus. Die umgekehrte Beziehung versucht man therapeu-
tisch dadurch auszunutzen, dass man bestimmte Hautbezirke durch Pflaster, Bäder, Umschläge, Kälte- und Wärmeanwendungen, Quaddelung usw. stimuliert, um die segmentzugehörigen Organe zu beeinflussen und z. B. Schmerzen zu lindern (Wärmflasche = Hautreiz). 2. Bei einer Appendicitis, Salpingitis oder Cholecystitis kann eine regional begrenzte oder generelle Erhöhung der Spannung der Bauchmuskulatur als Abwehrspannung auftreten. Diese ist durch viszerosensible-somatomotorische Reflexe mit bedingt. Durch die mangelnde Ausprägung des segmentalen Charakters im VNS und vor allem durch die Divergenz im Sympathicus ist die Ausbreitung vegetativer Reaktionen in der Haut mit den somatischen Dermatomen nicht in Übereinstimmung zu bringen und muss hinsichtlich einer diagnostischen Auswertung eigenständig betrachtet werden.
2.6 Nervensystem, Systeme nervosum
2.6.6.9
Übergeordnete vegetative Zentren
Die Kontrolle der regionalen Steuerung erfolgt zentral. Die Funktion jedes einzelnen Organs wird vom Rückenmark und vom Hirnstamm aus durch das vegetative Nervensystem überwiegend auf dem Reflexwege gesteuert. Die zentralen vegetativen Steuereinheiten sind teils hierarchisch organisiert. In der Übersicht können 3 funktionelle Organisationsebenen unterschieden werden: die prosenzephale übergeordnete Verbindung zu Großhirn und Endokrinum, die spinotegmentale Steuerung und der periphere Reflexbogen. •
Hypothalamus. Die Zusammenfassung der vegetativen Teilfunktionen zu höheren, zielgerechten Leistungen findet im Hypothalamus des Zwischenhirns statt (s. Kap. 5.4.11.2, S. 544). • Formatio reticularis. Das Bindeglied zwischen der niederen Funktionsebene (Rückenmark und Hirnstamm) des vegetativen Systems und dem Hypothalamus bildet die Formatio reticularis (s. Kap. 5.4.9.2., S. 518).
111
• Spinale Zentren. Sympathische und parasympathische spinale Ursprünge werden insbesondere hinsichtlich der Miktion, Defakation und genitaler Funktionen zu Zentren zusammengefasst. Am Beispiel des Centrum genitospinale sei dabei noch einmal auf die wesentlichen Einflussmöglichkeiten übergeordneter zentralnervöser Strukturen hingewiesen.
2.6.6.10 Enterisches Nervensystem (ENS) Die diffus verteilten Nervenzellen bilden entlang des Darmrohres und zugehöriger Organe mit eigenen Ganglien und Plexus das enterische (intramurale) Nervensystem. Dieses reguliert relativ unabhängig von dem sympathischen und parasympathischen Anteil die Darmmotilität sowie Flüssigkeits- und Elektrolythomöostase. Die weitgehende Unabhängigkeit dokumentiert sich nicht nur in der eigenständigen Gliederung, sondern auch in für diesen Teil des VNS spezifischen Erkrankungen (Näheres s. Kap. 12.3.3, S. 988).
3
Allgemeine Embryologie Axel Brehmer
Embryologie ist vorgeburtliche (—> pränatale) Entwicklungsbiologie. Sie beschreibt Form- und Funktionsänderungen von Individuen zwischen Zeugung und Geburt. Diese Veränderungen werden genetisch gesteuert und in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren realisiert.
3. Differenzierung vorübergehender embryonaler Strukturen als Grundlage fur die Organentwicklung (Keimblätter und Derivate), 4. Entstehung von auf Zeit angelegten Einrichtungen, welche Kommunikation und Abgrenzung zwischen dem sich entwickelnden und dem mütterlichen Organismus sicherstellen (Plazenta, Fruchthüllen).
Allgemeine und Spezielle Embryologie sind aus der didaktischen Notwendigkeit heraus geborene Begriffe, die die fließend ineinander übergehende pränatale Entwicklung eines Organismus darstellen. Allgemeine Embryologie umfasst die pränatale Entwicklung:
Spezielle Embryologie befasst sich mit der pränatalen Organentwicklung. Deren Darstellung ist der makroskopisch-anatomischen Schilderung der Organe vorangestellt.
Altersangaben, Stadien
Lernziele: Befruchtungsalter, Menstruationsaltcr, Schwangerschaftsdauer, p.c., p.m., Normogcnese, Teratogenese, Gametogenese, Blastogenese, Kmbryogenese, Fetogencse Keimlingsalter: SSW = EW + 2 Wochen (Kap. 3.10.2, S. 170): •
5. Rahmendaten der vorgeburtlichen Entwicklung wie Dauer, Größenwachstum, allgemeine Formentwicklung und Reifemerkmale. Diese sind Grundlagen der Pränatalmedizin, fur die ein Zugang zum Feten nur über den mütterlichen Organismus möglich ist.
frühe
1. Keimzellbildung und Vorbereitung der Befruchtung in der Elterngeneration, 2. Festlegung der genetischen Grundlagen für die Entwicklung des neuen Individuums durch die Befruchtung,
3.1
Weiterhin orientiert sie über
Befruchtungsalter: Mit der Befruchtung beginnt die Entwicklung (post conceptionem = p. c.), die Altersangabe erfolgt in Embryonalwochen (EW), anfangs in Embryonaltagen (ET).
•
•
•
Menstruationsalter: In der Perinatalmedizin wird ab dem 1. Tag der letzten Menstruation gerechnet (post menstruationem = p. m.), der bei regelmäßigem Zyklus 2 Wochen vor dem Befruchtungszeitpunkt liegt. Dieses Alter wird in Schwangerschaftswochen (SSW) angegeben. Schwangerschaftsdauer p. c. (= tatsächliche oder echte Schwangerschaftsdauer): Zeit vom Tag der Befruchtung bis zum Tag der Geburt = 266 Tage = 38 Wochen = 9/4 Lunar- oder Mondmonate (zu 28 Tagen). Schwangerschaftsdauer p.m.: Zeit vom I. Tag der letzten Regel bis zum Tag der Geburt = 280 Tage = 4 0 Wochen = 10 Lunarmonate.
114
3 Allgemeine Embryologie
In diesem Kapitel werden Embryonalwochen (1.-8. EW) für die Embryonal- und Schwangerschaftswochen (11.—42. SSW) für die Fetalperiode angegeben. Normo-, Teratogenese. Die Normalentwicklung (—» Normogenese) ist in Abschnitte untergliedert, in denen jeweils auch pathologische Entwicklung (—> Teratogenese, Kap. 3.9, S. 167) möglich ist. Gametogenese (gr. Gametes = Gatte) ist die Entwicklung der Keimzellen (—» Gameten: Eizelle, Samenzelle) in den Elternorganismen (= Proontogenese, Progenese). •
Gametopathien sind Schäden der Keimzellentwicklung: ζ. B. Mutation, morphologische und funktionelle Anomalie.
Blastogenese (gr. Blast = Spross, Trieb; 1.-2. EW) umfasst den Zeitraum von der Befruchtung bis zu Implantationsabschluss und Ausbildung der zweiblättrigen Keimscheibe. •
Blastopathien, Störungen in dieser Phase erfolgen nach dem Alles-oder-Nichts-Gesetz: Entweder ist der Schaden vollständig reparabel oder der Keim stirbt ab (ζ. B. führt eine Implantationsstörung zum Verlust des Keimlings —> Abort = Fehlgeburt).
3.2
Embryogenese (gr. Embryon = ungeborene Leibesfrucht; 3.-8. EW) beginnt mit der Entstehung der dreiblättrigen Keimscheibe und beinhaltet die Organogenese (Ausbildung der Organanlagen) des Keimlings. Dieser wird während der Blasto- und Embryogenese als Embryo bezeichnet. •
Embryopathien sind Entwicklungsstörungen des Embryos in kritischen oder sensiblen Phasen der Organogenese. Die schädigenden Noxen stellen das Überleben des Embryos als Ganzes meist nicht mehr in Frage.
Fetogenese (lat. Fetus = Leibesfrucht; 9. EW - Geburt) ist der längste Abschnitt, in dem Reifung und Wachstum der Organe der nun Fetus genannten Leibesfrucht vor sich gehen. •
Fetopathien sind pränatale Erkrankungen mit intrauteriner Entwicklungsstörung nach abgeschlossener Organogenese. Klinik: Embryogenese umfasst in der klinischen Definition die ersten 10 EW der Schwangerschaft, die Fetalperiode beginnt mit der 13. SSW. Neonatalperiode ist der Zeitraum von der Geburt bis zum Ende der 4. postnatalen Lebenswoche. Perinatalperiode ist der Zeitraum vom Ende der 28. SSW bis zum 7. postnatalen Lebenstag.
Grundbegriffe
Lernzielc: Grundbegriffe der Embryologie Prospektive Potenz ist die Summe aller Entwicklungsmöglichkeiten, die eine Zelle unter Einschluss experimenteller Bedingungen hat.
prospektive Potenz einer Zelle größer als ihre prospektive Bedeutung.
Induktion ist ein Vorgang, bei dem eine Zellgruppe (Organisator) durch Abgabe von Signalmolekülen (Induktoren) eine andere Zellgruppe, die über • Beispiel: Eine Teilung der beiden Zellen des geeignete Rezeptoren für diese Signalmoleküle 2-Zell-Stadiums (natürlich oder experimentell) verfügen muss, zu Determination und nachfolgenkann zur Ausbildung zweier vollständiger Indi- der Differenzierung veranlasst. Induktion spielt viduen einschließlich ihrer Fruchthüllen führen sich häufig als Interaktion zwischen Epithel und (—> Omnipotenz). Trophoblastzellen können Mesenchym, embryonalem Bindegewebe, ab. dagegen nach Bildung der Blastozyste keinen • Beispiel: Induktion der NeuroektodermentwickEmbryo bilden, ihre prospektive Potenz ist deutlung durch die Chorda dorsalis. lich eingeschränkt. Determination ist die Festlegung einer Zelle auf Prospektive Bedeutung bezeichnet den unter einen Entwicklungsweg, sie engt deren prospektive gegebenen Bedingungen normalen Entwicklungs- Potenz auf ihre aktuelle prospektive Bedeutung ein weg einer Zelle. Vor einer Determination ist die und ist unumkehrbar.
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
115
• Beispiel: Aus Zellen des Neuroektoderms können sich keine Oberflächenektodermzellen mehr entwickeln.
Segregation ist der gegenteilige Prozess, bei dem Epithelverbände unter Verlust von Zellverbindungen aufgelöst werden.
Differenzierung ist die Ausbildung gewebe- oder organtypischer Merkmale einer Zelle nach ihrer Determination. Sie ist morphologischer und funktioneller Ausdruck von
•
•
Genexpression, die den Abruf genetischer Information von der DNS durch RNS-Synthese (Transkription) und (meist) nachfolgender Übertragung in eine Aminosäurensequenz (Proteinsynthese: Translation) bezeichnet. • Genregulation ist die Kontrolle der Aktivität von Genen. Enzymsynthese kann ζ. B. durch vorliegendes Substrat induziert oder durch gebildetes Endprodukt gehemmt werden. Zellteilung, Mitose, (Meiose, Kap. 3.3.2, S. 117) kann erfolgen: 1. proliferativ, indem 2 gleichartige Tochterzellen entstehen, oder 2. differenziell, wenn aus einer Mutterzelle neben einer Tochterzelle mit unveränderten Eigenschaften eine solche mit eingeengter prospektiver Potenz entsteht. • Beispiel: Spermatogonien vermehren sich zuerst proliferativ, nachfolgende differenzielle Teilungen erhalten einerseits die Stammzellpopulation und lassen andererseits die sich weiterentwickelnden Keimzellen entstehen. Zelllinien, Klone, sind aus je einer einzelnen Zelle hervorgegangene Tochterzellpopulationen, die sich durch Determination in bestimmter Weise differenzieren. Aggregation ist der über Zelladhäsionsmoleküle ihrer Membranen realisierte Zusammenschluss von Zellen zu einem Epithelverband. •
Beispiel:
3.3
Beispiel: Auswanderung der Sklerotom-Zellen aus den Somiten.
Migration ist die Wanderung von Zellen durch den Embryonalkörper. Ihr Weg wird durch Wechselwirkung zwischen Oberflächenmerkmalen der Zellmembran mit Komponenten der extrazellulären Matrix bestimmt. •
Beispiel: Für ihre teils beträchtlichen Wanderungen durch den Embryonalkörper binden sich Neuralleistenzellen über Integrine an Moleküle der extrazellulären Matrix, die als Leitstrukturen dienen.
Musterbildung ist die Anordnung verschieden determinierter Zellen innerhalb des sich entwickelnden räumlichen Gefuges eines Organs oder des gesamten Organismus. Wachstum, hier Größenzunahme, durch • • •
kann erfolgen
Zellvermehrung (Proliferation), Zellvergrößerung und/oder Vermehrung der Interzellularsubstanz.
Apoptose ist genetisch programmierter Zelltod. Neben Zellteilung und Zellwachstum sorgt sie für eine geregelte Morphogenese, eine dynamische Gewebehomöostase und die ausgewogene Funktion des Immunsystems. •
Beispiel: Rekanalisation, z. B. Bildung des äußeren Gehörganges oder der Vagina
Morphogenese ist die Formentwicklung des Organismus und seiner Teile.
Somitenentstehung.
Gametogenese, Proontogenese Progenese
Lernziele: Vererbung, Keimbahn, DNS, Chromosomen. Chromosomensatz. Mitose. Meiose, Mutationen. Spermatogenese. Spermien. Sperma. Oogenese. Follikulogenese. Menstruationszyklus. Kontrazeption
Vererbung ist ein Grundphänomen der Fortpflanzung: die Weitergabe artspezifischer Merkmale von den Eltern an die Nachkommen. DAS-Moleküle sind das Substrat (= genetische Substanz, Kap. 3.3.1, S. 116), das chemisch kodiert Erbinformationen speichert. In Form von Chromosomen wird die genetische Substanz vor und während Zellteilungen
3 Allgemeine Embryologie
116
lichtmikroskopisch sichtbar. Die Chromosomenzahl einer Zelle ist artspezifisch konstant. Der Lebenszyklus von Organismen mit sexueller Fortpflanzung besteht aus einer • diploiden Phase, in der die meisten Körperzellen je 2 Chromosomen desselben Typs enthalten (Ausnahme: X-, Y-Chromosom männlicher Individuen) und einer • haploiden Phase mit einem Chromosom pro Typ in reifenden Keimzellen. Eines der homologen Chromosomen des diploiden Chromosomensatzes stammt von der Mutter, das andere vom Vater. Der diploide Chromosomensatz wird in reifenden Keimzellen durch die Meiose (Kap. 3.3.2, S. 117) auf einen haploiden Satz reduziert. So verbleibt jeweils nur eines der beiden homologen Chromosomen in einer Keimzelle. Durch die Verschmelzung einer männlichen mit einer weiblichen Keimzelle kommt wieder der artspezifische diploide Chromosomensatz des neuen Lebewesens zustande. Keimbahn. Urkeimzellen entstammen nicht dem Embryonalkörper, sondern der Dottersackwand und wandern von dort in der 5. EW in den Körper ein. Urkeimzellen, die die Gonadenanlagen erreichen, können sich zu Keimzellen entwickeln. Der in beiden Geschlechtern von den übrigen Somazellen frühzeitig abgesonderte und auf die künftige Keimzellentwicklung festgelegte Weg dieser Zelllinie wird als Keimbahn bezeichnet.
3.3.1
Genetische Substanz
Desoxyribonukleinsäuren (DNS, engl. DNA) sind Makromoleküle, die alle Informationen über Aufbau und Funktion des Organismus in kodierter Form speichern (—> Erbinformation). Der größte Teil der DNS ist im Zellkern, ein kleiner in den Mitochondrien enthalten. Genom nennt man die Gesamtmenge des genetischen Materials einer Zelle: nukleäre und mitochondriale DNS. Während nukleäre DNS von Vater und Mutter zu annähernd gleichen Teilen auf Nachkommen übergeht, wird mitochondriale DNS ausschließlich maternal vererbt (Kap. 3.4.1.1, S. 131 ).
Gene, in den Chromosomen linear angeordnet, sind die funktionellen Einheiten des Genoms. Sie bestimmen den Aufbau von Eiweißmolekülen, den Genprodukten. Der genetische Code, die verschlüsselte Erbinformation, ist in der DNS durch Sequenzen von je 3 nebeneinander liegenden organischen Basen gespeichert. Diese sind • Adenin = A, Thymin = T, Cytosin = C, Guanin = G. DNS-Menge. Durch Wasserstoffbrücken zwischen den einander gegenüberliegenden, jeweils komplementären Basen A und Τ bzw. C und G entstehen die in sich schraubenförmig verwundenen, doppelsträngigen DNS-Moleküle. Deren Dicke beträgt 2-4 nm, die DNS-Gesamtlänge in einem nicht zur Teilung anstehenden Zellkern 2 m. Diese DNSMenge eines Zellkerns in der G^Phase (Kap. 3.3.2, S. 117) wird durch 2 c ausgedrückt, sie verdoppelt sich durch die identische Replikation vor Zellteilungen in der S-Phase auf 4 c. Die DNS beherbergt Informationen zur Synthese art- und funktionsspezifischer Proteine und ist zur identischen Replikation als Voraussetzung für ihre Mengenkonstanz bei Zellteilungen befähigt. Chromosomen sind die stark kondensierten, mit Proteinen assoziierten DNS-Moleküle des Zellkerns, die morphologisch kurz vor und während der Zellteilung zu beobachten sind (Abb. 3.1). In der G^Phase (s. u.) bestehen sie aus einer, nach identischer Replikation der DNS in der G2-Phase aus zwei Chromatiden. Diese beiden Chromatiden bleiben bis zur Metaphase der Zellteilung über das Zentromer miteinander verbunden. Somit existieren 2 DNS-Zustandsformen: • Die Transportform, in zeitlicher Nähe zu einer Zellteilung, kommt durch Kondensation der DNS-Stränge zu den Chromosomen zustande. Die Chromosomen können nach Länge ihrer Arme und deren Bandenmuster (nach Spezialfarbung) morphologisch klassifiziert werden. • Arbeitsform nennt man den entkondensierten Zustand, die DNS ist nun als Chromatin des Zellkerns darstellbar. Relativ stärker kondensierte, histologisch besser anfárbbare DNS-Abschnitte der Arbeitsform sind im Kern als Heterochromatin (inaktiver Anteil) zu
117
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
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22
Abb. 3.1: Menschlicher Chromosomensatz. Männlicher Karyotyp 46, XY (Karyogramm aus dem Institut für Humangenetik, Universität Erlangen-Nürnberg)
erkennen, während der meist kleinere, entkondensierte Teil das blasse Euchroma/in bildet. Hier findet während der Arbeitsphase der Zelle die Transkription genetischer Information von der DNS auf die RNS (Ribonukleinsäure, engl. RNA) statt.
Chromosomensatz (—> Karyotyp). Die artspezifische Chromosomenzahl beträgt beim Menschen 46: 44 Autosomen + 2 Geschlechtschromosomen (= Gonosomen: X oder Y). Je 2 Autosomen sind zueinander homolog und werden paarweise nummeriert (Abb. 3.1). In Körperzellen wird der weibliche Chromosomensatz mit 46, XX, der männliche mit 46, XY benannt: D> Dieser Chromosomensatz ist diploid: 2n (2 χ 22 Autosomen + 2 x 1 Gonosom). In Keimzellen erfolgen als Vorbereitung zur Befruchtung 2 Reifeteilungen nach nur einer Verdopplung des DNS-Bestandes (Meiose; Kap. 3.3.2, S. 117). Hier liegt nach Abschluss der 2. Reifeteilung jeweils ein einfacher Chromosomensatz vor:
t> Dieser Chromosomensatz ist haploid: In{ 1 χ 22 Autosomen + 1 x 1 Gonosom).
3.3.2 Zellzyklus, Zellteilungen Zellzyklus ist der Lebensablauf einer Zelle bis zur Teilung in 2 Tochterzellen. Zellteilung kann als •
Mitose zur Vermehrung der Zellzahl unter Erhalt der artspezifischen Menge des genetischen Materials oder als • Meiose zur Vorbereitung der Befruchtung unter Halbierung der Menge des genetischen Materials erfolgen. Interphase ist der Zeitraum zwischen 2 Zellteilungen. Nachdem eine Zelle durch Zellteilung aus einer Mutterzelle entstanden ist, befindet sie sich in der
118
•
Gt-Phase (G = engl, gap), die durch intensive RNS- und Proteinsynthese gekennzeichnet ist (Chromosomensatz: 2n, DNS-Menge 2c). • In der S-Phase (S = Synthese) erfolgt die 6 - 8 Std. dauernde DNS-Verdopplung (identische Replikation). Jedes doppelsträngige DNSMolekül wird aufgespalten und beide Einzelstränge durch einen neu synthetisierten wieder zu je einem Doppelstrang vervollständigt. Alle zu Beginn der Mitose erscheinenden Chromosomen bestehen dann aus 2 Chromatiden (= 2 DNS-Moleküle). • G2-Phase nennt man die 4 Std. dauernde Vorbereitung auf eine Zellteilung. Der Chromosomensatz ist unverändert 2n, die DNS-Menge inzwischen verdoppelt: 4c. Es erfolgt die Proteinproduktion für die Chromosomenkondensation. In der G 2 -Phase besteht jedes Chromosom aus 2 Chromatiden, die später auf 2 Tochterzellen verteilt werden. Die homologen Chromosomen bleiben in der Mitose voneinander unabhängig, sie paaren sich nur während der Meiose. Mitose garantiert als konservative Zellteilung die Konstanz des Erbgutes durch den Erhalt von artspezifischer Chromosomenzahl und DNSMenge. Sie erfolgt in 4 Phasen: 1. Prophase: Die DNS bildet ihre Transportform (Chromosomen), die Kernmembran löst sich auf. 2. Metaphase: Aus Mikrotubuli entsteht die Teilungsspindel, in deren Äquatorialregion sich die Chromosomen anordnen. Die beiden Chromatiden eines Chromosoms beginnen, sich längs voneinander zu lösen, bleiben jedoch noch am Zentromer verbunden (X-Form der Chromosomen in Abb. 3.1). 3. Anaphase: Die 2 Chromatiden eines Chromosoms werden nun vollständig getrennt und zu jeweils einem Zellpol transportiert. 4. Telophase·. Die jetzt aus einer Chromatide bestehenden Chromosomen entkondensieren innerhalb der neu entstehenden Kernhülle. Meiose, Reifeteilung (Abb. 3.2), ist eine Voraussetzung für geschlechtliche Vermehrung. Sie hat 1. eine konservative und 2. eine progressive Komponente:
3 Allgemeine Embryologie
1. Durch 2 aufeinanderfolgende Teilungen nach nur einer DNS-Verdopplung wird die Menge des genetischen Materials pro Keimzelle halbiert. Dies ist die Voraussetzung für die artspezifische Mengenkonstanz des Genmaterials als Befruchtungsergebnis. 2. Crossing over und zufällige Verteilung ehemals mütterlicher und väterlicher Chromosomen auf die Gameten sind Grundlagen für Variabilität und Neukombination von Merkmalen in der neuen Generation. DNS-Replikation. Während der Vorbereitung auf die Meiose wird wie vor der Mitose die DNS in den werdenden Keimzellen repliziert. Die 46 Chromosomen enthalten nach Replikation und vor Beginn der Teilungen die doppelte DNS-Menge, also 2 Chromatiden (Chromosomensatz = 2n, DNSGesamtmenge = 4c). Die Meiose erfolgt in 2 Schritten während der Gametogenese: 1. Reifeteilung (= Reduktionsteilung
der Meiose)
In dieser wird die Chromosomenzahl reduziert. Ihre Prophase ist gegenüber der einer Mitose verlängert: • Leptotän: Die Chromosomen werden als Fäden sichtbar. • Zygotän: Von Vater und Mutter stammende homologe Chromosomen legen sich paarweise aneinander (—» conjunction oder Synapsis). • Pachytän: Homologe Chromatiden tauschen DNS-Segmente aus (—> crossing over). Man nimmt an, dass in jedem Homologenpaar mindestens ein solches Rekombinationsereignis stattfindet, oft mehrere. Selbst die nur teilweise homologen X- und Y-Chromosomen sind in der männlichen Meiose obligatorisch einem crossing over in der pseudoautosomalen Region der Geschlechtschromosomen unterworfen. • Diplotän: Homologe und Geschwisterchromatiden trennen sich partiell. Am Zentromer und den Stellen des crossing over bleiben sie zunächst verbunden (—> Chiasma). Jetzt bestehen die 23 Chromosomenkomplexe aus 4 Chromatiden (—> Tetrade). In dieser Phase wird die weitere Teilung beim weiblichen Geschlecht fur viele Jahre unterbrochen (—» Diktyotän, Kap. 3.3.5.2, S. 126).
119
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese) a
1 Reifeteilung Telophase I
Prophase
b
2. Reifeteilung
C
2. Reifeteilung: non-disjunction
Abb. 3.2: Meiose am Beispiel männlicher Keimzellen (modifiziert nach D. Drenckhahn). Stellvertretend für den gesamten Chromosomensatz sind 2 homologe Chromosomen dargestellt (rot, grün), die während des Pachytän DNS-Segmente austauschen (crossing-over). Bei non-disjunction in der 2. Reifeteilung (c) entstehen Keimzellen mit einem über- bzw. unterzähligen Chromosom (gelb)
3 Allgemeine Embryologie
120 •
Diakinese: Auflösung der Kernmembran.
Metaphase: Tetraden positionieren sich am Spindeläquator. Anaphase: Homologe Chromosomen (nicht die am Zentromer zusammenhängenden Chromatiden eines Chromosoms) werden getrennt (—> disjunction). Die ursprünglich mütterlichen und väterlichen Chromosomen werden zufällig auf beide Tochterzellen verteilt. Telophase: In den 2 neu entstehenden Tochterzellen liegen je 23 Chromosomen vor (2 Zellen mit haploidem Satz: 2 χ In). Alle Chromosomen bestehen aus 2 Chromatiden (DNS-Gesamtmenge 2 χ 2c). 2. Reifeteilung (= Àquationsteilung
Abb. 3.3: Down-Syndrom. Muskelhypotonie
Typische
Gesichtsform,
der Meiose)
Sie schließt sich ohne Interphase und DNS-Replikation an und entspricht einer Mitose. In einer Zelle werden jedoch nicht die Chromatiden von 46, sondern nur die der 23 nach der 1. Reifeteilung verbliebenen Chromosomen am Zentromer („äquatorial") halbiert und auf die Tochterzellen verteilt. Deren Chromosomensatz bleibt haploid (4 χ In), die DNS-Menge wird, bezogen auf den Gehalt in Körperzellen, nun halbiert (4 χ le).
3.3.3 Genetische Gametopathien Mutationen sind DNS-Veränderungen und vererbbar, sofern sie Keimzellen betreffen. Sie können 3 Ebenen betreffen: 1. Genom, 2. Chromosom, 3. Gen. Genommutationen (= numerische Chromosomenaberrationen, Aneuploidien) sind quantitative Veränderungen, die Chromosomensatzzahl oder Chromosomenzahl betreffen: •
Chromosomensatz (Polyploidie: 3n, 4n). Befruchten 2 Spermien die Eizelle, führt das zu Triploidien, die für 7 % der Spontanaborte verantwortlich sind. Als Mosaikform (ein Teil der Zellen ist triploid, der andere nicht) können Triploidien lebensfähig sein. • Chromosomenzahl. Über- oder unterzählige Chromosomen kommen durch non-disjunetion zustande, Fehlverteilungen von Chromosomen während der 1. oder 2. Reifeteilung der Meiose (Abb. 3.2 c , Abb. 3.3, 3.4, Tab. 3.1). Während der 1. Reifeteilung werden zwei homologe Chro-
Abb. 3.4: a. Edwards-Syndrom (19. SSW): typische Fingerstellung, Mikrogenie, tiefsitzende, dysplastische Ohrmuschel, Fallot-Tetralogie (Herzfehlbildung), b. Turner-Syndrom (18. SSW): massive generalisierte Ödeme, am stärksten im Nacken: Nackenödem, Nackenhygrom
mosomen nicht voneinander getrennt, sondern wandern gemeinsam zu einem Zellpol. Während der 2. Reifeteilung kann dasselbe mit den beiden Chromatiden eines Chromosoms geschehen {Monosomie/Trisomie: ein unterzähliges bzw. überzähliges Chromosom; Polysomie: mehrere überzählige Chromosomen).
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
Tabelle 3.1: Wichtige
numerische
121
Chromosomenaberrationen
(Häufigkeiten sind auf die Zahl von Lebendgeburten bezogen: LJ = Lebensjahr)
Syndrom
Genotyp
Down (s. Abb. 3.3)
Trisomie 21
Phänotyp
Häufigkeit/Anamnese/ Prognose
Edwards (s. Abb. 3 4 a)
Trisomie 18
Pätau
Trisomie 13
Ullrich-Turner (syn. TurnerSyndrom; s.Abb. 3.4 b)
Monosomie 45. X
Klinefelter
Polysomie 47 XXY seltener 48, XXXY. 49. XXXXY
kraniofazial: u. a. Brachy-, Mikrozephalie. Epikanthus (schräge Lidachsen), tiefsitzende Ohren, relativ große Zunge, breiter Nacken geistig: Retardierung unterschiedlich ausgeprägt, musikalisch, freundlich, motorisch lebhaft Bewegungsapparai: Muskelhypotonie, Bindegewebsschwäche, Vierfingerfurche, Fußdeformitäten (Sandalenlücke: weiter Abstand zw. l . u 2 Zehe), Hüftgelenksdysplasie Herz: Septumdefekte Gastrointestinaltrakt: Duodenalstenose, -atresie, kongenitales Megakolon, Analatresie Infektneigung, vorzeitiges Altern
Mutter 40 Jahre: 1:100 bei gezielter, individueller Förderung: lernfähig, sozial gut integrierbar
intrauterine Wachstumsretardierung kraniofazial: langer u. schmaler Schädel, kleines Gesicht, kleine Augen, kleiner Mund, kleine Ohrmuschel, hoher, dysplastischer Gaumen obere Extremität: typische Beugekontrakturen mit überkreuzten Fingern, Daumenhypoplasie, Syndaktylie untere Extremität: Tintenlöscherfüße, flaches Fußgewölbe innere Organe: Kardiopathien, Nierenanomalien geistig: schwere psychomotorische und mentale Retardierung
1:5000-8000 (steigt mit mütterlichem Alter) 3-4 χ häufiger bei Mädchen
kraniofazial: Mikrozephalus, Iriskolobom, Mikrophthalmie, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Hand: ulnare Polydaktylie innere Organe: Kardiopathien, Zystennieren. Meckel-Divertikel schwere zerebrale Störungen Holoprosenzephalie, mentale Retardierung
1:8000-12000 (steigt mit mütterlichem Alter) Letalität: 90 % im 1. LJ
weiblich
1 3000 (Mehrheit endet als Spontanabort)
kraniofazial: typische Fazies, Pterygium colli, tiefer Nackenhaaransatz Extremitäten: bei Geburt Hand- und Fußrückenödeme Herz: Aortenisthmusstenose, Klappenfehler Niere: Hufeisennieren Minderwuchs, Skelettanomalien Genitalien: Amenorrhoe, genitaler Infantilismus, dysgenetische Keimdrüsen Intelligenz: häufig normal, manchmal psychischer Infantilismus männlich
Hochwuchs, eunuchoide Proportionen, lange Beine verzögerter Epiphysenschluss Genitalien: Hodenhypoplasie, Azoo- oder Oligozoospermie, Infertilität, Gynäkomastie Intelligenz: normal oder mäßig retardiert
Letalität 9 0 % im 1. LJ
2:1000
122
3 Allgemeine Embryologie
Chromosomenmutationen (= strukturelle Chromosomenaberrationen) entstehen durch Chromosomenbruch, Wiedervereinigung freier Bruchenden oder ungleiches crossing over in der Meiose: •
• • • •
Deletionen, Bruchstückverluste (Beispiel: partieller Verlust des kurzen Arms an Chromosom 5 —» Cri-du-Chat-[Katzenschrei-]Syndrom; Abb. 3.5), Duplikationen, Verdopplungen von Chromosomensegmenten, Inversionen, Drehungen von Chromosomensegmenten, Ringchromosomen, Fusionen zwischen langen und kurzen Armen von Chromosomen, Translokationen, Verlagerungen von Chromosomenabschnitten zwischen verschiedenen Chromosomen. Letztere können balanciert und damit ohne Konsequenz für den Träger oder unbalanciert sein.
Genmutationen sind Veränderungen innerhalb eines Gens, ζ. B. Punktmutation des Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptors mit nur einem Basenaustausch bei hondroplasie.
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Abb. 3.5: a. Partieller Karyotyp, Cri-du-chat-Syndrom, 5p-Deletion (links das normale Chromosom 5, Pfeil rechts deutet auf Deletion am kurzen Arm; Institut für Humangenetik, Universität Erlangen-Nürnberg), b. Cridu-chat-Syndrom: weiter Augenabstand, antimongoloide Lidachse, Mikrozephalie; Symptome im einzelnen unspezifisch, Gesamteindruck jedoch typisch
3.3.4
Progenese im männlichen Geschlecht 3.3.4.1 Primäre Geschlechtsdrüse: Hoden, Testis Männliche Keimzellen entwickeln sich in den Samenkanälchen, Tubuli seminiferi contorti, des Hodens (Kap. 13.6.4.1, S. 1084). Hilfsstrukturen sind Leydig- und Sertoli-Zellen. Leydig-Zellen liegen im Bindegewebe zwischen den Hodenkanälchen, sie produzieren unter LHEinfluss (luteinisierendes Hormon der Adenohypophyse; Kap. 3.3.5.3, S. 153) das männliche Geschlechtshormon Testosteron. Dieses • stimuliert die Keimzellentwicklung unter Zwischenschaltung der Sertoli-Zellen und • sorgt für die Ausbildung und Aufrechterhaltung sekundärer männlicher Geschlechtsmerkmale. Sertoli-Zellen sitzen der Basalmembran der Hodenkanälchen auf und produzieren unter FSH-Einfluss (follikelstimulierendes Hormon der Adenohypophyse; Kap. 3.3.5.3, S. 153) androgenbindendes Protein (ABP). Ihre Aufgaben sind: • Bildung der Blut-Hoden-Schranke: Während ihre apikalen Zellpole das Lumen der Hodenkanälchen erreichen, sind seitliche Fortsätze untereinander durch tight junctions verbunden. So entsteht eine im Querschnittsbild konzentrische Barriere, die innerhalb des Keimepithels ein luminales Kompartiment, dessen Milieu wie das des Lumens selbst durch die Sertoli-Zellen geprägt wird, von einem basalen Kompartiment, das von den umliegenden Kapillaren aus für Blutinhaltsstoffe direkt erreichbar ist, trennt. • Stütz- und Transportfunktion für die sich entwickelnden Keimzellen, • Stofftransport von der Basalmembran zum Lumen, • Ernährung der Keimzellen, • Vermittlung der Testosteronwirkung an die Keimzellen durch Bindung des Hormons an ABP und Sekretion dieses Komplexes in das Lumen der Samenkanälchen, • Phagozytose der Residualkörper während der Spermiogenese und • Schutz vor Autoimmunreaktionen gegen Oberflächenmerkmale der Spermatozyten.
123
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
3.3.4.2 Samenbildung, Spermatogenese, Spermiogenese, Spermien Spermatogenese heißt die männliche Keimzellentwicklung im Epithel der Hodenkanälchen von der Urkeimzelle zum reifen Spermium (Spermatozoon) in 4 Phasen: 1. Vermehrung, 2. Wachstum, 3. Reifung, 4. Differenzierung. Die Differenzierungsphase wird Spermiogenese (Spermiohistogenese) genannt. Fetalzeit, Kindheit. In den Hodenanlagen vermehren sich die aus der Dottersackwand eingewanderten Urkeimzellen (Keimbahn, Kap. 3.3, S. 115) embryonal, fetal und präpuberal mitotisch (Vermehrungsphase). Sie sitzen als Spermatogonien A im basalen Kompartiment der Hodenkanälchen zwischen Sertoli-Zellen. Durch proliferative Mitosen entstehen Zellen, die wegen unvollständiger Durchtrennung ihrer Zellleiber über Zytoplasmabrücken zusammenhängen und Zellklone bilden. Diese Klone bedingen bis einschließlich der Reifungsphase eine synchrone Entwicklung hunderter miteinander verbundener Keimzellen. Pubertät. Differenzielle Mitosen lassen nach hormoneller Stimulation mit Beginn der Pubertät neben den im basalen Kompartiment verbleibenden Spermatogonien A entstehen: •
Spermatogonien B, die durch Verlagerung in das luminale Kompartiment der Hodenkanälchen den Kontakt zur Basalmembran verlieren. Sie vergrößern sich (Wachstumsphase) zu • primären Spermatozyten (Spermatozyten I: Chromosomensatz 2n, DNS-Menge 2c). Diese verdoppeln ihren DNS-Bestand (2n, 4c) und treten in die Meiose ein (Reifungsphase). Nach der 1. Reifeteilung einer Spermatozyte I liegen je • 2 sekundäre Spermatozyten (2 Spermatozyten II: 2 χ In, 2 χ 2c) vor, aus deren 2. Reifeteilung jeweils • 4 Spermatiden (4 χ In, 4 χ le) hervorgehen. Zwei von ihnen haben den Karyotyp 23, X, die beiden anderen 23, Y. Spermiogenese ist die Differenzierung der postmeiotischen Spermatide zum Spermium (Abb. 3.6) durch
•
•
•
• •
extreme Kondensation der Chromosomen zu groben Granula im Zellkern, so dass dieser nach Kontrastierung im Elektronenmikroskop mit Ausnahme weniger Vakuolen schwarz (= elektronendicht) erscheint, Bildung der Akrosomkappe, die sich zunächst als Lysosom aus dem Golgi-Apparat abschnürt und dann auf den vorderen Zellkernpol stülpt (enthält Enzyme für die Befruchtung), Mittelstück-Bildung, in dem sich die Mitochondrien unter der Zellmembran spiralig anordnen und dabei den proximalen Teil des sich bildenden Schwanzfadens umgeben, der aus dem distalen Zentriol auswächst und Abstoßen der Zytoplasmahrücken als sog. Residualkörper. Hiermit endet die synchrone Reifung und Differenzierung der aus einer Spermatogonie hervorgegangenen Spermatiden innerhalb von Zellklonen.
Spermatogenesewellen nennt man das geometrische Muster aufeinander folgender Keimzellstadien innerhalb des Samenkanälchenepithels. Mit histologischen Serienschnitten längs der Samenkanälchen lassen sich diese Entwicklungsstadien in einander überlappenden Spiralen, jeweils basal beginnend und luminal endend, verfolgen. Spermiatio. Nach der Differenzierung werden die Spermien aus dem Keimepithel der Samenkanälchen ins Lumen abgegeben (Spermiatio) und passiv mit der hier produzierten Flüssigkeit in den Nebenhoden, Epididymis, transportiert. Obwohl morphologisch weitgehend ausgereift sind diese „Hodenspermien" nur bedingt befruchtungsfahig. Die weitere Reifung erfolgt im Nebenhodengang, der auch Samenspeicher ist, sowie letztlich im weiblichen Genitaltrakt durch die Kapazitation (Abb. 3.6 b, c, d, Kap. 3.4.1.1, S. 131 ). Im Nebenhodenschwanz, wo die Spermien schon bewegungsfähig sind, werden sie durch einen leicht sauren pH-Wert immobil gehalten (—> Säurestarre). Spermien (Abb. 3.6) sind 60 μπι lang und bestehen aus Kopf, Hals und Schwanz (Axonema), der wiederum in Mittel-, Haupt- und Endstück unterteilt wird.
Abb.3.6: a. Spermium. S c h e m a mit Querschnitten), b - d . Spermienkopf während der Befruchtung: nach der Akrosomreaktion (s. Kap. 3.4.1.1) erhalten die akrosomaien Enzyme Kontakt mit der U m g e b u n g der Eizelle, e - i . Morphologisch abnorme Spermien
125
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
• • •
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Der Kopf (4 μιτι lang) enthält Kern und Akrosomkappe und ist abgeplattet. Im Hals liegt quer zur Längsachse des Spermiums das proximale Zentriol. Das distale, rechtwinklig zum vorigen platzierte Zentriol ist der Ursprung des den Schwanzfaden bildenden Mikrotubulusbündels mit typischer 9 x 2 + 2-Anordnung. Das Mittelstück ist der proximale Teil des Schwanzfadens, in dem die Mikrotubuli spiralig von Mitochondrien umgeben sind. Eine außen am Mikrotubulusbündel anliegende elektronendichte Ringfaserscheide und Längsfasern unterscheiden das Hauptstück vom Endstück, in dem die geordnete Mikrotubulusstruktur verloren geht.
Entwicklungsdauer. Von der Spermatogonie bis zur Spermiatio der reifen Spermatiden vergehen 75 Tage, der Transport durch den Nebenhodengang erfordert weitere 10-15 Tage, insgesamt vergehen also 3 Monate. Der Keimzellverlust liegt bei 35%.
3.3.4.3 Sekundäre (akzessorische) Geschlechtsdrüsen, Sperma Vier sekundäre Geschlechtsdrüsen (Kap. 13.6.4.4, S. 1088) bestimmen die Zusammensetzung des Spermas und beeinflussen so die Befruchtungsfáhigkeit: 1. Prostata, 2. Bläschen, 3. Bulbourethral-, 4. Urethraldrüsen. Sperma, Ejakulat, entsteht bei der Ejakulation (lat. eiaculari = herauswerfen). Die im Nebenhoden gespeicherten Spermien werden während des Orgasmus durch Muskelkontraktionen des Ductus deferens harnröhrenwärts transportiert und mit den Sekreten der sekundären Geschlechtsdrüsen zum Sperma vermischt. Dieses besteht aus folgenden Fraktionen: • das alkalische Vorsekret der Bulbourethral- und Urethraldrüsen enthält wenige Spermien, • die erste Fraktion entstammt der Prostata (pH leicht sauer, wenige Spermien), • die mittlere Fraktion enthält die meisten Spermien mit Sekreten von Nebenhoden und Ampulle des Ductus deferens, • die Endfraktion aus den Bläschendrüsen hat einen alkalischen pH-Wert.
Der Spermienvolumenanteil liegt bei 3 - 5 %, der resultierende pH-Wert ist leicht alkalisch (7,2-7,8), was die Spermien aus ihrer Säurestarre befreit. Fruktose ist erster Energielieferant für die aktiv beweglichen Spermien, die durch peitschenschlagartige Bewegungen ihres Schwanzes gegen einen Flüssigkeitsstrom zu schwimmen imstande sind. Klinik: 1. Spermiogramm, Sperma-Untersuchung: Das nach 3-5tägiger Karenz durch Masturbation gewonnenen Ejakulat wird auf Zeugungsfähigkeit beurteilt: Aspekt (gelblichgrau, trüb), Geruch (kastanienblütenartig), pH (7,0-7,8), Verflüssigungszeit (10-20 Min.), Ejakulatvolumen (Normosemie bei 2 - 6 ml), Spermiendichte (Spermienanzahl pro ml: Normozoospermie bei > 20 Mio. Spermien/ml), Spermienmotilität (Normokinospermie bei > 50 % beweglicher Spermien), Fehlformenrate (Normomorphospermie bei < 70 % abnorm geformter Spermien), Spermienbeweglichkeit 30 und 120 Min. nach Ejakulation, FruktoseZitratgehalt. 2. Hodenbiopsie: beidseitige Entnahme einer Gewebeprobe durch Punktion mit einer Hohlnadel. Bei Azoospermie (Fehlen reifer Spermien im Sperma) und Oligozoospermie (verminderte Spermiendichte im Sperma) angezeigt.
3.3.5
Progenese im weiblichen Geschlecht
3.3.5.1 Primäre Geschlechtsdrüse: Eierstock, Ovar Oogenese, die weibliche Keimzellbildung, erfolgt im Eierstock (Ovar) in 3 Phasen (1. Vermehrung, 2. Reifung, 3. Wachstum) und 2 Ruhestadien. Im Gegensatz zum Hoden, durch dessen Samenkanälchen die dort gebildeten Keimzellen abtransportiert werden, ist das Ovar ein solides Organ. Das Kompartiment, in dem die weibliche Keimzellentwicklung erfolgt, wird mit jeder reifenden Eizelle durch die Follikulogenese neu aufgebaut. Tabelle 3.2 fuhrt weitere Unterschiede zur Spermatogenese auf.
126 Tabelle 3.2: Spermiogenese
3 Allgemeine Embryologie
und Oogenese im Vergleich
Kriterium
Spermatogenese
Oogenese
Kompartiment der Keimzellbildung
das von den Sertoli-Zellen abgegrenzte luminale Kompartiment der Samenkanälchen Spermiatio: aus dem Epithelverband in das Lumen der Hodenkanälchen kontinuierlich, in Spermatogenesewellen
das von einer Basalmembran umgrenzte Follikelepithel
Keimzellfreisetzung
Dynamik der Keimzellbildung Ergebnis der Keimzellreifung
1 Spermatozyte I —> 4 befruchtungsfähige Spermien
Ovulation: aus dem Follikel durch die Ovaroberfläche in den Bauchfellhöhlenspalt periodisch, alle 28 Tage 1 Oozyte I -> 1 befruchtungsfähige Eizelle
haploid (1 n, 1c): 23, X oder Y Chromosomaler Status der befruchtungsfähigen Keimzelle
haploid (1n, 2c): 23 X; während der Befruchtung Vollendung der 2. Reifeteilung und Reduktion auf 1c
Beginn der Keimzellreifung
Pubertät
Fetalzeit
Dauer der Keimzellbildung
3 Monate
10 bis 50 Jahre
bis ins hohe Alter möglich
Menopause
ab Beginn der Reifeteilung Ende der Keimzellbildung
3.3.5.2 Oogenese, Follikulogenese, Ovulation Fetalzeit, Kindheit, 1. Ruhestadium. Nach der Einwanderung von Urkeimzellen aus der Dottersackwand in die Ovarialanlage (Keimbahn, Kap. 3.3, S. 115) während der 5. EW steigt durch proliferative Mitosen die Zahl der nun Oogonien genannten Zellen bis zur 20. SSW auf 5 - 6 Mio. (Vermehrungsphase), von denen die meisten bis zur Geburt zugrunde gehen. Die 1-2 Mio. verbleibenden Oogonien treten in der 11 -39. SSW nach Verdopplung der DNS in die Prophase der 1. Reifeteilung (Beginn der Reifungsphase) ein, in deren Diktyotän-Stadium sie für ein bis mehrere Jahrzehnte verharren. Die Oogonien hatten sich zuvor aus Zellklonen abgetrennt, die ähnlich wie bei der Spermatogenese aus unvollständigen Zytoplasmadurchtrennungen nach Mitosen resultierten. Sie werden jetzt • primäre Oozyten (Oozyten I: Chromosomensatz 2n, DNS-Menge 4c) genannt. Schon jetzt beginnt auch die Wachstumsphase der Oozyten, die eine rege RNS-Synthese zeigen. • Primordialfollikel (Abb. 3.7 a). Nach Eintritt in die Prophase der 1. Reifeteilung setzt die
Follikulogenese ein: lokale Bindegewebszellen umlagern die Oozyte. Sie bilden als Follikelepithelzellen eine flache, geschlossene Schicht und bewirken durch die Produktion einer die Meiose inhibierenden Substanz {MIS) das 1. Ruhestadium der Meiose. Außerhalb der den Komplex umgebenden Basalmembran entsteht aus dem umliegenden Bindegewebe die Theca folliculi, die sich später in eine zeli- und gefäßreiche Theca interna (Hormonproduktion) sowie eine faserreiche Theca externa differenziert. Durch weitere Abnahme ihrer Zahl ab dem letzten Schwangerschaftsdrittel überleben 400000 Primordialfollikel in beiden Ovarien bis zur Pubertät, von denen nur 400-500 zwischen Menarche und Menopause befruchtungsfahig werden. Das 1. Ruhestadium der Oogenese ist der Zeitraum vom pränatalen Eintritt der Oozyten I in das Diktyotän bis zur Fortführung der 1. Reifeteilung zwischen Pubertät und Menopause (nach 10-50 Jahren!). In der Kindheit entwickeln sich monatlich (Kap. 3.3.3, S. 120) 10-15 Primordialfollikel in beiden Ovarien weiter, die jedoch im Stadium des Sekundärfollikels (s. u.) wegen fehlender FSH-Stimulation zugrunde gehen.
127
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
Primordialfollikel
Primärfolltkel
Sekundärfollikel
Theca
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Follikelepithel
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Oozyte I
Graaf-Follikel
Tertiärfollikel
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Cumulus oophorus mit Oozyte II
Fol like lepri heize lien
Graaf-Follikel
Ovulation
w Oozyte II
Abb. 3.7: a. Follikulogenese. Die Ausschnittsvergrößerung zeigt die durch die Zona pellucida penetrierenden Fortsätze der Follikelepithelzellen, b. Ovulation. Vor dem Eisprung beginnt mit dem Ablösen des Cumulus-Oozyten-Komplexes und der Vaskularisation der Follikelepithelschicht im sprungreifen Graaf-Follikel die Umwandlung von Follikel- und Thekazellschichten zum Corpus luteum (braun)
128 Pubertät. Das nun zyklisch von der Hypophyse sezernierte FSH (Kap. 3.3.5.3) induziert monatlich die weitere Follikelentwicklung bis zum sprungreifen Graaf-Follikel (Abb. 3.7 a, 3.8): •
Primärfoltikel haben ein einschichtiges, kubisches Follikelepithel, die Oozyten nehmen an Größe zu. • Sekundärfollikel besitzen nach Proliferation der Follikelzellen ein mehrschichtiges Epithel. In der Oozyte sammeln sich Kortikalgranula aus dem Golgi-Apparat, deren Enzyme die Befruchtung mit mehr als einem Spermium verhindern (kortikale Reaktion, Kap. 3.4.1.1, S. 131). Zwischen Oozyte und der innersten Follikelzellreihe entsteht die glykoproteinreiche Zona pellucida, die von Fortsätzen der Follikelzellen durchzogen wird. Diese stehen über gap junctions mit der Oozytenmembran in Kontakt (Abb. 3.7 a, vergrößerter Ausschnitt) und hemmen durch M IS-Abgabe die Meiose. Die Interzellularräume zwischen den Follikelzellen der Sekundärfollikel erweitern sich und fließen zusammen. • Tertiärfollikel besitzen eine flüssigkeitsgefüllte Follikelhöhle. Eine Follikelzellanhäufung an der Innenfläche des umgrenzenden Follikelepithels ist der Eihiigel (Cumulus oophorus). Dessen Zellen umschließen als Corona radiata die primäre Oozyte. FSH bewirkt die Differenzierung der Follikelzellen zu progesteronproduzierenden Granulosazellen. Der systemische Progesteron-Effekt bleibt wegen der fehlenden Vaskularisation dieser Zellschicht zunächst gering.
Graaf-Follikel, 2. Ruhestadium. Einer der an Durchmesser zunehmenden Tertiärfollikel wird dominant, die anderen gehen zugrunde. •
Graaf-Follikel wird der reife Tertiärfollikel genannt, dessen Oozyte I die 1. Reifeteilung fortführt (Ende des 1. Ruhestadiums). Voraussetzung hierfür ist die durch den LH-Gipfel (Kap. 3.3.5.3, S. 153) bewirkte Entkopplung des Kontaktes zwischen Follikelzellen des Kumulus und Oozyte I, wodurch die Meiosehemmung entfällt. • Sekundäre Oozyte (Oozyte II). Nach Beendigung der Teilung liegen eine Oozyte II mit dem gesamten Zytoplasma der Mutterzelle und ein Polkörperchen vor. Beide Zellen haben einen haploiden Chromosomensatz (In: 23, X; DNS-
3 Allgemeine Embryologie
Menge 2c). Die Oozyte II beginnt umgehend die 2. Reifeteilung bis zu deren Metaphase. Die Chromosomen liegen am Äquator der Meiosespindel, an deren Polen im Zentrum des Mikrotubulus-Organisationszentrums keine Zentriolen nachweisbar sind. Dieses 2. Ruhestadium wird einige Stunden vor der Ovulation erreicht und nur im Fall einer Befruchtung überwunden. Alle anderen Tertiärfollikel samt zugehöriger Oozyte I unterliegen wie die in früheren Stadien zugrunde gegangenen Follikel einer Follikelatresie, die durch Apoptose der Granulosazellen und S c h r u m p f u n g der Oozyte eingeleitet wird.
Klinik: Das lange 1. Ruhestadium der Meiose (Fetalzeit bis Reifung im Graaf-Follikel) wird für vermehrte numerische Chromosomenaberrationen (Tab. 3.1) und Chromosomenbrüche bei Müttern im 5. Lebensjahrzehnt verantwortlich gemacht. Die Einwirkungswahrscheinlichkeit von Störfaktoren auf die Meiose steigt offensichtlich mit deren Dauer.
Ovulation (Abb. 3.7 b). Der sprungbereite GraafFollikel (Durchmesser des Follikel: 2 cm, Durchmesser der Oozyte II: 120-150 μπι) befindet sich unter der Oberfläche der Tunica albugínea des Ovars, dessen Oberfläche er vorwölbt (Stigma folHculare). Die Follikelwand samt anliegender Ovaroberfläche wird durch Granulosazellenzyme zersetzt. Durch diesen Defekt wird der jetzt häufig schon frei in der Follikelhöhle schwimmende Corona radiata-Oozyten-Komplex herausgespült {Eisprung, Ovulation) und durch die Fimbrien der Tuba uterina in deren Ostium abdominale gelenkt (Abb. 3.9). Die „Treffsicherheit" dieses Prozesses wird u.a. durch die Ligg. suspensorium ovarii und ovarii proprium (mit glatter Muskulatur) gewährleistet, die abdominales Tubenende und Ovar gegeneinander bewegen können. Das fimbrienbesetzte Tubenende stülpt sich dabei über den Ort der durch den Eisprung ausgelösten „physiologischen Entzündung" auf der Ovaroberfläche (Stigma), so dass die Eizelle mit ihrer Umgebung direkt in das Tubenostium gelangen kann. Gelbkörper, Corpus luteum (Abb. 3.7, 8, 10). Die im Ovar verbleibende Follikelwand ist eine zeitweilige Hormondrüse (Corpus luteum menstruationis).
3.3 Gametogenese (Proontogenese, Progenese)
Die Granulosaschicht wird von der Theca interna aus durch die löchrig werdende Basalmembran vaskularisiert, so dass das hier gebildete Progesteron in den Blutkreislauf gelangt. Follikelzellen (jetzt: Granulosazellen) und Thekazellen speichern Lipide und werden zu Granulosalutein- bzw. Thekaluteinzellen. Schicksal des Gelbkörpers: •
bei Befruchtung: Weiterentwicklung zum Corpus luteum graviditatis dank HCG-Stimulation durch den Keimling (Kap. 3.4.2, S. 136),
129
•
ohne Befruchtung: Degeneration zum Corpus albicans.
3 . 3 . 5 . 3 H o r m o n e , Zyklus Hormone (Abb. 3.8). Zyklische Oogenese und Follikulogenese werden durch Hormondrüsen gesteuert, die untereinander rückgekoppelt sind: Hypothalamuskerne, Adenohypophyse, Follikel, Corpus luteum.
Progesteron
IH HCG
Östrogen
FSH
Abb. 3.8: Li. Zyklus des weiblichen Genitaltraktes), re. nach Befruchtung und anschließender Implantation eines Keims. Unten: Menstruationszyklus des Endometriums (Menstruation, Proliferation, Sekretion), Mitte: Follikulogenese, Ovulation, Gelbkörperentwicklung. Oben: Schwankungen einiger Hormonspiegel, deren Hauptwirkungsphasen sind farblich hervorgehoben: FSH stimuliert die Follikelreifung (blau), Östrogene die Proliferation des Endometriums (grün), LH-Gipfel führt zur Ovulation (rot), das biologisch gleichwertige Trophoblasten-HCG des Trophoblast bewirkt nach Befruchtung die Bildung des Corpus luteum menstruationis (rot gestrichelt), dessen dauerhafte Progesteron-Produktion sorgt für die Aufrechterhaltung des Sekretionszustandes der Funktionalis (braun), der nicht durch eine Menstruation beendet wird
130
•
•
•
•
•
GnRH (gonadotropin releasing hormone), ein hypothalamisches Steuerhormon, gelangt über das Hypophysen-Pfortadersystem zur Adenohypophyse und stimuliert die Freisetzung der Gonadotropine FSH und LH. FSH (follikelstimulierendes Hormon) stimuliert das Granulosazellwachstum im späten Sekundär- und Tertiärfollikel, im männlichen Geschlecht die Sertoli-Zellen (Kap. 3.3.4.1, S. 122). LH (luteinisierendes Hormon) zeigt in der Mitte des Zyklus den LH-Gipfel (LH-Peak), der durch positiven Feedback als Antwort auf steigende Ostradiolwerte im Blut zustande kommt und die Ovulation auslöst. Im männlichen Geschlecht stimuliert es die Testosteron-Produktion der Leydig-Zellen (Kap. 3.3.4.1, S. 122). Östrogene (v. a. Östradiol) werden aus der Theca interna des Follikels freigesetzt und bewirken die Proliferation der Uterusschleimhaut während der 1. Zyklushälfte. Progesteron wird von Granulosazellen des Tertiärfollikels und später deren Nachfolgern, den Granulosaluteinzellen des Corpus luteum, produziert. Es gelangt nach der postovulatorischen Vaskularisierung dieser Zellschicht in den Kreislauf und bewirkt die Sekretionsphase der Uterusschleimhaut während der 2. Zyklushälfte. Ohne hormonelle Stimulation durch den Synzytiotrophoblasten (HCG, Kap. 3.4.2, S. 136) eines sich in das Uterus-Endometrium implantierenden Keimes sinkt der Progesteronspiegel im Blut und das Corpus luteum menstruationis degeneriert zum Corpus albicans.
Menstruationszyklus (Abb. 3.8). Die zyklische Vorbereitung der Genitalorgane auf eine Schwangerschaft wird hormonal gesteuert. Synchron erfolgen alle 28 Tage • die Bereitstellung befruchtungsfáhiger Eizellen (Kap. 3.3.5.2, S. 126) und • die Vorbereitung der Schleimhäute auf Spermienaszension und Implantation. Nach den augenfälligen Veränderungen der Uterusschleimhaut (Endometrium) werden 4 Phasen unterschieden: 1. Die Proliferationsphase (Follikelphase) beginnt unmittelbar nach der Monatsblutung (Menstruation) und dauert bis zur Ovulation. Vom Stratum basale (Basalis) des Endometriums aus erfolgt
3 Allgemeine Embryologie
die östrogeninduzierte Regeneration des Stratum functionale (Funktionalis). 2. Die Sekretionsphase (Lutealphase) wird nach der Ovulation durch ansteigendes Progesteron induziert. Erweiterte Drüsenschläuche und hoher Glykogengehalt von Epithel- und Bindegewebezellen (letztere = Pseudodeziduazellen) kennzeichnen die Funktionalis des Endometriums, die jetzt aus oberflächlicher Zona compacta und tiefer, von Drüsenschläuchen durchsetzter Zona spongiosa besteht. Pseudodeziduareaktion nennt man diese allmonatliche Transformation der Funktionalis in der Sekretionsphase, sie wird im Fall einer Keimesentwicklung durch den embryomaternalen Dialog (Kap. 3.4.2, S. 136) zur Deziduareaktion gesteigert.
3. Die Ischämiephase folgt bei ausgebliebener Befruchtung, der fallende Progesteronspiegel bewirkt eine Kontraktion der Arterien. 4. In der Desquamationsphase wird die Funktionalis abgestoßen (Menstruationsblutung). Die Länge der Proliferationsphase beeinflusst die Gesamtdauer des Zyklus, da die Ovulation schon nach weniger oder auch mehr als 14 Tagen erfolgen kann. Die Länge der Sekretionsphase schwankt nur unerheblich um 14 Tage. Die präovulatorische Zyklushälfte (Desquamations· und Proliferationsphase) beginnt mit dem 1. Tag der Menstruation, sie ist gekennzeichnet durch Follikulogenese und Proliferation des Endometriums. Diepostovulatorische Zyklushälfte (Sekretions- und Ischämiephase) wird durch die Hormonproduktion des Corpus luteum und Endometriumsekretion geprägt.
3.3.6
Schwangerschaftsverhütung, Kontrazeption
Kontrazeption (Tab. 3.3) verhindert die Befruchtung oder die Einnistung eines befruchteten Keimes in die Gebärmutterschleimhaut. Etabliert sind •
natürliche Methoden (z. B. Coitus interruptus, Kalendermethode), • mechanische Methoden, die die Spermienaszension behindern (z. B. Kondom), oder die Einnistung eines befruchteten Keims erschweren (Intrauterinpessar), • chemische Methoden, die die Überlebensfähigkeit der Spermien herabsetzen (Spermizide),
131
3.4 Blastogenese
•
hormonelle Methoden durch 1. Ovulationshemmung oder 2. Nidationshemmung (ζ. B. durch die Postkoitalpille als Notfallmaßnahme: deren hoher Östrogengehalt blockiert den Sekretionszustand des Endometriums und verhindert so die Einnistung, Nidation eines Keimes) und • operative Methoden, Durchtrennung von Eibzw. Samenleiter.
Der Pearl-Index ist ein Beurteilungsmaß für die Zuverlässigkeit der Kontrazeption, er nennt die Zahl der ungewollten Schwangerschaften bei Anwendung einer Verhütungsmethode durch 100 Frauen bzw. Paare während eines Jahres (= Zahl der ungewollten Schwangerschaften auf 1200 Anwendungsmonate). Je höher der Index, um so unsicherer die Verhütungsmethode (Tab. 3.3).
Tabelle 3.3: Methoden der Kontrazeption (Pearl-Index in Klammern) Wirkungsweise
männlicher Partner
weibliche Partnerin
natürlich
Coitus interruptus (10-25)
mechanisch/ chemisch
Kondom (3-7)
Temperaturmethode (1-3) Kalendermethode (1-10) Mittelschmerz-, Zervikalschleimbeobachtung (1-30) Intrauterinpessar (0,3-6) vaginale Barriere (2-6) Spermizide (5)
hormonal
mit Ovulationshemmung • • • •
(0,03-3)
Einphasenpille Zweiphasenpille Zweistufenpille Dreistufenpille
• parenteral (Depotinjektion) (0.3-3,6) ohne
Ovulationshemmung
• Minipille (0,3-3) operativ
3.4
Vasoresektion (< 1)
Blastogenese
Lernziele: Befruchtung, Zygote, Morula, Blastozyste, Trophoblast, Embryoblast, Implantation, Nidation, Keimblätter, zweiblättrige Keimscheibe
3.4.1
Tubensterilisation (< 1)
Erste Entwicklungswoche (1. EW): Befruchtung, Tubentransport
In der nur 6 Tage dauernden 1. EW erfolgen • die Befruchtung • die Entwicklung des Keimlings von der Zygote über das Morula-Stadium zur Blastozyste und • der synchron hierzu ablaufende Transport des Keimlings durch die Tuba uterina in das Uteruslumen, wo die Einnistung (Implantation, Nida-
tion) am 5.-6. ET mit dem Kontakt zwischen Keim und Endometrium beginnt.
3.4.1.1 Befruchtung, Fertilisation Die Befruchtung legt die genetischen Grundlagen für ein neues Lebewesen, sie setzt sich aus 4 aufeinanderfolgenden Prozessen zusammen: •
Konzeption, Empfängnis, ist der zur Imprägnation fuhrende Koitus, • Spermienaszension ist der Aufstieg der Spermien im weiblichen Genitaltrakt, • Imprägnation nennt man das Eindringen des Spermiums in die Eizelle, hierdurch entsteht die Zygote,
132
•
3 Allgemeine Embryologie
Konjugation ist die Anordnung der männlichen und weiblichen Chromosomen in der Äquatorialebene der ersten gemeinsamen Mitosespindel.
Klinik: Konzeptionsoptimum bezeichnet den Zeitraum der höchsten Befruchtungswahrscheinlichkeit, er wird begrenzt durch 1. den Termin des Eisprungs und 2. die Dauer der Befruchtungsfähigkeit von Eizelle (wenige Stunden) und Spermien ( Blastomeren) besteht. 30 Std. nach Vorkernbildung hat die Zygote ihre erste Mitose mit dem 2-Zell-Stadium beendet (Abb. 3.9). Weitere proliferative Mitosen (—» Furchungsteilungen; Abb. 3.10) folgen zügig, jedoch nicht synchron, so dass zwischen den rechnerischen 2X(4-, 8- und 16-) Zell-Stadien z. B. auch ein 3-ZellStadium angetroffen werden kann. Die Tochterzellen der Furchungsteilungen haben jeweils nur das halbe Volumen der Mutterzellen, sie erreichen so nach wenigen Teilungsschritten die Größe durchschnittlicher Somazellen. Die Zona pellucida gibt als „Korsett" das Gesamtvolumen (Innendurchmesser 150 μπι) vor. Die Blastomeren der ersten Teilungsschritte sind omnipotent, eine menschliche Blastomere des 3-Zell-Stadiums kann sich noch zu einem vollständigen Individuum entwickeln.
Kompaktion ist ein Differenzierungsschritt ab dem 16-Zell-Stadium, bei dem sich Zellkontakte zwischen den Blastomeren ausbilden. Die Morula, zunächst eine Summe undifferenzierter Einzelzellen, entwickelt sich zu einem Zellkomplex, der als ganzes eine äußere, zur Zona pellucida gerichtete Oberfläche ausbildet. Demzufolge sind auch die Blastomeren polarisiert: • der äußere Zellpol ist jeweils zur Zona pellucida gerichtet • der innere Zellpol hat Kontakte zu benachbarten Blastomeren. Durch differenzielle Mitosen mit tangentialer Teilungsebene (bezogen auf die Außenfläche der Morula) entstehen aus polarisierten Blastomeren äußere und innere Tochterzellen, die ihre Omnipotenz verloren haben: • aus den inneren Zellen entsteht das Individuum (Embryoblast). • die äußeren Zellen liefern den embryonalen Anteil der Fruchthüllen und der Plazenta (Trophoblast).
135
3.4 Blastogenese
4-Zellstad¡um
Morula
ι sI
Darmschlinge
Zona pellucida
I I
r Blastozyste
Befruchtungsort
Uterus
Abb. 3.10: Tubenwanderung des Keimlings (Pfeile), Implantationsbeginn. Nach 4 - 5 Tagen erreicht der Keim das Uteruslumen, wo er als Blastozyste (dunkelrot: Trophoblast) der Zona pellucida entschlüpft und mit dem Kontakt zwischen Trophoblast und Uterusepithel die Implantation beginnt (grün: physiologischer Implantationsbereich, rote Punkte: atypische (heterotope) Implantationsorte; Douglas-Raum als extrauteriner Implantationsort ist nicht dargestellt)
3.4.1.3 Blasenkeim, Blastozyste Die Interzellularräume zwischen den zueinander weisenden Oberflächen der Blastomeren erweitern sich und konfluieren, so dass eine Höhle entsteht: aus der Morula wird die Blastozyste (Abb. 3.10). Sie besteht aus dem •
Trophoblast, den äußeren Zellen, die als epithelialer Verband die Blastozystenhöhle umgeben, und dem
• Embryoblast, den inneren Zellen, die als Anhäufung an einer Stelle der Innenfläche der Trophoblastschicht zu finden sind (Abb. 3.10, 12 a). Dieser Gesamtkomplex wird mit dem epithelnahen, uteruswärts gerichteten Sekretstrom durch die Tuba uterina transportiert und erreicht nach 3^4- Tagen das Uteruslumen. Hier entschlüpft die Blastozyste der sich auflösenden Zona pellucida. Durch Flüssigkeitsaufnahme in die Blastozystenhöhle verdoppelt sich der Durchmesser des Gesamtkomplexes zwischenzeitlich auf 250 μιτι. Das Endometrium befin-
136
3 Allgemeine Embryologie
det sich in der Sekretionsphase. Mit der Anheftung des Trophoblast an das Endometriumepithel, bei der der Embryoblast am Pol der Anheftungsstelle liegt, beginnt die Implantation am 5.-6. ET.
3.4.2
Zweite Entwicklungswoche (2. EW): Implantation, zweiblättrige Keimscheibe
In der 6 Tage dauernden 2. EW erfolgen • die vollständige (interstitielle) Implantation des Keims in die Uterusschleimhaut als gemeinsame Leistung letzterer und des Trophoblast sowie • die Bildung der zweiblättrigen Keimscheibe aus dem Embryoblast. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation: • ein 6 Tage alter Keim trifft auf ein Endometrium in der Sekretionsphase um den 20. Tag p. m. (Abb. 3.8), • die folgenden Menstruationsblutungen bleiben aus. Embryomaternaler Dialog, die Wechselwirkung mütterlicher mit embryonalen Strukturen und Funktionen, ist zum Gelingen der Implantation unabdingbar: • Die HCG-Produktion (humanes Choriongonadotropin; dem LH biologisch gleichwertiges, luteotropes Hormon) des Trophoblast ab der 2. EW stimuliert die Progesteron-Produktion des Gelbkörpers (Corpus luteum graviditatis). Dieses Hormon verhindert bis über das erste Drittel der Schwangerschaft hinaus die Menstruation, die einen Abort zur Folge hätte. Danach ersetzt plazentares Progesteron diese Gelbkörperfunktion. • Die endometriale Deziduareaktion (Kap. 3.4.2.1, S. 136, Pseudodeziduareaktion Kap. 3.3.5.3, S. 129) schafft erste Ernährungsgrundlagen für den Keim. • Die Implantation selbst ist ein wechselseitiger Vorgang (Kap. 3.4.2.1, S. 136). • HPL (human placenta lactogen) stimuliert gemeinsam mit dem Prolactin der mütterlichen Hypophyse die Vorbereitung der Brustdrüse auf die Stillfunktion.
Immunsuppression. Der Trophoblast exprimiert auf seiner Oberfläche neben mütterlichen auch väterliche Antigene und ist so für den mütterlichen Organismus Fremdgewebe. Durch mehrere, derzeit nur unzureichend bekannte Leistungen des Trophoblasten erfolgt eine Immunsuppression des mütterlichen Organismus, ohne welche der Blastozyste ein Abort drohen würde. So sollen vom Trophoblast sezernierte Faktoren z. B. die Mitoseaktivität mütterlicher Lymphozyten mindern.
Implantationsort (Abb. 3.10) ist meist die Uterushinterwand, fern von Tubenöffnung und Zervix. Klinik: 1. Extrauteringravidität (= EU): Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter, Sonderfall der ektopischen Schwangerschaft. Prädilektionsstelle für letztere ist der Genitaltrakt (Tube, Uterustubenwinkel, Zervix), extragenitale Lokalisationen an peritonealen Oberflächen der Bauchhöhle und Eierstock sind seltener. Gefürchtet sind schwere Blutungen, weil der Trophoblast mütterliche Gefäße arrodiert. 2. Placenta praevia (= vorgelagerte Plazenta): Nistet sich die Blastozyste am inneren Muttermund (MM) der Cervix uteri ein, so verlegt die hier entstehende Plazenta den Geburtsweg. 4 Grade (Abb. 3.11): 2.1 Placenta praevia totalis, der innere MM ist vollständig bedeckt; 2.2 Placenta praevia partialis, der innere MM ist teilweise bedeckt; 2.3 Placenta praevia marginalis, der untere Rand der Plazenta erreicht den inneren MM; 2.4 Tiefer Sitz der Plazenta: der im unteren Uterinsegment sitzende Teil der Plazenta rückt nicht an den inneren MM heran.
3.4.2.1 Trophoblast: Implantation Die Deziduareaktion (Pseudodeziduareaktion Kap. 3.3.5.3, S. 129) bereitet die Ernährung des Keimes vor. Sie ist durch Speicherung von Glykogen und Lipiden in den endometrialen Stromazellen (-» Deziduazelleri) sowie Flüssigkeitsansammlung im mütterlichen Bindegewebe gekennzeichnet. Dieses zeigt so ödematösen Charakter, der in der Nähe des embryonalen Pols des Keims stärker ausgeprägt ist als abembryonal. Mit dem Kontakt zwischen Blastozyste und Endometriumepithel, bei dem die Blastozystenhöhle vorübergehend kollabiert, beginnt die Differenzierung des Trophoblast (Abb. 3.12), der embryonale Anteile von Plazenta und Fruchthüllen liefert.
137
3.4 Blastogenese
Uteroplazentarer Kreislauf. Invasives Wachstum des Synzytiotrophoblast eröffnet mütterliche Kapillaren, Blut strömt zusätzlich in das Lakunensystem, in dem vorübergehend Hämatotrophe, mit Blut vermischte Histotrophe, anzutreffen ist. Der Druckgradient zwischen arteriellem und venösem Schenkel eröffneter Gefäße bewirkt Blutzirkulation durch die mittlerweile zusammenhängenden Lakunen. Histo- und Hämatotrophe sind frühe Nahrungsquellen, deren Inhaltsstoffe durch Diffusion zum Keim gelangen. Nach dem 12. ET ist der Keim völlig von mütterlichem Gewebe umgeben (= interstitielle Implantation), der Epitheldefekt im Endometrium wird durch ein Koagulum verschlossen und wächst zu. Der Implantationsort ist als rundliche Epithelvorwölbung vom Uteruslumen aus zu erkennen (Implantationskegel). Die weitere Entwicklung des Trophoblast und assoziierter Gewebe führt zur Bildung von Plazenta und Fruchthüllen (Kap. 3.7, S. 158). Abb. 3.11: Placenta praevia. Variationen mit zugehörigem Muttermundsbefund, a. tiefer Sitz, b. Placenta praevia marginaiis, c. Placenta praevia partialis, d. Placenta praevia totalis
•
Der Synzytiotrophoblast ist die äußere, durch Kernteilungen von Trophoblastzellen ohne Zytoplasmadurchtrennung entstehende, synzytiale Schicht des Trophoblasten. Er hat direkten Kontakt zu mütterlichem Gewebe und dringt invasiv in das Endometrium ein. • Der Zytotrophoblast ist die innere, auch weiterhin zellulär gegliederte Schicht des Trophoblast. Dieser Teil sorgt durch Kernteilungen fur Nachschub in den Synzytiotrophoblast. Auch die Durchdringung des Uterusepithels durch den Synzytiotrophoblast ist embryo-maternaler Dialog (Kap. 3.4.2, S. 136), denn sie geschieht wechselseitig: Seitlich werden z.B. Membrankontakte (Desmosomen) zwischen Synzytium und endometrialen Epithelzellen aufgebaut. Nach 24 Std. ist die Basalmembran des Epithels durchbrochen, der Synzytiotrophoblast dringt in das Bindegewebe ein, er löst Deziduazellen auf und resorbiert Proteine, Kohlenhydrate und Fette.
Erste Entwicklungsstadien des Synzytiotrophoblast •
Solides, prälakunäres Stadium. Das Synzytium ist anfangs ein kompakter Gewebeblock, dessen Volumen durch Kernteilungen von Zytotrophoblastzellen wächst. • Lakunäres Stadium. Innerhalb des Synzytiotrophoblast entstehen voneinander zunächst isolierte Lücken, die bald zu einem verzweigten Hohlraumsystem zusammenfließen, am embryonalen Pol intensiver als abembryonal. Die während des Einwachsens in das mütterliche Bindegewebe aufgelösten und verflüssigten Gewebsteile (—> Histotrophe) füllen diese Trophoblastlakunen aus (Abb. 3.12, 32). Klinik: 1. Nidationsblutung: Vor dem Epithelverschluss kann eine Blutung aus abembryonalen Synzytiotrophoblastlakunen auftreten, die wegen der zeitlichen Nähe zur nächsten Menstruationsblutung als solche fehlgedeutet werden und zur falschen Berechnung des Geburtstermins führen kann. 2. Corpus-luteum-lnsuffizienz: Funktionsschwäche des Gelbkörpers mit erniedrigter Plasma-Progesteronkonzentration ist eine Ursache für weibliche Sterilität, da keine sekretorische Umwandlung des Endometriums
3 Allgemeine Embryologie
138
erfolgen kann. 3. HCG-Nachweis im Urin (oder Serum) der Frau weist die Schwangerschaft 3 5 ^ 0 Tage nach der letzten Regel durch Antigen-Antikörper-Reaktion nach (Zuverlässigkeit: > 95 %); neuere Tests mit monoklonalem Antikörper leisten dies bereits zum Zeitpunkt der ersten erwarteten Regel.
3.4.2.2 Embryoblast: zweiblättrige Keimscheibe Keimblätter, Keimscheibe. Am Ende der Blastogenese entstehen die Keimblätter als erste Zellverbände des Keimlings. Diese liegen schichtweise aufeinander und bilden die Keimscheibe, die zunächst 2, später 3 Keimblätter umfasst: Ektoderm, Mesoderm, Entoderm.
— — ( S A «¿/τ-·
von
Zellen
verschiedener
Keimblätter.
Entoderm
Lakunen des Synzytiotrophoblast Zytotrophoblast
Da
Organe aus mehreren Geweben bestehen, können sie nicht
Amnionhöhle
auf ein Keimblatt zurückgeführt werden (Tab. 3.5). doch gilt
zweiblättrige Keimscheibe
folgende Orientierung: •
•
•
a u s d e m Ektoderm e n t s t e h e n G e w e b e zur A b g r e n z u n g u n d K o m m u n i k a t i o n mit d e r U m w e l t : E p i d e r m i s , N e r v e n s y s t e m , Teile von S i n n e s o r g a n e n , a u s d e m Entoderm z e n d e n ) Epithelien Anhangsorganen,
w e r d e n die ( e b e n f a l l s a b g r e n d e s M a g e n - D a r m - K a n a l s mit
a u s d e m Mesoderm innerer Organe.
e n t w i c k e l n sich G e w e b e vieler
Primäre Keimblätter (Abb. 3.12) sind primäres Entoderm und Ektoderm. Während der Implantation differenziert sich auf der zur Blastozystenhöhle weisenden Oberfläche des Embryoblast eine Lage flacher Zellen zur ersten Anlage eines Keimblatts, dem primären Entoderm (Hypoblast). Dieses wird später durch das definitive Entoderm ersetzt. Im Inneren des Embryoblast differenziert sich eine Schicht hochzylindrischer Zellen, die dem primären Entoderm direkt anliegt. Dieses primäre Ektoderm (Epiblast) wird durch sich erweiternde Interzellularräume vom Trophoblast getrennt. Dieser zweite Hohlraum innerhalb der Trophoblasthiille ist die Anlage der Amnionhöhle. Amnionhöhle, primärer Dottersack. Aus dem primären Ektoderm stammende Amnioblast-Zellen wachsen auf der Innenseite des Trophoblast entlang und begrenzen gemeinsam mit den Ektodermzellen
Amnionhöhle Ektoderm
Die Bildung von Organanlagen beruht wesentlich auf der Interaktion
Synzytiotrophoblast Zytotrophoblast
¿gSggf
Heuser-Membran primärer Dottersack Koagulum
Abb. 3 . 1 2 : Implantation, zweiblättrige Keimscheibe (modifiziert n a c h J. Langman); hell-, dunkelrot: Trophoblast; blau: Embryoblast bzw. Keimblätter der zweiblättrigen Keimscheibe, a . Synzytiotrophoblast d u r c h d r i n g t endometriales Epithel, b. Synzytiotrophoblast im soliden Stadium; primäres Ektoderm, Entoderm sowie Amnionhöhle sind entstanden, c. Implantation nahezu vollendet (Koagulum), Synzytiotrophoblast Im lakunären Stadium (Histotrophe), primärer Dottersack gebildet
die Amnionhöhle, die zunächst klein ist. Durch Proliferation von primären Entodermzellen umwachsen Abkömmlinge dieser Schicht auf der Innenseite der abembryonalen Trophoblastzellen die Blastozystenhöhle. So entsteht der primäre Dottersack, der vom Entoderm und der ihm entstammenden Zellschicht ( - » Heuser-Membran) begrenzt wird. Die zweiblättrige Keimscheibe besteht aus den beiden aufeinander liegenden Zelllagen des primären Ektoderms und Entoderms.
3.4 Blastogenese
Sie ist samt der beiden ihr anliegenden Höhlen mit 2 aufeinandergelegten Luftballons vergleichbar, die beiden direkt aneinander grenzenden Wandteile der Ballons bilden die 2 Blätter der Keimscheibe. Dieser Komplex ist von der Höhle des Trophoblasten umschlossen.
Sekundärer Dottersack (Abb. 3.13). Da während dieser Stadien der Umfang des Trophoblast weitaus stärker wächst als die Embryoblastabkömmlinge, bildet sich ein schnell expandierender Spalt zwischen Keimscheibe und Dottersack einerseits sowie Innenfläche des Zytotrophoblast andererseits. Er ist vorübergehend von entodermalem Retikulum durchwebt, das bei der Dottersackwandbildung entsteht. Die Diskrepanz im Wachstum der Komponenten des Keims fuhrt zum Platzen des primären Dottersacks (Dottersackknall). Durch den Verschluss der Rissränder der primären Dottersackwand entsteht der kleinere sekundäre Dottersack. Abgesprengte Reste der primären Dottersackwand können außerhalb des sekundären Dottersacks vorübergehend Exozölzysten bilden, die bald degenerieren.
139
Hämatotrophe
-
Amnionhöhle
zweiblättrige Keimscheibe
primärer Dottersack
Beginn des uteroplazentaren Kreislaufs
—
Chorionmesoderm
Der Dottersack ist als Nahrungsquelle beim Menschen wie bei anderen Säugern bedeutungslos.
Extraembryonales Mesoderm (Abb. 3.13). Durch starke Proliferation des späteren kaudalen Pols des primären Ektoderms wandern Zellen aus, die als • Hiillmesoderm (extraembryonales viszerales Mesoderm) Amnionhöhle und sekundären Dottersack umkleiden und als • Chorionmesoderm (extraembryonales parietales Mesoderm) sich der Innenfläche des Zytotrophoblast anlegen. • Der Haftstiel, die einzige Verbindung zwischen Hüll- und Chorionmesoderm, ist die erste Anlage der Nabelschnur und setzt auf embryonaler Seite an der Wand der Amnionhöhle an, in deren kaudalem Bereich. Chorionhöhle (extraembryonale Leibeshöhle, extraembryonales Zölom) ist der aus der ehemaligen Blastozystenhöhle hervorgegangene, nun vollständig von extraembryonalem Mesoderm begrenzte Raum zwischen der Embryonalanlage und dem Chorion. Chorion ist die aus Chorionmesoderm und Zytotrophoblast bestehende Wand der Chorionhöhle.
Abb. 3.13: a. Eröffnung mütterlicher Arterien, Venen (lakunenwärts gerichtete rote, blaue Pfeile), Hämatotrophe, b. Uteroplazentarer Kreislauf im kommunizierenden Lakunensystem, das Verbindungen zu Arterien und Venen hat (einwärts gerichtete rote, bzw. auswärts gerichtete blaue Pfeile), Bildung des extraembryonalen Mesoderms, Vergrößerung der Chorionhöhle, sekundärer Dottersack (modifiziert nach J. Langman), c. Ultraschall: Chorionhöhle und darin markierter, sekundärer Dottersack (Kreuze; 4. EW).
3 Allgemeine Embryologie
140
3.5
Embryogenese
3.5.1
Dritte Entwicklungswoche (3. EW): dreiblättrige Keimscheibe
3.5.1.1 Gastrulation
Lernziele: Gastrulation, Keimblätter, dreiblättrige Keimscheibe, Neurulation, Individuation, Mesodermgliederung, Somiten, Abfaltungen, Kopfmesoderm Diese 9 Tage dauernde Phase ist durch die •
Entstehung des 3. Keimblatts (Gastrulation) gekennzeichnet. Mit der • Anlage eines primitiven Achsenorgans, Chorda dorsalis, und der nachfolgenden, durch die Chorda induzierten • Entstehung des Neuroektoderms (Neurulation) sowie der • lateralen Organisation des Mesoderms entscheidet sich endgültig, wieviele Individuen aus dem Keim entstehen (Individuation, Kap. 3.8, S. 165).
Gastrulation ist bei Mensch die Bildung von definitivem Entoderm Zellen aus dem primären
Säugetieren einschl. Rumpfmesoderm und durch auswandernde Ektoderm.
Der am Ansatz des Haftstiels gelegene Pol des Ektoderms, aus dem das extraembryonale Mesoderm hervorgegangen war, proliferiert auch zu Beginn der 3. EW. Diese Zone vermehrter Zellteilungsaktivität weitet sich Richtung Mitte der Keimscheibe aus. Sie ist auf der amnialen Oberfläche des Ektoderms in dessen kaudaler Hälfte sichtbar als (Abb. 3.14, 15): •
Primitivstreifen, eine längs orientierte Verdickung dieses Keimblatts. Aus ihm wandern Zellen zwischen die beiden primären Keimblätter und bilden den größten Teil des intraembryonalen Mesoderms. • Die Primitivrinne liegt in der Mittellinie des Primitivstreifens und ist äußerliches Zeichen Primitivrinne
Allantois
Allantois
c I ι Prächordalplatte
I Primitivknoten,
Kloakenmembran
Primitivstreifen
Abb. 3.14: Gastrulation (modifiziert nach J. Langman), a. Zweiblättrige Keimscheibe im Sagittalschnitt; Schnittebenen für (b, c) gekennzeichnet, b. Transversalschnitt: rote Pfeile zeigen Wanderungsweg der Zellen des primären Ektoderms, die das Mesoderm und das definitive Entoderm bilden, c. Aufsicht auf das Ektoderm: Zellen verlassen durch Primitivrinne und -grübe (s. Abb. 3.15) das Ektoderm und bilden zwischen diesem und dem Entoderm das Mesoderm; Prächordalplatte und Kloakenmembran bleiben Zonen mit direktem Kontakt zwischen Ektoderm und Entoderm
141
3.5 Embryogenese
Primitivknoten, Primitivgrube Primitivstreifen, Primitivrinne
Chordafortsatz
Chordapiatte Chordafortsatz
Chordaplatte
Canalis neurentericus
Chorda dorsalis
r
f
Chorda dorsalis
Abb. 3.15: Bildung der Chorda dorsalis (rot; modifiziert nach J. Langman), a. Ektodermale Aufsicht, b, c. Sagittalschnitte, d - f . Transversalschnitte. In b, d, e sind noch Chordafortsatz und Chordaplatte vorhanden, c, f sind später geschnitten, jetzt hat sich die Chorda dorsalis als solider Strang aus dem Entoderm gelöst
dieser Absenkung von Zellen aus dem Niveau des Ektoderms in die Tiefe, zwischen die beiden primären Keimblätter. • Der Primitivknoten ist das vordere, verdickte Ende des Primitivstreifens, knapp hinter der Hälfte der Keimscheibenlänge gelegen. • Die Primitivgrube ist das kraniale Ende der Primitivrinne, die Wülste des Primitivknotens umfassen sie vorn und seitlich. Definitive Keimblätter. Die aus dem Primitivstreifen auswandernden Zellen migrieren zwischen die beiden primären Keimblätter und ersetzen auch die Zellen des primären Entoderms. Die dreiblättrige Keimscheibe (Abb. 3.14) besteht aus den 3 definitiven Keimblättern. •
Das Ektoderm ist die verbliebene primäre Ektodermschicht im „Boden" der Amnionhöhle. • Das intraembryonale Mesoderm trennt die beiden anderen Keimblätter fast vollständig und steht an den Rändern der Keimscheibe mit dem
extraembryonalen Hüllmesoderm in Verbindung. • Das Entoderm liegt im „Dach" des sekundären Dottersacks. Obwohl die Zellen des primären Entoderms nicht in den werdenden Embryonalkörper eingehen, sind sie für die Induktion der Gastrulation mit verantwortlich. Mesenchym, embryonales Bindegewebe, ist die histologische Bezeichnung für das undifferenzierte Gewebe des Keimblatts Mesoderm. Es besteht aus locker gefügten Zellen und weiten Interzellularräumen ohne jegliche Bindegewebefasern. Kopfmesoderm (Kopfmesektoderm, Kopfmesenchym) entsteht nur zum Teil im Rahmen der Gastrulation und wird deshalb begrifflich gesondert gekennzeichnet (Kap. 3.5.3.1, S. 153). Prächordalplatte, Kloakenmembran (Abb. 3.14, 15, 23). Die Trennung von Ekto- und Entoderm durch einwanderndes Mesoderm unterbleibt an diesen 2 Stellen, beide Keimblätter berühren sich
142
3 Allgemeine Embryologie
hier weiterhin. Die Prächordalplatte liegt nahe dem vordersten Rand der Keimscheibe, die Kloakenmembran befindet sich kaudal, hinter dem Primitivstreifen. Das proliferierende Entoderm der Prächordalplatte ist eine Quelle des Kopfmesoderms. • Rachenmembran. Nach der Entstehung des Vorderdarms im Zuge der Abfaltungen der Keimscheibe wird die Prächordalplatte Rachen- oder Bukkopharyngealmembran genannt (Kap. 3.5.2, S. 148). Chorda dorsalis (Notochorda, Rückensaite) (Abb. 3.15). Während des o. g. Invaginationsvorgangs aus dem Primitivstreifen wandern die im Primitivknoten proliferierenden Zellen als Anlage des axialen Mesoderms nach kranial, bis an die Prächordalplatte. Sie bilden den Chordafortsatz (,Kopffortsatz), dessen Lichtung der Axialkanal, die Fortsetzung der Primitivgrube, ist. Die entodermwärts gelegene Wand des Chordafortsatzes verschmilzt mit dem Entoderm und löst sich auf. Dadurch öffnet sich der Axialkanal, der über die Primitivgrube mit der Amnionhöhle in Verbindung steht, auch in den Dottersack. Diese vorübergehende Kommunikation zwischen Amnionhöhle und Dottersack ist der Canalis neurentericus. Die verbliebene, ektodermwärts gelegene Wand des Chordafortsatzes (Chordaplatte) löst sich in der 4. EW vom Entoderm und liegt dann als solider Strang zwischen Ento- und Ektoderm. Dieser Strang ist die Chorda dorsalis. Sie stellt das primitive Achsenorgan des Embryos dar und geht später in Bandscheibenmaterial der Wirbelsäule auf. Mit der Chordabildung und der dadurch induzierten Neuroektodermentstehung (Kap. 3.5.1.2, S. 142) wird die in der Aufsicht ursprünglich runde Keimscheibe länger und in der vorderen Hälfte breiter („birnenförmig"). Allantois (Abb. 3.14, 15, 23, 24). Am kaudalen Ende der Keimscheibe wächst dorsal der Kloakenmembran eine Ausstülpung des Entoderms, das Allantois-Divertikel, in das Haftstielmesoderm vor. Die in der Umgebung der blind endenden Allantois sich bildenden Blutgefäße verbinden extraembryonale Choriongefaße und intraembryonale Gefäße (Kap. 3.5.1.6, S. 148). Die menschliche Plazenta ist somit eine Allantoisplazenta, einige andere Säuger entwickeln eine Dottersackplazenta. Das Lig.
umbilicale
medianum
des Erwachsenen ist
Rudiment des intraembryonalen Anteils der Allantois. Bei Reptilien und Vögeln ist sie Harnreservoir.
Orientierung der Embryonalanlage • Die Gliederung innen-außen ist mit Embryoblast und zweiblättriger Keimscheibe in der l . E W angedeutet (Kap. 3.4.2.2, S. 138): an der zur Blastozystenhöhle gerichteten Oberfläche entwickelt sich das Entoderm (Epithel des Magen-Darm-Kanals), aus dem amnionhöhlenwärts gelegenen primären Ektoderm u.a. die Körperoberfläche (Tab. 3.5). • Die dorso-ventrale Orientierung wird mit der Gastrulation deutlich: Chorda und benachbartes Ektoderm werden zur dorsalen Rumpfwand, die lateralen, sich später abfaltenden Teile der Keimscheibe bilden die ventrale Rumpfwand. • Die kranio-kaudale Orientierung entsteht mit dem Primitivstreifen (von „kaudal" nach „kranial") und der Chorda, deren Wachstumsrichtung auf die spätere Kopfregion zeigt. • Die bilaterale Gliederung erfolgt ebenso mit der Chordabildung, da diese die laterale Organisation des Mesoderms nach sich zieht.
3.5.1.2 Neurulation Neuroektoderm, Neurairohr (Abb. 3.16). Die Chorda dorsalis induziert Ende der 3. EW in der benachbarten Zone des Ektoderms die Neuroektodermdifferenzierung: •
Die Neuraiplatte ist eine Ektodermverdickung, das Epithel wird durch Zellteilungen hier mehrreihig. • Die Neurairinne entsteht als Einsenkung der Neuralplatte in der Mittellinie, welche durch die in der Tiefe eng anliegende Chorda festgelegt ist. Die sie flankierenden, prominent bleibenden Bereiche der Neuralplatte heißen jetzt Neuraiwülste. • Neuralfalten. Die Neurairinne vertieft sich weiter und die Oberkanten der Neuraiwülste {Neuralfalten) werden aufrecht gestellt und drehen sich (im Querschnitt betrachtet) aufeinander zu. • Neurairohr. Durch die Verschmelzung der Neuralfalten entsteht das Neurairohr, die Neuralrinne wird dessen Lichtung. Der Verschluss zum Rohr beginnt in der späteren Halsregion und setzt sich von dort nach kranial und kaudal fort.
143
3.5 Embryogenese
Aufsicht
Querschnitt
auf das Ektoderm Mesoderm t Ektoderm
I
I
I
Entoderm
paraxtales \ intermediäres Neurairinne
\
\
L
Mesoderm
laterales J
Neurairohr I
Neural leiste
Nephrotom
Oberflächenektoderm
Entoderm
viszerales
parietales
laterales Mesoderm
Abb. 3.16: Neurulation und Mesodermgliederung (modifiziert nach J. Langman), a, b. Ektodermale Aufsichten am 19. bzw. 22 ET mit Schnittebenen von (c) und (f), c-f. Aufeinanderfolgende Transversalschnitte im gleichen Zeitraum: Bildung von Neurairohr und -leiste (gelb, braun), fortschreitende Untergliederung des intraembryonalen Mesoderms (rosa), f. Das paraxiale Mesoderm hat sich in Somiten segmentiert, die auch in der Aufsicht (b) paramedian erkennbar sind
144
3 Allgemeine Embryologie
Rückenmarkshäute
I \ I \
/
Rückenmark
\
Wirbelkörper
a
Spina bifida occulta
Abb. 3.17: Spaltbildung der dorsalen Rumpfwand, a. Formen der Spina bifida, b. Meningomyelozele im Lumbosakralbereich eines Neugeborenen
•
Neuroporus cranialis (rostralis) und caudalis sind die 2 Öffnungen, durch die die Lichtung des Neurairohrs vor deren vollständigem Schluss noch bis zum 25. (kranial) bzw. 27. ET (kaudal) mit der Amnionhöhle in Verbindung steht.
Neuralleiste. Aus der Naht der sich vereinigenden Neuraiwülste koppelt sich beidseits je eine Zellsäule ab. Diese beiden verschmelzen nach dem Absinken des Neurahlrohrs unter das Oberflächenektoderm miteinander zur Neuralleiste. Sie liegt zwischen Neurairohr und Oberflächenektoderm. Da ihre Zellen sofort in verschiedene Regionen abwandern, ist die Neuralleiste nur kurzzeitig vorhanden (Abb. 3.16 f)· Neuralleistenzellen des Kopfbereichs besitzen ein größeres Differenzierungspotenzial als die der Rumpfabschnitte. Sie
können noch nach Neuralrohrschluss in Gehirn und Rückenmark neu entstehen und von dort auswandern.
Oberflächenektoderm. Die nach dem Absinken des Neurairohrs an der Oberfläche verbleibende Ektodermschicht schließt sich über dem Neuraigewebe und verbleibt als Oberflächenektoderm auf dem sich in der 4.-5. EW bildenden Rumpf (Kap. 3.5.2, S. 148). Neurairohr und -leiste sind die ersten Organanlagen: • aus dem Neurairohr entstehen Gehirn und Rückenmark (ZNS) • aus der Neuralleiste entstehen peripheres Nervensystem (PNS) sowie andere Zellen und Gewebe (Tab. 3.5).
145
3.5 Embryogenese
Abb. 3.18: Wirbelsäule im Ultraschall, a. Unauffälliger Befund, b. Sakrale Meningomyelozele (Pfeilkopf).
b
Klinik: Verschlussstörungen des Neurairohrs oder, nach vollzogenem Neurairohrschluss, des Mesoderms werden bei Ultraschall-Untersuchungen der Schwangeren (Kap. 3.10.3, S. 171) erkannt. 1. Kaudal manifestieren sie sich als Defekte der dorsalen Rumpfwand (Spina bifida, s. Kap. 8.1, S. 629). Spina bifida totalis: gesamte Wirbelsäule (Rachischisis) und Rückenmark (Myeloschisis) sind gespalten (nicht lebensfähig). Spina bifida partialis: Rückenmark und Wirbelsäule sind abschnittsweise nicht geschlossen, der Defekt kann offen liegen oder mit Haut überzogen sein (Abb. 3.17, 18); mit neurologischen Ausfallen (Lähmungen, Sensibilitäts-, Blasenentleerungsstörungen). Spina bifida occulta: Die Wirbelbögen sind über einem intakten Rückenmark nicht geschlossen, die Haut ist im betroffenen Bereich häufig abnorm behaart; meist neurologisch unauffällig. 2. Kranial entwickeln sich nach ausbleibendem Neuralrohrschluss keine höheren Hirnabschnitte (Anencephalus, Exenzephalie, Abb. 3.19); die Kinder kommen entweder tot zur Welt oder sterben kurz nach der Geburt.
Abb. 3.19: Anenzephalus, a. Ultraschall: Pfeilkopf zeigt auf fetalen Kopf ohne Hirnschädel, b. Totgeborenes ohne Hirnschädel, dazu linksseitige Lippenkiefergaumenspalte
3.5.1.3 Differenzierung des intraembryonalen Mesoderms Das Mesoderm gliedert sich mediolateral (Abb. 3.16): • Die Chorda dorsalis ist das axiale Mesoderm. • Paraxiales Mesoderm heißt der direkt seitlich von Neurairohr und Chorda gelegene, stark proliferierende Anteil. Aus ihm entstehen die Somiten (Kap. 3.5.1.5, S. 147). • Seitlich schließt sich das intermediäre Mesoderm {Nephrotome) an, das lateral mit dem • Seitenplattenmesoderm (laterales Mesoderm), in Verbindung steht. Durch einen Spalt, das intraembryonale Zölom (Kap. 3.5.1.4, S. 146), teilt sich das Seitenplattenmesoderm in Somatopleura (parietales laterales Mesoderm) und Splanchnopleura (Viszeropleura, viszerales laterales Mesoderm). Die Somatopleura liegt dem Oberflächenektoderm innen an, die Splanchnopleura bedeckt das Entoderm. Das Seitenplattenmesoderm geht am Rand der Keimscheibe
146
3 Allgemeine Embryologie
in das extraembryonale Hüllmesoderm, welches Amnionhöhle und Dottersack umkleidet, über.
^•V-'f-
Chorion frondosunr
Haftstiel
3.5.1.4 Intraembryonale Leibeshöhle, Zölom
H p
~ ® —
Zölom. Nach der Bildung des intraembryonalen Mesoderms erweitern sich in dessen Seitenplattenbereich die Interzellularräume, die zu einem Spaltraum, der Anlage der intraembryonalen Leibeshöhle (Abb. 3.20), zusammenfließen. Diese trennt die ektodermwärts gelegene Somato- von der entodermwärts befindlichen Splanchnopleura. Der Spalt umgibt in der Aufsicht ringförmig (Zölomring) die Verbindung zwischen Dottersack und entstehendem Entodermrohr, ist jedoch nur im kranialen Teil des Embryos vom extraembryonalen Zölom getrennt, weil hier Somato- und Splanchnopleura peripher vereinigt sind. Dieser kraniale, nach außen geschlossene Teil des Zölomrings hat in der Aufsicht Hufeisenform. In der kaudalen Hälfte kommunizieren intra- und extraembryonales Zölom (Zölompforten), da hier Somato- und Splanchnopleura peripherwärts nicht in Kontakt stehen. Zölomsäcke sind die beidseits etwa in Höhe der Kloakenmembran blind endenden kaudalen Abschnitte des Zöloms. Perikardhöhle. Der kranial der Prächordalplatte gelegene Scheitelbereich des Hufeisens wird zur Perikard-(Herzbeutel-)höhle, die gemeinsam mit der Herzanlage während der kranialen Abfaltung der Kopffalte auf die Ventralseite des Rumpfes verlagert wird. Sie gelangt vor den Vorderdarm (Abb. 3.23). Über die Zölomkanäle (Perikardioperitonealkanäle) kommuniziert die Perikardhöhle beiderseits des Darmrohrs (Kap. 3.5.2, S. 148) zunächst weiterhin mit dem extraembryonalen Zölom. Die Pleurahöhlen entstehen aus ihrer ersten Anlage, den Zölomkanälen, durch Bildung der Lungenknospen, die aus dem Vorderdarm auswachsen. Diese vergrößern sich stark und „schälen" aus der Innenseite der Rumpfwand die beiden Pleuroperikardialmembranen „heraus". Die außen verbleibende Schicht der primären Rumpfwand wächst faltenfÖrmig nach kaudal (Nabelring: Kap. 3.5.2, S. 148) und wird zur definitiven Thoraxwand. Die sich vereinigenden Pleuroperikardialmembranen trennen die Perikardhöhle von der Pleurahöhle ab. Die Peritonealhöhle entsteht aus dem kaudalen, zur Chorionhöhle hin offenen Teil der Leibeshöhle (physiologischer Nabelbruch: Kap. 3.5.3.2, S. 156). Die Pleuroperitonealmembranen teilen im Zuge der Zwerchfellbildung die Zölomkanäle. Aus den beiden oberen Abschnitten werden linke und rechte Pleurahöhle, die unteren gehen in die Peritonealhöhle ein (s. Kap. 11.1.2, S. 905).
·1 Ç 5
Amnionhöhle sekundärer Dottersack Chorionhöhle
Chorion laeve
Anlage der Perikardhöhle
X —
-
Zölomkanal
Abb. 3.20: Intraembryonale Leibeshöhle (modifiziert n a c h G. T u c h m a n n - D u p l e s s i s ) , a . Einblick in die gefensterte Chorionhöhle (extraembryonales Zölom); d e r s c h w a r z e Pfeil markiert die H a u p t s c h n i t t e b e n e für (b), b. V e r b i n d u n g z w i s c h e n extra- u n d i n t r a e m b r y o n a l e r L e i b e s h ö h l e (roter Pfeil), c. E k t o d e r m a l e Aufsicht auf die K e i m s c h e i b e , die A u s d e h n u n g d e s für d i e weitere E n t w i c k l u n g relevanten, kranialen Teils d e r i n t r a e m b r y o n a l e n L e i b e s h ö h l e ist rot markiert
147
3.5 Embryogenese
Klinik: Bochdalek-Hernie nennt man den durch das Trigonum l u m b o c o s t a l (Bochdalek-Dreieck) hindurchtretenden Zwerchfellbruch, er ist durch mangelnden Verschluss der Zölomkanäle bedingt. Schon intrauterin können so Darm, Milz und Leber in den Brustraum verlagert sein.
3.5.1.5 Ursegmente, Somiten Ab Ende der 3. EW gliedert sich das paraxiale Mesoderm beiderseits von Chorda und Neuralrohr longitudinal in Somiten (= Ursegmente). Dies sind zeitweilige embryonale Strukturen und erster morphologischer Ausdruck einer segmentalen Gliederung (Metamerie) des Keimlings. Die metamere Gliederung findet sich trotz Umbaus in der segmentalen Anordnung von Knochen, Muskeln und Spinalnerven des Rumpfes wieder.
Auf- und Umbau. Die Mesenchymzellen des paraxialen Mesoderms aggregieren zu epithelialen Körpern, die einen zentralen Raum (Somitozöl) mit locker darin liegenden Mesenchymzellen enthalten und außen von einer Basalmembran umschlossen sind (Abb. 3.16 f)· Die ersten Somiten entstehen im Hinterhauptbereich, die letzten in der Steißregion, während sich die zuerst gebildeten schon wieder auflösen. Da die Somiten das Oberflächenektoderm beidseits des medianen Neurairohrwulstes vorwölben und so das Äußere des Embryos prägen (Abb. 3.16, 24), werden sie in der 3.-5. EW für die Altersbestimmung herangezogen (Tab. 3.4). Insgesamt entstehen 5 okzipitale, 8 zervikale, 12thorakale, 5 lumbale, 5 sakrale und bis zu 10 kokzygeale Somiten. Der erste okzipitale und die letzten kokzygealen degenerieren. Die übrigen werden, ebenfalls kranial beginnend, umgebaut, indem der epitheliale Zellverband schrittweise seg-
Abb. 3.21: Somitenumbau, Transversalschnitt durch den dorsalen Rumpfteil (modifiziert nach B. Christ)
148
3 Allgemeine Embryologie
Embryo mit
regiert und die Zellen in verschiedene Richtungen abwandern (Abb. 3.21).
intraembryonalen Gefäßen
I I
•
Skierotom. Dies sind die ventromedial gelegenen Zellen, die sich als erste aus den Somiten lösen und als Anlage für Wirbelsäule und Rippen den Raum um die Chorda dorsalis besiedeln. • Dermatom. Diese Zellen der dorsolateralen Somitenwand bilden die Anlage des subkutanen Gewebes. • Myotom, Dermatomyotom. Die restlichen, zwischenzeitlich das Dermatom unterlagernden Zellen und mit diesen gemeinsam auch als Dermatomyotom bezeichnet, bilden die Anlage der Skelettmuskulatur von Rumpf und Extremitäten (Myotom).
Dottersack mit Dottersackgefäßen
Abb. 3.22: Embryonale
3.5.1.6 Blutgefäße Blutinseln sind die ersten Blutgefäßanlagen, die in der 3. EW zunächst im Hüllmesoderm des Dottersacks entstehen. Aus den peripher gelegenen Mesodermzellen dieser Inseln entstehen endothelbildende Zellen, aus den zentralen die primitiven Blutzellen. Dann erscheinen im Chorion- und Haftstielmesoderm Blutinseln sowie noch vor den ersten Somiten auch intraembryonal, erst in der Splanchno-, dann in der Somatopleura. Die Blutinseln bilden durch Aussprossung und Verschmelzung miteinander Endothelrohrnetze. Die diesen primitiven Gefäßen anliegenden Mesenchymzellen liefern Muskel- und Bindegewebszellen der definitiven Gefäßwände. Das intraembryonale Gefäßsystem (Abb. 3.22) steht über •
Dottersackgefäße mit der Dottersackwand und über • Nabelschnur(Umbilikal-)gefäße mit der Plazenta in Verbindung (Kap. 3.7.7, S. 165). Diese gehen primär aus Allantoisgefaßen hervor (Allantoisplazenta, Kap. 3.5.1.1, S. 140). Die Herzanlage entsteht in der kardiogenen Zone rostral der Prächordalplatte durch Vereinigung zweier Endothelschläuche zum Herzrohr. In der 3. EW kommuniziert dieses mit dem intraembryonalen Gefäßsystem und in der 4. EW beginnt es mit einer Frequenz von 120-160 pro Minute zu schlagen, wodurch die Blutzirkulation einsetzt.
Gefäßsysteme
(modifiziert nach
J. Langman)
Klinik: U m die 20. SSW sind die Herztöne i.d.R. wahrnehmbar. Stellung des Rückens, Abstand des kindlichen Herzens von der Bauchdecke, Bauchdeckendicke, Fruchtwassermenge bestimmen den Zeitpunkt. Über pränatalen Kreislauf s. Kap. 2.3.1.3, S. 51.
3.5.2 Vierte Entwicklungswoche (4. EW): Abfaltungen, Embryonalkörper Aus der scheibenförmigen Embryonalanlage wird in der 4. EW ein walzenförmiger Rumpf: •
in der Sagittalebene erfolgt eine dale, • in der Transversalebene eine Abfaltung (Krümmung).
kraniokaubilaterale
Beide Abfaltungen werden durch aktive Verformung epithelialer Zellverbände (Ektoderm, Entoderm, Somiten) und durch unterschiedliche Wachstumsintensität benachbarter Gewebeblöcke bewirkt. Abfaltungen (Abb. 3.23). Nach Beginn der Somitenbildung verdoppelt der Embryo innerhalb weniger Tage seine Gesamtlänge, woran das Neuralrohr einen dominierenden, das Entoderm einen geringen Anteil hat: kraniales und kaudales Ende des Neurairohrs überragen deshalb als Kopf- bzw. Schwanzfalte in der Seitenansicht Entoderm und Dottersack.
149
3.5 Embryogenese Laterale Abfaltung
Kraniokaudale Abfaltung
Prächordalplatte Ammonhöhle
a Kloakenmembran Perikardhöhle Dottersack
Haftstiel Allantois Rachenmembran (Prächordalplattel
Schwanzfalte
c Kopffalte Mitteldarm
Vorderdarm
Dottergang
Hinterdarm
Peritonealhöhle Darmrohr
primäre Mundhöhle Perikardhöhle
Abb. 3.23: Abfaltungen (modifiziert nach J. Langman), a-d. Kraniokaudale Abfaltung in Sagittalschnitten, e-g. Laterale Abfaltung in Transversalschnitten. Die schwarzen Pfeile zeigen die Verformungsrichtungen an. Im Bereich der Peritonealhöhle (d, roter Doppelpfeil) kommunizieren intra- und extraembryonale Leibeshöhle durch den sich verengenden Nabelring (= Distanz zwischen den beiden schwarzen Pfeilen in d (s. Abb. 3.24)
•
Durch die kraniokaudale Abfaltung entstehen Kopf- und Schwanzfalte und werden in der 4. EW nach ventral gedreht.
und Allantois, die ihren Ansatz am kaudalen Ende der Keimscheibe hatten, ebenfalls auf die Ventralseite gedrängt werden.
Mit der Kopffalte gelangt auch der vor der Prächordalplatte befindliche Teil des Mesoderms auf die Ventralseite des Entoderms zu liegen, in dessen viszeralen Teil sich das Herz entwickelt. Die Abfaltung der Schwanzfalte bewirkt, dass Haftstiel
Die Proliferation des paraxialen Mesoderms und seine Segmentierung zu den Somiten bringen ein Einschwenken der lateralen Ränder der Keimscheibe ebenfalls nach ventral mit sich.
3 Allgemeine Embryologie
150
•
Diese laterale Abfaltung bewirkt zusammen mit der kraniokaudalen, dass die ehemalige Scheibe in der 4.-5. EW die Form eines mit einer Ausnahme (Nabelring, s. u.) allseitig geschlossenen, röhrenförmigen Körpers annimmt.
Darmrohr. Durch Längenzunahme und Abfaltungen der Keimscheibe entsteht aus dem zunächst planen Entoderm das embryonale Darmrohr. Dieses steht in seinem mittleren Abschnitt mit dem Dottersack in zunächst breiter Verbindung, faltet sich jedoch zunehmend von diesem ab. Der Dottersack verbleibt somit außerhalb des Embryonalkörpers.
•
Vorderdarm. Dieser ist in der Kopffalte gelegen und wird durch die Rachenmembran (ehem. Prächordalplatte) gegenüber der primären Mundhöhle (Stomodeum) verschlossen. Die Rachenmembran reißt bald ein, so dass primäre Mundhöhle und Vorderdarm kommunizieren (Abb. 3.23 d). • Hinterdarm. Entsprechend bildet sich kaudal der Hinterdarm, der an der Kloakenmembran endet. • Mitteldarm. Das intraembryonale Entodermrohr steht hier über den Dottergang (Ductus omphaloentericus, Ductus vitellinus) in Verbindung
___
Scheitelbeuge
Nackenbeuge
Schwanzknospe
Abb. 3.24: Ausbildung der embryonalen Körperform zwischen 4. (a) und 7. EW (f; modifiziert nach J. Langman). Von (b) nach (c), in der 4. EW erfolgen Bildung und Verengung des Nabelrings am Ansatz der Nabelschnur (blau). Markierungen in (f) illustrieren Messpunkte zur Bestimmung der Scheitel-Steiß-Länge (s. Abb. 3.38)
3.5
Embryogenese
151
mit dem Dottersack. Beide Abfaltungen engen diese im Nabelring liegende Verbindung allseits ein. Am Nabelring (Abb. 3.24) gehen Amnionepithel und Oberflächenektoderm, die spätere Epidermis, ineinander über. Er enthält
Diese Falten besitzen einen viszeral-mesodermalen Anteil für Herz, Darmwand (außer Epithel) und viszerale Blätter von Perikard, Pleura und Peritoneum sowie einen parietal-mesodermalen Anteil für Muskulatur, Bindegewebe und parietale seröse Häute der vorderen und seitlichen Rumpfwand.
• Dottergang, Nabelschnurgefäße und Allantois. Durch ihn kommunizieren weiter intra- und extraembryonales Mesoderm sowie intra- und extraembryonale Abschnitte der Leibeshöhle. Letztere Kommunikation ermöglicht den physiologischen Nabelbruch (Kap. 3.5.3.2, S. 156).
•
Die obere Falte liefert das Material für die Vorderwand des Thorax und des Oberbauchs sowie für Zwerchfellanteile. • Die untere Falte bildet die Wand des Unterbauchs. • Die beiden lateralen Falten bauen die seitliche Bauchwand auf.
Nach Rückbildung des physiologischen Nabelbruchs engen 4 ringförmig miteinander verbundene Falten den Nabelring zum Nabelschnuransatz ein: eine obere und eine untere (von der kraniokaudalen Abfaltung herrührend) sowie je eine laterale (durch die laterale Abfaltung).
Klinik: Defekte der ventralen Rumpfwand (s. Kap. 11.1.2.5, S. 916): 1. Nabelschnurbruch (= Omphalozele; Abb. 3.25): Ziehen sich die Darmschlingen nicht um die 13. SSW in die
Bauchwand / / / Amnion Oarmschlingen /
/
Nabelschnur / /
/
Abb. 3.25: Nabelschnurbruch, a. Schema, b. Ultraschall: physiologischer Befund in der 10. EW (Pfeilkopf), c. Großer B r u c h s a c k (Ultraschall): rechte Markierungen umfassen den fetalen Rumpf; die linken zeigen auf d e n Hautrand, d a z w i s c h e n Bruchsack, teils außerhalb der fetalen Bauchhöhle gelegen, d. N e u g e b o r e n e s mit kleiner Omphalozele. Bruchinhalt (Pfeilkopf) in der Nabelschnur (Stern) von A m n i o n u m g e b e n
152
3 Allgemeine Embryologie
Abb. 3.26: Gastroschlsis. Die durch einen kleinen Bauchwanddefekt rechts der Nabelschnur ausgetretenen Darmschlingen (nicht von Amnion bedeckt) sind wegen mechanischer Stenose teils erweitert
Abb. 3.27: Epispadie I. Offenilegende Urethra (Pfeilkopf; Stern: Glans penis)
Abb. 3.28: Epispadie III (komplette Ekstrophie), a. Neugeborenes (Stern: Biasenhinterwand, Pfeile: Ureteröffnungen, Pfeilkopf: Glans penis), b. Nach Rekonstruktion im Knabenalter
Abb. 3.29: Kloakale Ekstrophie, Beckengürtel ventral nicht geschlossen (3D-Rekonstruktion nach SpiralComputertomogramm; Stern im Spalt zwischen den nicht in einer Symphyse vereinigten Schambeinen)
3.5 Embryogenese
Leibeshöhle zurück (Kap. 3.5.3.2, S. 156), bleiben sie im Nabelschnurzölom liegen, sie sind von Amnion bedeckt. 2. Sternumspalte und Zwerchfelldefekte entstehen durch mangelhafte Ausbildung der oberen Falte. 3. Gastroschisis (= Laparoschisis; Abb. 3.26): Fehlende Vereinigung (meist) der rechten Bauchfalte mit oberer und unterer Falte. Die asymmetrische Häufigkeit ist durch fehlende Stützung der degenerierenden rechten (im Gegensatz zur linken, definitiven) Nabelvene bedingt. Der Bruchsackinhalt ist nicht von Amnion überzogen (Unterschied zur Omphalozele) und liegt rechts neben dem Nabel: Darm, Harnblase, innere weibliche Genitale (im Gegensatz zur Omphalozele nie die Leber). 4. Blasenekstrophie (= Spaltblase)·. mangelnde Mesodermeinwanderung zwischen Blasenanlage und Oberflächenektoderm; 3 partielle Formen: Epispadie I (Abb. 3.27) - offene Harnröhre; Epispadie II - offener Beckengürtel, geschlossene Bauchdecke; Epispadie III (Abb. 3.28) - geschlossener Nabel, darunter offene Harnblase. Komplette Blasenekstrophie: Offene Bauchdecke bis zum Nabel, Harnblasenschleimhaut liegt darunter frei. 5. Kloakale Ekstrophie (Abb. 3.29): offener Beckengürtel, Zweiteilung der offenen Harnblase („hemibladders"), dazwischen Darmschleimhaut. 6. Urachusfisteln sind durchgängige Allantoisgangabschnitte, sie öffnen sich zu Harnblase oder Nabel oder verbinden als komplette Fistel Harnblase und Nabel.
3.5.3
Formentwicklung bis zur 8. Entwicklungswoche (5.-8. EW)
3.5.3.1 Kopf-Hals-Region Kopfmesoderm (Kopfmesektoderm, -mesenchyrri) entstammt zum größeren Teil nicht dem Primitivstreifen. Quellen für Binde- und Stützgewebe sowie Muskulatur des Kopfes sind: 1. okzipitale Somiten, l.präotisches paraxiales Mesoderm, das sich im Gegensatz zum postotischen (kaudal der Ohrpiakode gelegenen) nicht in Somiten gliedert, 3.Neuraileiste und 4. Entoderm der Prächordalplatte.
153
Seitliche Kontur (Abb. 3.24). Die aus dem kranialen Teil des Neurairohrs entstehende Gehirnanlage ist formprägend für die Kopfregion des Embryos. In der 4. EW entstehen die • Scheitelbeuge, der dorsalwärts konvexe Winkel zwischen den beiden primären Hirnbläschen Pros- und Rhombenzephalon, die • Nackenbeuge, die ebenfalls dorsalwärts konvexe Krümmung zwischen Rhombenzephalon und Rückenmark sowie die • Brückenbeuge, die nach ventral konvex ist und zwischen den beiden o. g. unter der Körperoberfläche liegt. Die Scheitelbeuge wird als Markierung für Längenmessungen des Embryonalkörpers genutzt (Abb. 3.38). Schlundbögen (Pharyngealbögen, Viszeralbögen, Kiemenbögen). Die Kopf-Hals-Übergangsregion weist in der 4.-5. EW eine eigene, ursprüngliche metaniere Gliederung auf. Diese kommt durch 5 Paare von Schlundbögen ( 1 .-4. und 6.) zustande, von denen äußerlich die obersten 4 sichtbar werden. Sie umgeben den obersten Teil des Vorderdarms und sind gegeneinander außen durch Schlundfurchen, innen durch Schiundtaschen abgesetzt (Abb. 3.24). Gesichtswülste treten in der 4. EW in der Umgebung der Mundbucht in Erscheinung. Der Stirnnasenwulst ist unpaar, der Oberkieferwulst und der Unterkieferwulst paarig. Die Mundbucht wird in der Tiefe vorübergehend von der Rachenmembran (ehem. Prächordalplatte) gegenüber dem Vorderdarm verschlossen. Die Wülste verstreichen nach Umbau in der 6.-7. EW (Gesichtsentwicklung, Kap. 4.13.4.1, S. 299). Sinnesplakoden sind Ektodermverdickungen, aus denen Teile von Sinnesorganen, Sinnes- oder periphere Nervenzellen entstehen: • Riechplakoden unterteilen den Stirnnasenwulst und werden als Riechepithel in die Tiefe verlegt, dabei erfolgt eine relative Wanderung von lateral nach medial. • Linsenplakoden entstehen nach Induktion durch die dienzephalen Augenbläschen, die Augenanlagen wandern von lateral nach vorn. • Ohrplakoden als Anlagen des Innenohrs verlagern sich von kaudal (1. Schiundfurche) nach kranial.
154
3 Allgemeine Embryologie
Tabelle 3.4: Carnegie-Stadien (s. Kap. 3.10.2, S. 170) sind d u r c h m o r p h o l o g i s c h e Merkmale (2 rechte Spalten) definiert. Die S t a d i e n z u o r d n u n g zu Ovulationsalter und Größenentwicklung d e s Embryos (2 linke Spalten) ist variabel und hat orientierenden Charakter Ovulations-. alter (EW)
Länge des Embryos (mm) 0,1
CarnegieStadium
Merkmale des Embryoblast
1
Befruchtung, Zygote
2
Morula
3
freie Blastozyste
Merkmale des Trophoblast
(2-Zellen- bis 16-Zellen-Stadium) 1
4
beginnende Implantation a: solider Synzytiotrophoblast b: lakunärer Synzytiotrophoblast c: Eröffnung mütterlicher Gefäße, utero-plazentarer Kreislauf. Abschluss der Implantation
5
2
0,2
6
extraembryonales Mesoderm b: Primitivstreifen
a: Primärzotten, Haftstiel, Chorionhöhle
0,4
7
Sekundärzotten, äußere Zytrophoblasthülle
1
8
Chordafortsatz, intraembryonales Mesoderm, Canalis neurentericus, Blut- und Gefäßbildung Primitivgrube, Neuralfalten
1 -2
9
1-4 Somiten (20, ET), Herzanlage
Ausweitung der Chorionhöhle, Tertiärzotten
2-3
10
Beginn Neurairohrschluss, 2 Schlundbögen, Augenbläschen, 7 10 Somiten (22. ET), 13-17 Somiten (24. ET) Schluss des Neuroporus cranialis, Armknospen, 3 Schlundbögen, 20-23 Somiten (26. ET)
erste ausbleibende Menstruation
3
11
4
4-5
12
13 14
Linsenplakode und -grübe
15
Handplatte, Linsenbläschen, Hirnbläschen
16
Fußplatte, Retinapigment
17
Beginn des physiologischen Nabelbruchs, Fingerstrahlen
13 17
18
Genitalhöcker, Mamillen, Knie, Flexion im Ellenbogen, Pronation der Hand
16-20
19
Fingerknospen, Dorsalflexion des Fußes, Rumpf verlängert und streckt sich Zehenknospen, Hände, Füße nähern sich einander Nase, Augenlider Ohrmuschel deutlich
6- 7 5
6
Schluss des Neuroporus caudalis, Herzkontraktionen, 26 29 Somiten (28. ET) Beinknospen, 4 Schlundbögen, Ohrbläschen, 34-35 Somiten (30. ET)
8-10
zweite ausbleibende Menstruation
7
20
21 8
24-30
22
23
Zehen getrennt. Augenlider bedecken Bulbus, Sohwanzknospe rückgebildet Cochlea mit 1 5 Windungen, prominenter Unterkiefer, Rumpf, Extremitäten ausgebildet
3.5 Embryogenese
155
Tabelle 3.5: Embryonale Quellen ausgewählter G e w e b e und Organe (Keimblattderivate) Ektoderm
Mesoderm
Oberflächenektoderm
• Epidermis einschl. Haare, Nägel, Drüsen · • Epithelien von Mund- und Nasenhöhle, After, äußerem Gehörgang· • Adenohypophyse· • Zahnschmelz• Linse und Hornhaut des Auges • Innenohr
Neurairohr
• Rückenmark, Gehirn einschl. Hirnnerven I, II, Retina, Neurohypophyse· • M. dilatator pupillae
Neuraileiste
• M. ciliaris, M. sphincter pupillae• sensible Anteile der Hirn- und Spinalnerven, periphere Ganglien des Autonomen Nervensystems einschl. Glia, enterisches Nervensystem• Schädelknochen, Knorpel und B i n d e g e w e b e des Kopfes• Dentin und Zement der Zähne• Gefäßmuskulatur und Dermis des Kopfes• C-Zellen der Schilddrüse• Nebennierenmark • • Melanozyten der Haut
Chorda
• Nucleus pulposus der B a n d s c h e i b e n
dorsalis
paraxial
• präotisch: äußere Auaenmuskeln. Muskeln der Pharyngealbögen• Somiten: Rumpfskelett: Skelettmuskulatur von Rumpf. Extremitäten, Zunge; Dermis und Subkutis außer Kopf
intermediär
• Harnorgane: Niere, Nierenbecken, Ureter, Trigonum vesicae der Harnblase · • innere Geschlechtsorgane ohne Keimzellen
lateral viszeral (Splanchnopleura; Viszeropleura)
• B i n d e g e w e b e und Muskulatur von Magen-Darm-Kanal, Bronchialbaum, Leber, Pankreas• Herz · • viszerale Blätter von Perikard, Peritoneum, Pleura • Milz
lateral parietal (Somatopleura)
• • • •
B i n d e g e w e b e der ventralen Rumpfwand, SternumBindegewebe, Knorpel und Knochen der Extremitätenparietale Blätter von Perikard, Peritoneum, Pleura Nebennierenrinde
Entoderm
• Epithelien des Magen-Darm-Kanals einschl. Gallengänge, Leber, Pankreas • • Bronchial- und Alveolarepithel der Lunge · • Epithel der Harnblase außer Trigonum vesicae, Harnröhre• Pharvngealtaschen und anarenzendes E.: Mittelohr. Tonsilla palatina, Glandulae parathyroideae, Thymus, Glandula thyroidea
Dottersack
• Keimzellen
156
3 Allgemeine Embryologie
In der 8. EW beginnt der Kopf sich gegenüber dem Rumpf aufzurichten, das Kinn wird prominent (Spitzgesicht), der Herz-Leber-Wulst wandert relativ nach kaudal und eine Halskontur wird an der Kopf-Rumpf-Grenze erkennbar. Proportion. Der Kopf des Keimlings ist die bis zur 8. EW am schnellsten wachsende und sein Äußeres dominierende Region und nimmt ein: •
in der 11. SSW (9. EW) die Hälfte der Fetallänge • in der 15. SSW ein Drittel der Länge • zur Geburt ein Viertel der Länge • im Erwachsenenalter ein Achtel der Gesamtkörperlänge.
• die Extremitätenabschnitte mit den gelenktypischen Knickungen entwickeln sich aus den Extremitätenknospen, • der Herz-Leber-Wulst, der seit der kraniokaudalen Krümmung den Kopf auf der Ventralseite unterlagert hat, bildet sich bis zur 8. EW zurück. Physiologischer Nabelbruch (Abb. 3.25). Darmschlingen, die wegen ihres starken Längenwachstums in der erst später expandierenden Leibeshöhle keinen Platz finden, weichen in der 6. EW in den Zölomspalt der Nabelschnur aus, von wo sie sich in der 11. EW (13. SSW) wieder in die Bauchhöhle zurückziehen (Kap. 3.5.3.2, S. 156).
3.5.3.2 Rumpf
3.5.4 Übersicht über Blasto- und Embryogenese
Nach 7 - 8 EW ist eine äußerliche Identifikation des Embryos als menschliche Leibesfrucht durch Änderungen von Kopf-, Hals- und Rumpfform möglich (Abb. 3.24):
Carnegie-Stadien. Tab. 3.4 gibt Entwicklungsschritte wieder, die Grundlage der 23 CarnegieStadien sind (Kap. 3.10.2, S. 170), und ordnet sie zeitlich zu.
•
Gewebe- und Organquellen nennt Tabelle 3.5.
die Schwanzknospe bleibt im Wachstum zurück und verschwindet,
Tabelle 3.6: Fetalentwicklung: 3. Monat (11.-14. SSW) bis 10. Monat (39.-42. SSW) SSW
Länge (cm) SSL SFL
Gewicht (g)
Äußere Kennzeichen
11-14
4-7
10-25
• • • •
15-18
8-12
50-200
• Vernix caseosa • Lanugobehaarung • Zehennägel erkennbar
19-22
9-14
200-350
• Kindsbewegungen durch Mutter wahrnehmbar • Geschlechtsbestimmung per Ultraschall möglich (äußere Genitalien: Abb. 3.30)· • Herztöne auskultatorisch wahrnehmbar
Gesicht „menschlich" Augen rostral, Ohren lateral Knochenkerne In langen Röhrenknochen Rückbildung des physiologischen Nabelbruchs
23-26
28-31
450-850
• runzlige Haut, kein Unterhautfettgewebe
27-30
34-37
1000-1400
• Entwicklung des subkutanen Fettgewebes, rundliche Oberfläche des Feten· • Augenlider
31-34
40-43
1600-2250
• Haut glatt, ohne Behaarung • Fingernägel erreichen Fingerkuppen
35-38
45-47
2550-3100
• Hoden männlicher Feten meist im Scrotum (Abb. 3.30b)· • Kopf hat größten Durchmesser des Körpers
9-42
50
3250-3400
157
3.6 Fetogenese, Geburt, Reifezeichen
3.6
Fetogenese, Geburt, Reifezeichen
Lernziele: Größenentwicklung des Feten, Reifezeichen, Geburt, Geburtsphasen, Wehen
3.6.1
Fetogenese
Auf Grund des Fehlens kurzfristiger, markanter morphologischer Veränderungen des Fetus existiert für die Wachstums- und Reifungsprozesse während der Fetogenese kein den Carnegie-Stadien der Blasto- und Embryogenese analoges Einteilungssystem (Tab. 3.6, Abb. 3.30).
dessen Ausbildung im letzten Schwangerschaftsdrittel führt dies zu rundlichen Rumpf- und Extremitätenformen. Eine Talg- und Fettschicht ( Vernix caseosa) bedeckt gegen Ende der Schwangerschaft als Produkt der sich entwickelnden Talgdrüsen die Haut. Die Haase-Regel (Tab. 3.7) ermöglicht eine Schätzung der Größenentwicklung des Feten, die sonographisch (Kap. 3.10.3, S. 171) genauer bestimmt werden kann.
3.6.2 Geburt
Hautmerkmale. Die Lanugo- oder Flaumbehaarung wird postnatal durch Terminalbehaarung ersetzt. Die Haut ist zunächst wegen des Fehlens von Unterhautfettgewebe rötlich und runzlig, nach Tabelle 3.7: Haase-Regel. Man quadriert vom 3.-5. Monat die Monatszahl und multipliziert ab dem 6. Monat die Monatszahl mit „5". Das Ergebnis ist die ungefähre Größe des Feten.
Ende des Monats
Schätzung
Größe (cm)
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
3x3 4x4 5x5 6x5 7x5 8x5 9x5 10x5
9 16 25 30 35 40 45 50
Geburt ist die Ausstoßung des Fetus aus dem Mutterleib durch Wehentätigkeit. Die Auslösung des Geburtsvorgangs ist komplex und weitgehend ungeklärt. Hormone der fetalen Hypophyse und Nebennierenrinde scheinen an der Induktion beteiligt zu sein, das mütterliche Hypophysen-Hormon Oxytocin bewirkt daraufhin die Wehen. Wehen sind schmerzhafte Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur am Ende der Schwangerschaft und unter der Geburt; Dauer: 2 0 - 6 0 Sek. Einteilung nach •
zeitlichem Auftreten: Vor-, Eröffnungs-, Austreibungs-, Nachgeburts-, Nachwehen • Funktion: Senk-, Stellwehen.
Abb. 3.30: Sonographische Geschlechtsbestimmung im 3. Trimenon, a. Weibliches Genitale (Pfeilköpfe: große Schamlippen), b. Männliches Genitale (Pfeil: Penis; links daneben Umriss des Hodensacks mit den beiden Hoden)
158
3 Allgemeine Embryologie
Wehen bestehen beim geburtsbereiten Uterus aus 4 Phasen: 1. Kontraktion (beginnend im Fundus), 2. Retraktion (aktives Zurückziehen der Uteruswand über den vorangehenden Kindsteil), 3. Distraktion (passive Erweiterung des unteren Uterinsegmentes), 4. Dilatation (passive Dehnung und Eröffnung des Muttermundes). Die Grenze zwischen oberem aktiven und unterem passiven Uterusteil ist ein Kontraktionsring (Bandl-Furche, wenn unter der Geburt tastbar), dessen Position bei zunehmender Dehnung des unteren Uterusteils nach oben steigt.
lieh eingeleitet werden, da wegen des Fehlens höherer Hirnabschnitte hypophyseale Signale des Feten ausbleiben. 2. Der große Kopf beim Hydrocephalus (= Wasserkopf) ist ein Geburtshindernis. Besonders bei Schädellage, weniger bei Beckenendlage droht eine Uterusruptur. 3. Krampfwehen (—> Dauerkontraktionen der Uterusmuskulatur) sind wegen der verminderten Durchblutung der Plazenta für den Fetus gefahrlich. 4. Nachgeburtsblutungen kommen durch einen atonischen, stark diktierten Uterus zustande.
3 Geburtsphasen werden unterschieden: 1. Eröffnungsphase: Die Cervix uteri entfaltet sich, die Fruchtblase (Kap. 3.7.6; S. 163) wölbt sich vor und erweitert den Muttermund. Durch den folgenden Fruchtblasensprung fließt das Fruchtwasser ab. 2. Die Austreibungsphase ist (bezogen auf Einund Ausgangsebene des kleinen Beckens) durch Eintritt, Durchtritt und Austritt gekennzeichnet. Sie wird entscheidend von der intrauterinen Lage des Feten beeinflusst. 3. In der Nachgeburtsphase erfolgen Abnabelung, Lösung der Plazenta von der Spongiosa des Endometriums sowie Abstoßung von Plazenta und Fruchthüllen. Tonische Uteruskontraktionen verschließen die Spiralarterien, was Blutungen reduziert. Klinik: 1. Beim Anencephalus (Abb. 3.19, Kap. 3.5.1.2, S. 142) muss die Geburt künst-
3.7
3.6.3
Reifezeichen des Neugeborenen
Die Reifebeurteilung anhand von Reifezeichen gibt Auskunft über kindliche Körpermerkmale und darüber, ob ein (unreifes) Frühgeborenes vorliegt. Körperliche Kriterien sind • • • • • • • • • • •
Größe (> 48 cm), Geburtsgewicht (> 2500 g), Schulterumfang größer als Kopfumfang, Hautdurchsichtigkeit, Vollständigkeit und Form des Ohrknorpelgerüsts, Fußsohlenfältelung, Brustdrüsendurchmesser (10 mm), Brustwarzendifferenzierung, Fingernagellänge (sie erreichen oder bedecken Fingerkuppen), Kopfhaardifferenzierung und Reife des Genitale (Labienschluss, Descensus testis).
Mutterkuchen, Placenta, Fruchthüllen a b 3. E W
Lernziele: Placenta: Zotten, Teile, Schichten, Schranke, Reifung. Funktionen; Chorion, Fruchthüllen, Fruchtwasser, Nabelschnur Die Placenta ist ein auf Zeit angelegtes, scheibenförmiges Ernährungsorgan, das kontinuierlich wächst und sich differenziert, so dass in jedem Entwicklungsstadium die aktuellen Ernährungsbedürfnisse des Keimlings befriedigt werden.
3.7.1
Entstehung der Plazentazotten
Plazentazotten sind embryo/fetale, synzytiumüberzogene Gewebebäume, die in einem von mütterlichem Blut durchströmten Lakunensystem (—» intervillöser Raum, Kap. 3.7.2, S. 159) flottieren. Ende der 2. EW hatte durch die Eröffnung mütterlicher Gefäße der uteroplazentare Kreislauf in den synzytialen Lakunen begonnen (Kap. 3.4.2.1,
159
3.7 Mutterkuchen, Placenta, Fruchthüllen ab 3. EW
S. 136). Die zunächst irregulär angeordneten Synzytiumbalken ordnen sich räumlich um und erhalten einen Bindegewebekern mit embryonalen Blutgefäßen: • Trabekel (Abb. 3.31) sind radiär orientierte Synzytiumbalken. • Primärzotten entstehen in der 2. EW durch Einwachsen von Zytotrophoblastzellen in das Innere der Trabekel. Sie besitzen außen einen Synzytiotrophoblast-Überzug, innen einen Zytotrophoblastkern. • Sekundärzotten (Chorionzotten) entstehen durch Einwachsen von Chorionmesenchym in den Zytotrophoblastkern und bestehen von außen nach innen aus Synzytium, Zytotrophoblast, Basalmembran, Chorionmesenchym. • Tertiärzotten enthalten extraembryonale Blutgefäße, die ab der 3. EW im Mesenchymkern entstehen. Nach Anschluss dieser Gefäße an den sich entwickelnden intraembryonalen Kreislauf in der 4. EW kann der Stofftransport von der Placenta zum Embryo über das Blut erfolgen, so wird die bis dahin dominierende Diffusion als Transportmodalität ersetzt. Äußere Zytotrophoblasthülle. Während Mesenchym und Blutgefäße in den Tertiärzotten ihre definitive Position erreichen, proliferiert der Zytotrophoblast weiter in Richtung Dezidua. Er erreicht diese maternale Schicht und umwächst das embryonale Synzytium auf dessen äußerer, dezidualer Oberfläche in der 3. EW. Bis auf Reste, die als Inseln in der Dezidua liegen bleiben, verliert der Synzytiotrophoblast seinen direkten Kontakt mit dem mütterlichen Gewebe: die äußere Zytotrophoblasthülle trennt beide fortan. Der Infiltrationsprozess des Synzytiums ist damit beendet, die Placenta vergrößert sich fortan nur noch durch Verdrängungswachstum. Durchdringungszone ist die fetomatemale Grenzschicht mit einer Vermischung von Zytotrophoblast- und Deziduazellen.
Chorion frondosum, Chorion laeve. In der 2.-3. EW war die Entwicklung der Trabekel und Zotten am embryonalen Pol ausgeprägter als am übrigen Umfang der Trophoblasthülle. Dieser Unterschied verstärkt sich, indem Verzweigung und Ausreifung der Zotten nur am embryonalen Pol erfolgt. Hier entsteht das Chorion frondosum (Zottenchorion),
abembryonal das Chorion laeve (Chorionglatze). Bis zum Ende der Embryonalperiode bilden sich hier die Zotten zurück (Abb. 3.20). Aus dem Chorion frondosum und anliegendem mütterlichen Gewebe bildet sich die Placenta (Kap. 3.7.3, S. 161), das Chorion laeve beteiligt sich gemeinsam mit der mütterlichen Dezidua am Aufbau der Fruchthüllen (Kap. 3.7.6, S. 163).
3.7.2
Plazentareifung, Plazentaschranke
Plazentareifung. Durch Zottenwachstum (Vergrößerung der Austauschoberfläche) und Zottenreifung (Verkürzung der Austauschstrecke: Plazentaschranke) deckt die Plazenta den wachsenden Bedarf an Austauschkapazität im Schwangerschaftsverlauf. Zottenwachstum, intervillöser Raum. Zotten sprossen ständig aus, wachsen in die Länge und verzweigen sich. Das Lakunensystem wird so zu einem Spaltensystem (—> intervillöser Raum). •
Stammzotten gehen aus der Chorionplatte hervor und sind über Haftzotten mit der Basalplatte verbunden (Kap. 3.7.3, S. 161). Nach histologischem Bau und resultierender Beteiligung an Austauschprozessen unterscheidet man weiter: • unreife Intermediärzotten mit reichlichem Mesodermkem, • reife Intermediärzotten (verstärktes Längenwachstum und Schlängelung der Kapillaren), die im letzten Drittel der Schwangerschaft vermehrt entstehen sowie • Terminal- oder Endzotten, in denen sich die Kapillaren des Synzytium teils in den mütterlichen Blutraum vorwölben (Durchmesser: 50 μπι). Die meist erweiterten Kapillaren (Durchmesser 10-50 μιτι) machen über die Hälfte der Querschnittsfläche der Zotten aus. Die fetomatemale Austauschstrecke (Plazentaschranke, s. u.) umfasst > 25-30 nm, durchschnittlich 2 - 5 μιτι. Hofbauer-Zellen. Der Reiz für vermehrte Zottenproliferation ist relativer Sauerstoffmangel in Nähe der Rückflusszonen des mütterlichen Blutes in die Venen, weswegen in diesen Bereichen die meisten Terminalzotten anzutreffen sind. V. a. im Mesenchymkern der Intermediärzotten häufig anzutref-
160
3 Allgemeine
Plazenta
Entwicklung
Embryologie
Zottenquerschnitte
r Histotrophe Lakunen « l Hämatotrophe
Synzytiotrophoblast Zytotrophoblast
Trabekel, Primärzotten
a Primärzotte
Sekundärzotten
Tertiärzotten —
extraembryonales Mesoderm
äußere Zytotrophoblasthülle — b Sekundärzotte
Zottenverzweigungen — Zottengefäße
Amnionanlagerung (Obliteration der Chorionhöhle)
— Tertiärzotte (jung)
Langhanszellen (Zytotrophoblast) Reduktion der Plazenta- — schranke
reife Zotte
I I Endometrium
I I I ' ' Synzytio- und
Zytotrophopblast
\
ι
I intervillöser Raum
Amnion
extraembryonales Plazentagefäße
Mesoderm
Abb. 3.31: Plazentaentwicklung ab. l a k u n ä r e m S t a d i u m d e s S y n z y t i o t r o p h o b l a s t e n ( m o d i f i z i e r t n a c h G r a y s A n a t o m y u n d J. L a n g m a n ) , a - d . Z o t t e n e n t w i c k l u n g u n d R e d u k t i o n d e r Plazentaschranke: Doppelpfeile b e z e i c h n e n d e n minimalen A u s t a u s c h w e g der Blutinhaltsstoffe
161
3.7 Mutterkuchen, Placenta, Fruchthüllen ab 3. EW
fende, makrophagenartige Hofbauer-Zellen sezernieren Faktoren, die fur die Bindegewebs- und Gefaßproliferation unverzichtbar sind. Synzytialknoten sind kernreiche, zytoplasmatische Vorwölbungen des Synzytiotrophoblast, die sich ablösen und über die venösen Abflüsse des intervillösen Raumes in den mütterlichen Kreislauf gelangen können. Fibrinoid (Abb. 3.32), fibrinähnliches Material, gehört zum histologischen Erscheinungsbild von Plazenten verschiedener Altersstufen. Es kann sich in der Chorionplatte (Langhans-Fibrinoid), auf der Oberfläche der Basalplatte (Rohr-Fibrinoid) oder in der Tiefe der Basalplatte in der Kontaktzone zwischen mütterlichem und fetalem Gewebe (Nitabuch-Fibrinoid) ansammeln. Fibrinoid wird als degeneratives Produkt gedeutet.
Plazentaschranke (Abb. 3.31 c, d) nennt man die Mindestsumme der biologischen Trennschichten zwischen mütterlichem und fetalem Blut, die durch Austauschstoffe überwunden werden muss. Die Passage von Stoffen durch die Plazentaschranke hängt ab von der Molekülgröße der Teilchen, ihrer Eiweißbindung, der Lipidlöslichkeit, dem Dissoziationsgrad und ihrer elektrischen Ladung. Über verschiedene Transportmechanismen informiert Kap. 3.7.5, S. 163.
Die Plazentaschranke der Tertiärzotten (ab der 4. EW) besteht zunächst aus 6 Schichten: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Synzytiotrophoblast Zytotrophoblast Basalmembran des Zytotrophoblast extraembryonales Mesenchym endotheliale Basalmembran Endothel der embryo/fetalen Kapillaren.
Zottenreifung erfolgt durch Reduktion der Zahl der Trennschichten. So verläuft der Austausch über die Plazentaschranke mit zunehmender Schwangerschaftsdauer effizienter. Die den Synzytiotrophoblasten unterlagernde Zytotrophoblastschicht wird diskontinuierlich, die verbleibenden Zytotrophoblastzellen werden Langhans-Zellen genannt. Die Blutgefäße unterlagern immer häufiger direkt die Synzytiumschicht. So besteht die Plazentaschranke in reifen Intermediär- und Terminalzotten (2. Schwangerschaftshälfte) an vielen Stellen nur noch aus 3 Schichten: 1. Synzytiotrophoblast, 2. gemeinsame Basalmembran, 3. Endothel der embryo/fetalen Kapillaren.
3.7.3
Plazentaschichten, Plazentateile
Die Placenta besteht aus 3 Hauptschichten: der zentralen Zottenschicht, der fetalseitigen Chorionplatte und der in der Uterusschleimhaut verankerten Basalplatte. Fetale und mütterliche Kotyledonen sind Struktureinheiten, die auf einer senkrecht zu den Schichten erfolgenden Unterteilung beruhen. Schichten (Abb. 3.32): •
Die Zottenschicht umfasst alle Plazentazotten und den umgebenden intervillösen Raum. Die Stammzotten sind auf fetaler Seite in der Chorionplatte und mütterlicherseits über Haftzotten in der Basalplatte verankert. • Die Chorionplatte liegt auf der fetalen Seite und besteht aus Synzytiotrophoblast, Zytotrophoblast und Chorionmesoderm, dem sich durch die Obliteration der Chorionhöhle das Amnion anlagert (Abb. 3.31, 33). • Die Basalplatte (Deziduaplatte) liegt der Chorionplatte spiegelbildlich auf mütterlicher Seite gegenüber. Sie besteht (von fetal nach maternal) aus: Synzytiotrophoblast, Zytotrophoblast und Decidua basalis (Kap. 3.7.6, S. 163). Durch die Basalplatte hindurch ziehend öffnen sich mütterliche Blutgefäße in den intervillösen Raum. Teile (Abb. 3.32). Man unterscheidet • fetale Kotyledonen, von einer Stammzotte ausgehende Zottenbäume, und • mütterliche Kotyledonen. Diese entstehen durch Plazentasepten, die von der Basalplatte aus zwischen fetale Kotyledonen vorwachsen, ohne jedoch die Chorionplatte zu erreichen und so durch vollständige Unterteilung des intervillösen Raums getrennte Blutkompartimente zu schaffen. Es besteht kein 1:1-Verhältnis zwischen fetalen und mütterlichen Kotyledonen, vielmehr werden häufig 2, 3 oder mehr Zottenbäume gemeinsam von Plazentasepten umgrenzt.
3 Allgemeine Embryologie
162
Nabelschnur
Lanahans-Fibrinoid
Chorionplatte
Zottenschicht
/ / Rohr-Fibrinoid
/
Basalplatte
Haftzotte
Nitabuch-Fibnnoid
j ntervillöser Raum
Stammzotte
Kotyledon (fetall
Abb. 3.32: Reife Plazenta von fetaler (a) und mütterlicher Seite (b) gesehen. Das Amnion ist entfernt. In (a) ist die Schnittebene für (c) markiert. Die angedeuteten Furchen in (b) markieren Lage der Plazentasepten; die so schwach umgrenzten Bereiche auf der Basalplatte lassen die Ausdehnung mütterlicher Kotyledonen erahnen, c. Plazentabau im Querschnitt
3.7.4
Reife Placenta
Plazenten aller Säuger haben einen getrennten mütterlichen und fetalen Blutkreislauf. Qualitativ ist die menschliche Placenta • •
scheibenförmig (Placenta discoidalis), eine Zottenplazenta, wegen der baumartigen Verzweigung des Trophoblastgewebes, • hämo-dichorial, später hämo-monochorial, da die epitheliale Trophoblastoberfläche, die direkt von mütterlichem Blut umspült wird, anfangs aus zwei (Synzytiotrophoblast, Zytotro-
phoblast), zuletzt aus nur einer fetalen Schicht (Synzytiotrophoblast) besteht sowie • multivillös, da haarnadelartige fetale Gefaßschlingen vom mütterlichen Blutstrom in unterschiedlichen Winkeln gekreuzt werden. Quantitativ ist die 3 8 ^ 0 Wochen alte bzw. nachgeburtliche Plazenta wie folgt charakterisierbar: • •
Durchmesser: 17-20 cm, Dicke (spontan entblutet): 2,5 cm (in situ im Ultraschallbild einschl. Uteruswand 4,5 cm; Abb. 3.33), • Gewicht: 500 g,
163
3.7 Mutterkuchen, Placenta, Fruchthüllen ab 3. EW
-
3. 4. 5. 6.
7. • • • • •
Abb. 3.33: Plazenta im Ultraschall, a. Unauffällige normale Plazenta (zwischen den Markierungen), b. Blasenmole, mit Pfeil markiert (Stern: fetaler Kopf; Pfeilkopf: unauffälliger Plazentabereich)
• •
von 1 g Placenta versorgtes Fetalgewicht: 7 g, mittlere fetomaternale Diffusionsstrecke: 2 - 5 μπι. Klinik: 1. Blasenmole wird überschüssige Trophoblastbildung genannt (Abb. 3.33 b). Der Embryo kann zugrunde gehen, während der Trophoblast weiter wuchern und bisweilen maligne zum Chorionkarzinom (= malignes Chorionepitheliom) entarten kann. 2. Chorionkarzinom ist die bösartige Form der Trophoblasttumoren, es wächst ohne Zottenstroma invasiv und destruierend in das Myometrium ein und zeigt durch Eröffnung von und Einwachsen in Gefäße ausgeprägte Blutungsneigung.
Gasaustauschorgan (Lunge) Stoffwechselorgan (Leber) Blutbildungsorgan (Knochenmark) Hormonbildungsorgan. Sie sorgt für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft zunächst indirekt durch HCG- (Kap. 3.4.2, S. 136), ab dem 4. Monat direkt durch Progesteron-Produktion. Sie versieht außerdem eine fetomaternale Transportfunktion. Stofftransport über die Plazentaschranke erfolgt durch Diffusion (Sauerstoff, Kohlendioxid, Wasser, Harnstoff), erleichterte Diffusion mittels Träger-Molekülen (Glukose, Laktat), aktiven Transport (Aminosäuren, Ionen), Pinozytose (Proteine, mütterliche Antikörper, Fette) und Diapedese (Viren, Bakterien).
Klinik: 1. Leihimmunität nennt man die durch den diaplazentaren Übertritt mütterlicher Antikörper dem Neugeborenen „geborgte" Immunität während der ersten Lebensmonate. 2. Erkrankungen durch diaplazentaren Übertritt von Krankheitserregern, Medikamenten, Alkohol (Kap. 3.9, S. 167): ζ. B. Rötelnembryopathie bei Erkrankung der Mutter an Röteln während der ersten 3 Schwangerschaftsmonate (Augenanomalien, Herzfehler, ZNS-Anomalien, Innenohrschädigung); HIV-Erkrankung (= AIDS) durch Übertragung von HI-Viren (bei Seropositivität der Mutter ist kindliches Infektionsrisiko < 20 %); Herzfehler durch Medikamente: Früher Thalidomid, jetzt häufiger Valproinsäure, Hydantoin; Alkoholfetopathie: Durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft hervorgerufene pränatale Erkrankung der Frucht (u. a. Wachstumsretardierung, Mikrozephalie, statomotorische und geistige Retardierung).
3.7.6 3.7.5
Plazentafunktion
Die Placenta nimmt die Funktionen zahlreicher fetaler Organe wahr. Sie ist 1. Resorptionsorgan (Darm) 2. Ausscheidungsorgan (Niere)
Fruchthüllen
Fruchthüllen ist der klinische Ausdruck fur die Summe der Gewebeschichten, die den Fetus im Uterus umgeben und als Nachgeburt mit Placenta und Nabelschnur (Kap. 3.6, S. 157) abgehen. Unmittelbare fetale Umgebung ist die Amnionhöhle mit dem Fruchtwasser.
3 Allgemeine Embryologie
164
Plazenta Uteruslumen Chorionhöhle
Nabelschnur
Amnionhöhle
Decidua basafis
Amnionhöhle
Decidua capsularis
Decidua p a r i e t a l i
Abb. 3.34: Entwicklung der Fruchthäute (modifiziert nach J. Langman). Die durch das Fetalwachstum und die expandierende Amnionhöhle obliterierenden Räume (Chorionhöhle, Uteruslumen) sind grün, a. 8. EW, b. 12. EW
Dezidua (Abb. 3.34) nennt man die Funktionalis des Endometriums nach Eintreten einer Schwangerschaft. Sie liefert die mütterlichen Anteile für Placenta und Fruchthüllen und besteht nach Bildung des Chorion frondosum aus • Decidua basalis, sie bildet die mütterliche Plazentaschicht, • Decidua capsularis, die das Chorion laeve umgibt, und • Decidua parietalis an der Uteruswand außerhalb des Einnistungsortes. Durch Wachstum und Krümmungen des Embryonalkörpers vergrößern sich Oberfläche und Volumen der Amnionhöhle, die Chorionhöhle obliteriert. So verschmelzen Amnion und Chorion laeve (Chorion-Amnion-Haut) sowie ebenso, zu Beginn der Fetalzeit, Decidua capsularis und parietalis, womit das Uteruslumen obliteriert. Diese so vereinigten Fruchthüllen bilden die Fruchtblase, die die mit Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser) gefüllte Amnionhöhle (Fruchthöhle) als direkte Umgebung des Fetalkörpers umschließt. Fruchtwasser (FW; Amnionflüssigkeit) wird von den Amnionzellen erzeugt und ermöglicht fetale Bewegungen und Lageveränderungen des Fetus. FW bewirkt während der Geburt hydrostatisch
die Eröffnung des Zervixkanals. Druck auf die mütterliche Bauchdecke wird gleichmäßig auf Fetaloberfläche und Uterusinnenfläche verteilt. Die gegen Ende der Schwangerschaft 1 1 umfassende Flüssigkeitsmenge wird mehrmals pro Tag vom Feten verschluckt und als fetaler Urin ausgeschieden. Fetales Ausscheidungsorgan ist jedoch die Plazenta (Kap. 3.7.5, S. 163), durch die harnpflichtige Substanzen in den mütterlichen Kreislauf gelangen. Klinik: Amnioskopie heißt die FW-Besichtigung durch intakte Fruchthäute hindurch mit einem durch die Vagina eingeführten Endoskop (= Amnioskop). Beurteilt werden: Farbe (gelb: Rh-Inkompatibilität; fleischfarben: abgestorbener Fetus; grün-erbsebreiartig: Frühsymptom für Stuhlabgang); Vernixgehalt (stark vernixhaltiges FW: reifer Fetus); Menge: Oligohydramniom bei < 100 ml (Dysplasie der Nieren, Obstruktion der harnableitenden Wege; Kap. 3.9.4, S. 169); Hydramniom bei >2000 ml (Schluckstörungen, Diabetes der Mutter); Polyhydramnion bei >3000 ml (z.B. bei mechanischer Schluckstörung durch Ösophagusatresie, Trachealstenose oder funktioneller Schluckstörung wegen Hirnfehlbildung).
3.8 Mehrlinge
3.7.7
Nabelschnur, Funiculus umbilicalis
Entstehung, Bestandteile. Ursprung dieser Verbindung zwischen Placenta und Embryo/Fetus ist der Haftstiel (Abb. 3.32, 34, 42). Die Nabelschnur enthält: •
Blutgefäße (Nabelschnurgefaße, s. u.), durch die intraembryonale und Plazentagefäße kommunizieren. • Allantois, extraembryonales Zölom und Dottersack werden durch Abfaltung des Embryonalkörpers an das Mesenchym des Haftstiels gedrängt. • Das Amnion umstülpt mit seiner Außenfläche im Zuge der Vergrößerung des Fetus und der Amnionhöhle Haftstiel samt Blutgefäßen, Allantois, Dottersack und den umgebenden Ausläufer der extraembryonalen Leibeshöhle von außen. 3 Nabelschnurgefaße verbinden die Gefäßsysteme von Fetus und fetalem Plazentateil (Kap. 3.7.3, S. 161).
165
t> 2 Aa. umbilicales verlaufen miteinander und umgeben die Vene spiralig. Die Nabelschnur bietet mit dem Einschluss eines kleinen Teils der extraembryonalen Leibeshöhle den Ausweichraum für die während des physiologischen Nahelhrachs zeitweilig außerhalb des Fetalrumpfes platzierten Darmschlingen (Kap. 3.5.3, S. 153, Abb. 3.25).
Der Nabelschnuransatz kann auf fetaler Seite am Nabelring, an der Placenta zentral, exzentrisch, marginal oder außerhalb, mit zwischengeschaltetem Verlauf über die Fruchthüllen („velamentös"), liegen. Die Nabelschnur ist bei Geburt 1 - 2 cm dick und 5 0 - 7 0 cm lang. Klinik: 1. Eine kurze Nabelschnur (< 30 cm) ist häufig Folge mangelnder fetaler Bewegung. 2. Eine lange Nabelschnur (> 100 cm) fuhrt ggf. zu Nabelschnurumschlingung (Abschnüren von Körperteilen) oder -knoten (venöse Stauung). 3. Eine singulare Nabelschnurarterie (Abb. 3.42b) kann fetale Mangelversorgung bewirken.
D> eine V. umbilicalis durchzieht die Nabelschnur in gestrecktem Verlauf
3.8
Mehrlinge
Lernziele: Eineiigkeit, Mehreiigkeit Mehrlinge sind gleichzeitig entwickelte und kurz nacheinander geborene Geschwister; sie können mehreiig und eineiig sein. Kombinationen zwischen beiden Varianten sind bei höhergradigen Mehrlingen (Drillingen, Vieriingen) häufig. Mehreiige Mehrlinge entstehen nach Befruchtung von mehreren im selben Zyklus ovulierten Eizellen, die einem gemeinsamen (beim Menschen selten) oder verschiedenen Follikeln entstammen. Der genetische Verwandtschaftsgrad entspricht dem von zu verschiedenen Zeiten heranwachsenden Geschwistern: sie können somit verschiedengeschlechtlich sein. • Kennzeichen zweieiiger Zwillinge sind getrennte Plazenten und Fruchthüllen, die jedoch bei nah
benachbarten Implantationsorten schmelzen können.
partiell
ver-
Eineiige Mehrlinge entstehen nach einer einzigen Befruchtung durch Teilung von Anlagen (Abb. 3.35), die j e einen vollständigen Embryo/Fetus bilden. Sie sind genetisch identisch, also gleichgeschlechtlich. Frühestmöglicher Trennungszeitpunkt ist das Zweizellstadium, in dem beide Zellen omnipotent sind und die Mehrlinge getrennte Fruchthüllen ausbilden (Abb. 3.35, 36 a). Spätestmöglicher Trennungszeitpunkt ist die Individuation. Bei Anlage mehrerer Chordafortsätze (Kap. 3.5.1, S. 140), die die entsprechende Zahl von Neuralrohrbildungen etc. auf einer Keimscheibe induzieren, entsteht die entsprechende Zahl von Embryonen. In diesem Fall befinden sich mehrere Keimlinge in einer Amnionhöhle.
166
3 Allgemeine Embryologie
Abb. 3.35: Fruchthüllen bei eineiigen Zwillingen (modifiziert nach J. Langman), a. Diamniotische, dlchoriale Zwillinge nach Trennung der Anlagen im Zweizellstadium, b. Diamniotische, monochoriale Zwillinge nach Trennung der Anlagen Im Blastozystenstadlum, c. Monoamniotische, monochoriale Zwillinge nach Trennung der Anlagen zwischen abgeschlossener Bildung einer Amnionhöhle und der Individuation (sekundär mögliche Verwachsungen der Fruchthüllen nicht berücksichtigt)
167
3.9 Teratologie, Fehlbildungslehre
Da Fruchthüllen und Plazenten auch sekundär teilweise fusionieren, reicht die Feststellung getrennter oder gemeinsamer Chorionhüllen für den Nachweis der Eineiigkeit bzw. Mehreiigkeit nicht aus. Hierfür sind z. B. Geschlecht, Blutgruppenzugehörigkeit und genetische Analyse heranzuziehen. Tabelle 3.8: Hellin-Regel. Häufigkeitsschätzung spont a n e r M e h r l i n g s g e b u r t e n (n = Z a h l d e r M e h r l i n g e ) Mehrlinge Zwillinge Drillinge Vieriinge Fünflinge
η 2 3 4 5
Häufigkeit = 1:85n1 1 :85 (1.18 %) 1:852 = 1:7 225 1:853 = 1:614 1 25 1:85a = 1:52200625
Die Hellin-Regel gibt die Häufigkeit spontaner Mehrlingsgeburten bezogen auf die Gesamtgeburtenzahl an (Tab. 3.8). Nach Ovulationsinduktion oder Absetzung oraler Kontrazeptiva ist die Wahrscheinlichkeit von Mehrlingsschwangerschaften höher. Klinik. 1. Das intrauterine Wachstum von Mehrlingen verlangsamt sich vorzeitig bei Zwillingen ab der 34., bei Drillingen ab der 28. SSW. 2. Vanishing twin nennt man das Verschwinden eines Zwillings, es wird durch Resorption nach Absterben eines Embryos unter Zurückbleiben der leeren Fruchthülle erklärt.
Abb. 3.36: Mehrlinge und Mehrfachbildungen im Ultraschall, a. T r i a m n i o t l s c h e D r i l l i n g e , b. S i a m e s i s c h e Z w i l linge ( T h o r a k o p a g u s : beidseits der g e d a c h t e n Linie zwischen Pfeilköpfen sind die einander z u g e w a n d t e n Brustkörbe zu erkennen)
3.9
Fehlbildungslehre, Teratologie
Teratologie (gr. teratos = Ungeheuer, Monster), Fehlbildungslehre, beschäftigt sich mit Erscheinungsformen, Ursachen und Zustandekommen von angeborenen Krankheiten, Fehlhildungen, Anomalien (Teratogenese Kap. 3.2, S. 114). Zur Geburt werden bei 2 - 3 % der Neugeborenen Fehlbildungen diagnostiziert, während der ersten Lebensjahre verdoppelt sich dieser Anteil durch später erkannte Defekte. Für die Hälfte aller Fehlbildungen ist die Ursache unbekannt, für die restlichen sind genetische und äußere Ursachen sowie Kombinationen beider identifiziert worden. Wirkungsmechanismen für Fehlbildungen sind weitgehend unbekannt. Der Fehlbildungsgrad reicht vom Abort als Extremfall über auffällige morphologische Anomalie, Wachstumsretardierung, funktio-
nelle Beeinträchtigung (z. B. Stoffwechselstörung) bis zur spät diagnostizierten Verhaltensstörung. Ursachen: Nach groben Schätzungen ergibt sich: • • • •
Genmutationen 20 % Chromosomenaberrationen 5 % exogene Faktoren 5-10 % multiple Ursachen: 65-70 %.
3.9.1
Einteilung der Fehlbildungen
Fehlbildungen sind genetische, morphologische, funktionelle oder Stoffwechseldefekte mit Krankheitswert bei Geburt. Kleinere Fehlbildungen (minor malformations·. Vierfingerfurche, kleine Ohren, Pigmentflecken) ohne Krankheitswert können mit größeren kombi-
168
3 Allgemeine Embryologie
niert sein und deshalb v. a. bei gehäuftem Auftreten auf größere Anomalien deuten.
Einfache Fehlbildungen •
Malformationen sind morphologische Veränderungen, die auf genetisch bedingten Entwicklungsstörungen beruhen; es sind Fehlbildungen von Organanlagen bzw. analoger Keimbezirke (ζ. B. Polydaktylie) • Disruptionen sind durch äußere Faktoren bewirkte Abweichungen vom normalen Entwicklungsweg. Sie sind nicht erblich, können aber durch genetische Faktoren begünstigt werden. • Deformationen sind Form- oder Lageanomalien mit mechanischer Ursache (bei Oligamnion = Oligohydramnion, ζ. B. Pes equinovarus) • Dysplasien kennzeichnen Defekte, die durch fehlerhafte Organisation und/oder Funktion von Geweben oder Zellen entstehen (= Dyshistogenese, ζ. B. Osteogenesis imperfecta congenita)
Multiple Fehlbildungen •
Syndrome sind Kombinationen von Fehlbildungen mit gemeinsamer Ursache (ζ. B. oro-faziodigitales Syndrom). • Sequenzen sind zeitlich und räumlich getrennt, in der Art einer Kaskade auftretende Folgen eines einzigen pathogenetischen Faktors (ζ. B. Robin-Trias: Mikroretrogenie, Glossoptose, Gaumenspalte). • Polyptope Felddefekte entstehen durch Störungen eines einzelnen Entwicklungsfeldes (ζ. B. Prune-belly-Defekt) • Assoziationen sind statistisch gehäufte Kombinationen von Fehlbildungen mit unbekannter Pathogenese (ζ. B. VACTERL-Assoziation = Vertebral-, Anal-, Cardial-, Tracheo-Esophageal-, Renal-, Limb-Anomalien).
3.9.2
Fehlbildungsformen
Mehrfachbildung kann durch inkomplette Teilung der Anlagen eineiiger Zwillinge während der Individuation (sog. siamesische Zwillinge) entstehen. Die Verbindungen können in verschiedenen Regionen lokalisiert (Kraniopagus: Kopf-Kopf-Verbindung, Thorakopagus, Abb. 3.36 b: Brust-Brust-
Verbindung, Ischiopagus: Hüft-Hüft-Verbindung) und symmetrisch, inkomplett-symmetrisch und asymmetrisch sein. Bei asymmetrischen Doppelbildungen werden die Teile als Wirt (größerer Partner) und Parasit bezeichnet. Der Parasit kann an allen Körperregionen des Wirtes lokalisiert sein. Mehrfachbildungen kommen weniger gravierend z. B. als Verdopplungen von Fingern (Polydaktylie) oder von inneren Organen (überzählige Zähne, Ureter duplex) vor. Spaltbildungen entstehen durch unzureichende Verschmelzung von Gewebewülsten, z. B. Gesichtsentwicklung mit Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten. Der unterbleibende Verschluss des Neuroporus cranialis oder caudalis kann zu Anencephalus bzw. Spina bifida führen, was mit unterbleibenden Schädeldach- bzw. Rumpfwandverschlüssen vergesellschaftet ist (Kap. 3.5.1.2, S. 142). Aplasien, Agenesien, nicht angelegte Organanlage, kommen an Extremitäten (aufgrund nicht angelegter Ober- und Unterarme setzen Hände am Rumpf an: Phocomelie, Robbengliedrigkeit) oder an inneren Organen (Herzscheidewanddefekte, Nierenaplasie) vor. Hypoplasie bezeichnet eine nicht voll ausgereifte Organanlage, sie kann endokrine Drüsen (z. B. Schilddrüse) betreffen, in diesem Fall besteht die Möglichkeit der Hormonsubstitution (Kap. 3.10.3, S. 171). Hypertrophien (= Zellvolumenzunahme), Hyperplasien (= Zellzahlzunahme) kommen durch übersteigertes Wachstum eines Organs oder einer Region zustande. Persistenz (mangelnde Rückbildung) einer vorübergehenden Struktur ist z. B. der Ductus thyroglossalis der Schilddrüse. Dysgenesie, Beeinträchtigung der Organdifferenzierung, ist häufig kombiniert mit • Dystopie (Heterotopie): Organ liegt an untypischem Ort (Hoden im Rumpf oder Leistenkanal), oder • Choristie, Versprengung normaler Gewebe, aus denen Tumoren entstehen können. Hamartie kommt durch ungenügende Ausdifferenzierung embryonaler Gewebe zustande, auch sie
169
3.9 Teratologie, F e h l b i l d u n g s l e h r e
kann Ausgang fur geschwulstartige Neubildungen (Hamartom) sein. Enzymdefekte sind Ursachen für Stoffwechselstörungen (z. B. Galaktosämie). Teratom ist eine Geschwulst, die unterschiedliche Differenzierungsgrade aufweisen kann: je undifferenzierter, desto größer die Malignisierungspotenz.
schädigen. Ihr Schädigungspotential ist abhängig von Phasenspezifität, genetischer Konstitution des Keimlings sowie Menge und Dauer der Einwirkung. •
•
3.9.3
Phasenspezifität der Fehlbildungsentstehung •
Phasenspezifität ist die Manifestation einer Genwirkung in einem bestimmten Entwicklungsstadium. Angeborene Fehlbildungen sind durch Phasen-, weniger durch Noxenspezifität gekennzeichnet: Die Fehlbildung ist auf den Schädigungszeitpunkt, nicht auf die Schädigungsursache zurückzuführen. •
Kritische Phasen umfassen die Ausbildung von Organanlagen, hauptsächlich während der Embryonalperiode, mit starker Zellproliferation und kurzfristig sich ändernder kritischer Stoffwechsellage; sie sind durch besondere Empfindlichkeit gegenüber exogenen Noxen charakterisiert (Teratogene, Kap. 3.9.4, S. 169). • Sensible Phasen (auch teratogenetische Determinationsperioden) sind durch Reifung und Differenzierung angelegter Organe gekennzeichnet. Auch diese liegen häufig in der Embryonalperiode. Wachstumsrückstand, fehlerhafte Histogenese, funktionelle Abweichung sind auch in der Fetalperiode möglich.
•
• •
•
•
3.9.4
Ursachen von Fehlbildungen
Fehlbildungen werden genetisch (Kap. 3.3.3, S. 120) oder nicht genetisch, durch Umweltfaktoren (Teratogene), verursacht. Beide Ursachen können sich überlappen, da z. B. ionisierende Strahlen Erbgutschäden bewirken können. Teratogene sind biologische, chemische oder physikalische Einwirkungen, die den Keimling
•
Viren rufen Fehlbildungen an Sinnesorganen, Gehirn, Herz, Extremitäten hervor: Röteln-, Varicella-zoster- (—» Windpocken), Herpes-simplex-, Zytomegalie-Virus. Bakterien. Treponema pallidum (—> Syphilis) kann geistige Behinderung und Taubheit verursachen. Toxoplasma gondii (—» Toxoplasmose) kann bei Erstinfektion der Schwangeren v. a. im 2. und 3. Trimenon (= Schwangerschaftsdrittel) geistige Retardierung, Krampfneigung und Hydrozephalus hervorrufen. Ionisierende Strahlen (—» Röntgen-Strahlen) können Gehirn- und Extremitätenfehlbildungen sowie wegen möglicher Erbgutschädigung auch genetische Defekte bewirken (Kap. 3.3.3, S. 120). Fieber kann zu Defekten bei der ZNS-Entwicklung fuhren. Medikamente sind v. a. durch die ConterganKatastrophe (Thalidomid) Anfang der 1960er Jahre in den Blickpunkt gerückt. Dieses und andere Pharmaka (Aminopterin, Lithium, Amphetamine, Valproinsäure, Hydantoin) können Extremitätenfehlbildung, Herzfehler, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Gehirnfehlbildung hervorrufen. Genussmittel (—» Alkoholembryopathie, Kap. 3.7.5, S. 163) oder Rauschgifte (Cocain) verursachen Wachstumsrückstand und geistige Behinderung. Hormone. Steroidhormone mit androgener Wirkung führen zur Virilisierung (Vermännlichung) des weiblichen Genitales. Mechanische Faktoren. Verminderung der Amnionflüssigkeit (Oligamnion) kann Verformungen von Gliedmaßen bewirken. Amnionstränge sind nach Entzündungen zurückbleibende vernarbte und geschrumpfte Fruchthüllenabschnitte, die z. B. durch Abschnüren von Gliedmaßen deren Absterben nach sich ziehen können.
170
3.10
3 Allgemeine Embryologie
Morphologische Aspekte der Pränatalmedizin
Lernziele: unsichere, wahrscheinliche, sichere Schwangerschaftszeichen, Gestationsalter, Alters- und Größenbestimmung des Feten Pränatalmedizin umfasst intrauterine Diagnostik und Therapie fetaler Krankheiten. Ziele der Pränatalmedizin sind: 1. Nachweis der intakten Schwangerschaft 2. Festlegung des Schwangerschaftsalters 3. Nachweis der unauffälligen Entwicklung des Feten 4. Ausschluss von Fehlbildungen und Schwangerschaftsstörungen 5. Therapie fetaler Krankheiten 6. Überwachung der Geburt. Als integraler Bestandteil bei der Überwachung und Betreuung von Risikoschwangerschaften hat sie in den letzten 20 Jahren in entwickelten Ländern zu einem Rückgang der perinatalen Sterblichkeit (Sterblichkeit von Feten mit einem Gewicht > 500 g oder von Kindern bis zum 7. LT) um zwei Drittel auf 0,6 % geführt.
• HCG-Nachweis im Schwangerenurin (oder -serum, Kap. 3.4.2, S. 136) • sonographischer Nachweis ab Ende 5. SSW (3. EW; Abb. 3.12 c) • Nachweis kindlicher Herztöne • Fühlen von Kindsteilen • Kindsbewegungen. Uteruswachstum. Der Uterus ist in der 16. SSW im großen Becken tastbar. In der 24. SSW erreicht er die Höhe des Nabels, in der 36. SSW seine größte Höhe an der unteren Thoraxapertur. Danach senkt er sich bis zur Geburt geringfügig. Klinik: Vena-cava-inferior-Syndrom (= Rückenlage-Schock-Syndrom, aortokavales Kompressionssyndrom): Kompression der V. cava inferior durch den Uterus (besonders in Rückenlage!) mit Abnahme von Uterusdurchblutung und ggf. fetaler Herzfrequenz bei der Hochschwangeren. Leichte Formen treten bei 30-40 % der Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel auf.
3.10.1 Schwangerschaftszeichen, Uteruswachstum
3.10.2 Schwangerschaftsdauer, Gestationsalter
Schwangerschaftszeichen können wahrscheinlich oder sicher sein.
Die Bestimmung der Schwangerschaftsdauer kann bei der Mutter oder dem Embryo bzw. Fetus erfolgen.
unsicher,
Unsichere Schwangerschaftszeichen sind: Zunahme des Leibesumfangs, Schwangerschaftsstreifen (Striae gravidarum), Schwangerschaftspigmentierung (Chloasma gravidarum sive uterinum), unspezifische Symptome: Erbrechen, Kollapsneigung, nervöse Störungen. Wahrscheinliche
Schwangerschaftszeichen sind:
Ausbleiben der Regelblutung livide Verfärbung der Vagina Mammavergrößerung Piskacek-Zeichen (asymmetrische Formveränderung des Uterus) Hegar-Zeichen (weiche Konsistenz des Gebärmutterhalses).
Sichere Schwangerschaftszeichen sind (die beiden wichtigsten, am frühesten nachweisenden Methoden zuerst nennend):
Mutter. Da Frauen häufig nach Ausbleiben der 2. Regel (Tab. 3.4), seltener der ersten, den Arzt aufsuchen, erfolgt eine erste Schätzung der Schwangerschaftsdauer und des Geburtstermins nach dem • Menstruationsalter. Dauer der Schwangerschaft ab dem 1. Tag der letzten Regel = 280 Tage (= 40 Wochen). Die Berechnung des Geburtstermins wird nach der Naegele-Regel vorgenommen: • 1. Tag der letzten Regel - 3 Monate + 7 Tage. • Befruchtungsalter: 280 Tage - 14 Tage = 266 Tage (= 38 Wochen). Das geschätzte Alter des Fetus zum Geburtstermin erhält man bei regelmäßigem Zyklus nach Abrechnung einer Zyklushälfte (Abb. 3.8).
171
3.10 Morphologische Aspekte der Pränatalmedizin
Klinik: Normaler Geburtstermin: 90 % der Kinder werden zwischen der 38. und 42. SSW geboren; Frühgeborene kommen vor Vollendung der 38. SSW zur Welt; Übertragene Kinder werden nach der 42. SSW geboren. Embryo/Fetus. In der embryologischen Forschung kann die Bestimmung des Entwicklungsalters qualitativ, auf Grund äußerer morphologischer Merkmale hauptsächlich in der Embryonalperiode vorgenommen werden. Die Basis der 23 Carnegie-Stadien (Tab. 3.4) ist eine umfangreiche Sammlung von Präparaten der menschlichen Frühentwicklung der „Carnegie-Collection of Embryology" in Washington.
• In der Klinik erfolgt die Altersbestimmung sonographisch (Kap. 3.10.3, S. 171). Klinik: Gestationsalter: Mit der sonographisch erfassbaren Scheitel-Steiß-Länge (Abb. 3.38) wird in der 9. und 12. SSW das Gestationsalter bzw. der Entbindungstermin am zuverlässigsten (± 3 Tage) bestimmt. Der vorausberechnete Termin nach der Regelanamnese muss ggf. korrigiert werden.
3.10.3
Methoden der Pränataldiagnostik und -therapie
Die manuelle Untersuchung umfasst Palpation, Auskultation des Leibes (Herztöne), Messung des Bauchumfangs. Die Palpation (Abb. 3.37) kann abdominal und vaginal erfolgen (Kap. 3.10.1, S. 170) und beurteilt: • die knöchernen Beckenmaße (Geburtskanal), die Michaelis-Raute (Kap. 8.1, S. 629), die Uterusgröße und die Kindslage. Da der Embryo bzw. Fetus einer klinischen Untersuchung (Pränataldiagnostik) sowie therapeutischen Maßnahmen (Pränataltherapie) nur über den mütterlichen Organismus zugänglich ist, müssen meist apparative Methoden (Ultraschall, invasive Methoden) angewendet werden.
3.10.3.1 Bilddarstellung durch Ultraschall (Sonographie) Mit Ultraschall kann der Fetus bildlich dargestellt (B-Bild-Ultraschall) oder der Blutfluss in fetalen Gefäßen untersucht werden (DopplerSonographie). B-Bild-Ultraschall. Zweidimensionale, optische „Schnitte" des Fetus werden durch abdominale Sonographie (Schallkopf auf dem Bauch der Mutter) oder vaginale Sonographie (Schallkopf intravaginal; weitaus bessere Detailauflösung) gewonnen. Das früheste sonographische Zeichen einer (intrauterinen) Schwangerschaft ist der Nachweis der Chorionhöhle (klinisch Fruchthöhle) mit Dottersack ab 5. SSW (—» sicheres Schwangerschaftszeichen, Abb. 3.13 c). Doppler-Sonographie ist eine Kombination aus Impulsecho- und Dauerschallverfahren und ermöglicht die gleichzeitige Untersuchung von Weichteilen und Blutfluss. Die Richtung des Blutstroms in Bezug auf den Schallkopf wird durch Farben sichtbar gemacht (Abb. 3.42).
Abb. 3.37: Palpation des knöchernen Beckens transvaginal
Lt. Mutterschaftsrichtlinien sind bei unauffälliger Schwangerschaft 3 Ultraschall-Screening-Untersuchungen mit Bilddokumentation obligatorisch: 9.-12. SSW, 19.-22. SSW, 29.-32. SSW.
172
3 Allgemeine Embryologie
3.10.3.2 Alters- und Größenbestimmung durch Ultraschall • Die Scheitel-Steiß-Länge (SSL, Abb. 3.38) wird zur Bestimmung des Schwangerschaftsalters im 1. Trimenon (= Schwangerschaftsdrittel) herangezogen. Sie wird danach häufig durch die Scheitel-Fersen-Länge (SFL) abgelöst (Tab. 3.6), die auf sonographischer Grundlage geschätzt wird. • Der biparietale Kopfdurchmesser (ab 20. SSW, Abb. 3.39), ζ. B. zum Nachweis einer Wachstumsretardierung, wird ergänzt durch den fi-ontookzipitalen Durchmesser, den abdominalen Transversaldurchmesser und die Femur- oder Humeruslänge.
Abb. 3.40: Fetales Kopf-Hals-Profil im Ultraschall, a. Unauffällig, b. Schilddrüsenvergrößerung (Struma, Pfeilkopf)
Abb. 3.38: Scheitel-Steiß-Länge. Sonographische Bestimmung in Frontalansicht (12. SSW; Abstand zwischen den Kreuz-markierungen 5,1 cm)
Abb. 3.41: Nackenödem im Ultraschall tenansicht; s. Abb. 3.4 b)
Abb. 3.39: Biparietaler Kopfdurchmesser (Abstand zwischen Kreuzmarkierungen: 3,0 cm) im Sonogramm
Klinik: Sonographie-Screening. 1. Trimenon: Überprüfung des Schwangerschaftsalters, Mehrlingsdiagnostik (Zahl der Fruchthöhlen, Abb. 3.36, Anzahl der Plazenten, Fruchthüllen), Fehlbildungsdiagnostik (ab 10. SSW
(Pfeilkopf; Sei-
ζ. B. Nackenödem-Nachweis, Abb. 3.4 b, 40), 2. Trimenon: zeitgerechte Entwicklung, Fehlbildungsdiagnostik, 3. Trimenon: zeitgerechte Entwicklung, Kindslage, Zervixinsuffizienz. Sonographische Fehlbildungshinweise sind ζ. B. abnorme Fruchtwassermenge, abweichende Plazentastruktur (Abb. 3.33), Disproportion von Körperteilen, abnorme Körperoberfläche (Abb. 3.40, 41), singulare Nabelschnurarterie (Abb. 3.42).
173
3.10 M o r p h o l o g i s c h e A s p e k t e d e r P r ä n a t a l m e d i z i n
trolle oder endoskopischer Sicht fur zytogenetische und biochemische Analysen. Eine Nabelschnurpunktion erfolgt via Bauchund Uteruswand. Sie ist technisch schwierig und zum Ausschluss fetaler Anämien oder zur Infektionsdiagnostik angezeigt. Fetoskopie, intrauterine Endoskopie, ermöglicht die direkte Betrachtung der Körperoberfläche. Unter der Geburt werden v. a. 2 Methoden zur Überwachung des Fetus angewandt: •
Abb. 3.42: Doppler-Sonographie
der
Nabelschnur-
gefäße (Farben kodieren Blutflussrichtung: rot Arterien, blau Venen), a . Unauffällig: 2 Arterien, 1 Vene, b. Singuläre N a b e l s c h n u r a r t e r i e
Kardiotokographie ist die simultane Aufzeichnung von fetaler Herzfrequenz und Wehentätigkeit in der Spätschwangerschaft und während der Geburt zur Überwachung des Feten und Erkennung einer intrauterinen Hypoxie; sie erfolgt durch die Bauchdecke der Mutter. • Mikroblutuntersuchung. Einige Tropfen Blut können transvaginal aus der Haut des vorangehenden fetalen Körperteils entnommen werden (Abb. 3.44).
3.10.3.4 Pränataltherapie 3.10.3.3 Invasive Methoden Eindringende Methoden werden unter sonographischer Kontrolle durchgeführt (Abb. 3.43): Amniozentese, Chorionzottenbiopsie, Nabelschnurpunktion, Fetoskopie. Amniozentese ist die transabdominale (durch mütterliche Bauch- und Uteruswand erfolgende) Punktion der Amnionhöhle (= Amnion-, FW-Punktion) mit einer Nadel zur Fruchtwassergewinnung (180 ml) mit darin befindlichen fetalen Zellen in der 15.-16. SSW. Da FW vom Feten getrunken wird, können auf diesem Weg auch Medikamente oral appliziert werden (s. u.). Der Alphqfetoprotein(AFP)-Gehalt im FW ist erhöht bei neuralen Spaltbildungen. Eine Lungenreifebestimmung kann durch den Antiatelektasefaktornachweis (Surfactant) im FW zur Beurteilung der spontanen Atemfahigkeit des Feten und zum Ausschluss fetaler Infektionen erfolgen. Chorionzottenbiopsie ist die Entnahme von Trophoblastzellen aus dem Chorion frondosum mittels Kanüle in der 7.-12. SSW unter Ultraschallkon-
Pränatale Therapiemethoden erfolgen über vergleichbare Zugangswege wie bei der Diagnostik, sind aber nur bei wenigen Erkrankungen etabliert. Sie sind immer mit Risiken für die Mutter verbunden. Medikamentenkann erfolgen:
oder
Blutprodukte-Applikation
•
diaplazentar (ζ. B. Kortikosteroide an die Mutter zur Induktion der Lungenreifung und Minderung der Gefahr eines Atemnotsyndroms nach der Geburt), • durch Amniozentese in das FW (ζ. B. Gabe von Schilddrüsenhormonen, die nicht die Plazentaschranke passieren, zur Behandlung einer fetalen Hypothyreose), • durch Nabelschnurpunktion in das Blut des Feten: Infusion rhesusnegativen Blutes bei Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Fetus. Weiter sind möglich: •
Punktionen von Hohlräumen oder Einlegen von Kathetern (z.B. in das fetale Nierenbecken bei Harnstau oder in die Pleurahöhle bei Ergüssen),
174
3 Allgemeine Embryologie
Abb. 3.43: Invasive Methoden der Pränatalmedizin, a. Amniozentese, b. Chorionzottenbiopsie, c. Nabelschnurpunktion
sie sollen Kompressionen gesunder Organe verhindern, verbessern aber häufig nicht die Prognose. • Fetoskopie-Methoden sind etabliert zur Behandlung des fetofetalen Transfusionssysndroms
monochorialer Zwillingsschwangerschaften, bei denen die Gefahr der Übertransfusion des einen und Anämie des anderen Zwillings besteht: Gefäßanastomosen zwischen Plazentaarealen werden durch Laserkoagulation verschlossen.
Abb. 3.44: Fetalblutentnahme
aus der Kopfhaut unter der Geburt
4
Kopf, Cranium, und Hals, Collum Jochen Fanghänel, unter Mitarbeit von Jürgen Giebel, Thomas Koppe, Bärbel Miehe, Christian Splieth, Thomas Kocher, Jens Weingärtner und Dietmar Kubein-Meesenburg
Der Kopf hat als Sitz des Gehirns und der Sinnesorgane (Gehör-, Gleichgewichts-, Seh-, Geruchs- und Geschmacksorgan) und als Eingangstor des Luft- und Speiseweges eine morphologische Sonderstellung. Die für den Rumpf charakteristische segmentale Gliederung der Knochen, Muskeln, Gefäße und Nerven ist am Kopf nur schwer zu erkennen oder fehlt vollständig. Bei den höheren Wirbeltieren wird die Sonderstellung des Kopfes schon rein äußerlich durch die Ausbildung des Halses betont. Die knöcherne Grundlage des Kopfes ist der Schädel. Der Hals, Collum, ermöglicht die gute Beweglichkeit des Kopfes und damit die volle Ausnutzung der Sinnesorgane für die Orientierung in der Umwelt. Er ist Sitz von Organen und Leitungsbahnen. Das Knochengerüst wird von der Halswirbelsäule gebildet. Grenzen. Die Grenzlinie zwischen Kopf und Hals verläuft vom Kinn am Unterrand des Unterkiefers entlang bis zum Kieferwinkel, steigt hinter dem Unterkieferast aufwärts bis zum Ohransatz und zieht von dort horizontal bis zur Protuberantia occipitalis externa, einem meist gut tastbaren Knochenvorsprung am Hinterhaupt. Die Grenzlinie zwischen Hals und Brust verläuft vom Oberrand des Brustbeins entlang dem Schlüsselbein zum Acromion (dem seitlich am weitesten ausladenden Teil des Schulterblattes, und von dort zum deutlich vorspringenden Dorn des 7. Halswirbels (Vertebra prominens).
Gliederung und Einteilung des Schädels Wir unterscheiden einen Gehirnschädel oder Neurocranium und einen Gesichts- bzw. Eingeweideschädel oder Viscerocranium.
• Gehirnschädel. Er bildet die feste, knöcherne Hülle für das Gehirn und enthält in besonderen Knochenkapseln, den Felsenbeinen, das Gehörund das Gleichgewichtsorgan. Wir unterscheiden das konvexe Schädeldach, Calvaría, sowie den Schädelgrund bzw. die -basis, die Basis cranii, die verhältnismäßig flach ist. Die Grenze zwischen beiden ist eine künstliche. Sie wird bei der Eröffnung der Schädelhöhle durch den Sägeschnitt des Anatomen gelegt. Wie am Kopf des Lebenden lässt sich eine Stirn-, Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptgegend unterscheiden. Diesen Gegenden entsprechen im wesentlichen die gleichnamig benannten Knochen. • Gesichtsschädel. Er stellt die knöcherne Grundlage für das Gesicht, enthält das Seh- und das Geruchsorgan und trägt die Zähne. Er bildet den Anfangsteil des Luft- und des Speiseweges und liefert die Streben, die den Kaudruck verteilen (Kaudruckpfeiler) und auf den Gehirnschädel übertragen. An der Begrenzung der Nasen- und der Augenhöhlen beteiligt sich auch der Gehirnschädel. •
Die Grenzlinie zwischen Him- und Gesichtsschädel erkennt man besonders deutlich in der Seitenansicht, Norma lateralis (Abb. 4.9). Sie verläuft beim Menschen vom Oberrand der Augenhöhle zum Oberrand des äußeren Gehörganges. Somit befindet sich der Gesichtsschädel vor und unter dem Hirnschädel.
• Wirbeltheorie des Schädels. In dem Bestreben, ein allgemeines Bauprinzip für den ganzen Körper zu finden, haben Goethe und Oken im Schädel nach Wirbelelementen gesucht. Den Wirbeln entsprechende Teile können wir im Schädel des Menschen jedoch nicht finden, da bei dem Anbau vom Palaeocranium zum auximetameren Neokranium nur das Material von
178
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Wirbeln, nicht fertige Wirbel, aufgenommen wurden. • Übersicht über die Schädelknochen Der menschliche Schädel besteht in der Regel aus 22 Knochen, von denen beim Erwachsenen 21 so fest durch Nähte miteinander verbunden sind, dass man sie nur schwer isolieren kann. Nur der Unterkiefer ist mit dem Schläfenbein gelenkig verbunden. Die meist platten Knochen begrenzen Höhlen, die das Gehirn und die Sinnesorgane aufnehmen. • Gehirnschädel, Neurocranium Hinterhauptsbein, Os occipitale 1 Keilbein, Wespenbein, Os sphenoidale 1 Stirnbein, Os frontale 1 Scheitelbein, Os parietale 2 Nahtknochen, Os suturale, und Fontanellenknochen variabel Schläfenbein, Zeitbein, Os temporale 2
4.1
Siebbein, Os ethmoidale 1 Nasenbein, Os nasale 2 Tränenbein, Os lacrimale 2 Untere Nasenmuschel, Concha nasalis inferior 2 Pflugscharbein, Vomer 1 Jochbein, Os zygomaticum 2 Gaumenbein, Os palatinum 2 Oberkieferbein, Maxiila 2 Unterkiefer, Mandíbula 1 • Ossicula auditus Hammer, Malleus Amboss, Incus Steigbügel, Stapes
2 2 2
• Os sesamoideum Zungenbein, Os hyoideum
1
Die Knochen des Schädeldaches und des Gesichtsschädels sind Bindegewebsknochen, während die großen Schädelbasisknochen: Ossa occipitale (mit Ausnahme der Squama), temporale (mit Ausnahme der Squama) und sphenoidale Ersatzknochen darstellen.
Entwicklung des knöchernen Schädels, Schiunddarm
Lernzicle: Anlagcmaterial des Schädels, Chondrokranium,
Desmokranium,
phylogenetische
Entwicklung,
Schiunddarm, kraniofaziales
Wachstum, Schädelfehlbildungen
In der Entwicklung des Schädels spiegeln sich im besonderen Maße komplexe phylogenetische und ontogenetische Vorgänge wider.
4.1.1
• Gesichtsschädel, Viscerocranium
Ontogenese des Schädels
Das Anlagenmaterial des Schädels hat unterschiedliche Herkunft. • Kopfmesenchym, welches den kranialen Bereich der Notochorda umfasst • Mesenchym der kranialen (okzipitalen) Somiten • Material der ersten beiden (3) Schlundbögen
Hirnschädel (Neurocranium) und Gesichtsschädel (Viscerocranium) haben unterschiedliche Entwicklungsgänge. Die embryologische Grundlage dieser Schädelanteile sind Chondrocranium (Gesamtheit aller Knochen, die durch enchondrale Ossifikation entstehen) und Desmocranium (Gesamtheit aller Knochen, die durch desmale Ossifikation entstehen). Außerdem wird hier auch noch Material aus dem Schlundbogenapparat mit einbezogen.
4.1.1.1
Entwicklung des Neurokraniums
Schädelbasis (Basis cranii) sowie Schädeldach (Calvaría) werden sowohl vom Chondro- als auch vom Desmocranium geliefert. Chondrocranium • Aus dem Chondrocranium entstehen folgende Elemente des Neurokraniums:
179
4.1 Entwicklung d e s knöchernen Schädels, Kiemendarm
Cartílago trabecular^ (Siebbein) Ala orbitalis
__
(kleinerKeilbeinflügel) Ala temporalis (großer Keilbeinflügel)
Cartílago hypophyseal^ (Keilbeinkörperl Parachordal-Knorpel ~
„
(Pars basilaris des Hinterhauptbeins) Labyrinthkapsel
^ ^
(Felsenbein, Warzenfortsatz) Cartílago occipitalis
a
b
Abb. 4.1: Entwicklung des S c h ä d e l s (verändert nach M. Clara), a . Knorpelschuppen der Schädelbasis, b. Übersicht über den knorpligen Anteil des S c h ä d e l s (punktiert)
•
Os occipitale (mit Ausnahme des oberen Anteils der Squama occipitalis) • Os sphenoidale (mit Ausnahme der medialen Lamelle des Proc. pterygoideus) • Os temporale (Pars petrosa) • Os ethmoidale (Lamina cribrosa) •
Die Schädelbasis bzw. Anteile derselben entsteht ab dem 2. Monat aus einer knorpeligen Anlage, dem Chondrocranium (Abb. 4.1, 4.2). Das Mesenchym, welches den kranialen Abschnitt der Notochorda umgibt, differenziert sich beiderseits zum Parachordal-Knorpel (Cartílago parachordalis —» Pars basilaris des Os occipitale). Rostral vom Parachordalknorpel liegen die Hypophysenknorpel (Cartilágines hypophyseales), nach deren Verschmelzung der Keilbeinkörper (Corpus ossis sphenoidalis) entsteht. Weiter rostal entwickeln sich die Trabekelplatten (Cartilágines trabeculares), die nach Verschmelzung zum großen Teil das Siebbein (Os ethmoidale) bilden. Nach kaudal schließt sich an den Parachordalknorpel die Cartílago occipitalis an, die sich später mit dem Parachordalknorpel verbindet. Die Cartílago occipitalis entsteht aus 3 Skierotomen, die okzipitalen Somiten entstammen, nachdem ein viertes Skierotom rückgebildet wird. Durch diese Entwicklung ist letztlich eine langgestreckte Knorpelplatte entstanden, die von der SiebbeinNasenregion bis zur vorderen Begrenzung des Foramen magnum reicht. Material im Anlagenbereich des Os occipitale formiert sich um das Neurairohr (Abb. 4.1 ). Im Zentrum der Platte ist
zwischen den Hypophysenknorpeln die RathkeTasche (Hypophysentasche, s. Kap. 54.11.2, S. 190) zu erkennen. • Weitere Knorpelanlagen entstehen beiderseits lateral von der genannten langgestreckten Platte (Abb. 4.1). Es handelt sich um die rostral gelegene Ala orbitalis (—» Ala minor des Os sphenoidalis) und die nach kaudal folgende Ala temporalis (-» Ala major des Os sphenoidale). Sie formieren sich um die sich entwickelnde Augenhöhle (—» Orbita). Seitlich vom Parachordalknorpel befindet sich die Labyrinthkapsel, welche das Ohrbläschen einschließt (—> Pars petrosa des Os temporale). Die knorpeligen Nasenkapseln liegen vor und unter den Trabekularplatten; sie sind nach unten offen und umschließen die Riechsäckchen. Aus ihnen entstehen auch Teile des Siebbeines. •
Die Strukturen des Chondrokraniums verschmelzen miteinander (nur die Durchtritte für Gefäße und Nerven bleiben frei) und verknöchern durch enchondrale Ossifikation (Abb. 4.1 b). Diese Ossifikation vollzieht sich von mehreren Zentren aus. Während dieser Verknöcherungsprozesse bleiben die basikranialen Synchondrosen zunächst als Knorpelreste erhalten, die später auch verknöchern. Sie bilden Wachstumszentren. • Die Wachstumsaktivitäten in den basikranialen Synchrondrosen werden durch das Wachstumshormon (STH) gesteuert, das die Proliferation der Knorpelzellen stimuliert.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
180
0 s frontale / /
Os parietale . A l a minor ossis sphenoidal^, /
Canalis opticus
A l a major ossis sphenoidal^ Nasenkapsel
Pars squamosa ossis temporalis
—
_
Os lacrimale
Os nasale
Ohrkapsel Maxilla
ParstYmpanica ossis temporalis Processus styloideus,
Oszygomaticum —
Cartílago M e c k e l i
Foramen stylomastoideum
Mandíbula Halswirbel
Abb. 4.2: Seitenansicht des Chondrokraniums (blau) eines menschlichen Keimlings (3. Monat). Die Deckknochen sind grau getönt (nach O. Hertwig und F. Ziegler)
Zu den Synchondrosen bzw. Knorpelresten gehören:
•
1. Synchondrosis sphenooccipitalis: Verknöcherung im 20. Lebensjahr (oder etwas früher) 2. Synchondroses intraoccipitales anterior und posterior: Verknöcherung im 5.-6. Lebensjahr 3. Synchondrosis sphenopetrosa und S. petrooccipitalis: Verknöcherung kurz vor oder nach der Geburt 4. Synchondrosis sphenoethmoidalis: Verknöcherung zur Zeit der Reife, sehr variabel 5. Synchondrosis intersphenoidalis: Verknöcherung frühzeitig, sehr variabel 6. Symphysis mandibulae: Verknöcherung im 1. Lebensjahr
•
Desmocranium (Abb. 4.2) • •
Aus dem Desmocranium entstehen folgende Elemente des Neurokraniums:
Os frontale (wird auch zum Viscerocranium gerechnet) • Os parietale • Oberer Teil der Squama occipitalis
Pars squamosa und Pars tympanica des Os temporale (aus Schlundbogenmaterial)
Wie ersichtlich ist, entstehen die Knochen des Schädeldaches aus dem Desmocranium. Mit seiner Ausbildung werden die Elemente der Schädelbasis durch desmal verknöcherte Strukturen ergänzt. • Desmocranium. Es entwickelt sich unmittelbar aus dem mesenchymalen Bindegewebe, das die Hirnanlage umgibt. Die desmale Ossifikation beginnt etwa in der 8. Embryonalwoche mit 5 Zentren: je 2 Zentren im Bereich der Ossa frontale und parietale sowie ein Zentrum in der späteren Squama des Os occipitale. Die Pars squamosa des Os temporale entstammt zwar dem Material des ersten Schlundbogens, wird aber später in das Schädeldach mit einbezogen. Die Ossifikation vollzieht sich von den Knochenkernen aus flächenhaft. Dabei wird das Mesenchym bis auf schmale Spalten, die Nähte oder Suturen, sowie breitere Areale, die Fontanellen, reduziert. • Suturen (Abb. 4.3). Sie bilden sekundäre Wachstumszentren (suturales Wachstum), welches beendet ist, wenn sie verknöchert sind. Die
4.1 Entwicklung des knöchernen Schädels, Kiemendarm
folgenden medizinisch wichtigen Nähte verknöchern erst im Erwachsenenalter: • Sutura sagittalis: Verknöcherung im 20.-30. Jahr • Sutura coronalis: Verknöcherung im 30.-40. Jahr • Sutura lambdoidea: Verknöcherung im 40.-50. Jahr Die Verknöcherung kann aber individuell auch schon früher einsetzen. • Alle anderen Suturen werden nach den benachbarten bzw. verbindenden Knochen bezeichnet. • Über Naht- und Fontanellenknochen siehe Kap. 4.3.1.5, S. 196. • Fontanellen. Sie liegen an den Kreuzungsstellen von Suturen (Abb. 4.3). • Große Fontanelle, Fonticulus anterior: hat die Form einer Raute; Verschluss bis zum 2. Lebensjahr • Kleine Fontanelle, Fonticulus posterior: hat dreieckige Gestalt. Verschluss im 3. Monat • Vordere Seitenfontanelle, Fonticulus anterolateralis: Verschluss im 6. Monat • Hintere Seitenfontanelle, Fonticulus posterolateralis: Verschluss im 18. Monat Klinik: 1. Die vordere Fontanelle hat beim Neugeborenen eine große Bedeutungfür die Funktion der erweiterten Seitenventrikel beim
Sutura frontalis
181
Hydrocephalus. 2. Die Palpation der Knochenränder dient der Prüfung des Verknöcherungsgrades. Die vordere und hintere Fontanelle geben dem Geburtshelfer eine Orientierung zur Lage und Einstellung des Kopfes während der Geburt (s. Kap. 3.6.2, S. 157). 3. Die anderen Fontanellen sind klinisch unauffällig, da sie von Muskulatur bedeckt und nicht tastbar sind. • Die Weichheit der jungen desmalen Knochen und ihre suturale Verbindung ermöglichen • eine maximale Formveränderung durch Knochenverschiebung bei der Geburt, • eine optimale Anpassung des Schädeldaches an die progressive Hirnentfaltung.
4.1.1.2
Entwicklung des Viszerokraniums und Schiunddarms
Die Knochen des Viszerokraniums entstehen größtenteils durch desmale Ossifikation. Einige Elemente des Gesichtsschädels, die sich aus den Knorpeln der Schlundbögen ableiten, entstehen durch chondrale Ossifikation. • Desmale Knochen • Das Os frontale (Abb. 4.2) ist zunächst paarig angelegt. Die Verschmelzung zu einem Kno-
Sutura coronalis
I
0s frontale
I
Tuber f r o n t a l e
/
Sutura coronalis
0s parietale
i /
(Tuberl \
Fonticulus anterolaterals 0s sphenoidale
-Fonticulus
__ Sutura
(Ala major)""
lambdoidea
anterior _ 0s occipitale
- Tuber
(Squamai
parietale
Fonticulus
- Sutura
posterolateralis
sagittalis -—
I
^
" Pars petrosa
Fonticulus posterior
Sutura lambdoidea
x
Anulus tympanicus
ossis temporalis
Pars lateralis ossis occipitalis
0s occipitale
Abb. 4.3: Schädel eines Neugeborenen mit Suturen und Fontanellen, a. Ansicht von oben, b. Ansicht von lateral
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
182
chen erfolgt im 2. Lebensjahr, die vollständige Obliteration erst im 5. bis 8. Lebensjahr. Die Naht kann manchmal sichtbar bleiben (Sutura metoptica). • Die Knochen der Nasenhöhle (mit Ausnahme der Choncha nasalis inferior) entwickeln sich als Deckknochen auf der knorpeligen Nasenkapsel, die sich danach zurückbildet. • Aus Material des ersten Schlundbogens (s. u.) entstehen der Ober- und Unterkieferwulst. Das mesenchymale Gewebe des Oberkieferwulstes ist die Grundlage fur die Entwicklung der Maxilla, der Ossa palatinum und zygomaticum sowie der Pars squamosa des Os temporale (Abb. 4.2). • Im Unterkieferwulst wird der Meckel-Knorpel angelegt. Das ventrale Ende desselben degeneriert; es dient als „Matritze" für den sich aus dem umgebenden Mesenchym entwickelnden Unterkiefer (Abb. 4.2). Die desmale Ossifikation der Unterkieferanlage beginnt etwa in der 6. Woche. Kleinere Bereiche, wie die Kinnpartie und der Proc. condylaris, verknöchern allerdings enchondral.
Hammer-Ambossgelenk
Kiefergelenk, das als späteres Hammer-AmbossGelenk (Abb. 4.4) in den Dienst der Schallleitung tritt. Das hintere Ende des Meckel-Knorpels wird zum Hammer umgebildet. Auf den größeren vorderen Teil des Meckel-Knorpels lagert sich von außen Belegknochen (grau in Abb. 4.2) auf, der den Unterkiefer, die Mandíbula, liefert. Im Bereich der Mandíbula geht der Knorpel zugrunde. Die Mandíbula gewinnt eine neue Gelenkbeziehung zum Schädel (Schläfenbein). Dieses neue Kiefergelenk des Menschen und aller anderen Säuger wird als sekundäres Kiefergelenk dem primären Kiefergelenk aller NichtSäuger gegenübergestellt.
•
Das Os hyoideum entsteht aus dem zweiten (Reichert-Knorpel) und dem 3. Schlundbogenknorpel. • Aus dem dorsalen Ende des Meckel-Knorpels entwickeln sich durch enchondrale Ossifikation Malleus und Incus, aus dem des Reichert-Knorpels der Stapes sowie der Proc. styloideus. Schlundbögen und ihre Derivate
Andere Begriffe dafür sind Kiemenbögen, Branchialbögen, Viszeralbögen oder Pharyngealbögen. Beim Menschen werden 4 Schlundbögen und 5 Schiundtaschen angelegt, die aber nicht mehr nach außen durchbrechen. Das Material des 5., 6. und 7. Bogens bleibt zwar erhalten, bildet aber keine Bögen mehr. Die Viszeralbögen des Menschen bestehen aus Knorpel, Muskeln, Gefäßen und Nerven.
•
Die Maxiila entsteht beim Menschen direkt aus dem Bindegewebe, zeigt 6 Knochenkerne, von denen 5 bereits frühzeitig verschmelzen. Das 6. Stück, das die Oberkieferschneidezähne tragende Incisivum, bleibt länger selbständig, ist manchmal noch beim Jugendlichen durch die Sutura incisiva vom Oberkiefer getrennt. Der Deckknochen der Maxilla legt sich erst spät der Nasenkapsel an, die an dieser Stelle schwindet. Die Ossa zygomaticum und palatinum entstehen ebenfalls direkt im Bindegewebe.
•
Der 2. Schlundbögen (Hyoidbogen) liefert den Stapes, den Proc. styloideus, das Lig. stylohyoideum und das kleine Horn des Zungenbeins. Der Proc. styloideus verschmilzt bei der Verknöcherung mit dem Felsenbein.
1. Knorpelanlagen der Schlundbögen •
Der 1. Schlundbögen (Mandibularbogen) liefert das dorsal gelegene Quadratum (den späteren Amboss) und das ventrale Mandibulare, das Meckel-Knorpel genannt wird. Zwischen Quadratum und Mandibulare liegt das primäre
Meckel-Knorpel
Abb. 4.4: Viszeralskelett des Menschen. Die einzelnen S c h l u n d b ö g e n bzw. Abkömmlinge sind durch verschiedene Farben hervorgehoben
• Chondrale Knochen im erweiterten Sinne
•
Griffelfortsatz
4.1 Entwicklung d e s knöchernen Schädels, Kiemendarm
•
Der 3. Schlundbogen bleibt nur in seinem ventralen Teil als großes Horn des Os hyoideum erhalten. Die ventralen Enden des 2. und 3. Bogens sind durch die Copula, den Zungenbeinkörper, verbunden. • Aus dem Material des 4. und 5. Schlundbogens entsteht der Schildknorpel. • Aus dem Material des 6. Bogens sollen sich der Kehldeckel und die Cartilágines cuneiformes entwickeln. • Das Material des 7. Schlundbogens soll den Ringknorpel, die Gießbeckenknorpel und die Knorpelspangen bzw. -platten der Luftröhre und der Bronchien liefern. 2. Muskeln, Nerven und Arterien der Schlundbogen Damit die Schlundbogen in ihrer Einheit dargestellt werden, sollen auch die Anlagen für die Muskulatur, Gefäße und Nerven aufgeführt sowie die Schiundfurchen und -taschen behandelt werden. Muskelanlagen der Schlundbogen. Sie wandern in die Kopf- und Halsregionen aus. Aus der Anlage (s. auch Kap. 4.8, S. 225) •
des 1. Schlundbogens entstehen die Kaumuskeln und vorderer Bauch des M. digastricus, M. mylohyoideus, M. tensor veli palatini und M tensor tympan i • des 2. Schlundbogens die mimischen Muskeln und hinterer Bauch des M. digastricus, M. stylohyoideus, M. stapedius und das Platysma • des 3. Schlundbogens der M. stylopharyngeus und die oberen Pharynxmuskeln • des 4. bis 6. Schlundbogens die Gaumenmuskeln mit Ausnahme des M. tensor veli palatini, die unteren Schlundschniirer sowie die Larynxmuskeln Schlundbogenarterien. Sie verschmelzen teilweise miteinander und bilden die Hauptschlagadern des Brust- und Halsbereichs, teilweise gehen sie zugrunde (s. Kap. 3). Schlundbogennerven. Sie begleiten die Muskeln und versorgen außer diesen auch die oberen Eingeweide, z. B. die Zähne, Schleimhaut der Zunge, den Kehlkopf. • •
Der 1. Schlundbogennerv ist der N. trigeminus, der 2. Schlundbogennerv der N. facialis,
183
•
der 3. Schlundbogennerv der N. glossophaiyngeus und • der 4. bis 6. Schlundbogennerv der N. vagus. •
Schiundfurchen
Es handelt sich um entsprechende Einstülpungen von außen entsprechend den Kiementaschen. Sie bilden sich bereits im 2. Monat wieder zurück. •
1. Schiundfurche. Aus ihr entstehen die Ohrmuschelgrube und der äußere Gehörgang (s.Kap. 7.1.1, S. 593). • 2., 3. und 4. Schiundfurche. Sie vertiefen sich zur seitlichen Halsbucht. Diese wird von der Operkularfalte des 2. Kiemenbogens abgedeckt und durch die Verwachsung derselben mit der unteren Halsregion zur seitlichen Halsbucht, dem Sinus cervicalis, geschlossen. Unterbleibt der Verschluss, kommt es zur Bildung einer seitlichen Halsfistel. Der Sinus cervicalis verschwindet später. •
Schlund- oder Kiementaschen
Der Schiunddarm stellt den obersten Abschnitt des Vorderdarms dar und beginnt unmittelbar hinter der Rachenmembran. Seine Seitenwände zeigen 5 Schiundtaschen, die sich zwischen den Schlundbogen ausstülpen. Die Entodermzellen am Grund der Schiundtaschen bilden den Mutterboden für einige Organe (Abb. 4.5, siehe auch Abb. 4.74). •
1. Schiundtasche. Sie wird zu einem langen Schlauch ausgezogen. Ihr erweitertes Ende liefert die Anlage der Paukenhöhle, Cavitas tympanica, und die innere Epithelschicht des Trommelfells. Aus dem Verbindungsstück entsteht die Ohrtrompete, Tuba auditoria, die den Rachenraum mit dem Mittelohr verbindet (s. Kap. 7.1.2.3, S. 610). • 2. Schiundtasche. Sie bildet die Tonsillarbucht, aus deren Epithelzellen sich in Verbindung mit dem umgebenden Bindegewebe die Gaumenmandel, Tonsilla palatina, entwickeln (s. Kap. 4.14.5, S. 311). • 3. und 4. Schiundtasche. Sie wachsen nach hinten und vorn aus. Die hinteren Epithelzellen bilden die Anlage der Nebenschilddrüsen, Glandulae parathvroideae, und die vorderen das Anlagematerial des Thymus (s. Kap. 10.7.3, S. 886). Die Organanlagen wandern abwärts, die Nebenschilddrüse aus der 3. Schiundtasche gelangt zum unteren und die aus der 4. zum
184
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Anlage der Paukenhöhle — — Anlage des äußeren Gehörgangs
1 Anlage derTuba auditiva und Paukenhöhle 2 Anlage der Gaumenmandel 3 Nebenschilddrüsenanlage 4 Thymusanlage 5 Ultimobranchialkörper
— R e s t des Sinus cervicalls Ductus thyroglossalis Ihymus Gl thyroidea
Derivate der Schiundtaschen
Abb. 4.5: Entwicklung des Schlundbogengebietes (aus G.-H. Schumacher). Derivate der Schiundtaschen (innen) und Schiundfurchen (außen). Römische Zahlen: Schlundbögen
oberen Pol der Schilddrüse und der Thymus in den Brustkorb. • 5. Schiundtasche. Sie bildet mit ihrem Epithel den Ultimobranchialkörper, der später in Form von parafollikulären Zellen oder C-Zellen in der Schilddrüse zu finden ist (s. Kap. 4.11, S. 337).
4.1.2
Phylogenese
Keine Struktur des Körpers ist ein so markantes Spiegelbild der Phylogenese wie der Schädel. Eine phylogenetische Betrachtungsweise ist wichtig, da der Säugetierschädel eine langwierige Entwicklung durchmacht und Neuerwerbungen bekommen hat. Diese sind: 1. Sekundäres Kiefergelenk, Gehörknöchelchen (s. Kap. 4.7.2, S. 221, Kap. 7.1.2.1, S. 600), 2. Sekundärer Gaumen (s. Kap. 4.13.4, S. 299) und 3. Heterodontes und diphyodontes Gebiss (s. Kap. 4.13.3, S. 281). Das Prinzip der menschlichen phylogenetischen Schädelentwicklung besteht in der Proportionsveränderung zwischen Neuro- und Viszerokranium sowie in der Schädelbasisknickung.
4.1.2.1
•
Proportionsverschiebungen von Neuro- und Viscerocranium zugunsten des ersteren
Zerebralisation Mit der Entfaltung des Großhirns (Zerebralisation, s. Kap. 2.6.2, S. 92) erfolgt eine Ausrundung des gesamten menschlichen Schädeldachs. Die Fläche der Deckknochen vergrößert sich. Davon ist insbesondere das Os frontale betroffen durch eine Aufrichtung und Auswölbung der Squama. Als Ergebnis dieser Entwicklungsvorgänge liegt eine Vergrößerung der Hirnkapsel vor (ζ. B. Orang Utan 300^480 cm 3 , Rezenter Mensch 1100-1900 cm 3 ). Die Sinnesorgane, insbesondere die Augen, haben ebenfalls einen Einfluss auf die Gestaltung des Gesichtschädels.
• Schwächere Ausbildung des Viszerokraniums, Vertikalisation Mit dem aufrechten Gang des Menschen (Vertikalisation) werden die vorderen Extremitäten frei für bestimmte Verrichtungen, die vorher vom Gebiss getätigt wurden. Beim Tier hat das Gebiss neben der Kaufunktion die Aufgabe des Erlegens der Beute, der Verteidigung, des Werkzeugs (Nager!) und des Tragens der Jungen. Diese Funktionen treten beim Menschen zurück.
185
4.1 Entwicklung des knöchernen Schädels, Kiemendarm
•
Kieferverkürzung und Entwicklung einer Parabelform der Zahnbögen. Die Zähne sowie die Kau- und Nackenmuskulatur werden schwächer ausgebildet. Daraus resultieren grazilere Knochenleisten als Ursprungs- und Ansatzort.
Os frontale
Os occipitale
Lamina cribrosa
4.1.2.2
Sie ist ein Schlüsselereignis in der Phylogenese des Schädels. Durch die Entwicklung des aufrechten Gangs ( Vertikalisation) knickt der Schädel in sich ab, damit die Aug(Seh-)achse in der Horizontalen erhalten bleibt. Der Mensch hat die ausgeprägteste Knickung, die individuell zwischen 90° und 116° betragen kann (Abb. 4.6). Die Knickung wird durch den Winkel zwischen Clivus und der Ebene der vorderen Schädelgrube ausgedrückt. Die Schädelbasisknickung hat auch eine Schädelverkürzung (Brachykephalisation) zur Folge. Die Zentralisation unterstützt die Knickungsvorgänge.
Os frontale
Os occipitale
4.1.2.3 Weitere Faktoren für die Schädelformung Umweltfaktoren und die Ernährung prägen den Schädel. So bilden sich je nach Ernährungsweise 1. Karnivoren (Fleischfresser), 2. Herbivoren (Pflanzenfresser) oder 3. Rodentia (Nager) heraus. Der menschliche Schädel weist durch die Anpassung an die omnivore Ernährungsweise Besonderheiten auf, die sich in der Form der Zähne, des Kiefergelenkes und der Kaumuskeln widerspiegeln.
/
I ι
x
ι J
/
I
fossa hypophysialis
Clivus
1
Lamina cribrosa
Mit der Schädelbasisknickung hat der Schädel auch eine andere Orientierung bekommen. Er muss beim Zweibeiner auf der Wirbelsäule balancieren. Während beim Vierfüßer das Foramen magnum nach hinten unten zeigt, ist es beim Menschen nach unten gerichtet. Foramen magnum und Condyli occipitales sind weit nach vorn gelagert. Der Schwerpunkt des menschlichen Schädels liegt etwa 3 cm vor den Hinterhauptskondylen. Damit ist die Schultermuskulatur (s. Kap. 8.5.1, S. 644) und die tiefe Nackenmuskulatur (s. Kap. 8.6, S. 648) auch schwächer ausgebildet, und die sog. Muskelkämme der Vierfüßer sind überfällig geworden.
•
Fossa hypophysialis
Schädelbasisknickung
Os occipitale f
f
-I I
Lamina cribrosa
\
Clivus
Fossa hypophysialis
Abb. 4.6: Schädelbasisknickung (nach J. Fanghänel). a. Hund, b. Gorilla, c. Mensch. Deutlich ist der kleinste Schädelbasiswinkel beim M e n s c h e n zu erkennen
•
Die Entwicklung der Sprache differenziert Muskelgruppen, welche an der Sprache mitbeteiligt sind (Artikulation, Mimik, Gestik). Durch eine stärkere Wölbung des harten Gaumens hat die Zunge einen größeren Spielraum für die Artikulation. Letztlich haben auch endokrinologische Zusammenhänge eine große Bedeutung.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
186
4.1.3 •
Kraniofaziales Wachstum
Die Steuerung des kraniofazialen Wachstums ist ein komplexes Geschehen. Dabei unterliegt die Formwerdung des Schädels einem genetischen Programm, das durch exogene Faktoren beeinflusst und modifiziert werden kann. Die Entwicklung des Chondrokraniums ist in erster Linie genetisch determiniert. Das Wachstum des Desmokraniums wird dagegen vor allem durch umgebende lokale Faktoren (ζ. B. Muskulatur) beeinflusst. Die Gesamtheit dieser Faktoren wird als „funktionelle Matrix" (M. Moss) bezeichnet.
Pränatal sind das chondrale und suturale Wachstum dominierend. Das periostale Wachstum, von welchem das Dickenwachstum der Knochen ausgeht, tritt erst postnatal auf. Dem chondralen Wachstum kommt die Bedeutung eines primären Wachstums zu, während das suturale mehr eine sekundäre, kompensatorische Aufgabe hat. Das Neurokranium wird schon pränatal insbesondere durch die Hirnentfaltung gestaltet. Die Schädelbasis knickt durch den Wachstumsdruck des Gehirns vom Keilbeinkörperkomplex nach hinten und seitwärts ab. Das Schädeldach wird ausgerundet. Die Modellierung des Viszerokraniums erfolgt dagegen erst postnatal. Hier sind die Entwicklung der Augen und Nasennebenhöhlen sowie die Dentition als kausale Faktoren zu nennen. Der Zug der sich entwickelten Muskulatur wirkt am gesamten Schädel stimulie-
rend auf die Osteogenese. So entsteht beispielsweise der Proc. mastoideus erst nach der Geburt durch den Zug des M. sternocleidomastoideus. •
Die endgültige Schädelform wird durch Größenwachstum und Proportionsverschiebungen zwischen Neuro- und Viszerokranium erreicht. Das Viszerokranium ist beim Neugeborenen im Verhältnis zum Neurokranium zunächst relativ klein. Die Kiefer sind noch wenig entfaltet. Somit ist das Gesicht niedrig und breit (Abb. 4.7). • Jeder Schädel ist asymmetrisch gestaltet. Kleinere Seitendifferenzen gehören zur normalen „biologischen Varianz". Größere Abweichungen bezeichnen wir als Schädel-Gesichtsskoliosen.
4.1.4
Fehlbildungen
Fehlbildungen treten auf als Defekte, Kranioschises, oder als vorzeitiger Schluss von Schädelnähten, Kraniosynostosen. Kombinierte Fehlbildungen bilden Syndrome.
4.1.4.1
Kranioschisis
• Akranie: angeborenes Fehlen des Schädeldachs, zumeist bei Anenzephalie (Abb. 4.8 e, f). • Anenzephalie (Krötenkopf, Froschkopf): schwere, relativ häufig vorkommende Fehlbildung (ca. 1:1000 Lebendgeborene). Vorliegen
Abb. 4.7: Das Verhältnis von Gehirn- (weiß) und Gesichtsschädel (grau). Die Schädel vom Neugeborenen (a), Erwachsenen (b) und Greis (c) wurden auf die gleiche Höhe gebracht.
187
4.1 Entwicklung des knöchernen Schädels, Kiemendarm
Abb. 4.8: Schädelfehlbildungen durch verschiedene Nahtverschlussstörungen, Defekte im Neurocranlum, Entwicklungsstörungen des Gehirns und Abflussstörungen d e s Liquor cerebrospinalis, a. Scaphocephalus, b. Trigonocephalus, c. Oxycephalus oder Turrlcephalus, d. Plagiocephalus, e., f. Akranie, g. Meningozephalozele, h. Hydrocephalus (nach J. Fanghänel)
einer Akranie sowie Fehlen von Gehirnteilen bzw. völligem Fehlen des Gehirns. Sehr oft Fortsetzung des Defekts in den Zervikalbereich (Kraniorhachischisis) • kombinierte Spaltbildung an Schädel und Wirbelsäule. Fehlender Schluss des Neuroporus rostralis. Nicht mit dem Leben vereinbar. • Kranioschisis occulta: zumeist auf Stirn- und Scheitelbeine begrenzte Defektbildung. Diese Defekte sind oft mit einer Herniation von Teilen des Gehirns (Enzephalozele) oder nur der der Hirnhäute (Meningozele) verbunden (Abb. 4.8 g).
4.1.4.2 Kraniosynostosen, Kraniostenosen, Stenokephalie Vorzeitiger Nahtverschluss, vermutlich genetisch bedingt (prämature Synostosen) —» Schädeldeformitäten (Dyskranie). Die Schädelform hängt dabei vom Typ des vorzeitigen Nahtverschlusses ab. Beim männlichen Geschlecht häufigeres Vorkommen. \> Vorzeitiger Pfeilnahtverschluss —> Kahnschädel (Scaphocephalus, Abb. 4.8 a) t> Vorzeitiger Verschluss der Stirnnaht —» Keilschädel (Trigonocephalus, Abb. 4.8 b)
D> Vorzeitiger symmetrischer Verschluss der Kranznaht - » Turmschädel (Oxycephalus, Abb. 4.8 c) ungleichmäßiger Verschluss der Kranznaht (und der Lambdanaht) -> Schiefschädel (Plagiocephalus, Abb. 4.8 d) [> Mikrozephalie: hier bleibt das Hirnwachstum zurück oder bleibt völlig aus. Vorzeitiger Nahtund Fontanellenverschluss.
4.1.4.3 Syndrome, Systemerkrankungen •
Crouzon-Syndrom: Pfeil- und Kranznaht sind bei der Geburt bereits geschlossen. Früher Schluss der großen und kleinen Fontanelle. Hypertelorismus, Oberkieferhypoplasie, tiefer Ohrenansatz. Normal verlaufende geistige Entwicklung. • Enslin-Syndrom(-Trias): Komplex aus Turmschädel, Exophthalmus und starke Wucherung der Rachentonsille. • Mandibulofaziale Synosten: Komplex aus verschiedenen Entwicklungsstörungen im Mittelgesicht. Zumeist Unterentwicklung von Maxilla, ζ. T. Mandíbula und Jochbogen. Hypo/ Hypertelorismus, Zahnfehlbildungen • Störungen des Wachstums der basikranialen Synchondroses. Die Schädelbasis bleibt in ihrem Längenwachstum zurück und die
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
188
„Stemmkörperwirkung"
der
Synchondrosen
Hydrocephalus:
Vergrößerung
des
Neurokra-
niums durch abnorme Wölbung der
des Mittelgesichts, Boxer- oder Bulldoggenge-
(Abb. 4.8). V o l u m e n z u n a h m e n durch Erweite-
sicht). •
•
auf das Mittelgesicht bleibt aus (Zurückbleiben
Calvaría
rung der Hirnventrikel (Hydrocephalus internus)
Arnold-Chiari-Syndrom:
Herniation von Teilen
bzw. des Subarachnoidalraumes (Hydrocephalus
d e s C e r e b e l l u m u n d d e r M e d u l l a o b l o n g a t a in
externus) aufgrund von Abflussstörungen
d e n W i r b e l k a n a l s o w i e in d i e H a l s r e g i o n h i n e i n .
Liquor cerebrospinalis.
des
O f t ist d i e h i n t e r e S c h ä d e l g r u b e u n t e r e n t w i c k e l t . D i e Ä t i o l o g i e ist u n b e k a n n t .
4.2
Schädelansichten
L e r n z i e l e : B e s c h r e i b u n g d e s S c h ä d e l s a u s verschiedenen Ansichten A m Schädel werden verschiedene Standardansichten definiert, die für die verschiedenen Fachdisziplinen w i c h t i g sind.
4.2.1
Ansicht von oben, Norma verticalis
In der Ansicht von oben sehen wir vorn das Stirnbein, in der Mitte die beiden Scheitelbeine, hinten das Hinterhauptsbein. Die Sutura coronalis verbindet das Stirnbein mit den Scheitelbeinen. Die Sutura sagittaHs vereinigt die beiden Scheitelbeine. Am Hinterhaupt stoßen in der lambdaförmigen Naht, Sutura tambdoidea, die Schuppe des Hinterhauptsbeines und die Scheitelbeine zusammen. Diese Nähte sind beim jugendlichen Schädel ausgesprochene Sägenähte (Suturae serratae). In ihrem Verlauf kommt es nicht selten (besonders häufig in der Lambdaund Pfeilnaht) zur Bildung von selbständigen Nahtknochen, Ossa suturarum. A m Schädel des Neugeborenen (Abb. 4.3) setzt sich die Pfeilnaht in die Stirnnaht, Sutura frontalis, fort. Diese trennt die beiden Stirnbeinhälften, verstreicht meistens frühzeitig, bleibt aber in seltenen Fällen dauernd erhalten. Dort, wo Stirn-, Pfeil- und Kranznaht zusammentreffen, besteht beim Neugeborenen und Säugling eine mit Bindegewebe ausgefüllte, rautenförmige Knochenlücke, die vordere oder Stirnfontanellc, Fonticulus anterior. An der Vereinigung von Pfeil- und Lambdanaht liegt die dreieckige, hintere oder Hintcrhauptfontanelle, Fonticulus posterior (minor). Sie ist bei reifen Feten keine eigentliche Knochenlücke mehr, sondern nur noch eine dreieckige Vertiefung, die der Spitze des Hinterhauptsbeines entspricht.
4.2.2
Ansicht von der Seite, Norma lateralis
Der zentrale Knochen der Seitenwand des Neurokraniums ist das Schläfenbein, Os temporale. Es steht (Abb. 4.9) nach hinten mit dem Hinterhauptsbein, Os occipitale, nach oben mit dem Scheitelbein, Os parietale, nach vorn mit dem Keilbein, Os sphenoidale, in Verbindung. Außerdem hängt es mit dem Viszeralschädel zusammen (im Kiefergelenk mit dem Unterkiefer, durch den Jochfortsatz, Processus zygomaticus, mit dem Jochbein, Os zygomaticum. Das Stirnbein, Os frontale, grenzt nach hinten an das Keilbein und das Scheitelbein, nach unten an verschiedene Knochen des Gesichtsschädels (Nasenbein, Oberkiefer, Siebbein und Jochbein). A m Neugeborenenschädel können in der Seitenansicht (Abb. 4.3) Bestandteile des Schläfenbeins, die Schuppe, Pars squamosa, der Felsenbeinteil, Pars petrosa, und der Trommelfellring, Anulus tympanicus, unterschieden werden. Sie sind durch relativ weite Spalten oder Nähte noch teilweise voneinander getrennt. Sie entstehen auf verschiedener entwicklungsgeschichtlicher Grundlage. Hier sind 2 kleine, durch Bindegewebe verschlossene Fontanellen, die vordere Seitenfontanelle, Fonticulus anterolateralis (oberhalb des großen Keilbeinflügels), und die hintere Seitenfontanelle, Fonticulus posterolateralis (hinter der Pars petrosa) zu sehen. K l i n i k : V o n t o p o g r a p h i s c h e r B e d e u t u n g ist d i e Spina
supra
Vorsprung
meatum, am
ein kleiner
hinteren
oberen
dornartiger
Umfang
des
Porus acusticus externus. Sie dient zur Orientierung bei der operativen E r ö f f n u n g des Warzenfortsatzes
(Mastektomie)
bei
spezifischen
Prozessen. Schließlich sollen noch die bisher nicht erwähnten Nähte genannt werden. Da sie nach den benachbarten Knochen benannt werden, sind ihre Namen leicht abzuleiten. Wir beginnen (Abb. 4.9-4.10) mit der Sutura frontozygo-
4.2 Schädelansichten
189
Sutura coronalis
Linea temporalis inferior
I l
\
\
Linea temporalis superior \
\
Os frontale (Squama frontalisi
\ Os sphenoidale (Ala major)
Os lacrímale (Crista lacrimalis posteriori / / Crista lacrimalis anterior
Fossa sacci lacrimalis
— Os nasale Maxilla mit foramen infraorbital
Sutura lambdoidea
Spina nasalis
Os temporale
anterior
(Pars squamosa) Porus acusticus extemus, Spina supra meatum
x
Os zygomaticum
' ^
Processus mastoideus 7
/
v. Processus
I '
/ Processus condylaris, Arcus zygomaticus
coronoideus
j Mandíbula
Processus styloideus
(Foramen mentale)
Angulus
Abb. 4.9: Seitenansicht (Norma lateralis) des Schädels. Inset oben: deutlich erkennbare Atrophie der Alveolarfortsätze Ober- und Unterkiefer beim Zahnlosen zu erkennen (nach G.-H. Schumacher)
malica (Grenze zwischen Stirn- und Jochbein), folgen der Sutura sphenofrontalis (Keil-, Stirnbein) bis zur Kranznaht, Sutura coronalis (Stirn-, Scheitelbein), verfolgen nach hinten die Sutura sphenoparietalis (Keil-, Scheitelbein). Von ihrem Ende verläuft die Sutura sphenosquamosa (Keil-, Schläfenbein) nach unten, die Sutura squamosa (Scheitel-, Schläfenbein) im Bogen nach hinten. Sie setzt sich nach hinten in die Sutura parietomastoidea (Scheitelbein-Warzenteil) fort und läuft nach oben in die Sutura lambdoidea (Scheitel-Hinterhauptsbein), nach
unten in die Sutura occipitomastoidea (HinterhauptsbeinWarzenteil) aus. Die Sutura temporozygomatic a trennt Schläfen- und Jochbeinanteil des Jochbogens.
4.2.3
Ansicht von vorn, Norma frontalis
Der Hirnschädel wird in der Ansicht von vorn in der Hauptsache vom Stirnbein gebildet (Abb. 4.10). Seine
190
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Sutura frontalis persistens
I Os frontale ζ
(Squama frontalis)
/ Glabella, / Linea temporalis
Arcus superciliares
χ
\ \
Sutura frontonasals
Sutura coronalis
Os parietale
Foramen supraorbital
Foramen sive Incisure supraorbitalis
Os sphenoidale (Ala major]
x
v
Os nasale. Sutura internasalis
Sutura frontozygomatica
Canalis opticus Os temporale ~ ~ —
(Pars squamosa)
Fissura orbitalis superior
Os sphenoidale _
^ Os lacrimale
(Ala major)
(Fossa sacci lacrimalis) X
Os zygomaticum mit foramen zygomaticofacial
Fissura orbitalis inferior \ \
/ /
v
Sutura zygomaticomaxillaris
Cavitas nasalis ossea,
Sulcus infraorbitalis
Maxilla (Foramen infraorbitale) ^ ^
Os e t h m o i d a l
Spina nasalis anterior
(Concha nasalis media) Septum nasi osseum, Concha nasalis inferior
Foramen mentale
Mandíbula
Abb. 4.10: Ansicht eines Schädels von vorn (Norma frontalis). Im Os frontale ist eine persistierende Stirnnaht zu erkennen
Pars orbitalis weist gegen die Augenhöhle und beteiligt sich an der Bildung der Schädelbasis. Mittels eines scharfen Randes, Margo supraorbitalis, geht die Pars orbitalis in die Squama frontalis über. Die konvexe Stirnschuppe ist die knöcherne Grundlage der Stirn. Oberhalb der Nasenwurzel liegt ein erhabenes, ebenes Feld, die Glabella. Von ihr verlaufen die Oberaugenbrauenwülste, Arcus superciliares, im Bogen nach lateral. Sic sind
ebenso wie die Stirnhöcker, Tubera frontalia, individuell verschieden stark ausgebildet. Manchmal kann man auch beim Erwachsenen noch eine mediane Stirnnaht feststellen (Sutura frontalis persistens, Abb. 4.10). In dieser Ansicht sehen wir noch die großen und kleinen Flügel des Keilbeines. Sie begrenzen von hinten und oben her die Augenhöhle und helfen gleichzeitig die Schädelbasis bilden.
191
4.3 Schädelknochen
4.2.4
Ansicht von hinten, Norma occipitalis
Diese Ansicht zeigt als Hauptknochen die Schuppe des Hinterhauptsbeines, Squama occipitalis, daneben noch die Pars petrosa des Schläfenbeins und die Scheitelbeine. Die Squama occipitalis hat ungefähr in ihrem Zentrum die höckerartige Protuberantia occipitalis externa. Von ihr ziehen kräftige Leisten, die Linea nuchae suprema und superior, im Bogen nach lateral. Sie grenzen ein oberes, dreieckiges, glattes Feld (Planum occipitale, Oberschuppe) von einem unteren, viereckigen, mit Leisten und Graben versehenen Feld (Planum nuchae, Unterschuppe) ab.
nuchae inferior in 4 Felder (Plana nuchalia) für den Ansatz der kräftigen Nackenmuskulatur geteilt.
4.2.5
Innenansicht der Calvaría
Das durch einen horizontalen Schnitt abgetragene Schädeldach zeigt an der konkaven Innenfläche die baumformig verzweigten Sulci arteriosi, Furchen für die Aufnahme der Aa. meningeae (Abb. 4.18). In der Mcdiansaggittalen verläuft der breite, flache Sulcus sinus sagittalis superioris, eine Furche fur den Sinus sagittalis superior. Seitlich von dieser Furche finden wir Grübchen von wechselnder Zahl und Größe, die Foveolae granulares (für die Gramilationes arachnoideales).
Der untere Teil der Hinterhauptschuppe wird durch die sagitale Crista occipitalis externa und die quere Linea
4.3
Schädelknochen
Lernziele: Beschreibung der Schädelknochen: Lage, Teile, Nachbarschaftsbeziehungen, Geschlechtsdimorphismus Die Knochenstruktur ist letztlich ein Ergebnis vorangegangener ontogenetischer und phylogenetischer Entwicklungsvorgänge.
4.3.1 Neurocranium 4.3.1.1 Stirnbein, Os frontale Es besteht aus der konvexen Squama frontalis, den paarigen, durch die Incisura ethmoidalis getrennten, Partes orbitales und der Pars nasalis (Verbindung mit den Nasenbeinen), (Abb. 4.11, 12). Squama frontalis. Wir unterscheiden eine konkave Innenfläche, Facies interna, eine konvexe Außenfläche, Facies externa, und die kleine Facies temporalis. Der Margo supraorbital trennt die Facies externa von den Partes orbitales. Er zeigt 2 Einschnitte bzw. Löcher, Incisura (Foramen) frontalis und supraorbitalis. An der Facies externa finden wir Tuber frontale, Glabella, Arcus superciliaris und Linea temporalis, die die kleine seitliche Facies temporalis abtrennt. Von der Pars nasalis geht die Spina nasalis ab (in Abb. 4.11 gegabelt, zumeist einfach). Der Processus zygomat i c s stellt die Verbindung mit dem Jochbein, Os zygomaticum, her.
Pars orbitalis. Sie bildet das Dach der Augenhöhle (s. Kap. 4.6.1.1, S. 217) und der Siebbeinzellen (s. Kap. 4.15.2.3, S. 324). Ihre Incisura ethmoidalis nimmt die Lamina cribrosa des Siebbeins auf. Das Foramen ethmoidale posterius fuhrt Α., V. und N. ethmoidales posteriores von der Augenhöhle in die hinteren Siebbeinzellen. Das Foramen ethmoidale anterius fuhrt Α., V. und N. ethmoidales anteriores aus der Augenhöhle in die Schädelhöhle. Weiterhin finden wir die Spina trochlearis (für die Anheftung der Trochlea, einer Knorpelspange zum Durchtritt der Sehne des M. obliquus oculi superior) (s. Abb. 6.27, S. 577), die Fossa glandulae lacrimalis (lateral vorn, zur Aufnahme der Tränendrüse), den Margo supraorbitalis, den Margo sphenoidalis (für die Ala major), den Margo parietalis (für das Os parietale) und den Processus zygomaticus (fur das Os zygomaticum). Pars nasalis. Hier springt die Spina nasalis ossis frontalis vor.
4.3.1.2 Hinterhauptsbein, Os occipitale Das Os occipitale entsteht zum größten Teil als Ersatzknochen, nur der obere Teil der Schuppe ist Bindegewebsknochen. Das Os occipitale bildet die knöcherne Grundlage für den Hinterkopf, Occiput, und Gruben für das Kleinhirn sowie die Hinterhauptspole der beiden Großhirnhemisphären. Seine innere Fläche wird vor allem durch das Gehirn modelliert (Abb. 4.13),
192
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Tuber frontale
y Linea temporalis
Facies temporalis Arcus superciliares
Processus zygomaticus /
/
Margo supraorbitalis
Incisura supraorbitalis
/ Glabella
\
l·
Incisura frontalis
V Spina nasalis
Incisura Incisura supraorbitalis
Spina trochlears - ^
frontalis
Pars nasalis
\
I
Arcus suçerciliaris /
Margo supraorbitalis
1
\
Pars orbitalis
Fossa glandulae -
(Facies orbitalis)
lacrimalis
— Processus zygomaticus Margo sphenoidale
—
Margo parietalis
—
!
\
Incisura
Foramen ethmoi
ethmoidalis
dale posterius
[Foveolae e t h m o i d a l s ]
X
Foramen ethmoidale anterius
Abb. 4.12: Stirnbein, Os frontale, von unten
die Außenfläche durch den Ansatz der Nackenmuskulatur (Abb. 4.14). Der beim Erwachsenen einheitliche Knochen setzt sich, wie die Verhältnisse beim Neugeborenen noch deutlich zeigen, aus 4 Bausteinen zusammen, die sich um das Foramen magnum so herumgruppieren, dass ein unpaares Stück, Pars basilaris, davor liegt, zwei seitlich davon liegen, Partes laterales, und das 4. Stück, die Schuppe, Squama, hinter dieser Öffnung liegt. Auch beim Os occipitale des Erwachsenen unterscheidet man noch diese 4 Abschnitte.
4.3.1.3 Keilbein, Wespenbein, Os sphenoidale Das Keilbein steht mit allen Knochen des Gehirnschädels und den meisten Knochen des Viszeralschädels in Verbindung. Es besteht aus dem Körper, Corpus, den kleinen Flügeln, Alae minores, den großen Flügeln, Alae majores, und den flügelartigen Fortsätzen, Processus pterygoidei (Abb. 4.15,4.16). Corpus ossis sphenoidalis. Es ist ein würfelartiger Körper mit 6 Flächen. Die hintere Fläche steht zunächst synchondrotisch, später synostotisch mit
193
4.3 S c h ä d e l k n o c h e n
Squama occipitalis Protuberantia occipitalis interna
Fossa cerebralis / / Margo lambdoideus
_
Crista occipitalis interna _
^ Sulcus sinus transversi
Margo mastoideus Fossa cerebellari
— Foramen magnum Sulcus sinus sigmoidei — — ~ — Canalis condylars Incisura jugularis
Sonde im Canalis nervi hypoglossi — /
Processus intrajugularis
Tuberculum jugulare
Pars lateralis Clivus
Sulcus sinus petrosi inferioris '
Pars besiiarls
Abb. 4.13: Hinterhauptsbein, O s occipitale. Ansicht von innen und vorn
der Pars basilaris des Os occipitale in Verbindung (Clivus Blumenbach). Die obere Fläche (Abb. 4.31, Inset) ist tief zur Fossa hypophysialis eingedellt. Hinten trägt sie das Dorsum sellae mit den seitlichen Processus clinoidei posteriores. Die kleinen Processus clinoidei medii gehen von der Vorderwand der Hypophysengrube ab. Die seitlichen Flächen tragen die Flügel, lateral vorn oben die schwertartigen Alae minores, lateral unten die Alae majores, lateral hinten unten die Processus pterygoidei. Die vordere Fläche zeigt die paarige Apertura sinus sphenoidalis. Median zieht die Crista sphenoidalis (zur Anlagerung der Lamina perpendicularis des Siebbeins) senkrecht abwärts und läuft in das Rostrum sphenoidale aus, das von den Flügeln des Pflugscharbeins umfasst wird. Der Körper des Keilbeins ist weitgehend ausgehöhlt. Die Keilbeinhöhle, der Sinus sphenoidalis (s. Kap. 4.15.2.4, S. 324), ist durch das Septum sinuum sphenoidalium in 2, häufig asymmetrische
Kammern geteilt und ist vorn bis auf die zur Nasenhöhle fuhrenden Aperturae sinuum sphenoidalium durch eine muschelförmige Knochenlamelle, die Concha sphenoidalis, verschlossen. Alae minores. Sie bilden mit je 2 Wurzeln den Canalis opticus. Sie begrenzen mit ihrer unteren Fläche die Augenhöhle, mit ihrer oberen die Schädelhöhle. Nach medial und hinten laufen sie in die kräftigen Processus clinoidei anteriores aus. Alae majores. vom Foramen durchbohrt. Sie gekrümmt. Man und 1 Winkel.
Sie werden nahe ihrer Wurzel rotundum und Foramen ovale sind nach außen und aufwärts unterscheidet 4 Flächen, 4 Ränder
Die Facies cerebralis weist gegen das Gehirn (Abb. 4.31 ). Die Facies temporalis liegt an der Außenfläche des Schädels (Abb. 4.9) und wird durch die Crista infratemporalis von der basalwärts gerichteten Facies infratemporalis getrennt. Die Facies
194
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Protuberantia Squama occipitalis
occipitalis externa Crista occipitalis externa / /
Linea nuchae superior
Linea nuchae inferior
Foramen magnum
Canalis condylaris
Condylus occipitalis
Incisura jugularis Processus intrajugularis
' Sonde im Canalis nervi hypoglossi
Pars lateralis Tuberculum pharyngeum
Pars basilaris
Abb. 4.14: Hinterhauptsbein, Os occipitale. Ansicht von au
orbitalis begrenzt hinten und lateral die Augenhöhle. Sie ist glatt und eben. Die Facies maxillaris liegt unterhalb der vorigen und weist gegen die Maxilla. Auf ihr mündet das Foramen rotundum. Der Margo frontalis steht mit dem Stirnbein, der Margo zygomaticus mit dem Jochbein, der Margo parietalis mit dem Scheitelbein und der Margo squamosus mit dem Schläfenbein in Verbindung. Der hintere Rand des großen Flügels ist dornartig zur Spina ossis sphenoidalis ausgezogen und wird vom Foramen spinosum durchbohrt. Fissura orbitalis superior. Sie ist ein schräger, medial weiter, lateral enger Spalt zwischen größerem und kleinerem Flügel. Processus pterygoidei. Diese gehen nahezu senkrecht nach unten ab, bestehen aus 2 Platten,
der Lamina medialis und lateralis, die die Fossa pterygoidea zwischen sich fassen. Die zwischen ihnen gelegene Incisura pterygoidea wird am vollständigen Schädel durch den Processus pyramidalis des Gaumenbeins geschlossen. Die mediale Lamelle läuft nach unten in einen Haken, Hamulus pterygoideus, mit einem Sulcus fur die Sehne des M. tensor veli palatini aus. Die Wurzel der Flügelfortsätze wird von dem sagittalen Canalis pterygoideus durchbohrt. Er mündet in die Fossa pterygopalatina. Unterhalb der hinteren Öffnung des Kanals liegt die kahnförmige Grube, Fossa scaphoidea. Der Processus vaginalis geht von der medialen Seite der Lamina medialis ab, legt sich der Unterfläche des Körpers an und reicht bis zu den Alae des Pflugscharbeins.
195
4.3 S c h ä d e l k n o c h e n
Ala minor
Canalis opticus
Concha sphenoidalis
s
—
Facies temporalis Facies orbitaiis
alae majoris
Fissura orbitaiis superior Foramen rotundum Apertura sinus sphenoidalis Foramen rotundum " Sulcus palatinos major Canalis pterygoideus " Spina ossis sphenoidalis '
— Lamina lateralis
/
Lamina medialis x
processus pterygoidei
Hamulus pterygoideus
Incisura pterygoidea
Abb. 4.15: Keilbein, O s s p h e n o i d a l e , v o n v o r n g e s e h e n
Sulcus prechiasmaticus (Spina ethmoidalis] Canalis opticus
Processus clinoideus medius Ala minor
Margo frontalis Margo parietales
— _ Fissura orbitaiis superior
Ala minor ' "
~ ~ Processus clinoideus anterior Ala major ^
Foramen rotundum
Margo squamosus
— Foramen ovale ~ Foramen spinosum
Lingula sphenoidalis ' Sulcus c a r o t a s
hypophysialis
Spina ossis sphenoidalis Processus clinoideus posterior
Abb. 4.16: Keilbein, O s s p h e n o i d a l e , v o n d e r S c h ä d e l h ö h l e a u s g e s e h e n
196
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
4.3.1.4 Scheitelbein, Os parietale
sind. Sie entstehen aus Ossifikationszentren in den Suturen (Nahtknochen) oder Fontanellen (Fontanellenknochen). Beispiele für erstere sind die Ossa inter parietalia (zwischen den Ossa parietalia) oder das sog. Inkabein (zwischen den Ossa parietalia und dem Os occipitale, Abb. 4.17). Diese Schaltknochen sind letztlich in allen Suturen möglich. Fontanellenknochen finden wir in der kleinen Fontanelle als Os apicis sowie in der großen Fontanelle als Os bregmaticum, die in vielen Spielarten vorkommen.
Die beiden Scheitelbeine bilden den mittleren Teil des Schädelgewölbes und die knöcherne Grundlage für die höchste Erhebung des Schädels, den Scheitel. Das Scheitelbein ist eine in zwei zueinander senkrecht stehenden Ebenen gebogene Knochenplatte, an der sich eine äußere, konvexe Fläche, Facies externa (Abb. 4.17), und eine innere, konkave Fläche, Facies interna (Abb. 4.18), unterscheiden lassen. Die Nachbarknochen des Scheitelbeines sind: Os occipitale (hinten), Os frontale (vorn), Os temporale und Os sphenoidale (seitlich).
4.3.1.5
4.3.1.6
Nahtknochen, Ossa suturalia, und Fontanellenknochen
Schläfenbein, Os temporale (Abb. 4.18, 19)
Es besteht aus der Schuppe, der Pars squamosa, der Felsenbeinpyramide, der Pars petrosa, mit dem Warzenfortsatz als Grundfläche und dem Trommelfellteil, der Pars tympanica (Abb. 4.19-21).
Es sind überzählige Knochen, die bezüglich Anzahl, Größe und Lokalisation sehr variabel
Margo sagittali / /
Linea temporalis superior
I
Linea temporalis inferior Foramen parietale
Angulus frontalis
Angulus occipitalis
— Margo frontalis
Margo occipitalis "
/ ' Angulus mastoideus
Margo squamosus
\
s Angulus sphenoidalis
Abb. 4.17: Rechtes Scheitelbein, Os parietale. Außenfläche, Inset oben rechts: Inkabein
197
4.3 Schädelknochen
Margo sagittalis
Angulus frontalis \ \
Margo frontalis
*I
\
Foramen parietale f
Sulcus sinus sagittalis superiora Angulus occipitalis I t
\
>
Nasenhöhle). Beim Erwachsenen ein blind endendes Loch, beim Kind häufig ein Kanal zur Nasenhöhle (V. emissaria-Verbindung zwischen Nasenvenen und Sinus sagittalis superior) • Lamina cribrosa, (—> Nasenhöhle) eine siebartige durchlöcherte Platte des Os ethmoidale seitlich der Crista galli. Sie lässt die Riechnerven, Fila olfactoria, zur Nasenhöhle und die A. ethmoidalis anterior in die Schädelhöhle ein- und nach Abgabe der A. meningea anterior, in die Nasenhöhle austreten. Sie stellt den Durchtritt für die Vv. ethmoidales sowie den N. ethmoidalis anterior dar. Seitliche Abschnitte. Gebildet von den Partes orbitales des Stirnbeins und den Alae minores des Keilbeins, zeigen sie die Impressiones digitatae, Eindrücke durch die Stirnhimwindungen, und Leisten, die den Furchen des Stimhirnes entsprechen. Der kleine Keilbeinflügel läuft nach medial in den stumpfen Processus clinoideus anterior aus. Durch
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
210
Foramen caecum
Crista frontalis
I
Os e t h m o i d a l ILamma cribrosa) /
, F o s s a cranii anterior Canalis opt cus, Corpus ossis sphenoidal
Crista galli
^ Fissura orbitalis superior
Impressiones digitatae
- Foramen r o t u n d u m
Ala minor ossis sphenoidalis
_ Sulcus car: it cus, Foramen lacerum
Processus clinoideus medius
Fossa cranii media
Processus clinoideus anterior
Foramen ovale
Fossa h y p o p h y s i a h s -
Foramen spinosum, Sulc arteriosi
Sulcus c a r o t i c u s , ^
Sulcus n. petrosi m i n o n s
Ungula sphenoidale Dorsum sellae, Processus
Sulcus η. p e t r o l i major s
-
clmoideus posterior Porus a c u s t i c u s i n t e r n u s
M a r g o superior {partis· I _ petrosae), Sulcus sinus I ' petrosi superioris ¡
Foramen iugulare
Sulcus sinus petrosi inférions, Clivus (Pars basilariis ossis occipitalis
Foramen m a s t o i d e u m
Sulcus sinus sigmoidei '
Canalis nervi hypogloss
Sulcus sinus t r a n s v e r s i '
Fossa cranii posterior
I Ci sta o t e pitalis interna
P r o t u b e r a n t e occipitalis interna
Foramen m a g n u m
Abb. 4.31: Innenfläche der Schädelbasis, Basis cranii interna. Inset unten: Details im Bereich des Türkensattels (aus G.-H. Schumacher)
Pneumatisation der Partes orbitales kann das Dach der Augenhöhle 2 Lamellen haben. Klinik: 1. Bei Schädelbasisprozessen kann es zu Geruchsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen kommen. 2. Bei Kindern besteht die Gefahr der aufsteigenden Infektionen von der Nase aus auf Grund der venösen Verbindungen (Foramen caecum).
4.4.2.2 Mittlere Schädelgrube, Fossa cranii media Sie liegt tiefer als die Fossa cranii anterior und nimmt die Schläfenlappen des Gehirns auf. Knöcherne Grundlage • Ala major und Corpus des Os sphenoidale • Vordere Fläche der Felsenbeinpyramide
4.4 Schädelbasis, Basis cranii
211
Reicht vom scharfen hinteren Rand des kleinen Keilbeinflügels bis zur oberen Kante der Felsenbeinpyramide, Margo superior partis petrosae.
•
Wir unterscheiden an der mittleren Schädelgrube ein unpaares Mittelfeld und paarige, seitliche Gruben
•
Mittelfeld: Es beginnt vorn mit einer flachen Furche, die zum Canalis opticus (Austrittstelle des N. opticus und der A. ophthalmica) fuhrt. Hinter dem Sulcus fallt das Mittelstück zum Türkensattel, Sella turcica, ab. An der Vorderwand des Sattels erheben sich die stumpfen Processus clinoidei anteriores. Die Rückwand des Sattels, Dorsum sellae, steigt steil an und endet mit einer stumpfen Kante, von der die Processus clinoidei posteriores seitlich abgehen. An den Processus clinoidei in der Umgebung des Türkensattels ist das Diaphragma sellae, eine horizontale Platte der Dura mater, befestigt. Es deckt die Hypophyse zu, welche sich in der Fossa hypophysialis des Keilbeinkörpers befindet, und lässt nur ein feines Loch für den Hypophysenstiel frei. Der Boden der Fossa hypophysialis ist nur durch eine dünne Knochenlamelle von der Keilbeinhöhle getrennt. Paarige, seitliche Gruben. Sie werden von der Ala major ossis sphenoidalis, der Facies ant. partis petrosae, und der Pars squamosa ossis temporalis, gebildet. Sie nehmen die Schläfenlappen des Gehirns auf.
•
•
•
Öffnungen und Spalten • Canalis opticus (—» Orbita) für den Durchtritt des N. opticus und der/1, ophthalamica mit sympathischem Plexus • Canalis ophthalamicus (—» Orbita, in 5 % der Fälle vorkommend) separater Kanal für die A. ophthalamica mit sympathischem Plexus • Fissura orbitalis superior (—> Orbita). Sie ist dreieckig, liegt zwischen Ala minor und major des Keilbeins und führt die Nn. ophthalmicus, oculomotorius, trochlearis und abducens aus der Schädelhöhle zur Augenhöhle sowie die V. ophthalmica superior aus der Augenhöhle heraus zum Sinus cavernosus. • Foramen rotundum (—> Fossa pterygopalatina), dicht hinter voriger gelegen, durchbohrt die Wurzel der Ala major und führt den N. maxillaris aus der Schädelhöhle.
•
Foramen ovale (—» Fossa intratemporalis) liegt weiter lateral und hinten und lässt den N. mandihularis und den Plexus foraminis ovalis austreten. Foramen spinosum (—» Fossa infratemporale). Es durchbohrt den hintersten Zipfel des großen Keilbeinflügels, ist sehr klein und fuhrt die A. meningea media mit sympathischem Plexus sowie den Ramus meningeus des N. mandibulars von außen rückläufig in die Schädelhöhle und die V. meningea aus der Schädelhöhle. Foramen lacerum (—» äußere Schädelbasis), ein unscharf begrenztes Loch zwischen dem Hinterrand der Ala major des Keilbeines und der Spitze der Felsenbeinpyramide, ist am nicht mazerierten Schädel durch eine faserknorpelige Platte verschlossen. Fissura sphenopetrosa (—» äußere Schädelbasis) ist der seitliche Ausläufer des Foramen lacerum. Sie entlässt die Nn. petrosi major und minor, welche aus der Felsenbeinpyramide austreten, zur äußeren Schädelbasis. Canalis caroticus. Die innere Öffnung, Apertura interna canalis carotici, liegt unmittelbar hinter dem Foramen lacerum in der Spitze der Pyramide. Durch sie tritt die A. carotis interna mit Plexus caroticus int. aus dem Felsenbein in die Schädelhöhle, verläuft seitlich des Türkensattels nach vorn und erzeugt dort den flachen Sulcus caroticus. Hier hat sie engen Kontakt mit dem Sinus cavernosus. Hiatus canalis nervi petrosi minoris ist eine feine Öffnung auf der Vorderfläche der Felsenbeinpyramide. Von ihr fuhrt eine schmale Furche fur den N. petrosus minor (von N. IX) zur Fissura sphenopetrosa. Hiatus canalis nervi petrosi majoris ist nur wenig größer als die vorige Öffnung und liegt unmittelbar hinter ihr. Durch ihn tritt der N. petrosus major (aus dem N. VII bzw. Intermedius) in die Schädelhöhle ein, verläuft in einem feinen gleichnamigen Sulcus zur Fissura sphenopetrosa, durch die er zur Außenfläche des Schädels gelangt.
Besonderheiten der mittleren Schädelgrube Vom Foramen spinosum läuft ein Sulcus arteriosus (fur die A. meningea media) zur seitlichen Schädelwand und gabelt sich in einen vorderen und hinteren Ast. Über die praktisch wichtige Lagebestimmung (Krönlein-Schema) siehe Abb. 4.18.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
212
Foramen c a e c u m
Stirnpfeiler (quer) \
I
Lamina cribrosa
I hinterer H i n t e r h a u p t p f e i l e r
Abb. 4.32: Festigkeit der Schädelbasis. Links: Aus- und Eintrittsstellen der Nerven und Gefäße an der Schädelbasis. Rechts: Strebepfeiler punktiert, besonders dünne Stellen rot umrandet, Löcher schwarz, typische Bruchlinien
Die Spitze der Pyramide zeigt eine flache Delle, die Impresso trigemini, fur das Ganglion trigeminale (Gasseri) des N. trigeminus. Die Mitte der Vorderfläche der Felsenbeinpyramide wird durch den oberen Bogengang zur Eminentia arcuata vorgebuckelt. Lateral und dorsal liegt das Tegmen tympani, die dünne Decke des Mittelohrraumes. Es trennt den Mittelohrraum von der Schädelhöhle. An der oberen Felsenbeinkante verläuft der Sulcus sinus petrosi superioris für den Sinus petrosus superior. Klinik: 1. Die Schädelbasis ist im Bereich der mittleren Schädelgrube durch die vielen Löcher
und dünnen Stellen besonders geschwächt. Schädelbasisbrüche sind hier häufig, halten sich an die Stellen des geringsten Widerstandes. Aus der Verletzung der durch die Löcher tretenden Gefäße und Nerven (Blutungen, motorische und sensible Ausfalle) kann man auf die Lage der Bruchlinie (Abb. 4.32) schließen. 2. Hypophysentumoren schädigen häufig die anliegende Sehnervenkreuzung. Operativer Zugang zu diesen Geschwülsten erfolgt durch Nasen- und Keilbeinhöhle. 3. Schläfenlappenabszesse können vom Mittelohr aufgrund der dünnen Beschaffenheit des Tegmen tympani ausgehen.
213
4.4 Schädelbasis, Basis cranii
4.4.2.3 Hintere Schädelgrube, Fossa cranii posterior Die Grube, noch tiefer gelegen, wird vorne begrenzt durch das Dorsum sellae sowie durch die von vorn medial nach hinten lateral verlaufende Pars petrosa und hinten durch den Sulcus sinus transversi des Hinterhauptsbeins. An diesen Grenzen heftet sich das Kleinhirnzelt, Tentorium cerebelli, an. Diese dachartig abfallende Platte der harten Hirnhaut schließt die in der Grube untergebrachten Hirnteile (Kleinhirn, Brücke und verlängertes Mark) nach oben weitgehend ab.
sich mit einer sigmaförmigen Krümmung nach unten und medial zum Foramen jugulare wendet. Öffnungen •
Knöcherne Grundlage • Os occipitale • Pars petrosa des Schläfenbeines • Os sphenoidale Wir unterscheiden ein unpaares Mittelstück und paarige, seitliche Gruben. Das Mittelstück ist der Clivus, ein nahezu ebener, vom Türkensattel zum Foramen magnum steil abfallender Abhang. Der Clivus wird vom Körper des Os sphenoidale und vom Körper des Os occipitale gebildet. Zwischen beiden befindet sich die Synchondrosis sphenooccipitalis Auf ihm liegen Pons und Medulla oblongata. Zwischen Pons und Clivus verläuft in der Medianebene die A. basilaris mit sympathischem Plexus. Am Seitenrand des Clivus verläuft jederseits der Sulcus sinus petrosi inferioris. Er zieht an der Unterkante der Felsenbeinpyramide entlang nach lateral und hinten zum Foramen jugulare und enthält den Sinus petrosus inferior auf. Die paarigen seitlichen Gruben nehmen die Hemisphären des Kleinhirns auf. Sie werden in der Mittellinie durch die Crista occipitalis interna getrennt. Diese verläuft vom Foramen magnum zu einem höckerartigen Vorsprung, der Protuberantia occipitalis interna. Von der letzteren zieht eine breite Furche, der Sulcus sinus transversi, nahezu horizontal nach vorn bis zur Felsenbeinpyramide, wo er in den Sulcus sinus sigmoidei übergeht, der
Foramen jugulare (—> äußere Schädelbasis). Es liegt zwischen der Pars petrosa des Os temporale und der Pars lateralis des Os occipitale lateral vom Foramen magnum und hat zumeist dreieckige Gestalt. Beide Knochen zeigen hier eine Incisura jugularis, die zusammen das gleichnamige Loch begrenzen. Zumeist wird es durch die feinen, spitzen Processus intrajugulares in ein kleineres vorderes Loch (für den Durchtritt des Sinus petrosus inferior, N. glossopharyngeus, N. vagus mit Ganglion superius und N. accessorius) und ein größeres hinteres Loch (fur die V. jugularis interna) unterteilt.
•
Foramen magnum (—» Wirbelkanal). Großes ovales Loch. Es treten hindurch: die Medulla oblongata, die Nn. accessorii, die Wurzeln der Nn. cervicales /, die Aa. vertebrales, Aa. spinales anterior und posteriores , die Rr. meningei der Aa. vertebrales (jeweils mit sympathischen Geflechten) sowie die Plexus venosi vertebrales interni. • Canalis nervi hypoglossi (—> äußere Schädelbasis) durchbohrt die Condyli occipitales und fuhrt den N. hypoglossus und den Plexus canalis nervi hypoglossi. • Porus acusticus internus (—> Innenohr) Die ovale Öffnung befindet sich an der Facies posterior der Felsenbeinpyramide. Sie fuhrt in den Meatus acusticus internus, durch welchen die Nn. facialis, intermedius und vestibulocochlear is in Begleitung der A. labyrinthi (aus der A. basilaris) mit sympathischem Geflecht und die V. labyrinthii ins Felsenbein ziehen. Die Partes laterales des Hinterhauptbeins begrenzen seitlich das Foramen magnum, sind in der Jugend durch Knorpelfugen, durch die Synchondroses intraoccipitales anteriores von der Pars basilaris, und durch die Synchondroses intraoccipitales posteriores von der Squama occipitalis getrennt.
214
4.5
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Konstruktiver Bau des Schädels
Lernziele: Schädelkonstruktionen, Festigkeit, Krafteinwirkung Bedingt durch eine Rahmenkonstruktion hat der Schädel einen funktionellen Bau mit einer großen Festigkeit. Der Gehirnschädel ist eine basal abgeplattete, von vorn nach hinten in die Länge gezogene Hohlkugel. Am Schädeldach besteht er aus ziemlich gleichmäßig dicken platten Knochen, die eine stärkere, äußere kompakte Schicht, die Lamina externa, und eine dünnere, innere kompakte Schicht, die Lamina interna (vitrea), und zwischen beiden eine variable Diploe zeigen. An der Schädelbasis wechseln stärkere Streben mit dünnen Stellen und zahlreichen Löchern.
4.5.1
Verstärkungen der Schädelkonstruktion
Die Rahmenkonstruktion des Schädels wird im Bereich der Schädelbasis durch Strebepfeiler gekennzeichnet (Abb. 4.32). Strebepfeiler der Schädelbasis • Medianer Längsbalken. Er beginnt am Türkensattel, verläuft über den Clivus, umfasst das Foramen magnum und erreicht über die Crista occipitalis interna den Sulcus sinus sagittalis superior und über die Crista frontalis die Crista galli. Im Bereich der dünnen Siebbeinplatte und der Hypophysengrube ist dieser Längsbalken unterbrochen. • Vorderer Querbalken. Er liegt an der Grenze zwischen vorderer und mittlerer Schädelgrube und strahlt seitlich nach vorn und hinten aus. • Hinterer Querbalken. Er wird von den Pyramiden geliefert. Die Basen der beiden Pyramiden werden noch durch einen Knochenrahmen entlang des Sulcus sinus transversi verbunden. An ihnen entspringt das Kleinhirnzelt, das ebenso wie die Hirnsichel die Festigkeit des Schädels verstärkt. Klinik: 1. Da die Umgebung des Labyrinthes zeitlebens aus dem primitiven Faserknochen
besteht, kann der hintere Querbalken brechen, wobei die Nervi facialis und vestibulocochlearis geschädigt werden können. 2. Röntgenaufnahmen in verschiedenen Ebenen geben uns am Lebenden Aufschlüsse über Frakturen, Lage und Zustand der Nase und Nasenhöhlen, über die Größe der Hypophysengrube usw. Probleme bei der Deutung der Röntgenaufnahmen ergeben sich vor allem aus der Tatsache, dass die verschiedenen Teile aufeinander projiziert werden. Diese Schwierigkeiten werden heute durch CT und MR Γ weitgehend überwunden.
4.5.2
Pneumatisation und Kaudruckpfeiler
Die Anordnung der Orbitae und der pneumatischen Räume (Nasennebenhöhlen, s. Kap. 4.15.2, S. 321) haben eine Pfeilerkonstruktion des Viszerokraniums zur Folge (Abb. 4.33). Die Streben des Gesichtsschädels haben dem Druck, den der Unterkiefer auf den Oberkiefer ausübt, Widerstand zu leisten und den Kaudruck auf den stärkeren Hirnschädel zu übertragen. Die Spongiosa des Oberkiefers bildet über den Alveolen Druckkegel, die sich im sog. Basalbogen sammeln. • Stirnnasenpfeiler. Sie leiten den Kaudruck von Incisivi und Canini und ζ. T. vom 1. Molaren über den Stirnfortsatz des Oberkiefers um die äußere NasenöfFnung herum zum mittleren Teil der Stirn. • Jochbogenpfeiler. Er nimmt den Kaudruck vom 1. und 2. Molaren auf, leitet ihn lateral um die Augenhöhle. Wir können ihn vom Oberkiefer über dessen Jochfortsatz auf das Jochbein und von dort verfolgen: als senkrechten Jochpfeiler über den Jochfortsatz des Stirnbeines auf die seitlichen Teile der Stirn (in Abb. 4.32 quergetroffen), als horizontalen Jochpfeiler über den Jochbogen auf das Schläfenbein und entlang der Schläfenlinie zum senkrechten Jochpfeiler zurück. Die Schläfengegend ist somit von einem stärkeren Knochenrahmen eingefasst. Im Bereich der eingerahmten Felder ist der Knochen relativ dünn.
215
4.5 Konstruktiver Bau des S c h ä d e l s
Abb. 4.33: Verstärkungspfeiler d e s S c h ä d e l s von vorn und von der Seite (nach A. Benninghoff) (oben). Trajektorien des Unterkiefers (unten)
•
Flügelfortsatzpfeiler. Er leitet den Kaudruck vom 2. und 3. Molar über den Proc. pterygoideus und Teile des Keilbeinkörpers.
4.5.3
Spezifische Strukturen der Mandíbula
Die Rahmenkonstruktion der Mandíbula wird durch Trajektorien gebildet, welche sich im rechten Winkel schneiden und in dreidimensionaler Anordnung verlaufen (Abb. 4.33). • Trajectorium dentale, durchzieht den Alveolarteil und trifft im Proc. condylaris auf das • Trajectorium basilare, das im Basalbogen des Unterkiefers liegt. • Trajectorium posticum, verstärkt den hinteren Rand des Unterkieferastes, dem sich das • Trajectorium marginale am Kieferwinkel anschließt. • Trajectorium praeceps, beginnt am Proc. coronoideus und zieht am vorderen Rand des Kieferastes abwärts zum Basalbogen. Auf der Außenseite läuft es in der Linea obliqua und auf der Innenseite in der Linea mylohyoidea
aus. Dieser Verstärkungszug resultiert aus der Zugwirkung des Schläfenmuskels. • Trajectorium copolans, verstärkt die Incisure mandibulae zwischen Gelenk- und Muskelfortsatz. • Trajectorium transversum, zieht in einer SBogenform vom Proc. coronoideus zum Kieferwinkel. • Trajectorium radiatum, stellt den Druckkegel unter jedem Zahn dar. Die Spongiosastrukturen sind auf Zugwirkung der Kaumuskulatur sowie auf den Kaudruck abgestimmt.
4.5.4
Beteiligung der Dura mater
Die Dura nimmt auf o. g. Strukturen Einfluss. Sie kann durch kleinste Spannungsreize die Bildung von Trajektorien am Schädel stimulieren. Die Dura mater selbst besteht aus trajektoriell angeordneten kollagenen Fasern (Abb. 4.34). Das Stratum periostale bildet mit dem Schädelknochen einen osteofibrösen Verband, der durch Durasepten strebepfeilerartig verstärkt wird.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
216
Abb. 4.34: Verstärkungszüge der Schädelkapsel an den Befestigungsstellen von harter Hirnhaut, Kau- und Nackenmuskeln (verändert nach G. T. Popa) (links). Mechanostruktur der Dura mater (rechts) (beides nach G.-H. Schumacher)
4.5.5
Praktische Bedeutung der Rahmenkonstruktion
• Die Hohlkugel des Gehirnschädels zeigt eine gewisse elastische Verformbarkeit. Sind die verformenden Kräfte zu stark, kommt es zu Schädelfrakturen. Die ungleiche Wandstärke und der Aufbau der Wände erklärt manche Eigenart und die Lage der Brüche. • Engumschriebene Gewalteinwirkung (Schlag mit einem harten Gegenstand). Es kommt zu Impressionsfrakturen. Die Stelle wird gegen die Schädelhöhle eingedrückt, wobei die Bruchlinien vom Zentrum der Einwirkung aus radienförmig verlaufen. Häufig beobachtet man bei solchen Gewalteinwirkungen nur einen Bruch der Lamina interna, der leicht übersehen und erst an Hirnsymptomen erkannt wird. Ursprünglich nahm man eine besondere Sprödigkeit der Lamina interna an und nannte sie Tabula vitrea, Glastafel. Doch ist die Impressionsfraktur wohl rein mechanisch zu erklären. Bei der Eindellung kommt es an der Innenfläche zu einer Zug-, an der Außenfläche zu einer Druckbeanspruchung. Weil der Knochen auf Druck besser als auf Zug beanspruchbar ist, muss die Lamina interna zuerst brechen.
•
Breitflächige Gewalteinwirkung (z. B. beim Sturz auf den Kopf). Sie pflanzt sich über die Wände der Kugel fort, die dann an den schwächsten Stellen birst (Berstungsbrüche). Diese Berstungsbrüche finden wir vorwiegend an der Schädelbasis. Die häufigsten Bruchlinien sind in Abbildung 4.32 eingetragen.
•
Liegen sie im Bereich der vorderen Schädelgrube, so sind Blutungen bzw. Liquorabfluss aus der Nasenhöhle (Lamina cribrosa!) oder Blutungen in die Augenhöhle, die sich nach vom fortpflanzen und unter den Augenlidern als Brillenhämatome erscheinen, charakteristische Symptome. • Bei Brüchen in der mittleren Schädelgrube stellen wir Blut- und Liquorabfluss durch Nase, Rachen und eventuell den äußeren Gehörgang (aber nur bei verletztem Trommelfell) fest. • Bei Brüchen in der hinteren Schädelgrube tritt häufig Blut unter der Haut über dem Warzenfortsatz aus. • Axiale Belastung. Die Wirbelsäule kann mit dem Rand des Foramen magnum des Os occapitale in die hintere Schädelgrube einbrechen.
217
4.6 Höhlen und Gruben
Klinik: 1. Schädelbrüche können zu Verletzungen des Gehirns führen. Risse in den starrwandigen Sinus durae matris haben oft Blutungen zur Folge. 2. Bei Schädelbasisbrüchen sind Nerven und Blutgefäße, die durch Knochenlücken und Spalten durchtreten, besonders gefährdet. Nerven mit kurzem intrakraniellen Verlauf (Nn.
4.6
IX, Χ, XI, XII) sind seltener verletzt, der N.VII und die Äste der N.V dagegen häufiger. Der Ν. IV und N.VI haben einen langen intrakraniellen Verlauf. Sie sind deshalb häufig verletzt. 3. Blutungen aus der A. meningea media führen zu epiduralen Hämatomen, Blutungen aus den Brückenvenen zu subduralen Hämatomen.
Höhlen und Gruben Wände
Lernziele: Orbita, Fossa temporalis, Fossa infratemporale, Fossa pterygopalatinum: Form, Foramina mit Inhalt
4.6.1
• Obere Wand. Sie wird von der Facies orbitalis des Stirnbeins und der Ala minor des Keilbeins gebildet. Man nennt sie auch Dach der Augenhöhle. Das Dach trennt medial und vorn die Augenhöhle von der Stirnhöhle, dem Sinus frontalis, weiter hinten die Augenhöhle von der vorderen Schädelgrube und dem Stirnlappen des Gehirns. Vorn und lateral ist das Dach zur Fossa glandulae lacrimalis eingedellt. • Mediale Wand. Sie steht etwa sagittal. Sie wird vorn vom Tränenbein, Os lacrimale, in der Mitte von der viereckigen Lamina orbitalis des Siebbeins und hinten vom Corpus ossis sphenoidalis gebildet. Vorn liegt an der medialen Wand eine tiefe Grube für den Tränensack, die Fossa sacci lacrimalis. Sie wird vorn von der Crista lacrimalis anterior des Oberkiefers, hinten von der Crista lacrimalis posterior des Tränenbeins begrenzt (Abb. 4.9). Nach unten setzt sie sich
Viscerocranium
4.6.1.1 Augenhöhle, Orbita Die Augenhöhle hat die Gestalt einer vierseitigen Pyramide, deren Basis nach vorn zeigt und den nahezu rechteckigen Augenhöhleneingang, Aditus orbitae, bildet. Er wird von dem Margo aditus umrahmt, der oben vom Stirnbein, lateral und unten vom Jochbein und unten und medial vom Oberkiefer gebildet wird. Der mediale und der laterale Rand stehen nahezu senkrecht, der obere und untere Rand fallen von medial nach lateral ab (Abb. 4.35).
Foramen supraorbita e
Os sphenoidale _ IAla minor) Fissura orbitalis super or Os sphenoidale (Ala maiorl
Incisure frontalis .
Os frontale
_
Canalis opticus
,
— 0. ;
_ Os ethmo dale (Lamina orbital IsJ
— Os lacrimale Os palatinum (Processus orbitalis! Maxilla
Os zygomaticum
·
(Facies orbitalis) Sulcus infraorbitalis
Fissura orbitalis inferior
Foramen infraorbital
Abb. 4.35: Rechte Augenhöhle, Orbita. Die Knochen sind farblich schematisiert. Inset: Prinzip der Blow-out-Fraktur (aus G.-H. Schumacher)
218
in den Canalis n a s o l a c r i m a l fort, der unter der unteren Nasenmuschel mündet. • Untere Wand. Diese wird von der Facies orbitalis des Oberkiefers und des Jochbeins und dem kleinen Processus orbitalis des Gaumenbeins gebildet. Von der lateralen Wand wird sie durch die Fissura orbitalis inferior getrennt. Ungefähr auf der Mitte der Fläche verläuft der Sulcus infraorbitalis, der durch die Periorbita verschlossen ist und sich nach vorn in den knöchernen Canalis infraorbitalis fortsetzt, der auf der Gesichtsfläche unterhalb des unteren Augenhöhlenrandes ausmündet. • Laterale Wand. Sie ist vom Dach durch die Fissura orbitalis superior geschieden. Sie verläuft von vorn außen nach hinten innen, ist länger als die mediale Wand und bildet mit der der anderen Seite ungefähr einen rechten Winkel. Sie setzt sich zusammen aus der Facies orbitalis des Jochbeins und der des großen Keilbeinflügels. Die Achse der Orbita verläuft von der Mitte des Aditus orbitae zur Mitte des Canalis opticus und schneidet sich mit der der anderen Seite oberhalb des Türkensattels. • Beziehungen zu Nasennebenhöhlen s. Kap. 6.3.4, S. 587.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
•
•
•
4.6.1.2 Öffnungen der Orbita • Aditus orbitalis nach außen • Canalis opticus ( - » Fossa cranii media). Er fuhrt den N. opticus und die A. ophthalmica (aus der A. carotis interna) • Fissura orbitalis superior (—> Fossa cranii media), zwischen Ala major, Ala minor und Corpus ossis sphenoidalis, ist medial breit, lateral schmal, und bis auf die Durchtrittsstellen der V. ophthalmica superior und sämtlicher Augenhöhlennerven durch Bindegewebe, dem glatte Muskulatur beigemischt ist, verschlossen (Abb. 4.31 ). Durch die Ursprünge der Augenmuskeln (Abb. 4.31) wird sie in 3 Abschnitte unterteilt. Der laterale fuhrt den N. frontalis, N. lacrimalis, den N. trochlearis und die V. ophthalmica superior. Durch den mittleren (innerhalb des Muskelringes) ziehen N. oculomotorius, N. nasociliaris und N, abducens. Der mediale Abschnitt ist vollständig verschlossen (s. Abb. 6.25, S. 575). •
Fissura orbitalis inferior (—> Fossa infratemporalis, Fossa pterygopalatina), zwischen Ala major ossis sphenoidalis und Maxilla, ist durch
•
eine Bindegewebsplatte und den glatten M. orbitalis, der auch auf die Fissura orbitalis superior ausstrahlt, verschlossen. Sie lässt einen Ast der V. ophthalmica inferior aus der Augenhöhle zum Plexus pterygoideus und den N. infraorbitalis aus der Flügelgaumengrube in den Sulcus und Canalis infraorbitalis durchtreten. Der M. orbitalis (Müller-Muskel) wird vom Sympathicus innerviert (aus C'K, Th^. Durch seinen Tonus hilft er mit, die Lage des Augapfels aufrechtzuerhalten. Beim Ausfall seiner Innervation sinkt der Augapfel leicht ein (Enophthalmus, s. Horner-Syndrom Kap. 6.1.3., S. 573). Foramen ethmoidale anterius (—> Fossa cranii anterior), vorn am Oberrande der Lamina orbitale des Siebbeins, entlässt Α., V., N. ethmoidalis anterior ems') aus der Augen- in die Schädelhöhle (s. Abb. 4.36). Foramen ethmoidale posterius (-> Fossa cranii anterior), hinten am Oberrand der Lamina orbitalis, lässt Α., V., Ν. ethmoidalis posterior aus der Augenhöhle in die Cellulae ethmoidales ein- bzw. austreten. Foramen zygomaticoorbital (—> Gesicht), an der Facies orbitalis des Jochbeins. Es entlässt den N. zygomaticus aus der Augenhöhle in den Jochbeinkörper, weiter durch das Foramen zygomaticofaciale zum Gesicht und durch das Foramen zygomaticotemporale zur Schläfengegend. Canalis n a s o l a c r i m a l ( - » Meatus nasi inferior). Er führt von der Fossa sacci lacrimalis abund dorsalwärts unter die untere Nasenmuschel. Klinik: 1. Die nasale Wand der Orbita ist am dünnsten, hat mitunter Lücken, durch die Entzündungen der Siebbeinzellen sich zur Augenhöhle ausbreiten können (retrobulbäre Abzesse). 2. In das Dach der Orbita kann die Stirnhöhle weit hineinreichen (—» Übergreifen von Stirnhöhlenentzündungen nach unten zur Augen-, nach oben zur Schädelhöhle). 3. Der Boden der Orbita und der N. infraorbitalis haben enge Beziehungen zur Oberkieferhöhle, Sinus maxillaris. Bei Gewalteinwirkungen auf das Auge können Blow-out-Frakturen (Einbrechen des Orbitabodens mit Inhalt) entstehen. 4. An der Spitze der Orbita sind durch den Canalis opticus und die Fissura orbitalis superior Beziehungen zur Schädelhöhle, speziell zum Sinus cavernosus, gegeben (Blutungen]).
219
4.6 Höhlen und Gruben
Α.. V. t e m p o r a l i s Ν
ìuriculotemporalis
N
x
A
temporalis,
superficialis
V temporalis media
\
maxillans,
N. A . t e m p o r a l i s prof
\
A a . . Ri a l v e o l a r e s superiores posteriores
I I I
/
/
/
A. z y g o m a t i c o o r b i t a l is
A. temporal s media
M . pterygoideus lateralis
N,Aa
massetericae-
Verbindung zwischen N. facialis -
_
u N. a u r i c u l o t e m p o r a l i s
N. facialis. A transversa faciei
f j buccalis
N
—
ngualis, M
pterygoideus medialis
"
A . c a r o t i s e x t e r n a V. r e t r o m a n d i b u l a r i s
Ί
A. a l v e o i a r i s i n f e r i o r , - '
Raphe p t e r y g o m a n d i b u l a r ^ N. mylohyoideus
Verbindung zwischen Ν buccals und - ' Κ
A
faciali!
v. f a c i a l i s
R. m a r g i n a l i a m a n d i b u l a e η far
Ν buccalis
N „ A . a l v e o i a r i s inferior.
\ Ν., Α . m e n t a l i s
A labialis inferior
Abb. 4.36: Topografie der tiefen Gesichtsgegend. Inhalt der Fossa infratemporalis. Der Jochbogen ist ganz, M. temporalis und Unterkieferast sind teilweise entfernt.
4.6.1.3 Inhalt der Orbita •
Die Periorbita kleidet als Periost die knöcherne Augenhöhle aus. Durch den Canalis opticus und die Fissura orbitalis superior geht sie in die Dura mater der Schädelhöhle über. • Über den weiteren Inhalt der Orbita s. Kap. 6.4, S. 587.
4.6.1.4 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales Siehe Kapitel 4.15, S. 312.
4.6.2
Seitliche Schädelgegend
Wir finden 3 Gruben. Sie enthalten Muskeln, Fett- und Bindegewebe, sind außerdem Verzweigungsgebiete von Leitungsbahnen und beinhalten Ganglien.
4.6.2.1 Schläfengrube, Fossa temporalis Sie wird medial von der Schläfenbeinschuppe und dem großen Keilbeinflügel begrenzt. Eigentlich ist sie keine Grube! Oben verläuft die Linea temporalis superior, an welcher die Schläfenfaszie ansetzt. Die Linea temporalis inferior dient dem Ansatz des M. temporalis (Abb. 4.9). Die Grube wird hauptsächlich von ihm und Fett ausgefüllt.
220
Beide schützen den medial gelegenen Knochen, der hier die dünnste Stelle des Schädeldachs bildet, vor Gewalteinwirkungen. Bei reduziertem Fettgewebe (Alter, Krankheiten) erscheinen die Schläfen eingefallen, so dass man die Bewegungen des M. temporalis gut sehen kann. Die Fortsetzung der Schläfengrube nach unten und medial ist die Unterschläfengrube.
4.6.2.2 Unterschläfengrube, Fossa infratemporalis Sie ist die Fortsetzung der Schläfengrube medial vom Jochbogen auf die äußere Schädelbasis und liegt unter der Schädelbasis zwischen Unterkieferast und Proc. pterygoideus des Keilbeins. Vorn reicht sie bis zum Tuber maxillae, der dorsalen Wand des Corpus maxillae, medial bis zur Lamina lateralis des Proc. pterygoideus und seitlich bis zum Ramus mandubulae. Ihr Dach wird hauptsächlich vom großen Keilbeinflügel gebildet. Man erreicht sie präparatorisch, wenn man den Jochbogen reseziert. In der Fossa infratemporalis liegen die Mm. pterygoids, ein Ausläufer des Wangenfettpfropfes, (Bichat), die Aufzweigungen des N. mandihularis (N. V 3 ), das Ganglion oticum (Umschaltung von Glossopharyngeusfasern für die Parotis), die A. maxillaris mit ihren Verzweigungen und der Plexus pterygoideus (Abb. 4.36). Öffnungen •
Fissura orbitalis inferior (—» Orbita) für den Durchtritt der V. ophthalmica inferior, der A. infraorbitalis, des N. infraorbitalis sowie des N. zygomaticus (von N. V 2 ), • Foramen ovale (—» Fossa cranii media) für den Durchtritt des N. mandibularis (Ν. V,), • Foramen spinosum (—> Fossa cranii media) für die A. meningea und den R. meningeus (von Ν. V,) • Fissura pterygomaxillaris (—» Fossa pterygopalatina) für den Durchtritt der A. maxillaris.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
4.6.2.3 Flügelgaumengrube, Fossa pterygopalatina Sie liegt zwischen der Rückfläche des Oberkiefers und der Vorderfläche des Processus pterygoideus des Keilbeins. Die Grube ist oben breit und verjüngt sich nach unten zum Canalis palatinus major. Das Dach wird vom Keilbeinkörper und der Wurzel der Ala major, die mediale Wand von der Lamina perpendicularis des Gaumenbeins, die Vorderwand vom Körper des Oberkiefers (Tuber maxillae), die Hinterwand von der Facies maxillaris und dem Processus pterygoideus des Keilbeins gebildet. Die laterale Wand ist durch Bindegewebe gegen die Fossa infratemporalis abgeschlossen (s.Abb. 4.109). In der Flügelgaumengrube liegt das parasympathische Ganglion pterygopalatinum. In ihm wird das 1. Neuron der sekretorischen Leitung für die Tränendrüse, die Nasendrüsen und die Gaumendrüsen auf das 2. Neuron umgeschaltet. Öffnungen • Foramen rotundum (—» Fossa cranii media) für den Durchtritt des N. maxillaris (N. V 2 ) • Canalis pterygoideus (—» Basis cranii externa) für den Durchtritt des N. canalis pterygoidei, der sich aus dem N. petrosus major (parasympathisch vom Intermediusanteil des N. VII) und dem N. petrosus profundus (sympathisch aus dem Plexus caroticus internus) zusammensetzt, sowie für die A. canalis pterygoidei • Fissura orbitalis inferior (—> Orbita) für den Durchtritt der V. opththalmica, des N. infraorbitalis und N. zygomaticus (beide von Ν. V ) • Foramen sphenopalatinum (-¥ Cavitas nasi) fur den Durchtritt der Rr. nasales posteriores superiores laterales und mediales (von N. V2) und der A. sphenopalatina • Canalis palatinus major (—» Cavitas oris) für den Durchtritt des N. palatinus major und der A. palatina descendens • Fissura pterygomaxillaris (—» Fossa infratemporalis) für die A. maxillaris
221
4.7 Gelenke des Kopfes
4.7
Gelenke des Kopfes
Lernziele: Oberes und unteres Kopfgelenk, Kiefergelenk: Aufbau, Funktion. Kaumechanismus Neben den Synarthrosen des Schädels wie Synchondrosen und Suturen gibt es auch Diarthrosen.
4.7.1
•
Kopfgelenke
Es gibt ein oberes Kopfgelenk (Articulatio atlantooccipitalis) sowie ein unteres Kopfgelenk (Articulatio atlantoaxialis). Diese gewähren dem Kopf eine relativ große Beweglichkeit. Ausführungen s. Kap. 8.2.4., S. 640.
4.7.2
•
Kiefergelenk, Articulatio temporomandibularis
4.7.2.1 Embryologie
•
Das Kiefergelenk des Menschen und der Säugetiere ist ein Neuerwerb. Man bezeichnet es daher als sekundäres Kiefergelenk. Es entsteht durch Anlagerung des Unterkieferknochens an den Schuppenteil des Schläfenbeins, es ist ein Anlagerungsgelenk, s. Kap. 4.1.1.2, S. 181. •
4.7.2.2 Aufbau Im Kiefergelenk artikulieren der walzenförmige, an den Enden abgerundete Gelenkfortsatz des Unterkiefers, Processus condylaris, mit der Fossa mandibularis und dem Tuberculum articulare des Schläfenbeines (Abb. 4.30). Die anatomischen, queren Achsen der beiden Gelenkfortsätze schneiden sich vor dem Foramen magnum, bilden somit einen nach vorn offenen stumpfen Winkel von 150°-165°. Zwischen den mit Faserknorpel überzogenen artikulierenden Flächen liegt ein aus Faserknorpel bestehender Discus articularis. • Gelenkhöcker, Tuberculum articulare. Er besitzt eine schräg nach unten abfallende Gelenkfläche. Im Sagittalschnitt zeigen die Fossa mandibularis und das Tuberculum arti-
culare eine S-förmige Gelenkbahn. Der vordere Teil der Gelenkgrube und das Tuberculum articulare sind von Faserknorpel bedeckt. Der hintere Teil der Fossa mandibularis liegt extrakapsulär und ist von derbem Bindegewebe überzogen. Kiefergelenkkopf, Caput mandibulae. Er befindet sich am Ende des Gelenkfortsatzes, Proc. condylaris, (Abb. 4.27) und besitzt eine walzen- bis ellipsenartige Form mit starken individuellen Variationen. Nur selten sind die Gelenkköpfe in Bezug auf ihre Form und Stellung spiegelbildlich. Beim Neugeborenen ist der Gelenkkopf noch flach. Gelenkfläche (Abb: 4.27). Sie liegt hauptsächlich auf der Vorderseite des Caput mandubulae und ist mit Faserknorpel bedeckt, der im mittleren Bereich dicker ist als in den Randzonen. Die Rückfläche des Kiefergelenkkopfes liegt ebenfalls noch intrakapsulär, ist aber von straffem Bindegewebe bekleidet. Kiefergelenkgrube, Fossa mandibularis (Abb. 4.30). Sie liegt an der Unterfläche der Schläfenbeinschuppe. Sie ist etwa 2- bis 3mal größer als die Gelenkfläche des Kieferkopfes und korrespondierend zur Position desselben etwas schräg gestellt. Die Gelenkfläche dehnt sich ventral etwa bis zum Scheitel des Gelenkhöckers aus. In der Tiefe der Gelenkgrube kann der Knochen papierdünn sein. Gelenkscheibe, Discus articularis. Dem Condylus sitzt er auf und unterteilt den Gelenkraum in einen oberen und unteren Spalt. Die Grundform des Discus ist ovoid gestaltet. Der Discus ist vorn, medial und lateral mit der Gelenkkapsel verwachsen. Bei geschlossenem Mund bedeckt er den Gelenkkopf kappenartig. Der zentrale Abschnitt des Discus besteht aus straffem Bindegewebe, in den Randzonen finden sich außerdem noch Knorpelzellen. In dem Bereich, dem in der Ruhelage die Gelenkfläche das Caput mandibulae aufliegt, enthält der Discus Faserknorpel. Klinik: Bei Fehlbelastungen des Gelenkes können Defekte im Discus auftreten. Des öfteren sind damit auch degenerative Veränderungen am Gelenkknorpel verbunden.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
222
Abb. 4.37: Schematische Darstellung des Kiefergelenkes, a. Kieferschluss, b. bei der Öffnungsbewegung. Die Verlagerungen des Kieferkopfes g e g e n den Discus articularle werden durch Kreise markiert, c. Ansatz der Kiefergelenkkapsel (blau) am Unterkiefer (aus G.-H. Schumacher)
• Kapsel und Verstärkungsbänder (Abb. 4.37 c). Die schwache, trichterförmige Gelenkkapsel entspringt am Rande der Fossa mandibularis und schließt das Tuberculum articulare ein. Sie setzt oberhalb der Fovea pterygoidea am Unterkieferhals an. Sie ist so weit, dass der Gelenkkopf nach vorn vor die Unterkieferhöcker luxieren kann, ohne dass sie einreißt. Da sie auch am Discus ansetzt, ist die Gelenkhöhle in eine obere diskotemporale und eine untere diskomandibulare Kammer unterteilt. Der Diskus trennt die obere und untere Gelenkkammer, die keinerlei Verbindung untereinander haben. • Das dreieckige Ligamentum laterale (temporomandibulare) verstärkt die schlaffe Kapsel und bremst das Zurückfuhren des Unterkiefers ab. • Das Ligamentum sphenomandibulare von der Spina des Keilbeines zur Lingula mandibulae und das Ligamentum stylomandibulare vom Proc. styloideus zum Angulus mandibulae haben keine Beziehungen zur Kapsel.
Fasern) für die Synovia-Produktion. Sympathische Nerven erreichen das Gelenk über die Gefäße.
4.7.2.4
Mechanik des Kiefergelenkes
• Das Kiefergelenk ist als eine Kombination zweier Gelenke aufzufassen. Das untere, diskomandibulare Scharniergelenk und das obere, diskotemporale Schiebegelenk können getrennt und gemeinsam benutzt werden. Rechtes und linkes Kiefergelenk müssen stets gemeinsam tätig sein. Die Form der Gelenkflächen, der Zustand des Gebisses, die Form und Stellung der Zähne, die Kaumuskulatur und ihre Innervation sind Glieder eines funktionellen Systems, die den Ablauf der Kieferbewegungen beeinflussen. Da die Zahnreihen als Führungsflächen dienen, wird ein Fehlen der Zähne (beim Säugling und Greis), ein lückenhaftes Gebiss, ein Vor- und ein Kopfbiss zwangsläufig die Form der Gelenkflächen und den Bewegungsablauf abwandeln. •
4.7.2.3
G e f ä ß e und Nerven
Arterien. A. auricularis profunda (Pars mandibularis der A. maxillaris) Venen. Rr. articulares —> V. retromandibularis Nerven. Sensible Fasern kommen aus den Nn. auriculotemporalis, massetericus, temporalis profundus posterior und facialis. Parasympathische Fasern kommen über einen Gelenkast vom Ganglion oticum (sekretorische
In der Ruhestellung des Unterkiefers stehen die Zähne nicht in Okklusion (s. Kap. 4.13.3.7, S. 299). Der Gelenkkopf mitsamt dem Discus liegt im vorderen Teil der Gelenkgrube und auf dem hinteren Abhang des Gelenkhöckers. • Bewegungsmöglichkeiten (Abb. 4.37) 1. Öffnungs- und Schließungsbewegung (Abduktion und Adduktion) sind eine ScharnierSchiebebewegung. Die Öffnung beginnt mit einer reinen Scharnierbewegung. Recht bald rutscht der Discus unter der Zugwirkung des M. pterygoideus lateralis auf dem Gelenkhöcker
223
4,7 Gelenke des Kopfes
nach vorn und unten. Gleichzeitig wandert der Kieferwinkel nach hinten. Diese Drehung des Kieferastes erfolgt um eine quere, durch das Foramen mandibulae gehende Achse. Der in dieses Loch eintretende Nerv erleidet deshalb bei dieser Bewegung keine Zerrung. Der hinter dem Kieferast gelegene Raum wird bei dieser Bewegung oben erweitert, unten eingeengt. Öffnen und Schließen erfolgt ohne Artikulation der Zahnreihen gleichzeitig im rechten und linken Gelenk. Beide Kiefergelenke arbeiten als ein Scharniergelenk mit wandernder Achse. 2. Das Vor- und Zurückschieben (Pro- und Retrotrusion) des Unterkiefers findet im oberen, diskotemporalen Gelenk unter Führung der Zahnreihen statt (inzisales Gelenk, Abb. 4.38). Deshalb können der Zustand der Zahnreihen, Form und Stellung der Zähne sowie die Form des Gelenkhöckers den Bewegungsablauf beeinflussen. Der Discus gleitet mit dem Gelenkkopf auf dem Tuberculum articulare nach vorn. Bei starkem Vorbiss ist eine leichte Öffnungsbewegung nötig, um die Schneidezähne des Unterkiefers an denen des Oberkiefers vorbeiführen zu können. 3. Die Seitwärts- oder Mahlbewegung (Medio- und Laterotrusion) erfolgt ebenfalls unter Führung der Zahnreihen. Der eine Kopf dreht sich um eine senkrechte Achse in der Pfanne; der andere gleitet auf dem Gelenkhöcker nach vorn und bringt die Zahnreihe seiner Seite zum Klaffen. Bei dieser Schwenkbewegung wird das Kinn auf die Gegenseite verschoben. Das Mahlen findet auf der Seite der Drehung statt. • Anpassungsvorgänge am Kiefergelenk Beim Neugeborenen ist die Gelenkgrube flach; das Tuberculum articulare fehlt noch. Beim zahnlosen Greisenkiefer flachen sich Gelenkgrube und Gelenkhöcker ab. Beim Kind und Greis erfolgen das Öffnen und Schließen deshalb vorwiegend durch Scharnierbewegung. Beim Kopf- oder Zangenbiss ist die Gelenkgrube flach, die Neigung des Gelenkhöckers gering; es überwiegt die Gleitbewegung. Beim starken Überbiss ist die Neigung des Gelenkhöckers steil; der Gelenkkopf ist stark gekrümmt, der Kieferhals nach vorn umgebogen; es herrschen die Scharnierbewegungen vor. Auch einseitiger Verlust der Zähne, besonders der
Backen- und Mahlzähne, kann zu Umbauvorgängen am Kiefergelenk fuhren. Klinik: Luxation des Kiefergelenkes. Zu starke Öffnungsbewegungen können, zumeist bei angeborener Bereitschaft, zu Luxationen des Kiefergelenkes führen. Der Kieferkopf rutscht dabei über das Tuberculum articulare hinweg nach vorn, der Mund bleibt offen.
4.7.2.5 Moderne Erkenntnisse in der Kiefergelenksforschung Die Funktion der Kiefergelenkc und das Zusammenspiel von Mandíbula und Maxiila insgesamt lässt sich durch ein vernetz/es Gesamtsystem verschiedener Gelenksysteme darstellen. Zu bestimmten Vernetzungen, die bestimmten Mandibulafunktionen zugeordnet sind, gehören bestimmte Bewegungsmuster, die sich nach der Zahl der kinematischen Freiheitsgrade der Mandíbula ordnen lassen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Tatsache, dass es für alle Gelenke des stomatognathen Systems - und in diesem Zusammenhang sind alle einzelnen Zahnkontakte Gelenke - einen artikularen Bewegungsraum gibt. Dies gilt also nicht nur fur die Zähne, sondern auch für die Kicfcrgelenke. Die Artikulationsflächen sind dann voneinander a/jgehoben und die knorpelig/knöcherne Führung des Gelenks a A. carotis interna (hinten, lateral gelegen) 0 A. carotis externa (vorn, medial gelegen) Da sich der Kehlkopf im Lauf des Lebens senkt, steigt die Teilungsstelle scheinbar auf. In ihrer Nähe ist die A. carotis communis oder interna erweitert (Sinus caroticus, in dessen Wand Pressorezeptoren liegen). Im Teilungswinkel liegt das Glomus caroticum, ein Paraganglion mit Chemorezeptoren (Abb. 4.52).
Abschnitte • •
Pars cervicalis. keine Astabgabe Pars petrosa. Aa. caroticotympanic!, Α. canalis pterygoidei • Pars cavernosa. R. meningeus, R. sinus cavernosi, A. hypophysialis inferior, Rr. ganglionares trigeminales • Pars cerebralis. A. ophthalmica, A. hypophysialis superior, A. choroidea anterior, A. cerebri media, A. cerebri anterior, A. communicans posterior Alle Äste und Astfolgen werden in den Kapiteln 5.3.4.1, S. 443, und 6.4.1., S. 587, genauer besprochen. Äste der A. ophthalmica versorgen neben dem gesamten Orbitainhalt auch die Stirngegend (A. supraorbitalis), die Nasenhöhle (A. ethmoidalis posterior) und Haut der Nasenwurzel (A. dorsalis nasi).
245
4.9 Arterien des Kopfes und des Halses
A. carotis interna^ „
A. cerebri media et anterior
A. meningea m e d i a ^
_ - - A . ophthalmica A. temporalis superficialis
_
A. angularis _ A a temporales
A. auricularis
profundae
posterior
_ A infraorbitals A. occipitalis —
__ Aa. alveolares
_
superiores — A palatina
A. ^axillaris
descendens Α. labialis superior
A. masseterica
- A. buccalis
A. a r e o l a r i s inferior
A. profunda
A occipitalis
linguae * " A. labialis inferior
A. facialis
~
A {interna
A. mentalis
— A. sublingualis
A. pharyngea ascendens
\
submentals
A.lingualis
externa A. laryngea superior A. vertebral i s ^ ' A. thyroidea superior A. carotis communis A. subclavia
Glandula thyroidea
Truncus b r a c h i o c e p h a l i c s ~~
Abb. 4.51 : Übersicht über die Arterienversorgung d e s Kopfes und d e s Halses
4.9.3
Äußere Kopfschlagader, A. carotis externa
Sie versorgt den Kopf mit Ausnahme des Gehirns, der Orbita, der Stirn und des vorderen Abschnittes der Nasenhöhle. Beim Ursprung aus der A. carotis communis liegt sie zumeist ventral und medial von der A. carotis interna. Sie zieht oberflächlich durch das Trigonum caroticum (Abb. 4.53), dann unter dem Venter posterior des M. digastricus und dem M. stylohyoideus, um dorsal vom Ramus mandibulae in der Ohrspeicheldrüse bis zum Collum mandibulae aufzusteigen, wo sie sich aufteilt in ihre Endäste
\> A. maxillaris und [> A. temporalis superficialis. Während ihres Verlaufes gibt sie ventrale, mediale und dorsale Äste und Endäste ab.
4.9.3.1 Ventrale Äste 1. A. thyroidea superior. Sie entspringt unmittelbar nach der Karotisteilung (selten aus der A. carotis communis), zieht bogenförmig abwärts zum Oberrand und zur Vorderfläche der Schilddrüse.
246
4 Kopf, Cranium, und Hals,.Collum
N. g l o s s o p h a r y n g e u s
A
A. pharyngea ascendens
c a r o t i s interna
A. carotis externa
Ganglion inferius η vagi
Ganglion cervicale superius
Plexus intercaroticus
Ν. l a r y n g e u s s u p e r i o r
A. f a c i a l i s
Ramus sinus carotici
A. lingualis
Glomus caroticum
A
Sinus et plexus caroticus
N. l a r y n g e u s s u p e r i o r
N. vagus
Truncus s y m p a t h i e s
A. carotis c o m m u n i s
M . digastricus (Venter posterior) Ν
thyroidea superior
R. m a r g i n a l i a m a n d i b u l a e (n. f a c i a l i s ) \
\
M . masseter
I 1
Vasa facialia
Abb. 4.52: Glomus caroticum und Sinus caroticus (verändert nach D. Sheehan)
Platysma
I I
X M . digastricus (Venter a n t e r i o r i
Gl. p a r o t i d e a _ A
—
Gl
submandibulars
— -
M
stylohyoideus
facialis
R. colli n. f a c i a l i s
_
^
_
M . sternocleido·
M . mylohyoideus
mastoideus N. a c c e s s o r i u s
—
Os h y o i d e u m
A . c a r o t i s e x t e r n a et
N. hypoglossus, M . hyoglossus
Radix sup. a n s a e cervicalis
et R
A. s t e r n o c l e i d o m a s t o i d e a —
thyrohyoideus
A. lingualis
Plexus cervicalis
Α . Ν. l a r y n g e u s s u p e r i o r (R, internus)
_
R. e x t e r n u s n l a r y n g e i s u p .
R a d i x inferior a n s a e cervicalis
Glomus caroticum A thyroidea superior
N . t r a n s v e r s u s colli let " A n s a c e r v i c a l i s super-
M
o m o h y o i d e u s (Venter s u p e r i o r !
A
carotis communis
ficialis'l
Platysma
V j u y u l a r i s interna, N o d i l y m p h a t i c ! cervicales
M. sternocleidomastoideus
^
A n s a cervicalis
v
(profunda, h y p o g l o s s i )
X
M
sternohyoideus
M
sternothyroideus
Abb. 4.53: Übersicht über Trigonum caroticum und Trigonum submandibulare. Haut und Platysma sind teilweise abgetragen. Der M. sternocleidomastoideus ist nach dorsal g e z o g e n
247
4.9 Arterien des Kopfes und des Halses
Astfolge: [> R. infrahyoideus, vor dem Zungenbein, anastomosiert mit dem Ast der Gegenseite [> R. sternocleidomastoideus, zum gleichnamigen Muskel > A. laryngea superior, gelangt mit dem gleichnamigen Nerven durch die Membrana thyrohyoidea in das Innere des Kehlkopfes [> R. cricothyroideus, zieht vor dem gleichnamigen Band zur Mittellinie, wo er meist mit dem Ast der anderen Seite anastomosiert Klinik: Die Anastomose zwischen beiden Ästen bietet eine Verletzungsgefahr bei der Koniotomie. [> R. anterior und R. posterior, zum oberen Schilddrüsenanteil 2. A. lingualis. Sie entspringt in Höhe des großen Zungenbeinhorns, verschwindet unter dem M. hyoglossus (hier zu unterbinden!) und verläuft geschlängelt zwischen M. genioglossus und M. longitudinalis inferior zur Zungenspitze. Äste sind: [> R. suprahyoideus, über dem Zungenbein zum gleichnamigen Ast der Gegenseite zu den Muskeln [> A. sublingualis, zwischen M. mylohyoideus und Gl. sublingualis verlaufend (für Unterzungendrüse, Schleimhaut unter der Zunge, Zahnfleisch und Muskeln) 0 Rr. dorsales linguae, fur die Schleimhaut der Zungenwurzel [> A. profunda linguae, der Endast der A. lingualis, verläuft an der Unterfläche der Zunge neben dem Zungenbändchen zur Spitze 3. A. facialis (Abb. 4.54). Sie entspringt unmittelbar oberhalb der vorigen (mitunter mit ihr zusammen), zieht unter dem Venter posterior des M. digastricus in das Trigonum submandibulare, verläuft hier, bedeckt durch die Glandula submandibularis, oft in diese eindringend, und in stärkeren Krümmungen zum Unterrand des Unterkiefers (vor dem Masseteransatz ist der Puls zu fühlen!). Im Gesicht zieht sie stark geschlängelt aufwärts zum medialen Augenwinkel (Anastomose des Endastes mit der A. ophthalmica). Äste sind: t> A. palatina ascendens. Sie verläuft zwischen M. styloglossus und M. stylopharyngeus zum
Pharynx, zur Gaumenmandel (R. tonsillaris) und zum weichen Gaumen [> A. submentalis. Sie zieht auf der Unterfläche des M. mylohyoideus zum Kinn. Äste verlaufen zu den Muskeln und zur Gl. submandibularis t> Aa. labiales inferior und superior, zur Unterund Oberlippe. Anastomosen zur Gegenseite und zu benachbarten Arterien t> A. angularis, Endast, zum medialen Augenwinkel und Anastomose zur A. dorsalis nasi (aus der A. ophthalmica), Versorgung der äußeren Nase. Klinik: A. thyroidea superior, Α. lingualis und A. facialis können in einem gemeinsamen Stamm aus der A. carotis externa entspringen. Diese Variation ist bei Unterbindung zu beachten.
4.9.3.2 Medialer Ast A. pharyngea ascendens. Sie entspringt direkt oberhalb der Karotisteilung und läuft an der seitlichen Rachenwand aufwärts bis zur Schädelbasis.
4.9.3.3 Dorsale Äste 1. A. sternocleidomastoidea. Sie zieht über den N. hypoglossus nach lateral und unten zum gleichnamigen Muskel. 2. A. occipitalis. Sie entspringt in Höhe der A. facialis und steigt, bedeckt vom M. digastricus, zum Warzenfortsatz im eigenen Sulcus auf. Sie wendet sich unter die Mm. sternocleidomastoideus, splenius capitis und longissimus capitis dorsalwärts, durchbohrt den Trapeziusursprung und zieht am Hinterhaupt in der Subcutis aufwärts. 3. A. auricularis posterior. Sie steigt vor dem Warzenfortsatz und hinter der Ohrmuschel aufwärts. Außer den Muskelästen gibt sie ab: \> A. stylomastoidea, durch das gleichnamige Loch in den Canalis facialis. Von hier gehen Äste zur Schleimhaut der Paukenhöhle (A. tympanica posterior), zu den Cellulae mastoideae (Rami mastoidei) und an den Steigbügelmuskel (R. stapedius) D> R. auricularis, zur Rückfläche der Ohrmuschel l> R. occipitalis, zum Hinterhaupt. Anastomose mit der A. occipitalis.
248
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
_ __ -
Venter frontalis m occipitofrontalis
_ —
R. lateralis
I
fj _ β
y
mediali::· [ supraorbital,s
R. frontalis a temporalis.. superficialis
^ • Ν. supratrochlear^
Aa. p a l p e b r a l s mediales
^ Ν. infratrochlearis
N. lacrimalis _ __
/
/
χ
η infraorbitalis
/
x
A. zygomaticoorbital^
Rr. p a l p e b r a l s inferiores
s '
R zygomaticotemporal^ _
R. temporalis η facialis
. Α.,V.angularis Χ
, Rr. nasales externi n. infraorbitalis R. nasalis externus
.
n. ethmoidalis anterioris
^
R. zygomaticofacial'^
M. zygomaticus m i n o r —
Rr. zygomatici n. facialis- __ " Ν., Α., V. infraorbitalis A transversa faciei
— - Rr. labiales superiores n. infraorbitalis
Ductus parotideus. M. masseter " " • M. zygomaticus major
/ /
Rr. buccales π facialis *- - , - A. labiali·, inferior N. buccalis ' '
Α., V. facialis
. -
N „ A. mentalis
—
Μ . mentalis
—
R. marginali 1 ; mandibulae —
-
n. facialis M . depressor anguli oris
— -
(zurückgeklappt)
Abb. 4.54: Nerven und Gefäße des Gesichts. Die Austrittsstellen der Trigeminusäste sind freigelegt
4.9.3.4 Endäste
mit der A. occipitalis). In ihrem Verlauf gibt sie folgende Äste ab:
Die Teilung der A. carotis externa erfolgt hinter dem Collum mandibulae in die A. temporalis superficialis und in die A. maxillaris.
t> R. parotidei, zur Glandula parotidea t> A. transversa faciei, fingerbreit unterhalb des Jochbogens zum Gesicht t> Rr. auriculares anteriores, zur Vorderfläche der Ohrmuschel und zum äußeren Gehörgang O A. zygomaticorbitalis, zum lateralen Augenwinkel \> A. temporalis media, durchbohrt die Fascia temporalis und zieht zum Schläfenmuskel.
1. A. temporalis superficialis. Sie ist häufig als stark geschlängeltes Gefäß in der Schläfengegend zu erkennen ist. Sie verläuft vor dem Ohr aufwärts, teilt sich oberhalb des Jochbogens in einen R. frontalis (zur Stirngegend, Anastomose mit dem Ramus lateralis der A. supraorbitalis) und einen R. parietalis (zur Schläfengegend, Anastomose
249
4.10 Venen des Kopfes und des Halses
2. A. maxillaris. Sie verläuft an der Innenfläche des Ramus mandibulae (Pars mandibularis), lateral oder seltener medial von dem M. pterygoideus lat. (Pars pterygoidea), vorwärts zur Fossa pterygopalatina (Pars pterygopalatina), wo sie dann in ihre 3 Endäste zerfallt. • Pars mandibularis (Äste meist in Knochenkanälen verlaufend) t> A. auricularis profunda, zu Kiefergelenk, Trommelfell und äußerem Gehörgang O A. ti mpanica anterior, durch die Fissura petrotympanica zur Schleimhaut der Paukenhöhle [> A. meningea media, die größte Hirnhautarterie, durch das Foramen spinosum zur harten Hirnhaut. Teilung in einen vorderen und hinteren Ast t> A. alveolaris inferior. Sie läuft im Canalis mandibulae (Äste zu Knochen, Zähnen, Zahnfleisch) und tritt durch das Foramen mentale als A. mentalis zum Kinn und zur Unterlippe. •
Pars pterygoidea (zu den Kaumuskeln)
t> A. temporalis profunda anterior, zum M. temporalis > A. temporalis profunda posterior, zum M. temporalis > A. masseterica, durch die Incisura mandibulae zum M. masseter t> Rr. pterygoidei, zu den Mm. pterygoidei [> A. buccalis, zum M. buccinator, Anastomose mit A. facialis und A. transversa faciei • Pars pterygopalatina (die Äste nahezu alle in Knochenkanälen)
4.10
verlaufen
[> A. alveolaris superior posterior, tritt am Tuber maxillae in den Oberkiefer zu den hinteren Zähnen E> A. infraorbitalis, gelangt am Boden der Augenhöhle durch den Canalis infraorbitalis und das Foramen infraorbitale zum Gesicht (hier Anastomosen mit den Gesichtsarterien). Im Canalis infraorbitalis gehen die Aa. alveolares superiores anteriores zu den vorderen Zähnen des Oberkiefers ab. !> A. palatina descendens, steigt im Canalis palatinus major abwärts zum harten Gaumen (A. palatina major, durch gleichnamiges Loch), zum weichen Gaumen (Aa. palatinae minores, durch gleichnamige Löcher) und zur Gaumentonsille Ο Α. canalis pterygoidei (durch gleichnamigen Kanal), rückwärts zu Schlund, Ohrtrompete und Paukenhöhle l> A. sphenopalatina, durch das gleichnamige Loch zum oberen und hinteren Teil der Nasenhöhle, wo sie sich in die Aa. nasales posteriores laterales (laterale Wand) et septi (Nasenscheidewand) aufzweigt.
4.9.4
Schlüsselbeinschlagader, A. subclavia
Siehe Kapitel 10.7.2.1.2, S. 881. Mit den beiden Ästen A. vertebralis und Truncus t h y r o c e r v i c a l beteiligt sich diese Arterie an der Versorgung im Halsbereich.
Venen des Kopfes und des Halses
Lernziele: Verlauf und Ausbreitungsgebiet der inneren und äußeren Venen, Venenplexus Der Verlauf ist im Allgemeinen wie der der gleichnamigen Arterien. Die Venen gehen noch häufiger als die Arterien Anastomosen ein, bilden an einigen Stellen Venengeflechte. Nur in wenigen Bereichen haben sie ein abweichendes Verhalten. Venenklappen an Kopf und Hals sind sehr selten!
Die venösen Abflüsse aus dem Gebiet der A. carotis communis erfolgen durch die Vv. jugularis interna und externa, die aus der Halswirbelsäule und Nackenregion durch die Vena vertebralis und V. cervicalis profunda (Abb. 4.55). Wir unterscheiden • Venen im Schädel • Venenplexus • Große abführende Venen
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
250
V. emissaria p a r i e t a l «
Sinus s a g i t t a l i s superior
-
\ ^
-ν
\ x
Vv. cerebri superiores -
V. t e m p o r a l i s superficialis / / / /
Sinus s a g i t t a l i s inferior / * /
y
V. cerebri m a g n a
yy
y
s
y, /
Sinus rectus
V. s u p r a o r b i t a l s
V. o p h t h a l m i c a superior
V. angularis
Sinus petrosus superior et inferior
- S i n u s cavernosus
V. a u r i c u l a r i s posterior
V. occipitalis
-
V. o p h t h a l m i c a inferior
Sinus transversus
Plexus p t e r y g o i d e u s
V. d i p l o i c a occipitalis et _ —
"
"" V. maxillaris
V. e m i s s a r i a occipitalis V. r e t r o m a n d i b u l a r i s Sinus sigmoideus " "
V. lugularis interna
Plexus venosus s u b o c c i p i t a l ^
V. s u b m e n t a l s
Vv. v e r t e b r a l e s V. lingualis V cervicalis profunda V. t h y r o i d e a superior V. jugularis externa V. j u g u l a r i s a n t e r i o r V. transversa colli
' V jugularis interna
V. cephalica
V subclavia — -
_
_
V. cava superior
Arcus venosus j u g u i i
V. b r a c h i o c e p h a l i c s
Abb. 4.55: Übersicht über die wichtigsten Venen und Venenverbindungen von Kopf und Hals. Der Schädel ist durchsichtig gezeichnet. Die inneren Schädelvenen sind hellblau gehalten
4.10.1
Venen im Schädel
t> Vv. diploicae (Abb. 4.56). Das Blut des knöchernen Schädeldaches und der Dura mater sammelt sich in Venen der Diploe. Man unterscheidet: •
i.V. diploica frontalis, 2. V. diploica temporalis anterior, 3. V. diploica temporalis posterior, 4. V. diploica occipitalis Arachnoidalzotten (Liquorabfluss!) können bis zu diesen Venen dringen und sie eröffnen.
> Vv. emissariae sind Verbindungen zwischen den äußeren Kopfvenen, den Vv. diploicae und den Venenblutleitern der Dura mater. Sie nehmen das Blut aus den Vv. diploicae auf und fuhren es in die äußeren Kopfvenen und die Sinus durae matris ab. • V. emissaria parietalis. Anastomose zwischen V. temporalis superficialis und dem Sinus sagittalis superior
4.10 Venen des Kopfes und des Halses
251
V diploica temporalis anterior \
V. diploica frontalis \
V (lipidica temporalis posterior
Λ
\
/
/
l I I V diploica occipitalis
Abb. 4.56: Diploe des Schädels und Vv. diplolcae nach Entfernung der Lamina externa. Injektion der Gefäße mit Wood-Metall
•
V. emissaria occipitalis. Anastomose zwischen der V. occipitalis und dem Sinus transversus bzw. dem Confluens sinuum • V. emissaria mastoidea. Anastomose zwischen V. occipitalis bzw. V. auricularis posterior und dem Sinus sigmoideus • V. emissaria condylaris. Anastomose zwischen den Plexus venosi vertebrales externi und dem Sinus sigmoideus • V. emissaria bei Kleinkindern. Anastomose zwischen Nasenvenen und Sinus sagittalis superior durch einen Kanal, der später zum Foramen caecum wird l> Vv. cerebri. Das Blut von den Außenflächen des Gehirns fließt in die benachbarten Blutleiter der Dura mater (s. Kap. 5.3.4.3, S. 451) [> Sinus durae matris liegen zwischen den beiden Blättern der Dura mater, sind starrwandige, klappenlose Räume, die das Blut aus dem Innern der Schädelhöhle aufnehmen und letztendlich über den im Foramen jugulare gelegenen Bulbus superior v. jugularis superior abtransportieren. Da der Abfluss rechts günstiger ist, sind die rechten zumeist etwas stärker (V. cava superior rechts gelegen!). Über die Lage der Sinus s. Kap. 5.3.4.3, S. 451. Sie stehen durch zahlreiche
Vv. emissariae mit den äußeren Kopfvenen und den Vv. diploicae in Verbindung > Vv. ophthalmicae. Das Blut aus der Augenhöhle gelangt in der Hauptsache in Venen, die den Ästen der A. ophthalmica folgen, zur V. ophthalmica superior. Sie zieht nicht mit der Arterie durch den Canalis opticus, sondern durch die Fissura orbitalis superior zum Sinus cavernosus. Am Aditus orbitae steht sie auch mit der V. angularis in Verbindung (Anastomose zur V. facialis!). Eine V. ophthalmica inferior ist nicht konstant, steht mit der V. ophthalmica superior zumeist in Verbindung, mündet durch die Fissura orbitalis inferior in den Plexus pterygoideus. Klinik: Das Blut kann von der äußeren Nase und der Oberlippe über V. angularis, V. ophthalmica superior zum Sinus cavernosus fließen. Gefahr bei Gesichtsfurunkeln (Ausbreitung)!
4.10.2
Venen der Kopfweichteile
l> V. facialis. Sie sammelt Blut aus dem Gesichtsbereich. Sie verläuft unter der mimischen Muskulatur vom medialen Augenwinkel
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
252
\>
>
I>
[>
Ο
(V. angularis) zum vorderen Masseterrande und weiter durch das Trigonum submandibulare zur V. jugularis interna. Sie nimmt die V. retromandicularis auf. V. retromandibularis. Sie folgt hinter dem Ramus mandibulae ungefähr der A. carotis externa und nimmt hauptsächlich die V. temporalis und das Blut aus dem Plexus pterygoideus auf. Durch eine stärkere Anastomose fließt sie auch in die V. jugularis externa ab. V. occipitalis und V. auricularis posterior nehmen das Blut vom Hinterkopf auf und münden in die V. jugularis externa, eine Hautvene, die am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus, unter dem Platysma abwärts zieht und in die V. brachiocephalica oder V. jugularis interna oder V. subclavia mündet. V. jugularis anterior, die vordere Hautvene des Halses, entsteht in der Unterkinngegend (als V. submentalis), steigt unter dem Platysma zur Fossa jugularis abwärts, ist mitunter mit der Vene der anderen Seite zu einer unpaaren V. mediana colli vereinigt und mündet in den Arcus venosus juguli, einen queren Venenbogen im Spatium suprasternale, oder direkt in die angrenzenden Venen. V. jugularis interna nimmt das venöse Blut aus dem gesamten Stromgebiet der A. carotis communis auf. Im Foramen jugulare ist sie zum Bulbus superior ν. jugularis und kurz vor der Vereinigung mit der V. subclavia zum Bulbus inferior v. jugularis erweitert. Sie verläuft vom Foramen jugulare an der lateralen Seite der A. carotis interna und A. carotis communis bis hinter das Sternoklavikulargelenk, wo sie sich mit der V. subclavia zur V. brachiocephalica vereinigt. Diese Vereinigung erfolgt im Venenwinkel, Angulus venosus.
4.10.3
Venenplexus
t> Plexus pharyngeus. Er liegt an der Seiten- und Hinterwand des Pharynx. Mit ihm steht ein Adergeflecht auf der Dorsalfläche des Ringknorpels und der dem Knorpel gegenüberliegenden Pharynxwand in Verbindung, welches einen gewissen Abschluss des Schlundes gegen die Speiseröhre bilden hilft.
I> Plexus pterygoideus, zwischen den gleichnamigen Muskeln in der Fossa infratemporalis. Er steht mit dem vorigen, sowie mit dem Sinus cavernosus, mit den Vv. facialis und retromandibularis, auch direkt mit der V. jugularis interna in Verbindung. Von den zahlreichen Zuflüssen seien die Vv. meningeae mediae, die V. ophthalmica inferior und die V. canalis pterygoidei erwähnt. ΐ> Zahlreiche Venengeflechte, welche sich in den Foramina der Schädelbasis (s. Kap. 4.4.2, S. 209) befinden, verbinden den Plexus pterygoideus mit dem Sinus cavernosus: • Plexus venosus caroticus internus • Plexus venosus foraminis ovalis • Plexus venosus foraminis spinosi [> Weitere Venen und Plexus, welche nicht in den Plexus pterygoideus münden: • • • •
Vv. tympanicae V. stylomastoidea Plexus venosi vertebralis interni und externi Plexus venosus canalis nervi hypoglossi Klinik: Venöse Verbindungen zwischen dem Äußeren und Inneren des Schädels stellen Infektionspforten dar. Sie dienen dem Druckund Temperaturausgleich zwischen inneren und äußeren Gefäßen.
4.10.4
Große abführende Venen
O V. subclavia entspricht im großen und ganzen dem Stromgebiet der gleichnamigen Arterie. Vor der Vereinigung mit der V. jugularis interna hat sie zumeist ein Klappenpaar (s. Kap. 2.3.4.1, S. 70). [> V. brachiocephalica entsteht jederseits durch die Vereinigung von V. subclavia und V. jugularis interna (s. Kap. 10.7.2.2.2, S. 885). Die linke ist länger als die rechte. Beide vereinigen sich hinter dem Steinum zur O V. cava superior, die rechts von der Mittellinie zum rechten Vorhof des Herzens absteigt (s.Kap. 10.7.2.2.2, S. 885). [> Venen der Organe s. dort
253
4.11 Lymphgefäße und Lymphknoten des Kopfes und des Halses
4.11
Lymphgefäße, Vasa lymphatica, und Lymphknoten des Kopfes und des Halses, Nodi lymphatici (lymphoidei) capitis et colli
Lernziele: Regionäre Lymphknoten, Lymphabfluss
4.11.1
Genereller Lymphabfluss
Die Lymphgefäße von Kopf und Hals sammeln sich jederseits im Truncus jugularis, der mit den großen Halsgefäßen abwärts zum Venenwinkel zwischen V. jugularis interna und V. subclavia zieht (Abb. 2.37, S. 89). 1. Die Lymphe münden rechts in den Ductus lymphaticus dexter (rechter Venenwinkel), links in den Ductus thoracicus (linker Venenwinkel) 2. oder beiderseits direkt in benachbarte Venen. In den Verlauf der Lymphgefäße sind charakteristische Gruppen von Lymphknoten eingeschaltet.
4.11.2
Regionäre Lymphknoten des Kopfes (Abb. 4.57)
1. Nil. occipitales, 1 - 3 Knoten auf der Ursprungssehne des M. trapezius in Höhe der Linea nuchae suprema Zufluss: Hinterhaupt bis zum Scheitel, obere Nackengegend Abfluss: zu den Nil. cervicales profundi 2. Nil. retroauriculares, 2 - 3 Knoten auf der Ansatzsehne des M. sternocleidomastoideus am Warzenfortsatz Zufluss: Rückfläche des Ohres, Haut des Hinterkopfes Abfluss: zu den Nil. cervicales profundi 3. Nil. parotidei (1-2), auf oder in der Glandula parotidea, vor dem äußeren Gehörgang Zufluss: Stirn-, Schläfengegend, lateraler Teil der Augenlider, Nasenwurzel, Vorderfläche der
Abb. 4.57: Die Lymphknoten und Lymphabflüsse von Kopf und Hals. Verändertes Schema nach Rouviére. Gestrichelte Linien und Pfeile geben die Einzugsgebiete an. Oberflächliche Knoten (Nil. cervicales superficiales) sind vollschwarz, die tiefen gestrichelt wiedergegeben. Inset: Übersicht über den Lymphstrom aus d e m Kopf- und Halsbereich (aus G.-H. Schumacher)
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
254
Ohrmuschel, äußerer Gehörgang, Trommelfell, Paukenhöhle, Glandula parotidea, Nasenrachenraum Abfluss: zu den Nil. cervicales profundi 4. Nil. submandibulares, zumeist 3 in der Submandibularloge gelegene Knoten. Häufig liegt auch ein Knoten in der Glandula submandibularis Zufluss: • Oberflächlich: Medialer Teil der Stirn und der Augenlider, äußere Nase, Haut der Oberlippe und Wange. In den Verlauf sind bei Jugendlichen häufig kleine Knoten in der Nähe der V. facialis (Nil. buccales, auf dem M. buccinator) eingeschaltet. • Tief: Vorderer Teil der Zunge, des Gaumens, des Mundhöhlenbodens; Zähne, Gingiva, vorderer Teil der Nasenhöhlenschleimhaut, Fossa infratemporalis. Lymphe aus den Nil. faciales und Nil. submentales (als 2. Filterstation). Abfluss: zu den Nil. cervicales superficiales und profundi 5. Nil. submentales, 2 - 3 kleine Knoten in der Submental loge Zufluss: Haut des Kinnes und der Mitte der Unterlippe; untere Schneidezähne und angrenzende Gingiva, Zungenspitze, Mundboden Abfluss: zu den Nil. submandibulares, Nil. cervicales profundi und superficialis 6. Nil. buccales, in der Wangengegend Zufluss: hinterer Teil der Nasen- und Mundhöhle; Fossae pterygoidea und infratemporale, Gaumen und Schlund Abfluss: zu den Nil. cervicales profundi
4.11.3
Regionäre Lymphknoten des Halses (Abb. 4.53, 4.57)
1. Nil. cervicales superficiales. Sie liegen in wechselnder Zahl in der Umgebung der V. jugularis externa, oben auf dem M. sternocleidomastoideus, unten im seitlichen Halsdreieck Zufluss: Ohr, Glandula parotidea, Gegend des Kieferwinkels, oberflächliche Teile des Halses. Abfluss: Nil. cervicales profundi.
2. Nil. cervicales profundi. Sie liegen längs der V. jugularis interna und in der Fossa supraclavicularis major. Dabei wird nochmals unterteilt: Nil. profundi superiores und inferiores. Zufluss: Lymphgefäße von Schiundenge, Mandeln, Schlund, Kehlkopf, Schilddrüse und Luftröhre; außerdem abfuhrende Gefäße aus allen oben genannten Lymphknoten A bfluss: Truncus jugularis 3. Nl. jugulodigastricus liegt auf der V. jugularis interna in der Höhe des großen Zungenbeinhorns Zufluss: Gaumenmandel und hinteres Drittel der Zunge, Pharynx Klinik: Der Lymphknoten ist einer der oberen tiefen Halslymphknoten, der häufig beim Zungenkarzinom erfasst ist. 4. Nl. juguloomohyoideus liegt unterhalb der Zwischensehne des M. omohyoideus auf der V. jugularis interna. Er ist einer der unteren tiefen Halslymphknoten. Zufluss: Zunge direkt und indirekt über Nil. submentales, submandibulares und cervicales profundi superiores 5. Nil. praelaryngei, zwischen Ring- und Schildknorpel und zwischen Schildknorpel und Zungenbein (NIL infrahyoidei) Zufluss: Kehlkopf Abfluss: Nil. cervicales superficiales und tracheales 6. NIL tracheales, längs der Luftröhre gelegen Zufluss: Kehlkopf, Luftröhre und ihre Aufzweigung Abfluss: Nil. mediastinales posteriores 7. Nil. retropharyngei, hinter dem oberen Teil des Schlundes gelegen, insbesondere bei Kindern Zufluss: Schlund, Ohrtrompete, hinterer Teil der Nasenhöhle Abfluss: Nil. cervicales profundi
255
4 . 1 2 N e r v e n d e s K o p f e s , Nervi c r a n i a l e s , u n d d e s Halses, Nervi c e r v i c a l e s
4.12
N e r v e n d e s Kopfes, Nervi craniales, und d e s Halses, Nervi cervicales lung und seinem Aufbau nach ein Hirnteil (Sehbahn s. Kap. 5.4.2.2, S. 456).
Lernziele: Nn. capitales, Plexus cervicalis, Sympathicus, Parasympathicus: Äste und Verlauf, Versorgungsgebiete, Ganglien
4.12.1
3. N. oculomotorius, N. III, ist motorisch und parasympathisch. Er versorgt alle äußeren Augenmuskeln, außer M. obliquus superior und M. rectus lateralis sowie den M. sphincter pupillae und den M. ciliaris. Dicht vor der Brücke kommt er aus der Fossa interpeduncularis, zieht seitlich vom Türkensattel durch die Wand des Sinus cavernosus, gelangt durch die Fissura orbitalis superior aus der Schädel- zur Augenhöhle. Hier teilt er sich (Abb. 4.58) in:
Hirnnerven, Kopfnerven, Nn. capitales
Wir unterscheiden 12 Hirnnervenpaare und bezeichnen sie mit den entsprechenden römischen Zahlen. Über ihre Kerngebiete und Austritte aus dem Gehirn s. Kap. 5.2.6.2, S. 415) 1. Nn. olfactorii, Ν. I, die Riechnerven, sind rein sensorisch. Sie sind die Axone der Riechzellen (bipolare Ganglienzellen) in der Riechschleimhaut der Nasenhöhle, ziehen durch die Lamina cribrosa des Siebbeins in die Schädelhöhle und gelangen zum Bulbus olfactorius (Riechbahn, s. Kap. 5.4.4.3, S. 478). 2. N. opticus, N. II, der Sehnerv, ist sensorisch. Er zieht vom Augapfel leicht gebogen durch den Fettkörper der Augenhöhle zum Canalis opticus, durchsetzt ihn und vereinigt sich mit dem Nerven der Gegenseite zur Sehnervenkreuzung, Chiasma opticum. Nach teilweiser Kreuzung der Fasern setzt er sich nach hinten in den Tractus opticus fort. Der N. opticus ist seiner Entwick-
Ramus superior Ν
M. levator palpebrae superioris \
X
Ganglion ciliare
\> Ramus superior für M. levator palpebrae superioris und M. rectus superior \> Ramus inferior fur die Mm. recti medialis und inferior sowie den M. obliquus inferior. Der untere Ast gibt die Radix oculomotoria ab. Durch sie gelangen die parasympathischen Fasern des N. oculomotorius zum Ganglion ciliare (Umschaltung) und weiter zum M. ciliaris (Akkomodation!) und M. sphincter pupillae (Verengung der Pupille!). 4. N. trochlearis, N. IV (Abb. 4.58). Der Rollennerv des Auges ist rein motorisch für den M. obliquus superior. Er tritt als einziger Hirnnerv dorsal aus dem Gehirn aus, wendet sich um die Crura cerebri nach ventral, erscheint dort am vorderen Rande der Brücke, zieht durch die
Ν opticus
M. rectus medialis
I
N
(
\
-
\
I
M. obliquus superior, " " " Trochlea — — M. rectus superior „ - Nn, ciliares breves
Ramus inferior - _ N. oculomotorius N. trochlearis -
_
M. rectus lateralis — Radix oculomotoria — " gangli ciliaris M. rectus inferior
' M. rectus lateralis
" M. obliquus inferior
Abb. 4.58: S c h e m a t i s c h e Ü b e r s i c h t ü b e r L a g e u n d V e r z w e i g u n g d e r Nn. o c u l o m o t o r i u s u n d t r o c h l e a r i s
256
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
N. lacrimalis
N. e t h m o i d a l s anterior
tinum
N. frontalis
cum η zygomatlco
R. z y g o m a t i c o t e m p o r a l
Abb. 4.59: Schematische Übersicht über Lage und Verzweigung des N. ophthalmicus. Ansicht von lateral
Wand des Sinus cavernosus und gelangt durch die Fissura orbitalis superior, oberhalb des Augenmuskelkegels, zum M. obliquus superior. 5. Ν. trigeminus, Ν. V, ist sensibel (Radix sensoria, Portio major), und motorisch (Radix motoria, Portio minor). Parasympathische Fasern lagern sich in ihrem Verlauf nur an. Der kräftige Nerv tritt am Seitenrand der Brücke aus. Nahe der Spitze der Felsenbeinpyramide durchbohrt er die Dura mater, bildet hier das sensible Ganglion trigeminale und zerfallt (Abb. 4.59-61) in seine 3 Endäste: • N. ophthalmicus, N. V | • N. maxillaris, Ν. V • Ν. mandibularis, Ν. V, Ν. ophthalmicus (Abb. 4.59). Er ist der sensible Nerv der Augenhöhle, des oberen Augenlides, der Stirn und des vorderen Teiles der Nasenhöhle. Beim Verlauf in der Wand des Sinus cavernosus gibt er einen feinen R. tentorii zum Tentorium cerebelli ab und verläuft, schon geteilt in seine 3 Hauptäste, durch die Fissura orbitalis superior in die Augenhöhle. Aste [> Ν. lacrimalis, der Tränennerv, verläuft an der lateralen Wand der Orbita, nimmt über den
Ramus communicans cum n. zygomatico sekretorische (parasympathische) Fasern für die Tränendrüse aus dem N. intermedius (über N. petrosus major, Ganglion pterygopalatinum, N. zygomaticus) auf, versorgt die Tränendrüse und zieht mit den sensiblen Fasern weiter zum oberen Augenlid und zur Haut und Bindehaut am lateralen Augenwinkel (Abb. 4.70) D> N. frontalis, der sensible Stirnnerv, verläuft unmittelbar unter dem Dach der Orbita auf dem M. levator palpebrae superioris. Er teilt sich in den •
N. supraorbitalis, der mit seinem Ramus lateralis (durch Foramen oder Incisura supraorbitalis) und Ramus medialis (durch Incisura oder Foramen frontale) zur Haut der Stirn und zur Haut und Bindehaut des oberen Augenlides zieht • N. supratrochlearis. Er zieht oberhalb der Trochlea des M. obliquus oculi superior zur Haut der Nasenwurzel, der unteren Stirngegend und des oberen Augenlides. Vor der Aufzweigung schickt er noch eine Anastomose zum N. infratrochlearis. Ο Ν. nasociliaris. Der Nasenaugennerv verläuft über den N. opticus zur medialen Wand der Orbita und gibt Äste ab:
257
4.12 Nerven des Kopfes, Nervi craniales, und des Halses, Nervi cervicales
•
Ramus communicans cum ganglio ciliari führt über das Ganglion ciliare (ohne Umschaltung) sensible Fasern zum Augapfel • Nn. ciliares longi ziehen direkt zum hinteren Pol des Augapfels • N. ethmoidalis posterior gelangt durch das Foramen ethmoidale posterius zur Schleimhaut der hinteren Siebbeinzellen. • N. ethmoidalis anterior zieht durch das Foramen ethmoidale anterius in die Schädelhöhle und von dort durch die Lamina cribrosa zur Nasenhöhle. Seine Äste sind: Rami nasales laterales zur Seitenwand der Nasenhöhle Rami nasales mediales zur Nasenscheidewand Ramus nasalis extemus. Er steigt an der Rückfläche des Os nasale abwärts und gelangt an der Grenze zwischen knöcherner und knorpeliger Nase zur Haut der äußeren Nase bis zur Nasenspitze •
N. infratrochlearis. Er verläuft unterhalb der Trochlea des M. obliquus oculi superior, verbindet sich mit dem N. supratrochlearis und versorgt mit Rami palpebrales das Oberlid, den medialen Augenwinkel und den Tränensack.
N. maxillaris (Abb. 4.60). Er ist rein sensibel und gelangt von der Schädelhöhle durch das Foramen rotundum in die Fossa pterygopalatina. Er breitet sich im Wesentlichen im Bereich des Oberkiefers und der deckenden Weichteile aus (Abb. 4.70). Äste des N. maxillaris sind:
\> R. meningeus, vor dem Austritt aus der Schädelhöhle zur Dura mater [> Ν. zygomaticus, verlässt den Stamm in der Flügelgaumengrube, gelangt durch die Fissura orbitalis inferior an die laterale Wand der Augenhöhle. Seine Äste sind: •
R. zygomaticotemporalis, der obere Zweig, schickt durch eine Anastomose sekretorische parasympathische Fasern aus dem N. intermedius über den N. lacrimalis zur Tränendrüse und zieht durch das Foramen zygomaticotemporale zur Haut der Schläfe. • R. zygomaticofacialis, der untere Zweig, zieht durch das Foramen zygomaticofaciale zur Haut der Wange und des lateralen Augenwinkels. D> Rami ganglionares ad ganglion pterygopalatinum ziehen ohne Umschaltung zum Ganglion pterygopalatinum. Dort lagern sich ihnen sekretorische = parasympathische sowie sympathische Fasern an: •
Rami orbitales (2-3 Zweige) ziehen durch die Fissura orbitalis inferior zur Augenhöhle, zur Keilbeinhöhle, zu den hinteren Siebbeinzellen und zur Optikusscheide. • Rami nasales posteriores superiores laterales. 6-10 feine Zweige verlaufen durch das Foramen sphenopalatinum zum hinteren Teil der lateralen Nasenwand und zum oberen Teil des Schlundes.
Rr. z y g o m a t i c o f a c i a l i s Ν
maxillaris
Ri
orbitales
et zygomaticotemporalis
\
Ganglion trigeminale [semilunareis Ν
trigeminus-
Rr palpebrales inferiores
Ν. p e t r o s u s (superficialis] m a j o r *
n. i n f r a N . f a c i a l i s 1+ i n t e r m e d i n s ) - ^ .
orbialis
Ν. petrosus profundus. Plexus caroticus internus
. Rr. a l v e o l a r e s s u p e r i o r e s anteriores
Ganglion pterygopalatinum Rr. n a s a l e s p o s t e r i o r e s
Rr. l a b i a l e s s u p e r i o r e s
sup. et inf N. p a l a t i n o s m a j o r ' Rr. a r e o l a r i s s u p e r i o r
Plexus dentalis superior
m é d i u s et p o s t e n o r
Nn
palatini minores
Ν palatinus major
Rr. d e n t a l i s e t g i n g i v a l i s s u p
Abb. 4.60: Schematische Übersicht über Lage und Verzweigung des N. maxillaris. Ansicht von lateral
258
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
•
Rami nasales posteriores superiores mediales. 2 - 3 feine Zweige verlaufen zum hinteren Teil der Nasenscheidewand. Einer von ihnen ist länger, zieht als N. nasopalatinus (Scarpae) auf dem Nasenseptum zum Canalis incisivus und gelangt in ihm zum vorderen Teil der Schleimhaut des Gaumens. • Ν. palatinus major durch das Foramen palatinum majus zum harten Gaumen (sog. „Gaumenstrahlung" für Schleimhaut, Drüsen, Zahnfleisch). In seinem Verlauf gibt er Rami nasales posteriores inferiores zur unteren Nasenmuschel ab. • Nn. palatini minores ziehen durch die Canales palatini minores zur Gaumenmandel und zur Schleimhaut des weichen Gaumens. ΐ> Rami alveolares superiores posteriores, zumeist 2, gehen von Stamm vor dem Eintritt in die Augenhöhle ab, ziehen am Tuber maxillae abwärts und gelangen durch die Foramina alveolaria zum lateralen, hinteren Teil der Kieferhöhlenschleimhaut und bilden mit dem mittleren und vorderen Ast (s. u.) den Plexus dentalis superior, aus dem sie die 3 Molaren und die zugehörige Gingiva des Oberkiefers versorgen. O N. infraorbitalis ist der Endast. Er gelangt durch die Fissura orbitalis inferior in den Canalis infraN. trigeminus - — — Ν. petrosus minor
__
—
orbitalis und durch das Foramen infraorbitale zum Gesicht. Im Kanal gibt er ab: •
R. alveolaris superior médius. Dieser zieht über den Plexus dentalis superior zu den Prämolaren und zur zugehörigen Gingiva. • Rami alveolares superiores anteriores. Nach Abgabe eines Astes zur Nasenhöhle ziehen sie zum Eckzahn, zu den Schneidezähnen und zur zugehörigen Gingiva. Endäste im Gesicht sind: •
Rami palpebrales inferiores zur Haut des unteren Augenlides • Rami nasales externi zur Haut der äußeren Nase • Rami nasales interni zur Schleimhaut der Nasenhöhle (vorderer Teil) • Rami labiales superiores zur Haut und Schleimhaut der Oberlippe und zur angrenzenden Gingiva Ν. mandibularis (Abb. 4.61, 4.62) ist sensibel und motorisch. Er nimmt die Radix motoria (Portio minor) auf. Er gelangt durch das Foramen ovale aus der Schädelhöhle zur Außenfläche der Schädelbasis und versorgt
Ganglion trigeminale
[semilunare]
- Radix motoria, Ganglion
N . f a c i a l i s (+ i n t e r m e d i u s )
-
Chorda tympani
-
Ganglion inferius
;
Rr. m o t o r i
für die
oticum
Kaumuskeln
• N. b u c c a l i s
/
n. g l o s s o p h a r y n g e i
auriculotemporal^ '
N. Ilnguaiis •
— • Rami
linguales
N. mylohyoideus Ν N. a l v e o l a r i s inferior
sublingualis
- — ~~~ Rami
Ganglion submandibulare
Rami Rami dentales inferiores
labiales
inferiores
' ~~
mentales
"
Rami gingivales
inferiores
N. mentalis
Abb. 4.61: Schematische Übersicht über Lage und Verzweigung des N. mandibularis. Ansicht von lateral
259
4 . 1 2 N e r v e n d e s K o p f e s , Nervi c r a n i a l e s , u n d d e s Halses, Nervi c e r v i c a l e s
Chorda tympani
A meningea media N. auriculotemporal^
\
\
I I
Ganglion trigeminale
Ganglion oticum
Sinus sphenoidalis
/
/
Recessus epitympanicus Malleus et Incus- — —
Ν. auriciilotemporalis— Ν 'acial«
Chorda tympan ι
Lig. sphenomandibu¡are Ν. alveolaris inferior Ν. lingualis, A. maxillaris ' M. pterygoideus medialis mit Β muscularis A carotis externa
Ν lingualis Ggl. submandibulare Gianduia sublingualis mit Ductus sublinguales minores Ductus submandibular^ Glandula submandibulars Lingua '
/ /
Mundhöhlenschleimhaut
Ductus sublingualis major
Abb. 4.62: N. m a n d i b u l a r i s , G a n g l i o n o t i c u m u n d A. maxillaris v o n m e d i a l her dargestellt.
•
motorisch alle Kaumuskeln und die Mundbodenmuskeln (Vorderbauch des M. digastricus und M. mylohyoideus) • sensibel die Schleimhaut der Mundhöhle (Ausnahme: Gaumen und hinterer Teil der Zunge) sowie Haut, Zähne und Zahnfleisch im Bereich des Unterkiefers (Abb. 4.70). Unmittelbar unter dem Foramen ovale teilt er sich in einen vorderen schwächeren, vorwiegend motorischen und einen hinteren stärkeren, sensiblen Ast. Äste des N. mandibularis sind: t> Ramus meningeus. Er geht vom Stamm ab und zieht durch das Foramen spinosum rückläufig zur Dura mater. Aus dem vorderen, vorwiegend motorischen Ast gehen hervor: \> N. massetericus durch die Incisura mandibulae zum M. masseter und zum Kiefergelenk,
O Nn. temporales profundi, ein vorderer und ein hinterer Ast zum M. temporalis, Ο Ν. pterygoideus lateralis zum M. pterygoideus lateralis, D> N. pterygoideus medialis zum M. pterygoideus medialis. Er gibt direkt oder über das Ganglion oticum (keine Umschaltung!) einen Ast zum M. tensor veli palatini und einen Ast zum M. tensor tympani ab (Störungen des Gehörs bei Erkrankungen des N. trigeminus!) 0 Ν. buccalis. Er tritt zwischen den beiden Köpfen des M. pterygoideus lateralis auf die Außenfläche des M. buccinator, schickt durch ihn hindurch Äste zur Wangenschleimhaut und zum bukkalen Zahnfleisch, andere zur Haut der Wange und verzweigt sich bis zum Mundwinkel.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
260 Aus dem hinteren, stärkeren, sensiblen Stamm gehen hervor:
lae, den er als N. mentalis durch das Foramen mentale verlässt. Äste: N. mylohyoideus, motorisch, zweigt am Foramen mandibulae ab und verläuft an der Innenfläche des Unterkiefers zum M. mylohyoideus sowie zum Venter anterior m. digastrici. Plexus dentalis inferior, wird innerhalb des Kanals gebildet. Er gibt ab: Rami dentales inferiores zu den Unterkieferzähnen; Rami gingivales inferiores zum Zahnfleisch. Der N. mentalis zieht durch das Foramen mentale: Rami mentales zur Haut des Kinnes, Rami labiales inferiores zur Haut und Schleimhaut der Unterlippe.
t> N. auriculotemporalis. Er nimmt am Ganglion oticum parasympathische Fasern (aus dem N. glossopharyngeus überN. tympanicus und N. petrosus minor) auf, umfasst oft schlingenartig die A. meningea media, zieht nach hinten zum Collum mandibulae und wendet sich vor dem Ohr in Begleitung der A. und des N. temporalis superficialis aufwärts zur Haut der Schläfengegend. Seine Äste sind: •
• •
• •
N. meatus acustici externi, zumeist 2 feine Äste, zum äußeren Gehörgang. Ein Ast schickt einen zarten R. membranae tympani zum Trommelfell Rami parotidei zur Glandula parotidea Rami communicantes cum nervo faciali, zumeist 2 Verbindungen zum N. facialis. Diese fuhren dem N. facialis die oben erwähnten parasympathischen (sekretorischen) Fasern für die Glandula parotidea zu Nn. auriculares anteriores für die konkave Außenfläche der Ohrmuschel Rami temporales superficiales, die Endäste für die Haut der Schläfengegend.
t> N. lingualis. Er ist sensibel und gelangt zwischen M. pterygoideus lateralis und medialis an die Innenfläche des Ramus mandibulae und geht hier die Verbindung zur Chorda tympani ein (s. u.). Er steigt vor dem N. alveolaris inferior abwärts, wendet sich im Bogen oberhalb der Glandula submandibularis und des M. mylohyoideus zum Seitenrand der Zunge. Astfolge: • • •
•
• •
Rami isthmi faucium, Äste zur Schiundenge und zur Gaumenmandel Verbindung mit der Chorda tympani Zweige zum Ganglion submandibulare (parasympathische und sensible Fasern für die Gl. submandibularis) Rami communicantes cum n. hypoglosso (motorische Fasern aus dem N. hypoglossus fur die Zungenmuskeln) N. sublingualis zur Glandula sublingualis und angrenzenden Mundschleimhaut N. alveolaris inferior, motorisch und sensibel, steigt hinter dem N. lingualis an der Innenfläche des Ramus mandibulae abwärts bis zum Foramen mandibulae, gibt hier den N. mylohyoideus ab, verläuft selbst durch den Canalis mandibu-
6. N. abducens, N. VI. Rein motorisch, verlässt das Gehirn am kaudalen Rand der Brücke, zwischen dieser und der Pyramide. Er tritt bereits auf dem Clivus durch die Dura mater, verläuft durch den Sinus cavernosus, tritt in die Augenhöhle durch die Fissura orbitalis superior ein und versorgt den M. rectus lateralis des Augapfels. 7. N. facialis, N. VII (Abb. 4.63,4.64). Rein motorisch, verlässt das Gehirn am kaudalen Rande des Brückenarmes. Hier liegt zwischen ihm und dem N. vestibulocochlearis der parasympathische und sensible N. intermedins, der sich im Felsenbein mit dem N. facialis zu einem einheitlichen Nervenstamm vereinigt (N. intermediofacialis). Der Intermediumsanteil führt Geschmacksfasern für die vorderen zwei Drittel der Zunge, parasympathische (sekretorische) für die Speicheldrüsen Gl. submandibularis und Gl. sublingualis und sensible Fasern, deren pseudounipolare Ganglienzellen im Ganglion geniculi liegen. Nn. facialis, intermedius und vestibulocochlearis gelangen, von Fortsetzungen der Hirnhäute begleitet, durch den Meatus acusticus internus in das Felsenbein. Am Grunde des inneren Gehörgangs treten Facialis und Intermedius in den Canalis nervi facialis ein. •
Innerhalb des Schläfenbeins (s. Kap. 7.1.2.1, S. 600) gehen ab:
t> N. petrosus major (Teil des N. intermedius) führt parasympathische (für Tränen, Gaumen- und Nasendrüsen), vielleicht auch sensible Fasern über das Ganglion pterygopalatinum in die Äste des N. maxillaris. [> Ramus communicans cum plexu tympanico, geht direkt vom Stamm oder vom N. petrosus major ab zum Plexus tympanicus (Nervengeflecht der Paukenhöhle)
4.12 Nerven des Kopfes, Nervi craniales, und des Halses, Nervi cervicales
261
N. petrosus major
temporales
Ganglion geniculi N. facialis et intermedius zygomatic!
Ramus communicans cum plexu tympanico N. stapedius Chorda tympani R comununicans cum n. auriculotemporal!
buccales
Ramus digastricus et Ramus stylohyoideus Unterer Stamm
Ramus colli Ramus marginaiis mandibulae
Abb. 4.63: Schema des N. facialis mit Intermedius. Der Verlauf im Felsenbein ist gestrichelt; nach dem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum ist er voll ausgezogen
•R. lateralis
n
a
v
supraorbitalis . R. medians
M . auricularis superior Α., V temporalis
- R'. temporales π. fac.
superficialis, N aunculotemporalis
A , V angularis
M. occipitofrontalis (Venter ^
-R. zygomaticofacial^
oci ι: talis) mit R occipitalis Α., V auricularis posterior -
A transversa faciei Rr zvgomat 11 η fac M auricularis posterior - - A labialis superior Ν auricularis posterior, . N. facialis ~
Α , V.
N. buccal« A labialis nfenor,
Ν. occipitalis major, M. trapezius
M. depressor anguli oris M splenitis capitis Br. buccales n facialis
Ν occipitalis minor N auriculans rnagnus,
„ R marginales mandibulae η facialis. A
M . sternocleidomastoideus M. levator scapulae. N. accessories
Platysma
Nn. supraclaviculars
Ν transversus [cutaneus] colli
V facialis
v f i colli π facialis.
Glandula parotidea, Ductus parotideus, M masseto
Abb. 4.64: Oberflächliche Nerven und Gefäße des Kopfes
V jugularis externa
262
ΐ> N. stapedius, vom absteigenden Fazialabschnitt zum M. stapedius im Mittelohr \> Chorda tympani, Teil des N. intermedius, verläuft zum N. lingualis mit parasympathischen (sekretorischen) Fasern fur die Glandulae submandibularis, sublingualis und Glandulae linguales der vorderen zwei Drittel der Zunge sowie Geschmacksfasern fur die vorderen zwei Drittel der Zunge. Sie verläuft im Bogen durch die Paukenhöhle, verlässt diese durch die Fissura petrotympanica und senkt sich von hinten her in den N. lingualis. • Außerhalb des Schädels, unterhalb des Foramen stylomastoideum, gehen ab: [> N. auricularis posterior. Er verläuft hinter der Ohrmuschel auf- und rückwärts zu den hinteren Muskeln des äußeren Ohres und mit einem Ramus occipitalis zum Venter, occipitalis m. occipitofrontalis. [> Ramus digastricus zum Venter posterior m. digastrici; er gibt den feinen R. stylohyoideus zum M. stylohyoideus ab. •
Die Endäste (ein oberer und ein unterer Hauptstamm) bilden in der Substanz der Gl. parotidea ein Geflecht, den Plexus parotideus (s. Kap. 4.13.2.1, S. 278), aus dem am Vorderrand der Drüse hervorgehen:
O Rami temporales (zumeist 3) zu den vorderen Muskeln des äußeren Ohres, zu Venter frontalis m. occipitofrontalis, M. orbicularis oculi und M. corrugator supercilii > Rami zygomatici (3-4) zu Mm. orbicularis oculi, zygomatici major und minor [> Rami buccales (3-^1) zum M. buccinator, M. levator labii superioris, zum M. levator labii superioris alaeque nasi, zum M. nasalis, M. orbicularis oris und M. levator anguli oris > Ramus marginalis mandibulae. Er zieht längs des Unterkieferrandes zum M. risorius, M. depressor anguli oris, M. depressor labii inferioris und M. mentalis. O Ramus colli. Er verläuft hinter dem Angulus mandibulae abwärts zum Hals und verbindet sich mit dem sensiblen N. transversus colli aus dem Plexus cervicalis. Durch diese Anastomose (früher Ansa cervicalis superficialis genannt) werden dem N. transversus colli motorische Fasern für das Platysma zugeführt. Die Gesichtsäste des N. facialis gehen untereinander und mit den Trigeminusästen zahlreiche Verbindungen
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
ein. Sensible Nervenfasern des N. intermedius versorgen vermutlich kleine Hautbezirke der Ohrmuschel und des äußeren Gehörganges (Huntsch-Zone). Klinik: Der Plexus parotideus ist ein Geflecht aus radiär verlaufenden Fasern. Bei operativen Eingriffen in die Glandula parotidea muss diese Verlaufsrichtung beachtet werden. 8. N. vestibulocochlearis, N. VIII. Rein sensorisch, besteht aus der Pars vestibularis und der Pars cochlearis. Er tritt mit dem N. facialis und N. intermedius im Kleinhirnbrückenwinkel aus, verläuft mit ihnen durch den Meatus acusticus internus. •
Pars vestibularis. Sie bildet am Grunde des Meatus das Ganglion vestibuläre und teilt sich in:
O N. utriculoampullaris mit den Ästen: • N. utricularis zu den Sinneszellen des Utriculus • N. ampullaris anterior zur Ampulle des vorderen Bogenganges • N. ampullaris lateralis zur Ampulle des lateralen Bogenganges \> N. saccularis zum Sacculus [> N. ampullaris posterior, zur Ampulle des hinteren Bogenganges. Gleichgewichtsbahn s. Kap. 5.4.3.5, S. 473, Kap. 5.4.3.6, S. 474 •
Pars cochlearis. Sie bildet in der Schnecke das Ganglion spirale und endet an den Sinneszellen des Organum spirale der Schnecke.
Hörbahn s. Kap. 5.4.3.3, S. 470 9. N. glossopharyngeus, N. IX (Abb. 4.65). Motorisch, parasympathisch, sensibel und sensorisch. Er verlässt das verlängerte Mark im Sulcus lateralis posterior, hinter der Olive, zieht durch den vorderen Teil des Foramen jugulare zur äußeren Schädelbasis. Innerhalb des Foramen bildet er das kleinere Ganglion superius, direkt unterhalb des Foramen das größere Ganglion inferius, welches in der Fossula petrosa liegt. Beide Ganglien sind vorwiegend sensibel. Verlauf: Zunächst zwischen A. carotis interna und V. jugularis interna, darauf wendet er sich hinter der V. jugularis und dem M. stylopharyngeus lateral- und abwärts, zieht an der late-
263
4.12 Nerven des Kopfes, Nervi craniales, und des Halses, Nervi cervicales
_ — - Ν . petrosus minor
N n caroticotympanic!
N
Plexus tympanicus
-
_
N. t y m p a n i c u s
-
G a n g l i o n s u p e r i u s [intracra'
-ilei
_ — - G a n g l i o n inferius [extracraniale]
Ν- mandibulares
—
Ganglion oticum M . levator veli palatini
Ν-auriculotemporal^ Processus pterygoideus
Rami pharyngei ~ - v Processus styloideus
M
M . tensor veli palatini ^ M m . palatopharyngeus et - glossus
constrictor pharyngis superior M
styloglossus
M . et R a m u s m. stylopharyngeal '
—
_
Ramus tonsillaris, Tonsilla palatina M . genioglossus Ramus ¡ingualis
M
hyoglossus
'
M. mylohyoideus "
" ~~ ~ Os h y o i d e u m
M. geniohyoideus - " M
Cartílago thyroidea
c o n s t r i c t o r p h a r y n g i s inferior [laryngopharyngicus]
- M . thyrohyoideus
M . cricothyroideus
Oesophagus
|r· '|·"- " - i ^
T r a c h e a
Abb. 4.65: Schematische Übersicht über die Lage und Verzweigung des N. glossopharyngeus
ralen Seite des M. stylopharyngeus abwärts, um schließlich im Bogen zwischen diesem und dem M. styloglossus zur Zunge zu gelangen. •
Vom Ganglion inferius gehen ab:
[> N. tympanicus. Er gelangt durch den Canaliculus tympanicus in die Paukenhöhle. Hier bildet er: 1. mit dem Ramus communicans cum plexu tympanico (aus dem Facialis-Intermedius) und 2. mit den Nn. caroticotympanic! (aus dem sympathischen Geflecht um die A. carotis int.) den Plexus tympanicus (für die Schleimhaut der Paukenhöhle, der Innenseite des Trommelfells und der Tuba auditiva). Er zieht durch den Canalis n. potrosi minoris auf die vordere Fläche der Felsenbeinpyramide und heißt hier N. petrosus minor. Dieser gelangt durch die Fissura sphenopetrosa zum Ganglion oticum (am N. mandibularis). Die parasympathische (sekretorische) Verbindung des N. glossopharyngeus über N. tympanicus und N. petrosus minor mit dem Ganglion oticum bezeichnet man als Jakobson-Anastomose. Über den weiteren
Verlauf der sekretorischen Fasern bis zur Gl. parotidea, s. Kap. 4.13.2.1, S. 278. 0 Verbindungsäste: •
zum N. vagus (dicht unterhalb des Ganglion superius • zum R. auricularis n. vagi • zum N. facialis (R. digastricus) • zum Ganglion cervicale superius des Sympathicus •
Periphere Äste
t> Ramus sinus carotici, ein für die Blutdruckregelung wichtiger Ast zum Sinus caroticus (s. Kap. 4.9.1, S. 244) [> Rami pharyngei. Sie bilden mit Ästen des N. vagus und mit Sympathicusfasern den Plexus pharyngeus t> Ramus m. stylopharyngei zum M. stylopharyngeus > Rami tonsillares für die Schleimhaut der Gaumenmandel und der Gaumenbögen
264
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
_ R. meníngeos, Foramen jugulare Ramus internus 11 accessori Ganglion superius [jugulare] Ramus auricularis Ganglion inferius [nodosum]
Rami pharyngei Ramus internus Ι Ramus externos
f
n
su
laryngei
Penons
R. cardiacus superior, Α. carotis communis M
cricothyroideus
Rami tracheales Rami oesophagei A. subclavia Ramus cardiacus inferior N. vagus sinister, Arcus aortae N. laryngeus recurrens sinister Rami bronchiales
Oesophagus, Plexus oesophageus Truncus vagalis postenor Truncus vagalis anterior Diaphragma Rami gastrici posteriores Rami gastrici anteriores
Ramus hepaticus
Ganglion coeliacum
Abb. 4.66: Schematische Übersicht über Lage und Verzweigung des N. vagus bis zum Magen
t> Rami linguales für die Schleimhaut des hinteren Drittels der Zunge (sekretorisch, sensibel und sensorisch als Geschmacksfasern). 10. N. vagus, Ν. X (Abb. 4.66). Motorisch, sensibel, sensorisch und parasympathisch. Er verlässt mit 10-15 Fäden im Sulcus lateralis posterior unterhalb des N. glossopharyngeus die Medulla oblongata, tritt mit dem N. accessoria in einer gemeinsamen Durascheide (getrennt vom N. glossopharyngeus) aus der Schädelhöhle durch den vorderen Teil des Fora-
men jugulare. Im Foramen bildet er das sensible Ganglion superius. Anschließend nimmt er den R. internus n. accessorii auf und schwillt 1 cm unterhalb des Foramen zum länglichen, vorwiegend sensiblen Ganglion inferius an. Lage: In der Furche zwischen V. jugularis interna und A. carotis interna bzw. A. carotis communis zieht er abwärts zur Brusthöhle. • Kopfteil (von der Medulla oblongata bis zum Ganglion inferius) \> Ramus meningeus durch das Foramen jugulare rückläufig zur Schädelhöhle (zur Dura mater im Bereich des Sinus transversus und Sinus occipitalis). ΐ> Ramus auricularis. Er zieht vom Ganglion superius zur Fossa jugularis und durch den Canaliculus mastoideus hinter das Ohr, von wo ein Ast mit dem N. auricularis posterior des N. facialis weiterzieht und der andere Ast zur Ohrmuschel, zum Trommelfell und zur hinteren unteren Wand des äußeren Gehörganges verläuft. O Verbindungsäste zum Ganglion inferius des N. glossopharyngeus. [> Aufnahme des Ramus internus des N. accessoria. • Halsteil (vom Ganglion inferius bis zur Abgabe des N. laryngeus recurrens) [> Verbindungsäste zum Ganglion cervicale superius des Sympathicus und zum N. hypoglossus t> Rami pharyngei (ein oberer und ein unterer Ast) bilden mit dem N. glossopharyngeus und Sympathikusfasern den Plexus pharyngeus. Dieser enthält sensible und motorische Fasern zu den Schlundschnürern, den Gaumenbogenmuskeln, zum M. levator veli palatini und M. uvulae. Ein zarter Ast zieht zur Zunge, von dort: 1. Mit dem N. hypoglossus nach peripher. 2. Zum sympathischen Geflecht der A. carotis externa. I> N. laryngeus superior. Der obere Kehlkopfnerv verläuft an der medialen Seite der A. carotis interna und teil sich in: • Ramus externus zum M. constrictor pharyngis inferior und zum M. cricothyroideus sowie Fasern zur Schilddrüse. • Ramus internus. Er zieht durch die Membrana thyrohyoidea zur Schleimhaut des Kehlkopfes und der Zungenwurzel und verbindet sich mit dem N. laryngeus inferior.
4.12 Nerven des Kopfes, Nervi craniales, und d e s Halses, Nervi cervicales
\> Rami cardiaci superiores, 2 - 3 Äste, die zwischen N. laryngeus superior und inferior abgehen und längs der A. carotis communis zur Aorta und zum Plexus cardiacus gelangen. [> N. laryngeus recurrens, der rückläufige Nerv, zieht rechts um die A. subclavia, links um den Arcus aortae (genauer: um das Lig. arteriosum, s. Kap. 2.3.1.4, S. 51) und verläuft zwischen Oesophagus und Trachea aufwärts bis zum Kehlkopf. Er gibt in seinen Verlauf ab: •
Rami cardiaci inferiores. Sie gehen Verbindungen mit dem Sympathicus ein und ziehen zum Plexus cardiacus (s. Kap. 10.7.1.6, S. 868) • Rami tracheales zum Halsteil der Luftröhre • Rami oesophagei zum Halsteil der Speiseröhre • N. laryngeus inferior. Der untere Kehlkopfnerv teilt sich in einen vorderen und hinteren Ast, welche sämtliche Muskeln des Kehlkopfes mit Ausnahme des M. cricothyroideus und die Kehlkopfschleimhaut unterhalb der Stimmritze versorgen. Der hintere Ast verbindet sich mit dem N. laryngeus superior (Ansa Galeni, s. Kap. 4.16.6, S. 335). •
Brustteil (vom Abgang des N. laryngeus recurrens bis zum Hiatus oesophageus des Zwerchfells)
[> Rami bronchiales anteriores bilden vor dem Hilus der Lunge den Plexus pulmonalis anterior. > Rami bronchiales posteriores bilden hinter dem Hilus der Lunge den starken Plexus pulmonalis posterior. Beide Plexus geben Zweige an die Pleura ab und versorgen die Lunge (s. Kap. 10.6.7, S. 833). 0 Rami oeseophagei beider Seiten bilden um den Oesophagus den grobmaschigen Plexus oesophageus. Der rechte Vagusstamm liegt der hinteren, der linke der vorderen Speiseröhrenfläche an. Beide Trunci vagales enthalten Fasern aus dem rechten und linken N. vagus (s. Kap. 10.7.5.5.4, S. 895). •
Bauchteil (nach Durchtritt durch das Zwerchfell)
O Der vordere (linke) Truncus vagalis anterior gibt folgende Äste ab: • Rami gastrici anteriores zur Vorderfläche des Magens • Rami hepatici zur Leber
265
Der hintere (rechte) Truncus vagalis posterior gibt ab: • Rami gastrici posteriores zur Rückfläche des Magens • Rami coeliaci zum Plexus coeliacus und weiter mit den Gefäßen als Rami henales zur Milz • Rami renales zu den Nieren • Rami intestinales zum Darm (für Duodenum, Jejunoileum, Caecum, Colon ascendens und die ersten zwei Drittel des Colon transversum) bis zum Cannon-Böhm-Punkt (s. Kap. 12.3.5.1, S. 996). 11. N. accessorius, N. XI. Dieser motorische Nerv entspringt mit seinen [> Radices spinales aus dem Halsmark zwischen den vorderen und hinteren Spinalwurzeln austretend 0 Radices craniales unterhalb des N. vagus, hinter der Olive, aus der Medulla oblongata. Die Radices spinales ziehen durch das Foramen magnum in die Schädelhöhle, vereinigen sich mit den Radices craniales zu einem gemeinsamen Stamm, der zusammen mit dem N. vagus durch das Foramen jugulare die Schädelhöhle verlässt. Unterhalb des Foramen gibt er den Ramus internus (den „Accessorius vagi", im wesentlichen die Radices craniales) an den N. vagus ab (aus dem Nucleus ambiguus für die Kehlkopfmuskeln). Der Ramus externus (der „Accessorius spinalis") versorgt den M. sternocleidomatoideus, den M. trapezius und geht Verbindungen zum Plexus cervicalis ein, der ebenfalls beide Muskeln innerviert. 12. N. hypoglossus, N. XII (Abb. 4.67). Er ist der motorische Nerv der Zunge und tritt mit seiner Wurzel im Sulcus lateralis anterior der Medulla oblongata mit 10-15 Fäden aus. Diese sammeln sich zu 2 Bündeln, die getrennt die Dura durchbohren und durch den Canalis n. hypoglossi die Schädelhöhle verlassen. Hier nimmt er Fasern aus dem 1-3. Zervikalnerven auf, die ihn später wieder verlassen. Verbindungen bestehen außerdem zum Ganglion inferus des N. vagus und zum Ganglion cervicale superius des Sympathicus. Lage: Zunächst medial vom N. vagus, gelangt er hinter der A. carotis interna und dem N. vagus an die laterale Seite der Arterie, wendet sich zwischen dieser und der V. jugularis interna ventralwärts und zieht im Bogen über die Äste der A. carotis externa hinweg nach medial, um
266
4 K o p f , C r a n i u m , u n d Hals, C o l l u m
Fossa m a n d i b u l a n s
Tuberculum articulare
\
/
M . levatoi veli palatin / /
/
M . tensor veil palatini. Hamulus pterygoideus
Chorda t y m p a n
- M . buccinator
Processus m a s t o i d e u s Proc styloideus,
M . levator labil superioris Icaninus]
M . constrictor pharyngis sup. Venter posterior m digastrici, M
stylohyoìdeus
M . styloglossus et V jugularís interna M , et R stylopharyngeus A carotis interna, N. glossopharyngeus Lingua, M . palatoglossus
A. carotis externa. _ Radix superior ansae cervicalis
. M palatopharyngeus. Tonsilla palatina
Ν. hypoglossus, A. facialis ~
M orbicularis oris M . hyoglossus
" M . genioglossus, Ν. lingualis
Α. carotis c o m m u n i s
'
M a n d í b u l a (Schnittfläche)
M . et Ρ thyrohyoideus M
sternocleidomastoideus
M . geniohyoideus Venter superior m. o m o h y o i d e i
M.sternohyoïdeus
Oshyoideum
M . mylohyoideus
Venter anterior m. digastrici
Abb. 4.67: G a u m e n - , Z u n g e n - , M u n d b o d e n - u n d S c h i u n d m u s k e l n . Die 3 „ Z u n g e n n e r v e n " u n d d i e G a u m e n t o n s i l l e s i n d v o n d e r r e c h t e n Seite a u s dargestellt. Der M. c o n s t r i c t o r p h a r y n g i s s u p e r i o r u n d d e r M. b u c c i n a t o r s i n d z u m Teil, d i e r e c h t e Unterkieferhälfte v o l l s t ä n d i g entfernt
auf der Außenfläche des M. hyoglossus zur Muskulatur der Zunge zu gelangen.
t> Rami linguales, motorische Äste zur inneren wie äußeren Muskulatur der Zunge.
• Äste, die sich nur streckenweise dem N. hypoglossus angelagert haben: [> Ramus meningeus zur Dura mater im Bereich des Sinus occipitalis; die genaue Herkunft dieser sensiblen Fasern ist unbekannt t> Radix superior (Ramus descendens η. hypoglossi), Fasern aus dem 1. und 2. Zervikalnerv, die sich streckenweise dem N. hypoglossus anschließen und mit der Radix inferior (N. cervicalis descendens) aus dem 2., 3. und 4. Zervikalnerv die Ansa cervicalis (früher Ansa cervicalis profunda, Ansa hypoglossi) bilden. Aus ihr werden die Unterzungenbeinmuskeln versorgt. [> Ramus thyrohyoideus und Ramus geniohyoideus sind Fasern, die den N. hypoglossus als selbstständige Äste zu den gleichnamigen Muskeln verlassen. • Echte Hypoglossusäste. Der Ursprung ist im Hypoglossuskern zu finden.
Klinik: Ausfalle von Hirnnerven siehe Kapitel 5.2.6.2, S. 415.
4.12.2
Halsgeflecht, Plexus cervicalis
Es handelt sich um geflechtartige Verbindungen der ventralen Äste der 4 oberen Halsnerven C r C 4 ( s . Kap. 2.6.5.3, S. 96; Abb. 4.68). Lage. Der Plexus liegt vor den Ursprüngen des M. scalenus médius und des M. levator scapulae. Verbindungen bestehen zum N. accessorius, N. hypoglossus, und zum Grenzstrang des Sympathicus. Wir unterscheiden • •
Hautäste (sensibel) Muskeläste (motorisch)
267
4.12 Nerven d e s Kopfes, Nervi craniales, und des Halses, Nervi cervicales
A s t zum M . rectus capitis lateralis
anterior
\
- N. h y p o g l o s s u s N. o c c i p i t a l i s minor — R thyrohyoideus Ν auricularis m a g n u s
ΓR
. Radix superior
M . splenitis c a p i t i s Radix
ansae cervicalis
inferior
M . levator s c a p u l a e
descendens]
I n. hypoglossi
!
f N. cervicalis"! Idescendens I
kaudale Z u n g e n b e i n m u s k e l n Ν transversus colli — [Ν : j t a n e u s c o l l i i R muscularis —
~~
Itrapeziusl
-
A n s a cervicalis [n hypoglossi)
- Ν
phrenicus
Nn supraclaviculars -
Plexus b r a c h i a l *
M . trapezius - A . carotis c o m m u n i s dextra A transversa c o l l i -
A s u b c l a v i a dextra
Abb. 4.68: S c h e m a des Plexus cervicalis. Mit 1 - 8 sind die Rami ventrales der Nn. cervicales bezeichnet. Die Lage des M. sternocleidomastoideus ist durch 2 gestrichelte Linien angedeutet
4.12.2.1 Hautäste (Abb. 4 . 6 8 - 7 1 ) Sie erscheinen im mittleren Drittel des Hinterrandes des M. sternocleidomastoideus (Area nervosa plexus cervicalis, Punctum nervosum, Erb-Punkl) und strahlen von hier fächerförmig subkutan über den Hals aus. ΐ> Ν. occipitalis minor (hauptsächlich C,, C,), für die laterale Hinterhauptsgegend, geht stärkere Verbindungen mit dem N. occipitalis major (s. Kap. 8.9, S. 654) und dem folgenden ein. t> N. auricularis magnus (C,) erscheint, unterhalb des vorigen, am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus, kreuzt ihn und verläuft zum Ohr aufwärts. Er zweigt sich auf in: •
Ramus anterior für die Haut vor dem Ohr und über dem M. masseter (Regio parotideomasseterica) und für die Haut des Ohrläppchens sowie der konkaven Fläche der Ohrmuschel. • Ramus posterior für die Haut hinter dem Ohr und die Haut der konvexen Fläche der Ohrmuschel.
E> N. transversus colli (C,). Er erscheint unmittelbar unterhalb des vorigen am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus und wendet sich, bedeckt vom Platysma, über die Außenfläche des Muskels nach ventral zur Haut des ventralen und lateralen Halses. Sein oberster Ast geht eine Verbindung mit dem Ramus colli n. facialis ein (früher Ansa cervicalis superficialis). \> Nn. supraclaviculares (C, und C 4 ). Diese erscheinen unterhalb des vorigen und ziehen divergierend abwärts durch das seitliche Halsdreieck zur Haut der seitlichen Hals-, der unteren Nacken-, oberen Brust- und der Schultergegend. Nach ihrer Lage unterscheiden wir Nn. mediales, intermedii und laterales. Klinik: Durch einen Einstich in der Mitte des Hinterrandes des M. sternocleidomastoideus kann man die gesamte Haut des Halses, der Schulter und des oberen Brustgebietes der betreffenden Körperhälfte anästhesieren. Um alle Äste sicher zu erfassen, muss die Nadel
268
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Ν occipitalis major
Ν occipitalis minor
—
_
N. a u r l c u l a n s m a g n u s -
Ramus colli η. f a c i a l i s
M. sternocleidomastoideus
Ramus c o m m u n i c a n s Lamina superficialis fasciae cervlcalis M . trapezius — Nn. supraclaviculares
|
—
laterales
I ¡ntermed¡1.
Platysma Ν. t r a n s v e r s u s c o l l i [cutaneus colli] Vv. j u g u l a r i s e x t e r n a et anterioi Nn
supraclaviculares
mediales
Abb. 4.69: Hautnerven und Hautvenen des Halses. Das Platysma Ist größtenteils entfernt, die Lamina superficialis der Halsfaszie Ist erhalten
während der Injektion subkutan, entlang dem Hinterrand des Muskels, nach kranial und nach kaudal verlagert werden.
4.12.2.2 Muskeläste D> Muskeläste ( C - C 4 ) direkt zur tiefen Halsmuskulatur (Mm. longus colli, longus capitis, rectus capitis anterior, rectus capitis lateralis, scalenus anterior, medius, posterior levator scapulae, intertransversarii cervicales), ohne sich an der Plexusbildung zu beteiligen. t> Radix inferior aus C , - C r Es sind absteigende Fasern, die sich mit der Radix superior C - C , (Ramus descendens n. hypoglossi) zur Ansa cervicalis (n. hypoglossi) verbinden für die Innervation der unteren Zungenbeinmuskulatur und des M. geniohyoideus.
\> Ramus trapezius (C3, C4), Ast zum M. trapezius. I> Rami sternocleidomastoidei (C2, C,); für den gleichnamigen Muskel. Der R. trapezius und die Rr. sternocleidomastoidei bilden meist ein Geflecht (Plexus accessoriocervicalis) mit Ästen des N. accessorius. > N. phrenicus (C 3 -C s , Abb. 4.71). Er führt motorische Fasern für das Zwerchfell, sensible für den Herzbeutel sowie das Brust- und Bauchfell. Er verläuft nahe oder auf dem M. scalenus anterior abwärts und gelangt zwischen A. und V. subclavia in die Brusthöhle, wo er im vorderen Mediastinum mit der A. thoracica interna über die Pleurakuppel zieht und vor der Lungenwurzel und zwischen Pleura pericardiaca und Perikard zum Zwerchfell gelangt (s. Kap. 10.7.10, S. 900).
269
4 . 1 2 N e r v e n d e s K o p f e s , Nervi c r a n i a l e s , u n d d e s Halses, Nervi c e r v i c a l e s
Ν trigeminus (V ; ) Ν. trigeminus (V, ì R zygomaticotemporal^ . Ν. supraorbital^ Ν auriculotemporal^ . Ν lacrimalis
N. vagus |R aur cularis) .
Ν supratrochlearis Ν occipitalis major
Ν. ¡nfratrochlearis Ν infraorbitals R. nasalis externus
M occipitalis minor Ν auriculans magnus • " R. z y g o m a t i c o f a c i a l
No cervicales ·
N. buccalis
Ν transversus _ Icutaneus) colli
Ν mentalis
Nn. supraclaviculars
Ν: mylohyoideus
u virw . Λ Λ^:3;··. v/3 χ» .·;._>•'
Abb. 4.70: H a u t n e r v e n d e s K o p f e s u n d Halses. Die s e n s i b l e n V e r s o r g u n g s g e b i e t e d e r 3 Trigeminusäste und der Zervikalnerven sind durch verschiedene Schraffierung wied e r g e g e b e n . Inset: Ü b e r s i c h t ü b e r I n n e r v a t i o n s g e b i e t e mit d a z u g e h ö r i g e n N e r v e n
Äste: • Rami pericardiac i, (sensible Äste, meist nur rechts) zur vorderen Fläche des Herzbeutels. • sensible Äste zur Pleurakuppel und Pleura mediastinalis. • Rami phrenicoabdominales (als Endäste). Motorische und sensible Äste zum Zwerchfell. Der Ramus phrenicoabdominalis tritt rechts durch das Foramen v. cavae, links durch die Pars lumbalis oder den Hiatus oesophageus durch das Zwerchfell. Er bildet mit Zweigen des Sympathicus den Plexus phrenicus. Nebenphrenikus. In 20-25 % erhält der N. phrenicus aus unteren Zervikalnerven (C5, C6) akzessorische Zweige, die als Nebenphrenikus, N. phrenicus accessorius, bezeichnet werden. Klinik: Die Existenz eines Nebenphrenicus wurde als häufiger Grund für Misserfolge bei der früher gebräuchlichen Durchschneidung des N. phrenicus (Phrenikotomie) angesehen.
4.12.3
Kopfsympathicus
Wie überall, erreicht der Sympathicus von den 3 Halsganglien, Ganglia cervicales superbis, medium und zumeist cervicothoracicum (G. stellatum), aus die Erfolgsorgane über die Gefäße (Plexus carotis internus und externus) (s. Kap. 2.6.6.5, S. 104).
4.12.4
Kopfparasympathicus
Von den parasympathischen Kopfganglien Ganglion ciliare, G. pterygopalatinum, G. submandibulare, G. oticum erreichen die postganglionären Fasern die Erfolgorgane mit peripheren Ästen des N. trigeminus. In erster Linie handelt es sich um sekretorische Fasern (s. Kap. 2.6.6.6, S. 106).
270
4 K o p f , C r a n i u m , u n d Hals, C o l l u m
N. occipitalis major,
M . sternocleidomastoideus. Ν accessorius
Α , V occipitalis
Glandula parotidea. Fascia parotidea
\
\ \
Fascia masseterica
A., V facialis
l
N. occipitalis m i n o r M . splemus ι apitis M . trapezius V. jugularis externa N. hypoglossus, V. j u g u l a r i s interna \
N. auricularis magnus
>M. digastricus (Venter anterior! \
Radix inferior ansae cervicalis
' Glandula s u b m a n d i b u l a r s - M stylohyoídeus, M . digastricus
Ν transversus
(Ventei posterior)
[cutaneusl colli
S
M , levator scapulae
internus η laryngei s u p e r i o r s , A. laryngea sup
' R externes η. laryngei superioris
muscularis (trapezius] x
A n s a cervicalis [n. hypoglossi), A. thyroidea superior
Ν. dorsalis scapulae
Ν. vagus, Glandula thyroidea
Ν. thoracicus longos, M . scalenus m é d i u s
"" N M o m o h y o i d e u s (Venter superior), R. muscularis
A. transversa colli
\
(Ram superili ialis) M . scalenus posterior
,, ^
Plexus brachialis '
^
Ν phrenicus A cervicalis ascendens
^
' M . s t e r n o t h y m i d e u s , R. muscularis
^
' M . sternohyoideus, R. muscularis
^
/ ^ ^
^ ^
^
Ν. Λ . V suprascapularis
hyoglossus, A linguali·;
M et R. thyrohyoideus
\ R
Nn. supraclaviculars
A. transversa colli (Ramus prof.)
M
X
N. accessorius,
M . scalenus anterior. A , V subclavia
Truncus thyrocervical is
'
^ ^
'
Clavicula
—
Nil. supraclaviculares mediales
' A carotis communis, V jugularis int M . sternocleidomastoideus
Abb. 4.71: N e r v e n u n d G e f ä ß e d e r r e c h t e n Halsseite. Die L a m i n a s u p e r f i c i a l i s d e r H a l s f a s z i e im B e r e i c h d e s Trig o n u m s u b m a n d i b u l a r e ist e r h a l t e n . M. s t e r n o c l e i d o m a s t o i d e u s , M. o m o h y o i d e u s u n d V. j u g u l a r i s interna w u r d e n z u m Teil e n t f e r n t
4.13
Mundhöhle, Cavitas oris
Lernziele: Begrenzung der Cavitas oris, Zunge, Speicheldrüsen, Gaumen Die Mundhöhle bildet den Anfangsteil des Verdauungstraktes (Abb. 4.72). Gliederung und Begrenzung •
Eigentliche Mundhöhle, Cavitas oris propria, Raum einwärts der Zahnbögen • Vorhof der Mundhöhle, Veslibulum oris, Raum außerhalb der Zahnbögen.
Begrenzung (Abb. 4.73) der Cavitas oris propria vorn: Lippen, Labia oris hinten bzw. medial: die mit Zahnfleisch, Gingiva, bedeckten Alveolarfortsätze des Ober- und Unterkiefers und die Zähne, Denies seitlich: Wangen, Buccae oben: harter und weicher Gaumen, Palatum durum und Ρ molle Beim zahnlosen Mund entfällt die Unterteilung in Vorhof und eigentliche Mundhöhle.
271
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris •
Lippen (Labia) und Wangen (Buccae) haben eine muskuläre Grundlage (M. orbicularis oris bzw. M. buccinator), eine Außenseite mit Haut und Anhangsgebilden sowie eine Innenseite mit Schleimhaut (unverhomtes Plattenepithel, Drüsen, Glandulae labiales und buccales). Lippenrot ist der freie Rand der Lippe. Durch das nur leicht verhornte Epithel schimmern die dicht liegenden subepithelialen Kapillaren durch. Lippenbändchen. Ober- und Unterlippe sind durch eine Schleimhautfalte mit der Gingiva verbunden, Frenulum labii superioris und F. labii inferioris.
Philtrum Palatum molle Uvula Arcus palatopharyngeus Arcus palatoglossus Tonsilla palatina
Abb. 4.72: Mundhöhle (genauer: Cavitas oris propria) bei weit geöffnetem Mund und herausgestreckter Zunge. Demonstration der Gaumenbögen
A. vertebra lis .. _ Medulla spinalis
Processus mastoideus
A. carotis interna. Nn IX, Χ XI. XII,
V iugularli interna
^ ^
Glandula parotidea
Truncus sympathicus
^ prävertebrale Muskeln
A carotis externa, — Spatlum lateropharyngeum
V retromandibularis Processus styloideus und Stylomuskeln
_
— Spatium retropharyngeum M. constrictor pharyngis superior
N. alveolari:, interior -
M palatopharyngeus Tonsilla palatina
M pterygoideus medialis-
M. palatoglossus Ramus mandibulae M. masseter -
"" M. constrictor pharyngis superior * -ν
^ Raphe pterygomandibularis
N. lingualis V far.ialis M. hue nator A. facialis M. orbicularis oris '
Abb. 4.73: Querschnitt durch den Kopf in Höhe des Foramen mandibulae bei maximal geöffnetem Mund. Die Injektionsnadel zeigt den Weg bei einer Methode der Mandibularanästhesie. Zur Darstellung der Bindegewebsräume sind die Faszien (weiß) schematisch hervorgehoben. Der schwarze Pfeil zeigt den Ausbreitungsweg von Ergüssen aus dem Spatium pharyngeum in die Parotisloge
272
4.13.1 •
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Zunge, Lingua
Embryologie (4.74). Der Schleimhautanteil der Zunge entsteht aus dem 1.-4. Schlundbogen. Zunächst erscheint der unpaare mittlere Zungenwulst, Tuberculum impar, welcher aus dem 1. Schlundbogen gebildet wird. Dahinter tritt das kleine Tuberculum thyroideum auf, dessen entodermales Epithel sich zur Schilddrüsenanlage einsenkt. Nachdem der Ductus thyroglossalis abgeschnürt ist, bleibt seine Öffnung als Foramen caecum erhalten. Etwas später entwickeln sich auf dem 1. Schlundbogen die paarigen seitlichen Zungenwülste, Tubercula lingualia lateralia. Nach ihrer starken Vergrößerung verbinden sie sich mit dem Tuberculum impar und bilden die vor der Linea terminalis gelegenen vorderen zwei Drittel der Zunge. Die Zungenwurzel entsteht aus einem unpaaren medianen Wulst, der Copula, welche vom 2., 3. und 4. Schlundbogen gebildet wird.
Die Zungenmuskulatur wandert zusammen mit dem N. hypoglossus aus dem Bereich der Okzipitalmyotome in die Zungenanlage ein. •
Funktionen
•
Transport- und mechanische Funktionen in der Mundhöhle: beim Kauen wird die Nahrung durch den Zungenkörper immer wieder zwischen die Kauflächen der Zähne gefuhrt und zum Isthmus faucium befördert. Weichere Bestandteile der Nahrung werden durch Druck des Zungenkörpers gegen den harten Gaumen zermahlen und ebenfalls zur Schiundenge
gebracht; Unterstützung bei der Einspeichelung der Nahrung. • Geschmacksfunktion: Durch die im Bereich der Zunge gelegenen Geschmacksknospen wird die Nahrung chemisch analysiert. • Sprachfunktion·. Eine gute Verformbarkeit der Zunge mit Hilfe äußerer und innerer Zungenmuskeln hat für die Bildung von Lauten Bedeutung. • Tastfunktion: Sensible Endkörperchen der Zungenschleimhaut machen die Zunge zum Tastorgan. Dabei werden die Objekte mit einem Vergrößerungsfaktor von 1,6 analysiert.
4.13.1.1 Aufbau Die Zunge wird untergliedert in: • •
Zungenkörper, Corpus linguae und Zungenwurzel, Radix linguae.
Die Grenze zwischen Corpus und Radix linguae ist der V-förmige, nach vorn offene Sulcus terminalis linguae, der an seiner Spitze das Foramen caecum linguae, den verödeten Rest des Ductus thyroglossalis, aufweist. Die Zungenspitze, Apex linguae, bildet den vorderen Teil des Zungenkörpers. Apex und Corpus linguae gehen ohne scharfe Grenze ineinander über (Abb. 4.75). Klinik: Erfolgt der Descensus der Schilddrüsenanlage nicht oder unvollständig, so findet man in der Umgebung des Foramen caecum Drüsengewebe, welches durch permanente
Tubercula Imgualia tateral-a
- Tuberculum impar terminalis - Foramen caecum linguae
Copula
Epiglottiswulst -
Boden des Schiunddarms
Formung der Zunge Zungenentwicklung
Abb. 4.74: Zungenentwicklung (nach G.-H. Schumacher). I—IV: Schlundbogen
273
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Zungenmandel, eines in der Schleimhaut der Zungenwurzel angesiedelten lymphatischen Gewebes (allgemeiner Aufbau siehe Kap. 4.14.5).
Plica glossoepiglottica
Pars anterior
mediana
Vallecula epiglottica Plica glossoepiglottica lateralis
Pars posterior
Adltus laryngis _
Die Facies inferior linguae ist glatt. In der Mitte verbindet das Frenulun linguae die Unterfläche der Zunge mit der ventralen Innenseite des Unterkiefers. Seitlich davon verlaufen rechts und links die Plicae fimbriatae vom Zungenrand zur Zungenspitze. An der Grenze zum Mundboden liegt die Plica sublingualis, auf welcher im Bereich der Carúncula sublingualis die großen Ausfuhrungsgänge der Unterkiefer- und Unterzungendrüse, Ductus sublingualis major, Ductus sublinguales minores, Ductus submandibularis, münden.
Recessus piriformis Rima glottidis -
Abb. 4.75: Zunge von dorsal (nach G.-H. Schumacher)
mechanische, termische und chemische Reize pathologisch verändert werden kann.
4.13.1.1.1 Schleimhaut Das Dorsum linguae, der an der Zungenoberfläche gelegene Zungenrücken, geht am Margo linguae in die Facies inferior linguae über, ist konvex gekrümmt und weist in der Mitte den Sulcus medianus linguae auf. Gegliedert wird es in einen vor dem Sulcus terminalis linguae gelegenen vorderen Teil, Pars praesulcalis, und die hinter dem Sulcus terminalis gelegene Pars postsulcalis. Die Schleimhaut der Pars presulcalis weist Rauhigkeiten an ihrer Oberfläche auf, welche als Papillae linguales, Zungenpapillen, bezeichnet werden. Wir unterscheiden • • • •
fadenförmige Papillen, Papillae filiformes, pilzförmige Papillen, Papillae fungiformes, blattförmige Papillen, Papillae foliatae, umwallte Papillen Papillae vallatae.
Die Papillae fili- und fungiformes liegen auf dem Zungenrücken, die Papillae vallatae, 8-15 an der Zahl, vor dem Sulcus terminalis und die Papillae foliatae an den hinteren Seitenrändern der Zunge. Die Oberfläche der Pars postsulcalis ist glatt und zeigt Öffnungen der Krypten der Tonsilla lingualis,
• Schleimhaut. Die Oberfläche der Zunge ist vor dem Sulcus terminalis linguae von einer spezialisierten Schleimhaut bedeckt. Die Schleimhaut ist unverschieblich an der Aponeurosis linguae befestigt, eine Tela submucosa fehlt. Die Lamina propria bildet Bindegewebspapillen, welche Grundlage massiver Papillenstöcke, der Primärpapillen sind, aus denen Sekundärpapillen hervorgehen. Diese erreichen die Basis der Lamina epithelialis. Die Zungenpapillen bilden makroskopisch sichtbare Erhebungen auf der gesamten presulkalen Schleimhaut des Zungenrückens. • Papillae filiformes. Sie bedecken den gesamten Zungenrücken und sind von einem mehrschichtigen, orthokeratinisierten Plattenepithel bedeckt. Jede Primärpapille der Lamina propria trägt 10-30 Sekundärpapillen, deren Spitzen häufig rachenwärts gerichtet sind. Freie Nervenendigungen enden im Epithel bzw. subepithelial. Im subepithelialen Bindegewebe liegen umschriebene Endorgane in Form von Endknäulen nichtmyelinisierter Nervenfasern, lameliierter Körperchen oder Meissner-Tastkörperchen. Damit können die Papillae filiformes Tastempfindungen mit einem Vergrößerungsfaktor von 1,6 vermitteln. • Papillae fungiformes. Sie sind weniger häufig vertreten als die Papillae filiformes, liegen lose zwischen diese eingestreut besonders häufig in der Zungenspitze und am Zungenrand. Oberflächlich sind sie als hellrote Punkte zwischen den Papillae filiformes sichtbar. Die Papillen besitzen eine breit ausladende, glatte, kuppeloder zapfenförmige Oberfläche. Von der rundlich ovalen, kegelförmigen Primärpapille gehen
274
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
wenige kurze Sekundärpapillen ab. An der Papillenperipherie liegt ein Gefäßplexus, der die hellrötliche Farbe der Papille bedingt. Die Papille ist von einem mehrschichtigen para- bis orthokeratinisiertem Epithel bedeckt, welches an der Oberfläche Geschmacksknospen enthält. Das Bindegewebe enthält zahlreiche lamellierte Mechano- und Thermorezeptoren sowie freie Nervenendigungen. Die Papillae fungiformes dienen damit der Geschmacksempfindung und haben mechanische Funktionen. • Papillae foliatae. Sie liegen am hinteren seitlichen Rand der Zunge, in der Nähe des Übergangs zum Arcus palatoglossus. Die Papillen sind dicht nebeneinander gelagert, so dass ihr Querschnitt den Zinnen eines Burgwalls ähnelt. In den Seitenwänden des para- bis orthokeratinisierten, tiefe Zapfen bildenden Epithels liegen Geschmacksknospen. Am Grund der epithelialen Einfaltungen münden die Ausfuhrungsgänge seröser v. Ebnerscher Spüldrüsen, deren Endstücke in der Lamina propria liegen. • Papillae vallatae, in der Regel 8-10 an der Zahl, liegen am vorderen Rand des Sulcus terminalis linguae. Sie bestehen aus einer breiten Primärpapille, von welcher zahlreiche, sehr kurze Sekundärpapillen entspringen. Die Papillen sind von einem Wallgraben umgeben und überragen das Niveau der Umgebung nicht. Die Oberfläche und die Epitheleinfaltungen sind von einem orthokeratinisierten Epithel bedeckt. Im latera-
len Epithel jeder Papille befinden sich mehrere hundert Geschmacksknospen. In der Tiefe der Wallgräben münden Ausfuhrungsgänge (pro Wallgraben ca. 35) rein seröser v. Ebner-Spüldrüsen aus. • Unterseite der Zunge: Sie ist von einer papillenfreien Schleimhaut bedeckt, die in ihrem Bau der des Mundbodens entspricht. Das mehrschichtige unverhornte Plattenepithel liegt einer Lamina propria auf, welche lose mit den Faszien der Zungenmuskulatur verbunden ist. Eine Tela submucosa fehlt (Abb. 4.81). Klinik: Die Färbung und Oberflächenbeschaffenheit der Zungenschleimhaut kann sich unter verschiedenen physiologischen (z. B. Farbe der Nahrung) und pathologischen Einflüssen charakteristisch verändern. Eine sog. Himbeerzunge mit hervortretenden roten Papillen ist Merkmal einer Scharlachinfektion. Bei perniziöser Anämie (= Blutarmut bei Vit. B 12 -Mangel) ist die Zunge auffällig glatt, rot, brennend; begleitend kommt es zu Geschmacks- und Sensibilitätsstörungen.
4.13.1.1.2 Zungenmuskulatur Wir unterscheiden äußere Zungenmuskeln und innere Zungenmuskeln. Die äußeren Zungenmuskeln entspringen am Skelett des Schädels,
N. vagus
Ν- glosso pharyngeus
Ν. lingual is und
mukös
Chorda tympani
Ν.
serös
gemischt
Abb. 4.76: a. Motorische (links), sensible und parasympathische (rechts) Innervation der Zunge, (verändert nach H. Rein und M. Schneider), b. Verteilung der verschiedenen Drüsenarten auf der Zunge
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
275
/.:
die inneren in der Zunge selbst. Alle Muskeln enden mit feinen Sehnen an der Aponeurosis linguae und am Septum linguae.
L.: F.:
Äußere Zungenmuskeln (Abb. 4.77, 4.78) 1. M. genioglossus 0 . : an der Spina mentalis des Unterkiefers 1.: Er strahlt in einem sagittal gestellten Fächer in die Zunge ein. L.: N. hypoglossus, A. lingualis F.: Der Muskel senkt den Zungenrücken und zieht den Zungengrund nach vorn. Folglich kann bei seiner Kontraktion die Zunge herausgestreckt werden.
4. M . palatoglossus (s. Gaumenmuskeln, 4.13.4, S. 299)
3. M. hyoglossus O.: am Körper des Zungenbeins sowie am großen (M. ceratoglossus) und kleinen Zungenbeinhorn (M. chondroglossus).
Kap.
Innere Zungenmuskeln 1. M. longitudinalis superior: Die Fasern verlaufen unter der Zungenaponeurose von der Zungenwurzel bis zur Zungenspitze. M. longitudinalis inferior: Er verläuft an der Unterfläche der Zunge.
2. M. styloglossus O.: Er entspringt am Proc. styloideus. f.: Seine Fasern ziehen nach vorn unten in die Zunge ein und verflechten sich mit denen des M. hyoglossus. L.: N. hypoglossus, A. lingualis F.: Bei Muskelkontraktion wird der Zungenkörper zurückgezogen.
Die Muskelfasern betreten von unten hinten den Zungenkörper. N. hypoglossus, A. lingualis Bei Kontraktion der vorderen Muskelfasern wird die Zunge nach hinten gezogen. Bei Gesamtkontraktion des M. hyoglossus wird die Zunge vor allem im hinteren Abschnitt abgeflacht
L.: F.:
N. hypoglossus, A. lingualis Die Longitudinalmuskeln verkürzen die Zunge; bei Kontraktion des M. longitudinalis superior wird der Zungenrücken konkav gekrümmt. Eine Kontraktion des M. longitudinalis inferior bewirkt eine konvexe Krümmung des Zungenrückens.
2. M . transversus linguae: Er zieht vom Zungenrand zum Zungenseptum. Einige Fasem durchtreten das Zungenseptum, um am Zungenrand der Gegenseite anzusetzen.
Facies inferior linguae Glandula lingualis anterior lapicalis] • M. longitudinalis inferior Septum ímguae
TÉF' í.' jen oglossus M palatoglossus
M Hyoglossus (Schnittfläche) - -
-JSjÊfâM ·=-
M constrictor pharyngis superior. Pars g ossopharyngea M. constrictor pharyngis médius
M styloglossus W vyoglossus
Pars ceratopharyngea Pars chondropharyngea
y M hyoglossus Schnittfläche)
••,
X Cornu majus
w I
Corpus ossis hyoidei
Abb. 4.77: Basalansicht der a m Zungenbein befestigten Z u n g e mit Zungen-, Schlund- und kehlkopfmuskeln (nach P. Köpf-Maier)
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
276 Ν auriculotemporal^
A meningea media Chorda tympani A. maxlllaris
Ν. facialis — " Ν alveolarls inferior Ν glossopharyngeus M . styloglossus M. digastricus, Venter posterior M stylohyoïdeus — "
N. hypoglossus '
A. lingualis ' \
A. sublingualis
A. profunda linguae
Abb. 4.78: Nerven und Arterien der Zunge (nach G.-H. Schumacher) L.: N. hypoglossus, A. lingualis F.: Durch Kontraktion der Transversalfasern wird eine Annäherung der Zungenränder und damit eine Zungenstreckung bewirkt. 3. M. verticalis linguae: Die Muskelfasern steigen nahezu senkrecht von der Unterseite der Zunge zur Zungenaponeurose auf. L.: N. hypoglossus, A. lingualis F.: Durch eine teilweise Kontraktion wird eine Rinne im Zungenrücken gebildet, Gesamtverkürzung der Fasern fuhrt zur Abflachung der Zunge.
4.13.1.2 Gefäße und Nerven Arterien A. carotis externa —» A. lingualis Venen V. lingualis —> V. facialis - » V. jugularis interna V. sublingualis —» V. comitans n. hypoglossi V. facialis oder V. jugularis interna Lymphabfluss (Abb. 4.79). Der Lymphabfluss erfolgt in den Truncus jugularis.
Regionale Lymphknoten (Abb. 4.79) Hintere Abflussbahn (Radix linguae): Nil. cervicales profundi superiores, NI. juguloomohyoideus Mittlere Abflussbahn : Nil. cervicales profundi superiores, insbesondere NI. jugulodigastricus Vordere Abflussbahn (Zungenspitze): Nil. submentales, Nil. submandibulares —> Nil. cervicales profundi superiores et inferiores Nerven (Abb. 4.76 a, 78) Schleimhaut /. sensibel: N. mandibularis —» N. lingualis: vordere 2/3 (vor dem Sulcus terminalis) N. glossopharyngeus: hinteres 1/3 (hinter dem Sulcus terminalis) N. vagus —» Ν. laryngeus superior: Übergangsgebiet zur Epiglottis 2. N. N. Ν. N.
sensorisch: intermedius (N. facialis) —> Chorda tympani —> lingualis: Papillae fungiformes glossopharyngeus: Papillae vallatae et foliatae vagus: Übergangsgebiet zur Epiglottis
277
4.13 M u n d h ö h l e , Cavitas oris
sowie die Glandula sublingualis, Unterzungendrüse. Kleine Speicheldrüsen, Glandulae salivariae minores, sind überall in der Schleimhaut der Mundhöhle lokalisiert. Es werden je nach Lage Glandulae labiales, buccales, palatinae, linguales und molares unterschieden (Abb. 4.80).
3. parasympathisch: N. glossopharyngeus, N. vagus —> intramurale Ganglien: Gli. linguales N. facialis (intermedius) —» Chorda tympani —> N. lingualis —» Ganglion submandibulare: Glandula lingualis anterior 4. sympathisch: Ganglion cervicale superius —> Plexus caroticus externus: Zungendrüsen
Klinik: Bei Verschluss eines kleinen Ausfuhrungsganges entwickelt sich eine Sekretretention, die Ranula (Fröschleingeschwulst)
Muskulatur N. hypoglossus
•
Funktionen
4.13.2
•
in der Mundhöhle beginnt die enzymatische Aufspaltung von Stärke durch a-Amy lase des Speichels durch ein weiteres Produkt, Lysozym, wird die Bakterienflora kontrolliert es erfolgt eine immunologische Abwehr durch Bereitstellung von IgA-Sekretkomplexen neben der Schutzfunktion hat der Speichel auch reinigende Funktion in der Mundhöhle er nimmt an der Remineralisierung von Zahnhartsubstanzen teil er trägt zur Schluckbarkeit und Transportfähigkeit der Nahrung bei er ist Lösungsmittel für Geschmacksknospen.
•
Große Kopfspeicheldrüsen, Glandulae salivariae majores
•
Embryologie
Die großen und kleinen Kopfspeicheldrüsen entstehen durch Aussprossungen aus dem Epithel der Mundhöhle und sind mit ihrem Ursprungsort über Ausfuhrungsgänge verbunden.
• • •
Zu den großen Kopfspeicheldrüsen gehören die Glandula parotidea, Ohrspeicheldrüse, die Glandula submandibularis, Unterkieferdrüse,
• •
Zungenrücken
Zungenspitze — Zungenrand
Zahnfleisch
Wange
I
Nil. submandibulares Glandula submandibularis
- * Nil. cervicales V. jugularis interna
Abb. 4.79: Lymphbahnen und regionale Lymphknoten der Zunge, der Unterzungengegend, der Zähne, des Zahnfleisches und der Wange. Die Pfeile geben die Strömungsrichtung an. Schematischer Frontalschnitt in Anlehnung an L. Rouvière
278
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Ihr Hauptausführungsgang ist der Ductus parotideus (Stenon-Gang). Er ist ca. 1 cm vom Arcus Speichel, das Produkt der großen und kleinen zygomaticus entfernt und liegt auf einer Linie, Kopfspeicheldrüsen, wird in einer Menge von ca. welche vom Ansatz des Ohrläppchens am Kopf 1 1 pro Tag produziert. Es ist eine farblose viskose zum Lippenrot der Oberlippe gezogen werden Flüssigkeit, die Wasser, Mukoproteine, Immunglokann. Über den M. masseter hinwegziehend buline, anorganische Ionen, Proteine und sog. Speibiegt der Hauptausführungsgang in die Tiefe ab, chelkörper enthält. Speichel wird kontinuierlich durchdringt den M. buccinator und mündet an der und stimuliert sezerniert. Für die Speichelsekretion Papilla parotidea in das Vestibulum oris gegenüber haben mechanische, chemische, olfaktorische und dem 2. oberen Molaren. Entlang des Ductus parotipsychische Reize stimulierende Bedeutung. deus kann sich Drüsengewebe der Parotis befinden. Dieses wird als Glandula parotidea accessoria bezeichnet. 4.13.2.1 Ohrspeicheldrüse, •
Speichel
Glandula parotidea
• Lage, Aufbau Die Ohrspeicheldrüse ist die größte der 3 Kopfspeicheldrüsen und liegt in der Regio parotideomasseterica. Der vordere Abschnitt liegt auf dem M. masseter, der Oberrand ist fingerbreit vom Arcus zygomaticus entfernt, hinten grenzt die Ohrspeicheldrüse an den äußeren Gehörgang, den Tragus, Processus mastoideus und den oberen Abschnitt des M. sternocleidomastoideus. Der Hauptteil der Drüse liegt hinter dem Ramus mandibulae und erreicht die Innenfläche des M. pterygoideus medialis sowie die vom Proc. styloideus entspringenden Muskeln.
Der Lotus colli ist von lockerem Bindegewebe überzogen, dem die Lamina superficialis der Fascia colli und das Platysma aufgelagert sind. Unter dem im Halsbereich gelegenen Lappen liegen der M. stylohyoideus und der Venter posterior des M. digastricus. Dem oberen Teil der Drüse liegt die derbe Fascia parotideomasseterica auf. Diese schickt feine Septen in das Innere des Organs, so dass sich die Parotis nicht aus ihrem Drüsenlager herausschälen lässt. Am M. masseter und M. sternocleidomastoideus heftet sie ebenfalls fest an. Die Glandula parotidea wird im retromandibulären Bereich von der A. carotis externa, der V. retro-
G l a n d u l a parotidea a c c e s s o r i a \
Ductus parer deus
\
G l a n d u l a parotidea
I
_
- Glandulae m o l a r e s
— G l a n d u l a e labiales M. masseter
— " - Glandulae b u c c a l e s
Glandula lingual is anterior
M . mylohyoideus Ductus s u b l i n g u a l e s minores
^ Glandula sublingualis
Glandula submandibularis Ductus submandibularis
Abb. 4.80: Kopfspeicheldrüsen (nach G.-H. Schumacher)
279
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
mandibularis, dem Ν. auriculotemporalis und dem Stamm des N. facialis durchsetzt. Im vorderen Teil der Drüse liegen der Plexus parotideus des N. facialis, die A. transversa fasciei und der Ductus parotideus. Die Glandula parotidea wird im Bereich des Plexus parotideus in eine Pars superficialis und eine Pars profunda geteilt.
Sympathisch: Ganglion cervicale Plexus caroticus externus
•
Die Unterkieferdrüse liegt im Trigonum submandibulare. Oben ist die Drüse von der Lamina superficialis der Fascia colli bedeckt. In der Tiefe liegt sie einer Bindegewebs Verdichtung an, welche die an der Mandíbula befestigten Muskeln überzieht.
Histologie. Die Glandula parotidea ist eine rein seröse Drüse. In den Drüsenläppchen, intralobulär, findet man neben Endstücken Schalt- und Streifenstücke. Die größeren Ausführungsgänge liegen interlobulär. Im Bindegewebe liegen Nerven sowie Blut- und Lymphgefäße. Gelegentlich findet man Ansammlungen von Lymphozyten und Plasmazellen. Das Vorkommen von Fettzellen ist normal. Klinik: 1. Die Beziehungen zu den Gefäßen und Nerven erschweren das vollständige Ausräumen der Drüse. Da die Fazialisäste radiär die Drüse durchsetzen, wird man bei der Spaltung der Drüse den Schnitt radiär anlegen, um möglichst viele Äste zu schonen. 2. Eine akute Parotitis (Mumps, virale Infektion) geht mit Schwellungen einher und löst, besonders beim Öffnen des Mundes, an der derben Kapsel ein schmerzhaftes Spannungsgefühl aus, weil die Drüse in ihrer bindegewebigen Loge keine Ausdehnungsmöglichkeit hat. Eiterungen können in den äußeren Gehörgang durchbrechen oder einen Weg in das Spatium parapharyngeum suchen.
•
Gefäße und Nerven
Arterien. A. carotis externa —> A. temporalis superficialis —> Rr. parotidei Venen. Vv. parotideae —> Plexus pterygoideus; Rr. parotidei —> V. facialis Regionale Lymphknoten. Nil. parotidei superficiales et profundi —» Nil. cervicales laterales (Nil. profundi, superiores) —> Truncus jugularis Nerven. Parasympathisch (sekretorisch), Abb. 4.82: N. glossopharyngeus —> N. tympanicus —» N. petrosus minor —> Ganglion oticum —> N. auriculotemporalis —» R. communicans n. facialis —> N. facialis Jakobson-Anastomose: Verbindung des N. glossopharyngeus mit dem Ganglion oticum
superius —»
4.13.2.2 Unterkieferdrüse, Glandula submandibulars •
Lage, Aufbau
Der untere Abschnitt der Drüse überschreitet in der Regel die Grenzen des Trigonum submandibulare. Er überlagert das große Zungenbeinhorn und den Venter posterior des M. digastricus. Nach hinten reicht die Drüse bis zum Halsteil der Glandula parotidea, von welchem sie nur durch eine Verstärkung der Lamina superficialis der Fasia colli getrennt ist. Zwischen Hinterrand des M. mylohyoideus und dem M. hyoglossus befindet sich ein Spalt, durch welchen die Regio submandibularis mit der Regio sublingualis verbunden ist. Durch diesen erreicht ein Fortsatz der Drüse zusammen mit ihrem Ausführungsgang, Ductus submandibularis (WhartonGang), die Regio sublingualis und lagert sich dem hinteren Bereich der Glandula sublingualis an. Der Ductus submandibularis liegt im Drüsengewebe des kranialen Fortsatzes der Glandula submandibularis. Er verläuft an der kranialen Fläche des Diaphragma oris, medial von der Glandula sublingualis zur Caruncula sublingualis. Gemeinsam mit dem Drüsenausführungsgang ziehen der N. lingualis sowie A. et V. sublingualis nach vorn. Dabei liegt der N. lingualis zunächst lateral vom Ductus submandibularis, zieht dann unter dem Ductus herum nach medial, um sich fächerförmig in der Zunge aufzuzweigen. •
Histologie. Die Glandula submandibularis ist eine seromuköse Drüse mit intralobulär gelegenen End-, Schalt- und Streifenstücken und größeren interlobulären Ausführungsgängen. Sie liefert den größten Teil des Mundspeichels. Klinik: Speichelsteine, Sialolithen, die aus Kalziumphosphat oder -karbonat bestehen, entstehen vermutlich durch Dyschylie, ausgelöst durch Speichelelektrolytverschiebung, Viskositätsveränderungen und Schleimobstruktion.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
280 • Gefäße und Nerven Arterien. A. carotis externa —> Aa. facialis et lingualis —» Rr. glandulares
genioglossus und hyoglossus. Das vordere Ende der Glandula sublingualis liegt der Innenseite der Mandíbula, das hintere der Glandula submandibularis an.
Venen. V. submentalis —» V. facialis —> V. jugularis Mehrere kleinere Ausführungsgänge, Ductus interna sublinguales minores, münden entlang der Plica Regionale Lymphknoten. Nil. submandibulares sublingualis. Neben den kleinen Ausführungsgängen gibt es gelegentlich einen großen Ausführungs—> Nil. profundi superiores —> Truncus jugularis gang, Ductus sublingualis major (Bartholin-Gang), Nerven. Parasympathisch (sekretorisch), Abb. welcher eigenständig oder gemeinsam mit dem 4.82: N. facialis (N. intermedius) —» Chorda tymDuctus submandibulars auf der Caruncula sublinpani —» N. lingualis —> Rr. ganglionares —» Ganggualis mündet (Abb. 4.81). lion submandibulare —» efferente Fasern zur Drüse • Histologie. Die Glandula sublingualis ist eine Sympathisch: Ganglion cervicale superius —» mukoseröse Drüse mit überwiegend mukösen Plexus caroticus externus Endstücken. End-, Schalt und Streifenstücke liegen intra-, größere Ausfuhrungsgänge interlobulär. Die Anzahl der Schaltstücke ist im 4.13.2.3 Unterzungendrüse, Vergleich zur Glandula parotidea sehr stark Glandula sublingualis reduziert. Häufig liegen die serösen Endstücke • Lage, Aufbau in Form v. Ebner-Halbmonde den mukösen auf. Die Glandula sublingualis liegt in der Regio sub• Gefäße und Nerven lingualis (Abb. 4.81) auf dem M. mylohyoideus unmittelbar unter der Schleimhaut des Mundbo- Arterien. A. carotis externa —» A. lingualis —» dens, wo sie die Plica sublingualis aufwirft. Medial A. sublingualis grenzt die Drüse an die Mm. geniohyoideus,
Glandula lingualis anterior
A. profunda linguae
Plica fimbriata
V profunda linguae Ν. lingualis
Frenulum linguae
Ductus submandibulars Plica sublingualis
Glandula sublingualis mit
Caruncula sublingualis
Ductus sublinguales minores
Abb. 4.81: Regio sublingualis bei hochgeschlagener Zunge. An der rechten Seite wurde die Schleimhaut entfernt
281
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Ν petrosus minor
Ganglion trigeminale
N. petrosus major
'I
Ganglion geniculi
N. tensoris veli palatini
N. facialis Chorda tvmpani
Ν tensoris tympan Ν auriculotemporal^ R. communlcans cum it auriculotemporal! Ganglion otlcum Ν lingualis N. alveolaris inferior
Ganglion submandibulare —
Chorda tympani Ν tensoris tympani R. communicans cum
Ν petrosus minor
\
N. auriculotemporalis
η auriculotemporal
R communicans cum ramo meningeo
A. meningea
Ν tensoris veli palatini
media mit
R. communicans cum
Plexus caroticus externus
chorda tympani Ν lingualis
A facialis R sympathicus ad ganglion submandibulare Rr. glandulares
Corda tympani Ν. alveolaris inferior —
—
Abb. 4.82: Überblick über die Innervation der großen Kopfspeicheldrüsen (nach G.-Η. Schumacher), a. lopografie des Ganglion oticum und submandibulare. Die dunkel eingefassten Bereiche sind in b und c vergrößert schematisch dargestellt, b. Ganglion oticum. c. Ganglion submandibulare
Venen. V. sublingualis —> V. lingualis —» V. jugularis interna Regionale Lymphknoten: Nodi submandibulares —> Nodi profundi superiores —> Truncus jugularis Innervation Parasympathisch (,sekretorisch), Abb. 4.82: N. facialis (N. intermedius) Chorda tympani —» N. lingualis -> Rr. ganglionares —> Ganglion submandibulare - efferente Fasern zur Drüse Sympathisch'. Ganglion cervicale Plexus caroticus externus
superius —>
4.13.3 Zähne, Dentes und Zahnhalteapparat, Parodontium Bei den meisten Säugetieren und beim Menschen fuhrt die verschiedenartige Ernährungsweise zur Spezialisierung einzelner Zahngruppen des Gebisses, so dass sich die Zähne deutlich voneinander unterscheiden (Heterodontie). Weiterhin ist das menschliche Gebiss diphyodont, d. h. die erste Garnitur, das Milchgebiss (Dentes decidui), wird durch eine zweite Garnitur, das Dauergebiss (Dentes permanentes) ersetzt. Es findet nur ein Zahnwechsel statt. Unter den Zähnen des Dauergebisses unterscheidet man
282
solche die an Stelle der herausgefallenen Milchzähne durchtreten (Ersatzzähne: Schneide- bzw. Eckzähne und Prämolaren) und solche, die im Milchgebiss keine Vorläufer haben (Zuwachszähne: Molaren).
4.13.3.1 Embryologie Lernziele: Entstehung von Schmelz, Denthin, Zement, der Pulpa, des Parodontiums Material für die Zahnentwicklung entstammt dem Mundbuchtektoderm (Schmelz), Kopfmesektoderm (Dentin, Zahnzement, Zahnpulpa, dentogingivaler Faserapparat) sowie der Neuralleiste (Zahnpapille, Zahnsäckchen). •
Epithel-, Zahnleiste, Zahnknospe
Epithel und Zahnleiste. In der 5. Woche senkt sich dentogenes Epithel in Form einer Epithelleiste (Labio-Gingival-Leiste) in das Mesenchym der Ober- und Unterkieferanlagen ein (Abb. 4.83). An der lingualen Seite der Epithelleiste proliferiert in der 5. bis 6. Woche die Zahnleiste (Dentalleiste) als duchgehende, bandförmige Struktur, welche der Ausgangspunkt für die Zahnentwickung ist (Abb. 4.84 a). Zahnknospen. Am bukkalen Rand der Leiste entwickeln sich beiderseits im Ober- und Unterkieferbereich je 10 relativ kompakte kolbenförmige Zahnknospen für die späteren Milchzähne (rundliche oder ovale Gestalt) (Abb. 4.84 b). Bevor die Zahnleiste aufgelöst wird, entsteht an einer nach lingual bzw. palatinal gerichteten Ausstülpung der Zahnleiste eine Ersatzzahnleiste. Aus dieser entwickeln sich etwa in der 10. Woche ebenfalls durch Zellproliferation Knospen, die Anlagen der permanenten Ersatzzähne (je 10 im Ober- und Unterkiefer). Diese Anlagen bleiben allerdings zunächst neben den fertigen Milchzähnen in einem mesodermalen Säckchen liegen (Abb. 4.84 c). Zuwachszähne. Sie entstehen aus der nach hinten weiter wachsenden Zahnleiste (je 6 Anlagen) und haben keine Milchmolarenvorläufer. •
Zahnbestandteile
Schmelz. Das die Zahnknospen umgebende Mesenchym verdichtet sich insbesondere unter
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
der Basis und stülpt sich in diese hinein. Damit entsteht über ein Kappenstadium ein glockenförmiges Schmelzorgan, Zahnglocke, die nur noch eine dünne stielartige Verbindung mit der Zahnleiste hat (Abb. 4.84 d). Zahnglocke. Sie besteht aus einem äußeren (abgeplattete Zellen) und inneren (prismatische Zellen) Schmelzepithel. Die beiden Epithelschichten schließen zwischen sich die Schmelzpulpa ein (Abb. 4.83). Inneres Schmelzepithel. Die Zellen differenzieren zu Ameloblasten (früher Adamantoblasten = Schmelzbildner). Aus jedem Ameloblasten entsteht ein Schmelzprisma, welches an das darunterliegende Dentin angelagert wird (Abb. 4.85). Zuerst wird die organische Schmelzmatrix für die Prismen gebildet, danach erfolgt die Mineralisation durch Einlagerung von Apatit-Kristallen. Die Schmelzbildung erfolgt zunächst im Bereich der Höcker und Schneidekanten und breitet sich dann gegen den Zahnhals aus. Bei den mehrhöckerigen Seitenzähnen treffen die Mineralisationsprozesse aufeinander und bilden die Fissuren. Die präeruptive Schmelzreifung wird nach dem Zahndurchbruch durch die posteruptive Schmelzreifung mit Speichelmineralien vervollständigt. Schmelzpulpa und äußeres Schmelzepithel dienen unter anderem der der Versorgung der Ameloblasten, wobei das äußere Schmelzepithel in sehr inniger Beziehungen zu Kapillaren des umgebenden Zahnsäckchens steht. Mit der Ausreifung der Zahnkrone wird die Schmelzpulpa fortlaufend reduziert und schließlich aufgebraucht. Nach der Schmelzbildung bilden die Ameloblasten das primäre Schmelzoberhäutchen und gehen zugrunde. Eine weiter Schmelzbildung ist damit zeitlebens nicht mehr möglich. Dentin. Das eingestülpte und von der Zahnglocke umgebene Mesenchym ist die Zahnpapille (Abb. 4.85). Das innere Schmelzepithel induziert an den oberflächlich gelegenen Zellen der Zahnpapille eine Differenzierung in Odontoblasten, Zahnbeinbildner. Die Dentinbildung setzt etwas früher als die Schmelzentwicklung ein (14. Woche, s. Tab. 4.2). Zuerst wird eine unverkalkte Grundsubstanz mit Fibrillen (Prädentin) an das innere Schmelzeptihel angelagert, die fortlaufend mineralisiert wird. Dabei lässt jeder Odontoblast im Dentin einen (im Gegensatz zum Knochen!) radiär angeordneten
283
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Zahnleiste mit Zahnknospe
Mundhöhle ~
Zunge
• Mundhöhlenepiihel
- Zahnglocke
äußeres Schmelzepithel
Schmelzpulpa
Zahnsäckchen
Schmelzorgan
Epithelreste
—
- Schmelzorgan
inneres " Schmelzepithel
_
Zahnpapille
Anlage eines Ersatzzahnes
Abb. 4.83: Zahnentwicklung. Entwicklungsstufen zur Bildung des glockenförmigen Schmelzorgans
Abb. 4.84: Zahnentwicklung (nach W. Meyer) a. Zahnleiste (Z) im Unterkiefer. Mu Mundhöhlenepithel, b. Zahnleiste des Oberkiefers mit 10 Anlagen für die Milchzähne, c. Zahnleiste des Oberkiefers. Die Anlagen sind zu Glocken ausgewachsen und haben sich von der Zahnleiste abgesetzt, d. Modelle vom Keim des unteren seitlichen Schneidezahnes eines Feten von 12,5 c m Länge (4. Monat). Die Ersatzzahnleiste (E) schiebt sich nach lingual. In der Vorhofsleiste (links) ist ein Spalt aufgetreten
284
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Tabelle 4.2: Mineralisation und Durchbruch der bleibenden Zähne (mod. nach B. Schroeder 1987) Zahn zentrale Inzisivi
Mineralisationsdauer (postnatal)
Durchbruchsalter
Unterkiefer
Unterkiefer
Oberkiefer 3. Monat bis 5. Lebensjahr
Oberkiefer
6-7 Jahre
7 Jahre
laterale Inzisivi
11. Monat bis 6. Lebensjahr
3. Monat bis 6. Lebensjahr
7 Jahre
8 Jahre
Canini
4. Monat bis 5. Lebensjahr
4. Monat bis 6. Lebensjahr
9-10 Jahre
11-12 Jahre
1. Prämolar
18. Monat bis 7. Lebensjahr
10Jahre
10Jahre
2. Prämolar
24. Monat bis 7. Lebensjahr
11 Jahre
11 Jahre
1.Molar
Geburt bis 4. Lebensjahr
2. Molar
30. Monat bis 7. Lebensjahr
3. Molar
7. bis 13. Lebensjahr
Zellfortsatz (Odontoblastenfortsatz, Tomes-Faser) zurück, der sich verzweigt und Kontakt mit den benachbarten Odontoblastenfortsätzen aufnimmt. Im Gegensatz zu den Ameloblasten bleiben die Odontoblasten als äußere Zellschicht der Pulpa erhalten. Sie produzieren zeitlebens mit geringer Aktivität Sekundärdentin, und sind in der Lage auf einen Reiz (Karies) ihre Aktivität zu erhöhen. Pulpahöhle, Zahnpulpa. Die Pulpa geht aus den übrigen Bestandteilen der Zahnpapille hervor, deren Mesenchymzellen sich zu Fibroblasten weiter differenzieren. Weiterhin senken sich Arterien- und Nervenäste in das Papillengewebe ein. Letztere bilden Plexus. Mit der Dentinbildung wird die Pulpahöhle immer mehr eingeengt, so dass die topographische Gliederung der Pulpahöhle resultiert: Kronenpulpa, Cavitas coronalis, Wurzelkanal (bzw. Wurzelkanäle), Canalis radicis dentis. • Zahnwurzel, Zahnzement, Parodontium Die Zahnwurzelbildung beginnt, wenn Schmelz und Dentin im Kronenbereich im wesentlichen entwickelt sind. Sie vollzieht sich entlang der epithelialen Wurzelscheide (Hertwig-Scheide). Diese ist durch fehlende Schmelzpulpa im Bereich des späteren Zahnhalses gekennzeichnet. Äußeres und inneres Schmelzepithel liegen aneinander (Abb. 4.85). Diese Scheide hat auf das Bindegewebe der Zahnpapille induzierende Wirkung, sie regt die Bildung und Formierung von Odontoblasten an. Außerdem bestimmt sie die Form der Zahnwurzel. Wurzeldentin wird durch die Odontoblasten produzieret, die dabei entstehende Pulpahöhle wird würzelspitzenwärts immer mehr eingeengt, so dass letztlich nur noch ein oder mehrere kleine Kanäl-
6 Jahre
6 Jahre
12 Jahre
12 Jahre 16-30 Jahre
chen für den Ein- und Austritt von Gefäßen und Nerven vorhanden sind. Die Zahnwurzelbildung steht im engen Zusammenhang mit den Zahndurchbruchsbewegungen. Zementoblasten. Die epitheliale Wurzelscheide geht zugrunde. Damit kommen die Mesenchymzellen des Zahnsäckchens in Kontakt mit dem Wurzeldentin —> Bildung von Zementoblasten (den Osteoblasten ähnlich) wird induziert. Präzement wird in den Zementoblasten produziert, es wird schubweise mineralisiert, Zellfortsätze werden in das Zahnzement eingeschlossen. Zementogenese. Sie beginnt am Zahnhals und schreitet apikal weiter. Es kann zellfreies und zellhaltiges Zement gebildet werden. Zellhaltiges Zement findet sich vor allem an mehrwurzeligen Zähnen. Die eingeschlossenen Zementozyten sind mit Osteozyten vergleichbar. Parodontium. Das das Schmelzorgan umgebende Mesenchym verdichtet sich zum Zahnsäckchen. Im Bereich des Zahnhalses und der Zahnwurzel wird es zum Parodontium. Zum Beginn der Entwicklung existieren 3 Schichten: 1. Zell-, gefäßreiche Schicht —» Zahnzement 2. Mittlere, lockere Schicht —» Sharpey-Fasern, —» Desmodont, —» dentoalveolärer Faserapparat. 3. Äußere, dichtere fibrillenreiche Schicht —> Alveolenwand. Die Sharpey-Fasern werden in den Alveolenknochen und in das Zement eingebaut. Zunächst entsteht ein primitiver Halteapparat, der unter Kaubelastung umgeformt wird. Die Gingiva entsteht aus dem Ektoderm und dem Mesektoderm der Mundhöhle.
285
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Anneloblasten
Schmelzpulpa " ¡Reste!
__ — —
— Ameloblasten
Odontoblasten
Schmelzmatrix
äußeres Schmelz-" epithel
x
Prädentin Odontoblasten
Abb. 4.85: Zur Entstehung der Zahnhartgewebe
Klinik: 1. Hypodontie ist die Unterzahl von Zahnanlagen, meist 3. bleibenden Molaren, laterale, obere Schneidezähne und 2. untere Prämolaren. 2. Hyperdontie ist die Überzahl von Zahnanlagen, meist 4. bleibenden Molaren oder zentrale obere Schneidezähne (Mesiodens). 3. Zwillingsbildungen, Denies geminati, entstehen durch Spaltung einer Zahnanlage. 4. Zahnanlagen können z. B. in den Gaumen oder die Kieferhöhle verlagert sein und ektopisch oder gar nicht durchbrechen (Retention). 5. Die Schmelzbildung bei mehrhöckerigen Zähnen bricht in den Fissuren ab. Die dabei entstehenden Unregelmäßigkeiten sind ein idealer Ausgangspunkt zur Kariesentstehung. 6. Beim Verschmelzen von 2 oder mehreren Zahnanlagen, spricht man von Denies confusi: Kronen oder Wurzeln sind vollständig oder partiell miteinander vereinigt. 7. Durch Verwachsung der Zahnwurzel entstehen Mehrfachbildungen, Denies concreti. 8. Zahnschmelzausläufer, -leisten, -inseln haben z. B. eine Bedeutung bei der Entstehung von Parodontalerkrankungen. 9. Zwischen den dentoalveolären Fasern können sich Reste der epithelialen Wurzelscheide in Form von epitheloiden Zellhaufen (Malassez-Körperchen) befinden. Aus ihnen sind
Zystenbildungen möglich. 10. Als Schmelzbildungsstörungen sind autosomal dominate oder rezesssive Formen der Amelogenesis imperfecta bekannt, die in mangelnder Schmelzreifung und/oder Hypomineralisation bestehen. 11. Bei der Dentinogenesis imperfecta liegen ebenfalls mangelnde Ausreifung und/oder Hypomineralisation vor, die zu einem Abplatzen des darüber liegenden Schmelzes und einer raschen Abrasion der Zahnkrone fuhren.
4.13.3.2 Funktion und Aufbau des Gebisses Lernziele: Funktion des Gebisses, Gebissschema, Zahnformel, Zahndurchbruch, Mineralisation 4.13.3.2.1 Funktion des Gebisses • Abbeißen und Zerkleinerung der Nahrung • Sensor, zusammen mit dem Zahnhalteapparat beim Kauen • Sprachformung, verloren gegangene Frontzähne reduzieren die Klarheit der Sprache
286
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
In der phylogenetischen Entwicklung auch als Waffe und Werkzeug.
4.13.3.2.2 Aufbau des Gebisses • Gebissschema. Neben der Trennung in Oberund Unterkieferbezahnung wird das Gebiss in je eine spiegelsymmetrische rechte und linke Kieferhälfte eingeteilt. Daraus ergibt sich ein Gebissschema mit 4 Quadranten, in denen sich ζ. B. im bleibenden Gebiss jeweils 8 Zähne befinden: links Oberkiefer
I.Quadrant
2. Quadrant
87654321
12345678
Oberkiefer
rechts
1 2 3 4 5 6 7 8
Unterkiefer
rechts
links Unterkiefer 8 7 6 5 4 3 2 1 4. Quadrant
3. Quadrant
Eine Weiterentwicklung dieses Schemas wurde von der Fédération dentaire internationale (F.D.I.) empfohlen, und hat sich weltweit durchgesetzt. Dabei wird vor die Nummer eines jeden Zahnes noch die Quadrantennummer gesetzt. Beim Milchgebiss werden die Quadranten mit den Ziffern 5, 6, 7 und 8 gekennzeichnet. Dauergebiss 18 17 16 15 14 1 3 1 2 1 1
21 22 23 24 25 26 27 28
48 47 46 45 44 43 42 41
31 32 33 34 35 36 37 38
Milchgebiss 55 54 53 52 51
61 62 63 64 65
85 84 83 82 81
71 72 73 74 75
Gelesen und gesprochen wird jede einzelne Ziffer, z. B. Zahn 11 (sprich: eins-eins) = bleibender, mittlerer, oberer, rechter Schneidezahn; Zahn 85 (sprich: acht-fiinf) = zweiter, rechter, unterer Milchmolar. Zahnformel. Das Gebissschema kann wegen der bilateralen Symmetrie zur Zahnformel verkürzt werden, die eine schnelle Übersicht über die Anzahl und Art (Inzisivi, Canini, Prämolaren, Molaren) der Zähne geben soll. Für jede Art steht der Anfangsbuchstabe ihres lateinischen Namens, beim Milchgebiss noch zusätzlich d (deciduus). Zahnformel des Milchgebisses: Id2
Cd1
Md2
Id2
Cd1
Md2
Zahnformel des bleibenden Gebisses: I2
C1
P2
M3
I2
C1
P2
M3
• Milchgebiss. Das Milchgebiss besteht, wie aus der Zahnformel ersichtlich, aus 20 Zähnen, also je 5 Milchzähnen in jedem Quadranten: • • •
2 Dentes incisivi, Schneidezähne, 1 Dens caninus, Eckzahn 2 Dentes molares, Milchmolaren.
Durchbruch des Milchgebisses. Zwischen dem 6. Monat und 2 Vi Jahren brechen die Milchzähne durch (Tab. 4.2), Unterkieferzähne im Allgemeinen vor den entsprechenden Zähnen des Oberkiefers. Beim Zeitpunkt des Zahndurchbruches bestehen enorme indiviuelle Variationen („Frühzahner", „Spätzahner"). Am Ende dieser Zeit stehen die Kronen der Zähne in Okklusion, das Wachstum der Zahnwurzeln ist aber erst nach 2-3 Jahren abgeschlossen. • Dauergebiss. Das Dauergebiss besteht aus 32 Zähnen. Jeder Quadrant hat • • • •
2 Schneidezähne, Dentes incisivi 1 Eckzahn, Dens caninus 2 kleine Backenzähne, Dentes praemolares 3 große Backenzähne, Dentes molares.
Der 3. Molar („Weisheitszahn", Dens sapientiae) ist z. T. nicht angelegt. Selten kommt es noch zur Ausbildung eines 4. Molares. Die bleibenden Zähne gleichen in der Form den Milchzähnen. Lediglich die Prämolaren, die die Milchmolaren ersetzten, haben keine Entsprechung im Milchgebiss. Durchbruch des Dauergebisses. Als erstes bricht der sogenannte 6-Jahres-Molar (1. permanenter Molar) als Zuwachszahn distal der Milchzahnreihe durch. In der sich anschließenden Wechselgebissphase (6.-12. Lebensjahr, Abb. 4.86) gehen die Milchzähne durch Resorption verloren und werden durch bleibende Zähne ersetzt (Tab. 4.2). Abschließend brechen noch der 2. und 3. Molar durch. Klinik: 1. Bei Kleinkindern (bis 3 Jahre) liegen die Anlagen der bleibenden Oberkieferfrontzähne dorso-palatinal der Milchzähne; ein Intrusionstrauma verletzt die bleibenden Zahnkeime selten. Mit der Resorption der
287
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
J
Abb. 4.86: Gebiss eines 6-jährigen Kindes von rechts. Milchgebiss und 1. oberer und unterer Molar sind vollständig durchgebrochen. Die übrigen bleibenden Zähne sind im Kiefer freigelegt
Milchwurzel wandert der bleibende Oberkieferfrontzahn unter den Milchzahn, so dass ein Intrusionstrauma den bleibenden Zahn bei 4- bis 6-jährigen Kindern häufiger schädigt. 2. Vorzeitiger, nicht versorgter Verlust von Milchmolaren fuhrt zur Mesialwanderung der ersten bleibenden Molaren und oft zu einem symptomatischen Engstand bei den Ersatzzähnen. 3. Platzmangel für die bleibende Dentition kann zu einem ektopischen Durchbruch (Eckzahnhochstand) oder Retention von bleibenden Zähne (2. Prämolar, oberer Eckzahn, 3. Molar) fuhren.
4.13.3.3 Makroskopischer Aufbau des Zahnes Lernzieie: Zahnbestandteile, Anordnung, Hartsubstanzen An jedem Zahn kann unterschieden werden (Abb. 4.87) 1. Zahnkrone, Corona dentis,
/
/
/
/
ι
/ M2
Canalis mandibulae
2. Zahnhals, Collum dentis, 3. Zahnwurzel, Radix dentis mit 4. Wurzelspitze, Apex dentis, 5. Zahnhöhle, Cavitas dentis, mit 6. Zahnpulpa, Pulpa dentis. Jeder Zahn besteht aus den
Hartsubstanzen:
1. Schmelz, Zahnschmelz, Substantia adamantina, Enamelum, 2. Zahnbein, Substantia eburnea, Dentinum, Dentin, 3. Zement, Cementum. Anordnung. Bei jungen Menschen ragt nur die mit dem Schmelz überzogene Krone in die Mundhöhle. Die Wurzel steckt in einer Vertiefung des Oberoder Unterkieferknochens, der Zahnalveole (Alveolus dentalis) und wird vom Zement umgeben. Am schmalen Zahnhals stoßen Schmelz und Zement zusammen. Mit zunehmendem Alter, insbesondere bei chronischen Entzündungen, kommt es zum Zahnfleischrückgang, so dass erst der Zahnhals mit der Schmelz-Zement-Grenze und anschließend Wurzelanteile freiliegen.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
288
Corona
Schmelz Schmelz-Dentis-Grenze Kronen pulpa
—
dentis
Dentin -
Sulcus gingivae
Collum dentis
—
Schmelz-ZementGrenze Gingiva
~ 'Desmodontalspalt Wurzel-
Desmodontale fasern
Radix
(Sharpey-Fasern)
dentis
pulpa
AlveolarKnochen ~
Zement
Apex dentis
Abb. 4.87: Zahn im Längsschnitt mit den Zahnhartgeweben Schmelz, Dentin und Zement sowie die Pulpa und die Bindegewebefasern des Desmodonts
Dentin befindet sich sowohl unter dem Schmelz als auch unter dem Zement und es umschließt die Pulpahöhle. Diese setzt sich in den Wurzelkanal (Canalis radicis dentis) fort und endet in der Wurzelspitze mit einer Öffunung (Foramen apicale) für die arterielle und venöse Versorgung (s. Desmodont, Gefäße, Lymphgefäße, Nerven) sowie die Innervation. Die Innervation der Oberkieferzähne erfolgt über die Rami alveolares superiores posteriores bzw. anteriores des N. maxillaris, die der Unterkieferzähne über den N. alveolaris inferior/ N. trigemininus. In der Pulpahöhle sind Gefäße und Nerven in lockeres Bindegewebe eingebettet und bilden Plexus.
4.13.3.4 Mikroskopischer Aufbau des Zahnes Lernziele: Feinbau von Schmelz, Denthin, Zement, Pulpa, Besonderheiten, Funktion • Schmelz, Enamelum, Substantia adamantina Schmelz ist die härteste Substanz des Körpers. Er ist gänzlich frei von Zellen und Zellausläufern und weist damit auch keinen Stoffwechsel aus. Schmelz besteht zu 97 % aus Hydroxyl-Apatit, einem Kal-
zium-Phosphor-Mineral mit Spuren von Natrium, Kalium, Magnesium, Chlor und Fluor. An den Inizisalkanten und Höckern ist der Schmelzmantel am stärksten, und er nimmt zum Zahnhals hin ab. Unter pH 5,5, was durch bakterielle Säuren (Plaque) oder Fruchtsäuren erreicht wird, geht Zahnschmelz in Lösung und demineralisiert (Karies bzw. Erosion). Initiale Läsionen können aber auch remineralisiert werden. Histologisch lassen sich unterscheiden: • • •
Schmelzprismen Interprismatische Substanz Spezifische Strukturen.
1. Schmelzprismen (Abb. 4.88), ca. 5 μηι im Querschnitt, durchziehen nahezu die Breite der Schmelzschicht von der Schmelz-Dentin-Grenze bis zur Schmelzoberfläche. Sie stehen radiär zueinander und verlaufen büschelweise in Schraubentouren. So wechseln im Schliff längs getroffene Prismen (dunkle = Parazonieri) und quer getroffene Prismen (helle = Diazonien). Schmelzprismen sind vielkantig, im Querschnitt haben sie Arkadenform. Wir unterscheiden den Schlüssellochtyp und den Pferdehuftyp. Ihr Durch-
289
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Schmelzlamellen stellen radiär durch die gesamte Schmelzschicht verlaufende Sprünge oder durchgehende büschelartige Gebilde dar (Abb. 4.88). Sie folgen nicht dem Verlauf der Schmelzprismen und sind schwächer mineralisiert. a
mfaûttua d Abb. 4.88: Strukturen des Schmelzes, a. Schmelzprismen. b. Schreger-Hunter-Streifung. c. Retzius-Linien. d. Schmelzlamellen, e. Schmelzbüschel, f. Schmelzkolben bzw. -spindein (verändert nach G.-H. Schumacher)
messer ist von der inneren zur äußeren Schmelzoberfläche annähernd konstant. 2. Interprismatische Substanz ist eine mineralisierte Substanz, welche die Prismen verbindet. 3. Apatitkristalle, die die Form hexagonaler Stäbe haben, sind mit ihren Längsachsen nahezu parallel zum Prismenverlauf angeordnet. Durch Übergreifen von Kristallen in benachbarte Schmelzprismen kommt es zur Verzahnung der Prismen untereinander. 4. Schreger-Hunter-Streifung im Längsschliff ist eine Hell-Dunkel-Streifung, welche auf Interferenz beruht und durch die Kreuzung und Krümmung von benachbarten Prismengruppen, ζ. B. durch mehrfach bogenförmig ausgelenkte Prismen, verursacht wird (Abb. 4.88). 5. Retzius-Linien sind im Querschliff auftretende, bräunliche Streifen, die parallel zur SchmelzDentin-Grenze verlaufen (Abb. 4.88). Sie entstehen durch rhythmische, wachstumsbedingte Kalkablagerungen mit unterschiedlicher Mineralisation. Bei Zähnen, die um den Zeitpunkt der Geburt mineralisieren, kann zusätzlich die Neonatallinie als Wachstumsunregelmäßigkeit festgestellt werden. Plötzliche Änderungen in der Verlaufsrichtung der Schmelzprismen unterstützen diesen optischen Effekt.
Schmelzbüschel sind hypomineralisierte, faserund blattartige Strukturen (Abb. 4.88). Sie verlaufen von der an der Schmelz-Dentin-Grenze eine kurze Strecke in den Schmelz. Schmelzkolben bzw. -spindein sind Dentinkanälchen, welche mit kolbenförmigen Erweiterungen in den Schmelz hineinreichen (Abb. 8). Sie können Odontoblastenfortsätze enthalten. Schmelzoberhäutchen (SOH), Cutícula dentis, kein prismatischer Bau. Man unterscheidet in Abhängigkeit vom Alter primäres, sekundäres und tertiäres SOH. 1. Primäres SOH (Nasmyth-Membran) entsteht präeruptiv als kutikuläre Ausscheidung der Ameloblasten in der letzten Phase der Schmelzbildung. 2. Sekundäres SOH entsteht während des Zahndurchbruchs als Kutikularbildung der Epithelzellen. 3. Tertiäres SOH (Pellicel) wird posteruptiv durch Adsorption von Speichelbestandteilen gebildet. • Zahnbein, Substantia eburnea, Dentin Dentin bildet den Hauptanteil des Zahnes und umgibt die Pulpahöhle sowie den Wurzelkanal. Demnach unterscheidet man: • •
Kronendentin Wurzeldentin.
Folgende Besonderheiten finden wir: 1. Dentin ähnelt dem Knochen. Da es reichlicher mit Hydroxylapatitkristallen mineralisiert ist (MineralanteH: 45 Volumen- bzw. 70 Gewichtsprozent), wird es härter als Knochen. 2. Dentin enthält kollagene Fasern, welche spiralartig um die Dentinkanälchen angeordnet sind, aber auch Netze bilden (Organischer Anteil: 30 Volumen- bzw. 25 Gewichtsprozent). Diese sind die Grundlage für die Elastizität des Dentins. 3. Dentin besteht zu 25 Volumen- bzw. 5 Gewichtsprozent aus Wasser, das sich mehrheitlich in den Dentinkanälchen befindet.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
290
4. Die Perikaryen der Odontoblasten liegen dem Dentin pulpaseitig auf, während ihre Zellfortsätze (Tomes-Fasern) bis ins Dentin reichen. Dentinkanälchen (Dentintubuli). Verleihen dem Dentin radiäre Streifung. Sie enthalten Odontoblastenfortsätze (= Tomes-Fasern, Durchmesser ca. 1-3 μιτι). Die Kanälchen reichen bis zur SchmelzDentin-Grenze (einige treten in den Schmelz ein = so genannte Schmelzkolben) und bis zur DentinZement-Grenze. Sie haben eine ausgeprägte Verästelung und stehen miteinander in Verbindung. Sie haben stoffleitende Funktion und enthalten auch marklose Nervenfasern. Manteldentin. Die Mineralisation des Dentins durch die Odontoblasten beginnt an der Schmelzbzw. Zement-Dentingrenze (s. unter 2.2) und hinterlässt dort durch starke Aufzweigungen der Dentinkanälchen das schwächer mineralisierte Manteldentin, eine ca. 0,5 mm breite Zone. Zirkumpulpales Dentin entsteht nach dem Manteldentin und stellt die Hauptmasse des Dentins dar. Durch rhythmische Sekretion und Mineralisation entstehen Linienmuster (von Ehner-Linieri). Besonders akzentuierte Linien werden als OwenKonturlinien bezeichnet, wobei eine prägnante Neonatallinie vorhanden sein kann. Prädentin ist die innerste, pulpennahe Dentinschicht, die noch nicht mineralisiert ist. Peritubuläres Dentin grenzt unmittelbar an das Dentinkanälchen an. Es weist einen hohen Mineralisationsgrad auf und enthält keine kollagenen Fibrillen. Intertubuläres Dentin liegt zwischen den Dentinkanälchen und hat einen höheren Anteil an kollagenen Fasern. Sekundärdentinbildung. lebenslangen Aktivität • • • • • • •
Aufgrund
ihrer
ziehen sich die Odontoblastenfortsätze nach pulpal zurück reift kontinuierlich neues Prädentin wächst das zirkumpulpale Dentin sezernieren die Odontoblasten kontinuierlich peritubuläres Dentin verkleinert sich der koronale Querschnitt der Dentinkanälchen reduziert sich die Sensibilität des Dentins reduziert sich die Pulpahöhle.
Globulardentin. Zuerst mineralisieren vereinzelte kugelförmige Dentinbereiche (Globuli), die sich später verbinden (Interglobulardentin, rhombenförmig, gezackt) und ein ungleichmäßiges Mineralisationmuster zurücklassen. Das Interglobulardentin bildet nahe der Zement-Dentin-Grenze an der Wurzel die Tomes-Körnerschicht, dagegen kommen im Kronenbereich nur vereinzelt große Bereiche von Interglobulardentin vor. Bei der Präparatherstellung kann es bei der Entkalkung des weniger minineralisierten Interglobulardentins zur Hohlraumbildung kommen, die im Mikroskop als Interglobularräume erscheinen. • Zement, Cementum, Substantia ossea Anatomisch gehört Zement zum Zahn, funktionell zum Zahnhalteapparat. Zement ist mit dem Wurzeldentin fest verbunden. Nach apikal hin nimmt es an Dicke zu (Abb. 4.89). An der Wurzelspitze und an den Wurzelaufteilungsstellen finden wir die stärksten Zementschichten. Funktion. Verankerung der Ligg. periodontalia. Bau. Zement besteht aus: 1. Zellen, Zementozyten 2. Mineralisierter Grundsubstanz 3. Kollagenen Fasern. Zementozyten gleichen den Osteozyten. Sie liegen in Höhlen der Grundsubstanz und besitzen lange, verzweigte Fortsätze für den Kontakt zu benachbarten Zellen (Abb. 4.89). Grundsubstanz. Sie ähnelt in ihrer Zusammensetzung der des Knochens. Kollagene Fasern bilden 2 Systeme: •
Von Ebner-Fibrillen, intrinisic fibers: feine Fasern, welche spiralförmig um die Zahnwurzel verlaufen. • Sharpey-Fasern: extrinsic fibers, radiär einstrahlende Parodontalfasern, welche vor allem im äußeren und mittlerem Bereich zu finden sind. Zementarten. Die Einteilung erfolgt nach dem Vorkommen von Zementozyten und Fasern: •
Azelluläres, afibrilläres Zement besteht lediglich aus Grundsubstanz. Vorkommen als Zementinseln im Schmelz. • Azelluläres, äußeres Faserzement besitzt lediglich Bündel radiär verlaufender Sharpey-Fasern;
291
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Schmelz
Dentin Zementozyten
Pulpa
Kollagene
Zement
(Sharpey) Fasern
Schmelz
Dentin Pulpa — Grundsubstanz Zement
I Dentin
\
\
b \ \
Dentin-Zement-Grenze
Abb. 4.89: Struktur d e s Zahnzements, a. Verteilung des Zements. Die zunehmende Dichte der Punktierungen markiert die Zementdickenzunahme, b. Bau des Zements. Die Zementozyten mit Fortsätzen und kollagenen Fasern beherrschen d a s Bild. Die Grundsubstanz wurde farblos belassen (verändert nach G.-H. Schumacher)
keine Zellen! Vorkommen: Zervikales Drittel der Zahnwurzel. • Zelluläres, gemischtes lamellares Zement hat Zementozyten und Sharpey-Fasern sowie kollagene Fasern. Vorkommen: apikales Wurzeldrittel (im Bereich der Bi-, Trifurkationen). • Zelluläres inneres Faserzement besitzt Zementozyten und kollagene Fasern, aber keine SharpeyFasern. Vorkommen: in Resorptionslakunen. •
Pulpa
Die Zahnpulpa befindet sich in der Cavitas dentis (Abb. 4.90). Dabei liegt die Kronenpulpa im Kronenteil, Cavitas coronalis, und die Wurzelpulpa im Wurzelkanal, Canalis radicis dentis. Im Bereich der Höckerspitzen befinden sich bei jugendlichen Zähnen Pulpahörner, die sich langsam durch Sekundärdentinbildung zurückbilden. Gerade im Wurzelbereich bestehen individuelle Variationen, wobei in einer Wurzel mehrere Kanäle vorkommen können. Seitenkanäle bestehen im gesamten Wurzelbereich. Das Foramen apicale weist häufig viele Aufzweigungen (Ramifikationen) auf, die ein apikales Delta bilden.
Funktion • • •
Dentinbildung durch die Odontoblasten Ernährung, Innervation des Zahnes Abwehr von Erregern oder körperfremden Stoffen.
Aufbau Das Pulpagewebe steht dem gallertigen gewebe mit:
Bindungs-
1. Grundsubstanz 2. Fasern 3. Zellen. Grundsubstanz. Sie dient als ist Umschlagplatz im Stoffwechsel zwischen Zellen und Gefäßen. Es kommen vor allem kollagene und retikuläre Fasern vor. Retikuläre Fasern nehmen in der Gebrauchsperiode ab. Elastische Fasern finden sich nur in den Gefäßwänden. Zellen. In der Pulpa befinden sich: 1. Pulpozyten 2. Freie Zellen: Lymphozyten, Histiozyten, Monozyten, Plasmazellen, Granulozyten 3. Odontoblasten.
292
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
OdontoblastenscMcht
bipolarer " Fibroblast
subodontoblastischer Kapillarkomplex
Fibroblast und freie Bindegewebszelle
Außenzone - — = —
Weil-Schicht
subodontoblastischer Nervenkomplex
zellkernreiche Schicht
Abb. 4.90: Aufbau und Topografie der Zahnpulpa (verändert nach G.-H. Schumacher)
Pulpozyten treten als Fibroblasten (aktive Form) oder als Fibrozyten (inaktive Form) auf. Die aktiven Zellen sind pluripotent, neben der Abwehr, können sie ζ. B. auch zu Odontoblasten differenzieren. Odontoblasten sind hochdifferenzierte, stoffwechselaktive Zellen, die zeitlebens die äußere Schicht der Pulpa darstellen und neues Prädentin bilden, das anschließend mineralisiert. Die Odontoblasten schicken bis zu 5 mm lange Fortsätze bis in den peripheren Dentinmantel. Es wird angenommen, dass Odontoblasten direkt oder indirekt über die Bewegung der in den Dentinkanälchen liegenden Flüssigkeitssäule mechanische, thermische, chemische oder elektrische Reize übertragen.
und Nervengeflecht (Raschkow-Plexus), 3. Zellkernreiche Schicht mit vielen Fibroblasten. Altersveränderungen der Pulpa äußern sich in einer Verkleinerung und Verminderung der Pulpozyten, vakuolärer Degeneration der Odontoblasten, Zunahme kollagener Fasern sowie in hyalinen, kalkigen und amyloiden Veränderungen der Grundsubstanz. Aufgrund der Sekundärdentinbildung verkleinert sich das Pulpalumen im Altersgang.
4.13.3.5 Zahnhalteapparat, Parodontium Lernziele: Aufbau und Anordnung von Gingiva, Desmodont, Alveolarknochen, Sulcus gingivae
Topographisch gliedert sich die Pulpa in 2 Zonen: 1. Die Innenzone enthält vor allem die Arterien, Venen und Nerven (markhaltige, sensible und marklose, vasomotorische), die über das Foramen apikale und ζ. T. Seitenkanäle austreten, jedoch keine Lymphgefäße. 2. Die Außenzone besteht von außen nach innen aus 3 Schichten: 1. Odontoblastenschicht, 2. Zellkemarme Subodontoblasten- oder WeilSchicht mit dem Gefäß- (Plexus pulpocapillaris)
Zum Zahnhalteapparat gehören alle Strukturen, welche der Verbindung des Zahnes mit dem Kieferknochen dienen: Zahnfleisch, Gingiva, Wurzelhaut, Ligamentum periodontale, Desmodont, Zahnzement, Cementum, Alveolarknochen, Os alveolare. Diese Strukturen bilden eine genetische, strukturelle, biologische und funktionelle Einheit.
293
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
•
•
Funktion
•
Mechanische Funktion durch Verbindung von Zahn und Kiefer. Formative Funktion durch ständigen Umbau des parodontalen Gewebes. Abwehr-, Schutzfunktion aufgrund des Vorkommens immunkompetenter Zellen für die spezifische Abwehr. Nutritive Funktion aufgrund der guten Vaskularisation. Sensorische Funktion durch eine ausgeprägte Innervation als afferenter Bestandteil des Regelkreises des Kaumechanismus.
• •
• •
1. Zahnfleisch, Gingiva Strukturen. Die Gingiva bildet den koronalen Abschluss des Parodontiums und sichert damit die Kontinuität der epithelialen Mundoberflächenauskleidung. Bau : Wir unterscheiden: 1. Orales Epithel, 2. Saumeptihel, Verbindungsepithel, 3. Subepitheliales Bindegewebe, 4. Supraalveolärer Faserapparat. Orales Epithel. Mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel', welches an bestimmten Stellen Porokeratose aufweist. Zur eigentlichen Mundhöhle und zum -vorhof hinzeigend ist es über zahlreiche lange, unregelmäßige Papillen mit dem Bindegewebe verzahnt. An der marginalen Gingiva geht das orale Epithel in das Saumepithel über. Saumepithel. Das niedrige kubische Verbindungsepithel umschließt ringförmig den Zahnhals und ist ca. 2 mm hoch. Apikal finden sich wenig Zelllagen, in Sulkusnähe (Sulkusboden) etwa 15-30. Es besteht aus 2 Schichten: • •
mitotisch aktiven Stratum basale aus Tochterzellen bestehenden Stratum basale
supra-
Es keratinisiert nicht und bleibt undifferenziert. Das gesunde Saumepithel ist mit dem angrenzenden Bindegewebe nicht verzahnt. Die Regenerationsrate ist mit 4—6 Tagen außerordentlich hoch. Subepitheliales Bindegewebe besteht hauptsächlich aus einem Netz von kollagenen Fasern, in das zahlreiche Fibrozyten und freie Zellen eingestreut sind. Die proteoglykanreiche Grundsubstanz verschafft der Gingiva eine elastische Struktur. •
Keine Drüsen
Gefäße —» arkadenförmiger subepithelialer Kapillarlexus • Nerven —> subepitheliales Geflecht aus markhaltigen und marklosen Fasern • Endkörperchen sind: Merkel-Tastscheiben, Meissner- Tastkörper, Krause-Endkörper Submucosa gibt es nicht. Supraalveolärer Faserapparat. Der Faserapparat wird von kollagenen Bündeln gebildet. Er stellt die Gesamtheit der Fasern dar, die in die intraalveoläre Wurzeloberfläche inserieren, die Zähne umgeben und das gingivale Gewebe mit dem Zahnhals und dem Alveolarkamm verbinden. Die wichtigsten Faserbündel (Abb. 4.91):
verlaufen wie folgt
•
Vom extraalveolären Zement fächerförmig in die Gingiva • Umkreisen den Zahn und zweigen sich in apikaler und okklusaler Richtung auf • Verbinden vestibuläre und linguale Interdentalpapillen. Ziehen vom Periost des Alveolarknochens in die Gingiva • Verbinden alle Zähne durch Achterligaturen untereinander Funktion. Die Fasem tragen zu einer Stabilisierung des gesamten Parodontiums bei, sorgen für optimalen Halt der Gingiva an Zement und Alveolarknochen und für die Straffung der Gingiva sowie für den Halt der dem Zahn anliegenden Zahnfleischmanschetten. Dentogingivale Verbindung erfolgt durch: •
Verhaftung des Saumepithels mit Schmelz und Zement (epitheliale Haftstruktur) • Ansatz kollagener Faserbündel am Zement (s. o.) Epithelansatz. Er wird durch das Saumepithel besorgt und besteht aus einer Lamina basalis und Hemidesmosomen (Abb. 4.91). Diese epitheliale Haftung kann am Schmelz, Dentin oder Zement gleichermaßen erfolgen. Zwischen Basallamina und Zahnoberfläche befindet sich häufig eine Cutícula dentis, die ein Produkt des Saumepithels sein kann. Die der Zahnoberfläche anhaftenden Zellen wandern koronalwärts; damit lösen sich die Zellhaftungen ständig und müssen immer wieder neu etabliert werden.
294
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum Sulcus gingivae / / orales Epithel Saumepithel
Schmelz -
Saumepithelzelle Schmelz Schmelzkutikula Halbdesmosom
Zement —
innere Basallamma dentogingivale Fasern alveologingivale Fasern
Desmodontalspalt Desmodontalfase· ]
periostogingivale Fasein
__ —
Alveolarknochen
interpapilläre Fasern transseptale Fasern interzirkuläre Fasern —
dentogingivale Fasern
zirkuläre/semizirkuläre Fasern
Abb. 4.91 : Dentogingivaler Verschluss, a. Längsschnitt, b. Horizontalschnitt. Inset: Epitheliale Haftstruktur in Form von Halbdesmosomen Sulcus gingivae. Er ist eine schmale bis ca. 0,3-0,5 mm tiefe und 0,15 mm breite Furche, die einerseits durch die Zahnsubstanz, andererseits durch das orale Sulkusepithel begrenzt wird. Der Boden wird durch die koronalsten Zellen des Saumepithels gebildet. Überalterte Zellen werden in den Sulcus abgestoßen. •
Wurzelhaut, Desmodont
Diese bindegewebigen Strukturen nehmen den Raum zwischen der Wurzeloberfläche und dem Alveolarknochen ein. Wir finden: Bindegewebsfasern, Zellen, Gefäße, Lymphgefäße, Nerven. Bindegewebefasern. Die koUagenen und elastischen Fasern bilden ein System, durch das der Zahn federnd in der Alveole syndesmotisch befestigt ist (—» Gomphosis). Zahlreiche Fasern bilden Bündel (= Sharpey-F'aserri), welche einen charakteris-
tischen radiären und tangentialen Verlauf haben (Abb. 4.87) und untereinander verflochten sind. Sie inserieren einerseits im Alveolarknochen und andererseits im Wurzelzement. Die meisten Fasern verlaufen zahnwärts schräg absteigend in Wurzelrichtung (—» federndes Auffangen des Kaudruckes). Am Zahnhals und zur Wurzelspitze hin haben die Fasern zahnwärts aufsteigenden Verlauf (—> Halten des Zahnes in der Alveole). Zellen. Fibrozyten, freie Zellen. Fibroblasten können ständig neue Kollagenfibrillen bilden und sich zu Zementoblasten und Osteoblasten umwandeln. Somit kann sich das Parodontium ständig erneuern. Gefäße, Lymphgefäße, Nerven verlaufen in Aussparungen zwischen den Kollagenfaserbiindeln, die lockeres Bindegewebe enthalten. Wir unterscheiden 3 Versorgungswege 1. desmodontal,
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
295
2. alveolär, 3. supraperiostal/mukogingival. Damit werden die Gefäße bei Belastung des Zahnes nicht gedrosselt. Okklusale Belastungen werden demnach nicht nur durch den Faserapparat aufgefangen, sondern auch durch die Gewebsflüssigkeit (= hydraulische Druckverteilung). Die wichtigsten zufuhrenden Gefäße für den Alveolarfortsatz und das Parodontium sind für den Oberkiefer die Aa. alveolares anteriores und posteriores und die Aa palatinae, für den Unterkiefer die Aa. alveolares inferiores, Aa. sublinguales, Aa. mentales und Aa. faciales. Die Nervenfasern sind markscheidenarm marklos.
oder
Lymphgefäße und Nerven folgen weitgehend den Blutbahnen. Wir finden freie Nervenendigungen, Endigungen, welche den Ruffini-Körperchen gleichen, eingekapselte Körperchen. • Zement, Cementum Siehe Kap. 4.13.3.4, S. 288 • Alveolarknochen, Os alveolare Wir unterscheiden an den Alveolarfortsätzen: Alveolarknochen, -wand, Spongiosa, Kompakta. Alveolarknochen. Er bildet die Alveolarwand, eine Knochenkompakta, die 0,1-0,4 mm dick ist und von kleinen Löchern für den Durchtritt von Gefäßen, Lymphgefäßen und Nerven (—» VolkmannKanäle) durchsetzt wird (—» Lamina cribrosa, die besonders am Alveolengrund gut ausgebildet ist). Spongiosa. Sie schließt sich an und enthält Räume mit zumeist Fettmark, Ausnahmen bilden der Unterkieferwinkel und der Tuber maxillae, dort findet man rotes Knochenmark. Die Spongiosabälkchen sind entsprechend den Druck-, Biegeund Zugbeanspruchungen der Kiefer ausgerichtet. In der Funktionsperiode unterliegen sie einem fortwährenden Umbau. Äußere Kompakta. Sie bedeckt die Alveolarfortsätze. Am Eingang der Alveole geht diese in die Alveolarwand über.
Klinik: 1. Übermäßiges Zähneputzen entfernt das dünne zervikale Zement bzw. Schmelz, so dass Dentin mit seinen Dentinkanälen freiliegt. Dadurch können Reize (Kälte, Säure) besser weitergeleitet werden (überempfindliche Zahnhälse). 2. Alle zahnärztlich-restaurativen Maßnahmen beeinträchtigen die Pulpa; so werden bei der Präparation für Kronen oder Füllungen Dentinkanäle freigelegt, in die bei der Maßnahme verwendete Säuren oder Monomere eindringen können. 3. Karies breitet sich vorzugsweise in dem schlechter mineralisierten Manteldentin aus, sobald die Schmelz-Dentin-Grenze erreicht ist. 4. Entzündungen, die in anderen Geweben zu einer unkomplizierten Schwellung fuhren, verursachen in der Pulpa aufgrund des starren Mineralmantels zu einer Erhöhung des intrapulpalen Druckes, Stoffwechseleinschränkungen und oft zur Pulpanekrose. 5. Bei Entzündungen, Nekrosen und Pusbildung in der Pulpa besteht meist kein koronaler Abfluss, so dass es über den Apex zum Abfluß und zur periapikalen Entzündung kommt. 6. Durch Noxen und Traumata zerstörte Odontoblasten können durch Differenzierung von Pulpozyten ersetzt werden. Damit haben Zähne zeitlebens ein Potenzial zur Reparatur von Hartgewebsschäden (Karies, Trauma, zahnärztliche Präparation) durch Reizdentinbildung. 7. Bei entzündlichen Erkrankungen proliferiert das Saumepithel in die Tiefe und verzahnt sich mit dem darunter liegenden Bindegewebe. 8. Beim Verlust der dentogingivalen Verbindung (—» bei chronischer Zahnfleischentzündung), bildet sich eine echte Zahnfleisch- und Knochentasche. Der Zahnhalteapparat wird dabei irreversibel zerstört. Von einer echten Zahnfleischtasche spricht man bei einer Sondierungstiefe ab 4 mm und dem Nachweis von Knochenabbau. 9. Röntgenologisch wird der Alveolarknochen als Lamina dura bezeichnet, sie ist bei Gesunden durchgängig dargestellt. 10. Durch Schaffung von Zug- und Druckzonen während einer kieferorthopädischen Behandlung werden Zement und Knochen zur Resorption bzw. Apposition angeregt. 11. Nach Zahnextraktionen wird der Alveolarknochen abgebaut.
296
4,13,3,6 Beschreibung der einzelnen Zähne (Abb. 4.93 a, b) Lernziele: Incisivi, Canini, Prämolares, Molares: Kronen, Wurzeln, Zahnäquator, Merkmale, Zahnfarben
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
bedingt, dass der bukko-mesiale Übergang stärker gekrümmt ist als der bukko-distale (Krümmungsmerkmal). Nur bei dem oberen 1. Prämolaren ist das Massenmerkmal nach distal gerichtet.
An jedem Zahn werden 5 Flächen unterschieden: 1. Facies vestibularis, zur Mundvorhof ausgerichtet; in der Front auch Facies labialis, im Seitenzahngebiet Facies buccalis 2. Facies lingualis (Unterkiefer) bzw. palatina (Oberkiefer), zur Mundhöhle ausgerichtet 3. Facies contactus mesialis, zum Vorderzahn ausgerichtet 4. Facies contactus distalis, zum Ende der Zahnreihe ausgerichtet 5. Facies occlusalis, Kaufläche (Seitenzähne) bzw. Margo incisalis, Schneidekante (Frontzähne). Kauflächen. Sie weisen ein okklusales Relief mit Höckern und Vertiefungen, den Fissuren auf. An Glattflächen sind Einziehungen zu finden, die als Grübchen bezeichnet werden. Kontaktpunkte der Zähne zu den jeweiligen Nachbarzähnen. Sie befinden sich leicht okklusal und bukkal des Mittelpunktes der Mesial- bzw. Distalfläche (Approximalflächeri). Anatomischer Zahnäquator. Er ist die Linie mit dem größten Kronenumfang. Er verläuft an den Bukkal- und Lingualflächen im zervikalen Kronendrittel, an den Approximalflächen im okklusalen Kronendrittel. Unterkieferzähne weisen weiterhin eine Kronenflucht auf, d.h. die Kronenachse ist in Relation zur Wurzelachse nach lingual geneigt. Seitengenaue Identifikation von extrahierten Zähnen. Sie gelingt anhand folgender Kriterien, wobei die Merkmale und Strukturen bei Oberkieferzähnen stärker als im Unterkiefer ausgeprägt sind: • •
Massen- und Krümmungsmerkmal (s. u.) Wurzelmerkmal. Die Wurzelspitze ist leicht nach distal gekrümmt. • Kantenmerkmal zusätzlich bei Schneidezähnen (s. u.). Massenmerkmal. Im Querschnitt weisen alle Zähne bukkal das so genannte Massenmerkmal auf, d. h. der äußerste Punkt ist nicht mittig, sondern nach mesial verschoben (Abb. 4.92). Dies
Abb. 4.92: Massen- und Krümmungsmerkmal an den beiden mittleren Incisivi Im Querschnitt. Der bukkal größte Umfang ist nach mesial verschoben. Dadurch ist die mesio-bukkale Krümmung stärker als die distobukkale.
4.13.3.6.1 Permanente Zähne • Schneidezähne, Incisivi, Dentes incisivi Krone. Schneidezähne haben die Form eines Hohlmeißels mit schwach gewölbter labialer und leicht konkaver lingualer Fläche. Lingual befind sich oberhalb des Zahnhalses ein Höckerchen, das Tuberculum linguale. Die Kaufläche ist zu einer Schneidekante (Margo incisalis) reduziert. Bei Schneidezähnen kann zusätzlich zum Massenund bzw. Krümmungsmerkmal (s. o.) das Kantenmerkmal zur Unterscheidung von rechten und linken Zähnen herangezogen werden: Die distale Schneidekantenecke ist stärker abgerundet als die mesiale. Schneidezähne im Unterkiefer sind deutlich zierlicher als im Oberkiefer. Wurzel. Sämtliche Schneidezähne sind einwurzelig, wobei aber im Unterkiefer 2 Wurzelkanäle vorkommen können. • Eckzähne, Canini, Dentes canini Krone. Eckzähne weisen eine den Schneidezähnen ähnliche Lingualfläche mit allerdings stärkerem Tuberculum linguale auf. Die Inizisalkante ist durch Abwinkelung zweigeteilt: ein mesialer steiler und distaler flacherer Anteil bilden die Eckzahnspitze, zu der auch eine Schmelzleiste vom Tuberculum lingualis läuft. Die mesiale Anteil der Schneidekane ist kürzer und stärker abfallend als der distale. Obere Eckzähne sind stärker gebaut als untere.
297
4.13 Mundhöhle, Cavltas oris
Abb. 4.93: Zur Zahnmorphologie, a . Bleibende Zähne d e s rechten Oberkiefers und der rechten Unterkieferhälfte von der palatinalen bzw. lingualen Fläche gesehen, b. Milchzähne des rechten Oberkiefers und der rechten Unterkieferhälfte von bukkal bzw. labial gesehen
Abb. 4.94: Kauflächen eines zweiten unteren Molaren (a), eines ersten unteren Molaren (b) und eines oberen Molaren (nach G.-H. Schumacher)
vestibulär
vestibulär
lingual
Wurzel. Die einfache Wurzel ist besonders lang und kräftig.
(bukkal und palatinal) mit einer deutlichen mesialen Einziehung aufweist.
•
•
Vormahlzähne, Prämolaren, Denles lares
praemo-
Krone. Prämolaren haben 2 Höcker, einen besonders im Unterkiefer größeren bukkalen und einen lingualen, die zusammen mit der zirkulär umlaufenden seitlichen Höckerabhängen und Randleisten die Kaufläche bilden. Der erste, obere Prämolar weist als einziger Zahn durch seine Nierenform im Querschnitt ein umgekehrtes Massenmerkmal auf. Wurzel. Prämolaren sind einwurzelig, bis auf den 1. oberen Prämolaren, der in der Regel 2 Wurzeln
Mahlzähne, Molaren, Deutes
molares
Krone. Molaren sind mehrhöckerige Zähne mit großen Kauflächen. Ein evolutionäre Entwicklung durch das Verschmelzen von 2 Prämolaren ist denkbar. Die Größe und Ausprägung der Merkmale nimmt vom 1. zum 3. Molaren hin ab. Krone unterer Molaren. Die Kaufläche des zweiten unteren Molaren (Abb. 4.94 a) sind nahezu quadratisch mit fast kreuzförmigen Hauptfissuren. 2 bukkale und 2 linguale Höcher liegen sich fast gegenüberliegen. Beim ersten unteren Molaren
298
(Abb. 4.94 b) ist zusätzlich ein 3. bukkaler Höcker vorhanden, so dass die Kaufläche rechteckiger ist und die Fissuren zick-zack-förmig verlaufen. An der Bukkaifläche findet sich ein Grübchen. Dritte untere Molaren sind kleiner als erste und zweite Molaren. Sie haben die Grundform der zweiten Molaren auf, allerdings mit einer hohen individuelle Variabilität durch zusätzliche Höckern oder Höckerverschmelzungen auf. Krone oberer Molaren. Die Kauflächen der oberen Molaren (Abb. 4.94 c) sind rhombisch und weisen 4 Höcker auf (2 linguale und 2 bukkale). Die bukkalen Höcker sind jeweils etwas mesialer angeordnet. Die Okklusalfläche wird durch einen diagonalen Schmelzwulst (Crista transversa) geteilt, der aus dem distalen Höckerabhang des mesio-palatinalen Höckers und dem zentralen Höckerabhang des disto-bukkalen Höckers besteht. Dadurch entsteht eine vordere U-formige und eine gerade disto-palatinale Fissur. Die Merkmalsaufprägung und Größe nimmt von ersten zum dritten Molaren ab. An dem kräftigen mesio-palatinalen Höcker der ersten oberen Molaren findet sich palatinal meist noch ein kleines Höckerchen, das Tuberculum Carabelli. Beim zweiten Oberkiefermolaren kann der disto-palatinale Höcker kleiner sein oder ganz fehlen. Die dritten, oberen Molaren weisen eine hohen Variabilität auf. Neben zusätzlichen Höckern treten auch Höckerverschmelzungen auf. Wurzeln von Unterkiefermolaren. Unterkiefermolaren haben in der Regel 2 Wurzeln (mesiale und distale), wobei die mesiale eine starke Einziehung aufweist oder auch geteilt sein kann. Eine Verschmelzung der Wurzeln ist dagegen seltener. Die mesiale Wurzel weist meistens 2 Kanäle auf, wobei der mesio-bukkale sich oft teilt oder sogar doppelt angelegt ist. Die distale Wurzel kann ebenfalls 2 Kanäle haben. Bei den Wurzel der dritten Molaren existiert eine starke Variabilität. Sie sind oft verschmolzen oder stark gekrümmt. Wurzeln von Oberkiefermolaren. Die oberen Molaren sind dreiwurzelig (2 bukkale und 1 palatinale), wobei die palatinale zwischen den beiden bukkalen steht. In der mesio-bukkale Wurzel liegen häufig 2 Kanäle. Wurzel und Pulpenkaven dritter Molaren sind oft verschmolzen.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
4.13.3.6.2 Milchzähne, Denies decidui (Abb. 4.93 b) Sie entsprechen im Wesentlichen den jeweiligen bleibenden Zähnen, nur dass die Merkmale nicht zu deutlich ausgeprägt sind und die Zähne sind deutlich kleiner. Auch das Fissurenmuster weist ein flacheres Relief auf. Die Milchmolaren entsprechen den permanenten Molaren und nicht den Prämolaren, durch die sie ersetzt werden. Der anatomische Äquator liegt aufgrund eines starken bukko-zervikalen Schmelzwulstes hier deutlich apikaler als bei bleibenden Zähnen. Der Schmelzmantel ist insgesamt dünner, weniger stark mineralisiert und leichter zu abradieren. Die Pulpa sowie die Pulpahörner sind größer als im permanenten Gebiss. Die Milchzahnwurzeln sind kürzer, zierlicher und stehen stärken vom Zahnzentrum ab. •
Zahnfarbe
Sie ist gräulich-weiß bis gelbweiß bei bleibenden Zähnen; mit zunehmendem Alter gelblicher; Milchzähne sind deutlich weißer. Die Zahnfarbe entsteht durch die Transparenz des weißlich-grauen Schmelzes und die Lichtreflexion am durchschimmernden gelblicheren Dentin. Daher erscheinen die Schneidekanten und Höcker mit ihrem dicken Schmelzmantel transparent weißlich, während zum Zahnhals aufgrund des auslaufenden Schmelzes das gelbliche Dentin stärker durchscheint. Mineralisationsfehler können zu weißlichen Flecken oder Sprenkelungen fuhren. Zu hohe Fluoridgaben bei der Mineralisation erzeugen weißliche Hypomineralisation (Dentalfluorosen), insbesondere auf den Höckerspitzen und Inzisalkanten. In schweren Fällen können auch bräunliche Verfärbungen oder Defekte entstehen. Aber auch Medikamente (Tetrazykline) können z. B. braunen Verfärbungen bei der Zahnbildung verursachen. Entkalkungen (Karies, Säuren) des Schmelzes fuhren zu schneeweißen Kreideflecken. Schmelz und freiliegendes Dentin können durch Einlagerung organischer Farbstoffe und Remineralisation außerdem bräunlich werden. Traumatisch geschädigte und avitale Zähne erscheinen durch Einblutungen oder Einlagerungen bräunlich bis schwärzlich. Klinik: 1. Die zahnärztliche Präparation für Zahnersatz sollte dem Verlauf des anatomischen Zahnäquator folgen: bukkal und oral weiter in Richtung apikal als approximal. 2. Bei
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
Herstellung von Füllungen und festsitzendem Zahnersatz sollten die Originalzähne in Bezug auf die anatomische Form als Vorbild dienen. Kronenflucht, Kontaktpunkte und Freiräume für die Papille erlauben die (Selbst-)Reinigung des Zahnersatzes. 3. Restaurationen sollten die Zahnfarbe als zusammengesetzte Farbe immitieren (Schichtverfahren mit Transparent- und Opakermasse).
4.13.3.7 Okklusion der Zahnreihen Wir verstehen unter Okklusion die Lagebeziehungen der Zähne des Ober- und Unterkiefers zueinander bei jedem Kontakt. Ihr Prinzip ist eine Zahn-zu-Zahn-Beziehung. Die Schneidekanten der oberen und unteren Zähne gleiten scherenartig aneinander vorbei. Die Zahnhöcker treffen mit den korrespondierenden Vertiefungen zwischen den Randwülsten und den Gruben auf den gegenüberliegenden Okklusalflächen punkt- oder strichförmig aufeinander. Somit wird ein funktionelles Optimum erreicht, durch welches die Kaumuskeln mit minimalem Kraftaufwand die größte Wirkung entfalten.
4.13.4
Gaumen, Palatum
Lernziele: Entwicklung, harter und weicher Gaumen, Schleimhaut, Muskulatur, Schlundenge
4.13.4.1 Struktur des Gaumens Gliederung. Wir unterscheiden einen harten Gaumen, Palatum durum, und einen weichen Gaumen, Palatum molle. Harter Gaumen (Abb. 4.95 a). Er stellt eine Knochenplatte dar und besteht aus 1. dem Processus palatinus des Oberkiefers und 2. der Lamina horizontalis des Gaumenbeins. 3. Verbunden werden die Knochen kreuzförmig durch die Sutura palatina mediana und die Sutura palatina transversa
299
Weicher Gaumen (Abb. 4.95 b), auch Gaumensegel, Velum palatinum, genannt. Als Grundlage dient ein Bindegewebsskelett (Aponeurosis palatina), an dem insgesamt 5 Muskeln ansetzen. •
Entwicklung des Gesichtes und des Gaumens
Da die Entwicklung des Gaumens ein Bestandteil der Gesichtsentwicklung ist, werden beide hier zusammen dargestellt. Bei menschlichen Embryonen von 10 mm SSL ist die Mundspalte unten von den beiden in der Mittellinie miteinander verwachsenen Unterkieferwülsten, oben von den lateralen und medialen Nasenwülsten umgeben, die das Riechgrübchen umranden. Dort, wo medialer und lateraler Nasenwulst zusammenstoßen, findet sich eine leichte Einsenkung, die mittlere Gesichtsfurche. Zwischen lateralem Nasenwulst und Oberkieferwulst liegt die seitliche Gesichts furche, die bis an das Auge reicht. Wülste und Furchen entstehen durch unregelmäßiges Wachstum des subepithelialen Mesenchyms. Die Furchen verstreichen durch Mesenchymwucherung, nicht durch Verschmelzung von „Fortsätzen". Bei der Gesichtsbildung kommt es lediglich zwischen medialem und lateralem Nasenwulst zu einer epithelialen Verschmelzung, die aber bereits nach einigen Tagen aufgelöst und durch Mesenchym ersetzt wird. Bei der normalen Entwicklung entstehen keine Gesichtsspalten. Während das embryonale Gesicht durch Schwund der Furchen und durch Proliferationsprozesse im Mesenchym die endgültige Form gewinnt, wachsen die bereits früher angelegten Gaumenfortsätze einander entgegen, verschmelzen miteinander und mit dem Nasenseptum, trennen damit Nasen- und Mundhöhle. Die Abbildung 4.96 gibt grob schematisch wieder, welche Weichteile (b) und Knochen (c) des Gesichts aus den einzelnen Wülsten entstehen. Klinik: Spaltbildungen resultieren aus Proliferationsstörungen. Seitliche Lippen-Kiefer-Gaumenspalten entstehen bei Störungen zwischen dem medialen Nasen- und Oberkieferwulst, mittlere Spalten bei solchen beider mittlerer Nasenwülste. Quere Gesichtsspalten sind größere Defekte zwischen Ober- und Unterkieferwulst. Sie verlaufen in Verlängerung des Mundwinkels zwischen Ober- und Unterkiefer. Bei einer schrägen Gesichtsspalte sind der seitliche
300
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
S u t u r a incisiva. Processus p a l a t i n u s m a x i l l a e \ \
Foramen int i s i v u m \ \ ^ \ \
\
__ M , (Septa interradicularia)
-M,
Sulci p a l a t i n i
Foramen p a l a t i n u m majus et minus
Sutura palatina transversa,
Spina nasalis ossis p a l a t i n i
Sutura palatina mediana
L a m i n a h o r i z o n t a l s ossis p a l a t i n i
Papilla incisiva
Plicae p a l a t i n a e t r a n s v e r s a e
Glandulae palatinae
Schnittrand der Schleimhaut
Processus p a l a t i n u s m a x i l l a e
M ü n d u n g e n der Glandulae palatinae
Sutura palatina transversa
Arcus palatoglossus
Ν. p a l a t i n u s major, A. p a l a t i n a m a j o r
Tonsilla p a l a t i n a
Nn. p a l a t i n i m i n o r e s , Aa, palatinae minores
M
M u s k e l n v o m Processus s t y l o i d e u s
palatoglossus Arcus palatopharyngeus
M. palatopharyngeus
Pharynx
Uvula
Abb. 4.95: a. Knöcherner Gaumen, Palatum osseum. Zahnfächer, Alveoli dentales, des Oberkiefers, b. Weichteile des Gaumens. Gefäße und Nerven. Inset: Schleimhaut mit sog. Retinacula
4.13 Mundhöhle, Cavitas oris
301
medialer
Augenanlage
Nasenwulst— lateraler —
- Nasenöffnung
NasenwuLst
primitive
Oberkieferwulst"
"Mundöffnung Processus globularis
Unterkieferwulst Zungenbeinbogen -
Os nasale medialer Nasenwulst lateraiei Nasenwulst Oberkieferwulst Unterkieferwulst -
schräge Gesichtsspalte seitliche Nasenspalte
Os lacrimale Processus frontalis maxillae Os zygomaticum Maxilla
quere Gesichtsspalte
schräge Gesichtsspalte Kieferspalte
Septum nasi Os incisivum Mandíbula
Abb. 4.96: Schemata zur Entwicklung des Gesichts. Die verschiedenen Wülste bzw. ihre Abkömmlinge sind durch Farben wiedergegeben, a. Embryo am Ende des 1. Monats, b. Weichteile, c. Hartteile beim Erwachsenen
Nasen- und Oberkieferwulst nicht miteinander verschmolzen. •
Gaumenschleimhaut
Sie ist im Prinzip wie die Mundschleimhaut aufgebaut. Am harten Gaumen ist sie unverschieblich befestigt, am weichen Gaumen verschieblich. Im vorderen Abschnitt ist sie sehr derb ohne Zwischenschaltung einer Submucosa. Weiter hinten besitzt sie eine Submucosa, welche Fett- und Drüsengewebe (Glandulae palatinae) enthält. Hier finden sich auch zunehmend elastische Fasern. Am weichen Gaumen hat die Schleimhaut auf der Nasenhöhlenseite mehrreihiges Flimmerepithel des Respirationstraktes, auf der Mundhöhlenseite mehrschichtiges Plattenepithel.
2. Fibröse Medianzone. Verwachsung der Schleimhaut mit der Sutura palatina mediana. 3. Fetlgewebszone. Sie nimmt etwa den mittleren Teil der Gaumenschleimhaut ein. 4. Drüsenzone im hinteren Abschnitt, vorzugsweise im perivaskulären Gewebe der Aa. palatinae. Klinik: 1. Die fibröse Medianzone kammert die Schleimhaut in eine linke und eine rechte Hälfte. Daher können sich palatinale Abszesse nur selten zur Gegenseite ausbreiten. 2. Am weichen Gaumen ist die Schleimhaut verschieblich und kann daher stark anschwellen. •
Gaumen- und Schlundbogenmuskeln, Musculi palati et faucium (Abb. 4.98)
Topographische Gliederung der Schleimhaut
1. M. levator veli palatini
1. Fibröse Randzone. Die Schleimhaut ist mit dem Alveolarkamm fest verwachsen.
O. : Facies inferior der Pars petrosa, des Os temporale, Cartílago tubae anditivae
302
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
/.: Aponeurosis palatina L.: Ν. X (R. pharyngeus), A. pharyngea ascendens F.: Spannt und hebt das Gaumensegel, öffnet die Tuba auditiva und schließt gemeinsam mit dem M. constrictor pharyngis superior den Nasenrachenraum (Schlucken!), wölbt den Levatorwulst der Rachenwand vor (s. Kap. 4.14.3.3, S. 309) 2. M. tensor veli palatini 0 . : Lamina medialis des Processus pterygoideus, Ala major des Os sphenoidale, Lamina membranacea der Tuba auditiva. Er zieht um den Hamulus pterygoideus herum 1.: Aponeurosis palatina L.: Ν. V , Α. pharyngea ascendens F.: Spannt das Gaumensegel, öffnet die Ohrtrompete (Druckausgleich!) und verformt den Gaumen für die Lautbildung 3. IVI. palatopharyngeus (s. Kap. 4.14.3.3, S. 309) 4. M. palatoglossus O.: /.: L.: F.:
Abspaltung aus dem M. transversus linguae Aponeurosis palatina Nn. IX, X (R.pharyngeus), A. dorsalis linguae Schließt die Schiundenge, senkt das Gaumensegel; er stellt die muskuläre Grundlage des vorderen Gaumenbogens dar.
Klinik: Schnarchen tritt beim Tiefschlaf ein. Das Gaumensegel flattert im Atemstrom.
4.13.4.2 Schiundenge, Isthmus faucium Als Schiundenge wird die Engstelle zwischen Mundhöhle und Rachen bezeichnet (Abb. 4.72). •
Begrenzung. Seitlich von den Gaumenbögen, unten von der Zunge. • Gaumenbögen. Es handelt sich um Schleimhautfalten, die sich seitlich vorschieben. Ihre Grundlage wird von den gleichnamigen Gaumenmuskeln gebildet (Abb. 4.98). •
Vorderer Bogen, Arcus palatoglossus, verläuft vom weichen Gaumen zur Zungenwurzel, über der er sich zu einer dreieckigen Schleimhautfalte, Plica triangularis, verbreitert • Hinterer Gaumenbogen, Arcus palatopharyngeus, zieht vom weichen Gaumen zur Schlundwand • Fossa tonsillaris. Diese liegt zwischen den Gaumenbögen und beinhaltet die Tonsilla palatina (s. Kap. 4.14.5, S. 311). Sie wird oben von einer bogenförmigen Falte, Plica semilunaris begrenzt, die beide Gaumenbögen miteinander verbindet. Eine kleine dreieckige Vertiefung über der Gaumenmandel ist die Fossa supratonsitlaris.
5. M. uvulae 0.: 1.: L.: F.:
4.14
Schlund, Pharynx
Lernziele: Anatomie, Etagengliederung, Inhalt, Muskulatur, lymphatischer Rachenring •
Klinik: 1. Stark vergrößerte Gaumenmandeln können die Schiundenge einengen sowie Behinderungen beim Schlucken und Sprechen verursachen. 2. Bei paratonsillären Abszessen ist die Fossa supratonsillaris abgeflacht.
Aponeurosis palatina Schleimhaut an der Spitze der Uvula Nn. IX, X (R. pharyngeus) Verkürzt das Zäpfchen. Die Uvula kann gespalten sein bzw. geringe Einkerbungen zeigen.
Embryologie
Der Pharynx entsteht aus dem vorderen Teil des Schiunddarms. Die Pharynxmuskulatur wird aus dem Material des l., 3.-6. Schlundbogens gebildet.
• •
Funktionen
Im Pharynx wird der Speisebrei aus der Mundhöhle in die Speiseröhre transportiert. • Als Teil des Atmungstraktes dient er der Luftleitung. Luft- und Speiseweg überkreuzen sich im Pharynx. • In der Pharynxwand können einzelne Geschmacksknospen auftreten.
303
4.14 Schlund, Pharynx
•
Im Bereich des Pharynx sind Organe der Immunabwehr gelagert (Waldeyer-Rachenring).
4.14.1
Lage und Befestigungen des Pharynx
Der Pharynx liegt vor dem Halsteil der Wirbelsäule, seine Rückwand liegt der Lamina prevertebralis der Fascia colli an. Er reicht in Längsrichtung von der Schädelbasis bis zum 6. Halswirbel und geht dort in den Oesophagus über. Er hat breite Verbindungen zur vor ihm liegenden Nasen- und Mundhöhle sowie zum Kehlkopfeingang. Seine Länge beträgt ca. 12-15 cm. Die obere Pharynxwand, Fornix pharyngis, ist an der Außenfläche der Schädelbasis befestigt. Die knöcherne Befestigungslinie beginnt links und rechts vom Tuberculum pharyngeum des Os occipitale, erreicht, nach lateral ziehend, vor der Mündung des Canalis caroticus die Felsenbeinpyramide und wendet sich von dort rechtwinklig nach vorn zur Lamina medialis des Processus pterygoideus. Den Seitenwänden des Pharynx liegen die A. carotis communis, A. carotis interna, V. jugularis interna, Nerven, die großen Zungenbeinhörner und die Schildknorpelplatten an.
4.14.2
Etagengliederung und Inhalt des Pharynx
Die Cavitas pharyngis wird in 3 Etagen gegliedert, Pars nasalis pharyngis, Pars oralis pharyngis und Pars laryngea pharyngis (Abb. 4.97, 4.98). Die Pars nasalis pharyngis (Nasopharynx, Epipharynx), der obere Abschnitt, erstreckt sich vom Fornix pharyngis bis zum weichen Gaumen. Er steht über die Choanen mit der Nasenhöhle in Verbindung. Die Pars oralis pharyngis (Mesopharynx, Oropharynx), der mittlere Pharynxabschnitt, erstreckt sich vom weichen Gaumen bis zum Oberrand des Kehldeckels. Seine Längsausdehnung entspricht in etwa der Höhe des Körpers des 3. Halswirbels. Vorn ist die Pars oralis pharyngis über die Schiundenge, Isthmus faucium, mit der Mundhöhle verbunden.
Die Pars laryngea pharyngis (Hypopharynx, Laryngopharynx), der untere Abschnitt des Pharynx, reicht vom Oberrand des Kehldeckels bis zum Ringknorpel und geht dann in die Speiseröhre über.
4.14.2.1 Innenrelief des Schlundes •
Pars nasalis pharyngis
Das Dach, Fornix pharyngis, liegt den Körpern des Keil- und Hinterhauptsbeines an und geht allmählich in die dem Atlas anliegende Hinterwand über. An der Seitenwand befindet sich in Verlängerung der unteren Nasenmuschel die im Durchmesser ca. 4 mm große Schiundöffnung der Ohrtrompete, das Ostium phaiyngeum tubae auditivae. Durch die Ohrtrompete, Tuba auditiva, steht der Schlund mit dem Mittelohrraum, Cavitas tympanica, in Verbindung. Die Tubenöffnung liegt beim Erwachsenen in Höhe der unteren Muschel oder etwas tiefer, beim Neugeborenen fast in Höhe des harten Gaumens. Für das Sondieren der Tube führt man das Instrument durch den unteren Nasengang ein. Die TubenÖffnung wird hinten und oben von dem Tubenwulst, Torus tubarius, unter dem der hakenförmig gebogene Tubenknorpel liegt, umrahmt. Er verliert sich nach unten hinten als Plica salpingopharyngea in der seitlichen Pharynxwand; unten vorn läuft er in der Plica salpingopalatina aus. Von unten wölbt sich der M. levator veli palatini als Levatorwulst, Torus levatorius, gegen die Tubenöffnung vor. Beim Heben des weichen Gaumens ist er gut im Nasenspiegel zu erkennen. Hinter dem Tubenwulst ist der Pharynx zu dem spaltförmigen Recessus pharyngeus (Rosenmüller) ausgebuchtet. Der Recessus pharyngeus stellt eine tiefe, schmale Tasche dar, welche nach hinten lateral verläuft und in Höhe des Eintritts der A. carotis interna in den Karotiskanal blind endet. Bei Neugeborenen und Kindern findet sich am Übergang des Daches in die Hinterwand in der Schleimhaut die Rachenmandel, Tonsilla pharyngea. Klinik: Eine vergrößerte Rachenmandel verlegt den Zugang zur Nase. Dadurch wird die Nasenatmung behindert und es kommt zur Mundatmung.
304
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Sinus sphenoidal^
I
I
superior
_ __
inferior
Fornix p h a r y n g i s /
media
s
Ostium pharyngeum tubae
^ ^
Torus t u b a r i u s
-
Tonsilla p h a r y n g e a
Plica saipingopalatina Torus l e v a t o r i u s -
Recessus pharyngeus
Velum palatinum Atlas Arcus palatoglossus Tonsilla palatina Foramen caecum linguae Tonsilla lingualis Vallecula epiglottica Os h y o i d e u m Cartílago epiglottica
Cartílago thyroidea
Plica
salpingophnryngea
Fossa supratonsiilaris Arcus palatopharyngeus Axis
Epiglottis Aditus laryngis
Ventricuius laryngis
C a r t í l a g o c r i c o i d e a (Lamina) C a r t í l a g o c r i c o i d e a (Arcus)
T r a c h e o t o m i a superior
Oesophagus
Isthmus g l a r i d u l a e t h y r o i r l e a e
F r a c h e o t o m i a int: rior
Abb. 4.97: Mediansagittalschnitt durch Schlund und Kehlkopf. Pars nasalis, Pars oralis und Pars laryngea pharyngis sind durch dicke schwarze Linien schematisch abgegrenzt. Die Pfeile zeigen Wege der Tracheotomia superior und inferior
•
Pars oralis pharyngis
Der Pars oralis pharyngis liegen vorn unterhalb des Isthmus faucium der Zungengrund mit den Tonsillae linguales und die Vatleculae epiglotticae an. Letztere stellen gemeinsam mit den sie begrenzenden Ausgleichsfalten, der Plica glossoepiglottica mediana und den beiden seitlich davon liegenden Plicae glossoepiglotticae laterales die verschiebliche Verbindung zwischen Kehldeckel und Zunge dar. In der Seitenwand des Isthmus faucium liegen die Gaumenbögen, zwischen denen sich in der Fossa tonsillaris die Gaumenmandel, Tonsilla palatina, befindet.
• Pars laryngea pharyngis Die Pars laryngea pharyngis ist der längste der drei Schiundabschnitte. Sie geht hinter dem Ringknorpel in den Oesophagus über (Constrictio pharyngooesophagealis, 1. Enge der Speiseröhre, ca. 15 cm von den Zahnreihen entfernt). Die Hinterwand liegt vor den Körpern des 4.-6. Halswirbels. An der Vorderwand liegt oben der von Epiglottis und Plicae aryepiglotticae eingefaßte Kehlkopfeingang, unten die Rückfläche der Stellknorpel und des Ringknorpels mit den dazugehörigen Muskeln. Zwischen den Stellknorpeln befindet sich die Incisura interarytenoidea.
4.14 Schlund, Pharynx
305
Choanae
I iorus tubarlus
Cartílago tubae audltivae
.
M tensor veli palatini
Plica s a l p i n g o p h a r y n g e a l
levator veli palatini
S e p t u m nasi - . - M
Palatum molle -
salpingopharyngeus
- M . constrictor pharyngis superior M . uvulae
-
- M
Uvula A i c u s palatopharyngeus
Tonsilla palatina -
Ν glossopharyngeus, Rr. dorsales linguae
Papillaevaüatae Ton:,ni,11inguairs
Vallecula epiglottica — Incisure interarytenoidea
Epiglottis D :;.:
palatopharyngeus
—
; g 1 : , ; ; · piglottica lateralis
N. laryngeus superior A laryngea superior
Piica η laryngei R. c o m m u n i c a n s cum il laryngée ir feriore
Recessus piriformis —
Schnittrand de· S c h l e i m h a u t
M cricoarytaenoldeus posterior
mir S c h l e i m h a u t a s t e n
Glandula thyroidea
A. laryngea u ter ir
—
~~ — N. laryngeus inferior — — —
Oesophagus
Oesophagus - — A. thyroidea inferior ~
Glandula parathvroidea inferior —
r«. laryngeus recurrens
Abb. 4.98: P h a r y n x v o n d o r s a l eröffnet. R e c h t s D a r s t e l l u n g v o n S c h l u n d - , G a u m e n - u n d K e h l k o p f m u s k e l n s o w i e G e f ä ß e n u n d N e r v e n n a c h E n t f e r n u n g d e r S c h l e i m h a u t . V e r d e c k t e Teile d e r N e r v e n punktiert
Dorsal der Plicae glossoepiglotticae laterales wölben der N. laryngeus superior und die gleichnamigen Gefäße die Schleimhaut zur Plica nervi laryngei superioris vor. Zwischen dem Schildknorpel und der Plica aryepiglottica liegt der Recessus piriformis. Klinik: Fremdkörper (z. B. Fischgräten) können sich im Recessus piriformis festsetzen. Sie lösen einen Hustenreflex (N. vagus) aus.
4.14.2.2 Histologie Die Pharynxwand besteht aus 3 Schichten: • •
Tunica mucosa, Tunica muscularis (entspricht den Pharynxmuskeln) und • Tunica adventitia. Pharynxschleimhaut. Sie ist im oberen Pharynxabschnitt von einem mehrreihigen Flimmerepithel bedeckt, im mittleren und unteren Teil von mehrschichtigem unverhorntem Plattenepithel. Im Epithel der Pars oralis pharyngis können gelegentlich Geschmacksknospen auftreten. Auf der Oberfläche des Epithels öffnen sich die Ausfuhrungsgänge gemischter Speicheldrüsen, Glandulae pharyngeales.
306
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Die Pharynxschleimhaut ist fest an der Tunica muscularis befestigt und bildet keine Falten. Tela submucosa: Zwischen der Schleimhaut und der Muskelschicht des Pharynx ist ein fibröses Bindegewebe eingelagert, welches einer Tela submucosa entspricht. Das kranial besonders kräftige faserreiche submuköse Bindegewebe wird als Fascia pharyngobasilaris bezeichnet und dient der Befestigung des Schlunds am Schädel. Die Tunica adventitia stellt eine dorsale Verlängerung der Faszie des M. buccinator, Fascia buccopharyngea, dar und geht kaudal in die Adventitia der Speiseröhre über. Sie schließt den Pharynx gegen den lateropharyngealen und retropharyngealen Raum ab. Dorsal ist sie durch das lockere retropharyngeal Bindegewebe, welche das Gleiten vor der Wirbelsäule ermöglicht, mit der Lamina prevertebralis der Fascia cervicalis verbunden.
4.14.3
Pharynxmuskeln, Musculi pharyngis (Abb. 4.99, 100)
Die quergestreiften Muskeln bilden die Tunica muscularis. Wir unterscheiden: Muskeln mit ringförmigem Verlauf der Muskelfasern (3 Paar Mm. constrictores pharyngis, Schlundschnürer) und Muskeln mit Längsverlauf der Muskelfasern (zwei Paar Mm. levatores pharyngis, Schiundheber).
4.14.3.1 Schlundschnürer Die Muskelfasern der Pharynxkonstriktoren ziehen nach dorsal, wo sie medial an der Raphe pharyngis, einem Bindegewebsband, welches am Tuberculum pharyngeum beginnt, ansetzen. Teilweise gehen sie auf die andere Seite über und verweben sich mit Fasern des kontralateralen Muskels. 1. M. constrictor pharyngis superior. Er hat die Form einer viereckigen Platte und besteht in Abhängigkeit vom Ursprung seiner Fasern aus 4 Teilen: Pars pterygopharyngea, Pars buccopharyngea, Pars mylopharyngea, Pars glossopharyngea. O.: Pars pterygopharyngea: unteres Drittel der Lamina medialis des Processus pterygoideus und Hamulus pterygoideus, Pars buccopha-
ryngea: Raphe pterygomandibularis, Pars mylopharyngea: Linea mylohyoidea der Mandíbula und Pars glossopharyngea: Eigenmuskulatur der Zunge im Bereich der Zungenwurzel. /. : Die Muskelfasern der 4 Teile ziehen horizontal nach dorsal zur Raphe pharyngis. Der Oberrand des Muskels erreicht die Schädelbasis nicht, so dass beidseitig der Raphe pharyngis zwischen Oberkante des Muskels und Schädelbasis ein muskelfreies Feld entsteht, welches vom straffen Bindegewebe der Fascia pharyngobasilaris ausgefüllt wird. L.: N. glossopharyngeus, A. pharyngea ascendens F.: Bei Kontraktion des M. constrictor pharyngis superior entsteht an der hinteren Pharynxwand der Passavant-Wulst (Beim Schluckakt wird das Gaumensegel an den Passavant-Wulst gedrückt. Damit wird die Pars nasalis pharyngis gegenüber der Pars oralis verschlossen und ein Übertreten von Speise oder Flüssigkeit in die Pars nasalis pharyngis und die Nasenhöhle verhindert.) 2. M. constrictor pharyngis medius: Er besteht aus 2 Teilen: Pars chondropharyngea und Pars ceratopharyngea. O. : Pars chondropharyngea: großes Zungenbeinhorn, Pars ceratopharyngea: kleines Zungenbeinhorn /.: Raphe pharyngis. Der Muskel hat die Form einer dreieckigen Platte, deren breite Basis der Raphe pharyngis anliegt und deren Spitze zum Zungenbein zeigt. Die oberen Muskelfaserbündel liegen dem M. constrictor pharyngis superior teilweise dorsal auf. L.: N. glossopharyngeus, N. vagus, Α. pharyngea ascendens 3. IM. constrictor pharyngis inferior Er besteht aus 2 Teilen: Pars thyropharyngea und Pars cricopharyngea. 0.: Pars thyropharyngea: Linea obliqua des Schildknorpels, Pars cricopharyngea: Seitenfläche des Ringknorpels und Membrana cricothyroidea 1.: fächerförmig nach hinten ziehend strahlen die Muskelfasern in die Raphe pharyngis ein. L.: N. vagus, Α. pharyngea ascendens F.: Die drei Muskeln verengen das Lumen des Pharynx.
307
4.14 Schlund, Pharynx
Fast a p h a n / i i g o t a s i l a r i s
Raphe p h a r y n g i s
M . ' onstrictor pharyngis superior M
stylopharyngeus
M.pterygoideus medialis
Ivi. c o n s t i ictoí p h a r y n g i s m é d i u s
Os hyoicleum. Cornu m a j u s
M . c o n s t i l i tor p h a r y n g i s i n f e r i o r x
M . p a l a t o p h a r y n g i us
Glandula thyroidea
Glandula parathyroldea — _ .
Oesophagus — _
a
S c h i u n d m u s k e l n v o n hinten
M constrictor pharyngis superior Pars p t e r y g o p h a r y n g r a — Pars b u c c o p h a r y n g e a
-
r :r : m y i o p h a i y n g e a — Pars g l o s s o p h a i y n g e a
"
— "
M constrictor pharyngis médius Pars c e r a t o p h a i y n g e a
^
Par·· c h o n d r o p h a r y n g e a
^
M con: t r i c t o r p h a r y n g i s i n f e r i o r Pars t h y r o p h a r y n g e a
'
Pars c r i c o p h a r y n g e a —
Abb. 4.99: P h a r y n x m u s k u l a t u r v o n d o r s a l ( o b e n ) u n d v o n d e r Seite ( n a c h G.-H. S c h u m a c h e r )
b
S c h i u n d m u s k e l n v o n der Seite
"
308
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
M. tensor veli palatini ^ \
\
M.levator veil palatin
N
\
x
M. buccinator
IVl.stylopharyngeus —
M styloglossus —
~
"
Raphe p t e r y g o m a n d i b u l a r ^
M digastricus, Venter posterior —
M constrictor pharyngis superior \
""
M. digastricus, Venter anterior
\ M. stylohyoideus
M. constrictor pharyngis inferior —
a
b
M. mylohyoideus
"
am S c h l u c k a k t beteiligte M u s k e l n
Stellung von G a u m e n und Kehlkopf beim Säugling
c
Luft- u n d S p e i s e w e g in d e r S c h l u c k s t e l l u n g w ä h r e n d der p h a r y n g e a l e n P h a s e
d
Luft- u n d S p e i s e w e g in d e r A t e m s t e l l u n g
Abb. 4.100: Darstellung der am Schluckakt beteiligten Muskeln (a) und der Phasen des Schluckaktes (c, d) (nach G.-H. Schumacher)
309
4.14 S c h l u n d , Pharynx
Klinik: Am Übergang des unteren Schlundschnürers in die Speiseröhre besteht an deren Hinterwand oft ein muskelschwaches, nur aus Ringfasern bestehendes Dreieck {LaimerDreieck). Dieses bildet als schwache Stelle die Grundlage für die Zenker-Oesophagusdivertikel (pharyngooesophageale Divertikel). Ca. 70 % aller Oesophagusdivertikel sind hier lokalisiert.
4.14.3.2 Schlundheber Die Gruppe der Pharynxheber besteht aus dem M. stylopharyngeus, dem M. palatopharyngeus und ggf. dem M. salpingopharyngeus. 1. M. stylopharyngeus. Er ist ein langer schmaler Muskel. O.: Proc. styloideus. /.: Seine Fasern ziehen an der Schiundwand entlang nach unten und treten zwischen dem M. constrictor pharyngis superior und medius an die Innenwand des Pharynx, wo sie sich in Bündel aufspalten, die teilweise in der Pharynxwand, teilweise am Kehlkopfskelett befestigt sind. L.: N. glossopharyngeus, A. pharyngea ascendens F.: Durch eine Kontraktion des Muskels werden Schlund und Kehlkopf gehoben. Dabei wird der Schlund verkürzt. 2. M. palatopharyngeus O. : An der Aponeurose des weichen Gaumens und angrenzenden Knochen (Hamulus, Lamina medialis processus pterygoidei). /.; Er tritt in die seitliche Schiundwand ein, in der er dorsalwärts bis zur Raphe und abwärts bis zum Hinterrand des Schildknorpels verläuft. Der Muskel bildet die Grundlage des Arcus palatoglossus. L.: N. glossopharyngeus, A. pharyngea ascendens F.: s. o.
4.14.3.3 Schluckakt (Abb. 4.100) Der Schluckakt läuft in 3 Phasen ab. Er beginnt mit der willkürlich beeinflussbaren oralen Phase, auf welche die pharyngeale und oesophageale Phasen folgen, die reflektorisch gesteuert und vom Willen nicht mehr beeinflussbar sind. Orale Phase: Die über die Mundöffnung aufgenommene und in der Mundhöhle zerkleinerte und mit Speichel durchmischte Nahrung wird am Gaumen entlang zum Isthmus faucium befördert. Dabei wird die Zunge durch Kontraktion der Mundbodenmuskulatur gegen den Gaumen geführt und unter Beteiligung der Mm. hyoglossi und styloglossi nach hinten verlagert. Durch Erzeugung eines Überdruckes in der Mundhöhle wird der zunächst geschlossene Isthmus faucium kurzfristig geöffnet, wodurch die Nahrungsportion in den Pharynx gelangt. Pharyngeale Phase: Der weitere Weg der Nahrung in Richtung Oesophagus wird durch • • •
eine Verlegung der Pars nasalis pharyngis, den Verschluss des Rückweges in die Mundhöhle und den Verschluss des Aditus laryngis festgelegt.
Der Epipharynx wird durch Hebung des Gaumensegels (Kontraktion der Mm. tensor und levator veli palatini) gegen den durch den M. constrictor pharyngis superior gebildeten Passavant-Wulst verschlossen. Der Rückweg in die Mundhöhle wird durch das Sphinkterensystem im Bereich des Isthmus faucium (Mm. palatoglossi) und die Verlagerung des Zungenkörpers nach hinten versperrt. Die während der oralen Phase erfolgte Hebung des Mundbodens (suprahyale Muskulatur, M. thyrohyoideus) bedingt eine Verlagerung von Zungenbein und Kehlkopf nach oben und vom unter den Zungengrund. Daraus resultiert eine passive Verlagerung des Kehldeckels über den Aditus laryngis mit reflektorischem Verschluß der Glottis und Hemmung der Atemmuskulatur. Oesophageale Phase: Der Weitertransport der Nahrung erfolgt durch Kontraktion der Schlundschnürer sowie Hebung und Verkürzung des Schlundes (Mm. stylopharyngeus und palatopharyngeus). Dabei wird die Pharynxwand gleichsam über die Nahrungsportion hinweg nach oben gezogen. Nach Erreichen des Oesophagus wird die Nahrung durch Peristaltik weitertransportiert.
3. M. salpingopharyngeus Sehr häufig entspringen auch Faserzüge vom Unterrand der Tuba auditiva, welche als M. salpingopharyngeus bezeichnet werden. Der Muskel wirft an der seitlichen Schiundwand die gleichnamige Falte (Plica salpingopharyngea) auf.
4.14.4
G e f ä ß e und Nerven des Pharynx (Abb. 4.101)
• Arterien. A. carotis externa —> A. pharyngea ascendens —» Rr. pharyngeales
310
4 Kopf, C r a n i u m , u n d Hals, C o l l u m
A
cerebelli superior
Rami ad p o n t e m
A. ceieori
A. communicans
p o s t e r or
posterior
Ν ill ·Ν
Ν . IV ,
Ν V
Ν . VI
Nn. facialis, i n t o r m e d i u s
,
/
vestibulocochlear^
_
A. labyrinthi . _
„
Ν
Λ. basilaris _
-
N n v a g u . ac ess irius
Aa vertebrales
-
Celluiae mastoideae
giossopharyngeus
- S nus s i g m o i d e u s _
—
N. h y p o g i o s s u s Condylus occipitalis
Fascia p h a r y n g o b a s i l a r i s
- Ν. h y p o g l o s s u s
V e n t e r p o s t e r i o r ni. di ¡ a s t r i c i -
- Ganglion inferius 1 . k r . vagi Iii p n a r y n g e i I
Ν. g i o s s o p h a r y n g e u s •
Ν
M . constrir lor p h a r / n g i s ..'..pei .or
ceivicalisll
Ganglion cervicale superius
Ν '.· a ; : : - s -
A pharyngea ascendens
Ganglion cervicale siiperius - -
A
M. sternocleidomastoidous -
occipitalis
A carotis externa
N. u c c e s s o r i u s N hypoglossus, Badix superior Plexus venosus p h a r y n g e u s M
A
— -
constrictor pharyngis médius
Ν hypoglossus, Radix superior
—
Ν I iryngeuf superior Cornu majus ossis hyoidei
—
facialis
A carotis interna
A. linguale, -
A thyroidea superior _
R internus I n . laryngei R. o x t e i n u s I s u p e r i o n s
ivi. c o n s t r i c t o r p h a r y n g i s
nfeiior N n . et Rr. c a r d i a c i s u p e r i o r e s
T r u n c a s s y m p a Lhioiis, V. j u g u i a r i s i n t e r n a Rr. et N n c a r d i a c i s u p e r i o r e s Ν
Ganglion cervicale medium
A laryngea inferior
Ν
vagus
Glandula thyroidea, --
Glandulae paralhyroideae
Ansa thyroidea
_ _ Ganglion cervicothoracicum
A. t h y r o i lea n f e r or -
(Ganglion stellatomi A. v e r t e b r a l i -
Ganglion cervicothoracicum ( G a n g l on sto i l a t u m ) Ductus thoracicus
V subi lavia
—
Ri o e s o p h a g e ! or t r a c h e a l e s —
A. s u b c l a v i a
-
x
\ ν \
N n ol Br c a r d i a c i
N. laryngeus recurrens d e x t e r Nr
e t Rr. c a r d i a c i i n f e r i o r e s
· Ri o e s o p h a g e i e t t r a c h e a l e s Arcus aortae N. v a g u s dexter
Plexuscardiacus Ν
aryngeus recurrens sinister — - — Aorta thoracica —
Bronchus principal
sinister Ν
— V azygos
—
Bronchus prim palis dexter
,'agiis
Ductusthoracicus
Oesophagus
Abb. 4.101: Pharynx, O e s o p h a g u s u n d G e f ä ß - N e r v e n s t r a n g d e s Halses v o n dorsal. W i r b e l s ä u l e u n d hinterer Teil d e s S c h ä d e l s sind entfernt
311
4.14 Schlund, Pharynx
Α. carotis externa —> A. facialis —> A. palatina ascendens (Tubenostium und Tonsilla palatina) Α. subclavia —» Truncus thyrocervicalis —» A. thyroidea inf. —> Rr. pharyngeales (Hypopharynx) Venen. Plexus pharyngeus -> Vv. pharyngeae —» V. jugularis interna Plexus pterygoideus —> V. jugularis interna Lymphgefäße. Der Lymphabfluss erfolgt in den Truncus jugularis. Regionale Lymphknoten. Nil. retropharyngeales und Nil. profundi superiores et inferiores Nerven. Plexus pharyngeus aus N. glossopharyngeus, N. vagus und Truncus sympathicus
•
• • •
4.14.5
Mandeln, Tonsillen, Tonsillae (Abb. 4.97, 4.98)
Der Bereich des Pharynx ist von lymphatischem Gewebe umgeben, welches in seiner Gesamtheit als Anulus lymphoidens pharyngis, lymphatischer Rachenring (Waldeyer) bezeichnet wird. Zu diesem Rachenring gehören: 1. 2. 3. 4. 5.
Rachenmandel Tonsilla pharyngea, Tubenmandel, Tonsilla tubaria Zungenmandel, Tonsilla lingualis Gaumenmandel, Tonsilla palatina, Lymphatisches Gewebe in der Schleimhaut der Plica salpingopharyngea.
•
Funktionen
Im Bereich der Krypten, Cryptae tonsillares, werden Antigene von Makrophagen aufgenommen, verarbeitet und an immunkompetente Zellen weitergereicht. Diese wandern in die Reaktionszentren von Lymphfollikeln ein, proliferieren und bilden als Plasmazellen Antikörper. •
Lage der Tonsillen
Die Tonsilla pharyngea liegt in der Schleimhaut des Epipharynx am Übergang des Pharynxdaches in seine Hinterwand. Die Tonsilla palatina liegt im Bereich des Isthmus faucium in der Fossa tonsillaris, dem Arcus palatopharyngeus angelagert. Die Tonsilla lingualis liegt in der Schleimhaut der Radix linguae.
Die Tonsilla tubaria befindet sich in der Schleimhaut des Torus tubarius. •
Allgemeiner Aufbau
Das die Tonsillen an der Oberfläche überziehende Epithel bildet tiefe Eisenkungen, Krypten, denen retikuläres Bindegewebe unterlagert ist, in welchem Lymphfollikel eingelagert sind. Bei den Lymphfollikeln handelt es sich in der Regel um Sekundärfollikel, deren kappenförmig aufgelagerter Lymphozytenwall zur Oberfläche gerichtet ist. Das Epithel besitzt Retikulierungszonen, in deren Bereich eine Basalmembran fehlt. Zellen aus dem subepithelialen Bindegewebe können gut in das Epithel eintreten und bilden mit ihm einen lymphoepithelialen Gewebsverband. Zu den eingewanderten Zellen gehören Plasmazellen, Lymphozyten, neutrophile Granulozyten und Makrophagen. Baubesonderheiten
der verschiedenen
Tonsillen
Kapsel: Die Tonsillae palatina, lingualis und pharyngea sind durch eine bindegewebige Kapsel vom darunter gelegenen Gewebe abgegrenzt. Der Tonsilla tubaria und dem lymphatischen Gewebe der Plica salpingopharyngea fehlt diese bindegewebige Kapsel. Epithel: Das die Tonsillen überziehende und in ihren Krypten retikulierte Epithel entspricht dem der Region, in welcher die entsprechenden Tonsillen lokalisiert sind, d. h. es ist Flimmerepithel im Bereich der Tonsillae pharyngea und tubaria und mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel im Bereich der übrigen Tonsillen. •
Gefäße und Nerven der Tonsilla palatina
Arterien t> A . pharyngea ascendens —» Rr. pharyngeales t> A. lingualis —> Rr. dorsales linguae t> A. facialis —» A. palatina ascendens —» R. tonsillaris Ο Α. facialis —» R. tonsillaris Venen. Plexus venosus pharyngeus —> V. jugularis interna Regionale Lymphknoten. Nodus jugulodigastricus Nerven. /.: N. glossopharyngeus, N. maxillaris (V,)
312
4.15
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
Übersicht und Einleitung Die Nasenhöhle, Cavitas nasi, ist Teil des oberen Respirationstraktes und beinhaltet das Geruchsorgan, Organum olfactorium. Sie ist paarig angelegt und wird in 2 hintereinander gelegene Räume, den Nasenvorhof, Vestibulum nasi, und die eigentliche Nasenhöhle, Cavitas nasi, unterteilt. Beide sind vollständig durch das meist asymmetrische Nasenseptum, Septum nasi, getrennt. Das Vestibulum nasi entspricht weitgehend der äußeren Nase und ist über die Nasenlöcher, Nares, mit der äußeren Körperoberfläche verbunden. Die pyramidenförmige Cavitas nasi steht hinten über die sekundären Nasenöffnungen, Choanen, mit der Pars nasalis pharyngis in Verbindung. Seitlich ist die Cavitas nasi über verschiedene Öffnungen mit den Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales, verbunden.
umfassen u.a. Erwärmung, Anfeuchtung und Filtration der Atemluft. Da die Cavitas nasi außerdem, zusammen mit den Nasennebenhöhlen, ein Resonanzorgan darstellt, ist sie auch für die Sprache von Bedeutung. Schließlich ist die stark vaskularisierte Schleimhaut der Nasenhöhle an der Thermoregulation des Organismus beteiligt. Entwicklung Lernziele: Entwicklung von äußerer Nasenhöhle und Nasennebenhöhlen •
Äußere Nase, primäre Nasenhöhle. Die Entwicklung der äußeren Nase und der primären Nasenhöhle hängt eng mit der des Gesichts und der Mundhöhle zusammen (Kap. 4.13.4.1, S. 299). In der 3. Woche kommt es im Bereich des Stirnnasenfortsatzes zum Auftreten von Riechplakoden. Die von j e 2 Epithelleisten begrenzten Riechplakoden vertiefen sich zu Riechgruben, die den unteren seitlichen Rand des Stirnnasenfortsatzes in einen medialen und lateralen Nasenfortsatz unterteilen. Während die medialen Nasenfortsätze vorwiegend zur Bildung des Nasenrückens und eines Teils des Nasenseptums beitragen, liefern die seitlichen Nasenfortsätze das Material für die Nasenflügel und die Weichteile um die Nasenöffnungen. Durch eine vorübergehende Verbindung des Epithels des medialen und lateralen Nasenfortsatzes entsteht in der Tiefe eine kontinuierliche Verbindung der Riecksäcke (verlängerte Riechgruben) mit dem Mundhöhlenepithel. Durch Einreißen dieser Membrana oronasalis bei Embryonen mit einer SSL von 15 mm entwickelt sich zunächst eine vordere und etwas später eine hintere primäre Nasenöffnung, primäre Choanen. Beide Öffnungen begrenzen das Gebiet der primären Nasenhöhle, deren Boden vom primären Gaumen gebildet wird.
•
Definitive Nasenhöhle. Etwa zeitgleich mit der Entstehung eines medianen Nasenseptums, kommt es an den medialen Rändern der Oberkiefers zur Bildung von Gaumenfortsätzen (Kap. 4.13.4.1, S. 299), die zunächst nach unten
Weitere Begriffe •
Pars respiratoria. Der respiratorische Teil der Schleimhaut kleidet den größten Teil der Nasenhöhle aus und setzt sich in modifizierter Form auch in die Schleimhaut der Nasennebenhöhlen fort. Ausnahmen hiervon bilden das Vestibulum nasi, das Merkmale der äußeren Haut aufweist, sowie ein Schleimhautbezirk, der das Organum olfactorium beinhaltet. • Pars olfactoria. Die Riechschleimhaut ist auf ein kleines Areal im Bereich der oberen Nasenmuschel und des angrenzenden Teils des Nasenseptums beschränkt (Einzelheiten s. Kap. 4.15.1.3, S. 315). Nasenzyklus. Beide Seiten der Nasenhöhle werden meist nicht zur gleichen Zeit belüftet. Vielmehr wechselt die Belüftung alle 2 bis 3 Stunden von der einen zur anderen Seite. Die Faktoren für diesen als Nasenzyklus bezeichneten Prozess sind noch nicht hinreichend bekannt. Funktion Die Funktionen der Pars respiratoria der Nasenhöhle sind noch nicht vollständig bekannt. Sie
Nase,
4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
vorwachsen. Die ursprünglich zwischen den Gaumenfortsätzen gelegene Zunge senkt sich plötzlich bei Embryonen mit einer SSL von 26 mm nach unten. Die Gaumenfortsätze, Processus palatini, verändern nun ihre Wachstumsrichtung und wachsen in der Horizontalebene nach medial. In der Medianebene vereinigen sie sich mit dem nach unten vorwachsenden Nasenseptum sowie mit dem primären Gaumen zum sekundären Gaumen. Die Verschmelzung in der Medianebene erfolgt von vorn nach hinten. Am Übergang zwischen primären und sekundären Gaumen bleibt ein Epithelstrang erhalten, welcher später zum Canalis incisivus kanalisiert. Die sekundäre hintere Öffnung der Nasenhöhle wird zu den Choanen, welche die Nasenhöhle mit dem Pharynx verbinden. • Knorpelige Nasenanlage. Die knorplige Nasenkapsel ist bei 3 Monate alten Feten vollständig ausgebildet. Sie setzt sich aus knorpligen Anteilen des Septum nasi und der seitlichen Nasenwand zusammen und ist mit der knorpligen Anlage des Keilbeins verbunden. Während die knorplige Anlage der Nasenhöhle vorn unten von den Cartilágines septales begrenzt wird, entstehen an der Innenseite die knorpligen Anlagen der 3 Nasenmuscheln (Conchae nasales). Die knorplige Nasenkapsel geht später teilweise zugrunde, so dass die Knochen, welche die Wände der Nasenhöhle bilden z. T. durch enchondrale Ossifikation und z. T. durch desmale Ossifikation entstehen. •
Nasennebenhöhlen. Die Nasennebenhöhlen werden in der Fetalperiode angelegt, erfahren aber erst postnatal ihre größte Entfaltung. Noch bevor die knorpelige Nasenanlage zugrunde geht, entstehen in der 10.-12. Woche die Anlagen der Nasennebenhöhlen aus Schleimhautdivertikeln in der seitlichen Nasenwand. Eine Ausnahme bildet die Keilbeinhöhle, Sintis sphenolidalis. Im Bereich des mittleren und oberen Nasenganges entwickelt sich zunächst eine Reihe von Divertikeln, aus denen sich später das Siebbeinlabyrinth, Labyrinthus ethmoidalis, entwickelt. Kieferhöhle, Sinus maxillaris, und Stirnhöhle, Sinus frontalis, gehen in der Regel aus einem gemeinsamen Recessus, dem Infundibulum ethmoidale, hervor. Die Entwicklung der Stirnhöhle kann aber auch von einem Recessus frontalis oder einer Siebbeinzelle ausgehen. Die Keilbeinhöhle, Sinus sphenoidalis, entsteht als
313
Ausbuchtung der Nasenschleimhaut in den hinteren Abschnitt der knorpligen Nasenhöhle am Ende des 3. Monats. Die Sinusanlagen wachsen zunächst innerhalb der knorpligen Nasenanlage vor, primäre Pneumatisation. Später, nach dem Passieren bzw. dem Untergang der knorpligen Nasenanlage kommt es zur Pneumatisation der Knochen, welche die Wände der Nasenhöhle bilden, sekundäre Pneumatisation.
4.15.1
Nasenhöhle, Cavitas nasi
Lernziele: Äußere Nase. Vestibulum nasi. Cavitas nasi Wandaufbau, Schleimhautverhältnisse, Verbindungen zu Nachbarstrukturen, Gefäße. Nerven
4.15.1.1 Äußere Nase Die äußere Nase verleiht dem Gesicht des Menschen ein charakteristisches Profil. Die typische menschliche Nase, mit nach unten gerichteten Nasenlöchern (Nares), ist erst bei Homo erectus nachweisbar. Sie besteht aus einem knöchernen Anteil: 1. Nasenbeine (Ossa nasalia), 2. Stirnfortsatz des Oberkiefers (Processus frontalis maxillae) und aus einem knorpligen Anteil: Cartilágines nasi (Abb. 4.102, 4.103).
Klinik: Bedingt durch die nach unten gerichteten Nasenlöcher muss bei der Spiegeluntersuchung der Nasenhöhle von vom (Rhinoscopia anterior) der Kopf des Patienten nach hinten geneigt und außerdem die Nasenflügel mit Hilfe eines Nasenspekulums gespreizt werden. •
Knöcherne Anteile
An der Bildung der äußeren Nase beteiligen sich die Nasenbeine, Ossa nasalia, und die Stirnfortsätze des Oberkiefers, Processus frontales maxillae. Sie bilden den knöchernen Rahmen der äußeren Nasenöffnung. Apertura piriformis. Der untere Teil der Apertura piriformis ist spitzwinklig zum vorderen Nasensporn, Spina nasalis anterior, ausgezogen. Nasenbeine, Ossa nasalia. Die beiden flachen und viereckigen Kochen sind in der Mittellinie über die Sutura internasalis miteinander verbunden.
314
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Sirius f r o n t a l i s Crista galli I amina cribrosa
Fossa hypophysialls
—
/
/
—
_ — · Sinus sphenoidale
Os n a s a l e
Lamina perpendicularis Processus posterior [sphenoidalisi
C a r t i i a g o s e p t i nasi
Vomer Cartílago alaris major Processus pterygoideus
Canalis incisivus
Hamulus pterygoideus
/ Processus palatinus maxillae
Lamina horizontals
/ ^lls,a
nasa
¡ls
ossis palatini
Abb. 4.102: Nasenscheidewand, Septum nasi. Ansicht von links
nasalia und den Processus laterales besteht eine Überlappungszone, in der sich die Seitenknorpel unter die Nasenbeine schieben. Vorn und seitlich stehen sie mit den Flügelknorpeln, Cartilágines alares majores, in Verbindung. Hier befindet sich eine weitere Überlappungszone, wobei die Crura lateralia der Flügelknorpel die Seitenknorpel ein Stück bedecken.
Im unteren Teil der Ossa nasalia werden mitunter Foramina, Foramina nasalia, beobachtet, die dem Durchtritt von Nerven und Gefäßen dienen. Seitlich stoßen die Nasenbeine über die Sutura nasomaxillaris mit dem Processus frontalis maxillae zusammen. Die Sutura nasofrontalis verbindet die Ossa nasalia mit dem Stirnbein. Klinik: Der Kreuzungspunkt der Sutura internasalis mit der Sutura nasofrontalis wird als Nasion bezeichnet und ist ein wichtiger Messpunkt am Schädel. •
Flügelknorpel, Cartilágines alares majores. Die Cartilágines alares majores umfassen je mit einem Crus mediale und Crus laterale die Nasenlöcher, Nares, und bilden zugleich die Grundlage der Nasenflügel, Alae nasi. Sie bestimmen maßgeblich die Form der Nasenspitze, Apex nasi. Die Flügelknorpel sind nur locker mit den übrigen Knorpeln verbunden. Im hinteren lateralen Teil der Nasenflügel befinden sich zusätzliche Knorpelschüppchen, Cartilágines alares minores und Cartilágines nasales accessoriae.
•
Varianten. Hinter der Spina nasalis anterior wird mitunter ein Knorpelstreifen beobachtet, der sich dem Unterrand des knorpligen Nasenseptums seitlich anlegt. Diese Cartiiago vomeronasalis ist als Rest des rückgebildeten Organum vomeronasale (Jacobson-Organ) aufzufassen (s. Lehrbuch der Embryologie).
Nasenknorpel Die Cartilágines nasi bilden den beweglichen Teil der äußeren Nase und sind aus hyalinem Knorpel aufgebaut. Zu ihnen zählen: 1. die Seitenknorpel, Processus laterales, des knorpligen Nasenseptums (alte Bezeichnung: Cartiiago nasi lateralis), 2. die Flügelknorpel, Cartilágines alares majores, 3. zusätzliche Knorpelschüppchen: Cartilágines alares minores und Cartilágines nasales accessoria.
•
•
Seitenknorpel, Processus laterales. Sie sind meist nur im oberen Teil mit dem knorpligen Nasenseptum verbunden und setzen die Ossa nasalia nach vorn unten fort. Zwischen den Ossa
4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
Klinik: Der von den Crura medialia der Flügelknorpel geformte Bereich wird auch als Columella bezeichnet und ist mit Haut überdeckt. •
4.15.1.2 Nasenvorraum, Vestibulum nasi Der Nasenvorraum ist der vordere Teil der Nasenhöhle und entspricht weitgehend der Ausdehnung der Nasenflügel, Alae nasi. Am Übergang zwischen Vestibulum nasi und der eigentliche Nasenhöhle befindet sich innen eine bogenförmige Leiste, Limen nasi. Sie wird durch den freien Rand des Crus laterale des Flügelknorpels, Cartílago alaris majoris aufgeworfen. Die innere Oberfläche des Vestibulum nasi ist mit mehrschichtigem verhorntem Plattenepithel ausgekleidet. In der Tunica mucosa befinden sich zudem apokrine Glandulae vestibulares nasi und kräftige Haare, Vibrissae.
Muskeln. Im Bereich der äußeren Nase sind folgende mimische Muskeln befestigt: 1. M. depressor septi, 2. M. nasalis mit Pars transversa und Pars alaris, 3. M. levator labii superioris alaeque nasi, 4. M. procerus. Sie werden an anderer Stelle beschrieben (Kap. 4.8.1.1.2, S. 228, Kap. 4.8.1.1.4, S. 229).
• Gefäße und Nerven der äußeren Nase Arterien. Die arterielle Versorgung der äußeren Nase erfolgt über die A. facialis, A. infraorbitalis und A. ophthalmica. Eine zusätzliche Versorgung über die A. ethmoidalis anterior ist möglich. > Die A. facialis entsendet Äste zum Nasenflügel und zum unteren Teil des Nasenseptums. > Die A. infraorbitalis gibt Äste zur seitlichen Nasenwand und zum Nasenrücken ab. I> Die A. dorsalis nasi, aus der A. ophthalmica, versorgt den Nasenrücken. Sie anastomosiert häufig mit Zweigen der A. facialis auf dem Nasenrücken. Venen. Der venöse Abfluss erfolgt über die V. facialis. Letztere steht über die V. angularis mit der V. ophthalmica superior in Verbindung (Abb. 4.55).
Klinik: Am Übergang zwischen Vestibulum nasi und der eigentlichen Nasenhöhle befindet sich ein ca. 1,5 mm breiter Schleimhautbezirk mit einem ausgeprägten Kapillargeflecht. Dieser als Locus Kiesselbachii bezeichnete Schleimhautstreifen ist ein bevorzugter Ort für das Nasenbluten (Epistaxis).
4.15.1.3 Nasenhöhle, Cavitas nasi (Abb. 4.103) Die paarige Nasenhöhle liegt größtenteils unter der vorderen Schädelgrube, Fossa cranii anterior. Sie schließt sich hinten an das Vestibulum nasi an und öffnet sich dorsal über die Choanen in die Pars nasalis pharyngis. Die Nasenhöhle weist die Gestalt einer Pyramide auf und verbreitert sich nach unten. Drei übereinanderliegende Nasenmuscheln, Conchae nasales, in der Seitenwand der Nasenhöhle bedingen eine Unterteilung in Nasengänge, Meatus nasi. In die Seitenwände der Cavitas nasi münden die Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales.
Klinik: Der Abfluss über das Stromgebiet der V. ophthalmica superior zum Sinus cavernosus ist bei Entzündungen im Bereich von Oberlippe und Nase von klinischer Relevanz. Lymphgefäße. Der Abfluss erfolgt zusammen mit der Lymphe aus der Ober- und Unterlippe und der Wange zu den Nil. submandibulares. Ein Abfluss zu den Nil. parotidei ist möglich. Nerven. Die motorische Nerven fur die Nasenmuskeln entstammen den Rr. buccales des N. facialis. An der sensiblen Innervation der Haut sind beteiligt N. infratrochlearis und N. nasociliaris (beide aus dem N. ophthalmicus) sowie der N. infraorbitalis (vom N. maxillaris).
315
• Topographie: 3 übereinander liegende Nasengänge mit zahlreichen Verbindungen zu Nachbarstrukturen •
Meatus nasi inferior, unterer Nasengang zwischen Concha nasalis inferior und Gaumen. Im vorderen Teil des Meatus nasi inferior liegt die nasale Öffnung (Apertura ductus nasolarimalis) des Tränennasenkanal.s, Ductus nasolacrimalis.
316
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Os f r o n t a l e
A i a minor ossis sphenoidalis
Crista galli
—
Hiatus semilunaris
^
Fossa hypophysialis
— Sinus sphenoidalis
Processus u n c i n a t u s _ • Os n a s a l e
Os e t h m o i d a l e (Concha nasalls
—
superiori
Os l a c r i m a l e
Os o c c i p i t a l e (Ciivus)
^ ^
y Foramen s p h e n o p a l a t i n e Bulla e t h m o i d a l s
^ Processus pterygoideus
Maxilla
Os p a l a i n u m C o n c h a nasalls inferior
Abb.4.103: Links: Schematische Darstellung der lateralen Wand der Nasenhöhle, Cavltas nasi, nach Entfernung der Nasenscheidewand. Ansicht von links. Rechts: Schematlscher Frontalschnitt durch den G e s i c h t s s c h ä d e l mit Darstellung der Nasen- und der Nasennebenhöhlen. Die Farben entsprechen dem linken Teil der Abbildung. Blau - O s zygomaticum. Septum nasi: blau - knorpliger Teil der Nasenscheidewand. Der unbeschriftete Pfeil kennzeichnet die Verbindung der rechten Kieferhöhle mit dem mittleren N a s e n g a n g
Sie wird beim Lebenden durch eine Schleimhautfalte (Hasner-Klappe) eingeengt. • Meatus nasi médius, mittlerer Nasengang zwischen Concha nasalis inferior und Concha nasalis media. Hier münden Sinus maxillaris, Sinus frontalis und die mittleren und vorderen Siebbeinzellen. Sinus maxillaris und Sinus frontalis münden i. d. R. nicht direkt, sondern über eine trichterförmige Rinne, Infundibulum ethmoidale in den Meatus nasi médius. Die vorderen und mittleren Siebbeinzellen öffnen sich meist dorsal vom Infundibulum ethmoidale zum mittleren Nasengang. •
Meatus nasi superior, oberer Nasengang zwischen Concha nasalis media und Concha nasalis superior. Hier münden die hinteren Siebbeinzellen. In einer Rinne hinter dem Meatus nasi superior, Recessus sphenoethmoidalis, öffnet sich die Keilbeinhöhle in die Cavitas nasi.
• Wände der Nasenhöhle 1. Dach. Von anterior nach posterior bilden folgende knöcherne Strukturen das Dach der Nasenhöhle: Os nasale, Pars nasalis ossis frontalis, Lamina cribrosa des Siebbeins. Über zahlreiche Öffnungen (Foramina cribrosa) in der horizontalen Siebbeinplatte, Lamina cribrosa, steht die Nasenhöhle mit der vorderen Schädelgrube, Fossa cranii anterior, in Verbindung. Im hinteren Teil des Dachs
liegt am Übergang zwischen Lamina cribrosa und Corpus ossis sphenoidalis eine Rinne, der Recessus sphenoethmoidalis, welche den Eingang in die Keilbeinhöhlen markiert (Abb. 4.104) 2. Boden. Der Boden ist breiter als das Dach der Nasenhöhle. Er wird gebildet von der Prämaxiila (primärer Gaumen), den Gaumenfortsätzen des Oberkiefers (Processus palatini maxillae) sowie von der Lamina horizontalis des Gaumenbeins. Im vorderen Drittel befindet sich etwa in der Medianebene am Boden der Nasenhöhle eine Vertiefung (Fossa incisiva). Die Fossa incisiva steht über die Canales incisivi mit der Mundhöhle in Verbindung. Letztere beginnen an der Kreuzung der Sutura palatina mediana mit dem Proc. alveolaris maxillae. Sie vereinigen sich nach kaudal, und enden im Dach der Mundhöhle als Foramen incisivum. 3. Seitenwand. Das Relief der Seitenwand wird von den drei übereinanderliegenden Nasenmuscheln geprägt: Concha nasalis inferior, Concha nasalis media und Concha nasalis superior. Dabei springt die untere Nasenmuschel am weitesten nach anterior. Zusätzlich kann eine Concha nasalis suprema ausgebildet sein. Während die untere Nasenmuschel ein eigenständiger Knochen ist, sind die oberen Nasenmuscheln Teil des Siebbeins. Furchenbildungen an der mittleren Nasenmuscheln kommen bei Erwachsenen zu 6 % vor und können
317
4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
P f e i l / « g t in die M ü n d u n g der Cellulae anteriores sinus ethmoidalis Sinus frontalis Concha nasalis superior
ι
Bulla ethmoidalis
I
Recessus sphenoethmoidalis, /
/ 0s nasale
Pfeil zeigt in die Apertura sinus sphenoidaiis
/
χ
Fossa hypophysis!* Agger nasi . Sinus sphenoidaiis
Concha nasalis media (gefenstertl
Pfeil zeigt _
Hiatus semilunaris
in die M ü n d u n g der Cellulae posteriores sinus ethmoidalis
Limen nasi
Recessus Vestibulum nasi — Vibrissae -
ptiaryngeus "
—
Ostium pharyngeum tubae
C a r t í l a g o a l a r i s major M ü n d u n g des Ductus
' Torus tubarius
nasolacrimal^
l a b i u m superius
Torus l e v a t o r i u s
\
Canaiis incisivus
\
/ Palatum durum
\ \
C o n c h a n a s a l i s inferior
P i c a salpingopharyngea
Palatum molle
(gefenstert)
Abb. 4.104: Laterale Wand der Cavitas nasi nach Wegnahme d e s Nasenseptums. Die C o n c h a e nasalis inferior und media sind teilweise reseziert. Im Bereich des Hiatus semilunaris weist der weiße Pfeil auf d a s Infundibulum ethmoidale und der unbeschriftete schwarze Pfeil auf die Öffnung der Kieferhöhle
mit zusätzlichen Nasenmuscheln verwechselt werden. Die 3 Nasengänge sind nach medial zum gemeinsamen Nasengang, Meatus nasi communis geöffnet. Letzterer mündet über den Meatus nasopharyngeus und die Choanen in die Pars nasalis pharyngis. Folgende Strukturen bilden die knöcherne Seitenwand der Nasenhöhle: Os nasale, Oberkiefer mit Processus frontalis und Corpus maxillae, Os lacrimale, Siebbein mit Processus uncinatus und Conchae nasalis media et superior, Concha nasalis inferior, Gaumenbein mit Lamina perpendicularis. Am unteren Rand des Recessus sphenoethmoidalis befindet sich in Höhe des dorsalen Randes der mittleren Nasenmuschel das Foramen sphenopalatinum. Hierbei handelt es sich um eine Lücke zwischen Proc. orbitalis und Proc. sphenoidaiis des Gaumenbeins sowie dem Keilbeinkörper. Es verbindet die Nasenhöhle mit der Fossapterygopalatina und dient dem Durchtritt von Nerven und Gefäßen.
4. Nasenscheidewand, Septum nasi. Sie besteht aus einem vorderen knorpligen Teil (Cartílago septi nasi) und einem hinteren knöchernen Teil. Der knorplige Teil des Nasenseptums ist relativ beweglich und wird auch als Pars mobiiis bezeichnet. Unterhalb des vorderen knorpligen Teils befindet sich ein membranöser Abschnitt des Septums (Pars membranacea). Er verleiht der Nasenspitze eine gewisse Flexibilität und Elastizität. Der Cartílago septi nasi reicht nach vorn bis zum Apex nasi und geht weiter oben in die Processus laterales über. Das knorplige Nasenseptum schiebt sich nach dorsal zwischen die vertikal gestellte Lamina perpendicularis des Siebbeins und dem unten gelegenen Pflugscharbein, Vomer. Knochenleisten am Corpus ossis sphenoidaiis, Os nasale und Os frontale beteiligen sich an der Bildung der äußeren Ränder des Nasenseptums.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
318
•
Schleimhaut Am Limen nasi erfolgt der Übergang vom mehrschichtigen verhornten Plattenepithel des Vestibulum nasi in das respiratorische Epithel, welches den größten Teil der Nasenhöhle auskleidet und sich auch in die Nasennebenhöhlen fortsetzt (Abb. 4.108). Die Pars respiratoria wird unterbrochen durch einen kleinen Bezirk mit Riechschleimhaut (Pars olfactoria), welche die obere Nasenmuschel und angrenzende Teile des Nasenseptums bedeckt. Die Größe der Pars olfactoria beträgt beim Erwachsenen auf einer Seite nur ca. 1,3 cm2.
Pars respiratoria. Die Nasenschleimhaut dient hauptsächlich der Reinigung und Anwärmung der Atemluft. Das mit Becherzellen versetzte mehrreihige Flimmerepithel sitzt einer sehr dicken Basalmembran auf. Während Kinozilien Partikel in der Atemluft nach dorsal befördern, dienen zahlreiche seromuköse Glandulae nasales in der Lamina propria mucosae der Befeuchtung der Nasenschleimhaut (Einzelheiten siehe Lehrbuch der Histologie). Klinik: Von praktischer Bedeutung ist ein ausgedehntes Venengeflecht in der Schleimhaut der Nasenhöhle, das eine Schwellkörperfunktion ausübt (Plexus cavernosus conchae). Im Bereich der Mündungen der Nasennebenhöhlen bilden die Schwellkörper Polster. Je nach Reiz können somit die ohnehin kleinen Ostien entweder erweitert oder verengt werden. Obgleich die Hauptftmktion dieser Venengeflechte sicher in der Erwärmung der Atemluft liegt, sind die Schwellkörper auch fur die Thermoregulation von Bedeutung.
Pars olfactoria. Die Riechschleimhaut ist mit 480-500 μηι nicht nur dicker als die Pars respiratoria,, sondern hebt sich durch ihre gelbbraune Farbe von der rötlichen Pars respiratoria deutlich ab. Sie enthält Riech- und Stützzellen. Zusätzlich werden neben Basalzellen, die vermutlich dem Ersatz von Stützzellen dienen, seröse Glandulae olfactoriae (Bowman) beobachtet (Einzelheiten siehe Lehrbuch der Histologie). Riechzellen sind bipolare Nervenenzellen und bilden das 1. Neuron der Riechbahn (s. Kap. 5.4.4.1, S. 477). Während ihr nasaler Fortsatz zum Riechkolben verdickt ist, bildet ihr basaler Fortsatz zusammen mit denen
anderer Riechzellen die Fila olfactoria, welche durch die Lamina cribrosa zum Bulbus olfactorius ziehen.
4.15.1.4 Gefäße und Nerven Aus praktischer Sicht lässt sich die Nasenhöhle in ein kleineres vorderes Versorgungsgebiet und ein größeres hinteres Versorgungsgebiet unterteilen. Von diesem wird zusätzlich das Gebiet der Nasenscheidewand unterschieden. Während A. ophthalmica und N. ophthalmicus den vorderen Bereich der Nasenhöhle und des Nasenseptums versorgen, verzweigen sich im hinteren Teil Äste der A. maxillaris und des N. maxillaris. Vorderes Versorgungsgebiet (Abb. 4.105) Arterien. Die A. ethmoidalis anterior (aus der A. ophthalmica) gelangt über das Foramen ethmoidal anterius in die vordere Schädelgrube. Sie verläuft epidural auf der Lamina cribrosa nach vorn bevor sie durch die Siebbeinplatte in die Nasenhöhle eintritt. Hier verzweigt sie sich und versorgt den vorderen Teil der Nasenhöhle, den Sinus frontalis sowie die vorderen Siebbeinzellen. Sie entlässt häufig einen Ast, der durch ein Foramen nasale nach außen zieht und den Nasenrücken mitversorgt. Venen. Die Venen ziehen parallel mit den Aa. ethmoidales hauptsächlich zur Orbita (Vv. ophthalmicae) oder zu Venen in der Fossa cranii anterior. Bei Kindern besteht häufig eine Anastomose über das offene Foramen caecum mit dem Sinus sagittalis superior. Lymphgefäße. Die Lymphe aus dem vorderen Teil der Nasenhöhle zieht gemeinsam mit der Lymphe von der äußeren Nase zu den Nil. submandibulares. Nerven. Der N. ethmoidalis anterior (aus dem N. ophthalmicus) gelangt zusammen mit der A. ethmoidalis anterior in die Nasenhöhle. Im vorderen Teil der Nasenhöhle teilt er sich in Rr. nasales interni, aus denen Rr. nasales laterales et mediales hervorgehen sowie in einen Ramus nasalis externus. Letzterer tritt an der Knorpel-Knochen-Grenze an die Oberfläche des Nasenrückens. Im Bereich des Nasenseptums zieht der TV. nasopalatinus (aus dem N. maxillaris) zum Canalis incisivus.
319
4 . 1 5 N a s e n h ö h l e , C a v i t a s nasi, u n d N a s e n n e b e n h ö h l e n , Sinus p a r a n a s a l e s
Chiasma opticum Hypophysis Sinus f r o n t a l i s —
Corpus mamillare, Infundibulum Ν oculomotorius
Bulbus o l f a c t o r i u s Ν . A ethmoidals anterior (Rr. nasales laterales)
Pons, A basilaris _ Sinus sphenoidalis
Nn olfactori
maxillaris, Nr, pterygopalatini _ Ν canalis pterygoidei Ganglion p t e r y g o p a l a t i n e R pharyngeus - _ R r e t A a nasales posteriores sup l a i , Tonsilla pharyngea - A. palatina descendens N'i palatini - - f i f e t A a nasales postenores inf. ¡at, Recessus pharyngeus
Vestibulum nasi
Palatum d u r u m - "
Apex linguae, A. prof linguae
Ostium pharyngeum tubae Torus levatorius
_ _ v
Ductus sub-
Atlas, Axis [Epistropheus] Foramen caecum inguae Palatum molle
mandibularis Glandula """
sublingualis
Radix linguae, Epiglottis Ductus submandibulans Ν lingualis. A profunda linguae
M mylohyoideus
/
/
Ν , A sublingualis
Os hyoideum, Bursa retrohyoidea Cartílago thvroidea Plica vocalis
/' Lamina cartilagine Arcus cartilaginis cricoideae cricoideae
Ventriculus laryngis, M arytenoideus
Abb.4.105: N e r v e n u n d A r t e r i e n d e r lateralen N a s e n w a n d . Der C a n a l i s p a l a t i n u s major ist bis z u m B e g i n n d e r F o s s a p t e r y g o p a l a t i n a eröffnet ( b e a c h t e d e n N. maxillaris). R e g i o s u b l i n g u a l i s mit G l a n d u l a s u b l i n g u a l i s , Gefäßen und Nerven
Hinteres Versorgungsgebiet (Abb. 4.105) Arterien. Hierbei handelt es sich überwiegend um Äste der A. maxillaris. [> A. sphenopalatine/. Sie entspringt in der Fossa pterygopalatina aus der A. maxillaris und gelangt über das Foramen sphenopalatinum in die Cavitas nasi. Sie verzweigt sich in Aa. nasales posteriores laterales in der Seitenwand der Nasenhöhle sowie in die Rr. septales posteriores zur Versorgung des Nasenseptums. I> Zusätzlich können Äste, die der A. palatina descendens, A. palatina major und Aa. palatinae minores entstammen, die hinteren Bereiche der Meatus nasi mitversorgen.
Die A. ethmoidalis posterior (aus der A. ophthalmica) tritt im hinteren Bereich der Siebbeinplatte in die Nasenhöhle ein. Venen. Die Venen in der Nasenschleimhaut bilden ein Geflecht, welches Grundlage für die oben beschriebenen Schwellkörper ist. Der Abstrom aus der Nasenhöhle erfolgt hauptsächlich über das Foramen sphenopalatinum in die Fossa pterygopalatina zum Plexus pterygoideus. Des Weiteren verlaufen Venen zum Pharynx, sowie über das Foramen palatinum majus und die Canales incisivi zum Gaumen. Lymphgefäße. Der Abfluß Lymphe erfolgt nach hinten zum Gebiet des Palatum molle und der
320
4 K o p f , C r a n i u m , u n d Hals, C o l l u m
Bulbus olfactorius Sinus frontalis
Cellulae ethmoidales /
__
/ /
Ν , A. e t h m o i d a l s anterior (Rr nasales mediales) Nn. olfactorii
Tractus olfactorius /
Chiasma o p t i c u m /
-
Infundihulum
___ Hypophysis, Diaphragma sellae
Ramus nasalis e x t e r n u s ^
Sinus s p h e n o i d a l A. basilaris Ν nasopalatine, A. nasalis posterior sept tonsilla
pharyngea
Torus tubarius Ostium pharyngeum tubae. Torus levator, .is Atlas
/ / Canalis rncisivus.
/ / Palatum d u r u m
\
\
Palatum molle
Ν nasopalatinus
Abb. 4.106: A r t e r i e n u n d N e r v e n d e r N a s e n s c h e i d e w a n d
seitlichen Rachenwand. Ein Teil der Lymphe steht in Verbindung mit dem Lymphsystem der Tonsilla palatina und drainiert zu den kranialen tiefen Halslymphknoten, insbesondere zum Nl. jugulodigastricus. Die Lymphe, die zur seitlichen Rachenwand zieht, fließt nach dorsal zu den Nil. retropharyngeales sowie zu den tiefen Halslymphknoten, Nil. cervicales profundi. Nerven. Die Nerven für das hintere Versorgungsgebiet entstammen dem Ganglion pterygopalatinum und erreichen die Nasenhöhle auf zwei Wegen: t> Rr. nasales posteriores. Sie gelangen über das Foramen sphenopalatinum in die Nasenhöhle und teilen sich in Rr. nasales posteriores superiores laterales et mediales. Sie versorgen die obere und mittlere Nasenmuschel sowie die hinteren Siebbeinzellen. t> Die Rr. nasales posteriores inferiores ziehen zunächst im Canalis palatinus major nach unten bevor sie sich vom N. palatinus major nach vorn zur Versorgung des unteren Teils der Nasenhöhle abzweigen. Über diese Nervenäste gelangen neben sensiblen Fasern des N. maxillaris auch parasympathische
und sympathische Fasern in die Nasenhöhle. Die präganglionären parasympathischen Fasern erreichen das Ganglion pterygopalatinum zusammen mit sympathischen Fasern aus dem Ganglion cervicale superius über den N. canalis pterygoidei. Klinik: Bei bestimmten rezidivierenden Rhinopathien kann eine operative Durchtrennung des N. canalis pterygoidei (Vividianus) bzw. eine Extirpation des Ganglion pterygopalatinum angezeigt sein. Der Zugang zur Fossa pterygopalatina kann über den Sinus maxillaris (transantral) oder transnasal über den Meatus nasi médius erfolgen. Nasenseptum (Abb. 4.106) Die Arterien entstammen der A. ethmoidalis rior und der A. sphenopalatina.
ante-
A. ethmoidalis anterior. Sie entläßt die Rr. septales mediales. Einer dieser Zweige zieht im unteren Teil des Nasenseptum nach vorn zu den Canales incisivi. Der venöse Abfluss entspricht dem der Seitenwände. Der N. ethmoidalis anterior entsendet Nervenfasern zur Versorgung des vorderen
321
4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
Sinus frontalis
—
Cellulae ethmoidales
Sinus sphenoidalis
/
Fossa sacci lacrimalis
/ /
/ χ s
Sinus maxillaris
C a n a l i s infraorbitals
Abb. 4.107: Räumliche Darstellung der Schleimhaut der Nasennebenhöhlen nach Entfernung der Knochen. Ansicht von lateral
Teils des Nasenseptums. Der N. nasopalatinus, ein Ast aus dem Ganglion pterygopalatinum oder eine Abspaltung aus den Rr. nasales posteriores superiores mediales, versorgt den größeren hinteren Teil des Nasenseptums.
4.15.2
Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
Lernziele: Aufbau der Nasennebenhöhlen, Gefäß- und Nervenversorgung, Topographie und Funktion Die Nasenebenhöhlen gehören zusammen mit den Nebenräumen des Mittelohrs zu den pneumatischen Räumen des Schädels. Die Nasennebenhöhlen des Menschen sind: Sinus maxillaris, Sinus frontalis, Cellulae ethmoidales und Sinus sphenoidalis. Sie sind paarig angelegt und kommen in dieser Zusammensetzung nur beim Menschen und den afrikanischen Menschenaffen (Gorilla und Schimpanse) vor. •
Funktion
Die Funktionen der Nasennebenhöhlen sind nicht eindeutig geklärt. Von den zahlreichen z. T. wider-
sprüchlichen Theorien seien nachfolgend einige aufgeführt. So sollen die Nasennebenhöhlen: • • •
der Erleichterung des Schädelgewichts dienen, Resonanzräume darstellen, zur Erwärmung und Anfeuchtung der Atemluft beitragen, • funktionell nicht beanspruchte Knochensubstanz verringern, • der Optimierung der Schädelarchitektur dienen und • in thermoregulatorische Kontrollmechanismen eingeschaltet sein. •
Schleimhaut
Da sich die Pars respiratoria der Nasenhöhlenschleimhaut in die Nasennebenhöhlen fortsetzt, ähnelt die maximal 1 mm dicke Schleimhaut der Nasennebenhöhlen prinzipiell der Nasenschleimhaut (Abb. 4.108). Die Kieferhöhlenschleimhaut ist dicker als die der anderen Nasennebenhöhlen und weist mitunter Schleimhautfalten auf. Ein mehrreihiges Flimmerepithel, das deutlich flacher ist als in der Nasenhöhle, sitzt einer dünnen Basalmembran auf. Neben wenigen Becherzellen, die sich insbesondere im Bereich der Ostien konzentrieren, werden vereinzelte GH. nasales beobachtet. Die
322
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Cavitas nasi
iLΛ \^\ αá ¥
ι
S i n u s maxiIlaris
'
φ
lateral medial
Abb. 4.108: Links: Schematischer Frontalschnitt durch den rechten Sinus maxillaris. Der Zilienstrom (rote Pfeile) ist stets auf das natürliche Ostium gerichtet (nach L. Shankar). Rechts: Schematische Darstellung der Regio respiratoria der Nasenhöhle und der Kieferhöhle. Beachte die Unterschiede in der Dicke der Schleimhaut (verändert nach D. A. McGowan et al.)
Lamina propria besteht aus lockerem Bindegewebe und enthält viele elastische Fasern, welche in das Periost einstrahlen. Die Epithelzellen sind mit einem Ziliensaum besetzt, dessen Flimmerschlag Partikel in Richtung der natürlichen Ostien transportiert. Klinik: Der durch den Zilienschlag verursachte Sekretstrom in Richtung Ostien bleibt auch bei Anlegung künstlicher Öffnungen erhalten. Obgleich eine Punktion der Kieferhöhle über den unteren Nasengang bei einer eitrigen Sinusitis den Sekretabfluss fördert, fuhrt eine operative Erweiterung des Hiatus semilunaris zu einer besseren Belüfung der Kieferhöhle als die Schaffung eines künstlichen Ostiums im unteren Nasengang.
4.15.2.1
Kieferhöhle, Sinus maxillaris
Die Kieferhöhle des Erwachsenen ist mit einem Volumen von ca. 12-15 cm 3 die größte der Nasennebenhöhlen. Die Form der Kieferhöhle gleicht der einer drei- bzw. vierseitigen Pyramide. Während die Basis dieser Pyramide der seitlichen Nasenwand entspricht, weist die Spitze in Richtung Os zygomaticum.
Der Sinus maxillaris (Klinik: Antrum) ist bereits bei Neugeborenen ausgebildet und wird dort mit der Größe einer Kaffeebohne verglichen (Länge: 10 mm; Breite: 3 mm; Höhe: 4 mm). Der Kieferhöhlenboden ist zu diesem Zeitpunkt durch Knochen und Bindegewebe deutlich von den Ersatzzahnkeimen getrennt. Mit dem Durchbruch des 1. Molaren setzt ein intensives Wachstum ein. Im Alter von 8 Jahren weist die Kieferhöhle bereits eine typische Pyramidenform auf und bei 12-Jährigen erreicht die Kieferhöhle nahezu ihre endgültige Größe und Form. Neben der Pneumatisation des Corpus maxillae kann der Sinus maxillaris durch verschiedene Recessus erweitert sein: Recessus zygomaticus (40 %), Recessus alveolaris (ca. 50 %). In einigen Fällen wird auch ein Recessus palatinus und ein Recessus frontalis beobachtet. Wände des Sinus maxillaris (Abb. 4.109) Dach. Das dünnwandige Dach der Kieferhöhle entspricht dem Boden der Orbita (Facies orbitalis maxillae). Es enthält eine Rinne, die sich als Canalis infraorbitalis bis zur vorderen Wand der Maxilla fortsetzt. Klinik: Druckerhöhungen des Orbitainhaltes, z. B. verursacht durch ein Schlag auf das Auge,
323
4.15 Nasenhöhle, Cavitas nasi, und Nasennebenhöhlen, Sinus paranasales
Dach der Orbita
Foramen e t h m o i d a l e p o s t e r i u s \ Canalis o p t i c u s \ \
\
Foramen e t h m o i d a l e a n t e r i u s
\
Processus c l i n o i d e u s a n t e r i o r \
l a m i n a o r b i t a l i s ossis e t h m o i d a l i s ISiebbeinzellen durchscheinend!
Processus c l i n o i d e u s _ posterior
Fossa h y p o p h y s i a l ^
—
Os l a c r i m a l e
—
Fossa sacci l a c r i m a l i s
—
B o d e n d e r Orbita
—
Processus o r b i t a l i s ossis p a l a t i n i
Fossa p t e r y g o p a l a t i n a
Canalis i n f r a o r b i t a l i s
Processus pterygoideus v
Hiatus maxillaris
Sinus maxillaris Schnittrand Processus p y r a m i d a l i s
der S c h l e i m h a u t
ossis p a l a t i n i
Abb. 4.109: Mediale Wand der Augen- und Kieferhöhle von lateral. Die Siebbeinzellen sind durchscheinend dargestellt. Beachte die hohe Position des Hiatus maxillaris und die Beziehung der Wurzel des 1. Molaren zum Boden des Sinus maxillaris
fuhren leicht zum Einbruch des Kieferhöhlendachs (Blow-out-Fraktur). Ein Einklemmen von Orbitainhalt in die Frakturspalten hat Motilitätsstörungen des Augapfels zur Folge. Bedingt durch den Verlauf des N. infraorbitalis in der Kieferhöhlenwandung fuhren Tumoren häufig zu Sensibilitätsstörungen im Versorgungsbereich dieses Nerven. Boden. Der Boden der Kieferhöhle liegt über dem Processus alveolaris der Maxilla, den er mehr oder weniger stark pneumatisieren kann. Die Kieferhöhle hat hier einen engen Kontakt zu den Wurzeln der Prämolaren und Molaren. Die tiefste Stelle der Kieferhöhle liegt in der Regel über dem 1. Molaren. In einigen Fällen (ca. 2 %) können die Wurzel des 1. oder 2. Molaren den Kieferhöhlenboden perforieren. Extraktionen der Molaren und Prämolaren können eine Vertiefung des Recessus alveolaris nach sich ziehen. Vorder- und Seitenwand. Die vordere Wand der Kieferhöhle entspricht der Facies anterior der Maxilla und die hintere Wand dem Tuber maxillae.
Klinik: Operativ erreicht man über die hintere Wand der Kieferhöhle das Ganglion pterygopalatinum und die A. sphenopalatina. Mediale Wand. Die mediale Wand der Kieferhöhle liegt der seitlichen Wand der Nasenhöhle an. Über eine schlitzförmige Öffnung, Hiatus semilunaris, mündet die Kieferhöhle in das Infundibulum ethmoidale und von hier in den mittleren Nasengang. Zusätzliche Öffnungen zur seitlichen Nasenwand sind möglich. Da der Hiatus semilunaris höher liegt als der Boden der Kieferhöhle, kann es bei Entzündungen der Schleimhaut (Sinusitis) zu einem Sekretstau in der Kieferhöhle kommen.
4.15.2.2 Stirnhöhle, Sinus frontalis (Abb. 4.102) Das bei Erwachsenen unpaare Os frontale enthält die meist asymmetrischen Stirnhöhlen, welche durch ein häufig asymmetrisches Septum getrennt sind. Der Sinus frontalis ist bei Neugeborenen
324
kaum von Siebbeinzellen zu unterscheiden. Erst im Alter von 2 Jahren beginnt die Pneumatisation des Os frontale. Bei 7-8-Jährigen ist die Pneumatisation noch nicht über den Margo superior der Orbita hinausgegangen. Der Sinus frontalis dehnt sich mehr oder weniger stark in die Squama ossis frontalis auv. Bei starker Ausprägung kann sie das Orbitadach pneumatisieren. Neben dem oben genannten medianen Septum der Stirnhöhle kommen mitunter zusätzliche Septierungen vor. Der Sinus frontalis mündet in der Regel über einen Recessus in das Infundibulum ethmoidale und von hier in den mittleren Nasengang. Die Mündung über einen separaten Ausführungsgang in den Meatus nasi médius ist möglich. Varianten. Die Form der Stirnhöhle ist außerordentlich variabel. Auf Grund von Röntgenuntersuchungen im occipito-frontalen Strahlengang unterscheidet Szilvássy (1982) bei Europäern 4 Formtypen: Bohnenform (Männer 2,72 %; Frauen 3,86%), Blattform (24,51%; 18,45%), Mitralform (44,36%; 44,64%), Pyramidenform (28,41 %; 33,04%). Die Formvariabilität spiegelt sich auch in der Größe der Stirnhöhle wieder, die zwischen 0,05 cm' und 7,78 cm' schwankt. Hypoplasien und Aplasien sind nicht selten.
4.15.2.3 Siebbeinzellen, Cellulae ethmoid a l s (Abb. 4.103) Das Siebbein, Os ethmoidale, enthält ein Labyrinth von bis zu 16 Siebbeinzellen. Die Siebbeinzellen werden daher auch unter dem Begriff Siebbeinlabyrinth, Labyrinthus ethmoidale, zusammengefaßt. Nach der Nomina anatomica werden sie in 3 Gruppen von Zellen eingeteilt: Cellulae ethmoidals anteriores, Cellulae ethmoidales mediae und Cellulae ethmoidales posteriores. In der Klinik wird häufig einfach von vorderen und hinteren Siebbeinzellen gesprochen. Siebbeinzellen sind nicht immer vollständig von Knochen umgeben. Derartige Siebbeinzellen werden in der Klinik auch als extramurale Siebbeinzellen bezeichnet. Siebbeinzellen sind bereits bei Neugeborenen bzw. bei 6 Monate alten Kindern im Röntgenbild erkennbar. Im Alter von 12 Jahren haben die Siebbeinzellen weitgehend ihre endgültige Größe erreicht. Die Gesamtgröße der Siebbeinzellen einer Seite schwankt zwischen 0,73 cm3 und 9,32 cm3.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Die Siebbeinzellen breiten sich zwischen der medialen Orbitawand und dem Nasenseptum aus. Sie stehen in enger Beziehung zur Maxiila und zum Os frontale. Varianten. Bei starker Pneumatisation ist eine Ausdehnung der Siebbeinzellen in benachbarte Knochen möglich. Somit können im Bereich der übrigen Nasennebenhöhlen aber auch in der Cavilas nasi zusätzliche pneumatische Räume ausgebildet sein. Diese können zu einer Einengung der Nasengänge führen. Die größte der vorderen Siebbeinzellen ist die Bulla ethmoidalis. Sie engt zusammen mit dem Processus uncinatus des Siebbeins das Ostium maxillae zum Hiatus semilunaris ein. Die vorderen Siebbeinzellen münden in das Infundibulum ethmoidale. Die mittleren Siebbeinzellen münden direkt in den mittleren Nasengang und die hinteren Siebbeinzellen in den Meatus nasi superior. Klinik: 1. Besonders häufig auftretende zusätzliche pneumatische Räume werden in der Klinik mit Eigennamen belegt. In 12 % werden OnodiZellen beobachtet. Diese posterior-superior auftretenden Siebbeinzellen penetrieren den Raum zwischen Canalis opticus und lateraler Wand des Sinus sphenoidalis. Haller-Zellen treten zu 4 % in Erscheinung. Hierbei handelt es sich um eine Erweiterung des Meatus nasi médius in den Orbitaboden. 2. Bedingt durch die z. T. nur papierdünne Lamina orbitalis des Os ethmoidale kommt es bei Entzündungen der Siebbeinzellen und bei Tumoren relativ rasch zu einem Übergreifen auf die Orbita.
4.15.2.4 Keilbeinhöhle, Sinus sphenoidalis (Abb. 4.102) Die Keilbeinhöhle ist bereits bei 4-Jährigen im Röntgenbild erkennbar. Die Pneumatisation des Keilbeinkörpers beginnt allerdings erst im Alter von 6 Jahren. Sie schreitet nach dorsal fort und erreicht das Gebiet der Fossa hypophysealis im Alter von ca. 8 Jahren. Beim Erwachsenen pneumatisiert der Sinus sphenoidalis den Keilbeinkörper. Ein medianes Knochenseptum, das häufig Perforationen aufweist, teilt die Keilbeinhöhle in zwei Räume. Zusätzliche Knochensepten können die Keilbeinhöhle weiter
325
4.16 Kehlkopf, Larynx
unterteilen. Die Keilbeinhöhle variiert erheblich in Form und Größe. Das Volumen einer Keilbeinhöhle beträgt 0,27 cm 3 bis 11,31 cm 3 . Bei starker Pneumatisierung kann sich die Keilbeinhöhle bis in die Keilbeinflügel sowie den Processus pterygoideus ausdehnen. Das Ostium der Keilbeinhöhle liegt zumeist im oberen Teil und fuhrt zum spaltförmigen Recessus sphenoethmoidal.
Venen. Der venöse Fluß erfolgt meist parallel zu den Arterien. Praktisch bedeutsam sind die Vv. ethmoidales, die eine Ausbreitung von Entzündungen in die Orbita oder die Fossa cranii anterior ermöglichen. Obgleich die Venen in den Schleimhäuten der Nasennebenhöhlen keine Schwellkörper wie in der Nasenschleimhaut bilden, ist der Venenreichtum hier bemerkenswert. Die Blutdurchflussrate entspricht der der Nasenhöhle.
Klinik: Die engen Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Keilbeinhöhle, Clivus, Sinus cavernosus sowie der Hypohyse erklären, warum sich Entzündungen oder Tumoren einer der genannten Strukturen auf die Nachbarstrukturen auswirken können. Klinisch bedeutsam ist, dass die Hypophyse transnasal über den Sinus sphenoidalis erreicht werden kann. • Gefäße und Nerven Arterien O Die arterielle Versorgung des Sinus maxillaris erfolgt über Äste der A. sphenopalatina und der A. infraorbitalis. \> An der Versorgung des Sinus frontalis beteiligen sich die A. supraorbitalis sowie die A. supratrochlearis. O Zweige der Aa. ethmoidales sowie der Aa. nasales posteriores laterales treten zu den Siebbeinzellen. t> Der Sinus sphenoidalis wird von verschiedenen Arterien in der Umgebung versorgt wie der A. sphenopalatina und A. hypophysialis inferior.
4.16
Lymphgefäße. Der Lymphabfluss aus den Nasennebenhöhlen erfolgt entweder parallel mit den Blugefaßen in Richtung Nasenhöhle bzw. über den Knochen zu Lymphbahnen im Gesichtsbereich. Nerven \> Die Siebbeinzellen werden überwiegend von den Rr. nasales posteriores superiores laterales et mediales (ìV. maxillaris) versorgt. Zusätzlich treten zu den hinteren Siebbeinzellen sowie zum Sinus sphenoidalis die Rr. orbitales (Ν. maxillaris) sowie Aste des N. ethmoidalis posterior. D> Kiefer- und Stirnhöhle werden sensibel über Nervenäste in der lateralen Wand der Nasenhöhle innerviert. Neben den Rr. nasales posteriores superiores laterales et mediales können sich auch Zweige der Nn. alveolares superiores an der Innervation der Kieferhöhlenschleimhaut beteiligen.
Kehlkopf, Larynx
Lernziele: Kehlkopfknorpel, Bänder, Muskeln, Etagengliedening, Geföße, Lymphabfluss, Nerven •
Klinik: Bei einer akuten bakteriellen Infektion des Sinus maxillaris kommt es als Sofortreaktion zu einem signifikanten Anstieg der Durchblutungsrate. Die damit verbundene Sauerstoffsättigung des Blutes dient der Förderung der Zilienaktivität der Nebenhöhlenschleimhaut.
Lage
Der Kehlkopf liegt unterhalb des Zungenbeines in der Regio laryngea, die ein Teil der Regio cervicalis anterior darstellt. In Ruhestellung projiziert er sich beim Erwachsenen in Höhe des 5. und 6. Halswirbelkörpers. In der Jugend liegt er höher, während
er sich im Alter etwas nach unten verschiebt. Beim Schlucken bewegt er sich auf- und abwärts. Die Prominentia laryngea ist gut zu tasten und springt beim Mann als „Adamsapfel" hervor. •
Embryologie
Der Kehlkopf ist ein Derivat der Schlundbögen. Er entwickelt sich aus Entoderm und Mesoderm des l a r y n g o t r a c h e a l Schlauchs des 4. bis 6. Schlundbogens. Unter starker Proliferation des Mesenchyme bilden sich die paarigen Arywülste, vor die
326
4 Kopf, Cranium, u n d Hals, Collum
sich der Epiglottiswulst (aus 3. und 4. Schlundbogen) legt. •
Funktion
•
Hauptaufgaben des Kehlkopfes sind der Verschluss der tiefen Luftwege und die Stimmbildung (Phonation). Im Rachen kreuzt der Speiseweg den Luftweg. Somit erfolgt eine Weichenstellung fur die Nahrung in den Oesophagus und die Luft in die Trachea. Beim Schlucken wird der Luftweg durch den Kehldeckel verschlossen, und die Nahrung gelangt durch die Schluckrinnen (Recessus piriformes) in den Oesophagus. Der Luftweg fuhrt über die Stimmritze (Rima glottidis), die geschlossen oder verschieden weit geöffnet werden kann. Eine geschlossene Stimmritze verschließt den Luftweg und dient zur Steigerung des intraabdominellen Druckes (Bauchpresse). Die geöffnete Stimmritze ermöglicht die Atmung. Die Stimmbildung erfolgt dadurch, dass die an den Stimmbändern vorbeistreichende Luft in Schwingung versetzt wird. Dabei können die Spannung und die Dicke der Stimmbänder durch Muskeln reguliert werden, so dass verschiedene Töne entstehen.
•
•
• •
Cartílago epiglottica
jfj
Cartílago cuneiformis \ „ Petiolus^ epiglottidi""
— Cartílago tritícea
Cornu superius *
•ΐ
Cartílago thyroidea
fcáfr Incisura/ thyroidea superior
^ Linea obliqua ---
Cartilágines comiculatae
Cornu interius
Facies articular is atytaenoideae
Arcus cartilaginis cricoideae
-
»
Jí
Cartílago 'arytaenoidea
/ Proc. vocalis Proc. muscularis Lamina cartilaglnis ^ cricoideae - — ^Cartílago cricoidea • Facies aiticulaiís thyroidea
Abb. 4 . 1 1 0 : Kehlkopfknorpel (nach Gray's Anatomy)
Man unterscheidet Schildknorpel (Cartílago thyroidea), Ringknorpel (Cartílago cricoidea), Stellknorpel (Cartílago arytaenoidea, paarig), Kehldeckelknorpel (Cartílago epiglottica) und weitere unbedeutende Knorpel: Weizenkornknorpel (Cartílago tritícea, paarig), Keilknorpel (Cartílago cuneiformis, paarig), Spitzenknorpel (Cartílago corniculata, paarig) und Sesamknorpel (Cartilágines sesamoideae, inkonstant) (Abb. 4.110).
einem wechselnd großen Winkel zusammenstoßen und nach hinten auseinanderweichen. Der obere tiefe Einschnitt wird als Incisura thyroidea superior und die untere nur schwach ausgebildete Kerbe als Incisura thyroidea inferior bezeichnet. Der hintere Rand der Platten läuft nach oben in das lange Cornu superius und der untere in das kürzere Cornu inferius aus. Beide Unterhörner bilden mit dem Ringknorpel ein Gelenk (Articulado cricothyroidea). Eine schräge Linie (Linea obliqua) auf dem hinteren Teil der Platten endet oben bzw. unten mit einer reliefartigen Verstärkung, dem Tuberculum thyroideum superius bzw. inferius. An der Linea obliqua setzt der M. sternothyroideus an, entspringen der M. thyrohyoideus und der M. constrictor pharyngis inferior. Gelegentlich ist seitlich des Tuberculum superius ein kleines Loch (Foramen thyroideum) vorhanden, durch das die A. und V. laryngea superior durchtreten kann. In der Embryonalzeit ist das Foramen immer vorhanden, da es die Nahtstelle zwischen dem 4. und 5. Schlundbogen darstellt.
• Cartílago thyroidea. Aus 2 nahezu rechteckigen Platten (Laminae) bestehend, die vorn unter
• Cartílago cricoidea. Ähnelt einem Siegelring, dessen Platte (Lamina cartilaginis cricoideae)
4.16.1
Kehlkopfskelett
Das Skelett des Kehlkopfes besteht aus mehreren Knorpeln (Cartilágines laryngeales), die miteinander z. T. gelenkig verbunden sind. Dadurch können geringfügige Dreh- und Kippbewegungen durchgeführt werden. Diese resultieren u. a. in der Verengung oder Erweiterung der Stimmritze (Rima glottidis).
327
4.16 Kehlkopf, Larynx
nach dorsal und dessen Bogen (Arcus cartilaginis cricoideae) nach ventral gerichtet ist. Nur der untere Rand liegt horizontal, er ist nahezu kreisförmig und mit der Trachea verbunden. Am Ring finden sich an jeder Seite lateral Ursprungsstellen für den M. cricothyroideus und M. constrictor pharyngis inferior und 1 Gelenkfläche, Facies articularis thyroidea. Sie dient für die gelenkige Verbindung mit dem Schildknorpel. Seitlich an der Oberkante der Lamina befindet sich die ovale Facies articularis arytaenoidea für die Artikulation mit einem Stellknorpel. An der Dorsalfläche der Lamina dienen 2 seitliche Gruben den Mm. cricoarytaenoidei posteriores als Ursprung. Von einer senkrecht verlaufenden Leiste in der Mitte der Lamina entspringt eine Sehne, die die Fasciculi der oesophagealen Längsmuskulatur (Lamina muscularis externa) fixiert. •
•
Cartílago arytaenoidea. Pyramidenförmiger Knorpel, dessen Basis (Basis cartilaginis arytaenoideae) ventral zum spitzen Processus vocalis für den Ansatz des Stimmbandes ausgezogen ist und nach lateral den stumpfen Processus muscularis für den Ansatz der Mm. cricoarytaenoideus posterior und lateralis bildet. Die Basis artikuliert auf dem oberen Rand der Ringknorpelplatte am Übergang zum Ring (Facies articularis). Die bogenförmige Crista arcuata teilt die Facies anterolateralis in eine untere Fovea oblonga (für den M. thyroarytaenoideus), die mittlere Fovea triangularis und die nach hinten abgebogene Spitze (Apex cartilaginis arytaenoideae).
Cartílago corniculata (Spitzenknorpel; Santorini). Kleines Knorpelstückchen das dem Apex cartilaginis arytaenoideae aufsitzt. Es ist mit ihm durch eine Syndesmose verbunden. Es wirft in der Plica aryepiglottica das Tuberculum corniculatum auf (sichtbar bei Kehlkopfspiegelung) • Cartílago epiglottica. Blattförmiger Knorpel, mit nach kaudal gerichtetem Stiel (Petiolus epiglottidis), der durch das Lig. thyroepiglotticum an der Rückfläche des Schildknorpels befestigt ist. Die Unterfläche des Kehldeckels zeigt viele kleine Grübchen (Foveolae) für Schleimhautdrüsen. An der rückseitigen Schleimhaut wirft der Petiolus ein kleines Höckerchen auf (Tuberculum epiglotticum). Vom seitlichen Kehldeckelrand ziehen Schleimhautfalten (Plicae aryepiglotticae) zu den Stellknorpeln. Der dorsale Teil des Kehldeckels ist frei beweglich und
kann beim Schluckakt den Kehlkopfeingang verschließen. • Cartílago tritícea (Weizenkornknorpel). Kleines Knorpelstückchen im Lig. thyrohyoideum; wird als Abschnürung des Cornu majus aufgefasst. • Cartílago cuneiformis (Keilknorpel). Genetisch von der Epiglottis abzuleiten, ist länglich und liegt in der Plica aryepiglottica. Beim Kehlkopfspiegeln ist der Keilknorpel als Tuberculum cuneiforme sichtbar. • Cartilágines sesamoideae (Sesamknorpel) können in verschiedener Zahl im vorderen Teil des Stimmbandes und in der Umgebung des Stellknorpels vorkommen. Schildknorpel, Ringknorpel und Stellknorpel bestehen aus hyalinem, Kehldeckelknorpel, Spitzenknorpel und übrige Knorpelstückchen aus elastischem Knorpel. Ab dem 18. Lebensjahr beginnt die Verkalkung der Knorpel, die individuell unterschiedlich stark ist. Klinik: Schildknorpelbruch: Durch Gewalteinwirkung oder Unfälle verursacht. Heftige Schluckbeschwerden sind die Folge, da der M. constrictor pharyngis inferior seinen festen Halt verloren hat, außerdem können lebensbedrohliche Blutungen auftreten.
4.16.2
Kehlkopfbänder
Innere Kehlkopfbänder verbinden Teile des Kehlkopfskeletts miteinander. Über äußere Kehlkopfbänder wird der Kehlkopf zwischen Zungenbein und Luftröhre aufgehängt (Abb. 4.111, 4.112). Äußere Kehlkopfbänder •
Membrana thyrohyoidea. Viereckige Membran, die den Oberrand des Schildknorpels mit dem Zungenbein verbindet und die Durchtrittstellen für den R. internus des N. laryngeus superior und die gleichnamige Arterie und Vene aufweist • Lig. thyrohyoideum medianum. Mediane Verstärkung der Membrana thyrohyoidea mit zahlreichen elastischen Fasern. • Ligg. thyrohyoidea lateralia. Seitliche Verstärkungen der Membrana thyroidea, die elastische
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
328
^ - Cartílago epiglottica
I Cornu m i n u s - . Os hyoideum I Cornu majus
-
_ Cartílago tritícea -
Loch für R. int
_
N. laryngei sup. - Membrana thyrohyoidea
Cornu superius
- Petiolus epiglottidis
~ • Cartílago corniculata
Cartílago arytaenoidea — __
Lig. thyroepiglotticum
Lig. cricoarytaenoideum - _ _
Cornu inferius Lamina cartilaginis
* · Ligg cricothyroidea
cricoideae' "
- L i g . cricotracheale Membrana quadrangularis
Cartílago thyroidea- -
V If
W
Lig. vestibuläre ^
Abb. 4.111: Kehlkopfskelett und Bänder, Dorsalansicht
Ventriculus laryngis
Fasern enthalten und vom Cornu superius zum großen Zungenbeinhorn ziehen. • Lig. cricotracheale. Verbindung zwischen dem Unterrand des Ringknorpels und der ersten Knorpelspange der Trachea.
Rima glottidis- -
Processus vocalis Lig. v o c a l e ^ Conus elasticus
"
Cartílago cricoidea " "
Innere Kehlkopfbänder •
Membrana fìbroelastica laryngis. Teil der Lamina propria, der aus dichten elastischen Fasernetzen besteht. Die Membrana fìbroelastica laryngis ist in den 3 Etagen des Larynx unterschiedlich stark ausgebildet. • Conus elasticus. In der Schleimhaut der Cavitas infraglottica liegender Teil der Membrana fìbroelastica laryngis. Er hat die Form eines kurzen Rohres, das mit rundem Lumen am Oberrand des Ringknorpels beginnt und sich nach oben verjüngt. Er endet mit verdickten Rändern (Stimmbänder) als schlitzförmiger, sagittal gerichteter Spalt unter der Schleimhaut der Plicae vocales. Der Conus elasticus umschließt den subglottischen Raum (Cavitas infraglottica), dessen Form von der Stellung der Stimmbänder abhängt.
Abb. 4.112: Bänder des Kehlkopfes. Rechtes Lig. vocale und Conus elasticus sind von rechts her durch Wegnahme der Schildknorpelplatte und der Muskeln dargestellt
•
Lig. vocale. Zieht von der Spitze des Proc. vocalis des Stellknorpels zur Innenseite des Schildknorpelbugs und ist als oberer freier, verdickter Rand des Conus elasticus aufzufassen. Beide Stimmbänder bzw. die von ihnen aufgeworfenen Falten, Plicae vocales, begrenzen die Pars intermembranacea der Stimmritze (Rima glottidis), zu der außerdem die Spalte zwischen den beiden Aryknorpeln gerechnet wird (Pars intercartilaginea). Bei geschlossener Stimmritze gleichen
329
4.16 Kehlkopf, Larynx
die Stimmbänder zusammen mit dem Conus elasticus dem Mundstück einer Klarinette, bei maximaler Öffnung dagegen nahezu einem zylindrischen Rohr. • Lig. cricothyroideum (Lig. conicum). Ventraler, derber tastbarer Faserzug des Conus elasticus in der Medianebene zwischen Oberrand des Ringknorpels und Unterrand des Schildknorpels. Klinik: Bei lebensbedrohlichen Verschluss der Stimmritze (ζ. B. bei Glottisödem nach Insektenstichen) kann ein Einschnitt dieses Bandes (Koniotomie) den Luftweg künstlich eröffnen. • Membrana quadrangularis. Schwach ausgebildeter Teil der Membrana fibroelastica laryngis der Schleimhaut des Vestibulum laryngis. • Lig. vestibuläre, Taschenband. Unterer freier, bandartiger Rand der Membrana quadrangularis, in der Plica vestibularis liegend. Befestigt ist das Band an der Hinterseite des Schildknorpelbugs und an der anterolateralen Seite des Stellknorpels oberhalb des Stimmbandansatzes (Fovea triangularis). • Lig. cricoarytaenoideum. Elastisches Band, das von der Ringknorpelplatte an den Stellknorpel zieht. Es ist ein wichtiges Verstärkungs- und Führungsband des Stellknorpel-Ringknorpelgelenkes. • Lig. cricopharyngeum. Von den Cartilágines corniculatae zur Rückseite der Ringknorpelplatte und in das Bindegewebe der dahinterliegenden Rachenschleimhaut ziehend. • Lig. thyroepiglotticum. Heftet den Kehldeckelstiel an die Innenseite des Schildknorpelbugs. • Lig. hyoepiglotticum. Band zwischen Zungenbein und Kehldeckel.
4.16.3
Kehlkopfgelenke
Über die Gelenkbewegungen kann der Abstand der Procc. vocales zum Schildknorpel oder der Abstand beider Stellknorpel und deren Procc. vocales zueinander reguliert werden. • Articulatio cricothyroidea. Gelenk zwischen Schild- und Ringknorpel. Hier erfolgt eine Kippbewegung des Schildknorpels um eine quere Achse und somit eine Veränderung des Abstandes zwischen den Procc. vocales und der
Innenseite des Schildknorpelbugs. Die Gelenkkapsel wird vorn, hinten und besonders unten durch Bänder verstärkt. • Articulatio cricoarytaenoidea. Gelenk zwischen Ringknorpel und Stellknorpel. Da die Gelenkkapsel sehr schlaff ist, können die Stellknorpel um die Längsachse gedreht, einander genähert, voneinander entfernt und nach vorne/ hinten gekippt werden. Diese Bewegungen regeln die Stellung der Stimmbänder sowie die Form und Größe der Stimmritze.
4.16.4
Kehlkopfmuskeln, Musculi laryngis
Entsprechend der Lage und der Entwicklung existieren ein äußerer und innere Kehlkopfmuskeln. Äußerer Kehlkopfmuskel (Abb. 4.113) 1. M. cricothyroideus („Anticus") O.: vorn neben der Mittellinie vom Bogen des Ringknorpels. /.: am Unterrand des Schildknorpels (steil nach oben ziehend, Pars recta) und am Vorderrand des Cornu inferius (schräg verlaufende Faserzüge, Pars obliqua) des Schildknorpels. L.: R. externus des N. laryngeus sup., A./V. laryngea sup. F.: bei Kontraktion des Anticus nähert sich ventral der Schildknorpel dem Ring des Ringknorpels (nach einigen Autoren auch umgekehrt: der Ring des Ringknorpels dem Schildknorpel). Dorsal dagegen entfernt sich die Lamina des Ringknorpels vom Schildknorpel. Dadurch wird der Abstand zwischen den Procc. vocales und dem Schildknorpelbug vergrößert. Da während der Phonation die Lamina des Ringknorpels durch Kontraktion des M. cricopharyngeus fixiert wird, ist auch eine Bewegung des Schildknorpels nach ventral möglich. Beide Möglichkeiten dienen der Spannung des Stimmbandes.
Innere Kehlkopfmuskeln (Abb. 4.113, 115) 2. M. cricoarytaenoideus posterior („Posticus") O.: an der Rückfläche der Ringknorpelplatte. /.: am auf- und lateralwärts gelegenen Proc. muscularis des Stellknorpels.
330
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Epiglottis Plica aryepiglottica
,
1
M
M e m b r a n a thyrohyoidea
.
arytaenoideus obliquus
. -
M. arytaenoideus
k
transversus
0s
hyoideum
M
aryepiglotticus
M
thyroarytaenoideus
M. cricoarytaenoideus M
cricoarytaenoideus posterior
lateralis
-
-
Facies articulan;- thyroidea. Cartílago
Cartilágines tracheales
^ M.
cricoidea
cricothyroideus
Abb. 4 . 1 1 3 : Darstellung der Kehlkopfmuskeln, Ansicht von rechts dorsolateral; die rechte Schildknorpelplatte und der rechte M. cricothyroideus sind ζ. T, entfernt. Der Umriss der Cartílago thyroidea ist schwarz eingezeichnet
L.: N. laryngeus recurrens, A./V. laryngea superior. F.: Durch Kontraktion werden die Procc. musculares nach hinten und unten gezogen. Durch den Posticus kann die Stimmritze vollständig geöffnet werden. Klinik: Beidseitiger Ausfall des M. cricoarytaenoideus posterior fuhrt zu schwerer Atemnot und kann zum Ersticken fuhren 3. M. cricoarytaenoideus lateralis („Lateralis") O.: am Oberrand des seitlichen Teils des Ringknorpelbogens. /..· am Proc. muscularis des Stellknorpels. L.: N. laryngeus recurrens, A./V. laryngea sup. F.: Er schließt die Pars intermembranacea der Stimmritze, während die Pars intercartilaginea offen bleibt/geöffnet wird. Stellung der Stimmritze bei Flüstersprache. 4. M. arytaenoideus obliquus O.: in der Nähe des Proc. muscularis. /.: an der Spitze des gegenseitigen Stellknorpels.
L.: N. laryngeus recurrens, A.V. laryngea sup. F.: Die Stärke dieses Muskels schwankt erheblich. Zusammen mit M. arytaenoideus transversus am Schluss der Stimmritze beteiligt (s. u.). Einige Faserzüge des M. arytaenoideus obliquus, Pars aryepiglottica m. arytaenoidei, strahlen zur Epiglottis aus und bilden die muskuläre Grundlage der Plica aryepiglottica. Sie wirken beim Verschluss des Kehlkopfeinganges durch den Kehldeckel mit. 5. M. arytaenoideus transversus (unpaar) O.: an der Stellknorpelhinterfläche. /.: ebenfalls an der Stellknorpelhinterfläche des gegenseitigen Stellknorpels. L.: N. laryngeus recurrens, A./V. laryngea sup. F.: Synergistische Wirkung mit dem oberflächlich liegenden M. arytaenoideus obliquus beim Nähern der beiden Stellknorpel und somit Verschluss der Stimmritze. Beide sind Gegenspieler zu allen übrigen Stellmuskeln.
331
4.16 Kehlkopf, Larynx
Epiglottis ' Cornu majus ossis hyodei Corpus adiposum praeepiglotticum
.
Cornu superius cartilaginis thyroideae Τ ~ Plica aryepiglottica
Plica vestibularis — _ Ventri« ulus laryngis
j»
M. arytaenoideus transversus
Lig. vocale M. cricothyroideus " ~~
M. vocalis
Arcus cartilaginis cricoideae M. cricoarytaenoideus lateralis Lamina cartilaginis cricoideae Cartilágines tracheales
Abb. 4.114: Innenansicht des Kehlkopfes. Lig. vocale M. vocalis, M. cricoarytaenoideus lateralis und M. cricothyroideus sind freipräpariert; Paramedianschnitt
6. M. thyroarytaenoideus O.: an der Innenfläche des Schildknorpels lateral vom M. vocalis. /.: an der Vorder-Seitenfläche des Stellknorpels (Fovea oblonga). L.: N. laryngeus recurrens, A./V. laryngea sup. F.: Der Muskel ist individuell verschieden differenziert. Nach hinten geht er z. T. in den M. arytaenoideus transversus über, außerdem können einzelne Fasern als Pars thyroepiglottica (M. thyroepiglotticus) die Epiglottis erreichen. Die beidseitigen Mm. thyroarytaenoidei umgreifen den oberen Teil des Conus elasticus wie ein Sphincter und helfen bei der Phonation die Stimmritze zu schließen. 7. M. vocalis O.: von der Rückfläche des Schildknorpelbugs. /.: am Proc. vocalis des Stellknorpels. L.: N. laryngeus recurrens, A./V. laryngea sup.
F.: Der Muskel liegt unter der Plica vocalis und kann als medialer Teil des M. thyroarytaenoideus angesehen werden, der auf dem Conus elasticus liegt. Seine medialen Fasern strahlen in das Stimmband ein. Der M. vocalis kann die Spannung der Stimmbänder regulieren. •
Wirkung der Kehlkopfmuskeln/Stimmbildung (Abb. 4.115) Aufgrund ihrer Funktion werden die Kehlkopfmuskeln in Spann- und Stellmuskeln eingeteilt. Spannmuskeln sind der M. cricothyroideus und der M. vocalis, die die Spannung des Stimmbandes regulieren. Stellmuskeln sind alle übrigen. Sie sind in Öffner und Schließer der Stimmritze unterschieden.
1. Öffner der Stimmritze. Eine komplette Öffnung der Stimmritze bewirkt der M. cricoarytaenoideus posterior. Durch Zug an den Proc. musculares wird der Stellknorpel auf der Ringknorpelplatte um die vertikale Achse nach außen gedreht und etwas seitwärts gekippt. Die Procc. vocales werden mit den anheftenden Stimmbändern voneinander entfernt
332
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Abb. 4.115: Verschiedene Stellungen der Stimmritze (a-d), Wirkung der Stellmuskeln auf die Weite der Stimmritze (E-G) und Wirkung der Spannmuskeln auf die Spannung der Stimmbänder (h, i). Stellung der Stimmritze bei ruhiger Atmung (a), bei forcierter Atmung (b), bei Flüstersprache (c) und in Phonationsstellung (d). e: die Procc. musculares werden durch Kontraktion des Posticus nach hinten und die Stellknorpel zur Seite gezogen. Die Stimmritze ist maximal geöffnet. F: Wirkung von Lateralis und M. thyroarytaenoideus. Die Procc. musculares werden nach vorn gezogen, die Stellknorpel zur Seite; Stimmritzenöffnung wie bei a. g: Wirkung der Mm. arytaenoidei: die Stellknorpel werden zur Medianebene gezogen; Schluss der Stimmritze, h: Durch Kontraktion des M. cricothyroideus wird der Ring des Ringknorpels der Schildknorpelplatte genähert und gleichzeitig die Platte mit den Stellknorpeln nach dorsal bewegt, wodurch eine Spannung der Stimmbänder erreicht wird, g; Eine Entspannung der Stimmbänder ist auch durch Ventralbewegung der Stellknorpel (durch die Mm. thyroarytaenoidei) möglich
und angehoben somit die Stimmritze erweitert. Der M. cricoarytaenoideus lateralis und der M. thyroarytaenoideus können die Pars intercartilaginea öffnen, in dem sie die Stellknorpel um die vertikale Achse nach innen und damit die Spitzen der Procc. vocales zur Mitte drehen. Die Pars intercartilaginea bildet eine dreieckige Öffnung, wie sie auch bei Flüstersprache vorkommt.
Die Form des Kehlkopfbinnenraumes wird wesentlich von der unter dem Epithel gelegenen Membrana fibroelastica laryngis bestimmt
2. Schließer der Stimmritze. Die Pars intermembranacea wird vom M. cricoarytaenoideus lateralis und vom M. thyroarytaenoideus durch Annäherung der Proc. vocales geschlossen. Durch Kontraktion der Mm. arytaenoideae (transversus und obliquus) wird die Stimmritze vollständig geschlossen.
1. Oberes Stockwerk, Cavitas laryngis superior (Vestibulum laryngis). Vom Kehlkopfeingang, Aditus laryngis (zwischen Kehldeckel, Plicae aryepiglotticae und Plica interarytaenoidea) bis zu den Plicae vestibulares, d. h. den Taschenfalten reichend. Die Taschenfalte entsteht durch das Lig.
4.16.5
Kehlkopfhöhle, Cavitas laryngis (Abb. 4.116)
•
Einteilung in 3 Stockwerke
4.16 Kehlkopf, Larynx
333
Tabelle 4.3: Muskeln des Kehlkopfes Muskel
Ursprung
Ansatz
Funktion
Äußerer Kehlkopfmuskel (Innervation: R. externus des N. laryngeus superior) M. cricothyroideus („Anticus"); Pars recta, Pars obliqua
vorn vom Bogen des Ringknorpels
am Unterrand (Pars recta) und Vorderrand des Cornu inferius (Pars obliqua) des Schildknorpels
Innere Kehlkopfmuskeln (Innervation: N. laryngeus recurrens) M. cricoarytaevon Hinterfläche der am Proc. muscularis noideus posterior Ringknorpelplatte des Stellknorpels („Posticus")
Ventrale Annäherung von Schild- und Ringknorpel: bei Kontraktion Spannung der Stimmbänder
Ziehen der Proc. musculares nach hinten und unten, dadurch vollständige Öffnung der Stimmritze und Anspannung der Stimmbänder Verschluss der Pars intermembranacea der Stimmritze: die Pars intercartilaginea bleibt geöffnet, Entspannung der Stimmbänder
M. cricoarytaenoideus lateralis („Lateralis")
am Oberrand des seitlichen Ringknorpelbogens
am Proc. muscularis des Stellknorpels
M. arytaenoideus obliquus
in der Nähe des Proc. muscularis
an der Spitze des kontralateralen Stellknorpels
Zusammen mit M. arytaenoideus transversus Verschiuß der Stimmritze
M. arytaenoideus transversus
Stellknorpelhinterfläche
Hinterfläche des kontralateralen Stellknorpels
M. thyroarytaenoideus
an der Innenfläche des Schildknorpels lateral vom M. vocalis
an der Vorder-Seitenfläche (Fovea oblonga) des Stellknorpels.
Synergistische Wirkung mit M. arytaenoideus obliquus beim Nähern der beiden Stellknorpel. Gegenspieler zu allen übrigen Stellmuskeln Unterstützung des M. cricoarytaenoideus lateralis
Pars thyroepiglottica des M. thyroarytaenoideus M. vocalis
an vorderer Innenfläche des Schildknorpels
an Epiglottis und Membrana quadrangularis
Erweiterung des Aditus laryngis
Rückfläche des Schildknorpelbugs
Proc. vocalis des Stellknorpels.
Verschluss der Stimmritze bei Phonation; Feinregulation der Stimmbandspannung
Pars aryepiglottica m. arytaenoidei (M. aryepiglotticus)
Faserzüge aus dem M. arytaenoideus obliquus
Seitenrand der Epiglottis und Membrana quadrangularis
muskuläre Grundlage der Plica aryepiglottica. Verengung des Aditus laryngis
vestibuläre. Der zwischen beiden Taschenfalten vorhandene Spalt ist die Rima vestibuli (Abb. 4.116). 2. Mittleres Stockwerk, Cavitas laryngis intermedia. Dieser Raum wird oben von den Plicae vestibulares und unten von den Plicae vocales begrenzt. Die Rima glottidis ist ein sagittaler Spalt zwischen den Plicae vocales und den Stellknorpeln. Sie lässt sich somit in die Pars intermembranacea (zwischen den Stimmfalten) und die Pars intercartilaginea (zwischen den Stellknorpeln) unterteilen. Als Glottis bezeichnet man den aus beiden Plicae vocales bestehenden, stimmbildenden Teil des Kehlkopfes. Vom mittleren Stockwerk gehen seitliche Ausbuchtungen, Ventriculi laryngis ab. Sie sind gelegentlich
kranialwärts zu Blindsäcken, Sacculi laryngis (Appendices ventriculi laryngis) ausgebuchtet. In seltenen Fällen durchbohren sie beim Menschen die Membrana thyrohyoidea und erscheinen unter der Haut des Halses. Bei manchen Affen erreichen sie eine gewaltige Ausdehnung und reichen als „Brüllsäcke" bis zu den Schlüsselbeinen. Ob sie als Resonatoren dienen, ist nicht eindeutig geklärt (Abb. 4.116). 3. Unteres Stockwerk, Cavitas laryngis inferior (Cavitas infraglottica). Sie liegt unterhalb der Stimmritze, ist konisch und geht am Unterrand des Ringknorpels ohne sichtbare Grenze in die Luftröhre über (Abb. 4.116).
334
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Epiglottis Os hyoideum
Membrana thyrohyoidea
Recessus piriformis -
• Plica aryepiglottica
Plica vestibularis -
Cartílago thyroidea
Ventriculus laryngis
— _
> Cavitas laryngis superior
- M. thyrohyoideus Cavitas laryngis intermedi: M. thyroarytaenoideus Cavitas laryngis inferior
M. vocalis M. cricothyroideus Cartílago cricoidea '
Cavitas laryngis inferior ' Trachea
•
Abb. 4.116: Etagengliederung des Kehlkopfes, Frontalschnitt, Dorsalansicht
Kehlkopfschleimhaut, Tunica mucosa laryngis. Sie besteht aus einer Lamina epithelialis und der darunter liegenden Lamina propria. Die Lamina propria heftet die Schleimhaut an das Perichondrium der Kehlkopfknorpel.
Ursache der Rednerheiserkeit. Da die Stimmfalten drüsenfrei sind, müssen sie durch „Berieselung" von den Taschenfalten und durch die Atemluft feucht gehalten werden. Im Epithel der Epiglottis kommen z. T. Geschmacksknospen vor.
1. Lamina epithelialis. Hier sind regionale Unterschiede vorhanden. An den Stimmfalten, der Innenflächen der Stellknorpel und an der Dorsalfläche der Epiglottis ist ein geschichtetes Plattenepithel vorhanden. Es ist stellenweise an den Plicae vocales verhornt. Die übrige Schleimhaut besteht aus zylindrischem Flimmerepithel, mit schlundwärts gerichtetem Flimmerschlag. Des Weiteren finden sich im Epithel auch M-Zellen (membranose Zellen), spezielle zur Antigenaufnahme befähigte Zellen, die charakteristisch für das Ileum sind.
3. Im Bereich des Vestihulums, der Plica aryepiglottica und der Plica interarytaenoidea ist die Schleimhaut durch lockeres Bindegewebe an der Unterlage befestigt. Diese lockere Anheftung ermöglicht eine Verschieblichkeit der Schleimhaut. Bei Verengung des Vestibulums legt sich die Schleimhaut in Falten.
2. Lamina propria. Enthält reichlich elastische, außerdem kollagene und retikuläre Fasern. In unterschiedlicher Anzahl kommen Lymphozyten vor, die zu Solitärknötchen verdickt sein können („Larynxtonsille") und seröse sowie gemischte Drüsen, Glandulae laryngeae. Diese Drüsen besitzen keine Schaltstücke und Sekretrohre und sind besonders häufig in grübchenformigen Vertiefungen auf der Kehlkopfseite der Epiglottis, in den Taschenfalten und im Ventriculus laryngis, fehlen aber im Bereich der Stimmfalten. Die Drüsen halten die Schleimhaut feucht. Bei Rednern sind sie häufig hypertrophiert und bei Entzündung sind sie
Klinik: 1. Bei Entzündungen und Reizen verschiedenster Art kann die sehr lockere Lamina propria große Mengen an Gewebsflüssigkeit aufnehmen. Die Plicae aryepiglotticae können anschwellen und so den Kehlkopfeingang einengen, was zu Erstickungserscheinungen führt. Diese lebensbedrohliche Anschwellung wird fälschlich als Glottisödem bezeichnet und macht eine Intubation oder einen Luftröhrenschnitt notwendig. Echte Stimmbandödeme (Glottisödem, Reinke-Ödem) sind selten und entstehen meist bei starker Stimmbelastung. 2. Häufigster maligner Tumor des Kehlkopfes ist das Kehlkopfkarzinom, Larynxkarzinom. Meist ausgehend vom Plattenepithel im Bereich der Glottis (60 %), seltener vom supra- (30 %)
335
4.16 Kehlkopf, Larynx
oder subglottischen (10 %) Epithel. Adenokarzinome sind seltener. In 90 % der Fälle bei Männern; meistens im 6. Lebensjahrzehnt; in engem Zusammenhang mit Alkohol- und Nikotinkonsum. 3. Lähmung der Kehlkopfmuskeln. Häufigste Ursache ist der Ausfall des N. laryngeus recurrens. Einseitige Schädigung fuhrt zum einseitigen Ausfall der inneren Kehlkopfmuskeln; beidseitiger Ausfall zur Lähmung aller inneren Kehlkopfmuskeln. Ursache meist iatrogen, v. a. nach Schilddrüsenoperationen, auch bei Mediastinaltumoren, Bronchial- und Oesophaguskarzinom. 4. Stimmlippenknötchen sind meist symmetrische bindegewebige Verdickungen am Übergang vom vorderen Drittel zum mittleren Drittel der Stimmlippen. Die Ursache liegt in Überbeanspruchung der Stimmlippen, ζ. B. bei Sängern (Sängerknötchen) oder laut schreienden Kindern (Schreiknötchen)
4.16.6
A. carotis communis —> A. carotis externa —> A. thyroidea sup. —» Α. laryngea superior • Α. carotis communis —> Α. carotis externa —» A. thyroidea sup. —> R. cricothyroideus • A. subclavia —> Truncus thyrocervicalis —> A. thyroidea inferior - » A. laryngea inferior
V. laryngea inferior —» Plexus thyroideus impar —> V. thyroidea inferior —> V. brachiocephalica sinistra
Lymphgefäße. Bilden Gruppen ober- und unterhalb der Stimmritze und haben verschiedene Abflussrichtungen •
•
•
Gefäße und Nerven
Arterien. Sie verlaufen mit den Nerven und sind Äste aus der A. thyroidea superior/inferior. Die A. laryngea superior entspringt kranial am Oberrand der Schildknorpelplatte aus der A. thyroidea superior und verläuft meist mit dem R. internus des N. laryngeus superior durch die Membrana thyrohyoidea. Sie versorgt den größten Teil der Schleimhaut und der Muskulatur des Kehlkopfes. Der R. cricothyroideus aus der A. thyroidea superior geht auf dem Lig. cricothyroideum eine Verbindung mit dem gleichnamigen Ast der anderen Seite ein. Die A. laryngea inferior zieht hinter der Luftröhre aufwärts, durchbohrt den unteren Schlundschnürer und tritt hinten unten in den Kehlkopf ein. •
•
•
•
Lymphgefäße oberhalb der Stimmritze begleiten die A./V laryngea sup., durchbohren die Membrana thyrohyoidea, verlaufen, falls ausgebildet, ζ. T. über die Nodi lymphatici infrahyoidei und münden in der Nähe der Karotisgabel in tiefe Halslymphknoten, Nil. cervicales laterales profundi superiores. Die Stimmbänder besitzen nur wenige nach oben abfließende Lymphkapillaren (günstige Prognose bei Kehlkopfkarzinom). Lymphgefäße unterhalb der Stimmritze durchbohren das Lig. cricothyroideum, erreichen Lymphknoten vor dem Band, Nodi lymphatici praelaryngeales und Nil. prae- und paratracheales. Von hier gelangt die Lymphe weiter zu tiefen seitlichen Lymphknoten längs der V. jugularis interna, Nodi lymphatici cervicales laterales profundi inferiores. Lymphgefäße über der Glottis —> (NU. infrahyoidei) —» Nil. cervicales laterales profundi superiores Lymphgefäße unterhalb der Glottis —> Nil. praelaryngeales und NU. prae- und paratracheales —> Nodi lymphatici cervicales laterales profundi inferiores.
Nerven
Motorische und sensible Fasern • •
N. laryngeus superior aus dem N. vagus.
Ramus externus. Versorgt den M. cricothyroideus und mit sensiblen Fasern (die durch das Lig cricothyroideum ziehen) den vorderen Teil der Stimmlippe. • Ramus internus. Zieht mit A. und V. laryngea superior durch die Membrana thyrohyoidea und versorgt die restliche Schleimhaut oberhalb der Venen. Aus der oberen Kehlkopfhälfte/unteren Stimmlippe, wobei auch ein Übergreifen der Kehlkopfhälfte münden sie in die V. laryngea sensiblen Fasern auf den subglottischen Raum superior/V. laryngea inferior häufig ist. Nerv und Gefäße werfen im Recessus piriformis die Plica η. laryngei auf. Eine Anäs• V. laryngea sup. —> V. thyroidea sup —> V. juguthesie kann zwischen Schildknorpel und großem laris interna Zungenbeinhorn erfolgen.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
336
t> N. laryngeus recurrens. Dieser ebenfalls aus dem N. vagus stammende Nerv hat eine besondere Verlaufsform. Rechts schlingt er sich um die A. subclavia, links um den Aortenbogen. Beide Nerven ziehen dann in einer Rinne zwischen Oesophagus und Trachea zur Rückseite des Kehlkopfes. Der N. laryngeus recurrens versorgt alle inneren Kehlkopfmuskeln und die Schleimhaut unterhalb der Stimmritze. Eine stets vorkommende Anastomose zwischen dem Endast des N. laryngeus recurrens und R. internus des N. laryngeus superior (Ansa Galeni) liegt auf der Dorsalfläche des M. cricoarytaenoideus posterior. Der motorische Kern beider Kehlkopfnerven ist der Nucleus ambiguus, der Impulse aus beiden Großhirnhälften erhält. Die doppelseitige Innervation sichert die Symmetrie der Stimmbandbewegungen. Vegetative Fasern. Sympathisch-vasomotorische Fasern stammen aus dem Grenzstrang, parasympathisch-sekretorische Fasern fur die Schleimdrüsen stammen aus dem N. vagus.
4.16.7
Geschlechts- und Altersunterschiede des Kehlkopfes
Erwachsener Mann: Hier ist der Kehlkopf größer und kräftiger, die Schildknorpelplatten bilden vorn einen kleineren Winkel miteinander (90°), so dass ein größerer sagittaler Durchmesser auftritt. Die Stimmritze ist 2,0-2,4 cm lang. Der Kehlkopf der Frau und des Knaben ist kleiner und graziler. Da der Schildknorpelwinkel stumpfer ist (120°) sind Stimmritze, Stimmfalte und der sagittale Durchmesser um ca. 1/5 kürzer. Aus den kürzeren Stimmbändern resultiert eine höhere Stimmlage. Stimmbruch. Während der Pubertät verändert sich der männliche Kehlkopf unter dem Einfluss von Geschlechtshormonen. Erfolgt eine Kastration in der Jugend, bleiben die hohe Stimme und die weibliche Form des Kehlkopfes erhalten. Kalkeinlagerungen/Verknöcherungen. Sie treten bereits zur Pubertät im Schild- und Ringknorpel auf (im Stellknorpel meist später). Auftreten und Fortschreiten dieser Verkalkungsprozesse unterliegt großen individuellen Schwankungen, so dass die Skelettanteile des Kehlkopfes u. U. auch bis ins hohe Alter knorpelig bleiben können.
4.16.8
Nachbarschaftsbeziehungen des Kehlkopfes
•
in der Mittellinie liegen die Kehlkopfknorpel (Schild- und Ringknorpel) unter der Haut und der oberflächlichen und mittleren Halsfaszie. Vor der Prominentia laryngea kann in der Subcutis eine Bursa subcutanea praelaryngea liegen und vor dem Kehlkopf ein Lobus pyramidalis der Schilddrüse bis zum Zungenbein verlaufen (s. Kap. 4.17.3, S. 338). • seitlich werden die Knorpel von den unteren Zungenbeinmuskeln überlagert und teilweise von der Schilddrüse umfasst. Seitlich vom Kehlkopf verläuft die Gefaß-Nervenstraße des Halses • dorsal liegt die Pars laryngea des Schlundes, die am Unterrand des Ringknorpels in die Speiseröhre übergeht. • kaudal geht der Kehlkopf in den Halsteil der Trachea über.
4.16.9
Lagebeziehungen des Kehlkopfes zum Skelett
•
Sie zeigen erhebliche Alters- und Geschlechtsunterschiede • Säugling. Beim normaler Haltung und Atmung steht die Schildknorpelplatte vor dem 4. Halswirbelkörper. Das Zungenbein ist dem Schildknorpel stark genähert und der Unterrand steht auf Höhe des 3. Halswirbelkörpers. Durch den Kehlkopfhochstand wird beim Schluckakt der Kehldeckel nicht vollständig gesenkt und der Aditus laryngis nicht vollständig verschlossen. So kann der Säugling gleichzeitig Trinken/Schlucken und Atmen, was häufig zur Aspiration von Nahrung in die Luftröhre und anschließendem Hustenreiz fuhrt. Während der Entwicklung verlagert sich der Kehlkopf nach distal (Descensus). •
Erwachsener Mann. Der Schildknorpel steht zwischen 5. und 6. Halswirbel • Erwachsene Frau. Hier ist der Descensus geringer. Der Schildknorpel steht vor dem 5. Halswirbel. • Die typische Ruhelage ändert sich beim Singen hoher und tiefer Töne, bei maximaler Ein- und Ausatmung, beim Schlucken und bei Vor- und Rückwärtsbewegungen der Halswirbelsäule.
4.17 Schilddrüse, G l a n d u l a thyroidea
337
Verschieblichkeit des Kehlkopfes
roepiglotticus) spielen beim Verschluss des Aditus laryngis nur eine untergeordnete Rolle.
Über das Zungenbein ist der Kehlkopf durch die oberen Zungenbeinmuskeln am Unterkiefer und an der Schädelbasis beweglich verankert. Nach unten ist er durch Luft- und Speiseröhre mit dem Mediastinum elastisch verbunden. Die unteren Zungenbeinmuskeln verändern den Abstand zwischen Zungenbein und Kehlkopf einerseits sowie Kehlkopf und Sternum andererseits und beeinflussen so die Länge des Resonanzrohres.
•
Stellung der Stimmritze (Abb. 4.115)
•
Atmung. Die Stimmritze ist geöffnet, Respirationsstellung. Ihre Weite wird durch die Intensität der Atmung bestimmt. Stimmbildung. Die Stimmritze ist weitgehend geschlossen, Phonationsstellung. Durch den Exspirationsstrom werden die gespannten Stimmbänder auseinandergedrängt, um dann zurückzuschnellen. Dieser Vorgang wiederholt sich, so dass durch die laufenden Unterbrechungen der Luftstrom im Kehlkopf in Schwingung versetzt wird. Die Plicae vocales schwingen dabei in horizontaler Richtung gegeneinander. Die Klangfarbe wird durch die Form des Ansatzrohres (Rachen, Nase, Mund) bestimmt. Die Höhe der einzelnen Töne hängt ab von der Länge, Dicke und Spannung der Stimmbänder. Kürzere Bänder (Frauen, Kinder) erzeugen höhere Töne. Bei Dickenzunahme der Stimmbänder ergibt sich eine Abnahme, bei Spannungserhöhung eine Steigerung der Tonhöhe.
•
4.16.10 Leistungen des Kehlkopfes •
•
Durch Einstellung der Stimmritze kann die Weite des Luftweges verändert werden. Neben der Stimmbildung ist die Stimmritze auch für den Schutz der Luftwege verantwortlich. Verschluss des Kehlkopfeinganges: 1. Beim Schluckakt wird u.a. einerseits der Zungengrund nach hinten unten verlagert und andererseits der Kehlkopf durch Anheben des Zungenbeines nach vorne oben unter den Zungengrund gezogen. Dieser drückt dabei den Kehldeckel über den Kehlkopfeingang (ZungengrundKehldeckelmechanismus) 2. Gleichzeitig wird der Kehlkopf (durch Kontraktion der Mm. thyrohyoidei) an das Zungenbein herangezogen. Das Corpus adiposum praeepiglotticum (ein im Bindegewebsraum zwischen Kehldeckel, Membrana thyrohyoidea und Lig. hyoepiglotticum liegender Fettkörper) (Abb. 4.114) weicht nach dorsal aus und verlagert den Kehldeckel kaudalwärts (Fettkörper-Kehldeckel-Mechanismus). Durch beide Mechanismen wird der Aditus laryngis verschlossen. Die Eigenmuskeln des Kehlkopfeinganges (M. aryepiglotticus, M. thy-
4.17
Schilddrüse, Glandula thyroidea
Lernziele: Gestalt. Lage. Feinbau. Topographie. Getaße und Nerven, Bedeutung des Organs
4.17.1
Durch die enge Verknüpfung von M. vocalis und Stimmb a n d und die f e i n e I n n e r v a t i o n wird die M o d u l a t i o n s f ä higkeit d e r m e n s c h l i c h e n S t i m m e e r m ö g l i c h t . D e r M . v o calis regelt die F e i n e i n s t e l l u n g u n d d i e F e i n s p a n n u n g d e s S t i m m b a n d e s . Er k a n n die S t i m m l i p p e z u e i n e r d i c k e n , m ä ß i g g e s p a n n t e n Saite a b r u n d e n (tiefe T ö n e ) o d e r zu einer d ü n n e n , straff g e s p a n n t e n Saite v e r s c h m ä l e r n ( h o h e T ö n e ) . M ö g l i c h e r w e i s e beruht die Fähigkeit zur S t i m m b i l d u n g d e s M e n s c h e n a u f d e m V o r k o m m e n von sog. l a n g s a m e n tonischen M u s k e l f a s e r n im M. vocalis. D i e s e Fasern z e i g e n e i n z i g a r t i g e K o n t r a k t i o n s e i g e n s c h a f t e n u n d w u r d e n b i s h e r n u r in M u s k e l s p i n d e l n u n d w e n i g e n a n d e r e n M u s k e l n (z. B. ä u ß e r e A u g e n m u s k e l n ) nachgewiesen.
Embryologie
Die Schilddrüse entwickelt sich in der 3. EW aus dem Entoderm des Zungengrundes als Epithelstrang. Dieser formt sich zum Ductus thyroglos-
Λsus
um, der zwischen Haut und Halseingeweiden vorwächst. Das distale Ende teilt sich in 2 Lappen. Teile der ultimobranchialen Körper werden in die Entwicklung einbezogen; sie liefern die C-Zellen.
Klinik:
Akzessorisches
Schilddrüsengewebe
findet man im ursprünglichen Verlauf des Ductus thyroglossus als Lobus pyramidalis oder als versprengte Zellgruppen ( Z u n g e n g r u n d k r o p j ) .
338
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
4.17.2
Funktion
Die Schilddrüse spielt eine wichtige Rolle im Inkretsystem des Menschen. •
Thyroglobulinsekretion (PAS-positives Glykoprotein) in das Follikellumen • Schilddrüsenhormone. Tetraiodthyronin (T4, Thyroxin) und Trijodthyronin (T,) werden in das Gefäßsystem abgegeben • C-Zellen sezenerieren Calcitonin
4.17.3
Gestalt, Hüllen, Größe
• Gestalt. Die Schilddrüse ist eine rotbraune, leicht höckerige, innersekretorische Drüse. 2 seitliche, birnenförmige Lappen, Lobus dexter und sinister, sind durch ein schmales Querstück, den Isthmus, miteinander verbunden. Vom Isthmus oder einem der Lappen steigt häufig ein schmaler Fortsatz, Lobus pyramidalis, vor dem Kehlkopf aufwärts und ist mit einem Bindegewebsstreifen am Zungenbein befestigt. In seltenen Fällen kann er bis zum Zungengrund reichen (Rest des Ductus thyroglossus). • Hüllen. Die Drüse wird von einer dünnen Organkapsel eingehüllt. Sie schickt mit den
Gefaßästen Septen in die Tiefe und unterteilt die Drüse in Läppchen, Lobuli. Eine äußere aus mehreren Lamellen bestehende Hülle, die Capsula fibrosa, heftet die Drüse am Kehlkopf und der Luftröhre an. Stärkere bandartige Züge ziehen vom Isthmus und angrenzenden Bereich der Schilddrüse zum Ringkknorpel. Auch das perivaskuläre Bindegewebe der einstrahlenden Gefäße verstärkt die Capsula fibrosa. Mit der Umgebung ist sie durch lockeres Verschiebegewebe verbunden. Zwischen den beiden Kapseln (Abb. 4.117) verlaufen die größeren Schilddriisengefaße und dort liegen die Epithelkörperchen. Die feste Verbindung mit dem Anfangteil der Luftröhre und die lockere mit der Umgebung erklärt, dass die Drüse allen Bewegungen des Kehlkopfes folgt. • Größe. Nur wenige Organe sind so großen Gewichts- und Volumenschwankungen unterworfen wie die Schilddrüse, was natürlich die Lageverhältnisse zwangsläufig beeinflussen
Klinik: 1. Normale Schilddrüsen sind am Lebenden kaum sieht- und tastbar. Stärkere Vergrößerungen (Blähhals, Kröpf, Struma, in Fascia cervicalis
V. j u g u l a r i s externa \
Lamina
anterior
Spatium suprasternal
praetrachealis
Lamina superficialis
\ .Platysma
Glandula thyroidea M . sternohyoideus TracheaM . sternothyroideus Schilddrüsengefäße • M . sternocleidomastoideus
Capsula fibrosa
• M . omohyoideus (Venter inferior) O r g a n k a p s e l — ~~ " • V. j u g u l a r i s i n t e r n a Glandula - — parathyroidea - A. carotis communis Truncus s y m p a t h i c u s — "
- N . vagus Lamina praevertebralis
prävertebrale Muskulatur
O e s o p h a g u s . N n . laryngei r e c u r r e n t e s
Vertebra
Abb. 117: Topografie der Schilddrüse. Schematischer Querschnitt durch den Hals
fasciae cervicalis
339
4.17 Schilddrüse, Glandula thyroidea
manchen Gegenden endemisch) verdrängen die Nachbargebilde (Gefäß-Nervenstrang), komprimieren die Luftröhre (Säbelscheidentrachea), ziehen die unteren Zungenbeinmuskeln papierdünn aus. 2. Steht dabei die Schilddrüse besonders tief, so spricht man von retrosternalem oder Tauchkropf, der entsprechend der Raum-Enge frühzeitig Kompressionsbeschwerden macht.
4.17.4
Histologie
•
Drüsenepithel. Es ist in Form von Follikeln angeordnet. Es handelt sich um zystenförmige Gebilde, deren Lumen mit einer gelatinösen, homogenen Substanz gefüllt ist (Kolloid). Zwischen den Follikeln findet man Bindegewebe mit Gefäßen und Nerven. • Follikelepithel. Der Funktionszustand bestimmt die Zellform. Plattes bis kubisches Epithel: Phase relativer Ruhe; hochprismatisches Epithel: hohe synthetische Aktivität.
•
C-Zellen. Sie sind größer als die Follikelzellen und im Parenchym verstreut. Funktionell gehören sie zum APUD-System. Klinik: 1. Überfunktion (Hyperthyreose) und Unterfunktion (Hypothyreose, Myxödem) führen zu einer Steigerung bzw. Senkung der Stoffwechselprozesse. Die häufigsten Ursachen einer Hyperthyreose sind der Morbus Basedow, eine Autoimmunerkrankung, oder eine funktionelle Autonomie. 2. In Folge eines intrathyroidalen lodmangels werden lokale wachstumsregulierende Faktoren aktiviert, so dass es zu einer Hyperplasie von Schilddrüsenepithelzellen kommt: Durch eine erhöhte hypophysäre Freisetzung von TSH wird eine Hypertrophie der Schilddrüsenepithelzellen bedingt. Schilddrüsenhyperplasie und -hypertrophie führen zum Bild des Iodmangelkropfes.
N. laryngeus superior, V jugularis externa \ A. laryngea superior, H int η. taryng. sup. Ν.vagus
, V lugularis internna. N. accessorius A. carotis communis Mm. sternocleidomastoideus, sterno-
\
' hyoideus, omohyoideus
s
• M. thyrohyoideus, A. thyroidea superior
Truricus sympathies -
-N. vagus
R. externus n. laryngei superioris.
- Truncus sympathicus
M. levator scapulae -
- N. cardiacus cervicalis superior
Ν. cardiacus cervicalis superior -
- R. cardiacus superior, M. sternothyroideus A. cervicalis ascendens
M. cricothyroideus. Ramus muscularis
_ Ganglion cervicale medium, A. thyroidea inferior
M. trapezius -
-(A. cervicalis superficialis)
Plexus brachialis —
.Plexus brachialis,
Glandula thyroidea -
Ductus thoracicus
N. phrenicus,
- A. transversa colli
M scalenus anterior
_ Clavicula, Α., V. suprascapular^
Ν suprascapular^ Ansa thyroidea, Truncus thyrocervical^;
- M . scalenus anterior
M subclavius
""Ν vagus, A. vertebralis
Plexus brachialis ' -Costal
Α., V. subclavia
*- Α. thoracica interna
Ganglion cervicothoracicum
I Ansa subclavia
A. carotis communis
\
Truncus brachioce- N. laryngeus recurrens phalicus, dexter, Plexus cardiacus V. thyroidea inferior
Trachea. Ν laryngeus recurrens sinister, Α. comm A. carotis carotis comm.
V brachiocephalic N. phrenicus (Varietät; s. tiefe Lage,)
Abb. 118: Topografie der Eingeweide und der tiefen Nerven und Gefäße des Halses von vorn
340
4.17.5
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Topographie
•
Die Schilddrüse umfasst in Form eines Halbringes die Luftröhre (Abb. 4.117), wobei der Isthmus vor dem 2. bis 4. Trachealring liegt. Die spitzen oberen Pole reichen bis in den unteren Winkel des Trigonum caroticum. • Die Seitenlappen bedecken seitlich den Schildknorpel bis zur Linea obliqua, den Ringknorpel und die 6 oberen Luftröhrenringe. • Vorn und seitlich wird die Schilddrüse vom mittleren Blatt der Halsfaszie und den in diese eingelagerten Unterzungenbeinmuskeln, lateral vom M. sternocleidomastoideus bedeckt. Diese Wand stellt eine elastisch-muskulöse Gurtung dar, die die Schilddrüse tragen hilft. Diese Gurtung setzt einer krankhaften Vergrößerung der Drüse einen Widerstand entgegen, der sich zunächst in einem Spannungsgefuhl äußert. Die Schilddrüse sucht nach hinten und unten auszuweichen. Beim Kröpf können Luft- und Speiseröhre von der Seite her stark komprimiert werden. Wird die Gurtung überdehnt, so verringert sich der Druck auf die Schilddrüse und damit auch die geschilderten Kompressionsbeschwerden; der Kröpf wölbt sich stärker vor.
4.17.6
Gefäße und Nerven (Abb. 4.118)
Arterien. Das blutreiche Organ wird von 4 Arterien versorgt: \> Aa. thyroideae superiores (aus der A. carotis externa) treten an den oberen Pol und breiten sich vorwiegend auf der ventralen Fläche aus. D> Aa. thyroideae inferiores (aus dem Truncus thyrocervicalis). Sie steigen lateral von der A. carotis communis senkrecht aufwärts bis zum 6. Halswirbel, biegen hier scharf nach medial um, verlaufen dabei hinter der A. carotis communis und vor der A. vertebralis und erreichen den unteren Pol der Drüse. Hier gabeln sie
sich meist in 2 Äste und verzweigen sich an der Dorsalfläche. 0 In 10 % der Fälle tritt eine unpaare A. thyroidea ima aus dem Truncus brachiocephalicus oder dem Aortenbogen von unten her an den Isthmus heran. Schließlich senken sich noch feine Äste aus den Unterzungenbeinmuskeln und den benachbarten Kehlkopf-, Luft- und Speiseröhrengefaßen in die Drüse. [> Die 4 großen Schilddrüsenarterien gehen untereinander Anastomosen ein, die durch den Isthmus verlaufen. Sie besitzen große Reservelängen, die das Auf- und Absteigen ermöglichen. Je nach dem Stand der Drüse sind die oberen oder unteren gestreckt oder S-förmig gekrümmt. Klinik: Unterbindung der 4 großen Arterien fuhrt nur sehr selten zur Nekrose des Organs, da die Nebenäste zur Versorgung ausreichen. Venen > Vv. thyroideae superiores. Sie begleiten die gleichnamige Arterie und münden in die V.jugularis interna. D> Vv. thyroideae mediae (ohne begleitende Arterien) verlaufen lateral, überkreuzen die A. carotis communis und fließen in Ringknorpelhöhe in die V. jugularis interna ab. > Vv. thyroideae inferiores. Sie beginnen am Isthmus und den unteren Polen und bilden zumeist vor der Luftröhre ein stärkeres Geflecht, aus dem mehrere Stämme zu den Vv. brachiocephalicae, seltener zur V. jugularis interna ziehen. Lymphbahnen. Sie verlaufen zum größten Teil zu den Nil. cervicales profundi superiores und inferiores, einige ziehen vor der Luftröhre abwärts zu den Nil. tracheales. Nerven (aus N. vagus und Truncus sympathicus, eventuell auch N. glossopharyngeus) bilden auf der Organoberfläche ein reiches Netzwerk.
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
4.18
341
Beischilddrüsen (Nebenschilddrüsen), Epithelkörperchen, Glandulae parathyroideae
Lcrnziclc: Gestalt, Lage, Feinbau, Gefäße und Nerven, Bedeutung des Organs
4.18.4
Histologie
•
4.18.1
Embryologie
Sie sind Abkömmling der dorsalen Abschnitte der 3. und 4. Schiundtasche (s. Kap. 4.1.1.2, S. 181 ).
4.18.2
Funktion
Die Beischilddrüsen gehören zum Inkretsystem, sie produzieren Parathormon, welches die Kalziumkonzentration im Blut steigert.
4.18.3
Gestalt und Lage
Sie sind linsengroße, gelbliche Körperchen, die an der Rückfläche der Schilddrüsenlappen zwischen der dünnen Organkapsel und der kräftigeren Capsula fibrosa liegen. Zumeist findet man 2 obere (am Übergang des Pharynx in den Oeseophagus) und 2 untere (nahe den unteren Schilddrüsenpolen) in der Nähe der A. thyroidea inferior. Das eine oder andere Epithelkörperchen kann auch fehlen. Am frischen Präparat heben sie sich durch ihre gelbliche Farbe recht deutlich von der braunroten Schilddrüse ab. Häufig sind sie in die Schilddrüsensubstanz eingebettet. Sie sind dabei aber immer durch die Organkapsel vom Schilddrüsenge webe getrennt.
Helle und dunkle Hauptzellen repräsentieren unterschiedliche Funktionszustände ein und desselben Zelltyps. Dunkle Hauptzellen sind die aktive Form. Sie sind miteinander verzahnt und durch Desmosomen verbunden. • Oxyphile Zellen. Kommen nur in geringer Zahl vor. Ihre Funktion ist unbekannt. • Altersgang. Mit dem Alter werden die Parenchymzellen durch Fettzellen ersetzt. Klinik: 1. Ein Hypoparathyroidisms fuhrt aufgrund der Verringerung der Kalziumionenkonzentration im Blut zu einer erhöhten Erregbarkeit des Nervensystems. Dabei können spastische Kontraktionen der Skelettmuskulatur (hypokalzämische Tetanie) auftreten. 2. Überproduktion von Parathormon (primärer Hyperparathyroidismus) fuhrt über eine erhöhte Freisetzung von Kalzium aus den Knochen zu einer Zunahme des Blut-Kalziumspiegels. Dies geht einher mit einer Entkalkung der Knochen, der Entstehung von Knochenzysten (v. Recklinghausen-Krankheit) und mit Kalkablagerungen in verschiedenen Organen und in der Muskulatur.
4.18.5
Gefäße und Nerven
Wie die Schilddrüse, s. Kapitel 4.17, S. 337.
4.19
Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses ausgewählte Kapitel
4.19.1
Kopfregionen
Lernziele: Topografische Anatomie von Sehädeldecke und Gesieht; Begrenzung und Inhalt der einzelnen Regionen
4.19.1.1 Topografische Anatomie der Schädeldecke Knöcherne Grundlage. Sie umfasst die Bestandteile des Neurokraniums: Os frontale, Os sphenoidale (Ala major ossis sphenoidalis), Os temporale, Os parietale und Os occipitale. Der Zusammenhalt
342
dieser Knochen erfolgt über die Suturae coronalis, sagittalis und lambdoidea. Als sehnenartiger Überzug stellt die Galea aponeurotica eine Verbindung zwischen dem Venter occipitalis und Venter frontalis des M. occipitofrontalis dar, welche die gleichnamigen Regionen überdecken. Seitlich strahlt der M. auricularis superior in die Galea aponeurotica ein. Auf der Galea liegt Haut, darunter subaponeurotisches Bindegewebe. Vor dem Ohr liegt die oberflächliche A. temporalis superficialis. Arterien der Kopfschwarte. Sie entstammen der A. carotis externa und interna. Wir finden zahlreiche Anastomosen. Vorn: A. supraorbitalis (A. carotis interna) Seitlich: A. temporalis superficialis (Endast der A. carotis externa) Hinten: A. occipitalis und A. auricularis posterior (A. carotis externa) Klinik: 1. Aufgrund der reichlichen Vaskularisation besitzt die Kopfschwarte gute Heilungstendenzen. 2. Da die Arterien fest im Unterhautbindegewebe verankert sind, können sie sich schwer zusammenziehen und bluten bei Verletzungen daher stark. 3. Die digitale Kompression der A. occipitalis erfolgt durch Druck hinter dem Proc. mastoideus. Venen. Sie bilden ein Netz, aus welchem das Blut in die V. jugularis interna und externa abfliesst. Durch Vv. emissariae stehen sie mit den Vv. diploicae und den Sinus durae matris in Verbindung. Die V. supraorbitalis steht über die V. ophthalmica superior mit dem Sinus cavernosus und die Vv. temporales superficiales über die V. retromandibularis mit dem Plexus pterygoideus in Verbindung. Lymphgefäße. Diese sammeln sich vor dem Ohr in den Nil. parotidei superficiales und profundi; hinter dem Ohr in den Nil. mastoidei, auf dem Ursprung des M. trapezius in den Nil. occipitales. Nerven. Sensibel wird die Kopfschwarte vom Plexus cervicalis sowie vom R. dorsalis des 2. Zervikalnerven innerviert; die motorische Innervation der Muskulatur erfolgt durch Äste des N. facialis.
4.19.1.2 Topografische Anatomie des Gesichtes Arterien. Der gewundene Verlauf der A. facialis in Höhe des vorderen Unterrandes des M. mas-
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
seter um das Corpus mandibulae beim Übergang auf das Gesicht dient als Pulsmessstelle (Abb. 4.36). Sie geht im weiteren Verlauf am Mundwinkel vorbei und anastomosiert als A. angularis im Nasen-Augenwinkel mit der A. dorsalis nasi der Α. ophthalmica. Die Arterie entlässt viele kleine Äste und unterhält Anastomosen mit den Gefäßen der Gegenseite und der A. transversa facei (A. temporalis superficialis). Weitere arterielle Zuflüsse kommen aus [> der A. ophthalmica (A. carotis interna) für Stirn, Augenlider und Außenseite der Nase t> der A. infraorbitalis (A. maxillaris) für die Haut der Wange und das untere Augenlid [> der A. mentalis (A. maxillaris) für die Kinngegend O der A. temporalis superficialis (A. carotis externa), die vor dem Ohr aufsteigt. Venen. Die V. facialis verläuft hinter der A. facialis vom medialen Augenwinkel zum Trigonum submandibulare und mündet hier in die V. jugularis interna. Eine wichtige Anastomose besteht zwischen der V. facialis und der V. ophthalmica superior (—> Sinus cavernosus, s. Kap. 5.3.4.4, S. 454). Lymphgefäße. Die wichtigsten tastbaren Lymphknoten des Gesichtes im Falle einer Infektion sind die Nil. submandibulares (unterhalb und seitlich der Mandíbula) zur Entsorgung des Gesichts, die Nil. parotidei superficiales (vor dem äußeren Gehörgang) zur Entsorgung von Wange, Parotis und Augenlidern. Eine weitere Entsorgung der Regio faciei erfolgt durch die Nil. buccales. Nerven. Die sensible Innervation erfolgt durch Äste des N. trigeminus und des Plexus cervicalis
(Abb. 4.70).
Am Gesicht spielen die Anästhesien der Trigeminusäste eine entscheidende Rolle, welche zumeist an den Austrittstellen des Gesichtsschädels durchgeführt werden. Dabei kann der N. supraorbitalis in der Mitte des Orbitaoberrandes, der N. infraorbitalis ca. 1 cm unter der Mitte des Orbitaunterrandes und der N. mentalis zwischen dem 1. und 2. Prämolar in der Mitte des Unterkieferastes subkutan anästhesiert werden. Die motorische Innervation der mimischen Muskulatur erfolgt durch den N. facialis.
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
4.19.2
Halsregionen
4.19.2.1 Relief und Einteilung in Regionen Bei geradeaus gerichtetem Blick und leicht erhobenem Kinn verlaufen die flachen Wülste der Mm. sternocleidomastoidei vom BrustbeinSchlüsselbeingelenk kranial- und dorsalwärts bis hinter das Ohr und fassen zwischen sich ein Dreieck, dessen Spitze gegen das Brustbein und dessen Basis gegen den Unterrand des Unterkiefers weist. Wir bezeichnen dieses dreieckige Feld als vordere Halsgegend, Regio colli anterior. Der hintere Rand des M. sternocleidomastoideus, der obere Rand des Schlüsselbeins und der vordere Rand des M. trapezius begrenzen die seitliche Halsgegend, die Regio colli lateralis. Unten ist ihre Begrenzung recht deutlich, nach oben verwischt sie sich. Das zwischen Regio colli anterior und Regio colli lateralis gelegene, schmale, vom M. sternocleidomastoideus eingenommene Feld bezeichnen wir als Regio sternocleidomastoidea. Haut des Halses. Sie ist dünn, gut verschieblich, lässt sich leicht in Längsfalten abheben und gut für plastische Operationen verwenden. Kontraktion des Platysma erzeugt senkrechte, zur Brust hin divergierende Hautfalten. Bei mageren älteren Menschen beobachten wir schon in der Ruhestellung konstante Längsfalten der Haut, wobei die durch die vorderen Ränder des Platysma erzeugten besonders typisch sind. Hautvenen. Wird bei körperlichen Anstrengungen (Laufen, Heben, Ringen, Schreien, Singen usw.) der Rückfluss des Blutes zeitweise erschwert, so schwellen die Hautvenen des Halses und Kopfes an. Am deutlichsten erscheint dann die V. jugularis externa, die zunächst am vorderen Rande des M. sternocleidomastoideus verläuft, ihn in der Mitte schräg abwärts ziehend überkreuzt und in die seitliche Halsgegend gelangt (Abb. 4.69).
4.19.2.2 Regio colli anterior Sie enthält median den Eingeweideschlauch, seitlich davon den Gefäß-Nervenstrang und unterhalb des Unterkiefers die Glandula submandibularis.
343
Entsprechend den in der Tiefe gelegenen Gebilden unterteilen wir diese in 2 Regionen. 1. Trigonum submandibulare (Abb. 4.119). Begrenzung. Unterkieferrand, Venter anterior des M. digastricus und dessen Venter posterior mit dem M. stylohyoideus (Abb. 4.53). Der Boden wird vom M. mylohyoideus, M. hyoglossus und hinten vom M. styloglossus und stylopharyngeus gebildet. Inhalt. Es enthält die Unterkieferdrüse, Glandula submandibularis, und Leitungsbahnen für Zunge, Gaumen, Gaumenmandeln und Gesicht. Der Bindegewebsraum wird vom oberflächlichen Blatt der Halsfaszie gebildet. Ihre tiefe dünne Lamelle bedeckt den Boden. Ihre stärkere oberflächliche Lamelle setzt am Kieferrand an. Sie wird beim Kauen, Schlucken, Heben des Kopfes und Senken des Zungenbeins gespannt. Klinik: 1. Bei der Tastuntersuchung entspannt man die Faszie durch Neigen des Kopfes nach vorne. Gleichzeitiges Abtasten von der Regio sublingualis und der Mundhöhle aus erleichtert die Untersuchung (Fremdkörper, Speichelsteine usw.). 2. Eine besonders derbe Bindegewebsplatte dichtet den Bindegewebsraum nach hinten gegen die Parotisloge ab. Dieser Tractus angularis verankert die oberflächliche Lamina der Halsfaszie am Kieferwinkel. Entlang den Gefäß- und Nervenstraßen hat der einheitliche Bindegewebs- und Erkrankungsraum wichtige Verbindungen zur Regio sublingualis (Mundbodenphlegmone), zur tiefen Gesichtsgegend, zur oberflächlichen Gesichtsgegend, zum Trigonum caroticum. 3. Bei der operativen Unterbindung der A. facialis am Unterkieferrand ist der Ramus marginalis mandibulae möglichst zu schonen. Da er zum Mundwinkel und zur Unterlippe ziehende Muskeln versorgt, ergibt seine Durchtrennung einen Hochstand des Mundwinkels. Nach der Durchtrennung des Platysma finden wir neben kleinen Gefäßen auf der Faszie den Ramus marginalis mandibulae und den Ramus colli n. facialis, der mit dem sensiblen Ramus superior des Ν. transversus colli zumeist eine Verbindung eingeht (früher Ansa cervicalis superficialis). Unter der Faszie verläuft am oberflächlichsten die V. facialis. Sie betritt am Unterkieferrand, hinter der A. facialis, das Dreieck, nimmt dann von dorsal
344
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
N. lingualis, Ganglion submandibulare
χ
Α., V, facialis, M . masseter
Ramus marginalis mandibulae n. facialis, M. depressor anguli oris
Ν \
A. palatina ascendens, M . styloglossus Glandula parotidaa (Resti A. submentalis M stylohyoideus „
— Ν. mylohyoideus
M . digastricus
_ — M . mylohyoideus
(Venter posterior) N. glossopharyngeus, __
_ _ Glandula et Ductus
M. stylopharyngeus
submandibulars N. hypoglossus,
A. carotis interna.^
V. comitans η XII
N. hypoglossus
M . stylohyoideus (Rest) M sternocleidomastoideus- -
et os hyoideum — - M . hyoglossus, A. lingualis
A. carotis externa, V. f a c i a l i s ' ' ~ " Ramus et m. thyrohyoideus V. jugularis interna — - Α., Ν. laryng. superior (R. internus) Radix superior — "
~~
ansae cervicalis
Α. carotis communis
R. externus n. laryngei s u p e r i o r i
A. thyroidea superior
M omohyoideus (Venter superior)
M stemohyoideus
Abb. 4.119: Trigonum submandibulare (tief) und Trigonum caroticum. Glandula parotidea und Glandula submandibularis sind größtenteils entfernt. Die Mm. digastricus und stylohyoideus wurden teilweise reseziert, um den Verlauf der Gefäße und Nerven besser darzustellen
die V. retromandibularis auf und strebt über die Außenfläche des Venter posterior des M. digastricus (in seltenen Fällen von ihm verdeckt) der V. jugularis interna zu. Entlang dem Kieferrand finden wir 3 - 6 Nil. submandibulares. Sie nehmen die Lymphe von der Zunge, der Mundhöhle, dem Zahnfleisch des Unterkiefers, den Lippen und der äußeren Nase auf (Abb. 4.79). In der Hälfte der Fälle findet man auch noch in der Unterkieferdrüse vereinzelte Lymphknoten. Glandula submandibularis. Sie liegt in einer bindegewebigen Loge, die sich am Hinterrand des M. mylohyoideus gegen die Regio sublingualis öffnet. Hier gelangt die Drüse mit einem schmalen Fortsatz und ihrem Ausfuhrungsgang, Ductus submandibularis, hakenförmig um den Hinterrand des M. mylohyoideus auf die orale Fläche des Muskels. Der Ausfiihrungsgang zieht neben der Zunge, unterhalb der Glandula sublingualis, nach vorn und medial, um unter der Zungenspitze, neben dem zarten Zungenbändchen, Frenulum linguae, auf der Caruncula sublingualis auszumünden (Abb. 4.81).
Arterien. Die A. facialis betritt, verdeckt vom Venter posterior des M. digastricus, das Dreieck, windet sich mit mehreren starken Biegungen unter oder durch die Drüse (gibt hier an sie Äste ab) und gelangt am vorderen Rande des M. masseter über den Unterkieferrand ins Gesicht. Vorher gibt sie noch die kleine A. palatina ascendens zwischen M. styloglossus und M stylopharyngeus zur Gaumenmandel und zum weichen Gaumen sowie die stärkere A. submentalis auf die Unterfläche des M. mylohoideus ab. Die letztere verläuft neben dem N. mylohyoideus zum Kinn. Durch den Muskel hindurch steht sie mit der A. sublingualis in Verbindung. Klinik: 1. Bei besonders starken Windungen nähert sich die A. facialis der Außenfläche der Gaumenmandel. Starke arterielle Blutungen bei Tonsillektomie sind wohl auf Verletzungen dieses Gefäßes zurückzuführen. 2. Die starke Schlängelung der A. facialis ist zur Anpassung an die Bewegungen des Kopfes und des Unterkiefers erforderlich.
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
Die A. lingualis durchzieht ungefähr in gleicher Richtung wie die A. facialis, aber weiter ventral, das Dreieck. Um an die Arterie zu gelangen, müssen wir die Drüse unterkieferwärts verlagern. Nach Wegnahme der Drüse ist der Grund des Dreiecks, der senkrecht aufsteigende M. hyoglossus und der von hinten oben nach vorn und unten verlaufende M. mylohyoideus, gut zu übersehen. Nerven. Auf dem Grunde des Dreiecks finden wir die tiefen Nerven. Der N. hypoglossus betritt, verdeckt vom Venter posterior des M. digastricus, das Dreieck, um nach kurzem Verlauf oberhalb des M. mylohyoideus zu verschwinden. Der dünne N. mylohoideus zweigt sich am Foramen mandibulae vom N. alveolaris inferior ab, verläuft an der Innenfläche des Unterkiefers im Sulcus mylohyoideus, gelangt neben die A. submentalis und zerfällt hier in seine Äste für den M. mylohyoideus und den Venter anterior des M. digastricus. Der N. lingualis ragt nur mit einem kurzen, nach unten konvexen Bogen in das Unterkieferdreieck, um dann mit dem Ductus submandibularis in die Unterzungengegend einzutreten. In ihr unterkreuzt er den Gang, um die vorderen zwei Drittel der Zungenschleimhaut mit sensiblen und Geschmacksfasern zu versorgen. Vorher schickt er noch 2 - 3 Rami communicantes zum parasympathischen Ganglion submandibulare. Die sympathischen Fasern erreichen die Drüse über das sympathische Geflecht der A. facialis. Die parasympathischen Fasern gelangen über die Chorda tympani in den N. lingualis. Sie schalten im Ganglion um. Vom Ganglion submandibulare ziehen 1. mehrere Rami glandulares zur Glandula submandibularis, 2. rückläufige Äste zum N. lingualis, um in ihm zu den Zungendrüsen zu gelangen. Im hinteren, oberen Winkel des Dreiecks suchen wir den N. glossopharyngeus auf. Beim Vordringen in die Tiefe, gegen den Pharynx hin, ist er nicht zu verfehlen, wenn man sich an seinen Leitmuskel, den M. stylopharyngeus, hält. Der Nerv zieht an der lateralen Fläche des Muskels abwärts, überkreuzt ihn ventral und gelangt zwischen M. stylopharyngeus und M. styloglossus zur Schleimhaut des hinteren Drittels der Zunge. Vorher gibt er noch einen feinen Ast zum M. stylopharyngeus ab.
2. Trigonum caroticum (Abb. 4.119) Begrenzung. Es wird begrenzt oben vom Venter posterior m. digastrici, lateral vom vorderen Rande
345
des M. sternocleidomastoideus, medial vom Venter superior des M. omohyoideus (Abb. 4.53). Inhalt. Es stellt sich am Lebenden nur als eine seichte Grube dar, in der man die Pulsation der A. carotis communis fühlen, evtl. sehen kann. Unter dem Platysma und auf der Faszie trifft man die Verbindung zwischen N. transversus colli und R. colli n. facialis an. Nach der Durchtrennung der oberflächlichen Lamina der Halsfaszie treten (Abb. 4.53) die begrenzenden Muskeln (M. sternocleidomastoideus, Venter posterior des M. digastricus mit dem M. stylohoideus und der Venter superior des M. omohyoideus) deutlich zutage. Vor dem GefäßNervenstrang des Halses verlaufen die Vv. facialis, lingualis, thyroidea superior. Sie vereinigen sich in variabler Weise und münden in die V. jugularis interna. Der Gefäß-Nervenstrang betritt das Dreieck im unteren Winkel, am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus. Hier liegt die V. jugularis interna lateral und vor der A. carotis communis. Im weiteren Verlaufe gelangt die Vene an die dorsolateral Seite der Arterie. Die Lage zum M. sternocleidomastoideus ändert sich mit der Kopfhaltung. Dorsal grenzt der Gefäß-Nervenstrang an das tiefe Blatt der Halsfaszie, die prävertebralen Muskeln und die Querfortsätze der Halswirbel, medial an den Pharynx. Eine derbe bindegewebige Scheide ermöglicht die Übertragung des Pulsdruckes der Arterie auf die dünnwandige Vene. Da diese Scheide nur an der mittleren Lamina der Halsfaszie verankert ist, ist der Strang gut verschieblich. Der Gefäß-Nervenstrang enthält: 1. medial, zwischen Arterie und Vene, den N. vagus, 2. medial, an der Arterie, den dünnen Ramus cardiacus n. vagi, 3. lateral, auf der Arterie, die Radix superior (R. descendens n. hypoglossi), 4. hinter der Vene oder zwischen Arterie und Vene, die Radix inferior (N. cervicalis descendens). Radix superior und inferior vereinigen sich vor den Gefäßen zur Ansa cervicalis (n. hypoglossi), die mit ihren Ästen die Unterzungenbeinmuskeln mit Ausnahme des M. thyrohyoideus versorgt. Der N. hypoglossus betritt unterhalb des Venter posterior des M. digastricus, zwischen V. jugularis interna und A. carotis interna das Dreieck, überkreuzt in nach unten konvexem Bogen die A.
346
carotis interna, die A. carotis externa sowie ihre Äste und verläuft mit der V. comitans n. hypoglossi auf der Außenfläche des M. hyoglossus zur Zungenmuskulatur. In seinem Verlauf gibt er außer der Radix superior noch den kleinen R. thyrohyoideus ab. Teilungsstelle der A. carotis communis. Sie liegt in verschiedener Höhe, oft am Oberrand des 4. Halswirbels. Die Lagebeziehung zum oberen Schildknorpelrand ist nicht konstant, weil der Kehlkopf während der Jugend einen Descensus erfahrt. Die A. carotis communis ist beim Erwachsenen vor ihrer Teilung zum Sinus caroticus erweitert. Diese Ausweitung kann sich auch auf die A. carotis interna, seltener auf die A. carotis externa fortsetzen. Im Teilungswinkel (Abb. 4.52) liegt das reiskorngroße Glomus caroticum. Die Lage der A. carotis externa zur A. carotis interna ist fur den Chirurgen von besonderem Interesse. In etwa 50 % steigt die A. carotis externa zunächst vor und medial von der A. carotis interna senkrecht aufwärts, wendet sich dann, vom M. digastricus verdeckt, schräg nach oben und außen zur Regio retromandibularis. Die A. carotis interna zieht mit der V. jugularis interna und dem N. vagus leicht S-förmig gekrümmt aufwärts zur Schädelbasis. Klinik: 1. Die A. carotis interna kann unterhalb der Schädelbasis eine Schlinge bilden (Tortuositas), die die Pharynxwand vorbuchten kann (Achtung bei Operationen im Pharynxbereich!). Da die Lage der Aa. carotides zueinander sehr variiert - nach A. Faller verläuft die A. carotis interna in 21 % dorsal, in 18 % dorsomedial, in 5 % medial und in 9 % ventromedial von der A. carotis externa - , beachte man bei der operativen Unterbindung, dass die A. carotis interna in der Regel astlos ist, die A. carotis externa dagegen dicht nebeneinander eine Reihe von Ästen abgibt. Man lege deshalb einige Äste (Aa. thyroidea superior, lingualis, facialis) frei, um die A. carotis externa einwandfrei zu bestimmen. 2. Bei der Karotisunterbindung sind nach dem Spalten der bindegewebigen Scheide die dünnwandige V. jugularis interna und die Nerven des Gefäß-Nervenstranges vorsichtig zu isolieren und zu schonen.
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Die zumeist starke A. thyroidea superior entspringt aus der A. carotis externa, selten aus der A. carotis communis. Sie wendet sich im Bogen abwärts zum oberen Pol und zur Vorderfläche der Schilddrüse. In ihrem Verlauf gibt sie oft die kleine A. laryngea superior ab, die mit dem R. internus des N. laryngeus superior durch die Membrana thyrohyoidea in das Innere des Kehlkopfes zieht. Unmittelbar kranial vom sieht- und tastbaren großen Zungenbeinhorn geht aus der A. carotis externa die kräftige A. lingualis nach ventral ab, verschwindet aber bald unter dem M. hyoglossus. Sie wird am Hinterrand dieses Muskels im Trigonum submandibulare unterbunden. In diesem Falle drängt man die Fasern des M. hyoglossus auseinander, nachdem man vorher die Glandula submandibularis nach oben und den Venter posterior m. digastrici nach unten gezogen hat. Die A. facialis entspringt häufig mit der A. lingualis aus einem gemeinsamen Stamm, Truncus linguofacialis, meist aber weiter kranial. Sie wendet sich ebenfalls ventralwärts, verschwindet bald unter dem Venter posterior m. digastrici in die Tiefe des Trigonum submandibulare. Drängen wir die V. jugularis interna und die A. carotis communis auseinander, so finden wir in der Tiefe zwischen ihnen den N. vagus. Der N. laryngeus superior, ein weiter kranial abgehender Ast des N. vagus, schickt seinen zarten R. externus mit der A. thyroidea superior abwärts zum M. cricothyroideus und M. constrictor pharyngis inferior und durchbohrt mit seinem R. internus (zusammen mit der A. laryngea superior) die Membrana thyrohyoidea, um die Schleimhaut des Kehlkopfes bis zur Stimmritze zu versorgen. Verdeckt vom Gefaß-Nervenstrang finden wir in der Tiefe noch den Grenzstrang des Sympathicus. Dünner als der N. vagus, liegt er etwas weiter medial in der tiefen Lamina der Halsfaszie. Außerdem ist er an seinem länglichen, platten Ganglion cervicale superius zu erkennen. Schließlich suchen wir im oberen spitzen Winkel des Dreiecks, hinter der V. jugularis interna, noch den N. accessorius auf (Abb. 4.53). Die kleineren Venen des Dreiecks verlaufen sehr variabel. / -2 Vv. thyroideae superiores ziehen quer über die A. carotis communis zur V. jugularis interna. Oberflächlich, am Rande des M. sternocleidomastoideus, treffen wir die V. jugularis externa an. Ober die Arterien hinweg verläuft noch die V. facialis, die zumeist die V. lingualis aufnimmt, zur V. jugularis interna.
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
Zahlreiche Lymphknoten, Nil. cervicales begleiten das Gefäß-Nervenbündel.
profundi,
3. Regio colli mediana. Sie wird oben vom Unterkiefer, unten vom Oberrande des Brustbeins, seitlich von Senkrechten, die vom Sternoklavikulargelenk zum Unterkiefer gezogen werden, begrenzt. Sie enthält den Halsteil des Luft- und Speiseweges, die Schilddrüse und die Epithelkörperchen. Die Organe liegen in einem Gleitraum, dem Spatium viscerale colli, der vorn von den Unterzungenbeinmuskeln und dem mittleren Blatt der Halsfaszie, seitlich vom Gefäß-Nervenstrang, hinten vom tiefen Blatt der Halsfaszie begrenzt wird. In diesem Gleitraum können die Halseingeweide als einheitlicher Gleitkörper beim Schlucken, Sprechen und Singen auf- und abwärtsgleiten. Wir unterteilen die mittlere Halsgegend in 6 Regionen. •
Regio submentalis
In der Unterkinngegend, die vom Unterkiefer bis zum Zungenbein reicht, finden wir zwischen den Vorderbäuchen des rechten und linken M. digast r i c a auf dem M. mylohyoideus einige kleine Lymphknoten. Diese Nil. submentales nehmen die Lymphe von den Schneidezähnen und dem Zahnfleisch, der Unterlippe, der Haut des Kinnes und der Zungenspitze auf und fließen in die Nil. submandibulares ab (Erkrankung bei Karzinom der Unterlippe, Schwellung bei Herpes labialis usw.!). In der Mittellinie erkennen wir die vom Zungenbein zur Spina mentalis ziehende Raphe m. mylohyoidei. •
Regio hyoidea
Sie entspricht der Ausdehnung des Zungenbeins, welches sich bei Ruhestellung des Kehlkopfes und normaler Kopfhaltung vor dem 4. Halswirbelkörper befindet. Körper und großes Horn lassen sich beim Lebenden gut abtasten. •
Regio subhyoidea
Sie liegt zwischen Zungenbein und Oberrand des Schildknorpels und entspricht der Ausdehnung der Membrana thyrohyoidea, die von der A. laryngea superior und dem R. internus des N. laryngeus superior durchbohrt wird. Zwischen Zungenbein-
347
körper und Ansatz der Unterzungenbeinmuskeln findet sich die Bursa subhyoidea. •
Regio laryngea
Sie entspricht der Ausdehnung des Kehlkopfes und liegt in Ruhestellung vor dem 5. und 6. Halswirbelkörper. Im Alter reicht sie etwas mehr nach unten, bei Kindern liegt sie höher. •
Regio thyroidea
Sie entspricht der Ausdehnung der Schilddrüse. •
Regio trachealis
Entspricht der Ausdehnung der Trachea. In der Regio colli mediana ist außer der Drosselgrube besonders der vorspringende Schildknorpel leicht zu erkennen, sein Aufwärtsrücken beim Schlucken, Sprechen und Singen gut zu beobachten (Abb. 4.118). Beim Mann springt er kielartig vor und wird „Adamsapfel" genannt. Das Zungenbein liegt etwa 3 Querfinger unterhalb des Kinnvorsprunges, an der Stelle, wo sich die Unterkinngegend in einem Winkel gegen den übrigen Hals absetzt. Sein Körper und die beiden großen Hörner lassen sich gut zwischen Daumen und Zeigefinger abtasten. Unterhalb des Schildknorpels lässt sich der Ringknorpel tasten. Nach kaudal folgt die Luftröhre, vor deren kranialen Knorpelringen der Isthmus der Schilddrüse liegt. Die Seitenlappen der Drüse sind durch die untere Zungenbeinmuskulatur verdeckt. Bei normaler Größe sind sie nicht zu erkennen. Doch schon leichte Vergrößerungen der Drüse wölben die Gegend vor (Blähhals, Kröpf)· Da die Drüse an Luftröhre und Kehlkopf fest angeheftet ist, nimmt sie an allen Bewegungen derselben teil. Klinik: Nottracheotomie. Zwischen Unterrand des Schildknorpels und Oberrand des Ringknorpels tastet man in der Medianebene eine seichte Grube. In der Tiefe verbindet hier das Lig. cricothyroideum die beiden Knorpel. Bei Erstickungsgefahr kann dieses Band quer durchtrennt werden (Koniotomie).
348
4 K o p f , C r a n i u m , u n d Hals, C o l l u m
_ — M
Α., V occipitalis
sternocleidomastoideus
• V jugularis externa Κ occipitalis major . Ν auricularis magnus
Ν occipitalis m i n o r '
Ν transversus [cutaneus] colli
x
M . splenitis capitis
/
/
/
, Nn. s u p r a d a v i c u l a r e s (abgeschnitten)
M . trapezius / y
M . levator scapulae
/
Ν accessoiius
' / A
Ν phrenicus, cervicalis ascendeos
. A transversa colli |R. superficialis)
7
, Plexus b r a c h i a l s
Ν dorsalis scapulae
/
R muscularis [trapezius]
/
M . omohyoideus (abgeschnitten) (Venter inferior!. M scalenus anterior
N. thoracicus longus, M scalenus m e d i u s
Nn s u p r a d a v i c u l a r e s laterales
Ν A .V M scalenus posterior, A transsuprascapular versa colli ¡R profundus)
A , V. subclavia
Nn. s u p r a d a v i c u l a r e s m e d i a l e s
Abb. 4.120: R e g i o colli lateralis. Die L a m i n a s u p e r f i c i a l i s d e r Halsfaszie, ein Teil d e r C l a v i c u l a u n d d i e Nn. s u p r a d a v i c u l a r e s s i n d entfernt
4.19.2.3 Regio colli lateralis Die Regio colli lateralis besteht aus dem Trigonum omoclaviculare und dem Spatium scalenovertebrale. Begrenzung. Von der Clavicula, vom Hinterrand des M. sternocleidomatoideus und vom Vorderrand des M. trapezius (Abb. 4.120). Unter der Haut tref-
fen wir den kaudalen Teil das Platysma. Unter dem Platysma verlaufen die Hautnerven und -venen. Nach Wegnahme der Lamina superfacialis fasciae cervicalis erscheinen als Boden des Dreiecks der M. splenius capitis, der M. levator scapulae und die Mm. scaleni. Die Haut sinkt oberhalb der Clavicula individuell verschieden tief zur Fossa siipraclavicularis major
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
ein (Abb. 4.46). In ihr kann man bei mageren Menschen, besonders wenn man den Kopf zur Gegenseite neigt, den unteren Bauch des M. omohyoideus als schräg nach medial aufsteigenden, schmalen Wulst erkennen. In dieser Stellung lassen sich in der Grube auch die Nerven des Plexus brachialis als derbe, von oben medial nach unten lateral verlaufende Stränge durchtasten. Schiebt man in der medialen, unteren Ecke der Grube den Finger in die Tiefe, so fühlt man deutlich den Puls der A. subclavia. Auf dem M. levator scapulae zieht der N. accessor i a abwärts zum M. trapezius. Er wird meist vom gleich verlaufenden kleineren R. muscularis (aus dem Plexus cervicalis) begleitet. In der Rinne zwischen M. levator scapulae und M. scalenus médius zieht der Ν. dorsalis scapulae (aus dem Plexus brachialis) abwärts zum M. levator scapulae und M. rhomboideus. Der N. thoracicus longus verläuft oft auf dem M. scalenus médius, häufig vom übrigen Plexus brachialis verdeckt. Der N. suprascapularis zieht zum Oberrand des Scapula. 1. Trigonum omoclaviculare Begrenzung. Der untere Bauch des M. omohyoideus begrenzt mit der Clavicula und mit dem Hinterrand des M. sternocleidomastoideus eine kleine Teilregion, das Trigonum omoclaviculare. Inhalt. Unter der Lamina superficialis der Halsfaszie liegt zunächst eine stärkere Fettgewebsschicht, in der zahlreiche Lymphknoten eingebettet sind. Nach der Entfernung des Fettes erscheint die hier derbe Lamina praetrachealis der Halsfaszie. Tiefer, auf den Mm. scaleni, liegt schließlich die Lamina praevertebralis der Halsfaszie. Nach der Durchtrennung der Faszie finden wir zwischen M. scalenus anterior und medius (hintere Skalenusliicke) die starken Stämme des Plexus brachialis und ventrokaudal von ihnen die A. subclavia. Das begleitende Bindegewebe geht von der Lamina praevertebralis aus. In der vorderen Skalenusliicke (zwischen M. scalenus anterior, M. sternocleidomastoideus und Clavicula) verläuft die starke V. subclavia, die am dorsalen Rande des M. sternocleidomastoideus die V. jugularis externa aufnimmt. Das Bindegewebe der Lücke steht mit dem mittleren und tiefen Blatt der Halsfaszie in Verbindung. Die kleineren Arterien des seitlichen Halsdreiecks zeigen eine große Variabilität und ersetzen sich vielfach gegenseitig. Der R. superficialis
349
a. transversae colli (als Variation: A. cervicalis superficialis) und die A. suprascapularis kommen aus dem Truncus thyrocervicalis, verlaufen ventral vom M. scalenus anterior. Die A. suprascapularis verschwindet bald hinter der Clavicula, ist nur bei stark herabgezogener Schulter weiter zu verfolgen und gelangt mit dem N. suprascapularis zum Margo superior scapulae, wo sie in der Regel oberhalb des Lig. transversum scapulae (der Nerv unterhalb) zu den Mm. supraspinatus und infraspinatus gelangt. Der R. superficialis der A. transversa colli zieht, zumeist etwas ansteigend, oberflächlich durch die seitliche Halsgegend. Der R. profundus dieser Arterie entspringt oft direkt im Bereich der hinteren Skalenuslücke aus der A. subclavia, durchbohrt meist den Plexus brachialis und teilt sich in einen am Hals aufsteigenden und einen am Margo medialis scapulae absteigenden Ast. Über Plexusanästhesie nach Kuhlenkampff und Interskalenusblock s. Kap. 9.1.3.4.1, S. 729. 2. Spatium scalenovertebrale Begrenzung. Es ist ein schmaler, dreieckiger Raum, der lateral von dem M. scalenus anterior und medial von den Körpern der unteren Hals- und oberen Brustwirbel, dem Oesophagus und der Trachea begrenzt wird. Dorsal reicht es bis zur Lamina praevertebralis der Halsfaszie. Ventral ist er von der A. carotis communis, der V. jugularis interna, den unteren Zungenbeinmuskeln und dem M. sternocleidomastoideus bedeckt. Inhalt. In ihm finden wir den Anfangsteil der A. und V. subclavia, den Truncus thyrocervicalis, die A. vertebralis, die A. thoracica interna, den Truncus costocervicalis, den N. vagus, den N. laryngeus recurrens und den Truncus sympathicus. Links gelangt zwischen A. carotis communis und A. subclavia der Ductus thoracicus in die Region und wendet sich dann im Bogen über die A. vertebralis und A. thyroidea inferior, um im Venenwinkel in die venöse Blutbahn zu münden (s. Kap. 10.7.6.2, S. 896). Die A. subclavia (s. Kap. 10.7.2.1.1, S. 877) liegt rechts oberflächlicher, entspringt aus dem Truncus brachiocephalicus und steigt in einem flachen Bogen aufwärts. Die linke Arterie entspringt weiter dorsal, direkt aus dem Aortenbogen. Sie liegt deshalb tiefer und steigt steil bis zur Skalenuslücke kranialwärts. Der N. vagus liegt rechts ventral von der A. subclavia, um die er den N. laryngeus
350
recurrens dorsomedianwärts zur Rinne zwischen Oesophagus und Trachea schickt; links hält er sich an die ventral liegende A. carotis communis, mit der er zum Arcus aortae gelangt. Der Truncas sympathicus umfasst mit einem starken dorsalen und einem schwachen ventralen Stamm die A. subclavia (Ansa subclavia). Die A. vertebralis entspringt als erster Ast an der Konvexität der A. subclavia und steigt zum Foramen transversarium des 6. Halswirbels auf. Sie wird von der A. thyroidea inferior überkreuzt und von der starken gleichnamigen Vene begleitet. Links wird sie noch vom Ductus thoracicus überkreuzt. Klinik: 1. Dysphagia lusoria. Selten entspringt die A. subclavia dextra direkt aus der Aorta. Sie verläuft dann hinter der Speiseröhre nach rechts, engt diese von dorsal ein und verursacht Schlingbeschwerden (Dysphagie). 2. Wegen ihrer tiefen Lage ist die A. vertebralis in ihrem Anfangsteil schwer zu unterbinden. Leichter kann sie in ihrem weiteren Verlauf (zwischen den Foramina transversaria, vom lateralen Rande des Kopfnickers aus oder zwischen Atlas und Hinterhauptsbein) freigelegt werden. Sie ist stets doppelt zu unterbinden (Kollateralkreislauf durch den Circulus arteriosus cerebri, s. Kap. 5.3.4.1, S. 443). Der Truncus thyrocervicalis entspringt am medialen Rand des M. scalenus anterior aus der A. subclavia und zerfällt bald in seine Äste: A. cervicalis ascendens, A. transversa colli, A. suprascapularis, A. thyroidea inferior. Die letztere steigt lateral von der A. vertebralis bis zum Proccessus transversus des 6. Halswirbels kranialwärts, biegt hier nahezu rechtwinklig nach medial um, überkreuzt die A. vertebralis, unterkreuzt die A. carotis communis und erreicht den unteren Schilddrüsenpol. Der Truncus sympathicus kann dorsal oder ventral an ihr vorbeiziehen oder eine Schlinge (Ansa thyroidea) um sie bilden. Der N. laryngeus recurrens kann dorsal (65 %), ventral (26 %) oder zwischen ihren Ästen (9 %) verlaufen. Diese Variationen müssen bei Unterbindungen der A. thyroidea inferior beachtet werden. Die/4, thoracica interna (s. Kap. 10.7.2.1.2, S. 881) entspringt gegenüber dem Truncus thyrocervicalis an der Konkavität der A. subclavia. Sie zieht neben dem N. phrenicus über die Pleurakuppel medianund abwärts und steigt fingerbreit neben dem
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
Sternum an der inneren Brustwand abwärts. Etwas lateral von der A. thoracica interna entspringt der kleine Truncus costocervicalis (A. cervicalis profunda zur Nackengegend und A. intercostalis suprema fur den 1. und 2. Zwischenrippenraum). Links ist noch besonders auf den Ductus thoracicus zu achten (s. Kap. 10.7.6, S. 896). Nachdem er im Brustraum vor dem 4. Brustwirbel die Speiseröhre dorsal gekreuzt hat, steigt er zunächst links von ihr aufwärts, um am Hals in nach oben konvexem Bogen zum linken Venenwinkel zu gelangen, wo er meist in die V. subclavia einmündet. Er verläuft am Hals dorsal vom Gefäß-Nervenbündel und ventral von den Ästen der A. subclavia, vom Sympathicus und N. phrenicus. Er hat hier die Stärke eines Gänsefederkieles. Vielfach spaltet er sich in mehrere Gänge, was das Aufsuchen sehr erschwert.
4.19.2.4 Regio sternocleidomastoidea Begrenzung. Sie entspricht der Ausdehnung des M. sternocleidomastoideus, reicht vom Warzenfortsatz bis zum Manubrium sterni sowie zum sternalen Teil der Clavicula und trennt die Regio colli anterior von der Regio colli lateralis. Inhalt. In den unteren Zweidritteln wird der Muskel vom Platysma bedeckt. Unter dem Platysma verlaufen auf der oberflächlichen Lamina der Halsfaszie die V. jugularis externa, der N. transversus colli und der N. auricularis magnus. Die Lamina superficialis der Halsfaszie umscheidet den M. sternocleidomastoideus und liefert für ihn eine Führungsröhre. Zwischen dem sternalen und klavikulären Kopf des Muskels finden wir meist eine in der Größe variable Lücke, die sich am Lebenden als Fossa supraclavicularis minor abzeichnet. Der M. sternocleidomastoideus bedeckt in den unteren Zweidritteln das gesamte Gefaß-Nervenbündel (A. carotis communis, V. jugularis interna, N. vagus), den M. scalenus anterior, den N. phrenicus, die Äste des Truncus thyrocervicalis und das Spatium scalenovertebrale (s. o.). Im oberen Drittel, wo die A. carotis communis bereits in das Trigonum caroticum eingetreten ist, bedeckt der Muskel die Äste des Plexus cervicalis, den N. accessoria und zum Teil die V. jugularis interna. Gefaß-Nervenstrang des Halses. Die A. carotis communis dextra entspringt hinter dem Sternokla-
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
vikulargelenk aus dem Truncas brachiocephalicus. In ihrem kaudalen Drittel ist sie von den unteren Zungenbeinmuskeln und vom sternalen Kopf des Kopfwenders bedeckt. Sie liegt hier oberflächlicher als die A. carotis communis sinistra, die weiter dorsal, direkt aus dem Aortenbogen entspringt. Im mittleren Drittel grenzen beide Karotiden an die Schilddrüse und werden teilweise von ihr bedeckt. Im oberen Drittel treten sie in das Trigonum caroticum ein. Dorsolateral wird die A. carotis communis von der V. jugularis interna begleitet, die sich hinter dem Sternoklavikulargelenk mit der vor dem M. scalenus anterior verlaufenden V. subclavia zur V. brachiocephalica vereinigt. Der N. vagus verläuft tief in der Rinne zwischen V. jugularis interna und A. carotis communis, gibt in seinem Verlaufe Rr. cardiaci ab und betritt zwischen A. und V. subclavia den Brustraum. Vorher gibt der rechte N. vagus noch um die A. subclavia den N. laryngeus recurrens dexter ab. Der Truncus sympathicus steigt in der Lamina praevertebralis der Halsfaszie medial vom N. vagus, dorsal von der A. carotis communis, abwärts. Er hatte ursprünglich für jedes Segment ein Ganglion. Doch sind die 4 oberen zu dem länglichen, hinter der A. carotis interna gelegenen Ganglion cervicale superius, die beiden folgenden zu dem inkonstanten, in Höhe der Umbiegungsstelle der A. thyroidea inferior gelegenen Ganglion cervicale medium, die beiden unteren meist mit dem 1. und 2. Brustganglion zu dem vor dem Hals der 1. Rippe, hinter dem Ursprung der A. vertebralis gelegenen Ganglion cervicothoracicum (stellatum) verschmolzen.
Klinik: 1. Bei einem Kröpf werden die Karotiden verlagert. 2. Stellatumblockade. Der Halsteil des Sympathicus kann durch Injektion in das Ganglion stellatum temporär ausgeschaltet werden. Bei gelungenem Eingriff wird das Horner-Syndrom (Miosis, Ptosis, Enophthalmus) hervorgerufen (s. Kap. 6.1.3, S. 567). 3. Von praktischem Interesse ist die Lage des Grenzstranges zur A. thyroidea inferior. Er kann dorsal oder ventral von ihr verlaufen oder um sie eine Schlinge bilden. Unterbindet man möglichst lateral, um den N. laryngeus recurrens zu schonen, so gefährdet man den Sympathicus. Durchtrennung des Grenzstranges ergibt kranialwärts einen vollständigen Sympathikusausfall, das Horner-Syndrom und Gefaßerweiterung. Der Halssympathikus hat nämlich im Halsgebiet
351
keine Verbindungen zum Rückenmark (keine Rr. communicantes albi), steht vielmehr nur durch das Ganglion stellatum mit dem Rückenmark in Verbindung. Er entsendet lediglich Rami communicantes grisei aus den Ganglien in die Spinalnerven des Halses. In seinem Verlauf gibt der Halsgrenzstrang Nn. cardiaci cervicales (superior, médius, inferior) ab. Die A. subclavia umfasst er schlingenförmig (Ansa subclavia, Vieusseni), wobei der stärkere Ast dorsal von der Arterie verläuft. Ventrolateral zieht auf der A. carotis communis die Radix superior abwärts, um sich früher oder später mit der Radix inferior zur Ansa cervicalis zu verbinden. Der N. phrenicus aus dem Plexus cervicalis steigt neben der kleinen A. cervicalis ascendens auf der Vorderfläche des M. scalenus anterior abwärts, gelangt an die mediale Seite des Muskels und betritt zwischen A. und V. subclavia den Brustraum. Der Nerv liegt unter oder in der Faszie des M. scalenus anterior (wichtig für die Aufsuchung des N. phrenicus!). Ein Nebenphrenikus benutzt häufig die Bahn des N. phrenicus, die er kaudal wieder verlässt. Er kann vor oder hinter der V. subclavia verlaufen, um die Vene eine Schlinge bilden und sich anderen Nerven anschließen. Spätestens kranial vom Lungenhilus vereinigt er sich immer mit dem Hauptphrenikus. Auf der Vorderfläche des M. scalenus anterior finden wir noch 3 Äste des Truncus thyrocervicalis: die A. cervicalis ascendens, die A. transversa colli (R. superficialis) und die A. suprascapularis. Der N. laryngeus recurrens ist in der Rinne zwischen Oesophagus und Trachea nicht zu verfehlen.
4.19.3
Spatium lateropharyngeum
Lernziele: Begrenzung des Spatium lateropharyngeum, Inhalt, Verbindungen Es ist ein seitlich vom Pharynx gelegener, zum Teil von Bindegewebssepten ausgekleideter Raum, in dem zahlreiche wichtige Gefäße und Nerven zusammengedrängt sind.
352
4 Kopf, Cranium, und Hals, Collum
-M. —
M ü n d u n g des Ductus parotideus —
buccinator
- Raphe pterygomandibular^
- M . masseter, R a m u s mandibulae
A r c u s et M . p a l a t o g l o s s u s — _
- M . pterygoideus medialis Tonsilla palatina
—
Fascia buccopharyngea -
• S p a t i u m l a t e r o p h a r y n g e u m (Pars p r a e s t y l o i d e a )
-
' Proc. s t y l o i d e u s m i t S t y l o m u s k e l n
M . palatopharyngeus •
- F a s c i a p a r o t i d e a ( o b e r f l ä c h l i c h e s Blatt)
P h a r y n x • —. Aponeurosis stylopharyngea
_ ^ . [ j - — Α . c a r o t i s externa, G l a n d u l a p a r o t i d e a
Spatium retropharyngeum, « M . constrictor pharyngis Lamina praevertebralis
'
~
V. r e t r o m a n d i b u l a r i s , N . f a c i a l i s
Septum sagittale — N .
v a g u s , V. j u g u l a r i s interna
Spatium lateropharyngeum,, (Pars r e t r o s t y l o i d e a ) A . c a r o t i s int.
~ V e n t e r p o s t e r i o r m. d i g a s t r i c i
Truncus sympathicus,
~M.
y
Lamina praevertebralis Atlas, A, vertebralis
sternocleidomastoideus
" - M . longissimus capitis
' F a s c i a p a r o t i d e a ( t i e f e s Blatt)
Abb. 4.121 : Schematischer Querschnitt durch d a s Spatium lateropharyngeum und die Parotisloge
Seine Grenzen (Abb. 4.121) bilden medial der Pharynx, lateral der M. pterygoideus medialis, der Processus styloideus und die Stylomuskeln, ferner die hier dünne Faszie der Gl. parotidea. Dorsolateral grenzt er an die am Processus mastoideus ansetzenden bzw. entspringenden Muskeln und dorsal an die Lamina praevertebralis der Halsfaszie. Eine derbe, vom Processus styloideus und vom M. stylopharyngeus zur seitlichen Pharynxwand ziehende Bindegewebsplatte (Aponeurosis stylopharyngea) teilt den Lateropharyngealraum in 2 voneinander getrennte Abschnitte. Vorderer Teil (Pars anterior s. praestyloidea). Er wird vom M. pterygoideus medialis von lateral her stark eingeengt und beinhaltet, von kleineren Gefäßen und Nerven abgesehen, den M. stylohyoideus, den M. styloglossus und vor allem fettreiches Bindegewebe. Hinterer Teil (Pars posterior s. retrosyloidea). Hier liegen relativ dicht nebeneinander, aber stets in einem deutlichen Abstand von der Pharynxwand, die Gefäße und Nerven des Lateropharyngealraumes. Die Grenzen dieses Teils bilden ventral des Proc. styloideus, seine Muskeln und die Aponeurosis stylopharyngea, dorsal die Lamina praevertebralis der Halsfaszie, medial das Septum sagittale
(Abb. 4.121) und lateral die Glandula parotidea mit ihrer schwachen inneren Faszie. Gefäße und Nerven des Lateropharyngealraumes: im hinteren Teil (Pars posterior, Pars retrostyloidea) liegen die V. jugularis interna, die A. carotis interna, der N. vagus, der N. glossopharyngeus, der N. accessorius, der N. hypoglossus und der Halsteil des Sympathicus. Die V. jugularis interna verlässt durch das Foramen jugulare den Schädel, die A. carotis interna tritt unmittelbar davor in den Canalis caroticus der Schädelbasis ein. Die Arterie liegt deshalb im kranialen Teil der Region (unterhalb der Schädelbasis) vor der Vene. Weiter kaudal lagert sich die Vene der Arterie mehr von lateral und dorsal an. Der N. vagus verlässt den Schädel im Foramen jugulare, liegt zunächst dorsal der A. carotis interna, legt sich weiter kaudal dieser an und liegt zwischen ihr und der V. jugularis interna. Der N. accessorius tritt ebenfalls durch das Foramen jugulare durch, liegt zunächst vor der V. jugularis interna, wendet sich aber bald nach dorsal, um unter dem M. sternocleidomastoideus zu verschwinden. Der N. hypoglossus verlässt den Schädel durch den Canalis n. hypoglossi. Dieser liegt medial und etwas dorsal vom Foramen jugulare. Daraus ergibt sich die anfänglich mediale Lage des 12.
4.19 Topografische und angewandte Anatomie des Kopfes und des Halses - ausgewählte Kapitel
Hirnnerven zu den oben beschriebenen Nerven, insbesondere zum N. vagus. Alsbald lagert er sich dem N. vagus dorsal an, um im weiteren Verlauf auf dessen laterale Seite zu kommen. Der N. glossopharyngeus hat seinen Durchtritt durch das Foramen jugulare am weitesten ventral. Er liegt deshalb zunächst vor dem N. vagus und hinter der A. carotis interna. Zwischen V. jugularis interna und A. carotis interna gelangt er in eine oberflächlichere Schicht und schließt sich unter Überkreuzung der genannten Arterie seinem Leitmuskel, dem M. stylopharyngeus, an. Der Truncus sympathicus mit seinem Ganglion cervicale superius liegt im Spatium lateropharyngeum am tiefesten, nämlich im Bereich der Lamina praevertebralis der Fascia cervicalis. Verbindungen des Spatium lateropharyngeum Nach ventral hat der Raum entlang der Fascia buccopharyngea (sie überzieht den Pharynx und setzt sich auf die Außenfläche des M. buccinator fort, Abb. 4.73, 121) Verbindung mit dem Bindegewebe zur Außenfläche des M. buccinator. Nach lateral besteht eine fast direkte Verbindung mit der Parotisloge, weil hier die Parotisfaszie sehr dünn ist. Nach unten hat der Lateropharyngealraum Verbindung mit dem Trigonum caroticum und dem Bindegewebsraum unter dem M. sternocleidomastoideus. Nach medial wird er durch einen zwischen Pharynxwand und tiefem Blatt der Halsfaszie ausgespannten Bindegewebszug (Septum sagittale, Abb. 4.121) vom Spatium retropharyngeum getrennt. Klinik: 1. Entzündungen im lateropharyngealen Raum können zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Sie können sich in die Parotisloge unter Einschmelzung des Septum sagittale im Retropharyngealraum ausbreiten oder in den Halsbereich senken. 2. Es können aber auch von den Tonsillen aus (durch die Pharynxwand hindurch) oder von der Parotis aus Eiterungen in diesen Raum durchbrechen.
4.19.4
Beziehungen des Halses mit der Lungenspitze und der Pleurakuppel
Lernziele: Topografie der Lungenspitzeund Pleurakuppel, Rolle der Mm. scaleni, Gefäße und Nerven, Fascia endothoracica
353
Als Lungenspitze bzw. Pleurakuppel bezeichnen wir jenen Teil der Lunge bzw. der Pleura, der den oberen Rand des Brustbeins und der Schlüsselbeine überragt. Die Lungenspitze liegt sowohl bei Einatmung als auch bei Ausatmung der Pleurakuppel an. Die Pleura reicht dorsal bis zum 7. Halswirbel, ventral überragt sie den Oberrand der Clavicula um 2-3, den Sternalansatz der 1. Rippe um etwa 4 cm. Diese Zahlen schwanken bei der In- und Exspiration und bei den verschiedenen Körperbautypen. Lungenspitze und Pleurakuppel grenzen lateral an den Muskelkegel der Mm. scaleni, medial an die großen Gefäßstämme, dorsal an den Hals der 1. Rippe und das ventral von ihm gelegene Ganglion cervicothoracium. Über die mediale Fläche zieht die A. subclavia zur hinteren Skalenuslücke. Über die Vorderfläche der Pleurakuppel verlaufen der N. phrenicus, die Vasa thoracica interna und die A. vertebral is. Kranial lagert sich der Plexus brachialis an. In einigem Abstand verlaufen ventral von der Lungenspitze noch die V. subclavia und der M. sternocleidomastoideus. Klinik: Ventral und lateral nur von Weichteilen bedeckt, ist die Lungenspitze hier Stichverletzungen leicht ausgesetzt, die zumeist mit Gefäßund Plexusverletzungen verbunden sind. Die Pleurakuppel ist bei der Atmung starkem Zug ausgesetzt. Da ihr eine feste Unterlage fehlt, ist die ihr außen anliegende Fascia endothoracica zur kräftigen Membrana suprapleuralis (GibsonFaszie) verstärkt. Unter dem Zug der Lungen bilden sich in variabler Weise bandartige Verstärkungen aus (Zuckerkandl-Bänder), die von den Wirbelkörpern und den Rippen zur Pleurakuppel ziehen und ihre Form und Lage erhalten. In etwa 50 % strahlt ein M. scalenus minimus (s. Kap. 4.8.2.2.3, S. 238) vom Querfortsatz des 7. Halswirbels in die Pleurakuppel aus. Schließlich unterstützt noch der Zusammenhang mit dem Bindegewebe der großen Gefäße und Nerven und der Skalenusfaszie die Fixation der Pleurakuppel.
5
Zentrales Nervensystem, Systema nervosum centrale, Gehirn, Encephalon, und Rückenmark, Medulla spinalis Ingo Bechmann u n d Robert Nitsch, unter Mitarbeit v o n Franz Pera, Andreas u n d Frank Stahnisch
Winkelmann
5.1
Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
5.1.1
Allgemeine Einführung und Grundlagen der Neuroanatomie
Lernziele: Zentrales N e r v e n s y s t e m (ZNS), Peripheres N e r v e n s y s t e m (PNS), Entwicklungsvorgänge, N e u r o n e n t h e o r i e
Das Z e n t r a l e N e r v e n s y s t e m ( Z N S ) erlaubt es d e m Organismus, über die Sinnesorgane Signale der äußeren U m w e l t a u f z u n e h m e n , zu verarbeiten, zu speichern und auf diese U m w e l t r e i z e adäquat zu reagieren. Als auffällige Besonderheit erfolgt im N e r v e n s y s t e m (z. B. im G e g e n satz z u m endokrinen System) die Signalweiterleitung entlang von Bahnen, die von Zellfortsätzen gebildet werden. D e s h a l b sind sämtliche direkt am Prozess der Informationsverarbeitung beteiligten Zellen des Z N S , die Nervenzellen oder Neurone, als Empfänger-Senderstrukturen ausgebildet (Abb. 5.1).
•
Allgemeine Begriffe •
N e u r o n . Es stellt die funktionelle Grundeinheit des N e r v e n s y s t e m s dar. Die rezeptiven Anteile
einer Nervenzelle (s. Kap. 2.6.2, S. 92), der Zellkörper ( S o m a oder Perikaryon), sowie ihre meist kürzeren Fortsätze, die Dendriten, e m p f a n g e n Signale anderer Nervenzellen über Synapsen. Der meist längere Fortsatz, das A x o n , w e l c h e s sich in seinem Verlauf vielfaltig a u f z w e i g t , leitet diese Informationen als elektrische E r r e g u n g zu nachgeschalteten Nervenzellen oder zu Effektorzellen (wie Muskel- oder Drüsenzellen) weiter. Die Signalweiterleitung zwischen A x o n und nachgeschalteter Zelle, Innervation, wird in der Synapse durch eine U m w a n d l u n g der elektrischen Informationen in ein c h e m i s c h e s Signal erreicht. A u f diese Weise bildet sich ein N e t z w e r k von Nervenzellen aus, die miteinander im Informationsaustausch stehen. N e t z w e r k e weisen typischerweise eine morphologisch spezifische neuronale Verschattung auf und organisieren sich in funktionell hierarchisch übereinander angeordneten Einheiten.
Im Verlaufe der O n t o g e n e s e verschalten sich Input/Output-Systeme z u n e h m e n d zu komplexeren Schaltkreisen, die als Resultat das G e h i r n u n d das R ü c k e n m a r k , als die beiden Anteile
Synapse präsynaptisches Neuron
postsynaptisches Neuron
poto" afferente Erregungsleitung (elektrisch)
Erregungsübertragung = Neurotrans mission (chemischl
efferente Erregungsleitung (elektrisch)
(Bouton)
(Sonia)
Abb. 5.1: Einfaches I n p u t / O u t p u t - S c h e m a von Nervenzellen, die Teil eines neuronalen N e t z w e r k e s sind
356
des ZNS, ergeben. Die so entstandenen neuronalen Netze stellen Korrelate der funktionellen Leistungen des ZNS dar. • Im Verlauf der Phylogenese nimmt die Komplexität dieses Schaltsystems ständig zu. Finden wir bei einfachen Lebewesen Nervensysteme mit einer relativ geringen Anzahl von Nervenzellen (das Nervensystem der Nematode Caenorhabditis elegans hat ζ. B. nur etwa 2000 Nervenzellen), so enthält das zentrale Nervensystem des Menschen bis zu 10"'-¡0'2 Nervenzellen. Hinzu kommen noch etwa 10 mal mehr Gliazellen, die sich aus Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen zusammensetzen (siehe Lehrbuch der Histologie). • Gliazellen nehmen direkt (durch die Metabolisierung von Überträgerstoffen, Neurotransmittern, oder die Bildung von Myelinscheiden) oder indirekt (durch die Produktion von Wachstumsfaktoren oder die Phagozytose absterbenden Materiales) auf die Funktion des Netzwerks „ZNS" Einfluss. • Die Nervenzellen müssen im Verlauf der Ontogenese ihren besonderen Ort und ihre spezifische Verschaltung mit anderen Nerven- und Effektorzellen finden. Gene steuern die Vermehrung der Neurone, Proliferation, die Wanderung an ihren Bestimmungsort, Migration, und ihre morphologische und funktionelle Reifung, Differenzierung. • Somatotopik. Die spezifische Verschaltung von Nervenzellen fuhrt häufig zu einer punktgenauen neuronalen Repräsentation von versorgtem Körpergebiet in definierten Arealen des ZNS: Somatotopik (gr. soma = Körper; topos = Ort). ' Durch die Kombination funktioneller und topographischer Kenntnisse der Neuroanatomie kann aus dem neurologischen Befund (Frage: „Welche Systeme funktionieren nicht?") häufig auf den Ort der Schädigung (Frage: „Wo liegen die ausgefallenen Systeme?") geschlossen werden: Neurologisch-topische Diagnostik. • Synaptische Kontakte. Ihre Ausbildung wird während der Entwicklung von äußeren Einflüssen mitbestimmt (etwa durch Hormone, aber auch Medikamente, die die Mutter einnimmt und die über den fetalen Kreislauf ins embry-
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
onale Gehirn gelangen). In welchem Maße die Ausbildung und Funktion des ZNS genetisch determiniert ist oder durch äußere Einflüsse geprägt wird, ist bis heute in der neurobiologischen Forschung umstritten. • Plastizität. Neurone sind in der Lage, nach Schädigung (z. B. Schlaganfall oder SchädelHirn-Trauma, SHT) neue Verbindungen einzugehen, um ausgefallene Funktionen zu kompensieren. Diese Kompensationsfähigkeit ist Grundlage der neurologischen Rehabilitationsbehandlung. Schädigungen des ZNS im frühen Kindesalter können relativ gut kompensiert werden, während Läsionen beim Erwachsenen meist zu bleibenden und nicht kompensierbaren Funktionsausfällen fuhren. Zentrales und peripheres Nervensystem. Gehirn und Rückenmark, also das ZNS, und das periphere Nervensystem (PNS), welches sich aus den Nerven und deren Ganglien zusammensetzt, entstehen aus dem selben Ursprungsgewebe. Das PNS bringt Informationen aus dem Körper zum ZNS (afferente Bahnen) und leitet Informationen aus dem ZNS in die Organe und den Bewegungsapparat (efferente Bahnen) (Abb. 5.2). Dieses enge Zusammenspiel spiegelt sich in der Vernetzung beider Systeme wider, weshalb die Unterteilung in ZNS und PNS aus funktionellen Gründen nicht immer sinnvoll ist. So befinden sich etwa die Nervenzellkörper, deren Axone in peripheren Nerven die Muskeln des Bewegungsapparats erreichen, im Vorderhorn des Rückenmarks (α-Motoneuron). Demgegenüber befinden sich die Zellkörper der sensiblen, aufsteigenden Axone des Rückenmarkes teilweise in den Spinalganglien (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94), die dem PNS zugerechnet werden. Deshalb wird in diesem Kapitel auch Bezug auf Anteile des PNS genommen. • Somatisches und autonomes Nervensystem. Neben der Unterteilung in ZNS und PNS fasst man die neuronalen Systeme der bewussten Sinneswahrnehmung und der willkürlichen Innervation der Skelettmuskulatur als somatisches Nervensystem zusammen. Davon abzugrenzen ist das autonome Nervensystem (s. Kap. 2.6.6, S. 98), welches die Funktion der inneren Organe weitgehend unbewusst steuert.
357
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
Gehirn als Leitungsbahnen, Tractus, und sind nach Herkunft und Ziel gebündelt. Die Tractus können verschiedene Regionen im Gehirn und Rückenmark miteinander verbinden (also ausschließlich im ZNS verlaufen) oder als efferente und afferente Fasern eine Verbindung mit dem PNS herstellen. In der makroskopischen Ansicht zeigen sich solche Areale als weiße Substanz, Substantia alba. Die weiße Färbung entsteht durch die Umhüllung der Axone mit dem lipidreichen Myelin.
Die übergeordneten Steuerzentren beider Systeme liegen im ZNS.
Im Gehirn liegt die weiße Substanz unter der grauen Substanz des Cortex, im Rückenmark aber zur Oberfläche hin.
5.1.2
Frühe Entwicklung
Lernziele: Neuralplatte, Neurairinne, Neuralrohr, Neuraileiste, Hirnbläschen •
Abb. 5.2: Einfaches Schema zum peripheren/zentralen und somatischen Nervensystem
•
Graue Substanz. Die Nervenzellkörper lagern sich im Laufe der Entwicklung zu mehr oder weniger großen Gruppen oder in Schichten zusammen. In der Hirnrinde, dem Cortex, in den Kerngebieten des ZNS, den Nuclei, oder den Säulen des Rückenmarks, Columnae, befinden sich die Zellkörper, Somata, der Nervenzellen dicht beieinander. Bei der makroskopischen Inspektion des Gehirns fallen diese Areale als graue Substanz, Substantia grísea, auf. Innerhalb der Substantia grísea verbleiben auch meist die kurzen afferenten Dendriten, die Informationen empfangen und zum Soma leiten. Sie sind Ziel verschiedenster Axone anderer Nervenzellen, die mit ihnen sowie mit den Somata synaptische Kontakte ausbilden.
•
Weiße Substanz. Die Axone, welche die Informationen als efferente Fortsätze von Nervenzellkörpern oft über große Distanzen hinweg bis zu den nachgeschalteten Zellen leiten, verlaufen im
Neuralplatte und Neurairohr. Am Ende der 3. Schwangerschaftswoche bildet sich im Ektoderm, dorsal der Chordaplatte, die Neuralplatte. Die Chorda dorsalis (s. Kap. 3.5.1.2, S. 142) induziert die Proliferation ektodermaler Zellen, aus denen später sämtliche Bestandteile des ZNS mit Ausnahme der Mikrogliazellen (s. u.) hervorgehen. Durch Proliferation und Migration dieser ektodermalen Zellen kommt es zur Ausbildung von Neuraiwülsten mit einer dazwischen gelegenen Neurairinne, die etwa ab dem 20. Tag der Embryonalentwicklung gut erkennbar wird. Durch Verschmelzung der Neuraiwülste ab dem 22. Tag verschließt sich die Neurairinne zum Neurairohr. Gleichzeitig kommt es zur Abtrennung der Neuraileisten, aus denen sich die sensiblen Ganglien entwickeln (s. u.). Die Bildung des Neurairohres beginnt zentral, breitet sich sowohl in rostraler als auch in kaudaler Richtung aus und ist am 25. Tag abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt bleiben lediglich das rostrale Ende des Neurairohres als Neuroporus anterior und das kaudale Ende als Neuroporus posterior geöffnet. Am 26. Tag kommt es zum Verschluss des Neuroporus anterior und 1 bis 2 Tage später zum Verschluss des Neuroporus posterior (Abb. 5.3).
358
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Amnionepithel \
Haftstiel \ \
\
Amnionhöhle ^ Ektoderm
^ Mesoderm
Neuralplatte
, , Entoderm
sekundärer Dottersack
Chordaplatte (induziert darüberl legendes Neuroektoderm)
Neuralleiste
Neurairinne
. ... , Neuraiwulste /
Amnionhöhle \ \
— Gehirnanlage
\
Amnionepithel — Ektoderm Seitenplatten· mesoderm intermediäres Mesoderm
"" • Mesoderm ¡parietales Blatt) Mesoderm (viszerales Blatt) \
I
\
Dottersackepithel
I
Ursegment höhle Dottersack
Abb. 5.3: Querschnitt durch die frühe Keimscheibe (3 schematische Darstellungen). Diese Zeichnungen zeigen die Entwicklung des Neurairohres: a) Neuralplatte (ca. a m 16. Tag), b) Neurairinne (ca. a m 18. Tag) und c) Neuralrohr (ca. a m 25. Tag)
359
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
Hautektoderm
Neuroporus anterior
ι
I I I
Neurairohr
l
Neuraileiste Mesoderm lUrsegmentl
nephrogener Strang Amnion
— — dorsale Aorta
parietales Blatt
Coelom
des Mesoderms
/ /
Chorda d o r s a l i s
• Oarmanlage
~ ·· D o t t e r g a n g
viszerales Blatt
Dottersackrest
des M e s o d e r m s
Im Gefolge kommt es zu einer starken Proliferation der neuroektodermalen Zellen, die sich zunächst in neuronale, im 3. Trimenon auch in gliale Zellen (Astrozyten und Oligodendrozyten) ausdifferenzieren (Abb. 5.4). Die Mikrogliazellen entstammen dem Mesoderm und wandern im Rahmen der Vaskularisation in das ZNS ein. Sie sind die ortsständigen Makrophagen des Gehirns. Klinik: 1. Störung des Neuralrohrschlusses führt im rostralen Bereich, also im Bereich des Neuroporus anterior, zu Gehirnfehlanlagen, im drastischsten Fall zum Anenzephalus. Anenzephale Kinder werden zwar in seltenen Fällen geboren, sind aber nicht lebensfähig. 2. Verschlussstörungen des Neuroporus posterior führen zum Krankheitsbild der Spina bifida. Hierbei kommen sowohl die gedeckte Form, Spina bifida occulta, bei der es nur zu einem mangelnden Verschluß des späteren Wirbelka-
nals ohne funktionelle Ausfalle kommt, als auch die Spina bifida aperta vor, bei der sich die kaudalen Anteile des Rückenmarkes nicht ausbilden können. Durch diese schwerwiegenden Strukturveränderungen sind vielfaltige funktionelle Störungen bedingt (s. Kap. 3.5.1.2, S. 142, Kap. 8.1, S. 629). • Neuraileiste. Während des Neuralrohrschlusses trennen sich dorsolateral gelegene Zellen ab, welche die Neuraileiste ausbilden (s. Kap. 3.5.1.2, S. 142). Aus diesem Zellmaterial entwickeln sich Zellgruppen, die sich später zu den sensiblen Spinal- und Hirnnervenganglien formieren. Andere Zellen wandern auf das innen gelegene Entoderm zu und entwickeln sich dabei zu den vegetativen (autonomen) Ganglien der Eingeweidenerven, den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks und den Gliazellen des PNS (den Schwann-Zellen). Auch die Melanozyten der Haut entwickeln sich aus der Neuralleiste.
360
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
mesenchymale Zelle
Abb. 5.4: Schema der zellulären Entwicklungslinien im ZNS (nach Moore 1990)
5.1.3
teilen. Im Bereich dieser Proliferationszone wandern Zellen vom Boden des ventrikulären Anteils in Richtung der pialen Oberfläche. Die ventrikuläre Zone umgibt später im Bereich des Rückenmarks den Zentralkanal, Caiialis centralis. Er stellt somit den Rest des Neuralrohrlumens dar. Die noch undifferenzierten neuroektodermalen Zellen teilen sich wiederholt mitotisch und verändern ihre Form, wobei sie schmale zytoplasmatische Fortsätze in Richtung der pialen Oberfläche ausbilden. Während der mitotischen Teilung wandern die Zellkörper dann in Richtung des Lumens.
Entwicklung des Rückenmarks
Lernziele: Mantel- und M a r g i n a t o n e , Grund-, Flügel-, Boden- und Deckplatte, Entwicklung der Spinalganglien und des Zentralkanals, Rückenmarksaszensus •
Neuralrohrschluss. Danach entwickelt sich der rostrale (prächordale) Teil über die primären Hirnbläschen weiter zu den sekundären Hirnbläschen. Das Rückenmark bildet sich aus den kaudal der Hirnbläschen gelegenen Abschnitten des Neurairohrs. In der Wand kommt es zur Ausbildung der zentral gelegenen ventrikulären Zone, in welcher sich die Zellen sehr schnell
•
Nach abgeschlossener Zellteilung migrieren sie auf die Außenseite, wo sie die Mantelzone bilden. Die noch unreifen Neurone entwickeln
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems Fortsätze, die in die Marginatone auswachsen. Im ausgereiften Rückenmark findet sich schließlich die graue Substanz mit den Nervenzellsomata in der Mantelzone. Demgegenüber liegen in der Marginalzone die axonalen Fasertrakte des Rückenmarks, welche die weiße Substanz bilden. Durch unterschiedliches Dickenwachstum formiert sich an beiden Innenseiten des Neurairohrs eine längs verlaufende Rinne, der Sulcus limitans, welcher nach ventral die Grundplatte und nach dorsal die Flügelplatte abtrennt (Abb. 5.5). Deckplatte
J0'531
' Flügelplatte
M a t r i x oder Keimschicht
• - S u l c u s limitans Canalis centralis
Mantelzone ¡graue Substanz!
Grundplatte
Marginalzone ( w e i ß e Sustanz) Bodenplatte ventral
Abb. 5.5: Querschnitt durch die Anlage des Rückenmarks. Die Zellen des Neuroektoderms haben sich ungleichmäßig vermehrt, wodurch die Deck- und Flügelplatte sowie die Grund- und Bodenplatte entstanden sind. Auswachsende Axone legen sich oberflächlich an die Zellschichten an und bilden die weiße Substanz der Marginalzone • Zwischen den beiden Grundplatten findet sich die Bodenplatte. Die Flügelplatten sind durch die Deckplatte verbunden. Die Boden- und Deckplatte bleiben in der Entwicklung zurück. Aus der Grundplatte entwickeln sich die größeren ventralen und kleineren lateralen Kernsäulen des Rückenmarks. Ventral ordnen sich die somatomotorischen Neurone und lateral die präganglionären viszeromotorischen (vegetativen) Neurone an. Die Zellkörper der Flügelplatte bilden weiter nach dorsal die Kernsäulen zunächst der viszero-, dann der somatosensiblen Neurone. Diese Gruppierung funktionell gleicher Neurone in abgrenzbare Kernsäulen bleibt im adulten Rückenmark erhalten (s. Kap. 5.2.7).
•
361
Rückenmarksform. Durch die Zellproliferation in Grund- und Flügelplatte, welche beim adulten Menschen die schmetterlingsförmige graue Substanz des Rückenmarkes (s. Kap. 5.2.7.4) ausmachen, sowie das Auswachsen axonaler Fortsätze, die als weiße Substanz der Marginalzone Verbindungen zu anderen Bereichen des ZNS aufnehmen, entsteht die endgültige Form des Rückenmarks. Von der zentralen Höhle des Neurairohrs bleibt der mit Ependym ausgekleidete Canalis centralis übrig, welcher beim Erwachsenen weitgehend obliteriert ist.
• Spinalnerven. Die aus dem Material der Grundplatte entstehenden motorischen Nervenzellen im späteren Vorderhorn des Rückenmarks senden efferente Fasern in Richtung ihrer späteren Erfolgsorgane, der Skelettmuskeln. Zeitgleich entsteht aus dem Material der Neuralleiste eine lateral der Rückenmarksanlage gelegene Nervenzellansammlung, die sich zum Spinalganglion differenziert. Dort nehmen die zunächst bipolaren Zellen ihre typische Form als pseudounipolare Neurone an. Ihre Dendriten stellen Verbindungen zu spezialisierten Rezeptoren her oder enden als freie Nervenendigungen in verschiedenen Organen und der Haut. Die sensiblen Informationen gelangen über diese Dendriten zum Zellkörper. Die Axone der bipolaren Fortsätze treten über die Hinterwurzel ins Rückenmark ein, wo sie an Neuronen des Hinterhorns enden oder als Hinterstrangbahn ohne weitere Umschaltung bis ins verlängerte Mark, Medulla oblongata, aufsteigen. Gemeinsam mit den vorgenannten efferenten Axonen der Vorderhornneurone, die durch die Vorderwurzel das Rückenmark verlassen, bilden die afferenten Dendriten der Spinalganglienzellen am Foramen intervertebrale den Spinalnerven (s. Abb. 5.6 und Kap. 2.6.5.1,S. 94). Der Abschnitt des Rückenmarkes, dessen Wurzelfasern sich zu einem Spinalnerven vereinen, wird als Riickenmarkssegment bezeichnet (z. B. Segment L5: Der Abschnitt des Rückenmarkes, dessen Wurzelfasern den 5. lumbalen Spinalnerven bilden). •
Rückenmark/Wirbelkanal. Im dritten Embryonalmonat befinden sich die jeweiligen Segmente des Rückenmarks und die dazu gehörigen Foramina intervertebralia zwischen 2 Wirbelkörpern
362
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Rückenmark /'
Radix dorsalis (Hinterwurzel)
Axon I
Spinalgangiion
/
pseudounipolare Spinalganglienzelle
Dendrit Motoneuron -
" Nervus spinalis /
(Spinalnerv)
Radix ventralis (Vorderwurzel) Eingeweide
motorische
.
—
Nervenfaser quergestreifte
— —
sensible Nervenfasern (von R e z e p t o r e n der H a u t
"
Muskelfasern
bzw
Muskelspindeln
ausgehend)
Abb. 5.6: Rückenmark mit austretenden Vorder- und Hinterwurzelfasern
auf annähernd gleicher Höhe. Im Verlauf des Körperwachstums bleibt das Rückenmark in seiner Längenentwicklung im Vergleich zur knöchernen Wirbelsäule zurück und es kommt zum Aufsteigen des Rückenmarks im Spinalkanal, Ascensus medullae spinalis. Am Ende des fünften Monats liegt das Rückenmarkssegment S1 etwa 4 Wirbelkörper oberhalb des ersten Sakralwirbels. Zur Zeit der Geburt entspringen die Fasern, welche die Wirbelsäule zwischen den Wirbelkörpern S1 und S2 verlassen, etwa auf der Höhe des Wirbelkörpers LI aus dem Rückenmark (Abb. 5.7). Beim Erwachsenen befindet sich das kaudale Ende des Rückenmarks, der Conus medulläres, etwa auf der Höhe der Wirbelkörper L1/L2. Auf dieser Höhe verjüngt sich der Conus medullaris abrupt zum nervenzellfreien Filum terminale, das am kaudalen Ende des Spinalkanals befestigt ist und so eine „Schleifspur" des Ascensus medullae spinalis darstellt. Daneben ziehen die Wurzelfasern wie ein Pferdeschwanz als Cauda equina zu ihren Foramina intervertebralia, wo sich
ventrale und dorsale Spinalnervenwurzeln zum Spinalnerven vereinen (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94). Klinik: Beim Neugeborenen liegt der Conus medullaris noch in Höhe des 3., beim Erwachsenen jedoch etwa in Höhe des 1. Lumbalwirbels. Auf Grund des Aszensus des Rückenmarks kann unterhalb des Conus medullaris (mit einem Sicherheitsabstand zwischen den Dornfortsätzen des 3. und 4. oder des 4. und 5. Lendenwirbels) der den Liquor cerebrospinalis enthaltende Subarachnoidealraum (s. Kap. 5.3.2) von dorsal punktiert werden. Hierdurch kann eine Verletzung des Rückenmarks vermieden werden, wobei die Spinalnervenwurzeln der Cauda equina von der Punktionsnadel allenfalls zur Seite verdrängt werden (s. Kap. 8.1.4, S. 635). Die Untersuchungstechnik der Lumbalpunktion ist für die Diagnose einer Vielzahl von Erkrankungen des ZNS (ζ. B. der Multiplen Sklerose) entscheidend.
363
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
Wirbelkörper
Rückenmark
Spinalganglion der
Verlängerung der
Rad!» dorsali; des
a
Cauda equina - verlängerte
Wurzel des
1 Sakralnerven
Fila radicularia der Spinalnerven
1. Sakralnerven
b
kaudal des Rückenmarks
c
Abb. 5.7: Längenwachstumsvergleich von Rückenmark und Wirbelsäule („Rückenmarksaszensus") sowie Bildung der C a u d a equina: a) Entwicklungsstadium ungefähr im 3. Schwangerschaftsmonat, b) am Ende des 5. Monats und c) beim Neugeborenen (nach L. Heimer, 1995)
5.1.4
Entwicklung des Gehirns und der Ventrikelräume
Lernziele: Hirnbläschen, Myelencephalon, Metencephalon, Mesencephalon, Diencephalon, Telencephalon. Scheitelbeuge, Nackenbeuge Hirnbläschen. Noch vor dem Schluss des Neuroporus anterior bilden sich in der dritten Embryonalwoche die 3 primären Hirnbläschen aus. Von kaudal nach rostral entwickeln sich dabei auf die Rückenmarksanlage folgend (Abb. 5.8 und 5.9): das Rautenhirnbläschen, das spätere Rhombencephalon, danach das Mittelhirnbläschen, das spätere Mesencephalon, und schließlich das Vorderhirnbläschen, das spätere Prosencephalon. In diesen 3 Bläschen hat sich der Hohlraum des ehemaligen Neurairohrs stark erweitert und die Wandabschnitte zeigen ein unterschiedlich ausgeprägtes Wachstum. Am größten wird schließlich das Vorderhirnbläschen: Es buchtet sich beiderseits lateral aus und ergibt so die (paarigen) Endhirnbläschen des späteren Telenzephalons (gr. encephalón
= Gehirn; en- = innen, drin, kephalé = Kopf)· Der mediale Abschnitt des Prosenzephalonbläschens bleibt dazwischen relativ klein und bildet das Zwischenhimbläschen des späteren Dienzephalons. Das Mittelhirnbläschen zeigt nur ein geringes Wachstum. Hieraus entstehen später die Haube, Tegmentum, und das Dach, Tectum. Das Rhombenzephalonbläschen teilt sich später weiter in das Myelenzephalonkläschen, die spätere Medulla oblongata, sowie das Metenzephalonbläschen, aus dem das Kleinhirn, Cerebellum, und die Brücke, der Pons, hervorgehen. Das Telencephalon nimmt in der Folge so stark an Größe zu, dass es sich mit dem Diencephalon verbindet und auch das Mesencephalon überwölbt. Aus den Endhirnbläschen entwickeln sich später die Großhirnhemisphären und -Kerne. Das Rhombencephalon und Mesencephalon bilden den späteren Hirnstamm, Truncus encephali (cerebri). Somit entstehen aus den 3 primären später 5 sekundäre Hirnbläschen (ohne Berücksichtigung der Paarigkeit).
364
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
5 sekundäre Hirnbläschen
3 primäre Hirnbläschen
Derivate der H i r n b l ä s c h e n beim E r w a c h s e n e n
Lumen ^ Vorderhirn (Prosencephalon)
Mittelhirn
Wand
Hohlraumsystem
Großhirnhemisphären
(I +11.)
Telencephalon Thalamus
~
Diencephalon
III Ventrikel
~~ ~~
- » · Mesencephalon
— ~~
- -»• Metencephalon
- __
K
Hypothalamus •Mittelhirn
(Mesencephalon)
Rautenhirn (Rhombencephalon)
Seitenventrikel
Aquaeductus mesencephali oberer Teil
*
„ IV. Ventrikel
Myelencephalon
Medulla oblongata
unterer Teil
Rückenmark
Abb. 5.8 u n d 5.9: E n t w i c k l u n g s s c h e m a d e r H i r n a n l a g e ( B l ä s c h e n s t a d i e n ) ; n a c h K. L. M o o r e 1 9 9 0
Aus dem Rhombenzephalonbläschen werden Myelencephalon und Metencephalon. Das Mesenzephalonbläschen bildet das Mesencephalon. Das Prosenzephalonbläschen formiert sich zu Telencephalon und Diencephalon. • Ventrikel. Im Verlauf der Ontogenese verändern die Hohlräume der Bläschen ebenso ihre Gestalt. Der Zentralkanal des Rückenmarks setzt sich kranial in den Ventriculus rhombencephali (quartus) fort, der durch 2 laterale Öffnungen, Aperturae laterales (Luschkae), und eine median liegende Öffnung, Apertura mediana (Magendii), mit dem äußeren Liquorraum verbunden ist. Der IV. Ventrikel geht rostral in den Hohlraum des Mittelhirnbläschens über, welcher sich zum späteren Aquaeductus cerebri röhrenförmig verengt und schließlich in den Ventriculus tertius des späteren Dienzephalons mündet. Der Ventriculus tertius ist beiderseits über das Foramen interventriculare (Monroi) mit dem rechten und linken Seitenventrikel, Ventriculi laterales, verbunden (s. Kap. 5.3.3, S. 441). •
Hemisphärenwachstum. In vorwiegend frontotemporaler Wachstumsrichtung führt es zur ausgedehnten Bogenform der Seitenventrikel. Hierdurch reicht das Vorderhorn in den Frontallappen hinein, der zentrale Bereich in den
späteren Scheitellappen, das Hinterhorn in den Hinterlappen und das Unterhorn in den Schläfenlappen (s. u. und Abb. 5.73). • Scheitelbeuge, Nackenbeuge (s. Abb. 5.10, 11). Nach Ausbildung der sekundären Hirnbläschen beginnt sich die Gehirnanlage zu krümmen. In der dritten Embryonalwoche entsteht im Bereich des Mittelhirnbläschens die Scheitelbeuge. Anschließend zeigt sich kaudal, am Übergang zwischen Rhombenzephalonbläschen und Rückenmark, die Nackenbeuge. Nur wenige Tage später kommt es ventral zwischen Scheitelbeuge und Nackenbeuge zu einer weiteren Krümmung, der Brückenbeuge. Hier bildet sich später der Pons.
Hirnteile 1. Myelencephalon. Aus dem Myelencephalon entwickelt sich die Medulla oblongata, die sich ohne klare Begrenzung an das Rückenmark anschließt. Jedoch sind im verlängerten Mark weiße und graue Substanz anders angeordnet: Im Bereich des IV. Ventrikels kommt es nicht zu einer dorsalen Vereinigung der Flügelplatten, so dass die im Hinterhorn des Rückenmarks liegenden somato- und viszerosensiblen Kerngebiete im Myelencephalon nicht dorsal, sondern lateral liegen. Die aus der Bodenplatte
365
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
Isthmus Kleinhirnplatte Kleinhirnplatte Metencephalon
Scheitelbeuge.,
Scheitelbeuge -
Mesencephalon—
Myelencephalon Nackenbeuge
.
Metencephalon
f
Myelencephalon
Mesencephalon Corpus pineale Diencephalon -
Diencephalon Telencephalon
\
-Medulla spinalis
— Augenblasenstiel
Hemisphärenblase
Sulcus limitans
—
Telencephalon
/ Lamina
Brückenbeuge
\
s
Infundí-
terminalis bulum
—««-»-Medulla spinalis Brückenbeuge
Abb. 5.10: Krümmung der Gehirnanlage bei der Entwicklung vom 3-Bläschen- zum 5-Bläschenstadium unter Ausbildung der Scheitel-, Brücken- und Nackenbeuge. Modell des Gehirns eines menschlichen Embryos von 7,8 m m Scheitel-Steiß-Länge (Lateral- und Medianansicht nach F. Hochstetter) Diencephalon
Mesencephalon
\ Corpus pineale -
Vierhügelplatte
I
\ \
Thalamus.. - Isthmus Telencephalon
~ Cerebellum
Hypothalamus
—
Foramen
dünne Decke des Rhombencephalon
interventriculare
JB\—
Myelencephalon
Nucleus caudatus Kommissurenplatte — Medulla spinalis Rhinencephalon Lamina terminalis Chiasmaplatte
Infundibulum
Metencephalon
Abb. 5.11: Modell des Gehirns eines Embryos von 19,4 mm ScheitelSteiß-Länge (Mediansagittalschnitt nach F. Hochstetter)
entstehenden somato- und viszeromotorischen Kerngebiete, welche im Rückenmark ventral liegen, finden sich im Myelencephalon demgemäß am weitesten medial. Dieses Prinzip hilft auch beim Einprägen der topographischen Lage der Hirnnervenkeme. 2. Metencephalon. Aus dem Metencephalon entsteht dorsal die Kleinhirnanlage, die aufgrund der Brückenbeuge ihre besondere Form ausbildet. Zunächst entwickelt sich das Kleinhirn, Cerebellum, beidseitig aus den Flügelplatten. Die Zellen wachsen einerseits in Richtung des späteren vierten Ventrikels, andererseits mit der größten Massenzunahme nach dorsal. Die beiden zerebellären Anlagen vereinigen sich dorsal in der Mittellinie und bilden den späteren Wurm, Vermis. Die lateral gelegenen Hemisphären zeigen zunehmend tiefe Einkerbungen, Fissurae, zwischen denen sich die für das Kleinhirn typischen Foliae erheben (Abb. 5.12). Somit entwickelt sich sowohl in der
Hemisphäre als auch im Vermis ein stark gefalteter Cortex cerebelli mit darunterliegenden subkortikalen Kerngruppen. Am rostrobasalen Rand des Metenzephalons entsteht der Pons, in dem sich die Brückenkerne, Nucll. pontis, befinden. Dort werden später Fasern aus dem Cortex cerebri in das Cerebellum umgeschaltet. Diese Axone aus dem Pons bilden dann beiderseits den Brückenarm, Pedunculus cerebellaris medius, aus. Im Boden des IV. Ventrikels entwickelt sich die Brückenhaube, Tegmentum pontis. Dieser Bereich grauer Substanz gliedert sich später in Kerngebiete der Hirnnerven und in die Formatio reticularis. 3. Mesencephalon. Aus dem Mesencephalon entwickeln sich Tectum und Tegmentum. Aus der Flügelplatte entsteht das Tectum mit den rostrokranial gelegenen Colliculi superiores und den kaudodorsal gelegenen Colliculi inferiores. Die Colliculi superiores stellen später wichtige Zentren fur visuelle Reflexe und die Colliculi inferi-
366
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Lobus anterior (Palaeocerebellum) Fissura prima Fissura prima -
Nodulus ·
Lobus medius
^ L o b u s
—
- Fissura secunda
(Neocerebellum)
fioccuto-
—
Lobus caudatus
"
nodularis (Archicerebellum)
I
Palaeocerebellum Archicerebellum
Culmen
Fissura prima
I
Neocerebellum
Lobulus centralis
· v
Lingula
Nodulus ' Uvula
Fissura secunda
Fissura posterolateralis
Abb. 5.12: Ontogenese des Kleinhirns (nach Κ. Zilles 1994)
ores Umschaltstationen fur das auditorische System dar. Ebenso entstehen Neurone um den Aquaeductus mesencephali, die das zentrale Höhlengrau bilden, aus der Flügelplatte. Aus der Grundplatte entsteht das Tegmentum mesencephali als rostrale Fortsetzung des Tegmentum pontis, das die Kerngebiete der oberen motorischen Hirnnervenkerne (Nucl. n. oculomotorii und Nucl. n. trochlear is) enthält. Aus dem Tegmentum gliedern sich der Nucl. ruber und die Substantia nigra nach rostral ab. Die noch weiter rostral liegenden Hirnstiele, Pedunculi cerebri, wachsen mit Zunahme der Faserverbindungen zwischen Cortex cerebri und Rückenmark ans Tegmentum an und treten in die Brücke ein. Dabei bilden die absteigenden Fasern aus dem Vorderhirn den Brückenfuß, Pes pedunculi, während die hinteren Anteile dieser Fasern durch das Tegmentum verlaufen, welches sowohl absteigende als auch aufsteigende Fasern enthält. 4. Diencephalon. Oberhalb des Mesenzephalons ist der Sulcus limitans (Abb. 5.13) noch als Sulcus hypothalamicus sichtbar. Aus der dienzephalen Grundplatte entstehen dann der Subthalamus (der spätere Nel. subthalamicus) und der Hypothala-
mus. Dort befinden sich später Kerngebiete des autonomen Nervensystems. Aus der Flügelplatte geht als größter Anteil des Dienzephalons der Thalamus (dorsalis) hervor. Er entwickelt sich in der Wand des III. Ventrikels zeitgleich mit der Ausreifung des Cortex cerebri. In der zweiten Schwangerschaftshälfte lassen sich im Thalamus Kerngruppen abgrenzen, die sich parallel mit der Reifung spezifischer kortikaler Funktionen entwickeln. Am lateralen Rand der Deckplatte entsteht eine dritte Z w i s c h e n h i r n d a c h mit E p e n d y m (= Tela c h o r o i d e a )
Ventriculus
_
-
Fplthalamus
-
Thalamus
tertius
Sulcus - Neuroektoderrt
hypothalamicus -
Hypothalamus
Abb. 5.13: Querschnitt durch d a s Diencephalon mit Epithalamus (dorsal), Thalamus (Flügelplatte/lateral) und Hypothalamus (Grundplatte/basal)
367
5.1 Baueinheiten und Morphogenese des Zentralen Nervensystems
Wachstumszone, aus der sich später der Epithalamus bildet. Hier entstehen der Nucl. habenularis und die Epiphyse. Sie liegt als unpaares Organ in der Mediansagittalebene. Etwa in der dritten Embryonalwoche wächst aus dem dorsobasalen Thalamusbereich (dem späteren Pulvinar) das Augenbläschen zur Linsengrube des Gesichts heran und bildet den Augenstiel aus. Der Augenstiel stülpt sich dort zum Augenbecher ein, dessen inneres Blatt durch die Zellen der späteren Netzhaut, Retina, gebildet wird. Der Augenstiel verlängert sich und wird zur Leitstruktur für die Fasern des N. opticus (vom Auge bis zum Chiasma) bzw. des Tractus opticus (vom Chiasma bis zum Thalamus). Durch das nach lateral gerichtete Wachstum thalamischer und hypothalamischer Areale des Randbereichs ensteht die spaltförmige Öffnung des III. Ventrikels. Nach kranial ist er nur von einer dünnen Ependymschicht und von mesodermalen Zellen bedeckt, die sich als Plexus choroideus in den dritten Ventrikel einstülpen. Der rostrale Abschluss des dritten Ventrikels ist die Lamina terminalis, eine dünne Schicht prosenzephalen Gewebes an der Stelle des vormaligen Nenroporus anterior. Aus der
Bodenplatte des Dienzephalons, dem Hypothalamus, wachsen im weiteren Verlauf der Entwicklung auch das Infundibulum und die Neurohypophyse sowie die Corpora mamillaria aus. 5. Telencephalon, Cortex. Im Bereich des Telenzephalons kommt es in den lateralen Abschnitten zur stärksten Massenzunahme des ZNS, wobei im erwachsenen Gehirn die Hirnrinde, Cortex cerebri, den größten Teil der anderen Hirnteile überdeckt. Hierbei lassen sich 3 Wachstumsrichtungen unterscheiden: nach rostral, lateral und dorsal. Die bei weitem größte Zunahme an kortikalen Zellen fuhrt in rostraler Wachstumsrichtung zur Ausbildung des späteren Frontallappens. Besonders beim Menschen imponiert die Umschließung der späteren Insel und die Wachstumsausrichtung nach rostrobasal. Hierdurch trifft sich der untere Frontallappenanteil später mit dem rostralen Pol des Temporallappens. In dorsaler Richtung entwickelt sich der Okzipitallappen (Abb. 5.14). Der laterozentrale Anteil der Hemisphäre bleibt im Wachstum zurück und bildet später die Insel, Insula. Sie wird von rostralen, kranialen und dorsalen Anteilen der sich entwickelnden Hemisphäre überwachsen: Operkularisation.
Lobus i n s u l a r i s
Lobus p a n e t a l i s
Lobus f r o n t a l i s
Bulbus olfactorlus
S u l c u s l a t e r a l i s (Svivi»
Lobus occipitalis
/
Cerebellum
Lobus t e m p o r a l i s
Truncus e n c e p h a l i
Abb. 5.14: Schematische Darstellung der Überwachsung der Inselrinde (Operkularisation) durch Vergrößerung des Cortex cerebri. Entwicklung des Polus frontalis, occipitalis et temporalis der Gehirnhemisphäre (nach K. Zilles 1994)
368
Entwicklung der Oberfläche 1. Phyologenese des Cortex. Auf der basalen Oberfläche entsteht als ältester Teil der Hirnrinde der Palaeocortex (von gr. palaios = alt, s. Kap. 5.2.5.1, S. 395), aus dem sich schon sehr früh eine leichte Verdickung bildet, die sich zum Riechkolben, Bulbus olfactorius, entwickelt. Aus dem zentralen Anteil jeder Hemisphäre entsteht durch laterales Wachstum der Parietal- und Temporal läppen, dessen basale Anteile (die spätere Area entorhinalis und der Hippocampus) sich als früheste Strukturen entwickeln und demnach als Archicortex bezeichnet werden (oder: Archipallium, gr. archaios = uranfänglich, alt). Alle sich später entwickelnden Hirnrindenteile werden dem Neocortex (Neopallium, gr. neos = neu, jung) zugerechnet. Der Neocortex ist einheitlich sechsschichtig und wird auch als Isocortex bezeichnet. Der phylogenetisch ältere Palaeo- und Archicortex zeigt eine heterogene Schichtung und wird deshalb als Allocortex bezeichnet. 2. Sulzifízierung und Entwicklung der Gyri. Eine weitere Größenzunahme der kortikalen Oberfläche ergibt sich durch Einfaltung, Sulzifízierung, und die dazwischen liegenden Windungen der Hirnrinde, Gyri. Als erste Kortexfurche wird der Sulcus lateralis cerebri zwischen Frontal- und Temporallappen sichtbar. Danach erscheint die Zentralfurche, Sulcus centralis, als Grenze zwischen Lobus frontalis und parietalis (s. Abb. 5.20). Auf der medialen Seite bilden sich zwei weitere tiefe Furchen, der Sulcus parietooccipitalis als Grenze zwischen Lobus parietalis und Lobus occipitalis, und der Sulcus calcarinus (Abb. 5.15). A m Ende des 1. Trimenons haben Gehirn und Rückenmark im wesentlichen schon die adulte Gestalt angenommen. Auffallend ist die relativ zum Endzustand überproportionale Größe der Ventrikelräume zu diesem Zeitpunkt. Mit der Reifung der Fasersysteme nimmt deren Lumen auf das adulte Maß ab.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
5.1.5
Entwicklung der weißen Substanz
Lernzielc: Myelinisierung des Marklagers, Entwicklungsstörungen •
Myeliniserung. Die Entwicklung der weißen Substanz erfolgt später als die Entwicklung der grauen Substanz und ist eng mit der funktionellen Reifung der Fasersysteme verknüpft. Die Myelinisierung der Axone beginnt erst im 3. Trimenon der Schwangerschaft und setzt sich postnatal in den ersten beiden Lebensjahren fort. Die Zunahme des Hirngewichts beruht dann weitgehend auf diesem Vorgang. Im Rückenmark verdicken sich die auf- und absteigenden Leitungsbahnen, wobei die phylogenetisch älteren Bahnsysteme des Hirnstamms früher reifen als die jüngeren kortikalen Bahnsysteme, die der Willkürmotorik dienen.
•
Fasersysteme. Die meisten Fasern bilden sich als Verbindungen innerhalb einer Hemisphäre (Assoziationsfasern) oder zwischen den beiden Großhirnhemisphären (kommissurale Fasern) aus. Projektionsfasern, die den Cortex mit anderen Hirnteilen (z. B. dem Pons) verbinden, bilden den kleinsten Anteil und konvergieren in der inneren Kapsel, Capsula interna. Die kommissuralen Fasern stellen die nächst größere Gruppe dar und bilden in der Mittellinie den Balken, das Corpus callosum, aus. Die menschliche Hirnrinde zeichnet sich besonders durch große Masse an Assoziationsfasern aus. Alle 3 myelinisierten Fasersysteme (s. Kap. 5.2.5, S. 395) bilden zusammen das subkortikale Marklager, welches sich zwischen dem Cortex, den Telenzephalonkerngebieten und den Ventrikeln erstreckt. Im Cerebellum entwickelt sich verhältnismäßig wenig weiße Substanz, RechtsLinks-Verbindungen (kommissurale Fasern) zwischen den Kleinhirnhemisphären fehlen. Klinik: Die seltene kongenitale Balkenagenesie kann partiell oder komplett vorkommen und mit Läsionen (z. B. umschriebenen Tumoren, Blutungen oder degenerativen Prozessen) benachbarter Strukturen, wie der gürtelförmigen Windung, Gyrus cinguli, oder der durchscheinenden Scheidewand, Septum pellucidum, vergesellschaftet sein. Häufig sind Patienten mit
369
5.2 Allgemeine Topographie, Preparation und Blldgebung des Z N S
von Gehirn und Rückenmark. Dieser Vorgang besteht aber nachgeburtlich nicht wesentlich in der Zunahme der Anzahl, sondern in der Ausbildung der typischen Nervenzellmorphologie und synaptischer Strukturen. Dendritenwachstum, die Ausbildung langstreckiger Verbindungen, die Myelinisierung und die Zunahme des Extrazellularraums bringen das Gehirn auf seine adulte Größe. Es wiegt beim Erwachsenen etwa 1,1-1,3 kg (absolutes Hirngewicht) oder 20 g pro kg Körpergewicht (relatives Hirngewicht).
ausgedehntem oder in seltenen Fällen auch vollständigem Balkenmangel klinisch unauffällig. Es können jedoch Symptome wie psychomotorische Verlangsamung, epileptische Anfälle, mentale Retardierung, Störungen der Okulomotorik, motorische Koordinationsstörungen und Liquorzirkulationsstörungen auftreten. •
Postnatale Entwicklung, Hirngewicht. Auch nach Abschluss der Morphogenese kommt es noch während der Schwangerschaft, Säuglings- und Kleinkindzeit zur weiteren Reifung
5.2
Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Lernziele: Makroskopische Gliederung des ZNS. Großhirn in situ, Facies superolateralis. Facies medialis, Facies basalis; Lappengliederung, systematische und innere Gliederung des ZNS. CCT- und MRT-Schichtungen
5.2.1
Hirnteile und Achsen
Forel- und Meynert-Achse (Abb. 5.15, 16). Es ist allgemein üblich, sich zur Kennzeichnung der Lagebeziehungen des Großhirns auf die Forel-Achse Gyrus cinguli
zu beziehen, die die Längsachse des Vorderhirns bildet. Für die Lage des Hirnstamms bezieht man sich auf die Meynert-Achse. Sie stellt eine Gerade dar, die in der Mediansagittalebene am Boden des IV. Ventrikels und durch das kraniodorsale Gefálle dieses Ventrikels verläuft. Die Richtungsbezeichnungen in diesem Kapitel sind daher im Einklang mit dieser Achseneinteilung so gewählt, dass für das Gehirn einschließlich der Medulla oblongata („am stehenden Patienten") rostral = vorn, kranial = oben, dorsal = hinten und basal = unten bedeuten sollen. Beim Rückenmark wird hier dagegen weit-
S u l c u s cinguli
S u l c u s centralis
Lobulus paracentralis
\ \
\
„
Praecuneus
_
Sulcus p a r i e t o o c c i p i t a l ^
_
Cuneus
\
Gyrus frontalis superior
- S u l c u s calcaririus
- Gyrus o c c i p i t o t e m p o r a l ^ m e d i a l i s
IV. Ventrikel Gyrus rectus
/ Polus t e m p o r a l i s
Abb. 5.15: Mediansagittalschnitt des Gehirns. Die einzelnen Hirnteile sind farbig gekennzeichnet: Telencephalon = gelb; Diencephalon = blau; Mesencephalon = punktiert; Metencephalon = grün; Myelencephalon = gestrichelt
370
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
gehend ventral = vorn, dorsal = hinten und kaudal = unten verwendet.
5.2.2
Die äußere Gestalt des Großhirns
kranial
Das Gehirn in situ. Das Gehirn liegt mit seinen Hirnhäuten (s. Kap. 5.3.2, S. 433) der Schädelbasis auf, so dass zahlreiche Windungen auf der Innenseite der Basis cranii als Eindrücke, Impressiones gyrorum, sichtbar werden. Den Hirnfurchen entsprechen einzelne Knochenerhebungen, Juga cerebralia. Diese finden sich nur am Dach der Augenhöhle, Orbita, und dem vorderen Abschnitt der mittleren Schädelgrube. Die Schädelkalotte ist innen, bis auf die Sulci arteriosi, glattwandig. Somit passt sich die Schädelform der Gehirnform an. Nach Entnahme aus der Schädelhöhle unterscheidet man 3 Ansichten des Gehirns: Abb. 5.16: Richtungsbezeichnungen im Gehirn: Endhirnachse = Forel-Achse (Fo) und Hirnstammachse = Meynert-Achse (Me)
1. die Ansicht von oben und seitlich, Facies superolateral"^ hemispherii cerebri (die Konvexität), Polus frontalis Dura mater zurückgeschlagen
Gyrus f r o n t a l i s superior —
Subduralraum
-
Gyrus f r o n t a l i s medius
-
Gyrus praecentralis
-
Sulcus centralis
Gyrus p o s t c e n t r a l s
Brückenvene Fissura longitudinalis cerebri
Polus occipitalis
Abb. 5.17: Facies superolateral hemispherii cerebri. Ansicht des Gehirns von kranial nach Entfernung der Schädelkalotte und Abheben der Dura mater. Blick auf die Arachnoidea mater
371
5.2 A l l g e m e i n e T o p o g r a p h i e , P r ä p a r a t i o n u n d B i l d g e b u n g d e s Z N S
2. die Ansicht von medial, Facies meclialis spherii cerebri, 3. die Ansicht von basal, Facies inferior spherii cerebri (die Hirnbasis).
pitalis). Median wird das Telencephalon durch die Fissura longitudinal is cerebri in die beiden Hemisphären geteilt (Abb. 5.17).
hemihemi-
Der Hemisphärenspalt wird durch eine Duraduplikatur, die Hirnsichel, Falx cerebri, eingenommen. Diese Falx stellt eine wichtige Struktur bei der Kammerung der Schädelhöhle dar (Abb. 5.18).
5.2.2.1 Ansicht von oben und seitlich (Facies s u p e r o l a t e r a l hemispherii cerebri) Von kranial betrachtet, erscheint das Gehirn als Ellipsoid mit einem Stirn- (Polus frontalis oder rostralis) und einem Hinterhauptspol (Polus occi-
Klinik: Durch die transfalxiale Einklemmung (Herniation), welche durch Volumenzunahme
Corpus cailosum angeschnittener Ventr lat. dext ISsptum pellucidum entfernt!
hai* cerebri Aritwia pericallosa Genu corporis callosi
Corpus formers Tela choroidea
A n o n a cerebri anterior
ventricoli t e n u Adhaesio inter-
Area subcallosa
thalamica
Anteil des Gyrus
Splenium corporis
frontalis inferior
callosi
Dura mater cerebri
Tentorium cerebelli
Schädelkalotte
Hirnstamm (in Höhe
Substantia nigra des Mesencephalon durchtrennt
Abb. 5.18: Strukturen der M e d i a n s a g i t t a l e b e n e (in situ-Präparat) Q
n a c h E n t f e r n u n g d e r linken H e m i s p h ä r e
= Gefäße durch Hirnsichel eingeklemmt Gyrus cingulr
Arteria perrcallosa
Truncus corporus callosi
^
- — Faix cerebri
Genu corporus callosi — .
'eröffnet)
Splenium corporis
Arteria cerebri anterior
callosi Fornix
Septum pellucidum
Epiphysis
Area subcallosa
Lamina tect
Recessus opticus Chrasma optrcum Infundibulum
/ Recessus infundibularis
Abb. 5.19: Transfalxiale E i n k l e m m u n g
/
Corpus mamillare
¡ Teamentum
\
Aquaeductus mesencephali
372
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
373
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
(z.B. bei Hirntumoren oder Massenblutungen) des Gehirns bedingt wird, können Anteile des Gyrus cinguli unter der Hirnsichel, Falx cerebri, eingeklemmt werden. Hierbei werden leicht Äste der A. cerebri anterior gequetscht, so dass neurologische Ausfalle in ihrem Versorgungsgebiet (ζ. B. eine beinbetonte Hemiparese) auftreten können, obwohl der ursprüngliche pathologische Prozeß nicht dort lokalisiert ist (Abb. 5.19). Seitlich gesehen wird die enorme Massenentwicklung des menschlichen Großhirns besonders deutlich. Es überlagert sämtliche anderen Hirnteile. Nur die nach ventral weisende Brücke, Pons, das nach ventral weisende verlängerte Mark, Medulla oblongata, und das sich dorsal erstreckende Kleinhirn, Cerebellum, bleiben sichtbar. Eine horizontal verlaufende, tiefe Spalte, die Fissura transversa cerebri, trennt die Hinterhauptslappen des Großhirns vom Kleinhirn (Abb. 5.20).
Tentorium cerebelli. Dieses wird durch die am Zeltfirst angewachsene Falx cerebri etwas emporgehoben und seitlich zwischen Felsenbeinkante und Sinus transversus aufgespannt (Abb. 5.18). Das Tentorium lässt einen relativ engen Schlitz, die Incisura tentorii, offen, der nach rostral vom Keilbein, Os sphenoidale, begrenzt wird. Durch den Tentoriumschlitz tritt das Mesencephalon hindurch. Der verbleibende enge Zwischenraum ist die einzige Kommunikationsmöglichkeit zwischen den mit Nervenwasser, Liquor cerebrospinalis, gefüllten Subarachnoidealräumen oberhalb und unterhalb des Tentoriums: Supra- und infratentorieller Raum. Klinik: 1. Durch raumfordernde supra- wie infratentorielle Prozesse kann es zum Hervortreten von Hirnteilen in den Tentoriumschlitz, Protrusion, und somit zur Tentoriumeinklemmung kommen. Hierbei sind insbesondere Uncus und Gyrus parahippocampalis betroffen (s. Abb. 5.21 und auch Abb. 5.77). 2. Als Folge können eine Verlegung des Aqueductus mesencephali, Aquäduktstenose, sowie eine Mittelhirnkompression auftreten. Wenn in diesem Stadium keine Möglichkeit zur neurochirurgischen Entlastung besteht, ist die Prognose für den Patienten infaust.
Tentoriumschlitz. Die Fissura transversa reicht tief nach rostral ins Gehirn hinein und trennt das Telencephalon vom Diencephalon ab. Deshalb wurde sie früher auch als Fissura telencephalicodiencephalis bezeichnet. Diese Spalte wird von einem Durablatt eingenommen, dem Kleinhirnzelt:
A. cerebri post, dextra
—
Uncus ^ Mittellinienverlagerung Tentorium
ausgeprägter raumfordernder
cerebelli
Schnürfurche
Substantia. -belassener
nigra
Tentoriumrand
Prozess • Schnittkante
Einklemmung in den
hämorrhagische
Tentoriumschlitz
Nucleus ruber
\
(Mitteihirneinklemmung)
(Kernohans-Syndrom!
Gyrus parahippo-
Einklemmung von Kleinhirntonsillen
Nekrosen im kontralateralen Hirnschenkel
—
campaiis
"
χ^sekundäre Mittellinien btuhingen
in das Foramen magnum Schnürfurche des Tentorium mit
x
abgeknickten Gefäßen
a
b
Abb. 5.21: Einklemmungen bei Hirndruck; a) schematisierter Frontalschnitt und b) Darstellung nach einem pathologisch-anatomischen Präparat, Ansicht von kaudal, links wurde ein Teil des Tentoriums belassen; Einklemmung des Mesenzephalons In den Tentoriumschlitz (nach P. Duus, 1990)
374
5 Zentrales N e r v e n s y s t e m , G e h i r n u n d R ü c k e n m a r k
Mantelkante. Der Übergang von der Facies superolaleralis zur Facies medialis wird als Mantelkante (lat. Pallium = Mantel) bezeichnet, wobei der Begriff „Hirnmantel" ein älterer Name für den Cortex cerebri ist. Zieht man die Hemisphären auseinander, sieht man in der Tiefe des mittleren Abschnittes eine weiße Struktur, den Hirnbalken, das Corpus callosum. Er verbindet die beiden Hemisphären und stellt die größte Kommissur dar. Rostrai und dorsal liegen die Hemisphären vollständig isoliert voneinander vor. Die gräuliche Oberfläche des Gehirns lässt die zahlreichen Windungen, Gyri cerebri, erkennen, welche durch Furchen, Sulci cerebri, begrenzt werden.
Zentralwindung, Gyrus praecentralis, und dorsal von der hinteren Zentralwindung, Gyrus postcentralis, eingefasst. Die Zentralfurche, Sulcus centralis, trennt die motorische Rinde des Gyrus praecentralis von der somatosensiblen Rinde des Gyrus postcentralis. Die Scheitelhinterhauptsfurche, Sulcus parietooccipitalis (s. Abb. 5.22), liegt nahe dem Hinterhauptspol. Sie grenzt den Hinterhauptslappen, Lobus occipitalis, vom Scheitellappen ab und zieht an der Medianfläche der Hemisphäre zur Vogelspornspalte, dem Sulcus calcarinus, hinab (s. Abb. 5.15). Die funktionelle Bedeutung dieser beiden Sulci liegt darin, dass der überwiegende Teil der Sehrinde von ihnen eingegrenzt wird. Der Rest des visuellen Cortex befindet sich in den beiden benachbarten Windungen (s. Kap. 5.4.2).
Hauptfurchen (Abb. 5.22). Nur wenige Furchen und Windungen weisen eine konstante Lage auf. Es besteht nicht einmal eine Symmetrie zwischen den beiden Hemisphären eines Individuums. Aus Übersichtsgründen ist es jedoch wichtig, einige Hauptfurchen zu kennen. So sind aus der Vielzahl der Oberflächenstrukturen 2 besonders tiefe und charakteristische Furchen hervorhebenswert. Die Zentralfurche, Sulcus centralis (Rolandii), teilt eine Hemisphäre in ihre rostrale und ihre dorsale Hälfte und grenzt den Stirn-, Lobus frontalis, vom Scheitellappen, Lobus parietalis, ab (s. Abb. 5.15). Die Zentralfurche wird rostral von der vorderen
Die Zentralfurche, der Sulcus centralis, läuft von okzipitodorsal nach rostrobasal. Nach basal wird er durch die seitliche Furche, den Sulcus lateralis (Sylvii), begrenzt, der den Temporal- vom Frontalund Parietallappen abtrennt. Er weist einen langen, nach dorsal ziehenden Ast, Ramus posterior, einen aufsteigenden Ramus ascendens sowie einen nach
Sulcus c e n t r a l i s
Sulcus p r a e c e n t r a l i s \
/
Sulcus p o s t c e n t r a l i s
Sulcus f r o n t a l i s superior -
_ Sulcus f r o n t a l i s i n f e r i o r
Sulcus p a r i e t o o c c i p i t a l i s
Polus f r o n t a l s
Ramus a s c e n d e n s Sulcus lateralis
~
Ramus a n t e r i o r Ramus posterior
Sulcus i n t r a p a r i e t a l i s
—
' ^
Sulci o c c i p i t a l e s
Polus o c c i p i t a l i s
Polus t e m p o r a l i s
' Sulcus t e m p o r a l i s inferior
\ Sulcus t e m p o r a l i s s u p e r i o i
' Incisura p r a e o c c l p i t a l i s
Abb. 5.22: S c h e m a t i s c h e Seitenansicht d e s Gehirns. Stirnlappen (gelb)·. G. fr. s. = G y r u s frontalis superior; G. fr. m. = G y r u s frontalis m é d i u s ; G. fr. i. = G y r u s frontalis inferior; G. pr. = G y r u s p r a e c e n t r a l i s Schläfenlappen (grün): G. t. s. = G y r u s t e m p o r a l i s superior; G. t. m. = G y r u s t e m p o r a l i s m é d i u s ; G. t. i. = G y r u s t e m p o r a l i s inferior Scheitellappen (weiß): L. p. s. = L o b u l u s parietalis superior; G. sm. = G y r u s s u p r a m a r g i n a l i s ; G. a. = G y r u s a n g u laris; G. po. = G y r u s p o s t c e n t r a l i s Hinterhauptslappen (blau)
5.2
Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des
rostral weisenden Ramus anterior auf. Der Sulcus lateralis erweitert sich nach medial zur Fossa lateralis.
375
etale und das Operculum temporale unterschieden werden. Klinik: Auf der Innenseite des Operculum temporale liegen von außen unsichtbar die Heschl-Querwindungen, die einen großen Anteil der Hörrinde ausmachen. Die Funktion des Insellappens ist bisher kaum verstanden. Elektrophysiologische Untersuchungen legen jedoch nahe, dass es sich hier um einen Teil des viszerosensiblen Cortex handelt. Bei neurochirurgischen Eingriffen am Temporallappen (etwa zur Therapie der Ammonshornsklerose) muss beachtet werden, dass in der Tiefe der Fossa lateralis cerebri zwischen Insel und Opercula die mittlere Hirnarterie, A. cerebri media, verläuft. Ihre Äste treten im Sulcus lateralis an die Oberfläche und strahlen von dort über die Facies superolateralis aus (s. Abb. 5.74, 75).
Spreizt man den Sulcus lateralis, so findet man in der Tiefe die Inselregion, Insula (Reili) oder Lobus insularis. Insula (Abb. 5.23). Die Insel (s. auch Abb. 5.16, 29 und 47) hat ungefähr die Form eines Dreiecks und wird auf allen Seiten vom Sulcus circulons insulae begrenzt, der lediglich am Limen insulae fehlt. Über diesen Sulcus circularis insulae geht der Inselkortex in die Rinde der Opérenla über. Der durch die Insel hindurchziehende Sulcus centralis insulae trennt einen rostralen von einem basalen Abschnitt ab. Am Limen insulae geht die Inselregion ins Riechhirn, Rhinencephalon, über. Während der Ontogenese wurde die Inselregion von Stirn-, Scheitel- und Schläfenlappen überlagert und ist zum Zeitpunkt der Geburt bereits in der Tiefe verschwunden. Die frühen vergleichenden Anatomen sahen hier eine Analogie zum Kiemendeckel der Fische (Operculum), so dass nun das Operculum frontale (rostrale), das Operculum pari-
ZNS
Durch den Sulcus lateralis wird der Stirnlappen vom Schläfenlappen abgegrenzt. Der Ramus posterior wird vom Gyrus supramarginalis umfasst (s. Abb. 5.20).
- Operculum parietale (teilweise abpräpariert) . Gyri breves - Sulcus centralis insulae Gyruslongus
• Polus frontalis
Operculum frontale (teilweise abpräpariert) Limen insulae Gyri temporales transversi (= Heschl-Querwindungen)
Lobus temporalis
A b b . 5.23: I n s u l a Reili, O p e r c u l a a u s e i n a n d e r g e d r ä n g t b z w .
abgeschnitten
Lobus insularis
376
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
frontales superior, médius et inferior. Die obere Stirnwindung geht auch in die Facies medialis cerebri über. Die untere Stirnwindung wird durch die Rami anterior et ascendens des Sulcus lateralis in drei Teile abgegrenzt, die Partes opercularis, triangularis et orbitalis. Basal liegt der Frontallappen dem Orbitadach als orbitofrontaler Cortex auf, wobei seine Windungen unregelmäßig verlaufen. An seiner medialen Seite wird vom Gyrus orbitalis durch den Sulcus orbitalis der Gyrus rectus abgetrennt. An der Basalseite findet sich auch der Bulbus olfactorius (Abb. 5.26).
Klinik: Bei einer Läsion im Bereich des Gyrus supramarginalis, besonders der rechten Hemisphäre, kann das Gefühl für den eigenen Körper verlorengehen, was als Asomatognosie bezeichnet wird. Isoliert können auch Fingeragnosien oder eine Rechts-Links-Desorientierung auftreten, die meist Folge linksparietaler Läsionen sind (s. Kap. 5.4.10.2, S. 531). Der Ramus anterior und der Ramus ascendens unterteilen die angrenzende untere Stirnwindung, den Gyrus frontalis inferior (s. Abb. 5.20, 22). Der Sulcus parietooccipitalis zieht von der Facies medialis hemispherii cerebri herüber, kerbt die Mantelkante ein und setzt sich teilweise auf die Facies superolateralis fort. Hierdurch werden Scheitel- und Hinterhauptslappen getrennt. Die Verlängerung dieser Linie zur präokzipitalen Einkerbung wird dementsprechend Incisura praeoccipitalis genannt. An dieser Stelle steht das Gehirn mit der Felsenbeinpyramide in unmittelbarem Kontakt. Insgesamt lassen sich die durch Furchen abgrenzbaren Hirnlappen (gedanklich) in die Schädelhöhle projizieren, wodurch der Stirnlappen, Lobus frontalis, in der vorderen Schädelgrube, Fossa cranii anterior, der Schläfenlappen, Lobus temporalis, in der mittleren Schädelgrube, Fossa cranii media, und der Hinterhauptslappen, Lobus occipitalis, auf dem Kleinhirnzelt, Tentorium cerebelli, zu liegen kommt. Der Scheitellappen, Lobus parietalis, wird von der Schädelkalotte bedeckt (s. Kap. 4.3.1, S. 191).
5 . 2 . 2 . 2 Die Lappen des Telencephalon • Stirnlappen, Lobus frontalis. In der Seitenansicht wird der Lobus frontalis (s. Abb. 5.22) von den Sulci centralis et lateralis abgegrenzt. Der Sulcus praecentralis verläuft im Frontallappen parallel zum Sulcus centralis und besteht gewöhnlich aus den Sulci praecentrales superior et inferior. Gemeinsam begrenzen Sulcus centralis und praecentralis die vordere Zentralwindung, den Gyrus praecentralis. Vom Sulcus praecentralis abgehend, verlaufen die obere und untere Stirnfurche, die Sulci frontales superior et inferior, nach rostral. Hierdurch unterteilen sie die drei parallelen Stirnwindungen, die Gyri
• Scheitellappen, Lobus parietalis. Der Scheitellappen wird rostral durch den Sulcus centralis und dorsal durch den Sulcus parietooccipitalis sowie die präokzipitale Einkerbung abgegrenzt. Nach basal besteht eine Begrenzung durch den Ramus posterior sulci lateralis. Die dorsale Zentralfurche, Sulcus postcentralis, verläuft parallel zum Sulcus centralis und begrenzt mit diesem die dorsale Zentralwindung, den Gyrus postcentralis. Anschließend trennt sich der Sulcus postcentralis in den Sulcus postcentralis superior und den Sulcus postcentralis inferior auf. Der Sulcus postcentralis inferior geht meistens in den Sulcus intraparietalis über, der annähernd horizontal nach dorsal zieht. Durch ihn wird der Scheitellappen weiter in den Lobulus parietalis superior et inferior geteilt (s. Abb. 5.22). Der Lobulus parietalis inferior besteht aus 2 konkaven Windungen, dem rostralen Gyrus supramarginalis und dorsalen Gyrus angularis. Sie umfassen jeweils das Ende des Ramus posterior sulci lateralis und der oberen Schläfenfurche, des Sulcus temporalis superior. Klinik: Bei einer Läsion im Bereich des linken Gyrus angularis sind die Patienten in vielen Fällen nicht mehr über die räumliche Stellung ihres Körpers oder über die Beziehung einzelner Körperteile zueinander orientiert. •
Schläfenlappen, Lobus temporalis. Der Schläfenlappen wird vom Ramus posterior sulci lateralis bzw. dessen Verlängerung nach dorsal von Stirn- und Scheitellappen abgeteilt (s. Abb. 5.22). Die Grenze zum Lobus occipitalis bildet eine gedachte Linie, die vom Sulcus parietooccipitalis zur basalen Mantelkante verläuft. Der
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Lobus temporalis weist 2 parallele Furchen, die Sulci temporales sup. et inf., und 3 Windungen auf: die Gyri temporales superior, médius et inferior. Der an den Sulcus lateralis und an die in der Tiefe liegende Insel angrenzende Gyrus temporalis superior weist auf seiner den Stirnund Scheitellappen zugewandten Fläche meist 3 konstante, auf die Insel schräg zulaufende Querwindungen auf, die Gyri temporales transversi (Heschl). Diese werden erst bei Spreizung des Sulcus lateralis sichtbar und stellen zusammen mit der Außenfläche des Gyrus temporalis superior das primäre Hörzentrum dar (s. Abb. 5.23). Klinik: Eine pathologische Destruktion des primären Hörzentrums fuhrt zur seltenen kortikalen Taubheit. Sogar ihr einseitiger Ausfall macht sich in Hörstörungen auf beiden Ohren bemerkbar, da sich die Hörbahn von einem Ohr ausgehend zur Rinde beider Hemisphären erstreckt. Die kortikale Taubheit ist oft die Folge eines zweiten Schlaganfalles in der anderen Hemisphäre. Sie kann aber auch bei einer Enzephalitis oder einem schweren Schädel-HirnTrauma auftreten. An der basalen Mantelkante liegt der Gyrus temporalis inferior, der von der Sulci temporalis inferior et occipitotemporalis abgegrenzt wird. Es besteht eine Nachbarschaftsbeziehung zum Gyrus occipitotemporalis lateralis. Im Polus temporalis, an der Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels, befindet sich auch der Mandelkern, das Corpus amygdaloideum. Weiter basal liegt die Hippokampus-Formation als Vorwölbung im Unterhorn des Seitenventrikels. Beide Strukturen gehören zum Limbischen System (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521). • Hinterhauptslappen, Lobus occipitalis. Der Lobus occipitalis (s. Abb. 5.22) ist der kleinste der Hirnlappen. Gegen Scheitel- und Schläfenlappen wird er auf der Medianfläche durch die Fissura parietooccipitalis und auf der Facies superolateral durch deren Verlängerung nach basal abgegrenzt. Aufgrund ihrer starken Variabilität werden die lateralen Windungen als Gyri occipitales laterales zusammengefaßt. Der auf der Medianfläche tiefe Sulcus calcarinus (s. Abb. 5.15, 24) greift in einzelnen Fällen als Varietät um den Okzipitalpol herum. Er buchtet sich als Calcar avis in das Hinterhom des Sei-
377
tenventrikels (s. Abb. 5.25 und Kap. 5.3.3, S. 441). Im Hinterhauptslappen liegt der visuelle Cortex mit den Areae 17, 18 und 19 nach Brodmann (s. Kap. 5.4.2.4). Basal befinden sich die Gyri occipitotemporales lateralis et medialis. Sie werden je zur Hälfte dem Schläfenlappen und dem Hinterhauptslappen zugerechnet.
5.2.2.3 Ansicht von medial (Facies medialis hemispherii cerebri) Balken, Corpus callosum. Auf der Medianansicht des Gehirns (s. Abb. 5.24) erkennt man zentral, unter der Großhirnhemisphäre gelegen, eine große, von rostral nach dorsal verlaufende weißliche Struktur, den Hirnbalken oder das Corpus callosum. Der Balken verbindet beide Großhirnhemisphären über kommissurale Fasern und wird durch den Mediansagittalschnitt durchtrennt. Der Balken beginnt mit dem schiffsbugartigen „Schnabel", Rostrum, geht über das Knie, Genu, in den Stamm, Truncus, über, um dorsal mit einem Wulst, Splenium, zu enden. Das Rostrum setzt sich in die Lamina terminalis fort, welche die dünne rostrale Wand des ehemaligen Prosenzephalonbläschens darstellt. Im adulten Hirn bildet sie die Vorderwand des III. Ventrikels und trägt das Organum vasculosum, das zu den zirkumventrikulären Organen (s. Kap. 5.4.11.3, S. 548, Abb. 5.138) gezählt wird. Die Sehnervenkreuzung, Chiasma opticum, ist mit ihr verwachsen. Gewölbe, Fornix. Basal des Corpus callosum verläuft ein noch stärker gekrümmter Bogen, das Gewölbe, der Fornix. Er erscheint makroskopisch ebenfalls als weiße Substanz und wölbt sich über den III. Ventrikel (Abb. 5.24). Er beginnt im Temporallappen als Fimbria hippocampi und endet an einem weißlichen Höcker der Basalfläche des Gehirns, dem Corpus mamillare der jeweiligen Hirnhälfte. Von dort verläuft er als Säule, Columna fornicis, nach oben, um sich bogenförmig nach dorsal zu wenden. Schließlich legt er sich als Corpus fornicis an die Unterfläche des Balkens an (Abb. 5.24). Der Schenkel des Gewölbes, Crus fornicis, ist auf der Medianansicht nicht erkennbar, da er nach laterobasal in die Tiefe des Temporallappens verläuft, um zum Unterhorn des Seitenventrikels zu gelangen. Insgesamt ist der basale Anteil der Columna fornicis von der grauen Substanz des Hypothalamus überdeckt und wird deshalb auch als
378
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Sulcus centralis
. Sulcus calcarinus
Cingulum
Corpus fornicis Splenium corporis callosi
Genu corporis callosi
~ Thalamus/Adhaesio interthalamica Sulcus hypothalamicu '
Lamina terminalis Chiasma opticum
Corpus mamillare
Pons
Abb. 5.24: Medianansicht mit langen Assoziationsfasern (Cingulum) nach Entfernung des Gyrus cinguli
Pars tecta coluninae fornicis bezeichnet. Demgegenüber ist die Pars libera columiiae fornicis auf der Medianansicht gut zu erkennen. „Durchscheinende Scheidewand", Septum pellucidum. Zwischen Corpus callosum und Fornix spannt sich rostral eine dreieckige, dünne, weißliche Platte, das Septum pellucidum, aus. Es bildet die mediale Wand beider Seitenventrikel und besteht oft aus 2 Lamellen, die eine schlitzartige Höhle, das Cavum septi pellucidi einschließen (Abb. 5.25). Basal des Septum pellucidum, welches keine Neurone enthält, liegen die Septumkerngebiete des basalen Telencephalons. Sie stellen Schaltstellen des Limbischen Systems dar (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521). I I I . Ventrikel, Ventriculus tertius. Er reicht rostral bis zum Chiasma opticum und dorsal bis zum Aquaeductus mesencephali. Der III. Ventrikel gehört zum Diencephalon und trennt die rechte und die linke Zwischenhirnhälfte (s. Kap. 5.3.3, S. 441).
Gyri und Sulci. Oberhalb des Balkens verläuft parallel von rostral nach dorsal der Sulcus cinguli {Pars sub front alis). Die Rinde von der Mantelkante bis zum Sulcus cinguli gehört dem Gyrus frontalis superior (Abb. 5.22) an. Der Lobulus paracentralis umfasst das die Mantelkante einkerbende Ende des Sulcus centralis und gehört zu den Gyri prae- et postcentrales. Letzterer ist schon Teil des Lobus parietalis, der auf der Facies medialis dorsal vom Gyrus cinguli parietalis ein großes Gebiet, den Praecuneus, ausbildet. Der Sulcus cinguli begrenzt von kranial den Gyrus cinguli (Abb. 5.15, 24, 41), der basal durch den Sulcus corporis callosi vom Balken getrennt ist. Gyrus cinguli. Die bogenförmige Windung erstreckt sich im Frontal- und Parietallappen parallel oberhalb des Corpus callosum. Im Temporallappen geht er in den Gyrus parahippocampalis über. Diese beiden Gyri bilden mit dem Hippocampus den limbischen Cortex aus (s. Kap. 5.4.10.1). Im Marklager des Gyrus cinguli verläuft eine lange Assoziationsbahn, das Cingulum (lat. Gürtel, zur Funktion s. Kap. 5.2.5, S. 395, sowie Abb. 5.24 und 5.43). Unterhalb des Balkenknies besteht
379
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Fissura longitudinalis cerebri
Vena septi pellucidi
Teile des Genu corporis callosi
Caput nuclei caudati
Äste der Vena thalamostriate ~
Cavum septi pellucidi
Columna fomicis
Insula Commissure fomicis (Schnittkante)
Thalamus dorsalis (Lamina affixa) Lobus insularis
Vena choroidea
—
Crus fomicis Lobus temporalis Glomus
Pars centralis , ventriculi lateralis
choíoideum Sulcus calcarinus
Telachoreidea ventriculi tertii
Carmi posterius ventriculi lateralis Calcar avis
Venae cerebri internae ""
Lobus occipitalis
A b b . 5 . 2 5 : Die Seitenventrikel s i n d mit e i n e m H o r i z o n t a l s c h n i t t d u r c h d i e H e m i s p h ä r e eröffnet; d a s S e p t u m pelluc i d u m u n d der Fornix sind n a c h W e g n a h m e d e s Balkens freipräpariert
eine Verbindung des Gyrus cinguli mit der Area subcallosa (Abb. 5.18), die rostral unmittelbar an den Gyrus paraterminalis grenzt. Im Anschluss an das dorsale Balkenende (Splenium corporis callosi) verdünnt sich der Gyrus cinguli zum Isthmus gyri cinguli und verschmilzt mit dem Gyrus lingualis zum Gyrus parahippocampalis (s. Abb. 5.42 und 5.118). Der Gyrus parahippocampalis schlägt rostral in einen konvexen Bogen um, welcher als Uncus bezeichnet wird (s. Abb. 5.77). Hier lassen sich kleine Vorwölbungen erkennen, nämlich der Gyrus uncinatus, der Gyrus intralimbicus und das Uncusbändchen (Limbus Giacomini).
Indusium griseum. Zur balkennahen Region der Hirnoberfläche zählt auch eine dünne Schicht grauer Substanz, die als grauer Schleier, Indusium griseum, bezeichnet wird. Das Indusium griseum stellt ein Relikt des (phylogenetisch alten) Archicortex dar und liegt dem Balken dorsal auf. Medial und lateral wird das Indusium durch zwei feine Längswülste verdickt, die Striae longitudinales medialis et lateralis (Lancisii). Balkenferne Strukturen. Die balkenfern gelegenen Hirnwindungen gehören zum (phylogenetisch neuen) Neopallium (s. Kap. 5.1.4). Hierzu zählt der Gyrus frontalis superior, der durch die Mantelkante und die Gürtelfurche, Sulcus cinguli, begrenzt wird. Seine dorsale Begrenzung wird durch den senkrecht nach basal verlängerten Sulcus
380
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
centralis gebildet. Der Gyrus paracentralis läuft um den Sulcus centralis herum bzw. stellt in einer hakenartigen Form die Verbindung zwischen den Gyri prae- et postcentrales her. Zum Scheitellappen wird das rostral des Sulcus parietooccipitalis gelegene, annähernd viereckige Feld gerechnet, das als Praecuneus bezeichnet wird. Die Fortsetzung der ursprünglichen Verlaufsrichtung des Sulcus cinguli nach dorsobasal wird Sulcus subparietalis genannt. Dorsal des Sulcus parietooccipitalis beginnt der Okzipitallappen. Sulcus calcarinus. Die schnabelförmige Furche zieht vom Okzipitalpol nach rostral und trifft dort im spitzen Winkel auf den Sulcus parietooccipitalis. Das von beiden eingeschlossene, keilförmige Rindengebiet wird als Cuneus bezeichnet. Auf der Facies inferior hemispherii cerebri gehören noch die Anteile des Gyrus occipitalis medialis et late-
Polus frontalis —
Fissura longitudinalis cerebri
ralis dem Hinterhauptslappen an. Sie liegen in situ dem Tentorium cerebelli auf.
5.2.2.4 Ansicht von basal (Facies inferior hemispherii cerebri) Den 3 Schädelgruben der Basis cranii interna entsprechen 3 Erhebungen, welche sich auf der Hirnbasis ausmachen lassen: der Stirnlappen, der Schläfenlappen und die Kleinhirnhemisphären. Frontallappen, Lobus frontalis. In der vorderen Schädelgrube liegen die Stirnlappen getrennt durch die Fissura longitudinalis cerebri. Der basale Frontallappen ist in seiner medialen Hälfte regelmäßiger strukturiert als in seiner lateralen (Abb. 5.26). Der
• Bulbus olfactorius
I
-Tractus olfactorius
_
- Nervus opticus
Gyrus rectus — Trigonum olfactorium
Sulci et gyn __
1
B
orbitales
u
f
w
Polus temporalis
Substantia perforata anterior
Β
- - Tractus opticus Chiasma optícum -
Tubei cinereum
Infundibulum
i
Pons -
-
^
^
i
y
i
p
^
I L
— Eminenti,ί mediana
ì
~ Corpus mamlllare Ν. abduceris
- m_
Pyramis
;
«
f
m
Nervus trigeminus
Flocculus cerebelli Sulcus lateralis anterior
iL κ
2
\
ν·····Νο„. Λ \
v
4
x
" ' N e r v i facialis et " vestibulocochlear^
-... / ,
' Radices nervi hypoglossi
Oliva -
Nervi vagus et glossopharyngeus Cerebellum Nervus accessorius Polus oci ipitalis
lit. ^
'
• ÎÉSik ' ' ) J ^ h
Λ: : .;.. . :· : : . m ; iJg'gi?" Abb. 5.26: Ansicht des Gehirns von basal (Facies inferior hemispherii
' Decussatio pyramidum
^ .
~ Fissura mediana anterior
cerebri): Hypophyse entfernt
381
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS Gyrus rectus wird entlang der Mantelkante von der Fissura longitudinal is cerebri und lateral vom Sulcus olfactorius begrenzt, in dem der Bulbus olfactorius liegt.
zusammengefasst. Die Gyri und Sulci der orbitofrontalen Hirnrinde modellieren das Orbitadach durch Ausbildung der Impressiones gyrorum und der Juga cerebralia.
Bulbus und Tractus olfactorius. Im Bulbus olfactorius enden die Fila olfactoria, welche als Afferenzen von der Riechschleimhaut der Nase einmünden und in ihrer Gesamtheit als erster Hirnnerv, N. olfactorius, bezeichnet werden (s. Kap. 5.4.4). Nach dorsal verbreitert sich der Tractus olfactorius zu einem dreieckigen Feld: Trigonum olfactorium. Es wird lateral von zwei weißen Streifen eingefaßt, der Stria olfactoria medialis und lateralis, wobei die Stria olfactoria medialis in den Gyrus paraterminalis und die Stria olfactoria lateralis über das Limen insulae in den Uncus ausläuft. Die Striae olfactoriae umgreifen die Substantia perforata anterior (Abb. 5.97), durch die Blutgefäße in die Hirnbasis eintreten. Die lateral an den Sulcus olfactorius grenzenden Windungen und Furchen werden als Gyri und Sulci orbitales
Schläfenlappen, Lobus temporalis. Er liegt in der mittleren Schädelgrube dem großen Keilbeinflügel und der Felsenbeinpyramide auf, wodurch über das Tegmen tympani eine enge Nachbarschaftsbeziehung zur Paukenhöhle besteht. Klinik: 1. Durch die engen Nachbarschaftsbeziehungen des Schläfenlappens zum Mittelohr können entzündliche Prozesse von dort aus auf das Gehirn übertreten (z. B. kann ein bakterieller Abszess im Mittelohr zur Meningoencephalitis fuhren). 2. Durch Stürze kommt es oft zu Felsenbeinfrakturen, die posttraumatische Meningitiden hervorrufen können. Das gilt insbesondere bei gleichzeitigem Liquor-/Blutaustritt aus dem Ohr (Otoliquorrhoe), der auf eine Fistel von der Cavitas cranii zur Außenwelt hinweist. -Bulbus olfactorius
Septum pellucidum — _
- Insula
Thalamus —
. Cavum septi pellucidi
Chiasma opticum ^
Ü - Lamina terminaiis
Tractus opticus _ Infuodibulum
_
Hypophysis
-
Tractus olfactorius
^ ^ J · — -Nervus opticus -Nervus oculomotonus
Corpus geniculatum ^ laterale (CGI! Uncus —
Sulcus basilaris
Pons—
I - — Nervus facialis
Nervus trigeminus
simœSÈm
Pedunculus cerebellaris médius
-Oliva
Pyramis — Pedunculus cerebellaris inferior
-Nervus vestibulocochlear^
_
Nervus hypoglossus Fissura mediana-- " " anterior
Medulla oblongata (Bulbus) - Sulcus anterolateral —Decussatio pyramidum • —Medulla spinalis
Ria radicularia nervi ce/vicalis I
Abb. 5.27: Ansicht des Zwischen- und Mittelhirns (mit Hypophyse) von anterobasal; Zustand nach Entfernung des Cerebellum sowie des größten Teils der Großhirnhemisphären
382
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Das viereckige Mittelfeld. Es wird rostral von den Frontallappen, lateral von den Schläfenlappen und dorsal vom Pons begrenzt und stellt den basalen Teil des Zwischen- und Mittelhirns dar (Abb. 5.27). Es liegt dem Clivus im mittleren Anteil der Fossa cranii media auf. Hier verlaufen die in rostrokranialer Richtung auseinander weichenden Hirnschenkel, Pedunculi cerebri, welche eine tiefe Grube begrenzen: die Fossa interpeduncularis. In den Boden dieser Grube, die vom Tegmentum gebildet wird, treten viele kleine Gefäße ein, so dass sie als Substantia perforata posterior bezeichnet wird. Rostrai liegen die weißlichen Corpora mamillaria. Ihnen sind die graue Vorwölbung, das Tuber cinereum, und der Trichter, das Infundibulum, vorgelagert, der die Verbindung zur Hirnanhangdrüse, Hypophyse, darstellt (s. Kap. 5.4.11). Die Hirnanhangdrüse liegt eingebettet in der Fossa hypophysialis sellae turcicae. Bei präparatorischer Entnahme des Gehirns aus der Cavitas cranii reißt die Hypophyse meistens ab. Zur kontinuierlichen Darstellung ihrer Nachbarschaftsbeziehungen muss die Sella turcica zuvor eröffnet werden.
5.2.3 Systematische Gliederung des ZNS Aus dem oben Besprochenen ergibt sich die in Tabelle 5.1 zusammengefasste Gliederung der Abkömmlinge des Neurairohrs. Weitere, zur systematischen Gliederung benutzte Begriffe sind die des Großhirns, der Basalganglien, des Hirnstamms und des Stammhirns, welche leider nicht immer einheitlich benutzt werden:
• Großhirn. Im Allgemeinen werden hierunter die beiden Hemisphären inklusive Cortex und Telenzephalonkerne verstanden. • Basalganglien. Hierzu zählen die (meisten) subkortikalen Telenzephalonkerne, es werden aber auch einige Zwischenhirnkerne hinzugenommen. • Hirnstamm. Hierzu gehören Mesencephalon, Pons sowie Medulla oblongata. • Stammhirn. Dem Stammhirn werden Diencephalon, Mesencephalon und Rhombencephalon hinzugerechnet.
5.2.4 Zerebrale Computertomographie und Magnetresonanztomographie Lernziele: intravitale und postmortale Neuroanatomie; ZNS-Topographie in cCT- und MRTSchichtaufnahmen horizontaler, frontaler und sagittaler Orientierung Neuroanatomie in der Klinik. Das ZNS kann wegen der Strahlenabsorption der Schädelkalotte mit konventionellen Röntgenmethoden nicht dargestellt werden. Mit der Einfuhrung der zerebralen Computertomographie (cCT) und der Magnetresonanztomographie (MRT) als neue bildgebende Verfahren ist es möglich geworden, detailreiche Schnittbilder des ZNS und der Schädelstrukturen zu erzeugen, was der Medizin völlig neue Dimensionen eröffnet hat. Für die Diagnostik verschiedener Erkrankungen des ZNS (einschließlich der häufigsten wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Bandscheibenvorfall) gehört heute die Arbeit mit diesen Schnittbildern zum klinischen Alltag.
Tabelle 5.1: S y s t e m a t i s c h e G l i e d e r u n g d e s Z N S Anlage Prosencephalon Telencephalon Diencephalon
Mesencephalon
Rhombencephalon Metencephalon Myelencephalon
Neurairohr, kaudaler Abschnitt
Abschnitte des Ventrikelsystems I. und II. Ventrikel
III. Ventrikel
Aquaeductus cerebri
IV. Ventrikel
Canalis centralis
Wichtige Anteile Pallium (Cortex) Nucl. caudatus Putamen Pallidum, pars externa Hippocampus Amygdala
Epithalamus Lamina tecti Cerebellum Thalamus Nucl. ruber Pons Hypothalamus Substantia nigra Pallidum, pars Tegmentum interna
Medulla oblongata Hirnnervenkerne
Rückenmark
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S
383
Foramen interventriculars (Monroi) C o r n u ant.
I
V e n t r i c u l u s lateralis,
ventricoli l e t
!
Pars c e n t r a l i s
acusticus externus
Abb. 5.28: Kanthomeatalebene und horizontale Schichtungsebenen 1 - 6 als Orientierungsschema für die folgenden Abbildungen
5.2.4.1 Intravitale versus postmortale Neuroanatomie: cCT und M R T Die neueren Methoden der Bildgebung haben Unterschiede zwischen der intravitalen und postmortalen Morphologie des ZNS dargestellt. Die Abgrenzung von grauer und weißer Substanz wird postmortal insbesondere im cCT unscharf. Im MRT fehlen dagegen die beim Lebenden sichtbaren Strömungssignale des Blutflusses. Des weiteren weisen postmortale MRT-Aufnahmen des in situ fixierten ZNS eine Vielzahl von Artefakten auf. Deshalb sind in vivo durchgeführte MRT-Aufnahmen als Schnittbildserien zur Darstellung der normalen ZNS-Morphologie geeigneter als solche des postmortalen Gehirns. Aus diesem Grund werden im folgenden Abschnitt makroskopische Schnitte fixierter Präparate in v/vo-MRT- und -CT-Bildern gegenübergestellt. Deutsche Horizontale. Als Bezugsebene für CT- bzw. MRT-Schichtaufnahmen von Gehirn und Himnerven wird oft die Deutsche Horizontale gewählt. Sie bildet eine Tangente zum Boden der mittleren Schädelgrube und verbindet den Unterrand der Orbita mit dem Oberrand des
Meatus acusticus externus. Kanthomeatalebene. Für das cCT werden aus praktischen Gründen aber meist Schichtungen ausgewählt, die parallel zu einer Ebene verlaufen, welche vom äußeren Winkel des Augenlids, Canthus, zum Meatus acusticus externus gewählt wird. Schichtbilder parallel dieser Ebene schonen die Augenlinsen vor dem Strahlungseinfall (Gefahr der Kataraktbildung) und erfassen alle Teile des Gehirns mit relativ geringem Aufwand an Bildern (Abb. 5.28). Die Serienbilder dieses Abschnittes werden in folgender Ordnung beschrieben: Die Horizontalschichten von basal nach kranial, die Frontalschichten werden in der Reihenfolge von rostral nach dorsal (anterior-posterior, a.-p.) und die Sagittalschichten von medial nach lateral gezeigt. Insgesamt sind die Horizontalschichten in der Aufsicht von basal dargestellt, wir blicken also auf den mit den Füßen zu uns gerichteten, auf dem Rücken liegenden Patienten wie er vor uns im Tomographen läge. Die linke Körperhälfte erscheint somit in diesen Bildern immer rechts. Dies entspricht der üblichen Betrachtung des ZNS in der Bildgebung. 2 Überblicksdarstellungen jeder Schnittebene wer-
384
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Gyrus frontalis superior Caput nuclei caudati Columna formas Putamen Lobus insularis _ ——
Claustrum Globus pallidus Thalamus mit Adhaesio interthalamica
-
Ventriculus tertius Ventriculus lateralis mit Plexus choroideus
Splenum corporis callosi — — Sulcus calcarinus 4. Horizontalschicht (MRT), Schnittebene durch den basalen Lobus frontalis und die Basalganglien. (Die MRT-Schnittbilder dieser Atlasserie stammen sämtlich aus der Radiologischen Gem. Praxis in Coburg, Dr. med. J. Romahn, und sind hinsichtlich der Größenverhältnisse digital nachbearbeitet worden).
Gyn occipitales ~ Sinus sagittalis superior
Abb. 5.29 Gyrus frontalis superior Gyrus frontalis médius Genu corporis callosi Caput nuclei caudati Septum pellucidum Capsula extrema Capsula interna, crus anterius Putamen Globus pallidus J Capsula interna, crus posterius Thalamus 4. Horizontalschicht (Frischpräparat), Schnittebene durch den basalen Lobus frontalis und die Basalganglien Abb. 5.30
Splenium corporis callosi
Linsenkern
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und B i l d g e b u n g des ZNS
385
. - Sinus s p h e n o i d a l e Basis lobi temporalis
^
— M e a t u s acústicos internus —
Pedunculus c e r e b e l l a r e mei
~ - T o n s i l l a cerebelli — - V e n - • cerebelli — — H e m i s p h e r l u m cerebelli 1 Horizontalschicht, S c h n i t t e b e n e vom Unterrand der Orbita zur Fossa cranialis posterior dicht oberhalb des Foramen occipitale
- Dorsum sellae • Arteria basilaris — __ __ _ — -
-
Pons
Formatio reticularis Pedunculus cereb sup. ' ~ '
Vermis cerebelli
— —
—
H e m i s p h e r i u m cerebelli — Basis lobi frontalis
"
— —
2 Horizontalschicht, S c h n i t t e b e n e in Höhe der Orbita und durch beide Temporallappen
J J I F Í F
fc' k ^ L
M ,
M,
-
f
W
Basis lobi frontalis
I
"^5.- - " " ® » "
%
W
Λ|®ΡΚΓ'~ ψ]
_ - Sulcus lateralis — Ventnculus tertms
— —
^
J
" f
JS A
~~ ~ ~
Substantia nigra
~~ Lamina tecti mesencephali — ~~~ — Vermis cerebelli " Sinus s a g i t t a l e sup
3. Horizontalschicht, die Schnittebene verläuft durch den Oberrand des Bulbus acuii
Abb. 5.31: H o r i z o n t a l s c h i c h t e n 1 - 3 : M R T u n d F r i s c h p r ä p a r a t
"
"
386
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
—
_ ^
Caput lincisi caudati
__ ^
^
Columna formels
_
^ ^
— — P u t a m e n — __
• — — ' Globus pallidus
— —
Thalamus
~
—
Ventriculus tertms
-
~~ ~~
~ — . Ventnculus lateralis mit P l e x u s c h o r o i d e u s
Splenium corporus callosi 4. H o r i z o n t a l s c h i c h t . S c h n i t t e b e n e d u r c h d e n b a s a l e n T e i l d e s l . o b u s f r o n t a l i s u n d d i e B a s a l g a n g l i e n
^
Genu corporis callosi
^
__
Ventriculus lateralis,
_
cornu anterius — - Septum pellucidum -
- Caput nuclei caudati Thalamus — ~
-
Fornix — "
"
~~ · V e n t r i c u l u s l a t e r a l i s —
• Splenium
corporis-'
callosi
5. H o r i z o n t a l s c h i c h t , d i e S c h i t t e b e n e v e r l ä u f t d u r c h d i e b e i d e n S e i t e n v e n t r i k e l
__ — S u l c u s e m p i i l i — __
„
Gyrus praecentralis
— —
Sulcus centralis
~~
— __
Gyrus pDstcentralis
— Ventriculus lateralis,
—
—
pars centralis Centrum semiovale ^ ^
Splenium corporis
" -
" "
callosi " — —
Gyn occipitales
6. H o r i z o n t a l s c h i c h t , die S c h n i t t e b e n e d u r c h l ä u f t die B a s a l g a n g l i e n , d a s C o r p u s c a l l o s u m und d e n o b e r e n R a n d der b e i d e n S e i t e n v e n t r i k e l
Abb. 5.32: Horizontalschichten 4-6: MRT und Frischpräparat
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
387
den dem synoptischen Vergleich vorangestellt. Sie sollen die wichtigsten Strukturen benennen, die in den entsprechenden Ebenendarstellungen zu sehen sind, ohne dass hier schon MRT-Schichtaufnahmen und Frischpräparat parallelisiert worden sind.
und den Meatus acusticus internus. Die hintere Schädelgrube ist dicht oberhalb des Foramen occipitale magnum getroffen. Das Metencephalon (Brücke und Kleinhirn mit Tonsillen) ist angeschnitten.
5.2.4.2 Horizontale Schichten durch den Kopf
2. Schicht (Abb. 5.31). Sie liegt in Höhe der Orbita. Die Schnittebene trifft beide Temporallappen, kraniale Teile der Brücke, die oberen Kleinhirnstiele sowie den Lobus anterior cerebelli.
Horizontalschnitte (Abb. 29, 30). In der kernspintomograpischen A u f n a h m e 5.29 erscheint Wasser dunkel und Fett hell. Die myelinreiche weiße Substanz ist deshalb heller als die kortikalen und subkortikalen Kerngebiete, die mehr Neurone als myelinisierte Fasern enthalten. Der schwarze Saum um das Gehirn und in der Inselrinde entspricht dem mit Nervenwasser, Liquor cerebrospinalis, gefüllten äußeren Liquorraum, während die ebenfalls schwarzen Anschnitte der Ventrikel dem inneren Liquorraum entsprechen (s. Kap. 5.3, Abb. 5.69). Die bisher noch nicht besprochenen Funktionen der subkortikalen Kerngebiete (Nucleus caudatus, Putamen, Pallidum, Thalamus) sowie weiterer hier nur topographisch dargestellter Regionen und Strukturen werden später noch ausfuhrlich erläutert. Entsprechend werden sich die folgenden Abbildungen erst im Laufe der Lektüre des gesamten Kapitels ganz erschließen. 1. Schicht (Abb. 5.31). Sie befindet sich am Unterrand der Orbita; das Cavum nasi ist getroffen. Die Schnittebene verläuft weiter durch das Felsenbein
3. Schicht (Abb. 5.31). Diese Schnittebene verläuft durch den Oberrand des Bulbus oculi und macht die Gyri recti lobi frontalis sichtbar, die mit dem Bulbus olfactorius über der Lamina cribrosa liegen. III. Ventrikel, Mesencephalon und Fissura transversa cerebri sind ebenfalls getroffen. 4. Schicht (Abb. 5.32). Sie zeigt den basalen Teil des Stirnlappens in der vorderen Schädelgrube, die Fissura longitudinalis cerebri, den Sulcus lateralis, die Insula, die Basalganglien, Temporal- und Okzipitallappen sowie dorsale Teile des III. Ventrikels, die vom Thalamus begrenzt werden. 5. Schicht (Abb. 5.32). Der kraniale Teil der Insel ist angeschnitten. Die Seitenventrikel, Partes centrales ventriculi lateralis, sind in typischer Größe und Form sichtbar. Die mediale Wand wird vom Septum pellucidum, die laterale Wand vom Nucl. caudatus gebildet. 6. Schicht (Abb. 5.32). In dieser Schicht erkennt man nur den Cortex und das Marklager (Centrum
Kanthomeatalebene
Abb. 5.33: Kanthomeatalebene und senkrecht liegende, frontale Schichtungsebenen als Orientierung für die folgenden Abbildungen
388
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark — —
Sinus sagittalis superior Gyrus frontalis sup. et med. Corpus callosum, Truncus Ventriculus lateralis, Cornu anterius Caput nuclei caudati Septum pellucidum Capsula interna, cius anterius Sulcus lateralis Gyrus frontalis inferior Lobus insularis Putamen Arteria cerebri media Chiasma opticum Gyrus parahippocampalis
2. Frontalschicht (MRT), Schichtebene durch das ventrale Corpuscallosum und das Chiasma opticum
Abb. 5.34
Sinus sphenoidalis Gyrus frontalis superior Gyrus frontalis médius Corpus callosum, Truncus Ventriculus lateralis, Cornu anterius Caput nuclei caudati Septum pellucidum Gyrus frontalis inferior Lobus i n s u l a r i s
Capsula interna, crus anterius Putamen Corpus callosum, Rostrum A. cerebri ant Gyrus parahippocampalis 2. Frontalschicht (Frischpräparat). Schnittebene durch das ventrale Corpus callosum
Abb. 5.35
Gyrus rectus
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
— Gyrus frontalis superior — _ _ ^
Gyrus frontalis medius - -
.. ^
_
Gyrus cinguli — __ __
ζ
Gyrus frontalis inferior
^
„
— Gyn orbitales — __ __
Gyrus rectus
-
Retroorbitaler Fettkörper
1 Frontalschnitt, Schnittebene durch den Lobus frontalis
^ ^
Ventriculus lateralis,
v
cornu anterius
_ -
Caput nuclei caudati
.
— Capsula interna, crus ant. — Putamen
Gyrus rectus — _ _ __ " - Gyrus parahippocampalis Polus temporalis 2. Frontalschicht, Schnittebene durch die Gyn recti (Hypophyse und Chiasma sind Im Frischpräparat nicht dargestellt)
^ -Truncus corporis ^ callosi
—· ^
- - - Fornix — __ ^ ^
Lobus insularis
^
Putamen und Globus pal— lidus (Nucleus l e n t i f o r m i s ) ~ "
—
• Ventriculus tertius
" ~ Corpus amygdaloideum "
cornu inferius 3. Frontalschicht, Schnittebene durch das Corpus amygdaloideum
Abb. 5.36
—
- Ventriculus lateralis. — — "
389
390
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
,, -· Ventriculus lateralis, ^ pars centralis , , - Thalamus __
· ^
Hypothalamus
__
_ — Ventriculus tertius — _ Substantia nigra -
_
• Cisterna Interpeduncular^ — Hippocampus ~
Crus cerebri
""
Pons — — ~~ ~~ " " 4. Frontalschicht, Schnittebene durch den Hippocampus
Gyruscinguli
.-
— —
_
Ventriculus lateralis,— __ pars centralis — Pulvinar thalami
. - Lamina tecti mesencephali _ — Ventriculus quartus — .
Cerebellum Pedunculus cerebelli sup. — — Tegmentum pontis
—
5 Frontalschicht, Schnittebene in Höhe des Mesenzephalons und des Pons
Cisterna venae cerebri — magnae (Galeni) --
Lobus p a r i e t a l e — __
- Ventriculus lateralis, — _ cornu posterius Fissura transversa cerebri
_
— Sulcus calcarinus — ''fe, Ik.
g t fi ¡ti
nlfc'iÌMili·!!
^
- Vermis cerebelli — " " à
— -
Hemispherium cerebelli — — '
Β. Frontalschicht, Schnittebene durch Fossa oranti posterior, Lobus occipitalis und Cerebellum
Abb. 5.37
391
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Blldgebung des Z N S
semiovale) der Hemisphären sowie die zentralen Teile der Seitenventrikel. Das Corpus callosum ist nur im mittleren Bereich getroffen, der am weitesten nach kranial reicht.
5.2.4.3
Frontale Schichten durch den Kopf
Frontale Schnitte. Sie fuhren senkrecht durch die Kanthomeatalebene (Abb. 5.33) und erlauben eine detailreiche Darstellung insbesondere des Telenzephalons (Abb. 5.34, 35).
5.2.4.4 Sagittale Schichten durch den Kopf Sagittale Schnitte. Die Schichten verlaufen parallel zur Fissura longitudinalis (Abb. 5.38) und erlauben insbesondere im Mediansagittalschnitt eine gute Beurteilung auch der äußeren Ventrikelräume (Abb. 5.39, 40). 1 2
3
4
5
6
1. Schicht (Abb. 5.36). Sie wird durch eine Schnittebene durch den Lobus frontalis gebildet. Das Corpus callosum ist noch nicht angeschnitten, aber der retrobulbäre Fettkörper der Orbita ist mitgetroffen. 2. Schicht (Abb. 5.36). Schnittebene durch die Gyri recti: In dieser Höhe sind der mittlere Anteil des Frontallappens sowie der Temporal läppen mit angeschnitten. Im Zentrum des Schnitts sind die Basalganglien getroffen, an der Hirnbasis liegen die Area subcallosa und das Chiasma opticum. Im MRT-Bild ist die Hypophyse sichtbar. 3. Schicht (Abb. 5.36). Schnittebene durch das Corpus amygdaloideum: Hier sind Corpus callosum und Fornix sowie das Foramen interventriculare zwischen den Seiten- und dem III. Ventrikel getroffen. Außerdem sind die Seitenventrikel mit Mittelteil und Unterhorn sichtbar. 4. Schicht (Abb. 5.37). Schnittebene durch den Gyrus parahippocampalis und den Thalamus: Die Cisterna interpeduncularis und der Pons sind getroffen. 5. Schicht (Abb. 5.37). Schnittebene in Höhe des Mesenzephalons und des Pons: Die Commissura posterior ist sichtbar. Seitenventrikel mit Unterhorn sowie der Anfangsteil des Aquaeductus mesencephali sind zu erkennen. 6. Schicht (Abb. 5.37). Sie stellt eine Schnittebene durch die Fossa cranii posterior dar. Die Schnittebene fuhrt durch den Cortex und das Marklager des Lobus occipitalis, in dem die Hinterhörner der Seitenventrikel zu sehen sind, sowie das Cerebellum. Das Tentorium cerebelli trennt vollständig den supra- vom infratentoriellen Raum ab.
Abb. 5.38: Facies s u p e r o l a t e r a l hemispherli cerebri mit 6 sagittalen Schichtungs- bzw. Schnittebenen (schematisch) als Orientierung für die folgenden Abbildungen
1. Schicht (Abb. 5.41). Die Schädelhöhle wurde in der Ebene der Crista galli und der Protuberantia occipitalis interna geschnitten, das Foramen magnum ist zu erkennen. Die Medianfläche des Gehirns sowie Furchen und Windungen des Telenzephalons sind sichtbar. Der III. Ventrikel, der Aquaeductus mesencephali, der IV. Ventrikel sowie die Mittellinienstrukturen des Dienzephalons und des Hirnstamms sind deutlich zu erkennen. 2. Schicht (Abb. 5.41 ). Der ca. 1 cm lateral von der Mediansagittalebene vorgenommene Schnitt liegt lateral der Fossa hypophysialis und stellt den Sinus cavernosus und das Foramen magnum dar. Rostraler und medialer Teil des Seitenventrikels sind
392
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
• Sulcus centralis Corpus callosum Lipom (pathologischer Befund) Fornix
Vena cerebri interna
Thalamus
Commissura anterior Commissura posterior Lamina tecti, Aquaed. cerebri Cisterna interpeduncular^
Hypophysis
Arteria basilaris
Ventriculus quartus
Pons
Medulla oblongata Cisterna cerebello1 Sagittalschicht (MRT) in der Mediansagittalebene (üquorräume weiß, deshalb sind die Erweiterungen des Subarach-
medullaris (magna)
noidalraums. Zisternen, deutlich erkennbar)
Abb. 5.39 _ . _ — Sulcus centralis „
- Corpus callosum · Fornix
^
Adhaesio interthalamica
__ -
Commissura anterior
_ —
Mesencephalon
—
Corpus mamillare
—
Chiasma opticum
—
Ventriculus quartus
.Arbor vitae" cerebelli "" Regio praepiriformis "
- Pons "
1. Sagittalschnitt (Frischpräparat) in der Mediansagittalebene
Abb. 5.40
Tractus olfactorius
393
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
.. Septum pellucidum
v
__ — Genu corporis callosi - - Fornix — _
• - Aquaeductus mesencephali — — Hypophysis et infundibulum Nervus opticus — Pons — —
~ "
~~ ~~ Medulla oblongata —
'
1. Sagittalschicht in der Mediansagittalebene
__ ^ lobulus paracentralis— — .
_
Gyrus cinguli ~ _ __ — - Truncus corporis callosi —
—
Caput nuclei caudati — —
_
' ~ Sulcus parietooccipitalis —
—
Sulcus calcarìnus Lamina tecti -
— ~~ ~~
- ""
"
Tonsilla cerebelli
—
"
2. Sagittalschicht, Schnittebene ca 1 cm lateral der Mediansagittalebene
_ — — Gyrus frontalis superior
' Sulcus parietooccipitalis
v
^
y
/ Nucleus caudatus
_ _/ -
Thalamus
— — ~~~~
Sulcus calcarinus ~ — —
Pons
~ - Cerebellum 3 Sagittalschicht, Schnittebene durch Sinus frontalis, Cellulae ethmoidales
Abb. 5.41
394
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
______
Gyrus praecentralis — Gyrus postcentral^
—
Gyrus frontalis médius Ventriculus lateralis — retrobulbärer Fettkörper _
Hippocampus — ~~
Gyrus parahippocampalis-
4. Sagittalschicht, die Schnittebene liegt medial der Mittelebene des Bulbus oculi
. — Gyrus frontalis medius — tobus insularis Ventriculus lateralis, cornu inferius
— Gyrus temporalis superior - Gyrus temporalis inferior — —
Hemispherium cerebelli
5. Sagittalschicht, in dieser Schnittebene ist der Bulbus oculi lateral getroffen
_ — -
Sulcus centralis — -
• - Gyrus praecentralis
-
Gyrus postcentrals — __ _ — - Sulcus lateralis — Lobus insularis
—
— Gyrus temporalis superior — — Gyrus temporalis inferior Kleinhirnhemisphäre
6. Sagittalschnitt, die Schnittebene liegt lateral der Orbita
Abb. 5 . 4 2
~
-
Os temporale, Übergang ins Cavum tympani
—
5.2 Allgemeine Topographie, Preparation und Blldgebung des ZNS
zu erkennen. Vom Hirnstamm sind die lateralen Anteile des Mesenzephalons getroffen. 3. Schicht (Abb. 5.41). Die Schnittebene verläuft durch die Siebbeinzellen und die mediale Orbita. Der Hirnstamm ist lateral der Mittellinie etwa in Höhe des Corpus geniculatum mediale getroffen. 4. Schicht (Abb. 5.42). Diese Schnittebene liegt medial der Mittelebene des Bulbus oculi. Es sind Cortex und Marklager des Telenzephalons deutlich, welche sich lateral von Cornu anterius und der Pars centralis ventriculi lateralis befinden. Die Nachbarschaftsbeziehungen zum Hippocampus, dem Corpus amygdaloideum und dem Unterhorn des Seitenventrikels sind zu erkennen. Im infratentoriellen Raum sind die Kleinhirnhemisphären angeschnitten. 5. Schicht (Abb. 5.42). Hier ist der laterale Anteil des Bulbus oculi angeschnitten worden; die Schädelbasis ist lateral der Sella turcica in der mittleren Schädelgrube getroffen. Der Insellappen ist tangential im Sulcus lateralis angeschnitten.
Palaeocortex Das Urhirn bildet die phylogenetisch älteste Rindenregion (s. Kap. 5.1.4, S. 363) des Telenzephalons, welches durch den Entwicklungsvorgang der Neenzephalisation (s. 5.4.10.2) auf die mediobasale Fläche des Temporallappens verlagert wurde. Es bildet mit seinen Strukturen vor allem das Riechhirn, Rhinencephalon (s. Kap. 5.4.4.2, S. 477). Die Rinden- und Kerngebiete des Palaeocortex bestehen aus folgenden Abschnitten: Bulbus et trac tus olfactorius, Regio retrobulbaris. Regio praepiriformis, Regio periamygdalaris (NucU. corticales des Mandelkernkomplexes), Septum pellucidum (zusammen mit den Regiones periseptalis et diagonalis), basales Vorderhirn, Mandelkernkomplex. •
6. Schicht (Abb. 5.42). Diese Ebene liegt lateral der Orbita: Die Hirnrinde und das Cerebellum sind flach angeschnitten. Man erkennt die Gyri, die als Opercula den Sulcus lateralis umgeben.
5.2.5
Regionale Anatomie des Vorderhirns, Prosencephalon
Lernziele: Endhirn. Palaeocortex. Mandelkernkomplex. Archicortex. Hippocampus. Basalganglien
5.2.5.1
Endhirn, T e l e n c e p h a l o n
Das Endhirn bildet den weitaus größten Teil des menschlichen Gehirns, wobei die Hirnlappen große Teile des Zwischenhirns und des Hirnstamms überdecken. Sein Gewicht nimmt mehr als 80 % des gesamten Gehirns ein. Der größte Teil der grauen Substanz entfällt dabei auf den Cortex cerebri. Hinzu kommen die subkortikalen Kerngebiete (Nucl. caudatus, Putamen, Claustrum und Corpus amygdaloideum), die dem Cortex funktionell untergeordnet sind.
395
Bulbus et tractus olfactorius. Der Bulbus olfactorius ist ein vorgeschobener Teil des Telenzephalons und liegt auf der Siebbeinplatte. Er ist die erste Verarbeitungsstation der Geruchsinformation aus den Nn. olfactorii. Dorsal schließt sich der Tractus olfactorius an, der im Sulcus rectus nach hinten zieht und sich kurz vor der Substantia perforata anterior in die Striae olfactoriae lateralis und medialis aufteilt.
•
Regio retrobulbaris. Sie umfasst gering entwickelte Rindengebiete im Bereich des Tractus olfactorius, die dorsal in den Cortex praepiriformis übergehen. • Regio praepiriformis. Der Cortex praepiriformis, vereinfachend Cortex piriformis genannt, liegt um die Stria olfactoria lateralis und in vorderen Teilen des Gyrus ambiens (s. unten) am Übergang der basalen Gehirnoberfläche auf den medialen Temporallappen (s. Abb. 5.40). Dorsal grenzt er an den Cortex periamygdaloideus. Diese dreischichtigen Kortexareale gehören zum olfaktorischen Cortex (s. Kap. 5.4.4.2, S. 477). Die topographische Nähe der Regio praepiriformis zum medialen Vorderhirnbündel (s. Kap. 5.4.10.1) bekräftigt die These, dass es sich um ein wichtiges Verbindungszentrum olfaktorischer Afferenzen zum Hypothalamus handelt, welches an der Modulation emotionaler Zustände beteiligt ist: So bewirkten elektrophysiologische Reizversuche bei den Versuchstieren tachykarde und hypertone
396
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Reaktionen und es traten eine gesteigerte Peristaltik des Magen-Darm-Trakts sowie sympathotone Reaktionen hinsichtlich Atemfrequenz, Salivation und Pupillomotorik auf. •
Regio periamygdalaris. Basal des Mandelkerns liegen auf der medialen Oberfläche des Temporallappens 2 Windungen, Gyrus ambiens und Gyrus semilunaris, die allerdings nur am fetalen Gehirn und bei Tieren mit ausgeprägtem Geruchssinn (Makrosmatiker) regelmäßig klar abgegrenzt werden können. Der Gyrus semilunaris entspricht der Außenfläche des Nucl. cor/icalis des Corpus amygdaloideum (s. unten). Im Gyrus ambiens schließt sich dorsal an den Cortex praepiriformis der Cortex periamygdaloideus an, ein Kortexareal, das von Teilen des Mandelkerns vorgewölbt wird. Einige Autoren verwenden den Begriff Cortex periamygdaloideus allerdings auch synonym mit Nucl. corticalis. Die rein deskriptive Bezeichnung Lobus piriformis für den vorderen Teil des Gyrus parahippocampalis sollte nicht mit dem Cortex praepiriformis gleichgesetzt werden. Sie bezieht im Allgemeinen zusätzlich den Cortex periamygdaloideus und die Area entorhinalis (s. unten) mit ein.
•
Septum pellucidum. Die mediale Wand der Vorderhörner beider Seitenventrikel wird vom Septum pellucidum gebildet, das vorwiegend aus Gliazellen besteht. Dieses verbreitert sich in Richtung Hirnbasis und geht unterhalb des Rostrum corporis callosi, noch vor der Commissura anterior, beiderseits in die Septumkerngebiete über, die auf der Medianfläche der Hemisphäre den Gyrus paraterminalis vorwölben. Diese Kerngebiete, Area septalis oder einfach Septum genannt, werden in eine mediale, eine laterale und eine basale Kerngruppe unterteilt. Zur medialen Kerngruppe zählt der Nucleus striae diagonalis, der eingebettet ist in die Stria diagonalis, das Broca-Diagonalband, das von der Unter- auf die Medianfläche des Gehirns umbiegt. Die basale Kerngruppe wird zur Pars basalis telencephali, dem basalen Vorderhirn, gerechnet, das zwar nicht vollständig zum Paleocortex gehört, hier aber wegen der Topographie beschrieben wird.
•
Basales Vorderhirn. Die Kerngebiete der Pars basalis telencephali liegen beiderseits unter den Fasern der Commissura anterior (s. Abb. 5.69). Basal grenzen sie an die Hemisphären-
oberfläche im Bereich der Substantia perforata anterior, also zwischen dem Ende des Tractus olfactorius rostral, dem Tractus opticus medial und dem Uncus des Temporal lappens lateral (s. Abb. 5.26, 51, 97). Kranial und rostral dieser Kerngebiete liegen das Vorderhorn des Seitenventrikels, das medial vor der Commissura anterior bis zum Septum herunterreicht, und die vordersten Anteile von Nucleus caudatus und Putamen. Letztere verschmelzen hier zum Nucleus accumbens, der unterhalb der Spitze des Seitenventrikels topographische Beziehung zu den lateralen Septumkernen gewinnt, weshalb er Nucleus accumbens septi genannt wurde (lat. accumbere: anlagern). Direkt oberhalb der Commissura anterior liegen hier auch rostrale Anteile des Globus pallidus und der Capsula interna. Dorsomedial schließen sich an das basale Vorderhirn die hypothalamischen Kerngebiete an, während basolateral am Übergang in den Temporallappen Beziehungen zum Mandelkern (s. u.) bestehen. Den zentralen Bereich des basalen Vorderhirns nimmt die nur vage definierte Substantia innominata (Reichert) ein, die aus mehreren Lamellen grauer Substanz besteht. Das auffalligste Kerngebiet innerhalb dieser Region stellt der Nucleus basalis Meynert dar. Dieser Kern besteht aus mehreren Gruppen großer cholinerger Neurone und ist beim Menschen besonders voluminös (s. Abb. 5.121). Außerdem liegen hier in die Stria diagonalis eingebettete Zellgruppen. •
Der Mandelkernkomplex, Corpus amygdaloideum, kurz: Amygdala. Das Corpus amygdaloideum liegt nahe dem Polus temporalis an der Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels und an der medialen Fläche des Lobus temporalis und damit unterhalb von Putamen und Globus pallidus. Es besteht aus einer medialen Rindenregion im Bereich des Gyrus semilunaris (Nucl. corticalis) und einem lateralen Kernanteil, der an der Oberfläche den Cortex periamygdaloideus vorwölbt. Subnuclei der Amygdala. Der Mandelkernkomplex wird in mehrere Unterkerne gegliedert, in den oberflächlich gelegenen Nucl. corticalis, den Nucl. centralis, den Nucl. basalis sowie in den Nucl. lateralis. Aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen kann man diese Unterkerne in 2 Kategorien fassen, in die phylogenetisch ältere kortikomediale Gruppe (Nucl. cortica-
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Iis, Nucl. centralis) und in die phylogenetisch jüngere basolaterale Gruppe (Nucl. basalis, Nucl. lateralis). Dabei empfangt die kortikomediale Gruppe afferente olfaktorische Fasern des Bulbus olfactorius und stellt außerdem das Ursprungsgebiet der Stria terminalis dar. Die basolaterale Gruppe besitzt Faserverbindungen zum präpiriformen und entorhinalen Cortex und damit zum Limbischen System (s. Abb. 5.115 und 5.120). Kürzlich wurden auch Verbindungen zur Sehbahn postuliert.
Sulcus cinguli und basal durch den Sulcus ralis markiert.
•
Die Rinden- und Kerngebiete des Archiund Periarchicortex bestehen aus folgenden Abschnitten: 1. Archicortex Hippocampus retrocommissuralis (Subiculum, Cornu ammonis, Gyrus dentatus), Hippocampus supracommissuralis (rudimentär), Hippocampuspraecommissuralis (rudimentär). 2. Periarchicortex Regio entorhinalis (Area 28 nach Brodmann), Regio praesubicularis. Regio cingularis.
Die Hippokampusformation stellt einen zentralen Abschnitt des Limbischen Systems dar (s.Kap. 5.4.10.1) und ist für bestimmte Gedächtnisfunktionen essentiell. Zum Neocortex hin wird der Hippocampus von einer breiten Übergangszone, dem Periarchicortex, umgeben. Dieser umgebende Ring wird vom Gyrus cinguli, dem Isthmus gyri cinguli und vom Gyrus parahippocampalis gebildet (s. Abb. 5.36). Die Grenze zum Neocortex wird dorsal durch den
collate-
1. Archicortex
Archicortex und Periarchicortex
Hippocampus. Durch Zunahme des Größenwachstums des Neocortex wurden Gyrus dentatus, Cornu ammonis (Hippocampus proprius) sowie das Subiculum, die gemeinsam als Hippocampus bezeichnet werden, in den Temporallappen hineinverlagert. Der Begriff Hippokampusformation schließt zusätzlich Anteile des Gyrus parahippocampalis (Area entorhinalis) mit ein.
397
Hippocampus (retrocommissuralis). Der Hippocampus besteht aus Cornu ammonis. Gyrus dentatus (auch Fascia dentata genannt) und Subiculum. Er stellt beim Menschen eine ausgeprägte Vorwölbung des medialen Bodens des Cornu inferius ventriculi lateralis dar (s. Kap. 5.3, S. 433). Die Rinde des Gyrus parahippocampalis geht in die des Subiculum über, und diese wiederum in die Zellschichten des Cornu ammonis, welche sich einrollen und in den Ventrikel vorwölben. Aus ihnen geht die Fimbria hippocampi hervor, die den Beginn des Fornix darstellt. Der Gyrus dentatus (so bezeichnet wegen seiner gezähnelten Oberfache im Sulcus hippocampi) wird zentral von einer Körnerzellschicht gebildet, die kappenartig auf dem Zellband des Cornu ammonis liegt (s. Abb. 5.122 und 123). Der Gyrus dentatus geht dorsal in den Gyrus fasciolaris über, wodurch er Kontakt zum Indusium griseum bekommt. Der Gyrus parahippocampalis läuft rostral in den Uncus aus, der vor dem Hirnstamm nach medial vorspringt. Besonders auf Frontalschnitten (s. Abb. 5.36) ist die Struktur des Hippocampus gut zu erkennen. Das griechische Wort hippokampos bedeutet „Seepferdchen", dessen Ähnlichkeit zur eingerollten Struktur dieses Teils des Limbischen Systems betont werden soll. Gleichfalls beschreibt das lateinische Wort Cornu ammonis den Widderhorn-artig gedrehten Verlauf von Fornix und Hippocampus (die ägyptische Gottheit Ammon wurde mit Widderhörnern dargestellt).
•
Hippocampus supra- et praecommissuralis. Aus dem retrokommissuralen Teil geht in Höhe des Splenium corporis callosi der aus dem Indusium griseum und den Striae longitudinales bestehende rudimentäre Hippocampus supracommissuralis hervor (s. Abb. 5.124). Er zieht über den Balken hinweg nach rostral, um im Bereich des Balkenknies in den ebenfalls rudimentären Hippocampus praecommissuralis überzugehen. Diese Relikte beschreiben die phylogenetische Wanderung des Hippocampus in den Temporallappen.
398
2. Periarchicortex • Regio entorhinalis. Sie liegt lateral des Hippocampus (retrocommissuralis) sowie medial des Neocortex im Gyrus parahippocampalis und wird dem Periarchicortex zugezählt. Sie entspricht dem Brodmann-Areal 28 (s. Kap. 5.4.10.2, Abb. 5.127 und 128) und grenzt rostromedial an den Mandelkernkomplex . Die laterale Begrenzung wird vom temporalen Neocortex als Gyrus occipitotemporalis medialis bestimmt. Zwischen beiden Strukturen liegt der Sulcus rhinalis. Medial geht die entorhinale Rinde in die des Subiculum über, welche sich ihrerseits in das Pyramidenzellband des Cornu ammonis fortsetzt (Abb. 5.122). Der entorhinale Cortex stellt wegen seiner vielfältigen Nachbarschaftsbeziehungen und Verbindungen mit weiten Bereichen des Neocortex und des Limbischen Systems ein sehr wichtiges Integrationszentrum für multimodale sensorische Informationen dar. Dabei bestehen enge Verbindungen zum Limbischen System. • Regio praesubicularis, Praesubiculum. Es bildet eine Übergangszone zwischen der Area entorhinalis und dem Subiculum des Hippocampus. Es ist ebenfalls als eine wichtige Relaisstation für die Fasern des Gyrus cinguli zur Area entorhinalis anzusehen, wodurch es funktionell zum Limbischen System und insbesondere zum Papez-Neuronenkreis gerechnet wird (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521) • Regio cingularis. Die balkennahen Anteile des Gyrus cinguli werden zum Periarchicortex gerechnet. Von der eigentlichen Area cingularis werden nach rostral die Area subcallosa und nach dorsal die hinter dem Splenium corporis callosi gelegene Area retrosplenialis abgegrenzt. Aufgrund ihrer morphologischen Nachbarschaftsbeziehungen und Verbindungen wird diesen Arealen eine funktionelle Vermittlerrolle zwischen dem Neocortex und dem Archicortex zugesprochen. 5.2.5.2 Basalganglien, Nuclei basales Lernziele: Nucl. caudatus, Striatum, Putamen, ventrales Striatum, Nucl. accumbens, Globus pallidus und Claustrum.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Als Basalganglien, Nucll. basales, bezeichnet man die großen grauen Kerngebiete, die sich in der weißen Substanz des Telenzephalons befinden. Sie stehen anatomisch, funktionell und pathologisch in enger Beziehung zueinander. Definition. Zu den Basalganglien zählen zunächst als Abkömmlinge des Ganglienhügels des Telenzephalonbläschens der Globus pallidus lateralis, der Nucl. caudatus, das Putamen, das Corpus amygdaloideum und das Claustrum. Funktionell (klinisch) werden zu den Basalganglien noch weitere Anteile des Extrapyramidalmotorischen Systems (s. Kap. 5.4.7.5.1, S. 497) gezählt: der Globus pallidus medialis und der Nucl. subthalamicus, die beide Derivate des Dienzephalonbläschens darstellen, sowie die Substantia nigra (s. Abb. 5.18, 31 und 52) und der Nucl. ruber als Derivate des Mesenzephalonbläschens. • Schweifkern (Schwanzkern), Nucl. caudatus. Dieser schwanzförmige Kern beschreibt einen Halbbogen in der Wand des Seitenventrikels, wobei sein Kopf, das Caput nucl. caudati, als rundliche, von Ependym bedeckte Vorwölbung die laterale Wand des Cornu anterius ventriculi lateralis einbuchtet (s. Abb. 5.32, 34, 35). Nach dorsal verjüngt er sich zum Körper, Corpus nucl. caudati, und legt sich als Schwanz, Cauda nucl. caudati, lateral an den Thalamus an. In der Rinne, die sich so zwischen Nucl. caudatus und Thalamus in der Wand der Pars centralis des Seitenventrikels ausbildet, verlaufen die Striae terminales (Verbindungen zwischen Amygdala und Hypothalamus) sowie die V. thalamostriata. Im Unterhorn des Seitenventrikels biegt der Nucl. caudatus nach rostrobasal in den Temporallappen ein, so dass er in Frontalschnitten stellenweise zweimal getroffen wird. Die Schwanzspitze des Nucl. caudatus gelangt rostral bis an den Mandelkernkomplex heran (s. Abb. 5.36). • Streifenkörper, Corpus striatum. Als Corpus striatum (kurz: Striatum) werden traditionell der Nucl. caudatus und das Putamen (s. Abb. 5.47), in neuerer Zeit auch der Nucl. accumbens (als ventrales Striatum) und das Tuberculum olfactorium pars striata zusammengefasst. Der Name Streifenkörper leitet sich aus dem makroskopischen Aspekt alternierender Streifen weißer Faserbündel und grauer Kerngebiete ab. Das Putamen und der Nucl. caudatus sind im
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S
Striatum, eine dopaminerge Projektion aus dem ventralen Tegmentum (s. Kap. 5.4.7.5).
rostralen Bereich miteinander verbunden und nur stellenweise von Fasern der Capsula interna getrennt. Gemeinsam werden sie auch als Neostriatum bezeichnet, weil sie ein phylogenetisch jüngeres, dem Neocortex zugeordnetes Kerngebiet darstellen. Sie bilden das wichtigste Zentrum für die Steuerung der Extrapyramidalmotorik, in das außerdem noch der Globus pallidus mit einbezogen ist (s. Kap. 5.4.7.5, S. 496). Klinik: 1. Schädigung und Atrophie des Striatum treten u.a. beim Morbus Huntington auf. Diese Erbkrankheit entsteht v. a. durch einen ausgeprägten degenerativen Verlust von Projektionsneuronen im Striatum. 2. Etwa in der Lebensmitte kommt es in zunehmendem Maße zu unwillkürlichen, choreatiformen (tanzenden) Bewegungen, die auch mit Veränderungen der Persönlichkeit und progredienter Demenz verbunden sind. • Schale, Putamen. Es liegt lateral des Caput nucl. caudati und medial der Capsula externa, die das Putamen vom Claustrum trennt. Auf das Claustrum folgen nach außen die Capsula extrema und die Inselrinde. Die Medianfläche des Putamens ist durch die Lamina meduUaris lateralis vom äußeren Segment des Globus pallidus getrennt. Über die Capsulae interna et externa treten Fasern ins Putamen ein, während es basal einen Übergang zur Substantia innominata bildet. Relativ versteckt liegt hier das ventrale Putamen (Abb. 5.32). • Ventraler Teil des Streifenkörpers, Striatum ventrale. Die Commissura anterior, deren hinterer Schenkel in der Basalfläche des Linsenkerns in einer Rinne verläuft, grenzt einen kleinen Anteil des Putamens und des Globus pallidus ab. Die so abgegrenzten Teile werden als ventrales Striatum bezeichnet und liegen in der Substantia innominata des basalen Telenzephalons. Zusammen mit den Nudi accumbens et dorsomedialis thalami zählt das ventrale Striatum zum limbischen Teil der Basalganglien. • Nucl. accumbens (septi). Der kleine rostrobasale Bereich des Striatalen Kernkomplexes wird auch Nucl. accumbens (septi) genannt. Er liegt rostral zwischen Nucl. caudatus und Putamen und grenzt medial an den Nucl. septalis lateralis. Der Nucl. accumbens erhält, wie das
399
Klinik: Funktionell werden dem Nucl. accumbens die Integration von Informationen sowohl aus den Basalganglien als auch aus dem Limbischen System zugeschrieben. Neueste Forschungen sprechen ihm dabei eine große Bedeutung fur die Entstehung von psychomotorischen Störungen, der Schizophrenie sowie anderer neuropsychiatrischer Erkrankungen zu. •
Blasser Kern, Globus pallidus. Namensgebend ist seine im Vergleich zum Putamen hellere Schnittfläche im makroskopischen Präparat (lat. pallidus = blass). Er wird an seiner lateralen Seite durch die Lamina meduUaris externa vom Putamen abgegrenzt und durch die Lamina meduUaris interna in ein inneres und äußeres Segment, Globus pallidus medialis et lateralis, geteilt (s. Abb. 5.29, 30). Die Segmente des Globus pallidus enthalten unterschiedliche Projektionsbahnen (s. Abb. 5.111). Der Globus pallidus ist entwicklungsgeschichtlich dienzephaler Herkunft und durch die einwachsenden Fasern der Capsula interna nach lateral verlagert worden, so dass er an das Putamen gedrängt wurde. Beide Kerne werden wegen ihrer gemeinsamen Form als Linsenkern, Nucl. lentiformis, zusammengefasst. Klinik: 1. Der Globus pallidus gilt als Zentrum der Trieb- und primitiven Reaktionsbewegungen sowie des unmittelbaren motorischen Ausdrucks. So bewirkt eine doppelseitige Läsion des Globus pallidus eine starke Bewegungsarmut, Hypokinesie, und eine merkliche Abnahme der motorischen Geschicklichkeit, die sich in ataktischen Störungen äußert. 2. Allgemein kann dem Globus pallidus eine exzitatorische Funktion zugeschrieben werden, die aber ihrerseits einer inhibitorischen Kontrolle durch das Corpus striatum unterliegt.
• Vormauer, Claustrum. Das Claustrum liegt lateral der Capsula externa an. Es stellt eine dünne Platte aus grauer Substanz medial der Inselrinde dar, von der es durch eine dünne Faserlamelle, die Capsula extrema, getrennt ist (s. Abb. 5.29). Auf Horizontalschnitten erscheint
400
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
es rostral breiter und basal schmaler. Sichere Daten zur Funktion des Claustrum beim Menschen liegen kaum vor. Aus tierexperimentellen Untersuchungen, insbesondere an Primaten, lässt sich jedoch entnehmen, dass eine vielfaltige, ipsi- und kontralaterale Verschaltung mit dem Neocortex existiert. Außerdem zeichnet sich aus histologischen Untersuchungen ab, dass drei Viertel der Afferenzen des Claustrum multimodal (s. u.) sind, so dass diese Struktur wohl im Rahmen assoziativer Funktionen steht.
Assoziationsfasern verbinden Rindenareale innerhalb der gleichen Hemispäre. Kommissurale Fasern verbinden die beiden Großhirnhemispären. Projektionsfasern verbinden verschiedene Hirnteile (z.B. Großhirn und Kleinhirn). 1. Assoziationsfasern Durch ihre topographische Anordnung kommt es zu einem gerichteten Fluss ankommender Signale aus den primären Sinnesarealen über sekundäre Rindenfelder zu höheren, der multimodalen Integration dienenden Arealen. Hierdurch werden höhere Gehirnfunktionen wie kognitive Prozesse möglich.
5.2.5.3 Das Großhirnmark: Fasersysteme Lernziele: Systematik der Fasersysteme, Assoziations-, Kommissurale und Projektionsfasern, große Projektionssysteme
Folgende Assoziationsfasersysteme werden unterschieden: •
Die weiße Substanz unter dem Cortex telencephali enthält die markhaltigen Fasersysteme (Abb. 5.43). Nach Herkunft und Ziel der Fasersysteme werden 3 Typen unterschieden: Assoziations-, Kommissurale und Projektionsfasern.
Kurze Bogenfasern, Fibrae arcuatae breves. Sie verbinden benachbarte Windungen miteinander (Abb. 5.44). • Lange Bogenfasern, Fibrae arcuatae longae. Sie stellen längere Fasern dar, die jeweils eine Windung überspringen. • Gürtel, Cingulum. Im Gyrus cinguli gelegen fuhrt das Cingulum ebenfalls assoziative Fasern. In seinem Verlauf nimmt es durchgehend Fasern
Fibra arcuata brevls-
^
Cingulum
, — Corpus callosum
Fibra arcuata l o n g a -
— — Fasiculus
Gyrus cinguli ~
longitudinalis superior Nucleus caudatus -
_
- C a p s u l a interna
Thalamus-
Nucleus lentiformi
Fornix
- Ansa peduncularis
—
Corpus amygdaloideum -
— Fasciculus longitudinalis inferior
Corpus mamillare
Crus cerebri
Abb. 5.43: Fasersysteme in der weißen Substanz des Großhirns; Assoziationsfasern = rot; Kommissurenfasern = blau und Projektionsfasern = schwarz; schematisch in einen Frontalschnitt in Höhe der A d h a e s i o interthalamica eingetragen
401
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S
Fasern der Radiatio thalami superior
Fibrae arcuatae breves
Fasern der Radiatio thalami inferior
Fasern des Tractus pyramidalis und Fibrae corticotegmentales
Hemispherium cerebelli mit dem Lobus simplex
Fasern der Radiatio thalami anterior
und dem Lobus semilunaris inferior Fissura horizontalis cerebelli
Thalamus
Abb. 5.44: Plastiniertes Faserpräparat der weißen Substanz der Großhirnhemisphäre. Zu sehen sind insbesondere die Radiatio thalami, aber auch Fibrae arcuatae breves vom Cortex auf, gibt weitere Fasern an benachbarte Windungen ab und endet in der Rinde des Subiculum der Hippokampusformation. Letztere versorgt es im Nebenschluss mit Signalen der Sinnesbahnen und der motorischen Rinde. • Weitere Assoziationsfasern. Über weitere Fasem erreichen Signale der multimodalen Assoziationskortizes, des präfrontalen und des parietotemporalen Neocortex die limbische Regio entorhinalis im Lobus temporalis. Dickere, gut präparierbare Bündel langer Assoziationsfasern durchziehen das Marklager der Hemisphäre, um die Hirnrinde der Lobi einer Seite miteinander zu verbinden: •
Oberes Längsbündel, Fasciculus longitudinalis superior. Er liegt oberhalb der Insel in der weißen Substanz der Lobi frontalis et parietalis und verbindet v. a. die frontale Hirnrinde mit den Assoziationsfeldern der Scheitel- und Hinterhauptslappen. Eine bogenförmige Abzweigung dieses Bündels, der Fasciculus arcuatus, ermöglicht den Signaltransfer zwischen der rostralen und dorsalen Sprachregion der linken Hemisphäre.
•
Unteres Längsbündel, Fasciculus longitudinalis inferior. Er liegt zentral im Schläfenlappen, lateral vom Unterhorn des Seitenventrikels. Er verbindet den Schläfen- und Hinterhauptslappen, wobei sich seine Fasern in die Radiatio optica auffächern und dort das Stratum sagittale bilden.
•
Hakenbündel, Fasciculus uncinatus. Er kann nach Abschaben der Rinde des Limen insulae dargestellt werden. Dieses Bündel verläuft vom Orbitalen Teil des Stirnlappens bis zum Polus temporalis des Schläfenlappens.
2. Kommissurale Fasern Die kommissuralen Fasern des Telencephalon stellen die Verbindung von Rindenregionen der rechten und linken Hemisphäre her. Folgende kommissurale unterschieden: •
•
Fasersysteme
werden
Balken, Corpus callosum. Er stellt die größte Kommissur dar. Seine Fasern verbinden die Areale des Neocortex beider Hemisphären miteinander. Die vom Cortex ausgehenden, ins Marklager einstrahlenden Fasern konvergieren in der Mittellinie und werden deshalb auch Balkenstrahlung, Radiatio corporis callosi, genannt (zum Aufbau s. Kap. 5.2.2.3, S. 377, zur Funktion s. Kap. 5.4.10.2). Einige Rindenbezirke sind nicht über kommissurale Fasern miteinander verbunden z. B. die Area 17 (primäre Sehrinde) und die Area 3 (eine Region für die primäre taktile Repräsentation des Körpers). Die Kommunikation zwischen den Gehirnhemisphären erfolgt hier über die umgebenden sekundären Rindenareale.
Vordere Querverbindung, Commissure anterior. Sie verbindet beide Bulbi olfactorii sowie paläokortikale Temporallappenanteile miteinander. • Gewölbequerverbindung, Commissura fornicis. Die rechten und linken limbischen Rindengebiete (Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis mit der Area entorhinalis sowie beide Hippokampusformationen) sind nur durch sie verbunden. • Zügelquerverbindung, Commissura habenularum. Diese kleine Kommissurenbahn gehört
402
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
zum Epithalamus des Dienzephalons und verbindet die Nucll. habenulares thalami miteinander. • Hintere Querverbindung, Commissura posterior. Sie ist ein Teil des Mesenzephalons und ermöglicht insbesondere die Kreuzung von Fasern der Area praetectalis für die Pupillenreflexe (s. Kap. 5.4.2.4, S. 461). 3. Projektionsfasern Sie stellen Fasern dar, die von der Rinde zu tiefer gelegenen Hirnabschnitten ziehen und umgekehrt (kortikofugale und kortikopetale Fasern) (schwarz in Abb. 5.43). Unterschieden werden: • Innere Kapsel, Capsula interna. Die Projektionsfasern der Hirnrinde wachsen durch die zentralen Kerngebiete hindurch, wo sie die innere Kapsel bilden. Sie wird lateral vom Nucl. lentiformis und medial von Nucl. caudatus und Thalamus begrenzt (s. Abb. 5.30, 34, 46 und 110). Auf Horizontalschnitten (und nur auf diesen, die daran auch zu identifizieren sind) erscheint die Capsula interna V-fÖrmig. So lässt sie einen schmalen vorderen Schenkel,
Crus anterius (zwischen Caput nucl. caudati und Linsenkern), sowie ein breites Knie, Genu, erkennen, welches in Höhe des Foramen interventricular (Monroi) liegt. Das Knie setzt sich in den hinteren Schenkel, Crus posterius, zwischen Thalamus und Linsenkern fort. Die Fasersysteme der Capsula interna unterliegen einer topischen Anordnung, wobei die kürzeren thalamokortikalen Projektionsfasern mehr medial und die längeren kortikospinalen Fasern mehr lateral verlaufen. In ihrer Gesamtheit werden die Fasern der Capsula interna als Strahlenkranz, Corona radiata, zusammengefasst. • Thalamusstrahlung, Radiado thalami. Hierunter versteht man die Projektionsfasern zwischen Thalamus und Cortex einer Hemisphäre, die nach Passage der engen Capsula interna strahlenartig auseinanderweichen und in die Rindenareale (und von dort zurück in den Thalamus) projizieren. In der Corona thalami verlaufen also kortikothalamische und thalamokortikale Fasern als Fasciculi thalamocortical in topischer Anordnung. Die Corona thalami wird in einen vorderen (Abb. 5.45, gelb dargestellt), oberen (schwarz), hinteren (grün) und unteren (blau) Thalamusstiel unterteilt.
Thalamus Nucleus caudatus
\ \ Crus cerebri
Tractus opticus
Abb. 5.45: Schema der Thalamusstiele (Radiationes thalami oder Fasciculi thalamocorticales\ verändert nach Tandler). An einem durchsichtig gedachten Gehirn ist der Linsenkern entfernt und das Crus cerebri am Übergang in die Capsula interna durchtrennt. Gelb = vorderer, schwarz = oberer, grün = hinterer, und blau = unterer Thalamusstiel
403
5.2 Allgemeine Topographie, Preparation und B i l d g e b u n g d e s Z N S
vorderer Thalamusstiel — - Tractus frontoponinus — - Nucleus caudatus Crus anterius capsulae Internae
— vorderer Thalamusstiel (Querschnitt)
Insula
Tractus frontopontinus (Querschnitt) - Tractus corticonuclearis
Genu capsulae internae Nucleus lentiformis (Putarnen und Globus pallidusl
- Tractus corticospinal^ (Arm) • Tractus corticosplnalis (Bein) Thalamus
Crus posterius capsulae internae
- Corpus geniculatum laterale
Tractus temporopontinus Radiatio acustica Radiatio optica Tractus occipitopontinus
—
Cerebellum
Abb. 5.46: H o r i z o n t a l s c h n i t t d u r c h d a s G e h i r n in H ö h e d e r B a s a l g a n g l l e n (In d e r C a p s u l a interna sind die Bahnen eingezeichnet)
Die doppelläufigen Verbindungen zwischen Cortex und Thalamus haben eine große Bedeutung für die menschlichen Bewusstseinsfunktionen. Deshalb wird der Thalamus auch als „Tor zum Bewusstsein" bezeichnet, da mit Ausnahme der olfaktorischen Impulse sämtliche Sinnesinformationen von den (Meta-)Thalamuskernen auf entsprechende Rindenareale projiziert werden. Zwischen den Thalamusstielen verlaufen die vom Cortex absteigenden Bahnen zur Capsula interna. Sie sollen wegen ihrer topographischen Nähe hier mit aufgeführt werden (Abb. 5.46): 1. Vorderer Thalamusstiel, der eine doppelläufige Verbindung zwischen dem Nucí, dorsomedialis thalami und der präfrontalen Rinde darstellt. 2. Frontale Brückenbahn, Tractus frontopontinus, die von der oberen und mittleren Stirnwindung
zu den Brückenkernen, Nudi, pontis, verläuft. Sie führt auch Fasern (rot in Abb. 5.46) vom frontalen motorischen Augenfeld zu den Colliculi superiores laminae ledi und zur paramedianen pontinen Formatio reticularis (PPFR). 3. Kortikonukleärer oder auch bulbärer Teil der Pyramidenbahn, Tractus corticonuclearis. Er liegt im Genu der Capsula interna. Der operkuläre Teil des Gyrus praecentralis projiziert zu den motorischen Ursprungskernen der Hirnnerven. 4. Spinaler Teil der Pyramidenbahn, Tractus corticospinalis, der vom Gyrus praecentralis zu den α-Motoneuronen in den Vordersäulen des Rückenmarks projiziert (s. Kap. 5.4.7.5.1, S. 497). Dieser Fasertrakt liegt im Crus posterius der Capsula interna, wobei rostral die Fasern für die Versorgung der Arm- und dorsal diejenigen für die Beinmuskulatur verlaufen.
404
5. Oberer Thalamusstiel, der als Taststrahlung die sensiblen Informationen (s. Kap. 5.2.7.4, 5. 427, Kap. 5.4.6.4, S. 484, Abb. 5.98) vom Nucl. ventralis posterior thalami zum Gyrus postcentralis des Parietallappens leitet. Der obere Thalamusstiel enthält außerdem Fasern des vestibulären und des gustatorischen Systems. 6. Okzipitotemporale Brückenbahn, Tractus temporopontinus et occipitopontinus, vom Schläfen- und Hinterhauptslappen zu den Nucll. pontis (auch: Türck-Bündel). Darunter finden sich Fasern zur Formatio reticularis, die der Steuerung der sakkadischen Blickmotorik dienen (rot kariert in Abb. 5.46). 7. Hinterer Thalamusstiel, der vom Palvinar zur Assoziationsrinde des Temporallappens verläuft. 8. Sehstrahlung, Radiatio optica, vom Corpus geniculatum laterale (CGL) zur Umgebung des Sulcus calcarinus, der Area striata (Area 17 nach Brodmann, s. Abb. 5.127, 128). 9. Hörstrahlung, Radiatio acustica, die vom Corpus geniculatum mediale (CGM) zum Gyrus temporalis superior zieht. 10. Unterer Thalamusstiel, der als doppelläufige Verbindung vom Nucl. dorsomedialis thalami zum Mandelkernkomplex und zur periamygdalären Rinde gelangt. Klinik: 1. Großhirnmark und weiße Substanz des Rückenmarks sind bei der Multiplen Sklerose (MS), einer Autoimmunerkrankung gegen das die Nervenfasern umscheidende Myelin, betroffen. Die typischen Entmarkungsherde finden sich vorwiegend um die Seitenventrikel herum (periventrikulär). Je nach betroffenem Bahnsystem resultieren verschiedene Ausfallsymptome (z. B. Lähmungen, Sprachstörungen, Sehstörungenen). Bei Ausfall der Assoziations- und Projektionsfasem kann es auch zu kognitiven Defiziten kommen (Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen). 2. Die innere Kapsel und die umliegenden zentralen Kerngebiete sind häufig von Einblutungen in die Hirnsubstanz betroffen (Marklagerblutungen). Die Symptomatik ist durch den Ausfall der Pyramidenfasern sowie durch Anschluss der sich ausdehnenden Blutung an das Liquorsystem meist dramatisch. Ebenso können im Bereich der Capsula interna auch Verschlüsse kleinkalibriger Gefäße auftre-
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
ten (lakunäre Marklagerinfarkte). Blutung und Infarkt schädigen die Fasersysteme in ähnlicher Weise, weshalb klinisch sehr ähnliche akute Symptome auftreten (Schlaganfall).
5.2.5.4 Zwischenhirn,
Diencephalon
Lernziele: Gliederung des Diencephalon: Thalamus (dorsalis), Metathalamus, Subthalamus, Hypothalamus und Hypophyse
5.2.5.4.1
Lage
Das Diencephalon liegt zwischen den beiden Endhirnhemisphären, ist jedoch nur teilweise mit ihnen verwachsen. Der III. Ventrikel bildet den Hohlraum des Dienzephalons. An der Hirnbasis befindet sich der Hypothalamus oberflächennah. Basal liegen die Corpora mamillaria, rostral das Tüber cinereum mit dem Hypophysenstiel, Infundibulum. Weiter rostral lagert sich das Chiasma opticum an (s. Abb. 5.13, 26, 36, 39 und 40). 5.2.5.4.2 Gliederung Das Diencephalon gliedert sich in folgende Anteile: den Epithalamus, den Thalamus (auch: Thalamus dorsalis) mit dem Metathalamus (den Corpora geniculata), den Subthalamus (auch: Thalamus ventralis) und den Hypothalamus.
Epithalamus Der Epithalamus liegt hinter dem Dach des III. Ventrikels und setzt sich aus der Zirbeldrüse, Corpus pineale, und dem Zirbelstiel, Habenulakomplex, zusammen (s. Abb. 5.50, 138). Rostrai des Corpus pineale am Übergang des dritten Ventrikels in den Aquaeductus mesencephali befindet sich die Commissura epithalamica (posterior). • Zirbeldrüse, Corpus pineale (Epiphysis cerebri). Sie ist ein länglicher, abgeplatteter, an einen Pinienzapfen erinnernder Körper, der etwa erbsengroß ist und sich auf dem Zwischen-
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S
hirndach nach dorsal entwickelt. Der III. Ventrikel hat einen kleinen Recessus pinealis an der Epiphyse (s. Abb. 5.73). Die Zirbeldrüse liegt der Vierhügelplatte auf und ist in Bindegewebstrabekel der weichen Hirnhaut eingewoben. Sie wird von sympathischen Nervenfasern aus dem Ganglion cervicale siiperius erreicht (zur Funktion s. Kap. 5.4.11.4, S. 549). Dieses unauffällige kleine Organ ist medizinhistorisch immer wieder Anstoß wissenschaftlicher Spekulationen gewesen, die im jeweiligen theoretischen Kontext der einzelnen Epochen standen. René Desearles lokalisierte hier im 17. Jahrhundert das Verbindungselement des somatischen Körpers mit einer immateriellen Seele. François Magendie nahm im 19. Jahrhundert an, dass die Zirbeldrüse ein Ventil darstelle, welches die Zirkulation des Liquor cerebrospinalis kontrollieren sollte. Heute geht man davon aus, dass es sich um ein endokrines Organ handelt. So hat etwa die vergleichende Physiologie festgestellt, dass das Corpus pineale bei primitiven Wirbeltieren lichtempfindlich ist (Parielalauge) und die zirkadiane Rhythmik der Hormonsekretion steuert. Klinik: 1. Das Corpus pineale lagert im Lauf des Lebens häufig Kalksalze, Acervulus (lat. = Hirnsand), ein. Hierdurch wird es als median liegende Struktur in Röntgenbild und cCT sichtbar. Das Corpus pineale diente vor Einfuhrung von cCT und MRT als topographischer Orientierungspunkt, da es sich annähernd zentral im kugelförmig gedachten Schädel befindet. Eine Lageverschiebung konnte daher sichtbar gemacht und als Zeichen von Massenverschiebungen des Hirnparenchyms gedeutet werden. 2. Pinealome stellen insbesondere frühkindliche Tumoren dar, die oft eine ernste Prognose haben. Durch Druckläsionen umgebender Strukturen (Commissura posterior, Area praetectalis, Colliculus superior) stellt sich zunächst eine vertikale Blickparese ein, da in der Commissura posterior auch Fasern der vertikalen Blickregulation des Mesenzephalons kreuzen: Parinaud-Syndrom. Anschließend kann es durch Druck auf die Area praetectalis zu einem Ausfall des Pupillenreflexes kommen.
•
Habenulakomplex. Am mediodorsalen Thalamus liegt eine längliche, sich nach dorsal verbreiternde Vorwölbung, der Nucl. habenularis thalami, auch: Trigonum habenulare (s. Abb. 5.50). Medial verlaufen zwei dünne Markbündel, die Striae medulläres thalami, die eine
405
Verbindung zur Zirbeldrüse herstellen. Der Habenulakomplex erhält Afferenzen aus den Septumkernen sowie aus dem rostralen Teil des Hypothalamus. Seine Kfferenzen ziehen als Fasciculus retroflexus (Meynert), oder Tractus habemdointerpenduncularis, in die Tiefe zum Nucl. interpeduneularis und zur Formatto reticularis mesencephali. Die Habenulae (lat. = Zügel, Halter) stellen die Fortsetzung der Striae medulläres zur Epiphyse dar. Klinik: Über den Fasciculus retroflexus können olfaktorische und limbische Impulse über Umschaltstationen im Mesencephalon Einfluss auf viszerale Funktionen nehmen. Das gilt insbesondere für die Bedeutung der Riechempfindung auf die Nahrungsaufnahme, so für die Speichelsekretion in der kephalen Phase oder den Brechreiz bei widerwärtigen Gerüchen. •
Epithalamische Querverbindung, Commissura epithalamica (posterior). Sie ragt auf der Höhe zwischen Pinealorgan und Lamina tedi in den III. Ventrikel vor und beinhaltet kreuzende Fasern der Area praetectalis und der Colliculi superiores (s. Abb. 5.39).
Thalamus (Thalamus dorsalis) Der Thalamus dorsalis (im klinischen Sprachgebrauch wird auf den Zusatz „dorsalis" verzichtet) ist ein Derivat der dienzephalen Flügelplatte und stellt funktionell die wichtigste Relaisstation der Sinnesbahnen des Körpers (kutan, gustatorisch, optisch, akustisch und vestibulär) dar. Das griechische Wort thalamos bedeutet „Kammer". Ursprünglich wurde der Thalamus als nachgeschalteter Abschnitt der Sehbahn angesehen, was nach heutigem Wissensstand aber nur für das Corpus geniculatum laterale zutrifft. Topographische Lage (Abb. 5.47). Der Thalamus nimmt den größten Teil des Dienzephalons ein. Er bildet die laterale Wand des III. Ventrikel, in dessen Lumen er sich weit vorwölbt (s. Abb. 5.24, 29, 39, 40, 47). Auch an der Bildung des Bodens der Seitenventrikels ist er stellenweise beteiligt. In der Verlängerung der Haubenregion ins Diencephalon liegen beiderseits Kerne des zentralen thalamischen Höhlengraus ( N u d i . mediani). Das Pulvinar (lat. n. = Sitzkissen) thalami und die Corpora geniculata
406
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark Genu corporis callosi
Cavum septi pellucidi \ \
Columna fornicis (durchschnitten! Capsula interna (Crus anterius)
\
v
x
\
\
\
Cornu anterius ventriculi lateralis
\
Septum pellucidum
χ
Caput nuclei caudati V. thalamostriate^
Claustrum
Capsula interna __ (Genu)
- Capsula externa
Foramen interventriculare 1
Putamen
Nucleus anterior
-
Globus pallidus
Nucleus lentiformis
-
Thalamus
Nucleus lateralis Thalamus ~ • Nucleus medialis Cauda nuclei caudati
Nucleus lateralis Nucleus , medialis
Ventriculus tertius
Hippocampus
Colliculus superior Plexus choroideus ventriculi lateralis
Colliculus inferior
Abb. 5.47: Horizontalschnitt durch das Gehirn in Höhe des Thalamus liegen an der Oberfläche des Hirnstamms lediglich von der weichen Hirnhaut bedeckt. Häufig verbindet eine schmale Brücke von Gliazellen die Thalami beider Seiten als Adhaesio interthalamica (s. Abb. 5.29). Im Boden des Seitenventrikels liegt dem Thalamus der Nucl. caudatus dorsolateral auf (s. Abb. 5.25, 37 Mitte). Zwischen diesen beiden Kerngebieten verläuft die Stria terminalis, eine Faserbahn vom Corpus amygdaloideum zum Hypothalamus (Regio praeoptica et Nucí, ventromedialis hypothalami), sowie die Vena thalamostriata. Basal folgen dem Thalamus der Hypo- und der Subthalamus. Der rostrale Pol des Thalamus wölbt sich gegen das Foramen interventriculare (Monroi) vor. Den dorsalen Pol bildet das Polkissen, Pulvinar, das an der Hirnoberfläche in die Cisterna ambiens hineinragt. Lateral unter dem Pulvinar liegen die beiden Kniehöcker: Corpora geniculata laterale et mediale, welche als Metathalamus zusammengefasst werden. An der lateralen Seite
des Thalamus befindet sich die Capsula interna, was besonders auf Frontalschnitten gut zu sehen ist (s.Abb. 5.36). Beziehung zum III. Ventrikel. Dorsal liegt dem Thalamus die dünne Lamina affìxa auf, ein Teil des Telenzephalonbläschens, welches zum Boden der Pars centralis ventriculi lateralis wird. An der Lamina affìxa ist der Plexus choroideus ventriculi lateralis befestigt (Taenia choroidea). Am Thalamus selbst ist im Bereich der Stria meduUaris die Plexus choroideus ventriculi tertii befestigt (Taenia thalami). Die darüber liegende Platte, Tela choroidea, ist mit dem Plexus zwischen beiden Thalami ausgespannt und bildet das Dach des III. Ventrikels. Beide Anheftungsstellen werden bei der Präparation des Thalamus und bei Entfernung des Plexus choroideus sichtbar (s. Abb. 5.18, 24, 25, 29, 3 9 , 4 0 und 47). Innere Gliederung (Abb. 5.48). Der Thalamus ist ein großer, aus etwa 150 Kerngebieten bestehender
407
5.2 Allgemeine Topographie, Preparation und B l l d g e b u n g d e s Z N S
A Va VI Vp MD CM Lp Ld Rth CGM CGL
Nuct. anterior Nucl. ventralis anterior Nucl. ventralis lateralis Nucl. ventralis posterior Nucl. mediodorsaiis Nucl. centromedianus Nucl. lateralis posterior Nucl. lateralis dorsalis Nucl. reticularis thalami Corpus geniculatum mediale Cofpus geniculatum laterale
Pallidum Nel basaìis Meynert
- Tr, mamillothalamicus
Amygdala ^ Hypothalamus
x
Area 18,19" Tr. opticus
Basalganglien
\
Kleinhirn
/
Colliculus inf.
Tractus opticus
Lemniscus medialis u. Tr. spinothalamicus
Abb. 5.48: T h a l a m u s k e r n e m i t H a u p t a f f e r e n z e n u n d mit d e n P r o j e k t i o n e n in d i e G r o ß h i r n r i n d e . H e r k u n f t s g e b i e t e u n d Z i e l o r t e s i n d in g l e i c h e r F a r b e d a r g e s t e l l t
Komplex, der durch feine Marklamellen, die mit bloßem Auge gerade noch erkannt werden können, unterteilt wird. Durch die gebogene Lamina medulläres interna werden mediale, laterale und anteriore Kerngruppen getrennt. Hinsichtlich ihrer Funktion und Verschaltung werden (stark vereinfacht) Palliothalamus und Truncothalamus oder spezifische und unspezifische Thalamuskerne unterschieden: Spezifische Thalamuskerne: jede Kerngruppe ist mit einer bestimmten Region des Cortex verknüpft (Palliothalamus). Unspezifische Thalamuskerne: Es bestehen Faserbeziehungen zum Hirnstamm und zum Striatum, aber keine direkte Verbindung zum Cortex (Truncothalamus). Zum spezifischen Palliothalamus (spezifische Thalamuskerne) werden die Nucll. anterior, medialis, lateralis et ventralis sowie das Pulvinar gezählt. Ebenso rechnet man funktionsspezifische Zentren der Corpora geniculata dazu. Der
unspezifische Truncothalamus, (unspezifische Thalamuskerne) setzt sich hingegen aus den kleinen, in den Marklamellen gelegenen Nucll. mediani et intralaminares zusammen, wobei der Nucl. centromedianus den größten Anteil der letztgenannten Kerngruppe ausmacht. Der Thalamus wird von einer Marklamelle umgeben, deren Fasern als Lamina medulläres externa bezeichnet werden. Zwischen ihr und der Capsula interna liegt der Nucl. reticularis thalami, welcher basal mit der Zona incerta eine Verbindung zum Subthalamus herstellt. Afferenzen stammen insbesondere vom Globus pallidus, aber auch aus anderen Regionen. Vom Nucl. reticularis thalami werden sie zu den einzelnen thalamischen Kerngebieten weiterprojiziert, so dass ihm eine wichtige Integrationsfunktion thalamokortikaler und kortikothalamischer Aktivitäten zugesprochen wird. Zusätzlich bestehen diverse Verbindungen zwischen dem Nucl. reticularis thalami und dem Cortex cerebri, so vom rostralen Kernbezirk zum frontalen Cortex, vom mittleren Teil zum medial
408
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
gelegenen Cortex und vom kaudalen Abschnitt zum okzipitalen Cortex.
emotionaler Verflachung führte. Dies entspricht Befunden nach stereotaktischen Läsionen im Bereich des Nucl. anterior thalami.
1. Spezifische Thalamuskernc • Vorderer Kernkomplex, Nucl. anterior thalami. Er liegt in der Gabelung der Lamina medullaris interna am rostralen Pol des Thalamus. Er erhält insbesondere über den Tractus mamillothalamicus (Vicq d'Azyr) Afferenzen aus den Corpora mamillaria sowie Fasern aus dem aufliegenden Fornix und dem Subiculum zugeleitet (s. Abb. 5.119). Über das Crus anterius capsulae internae projiziert dieser Kernkomplex zum Gyrus cinguli und zur Area entorhinalis. Elektrische Reizungen des anterioren Kernkomplexes rufen vegetative Antworten (Veränderungen von Blutdruck und Atemfrequenz) hervor, welche im Zusammenhang mit hypothalamischen Verbindungen gesehen werden können. •
Medialer Kernkomplex. Er wird v. a. vom Nucl. mediodorsalis gebildet, der sich medial gegen den III. Ventrikel vorwölbt und in einen medialen großzelligen und einen lateralen kleinzelligen Teil untergliedert ist. Von diesem ist der Kernkomplex nur durch die Mittellinie getrennt und wird lateral durch die Lamina medullaris interna begrenzt wird. Er ist untergliedert in einen medialen großzelligen und einen lateralen kleinzelligen Teil. Seine Afferenzen stammen besonders aus dem Globus pallidus sowie dem Nucl. basalis (Meynert, s. Abb. 5.121) und werden ihm über den basalen Thalamusstiel zugeführt. Er selbst projiziert bevorzugt in den frontalen Cortex. Fasern aus dem Hypothalamus {Regio praeoptica und Tuber cinereum) und dem Corpus amygdaloideum erreichen das mediale großzellige Kernareal. Demgegenüber erhält der laterale kleinzellige Bereich insbesondere Fasern aus den Ventralkernen des Thalamus. Klinik: Dem medialen Kernkomplex sollen insbesondere somatische und viszerale Impulse aus dem Hypothalamus und den Ventralkernen zufließen, welche vom Thalamus verarbeitet und anschließend an den frontalen Cortex weitergegeben werden. Dies scheint seine Bedeutung fiir die affektive Grundstimmung zu erklären. Patienten mit schweren psychischen Erregungszuständen wurden im Rahmen einer präfrontalen Cingulotomie thalamokortikale Bahnen durchtrennt, was zu affektiver Indifferenz und
•
Lateraler Kernkomplex. Hierzu zählen der Nucl. lateralis dorsalis sowie der Nucl. lateralis posterior. Der Nucl. lateralis dorsalis buchtet den Thalamus nach dorsal aus und erhält seine Afferenzen aus dem Fornixgebiet. Er sendet seinerseits efferente Fasern in den dorsalen Abschnitt des Gyrus cinguli. Der Nucl. lateralis posterior liegt im dorsalen Teil des Thalamus und wölbt sich schwach gegen den Fornix vor. Dem dorsalen Anteil des lateralen Kernkomplexes werden integrative Funktionen zugeschrieben, während der posterolaterale Anteil insbesondere Afferenzen aus den Tractus spinothalamicus et trigeminothalamicus (Schmerzbahn), dem Lemniscus medialis sowie den Tractus vestibulothalamicus et pallidothalamicus bekommt. Klinik: 1. Der laterale Kernkomplex des Thalamus ist häufig bei ischämischem Insult betroffen. Durch die Störung des Tractus spinothalamicus werden die gegenüberliegenden Extremitäten deafferenziert, d. h. aufgrund einer kompletten Sensibilitätsstörung findet sich eine schwere Lagesinnstörung. Ohne Blickkontrolle verliert der Patient das Gefühl für die Position seiner Gliedmaßen. 2. Mit zeitlicher Latenz entwickelt sich ein unangenehmer, quälender und brennender Schmerz der betroffenen Körperhälfte: Thalamusschmerz. Aufgrund des Fehlens der sensiblen Afferenzen sind auch die Bewegungen unkoordiniert.
• Ventraler Kernkomplex. Im ventralen thalamischen Kerngebiet unterscheidet man einen anterioren, einen lateralen und einen posterioren Kern: •
Nucl. ventralis anterior. Er buchtet den Thalamus nach rostral aus und erhält vorwiegend Afferenzen aus den Basalganglien, dem Globus pallidus medialis, der Substantia nigra (Pars reticularis), dem Nucl. subthalamicus sowie der Formatio reticularis {Nucl. interstitialis Cajal - über den Fasciculus longitudinalis medialis). Nach ihrer Umschaltung im Kern ziehen die Fasern weiter zum primär motorischen Cortex
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
(PMA) und zum supplementmotorischen Areal (SMA) (s. Kap. 5.4.7.5.2, S. 503, und Abb. 5.105). • Nucl. ventralis lateralis. Er erhält seine Afferenzen v. a. aus dem Kleinhirn über die gekreuzten Fasern des Pedunculus cerebellaris superior sowie aus dem Globus pallidus über den Fasciculus thalami zugeleitet. Er projiziert anschließend somatotopisch geordnet in die Rinde des Gyrus praecentralis (lateral liegt die Beinregion, anschließend Rumpf-, Arm- und medial die Kopfregion), wodurch das Cerebellum Einfluss auf die Willkürmotorik nehmen kann. Der kaudale Nucl. ventralis intermedius erhält Zugänge über den Fasciculus tegmentalis dorsolaleralis (Forel) aus den gleichseitigen Vertebraliskernen. •
Nucl. ventralis posterior. Hier enden gekreuzte sensible Fasern (aus dem Nucl. gracilis lateral und dem Nucl. cuneatus medial), sowie aus dem Lemniscus medialis, dem Tractus trigeminothalamicus, dem Nucl. ventralis posteromedialis und dem Tractus spinothalamicus. Die sensiblen Informationen werden nach einer somatotopischen Ordnung im kraniomedialen Abschnitt (Nucl. ventralis posteromedialis) für den Kopfbereich und im basolateralen Abschnitt (Nucl. ventralis posterolateralis) für Rumpf und Extremitäten umgeschaltet. Anschließend werden sie in somatotopischer Ordnung in den Gyrus postcentrals weiter geleitet.
• Pulvinar. Die Kerne des Pulvinar schließen sich dorsobasal den vorgenannten an, wobei das Pulvinar beim Menschen das größte relative Volumen und den höchsten Differenzierungsgrad aufweist. Bevorzugt treten hier afferente Fasern aus dem Tractus opticus, der Hörbahn, dem Hirnstamm und der Sehrinde ein. Nach Umschaltung im Pulvinar werden sie in die visuellen Areae 18 und 19, in multimodale Assoziationsgebiete um den Gyrus temporalis superior und in den Sulcus intraparietalis projiziert (s. Abb. 5.48). Fasern aus dem CGM gelangen zur Hörrinde. 2. Unspezifische Thalamuskerne Kerne der Mittellinie. Hier liegt als größter trunkothalamischer Kern der Nucl. centromedianus (Corpus médian de Luys). Er projiziert direkt zu den Basalganglien und indirekt (nach Verschaltung
409
im Palleothalamus) in weite Bereiche des Cortex und besitzt eine generelle Aktivierungsfunktion. Seine Zuflüsse erhält er v. a. aus dem Nucl. emboliformis cerebelli über den Pedunculus cerebellaris superior (gekreuzt), aus der Formatio reticularis sowie dem Globus pallidus (über das Forel-Feld H2). Klinik: 1. Aufgrund der weitgehend somatotopen Ordnung (bes. Nucl. ventralis lat.) sowie den Beobachtungen nach neurochirurgischen Läsionsbefunden im Thalamusgebiet werden stereotaktische Eingriffe insbesondere bei therapieresistenten extrapyramidalmotorischen Bewegungsstörungen (bes. Hyperkinesien) sowie besonderen Schmerzsyndromen durchgeführt. So werden bei nachlassender L-DopaWirkung beim Parkinson-Syndrom v. a. die pallidofugalen Bahnen durchtrennt. Sie verlaufen vorwiegend über den Nucl. ventralis anterior thalami sowie die subthalamische Zona incerta, wo sie sich relativ treffsicher ausschalten lassen. Eine symptomatische Besserung des ParkinsonSyndroms, insbesondere des Tremors, tritt in 75-80 % der Fälle auf. Da es sich bei diesen Eingriffen jedoch um irreversible Schädigungen handelt, wird dieses Verfahren zunehmend von Elektrostimulationsverfahren verdrängt werden (s. den klinischen Hinweis zum Nucl. subthalamicus). 2. Ein weiteres stereotaktisches Operationsverfahren dieser Region stellen die Schmerzthalamotomien dar, die bei konservativ nicht beeinflussbaren Schmerzzuständen Anwendung finden (etwa bei Anaesthesia dolorosa, postherpetischen Neuralgien, Stumpfund Phantomschmerzen sowie dem Thalamusschmerz). Die günstigsten Ergebnisse wurden hierbei mit einer kombinierten Ausschaltung des basalen Anteils des Nucl. ventralis posterior, des Nucl. centromedianus bzw. der Kerne der Mittellinie erreicht. 3. Eine wichtige Beobachtung war darüber hinaus, dass Läsionen oder intraoperative Stimulationen des Pulvinare beim Menschen zu Sprachstörungen führen, so dass diese Region bei stereotaktischen Operationen besonderen Schutz erfahren muss.
410
Metathalamus Als Metathalamus werden die Kniehöcker, Corpora geniculata mediale und laterale, zusammengefasst. •
Mittlerer Kniehöcker, Corpus geniculatum mediale, CGM. Der mediale Kniehöcker liegt zwischen dem Pulvinar des Thalamus und dem CoIIiculns inferior des Mesenzephalons (s. Abb. 5.47 und 92). Er ist als kleiner Höcker von dorsal sichtbar und über das Brachium colliculi inferioris mit dem Colliculus inferior verbunden (s. Abb. 5.50). In Brachium colliculi inferioris sowie CGM verlaufen Fasern der Hörbahn, wobei der mediale Kniehöcker die thalamische Umschaltstation des akustischen Systems darstellt (s. Kap. 5.4.2.3, S. 459) und Signale auf die primäre Hörrinde projiziert. • Seitlicher Kniehöcker, Corpus geniculatum laterale, CGL. Das CGL wölbt sich weniger deutlich vor. Es liegt lateral vom CGM zwischen dem Pulvinar und dem Tractus opticus, der im CGL endet (s. Abb. 5.51, 85). Das CGL stellt eine wichtige Umschaltstation der Sehbahn (s. Kap. 5.4.2.2, S. 456) dar und bildet ein subkortikales Zentrum fur die visuelle Reflexsteuerung. Hier enden die meisten Sehnervenfasern des Tractus opticus und bilden Synapsen mit den Relaisstellen des CGL aus, welche die visuellen Signale als Gratiolet-Sehstrahlung auf die primäre Sehrinde projizieren.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
lenticularis mit dem Tractus dentatothalamicus als Fasciculus thalamicus vereinigt. Der Fasciculus lenticularis tritt von basal in den Thalamus ein. Der Subthalamus und der Globus pallidus medialis teilen eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte und werden aus diesem Grund manchmal zusammengefasst. Da der Subthalamus jedoch komplexe Verbindungen mit anderen Kerngebieten des Basalganglien-Systems unterhält, wird er dort abgehandelt (s. Kap. 5.4.7.5, S. 496). Zwischen dem Nucl. subthalamicus, der Zona incerta und dem Thalamus befinden sich Faserbündel und verstreute, abgesprengte Zellgruppen, die als Forel-Campus (auch Forel-Feld) bezeichnet werden. Hypothalamus Der Hypothalamus des Dienzephalons ist die übergeordnete Schaltstelle vieler vegetativer und hormoneller Regulationssysteme. Der Hypothalamus stellt den kleineren Teil des Dienzephalons dar, welcher an der seitlichen Wand und am Boden des III. Ventrikels gelegen ist (s. Abb. 5.36). •
Lage. Der Hypothalamus grenzt rostral an die Lamina terminalis und die Commissura anterior an, während basal das Chiasma opticum angelagert ist. Dorsal befindet sich der dünne Hypophysenstiel und das Tuber cinereum, das ebenfalls an der Bildung des Bodens des III. Ventrikels beteiligt ist. Basal sind hier die Corpora mamillaria angelagert, und der Boden des III. Ventrikels geht in das Tegmentum mesencephali über (s. Abb. 5.26, 136). In der lateralen Wand des III. Ventrikels erfolgt die Abgrenzung vom Thalamus durch den Sulcus hypothalamic s (Abb. 5.24). Die Furche ist vom Foramen interventriculare in einem leicht basal-konvexen Bogen bis zum Eingang in den Aquaeductus mesencephali zu verfolgen. Lateral erstreckt sich der Hypothalamus bis zum Nucl. subthalamicus, wo er an die Capsula interna grenzt.
•
Hypothalamus und Hypophyse. Basal sind Tuber cinereum und Infundibulum mit der Hirnanhangsdrüse, Hypophysis cerebri, verbunden. Beide Strukturen sind morphologisch und funktionell so eng miteinander verknüpft, dass sie am besten zusammen als Zwischenhirnhypophysensystem (Konzept Bargmanns) besprochen werden (s. Kap. 5.4.11.2, S. 544).
Subthalamus (Thalamus ventralis) Der Subthalamus ist ein Derivat der Grundplatte des Dienzephalons und steht im Dienst der Motorik. Er stellt eine Region basal des Thalamus dorsalis und lateral des Hypothalamus dar. Der größte Kern dieser Region ist der Nucl. subthalamicus (Luys-Körper; s. Abb. 5.111). Dieser längliche, etwa linsengroße Kern wird durch die Capsula interna vom Globus pali idus getrennt, welcher über den Fasciculus subthalamicus quer durch die Capsula interna zum Nucl. subthalamicus projiziert. Unmittelbar benachbart findet sich die Zona incerta, die eine dienzephale Fortsetzung der Formatio reticularis mesencephali darstellt. Die gesamte Region ist sehr faserreich, da sich unter den Nucll. laterales thalami der Fasciculus
411
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Diaphragma sellae Hypophysenstiel — . Hypophyse
—
__ — ¡Ç^"—
""^^S®»·-
N. oculomotorius Ν. trochlearis
Sinus cavernosus
Ν. ophthalmicus Α. carotis interna, Ν. abducens
Septum sinuum sphenoidalium
^jk
Nasenhöhlen
Sinus sphenoidales
" Ν maxillaris
2 Blätter der Dura mater encephali
Abb. 5.49: Schematischer Frontalschnitt durch Hypophyse, Sinus cavernosus und Keilbeinhöhlen. Beachte die klinisch wichtige topographische Beziehung der Hirnnerven zum Sinus cavernosus (vgl. Abb. 5.70)
•
•
Hirnanhangsdrüse, Hypophysis. Die bohnenförmige, ca. 0,6-0,8 g schwcre Drüse liegt in der durch die Sella turcica gebildeten Fossa hypophysialìs des Keilbeins und hängt mit einem trichterförmigen Stiel am Hypothalamus (s. Abb. 5.26, 27, 34, 69). Dieser Stiel zieht durch ein Loch im von der harten Hirnhaut gebildeten Diaphragma sellae hindurch (Abb. 5.49). Man unterscheidet eine vordere, makroskopisch bräunlich gefärbte Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen) und eine hintere, gräuliche Neurohypophyse (Hypophysenhinterlappen).
Adenohypophyse. Sie bildet den Hypophysenvorderlappen, der 3/4 des Organs einnimmt. Auf das Infundibulum legt sich die Pars tuberalis; den Hauptteil bildet die Pars distalis, und zur Neurohypophyse hin lässt sich die Pars intermedia abgrenzen. Neben anderen Wirkungen ist die Adenohypophyse den Gonaden, der Schilddrüse und den Nebennieren übergeordnet, deren Funktion sie durch gonadotrope und glandotrope Hormone steuert. • Neurohypophyse. Diese bildet den Hypophysenhinterlappen, die Pars nervosa oder den „Lobus nervosus" und geht als Hypophysenstiel, Infundibulum, ins Diencephalon über. In der Neurohypophyse werden keine Hormone gebildet. Sie dient als Speicher- und Abgabeort derjenigen Hormone, die ihr durch axonalen Transport aus dem Hypothalamus über den Hypophysenstiel zugeführt werden
(s. Abb. 5.136, 137, 138, sowie Kap. 5.4.11, S. 543). Dorsal der Ansatzstelle des Hypophysenstiels verdickt sich der Zwischenhirnboden zur Eminentia mediana. Sie ist Teil des Tuber cinereum, das die Umrandung des Infundibulum bildet (s. Abb. 5.26).
5.2.6
Regionale Anatomie des Hirnstamms
Lernziele: Hirnstammgliederung, regionale und topographische Anatomie des Hirnstamms, Mittelhirn, Vierhügelplatte, Mittelhirnhaube, Rautenhirn, Hirnnerven im supra- und infratentoriellen Raum, verlängertes Mark Der Hirnstamm, Truncus encephali, wird aus Mesencephalon, Pons und Medulla oblongata (Bulbus) gebildet. Lagebeziehungen des Hirnstamms. Sie richten sich nach der Meynert-Achse (s. Abb. 2.16). Mit Ausnahme des I. und II. gehen alle Hirnnerven aus dem Hirnstamm hervor, bzw. treten in ihn ein. Nach einer anderen Sichtweise werden dem Hirnstamm auch sämtliche Anteile zugerechnet, die aus der aufrecht erhaltenen Unterscheidung von Grund- und Flügelplatte bis zur Lamina terminalis im Diencephalon hervorgehen. Danach bleibt der Hirnstamm übrig, wenn man die Cortices cerebri et
412
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
cerebelli entfernt, wodurch die telenzephalen Kerne und das Diencephalon ebenfalls zu Hirnstammgebieten, bzw. seinem rostralen Anteil, werden. Diese Sichtweise findet immer noch in der klinischen Verwendung des Begriffs der Stammganglien für die Basalganglien ihren Ausdruck. Lage und Form Hirnstamm und Kleinhirn füllen die hintere Schädelgrube, Fossa cranii posterior, aus, wobei der Hirnstamm in situ mit Pons und Fossa interpeduncularis schräg aufsteigend auf dem Clivus ruht.
Klinik: Bei akuter Hirndrucksteigerung kann es zum so genannten Klivuskantensyndrom kommen. Es ist insbesondere durch eine Mydriasis auf der Läsionsseite gekennzeichnet, da durch die druckbedingte Verlagerung des Hirnstammes der N. oculomotorius in seinem Verlauf über die Klivuskante gequetscht werden kann. Zuerst betroffen sind die parasympathischen Begleitfasern. Hierdurch überwiegt die pupillenerweiternde sympathische Innervation. Später kommen Augenmuskellähmungen hinzu.
5.2.6.1 Mittelhirn, Mesencephalon Der Hirnstamm ist etwa 8 cm lang. Er reicht vom Foramen magnum bis zur Incisura tentorii. Als basale Begrenzung des Hirnstamms wird die oberste Wurzel der Zervikalnerven bzw. die Decuss a l o pyramidum herangezogen (s. Abb. 5.26). Die kraniale Begrenzung verläuft dorsal der Corpora mamillaria, dann laterobasal des Tractus opticus und schließlich rostral der Vierhügelplatte (Abb. 5.50,51).
Crus fomicis \ Thalamus
%
Ventriculus tertius
Übersicht und Gliederung s.Abb. 5.52, 53 Auf Querschnitten durch das Mittelhirn lassen sich von dorsal nach rostral 3 Ebenen abgrenzen: 1. Vierhügelplatte, Lamina tecti, Tectum, 2. Mittelhirnhaube, Tegmentum mesence-
Trigonum habenulare (Tela aufgerissen) / /
Brachium c o l t a l i superioris
Stabkranz __
Brachium colliculi inferioris
(Corona radiata) Lamina affixa —
^ ^ Trigonum lemnisci
Pulvinar thalami
Taenia choroidea — Stria medullaris thalami — Corpus pineale —
_
Frenulum veli medullaris
—
Nervus trochlears
—
Pedunculus cerebellar^ superior
C o l t o l i superiores et__ inferiores (Lamina tecti)
Lingula cerebelli auf dem _
. — Pedunculus c e r e b e l l a r i médius
Velum medulläre superius Area vestibularis Colliculus facialis " Pedunculus c e r e b e l l a r i Inferior Flocculus— Trigonum nervi hypoglossi Tubercula nuclei cuneati Trigonum nervi vagi
et gracilis ~~
Sulcus lateralis posterior
Sulcus medianus posterior
Abb.5.50: Diencephalon, Mesencephalon und Rhombencephalon nach Entfernung des Kleinhirns von dorsal gesehen, so dass die Rautengrube frei liegt (s. Kap. 5.2.6.2, S. 415)
413
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und B l l d g e b u n g des ZNS Corpus geniculatum mediale laterale thalami
Pulvinar
\
Lamina tecti x Cerebellum \
\
χ
\ \
ν \
\
ν
·
I
N. trochlears. Crus cerebri '
¡
Insula, Tractus opticus
Corpora mamillaria
/
/
Substantia perforata anterior Stria olfactoria lateralis
x
*
. Tuber cinereum, Infundibulum
Ν
• N. opticus
Chiasma optìcum
_
Stria olfactoria medialis Fissura longitudmalis cerebri Bulbus olfactorius
Plexus / choroideus, 7 / ventriculi IV, / N.X ' Oliva
Tractus olfactorius
Lobus temporalis
Nn. VII, VIII
Pons, Ν. V
N. Ill
Stria olfactoria lateralis
Trigonum olfactorium
Abb. 5.51: D a s G e h i r n v o n r e c h t s u n d b a s a l g e s e h e n . D u r c h E n t f e r n u n g d e s r e c h t e n S c h l ä f e n l a p p e n s w e r d e n d e r g e s a m t e Verlauf d e s Tr. o p t i c u s u n d d i e C o r p o r a g e n i c u l a t e sichtbar. Die H l r n n e r v e n - A u s t r i t t s s t e l l e n a m seitlichen H i r n s t a m m w e r d e n d e u t l i c h
phali, auch Pars dorsalis pedunculi cerebri, 3. Großhirnschenkel, Crura cerebri, auch: Pars ventralis pedunculi cerebri (vom Cortex absteigende Bahnen: Tractus pyramidalis und die Tractus corticopontini, die sich dem Mesencephalon angelagert haben). Vierhügelplatte, Lamina tecti (Corpora quadrigemina). Nach Entfernung des Kleinhirns ist das Mittelhirn von dorsal gut zu erkennen (s. Abb. 5.50). Diese Ansicht zeigt die Lamina tecti mit den Colliculi superiores und den Collidili inferiores, welche durch kreuzförmige Furchen voneinander getrennt sind. Der Furche zwischen den beiden oberen Hügeln liegt das Corpus pineale auf. Zwischen den beiden unteren Hügeln beginnt ein feiner weißer Streifen, das Frenulum veli medulläres superioris, das nach basal in das Velum medulläre superius des Kleinhirns übergeht. Lateral des Frenulums tritt am basalen Rand des Collicidus inferior der dünne N. trochlearis aus (s. Abb. 5.53),
um sich nachfolgend um den Pedunculus cerebri nach rostral zu wenden. Vom unteren Hügel zieht ein deutlicher Wulst, das Brachium colliculi inferioris, schräg lateral und aufwärts zum CGM, während vom oberen Hügel das schmale Brachium colliculi superioris zum CGL fuhrt. In der Dorsalansicht (s. Abb. 5.50) überblickt man das Crus cerebri sowie das Trigonum lemnisci, ein von Brachium colliculi inferioris, Crus cerebri und Pedunculus superior cerebelli begrenztes Dreieck. In ihm verläuft der Lemniscus lateralis, die laterale Schleife der Hörbahn (s. Abb. 5.53 und Kap. 5.4.3.3, S. 470). Der Lemniscus lateralis verläuft zum Colliculus inferior und zum CGM. Rostrai legt sich der Tractus opticus dem Pedunculus cerebri an, um mit seiner breiten Radix lateralis zum CGL sowie mit seiner schmaleren Radix medialis zum Colliculus superior zu gelangen (s. Abb. 5.51, 85).
414
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Substantia grísea centralis
Aquaeductus cerebri
Col liculus superior
Lamina tecti / Tractus mesencephalicus η. V
Nuclei n. oculomotorii
Brachium colliculi inférions Tract, s p i n o t e c t a l et spinothalamics
Decussatio tegmenti dorsalis
Fasciculus longitudinalis medialis Tegmentum mesencephali Lemniscus medialis
Tract, tectospinalis
-Nucleus ruber cerebri
N
Tractus c o r t i c o s p i n a l
/ /
Substantia nigra
Trades occiDilotemporopontinus
ι Tractus rubrospinal^
""" ~ Tractus ::orticonuclearis Decussano N. oculomotorlus tegmenti ventralis
Tractus frontopontinus
Abb. 5.52: Q u e r s c h n i t t d u r c h d a s M e s e n c e p h a l o n in H ö h e d e r Codicilli s u p e r i o r e s Aquaeductus cerebri Nucleus colliculi inferioris
Pedunculus cerebellaris superior
! Ν. trochlearis
Substantia grísea centralis Tractus mesencephalicus η. V
„
, , Nucleus η. trochlearis Lemniscus lateralis
Fasciculus longitudinalis
Tractus spinothalamics
"
Lemniscus medialis
__ _
medialis Tractus tegmentalis centralis
Formatio reticularis Decussatio peduneulorum cerebellarium superiorum Substantia nigra
- Tractus tectospinalis Tractus rubrospinalis . Tractus corticopontinus
— Tractus corticospinal·!
Recessus posterior fossae interpeduncular^
Tractus corticonuclear^
• Tractus frontopontinus
Abb. 5.53: Q u e r s c h n i t t d u r c h d a s M e s e n c e p h a l o n in H ö h e d e r Colliculi inferiores (stark s c h e m a t i s i e r t )
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Blldgebung des Z N S
415
Mittelhirnhaube, Tegmentum meseneephali. Das Tegmentum meseneephali tritt außer im Trigonum lemnisci nur in der Fossa interpeduncularis auf der Hirnbasis an die Oberfläche. Es wird lateral von den Crura cerebri bedeckt, durch den Sulcus medialis der Fossa verlässt der N. oculomotorius den Hirnstamm (s. Abb. 5.27, 51, 52). Das Tegmentum meseneephali stellt die mittlere Ebene des Mesenzephalons dar und ist die rostrale Fortsetzung des Tegmentum rhombencephali, der Brückenhaube im Rhombencephalon. In der Mittelhirnhaube befinden sich neben den Kerngebieten der III. und IV. Hirnnerven auch diejenigen phylogenetisch älterer motorischer Systeme. Hierunter zählen der Nucl. ruber und die Substantia nigra.
Großhirnstiel, Pedunculus cerebri. Damit bezeichnet man die Summe der in eine Hemisphäre eintretenden und aus ihr austretenden Faserbündel.
•
5 . 2 . 6 . 2 Rautenhirn, R h o m b e n c e p h a l o n
Roter Kern, Nucl. ruber. Er ist Ursprung des Tractus rubrospinalis, der als Decussatio tegmenti ventralis (Forel-Haubenkreuzung) auf die Gegenseite kreuzt (s. Abb. 5.52). Seine Afferenzen erhält er aus dem Kleinhirn über den Peduncuhts cerebeliaris superior (s. Kap. 5.4.8.5, S. 514). • Schwarzer Kern, Substantia nigra. Dieser Kern besteht aus mehreren Zellgruppen, die dorsomedial an der Grenze von Crus cerebri und Tegmentum liegen. Es handelt sich um einen Kern, der sich über die ganze Länge des Mesenzephalons ausdehnt und aus zwei Anteilen besteht (s. Abb. 5.18, 31, 37 und 52): •
Pars compacta. Sie ist durch dicht beieinander liegende Neurone charakterisiert, welche mit schwarzem, makroskopisch sichtbarem Neuromelanin-Pigment angefüllt sind. • Pars reticularis. Sie enthält keine melaninhaltigen Zellen und liegt zwischen der Pars compacta und den Fasern der Crura cerebri, wobei sie rostral bis an den Nucl. subthalamicus reicht. Beide Teile stellen wichtige Schaltstellen für die Funktion der Basalganglien dar (s. Kap. 5.4.7.5.2, S. 503). Großhirnschenkel, Crus cerebri, Pars ventralis peduneuli cerebri. Die vorn vorspringenden Teile der Großhirnstiele, Peduneuli cerebri, sind während der Neuhirnentwicklung angelegte Bahnen. Beiderseits der Fossa interpeduncularis konvergieren die Hirnschenkel, in denen die kortikalen Projektionsbahnen zum Hirnstamm und ins Rückenmark ziehen (s. Abb. 5.52).
Die aufsteigenden Fasern ziehen als Lemniscus durch das Tegmentum, die absteigenden Fasern bilden das Crus cerebri. Die Grube an der Basis des Tegmentum zwischen den beiden Crura cerebri heißt deshalb Fossa interpeduncularis. Da hier von der Hirnbasis aus zahlreiche Gefäße zur Versorgung des Tegmentum eintreten, wird diese Stelle auch Substantia perforata posterior genannt.
Übersicht Das Rautenhirn besteht aus Myelencephalon (verlängertes Mark, Medulla oblongata oder Bulbus cerebri) sowie rostral dem Pons des Metencephalon. Das ebenfalls zum Metencephalon gehörende Cerebellum wird meist nicht zum Rautenhirn hinzugezählt. Das Rhombencephalon umschließt den IV. Ventrikel, dessen rautenförmiger Boden die Rautengrube, Fossa rhomboidea, darstellt (s. Abb. 5.50, 54-58). •
Rautengrube, Fossa rhomboidea, Ansicht. Der durch das Mesencephalon verlaufende Aquaeductus meseneephali erweitert sich im Metencephalon zum IV. Ventrikel, auf dessen Boden man nach Entfernung des Kleinhirns sieht (s. Abb. 5.50). Dieser Boden der Rautengrube wird vom Tegmentum rhombencephali gebildet. Die Rautengrube wird rostral von den oberen Kleinhirnstielen, Peduneuli cerebellares superiores, und basal von den unteren Kleinhirnstielen, Peduneuli cerebellares inferiores, eingefasst und durch den Sulcus medianus in zwei Hälften geteilt (s. Abb. 5.58). An der Stelle ihrer größten Breite ziehen die weißen Striae medulläres ventriculi quarti (eine Verbindung vom Nel. cochlearis posterior zu den Neil, corporis trapezoidei, s. Abb. 5.92) häufig bereits makroskopisch sichtbar über das Tegmentum hinweg. Sie trennen die basale, der Medulla oblongata zugerechnete Hälfte der Rautengrube vom rostralen, zum Pons gerechneten Teil ab.
416
•
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Die Oberfläche der Rautengrube wird von Ependym und einer schmalen Schicht des zentralen Höhlengraus gebildet. Die unmittelbar dahinter gelegenen Kerne und Faserbahnen wölben die Oberfläche stellenweise sichtbar vor (s. u.). Rautenhaube, Tegmentum rhombencephali. Der Boden der Rautengrube wird vom Tegmentum rhombencephali eingenommen. Es enthält vegetative und somatische Faserbahnen verschiedener Herkunft, die Formado reticula-
•
ris, das Olivensystem sowie unterschiedliche Neuronengruppen und Bahnen spezifischer Transmittersysteme. Kerngebiete der Rautengrube (s. Abb. 5.54). Unmittelbar unter der Rautengrube liegen viele Hirnnervenkerne, die sich gegen den IV. Ventrikel vorwölben. Basal der Striae medulläres neben dem Sulcus medianus liegt das Trigonum n. hypoglossi. Darunter befindet sich der Nucl. n. hypoglossi, und rostral liegt der Nucl.
-
Epiphysis
Nucleus ruber— - Nucleus accessorius lautonomicusl n. oculomotorii _ Nucleus (motoriusl n. oculomotorii - Nucleus tractus mesenceph, π. V - N. Irochlearis (IVI et R. menìngeus n. trigemini ~ Nucleus motorius n. trochlearis - Nucleus motorius n. trigemini Ν. facialis, Genu internum Nucleus (motoriusl n. abducentis Nuclei vestibulares Nucleus motorius η facialis Nuclei cochleares — Tractus solitarius
Nucleus dorsalis n. vagi
• Nucleus (motoriusl n. hypoglossi
~ Nucleus ambiguus -
Nucleus olivaris
- Tractus solitarius
Nucleus tractus spinalis η V Nucleus (motoriusl n, accessorii
Abb. 5.54: Räumliche Darstellung der Hirnnervenkerne. Motorische Kerne = rot, sensible Kerne = blau, Vestibulariskerne = hellgrün, Cochleariskerne = dunkelgrün, parasympathische Kerne = gelb (nach Braus und Elze, 1960)
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
praepositus n. hypoglossi. Laterobasal des Trigonum n. hypoglossi befindet sich ein längliches, vertieft liegendes Feld, das Trigonum n. vagi, worunter der Nucl. n. vagi liegt. An der kaudalen Spitze der Rautengrube am Eingang in den Zentralkanal (Obex, S. Abb. 5.58) liegt die Area postrema, ein Brechzentrum (s. Kap. 5.4.11.2, S. 544, und Abb. 5.117, 138). An der breitesten Stelle der Rautengrube, medial vom Eingang in den Recessus lateralis ventriculi quarti, erhebt sich die Area vestibularis mit den Nucll. vestibulares (s. Abb. 5.57). Rostral von den querliegenden Striae medulläres wird die Rautengrube durch den Nucl. n. abducentis und das innere Knie des Fazialisnerven, Genu internum η. facialis, zum Colliculus facialis vorgebuchtet. Rostrai davon, jedoch lateral des Sulcus limitans liegt ein graubläuliches Feld (Locus coeruleus) an, dessen Eisenpigmente durch das Ependym schimmern (s. Kap. 5.4.9.2, S. 518, Abb. 5.117). •
Brücke, Pons Der Pons erstreckt sich zwischen der Fossa interpeduncularis und der Medulla oblongata und geht lateral in den Pedunculus cerebellaris medius zur Verbindung mit dem Kleinhirn über.
Rostrai des Tegmentum erkennt man auf Schnitten durch das Rhombencephalon die Brücke. Sie besteht aus dem Brückenfuß, der Pars basilaris pontis, welcher einen queren Wulst darstellt. In Höhe der Nucll. facialis et trigemini geht letzterer in die Brückenarme, Pedunculi cerebellares medii, über (s. Abb. 5.27). Außerdem wird die Pars dorsalis (auch: Pars tegmentalis) dazu gezählt, die an den rostralen Teil der Rautengrube angrenzt. • Hirnnerven, Nn. craniales Nach ihrem Austrittsort werden supra- und infratentorielle Hirnnerven unterschieden, deren Faserzusammensetzung und intrakranieller Verlauf hier besprochen wird. Der periphere Hirnnervenverlauf nach Durchtritt durch die Schädelbasis wird im Kapitel Kopf und Hals (s. Kap. 4.12.1, S. 255), funktionelle Details in den Kapiteln Sinnesorgane (Kap. 6, S. 555 und 7.1.2.1, S. 600) und am Ende dieses Kapitels mit den funktionellen Systemen (s. Kap. 5.4, S. 456) dargestellt. Über Unterschiede zu den Nn. spinalies s. Kap. 2.6.5, S. 94
417
Supratentorielle Hirnnerven Das Tentorium cerebelli, die mittlere Schädelgrube, die Sella turcica und die vordere Schädelgrube bilden die Basis des supratentoriellen Raums. Die Schädelkalotte stellt seine obere Begrenzung dar, wobei er durch die Falx cerebri partiell unterteilt wird (s. Abb. 5.18). Inhalt des supratentoriellen Raums sind das Vorderhirn, Prosencephalon, und die Hypophyse. Im supratentoriellen Raum verlaufen die Hirnnerven I—IV. I. Hirnnerv, N. olfactorius. Er besteht aus den Fila olfactoria, die in ihrer Gesamtheit als N. olfactorius bezeichnet werden. Die Fila olfactoria sind die zentripetalen Fortsätze der primären Riechsinneszellen der Nasenschleimhaut, die durch die Lamina cribrosa treten (Kap. 4.4.2.1, S. 209), um im Bulbus olfactorius zu enden. Der Bulbus olfactorius stellt die primäre Riechrinde des I. Hirnnerven dar und zählt zum basalen Telencephalon (s. Kap. 5.4.4, S. 477). II. Hirnnerv, N. opticus. Er tritt mit seinen sensorischen Fasern als zentralen Fortsätzen der Ganglienzellen der Retina über den Canalis opticus in die mittlere Schädelgrube ein (Kap. 4.4.2.2, S. 210). Seine Fasern kreuzen zum Teil im Chiasma opticum und verlaufen danach als Tractus opticus bis zum Corpus geniculatum laterale des Dienzephalons (s. Kap. 5.4.2 und Kap. 6.1.3.2, S. 567). III. Hirnnerv, N. oculomotorius. Dieser enthält somatomotorische Fasern vom Nucl. n. oculomotorii (fur die äußere Augenmuskulatur außer M. rectus lateralis und M. obliquus sup.) und viszeromotorische Fasem vom paarigen Nucl. EdingerWestphal (für den M. sphincter pupillae) sowie vom unpaarigen Nucl. Perlia (für den M. ciliaris) und tritt in der Fossa interpeduncularis aus, durchläuft die gleichnamige Zisterne (s. Kap. 5.3.2.1, Abb. 5.69), um zwischen A. cerebri posterior und A. cerebelli superior zum Sinus cavernosus zu ziehen und zur Fissura orbitalis superior zu gelangen (s. Kap. 4.4.2.2, S. 210, 6.4.2, S. 588). IV. Hirnnerv, N. trochlearis. Er enthält ausschließlich Fasern des rein somatomotorischen Nucl. n. trochlearis (für den M. obliquus sup.) und verlässt als einziger Hirnnerv den Hirnstamm an der Dorsalfläche, und zwar an der Grenze zwischen
418
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
infra- und supratentoriellem Raum. Er tritt unterhalb des Collicidus inferior aus dem Mittelhirn aus (s. Abb. 5.50), um in seinem weiteren Verlauf in der Cisterna ambiens das Mesencephalon zu umlaufen. Sein Eintritt in die Dura befindet sich innerhalb des Anheftungsbereichs der Incisura tentorii am Processus clinoideas post. Anschließend verläuft der IV. Hirnnerv im Dach des Sinus cavernosus (s. Abb. 5.49) und tritt durch die Fissura orbitalis superior (s. Kap. 4.4.2.2, S. 210) in die Orbita ein.
Klinik: Bei intrakraniellem Druckanstieg kann eine Verlagerung bzw. Einklemmung der Medulla oblongata sowie der Kleinhirntonsillen im Foramen magnum resultieren. In der Folge kommt es zur Entstehung eines Druckkonus aus absinkenden Kleinhirnanteilen, welcher die Medulla oblongata einklemmen kann. Da hier Atem- und Kreislaufzentrum lokalisiert sind, besteht akute Lebensgefahr! Der Patient bedarf einer dringenden intensivneurologischen oder neurochirurgischen Versorgung.
Infratentorielle Hirnnerven Im infratentoriellen Raum befindet sich der Hirnstamm bestehend aus Mesencephalon, Pons und Medulla oblongata, zusammen mit dem Kleinhirn. Basal läuft der infratentorielle Raum ins Foramen magnum aus. Im infratentoriellen Raum verlaufen die Hirnnerven V-X1I.
V. Hirnnerv, N. trigeminus. Er tritt lateral aus dem Pons aus (Abb. 5.55). Er nimmt Fasern des viszerosensiblen Nucl. mesencephalicus n. trigemini (direkte Afferenz von den Muskelspindeln der Kaumuskulatur, also hier als A usnahme keine periphere Verschaltung in einem Ganglion!), des gemischt somato/viszerosensiblen Nucl. pontinus (principa-
Fasciculus longit u d i n a l i medialis
Tractus spinoFormatio reticularis
c e r e b e l l a r i anterior
Pedunculus
^
c e r e b e l l a r i superior _ Tractus mesencephalicus η. V ^
Nucleus sensorius superior η. V
^
Nucleus motorius η. V
^
Tractus tegmentalis centralis
Sulcus
Tractus spinalis η V —
Tractus rubrospinal^
-
Lemniscus lateralis Tr. s p i n o t h a l a m i c s
-
-
ι I Lemniscus
Tr. bulbothalamicus J medialis
~~ ~ Pedunculus cerebellaris medius
Ganglion trigeminale
Tractus
Cellulae
Tractus
nucleorum pontis
corticonuclearis
Tractus corticospinalis
Abb. 5.55: Querschnitt durch die Mitte des Pons in Höhe des Trigeminusaustritts
419
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Iis) n. trigemini (fur die Berührungsempfindung des Gesichts), des somatomotorischen Nucí, motorius n. trigemini (für die Kau- und Mundbodenmuskulatur und den M. tensor tympani) sowie des gemischt somato/viszerosensiblen Nucl. spinalis η. trigemini (für die Schmerz- und Temperaturempfindung der Mundhöhle und der Zähne) auf. Er verläuft in der hinteren Schädelgrube und tritt durch den Porus n. trigemini über der Impressio trigemini des Felsenbeins in eine Duratasche der mittleren Schädelgrube (Meckel-Cavum) ein. Rostrai seines Ganglion trigeminale (Gasseri) spaltet sich der V. Hirnnerv in seine drei Hauptäste auf: den N. ophthalmicus (sensible Fasern), den N. maxillaris (sensible Fasern) und den N. mandibularis (gemischt sensibel, Radix sensoria, und somatomotorisch, Radix motoria). Sie verlassen die mittlere Schädelgrube in gleicher Folge über die Fissura orbitalis superior, das Foramen rotundum und das Foramen ovale (s. Kap. 4.4.2.2, S. 210, und Kap. 6.4.2, S. 588).
Tractus spinocerebellar^ posterior
Klinik: Irritationen im Verlauf von Hirnnerven können zu Neuralgien fuhren. Die häufigste Hirnnerven-Neuralgie ist die idiopathische Trigeminusneuralgie: der Tic douloreux. Es bestehen bis Minuten lang anhaltende Schmerzattacken von fast unerträglicher Intensität. Neben medikamentösen Behandlungsformen (Carbamazepin), kommt dabei die neurochirurgische mikrovaskuläre Dekompression der Trigeminuswurzel zum Einsatz. Ältere, heute nur noch selten angewandte Behandlungsformen waren die temperaturgesteuerte Elektrokoagulation und die Blockade des Ganglion Gasseri etwa mit Glycerin-Lösung. Dabei wird die Injektionsnadel vom Gesicht aus durch das Foramen ovale einen Zentimeter nach kranial gefuhrt. VI. Hirnnerv, N. abducens. Er verlässt mit seinen somatomotorischen, aus dem Nucl. n. abducentis stammenden Fasern (für den M. rectus lateralis) die basale Hirnstammfläche zwischen Pons und
Vermis cerebelli
Nuclei fastigii, emboliformis, globosus
Nucleus dentatus
Tractus olivocerebellaris
Hemisptiaerium cerebelli Pedunculus cerebellaris superior — Ventriculus IV
Nuclei vestibulares Pedunculus cerebellaris inferior Nucleus η, abducentis Nucleus π. facialis • Tractus rubrospinalis Tractus vestibulospinalis Nucleus dorsalis corporis trapezoide!
Pars vestibularis π vestibulocochlear^
Pars vestibularis η. vestibulocochlearis Fasern des Tractus corticonulearis Tractus corticonuclearis etcorticospinalis
Tractus corticopontinus
Corpus trapeioideum et lemniscus rnedialis
Abb. 5.56: Querschnitt durch das Metencephalon in Höhe des Nucl. abducens Kleinhirnhemisphären sind nur zum Teil dargestellt (stark schematisiert)
und des inneren Fazialisknies: die
420
Medulla oblongata (Abb. 5.56). Er durchzieht die Cisterna basalis rostral des Pons, um an der Klivuskante durch die Dura mater in den Sinus cavernosus einzutreten (s. Abb. 5.49). Dabei beträgt seine intrazisternale Länge nur etwa 1,5 cm, während er seinen längeren Weg im Sinus cavernosus zurücklegt. Über diesen erreicht er die Fissura orbitalis superior und tritt in die Orbita über. (s. Kap. 4.4.2.2, S. 210, 6.4.2, S. 588). Klinik: Sein Verlauf macht den N. abducens bei Massenbewegungen des Gehirns sehr anfallig, so dass eine Abduzensparese als frühes Hirndrucksymptom zu werten ist. VII. Hirnnerv. Dieser besteht aus dem N. facialis, mit seinen somatomotorischen Fasern aus dem Nucl. n. facialis (für die mimische Muskulatur und den M. stapedius), sowie dem N. intermedius. der basal und parallel zum N. facialis verläuft und viszeromotorische Fasern aus dem Nucl. salivatorius sup. (fur die Gil. lacrimales, nasales, sublinguales und submandibulares) und viszerosensible Fasern zum Nucl. solitarius sup. (fur die Geschmacksempfindung der vorderen 2/3 der Zunge) enthält. Die Fasern aus dem Nucl. nervi facialis ziehen zunächst nach dorsal als inneres Fazialisknie (Abb. 5.56) zum Nucl. n. abducentis, den sie dann umlaufen, um in der Seitenwand zwischen Pons und Medulla oblongata auszutreten. 1,5 cm nach seinem Austritt erreicht der N. facialis den Porus acusticus internus (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213). Im Felsenbein hat der Nerv dann 3 Verlaufsstrecken (s. Kap. 7.1.2.1, S. 600). Im klinischen Sprachgebrauch bezeichnet man beide Anteile des VII. Hirnnerven als N. facialis. Klinik:. 1. Bei den Gesichtslähmungen wird eine peripherer von einer zentralen Faziallähmung unterschieden. Nach peripherer Fazialislähmung tritt eine Lähmung der gesamten mimischen Gesichtsmuskulatur auf. Die idiopathische periphere Fazialislähmung wird nach Charles Bell benannt, der sie 1827 an sich selbst beschrieb (Bell's palsy). Nach zentraler Fazialislähmung (supranukleäre Läsion, also zwischen Hirnnervenkernen und Cortex gelegene Schäden, z. B. bei Schlaganfall auf einer Seite) ist insbesondere die orale mimische Muskulatur
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
betroffen, während die von beiden Hemisphären innervierte Stirnmuskulatur weiterhin beweglich bleibt. Dieser Unterschied stellt ein wichtiges Kriterium in der neurologisch-topischen Diagnostik dar. Oft bleibt die Ursache einer peripheren Fazialisparese ätiologisch ungeklärt, so dass sie dann als „ idiopathische Fazialisparese " bezeichnet wird. 2. Bei jedem dritten Menschen besteht eine Gefäßaberration der A. cerebelli inferior anterior, die in unmittelbare Nachbarschaft zum N. facialis geraten kann. Hieraus vermag sich eine pathologische Gefaßschlinge zu bilden, die den VII. Hirnnerven komprimiert und starke Zuckungen einer Gesichtshälfte auslöst: hemifazialer Spasmus. Zur Separation beider Strukturen kann - analog der Trigeminusneuralgie - ein neurochirurgischer Eingriff notwendig werden. VIII. Hirnnerv, N. vestibulocochlearis. Er enthält sensible Axone aus dem Hör- und Gleichgewichtsorgan und erreicht die laterale Medulla oblongata an der Grenze zum Pons. Die Fasern ziehen zu den Nucl. cochlearis anterior et posterior bzw. den Nucll. vestibulares superior, médius, lateralis et inferior, welche am weitesten lateral in der Medulla oblongata liegen. Er verläuft ebenfalls ca. 1,5 cm intrazisternal, um dann in den Porus acusticus internus einzutreten (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213). Klinik: Der vestibuläre Anteil des VIII. Hirnnerven stellt das bevorzugte Gebiet der Entstehung von Neurinomen dar. Sie werden Akustikusneurinom genannt, sind benigne und wachsen in den Kleinhirnbrückenwinkel infiltrierend ein. Neurinome gehen von den Schwann-Zellen der Nervenscheiden aus, weshalb man sie oft auch als Schwannome bezeichnet. Durch Kompression entstehen Hirnnervenausfälle, Hydrocephalus (Wasserkopf durch Liquorabflussstörungen) oder zerebelläre bzw. Ponsläsionen. Leitsymptome sind Hypakusis und Tinnitus. Die Symptome entwickeln sich oft über viele Jahre in einer charakteristischen Reihenfolge: zunächst Schwindel, dann Blickrichtungsnystagmus (s. Kap. 5.4.2.4, S. 461). Schließlich kann eine Störung des V. Hirnnerven mit Erlöschen des Kornealreflexes sowie eine periphere Fazialisparese hinzutreten. Häufig kommen auch Kopfschmerzen und andere Hirndrucksymptome vor.
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
421
Nucleus dorsalis Nucleus dorsalis η. IX
Nucleus n
Nucleus dorsalis
η. X (Pars
π X
parasympathica)
I
/
Tractus solitarius et Nucleus tractus solitarii •
/
Nucleus cuneatus et Nucl. cuneatus accessorius
Tractus solitari us
Pedunculus cerebellaris inferior
Fasciculus _ l o n g i t u d i n a l medialis
. - Nucleus tractus spinalis η V
Tractus tectospinal^ -
— Tractus spinalis η. V
Nucleus a m b i g u u s - ·
—
Nucleus ambiguus
Tractus rubrospmalis - __
Tractus olivocerebellars — - et Tr spinocerebellars posterior
Tractus spino- _ __ thalamicus lateralis
—
Ganglion supertus
—
Tr. spinocerebellaris posterior Tr, spinocerebellaris anterior
Tractus tegmentalis centralis
1
Ganglion inferius
Nucl. oiivaris accessorius dorsalis Lemniscus medialis Nucleus oiivaris
Nucl. oiivaris· accessorius medialis
Pyramis (Tractus corticospinalis)
Abb. 5.57: Querschnitt durch das Myelencephalon (Medulla oblogata) in Höhe der Olive und des Austritts der Nn. glossopharyngeus et vagus
IX. und X. Hirnnerv, N. glossopharyngeus und N. vagus, s. Abb. 5.57. Sie weisen eine Vielzahl unterschiedlicher Faserqualitäten auf (somato- und viszerosensibel, somato- sowie viszeromotorisch) und haben als Schlundbogennerven mehrere morphologische Gemeinsamkeiten. Im IX. Hirnnerven verlaufen Fasern des viszerosensiblen Nucl. spinalis η. trigemini (fur Schmerz- und Temperaturempfindung des Gaumens und des Rachens), des viszerosensiblen Nucl. solitarius inf. (fur die Geschmacksempfindung des hinteren 1/3 der Zunge), des viszeromotorischen Nucl. salivatorius inf. (fur die Gl. parotidea) sowie des viszeromotorischen Nucl. ambiguus (für die Pharynxmuskulatur). Beide Hirnnerven treten aus der Medulla oblongata aus und verlassen die Schädelhöhle durch das Foramen jugulare (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213). X. Hirnnerv, N. vagus. Dieser verlässt die Medulla oblongata lateral mit etwa 10-18 feinen Wurzelfaden. Bis zum Parus duralis beträgt seine intrazisternale Verlaufsstrecke ca. 1,5 cm. Er enthält Fasern zum viszerosensiblen Nucl. spinalis η. trigemini (für Schmerz- und Temperaturempfindung des
äußeren Gehörgangs), zum viszerosensiblen Nucl. solitarius inf. (für die Geschmacksempfindung des Rachens), des viszeromotorischen Nucl. ambiguus (für die Pharynxmuskulatur) sowie des großen viszeromotorischen Nucl. dorsalis n. vagi (für die Innervation der Eingeweidemuskulatur bis zum Cannon-Böhm-Punkt (s. Kap. 12.3.5.1, S. 996) und verläßt die Cavitas cranii durch das Foramen jugulare (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213). XI. Hirnnerv, N. accessorius. Er stammt aus 2 Wurzeln, die somatomotorische Fasern (für den M. trapezius und M. stemoleidomastoideus) fuhren. Seine spinale Wurzel entspringt aus den Rückenmarkssegmenten C1-C5, verläuft dann kranial aus dem Canalis vertebra!is durch das Foramen magnum in die hintere Schädelgrube. Die kraniale Wurzel tritt hingegen mit 3 - 6 Wurzelfaden aus der Medulla oblongata aus (s. Abb. 5.58). Hiernach vereinigen sich die beiden Anteile nahe dem Porus duralis, um mit dem IX. und X. Hirnnerven, um durch das mediale Foramen jugulare zu ziehen (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213).
422
5 Zentrales Nervensystem, G e h i r n und R ü c k e n m a r k
f
»
Wmë
-
Nervus trochlearis
,
Nervus trigeminus auf der Impressiti trigemini ' Nervi facialis et vestibulocochlear^ im Porus acusticus int. - Nervi glossopharyngeus, vagus et accessorius im Foramen jugulare, Pars nervosa
-
Sinus transversus
• - Fossa rhomboidea (Sulcus medianusl - Nervus hypoglosus im Canaiis hypoglossi -
Nervus accessorius, radices craniales Obex - Nervus accessorius, radices spinales
: Hirnstamm in situ mit Austritten der Hirnnerven
spinalis, über. Kranial endet die Medulla oblongata am basalen Brückenrand sowie dorsal etwa in der Mitte der Rautengrube, in Höhe der Striae medulläres ventricidi quarti. Die ventrale Fläche ruht auf der Pars basilaris ossis occipitalis und lässt eine Fissura mediana anterior erkennen. Beiderseits der Fissur liegen medial die Pyramiden, deren Fasern zum größten Teil in der Pyramidenkreuzung, Decussatio pyramidum, über die Mittellinie hinweg nach kontralateral ziehen. Lateral der Pyramide wölbt sich die Olive vor.
XII. Hirnnerv, N. hypoglossus. Er verlässt die Medulla oblongata mit seinen 12-16 somatomotorischen Wurzelfaden aus dem NUCÍ. η. hypoglossi (für die Zungenmuskulatur) zwischen der Pyramide und der Olive, wonach sich die einzelnen Radices zu mehreren Bündeln vereinigen. Diese Bündel lagern sich meist dorsal der A. vertebrali.? an, um dann zum Canaiis nervi hypoglossi zu ziehen (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213). Verlängertes Mark, Medulla oblongata Die Medulla oblongata ist der unscharf begrenzte Bereich zwischen Pons und Rückenmark. • Allgemeines. Das verlängerte Mark ist rostralwärts in zunehmendem Maße zwiebeiförmig verdickt und wird deshalb auch Bulbus genannt. Von diesem Namen leiten sich auch einige anatomische und neurologische Begriffe ab, wie Tractus corticobulbaris (vom Cortex zu den Hirnnervenkernen), Tractus spinobulbaris oder die Bulbärparalyse. • Topographie (s. Abb. 5.27). Kaudal geht die Medulla oblongata in Höhe des 1. Zervikalnerven bzw. der Pyramidenkreuzung ohne eine scharfe Grenze in das Rückenmark, Medulla
•
Hirnnervenaustrittspunkte (s. Abb. 5.51, 54). Zwischen Pyramide und Olive treten die Wurzelfasern des XII. Hirnnerv, N. hypoglossus, aus der Medulla aus. Weiter lateral findet sich der Pedunculus cerebellaris inferior und zwischen beiden Strukturen treten von kranial nach basal die folgenden Hirnnerven aus: direkt am Winkel zwischen Medulla, Pons und Cerebellum (auch: Kleinhirnbrückenwinkel) treten als kompakte, dicke Nerven der VII. Hirnnerv, N. facialis, und der VIII. Hirnnerv, N. vestibulocochlearis, aus, um gemeinsam dem Porus acusticus internus zuzustreben. Im Sulcus retroolivaris erkennt man anschließend die Wurzelfäden der Nerven der Vagusgruppe, des N. glossopharyngeus,
423
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung d e s Z N S
IX. Hirnnerv, des N. vagus, X. Hirnnerv, und des N. accessorius, XI. Hirnnerv (s. Abb. 5.26), die sich dem Foramen jugulare (Pars nervosa) zuwenden. • Dorsalansicht (Abb. 5.50, 58). Sie zeigt den Sulcus medianus posterior und den Sulcus lateralis posterior. Der Fasciculus gracilis des Hinterstrangs (s. Kap. 5.4.6.2, S.482, Abb. 5.98) verdickt sich rostralwärts keulenförmig zum Tuberculum nucl. gracilis und der Fasciculus cuneatus zum Tuberculum nucl. cuneati. Lateral hiervon bildet der Vorderseitenstrang des Rückenmarks, insbesondere bei Kindern, häufig einen dunklen Höcker aus: das Tuberculum cinereum. Unter diesem liegt der Nucl. spinalis η. trigemini, die kraniale Fortsetzung der Substantia gelatinosa des Rückenmarks. Einen wichtigen Orientierungspunkt stellt der Querbalken, Obex, als der am weitesten kaudal gelegene Punkt der Rautengrube dar. Hier liegt die Area postrema, und in der Tela choroidea die Apertura mediana ventricidi quarti. Teile des Vorderseitenstranges, die zum Rückenmark ziehen, gehen in den Pedunculus cerebellaris über und treten ins Kleinhirn ein, wobei sich ihnen Teile des Hinterstrangs und auch olivozerebelläre Bahnen anschließen. Als Fibrae arcuatae externae, die manchmal an der Oberfläche der Medulla sichtar sind, verlaufen Axone von Neuronen der Nucll. pontis. Klinik: Aufgrund der topographischen Nachbarschaft zwischen den Hirnnervenkernen und den langen Bahnen des Hirnstamms rostral der Decussatio pyramidum führen Schädigungen in diesem Gebiet zu so genannten Alternanssyndromen. Diese sind durch umschriebene ipsilaterale Himnervenausfälle und kontralaterale periphere Lähmungen, Hemiparesen, gekennzeichnet, die meist nach vaskulären unilateralen Hirnstammläsionen auftreten. Durch eine nukleäre Läsion bedingt liegt der Hirnnervenausfall jedoch ipsilateral. Die durch Läsion der langen Bahnen zusätzlich auftretenden Symptome (in Abhängigkeit von der Einbeziehung kortikonukleärer Bahnen) imponieren hingegen auf der kontralateralen Seite. Die 4 häufigsten Alternanssyndrome sind das dorsolateral Oblongata-Syndrom, Wallenberg-Syndrom (ohne Hemiparese), das Syndrom des Mittelhirnfußes, Weber-Syndrom, das Syndrom des basalen Brü-
ckenfußes, Millard-Gubler-Syndrom, sowie das Syndrom der ventralen paramedianen Medulla Oblongata, Jackson-Syndrom.
5.2.7
Rückenmark, Medulla spinalis
Lernziele: Morphologie und Topographie der Medulla spinalis, regional typische Rückenmarksquerschnitte, laminare Gliederung nach Rexed, Coraua, Columnae, Tractus, Eigenapparat, Spinalnerv, segmentale Innervation
5.2.7.1 Übersicht Die Wirbelsäule bildet mit dem Wirbel- oder Spinalkanal, Canalis vertebralis, einen schützenden Raum für das Rückenmark mit seinen Häuten und Gefäßen. Er reicht vom Foramen magnum bis zum Hiatus sacralis, dem kaudalen Ende des Kreuzbeinkanales. Das Rückenmark hat eine Länge von ungefähr 50 cm und einen Durchmesser von bis zu 2 cm. Es endet beim Erwachsenen ungefähr in Höhe des 1. lumbalen Wirbelkörpers. Kaudal davon verlaufen die Wurzelfasern als Cauda equina zu ihren Austrittsorten aus dem Spinalkanal, den Foramina intervertebralia (s. Kap. 8.1.1, S. 632). Spinalkanal. Er wird von den Dorsalflächen der Wirbelkörper und der Zwischenwirbelscheiben sowie den Wirbelbögen gebildet (s. Kap. 8.1, S. 629). Durch die Bänder der Wirbelsäule ist er bis auf die ventral der Processus transversi vertebrae gelegenen Foramina intervertebralia abgedichtet, durch welche die Rückenmarksnerven, Nn. spinales, ein- bzw. austreten (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94). In der Hals- und Lendenregion ist der Kanal weit und besitzt im Lumen einen dreieckigen Querschnitt. In der Thorakalregion ist er hingegen eng und im Querschnitt kranial rund, nach kaudal queroval; auf der Höhe des Os sacrum ist er halbmondförmig.
5.2.7.2
Rückenmarksquerschnitte
Das Volumen der weißen Substanz nimmt von kaudal nach kranial fortlaufend zu, da immer mehr
424
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Cl Atlas
dorsal
ventral
Halswirbelsäule (Wirbel l-VII)
Halsmark (Segmente 1-8)
Intumescentia cervicalis Thl Brustmark (Segmente 1-12)
Costa II IV Dura mater spinalis mit Schnittrand
Brustwirbelsäule (Wirbel l-XIII
Schnittrand der Dura mater spinalis Lendenmark (Segmente 1-5)
lig. denticulatum
Sakralmark (Segmente 1-5)
Ganglion spinale
Intumescentia lumbalis
Lendenwirbelsäule (Wirbel l-V)
2
Steißmark (1 Segment)
Conus medullaris LI Kreuzbein (Wirbel l-V) Filum terminale Cauda equina
Steißbein (Wirbel H l l )
Abb. 5.60: L a g e b e z i e h u n g d e r R ü c k e n m a r k s s e g m e n t e zur W i r b e l s ä u l e . W i r b e l = r ö m i s c h e Z a h l e n ; R ü c k e n markssegmente und Spinalnerven = arabische Zahlen. Beachte die nach kaudal z u n e h m e n d e Höhendifferenz zwischen Rückenmarkssegment und zugehörigem Wirbelkörper
Filum durae matris spinalis
Abb. 5.59: R ü c k e n m a r k im W i r b e l k a n a l . D u r a s a c k v o n d o r s a l eröffnet u n d t e i l w e i s e entfernt
425
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Sulcus medianus posterior et /
Septum medianum posterius
/ Columna posterior
Funiculus lateralis ς \
\
—
Columna lateralis
—
Columna anterior
— Fissura mediana anterior Funiculus anterior --*=- — —
Sulcus lateralis anterior
Abb. 5.61: Weiße und graue Substanz des Rückenmarks
zervikal
Abb. 5.62: Querschnitt durch das Rückenmark in verschiedenen Höhen. Rostrai überwiegt die weiße Substanz. Rückenmarkssegmente, die viele Muskeln versorgen besitzen ein breites Vorderhorn: Zervikal: Schnitt durch den Übergang des 5. auf das 6. Zervikalsegment (C5-6) Thorakal: Schnitt in Höhe des 5. Thorakalsegments (Th5) Lumbal: Schnitt durch das 5. Lumbaisegment (L5) Sakral: Schnitt auf Höhe des Übergangs des 4. zum 5. Sakralsegment (S 4 - 5 )
aufsteigende sensible Bahnen den Faserumfang vermehren und absteigende motorische Fasern im Rückenmark enden. Ebenso verändert sich die Form der Schmetterlingsfigur der grauen Substanz auf unterschiedlichen Niveaus des Rückenmarks in Abhängigkeit der zu versorgenden Muskulatur: Zwischen den Segmenthöhen C4 und Th2 sowie L3 und S3 sieht man die Intumescentia cervicalis bzw. lumbalis (Intumescentia = Anschwellung), die die Masse an Fasern und Neuronen für die Extremitätenversorgung widerspiegelt (s. Abb. 5.59, 62). Durch den Ascensus medullae spinalis (s. Kap. 5.1.3) liegen die Intumescentiae weiter kranial als die Foramina intervertebralia, durch die die aus ihnen stammenden Spinalnerven den Wirbelkanal verlassen (s. Abb. 5.7).
5.2.7.3 Morphologie und Topographie des Rückenmarks Topographie. Das Rückenmark, Medulla spinalis, liegt im Wirbelkanal umgeben von der weichen Hirnhaut, die im Cavum subarachnoideale den Liquor cerebrospinalis enthält (s. Kap. 5.3.2). Das Rückenmark reicht beim Erwachsenen vom Foramen magnum bis etwa zum 1. oder 2. Lendenwirbelkörper (LWK), wo es als Conus medullaris ausläuft (s. Abb. 5.60). Je nach Körpergröße kann es bei Frauen auch bis zum 3. LWK, bei Kindern sogar bis zum 4. LWK reichen. Nach kaudal setzt es sich in einen nervenzellfreien, gliösen Endfaden, Filum terminale, fort, der am kaudalen Ende des Spinalkanals befestigt ist. Beidseits lateral des Filum terminale verlaufen die Wurzelfasem, Fila radicularia, nach kaudal, wobei sie in ihrer Gesamtheit einem Pferdeschwanz, Cauda equina, gleichen (s. Abb. 5.59, 63). Durch die Fissura
426
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
mediana anterior an der ventralen und den Sulcus medianus dorsalis (posterior) an der Dorsalseite des Rückenmarks werden die beiden symmetrischen Rückenmarkshälften markiert (s. Abb. 5.61). Spinalwurzeln und Spinalnerven. Zu beiden Seiten des Rückenmarks treten Nervenfasern dorsolateral ein und ventromedial aus. Die Hinterwurzeln, Radices posteriores, und die Vorderwurzeln, Radices anteriores, vereinigen sich seitlich zu 31 (32) Nervenpaaren (bei fehlenden oder zusätzlichen Wirbelkörpern entsprechend mehr bzw. weniger), Nn. spinales, die sich nach ca. 1 cm Länge in ihre Äste aufteilen (s. Kap. 2.6.5.1 mit Abb. 2.27, S. 94 und Abb. 5.6). In den Hinterwurzeln liegen im Bereich der Foramina intervertebralia und sacralia die Spinalganglien. Sie enthalten sensible pseudounipolare Nervenzellen. Der erste zervikale Spinalnerv besitzt meist kein oder nur ein rudimentäres Spinalganglion, denn der Ramus dorsalis des 1. Spinalnerven ist rein motorisch: N. suboccipitalis. Eine Wurzel setzt sich aus 5 bis 10 Wurzelfäden zusammen, den Fila radicularia. Die Fila radicularia radiéis posterions η. spinalis bestehen aus den Axonen der Spinalganglienzellen und treten ins Rückenmark ein (Radix sensibilis). Die Fila radicularia radiéis anterioris enthalten die austretenden Axone der a- und γ-Motoneurone und der viszeromotorischen (= vegetativen) Neurone der Columna lateralis (Radix motoria, die auch die vegetativen Fasern mitnimmt). Die Trennung der Faserqualitäten entspricht dem Bell-Magendie-Gesetz, wonach die vorderen Wurzeln motorisch und die hinteren sensibel sind. Erst durch die Bündelung der Nervenfasern zum Spinalnerven entstehen Nerven mit Fasern gemischter Qualitäten. Durch den Faseraustausch in den Plexus entsteht eine weitere Mischung hinsichtlich der segmentalen Herkunft der Axone im peripheren Nerven. Unterteilung. Die Spinalnerven werden von kranial den Wirbelsäulenteilen ihres Austritts entsprechend in Nn. cervicales, Nn. thoracici, Nn. lumbales, Nn. sacrales und Nn. coccygei unterteilt (s. Abb. 5.60, s. Kap. 2.6.5.1,S. 94): • 8 Halsnerven, Nn. cervicales, die sich aus den 8 Zervikalsegmenten (C1-C8) bilden; mit Wir-
•
•
•
•
belsäulendurchtritt des 1. Paars zwischen Os occipitale und Atlas und des 8. Paares zwischen dem 7. zervikalen und dem 1. thorakalen Wirbelkörper. 12 Brustnerven, Nn. thoracici, aus den 12 Thorakalsegmenten ( T h l - T h l 2 ) ; mit Austritt des ersten Paares zwischen dem 1. und 2. Thorakalwirbel. 5 Lendennerven, Nn. lumbales, die aus den 5 Lumbaisegmenten (L1-L5) stammen; Austritt des 1. Nervenpaares zwischen 1. und 2. Lumbaiwirbel. 5 Kreuzbeinnerven, Nn. sacrales, aus den 5 Sakralsegmenten (S 1-S5); Austritt des 1. Nervenpaares durch die oberen Foramina sacralia. 1 (2) Steißbeinnerv, N. coccygeus, aus dem Kokzygealsegment (Co 1 ); mit Austritt zwischen dem 1. und 2. Kokzygealwirbel, insofern diese Wirbel tatsächlich abgrenzbar sind und nicht als Blockwirbel vorliegen. Cave: Der Spinalnerv Cl tritt oberhalb des 1. zervikalen Wirbelkörpers aus, die Spinalnerven Thl und LI jeweils unterhalb des 1. thorakalen bzw. lumbalen Wirbelkörpers. Aufgrund des Rückenmarksaszensus projizieren sich die Rückenmarkssegmente nicht auf die zugehörigen Wirbelkörper, wobei diese Verschiebung nach kaudal zunimmt (s. Abb. 5.7). Eine Angabe wie „L5" kann deshalb missverständlich sein, da je nach Zusammenhang das Rückenmarkssegment L5, das etwa auf Höhe des 12. Brustwirbels liegt, oder der 5. Lumbalwirbel gemeint sein können.
Wurzelfäden. Die dorsalen Wurzelfäden treten in einer Linie, Linea radicularis posterior, in das Rückenmark ein. Die etwas dickeren Vorderwurzelfäden verlassen es hingegen in einer breiten Zone, Area radicularis anterior. Wegen der Längendifferenz zwischen Rückenmark und Wirbelsäule verlaufen die oberen Wurzelfäden innerhalb des Durasacks annähernd horizontal, während die unteren immer länger und steiler werdend fast vertikal verlaufen. Die unteren Sakralsegmente und das Kokzygealsegment liegen im Conus medullaris, also etwa auf Höhe des 1. Lumbaiwirbels. In ihrem gesamten Verlauf bis in die Foramina intervertebralia auch unterhalb des Conus medullaris werden die Wurzelfaden von Liquor umgegeben und von den Hirnhäuten umhüllt. Distal des Gan-
5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS
Radices nervi spinalis
A r a c h n o i d e a spinalis S p a t i u m subdurale "
—
(zwischen Dura m a t e r und Arachnoidea) Ganglionsensorium nervi spinalis
Conus medullaris
Filum terminale
- Dura mater spinalis
'
Cauda equina
Filum d u r a e m a t r i s spinalis
Os coccygis
Abb. 5.63: Cauda equina und kaudales Ende der Medulla spinalis in situ im eröffneten Wirbelkanal. Die Dura wurde aufgeschnitten, so dass im Subarachnoidalraum die Cauda equina und der Conus medullaris sichtbar sind
gl ion spinale geht die Dura ins Epineurium, die Arachnoidea ins Perineurium des Spinalnerven über (s. Kap. 5.3.2.2 und Abb. 5.63 und 5.72). Klinik: 1. Laterale Bandscheibenvorfälle (Hernien des Nucleus pulposus durch den Anulus fibrosus und den Bandaparat) treten meist einseitig an Stellen auf, an denen die Längsbänder der Wirbelsäule schwach ausgeprägt sind. Durch Druck auf die Spinalnervenwurzeln (s. Kap. 8.1.1, S. 632) rufen sie Schmerzen, Sensibilitätsausfalle im Dermatom (s. Kap. 2.6.5.4, S. 97) und Muskelschwächen der entsprechenden segmentalen Versorgung hervor. 2. Mediale Bandscheibenvorfälle, die aufgrund der Sicherung durch das Ligamentum longitudinale posterius relativ selten vorkommen, können nicht nur die Nervenwurzeln komprimieren, sondern auch das Rückenmark selbst. Geschieht dies am Conus medullaris und der Cauda equina, kommt es zu einer neurologischen Notfallsituation,
427
dem Konus-Kauda-Syndrom. Es ist neben einer „Reithosenanästhesie" von Miktions-, Defakations- und Sexualfunktionsstörungen sowie von radikulären motorischen und sensiblen Ausfällen bestimmt. Insgesamt ist ein isoliertes Konussyndrom jedoch selten und dann meist Folge eines intramedullären Tumors.
5.2.7.4 Graue und weiße Substanz des Rückenmarks Graue Substanz Im Rückenmarksquerschnitt hat die graue Substanz eine Η-Form und erinnert dabei an einen aufgespannten Schmetterling (s. Abb. 5.62 und 64). In der grauen Substanz des Rückenmarks liegen Projektions- und Interneurone, die innerhalb des ZNS verschaltet sind, sowie nach peripher projizierende Neurone. Die Projektionsneurone sind die Strangzellen in der Columna posterior (Abb. 5.65), deren Axone die aufsteigenden Tractus des Vorderseitenstrangs bilden. Die peripheren Neurone senden ihre Axone über die Vorderwurzel aus dem Rückenmark zum Spinalnerven, mit dessen Ästen sie ihr Innervationsgebiet außerhalb des ZNS erreichen. Die präganglionären sympathischen Neurone liegen in der Columna lateralis der Rückenmarkssegmente C8-L2, die präganglionären parasympathischen Neurone in der Columna lateralis der Segmente S2-S4. Schließlich sind die Interneurone in allen 3 Columnae zu finden (s. Abb. 5.102). Sie dienen dabei funktionell als Assoziations-, Kommissuren-, Reflex- oder Feedback-Zellen (Renshaw-Zellen der α-Motoneurone; siehe Lehrbücher der Histologie und Physiologie). Die im Querschnitt erkennbaren Kerngebiete oder Hörner, Cornua, entsprechen im Längsschnitt den Säulen, Columnae (Abb. 5.65): Hintersäule, Columna dorsalis, bzw. Hinterhorn, Cornu dorsale; Vordersäule, Columna ventralis, bzw. Vorderhorn, Cornu ventrale; seitliche Säule, Columna lateralis, bzw. Seitenhorn, Cornu laterale (nur im Brustmark sowie dem angrenzenden Hals- (C8) und Lendenmark (Ll-2)). Zentrales Verbindungsstück, bestehend aus dem Zentralkanal, Canalis centralis, mit der umgebenden Substantia grísea centralis.
428
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Sulcus medianus posterior Sulcus intermedius posterior
1
Fasciculus gracilis (Golii
χ
Fasciculus cuneatus (Burdach! Wurzeleintrittszone und Radix dori Fasciculus interfascicularis
Zona terminate
(Schultze-Komma)
Zona spongiosa -
- Nucl. proprius
Substantia gelatinosa — — Tr. corticospinals lat.
Nucleus dorsalis (Clarke-Säule)
(Pyramidenseiteristrangbahn)
Tr. spinocerebellaris dorsalis (Flechsig)
Tr. spinocerebellaris
"Tr. rubrospinalis
—
~Tr. vestibulospinal^
ventralis (Gowers)
lateralis
Substantia intermedia Tr. tectospinalis Radix ventralis
Tr. reticulospinal^ lat. 'Tr. olivospinalis (Helweg)
r
Fasciculus longitudinale medians
s
\
Fissura mediana anterior
\
Tr. vestibulospinalis anterior Tr. reticulospinalismed.
Tr. corticospinalis anterior (Pyramidenvorderstrangbahn)
Abb. 5.64: Querschnitt durch das Rückenmark. Es sind schematisiert links die Zellen und Zellgruppen der grauen Substanz, rechts die Strangzellen (blau), die Vorderwurzelzellen (rot) sowie die Assoziationszellen und Kommissurenzellen (schwarz) eingezeichnet. Die Felder der Rückenmarksbahnen sind als Umriss wiedergegeben. Assoziationszellen = vollschwarz; Kommissurenzellen = schwarz gestrichelt; blau = a: Neurit des Tractus spinocerebellaris posterior; b: Neurit des Tr. spinocerebellaris anterior; c: Neurit des Tr. s p i n o t h a l a m i c s lateralis; Gr. B: Grundbündel; O: ovalares Hinterstrangfeld. Die römischen Zahlen geben die aufsteigenden Bahnen, die arabischen Zahlen die absteigenden Bahnen an
•
Hinterhorn, Cornu posterius. Es wird insbesondere vom Nucl. proprius columnae posterions gebildet. Als weiteres großes Kerngebiet liegt die Columna dorsalis (Clarke-Säule) in Höhe C8-L2 an der Basis des Hinterhorns und entsendet den Tractus spinocerebellaris posterior zum Kleinhirn. Dem Nucl. proprius liegt dorsal die Substantia gelatinosa (Rolandi) an, der wiederum kappenartig die Substantia spongiosa folgt. Von der Oberfläche des Rückenmarks trennt der Tractus dorsalis (Lissauer) das Hinterhorn von der Redlich-ObersteinerWurzeleintrittszone ab (siehe Lehrbücher der Histologie). Zwischen dem Hinterhorn und dem Seitenhorn liegt die lockere Substanz der Formatto reticularis spinalis.
(Nucl. anteromedialis sowie Nucl. posteromedialis) und einer lateralen Kerngruppe (Nucl. anterolateralis, Nucl. posterolaterals sowie Nucl. retrodorsolateralis) bildet eine zentrale Kerngruppe des Halsmarks zusätzlich den Nucl. phrenicus (Motoneurone fur das Zwerchfell) und Nucl. accessorius. In der Versorgungsregion der oberen Extremität (C5-Thl) ist das Vorderhorn wegen der zu versorgenden Muskelmasse viel stärker differenziert als im Brustmark und nimmt im Lumbal- und Sakralmark (Beinmuskulatur) an Masse zu, wobei sich auch hier wieder vermehrt Kerngruppen für einzelne Muskeln differenzieren lassen. Die Gruppen der Motoneurone für proximale Muskeln liegen medial, für distale Muskeln lateral in der Columna anterior.
• Vorderhorn, Cornu anterius. Hier sind die motorischen Neurone in Kerngruppen angeordnet. Neben einer medialen Kerngruppe
• Seitenhorn, Cornu laterale. Es erreicht seine größte Ausdehnung im kaudalen Halsmark (C8 und Th2, Centrum ciliospinale mit prägang-
5.2 Allgemeine Topographie, Preparation und Bildgebung des Z N S
lionären Zellen für den Halsgrenzstrang und oberen thorakalen Grenzstrang. Insbesondere liegen hier die 1. Neurone zur Versorgung des M dilatator pupillae (s. Kap. 6.4.2, S. 588), die im Ganglion cervicale superius umgeschaltet werden, und mehrere Kerne mittelgroßer sympathischer Nervenzellen (s. Abb. 5.61, 62). Hierunter zählen die mediale Kerngruppe, Nucl. intermediomedialis (Interneurone), und die laterale Kerngruppe, Nucl. intermediolateralis (präganglionäre Neurone). Klinik: 1. Das Vorderhorn ist somatotopisch gegliedert, wobei die Zellen der medialen Kerngruppen die axiale Nacken-, Rücken-, Interkostal- und Abdominalmuskulatur versorgen. Die Zellen des Nucl. ventrolateralis im Halsmark versorgen hingegen die Extremitätenmuskeln von Schultergürtel und Oberarm, während die Zellen des Nucl. dorsolateralis die Extremitätenmuskulatur von Unterarm und Hand innervieren. Der Nucl. retrodorsolateralis versorgt die kleinen Fingermuskeln. Im ventralen Bereich des Vorderhorns liegen insbesondere Zellen für die Streck-, im dorsalen Bereich für die Beugemuskulatur. 2. Zusätzlich besteht eine höhenspezifische somatotope Gliederung. Dabei liegen Zellen für die Innervation des Schultergürtels höher als die für den Oberarm, gefolgt von Unterarm und Hand (s. Abb. 5.65). Die Kenntnis der Somatotopik des Rückenmarks lässt sich diagnostisch nutzen, um pathologische Prozesse des Wirbelkanals oder des Rückenmarks zu lokalisieren. Gliederung der grauen Substanz nach Rexed. Die regionalen Unterschiede von Häufigkeit und Verteilung der Zelltypen der grauen Substanz mit den markscheidenfreien Endverzweigungen der Nervenfasern, Telodendria, und ihren verschiedenen synaptischen Verschaltungstypen lassen histologisch eine charakteristische Zytoarchitektonik der grauen Substanz erkennen. Diese Lamination bildet die Grundlage der Rexed-Gliederung: Dabei werden 10 Laminae (LI- LX) in der grauen Substanz des Rückenmarks unterschieden, welche in Richtung von dorsal nach ventral klassifiziert werden (Abb. 5.65).
429
• Lamina I entspricht der Zona spongiosa (neue Terminologie: Nucl. marginalis), die die Waldeyer-Marginalzellen enthält. Sie ist der am weitesten dorsal gelegene Teil des Hinterhorns. • Lamina II ist die äußere Zone der Substantia gelatinosa, die besonders glasig erscheint, da große Neurone fehlen. Das Gewebe ist mit radiär auf die kleine Einbuchtung, Hilus, ausgerichteten Axonendigungen, Synapsen und Dendriten ausgefüllt. • Lamina III ist die innere Zone der Substantia gelatinosa, welche durch kleinere Interneurone bedingt etwas mehr körnig wirkt. • Lamina IV stellt den Hilus der Substantia gelatinosa dar; kleine und große Nervenzellen kommen hier nebeneinander vor. • Lamina V nimmt die engste Stelle, den Hals, des Hinterhorns ein. Die laterale Zone dieser Lamina enthält große Strangzellen mit reichlich Nissl-Substanz. Diese Strangzellen stellen sehr dendritenreiche Zellen der grauen Substanz dar, deren Neuriten in die weiße Substanz der gleichen oder der Gegenseite gelangen; sie steigen in den Seitensträngen des Rückenmarks auf oder geben Kollateralen ab, um als Tractus das Rückenmark mit dem Gehirn zu verbinden. Die großen Zellen der medianen Zone enthalten weniger Nissl-Substanz, so dass diese Zone in der Nissl-Färbung blasser erscheint. •
•
•
• •
Lamina VI bildet die Basis des Hinterhorns und ist in den Intumescentiae cervicalis et lumbalis besonders breit angelegt. Lamina VII stellt die mittlere Zone des Vorderhorns, Zona intermedia oder Substantia intermedia, dar. In ihr liegen die Kernsäulen der Motoneurone wie Inseln eingebettet vor. Lamina VIII ist ein medialer Teil des Vorderhorns und umschließt die Zellsäulen der Motoneurone der Rückenmuskulatur und die Nucll. commissurales. Der Aufbau dieser Lamina wird durch diejenigen Fasern bestimmt, welche die Motoneurone versorgen. Lamina IX umfasst alle Zellsäulen der multipolaren somatischen Motoneurone im Vorderhorn. Lamina X bildet das um den Zentralkanal gelegene Gebiet der Substantia grísea centralis.
430
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Abb. 5.65: Rückenmarksquerschnitt mit Somatotopik des Vorderhorns (rechts) und Gliederung der grauen Substanz in zehn Laminae nach Rexed (links)
Weiße Substanz Die graue Substanz ist von auf- und absteigenden Nervenfasern umgeben, welche sie wie ein weißer Mantel umkleiden. •
Gliederung Die weiße Substanz des Rückenmarks wird durch die Ein- bzw. Austrittszone der hinteren und vorderen Wurzelfasern in 3 Stränge, Funiculi, unterteilt: der Hinterstrang, Funiculus posterior; liegt zwischen dem Septum medianum posterius und der Linea radicularis posterior (bzw. der Hintersäule), der Seitenstrang, Funiculus lateralis, befindet sich zwischen den vorderen und hinteren Wurzelfasern, der Vorderstrang, Funiculus anterior, liegt zwischen den vorderen Wurzelfasern und der Fissura mediana anterior (s. Abb. 5.65).
Der Seitenstrang wird außerdem in einen Funiculus dorso(postero-)lateralis und in einen Funiculus ventro(antero-)lateralis unterteilt. Teilweise fasst man ihn auch mit dem Funiculus anterior zum Vorderseitenstrang zusammen (s. Kap. 5.4.6.3). Die innerhalb der Stränge verlaufenden Fasern mit gemeinsamem Ziel und gemeinsamer Funktion
werden entweder als Bündel, Fasciculi, oder als Bahnen, Tractus, bezeichnet (s. Abb. 5.66). Eigenapparat. Am Übergang von grauer zu weißer Substanz befinden sich die Grundbündel, Fasciculi proprii. Sie bestehen aus auf- und absteigenden Neuriten von Assoziationszellen, die den Eigenapparat des Rückenmarks bilden (s. Abb. 5.64). Durch den Eigenapparat werden komplexe Bewegungen schon auf Rückenmarksebene gesteuert und synchronisiert. In den Grundbündeln des Vorderstrangs sind die Neuriten lang und überbrücken große Rückenmarksabschnitte. Dabei verknüpfen sie mehrere Segmente. In den dorsolateralen Grundbündeln sind die Neuriten hingegen kürzer und ermöglichen dadurch eine relativ eigenständige Funktion der Segmente. Die von den Grundbündeln übermittelten exzitatorischen und inhibitorischen Impulse richten sich insbesondere an die motorischen Vorderhornzellen. Durch Ergebnisse vergleichender Untersuchungen an Vierfüßern, Quadrupeden, geht man davon aus, dass die Grundbündel für die Bewegungskoordination von oberen und unteren Extremitäten von großer Bedeutung sind.
431
5.2 Allgemeine Topographie. Präparation und Bildgebung des ZNS
Schultze-Komma
Phillippe-Gombault Triangel (sakral)
(zervikal) \
Flechsigsches ovales Feld (thorakal)
- S = sacral Tractus spinocerebellars dorsale Tractus corticospinalis
- L = lumbal Th=thoracal C « cervical
Vasokonstriktorenbahn
Tractus s p i n o c e r e b e l l a r ventralis
Abb. 5.66: Somatotope Gliederung der weißen Substanz des Rückenmarks, Ansicht von oben. 1. rezeptives Neuron und 2. Neuron, die Strangzellen der Vorderseitenstrangbahn, sind eingezeichnet. Die Grundbündel (Fasciculi proprii) rechts punktiert (Schema nach O. Förster und M. Clara). Im Hinterstrang sieht man zum Eigenapparat gehörende rekurrente Faserbündel, die sakral die Phillippe-Gombault Triangel, thorakal das ovale Flechsig-Feld und zervikal das Schultze-Komma bilden, die hier zur Vereinfachung gemeinsam in einem Schnitt dargestellt wurden
Auf die Grundbündel folgen nach außen die langen Leitungsbahnen (Tractus). Im Hinterstrang befinden sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aufsteigende Bahnen. Im Vorderseitenstrang kommen auf- und absteigende Bahnen gemeinsam vor. Alle Bahnen werden zusammen mit den dazugehörigen Systemen in Kapitel 5.4 detailliert besprochen.
5.2.7.5 Segmentale Gliederung des Rückenmarks Spinalnerv. Die motorischen Vorder- und die sensiblen Hinterwurzeln des Rückenmarks vereinigen sich während der gemeinsamen Strecke durch das Foramen intervertebrale und bilden den etwa 1 cm langen Spinalnerven des jeweiligen spinalen Segments (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94 und Kap. 5.1.3). Der Spinalnerv teilt sich nach Durchtritt durch das Foramen intervertebrale in einen vorderen Ast, Ramus anterior, der seine Richtung fortsetzt und einen hinteren Ramus posterior, der nach dorsal umbiegt und die autochthone Rückenmuskulatur innerviert (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94, Kap. 8, S. 629). Radikuläre sensible Hautinnervation und periphere sensible Hautinnervation. Aus einem Segment wird ein für den jeweiligen Spinalnerven charakteristisches Gebiet versorgt (s. Abb. 5.67), wozu
neben der sensiblen Versorgung der Haut (Dermatom) auch die Muskel- und Eingeweideinnervation gehört. Da durch die Plexusbildung der Rami ventrales ein peripherer Nerv Fasern verschiedener Segmente fuhrt und umgekehrt Fasern aus einem Segment in verschiedenen Nerven verlaufen, sind Dermatome und Innervationsgebiete bestimmter peripherer Nerven nicht deckungsgleich. Folglich unterscheidet man: Radikuläre oder segmentale sensible Hautinnervation und periphere sensible Hautinnervation Sowohl die Dermatome als auch die sensiblen Innervationsgebiete eines Nervs überlappen sich an ihren Rändern. Das ausschließlich von einem bestimmten Hautnerven innervierte Areal bezeichnet man als Autonomiegebiet. Klinik: 1. Bei Sensibilitätsstörungen wird das ausgefallene Areal genau bestimmt, um dann zu überprüfen, ob es dem Dermatom eines Segmentes oder dem Autonomiegebiet eines Nerven entspricht. Auf diese Weise können segmentale Störungen (z. B. bei Bandscheibenvorfall, s.Kap. 8.2.1, S. 638) von peripheren Nervenläsionen (z. B. Engpasssyndromen wie Einklemmung des N. medianus im Canalis
432
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Extensoren
CI5I6-8
C(6)7-T1
Flexoren ai1)2-4
Flexoren
L5-S2
Abb. 5.67: Vereinfachte Darstellung der Segmentgrenzen (Dermatome) mit muskulären Versorgungsgebieten (unten rechts); nach April (1997) und P. Duus (1990). Im Gesicht ist die Versorgung durch d e n N. trigeminus (V. Hirnnerv) dargestellt
carpi: Karpaltunnelsyndrom, s. Kap. 9.2.9, S. 760) unterschieden werden. 2. Ebenso wie jeder sensiblen Wurzel ein Hautdermatom zugeordnet werden kann, so kann vielen motorischen Wurzeln ein Leitmuskel zugeordnet werden, der sich mehr oder weniger vollständig aus dem
Myotom dieses Segmentes entwickelt hat (siehe Abb. 5.67). Durch Testung der adäquaten Muskeleigenreflexe (z. B. Bizepssehnenreflex für C5/6 oder Patellarsehnenreflex für L3/4) können Schäden daher auf segmentaler Ebene lokalisiert werden.
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
• Head-Zonen. Über die Rami communicantes der Rückenmarksnerven entstehen segmentale Zuflüsse zu und aus dem autonomen Nervensystem. Durch die gemeinsame Verschaltung somatosensibler und viszerosensibler Signale in den Segmenten können Schmerzreize, Algesie, oder eine Überempfindlichkeit, Hyperästhesie, aus den Eingeweiden in dem entsprechenden Hautdermatom empfunden werden. Teilweise lassen sich bestimmte Hautareale bestimmten inneren Organen zuordnen: Head-Zonen (s. Kap. 2.6.5.4, S. 97). Diese Zuordnung ist fur
5.3
die Diagnostik sowie für physiotherapeutische Behandlungsmethoden unentbehrlich. So stellt ζ. B. die Segmenttherapie eine Reizbehandlung erkrankter innerer Organe dar, welche auf der Nutzung kutiviszeraler Reflexe basiert, die sich aus der segmentalen Gliederung des Körpers ergeben. Entsprechende Methoden sind die Reflexzonenmassage (Bindegewebs-, Nervenpunkt- oder Periostmassage), die Applikation thermischer und elektrotherapeutischer Reize sowie die lokale Anästhetikainfiltration.
Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
Lernziele: Leptomeninx (weiche Hirnhaut): Pia mater und Arachnoidea mater; Pachymeninx (harte Hirnhaut): Dura mater: Liquor cerebrospinalis: Bildung und Resorption, Räume und Zisternen, Liquorpunktion; Circulus arteriosus cerebri (Willisii), Sinus durae matris, Gefäßund Nervenversorgung der Hirn- und Rückenmarkshäute
5.3.1
433
Übersicht
Gehirn und Rückenmark füllen die knöchernen Höhlen des Schädels und der Wirbelsäule nicht vollständig aus, sondern sie sind von Häuten umgeben und in einer Flüssigkeit gelagert. Hierdurch ist die empfindliche Nervensubstanz von Gehirn und Rückenmark vor Erschütterungen geschützt. Liquor cerebrospinalis (kurz: Liquor, lat. liquidus: flüssig). Der Liquor füllt die Hohlräume im und um das ZNS. Der das ZNS umgebende Flüssigkeitsraum wird als äußerer Liquorraum bezeichnet. Er ist mit dem von den Ventrikelräumen, Aquädukt und Canalis centralis des Rückenmarks, gebildeten inneren Liquorraum durch 3 Öffnungen, Aperturae, im IV. Ventrikel verbunden. Klinik: 1. Die Kenntnis der topographischen Lage der Liquorräume und der Blutgefäße zu
den Häuten des Gehirnes ist wichtig fur das Verständnis zahlreicher Erkrankungen, wie intrakranieller Blutungen und Hydrocephalus, sowie diagnostischer Eingriffe, ζ. B. der Liquorpunktion und verschiedenen Anästhesieverfahren. 2. Es gibt Störungen der Bildung und Resorption des Liquors, die zu neurologischen Erkrankungen fuhren können. Der Druck im Liquorraum unterliegt großen physiologischen Schwankungen, so dass der diagnostische Wert einer einmaligen Druckmessung gering ist. Eine solche Liquordruckmessung erfolgt, wie die normale Liquorpunktion, am liegenden Patienten. Dabei werden eine entsprechend weite Kanüle und ein Steigrohr verwendet, so dass puls- und atemsynchrone Schwankungen sichtbar werden können (Normwerte: 65-195 m m H , 0 oder 5-15 mmHg).
5.3.2 Hirn- und Rückenmarkshäute, Meninges Der das Gehim nach außen begrenzenden Membrana limitons gliae superficialis liegt die Pia mater auf, die das innere Blatt der weichen Hirnhaut, Leptomeninx, darstellt. Das äußere Blatt wird als Arachnoidea mater bezeichnet, die über das Neurothel in die Dura mater übergeht. Zwischen Pia mater und Arachnoidea mater liegt der äußere Liquorraum, Sub-
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arachnoidealraum, Spatium subarachnoideum, der an Orten, an denen Gehirn und umgebende Knochen inkongruent verlaufen, zu Zisternen erweitert wird. Die Dura bildet an bestimmten Stellen Duplikaturen, in denen sich die Sinus durae matris befinden. Über diese erfolgt der venöse Abfluss aus dem Gehirn. In diese Sinus reichen Ausstülpungen der Arachnoidea mater, Arachnoidealzotten, hinein, welche für den Abfluss des Liquors wichtig sind.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
5.3.2.1 Die Hüllen des Gehirns Arachnoidea mater und Pia mater, Leptomeninx Einteilung. Die weiche Hirnhaut, Leptomeninx, gliedert sich in 2 Blätter: •
Das äußere Blatt ist die der Dura mater anliegende Arachnoidea mater, • das innere Blatt die der Oberfläche des Gehirns unmittelbar folgende Pia mater.
Neurothel
Arachnoidea
Trabecule archnoidealis Spatium subarachnerideui mit Liquor cerebrospinalis Pia mater Membrana limitans gliae superficialis Astrozyten (bilden Membrana limitan superficialis und pervase Makrophage (perivaskuläre Zelle) Membrana limitans gliae perivaskulärer Raum (Virchow-Robin)
Perizyt
Endothelzelle
Gefäßlumen
perivaskuläre Zellen
Neuropil
Abb. 5.68: Schematische Darstellung der Ultrastruktur der Hirnhäute mit den Virchow-Robin-Räumen Gelb Subarachnoidal-perivaskulärer Raum mit Liquor. Blau Basalmembranen auf der Membrana limitans gliae perivascularis et superficialis und um Perizyten Rot Blutgefäße Grau Neuropil Zwischen der Basalmembran der Glialimitans und der Blutgefäße liegt der liquorgefüllte Virchow-Robin-Raum. In der Tiefe verschmelzen die Basalmembranen, der Raum existiert dort nicht mehr (*).
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
• Aufbau der Leptomeninx. Die Oberfläche des zentralnervösen Gewebes wird von der Membrana limitans gliae superficialis abgeschlossen. Diese besteht aus einer dichten Schicht von Zellfortsätzen von Astrozyten und einer darauf liegenden Basalmembran, welche die äußerste Begrenzung des ZNS darstellt. Auf dieser Basalmembran befindet sich dann das zarte Bindegewebe der Pia mater. Die flachen Bindegewebszellen der Pia mater können in mehreren Lagen iibereinanderliegen, zwischen und über denen viele Makrophagen vorkommen. Die Pia mater folgt der Oberfläche in jede Vertiefung hinein, während die Arachnoidea mater als äußeres Blatt der Leptomeninx Vertiefungen und Krümmungen in großem Bogen überbrückt. Zwischen beiden Blättern liegt so der liquorgefullte Subarachnoidalraum, Spatium subarachnoideum. Er wird von zahlreichen bindegewebigen Bälkchen, Trabeculae arachnoideae, durchzogen, welche die Pia und Arachnoidea mater verbinden. Die Trabeculae geben der Arachnoidea mater (= spinnengewebeähnliche Hüllschicht) den Namen, weil sie wie Spinnweben radial verlaufen. Die Arachnoidea mater geht über das so genannte Neurothel in die Dura mater über, von der sie sich jedoch leicht trennen lässt. Dura und Arachnoidea geben also das Innenrelief der Schädelkapsel wieder, während die Pia mater das Außenrelief des Gehirns nachzeichnet. • Virchow-Robin Räume (s. Abb. 5.68). Die Pia mater folgt auch den Blutgefäßen, die von der Oberfläche ins Gehirn eintreten. Zwischen einer das Gefäß umgebenden Basalmembran und der die Gehirnoberfläche begrenzenden Membrana limitans gliae entstehen so die mit pialen Zellen und etwas Liquor aufgefüllten Virchow-Robin-Räume. Sie bleiben mindestens bis in den präkapillären Raum erhalten. Dann wird die Basalmembran der Blutgefäße direkt von der Membrana limitans gliae perivascularis eingehüllt. Sie besteht wie die Membrana limitans gliae superficialis aus astrozytären (aber auch aus einigen) mikroglialen Fortsätzen.
435
Die Virchow-Robin-Räume stellen eine Verbindung des leptomeningealen Bindegewebes und des äußeren Liquorraums mit tief im Gehirnparenchym gelegenen perivaskulären Zonen dar, so dass die Makrophagen der weichen Hirnhaut unschwer in diese Bereiche vordringen können. Die Makrophagen der Virchow-Robin-Räume werden auch als perivaskuläre Zellen bezeichnet. Sie scheinen eine wichtige Rolle bei der Antigenpräsentation im ZNS wahrzunehmen. • Zisternen. Da die Arachnoidea über ihre Verbindung mit der Dura dem Relief der Schädelkapsel folgt, variiert die Breite des zwischen ihr und Gehirn gelegenen Subarachnoidalraumes beträchtlich. Sie schwankt zwischen einigen Millimetern und mehreren Zentimetern an solchen Orten, an denen die Gehirnoberfläche starke Krümmungen vom Schädel weg aufweist. So entstehen die klinisch wichtigen Zisternen, die also Erweiterungen des liquorgefullten Subarachnoidalraumes darstellen. Die wichtigsten Zisternen sind (s. Abb. 5.69): •
•
• •
• •
•
•
Cisterna cerebellomedullaris: zwischen Kleinhirnunterseite und Medulla oblongata über dem Foramen magnum. In sie mündet die Apertura mediana ventriculi quarti (Magendi). Aus ihr kann durch eine Subokzipitalpunktion Liquor gewonnen werden. Cisterna corporis callosi verläuft über dem Balken und geht rostral über in die an der Hirnbasis gelegene Cisterna chiasmatis, welche das Chiasma opticum umschließt. Sie geht über in die Cisterna interpeduncularis, die die Fossa interpeduncularis erfüllt. Lateral davon beginnt die Cisterna ambiens, die beidseits um die Crura cerebri herumreicht und dorsal übergeht in die Cisterna venae cerebri magnae (Cisterna quadrigeminalis), die die Vierhügelplatte und die Epiphyse umgibt. An der Hirnbasis folgt die Cisterna pontis, in die im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels beidseits die Aperturae laterales ventriculi quarti (Luschkae) münden und so den inneren Liquorraum (Ventrikel) mit dem äußeren Liquorraum (Subarachnoidealraum) verbinden. Schließlich liegt die Cisterna fossae lateralis cerebri (Inselzisterne) zwischen Insel und den die Inselrinde
436
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Corpus callosum.
s
Recessus suprapinealis
Fornix •>.
Sinus sagittalis superior in der Falx
Adhaesio interthalamica
V. cerebri magna
Commissura anterior — — Ventriculus tertius
Cisterna v. cerebri magnae
—
Aquaeductus cerebri
Cisterna chiasmatis Recessus infundit "
Sinus rectus im First des Tentorium cerebelli Ventriculus quartus Aperta mediana ventriculi quarti Cisterna cerebellomedullai Falx cerebelli Hypoptiysis \
A. basilaris
Cisterna interpeduncularis
Abb. 5.69: Die Hirnventrikel (dunkelblau) und ihre Verbindung mit dem Cavum subarachnoideale grau) auf einem Medianschnitt des Kopfs. Falx am Rand der Sinus entfernt
bedeckenden Abschnitten des Frontal-, Parietal und Temporallappens. In der Inselzisterne verlaufen die Aa. insulares aus der A. cerebri media. Dura mater cranialis (encephali), Pachymeninx • Aufbau der Dura mater. Die dünne Neurothelschicht verbindet die Arachnoidea mit dem straffen kollagenen Bindegewebe der Dura mater (lat. durus = hart, fest), welche auch als Pachymeninx (gr. pachys = stark, derb, meninx = Hirnhaut) bezeichnet wird. Neurothel und Dura mater sind nur unvollständig verklebt, so dass leicht Spalträume entstehen können. Die Dura mater wiederum ist fest mit dem Periost der Schädelknochen verwachsen oder ist untrennbarer Bestandteil des inneren Periosts. So besteht normalerweise weder ein Subduralraum, zwischen arachnoidealem Neurothel und Dura mater, noch ein Epiduralraum, zwischen Dura mater und Schädelknochen. Die Dura selbst ist eine derbe, reißfeste, sehnig glänzende Haut, welche die Schädelkapsel auskleidet (s. Abb. 5.17). Durch 3 Duplikaturen, in denen große venöse Blutleiter, die Sinus durae
(hellblau und
matris, verlaufen (s. Abb. 5.70 und Kap. 5.3.4.3, S. 451), unterteilt sie den Schädelinnenraum und gibt dem Gehirn Halt. • Bildungen der Dura mater cranialis 1. Falx cerebri ist eine in der Mediansagittalebene gelegene Duraplatte, welche die Großhirnhemisphären bis nahezu herunter zum Balken trennt (s. Abb. 5.18). Sie ist rostral an der Crista galli, dorsolateral an den Rändern des Sulcus sagittalis und der Protuberantia occipitalis interna befestigt und geht über in das mehr horizontal sich ausbreitende 2. Tentorium cerebelli. Es liegt in der Fissura transversa und trennt so die Okzipitallappen des Großhirns vom darunter liegenden Kleinhirn. Im Giebel, wo die Falx cerebri das Tentorium cerebelli anhebt, verläuft der Sinus rectus zum Confluens sinuum auf der Protuberantia occipitalis interna (s. Abb. 5.69, 70). Das Tentorium cerebelli ist jeweils lateral an der Felsenbeinoberkante und rostral an den Processus clinoidei anteriores befestigt. Zwischen linkem und rechtem Ansatzpunkt und dem Giebel bleibt eine enge Lücke zum Durchtritt des Hirnstamms, die Incisura tentoni, die also supra- und infratentoriellen Raum verbindet.
437
5 . 3 Hirn- u n d R ü c k e n m a r k s h ä u t e , V e n t r i k e l r ä u m e u n d G e f ä ß v e r s o r g u n g d e s Z N S
3. Falx cerebelli. Sie ist eine inkonstante kleine Duraplatte kaudal des Tentorium cerebelli, welche die Kleinhirnhemisphären unvollständig abtrennt und den Sinus occipitalis umschließt. 4. Cavum trigeminale (Meckeli). Auf der Vorderseite der Felsenbeinpyramide bildet die Dura beidseits eine abgeflachte Tasche aus, die die austretenden Fasern des N. trigeminus begleitet: das Cavum trigeminale, welches das Ganglion trigeminale (Gasseri) umkleidet. 5. Diaphragma sellae. Eine horizontale Duraplatte bedeckt als Diaphragma sellae die Fossa hypophysialis des Türkensattels und wird vom Hypophysenstiel (Infundibulum) durchbohrt. Lateral des Türkensattels bildet die Dura beiderseits den Sinus cavernosus aus. Durch ihn werden die Pulsationen der A. carotis interna in ihrem Verlauf durch den Sulcus caroticus wie durch ein Polster aufgefangen. Beachte die durch die Wand des Sinus cavernosus hindurch ziehenden Hirnnerven (s. Abb. 5.49). Klinik: Die Kenntnis des topographischen Verlaufs der Hirnnerven III, IV, V2 in der Dura V. meningea media
und VI frei im Sinus cavernosus ist wichtig, um neurologische Komplikationen bei Läsionen in diesem Bereich verstehen zu können. • Arachnoidalzotten, Granulationes arachnoideae, (s. Abb. 5.71). Durch die Dura ragen in die großen venösen Sinus, insbesondere in den Sinus sagitallis sup. entlang der Falx, die Arachnoidalzotten hinein. Diese Zotten stellen liquorgefiillte Ausstülpungen der Arachnoidea ins venöse Blut der Sinus dar und spielen eine wichtige Rolle bei der Resorption des Liquor cerebrospinalis. Sie können auch die in den einzelnen Schädelknochen liegenden DiploëVenen erreichen und werden dann als Pacchioni-Cranulationen bezeichnet. An der fixierten Leiche lässt sich die Dura relativ leicht vom Knochen trennen. Wenn man die Dura unter Schonung der darunterliegenden Arachnoidea mit dem von ihr umhüllten Liquorraum schlitzt, sieht man in den physiologisch nicht vorhandenen Subduralraum hinein (s. Abb. 5.17, 71).
V. temporalis profunda
Vv. diploicae temporales
V. temporalis superficialis
V. emissaria parietali , , - Sinus sagittalis superior "
Sinus cavernosus
" Vv. cerebri superiores — - Sinus sagittalis inferior
V. supratrochlearis — - V . diploica occipitalis
V. ophthalmica superior- -
— V cerebri magna, Sinus rectus
V. angularis
~~ - V occipitalis
V. ophthalmica inferior''
-Confluens sinuum
Plexus pterygoideus-
~~ "Sinus petrosus sup. et inf
V. facialis — "
-Sinus transversus
Plexus pharyngeus — "
- - Sinus occipitalis
V. comitans n. XII — —
^ - Sinus sigmoideus
V. jugularis interna - —
^Plexus venosus vertebralis internus et externus ^ V . cervicalis profunda
V. jugularis externa -- " V. brachiocephalica
vertebralis "" - V. subclavia
Abb. 5.70: Die S i n u s d u r a e matris. S c h e m a d e r w i c h t i g s t e n V e r b i n d u n g e n d e r intrakraniellen ( b l a u ) mit d e n extrakraniellen ( s c h w a r z g e s t r i c h e l t ) V e n e n . 1. Fissura orbitalis superior. 2. Fissura orbitalis inferior. 3. F o r a m e n ovale. 4. F o r a m e n s p i n o s u m . 5. F o r a m e n l a c e r u m . 6. C a n a l i s c a r o t i c u s . 7. F o r a m e n j u g u l a r e . 8. C a n a l i s h y p o g l o s s i . 9. V. e m i s s a r i a c o n d y l a r i s . 10. V. e m i s s a r i a m a s t o i d e a . Vgl. a u c h A b b . 5 . 7 9
438
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Dura mater zurückgeschlagen Subduralraum, durch eine Sonde markiert
Granulationes arachnoideae
Venae cerebri superiores (Brückenvenenl feine Spinngewebshaut (Arachnoidea); erst unter dieser Hirnhaut befindet sich der Liquor cerebrospinalis und füllt den Subarachnoidalraum aus
Abb. 5.71: Granulationes arachnoideae. Ansicht des Gehirns von oben; Blick auf die Arachnoidea. Im physiologischen Zustand ist der Subduralraum (Sonde) nicht vorhanden. Einzig die Brückenvenen verlassen den Subarachnoidalraum, um in den Sinus sagittalis superior zu drainieren (vgl. Abb. 5.17) Klinik: Eine Vernarbung der Leptomeningen, wie sie z. B. als Zustand nach einer Meningitis auftreten kann, fuhrt (wahrscheinlich wegen einer Schädigung der Arachnoidealzotten) zu Liquorresorptionsstörungen und damit zum Druckanstieg im Schädelinneren. Das Krankheitsbild bezeichnet man deshalb als Hydrocephalus aresorptivus (gr. hydor = Wasser, kephale = Kopf). •
Gefaßversorgung der Hirnhäute
Arterien. In den weichen Hirnhäuten sind ausschließlich Äste der hirnversorgenden intrakraniellen Blutgefäße (Äste des Circulus arteriosus) zu finden (s. Kap. 5.3.4). Demgegenüber liegen in der Dura mater die meningealen Arterien, welche auch Äste zum Diploë-Knochenmark abgeben. Die Dura mater hat 3 Arterien: die kleine A. meningea anterior aus der A. ethmoidalis anterior, die wichtige A. meningea media aus der A. maxillaris und die kleine A. meningea posterior aus der A. pharyngea ascendens. Venöser Abfluss. Er erfolgt über die Vv. diploicae und die Vv. emissariae (s. Abb. 5.70, s. Kap. 4.10.1, S. 250).
Klinik: Die Topographie der Blutgefäße zu den Hirnhäuten erklärt die Symptomatik von Blutungen. 1. Epidurale Blutungen entstehen durch mechanisch verursachte Risse zumeist der A. meningea media. Da sich die Dura durch den arteriellen Druck erst langsam vom Schädelknochen ablösen muss, besteht zunächst ein beschwerdefreies Intervall. Die Blutung dauert so lange an, bis die Dura entsprechend stark gespannt ist, um dem systolischen Blutdruck zu widerstehen. Dieser Prozess kann bei Kindern wegen der Elastizität der Dura relativ lange dauern, so dass die Einklemmung von großen Hirnarealen gegen Falx und Tentorium droht. Eine schnelle Eröffnung des Schädelknochens, eine Notfalltrepanation, kann deshalb therapeutisch zur Druckentlastung nötig werden. 2. Subdurale Blutungen entstehen durch Abriss der Brückenvenen (s. u.). Dies kann bei älteren Menschen spontan geschehen. Bei Kindern treten sie gehäuft durch Schütteln des Körpers und Schläge auf. Bei Erwachsenen sind subdurale Blutungen häufig Folge von Beschleunigungsoder Bremsmanövern beim Verkehrsunfall (Rückstoß durch Airbag), wenn der Kopf abrupt hin- und hergerissen wird. Die resultierenden
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS
venösen Sickerblutungen fuhren oft zu einem langen beschwerdefreien Intervall, welches graduell in Bewusstseinstrübungen übergehen kann. 3. Eine subarachnoideale Blutung entsteht durch Einriss der basalen intrakraniellen Gefäße vor dem Eintritt ins Gehirn. Häufig sind angeborene oder erworbene (Arteriosklerose) Gefäßaussackungen, Aneurysmen (gr. aneuryno = erweitern), und/oder Bluthochdruck, Hypertonie, die Ursache. Da es dann unter dem systolischen Blutdruck zu einer fast ungehinderten Einblutung in den Liquorraum kommt, verläuft die Symptomatik äußerst akut. Zumeist steht ein schlagartig beginnender Vernichtungsschmerz mit Bewusstseinsstörung und Erbrechen am Anfang. Je nach Blutungsort kann es zu fokalen neurologischen Ausfällen kommen. Innervation der Hirnhäute. Dura und Pia mater sind im Gegensatz zum Gehirn gut sensibel und vegetativ innerviert. Die sensible Innervation erfolgt aus allen 3 Ästen des Ν. V, aus den Nn. IX und X. Die vegetativen Versorgungswege sind recht kompliziert: Die Fasern des Sympathicus stammen aus den Ganglien des Halsgrenzstrangs und verlaufen zusammen mit den Arterien. Parasympathische Fasern werden von folgenden Hirnnerven abgegeben: Rr. meningei des N. ophthalmicus, Ν. maxillaris, Ν. mandibularis, Ν. glossopharyngeus und N. vagus. Vereinfacht kann man sich folgendes sensibles Innervationsschema merken: vordere Schädelgrube: Rr. meningei aus dem N. ethmoidealis ant. (N. VI), mittlere Schädelgrube: Rr. meningei aus Nn. VI und V2, hintere Schädelgrube: Rr. meningei aus Nn. IX und X. Klinik: 1. Kopfschmerz ist meist Duraschmerz, der aus der sensiblen Innervation der Dura erfolgt. 2. Eine Reizung vegetativer Neurone fuhrt zu einer Dilatation der meningealen Blutgefäße, die für die Entstehung der Migräne und anderer Kopfschmerzformen verantwortlich gemacht wird. Dabei wird u. a. Serotonin freigesetzt, dessen Antagonisierung an bestimmten Serotoninrezeptoren zur Schmerztherapie erfolgreich angewendet wird.
439
5.3.2.2 Hüllen des Rückenmarks Auch das Rückenmark ist von 3 Häuten, der Dura mater spinalis, der Arachnoidea mater spinalis und der Pia mater spinalis, umgeben. Anders als im Gehirn besteht jedoch zwischen dem Durasack und dem knöchernen Spinalkanal ein breiter Raum, der mit Fett und Venen ausgefüllte Epiduralraum. • Topographie der Rückenmarkshäute (s. Abb. 5.59, 72). Die Dura mater teilt sich am Foramen magnum in 2 Blätter, von denen das dünnere äußere das Periost des Wirbelkanals bildet, während das dickere innere Blatt als Sack den äußeren Liquorraum und das Rückenmark enthält. Zwischen den beiden Blättern der Dura liegt der mit Fettgewebe und vielen großen Venen (.Plexus vertebralis internus) gefüllte Epiduralraum, Spatium epidurale, der in der Klinik auch als Periduralraum bezeichnet wird (aufgrund seiner Lage zwischen 2 Durablättern müsste er streng genommen lnterduralraum heißen). Zwischen Arachnoidea mater spinalis und Pia mater spinalis befindet sich der Subarachnoidalraum. • Durataschen. Die große subarachnoideale Cisterna lumbalis füllt den durch die wachstumsbedingte relative Verkürzung des Rückenmarks frei gewordenen Teil des Wirbelkanals (s. Abs. 1.3) zwischen dem Ende des Rückenmarks, also kaudal des Conus medullaris auf der Höhe der Wirbelsegmente L I - 2 , und dem Ende des Durasacks auf der Höhe der Os sacrum (S2-3) aus. Dort verjüngt sich der Durasack zum Filum terminale durae matris, welches am 1. Steißbeinwirbel befestigt ist (s. Abb. 5.63). Vom Durasack gehen segmental sackförmige Ausstülpungen, Recessus durae matris spinalis, bis in die Foramina intervertebralia ab. Sie umhüllen die vordere und die hintere Wurzel sowie das Spinalganglion und gehen in die bindegewebige Nervenscheide, Epi- und Perineurium, über. Diese Durataschen verankern den Durasack auch in der Frontalebene. Zusätzlich erfolgt eine Befestigung durch epidurales Bindegewebe, das Durasack und Periost des Wirbelkanals verbindet. Das Rückenmark ist durch die in der Mitte zwischen Vorder- und Hinterwurzel liegenden, von der Pia gebildeten Ligg. denticulata freischwebend im Durasack aufgehängt).
440
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Plexus venosus vertebralis internus \
Cavumepidurale
A. spinalis posterior \
Dura mater
Periost (äußeres Durablatt)
\
, Arachnoidea
R. spinalis a. intercostalis \
. Cavum s u b a r a c h n o i d a l Pia mater Radix dorsalis Lig. denticulatum Ggl. spinale (im Durasac Ν. spinalis
For. inter-
Radix ventralis
vertebrale —
A. spinalis anterior
Rr. communicantes
A. sulcocommissuralis
Abb. 5.72: Die Hüllen und Arterien des Rückenmarks. Querchnitt durch den Wirbelkanal in Höhe des 2. Brustwirbels. Links ist die Wurzeltasche geöffnet
Klinik: Zur Darstellung intraspinal raumfordernder Prozesse, wie den Rückenmarkstumoren, oder zur Diagnostik der Bandscheibenvorfälle bedient man sich neben den modernen CT- und MRT-Verfahren auch besonderer Röntgenaufnahmen nach Kontrastmittelinjektion in den epi-, subduralen oder subarachnoidealen Raum: Myelographie (gr. myelös = Mark; graphein = schreiben, darstellen). Dabei lassen sich eventuelle Konturunterbrechungen bis zum Kontrastmittelstopp im Spinalkanal wie auch unvollständige oder fehlende Füllungen der Wurzeltaschen nachweisen. Gefäße und Rückenmarkhäute Arterien und Venen des Rückenmarks (s. Kap. 5.3.4.2, S. 450) versorgen auch die Häute. Innervation der Rückenmarkshäute. Die sensible Innervation der Dura und des Periosts erfolgt über die Rr. meningei der Spinalnerven (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94), die rückläufig durch die Foramina intervertebralia ziehen. Sie teilen sich in einen auf- und einen absteigenden Ast, welche sich mit benachbarten Ästen zu einem Geflecht verbinden.
Klinik: 1. Entzündungen der Meningen fuhren zum klinisch beeindruckenden Bild des Meningismus. Der Patient ist nackensteif und versucht jede Bewegung zu vermeiden, da die gereizte Dura sonst heftigste Schmerzen hervorruft. Dieser Bewegungsschmerz läßt sich klinisch durch Kopf- (Brudzinski-Zeichen) oder Beinanhebung (Lasègue-Zeichen) auslösen. 2. Bei der Epiduralanästhesie (= Periduralanästhesie) wird in das peridurale Fettgewebe ein Lokalanästhetikum injiziert, das dann die Spinalnerven im gewünschten Areal betäubt. Bei der Spinalanästhesie wird dagegen der Subarachnoidealraum mit einer Nadel erreicht. Um zu verhindern, dass das Anästhetikum aufsteigt und dann lebensnotwendige Zentren ausschaltet, ist eine besondere Lagerung sowie ein hohes spezifisches Gewicht des Anästhetikums notwendig. 3. Bei der diagnostischen Lumbalpunktion wird zur Liquorgewinnung ebenfalls der Subarachnoidealraum punktiert. Dies geschieht kaudal des Conus medullaris im Bereich der Cauda equina, um Verletzungen des Rückenmarks zu verhindern. Üblicherweise wird am sitzenden, nach vorne gebeugten Patienten eine Nadel unterhalb
441
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS
des 4. Lendenwirbeldorns durch das kräftige Lig. interspinale sowie das ventral davon liegende Lig. flavum gestoßen (s. Kap. 8.1.4, S. 635). Die Punktionsnadel wird dann weiter durch den Epiduralraum und den Durasack in den Subarachnoidealraum (also den äußeren Liquorraum) gefuhrt.
5.3.3
Ventrikelsystem
Lernziele: Ventrikel. Liquor cerebrospinalis, Plexus choroideus, Apertura mediana ventriculi quarti (Magendii), Aperturae laterales ventriculi quarti (Luschkae) Allgemeine Übersicht •
Innerer Liquorraum (s. Abb. 5.73). Die Ventrikel des Gehirns mit dem Aquädukt und der beim Erwachsenen oft obliterierte Zentralkanal des Rückenmarks bilden den inneren Liquorraum. Er ist von einem Ependym ausgekleidet. Die Form der Hirnventrikel spiegelt die Wachstums-
Cornua anteriora
Foramina interventricularia
I I I Λ /I
Ventriculus
Partes
tertius
centrales
prozesse der Hirnbläschen aus dem Neurairohr wider. Das gilt auch für den Plexus choroideus, der durch das embryonale Wachstum des Telencephalonbläschens einmal am Dach und einmal am Boden der Seitenventrikel zu liegen kommt (s. Kap. 5.1.4, S. 363, Abb. 5.14, Tab. 5.1, S. 382). Das Ependym stellt in der Entwicklungsgeschichte die Proliferationszone der Zellen des ZNS dar, und es mehren sich experimentelle Hinweise, dass von dort aus auch beim Erwachsenen eine Neubildung von Gliazellen und Neuronen erfolgen kann (Stammzellen). • Plexus choroideus. Das in die Ventrikel hineinragende Adergeflecht bildet den Liquor cerebrospinalis, der als klare, eiweiß- und zellarme Flüssigkeit in einer Menge von etwa 150 ml innere und äußere Liquorräume ausfüllt. Da insgesamt ca. 500 ml Liquor am Tag gebildet werden, wird das Volumen etwa dreimal täglich ausgetauscht. Nach der Bildung in den Seitenventrikeln gelangt er über die Foramina interventricularia in den III. Ventrikel und von dort über den Aquaeductus mesencephali (Sylvii) in den IV. Ventrikel. Der Abfluss erfolgt über die Apertura mediana ventriculi quarti (Magen-
1 I
\ \
Recessus suprapineal / / /
Recessus pineaiis /
/
/
^Abdruck des x
χ
Plexus choroideus
Comua posteriora
— Aquaeductus cerebri
Adhaesio interthalamica Commissure anterior'
Recessus opticus '
/
/
Ventriculus quartus
/ Chiasma opticum
j
\
/
\
Recessus infundibuii
Cornua inferiora
Abb. 5.73: Darstellung der Hirnventrikel (Ausgusspräparat)
\ Recessus laterales ventriculi quarti
442
dii) und die paarigen Aperturae laterales ventriculi quarti (Luschkae) in die Zisternen des äußeren Liquorraums. Schließlich wird der Liquor über die Granulationes arachnoideae ins Venensystem und über die Durataschen der Hirnnerven und Spinalnerven auch ins Lymphsystem abgeleitet. Durch Interzellularräume im Ependym besteht ein Austausch mit der interstitiellen Flüssigkeit des Gehirns, weshalb sich Neurotransmitter auch im Liquor nachweisen lassen. Mit dem Blutraum ist dagegen kein ungehinderter Austausch möglich (Blut-Hirnund Blut-Liquorschranke s. u.). Einteilung der Ventrikel A m Ventrikelausgusspräparat (s. Abb. 5.73) lassen sich die äußeren Konturen der Ventrikel darstellen. Man unterscheidet die telenzephalen Seitenventrikel, den dienzephalen Ventriculus tertius und den rhombencephalen Ventriculus quartus. Vor Einführung des cCT und MRT wurden die Ventrikel luftgefullt im traditionellen Röntgenbild zur Darstellung gebracht: Pneumencephalographie (gr. pneuma = Luft; enkephalon = Gehirn). Seitenventrikel, Ventriculi laterales. Sie werden auch als I. (links) und II. (rechts) Ventrikel bezeichnet und ziehen als bogenförmige Hohlräume durch alle Lappen des Endhirns. Die Seitenventrikel sind wie folgt gegliedert: •
Cornu anterius (oder frontale). Es ist im Frontalschnitt dreieckig, beginnt am Foramen interventricular und dringt etwa 3 cm weit in den Stirnlappen vor. Das Dach wird vom Corpus callosum, die mediale Wand vom Septum pellucidum und den Columnae fornicis und die laterale Wand vom Caput nucl. caudati gebildet. Das Cornu anterius enthält keinen Plexus choroideus. Der Übergang des großen Cornu anterius in die abgeflachte Pars centralis wird radiologisch als Thalamustaille bezeichnet.
•
Pars centralis (oder parietalis). Sie ist etwa 4 cm lang, liegt im Scheitellappen und reicht vom Foramen interventricular bis in die Höhe des Splenium corporis callosi, wo sie sich in das Hinter- und das Unterhorn fortsetzt. Sein Dach stellt der Balken dar, die laterale Wand wird vom Corpus des Nel. caudatus gebildet. Ihren Boden bilden der Thalamus bedeckt von der Lamina affixa sowie Corpus und Crus fornicis. Am Eck-
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
punkt zwischen lateraler Wand und Boden liegt die Stria terminalis. Vom Boden aus stülpt sich der Plexus choroideus ventriculi lateralis in den Ventrikel vor (s. Abb. 5.25). • Cornu posterius (oder occipitale). Dieses erstreckt sich individuell unterschiedlich weit in den Hinterhauptslappen hinein. An seiner medialen Wand wölbt sich der Calcar avis als Einbuchtung des Sulcus calcarinus vor (s. Abb. 5.24, 25). • Cornu inferius (oder temporale), 3 - 4 cm lang, erstreckt sich in einem nach laterokaudal gerichteten Bogen in den Schläfenlappen, dessen Pol es sich bis auf 2 cm nähert. An seiner medialen Wand erhebt sich der mächtige Längswulst des Hippocampus, über dem die schmale Fimbria hippocampi verläuft. Zwischen ihr und dem Dach (gebildet von der Cauda nuclei caudati) stülpt sich der Plexus choroideus gegen den Ventrikel vor (s. Abb. 5.25). Cornu anterius und Cornu posterius entstehen erst mit der Ausbildung des Stirn- und Hinterhauptslappens. Nur die Pars centralis und das Cornu inferius besitzen als die älteren Abschnitte einen Plexus choroideus. Dritter Ventrikel, Ventriculus tertius. Er stellt einen median gelegenen spaltförmigen Raum dar, der rostrolateral durch die Foramina interventricularia mit den Seitenventrikeln und dorsal durch den Aquaeductus mesencephali (Sylvii) mit dem IV. Ventrikel in Verbindung steht. Das dünne epitheliale Dach, die Tela choroidea ventriculi tertii, spannt sich zwischen den Striae medulläres der beiden Thalami aus (s. Kap. 5.2.5.4, S. 404). Aus der auf ihr liegenden Schicht weicher Hirnhaut stülpen Blutkapillaren die dünne Epithellage gegen den Ventrikel vor und bilden so den Plexus choroideus ventriculi tertii, der am Foramen interventriculare in den Plexus choroideus der Seitenventrikel übergeht. Die Wände des III. Ventrikels setzen sich wie folgt zusammen (vgl. z. B. Abb. 5.29, 30, 36, 39, 50, 69): •
Seitenwände. Sie werden dorsal vom Thalamus und ventral vom Hypothalamus gebildet, die durch den Sulcus hypothalamicus getrennt sind. Im vorderen Teil sind sie meist (in ca. 50 %) durch die Adhaesio interthalamica verbunden, die aus Gliazellen besteht und somit keine neuronale Kommissur darstellt.
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
Boden. Der dünnwandige Boden besteht aus dem Chiasma opticum, dem Tuber cinereum, den Corpora mamillaria und der Substantia perforata posterior. Hinter dem Chiasma ist er zum Recessus infundibuli, vor ihm zum Recessus opticus ausgebuchtet, in dessen lateraler Wand der Nucl. supraopticus liegt. • Vorderwand. Sie ist schmal und wird von der dünnen Lamina terminal is, der Commissura anterior und den Columnae fornicis gebildet. • Hinterwand. Sie ist ebenfalls schmal und zeigt den Recessus pinealis und den Recessus suprapinealis. Der Wandabschnitt zwischen dem Corpus pineale und der Area praetectalis (Eingang in den Aquaeductus mesencephali) ist durch die Fasern der Commissura posterior verdickt. Der vordere, zwischen den Foramina interventricularia gelegene Teil des III. Ventrikels gehört entwicklungsgeschichtlich zum Endhirn.
oberen Kleinhirnstielen, Pedunculi cerebellares superiores. Es beginnt rostral mit dem Velum medulläre superius, das bis zum Dachgiebel, dem Fastigium, reicht. Der anschließende dorsale Teil wird von dem schmalen Velum medulläre inferius und der dünnen Tela choroidea ventriculi quarti gebildet. Diese wölbt sich, von Ependym überzogen, gegen den Ventrikelraum als Plexus choroideus ventriculi quarti vor.
•
Aquaeductus mesencephali (cerebri). Er verbindet III. und IV. Ventrikel miteinander und ist der engste Teil des Ventrikelsystems. Er durchzieht das Mittelhirn und wird ventral vom Tegmentum und dorsal von der Vierhügelplatte, Tectum, begrenzt. IV. Ventrikel, Ventriculus quartus. Er hat einen rautenförmigen Boden, ein zeltförmiges Dach und liegt im Rhombencephalon. •
•
Den „Boden" (die Bezeichnung erfolgt aufgrund der Lage der Hirnstammachse und meint hier die vordere Wand) bildet die Rautengrube (s. Kap. 5.2.6.2 und Abb. 5.50, 58). An seiner breitesten Stelle ist der Ventrikel zu den nach ventral abbiegenden Recessus laterales ventricidi quarti ausgebuchtet, die zum Kleinhirnbrückenwinkel zeigen (s. Abb. 5.69 und 5.73). Die freien Enden der Recessus laterales ventriculi quarti münden mit den Aperturae laterales ventriculi quarti (Luschkae) in das Cavum subarachnoideale (Cisterna pontis). Ein kleiner Teil des Plexus choroideus ventriculi quarti stülpt sich durch die Aperturae laterales nach außen. Wegen der roten Farbe der blutgefullten Plexusgefäße wird dieser an der äußeren Hirnoberfläche sichtbare Teil des Plexus choroideus auch BochdalekBlumenkörbchen genannt (beim fixierten Gehirn ist die rote Farbe allerdings meist nicht mehr zu erkennen). Das Dach. Es ist abgeknickt und besteht aus dem Kleinhirn und aus den lateral liegenden,
443
•
Plexus. Er ist paarig, hat beiderseits die Form eines Winkels. Rechter und linker Plexus bilden zusammen eine M-Form. An der Vereinigungsstelle der beiden Plexus liegt die Apertura mediana ventriculi quarti (Magendii). Sie stellt eine Verbindung zwischen dem Ventrikelsystem und der Cisterna cerebelhmedullaris her.
Die Topographie der Ventrikel und ihrer begrenzenden Strukturen können Sie sich in den MRT- und cCT-Bildern in Kapitel 5.2.4 verdeutlichen. Klinik: Nicht nur wenn der Aqueductus cerebri ζ. Β. durch Tumoren eingeengt ist, sondern auch wenn die Aperturae ventriculi quarti verlegt sind (ζ. B. bei Meningitis), können die Ventrikel durch den gestauten Liquor zum Hydrocephalus internus ausgeweitet werden.
5.3.4
Gefäßversorgung von Gehirn und Rückenmark
Lernziele: Aa. carotides internae, Aa. vertebrales, A. basilaris. Circulus arteriosus (Willisii); Λ. spinalis anterior aus den Aa. vertebrales, der A. subclavia, den Aa. intercostales sowie der A. radicularis magna (Aorta abdominalis). Vv. cerebri superiores. Sinus durae matris. Vv. basalis (Rosenthalii), Vv. internae cerebri. V. cerebri magna (Galeni), Plexus vertebralis
5.3.4.1 Arterien des Gehirns 2 paarige Arterien, die Aa. carotides internae und die Aa. vertebrales, die einen Circulus arteriosus cerebri bilden, versorgen das Gehirn.
444
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
1. Circulus arteriosus cerebri (Willisii), Abb. 5.74
Klinik: 1. Die A. communicans ant. aus dem Circulus arteriosus stellt ein wichtiges Kollateralgefaß dar, um die Durchblutung beider Hirnhemisphären auch im Falle eines Gefäßverschlusses oder einer hochgradigen Stenose der A. carotis interna (klinisch oft abgekürzt: ACI) aufrechtzuerhalten. Hierbei kommt es zu einer Füllung des Kreislaufs durch die kontralaterale, intakte A. carotis int.: Crossfilling. 2. Das Crossfilling lässt sich mittels transkranieller Doppler-Sonographie nachweisen. Die Kompensation einer Stenose durch Crossfilling ist auch eine Erklärung dafür, dass viele Verschlüsse der A. carotis interna asymptomatisch bleiben können.
Die beiden Aa. vertebrales (aus der A. subclavia, s. 10.7.2.1.2, S. 881) vereinigen sich am Oberrand der Medulla oblongata zur A. basilaris, die dem Pons entlang verläuft, bis sie sich am Übergang in die Fossa interpeduncularis in die beiden Aa. cerebri posteriores aufteilt. Sie werden durch die paarige, den Sehnerv unterkreuzende A. communicans posterior mit den Karotiden verbunden, die wiederum über die Aa. cerebri anteriores durch die unpaare, rostral des Chiasma opticum gelegene A. communicans anterior kommunizieren. So wird ein an der Hirnbasis gelegener Gefäßring, der Circulus arteriosus cerebri (Willisii), geschlossen. Er muss den Blutbedarf des sehr empfindlichen Gehirns auch bei Schwankungen des Bedarfs und der Zufuhr sicherstellen. Der Circulus arteriosus cerebri und seine Äste liegen geschützt im Flüssigkeitspolster des liquorgefullten Subarachnoidalraums (s. Abb. 5.74).
R. frontalis a. cerebri-.
anteriori:
Die A. carotis interna verläuft von lateral betrachtet von der Schädelbasis bis in den Sinus cavernosus in einer S-Form, die am Sinus als Karotissiphon bezeichnet wird (s. Abb. 5.78, 79).
^ Corpus callosum
—
Bulbus olfactorius- — __ Tractus olfactorius — A. cerebri anterior -
^ . A. communicans anterior
·*'
^ A. cerebri anterior mit Rr. centrales - Rami corticales a. cerebri mediae
__ A. cerebri media mit ~~ Rr. centrales _ — A. choroidea anterior
Chiasma opticum A. carotis interna Infundibulum, R. hypophysialis Corpus mamillare,N. oculomotorius Substantia perforata — posterior Rami ad pontem " Α. basilaris _ - Ν. abducens Nn. VII. Vili, IX. Χ " " Ν. hypoglossus'
- A. communicans posterior. Tuber cinereum A. cerebri posterior, N. trocblearis - R . choroideus a. cerebri posterions - A. cerebelli superior N. trigeminus A. labyrinthi, Nn. facialis, intermedius, vestibulocochlearis ' A. cerebelli inferior anterior - N. vagus, Oliva
A cerebelli inferior posterior' A. vertebrali
2. A. carotis interna und ihre Äste
N. accessorius ^
A. spinalis anterior
Abb. 5.74: Basalansicht d e s Gehirns mit den Zerebralarterien (Circulus arteriosus cerebri in situ). Teile d e s linken Stirn- und Schläfenlappens sind entfernt, um die A. cerebri anterior und media und den Plexus choroideus d e s Unterhorns darzustellen
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS
Verlauf Die A. carotis interna gibt noch im Sinus cavernosus je ein Ästchen zur Hypophyse und zum Ganglion trigeminale ab und tritt lateral des Chiasma opticum durch die Dura. Diese Lagebeziehung erklärt den Ausfall der nicht kreuzenden, im Chiasma lateral verlaufenden Opticusfasern bei einem Karotisaneurysma. Unterhalb des Sehnervs gibt sie die A. ophthalmica zur Augenhöhle ab. Ein größerer Ast dringt als A. choroidea anterior in das Unterhorn des Seitenventrikels ein und versorgt den Plexus choroideus der Seitenventrikel (der auch aus der A. cerebri post, über Rami choroidei versorgt wird). Schließlich teilt sie sich in ihre Endäste, die Aa. cerebri anterior und media. Zusammen mit der rückläufigen A. recurrens (Heubneri) geben die 3 letztgenannten Gefäße kleinere Äste ab, die durch die Substantia perforata anterior (Kap. 5.2.2.4 und Abb. 5.26) ins basale Telencephalon eindringen. Diese ziehen als Rami centrales senkrecht aufwärts zum Thalamus, Nucl. caudatus, Nucl. lentiformis sowie zur Capsula interna (Versorgungsgebiete auch der nachfolgend besprochenen Arterien: s. Abb. 5.75-77). Klinik: Den Ramus centralis, der über die Außenfläche des Linsenkerns, Nucl. lentiformis, hinweg die innere Kapsel versorgt, bezeichnet man auch als Arterie der Gehirnhämorrhagie. Bei der häufigen Ruptur dieses Gefäßes (blutiger Insult) werden die Bahnen der inneren Kapsel komprimiert, wodurch eine Lähmung der motorischen Bahnen entsteht (s. Abb. 5.75). Größere Stammganglieninfarkte und Stammganglienblutungen bewirken schwer wiegende Halbseitenlähmungen ohne Arm- oder Beinbetonung. Typischerweise fuhren diese „subkortikalen" Läsionen nicht zu neuropsychologischen Ausfallen (wie z. B. aphasischen oder apraktischen Störungen). Hauptäste I> A. cerebri anterior. Sie zieht über den N. opticus schräg medialwärts zur Fissura longitudinalis cerebri, wo sie über die kurze A. communicans anterior mit der A. cerebri ant. der kontralateralen Seite eine Verbindung besitzt. Sie folgt dann als A. pericallosa der Rundung des Balkens und versorgt den Cortex der medialen Hemisphärenfläche des Lobus frontalis und
445
parietalis bis zum Sulcus parietooccipitalis. Die A. callosomarginalis versorgt noch über die Mantelkante hinweg einen ca. 1 cm breiten Streifen der Konvexität, der im Gyrus praecentralis das motorische Feld für die unteren Gliedmaßen enthält. Klinik: In ihrem Verlauf über den Balken sind A. cerebri anterior (und A. pericallosa) in der angiographischen anterior-posterioren Aufnahmen nur für ein kurzes Stück vor dem Genu corporis callosi zu sehen, bevor sie einen zum Strahlenverlauf parallelen Weg über das Corpus callosum nehmen. Durch leichte Neigung des Kopfes zur Brust kann der Verlauf besser dargestellt werden (s. Abb. 5.78). O A. cerebri media. Sie wendet sich als unmittelbare Fortsetzung von der A. carotis interna aus nach lateral und zieht über die Substantia perforata anterior hinweg zur Fossa lateralis cerebri, wo sie sich in 2 bis 4 Äste teilt, welche die Konvexität der Großhirnhemisphären (mit Ausnahme des Okzipitallappens und eines schmalen Streifens an der Mantelkante) und den oberen Schläfenlappenrand versorgen. 10-20 Aa. centrales anterolaterals durchbrechen die Substantia perforata anterior und ziehen zum Thalamus, zum Nel. caudatus, Nel. lentiformis und zur Capsula interna. In einigen Fällen entspringt auch die A. choroidea anterior aus der A. cerebri media. Der Abgang liegt dann etwas weiter distal (s. Abb. 5.74). Klinik: 1. Durchblutungsstörungen im Versorgungsgebiet der A. cerebri media sind die häufigste Ursache von ischämischen Hirninfarkten. Bei Verlegung der A. cerebri media kommt es zu einem weitgehenden Ausfall des sensomotorischen Rindenfelds mit geringer Beteiligung der unteren Gliedmaßen (entsprechend der somatotopischen Gliederung des Homunculus). 2. Eine Durchblutungsstörung im Bereich der dominanten Gehirnhemispäre führt zum Ausfall der Sprachzentren. t> A. communicans posterior. Sie verläuft nach dorsomedial und stellt jederseits die Verbindung zwischen A. carotis interna und A. cerebri posterior her. Diese schickt zahlreiche feine Rami centrales durch die Substantia perforata poste-
446
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark Gebiet der A. cerebri anterior
A. cerebri anterior
Nucleus caudatus Nucleus caudatus. Thalamus
Putamen ·
Gebiet der A. cerebri media
w
- Claustrum
A. cerebri m e d i a n e " Putamen
Globus pallidas Rami centrales a. cerebri / mediae et a. cerebri anteriore
Gebiet der A. cerebri posterior
1 A. cerebri media
A. cerebri anterior
\ Gebiet der A. choroidea anterior
Abb. 5.75: Die arterielle V e r s o r g u n g d e s G r o ß h i r n e s auf Frontalschnitten. R e c h t e r Schnitt d u r c h d i e Mitte d e s T h a l a m u s , linker Schnitt w e l t e r rostral, d u r c h N u c l . c a u d a t u s u n d P u t a m e n
rior (s Kap. 5.2.2.4) zum Tegmentum mesencephali und zu den Crura cerebri. Über feine Äste versorgt sie die basalen Teile des Striatums und des Thalamus und mit der A. choroidea posterior den Plexus choroideus des III. Ventrikels. Das der A. choroidea post, zugeleitete Blut stammt zum größeren Teil aus der A. basilaris bzw. den Aa. vertebrales, jedoch nur zu einem geringeren Teil aus der A. communicans posterior. 3. A. vertebralis und ihre Äste •
Die A. vertebralis (s. Kap. 10.7.2.1.2, S. 881) durchbohrt die Membrana atlantooccipitalis posterior und die Dura mater und gelangt durch das Foramen magnum in die Schädelhöhle, wo sie sich mit jener der Gegenseite an der Grenze zwischen Brücke und Medulla oblongata zur Α. basilaris vereinigt (s. Abb. 5.31, 74). Vorher gibt sie noch folgende Äste ab:
[> die kleine A. spinalis anterior rückläufig zum Rückenmark und D> die A. cerebelli inferior posterior. Sie versorgt v. a. den Nucl. dentatus des Kleinhirns und dessen Unterseite sowie ein Gebiet der dorsolateralen Medulla oblongata in der Umgebung der Olive.
4. A. basilaris und ihre Äste Die Arterie versorgt t> mit der A. cerebelli inferior anterior die Unterund Seitenfläche des Kleinhirns, O mit zahlreichen Rr. ad pontem (auch Aa. pontis) den medialen Teil des Pons und der Medulla oblongata, [> mit der A. labyrinthi zum Porus acusticus internus das Innenohr, D> mit der A. cerebelli superior die obere Fläche des Kleinhirns. [> A. cerebri posterior. Schließlich gabelt sich die A. basilaris vor der Brücke in die rechte und linke A. cerebri posterior. Diese Arterien stellen durch die A. communicans posterior die Verbindung zum Stromgebiet der A. carotis interna her, wenden sich dann um die Pedunculi cerebri zur Facies inferior hemispherii cerebri, versorgen hier den gesamten Okzipitallappen mit der Sehrinde und bis auf den Schläfenpol die basale Fläche des Schläfenlappens (s. Abb. 5.76 und Abb. 5.77; die klinisch wichtigen Versorgungsgebiete der Hirnarterien sind auch in Abb. 5.75 schematisch abgegrenzt).
447
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
Gyrus frontalis superior Gyrus postcentrals
Ramus posterior sulci lateralis
Gyrus praecentralis
Sulcus centralis
Gyrus frontalis medius Gyrus temporalis superior Gyrus temporalis medius
Abb. 5.76
Sulcus centralis
Corpus callosum Fornix
Septum pellucidum
- Sulcus cinguli
- Sulcus panetooccipitalis
Commissura anterior -Cuneus Uncus
— Sulcus calcarinus
Abb. 5.77: Die arterielle Versorgung des Cortex cerebri (Fades superolateralis). Weiß = A. cerebri media, hellblau = A. cerebri anterior und dunkelblau = A. cerebri posterior Klinik: 1. Durchblutungsstörungen im Bereich der A. cerebri post, fuhren zu Gesichtsfeldausfallen (s. Kap. 5.4.2.3). Die röntgenologische Darstellung der Hirnarterien nach Einfuhrung eines Kontrastmittels, Artériographie (auch als digitale Subtraktionsangiographie, DSA, möglich), gestattet ihre Beobachtung hinsichtlich topographischer Lage und funktionellem Verhalten (Spasmen, Aneurysmen, Verdrängungen durch Geschwülste usw.) am lebenden Patienten (s. Abb. 5.78, 79). 2. Mittlerweile sind solche Gefäßdarstellungen auch im Magnetresonanztomogramm als Angio-MR möglich. Dabei können die entstandenen Bilder in der digitalen Computerbearbeitung beliebig im Raum gedreht
und dreidimensional rekonstruiert werden. 3. Mangeldurchblutung (Ischämie): Die Aste der Aa. cerebri sind funktionelle Endarterien. Ein lokales thrombotisches Gerinnsel oder ein Embolus (ein durch die Blutbahn verschleppter Gefaßpfropf) führen zu einem lokalen Gefäßverschluss und zum Ausfall der von diesem Gefäß versorgten Zentren distal des Verschlusses: Territorialinfarkt. Eine Mangeldurchblutung, durch Blutdruckabfall und Atherosklerose bedingt, fuhrt dagegen in den Grenzzonen zwischen den Versorgungsgebieten zweier Endäste („Areal der letzten Wiesen") zu Ausfallerscheinungen: Hämodynamischer Infarkt. Wird die Durchblutung schnell wieder hergestellt, sind die Ausfälle
448
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
A. cerebri ant. (A. pericallosal
A. cerebri ant.
Äste der A. cerebri media
A. ophthalmica
Α.carotis int. im Sinus cavernosus {„Siphon")
A. carotis int. im Canalis caroticus
A. cerebri ant. (A. pericallosa)
Aufzweigungen der A. cerebri media im Inselbereich
Aa. centrales
A. cerebri ant.
A. cerebri media
A. ophthalmica
A. carotis int. im Sinus cavernosus(„Siphon"I
Α. carotis int im Canalis caroticus
Abb. 5.78: Karotisarteriogramm. Röntgenologische Darstellung der Arteria carotis interna durch Kontrastmittelfüllung (Digitale Subtraktionsangiographie), Seitenaufnahme (oben) und anterior-posteriore (a.-p.)-Aufnahme. Vor allem im a.-p.-Bild sind die beiden Endäste der A. carotis int. gut zu differenzieren, während sich ihre Stämme in Seitenansicht übereinander projizieren. Die A. cerebri ant. kann hier an ihrem geschwungenen Verlauf um den Balken herum erkannt werden. Der hintere, ausgesparte Hirnbezirk entspricht dem Versorgungsgebiet der Aa. vertebrales
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5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
Siitus sagittalis su
Vv cerebri sup Brückenvenen"Ì
V cerebri i n t
V cerebri magna
Sinus cavernosus
Sinus transversus
'β- —
Confluens simium
Sinus sigmoideus
Sinus occipitalis
Sinus sagittalis sup.
Sinus sagittalis inf. V. cerebri magna (Baleni)
Confluens sinuum
Sinus transversus
Sinus sigmoideus
Sinus cavernosus
V jugularis int
Abb. 5.79: Röntgenologische Darstellung der Gehirnvenen und der Sinus durae matris (Phlebogramm), Seitenaufnahme (oben) und a.-p.-Aufnahme. Es handelt sich um spätere Aufnahmen aus der selben Untersuchung wie in A b b . 5.78. Hier ist das Kontrastmittel über die Kapillaren bereits in die Venen abgeflossen. Die Seitenaufnahme ist zeitlich kurz vor der a.-p.-Aufnahme angefertigt, weshalb sich hier die oberflächlichen Venen besser, Sinus sigmoideus und Vena jugularis int. aber noch nicht oder nur flau darstellen
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5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
nur temporär: Transitorische Ischämische Attacke (TIA). Gelingt die Wiederherstellung eines ausreichenden Blutflusses nicht, droht der dauerhafte Funktionsverlust des betroffenen Gebietes: ein kompletter Schlaganfall, Ischämischer Insult. 4. Als Schlaganfall bezeichnet man aber auch ein durch Einblutungen entstandenes neurologisches Krankheitsbild: Hämorrhagischer Insult, der meist Himmassenblutungen entspricht. Hinsichtlich der klinischen Symptomatik können zerebrale Ischämie und Hirnblutung jedoch nicht sicher voneinander unterschieden werden. Die Diagnose wird mit Hilfe der cerebralen Computertomographie (cCT) gestellt. Einblutungen sind oft Folge eines Bluthochdrucks und können prinzipiell alle Strömungsabschnitte der arteriellen Bahn betreffen. Dabei treten sie gehäuft im Stromgebiet der A. cerebri media auf. In der Klinik werden die hirnzufiihrenden Arterien oft abgekürzt. Gebräuchliche Abkürzungen sind ζ. B. A.c.c. = Arteria carotis communis, A.c.i. = Arteria carotis interna, A.c.e. = Arteria carotis externa, A.c.a. = anteriore Cerebralarterie, M.c.a. = mediale Cerebralarterie, P.c.a. = posteriore Cerebralarterie oder V.a. = Vertebralarterie. 5.3.4.2 Arterien des Rückenmarks Das Rückenmark wird arteriell aus verschiedenen Quellen versorgt: aus den Aa. vertebrales und den Aa. intercostales aus der Aorta descendens. Oberhalb von Th3 tragen auch kleinere Äste der A. subclavia (aus dem Truncus thyround costocervicalis) zur Versorgung bei. Die Arterien treten durch die Foramina intervertebralia in den Wirbelkanal ein.
Abb. 5.80: Blutzufuhr zu den Rückenmarkssegmenten über die Arteria spinalis anterior (nach P. Duus, 1990)
> Zuflüsse aus der A. vertebralis. Die Aa. vertebrales geben in Höhe der Decussatio pyramidum jeweils einen nach basal verlaufenden Ast ab. Diese beiden Äste vereinigen sich zur A. spinalis anterior (s. Kap. 10.7.2.1.2, S. 881), die am Vorderrand der Fissura mediana anterior verläuft (s. Abb. 5.80). Sie gibt zahlreiche Äste, Aa. sulcocommissurales, in die Tiefe der Fissura anterior ab. Im Zervikal- und Thorakalmark treten sie dort alternierend links und rechts ins
Rückenmark ein, während sie sich im Lumbalund Sakralmark in 2 Äste teilen. 0 Zuflüsse aus den Aa. intercostales. Aus diesen Segmentarterien treten Rr. spinales durch die Foramina intervertebralia hindurch, um sich mit den Spinalwurzeln in ventrale und dorsale Äste zu teilen (s. Abb. 5.81). Von den ursprünglich angelegten 31 segmentalen Spinalarterien erreichen nur etwa 4-10 das Rückenmark. Die übrigen versorgen die Spinalganglien, die Radices dorsalis et ventralis sowie die Rückenmarkshäute (s. Kap. 10.5.3, S. 819).
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S
451
Processus
Abb. 5.81: Zuführende Blutwege zum Rückenmark (nach Kahle, 1991)
\> Zuflüsse aus der A. radicularis magna. Meist über die zweite lumbale Wurzel erreicht, von links oder rechts kommend, eine größere Arterie, die A. radicularis magna, das Lumbaimark. Sie entstammt den Arteriae lumbales, dorsalen Ästen der Aorta abdominalis, und teilt sich in einen aszendierenden und deszendierenden Ast, der die A. spinalis anterior darstellt. Diese ist also eine Anastomose zwischen der A. vertebralis und der A. radicularis magna. Anastomosen zwischen Ästen der A. spinalis anterior und den mit der dorsalen Wurzel ans Rückenmark herantretenden Ästen bilden zahlreiche Gefäßschlingen um das Rückenmark. Klinik: 1. Bei Verschluss der A. spinalis anterior kommt es zu apoplektiform (schlagartig) auftretenden Schmerzen und Empfindungsstörungen: A. spinalis anterior-Syndrom. Später treten durch Schädigung des Vorderhorns kaudal des Verschlusses schlaffe, durch isolierte Schädigung der Pyramidenbahn (bei erhaltenem Vorderhorn) spastische Lähmungen auf. 2. Durch Läsion des Vorderseitenstrangs ist außerdem mit herabgesetzter Schmerz- und Temperaturempfindung zu rechnen. Die im Hinterstrang lokalisierte Sensibilität und Propriozeption bleibt dagegen erhalten.
5.3.4.3 Venen des Gehirns Innere Hirnvenen Hirnvenen sind klappenlos, dünnwandig und verlaufen zumeist unabhängig von den Arterien. Sie lassen sich in oberflächliche und tiefe Venen unterteilen. Sie sammeln das Blut aus den zentralen Teilen des Gehirns. Nach Ferner findet sich in der äußeren Zone der weißen Substanz des Großhirns eine „venöse Wasserscheide" (s. Abb. 5.82). Das venöse Blut aus dem Marklager fließt durch 5 große innere Hirnvenen ab: \> V. septi pellucidi. Sie empfangt trotz ihrer Lokalisation nur wenig Zufluss vom Septum pelludicum, sondern sammelt das venöse Blut hauptsächlich aus dem Marklager des vorderen Frontalhirns. D> V. thalamostriate (wegen ihres Verlaufs an der Grenzlinie zwischen Diencephalon und Telencephalon wird sie auch Vena terminalis genannt). Diese nimmt das Blut aus dem Marklager des dorsalen Frontalhirns und des rostralen Parietalhirns, aber nicht aus dem Striatum und Thalamus auf. Das Caput nucl. caudati und der Thalamus besitzen einen eigenen Venenbaum (V. thalamica in Abb. 5.82), der direkt in die V. cerebri interna einmündet.
452
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
[> V. parietooccipitalis interna. Sie sammelt das Äußere Hirnvenen Blut aus dem Marklager des dorsalen ParietalSie sammeln das Blut von der Oberfläche des und dem Okzipitalhirn. Sie mündet in das dorGehirns und leiten es in die benachbarten Sinus sale Ende der V. cerebri interna oder auch direkt durae matris. in die V. cerebri magna. D> V. temporalis interna. Das Gefäß aus dem t> Vv. cerebri superiores (ca. 8-12 pro Hemiinneren Marklager des Schläfenlappens mündet sphäre) ziehen von der Außenfläche der Hemisphären zum Sinus sagittalis superior (s. Abb. in die von der unteren Hirnoberfläche kom5.17, 70, 71). Dabei durchqueren sie den mende V. basalis (Rosenthalii). Die letztere Subarachnoidealraum, durchbohren dann die erreicht über den medialen Kniehöcker und die Arachnoidea, um als „Brückenvenen" in den Seitenfläche des Mittelhirns ziehend die V. cereSinus zu gelangen. Zwischen Austrittspunkt bri magna. aus der Arachnoidea und dem Eintrittspunkt in ΐ> V. choroidea. Sie nimmt das Blut aus den Plexus den Sinus kann sich ein schmaler Subduralraum choroidei auf und fließt in Höhe des Foramen bilden. interventriculare in die V. cerebri interna. t> Rechte und linke V. cerebri interna. Sie verlau- t> Die V. cerebri media profunda verläuft in Begleitung der A. cerebri media und sammelt fen in der Leptomeninx auf dem Dach des III. das Blut aus dem Gebiet der Fossa lateralis Ventrikels nach dorsal und vereinigen sich zur cerebri. Sie vereinigt sich mit der V. cerebri unpaaren, kurzen V. cerebri magna (Galeni), anterior und bildet die V. basalis (Rosenthalii), die sich dorsal des Splenium corporis callosi die meist in die Vena cerebri magna (Galeni) aufwärts wendet und in den Sinus rectus einmündet. Bei fehlender Anlage des rostralen mündet (s. Abb. 5.69, 70, 79). Anteils der Vena basalis (etwa bei 15 %) mündet sie in den Sinus cavernosus. Das Blut aus der subkortikalen Region fließt t> Die V. cerebri media superficialis sammelt also über die V. cerebri magna in den Sinus das Blut aus den Opercula der Insel und verrectus ab. Er verläuft in der Anheftungslinie der läuft nach medial zum Sinus cavernosus oder Falx cerebri am Giebel des Tentorium cerebelli Sinus sphenoparietalis. Sie kann durch eine (s. Abb. 5.18, 69). V. anastomotica superior (Trolard) mit den Vv. cerebri superiores und durch eine quer über Zuflüsse zur V. f r o n t » den Schläfenlappen ziehende V. anastomotica parietales interna inferior (Labbé) mit den Vv. cerebri inferiores V. cerebri V. thalamo(v terminalis sive in Verbindung stehen. > Die Vv. cerebri inferiores (von der Hirnbasis) sowie die Vv. cerebelli superiores et inferiores ziehen in variabler Zahl und Größe vorwiegend zum Sinus transversus, aber auch zum Sinus petrosus inferior und Sinus rectus. Das Blut vom Cortex fließt also zu verschiedenen Sinus durae matris.
Abb. 5.82: Zuflussgebiete der Inneren Hirnvenen
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS
Blutleiter der harten Hirnhaut Die Blutleiter, Sinus durae matris (Abb. 5.69, 70), sind die Hauptabflussleiter des venösen Blutes aus dem Gehirn. Sie verlaufen zwischen den beiden Durablättern und nehmen das Blut der Venen des Gehirns, der Augenhöhle, des Labyrinths und der Schädelknochen auf. Die Blutleiter münden in die V. jugularis interna, die am Foramen jugulare in der hinteren Schädelgrube beginnt. Der Abfluss des Venenblutes aus den Sinus durae matris kann aber auch durch Vv. emissariae erfolgen. Wandaufbau. Von den Venen unterscheiden sich die Blutleiter durch ihren Wandbau. Sie besitzen eine Intima, jedoch enthalten ihre starren Wände keine Muskelzellen, so dass sie sich nicht dehnen und kontrahieren können. Dadurch wird ein gleichmäßiger Rückstrom des Blutes gesichert und verhindert, dass bei der Zirkulation auftretende Volumenschwankungen auf das Gehirn übertragen werden. Die einzelnen Sinus O Sinus sagittalis superior. Er beginnt am Foramen caecum vor der Crista galli, wo er bei Neugeborenen noch mit den Nasenvenen in Verbindung steht. Er zieht dann am Ansatz der Hirnsichel nach hinten und mündet in Höhe der Protuberantia occipitalis interna in den Confluens sinuum. In seine seitlichen Ausbuchtungen, Lacunae laterales, münden die oberen Venen der Hirnrinde. 0 Sinus sagittalis inferior. Dieser zieht am unteren Rand der Hirnsichel nach hinten und mündet in den Sinus rectus. Er nimmt die Venen aus dem Gebiet des Balkens und der benachbarten Hirnteile auf. O Sinus rectus ist die Fortsetzung des Sinus sagittalis inferior. Er verläuft in der Verwachsungslinie zwischen Kleinhirnzelt und Hirnsichel zum Confluens sinuum. In ihn mündet die V. cerebri magna, die das Blut der tiefen Hirnvenen ableitet. D> Confluens sinuum. Er liegt an der Protuberantia occipitalis interna. Hier vereinigen sich der Sinus sagittalis superior, Sinus rectus, Sinus occipitalis und Sinus transversus.
453
t> Sinus transversus. Er folgt beiderseits dem Ansatz des Kleinhirnzelts bis zur oberen Kante der Felsenbeinpyramide. t> Sinus sigmoideus. Als vordere Fortsetzung des Sinus transversus verläuft er S-bogenförmig zum Foramen jugulare, wo er in den Bulbus v. jugularis superior einmündet. Durch die dünne Wand, die ihn von den Zellen des Warzenfortsatzes trennt, können infektiöse Prozesse leicht auf den Blutleiter übergreifen. D> Sinus occipitalis. Er beginnt am Venengeflecht des Foramen magnum und zieht in der Wurzel der Kleinhirnsichel zum Confluens sinuum. D> Sinus cavernosus. Er umgibt den Türkensattel und ist durch Bindegewebszüge gekammert. Beide Seiten sind vorn und hinten durch die Sinus intercavernosi verbunden. Der Sinus cavernosus erhält Zuflüsse vom Sinus sphenoparietalis, von den unteren Hirnvenen und der V. ophthalmica superior (via V. angularis = Infektionspforte, s. Kap. 4.19.1.2, S. 342). Außerdem anastomosiert der Sinus cavernosus mit allen extrakraniellen Venen der Schädelbasis sowie über den Plexus basilaris mit den Venengeflechten des Wirbelkanals. Sein Abfluss erfolgt durch die Sinus petrosus superior und inferior. Durch den Sinus cavernosus laufen die A. carotis interna, die Augenmuskelnerven (Nn. III, IV, VI) sowie die Nn. VI, V2 (s. Abb. 5.49). O Sinus petrosus superior. Er verläuft vom Sinus cavernosus auf der oberen Kante des Felsenbeins zum Sinus sigmoideus, der Sinus petrosus inferior an der hinteren Unterkante des Felsenbeins zum Foramen jugulare. Letzterer nimmt die Vv. labyrinthi auf. 0 Sinus sphenoparietalis. Er läuft am hinteren Rand des kleinen Keilbeinflügels zum Sinus cavernosus.
Klinik: 1. Nach dopplersonographischen Befunden (Valdueza) erfolgt die venöse Drainage aus der Schädelhöhle nur in horizontaler Körperlage überwiegend über die Venae jugulares internae. Bei aufgerichtetem Körper kollabieren diese Gefäße und das Blut wird über die vertebralen Venenplexus (s. u.) abgeleitet. 2. Über die V. dorsalis nasi, angularis und V. ophthalmica besteht eine Verbindung zwischen Gesicht (V. facialis) und intrakraniell-venösem Kreislauf (s. Kap. 4.19.1.2, S. 342, und Abb. 5.70). Normalerweise ist die Strömungsrichtung von innen
454
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
nach außen gerichtet, sie kann sich aber wegen des Fehlens von Venenklappen auch umkehren. Um eine Weiterleitung des infizierten Materials in die Sinus durae matris zu vermeiden, ist bei Furunkeln des Gesichts zumeist eine antibiotische Therapie erforderlich, um eine septische Sinusvenenthrombose zu vermeiden. Diese äußert sich in einer Symptomatik aus Kopfschmerzen, generalisierten Krampfanfallen und Paresen. Da das Blut nicht durch den venösen Schenkel abfließen kann, entstehen bilaterale Stauungsblutungen, die im cCT oder MRT gesehen werden können.
durch die Vv. intervertebrales mit den segmentalen Vv. intercostales et lumbales in Verbindung (s. Abb. 5.83 und 5.84).
5.3.4.4 Venen des Rückenmarks [> Plexus venosus vertebralis internus. Er ist ein im Spatium epidurale des Wirbelkanals gelegenes klappenloses Venengeflecht, welches über das Formanen magnum mit den intrakraniellen Sinus in Verbindung steht. Über seine Vv. radiculares fließt das Blut aus dem Rückenmark ab. Durch die Vv. basivertebrales steht er mit dem Plexus vertebralis externus anterior und
Vv.v.
Abb. 5.83: Venengeflechte der Wirbelsäule (schematisierter Querschnitt im Halsgebiet) Vv.v.: Venae vertebrates mit A. vertebralis; V.c.p.: V. c e r v i c a l i profunda; 2 Äquivalente R. dorsaüs der Segmentalgefäße; 3 V. intervertebral^; 4 Plexus venosus vertebralis externus anterior; 5 Vv. basivertebrales; 6 Plexus venosus vertebralis externus posterior in zwei Schichten; 7 Plexus venosus vertebralis internus; 8 Vv. radiculares
Abb. 5.84: Der Plexus venosus vertebralis (Mediansagittalschnitt durch die Wirbelsäule)
internus
5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS
[> Plexus venosus vertebralis externus posterior. Der innere Wirbelsäulenplexus ist über zahlreiche das Ligamentum flavum durchbrechende Anastomosen mit dem äußeren Plexus verbunden. Dieser liegt zwischen Dorn- und Querfortsätzen der Wirbel und der autochthonen Rückenmuskulatur. Kranial geht er in den Plexus suboccipitalis über, der über die Vv. emissiariae mastoideae, condyloideae et occipitales mit dem Schädelinneren in Verbindung steht. Klinik: Die vertebralen Venenplexus stellen einen wichtigen Umgehungsweg bei Verschluss oder Kompression der Vena cava inferior (Kavokavale-Anastomosen) dar, wie er z. B. bei Hepatopathien, bei Vena-cava-inferior-Thrombose oder bei Schwangerschaften auftreten kann.
• Blut-Hirn- sowie Blut-Liquor-Schranke. Die Blut-Hirn- und Blut-Liquor-Schranke stellen mechanische Barrieren dar, welche das Eintreten unerwünschter Substanzen aus dem Blut ins Gehirn verhindern sollen. Morphologisch entspricht ihnen die besondere Struktur der Blutgefäße im ZNS, die durch tight junctions des Endothels abgedichtet sind. Hierdurch wird der parazelluläre Transport inhibiert. Zudem sind die Kapillaren nicht fenestriert, so dass insgesamt eine Permeabilitätsbarriere für wasserlösliche Substanzen besteht. Solche Moleküle, etwa Aminosäuren und Glukose, müssen erst über spezifische Transportersysteme eingeschleust werden. Zusätzlich wird der Eintritt größerer Moleküle durch die Glia limitans (Membrana limitans gliae perivascularis) behindert. Gase und fettlösliche Moleküle wie Nikotin oder Alkohol können dagegen per diffusionem ins Gehirn gelangen.
5.3.4.5 Lymphabflüsse von Gehirn und Rückenmark Lymphgefäße gibt es weder im Gehirn noch im Rückenmark. Antigene aus dem ZNS drainieren aber durch die Lamina cribrosa des Siebbeines und entlang der Perineuralscheiden der Hirn- und Spinalnerven in die zervikalen bzw. paraaortalen Lymphknoten. Dort können Immunreaktionen gegen Antigene im Gehirn induziert werden.
5.3.4.6 Blut-Hirn-Schranke, Blut-Liquor-Schranke und Immunprivileg des ZNS Die Funktion des Gehirns ist offenbar abhängig von der Homöostase des Nervengewebes. So können Änderungen der Ionenkonzentration, des Blutoder osmotischen Drucks wie auch des pH-Wertes zu Bewusstseinsverlust oder sogar zum Tode fuhren. Hinzu kommt, dass Neurone zum größten Teil postmitotische Zellen sind. Ein Ersatz bereits verlorener Nervenzellen findet nach heutigem Kenntnisstand beim Erwachsenen nicht mehr oder nur in sehr geringem Ausmaß statt. Deshalb muss die Homöostase im Gehirn in besonderer Weise gesichert werden:
455
Klinik: Zur medikamentösen Therapie der Parkinson-Krankheit, einem Mangel an Dopamin, kann die fehlende Substanz selbst nicht verabreicht werden, da sie weder „schranken"- noch „liquorgängig" ist. Statt dessen verabreicht man das chirale L-Dopa, welches die Blut-HirnSchranke leichter zu überqueren vermag. •
Immunprivileg. Wie andere besonders schützenswerte bzw. schlecht regenerierende Organe (Hoden und Ovar, vordere Augenkammer, Plazenta) ist das Gehirn immunprivilegiert, d. h. Immunreaktionen werden durch Blut-GewebeBarrieren (Blut-Hirn- oder Blut-Hodenschranke) und durch die Freisetzung anti-inflammatorischer Botenstoffe des Immunsystems (Zytokine) unterdrückt. Dadurch laufen auch im ZNS entzündliche Prozesse abgeschwächt ab, so dass die postmitotischen Nervenzellen weitgehend geschont werden. Der Preis hierfür ist, dass sich viele neurotrope Viren dauerhaft im ZNS vor dem Zugriff des Immunsystems „verstecken" können. Offenbar ist deren latenter Verbleib im ZNS für das Inviduum günstiger als eine Elimination infizierter Neurone.
456
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
5.4
Funktionelle Systeme des ZNS
5.4.1
Was ist funktionelle Neuroanatomie?
Nachdem die Morphogenese des Zentralen Nervensystems, dessen regionale und topographische Anatomie sowie seine Blutversorgung besprochen sind, sollen nun funktionell zusammenwirkende Regionen zu Systemen zusammengefasst und erörtert werden. Hierbei werden informationsleitende und modulierende Systeme unterschieden: Informationsleitende Systeme leiten Informationen im engeren Sinne (z. B. visuellen Input) und verarbeiten sie im Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen; modulierende Systeme wie das ARAS (s. Kap. 5.4.9.2) verändern dagegen die Aktivierbarkeit von neuronalen Netzen häufig durch präsynaptische Innervation. Auch wenn diese Unterscheidung nicht immer scharf ist, können insbesondere höhere kognitive Funktionen als Ergebnis sowohl informationsleitender als auch modulierender Systeme verstanden werden. Die Kenntnis darüber, wie und wo Informationen von der Rezeption bis zur Wahrnehmung zunehmend prozessiert werden, erleichtert den klinisch Tätigen die Lokalisation von Schädigungen anhand charakteristischer Ausfallssymptome. Dies wird schon im nächsten Abschnitt deutlich: Eine Schädigung am Beginn der Sehbahn in der Retina führt zu deutlich anderen klinischen Symptomen als eine Schädigung am Ende der Sehbahn im visuellen Cortex.
5.4.2 Visuelles System Lernziele: Sehbahn, Nervus und Tractus opticus, Gesichtsfelddefekte, visueller Cortex (Brodmann-Areale 17, 18, 19), Okulomotorik und beteiligte Hirnnerven, sympathische und parasympathische Innervation des Auges, optische Schutzreflexe
5.4.2.1 Definition Das visuelle System enthält einen rezeptiven Anteil, der insbesondere aus den Sinneszellen
der Netzhaut, Retina (s. Kap. 6.1.3.2, S. 567), besteht, sowie einen integrativen Abschnitt, der einzelne Retinaneurone und Teile des Gehirns umfasst. Funktionell kann dem visuellen System auch die Okulomotorik hinzugerechnet werden. Vor der Besprechung der visuellen Kortexareale im Lobus occipitalis soll hier nochmals eine knappe Zusammenfassung der Sehbahn erfolgen (s. Kap. 6.1.3.2, S. 567).
5.4.2.2 Sehbahn •
Die Sehbahn bis zur Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) Die ersten 3 Neurone der Sehbahn liegen innerhalb der Retina. Ganz außen, d.h. dem ins Auge einstrahlenden Licht am weitesten abgewandt, befinden sich die Stäbchen- und Zapfenzellen (1. Neuron), deren Erregung von den bipolaren Zellen (2. Neuron) an die retinalen Ganglienzellen (RGC oder Optikusganglienzellen, 3. Neuron) weitergeleitet werden (s. Kap. 6.1.3.2 und Abb. 6.20, S. 567). Die Axone der RGCs verlaufen nach Passage der Area cribrosa etwa 4,5 cm als N. opticus bis zum Chiasma opticum. Distal des Chiasma werden sie als Tractus opticus bezeichnet.
Jüngste Arbeiten (2002) haben ergeben, dass nicht nur die Photorezeptoren (Stäbchen und Zapfen), sondern auch eine Subpopulation der RGCs direkt auf Licht reagieren. Ihre Axone zweigen am Chiasma ab und verlaufen im Tractus retinohypothalamicus zum Nucl. suprachiasmaticus, wo sie die dort generierten zirkadianen Rhythmen dem Tag-Nacht-Rhythmus anpassen.
Klinik: 1. Unter einer Optikusatrophie werden sämtliche Formen der Degeneration von Markscheiden und Axonen des N. opticus verstanden. Sie ist also als eine Läsion des dritten Neurons der Sehbahn aufzufassen, wie sie etwa bei Glaukom oder nach toxischer Einwirkung zustande kommt. Das charakteristische Merkmal einer Optikusatrophie ist die Abblassung der Papille, die ophthalmoskopisch erkennbar wird. Eine Optikusatrophie geht schließlich in einen irreversiblen gliösen Umbau des Sehnerven über.
457
5.4 Funktionelle Systeme des Z N S
Je nachdem welche und wieviele dritte Neurone geschädigt sind können die Gesichtsfelddefekte von einem Zentralskotom bis hin zur kompletten Erblindung reichen. 2. Da die Hirnhäute den N. opticus durch den Canalis nervi optici bis zum Auge begleiten, können Drucksteigerungen im Liquor cerebrospinalis die Optikus-Papille in den Augeninnenraum hinein vorwölben, was als Stauungspapille bezeichnet wird. Häufig sind Tumoren in der vorderen Schädelgrube die Ursache. • Chiasma opticum und Tractus opticus. Ca. 1 cm nach Durchtritt des N. opticus durch den
Canalis opticus in die Cavitas cranii erreichen beide Sehnerven die Hirnbasis, wo sie die Sehnervenkreuzung, das Chiasma opticum, bilden. Im Chiasma opticum kreuzen die Optikusnervenfasern aus den nasalen Retinahälften in den kontralateralen Tractus opticus. Die Fasern aus den temporalen Retinahälften verlaufen außen ungekreuzt im ipsilateralen Tractus opticus weiter (s. Abb. 5.86). Der Tractus opticus verläuft um das Crus cerebri bis zum Corpus geniculatum laterale (CGL)
Retina
- N. opticus Ganglion ciliare
Chiasma opticum Ν. oculomotorius, Tractus opticus Nucl. accessorius n. oculomotoni Corpus geniculatum laterale Meyer-Schleife (Capsula internal Colficulus superior Pulvinar thalami Radiatio optica (Gratioletl entlang des Sulcus calcarinus Cornu posterius ventriculi lateralis Corpus callosum optisches Erinnerungszentrum
I Radiatio optica (gefasert!
1 Sehrinde (Area striatal
Abb. 5.85: Halbschematische Darstellung der S e h b a h n und des W e g s des Pupillenlichtreflexes von der Hirnbasis aus gesehen. Das Mittelhirn ist In Höhe der Colllculi superiores (Area praetectalls) durchtrennt. Hinterhaupts- und Schläfenlappen sind nach einem horizontalen Schnitt teilweise entfernt. An der rechten Hirnhälfte sind die Sehstrahlung und der hintere Teil d e s Balkens herausgefasert, an der linken Hirnhälfte ist die Sehstrahlung s c h e m a tisch eingezeichnet. Fasern von der jeweils rechten Netzhauthälfte = schwarz, von der linken = rot
458
(s. Abb. 5.85). Im Chiasmabereich treten schon einzelne Fasern in den unmittelbar benachbarten Hypothalamus ein, wo sie lichtabhängige endokrine Funktionen beeinflussen können. Klinik: Die Sehnervenkreuzung hat für die neurologisch-topische Diagnostik einen hohen Stellenwert, da hier sämtliche Fasern beider medialer (nasaler) Retinahälften, die die lateralen Gesichtsfeldhälften repräsentieren, zur Gegenseite kreuzen. Demgegenüber setzen sich die Fasern beider lateraler (temporaler) Retinahälften, die das mediale Sehfeld repräsentieren, ungekreuzt in den Tractus opticus fort. Das heißt, dass sich im Tractus opticus sowohl Fasern der ipsilateralen temporalen als auch der kontralateralen nasalen Retinahälften befinden. Auf diese Weise werden Signale aus dem rechten Gesichtsfeld der linken Hirnhälfte und Signale aus dem linken Gesichtsfeld entsprechend der rechten zugeleitet. Aufgrund dieser Faserkreuzung kann mit einfachen Methoden zwischen einer Schädigung proximal oder distal des Chiasma unterschieden werden. • Sehbahn distal des Chiasma opticum Corpus geniculatum laterale. Der Tractus opticus endet im CGL des Metathalamus. Dort wird die Sehbahn auf das 4. Neuron umgeschaltet. Zuvor zweigen Kollateralfasern zur Area praetectalis und Lamina tecti ab. Diese Kollateralfasern ermöglichen die Aufrechterhaltung einzelner optischer Reflexe auch bei Läsionen des CGL. Das CGL bildet 5 mit weißer Substanz alternierende Schichten grauer Substanz aus. Hier enden die ipsilateralen Fasern in den Schichten 1, 3 und 5, die kontralateralen Fasern in den Schichten 2 und 4. • Sehstrahlung. Vom CGL ausgehend setzt sich die Sehbahn als weit auslaufende GratioletSehstrahlung, Radiatio optica, fort, die von den Axonen der Relaiszellen des CGL gebildet wird. Die Fasern des unteren kontralateralen Gesichtsfeldes liegen in der Gratiolet-Strahlung im oberen Bereich. Die Fasern des oberen kontralateralen Gesichtsfelds liegen im unteren Anteil der Sehstrahlung. Diese Kenntnis ermöglicht die topische (ortsbezogene) Diagnostik spezifischer Gesichtsfeldausfalle, die Quadrantenanopsien (s. unten). Die Fasern aus der Retinaperipherie bilden im Lobus temporalis einen nach rostral
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
gerichteten Bogen, während die Fasern aus dem Punkt des schärfsten Sehens, der Macula lutea (s. Kap. 6.1.3.2, S. 567), auf kürzestem Weg zur Sehrinde ziehen (s. Abb. 5.86). Hirnhäute des N. opticus. Die Axone der Ganglienzellen verlassen die Retina in der Papilla n. optici, die dem „blinden Fleck" des Gesichtsfelds entspricht, und erhalten hier eine Markscheide. In der Orbita ist der Sehnerv bereits von Hirnhäuten umgeben, und zwar als Vagina interna n. optici von Pia mater und Arachnoidea mater sowie als Vagina externa nervi optici von der Dura mater, die am Augapfel in die Sklera übergeht. Der N. opticus und die Retina sind embryonal nach peripher verlagerte Hirnabschnitte, die sich aus Anteilen des Dienzephalons entwickeln (Augenbecher und Augenstiel, s. Kap. 6, Abb. 6.5, S. 553, und Abb. 5.10, 11). Klinik: Gesichtsfelddefekte (s. Abb. 5.86): 1. Eine Unterbrechung des N. opticus, etwa bei Optikusatrophie (s. o.), führt zum monokularen Gesichtsfeldausfall, Amaurose (vollständige Blindheit). Der II. Hirnnerv stellt also ein „Nadelöhr" dar, durch das sämtliche Fasern der Netzhaut eines Augapfels hindurchtreten müssen. 2. Eine heteronyme binasale Hemianopsie (der Begriff der Hemianopsie bezeichnet eine Halbseitenblindheit, die sich auf das Blickfeld eines Auges bezieht) entsteht durch beidseitige Kompression des Chiasmas von lateral, wie sie z. B. (selten) bei Tumoren oberhalb der Sella turcica auftreten kann. 3. Die häufigere heteronyme bitemporale Hemianopsie („Scheuklappenblindheit") ist Folge einer mediodorsalen Kompression des Chiasmas, die z. B. durch Tumoren der Hypophyse (häufig: Hypophysenadenome) bedingt wird. 4. Bei Läsion des CGL oder der Radiatio optica entsteht oft eine homonyme Hemianopsie zur Gegenseite (der Begriff homonym meint die sich entsprechenden Bilder gleicher Netzhauthälften; heteronym sind ungleiche Netzhauthälften), die sich jedoch durch erhaltene optische Reflexe (Pupillenreflex) auszeichnet, da die hierfür notwendigen Fasern bereits vor dem Metathalamus ins Mesencephalon abgehen. Läsionen im Verlauf der Sehstrahlung im dorsalen Teil der Capsula interna kommen als Folge eines Infarkts der A. cerebri media vor. Da das relativ kleine CGL schnell vollständig geschädigt wird, kommt es bei
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
459 1. Monokularer Gesichtsfeldausfall Amaurose nach Durchtrennung oder Kompression des Nervus opticus 2. Heteronyme binasale Hemianopsie nach bilateraler Kompression des Chiasma opticum, etwa als Folge eines suprasellären Tumors
Retina
Nervus opticus Chiasma opticum Tractus opticus Meyer-Schleife Gratiolet Sehstrahlung
Φ,Ο €λΦ
Φ,Ό Φ, Ο äff
visueller Cortex (Area striatal
3. Heteronyme bitemporale Hemianopsie nach mediodorsaler Kompression des Chiasma opticum. beispielsweise als Folge eines Hypophysenadenoms 4. Homonyme Hemianopsie Sie tritt einerseits bei chiasmanahen Läsionen (Tractus opticus oder CGI) häufig inkongruent auf 5. Homonyme Hemianopsie Sie tritt andererseits auch bei Läsion der gesamten Sehstrahlung in ihrem intrakapsulären Verlauf auf, etwa nach einem Infarkt der Arteria cerebri media 6. Quadrantenanopsie nach oben entsteht nach kortexnahen Lasionen der Sehstrahlung unterhalb des Sulcus calcarinus oder durch Läsion der Meyer-Schleife im Temporalpol, beispielweise als Folge Folge eines Infarktes der Arteria cerebri posterior 7. Quadrantenanopsie nach unten Sie tritt bei kortexnahen Läsionen der Sehstrahlung oberhalb des Sulcus calcarinus auf und ist dann beispielsweise Folge eines parietalen Tumors
Abb. 5.86: Synopsis der Gesichtsfelddefekte. Verschiedene Schädigungsorte ergeben jeweils typische Gesichtsfeldausfälle. Diese werden klinisch bestimmt, um im Umkehrschluss den Ort der Läsion zu bestimmen
seiner Läsion häufig zu einer kompletten Hemianopsie. Im Gegensatz dazu stellen 6. Quadrantenanopsien die Folgen inkompletter Läsionen der Sehstrahlung dar. Eine Quadrantenanopsie nach oben stellt sich nach rindennahen Läsionen unterhalb des Sulcus calcarinus oder nach Läsion der Meyer-Schleife (weit lateral ziehende Fasern aus dem CGL) im Temporalpol ein, wie sie bei einem Infarkt der A. cerebri posterior entsteht. 7. Eine Quadrantenanopsie nach unten ist als Folge kortexnaher Läsionen oberhalb des Sulcus calcarinus aufzufassen und geht meistens auf einen parietalen Tumor zurück. 8. Kortikale Blindheit. Da die Areae 17 beider Seiten im Interhemisphärenspalt nahe beieinander liegen, entsteht bei pathologischen Prozessen häufig eine gemeinsame Schädigung. Hieraus resultiert das seltene Krankheitsbild einer vollständigen kortikalen Blindheit, obwohl eine unbeschädigte
Sehbahn mit elektrophysiologisch nachweisbarer Impulstätigkeit vorliegt. Gleichzeitig bleiben einige optische Reflexe erhalten.
5.4.2.3 Visueller Cortex Der visuelle Cortex liegt in der Rinde des Lobus occipitalis und wird zytoarchitektonisch in die Brodmann-Areale 17, 18 und 19 gegliedert. Die Area 17 ist das primäre, die Areae 18 und 19 sind die sekundären visuellen Rindenfelder. In d e n l e t z t e n J a h r e n b e s c h r e i b t m a n Felder (V1-V6), die durch funktionelle
unterschiedliche Charakteristika
(ζ. B. a u s f u n k t i o n e l l e n M R T - S t u d i e n , m i t d e n e n
sich
kortikale Aktivierung sichtbar m a c h e n lässt) v o n e i n a n d e r abgegrenzt werden. Sie gehen jedoch teilweise über die B r o d m a n n - A r e a l e (s. K a p . 5.4.10.2, S. 5 3 1 , A b b . 5 . 1 2 7 ,
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
460 128) hinaus. Ähnliches gilt für den auditiven Cortex, den sensiblen und den motorischen Cortex.
•
Primäre Sehrinde. Der physiologisch wichtigste Teil des visuellen Cortex ist das primäre optische Rindenfeld (Area 17 nach der zytoarchitektonischen Felderung Brodmanns, in dem die Sehstrahlung endigt. Die Area 17 grenzt an den Sulcus calcarinus und erstreckt sich größtenteils über die mediale Wand des Okzipitallappens. Dagegen setzt sie sich nur zu einem geringen Teil auf den konvexen Okzipitalpol fort (s. Abb. 5.15). In der Rinde von Area 17 ist bereits makroskopisch ein weißer Streifen erkennbar (Gennari- oder Vicq d'Azyr-Streifen). Wegen dieser intrakortikalen Assoziationsfasern, die oberflächenparallel verlaufen, wird die Area 17 auch als Area striata bezeichnet. Hauptsächlich kommen die Afferenzen des visuellen Cortex aus dem CGL, von wo aus sie in retinotopischer Ordnung zur Sehrinde ziehen. Dabei entspricht jeder Netzhautregion ein korrespondierendes Rindenareal. Die Macula lutea als Ort des schärfsten Farbensehens projiziert auf besonders große Areale der gesamten dorsalen Rinde oberhalb des Sulcus calcarinus bis hin zum Okzipitalpol. Die Signale von der Retinaperipherie werden von der rostralen Hälfte der Area 17 verarbeitet. So scheint das Bild des Gesichtsfelds Punkt für Punkt übertragen zu werden, wobei der Makula lupenartig vergrößert wird. Die primäre Sehrinde sendet eine Vielzahl kortikaler Efferenzen aus. Eine ihrer Hauptbahnen zieht hierbei zum frontalen Augenfeld des Frontallappens. Dieses Kortexareal ist insbesondere für Blickwendungen und Korrekturbewegungen der Augen verantwortlich.
In elektrophysiologischen Experimenten sind bei Reizung der primären Sehrinde optische Wahrnehmungen auslösbar. Im Bereich dieses Kortexareals liegen besonders durch Hell-/Dunkelkontrast erregbare zusammenhängende Neuronenketten, die jeweils Signale ihrer rezeptiven Felder in der Retina verarbeiten. Besonders interessant ist, dass manche Neurone spezifisch auf die räumliche Orientierung von Lichtstreifen reagieren. So genannte einfache Zellen (simple cells) reagieren auf Orientierungsunterschiede sowie auf Hell-/DunkelkontrastLinien. Komplexe Zellen (complex cells) sind im Zusammenhang eines überregionalen Neuronennetzes aktiv und reagieren auf bestimmte Winkelmuster. Überdies reagieren bewegungs- und richtungsabhängige Zellen (direction-selective cells) viel sensitiver auf dynami-
sche Veränderungen des Gesichtsfelds als auf statische Formen und Muster. Dies hat zur Annahme einer modularen Organisation des visuellen Cortex gefuhrt. Außerdem geht man von der Existenz so genannter okulärer Dominanzsäulen aus, die eine vorwiegende Verarbeitung aus dem linken oder dem rechten Auge aufweisen. Eine weitere Interpretation roher Sehdaten, insbesondere die Bilderkennung selbst, scheint in der primären Sehrinde aber noch nicht zu erfolgen.
•
Sekundäre Sehrinde. Die primäre Sehrinde ist efferent hauptsächlich mit den Areae 18 und 19 verknüpft, die die Area 17 umgeben. Area 18 und 19 bilden die sekundäre Sehrinde, in der die integrative Verarbeitung optischer Impulse sowie die Bilderkennung erfolgt (s. Abb. 5.87). In Area 18 liegt funktionell das Feld V2, in Area 19 die Felder V3-V6, die aber interindividuell variieren. Ihre Afferenzen erhält die sekundäre Sehrinde hauptsächlich aus der Area 17. Zusätzlich zur Integration optischer Impulse spielt sie eine wichtige Rolle als Relaisstation für die Weitergabe der visuellen Informationen an weitere Kortexareale mit assoziativen und integrativen Funktionen für die Bilderkennung und -deutung.
Aufgrund der retinotopen Gliederung der Sehstrahlung ist man früher davon ausgegangen, dass die beiden striatalen Felder des visuellen Cortex einzig für die Formation der Bildwahrnehmung zuständig seien. Dieses Konzept wurde auch als kortikale Retina bezeichnet. Es erwies sich jedoch als eine zu starke Vereinfachung und so nimmt man heute eine Vielzahl von zusätzlichen visuellen Feldern in der sekundären Sehrinde oder anderen Kortexarealen an, die außerhalb der Area striata liegen (deshalb auch: extrastriate areas). Sie weisen eine weitgehende Spezialisierung fur diverse Sehqualitäten auf, so z. B. V2 für Konturen, V3 und V5 für Bewegungen sowie V4 für Farben. Neben V2 bis V5 haben andere sekundäre Sehareale spezifische Namen erhalten, wobei bislang bei Affen etwa zwanzig unterschiedliche Felder experimentell entdeckt worden sind, von denen ein jedes über eine annähernd vollständige Repräsentation des visuellen Feldes verfugt.
Klinik: 1. Aufgrund der Vielzahl morphologischer Verbindungen spezialisierter Neuronengruppen mit der primären Sehrinde können bei Punktläsionen in den Areae 18 und 19 unterschiedliche neurologische Ausfalle auftreten. Diese gehen meistens mit dem Verlust selektiver Wahrnehmungsprozesse einher. Betroffene Patienten vermögen z. B. keine Gesichter,
461
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
Abb. 5.87: Funktionelles MRT der visuellen Areale des menschlichen Cortex. Dem Probanden werden (A) horizontale und vertikale Balken (Meridiane) bzw. (B) Bewegungsmuster dargeboten. Die funktionelle Aktivierung visueller Areale ist auf den kortikalen Landkarten farbkodiert dargestellt (aus der Neurologischen Klinik der Charité, Prof. Dr. med. A. Villringer)
Farbmuster oder bestimmte Gegenstände mehr zu erkennen. Die isolierte Erregbarkeit spezifischer Neuronengruppen (durch Schachbrettmuster) macht man sich etwa bei der Auslösung und Bestimmung visuell evozierter Potenziale (VEP) zunutze, wobei nach Musterpräsentation (Kontrastumkehr) die positiven Potenziale und Latenzen über dem okzipitalen Cortex bestimmt werden. Das Ziel ist die Untersuchung der Sehbahn von der Retina bis zur Sehrinde, wobei die VEPs insbesondere in der Diagnostik umschriebener Markscheidenläsionen zum Tragen kommen, ζ. B. bei der Multiplen Sklerose. Durch den Verlust von Myelin ist ein verzögerter Informationsfluss in die Sehrinde nachweisbar. 2. Wenn die sekundäre Sehrinde, die optische Erinnerungsbilder bewahren kann, durch einen pathologischen Prozeß zerstört wird, entsteht Seelenblindheit, optische Agnosie. Dabei besteht eine Unfähigkeit, gesehene Gegenstände wiederzuerkennen und zu deuten, weil die Vergleichsmöglichkeit mit früheren optischen Eindrücken entfällt. Beeinträchtigungen des Gyrus angularis im Lobus parietalis inferior,
meist durch Infarkt der Arteria cerebri media, können zu zentraler Alexie (mit Agraphie) fuhren: Patienten mit einer zentralen Alexie haben die Fähigkeit verloren, mit Schriftsprache umzugehen, wobei der Ausfall nicht allein auf die visuelle Modalität beschränkt bleibt, sondern auch vorbuchstabierte Worte und taktil empfundene Hautschrift umfasst.
5.4.2.4 Okulomotorik Der Bewegungsapparat des Auges besteht aus 4 geraden (M. rectus superior, inferior, medialis und lateralis) und 2 schrägen Muskeln (M. obliquus superior, inferior). Der M. rectus lateralis wird vom Ν VI., der M. obliquus superior vom Ν IV., alle anderen äußeren Augenmuskeln vom Ν III. innerviert, (s. Kap. 6.2, S. 575). Zentren der Koordination Damit die Sehachsen beider Augen sich im visuellen Objekt treffen können, müssen beide Augen-
462
bulbi entsprechend koordiniert bewegt werden. Das ZNS steuert die Okulomotorik durch die simultane Innervation der äußeren Augenmuskeln. An diesem Vorgang sind mehrere Strukturen beteiligt: 1. Kortexareale: frontales und okzipitales Augenfeld, 2. die Area praetectalis und der Colliculus superior, 3. die Hirnnervenkerne III, IV und VI. Kortexareale. Das kleine frontale Augenfeld, das im dorsalen Bereich der mittleren Frontalwindung liegt, entspricht etwa dem Brodmann-Areal 8 (s. Abb. 5.127, 128). Seine physiologische Funktion besteht in der Steuerung von Willkürbewegungen der Augäpfel sowie im periodischen Abtasten des Gesichtsfelds auf neue visuelle Reize hin. Außerdem fällt die Integrationsfunktion unwillkürlicher Folgebewegungen der Augen auch in den Bereich der Sehrinde bzw. des okzipitalen Augenfelds, das sich aus den Brodmann-Arealen 17, 18 und 19 zusammensetzt.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Area praetectalis und Colliculus superior. Efferente kortikofugale Bahnen ziehen von den o. g. frontalen und okzipitalen Kortexfeldern zunächst zur Area praetectalis und zum Colliculus superior. Diese Zentren sind für sakkadische Blickfolgebewegungen (die schnelle Komponente des Nystagmus) zuständig. Zusätzlich zu diesen Relaisstationen finden sich weitere präokulomotorische Umschaltzentren im Nucleus interstitialis (Cajal) des medialen Mesenzephalons („mesenzephales Blickzentrum" für vertikale Blickbewegungen) sowie in der Formatio reticularis. Hierzu gehört das pontine Blickzentrum rostral des Nucl. n. hypoglossi (Nucl. praepositus n. hypoglossi) fur horizontale Blickbewegungen (Abb. 5.88). Von hier aus bestehen Verbindungen zu den Kernen der Nn. III, IV, und VI, die außerdem durch den Tractus corticonuclearis beider Hemisphären mit Willkürimpulsen aus dem Gyrus praecentralis versorgt werden. Hirnnervenkerne III, IV und VI. Die Axone dieser Hirnnerven stammen von Motoneuronen in
Abb. 5.88: Regulation der horizontalen Blickbewegung (P. P. R. F. = paramediane pontine (parapontine) retikuläre Formation). Beim Blick nach außen erregt ein Neuron aus der P. P. R. F. Motoneurone für den in Blickrichtung zielen M. rectus medialis im Nucl. n. III und den M. rectus lateralis im Nucl. n. VI, hemmt aber gleichzeitig über ein Interneuron im Nucl. praepositus die Aktivität des gegen die Bewegung arbeitenden M. rectus lateralis der anderen Seite
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
463
den entsprechenden Hirnnervenkernen. Die Nuclei des N. III befinden sich im Tegmentum mesencephali am Boden des Aquaeductus mesencephali auf der Höhe der Colliculi superiores, die Kerne des N. IV in Höhe der Colliculi inferiores. Der Nucí. n. VI liegt weiter kaudal im pontinen Abschnitt des Tegmentums (s. Abb. 5.54, 89). •
III. Hirnnerv. Die motorische Kernsäule des N. oculomotorius gliedert sich in mehrere Einzelkerne fur die inneren glatten und für die äußeren quergestreiften Augenmuskeln. So lässt sich ein mediales parasympathisches Kerngebiet mit den Edinger-Westphal-Kernen, den Nucll. accessorii autonomiei (des III. Hirnnerven), ausmachen. Die parasympathischen viszeromotorischen Fasern verlaufen ipsilateral zu den inneren Augenmuskeln M. eiliaris und M. sphincter pupillae. Daneben besteht ein beidseits lateral gelegenes größeres motorisches Kerngebiet fur die externen Augenmuskeln (s. Kap. 6.2.1, S. 575):
• • •
M. levator palpebrae superioris und M. rectus superior (des ipsilateralen Bulbus), M. rectus medialis und M. obliquus inferior (beider Bulbi) und
•
M. rectus inferior Bulbus).
(fìir den kontralateralen
•
Kern von Perlia. Zwischen den beiden Hauptkerngebieten des N. III liegt der unpaare PerliaKern. Funktionell ist er an der Innervation des M. eiliaris beteiligt. Die Fasern des okulomotorischen Kerngebietes verlaufen zusammen mit den parasympathischen Fasern aus den Edinger-Westphal-Kernen nach rostral, durchziehen dabei manchmal den Nucl. ruber, um in der Fossa interpeduncularis zwischen Crus cerebri und Tegmentum den Hirnstamm als N. oculomotorius zu verlassen (s. Abb. 5.52). Nach Durchtritt durch die Fissura orbitalis superior zweigen in der Augenhöhle die parasympathischen Nervenanteile ab und ziehen zum Ganglion ciliare. Hier werden die präganglionären auf kurze postganglionäre Fasern umgeschaltet, welche in den Bulbus eintreten und in der Choroidea bis zum Corpus ciliare und zur Iris verlaufen, wo sie die o. g. inneren Augenmuskeln innervieren (s. Kap. 6.3.1, S. 581).
Ganglion ciliare - L __ Radix oculomotoria [parasympathica] Westphal-Edinger-Kern (M sphincter pupillae) Periia-Mediankern IM ciiiarisl Nucleus π. oculomotorii (großzelliger Lateralkern)
Nucleus η. trochlearls Fasciculus longitudinalis medialis
Nucleus n. abducentis
\—
kortikales Blickientrum
Abb. 5.89: Schema der Kerne und Nerven für die glatten und quergestreiften Augenmuskeln. Im Nucl. n. oculomotor» liegen die Neurone für: 1. M. levator palpebrae superioris; 2. M. rectus superior; 3. M. rectus medialis; 4. M. obliquus inferior; 5. M. rectus inferior. Die Verschaltung aus den 6 Unterkernen des Nucl. oculomotorius ist vereinfacht dargestellt. Die Fasern des Ν. III verlaufen nur teilweise gekreuzt (für M. rectus med. und M. obliquus inferi or), dieFasern zum Ν. IV kreuzen vollständig (vgl. Abb. 5.53), während die Axone aus d e m Nucl. n. VI ungekreuzt zum N. VI zielen (vgl. Abb. 5.54)
464
•
IV. Hirnnerv. Das motorische Kerngebiet des Ν. IV befindet sich kaudal des Okulomotoriuskerngebiets in Höhe der Collidili inferiores. Seine Wurzelfasern ziehen um das zentrale Höhlengrau, die Substantia grísea centralis, herum, verlaufen im Velum medulläre superius nach kontralateral, um basal der Colliculi inferiores als einziger Hirnnerv den Hirnstamm dorsal zu verlassen (s. Abb. 5.50, 5.51 und 5.53). In der Augenhöhle erreicht der N. IV den M. obliquus superior, den er innerviert. • VI. Hirnnerv. Das Kerngebiet des N. abducens befindet sich kaudal des Colliculus facialis in der Fossa rhomboidea des Tegmentum pontis. Es wird von den Fasern des N. facialis im inneren Fazialisknie umfasst. Seine Fasern treten zwischen Pons und Medulla oblongata als Ν. abducens aus (s. Abb. 5.54). Im Fasciculus longitudinalis medialis (s. u.) verlaufende Kollateralen bewirken eine Abstimmung der Mm. recti mediales, so dass von einer gekreuzten Innervation gesprochen werden kann. Zusammen mit der dabei mitwirkenden Paramedianen Pontinen Retikulären Formation (PPRF) und dem Nucl. praepositus (Ν. XII) wird der Nucl. N. VI auch als selbständiges „pontines Blickzentrum" aufgefasst (s. Abb. 5.88). Klinik: 1. Augenbewegungsstörungen sind häufig klinisch relevant und haben eine große Bedeutung für die neurologisch-topische Diagnostik. Es werden Blicklähmungen von Störungen der Pupillomotorik abgegrenzt. 2. Blicklähmungen. Bei den Blicklähmungen im engeren Sinn sind die konjugierten Augenbewegungen betroffen und das Blickfeld eingeschränkt, während meist subjektiv keine Doppelbilder bestehen. Die Läsionen sind bei diesen Blicklähmungen meist supranukleär, das heißt, sie liegen oberhalb der entsprechenden Hirnnervenkerne in der Verbindung zwischen Cortex und Nucleus. Einseitige supranukleäre Läsionen führen wegen der bilateralen Verschaltung der Kerngebiete selten zu größeren Defekten der Okulomotorik. Einseitige Läsionen im Kerngebiet selbst bedingen dagegen, je nach der oben dargestellten Verschaltung, entweder ipsilaterale oder kontralaterale Ausfälle. Die enge Nachbarschaft der Okulomotorius- und Trochleariskerne erklärt die oft beträchtlichen Ausfalle bei Läsionen im Bereich des Mesen-
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
zephalons; gleiches gilt für Läsionen im Verlauf des medialen Längsbündels, Fasciculus longitudinalis medialis (s. Abb. 5.91). 3. Augenmuskelparesen. Oft ist es nur bei akuten Lähmungen eines einzelnen Augenmuskels möglich, mit Hilfe der neurologisch-topischen Diagnostik gezielt das geschädigte Kerngebiet oder die okulomotorischen Nervenfasern auszumachen, weil die Schädigung mit der Zeit teilweise kompensiert wird. Bei älteren Lähmungen oder solchen in übergreifenden Kerngebieten benötigt man zusätzlich ein ausgefeiltes diagnostisches Instrumentarium (Maddox-Kreuz oder HessSchirm). Eine komplette Okulomotoriusparese zieht die Lähmung der von ihm innervierten äußeren Augenmuskeln nach sich. Sie ist durch drei Symptome gekennzeichnet. Erstens kommt es durch die Lähmung des M. levator palpebrae zu einem Herabsinken des oberen Augenlids, Ptosis. Zweitens besteht eine fixierte Augenstellung nach kaudolateral durch ein Überwiegen der Mm. recti lateralis et obliquus superior. Drittens findet sich eine Dilatationsstellung der Pupille (Mydriasis) bei fehlendem Lichtreflex und aufgehobener Akkomodation. Hierfür ist die Lähmung der parasympathischen Begleitfasern des N. oculumotorius verantwortlich, die die Mm. sphincter pupillae et ciliaris innervieren. In vielen Fällen besteht diese Symptomatik beidseits, was durch die topographische Nähe des rechten und linken Okulomotoriuskerngebiets bedingt ist (s. Abb. 5.52, 90). 4. Störungen der Pupillomotorik sind auch auf Beeinträchtigung der Reflexwege zurückzuführen. Seitengleich weite Pupillen sind Ausdruck von Mittelhirnläsionen. Eine Seitendifferenz der Pupillen, Anisokorie, entsteht bei Schädigung der den N. oculomotorius begleitenden parasympathischen Fasern oder der komplementären sympathischen Innervation. Wenn alle Muskeln, die vom N. oculomotorius innerviert werden, gelähmt sind, Ophthalmoplegia totalis, dann handelt es sich zumeist um eine periphere Lähmung. Ist dagegen nur ein einzelner Muskel gelähmt, besteht meistens eine nukleäre Läsion, die häufig bilateral ist. 5. Trochlearisparese. Hierbei kommt es vor allem bei Neigung des Kopfes zur erkrankten Seite zu einer Abweichung des Auges nach medial und kranial, da der M. obliquus superior im Normalfall neben der Innenrotation des Bulbus (Ausgleichsbewe-
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
465
Okulomotoriusparese
Trochlearisparese
Blick geradeaus Augenlid (Ptosis) ~ — -
ι ( ^
)
(
Bulbusstand
Blick nach links
Φ Blick nach links
O* Blick nach rechts
Blick nach links
laterokaudal
Blick geradeaus
Blick geradeaus
herunterhängendes
ΑΤ ...JD
Abduzensparese
und Pupillen- -
Blick nach rechts
erweiterung (Mydriasis) Blick nach oben Blick nach rechts
m> ι
Φ
Blick nach oben Bulbusstand laterokranial mit Mydriasis
s¡e>
Blick nach unten
In
(
Blick nach unten
O
(
Abb. 5.90: Okulomotorius-, Trochlearis- und Abduzensparese des rechten Auges (nach J. Klingelhöfer/M. Spranger, 1997)
gung bei Kopfneigung) auch für die Abduktion und die Blickwendung nach unten zuständig ist. Beim Blick des Patienten nach kaudomedial fallt die lähmungsbedingte Einschränkung am meisten auf, weil am gesunden Auge in Adduktionsstellung die senkende Wirkung des M. obliquus sup. am größten ist. Um Doppelbilder zu vermeiden, neigt der Patient den Kopf zur kontralateralen Schulter. 6. Abduzensparese. Eine Läsion des N. abducens fuhrt zum Einwärtsschielen, Strabismus convergens, da der Patient das Auge nicht mehr nach lateral bewegen kann. Der Patient vermeidet Doppelbilder, indem er den Kopf zur kranken Seite dreht. Willkürliche und reflektorische Innervation der Augenmuskeln Beteiligte Strukturen. Die kombinierte Aktion der einzelnen Muskeln beider Augen fuhrt zu konjugierten (= zugeordneten, gepaarten), fein abgestuften Augenbewegungen. Verantwortlich hierfür sind
die integrativen Fasern des medialen Längsbündels, Fasciculus longitudinalis medialis, der die verschiedenen Hirnnervenkerne des Himstammes miteinander verbindet (Abb. 5.91). Der Fasciculus longitudinalis medialis bildet jedoch kein einheitliches Fasersystem, vielmehr treten multiple Faserstränge auf unterschiedlichen Ebenen des Hirnstamms ins mediale Längsbündel ein und aus. Das mediale Längsbündel liegt beiderseits der Mittellinie in der Formatio reticularis und erstreckt sich rostral vom Mesencephalon bis nach kaudal in die Medulla oblongata (s. Abb. 5.52, 55, 56). Ansammlungen von Neuronen, die am weitesten rostral zwischen den Fasern gelegen sind, werden als Nucl. interstitialis (Cajal) bezeichnet. Am Fasciculus longitudinalis medialis lassen sich ein vestibulärer und ein internukleärer Anteile unterscheiden. Dabei verbindet der vestibuläre Anteil die Vestibularis- mit den Augenmuskelkernen, wodurch er das morphologische Korrelat des vestibulookulären Reflexes (VOR, s. u.) bildet. Der internukleäre Anteil verbindet die einzelnen
466
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
willkürliche Blickbewegungen
^ Sulcus ^
centralis
Verbindung von Area 18 u. 19 zur Area 8 reflektorische Area
Ί 18
Augenbewegungen Fasciculus longitudinalis medialis \ visueller I Cortex
vestibuläre
i? ;
Verbindungen
Bahn für reflektorische Blickbewegungen
Bahn für willkürliche Blickbewegungen
tektales Feld
—
N. abducens
für vertikale Blickbewegungen Nucleus von der Retina
Darkschewitsch
Nucleus interstitial is (Cajal)
Colliculus superior Colliculus inferior
- zum Cerebellum
Fasciculus
führend
longitudinalis medialis -
Nuclei vestibulares: Nucleus superior Nucleus lateralis — Nucleus medialis
pontines Feld für horizontale Blickwendungen
„
- Nucleus inferior
(Nucleus praepositus nervi hypoglossi) vum Halsmark
-d
1
I
kommend
- Tractus vestibulospinal^ lateralis
Abb. 5.91: Fasciculus longitudinalis medialis mit Verschaltung (nach P. Duus, 1990)
Augenmuskelkerne untereinander. Die internukleären Neurone liegen verstreut zwischen den Motoneuronen des Nucl. n. abducentis. Sie senden ihre Axone über den Fasciculus longitudinalis medialis zu den kontralateralen Motoneuronen im Nucl. n. oculomotorii zur Versorgung des M. rectus medialis (s. Abb. 5.88). Zusätzlich fließen propriozeptive
Impulse von der Hals- und Nackenmuskulatur dem pontinen Zentrum für vertikale Blickbewegungen zu. • Formatio reticularis (s. Kap. 5.4.9.2, S. 518). Sie ist mit dem Nucl. praestitialis, dem Nucl. commissurae posterions, dem Nucl. interstitialis und dem Nucl. Darkschewitsch als hori-
5.4 Funktionelle Systeme des Z N S
zontales Zentrum der Blickbewegungen eingeschaltet. Durch diese spezifischen Verschaltungen können die Augen sowohl willkürlich als auch reflektorisch konjugiert bewegt und zur Stellung des Körpers hin ausgerichtet werden. Die Blickstabilisierung von Eigenbewegungen des Kopfs oder Körpers wird über den VOR vermittelt. Dabei reicht der Reflexbogen vom pontomedullären Übergang zum Mittelhirn. Weitere Vestibularisafferenzen stehen über den Fasciculus longitudinalis medialis mit den okulomotorischen Hirnnerven in Verbindung, wobei eine durch Kopfbewegung ausgelöste Reizung der Bogengänge des Labyrinths zu einer reflektorisch-kompensatorischen Augenbewegung führt. Klinik: 1. Die Prüfung des vestibulookulären Reflexes (VOR) durch Kaltwasserspülung des äußeren Gehörgangs erlaubt am bewusstlosen Patienten Hinweise auf Komatiefe und Lokalisation einer Hirnstammschädigung zu erhalten. Physiologisch kommt es zu einem Nystagmus nach kontralateral, der in tiefen Komastadien abwesend ist. Ist im tiefen Koma der Hirnstamm intakt, erfolgt eine tonische Augenbewegung zum gespülten Ohr hin. 2. Zwischen den Hirnnervenkernen besteht eine Vielzahl von Reflexbögen, die insbesondere in der Formatio reticularis generiert und koordiniert werden. Wenn sich der M. rectus lateralis kontrahiert, sorgen die intemukleären Neurone dafür, dass sich komplementär der M. rectus medialis des kontralateralen Auges ebenfalls kontrahiert. Sind die Fasern des Fasciculus longitudinalis, etwa bei Multipler Sklerose oder lakunären Hirnstamminfarkten, geschädigt, entsteht das Krankheitsbild der intemukleären Ophthalmoplegie. Bei einseitiger Schädigung tritt ein monokularer Nystagmus auf. Da die Fasciculi beider Seiten jedoch eng benachbart sind, entsteht meist ein doppelseitiges Krankheitsbild, wobei es sich bei den hier beschriebenen neurologischen Krankheitsbildern in der Hauptsache um horizontale Ausfallerscheinungen handelt.
Konvergenz- und Akkomodationsreaktionen Beim Fixieren eines nahe gelegenen Objektes werden die Augen unwillkürlich durch reflektorische Vorgänge so ausgerichtet, dass das Objekt auf
467
der Fovea centralis beider Augen fixiert wird. Drei unterschiedliche Vorgänge sind hierzu notwendig: 1. Konvergenz. Beidseits werden gleichzeitig die Mm. recti mediales über die Nn. III innerviert, um so das Objekt mit beiden Augenachsen fixieren zu können. Hierdurch wird seine Abbildung auf korrespondierenden Retinaabschnitten gewährleistet. 2. Akkomodation. Eine scharfe Abbildung naher Objekte auf der Netzhaut wird durch Kontraktion des M. ciliaris, nach Innervation durch den parasympathischen Anteil des N. III, erreicht, so dass die Linsenspannung nachläst und sie sich passiv abrunden kann. Beim Blick in die Ferne erschlafft der M. ciliaris und die Linse wird durch die Zugkräfte der elastischen BruchMembran emeut abgeflacht (s. Kap. 6.1.2.2, S. 561). 3. Pupillenverengung. Die Pupille verengt sich, ähnlich der Blende einer Fotokamera, um die Bildschärfe auf der Retina zu erhöhen. Ihre Motilität wird durch den vom N. oculomotorius parasympathisch innervierten M. sphincter pupillae und den vom Sympathicus innervierten M. dilatator pupillae gewährleistet (s. Abb. 6.15, S. 562). Diese 3 Vorgänge werden reflektorisch ausgelöst, wenn sich ein Gegenstand im Gesichtsfeld plötzlich nähert. Die Sehimpulse verlaufen hierbei afferent zur Sehrinde, um dann efferent über die Area praetectalis zum parasympathischen Perlia-Kern und anschließend zu den Edinger-Westphal-Kernen zu gelangen. Von dort erreichen sie über das Ganglion ciliare den M. ciliaris für die Akkomodation sowie den M. sphincter pupillae fur die Pupillenverengung. Diese Verbindungen weisen aber eine unterschiedliche Topographie auf und können isoliert voneinander ausfallen. Die Konvergenz der Augäpfel wird über die äußeren Augenmuskeln realisiert. Klinik: Bei der Neurosyphilis und anderen Krankheitsprozessen des Tectums (Encephalitis, Multiple Sklerose, Tumor) findet sich ein Syndrom, das als Argyll Robertson-Pupille bezeichnet wird: Es ist durch eine erloschene Lichtreaktion gekennzeichnet, wobei Konvergenz und Akkomodation jedoch intakt bleiben.
468 •
Pupillenreflex. Lichteinfall auf die Netzhaut fuhrt zu einer Anpassung der Pupillenweite, wobei Helligkeit eine Pupillenverengung und Dunkelheit eine Pupillenweitung bewirkt. Der Pupillenreflex reguliert durch diese Anpassungsreaktionen die Lichtmenge, um einerseits die Fotorezeptoren vor einer Blendung zu schützen und um andererseits Objekte im Gesichtsfeld schärfer („tiefenschärfer") auf der Netzhaut abbilden zu können. Der Pupillenreflex verläuft im afferenten Schenkel (Retina, N. opticus, Chiasma opticum, Tractus opticus) zu den Colliculi superiores. Diese weisen eine sechsschichtige Zytoarchitektonik auf, wobei in die oberen Schichten Afferenzen aus Retina und visuellem Cortex eingehen. Die tiefen Schichten der Colliculi superiores nehmen Projektionen aus den oberflächlichen Schichten auf und dienen hauptsächlich der Integration der Sinnesdaten, wobei sie Verbindungen multimodaler und motorischer Eingänge herstellen. Nach den Colliculi superiores verläuft der Pupillenreflex weiter über die Area praetectalis, die o. g. Schaltstationen in Mittel- und Stammhirn und von dort im efferenten Schenkel zum Auge (über die Nucll. n. oculomotorii Edinger Westphal, N. oculomotorius, Ganglion ciliare und Nn. ciliares breves zum M. sphincter pupillae). Klinik: Eine Störung des Pupillenreflexes (s.Kap. 6.1.3, S. 567) kann in sämtlichen Abschnitten des Reflexverlaufes auftreten. Bei Unterbrechung des efferenten Schenkels im Verlauf des N. oculomotorius oder durch Schädigung des Ganglion ciliare können Impulse aus den Edinger-Westphal-Kernen nicht mehr zum M. sphincter pupillae fortgeleitet werden. Hieraus resultieren eine Mydriasis (weite Pupille) durch Überwiegen der sympathischen Innervation sowie ein fehlender Lichtreflex; vollkommene Erblindung des Auges führt zu amaurotischer Pupillenstarre. Dennoch kann vom gesunden Auge her der Pupillenreflex auf beiden Augen ausgelöst werden. Sind beide Augen erblindet, so lässt sich immer noch durch die Konvergenzreaktion der Bulbi eine Pupillenverengung herbeiführen. Ist die Area praetectalis des Mittelhirns geschädigt, kommt es ebenfalls zum Ausfall der Lichtreaktion, obwohl beide Augen sehen und die Pupillen sich bei Naheinstellung verengen können; dieses
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Phänomen wird als reflektorische Pupillenstarre (ähnlich der Argyll Robertson-Pupille) bezeichnet. Bei einer Läsion des efferenten Schenkels, vom Okulomotoriuskerngebiet zu den inneren Augenmuskeln, fehlt ebenfalls die Überleitung entsprechender Impulse, was zum Ausfall der Licht- und Naheinstellungsreaktion am betroffenen Auge führt. Die Pupillenreaktion wird nicht nur vom Lichteinfall ins Auge bedingt, sondern kann auch durch extraokuläre Reize, wie starke Schmerzen oder psychische Erregung, hervorgerufen werden. •
Sympathische Augeninnervation. Das Sympathicus-Kerngebiet, Centrum ciliospinale, liegt im Cornu laterale des Rückenmarks in der Höhe von C8 bis Th 2. Von hier aus erreichen Fasern über den Halsgrenzstrang das Ganglion cervicale superius, wo eine Umschaltung auf postganglionäre Fasern erfolgt. Anschließend verlaufen die sympathischen Fasern gemeinsam mit der A. carotis interna nach kranial, um mit der A. ophthalmica in die Augenhöhle einzutreten. Dort gelangen sie über die Arterien im Inneren des Bulbus oculi bis in die Iris zum M dilatator pupillae, den sie innervieren (s. Kap. 6.1.3, S. 573). Außerdem ist der Sympathicus in dieser Region für die Innervation des M. tarsalis superior (Müller-Muskel) und des M. tarsalis inferior, des M. orbitalis (in der Knochenhaut der Fissura orbitalis inferior,), der Schweißdrüsen sowie der Gefäße der entsprechenden Gesichtshälfte verantwortlich. Klinik: Eine Läsion der zentralen Sympathikusbahn (Tractus hypothalamospinalis), des Centrum ciliospinale, des Halsgrenzstrangs, des Ganglion cervicale superius oder im Verlauf der postganglionären sympathischen Fasern führt zum so genannten peripheren Horner-Syndrom. Es ist durch eine Symptomentrias bestimmt: Herabhängen des Oberlides (Ptosis palpebrae) durch Ausfall des M.. tarsalis superior, eine enge Pupille (Miosis) durch Ausfall des M. dilatator pupillae und Übergewicht des M. sphincter pupillae sowie einen tiefliegenden Bulbus (Enophthalmus) durch Ausfall des M. orbitalis. Zusätzlich können eine Anhidrosis sowie eine Vasodilatation in der betroffenen Gesichtshälfte hinzutreten. Ein zentrales Hornersyndrom kommt beim Infarkt der A. cerebelli posterior
469
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
inferior ( Wallenberg-Infarkt) vor. Hierbei bestehen zusätzlich eine ipsilaterale Ataxie sowie eine dissoziierte Sensibilitätsstörung der kontralateralen Körperhälfte. • Optischer Schutzreflex. Bei überraschendem Auftauchen eines visuellen Objekts kommt es reflektorisch zu einem schützenden Lidschluss. Die afferenten Impulse dieses Reflexes gelangen von der Retina über die Lamina tedi und den Tractus tectonuclearis zum Fazialiskerngebiet, da der N. facialis für die Innervation der Mm. orbiculares oculi beider Seiten und damit für den Lidschluss verantwortlich ist. Ebenfalls können Impulse über tektospinale Fasern die Vorderhornzellen des Halsmarks erreichen, um durch Innervation der Hals- und Nackenmuskulatur das schützende Abwenden des Kopfs auszulösen. • Begleitende Lidbewegung. Die Größe der Lidspalte wird auf dem gleichen Weg der Position der Bulbi angepasst. Beim Blick nach oben hebt sich das Lid, beim Blick nach unten senkt es sich.
5.4.3
Auditorisches (akustisches) und vestibuläres System
um dort insbesondere mit der Motorik, aber auch mit vegetativen Zentren, integriert zu werden. Das Vestibularsystem (Gleichgewichtsorgan; s. Kap. 7.2, S. 611) ist für die Übermittlung von Informationen über Kopfposition und -bewegung im Raum verantwortlich. Über seine Verbindungen zur Motorik sorgt es für die Aufrechterhaltung des Körpergleichgewichts und trägt zur Beeinflussung vegetativer Funktionen bei. Es ist in die Steuerung der Augenmuskeln mit einbezogen. Außerdem bestehen Verbindungen mit der Motorik über Kerne in der Formatio reticularis sowie eine enge Koordination mit dem Kleinhirn. Im Rahmen der neuroanatomischen Erörterung des auditorischen und des vestibulären Systems wird, wie auch schon im vorherigen Abschnitt, nur kurz auf die jeweiligen Sinnesorgane, wie Bogengänge und Macula oder das Corti-Organ eingegangen (s. Kap. 7.2, S. 611). Die statische Funktion des vestibulären Systems wird mit dem Kleinhirn in Kap. 5.4.8 besprochen.
5.4.3.2 Spiralorgan, Corti-Organ, Organum spirale und Hörnerv, N. cochlearis (s. Kap. 7.2.2.2, S. 620)
Lernziele: Corti-Organ, Hörbahn, auditiver Cortex: Bau und Funktion, vestibuläres System, afferente und efferente Bahnsysteme
5.4.3.1 Definition Das auditorische und das vestibuläre System stellen phylogenetisch sehr alte Systeme dar, die zwar morphologisch eng benachbart sind, aber beim Menschen unterschiedliche Funktionen erfüllen. Wie das visuelle System bestehen auch diese sensorischen Systeme aus rezeptiven und integrativen Anteilen, die in den jeweiligen Abschnitten näher besprochen werden. Das auditorische System (Hörorgan; s. Kap. 7.1, S. 593) dient der Schallaufnahme und -analyse. Dabei werden die rohen Sinnesdaten in einer tonotopen Anordnung sowohl über den Hörnerven zum Cortex geleitet als auch über Kollateralfasern in den Hirnstamm projiziert.
Das Corti-Organ besitzt sowohl Affercnzen als auch Efferenzen. Afferenzen. Die 30 000 bis 40 000 bipolaren Nervenzellen des Ganglion spirale bilden die afferenten Neurone, welche die Erregungen der äußeren Haarzellen dendritisch aufnehmen und axonal weiterleiten. Sie stellen also das 1. Neuron der Hörbahn dar. Ab dem Eintritt in den Modiolus (s. Kap. 2.1.3, S. 17) sind die Fortsätze der bipolaren Ganglienzellen von Markscheiden umgeben, wobei sie am Fundus meatus acustici interni des Felsenbeins den N. cochlearis ausbilden. Dieser tritt gemeinsam mit dem iV. vestibularis am Kleinhirnbrückenwinkel in den Hirnstamm ein (s. Abb. 5.51, 54, 58), wo es zu einer Trennung der Fasern des N. cochlearis kommt. Ein Teil der Axone endet im Nucl. cochlearis posterior, der andere Teil im Nucl. cochlearis anterior. Die Neurone dieser beiden Kerngebiete bilden das 2. Neuron der Hörbahn. Sie liegen lateral der Kerngebiete des N.
470
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
vestibularis an der breitesten Stelle im Boden der Rautengrube (s. Abb. 5.54 und 5.56-58).
5.4.3.3 Hörbahn
Efferenzen. Die Efferenzen zu den Haarzellen des Corti-Organs werden vom Tractus olivocochlearis (Rasmussen-Bündel) gebildet, der vom Nucl. olivaris superior aus über den N. cochlearis ins CortiOrgan gelangt. Der Nucl. olivaris superior stellt ein kleines Kerngebiet lateral des Trapezkörpers dar. Die den Nucl. olivaris superior erreichenden Informationen aus den Nucll. cochleares werden zu den Haarzellen zurückgesandt und können ihre Empfindungsfahigkeit modulieren. Experimentell lassen sich durch Reizung des Tractus olivocochlearis Impulse des Hörnerven abschwächen. Im Allgemeinen dienen die efferenten Anteile der Hörbahn der Filterung und Adaptation akustischer Sinnesdaten, so etwa dem Heraushören von bestimmten Signalen aus Hintergrundgeräuschen bzw. Umgebungslärm.
Zu den zentralen Schaltstellen der Hörbahn zählen: Kochleariskerne, Nucl. cochlearis anterior und Nucl. cochlearis posterior, Obere Olive, Nucl. olivaris
superior,
Trapezkörperkerne, Nucll. corporis idei anterior et posterior,
trapezo-
Kerne der lateralen Schleife, Nucll. laterales,
lemnisci
Untere Hügel, Colliculi inferiores der Lamina tecti, Corpus geniculatum Metathalamus sowie
mediale (CGM)
des
Hörrinde, auditiver Cortex im Lobus temporalis.
Gyrus temporalis superior
R a d i a t o acustica (Hörstrahlung)
Gyn transversi (Heschl-Querwindungen am Gyrus temporalis superior)
Colliculus superior
-
Colliculus inferior
Formatio reticularis, Kerngebiet für akustischLemniscus lateralis
vestibuläre Raumorientierung
Stria acustica dorsalis am Unterrand der
N u c l e u s c o c h l e a r i s dorsalis
^ _
Striae medulläres ' v
^ Tractus olivocochlearis
ventriculi quarti Oliva superior - — ~~
Cochlea (Corti-Organ)
Pyramidenbahn - —
Nucleus Corpus
cochlearis ventralis
trapezoideum (kreuzende Hörbahnfasern)
\ Nervus cochlearis
Abb. 5.92: S c h e m a der Hörbahn; „ventrale Hörbahn" = schwarz, „dorsale Hörbahn = blau und Tractus olivocochlearis = rot; Kerngebiete der Formatio reticularis = schwarz gepunktet. Vom ventralen Kern kreuzt eine Faserplatte, C o r p u s trapezoideum, zum Lemniscus lateralis, in die die Kerngebiete der oberen Olive und d e s Nucl. corporis trapezoidei eingelagert sind
5.4 Funktionelle Systeme des Z N S
471
Diese Strukturen sollen im Folgenden unter Zuordnung zu den Hauptkerngebieten der Hörbahn, Nucl. cochlearis posterior und Nucl. cochlearis anterior, besprochen werden: •
Nucl. cochlearis posterior (dorsalis), dorsale Hörbahn. Die von den Perikarya der Neurone im Nucl. cochlearis posterior (2. Neuron) ausgehenden Axone ziehen als Stria acustica dorsalis oberflächlich über den Boden der Fossa rhomboidea, wobei sie sich kaudal den Striae medulläres ventriculi quarti anlagern. Sie kreuzen größtenteils in der Tiefe auf die Gegenseite, wo ein kleiner Teil der Fasern in den Nucll. corporis trapezoidei anterior et posterior und im Nucl. olivaris superior umgeschaltet wird. Teilweise ziehen sie direkt als Lemniscus lateralis weiter. Alle Fasern verlaufen dann als laterale Schleife, Lemniscus lateralis, zum Colliculus inferior des Mesencephalon, wobei in den Nucll. lemnisci laterales ein zusätzliches Neuron eingeschaltet sein kann. Anschließend projiziert das 3. Neuron (oder 4.) durch das Brachium folliculi inferioris zum CG M des Diencephalon. Nach der Umschaltung auf die 4. Neurone projizieren deren Axone als Hörstrahlung, Radiatio acustica, zur primären Hörrinde des temporalen Cortex (Brodmann-Areale 41 und 42, s. Abb. 5.23,92, 127, 128).
• Nucl. cochlearis anterior (ventralis, ventrale Höhrbahn). Die Neuriten der Perikarya dieses Kerns ziehen als Corpus trapezoideum zu kontralateralen Trapezkörperkernen oder zur oberen Olive. Sie nehmen danach den gleichen Verlauf im kontralateralen Lemniscus lateralis wie der dorsale Anteil der Hörbahn. Lediglich ein kleinerer Teil der ventralen Hörbahn gelangt ipsilateral über die oben genannten Zentren zum primären akustischen Cortex. Kreuzende Fasern der Hörbahn bilden im Rhombencephalon den quer zwischen Tegmentum und Pons liegenden Trapezkörper, Corpus trapezoideum (s. Abb. 5.92). Die teilweise Kreuzung der Fasern ist Voraussetzung für das Richtungshören. Durch die Konvergenz der Sinnesdaten beider Seiten können bereits auf Hirnstammebene, vor allem im Nucl. olivaris superior und im Colliculus inferior, die unterschiedlichen Informationen beider Seiten verrechnet und zum Eindruck des räumlichen Hörens integriert werden.
Klinik: Die Untersuchung der unteren Hörbahnabschnitte, beginnend vom Hörnerven bis zum Mesencephalon, wird mittels akustisch evozierter Potenziale (AEP) durchgeführt. Nach Reizgabe per Kopfhörer werden über beiden Processus mastoidei die unterschiedlichen Latenzen bestimmt, welche auch getrennt als Kochleogramm abgelesen werden können. Mit dieser Untersuchung lassen sich häufig Läsionen im Kleinhirn-Brücken-Winkel (Akustikus-Neurinom) oder im Hirnstamm (Multiple Sklerose) nachweisen. •
Kollateralfasern. Von den höheren subkortikalen Zentren der Hörbahn, insbesondere aus den Colliculi inferiores, gelangen kollaterale Fasern zur kontralateralen Seite zurück (s. Abb. 5.92). Sie ziehen durch das Mesencephalon, das Rhombencephalon und als Tractus tectospinalis bis ins Rückenmark zu den motorischen Neuronen, deren Muskelinnervation Bewegungen der Augen oder des Kopfs zur Schallquelle hin ermöglichen („Zuwendereflex" oder „akustische Reflexbahn"). Zusätzlich sind Neurone der Formatto reticularis zu den eigentlichen Fasern der Hörbahn parallel geschaltet. Klinik: Schäden des Innenohres. 1.1 Bei einseitiger Destruktion des Ganglion spirale der Cochlea oder auch der Nucll. cochleares kommt es zu ipsilateraler Taubheit. 1.2 Wenn einseitig höhere subkortikale oder kortikale Zentren betroffen sind, entsteht demgegenüber keine vollständige (kontralaterale) Taubheit, da nicht alle Fasern der Hörbahn kreuzen. 2.1 Nicht nur tumoröse oder traumatische Ursachen vermögen die bipolaren Zellen des Corti-Organs zu zerstören, sondern auch funktionelle. So kommt es insbesondere bei Durchblutungsstörungen der A. labyrinthi zum Krankheitsbild des Hörsturzes, der mit oder ohne Ohrgeräusche, Tinnitus, auftreten kann. 2.2 Die Haarzellen des Corti-Organs werden durch Dauerlärm mit Schalldrücken über 90 Phon irreversibel zerstört (berufsbedingter Lärm, Rock-Konzerte und Diskotheken, Walkman etc.): Lärmtaubheit. 3. Seit ca. 10 Jahren werden bei Läsion des CortiOrgans bzw. bei Destruktion der dort endigenden bipolaren Neurone Mikrophone implantiert und mit dem N. cochlearis verbunden. Derartige
472
Cochlea-Implantate dienen somit im Sinne eines direkten Akustikwandlers als Prothese des Corti-Organs.
5.4.3.4 Hörrinde, Auditiver Cortex •
Primäre Hörrinde (Funktionell: A l , oder zytoarchitektonisch: Brodmann-Areal 41; dieses und die nachfolgend erwähnten BrodmannAreale s. Abb. 5.129). In der Tiefe des Sulcus lateralis bzw. in der Rinde des Operculum temporale liegen zwei bis vier Hirnwindungen, die quer zu dem lateral sichtbaren Gyrus temporalis superior verlaufen. Diese Gyri temporales transversi werden nach ihrem Erstbeschreiber Heschl-Querwindungen genannt (s. Abb. 5.23 und 93). Hier endet die Hörstrahlung, Radiatio acustica, welche die Hauptafferenz der primären Hörrinde darstellt. In jeder Hemisphäre werden Signale beider Ohren verarbeitet, wobei jedoch die Signale der kontralateralen Seite überwiegen. Jede Tonfrequenz besitzt ein korrespondierendes Kortexareal.
Physiologische Experimente haben ergeben, dass die afferenten Fasern der Hörbahn und der Area 41 tonotop (oder: cochleotop) angeordnet sind.
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Anterolateral liegen eher tiefe Frequenzen (ab 200 Hz) und posteromedial vermehrt hohe Frequenzen (bis 20 000 Hz). Ähnlich dem primären somatosensiblen (Areae 1, 2, 3) oder dem visuellen Cortex (Area 17) bildet die primäre Hörrinde (Area 41) ein morphologisches Areal, das für die Primärwahrnehmung roher, im Falle der Hörrinde akustischer Sinnesdaten verantwortlich ist. Dieser Wahrnehmungsmodus scheint sich relativ interpretations- und integrationsfrei abzuspielen. Reizexperimente der primären Hörrinde haben bei Probanden oder Patienten lediglich zur subjektiven Wahrnehmung einzelner Lautfrequenzen (Töne) geführt. Es wurden keine größeren syntaktischen Einheiten, wie Worte oder Sätze, und auch keine melodischen Anteile wahrgenommen. • Sekundäre Hörrinde (Funktionell: A2, oder zytoarchitektonisch: Brodmann-Areale 22 und 42). Im Gyrus temporalis superior und dorsal anschließenden Rindenarealen liegt das sekundäre Hörzentrum gemeinsam mit dem sensorischen Sprachzentrum (s. Abb. 5.131). Letzteres wird auch als Wernicke-Sprachregion bezeichnet. Die sekundäre Hörrinde empfangt, analog der sekundären Sehrinde, größtenteils Afferenzen aus der primären Hörrinde, die aber nicht mehr tonotop gegliedert sind. Daneben laufen ihr auch Afferenzen aus dem CGM zu. Die integrative und interpretative Verarbeitung akustischer Signale hat hier ihre hauptsächliche
Sulcus lateralis A 2 (Areae 22 + 42) A1 (Area 41) Gyrus temporalis superior Lobus temporalis
Abb. 5.93: Der auditive Cortex beim M e n s c h e n
473
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
Lokalisation. In den nachgeschalteten Hörrinden werden größere syntaktische Einheiten aus kleineren zusammengesetzt und semantische Einheiten, wie Wörter oder Melodien, explizit wahrgenommen. Im Temporallappen liegt auch der Bereich für das akustische Erinnerungsvermögen. • Afferente Verbindungen der sekundären Hörrinde. Der akustische Cortex erhält Afferenzen insbesondere aus dem Gyrus angularis, der außerdem eine wichtige Rolle für die Integration visueller Reize mit Gedächtnisleistungen und sprachlichen Äußerungen zu besitzen scheint. So erhält der Gyrus angularis die Mehrzahl seiner afferenten Zuflüsse aus dem Bereich der sekundären Sehrinde. Aufgrund der afferenten Faserverbindungen mit dem sekundären Hörzentrum wird dem Gyrus angularis rechts die Leistung des Erinnerns von Tönen, links die des Hörvergleichs mit gesprochener Sprache zugeschrieben. Bei der engen strukturellen und funktionellen Verschränkung von Sprache und Hören beim Menschen resultieren aus pathologischen Prozessen in diesen Rindenbereichen vielfältige neuropsychologische Symptome, wie Probleme des Sprachverständnisses, Wortfindungsstörungen oder Leseschwäche. Sie werden von den Patienten meist bewusst als Störung erlebt und deshalb als sehr belastend empfunden. Klinik: Eine linksseitige, totale Destruktion der sekundären Hörzentren führt zu Seelentaubheit, auditiver Agnosie, das heißt zur Unfähigkeit, Worte, Töne, Geräusche etc. zu verstehen. Neuropsychologisch wird davon ausgegangen, dass die akustischen Engramme, die für das Erkennen notwendig sind, bei diesem pathologischen Prozess verlorengehen. Dies ist insbesondere bei Verschluss oder Ruptur der A. temporalis posterior, einem Ast der A. cerebri media, der Fall (s.Kap. 5.3.4.1). •
Efferente Verbindungen der sekundären Hörrinde. Das Wernicke-Areal des akustischen Cortex ist efferent mit zahlreichen anderen kortikalen Assoziationsfeldem verbunden. So bestehen insbesondere Verbindungen über Assoziationsfasern zum motorischen BrocaSprachzentrum in der Pars triangularis gyri frontalis inferioris (s. Kap. 5.4.10.2).
5.4.3.5 Afferenzen der Vestibulariskerne In den Ampullen der Bogengänge sowie in den Maculae von Sacculus und Utriculus des Labyrinthorgans liegen die sensorischen Rezeptorzellen des vestibulären Systems, die Haarzellen der Maculae staticae und der Cristae ampullares (s. Kap. 7.2.2, S. 615). Der charakteristische Reiz für die Sinneszellen der Bogengänge sind Drehbeschleunigungen des Kopfs, während die Sinneszellen des Sacculus und des Utriculus auf Linearbeschleunigungen und auf die Schwerkraft reagieren. Die Perikarya des ersten Neurons liegen im Ganglion vestibuläre, wobei sich im kraniodorsalen Teil des Ganglions die Perikarya der die Ampullae anterior et lateralis versorgenden Neurone befinden. Im rostrobasalen Bereich liegen hingegen die Perikarya, die den Sacculus, den Utriculus und die Ampulla posterior versorgen. Somit ergibt sich auch für das Ganglion vestibuläre eine somatotopische Anordnung. Die zentripetalen Fortsätze des ersten peripheren Neurons der Gleichgewichtsbahn verlaufen als Pars vestibularis im VIII. Hirnnerven zum Kleinhirnbrückenwinkel. Die zentripetalen Fortsätze des N. vestibulocochlearis enden am Boden der Fossa rhomboidea in der Area vestibularis in vier Vestibulariskerngruppen: Nucí, vestibularis superior (Bechterew-Kern), Nucl. vestibularis medialis (Schwalbe-Kern), Nucl. vestibularis lateralis (Deiters-Kern) und Nucl. vestibularis inferior (Roller-Kern). Zusätzlich besteht eine direkte Projektion von Fasern aus dem Ganglion vestibuläre zum Lobusßocculonodularis cerebelli. Die Nucll. vestibulares liegen an der breitesten Stelle im Boden der Fossa rhomboidea (s. Abb. 5.50, 54, 56, 57 und 94). Der Nucl. vestibularis lateralis erhält primäre vestibuläre Afferenzen aus der Macula utriculi. Demgegenüber erhalten der Nucl. vestibularis medialis und der Nucl. vestibularis superior ihre Afferenzen vornehmlich von den Cristae ampullares der Bogengänge. Schließlich ist der Nucl. vestibularis inferior afferent mit den Maculae utriculi und sacculi verbunden.
474
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Nuclei nervi oculomotorii
externe Augenmuskulatur
Nucleus nervi cochlearis
Fasciculus longitudinalis medialis Nucí, nervi
Vestibularorgan
abducentis, Nucl. vestibularis sup. (Bechterew) -
»
Nucl. vestibularis lat. (Deiters)
Nucí vestibularis med. (Schwalbe) Nucl. vestibularis inf. (Roller)
Tractus vestibulospinal
M^kels_pindelapparate
Substantia grísea medullae spinalis
Abb. 5.94: Kontrolle der Augenstellung durch Auswertung der Informationen im vestibulären System (nach K. Zilles 1984)
Klinik: Die Informationseingänge aus den Bogengängen sind insbesondere für die Kontrolle der Augenbewegungen notwendig, damit bei Kopfbewegungen gewährleistet werden kann, dass die optischen Achsen beider Bulbi auf das Objekt gerichtet bleiben. Die Vestibulariskerne und ihre Reflexbögen bilden auch die Grundlage des vestibulären Nystagmus (s. Kap. 5.4.2.4).
•
•
• • •
5.4.3.6 Efferenzen der Vestibulariskerne Das zweite Neuron des vestibulären Systems liegt in den Vestibulariskernen. Die Neurone der Nucll. vestibulares sind mit ihren Axonen verbunden mit:
den Kleinhirnhemisphären (dem Nodulus des Vermis und dem Flocculus, die Gleichgewichtssignale verarbeiten und deshalb auch als Vestibulocerebellum bezeichnet werden), den a - und γ-Motoneuronen des Rückenmarkes über den ipsilateralen Tractus vestibulospinalis, den Augenmuskelkernen über den Fasciculus longitudinalis medialis, den Kernen der Formatio reticularis und ventralen Anteilen des Thalamus.
• Verbindungen mit dem Kleinhirn. Mit dem Kleinhirn sind die Vestibulariskerne über den Pedunculus cerebellaris inferior verbunden. Ein Teil der Fasern aus den Nucll. vestibulares superior, medialis et inferior gelangt ipsilateral
475
5.4 Funktionelle Systeme d e s Z N S
- Fase, longitudinalis medialis - Nel. η. oculomotoni
. Nel. π. trochlearis
Neil, vestibulares
¡ !
mediahs /
/
superior —
lateralis - Inferior Nel. η. abdueentis Fase, longitudinalis medialis
• Tractus vestibulospinalis medialis. Dabei bilden die Efferenzen hauptsächlich des Nucl. medialis den Tractus vestibulospinalis medialis, der sein Terminationsgebiet an den Motoneuronen der Nackenmuskulatur im Zervikalmark hat. Auf diesem Wege können Augen- und Kopfbewegungen miteinander abgestimmt werden. • Tractus vestibulospinalis lateralis. Die Efferenzen des Nucl. vestibularis lateralis bilden den Tractus vestibulospinalis lateralis, der bis ins Sakralmark reicht. Sein Terminationsgebiet stellen (über weitere Interneuronen vermittelt) die α - und γ-Motoneurone der Extensorenmuskulatur von Rumpf und Extremitäten dar. Der Tonus der Extensoren wird erhöht, während der der Flexoren vermindert und somit die Standsicherheit verbessert wird. Hierdurch können über den Tractus vestibulospinalis lateralis Stand und Gang bzw. die feinere Abstimmung der Extremitäten- zu den Rumpfbewegungen beeinflusst werden.
Tr. vestibulospinal^ lat. Tr. vestibulospinalis med. im Fase, suleomarginalis
Fase, sulcomarginal^
Abb. 5.95: Efferenzen der Vestibulariskerne
zu archi- und paläozerebellären Anteilen des Kleinhirns (Lotus ßocculonodularis, s. Kap. 5.4.8, S. 509). Dabei erreichen den Flocculus neben ipsilateralen auch kontralaterale Zuflüsse, die dem zerebellären Moosfasersystem zuzurechnen sind. Des weiteren ziehen Fasern aller drei Kerne zum Nucl. olivaris inferior, von dem aus das Kletterfasersystem das Kleinhirn erreicht. Umgekehrt projizieren die PurkinjeZellen des Lobus flocculonodularis direkt als kortikovestibuläre Fasern zu den Vestibulariskernen. Dabei versorgen sie insbesondere diejenigen Kerngebiete, die ihrerseits Fasern zu den Kerngebieten der Nerven der äußeren Augenmuskeln entsenden, weniger jedoch Kerngebiete des Tractus vestibulospinalis. • Verbindungen mit dem Rückenmark. Efferente Bahnen erreichen auch das obere Rückenmark über den Fasciculus longitudinalis medialis, dessen Fasern aus den Nucll. vestibulares superior, medialis et inferior hervorgehen.
Noch im Vestibulariskerngebiet kommt es zu einer Konvergenz mit Signalen von Kollateralfasern aus dem Tractus spinocerebellaris posterior. Diese Fasern vermitteln Informationen des propriozeptiven Systems über die Stellung der Extremitäten im Raum, was für die Koordination der Extremitäten von großer Wichtigkeit ist. Gleichzeitig sind die Neurone der Nucll. vestibulares laterales direkt mit Efferenzen aus dem Vermis cerebelli verbunden, welcher die Feinabstimmung des Tonus der axialen Muskulatur bewirkt. • Verbindungen mit den Kernen der Okulomotorik. Efferente Fasern der Nucll. vestibulares, insbesondere aus dem Nucl. vestibularis inferior, gelangen aufsteigend über den Fasciculus longitudinalis medialis ipsi- und kontralateral zum Nucl. n. III. Ausschließlich kontralateral wird der Nucl. η. IV erreicht, während die Nucll. n. VI ipsi- und kontralateral innerviert werden. Aus den letztgenannten Kernen kreuzen jeweils kontralaterale Fasern auf die Nucll. n. III zurück (s. Kap. 5.4.2.4). Solche Schaltmuster lassen sich schwer merken; sie können aber klinisch relevant sein und sind deshalb hier zum Nachschlagen angeführt (s. Abb. 5.96).
476
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Nucleus ventralis posterior thalami
Nucleus ventralis posterior Thalami
ι Nucleus vestibularis lateralis
η Nucleus vestibularis superior
Nucleus η. ill
Nucleus n. Ill
Nucleus π. IV
Nucleus η. IV
Nucleus η. VI
Nucleus η VI
rr Nucleus vestibularis inferior
Nucleus vestibularis medialis
,
Nucleus interstitialis rostralis RM Nucleus interstitialis CAJAL Nucleus praepositus η. XII
Fasciculus longitudinals medialis
Noeleus vestibularis medislis
Nucleus vestibularis inferior
Dienceplialon
Nucleus vestibularis
Nucleus vestibularis lateralis
Nucleus interstitialis rostralis FLM Nucleus interstitialis CAJAL Nucleus praepositus η. XII
Medulla spinalis Medulla spinalis
Medulla spinalis
Abb. 5.96: Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen Leitungsbahnen des Gleichgewichtssystems
Klinik: Die efferenten Bahnsysteme, die zum Teil nicht mehr als 2 synaptische Unterbrechungen aufweisen, führen zu einer besonders effektiven und schnellen Kontrolle der Okulomotorik durch Gleichgewichtssignale. So bleiben im Kippversuch eines Patienten auf der Krankenliege die Augen nahezu zeitgleich in der Senkrechten fixiert. Diese physiologischen Anpassungsreaktionen sind jedoch beim dienzephalen Syndrom, das bei einer Einklemmungssymptomatik durch Hirnschwellung vorkommt, aufgehoben. In diesem Zustand ist der okulozephale Reflex gestört und es kommt zum Puppenkopfphänomen: Die gegenläufig koordinierte Mittelstellung des Bulbus bei passiven Kopfdrehungen wird erst sehr langsam erreicht, was man sich diagnostisch zunutze macht. • Verbindungen zur Formatto reticularis. 2 Kerngebiete der Formatio reticularis werden auch von efferenten Bahnen des vestibulären Systems angesteuert: Der Nucl. interstitialis Cajal, zusammen mit dem Nucl. interstitialis rostralis des Fasciculus longitudinalis medialis, und der Nucl. praepositus (Ν. XII). Beide Kerngebiete stellen jeweils mit der umgebenden Formatio reticularis das mesenzephale bzw. das
pontine Blickzentrum dar. Darüber hinaus ist der Nucl. interstitialis auch Ursprungsgebiet des kleinen Tractus interstitiospinalis mit seinen zum Rückenmark hin absteigenden Bahnen. Der Nucl. praepositus (Ν. XII) hat mit dem N. hypoglossus keine funktionellen Gemeinsamkeiten, sondern wird lediglich so genannt, weil er topographisch neben dem Kerngebiet des XII. Hirnnerven liegt (lat. praeponere = voranstellen). • Verbindungen zum Thalamus. Die Nucll. vestibulares superior, medialis et lateralis projizieren zum Thalamus. Diese Fasern kreuzen auf die Gegenseite und ziehen als Tractus vestibulothalamicus zum Nucl. ventralis posterior thalami. Dieser Kern stellt eine Relaisstation des somatosensorischen Systems in das entsprechende Primärgebiet der Hirnrinde (Area 3a, s. Abb. 5.35) dar. Nach Umschaltung setzt sich die Gleichgewichtsbahn bis zum Kortex der in der Tiefe des Sulcus centralis gelegenen Areae 3a und 2 fort, wobei sie in der Regio postcentralis nahe dem sensiblen Gesichtsbezirk endet. Dieses Kortexareal scheint an der Bewusstwerdung der vestibulären Informationseingänge beteiligt zu sein. Auch über den Nucl. ventralis posterior ziehen Bahnverbindungen zum Cortex cerebri im Übergangsbereich vom Gyrus post-
477
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
centralis zum rostralen Ende des Sulcus intraparietalis, der Area 2. In diesen Kortexarealen konvergieren also vestibuläre mit propriozeptiven und zerebellären Fasersystemen. Das vestibuläre System weist nur wenige afferente Verbindungen zum Cortex cerebri auf, während die Verknüpfungen im Hirnstamm sehr vielfaltig sind. Dadurch werden Gleichgewichtsimpulse ohne Mitwirkung des Bewusstseins meist reflektorisch für Korrekturen der Körperhaltung wirksam. Klinik: 1. Akute Läsionen des vestibulären Systems fuhren zu starken Gleichgewichtsstörungen mit ausgeprägten Schwankbewegungen und Fallneigung. Subjektives Leitsymptom ist der Schwindel, der aber vielfältige weitere Ursachen haben kann. Außerdem kann ein vestibulärer Nystagmus auftreten. 2. Bei peripherer Destruktion des Vestibularorgans (ζ. B. bei Durchblutungsstörung oder Felsenbeinfraktur) tritt ein horizontaler, häufig rotatorischer Nystagmus zur gesunden Seite auf. 3. Zentrale Läsionen im Hirnstamm oder dem Kleinhirn (ζ. B. bei lakunären Infarkten oder bei der Multiplen Sklerose) können auch zu einem vertikalen Nystagmus fuhren. 4. Bei peripheren Läsionen wie dem Morbus Meniere, dem akuten Labyrinthausfall oder einem Akustikusneurinom findet sich in der kalorischen Prüfung oft eine verminderte Labyrintherregbarkeit. Demgegenüber weisen ein Richtungsüberwiegen des Nystagmus oder zusätzlich bestehende Augenmotilitätsstörungen auf eine zentrale Störung hin.
5.4.4
Olfaktorisches System
Lernziele: Sinnesepitel der Nase, Riechbahn, Riechhirn: Aufbau und Funktion
5.4.4.1 Riechhärchen, Fila olfactoria Das olfaktorische System dient der Geruchswahrnehmung. Die primären Sinneszellen (Sinnesepithelzellen, 1. Neuron) liegen in der Regio olfactoria der Nasenschleimhaut (Riechschleimhaut) und sind bipolar.
Die Dendriten der Neurone der Riechschleimhaut stellen die rezeptiven Zellabschnitte des Organum olfactorium dar. Sie ziehen an die Oberfläche des Epithels, während ihre Axone die feinen Fila olfactoria bilden, die durch die Lamina cribrosa des Siebbeins (s. Kap. 4.15.1.3, S. 315) in die Schädelhöhle gelangen und im Bulbus olfactorius enden. Die Summe der Fila olfactoria wird als N. olfactorius (I. Hirnnerv) bezeichnet, auch wenn sie nicht gemeinsam als 1 Nerv bindegewebig ummantelt sind. Das olfaktorische Sinnesepithel ist zeitlebens mitoseaktiv und regenerationsfahig, so dass ständig neue Axone in den Bulbus einwachsen können. Entsprechend ihrer Eigenart, Informationen am Dendriten aufzunehmen und mit einem eigenen Axon nach zentral weiterzuleiten, werden sie als primäre Sinneszellen bezeichnet.
5.4.4.2 Riechhirn, Rhinencephalon Der Bulbus olfactorius als primäre Riechrinde, der Tractus olfactorius, das Trigonum olfactorium, die beiden Striae olfactoriae und die Substantia perforata anterior (auch: Area olfactoria) an der Hirnbasis bilden zusammen das Riechhirn, Rhinencephalon. Riechkolben, Bulbus olfactorius Während das Rhinencephalon beim menschlichen Feten noch deutlich ausgeprägt entwickelt ist, kommt es während der Ontogenese zu seiner Involution. Dabei ist der Bulbus olfactorius wie bei anderen Mikrosmatikern (geringes Riechvermögen) nur unscharf in einzelne Schichten gegliedert. Die auffälligsten Zellen sind die großen Mitralzellen, mit deren Dendriten die Axone der Riechzellen Synapsenfelder, Glomerula, bilden. Beim Menschen enden die Axone vieler Riechsinneszellen konvergent an den Dendriten einer Mitralzelle. Afferenzen aus verschiedenen Regionen des Gehirns enden dagegen an den Körnerzellen (eine Schicht sehr kleiner Neurone im Bulbus olfactorius). Eine wichtige Rolle bei der Geruchswahrnehmung spielen außerdem periglomeruläre dopaminerge Zellen. Bei makrosmatischen Tieren (gutes Riechvermögen) wie dem Igel ist das Rhinencephalon im Verhältnis zum übrigen Gehirn stark
478
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
ausgeprägt. Bei ihnen divergiert eine Riechsinneszelle auf mehrere Mitralzellen und die Fläche des Riechepithels ist wesentlich größer (beim Menschen 2 - 4 cm 2 , beim Hund etwa 100 cm 2 ).
5.4.4.3 Riechstrang, Tractus olfactorius Die Axone der Mitralzellen des Bulbus (2. Neuron) bilden den Tractus olfactorius, welcher an der Orbitalen Fläche des Frontallappens liegt und zu den sekundären Riechrinden zieht. Der Tractus olfactorius teilt sich in die Stria olfactoria lateralis und die Stria olfactoria medialis. Die beiden Striae umfassen das Trigonum olfactorium, unter dem der Nucl. olfactorius als Schaltstelle liegt. Eine schwach ausgeprägte Stria olfactoria medialis erreicht die Septumkerne (s. Abb. 5.121). Hier werden die Fasern auf Neurone umgeschaltet, deren Axone im Fasciculus telencephalicus medialis verlaufen, welcher rostral in das Cingulum übergeht (Anschluss an das limbische System). Fasern der Stria olfactoria medialis kreuzen auch über die Commissura anterior zum Bulbus olfactorius der Gegenseite.
5.4.4.4 Verschattung der Riechsignale Die größte Teil der Efferenzen des Bulbus olfactorius zieht über die Stria olfactoria lateralis zur Area praepiriformis und zur Regio periamygdalaris des Lobus temporalis. Area praepiriformis und Regio periamygdalaris gehören zum Palaeocor-
tex, dem ältesten Rindenbezirk des Telenzephalons. Hier, über dem Gyrus ambiens und Gyrus semilunaris und der Amygdala (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521), soll der Ort der bewussten Wahrnehmung von Gerüchen liegen. Die Riechbahn ist die einzige sensorische Bahn, die ohne Umschaltung im Thalamus kortikale Areale erreicht. Unangenehme Gerüche aktivieren über die Amygdala Unlustgefühle und Abwehrverhalten. Zum Riechsystem gehören die mediokortikalen Kerne der Amygdala. Von ihnen sollen Riechsignale über die Stria terminalis in den Hypothalamus ziehen, von wo aus vegetative Reaktionen (Übelkeit, Erbrechen) ausgelöst werden können. Von der periamygdalären Rinde gelangen Signale zum basolateralen Kernkomplex der Amygdala und über die Area entorhinalis, einem Übergangsgebiet zwischen Archi- und Neocortex, auch zum Hippocampus. Diese Verbindung zum Limbischen System erklärt den engen Zusammenhang zwischen Geruchseindrücken und vegetativen sowie emotionalen Reaktionen. Von der Area praepiriformis und der Amygdala gelangen Fasern via Thalamus außerdem zu einem umschriebenen Gebiet im orbitofrontalen Cortex, der damit auch an das olfaktorische System angeschlossen ist. Schließlich verbinden Fasern aus den Septumkernen und dem Hypothalamus zu den Nucll. habenulares und der Formatio reticularis das olfaktorische System mit dem Hirnstamm. Diese verlaufen im Fasciculus
Bulbus olfactorius Tractus olfactorius Polus temporalis Stria olfactoria medialis Stria olfactoria lateralis Area praepiriformis
Limen iiisulae — _ -
Regio periamygdalaris
Substantia perforata anterior
Corpus —
amygdaloldeum
. _
Bandaletta diagonalis
Gyrus ambiens Gyrus semilunaris
(Broca-Band) Uncus
Abb. 5.97: Rhinencephalon in der Ansicht von basal. Der rechte Schläfenlappen ist entfernt (nach P. Duus,
1990)
479
5.4 Funktionelle Systeme des ZNS
onen teilweise erheblich, was die Bedürfnisse einer bestimmten Spezies widerspiegeln dürfte. Wie sich die Wahrnehmung in Abhängigkeit vom Nahrungsangebot entwickelt hat, bleibt eine offene Frage (B. Lindemann).
longitudinalis dorsalis (Schütz-Bündel) und im medialen Vorderhirnbündel (medial forebrain bundle). Über diese Verbindung soll die salivatorische Reaktion (Speichelfluss) auf den Geruch von Nahrung zu Stande kommen. Klinik: 1. Bei Störungen des olfaktorischen Systems sind eine fehlende, eine zu geringe, eine falsche oder falsch-unangenehme Geruchsempfindung möglich (An-, Hyp-, Par- und Kakosmie\ gr. osmé = Geruch, Duft). Bei Hypund Anosmie liegt der Läsionsort meist peripher im Bereich der Riechschleimhaut, der Fila oder des Bulbus. Hierfür sind meist das Rauchen, Rhinitiden oder Schädel-Hirn-Traumata (SHT) verantwortlich. Bei letztgenannten kommt es infolge der Kopfbeschleunigung zu einem Abscheren der Fila olfactoria mit Zerreißung. Deshalb gehört bei jedem Schädel-Hirn-Trauma die Riechprüfung zur obligatorischen Standarduntersuchung. 2. Par- und Kakosmien (Wahrnehmung falscher und/oder übler Gerüche) werden meist durch zentraler gelegene Läsionen hervorgerufen, wobei häufig Verbindungen mit Geschmacksstörungen bestehen. Ursache hierfür sind meist degenerative ZNS-Erkrankungen, Diabetes mellitus, frontobasale Tumoren, basale Meningitiden oder die Paget-Krankheit.
5.4.5
Gustatorisches System
Lernziele: Sensorische Innervation der Zunge, Geschmacksbahn Der Geschmacksinn dient v. a. der Überprüfung der Nahrung. Obwohl diese Funktion von olfaktorischen und visuellen Eindrücken unterstützt wird, beruht die Geschmackswahrnehmung letztlich auf chemorezeptiven Vorgängen im Mund. Emotionale Zustände zwischen höchstem Genuss und akuter Übelkeit steuern die Nahrungsauswahl und sind von großer Bedeutung für die Lebensqualität insgesamt. Schon wenige Tage alte Neugeborene können zwischen süß und bitter unterscheiden und drücken ihren Genuss bzw. ihr Unbehagen über diese Geschmackssensationen aus. Abhängig vom jeweiligen Organismus und der ökologischen Nische, die er besetzt, variieren solche Emoti-
5.4.5.1 Geschmacksknospen, Caliculi gustatori! Geschmacksreize werden von Geschmacksknospen rezipiert, deren Zellen wie die des Riechepithels zu den Chemorezeptoren gehören. Geschmacksknospen sind Differenzierungen des mehrschichtigen Plattenepithels und somit sekundäre Sinneszellen. Anders als die primären Sinneszellen des olfaktorischen Systems leiten die Sinneszellen der Geschmacksknospen ihre Informationen also nicht selbst ins ZNS, sondern werden von Nervenfasern des 1. Neurons der gustatorischen Bahn kontaktiert. Die Geschmacksknospen liegen in den Wänden der Zungenpapillen, Papillae linguales (Papillae vallatae, fungiformes und foliatae) sowie vereinzelt in der Gaumen- und Rachenschleimhaut (Kehldeckel) (s. Kap. 4.13.1.1.2, S. 274, Kap. 4.14.2.2, S. 305). Die Zellen der Knospen exprimieren Rezeptoren, die jeweils spezifisch die Eindrücke süß, sauer, bitter, salzig und umami vermitteln. (Umami, japanisch für köstlich, ist ein dominanter Eindruck, der durch Speisen ausgelöst wird, die reich sind an L-Glutamat, etwa Fleischextrakt und reifer Käse). Die verschiedenen Rezeptoren kommen in allen Knospen vor. So kann jede einzelne Geschmacksknospe alle Geschmacksqualitäten rezipieren. Die häufig zitierte regionenspezifische Wahrnehmung von süß auf der Zungenspitze über salzig, sauer und bitter bis zur Zungenwurzel kann also bestenfalls als geringgradige Bevorzugung, nicht aber als ausschließliche Wahrnehmung einer einzigen Qualität durch eine bestimmte Zungenregionen angesehen werden.
5.4.5.2 Geschmacksnerven und Geschmacksbahn •
Die Dendriten des 1. Neurons der Geschmacksbahn verlaufen mit den Hirnnerven (s. Kap.
480
5.2.6.2), die die Geschmacksfasern fuhren: die Chorda tympani des Intermediusanteils des N. facialis (Ν. VII), der N. glossopharyngeus (Ν. IX) und der N. vagus (Ν. Χ). •
Die dazugehörigen pseudounipolaren Nervenzellen liegen in den sensiblen Ganglien dieser Nerven:
•
Ganglion geniculi, sensibles Ganglion des sensiblen und parasympathischen N. intermedius. Dieser Nerv legt sich dem N. facialis auf einer Strecke von 1,5 cm vom Kleinhirn-BrückenWinkel bis zum Porus acusticus internus an. Vom Ganglion geniculi aus werden die vorderen 2/3 der Zunge über die Chorda tympani innerviert, die neben dem N. petrosus major den Intermediusanteils des N. facialis bildet (s. Kap. 7.1.2.1, S. 600). • Ganglion superius und inferius η. IX. Von hier werden insbesondere die Papillae vallatae des dorsalen Drittels der Zunge über die Rr. linguales und mit den Rr. tonsillares der weiche Gaumen erreicht. • Ganglion superius et inferius η. X. Von hier erreichen sensorische Fasern über die Rr. pharyngei den Rachen und den Kehlkopfeingang. •
•
Die Axone der pseudounipolaren Nervenzellen der Ganglien projizieren mit den zugehörigen Hirnnerven in den Hirnstamm, wo sie im Nucl. solitarius (s. Abb. 5.54) das 2. Neuron der Geschmacksbahn erreichen. Vom Nucl. solitarius gelangen Kollateralen zum Nucl. salivatorius superior und inferior wie auch zum Nucl. dorsalis η. X, die die reflektorische Speichelund Magensaftsekretion ermöglichen. Über die Formatio reticularis gelangen Informationen zu den Motoneuronen des N. phrenicus im Zervikalmark, die Husten- und Brechreflexe zur Abwehr ungeeigneter Nahrung vermitteln. Im Lemniscus medialis (s. Abb. 5.98) werden die Axone der 2. Neurone teilweise kontralateral zum Nucl. ventralis posterior thalami weitergeleitet und dort auf das 3. Neuron umgeschaltet. Dieses projiziert zum Gyrus postcentralis im Bereich des Operculum parietale, welches sich nahe dem somatosensorischen Gebiet der Zunge im Gyrus postcentralis befindet. Ein zweites Geschmackszentrum liegt im Bereich des Lobus insularis. Abzweigungen aus dem Lemniscus medialis erreichen über den Pedunculus mamillaris die Corpora mamillaria. Hierdurch
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
bekommen sie Anschluss an das Limbische System. Der Hypothalamus wird nach Umschaltung im ventralen Haubenkern über den Fasciculus longitudinalis dorsalis erreicht. Klinik: 1. Geschmacksstörungen treten als Hypo- oder Ageusie auf (gr. geusis = Geschmack). Aufgrund der Zungeninnervation aus verschiedenen Hirnnerven (vordere 2/3: N. facialis, hinteres 1/3: N. glossopharyngeus, Zungengrund: N. vagus, Kap. 4.13.1.2, S. 276) dient die Geschmacksprüfung der neurologischtopischen Diagnostik. Für die Untersuchung bedient man sich entsprechender Sets mit unterschiedlichen Geschmacksstoffen. 2. Zur Lokalisation der Schädigung bei einer Fazialisparese kann man sich die Prüfung der Geschmackswahrnehmung ebenfalls zu Nutze machen: Bei einer Läsion distal des Abgangs der Chorda tympani bleibt die Geschmackswahrnehmung in den vorderen 2/3 der Zunge erhalten. Ist die Geschmackswahrnehmung der vorderen 2/3 dagegen ausgefallen, muss der N. facialis proximal des Abganges der Chorda tympani (etwa im Porus acusticus internus) geschädigt sein. Trotz der topographisch exponierten Lage der Chorda tympani medial des Kiefergelenks tritt eine umschriebene Schädigung selten auf.
5.4.6
Topographie und funktionelle Gliederung der sensiblen Systeme und Bahnen
Lernziele: Hinterstrangbahn, anterolaterales System, spinozerebelläre Bahnen, trigeminales System Als Grundbauplan sensibler Bahnen gilt, dass bis zum Thalamus mindestens 3 Neurone in Reihe geschaltet sind. Das 1. Neuron liegt mit Ausnahme der Afferenz aus der Kaumuskulatur in einem Ganglion. Das 2. Neuron kann im Hinterhorn oder in Kernbieten der Medulla oblongata oder des Pons liegen. Das 3. Neuron liegt in der Regel im Thalamus und projiziert in den sensiblen Cortex (Gyrus postcentralis). Nach der Qualität der Informationen lassen sich epikritische (Vibration, Druck, Berührung, Punktzu-Punkt-Diskrimination) und protopathische
481
5.4 Funktionelle Systeme des Z N S
Sensibilität (emotional gefärbte Wahrnehmung von Schmerz und Temperatur) unterscheiden, die über verschiedene Bahnen geleitet werden.
5.4.6.1 Allgemeiner Bauplan der sensiblen Bahnen Gemischte periphere Nerven. Sie enthalten marklose, markarme und markreiche, der Qualität nach vegetative und somatische sensible und motorische Nervenfasern. Der afferente Anteil erreicht entweder über die Radix dorsalis (s. Kap 2.6.5.1, S. 94 und 5.2.7.5, S. 496) das Rückenmark oder als sensibler Hirnnervenanteil das Gehirn, von wo aus die Informationen über aufsteigende Bahnen weitergeleitet werden. Die meisten Fasersysteme kreuzen in ihrem Verlauf auf die kontralaterale Seite. Nach mehreren Umschaltungen gelangen sie in den Thalamus und von dort in den Cortex, wo sie bewusst wahrgenommen werden können, oder die Fasern projizieren in das Kleinhirn und in die Formatio reticularis des Hirnstamms, von wo aus wichtige Reflexe und das Gleichgewicht gesteuert werden. Unterschiedliche Empfindungsqualitäten werden in topographisch verschiedenen Tractus vom Rückenmark bis zum Cortex geleitet (s. Abb. 5.98 und Tab. 5.3). Epikritische und protopathische Sensibilität. Diese Unterscheidung stammt aus der klassischen Sinnesphysiologie: •
Mit epikritischer Sensibilität ist die genau lokalisierbare Empfindung von Vibration, Druck und Berührung gemeint sowie die Fähigkeit, Berührungen von zwei eng beieinanderliegenden Punkten getrennt wahrzunehmen (Punktzu-Punkt-Diskrimination). • Unter protopathischer Sensibilität fasst man die emotional gefärbte, weniger gut lokalisierbare Empfindung von Schmerz-, Temperaturund grober Druckwahrnehmung zusammen. Auch komplexere Empfindungen wie das Jucken gehören in diese Kategorie. •
Rezeption. Die sensiblen Informationen werden zunächst von Rezeptoren aufgenommen.
Wir unterscheiden verschiedene Rezeptoren: 1. Propriozeptoren. Sie erteilen epikritisch als Sehnenorgan oder Muskelspindel Auskunft über Bewegungen und die Lage des Körpers im Raum (s. Kap. 5.4.7, S. 489): Lagesinn. 2. Interozeptoren. Sie messen als Viszerozeptoren bestimmte physiologische Parameter (Osmo-, Chemo-, Barorezeptoren) oder leiten als protopathische Mechanorezeptoren viszerosensible Schmerzempfindungen aus dem Körperinneren (ζ. B. bei Koliken). Die Viszerosensibilität wird meist d e m vegetativen Nervensystem zugeordnet. Häufig findet sich auch die Unterscheidung zwischen einem bewussten somatischen und einem unbewussten vegetativen Nervensystem. Die Einteilung in bewusst = somatisch und unbewusst = vegetativ ist aber unscharf und problematisch: In der Tat bleibt die Koordination der Organe, etwa die Darmperistaltik, durch das vegetative Nervensystem weitgehend unbewusst und willentlich nicht beeinflussbar (Viszeromotorik), während der Bewegungsapparat durch das somatische Nervensystem größtenteils bewusst gesteuert wird (Somatomotorik). AfTerenzen aus beiden Systemen (Somatosensibilität und Viszerosensibilität) können aber ζ. B. als Schmerz bewusst werden.
3. Exterozeptoren. Sie sprechen als epikritische Mechanorezeptoren auf Berührung, Vibration und Druck an. Für diese Qualitäten sind die eingekapselten, stärker differenzierten Rezeptoren zuständig (etwa Meißner-Tastkörperchen der Palma manus und Planta pedis; Vater-Pacini-Tastkörperchen der Subkutis oder die Merkel-Tastscheiben der Epidermis) (s. Kap. 15.6, S. 1226). Dagegen sprechen die ebenfalls zu den Mechanorezeptoren gehörigen freien Nervenendigungen protopathisch als Thermorezeptoren auf Temperaturveränderungen und als Nozizeptoren auf potenziell gefährliche und deshalb zentral zu Schmerzempfindung fuhrende Reize an. Myelinisierung und Leitgeschwindigkeit. Den verschiedenen Qualitäten lassen sich jeweils andere Nervenleitgeschwindigkeiten zuordnen, die sich histologisch in unterschiedlich ausgeprägten Myelinisierungsgraden der Nervenfasern widerspiegeln. Nach Erlanger und Gasser unterscheidet man verschiedene Fasertypen (Tab. 5.2):
482
5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Tabelle 5.2: Fasertypen und Nervenleitgeschwindigkeiten Fasertyp
Funktion
Mittlerer Durchmesser der Nervenfasern (Axon + Myelinscheide) in μιτι
Leitungsgeschwindigkeit in m/s
Aa
Primäre Muskelspindelafferenz, Motorisch zum Skelettmuskel
15
70-120
Aß
Hautafferenz für Berührung und
8
30-70
Druck Αγ
Motorisch zur Muskelspindel
5
15-30
Αδ
Hautafferenz für Temperatur,
N. oculomotorius. Der III. Hirnnerv (15000 Axone) versorgt die meisten Augenmuskeln: M. rectus superior, M. rectus inferior, M. rectus medialis, M. obliquus inferior und M. levator palpebrae superioris. Sein motorischer Kern liegt in der Haube des Mittelhirns. [> N. trochlearis. Der IV. Hirnnerv (2500 Axone) innerviert den M. obliquus superior. Er ist der dünnste Hirnnerv und hat seinen Kern ebenfalls im Mittelhirn in Höhe der unteren 2 Hügel der Vierhügelplatte. > N. abducens. Der VI. Hirnnerv (6000 Nervenfasern) hat seinen motorischen Kern im Boden der Rautengrube und versorgt den M. rectus lateralis. D> N. trigeminus. Allen Augenmuskelnerven lagern sich Äste des V. Hirnnervs (V/1, N. ophthalmicus) an. Diese führen die Afferenzen aus den Rezeptoren in den Augenmuskeln dem V. Hirnnerv zu. 0 Sympathikusfasern erhalten die Augenmuskeln aus den vegetativen Plexus, die die Orbitalarterien begleiten. Ihrer Funktion, der fein abgestuften Bewegung entsprechend, haben Augenmuskeln eine reichhaltige Innervation. Jeweils wenige Muskelzellen werden von einen Axon versorgt. Die Augenmuskeln haben weit mehr Muskelspindeln als andere quergestreifte Muskeln. Hirnnervenlähmungen s. Kap. 5.4.2.3, S. 459.
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
6.2.2
Fettkörper, Corpus adiposum orbitae, Bindegewebeapparat der Augenhöhle
Fettkörper (Abb. 6.29, 6.30). Der nicht von Muskeln, Gefäßen und Nerven eingenommene Raum der Augenhöhle ist von einem mit Bindegewebe durchsetzten Fettkörper ausgefüllt. Innerhalb der 4 geraden Augenmuskeln bildet dieser einen pyramidenförmigen Körper, Corpus adiposum orbitae (Abb. 6.29). Das den Fettkörper durchsetzende Bindegewebe verdichtet sich gegen die Muskeln, v. a. aber gegen den Bulbus hin zu einer festeren Haut, die ein Widerlager für den Augapfel bildet. 1. Tenon-Kapsel. Diese den Bulbus umgebende Hülle, Vagina bulbi (Tenon-Kapsel), ist mit dem N. opticus fest verwachsen, liegt in seiner Umgebung dicht der Sklera auf und entfernt sich dann von ihr (Abb. 6.29). 2. Tenon-Raum. Es entsteht so zwischen Kapsel und Sklera das Spatium intervaginale (circumbulbare, subcapsulare, Tenon-Raum), eine Verschiebespalte für den Bulbus. Sie wird von zarten Bindegewebefasern durchzogen, welche die bei den Bulbusbewegungen auftretenden Spannungen auffangen. Vagina und Spatium intervaginale reichen nach vorn bis in die Nähe des Hornhautrandes (Abb. 6.29). Die 6 Augenmuskeln ziehen auf ihrem Wege zum Bulbus durch schlitzförmige Öffnungen der Kapsel. Von der Rückfläche der Kapsel setzt sich das Bindegewebe auf die Muskeln fort, bildet um sie Scheiden, Fasciae musculares, die gegen den Ursprung der Muskeln hin dünner werden und sich schließlich verlieren. Periorbita. Sie kleidet als Periost die knöcherne Augenhöhle aus. Durch den Canalis opticus und die Fissura orbitalis superior geht sie in die Dura mater über. Im Bereich der Fissura orbitalis inferior sind in die Periorbita glatte Muskelzellen (M. orbitalis) eingewebt. Der glatte M . orbitalis ist beim Menschen das Rudiment einer Muskelplatte, die bei vielen Säugern die fehlende laterale Knochenbegrenzung ersetzt.
Septum orbitale. Es schließt den Augenhöhleninhalt nach vorne ab. Es zieht als ringförmige nahezu vertikal gestellte Bindegewebeplatte vom Orbitalrand zum Tarsus superior und inferior und wird von Nerven und Gefäßen durchbohrt (Abb. 6.31).
6.2 B e w e g u n g s a p p a r a t des Augapfels
A. Ophthalmia. Ν. trochlearis
Anulus tendi· neus comm M. levator palp. sup.
Vagina ext η. optici. Ν. frontalis
579
Α. ophthalmica. M. rectus superior
Sclera, Vagina bulbi (Tenon)
^ · Discus n. optici, A. centralis retinae · Retina. Choroidea
x
/
^ Periorbita Fornix conjunctivae superior
Ν. oculomotorius
y
- Septum orbitale
\
- M. tarsalis superior - - Tendines m. levatoris palpebrae superioris -
Angulus iridocornealis, Gil. conjunctivales
" - M. dilatator pupillae ~ • M. sphincter pupillae " - Camera anterior bulbi, Cornea, Saccus conjunctivae Tarsus superior. Gil. tarsales, M. orbicularis oculi v.
v.
χ
Iris, M. ciliaris
X
"Ora serrata, Orbiculus ciliaris Fornix conjunctivae inferior. M. tarsalis inferior
^ — ^ Ν maxillaris, Ggl. ciliare
Venenplextis, Ggl. pterygopalatinum, A. maxillaris
Sinus maxillaris
M rectus inferior
" M. obliquusinferior. Septumorbitale - Periorbita
Ν infraorbitalis
Abb. 6 . 2 9 : S a g i t t a l s c h n i t t d u r c h d i e A u g e n h ö h l e m i t I n h a l t . V o n l a t e r a l g e s e h e n . V e r ä n d e r t n a c h E. P e r n k o p f
M. obliquus superior
M. levator palpebrae superioris, M rectus superior
M. rectus medialis M. rectus lateralis N. opticus M rectus inferior superior
Concha nasalis
media
inferior
Crista galli
Sinus frontalis
Ν frontalis Cellulae ethmoidales lamina orbitalis ossis ethmoidalis N. infraorbitalis
Hiatus maxillaris
Sinus maxillaris
Septum nasi
Processus palatinos maxillae
Abb. 6 . 3 0 : F r o n t a l s c h n i t t d u r c h A u g e n - u n d N a s e n h ö h l e . D i e t o p o g r a p h i s c h e n B e z i e h u n g e n z w i s c h e n Nasennebenhöhlen und Augenhöhlen
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
580
Rami p a l p e b r a l s η. s u p r a o r b i t a l s ..
. . Rami laterales η., a., v. supra-
Septum orbitale- -
Rami p a l p e b r a l s n. lacrimalis
- Rami mediales
orbltalis
— Ν. s u p r a t r o c h l e a r ^
Tarsus s u p e r i o r — -
V. angularis
A . p a l p e b r a l i lateralis " " Ν . infratrochlearis Lig. palpebrale l a t e r a l e ' A . palpebralis medialis Arcus p a l p e b r a l i inferior
Tarsus inferior
^ • Lig. palpebrale m e d i a l e
Rr. p a l p e b r a l s η infraorbitalis
A. palpebralis m e d i a l i s
Abb. 6.31: Tarsi, Lidplatten und Septum orbitale mit hindurchtretenden Nerven und Gefäßen. Der M. orbicularis oculi ist entfernt
_
Periost
Sinus f r o n t a l i s Knochen Crista galli
x
Ν trochlearis,
s
A. s u p r a o r b i t a l ^
_
— G l a n d u l a lacrimalis
M . obliquus superior M . rectus superior Cellulae e t h m o i d a l e s
s
M
levator palpebrae
superiori
Schnittrand der Dura m a t e r —
Ν. opticus
R. c o m m u n i c a n s cum n. zygomatico
Α. carotis interna
^ N . , A. lacrimalis
-Periorbita
Chiasma opticum, Recessus opticus Diaphragma sellae
N. o c u l o m o t o r i u s -
^
- N. f r o n t a l i s
—
Fossa cranii m e d i a
- A . meningea media Mesencephalon
Abb. 6.32: Nerven und Gefäße einer rechten Orbita in situ nach Entfernung des Augenhöhlendaches. I. Oberflächliche Lage
6.3 Schutzeinrichtungen des Auges
Im vorderen Gebiet ziehen von der Vagina bulbi plattenartige Bindegewebezüge zur Orbitawand und zum unteren Augenlid. Sie sind unter dem Einfluss des Muskelzuges entstanden, bremsen als Retinacula stärkste Bewegungen ab. Klinik: Enophthalmus. Zurücksinken des Augapfels in die Orbita durch Schwund des Orbitalen Fettgewebes (Wasserverlust, verminderter Gewebedruck) infolge Abmagerung, malignen
6.3
581
Tumors (tiefliegende Augen des Schwerkranken), Alter oder narbige Schrumpfung, nach Verletzung und Dislokation der knöchernen Wand (E. traumaticus), z. B. bei Blow-out-Fraktur. Scheinbarer E. beim Horner-Syndrom durch schmale Lidspalte. Exophthalmus = Hervortreten des Bulbus endokrin (M. Basedow), tumorgefäß- oder entzündungsbedingt.
Schutzeinrichtungen des Auges
Lernziele: Lidapparat, Bindehaut, Tränendrüse, Tränenwege
6.3.1 Augenlider, Palpebrae und Augenbrauen, Supercilia 6.3.1.1 Augenlider Die Augenlider sind dem Augapfel als muskelhaltige Weichteilfalten vorgelagert (Abb. 6.31, 6.33). • Oberlid. Die Palpebra superior ist durch den Sulcus palpebralis superior gegen die Stirn abgegrenzt und bei geöffneter Lidspalte weitgehend durch eine Deckfalte überlagert. • Unterlid. Die Palpebra inferior ist durch den Sulcus palpebralis inferior gegen die Wange getrennt. Einzelne Bestandteile Facies anterior palpebrarum. Die Außen- oder Hautfläche der Lider ist von der dünnen Lidhaut überzogen. Sie ist mit feinen Lanugohärchen besetzt und mit kleinen Schweiß- und Talgdrüsen versehen. Ihr fettloses, zartes und lockeres Subkutangewebe erklärt die gute Verschieblichkeit der Lidhaut. In ihr bilden sich leicht Ödeme (z. B. bei Nierenkrankheiten, allergisches Lidödem - Quincke-Ödem). Limbus palpebralis anterior (Abb. 6.33). An der abgerundeten vorderen Lidkante, geht das verhornte Plattenepithel der Lidhaut in das nicht
verhornte geschichtete Plattenepithel des 2 mm breiten, freien Lidrandes über. Wimpernhaare, Cilia. Nahe der vorderen Lidkante stehen die starren, dicken Wimpernhaare in 2 - 3 Reihen. Sie unterstützen das Abblenden des Auges, schützen vor Fremdkörpern und lösen bei Berührung reflektorisch Lidschluss aus. Drüsen. An den Haarbälgen finden wir kleine holokrine Talgdrüsen, Glandulae sebacea (ZeisDrüsen), aber keine Mm. arrectores pilorum. Daneben kommen großlumige apokrine Schweißdrüsen, Wimperndrüsen, Glandulae ciliares (Moll-Drüsen) vor. Lidspalte, Rima palpebrarum. Die freien Ränder beider Lider gehen (Abb. 6.33) lateral in einem spitzen Winkel (Angulus oculi lateralis), medial abgerundet (Angulus oculi medialis) ineinander über und umrahmen die Lidspalte. Tränenpunkt, Punctum lacrimale. Nahe dem medialen Augenwinkel liegt auf jedem Lidrand ein kraterförmiger Tränenpunkt. Medial davon fehlen die Wimpern. Tränensee, Lacus lacrimalis. Der mediale Augenwinkel wird hier zum Tränensee mit der rötlichen Caruncula lacrimalis. Lateral vom Tränensee läuft die halbmondförmige Bindehautfalte, die Plica semilunaris conjunctivae. Das Tränenwärzchen, Caruncula lacrimalis, ist wechselnd von verhornendem und nicht verhornendem Plattenepithel überzogen. Neben konjunktivalen Schleimhautinseln finden sich Lanugohaare, Schweiß-, Talg- und akzessorische Tränendrüsen direkt benachbart.
582
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
Palpebra inferior
Sulcus palpebralis Inferior
Rr. p a l p e b r a l s n. s u p r a o r b i t a l
Rr. laterales
Schnittrand des Septum orbitale
Rr. mediales
n„ a , ν, supraorbital
Pars orbitalis glandulae lacrimalis Sehne des M . levator palpebrae superioris Rr. p a l p e b r a l s η. lacrimalis, A. palpebralis lateralis Pars palpebralis glandulae
Ν supratrochlearis N. infratrochlearis Canaliculus lacrimalis Fornix sacci lacrimalis
lacrimalis Tarsus superior
Punctum lacrimale
Tarsus inferior
Canaliculus lacrimalis
M obliquus inferior
Ductus nasolacrimalis
Rr. palpebrales n. infraorbitalls Ν , Α. infraorbitaiis
Schnittrand des Septum orbitale Schleimhaut der Nasenhöhle
Abb. 6.34: Tränendrüse, Glandula lacrimalis, durch Fensterung des Septum orbitale freigelegt; Tränensack, S a c c u s lacrimalis und Tränennasengang, Ductus nasolacrimalis, durch Fensterung d e s Stirnfortsatzes d e s Oberkiefers freigelegt
Die Caruncula wird an ihrer temporalen Seite von einer zarten Falte der Bindehaut, Plica semilunaris (Rudiment der Nickhaut der Reptilien und Vögel = „3. Augenlid") begrenzt. Beim Menschen enthält sie gelegentlich ein elastisches Knorpelblättchen. Unter der Lidhaut verläuft der feinfaserige Lidteil des M. orbicularis oculi (s. Kap. 4.8.1.1, S. 225). Tarsi, Lidplatten und Septum orbitale liegen hinter dem Muskel (Abb. 6.31, 6.34).
Lidplatten, Tarsi Die Tarsi versteifen die Augenlider. Sie bestehen aus dicht verfilztem Bindegewebe und sind der K r ü m m u n g des Augapfels angepasst. Glandulae tarsales (Meibom-Drüsen). In ihr Bindegewebegerüst sind im Oberlid 3CM10, im Unterlid 20 verzweigte tubuloalveoläre MeibomDrüsen eingebettet. In ihrer Größe sind sie der Form der Tarsi angepasst, im Bau gleichen sie den Talgdrüsen. Mit nadelstichgroßen Öffnungen
583
6.3 Schutzeinrichtungen des Auges
münden sie auf der hinteren Lidkante, Limbus palpebralis posterior. Sie fetten den Lidrand ein und verhindern das Überlaufen der Tränenflüssigkeit. Ihre Lebensdauer 4-5 Monate. Kehrt man das Augenlid nach außen um (—> Ektropium), so kann man die Meibom-Drüsen als gelbliche, gekörnte Linien erkennen (s. Klinik). Die Lidplatten sind in der Mitte breiter. Medial sind sie durch das kräftige, vor dem Tränensack verlaufende Lig. palpebrale mediale am Stirnfortsatz des Oberkiefers, lateral durch das schwächere Lig. palpebrale laterale am Jochbein befestigt (Abb. 6.34).
Das Septum orbitale wird von den Nerven und Gefäßen, die zu Augenlidern und Stirn treten, durchbrochen. Medial sind es die Rami laterales und mediales der Nn., Aa., Vv. supraorbitalis, des N. supratrochlearis und des N. infratrochlearis, lateral die feinen Endäste des N. und der A. lacrimalis (Abb. 6.31). Mediale und laterale Lidarterien bilden je einen Gefaßbogen, Arcus palpebralis superior und inferior. Klinik: 1. Ektropium (= Ektropion). Umstülpung des Lids nach außen, z. B. zur ophthalmologischen Untersuchung oder infolge Narbenzugs (E. cicatriceum), Fazialislähmung (E. paralyticum), Gewebeerschlaffung im Alter (E. senile), 2. Hordeolum (- Gerstenkorn). Abszess der Liddrüsen, 2.1 H. externum: akut-eitrige, bakterielle Entz. der Zeis- (Talgdrüsen) oder Moll-Drüsen (Schweißdrüsen); auch multipel und rezidivierend vorkommend (Hordeolosis), 2.2 H. internum: eitrige Entz. der Meibom-Drüsen am Tarsus (Lidinnenseite), 3. Chalazion (= Hagelkorn). Bis erbsengroßes, an den Augenlidern lokalisiertes Granulom, meist von den Glandulae tarsales (MeibomDrüsen) ausgehend durch Sekretstauung nach entzündlichen Verschluss der Ausführungsgänge, 4. Brillenhämatom. Bluterguss der Ober- und Unterlider, ein- (Monokelhämatom) oder beidseitiges Auftreten v. a. bei Schädelbasisfrakturen. Die Tatsache, dass die meisten und stärkeren Gefäß- und Nervenäste von medial her das Septum orbitale durchbohren, erklärt, dass Blutergüsse in die Orbita (Schädelbasisbruch!) zuerst am medialen Augenwinkel erscheinen,
sich dann im unteren Augenlid ausbreiten und schließlich beide Lider als „Brillenhämatom" ausfüllen. Da vom Margo supraorbitalis und infraorbitalis stärkere Bindegewebezüge zur Haut und zum M. orbicularis ziehen, senken sich Lidergüsse nicht in die Wange. Umgekehrt lassen Blutergüsse (Hämatome) der Stirn und der Wange die Lider frei. Bewegungsapparat der Lider 1. M. orbicularis oculi. Verlauf und Wirkung s. K a p . 4.8.1.1, S. 225.
2. M. levator palpebrae superioris Der quergestreifte, vom N. oculomotorius versorgte M. levator palpebrae superioris entspringt in der Nähe des Canalis opticus vom kleinen Keilbeinflügel, verläuft zwischen M. rectus superior und Orbitadach. Er durchsetzt mit breiter, platter Sehne (Abb. 6.34, 6.35) die Tränendrüse und strahlt mit feinen Fasern vor dem Tarsus in die Muskulatur und das Bindegewebe des Lides aus. Funktionell vermag er das Lid etwa 1 cm willkürlich heben. 3. M. tarsalis superior, der von den Sehnen des Levator und der Sehne des M. rectus superior entspringt und am Tarsus superior ansetzt (Abb. 6.29), unterstützt den Levator. Er wird sympathisch versorgt. Zusammen mit dem am Tarsus inferior ansetzenden, ebenfalls glatten M. tarsalis inferior hält er durch seinen Tonus die Lidspalte offen (Ptosis s. Horner-Komplex).
6.3.1.2 Augenbrauen, Supercilia Die Supercilia umrahmen in Höhe des oberen Randes des Augenhöhleneinganges die Augen im nach oben konvexen Bogen (Abb. 6.33). Die starren, mehr oder minder buschigen Haare sind schräg nach außen gerichtet. Durch diese Anordnung dämmen sie den Stirnschweiß vom Auge ab und leiten ihn seitlich an ihm vorbei.
6.3.2 Bindehaut, Tunica conjunctiva Die Tunica conjunctiva verbindet die Augenlider mit dem Bulbus oculi, beginnt an der hinteren Lidkante und überzieht als Tunica conjunctiva palpebrarum die Rückfläche der Augenlider.
584
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
M. tarsalis superior Levatoraponeurose
Glandula lacrimalis
Í
mit
j
Ductuli excretorii
[
p
a r s orbitalis
p a rs palpebrali
Lig. palpebrale laterale M. obllquus inferior Foramen infraorbltale
Trochlea, Tendo m. obliqui superiori Canaliculus lacrimalis Lacus lacrimalis Lig. palpebrale mediale Saccus lacrimalis Ductus nasolacrimalis Schleimhaut des Sinus maxillaris
Abb. 6.35: Übersicht über den Tränenapparat nach Entfernung der Lidmuskeln (nach Eisler)
Unter Bildung des Bindehautscheitels (Fornix conjunctivae superior und inferior) geht sie auf die Sklera über, die sie als Tunica conjunctiva bulbi bis zum Hornhautrand überzieht (Abb. 6.29). Mit dem Tarsus ist sie fest verbunden. Im Bereich des Septum orbitale, des Fornix conjunctivae und der Tunica conjunctiva bulbi ist sie locker und verschieblich auf der Unterlage befestigt. Reservefalten ermöglichen Bewegungen des Augapfels und der Lider. Klinik: Chemosis. Ödem der Bulbusbindehaut mit blasenartiger Abhebung von der Lederhaut bei Entzündung und Bluterguss; die Bulbusbindehaut überragt den Hornhautrand wulstformig. Bindehaut-, (= Konjunktival-)sack. Tunica conjunctiva palpebrarum und bulbi begrenzen einen kapillaren Spalt, Bindehautsack. Glandula lacrimalis (Abb. 6.34, 6.35) (s. Kap. 6.3.3, S. 585). Im lateralen Teil des Fornix conjunctivae superior münden die Tränendrüsen mit 7-15 Ductuli excretorii. Von dort wird die Tränenflüssigkeit im kapillaren Bindehautsack zum Tränensee gefuhrt. Im medialen Augenwinkel bildet die Bindehaut die Plica semilunaris. Von der inneren Lidkante nach innen liegt wie am freien Lidrand noch eine schmale Zone unverhornten geschichteten Plattenepithels, das in geschichtetes Zylinderepithel und im Fornix in kubisches Epithel übergeht. Auf dem Bulbus weicht es geschichtetem Plattenepithel. Im Lidteil treffen wir neben schlauchförmigen Epitheleinsenkungen mit Becherzellen, im Fornix noch
tubuloazinöse Glandulae lacrimales accessoriae an. Die zahlreichen Becherzellen bilden die Glykosaminoglykane des Tränenfilms. Am Limbus corneae geht das Bindehautepithel in das Hornhautepithel über. Hier findet man reichlich ATPasen und Karboanhydrase, die die Flüssigkeit aus der Kornea in die Kapillarschleifen am Limbus transportieren.
In der Tunica propria der Bindehaut kommen reichlich Plasmazellen und Lymphozyten vor. Die Lymphozyten können im subkonjunktivalen Bindegewebe (besonders des Fornix) zu einzelnen Noduli lymphatici zusammenfließen. Gefäße. Die Conjunctiva palpebrarum wird von Ästen der C> Aa. palpebrales mediales und laterales versorgt. Die Arterien der Conjunctiva bulbi stammen aus den t> Aa. ciliares anteriores, Ästen der Arterien der 4 geraden Augenmuskeln. Sie bilden am Hornhautrand ein Randschlingennetz. Bei Bindehautentzündungen sind sie erweitert, so dass man sie gut mit bloßen Augen erkennen kann. Die Gefäße lassen sich leicht mit der Bindehaut verschieben und durch Druck entleeren. Die etwas stärkeren Venen verlaufen meist unabhängig von den Arterien. Klinik: 1. Konjunktivitis. Augenbindehautentzündung mit Rötung, Schwellung, starker Sekretion, Lichtscheu, Blepharospasmus (= Lidkrampf, Krampf des M. orbicularis oculi bei Reizerscheinungen des Auges) durch Fremdkörper, Verletzung, Staub, Infektion durch Neisseria
585
6.3 Schutzeinrichtungen des Auges
Trochlea, M. obliquus superior Ν
Sinus frontalis
N. s u p r a t r o c h l e a r 7 ^
R medialis n „ a. supraorbitals
infratrochearis
, ' R lateralis
Ν ., A. ethmoidalis anterior \ "
. ^ V e n t e r f r o n t a l i s m . occipitofrontalis
Ν. nasociliaris^
— Septum orbitale
Cellulae ethmoidales — M . levator palpebrae superioris
Ν , Α. ethmoidalis posterior M rectus medialis mit R. muscularis
Glandula lacrimalis x
— · M. rectus superior
M . obliquus superior, Ν. trochlearis . R communicans cum π nasociliari -
Bulbus oculi
N. frontalis
R. communicans cum n. zygomatico
R. superior η. Ill, M m . levator — N n „ Aa ciliares breves
lalpebrae superioris et rectus superior
• N. ci Maris longus N. opticus, A ophthalmica
-R. inferior n. oculomotorii. Radix oculomotoria
A. carotis interna
• Ganglion ciliare
Chiasma opticum. Recessus opticus
- Ν. abducens
Tractus opticus
' N „ A. lacrimalis
Diaphragma sellae.
~ N.ophthalmicus
N. oculomotorius
~ N. maxillaris mit R. meningeus
N. trochlearis ·
* N. mandibularis
N. abducens — ^
A. meningea media, ^
Mesencephalon
Ν trigeminus
R, tentoni η. ophthalmicì
R. meningeus n. mandibularis
Ganglion trigeminale
Abb. 6.36: Nerven und Gefäße einer rechten Orbita in situ von der Schädelhöhle aus gesehen. II. Tiefe Lage
(Gonoblennorrhoe), Chlamydien (Einschluss-, Schwimmbadkonjunktivitis), Viren, Benetzungsstörungen infolge verminderter Tränensekretion (Keratoconjunctivitis sicca), Allergie, 2. Keratoconjunctivitis epidemica (= Keratoconjunctivitis nummularis, Viruskeratitis). Adenoviridae-Infektion von Cornea und Conjunctiva, oft einseitig mit Fremdkörpergeftihl, heftigem Tränen, Rötung der Plica semilunaris, Schwellung der Karunkel, Lidödem, geringe Chemose, eiförmig durchschimmernde Follikel in der Bindehaut, Schwellung der präaurikulären Lymphknoten ab dem 7. Krankheitstag; Keratitis mit münzenförmigen Infiltrationen, meist in Hornhautmitte. Lymphgefäße von Lidern und Bindehaut ziehen größtenteils zu den Nil. parotidei (Kap. 4.11.2, S. 253), außerdem mit der V. angularis zu den Nil. submandibulares. Nerven Sensible Nerven für das Oberlid stammen aus N. V/1, für das Unterlid aus N. V/2. Sie enden frei im Epithel.
Motorisch versorgt der Ο Ν. facialis den M. orbicularis oculi D> N. oculomotorius den M. levator palpebrae superioris, t> Sympathicus die Mm. tarsales.
6.3.3
Tränenapparat, Apparatus lacrimalis
Unter dem Tränenapparat versteht man die Tränendrüse und die ableitenden Tränenwege. 1. Tränendrüse, Glandula lacrimalis Die Glandula lacrimalis liegt oberhalb des lateralen Augenwinkels in der Fossa glandulae lacrimalis des Stirnbeins (Abb. 6.34, 6.36). Die Sehne des M. levator palpebrae superioris teilt sie in eine 1. Pars orbitalis, dem Knochen anliegend, 2. Pars palpebralis, weiter nach vorn reichend, dem Lid anliegend. 6-12 kleine Ausführungsgänge, Ductuli excretorii, leiten die Tränenflüssigkeit oberhalb des lateralen Augenwinkels in den Fornix conjunctivae superior.
586
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
\
N. opticus, A. ophthalmica
N. oculomotorius
Ν. trochlear^ M . obiiquus superior /
/
Ν nasociliaris
\
x
v
opticus, Nn., Aa. ciliares post, breves
4
\
\
N. ophthalmicus-
Radix oculomotoria
\ ^
\
x
Ν , A. supraorbitals x
A. carotis interna
\
x \
\ \
\
x
\
\ \ Ν \
\
\
>\ \
\
,
Ganglion pterygopalatinum —> N. zygomaticus —> Ramus communicans zum N. lacrimalis, zwischen Knochen und Periorbita der lateralen Orbitalwand (Abb. 6.37).
Klinik: Die selbstständige vegetative Nervenversorgung erklärt, dass bei Sensibilitätsausfall (N. V/1) die Tränensekretion erhalten bleibt. 2. Tränenwege, Viae lacrimales Lacus lacrimalis, Tränensee. Die Tränenflüssigkeit wird bei Bewegung der Augenlider (Wischbewegung in Richtung medialer Lidwinkel) durch den Bindehautsack zum medialen Augenwinkel in den Lacus lacrimalis gefuhrt. Hier wird sie durch die Tränenpunkte, Puncto lacrimalia, in die Canaliculi lacrimales, die Tränenröhrchen, angesaugt. Diese ziehen am Oberlid aufbzw. am Unterlid abwärts, wenden sich mit scharfer Biegung medialwärts, um einzeln oder gemeinsam (Abb. 6.35) in den Tränensack zu münden. Tränenkanälchen werden von Muskelfasern umgeben, die aus dem Horner-Muskel des M. orbicularis oculi stammen (s. Kap. 4.8.1.1, S. 225). Beim Lidschluss kippen die Tränenpünktchen nach innen und tauchen in den Tränensee ein. Dabei wirkt die Muskulatur als Saug- und Druckpumpe,
587
6.4 Gefäße und Nerven der Orbita
so dass die Tränenflüssigkeit aktiv aus dem Tränensee abtransportiert werden kann. Klinik: Schneller Lidschlag steigert Abtransport der Tränenflüssigkeit!
den
Der Saccus lacrimalis (Tränensack), liegt in der Fossa sacci lacrimalis zwischen der Crista lacrimalis anterior und posterior. Seine Kuppe, Fornix sacci lacrimalis, überragt nach oben das vor dem Sack verlaufende Lig. palpebrale mediale. Hinter dem Tränensack zieht der Horner-Muskel von den Lidern zur Crista lacrimalis posterior. Der Ductus nasolacrimalis (Tränennasengang) verläuft vom Tränensack ab-, medial- und rückwärts, um unter der unteren Muschel in die Nasenhöhle zu münden. Die Mündung wird meist von einer kleinen Schleimhautfalte, Plica lacrimalis {Hasner-Falte), verdeckt. Histologie. Tränenröhrchen sind mit geschichtetem Plattenepithel, Tränensack und Tränenkanälchen mit mehrreihigem Zylinderepithel ausgekleidet. Direkt unter dem Epithel liegt ein lockeres Bindegewebe mit einem ausgedehnten Plexus von weiten Venen, der von zahlreichen arteriovenösen Anastomosen versorgt wird (peristaltische Unterstützung des Tränenflusses).
Klinik: Epiphora. Tränenträufeln, spontanes Überlaufen der Tränen über den Lidrand durch:
6.4
6.3.4 Orbita und Nasennebenhöhlen Orbitagrenzen. Sie zeigen die Beziehungen zu den Nasennebenhöhlen (NNH). Weiteres s. Kap. 4.6.1.1, S. 217. •
Medial: Die Wand ist nur durch eine papierdünne Knochenlamelle von den Cellulae ethmoidales getrennt (Abb. 6.30). • Boden: grenzt an den Sinus maxillaris und hier verlaufen die Vasa infraorbitalia und der N. infraorbitalis. • Dach: Der Sinus frontalis kann sich bei starker Ausbildung weit in das Orbitadach vorschieben (Abb. 6.32). • Canalis opticus: Bei starker Pneumatisation kann der Sinus sphenoidalis den N. opticus im Canalis opticus vollständig umgeben. Beziehungen der Orbita zu NNH sind von großer klinischer Bedeutung. Entzündungen und Geschwülste der NNH können leicht auf Augenhöhle und N. opticus übergreifen.
Gefäße und Nerven der Orbita
Lernziele: Topographie der Augen- und Orbitagefäße, Nerven, Ganglion ciliare
6.4.1
1. Vermehrte Tränenbildung (= Dakryorrhoe): Fremdkörper oder psychisch bedingt, 2. Abflussbehinderung in den Tränenwegen: Abstehen des unteren Tränenpunkts, Stenose der Tränenkanälchen oder des Tränennasengangs (Dakryostenose) und Entzündung.
Augenschlagader, A. ophthalmica, Augenvenen, Vv. ophthalmicae, Lymphgefäße, Vasa lymphatici
A. ophthalmica. Sie geht aus der letzten, nach vorn konvexen Krümmung der A. carotis interna hervor (Kap. 4.9.1, S. 244, Kap. 5.3.4.1, S. 456). Sie tritt unterhalb des N. opticus durch den Canalis opticus, beschreibt um den Sehnerven eine Schraubentour, indem sie sich nach lateral, dann über ihn nach medial wendet, wo sie entlang dem M. obliquus
superior nach vorn verläuft, um sich in der Nähe der Trochlea des M. obliquus superior in 2 Endäste aufzuteilen: I> A. dorsalis nasi [> A. supratrochlearis. Die A. centralis retinae, ein kleiner Ast der A. ophthalmica, entspricht einer Hirnarterie. Sie tritt 10-15 mm vom Bulbus entfernt von unten her in den Sehnerv ein und gelangt durch die Papilla n. optici zur Netzhaut. Mit den übrigen Ästen versorgt die Augenschlagader: • den gesamten Inhalt der Augenhöhle: mittlere und äußere Augenhaut, Muskeln, Fett
588
• Teile der Nasenhöhle: vorderes und oberes Gebiet der lateralen Wand und Septum, Siebbeinzellen, Keilbeinhöhle • Stirn, Augenlider, Nasenwurzel und Teile der Dura mater. Astfolge der A. ophthalmica: Ο Α. lacrimalis, längs des oberen Randes des M. rectus lateralis zur Tränendrüse und zum lateralen Augenwinkel ziehend. Ein kleiner Ast der A. lacrimalis erreicht durch die Fissura orbitalis superior die Dura der mittleren Schädelgrube. \> A. supraorbitalis, der stärkste Ast, zieht dicht unter der Periorbita zur Stirn. O A. ethmoidalis posterior, gelangt mit dem gleichnamigen Nerv durch das Foramen ethmoidale posterius zu den Siebbeinzellen. D> A. ethmoidalis anterior, verläuft mit dem gleichnamigen Nerv durch das Foramen ethmoidale anterius zur Schädelhöhle, wo sie die A. meningea anterior an die Dura abgibt und durch die Lamina cribrosa zur Nasenhöhle gelangt. t> Rami musculares erreichen von benachbarten, größeren Ästen die Augenmuskeln. Aa. ciliares anteriores sind Äste zu den 4 geraden Augenmuskeln. Sie ziehen durch die Sklera.
t> Aa. ciliares posteriores breves und Aa. ciliares posteriores longae entspringen meist mit 2 Stämmchen im Canalis opticus und gelangen unter mehrfacher Teilung bis zum Bulbus, wo 16-20 Aa. ciliares posteriores breves und 2 (eine mediale, eine laterale) Aa. ciliares posteriores longae in der Umgebung des Sehnervenaustritts die Sklera durchbohren und zur Gefaßhaut des Auges gelangen (Abb. 6.37). Augenvenen, Vv. ophthalmicae. Sie sammeln sich in 2 Stämmen (Abb. 6.36): > V. ophthalmica superior, sammelt das Blut aus: 1. Augapfel (Vv. vorticosae), 2. Sinus venosus sclerae, 3. oberhalb des N. opticus gelegenen Muskeln, 4. Augenlidern, 5. Tränendrüse, 6. der Schleimhaut der Siebbeinzellen und der Nasenhöhle. Anastomosen bestehen zu: V. facialis, V. ophthalmica inferior, Sinus sagittalis inferior. Sie verläuft zunächst medial vom Bulbus, überkreuzt, wie die Arterie, den Sehnerv, zieht lateral von ihm zur Fis-
6 Sehorgan, Auge, Oculus et Structurae pertinentes
sura orbitalis superior, wo sie am weitesten lateral liegt, und mündet in den Sinus cavernosus. t> V. ophthalmica inferior. Die kleinere Vene entsteht am Boden der Orbita und führt das Blut aus den unteren Augenmuskeln. Sie hat Verbindungen zur Nasenhöhle und mündet teils in die V. ophthalmica superior, teils durch die Fissura orbitalis inferior in den Plexus pterygoideus (Kap. 4.10.3, S. 252) Beide Venen sind klappenlos. Das Blut kann in beiden Richtungen strömen (s. Klinik!). Klinik: 1. Lippenfurunkel. Eitrige Entzündung v. a. der Oberlippe, oft als Komplikation bei Acne vulgaris, mit Gefahr der Thrombophlebitis der V. angularis und des Sinus cavernosus mit Kavernosusthrombose und Meningitis (Hirnhautentzündung). Das Blut fließt aus der V. facialis über Anastomosen (V. angularis) zur V. ophthalmica, von dort in den Sinus cavernosus, 2. Nasenfurunkel. Komplikation sind ebenfalls Thrombophlebitis der V. angularis und V. ophthalmica, Orbitalphlegmone, Kavernosusthrombose, Meningitis. Lymphwege. Bulbus und Nervus opticus verhalten sich wie Hirnteile. Sie werden nur von Spalträumen umgeben. > Die Spalträume des N. opticus stehen mit denen des Gehirns in Verbindung. Erkrankungen werden daher vorwiegend zu den Hirnhäuten hin fortgeleitet. D> Die Abkömmlinge der Haut (Lider, Bindehaut und Tränenorgane) haben geschlossene, von Endothel ausgekleidete Lymphgefäße, die mit denen des Gesichtes in Verbindung stehen und hauptsächlich zu den Nil. parotidei superficiales und vom medialen Augenwinkel und den Tränenabführwegen zu den Nil. submandibulares ziehen.
6.4.2
Nerven, Ganglion ciliare
Die Nerven (Abb. 6.32, 6.36, 6.37) treten mit Ausnahme des N. opticus durch die Fissura orbitalis superior in die Orbita ein. Beim Eintritt bilden sie 2 Gruppen:
6.4 Gefäße und Nerven der Orbita
589
t> N. oculomotorius, N. abducens, N. nasociliaris treten in den von den geraden Muskeln beschriebenen Muskelkegel ein. t> N. lacrimalis, N. frontalis, N. trochìearis liegen außerhalb des Muskelkegels (ebenso die V. ophthalmica superior). Topographisch gesehen liegen sie in verschiedenen Schichten. 1. Schicht. N. trochìearis, N. frontalis und Ν. lacrimalis findet man nach der Entfernung des dünnen Orbitadaches direkt unter der Periorbita, außerhalb des Muskelkegels in Fettgewebe eingebettet (Abb. 6.32). Der dünne N. trochìearis, der sich nach medial zum M. obliquus superior wendet, ist bei Aufmeißelung des Orbitadachs wegen seiner oberflächlichen Lage besonders gefährdet. Der kräftige N. frontalis spaltet sich in seinem Verlauf in den Ramus lateralis und medialis n. supraorbitalis auf. Der zarte N. supratrochlearis zieht von ihm oberhalb der Trochlea des M. obliquus superior zum medialen Augenwinkel. Der N. lacrimalis verläuft entlang des Oberrandes des M. rectus lateralis zur Tränendrüse und durch diese hindurch zur Haut und Bindehaut am lateralen Augenwinkel. 2. Schicht (zwischen M. rectus superior Ν. opticus). Der schwächere obere Ast des N. lomotorius liegt zwischen M. rectus superior Ν. opticus, er zieht zum M. rectus superior und M. levator palpebrae superioris.
und ocuund zum
Der N. nasociliaris verläuft neben dem M. rectus medialis (Abb. 6.36) nach vorn, gibt nach medial durch das Foramen ethmoidale posterius den N. ethmoidalis posterior zur Schleimhaut der Keilbeinhöhle und der hinteren Siebbeinzellen. Der N. ethmoidalis anterior zweigt weiter vorn durch das Foramen ethmoidale anterius zur Schädelhöhle ab und zieht von dort durch die Lamina cribrosa zur Schleimhaut der Nasenhöhle und Haut der Nasenspitze (R. nasal is externus). Sein Endast,
N. infratrochlearis, gelangt unterhalb der Trochlea zum medialen Augenwinkel: Haut, Bindehaut, Tränensack. Der N. nasociliaris
gibt nach lateral weiterhin ab:
\> R. communicans cum ganglione ciliari (Radix longa). Die Fasern treten ohne Unterbrechung durch das Ganglion hindurch und ziehen in den Nn. ciliares breves zum Bulbus. [> Nn. ciliares longi, 2 - 3 dünne Äste zum Bulbus. In der 2. Schicht liegen auch die Hauptverzweigungen der A. ophthalmica (s. o.). 3. Schicht (tiefste Schicht: entlang des N. opticus). Der stärkere untere Ast des N. oculomotorius und der N. abducens ziehen neben und unter dem N. opticus entlang. Der untere Ast des N. oculomotorius gibt j e einen Ast zum M. rectus medialis und inferior ab, schickt darauf die kurze, kräftige Radix oculomotoria zum Ganglion ciliare und verläuft am lateralen Rande des M. rectus inferior zum M. obliquus inferior (Abb. 6.36, 37). Der N. abducens, lateral vom N. opticus gelegen, senkt sich nach kurzem Verlauf in den M. rectus lateralis. Ganglion ciliare. Das kleine, ca. 2 mm lange, nicht immer vorhandene Ganglion ist parasympathisch; lateral neben dem N. opticus, ca. 2 cm hinter dem Augapfel, gelegen. \> Parasympathische Fasern des N. oculomotorius gelangen über die Radix oculomotoria (brevis) in das Ganglion, werden auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet und versorgen über die Nn. ciliares breves (Abb. 6.36, 37) den M. ciliaris und den M. sphincter pupillae. I> Sensible Fasern aus dem R. communicans cum n. nasociliari \> Sympathische Fasern (R. sympathicus ad ganglionem ciliare, aus dem Geflecht der A. ophthalmica, die im Ganglion cervicale superius umgeschaltet werden) ziehen ohne Umschaltung im Ganglion über die Nn. ciliares breves zum Augapfel (M. dilatator pupillae) (s. Kap. 5.2.7.4, S. 427).
7
Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare Gebhard Reiss
Übersicht, Einteilung Wir unterscheiden am Ohr 3 getrennte Abschnitte: 1. äußeres Ohr, Auris externa, 2. Mittelohr, Auris media, 3. Innenohr, Auris interna. Äußeres Ohr. Es fängt mit der Ohrmuschel, Auricula, Schallwellen auf und leitet sie über den äußeren Gehörgang, Meatus acusticus externus, zum Trommelfell, Membrana tympanica. Mittelohr. Es besteht aus lufthaltigen, mit Schleimhaut ausgekleideten Räumen, die durch die Ohrtrompete, Tuba auditoria, mit dem Nasenteil des Schlundes, Epipharynx, verbunden sind. •
Paukenhöhle, Cavilas tympanica, ist der Hauptraum mit den Gehörknöchelchen, die Schallwellen vom Trommelfell auf das Innenohr übertragen. • Nebenräume stehen mit dem Hauptraum in Verbindung, v. a. Warzenfortsatzzellen, Cellulae mastoideae Innenohr. Es ist anatomisch und entwicklungsgeschichtlich (s. u.) eine Einheit. Funktionell besteht es aus 2 Organen: • •
Gehörorgan, Organum cochleare Gleichgewichtsorgan, Organum vestibuläre. Unter Betonung des höheren Sinnesorgans wird seit altersher kurzweg vom Innenohr gesprochen.
Weitere Begriffe Schallleitungsapparat. Äußeres Ohr, Trommelfell und Miltelohr bilden eine funktionelle Einheit, den Schall leitungsapparat. Schallaufnahme- oder Schallempfindungsapparat ist das Innenohr.
Innenohr (= Labyrinth). Das Innenohr liegt im Knochen der Felsenbeinpyramide und besteht aus Hohlräumen, die wegen ihrer Vielgestaltigkeit als Labyrinth bezeichnet werden. Man unterscheidet 2 räume: • •
flüssigkeitsgefullte
Binnen-
Perilymphraum Endolymphraum. Der Perilymphraum schließt den Endolymphraum ein.
Diese Anordnung findet sich im Gleichgewichtsorgan als Teil des Innenohres und im Gehörorgan. Peri- und Endolymphraum bestehen aus: • • •
2 bläschenartigen Strukturen, Sacculus Ulriculus 3 Bogengängen, Ductus semicirculares Schneckengang, Ductus cochlearis.
und
Utriculus, Sacculus und die 3 Ductus semicirculares enthalten Sinnesepithel, das 1. Lage- und Bewegungsänderungen von Kopf und Körper registriert, 2. Empfindung von Beschleunigung und Verzögerung (= negative Beschleunigung) vermittelt. Körperlage. Erregt durch die bei Kopf- und Körperbewegung ausgelösten relativen Strömungen der Endolymphe löst diese reflektorische Muskelbewegungcn aus, die die Kopf-, Augen-, Rumpfhaltung aufrechterhalten oder wiederherstellen.
Cochlea. Die Schnecke enthält im Schneckengang, Ductus cochlearis, Sinnesepithel für Schallreize, die durch den Schallleitungsapparat auf die Perilymphe und von dieser auf das Sinnesepithel übertragen werden. Zentrale Verschattung. Sie erfolgt für beide Sinnesorgane über den N. vestibulocochlearis zu Kemgebieten im Hirnstamm.
592
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Entwicklung, Fehlbildungen Lernziele: Entwicklung von äußerem Ohr, Mittel- und Innenohr, Schiunddarm, Fehlbildungen Die 3 Anteile des äußeren Ohres (Ohrmuschel, äußerer Gehörgang und Trommelfell) entwickeln sich aus Mesenchymverdickungen um die 1. Kiemenfurche herum sowie 6 Aurikularhöckern. An der Bildung des Trommelfelles ist zudem die 1. Schiundtasche bzw. die 1. Schiundfurche beteiligt. Das Mittelohr entsteht insgesamt aus der 1. Schiundtasche, die darin befindlichen Gehörknöchelchen Hammer und Amboss aus dem 1. Schlundbogenknorpel, der Steigbügel aus dem 2. Schlundbogenknorpel. Das Innenohr nimmt, wie im folgenden beschrieben, seinen Ursprung aus Ohrpiakode und Ohrbläschen, die sich weiter in den ventralen Saccus cochlearis (für den Sacculus und den Ductus cochlearis) sowie den dorsalen Saccus vestibularis (für den Utriculus und die Bogengänge) differenzieren. Im Carnegie-Stadium 9 (20. ET), vor Schluss des Neurairohres, ist das Innenohr (hier als Ohrpiakode bezeichnet) eine Verdickung des Ektoderms: Ohr- oder Labyrinthplatte, otic zone (Kap. 3.5.3.1, S. 153). Ohrpiakode. Sie senkt sich zur Ohrgrube in das darunter liegende Mesenchym ein und erscheint als Ohrhöhle (otic pit). Eine Gangverbindung zur Oberfläche (= Ektoderm) besteht (24. ET). Ohrbläschen. Es entsteht mit der Abschnürung vom Ektoderm. In diesen Schritten ist die Entwicklung des Ohrbläschens mit der des Linsenbläschens vergleichbar, die einige Tage später, aber in ähnlichen Schritten erfolgt (Kap. 6, S. 555). Am oberen dorsalen Pol des Ohrbläschens bildet sich der Recessus labyrinthi, später Ductus endolymphaticus. Durch beschleunigtes Wachstum der lateralen Wand des Ohrbläschens kommt der Abgang des Ductus anschließend mehr medial zu liegen. Bogengänge, Ductus semicirculares, und Schneckengang, Ductus cochlearis, differenzieren sich danach zur Pars utriculovestibularis, oberer, dorsaler, kanalikulärer Abschnitt, woraus Utriculus und Bogengänge entstehen, und zur Pars sacculocochlearis, unterer, kochleärer Abschnitt mit
mesenchymaler Kapsel (im Sinne eines vorknorpeligen Blastems), aus dem Sacculus und Ductus cochlearis werden. Am 43. ET gliedert sich der Ductus endolymphaticus in: Saccus endolymphaticus, sakkulärer Anteil, Ductus endolymphaticus, duktulärer Anteil. Am 47. ET manifestiert sich eine L-formige Spitze im Ductus cochlearis, woraus sich die erste Windung bildet. Eine halbe Windung und die knorpelige Schädelbasis sind am 50. ET ausgebildet. Das Labyrinthepithel differenziert sich zum Sinnesepithel. Gleichzeitig bilden Wandanteile des Labyrinthbläschens das Ggl. vestibulocochleare. Maculae utriculi et sacculi. Die übrigen epithelialen vestibulären Anteile lassen in der Umgebung der Sinneszellen eine primär häutige Macula entstehen, aus der Macula utriculi und Macula sacculi werden. Cristae ampullares. Sie entstehen in Aufweitungen der Bogengänge. Utriculus und Sacculus entfernen sich voneinander, bis sie ein eigenes Gangsystem (Ductus utricularis bzw. Ductus saccularis) als Verbindung zum erweiterten (Sinus endolymphaticus) Ductus endolymphaticus ausgebildet haben. Diese endolymphatischen Hohlräume werden von sich aufweitenden perilymphatischen Bläschen und einem kompletten Hohlraum umgeben, beginnend im vestibulären Anteil. N. vestibulocochlearis. Das primäre Ggl. vestibulocochleare teilt sich parallel zu den häutigen Hohlräumen in 2 Teile (utrikulovestibulärer, sakkulokochleärer) und enthält bipolare Proneurone, die zur Peripherie hin Kontakt mit den Sinneszellen aufnehmen, in zentraler Richtung ebenfalls aussprossen und als N. VIII zu Kerngebieten im Rautenhirn Kontakt aufnehmen. Hauptteil des Nervs sind jetzt vestibuläre Fasern. Cochlea. Mit dem 56. ET entstehen 1Ά kochleäre Windungen. Die Kapsel des Innenohres ist an 4 Stellen durchbrochen fur Ductus endolymphaticus, Foramen rotundum, Foramen ovale und Porus acusticus internus; sie ähnelt dem späteren Felsenbein (Pars petrosa des Os temporale). Corti-Organ, N. cochlearis: 2 epitheliale Wülste haben sich in
593
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
das lang gestreckte und zirkulär um den N. cochlearis verlaufende Corti-Organ bzw. den Limbus spiralis differenziert. In der 12. EW sind die kompletten 2 Ά Windungen der fetalen Cochlea mit Sinneszellen entstanden. Die Verbindung zwischen Sacculus und Ductus cochlearis ist jetzt der Ductus reuniens. In der 14. EW beginnt die Verknöcherung der Ohrkapsel zum harten, markarmen Felsenbein. In der Cochlea hat sich der Perilymphraum unterhalb des CortiOrgans ( - » Scala tympani) erweitert, dann oberhalb desselben (—» Scala vestibuli). Das zwischen beiden Scalae verbliebene Gewebe bildet unterhalb des Organs die Basilarmembran (Lamina basilaris), oberhalb die Reissner-Membran (Lamina vestibularis), seitlich das Lig. spirale. Der dazwischen liegende Spalt füllt sich mit Endolymphe, bläht sich zu einem Dreieck auf und stellt den späteren Ductus cochlearis dar.
Verbindung zum Subarachnoidalraum (Aquaeductus cochleae). Klinik: Hereditäre Innenohr Schwerhörigkeit. Ursache: 1. Monosymptomatisch (selten) durch Labyrinthaplasie (Michel-, Scheibe-, MondiDysplasie), 2. Syndromisch (Innenohrschwerhörigkeit im Rahmen von Syndromen) bei Alport-, Pendred-, Usher-Syndrom. In der Stammesgeschichte tritt das Gleichgewichtsorgan, wie in der Individualentwicklung, vor dem Gehörorgan auf. Schon bei den niederen Wirbeltieren ist es als Seitenlinien- oder Otolithenapparat vorhanden und zentraler Bestandteil des Nervensystems. Das Gehörorgan fehlt bei Fischen. Als Schnecke taucht es bei Wirbeltieren und wenigen Insekten auf. Fische weisen als primitives Gehörorgan mit der Papilla lagenae eine Struktur auf, die hinsichtlich ihres Bau eher Teilen der späteren Gleichgewichtsorgane (Macula sacculi) ähneln. Erst höhere Vertebraten besitzen ein schlauchförmiges Gehörorgan, das bei Säugetieren Schneckenform annimmt.
Die Verknöcherung der Ohrkapsel ist in der 20. EW abgeschlossen, der Perilymphraum ausgebildet mit
7.1
Schallleitungsapparat des Ohres
7.1.1
Äußeres Ohr, Auris externa
Lernziele: Auricula. Meatus acusticus externus: Anteile. Verlauf. Membrana tympani: Feinbau, Stellung. Gefäße, Nerven Die Auris externa (Abb. 7.1, 2 - 6 ) besteht aus: 1. Ohrmuschel {Auricula), 2. äußerem Gehörgang (Meatus acusticus externus), 3. Trommelfell (Membrana tympanica) als medialer Grenze. Entwicklungsgeschichtlich ist der äußere Gehörgang Teil der 1. Schiundfurche. Die angrenzenden Mandibular- und Hyoidbögen bilden 6 Höcker, aus denen die Ohrmuschel und das Ohrläppchen entstehen.
Klinik: 1. Präurikuläre Ohrfistel. Mangelnde Schlundbogenverschmelzung, inkomplette Fistel meist zwischen Haut und Tragusknorpel. Abgegrenzt werden verschiedene Typen von Ohr-Hals-Fisteln, die einer D u p l i k a t e des äußeren Gehörganges (1. Schiundfurche) entspre-
chen; sie reichen vom Gehörgangsboden zur Haut vor dem kranialen Teil des M. sternocleidomastoideus. 2. Angeborene Dysplasien der Ohrmuschel. 2.1 Mikrotie. Angeborene Kleinheit der Ohrmuschel u. a. bei HMC-Syndrom (= Fehlbildungskomplex mit Schädelanomalie, Mikrotie, Gesichtsspalte). 2.2 Anotie. Angeborene Anomalie des äußeren Ohrs mit ein- oder beidseitig rudimentärer oder fehlender Ohrmuschel, oft verbunden mit Gehörgangatresie und Mittelohrfehlbildung, z. B. bei Retinoid-Embryopathie. Ohrmuschel, Auricula Die Auricula ist eine trichterförmige, in Form und Größe variable Hautfalte, gestützt durch ein Gerüst aus gleich gestaltetem, elastischem Knorpel (Cartílago auricularis). Dem Ohrläppchen (Lobulus auricularis) fehlt die knorpelige Stütze.
594
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Meatus M. temporalis
Malleus et Lig. mallei superius /
acusticus externus
I
Lig. mallei anterius, Tendo m. tensoris tympani /
/ /
/ /
/
/
Auricula \ \ \ \
Manubrium mallei auf dem Trommelfell. Stapes
— A. carotis interna
-Sinus sphenoidal
— M. tensor tympani
— Tuba auditiva (aufgeschnitten) - Recessus pharyngeus
— Torus tubarius —
Torus levatorius
— . M . levator veli palatini ~
Recessus pharyngeus mit Ästen d. Α.
/
pharyngea ascendens
Cartílago
Palatum molle
meatus acustici
/ I Gld. parotis
N. facialis,
M . digastricus
Mm.
A. carotis interna,
A. auncularis
(Venter
stylohyoideus,
V. jugularis interna,
posterior] mit
-pharyngeus,
A. palatina ascendens
R. muscularis
-glossus
profunda
Abb. 7.1: Schnitt durch äußeres Ohr (Ohrmuschel und äußerer Gehörgang), Trommelfell und Mittelohr (Paukenhöhle mit Gehörknöchelchen und Ohrtrompete)
Funktion. Schallwellen werden durch Erhebungen und Vertiefungen von Ohrmuschel und reflektiert u n d
in
Richtung
äußerer
-knorpel
Gehörgang
geleitet. Die N a m e n sind A b b . 7 . 2 - 4 zu e n t n e h m e n . Von o r i e n t i e r e n d e r B e d e u t u n g s i n d : •
Helix,
•
Anthelix,
bogenförmig verlaufende Ohrkrempe
•
Tragus
kleinere vordere Ohrkrempe u n d Antitragus
und Unterseite Gehörgang.
des
o d e r Antihelix Eingangs
an Vorder-
zum
äußeren
Muskeln. Vom Schädel an die Ohrmuschel herantretende Muskeln, die sie insgesamt verschieben, sind an anderer Stelle besprochen (Kap. 4.8.1.1.5, S. 230).
An der Außen- (Abb. 7.3) und Hinterfläche (Abb. 7.4) existieren rudimentäre, kleine Muskeln, die bei manchen Tieren den äußeren Gehörgang zirkulär verschließen können, beim Menschen jedoch diese Funktion verloren haben. Andere Muskeln können die Muschel nur in geringem Maße bewegen, da das knorpelige Gerüst in das des äußeren Gehörganges übergeht und wenig Bewegungsspielraum übrig lässt. Bei Tieren haben diese Muskeln die Aufgabe, die Ohrmuschel auf eine Schallquelle auszurichten, „die Ohren zu spitzen". Manche Menschen sind mit Hilfe dieser Muskeln zumindest in der Lage, die Ohrmuschel etwas gegenüber dem Schädel zu bewegen. H a u t d e r O h r m u s c h e l . S i e ist d ü n n u n d f e t t a r m . S i e e n t h ä l t S c h w e i ß - u n d T a l g d r ü s e n u n d ist b e s o n d e r s
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
595
Tuberculum auriculare Crura antihelicis Helix
Cymba conchalis
-
Crus helicis Scapha
Porus acusticus externus Tragus
Anthelix '
Cavilas conchalis Incisura intertragica Antitragus
Abb. 7.2: Rechte Ohrmuschel, Auricula
Lobulus auricularis
M. auricularis superior
Helix ^
M. helicis rna]or
Scapha
Fossa triangularis
Anthelix ^
M. auricularis anterior
Crus helicis —
Spina helicis
auricularis posteriore _ C o n c h a auricularis -
M helicis minor
_
M. tragicus, Tragus
M antitragicus, _ Antitragus
Abb. 7.3: Knorpel und Muskeln der rechten Ohrmuschel. Außenfläche
Meatus acusticus externus
Cauda helicis
Incisura intertragica
Eminentia fossae triangularis „ Eminentia scaphae
M auricularis superior
- M. obliquus auriculae
Eminentia conchae
— M transversus auriculae
M. auricularis anterior ·
""" M. auricularis posterior
Tragus
Abb. 7.4: Knorpel und Muskeln der rechten Ohrmuschel. Hintere Fläche
Cartílago meatus acustici
\ / Incisura termtnalis auris
\
" Cauda helicis
Fissura antitragoheiicina
596
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
an der Außenfläche fest mit dem Perichondrium des Knorpelgerüstes verbunden. Am Eingang zum äußeren Gehörgang finden wir Schutzhaare (Tragi), besonders bei älteren Menschen. Varianten: 1. Tuberculum auriculare. Am oberen, hinteren Helixrand (Abb. 7.2) wird ein sog. Darwin-Höckerchen sichtbar, das der Spitze der tierischen Ohren entspricht; ein atavistisches Merkmal, 2. Katzenohr. Schüsseiförmige Concha, einwärts geklappter oberer Helixrand. Klinik: 1. Abstehende Ohren (= Apostasis). Häufigste Stellungsanomalie, oft mit mangelhafter Anthelixfaltung und starker Conchawölbung (—> Löffelohr). Hohe Rückstellkräfte des elastischen Knorpels machen eine äußere Fixation der Ohrmuschel sinnlos, daher Op. im 5. LJ mit Ausdünnung des Knorpels und Fixierung mit Haltenähten. 2. Othämatome. Einblutung zwischen Haut und Knorpelgerüst der Ohrmuschel (—» Schlag auf das äußere Ohr) verursacht einen schmerzhaften Bluterguss (subperichondrales Hämatom), der chirurgisch eröffnet wird, um Knorpelentzündung (= Perichondritis), -nekrose und dauerhafter Verunstaltung vorzubeugen.
Äußerer Gehörgang, Meatus acusticus externus Der Meatus acusticus externus, ein ca. 3,5 cm langer, S-förmiger Gang bis zum Trommelfell (Abb. 7.1), verstärkt durch seine Form und sein Resonanzverhalten die von der Ohrmuschel kommenden Luftschwingungen in den Frequenzen der menschlichen Sprache.
äußeren Gehörganges erhöhen. Er bildet kein geschlossenes Rohr, sondern eine bindegewebig verschlossene Rinne. Vorn liegt er unmittelbar der Ohrspeicheldrüse an. • Der knöcherne, äußere Gehörgang, Meatus acusticus externus osseus, hat im Querschnitt die Form einer Ellipse, deren Längsachse von hinten oben nach vorn unten verläuft. Der knorpelige Teil ist von innen gesehen nach oben, hinten und lateral gerichtet und verengt sich trichterförmig gegen den knöchernen Teil. An der Verbindungsstelle ist er am engsten {Isthmus), um sich im knöchernen Teil abwärts, vorwärts, medial zu wenden. Gegen das Trommelfell wird er wieder weiter.
Klinik: 1. Bei Ohrspiegeluntersuchung (-» Otoskopie) wird die Muschel nach hinten, oben gezogen, um die Achse des äußeren knorpeligen Ganges dem knöchernen Abschnitt anzugleichen, das Trommelfell wird einsehbar. 2. Otitis externa diffusa. Entzündung des äußeren Gehörganges mit Juckreiz, Rötung, Schwellung, Schuppen- und Krustenbildung, Tragusdruckschmerz, regionärer Lymphadenitis, evtl. retroaurikulärer Schwellung (Pseudomastoiditis). Ursachen: 2.1 bakteriell (Erysipel = Wundrose als Sonderform), 2.2 viral (Herpes zoster oticus), gefahrlich bei Hirnnervenbeteiligung (Nn. V-VIII), 2.3 allergisch/toxisch oder endogen, ζ. B. Gehörgangsekzem.
Beim Erwachsenen besteht er im lateralen Drittel aus Knorpel, in den medialen zwei Dritteln aus Knochen. Im Alter von 5 - 6 Jahren sind beide Teile gleich lang. Beim einjährigen Kind ist nur ein Drittel knöchern.
Topographie/Wände. 1. Boden, Vorderwand: Pars tympanica. Unterhalb des Bodens liegen Ohrspeicheldrüse, M. sternocleidomastoideus. Die dünne Vorderwand liegt der Kiefergelenkpfanne (Fossa mandibularis) an. 2. Hinterwand: Pars petrosa, 3. Dach: Pars squamosa des Schläfenbeins (OÍ temporale). Hinterwand und Dach sind kürzer und setzen sich in die Ebene des schräg gestellten Trommelfells fort; sie grenzen an: pneumatisierte Mittelohrräume, kleine Höhlen von Warzenfortsatz (Cellulae mastoideae) und Eingangshöhle (Antrum mastoideum).
• Der knorpelige, äußere Gehörgang, Meatus acusticus externus cartilagineus, ist eine Fortsetzung des elastischen Ohrmuschelknorpels (Abb. 7.1). Durch derbes Bindegewebe ist er mit dem knöchernen Teil des Ganges verbunden. Er zeigt verschiedene, durch Bindegewebe verschlossene Löcher und Einschnitte (Santorini-Spalten), die die Verformbarkeit des
Haut. Sie ist eine Fortsetzung der äußeren Haut und besitzt, wie diese, ein geschichtetes, verhorntes Plattenepithel, Talgdrüsen und Haare, die gegen den knöchernen Teil kleiner und spärlicher werden und schließlich fehlen. Ohrschmalzdrüsen (Glandulae ceruminosae et sebaceae) sind großlumige, apokrine, tubulöse Knäueldrüsen, liegen in der Subkutis, münden bei Kindern in die Haarbalg-
597
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
lichtung, bei Erwachsenen neben den Haarbälgen, produzieren Talg, Hauptbestandteil des Ohrenschmalzes {Cerumen), das zusätzlich abgeschilferte Epidermisschuppen, Bitterstoffe und Pigmente enthält. Derbe Retinakula heften die Haut fest an der Unterlage, der Knorpel- (Perichondrium) bzw. Knochenhaut {Periost), an. Klinik: 1.: Cerumen hat die Aufgabe, kleine Fremdkörper zum Abtransport einzuhüllen; es ist kein Schmutz, der ständig entfernt werden müsste. Cerumen obturans {= Ceruminalpfropf: gequollenes, verhärtetes Ohrenschmalz). Ein Ohrenschmalzpfropf kann den Gehörgang partiell oder total verlegen: dumpfes Gefühl im Ohr, Schwerhörigkeit. Then: Ohrspülung; dazu den Mund öffnen (die Nachbarschaft zum Kiefergelenk erklärt, dass der Gang beim Öffnen des Mundes - Processus condylaris der Mandíbula rückt nach vorn - erweitert wird). 2. Otitis externa circumscripta. Gehörgangfurunkel (= Ohrfurunkel) mit der Symptomtrias: Ohrmuschelzug-, Tragus-, Kauschmerz, evtl. periaurikuläre Lymphadenitis. 3. Otitis externa maligna (= progressive nekrotisierende Otitis). Pseudomonaden-Infektion infiziert den knöchernen Gehörgang, ggf. auch das Trommelfell (—> Myringitis) mit erheblicher Schwellung, ggf. Ausbreitung in umgebendes Weichteilgewebe, Einbruch in das Kiefergelenk, Osteomyelitis der Schädelbasis mit Hirnnervenausfallen.
Gefäße und Nerven der Ohrmuschel und des äußeren Gehörganges Arterien der Ohrmuschel. Sie stammen aus der A. auricularis posterior (Äste der A. carotis externa) und den Aa. auriculares anteriores (Ast der A. temporalis superficialis), selten aus der A. occipitalis. Die Arterien anastomosieren untereinander. Den äußeren Gehörgang versorgt zusätzlich die A. auricularis profunda. Venen von Ohrmuschel und äußerem Gehörgang. Sie transportieren das Blut zur V. temporalis superficialis und V. facialis (in die V. jugularis interna). Die Hinterfläche der Ohrmuschel gibt ihr Blut über die V. auricularis posterior in die V. jugularis externa ab.
Lymphgefäße von Ohrmuschel und knorpeligem äußeren Gehörgang ziehen zu den 1. oberen Halslymphknoten (—> Nil. cervicales laterales superficiales et profundi), 2. regionären Lymphknoten: O vor dem Ohr —> Nil. parotidei superficiales et profundi t> hinter dem Ohr —> Nil. retroauriculares t> auf dem Warzenfortsatz —> Nil. mastoidei. Nerven: Der N. facialis versorgt die äußeren Ohrmuskeln motorisch. Sensible Innervation durch: Ο Ν. auricularis magnus, N. occipitalis minor: Hinterfläche der Ohrmuschel [> N. auriculotemporalis (V,): vordere Außenfläche der Ohrmuschel, vorderer oberer Teil des äußeren Gehörgangs, vorderer oberer Teil der Außenfläche des Trommelfells í> Rr. auriculares des Ν. VII, Ν. IX und Ν. Χ: Boden des äußeren Gehörganges, angrenzender Teil der Hinterwand des äußeren Gehörganges, Außenfläche des Trommelfells. Trommelfell, Membrana tympanica Das Trommelfell ist eine sehnige Haut zwischen äußerem Gehörgang und Paukenhöhle mit dreischichtigem Bau (Abb. 7.1, 5, 13); sie ist Grenze zwischen äußerem und Mittelohr. Die Ohrspiegelung (Otoskopie) offenbart eine perlgraue, ovale Membran (Abb. 7.5), die in der Mitte trichterförmig zum Nabel {Umbo membranae tympanicae) eingezogen ist, dahinter liegen im Mittelohr die Gehörknöchelchen (s. Kap. 7.1.2.1, S. 600). Der Umbo entspricht dem unteren Ende des Hammergriffes {Manubrium mallei), der von vorn oben nach hinten unten verläuft und als helle Knochenstruktur {Stria mallearis) durchschimmert. Vom Nabel zieht bei auffallendem Licht ein dreieckiger Lichtreflex nach vorn unten. Am oberen Ende der Stria mallearis springt der kurze Fortsatz des Hammers knopfartig nach außen vor: Prominentia mallearis. Von hier aus ziehen 2 Falten {Plica mallearis anterior und posterior) nach vorn bzw. hinten oben und fassen zwischen sich den schlaffen Teil des Trommelfells: Pars flaccida (= Shrapnell-Membran).
598
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Crus longum incudis
Plica mallearis posterior
Pars flaccida Prominentia mallearis Plica mallearis anterior
Stria mallearis
Pars tensa
Umbo membranae tympanica
Lichtreflex
Abb. 7.5: Außenfläche eines rechten Trommelfells. Die römischen Ziffern g e b e n die Quadranten an
Klinik: 1. Einfuhren eines Ohrtrichters und Entfernung von Cerumen obturans kann reflektorisch Husten (und Übelkeit) auslösen, weil der äußere Gehörgang durch den R. auricularis n. vagi versorgt wird. 2. Den gespannten Hauptteil {Pars tensa) teilt man durch 2 Linien, von denen die eine durch den Hammergriff, die andere senkrecht darauf durch den Umbo verläuft, in die Quadranten I-IV (Abb. 7.5). Im hinteren oberen Quadrant (IV. Quadrant) scheinen Anteile der Gehörknöchelchen des Mittelohres, z.B. der lange Fortsatz des Amboss (Crus longum incudis) und der Steigbügelkopf (Caput stapedis), durch. Das Trommelfell ist durch einen fibrösen Haltering (Anulus fibrocartilagineus) in einem knöchernen Rahmen (Anulus tympanicus osseus) des Mittelohranteils (Pars tympanica) des Schläfenbeines aufgespannt. Dieser Ring ist im Bereich der Pars flaccida unterbrochen. Stellung. Das Trommelfell steht schräg. Seine laterale Fläche schaut nach unten, vorn und bildet einen Winkel mit der Horizontalen von 45°, mit der Sagittalen von 50°. Verlängert man beide Trommelfelle nach unten, so schneiden sie sich in einem nach oben offenen Winkel von 90°. Verlängert man sie nach vorne, so bilden sie einen nach hinten offe-
nen Winkel von 100°. Infolge dieser Schrägstellung ist die hintere obere Gehörgangwand 6 mm kürzer als die vordere untere. Feinbau. Die Membran ist 0,1 mm dick und besteht aus 3 Schichten: •
•
Äußere Haut (Stratum cutaneum), verdünnte Fortsetzung der Haut des äußeren Gehörganges ohne Haare und Drüsen, mit hoher Tendenz zur Proliferation; im Gegensatz zum verhornten Plattenepithel der äußeren Körperoberfläche schilfern die apikalen Areale jedoch nicht ab, sondern die Epidermisschichten wandern vom Zentrum des Trommelfelles in Richtung Peripherie und schieben dadurch im Sinne eines Selbstreinigungsmechanismus auch oberflächliche Hautbestandteile des äußeren Gehörganges nach draußen.
Grundschicht (Lamina propria), mechanisch wirksam, mit äußeren, radiären (Stratum radiale) und inneren, zirkulären (Stratum circulare) kollagenen Faserzügen, die der Pars tensa die Grundspannung bringen; auch in der Pars flaccida findet sich eine locker aufgebaute Lamina propria ohne radiärer und zirkulärer Faseranordnung. • Schleimhaut (Stratum mucosum), verdünnte einschichtige Fortsetzung der Auskleidung des Mittelohres mit Submucosa.
599
7.1 S c h a l l l e i t u n g s a p p a r a t d e s O h r e s
Der als Bindegewebering (Anulas fibrocartilagineus) ausgebildete laterale Rand der Lamina propria ist in einer Rinne des Schläfenbeines (Sulcus tympanicus des Os temporale) eingelassen und in ihr befestigt. Trommelfellspannung. Sie wird durch den am Hammer angreifenden M. tensor tympani (s. u.) geregelt, der Nabel bewegt sich nach medial, der Trichter wird vertieft (Abb. 7.1, 13) Gefäße ( A b b . 7.6) u n d Nerven des Trommelfells Arterien. An der Außenseite stammen sie aus der A. auricularis profunda, an der Innenseite aus der A. tympanica anterior sowie A. stylomastoidea und verlaufen radiär. Ein Randnetz wird zusätzlich von Arterien des äußeren Gehörgangs gespeist. Stärkere Äste verlaufen in der Stria mallearis. Auch in der Mittelohrschleimhaut finden sich wenige kleine Arterien. Venen. Die Venengeflechte am Rand des Trommelfelles anastomosieren zwischen Innen- und Außenseite und transportieren Blut in die V. meningea media, venöse Plexus in der Umgebung der A. carotis interna und den Bulbus venae jugularis ab. Lymphgefäße. Subkutane bzw. -muköse stehen mit den Gefäßen des äußeren Gehörgangs in Verbindung und besitzen gleiche Abflussgebiete.
Randnetz Gefäße der Stria mallearis
Κ I
I
radiäre Gefäße
Nerven I> Außenfläche: N. auriculotemporalis (vom N. V,), R. auricularis (vom N. X). Vereinzelte Äste d e r N n . VII und IX l> Innenfläche: Geflecht der Paukenhöhle (Plexus tvmpanicus, sensible Fasern der Nn. VII und IX). Klinik: 1. Prussak-Tasche - Pars flaccida. Die Pars flaccida als laterale Begrenzung der Prussak-Tasche kann sich bei Drucksteigerung in der Paukenhöhle (z. B. bei Eiteransammlung) nach außen vorwölben. Sie besitzt eine locker aufgebaute Lamina propria (Locus minons resistentiae). Durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Mechanismen kann es in anderen Fällen zu einer Einwölbung der Pars flaccida in die Paukenhöhle kommen mit sukzessiver Entwicklung eines Cholesteatoms. 2. Parazentese. Inzision der Pars tensa des Trommelfelles (hinterer oder vorderer unterer Quadrant) bei eitriger Otitis media (s. u.), Tubenkatarrh und Paukenerguss lässt Sekret nach außen abfließen und trägt zur Ausheilung bei; cave: Gefahr der Verletzung der Gehörknöchelchen. Hohe Proliferationstendenz des Trommelfellepithels lässt die Stichinzision in 1 - 2 Tagen verheilen, 3. Paukenröhrchen. Garnrollenähnliche Röhrchen, in die Parazenteseöffnung platziert, dienen der Dauerdrainage der Paukenhöhle (z. B. bei Gaumenspaltenträgern, hartnäckiger Entzündung), und verbleiben durchschnittlich 6 Monate, bevor sie spontan abgestoßen werden.
Lernziele: Cavitas tympanica: Wände, Stockwerke. Ossidila auditoria: Aufbau, Gelenke, Binnenmuskeln. Schleimhautfalten. Gefäße, Nerven (N. facialis!). Cellulae mastoideae. Tuba auditoria: Anteile. Verlauf
A b b . 7.6: G e f ä ß e e i n e s linken Trommelfells. N a c h e i n e m I n j e k t i o n s p r ä p a r a t v o n Prof. K o l m e r ( a u s J. Tandler)
Die Auris media besteht aus lufthaltigen Räumen, die mit Schleimhaut ausgekleidet, durch die Ohrtrompete mit dem Schlund verbunden sind und durch das Trommelfell gegen den äußeren Gehörgang abgegrenzt werden. 3 Mittelohranteile: 1. Paukenhöhle (Cavitas tympanica) mit Gehörknöchelchen, 2. Pneumatische Nebenräume, 3. Ohrtrompete (Tuba auditoria).
600
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
7.1.2.1 Paukenhöhle, Cavitas tympanica Die Cavitas tympanica (Abb. 7.1, 8, 13, 32) ist ein hoher schmaler Raum, dessen mittlerer und engster Teil (Mesotympanon) zwischen Trommelfell und vorgewölbter Basalwindung der Schnecke (Promontorium cavitatis tympanicae) liegt. An ihrer engsten Stelle ist sie 2 - 3 mm breit. Topographie. 3 Stockwerke (Sicht durch das Trommelfell): •
Oberes Stockwerk (—» Epitympanon, Paukenhöhlenkuppelraum), liegt höher als das Trommelfell. Zu ihm gehört der Recessus epitympanicus, der nach dorsal in den Eingang zum Warzenfortsatz (Antrum mastoideum) übergeht und Verbindung zu den Warzenfortsatzzellen hat. • Mittleres Stockwerk (—> Mesotympanon, Paukenhöhlenmittelteil) zwischen Trommelfell und Promontorium. • Unteres Stockwerk (—» Hypotympanon, Paukenhöhlenkeller), liegt tiefer als der untere Trommelfellrand; hier mündet von vorn, unten, medial die Ohrtrompete (—» Tuba auditiva, Verbindung zum Nasenrachen). Klinik: 1. Otitis media, Mittelohrentzündung. Formen: 1.1 Akute aszendierende Infektion (—> u. a. Streptokokken, Grippeviren) aus dem Nasenrachen via Ohrtrompete, beim Kind durch eine kurze, weite Tuba auditori Eustachii begünstigt, mit Fieber, Ohrenschmerzen, evtl. Ohrgeräuschen, Schwerhörigkeit, druckschmerzhaftem Processus mastoideus mit spontaner Trommelfellperforation (Abb. 1.36, s. Parazentese, s. o.), ggf. mit Komplikationen: Labyrinthitis, Fazialisparese, endokranielle Komplikation (s. u.), 1.2 Chronisch anhaltende Infektion bei Tubenfunktionsstörung, meist schlechte Pneumatisation des Schläfenbeins. 2. Cholesteatom (Perlgeschwulst). Chronische Otitis media mit Knochenbeteiligung. Das Trommelfell ist Grenze zwischen Plattenepithel des äußeren Gehörganges und Mittelohrschleimhaut. Wird diese, z. B. durch perforierende Verletzung, Zerstörung des Anulus fibrocartilagineus oder eine Einziehung im Bereich der Pars flaccida (—> Tubenbelüftungsstörung!)
aufgehoben, kann Plattenepithel in das Mittelohr eindringen und fuhrt zu einem gutartigen, wachsenden Pseudotumor (Cholesteatom), der operativ entfernt wird, bevor ein fortgesetzter Knochenabbau zu weiteren Komplikationen (u. a. Destruktion der Ossicula) führt. Wände der Paukenhöhle 1. Dach (Paries tegmentalis). Es wird durch das Tegmen tympani, eine dünne Knochenplatte, gebildet, die die Paukenhöhle von der mittleren Schädelgrube und dem Schläfenlappen des Gehirns trennt. 2. Boden. Er ist durch eine dünne Knochenplatte von der Fossa jugularis und dem Bulbus v. jugularis superior getrennt und heißt deshalb Paries jugularis. Die nur wenige Millimeter dicke Knochenlamelle des Tegmen tympani ist ein möglicher Infektionsweg: Entzündungen erweichen knöcherne Strukturen und verbinden die Paukenhöhle mit der mittleren Schädelgrube —» Hirnabszess. Gleiches gilt für den Paries jugularis als Boden der Paukenhöhle. Die Nähe zum Bulbus v. jugularis ermöglicht die Ausbreitung von Mittelohrinfektionen: z. B. Meningitis, Sinusthrombose. 3. Vordere Wand (Paries caroticus) ist die Wand des Canalis caroticus. Auf ihr münden (Abb. 7.7, 8, 32): • die Tuba auditiva (Ohrtrompete) in der oberen Hälfte • der Semicanalis m. tensoris tympani, halbmondförmiger Kanal des M. tensor tympani, oberhalb der Ohrtrompete. 4. Hintere Wand (Paries mastoideus; Abb. 7.8). Sie grenzt an den Warzenfortsatz und erhält dadurch ihren Namen. Sie zeigt in ihrem oberen Teil den Zugang (Aditus) zum Antrum mastoideum. In Höhe des ovalen Vorhoffensters befindet sich ein kegelförmiger Knochenvorsprung (Eminentia pyramidalis). Auf ihm liegt eine schmale Öffnung für den Durchtritt der Sehne des Steigbügelmuskels ( M stapedius), der selbst in der Erhebung liegt und mit seiner Sehne zum Köpfchen des Steigbügels zieht. 5. Laterale Wand (Paries membranaceus). wird gebildet aus:
Sie
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
601
Pars squamosa
Tegmen tympani ν
Recessus epitympanicus Corpus incudis -
Caput mallei
—
Chorda tympani
—
M. tensor tympani mit Sehne Semicanals tubae
"
auditoriae Manubrium mallei
"
Membrana tympanica
/
Processus lenticularis ^ incudis
Canalis facialis '
s
I ι Processus styloldeus Processus mastoideus mit Cellulae mastoideae
Abb. 7.7: Schnitt durch ein rechtes Felsenbein in der Ebene der Cavitas tympanica. Blick auf die laterale Wand. Laterale Hälfte des in Abb. 7.8 dargestellten Präparates
• •
Trommelfell (Abb. 7.7, 13) Schuppenteil des Felsenbeines (das Trommelfell reicht nicht bis zum Dach der Paukenhöhle).
Recessus epitympanicus (Abb. 7.7, 13) ist der den Ansatz des M. tensor tympani bzw. die Chorda tympani nach oben überragende kuppeiförmige Raum und beherbergt: Hammerköpfchen, Körper und kurzen Fortsatz des Ambosses. Nach hinten hat er Verbindung zum Antrum mastoideum. 6. Mediale Wand (Abb. 7.8, 32). Sie trennt die Paukenhöhle vom Innenohr und heißt Paries labyrinthicus. Beteiligt sind •
das Promontorium, eine flache Erhebung, verursacht durch die Ausdehnung der basalen Schneckenwindung;
• die Fenestra vestibuli (ovales oder Vorhoffenster), die hinter und oberhalb des Promontorium in das Vestibulum fuhrt und die Steigbügelplatte aufnimmt; • die Fenestra cochleae (rundes oder Schneckenfenster), die von einer kleinen Bucht (Rundfensternische) hinter und unterhalb des Promontorium abgeht. Sie mündet am Knochenpräparat in die Schnecke, ist beim Lebenden durch die Rundfenstermembran (Membrana tympani secundaria) verschlossen, eine bindegewebige Haut, die das Ausschwingen der Perilymphe gestattet. • Die Prominentia canalis facialis (knöcherne Wand des Fazialiskanals) wulstet sich oberhalb des ovalen Fensters vor. Der in Abb. 7.8 eröffnete Fazialiskanal verläuft oberhalb des Fensters
602
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Antrum
Prominentia canalis
mastoideum
Tegmen tympani
ι
semicircularis lateralis Sehne des M . tensor tympani zieht um den Proc cochleariformis Hiatus canalis facialis
-
Stapes in der Fenestra vestibult - Canalis caroticus
(Apertura int. canaliculi n. petrosi superfic. minons) " Semicanalis m tensoristympani
' Semicanalis tubae auditoriae
Promontorium
ι Eminentia
Fenestra
pyramidalis
cochleae
Canatis
Abb. 7.8: Schnitt durch ein rechtes Felsenbein in der Ebene der Cavitas tympanica. Blick auf die mediale Wand. Mediale Hälfte des in A b b . 7.7 dargestellten Präparates
nach lateral und hinten, um sich bald im Bogen abwärts zu wenden. In Höhe der Eminentia pyramidalis führt ein kleiner Seitenkanal einen Ast des N. facialis zum M. stapedius. • Die Prominentia canalis semicircularis lateralis (knöcherne Wand des lateralen Bogenganges) wölbt sich oberhalb des Fazialiswulstes vor. Sie grenzt an den Eingang zum Warzenfortsatz (Aditus ad Antrum mastoideum) • Der Semicanalis m. tensoris tympani (Kanal des Trommelfellspanners) verläuft oberhalb des Promontorium. An seiner Mündung windet sich die Sehne des M. tensor tympani um den Proc. cochleariformis zum Hammergriff (Abb. 7.8) • Der Semicanalis tubae auditoriae (knöcherner Teil der Ohrtrompete) liegt unterhalb des vorigen, nur durch eine dünne Knochenplatte von ihm getrennt (Abb. 7.8).
Klinik: 1. Endokranielle Komplikationen der Otitis media (= Fortleitung der Entzündung in das Gehirn). 1.1 Otogene eitrige Meningitis (am häufigsten!), 1.2 Epi-, subduraler Abszess, 1.3 Sinusthrombose, 1.4 Hirnabszess (Schläfenlappen, Kleinhirn). 2. Mastoiditis. Fortschreiten der Mittelohrentzündung (Komplikation der Otitis media) in den pneumatischen Räumen des Mittelohres, der Cellulae mastoideae mit Einschmelzung von knöchernen Septen. Ther.: Mastoidektomie (Ausschleifen aller Mastoidzellen mit dem Bohrer unter dem Op.-Mikroskop). 3. Tympanogene Labyrinthitis. Komplikation der Otitis media. Toxin- oder Bakterienübertritt (selten) via Fenestra vestibuli ins Innenohr mit Drehschwindel, Reiznystagmus, Übelkeit, Erbrechen, Hörminderung, Ther.: Paukenröhrchen, Mastoidektomie (bei eitriger Labyrinthitis), ggf. Adenotomie.
603
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
Gehörknöchelchen, Ossicula auditoria
ζ Corpus incudis
Die 3 Ossicula auditoria (Abb. 7.1, 5, 7, 9-13) liegen im oberen Teil der Paukenhöhle. Sie übertragen und verstärken die Energie der Schwingungen des Trommelfells auf die Perilymphe des Innenohres.
Abb. 7.10: Rechter Amboss (Incus). Von vorn und seitlich gesehen
medial gesehen
1. Hammer, Malleus (Abb. 7.9, 13). Er ist der größte Knochen. Sein abgerundeter Kopf (Caput mallei) artikuliert mit dem Körper des Ambosses (Abb. 7.12). Er liegt im Recessus epitympanicus und ist durch das obere Hammerband (Lig. mallei superius) an der Decke der Paukenhöhle befestigt. Der dünne Hals (Collum mallei) ist durch das seitliche Hammerband (Lig. mallei laterale) mit der oberen Wand des äußeren Gehörganges verbunden. • Der Handgriff (Manubrium mallei) ist in ganzer Ausdehnung in das Trommelfell eingewoben und scheint als Stria mallearis durch dieses durch (Abb. 7.5). • Der kurze seitliche Hammerfortsatz (Processus lateralis) wölbt das Trommelfell leicht nach außen vor (Abb. 7.5). • Der lange vordere Hammerfortsatz (Processus anterior) ist nach vorn und unten gerichtet, zieht in eine Spalte zwischen Mittelohrhöhle und Felsenbein (Fissura petrotympanica) und ist durch das vordere Hammerband (Lig. mallei anterius) befestigt (Abb. 7.1).
obere Ambossband (Lig. incudis superius) am Paukenhöhlendach aufgehängt. • Der lange Schenkel (Crus longum incudis) verläuft hinter dem Hammergriff (Abb. 7.13) parallel zu diesem senkrecht nach unten. Sein freies Ende biegt nach medial um und trägt ein ovales Köpfchen, Processus lenticularis, das sich mit dem Steigbügelkopf verbindet. • Der nach hinten gerichtete kurze Schenkel (Crus breve incudis) ist durch das hintere Ambossband (Lig. incudis posterius) am Boden des Antrum mastoideum befestigt. Caput stapedis
•
2. Amboss, ìncus (Abb. 7.10). Er hat die Form eines zweiwurzeligen Zahnes, dessen Krone dem Ambosskörper (Corpus incudis) entsprechen würde. •
Der Körper trägt eine Gelenkfläche (Facies articularis) für den Hammer und ist durch das
Basis stapedis
Abb. 7.11: Rechter Steigbügel (Stapes). Von medial gesehen
3. Steigbügel, Stapes. Der lateralwärts gerichtete Kopf (Caput stapedis) (Abb. 7.11) verbindet sich mit dem Proc. lenticularis des Ambosses. • Der fast gerade, kürzere Schenkel (Crus anterius) weist nach vorn, der gebogene, längere Schenkel (Crus posterius) nach hinten. • Die Steigbügel(fuß)platte (Basis stapedis) ist durch das ringförmige Steigbügelband (Lig. anidare stapedis) in das ovale Fenster eingelassen (Abb. 7.1). Gelenke (Abb. 7.12) 1. Hammer-Ambossgelenk (Articulatio incudomallearis; Abb. 7.12). Es entspricht dem primären Kiefergelenk der Nichtsäuger. Verzahnte, selbst sperrende Gelenkflächen (Sattelgelenk) mit viel
604
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
bei mittleren Schalldrücken um eine vertikale Achse (3 in Abb. 7.12), so dass ihr unterer Rand tiefer in das ovale Fenster eintaucht und ihr oberer Rand aus dem ovalen Fenster heraus kommt. Bei max. Schalldrücken dagegen schwingt der Steigbügelkopf und damit auch die Fußplatte im ovalen Fenster wie ein Kolben aufund abwärts, was nur möglich ist, wenn die Basis des Steigbügels gleichzeitig um ihre horizontale Längsachse (2 in Abb. 7.12) kippt. Hierdurch werden die effektiven Verschiebungen des Perilymphvolumens im Innenohr gering gehalten und damit das Gehörorgan vor hoher Schallintensität geschützt.
der Bewegungen. 1 im Hammerambossgelenk; 2 u. 3 in der Stapesfußplatte; 4 Zugrichtung des M. stapedius. Umgezeichnet nach Neubert-Wüstenfeld
Kontaktfläche zwischen beiden Knöchelchen und eine straffe Gelenkkapsel lassen nur geringe federnde Bewegungen von etwa 5° zu. 2. Amboss-Steigbügelgelenk (.Articulatio incudostapedia). Der konvexe Proc. lenticularis incudis und das konkave Caput stapedis werden durch eine zarte Kapsel als Kugelgelenk beweglich miteinander verbunden. Bewegungsachse, Mechanik Hammer und Amboss sind durch Bänder so aufgehängt, dass ihr Schwerpunkt mit der Drehachse zusammenfallt. Beide können ohne großen Energieverlust die Bewegungen des Trommelfells an den Steigbügel weitergeben. Um diese Drehachse (1 in Abb. 7.12, Proc. anterior —» Collum mallei —» Crus breve incudis) bewegen sich Hammer und Amboß wie ein zweiarmiger Hebel mit ungleichen Hebelarmen. Wird das Trommelfell durch Schallwellen nach innen getrieben, so macht der Hammergriff die gleiche Bewegung mit, da er fest mit der Innenseite des Trommelfelles verbunden ist. Der oberhalb der Achse gelegene Hammerkopf bewegt sich nach außen und nimmt mittels der Sperreinrichtung im Hammer-Ambossgelenk den Ambosskörper mit. Der unterhalb der Achse gelegene, lange Ambossschenkel wird dadurch parallel zum Hammergriff nach innen bewegt und drückt dabei den Steigbügel in das ovale Fenster, wodurch die Perilymphe in Vorhof und Schnecke in Bewegung gesetzt wird. Während in Ruhe die Fußplatte des Steigbügels in der Ebene des ovalen Fensters liegt, kippt sie nach Békésy
Von außen kommender Druck wird im Frequenzbereich der menschlichen Sprache unter 22facher Verstärkung (Verhältnis der Fläche des Trommelfelles zur Fußplattenfläche des Steigbügels 17:1) auf die Fußplatte und damit auf die Perilymphe übertragen (weiterer Verstärkungsfaktor 1,3 durch die Hebelmechanik der Gelenke). Die Druckverstärkung ist notwendig, um die Schwingungen des Trommelfells in wirksame Flüssigkeitsbewegungen umzuwandeln. Fehlte sie (direkte Schalleinwirkung auf das ovale Fenster), käme es zu einer erheblichen Reflexion des Schalles von der Flüssigkeitsoberfläche der Perilymphe.
Klinik: 1. Otosklerose. Hereditäre Krankheit der knöchernen Labyrinthkapsel. Knöcherne Fixierung der Stapesfußplatte im ovalen Fenster (Stapesankylose) mit progredienter Schwerhörigkeit (-» Schallleitungsstörung: Schallwellen werden nur noch über die Knochenleitung wahrgenommen), konstantem Tinnitus aurium, Paracusis Willisii. Ther.: Stapesplastik. 2. Tympanoplastik. Op. zur Beseitigung von Defekten des Trommelfells oder der Gehörknöchelchenkette bzw. zur Wiederherstellung der Schallleitung zum Innenohr. Zugang zum Mittelohr durch den äußeren Gehörgang oder retroaurikulär durch verschiedene Methoden.
Binnenmuskeln des Mittelohres Die quergestreiften Mittelohrmuskeln halten Trommelfell und Gehörknöchelchen reflektorisch in einem Spannungszustand für die Schallübertragung. 1. M. tensor tympani O.: oberhalb der Ohrtrompete von den Wänden des Semicanalis m. tensoris tympani (Abb. 7.8). /.: Die Sehne wendet sich um den Löffelfortsatz (Processus cochleariformis) nahezu rechtwink-
605
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres lig nach lateral zum Ansatz am oberen Ende des Hammergriffes (Abb. 7.7). L.: N. pterygoideus medialis (vom 3. Ast des Ν. V), A. tympanica superior F.: Hammergriff und Trommelfell werden durch seinen bogenförmigen Verlauf um den Processus cochleariformis (Hypomochlion) nach innen gezogen. Das Trommelfell wird so gespannt und der Hammer für die Schallübertragung in eine optimale Position gebracht. Dehnung der Muskelspindeln (durch höhere Schalldruckpegel) verursacht eine beidseitige Kontraktion dieses Muskels. Wegen der relativ langen Latenz zwischen Schallereignis und Kontraktion des Muskels ist eine effektive Schutzwirkung für das Innenohr eher unwahrscheinlich. Vermutlich wird durch ihn das Klirren bei Beschallung mit hohen Frequenzen vermindert.
2. M. stapedius O.: im Hohlraum (Cavum m. stapedii) neben der Eminentia pyramidalis. /.: am Kopf und hinteren Schenkel (Crus posterius) des Steigbügels (4 in Abb. 7.12). L:. Ramus stapedius des Ν. facialis, A. stylomastoidea. F.: Kopf des Steigbügels wird nach hinten gezogen, wodurch der vordere Teil der Steigbügelfußplatte aus dem ovalen Fenster herausgehebelt wird und sich verkantet, der hintere Teil wird hineingepresst. Er bremst zu starke Exkursionen des Steigbügels durch Anspannung des Lig. anulare stapedis ab, schützt damit das Innenohr vor hoher Schallintensität. Klinik: Die Bedeutung der beiden Mittelohrmuskeln für den Schalltransport ist nicht geklärt („Schutztheorie": Schutz vor lauter Beschallung). Bestimmte Formen von Ohrgeräuschen können durch rhythmische, unwillkürliche Kontraktionen eines oder beider Muskeln ausgelöst werden. Nach längerem Aufenthalt in lauter U m g e b u n g bleibt der Tonus der Binnenmuskeln des Mittelohres noch für einige Zeit erhöht, so dass Schall zunächst „wie durch Watte" w a h r g e n o m m e n wird und sich das Hörvermögen anschließend nur langsam wieder normalisiert. Gähnen fuhrt zu einer Kontraktion des M. stapedius und damit zur kurzfristigen Hörminderung.
Schleimhaut Eine dünne, gefäßreiche Mucosa bekleidet die Paukenhöhlenwände und überzieht die in sie eingestülpten Gebilde: Gehörknöchelchen mit Bändern, Sehnen, Muskeln, Chorda tympani (s. u.). Dabei entstehen neben zahlreichen variablen 5 konstante Schleimhautfalten (Abb. 7.13) •
•
•
• •
Vordere Hammerfalte (Plica mallearis anterior), enthält den vorderen Hammerfortsatz, A. tympanica anterior, Lig. mallei anterius, zieht vom Hals des Hammers nach vorn. Zwischen ihr und dem Trommelfell liegt die nach unten offene vordere Trommelfelltasche (Recessus membranae tympanicae anterior). Hintere Hammerfalte (Plica mallearis posterior), zieht vom Hammerhals nach hinten und enthält die A. tympanica posterior. Zwischen ihr und dem Trommelfell liegt die enge hintere Trommelfelltasche (Recessus membranae tympanicae posterior). Durch die beiden Hammerfalten verläuft die Chorda tympani. Die Falten scheinen auf der Außenfläche des Trommelfells durch (Abb. 7.5). Ambossfalte (Plica incudis), zieht vom Crus longum incudis zur hinteren Paukenhöhlenwand. Steigbügelfalte (Plica stapedis), hüllt Steigbügel und Sehne des M. stapedius ein. Obere Trommelfelltasche (Recessus membranae tympanicae superior, Prussak-Raum), blindsackförmiger, nach hinten sich öffnender Raum, der nach medial vom Kopf und Hals des Hammers und dem Körper des Ambosses, nach lateral von der Pars flaccida des Trommelfells {Shrapnell-Membran) und oben von der Schuppe des Schläfenbeins begrenzt wird (—» Hammer-Amboss-Schuppen-Raum).
Feinbau. Eine dünne gefäßreiche Bindegewebelage (Periost, Schleimhaut) ist von einem einschichtigen, meist isoprismatischen Epithel bekleidet. Auf den Falten und Gehörknöchelchen geht es in ein ein- bis mehrschichtiges Plattenepithel, auf dem Trommelfell in ein einschichtiges über. In Hypotympanon und Tube findet sich ein mehrreihiges Flimmerepithel. Die dünne, blassere (gefaßärmere) Schleimhaut der Cellulae mastoideae ist ebenfalls mit einschichtigem Plattenepithel bekleidet. Die unter dem Epithel gelegene Lamina propria enthält
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
606 Recessus epitympanicus
Malleus (Caput)
Antrum mastoideum /
Tegmen tympani /
Lig. mallei superius
/
/
/ /
/ / Chorda tympani . ^
Plica mallearis anterior
Tuba auditiva
Incus(Crus breve)
Plica mallearis
Schnittrand der Sehne ' des M . tensor tympani
posterior
/ / /
^
/ / / Manubrium mallei auf dem Trommelfell
Processus lenticularis v
/
des Crus longum incudis
I Processus styloideus
\
\
\ >
^ ^
Cellulae mastoideae
Abb. 7.13: Schleimhaut eines stark pneumatisierten Felsenbeins. Blick auf die laterale Paukenhöhlenwand. Trommelfell, Gehörknöchelchen, Chorda tympani in situ. Trommelfelltaschen durch Pfeile angedeutet
zahlreiche feine Blut- und Lymphgefäße sowie im vorderen Bereich der Paukenhöhle Drüsen (Glandulae tympanicae). Gefäße und Nerven der Paukenhöhle Gefäße Arterien (Aa. tympanicae) sind überwiegend Seitenäste der A. carotis externa (Ausnahmen: A. subarcuata, Rr. caroticotympanici): [> A. tympanica anterior (aus der A. maxillaris) durch die Fissura petrotympanic·α zum Epitympanon, Antrum mastoideum, Hammer und Amboss [> A. tympanica posterior (aus der A. stylomastoidea) durch den Canalis facialis in Begleitung der Chorda tympani zu Trommelfell und Hammer
[> A. tympanica superior (aus der A. meningea media) durch den Canalis n. petrosi minoris zum Epitympanon, Steigbügel, M. tensor tympani t> A. tympanica inferior (aus der A. pharyngea ascendens) durch den Canaliculus tympanicus zum Hypotympanon, Promontorium, Steigbügel t> A. stylomastoidea (aus der A. auricularis posterior) durch den Fazialiskanal zu Warzenfortsatzzellen, hinterer Paukenhöhle, Steigbügel, M. stapedius. Weitere Arterien anderen Ursprungs: t> A. petrosa superficialis (aus der A. meningea media) zum Steigbügel, Ggl. geniculi des Ν. VII
7.1 S c h a l l l e i t u n g s a p p a r a t d e s O h r e s
607
O A. lu baria (aus der /). meningea accessoria) zum knöchernen Anteil der Tube O A. subarcuata (aus der A. labyrinth i) zu Warzenfortsatzzellen ΐ> Rr. caroticotympanici (aus der Λ. carotis interna) zur vorderen Paukenhöhlenwand und Tube. Diese zahlreichen Arterien führen zu einer guten Durchblutung der Mittelohrschleimhaut und gehen untereinander mehrere Verbindungen ein. Venen von Paukenhöhle und Warzenfortsatz fuhren das Blut zum Plexus phatyngeus und zur V. meningea media ebenso ab wie in das Sinussystem des Schädelinneren. Lymphgefäße kommunizieren mit denen des äußeren Ohres und Trommelfells. Klinik: Lymphknotenschwellung. Vor allem prä(vor dem äußeren Gehörgang), infraaurikulär (unterhalb der Ohrmuschel) und in der Parotis sind Lymphknoten bei Entzündung von äußerem Gehörganges (Otitis externa), Trommelfell {Myringitis) und Otitis media tastbar; im weiteren Sinne vergrößern sich bei diesen Erkrankun-
Ν petrosus major et minor
Ν. facialis ^
\
\
gen auch die submandibulären, oberflächlichen und tiefen Halslymphknoten. Nerven Die Nerven versorgen nur zum geringen Teil die Paukenhöhle. In der Hauptsache streben sie anderen Versorgungsgebieten zu (Abb. 7.14, 15). Muskelinnervation. 1. N. facialis: M. stapedius, 2. Ν. trigeminus: M. tensor tympani. Schleimhautinnervation. Plexus tympanicus, dem Promontorium gelegen.
Der Ν. tympanicus (präganglionär parasympatisch) zieht aus dem Ganglion inferius des Ν. IX zum Paries labyrinthicus der Paukenhöhle, tauscht hier Fasern mit dem Plexus tympanicus aus und gelangt als N. petrosus minor zum Ganglion oticum und von dort (postganglionär) über N. auriculotemporalis und Ν. VII als sekretorischer Nerv zur Glandula parotis. Die Nn. caroticotympanici (aus dem sympathischen Geflecht der A. carotis interna) beteiligen
Ν trigeminus, Ganglion trigeminale Ν. ophthalmicus Ν. maxillaris 1
\
V
\
\
auf
I I
.
ι
1
I ' ι
/
'
~~ N. supraorbitalis
j
Orbita et A. ophthalmica ^ Ν. ¡nfraorbitalis
~ Fossa sacci lacrimalis
Ggl. pterygopalat., Nn palatini R. alveolaris superior posterior. Sinus maxillaris
Ν. tympanicus ' Plexus ^ caroticus internus Ν vagus N accessorius igi cervicale superius,- " Truncus sympathicus
R. lingualis 1
Rr pharyngei | 1 , ν n. glossopharyngei
N. alveolaris inferior
ν 'χ N. canalis pterygoidei N. lingualis, N mandibulars Chorda tympam
A. meningea media. Ν auriculotemporal^
Abb. 7.14: Die N e r v e n d e r P a u k e n h ö h l e u n d ihre t o p o g r a p h i s c h e n B e z i e h u n g e n z u d e n Ä s t e n d e s N. t r i g e m i - n u s . Von lateral her d a r g e s t e l l t . N a c h e i g e n e n A n g a b e n p r ä p a r i e r t u n d m o d e l l i e r t v o n O b e r p r ä p a r a t o r O. Seifert
608
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
N. trigeminus
Hiatus canaiis facialis
Ν petrosus minor
I
IM petrosus major
/
N. petrosus profundus
/
Ganglion geniculi
__ _ — — A. carotis interna
IM. ophtalmicus Plexus tympanicus — N. facialis m i t . N. stapedius '
A. ophthalmica - IM. maxillaris
y
Chorda tympan i · ^
-- Nn, pterygopalatini Ganglion pterygopalatinum
Ν. tympanicus —
N. canalis pterygoidei Plexus caroticus internus
Nn. palatini - Ν. mandibular^, Ganglion oticum
Ramus auricularis n. vagi Ganglion inferius η glossopharyngei
N. auriculotermporalis
Ν auricularis " posterior η. VII R digastricus et stylohyoideus Ganglion inferius n. vagi"
~ Chorda tympani "
—
N. lingualis
—
N. alveolaris inferior
N. facialis N. accessorius
Ganglion cervicale superius
N.vagus
Truncus sympathicus
Ramus lingualis n. glossopharyngei
Rami pharyngei n. glossopharyngei
Abb. 7.15: Die Nerven der Paukenhöhle, Ausschnitt aus Abb. 7.14 bei stärkerer Vergrößerung. Weitere Teile des Knochens und ein Teil des N. trigeminus sind entfernt
sich als postganglionäre vasomotorische Fasern des Sympathikus an der Bildung des Plexus tympanicus. Die Chorda tympani (Paukensaite) (aus dem N. intermedius, s. Kap. 4.12.1, S. 255) benutzt die Paukenhöhle als Durchgangsgebiet. Sie verlässt den absteigenden Teil des Fazialiskanales, zieht zwischen Hammergriff und langem Fortsatz des Ambosses (Crus longum incudis) durch die freie Paukenhöhle (Abb. 7.7), und gelangt - zusammen mit dem vorderen Hammerfortsatz (Proc. anterior mallei) und dessen Ligament - in bzw. durch die Fissura petrotympanica zur äußeren Schädelbasis; sie enthält: t> Geschmacksfasern der vorderen 2/3 der Zunge t> präganglionäre parasympathische Fasern für das Ggl. submandibulare (s. Kap. 4.13.1.2, S. 276). Klinik: Geschmacksstörung (= Dysgeusie). Störung der Geschmackswahrnehmung, ζ. B.
herabgesetzt (= Hypogeusie) oder verfälscht (= Parageusie) und Mundtrockenheit (Ausfall von Speicheldrüsen), häufig kombiniert mit Geschmacksstörung durch Schädigung der Chorda tympani (ζ. B. perforierende Verletzung des Trommelfells). Parazentese: An der Stelle der stärksten Vorwölbung des Trommelfells bei einer Mittelohrentzündung (in der Regel im hinteren unteren Quadranten) kann eine Stichinzision in Lokalanästhesie dem Patienten deutliche Linderung verschaffen. Hier ist zudem die Gefahr einer Läsion der Chorda tympani gering.
N. facialis und N. intermedius laufen als makroskopisch nicht trennbarer Nerv durch den Canalis facialis zu anderen Versorgungsgebieten (s. Kap. 4.12.1, S. 255).
609
7.1 Schallleitungsapparat des Ohres
Canalis semicircularis anterior -
Canalis semicircularis lateralis
Linea temporalis
Canalis semicircularis posterior
Fossa mandibulare
Sinus petrosus superior
Fenestra vestitali
Canalis facialis
Promontorium
Sinus sigmoideus
Foramen stylomastoideum
Processus mastoideus
Fenestra cochleae
_
~ ' Processus styloideus
Abb. 7.16: Lage des Labyrinthes, des N. facialis und des Sinus sigmoideus nach Wegnahme der hinteren Gehörgangswand und der Cellulae mastoldeae
3 Verlaufsstrecken im Felsenbein: 1. Strecke: Die Nerven verlaufen mit dem N. vestibulocochlearis im inneren Gehörgang (Meatus acusticus internus) nach lateral und vorn und treten am Grund desselben in den Canalis facialis ein (Area n. facialis, s. Abb. 7.34). Bald daraufbiegen sie nach lateral und hinten im Knie (Geniculum) um. Am Knie liegt das sensible Ganglion geniculi (Abb. 7.15). Hier verlässt ein Teil des N. intermedius als N. petrosus major durch den Hiatus canalis nervi petrosi majoris das Felsenbein, zieht durch den Sulcus η. petrosi majoris zur äußeren Schädelbasis und von dort durch den Canalis pterygoideus zum parasympathischen Ganglion pterygopalatinum, wo seine Umschaltung erfolgt. 0 Die postganglionären Fasern versorgen sekretorisch Tränendrüse (via N. zygomaticus, R. communicans, N. lacrimalis) und Drüsen von Nasenhöhle und Gaumen. 2. Strecke. Verlauf oberhalb des ovalen Fensters nach lateral und hinten (Abb. 7.15). Keine Äste. 3. Strecke (nach kaudal, Abb. 7.16). Der Ramus stapedius verlässt als kleiner motorischer Ast (Abb. 7.15) den Ν. VII fur den M. stapedius. Kaudal zieht der restliche Teil des N. intermedius als Chorda tympani rückläufig durch die Paukenhöhle.
Klinik: 1. Nur durch zarte Scheidewände vom Mittelohrraum getrennt, werden die Nerven nicht selten bei Affektionen des Mittelohres mitbetroffen. Kenntnis der Topographie, der wichtigsten Äste und ihrer Versorgungsgebiete ermöglicht eine Lokalisation des Schadens. 2. Bei Verletzung des N. facialis nach dem Abgang des N. petrosus major ist die Tränensekretion erhalten. 3. Fazialisparese (= Fazialislähmung). 3.1 Durch Komplikation der Otitis media (Felsenbeinfrakturen oder iatrogene Verletzungen), 3.2 Bei N.-facialis-Verletzung im Felsenbein (z. B. bei Ausräumung der Warzenfortsatzzellen), 3.3 Bei Fazialisneurinom (seltener gutartiger Tumor des N. facialis). Schlaffe Lähmung aller vom N. VII innervierten Muskeln (mimische Muskulatur): unvollständiger Lidschluss einseitig (Beil-Phänomen), Herabhängen des Unterlids, verstrichene Nasolabialfalte, Lidspaltendifferenz, Stirnrunzeln nicht möglich. Liegt die Verletzung in der 1. Strecke (bis zum Ggl. geniculi), so kommen hinzu: Störung von Tränendrüsen-, Nasendrüsen- und Speicheldrüsensekretion (N. petrosus major), Störung der Geschmacksempfindungen (Chorda tympani) und fehlender Reflex des M. stapedius. Je weiter peripher die Verletzung, um so geringer die Ausfallserscheinung (s. Abb. 7.15). Ther.: Mastoidektomie, Nervendekompression oder -rekonstruktion.
610
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
7.1.2.2 Warzenfortsatzzellen, Cellulae mastoideae Beim Neugeborenen ist nur das Antrum mastoideum vorhanden, der Warzenfortsatz, der sich aus der Pars squamosa und Pars petrosa ossis temporalis entwickelt hat, ist noch nicht pneumatisiert. Das mit Paukenhöhlenschleimhaut ausgekleidete Antrum mündet nach vorn in den Recessus epitympanicus. Eine dünne Knochenlamelle, Fortsetzung des Tegmen tympani nach hinten, trennt ihn von der mittleren Schädelgrube und dem Schläfenlappen des Gehirns (Abb. 7.7, 13). Von der Hinterwand aus entwickeln sich in den ersten LJ parallel mit dem Warzenfortsatz die Warzenfortsatzzellen (Cellulae mastoideae). Variabel in Form, Zahl und Größe (vgl. Abb. 7.7, 13, 32) münden sie direkt oder indirekt in das Antrum und damit in die Paukenhöhle. Die Durchströmung des Warzenfortsatzes mit Luft (Pneumatisierung) kann gehemmt sein (spongiöser oder kompakter Knochen statt der lufthaltigen Cellulae mastoideae) oder sich auch auf andere Teile des Schläfenbeins (Schuppe, Proc. zygomaticus, selbst die Pyramide) ausdehnen. Nachbarschaftsbeziehung. Auf die Außenfläche projiziert liegt das Antrum dicht hinter und oberhalb des äußeren Gehörganges, dicht hinter der Spina supra meatum. Die vom Jochbogen nach hinten verlaufende Linea temporalis entspricht dem Boden der mittleren Schädelgrube und damit der oberen Begrenzung der Warzenfortsatzzellen. Gegen den hinteren Teil des Warzenfortsatzes wulstet sich der Sinus sigmoideus vor (Abb. 7.16). Er kann steiler oder schräger stehen, oberflächlicher oder tiefer liegen. Klinik: 1. Da alle lufthaltigen, mit Schleimhaut ausgekleideten Räume von der Paukenhöhle ausgehen, bilden sie mit ihr einen einheitlichen Erkrankungsraum. Mittelohreiterungen können sich in ihnen ausbreiten. 2. Umgeben von Warzenfortsatzzellen, kann der Sinus sigmoideus (Kap. 5.3, S. 433) bei deren Ausräumung (als Therapie einer chronischen Entzündung) verletzt werden. Die enge Nachbarschaft zu den Cellulae mastoideae erklärt die häufige Infektion des Sinus bei Mittelohrentzündungen (mit
der möglichen Folge einer Sinusthrombose oder eines Kleinhirnabszesses). Bei der Eröffnung des Antrums und der Ausräumung der Cellulae mastoideae sind außerdem besonders der laterale Bogengang (s. u.) und der N. facialis gefährdet (Abb. 7.16).
7.1.2.3 Ohrtrompete, Tuba auditoria, Eustachio-Röhre Die Ohrtrompete, Tuba auditoria (sive Tuba auditiva), Abb. 7.1; ist ein knapp 4 cm langer Gang, der in der Pars nasalis des Pharynx mit dem Ostium pharyngeum tubae auditoriae beginnt, nach lateral hinten und oben ansteigt und auf der Vorderwand der Paukenhöhle mit dem Ostium tympanicum tubae auditoriae mündet. Beim Neugeborenen verläuft die Tuba auditoria nahezu horizontal. Gliederung 1. Laterales Drittel (1,3 cm lang). Es ist beim Erwachsenen knöchern (Pars ossea tubae auditoriae), liegt ventrolateral vom Canalis caroticus und entspricht dem Semicanalis tubae auditoriae. Vom Mittelohr aus gesehen bildet es den trichterförmigen Conus tympanicus als knöcherne Abflussregion. Oberhalb des knöchernen Abschnittes befindet sich der M. tensor tympani in seinem Kanal (Semicanalis musculi tensoris tympani), nur durch eine dünne Knochenlamelle voneinander getrennt. Dieser Abschnitt der Tube ist durchgehend geöffnet. 2. Mediale Zweidrittel (2,7 cm) enthalten als knorpelige Stütze (Pars cartilaginea tubae auditoriae) eine hakenförmig gebogene Knorpelplatte (Cartílago tubae auditoriae). Sie bildet als lateral offene Röhre die mediale Wand, das Dach und einen Teil der lateralen Wand. Lateral wird sie durch eine dünne Membran (Lamina membranacea tubae auditoriae) verschlossen. Beim Kleinkind ist das Längenverhältnis zwischen knöchernem und knorpeligem Anteil umgekehrt. Das laterale Ende des Knorpels ist fest an der Pars ossea und an den angrenzendem Knochen angeheftet. Der Rest der lateralen Wand und der Boden sind membranös und damit erweiterungsfähig. Am
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna Übergang vom knöchernen in den knorpeligen Teil liegt die Tubenenge (Isthmus tubae auditoriae). Von ihr aus erweitert sich das Lumen gegen den Schlund hin zu einem hohen, schmalen Raum (vom Rachen aus gesehen bildet es den knorpeligen Conus pharyngeus als Eingang in die Tube), der durch die angrenzenden Muskeln in seiner Weite beeinflusst werden kann. Die sich zum Rachen erweiternde Form des knorpeligen Tubenabschnittes führte zur Bezeichnung „Ohrtrompete".
Der knorpelige Abschnitt der Tube ist geschlossen oder lediglich als feiner Schlitz offen. Kontrahiert sich jedoch beim Schlucken der ventrolateral von der pharyngealen Tubenöffnung gelegene M. tensor veli palatini und der medial und kaudal von ihr gelegene M. levator veli palatini (s. Kap. 4.13.4.1, S. 299), so wird das Lumen erweitert, Luft strömt in die Paukenhöhle. Unterstützt wird dies vermutlich durch den in der Pharynxwand gelegenen M. salpingopharyngeus. Schleimhaut der knöchernen Tube. Sie trägt ein einschichtiges Flimmerepithel mit Becherzellen. Der schlundwärts gerichtete Flimmerschlag fördert den Abfluss des Sekretes in den Nasenrachenraum. Im knorpeligen Teil besitzt die Schleimhaut zahlreiche gemischte Schleimdrüsen (Glandulae tubariae) und ein mehrreihiges Flimmerepithel, das verschieblich auf einer Lamina propria sitzt. Gegen das Schiundende finden sich Lymphozyten, die Follikel oder eine mit den Rachenmandeln vergleichbare Struktur (Tonsilla tubaria, s. Kap. 4.14.5, S. 311) bilden können. Die lockere Anheftung der Schleimhaut am Perichondrium fuhrt im knorpeligen Teil zur Bildung von Längsfalten, die bei der Öffnung der Tube verschwinden. Im knöchernen Teil ist die Schleimhaut fest mit dem Periost verbunden.
7.2
611
Funktion: Lüftung und Drainage der Mittelohrräume. Sie gleicht den Luftdruck im Mittelohr dem auf dem Trommelfell lastenden, äußeren Luftdruck an. Klinik: 1. Die Mündung der Ohrtrompete liegt nahe dem Dach der Paukenhöhle (Abb. 7.7, 13). Der horizontale Verlauf bei Kleinkindern begünstigt aufsteigende Infektionen aus dem Nasenrachenraum in das Mittelohr. Hier begünstigen hypertrophierte Rachenmandeln („Polypen") den Verschluss der Ohrtrompete im Nasenrachen und die Entstehung von Infektionen. 2. Abrupte Luftdruckänderung (Sturzflug, Tauchen) führt zu schmerzhafter Ein- oder Ausbuchtung des Trommelfells, wenn die Druckdifferenz nicht durch Schlucken ausgeglichen wird. Bei einer andauernd gestörten Belüftung des Mittelohres (z. B. durch Tubeninfektion mit Schleimhautschwellung) kommt es durch Luftresorption zum Unterdruck. Hierdurch wird die Auslenkung des Trommelfells behindert, so dass eine Hörminderung resultiert. Sekundär kommt es zu einer Sekretansammlung hinter dem Trommelfell und zur Verstärkung der Höreinschränkung. 3. Tubenkatarrh. Sind bei einer Entzündung die Tubenwände durch Sekret verklebt, so nehmen wir beim Schlucken ein Knistern oder Knacken wahr (Sprengung des Verschlusses). Gute Tubenventilation ist für Piloten und Taucher essentiell (—> Start- bzw. Tauchverbot bei Tubenkatarrh), 4. Einheitlicher Erkrankungsraum. Die engen Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Nasenrachenraum und Nase einerseits und Mittelohr andererseits erklären, dass nicht selten, besonders beim Kleinkind (enger Nasenrachenraum, kurze, weite Tube), ein einheitlicher Erkrankungsraum vorliegt.
Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
Lernziele: Knöchernes Labyrinth: Vorhof, 3 Bogengänge, Knöcherne Cochlea: Windungen; Häutiges Labyrinth: 3 Bogengänge, Utriculus, Sacculus: Neuroepithel. Häutige Cochlea: Anteile, Corti-Organ. Perilymphatische Räume. Meatus accusticus internus: Inhalt
Gleichgewichtsund Schallempfindungsapparat liegen in der Felsenbeinpyramide zwischen Mittelohr (Auris media) und innerem Gehörgang (Meatus acusticus internus) und stellen zusammen das Innenohr (Auris interna) dar.
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
612
Die spezifischen Sinnesapparate befinden sich innerhalb des häutigen Labyrinthes (Labyrinthus membranaceus), das mit Endolymphe gefüllt ist. Es liegt, umgeben von den Perilymphräumen (Spatium perilymphaticum), im knöchernen Labyrinth (Labyrinthus osseus), einer Kapsel aus festem Knochen (Abb. 7.17). Der innere Gehörgang führt die Nerven (N. vestibulocochlearis) von den Sinnesrezeptoren des Innenohres zum Gehirn und enthält den N. facialis sowie die Innenohrgefaße.
•
Die mediale Wand weist gegen den inneren Gehörgang und zeigt 2 Buchten, Recessus sphaericus (fur den Sacculus) und Recessus ellipticus (für den Utriculus, Abb. 7.29). Von dieser Wand geht der Aquaeductus vestibuli (für die Aufnahme des Ductus endolymphaticus) als knöcherne Furche und Gang ab, um an der Hinterwand der Felsenbeinpyramide (Pars petrosa ossis temporalis) unter der Dura zu enden. Im Bereich des Recessus sphaericus und ellipticus ist die knöcherne Wand als Siebplatte {Macula cribrosa superior et media) für den Durchtritt der Fasern des N. utriculoampullaris (Versorgung für Utriculus und anteriore/laterale Bogengangsampulle) bzw. N. saccularis (Versorgung des Sacculus) perforiert.
è
•
Abb. 7.17: Präparation eines rechten Felsenbeines. Herauslösung der knöchernen Umrisse der Cochlea sowie des lateralen und anterioren Bogenganges
7.2.1
Der Vorhof steht nach vorn (Abb. 7.31) mit der Schnecke (Cochlea), nach hinten mit den Bogengängen in Verbindung. Wände:
Knöchernes Labyrinth, Labyrinthus osseus
Das Labyrinthus osseum wiederholt die Form des häutigen; es ist größer. Auf diese Weise bleiben zwischen häutigem und knöchernem Labyrinth zum Teil weite, mit Perilymphe gefüllte Hohlräume ausgespart. Die Form des knöchernen Labyrinthes kann am ehesten an Metallausgüssen (Abb. 7.29, 30) oder dem aufgemeißelten Felsenbein (Abb. 7.31) bzw. aus dem Knochen herauspräparierten Labyrinth (Abb. 7.17) verstanden werden.
7.2.1.1 Vorhof, Vestibulum Das Vestibulum (Abb. 7.29, 30) ist die Höhle (Ausmaße 6 x 4 x 6 mm Höhe/Breite/Tiefe) für Utriculus und Sacculus und erscheint als Vorraum (Atrium) zu den Bogengängen. Er hat dem Gleichgewichtsorgan den Namen Vestibularapparat gegeben.
Die laterale Wand weist gegen die Paukenhöhle (Abb. 7.17, 30) und hat 2 Öffnungen: • die Fenestra vestibuli, obere ovale Öffnung (für die Aufnahme der Steigbügelplatte). Hier steht die Scala vestibuli als Perilymphraum der Cochlea mit dem Vorhof in direkter Verbindung (Recessus cochlearis). • die Fenestra cochleae, untere runde Öffnung, die beim Lebenden durch die Rundfenstermembran (Membrana tympanica secundaria) verschlossen ist (s. Kap. 7.1.2.1, S. 600). Die Scala tympani der Cochlea endet als Blindsack neben dem runden Fenster. •
Promontorium. Sucht man die beiden Fenster an einem Längsschnitt durch die Felsenbeinpyramide (Abb. 7.32) auf, so findet man zwischen ihnen einen Wulst, das Promontorium. Es entspricht einer Ausbuchtung der basalen Schneckenwindung gegen das Mittelohr.
7.2.1.2 Knöcherne Bogengänge, Canales semicirculares ossei Die 3 Canales semicirculares ossei (Abb. 7.16, 17, 29-32) gehen C-fÖrmig vom Vorhof ab und münden in ihn. Sie sind bedeutend weiter als die häutigen. Nach der Lage im Felsenbein unterscheidet man: vorderer, hinterer, seitlicher Bogengang.
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna Jeder erweitert sich an einem Ende (Crus ampullare) zu einer knöchernen kleinen Höhle {Ampulla ossea; Abb. 7.29, 30). Das andere Ende (Crus osseum simplex) mündet ohne Erweiterung in das Vestibulum. • Lage im Raum. Die 3 Bogengänge stehen senkrecht aufeinander und sind gegenüber den Körperachsen um 45° verdreht. Zusätzlich sind sie leicht (30°) nach hinten aus der Horizontalen herausgekippt. Hierdurch kommt der vertikal angeordnete vordere Bogengang in die gleiche Position wie der vertikale hintere Bogengang der Gegenseite. •
Vorderer Bogengang. Der vertikale Canalis semicircularis anterior steht senkrecht zur Längsachse der Felsenbeinpyramide (Abb. 7.30) und bildet einen Bogen von 260° bei einer Länge von 20 mm. Er reicht weit über die Höhe des Vorhofes hinaus (frühere Bezeichnung: oberer Bogengang) und ruft, v. a. bei Kindern, auf der Großhirnfläche der Felsenbeinpyramide einen bogenförmigen Wulst hervor: Eminentia arcuata (Abb. 7.32). Seine Ampulle (Ampulla ossea anterior) liegt vom oben. Hinten vereinigt er sich mit dem hinteren Bogengang zum Crus osseum commune (Abb. 7.29).
•
Hinterer Bogengang. Der ebenfalls vertikale Canalis semicircularis posterior ist gegenüber dem vorderen um 90° versetzt, verläuft parallel der Kleinhirnfläche der Felsenbeinpyramide (Abb. 7.31) und bildet beinahe einen kompletten Kreisbogen bei einer Länge von 22 mm. Seine Ampulle (Ampulla ossea posterior) liegt hinten unten. Die knöcherne Wand der Ampulle ist für den Durchtritt des N. ampullaris posterior perforiert (Macula cribrosa inferior). Das andere Ende vereinigt sich mit dem vorderen Bogengang zum Crus osseum commune (Abb. 7.29, 30).
•
Lateraler Bogengang. Der seitliche, horizontale Canalis semicircularis lateralis verläuft bei aufrechter Körperhaltung horizontal, weist mit seiner Konvexität gegen Antrum und Paukenhöhle und erzeugt oberhalb des Canalis facialis die Prominentia canalis semicircularis lateralis (Abb. 7.8). Er beschreibt einen halben Bogen und ist 15 mm lang. In Abb. 7.16 ist er durch Wegnahme der Warzenfortsatzzellen von lateral her freigelegt. Seine Ampulle liegt vorn neben der des oberen Bogenganges (Abb. 7.30).
Hinten mündet er mit einem Crus osseum lex in das Vestibulum.
613 simp-
Klinik: 1 .Antrotomie und Radikaloperation des Ohres gefährden den lateralen Bogengang und den unter ihm verlaufenden N. facialis, 2. Peripher-vestibulärer Schwindel. Kardinalsymptom ist der Drehschwindel, Diagnostik durch Nystagmusanalyse (Nystagmus = Augenzittern, unwillkürliche rhythmische okuläre Oszillation mit langsamer und schneller Komponente). Unterschieden werden: 2.1 Spontannystagmus, Nystagmus unter einer 15 Dioptrien starken „Leuchtbrille nach Frenzel" (Ausschalten der okulären Fixation, die einen Nystagmus unterdrücken kann). 2.2 Lage- oder Lagerungsnystagmus. 2.3 Kalorischer Nystagmus: okuläre Oszillation nach thermischer Reizung des horizontalen Bogenganges durch Wasser- oder Luftspülung im äußeren Gehörgang (Kaltspülung: 30 °C oder Warmspülung: 4 4 °C). Der horizontale Bogengang wird durch entsprechende Kopflagerung („Optimumposition": im Sitzen Kopf 60° nach hinten neigen) in die Vertikale gebracht. Eine temperaturbedingte Volumenänderung der Endolymphe im Bogengang löst über eine Konvektionsströmung eine Reizung der Cupula aus. Mit der thermischen Prüfung können die peripheren vestibulären Rezeptoren seitengetrennt beurteilt werden.
7.2.1.3 Knöcherne Schnecke, Cochlea Die Cochlea (Abb. 7.33) steht mit breiter Basis (Basis cochleae) senkrecht auf dem inneren Gehörgang (Meatus acústicas internus, Abb. 7.31). Die Spitze (Cupula cochleae) weist nach vorn, unten und lateral in Richtung des Semicanalis m. tensoris tympani. Kaudal von der Schnecke, nur durch eine dünne Knochenwand von ihr getrennt, liegt der Canalis caroticus (Abb. 7.32).
Basal-, Mittel- und Spitzenwindungen heißen die 2'Δ Spiralwindungen (Abb. 7.30), die rechts mit und links gegen den Uhrzeiger verlaufen (Blick von der Schneckenspitze). Die inneren Hohlräume (30-37 mm) enden apikal blind, während die Basalwindung in das Vestibulum
614
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Dura mater _ _
_
Saccus nndolymphaticus —
Ductus endolymphaticus
— _
Ductus semicirculans anterior
Spatium perilymphaticum
Cupula ampullaris Ductus utricularis Crista ampullaris (Membrana iimitans) — Stapes Ductus saccularis Fenestra cochleae — — Ductus reuniens
Scala vestihuli — ~~ Scala tympani —
"
Ductus perilymphaticus'
„ ·" —
" •
Ductuscochlearis ""
\ \
Paries vestibularis ductus cochlearis (Membrana vestib.]
Cupula cochleae. Helicotrema
M e m b r a n a spiralis (Lamina basilaris)
Abb. 7.18: S c h e m a des häutigen Labyrinthes und der perilymphatischen Räume beim Menschen. M a c u l a sacculi und M a c u l a utriculi sind fein schraffiert. Der Knochen ist durch feine Punktierung angedeutet. S a c c . = Sacculus. Pfeile g e b e n die B e w e g u n g der Perilymphe an. N a c h de Burlet, verändert
mündet. Der Verlauf der Windungen ist nicht exakt parallel um ein Zentrum gewunden: die Mittelwindung ist leicht in die Basalwindung eingesenkt, die Spitzenwindung in die Mittelwindung.
(Lamina basilaris, Membrana spiralis) sowie dem darauf liegenden häutigen Endolymphschlauch (.Ductus cochlearis, Abb. 7.22) die Schneckenwindung in 2 Treppen:
Modiolus (= Spindel). Auf einem Längsschnitt durch die Mitte der Cochlea (Abb. 7.33) wird die kegelförmige Achse aus dünnem Knochen erkennbar.
•
Lamina spiralis ossea. Um den Modiolus läuft wie eine frei tragende Wendeltreppe eine feine Knochenlamelle. Sie besteht aus 2 parallelen Blättern (Abb. 7.22). In der Spitzenwindung endet sie außen mit einem Haken (Hamulus laminae spiralis) und einer zentralen, trichterförmigen Abschlussplatte {Lamina modioli). Scalae (=Treppen). Die Lamina spiralis ossea unterteilt zusammen mit der an ihrem freien Rande befestigten häutigen Lamina spiralis membranacea
Scala vestibuli. Die obere Treppe (bei senkrechter Stellung der Schnecke) mündet in das Vestibulum. • Scala tympani. Die untere Treppe grenzt am runden Fenster an den Mittelohrraum (Cavilas tympanica). • Über das Helicotrema stehen beide Scalae an der Spitze der Cochlea in Verbindung. Zwischen den Blättern der Lamina spiralis ossea finden sich senkrechte, plattenformige Knochenstege, die zwischen sich nach außen gerichtete Kanäle (Habenula perforata) fur den Durchtritt von Nervenfasern und Gefäßen freilassen.
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
Eine zweite Knochenlamelle (Septum cochleae) zieht vom Modiolus rechtwinklig zu seiner Achse bis zur Außenwand und stellt damit die obere und zugleich untere Grenze einer einzelnen Windungen zur nächsten dar. Modiolus und Lamina spiralis ossea bestehen aus zartem Knochen und enthalten feine Kanäle und Hohlräume, die die Pars cochlearis n. vestibulocochlearis und sein Ggl. spirale aufnehmen. An der Basis modioli ist dieser Knochen als Area cochleae (Abb. 7.33) wie ein Sieb perforiert (Tractus spiralis foraminosus), um die Fasern des Ggl. spirale in den inneren Gehörgang eintreten zu lassen. Canaliculus cochleae (Abb. 7.18, 29). Vom Anfangsteil der Scala tympani, nahe dem runden Fenster, geht ein feiner Knochenkanal ab, der auf der Unterfläche der Felsenbeinpyramide, medial vom Foramen jugulare, mit der trichterförmigen Apertura externa canaliculi cochleae mündet und über den darin enthaltenen häutigen Ductus perilymphaticus (Aquaeductus cochleae) die perilymphatischen Räume des Labyrinthes mit dem Cavum subarachnoidal verbindet.
7.2.2
Häutiges Labyrinth, Labyrinthus membranaceus
Der längliche Utriculus (= kleiner Schlauch) und rundliche, kleinere Sacculus (= Säckchen) sind mit Endolymphe gefüllte Bläschen (Abb. 7.18-25). Sie liegen in einer knöchernen Höhle (Vestibulum) und sind durch den Ductus utricularis bzw. Ductus saccularis (Abb. 7.18) mit dem Ductus endolymphaticus verbunden. • Vom Sacculus fuhrt der kleine Ductus reuniens in den spiralig gewundenen, ebenfalls mit Endolymphe gefüllten Schneckengang (Ductus cochlearis). Nur dieser dient der Hörempfindung. • Vom Utriculus gehen 3 halbringförmige Bogengänge (Ductus semicirculares) ab, die mit dem Sacculus das Gleichgewichtsorgan bilden. Das häutige Labyrinth bestimmt bereits während der Embryonalentwicklung die Form des Felsenbeines (s. o.), das postnatal kaum wächst: Das Erwachsenenlabyrinth ist nur wenig größer. Die Struktur des umgebenden Knochens dagegen verfestigt sich nach der Geburt rasch, weist bald eine besonders dichte Matrix auf und dehnt sich bis zum Ende des Wachstums kontinuierlich aus.
615
7.2.2.1 Gleichgewichtsanteil, Labyrinthus vestibularis Während die zum Vestibularapparat (Abb. 7.18) gehörigen 3 häutigen Bogengänge (Ductus semicirculares) jeweils eine eigene äußere Knochenkapsel (Canales semicirculares ossei) besitzen, befinden sich die beiden Vorhofsäckchen (Utriculus, Sacculus) in einem knöchernen Hohlraum, dem Vorhof ( Vestibulum). Über häutige Ausfuhrungsgänge (Ductus utricularis bzw. Ductus saccularis) stehen sie mit dem Anfangsteil (Sinus endolymphaticus) des Endolymphganges (Ductus endolymphaticus) in Verbindung, der den Knochen des Felsenbeines gangförmig perforiert (Aquaeductus vestibuli) und an seiner Hinterfläche im Endolymphsack (Saccus endolymphaticus) endet. Die Endolymphräume sind vom umgebenden Knochen durch schmale Perilymphräume getrennt. 7.2.2.1.1 Bogengänge, Ductus semicirculares Ductus semicirculares. Sie stehen senkrecht aufeinander. Ihre Bezeichnung richtet sich nach der Lage im Raum: vorderer, hinterer, seitlicher Bogengang (Ductus semicircularis anterior, posterior, lateralis). Sie sind mit ihrem konvexen Rand in den knöchernen Bogengängen (s. u.) exzentrisch aufgehängt (Abb. 7.18) und vom Perilymphraum umgeben. Ampullae membranaceae. Ein Ende eines jeden Bogenganges ist kolbig zu einem häutigen Hohlraum (Ampulla membranacea anterior, posterior, lateralis) erweitert. Crista ampullaris. In jeder Ampulle (Abb. 7.19) findet sich eine quergestellte, gegen das Ampullenlumen vorragende Leiste, die Crista ampullaris. Von jeder Ampulle führt ein N. ampullaris zum Ggl. vestibuläre und dann zur Pars vestibularis des N. vestibulocochlearis (Abb. 7.21). Feinbau. Siehe unten. Wirkungsmechanismus. Da sich das spezifische Gewicht der Cupulae der Cristae nicht von dem der Endolymphe unterscheidet, ist Winkelbeschleunigung der adäquate Reiz fur diese Organe. Wird der Kopf in der Ebene eines Bogenganges gedreht, verharrt die träge Endolymphe. Da die Crista ampullaris und damit auch die Cupula mit der sich drehenden Wand des Bogenganges verwachsen sind.
616
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Erst zeitlich versetzt kommt auch die Endolymphe in Bewegung, wodurch Deflektion der Sinneshaare in der Cupula und Reizintensität nachlassen. Die Kopfbewegung muss nicht exakt in der Ebene eines Bogengangs verlaufen, löst aber in einem solchen Fall die stärksten Reaktionen hervor. Durch Anordnung der Bogengänge in 3 aufeinander senkrecht stehenden Ebenen werden alle Drehbewegungen des Kopfes erfasst.
Abb. 7.19: Rasterelektronenmikroskopie einer Crista mit (präparationsbedingt geschrumpfter) Cupula und ihrer Ampulla. Vergr. 65-fach.
Hält die Drehbewegung gleichmäßig an, gleicht sich die Endolymphströmung an und kommt relativ zu Bogengängen zum Stillstand. Damit kann die Drehbewegung durch das Bogengangssystem nicht mehr wahrgenommen werden. Verlangsamt sich die Drehbewegung, bleibt die Endolymphe noch eine Weile in der vorherigen Geschwindigkeit, während die Cupulabewegung relativ dazu abbremst (—» negative Beschleunigung). Dies wird subjektiv als eine Beschleunigung in die Gegenrichtung empfunden (—» Schwindel nach längeren Drehbewegungen wie Karussellfahrten). Die Erregung wird dem ZNS durch die Pars vestibularis η. vestibulocochlearis zugeleitet. Von dort aus werden reflektorisch Muskelgruppen in Bewegung gesetzt, die der Lageänderung entgegenzuwirken suchen. 7.2.2.1.2
Vorhofsäckchen, Utriculus u n d S a c c u l u s
Utriculus und Sacculus sind langgestreckte m e m branose Hohlräume, die miteinander über G ä n g e k o m m u n i z i e r e n und mit E n d o l y m p h e gefüllt sind. Sie
zeigen
weißlichen
makroskopisch
jeweils
durchschimmernden
ein ovales ( 2 x 3
einen
grau-
Fleck
{Macula),
m m Durchmesser),
verdicktes
Sinnesfeld. Utriculus.
Hier wird das Sinnesfeld als
Macula
utriculi b e z e i c h n e t u n d stellt d e n B e g i n n d e s N. utricularis dar. D i e s e liegt b e i e r h ö h t e m v o r d e r e n und tiefer gelegenem hinteren R a n d nur beinahe h o r i z o n t a l u n d ist d a m i t in d e r E b e n e d e s l a t e r a len B o g e n g a n g e s a u s g e r i c h t e t ( A b b . 7 . 2 1 ) . In d e n Abb. 7.20: Rasterelektronenmikroskopie: a. Bündel von Sinneshaaren auf einer vestibulären Haarzelle; b. Otolithen einer Macula, Vergr. a. 4500-fach, b. 6500-fach. wird die Cupula durch die verharrende Endolymphe hindurch bewegt und biegt sich entgegen der Drehbewegung um. Resultat ist eine Deflektion (= Umbiegung) der in die Cupula eingelassenen Sinneshaare (Abb. 7.20 a), eine adäquate Reizung der Haarzellen. Die Polarisation der Sinneshaare der Haarzellen zeigt dem ZNS Richtung und Ausmaß der Drehbewegung an.
Hohlraum des Utriculus mündet von oben die A m p u l l e des vorderen B o g e n g a n g e s , dicht darunter die A m p u l l e des lateralen Bogenganges. Im m i t t l e r e n A b s c h n i t t m ü n d e n d a s Crus commune des v o r d e r e n u n d h i n t e r e n B o g e n g a n g e s s o w i e lateral d a v o n d a s Crus simplex d e s l a t e r a l e n B o g e n g a n g e s . A m unteren Pol des Utriculus m ü n d e t die A m p u l l e d e s l a t e r a l e n B o g e n g a n g e s in s e i n L u m e n . I m u n t e ren Abschnitt der Hinterwand des Utriculus beginnt d e r Ductus utricularis, d e r s p ä t e r in d e n Ductus endolymphaticus
übergeht und über einen Klappen-
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
617
Ouctus semicircularis lateralis \
Saccus endolymphaticus
Crista ampullaris lateralis ~
Crus membranaceum commune
Crista ampullaris anterior Ganglion vestibuläre
N. vestibulocochlear^
Î
Crista ampullans posterior
Pars vestibularis " (Macula neglecta)
Pars cochlearis
Ductus cochlearis Ganglion s p i r a l e -
Abb. 7.21: Verzweigung d e s N. vestibuloccochlearis an den Sinnesendstellen des häutigen Labyrinthes. N a c h de Burlet
mechanismus den Abstrom der Endolymphe vom Utriculus und den Bogengängen regulieren soll. Sacculus. Sein Hohlraumsystem ist deutlich kleiner (vor allem flacher) als das des Utriculus. Es steht über den Ductus saccularis mit dem Ductus endolymphaticus und über den Ductus reuniens mit den Endolymphräumen der Cochlea in Verbindung. Die Macula sacculi als Beginn des N. saccularis steht senkrecht, in der Ebene des hinteren Bogenganges und befindet sich an der sakkulären Wand des inneren Gehörganges (Meatus acusticus internus). Feinbau. Da der Bau des häutigen Gleichgewichtsorganes gleich ist, werden an dieser Stelle Maculae, Cristae und die übrigen Anteile des Labyrinths gemeinsam besprochen. Die Wände des häutigen Labyrinths werden innen von einem meist einschichtigen Plattenepithel ausgekleidet, das auf einer Lamina propria liegt und von ihr durch eine durchgehende Basalmembran getrennt ist. Lediglich in der Nähe der Sinnesfelder (Maculae, Cristae) wird das Epithel erst iso-, dann hochprismatisch, um zwischen den Sinneszellen einen mehrreihigen Bau zu zeigen. Hier soll es an der Produktion der Mucopolysaccharide für den Bau der Cupulae (Cristae ampullares der Bogengänge, Abb. 7.19) bzw. der Statolithenmembranen (Utriculus, Sacculus) beteiligt sein. Neuroepithel. Auch das mehrreihige Neuroepithel der Maculae ist dem der Cristae ampullares ähnlich und besteht aus 2 Zellarten auf einer gemeinsa-
men Basalmembran: 1. Sinnes- (Haarzellen) mit afferenten und efferenten synaptischen Nervenendigungen von Ausläufern des N. vestibularis, 2. Stützzellen, die die Haarzellen umgeben. Sinneszellen, Haarzellen. Nach Form und Anordnung der Synapsen werden diese sekundären Sinneszellen unterschieden: •
Typ-I-Haarzellen (bauchig, dünner Hals, eine kelchförmige Synapse mit einem afferenten Dendriten = Calix, efferente Synapsen außen am Calix) • Typ-Il-Haarzellen (zylindrisch, höher gelegener Kern, zahlreiche afferente und efferente Synapsen am Zellkörper). Auf der Oberfläche finden sich ein einzelnes randständiges Kinozilium und Sinneshaare (Stereozilien, Abb. 7.20 a). Die Stereozilien werden in Richtung des Kinoziliums länger (bis 100 μπι) und reichen apikal in eine gallertige Membran (Statolithenmembran der Maculae bzw. Cupula der Cristae). Die Position des Kinoziliums bewirkt eine polare Organisation der ganzen Zelle: Durch Linearbzw. Rotationsbeschleunigung kommt es zu einer Umbiegung (Deflektion) der Sinneshaare mit Erhöhung der Impulsfrequenz im N. vestibularis (—> Deflektion in Richtung Zilium) oder Erniedrigung (—» Deflektion in Gegenrichtung). Stützzellen. Sie umgeben die Haarzellen.
618
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Besonderheiten der Maculae. In die freie Oberfläche der Statolithenmembran der Maculae sind mehrere Lagen kleiner Kalkkristalle {Statoconia, Stato- oder Otolithen, Abb. 7.20 b) eingelagert. Sie besitzen ein höheres spezifisches Gewicht als die umgebende Endolymphe oder die Statolithenmembran. Von der Macula utriculi kommt der N. utricularis, von der Macula sacculi der N. saccularis als Teil des N. vestibularis. Besonderheiten der Cristae. Die 30^40 μπι langen Stereozilien der Sinneszellen ragen in die gallertige, kappenformige Masse der Cupula hinein, die im Gegensatz zu den flachen Maculae bis fast zum Dach der Ampulle reicht. Auf ihrer freien Oberfläche befinden sich keine Otolithen. Ihr jeweiliger N. ampullaris ist Bestandteil des N. vestibularis. Wirkungsmechanismus der Maculae. Da die Otolithen spezifisch schwerer als die Endolymphe sind, drücken sie bei aufrechter Kopfhaltung auf die Sinneshaare der horizontal stehenden Macula utriculi und ziehen an den Sinneshaaren der senkrecht stehenden Macula sacculi. Durch diese andauernde Einwirkung entsteht die Empfindung der „regelrechten" Lage. Beschleunigung des Kopfes, ζ. B. beim Abwärtsfahren im Fahrstuhl, entlastet die vertikal stehende Macula sacculi, Aufwärtsfahren belastet sie. Es entsteht das Gefühl des Fallens und Steigens. Ähnlich verhält es sich mit linearen Beschleunigungen in horizontaler Ebene (ζ. B. Anfahren und Abbremsen im Auto) mit Reizung der Macula utriculi. Linearbeschleunigung bewirkt eine verstärkte Abscherung der Statolithenmembran als adäquater Reiz fur die Sinneszellen. Dabei spricht die Macula utriculi aufgrund ihrer Lage auf horizontale, die Macula sacculi auf vertikale Beschleunigungen an. Bleibt die erreichte Geschwindigkeit in horizontaler oder vertikaler Richtung konstant, wird sie von den Maculae nicht mehr wahrgenommen („fahrt der Fahrstuhl noch?").
Die ausgelöste Erregung wird dem ZNS via Vestibularisfasern zugeleitet, das darauf reflektorisch Tonusänderungen und Korrekturbewegungen der Muskeln auslöst (Kap. 5.4.1, S. 456). Macula neglecta. Sie ist eine rudimentäre Crista ampullaris im Utriculus mancher Säugetiere (Abb. 7.21).
7.2.2.1.3 Endolymphatischer Gang und Sack, Ductus et Saccus endolymphaticus (Abb. 7.18) Ductus endolymphaticus ist der Zusammenschluss von Ductus utricularis und Ductus saccularis. Er beginnt mit einer Erweiterung (Sinus endolymphaticus) innerhalb des Vorhofes, zieht in den knöchernen Kanal des Aquaeductus vestibuli, wo er seine engste Stelle (Isthmus endolymphaticus) aufweist. Saccus endolymphaticus. Von hier verläuft er zur Kleinhirnfläche der Felsenbeinpyramide, wo er sich zu einer platten, 10 mm langen, 5 - 8 m m breiten Tasche (Saccus endolymphaticus) erweitert (Abb. 7.18). In unmittelbarer Nähe befindet sich der Sinus petrosus superior (oberhalb) bzw. der Sinus sigmoideus (unterhalb des Saccus) (Kap. 5.3, S. 433). Ob sich der Saccus zwischen 2 Blättern von harter Hirnhaut (Dura mater) oder Dura und Periost des Felsenbeinknochens befindet, wird kontrovers diskutiert.
Feinbau. Das einschichtige Epithel des Ductus endolymphaticus ändert seine Höhe: Der Anfangsteil innerhalb des Vorhofes weist ein iso- bis hochprismatisches Epithel auf; die hochprismatischen Zellen des Mittelabschnitts innerhalb des knöchernen Kanals zeigen zahlreiche Mikrovilli auf ihrer luminalen Oberfläche. Hier ist das Epithel beim Übergang in den von Knochen umgebenen Abschnitt des Saccus endolymphaticus stark gefaltet. Die flacheren Zellen des glattwandigen Endabschnittes des Saccus endolymphaticus erscheinen elektronenmikroskopisch als helle und dunkle Zellen. Funktion. Aufgrund von experimentellen Verschlüssen des Ductus endolymphaticus bzw. operativen Entfernung des Saccus endolymphaticus mit Endolymphstau {Hydrops endolymphaticus) des Innenohres geht man heute davon aus, dass der Ductus und Saccus endolymphaticus dem Druckausgleich im häutigen Labyrinth und der Resorption der in der Stria vascularis der Cochlea gebildeten Endolymphe dienen.
Klinik: Menière-Krankheit (= Morbus Menière). Hydrops (= vermehrte Flüssigkeitsansammlung) des häutigen Labyrinths mit Störung der Produktion und Resorption der Endolymphe. Symptomentrias aus anfallsartigem Drehschwindel mit Spontannystagmus, Ohrgeräusch und einseitiger Schwerhörigkeit.
619
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
Scala vestibuli
Paries vestibularis ductus cochlearis
Stria vascularis • ^
\ Ductus cochlearis -
/
\ Ganglion spirale cochleae im Modiolus
Lig spirale cochleae
Organum spirale (Corti) . Pars cochleari s η. vestibulocochlear^ [Ν. cochleae]
Scala tympani
Lamina spiralis ossea mit zum Organum spirale ziehenden Nervenfasern
Abb. 7.22: Querschnitt durch 2 S c h n e c k e n w i n d u n g e n aus einem axialen Längsschnitt durch die S c h n e c k e
Paries (Membrana) vestibularis ductus cochlearis
\I »
i
Nerveneintritt Labium limbi Nervenin das tympanicum fasem Organum spirale
Lamina spiralis ossea
Membrana spiralis (Lamina basilaris) mit Organum spirale und tympanaler Belegschicht
Abb. 7.23: Ductus cochlearis mit O r g a n u m spirale im Querschnitt. N a c h Held
620
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
7.2.2.2 Gehöranteil, Labyrinthus cochlearis Die häutige Schnecke (Ductus cochlearis, Cochlea) ist ein 3 cm langer, im Querschnitt dreieckiger (Abb. 7.22, 23), an beiden Enden blind endender, mit Endolymphe gefüllter Gang, der durch den kurzen, feinen Ductus reuniens mit dem Sacculus in Verbindung steht (Abb. 7.18, 21).
Der Gang liegt in der knöchernen Schnecke und bildet wie diese 2 'Λ Spiral Windungen. Ihr basaler Anfang (Caecum vestibuläre) weist in Richtung Sacculus. Ihr Caecum cupulare liegt in der Schneckenspitze (Abb. 7.18). Der Schneckengang ist an der Lamina spiralis ossea und an der gegenüberliegenden Wand befestigt (Abb. 7.22): •
Hierdurch wird der Perilymphraum in eine Scala tympani und eine Scala vestibuli unterteilt.
Meist wird in Abbildungen die Schneckenspitze nach oben orientiert und ergibt so eine tympanale (an die Scala tympani grenzende), eine vestibuläre (an die Scala vestibuli grenzende) und eine äußere oder gefäßführende Wand (Abb. 7.23): Wände des Ductus cochlearis •
Paries vestibularis ductus cochlearis. Die Reissner-Membran (Abb. 7.24) ist zum knöchernen Zentrum der Schnecke (Modiolus) hin am Periost der Lamina spiralis ossea befestigt, lateral am Lig. spirale. Sie besteht aus 2 endothelartig abgeplatteten Zelllagen, die eine dünne Bindegewebeschicht zwischen sich fassen. Die
endolymphatische Oberfläche der Zellen ist reich mit Mikrovilli besetzt und vermutlich an Transportvorgängen beteiligt. Diese Zellen bilden durch dichte Zell-Zell-Verbindungen (tight junctions) eine undurchlässige Schicht. Die perilymphatische Oberfläche wird von extrem platten Zellen gebildet, die zwischen sich weite Lücken und Löcher frei lassen. Zwischen beiden Zelllagen befinden sich eine gemeinsame Basalmembran und wenige Bindegewebefasern. • Paries externus ductus cochlearis. Sie besteht aus einem mit dem Periost verbundenen Bindegewebepolster, Lig. spirale cochleae. Dieses ist in seinem medialen Kontaktbereich mit der Endolymphe von einem mehrschichtigen Epithel bekleidet. In den weiten, von Perilymphe durchströmten Bindegeweberäumen des Lig. spirale befinden sich größere Gefäße, die mit Ausläufern in das Epithel hineinreichen. Die Besonderheit der Gefäßversorgung führte zu seiner Bezeichnung Stria vascularis. Die luminalen Zellen (Marginalzellen) des Epithels sind kubisch, die basalen in mehreren Schichten platt. Marginal- und Basalzellen gehen untereinander dichte Zell-Zell-Verbindungen ein. Hierdurch entsteht ein abgeschlossener Raum (-> intrastriales Kompartiment) zwischen beiden Zellgruppen mit eigener Gefaßversorgung. Die stoffwechselaktiven Marginalzellen sind für die Produktion der Endolymphe verantwortlich. Am Unterrand der Stria vascularis wölbt sich ein größeres Gefäß zur Prominentia spiralis vor. •
Abb. 7.24: Rasterelektronenmikroskopie des CortiOrganes C einer kochleären Windung mit nach oben geklappter Tektorialmembran Τ und Reissner-Membran R. Vergr. 120-fach.
Paries tympanicus ductus cochlearis, Dach der Scala tympani. Zwischen dem freien Rand der Lamina spiralis ossea und dem Lig. spirale ist die Basilarmembran (Membrana spiralis oder Lamina basilaris) ausgespannt. Sie trägt auf ihrer Oberseite das Corti-Organ (Organum spirale cochleae; Abb. 7.24), den Schallaufnahmeapparat des Gehörorgans. Grundlage dieser Membran sind starre, fächerförmig nach außen verlaufende Bindegewebefasern. Sie sind in der Basalwindung 100-200 μιτι lang, werden gegen die Spitzenwindung hin länger (< 500 μιη).
Auf der perilymphatischen Fläche der Membran befindet sich die tympanale Belegschicht, eine individuell wechselnd dicke Lage von Epithelzellen,
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
621
Löcher der Membrana reticularis für äußere Haarzellen
\
äußere Haarzeflen
ι \\
innere Haarzelle ^ Grenzzelle
/ /
I
I
tympanale
Membrana spiralis
Deiters-
Belegsclucht
{Lamina basilaris)
Zellen
äußere innere 1
V
Pfeilerzelle
Vas spirale
Nervenfaser
'
Abb. 7.25: Corti-Organ. In das Schema des Stützapparates (nach Held) wurden die Haarzellen und die ableitende Nervenfaser schematisch eingetragen. Das Zytoplasma der Stützzellen ist punktiert, die Stützfibrillen in ihnen sind vollschwarz
die nach medial den Modiolus und nach lateral das Lig. spirale und den Boden der Scala tympani überzieht. Spiralorgan, Corti-Organ, Organum spirale cochleae Das Organum spirale cochleae (Abb. 7.22 bis 25) läuft durch die ganze Länge des Ductus cochlearis spiralig um den Modiolus herum und lässt, wie jedes Neuroepithel, Stütz- und Sinneszellen unterscheiden. 1. Stützzellen • Deiters-Zellen. Die mit besonderen intrazellulären Stützfasern (schwarz in Abb. 7.25) versehenen Zellen sitzen basal auf der Basilarmembran und bilden mit ihren langgestreckten apikalen Ausläufern die durchlöcherte Membrana reticularis. Sie sind in 3, in der Spitzenwindung in 4 - 5 Reihen angeordnet und besitzen eine Auskehlung zur Aufnahme der äußeren Haarzellen (Abb. 7.26). • Pfeilerzellen. Weiter medial stoßen innere und äußere Pfeilerzellen mit ihren Köpfen wie die Sparren eines Daches gegeneinander und bilden einen im Querschnitt dreieckigen, mit einer
Abb. 7.26: Rasterelektronenmikroskopische Aufsicht auf das Corti-Organ mit 3 Reihen äußerer und einer Reihe innerer Haarzellen, sowie umgebender Stützzellen. Vergr. 560-fach
der Perilymphe ähnlichen Flüssigkeit (CortiLymphe) gefüllten Tunnel (Corti-Tunnel). • Nach dem Lig. spirale hin gehen die Stützzellen in indifferente Epithelzellen über: 1. hohe Hensen-Zelien, 2. niedrige Claudius-Zellen. 2. Sinneszellen • Äußere Sinnes- oder Haarzellen (Abb. 7.26, 27 a, b) sind hochprismatisch, apikal mit Sinneshaaren (Stereozilien) versehen. Sie ruhen mit ihrer Basis in den Auskehlungen der Deiters-
622
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
ere zwischen Endo- und Corti-Lymphe. Auf der endolymphatischen Oberfläche einer einzelnen äußeren Haarzelle sind 3 Reihen unterschiedlich langer Stereozilien W-förmig angeordnet (Abb. 7.27 a). Sie sind untereinander durch feine Plasmamembranbrücken (tip links, side links) verbunden. Es findet sich hier - im Vergleich zu den Haarzellen des Vestibularapparates - ein lediglich rudimentäres Kinozilium (Basalkörperchen). Die äußeren Haarzellen stehen in 3 - 5 Reihen lateral der äußeren Pfeilerzellen (s. Abb. 7.26). • Innere Sinnes- oder Haarzellen. Medial der inneren Pfeilerzellen befindet sich eine Reihe innerer Haarzellen. Auch sie besitzen eine apikale Kutikularplatte, in die meist 2 Reihen bürstenförmig hochstehender Stereozilien eingelassen sind (Abb. 7.27 c). Tektorialmembran (= Membrana tectoria; Abb. 7.24). Über den Haarzellen schwebt die gallertige Deckmembran. Sie ist eine gallertig-faserige Struktur, die von benachbarten Epithelzellen ausgeht. Mit dem einen Rand ist sie am Labium limbi vestibuläre angeheftet; der andere reicht bis über die äußeren Haarzellen hinaus. Die längsten Stereozilien der äußeren Haarzellen sind in der Unterseite der Tektorialmembran verankert, während die inneren Haarzellen keinen Kontakt zu ihr besitzen. Funktion. Der vom Steigbügel über die Scala vestibuli eintreffende Schalldruck löst in Ductus cochlearis und Basilarmembran eine Wanderwelle aus, die entsprechend der Reizfrequenz an bestimmten Abschnitten der Basilarmembran Amplitudenmaxima auslöst (Abb. 7.28). Durch Schwingungen kommt es zu einer Deflektion der Stereozilien der äußeren Haarzellen relativ zur Tektorialmembran. Abb. 7.27: Rasterelektronenmikroskopie: a. Kutikularplatte einer äußeren Haarzelle mit drei W-förmig angeordneten Reihen von Sinneshaaren unterschiedlicher Länge: b. eröffnetes Corti-Organ mit zylindrischen Zellkörpern äußerer Haarzellen. Im Hintergrund die Stereozilien innerer Haarzellen; c. Aufsicht auf die Kutikularplatte einer inneren Haarzelle mit bürstenförmig hochstehenden Sinneshaaren, Vergr. a. 4800-fach, b. 1650-fach, c. 4600-fach.
Zellen und ragen mit ihren apikalen Anteilen {Kutikularplatte) in die Löcher der Membrana reticularis hinein. Durch dichte Zell-Zell-Verbindungen mit Ausläufern der Deiters-Zellen ist die Membrana reticularis eine wirksame Barri-
Die Verbindungen zwischen den einzelnen Stereozilien werden vermutlich gedehnt und die K~-reiche Endolymphe kann über sich öffnende Ionenkanäle in die Zelle eindringen und sie depolarisieren. Das eingedrungene Kalium kann anschließend über in der seitlichen Zellwand (Abb. 7.27 b) befindliche Ionenkanäle wieder in die K'-arme Corti-Lymphe ausgestoßen werden.
Die Reizung der äußeren Haarzellen bewirkt eine aktive Bewegung dieser Zellen, die vermutlich zu einer forcierten Endolymphströmung unterhalb der Tektorialmembran und Deflektion der Stereozilien der inneren Haarzellen eines sehr umschriebenen Abschnittes des Corti-Organes führt. Erst diese Haarzellen geben, nachdem sie ebenfalls depola-
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Aurls interna
7.2.3
623
Perilymphatische Räume, Spatium perilymphaticum
Zwischen dem häutigen und dem knöchernen Labyrinth bleiben weite Räume frei, die mit Perilymphe gefüllt sind.
Abb. 7.28: Schwingungsverhalten der beiden Trennwandmembranen. Hauptauslenkungsort der Basilarmembran außerhalb des Cortischen Organes. Schwingungsbereich der Reissnerschen Membran in der Nähe ihres axialen Ansatzes. Die punktierten Linien geben schematisch die Ausschwingungsgröße wieder. (Nach K. Neubert, 1950)
risiert wurden, das Signal über basale Synapsen an den afferenten Teil des Hörnerven weiter und wirken wie ein kochleärer Frequenzverstärker. Klinik: 1. Hörsturz. Plötzliche, meist einseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit oder Taubheit, die mit Ohrgeräusch verbunden ist, spontan oderz. B. nach Einnahme von Schleifendiuretika, Aminoglykosid-Antibiotika, Zytostatika (—> ototoxische Wirkung). Dabei werden, ähnlich wie bei Lärm, die Sinneszellen des Corti-Organes vorübergehend oder dauerhaft geschädigt. Auch Durchblutungsstörung des Innenohres (Hörsturz durch Stress, Infektion, Hyperlipämie) können zur Schallempfindungsstörung fuhren, da die Haarzellen als stoffwechselaktive Zellen von einer guten Sauerstoff- und Nährstoffversorgung abhängig sind, 2. Presbyakusis (= Altersschwerhörigkeit). Herabgesetztes Hörvermögen bei hohen, später auch bei mittleren Frequenzen, das sich oft im 50.-60. LJ manifestiert; Ursache: Degeneration von Stria vascularis, Corti-Organ, kochleären Neuronen, Schädigung des Innenohrs durch Lärm, Diabetes mellitus. Therapie: Hörgerät. Über weitere Schäden s. Kap. 5.4.3.3, S. 470.
• In Bogengängen und Utriculus sind sie von zarten Bindegewebefasern und Zellfortsätzen durchzogen. Eine feine Grenzmembran (Membrana limitans\ Abb. 7.18) trennt diesen Abschnitt von dem den Sacculus und Ductus cochlearis umgebenden (in Abb. 7.18 gestrichelten) Teil. • In der Cochlea bildet dieser Teil die Scala vestibuli und Scala tympani, deren Lumen nicht von einem Maschenwerk aus Fasern durchzogen wird. • Die Scala vestibuli beginnt in der Cisterna vestibuli hinter der Fußplatte des Steigbügels, bildet den oberen Perilymphraum einer Schneckenwindung und kommuniziert an der Schneckenspitze durch ein feines Loch (Helicotrema) mit der Scala tympani. • Die Scala tympani verläuft innerhalb der einzelnen Windungen der Cochlea unterhalb der Lamina spiralis ossea bzw. Lamina basilaris und endet an der runden Fenstermembran blind. Peri- und Endolymphräume sind durch dichte ZellZell-Verbindungen zwischen den begrenzenden Epithelzellen strikt voneinander getrennt. Funktion. Die Perilymphe ist fur das Hören essentiell. Wird der Steigbügel in der Fenestra vestibuli bewegt, so gerät die Perilymphe der Scala vestibuli in eine pendelnde Bewegung, die sich durch das Helicotrema in die Scala tympani fortsetzt. Da die Perilymphe nicht komprimierbar ist, kommt die Bewegung nur zustande, wenn die Flüssigkeit ausweicht via rundes Fenster (Membrana tympanica secundaria). Die Membran buchtet sich jedes Mal gegen die Paukenhöhle vor, wenn der Steigbügel in die Fenestra vestibuli gepresst wird, und umgekehrt (Abb. 7.18). Durch ihre ionale Zusammensetzung (Na~-reich, K -arm) entspricht die Perilymphe am ehesten dem Liquor cerebrospinalis und stellt damit einen Gegenpol zur Zusammensetzung der Endolymphe (K'-reich und Na'-arm) dar. Dies hat Bedeutung für den Hörvorgang und den Aufbau eines endokochleären Potentials. Gebildet wird die Perilymphe vermutlich als Ultrafiltrat der Gefäße der Perilymphräume.
624
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Canalis semicircularis anterior Ampulla ossea anterior x
Cochlea \ \
/
Canalis semicircularis lateralis
/
s Crus osseum commune
Recessus sphaerlcus [sacculi]
/
Vestibulum l
Recessus ellipticus [utriculi]
Canaliculus
Aquaeductus
Ampulla ossea
cochleae
vestibuli
posterior
Canalis semicircularis posteri!
Abb. 7.29: A u s g u s s eines rechten knöchernen Labyrinthes (vergrößert). Von medial her gesehen
Canalis semicircularis anterior [superiori
Ampulla ossea anterior [superior] '
Crus osseum commune
/ / /
Canalis semicircularis lateralis^
/
/
^ \
/ /
1
\
.Recessus ellipticus (utriculi)
/
/
/ Ampulla osea posterior
/
/
\
/
Ampulla ossea lateralis
/
/
/ Canalis semicircularis posterior.
/
/
/ /
»Fenestra vestibuli
/ y
Recessus sphaericus [sacculi]
/ Fenestra cochleae
Lamina
basale
spiralis
Schneckenwindung
Cupula cochleae
Abb. 7.30: A u s g u s s eines rechten knöchernen Labyrinthes (vergrößert). Von lateral her gesehen
625
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
7.2.4
Innerer Gehörgang, Meatus acusticus internus
Der Meatus acusticus internus (Abb. 7.31-34) verbindet das Labyrinth mit der Schädelhöhle.
Porus acusticus internus. Mit ihm mündet der innere Gehörgang in die hintere Schädelgrube (Kap. 4.4.2.3, S. 213). Die Hirnhäute ziehen von dort in den Meatus hinein. Auch das Spatium subarachnoidale dehnt sich bis hierhin aus und kommuniziert mit den Perilymphräumen des Innenohres.
Verlauf. 1 cm lang, durchsetzt der Gang in lateraler Richtung (Abb. 7.31) das Felsenbein. Inhalt: Vasa labyrinthica, N. facialis, N. intermedius, N. vestibulocochlearis.
Cochlea Canalis semicircularis anterior Canalis semicircularis lateralis Canalis semicircularis posterior Porus et meatus acusticus internus
Abb. 7.31: Lage des Innenohres im Felsenbein. Rechts knöchernes Labyrinth herauspräpariert und eröffnet. Links Ausguss des knöchernen Labyrinthes In das durchsichtig gedachte Felsenbein eingezeichnet Canalis Canalis
semicircularis
lateralis
anterior, Eminentia arcuata /
/I Λ
Antrum mastoideum _
.
"
-
Fenestra vestitoli /
-
Cochlea Canalis semicircularis posterior
£ *
A Cellulaemastoideae·
„
—
Semicanalis m. tensoris tympani
€m
Canalis facialisSemicanalis Fenestra cochleae
V. jugularis interna A. carotis interna
tubae auditiva« Promontorium
Abb. 7.32: Lage des Labyrinthes (rot), der A. carotis interna (rot) und der V. jugularis interna. Vom Paries labyrinthicus der Paukenhöhle aus gesehen
626
7 Gehör- und Gleichgewichtsorgan, Organum vestibulocochleare
Helicotrema \
Hamulus laminae spiralis I
\
Modiolus /
/
\
/
/
\ \ \
I I
/
s
Scala vestibuli
/ Lamina spiralis ossea
Scala tympara
-
Septum
Canalis spiralis modioli
cochleae ~ Basalwindung
" " Area cochleae (Tractus spiralis foraminosus)
—
Meatus acusticus internus
Abb. 7.33: Längsschnitt durch die knöcherne S c h n e c k e und den inneren G e h ö r g a n g
A r e a n. facialis flntroitus canalis n. facialis]
Area vestibularis superior [utriculoampullaris] Crista transversa Area vestibularis inferior (saccularis] Foramen singulare
Area cochleae [Tractus spiralis foraminosusl
Abb. 7.34: Grund d e s inneren Gehörganges, Fundus meatus acustici interni, eines rechten Felsenbeines
7.2 Innenohr, Gleichgewichts- und Schallempfindungsapparat, Auris interna
627
Auf dem Grund, Fundus meatus acustici interni, sehen wir die in Abb. 7.34 wiedergegebenen 4 Regionen mit Nerven:
lis und dem N. vestibulocochlearis) gelangen durch diese Area in den Canalis facialis, dessen Verlauf im Kap. 7.1.2.1, S. 600, geschildert wurde.
Area vestibularis superior für den Ν. utriculoampullaris (von der Macula utriculi und den Cristae ampullares des vorderen und lateralen Bogenganges; Abb. 7.21).
Außer den oben genannten Nerven verlaufen durch den Meatus acusticus internus die aus der A. cerebelli inferior anterior, seltener aus der A. basilaris entspringende A. labyrinthi zum Innenohr und mit feinen Ästen zur Dura, sowie die Vv. labyrinthi vom Labyrinth zum Sinus petrosus inferior.
Area vestibularis inferior für den N. saccularis (von der Macula sacculi; Abb. 7.21). und das Foramen singulare für den N. ampullaris posterior (von der Crista ampullaris des hinteren Bogenganges; Abb. 7.21). Ganglion vestibuläre. Die 3 Nerven bilden am Fundus meatus acustici interni das Ggl. vestibuläre, bipolare Ganglienzellen, deren zentrale Neuriten sich zur Pars vestibularis η. vestibulocochlearis (Ν. VIII) zusammenfinden. Area cochleae (Tractus spiralis foraminosus), entspricht der Basis der Schnecke und lässt durch kleine Öffnungen die Fasern der Pars cochlearis n. vestibulocochlearis treten. Diese beginnt (Abb. 7.25) mit feinen Netzen von Nervenfasern in bzw. an den Haarzellen des Organum spirale. Die marklosen Neuriten ziehen zur Lamina spiralis ossea, erhalten hier ihre Markscheiden und streben dem im Modiolus gelegenen Ggl. spirale zu. Area n. facialis. Der am kaudalen Rande des Brückenarmes verlaufende Ν. facialis und der selbständige kleine N. intermedius (zwischen dem N. facia-
Klinik: Labyrinthitis (= Innenohrentzündung) mit Schwindel, Reiz- oder Ausfallnystagmus (s. peripher-vestibulärer Schwindel). Formen: 1. umschrieben bei Cholesteatom (s. o.; Arrosion des lateralen Bogengangs), 2. diffus: akute Otitis media, Mastoiditis. Infektionswege für das Innenohr sind rundes, ovales Fenster, Lücken im knöchernen Labyrinth (Verletzung und Knochenarrosion von infizierten pneumatischen Räumen aus). Infektionsfortleitung über Nerven und Gefäße, Canaliculus cochleae, Canaliculus vestibuli zu den Hirnhäute. Folgen: Verlust der Schallwahrnehmung, Zerstörung des Gleichgew ichtsapparates .
7.2.5
Hör- und Gleichgewichtsbahn
Der Verlauf des N. vestibulocochlearis wird im Kap. 5.4.1, S. 456, beschrieben.
im ZNS
8
Rücken, Dorsum Jürgen Koebke und Holger Bade
Der Rücken, Dorsum, umfasst die hintere Partie von Hals und Rumpf. Er reicht kranial von der Protuberantia occipitalis externa bis kaudal zur Spitze des Os sacrum. Die Nackenregion, Regio nuchae, die sich vom Hinterhaupt bis zum Dornfortsatz des 7. Halswirbels erstreckt, kann vom eigentlichen Rücken abgegliedert werden. Seitlich geht der Rücken kontinuierlich in die vorderen Rumpfpartien und kaudal in die Gesäßregion, Regio glutealis, über. Oberflächenanatomie des Rückens (Abb. 8.1). Sie wird hauptsächlich durch die Dornfortsätze der Wirbel, durch das paarige Schulterblatt, durch Anteile des knöchernen Beckens sowie durch mehrere Muskeln geprägt. Längs der medianen Rückenfurche sind die Spitzen der Dornfortsätze tast- und zum Teil sichtbar. Der 7. Halswirbel, Vertebra prominens, weist einen besonders vorspringenden Dornfortsatz auf. Von ihm ausgehend, ist die palpierende Orientierung nach kranial und kaudal gut möglich. Die beiden Wülste der autochthonen Rückenmuskeln flankieren die Rücken-
8.1
furche. Die Rückenfurche läuft im Sakraldreieck bzw. in der Michaelis-Raute aus. Indem die Haut an den beiden Spinae iliacae posteriores superiores und der Kreuzbeinspitze unmittelbar befestigt ist, ergibt sich das Bild eines Dreiecks. Eine zusätzliche, besonders bei Kindern und Frauen erkennbare Hauteinziehung auf Höhe des Dornfortsatzes des 5. Lendenwirbels erweitert das Dreieck zur Raute. Schulterblatt, Scapula, und mehrere, funktionell dem Schultergürtel sowie dem Schultergelenk zugeordnete Muskeln (s. Kap. 9.1.2.2, S. 695) prägen die Oberfläche der mittleren Rückenregion. Klinik: 1. Die äußere Inspektion des Rückens ist sehr wichtig. Sie kann eine seitliche, pathologische Krümmung der Wirbelsäule, Skoliose, erkennen lassen. 2. Ein Hoch-, Tief- oder Abstehen der Skapula weist auf Muskellähmungen hin. 3. Beim bettlägerigen Patienten kann die Haut dort, wo sie ohne nennenswerte Unterpolsterung Knochen (Kreuzbein, Schulterblatt) bedeckt, durch Druck geschädigt werden (Dekubitalgeschwüre).
Wirbelsäule
Lernziele: Entwicklung der Wirbelsäule, allgemeiner Wirbelaufbau, spezieller Aufbau einzelner Wirbel, Kopfgelenke, Anomalien
Die Wirbelsäule, Columna vertebralis, ist das bezeichnende Merkmal aller Wirbeltiere, Vertebrata, einschließlich des Menschen. Sie hat zwei auf den ersten Blick sich widersprechende Aufgaben zu erfüllen. Zum einen ist sie Stütze des Rumpfes, zum anderen ermöglicht sie ausgiebige Bewegungen desselben. Der Begriff
„Säule" ist irreführend. Es handelt sich nicht um ein in sich festes, starres Gebilde, sondern um eine vielgliedrige Knochengelenkkette, die passiv durch Bänder und aktiv durch Muskeln stabilisiert wird, aber durch letztere auch bewegt werden kann.
Entwicklung Die Wirbelsäulenelemente entwickeln sich frühembryonal aus dem von den mesodermalen
630
8 Rücken, Dorsum Processus spinosus(C7|s
. Pars descendens m. trapezii
Rautenförmiges Sehnenfeld x
N
Pars honzontalis m t r a p e z i u
\
Spina scapulae
x
\
Acromion , M. d e l t o i d e u s ^
\
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^ \ MJÊÊ P \ «ίΛ
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\ \
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·™
\
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\ \ \ V \
M.infraspinatus • Margo medialis scapulae " M. teres major - M. rhomboideus ' M- latissimus dorsi (Oberrand) • Angulus inferior scapulae
!
/
/
M. serratus anterior unter dem M. latissimus dorsi
Caput laterale j m tricipitis brachii / / / Caput longum m. tricipitis brachii
M . latissimus dorsi
(Unterrand) M . erector Spinae
M. obliquus—" " " externus abdominis
Crista iliaca M. gluteus médius—
"
Fossula lumbalis — — " M. gluteus médius
Os sacrum — M. gluteus maximus
-Trochante! major
-Sulcus gluteus
Abb. 8.1: Oberflächenanatomie des Rückens eines 30-jährigen Mannes Somiten sich abgliedernden Skierotomen (Kap. 3.5.1.5, S. 147). Diese bilden, nachdem sie primär eine Verschmelzung zeigen, eine axiale und eine paraxiale Mesenchymzone (Kap. 3.5.1.3, S. 145). Deren weiteres Schicksal ist different. Das paraxiale Mesenchym liefert, indem es sich spaltet, kraniale und kaudale Sklerotomiten. Während die kranialen Sklerotomiten an der späteren Wirbelbil-
dung unbeteiligt bleiben (sie liefern die bindegewebigen Scheiden um die Spinalnervenäste), geht aus den kaudalen die Anlage für die Wirbelbögen, deren Wurzeln und Fortsätze sowie die der Rippen hervor. Die axiale Mesenchymzone ist letztlich Bildner der Zwischenwirbelscheibe und des Wirbelkörpers. Die Zwischenwirbelscheibe nimmt in Form ihres inneren Gallertkerns Reste der Chorda
8.1 Wirbelsäule
631
dorsalis (Kap. 3.5.1.1, S. 140) auf. Durch die Spaltung in kraniale und kaudale Sklerotomiten geht die ursprüngliche Segmentierung (Metamerie) der Wirbelsäulenanlage verloren, während die der Muskelanlagen (Myotome) erhalten bleibt. Die Zwischenwirbelscheiben werden von den segmentalen Muskelplatten der Myotome überbrückt, dies ist Grundvoraussetzung für die aktive Bewegung zwischen 2 Wirbeln. Die Wirbel verknöchern aus 2 perichondralen Manschetten des Wirbelbogens und dem enchondralen Knochenkern des Wirbelkörpers. Der Schluss der Wirbelbogenfugen beginnt im ersten Lebensjahr und die Verschmelzung mit dem Wirbelkörper erfolgt zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr.
Halslordose
Klinik: Der sog. offene Rücken (Spina bifida) ist eine embryonale Hemmungsfehlbildung, die auf einem Nichtverschluss der Wirbelbogenfugen beruht. Die Fehlbildung kann auf die Wirbelbögen beschränkt bleiben, aber auch die Hüllen des Rückenmarks und das Rückenmark selber betreffen (Kap. 3.5.1.2, S. 142, Kap. 5.1.2, S. 357).
Brustkyphose
Systematische Anatomie Die Wirbelsäule des Menschen besteht normalerweise aus 24 freien oder präsakralen Wirbeln (Vertebrae), die durch 23 Zwischenwirbelscheiben (Disci intervertebrales) beweglich miteinander verbunden sind (Abb. 8.2). Auf 7 Halswirbel (Vertebrae cervicales, C1-C7) folgen 12 Brustwirbel (Vertebrae thoracales, Thl-Thl2) und 5 Lendenwirbel (Vertebrae lumbales, L1-L5). Das mit dem 5. Lendenwirbel beweglich verbundene Kreuzbein, Os sacrum, geht aus der Verwachsung von 5 Wirbelelementen und 4 Zwischenwirbelscheiben hervor. Die knöcherne Verschmelzung (Synostosierung) der 5 Sakralwirbel (Vertebrae sacrales, S1-S5) ist erst mit dem 17.-20. Lebensjahr beendet. Das Steißbein, Os coccygis, ist das Rudiment einer Schwanzwirbelsäule und wird von 3-6 kleinen Elementen gebildet. Lediglich das erste, kraniale zeigt noch typische Wirbelmorphologie.
Lendenlordose
Promontorium
^ / /
Basis ossis sacri
Os coccygis
Die Gesamtzahl der Wirbel wie auch die Grenze zwischen den einzelnen Abschnitten können variieren.
Abb. 8.2: Wirbelsäule von links. Der dicke Pfeil zeigt zum Dornfortsatz des 7. Halswirbels (Vertebra prominens) hin
8 Rücken, Dorsum
632
Proc. articulará superior
Proc spinosus
Proc. articularis superior
Proc.transversus
Fovea costalis superior et inferior A
Proc. transversus et Fovea costalis \ Fovea costalis Foramen vertebr Fovea costalis interior
Proc. articularis inferior Incisura vertebrali inferior
\ ^ Proc. spinosus Fovea costalis superior ^ Corpus
Abb. 8.3: Brustwirbel von kranial und von rechts
8.1.1
Grundform des Wirbels
Im folgenden wird am Beispiel eines Brustwirbels (Abb. 8.3) der generelle Aufbau eines Wirbels dargestellt. Auf die morphologische Spezialisierung (d. h. das Abweichen) einzelner Wirbel von der Grundform wird an entsprechender Stelle eingegangen. Ein Wirbel besteht aus Körper (Corpus) und Bogen (Arcus). Der ventrale Wirbelkörper (Corpus vertebrae) ist mechanisch fest und belastbar. Er hat eine dünne, kompakte Außenschicht und eine dichte innere Spongiosa. An der kranialen und kaudalen Endfläche des Körpers ist der zentrale Teil porös, nur der Rand (Randleiste) besteht aus festerem Knochen. An 2 sich zugewandten Endflächen erfährt jeweils eine Zwischenwirbelscheibe ihre Verankerung. Der Wirbelbogen (Arcus vertebrae) entspringt mit 2 Wurzelanteilen (Pediculi arcus vertebrae) der Dorsalfläche des Körpers. Der Bogen trägt 2 seitliche Querfortsätze (Processus transversi), 2 obere und 2 untere Gelenkfortsätze (Processus articulares superiores und inferiores) sowie einen unpaaren, nach dorsal gerichteten Dornfortsatz (Processus spinosus). Wirbelbogen und Körperrückfläche umrahmen das Wirbelloch (Foramen vertebrale), welches das Rückenmark mit seinen Hüllen aufnimmt. Die Fortsätze des Wirbelbogens dienen einerseits zur Befestigung von Bändern und Muskeln, andererseits als gelenkbildende Elemente. Der Wirbelbogen ist dort, wo er dem Körper entspringt, am oberen Rand seicht, am unteren Rand tief eingekerbt (Incisura vertebralis superior und inferior). Diese Inzisuren ergänzen sich mit den zugekehrten des nächst oberen und unteren Wirbels zu den Zwischenwirbellöchern, Foramina intervertebra-
lia. Form und Größe der Zwischenwirbellöcher und ihre Lage zu den Zwischenwirbelscheiben sind in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule unterschiedlich. Die Größe der Löcher nimmt von kranial nach kaudal zu. Klinik: Ausgehend von einer mechanisch bedingten, degenerativen Höhenminderung eines Discus intervertebralis kann es zur Verengung des Foramen intervertebrale kommen. Dies fuhrt zum Druck auf die durchtretenden Spinalnerven und zu Störungen in deren Innervationsgebiet. Häufig betroffen sind die Haisund Lendenwirbelsäule. Die Gelenkfortsätze, Processus articulares superiores und inferiores, tragen überknorpelte Artikulationsflächen und bilden mit den entsprechenden Processus des benachbarten kranialen und kaudalen Wirbels die Wirbelbogengelenke (Abb. 8.2). Neben den Zwischenwirbelscheiben sind es die Wirbelbogengelenke, Articulationes zygapophyseales, die Bewegungen der Wirbelsäule ermöglichen. Durch unterschiedliche räumliche Position der Artikulationsflächen ergeben sich für die einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule bevorzugte Bewegungsmöglichkeiten.
8.1.2 Halswirbel, Vertebrae cervicales Die Halswirbelsäule (HWS) gliedert sich in 2 Abschnitte, wobei die obere HWS die Elemente Cl und C2 und die untere HWS C3 bis C7 umfasst. Diese Gliederung ist morphologisch und funktionell vorgegeben.
633
8.1 Wirbelsäule Tuberculum posterius
Arcus posterior atlantis /
Facies articulares superiores (Var I
I ^süte,·
Sulcus arteriae vertebralis 7
/
Fovea articularis superior /
Foramen transversarium
Processus transversus Fovea dentis
Arcus anterior atlantis
Fovea dentis
Tuberculum anterius
Tuberculum anterius
Abb. 8.4: Atlas von kranial und von kaudal — Apex dentis Dens axis
Facias articularis anterior /
Facies articularis posterior
— Facies articularis anterior — Facies articularis superior
Processus spinosus ν
— Processus transversus
Processus articularis inferior Corpus
Abb. 8.5: Axis von ventral und von rechts Atlas. Der erste Halswirbel, Atlas, besitzt keinen Körper. Vorderer Bogen, Arcus anterior, und hinterer Bogen, Arcus posterior, formen einen Ring (Abb. 8.4). Die beiden Bögen vereinigen sich in den dicken Seitenteilen, den Massae laterales, die sich in die seitlich stark ausladenden Processus transversi fortsetzen. Die Querfortsätze weisen ein Foramen transversarium auf. Der Dornfortsatz ist zu einem kleinen Höcker, Tuberculum posterius, reduziert. Eigentliche Gelenkfortsätze fehlen. Die Massae laterales tragen lediglich obere, ovale oder schuhsohlenförmige, sagittal konkave und leicht nach medial geneigte Gelenkflächen, Facies articulares superiores. Nicht selten sind die oberen Gelenkflächen (ein- oder beidseitig) geteilt. Die Facies articulares inferiores sind mehr plan und rund. Das Foramen vertebrate ist groß. Das fehlende Corpus atlantis wird durch den kranial gerichteten Zahn des 2. Halswirbels, Dens axis, repräsentiert. Der Dens axis artikuliert mit der Fovea dentis, die an der Innenseite des Arcus anterior gelegen ist. Der Axiszahn ist die eigentliche Anlage des Atlaskörpers. Das Foramen transversarium des Atlas nimmt die aufsteigende A. vertebra-
/ Processus articularis inferior
Ν Foramen transversarium
lis auf, die sich dann nach hinten und medial zum Hinterhauptsloch wendet. Sie erzeugt dabei auf dem hinteren Atlasbogen eine Rinne, Sulcus arteriae vertebralis, die gelegentlich zu einem Kanal, Canalis a. vertebralis, geschlossen sein kann. Axis. Der zweite Halswirbel (Abb. 8.5) trägt auf seinem Körper den Axiszahn, Dens axis. Der Dens axis besitzt eine vordere und eine hintere überknorpelte Gelenkfläche. Die vordere Gelenkfläche, Facies articularis anterior, artikuliert mit der Fovea dentis des vorderen Atlasbogens, die hintere, Facies articularis posterior, mit dem Ligamentum transversum atlantis (Abb. 8.15). Rundliche, nach außen, dorsal und ventral abfallende obere Gelenkflächen erlauben eine Drehung von Atlas und Kopf um 40° zu jeder Seite, was die Hälfte der gesamten HWS-Rotation ausmacht. Der kräftige Domfortsatz ist mehr oder minder deutlich gegabelt, die Querfortsätze sind klein. Untere HWS. Die Elemente der unteren HWS, C 3 - C 7 , haben einen relativ niedrigen Körper, der dorsal höher als ventral ist (Abb. 8.6). Die Endflächen sind sattelförmig gekrümmt, wobei die obere
8 Rucken, Dorsum
634
Processus spinosus
Λ / \ Foramen vertebrale /
Arcus
. . . , Facies articularis superior
. Processus articularis inferior Sulcus nervi spinalis __
- Tuberculum posterius [ — — — Tuberculum anterius I
Foramen transversarium •
Processus transversi
Corpus Processus articularis superior Facies articularis superior Aicus
Foramen transversarium
„
Sulcus nervi spinalis Processusspinosus
_
-
/
/
Corpus
Incisura vertebralis inferior
Processus articularis inferior
seitlich in einem hakenförmigen Fortsatz, Uncus corporis, endet. Der grazile Bogen läuft im deutlich gegabelten Dornfortsatz aus. Das von Körper und Bogen begrenzte Foramen vertebrale ist dreieckig und groß (zur Aufnahme der Halsanschwellung des Rückenmarks, Intumescentia cervicalis). Die Querforsätze tragen ein Foramen transversarium und sind rinnenförmig gestaltet (Sulcus η. spinalis). Die vordere, in einem Tuberculum anterius auslaufende Rinnenbegrenzung stellt ein Rippenrudiment dar, während die hintere Spange mit dem Tuberculum posterius der eigentliche Querfortsatz ist. Das Tuberculum anterius des 6. Halswirbels, Tuberculum caroticum, ist besonders kräftig. Die Gelenkfortsätze tragen fast plane Artikulationsflächen, die leicht - nach kaudal zunehmend - schräg nach hinten abfallen. Klinik: Bei Blutungen aus Ästen der Halsschlagader, A. carotis communis (s. Kap. 4.9, S. 244), kann man zwecks temporärer Blutstillung das Gefäß gegen das Tuberculum caroticum pressen.
8.1.3
Brustwirbel, Vertebrae thoracicae
Gemäß der anwachsenden mechanischen Belastung werden die 12 Brustwirbel kaudalwärts größer und massiger (Abb. 8.2). In der Aufsicht erkennt man,
Abb. 8.6: Halswirbel von kranial und von rechts
dass die oberen und unteren Brustwirbelkörper einen größeren Durchmesser aufweisen, während die mittleren mehr kartenherzförmig sind. Ventral ist der Wirbelkörper niedriger als dorsal. Die Brustwirbel (Abb. 8.3) stehen mit voll ausgebildeten Rippen in Verbindung. Die Brustwirbelkörper IIIX haben seitlich am Ober- und Unterrand je eine Fovea costalis. Die Foveae costales benachbarter Wirbel bilden zusammen mit der eingefassten Zwischenwirbelscheibe die Gelenkfläche für einen Rippenkopf. Der 1. Brustwirbelkörper hat eine ganze obere Gelenkgrube für die 1. Rippe und eine halbe untere für die obere Hälfte des Kopfes der 2. Rippe. Der 10. Wirbelkörper hat nur eine halbe, obere Gelenkfläche; 11. und 12. Wirbelkörper schließlich besitzen je eine ganze Fovea costalis für die 11. und 12. Rippe. Das Foramen vertebrale ist rund und klein. Die Dornfortsätze sind lang und nach abwärts gerichtet. Sie überlagern sich dachziegelartig. Beim Abtasten ist darauf zu achten: Die Spitze eines Dornfortsatzes liegt mit dem zugehörigen Wirbelkörper nicht auf gleicher Höhe, sondern um fast ein Element tiefer. Die Querfortsätze weisen bei den oberen Wirbeln nach lateral, bei den mittleren und unteren mehr nach lateral und hinten. Bei den 10 kranialen Brustwirbeln tragen die Querfortsätze eine Fovea costalis transversalis zur Verbindung mit dem Rippenhöckerchen, Tuberculum costae.
635
8.1 Wirbelsäule
Processus articularte Processusspinosus
-
superior \
Processus articularis inferior
Processus mammillaris
\ Processus accessorius
I
Processus articularis
/
superior
\
costal is ν
\
Foramen vertebrale
Incisura vertebrate superior
Processus
\ \ Processus costalis
I I Processus spinosus
Incisura vertebralis inferior \ Processus articularis inferior
Abb. 8.7: Lendenwirbel von kranial und von rechts
8.1.4
Lendenwirbel, Vertebrae lumbales
Die 5 kräftigen Lendenwirbel (Abb. 8.7) haben einen querovalen, großen Körper, ein dreieckiges, relativ großes Foramen vertebrale und hohe, horizontal nach hinten gerichtete, seitlich abgeplattete Dornfortsätze. Wie an den Halswirbeln gibt es auch an den Lendenwirbeln Rippenrudimente. Diese als Processus costales bezeichneten Fortsätze („Lateralfortsätze") werden fälschlich oft als Querfortsätze angesprochen. Die eigentlichen Querfortsätze sind unauffällig als Processus accessorii dem vorderen Wurzelbereich des Rippenfortsatzes aufgesetzt. Die medialwärts gerichteten Gelenkflächen der kranialen Gelenkfortsätze stehen annähernd senkrecht mit einer geringen (LI) bis deutlichen (L5) dorsalen Neigung (Abb. 8.7) und sind von ventral nach dorsal konkav. Die kaudalen Gelenkfortsätze stehen näher beieinander. Ihre Artikulationsflächen weisen nach lateral und sind konvex. Es umfassen so die kranialen Gelenkfortsätze die kaudalen des nächst höheren Wirbels, wobei die dorsale Neigung der Artikulationsflächen zum einen die Aufnahme von sagittalen Schubkräften erlaubt. Zum anderen schränkt die grundsätzlich sagittale Orientierung eine Drehung und Seiteneigung ein, während Beugung und Streckung gut möglich sind. Klinik: Bei der Lumbalpunktion, bei der mittels einer entsprechend langen Kanüle bis in den das Rückenmark schützend umgebenden Flüssigkeitsraum (Subarachnoidalraum, Kap. 5.3.2.2,
S. 439) vorgedrungen wird, nutzt man die anatomischen Gegebenheiten. Die gestreckten, plumpen Dornfortsätze lassen zwischen sich viel Raum frei (durch Vorbeugen des meist sitzenden Patienten wird dieser noch weiter), so dass die Punktionsnadel ohne knöchernes Hindernis zwischen 4. und 5. Processus spinosus eingebracht werden kann (s. Kap. 5.4.2.2, S. 456).
8.1.5
Kreuzbein, Os sacrum
Das aus 5 Einzelwirbel und 4 Zwischenwirbelscheiben entstandene Kreuzbein, Os sacrum, hat die Form eines Keiles (Abb. 8.8, 9). Die Spitze des Keiles ist als Apex ossis sacri nach kaudal orientiert und steht mit dem Steißbein in Verbindung. Die glatte, vordere Fläche, Facies pelvina, ist konkav (Abb. 8.8). Sie weist 4 quere Lineae transversae als ursprüngliche Grenzen der Wirbelkörper auf. Die rechten und linken 4 Foramina sacralia fuhren zum dorsal gelegenen sakralen Wirbelkanal. Die konvexe, rauhe Rückfläche des Kreuzbeins, Facies dorsalis ossis sacri (Abb. 8.9), weist eine median gelegene unpaare Leiste, Crista sacralis mediana (verschmolzene Reste der Dornfortsätze), 2 Cristae sacrales intermediae (Reste der Gelenkfortsätze) und 2 äußere Cristae sacrales laterales (Reste der Querfortsätze) auf. Zwischen der medianen und den beiden intermediären Leisten liegen die Foramina sacralia dorsalia.
636
8 Rücken, Dorsum
P r o c e s s u s articularis superior I I
Basis
Jl
I
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I Pars lateralis
Foramina sacralia pelvina
I
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Lineae transversae
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Abb. 8.8: Os sacrum, Facies pelvina
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Tuberositas sacralis
Facies auricularis
Crista sacralis m e d i a i
C r i s t a s a c r a l i s lateralis
Crista s a c r a l i s intermedia
Foramen s a c r a l e d o r s a l e
Cornu sacrale
Hiatus sacralis
Abb. 8.9: Os sacrum, Facies dorsalis
637
8.1 W i r b e l s ä u l e
Die Cristae intermediae laufen kranial in die Processus articulares superiores, nach kaudal in die Cornua sacralia aus (Abb. 8.9). Die schräg dorso-medial gerichteten oberen Gelenkfortsätze artikulieren mit dem letzten Lendenwirbel. Der Sakralkanal, Canalis sacralis, läuft im Hiatus sacral is aus. Klinik: 1. Der sehr variabel ausgebildete Hiatus sacralis dient als Zugang bei der sog. Sakralanästhesie. Ein Anästhetikum wird epidural, d. h. zwischen meningealem und periostalem Durablatt, gespritzt und erreicht so Spinalnervenwurzeln, die im Canalis sacralis durch die harte Rückenmarkshaut austreten. 2. Das kindliche Kreuzbein zeigt im Röntgenbild dort, wo die noch nicht verknöcherten Zwischenwirbelscheiben liegen, radiologische Lücken. Das Kreuzbein ist straff-gelenkig mit den beiden Darmbeinen über die seitlich gelegene Facies auricularis (Abb. 8.9) verbunden. Starke Bandmassen sichern das Sakroiliakalgelenk. An der oberflächenrauhen Tuberositas sacralis sind solche Bänder befestigt. Das männliche Kreuzbein ist lang, schmal und stärker gekrümmt; das weibliche Os sacrum ist kürzer, breiter und schwächer gekrümmt.
8.1.6
Steißbein, Os coccygis, coccyx
Als Rudiment einer Schwanzwirbelsäule besteht das Os coccygis aus 3 - 6 Elementen, wobei nur noch das erste Wirbelcharakter hat (Abb. 8.10). Wirbelkörper, Querfortsätze und kleine kraniale Gelenkfortsätze, Cornua coccygea, sind erkennbar. Die übrigen, untereinander gelenkig, knorpelig oder knöchern verbundenen, stellen nur noch kleine Knochenstücke dar. Cornu coccygeum
L «»w Abb. 8.10: O s c o c c y g i s v o n ventral u n d v o n d o r s a l
8.1.7
Variationen der knöchernen Wirbelsäule
Es kann sowohl die Zahl der Wirbel verändert als auch die Grenze zwischen benachbarten Wirbelsäulenabschnitten verschoben sein. • Atlasassimilation. Der erste Halswirbel kann partiell oder vollständig mit dem Hinterhaupt knöchern verschmolzen sein. Während der Bewegungsverlust zwischen Hinterhaupt und Atlas von der HWS kompensiert wird, kann eine assimilationsbedingte Verengung des Hinterhauptsloches (Foramen magnum) neurologische Störungen bedingen. Die Atlasassimilation ist selten. • Proatlas. Die knöcherne Begrenzung des Hinterhauptsloches zeigt deutliche Wirbelgestalt. Es manifestiert sich ein Okzipitalwirbel. Sehr selten. • Blockwirbel. Die HWS zeigt eine angeborene Verschmelzung von 2 oder mehr benachbarten Wirbeln. Liegt eine Blockwirbelbildung vor, betrifft sie meist C2-C3. Erkrankungsbedingte, sekundäre Blockbildungen sind häufiger. • Halsrippe. Das Rippenrudiment von C7 (selten von C6 oder C5) kann zur Rippe auswachsen, die entweder stummeiförmig frei endet, oder aber die (eigentliche) erste Rippe oder das Brustbein erreicht. Durch Druck auf Gefäße und Nerven kann eine Halsrippe zu Ausfallen im Bereich von Schulter und Arm fuhren. Sie muss dann operativ entfernt werden (s. Kap. 10.2.2.1.2, S. 796). • Lendenrippe. Das Rippenrudiment von LI, Processus costalis, kann auswachsen und die Gestalt einer unteren, thorakalen Rippe annehmen. • Lumbalisation. Der erste Sakralwirbel geht nicht mit in die Bildung des Kreuzbeins ein, sondern liegt faktisch als ein 6. Lendenwirbel vor. • Sakralisation. Der 5. Lendenwirbel kann vollständig (dann meist symmetrisch) oder partiell (einseitig und dann asymmetrisch) mit dem Kreuzbein verschmolzen sein. Eine asymmetrische Sakralisation von L5 kann eine Skoliose induzieren und durch Verengung des betreffenden Zwischenwirbellochs neurologische Störungen bedingen. Auch der erste Steißbeinwirbel kann knöchern mit dem kaudalen Ende des Kreuzbeins verschmolzen sein.
638
8.2
8 Rücken, Dorsum
Bänder und Gelenke der Wirbelsäule
Lernziele: Bewegungssegment, Bänder, Bandscheibe, Bandscheibenschaden. Zwischenwirbelgelenke, Kopfgelenke, Bewegungsmuster
8.2.1
Zwischenwirbelscheiben, Bandscheiben, Disci intervertebrales
Die Zwischenwirbelscheiben beteiligen sich zum einen sehr wesentlich am Gestaltbau der Wirbelsäule. So tragen sie zu einem Viertel an der Gesamtlänge der präsakralen Wirbelsäule bei. Indem sie in sagittaler Richtung keilförmig sind, konsolidieren sie die natürlichen Krümmungen der Wirbelsäule. Eine lumbale Zwischenwirbelscheibe (insbesondere die zwischen L5 und S1 ) ist beispielsweise vorn höher als hinten.
len ist gekreuzt. Die Verankerung der Fasern erfolgt unmittelbar an den Randleisten der Wirbelendplatten und mittelbar über eine dünne, zentrale Hyalinknorpelschicht (Synchondrose). Nucleus pulposus. Er enthält Glykosaminoglykane, die wasserbindend sind. Der Gallertkern steht unter permantem Quellungsdruck, der von den zugfesten Kollagenlamellen des äußeren Rings aufgefangen wird (Wasserkissenprinzip).Unter der täglichen Belastung gibt der Gallertkern Wasser ab, was eine Höhenminderung der Wirbelsäule bis zu 3 cm zur Folge haben kann, die aufgrund adäquater Entlastungsphasen (liegen) reversibel ist. Zwei über eine Zwischenwirbelscheibe miteinander verbundene Wirbel gehören zu einem sog. Bewegungssegment. Die Definition des Bewegungssegments (zu diesem gehören des weiteren die Gelenke und sämtliche zuzuordnende Weichteile zweier benachbarter Wirbel einschließlich der Muskeln) hat wesentlich zum funktionellen Verständnis der Wirbelsäule und pathologischen Erscheinungen beigetragen.
Zum anderen tragen die Disci intervertebrales passiv zur Mobilität der Wirbelsäule bei. Der Discus intervertebralis besteht • aus einem äußeren Faserring, Anulus fibrosus • und einem zentralen Gallertkern, Nucleus pulposus (Abb. 8.11).
8.2.2
Anulus fibrosus. Er ist fest und besteht aus 10 bis 15 konzentrisch angeordneten Lagen kollagener Faserbündel (Kollagen Typ I und II). In geringer Menge (10 %) kommen elastische Fasern vor. Die Faserrichtung zweier aufeinanderfolgender Lamel-
Ligamentum longitudinale anterius und posterius. Die durch die Zwischenwirbelscheiben gegebene Festigkeit der Wirbelsäule wird durch Bänder erhöht, die ventral und dorsal über Wirbelkörper und Zwischenwirbelscheiben hinwegziehen (Abb.
Bänder
• — Lig. interspinale Corpus vertebrae
Ü K »s5jM| Nucleus pulposus
! P 1 k J f U 7 V,* *"""*'-·•"'•
'•
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Processus spinosus
:fei'
Lig. supraspinale
Anulus fibrosus Lig. flavum
Lig. longitudinale anterius Lig. longitudinale posterius
^
1 . 1 wtfSKivm
s Foramen intervertebrale
Abb. 8.11: Medianschnitt durch die Lendenwirbelsäule. Wirbelkörper, Dornfortsätze und Bandapparat
639
8.2 Bänder und Gelenke der Wirbelsäule
8.11). Das breitere, anteriore Band ist hauptsächlich an den Wirbelkörpern, das schmalere posteriore an den Zwischenwirbelscheiben verankert. Der von den Zwischenwirbelscheiben ausgehende Druck spannt beide Bänder, die somit ihrerseits zur Aufrechterhaltung der Eigenform der Wirbelsäule beitragen. Ligamenta flava. Die gelben, vorwiegend aus elastischen Fasern bestehenden Bänder verknüpfen die Bögen benachbarter Wirbel. Schon in der Ruheoder Eigenform der Wirbelsäule sind sie gespannt. Ihre weitere Dehnung bei Ventralflexion lässt sie Energie speichern, die bei der Rückführung in die Ausgangslage eingesetzt wird. Sie unterstützen passiv die Rückenmuskulatur. Ligamenta intertransversaria. Es handelt sich um rundliche Bänder (Abb. 8.12) zwischen benachbarten Querfortsätzen. An der HWS können sie fehlen. Processus articulares superiores Processus transversus Ligg. costotransversaria superiora Lig. flavum
Ligamentum supraspinale nach kranial bis an das Hinterhaupt fortsetzt. Es besitzt noch elastische Bauelemente, was auf die Tragfunktion bei Vierfüßlern hinweist. Beim Menschen ist es ein Muskelseptum (Septum nuchae). Klinik: 1. Degenerativ bedingte Schwächung des äußeren Faserrings einer Zwischenwirbelscheibe und belastungsbedingte, starke Druckerhöhung können zur Verlagerung von Nukleusanteilen führen (Abb. 8.13). Zu unterscheiden ist beim vom Laien als Bandscheibenvorfall bezeichneten Krankheitsbild, ob (meistens nach dorso- lateral) weggedrängte Nukleusanteile den Faserring und das Lig. longitudinale posterius durchbrechen (Nukleusprolaps mit Sequesterbildung) oder diese buckelig vorwölben {Nukleusprotrusion). Erfolgt die Raumforderung nach laterodorsal, kann durch Kompression des Ganglion spinale im Foramen intervertebrale eine entsprechende neurologische Symptomatik ausgelöst werden (s. Kap. 5.2.7.3, S. 425). 2. Bei der Scheuermann-Erkrankung brechen Teile des Gallertkerns kranial oder kaudal in den Wirbelkörper ein, die im Röntgenbild als „SchmorlKnoten" mit Knochenmetastasen verwechselt werden können.
Lig. interspinale Lig. supraspinale' Lig costotransversarium laterale
Canalis vertebralis
Lig. intertransversarium
Proc. spinosus—
14 Abb. 8.12: Bänder der Brustwirbelsäule von dorsal und rechts
Ligamenta interspinalia. Sie verbinden benachbarte Dornfortsätze. Ihr schräger, nach hintenoben gerichteter Verlauf sichert den jeweiligen kranialen Wirbel gegen eine Dorsalverschiebung (Abb. 8.11). Ligamentum supraspinale. Es ist an den Spitzen der Dornfortsätze verankert und erstreckt sich vom 7. Halswirbel bis zum Kreuzbein (Abb. 8.11). Ligamentum nuchae. Das sog. Nackenband (Abb. 8.19) ist ein dünne Bindegewebsplatte, die in der Mittellinie die Ligamenta interspinalia und das
Protrusion der Bandscheibe Lig. longitudinale posterius
L5
Abb. 8.13: Magnetresonanztomogramm der lumbosakralen Wirbelsäule eines Erwachsenen mit Protrusion der Bandscheiben zwischen L3 und L4 sowie zwischen L4 und L5. Abgehobenes, aber intaktes Lig. longitudinale posterius (Prof. Dr. N. Hosten. Greifswald)
8 Rücken, Dorsum
640
8.2.4
8.2.3 Zwischenwirbelgelenke, Wirbelbogengelenke, Articulationes zygapophysiales Die Gelenkfortsätze benachbarter Wirbel bilden diese Gelenke. Die Orientierung des Gelenkspaltes sowie die Gelenkkapsel bestimmen Art und Ausmaß der Bewegungen in den Gelenken der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte. An der HWS sind die Gelenkflächen plan, zwischen 30-50 Grad gegen die Horizontale von vorn- oben nach hinten-unten geneigt und von einer schlaffen Kapsel eingehüllt. Vor- und Rückwärtsbeugen, Seiteneigung und Drehung sind gut möglich, so dass die HWS der beweglichste Teil der Wirbelsäule ist. Im Bereich der BWS stehen die Artikulationsflächen mehr frontal, die Kapseln sind straffer. Drehung und Seiteneigung sind gut, Vor- und Rückbeugung nur wenig ausführbar. Die Gelenkflächen der Wirbelbogengelenke der LWS sind nahezu sagittal eingestellt, so dass praktisch keine Rotation und Seitenneigung, wohl aber Vorund Rückbeugung möglich sind. Die vorderen, kleineren Gelenkflächenanteile (Abb. 8.7) zeigen frontale Ausrichtung; sie sind somit in der Lage, sagittale Schubkräfte aufzunehmen.
Kopfgelenke
Die beiden Kopfgelenke bestimmen Morphologie und Funktion der oberen HWS. Oberes Kopfgelenk, Articulatio atlantooccipitalis (Abb. 8.15-17.). In ihm artikulieren die beiden Hinterhauptskondylen, Condyli occipitales, mit den konkaven, oberen Gelenkflächen des Atlas. Die beiden Teilgelenke, jeweils von einer schlaffen Kapsel umgeben, bilden zusammen funktionell ein Eigelenk, Articulatio ellipsoidea (Kap. 2.2.2.2.2, S. 35). Bänder, die sich zwischen der Umrandung des Hinterhauptsloches sowie vorderem und hinterem Atlasbogen als Membrana atlantooccipitalis anterior und posterior (Abb. 8.14) ausspannen, sichern das Gelenk. Die vordere Membran stellt die kraniale Fortsetzung des vorderen Längsbandes dar und liegt vor dem Lig. apicis dentis. Sie wird aus oberflächlichen und tiefen Fasern gebildet und bremst die Reklination im oberen Kopfgelenk. Die Membrana atlantooccipitalis posterior entspricht dem Lig. flavum und wird von der A. vertebralis nebst Begleitvenen und dem N. suboccipital durchbrochen. Hauptbewegung im oberen Kopfgelenk ist das Nicken um eine quere Achse, gelegen hinter dem
N.abducens / N. facialis, N. intermedius, N. v e s t i b u l o c o c h l e a r Sinus sphenoidalis
N. glossopharyngeus, N, vagus, Ν. accessorius
Os occipitale —
Membrana atlantooccipitalis
N. hypoglossus
anterior Lig. apicis dentis Lig, cruciforme
—
— —
Atlas
—
Articulatio atlantoaxialis mediana ·*' '
A, vertebralis, Ν. cervicalis I Membrana atlantooccipitalis posterior
-
Lig. denticulatum
-
Ν. cervicalis II
~ Membrana tectoria Lig. transversum atlantis —
Lig. longitudinale antenus
N. cervicalis III
—
Lig. denticulatum
—
N. cervicalis IV
Lig longitudinale posterius — =»
Dura mater spinalis
Abb. 8.14: Medianschnitt durch das Hinterhauptsbein und die obere Halswirbelsäule von links
8.2 Bander und Gelenke der Wirbelsäule
641
Tuberculum atlterius atlantis \ \ vorderes Gelenk 1 Articulatio atlanto-
äußeren Gehörgang. Um insgesamt etwa 9 - 1 5 Grad kann der Kopf nach vorne und hinten (Inklination und Reklination) bewegt werden. Darüber hinaus ist eine geringe Seiteneigung von j e 4 Grad um eine sagittale Achse und eine Rotation von insgesamt 4 Grad möglich. Isolierte Bewegungen im oberen Kopfgelenk werden normalerweise nicht ausgeführt, sondern zusammen mit solchen der gesamten HWS. Klinik: 1. Die genaue Erfassung der isolierten atlantookzipitalen Bewegungen ist schwierig, aber ζ. B. bei Verdacht auf Luxationstendenz von C l erforderlich. 2. Subokzipitalpunktion. Für die Gewinnung von Liquor cerebrospinalis wird eine Kanüle zwischen Hinterhaupt und hinterem Atlasbogen mittig eingestochen, wobei die Membrana atlantooccipitalis posterior einen Widerstand spüren lässt (Abb. 8.14). Die Punktion muss in der Mittellinie durchgeführt werden, da sonst die A. vertebralis gefährdet ist (s. Kap. 5.3.4.1, S. 443, Kap. 10.7.2.1.2, S. 881). Unteres Kopfgelenk. Articulatio atlantoaxialis. Es besteht aus 4 Teilgelenken: Der Dens axis artikuliert vorn mit der Fovea dentis, hinten mit dem Lig. transversum atlantis (Abb. 8.14, 15). Hinzu kommt die paarige Articulatio atlantoaxialis lateralis. Die recht weiten Gelenkkapseln erlauben ausgiebige Bewegung, vor allem die Drehung von Kopf und Atlas um den Dens axis (bis 40 Grad zu jeder Seite). Der Dens axis ist das mechanische Zentrum des unteren Kopfgelenkes, durch ihn verläuft die Drehachse. Ein starker, komplexer Bandapparat
\ Dens axis s
/ \
x
eèw
hinteres Gelenk | axialis mediana /
/ -
/
Lig. transversum atlantis
Abb. 8.15: Atlas und Axis von kranial, Teilgelenke und Ligamentum transversum atlantis
sichert die Lage des Dens und limitiert die Bewegungsausschläge. Die Ligg. alaria, vom Zahn zum seitlichen Rahmen des Hinterhauptsloches ansteigend (Abb. 8.16, 17), hemmen zu starke Drehung und Seiteneigung. Das Lig. transversum atlantis (Abb. 8.14, 15) wird durch einen oberen und unteren Schenkel zum Lig. cruciforme ergänzt (Abb. 8.16, 17) und sichert zusammen mit der kräftigen Membrana tectoria (Abb. 8.14, 16, 17) die Lage des Zahnes. Das dünne Lig. apicis dentis (Abb. 8.17) hat keine mechanische Bedeutung. Neben der dominierenden Drehung im unteren Kopfgelenk ist, besonders bei Kindern und Jugendlichen, eine Inklination und Reklination möglich. So kann der vordere Atlasbogen bei der Reklination bis zur Spitze des Dens axis hochgleiten.
Membrana tectoria Foramen jugulare
Clivus Canalis hypoglossi
1
—
Atlas
Lig. cruciforme Articulatio atlanto-axialis
Abb. 8.16: Bänder zwischen Os occipitale, Atlas und Axis von dorsal durch Eröffnung des Wirbelkanals freigelegt. Rückenmark mit Hüllen und Membrana tectoria sind entfernt
642
8 Rücken, Dorsum
Membrana tectoria (abgeschnitten) / / /
Lig. apicis dentis \
Lig cruciforme (oberer Schenkel abgeschnitten)
Klinik: 1. Zervikogener Kopfschmerz. Das vordere Densgelenk ist mechanisch stark beansprucht. Im Alter ist es wesentlich häufiger als angenommen arthrotisch verändert und kann Schmerzen verursachen. 2. Bei einer Fraktur des Dens luxiert dieser gewöhnlich nicht, da er durch die Bänder (Lig. transversum, Ligg. alaria) gehalten wird. Deren Riss ist äußerst selten.
Abb. 8.17: Bänder zwischen Os occipitale, Atlas und Axis. Lig. cruciforme teilweise entfernt
8.3
Wirbelsäule als Ganzes
Lernziele: Eigenform der Wirbelsäule, Alterungsprozesse, Lordose, Kyphose, Skoliose Die Ausprägung der Lordosen und Kyphosen ist eng an die motorische Entwicklung des Menschen geknüpft. Neugeborenes. Die Krümmungen sind nur angedeutet. Ein erster funktioneller Reiz für die Ausbildung der Halslordose ist beim Säugling das Anheben des Kopfes in Bauchlage. Kleinkind. Beim Sitzen lordosiert die HWS, während BWS und LWS erst durch das Stehen und Gehen formenden mechanischen Reizen ausgesetzt werden (das Hüftgelenk wird gestreckt). Jugendlicher. Die Konsolidierung der normalen Wirbelsäulenkrümmungen ist erst beim pubertären Jugendlichen erreicht. Erwachsener. Die Wirbelsäule zeigt in sagittaler Ebene typische Krümmungen (Abb. 8.2). HWS und LWS sind nach vorn konvex (Lordose), BWS und SWS nach hinten konvex {Kyphose). Durch die Doppel- S- Form bekommt die Wirbelsäule elastische Eigenschaften. Sie federt Stöße beim Gehen, Laufen, Springen ab. Insbesondere die Lendenlordose lässt das Schwerpunktslot des Körpers nahe an die Wirbelsäule herantreten, eine wichtige Voraussetzung für die aufrechte Haltung und Fortbewegungsweise des Menschen. Beim Erwachsenen werden die Krümmungen der Wirbelsäule noch zusätzlich durch die Form der
Wirbel und der Zwischenwirbelscheiben sowie durch die Eigenspannung der Wirbelsäulenbänder aufrecht erhalten. Die mit Bändern isolierte Wirbelsäule behält ihre natürlichen Krümmungen (Eigenform der Wirbelsäule). Alterungsprozesse führen zu Formveränderungen der Wirbelsäule. So verlieren die Zwischenwirbelscheiben an Höhe, die gesamte präsakrale Wirbelsäule wird kürzer. Nachlassen der Bänderspannung und des Muskeltonus verstärkt die Krümmungen (Alterskyphose). Klinik: 1. Die HWS ist besonders mobil, so dass der Kopf ausgiebig beweglich wird. Das Blickfeld ist groß. Die HWS ist leicht verletzlich (sog. Schleuder- oder Beschleunigungstrauma) und unterliegt häufig (berufsspezifischen) Verschleißprozessen. 2. Die LWS ist einerseits mechanisch stark druckbelastet; andererseits wirken auf sie, bedingt durch die ihr durch die Bipedie „aufgezwungene" starke Lordosierung, beachtliche Schwerkräfte, die insbesondere die Gelenkfortsätze und die Zwischenwirbelscheiben belasten. Es kann (häufig L4 oder L5) zum Wirbelgleiten (Spondylolisthese) kommen. Krümmungen. Eine geringgradige Krümmung der Wirbelsäule in der Frontalen (Brust- und Lendenwirbelsäule) ist normal. Sie etabliert sich im früheren Schulalter und kann im Zusammenhang mit kleinen Beinlängendifferenzen gesehen werden. Allerdings entwickelt sich gehäuft während der
8.4 Bewegungen der Wirbelsäule
Adoleszenz auch die Skoliose, worauf geachtet werden muss. Haltungsschwächen und Fehlbelastungen bei Jugendlichen müssen deshalb erkannt und behandelt werden (sog. Rückenschule). Der Begriff Skoliose beschreibt immer das pathologische Bild einer Wirbelsäule mit seitlicher Verkrüm-
8.4
643
mung und Rotationsfehlstellung. Es wird zwischen funktionellen und statischen Skoliosen unterschieden. So führt eine Beinlängendifferenz von mehr als 2 cm zu einer funktionellen Skoliose, die durch Schuherhöhung ausgeglichen werden kann. Eine halbseitige Anlage eines Wirbels (Keilwirbel) beispielsweise fuhrt zur statischen Skoliose.
Bewegungen der Wirbelsäule
Lernziele: Beugung, Seitneigung, Drehung der Wirbelsäule, Bewegungsumfang
Die Wirbelsäule hat statische und dynamische Funktionen. Ihre Aufgabe als tragendes und stabilisierendes Achsenorgan erfüllt sie unter Einsatz ihrer Knochenelemente und ihrer Bänder. Sehr wichtig ist allerdings auch der unterstützende Einsatz der Rückenmuskulatur. Denn Muskelkräfte sind es, die im Zusammenspiel mit zu tragenden Körperteilgewichten ein Gleichgewicht in den Gelenken der Wirbelsäule herstellen. Darüber hinaus verspannen und stabilisieren Muskelzüge die sagittalen Krümmungen der Wirbelsäule nach dem sog. Bogen-SehnenPrinzip. Häufig werden an der Wirbelsäule ein vorderer und ein hinterer Pfeiler angesprochen. Der vordere Pfeiler wird von den Wirbelkörpern und den Zwischenwirbelscheiben gebildet. Während dieser vornehmlich statische Funktion hat, kommt dem hinteren Pfeiler, aufgebaut von den Gelenkfortsätzen, dynamische Funktion zu. Jede Bewegung zwischen 2 benachbarten Wirbeln (mit Ausnahme von Cl und C2) ist gering. Die Summe der Teilbewegungen der aus 24 Gliedern bestehenden Kette aber ist groß. Die folgenden Hauptbewegungen der Wirbelsäule können frei miteinander kombiniert werden, was die Vielgestaltigkeit der mobilen Wirbelsäule verständlich macht. Vor- und Riickbeugung (110 bzw. 30-35 Grad) (Beugung und Streckung, Ventral- und Dorsalfle-
xion, Inklination und Reklination) erfolgen hauptsächlich in der HWS und LWS, wobei im lumbalen Abschnitt die ventrale Flexion deutlich geringer als die dorsale ist. Bei der Vorbeugung werden die lordotischen Krümmungen aufgehoben, bei Rückbeugung verstärkt. Im Brustgebiet ist die Beugung größer als die Streckung, da letztere durch die dachziegelartig gelagerten Dornfortsätze gehemmt wird. Im unteren HWS- Bereich, zwischen 11. Brust- und 2. Lendenwirbel und im lumbosakralen Übergang ist die Reklination besonders ausgiebig möglich. Belastungsbedingte Verletzungen kommen in diesen drei Bereichen besonders häufig vor. Seiteneigung (30-40 Grad) (Lateralflexion) der Wirbelsäule findet in der HWS und in der LWS ausgiebig statt. Die Brustwirbelsäule kann dabei gestreckt bleiben. Biegt sie sich mit, entsteht ein vollständiger harmonischer Bogen. Limitiert wird die thorakale Seiteneigung durch die gleichseitigen Rippen, die zusammengedrängt werden. Drehung (90 Grad) (Längsrotation) der Wirbelsäule um eine longitudinale Achse ist im Halsgebiet am ausgiebigsten, nimmt nach kaudal allmählich ab und ist in der LWS wegen der sagittal gestellten Gelenkflächen minimal. Im Stand wird bei stärkerer Rumpfdrehung das Becken mit genommen. Bewegungsumfang der Wirbelsäule. Er ist von Mensch zu Mensch verschieden und vom Alter, vom Geschlecht, vom Konstitutionstyp sowie von den Lebensgewohnheiten (Beruf) abhängig. Sportliche Aktivität fuhrt nicht unbedingt zu einer Steigerung der Wirbelsäulenbeweglichkeit.
8 Rücken, Dorsum
644
8.5
Rückenmuskulatur
Lernziele: Muskelsysteme, Ursprung, Ansatz, Verlauf der Muskeln, Gefäß- und Nervenversorgung Herkunft. Die in der Nacken-Rückenregion (ζ. T. in mehreren Schichten) gelegenen Muskeln haben unterschiedliche entwicklungsgeschichtliche Herkunft und verschiedene Funktion. Der Ursprung eines Muskels lässt sich immer eindeutig von seiner Innervation her ableiten. Der Aufzweigung eines Spinalnerven in einen Ramus ventralis und einen Ramus dorsalis sind entsprechende ventrale und dorsale Myotomabschnitte (Kap. 3.5.1.5, S.147) zugeordnet. Die aus diesen Myotomanteilen hervorgehende dorsale (epaxonische) Muskulatur lässt sich bei ursprünglicheren Wirbeltieren, ζ. B. beim Fisch, noch deutlich von der ventralen (hypaxonischen) Muskulatur abgrenzen. Die beiden Extremitätenpaare als Anhangsgebilde der ventralen Körperregion erfahren eine Muskelausstattung ventraler (hypaxonischer) Herkunft. Die obere Extremität des Menschen, durch seine bipede Fortbewegungsweise von der Aufgabe des Körperlasttragens befreit, wird zum frei und ausgiebig beweglichen Greif- und Handlungsorgan. Muskeln des Schultergürtels und der Schulter/des Schultergelenks (ventrale Herkunft) breiten sich auf der dorsalen und ventralen Seite des Rumpfes aus und überdecken die ursprüngliche Muskulatur teilweise. Unterscheidung. Am Rücken gilt es, eingewanderte, durch ventrale Spinalnervenäste innervierte, sog. zonale Muskeln und ortsständige, autochthone (durch dorsale Spinalnervenäste versorgte) Muskulatur zu unterscheiden. Diese Unterscheidung berücksichtigt genetische (differente Innervation) und funktionelle Merkmale. Die eingewanderten Muskeln liegen oberflächlich. Wir unterteilen • •
Schultergürtel- und Schultermuskeln Spinokostale Muskeln
8.5.1
Schultergürtelund Schultermuskeln
1. M. trapezius (Abb. 8.18, linke Seite). 3 Anteile nach der Faserrichtung: •
Pars descendens (absteigende Ursprung zum Ansatz).
Fasern
vom
O.: Hinterhaupt bis Dornfortsatz des 6. Halswirbels, Lig. nuchae /. : Laterales Drittel der Clavicula F.: Zur Mittellinie hin gerichtetes Anheben des Schultergürtels. •
Pars transversa (starker Mittelteil) O.: Sehnenspiegel 7. Halswirbel- bis 3. Brustwirbeldornfortsatz /.: Acromion F.: Schulterblatt wird zur Mittellinie gezogen.
•
Pars
ascendens
0 . : 4. bis 11. (12.) Brustwirbeldornfortsatz 1.: Sehnig an der Spina scapulae F.: Ziehen der Scapula nach kaudal- medial Der Muskel insgesamt zieht das Schulterblatt nach medial. Oberer und unterer Muskelteil drehen die Scapula so, dass die Schultergelenkspfanne nach oben- außen gerichtet ist: Voraussetzung fur die hohe Armerhebung (Elevation über 90 Grad). Bei feststehendem Schultergürtel wird der Kopf nach dorsal gebracht (beidseitige Kontraktion), einseitige Kontraktion bewirkt Drehung zur Gegenseite. L. (alle Teile): Ramus externus des N. accessorius und Äste aus C2-C4 (Plexus cervicalis). Können getrennt in den Muskel eintreten oder sich vorher vereinigen (Plexus accessoriocervicalis). Die Pars ascendens wird nur durch den N. accessorius, die Pars transversa durch die Halsnerven und die Pars descendens von beiden versorgt. A. transversa colli, A. cervicalis superficialis und entsprechende Venen. Varianten. Die Pars ascendens reicht mit Ursprung (meist rechts) einen Wirbeldorn tiefer. Teilweises Zusammenfließen mit M. sternocleidomastoideus (ein Blastem, gleiche Innervation).
8.5 Rückenmuskulatur
Ν. occipitalis major (R. cutaneus posterior CHI Ligamentum (Septum) nuchae
Ν. occipitalis minor
645
M . semispinals capitis M. splemus capitis M . sternocleidomastoideus M . levator scapulae
(Plexus cervicalis) M . supraspinatus M . trapezius M. trapezius (Schrittrand) Vertebra prominens C VIH
Fascia m. infraspinati M . deltoideus
Th I
latissimus dorsi M . latissimus dorsi Th VII
(Schnittrand) M . serratus anterior
Ri cutanei (abgeschnitten)
I. rhomboideus major M. serratus posterior inferior
R.cutaneus posterior n. thoracic! XII
M. obliquus externus abdominis M. latissimus dorsi
Ν iliohypogastricus
Nn. clunium Trigonum lumbale Fascia thoracolumbalis M . gluteus médius M . gluteus maximus
Abb. 8.18: Oberflächliche Rückenmuskulatur. Links: Rr. dorsales der Spinalnerven. Rechts: M. trapezius, M. latissimus dorsi gefenstert
8 Rücken, Dorsum
646
Klinik: Lähmung des Muskels infolge Läsion des relativ oberflächlich laufenden N. accessorius im Bereich des lateralen Halsdreiecks bei operativen Eingriffen. Scapula steht tiefer und (medial) ab, Scapula alata. Schulter-Halskontur wird eckig (Atrophie der Pars descendens), hohe Armerhebung ist nicht mehr möglich. Einseitiger Ausfall = Muskelungleichgewicht, Skoliosegefahr. 2. M. latissimus dorsi (Abb. 8.18) 0 . : Mit breiter Sehne, Fascia (Aponeurosis) thoracolumbalis von den Dornfortsätzen der unteren 6 Brustwirbel, sämtlicher 5 Lendenwirbel, der Facies dorsalis des Os sacrum, dem Labium externum der Crista iliaca und den 3 - 4 unteren Rippen. Ein weiterer Ursprung an der Spitze des Angulus inferior der Scapula ist nicht konstant. 1.: konvergierend an der Crista tuberculi minoris des Humerus L.: N. thoracodorsal is (C6-8), Α. und V. thoracodorsalis, bilden mit dem Nerven ein Bündel, unterhalb der Achselhöhle in den Muskel eintretend. E: Adduktion und Innenrotation im Schultergelenk. Bei festgestelltem Schultergelenk Anheber des Rumpfes (Hang an der Reckstange). Rippenursprung kann Inspiration unterstützen. Varianten. Untere Fasern des Muskels können über die Gefäße und Nerven der Achselhöhle zum Rand des M. pectoralis major oder an den langen Kopf des M. triceps brachii ziehen (muskulärer Achselbogen) und dabei die Leitungsbahnen komprimieren. Klinik: 1. Muskelfunktion wird durch den sog. Schürzengriff geprüft: Treffen der Hände auf dem Rücken. Der Muskel ist für den Querschnittsgelähmten wichtig: mit ihm kann er sich aus dem Rollstuhl heben. 2. Für den plastischen Chirurgen ist der Muskel das „Arbeitspferd": Bei vielen Rekonstruktionen wird er gestielt oder frei verpflanzt (ζ. B. Mammarekonstruktion). 3. M. levator scapulae (Abb. 8.18-20). O. : Tubercula posteriora der Querfortsätze der oberen 4 Halswirbel
/.: Angulus superior scapulae, angrenzender Margo medialis scapulae L.: N. dorsalis scapulae (C3-5), direkte Äste aus C 3 ^ l , Rr. profundus und superficialis der A. transversa colli, entsprechende Venen F.: Zieht den oberen Schulterblattwinkel nach oben vorn und medial; hilft bei Drehung der Scapula 4. M. rhoniboideus (Abb. 8.18, rechts) 0 . : Procc. spinosi der unteren 2 Hals- und 4 oberen Brustwirbel; Muskel besteht meist aus zwei Anteilen: M. rhomboideus minor (kleinere kraniale Portion) und major /.: Margo medialis scapulae L.: N. dorsalis scapulae, R. profundus der A. transversa colli, entsprechende Venen F.: Bringt die Scapula nach medial-kranial; dreht die Scapula.
8.5.2
Spinokostale Muskeln
Sie werden wie die Schultergürtel- und Schultermuskeln von ventralen Spinalnervenästen versorgt; sie haben ihren Ursprung an den Dornfortsätzen und ihren Ansatz an den Rippen. 1. M. serratus posterior superior (Abb. 8.19), bildet unter den Mm. trapezius und rhomboideus eine dritte Muskelschicht. O. : Dornfortsätze der 2 unteren Halswirbel und 2 oberen Brustwirbel /..· Mit 4 Zacken an der 2.-5. Rippe L.: Ventrale Spinalnervenäste C6-C8; Äste der obersten Interkostalnerven, R. superficialis der A. transversa colli, entsprechende Venen 2. M. serratus posterior inferior (Abb. 8.18) O. : Fascia thoracolumbalis in Höhe der 2 unteren Brust- und 2 oberen Lendenwirbeldornfortsätze. /.: Mit 4 Zacken an den 4 untersten Rippen L.: Ventrale Spinalnervenäste LI und L2, Äste aus 11.-12. Interkostalnerven, Rr. spinales der Aa. lumbales, entsprechende Venen F: Beide Muskeln leisten einen (relativ geringen) Beitrag zur Inspiration: der obere zieht die Rippen direkt nach oben; der untere wirkt einer Verengung der unteren Thoraxapertur durch das sich kontrahierende Zwerchfell entgegen und unterstützt somit indirekt die Einatmung.
647
8.5 Rückenmuskulatur
s e m i s p i n a l s capitis
M . splenius capitis Lig. (Septum) nuchae
sternocleldomastoideus splenius capitis levator scapulae scalenus médius et posterior M . supraspinatus M . trapezius (Schnittrand) M . serratus anterior Fascia infraspinata
M . serratos posterior superior
Margo medialis scapulae M . deltoideus
M. splenius— cervicis
M . iliocostalis
M . longissimus Angulus inferior scapulae M . mtercostalis externus
Abb. 8.19: Spinokostale Muskeln und Muskeln der autochthonen Rückenmuskulatur. Der Schultergürtel ist nach lateral g e z o g e n
Varianten. In ihrer Ausbildung sind die beiden Muskeln, die ursprünglich eine Muskelplatte darstellen, sehr variabel. Der obere kann zu einer Sehnenplatte reduziert sein, bei beiden kann die Zahl der Zacken größer oder kleiner als 4 sein.
648
8.6
8 Rücken, Dorsum
Autochthone Rückenmuskeln
Lernziele: Muskelsysteme, Ursprung, Ansatz der Muskeln, Gefäß- und Nerven Versorgung, funktionelle Aspekte
2. Medialer Trakt •
Spinales System
• Transversospinales System Die ursprüngliche, primäre oder autochthone Rückenmuskulatur wird von dorsalen Spinalnervenästen versorgt. Sie hat eine unmittelbare Funktionsbeziehung zur Wirbelsäule. Von daher wird auch die (eher globale) Sammelbezeichnung M. erector Spinae verständlich. Die autochthone Rückenmuskulatur erstreckt sich in Form eines paarigen, vom Hinterhaupt bis zum Os sacrum reichenden Muskelwulstes rechts und links der Mittellinie. Jeder Muskelwulst setzt sich aus einer Vielzahl von einzelnen Muskeln zusammen, die - unmittelbar an der Wirbelsäule gelegen - noch kurz und ursprünglich sind und nur von einem zum nächsten Wirbel ziehen. Oberflächlich und mehr seitlich gelegene längere Muskelzüge sind aus der Verschmelzung vieler kleiner Muskelelemente hervorgegangen. Die beiden Muskelwülste werden in einer osteofibrösen Loge geführt, die zum einen von den Dorn- und Querfortsätzen (HWS), zusätzlich den Rippen (BWS) oder Rippenfortsätzen (LWS) gebildet wird. Zum anderen treten Faszienhüllen hinzu (s. Kap. 8.7, S. 652, und Abb. 8.23). Eine Systematisierung der primären Rückenmuskulatur sollte nach folgenden Gesichtspunkten erfolgen: •
Innervation der einzelnen Muskeln: Die Rami dorsales der Spinalnerven verzweigen sich in einen lateralen und einen medialen Ast fur die Muskulatur: Lateraler und Medialer Trakt, Gefäßversorgung aus der Aa. intercostales posteriores und lumbales sowie den entsprechenden Venen • Funktion der einzelnen Muskeln: Gerader oder schräger Verlauf (System) zur Wirbelsäule - Streckung oder Drehung. Unmittelbare Lage an der Wirbelsäule oder seitlich verlagert - Streckung, Drehung - Seiteneigung. Demnach unterscheiden wir (Abb. 8.19 bis 22) 1. Lateraler Trakt • • • •
Sakrospinales System Spinotransversales System Intertransversales System Mm. levatores costarum
3. Nackenmuskeln (tiefe Nackenmuskulatur) • • •
Spinales System Intertransversales System Spinotransversales System
1. Lateraler Trakt Sakrospinales System - M. sacrospinal^ •
M. iliocostalis (Hals-, Brust-, Lendenteil, M. iliocostalis cervicis (colli), M. iliocostalis lumborum mit Pars thoracica und Pars lumborum)
O.: Darmbeinkamm, Os sacrum, 12.-3. Rippe /.: Alle Rippen, Tuberculum posterius Querfortsatz 6.-3. Halswirbel F: Einseitige Kontraktion: Seiteneigung; beidseitige Kontraktion: Streckung der WS •
M. longissimus (Kopf-, Hals-, Brustteil, M. longissimus capitis, M. longissimus cervicis (colli), M. longissimus thoracis, Pars lumbalis)
O.: Os sacrum, Procc. costales obere Lendenwirbel, Querfortsätze Brustwirbel, untere und mittlere Halswirbel /.: Procc. costales und accessorii der Lendenwirbel; Rippen und Querfortsätze der Brustwirbel, Querfortsätze mittlere und obere Halswirbel, Proc. mastoideus F: Einseitige Kontraktion: Seiteneigung; beidseitige Kontraktion: Streckung. Zusammen mit dem M. iliocostalis bildet er für die Lendenlordose die Sehne der sog. Bogen-Sehnenkonstruktion. Spinotransversales System •
M. splenius (Kopf- und Halsteil)
O.: Dornfortsätze 3. Hals- bis 6. Brustwirbel /.: Querfortsätze der 3 oberen Halswirbel; laterale Linea nuchae superior, Proc. mastoideus F.: Einseitige Kontraktion: Drehung von Kopf und HWS zur gleichen Seite; beidseitige Kontraktion: Dorsalflexion von Kopf und Hals
649
8.6 A u t o c h t h o n e R ü c k e n m u s k e l n
M rectus capitis posterior minor χ .—M. semispinalis capitis M rectus capitis posterior major
M. obliquus capitis superior
M. longissimus capitis
Lig. ISeptumi nuchae
M. obliquus capitis inferior
M . muitifidus
M semispinalis capitis
M. longisssimuscervicis
M intercostalis externus M iliocostalis thoracis
M spinalis
M longissimus thoracis
M . levator costee brevis M m levatores costarum longi
M muitifidus M obliquus abdominis externus M iliocostalis iumborum oberflächliches Blatt, Schnittkante Fascia thoracolumbalis tiefes Blatt
M
longissimus
M . intertransversarius M gluteus médius
M . gluteus maximus
A b b . 8.20: A u t o c h t h o n e R ü c k e n m u s k u l a t u r . R e c h t s : L o n g i t u d i n a l s y s t e m (M. spinalis, M. l o n g i s s i m u s , M. iliocostalis) u n d M. s e m i s p i n a l i s capitis. Links: M. muitifidus, M m . levatores c o s t a r u m , kurze tiefe N a c k e n m u s k e l n
650
8 Rücken, Dorsum
M . rectus capitis lateralis M . longissimus capitis
M. transversooccipitalis Mm. Intertransversarii
M. longissimus cervicis M . interspinalis M . iliocostalis cervicis
M. levator costaebrevis
M. iliocostalis thoracis
• — M levator costae longus
M. longissimus dorsi
— . Transversospinales System (Schema für Semispinalis, Multifidus und Rotatores)
M . spinalis
—
M . iliocostalis lumborum
—
ι. intertransversarii
Abb. 8.21: Autochthone Rückenmuskulatur (Schema). Links: Longitudinalsystem. Rechts: Transversospinalsystem und kurze Muskeln
651
8.6 Autochthone Rückenmuskeln
Intertransversales System Mm. intertransversarii
F.: Einseitig: geringe Seiteneigung; beidseitig: Streckung
• • •
•
Mm. intertransversarii mediales lumborum Mm. intertransversarii thoracis Mm. intertransversarii posteriores cervicis
O.: und /.: Verbinden benachbarte Querfortsätze in den genannten Bereichen. F.: Neigen bei einseitiger Kontraktion seitwärts.
O.: und /.: Sie spannen sich zwischen benachbarten Dornfortsätzen aus (HWS doppelt!) F.: wie M. spinalis Transversospinales System (Abb. 8.22) •
— Processus spinosus
— Ug. supraspinale
— M . rotator longus
— M . rotator brevis
— M.levator costae brevis
— M. mtercostalis externus
Abb. 8.22: Autochthone Rückenmuskulatur, tiefe Schicht (Mm. rotatores) und Mm. levatores costarum breves
Mm. levatores costarum (Abb. 8.22) • •
Mm. levatores longi Mm. levatores breves
O. : Querfortsätze 7. Hals- und 1.—11. Brustwirbel /.: Medial des Angulus costae an der Außenfläche der nächsten (kurze Mm.) oder übernächsten (lange Mm.) Rippe F.: Trotz ihrer Bezeichnung weniger Rippenhebung; mehr Seiteneigung und Drehung. Die Muskeln weisen eine Doppelinnervation (sowohl dorsale als auch ventrale Spinalnervenäste) auf. Ob es ursprünglich rein epaxonische oder hypaxonische Muskeln sind, ist nicht geklärt. 2. Medialer Trakt Spinales System •
M. spinalis
O.: Dornfortsätze 2., 3. Lendenwirbel und 11., 12. Brustwirbel. /.: Dornfortsätze 3.-9. Brustwirbel Inkonstant kann im Hals- und im Hals-Kopfbereich ein M. spinalis ausgebildet sein.
Mm. interspinales (Hals-,Brust-,Lendenbereich)
Mm. rotatores breves et longi (Hals-, Brust-, Lendenbereich)
0. : Querfortsatz 1. : nächst oder übernächst höherer Dornfortsatz F.: Einseitig: Drehung; beidseitig: Streckung •
M. multifidus (Hals-, Brust-, Lendenbereich)
O.: Dorsale Sakrumfläche, Querfortsätze /..' Kraniale Dornfortsätze, 2 bis 5 Wirbel überspringend F.: wie Mm. rotatores •
M. semispinalis (Kopf-, Hals-, Brustteil)
O.: 11.-7. Brustwirbel- und 7.-3. Halswirbelquerfortsätze /..· Dornfortsätze der oberen Brust- und unteren Halswirbel; unterhalb Linea nuchae superior, 4-6 Wirbel überspringend. F.: Seiteneigung, Drehung, Streckung 3. Tiefe Nackenmuskulatur Die autochthone Rückenmuskulatur ist besonders stark im Bereich der Hals- und Lendenlordose ausgebildet. Während die Muskeln im Lendenbereich wesentlich fur die Gleichgewichtsregulierung im Stand und beim Gehen sind, ist die Hauptfunktion der Nackenmuskeln die Ausführung und Kontrolle der weiträumigen Hals- und Kopfbewegungen. Für die beiden Kopfgelenke sind spezifische autochthone Muskelindividuen ausgebildet, die sog. tiefen Nackenmuskeln, Mm. suboccipitales (Abb. 8.20). Diese gehören dem spinalen, intertransversalen und dem spinotransversalen System an und werden vom ersten dorsalen Spinalnervenast, N. suboccipitalis, versorgt. Spinales System •
M. rectus capitis posterior major
O. : Dornfortsatz C2 /.: Linea nuchae inferior, lateral
8 Rücken, Dorsum
652 F.: Einseitig: Drehung, Neigung des Kopfes zur selben Seite. Beidseitig: Streckung •
M rectus capitis posterior
gungsausschläge, die von den tief gelegenen, kleinen Muskeln hervorgerufen werden, sind gering, addieren sich aber über einen größeren Wirbelsäulenabschnitt. Die Muskulatur streckt und dreht nicht nur die Wirbelsäule, sondern startet auch eine Seiteneigung durch ipsilaterale Kontraktion insbesondere des lateralen Traktes. Gleichzeitig erfolgt eine Kontrolle der Seiteneigung durch die kontralateralen Muskeln, die erst durch Dehnung nachgeben und sich dann zunehmend kontrahieren. Dies gilt auch für die Ventralbeugung: Die Rückenmuskeln verhindern ein „auf die Nase-Fallen".
minor
O.: Tuberculum posterius Cl /.: Linea nuchae inferior, medial F.: Einseitig: Neigung; beidseitig: Streckung Intertransversales System •
M. obliquas capitis
superior
0 . : Proc. transversus Cl 1. : Linea nuchae inferior F.: Einseitig: Neigung; beidseitig: Streckung Spinotransversales System •
M. obliquus capitis inferior
0 . : Dornfortsatz C2 1. : Querfortsatz C1 F.: Einseitig: Drehen zur gleichen Seite; beidseitig: geringe Extension im unteren Kopfgelenk, Stabilisierung des Gelenks
Einige wenige der Wirbelsäule zugeordnete Muskeln werden von ventralen Spinalnervenästen versorgt: Mm. intertransversales anteriores finden sich zwischen den Rippenrudimenten (HWS und LWS) als Reste der Zwischenrippenmuskeln. Zu ihnen gehört auch der M. rectus capitis lateralis (Abb. 8.21). Klinik: Eine umgrenzte Schädigung der Muskulatur (z. B. bei operativem Eingriff an Rückenmark oder Wirbelsäule) wird kompensiert. Ein einseitiger langstreckiger Ausfall bedeutet muskuläres Ungleichgewicht, es entwickeln sich Skoliosen. Beidseitige Lähmung führt zur Verstärkung der sagittalen Krümmungen. Der Patient kann nur aufrecht stehen, indem er mit verstärkter Lendenlordose den Rumpf nach dorsal verlagert, d. h. das Schwerpunktslot des zu tragenden Körpers nach hinten bringt.
Funktionelle Gesichtspunkte der autochthonen Muskulatur •
Die tiefen Nackenmuskeln sind Feinregulatoren der Kopfbewegung. Sie weisen eine hohe Dichte an Muskelspindeln auf. • Die ortsständige Muskulatur des Rückens ist gleichermaßen für die Haltung und die Bewegung der Wirbelsäule wichtig. Die in der Sagittalen gelegenen Krümmungen werden ständig unterstützt und kontrolliert. Die Bewe-
8.7
Faszien des Rückens
Lernziele: Faszienapparat, Aufbau, Funktion Fascia nuchae, ein kräftiges Bindegewebsblatt, das unter den Mm. trapezius und rhomboideus die Nackenmuskeln einhüllt. Kranial endet sie an der Linea nuchae superior, in der Mittelinie ist sie mit dem Lig. nuchae (Abb. 8.18) verbunden. Am Vorderrand des M. trapezius geht sie in die Lamina superficialis der Fascia colli {oberflächliche Halsfaszie) über. Nach kaudal findet sie ihre Fortsetzung in der
Fascia thoracolumbalis (Abb. 8.18, 20, 23, 24). Diese Faszie besteht aus einem oberflächlichen und einem tiefen Blatt. Beide Blätter beteiligen sich an der Bildung des osteofibrösen Führungskanals für die beiden Wülste der ortständigen Rückenmuskulatur. •
Das oberflächliche Blatt, Lamina superficialis, die nach kaudal sehnigen (aponeurotischen) Charakter annimmt, entspringt von den lumbalen und den unteren Brustwirbeldornfortsätzen, dem Kreuzbein und der Crista iliaca. In ihrem unteren Abschnitt dient sie dem M. latissimus
8.7 Faszien des Rückens
653
Processus spinosus Processus costalis
\
\
Fascia thoracolumbaiis, Lamina superficialis
M . erector Spinae
I Fascia thoracolumbaiis, lamina profunda /
/
M . latissimus dorsi M. quadratus lumborum —
Fascia lumbalis —
Ren et Capsula adiposa
—
M obliquus externus abdominis
—
M obliquus internus abdominis M transversus abdominis
~
Colon descendens Fascia transversalis Peritoneum
Abb. 8.23: Schematischer Querschnitt durch den R u c k e n in der Lendengegend. Faszien und Muskellogen
M . erector Spinae Fascia thoracolumbaiis. Fascia thoracolumbaiis, Schnittkante Fascia thoracolumbaiis,
M. serratus posterior inferior Costa XII
tiefes Blatt M . obliquus externus abdominis M . obliquus internus abdominis M . transversus abdominis
thoracolumbaiis, tiefes Blatt; Schnittkante Fascia renalis Capsula adiposa Ren M . quadratus lumborum M . intertransversarius
M. gluteus médius —
M . multifidus
M . gluteus
Abb. 8.24: Tiefe Lendengegend. F a s c i a thoracolumbaiis und die autochthone Rückenmuskulatur zum größten Teil entfernt. Links ist d a s tiefe Blatt der Fascia thoracolumbaiis (Lamina profunda) dargestellt, rechts der M. quadratus lumborum (nach medial gezogen) und die Nieren mit ihren Hüllen
654
8 Rücken, Dorsum
dorsi und dem M. serratus posterior inferior als Ursprung. • Das tiefe Blatt, Lamina profunda, ist an der 12. Rippe, den lumbalen Rippenfortsätzen und am Darmbeinkamm befestigt und zieht bis zum lateralen Rand des Muskelwulstes, wo es mit dem oberflächlichen Blatt verschmilzt (Abb. 8.23). Hier entspringen Teile des M. transversus abdominis und des M. obliquus internus abdominis.
8.8
Gefäß- und Nervenversorgung des Rückens
Lernziele: Nerven, Arterien, Venen, Anordnung 1. Gefäße Segmentale Arterien, Aa. intercostales posteriores. Sie geben einen Ramus dorsalis zum Rücken ab, der zwischen Wirbelkörper und Lig. costotransversarium post, dorsalwärts verläuft, einen R. spinalis in den Wirbelkanal schickt und mit Rr. mediales et laterales die Muskeln und Haut des Rückens versorgt. Venöser Rückfluss. Er erfolgt über Rami dorsales der Vv. intercostales posteriores, V. subcostalis und Vv. lumbales in die V. lumbalis ascendens, V. azygos, V. hemiazygos und V. hemiazygos accessoria.
8.9
2. Nerven Die motorische Innervation der autochthonen Muskeln und die sensible (und vegetative) Hautversorgung des Rückens übernehmen die Rami dorsales der Spinalnerven (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94). Ein Ramus dorsalis teilt sich in einen lateralen und medialen Ast, um mit diesen den lateralen und medialen Muskeltrakt zu versorgen und als Ramus cutaneus lateralis und medialis zu enden. t> Die Hautäste des 1.-3. Lumbalnerven versorgen als Nn. clunium superiores die kraniolaterale Gesäßregion. > Die Hautäste des 1.-3. Sakralnerven, Nn. clunium medii, innervieren die Haut der medialen Gesäßregion. [> Nn. clunium inferiores als ventrale Spinalnervenäste vervollständigen die Hautversorgung der Regio glutealis.
Nackenregion, Regio nuchae
Die Topographie der Nerven- und Gefaßbahnen in der Regio nuchae (Abb. 8.25) ist komplexer als im eigentlichen Rückenbereich. Bedingt ist dies zum einen durch die generelle Vermittlerfunktion des Halses (Nacken = dorsaler Hals) zwischen Kopf und Rumpf. Zum anderen weist der Kopf-Nackenübergang Spezialisierungen des passiven und aktiven Bewegungsapparates auf (Kopfgelenke). Begrenzungen der Nackenregion •
Klinik: Über die Fascia thoracolumbalis und die eingehüllte Muskulatur erreicht man die Niere, wobei das tiefe Blatt eine wichtige Orientierung darstellt (Abb. 8.24). Bei dieser Form des Zugangs bleibt die Bauchhöhle geschlossen.
Kranial: Linea nuchae superior, Protuberantia occipitalis externa
•
Lateral: Linie zwischen Proc. mastoideus und Acromion • Kaudal: Linie zwischen Dornfortsatz C7 und Acromion Arterien [> A. occipitalis, Ast der A. carotis externa, liegt medial der Incisura mastoidea im Sulcus a. occipitalis, tritt seitlich in die Nackenregion und geht hier wechselnd starke Verbindungen mit der A. vertebralis ein. Sie gibt Äste an die Nackenmuskulatur ab, verläuft unter dem M. splenius capitis und auf dem M. semispinalis und erreicht
655
8.9 Nackenregion, Regio nuchae
Venter occipitalis m. occipitofrontalis
N.
N. occipitalis major - A. occipitalis M . splenitis capitis
M. auricularis superior
Ν occipitalis minor
M . auricularis M . semispinalis
posterior
capitis M . obliquus capitis superior N. suboccipitals A. vertebralis Arcus posterior atlantis M . rectus capitis posterior minor
N. auricularis
M . rectus capitis M. splenius capitis
posterior major M . obliquus capitis
Ν occipitalis
inferior N. occipitalis major M. sternocleidomastoideus
M. multifidus
M
N. occipitalis tertius M. semispinalis capitis N. cervicalis IV
Rr cutanei mediales
M . splenius capitis M . semispinalis cervicis A. cervicalis profunda
Abb. 8.25: Regio nuchae. Links oberflächliche, rechts tiefe Schicht(en) mit Muskeln, Arterien und Nerven
nach Durchtritt durch den M. trapezius das Hinterhaupt. \> A. vertebralis, Ast der A. subclavia, wird im Subokzipitaldreieck (gebildet von den Mm. rectus capitis posterior major, obliquus capitis superior und obliquus capitis inferior) sichtbar, dem Arcus posterior atlantis aufliegend. [> A. cervicalis profunda, Ast des Truncus costocervicalis, verläuft zwischen den Mm. splenius und semispinalis. Venen. Gleichnamige Venen begleiten die Arterien, welche mit zahlreichen Verästelungen einen im Subokzipitaldreieck liegenden Plexus venosus suboccipitalis bilden. Lymphknoten, Nil. occipitales (1-3), welche die Lymphe aus dem Hinterhauptsgebiet und der Nackenregion aufnehmen, liegen dem Hinter-
hauptsursprung des M. trapezius auf —> Nil. cervicales profundi (s. Kap. 4.11, S. 253). Nerven ΐ> Rr. cutanei mediales, treten paramedian durch den M. trapezius (Pars descendens und Sehnenspiegel des Muskels). [> N. suboccipitalis (R. dorsalis Cl), tritt zwischen Hinterhaupt und Arcus posterior in die tiefe Nackenregion ein und innerviert die Mm. capitis (tiefe, kleine Nackenmuskeln). Er hat meist keine sensiblen Anteile, beteiligt sich demnach auch nicht an der Hautinnervation. Ο Ν. occipitalis major (R. dorsalis C2), sensibler Hautast, verläuft zwischen Atlas und Axis, erscheint unter dem M. obliquus capitis inferior, durchbohrt die Mm. semispinalis capitis und trapezius. Er versorgt die Haut am Hinterkopf bis
656
auf Scheitelhöhe. Meist geht er mit dem N. occipitalis minor (aus dem Plexus cervicalis) Verbindungen ein. Es besteht ein Faseraustausch (Abb. 8.25, rechts) mit dem N. suboccipitalis und dem [> N. occipitalis tertius (R. dorsalis C3). Dieser kann als Hautnerv das Hinterhaupt erreichen. Nur dann sollte er als N. occipitalis tertius bezeichnet werden, andernfalls als Nn. cervicalis III. Klinik: 1. Der N. occipitalis major kann bei seinem Durchtritt durch den derben aponeurotischen Trapeziusursprung mechanisch gereizt werden (Okzipitalisneuralgie). Eine Schmerzausstrahlung in sein Versorgungsgebiet (evtl. auch in Trigeminusgebiete) hat allerdings häu-
8 Rücken, Dorsum
figer ihre Ursache in einer Degeneration des Knochens und des Knorpels der Kopfgelenke (Osteochondrose). 2. Der Kapselbandapparat der Kopfgelenke wird von Ästen des N. occipitalis major versorgt. 3. Der im Subokzipitaldreieck liegende Abschnitt der A. vertebralis (Pars atlantica) ist relativ ungeschützt. Bei Verletzung muss die A. vertebralis doppelt unterbunden werden, weil rechte und linke Arterie anastomotisch verbunden sind (A. basilaris, Circulus arteriosus cerebri; s. Kap. 5.3, S. 433). 4. Subokzipitalpunktion s. Kap. 8.2.3, S. 640. 5. Die Nil. occipitales schwellen bei Furunkulose im Hinterhaupt-Nackenbereich, bei schwerer Infektion der Rachenmandel und bei Röteln an.
9
Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius Andreas Prescher und Hans-Martin Schmidt
Gliederung: Die obere Extremität gliedert sich in Schultergürtel (Cingulum membri superioris) und freie obere Extremität (Pars libera membri superioris), den eigentlichen Arm. Topographie und Funktion erfordern eine gemeinsame Betrachtung, obwohl der Schultergürtel topographisch zum Rumpf gehört. Der Arm gliedert sich in: •
Oberarm (Brachium, Stylopodium) und Unterarm (Antebrachium, Zeugopodium) • Hand (Manus, Autopodium) mit 1. Handwurzel (Carpus, Basipodium), 2. Mittelhand (Metacarpus, Metapodium) und 3. Fingern (Digiti manus, Acropodium). Durch den aufrechten, bipeden Gang des Menschen wurden die vorderen Extremitäten für neue Aufgaben frei und ganz in den Dienst des Greifens und Tastens gestellt. Mit diesem Funktionswandel sind anatomische Veränderungen verbunden: • das Schulterblatt gelangt aus einer lateralen Lage in eine dorsale • das Oberarmbein bekommt eine Anteversion • das Unterarmskelett ermöglicht Umwendebewegungen: Pronation und Supination.
Entwicklung, Fehlbildungen Armknospe. Am Ende der 4. EW treten im Bereich der kaudalen Halssegmente (C5-Th1) die Armknospen auf. Sie bestehen aus einem mesenchymalen Gewebe, das vom parietalen lateralen Mesoderm der Leibeswand stammt und von einer Ektodermschicht überzogen wird (s. Kap. 3.5.1.3, S.145, Kap. 3.5.3.2, S. 156). Randleiste. Apikal ist das Ektoderm zur Randleiste verdickt. Diese induziert im Inneren der
Knospe erhebliche Proliferationen, so dass die gesamte Anlage in die Länge wächst. In ihrem distalen Abschnitt wird eine paddelartige Handplatte (6. EW) ausgebildet, in der sich anschließend Fingerstrahlen bilden. Interdigitale Apoptosezone. Das zwischen den Strahlen liegende Gewebe wird zunehmend reduziert (interdigitale Apoptosezonen), so dass sich isolierte Finger formieren. In der 8. EW ist das Brachium vom Antebrachium abgrenzbar. Extremitätenrotation. Mit der Gliederung der Extremitätenanlage in ihre Abschnitte ist eine Rotation verbunden. Sind die Streckseiten der Arme zuerst nach lateral gerichtet, werden sie später nach dorsal orientiert (der spiralige Verlauf des N. radialis um den Humerus ist die unmittelbare Folge dieser Rotation). Hyalinknorpelige Knochenvorläufermodelle. Im Innern der Extremitätenanlage verdichtet und differenziert sich das Mesenchym zu einem Knorpelblastem, aus dem hyalinknorpelige Knochenvorläufermodelle gebildet werden. Am Ende der 7. EW ist das knorpelige Skelett fast komplett ausgebildet. Die hyalinknorpeligen Vorläufer werden schließlich durch enchondrale und perichondral Ossifikation in regelrechten Knochen umgebildet und am Ende der 12. EW sind die Diaphysen der langen Röhrenknochen ossifiziert. Muskeln. Die teilungsfahigen Stammzellen für die quergestreifte Skelettmuskulatur der oberen Extremitäten wandern aus den Dermatomyotomen in die Extremitätenanlage ein und differenzieren sich hier zu einkernigen Myoblasten, die zu mehrkernigen Muskelfasern (Synzytium) verschmelzen: t> Das Muskelgewebe der oberen Extremität hat eine andere Herkunft als das aus dem Mesenchymkern stammende Sehnen- und Bindegewebe.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
658
Vormuskelmasse. Während der Ausbildung ordnet sich das Muskelblastem in eine dorsale und eine ventrale Vormuskelmasse für Extensoren und Flexoren. Diese beiden Blasteme sind nach der Knorpelbildung in der Extremitätenachse vor (präaxial) und hinter (postaxial) der primitiven Skelettanlage lokalisiert und stehen bereits in der 5. EW mit ihren Nerven in Verbindung. Die Muskelentwicklung verläuft von proximal nach distal, so dass sich die Handmuskeln zum Schluss bilden (10. EW). Man beachte, dass sich von den Muskelanlagen der oberen Extremität Muskelgruppen sekundär auf den Rumpf vorschieben und sowohl ventral als auch dorsal die Mittellinie erreichen. Diese Muskeln liegen oberhalb der autochthonen dorsalen und ventralen Rumpfmuskulatur. •
Von der Extensorenanlage geht nach Starck die Gruppe der spinohumeralen Muskeln aus: M. latissimus dorsi, M. teres major, M. levator scapulae, M. serratus anterior, Mm. rhomboidis major et minor. • Aus der Flexorenanlage bildet sich die thorakohumerale Muskelgruppe: Mm. pectorales, M. subclavius. Die Muskeln können auch nach ihrer ursprünglichen Herkunft eingeteilt werden: trunkofugale Muskeln wandern vom Rumpf zum Gliedmaßenskelett (M. levator scapulae, Mm. rhomboidei,
9.1
M. serratus anterior, M. subclavius), trunkopetale Muskeln wandern sekundär von der Gliedmaße auf den Rumpf (M. latissimus dorsi, Mm. pectorales) und kraniofugale Muskeln wandern vom Kopf in das Gliedmaßengebiet (M. sternocleidomastoideus, M. trapezius). Nerven. Die Gliederung der Muskelblasteme in Extensoren und Flexoren spiegelt sich auch bei den Nerven wieder, so dass Rr. extensorii (hinter der A. axillaris) und Rr. flexorii (vor der A. axillaris) unterschieden werden. [> Aus den Rr. extensorii werden der N. axillaris und der N. radialis, aus den Rr. flexorii der N. musculocutaneus, der N. ulnaris und der N. medianus. Die sensible Hautinnervation folgt einem ähnlichen Schema: Die Segmente C 5 - C 7 innervieren die Haut an der radialen Seite, wohingegen die ulnare von den Segmenten C8-Thl übernommen wird. Fehlbildungen: Amelie (Extremität fehlt komplett), Phokomelie (= Robbengliedrigkeit, Oberund Unterarm fehlen, Hand ist ausgebildet), Radiusaplasie (Klumphand), Diplocheirie (Doppelhand), Polydaktylie (überzählige Finger), Syndaktylie (Verschmelzung von Fingern), Oligodaktylie (Fehlen von Fingern), Spalthand (Mittelfingerstrahl fehlt, dadurch krebsscherenartige Spaltung der Handanlage in zwei Partien), Brachydaktylie (zu kurze Finger).
Systematische Anatomie
Das Kapitel beschreibt Knochen (Form, Relief), Muskeln (Ansatz, Ursprung, Versorgung, Funktion) und Leitungsbahnen (Herkunft und Ratifikation). Die systematische Beschreibung ist Grundlage für die topographische Betrachtung: Lage und Lagebeziehungen der Strukturen.
9.1.1
Passiver Bewegungsapparat
9.1.1.1
Osteologia, Knochenlehre
Die Osteologie beschreibt Oberflächenstruktur, ontogenetische Entwicklung und Varietäten der
Knochen und ist Grundlage von Arthrologie (Gelenklehre) und Syndesmologie (Bänderlehre). Lernziele: systematische Beschreibung, Entwicklung und Varietäten von Scapula, Clavicula, Humeras, Ulna, Radius, Ossa carpi, Ossa metacarpi und Ossa digitorum manus.
9.1.1.1.1 Schulterblatt, Scapula Die Scapula ist ein dreieckiger, platter Knochen mit typischer Rahmenkonstruktion, 3 Rändern, 3 Winkeln und 2 Flächen (Abb. 9.1, 2).
659
9.1 S y s t e m a t i s c h e A n a t o m i e
Angulus superior
Fossa supraspinata
Margo superior
Acromion
^
Angulus acromii
Spina scapulae - __ _ Trigonum Spinae-
¿
— Angulus lateralis
Tuberculum deltoideum—
V
~ Cavitas glenoidalis
Fossa infraspinata
1
Collum scapulae
Margomediaiis — Margo lateralis
Abb. 9.1: R e c h t e S c a p u l a , F a c i e s d o r s a l i s
Acromion _
- — Angulus inferior
Facies articularis clavicularis I
incisura scapulae
Margo superior I
.Angulus superior
Processus coracoideus
¡KL' f f í
Cavitas glenoidalis
Fossa subscapulars
Margo media! is
Collum scapulae \ Tuberculum infraglenoidale •
\ f • I>
A
^tií
Margo lateralis
W
Abb. 9.2: R e c h t e S c a p u l a , F a c i e s c o s t a l i s
Lineae musculares
_ Angulus inferior
660
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Margines: Margo medialis, lateralis, superior. Der laterale ist der stabilste Rand. Anguli: Angulus inferior, superior,
lateralis.-
Facies: Facies costalis (sive anterior) und Facies posterior. •
Die Facies costalis ist zur seichten Fossa subscapularis vertieft, in der sich 3^4 Lineae musculares befinden. • Die Facies posterior wird durch die Spina scapulae in die tiefe Fossa supraspinata und die flache Fossa infraspinata unterteilt. Die Spina scapulae biegt lateral am Angulus acromii etwa rechtwinklig nach ventral ab, um im Acromion (Schulterhöhe) auszulaufen. Medial läuft die Spina in das kleine Trigonum Spinae am Margo medialis aus. Lateral endet sie ~ 1 cm vor dem Margo lateralis, so dass zwischen der Rückseite der Cavitas glenoidalis und der Basis der Spina am Collum scapulae ein rinnenartiger Durchtritt, Incisura spinoglenoidalis, entsteht, der Leitungsbahnen (Α., V., Ν. suprascapularis) enthält. An der knorrigen Verdickung der Spina, dem Tuberculum deltoideum, inserieren v. a. Fasern des M. trapezius (französische Nomenklatur besser: Tubercule du trapèze). Acromion. Es trägt eine kleine, plane Facies articularis clavicularis für die gelenkige Verbindung mit der Clavicula. Cavitas glenoidalis. Der Angulus lateralis ist zur birnenförmigen, leicht konkaven, 8 cm 2 großen Gelenkpfanne umgestaltet. Am ventralen Rand weist sie häufiger (> 50 % n. Prescher) eine Pfannenrandkerbe auf (s. Abb. 9.15). Zentral findet man gelegentlich ein diskretes Tuberculum glenoidale (Verdichtung des subchondralen Knochens). Tuberculum supra- und infraglenoidale. Unmittelbar oberhalb der Cavitas glenoidalis befindet sich das intraartikulär gelegene Tuberculum supraglenoidale, der Ursprung des Caput longum m. bicipitis und deutlich unterhalb der Cavitas glenoidalis das extraartikulär gelegene Tuberculum infraglenoidale, Ursprung des Caput longum m. tricipitis. Collum scapulae. Dies ist der schmale Übergang zwischen Cavitas glenoidalis und Scapula. Incisura scapulae, Processus coracoideus. Der schneidenartig zugespitzte Margo superior weist
einen variablen Einschnitt, die Incisura scapulae, auf, die dem N. suprascapularis zum Durchtritt dient. Lateral dieser Inzisur springt der Proc. coracoideus (Rabenschnabelfortsatz) mit einer breiten Basis nach ventral vor, um fast rechtwinklig nach lateral abzubiegen (Ursprung von Caput breve m. bicipitis und M. coracobrachialis. Ansatz des M. pectoralis minor). Entwicklung: Zahlreiche Ossifikationszentren. Der Proc. coracoideus hat allein 3 Knochenkerne: Apophysis corporis 1. LJ, curvaturae 15.-16. LJ, apicis 15.-16. LJ. Weitere Kerne: Acromion: 15.-18. LJ, Margo medialis 18.-19. LJ, Angulus inferior 15.-18. LJ, Zentrum der Scapula 8. LW, Os subcoracoideum (bildet oberen Anteil der Cavitas glenoidalis) 1 Ο Ι 2. LJ, Cavitas glenoidalis (unterer Anteil) 18. LJ. Varianten: 1. Os acromiale (7-15 %, erst nach dem 25. LJ diagnostizierbar!). Die Akromionspitze ist ein dreieckiger, isolierter Knochen, der eine Fraktur vortäuschen kann. 2. Foramen scapulae statt Incisura scapulae (verknöchertes Lig. transversum scapulae superius). Klinik: 1. Sprengel-Deformität. Angeborene Deszensionshemmung des Schulterblatts mit Schulterblatthochstand und Kyphoskoliose, 2. Frakturen (Körper, Hals, Pfanne, Acromion, Proc. coracoideus) sind selten, 3. Subkorakoidpektoralis-minor-Syndrom (= Hyperabduktionssyndrom oder Korakopektoralsyndrom). Seltenes Thoracic-outlet-Syndrom mit Kompression des Plexus brachialis am Proc. coracoideus des Schulterblatts durch den bei Hyperelevation des Arms angespannten M. pectoralis minor.
9.1.1.1.2 Schlüsselbein, Clavicula Die Clavicula (Abb. 9.3) ist ein S-förmig gekrümmter, 12-15 cm langer Knochen. Die medialen Zweidrittel sind nach ventral konvex, das laterale Drittel nach ventral konkav gebogen. Extremitas sternalis. Das mediale Ende besitzt einen runden Querschnitt und trägt die annähernd sattelförmige Facies articularis sternalis. Extremitas acromialis. Das laterale Ende ist spateiförmig zur Facies articularis acromialis abgeflacht.
9.1 Systematische Anatomie
Facies articuiaris acromiaiis \ \
661
Extremitas sternalis \
Extremitas acromiaiis /
Facies articuiaris sternalis /
\
\
Sulcus m. subclavii
Foramen nutricium
/ \
/ /
/
/ I
/ Tuberculum conoideum
Linea trapezoidea
|
Tuberositas ligamenti
I
coracoclavicularis
Abb. 9.3: Rechte Clavicula, obere und untere Fläche
Corpus claviculae. Es ist das schlanke Mittelstück. Oberseite. Sie enthält unregelmäßige Knochenrauhigkeiten für die Mm. deltoideus et trapezius. Unterseite. Medial befindet sich die variabel gestaltete Impressio lig. costoclavicularis zum Ansatz des gleichnamigen, sehr kräftigen Bandes. Lateral schließt sich der seichte Sulcus m. subclavii an, in dem sich konstant ein Foramen nutricium befindet. An der Unterseite der Extremitas acromiaiis liegt eine wechselnd ausgebildete Rauhigkeit, die Tuberositas ¡ig. coracoclavicularis. Diese Struktur wird in ein nach dorsal gerichtetes Tuberculum conoideum und eine mehr ventral liegende Linea trapezoidea unterteilt, an denen gleichnamige Bandzüge inserieren. Entwicklung: Die Clavicula hat nur eine sternale Epiphyse. Knochenkerne: Corpus claviculae 7. EW, Extremitas sternalis 18.-20. LJ. •
Das Corpus claviculae ist der einzige desmal ossifizierende Knochen des postkranialen Skelettes!
Varianten: 1. Knöcherner Kanal (6 %) für Nn. supraclaviculares mediales. 2. Zusätzliche Gelenke
(selten!): Gelenk zwischen Clavicula und Proc. coracoideus (Articulatio coracoclavicularis) oder Clavicula und 1. Rippe (Articulatio costoclavicularis). Klinik: 1. Klavikulafrakturen sind sehr häufig, bes. im Jugendalter: Sturz auf die Schulter oder extendierte Hand fuhrt zum Biegungsbruch im mittleren Drittel. Frakturen im lateralen Drittel gehen meist auf direkte Gewalt zurück, 2. Luxatio acromioclavicularis. Durch Bandrupturen (Ligg. acromioclaviculare et coracoclaviculare) bedingte Verrenkung mit Bewegungsschmerz, Klavikulahochstand, Klaviertastenphänomen (Zug des M. trapezius —> Hochstand der Extremitas acromiaiis claviculae), 3 Schweregrade (Tossy I—III), 3. Dysostosis cleidocranialis. Angeborene desmate Ossifikationsstörung: das Corpus claviculae ist nicht angelegt, so dass die Schultern vor der Brust zusammengeführt werden können, gleichzeitig bestehen Schädelabnormitäten. Röntgenanatomie des Schultergürtels (Abb. 9.4). In der a.-p.-Aufnahme sind alle beteiligten Knochen abzugrenzen.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
662
a b c d e
Clavicula Acromion Art. acromioclavicularis Caput humeri Costa prima (I)
f g h i j
Costa secunda (II) [dorsaler Teil] Collum a n a t o m i c u m Tuberculum m a j u s Tuberculum m i n u s A r t . humeri
k I m η o
Tuberculum infraglenoidale M a r g o lateralis scapulae Spina scapulae Processus coracoideus M a r g o superior scapulae
Abb. 9.4: Röntgenbild eines linken Schultergelenkes (a. .-Aufnahme des Institutes für Röntgendiagnostik der Charité Berlin) Articulado acromioclavicularis. Der Gelenkspalt ist 2—4 m m breit (zwischengeschalteter Discus articularis oder meniskusähnliche Falten!), er wird von glatten Gelenkflächen begrenzt. Das laterale Klavikulaende ist der höchste Punkt der Schulterkontur.
tubercularis erkennen. Oftmals findet sich in der Spongiosa im Bereich der Tubercula ein verstärkt strahlendurchlässiges Areal, das als „Pseudozyste" bezeichnet wird, aber eine regelrechte Struktur darstellt.
Das Schulterblatt stellt sich v. a. mit seinen lateralen Anteilen dar, wobei die Cavitas glenoidalis, das Korakoid und das Acromion beurteilbar sind. Die unterhalb der Cavitas glenoidalis am Margo lateralis auftretende Konturanregelmäßigkeit entspricht dem Tuberculum infraglenoidale. Das Acromion ist eine äußerst variable Struktur, da der laterale Rand sehr unterschiedlich ausgebildet sein kann: glatte, wellige und unregelmäßig zerklüftete Ausprägungen kommen vor.
Der radiologische Gelenkspalt ist 4—6 mm breit und übertrifft damit die anatomische Gelenkspaltenbreite (tatsächlicher Raum zwischen den Knorpeloberflächen der Gelenkkörper), da sich der Gelenkknorpel im Röntgenbild nicht darstellt!
Der Proc. coracoideus kann bei orthograder Projektion im Röntgenbild einen auffalligen Kortikalisring ergeben. Am Humeruskopf lassen sich die beiden Tubercula mit dem dazwischenliegenden Sulcus inter-
9.1.1.1.3 Oberarmbein, Humerus Der Humerus (Abb. 9.5 a) ist ein schlanker Röhrenknochen mit proximaler und distaler Epiphyse, die durch die Diaphyse, Corpus humeri, verbunden werden. Caput humeri. Das halbkugelige Caput humeri ist 2 0 - 3 0 cm 2 groß, es wird gegenüber dem Schaft durch eine seichte Einschnürung, Collum anatomi-
663
9.1 Systematische Anatomie
Caput humeri Collum anatomicum
v
ν
/
~
Tuberculum majus
/
\
\
Collum anatomicum
x
τ u t Tuberculum majus
f i
fttjSÊ? '
Tuberculum minus
Ii W*
„ 60 %) der Handwurzelknochen mit langer Heilungsdauer und häufigen Komplikationen (z. B. Pseudarthrose) 2. Im klin. Sprachgebrauch wird häufig Os naviculare manus statt Os scaphoideum verwendet. 3. Lunatummalazie (—> Kienböck-Krankheit). Aseptische Knochennekrose mit spontaner Mondbeindestruktion. 4. Karpaltunnelsyndrom. Häufiges peripheres Kompressionssyndrom.
Abb. 9.9: G r o ß e s O s s t y l o i d e u m (Pfeil) ( m ä n n l i c h , 9 2 J a h r e , P r ä p a r a t A. P r e s c h e r )
Radius
Epiphysenfuge
&
_ __
%
k L v
j
\ Facies articularis carpalis
—
Processus styloideus radii
Os scaphoideum
—
;
- - Epiphysenfuge t
'.—-jL·—-¥?
__
W]
éÇ^SHi:
A
Circumferentia articularis Processus styloideus ulnae Os lunatum Os triquetrum
—_ _
/__
Tuberculum ossis scaphoidei
Ulna
TjSBÊÈ·
[
·· y
_jgm V ¿'·jj':-4 \ \
t-, Ä —
Os trapezium —
Ospisiîorme
. ·
Os capitatum Os hamatum
Tuberculum ossis trapezi! -· - ·
Os trapezoideum
Os metacarpi I
Ψ
.
Hamulus ossis hamati
• Os metacarpi V
Abb. 9.10: H a n d w u r z e l k n o c h e n ( O s s a c a r p i ) d e r r e c h t e n H a n d mit a n g r e n z e n d e n U n t e r a r m und Mittelhandknochen. Palmaransicht
669
9.1 Systematische Anatomie
Radius — Processus styloideus ulnae Os lunatum
Processus styloideus radii
Os triquetrum
Os scaphoideum
_
Tuberculum ossis trapezi i
Os pisiforme
— Os hamaturn
Os trapezium
Hamulus ossis hamati
Os trapezoideum
Basis '
Os capitatum Ossa sesamoidea
Corpus
ossis metacarpi V
Caput, Basis '
Corpus • phalangis proximales V
Caput Basis — Corpus
phalangis mediae V
— Caput — Basis I ~
Corpus I
—
Tube- I
phalangis distaisV
rositas J
Abb. 9.11: Die Knochen der rechten Hand mit den distalen Enden der Unterarmknochen. Palmaransicht
9.1.1.1.7 Mittelhandknochen, Ossa metacarpi, Ossa metacarpalia 5 kurze Röhrenknochen (Abb. 9.11, 12), die von radial nach ulnar mit den (röm.) Ziffern I - V belegt sind und 3 Abschnitte aufweisen: • • •
Basis ossis metacarpi (proximal) Corpus ossis metacarpi (Mitte) Caput ossis metacarpi (distal).
Die Basen der Metakarpalknochen II-V sind untereinander gelenkig verbunden, liegen also dicht zusammen. Nach distal divergieren die Ossa metacarpi, so dass die Mittelhand distal deutlich breiter
ist als proximal. Außerdem sind die Mittelhandknochen leicht gekrümmt (nach palmar konkav). Details •
Os metacarpale / —> am kürzesten und kräftigsten, proximale Gelenkfläche sattelförmig, keine gelenkige Verbindung mit Os metacarpale II. • Os metacarpale II —> längster Mittelhandknochen. Basis zeigt einen V-förmigen Einschnitt. • Os metacarpale III —» die Basis weist an der radiodorsalen Ecke einen Ρroc. styloideus ossis metacarpi tertii (Abb. 9.8) auf (Ansatz des M. extensor carpi radialis brevis).
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
670
Radius
Ulna
Epiphysis distalis radii
Epiphysis distalis ulnae
Os scaphoideum :
—
Os trapezium (multangulum majus)
Os lunatum — — Os pisiforme
_ _ Os trapezoideum — — . (multangulum minus)
— Os triquetrum Os hamatum Os capitatum
Epiphysis ossis metacarpalis I I
Corpus
—~Jr
Epiphysis phalangis proximalis pollicis 1
Corpus —
Epiphysis phalangis distalis pollicis Corpus ^
~
Á
r
Epiphysen der Ossa metacarpi 111—V
S
M
Î^iiW'l·ma # 1
Epiphysen des Zeigefingers (Index)
v
'"i
Abb. 9.12: Röntgenbild der Hand eines 14-Jährigen (dorsopalmare Aufnahme des Institutes für Röntgendiagnostik der Charité Berlin)
Gelenkige Verbindungen der Ossa metacarpi mit den Ossa carpi: • Os metacarpale I • Os metacarpale II • Os metacarpale III • Os metacarpale IV • Os metacarpale V
—» Os trapezium —» Os trapezoideum und Os capitatum —» Os capitatum -> Os capitatum und Os hamatum —> Os hamatum.
Entwicklung: Die Ossa metacarpi II-V haben nur eine distale Epiphyse, das Os metacarpale I nur eine proximale (wie ein Fingerglied). Knochenkerne in den Schäften I- V treten um die 9. LW herum auf. Klinik: Carpal-Bossing. Vorspringen des Proc. styloideus ossis metacarpi III nach dorsal, kann Druckschmerz und Reizerscheinungen verursachen.
671
9.1 Systematische Anatomie
9.1.1.1.8 Fingerknochen, O s s a digitorum manus
c u b i t i , Art. r a d i o u l n a r i s distalis u n d Artt. m a n u s . Verständnis der Neutral-Null-Methode.
Ossa digitorum manus (Abb. 9.11, 12) sind die kurzen Röhrenknochen der Finger. Der Daumen hat 2 Skelettteile (Phalanx proximaiis et distalis), die übrigen Finger 3: zwischen der Phalanx proximaiis und distalis liegt die Phalanx media. Die Fingerknochen haben 3 Abschnitte, Basis phalangis, Corpus phalangis, Caput phalangis; sie werden von proximal nach distal kleiner. Details •
Phalanx proximaiis, die Basis trägt eine flachovale Gelenkfläche für den kugeligen Kopf des Os metacarpale. Der Schaft ist nach palmar konkav gekrümmt und weist palmar kräftige Randleisten für die Anheftung der Beugesehnenscheiden auf. Das Caput ist zu einer Trochlea phalangis umgestaltet. • Phalanx media, palmar sind Randleisten ausgebildet. Das Caput zeigt eine Trochlea. • Phalanx distalis, diese Phalanx trägt distal eine spatelartige Verbreiterung, die Tuberositas phalangis distalis, an der die Bindegewebezüge von Nagelbett und Fingerkuppe inserieren. Ossa sesamoidea (Sesambeine). An den Beugeseiten der Fingergelenke kommen kleine zusätzliche Knochen vor, die als Schaltknochen in Sehnen und Bändern eingelagert sind: Ossa sesamoidea. Am Grundgelenk des Daumens liegt regelmäßig ein radiales und ein ulnares Sesambein. Der Daumen zeigt häufig auch ein interphalangeales Sesambein (~ 70 %). An der ulnaren Seite des metakarpophalangealen Gelenkes des Dig. V liegt ebenfalls häufig ein Sesambein (~ 80 %). Entwicklung: Ossa digitorum manus haben nur eine proximale Epiphyse! Knochenkerne treten in den Schäften der proximalen Glieder um die 9. EW, der Mittelglieder zwischen der 11. und 12. EW und der Endglieder zwischen der 7. und 8. EW auf.
9.1.1.2
G e l e n k - u n d Bänderlehre, S y s t e m a articulare (juncturae)
Lernziele:
Systematischer
Aufbau.
Bänder.
Schleimbeutel, G e l e n k m e c h a n i k und wichtige k l i n i s c h e A s p e k t e v o n Art. s t e r n o c l a v i c u l a r i s , Art.
acromioclavicularis,
Art.
humeri.
Art.
Das Systema articulare beschreibt den Aufbau der Gelenke und die geometrischen Eigenschaften der Gelenkkörper. Von diesen Grundlagen ausgehend wird die Gelenkfunktion erklärt. Funktionsprüfung von Gelenken. Man bedient sich der Neutral-Null-Methode um das Bewegungsausmaß im Winkelmaß anzugeben. Grundstellung: aufrechter Stand, hängende Arme, Daumen nach vorn gerichtet, parallel gestellte Füße, Blick nach vorn. Das erste Maß gibt die Bewegung vom Körper weg an (z. B. Abduktion, Außenrotation), das zweite ist die Grundstellung (Null-Durchgang), und das dritte gibt die Bewegung zum Körper hin an (z. B. Adduktion, Innenrotation).
9.1.1.2.1 Articulatio sternoclavicularis In der Articulatio sternoclavicularis (Abb. 9.13) findet die alleinige gelenkige Befestigung der gesamten oberen Extremität am Rumpf statt. Gelenkkopf: Extremitas sternalis claviculae, Gelenkpfanne: Incisura clavicularis des Sternums. Gelenktyp: modifiziertes Kugelgelenk. Die erhebliche Inkongruenz wird durch einen faserknorpeligen, 3-5 mm dicken Discus articulons ausgeglichen, der das Gelenk vollständig in zwei Kammern teilt (dithalamisches Gelenk). Da es sich entwicklungsgeschichtlich um ein Anlagerungsgelenk handelt, sind die Gelenkenden mit Faserknorpel belegt. Die Gelenkkapsel ist dick, aber schlaff. Vorn und hinten ist sie besonders verstärkt. Das Gelenk hat wie ein Kugelgelenk 3 Freiheitsgrade. Die Clavicula kann aus der horizontalen Ruhelage (bei frei herabhängendem Arm) um 50° gehoben, um 5° gesenkt und um je 30° nach vorn bzw. nach hinten gefuhrt werden. Bei Schwenkung des Schulterblattes findet in ihm eine Rotation um 30° statt. Bänder • Lig. sternoclavicular anterius, verstärkt die Gelenkkapsel ventral und hemmt die Rückführung der Schulter.
672
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Ligamentum sternoclaviculare anterius
Abb. 9.13: Articulatio sternoclavicularis. Rechts Flachschnitt durch Brustbein, Schlüsselbein und Rippenknorpel
• Lig. sternoclaviculare posterius, verstärkt die Gelenkkapsel dorsal. • Lig. costoclaviculare, sehr kräftig, zieht von der 1. Rippe zur Tuberositas lig. costoclavicularis an der Unterfläche des Schlüsselbeins; hemmt alle Bewegungsrichtungen des Gelenks. • Lig. interclaviculare, liegt dorsal in der Incisura jugularis des Steinums, spannt sich zwischen den sternalen Enden der Claviculae aus; hemmt das Senken der Clavicula. Es handelt sich um ein entwicklungsgeschichtliches Relikt des Episternums. 9.1.1.2.2 Schultereckgelenk, Articulatio acromioclavicularis Die Articulatio acromioclavicularis (Abb. 9.14) bildet den höchsten Punkt der Schulterkontur und weist zwei variable, oval geformte und von Faserknorpel überzogene Gelenkflächen (Facies articularis acromii et acromialis) auf. Im schräg gestellten Gelenkspalt befindet sich ein unvollständiger faserknorpeliger Discus articularis. Das Gelenk ist plan, verfügt aber wie ein Kugelgelenk über 3 Freiheitsgrade, wobei die Bewegungen immer mit solchen in der Articulatio sternoclavicularis kombiniert sind. Es werden translatorische Bewegungen nach kranial,
kaudal, ventral und dorsal ausgeführt. Zusätzlich ist eine Rotation möglich. Bänder • Lig. acromioclavicular, verstärkt die Gelenkkapsel kranial. • Lig. coracoclaviculare, dieser kräftige Bandzug wird unterteilt in: - Lig. conoideum (bremst die Schulterblattbewegung nach vorn), liegt dorsal und wird nach kranial breiter. - Lig. trapezoideum (bremst die Schulterblattbewegung nach hinten), liegt ventral und ist sagittal gestellt. Beide Bandzüge gehen vom Proc. coracoideus aus und inserieren am Tuberculum conoideum bzw. an der Linea trapezoidea. Zwischen den Bändern liegt die kleine Bursa lig. coracoclavicularis. 9.1.1.2.3 Eigenbänder der Scapula 3 Eigenbänder (Abb. 9.14) entspringen und inserieren an der Scapula. • Lig. coracoacromiale. Löst sich von der Spitze des Akromions, um breitflächig am Proc. coracoideus zu inserieren. Der zentrale Bandteil ist manchmal rudimentär angelegt, so dass zwei
673
9.1 Systematische Anatomie
Lig. coracoclaviculare Lig. trapezoideum
Processus coracoideus \
Lig. conoideum
Clavicula /
\
Ltg. acromioclaviculare ^ Acromion Lig. coracoacromiale Bursa subacromial
• Angulus superior -
Lig. coracohumerale
Lig. transversum scapulae superius
M. subscapularis Lig. transversum humeri
Incisura scapulae
Vagina tendinis intertuberculans Verbindung der Bursa subtendinea Capsula articuiaris
m. subscapularis
articulationis humeri
mit der Cavitas articuiaris fossa subscapularis
Recessus axillaris
-
Caput longum
^
~ — • Facies costalis m. tricipitis brachii Caput longum
^ "
m. bicipitis brachi;
Humerus
Margo medialis
~ ~
Margo lateralis
Angulus inferior
Abb. 9 . 1 4 : Rechtes Schultergelenk u n d Bänder des Schultergürtels von vorn
voneinander getrennte Faserzüge entstehen. Nach Putz stellt das Band eine Zuggurtung des Akromions dar. Fornix humeri. Das Lig. coracoacromiale und dessen knöcherne Ansatzpunkte (Acromion, Proc. coracoideus) bilden über dem Schultergelenk einen osteofibrösen Bogen (Fornix humeri), der das Aufwärtsbewegen des Humeruskopfes bei ausgestrecktem Arm verhindert. •
Lig. transversum scapulae superius. Kurzer Bandzug, der die Incisura scapulae überbrückt und einen osteofibrösen Durchtritt für den N. suprascapularis bildet (cave: Α. et V. suprascapularis liegen über diesem Bandzug!). In e t w a 10 % ist d a s B a n d ossifiziert, so dass ein F o r a m e n s c a p u l a e resultiert.
•
Lig. scapulae inferius. Nicht immer ausgebildet. Das Band erstreckt sich von der Hinterflä-
che der Cavitas glenoidalis zur lateralen Kante der Basis der Spina scapulae und überbrückt und fixiert das neurovaskuläre Bündel (Ν., Α., V. suprascapularis) im Bereich der Incisura spinoglenoidalis (Abb. 9.63).
9.1.1.2.4 Schultergelenk, Articulatio humeri (sive glenohumeralis) Gelenkkörper (Abb. 9.14 bis 17). Im Schultergelenk artikulieren das Caput humeri und die länglich-ovale Cavitas glenoidalis und bilden das beweglichste Kugelgelenk des Körpers. Durch das Flächenmissverhältnis (4:1) zwischen Gelenkkopf und -pfanne fehlt eine knöcherne Führung. Die Gelenkkörper sind mit hyalinem Knorpel belegt, der zentral in der Cavitas glenoidalis dünner ist (~ 1,3 mm) und am Rande dicker wird (~ 3,5 mm), während der Gelenkknorpel des
674
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Tendo m. s u p r a s p i n a l ^
U a v i c u l a (Extremitas acromialis) Lig acromioclaviculare
Lig coracohumerale,
Lig. coracoacromiale
Lig. glemohumerale superius
_
Bursa subacromial^ Lig. conoideum Acromion —
x
-
Lig. trapezoideum
Bizepssehne
^ Eingang zur Bursa subtendinea m. subscapularis (Foramen ovale)
M . infraspinatus Cavitas glenoidalis
—~
Lig. glenohumerale medium
*
Pfannenrandkerbe Lig. glenohumerale inferius
M . teres minor
Labrum glenoidale
— ~~
\
s
M . subscapularis
·" Recessus axillaris
M . triceps brachii {Caput longuml
Scapula (Margo lateralis)
x
Abb. 9.15: Rechte Schultergelenkspfanne nach Entfernung des Humerus von lateral gesehen. Osteofibröses Schutzdach, Bänder und Sehnenmuskelmantel in ihrer Lage zur Gelenkkapsel
Humeruskopfes sich umgekehrt verhält: zentral ~ 2 mm, peripher ~ 1 mm. Labrum glenoidale (Gelenklippe). Die Fläche der Cavitas glenoidalis wird durch ein faserknorpeliges, 3 - 4 mm breites Labrum glenoidale (Abb. 9.15, 17) vergrößert, das ventral am kräftigsten ist. Die Gelenklippe ist mit der breiten Basis zirkulär am Rande der Cavitas glenoidalis befestigt und ihr Rand ragt frei und wulstig in die Gelenkhöhle. Nach kranial und dorsal wird das Labrum durch die Ursprungssehne des langen Bizepskopfes gesichert. Klinik: 1. Bankart-Läsion. Ventraler Abriss des Labrum glenoidale bei ventraler Schultergelenkluxation, 2. Hill-Sachs-Läsion. Impressionsfraktur am dorsolateralen Rand des Humeruskopfes nach Schulterluxation. Gelenkkapsel. Der enorme Bewegungsumfang des Schultergelenkes erfordert eine schlaffe, geräumige Capsula articularis, die kaudal eine ~ 1 cm
lange Reservefalte bildet, Recessus axillaris (Abb. 9.15, 17). Die Kapsel entspringt an der Außenseite des Labrum glenoidale, schließt das Tuberculum supraglenoidale ein und inseriert am Collum anatomicum. Die Tubercula majus et minus bleiben extraartikulär. Medial greift die Kapsel jedoch ~ 1 cm auf den Humerusschaft über, so dass hier die Epiphysenlinie überschritten wird. Klinik: 1. Bewegungsausmaß: Retro- und Anteversion (40/0/160°), Ab- und Adduktion (170/0/ 40°), Außen- und Innenrotation (bei anliegendem, im Ellenbogengelenk 90° gebeugtem Arm; 80/0/60°), 2. Druckschmerzhaftigkeit der Rotatorenmanschette, 3. Painful arc. Schmerzhafter (Abduktions-) Bogen (zwischen 50 und 100°) bei Impingementsyndrom durch Druck auf die Supraspinatussehne in der Enge zwischen Acromion und Tuberculum majus.
Bänder (schwacher Bandapparat, kaum Bandfuhrung des Schultergelenkes).
675
9.1 Systematische Anatomie
Abb. 9.16: Sicherung des Schultergelenks durch osteofibröses Schutzdach (Acromion, Lig. coracoacromiale, Processus coracoideus), Sehnenmuskelmantel (Rotatorenmanschette) und Bänder. Pfeile weisen auf die schwachen Stellen der Gelenkkapsel. Nach T. v. Lanz u. W. Wachsmuth verändertes Schema
•
Lig. coracohumerale (Abb. 9.14), entspringt an der Basis des Proc. coracoideus, zieht über den Humeruskopf und inseriert an den Tubercula majus et minus. Das Band liegt zwischen den Sehnen von M. supraspinatus und M. subscapularis im Rotatorenintervall und ist bei Innenrotation und Anteversion entspannt. • Ligg. glenohumeralia superius, medium et inferius (Abb. 9.15), variabel ausgebildete, nur vom Gelenkinnenraum sichtbare Kapselbänder, die bei Innenrotation und Anteversion entspannt sind. Sie sollen das Einklemmen von Kapselfasern verhindern und den Kapsel-Labrum-Komplex stabilisieren. • Lig. coracoglenoidale, entwicklungsgeschichtlicher Rest der ursprünglich am Humerus inserierenden Sehne des M. pectoralis minor. Entspringt vom Proc. coracoideus und verliert sich in den kranialen Abschnitten der Gelenkkapsel. • Lig. transversum humeri, besteht aus Fasern, die sich von der Sehne des M. subscapularis über den Sulcus intertubercularis fortsetzen und am Tuberculum majus inserieren. Das konstante Band schließt den Sulcus zu einer osteofibrösen Röhre und fixiert dadurch die Sehne des Caput longum m. bicipitis brachii im Sulcus intertubercularis. Schleimbeutel (Bursae articulares): zahlreich! Für die Praxis sind 4 große Bursae von Bedeutung, 2 kommunizieren mit der Gelenkhöhle und 2 haben keine Verbindung.
Kommunizierende Bursen • Bursa subtendinea m. subscapularis, unter der Sehne des M. subscapularis gelegen, mindert deren Reibung an der Vorderkante der Cavitas glenoidalis. Foramen ovale (Weitbrecht): ventral gelegene, geräumige, ovale Öffnung dieser Bursa zur Gelenkhöhle (Abb. 9.15). • Bursa subcoracoidea, unterhalb des Proc. coracoideus gelegen, kommuniziert sie entweder über eine eigene Öffnung mit der Gelenkhöhle oder sekundär über die Bursa subtendinea m. subscapularis. Diese beiden Schleimbeutel sind als Nebenräume (Recessus) des Schultergelenkes anzusehen. Ein weiterer Recessus ist die 2 - 5 cm lange Vagina tendinis intertubercularis, welche die Sehne des langen Bizepskopfs bis zum Ende des Sulcus intertubercularis umscheidet.
Nichtkommunizierende Bursen (Abb. 9.17). Die beiden folgenden, für die Funktion wichtigen Bursen werden nach W. Pfuhl auch als Nebengelenk des Schultergelenks bezeichnet: •
Bursa subacromialis, synovialer Verschiebespalt direkt unter dem Acromion, der bei Abduktion und Elevation des Armes die Einschiebung des Tuberculum majus mit der Supraspinatussehne unter das Acromion gewährleistet. • Bursa subdeltoidea, dieser geräumige Gleitraum unter dem M. deltoideus hat häufig eine Verbindung zur Bursa subacromialis.
676
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Articulatio acromioclavicularis
Clavicula
Acromion. Lig. coracoacromiale
Lig. conoideum M , supraspinatus
Bursa subacromialis
Lig. transversum scapulae superius
Tendo capitis longi m. bicipitis brachii
Caput humeri — _ Scapula Vagina synovialis intertubercularis Cartílago articularis M . deltoideus, Bursa subdeltoidea
Labrum glenoidale
Tendo m latissimi dorsi —
Recessus axillaris
Bursa subtendinea m. latissimi dorsi Tendo m teretis majoris
M. teres minor —
Caput longum m. tricipitis brachii
Tendo m. pectoralis majoris
M . deltoideus \
Caput longum m. bicipitis brachi!
"
\
!
Humérus
\
Caput laterale m. tricipitis brachii
Abb. 9.17: Frontalschnitt durch das Schultergelenk von vorn gesehen Beide Bursae sind in das Corpus adiposum subacromial eingelagert. Es dient als zusätzliche Verschiebe- bzw. Polstereinrichtung der periartikulären Strukturen. Weitere kleine, nichtkommunizierende Schleimbeutel zwischen Pfannenrand und Sehnen der Schultermuskeln: Bursa subtendinea m. infraspinati, teretis majoris, latissimi dorsi. Mechanik: Kugelgelenk mit Bewegung um 3 Achsen (Abb. 9.18). •
Transversale Achse. Ante- und Retroversion. Reine Anteversion bis zur Horizontalen, weitere Elevation (= Erhebung des Armes über die Horizontale hinaus, 150-170°) durch Mitwirken des Schultergürtels, vollständige Elevation (180°) durch Dorsalextension der Wirbelsäule. Retroversion eingeschränkt (40-50°). • Sagittale Achse. Reine Abduktion bis zur Horizontalen, bis 150° mit Beteiligung des Schultergürtels, bis 180° durch Außenrotation des Humerus und Beteiligung der Wirbelsäule. Adduktion nach geringer Anteversion bis zu 45°.
•
Vertikale Achse. Innen- (30°), Außenrotation (60°) aus der Neutral-Null-Stellung. 1. Elevation ist bei Anteversion und Abduktion möglich, nicht bei Retroversion! 2. Das Caput humeri bewegt sich bei Abduktion auf der Cavitas glenoidalis nach kaudal und gleitet in den Reserveraum des Recessus axillaris hinein. Nur durch diese Bewegung wird unter dem Fornix humeri Platz geschaffen, um das Daruntergleiten des Tuberculum majus und der Supraspinatussehne zu gewährleisten. Die Sehne des langen Bizepskopfs unterstützt dies durch Druck auf das Caput humeri und verhindert ein zu starkes Aufsteigen des Oberarmkopfes.
Klinik: 1. Schultergelenkluxation (Luxatio humeri). Häufigste Verrenkung. 4 Formen (Luxatio subcoracoidea, infraglenoidalis, infraspinata und erecta) werden unterschieden. Bei der häufigen Luxatio subcoracoidea gleitet der Humeruskopf nach vorn und unter
677
9.1 Systematische Anatomie
Normalwerte Schultergelenk: Anteversion / Retraversion Adduktion /Abduktion
150-170/0/40 20-40/0/180
Innenrotation/AuBenrotation bei anliegendem Oberarm
40-60/0/95
Innenratation/AuBenrotation bei seitwärts um 90" gehobenem Oberarm
70/0/70
Abb. 9.18: Bewegungsausmaße des Schultergelenkes nach der Neutral-Null-Methode (n. H. U. Debrunner)
den Proc. coracoideus. Das unverletzte Lig. coracohumerale hält den Arm in Abduktion, 2. Habituelle Luxation. Bei Insuffizienz von Ligg. glenohumeralia, Abriss des Labrum glenoidale oder Fehlstellungen der Gelenkkörper. 3. Funktionelle Schultergelenkuntersuchung —» klin. Routinetests; 3.1 Impingement-Test nach Neer. Provokationsschmerz im subakromialen Raum durch Flexion im Schultergelenk mit fixierter
Skapula beim Impingement-Syndrom (Einklemmung der subakromialen Weichteile zwischen Tuberculum majus und Acromion), 3.2 Horizontaladduktionstest. Schmerz im Akromioklavikulargelenk durch passive Adduktion der Schulter zur Gegenseite, z. B. bei degenerativen Veränderungen des Akromioklavikulargelenkes, 4. Isometrische Funktionstests. 4.1 Null-GradAbduktionstest (fehlende oder schmerzhafte Abduktion gegen Widerstand) und Supraspinatustest (Schmerzauslösung durch abwärts gerichteten Druck auf den gestreckten, 90° abduzierten und 30° nach vorn gerichteten Arm mit Außenrotation). Beide Tests sind bei Supraspinatussehnenläsion positiv, 4.2 Yergason-Test mit Schmerzprovokation durch Supination gegen Widerstand bei rechtwinklig gebeugtem Ellenbogen. Bei Läsion der langen Bizepssehne positiv, 5. Nachweis von Muskel-Sehnen-Läsionen der Rotatorenmanschette durch Schmerzprovokation bei selektiver Anspannnung: M. supraspinatus: Abduktion gegen Widerstand, M. supraspinatus und M. teres minor: Außenrotation gegen Widerstand bei hängendem Arm und gebeugtem Ellenbogen, M. subscapularis: Innenrotation gegen Widerstand bei hängendem Arm und gebeugtem Ellenbogen. Zusammenspiel mit den Articulationes sternoclavicularis et acromioclavicularis. Der große Bewegungsumfang wird durch Einbeziehung beider Gelenke in die Bewegungsabläufe des Schultergelenks ermöglicht. Selten erfolgt eine Bewegung nur in einem dieser drei Gelenke; z. B. wird bei stärkerer Innenrotation des Armes im Schultergelenk der Margo medialis scapulae vom Rumpf abgehebelt und die Clavicula nach vorn gefuhrt. Umgekehrt werden bei stärkerer Außenrotation Clavicula und Scapula rückwärts geführt und der Margo medialis an den Rumpf gelegt. Diese Bewegungen erfolgen ausschließlich in den Articulationes sternoclavicularis et acromioclavicularis. 9.1.1.2.5 Ellenbogengelenk, Articulatio cubiti Die Articulatio cubiti (Abb. 9.19 bis 25, Abb. 66) ist ein zusammengesetztes Gelenk (Articulatio composita) mit gemeinsamer Gelenkkapsel. Die funktionelle Einheit bilden: 1. Articulatio humeroulnaris, 2. Articulatio humeroradialis, 3. Articulatio radioulnaris proximalis.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
678
• Humerus
Processus coronoideus ulnae..
Caput radii — Fossa coronoidea .
H
— Epicondylus medialis et lateralis
l
"
-
- Incisure trochlears ulnae
Olecranon
Abb. 9.19: Röntgenbild eines rechtwinklig gebeugten Ellenbogengelenkes. (Seitenaufnahme des Institutes für Röntgendiagnostik der Charité Berlin)
Humérus
Fossa olecrani «
Olecranon .
Epicondylus lateralis
Epicondylus medialis •
Capitulum humeri Trochlea humeri
Articulatio humeroulnaris
_
jtsm^
Articulatio humeroradialis
~ · — Caput radii Processus coronoideus
Articulatio radioulnaris proximales
~
Tuberositas radii
Ulna Radius
Abb. 9.20: Röntgenbild eines Ellenbogengelenkes in Streckstellung, (a. p.-Aufnahme des Institutes für Röntgendiagnostik der Charité Berlin)
9.1 Systematische Anatomie
679
Oberarm-Ellen-Gelenk Articulado humeroulnaris (Abb. 9.19). Gelenkkörper sind Trochlea humeri und Incisura trochlearis ulnae. •
Die Trochlea humeri ist ein Doppelkegel, wobei der laterale (radiale) Kegel kürzer als der mediale (ulnare) ist. Die Führungsrinne ist nicht exakt kreisförmig, sondern entspricht einem Schraubengewinde und erzwingt bei Beugung und Streckung eine Lateral- bzw. Medialverschiebung der Unterarmknochen. Die Trochlea grenzt sich durch den Sulcus capitulotrochlearis gegen das Capitulum humeri ab. • Die Incisura trochlearis ulnae (zangenförmig) weist eine Führungsleiste auf, die in die Führungsrinne der Trochlea eingreift. Dadurch erhält das Ellenbogengelenk eine solide Knochenführung. Die Bewegung erfolgt um die Querachse der Trochlea und verläuft unmittelbar unterhalb der Epikondylen. Es handelt sich um ein Scharniergelenk mit um die Mittelachse schwankenden Momentachsen (R. Fick).
Oberarm-Speichen-Gelenk, Articulatio humeroradialis (Abb. 9.20). Das kugelförmige Capitulum humeri ruht in der flachen Fovea articularis radii, die ulnar die sichelförmige Lunula obliqua aufweist. Zusammen mit dem Sulcus capitulotrochlearis bildet diese ein Übergangsgelenk. Geometrisch handelt es sich bei der Art. humeroradialis um ein Kugelgelenk mit 2(!) Freiheitsgraden (Einschränkung durch Bandapparat), das an Beugung und Streckung um eine quere Achse teilnimmt, die sie mit der Articulatio humeroulnaris gemeinsam hat. Ebenso ist es über die schräg durch den Unterarm verlaufende Achse zwischen proximalem und distalem Radioulnargelenk an den Umwendebewegungen der Hand (Pronation, Supination) beteiligt. Proximales Speichen-Ellen-Gelenk, Articulatio radioulnaris proximalis. Geometrisch handelt es sich um ein Rad- oder Zapfengelenk (Articulatio trochoidea). Die überknorpelte Circumferentia articularis radii bewegt sich in der Incisura radialis ulnae und wird von dem ~ 1 cm breiten, starken Lig. anulare radii umfasst (Abb. 9.21, 22). Das
— Humerus
Capsula articularis
». Lig. collaterale radiale
Epicondylus lateralis
Lig. anulare radii — Recessus sacciformis
Capsula articularis — Radius
Olecranon
Abb. 9.21: Rechtes Ellenbogengelenk (Articulatio cubiti) von lateral gesehen. Gelenkhöhle gefüllt
9 Arm, o b e r e G l i e d m a ß e , M e m b r u m s u p e r i u s
680
Humerus
Lig. anulare radi
Recessus s a c c i f o r m i C a p s u l a articularis (Schnittrandl Processus c o r o n o i d e u s
\ \
Radius
\
I Tendo ir bicipitisbracfiii sssAL—ν 1 \ \
\ \
\ \ \ V \
\
ι
\
>
\
i
-
Fossa oiecrani
.Mr
O l e c r a n o n (Spitze)
\
Epicondylus m e d i a l i s
- Lig. collaterale ulnare
\
Ulna M e m b r a n a interassea antebrachii
C h o r d a
\ ob
,iqua
-
Tuberositas ulnae
Cooper-Streifen
Abb. 9 . 2 2 : R e c h t e s E l l e n b o g e n g e l e n k (Articulatio cubiti) von medial und hinten g e s e h e n . G e l e n k k a p s e l gefenstert
ringförmige Band setzt vor und hinter der Incisura radialis an der Ulna an. Nach distal wird es beim Erwachsenen enger und weist somit eine trichterförmige Gestalt auf (günstig für Zugbeanspruchungen am Unterarm). Der Bandabschnitt gegenüber der Incisura radialis ulnae unterliegt einer starken Druckbeanspruchung, so dass hier Knorpelzcllen eingelagert werden und das Band einer Gleitsehne entspricht. In der Articulatio radioulnaris proximalis finden Umwendebewegungen statt. D a s Lig. quadratum ist ein d ü n n e r F a s e r z u g , der sich v o m distalen R a n d d e r Incisura radialis u l n a e z u m C o l l u m radii erstreckt u n d sich distal an d a s Lig. a n u l a r e radii anschließt.
Gelenkkapsel (Abb. 9.21-23). Sie schließt die drei Gelenke ein und umfasst die Fossae coronoidea, radialis und oiecrani. Die beiden Epikondylen bleiben frei. Die Kapsel ist vom kräftiger als hinten und wird vorn bei Streckung und hinten bei Beugung angespannt. Der Recessus sacciformis ist eine zarte Aussackung distal des Unterrandes des Lig. anulare radii.
Bänder. 2 seitliche Bänder verstärken die Gelenkkapsel. • Lig. collaterale radiale (Abb. 9.21), entspringt am Epicondylus lateralis humeri, strahlt in zwei Schenkel aus, die den Radiuskopf vorn und hinten umfassen, mit dem Lig. anulare radii verschmelzen und vorn und hinten an der Ulna ansetzen. • Lig. collaterale ulnare (Abb. 9.22), entspringt am Epicondylus medialis humeri und zieht fächerförmig in Richtung Ulna. Der dorsale Zug inseriert am Olecranon, während der ventrale, sehr kräftige Anteil an der Basis des Proc. coronoideus ansetzt. Beide Züge werden durch den horizontalen Cooper-Streifen (Abb. 9.22) verbunden. Durch die Fächerform ist in jeder Gelenkstellung ein Bandanteil gespannt. Mechanik: 1. Beugung, 2. Streckung, 3. Umwendebewegung: •
Supination Außendrehung der Hand: Daumen nach lateral, Hohlhand nach ventral („ Suppe löffeln").
9.1 Systematische Anatomie
681
Humerus
η β
'vBk / η / SM- 7
Fossa radialis
, Capsula articulaos (Schnittrand)
*iiËL
^
Fossa coronoidea
„
Epicondylusmedialis
^ Epicondyluslateralis
. . . Ζ /
> χ
ν Capitulumhumeri
__
Lig. collaterale radiale
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_ . Trochlea humeri
j H J I
Lig collaterale ulnare
Caput radii — Lig. anulare radii
Γ
Recessus sacciformis —
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j f
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Tuberositas ulnae
JSLSBHîf
Tendo m. bicipitis brachii - — -·
Chorda obliqua
Radius
Processus coronoideus
. ** Capsula articularis
-V
•
+
•mm,Lm0 Í
—
- - -
is
Ulna
.
Membrana mterossea antebrachn
Abb. 9.23: Rechtes Ellenbogengelenk (Articulatio cubiti) von vorn. Gelenkkapsel gefenstert, um die Gelenkkörper zu zeigen • Pronation den").
—> Innendrehung
(„Brot
schnei-
Bewegungsumfang: 120-140°. Aus der Streckstellung von 175° (bei der Frau 180°) kann bis zu einem Winkel von 35° gebeugt werden (Abb. 9.24 a). Die Streckung über die Neutral-Null-Stellung hinaus (5-15°) gelingt Frauen besonders gut. Umwendebewegungen erfolgen um eine Achse, die von der Mitte des Radiuskopfes zum Kopf der Ulna verläuft. Prinzip: Rotationsbewegung um eine schräge Achse (Kreiselung in Radgelenken), denen die Hand passiv folgt (Abb. 9.24 b). Bei Supination stehen die Unterarmknochen parallel, bei Pronation überkreuzen sie sich. In der Mittelstellung ist der Zwischenknochenraum am größten. Physiologischer X-Arm. Bei gestrecktem Arm bilden Ober- und Unterarm meist einen nach radial offenen Winkel (—> Kubital- oder Valguswinkel) von 165-170°. Ursache: Die Schaftachsen von Humerus und Ulna stehen nicht senkrecht auf der
Gelenkachse. Bei Frauen ist dieser Winkel um einige Grade kleiner. Klinik: 1. Klinische Untersuchung auf Extension, Flexion (5/0/140°), Supination, Pronation (90/0/90°). Palpation von Extensoren- und Flexorenursprüngen (bei Druckschmerz lateral —> Tennisellenbogen, bei Druckschmerz medial: Golferellenbogen als Ausdruck einer Sehnenansatzüberlastung, sog. Insertionstendopathie), 2. Hueter-Linie (Abb. 9.25). Beim intakten gestreckten Ellenbogengelenk liegen 3 Knochenpunkte auf einer Linie: Epicondylus medialis, lateralis, Olekranonspitze. In rechtwinkliger Beugestellung: gleichschenkliges Dreieck (—» Hueter-Dreieck), 3. Cubitus valgus. Verstärkte Radialabweichung des Unterarms gegenüber dem Oberarm, oft als Verletzungsfolge, bei Frauen physiologisch (geringgradig), 4. Cubitus varus. Posttraumatisch verstärkte Ulnarabweichung der Unterarmachse, 5. Ent-
682
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Abb. 9.25: Die Lage des Olecranon zu den Epikondylen. a. Streckstellung von dorsal: Hueter-Linie. b. rechtwinklige Beugestellung von dorsal: HueterDreieck 9.1.1.2.6 Speichen-Ellen-Syndesmose, Syndesmosis radioulnaris
0"
Membrana interassea antebrachii, Zwischenknochenmembran (Abb. 9.26). Radius und Ulna werden durch eine kräftige Bindegewebeplatte aneinander befestigt, die fast den ganzen Raum zwischen Radius und Ulna verschließt. Der Hauptteil der Fasern steigt vom Radius distalwärts zur Ulna ab. Funktion: •
Sicherung der Knochen gegen Längsverschiebung. • Ursprungsfläche für Unterarmmuskeln.
Abb. 9.24 a, b: Bewegungsausmaße des Ellenbogengelenkes nach der Neutral-Null-Methode (n. H. U. Debrunner) lastungsstellung. Leichte Beugung (Semiflexion), weil die Kapsel in dieser Mittelstellung am wenigsten gespannt ist, 6. Ellenbogenverrenkung. Zweithäufigste Luxation nach der Schultergelenkluxation! Meistens nach dorsal (—» Luxatio posterior), oft mit Knochenverletzungen, A. brachialis und große Nervenstämme können mitverletzt sein, 7. Ruhigstellung erfolgt in Mittelstellung; der Zwischenknochenraum ist so am größten und beugt Brückenkallusbildung vor, 8. Subluxatio radii per anularis (—> nurse luxation, Chassaignac-Lähmung). Pseudoparese des Unterarms kleiner Kinder infolge Subluxation des Radiuskopfes aus dem Lig. anulare radii beim plötzlichen Hochreißen der Kinder am Arm (Therapie: ruckartige Extension bei gleichzeitiger Supination).
Bei Umwendebewegungen bleibt immer ein Teil der Fasern gespannt, die meisten sind jedoch in der Mittelstellung zwischen Pronation und Supination angespannt. Chorda obliqua. Flacher Faserzug am proximalen Ende der Membrana interossea, der in Gegenrichtung verläuft und die Supination bremst. Unmittelbar proximal der Chorda obliqua liegt die Ansatzsehne des M. biceps brachii, die sich bei der Pronation um den Radius wickelt. 9.1.1.2.7 Distales Speichen-Ellen-Gelenk, Articulatio radioulnaris distalis Die Articulatio radioulnaris distalis (Abb. 9.26, 27) ist gleichfalls ein Radgelenk. Incisura ulnaris radii. Die überknorpelte Inzisur bewegt sich bei Supination und Pronation um die feststehende, überknorpelte Circumferentia articularis ulnae. Discus uinocarpalis (Abb. 9.26, 27). Der dreieckige, zwischen Handwurzelknochen und Ulna
683
9.1 Systematische Anatomie
Abb. 9.26: Radius und Ulna mit Bandverbindungen in Supinationsstellung. Ansicht von vorn
gelegene Discus articularis ist breitbasig an der distalen ulnaren Radiuskante und mit seiner Spitze am Proc. styloideus ulnae verwachsen. Er wird bei den Umwendebewegungen mit dem Radius mitgefuhrt. Recessus sacciformis. Die schlaffe Gelenkkapsel setzt an den Knorpelrändern und am Discus ulnocarpalis (Discus articularis) an und bildet proximal zwischen Radius und Ulna eine Reservefalte (Recessus sacciformis) für die Umwendebewegungen.
9.1.1.2.8 Handgelenke, Articulationes manus A m Übergang vom Unterarm zur Hand und an der Hand befinden sich zahlreiche neben- und hintereinander geschaltete Gelenkformationen. Da die Handwurzelknochen bei allen Bewegungen ständig ihre Position ändern, passen sich die korrespondierenden Gelenkpartner jeder Stellung und Belastung durch exakte Bandführungen optimal an. Articulatio radiocarpalis, proximales Handgelenk (Abb. 9.27). Diese typische Articulatio ellipsoidea
684
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Membrana interassea antebrachii
Radius -
Ulna
Recessus sacciformis
Articulatio radioulnaris distalis Articulatio radiocarpalis '
Articulatio mediocarpalis r
Processus styloideus radii
r ~ T j r
Os scaphoideum
Processus styloideus ulnae Discus articularis Os lunatum
« Vi-'^ *··Λ'
cSS
Os trapezium- _ ___ S ^ M •
Ostriquetrum
Os hamatum
Os trapezoideum
~~ Oscapitatum Lig. intercarpale interosseum
Articulatio carpometacarpaiis pollicis
Articulatio carpometacarpale
Os metacarpi
Ligg. metacarpalia interassea
Abb. 9.27: Flachschnitt durch eine rechte Hand. Darstellung der Handgelenke. Palmaransicht
(Eigelenk) verbindet die Handwurzel mit dem Unterarm. •
Gelenkkopf: Os scaphoideum, Os lunatum und Os triquetrum. • Gelenkpfanne: Facies articularis carpalis, Discus ulnocarpalis. Das radiokarpale Kompartiment des proximalen Handgelenks besteht aus 2 Abschnitten, die durch eine Knorpelleiste auf der distalen Gelenkfläche des Radius voneinander getrennt werden:
•
lateraler Abschnitt —> radiale Facette des Radius (Fovea scaphoidea) —» Os scaphoideum • medialer Abschnitt —> ulnare Facette des Radius (Fovea lunata) —» Os lunatum (radialer Teil). Ulnares Kompartiment des proximalen Handgelenks. Das distale Ulnaende beteiligt sich nicht am proximalen Handgelenk, da der Discus ulnocarpalis den Raum zwischen distalem Ulnaende, Os lunatum (ulnarer Teil) und Os triquetrum ausfüllt. Der Diskus dient der Übertragung von Druckkräften und kann durch Degeneration perforiert oder zerstört werden.
Die buchtenreiche Gelenkhöhle steht gelegentlich mit der Articulatio mediocarpalis (meist zwischen Os scaphoideum und Os lunatum) in Verbindung. Recessus ulnaris. Palmare, am Proc. styloideus ulnae gelegene synoviale Aussackung der Gelenkhöhle der Articulatio radiocarpalis. Stellt sich in Arthrographien als tropfenförmiges Gebilde dar. Articulatio mediocarpalis, distales Handgelenk (Abb. 9.27). Das verzahnte Scharniergelenk liegt zwischen proximaler und distaler Reihe der Handwurzelknochen. Größenunterschiede der beteiligten Ossa carpalia bedingen eine geschwungene, wellenförmige Gelenklinie (—» umgedrehter Napoleonshut der Radiologen), die nach distal wie folgt gekrümmt ist: •
ulnare zwei Drittel konkav, radiales Drittel konvex.
Das „verzahnte Scharniergelenk" wird durch die folgenden Gelenkkörper gebildet:
9.1 Systematische Anatomie
•
•
proximale
Gelenkpfanne
685
(Os scaphoideum, Os
untereinander gelenkig verbunden. Diese Gelenke
lunatum, O s triquetrum): artikuliert mit d e m dis-
e r l a u b e n u n t e r s c h i e d l i c h w e i t e A u s s c h l ä g e , v. a.
talen G e l e n k k o p f (Os h a m a t u m , Os capitatum).
zwischen
proximaler
Sinne einer Rotation.
Gelenkkopf
(Os
scaphoideum):
artikuliert mit der distalen G e l e n k p f a n n e
(Os
trapezium, Os trapezoideum). Die Gelenkhöhle weist zahlreiche Seitenbuchten auf, die sich zwischen die Handwurzelknochen erstrecken. In vielen Fällen besteht sogar eine kontinuierliche Verbindung zu den Articulationes carpometacarpales, oft zwischen Os trapezium und Os trapezoideum. Bewegungen
finden
Literatur oft auch unklar definiert. 3-Schicht-Gliederung.
Hier
wird
s i f i k a t i o n v o n S c h m i d t u. L a n z
i m m e r kombiniert im p r o x i m a -
die
Klas-
übernommen.
D a n a c h g l i e d e r t s i c h d e r k a r p a l e B a n d a p p a r a t in eine oberflächliche, mittlere und tiefe Schicht.
Palmarflexion, Dorsalextension (quere Achse): Oberflächliche Schicht
50-60/0/35-60° •
im
B a n d a p p a r a t d e s C a r p u s ( A b b . 9 . 2 9 , 3 0 ) . D i e in der Terminologia Anatomica aufgeführten N a m e n r e i c h e n z u r B e s c h r e i b u n g n i c h t a u s u n d s i n d in d e r
len u n d d i s t a l e n H a n d g e l e n k statt ( A b b . 9 . 2 8 ) : •
Os lunatum und Os scaphoideum
Randbewegungen:
Radial-
und
Ulnarduktion
•
(dorsopalmare Achse): 2 5 - 3 0 / 0 / 3 0 ^ 0 ° . A r t i c u l a t i o n e s i n t e r c a r p a l e s . In d e r p r o x i m a l e n und der distalen Reihe sind die H a n d w u r z e l k n o c h e n
•
Normalwerte Handgelenk Palmarffexion/Dorsalextension
50-60/0/35-60
35-60'
Retinaculum flexorum, spannt sich zwischen der Eminentia carpi radialis und der Eminentia carpi ulnaris aus und schließt den Sulcus carpi z u m Canalis carpi. Retinaculum extensorum, besteht aus zwei Bindegewebeschichten: einer oberflächlichen (supratendinösen) und einer tiefen (infratendinösen). Das Retinaculum extensorum bildet mit 6 vertikal gestellten Septen die 6 Logen f ü r die Extensorensehnen.
Mittlere Schicht. Zusammengesetzt aus 3 Bandgruppen. •
• Radialduktlon/Ulnarduktion
25-30/0/30-40
0 •
Ligg. radiocarpalia, diese werden unterteilt in: Ligg. collaterale carpi radiale, Lig. radiocarpale palmare (wiederum unterteilt in: unbenannte oberflächliche und 3 benannte tiefe Faserzüge: Lig. radioscaphocapitatum, Lig. capitatohamatotriquetrum, Lig. radioulnotriquetrum) und Lig. radiocarpale dorsale (wiederum unterteilt in: Lig. radioscaphoideum, Lig. radiolunatum und Lig. radiotriquetrum). ulnokarpaler Komplex mit: Discus articularis, Ligg. radioulnare palmare und dorsale, Lig. ulnolunatum, Lig. ulnotriquetrum, Ligg. ulnocarpale palmare et dorsale, Lig. collaterale carpi ulnare und Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris. Lig. intercarpale dorsale (Lig. carpi arcuatum dorsale oder Fick-Bogenband).
Tiefe Schicht •
Ligg. intercarpalia palmaria, dorsalia et interossea, verbinden die Ossa carpi kurzstreckig untereinander. Von diesen Bändern werden einzelne gut präparierbare oder funktionell wichtige Vertreter besonders benannt:
-
Ligg. trapezotrapezoideum palmare, dorsale, interosseum Ligg. trapezoideocapitatum palmare, dorsale, interosseum
-
686
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Ligg. metacarpali palmaria Lig. metacarpale dorsale I
/
/
Ligg. carpometacarpalia palmaria
Lig. trapeziometacarpale ("volar ligament")
Lig. pisometacarpale Lig. carpometacarpale
Lig. pisohamatum
obliquum anterius
Lig. capitatohamatotriquetrum Lig. scaphotrapezium Lig. collaterale carpi ulnare
~
Lig collaterale carpi radiale
Lig. ulnotrlquetrum Lig. ulnolunatum
— Lig. radioscaphocapitatum
Lig. radioulnare palmare — ' Lig. radiolunotriquetrum
•X- = proximales V-Band - j - = distales V-Band O
= Poirier-Raum
Abb. 9.29: Karpale Bandsysteme der rechten Hand und des Daumensattelgelenks. Palmaransicht. Das Lig. radioscaphocapitatum ist zweigeteilt (Var.). Beachte die Anordnung des proximalen und distalen V-Bandes (rosa). Die Binnenbänder sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt und der Canalis carpi ist durch Entfernung des Retinaculum flexorum eröffnet (n. H. M. Schmidt und U. Lanz) -
Ligg. hamatocapitatum palmare, dorsale, interosseum Lig. lunotriquetrum palmare Ligg. scapholunatum palmare, interosseum Lig. scaphotrapezium palmare Lig. radioscapholunatum palmare (Testut-Band) Lig. pisohamatum.
Das Lig. carpi radiatum ist eine palmare variable Struktur und wird hier nicht, wohl aber in der Terminologia anatomica berücksichtigt. In der Klinik wird neben dieser anatomischen Einteilung eine vereinfachte Bänderklassifikation verwendet. Zwei palmare V-Bänder (proximal, distal) stehen einem dorsalen V-Band gegenüber.
•
Proximales palmares V-Band: Lig. radiolunotriquetrum und Lig. ulnolunatum. • Distales palmares V-Band: Lig. radioscaphocapitatum und Lig. capitatohamatotriquetrum. • Dorsales V-Band: Lig. i n t e r c a r p a l dorsale, Lig. radiolunatum und Lig. radiotriquetrum dorsale. Klinik: 1. perilunäre Handwurzelluxation. Handwurzel unter Aussparung des Os lunatum nach dorsal luxiert, 2. De-Quervain-Fraktur. Bei gleichzeitig vorliegender Fraktur des Os scaphoideum verbleibt das proximales Fragment mit dem Os lunatum in gehöriger Position, während das distale mit der übrigen Handwurzel nach dorsal luxiert.
687
9.1 Systematische Anatomie
Ligg m e t a c a r p a l i dorsalia Lig metacarpale dorsale I \
Llg. carpometacarpale
—
U
μψ
o b l i q u u m posterius
Ligg. carpometacarpalia dorsalia
Lig. carpometacarpale dorsoradiale
«TE
Lig. radioscaphoideum
Lig. radiolunatum
M g
r
/'^MM
Lig. collaterale carpi ulnare
*··
—
Lig. radiotriquetrum d o r s a l e —
*
= dorsales V-Band
Abb. 9.30: Karpale Bandsysteme der rechten Hand und d e s Daumensattelgelenks. Dorsalansicht. Beachte d a s dorsale V-Bandes (rosa). Die Binnenbänder sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt (η. Η. M. Schmidt und U. Lanz)
Daumensattelgelenk, Articulado carpometac a r p a l 1 (pollicis) (Abb. 9.10, 11). Gelenkige Verbindung zwischen Os trapezium und Basis ossis metacarpi I. Die einzigartige Flächenform durch gegensinnige Krümmungen erlaubt den großen Bewegungsumfang des Daumens, ähnlich wie in einem Kugelgelenk: • Extension, Flexion, palmare und radiale Abduktion, Adduktion und Rotation sind möglich (Abb. 9.31). Bei der Rotation um die Längsachse des Os metacarpale I wird der Gelenkflächenkontakt bis auf zwei kleine Berührungsflächen aufgehoben. Dadurch entsteht eine punktuell sehr hohe Belastung. Die Rotation ist Voraussetzung für die Opposition, die sich aus Extension, Abduktion, Flexion,
Adduktion und Innenrotation zusammensetzt. Die Opposition stellt den Daumen dem Kleinfinger gegenüber, so dass sich Daumen- und Kleinfingerkuppe berühren. Bänder des Daumensattelgelenkes: • • • •
Lig. Lig. Lig. Lig.
carpometacarpale dorso-radiale carpometacarpale obliquum anterius carpometacarpale obliquum posterius trapeziometacarpale.
Klinik: Rhizarthrose. Arthrose (degenerative Gelenkerkrankung, Gelenkverschleiß) des Daumensattelgelenks durch hohe Belastung bei Opposition (Rotation!); Schmerzen strahlen ggf. in den Unterarm aus.
688
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Finger Daumensattelgelenk Abduktion/Adduktion in Palmarebene
70/0
Handwurzel-Mittelhandgelenke, Articulationes carpometacarpals II-V (Abb. 9.27). Die Amphiarthrosen haben einen zickzackförmigen, einheitlichen Gelenkspalt zwischen den Ossa metacarpalia II-V und der distalen Handwurzelknochenreihe. Der Gelenkspalt kommuniziert mit den Articulationes intermetacarpales und der Articulatio mediocarpalis. Gelenkkapsel und Bänder sichern die Gelenke: •
Abduktion/Adduktion senkrecht zur Palmarebene
70/0
70 :
Daumengrundgelenk Flexion/Extension
Bänder und knöcherne Verzahnung bewirken eine straffe Verbindung der Ossa metacarpalia II und III mit den Handwurzelknochen. Die Ossa metacarpalia IV und V sind lockerer befestigt (geringe Oppositionsmöglichkeit des Dig. V).
50/0
Gelenke zwischen Mittelhandknochen, Articulationes intermetacarpales (Abb. 9.27). Amphiarthrosen. Drei Gelenke zwischen den seitlichen Flächen der Ossa metacarpalia II-V. Straffer Bandapparat, bestehend aus: •
Daumenendgelenk Flexion/Extension
Ligg. c a r p o m e t a c a r p a l dorsalia, palmaria et interrossea. Sie ziehen von den Ossa carpi zu den Ossa metacarpi. Besonders benannt: das Lig. pisometacarpale zwischen Os pisiforme und Basis ossis metacarpi V.
80/0
Fingergrundgelenke, Articulationes metacarpophalangeae (Abb. 9.11). Es handelt sich um eingeschränkte Kugelgelenke mit den Capita ossium metacarpalium als Gelenkköpfen und den Bases phalangium proximalium als Gelenkpfannen. Die Gelenkkapsel ist geräumig, schlaff. Es besteht ein komplexer Bandapparat: •
Abb. 9.31: Bewegungsausmaße der Daumengelenke nach der Neutral-Null-Methode (n. H. U. Debrunner)
Ligg. metacarpalia dorsalia, palmaria et interassea. Sie spannen sich zwischen den Basen der Ossa metacarpi aus.
Ligg. coHateralia, liegen radial (stärker) und ulnar (schwächer). Diese Kollateralbänder bestehen aus 3 Anteilen (Lig. collaterale proprium, Lig. collaterale accessorium und Lig. phalangoglenoidale), fuhren die Gelenkpartner während der Fingerexkursionen und verhindern ein Klaffen des Gelenkspaltes (Abb. 9.32 a-c). • Ligg. sagittalia, an ulnarer bzw. radialer Seite des Gelenkes liegende Bandzüge, die von der Dorsalaponeurose ausgehen und sich mit dem Lig. metacarpale transversum profundum verbinden (Abb. 9.33).
9.1 Systematische Anatomie
689
Lig. collaterale accessori™ lig collaterale
\
I
\
Lig phalangoglenoidale /
\
\
/
\
/
/
I I palmare Platte Lig. metacarpale transversum profundum
Abb. 9.32 a : Kapselbandapparat der Articulatio metacarpophalangealis. FDP: Sehne des M. flexor digitorum profundus, FDS: Sehne des M. flexor digitorum superficialis, A1: Ringband A1, A2: Ringband A2 (n. H. M. Schmidt und U. Lanz). b: Streckstellung. Das Lig. collaterale ist entspannt. Das Lig. collaterale accessorium und das Lig. phalangoglenoidale sind gespannt und begrenzen die Streckung, c: Beugestellung. Alle Bänder sind gespannt. Beachte, dass sich der Zwischenraum bei den Ringbändern A1 und A2 verengt hat (Abb. 9.32 a - c n. H. M. Schmidt und U. Lanz).
690
•
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Palmare Platte. Es handelt sich um eine palmar gelegene, die Gelenkpfanne vergrößernde Platte. Diese Struktur besteht, wie auch an den Fingergelenken, aus einer annähernd rechteckigen, distal verdickten Faserknorpelplatte (Fibrocartilago palmaris), proximal aus einem dünnen bindegewebigen Anteil. Dieser geht in 2 Zügelbänder (check-rein-ligaments) über, die unmittelbar proximal vom Caput ossis metacarpi am Schaft befestigt sind. Die palmaren Platten vergrößern den Abstand der Beugesehnen von der Drehachse der Grundgelenke (—» Drehmomenterhöhung), verhindern das Einklemmen der Beugesehnen im Grundgelenkspalt und hemmen die Hyperextension. Die Terminologia Anatomica ( 1998) ist in bezug auf die palmare Platte unzureichend und ungenau, da sie den früher verwendeten falschen Terminus „Lig. palmare " übernommen hat.
•
Lig. metacarpale transversum profundum (cave: Mm. interassei liegen dorsal des Bandes, Mm. lumbricales palmar!), das Band verbindet die Faserknorpelplatten von Digg. II—V miteinander, wodurch eine übermäßige Spreizung der Hand verhindert wird.
Zirkulärer metakarpophalangealer Halteapparat (Zanco Iii-Komp lex, Abb. 9.33). Dieser kompliziert gebaute Bandapparat umhüllt das gesamte Grundgelenk und setzt sich im Wesentlichen aus den oben genannten Bandstrukturen zusammen. Die radial und ulnar neben der Beugesehnenscheide gelegene komplexe Vereinigungszone wird als metakarpophalangealer Vereinigungskern (Zancolli) (Abb. 9.33) bezeichnet. Der Zancolli-Komplex stabilisiert den Bewegungsablauf, fuhrt die Gelenkstrukturen und die palmare Platte.
Sehne des M. extensor digitorum
Lamina intertendinea (Pars transversa)
Ligg. collateralia
< M. interosseus dorsalis (Strecksehne nansatzfasern)
— Lig. sagittale Caput metacarpale __ M interosseus (Knochenansatifasern) palmare Platte — lig. metacarpale transversum profundum
A. u. N. digitalis palmaris proprius
.metacarpophalangeal Vereinigungskern' (ZANCOLLI)
I M. lumbricalis
\
\
Sehnen des M. flexor digitorum superficialis u. profundus
Ringband A1
Abb. 9.33: Zirkulärer metakarpophalangealer Halteapparat (Zancolli-Komplex). Ansicht von proximal. Der „metakarpophalangeale Vereinigungskern" ist durch einen roten Kreis hervorgehoben (n. H. M. Schmidt und U. Lanz)
691
9.1 Systematische Anatomie
Mechanik. Die Bewegung erfolgt um 2 Hauptachsen:
(brachioradiale Muskeln, dorsale Extensoren und ventrale Flexoren), Handmuskeln (Thenarmuskeln, mittlere Handmuskeln, Hypothenarmuskeln). Zu allen Muskeln: Ursprung, Ansatz, Innervation, Gefäßversorgung, Wirkung. Faszien, Sehnenscheiden und Schleimbeutel.
•
Flexion und Extension um eine quere radioulnare Achse (Neutral-Null-90°) • Abduktion (Fingerspreizen) und Adduktion um eine dorsopalmare Achse • Rotation (Drehung) ist nur passiv möglich, da entsprechende Muskeln fehlen. Spreizen gelingt nur in Streckstellung, da bei der Beugung die Kollateralbänder stark gespannt werden. Zirkumduktion heißt die Kombination aus den Hauptbewegungen. Das Grundgelenk des Daumens nimmt eine Sonderstellung ein, indem es nur Scharnierbewegungen gestattet (0-80°). Weiterhin weist es palmar in der Gelenkkapsel regelmäßig ein radiales und ein ulnares Sesambein auf. Articulationes interphalangeae manus. Scharniergelenke mit einem Freiheitsgrad. Gelenkkörper. Der rollenförmige Kopf (Caput sive Trochlea phalangis) des Grund- und Mittelgliedes liegt in der flachen, mit einer Führungsleiste versehenen Gelenkpfanne an der Basis des Mittel- und Nagelgliedes. Gelenkkapsel. Wird durch Bänder und Bindegewebestrukturen verstärkt: •
Ligg. collateralia, Ligg. collateralia accessoria und Ligg. phalangoglenoidalia. Sie sind in Mittelstellung der Gelenke entspannt, bei starker Beugung oder Streckung maximal gespannt. • Dorsalaponeurose der Streckmuskeln • kleine palmare Platte „Ligg. palmaria" • Das Interphalangealgelenk des Daumens (Neutral-Null-80°) weist häufig ein interphalangeales Sesambein auf.Bewegung. Articulatio interphalangea proximalis: Beugung Neutral-Null-100 o , Articulatio interphalangea distalis: Beugung Neutral-NulI-90°. Interphalangealgelenk des Daumens: Neutral-Null-80°.
9.1.2.1
Ventrale Rumpf-Gliedmaßenmuskulatur
1. ML pectoralis major (Abb. 9.35, 36). 3 Anteile (nach dem Ursprung). •
Pars clavicularis. O.: mediale Hälfte der Clavicula. • Pars sternocostalis. O.: Manubrium und Corpus sterni, 2.-7. Rippenknorpel. • Pars abdominalis. O.: vorderes Blatt der Rektusscheide. /.:
Crista tuberculi majoris, wobei sich die unteren ansteigenden Fasern unter die von oben herabsteigenden Fasern legen, so dass auf der Dorsalfläche des Muskels die nach kranial offene Pektoralistasche entsteht. L.: Nn. pectorales mediales, laterales (C6-C8, T h l ) ; A. thoracoacromialis, A. thoracica lateralis, Aa. intercostales. F.: Adduktion, Innenrotation, Anteversion im Schultergelenk. Zieht den Schultergürtel nach vorn und hebt bei festgestelltem Arm die Rippen, dadurch Brustraumerweiterung ( - » Atemhilfsmuskel!) (s. Kap. 10.4, S. 808). Klinik: Poland-Symptomenkomplex. Angeborene Fehlbildung: einseitige Anomalie der Hand (Syndaktylie, Symbrachydaktylie), homolaterale Aplasie des M. pectoralis und fakultativ einseitige Hypo- oder Aplasie der Mamille oder Mamma. 2. M . pectoralis minor (Abb. 9.35, 36).
9.1.2
Aktiver Bewegungsapparat
Die dorsale Rumpf-GliedmaOenmuskulatur wird im Kap. 8.5.1, S. 664, besprochen. Lernziele: Muskelgruppen: ventrale RumpfGliedmaßenmuskeln, Schultermuskeln, ventrale und dorsale Oberarmmuskeln, Unterarmmuskeln
O.: Mit 3 Zacken 1 - 2 cm lateral der Knochenknorpelgrenze der 3.-5. Rippe. /.: Proc. coracoideus. L.: Nn. pectorales mediales, laterales (C6-C8, T h l ) ; A. thoracoacromialis, Aa. intercostales. F.: Muskel verwächst bei seiner Insertion mit dem M. coracobrachialis, zieht den Schultergürtel nach vorn und unten. Bei festgestelltem Arm
692
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
M. semispinal^ capitis IM. transversooccipitalis) N. occipitalis major (R. cutaneus posterior CII)
M . splenius capitis M. sternocleidomastoideus
Llg. (Septum) nuchae M. levator scapulae Ν. occipitalis minor (Plexus cervicalis)
M. supraspinatus
M trapezius (abgeschnitten) M. trapezius Fascia m. Intraspinal Vertebra prominens
M. deltoideus
C VIII
M teres major M. latissimus dorsi Th VII Rr. cutanei thoracales laterales (abgeschnitten)
M. latissimus dorsi (abgeschnitten) M. serratus anterior M. rhomboideus major M . serratus posterior inferior
R dorsalis Th XII
M. latissimus dorsi (abgeschnitten) M. obliquus externus abdominis
N. iliohypogastricus
Trlgonum lumbale
M. gluteus médius Fascia t h o r a c o l u m b a r (Lamina superficialis) M . gluteus maximus
Abb. 9.34: Gliedmaßenmuskeln des Rückens. Links: oberflächliche Lage und Rr. dorsales der Spinalnerven; rechts: M. trapezius entfernt, M. latissimus dorsi gefenstert
9.1 Systematische Anatomie
693
694
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Trígonum deltoideopectorale
·
M. trapezius, Clavicula
Mm. scaleni médius
M . coracobrachialis brachials Ν. musculocutaneus
A. axillaris
M. omohyoideus M. scalenus anterior M. sternocleidomastoideus
Medianusschlinge (mediale und laterale Medianuszinke) M. subclavius M. intercostalis externus M. intercostalis internus
M . pectoralis major M. pectoralis minor
Rippenursprünge des M . pectoralis major (Pars sternocostalis) M. coracobrachialis
M . pectoralis major (Pars abdominalis)
Gefäss-Nervenstrang
1
M. latissimus dorsi
M . rectus abdominis
M . teres major M . subscapulars
M- obliquus externus abdominis
Angulus inferior scapulae M m intercostales interni M. serratus anterior M. transversus abdomini M. latissimus dorsi
M . obliquus externus abdominis
Lamina anterior vaginae m. recti abdominis
M . obliquus internus abdominis
Abb. 9.36: Rumpf-Gliedmaßenmuskeln von vorn und seitlich gesehen. Die Achselhöhle mit dem Gefäß-Nervenbündel und der M. serratus anterior durch Fenstern der Mm. pectorales major und minor und Abhebein des M. latissimus dorsi dargestellt
bewirkt er eine Hebung der Rippen (—> Atemhilfsmuskel!) (s. Kap. 10.4, S. 808). Spannt die Fascia clavipectoralis. 3. M. subclavius (Abb. 9.35, 36). O.: Knochenknorpelgrenze der 1. Rippe (lateral vom Lig. costoclaviculare). /.: Untere Fläche der Clavicula (gelegentlich am Proc. coracoideus oder Lig. coracoclaviculare).
L.: N. subclavius (C5, C6); A. suprascapularis. F.: Die Clavicula wird gegen das Sternum gezogen und der Zusammenhalt der Articulado sternoclavicularis gesichert. Auf Grund seiner Fiederung ist der Muskel trotz seiner schlanken Gestalt recht kräftig. Der spindelige M. subclavius liegt im Sulcus subclavius und wird von der derben Fascia clavipectoralis eingeschlossen, die er anspannt. Die durch den M. subclavius und M. pectoralis minor
9.1 Systematische Anatomie
stets gespannte Faszie hält das Lumen der V. subclavia, die mit der Faszie fest verbunden ist, stets geöffnet. 4. M. serratus anterior (Abb. 9.35, 36). 3 Anteile (nach der Lokalisation bzw. Faserrichtung). • Pars superior: vom Ursprung zum Ansatz ansteigende Fasem. O.: 1. und 2. Rippe. 1.: Angulus superior scapulae. F.: geringe Hebung der Scapula, Rückführung des Arms aus der Elevation. • Pars intermedia (sive media sive divergens): horizontale Fasern. O.: 2. und 3. (4.) Rippe. /.: Margo medialis scapulae. F.: Verlagerung der Scapula nach vorn und lateral. • Pars inferior (sive convergens): schräg ansteigende Fasern. O.: 5.-9. Rippe. /.: Angulus inferior scapulae. F.: Skapulasenkung. Verlagerung des Angulus inferior nach vorn, wodurch die Scapula so gedreht wird, dass das Acromion nach dorsal verlagert und dadurch die Erhebung des Armes über die Horizontale (bei gleichzeitig kontrahiertem M. deltoideus) ermöglicht wird. Der Muskel fixiert den Margo medialis am Rumpf. L.: N. thoracicus longus (C5--C7); A. thoracica lateralis, A. thoracodorsalis, A. thoracica suprema, Aa. intercostales, Α. transversa colli. Oft existieren 10 Ursprungszacken, da von der 2. Rippe häufig 2 Zacken entspringen.
F.: Der Gesamtmuskel fixiert den Margo medialis am Rumpf. Bei festgestellter Scapula hebt er die Rippen (Inspiration) (s. Kap. 10.4, S. 808). Klinik: Scapula alata (Engelflügelstellung). Flügeiförmig abstehendes Schulterblatt bei Serratuslähmung, jedoch auch bei leptosomem (schlankwüchsigem) Körperbau. 9.1.2.2
695
•
Pars acromialis (senkrecht absteigende Fasem). O.: äußerer Rand des Akromions. F.: außenrotiert und abduziert bei herabhängendem Arm. • Pars clavicularis (schräg absteigende Fasern). O.: laterales Drittel der Clavicula. F.: innenrotiert und adduziert ebenfalls bei herabhängendem Arm. Bei bereits abduziertem Arm wird die weitere Abduktion unterstützt. /.: Tuberositas deltoidea. L.: N. axillaris (C5, C6); A. circumflexa humeri posterior, A. thoracoacromialis, A. profunda brachii. F.: Die komplizierte Innenarchitektur mit Fiederung und Sehneninterkalation dient der Halteund Bewegungsfunktion. Die verschiedenen Partien des Muskels wirken antagonistisch. Bei gemeinsamer Kontraktion heben sich die rotierenden Komponenten der Pars clavicularis und der Pars spinalis auf; Resultante ist die kräftige Abduktion bis zur Horizontalen. Der Gesamtmuskel trägt das Gewicht des Arms. 2. M. supraspinatus O.: In der gesamten Fossa supraspinata und von seiner derben Fascia supraspinata. /.: Obere Facette des Tuberculum majus, Gelenkkapsel. L.: N. suprascapularis (C4-6); A. suprascapularis, A. circumflexa scapulae. F.: Startermuskel der Abduktion und Außenrotator. Unterstützt den M. deltoideus und verhindert die Einklemmung der Gelenkkapsel auf Grund seiner Kapselinsertion. Klinik: Rutscht bei der Abduktion der Humeruskopf nach kaudal, so legt sich der obere Kapselanteil in Falten, da er nicht mehr durch den Knochen unterpolstert wird —» Kapselfalten können zwischen den Gelenkkörpern eingeklemmt werden.
Schultermuskeln
1. M. deltoideus (Abb. 9.34 bis 40). 3 Anteile (nach dem Ursprung). • Pars spinalis (schräg absteigende Fasern). O.: unterer Rand der Spina scapulae und Fascia infraspinata. F.: adduziert, außenrotiert und retrovertiert bei herabhängendem Arm. Bei bereits abduziertem Arm wird die weitere Abduktion unterstützt.
3. M. infraspinatus 0 . : Fossa infraspinata (ohne Collum scapulae) und Fascia infraspinata. 1.: Mittlere Facette des Tuberculum majus und Gelenkkapsel. L.: N. suprascapularis (C4-C6); A. suprascapularis, A. circumflexa scapulae.
696
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
F.: Stärkster Außenrotator, abduziert bei erhobenem Arm, adduziert bei gesenktem und verhindert Gelenkkapseleinklemmung.
Rotatorenmanschette (Abb. 9.16). Die breiten Sehnen von M. supraspinatus, M. infraspinatus, M. teres minor, M. subscapularis und Lig. coracohumerale verwachsen zu einer derben, gerundeten, nach unten offenen Sehnenplatte, die das Schultergelenk kranial, ventral und dorsal einhüllt. Da diese Platte aus den Sehnen der kurzen Schulterrotatoren gebildet wird, hat sich der Begriff „Rotatorenmanschette" eingebürgert. Die Rotatorenmanschette liegt im Spatium subacromial, einer osteofibrösen Loge zwischen Fornix humeri und Caput humeri; sie wird vom Corpus adiposum subacromiale bedeckt.
4. M. teres minor 0 . : Mittlere Partie des Margo lateralis scapulae. 1.: Untere Facette des Tuberculum majus und Gelenkkapsel. L.: N. axillaris (C4, C5); A. circumflexa scapulae. F.: Außenrotation, Adduktion, verhindert Einklemmung der Gelenkkapsel. A m Ursprung ist der Muskel oft stark mit dem M. infraspinatus verwachsen.
5. M. subscapularis O.: Fossa subscapularis (ohne Collum scapulae), der Muskel wird durch eingeschobene Sehnen, die an den Lineae musculares befestigt sind, mehrfach gefiedert und ragt breit über den unteren Rand des Margo lateralis hinaus. /..' Tuberculum minus, proximaler Teil der Crista tuberculi minoris und Gelenkkapsel. Die Sehne überbrückt den Sulcus intertubercularis und bekommt daher auch Anschluss an die Crista tuberculi majoris. L.: N. subscapularis (C5-C8); Aa. subscapulares. F.: Stärkster Innenrotator (hoher physiologischer Querschnitt mit großer Kraftentfaltung durch starke Fiederung), verhindert Gelenkkapseleinklemmung (kranialer Anteil: Abduktion, bei eleviertem Arm: Adduktion).
Klinik: Rotatorenmanschettenruptur. 1-2 cm vor der knöchernen Insertion wird die Manschette infolge ungünstiger mechanischer Faktoren schlecht durchblutet und neigt daher zu Degeneration und Sehneneinriss.
9.1.2.3
Komplexe Bewegungsmuster. Kein Muskel arbeitet fur sich alleine. Bereits bei einfachen Bewegungen von Schulter oder Arm sind zahlreiche Muskeln oder Teile von ihnen tätig, andere stehen in Reserve, um helfend einzugreifen. Eine Bewegung wird von einem Muskel begonnen und von einem anderen weitergeführt. Während die einen sich kontrahieren, werden andere gedehnt und beeinflussen damit den Ablauf der Bewegung. Von besonderer Bedeutung ist die Ausgangsstellung des Gelenks: Derselbe Muskel kann je nach Ausgangsposition entgegengesetzte Bewegungen ausführen.
6. M. teres major O.: Untere Partie des Margo lateralis scapulae und dorsal vom Angulus inferior scapulae. /.: Crista tuberculi minoris. Von der ebenfalls hier inserierenden Sehne des M. latissimus dorsi ist er durch die Bursa subtendinea m. teretis majoris getrennt. L.: N. thoracodorsalis (C6, C7) und/oder N. subscapularis (C5, C6); Aa. subscapulares. Die Innervation weist daraufhin, dass der M. teres m a j o r z u s a m m e n mit d e m M. subscapularis und dem M. latissimus dorsi aus einem g e m e i n s a m e n Blastem entsteht.
F. : Innenrotation, Adduktion und Retroversion im Schultergelenk.
Leistungen der Schultermuskeln
Die wichtigsten werden im Folgenden dargestellt. Verlagerungen des Schultergürtels Heben (z. B. beim Lastentragen auf der Schulter) erfolgt durch die zum Schultergürtel bzw. Humerus absteigenden Muskeln oder durch Teile von diesen Muskeln: •
Pars descendens m. trapezii, M. levator scapulae, Pars clavicularis m. sternocleidomastoidei, Mm. rhomboidei,
697
9.1 S y s t e m a t i s c h e A n a t o m i e
Parsdescendons ¡i: trapezi!
Spina scapulae
^ Acromion
Pars transversa ra. trapezii
— M deitoideus
Pars ascendens m. trapezi ι
Fascia mfraspinata
M. teres major Caput longum m. tricipitis brachii M. latissimus dorsi -
Caput laterale m. tricipitis brachii
Caput mediale m. tricipitis brachii
Tendo m. tricipitis brachii
Septum intermusculare brachii mediale
N. ulnaris
Epicondylus medialis humeri
M. brachioradialis Caput mediale m. tricipitis brachii
Epicondylus lateralis humeri M.anconeus
M. flexor carpi ulnaris subcutanea olecrani
Abb. 9 . 3 7 : Schulter- u n d O b e r a r m m u s k e l n , v o n d o r s a l g e s e h e n . I. O b e r f l ä c h l i c h e L a g e
698
9 Arm, obere Gliedmaße, M e m b r u m superius
Articulatio acromioclavicularis
Angulus superior scapulae ^ \
Acromion
\
\
Bursa subacromialis
M. supraspinatus Bursa subdeltoidea
Spina scapulae M. deltoideus (Pars acromialis) Humerus M. infraspinatus Laterale Achsellücke
Mediale Achsellücke
M. teres minor
Angulus inferior scapulae —
M. triceps brachii (Caput laterale)
M- teres major N. radialis (im Sulcus n. radialis)
M serratus anterior
M. latissimus dorsi
M. triceps brachii (Caput laterale) M. triceps brachii (Caput longum) Septum intermusculare brachii laterale
M brachioradialis
M. triceps brachii (Caput mediale)
M extensor carpi radialis longus Ν. ulnaris Epicondylus medialis humeri
Epicondylus lateralis humeri
Bursa subcutanea olecrani —
Abb. 9.38: Schulter- u n d O b e r a r m m u s k e l n v o n d o r s a l g e s e h e n . II. S p i n a s c a p u l a e z u m Teil entfernt, d i e Pars s p i n a l i s d e s M. d e l t o i d e u s a b g e t r a g e n . C a p u t laterale d e s M. t r i c e p s b r a c h i i g e f e n s t e r t , u m d e n Verlauf d e s N. radialis im S u l c u s η. radialis z u z e i g e n
699
9.1 Systematische Anatomie
•
zeitweise durch Pars clavicularis m. pectoralis majoris und Pars divergens des M. serratus anterior.
Senken oder Tragen des Rumpfes bei aufgestützten Armen oder Hochziehen des Rumpfes beim Seilklettern bewirken Muskelzüge, die zum Schultergürtel bzw. Humerus aufsteigen: •
Pars descendens m. trapezii, untere Teile des M. pectoralis major, M. pectoralis minor, M. subclavius, Pars convergens des M. serratus anterior und M. latissimus dorsi.
Vorwärtsßhren (z.B. bei Wurfbewegungen) geschieht durch die Pars divergens und Pars convergens des M. serratus anterior, die Mm. pectorales und teilweise den M. levator scapulae. Zurückführen (ζ. Β. das Ausholen zu Wurfbewegungen) bewirken sämtliche Teile des M. trapezius, die Mm. rhomboidei und die oberen Teile des M. latissimus dorsi. Drehen der Scapula oder Schwenken des Angulus inferior scapulae erfolgt: ventralwärts (beim Erheben des Armes über die Horizontale) durch die am Angulus inferior inserierende Pars convergens des M. serratus anterior. Unterstützend wirken die am Acromion bzw. an der Spina scapulae ansetzenden, ab- und ansteigenden Teile des M. trapezius. • dorsalwärts durch die Mm. rhomboidei. Unterstützend wirken der M. pectoralis minor, indem er den Proc. coracoideus senkt, und der M. levator scapulae, indem er den Angulus superior hebt.
dorsi und v. a. durch das Caput longum m. tricipitis brachii. Zeitweise unterstützend wirken M. subscapularis und M. teres minor.
•
Abduktion. Der stärkste Abduktor ist die stark gefiederte Pars acromialis des M. deltoideus, sekundiert durch den M. supraspinatus (Startermuskel der Abduktion). Zeitweise unterstützend wirken Pars clavicularis und Pars spinalis des M. deltoideus, der M. infraspinatus, der M. subscapularis und das Caput longum m. bieipitis brachii.
Adduktion. Der stärkste Adduktor ist der M. pectoralis major. Wenig schwächer sind die Mm. teres major et latissimus dorsi und das Caput longum m. tricipitis brachii. Zeitweise unterstützend wirken Pars clavicularis und Pars spinalis m. deltoidei, Caput breve m. bieipitis brachii und die Mm. coracobrachialis, infraspinatus et teres minor.
•
Bewegungen im Schultergelenk •
Um die transversale Achse wird der Arm vorwärts und rückwärts gehoben.
Vorwärtsheben (Beugung, Anteversion) bewirken die Partes clavicularis et acromialis m. deltoidei, M. supraspinatus und M. pectoralis major.
Um die sagittale Achse erfolgt die Ab- und Adduktion des Armes.
Die Adduktoren leisten nahezu doppelt soviel wie die Abduktoren (—» Nehmen ist häufiger als Geben). •
Um die vertikale Achse wird der Arm im Schultergelenk nach innen oder außen rotiert.
Innenrotation oder -kreiselung. Hauptinnenkreiseler ist der M. subscapularis, unterstützt durch den M. pectoralis major und das Caput longum m. bieipitis brachii. Zeitweise unterstützend wirken Pars clavicularis m. deltoidei, M. teres major und M. latissimus dorsi.
Außenrotation oder -kreiselung. Hauptaußenkreiseler ist der M. infraspinatus (zwei Drittel der Leistung). Unterstützt wird er von den Mm. supraspinatus, teres minor, deltoideus (Pars spinalis) und dem Caput longum m. tricipitis brachii.
Ferner folgende Armmuskeln: •
M. coracobrachialis, M. biceps brachii. In geringerem Grade helfen Teile des M. infraspinatus, des M. subscapularis und des M. teres minor.
Rückwärtsziehen des Armes (Streckung, Retroversion) erfolgt durch die Pars spinalis des M. deltoideus, den M. teres major, den M. latissimus
Unterstützung der Atemexkursionen s. Kap. 10.4, S. 808. Klinik: Die Innenkreiseler entwickeln doppelt soviel Kraft wie die Außenkreiseler —> entsprechend werden Bruchstücke bei Frakturen
700
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
verschoben! Mit innenrotiertem Arm erfolgt ein großer Teil der manuellen Arbeiten. Zusammenspiel der Schultergürtel- und Schultergelenkbewegungen (Beispiel: Erhebung des Armes): •
M. supraspinous („Startermuskel" der Abduktion) und M. deltoideus heben den Arm bis zur Horizontalen. • M. serratus anterior und ab- und aufsteigende Teile des M. trapezius schwenken den Angulus inferior scapulae zusätzlich ventrolateralwärts, wenn der Arm über die Horizontale gelangt. • M. erector Spinae beugt bei stärkster Erhebung die Wirbelsäule zur Gegenseite. Dynamik des Bewegungsablaufes. Der Bewegungsumfang einer Gruppe wird nicht ausgeschöpft, bevor die andere in Tätigkeit tritt. Vielmehr kommt gerade durch das frühzeitige Eingreifen der anderen Gruppe der flüssige Ablauf der Bewegung zustande.
9.1.2.4
Oberarmmuskeln
abduziert und innenrotiert den Humerus. Das Caput breve adduziert und innenrotiert. Beide Köpfe sind an der Hebung des Arms nach vorn (bis zu 90°) beteiligt. Da die Sehne des langen Bizepskopfs durch den Sulcus intertubercularis gefuhrt wird und intraartikulär über das Caput humeri zum Tuberculum supraglenoidale verläuft, wird ein Hochsteigen und Anstoßen des Humerus am Fornix humeri verhindert. Ellenbogengelenk. Der Bizeps ist der kräftigste Beuger, Supinator (bei Beugung) und Spanner der Unterarmfaszie. Bemerkenswert ist, dass die Fasern des Caput longum m. bicipitis kürzer sind als diejenigen des Caput breve. An der Tuberositas radii schiebt sich immer die Bursa bicipitoradialis zwischen Bizepssehne und Knochen. Bei Pronation wird die Bizepssehne um den Radius gewickelt, bei Supination wieder abgerollt (Prinzip Rollentrieb!). Bei Beugung entfernt sich der Bizeps von der queren Ellenbogengelenkachse und wulstet sich nach ventral vor. Dadurch wird dem M. brachialis Raum fur seine eigene Kontraktion gegeben.
Varianten: Verminderung der Köpfe ist selten, eine Vermehrung häufig. 2. M. coracobrachialis (Abb. 9.39, 40).
Die Muskeln des Oberarmes sind in zwei Logen, der Beuger- und der Streckerloge, untergebracht. Die Beuger (M. biceps brachii, M. coracobrachialis, M. brachialis) werden alle vom N. musculocutaneus, die Strecker (M. triceps brachii, M. anconaeus) vom N. radialis innerviert. 1. M. biceps brachii (Abb. 9.39, 40). Nach der Länge der Ursprungssehnen werden 2 Köpfe unterschieden: •
Caput iongum. O. : Tuberculum supraglenoidale scapulae, Labrum glenoidale. • Caput breve. O.: kurzsehnig vom Proc. coracoideus (dort mit M. coracobrachialis untrennbar verwachsen). /. :
Tuberositas radii und mit der flachen Aponeurosis m. bicipitis brachii (sive Lacertus fibrosus = Nebensehne) an der Fascia antebrachii. L.: N. musculocutaneus (C5, C6); Rr. musculares der A. axillaris, Rr. bicipitales der A. brachialis. F.: Da der M. biceps ein zweigelenkiger Muskel ist, muss seine Funktion getrennt für das Schulter- und Ellenbogengelenk betrachtet werden. Schultergelenk. Das Caput longum
O.: Spitze des Proc. coracoideus. /.: Vorderfläche des Humerus distal der Crista tuberculi minoris und am Septum intermusculare mediale. L.: N. musculocutaneus (C6, C7); Aa. circumflexae humeri. F.: Haltemuskel, der besonders die Subluxation des Humeruskopfes nach kaudal verhindert. Außerdem adduziert und innenrotiert er den erhobenen Arm und ist an der Anteversion und Elevation des Armes beteiligt. Der M. coracobrachialis ist der Leitmuskel für das Gefäß-Nervenbündel des Oberarmes und wird vom N. musculocutaneus durchbohrt, weshalb er früher auch M perforatus brachii hieß.
3. M. brachialis (Abb. 9.39, 40). O.: Vorderfläche der distalen Humerushälfte, Septa intermuscularia. /.: Tuberositas ulnae, Gelenkkapsel des Ellenbogengelenkes. L.: N. musculocutaneus, N. radialis (in 75 % laterale Randpartie; C5, C6); Aa. collateralis ulnaris superior und inferior, Rr. musculares aus A. brachialis.
701
9.1 S y s t e m a t i s c h e A n a t o m i e Tngonum omoclavlcutare (Fossa supraclavicular is majori \ Articularlo acromioclavicular^
v
M. trapezius -
\ — M . sternocleidomastoideus
Acromion M subclavius Tngonum clavipectorale [Trigonum Jeltoideopectoralel
M. deltoideus
Tendo m pectoralis minoiis Sulcus Cteltoideopectorails -
M pectoralis major
M coracobrachial M. pectoralis major (Insertio) M . subscapularis
Capul longum -
M biceps brachii
(
M . latissimus dorsi
Caput breve -
Caput longum m tricipitis brachii
Caput laterale m trie ipitis brachi!
Caput mediale -
Septum intermuscular e bracini mediale
M. brachialis
Ν. medianus, Α. brachiali.·; Tendoni bicipitis brachi!
—_ Epicondylus mediali; humeri
M biachioradialis Aponeurosis m. bicipitis brachi! (Lacertos fibrosus) M extensor carpi radialis iongus " M. extensor carpi radialis brevis
A radialis
"
• M. pronator teres
Abb. 9.39: O b e r f l ä c h l i c h e Schulter- u n d O b e r a r m m u s k e l n . A n s i c h t v o n vorn F.: reiner Beuger im Ellenbogengelenk sowohl bei Pro- als auch bei Supination. Verhindert die Einklemmung der Gelenkkapsel. 4. M. triceps brachii. 3 Köpfe (nach den Ursprüngen; Abb. 9.37, 38). •
Caput longum. O.: extraartikulär vom Tuberculum infraglenoidale scapulae (zweigelenkig).
•
Caput laterale. O.: dorsale Fläche des Humerus proximal des Sulcus η. radialis, proximale zwei Drittel des Septum intermusculare brachii laterale (eingelenkig).
•
Caput mediale. O.: dorsale Fläche des Humerus distal des Sulcus η. radialis, Septum intermusculare brachii mediale und distales Drittel des
9 Arm, obere Gliedmaße, M e m b r u m superius
702
M . d e l t o i d e u s el Bursa s o b a c r o m i a l i s
M . trapezius
M. sternocleidomastoideus
M . subclavias
Processus coracoideus
M pectoralis major I acies articiilaris s t o r n a lis c l a v i c u l a n
Bursa s u b d e l t u i d e a -
M . levator s c a p u l a e
Vagina synovialis M. omohyoideus
intertubercularis
M. deltoideus
M serratas anterioi
leudo capitis longi M. pectoralis munii
m bicipitis brachii Capul breve
M. coracobrachial^
in b i c i p i t i s b r a c h i i
M. coracobrachialis M . siili
¡polaris
M p e c t o r a l i s major
M. serratus anterioi
M teres majoi M
Iriceps bracliii
M . triceps brachii
M . brachialis
Septum intermusculare
Septum intermusculare
brachii laterale
bracini mediale
— Tendo et a p o n e u r o s i s m b i c i p i t i s brachiî M. hiachioradialis
M e x t e n s o r carpi r a d i a l i s l o n g u s
M . extensor carpi radialis brevis
~
Epicondyliis medialis
— M pronatoi teres
IVI. flexor c a r p i H i n a u s
Abb. 9.40: Tiefe Schuller- und Oberarmmuskeln. Ansicht von ventral. M. deltoideus, M. biceps brachii, M. pectoralis major, M. pectoralis minor sind größtenteils abgetragen. Das Schlüsselbein ist nach dorsal verlagert
703
9.1 Systematische Anatomie
Septum intermusculare brachii laterale (eingelenkig). /.:
Olecranon, Fascia antebrachii und Gelenkkapsel des Ellenbogengelenkes. L.: N. radialis (C6-C8, evtl. Thl); A. circumflexa humeri posterior, A. profunda brachii, Aa. collaterales ulnares. F.: Das Caput longum bewirkt im Schultergelenk eine Retroversion, Adduktion und schwache Außenrotation; im Ellenbogengelenk ist der Muskel der einzige Strecker, wobei das Caput mediale die Hauptarbeit leistet. Die an der Gelenkkapsel inserierenden Fasern verhindern die Einklemmung und werden bei kräftiger Ausbildung auch als M. articularis cubiti bezeichnet. 5. M. anconaeus (griech. ancon [αγκων] = Ellenbogen) (auch Caput quartum oder Anconaeus quartus des Triceps genannt, da Fortsetzung des Caput mediale, dreieckige Form; Abb. 9.41). O.: Dorsal vom Epicondylus lateralis humeri, von der Gelenkkapsel und vom Lig. collaterale radiale. /..· Dorsoradiale Kante des Olekranons. L.: N. radialis (C7, C8); A. interossea recurrens. F.: Unterstützt die Streckung im Ellenbogengelenk und verhindert die Einklemmung der Gelenkkapsel. Zusätzlich sichert er durch seine starke radiale Komponente den Zusammenhalt der beiden Unterarmknochen. Da der Muskel entwicklungsgeschichtlich zum M. triceps brachii gehört, wird er bei den Oberarmmuskeln besprochen. topographisch ist er Teil des Unterarms.
Wirkung der Oberarmmuskeln auf das Ellenbogengelenk •
Die zweigelenkigen Muskeln ( M biceps brachii, Caput longum m. trieipitis brachii) entfalten bei gleichzeitiger Wirkung auf Schulter- und Ellenbogengelenk nicht ihre volle Kraft, weil die Ursprünge frühzeitig genähert werden. Vielmehr beugt der Bizeps bei Streckung im Schultergelenk (rückwärts gehobener Arm) am besten im Ellenbogengelenk. • Der M. trizeps brachii streckt bei Beugung und Abduktion im Schultergelenk am besten im Ellenbogengelenk. Beispiel: ein kräftiger Hammerschlag wird mit vor- und seitwärts gehobenem Arm ausgeführt.
Die Beugung im Ellenbogengelenk wird unterstützt durch die am Oberarm entspringenden Muskeln des Unterarmes: die radiale Gruppe (—> M. brachioradialis, Mm. extensor carpi radialis longus et brevis) und die ulnare Gruppe (-» M. pronator teres, M. palmaris longus, M. flexor carpi radialis). Diese Muskeln sind an der Gesamtbeugung mit etwa 30 % beteiligt. Exakt um diese 30 % sind die Beuger den Streckern überlegen (—» erklärt die Beugung bei spastischer Lähmung und die Fechterstellung von Brandleichen).
9.1.2.5
Unterarmmuskeln
19 Muskeln (Abb. 9.41-47) werden unterschieden! Die oberflächliche Schicht entspringt vom Humerus, die tiefe an der proximalen Hälfte von Radius, Ulna und Membrana interossea antebrachii. Distal gehen die Muskeln in Sehnen über, die gestaffelt an Unterarmknochen, Handwurzel· bzw. Mittelhandknochen und Fingern ansetzen. Diese Anordnung entlastet die Hand von überflüssiger Muskelmasse, gibt ihr Kraft und eine schlanke Form und qualifiziert sie so zum Greif- und Tastorgan. Die große Zahl der Muskeln ist morphologischer Ausdruck einer differenzierten, wohl abgestuften Bewegung in vielen Gelenken.
Einteilung 1. dorsale Extensorengruppe (—> N. radialis). 2. ventrale Flexorengruppe (—> N. medianus, N. ulnaris). 3. radiale Muskelgruppe oder Gruppe der brach ioradialen Muskeln (—» N. radialis). In der Phylogenese hat sich ein Teil der dorsalen Extensoren nach ventral verschoben und ist zu Beugern im Ellenbogengelenk geworden. Die streckende Wirkung auf das Handgelenk ist jedoch nur bei zweien (Mm. extensores carpi radialis longus et brevis) erhalten geblieben, die somit auch als Radialextcnsoren bezeichnet werden. Die Anwendung des Begriffes „Radialextensoren" für die gesamte radiale (= brachioradiale) Muskelgruppe ist abzulehnen.
9.1.2.5.1 Extensoren Die Extensoren (Abb. 9.41, 42) sind in Schichten angeordnet, wobei die oberflächlichen eher gerade und die tiefen eher schräg verlaufen.
704
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Tendo e t caput
M.biceps brachi
m. tri ci ρ i ti s b r a c h ι i M. brachiaüs S e p t u m intermusculare bracini M . brachioradialis Epicondylus lateralis humeri
Olecranon
M. anconaeus
M . extensor carpi radialis longus
M . e x t e n s o r c a r p i r a d i a l i s brevis
Septa intermuscularia
M . extensor carpi uInaris M. extensor digitorum [communis]
M a r g o posterior
M . extensor digiti minimi M. abductor pollicis longus M . e x t e n s o r p o l l i c i s brevis Radius
T e n d o m. e x t e n s o r i s c a r p i u l n a r i s
Retinaculum musculorum extensorum [Lig. c a r p i d o r s a l e ] T e n d o m. e x t e n s o r i s p o l l i c i s l o n g T e n d o m . e x t e n s o r i s c a r p i r a d i a l i s brevis
M. abductor digiti minimi
T o n d o m . e x t e n s o r i s c a r p i r a d i a l i s longi m extensoris digitorum
T e n d o m. e x t e n s o r i s d i g i t i m i n i m i M. interosseus dorsalis I Connexusintertendinei— T e n d o nr. e x t e n s o r i s i n d i c t s
Lig. m e t a c a r p a l e t r a n s v e r s u m p r o f u n d u m
Abb. 9.41: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Dorsalansicht. Oberflächliche Lage
9.1 Systematische Anatomie
705
M . triceps braciii
Septum intermusculare brachi i laterale
Epicondylus lateralis humeri
M
brachiate
M
biceps brachii
M . brachioradialis
M. extensor carpi radialis longus Capitulum humen
Olecranon
C a p u t radi: M.anconaeus
M
supinator
R p r o f u n d u s n. r a d i a l i s
_
M . extensor carpi radialis brevis
Corpus ulnae
M . extensor pollicis longus • M . abductor pollicis longus - M M . extensor indicis
Tendo m
extensoris
extensor pollicis brevis
' R a CHUS
digiti minimi
^
Processus styloideus ulnae Tendo m. e x t e n s o r i s
"
Retinaculum extensorum
ζ
Os t r a p e z o i d e w n
carpi ulnaris Os c a p i t a t i m i
—
- T e n d o m. e x t e n s o r i s pollicis longi. Os t r a p e z i u m
Os h a m a t u m ~ Articulatio
~
—
carpometacarpals
et brevis Tendo m. e x t e n s o r i s pollicis brevis
M . abductor digiti m i n i m i M m . i n t e r a s s e i d o r s a l e s IH e i IV
Tendo m. extensoris carpi radialis longi
^
M m . i n t e r a s s e i d o r s a l e s I e t II Tendo m. e x t e n s o r i s indicis
Corate«« intertendineus
• - T e n d i n e s m. e x t e n s o r i s d i g i t o r u m
Aponeuroses dorsales digitorum ^
Articulatio interphalangea poliicis
Abb. 9.42: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Dorsalansicht der tiefen Lage. Oberflächliche Muskeln sind zum Teil entfernt. Ellenbogengelenk und Handwurzelknochen sind freigelegt, um ihre Lage zu den Muskeln und Sehnen zu zeigen
706
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Oberflächliche Schicht: M. extensor digitorum, M. extensor digiti minimi, M. extensor carpi ulnaris. Tiefe Schicht: M. abductor pollicis longus, M. extensor pollicis brevis, M. extensor indicis. 1. M. extensor digitorum communis (4. Sehnenfach) O.: Epicondylus lateralis humeri, Lig. collaterale radiale, Lig. anulare radii, Fascia antebrachii. /.: Dorsalaponeurose Digg. II—V. Die Sehnen sind in Höhe der Köpfe der Ossa metacarpalia durch Connexus intertendinei (sive Juncturae tendineae) verbunden, wodurch die Eigenständigkeit der Fingerbewegungen eingeschränkt wird. L.: Rr. musculares des R. profundus n. radialis (C6-C8), die in die Unterfläche des Muskels eintreten; A. interassea posterior. F.: Streckt das 2.-5. Fingergrundgelenk bei beliebiger Stellung des Handgelenkes, streckt im Mittel- und Endgelenk bei flektiertem Handgelenk. Spreizt Digg. II—V, streckt im Handgelenk, bewirkt Ulnarduktion. 2. M. extensor digiti minimi (5. Sehnenfach) 0 . : Epicondylus lateralis humeri, mit dem M. extensor digg. comm. untrennbar verwachsen. 1. : Mit häufig zweigeteilter Sehne an der Dorsalaponeurose des Dig. V. L.: Rr. musculares des R. profundus n. radialis (C6 C8); A. interassea posterior. F.: Streckung und Abspreizung von Dig. V, Streckung und Ulnarduktion im Handgelenk. 3. M. extensor carpi ulnaris (6. Sehnenfach), nach dem Ursprung werden 2 Köpfe unterschieden: •
Caput humerale. O.: Epicondylus humeri, Lig. collaterale radiale, Lig. radii. • Caput ulnare. O.: Olecranon, Facies ulnae, Margo posterior ulnae, Fascia chii.
lateralis anulare dorsalis antebra-
/.: Dorsal an der Basis ossis metacarpi quinti. L·.: Ein Ast des R. profundus n. radialis (C7, C8) tritt an der breitesten Stelle des Muskels in die Unterfläche ein; A. interassea posterior. F. : Streckt im Ellenbogengelenk, starke Ulnarduktion und schwache Extension im Handgelenk.
4. M. anconaeus s. Kap. 9.1.2.4, S. 700. M. abductor pollicis longus ( 1. Sehnenfach) O.: Facies dorsalis ulnae, Membrana interassea, Facies dorsalis radii im Anschluss an den M. supinator. f.: Radial an der Basis ossis metacarpi I. L.: R. profundus n. radialis (C7, C8), wobei die Rr. musculares in die Vorderfläche des Muskelbauches eintreten; A. interassea anterior und posterior. F.: Abduktion und Streckung des Daumens im Sattelgelenk, Beugung und Radialduktion im Handgelenk, schwacher Supinator. 5. M. extensor pollicis brevis ( 1. Sehnenfach) O.: Facies dorsalis ulnae, Membrana interassea, Facies dorsalis radii unterhalb des M. abductor pollicis longus. /.; Dorsal an der Basis der Grundphalanx des Daumens. L.: R. profundus n. radialis (C8); A. interassea anterior und posterior. F.: Strecker und Abduktor im Sattelgelenk des Daumens, Radialduktor im Handgelenk, schwacher Supinator. Der Muskel überkreuzt im distalen Drittel zusammen mit dem M. abductor pollicis longus die brachioradialen Muskeln! 6. M. extensor pollicis longus (3. Sehnenfach) 0 . : Facies dorsalis ulnae und Membrana interassea im Anschluss an den M. extensor pollicis brevis. 1.: Dorsal an der Basis der Endphalanx des Daumens. L.: R. profundus n. radialis (C8), wobei die Rr. musculares in die Oberfläche des Muskelbauches eintreten; A. interassea anterior und posterior. F.: Streckung im Daumengrund- und Endgelenk, Adduktion und Reposition im Sattelgelenk des Daumens, Dorsalextensor und Radialduktor im Handgelenk. Schwacher Supinator. Cave: Das Tuberculum dorsale radii (Listeri) dient dem Extensor pollicis longus als Hypomochlion! 7. M. extensor indicis (4. Sehnenfach) O.: Facies dorsalis ulnae und Membrana interassea unterhalb des M. extensor pollicis longus. /. : Dorsalaponeurose des Zeigefingers.
707
9.1 Systematische Anatomie
L.: R. profundus n. radialis (C8); A. interossea anterior und posterior. F.: Isolierte Streckung des Zeigefingers, fuhrt diesen an den Mittelfinger und streckt im Handgelenk.
9.1.2.5.2 Flexoren, Beuger Die Flexoren (Abb. 9.44 bis 47) sind in 4 Schichten angeordnet: 1.
2. 3. 4.
Schicht (oberflächlich): M. pronator teres, M. flexor carpi radialis, M. palmaris longus, M. flexor carpi ulnaris Schicht: M. flexor digitorum superficialis Schicht: M. flexor digitorum profundus, M. flexor pollicis longus Schicht (tief): M. pronator quadratus
1. Schicht (oberflächlich) 1. M. pronator teres. 2 Köpfe (nach dem Ursprung). •
Caput humerale (kräftig). O.: Epicondylus medialis humeri und Septum intermusculare brachii mediale. • Caput ulnare (schwach). O.: Proc. coronoideus ulnae. /.:
Abb. 9.43: Atypischer M. extensor indicis mit Einstrahlung in einen M. extensor digiti brevis manus (abgewandelt n. H. M. Schmidt und U. Lanz)
8. M. extensor digiti brevis manus (meist des Zeigefingers, Abb. 9.43) O.: Distale Reihe der Handwurzelknochen. /.: Dorsalaponeurose des Zeigefingers. L.: N. interosseus dorsalis; A. interossea posterior. F.: Streckung des Zeigefingers. Der Muskel ist sehr variabel und nur in ~ 10% angelegt.
Facies dorsalis und lateralis radii distal der Insertion des M. supinator (mittleres Radiusdrittel), Tuberositas pronatoria. L.: Rr. musculares des N. medianus (C6, C7), die vor dem Eintritt des Nerven in den Pronatorkanal abzweigen und in den oberen Muskelrand eintreten; Rr. musculares aus A. brachialis, A. radialis, A. ulnaris. F.: Pronator und Beuger im Ellenbogengelenk. Klinik: Pronatorkanal. Zwischen den beiden Ursprungsköpfen des M. pronator liegt der Pronatorkanal (Medianustunnel). Der hindurch ziehende N. medianus kann durch Druck geschädigt werden (—> peripheres Kompressionssyndrom!). 2. M. flexor carpi radialis O.: Epicondylus medialis humeri, Septa intermuscularia, Fascia antebrachii. /.: Palmar an der Basis ossis metacarpi II (manchmal auch III). L.: N. medianus (C7, C8); Rr. musculares der A. radialis. F.: Schwacher Beuger im Ellenbogengelenk, Pronator, Beuger und Radialduktor im Handgelenk.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
708
M . biceps
brachi!
/ M .
triceps
Septum bracini M. brachiate
brachi
intermusculars mediale
Ν. m e d l a n u s
A. Tendoni
brachiali
biclpitis brachir 'Epicondylus
A p o n e u r o s i s m. bicipitis A
brachialis - M
M
extensor carpi radialis M
pronator teres
longus
brachioradialis
M
flexor carpi
M. palmaris M
extensor carpi radialis
M . abductor polllcis M
longus
M . flexor carpi ulnaris
\
\
\
\
\
\
\
\ \ \
Tendo m
radialis
brevis
longus
extensor pollicis brevis,
Ν
medialis
brachi
~
\ __ —
M
M . flexor digitorum superficialis
flexor poll¡cis longus
\
m e d i a n u s ..
abductorls pollicis
longi^
T e n d o ni. e x t e n s o r l s p o l l i c i s b r e v i s
Tendo m
palmaris
longi
\
N
\
\
[ Lig
carpi palmare ]
Fhenarmuskulatur M. palmaris
brevis
Hypothenarrmuskulatur
Aa. digitales palmares
communes,
Fasciculi longitudinales
i
Fasciculi transversi
J
Aponeurosis
Ν α digitales p a l m a r e s propri¡
Lig. m e t a c a r p a l e t r a n s v e r s u m
profundum
Aa
digilales palmares
palmaris
propriae
Abb. 9.44: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Ansicht von vorn. I. Schicht
9.1 Systematische Anatomie
709
Caput longum m.tricipitis brachii
Ν. medianus
Caput mediale m.tricipitis brachii A. brachialis -
Septum intermusculare brachii mediale
M . brachialis -
Ν. ulnaris M . pronator teres (Origo)
M . brachioradialis
M . palmaris longus (Origo)
M . extensor carpi radialis longus M. supinator
Epicondylus medialis
R. profundus n. radialis
Olecranon
R. superficialis η. radialis Bursa bicipitoradialis Tendo m. bicipitis brachii M. extensor carpi radialis brevis v .
— Ν. medianus — Α. ulnaris
—
Μ . flexor carpi ulnaris
M . pronator teres (Insedio)
Caput radiale m. flexoris digitorum superficialis
M . abductor pollicis longus
M . flexor digitorum superficialis
M . pronator
Tendo m. flexoris carpi radialis
Lig. carpi palmare
Ν medianus M. abductor pollicis brevis
Os pisiforme Retinaculum musculorum flexorum manus
M . opponens pollicis — _ _ _ _ M . abductor digiti minimi M. flexor digiti minimi brevis
M . flexor pollicis brevis
M . opponens digiti minimi M . adductor pollicis
Tendines m. flexoris digitorum superficialis M m . iumbricales
M . interosseus dorsalis I
Vaginae fibrosae digitorum manus Partes cruciformes vaginae fibrosae Tendo m. flexoris digitorum superficialis
Chiasma tendinum
—
Partes anulares vaginae fibrosae
Tendo m. flexoris digitorum profundi
Abb. 9.45: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Ansicht von vorn. II. Schicht. Die oberflächliche Schicht ist z. T. entfernt
710
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Caput longum
Ν
medianus
A
brachiaiis
M
brachiaiis
m tiicipitis bracini
C a p u t m e d i a l e ni. t r i c i p i t i s b r a c i n i
Septum intermusculare brachi
—
Ν
mediale
ulnans
M . pronator teres (Origo)
M
Fr
palmaris longus (Origol
ndyius medralis
Olecranon
M. brachioradialis
Caput humerale Bursa bicipiforadialis
m
flexotis digitorum superi.
al
Tendo m. b i c i p i t i » brachi! Ν. u l n a n s M
s u p i n a t o r , R p r o f u n d u s η. r a d i a l i s H muscularisn
ulnans
R s u p e r f i c i a l i s η r a d i a is
M
extensor carpi radialis longus
M
Caput ulnare
ni f l e x o n s d i g l t o r u m s u p e r f i c i a l i s
pronator teres
M . extensor carpi radialis brevis M M
flexor carpi ulnaris flexor digitorum profundus
Caput radiale m flexons d l g i t o r u m superficialis M
flexor pollicis l o n g u s -
M . abductor pollicis
M
longus-
pronator quadratus
[I ig. c a r p i p a l m a r e ]
M
(Sc Ii: i t t r a n d )
^
Tendo m
_
—
Ν
medianus
flexons carpi radialis
lendines m flexons dlgitorum superficialis
Os p i s i f o r m e
abductor pollicis brevis
Retinaculum tiexoium M
opponens p o l l i c i s M . abductor digiti minimi (Origol
M
flexor pollicis
M
Tendo m abductoris pollicis—
flexor digiti minimi brevis
M . opponens digiti m i m m i brevis
brevis M . abductor digiti minimi (Insertiol
Mm
M . adductor pollicis
lumbricales
Tend Ines m. flexi n s d l g i t o r u m s u p e r f i c i a l i s M . ¡nterosseus dorsalis I Vagina fibrosa digiti
/
m a n u s ^
Tendines m. f l e x o n s
ligitorum profundi
(eröffnet)
Abb. 9.46: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Ansicht von vorn. III. Schicht. I. u. II. Schicht z. T. entfernt
711
9.1 Systematische Anatomie
M flexor pollicis longus (durchtrennt)
Corpus radii -
M. flexor digitorum profundus (durchtrennt)
Corpus ulnae
Membrana interassea antebrachii —
M. pronator quadratus
Tendo m flexoris carpi radialis —
Fendo rn flexoris carpi ulnaris
Retinaculum fiexorum ^ Tendo m. abductoris poihcis lungi M. abductor pollicis brevis
Os pisiforme M. abductor digiti minimi M. flexor digiti minimi brevis
Caput superficiale — __
M- opponens digiti minimi
ir, flexoris poliicis brevis M . opponens pollicis —
_
Mm. interossei
Caput profundum M. flexor digiti minimi brevis
m flexoris pollicis brevis
M. abductor digiti minimi
Tendo m. abductoris pollicis brevis
Lig. metacarpeum Tendo capitis superficialis m. flexoris pollicis brevis
transversum profundum Vaginae synoviales digitonjm manus
Caput obliquum m adductoris pollicis
— Mm. interassei palmares Caput transversum m. adductoris pollicis
/
/
Mm. interossei dorsales
M interosseus dorsalis I '
Abb. 9.47: Unterarm- und Handmuskeln eines supinierten rechten Armes. Palmaransicht. IV. Schicht
3. M. palmaris longus O. : Epicondylus medialis humeri und Fascia antebrachii. /..· Aponeurosis palmaris. L.: N. medianus (C8, Thl); Rr. musculares aus A. ulnaris. F.: Schwacher Beuger im Ellenbogen- und Handgelenk, spannt die Aponeurosis palmaris, geringe Pronation.
Klinik: 1. Die Sehne wird als autologes Transplantatmaterial (Ersatzgewebe) verwendet, 2. In ca. 14 % (n. Prescher) fehlt der Muskel (starke Rassenunterschiede). Die Aponeurosis palmaris ist immer vorhanden, auch bei Nichtanlage des Muskels.
712
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
4. M. flexor carpi ulnaris. 2 Köpfe (nach dem Ursprung •
Caput humerale. O.: Epicondylus medialis humeri und Fascia antebrachii. • Caput ulnare. O.: dorsale Fläche des Olekranons und proximale zwei Drittel des Margo posterior ulnae. /.:
Nach Zwischenschaltung des Os pisiforme (nach Pfitzner kein Sesambein sondern ein kanonisches Os carpale!) findet eine Zweiteilung der Sehne statt. Der eine Anteil erreicht als Lig. pisohamatum den Hamulus ossis hamati, die andere Partie zieht als Lig. pisometacarpale zur Basis ossis metacarpi quinti. L.: 2 Rr. musculares des N. ulnaris (C7, C8, evtl. T h l ) , die vom Canalis cubitalis aus in die Unterfläche des Muskels eintreten; A. collateralis ulnaris superior und inferior. F.: Schwacher Beuger im Ellenbogengelenk, Beuger und Ulnarduktor im Handgelenk. Klinik: Canalis cubitalis. Zwischen den beiden Ursprungsköpfen entsteht ein muskulärer Tunnel (Abb. 9.46), der den N. ulnaris von der Streckseite des Ober- auf die Beugeseite des Unterarmes führt: Prädilektionsstelle für Kompression des N. ulnaris (-> peripheres Kompressionssyndrom ! ).
Chiasma tendinum Camperi, welches in Höhe des Gelenkes zwischen Grund- und Mittelphalanx liegt. Aus diesem Verhalten leitet sich die alte Bezeichnung M. perforatus ab. Der M. flexor digitorum prof, wurde entsprechend M perforons genannt. L. : Rr. musculares des N. medianus (C7, C8, Th 1 ); Rr. musculares der A. radialis und ulnaris. F.: Schwacher Beuger im Ellenbogengelenk, Beuger im Handgelenk (Retinaculum flexorum dient als Hypomochlion!) und sehr kräftiger Beuger in den Grund- und Mittelgelenken der Finger 1I-V. •
Sehnenarkade. Zwischen humeraler und radialer Ursprungspartie spannt sich eine kräftige Sehnenarkade aus, die den N. medianus und die Vasa ulnaria überbrückt. • Komplizierte Innenarchitektur! In einer oberflächlichen Schicht liegen die Muskelbäuche für Digg. III und IV und überdecken dachziegelartig die darunter liegenden für Digg. II und V. Im weiteren Verlauf überkreuzt die Sehne von Dig. III diejenige von Dig. II. Der Muskelbauch für Dig. II (wenn selbständig: M. flexor indicis superficialis) ist oft ein zweibäuchiger Muskel, der eine deutliche Zwischensehne aufweisen kann. In diesen Fällen erhält sowohl der obere als auch der untere Muskelbauch eine eigene Nervenversorgung. 3. Schicht 1. M. flexor digitorum profundus
2. Schicht M . flexor digitorum superficialis. 3 Köpfe (nach Lage und Ursprüngen) •
Caput humerale. O.: Epicondylus medialis humeri. • Caput ulnare. O.: Proc. coronoideus ulnae. • Caput radiale. O.: Facies anterior radii unterhalb der schrägen Insertionslinie des M. pronator teres. /.:
Mit 4 Sehnen an seitlichen knöchernen Leisten im mittleren Bereich der Phalanx media von Digg. II—V. Kurz vor Erreichen des Insertionspunktes spaltet sich jede Sehne in zwei Schenkel auf (Bifurcatio tendinis), so dass ein hülsenförmiger Durchtritt für die Sehne des M. flexor digitorum profundus entsteht. Distal dieses Schlitzes vereinigen sich die beiden Sehnenschenkel partiell unter Bildung des
O.: Proximale zwei Drittel der Facies anterior ulnae und angrenzende Partie der Membrana interossea. Der Ursprung umgreift mit zwei Zacken die Tuberositas ulnae. /..· Die 4 aus den Muskelbäuchen hervorgehenden Sehnen liegen in einer Ebene parallel nebeneinander, treten durch die Sehnenschenkel des M. flexor digitorum superficialis und inserieren an der Basis der Endphalanx von Digg. Il-V. L.: N. medianus und N. ulnaris (C7, C8, T h l ) . Dabei wird der Zeigefingerbauch meist nur durch den N. medianus versorgt. Rr. musculares der A. ulnaris und A. interossea anterior. F.: beugt die Finger II-V in den Grund-, Mittelund Endgelenken, wobei die Kraftentfaltung bei dorsalflektierter Hand größer wird. Beugt und ulnarduziert im Handgelenk.
713
9.1 Systematische Anatomie
2. M. flexor pollicis longus. 2 Köpfe (nach dem Ursprung) •
Caput radiale. O.: Facies anterior radii von der Insertionslinie des M. pronator teres bis zum Oberrand des M. pronator quadratus und Membrana interassea antebrachii. • Caput humerale (inkonstant in 30 % n. Prescher). O.: Epicondylus medialis humeri.
/.:
Palmar an der Basis der Endphalanx des Daumens. L.: N. interosseus anterior (C8, T h l ) des N. medianus; Rr. musculares der A. radialis, A. interossea anterior. F.: Beugt Grund- und Endglied des Daumens, opponiert im Sattelgelenk des Daumens, beugt und radialduziert im Handgelenk. 4. Schicht (tief) M. pronator quadratus. 2 Köpfe (nach der Lage) •
Caput superficiale. O.: Facies anterior ulnae (distales Viertel), greift auf die Dorsalseite über. Dreieckig, da Ursprung schmaler als Ansatz. • Caputprofundum. O.: Facies anterior ulnae (distales Viertel). /.: Facies anterior radii (distales Viertel). L.: N. interosseus anterior (C8, T h l ) des N. medianus; A. interassea anterior. F.: kräftiger Pronator, sichert den Zusammenhalt von Radius und Ulna, Kapselspanner für das distale Radioulnargelenk. •
Zwischen den Köpfen liegt eine lockere Bindegewebeschicht, in der sich der N. interosseus anterior verzweigt.
Klinik: Unterarmfraktur. Der Muskel disloziert die distalen Bruchfragmente von Radius und Ulna.
9.1.2.5.3 Brachioradiale Muskelgruppe Diese Gruppe umfasst 4 Muskeln (Abb. 9.41, 42, 44 bis 46), die in einer oberflächlichen und einer tiefen Schicht angeordnet sind: •
oberflächliche Schicht: M. brachioradialis, M. extensor carpi radialis longus, M. extensor carpi radialis brevis. • tiefe Schicht: M. supinator.
Alle Muskeln werden vom N. radialis innerviert. 1. IM. brachioradialis O.: Margo lateralis humeri (manchmal bis zum Ansatz des M. deltoideus), Epicondylus lateralis humeri, Septum intermusculare brachii laterale. /.: Facies lateralis radii proximal der Basis des Proc. styloideus radii. L.: Rr. musculares des N. radialis (C5, C6) treten proximal der Ellenbeuge in die Unterfläche des Muskels ein; A. collateralis radialis, A. recurrens radialis. F.: Bringt den Arm in Mittelstellung zwischen Pronation und Supination, ist bei Pronation Supinator, bei Supination Pronator. Bei proniertem Arm: kräftiger Beuger im Ellenbogengelenk. 2. M. extensor carpi radialis longus (2. Sehnenfach) O.: Margo lateralis humeri (distal des M. brachioradialis), Epicondylus lateralis humeri, Septum intermusculare brachii laterale. /.: Dorsal an der Basis ossis metacarpi II. L.: Rr. musculares des N. radialis (C6, C7) treten oberhalb des Ellenbogengelenkes in den vorderen Muskelrand ein; A. collateralis radialis, A. recurrens radialis. F.: Beugung im Ellenbogengelenk, Streckung und Radialduktion im Handgelenk, bei gebeugtem Arm Pronator, bei gestrecktem Supinator. 3. M. extensor carpi radialis brevis (2. Sehnenfach) O.: Epicondylus lateralis humeri, Lig. collaterale radiale, Lig. anulare radii. /.: Dorsal an der Basis ossis metacarpi III und am Proc. styloideus ossis metacarpi III. L.: R. profundus n. radialis (C7, C8); A. collateralis radialis, A. recurrens radialis. F.: Beugung im Ellenbogengelenk, Streckung und Radialduktion im Handgelenk. 4. M. supinator O.: Freie Kante des Epicondylus lateralis humeri, Lig. collaterale radiale, Lig. anulare radii, Crista m. supinatoris ulnae. /..· An der dorsalen, lateralen und ventralen Fläche des Radius zwischen Tuberositas radii und Ansatz des M. pronator teres.
714
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
L.: R. profundus n. radialis (C5, C6, evtl. C7). Cave: Die Muskeläste verlassen den Hauptstamm vor Eintritt in den Supinatorkanal! A. recurrens radialis, A. interassea recurrens. F.: Kräftige Supination in allen Stellungen des Ellenbogengelenkes, wirkt nach Duchenne weder beugend noch streckend. Frohse-Arkade. Der M. supinator besteht aus einer oberflächlichen und tiefen Schicht, wobei der superfizielle Anteil nach distal verschoben ist. Dadurch liegt der kraniale Rand der oberflächlichen Partie auf dem Muskelfleisch des tiefen Anteiles. Dieser Rand ist häufig sehnig ausgebildet und heißt Frohse-Arkade.
1.: Gesamter radialer Rand des Os metacarpale I. L.: N. medianus (C6, C7); R. palmaris superficialis a. radialis, A. princeps pollicis, Arcus palmaris profundus. F.: Beugt und adduziert den Daumen im Sattelgelenk, dreht das Os metacarpale I bei der Opposition um seine Längsachse. 3. M. flexor pollicis brevis. Nach den Ursprüngen werden 2 Köpfe unterschieden: • •
Caput superficiale. O.: Retinaculum flexorum. Caputprofundum. O.: Os trapezium, Os trapezoideum und Os capitatum.
/.:
Klinik: Frohse-Arkade. Prädilektionsstelle für Kompression des R. profundus n. radialis am Eingang in den Supinatorkanal (—» peripheres Kompressionssyndrom ! ). Supinatorkanal (Supinatorschlitz). Zwischen oberflächlichem und tiefem Anteil liegt der Supinatorkanal, in dem der R. profundus n. radialis verläuft.
9.1.2.6
Kurze Handmuskeln
Einteilung: 3 Gruppen werden unterschieden (Abb. 9.45 bis 49): 4 Thenarmuskeln (= Daumenballenmuskeln). 3 mittlere Handmuskeln. 4 Hypothenarmuskeln (= Kleinfingerballenmuskeln). Thenar- oder Daumenballenmuskeln (Abb. 9.45 bis 47) 1. M. abductor pollicis brevis 0. : Retinaculum flexorum, Tuberculum ossis scaphoidei. 1. : Über das radiale Sesambein seitlich am Rand der Grundphalanx des Daumens. L.: N. medianus (C6, C7); R. palmaris superficialis a. radialis. F.: Abduktion und Opposition im Sattelgelenk des Daumens, Beugung im Grundgelenk, evtl. Streckung im Endgelenk (über die Dorsalaponeurose). 2. M. opponens pollicis O.: Retinaculum flexorum, Tuberculum ossis trapezii.
Beide Köpfe setzen am radialen Sesambein und an der Grundphalanx des Daumens an. L.: 1. Caput superficiale: N. medianus (C6, C7), 2. Caput profundum: R. profundus n. ulnaris (C6, C7); R. palmaris superficialis a. radialis, A. princeps pollicis, Arcus palmaris profundus. F.: Das Caput superficiale abduziert, opponiert und beugt im Sattelgelenk. Das Caput profundum adduziert, opponiert und beugt im Sattelgelenk. Der Gesamtmuskel beugt im Grundgelenk. 4. M. adductor pollicis. Nach den Ursprung und Verlauf werden 2 Köpfe unterschieden •
Caput transversum. O.: palmare Fläche des Os metacarpale III. • Caput obliquum. O.: palmare Basis des Os metacarpale II und III, Os capitatum, Os hamatum und Lig. carpi radiatum. /.:
Beide Köpfe setzen gemeinsam am ulnaren Sesambein, an der Gelenkkapsel und an der Basis der Grundphalanx des Daumens an. L.: R. profundus n. ulnaris (C8, Thl); Arcus palmaris profundus. F.: Adduziert und opponiert im Sattelgelenk des Daumens, beugt im Grundgelenk. Mittlere Handmuskeln (Abb. 9.45 bis 49) 1. Mm. lumbricales. 4 Muskelindividuen, die von radial nach ulnar gezählt werden: • I, II sind einköpfig, • III, IV zweiköpfig. Äußerst variable Muskeln! O.: I und II; von den radialen, sehnenscheidenfreien Flächen der 2. und 3. Sehne des M. flexor digitorum profundus. III und IV: von
9.1 Systematische Anatomie
den einander zugekehrten Flächen der 2. und 3. sowie der 3. und 4. Sehne des tiefen Beugers. I.: Strahlen am radialen Rand von Digg. II—V in die Dorsalaponeurose ein. L: Mm. I, II: N. medianus ( C 8 , T h l ) , Mm. III, IV: N. ulnaris (C8, T h l ) ; die Medianusäste treten von palmar, die Ulnarisäste von dorsal in die Muskelbäuche ein; Arcus palmaris superficialis. F.: Beugung in den Fingergrundgelenken (Startermuskeln), Streckung im Mittel- und Endgelenk. Ihr transportabler Ursprung verhindert eine frühzeitige Insuffizienz!
715
L.:
R. profundus n. ulnaris (C8, T h l ) ; Arcus palmaris profundus. F.: Beugung im Grundgelenk und Streckung im Mittel- und Endgelenk (in Zusammenarbeit mit den Mm. interossei dorsales). Sie adduzieren den Zeige-, Ring- und Kleinfinger auf den Mittelfinger. 3. Mm. interossei dorsales (Abb. 9.49). 4 zweiköpfige Muskeln zwischen den Ossa metacarpalia I-V; Zählweise von radial nach ulnar. O.: Von den jeweils einander zugekehrten Flächen der Ossa metacarpalia I-V. • • • •
I strahlt an der Radialseite neurose von Dig. II ein. II strahlt an der Radialseite neurose von Dig. III ein. III strahlt an der Ulnarseite neurose von Dig. III ein. IV strahlt an der Ulnarseite neurose von Dig. IV ein.
in die Dorsalapoin die Dorsalapoin die Dorsalapoin die Dorsalapo-
Abb. 9.48: Mm. interassei palmares (η. Η. Μ. Schmidt und U. Lanz)
2. Mm. interossei palmares (Abb. 9.48). 3 einköpfige Muskelindividuen an Digg. II, IV, V; Zählweise von radial nach ulnar. O.: M. interosseus I: ulnare Fläche des Os metacarpale II. M. interosseus II und III: radiale Fläche des Os metacarpale IV bzw. V. /.: Strahlen an der Basis der Grundphalanx in die Dorsalaponeurose von Digg. II, IV bzw. V ein.
Abb. 9.49: Mm. interossei dorsales (n. H. M. Schmidt und U. Lanz)
716
9 Arm, obere GliedmaBe, Membrum superius
L. : R. profundus n. ulnaris (C8, Th 1 ), Arcus palmaris profundus. F.: Beugung im Grundgelenk und Streckung im Mittel- und Endgelenk (in Zusammenarbeit mit den Mm. interossei palmares). Spreizung der Finger II, III und IV: Radialduktion des Zeigefingers, Ulnarduktion des Ringfingers, Ulnar- und Radialduktion des Mittelfingers. Hypothenar- oder (Abb. 9.44 bis 47)
Kleinfingerballenmuskeln
1. M. palmaris brevis O.: Ulnarer Rand der Aponeurosis palmaris, Retinaculum flexorum. /.: In der Haut über dem Kleinfingerballen. L.: R. superficialis n. ulnaris (C8, Thl); A. ulnaris. F.: Schützt die unter ihm verlaufenden Leitungsbahnen (Vasa ulnaria, N. ulnaris), Hautanspannung. 2. M. abductor digiti minimi O.: Retinaculum flexorum, Os pisiforme, Lig. pisohamatum und Sehne des M. flexor carpi ulnaris. /.: Am ulnaren Rand der Basis der Grundphalanx des 5. Fingers. L.: R. profundus n. ulnaris (C8, Thl); R. palmaris profundus a. ulnaris. F.: Abduziert und beugt im Kleinfingergrundgelenk, streckt im Mittel- und Endgelenk. 3. M. flexor digiti minimi brevis O.: Retinaculum flexorum, Hamulus ossis hamati. /.: Palmar an der Basis und ulnaren Kante der Grundphalanx des Kleinfingers. L.: R. profundus n. ulnaris (C8, Thl); A. ulnaris. F.: Beugt den Kleinfinger im Grundgelenk, streckt im Mittel- und Endgelenk. 4. M. opponens digiti minimi O.: Retinaculum flexorum, Hamulus ossis hamati. /.: Ulnarer Rand des Os metacarpale V. L.: R. profundus η. ulnaris (C8, Thl); R. palmaris profundus a. ulnaris. F.: Opponiert (gering) den Kleinfinger im Karpometakarpalgelenk und beugt im Grundgelenk.
9.1.2.7
Faszien, Sehnenscheiden
Oberarmfaszie, Fascia brachii. Eine bindegewebige Umhüllung der Oberarmmuskulatur, die sich proximal in die Oberflächenfaszien der Schulter und distal in die Fascia antebrachii fortsetzt. Compartimentum brachii flexorum und extensorum. An der medialen und lateralen Seite des Oberarms wird je ein Septum intermusculare brachii mediale und laterale in die Tiefe zum Humerus geschickt. Dadurch entsteht je eine osteofibröse Loge fur die Beuger (Compartimentum brachii flexorum) und die Strecker (Compartimentum brachii extensorum). •
Septum intermusculare brachii mediale. Das mediale Septum ist kräftiger als das laterale und erstreckt sich vom Ansatz des M. coracobrachialis bis zum Epicondylus medialis; es dient als Muskelursprung und wird vom N. ulnaris und den Aa. collatérales ulnaris superior et inferior durchbohrt. • Septum intermusculare brachii laterale, erstreckt sich vom Ansatz des M. deltoideus bis zum Epicondylus lateralis; es wird vom N. radialis und der A. collateralis radialis perforiert. Unterarmfaszie, Fascia antebrachii. Die 3 Muskelgruppen des Unterarmes werden von einer gemeinsamen Faszie, Fascia antebrachii, umschlossen. Proximal ist diese sehr derb und dient vielen Muskeln als zusätzlicher Ursprung. In der Mitte des Unterarmes wird sie dünner, um distal durch zusätzliche Ringfasern wieder an Stärke zu gewinnen. Die Fascia antebrachii ist am Olecranon, an der subkutanen Kante der Ulna und am distalen Drittel des Radius befestigt. Retinaculum musculorum extensorum. Die Ringfasern bilden dorsal das Retinakulum. Dieses schickt Septen zum darunterliegenden Knochen, wodurch 6 osteofibröse Logen (Sehnenfacher) entstehen, durch die die Streckersehnen mit ihren Sehnenscheiden zur Hand geführt werden. Sehnenfächer. Sie werden von radial nach ulnar gezählt und enthalten die Sehnen folgender Muskeln: 1. Fach: M. abductor pollicis longus und M. extensor pollicis brevis 2. Fach: M. extensor carpi radialis longus und M. extensor carpi radialis brevis
9.1 Systematische Anatomie
3. Fach: M. 4. Fach: M. M. 5. Fach: M. 6. Fach: M.
extensor extensor extensor extensor extensor
pollicis longus digitorum communis und indicis digiti minimi carpi ulnaris.
Lig. carpi volare (sive palmare). Palmar wird von der Fascia antebrachii das oberflächliche Lig. carpi volare gebildet, das sich zwischen der Sehne des M. flexor carpi ulnaris und dem radialen Rand der Sehne des M. palmaris longus ausspannt. Es fixiert die nicht durch den Canalis carpi ziehende Sehne des M. palmaris longus und die ulnaren Leitungsbahnen. Muskellogen. Die Fascia antebrachii schickt 3 stärkere bindegewebige Septen in die Tiefe, die gemeinsam mit den Unterarmknochen und der Membrana interossea 3 Muskellogen begrenzen: •
Compartimentum antebrachii flexorum mit Pars superficialis und Pars profunda • Compartimentum antebrachii extensorum • Compartimentum antebrachii extensorum pars lateralis. In der Ellenbeuge setzt sich die Faszie kontinuierlich in die Oberarmfaszie fort; sie besitzt hier Schlitze fur den Durchtritt von Venen und Hautnerven. Aponeurosis dorsalis digiti manus (Abb. 9.50 a). Dreieckige, kompliziert aufgebaute Bindegewebeplatte auf der Dorsalseite des Fingers, die sich von den Grund- bis zu den Endgliedern erstreckt. Sie ist mit der Gelenkkapsel des Grundgelenkes nicht, mit denjenigen der Mittel- und Endgelenke jedoch fest verwachsen. •
Tractus intermedius, die Dorsalaponeurose weist Längszüge auf (gemeinsam als Tractus intermedius bezeichnet) die als Fortsetzung der Sehnen der extrinsischen Handmuskeln (M. extensor digitorum, M. extensor indicis, M. extensor digiti minimi) anzusehen sind: • Pars medialis (mittlerer Längszug), inseriert an der Basis der Grund- und Mittelphalanx. • Pars lateralis (paarig; radialer und ulnarer seitlicher Längszug). Diese Züge divergieren und vereinigen sich mit den Sehnen der Mm. lumbricales et interossei zum Tractus lateralis, um dann gemeinsam an der Basis des Endglieds zu inserieren.
717
•
Tractus lateralis, von radial und ulnar wird der Tractus intermedius von je einem Randzug (Tractus lateralis) flankiert, an dem die Binnenmuskeln der Hand (Mm. lumbricales et interossei) inserieren. Da der Randzug beim Mittelund Endgelenk dorsal der Bewegungsachse der beiden Gelenke verläuft, bewirken die Muskeln hier eine Streckung. Beim Grundgelenk liegt der Randzug palmar der Bewegungsachse, so dass eine Beugung resultiert. • Lamina intertendinea superficialis Landsmeer (Abb. 9.50 a), zwischen Tractus intermedius und Tractus lateralis gelegene, dreieckige Faserplatte (angloamerik. extensor hood oder interosseus hood). Wird in eine proximale Pars transversa und eine distale Pars obliqua unterteilt. • Lamina triangularis (sive Lig. triangulare). Dreieckige, dünne Faserplatte zwischen dem Ansatz des Tractus intermedius an der Basis des Mittelgliedes und den zusammenlaufenden Anteilen des Tractus lateralis. Sehnenscheiden der Handwurzel, Vaginae tendinum carpales (Abb. 9.50 b). Um ein reibungsfreies Gleiten der Sehnen zu erreichen, sind auf der Flexoren- und Extensorenseite Sehnenscheiden vorhanden. Auf der Extensorenseite liegen die Sehnenscheiden in den Strecksehnenfachern (s. Kap. 9.1.2.5.1, S. 703).
2 Sehnenscheiden finden sich auf der Beugeseite im ulnaren Fach des Canalis carpi: •
Vagina communis tendinum musculorum flexorum, ulnar gelegene Scheide, die die 8 Sehnen der Mm. flexores digitorum superficialis et profundus mit einem gemeinsamen Mesotendineum umfasst. Sie beginnt proximal von der oberen Handwurzelbeugefalte und endet distal vom Retinaculum flexorum über den Basen der Mittelhandknochen. Beim Erwachsenen steht die digitale Sehnenscheide des Kleinfingers gewöhnlich mit ihr in Verbindung. • Vagina tendinis musculi flexoris pollicis longi, liegt radial neben der vorigen und enthält die Sehne des langen Daumenbeugers. Beim Erwachsenen reicht sie bis zur Basis der Nagelphalanx.
718
9 Arm, obere Gliedmaße, M e m b r u m superius
Tractus lateralis _ _
—
— —
P a r s t e r m i n a l is Lamina triangularis —
—
_
Pars l a t e r a l i s Pars m e d i a l i s
Lig. r e t i n a c u l a r e o b l l q u u m
''
(Landsmeer)
Tractus i n t e r m e d i u s Pars l a t e r a l i s Pars m e d l a l i s
M.
/ / / lumbricalis
\
Pars o b q u a u n d
V I I
Pars t r a n s v e r s a der
\
Lig. s a g i t t a l e
Lamina intertendlnea superficialis
M. interosseus
(Landsmeer)
\ Sehnen des M. extensor digitorum
Abb. 9.50 a: A p o n e u r o s i s dorsalis. 1: A n s i c h t v o n d o r s a l u n d 2: A n s i c h t v o n p a l m a r ; rot: Insertionsstellen d e r D o r s a l a p o n e u r o s e a m K n o c h e n (η. H. M. S c h m i d t u n d U. L a n z )
1 Sehnenscheide Canalis carpi •
liegt im radialen
Fach des
Vagina tendinis musculi flexor is carpi radialis, verläuft in eigenem osteofibrösen Kanal.
Sehnenscheiden der Finger, Vaginae synoviales digitorum manus (Abb. 9.50 b). Liegen im
Bereich der Finger, beginnen über den Köpfen der Mittelhandknochen und reichen bis zur Basis der Nagelphalanx. Die Scheide des Dig. V hängt meist mit der Vagina communis tendinum mm. flexorum zusammen. Diese Sehnenscheiden werden durch die Vaginae fibrosae digitorum manus verstärkt, die über den Schaftbereichen der Fingerknochen
719
9.1 S y s t e m a t i s c h e A n a t o m i e
Radius
Ulna Vagina communis tendinurn m m
V a g i n a t e n d i n i s m . f l e x o r i s poll i ci s I ο η g í
fiexorum
Restricta
T u b e r c u l u m ossis s c a p h o i d e i
Rascetta T u b e r c u i u m ossis
Os p i s i f o r m e
Retinaculum fiexorum
H a m u l u s ossis h a m a t i
(Lig. carpi t r a n s v e r s u r n ] Linea Vitalis Linea c e p h a l i c a Linea m e n s a l i s Monticuli
Vaginae synoviales digitorum manus
Abb. 9 . 5 0 b: S e h n e n s c h e i d e n ( b l a u ) in d e r B e u g e f l ä c h e d e r H a n d . Z u r t o p o g r a p h i s c h e n Orient i e r u n g s i n d B e u g e f a l t e n , Skelett u n d R e t i n a c u l u m f i e x o r u m e i n g e z e i c h n e t
Dorsalaponeurose
L¡g c o l l a t e r a l e der A r t i c u l a t i o
\ Λ
interphalangea distalis
Articulatio metacarpophalangea
\
/
/ Tendo m . e x t e n s o r i s d i g i t o r u m
\
_ — —
Os m e t a c a r p a l e
— — M . iumbricaiis
T e n d o m. f l e x o r i s digitorum profundi (Ansatz)
\ // \C
M . interosseus
Vincula brevia tendinis
Tendo m. f l e x o r i s d i g i t o r u m p r o f u n o Tendo m. f l e x o r i s d i g i t o r u m s u p e r f i c i a l i s
Abb. 9.51 : V i n c u l a t e n d i n u m . L a g e d e r S e h n e n z u d e n A c h s e n d e r F i n g e r g e l e n k e . Die L a g e d e r A c h s e n ist d u r c h Punkt u n d Kreis m a r k i e r t
besonders kräftig ausgebildet sind und die Ringbänder (Partes anulares vaginae fibrosae, annular pulleys, Al- A5) und die Kreuzbänder (Partes cruciformes vaginae fibrosae, cruciform pulleys, C1-C3) ausbilden.
Sehnenfesseln, Vincula tendinum. Im Bereich der Grund- und Mittelphalanx fuhren die Vincula ( Vinculum ìongum und Vincula brevia, Abb. 9.51) Blutgefäße aus dem Periost zur Sehne. Diese Vincula sind als Reste des Mesotenons aufzufassen und
720
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
stellen den einzigen Versorgungsweg der Sehnen dar. Sie sind deshalb bei Operationen zu erhalten! Klinik: 1. Panaritium tendinosum. Eitrige Entzündung einer Sehnenscheide. Sehnenscheiden haben eine große praktische Bedeutung, da sich Entzündungen in ihnen rasch ausbreiten. 2. V- oder Y-Phlegmone. Überspringen eines Panaritium tendinosum von einem randständigen Finger auf den anderen. Vom Daumen oder Kleinfinger wird die Entzündung in den Canalis carpi fortgeleitet, wo die Sehnenscheiden der beiden Finger sehr dicht beieinander liegen. Die dünne Trennwand wird eingeschmolzen, so dass sich die Entzündung auf die Sehnenscheide des gesunden randständigen Fingers und danach wieder nach distal ausbreitet, 3. Ganglion. Überbein, Zystenbildung von Gelenkinnenhaut oder Sehne, v. a. an der Streckseite des Handgelenks. 4. Schnellender Finger. Verengung der Pars anularis vaginae fibrosae tendinum oder knötchenartige Verdickung der Beugesehnen über den Fingergrundgelenken mit Einschränkung der Gleitfähigkeit der Beugesehnen und typischem Schnapp-Phänomen bei Beugung und Streckung in den Mittel- und Endgelenken (-> Missverhältnis zwischen Raumangebot und -inhalt). Therapie: Spaltung des fibrösen Anteiles der Verstärkungsbänder der Sehnenscheide.
9.1.3
Leitungsbahnen
9.1.3.1
Arterien, Arteriae membri superiors
Lernziele: Α. axillaris, Α. brachialis, Α. radialis, Α. ulnaris, Arterien der Hand: Verzweigungen, Kollateralkreisläufe. Die obere Gliedmaße wird von einem großen Arterienstamm (Abb. 9.52) versorgt, der die A. subclavia fortsetzt —> A. axillaris —> A. brachialis (am Oberarm). Diese gibt die A. radialis (am Ellenbogengelenk) ab und zerfallt in 2 Endäste: A. ulnaris und A. interossea communis.
9.1.3.1.1 Achselarterie, A. axillaris Die A. axillaris ist die Fortsetzung der A. subclavia (s. Kap. 10.7.2.1.2, S. 881) unterhalb der Clavicula und des M. subclavius. Sie verläuft durch die Achselhöhle, verlässt diese am unteren Rande des M. pectoralis major und wird fortan A. brachialis genannt. Ihre Äste versorgen das Schultergebiet und gehen mit den Ästen der A. subclavia wichtige Anastomosen ein. Dadurch entstehen arterielle Kollateralen, die für die Versorgung des Armes wichtig sein können. Astfolge [> Rr. subscapulares, kleine Äste zur Versorgung des M. subscapularis. \> A. thoracica superior, entspringt oberhalb des M. pectoralis minor, versorgt die Mm. pectorales, den M. subclavius, die oberen Serratuszacken und die Mm. intercostales I und II. D> A. thoracoacromialis, geht am Oberrand des M. pectoralis minor ab, durchbricht die Fascia clavipectoralis und teilt sich dann in der Mohrenheim-Grube in: - R. acromialis, verläuft unter dem M. pectoralis major und dem M. deltoideus lateralwärts, versorgt diese Muskeln und endet im Rete acromiale. - R. clavicularis, versorgt Articulatio sternoclavicularis, Clavicula und M. subclavius. - R. deltoideus, steigt im Sulcus deltoideopectoralis abwärts und versorgt den M. deltoideus. - Rr. pectorales, verlaufen zwischen den beiden Mm. pectorales und versorgen diese. [> A. thoracica lateralis, entspringt hinter dem M. pectoralis minor und versorgt die Muskeln der seitlichen Brustwand. Am unteren Rande des M. pectoralis major ziehen Zweige zur Haut der Brust und zur Brustdrüse (Rr. mammarii laterales). t> A. subscapularis, entspringt am lateralen Rand des M. subscapularis und teilt sich nach der Abgabe kleiner Äste zum gleichnamigen Muskel in: - A. circumflexa scapulae, erreicht durch die mediale, dreieckige Achsellücke die Dorsalfläche des Schulterblattes, wo sie unter dem M. infraspinatus eine Anastomose mit der A. suprascapularis eingeht.
9.1 Systematische Anatomie
721
R. clavicularis R. acromialis
A. thoracoacromialis
v
A. axillaris
R. deltoideus
Rr. pectorales
• Rr. subscapulares
-
A. thoracica lateralis A. circumflexa humeri posterior A. subscapulars
Α. circumflexa humeri anterior
Α. circumflexa scapulae A. brachialis A. thoracodorsalis
A collaterals medta
A. collateralis radialis
Α. recurrens radialis —
Α. recurrens interassea
R. carpalis palmaris a radialis
χ
R. carpalis palmaris a ulnaris R palmaris superficialis a. radialis
-
R carpalis dorsalis
x
R. palmaris profundus a. ulnaris
^
A. princeps pollicis
R palmaris superficialis a. ulnaris
-
Arcus palmaris profundus
-
Arcus palmaris superficialis
A radialis indicts .
Aa. digitales palmares communes
Aa m e t a c a r p a l s palmares
m
' Γ ι ι ι '—' —' —' —1 —^ —
Aa. digitales palmares propriae
Abb. 9.52: Schema der Arterienversorgung des Armes
722
- A. thoracodorsal is, verläuft mit dem gleichnamigen Nerven zwischen M. latissimus dorsi und M. serratus anterior am lateralen Rand der Scapula nach kaudal und versorgt beide Muskeln. 0 A. circumflexa humeri anterior, schlingt sich ventral um das Collum chirurgicum humeri, zieht unterhalb des M. coracobrachialis zum Sulcus intertubercularis, in dem sie mit einem Ast zum Schultergelenk gelangt. Versorgt auch den M. deltoideus und die lange Bizepssehne. [> A. circumflexa humeri posterior, stärker als die vorige, zieht mit dem N. axillaris durch die viereckige laterale Achsellücke, schlingt sich, dem Knochen direkt anliegend, dorsal um das Collum chirurgicum humeri und versorgt den M. deltoideus, den lateralen und langen Trizepskopf, das Schultergelenk und das subakromiale Gleitlager. Im Bereich der Scapula kommen 2 Gefaßnetze vor, die für die Ausbildung von Kollateralkreisläufen wichtig werden können: •
Rete arteriosum acromiale, Gefäßnetz auf dem Acromion, hauptsächlich gespeist vom R. acromialis der A. thoracoacromialis, kleinen Ästchen der A. suprascapularis und Zuflüssen aus der A. circumflexa humeri posterior. • Rete arteriosum scapulare, Gefäßnetz direkt auf der Scapula, hauptsächlich gespeist von A. transversa colli, A. suprascapularis und A. circumflexa scapulae.
9.1.3.1.2 Oberarmarterie, A. brachialis Die A. brachialis ist die Fortsetzung der A. axillaris ab Unterrand des M. pectoralis major. Sie zieht unter Abgabe von Muskelästen im Sulcus bicipitalis medialis nach distal bis zur Ellenbeuge. Hier wird sie von der Aponeurosis m. bicipitis brachii (sive Lacertus fibrosus) überbrückt und gibt in Höhe des Gelenkspaltes der Articulado cubiti die Α. radialis ab, um anschließend in ihre beiden Endäste zu zerfallen: A. ulnaris und A. interossea communis. Astfolge [> A. profunda brachii, entspringt knapp distal der Ansatzsehne des M. teres major und zieht zwischen lateralem und medialem Trizepskopf zur Streckseite des Oberarmes. Hier verläuft sie
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
mit dem N. radialis durch den Sulcus η. radialis, dem Knochen der Humerusrückfläche direkt anliegend. Außer mehreren Rr. musculares werden 4 Aste abgegeben: • Aa. nutriciae humeri, ziehen in das proximale Foramen nutricium. • R. deltoideus, versorgt den gleichnamigen Muskel. • A. collateralis media, erreicht unter dem medialen Trizepskopf das Olecranon. • Α. collateralis radialis, verläuft mit einem R. anterior in Begleitung des N. radialis zur Beugeseite und mit einem R. posterior zur Streckseite des Ellenbogengelenkes. [> A. collateralis ulnaris superior, entspringt nur wenig distal der A. profunda brachii, erreicht in Begleitung des N. ulnaris hinter dem Septum intermusculare brachii mediale die Rückseite des Ellenbogengelenkes und beteiligt sich an der Bildung des Rete articulare cubiti. D> Α. collateralis ulnaris inferior, entspringt kurz oberhalb des Gelenkes, verläuft zuerst auf dem M. brachialis, perforiert dann das Septum intermusculare brachii mediale und mündet distal in das Rete articulare cubiti. Rete articulare cubiti: die 4 beschriebenen Aa. collatérales bilden mit 3 rückläufigen Arterien, Aa. recurrentes, aus der A. radialis und A. ulnaris ein arterielles Gefäßnetz für das Ellenbogengelenk. Klinik. Diese Arterienanastomosen sind so erweiterungsfähig, dass die A. brachialis distal vom Abgang der A. profunda brachii ohne Gefahr für den Unterarm unterbunden werden kann (-> doppelte Unterbindung ist bei Verletzungen notwendig!).
9.1.3.1.3 Speichenarterie, A. radialis Die A. radialis setzt die Richtung der A. brachialis fort und folgt dem Verlauf des Radius. An der Handwurzel wendet sie sich durch die Tabatière zum Handrücken und dringt zwischen den Basen der Mittelhandknochen I und II in die Hohlhand ein. Dort bildet sie mit dem tiefen Ast der A. ulnaris den tiefen Hohlhandbogen, Arcus palmaris profundus. In der ganzen Länge des Unterarmes liegt sie oberflächlich:
723
9.1 Systematische Anatomie
- im proximalen Drittel zwischen M. brachioradialis und M. pronator teres. - in den distalen Zweidritteln zwischen M. brachioradialis und M. flexor carpi radialis. Sie wird vom R. superficialis n. radialis begleitet. Astfolge Ο Α. recurrens radialis, läuft neben dem N. radialis zurück zum Oberarm und anastomosiert mit der A. collateralis radialis (Rete articulare cubiti). t> A. nutricia radii, zieht in das Foramen nutricium des Radius. D> R. carpalis palmaris, kleiner, dem Knochen aufliegender Ast zum Rete carpale palmare. [> R. palmaris superficialis, meist sehr dünner Ast, der über oder durch den M. abductor pollicis brevis zum Arcus palmaris superficialis zieht. t> R. carpalis dorsalis, zieht zum Rete carpale dorsale, das noch Äste des R. carpalis dorsalis a. ulnaris und die Endäste der A. interossea anterior und posterior erhält. Aus dem Handrückennetz gehen hervor: Aa. metacarpales dorsales 11-V, die sich in je 2 Aa. digitales dorsales für den 2.-5. Finger teilen. [> A. metacarpalis dorsalis I, kommt direkt aus der A. radialis. [> A. princeps pollicis, entspringt nach dem Durchtritt der A. radialis durch den M. interosseus dorsalis 1 und teilt sich in zwei Aa. digitales palmares propriae tur den Daumen. Außerdem gibt sie die A. radialis indicis für die radiale Seite des Zeigefingers ab. Dieses Gefäß kann auch selbständig aus dem Arcus palmaris profundus entspringen (~ 12 %). D> Arcus palmaris profundus, tiefer Hohlhandbogen, liegt proximal vom oberflächlichen auf den Basen der Mittelhandknochen. Den Hauptblutstrom liefert die A. radialis, den geringeren der R. palmaris profundus der A. ulnaris. Äste: [> 3-4 Aa. metacarpales palmares, versorgen die Mm. interossei. Ihre Endäste münden meist in die Aa. digitales palmares communes. [> Rr. perforantes, anastomosieren zwischen den Mittelhandknochen mit den Aa. metacarpales dorsales.
9.1.3.1.4 Ellenarterie, A. ulnaris und Zwischenknochenarterie, A. interassea communis A. ulnaris. Dieser Endast der A. brachialis verschwindet unter dem M. pronator teres und strebt zwischen oberflächlichen und tiefen Beugern zur Ulnarseite, um dort in Begleitung des N. ulnaris an der radialen Seite des M. flexor carpi ulnaris (Leitmuskel!) zur Handwurzel herabzuziehen. Hier verläuft sie über dem Retinaculum flexorum und unter der Palmaraponeurose zum oberflächlichen Hohlhandbogen. Nur im distalen Drittel des Unterarms ist sie tastbar und aufzusuchen! Astfolge Ο Α. recurrens ulnaris, verläuft mit ihrem R. anterior vor und mit ihrem R. posterior hinter dem Epicondylus medialis zum Rete articulare cubiti und anastomosiert mit den Aa. collatérales ulnares. O A. nutricia ulnae, zieht in das Foramen nutricium der Ulna. t> A. comitans n. mediani (entspringt oft auch aus der A. interossea anterior), ein zartes Ästchen, das den N. medianus begleitet. Sie ist als Rest einer ehemaligen großen Arterie des Unterarmes anzusehen. Nur selten 8 %) bleibt dieses große Gefäß als A. mediana erhalten und ersetzt die A. radialis. D> R. carpalis dorsalis, zieht zum Rete carpale dorsale. [> R. carpalis palmaris, zieht zum Rete carpale palmare. \> R. palmaris profundus, durchbohrt distal vom Os pisiforme die Hypothenarmuskulatur und bildet in der Tiefe mit der A. radialis den Arcus palmaris profundus. t> Arcus palmaris superficialis. Endast der A. ulnaris. Er erhält einen spärlichen Zufluss durch den R. palmaris superficialis a. radialis und liegt distaler als der tiefe Hohlhandbogen zwischen der Palmaraponeurose und den Beugersehnen. Sehr variabel, zahlreiche Sonderfälle. Nur in ~ 40 % ist überhaupt ein geschlossener Bogen ausgebildet. In ~ 60 % kommt ein unvollständiger Bogen vor. Äste: - Aa. digitales palmares communes, teilen sich auf Höhe der Basen der Grundphalangen in je 2 Aa. digitales palmares propriae.
724
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
A. interassea communis. Dieser starke Endast teilt sich bald in: 0 A. interossea anterior, verläuft auf der Membrana interassea antebrachii bis zum M. pronator quadratus, durchbohrt hier die Membran und endet im Rete carpale dorsale. [> Α. interossea posterior, tritt durch die Membrana interossea antebrachii zur Streckseite, durchbohrt dort den M, supinator, gibt die A. interossea recurrens ab und verläuft zum Rete carpale dorsale. Die A. interossea recurrens zieht lateral vom Olecranon unter dem M. anconaeus zum Rete articulare cubiti und anastomosiert mit dem R. posterior der A. collateralis radialis. Klinik: 1. Unterbindung. Die Arterien von Unterarm und Hand gehen zahlreiche Verbindungen ein. Bei Verletzung beide Enden unterbinden! 2. Radialispuls. Die A. radialis ist wegen der oberflächlichen Lage ideal, um den Puls zu palpieren —» Pulsader. Beurteilt werden: Regelmäßigkeit (-» Extrasystolie?) und Frequenz (Brady-, Tachykardie, ggf. Pulsdefizit), 3. Provisorische Blutstillung bei Arterienverletzung. Durch digitale Kompression des Gefäßes (A. axillaris, A. brachialis) gegen den Knochen, 4. Esmarch-Blutleere ist conditio sine qua non in der Handchirurgie, Ischämietoleranz < 1,5 Std., 5. Raynaud-Syndrom. Sporadische Gefaßkrämpfe mit Ischämie, meist an den Arterien der Finger (Digg. II-V), besonders bei Frauen.
9.1.3.2
Venen, Venae membri superioris
Lernziele: Vv. superficiales (V. cephalica, V. basilica, Venenvarietäten der Ellenbeuge), Vv. profundae, wichtige klinische Aspekte. Das venöse Blut der oberen Extremität wird über zwei Systeme (Abb. 9.53, 54) nach zentral abgeführt: 1. Vv. superficiales membri superioris (sive Vv. subcutaneae, Hautvenen), liegen oberflächlich und epifaszial, 2. Vv. profundae membri superiores (sive Vv. comitantes, Begleitvenen), liegen tief und subfaszial. Beide Venensysteme haben Klappen und stehen durch Rr. perforantes miteinander in Verbindung.
Vv. superficiales. Das Hautvenensystem bildet sehr variable Netze aus, die oft bläulich durchscheinen. Diese sind am Handrücken weit- und in der Hohlhand wegen der Druckbelastung engmaschig. An der Hand wird das Blut gesammelt im: •
Rete venosum dorsale manus, erhält Zuflüsse von klappenlosen Vv. intercapitulares (liegen zwischen den Köpfchen der Mittelhandknochen) und Vv. metacarpales dorsales. • Arcus venosus palmaris superficialis, erhält Zuflüsse von den Vv. digitales palmares. Aus dem Rete venosum dorsale manus entwickeln sich 2 größere am Unterarm liegende Venenstämme: t> V. basilica antebrachii (ulnare Seite) t> V. cephalica antebrachii (radiale Seite) [> Fakultativ kann noch eine V. mediana antebrachii oder eine V. cephalica accessoria antebrachii (liegt zuerst auf der Dorsalseite des Unterarms und mündet dann in die V. cephalica ein) ausgebildet sein. V. mediana cubiti. In der Ellenbeuge werden die Hauptvenen durch eine von radial und distal nach ulnar und proximal verlaufende V. mediana cubiti verbunden, die meist zur Blutentnahme und zur i. v. Injektion verwendet wird. V. mediana antebrachii. Ist diese Vene an der Unterarmbeugeseite entwickelt, so gabelt sie sich in der Ellenbeuge V-förmig in eine V. mediana cephalica und in eine V. mediana basilica, die die V. mediana cubiti ersetzen. V. basilica, verläuft am Oberarm im Sulcus bicipitalis medialis, durchbohrt bereits in der Mitte des Oberarms die oberflächliche Faszie (Hiatus basilicus) und mündet in die V. brachialis. Die V. cephalica liegt meist an der lateralen Fläche des M. biceps brachi i oder aber im Sulcus bicipitalis lateralis, zieht dann zwischen M. deltoideus und M. pectoralis major zum Trigonum deltoideopectorale, um nach Durchbohrung der Fascia clavipectoralis in die V. axillaris einzumünden. Diese setzt sich in die V. subclavia fort. Vv. profundae. Die tiefen Venen begleiten die Arterien und sind mit ihnen durch eine gemeinsame Gefäßscheide verbunden. Nur die proximalen Abschnitte der V. brachialis, V. axillaris und V.
725
9.1 Systematische Anatomie
Clavicula
/ M deltoideus -
. . .
V. cephalica im Sulcus deltoideopectoralis
- M. pectoralis major
V. cephalica -
ÌJ
- N . cutaneus brachii medialis - M. biceps brachii - N. cutaneus antebrachii medialis
M. brachialis -
- V. basilica
- ΐ ~R. posterior n. cutanei antebrachii medialis
Ν. cutaneus antebrachii lateralis V. mediana cephalica -
- R. anterior n. cutanei antebrachii medialis
- V. mediana basilica -Ulnare Muskelgruppe
Radiale Muskelgruppe - V. mediana antebrachii V. cephalica antebrachii -
V. basilica antebrachii
R. superficialis n. radialis
- R. palmaris n. ulnaris
R. palmaris n. mediani
- Lig. carpi palmare
Aponeurosis palmaris
Abb. 9.53: Hautnerven und Hautvenen eines rechten Armes von vorn (G. Wilcke, präp., H. Link del.)
Â
• Nn. digitales palmares proprii
726
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
9.1 S y s t e m a t i s c h e A n a t o m i e
subclavia sind einfach, alle übrigen paarig. Die paarigen Venen haben so zahlreiche Anastomosen, dass ein langmaschiges Venennetz um die gleichnamigen Arterien entsteht. Werden die tiefen Venen bei starker Muskelarbeit komprimiert, so strömt das Blut aus der Tiefe zu den Hautvenen, die entsprechend anschwellen. Äste ΐ> Vv. brachiales, Vv. ulnares, Vv. radiales [> Vv. interosseae anteriores, Vv interosseae posteriores [> Arcus venosus palmaris profundus, in diesen Venenbogen münden die Vv. metacarpals palmares.
9.1.3.3
Lymphgefäße und Lymphknoten, Vasa lymphatica und Nodi lymphoidei (lymphatici) membri superions
Lernziele: Systematik der Vasa lymphatica superficialia, Vasa lymphatica profunda, Nodi lymphoidei axillares, Drainagegebiete und wichtige klinische Aspekte. Wie bei den Venen werden unterschieden: l.Vasa lymphatica superficialia und 2. Vasa lymphatica profunda. Die Vasa lymphatica superficialia (Abb. 9.55 a) bilden an der Hohlhand ein fein-, am Handrücken ein grobmaschiges Netzwerk, aus dem sich am Unterarm zahlreiche Längsstämme entwickeln, die hauptsächlich mit der V. cephalica und der V. basilica bis zur Ellenbeuge verlaufen. Hier sind in ~ 3 0 % in ihren Verlauf 1-2 Nil. cubitales superficiales und Nil. supratrochlear eingeschaltet. Von der Ellenbeuge aus begleiten nur wenige Äste die V. cephalica bis zum Trigonum deltoideopectorale. Die meisten folgen der V. basilica. Doch nur der kleinere Teil senkt sich mit der Vene in die Tiefe, der größere erreicht extrafaszial im Sulcus bicipitalis medialis verlaufend schließlich die Nil. axillares superficiales. Die Vasa lymphatica profunda (von den Knochen, Sehnen und Muskeln) folgen am Unterarm der A. radialis, A. ulnaris und den Aa. interosseae. In der Ellenbeuge können einige Nil. cubitales profundi eingeschaltet sein. Am Oberarm verlaufen sie
727
mit dem Gefäßnervenstrang im Sulcus bicipitalis medialis, um sich in der Achselhöhle in die Nil. axillares superficiales zu ergießen. Nodi lymphoidei axillares Die Lymphknoten der Achselhöhle variieren in Zahl (8-50) und Größe und sind durch ein Geflecht von Lymphgefäßen (Plexus lymphaticus axillaris) miteinander verbunden. Es werden Nodi lymphoidei axillares superficiales (regionäre Lymphknoten) und Nodi axillares profundi (Sammellymphknoten) unterschieden. Abgrenzung und Bezeichnung variieren. Nodi lymphoidei axillares superficiales (5 Gruppen im Spatium axillare und der unmittelbaren Umgebung, die topographisch jedoch nicht immer oberflächlich liegen) (Abb. 9.55 b): [> Nil. axillares pectorales (sive anteriores), hinter und am Rande des M. pectoralis minor. Einzugsgebiet: seitliche und vordere Brustwand, Brustdrüse. Der Sorgius-Lymphknoten ist ein größerer, inkonstanter, auf der 3. Serratuszacke gelegener Lymphknoten dieser Gruppe.
t> Nil. axillares subscapulars (sive posteriores), am Margo lateralis scapulae zwischen den Mm. subscapularis und teres major sowie entlang der Vasa subscapularia lokalisiert. Einzugsgebiet: hintere Schultergegend, hintere Brustwand, unterer Nackenbereich. C> Nil. axillares brachiales (sive humerales sive laterales), an der V. cephalica im Sulcus deltoideopectoralis und in der Fascia axillaris gelegen. Einzugsgebiet: der gesamte Arm. > Nil. axillares thoracoepigastrici, begleiten den N. thoracicus longus und liegen auf der Faszie des M. serratus anterior. Einzugsgebiet: seitliche und vordere Brustwand. D> Nil. axillares interpectorales, zwischen den Mm. pectoralis major und minor gelegen. Einzugsgebiet Mamma; führen die Lymphe zu den Nil. apicales ab.
728
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
— Hiatus -
Nodi
basilicus lymphatici
cubitales Vasa
superficiales
lymphatica
superficiale
V. m e d i a n a
cubili
-
V
ulnaria
V. b a s i l i c a
cephalica
Rete palmare
Vasa lymphatica digitalia
'
Abb. 9.55: Lymphbahnen (a) und Lymphknoten (b) der oberen Extremität. 1: Nodi lymphoidei axillares pectorales, 2: Nodi lymphoidei axillares subscapulares, 3: Nodi lymphoidei axillares brachiales, 4: Nodi lymphoidei axillares thoracoepigastrici, 5: Nodi lymphoidei axillares interpectorales, 6: Nodi lymphoidei axillares centrales, 7: Nodi lymphoidei axillares apicales
729
9.1 Systematische Anatomie
Nodi lymphoidei axillares profundi. Liegen innerhalb der Achselhöhle medial am Gefaßnervenstrang und bilden 2 Gruppen: !> Nil. axillares centrales, am Gefäßnervenstrang zentral hinter dem M. pectoralis minor in der Achselhöhle gelegen. Einzugsgebiet: sammeln die Lymphe aus den übrigen Gruppen. t> Nil. axillares apicales (sive infraclaviculares), direkt unterhalb der Clavicula, an der V. axillaris und oberhalb des M. pectoralis minor gelegen. Einzugsgebiet: nehmen die Lymphe aus den Nodi lymphoidei centrales auf. Weiterhin gelangen direkte Bahnen von der Brustdrüse (s. Kap. 10.2.1.2, S. 786) und die spärlichen, oberflächlichen Lymphgefäße, die mit der V. cephalica verlaufen (radiale Seite des Arms und der Hand) in diese Lymphknoten. Die abführenden Lymphgefäße vereinigen sich zum Truncus subclavius, der somit die gesamte Lymphe von der oberen Gliedmaße und der Brustwand aufnimmt. Rechts kann er durch Vereinigung mit dem Truncus jugularis einen Ductus lymphaticus dexter
ausbilden, der in den rechten Venenwinkel (Angulas venosus) mündet. Auf der linken Seite mündet er in den Ductus thoracicus oder selbständig in den linken Venenwinkel (s. Kap. 2.5.4.2, S. 88).
9.1.3.4
Nerven der oberen Gliedmaße, Nervi membri superioris
Lernziele: Plexus brachialis (Pars supraclavicularis, Pars infraclavicularis), N. musculocutaneus, N. medianus, N. ulnaris, N. cutaneus antebrachii medialis, N. cutaneus brachii medialis, N. radialis: Astfolgen. Versorgungsgebiete. Autonomgebiete, motorische Muskelinnenation, wichtige klinische Aspekte (Nervenausfalle).
9.1.3.4.1 Armnervengeflecht, Plexus brachialis Die obere Gliedmaße entsteht als Knospe der ventralen Rumpfwand im Bereich der Segmente
Nn. s u p r a c l a v i c u l a r e s
Nn. s u p r a c l a v i c u l a r e s
(C3 C4) I N. cutancLis
(C5 -C8,
v \
N. radialis)
N. c u t a n e u s brachii
Ν. c u t a n e u s
l a t e r a l i s inferior
brachii lateralis Inferior
N. c u t a n e u s
(C5-C6, N. radialis)
(C5 C6, M radialis)
brachii medialis_ (CH
(CB CB, N. axillaris)
(Cl) C6, Ν axillaris)
brachii posterior
•A,
lateralis s u p e r i o r
brachi, lateralis s u p e r i o r
l\l. c u t a n e u s
(C3 C4)
N. c u t a n e u s brachii
N. c u t a n e u s
ΤΙ,Γ
Fasciculus medialis)
Ν
a n t e b r a c h i i posterior (C5--C8, N. radialis) Ν.cutaneus antebrachii medialis
ice nil Fasciculus medialis)
—
N. c u t a n e u s a n t e b r a c h i i lateralis (C5 CB, Ν
musculocutaneus)
Ν. ulnaris
N. radialis (CB CH, Fas
ulus
(C8-Th1,
a n t e b r a c h i i lateralis
Fasciculus medialis)
(CB- CB Ν
musculocutaneus) N. c u t a n e u s
Ν. radialis
antebrachii medialis
(CB CH,
(C8-Th1,
Fasciculus pnstei οι)
Fasciculus medialis)
N. ulnaris
Ν. m e d i a n u s
(CH Till, Fasciculus medialis)
b r a c h i i medialis
N. c u t a n e u s
cutaneus
(CH TBI,
(CB CH,
Fasciculus medialis)
Fasciculi medialis et lateralis)
posterior) dorsal
ventral
Abb. 9.56: Übersicht über die Innervationsgebiete der Hautnerven des Armes (nach J . Sobotta)
730
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
C5 Thl. Bei der Differenzierung der Gliedmaße werden die Skelett-, Muskel- und Hautbestandteile der Segmente aufgelöst und zu neuen funktionellen Einheiten zusammengebaut. Da die Nerven ihre ursprünglichen Beziehungen beibehalten, fuhrt die Umlagerung des Baumateriales zu einem Geflecht der Rr. ventrales der Spinalnerven C 5 - T h l , Plexus brachialis (Abb. 9.57, 58). Der Nervenplexus hat am Hals Verbindungen zum Plexus cervicalis und in der Achselhöhle mit 1-2 Nn. intercostobrachiales. Versorgungsgebiet: sensibel (Abb. 9.56) Arm und motorisch alle Muskeln von Arm und Schultergürtel mit Ausnahme des M. trapezius (kraniofugaler Muskel, daher vom N. accessorius innerviert). Architektur (Abb. 9.57). Die Rr. ventrales von C5-Thl bilden 3 Trunci (Stämme): 1. Truncus superior, C5, C6, 2. Truncus medius, C7, 3. Truncus inferior, C8, T h l . Jeder dieser Trunci teilt sich in einen ventralen und einen dorsalen Ast (Divisiones ventrales und dorsales), die sich zu 3 Fasciculi zusammenschließen: - Fasciculus lateralis: Divisiones ventrales von Truncus superior und Truncus medius - Fasciculus medialis: Divisio ventralis des Truncus inferior
- Fasciculus posterior: alle 3 Divisiones dorsales. Die 3 Fasciculi werden nach ihrer Lage zur A. subclavia bzw. A. axillaris benannt, aus ihnen gehen die großen Nervenstämme des Armes hervor. Topographie. Der Plexus liegt z. T. oberhalb der Clavicula (—» Pars supraclavicularis) und z. T. in der Achselhöhle (—> Pars infraclavicularis): Die Pars supraclavicularis zieht kranial und dorsal von der A. subclavia durch die Skalenuslücke und umfasst die Trunci, die Divisiones und den Ursprung verschiedener Nerven. Die Pars infraclavicularis beinhaltet die Fasciculi und die großen Nervenstämme des Arms. Die Pars supraclavicularis entlässt (Abb. 9.58): Rr. musculares. Direkte Äste aus den Wurzeln des Plexus brachialis zum M. longus colli und zu den Mm. scaleni. Ventrale Äste t> N. subclavius (C4, C5), kurzer Ast, zieht ventral von der A. subclavia zum M. subclavius; kann den Nebenphrenikus abgeben. [> Nn. pectorales medialis und lateralis (C5 T h 1 ), verlaufen hinter der Clavicula, wo sie in meh-
Pars s u p r a c l a v i c u l a r i s
Pars i n f r a c l a v i c u l a r i s
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Abb. 9.57: Architektur des Plexus brachialis (n. A. Prescher und K. Bohndorf)
nedianus C5-Tn N. dorsalis scapulae (C4, C5), durchbohrt meist den M. scalenus médius und versorgt den M. levator scapulae und die Mm. rhomboidei. D> N. suprascapular'^ (C4-C6), zieht unter dem Lig. transversum scapulae durch die Incisura scapulae zum M. supraspinatus und M. infraspinatus. t> N. thoracicus longus (C5-C7/C8), durchbohrt mit 2-3 Zweigen den M. scalenus médius. Die Äste vereinigen sich bald zu einem Stamm, der dorsal vom Plexus brachialis zur Achselhöhle gelangt, dem M. serratus anterior anliegt und sich in der Versorgung dieses Muskels erschöpft. t> N. subscapulars (C5-C6/C7), versorgt den M. subscapularis und M. teres major. t> N. thoracodorsalis (C6-C8), versorgt den M. latissimus dorsi und zieht an der Innenfläche des Muskels abwärts.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Kopf, Druckschaden in Seitenlage; am häufigsten ist der N. ulnaris im Ellenbogengelenk betroffen (s. N. ulnaris)
9.1.3.4.2 Astfolgen der großen Nervenstämme (Abb. 9.58) N. musculocutaneus (C5-C7). Durchbohrt den M. coracobrachial is und versorgt diesen, den M. biceps brachii und den M. brachialis mit Rr. musculares. Er gelangt zwischen M. biceps brachii und M. brachialis von der medialen auf die laterale Seite des Armes, wo er in der Ellenbeuge die oberflächliche Faszie durchbohrt und als N. cutaneus antebrachii lateralis die Haut an der radialen Seite des Unterarms innerviert.
N. medianus (C6-Thl). Entsteht mit einer Radix lateralis und einer Radix medialis aus den Fasciculi lateralis et medialis. Beide Wurzeln umfassen als Medianusgabel (Medianusschlinge) die A. axillaris. Der einheitliche Stamm verläuft am Oberarm ohne Astabgabe im Sulcus bicipitalis medialis. Er Die Pars infraclavicularis (Abb. 9.57, 58) liegt beschreibt eine Schraubentour um die A. brachiin der Achselhöhle und umgibt mit den 3 Fasciculi alis, indem er zunächst lateral, in der Mitte des die A. axillaris. Aus den Fasciculi gehen die großen Oberarmes vor und in der Ellenbeuge medial von der Arterie liegt. In der Ellenbeuge passiert er den Nervenstämme des Armes hervor. Pronatorschlitz (Medianustunnel) und verläuft • Fasciculus lateralis —> N. musculocutaneus und dann in der Mitte des Unterarmes zwischen M. Radix lateralis n. mediani. flexor digitorum superficialis und profundus. Unter • Fasciculus medialis —» Radix medialis n. medidem Retinaculum flexorum erreicht er die Hohlani, Ν. ulnaris, Ν. cutaneus antebrachii medialis hand, wo er in seine Endäste zerfallt. und N. cutaneus brachii medialis. • Fasciculus posterior —» N. axillaris und N. Varietäten: In ~ 95 % verläuft der N. medianus durch den Pronatorschlitz, in ~3% perforiert er das Caput humerale radialis. und in ~ 2 % verläuft er unter dem Caput ulnare.
Klinik: 1. Plexusanästhesie nach Kulenkampff. Einstich am Oberrand der Clavicula (in der Medioklavikularlinie), dann lateral der pulsierenden A. subclavia in Richtung Dornfortsatz des 3. Brustwirbels. Heute selten durchgeführt, da hohe Komplikationsrate, ζ. B. Pneumothorax, 2. Axillärer Block. Zur Op. an Unterarm und Hand (häufige Anästhesielücke —> N. musculocutaneus), 3. Interskalenusblock. Eingang in die Skalenuslücke (Komplikation: hohe Periduraloder totale Spinalanästhesie), 4. Druck- oder Überdehnungsschaden in Narkose. Dehnung bei Hochlagerung des Rumpfes gegen fixierte Schultern oder Arme, Abduktion des supinierten Arms > 80-90°, Fixierung des Arms über dem
Astfolge t> Rr. musculares (gehen bereits in der Ellenbeuge ab), versorgen M. pronator teres, M. flexor carpi radialis, M. palmaris longus und M. flexor digitorum superficialis. O Rr. articulares η. mediani, versorgen das Ellenbogengelenk sensibel. [> N. interosseus antebrachii anterior, zieht auf der Membrana interassea neben der gleichnamigen Arterie nach distal; versorgt den M. flexor pollicis longus, den M. pronator quadratus und den radialen Teil des M. flexor digitorum profundus.
9.1 Systematische Anatomie
[> R. palmaris n. mediani, sensibel für die Haut über der Handwurzel. O R. communicans cum nervo ulnari, Verbindung mit dem N. ulnaris in Höhe des oberflächlichen Hohlhandbogens. [> R. thenaris, motorischer Ast für die Daumenballenmuskeln. Ausnahmen: Der tiefe Kopf des M. flexor pollicis brevis und der M. adductor pollicis werden vom N. ulnaris innerviert. Der R. thenaris zieht in einem nach distal konvexen Bogen (früher: R. recurrens n. mediani) nach radial und zerfallt in 3 Äste: - ein oberflächlicher versorgt den M. abductor pollicis brevis - zwei tiefere gelangen zum M. opponens pollicis und zum Caput superficiale des M. flexor pollicis brevis. [> 3 Nn. digitales palmares communes, diese Endäste versorgen die Mm. lumbricales I und II (III) und teilen sich in Nn. digitales palmares proprii für die Haut der 3'Λ radialen Finger der Hand. Klinik: Der R. thenaris ist fur die Handchirurgie bedeutsam und zeigt zahlreiche Variationen. Besonders beachtet werden muss die frühe Abzweigung des R. thenaris im Canalis carpi. In diesen Fällen kann der Nerv durch einen kleinen Kanal (Thenartunnel n. Johnson und Shrewsbury) im Retinaculum flexorum ziehen und ist dadurch bei der operativen Spaltung des Bandes (Therapie des Karpaltunnelsyndroms) gefährdet. Inkonstante Anastomosen des N. medianus: 1. zum N. musculocutaneus am Oberarm (in ~ 30 %), 2. zum N. ulnaris am Oberarm, 3. zum N. ulnaris im mittleren Drittel des Unterarms (Martin-GruberAnastomose), 4. zum N. ulnaris im Bereich der Hohlhand. Diese Anastomose liegt an der radialen Seite des M. flexor pollicis brevis und verbindet den R. thenaris n. mediani mit dem R. profundus n. ulnaris (Ansa thenaris oder Cannieu-Riche-Anastomose). Nervus-medianus-Versorgungsgebiet • alle Beuger des Unterarmes. Ausnahmen: M. flexor carpi ulnaris, ulnarer Teil des M. flexor digitorum profundus (fur Digg. IV, V).
733
• alle Daumenballenmuskeln. Ausnahmen: M. adductor pollicis und Caput profundum m. flexoris pollicis brevis. • Mm. lumbricales I und II. • Die Haut über der Handwurzel, über der Palma manus und an der Beugefläche der 3 Ά radialen Finger. Autonomgebiet. Von dem o. g. Schema der Hautinnervation gibt es Abweichungen. Regelmäßig versorgt der N. medianus nur die Haut über dem Mittel- und Endglied von Digg. II und III.
> Abb. 9.59: Medianuslähmung. Faustschluss der 3 radialen Finger mangelhaft (Schwurhand). Umgezeichnet nach T. v. Lanz u. W. Wachsmuth
Klinik: 1. Schwurhand (Abb. 9.59) durch N.-medianus-Totalausfall. Beim Faustschluss bleiben die 3 radialen Finger gestreckt (-» zum Schwur erhoben), während Digg. IV, V durch den ulnaren Teil des M. flexor digitorum prof., der 5. Finger außerdem durch den M. flexor digiti minimi brevis gebeugt werden. Eine gewisse Beugung aller Grundglieder erfolgt durch die Mm. interossei et lumbricales. Daumen-Kleinfingerprobe. Der Daumen kann nicht opponiert werden (—» Ausfall des M. opponens pollicis), er ist durch den vom N. ulnaris versorgten M. adductor pollicis adduziert (—* Geburtshelferhand) und durch die Strecker dorsalflektiert. Die Pronation erfolgt nur durch die radiale Muskelgruppe bis zur Mittelstellung. Palmarflexion der Hand ist nur noch an der Ellenseite möglich, die Sensibilität über dem Daumenballen und an der Beugeseite der VA radialen Finger ist aufgehoben. 2. Affenhand. Ist nach einiger Zeit die Daumenballenmuskulatur atrophiert, so spricht man von einer „Affenhand", 3. Medianusverletzung oberhalb des Handgelenkes: Ausfall der Sensibilität und Opposition des Daumens,
734
herabgesetzte Beugekraft des Daumens, 4. Narkosebedingte Nervenläsion (—> Druckschaden in Operationslage) an der Oberarminnenseite möglich, 5. Suizidversuch. Beim Versuch die Pulsader aufzuschneiden, werden in dieser Reihenfolge durchtrennt: N. medianus, Sehnen der Handbeuger, A. radialis. Die sehr schmerzhafte Verletzung des N. medianus ist häufig Anlass, die Selbsttötungsabsicht aufzugeben. N. ulnaris (C5- Thl). Entspringt aus dem Fasciculus medial is und verläuft zunächst medial von der A. brachialis, um durch das Septum intermusculare brachii mediale auf die Streckseite zu gelangen, wo er im Sulcus η. ulnaris humeri, hinter dem Epicondylus medialis, gut zu tasten ist. Zwischen den beiden Köpfen des M. flexor carpi ulnaris gelangt er wieder auf die Beugeseite, wo er ulnar von der A. ulnaris, unter dem M. flexor carpi ulnaris (Leitmuskel!) bis zur Handwurzel herabzieht. Hier verläuft er außerhalb des Canalis carpi in der Guyon-Loge zur Hohlhand. Astfolge t> Rr. musculares, ziehen zum M. flexor carpi ulnaris und ulnaren Teil des M. flexor digitorum profundus (Digg. IV und V). D> R. palmaris n. ulnaris, zur Haut der Handwurzel an der ulnaren Seite. [> R. dorsalis n. ulnaris, geht ca. 5 cm oberhalb des Handgelenks zur Dorsalseite des Handgelenks ab, wo er in 5 Nn. digitales dorsales für die Streckseiten der 2'Λ ulnaren Finger zerfällt. Er hat meist eine Verbindung zum R. superficialis n. radialis. [> R. superficialis, versorgt den M. palmaris brevis. Dann bildet er einen N. digitalis palmaris communis, welcher sich in zwei Nn. digitales palmares proprii für die einander zugewandten Seiten des Digg. IV und V teilt. Der Rest des R. superficialis zieht als N. digitalis palmaris proprius zur ulnaren Seite des Dig. V. Der N. ulnaris versorgt somit die Haut an der Beugeseite der 1 'Λ ulnaren Finger. D> R. profundus, durchbohrt und versorgt die Kleinfingerballenmuskeln, die Mm. lumbricales III und IV, sämtliche Mm. interossei, den M. adductor pollicis und das Caput profundum m. flexoris pollicis brevis.
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Nervus-ulnaris-Versorgungsgebiet • Alle Muskeln an der Beugeseite des Unterarms und der Hand, die nicht vom N. medianus versorgt werden: M. flexor carpi ulnaris, ulnarer Teil des M. flexor digitorum profundus, Mm. lumbricales III und IV, alle Mm. interossei, M. adductor pollicis, Caput prof. m. flexoris pollicis brevis und die Hypothenarmuskeln. • Haut an der ulnaren Seite der Hand, 2Vi Finger dorsal, 1Ά Finger palmar. • Autonomgebiet. Der Nerv versorgt in jedem Falle die Haut des kleinen Fingers.
Abb. 9.60: Ulnarislähmung. Skizze nach einer Fotografie von O. Foerster. Durch Ausfall der Mm. interossei Überstreckung in den Grundgelenken. Beugung In den Mittel- und Endgelenken der Finger (Krallen- oder Klauenhand). Durch Ausfall des M. adductor pollicis steht der Daumen abduzlert
Klinik: 1. Krallen- oder Klauenhand (Abb. 9.60). Ausfall aller Mm. interossei und der 2 - 3 ulnaren Mm. lumbricales (—> beugen Grundund strecken Mittel- und Endglieder). Grundgelenke sind überstreckt, Mittel- und Nagelglieder durch das Übergewicht der Beuger flektiert. Fingerspreizen und Adduktion des Daumens sind unmöglich, (—» pos. Froment-Zeichen: Festhalten eines Gegenstandes zwischen Daumen und Zeigefinger ist erschwert). Beim Faustschluss bleiben Digg. IV und V gestreckt (-» Ausfall des ulnaren Teiles des M. flexor digitorum profundus und des M. flexor digiti minimi brevis). Bei der Daumen-Kleinfingerprobe kann der 5. Finger dem Daumen nicht genähert werden (-> Ausfall des M. opponens digiti minimi!). Nach längerer Lähmung atrophieren die Muskeln, die Haut sinkt am Handrücken zwischen den Mittelhandknochen zu tiefen Furchen ein. Beugung und Ulnarduktion der Hand sind an der Ellenseite herabgesetzt (-> Ausfall von M. flexor carpi ulnaris und ulnarem Teil des M. flexor digitorum
735
9.1 Systematische Anatomie
prof.), 2. Sensibilitätsausfall über dem Kleinfingerballen (R. palmaris) und an den Fingern (dorsal 214 ulnare, palmar 1V2 ulnare Finger), 3. Sulcus-ulnaris-Syndrom. Druckschädigung des N. ulnaris im Sulcus η. ulnaris, 4. N.-ulnarisKompression in Narkose an der Innenseite des Oberarms (—» Herabhängen des Armes) oder hinter dem Epicondylus medialis (häufiger!), 5. Guyon-Tunnelsyndrom. Kompression des N. ulnaris in der Guyon-Loge mit Parästhesie der Digg. IV, V, später Handgelenkschmerz, 6. Ursachen der Ulnarislähmungen: Trauma, distale Humerusfraktur, Druckschaden im Sulcus η. ulnaris oder der Guyon-Loge. N. cutaneus antebrachii medialis (C8, Thl). Kommt aus dem Fasciculus medialis, verläuft mit den Vv. axillaris, brachialis und basilica distalwärts, tritt mit der letzteren durch die Oberarmfaszie und teilt sich in einen R. anterior fur die vordere Fläche der Haut des Unterarms und einen R. posterior für die ulnare Fläche der Haut des Unterarms. N. cutaneus brachii medialis (Thl, Th2). Entspringt aus dem Fasciculus medialis, verbindet sich mit dem N. intercostobrachialis des 2. Interkostalnerven und versorgt die Haut der medialen Seite des Oberarms bis zur Ellenbeuge. N. axillaris (C5, C6). Verlässt den Fasciculus posterior in der Achselhöhle, verläuft mit der A. circumflexa humeri posterior durch die laterale Achsellücke und versorgt den M. deltoideus und M. teres minor mit Rr. musculares. Ein Hautast, der N. cutaneus brachii lateralis superior, zieht um den hinteren Rand des M. deltoideus zur Haut der seitlichen Schultergegend. N. radialis (C6-Thl). Bildet den Endast des Fasciculus posterior, windet sich im Sulcus η. radialis, dem Knochen dicht anliegend, in Begleitung der A. profunda brachii schraubenförmig um das mittlere Drittel des Humerus und gelangt zwischen M. brachioradialis und M. brachialis in die Ellenbeuge, wo er sich in seine Endäste aufteilt: D> R. profundus, zieht durch den M. supinator zur dorsalen Gruppe der Unterarmmuskeln. I> R. superficialis, verläuft radial von der A. radialis, bedeckt vom M. brachioradialis (—> Leitmuskel!) nach distal und wendet sich im distalen Drittel des Unterarmes unter dem M.
brachioradialis zur Haut der Streckseite der Hand. Astfolge [> N. cutaneus brachii posterior, versorgt sensibel die Rückseite des Oberarmes. > N. cutaneus brachii lateralis inferior, geht bereits in der Achselhöhle ab und versorgt die Haut an der lateralen Seite des Oberarms. t> Rr. musculares, für den M. triceps brachii gehen sie vor dem Eintritt in den Canalis n. radialis ab. [> N. cutaneus antebrachii posterior, entspringt im Sulcus η. radialis, durchbohrt am Oberarm die Faszie und versorgt die Haut der Unterarmstreckseite bis zur Handwurzel. [> Rr. musculares, für die radialen Unterarmmuskeln entspringen sie in der Ellenbeuge vor der Aufteilung in die Endäste. t> R. profundus, tritt in den M. supinator ein und windet sich in ihm spiralig um den Radius zur Streckseite, wo er die gesamte dorsale Muskelgruppe des Unterarmes versorgt. t> N. interosseus antebrachii posterior, dünner Ast für die tiefe Muskellage und fur das Handgelenk. Verläuft auf der Rückfläche der Membrana interossea antebrachii. [> R. superficialis, Hautast, zieht begleitet von der A. radialis und dem M. brachioradialis auf der Beugeseite des Unterarmes herab und wendet sich erst im distalen Drittel unter der Sehne des M. brachioradialis zur Streckseite. Dort besteht durch den R. communicans ulnaris eine Verbindung mit dem R. dorsalis n. ulnaris. Der R. superficialis zerfallt in 5 N. digitales dorsales für die Streckseiten der 2'Δ radialen Finger. Versorgungsgebiet des N. radialis • motorisch alle Strecker des Oberarmes und die radialen und dorsalen Unterarmmuskeln • sensibel die Streckseite von Ober- und Unterarm, die radiale Seite des Handrückens und die 2'/2 radialen Finger. Die Haut der Mittel- und Endglieder aller Finger wird dorsal auch von den palmaren Ästen versorgt, die stärker als die dorsalen sind. Kein Autonomgebiet! Alle vom N. radialis versorgten Hautgebiete können auch von anderen Nerven innerviert werden.
736
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Abb. 9.61 : Radialislähmung. Skizze nach einer Fotografie von O. Foerster. Durch Ausfall des R. profundus n. radialis ist die Dorsalflexion der Hand nicht möglich (Fallhand)
Klinik: 1. Fallhand (-> klassisches Symptom!) (Abb. 9.61). Durch Verletzung des R. profundus. Die Hand kann weder dorsalflektiert (—» Ausfall der dorsalen Muskelgruppe!) noch bei gestrecktem Unterarm supiniert werden (—> Ausfall des M. supinator!); bei gebeugtem Unterarm Supi-
9.2
Topographische und Angewandte Anatomie
Topographisch unterschieden werden Schulter (—> Regio infraclavicularis, axillaris, deltoidea, scapularis und das Spatium axillare), Oberarm (—» Regio brachii anterior und posterior), Eilenbogen (—> Regio cubitalis anterior und posterior), Unterarm (—> Regio antebrachii anterior und posterior), Hand (—> Regio carpi anterior, Palma manus, Dorsum manus und Digiti). Man präge sich die tastbaren Knochenpunkte ein (Abb. 9.62).
9.2.1
nation durch den M. biceps brachii möglich, 2. Streckung im Ellenbogengelenk unmöglich bei Verletzung proximal vom Sulcus η. radialis (-»Ausfall des M. triceps brachii!). Außerdem fallt die Hautversorgung an der dorsoradialen Fläche des Oberarms aus, 3. Erschwerte Radialduktion der Hand bei Verletzung im Sulcus η. radialis (-> Humerusschaftfraktur -> Ausfall der radialen Muskelgruppe!). Außerdem fällt die Hautversorgung der dorsoradialen Fläche des Unterarms aus (-> N. cutaneus antebrachii posterior), 4. Cheiralgia paraesthetica. Sehr seltene isolierte Schädigung des R. superficialis mit Sensibilitätsausfall, Parästhesie und Schmerzen im sensiblen Ausbreitungsgebiet (—> radiale Hälfte des Handrückens, Streckseiten der Grundglieder von Daumen, Zeigefinger und radialer Seite des Mittelfingers). Ursache: ζ. B. zu enge Handschellen, sog. Arrestantenlähmung, 5. Schädigung bei Kompression der Außenseite des Oberarms in Operationslage möglich. Ursache: Druckschädigung (sog. Parkbanklähmung).
Unterschlüsselbeinregion, Regio infraclavicularis
Lernziele: Grenzen, tast- und sichtbare Landmarken, Inhalt, Gliederung in oberflächliche und tiefe Region, Beziehungen der Leitungsbahnen, Faszien, Muskeln und Knochen zueinander.
Grenzen (Abb. 9.63). Kranial: Clavicula, medial: lateraler Rand des Sternum, kaudal: Übergang ohne scharfe Grenze in die Regio mammaria, lateral: Rand des M. deltoideus. Man differenziert eine oberflächliche und eine tiefe Region, die von der kräftigen Fascia clavipectoralis getrennt werden. Inspektion, Palpation. Die Haut über Schlüsselbein und großem Brustmuskel ist gut verschieblich und muss bei Hautschnitten gespannt werden. Oberhalb der Clavicula sinkt sie zur Fossa supraclaviculars, unterhalb zur Fossa infraclavicularis (sive Mohrenheim-Grube) ein. Die Fossa infraclavicularis entspricht dem Trigo num clavipectorale (sive dcltoidcopectoraley, der individuell sehr variablen Muskellücke zwischen M. deltoideus und M. pectoralis major. Sie setzt sich nach unten in den Sulcus deltoideopectoralis fort.
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
737
Clavicula - _____ Acromion — _
Spina ·—
Tngonum Spinae
_
Processus coracoideus -
scapulae
Tuberculum majus - —
-
Tuberculuin minus -
Margo medialis scapulae Margo lateralis Angulus — inferior scapulae
Margo m e d i a l i s -
Epicondylus medialis— Olecranon
Epicondylus lateralis
— Epicondylus medial«
Caput radii
— Processus coronoideus
Margo posterior ulnae —
Corpus ulnae Processus styloideus ulnae Os capitatum
-Corpus radi — _ styloideus Os scaphoideum - Os trapezium —
Í
Basis Corpus Caput
r Basis phalangis proximalis
< Corpus ^ Caput
Phalanx mediaPhalanx distalis
Corpus ulnae Processus styloideus ulnae
Os pisiforme ι > Eminen'iia Hamulus assis j
carpi medialis
hamati Caput ossis metacarpalis Basis
ι
Corpus í obalangis proximalis Caput
J Phalanx media Phalanx distalis
Abb. 9.62: Armskelett von dorsal und von ventral. Praktisch wichtige, direkt tastbare Knochenteile schwarz. Durch dünne Muskeln oder Sehnen hindurch indirekt tastbare Teile grau. In Anlehnung an T. v. Lanz u. W. Wachsmuth
738
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
M . deltoideus \
R. deltoideus Ν
\
M.
minor
A thoracoacromia is
R acromiaiis
Nn pectorales
X
^ V. cephaiica
\
Ri. pectorales
^
.-Nn. supraclaviculars
-
^
^ M . pectoraiis major
_ — R. ciaviculans
M stemocteidomastoideus -Fascia clavipectoialis
Rr. cutanei anteriores
Ri perforantes a thoracica« inlernae M . latissmus dorsi V thoracoepigastnca
- M
pectoraiis major
R. cutaneus lateralis η thoracic M serratos anterior M . o b l i q u i l i externus a b d o m i n i s
Abb. 9.63: Regio infraclavicularis. Die Pars clavicularis m. pectoraiis majoris ist teilweise entfernt. V. cephaiica, A. thoracoacromialis und Nn. pectorales durchbohren die Fascia clavipectoralis
Zu tasten sind: 1. Proc. coracoideus (am vorderen Rande in der Tiefe der Grube), 2. Clavicula. Das Schlüsselbein lässt sich vollständig abtasten und ist bei mageren Personen durch die Haut zu erkennen. Bei herabhängendem Arm steht sie fast horizontal. Brüche, Kallus und Formveränderungen sind gut festzustellen (Seitenvergleich!). Oberflächliche Region. Nach Entfernung der Haut erscheinen die Muskelfasern des Platysmas und darunter die sensiblen Nn. supraclaviculares. Beide Strukturen kommen aus der Halsregion und ziehen über die Clavicula in die Regio infraclavicularis. Unter der Subkutis liegt die kräftige Fascia pecto-
raiis, die den M. pectoraiis major bedeckt und sich mit bindegewebigen Septen zwischen seine Muskelfasern erstreckt. Die Fascia pectoraiis zieht von der Clavicula über den M. pectoraiis major, senkt sich am Sulcus deltoideopectoralis in die Tiefe und geht am unteren Rande des großen Brustmuskels in die Fascia abdominis superficialis und weiter lateral in die kräftige Fascia axillaris über. Im mediokaudalen Teil liegen die feinen Rr. cutanei anteriores und laterales aus den Interkostalnerven und die gleichnamigen Gefäßäste auf der Fascia pectoraiis. Im Sulcus deltoideopectoralis liegt die V. cephaiica in Begleitung des R. deltoideus der A. thoracoacromialis. Oberhalb des M. pectoraiis minor wird die Fascia clavipectoralis von V.
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
cephalica, Nn. pectorales und Ästen der A. thoracoacromialis (—» Rr. pectorales, R. deltoideus, R. acromialis, R. clavicularis) durchbohrt. Die V. cephalica mündet hinter der Faszie in die V. axillaris, die Nn. pectorales (medialis und lateralis) und die arteriellen Rr. pectorales verzweigen sich in dem Verschiebespalt zwischen den beiden Brustmuskeln. Tiefe Region. Nach Entfernung der Pars clavicularis des M. pectoralis major kann die darunter gelegene, eigenständige, derbe Fascia clavipectoralis (sive Broesike-Faszie) gut überblickt werden. Sie spannt sich zwischen dem Unterrand des Schlüsselbeins und dem M. coracobrachialis aus, umscheidet die Mm. subclavius und pectoralis minor und erstreckt sich bis zum Proc. coracoideus. Kaudal geht sie in die Fascia axillaris über. Als Tractus coracoclavicularis werden besonders kräftige Faserzüge zwischen Proc. coracoideus und Clavicula bezeichnet. Gefäßnervenstrang. Nach Entfernung der Fascia clavipectoralis liegen frei (von kraniolateral nach kaudomedial): \> Plexus brachialis (—> Fasciculus posterior, lateralis, medialis) D> A. axillaris t> V. axillaris. Klinik: Der ventrale Zugang zum Schultergelenk führt durch das Trigonum clavipectorale.
9.2.2
Regio axillaris, Achselregion
739
Inspektion, Palpation. Bei etwa horizontal abduziertem Arm hat die Achselgrube ihre größte Tiefe. Der kaudale, freie Rand des M. pectoralis major springt als vordere, der laterale Rand des M. latissimus dorsi und des M. teres major als hintere Achselfalte mächtig vor. An der medialen Wand erscheinen zwischen den beiden Achselfalten die Zacken des M. serratus anterior (Pars convergens), unter denen die Rippen getastet werden können. An der lateralen Wand (Arm) erkennt man von ventral nach dorsal den Wulst des M. biceps brachii, den flacheren Wulst des M. coracobrachialis und den Gefäßnervenstrang, der sich bei stärkerer Abduktion noch deutlicher vorwulstet. Zu tasten sind: 1. Collum chirurgicum, 2. Bei anliegendem Arm und dadurch entspannter Fascia axillaris und Haut: mediale Anteile des Humeruskopfes. In dieser Stellung wird allerdings auch der Gefäßnervenstrang nicht geschützt, so dass er gegen den Humérus komprimiert werden kann (z. B. durch den Gebrauch einer Gehhilfe, sog. Krückenlähmung mit Ausfall des N. radialis einschließlich Trizepsbeteiligung)· Klinik: Lymphknoten sind nur zu tasten, wenn sie vergrößert oder verhärtet sind (z. B. bei Entzündungen, malignen Tumoren, Metastasen). Cave: Tastuntersuchung immer bei hängendem Arm durchführen, da hierbei die Fascia axillaris entspannt wird!
Grenzen. Ventral: Plica axillaris anterior (—> freier Rand des M. pectoralis major), dorsal: Plica axillaris posterior (—> freier Rand von M. latissimus dorsi und M. teres major), medial: Thoraxwand, lateral: mediale Fläche des Oberarmes.
Achselhaut. Dünn, oft bräunlich pigmentiert, enthält neben Talgdrüsen zahlreiche kleine und große Schweißdrüsen, welche die Haut dauernd feucht halten. Die Verdunstung des durch seinen charakteristischen, stechenden Geruch ausgezeichneten Achselschweißes wird durch ein Haarpolster gefördert, das sich mit der Geschlechtsreife entwickelt. Die großen apokrinen Schweißdrüsen liegen in dem fest mit der Fascia axillaris verbundenen Unterhautfettgewebe.
Fossa axillaris (Achselgrube), eine mit Haut ausgekleidete Vertiefung zwischen diesen Strukturen, die mit der Armstellung ihre Form und Größe wechselt. Sie ist eindeutig von dem in der Tiefe gelegenen, mit Fettgewebe, Gefäßen, Nerven und Lymphknoten ausgefüllten Spatium axillare (Achselhöhle) zu unterscheiden.
Fascia axillaris. Spannt sich als Fortsetzung der Oberflächenfaszie am Boden der Achselgrube aus und stellt eine Grenze zum Spatium axillare dar. Im Bereich des Schweißdrüsenfeldes weist sie zahlreiche rundlich-ovale Löcher auf (Gitterfaszie), so dass eine Lamina cribrosa axillaris (Eisler) entsteht. Durch diese mit Fettpfröpfchen verschlos-
Lernziele: Grenzen, tast- und sichtbare Landmarken. Achselhaut.
740
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
senen Löcher treten oberflächliche kleine Arterien und Venen sowie Lymphbahnen. Die sensiblen kleinen Nerven bilden sich aus dem N. cutaneus brachii medialis und aus dem N. intercostobrachialis II (R. cutaneus des N. intercostalis II). Die Lamina cribrosa axillaris wird von verstärkten Bindegewebezügen, den faszialen Achselbögen, eingefasst. Medial wird ein Arcus axillaris (v. Langer-Achselbogen) und lateral ein Arcus brachialis (v. Langer-Armbogen) beschrieben.
Das Spatium axillare ist ein pyramidenförmiger Bindegeweberaum zwischen seitlicher Thoraxwand und Arm bei mäßiger Abduktion. Die Pyramidenspitze liegt in der Mitte hinter der Clavicula, die Basis bildet die Fascia axillaris. Grenzen. Ventrale Wand: Fascia clavipectoralis, Mm. pectoralis major und minor. Dorsale Wand: kraniomedial M. subscapularis, kaudolateral M. teres major und Ansatz des M. latissimus dorsi. Mediale Wand: M. serratus anterior, laterale Wand: Humerus, Caput breve m. bieipitis brachii und M. coracobrachialis.
Besonderheiten. Im Bereich der Fascia axillaris kommen aberrierende und sehr variable Muskelfaserbündel (v. Langer-Muskelbögen) vor: •
Latissimusachselbogen (hinterer Achselbogen), in 7 - 8 % zieht ein aberrierendes Muskelfaserbündel vom lateralen Rand des M. latissimus dorsi über den Gefaßnervenstrang zur Sehne des M. pectoralis major, zum Proc. coracoideus oder zur Fascia brachii (Innervation: N. thoracodorsalis). • Pektoralisachselbogen (vorderer Achselbogen), spaltet sich vom lateralen Rand des M. pectoralis major ab, zieht über den Gefaßnervenstrang zum M. latissimus dorsi, zur Rumpfwand oder zur Fascia brachii. Wird als Rest des Panniculus carnosus angesehen. Klinik: 1. Schweißdrüsenabszess. Hyperhidrosis und Kontaktekzem (bes. bei Verlust der Terminalbehaarung) können eine abszedierende Entzündung des apokrinen Schweißdrüsenfeldes verursachen. Der Abszess überschreitet die Fascia axillaris nicht, so dass sich eine Faszienspaltung erübrigt, 2. Spaltlinien (s. Kap. 15.2, S. 1221). Chirurgische Schnittführung immer gemäß der ventrodorsal orientierten Linien, 3. Muskuläre Achselbögen können die chirurgische Orientierung erschweren und Leitungsbahnen der Achselhöhle komprimieren!
9.2.3
Achselhöhle, Spatium axillare
Lernziele: Grenzen, Gefaßnervenstrang mit seinen drei Verlaufsstrecken, Verbindungen zu Nachbarrcgionen, Achsellückcn (mediale und laterale): Grenzen und Inhalt, wichtige klinische Aspekte.
Inhalt (Abb. 9.64). Das Spatium axillare hat die Aufgabe, den mächtigen Gefaßnervenstrang ohne Druck und Zerrung zum Arm zu führen und gleichzeitig ausgedehnte Bewegungen von Schultergürtel und Arm zu ermöglichen. Die Grundform einer Pyramide entsteht nur bei mäßig abduziertem Arm. Der darin exzentrisch von der Mitte des Schlüsselbeins zum Sulcus bicipitalis medialis verlaufende Gefaßnervenstrang ist von einer bindegewebigen Hülle umgeben. Von dieser ziehen bindegewebige Stränge und Lamellen zu benachbarten Wänden und gewährleisten bei der Verformung eine zweckmäßige Verlagerung des Gefäßnervenstrangs. Das in den Bindegewebemaschen untergebrachte Fettgewebe ist Reservefett und schwindet bei starker Abmagerung nahezu vollständig. Gefaßnervenstrang. 3 Verlaufsstrecken werden unterschieden. •
Proximale Strecke: zwischen Clavicula und oberem Rande des M. pectoralis minor. • Mittlere Strecke: vom M. pectoralis minor bedeckt. Hier erfolgt die Umordnung des Gefäßnervenstrangs, aus Tranci werden Fasciculi. - Der Fasciculus medialis wendet sich dorsal um die Arterie und erscheint zwischen Arterie und Vene. - Die Arterie wird jetzt lateral vom Fasciculus lateralis flankiert. Die A. axillaris schickt die A. thoracica lateralis am unteren Rande des M. pectoralis minor abwärts. - Der aus dem 2., evtl. 3. Zwischenrippenraum kommende N. intercostobrachialis (häufig 2 - 3 Nerven) zieht frei durch die Achselhöhle zum N. cutaneus brachii medialis. • Distale Strecke: vom M. pectoralis minor bis zum unteren Rande des M. pectoralis major
741
9.2 Topographische und A n g e w a n d t e Anatomie V lugularis P i m i . brachiali,
M
s c a l e n u s anterior,
interna
R profundus a tiansversae colli M
levator s c a p u l a e , Ν XI
M . subclavius
Μ scalenus m é d i u s — . ^ Ν
lorsalis scapulae
* , V s u b c l a v i a - ___ M s c a l e n u s posterior, Ν t h u r a c i c u s l o n g u s Ν . , Λ. s u p r a s c a p u l a r . Pars superior in s e r r a t i a n t e r i o r i s — ¡V' trapezius, Venter interior in orT3ohyuitJel Clavicula. M s u b c l a v i a s — __ V cephalica — :
i n f r a c l a v i c u l a r i s p l e x u s brachiali:·;, A , V a x i l l a r i s — — M
pectoral·:', m i n o r —
R. d e l t o i d e u s e t H a c i o n r i a l i s a t h o r a c o a c r o i m a l i s — . N n p e c t o r a l e s , Rr. p e c t o r a l e s a. t h o r a c o a c r o m i a l · : ; Radix l a t e r a l i s et m e d i a l i s π m e d i a n i — ^ IMedianusschlinge] Fasciculus posterior, N. a x i l l a r i s — A circumflexa humeri anterior
- _
IVI c o r a c o b r a c h l a l i s — Ν rnusculocutaneus
—
Ν m t e r c o s t o b r a c h i a l i s (II) — A circumflexa humeri posterior— Ν thoracicus longus Ν radialis — 2. M e d i a n u s s c h l i n g e (Var ι M . pectoralis major • Ν et M . s u b s c a p u l a r i s Latissimusachselbogen, R muscularis A, c i r c u m f l e x a s c a p u l a e , M . teres major
A profunda brachi! Ν radialis Ν cutaneus brachii mediafis N. m e d i a n u s N, ulnares Ν
;utaneus
antebrachii medialis M . biceps brachii
M mtercostobrachialis(lll)
M . latissimus
thoracodorsalis
V thoracoepigastrica,
A. thoracica lateralis
M . pectoralis major
M serratas anterior
Abb. 9.64: G e f ä ß e u n d N e r v e n d e r r e c h t e n A c h s e l h ö h l e . C l a v i c u l a , M. p e c t o r a l i s major u n d m i n o r s i n d teilweise entfernt u n d z u r ü c k g e s c h l a g e n . L a t i s s i m u s a c h s e l b o g e n (Varietät) ü b e r k r e u z t d e n G e f ä ß - N e r v e n s t r a n g . Als w e i t e r e Varietät e i n e d o p p e l t e M e d i a n u s s c h l i n g e
742
-
-
-
-
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
entwickeln sich aus den Fasciculi die langen Nervenstämme des Armes: Fasciculus lateralis und medialis schicken je eine Wurzel, Radix medialis und lateralis, zum N. medianus. Die Medianusgabel ist nicht selten doppelt. Der Nerv wendet sich bald an die laterale Seite der Arterie. Der Rest des lateralen Faszikels zieht als N. musculocutaneus durch den M. coracobrachialis. Der N. cutaneus antebrachii medialis (aus dem Fasciculus medialis) verläuft auf der Vorderfläche der Arterie distalwärts. Der N. ulnaris, die Fortsetzung des Fasciculus medialis, liegt etwas weiter dorsal und wird von der V. axillaris verdeckt. Der Fasciculus posterior behält seine Lage dorsal von der Arterie bei. Er schickt den N. axillaris in Begleitung der A. circumflexa humeri posterior durch die laterale Achsellücke. Die aus der A. axillaris entspringende A. subscapularis teilt sich in die A. thoracodorsalis (für den M. latissismus dorsi) und die A. circumflexa scapulae, die durch die mediale Achsellücke zur Rückfläche der Scapula zieht, wo sie mit der A. suprascapularis in sehr variabler Weise anastomosiert (in ~ 15 % fehlt jegliche Anastomose).
Verbindungen des Spatium axillare • • • • •
hinter der Clavicula entlang der Vasa subclavia und des Plexus brachialis zum Hals durch die mediale Achsellücke zur Regio scapularis durch die laterale Achsellücke zum Spatium subdeltoideum entlang dem Gefaßnervenstrang zum Oberarm durch die Fascia clavipectoralis zum Spatium subpectorale und zur Regio infraclavicularis
_ ^ M . teres minor -
aterate A c h s e l l ü c k e mediale Achsellücke
•
entlang der kleinen, die Brustwand durchbohrenden Nerven und Gefäße in den Brustraum.
Mediale und laterale Achsellücke (Abb. 9.65 a, b). In der dorsalen Wand befindet sich zwischen M. teres minor, M. teres major und Collum chirurgicum des Humerus ein spitzwinkliges Dreieck, das durch den langen Kopf des M. triceps brachii in ein mediales, dreieckiges (Foramen axillare mediale) und ein laterales, viereckiges Loch (Foramen axillare laterale) unterteilt wird. Grenzen 1. Foramen axillare mediale (dreieckig). Lateral: Caput longum m. tricipitis brachii, kranial: M. teres minor, kaudal: M. teres major. 2. Foramen axillare laterale (viereckig). Medial: Caput longum m. tricipitis brachii, lateral: Collum chirurgicum humeri, kranial: M. teres minor, kaudal: M. teres major. Die beiden Foramina verbinden die Achselhöhle mit der dorsalen Schultergegend und dem Spatium subdeltoideum. Sie fuhren Gefäße und Nerven vom großen Gefaßnervenstrang der Achselhöhle nach dorsal. In der Ansicht von ventral werden die Achsellücken proximal nicht vom M. teres minor, sondern vom M. subscapularis begrenzt (Abb. 9.65 b). Inhalt der Achselliicken • Mediale, dreieckige Achsellücke: A. und V. circumflexa scapulae gelangen in die Faszienloge des M. infraspinatus und M. teres minor. • Laterale, viereckige Achsellücke: N. axillaris, A. und V. circumflexa humeri posterior ziehen in das Spatium subdeltoideum.
M . s u b s c a c u a: : s — laterale Achsetlücke Caputlongum
^
m._
tr c i p i i s trac 1 " — — —lumerus M . t e r ; ( major
mediale Achsellücke
_
M . teres m a j o r —
Caput ongum m trie Γ : ; b r a c h i i
!
Abb. 9.65: Schematische Darstellung der Begrenzung der Achsellücken, a: Ansicht von dorsal, b: Ansicht von ventral
743
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
Lage der Lymphknoten s. Kap. 9.1.3.3.
9.2.4
Klinik: 1. Berg-Einteilung. In der Klinik ist folgende Einteilung der regionalen Lymphknoten üblich (ζ. B. bei der Lymphknotenexstirpation): —> Lymphknoten lateral und kaudal des M. pectoralis minor Level II —> Lymphknoten hinter dem M. pectoralis minor Level III Lymphknoten medial und oberhalb des M. pectoralis minor.
Lernziele: tast- und sichtbare Strukturen, Spatium subdeltoideum, Bursa subacromialis, Bursa subdeltoidea, Leitungsbahnen und wichtige klinische Aspekte.
Level I
2. Die Lymphknotenexstirpation gefährdet eher den frei durch die Achselhöhle ziehenden N. thoracodorsalis als den N. thoracicus longus, der an der seitlichen Brustwand geschützt in der Serratus-anterior-Faszie liegt, 3. SorgiusLymphknoten (auf der 3. Serratuszacke in unmittelbarer Nachbarschaft zum N. intercostobrachialis gelegen). Beim Mammakarzinom sind in ihm oft zuerst Metastasen nachzuweisen. Die ausstrahlenden Schmerzen im Versorgungsgebiet des N. intercostobrachialis (—» Innenseite des Oberarms bis in die Ellenbogengegend) können erster Hinweis auf ein Brustdrüsenkarzinom sein, 4. Armplexuslähmungen (Ursache: Geburtstrauma, Unfall, ζ. B. bei Motorradfahrern, nach Schlüsselbeinfraktur oder Röntgenbestrahlung wegen Mammakarzinom): • Obere Armplexuslähmung (—> Duchenne-ErbLähmung, C4-C6; häufiger Lähmungstyp!). Lähmung der Abduktion und Außenrotation im Schultergelenk und der Flexion im Ellenbogengelenk, Zwerchfelllähmung. Sensibilitätsstörung über dem M. deltoideus möglich. • Mittlere Armplexuslähmung (C5-C6). Lähmung von Flexion und Extension im Ellenbogen, den Fingern sowie der Dorsalextension der Hand. • Untere Armplexuslähmung {—> DéjerineKlumpke-Lähmung, C 8 - T h l , evtl. C7; selten!). Ausgefallen sind die kleinen Handmuskeln (Daumen-, Kleinfingerballenmuskeln, die Mm. interossei et lumbricales), manchmal auch die langen Fingerbeuger, selten die Beuger des Handgelenkes. Sensibilitätsausfalle im ulnaren Handbereich und an der ulnaren Unterarmkante.
Seitliche Schulterregion, Regio deltoidea
Inspektion, Palpation (Abb. 9.64, 66). Die Ausdehnung entspricht dem M. deltoideus. Kranial wird die Region durch Spina scapulae, Acromion und Clavicula begrenzt. Der M. deltoideus umhüllt von vorn, von lateral und von hinten das Schultergelenk und wird dadurch konturgebend. Der unter dem Muskel gelegene Humeruskopf gibt der Schulter die Rundung. Zu tasten sind: 1. Tuberculum majus, meist lässt es sich durch den M. deltoideus, lateral und hinten tasten, 2. vorn der Sulcus intertubercularis mit der Sehne des langen Bizepskopfes, 3. Tuberculum minus (Außen- und Innenrotation erleichtern das Abtasten, da die Strukturen unter dem palpierendem Finger gleiten), 4. Processus coracoideus (bei abduziertem Arm) im Trigonum clavipectorale. 5. vom Rabenschnabelfortsatz aus ist das Lig. coracoacromiale eine Strecke weit zu verfolgen. Subkutis. Ventrolateral verlaufen die Nn. supraclaviculares. Am dorsalen Rand des M. deltoideus erscheint der Hautast des N. axillaris, der N. cutaneus brachii lateralis superior, um auf die laterale Seite des Oberarmes zu gelangen. Oft befindet sich unter der Haut eine Bursa subcutanea acromialis. Spatium subdeltoideum. Zwischen M. deltoideus und Schultergelenk liegt ein mit lockerem Bindegewebe gefüllter Verschieberaum, das Spatium subdeltoideum. In ihm sind meist 2 große, mit dem Schultergelenk nichtkommunizierende Schleimbeutel entwickelt: •
Bursa subacromialis (unter dem Acromion gelegen) • Bursa subdeltoidea (unter dem M. deltoideus gelegen). Diese können jedoch untereinander kommunizieren und ermöglichen die bei dem großen Verkehrsraum der oberen Extremität notwendigen ausgedehnten Verschiebungen zwischen Muskel
744
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
und Gelenk (—» subakromiales Schultergelenkes n. Pfuhl).
Nebengelenk
des
als Übergangsregion des Rückens zur freien oberen Extremität angesehen (Abb. 9.66, 69).
Das Spatium steht durch die laterale Achsellücke mit der Achselhöhle sowie unter dem Acromion mit dem Corpus adiposum subacromial auf dem M. supraspinatus und dem fetthaltigen Bindegewebe auf dem M. infraspinatus in Verbindung. N. axillaris und begleitende A. circumflexa humeri posterior treten durch die laterale Achsellücke aus der Achselhöhle in den subdeltoidalen Gleitraum ein, verlaufen fingerbreit unterhalb des Kapselansatzes auf dem Collum chirurgicum und verzweigen sich im M. deltoideus. Der Nerv gibt vorher regelmäßig einen R. muscularis zum M. teres minor ab. Die Arterie anastomosiert mit der kleineren A. circumflexa humeri anterior und versorgt mit ihr den M. deltoideus und das Schultergelenk.
Inspektion, Palpation. Die Haut über der hinteren Schulterblattgegend ist, als typische Rückenhaut, dick und derb. Sie enthält zahlreiche große Talgdrüsen und ist reich mit Unterhautfettgewebe unterpolstert. An der Spina scapulae ist sie unverschieblich fixiert. In der Subkutis verlaufen kranial Ausläufer der Nn. supraclaviculares aus dem Plexus cervicalis, medial die Rr. dorsales der Nn. thoracici und lateral die Rr. cutanei laterales der Nn. intercostales.
Klinik: 1. Erhebliche Gefahrdung des N. axillaris und der A. circumflexa humeri posterior durch Fraktur des Collum chirurgicum und Luxation des Schultergelenkes. Vor der Reposition prüfe man deshalb die Sensibilität im Hautfeld des N. cutaneus brachii lateralis superior! 2. Schultergelenkluxation. Hat das Caput humeri seine normale Lage verlassen, springt das Dach des Schultergelenkes epaulettenartig vor, darunter ist die leere Gelenkpfanne tastbar, 3. Schultergelenkpunktionen werden von dorsal, dicht unterhalb des Akromions mit aufsteigender Stichrichtung durchgeführt. Anatomisch günstig, da so Schleimbeutel (—> Infektionsgefahr) und Leitungsbahnen vermieden werden, 4. Entzündungen der Schleimbeutel (—> Bursitis) setzen die Bewegungsfähigkeit des Schultergelenkes herab und werden leicht mit Gelenkprozessen verwechselt.
9.2.5
Schulterblattregion, Regio scapularis
Lernziele: Grenzen, tast- und sichtbare Strukturen, Gliederung in eine oberflächliche und eine tiefe Muskelschicht, Leitungsbahnen und wichtige klinische Aspekte. Grenzen. Entspricht im streng topographischen Sinne der Ausdehnung des Schulterblattes und wird
Zu tasten sind: 1. Spina scapulae (unmittelbar unter der Haut, biegt am Angulus acromii in das Acromion um), 2. medialer und lateraler Rand der Scapula (—> Bewegung, v. a. Erheben des Armes erleichtert die Palpation). Oberflächliche Muskelschicht M. trapezius, M. deltoideus, M. teres major, M. latissimus dorsi. Die Fasern der Pars descendens und transversa m. trapezii inserieren am kranialen Rand der Spina scapulae. Die Pars spinalis des M. deltoideus entspringt am kaudalen Rand, so dass die Spina scapulae als Inscriptio ossea aufgefasst werden kann. Die oberen Anteile des M. latissimus dorsi ziehen meist über den Angulus inferior scapulae und pressen diesen an die Rumpfwand. Der M. teres major schließt sich an den kranialen Rand des M. latissimus dorsi an, um ventral des langen Trizepskopfes zum Arm zu ziehen. Zwischen den Muskeln bleibt ein dreieckiger Bezirk muskelfrei, in dem die Fascia infraspinata und kaudale Anteile des M. rhomboideus major unmittelbar unter der Haut liegen. Tiefe Muskelschicht M. supraspinatus, M. infraspinatus, M teres minor, M. subscapularis. Der M. supraspinatus füllt die Fossa supraspinata, der M. infraspinatus die Fossa infraspinata aus. Fascia supra- und infraspinata sind gleichzeitig Ursprung der gleichnamigen Muskeln und bedecken sie. Da diese Faszien an der Scapula befestigt sind, werden beide Fossae zu osteofibrösen Logen
745
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
N. accessorius \
M. levator scapulae \ \
M. trapezius, Pars descendens
^ Ν dorsalis scapulae , R profundus a transversae colli
/ /
I l M . rhomboideus
1
/ /
, M deltoideus
/ M. supraspinatus
/
/ ^Vasa suprascapular^ / // Lig. ! in ttransvenau;; er r a n s v e r s a scapulae superius
' Lig. transversum scapulae inferius
__
minor
(weggeklapptl
~ M
R superficialis
infraspinatus
Ν. suprascapularis
a. transversae colfi
Vasa suprascapularía
Ν dorsalis scapulae. R. profundus arteriae
M . teres minor
transversae colli Ν. axillaris M rhomboideus
Α. circumflexa
major
humeri posterior
M trapezius, -
Ljf
M infraspinatus
Pars transversa Vasa circumflexa scapulae — N. cutaneus brachii
M . rhomboideus,
lateralis superior
major M . trapezius,
M teres major
- - Caput laterale
η
m. tricípitis brachii
Pars ascendens
— Caput longum m. tricipitis brachii
j j ti ì ^ ^ ^ l · — Angulus inferior scapulae, M . latissimus dorsi — Ν
ulnaris
— C a p u t mediale m. tricipitis brach· ι
Abb. 9.66: Regio scapularis und dorsaler Teil der Regio deltoidea. Spina scapulae teilweise entfernt. M. trapezius, M. supraspinatus, M. infraspinatus gefenstert. M. deltoideus dicht an der Spina scapulae durchtrennt und nach lateral geklappt geschlossen. Nach lateral gehen diese Logen in das Spatium subdeltoideum über und kommunizieren im Bereich des Collum scapulae untereinander.
•
Ν. dorsalis scapulae (aus dem Plexus brachialis) und R. profundus der A. transversa colli versorgen den M. levator scapulae und die Mm. rhomboidei und verlaufen medial vom Margo medialis scapulae abwärts. Man sucht sie in der Lücke zwischen M. levator scapulae und M. rhomboideus minor auf. Entspringt der R. profundus der A. transversa colli selbständig aus dem Truncus thyrocervicalis, so wird er A. descendens scapulae genannt.
•
N. suprascapularis (aus dem Plexus brachialis) und A. suprascapularis (aus dem Truncus thyrocervicalis) gelangen mit dem Venter inferior des M. omohyoideus zur Incisura scapulae, wobei der Nerv unterhalb, die Arterie oberhalb des Lig. transversum scapulae superius in die
Der M subscapularis füllt die Fossa subscapularis aus, unterpolstert die Rippenfläche der Scapula und gleitet in einer lockeren, bindegewebigen Verschiebeschicht auf dem M. serratus anterior. Er zieht als stärkster Innenrotator des Armes ventral über das Schultergelenk zum Tuberculum minus humeri. Leitungsbahnen •
N. acessorins und R. superficialis der A. transversa colli verzweigen sich zwischen oberflächlicher und tiefer Muskellage an der Unterfläche des M. trapezius.
746
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Fossa supraspinata zieht. Hier versorgen beide Strukturen den M. supraspinatus und ziehen, der Dorsalfläche des Collum scapulae aufliegend, zur Fossa infraspinata, wo sie den M. infraspinatus versorgen. • Im Bereich des Collum scapulae fixiert das Lig. transversum scapulae inferius den Gefaßnervenstrang am Knochen. • In der Fossa infraspinata geht die A. suprascapularis eine Anastomose mit der A. circumflexa scapulae (aus der A. subscapularis) ein. Diese gelangt durch die mediale, dreieckige Achsellücke unter dem M. teres minor zur Fossa infraspinata. Klinik: 1. Aufsuchung der A. axillaris. Leitmuskel für den Gefaßnervenstrang ist der M. coracobrachialis. In Abduktionsstellung wird der Gefaßnervenstrang aufgesucht und seine Umscheidung gespalten. Man trifft dann auf folgende Situation: oberflächlich: N. medianus, medial: V. axillaris und N. cutaneus antebrachii medialis. Verzieht man den N. medianus nach lateral, so liegt hinter ihm die A. axillaris, 2. Kollateralkreisläufe. Bei proximalem Verschluss der A. axillaris kann ein Umgehungskreislauf zum Arm gebildet werden: über A. subclavia, Truncus thyrocervicalis, A. suprascapularis, Rete arteriosum scapulare, A. circumflexa scapulae und A. subscapularis zur distalen A. axillaris. Ein weiterer, weniger effektiver Weg fuhrt über die A. subclavia, A. thoracoacromialis, R. acromialis, Rete acromiale, A. circumflexa humeri posterior zur distalen A. axillaris. Kein suffizienter Kollateralkreislauf besteht im distalen Abschnitt zwischen den Aa. circumflexae humeri und der A. profonda brachii.
9.2.6
Oberarmregionen, Regiones brachii
Lernziele: Oberflächenrelief, Regio brachii anterior (Grenzen, Muskeln, Leitungsbahnen in ihren Beziehungen zueinander), Regio brachii posterior (Grenzen, Muskeln, Leitungsbahnen in ihren Beziehungen zueinander), wichtige klinische Aspekte.
Grenzen und allgemeine Aspekte (Abb. 9.68, 69). Da der proximale Humerus der Schulter und der distale dem Ellenbogengelenk angehört, wird topographisch unter „Oberarm" nur das zylindrische Mittelstück verstanden. Grenzen: proximal: Achselfalten, Ansatz von M. pectoralis major, M. teres major, M. latissimus dorsi. Distal: fließender Übergang in die Ellenbogengegend. Als künstliche Grenze wird eine Linie angenommen, die eine Handbreit proximal von den Kondylen liegt. •
Die Grenze zwischen Beugern und Streckern wird durch 2 längs verlaufende Hautfurchen markiert: • Im tiefen Sulcus bicipitalis medialis fühlt man in ganzer Ausdehnung den Puls der A. brachial is. • Der flache Sulcus bicipitalis lateralis teilt sich am Ansatz des M. deltoideus in zwei Furchen, die den Muskel einrahmen. Nach distal fließen die Sulci bicipitales in der Ellenbeuge zusammen. An der lateralen Oberarmseite wulsten sich proximal der M. deltoideus und distal die brachioradialen Muskeln vor. Subkutane Leitungsbahnen •
Im Sulcus bicipitalis medialis liegen: V. basilicar, superfizielle Lymphbahnen, N. cutaneus antebrachii medialis. Distal der Mitte des Oberarmes durchbohrt die V. basilica am Hiatus basilicus schräg die Oberarmfaszie und gelangt in die Tiefe • Im Sulcus bicipitalis lateralis liegen: V. cephalica und superfizielle Lymphbahnen. Die Vene wendet sich proximal dem Sulcus deltoideopectoralis zu und erreicht in ihm die Fossa infraclavicularis, wo sie sich in die Tiefe senkt, um in die V. axillaris zu münden. • Ventral und medial treten weiter proximal der N. cutaneus brachii medialis und der N. intercostobrachialis durch die Faszie zur Haut. • Die Haut der Dorsalseite wird vom N. cutaneus brachii posterior (aus dem N. radialis) versorgt. Distal von ihm tritt noch der N. cutaneus antebrachii posterior (aus dem N. radialis) durch die Faszie. Die Fascia brachii (Abb. 9.53, 54) hüllt als derbes, hauptsächlich aus Ringfasern bestehendes Bindegewebe die Muskeln ein, senkt sich jeweils lateral und medial als Septum intermuscular brachii laterale und mediale in die Tiefe und setzt an den Seitenrändern des Humerus an. Das laterale Septum
747
9.2 Topographische und A n g e w a n d t e Anatomie
Sulcus deltoideopectoralis
M . deltoideus —
M . pectoralis m a j o r ~ -
A.. V , N. thoracodorsalis M . latissimus dorsi Ν. thoracicus longus N. radialis Vasa profunda brachi V. cephaiica A. brachialis M . coracobrachial^ N. musculocutaneus N. cutaneus antebrachii medialis N. ulnaris Caput longum m. bicipiti s brachi Caput breve m. b i c i p i t i - bracini
Caput l o n g u m m. tricipitis brachii Caput m e d i a l e m. tricipitis brachii
N medianus Septum intermusculare brachii mediale
N. ulnaris A. col latera I is uínaris superior
A. brachialis M
brachialis
N. cutaneus antebrachii lateralis
V. mediana cephaiica
A. collateralis ulnaris inferior N medianus Ν. cutaneus antebrachii medialis
Ν cutaneus antebrachii lateralis M . brachioradialis
V. mediana basilica Lacertus ftbrosus (Aponeurosis m bicipitis brachii]
Abb. 9.67: Regio brachii anterior von medial gesehen. M. biceps brachii nach ventral und lateral g e z o g e n
748
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
erstreckt sich vom Ansatz des M. deltoideus bis zum Epicondylus lateralis, das mediale vom Ansatz des M. coracobrachialis bis zum Epicondylus medialis. Dadurch entsteht ventral die Regio brachii anterior (Beugerloge) und dorsal die Regio brachii posterior (Streckerloge). Die Beugerloge setzt sich proximal in das Spatium axillare und distal in die Fossa cubitalis fort. Die Streckerloge endet distal am Olecranon.
Gefaßnervenstrang Im Sulcus bicipitis brachii medialis liegend, schließt er sich proximal dem ulnaren Rand des M. coracobrachialis und distal dem des M. biceps brachii an. Das neurovaskuläre Bündel besteht aus der A. brachialis mit Abzweigungen und den 3 großen Nervenstämmen —> N. medianus, N. radialis, N. ulnaris. Während des Verlaufs nach distal scheren aus:
9.2.6.1
Beugerloge, Regio brachii anterior
Grenzen (Abb. 9.67, 68). Nach dorsal: Humerus, Septa intermuscularia, zur Subkutis: Fascia brachii. Inhalt • M. biceps brachii, M. brachialis, M. coracobrachialis • Gefaßnervenstrang des Armes. Muskulatur. 2 Schichten: Der spindelige M. biceps brachii bedeckt den tiefer gelegenen und breiteren M. brachialis. C a p u t ii n g u m m . b i c i p ; t i s b r a c h i i
•
N. muscidocutaneus, bereits im Spatium axillare verläuft er nach lateral, perforiert den M. coracobrachialis, gelangt zwischen M. brachialis und M. biceps brachii, um distal am lateralen Rand des M. biceps brachii zu liegen. Während dieses Verlaufes gibt er mehrere Rr. musculares zu den Beugern ab. Sein sensibler Endast perforiert als N. cutaneus antebrachii lateralis die Fascia brachii oberhalb des Epicondylus lateralis. • N. radialis, A. profunda brachii, am unteren Rand der Sehne des M. latissimus dorsi treten Nerv und Arterie zwischen Caput mediale und laterale des M. triceps brachii (—> Trizepsschlitz) C a p u t breve m. bicipitis bracini
/ V
IM. m u s c u l o c u t a n e u s
cephalica-,^ /
S u l c u s bi c i p i t a l i s l a t e r a l i s
M
M
coracobrachial
/ A . b r a c h i a l i s , Vv. b r a c h i a l e s
brachialis , - Μ. c u t a n e u s a n t e b r a c h i i
Humerus
medialis
N. m e d i a n u s Septum intermusculare
brachi laterale
M
cutaneus brachii
Sulcus bicipitali
— - V. b a s i l i c a
lateralis superior
Ν. cutaneus antebrachii
medialis
Septum intermusculars
bracini
mediale
posterior Ν ν
A. collateralis radialis,
"
x
Ν. ulnaris
Κ
V. c o l l a t e r a l i s r a d i a l i s
• Α . , V. c o l l a t e r a l i u l n a r i s s u p e r i o r
[V. c o m i t a n s ]
\ N
N. radialis,
C a p u t m e d i a l e m . t r i e i ρ iti s b r a c h i i
x
R r m u s c u l a r e s η. r a d i a l i s
x
Fascia bracini
x
/ A
collateralis
/ media
C a p u t l o n g u m m . tri c i pi t i s b r a c h i i
\
r \ N. c u t a n e u s brachii p o s t e r i o r
\
\
\ Caput laterale m
tricipitis brachii
749
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
in den Sulcus η. radialis und damit in die Streckerloge ein. Distal perforiert der N. radialis das Septum intermusculare brachii laterale (in Begleitung der A. collaterals radialis), um zwischen dem M. brachioradialis und dem M. brachialis in die Fossa cubitalis einzutreten. Die Rr. musculares verlassen den N. radialis, bevor dieser in den Sulcus η. radialis eintritt. Daher hat eine Schädigung des N. radialis bei einer Humerusschaftfraktur keine Trizepslähmung zur Folge. • N. ulnaris, mit der A. collateralis ulnaris superior durchstößt der Nerv das Septum intermusculare brachii mediale und gelangt in die Streckerloge. Von jetzt an besteht der Gefäßnervenstrang nur noch aus A. brachialis, lateraler (schwächerer) und medialer (stärkerer) V. brachialis, tiefen Lymphgefäßen und N. medianus. •
N. medianus, im proximalen Drittel ventral und lateral der Arterie gelegen, überkreuzt er in der Mitte des Oberarmes die Arterie von lateral nach medial, um sich distal medial und dorsal des Gefäßes zu positionieren.
Varianten: 1. A. brachialis superficialis·. In ca. 15 % (re. doppelt so häufig wie Ii.) zweigt dieses Gefäß in der Achselhöhle von der A. brachialis ab, verläuft vor der Medianusgabel in den Sulcus bicipitalis medialis und liegt hier ventral des N. medianus. In der Ellenbeuge kann dieses Gefäß oberhalb des Lacertus fibrosus liegen. Die A. brachialis kann in solchen Fällen stark zurückgebildet sein. Ist sie regelrecht ausgebildet, können die beiden arteriellen Gefäße die Medianusgabel oder den N. medianus zwischen sich fassen. Sind beide Gefäße etabliert, geht die A. radialis meist aus der A. brachialis superficialis (—> hoher Abgang der A. radialis = hohe Teilung) hervor. Von diesem Grundschema gibt es zahlreiche Abwandlungen. 2. Anastomose zwischen N. medianus und N. musculocutaneus. Diese Verbindung (bei jedem dritten vorhanden) fuhrt die zunächst mit dem N. musculocutaneus verlaufenden Medianusfasern wieder zum N. medianus zurück. Klinik: 1. Ruptur der Sehne des langen Bizepskopfes. Durch Degeneration begünstigter Riss im Sulcus intertubercularis. Da der Bizeps keine knöcherne Befestigung am Humerus
aufweist, kontrahiert sich der Muskelbauch sehr stark und bildet oberhalb der Ellenbeuge eine deutlich sichtbare Anschwellung, 2. Proc. supracondylars (Abb. 9.5 b). In ~ 1 % liegt proximal des Epicondylus medialis und ventral des Septum intermusculare brachii mediale ein krallenförmig nach distal zeigender atavistischer Knochenfortsatz. Von der Spitze spannt sich oft ein Band (Struther-Ligament) zum Epicondylus medialis aus. Unter diesem Fortsatz liegt der von den Vasa brachialia begleitete N. medianus, der hier Druckschäden erleiden kann.
9.2.6.2
Streckerloge, Regio brachii posterior
Grenzen (Abb. 9.68, 69). Ventral: Humerus, Septa intermuscularia, gegen die Subkutis: Fascia brachii. Inhalt • M. triceps brachii • N. radialis und Vasa profunda brachii • N. ulnaris und Vasa collateralia ulnaria superiora. M. triceps brachii. Zwischen der Insertionssehne des Triceps und dem proximalen Anteil des Olekranons liegt eine Bursa subtendinea olecrani. Innerhalb der Insertionssehne kann eine Bursa intratendinea olecrani vorkommen. Das Caput laterale und mediale m. tricipitis sowie der Sulcus η. radialis des Humerus bilden einen osteofibrösen Kanal, Canalis n. radialis. Leitungsbahnen N. radialis. Proximal des Septum intermusculare brachii mediale betritt der N. radialis zusammen mit der A. profunda brachii die Loge und tritt in den Canalis n. radialis ein. Unmittelbar davor gibt er neben den Rr. musculares zum M. triceps brachii ab: N. cutaneus brachii lateralis inferior, N. cutaneus brachii posterior. In der Mitte des Kanals verlässt der N. cutaneus antebrachii posterior den N. radialis, um die Fascia brachii am distalen Ende des Canalis n. radialis zu durchbrechen.
750
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
M. trapezius
M. infraspinatus
Spina
Acromion M. deltoideus
Ν. axillaris
A. circumfiexa humeri posterior
A. circumfiexa scapulae
Caput longum m. tricipitis brachii
A. profunda brachii
\
Caput laterale m. tricipitis brachii
M. rhomboideus major M. teres minor
N. cutaneus brachii posterior
M. teres major M. latissimus dorsi M. biceps brachii Α. collateraiis media Rr. musculares η. radialis Ν. cutaneus antebrachii posterior
M. brachialis
N. cutaneus brachii posterior
N. radialis A. collateraiis radialis Caput longum m. tricipitis brachii Tendo m. tricipitis brachii
N. radialis N. cutaneus antebrachii posterior M. brachioradialis M. extensor carpi radialis longus
N. ulnaris A. collateraiis ulnaris superior Epicondylus lateralis humeri Epicondylus medialis humeri
Olecranon
Fascia antebrachii
Abb. 9.69: Regio scapularis und Regio brachii posterior. M. infraspinatus durchtrennt; M. teres minor gefenstert; M. deltoideus teilweise am Ursprung abgelöst und nach lateral geklappt. Caput laterale m. tricipitis brachii bis zum Septum intermusculare laterale durchtrennt, um den Verlauf des N. radialis und der A. profunda brachii zu zeigen
751
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
Die A. profunda brachii liegt innerhalb des Canalis n. radialis distal des Nerven. Aste: [> A. nutricia humeri (entspringt am Beginn) D> A. collateralis media (entspringt in der Mitte). Der Endast der A. profunda brachii, die A. collateralis radialis, verlässt distal den Kanal. N. ulnaris. Nach Perforation des Septum intermusculare brachii mediale ist der Nerv in das Caput mediale des M. triceps eingebettet und gelangt in den Sulcus η. ulnaris an der Hinterfläche des Epicondylus medialis humeri, wo er leicht gegen den Knochen gequetscht werden kann (—> Musikantenknochen, s. Klinik Kap. 9.1.3.4). Klinik: 1. N.-radialis-Schädigung. Der Nerv liegt im Canalis n. radialis dem Humerusschaft unmittelbar an und ist bei Frakturen gefährdet (—>primäre Radialisschädigung). Kallusbildung oder Repositionsmanöver bei Frakturen können ihn an dieser Stelle ebenso schädigen wie Druck gegen eine feste Unterlage (—> sekundäre Radialisschädigung). Kennt man die gestaffelte Astabgabe, gelingt eine genaue Lokalisation der Schädigung, 2. Olekranonfraktur. Häufiger, intraartikulärer Ellenbogenbruch mit Abriss des Hakenfortsatzes der Ulna und Gelenkverletzung; der M. triceps bewirkt eine breite Diastase des Frakturspalts (—» Operationsindikation!).
9.2.7
Ellenbogenregionen, Regiones cubitales
Lernziele: Oberflächenrelief, Regio cubitalis anterior (Grenzen, subkutane Gebilde, Muskeln, Leitunsbahnen in ihren Beziehungen zueinander). Regio cubitalis posterior (Grenzen, Muskeln, Leitungsbahnen in ihren Beziehungen zueinander), wichtige klinische Aspekte. Grenzen, allgemeine Aspekte (Abb. 9.70 bis 72). Die Abgrenzung ist willkürlich und wird proximal und distal durch eine Linie markiert, die eine Handbreit proximal (entspricht der Verbindungslinie der Epikondylen) bzw. distal von der queren Beugefalte liegt. Der Ellenbogen der Umgangssprache ist der Vorsprung des Olekranons!
Gegenüber dem mehr zylindrischen Oberarm ist der Ellenbogen von vorn nach hinten abgeplattet. Die Abplattung entsteht durch die seitliche Ausladung der Epikondylen und durch die Umordnung der Muskulatur. Fossa cubitalis. Die Beuger des Oberarms, M. biceps brachii und M. brachialis, verjüngen sich gegen ihren Ansatz spindelförmig und verschwinden zwischen den Muskelwülsten des Unterarms in der Tiefe. Die vom Epicondylus medialis entspringenden Beuger und die vom Epicondylus lateralis und weiter proximal vom Humerus entspringenden brachioradialen Muskeln springen bei gestrecktem Arm als Wülste vor. Es entsteht so in der Ellenbeuge eine V-fbrmige Grube (—> Fossa cubitalis). Die beiden Schenkel des V laufen in die Bizepsfurchen aus. Dorsal geht die Muskelmasse des M. triceps brachii in eine flache Sehne über, die am Olecranon ansetzt. Die Muskelanordnung ergibt die exzentrische Lage des Ellenbogengelenkes, das ventral von den Ober- und Unterarmmuskeln überlagert wird (Abb. 9.72). Dorsal liegt das Gelenk unmittelbar unter der Haut und ist der Untersuchung und Operationen leicht zugänglich. Topographisch unterscheidet man eine Regio cubitalis anterior und Regio cubitalis posterior.
9.2.7.1
Ellenbeuge, Regio cubitalis anterior
Grenzen. Proximal: Bauch des M. biceps brachii, medial: oberflächliche Flexoren des Unterarms, lateral: brachioradiale Muskeln, gegen die Subkutis: Fasciae brachii et antebrachii. Inspektion, Palpation (Abb. 9.70, 71). Zwischen dem medianen Wulst der Oberarmbeuger und den seitlichen (ulnaren und radialen) Unterarmmuskelwülsten senkt sich die Haut zur Fossa cubitalis ein. Zu tasten sind: 1. Ansatzsehne des M. biceps brachii (bei Beugung), 2. Aponeurosis m. bicipitis brachii (sive Lacertus fibrosus). Der medial der Sehne in die Unterarmfaszie ausstrahlende Lacertus fibrosus lässt sich mit zwei Fingern
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
752
-V. basilica N. medianus V. cephalica
A. brachialis
N. cutáneas antebrachii lateralis
N. cutaneus antebrachii medialis, R. posterior (R ulnaris)
M. biceps brachii
N. cutaneus antebrachii medialis, R. anterior
V. mediana basilica
N. cutaneus antebrachii lateralis
V. basilica antebrachii
V. mediana cephalica
Aponeurosis m. bicipitis brachii [lacertus fibrosus]
V. cephalica antebrachii V. anastomotica V. mediana antebrachii
M. pronator teres M. flexor carpi radialis M. palmaris longus
M. brachioradialis
M. flexor carpi ulnaris R. superficialis n. radialis
Ν. ulnaris
Vasa radialia
M. extensor carpi radialis longus M. extensor carpi radialis brevis
Vasa ulnaria
M abductor pollicis longus M. extensor pollicis brevis
R. dorsalis n. ulnaris
R. superficialis n. radialis
Tendo m. brachioradialis Tendo m. flexoris carpi radialis
- M. flexor digitorum superficialis
Vasa radialia _ N. medianus Lig carpi palmare [Lig carpi volare] — R. palmaris n. ulnaris
Canalis ulnaris (GUYON)
Abb. 9.70: Oberflächliche Regio cubitalis anterior und Regio antebrachii anterior. In der Ellenbeuge ist die Oberfächenfaszie erhalten und teilweise gefenstert
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
753
M. biceps brachii
Vasa brachiali
A. coüateralis ulnaris superior N. ulnarts
Ν. medianus
intermusculare brachii mediale
Epicondylus medialis R. superficialis η. radialis
R. profundus η. radialis
Lacertus fibrosus [Aponeurosis m. bicipitis brachii]
M. supinator
N. ulnaris
M. brachioradialís R. superficialis η. radialis Vasa radialia
A. interassea communis A. interassea posterior A. interassea anterior
M. pronator teres M. flexor carpi ulnaris M. flexor digitorum superficialis (Schnittkante)
N. ulnaris Vasa ulnaria
M. flexor polltcis longus N. medianus
Membrana interassea
Vasa interassea anteriora
Ν. interosseus anterior R. superficialis η. radialis
Tendo m. brachioradialís
R. dorsalis η. uinaris M. pronator quadratus
Tendo m. flexoris carpi radialis
R. palmaris n. uinaris
Tendines m. flexoris digitorum superficialis Tendo m. palmaris longi R. palmaris n. mediani M. palmaris brevis R. superficialis π. ulnaris Ν. medianus Arcus palmaris
Retinaculum flexorum
Abb. 9.71: Tiefe Regio cubitalis anterior und tiefe Regio antebrachii anterior. M. brachioradialís und M. extensor carpi radialis longus nach radial, M. flexor carpi ulnaris nach ulnar verlagert; M. flexor digitorum superficialis und profundus weitgehend entfernt, M. pronator teres gefenstert
754
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Humerus — M
— T e n d o in t r i c i p i t i : ; b r a c h i ι
biceps brachii— — M triceps brachii Ν. c u t a n e u s
antebrachii lateralis Membrana /
M. brachialis
1
fibrosa capsulae articularis
Ν. radialis
^
Membrana
^
synovialis
_ —
Trochlea humeri
M . brachioradialis Li g. a n u l a r e r a d i i —
Olecranon
Caput radii Bursa subcutanea olecrani M . e x t e n s o r carpi radiai 1 :; l o n g u s
Art culatio radioulnar^ proximalis — -
M. supinator
— —— _ M . extensor carpi
R e c e s s u s s a c c i f o r m is
Tendo m . b i c i p i t i s b r a c i n i e t bursa bicipitoradialis
radialis brevis — Radius
M
extensor carpi ulnaris
— M . flexor digitorum profundus
M
flexor pollicis longus
Ulna
umfassen und überbrückt den strang.
Gefäßnerven-
Cutis. Die Haut ist dünn, elastisch, haarlos und leicht auf der Unterlage verschieblich. Bei Venenpunktion muss sie deshalb über der Vene gespannt werden. In Beugestellung erscheint eine quere Beugefurche, die bei Streckung verschwindet. Die Lage der Beugefurche variiert und lässt keinen Schluss auf die Position des Gelenkspaltes zu. Meist liegt sie ~ 2 cm proximal von diesem. Bei Männern und älteren Menschen (geringeres Fettpolster!) scheinen die oberflächlichen Venen als bläuliche Stränge durch die Haut. Subkutane Leitungsbahnen (Abb. 9.53, 54) t> V. basilica. Nimmt das Blut von der palmaren Seite der Hand und aus dem medialen Teil des Unterarmes auf. Sie liegt ulnar und strebt dem Hiatus basilicus zu.
Abb. 9.72: Sagittalschnitt durch das Ellenbogengelenk. Blick auf die laterale Hälfte
t> V. cephalica. Nimmt das Blut von der dorsalen Handseite und vom lateralen Unterarmgebiet auf. Sie liegt radial und verläuft epifaszial am Oberarm nach proximal. [> V. mediana antebrachii. Liegt zwischen den beiden vorigen und sammelt das Blut aus der Unterarmvorderseite. In der Ellenbeuge teilt sie sich Y-förmig in die V. mediana cephalica und die V. mediana basilica. Oft senkt sich noch eine V. mediana profunda in die Tiefe, um mit den tiefen Venen zu anastomosieren. t> V. mediana cubiti. Schräg verlaufende Verbindungsvene zwischen V. basilica und V. cephalica, die oft beim Fehlen einer V. mediana antebrachii auftritt. Beide Venen ziehen über die Aponeurosis m. bicipitis brachii hinweg und werden durch diese von dem in der Tiefe gelegenen Gefaßnervenstrang getrennt. [> N. cutaneus antebrachii medialis. Durchsetzt die Fascia brachii mit der V. basilica im Hiatus
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
basilicus und zerfallt in einen R. anterior und R. posterior. Ο Ν. cutaneus antebrachii lateralis. Durchstößt die Faszie am distalen Ende des Sulcus bicipitalis lateralis und zieht zur Radialseite des Unterarms. •
Fossa cubitalis. Im Bindegeweberaum der Fossa cubitalis findet eine Umordnung der großen Leitungsbahnen des Oberarmes statt. Aus dem Sulcus bicipitalis medialis streben A. und V. brachialis mit dem N. medianus und aus dem Sulcus bicipitalis lateralis der N. radialis in die Fossa cubitalis.
Tiefe Leitungsbahnen I> A. brachialis. Die Armschlagader liegt bei Eintritt in die Fossa cubitalis lateral des N. medianus und entfernt sich deutlich von ihm. Vor dem Ellenbogengelenk gibt die A. brachialis die A. radialis ab. Diese verläuft schräg nach lateral, überkreuzt die Sehne des M. biceps brachii und tritt in die Speichenstraße zwischen M. brachioradialis und M. flexor carpi radialis ein. Sie gibt in der Ellenbeuge die kräftige A. recurrens radialis ab, die medial neben dem N. radialis und zwischen dem M. brachioradialis und dem M. brachialis liegend nach proximal verläuft, um mit der A. collateralis radialis zu anastomosieren. Unmittelbar oberhalb des Caput ulnare des M. pronator teres zerfallt die A. brachialis in ihre beiden Endäste: A. ulnaris und A. interossea communis. t> A. ulnaris. Zieht hinter dem ulnaren Kopf des M. pronator teres schräg nach distal, um in die Ellenstraße des Unterarms einzutreten. In der Fossa cubitalis zweigt die A. ulnaris die A. recurrens ulnaris ab, die zwischen dem M. brachialis und dem M. pronator teres liegend nach proximal zieht. \> A. recurrens ulnaris. Der R. anterior liegt vor dem Epicondylus medialis, der R. posterior dahinter und neben dem N. ulnaris. Der R. anterior anastomosiert mit der A. collateralis ulnaris inferior und der R. posterior mit der A. collateralis ulnaris superior. \> A. interossea communis. Ist ganz kurz und liegt ebenfalls hinter dem ulnaren Kopf des Pronator teres, um in die A. interossea anterior und posterior zu zerfallen.
755
[> A. interossea anterior. Bleibt zunächst auf der Vorderseite der Membrana interossea, wohingegen die A. interossea posterior durch eine Dehiszenz der Membran nach dorsal zieht. Aus der A. interossea anterior kann die kleine, entwicklungsgeschichtlich interessante A. comitans n. mediani entspringen. Neben diesen Hauptstämmen geben alle erwähnten Arterien Rr. musculares ab. I> N. medianus. Betritt medial der A. brachialis die Ellenbeuge und gibt proximal des Epicondylus medialis Rr. musculares an das Caput commune der Beuger ab. Der Hauptstamm überkreuzt die A. recurrens ulnaris, um zwischen dem Caput ulnare und humerale des M. pronator teres (sog. Medianustunnel. Pronatorschlitz) nach distal zu ziehen, wobei die A. ulnaris überkreuzt wird. > N. radialis. Betritt zusammen mit der A. collateralis radialis aus dem Sulcus bicipitalis lateralis kommend die Fossa cubitalis. Hier entlässt er Rr. musculares zu den brachioradialen Muskeln, um in Höhe der Epikondylenlinie in die Rr. superficialis et profundus zu zerfallen. - Der R. superficialis (sensibel) liegt dicht am M. brachioradialis und gelangt im Sulcus antebrachii radialis an die laterale Seite der A. radialis. - Der R. profundus (motorisch) zieht durch eine sehnig umrandete Öffnung (—> Froh.se-A rkade) in den Radialistunnel des Supinator und windet sich um das proximale Ende des Radius, um so in die Extensorenloge des Unterarms zu gelangen. Rete articulare cubiti. Das Ellenbogengelenk wird von einem arteriellen Gefaßnetz umsponnen, das besonders dorsal stark ausgeprägt ist und gespeist wird von: > 4 Kollateralarterien: A. collateralis ulnaris superior, Α. collateralis ulnaris inferior, A. collateralis media, A. collateralis radialis t> 3 Aa. recurrentes: Α. recurrens radialis, A. recurrens ulnaris, A. interossea recurrens. Das Rete articulare cubiti kann eine Unterbindung der A. brachialis distal des Abganges der A. profunda brachii kompensieren.
Klinik: 1. Intravenöse Injektion. Streckung im Ellenbogengelenk spannt die oberflächliche Faszie und die Aponeurosis m. bicipitis brachii. Beide dürfen nicht durchstochen werden, um eine Verletzung von N. medianus und A.
756
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
brachialis zu vermeiden. Man führt deshalb die i. v. Injektion nicht direkt über dem Lacertus fibrosus, sondern weiter lateral durch, 2. Peripherer Venenzugang für Kavakatheter. V. basilica der V. cephalica vorziehen (—> Erfolgsrate bei V. cephalica nur ~ 30 % bedingt durch anatomische Varianten, ζ. B. sehr dünne Ausprägung, fehlende Einmündung in die V. axillaris oder Nichtanlage!). Cave: Verletzungsgefahr von A. brachialis und N. medianus, 3. A. brachialis superficialis. Bei Punktionen in der Ellenbeuge an eine oberhalb des Lacertus fibrosus verlaufende A. brachialis superficialis (Variante) denken (Pulsation!), 4. Adelmann-Beugung. Bei max. Beugung wird die A. brachialis vollständig komprimiert. Dies kann in der Ersten Hilfe zur Blutstillung am Unterarm verwendet werden, 5. Periphere Kompressionssyndrome. N. medianus im Pronatorschlitz (—* Pronator-teres-Syndrom) und R. profundus n. radialis beim Durchtritt durch den M. supinator (—» Supinatortunnelsyndrom), 6. Fraktur oder Luxation des proximalen Radius gefährdet den R. profundus n. radialis. Bei Supination liegt er eng am Gelenk, bei Pronation entfernt er sich. Operationen am Ellenbogengelenk werden deshalb bei maximaler Pronation ausgeführt.
9.2.7.2
Hintere Ellenbogenregion, Regio cubitalis posterior
Inspektion, Palpation (Abb. 9.69, 72). Das gut sieht- und tastbare Olecranon bildet den eigentlichen Ellenbogen und liegt bei gestrecktem Arm mit dem kleineren Epicondylus lateralis und dem stärker ausladenden Epicondylus medialis in einer Linie (Hueter-Linie, s. Abb. 9.25). Bei Beugung wandert die Olekranonspitze nach distal und bildet bei rechtwinkliger Beugung mit den Epikondylen ein gleichschenkliges Dreieck (Hueter-Dreieck). Zu tasten sind: 1. Margo posterior ulnae (distal vom Olecranon), 2. Ν. ulnaris (zwischen Olecranon und Epikondylen sinkt die Haut zu Grübchen ein, die sich bei Streckung vertiefen. Im medialen Grübchen liegt der Nerv direkt unter der Haut im Sulcus nervi ulnaris des Epicondylus medialis), 3. Gelenkspalt der Articulatio humeroradialis (im lateralen Grübchen
bei leicht gebeugtem Arm). Bei Pronation und Supination gleitet das Caput radii unter dem tastenden Finger. Auch bei sonst gutem Fettpolster fehlt das subkutane Fett an dieser Stelle (—> Schönheitsgrübchen des weiblichen Armes!) Das besonders lockere, über dem Olecranon fettgewebefreie, subkutane Bindegewebe ermöglicht starke Verschiebungen des Knochens unter der Haut. Meist entwickelt sich eine Bursa subcutanea olecrani (-> chronische Bursitis!). Leitungsbahnen N. ulnaris. Der von der A. collateralis ulnaris superior begleitete Nerv ist zwischen Epicondylus medialis und Olecranon nach Spaltung der Faszie leicht auffindbar. Distal verschwindet er zwischen dem Caput humerale und dem Caput ulnare des M. flexor carpi ulnaris. A. interossea recurrens. Entspringt aus der A. interossea posterior, nachdem diese oberhalb der Membrana interossea antebrachii auf die Streckseite gelangt ist. Sie verläuft dann unter dem M. anconaeus lateral vom Olecranon aufwärts, liegt auf der hinteren Partie des Lig. anulare radii, anastomosiert mit dem R. posterior der A. collateralis radialis und speist das Rete articulare cubiti. Klinik: 1. Gelenkerguss. Das Ellbogengelenk liegt exzentrisch und wird dorsal nur von Haut und Oberflächenfaszie bedeckt. Ergüsse zeigen sich daher zuerst dorsal und wölben die Gelenkkapsel zwischen Epikondylen und Olecranon vor. Die Ergusspunktion ist hier besonders leicht; medial beachte man den N. ulnaris, 2. Sulcus-ulnaris-Syndrom (s. Klinik im Kap. 9.1.3.4, S. 729). 9.2.8
Unterarmregionen, R e g i o n e s antebrachii
Lernziele: allgemeine Gliederung: Compartimentum antebrachii extensorum, Compartimentum antebrachii flexorum und Compartimentum antebrachii extensorum pars lateralis. Regio antebrachii anterior: Grenzen, Gefäß-Nervenstraßen (Speichenstraße, Ellenstraße, Medianusstraße, palmare Zwischenknochenstraße), Lagebeziehungen der Gebilde zueinander,
757
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie wichtige klinische Aspekte. Regio antebrachii posterior: Grenzen, dorsale Zwischenknochenstraße. Knochen, Muskeln und Leitungsbahnen in ihren Beziehungen zueinander, wichtige klinische Aspekte.
2. Compartimentum (—> Flexorenloge).
flexorum
•
Pars superficialis (oberflächliche Schicht): M. flexor digitorum superficialis, M. flexor carpi radialis, M. palmaris longus, M. flexor carpi ulnaris. • Pars profunda (tiefe Schicht): M. flexor digitorum profundus, M. flexor pollicis longus, M. pronator quadratus.
Allgemeine Gliederung (Abb. 9.53, 54, 70, 71, 73, 74). Der Unterarm, Antebrachium, ist konisch, da die Muskelmasse der Extensoren und Flexoren hauptsächlich proximal liegt und nach distal in schlanke Sehnen übergeht. Eine oberflächliche Fascia antebrachii umhüllt den gesamten Unterarm und schickt bindegewebige Septen in die Tiefe zu den Knochen, wodurch 3 osleofibröse Logen abgetrennt werden, in denen Muskeln liegen: 1. Compartimentum antebrachii (—> Extensorenloge).
antebrachii
3. Compartimentum antebrachii extensorum pars lateralis (—> brachioradiale Loge). •
M. supinator, M. brachioradialis, M. extensor carpi radialis longus, M. extensor carpi radialis brevis.
extensorum Oberflächliche und tiefe Schichten werden durch ein zartes Faszienblatt voneinander getrennt. Innerhalb dieser 3 Logen werden 5 separate Räume (sog. Straßen nach v. Lanz und Wachsmuth) für die Leitungsbahnen gebildet:
•
Oberflächliche Schicht: M. extensor digitorum, M. extensor digiti minimi, M. extensor carpi ulnaris. • Tiefe Schicht: M. extensor indicis, M. extensor pollicis longus, M. abductor pollicis longus, M. extensor pollicis brevis.
mediane Gefäß-Nervenstraße (Medianusstraße) radiale Gefäß-Nervenstraße
M . f l e x o r carpi r a d i a l i s
Ν . m e d l a n u s , A , c o m i t a n s η. m e d i a n i
\ Tendo m. p a l m a r i s l o n g i A r a d i a l i s , Vv. radiales, ^ R, s u p e r f i c i a l i s η r a d i a l i s
\ \
\
\
M . flexor digitorum superficialis ^ /
\ \
N. cutaneus antebrachii medialis
_ — - ulnare Gefäß-Nervenstraße
V. c e p h a l i c a a n t e b r a c h i i M
V- b a s i l i c a a n t e b r a c h i i
brachiore.iialis
-A
Tendo m . p r o n a t o r i t e r e t i s Radius
M , flexor carpi ulnaris M . flexor pollicis longus
Tendo m. e x t e n s o r l s c a r p i radialis longi M
u l n a r i s , Vv, u l n a r e s
Ν. u l n a r i s
M , flexor digitorum profundus
extensor carpi r a d i a l i s brevis Ulna
M . abductor pollicis longus - — M , extensor p o l l i c i s l o n g u s et brevis —
" M
M . extensor digitorum ^ Fascia
^
idicrs
M . extensor carpi ulnaris
a n t e b r a c h i i / /
vordere Zwischenknochenstraße
extensor
^
/
hintere Zwischenknochenstraße Ν. ¡nterosseus anterior, A. I n t e r o s s e a anterior, V. I n t e r a s s e a a n t e r i o r M e m b r a n a interossea antebrachii
R p r o f u n d u s η, r a d i a l i s , A i n t e r o s s e a posterior, Vv. I n t e r o s s e a e p o s t e r i o r e s M . extensor digiti minim
Abb. 9.73: Schematischer Querschnitt durch die Mitte des Unterarmes
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
758
A. c o l l a t e r a l s media
-
Caput laterale m. tricipitis brachii —
M . biceps brachii Caput mediale m. tricipitis brachii
M . brachialis
M . brachioradialis Epicondylus lateralis
M.anconaeus M . extensor carpi radialis longus
A. interassea recurrens
M . extensor carpi radialis brevis
R. profundus n. radialis
A . interassea posterior
Rr. musculares η.
M . extensor digitorum
M . abductor pollicis longus M . extensor pollicis brevis
R. perforans arteriae interosseae anterioris M . extensor pollicis longus N. interosseus posterior M . extensor carpi ulnaris
Retinaculum extensorum
Tendines m. extensoris digitorum --Tendo m. extensoris pollicis longi Processus styloideus ulnae Tendo m. extensoris Tendo m. extensoris digiti minimi
carpi radialis brevis Tendo m. extensoris carpi radialis longi
Abb. 9.74: Regio antebrachii posterior. M. extensor digitorum und M. extensor pollicis longus sind nach ulnar gezogen
759
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
•
Speichen-, Ellen-, Medianus-, palmare und dorsale Zwischenknochenstraße. Jeder Straße ist ein Muskel als Leitmuskel (s. u.) zugeordnet.
Topographisch unterscheidet man eine Regio antebrachii anterior (Beugeseite) und eine Regio an te brach i i posterior (Streckseite).
9.2.8.1
Beugeseite des Unterarms, Regio antebrachii anterior
Grenzen. Proximal: 3 Querfinger distal der Epikondylenlinie, distal: Verbindungslinie zwischen den Spitzen von Proc. styloideus radii und Proc. styloideus ulnae. Inspektion, Palpation (Abb. 9.53, 70, 71, 73). Auf der ulnaren Seite wulsten sich die Flexoren, auf der radialen die brachioradialen Muskeln vor. Zwischen dem Muskelbauch des M. brachioradialis und dem des M. flexor carpi radialis zeichnet sich eine schwache Furche ab, der Sulcus antebrachii radialis. Ulnar hingegen sieht man einen Sulcus antebrachii ulnaris nur distal zwischen den Sehnen des M. flexor digitorum superficialis und dem Muskelbauch des M. flexor carpi ulnaris. Zu tasten sind: 1. Radius (distales Ende), 2. Processus styloideus radii, 3. Proc. styloideus ulnae (besonders bei Beugung, da Verdrängung der Sehnen nach radial!). Subkutane Leitungsbahnen Im subkutanen Fettgewebe finden sich wechselnd stark ausgebildete Strukturen:
í> R. palmaris n. mediani (in der Mitte proximal des Handgelenks) [> R. palmaris n. ulnaris (ulnar proximal des Handgelenks). Die tiefen Leitungsbahnen verlaufen innerhalb der 4 ventralen Straßen (Abb. 9.70): Speichen-, Ellen-, Medianus- und palmare Zwischenknochenstraße. Speichenstraße (radiale Gefäßnervenstraße). Leitmuskel: M. brachioradialis. •
Inhalf. A. radialis, Vv. radiales, R. superficialis n. radialis, tiefe Lymphbahnen.
Die A. radialis zieht bis zur Basis des Proc. styloideus radii und wendet sich hier auf die Streckseite. Vor ihrem Austritt aus der Speichenstraße entlässt sie den R. carpalis palmaris zum Rete carpale palmare. Der R. superficialis n. radialis schiebt sich in der Mitte des Unterarmes unter der Sehne des M. brachioradialis hindurch auf die Streckseite. Ellenstraße (ulnare Gefäßnervenstraße). Leitmuskel: M. flexor carpi ulnaris. •
Inhalt: A. ulnaris, Vv. ulnares, N. ulnaris.
Medianusstraße (mittlere Gefäßnervenstraße). Leitmuskel: distaler Teil des M. flexor carpi radialis. •
Inhalt: N. medianus, A. comitans n. mediani, Α. mediana (Varietät).
Palmare Zwischenknochenstraße. Leitmuskel: ulnarer Rand des M. flexor pollicis longus. •
Inhalt: Α., V. interassea antebrachii anterior, N. interosseus antebrachii anterior (aus dem N. medianus).
3 Venenstämme [> V. basilica antebrachii (ulnar) D> V. cephalica antebrachii (radial) [> V. mediana antebrachii (in der Mitte). Grobmaschige, netzartige Anastomosen gewährleisten den Blutaustausch zwischen den Venenstämmen.
5 Hautnerven [> N. cutaneus antebrachii lateralis (radiale Seite) \> R. anterior des N. cutaneus antebrachii medialis (ulnare Seite) \> R. posterior des N. cutaneus antebrachii medialis (ulnare Kante)
9.2.8.2
Streckseite des Unterarms, Regio antebrachii posterior
lnspektion, Palpation (Abb. 9.54, 73, 74). Durch eine seichte, auf den Proc. styloideus radii gerichtete Furche wird die radiale Muskelgruppe von der Extensorengruppe getrennt. Zu tasten sind: 1. Margo posterior ulnae (über die gesamte Unterarmlänge, da von Muskeln unbedeckt), 2. Caput ulnae, Proc. styloideus ulnae (distal), 3. distales Radiusende, das Tuber-
760
culum dorsale radii (Lister) ist eine prominente Landmarke. Subkutane Leitungsbahnen 0
Venen. V. cephalica antebrachii und V. basilica antebrachii formieren sich distal auf der dorsalen Seite, um dann direkt auf die ventrale Seite zu gelangen. t> Nerven. Der N. cutaneus antebrachii posterior aus dem N. radialis versorgt den mittleren Hautstreifen der dorsalen Unterarmfläche, die Nn. cutaneus antebrachii lateralis und medialis beide Seitenareale. Muskeln und tiefe Leitungsbahnen Die dorsale Muskelgruppe lässt eine oberflächliche und eine tiefe Schicht unterscheiden, die durch Bindegewebe getrennt werden. •
Oberflächliche Schicht (M. extensor digitorum, M. extensor digiti minimi, M. extensor carpi ulnaris, M. anconaeus): hat mit Ausnahme des letzteren, den man auch zum M. triceps brachii rechnet, einen geraden Verlauf. Diese Schicht besteht vorwiegend aus Streckern. • Tiefe Schicht (M. abductor pollicis longus, M. extensor pollicis brevis, M. extensor pollicis longus, M. extensor indicis): verläuft von proximal-ulnar nach distal-radial. Dieser schräge Verlauf lässt sie neben Abduktoren und Extensoren auch Supinatoren sein. Hintere Zwischenknochenstraße (Leitmuskel: M. extensor digitorum). Inhalt: A. interassea posterior und R. profundus n. radialis. O Der Nerv tritt aus dem M. supinator kommend in die Region ein, um sich zwischen oberflächlicher und tiefer Schicht zu verzweigen. Er endet als N. interosseus posterior, der bis zum Handgelenk herabreicht und dieses und das Periost der Knochen versorgt. t> Die A. interossea posterior stammt aus der A. interossea communis und betritt mit Begleitvenen oberhalb der Chorda obliqua die Streckerloge. Der Hauptstamm verläuft vom Nerven getrennt direkt auf der Membrana interossea liegend zum Handgelenk und mündet in das Rete carpale dorsale ein. Während ihres
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Verlaufes gibt sie die A. interossea recurrens zum Rete articulare cubiti und zahlreiche Rr. musculares zu den anliegenden Muskeln ab. Die A. interossea anterior tritt distal mit ihren Begleitvenen durch die Membrana interossea in die Streckerloge; sie liegt hier unter dem M. extensor pollicis longus, anastomosiert mit der A. interossea posterior und mündet schließlich in das Rete carpi dorsale. Klinik: 1. Anastomosen. Zwischen den Unterarmarterien bestehen zahlreiche Verbindungen mit ausreichenden Kollateralkreisläufen, 2. Parierfraktur. Durch Schlag auf den zur Abwehr erhobenen Arm entsteht eine Ulnaschaftfraktur, häufig im proximalen Drittel, 3. Monteggia-Luxationsfraktur. Ulnafraktur (proximale Hälfte) mit Luxation des Radiuskopfes, häufig infolge Ruptur des Lig. anulare radii. Resultat ist eine Achsenknickung der Ulna, und der Radiuskopf ist in der Ellenbeuge tastbar, 4. GaleazziLuxationsfraktur. Speichenfraktur in loco typico mit Luxation des Caput ulnae und Abbruch des Proc. styloideus ulnae, 5. Schaftfrakturen der Unterarmknochen sind achsengerecht und in Mittelstellung (Spatium interosseum am größten!) einzurichten, um Brückenkallus vorzubeugen, der Umwendbewegungen unmöglich machen würde.
9.2.9
Handgelenkbeugeseite, Regio carpalis anterior
Lernziele: Grenzen, Hautfurchen, tast- und sichtbare Landmarken, Canalis carpi: Grenzen, Inhalt, Lagebeziehungen der Gebilde zueinander, Sehnenscheiden. Guyon-Logc: Grenzen, Inhalt, topographische Beziehungen, wichtige klinische Aspekte: Karpaltunnelsyndrom, Guyon-Tunnel-Syndrom.
Grenzen (Abb. 9.50 b, 53, 71, 75, 76). Gegen die Hand: durch die an den Daumen- und die Kleinfingerballen angrenzende distale Handgelenkfurche, die Rascetta (entspricht der Articulatio mediocarpalis), gegen den Unterarm: durch die Linea carpi palmaris proximalis (= proximale Handgelenkfurche; entspricht der Epiphysenfuge des Radius).
761
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
Inspektion, Palpation. Die Haut ist dünn und haarlos. Die straffere Anheftung gibt ihr eine geringere Verschieblichkeit als am Unterarm. Eine subkutane Fettgewebeschicht fehlt fast vollständig. Zwischen der Rascetta und der proximalen Beugefurche (Linea carpi palmaris proximalis) liegt eine weitere Furche, die Restricta (entspricht der Articulado radiocarpalis). Sie verbindet die Spitzen der Processus styloidei. Zu tasten sind: 1. M palmaris longits. Die Sehne springt am stärksten in der Mitte der Region bei leichter Beugung im Handgelenk und Opposition von Daumen und Kleinfinger vor (der Muskel fehlt in ~ 10 %). 2. Radial der Sehne des M. palmaris longus liegt die dickere des M. flexor carpi radialis. 3. Radialispuls. Zwischen M. flexor carpi radialis und Radius sinkt die Haut zu einer Furche ein. In ihr fühlen wir den Puls der A. radialis. 4. Tabatière (= Fovea radialis). Das distale, verbreiterte Radiusende ist von den Sehnen des M. abductor pollicis longus und des M. extensor pollicis brevis überlagert. Sie springen bei Spreizung und Streckung des Daumens als palmare Begrenzung der Tabatière (zum Dorsum manus gehörig) deutlich hervor. 5. Ende des Griffelfortsatzes der Speiche (proximal vom Daumenballen). Hier wendet sich die A. radialis unter den Sehnen zum Handrücken. 6. M. flexor carpi ulnaris. Seine Sehne bildet die ulnare Begrenzung der Handwurzelbeugeseite. Sie springt auf ihrem Wege zum deutlich tastbaren Os pisiforme dann vor, wenn mit dem Kleinfinger der Daumenballen berührt und gleichzeitig im Handgelenk leicht gebeugt wird. 7. Ulnarispuls. Radial der Sehne des M. flexor carpi ulnaris ist der Puls der A. ulnaris tastbar. 8. Das Caput ulnae ist in Pronationsstellung der Hand als deutlicher Höcker sichtbar. Der Griffelfortsatz der Elle lässt sich besser bei Supination (an der ulnaren Kante) tasten. Subkutane Strukturen (Abb. 9.53). Die Unterarmfaszie ist durch Ringfasern, die an Radius und Ulna angeheftet sind, besonders verstärkt; sie bilden das
Lig. carpi palmare, welches von den Rr. palmares n. mediani und n. ulnaris durchbohrt wird. Subfasziale Gebilde (Abb. 9.71) gelangen größtenteils auf zwei Wegen in die Hohlhand: 1. durch den Canalis carpi und 2. durch die Guvon-Loge. Die A. radialis nimmt einen anderen Weg, auch die Sehne des M. palmaris longus liegt außerhalb der beiden Kanäle.
Canalis carpi, Handwurzelkanal Grenzen. 1. dorsaler Boden: alle Ossa carpalia, 2. ventrales Dach: Retinaculum flexorum. Zwischen der Eminentia carpi radialis (Tuberculum ossis scaphoidei + Tuberculum ossis trapezii) und der Eminentia carpi ulnaris (Os pisiforme + Hamulus ossis hamati) spannt sich dieses kräftige Band aus und schließt den Sulcus carpi zum osteofibrösen Canalis carpi, 3. radiale Seite: Os trapezium, 4. ulnare Seite: Hamulus ossis hamati. Durch eine Scheidewand wird der Canalis carpi in ein kleines radiales und ein großes ulnares Fach unterteilt: Ulnares Fach. Nur die langen Fingerbeuger (M. flexor digitorum superficialis, M. flexor digitorum profundus und M. flexor pollicis longus) und der N. medianus werden zur Mittelloge der Hohlhand geführt. • Am oberflächlichsten liegt der N. medianus (ulnar der Sehne des M. flexor carpi radialis und meist radial der Sehne des M. palmaris longus), unter ihm der M. flexor digitorum superficialis (Sehnen von Digg. II und V unter denen zu Digg. III und IV). • Am tiefsten und nebeneinander liegen die 4 Sehnen des M. flexor digitorum profundus. Um die Reibung herabzusetzen, sind die 8 Beugesehnen von einem gemeinsamen Mesotendineum in einer ungekammerten Sehnenscheide (Vagina communis tendinum musculorum flexorum, ulnarer karpaler Sehnenscheidensack) umgeben. Ihr proximales Ende ist bei einer Sehnenscheidenentzündung ~ 4 cm proximal der Rascetta deutlich zu fühlen. Die selbständige Scheide des M. flexor pollicis longus endet ~ 3 cm proximal der Rascetta. Radiales Fach. Die Sehne des M flexor carpi radialis, umgeben von einer eigenen Sehnenscheide, liegt in einer Rinne des Os trapezium und verläuft
762
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
_ — M flexor digitorum superficialis M
brachioraòialìs — —
- M f l e x o r carpi u l n a r l s
M f l e x o r carpi r a d i a l i s — Tendo m. p a i m a n s longí Λ. r a d i a l i s
ulnarls
Ν. m e d i a r a i s R paimans η mediani
y y '
--Os pisiforme
Aponeurosis palmaris
M
a b d u c t o r p o l l i c i s brevis M
Ν Hinaus
y H profundus a ulnarls
Κ s u p e r f i c i a l i s η. r a d i a l i s
M . oppunens pollicis
ys
_ — R s u p e r f i c i a l i s η. u l n a r i s _
Retinaculum flexorum
_
R muscularis M palmaris brevis
flexor pollicis brevis
Arcus palmaris superficialis
Nn. digitales palmares communes Aa. digitales palmares communes Tendmesm
flexons
digitorum superficialis
Vagina fibrosa digitorum marais
Nn digitales pain ares p r o p r a • Aa. digitales palmares propriae
Pars a n u l a r i s — Vagina fibrosa digitorum manus - Pars c r u c i t o i m i s —
Tastkörperchen— -
Abb. 9.75: Palma manus und Regio carpalis anterior. Palmaraponeurose zum größten Teil abgetragen. M. palmaris brevis nach medial geklappt. N a c h einem Präparat von G. Kunz und einer Zeichnung von H. Link
zur palmaren Basis von Os metacarpale II und manchmal auch III. Guyon-Loge (n. Jean-Casimier-Felix Guyon 1861; Abb. 9.75). Die ulnare Gefaßstraße verläuft durch einen kanalartigen Durchtritt zur Hohlhand. Dieser Durchtritt ist der distale Ulnaristunnel oder Loge de Guyon.
Grenzen. 1. Boden (dorsal): Retinaculum flexorum, Ligg. pisohamatum et pisometacarpale, 2. Dach (ventral): Lig. carpi palmare, M. palmaris brevis, 3. ulnare Seite: Sehne des M. flexor carpi ulnaris, Os pisiforme, M. abductor digiti minimi, 4. radiate Seite: Retinaculum flexorum, Hamulus ossis hamati.
763
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
Inhalt . N. uìnaris, in 90 % (H.-M. Schmidt) tritt der Nerv schon in seinen R. superficialis und R. profundus geteilt in die Loge ein. • A. ulnaris, ihr Hauptstamm liegt meist radial und oberflächlich des N. ulnaris und teilt sich innerhalb der Loge in den R. palmaris profundus und den R. palmaris superficialis. Dabei überquert der R. palmaris profundus in 65 % die Äste des N. ulnaris, seltener (30 %) unterquert er die Nerven und selten (5 %) verläuft er zwischen den Nervenästen (H.-M. Schmidt). • Vv. ulnares, die A. ulnaris wird von zwei Venen flankiert. Besonders der distale Teil der Loge ist eng, da er durch einen Sehnenbogen überspannt wird, der sich zwischen dem Os pisiforme und dem Hamulus ossis hamati ausspannt und der dem M. abductor digiti minimi als Ursprung dient. Radiale Gefäßnervenstraße. Der R. superficialis n. radialis wendet sich bereits im distalen Radiusdrittel unter dem M. brachioradialis zur Streckseite, während die A. radialis mit Begleitvenen die Lage zwischen M. brachioradialis und M. flexor carpi radialis beibehält. Erst zwischen Proc. styloideus radii und Daumenballen zieht sie unter den Sehnen des M. abductor pollicis longus und des M. extensor pollicis brevis hindurch in die Tabatière und somit zum Handrücken. Die Sehne des M. palmaris longus verläuft palmar des Retinaculum flexorum und strahlt in die Palmaraponeurose ein. Klinik: 1. Karpaltunnelsyndrom (= Medianuskompressionssyndrom). Mechanische Kompression des N. medianus in der osteofibrösen Loge des Canalis carpi mit Atrophie der Daumenballenmuskeln, Sensibilitätsstörung von Hohlhand und Digg. I—III, einschließlich der radialen Seite von Dig. IV. Ursache: z. B. Fraktur, rheumatoide Arthritis, Diabetes mellitus, Schwangerschaft und anatomische Besonderheiten (überzählige Sehnen und Muskelbäuche, atypische Karpalknochen und Gefaßverläufe). Therapie: Spaltung des Retinaculum flexorum. 2. Ulnartunnelsyndrom (= Guyon-Tunnel-Syndrom). Distales Kompressionssyndrom des N. ulnaris. Ursache: anatomische Varietäten in der GuyonLoge (atypische oder überzählige Sehnen und
Muskeln) sowie Frakturen oder Handgelenkveränderungen, insbesondere Ganglien. Die Radfahrerlähmung ist eine spezielle Form, die durch anhaltenden Druck von außen hervorgerufen wird und häufig nur den R. profundus n. ulnaris betrifft, 3. Medianusverletzung. Schnittverletzungen in der Regio carpalis anterior durchtrennen oft den oberflächlich gelegenen N. medianus (—» Suizid durch Pulsaderschnitt, Sturz in Glasscherben).
9.2.10
Hohlhand, Palma (Vola) manus
Lernziele: Grenzen, tast- und sichtbare Strukturen. Aponeurosis palmaris. Kammern der Hohlhand: Daumenballenfach, mittleres Fach, Kleinfingerfach. Inhalt der Fächer mit Leitungsbahnen. Sehnen. Muskeln. Topographische Beziehungen der Gebilde zueinander, wichtige klinische Aspekte: M. Dupuytren, Entzündungen. kollaterales Ödem. Grenzen (Abb. 9.50 b, 53, 75 bis 77). Von der Rascetta bis zu den Schwimmhautfalten zwischen den Fingergrundgliedern. Die Hohlhand bildet ein festes Widerlager beim Greifen und Festhalten von Gegenständen und zeigt eine ausgesprochene Druckkonstruktion. Inspektion, Palpation. Seitlich wird die Hohlhand von Muskelwülsten, Thenar (Daumenballen) und Hypothenar (Kleinfingerballen), eingefasst. Die derbe, haarlose Haut besitzt keine Talg-, jedoch zahlreiche Schweißdrüsen und eine dicke Epidermis, die bei Handarbeitern zur Schwielenbildung neigt. Straffe, vertikale Bindegewebezüge (Retinacula cutis) befestigen die Haut an der Palmaraponeurose und bilden prall mit Fettgewebe gefüllte Kammern, die den örtlichen Druck aufnehmen, verteilen und damit die in der Tiefe gelegenen Nerven und Gefäße schützen. Verschieben und Abheben der Haut ist bei dieser Konstruktion nicht möglich. 4 Hautfurchen. Die Hohlhand zeigt konstante Hautfurchen, die an ein M erinnern (Abb. 9.50 b):
764
• Linea Vitalis (sive Thenarfurche), umgreift den Daumenballen und entspricht dem Ursprung des M. adductor pollicis. • Linea mensalis (sive distale Hohlhandfurche), beginnt am Ulnarrand, zieht über die Grundgelenke der Finger und läuft zwischen Zeigefinger und Mittelfinger aus. • Linea cephalica (sive proximale Hohlhandfurche), beginnt an der Basis des Zeigefingers und läuft proximal von der vorigen quer über den Handteller zum Ulnarrand, den sie nicht ganz erreicht. • Linea stomachica (sive Mittelfurche), verläuft von der Handwurzel zum Mittelfinger, schneidet die beiden vorigen spitzwinklig. Die 4 Hauptfurchen sind genetisch determiniert und weniger als Beugungsfurchen anzusehen. Sie ermöglichen eine topographische Orientierung (Lage von Hohlhandbogen und Gelenkspalten). Monticuli. Distal der Linea mensalis wölbt sich die Haut bei Überstreckung in den Metakarpophalangealgelenken zwischen den Basen der Grundphalangen zu den flachen Monticuli (sive interdigitale oder metakarpale Tastballen) vor. Die Cristae cutis bestimmen das feinere Relief der Beugefläche der Hand. Diese 0,2 mm breiten, durch Sulci cutis begrenzten Leisten können gerade oder geschweift verlaufen und komplizierte Figurae tactiles (Bogen, Schleifen, Wirbel) bilden. Auf den Leisten münden die Schweißdrüsen, unter ihnen erheben sich zwei Reihen von Koriumpapillen. Im Gegensatz zu den verformbaren, rhombischen Areae cutaneae der übrigen Haut bleiben sie lebenslänglich konstant. Die Querfurchen der Haut am Beginn der Finger liegen beträchtlich distaler als die Articulationes metacarpophalangeae ! Oberflächliche Strukturen Aponeurosis palmaris. Die dünne Oberflächenfaszie von Thenar und Hypothenar ist in einem dreieckigen Feld der Palma manus zur kollagenfaserigen derben Aponeurosis palmaris (Abb. 9.44) verstärkt. • Die fächerförmig angeordneten Fasciculi longitudinales laufen distalwärts in 4 Zipfel aus, die in die Haut über den Grundgelenken der Finger,
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
in das Lig. metacarpale transversum profundum und in die palmaren Platten ausstrahlen. • Die distal gelegenen Fasciculi transversi bremsen die Spreizbewegungen ab. • Senkrechte Scheidewände (vertikale Septen) gehen von der Aponeurose in die Tiefe, heften sie fest an die Mittelhandknochen und schaffen dadurch Kammern für die Sehnen, Nerven und Gefäße. Werden bei starker Streckung der Finger die Zipfel der Aponeurose gespannt, so quillt durch die Lücken (Spatium interfasciculare Ι-ΙΙΓ) zwischen ihnen das Fettgewebe hervor und unterpolstert die Monticuli. Proximal inseriert an der Aponeurosis palmaris der M. palmaris longus. Fehlt der Muskel, ist die Aponeurose trotzdem vorhanden! M. palmaris brevis. Der kleine, variantenreiche, oft rudimentäre Muskel liegt mit der Palmaraponeurose in der gleichen Ebene, entspringt an ihrem ulnaren Rand, bedeckt die ulnare Gefäßnervenstraße und zieht über dem Hypothenar zur Haut, die er bei Kontraktion zu einer deutlichen Furche einzieht. Lig. metacarpale transversum superficiale (sive Lig. natatorium). Über die Basen der Grundphalangen II—IV spannen sich quere Faserzüge, die an der Haut und an den Beugesehnenscheiden befestigt sind. Das Band verhindert ein zu starkes Abspreizen der Finger. Kammern der Hohlhand Zwei stärkere von der Palmaraponeurose zu den Mittelhandknochen ziehende Scheidewände unterteilen den tiefen Hohlhandbereich in 3 Räume: Daumenhallen-, Mittel- und Kleinfingerballenfach (Abb. 9.77). Das Mittelfach hat entlang des Bodens des Canalis carpi eine ununterbrochene Verbindung zum Spatium antebrachial is palmaris distalis (—» Parona-Raum). Distal setzt es sich kontinuierlich in die Lumbrikaliskanäle an den Fingern fort. Radiale und ulnare Kammern haben keine direkte Verbindung zum Unterarm. Das Daumenballenfach enthält: •
Thenarmuskulatur mit M. abductor pollicis brevis, M. flexor pollicis brevis, M. opponens pollicis, M. adductor pollicis.
765
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
M. p a l m a r i s longus M. flexor carpi radialis Α. radialis R. superficialis η. radialis Tendine» m. flexoris digitorum superficialis
M flexor carpi u l r a r i s A. ulnari? R. dorsalis n. ulnaris N. ulnaris T e n d u e s m. flexoris dIgitOTum profundi R e t i n a c u l u m flexorum
Tendo m. flexoris pollicis longi
N. R. palmaris n
C a n a l i s carpi Os pisiforme R superficialis η. ulnaris R. profundus n. ulnaris
M. opponens pollicis R. palmaris profundus arterias ulnaris M. abductor pollicis brevis A r c u s p a l m a r i s profundus M flexor pollicis brevis
A a m e t a c a r p a l s palmares
M. adductor pollicis
R. c o m m u n i c a n s
A. princeps pollicis, A r c u s palmaris superficialis
Tendo m. flexoris digitorum profundi Tendo m. flexoris
Mm. lumbricales A a . d i g i t a l e s palmares communes Vaginae synoviales digitorum m a n u s Nn. digitales palmares propri i
digitorum superficialis
A a . digitales palmares propriae
Abb. 9.76: Palma manus und Regio carpalis anterior. Die Sehnen der oberflächlichen und tiefen Beuger sind streckenweise entfernt. Der M. abductor pollicis brevis ist durchtrennt und nach lateral geschlagen. M. adductor pollicis teilweise gefenstert. Nach einem Präparat von G. Kunz und einer Zeichnung von H. Link •
•
Sehne des M. flexor pollicis longus, die von einer eigenen Sehnenscheide umgebene kräftige Sehne lagert sich zwischen die beiden Köpfe des M. flexor pollicis brevis. Leitungsbahnen:
Ο Α. radialis, der meist sehr dünne R. palmaris superficialis verläuft über oder durch den M. abductor pollicis brevis zum oberflächlichen Hohlhandbogen. Der stärkere Endast gelangt durch den M. interosseus dorsalis I in das Fach; er gibt hier die A. princeps pollicis ab und betritt als tiefer Hohlhandbogen das Mittelfach.
Variation: In 25 % findet man im I. Intermetakarpalraum eine „Sattelarterie", eine dorsopalmare Gefaßverbindung zwischen A. metacarpalis dorsalis I (aus der A. radialis) und A. radialis indicis. Sie verläuft unter der Haut um den freien Rand des M. adductor pollicis. t> N. medianus, die Muskeläste (Rr. ihenares) treten unmittelbar distal vom Retinaculum flexorum in die Muskeln (Abb. 9.75, 76), während die Hautäste über den M. flexor pollicis brevis zur Beugeseite des Daumens ziehen.
766
9 Arm, obere Gliedmaße, M e m b r u m superius
Ο Ν. iilnaris, die Rr. musculares (für M. adductor pollicis und Caput profundum m. flexoris pollicis brevis) erreichen in der Tiefe, vom Mittelfach aus kommend, ihr Erfolgsorgan. Das Mittelfach zeigt eine
Dreischichtung:
•
Die oberflächliche Schicht (sive Spatium praetendineum) enthält: • Arcus palmaris superficialis (distalwärts, konvex), hauptsächlich aus der A. ulnaris gespeist, verläuft er über die Mitte der Ossa metacarpalia und gibt die Aa. digitales palmares communes ab, die sich in Höhe der Grundgelenke in je 2 Aa. digitales palmares propriae aufzweigen. • N. medianus und N. ulnaris, der N. medianus betritt durch den Canalis carpi, der R. superficialis n. ulnaris dagegen oberflächlich, auf dem Retinaculum flexorum, das Fach. Beide tauschen durch eine Anastomose Fasern aus und teilen sich in Nn. digitales palmares communes, die mit je zwei Nn. digitales palmares proprii die benachbarten Flächen zweier Finger versorgen. • •
Die mittlere Schicht enthält: Sehnen der langen Fingerbeuger, sie werden durch den Canalis carpi in das Mittelfach geführt. Ihre Vagina communis tendinum mm.
flexorum begleitet sie noch bis auf die Basen der Mittelhandknochen (Abb. 9.50 b). • Mm. lumbricales, zwischen den Fingerbeugern, auf gleicher Ebene, liegen die von den Sehnen des M. flexor digitorum profundus entspringenden Mm. lumbricales. Sie verlaufen auf dem Lig. metacarpale transversum profundum (—> Lumbrikaliskanäle) zur Dorsalaponeurose der Finger. Da die Ursprünge bei der Beugung der Finger nach proximal verlagert werden, behalten sie ihre volle Wirkung, auch wenn die Kraft der langen Fingerbeuger mit Zunahme der Beugung abnimmt. •
Die tiefe Schicht (sive Spatium retrotendineum) enthält folgende Leitungsbahnen: • Arcus palmaris profundus, der tiefe Hohlhandbogen ist in das Corpus adiposum palmare profundum eingebettet, wird hauptsächlich aus der A. radialis gespeist und verläuft mit dem R. profundus n. ulnaris über die Basen der Mittelhandknochen. Er liegt proximaler als der oberflächliche und gibt die Aa. metacarpales palmares ab. Diese versorgen die tiefen Muskeln und stehen durch Rr. perforantes mit den Aa. metacarpales dorsales und durch ihre Endäste mit den Aa. digitales palmares communes in Verbindung. So kann bei Bedarf ein Blutaustausch zwischen dem oberflächlichen und tiefen Hohlhandbogen sowie den Handrückenarterien erfolgen.
Tendo m. flexoris pollicis longi Nn. digitales palmares communes
M . flexor pollicis brevis, Caput superficiale ,
Aa. digitales palmares communes
M . flexor pollicis brevis, Caput p r o f u n d u m ,
Aponeurosis palmaris intermediäre Septen
M . abductor pollicis brevis
Druckkammern der Subcutis
/
• M . palmaris brevis
/ M . opponens pollicis -
z ^ ' M .
^
^
A. princeps pollicis
M
Cs m e t a c a r p a l e Tendo m. extensoris -
flexor
digiti minimi brevis abductor
digiti minimi ^
M.opponens
pollicis brevis
digiti minimi
Tendo m. extensoris
T e n d i n e s in. f l e x o r i s
pollicis longus M . adductor pollicis M m . lumbricales — "
___ ~~
digitorum superficialis ___
" T e n d i n e s m. flexoris
"
A a . , Vv. m e t a c a r p a l e s p a l m a r e s - —
digitorum profundi "
Tendo m. extensoris digiti m i n i m i
M. interosseus dorsalis I * " Fascia d o r s a l i s m a n u s p r o f u n d a
Connexus Intertendineus
/
Fascia dorsalis m a n u s s u p e r f i c i a l i s '
Aa. metacarpales dorsales
1
M . I n t e r o s s e u s p a l m a r i s II
Rete v e n o s u m d o r sa l e m a n u s Os m e t a c a r p a l e II
M. extensor digitorum, Tendo digiti tertii Tendo m. extensoris indicis
Abb. 9.77: S c h e m a t i s c h e r Q u e r s c h n i t t d u r c h d i e M i t t e l h a n d
767
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
•
Die begleitenden Venen und Lymphgefäße haben besonders starke Abflüsse zum Handrücken. • N. ulnaris. Der R. profundus n. ulnaris gibt im Mittelfach zahlreiche feine Äste an die Mm. lumbricales III und IV und an sämtliche Mm. interossei ab und endet im M. adductor pollicis und im tiefen Kopf des M. flexor pollicis brevis. Die Ossa melacarpalia und die zwischen ihnen liegenden Mm. interossei (Abb. 9.48, 49, 77) werden palmar und dorsal von einer dünnen Faszie (Fascia interassea palmaris und dorsalis) bedeckt und bilden eine osteomuskuläre Scheidewand zwischen Hohlhand und Handrücken.
lang den Rr. perforantes einen Weg zum Handrücken (—> kollaterales Ödem) oder vom Mittelfach aus durch den Canalis carpi zum Unterarm (—> Unterarmphlegmone), 3. Dupuytren-Kontraktur. Beugekontraktur der Finger (bes. Digg. IV, V) infolge bindegewebig-derber Verhärtung und Schrumpfung der Palmaraponeurose und der Hautbänder mit Bildung derber Stränge und Knoten. In 70-80 % Beteiligung beider Hände; deutliche Androtropie, 4. Entzündliche Schwellungen der karpalen Sehnenscheiden werden durch das straffe Retinaculum flexorum sanduhrförmig eingeschnürt und wulsten die Haut proximal und distal vom Retinaculum vor.
Das Kleinfmgerballenfach enthält: •
Hypothenarmuskulatur mit M. abductor digiti minimi, M. flexor digiti minimi brevis, M. opponens digiti minimi. • Sehnen des M. flexor digit ont m superficialis und profundus, die langen Sehnen des kleinen Fingers gleiten in einer digitalen Sehnenscheide, die meist mit der Vagina communis tendinum mm. flexorum kommuniziert (Abb. 9.50 b). • Leitungsbahnen. A. ulnaris und der R. superficialis n. ulnaris verlaufen zwischen Retinaculum flexorum und M. palmaris brevis, wo die Arterie in den oberflächlichen Hohlhandbogen übergeht und der Nerv einen N. digitalis palmaris communis bildet (Abb. 9.75, 76). Der R. profundus n. ulnaris und der R. palmaris profundus a. ulnaris senken sich unter Abgabe von Ästen an die Muskeln zwischen M. abductor digiti minimi und M. flexor digiti minimi brevis in die Tiefe, wo sie dem Mittelfach zustreben (Abb. 9.76). Klinik: 1. Entzündungen oberhalb der Aponeurosis palmaris. In dem stark gekammerten Subkutangewebe breiten sie sich nur eingeschränkt aus und fuhren kaum zu Schwellungen; sie setzen aber die Kammerwände unter Druck und rufen Schmerzen hervor, brechen in die Tiefe durch und erzeugen häufig ein kollaterales Ödem des Handrückens, 2. Entzündungen oder Blutungen dorsal der Aponeurosis palmaris setzen den Inhalt unter Druck und verursachen starke Spannungsschmerzen. Da die starken Bindegewebelamellen einen Durchbruch nach palmar verhindern, suchen sich die Ergüsse ent-
9.2.11
Handrücken, Dorsum manus
Lernziele: Tast- und sichtbare Strukturen, subkutane Leitungsbahnen: Arterien, Venen, Nerven. Sehnen und Faszien. Inspektion, Palpation (Abb. 9.54, 78). Die Felderhaut ist dünn, besitzt Talgdrüsen und Haare. Den queren Stauchungsfalten kommt keine topographische Bedeutung zu. Das nahezu fettgewebslose, lockere subkutane Bindegewebe ermöglicht es, die Haut gegen die Unterlage zu verschieben und in Falten abzuheben. Es kann bei Kreislaufstörungen und örtlichen Prozessen (Insektenstichen, Eiterungen der Palma) große Flüssigkeitsmengen aufnehmen (Ödem!). Die Hautvenen bilden ein sehr variables Rete venosum dorsale manus, das bläulich durchschimmert und die Haut deutlich vorwölbt. Die Sehnen sind distal vom Retinaculum extensorum, das sie gegen das Skelett fixiert, als Stränge zu erkennen. Beugt und streckt man die mittleren Finger im Grundgelenk, so kann man sogar die Connexus intertendinei beobachten. Zu tasten sind: 1. Köpfe der Mittelhandknochen (springen bei Beugung als „Knöchel" vor), 2. Gelenkspalten der Grundgelenke (seitlich von den Strecksehnen, die über die Knöchel hinweglaufen), 3. Körper der Mittelhandknochen (unter den Sehnen), 4. Basen von Digg. I, II, 5. Handwurzelknochen (kaum Details palpabel), 7. M. interosseus dorsalis I (springt bei Adduktion des Daumens als kräftiger Wulst vor).
768
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
M . abductor pollicis longus R. s u p e r f i c i a l i s η. r a d i a l i s M . extensor carpi ulnaris
A. interassea posterior, Ν. i n t e r o s s e u s p o s t e r i o r
M . b r a c h i o r a d i a l i s (Tendo) M
f l e x o r carpi radialis (Tondo)
M . extensor pollicis brevis A. i n t e r a s s e a a n t e r i o r (Endast) Roto carpale dorsale Retinaculum extensorum R. c a r p a l i s d o r s a l i s M . extensor carpi radialis longus (Tendo) a b d u c t o r pollicis longus (Tendo) M . e x t e n s o r carpi radialis brevis (Tendo) M . extensor indicis (Tendo)
M . e x t e n s o r pollicis brevis (Tendo)
A. radialis M . e x t e n s o r pollicis longus (Tendo) Aa. m e t a c a r p a l s dorsales
M. extensor digitorum
M m . i n t e r a s s e i d o r s a l e s (i, I!)
R. c o m m u n i c a n s u l n a r i s
N n . d i g i t a l e s d o r s a l e s n. u l n a r i s
A. princeps poIiicis
N n . d i g i t a l e s d o r s a l e s n.
radialis
A. digitalis dorsalis propria Α. radialis indicis
N. d i g i t a l i s p a l m a r i s p r o p r i u s
Abb. 9.78: Regio carpalis posterior, Fovea radialis (Tabatière) und Dorsum manus
Subkutane Leitungsbahnen. Die Hautnerven gelangen schon am Unterarm als R. superficialis n. radialis und als R. dorsalis n. ulnaris auf die Streckseite. Ihre Nn. digitales dorsales versorgen den Handrücken und die Streckseiten der Finger bis zu den Mittelphalangen:
O 2'Á vom Ν. radialis, 2'Λ vom Ν. ulnaris. D> N. ulnaris versorgt die ulnare Seite des Dig. III und ist hier durch den R. communicans mit dem N. radialis verbunden. Sehnen. Die Extensorensehnen werden mit ihren Sehnenscheiden in 6 Fächern unter dem Retinacu-
769
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
htm extensorum zur Mittelhand geführt und gehen über den Phalangen in die Dorsalaponeurosen über. Das Retinaculum extensorum ist eine über der Handwurzel gelegene Verstärkung der Oberflächenfaszie (Abb. 9.78), die hauptsächlich aus Ringfasern besteht. Die Sehnen des M. extensor digitorum spalten sich auf dem Handrücken oft in mehrere Faserstränge auf, die sich erst beim Übergang in die Dorsalaponeurose wieder vereinigen. Die Sehne des M. extensor digiti minimi ist meist in zwei Sehnen gespalten. In vielen Fällen kommuniziert die Sehnenscheide des M. extensor pollicis longus mit derjenigen der Mm. extensores carpi radiales. Arterien. Die Schlagadern liegen unter den Sehnen und sind verhältnismäßig schwach entwickelt. Der R. carpal is dorsalis a. radialis, der R. carpalis dorsalis a. ulnaris und die Endäste der Aa. interosseae bilden ein Rete carpale dorsale. Die aus ihm hervorgehenden Aa. metacarpals dorsales verlaufen auf den Mm. interossei. Sie stehen durch Rr. perforantes mit dem tiefen Hohlhandbogen in Verbindung.
anatomique besser als an der Handwurzelbeugeseite. Klinik: Riss der Sehne des M. extensor pollicis longus (Degeneration, Überlastung, Entzündung) wird als Trommlerlähmung bezeichnet.
9.2.12
Finger, Digiti manus
Lernziele: tast- und sichtbare Gebilde, Leitungsbahnen: Arterien, Venen, Nerven. Beugesehnen mit Sehnenscheiden, Dorsalaponeurose, Hautbänder, wichtige klinische Aspekte: OberstAnästhesie, Knopfloch- und Schwanenhalsdeformität, Mallet-Finger.
Tendoni flexoris digitorum superficialis
Faszien •
Fascia dorsalis martus superficialis: Fortsetzung der Fascia antebrachii auf den Handrücken, bedeckt die Sehnen. • Fascia dorsalis manus profunda: bedeckt die Mm. interossei dorsales und Mittelhandknochen.
Fovea radialis (Tabatière anatomique\ Abb. 9.78). Dreieckige Grube an der Grenze zwischen radialer Kante des Unterarms und Daumens, die besonders bei Abduktion und Dorsalflexion sichtbar wird. Grenzen. 1. nach palmar: Sehnen des M. abductor pollicis longus und des M. extensor pollicis brevis, 2. nach dorsal: Sehne des M. extensor pollicis longus, 3. Boden: Proc. styloideus radii (proximal), Os scaphoideum und Os trapezium (distal). Diese Knochen haben in der Fovea radialis ihren Druckpunkt! Inhalt •
oberflächlich liegt der R. superficialis n. radialis • tief liegt die A. radialis mit Begleitvenen. Manchmal fühlt man den Puls in der Tabatière
1
/ Dorsalaponeurose
A
f j ci t g ι ta ! î s dorsalis
Abb. 9.79: Querschnitt durch das Grundglied eines Fingers
Inspektion, Palpation (Abb. 9.75, 78). Als „Greifer" sind die Finger schlank und von allem überflüssigen Material entlastet. Sie sind muskelfrei, da ihre Muskeln auf den Unterarm und die Mittelhand verlagert worden sind. Der Daumen nimmt eine Sonderstellung ein und erhält deshalb allein 8 Muskeln. Er kann mit den anderen Fingern eine Greifzange bilden. Die gestreckten Finger sind verschieden lang: Mittel- > Ring- > Zeige- > Kleinfinger > Daumen. Beugeseite. Haut und Unterhautbindegewebe weisen eine Druckkonstruktion auf. Die Oberhaut ist dick und zeigt häufig Schwielen. Sie besitzt
770
Papillarleisten und -furchen, die auf den Endgliedern Bogen, Schleifen und Wirbel bilden. Haare und Talgdrüsen fehlen, Schweißdrüsen sind zahlreich. Viele Nervenendigungen machen die Fingerbeeren zu einem hochentwickelten Tastorgan. Klinik: Daktyloskopie, Fingerabdruck. Das Papillarleistenmuster ist individuell so verschieden angelegt, dass man damit eine Person zweifelsfrei identifizieren kann (Gerichtsmedizin, Kriminalistik).
9 Arm, obere Gliedmaße, Membrum superius
Fingernägel. Diese Hautanhangsgebilde schützen die Endglieder und bilden ein Widerlager für den Tastapparat der Fingerbeere (s. Kap. 15.6, S. 1226). Subkutane Leitungsbahnen. Nerven und Gefäße verlaufen im subkutanen Bindegewebe an den jeweiligen Seiten der Finger, je 2 dorsal und palmar. •
• •
•
• Abb. 9.80: Finger in Beugestellung mit eingezeichneten Knochen. Lage der Gelenkspalten zu den Knöcheln und Beugefalten. Pfeile zeigen die Lage des Schnittes bei der Exartikulation an
Auf der palmaren Seite liegen 3 Beugefurchen: • proximale Beugefurche (Grundgliedfurche): in der Mitte der Grundphalanx • mittlere Beugefurche (Mittelgelenkbeugefurche): auf Höhe des ersten Interphalangealgelenkes • distale Beugefurche (Endgelenkbeugefurche): etwas proximal des 2. Interphalangealgelenkes. Am Daumen entspricht die proximale Beugefurche (palmare Grundgelenkfurche) dem Spalt des Metakarpophalangealgelenks und die distale (Endgelenkbeugefurche) dem Spalt des Interphalangealgelenks.
Streckseite. Die Haut ist dünner und kann auf den Grund- und Mittelgliedern Haare tragen. Ein lockeres, fettarmes Subkutangewebe macht sie verschiebbar. Über den Gelenken finden sich Reservefalten, die bei Beugung verschwinden. Über den Endgliedern ist die Haut durch vertikale Züge auf der Unterlage angeheftet, nicht verschiebbar und glänzend.
Nn. digitales palmares propri i (3 aus dem N. ulnaris, 7 aus dem N. medianus) und Aa. digitales palmares propriae, geben distal der Articulationes metacarpophalangeae je einen R. dorsalis zur Streckseite der Mittel- und Endphalanx ab. Die Nerven liegen palmar der Arterien. Nn. und Aa. digitales dorsales, deutlich schwächer als die vorigen entwickelt. Venen, den digitalen Arterien fehlen die Begleitvenen! Stattdessen wird der Finger strumpfartig von einem Venennetz umhüllt. Faszie, die Finger haben keine oberflächliche Faszie, so dass das Fettgewebe direkt an die Dorsalaponeurose bzw. an die palmaren Sehnenscheiden grenzt. Anastomosen, die Arterien haben zahlreiche Verbindungen untereinander.
Hautbänder. Die Finger haben mehrere Systeme von Hautbändern: funktionell befestigen diese Bänder die Haut an den tiefen Bindegewebestrukturen oder am Knochen, so dass besonders palmar eine zu starke Verschiebbarkeit der Haut verhindert wird. Dies verbessert das Greifvermögen. Zwei Systeme sind besonders wichtig: •
Cleland-Bänder sind dorsal des digitalen Gefäßnervenstrangs liegende Faserzüge, die von beiden Seiten des Fingerskeletts zur Haut ziehen. Durch die septenähnlichen Bänder wird der subkutane Raum in ein dorsales und ein palmares Fingerkompartiment gegliedert, was für die Ausbreitung von Entzündungen Bedeutung hat. • Grayson-Bänder ziehen von der palmaren Seite der Beugesehnenscheide zur Haut. Sie liegen palmar des digitalen Gefäßnervenstrangs und sind im Mittelabschnitt der Grundphalanx und der Mittelphalanx am kräftigsten angelegt. Klinik: 1. Entzündungen. Die Lederhaut ist derb und durch senkrechte, straffe Züge des subkutanen Bindegewebes gekammert und mit
9.2 Topographische und Angewandte Anatomie
den Sehnenscheiden verbunden. Die Kammern sind prall mit Baufett gefüllt. Eine eigene Oberflächenfaszie fehlt. Entzündungen breiten sich dadurch nicht flächenhaft, sondern in die Tiefe aus (Erhöhung des Innendruckes der Kammern —» starke Spannungsschmerzen —> Ausdehnung auf Sehnenscheiden und Knochen), 2. OberstAnästhesie. Leitungsanästhesie an Finger oder Zehe. Injektion eines Lokalanästhetikums (ohne Adrenalinzusatz!) in Höhe der Interdigitalfalte der Grundphalanx zur Ausschaltung der dorsalen und palmaren Nerven, 3. Fingerstrecksehnenabriss (Mallet-Finger, Hammerfinger). Endgelenk kann nicht aktiv gestreckt werden, da die Dorsalaponeurose darüber gerissen ist (Verletzung durch Bagatelltrauma, ζ. B. Ball-
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sport, Bettenmachen), 4. Knopflochdeformität (Fingerdeformität bei rheumatoider Arthritis mit Hyperextension der Grundgelenke). Ursache: Riss des Tractus intermedius über dem Mittelgelenk, wobei sich das Gelenk durch den Riss schiebt. Die beiden intakten Randzüge liegen palmar der Bewegungsachse des Mittelgelenks, so dass sie beugen (fixierte Beugestellung der Mittelgelenke) bei gleichzeitiger Streckung im Endgelenk, 5. Schwanenhalsdeformität. Überstreckung eines Langfingers im Mittelgelenk bei gleichzeitiger Beugung im Endgelenk. Ursache: Insuffizienz des Endabschnittes der Dorsalaponeurose oder Tonuserhöhung der Binnenmuskeln der Hand. Häufig bei chronischer Polyarthritis.
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