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German Pages 245 [248] Year 2019
Karl Kohut (Hrsg.)
Von der Weltkarte zum Kuriositätenkabinett
herausgegeben von Karl Kohut und Hans Joachim König
Publikationen des Zentral i nstituts für LateinamerikaStudien der Katholischen Universität Eichstätt Serie A: Kongreßakten, 14 Publicaciones del Centro de Estudios Latinoamericanos de la Universidad Católica de Eichstätt Serie A: Actas, 14 Publicares do Centro de Estudos Latino-Americanos da Universidade Católica de Eichstätt Série A: Actas, 14
Akten des Arbeitsgesprächs »Amerika im deutschen Humanismus und Barock« an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 2. bis 3. Dezember 1991 Actas del coloquio »Amerika im deutschen Humanismus und Barock« Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel del 2 al 3 de diciembre de 1991 Actas do coloquio »Amerika im deutschen Humanismus und Barock« Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel do 2 até 3 de dezembro de 1991
Karl Kohut (Hrsg.)
Von der Weltkarte zum Kuriositätenkabinett Amerika im deutschen Humanismus und Barock
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1995
R e d a k t i o n : Edith J e h l i t s c h k e ; S u s a n n e S c h w a r z b ü r g e r T y p o s k r i p t : Jutta S p r e n g
Gedruckt mit Unterstützung der Katholischen Universität Eichstätt
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Von der Weltkarte zum Kuriositätenkabinett : Amerika im deutschen Humanismus und Barock [Akten des Arbeitsgesprächs"Amerika im deutschen Humanismus und Barock" vom 2. bis 3. Dezember 1991 an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel] / Karl Kohut (Hrsg.). - Frankfurt am Main : Vervuert, 1995 (Americana Eystettensia : Ser. A „ Kongressakten ; 14) ISBN 3-89354-915-3 NE: Kohut. Karl [Hrsg.] ; Americana Eystettensia / A; 14. G T
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1995 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS Einleitung I
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Vom geographischen Begriff zur Paradiesvision: Die Wandlungen des Amerikabilds von den Anfängen bis zum 18. Jahrhundert Klaus A. Vogel: "America": Begriff, geographische Konzeption und frühe Entdeckungsgeschichte in der Perspektive der deutschen Humanisten
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Wolfgang Neuber: Ansichten von der Nachtseite der Kosmographie. Amerika in der deutschen Lyrik der Frühen Neuzeit (Sachs, Quad, Opitz, Logau, Gryphius, Hoffmannswaldau, Wernicke)
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Sabine Wagner: Zwischen Paraiba und Acheron. Die Überlieferung der Reiseberichte des 16. Jahrhunderts im Barock
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Marilia dos Santos Lopes: Außerordentliche und kuriose Denkwürdigkeit. Die Entdeckung der "Newen Welt / so jetzt America genannt wirdt" in deutschen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts
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II Historische Realität und exotischer Dekor. Amerika im Roman und der narrativen Polyhistorie des Barock Francesca Ferraris: Neue Welt und literarische Kuriositätensammlungen des 17. Jahrhunderts: Erasmus Francisci (1627-1694) und Eberhard Werner Happel (1647-1690)
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Roswitha Kramer: Die Neue Welt als Lustgarten. Amerika im Werk von Erasmus Francisci
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Joseph B. Dallett: "Wie in einem Trachtenbuch": Völker der ganzen Welt in Wort und Graphik bei Grimmelshausen, unter besonderer Berücksichtigung der Wassermännlein
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III Columbus und andere. Zentrale Gestalten der Entdeckungsund Eroberungsgeschichte in der neulateinischen Literatur Karl August Neuhausen: Lateinische Beischriften zu bildlichen Darstellungen der Entdeckung der "Neuen Welt": Zu Stradanus' Kupferstichserie Americae Retectio (mit Rekurs auf den doppelten Ursprung des Namens "America" bei Matthias Ringmann) Hermann Wiegand: Atlantis retecta. Das erste neulateinischdeutsche Columbusepos (1659) Ruprecht Wimmer: Hernán Cortés in der Geschichtsschreibung und auf dem Theater der Jesuiten
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Montanus, Arnoldus. 1673. [Die Nieuwe en Onbekende Weereld:... Amsterdam: Meurs 1671, dt.] Die Unbekante / Neue Welt / oder Beschreibung / des Welt-teils AMERIKA, / und des Süd-Landes... Amsterdam: Meurs, 44 [Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Sign. Gx 4Q 54]
Einleitung Von der Weltkarte zum Kuriositätenkabinett: der Obertitel des Bandes deutet vereinfachend die Entwicklung an, die das Amerikabild in Deutschland in der Zeit des Humanismus und Barock genommen hat. Zugleich damit wird die Rolle Deutschlands im Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen angesprochen. In der Frühzeit spielten die deutschen Humanisten, vor allem die Kartographen, eine führende Rolle. Auf der 1507 veröffentlichten Weltkarte des Martin Waldseemüller wurde der neuentdeckte Kontinent zum ersten Mal als "Amerika" bezeichnet. In diesem Band wird dieser an sich bekannte Vorgang in den wissenschaftlichen und publizistischen Kontext seiner Zeit gestellt, wodurch sichtbar wird, daß der individuelle "Irrtum" Waldseemüllers nur deshalb diese Folgen haben konnte, weil er Ausdruck der frühen Rezeption der Nachrichten von den neuen Entdeckungen in Deutschland und darüber hinaus im nichtspanischen Europa war, in denen die Figur Vespuccis die des Columbus überdeckte. In diese erste Phase der Entdeckungs- und Eroberungsgeschichte gehören auch die wenigen deutschen Namen, die darin eine Rolle spielen: Nikolaus Federmann im heutigen Venezuela und Kolumbien, Ulrich Schmidel in Buenos Aires, Hans Staden in Brasilien, die Welser in Venezuela. Ihre Berichte wurden publiziert, die der Entdecker und Eroberer anderer Länder ins Deutsche oder auch Lateinische übersetzt und ediert. Viele dieser Werke erlebten mehrere Auflagen, was das Interesse des deutschen Publikums bezeugt. Die aktive Beteiligung Deutschlands an den Entdeckungen und Eroberungen — so gering sie auch gewesen sein mag — ging mit dem 16. Jahrhundert zu Ende. Eine Ausnahme machten die deutschen Jesuiten, die von ihrem Orden nach Amerika geschickt wurden (oft auf eigenen Wunsch), und die dort Beachtliches leisteten, was auch literarischen Niederschlag fand. Aber die Kenntnis dieser Leistungen blieb weitgehend auf den Orden selbst beschränkt und wird bis heute nur in Ausnahmen von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Bereits in dieser ersten Phase begann die Aneignung des Fremden in der Literatur, die in der folgenden Phase, die weitgehend identisch mit dem Barock ist, in den Vordergrund trat. In der deutschsprachigen Literatur wurde das Amerikanische immer mehr zum exotischen Dekor, der seinen Platz in den Kuriositätenkabinetten seiner Zeit fand. Es scheint jedoch, daß diese Sicht der Entwicklung als vorläufig angesehen werden muß. Besonders die Beiträge dieses Bandes zur Polyhistorie lassen vermuten, daß das Amerikanische in dieser Zeit eine größere Rolle gespielt hat, als man heute vermuten würde. Insgesamt war das Amerikabild überraschend vielfältig, oft auch widersprüchlich. Eine besonders interessante Variante wird in der neulateinischen Dichtung sichtbar, wenn die Entdecker und Eroberer von Protestanten und Katholiken gleichermaßen in Anspruch genommen werden, und Cortés etwa zu einem vorbildlichen Marienverehrer stilisiert wird.
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Der vorliegende Band soll die Entwicklungen und Wandlungen des Amerikabilds in Deutschland nachzeichnen und damit einen Forschungsbeitrag zu einem Feld leisten, das in den wichtigsten beteiligten Disziplinen, der Germanistik und der Hispanistik, aus unterschiedlichen Gründen am Rande liegt und nur dann zentral wird, wenn man die beiden Wissenschaften interdisziplinär verbindet. In der Germanistik spielt das Thema Amerika nicht zuletzt deshalb eine untergeordnete Rolle, weil das Spanische eine Barriere darstellt, die nur wenige überwinden können. Hinzu kommt, daß die im Barock so beliebte Gattung der Polyhistorie in Verruf geraten und gründlich vergessen worden ist, und die neulateinische Literatur nur von wenigen Spezialisten gekannt und bearbeitet wird. Für die internationale Lateinamerikanistik wiederum liegt Deutschland in diesem Kontext allein schon aus dem Grund am Rande, weil es in der Kolonialgeschichte Amerikas und seiner literarischen Verarbeitung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, wenn man einmal von den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts absieht. Hinzu kommt auch hier die Sprachbarriere, weil nur wenige Hispanisten außerhalb Deutschlands über deutsche Sprachkenntnisse verfügen. So ist es zu erklären, daß selbst die Grundlagen nur ansatzweise erarbeitet sind. Der Bestand der sogenannten americana — Literatur, die im weitesten Sinn das Thema Amerika aufgreift — ist in den deutschen Bibliotheken nur unzureichend erfaßt. Das wenige bisher Bekannte läßt jedoch erwarten, daß eine systematische Aufarbeitung reichen Ertrag bringen würde. Verschiedene Ausstellungen, die aus Anlaß des 500jährigen Jubiläums der Entdeckungsfahrt des Columbus in deutschen und österreichischen Museen und Bibliotheken stattfanden, haben dazu beigetragen, das Interesse auf dieses Gebiet zu lenken. Auch dieser Band ist durch das Jubliäumsjahr inspiriert. Auf Initiative des damaligen Direktors der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel, Prof. Dr. Paul Raabe, bildete sich dort der Arbeitskreis Alte Welt - Neue Welt, der es sich zum Ziel setzte, die Aktivitäten zum Jubiläumsjahr im deutschen Sprachraum zu koordinieren. Aus diesem Arbeitskreis ist u.a. das Projekt eines Arbeitsgesprächs erwachsen, das am 2. und 3. Dezember 1991 an der Herzog August-Bibliothek stattfand, und dessen Vorträge in überarbeiteter Form hier veröffentlicht werden. Mein Dank gilt vor allem Prof. Dr. Paul Raabe, der nicht nur die Arbeitsgruppe gegründet, sondern auch dieses Arbeitsgespräch gefördert hat; weiterhin der Leiterin des Forschungsbereichs, Dr. Sabine Solf, und ihrem Stellvertreter, Prof. Dr. Friedrich Niewöhner, für ihre engagierte Unterstützung, und schließlich dem Direktor des Iberoamerikanischen Instituts in Berlin, Prof. Dr. Dietrich Briesemeister, für zahlreiche wichtige Hinweise bei der inhaltlichen Vorbereitung des Arbeitsgesprächs. Eichstätt, im November 1994
Karl Kohut
I VOM GEOGRAPHISCHEN BEGRIFF ZUR PARADIESVISION DIE WANDLUNGEN DES AMERIKABILDS VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM 18. JAHRHUNDERT
"America": Begriff, geographische Konzeption und frühe Entdeckungsgeschichte in der Perspektive der deutschen Humanisten Klaus A. Vogel Ernst Kantorowicz, der bis 1933 in Frankfurt Historiker war und im November 1938 aus Berlin über Oxford nach Berkeley floh, schrieb dort im Juli 1948 im Vorwort einer von ihm betreuten Arbeit den überraschenden Satz: For the historian of the Americas, too, it pays to be a mediaevalist. (Weckmann 1949, 11) Die Arbeit, die Kantorowicz zu dieser Bemerkung veranlaßte, war eine Dissertation seines Schülers Luis Weckmann, die den Herrschaftsanspruch der mittelalterlichen Päpste über Inseln und neuentdecktes Land behandelte. Weckmann konnte zeigen, daß die Bullen Papst Alexanders VI. vom 3. und 4. Mai 1493, in denen der Papst mit einer westlich der Azoren in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Linie erstmals die Einflußbereiche von Spaniern und Portugiesen im Atlantischen Ozean voneinander abgrenzte, keineswegs eine neuartige und daher unerhörte päpstliche Anmaßung darstellten. Vielmehr standen sie in einer jahrhundertealten Tradition und wurden in letzter Konsequenz durch die Konstantinische Schenkung legitimiert. Seit dem 11. Jahrhundert hatten Päpste Herrschaftsrechte über Inseln verliehen und seit der Wiederentdeckung der Kanarischen Inseln im frühen 14. Jahrhundert und das ganze 15. Jahrhundert hindurch, im Verlauf des Vordringens der portugiesischen Seeleute entlang der afrikanischen Küste nach Süden, eine erhebliche Zahl von Papstbullen für Neuentdeckungen und Eroberungen im Atlantik ausgestellt. Für die Kanarischen Inseln, für Madeira, die Azoren, die Kapverdischen Inseln und die Inseln vor Guinea ebenso wie für das gegenüberliegende afrikanische Festland beglaubigten diese Bullen deren Entdeckung, belehnten den Herrscher mit dem neuen Land und verpflichteten sie zur Missionierung der dort lebenden Menschen. Die Entdeckung neuer Inseln im Westen durch Schiffe und Mannschaften unter Führung von Christoph Columbus, so zeigte die Untersuchung Weckmanns, eröffnete keinen rechtsfreien Raum, sondern wurde in kürzester Frist durch ein selbstverständliches und eingespieltes Herrschaftsinstrumentarium erfaßt und eingebunden (ebda., 259-262).
Die Entdeckung "neuer Inseln" Der Blick aus dem Mittelalter heraus, so zeigte die Untersuchung Weckmanns, kann wichtig sein, um zu verstehen, wie Amerika in das Bewußtsein der Zeitgenossen trat. Denn wie für die Geschichte des päpstlichen Primats über Inseln, so gilt auch für die Geschichte der Vorstellung von Amerika: es gab keine
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Stunde Null, sondern ein Kontinuum von Auffassungen, Kenntnissen und Konzeptionen, von denen aus die Berichte von neuen Entdeckungen beurteilt und die dabei ihrerseits erweitert, reflektiert und angepaßt wurden. Oft hat man die Reaktionen der europäischen Zeitgenossen auf die Berichte von neuentdeckten Inseln und Menschen als langsam, uninteressiert und ignorant bewertet. Passionierte Amerikanisten sind oft enttäuscht darüber, wie wenig die ersten Berichte aus dem Westen gerade von denjenigen gelehrten Zeitgenossen im alten Europa gewürdigt wurden, deren Enthusiasmus für das ja ebenso fernliegende Altertum offenbar kaum Grenzen kannte. Wie war es möglich, daß gebildete und ansonsten durchaus gut informierte Gelehrte in den meisten Ländern Europas die Berichte des Christoph Columbus weitgehend ignorierten und dann erst 15 Jahre später das neue Land "America" nannten — nach einem Kosmographen, der als wagemutiger Entdecker nicht besonders hervorgetreten war und jedenfalls doch wohl nicht als erster den Fuß auf den neuen Teil der Erde gesetzt hatte? Um diese Frage für die deutschen Humanisten zu beantworten, müssen wir uns die Perspektive der Zeitgenossen vergegenwärtigen (zum folgenden vgl. Vogel 1990 u. 1992). Denn es war nicht so, daß man im deutschen Sprachraum im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts von der Reise des Christoph Columbus nichts hatte wissen können. Sebastian Brant, der angesehene und vielgelesene oberrheinische Jurist und Literat, hat mehrfach die Entdeckungen erwähnt, er kannte den Columbusbrief. Denn Brant hatte das Vorwort zur Baseler Ausgabe der Lobrede des Carolus Verardus auf den Triumph des spanischen Königs Ferdinand bei Granada geschrieben — in eben dieser Ausgabe von 1494 war der briefliche Bericht des Columbus von seiner ersten Reise unter dem Titel De lnsulis in mari Indico nuper inuentis im Anschluß an die Rede des Verardus abgedruckt (Verardus 1494, Teil 2). Auch nördlich der Alpen konnten also einige Humanisten Kenntnis haben von der Nachricht, daß im "Indischen Meer" unlängst Inseln gefunden worden seien. Daß es aber Inseln waren, darin liegt der Schlüssel für die Erklärung, warum die Zeitgenossen nicht so reagierten, wie manche Nachgeborenen es bevorzugt hätten, die diese Inseln gleich mitsamt dem noch zu entdeckenden Festland nach ihrem Entdecker Christoph Columbus benannt haben wollten. Denn von einem ausgedehnten festen Land konnte man noch nichts wissen, für die Zeitgenossen war die Blickrichtung anders. Für sie lag hinter der Gegenwart eine lange, auf die Entdeckung der Kanarischen Inseln, zumindest aber bis auf Heinrich den Seefahrer zurückreichende Geschichte der Entdeckung neuer Inseln im südwestlichen Ozean und entlang der Küsten Afrikas (vgl. Major 1868, passim). Wie genau diese Entdeckungen in Rom verfolgt worden waren, davon war bereits die Rede. Auch Hartmann Schedel, der Nürnberger Arzt und Humanist, hat in der am 12. Juli 1493 gedruckten lateinischen Ausgabe seiner Weltchronik diese Entdeckungen des 15. Jahrhunderts zusammengefaßt und dabei neben einer angeblichen Reise Martin Behaims über den Äquator nach Süden vor
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allem die Entdeckung von Madeira und anderer Inseln im Ozean hervorgehoben (Schedel 1493, 290""). Daß man im Ozean in jüngerer Zeit immer wieder bewohnte und unbewohnte Inseln gefunden hatte, war für Schedel erwähnenswert, aber nicht sensationell. Der im gleichen Jahr 1493 erstmals gedruckte Brief des Christoph Columbus, so spektakulär er uns heute scheinen mag, knüpfte schon mit seiner Überschrift Von jüngst gefundenen Inseln an das bereits vorhandene Interesse an Schiffahrt und Entdeckungsreisen an. Außerhalb des spanischen Königreichs aber konnte er damit kaum den Eindruck erwecken, nun sei etwas fundamental Neues geschehen, zumal er keinerlei Auskunft über die geographische Lage dieser neuen Inseln gab (vgl. Vogel 1992, 58f.). Noch ein weiterer Punkt ist zu bemerken, wenn wir über die Vorgeschichte des Namens "America" sprechen: Columbus selbst hatte ja den von ihm entdeckten neuen Inseln bereits eifrig Namen gegeben. Zuerst "San Salvador" nach dem Heiland, der ihn errettet hatte, statt "Guanahani", wie es die Eingeborenen nannten, dann "Santa Maria Conceptionis", dann "Ferdinandina" und "Isabella" nach den spanischen Königen, schließlich "Joana", das heutige Cuba, das er wegen seiner großen Ausdehnung, wie er schrieb, anfangs für Festland gehalten hatte, und "Hispaniola", das heutige Haiti (Columbus 1493, l r -3 r ). Die Benennung der Inseln wurde in der verbreiteten Druckfassung des Columbusbriefes ausführlich beschrieben, und so wäre es absurd gewesen, wenn die Gelehrten, die nach den spärlichen Angaben des Briefes die neugefundenen Inseln ohnedies in keine Karte einzeichnen, sondern höchstens über deren Lage spekulieren konnten, diese anders benannt hätten. Im Jahre 1493 gab es außerhalb der iberischen Halbinsel weder allzugroße Aufregung über diese neuen Inseln noch besonderen Anlaß, ihnen insgesamt einen Namen zu geben. Man hat dies dann später doch getan und einige von ihnen "Antillen" genannt — nach "Antilia", der auf vielen mittelalterlichen Erdkarten verzeichneten sagenhaften Insel im westlichen Ozean.
Vespuccis Bericht über einen neuen Erdteil im Süden Die ersten Europäer, die nach den Wikingern das amerikanische Festland betreten haben, waren, soweit wir heute wissen, Giovanni und Sebastian Cabot aus Florenz, die in englischem Auftrag von Bristol aus am 24. Juni 1497 die Küste Nordamerikas erreichten (vgl. Reinhard 1985, 47). Im darauffolgenden Jahr, am 1. August 1498, erblickte Columbus auf seiner dritten Reise erstmals den amerikanischen Südkontinent, und zwar die Küste Venezuelas gegenüber der Insel Trinidad, nahe der Mündung des Orinoco. Aber Columbus erkannte das Festland nicht sofort als solches, und die Küstenstrecke, die er passierte, war zu kurz, um die Ausdehnung des Landes auch nur zu ahnen. Erst auf seiner vierten Reise, die am 9. Mai 1502 begann, fuhr Columbus entlang der Küste Mittelamerikas, von Honduras, Nicaragua und Costa Rica bis Panama, eine wirklich lange Strecke ab und konnte nun sicher sein, ein ausgedehntes Festland erreicht zu haben (ebda., 43).
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Als Columbus zweieinhalb Jahre später, am 7. November 1504, von dieser seiner letzten Reise zurückkehrte, war in Europa für seinen Bericht kein herausragendes Interesse mehr zu erwarten. Denn inzwischen hatten portugiesische Seeleute jenseits des Äquators die Küste von Brasilien und deren riesenhafte Ausdehnung nach Süden entdeckt. Ihre sensationellen Berichte waren im Jahre 1503 über Antwerpen bis nach Wien gelangt (vgl. Vogel 1992, 63). Amerigo Vespucci schilderte im März desselben Jahres in einem Bericht an Lorenzo di Pier Francesco de Medici erstmals anschaulich und detailliert, was dies bedeutete. Eine "neue Welt" auf der südlich entgegengesetzten Hemisphäre sei gefunden worden, die den Alten vollständig unbekannt geblieben war: Und allerdings überschreitet dies die Kenntnis unserer Alten, denn die Mehrheit von ihnen sagt, jenseits des Äquators und Richtung Süden gebe es keinen Kontinent, sondern nur ein Meer, das sie Atlantik nannten. Und wenn einige von ihnen versicherten, dort gebe es einen Kontinent, so verneinten sie mit vielen Gründen, daß diese Erde bewohnbar sei. Aber daß diese ihre Meinung falsch und der Wahrheit vollständig entgegengesetzt ist, hat diese meine letzte Reise offenbart, denn ich habe in jenen südlichen Gebieten einen Kontinent gefunden, der mit Völkern und Tieren dichter besiedelt ist als unser Europa oder Asien oder Afrika und noch dazu mit milderer Luft und anmutiger als jede andere Gegend, die uns bekannt ist. 1 Dieser Bericht Amerigo Vespuccis hat seinen Ruf begründet, er wurde als Mundus Azovws-Brief zwischen 1503 und 1506 mindestens 29 Mal gedruckt, darunter 19 Mal im deutschen Sprachraum und 14 Mal in hoch- und niederdeutscher Übersetzung (vgl. Alden 1980, 7-10). Ein Exemplar der, soweit bekannt, ältesten, in Paris 1503 gedruckten Auflage hat dem Humanisten Beatus Rhenanus aus Schlettstadt gehört und befindet sich noch heute in seiner in der elsässischen Stadt erhalten gebliebenen humanistischen Bibliothek.
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"Etenim hec opinionem nostrorum antiquorum excedit, cum illorum maior pars dicat ultra lineam equinoctialem et versus meridiem non esse continentem sed mare tantum quod atlanticum vocavere. Et si qui eorum continentem ibi esse affirmaverunt earn esse terram habitabilem multis rationibus negaverunt. Sed hanc eorum opinionem esse falsam et veritati omnino contrariam hec mea ultima navigatio declaravit, cum in partibus illis meridianis continentem invenerim frequentioribus populis et animalibus habitatam quam nostram europam seu asiam vel affricam et insuper aerem magis temperatum et amoenum quam in quavis alia regione a nobis cognita" (Vespucci 1503, aT). (Ich danke Frau Dr. Krüger, Göttingen, für die freundliche Korrektur meiner deutschen Übersetzungen).
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Der Name "America" Beatus Rhenanus (s. Scarpatetti 1985), der spätere Freund und enge Mitarbeiter von Erasmus und einer der bedeutendsten humanistischen Philologen, lebte von Mai 1503 bis Herbst 1507 in Paris, er studierte dort unter anderem bei dem berühmten Theologen, Naturphilosophen und Aristoteles-Kommentator Jacques Lefevre d'Etaples, genannt Faber Stapulensis. Und noch ein anderer oberrheinischer Humanist studierte mindestens bis zum Jahre 1503 bei Faber Stapulensis in Paris: Mathias Ringmann (s. Schmidt 1875), der wie Beatus Rhenanus aus dem Elsaß stammte, ein Schüler von Gregor Reisch und Jakob Wimpfeling — er hat wenige Jahre später, zusammen mit seinen humanistischen Freunden in St. Die, den Namen "America" erfunden. Aber nicht nur Beatus Rhenanus und Ringmann befanden sich in Paris — auch die Familie Vespucci hatte Beziehungen dorthin. Amerigo selbst, der aus einer angesehenen Florentiner Familie stammte, war mit seinem Onkel Guido Antonio Vespucci, einem der führenden Florentiner Diplomaten unter Lorenzo de Medici, im Jahre 1479/80 im Alter von 24 Jahren als Privatsekretär seines Onkels in Paris gewesen (vgl. Vogel 1992, 66). Jetzt, im Jahre 1503, war ein Freund Amerigos in Paris, Fra Giovanni Giocondi, ein bekannter Architekt aus Verona, der in Paris im Auftrag von Ludwig XII. die Brücke von Notre Dame baute. Fra Giovanni hatte es übernommen, den Brief Vespuccis an Lorenzo di Pier Francesco de Medici aus dem Italienischen ins Lateinische zu übersetzen; dies dürfte der Grund dafür sein, daß der Mundus novas-Brief, wie es scheint, gerade in Paris zum ersten Mal gedruckt worden ist (vgl. Major 1868, 381). Aus Paris also wird Beatus Rhenanus den in seiner Bibliothek erhaltenen Druck des Mundus «ovMj-Briefes mitgebracht haben, dort auch könnte Mathias Ringmann die Idee gekommen sein, diesen Brief in Deutschland nachdrucken zu lassen. Fest steht, daß Ringmann diese Idee verwirklichte: zwei Jahre später, im Jahre 1505, erschien bei Mathias Hupfuff in Straßburg ein wahrscheinlich direkt auf die Pariser Ausgabe zurückgehender Druck des Vespucci-Briefes, den Mathias Ringmann herausgegeben hat (Vespucci 1505a; vgl. Vespucci 1505b). Der Druck war geschmückt mit einer neuen Überschrift und zwei Holzschnitten und ergänzt um einen Widmungsbrief Ringmanns, dazu um ein von Ringmann verfaßtes Gedicht über das durch den portugiesischen König auf der antarktischen Erdhälfte neu gefundene Land. Am Schluß enthielt der kleine Band eine gewissermaßen amtliche Bestätigung des Vespucci-Berichtes: der päpstliche Notar Johannes Michaelis aus der Diözese Viborg auf Jütland bezeugte in einer ausdrücklichen Nachbemerkung, er selbst sei bei der Berichterstattung der portugiesischen Gesandten im öffentlichen Konsistorium vor dem Papst anwesend gewesen, dort hätten die Portugiesen neben anderem auch über jene neuentdeckte Erde berichtet, von der im zuvor abgedruckten Brief die Rede gewesen sei (vgl. Vogel 1992, 65). Damit war die Entdeckung der Antipoden kirchenoffiziell beglaubigt worden. Es gab also Menschen auf der gegenüberliegenden Hemisphäre, die den
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Europäern ihre Füße zuwandten und von denen Augustinus geschrieben hatte, es könne sie nicht geben (vgl. De civitate Dei, 16,9). Weder Vespucci noch die oberrheinischen Humanisten hatten wegen der Verbreitung dieser neuen Wahrheit etwas zu befürchten. Schon die portugiesischen Entdeckungen hatten im Verlauf des 15. Jahrhunderts einige verbreitete Vorstellungen von der Geographie der Erde widerlegt, auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es möglich, Irrtümer der Klassiker offen zu benennen. Zwei Jahre nachdem er den Mundus novui-Brief in Straßburg im Druck herausgegeben hatte, hat Mathias Ringmann in St. Die zusammen mit seinem kartographisch versierten Kollegen Martin Waldseemüller jenes Werk verfaßt, in dem zum ersten Mal der Name "America" eingeführt und erläutert wurde (vgl. Laubenberger 1959 u. Schmitt 1984, 13-15). Die Cosmographiae introductio der Humanisten von St. Die war eine kosmographische Begleitschrift zur großen gedruckten Weltkarte und zum kleinen, ebenfalls gedruckten Papierglobus Waldseemüllers, sie erschien in mehreren Auflagen in den Jahren 1507 und 1509 und enthielt zudem erstmals alle vier dem Amerigo Vespucci zugeschriebenen Reiseberichte (Waldseemüller/Ringmann 1507). Im kosmographischen Teil sprachen die Autoren davon, die tropische "verbrannte" Zone werde nun von vielen bewohnt. Hierzu gehöre auch der "sehr große Teil der Erde, der immer unbekannt war und unlängst von Americus Vesputius gefunden worden ist". Deswegen seien dessen vier Reisen, übersetzt aus dem Italienischen ins Französische und weiter ins Lateinische, hier angeschlossen. 2 In der sechsten Klimazone nach Süden läge der jüngst gefundene äußerste Teil von Afrika, die Inseln Sansibar, Iava minor und Seula und der "vierte Teil der Erde, den man, weil Americus ihn fand, Ameri-ge, also Erde des Americus, oder America nennen kann" 3 — ein hübsches Wortspiel der Humanisten mit dem Vornamen des Vespucci und "ge", dem griechischen Wort für Erde. Noch einmal ausführlicher schrieb dann wenige Seiten später einer der Autoren, vermutlich wohl Ringmann: Jetzt aber sind auch diese Erdteile weithin erforscht und ein anderer vierter Teil ist, wie im folgenden zu hören ist, von Americus Vesputius entdeckt worden. Ich wüßte nicht, warum jemand mit Recht etwas dagegen einwenden könnte, diesen Erdteil nach seinem Ent-
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"Sunt enim qui exustam torridamque zonam nunc habitant multi. Vt qui Chersonesum auream incolunt, vt Taprobanenses, Aethiopes, et maxima pars terrae semper incognitae nuper ab Americo Vesputio repertae. Qua de re ipsius quatuor subiungentur nauigationes ex Italico sermone in Gallicum, et ex Gallicum in latinum versae" (Waldseemüller/Ringmann 1507, BS"). 3 "Atque in sexto climate Antarcticum versus, et pars extrema Africae nuper reperta, et Zamzibar, Iaua minor, et Seula insulae, et quarta orbis pars (quam quia Americus inuenit Amerigen, quasi Americi terram, siue Americam nuncupare licet) sitae sunt" (Waldseemüller/Ringmann 1507, a3r; Marginalie "Amerige").
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decker Americus, einem Mann von Einfallsreichtum und klugen Verstand, Amerige, nämlich Erde des Americus, oder America zu nennen, denn auch Europa und Asien haben ihren Namen nach Frauen genommen. 4 Der Name "America" ist, so zeigen diese bekannten Passagen, eine künstliche und kunstvolle Schöpfung der Humanisten in St. Die. Er bezog sich, so zeigt die begleitende, zu Beginn dieses Jahrhunderts wiederentdeckte Karte Waldseemüllers und sein kleiner gedruckter Globus, auf den von Vespucci beschriebenen neuen großen Erdteil im Süden. Auf diese Weise, so erklärten die Autoren von St. Die, sei jetzt die Erde viergeteilt: "die ersten drei Teile sind zusammenhängend, der vierte eine Insel". Denn man erkenne, daß dieser vierte Teil ringsum vom Meer umgeben sei. 5 Anders als Vespucci, der im Mundus novKs-Brief das Wort "continens"6 gebrauchte, nannten die Geographen von St. Die den neugefundenen Erdteil im Süden eine Insel. Ob Insel oder Kontinent: von einem riesenhaften Erdteil weit im Süden hat Columbus in der Tat nichts wissen können. So konnten Ringmann und Waldseemüller mit gutem Recht dies Land nach dem benennen, der als erster dessen Ausmaße erkannt, vermessen und verkündet hat.
Die Entwicklung der geographischen Konzeption von "America" Mit der Namensgebung für das neue, südlich des Äquators entdeckte Land im Meer durch die Humanisten in St. Die ist die frühe Begriffsgeschichte Amerikas nicht abgeschlossen — vielmehr tritt sie in eine zweite, ebenso interessante Phase. Karten, Globen und geographische Handbücher, die bald nach 1507 den
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"Nunc vero et hae partes sunt latius lustratae, et alia quarta pars per A m e r i c u m Vesputium (vt in sequentibus audietur) inuenta est, quam non video cur quis iure vetet ab A m e r i c o inuentore sagacis ingenii viro Amerigen quasi Americi terram, siue A m e r i c a m dicendam; cum et Europa et Asia a mulieribus sua sortita sint nomina" (Waldseemüller/ Ringmann 1507, a5 v ; Marginalie "America". S. Abb. 1; vgl. Neuhausen, bes. 194-199. Vgl. Schmitt 1984, 15-17). 5 "Hunc in m o d u m terra iam quadripartita cognoscitur; et sunt tres prime partes continentes, quarta est insula; cum omni quaque mari circumdata conspiciatur" (Waldseemüller/ Ringmann 1507, a5"). 6 Der Gebrauch des Wortes "continens" war schon im frühen 16. Jahrhundert nicht völlig einheitlich. Der lateinischen Grundbedeutung nach betonte "continens" (continere = zusammenhalten) den Z u s a m m e n h a n g der drei Erdteile der alten Welt, die durch Mittelmeer, Schwarzes M e e r und Rotes M e e r getrennt erschienen. Alles, was mit diesen Erdteilen nicht verbunden w a r , mußte eine Insel sein; in diesem klassischen Gegensatz w u r d e von Ringmann und Waldseemüller hier das Wort gebraucht. Doch finden wir auch Texte dieser Zeit, die "continens" in der schwächeren Bedeutung "Festland" zu verwenden scheinen. — D e r m o d e r n e Begriff "Kontinent" hat die lateinische Systematik vollständig aufgegeben. E r bezeichnet zum einen die drei traditionellen Erdteile E u r o p a , Asien und Afrika, zum anderen ein von einer Insel nur der Größe nach zu unterscheidendes ausgedehntes "festes" L a n d (Amerika, Australien, Antarktis).
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Begriff "America" verbreiteten, bilden die weitere Entwicklung im Verlauf des 16. Jahrhunderts ab (s. Vogel 1990, passim). Diese verlief nicht geradlinig, sondern zeigt bemerkenswerte Entwicklungsschübe und Disparitäten, deren Kenntnis für die Beurteilung des frühen Bildes von Amerika von erheblicher Bedeutung ist. Bis weit in die 20er Jahre des 16. Jahrhunderts hinein wurde "America" in den im deutschen Sprachbereich erschienenen Karten und Texten ausschließlich als vom Meer umgebenes Land im Süden dargestellt. Waldseemüllers Karte von 1507 und der vermutlich ebenfalls von ihm konzipierte kleine Papierglobus von 1507/09 (s. Abb. 2), Johannes Schöners Druckschrift Luculentissima quaedam terrae totius descriptio von 1515 mit den dazugehörigen Globen von 1515 (s. Abb. 3) und 1520, die Karte in der Ausgabe der Margarita philosophica des Gregor Reisch von 1515 (in Nordenskiöld 1889, Taf. 38/1) und die ebenfalls verbreitete Karte Petrus Apians von 1520 (ebda., Taf. 38/2) zeigen "America" übereinstimmend als Südland mit einem nach Norden reichenden, schmalen Wurmfortsatz. Gelegentlich wurde dieser nördliche Anhang "Zoana Mela" beschriftet, nach einer falschen Lesung von "Joana", dem ersten Namen, den Columbus Cuba gab (vgl. Wieser 1881, 15). Seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts wurde das Bild von Amerika vielfältiger. Zwar zeigten viele Darstellungen weiterhin das alte Bild: die Karte des Lorenz Fries im Straßburger Ptolemaeus von 1522 (s. Abb. 4), die von diesem abhängige Karte Sebastian Münsters in dem Sammelband Novus Orbis von Huttich und Grynaeus von 1532 (in Nordenskiöld 1889, Taf. 42) und die über den deutschen Sprachbereich hinaus weitverbreitete kosmographischen Kompendien des Petrus Apian von 1524, 1529 und 1533 stellten Amerika auch weiterhin als isoliertes Südland mit einem schmalen nördlichen Anhang dar; bis weit in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein fand diese Darstellung Nachfolger, die damit den Kenntnisstand vom Anfang des Jahrhunderts konservierten (vgl. Honter 1548). Andere Kosmographen und Kartographen aber begannen nun, die Ausdehnung des Nordkontinents abzubilden, und zwar in zwei grundlegend verschiedenen Konzeptionen. Die eine, im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts bei europäischen Kartographen häufiger anzutreffende Darstellung verband das Südland über eine mittelamerikanische Brücke direkt mit Asien. Hier, so in der seit 1524 mehrfach in Antwerpen gedruckten Kosmographie des Franciscus Monachus und auf den von Johannes Schöner und Caspar Vopel in den 30er und 40er Jahren hergestellten Globen, blieb der Name "America" weiterhin allein dem Südland vorbehalten (Franciscus Monachus 1524; Stevenson 1921, 96 ff.). Johannes Schöner, der seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts weitbekannte Nürnberger Astronom, Kosmograph und Globenmacher, der in seiner Luculentissima descriptio von 1515 dem vierten Erdteil "America" zusammen mit anderen neuentdeckten Inseln noch ein eigenes Kapitel eingeräumt hatte (60 r -61 v ), schrieb dazu nun in seinem Opusculum geographicum von 1533:
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Nicht nur die vorhergenannten drei Erdteile [Asien, Europa und Afrika] sind jetzt weiter erforscht, sondern auch ein anderer vierter Teil ist jetzt gesehen und zum Teil bereist worden, den die neueren "Brasilien" genannt haben. Er liegt dem Südpol zu, weit über den südlichen Wendekreis hinaus, und ist noch nicht vollständig bekannt. Americus Vesputius aber, der von Spanien aus die Küsten des hinteren Indiens mit dem Schiff in westlicher Richtung bereiste, glaubte, jener Teil des hinteren Indiens sei eine Insel, die er nach seinem Namen nennen ließ. Andere aber und jüngere Hydrographen haben herausgefunden, daß dieses Land jenseits davon an einem anderen Teil mit Asien zusammenhängt, denn so sind sie auch zu den Molukken im hinteren Indien gelangt. Von jenem mit dem hinteren Asien zusammenhängenden, außerhalb von Ptolemaeus gelegenen Teil lesen wir, daß er vor unserer Zeit von dem Venezianer Marco Polo und einigen anderen bereist worden ist.7 Ausdrücklich vertrat Schöner damit die neugewonnene Auffassung, Südamerika sei nicht, wie er selbst noch 1515 und 1520 gemeint hatte, eine riesige Insel. Vielmehr sei dieses nach Vespucci benannte Land direkt mit dem asiatischen Festland verbunden — die Reise Magellans, so meinte Schöner nun, habe die Nähe Amerikas zu den Molukken und damit die Verbindung nach Asien und mit dem von Marco Polo beschriebenen Fernen Osten hinreichend klar gezeigt. Nicht alle Kosmographen folgten dieser Auffassung. Eine entschiedene Gegenkonzeption zur Darstellung Schöners und zugleich einen erweiterten Amerikabegriff vertrat der junge Gerhard Mercator auf seiner Weltkarte von 1538. Auf dieser Karte war das Südland des Vespucci nicht direkt mit Asien, sondern mit einem ebenso großen Nordkontinent verbunden. Dabei gebrauchte Mercator den Namen "America" so, wie wir ihn heute kennen: für den gesamten neuen Kontinent aus Nord-, Mittel- und Südamerika (s. Abb. 6). Vermutlich war Mercator nicht der erste, der den Begriff "America" in dieser Weise ausdehnte: der Globe vert der Pariser Nationalbibliothek, der den Konturen nach den frühen Globen Schöners nahesteht, enthält den Namen
7
"Non solum autem praedictae tres partes nunc latius sunt lustratae, verum et alia quarta
pars visa et partim lustrata, quam recentiores Brasiliam appellarunt, sitam versus polum Antarcticum,
longo tractu ultra tropicum Capricorni, quae nondum piene cognita
est.
A m e r i c u s tarnen Vesputius, maritima loca Indiae superioris e x Hispaniis navigio ad o c c i d e n tem perlustrans, earn partem quae superioris Indiae est, credidit e s s e insulam, quam a suo nomine vocari instituit. Alii vero nunc recentiores Hydrographi, e a m terram ulterius e x alia parte i n v e n e r u n t e s s e continentem Asiae, nam sic etiam ad M o l u c c a s insulas superioris Indiae pervenerunt. Hanc continentem Asiae superioris portionem extra Ptolemaeum, ante nostra tempora, ab Marco Polo V e n e t o , et aliis quamplurimis lustratam legimus" (Schöner 1 5 3 3 , C4 1 ). Mit "extra Ptolemaeum" wurden seit Ende des 15. Jahrhunderts die v o n Ptolemaeus in seiner Geographie nicht beschriebenen Gebiete zusammengefaßt. S. Abb. 5.
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"America" gleich viermal, zweimal auf dem großen Südland und zweimal auf dessen nördlichen schmalen Anhängseln (vgl. Stevenson 1921, 77 u. Schwartz 1980, 35). Mercator gebrauchte auf der Karte von 1538 den Namen "America" doppelt, er unterschied dort einen ausgedehnten nördlichen "Americae pars septentrionalis" von einem südlichen, mit diesem über die mittelamerikanische Landbrücke verbundenen "Americae pars meridionalis". Drei Jahre später, auf einer Globuskarte vom Jahre 1541, hat Mercator den Namen AME-RICA in getrennten Silben für die Bezeichnung des gesamten Doppelkontinents verwandt (vgl. Kretschmer 1892, 369). Die Konzeption Mercators vom amerikanischen Doppelkontinent wurde von Sebastian Münster in dessen Ptolemaeus-Ausgabe von 1540 (s. Abb. 7) und in seiner weitverbreiteten, vielgelesenen Kosmographie übernommen, sie hat sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch außerhalb des deutschen Sprachbereichs zunehmend durchgesetzt. Drei Jahrzehnte später, im Theatrum Orbis Terrarum des Abraham Ortelius von 1570, war der Name "America" vollends auf den nun weiter ausgedehnten Nordkontinent gerutscht. Dort, im Bereich des heutigen Kanada, finden wir die Aufschrift: "America oder Neuindien, im Jahre 1492 von Christoph Columbus im Namen des Königs von Kastilien zuerst entdeckt" (Nordenskiöld 1889, Taf. 46). Mercators Sohn Rumoldus hat auf seiner Weltkarte von 1587, die die westliche und östliche Hemisphäre einander gegenüberstellte, diese Aufschrift am gleichen Ort erneut verwandt (s. Abb. 8). Gegenüber der sich durchsetzenden Konzeption vom Doppelkontinent wurde die Vorstellung einer direkten Verbindung Südamerikas mit Asien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts seltener. Offen aber blieb auch weiterhin die Frage, ob der gesamte Doppelkontinent im noch unerforschten Norden mit Asien verbunden sei — eine Frage, die für die Annahme einer möglichen asiatischen Besiedelung Amerikas von Bedeutung war. Mercator hat mit einer Küstenlinie rings um Nordamerika diese Frage vorweg lösen wollen. Zwei Jahrhunderte lang blieb dies kartographische Spekulation. Daß Asien und Amerika auch im Polarbereich getrennt waren, wurde endgültig erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Entdeckung von Alaska und der Beringstraße klar.
Der Perspektivwandel der Entdeckungsgeschichte von Vespucci zu Columbus Parallel zur allmählichen Veränderung der geographischen Konzeption Amerikas vom Land im Süden zum Doppelkontinent im Westen veränderte sich die Darstellung der Entdeckungsgeschichte von Amerika. Je mehr den Zeitgenossen deutlich wurde, daß das neugefundene Land ein zusammenhängendes, von Süden weit nach Norden reichendes riesenhaftes Ganzes war, um so mehr wurde Columbus zum Entdecker von ganz Amerika.
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Dabei ist ein verbreitetes Mißverständnis zu korrigieren. Denn die sich verändernde Zuordnung der Entdeckung von "America" spiegelt nicht so sehr ein Informationsproblem. Ebensowenig wie die zurückhaltende Rezeption der Columbusberichte in den Jahren nach 1492 durch die Gelehrten in weiten Teilen Europas vor allem deren Ignoranz beweist, sowenig haben die bald nach 1500 weiter verbreiteten Informationen über die Chronologie der jüngsten Entdeckungen sogleich dazu geführt, Columbus als "Entdecker Amerikas" zu etablieren. Daß Vespucci als "Entdecker" erst spät und sehr allmählich durch Columbus verdrängt wurde, weist vielmehr auf einen grundlegenden Wandel der Perspektive. Solange Amerika als Insel oder Kontinent im Süden betrachtet wurde — dies war, so sahen wir, den meisten Kosmographen bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts hinein selbstverständlich —, bildete die Benennung nach Vespucci kein Problem. Erst später, als man die Inseln der Karibik und den Doppelkontinent Amerika als Einheit sah, konnte Christoph Columbus, der den Äquator niemals überquert und auch den nördlichen Teil des Festlands nicht selbst erreicht hat, den Zeitgenossen und der Nachwelt als Entdecker des gesamten neuen Kontinents erscheinen. Dabei hat der entdeckungsgeschichtliche Kontext, auf den die Zeitgenossen außerhalb der iberischen Halbinsel die Berichte von jener "neuen Welt" bezogen, sich im Verlauf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts radikal gewandelt. Wie schon das gesamte 15. Jahrhundert hindurch, so standen auch in den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Entdeckungsreisen, Eroberungen und Handelsfahrten der Portugiesen im südlichen Ozean unangefochten im Vordergrund des Interesses. "America", die nach Vespucci benannte riesenhafte Insel im südlichen Atlantik, lag nach der Kenntnis der Zeitgenossen auf der portugiesisch beherrschten Südhemisphäre, auf halbem Weg in den Indischen Ozean. Tatsächlich hatte ja Pedro Alvarez Cabral im Jahre 1500 die Küste Brasiliens auf dem Weg nach Indien entdeckt (vgl. McAlister 1984, 75), auch Vespucci hatte seine spektakuläre dritte Reise, welche den weiteren südlichen Verlauf dieser Küste erforschte, im Auftrag des portugiesischen Königs unternommen. Die Geschichte der Entdeckung des Südlandes "America" wurde damit selbstverständlich der portugiesischen Entdeckungsgeschichte zugerechnet; deren Zusammenhang zu den nördlich des Äquators erfolgten spanischen Entdeckungen interessierte anfangs kaum. Denn de facto waren bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts hinein die Einflußsphären der Spanier und Portugiesen durch eine Linie parallel zum Äquator abgegrenzt. Während sich die spanischen Entdeckungen auf die Karibik konzentrierten, beherrschten die Portugiesen das gesamte Seegebiet von Brasilien über Afrika bis nach Indien. Der in den alexandrinischen Bullen vom Mai 1493 erstmals genannte, im Vertrag von Tordesillas in veränderter Lage festgelegte Meridian westlich der Azoren, welcher die spanische und portugiesische Einflußsphäre im Ozean durch eine Linie von Nord nach Süd voneinander trennen sollte, vermittelt im Rückblick ein falsches Bild. Erst später, mit dem
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Fortschreiten der spanischen Expansion in Amerika, hat sich die reale Lage der Einflußsphären dieser Linie angenähert, erst nach der Reise um die Erde unter Magellan wurde die west-östliche Unterscheidung von alter und neuer Welt den Zeitgenossen selbstverständlich. Daß die von Vespucci beschriebene "neue Welt" anfangs den südlichen Entdeckungen der Portugiesen zugerechnet wurde und dabei zu Columbus keine Konkurrenz bestand, zeigt das Itinerarium Portugallensium, das in Mailand im Jahre 1508 erschien (Montalboddo 1508a). Es war die lateinische Übersetzung der ersten umfassenden Sammlung aktueller überseeischer Reiseberichte, die Fracanzano da Montalboddo im Jahr zuvor unter dem Titel Paesi novamente retrovati auf Italienisch herausgegeben hatte. Die lateinische Fassung wurde von Gelehrten auch im deutschen Sprachbereich gelesen und gekauft; im gleichen Jahr wurden in Nürnberg Übersetzungen in hoch- und niederdeutscher Sprache gedruckt (Montalboddo 1508b, 1508c). Neben einer großen Zahl von Berichten über das portugiesische Vordringen um Afrika herum nach Indien enthielt die Sammlung auch die Berichte des Columbus von den drei ersten Reisen in die Karibik sowie den Mundus «ovui-Brief des Amerigo Vespucci. Obwohl die Sammlung Montalboddos die Columbusberichte ausführlich wiedergab, erscheinen diese gegenüber den portugiesischen Entdeckungen keineswegs als herausragend. In dem weitgehend chronologisch geordneten Band folgten sie auf den ebenso ausführlichen Bericht Cadamostos von dessen Entdeckungen entlang der Küste Afrikas; an die Columbusberichte schloß sich der kurze, spektakuläre Bericht des Amerigo Vespucci über die im Auftrag des portugiesischen Königs erfolgte Erforschung des neuen Landes im Süden an. Vor dem Hintergrund der seit Heinrich dem Seefahrer von den Portugiesen kontinuierlich vorangetriebenen atlantischen Entdeckungen erschien Columbus nicht als Pionier, sondern als Entdecker unter vielen. Es überrascht daher im Rückblick nicht, sondern entsprach auch sonst der zeitgenössischen Rezeption, daß schon der Untertitel der italienischen Originalausgabe Montalboddos von 1507 auf Vespucci verwies und der Titel der lateinischen Ausgabe von 1508 nur die Entdeckungen der Portugiesen nannte. Zwar wurde einzelnen Gelehrten im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts bewußt, daß der im Auftrag der spanischen Könige reisende Columbus auf seiner dritten Reise das Festland schon betreten hatte, dessen Ausdehnung nach Süden anschließend erst Vespucci klar erkannte. Die Weltkarte Waldseemüllers in der Straßburger Ptolemaeusausgabe von 1513 verzeichnete im Bereich des heutigen Venezuela: "Dieses Land mit den angrenzenden Inseln ist von Columbus aus Genua gefunden worden im Auftrag des Königs von Kastilien" 8 ; Waldseemüller verzichtete in dieser Karte und in seiner Carta marina von 1516 auf den Namen "America",
8 "Hec terra cum adiacentibus insulis inuenta est per Columbum Ianuensem ex mandato Regis Castelle" (Ptolemaeus/EBler 1513, Tabula terre nove; in: Nordenskiôld 1889, Taf. 36).
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den er zuvor selbst mit eingeführt hatte (vgl. Major 1868, 386 u. Fischer 1903). Doch hat sich diese Differenzierung bei den Zeitgenossen lange Zeit nicht durchgesetzt. Amerigo Vespucci prägte in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts außerhalb der iberischen Halbinsel das Bild einer im atlantischen Süden und damit im portugiesischen Herrschaftsbereich gefundenen neuen Welt. In dieser Perspektive hatte die ausdrückliche Erwähnung Vespuccis als Entdekker von "America" bei Vadian (1515, B3V, C2V; vgl. 1522, c2r), bei Schöner (1515, 600 und noch bei Fries (1525, 8V) und Franck (1534, 210v) ihren sachlichen Grund. Seit der Wende zu den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts veränderten bedeutende neue Erfahrungen den Kontext der Entdeckung von "America". Während Kaiser Maximilian I. als Sohn einer portugiesischen Prinzessin zeitlebens eng mit Portugal verbunden war, orientierte der Herrschaftsantritt Karls V. die Bürger im Reich nach Spanien. In einer Zeit, in der die portugiesischen Handelsfahrten um Afrika nach Indien alltäglich wurden, bewies die spektakuläre Eroberung von Mexiko unter Cortés in den Jahren 1519-21 dem Abendland, daß auch im Westen hoch entwickelte Völker lebten. Die seit 1511 und 1516 zunehmend verbreiteten Dekaden des spanischen Hofhistoriographen Petrus Martyr d'Anghiera machten ein Vierteljahrhundert nach der ersten Reise des Columbus weitere Details der spanischen Entdeckungen bekannt (Martyr d'Anghiera 1521). Etappenweise vergrößerte das Vordringen der Conquistadoren an den Küsten von Karibik und Pazifik den spanischen Herrschaftsbereich und zeigte die zusammenhängende Gestalt eines Doppelkontinents im Westen. Grundlegend schließlich prägte der Bericht Pigafettas über die Reise Magellans das Bild der Europäer von der Erde: nun war der Globus ganz umsegelt, der Gegenmeridian zum Meridian von Tordesillas war erreicht, für die Unterscheidung der Einflußsphären zwischen Portugal und Spanien wurde die Trennung zwischen Ost und West bedeutsamer als jene zwischen Nord und Süd.9 All dies begann, den Blick der interessierten Zeitgenossen stärker nach Westen zu richten und veränderte die Entdeckungsgeschichte von Amerika. Freilich vollziehen geschichtliche Perspektivwechsel sich nicht über Nacht: noch lange und von vielen, so sahen wir, wurde allein Vespucci als Entdecker von "America" genannt. Doch zeigen neuentstandene Texte dieser Zeit, daß die Bedeutung von Columbus größer wurde und Vespucci nicht mehr selbstverständlich im portugiesischen Zusammenhang erschien. Der Band Novus orbis, die auf das Itinerarium Portugallensium folgende große Zusammenstellung aktueller Reiseberichte, erstmals gedruckt in lateinischer Sprache in Basel im Jahre 1532, zeigt im Vergleich zur Sammlung Montalboddos die veränderte Relation von Columbus und Vespucci (Huttich/Grynaeus 1532). Der von Johannes Huttich zusammengestellte und von dem hochangesehenen südwest-
9
Maximiiianus Transylvanus 1 5 2 3 ; Franciscus Monacus 1 5 2 4 .
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deutschen Humanisten Simon Grynaeus eingeleitete Band enthielt in seinem ersten Teil in genauer Abfolge die im Itinerarium Portugallensium abgedruckten Reiseberichte, darunter wiederum die Columbusberichte und den Vespuccibrief. Dazu kam jetzt ein Gesamtabdruck der vier Vespucci zugeschriebenen Berichte, die zuvor Ringmann und Waldseemüller herausgegeben hatten, sowie, neben weiteren Reiseberichten aus Asien und Osteuropa, ein Auszug aus der vierten Dekade des Petrus Martyr über die "neugefundenen Inseln" im Westen. Nicht Vespucci, sondern Columbus wurde nun im Inhaltsverzeichnis der neuen, umfassenderen Sammlung hervorgehoben. Ein von Sebastian Münster verfaßter, zur Erläuterung einer beigefügten Weltkarte gedachter einleitender Text unterschied nun klar zwischen der den Portugiesen zugerechneten "Seefahrt von Europa nach Calicut" und der anschließend behandelten "Seefahrt von Christoph Columbus und Albericus [!] Vespucci zu neuen Inseln": Der große Alexander wird auf dem ganzen Erdkreis gefeiert, weil er fast als erster nach Osten vorgedrungen ist, wobei er nicht mit dem Schiff, sondern auf sichererem Weg zu Fuß dorthin zog. Aber sein Ruhm wird gering sein, wenn er verglichen wird mit jenen Männern, die sich in unserer Zeit bemühten, sogar unentdeckte Meere zu durchfahren, und mit ihrer Erforschung den Westen öffneten, wo sie zahllose Inseln voll mit Menschen und Reichtümern in einem unermeßlichen Meer gefunden haben. 10 Münster nannte dann Columbus und Vespucci gemeinsam als Entdecker von "Hispana, Ioanna, Spagnolla, Cuba, Isabella, der Antillen, des Landes der Kannibalen, Americas und weiteren unbekannten Landes"". Irrtümlich erwähnte er dabei die Entdeckung einer Insel "Melcha" jenseits des Äquators durch die Entdecker 12 — tatsächlich hatte Vespucci nach dem Bericht von seiner dritten Reise eine im Indischen Ozean gelegene Insel dieses Namens erreichen wollen, war aber von Brasilien aus vorzeitig nach Lissabon zurückgekehrt (Waldseemüller/Ringmann, f3 r/v ). Es ist bezeichnend, daß die Orientierung Vespuccis nach Süden und nach Indien für Münsters Darstellung der Seefahrt zu den "neuen Inseln" nicht mehr wichtig war — für ihn standen im
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"Celebratur Alexander magnus toto orbe terrarum, quod primus fere penetrarit Orientem, non navigio, sed pedestri et tutiori itinere in illum deductus. Verum parva erit laus illius, si comparetur viris illis qui nostro aevo maria etiam incomperta sulcare tentarunt, et Occidentem sua exploratione aperuerunt, innúmeras Ínsulas hominibus et opibus plenas in vastissimo mari adinvenientes [...]" (Huttich/Grynaeus 1532, 55"). " "Insulas occidentales nempe Hispanam, Ioannam, Spagnollam, Cubam, Isabellam, Antiglias, Canibalorum terram, Americam, et reliquas incognitas terras primi mortalium adinvenerunt Christopherus Columbus et Albericus Vesputius [...]" (ebda., &6r). 12
"[...] quippe qui adeo in meridiem digressi sunt, ut polus antarcticus illis triginta tribus sustolleretur gradibus, sub qua elevatione etiam insulam invenerunt Melcham appellatam" (ebda.).
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Jahre 1532 Columbus und Vespucci gemeinsam als Erforscher von Inseln und von Land im Westen fest. Daß Vespucci und Columbus nebeneinander als Entdecker im Westen genannt wurden, war im deutschen Sprachraum seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts nicht mehr ungewöhnlich. Johannes Schöner, der in seinem Opusculum geographicum von 1533 die Auffassung vom direkten Zusammenhang von "America" mit Asien vertrat, erwähnte Columbus und Vespucci ebenfalls gemeinsam: Jenseits der von Ptolemaeus beschriebenen 180 Grad im Osten wurden von einem gewissen Venezianer Marco Polo und von anderen viele Gebiete gefunden. Jetzt aber haben der Genuese Columbus und Americo Vespucci nur deren Küsten von Spanien aus über den westlichen Ozean bereist. Sie meinten, dieser Teil der Erde sei eine Insel, und nannten ihn America, den vierten Teil der Welt. 13 Sebastian Franck schrieb in seiner unkritisch kompilierten Weltchronik von 1534 zwar die Entdeckung der neuen Welt weiterhin Vespucci zu, gab aber dort im Anschluß an die Sammlung Montalboddos auch die Berichte des Columbus wieder. Er faßte sämtliche neuen Entdeckungen mit Einschluß der portugiesischen Entdeckungen unter der Überschrift "America die nüw weit" zusammen (Franck 1534, 21 Off.). Dies entsprach der Perspektive, die sich in Europa durchzusetzen begann: in wachsender Ausschließlichkeit beschränkte sich der Begriff "neue Welt" auf das Land im Westen. Dagegen verblaßten die Entdekkungen der Portugiesen im Atlantik und um Afrika herum nach Osten; in Gesamtdarstellungen wurden sie zunehmend an den Rand gedrängt. Von hier aus war es nur ein Schritt zu einer Entdeckungsgeschichte, die allein Columbus als heldenhaften Entdecker einer "neuen Welt" ansah. Ausgangspunkt hierzu war im deutschen Sprachraum die bereits erwähnte Atlantikkarte Waldseemüllers im Straßburger Ptolemaeus (Ptolemaeus/Eßler 1513), die 1520 unverändert nachgedruckt worden war. Diese Karte erschien 1522 in der von Lorenz Fries besorgten Ausgabe der Geographie des Ptolemaeus in veränderter Gestalt. Wie bei Waldseemüller war auf dem jetzt "terra nova" beschrifteten südamerikanischen Festland vermerkt, daß "dieses Land mit den angrenzenden Inseln durch den Genuesen Christoph Columbus gefunden" worden sei. Dazu kam eine weitere Legende, die für die Insel "Spagnolia" noch einmal eigens die Entdeckung durch Columbus im Jahre 1492 betonte. Auf der
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"Post Ptolemaeum vero ultra 180 graduum versus orientem multa regiones repertae per quendam Marcum Polum Venetum, ac alios, sed nunc a Columbo Genuensi, et Americo Vesputio solum loca litoralia ex Hispaniis per Oceanum occidentalem illuc applicantes lustratae sunt, earn partem terrae insulam existimantes vocarunt Americam, quartam orbis partem" (Schöner 1533, ES').
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Rückseite der Karte war jetzt doppelseitig ein begleitender Text abgedruckt, der die Entdeckung jener "terra nova" erläutern sollte und wie folgt begann: Christoph Columbus, von italienischer Nation, aus der Vaterstadt Genua, aus der Familie Columba, war ein Mann von hochgewachsener Statur, mit einer zur Röte neigenden Hautfarbe und länglichem Gesicht. Jener, nachdem er lange als Gast im Palast des unbesiegten Königs der Spanier verweilt hatte, nahm sich vor, die bisher unbetretenen Teile des Erdkreises sehr aufmerksam zu durchfahren [...]. 14 Der so beginnende, als Darstellung der Entdeckung der "neuen Welt" im Westen vorgestellte Text beschrieb ausschließlich die Entdeckung der Inseln "Hispania" und "Ioanna" (Cuba) durch Columbus auf dessen erster Reise. Weitere Reisen und Entdeckungen wurden nicht erwähnt: die Ereignisse des Jahres 1492 schienen die atlantischen Entdeckungen insgesamt hinreichend zu erläutern. Nachgedruckt wurde dieser Columbustext in der vom Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer neu übersetzten Straßburger PtolemaeusAusgabe von 1525. Leicht verändert übernahm denselben Text auch Michael Servet, der aus Spanien stammende Humanist, den später Calvin als Ketzer verfolgen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ; er gab in Lyon 1535 und in Wien 1541 unter dem Namen Villanovanus jeweils gründlich bearbeitete Neuausgaben der Geographie des Ptolemaeus heraus und verwendete dazu die Straßburger Vorlagen. Am wichtigsten aber für die Verbreitung der neuen, ausschließlich von Columbus und den spanischen Entdeckungen im Westen bestimmten Chronologie war die Cosmographia des Sebastian Münster, die im Jahre 1544 erstmals in deutscher Sprache erschien. Während Münster in seinem Beitrag zum Novus orte-Sammelband von 1532 Columbus und Vespucci noch im Anschluß an die Beschreibung der Entdeckung des Seeweges nach Calicut behandelt und nebeneinander als Entdecker der westlichen Inseln genannt hatte, behandelte er die Entdeckungen im Westen nun separat und ordnete sie chronologisch. Die dem fünften Buch Von den Ländern Asie angefügte Abteilung "Von den Newen Inseln" behandelte allein die Inseln der Karibik und den amerikanischen Kontinent, die Darstellung begann explizit im Jahre 1492. Das erste von drei kurzen Kapiteln beschrieb die beiden ersten Reisen von Columbus, ein einer doppelseitigen Karte wegen eingeschobenes weiteres Kapitel zeigte Cusco, Hauptstadt des peruanischen Inkareiches, und die mexikanische Stadt "Themistican", ein drittes Kapitel faßte knapp die dritte Reise des Columbus sowie die
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"Cristophorus Columbus natione Italus, patria Genuensis, gente Columba, vir erat procera statura, colore ad rubedinem inclinato, facie oblonga. Is cum diutius in regia regis Hispaniarum invictissimi diversatus fuisset, animum induxit, ut hactenus inaccessas orbis partes perquam diligenter peragraret" (hier zit. nach Ptolemaeus/Pirckheimer 1525, Taf. 28).
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drei ersten Reisen von Vespucci zusammen (Münster 1544, 1550). Eindeutiger als alle Kompendien zuvor präsentierte die Kosmographie Sebastian Münsters, die ein halbes Jahrhundert Entdeckungsgeschichte zu resümieren schien, dem Leser in Karte und Text einen neuen Doppelkontinent im Westen. Weit entfernt war man nun vom ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts, in dem der Name "America" entstanden war. Schon die Formulierung Schöners im Opusculum geographicum von 1533, Vespucci habe geglaubt, das von ihm bereiste Land "sei eine Insel, die er nach seinem Namen nennen ließ", hatte Distanz zu Vespucci und dessen Zeitgenossen erkennen lassen. Mit der von Waldseemüller selbst schon angedeuteten, von Münster in seiner Kosmographie weit verbreiteten, heute selbstverständlichen Chronologie wurde der frühe Kontext der Geschichte von "America" und der erfolgte Perspektivenwandel vollständig zugedeckt. Nun lag es nahe, die Benennung nach Vespucci als ungerecht und anmaßend zu kritisieren. Michael Servet hat den Humanisten außerhalb der iberischen Halbinsel diese in Spanien inzwischen aufgekommene Kritik vermittelt. In der für seine Ptolemaeusausgabe von 1535 redigierten Fassung des aus Straßburg übernommenen Columbustextes ergänzte er am Schluß: Nachdem er dort eine Festung errichtet hatte [...], begab Columbus sich nach Spanien, wo er sehr ehrenvoll von den Königen empfangen und ihm auf deren Befehl von allen als Vizekönig, Admiral und Verwalter der besagten neuen Welt gehuldigt wurde. Wiederum zurückgekehrt, fand er einen Kontinent und andere sehr zahlreiche Inseln, in denen nun die Spanier sehr erfolgreich herrschen. Ganz gewaltig, so sagen sie, irren deshalb jene, die diesen Kontinent America zu nennen trachten, weil Americus lange nach Columbus dasselbe Land betrat, und jener sich nicht mit den Spaniern, sondern um seine Waren zu tauschen mit den Portugiesen dorthin begab. 15 Die spanische Kritik am Gebrauch des Namens "America" hat ausdrücklich Bartolomé de las Casas vertreten, den wir als aufrechten Verteidiger einer menschlichen Behandlung der Indios kennen. Er schrieb in seiner zwischen 1527 und 1560 verfaßten Historia de las Indias im Zusammenhang seiner Darstellung der dritten Reise des Columbus:
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"Ibique erecta turri [...] idem C o l u m b u s in Hispaniam se contulit, ubi honorificen-
tissime a regibus receptus v i c e rex et almirans ac gubernator dicti novi orbis eorum iussu ab o m n i b u s salutatur; iterumque reversus continentem et alias quamplurimas insulas adinvenit, quibus nunc Hispani felicissime dominantur. Toto itaque, quod aiunt, aberrant c o e l o qui hanc continentem A m e r i c a m nuncupari contendunt, c u m A m e r i c u s multo post C o l u m b u m e a n d e m terram adierit, nec cum Hispanis ille, sed cum Portugallensibus, ut suas m e r c e s commutaret, e o se contulit" (Ptolemaus/Servet 1535, Taf. 2 8 / 4 ) .
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An dieser Stelle muß man die Ungerechtigkeit und den Schaden bedenken, den dieser Americo Vespucio dem Admirai zugefügt zu haben scheint, oder diejenigen, die seine vier Reisen gedruckt haben, indem sie ihm die Entdeckung dieses festen Landes zusprachen oder doch niemand anderen als ihn allein genannt haben. Und deshalb nennen alle Ausländer, die diese "Indias" auf Latein oder in ihrer Muttersprache beschreiben oder zeichnen oder Karten oder Globen herstellen, sie America, als ob sie durch Americo zuerst entdeckt worden seien.16 Vielleicht hat Las Casas mit diesen Sätzen die Verbreitung des Begriffes "America" übertrieben — deutlich wird immerhin, wie geläufig dieser Name selbst in Spanien inzwischen war. Zugleich klagte Las Casas Vespucci und die Humanisten von St. Dié der ungerechten Behandlung des verdienten Entdeckers Christoph Columbus an. Mit dem, was man nun, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, über den Kontinent im Westen wußte, war, wie es schien, der Name "America" nicht mehr zu rechtfertigen. Generationen von Gelehrten haben seitdem Amerigo Vespucci des Verrats und die Humanisten von St. Dié der Ignoranz beschuldigt. Alexander von Humboldt hat schließlich zeigen können, daß dieser Vorwurf unberechtigt war. In seinem Examen critique de l'histoire de la géographie du nouveau continent, erschienen in Paris und in deutscher Übersetzung in Berlin von 1836-39, hat er ausführlich über Vespucci, Waldseemüller und "America" geschrieben. Den Wandel der Begrifflichkeit haben von Humboldt und die meisten Geographen seiner Zeit jedoch nicht klar erkannt: "America", das, wie von Humboldt mit dem Germanisten von der Hagen meinte, mit "Amalrich" Spuren des Gotischen weiter trug, wies auch für ihn von Anfang an nach Westen (Humboldt 1836, II: 320-329). Hier ist nun zu betonen: Erst nach Jahrzehnten wurde aus dem neuen Land im Süden ein Doppelkontinent im Westen. Der Gegensatz von Ost und West war ebenso wie jener ältere von Nord und Süd erst Folge der Geschichte. Daß Begriffe ebenso wie anderes Wissen geschichtlich wachsen und somit zeit-
16
"Y es bien aquí de considerar, la injusticia y agravio que aquel Américo Vespucio parece haber hecho al Almirante, ó los que imprimieron sus cuatro navegaciones, atribuyendo á sí, ó no nombrando sino á sí sólo, el descubrimiento desta tierra firme; y por esto todos los extranjeros que destas Indias en latin ó en su lenguaje materno escriben, y pintan, ó hacen cartas ó mapas, llámanla América, como descubierta y primero hallada por Américo [...]" (Las Casas 63/1875, 268f.; Markham 1894, 68f.; Vidago 1964, 100). Im Anschluß an die hier zitierte Passage erläuterte Las Casas ausführlich seine Vorwürfe gegen Vespucci: Er sei lateinkundig und redegewandt gewesen und habe im Bericht von seiner ersten Reise den Eindruck erweckt, als sei er Anführer und Kapitän gewesen, obwohl er nur einer von vielen gewesen sei, die mit dem Kapitän Alonso de Hojeda gefahren seien. Inwieweit diese und weitere Vorwürfe berechtigt waren, ist bis heute umstritten; vgl. Markham 1894 (mit Quellen), Magnaghi 1926, zusammenfassend Broc 1981.
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und perspektivgebunden sind, gilt auch für den Begriff "America". Auch für Historiker Amerikas kann es sich weiter lohnen, wenn nicht das Mittelalter insgesamt, so immerhin doch Humanisten zu befragen.
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COSMOGRPHIAE Capadoaam/Pamphiliam/Lidiam/Cilida/Armi nias maiorc Se minore. Colchiden/Hircaniam/Hi# beriam/Albaniàtetprgterea mFtas quas fingilatim enumerare longa mora eflet.Ita elida ab eius nomi nis regina. Nùc Se lig partes funt latius luftratac/& alia quarta pars per Americu Vefputiu(vt in fequenti bus audietur )inuenta eft/qua non video cur quis iure vetet ab Americo inuentore fagaris ingenrj vi Amerio ro Amerigen quafì Amen ci terra / uuc Americani Gì dicenda:cu & Europa Afia a mulieribus fua for tita fint nomina.Eius fitu & gentis mores ex bis bi nis Ameria nauigationibus quse fequunt liquide intelligidatur. Hunc in modu terra iam quadripartita eogno* fat: et funt tres prime partes c5rincntes/quartaeil infulaicu omni quacp mari drcudata conipiciat.Et licet mare vnu fit quéadmodu et ipfa tellus/mulris tamen Gnibus diftinftum / & innumcris repl^tum var a n0 a Prifc' * ' aflumit :qug et in Cofmogra phiae tabulis c5fpiauni/& Prifaanus in traiamone nus Dionifij talibus enumerat verfibus» Circuit Oceani gurges tamen vndicj vaftus Quicpuis vnus Gt plurima nomina iumit. Finibus Hefperrjs Athlanticus file vocatur At Boreg qua gens furit Armiafpa fub armis D i a tùie piger necnó Satur,idè Mortuus eft alr)s»
Abb. 1: Die erste Erwähnung des Namens "America". (Waldseemüller/Ringmann). Cosmographiae introduetio. St. Die, 23. April 1507, hier: a5v.
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(¡¡¡¡1/) erzeugt. Diese Ordnung läßt sich im Register wiederfinden, das die geschilderten Begebenheiten, Bräuche und Seltsamkeiten geographisch und ethnologisch aufschlüsselt, während im gelehrten Roman dieser wissenschaftliche Anspruch bzw. die enzyklopädische Verfügbarkeit in den Hintergrund tritt.' Um den Begriff Kuriositätensammlung gattungsmäßig zu fixieren, sind Zweck, Intention und Funktion, die ihr von den Autoren zugemessen wurden, zu untersuchen. Hierfür sind neben den ausführlichen Titeln und Registern die Vorworte aufschlußreich. Im Vorwort zur Acerrce exoticorum führt Francisci aus, was gute Bücher von schlechten unterscheidet: "Aber solche Schrifften [gute Bücher] / so entweder den Verstand schirffen / oder das Gemüt mit Exempeln / und Lehren / bauen / oder die Gedanken mit unstrlfflicher Lust erquicken / [...]" (1673, t4 r ). Seine Acerrce legt Francisci dem Leser in der Hoffnung vor, daß sie gleichsam als Nahrung des Gedächtnisses diene und dem Leser "entweder im Leben und Wandel / oder in der Schwermut und Langweil [Melancholie!] / gute Dienste und gesunde Artzeney leisten könne" (1673, t 6 r ) . Die Auseinandersetzung mit fremden Ländern und Völkern, die vor allem unter dem Aspekt des Exotischen geschieht, d.h. als ein anthropologischer Diskurs, der auf Alterität basiert, soll Franciscis Anforderungen an ein gutes Buch einlösen. Im Guineischen und Americanischen Blumen=Pusch meint Francisci: Jn barbarischen Ländern zwar / regieren viel Sitten und Gebräuche / daraus der Schauer / oder Leser / wenig Nutzens ziehen kan; wann es nicht vielleicht dieser ist / daß er daher Anlaß nehmen mochte / dem lieben Gott / mit dem weisen Plato / zu dancken / daß er ihn hat wollen / nicht unter einem wilden / sonder sittsamen und politem Volck lassen geboren werden; (Francisci 1669, ) (¡¡jr v ). Dies wird aber sogleich mit "doch gleichwol wird man unter dem hauffigen Unkraut solcher bösen und grausamen Sitten auch manche gesunde Tugend =
1
So hat Neuber gezeigt, daß im Register zu Lohensteins Arminius-Roman die Eintragungen zu Amerika größten Teils anagrammatisch verschlüsselt sind (1991, 283ff.)
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Pflantze I unter den rauen Disteln etliche Blumen antreffen" (ebda.) relativiert. 19 Jahre später übernimmt Happel in der Vorrede zum Thesaurus Exoticorum diese Argumentationsweise fast wortwörtlich, ohne dabei auf Francisci zu verweisen (Happel 1688, *v). Zentrale Zielsetzung der Kuriositätensammlungen ist das Erbauen und Ergötzen anhand "lehr-reicher Exempeln" und "kurtzweiliger possirlicher Erzehlungen" (Francisci 1663, >()("), sind es "die Künste und Wissenschaften [...] deren Vollkommenheit von Tag zu Tag vermehret wird" (Happel 1685, i ^1), die eine Aktualisierung und Revision der Quellen fordern (Francisci 1668, Mm/)Kuriositätensammlung als Nachfolge der Kosmographie, als enzyklopädische Ergänzung des Reiseberichts — ein gutes Beispiel dafür ist Franciscis Guineischer und Ämericanischer Blumen=Pusch zu Michael Hemmersams Reisebericht Guineische[r] und West=Jndianische[r] Reißbeschreibung — und als Beginn, wie Jaumann (1990, 89) und Kühlmann (1985, 923) es definieren, eines gelehrten Journalismus.4 Wobei in diesem Zusammenhang festzustellen ist, daß sowohl die erdkundlichen und astronomischen Erkenntnisse als auch die ethnographisch-historischen Nachrichten, die Francisci und Happel verwerten, kaum kritisch befragt werden. So ist es für Francisci keineswegs möglich oder besser erlaubt, sich über die Autorität der Scribenten hinwegzusetzen; wenn daher der Leser von einer Sache zwei entgegengesetzte Meinungen antreffe, dann läge das an den verschiedenen Quellen (Francisci 1668, 2 ) () (r). Daß das Hinwegsetzen über die Autorität der Scribenten und das Einbringen einer persönlichen Meinung gerade im Hinblick auf Überliefertes, das den fernen Kontinent Amerika betrifft, nicht möglich ist, belegen beispielhaft Happels Ausführungen über Riesen im zweiten Band der Relationes Curiosce. Denn "unsere Vorfahren haben uns viel Dinge von unglaublichen grossen Riesen vorgesagt / welches alles doch / wann man es recht beym Liecht beleuchtet / mit der Wahrheit gantz keine Gemeinschafft hat" (Happel 1685, 96). Eine gewisse Skepsis wird damit angedeutet — da aber die Heilige Schrift von Riesen berichtet, stellt Happel nur die tradierte Größe in Frage. Dem geht ein Kapitel über die brasilianischen Riesen voraus, die nicht nur wegen ihrer ungeheuerlichen Größe und Kraft furchterregend sind, sondern vor allem, weil sie Menschenfleisch wie Tiger verschlingen und sogar ihre eigenen Kinder fressen. Ihre im Gegensatz zu den anderen Bewohnern Brasiliens weiße Hautfarbe verstärkt die Ungeheuerlichkeit, schließlich handelt es sich um ein ursprünglich positives, mit den Europäern verbindendes Attribut, das im Zusammenhang mit so negativen Zügen wie "Menschenfleischverschlingen" den Abgrenzungseffekt beim Leser noch vergrößert. Zur Untermauerung hat Happel dem Text einen Kupferstich beigelegt, in welchem die Riesen bei ihren Untaten
4
Happels Relationes Curiosce, die ursprünglich als Zeitungen erschienen und von dem Autor nachträglich zu Büchern gebunden wurden, weisen auf diese Entwicklung.
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abgebildet sind; auffallend dabei ist, daß die Riesen sich von den eben verschlungen werdenden Bewohnern Brasiliens nicht vornehmlich durch die Größe, sondern eben durch die Hautfarbe unterscheiden. Im Text wird aber der Begriff Riese nicht problematisiert, im Gegenteil: Happel schließt seinen Bericht mit der Information: "Man findet sie auch noch biß auff diese Stunde in America" (1685, 94). Die Möglichkeit also, daß wenn es schon bei den Vorfahren eine Tradition der Riesenerzählungen ohne realen Hintergrund gegeben hatte, diese auch in die Reiseberichte hätte einfließen können, bleibt ausgespart. Das Amerikabild in den Kuriositätensammlungen Franciscis und Happels pendelt zwischen einer wie im Riesenbeispiel ausgeprägten Alteritgt und ihrer Überwindung in Form von Handhabbarkeit. Alterität wird auf verschiedenen Ebenen erzeugt. Die plakativste Art der Erzeugung des Gefühls der Andersartigkeit und gleichzeitig des Bedürfnisses nach Abgrenzung ist die Anhäufung von negativen Adjektiven, wie listig, furchtsam, rachgierig, veränderlich, unbändig, treulos, falsch, geil, die mehr oder weniger unreflektiert in die Texte über die Bewohner Amerikas eingehen. Die nach wie vor gängige Bezeichnung der Amerikaner als Menschenfresser, ohne daß dabei die Autoren den Vorgang des Menschenfressens an sich reflektieren, geht in die gleiche Richtung. Daß jedoch hinter diesen scheinbar bloß in den Raum gestellten Attributen sehr wohl ein anthropologischer Diskurs stand, der dem zeitgenössischen Leser bekannt sein mußte, zeigen die Stellen, in welchen Alterität ausgeführt wird. Diese läßt sich zum Beispiel durch den Ordnungsgedanken des Europäers versus indianischer Unordnung herstellen. So zeigt Happel im Thesaurus Exoticorum in der Übergabe des kalifornischen Königs an Francis Drake die Begegnung zweier Oberbefehlshaber mit jeweiligem Gefolge, das bei dem Indianer ohne jegliche Ordnung dem König folgt, während es beim Engländer "geschwind" noch in die Schlachtordnung gebracht wird (Happel 1688, 98). Das jedoch die Alterität am markantesten beeinflussende Element ist das Kriterium der Affektkontrolle: der Indianer als von der Melancholie geplagter Mensch, der weder seine Geilheit noch seine Eifersucht kontrollieren kann; daher "schlägt" der Einwohner Chiles seine Frau "jämmerlich ab", wenn diese einen Fremdling auch nur etwas freundlicher anlächelt (Happel 1688, 110). Mangel an richtigem Umgang mit Affekten ist es auch, was Happel bei der Beschreibung der Einwohner Paraguays negativ herausarbeitet. Nach der Opferung eines ihrer schönsten Mädchen und dem darauffolgenden dreytagigen Schlemmen / begunte das Leidwesen über die verstorbene / bey welchen das Heulen und Weinen so übermässig war / als vorhero das Prassen gewesen; jedoch kehrte man bald wiederumb zu vorigem Luder / welches endlich in ein algemeines Gefecht ausbrach / also / daß manche mit blutigen Kopffen das Gelag bezahlen musten (Happel 1688, 114).
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Abb. 2: Titelkupfer zu Eberhard Werner Happel: Thesaurus Exoticorum (1688)
100
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10 Vgl. ähnliche Positionen in der Auffassung von der Kunst als Äffin der Natur in dem MoratsgesprächDie AllerEdelste Tohrheit (1664) von Joh. Rist (1972, Bd. V, 130f.). Gegensätzliche Ansichten werden indessen in — und im Umkreis — der Fruchtbringenden Gesellschaft vertreten, so u.a. bei Harsdörffer; vgl. Zeller 1973, 32, Anm. 62, über Fragespiele Ob riehr zu verwunderen die Werke der Natur / oder der Künste in Harsdörffers "Gesprächspie en".
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Nicht der materielle Reichtum, sondern die Mannigfaltigkeit 31 des riesigen "Welt-Gartens", überbietet alles bisher Dagewesene und wirkt lusterzeugend sowie luststeigernd. Francisci wendet sich ausdrücklich gegen die von dem Humanisten Julius Caesar Scaliger geäußerte Kritik, Europa bedürfe der Neuen Welt nicht (1665, Exercitationes, XCIX). Am Beispiel König Salomons führt Francisci aus, daß aller materieller Reichtum nicht das "plus ultra" der "curiositas" sei; denn selbst Salomon habe trotz all seines Reichtums noch Schiffe nach Ophir 32 geschickt, allerdings nicht aus Besitz- und Habgier nach den sagenhaften Schätzen Indiens, sondern "mehr zur Betrachtung und Lust / zu mehrer Erbauung seines Verstandes" (Bl. >•( 3 r ). Vielfalt und Abwechslungsreichtum — Grundprinzipien der zeitgenössischen (Lustgarten-) Ästhetik — sollen das Werk bestimmen: Hie darff aber niemand ihm einbilden / ich werde Indien und Sina Geographischer Weise beschreiben: denn solches ist der Landschreiber Amt / auch / von unterschiedlichen / allbereit zur Gnüge beschehen [...]. Ebenso wenig soll man wähnen / als ob nur blosse Erzählungen der Indianische Scribenten / und nicht auch vielfältige dabey sich fügende Erklärungen / Bestätigungen / Vergleichungen mancher Strittigkeiten / im gleichen andre lustige Discurse und Materien / insonderheit und meisten Theils aber mit Indianischen und Sinesischen / angefüllet / und etlicher massen / nach Art eines grossen Lust=Gartens / oder Meyer = Hofs / eingerichtet ist (Bl. x 5V). Die Ausführungen zeigen die Diskrepanz zwischen den Erwartungen, die der konventionelle Titel beim zeitgenössischen Leser hervorrufen mußte und den Zielsetzungen, die Francisci mit seinem Werk verfolgte. Bereits in diesen Äußerungen wird deutlich, daß der Art der Darbietung des Stoffes über den
31
Interessant in diesem Zusammenhang sind die Ausführungen über die "herrliche Varietät" der Welt in der Vorrede zu der 1669 im Endterverlag erschienenen deutschen Übersetzung von Pedro Mexias Silva de varia lección ('1540): SYLVA VARIARUM LECTIOWM Das ist: Historischer Geschieht = Natur = und Wunder = Wald: Unter so vielen Stücken / um welcher willen dieses Weltgebäu ein Wunderbau heisen mag / ist wohl das geringste nit / daß solch eine herrliche Varietät darinnen sich befinde / und daß so viel unterschiedliche Geschöpfe zu sehen sind / die wieder so viel und unterschiedliche Wirckungen haben / daß man wol sagen muß: Gott Selbst habe eine Special-Beliebung und Lust gehabt nicht an einerley: sondern an vielerley: [...]. [...] Gott muß Lust haben an dieser Varietät / zu weisen / was für tausend Kunst er könne/ den Menschen zu erhalten / nicht nur zur Noth: sondern zur Lust und seines Geschmacks Ergötzlichkeit (Bl. M 30. 32
Das sagenhafte Ophir wird in der umfangreichen Literatur zu diesem Mythos sovohl in Ost- als auch in West-Indien angesiedelt. Zur Gleichsetzung von Ophir mit Peru bzw. der Neuen Welt vgl. Gerbi 1988, 48-50.
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Informationswert hinaus besondere Bedeutung zukommt. Die Stichworte "Erklärung", "Bestätigung" und "Vergleichung mancher Strittigkeiten" weisen auf die metakritische Ebene der "Discurse" im Werk hin. Charakteristisch für die zeitgenössische Gartenlust ist die Freude an dem "vielfältigen Glantz ausgesuchter Blumen" und an der "Seltenheit mancher fremder Gewächse" (Bl. ) ( l r ). Im ersten Teil von Franciscis LSG spielt dementsprechend die Darstellung der Flora Ost- und West-Indiens eine zentrale Rolle. Die Fülle an staunenerregenden "schönen und seltenen Wunder-Gewächsen" (Bl. x 5V) soll zur größeren Lust des Betrachters/Lesers "spielend" und "in scherzhaftem Gespräch" präsentiert werden. Mit Blick auf den zweiten Teil des LSG erläutert Francisci bestehende Analogien zwischen den Themen von Gartengesprächen (das Wetter, die Luft oder die Bodenbeschaffenheit des Gartens oder auch ganzer Landschaften) und vergleichbaren Themen in der Naturbeschreibung Ost- und Westindiens sowie Chinas (Bl. ) ( 5r)- Ein großer Teil der Darstellung im zweiten Teil ist sodann den besonderen Erscheinungsformen der Natur gewidmet. Ausgangspunkt hierfür ist der implizite spielerische Vergleich der unterschiedlichen Größenverhältnisse zwischen dem normalen "Lustgarten" und dem "Weltgarten" sowie der Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher "Architektur" in beiden: dem Lustgarten mit seinen artifiziell angelegten Hügeln, Höhlen und Grotten, Springbrunnen und Teichen mit ihren Wasserkünsten stehen in der Natur in Ost- und West-Indien die höchsten Berge — so vor allem die Vulkane — sowie die unbeschreibliche Vielfalt von Seen, Bächen und Flüssen — mit besonderem Schwerpunkt in der Darstellung des riesigen Flußsystems in Amerika — und als Krönung das Meer mit all den darin vorhandenen Schätzen gegenüber. Das Meer selbst bietet dem Zuschauer/Leser zudem noch das Schauspiel der Seefahrt mit ihren abenteuerlichen Gestalten und Ereignissen. Hier sind Anknüpfungspunkte für die Einbeziehung der Entdeckungsliteratur, die im zweiten Teil eine große Rolle spielt. Für den dritten Teil modifiziert Francisci den "Lust-" zum "Stats-Garten" (Bl. x 5 r ). Wie jeder Lustgarten enthalte auch der "Stats-Garten" "Lusthöfe" — die herrscherlichen Paläste —, die sich durch ihre kostbare Einrichtung, so vor allem Bilder und anderweitige künstlerische Arbeiten auszeichneten. Neros Palast sei hierfür in der Alten Welt das prunkvollste Beispiel. Die kaiserlichen Paläste in Cusco, Mexiko, China und Japan stellten indessen alles bisher Gesehene in den Schatten. Dieser "Stats-Garten" behandele in erster Linie solcher "Indianischer hoher Häupter Regierungs-Art / Macht und Pracht". Amerika ist in diesem Zusammenhang vor allem mit der Geschichte der Hochkulturen der Azteken und Inkas vertreten. Die Ausweitung auf eine umfassende allgemeine Darstellung der Sittengeschichte mit dem Schwerpunkt auf Ost- und Westindien wiederum unter komparativem Aspekt hat Francisci dann zwei Jahre später in dem von ihm als "anderer Theil" des LSG bezeichneten NPGKS vollzogen.
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2.2.3 Der Garten als Schauplatz von Spiel und Gespräch Eine der wichtigsten Analogien zwischen dem Lustgarten und dem literarischen Werk ist die Funktion des Gartens als Schauplatz des geselligen Gesprächs in vertrauter freundschaftlicher Atmosphäre und die Strukturierung des Stoffes in Form von "Discursen". Schon in der Vorrede ist in den Anspielungen Franciscis auf Justus Lipsius die Bedeutung des humanistischen Gartengesprächs für die Struktur des LSG zu erkennen.33 Francisci verbindet die vielfältigen Traditionen der antiken und humanistischen Gesprächsliteratur mit der bei Harsdörffer entwickelten Form des "Gesprächspiels". Obwohl Francisci keinen Namen nennt und auch den Terminus "Gesprächspiel" nicht explizit verwendet, signalisieren hier bereits in der Vorrede die Begriffe "Spiel" und "Scherz" im Zusammenhang mit der Präsentation der "indianischen" Blumen und Bäume die Nähe zu Harsdörffers (Frauenzimmer-) Gesprech-Spielen (1641-1649, 8 Tie.): In einen ansehnlichen Garten gehören / vor allen Dingen / Blumen und Kräuter /die mit ihrer Schönheit oder Geruch dem Menschen schmeicheln / sein besorgtes Gemüt Sorgen=frey/machen / und erquicken. Es gehören hinein allerhand fruchtbare Bäume und Stauden / die ihre Mütter in fernen Landen haben/ und nicht ohne Unkosten noch Mühe / dahin verschrieben worden; davon soll dieser unser Lust=Garten die Fülle weisen / in seinem Ersten Theil: woselbst eine Indianische Blume nach der andren dir zulachen / eine wunderkräfftige Pflantze über die andere herfürspriessen / dich mit ihrem wolriechenden oder gesunden Athem grüssen und bewillkommen / ja spielend dir die Hand gehen wird. Spielend / spreche ich: weil solcher Blumen=Garte / unter einem Spiel / und scherzhafftem Gespräche / sich präsentirt. Und solche Gewächse seynd nicht nur aus weiten Landen / sondern theils auch dem Meer selbsten / geholet [...] In demselbigen Ersten Theil folget hernach ein gantzer Baum = Garten / oder Lust=Wald / mit lauter Indianischen / Sinesischen und Americanischen Bäumen besetzt / die entweder durch ihre edle Früchte / oder wunderbarliche Gestalt / oder andere Eigenschafften / Tugenden und Wirckungen / sich beliebt machen. [...] (Bl. )( 5V).
33 Erasmus' idealer Garten in dem Convivium religiosum (Erasmus 1967) wird zwar nicht explizit erwähnt, er gehört jedoch in diesen Traditionszusammenhang; vgl. hierzu Becker 1992. Francisci selbst bezieht sich häufiger auf Erasmus. Francisci spielt hier an auf Lipsius' Schrift De Constantia (1584), die sich bis weit ins späte 17. Jahrhundert außerordentlicher Beliebtheit erfreute. Allein im 17. Jahrhundert erschienen mehr als 30 Ausgaben. Das philosophische Gespräch zwischen Lipsius und seinem Freund Langius findet in dessen Garten statt, unter dessen Blumen zahlreiche Arten aus der "unbekandten" oder "Neven" Welt erwähnt werden; vgl. Liber II, Cap. I, Cap. III des Traktates (Lipsius 1965, 72 und 76).
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Francisci bezieht sich in seinen Werken häufig auf Harsdörffer, der in der "Fruchtbringenden Gesellschaft" den Namen "Der Spielende" trug. Francisci stellt damit sein Werk in den literarischen Umkreis der Sprachgesellschaften, in die er jedoch nie aufgenommen wurde.34
3 Die Verknüpfung der Gartenthematik mit dem Thema Neue Welt im Werk selbst Die Verbindung des Gartenthemas mit dem Thema Neue Welt durchzieht das ganze Werk. Den größten Variationsreichtum erreicht die Verknüpfung der beiden Themenbereiche jedoch im ersten Teil des LSG. Gerade im Zusammenhang mit der Darstellung der Flora wird die Sonderstellung der Neuen Welt/ Amerika deutlich. Teil I übertrifft die beiden anderen Teile im Umfang sowie in der formalen und inhaltlichen Komplexität der Darstellung, und die Verbindung von Gespräch und Spiel ist hier am konsequentesten entwickelt. 3.1 Rahmenhandlung und Schauplatz Francisci hat seine fast 2000 Folioseiten umfassende Darstellung der Natur- und Sittengeschichte West- und Ost-Indiens in eine Rahmenhandlung eingebunden, deren Schauplatz bezeichnenderweise die Niederlande sind. Seine Protagonisten kommen aus drei europäischen Ländern, den Niederlanden, Deutschland und England. Die Kerngruppe seines europäischen Gesprächskreises besteht — wie in den "Gesprächspielen" Harsdörffers — aus sechs Personen (drei Paaren), dem Niederländer Floris, seinen beiden Freunden, dem Engländer Angelott und dem Deutschen Sinnebald, sowie drei gebildeten jungen niederländischen Frauen, Aurelia und Amoena (Floris' Verlobte und Schwester) und Rosette, der Tochter von Hortensius und Rosabella, bzw. gelegentlich Lisette, einer Freundin von Amoena. Francisci erweitert diesen Kern aus drei Paaren durch die Einbeziehung von Verwandten, Freunden und Bekannten von Floris sowie durchreisenden Besuchern. Francisci läßt die Rahmenhandlung vor dem Hintergrund des Krieges zwischen England und den Niederlanden (1665-1667) spielen, der die Freunde getrennt hat und sie unter abenteuerlichen Bedingungen auch wieder zusammenführt: Nach einer verlorenen Seeschlacht gegen die Engländer retten Floris, der Kapitän eines niederländischen Schiffes, und sein Freund, der Deutsche Sinnebald, einen schiffbrüchigen Engländer, in dem beide ihren Freund Angelott wiedererkennen. Es gelingt Floris, sich mit seinen Freunden und seinem Schiff vor den Engländern in Sicherheit zu bringen. Floris gewährt Angelott in seinem
M Franciscis Beziehung zu den Sprachgesellschaften scheint problematisch gewesen zu sein. Sein Antrag auf Aufnahme in den Pegnesischen Blumenorden in Nürnberg wurde abgelehnt; vgl. hierzu Spahr, Archives 1960, 70-72. Der Ermittlung der Gründe fiir die Spannungen kann im Rahmen dieses Beitrags nicht nachgegangen werden, obwohl der LSG auch unter diesem Aspekt analysiert werden müßte.
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Haus in Amsterdam Zuflucht. Die Freunde beschließen, das Ende des Krieges abzuwarten, der sich noch fast ein Jahr hinzieht. Es gelingt Floris schließlich, in Verhandlungen zu erreichen, daß Angelott bei Kriegsende ausgetauscht wird. Die Rahmenhandlung schließt mit zwei Hochzeiten, die im Abstand von wenigen Monaten aufeinander folgen. Die Rahmenhandlung weist konventionelle romanhafte Züge auf. Ihre Schauplätze sind Floris' Schiff, sein Haus in Amsterdam, die Gärten seiner Landsitze in der Nähe der Stadt, das Haus seines zukünftigen Schwiegervaters Donatian mit seinem Raritätenkabinett (561-585) sowie das reiche Anwesen und der Prachtgarten seines Freundes Hortensius, dessen Besichtigung den Höhepunkt im ersten Teil darstellt (775-859). Die Wahl der Niederlande von Seiten Franciscis als Schauplatz für dieses europäische "Gesprächspiel" über West- und Ost-Indien ist aus verschiedenen Gründen verständlich. Sie verdanken ihren wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung in erster Linie dem Handel mit den "beyden Indien". In einer Beschreibung der Stadt Amsterdam schildert Francisci rückblickend die Faszination, die die kosmopolitische Atmosphäre der Stadt mit ihren Menschen aus aller Herren Länder auf ihn ausgeübt habe. Der Reichtum und das enorme Wachstum der Stadt seien ein unmittelbares Ergebnis des Indienhandels: An dieser reichsten Stadt von gantz Europa / hat beydes Indien nun eine Zeithero gebauet / und ihr eine Erweiterung / nach der andren gegeben (Acerrae/Exoticorum 1674, III, 860). Francisci kannte demnach die Niederlande (ebenso wie Italien und Frankreich) noch aus eigener Reiseerfahrung35, während ihm später jegliches Reisen aufgrund seiner schweren Krankheit unmöglich war. Der Gedanke liegt nahe, daß die überaus detaillierte und engagierte Beschreibung des Gartens von Hortensius (775-859) auf das Erlebnis eines realen Gartenbesuchs von Francisci zurückgeht.35 Die Wahl der Niederlande als Schauplatz ist vor allem im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Gartenthematik und ihrer Verknüpfung mit den "Neuen Welten" von besonderer Bedeutung. Neben dem Handel mit den vielfältigen Kolonialwaren spielt hier der Pflanzenimport eine besondere Rolle. Wissenschaftliches, ästhetisches und kommerzielles Interesse sind in diesem Bereich eine enge Verbindung eingegangen; ein Aspekt, der in den Gesprächen im LSG immer wieder zur Sprache kommt und Anlaß zu Kontroversen gibt. Botanische Gärten und eine Vielzahl von Fürsten-, Adels- und Bürgergärten
35
Vgl. den Hinweis in seiner Beschreibung der Stadt Amsterdam: "Vor 17. oder 18. Jahren / da ich selbst in Holland war..." (Acerrae Exoticorum, 1674, III, 862 ff.) Damit läßt sich die Reise in die frühen 50er Jahre datieren. Nach 1656 ist Francisci bereits in Nürnberg ansässig und nicht mehr reisefähig. 36
S. hierzu 136ff. unten; vgl. bes. 137f.
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dokumentieren den hohen Entwicklungsstand und Stellenwert der Gartenkunst in den Niederlanden im späten 17. Jahrhundert (Hunt/de Jong 1988; Hunt 1990). Das botanische Interesse hat hier außerdem ein umfangreiches wissenschaftliches Schrifttum über die Flora in den außereuropäischen Ländern hervorgebracht, dessen breites Spektrum Francisci in seinem LSG verarbeitet hat. In der Kunst hat die Faszination für die Schönheit der exotischen Blumen und Früchte — oft verbunden mit dem Vanito-Thema — in zahlreichen Stilleben in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts Ausdruck gefunden. 3.2 Wissensvermittlung und geselliger Rahmen: die Darstellung der Historia Naturalis in Spiel und Gespräch Vor dem Hintergrund des Krieges zwischen England und Holland (1665-67), der in seinem Verlauf teilweise auch auf die west- und ostindischen Kolonien übergreift, entfaltet Francisci die Darstellung seines "Lust-Gartens" in den langen tages-, abend- und nachtfüllenden Gesprächen seiner Protagonisten. Wie bei Boccaccio und bei Lipsius hat der Garten die Funktion eines Schutzraumes, der Zuflucht vor der bedrohlichen Wirklichkeit gewährt, die in den Gesprächen aus-, aber auch eingeblendet werden kann. Er ist ferner locus amoenus für die Aktivitäten der Gesellschaft — insbesondere für die Spiele — und erscheint gleichzeitig als zeitgenössischer realer Lustgarten (und Kunstkammer) mit einem "aus allen vier Theilen der Welt [•••] eingesamleten Blumenschatz" (778). Er zeigt die mannigfaltige exotische Flora aus den fremden Erdteilen und dokumentiert zugleich die Probleme der Kultivierung empfindlicher Blumen, Pflanzen und Bäume in einer für sie fremden Erde. Er ist Schauplatz und zugleich Thema der Gespräche. Das Werk wird eingeleitet von dem bereits erwähnten umfangreichen "Vorgespräch", das auf Floris' Schiff während der Heimreise nach Amsterdam stattfindet. An ihm sind in erster Linie nur Floris, Angelott und Sinnebald beteiligt. Es trägt gelehrten Charakter und ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des naturphilosophischen Hintergrundes des Werkes. Francisci greift hier — wie überhaupt im ganzen Werk — auf die spekulative Naturphilosophie des Jesuiten Athanasius Kircher und seines Schülers und Freundes Caspar Schott zurück, in denen u.a. die Auseinandersetzung mit dem Bereich der Naturwunder, der magia naturalis und der magia botanica sowie die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kunst und Natur eine zentrale Rolle spielt. Für die Verbreitung von Kirchers Theorien muß Franciscis LSG zentrale Bedeutung gehabt haben, da hier große Teile aus den lateinisch geschriebenen Werken des in Rom lebenden Jesuiten für ein breiteres Leserpublikum dargestellt und zum Teil auch kritisch kommentiert werden.37 Kircher hat in seinen Werken Be-
37
Vgl. hierzu Franciscis Äußerungen über sein Interesse an Kirchers Werken und über ihren Stellenwert im Rahmen seines eigenen Werkes, Acerrae, 1674, m , 266ff. ("Die Abtheilung deß alten Ägyptens") im Zusammenhang mit Auszügen aus Kirchers Oedipus
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richte von seinen Ordenskollegen aus aller Welt verarbeitet, darunter auch sehr viel Material mit Bezug zur Neuen Welt. In Franciscis Werken spielen diese Berichte, wie jesuitische Quellen zu China und zu Amerika überhaupt, eine zentrale Rolle. Auf Franciscis Quellen greifen wiederum andere Autoren zurück, so daß es hier zu Kanonbildungen kommt. Im Zentrum der Gespräche in Teil I steht die Auseinandersetzung mit der Historia naturalis von West- und Ost-Indien sowie von China und Japan, oft bereichert durch Elemente aus der Historia moralis. Einen besonderen Schwerpunkt innerhalb dieser komplexen Materie bildet die Darstellung der reichen Flora. Die ausführlichen botanischen Darstellungen können verbunden werden mit Landschaftsbeschreibungen, sittengeschichtlichen Informationen und eingefügten Erzählungen, aber auch mit warenkundlichen Erläuterungen. Francisci informiert so umfassend wie möglich. Er baut dabei seine Darstellung auf den beiden "Fackeln" Wissen und Erfahrung auf und verweist in diesem Zusammenhang mehrfach auf den spanischen Chronisten und Historiker José de Acosta. Bezeichnenderweise haben von den drei männlichen Protagonisten in Franciscis LSG der Niederländer Floris lange Jahre West- und sein Freund Angelott Ost-Indien bereist. Von Angelott wird berichtet, daß er gerade im Begriff war, seine Ost-Indien-Erfahrung durch eine Reise nach West-Indien zu erweitern. Der Ausbruch des Krieges habe diese Absicht vereitelt. Der deutsche Gelehrte Sinnebald, der Francisci verkörpert, setzt der Erfahrung zwar seine kaum zu überbietende Literaturkenntnis entgegen, stützt sich jedoch in der Regel auf die Bestätigung durch "Augenzeugen" wie Floris und Angelott (vgl. bes. 551). Francisci/Sinnebald bezieht sich auch bei den dargestellten Quellen so weit wie möglich auf Autoren, deren Werke auf den beiden Erkenntnisprinzipien Wissen und Erfahrung beruhen, deshalb zählen zu seinen bevorzugten Quellen aus dem Bereich der historischen und der naturgeschichtlichen Literatur über die Neue Welt u.a. die spanischen Chronisten Gonzalo Fernández de Oviedo, Pedro Cieza de León und José de Acosta, der spanische Arzt und Naturforscher Francisco Hernández, der peruanische Chronist Antonio de la Calancha, sowie die Naturforscher Georg Marggrav, Joannes de Laet und Willem Piso. Francisci vermittelt den immensen Stoff in einer konversationeilen Struktur, in deren Rahmen seine Protagonisten den großen west- und ost-indischen "Lustgarten" in einer Fülle von teils "ernsten", teils "lustigen" "Discursen" "erbauen" bzw. "nachspielen". Francisci selbst verwendet den Terminus "Gesprächspiel" nicht. Er spricht von "Lust= und Spielgesprächen" (586). Der kleine Gesprächskreis aus drei Paaren wird erweitert durch Verwandte, Freunde und Bekannte von Floris sowie von Gästen auf der Durchreise. Die Darstellung der Historia naturalis und des Gartenthemas entwickelt sich aus den Lebensumstän-
Aegyptiacus. Vgl. ferner die große Zahl der im "Catalogus Authorum" im LSG aufgeführten Werke von Kircher.
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den und den alltäglichen sowie den spielerisch-geselligen Aktivitäten der Personen. Die Personen haben sprechende Namen. Ihre Eigenschaften, Berufe, Interessen und geselligen Aktivitäten stehen in der Regel in irgendeiner engen Beziehung zu den behandelten Themen. So verweist der Name des Deutschen Sinnebald bezeichnenderweise auf die ausgeprägte Besonnenheit, aber auch auf die große Gelehrsamkeit dieser Gestalt. Hinter Sinnebald verbirgt sich Francisci. Der Name des reichen Gartenbesitzers Hortensius ist eine Anspielung auf den antiken Redner und Gartenliebhaber Hortensius Hortalus. Der geldbesessene Argyrides verkörpert die Gewinnsucht und Besitzgier, die sich hinter dem Handel mit Ost- und West-Indien verbirgt. Der Name seines weitgereisten Gärtners, Schardinian, verweist auf den Einfluß der französischen auf die holländische Gartenkultur im 17. Jahrhundert. Der "Gartenkünstler Schardinian" ist für die Kultivierung der Gewächse aus Ost- und West-Indien in Hortensius' Garten zuständig und spielt eine zentrale Rolle bei den botanischen und gartenbaulichen Erläuterungen. Seine speziellen botanisch-medizinischen Kenntnisse werden in scherzhaft spielerischer Weise deutlich im Zusammenhang mit einem "Tractament", das er den Gästen bei einem festlichen Mahl in Hortensius' Haus zumutet: ein den Speisen beigemischtes "Artzney"-Kraut stellt den Gästen den Appetit ab, der dann allerdings durch ein Gegenmittel wieder hergestellt werden kann. Die Strafe, die Schardinian auferlegt wird — er muß mehrere Gläser spanischen Weines trinken — bewirkt wiederum, daß er seine gartenbaulichen Finessen verrät. Er versteht sich des weiteren auch auf die Zubereitung exotischer Speisen: ein Beispiel hierfür liefert die Beschreibung eines von ihm servierten Salates aus peruanischer Kresse (808) — Anlaß zu einer ausführlichen Darstellung der Kultivierung dieser Pflanze in Peru und Mexiko. Schardinian versteht sich auch auf die Kunst, Früchte in Form von bestimmten Figuren wachsen zu lassen (809f.). Die bei geselligen Mahlzeiten genossenen Speisen und Getränke und sogar der Dekor des verwendeten Geschirrs stehen in vielfältigem Bezug zum gewählten Thema. Abbildungen von Früchten (Ananas, Bananen, Feigenbaumarten, 417ff.) und Bäumen (so u.a. der brasilianische Acaiaibabaum, 440ff.) verzieren Geschirr und Trinkgefäße. Es entwickelt sich ein detaillierter "Zuckerdiscurs" (261-274) aus einer scherzhaften Diskussion beim Genuß von Konfekt zum Dessert (259ff.). Die Diskussion, die sich bis weit in die Nacht erstreckt, mündet in eine Diskussion über emblematische Darstellungen und endet mit einem scherzhaften Fragespiel, welches denn das "Allersüßeste" Ding auf Erden sei (275f.). Mit der scherzhaften Pointe, daß "allen Augen insgemein [...] / nichts süssers / als die Ruhe sei" wird das Gespräch beendet. Zum Charakter des "Gesprächspiels" bei Francisci gehört wesentlich dieser Spannungsbogen zwischen detaillierter Sachinformation und scherzhafter Umdeutung des Themas mit Hilfe von Wortspielen verschiedenster Art. Auch viele alltägliche Handlungen können Ausgangspunkt für ein Gesprächsthema werden. So ist z.B. das Versiegeln eines Briefes mit spanischem
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Siegelwachs (278) der Anlaß für die Schilderung der Siegellackherstellung und -Verwendung in Asien und Amerika. Beobachtungen auf Spazierritten und Spazierfahrten sind Ausgangspunkte für Gespräche über Landschaften, in denen sowohl europäische Landschaften untereinander als auch mit solchen in West- und Ost-Indien verglichen werden. In den meisten Fällen spielt dabei die ästhetische Kontroverse zwischen Natur und Kunst eine entscheidende Rolle. Interessante Landschaftsdarstellungen finden sich in allen drei Teilen des Werkes. Für die Neue Welt konzentrieren sie sich auf Guyana, Mexiko, Peru und Brasilien. Gegenüber den alltäglichen geselligen Aktivitäten bieten dann die großen Feste die Möglichkeit zur Beschreibung exotischer Prachtentfaltung, so vor allem die Verlobungsfeier von Angelott und Amoena. Zu den Höhepunkten des Festes gehören Tanzdarbietungen aus Java und Mexiko. Francisci schildert in diesem Zusammenhang ausführlich den von Acosta beschriebenen altmexikanischen Tanz Solennele mitote (1750). 38 Das Fest mündet in lange Gespräche bis zum Morgengrauen über die Vielfalt der Heiratszeremonien in Ost- und WestIndien, begleitet von Scherz- und Lustspielen. Die ungeheure Vielfalt der behandelten Materie läßt sich auch nicht annähernd in einigen Sätzen zusammenfassen. Einen Überblick vermitteln die verschiedenen Register. Der innere Zusammenhang der dargestellten Materien beruht wesentlich auf Assoziationsverfahren, mit deren Hilfen Francisci das Gespräch steuert und Haupt- und Nebenthemen verbindet. Eine nähere Analyse dieser Assoziationstechnik bestätigt Franciscis Hinweis in der Vorrede auf seine beabsichtigte Strategie der "regulirten Confusionen [...]: welche / wie sie im Lesen weniger Verdruß / also gewißlich im Ausarbeiten ungleich grössere Mühe machen / als wenn mann immer bey einerley Materi unverruckt beharret" (Vorrede, M 6 v ). 39 Bei kursorischer Lektüre geht dieser zum Teil über weite Strecken kompliziert gesponnene Faden der Unterhaltung verloren, und es entsteht der Eindruck mangelnder Disposition des Stoffes. Bei einem Teil der Zeitgenossen muß die konversationeile Struktur auf Kritik gestoßen sein, wie Francisci selbst in der Vorrede zu seinem zwei Jahre später veröffentlichten NPGKS berichtet, was ihn zu einer Änderung der Darstellungsform in diesem Werk bewogen hat. Allerdings ermöglichen die Gesprächs- und die Spielstruktur die Darstellung des Stoffes in sehr komplexen und in oft unerwarteten Zusammenhängen. Eine eingehende Untersuchung der komplizierten, z.T.
38
S. solemne mitote bei Acosta 1986, 434 (Lib. 6, cap. 28). S. auch seine ausführlichen Erörterungen zu der schwierigen Aufgabe, die Vielfalt der Materie "mit einem Faden der Unterredung / zu verknüpffen (...) / wenn man / von jeglicher Frage / sein Bedencken liefern soll / und zugleich / auf den Umstand deß Orts / oder der Personen / sein Absehen richten" (Lustige Schaubühne, II, 1671, Vorrede, M T). 39
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kunstvollen Assoziationsverfahren40 wäre notwendig, um Einblick zu gewinnen in die spielerischen Aspekte in Franciscis Umgang mit der Sprache und in der Disposition des Stoffes. Ein wichtiger struktureller Aspekt des Werkes ist die Parallelisierung der Gesprächsebene der Personen mit dem gelehrten Diskurs in den Fußnoten, in denen sich Francisci häufig in sehr persönlicher Weise äußert. Francisci hat eine Fülle älterer und neuerer Werke über die Naturgeschichte Ost- und WestIndiens verarbeitet mit dem Ziel, den Leser umfassend zu informieren. Ein umfangreicher gelehrter Apparat ermöglicht den Zugriff zu den Quellen über einen ausführlichen, dem Werk vorangestellten Autorenkatalog sowie über einen detaillierten Fußnotenapparat, in dem die zitierten Werke bzw. Textstellen in der Regel präzise nachgewiesen werden. Die Fußnoten enthalten in vielen Fällen weitere Literaturhinweise, die erkennen lassen, daß sich Francisci intensiv mit der diesbezüglichen Literatur auseinandergesetzt hat. Eine Fülle von übersetzungskritischen Äußerungen macht Franciscis vergleichende Verfahrensweise deutlich. In vielen Fällen wird auf Divergenzen zwischen verschiedenen Übersetzungen bzw. zwischen Übersetzung und Original hingewiesen. Große Sorgfalt hat er auf den inhaltlichen Vergleich der Quellen verwendet. Sehr oft wird auf Unstimmigkeiten hingewiesen, die abwägend kommentiert werden. Dabei werden auch große Autoritäten wie z.B. Acosta, Kircher u.a. nicht von der Kritik ausgenommen. Besonders kritisch reagiert Francisci auf Plagiate.41 3.3 Spielgarten — Lustgarten — Wunderkammer Die Verknüpfung des Gartenthemas mit dem Thema Neue Welt erfolgt im ersten Teil hauptsächlich unter den Aspekten des Spiels, der Einbeziehung der Gartenwirklichkeit in Form von Gartenbesuchen, in literarischen Gartenbeschreibungen der Neuen Welt sowie in der Verbindung von Lustgarten und Wunderkammer, was vor allem im Zusammenhang mit der Schilderung der Gärten der Inkas und der Azteken deutlich wird.
40 Zur Bedeutung der noch nicht untersuchten Rolle der Assoziation in der Literatur des 17. Jahrhunderts vgl. Zeller (1974, 52, Anm. 111) im Zusammenhang mit der Erörterung der ästhetischen Funktion der Assoziation als Ausdruck der angestrebten Leichtigkeit der Gedanken in Harsdörffers Gesprächspielen. 41 S. vor allem seine ebenso scharfe wie ausführliche Kritik an Johann Neuhofs Chinabericht (LSG, 303 Anm. a). Francisci betont wiederholt in den Amerkungen, Neuhof gebe seine Quellen nicht präzise oder gar nicht an und verarbeite außerdem seine Informationen unzuverlässig.
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3.3.1 Die Historia naturalis im Spielgarten der Phantasie Eine Fülle von botanischen Beschreibungen der Flora West- und Ost-Indiens wird von den Personen in Verbindung mit Spielen dargeboten, die in mehr oder weniger lockerem Zusammenhang stehen. Es handelt sich bei den geschilderten Spielen vor allem um Frage-, Pfand- und Blumenspiele, die von der ganzen Gesellschaft gespielt werden. Die Regeln der Frage- und Pfandspiele werden von der Gesellschaft, später von der "Blumenkönigin" bestimmt. Besondere Anforderungen werden dabei an das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit der Spieler gestellt. Es handelt sich zumeist um Aufgaben, die ein Spieler ausführen muß, wenn er verloren oder im Rahmen eines Fragespiels eine unvollkommene Antwort gegeben hat, sowie um Pfänderspiele. Die Einlösung der Pfänder i^t in der Regel mit der Aufgabe verknüpft, eine möglichst umfassende Darstellung einer bisher nicht behandelten, aber wichtigen Pflanze oder Frucht und/oder ihrer besonderen Zubereitungsart zu liefern. So muß z.B Floris, nachdem er im Schachspiel gegen Sinnebald verloren hat, den vorangegangenen langen botanischen Diskurs über die Vielfalt der Kakaofrüchte und -baumarten in Nicaragua, Guatemala, Mexiko und Brasilien (487-490) — wie vorher vereinbart — durch eine überaus detaillierte Beschreibung der unterschiedlichen Zubereitungsarten des Schokoladegetränks in Mexiko und Europa ergänzen (491-494), deren Vielfalt auf den dabei verwendeten unterschiedlichen Gewürzen beruht. Nach einem Besuch in dem Raritätenkabinett von Donatian (561-585), mündet das gesellige Zusammensein in einen Spielabend. Nach einem "Rosenspiel" — mit einer interessanten ästhetischen Kontroverse um die Beurteilung von Rosen mit unnatürlichen Eigenschaften — wird Aurelia zur "Blumenkönigin" gekrönt (616), weil sie die schönste Rose präsentiert hat. Ihre "Hofgesellschaft" windet ihr einen Kranz aus erlesenen Blumen (640), der aus den sorgfältig beschriebenen Lieblingsblumen ihrer "Untertanen" geflochten wird. Weitere Ehrengaben sind die Beschreibungen von seltenen Blumen, Pflanzen oder Bäumen. So nimmt Aurelia schließlich als höchste Ehrung den ihr zugedachten goldenen Baum des Peter Martyr lächelnd an mit der Bemerkung, daß es sich dabei um einen ebenso schönen güldenen Traum handele wie bei ihrem Königtum (759). Dieser Wunderbaum löst wiederum ein weiteres Frageund Pfandspiel aus, in dem Pflanzen mit wundersamen Eigenschaften beschrieben werden müssen (759-769). Das Prinzip der Blumenspiele wird sodann auch auf den Bereich der Früchte und anderer Nahrungsmittel (Getreidearten und zahlreiche Wurzelfrüchte) übertragen, die für die Vorratshaltung des "Hofes" ausgewählt werden (640-746). Die Spiele münden in die Planung eines imaginären Gartens (746) für die Königin, in dem die Spieler alle exotischen Blumen, Pflanzen und Bäume — im Gegensatz zu den später im Garten des Hortensius besichtigten — ohne Einschränkung anpflanzen können.
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Speziell im Zusammenhang mit dem Schwerpunkt des "Garten"-Themas — der Darstellung der Flora — wird die Sonderstellung der Neuen Welt deutlich: Mexiko, Peru und Brasilien spielen eine zentrale Rolle in den umfangreichen botanischen Beschreibungen und in den Blumen- und Früchte-Spielen. Immer wieder wird dabei die Mannigfaltigkeit, die Schönheit und die Erlesenheit vor allem der mexikanischen Flora betont. Ein Beispiel hierfür unter vielen ist die Beschreibung des Maises. Anlaß hierfür ist eine Mahlzeit. Floris läßt vor einem Ausflug seinen Gästen eine leichte Suppe servieren und fragt Sinnebald, was er zu essen glaube. Sinnebald erinnert der Geschmack der Suppe an Brei aus "Türckisch Korn". Floris erklärt ihm auf seine Frage, daß es sich um "Indianisch Korn" handele. In der überaus detaillierten anschließenden Beschreibung grenzt Floris das vielfarbige "Indianische Korn" vom "Türkischen Korn" ab und verwendet fast eine ganze Spalte auf die Schilderung der unzähligen Farbund Mustervariationen an den Kolben, ein Beweis dafür, daß auch Gott das Spielen liebt: Und sihet man ein besonder groß wunderlich Geheimniß an diesen Kolben / daß Gott der HErr also wunderbarlich durch die Natur / die Ihm dienen muß / spielet und handelt in seinen Wercken / und sonderlich in diesem Gewächs: deß wir uns billich zu verwundern haben / [...]. Denn etliche Kolben dieses Gewächses seynd mit ihrer Frucht gantz weiß / etliche schwartz und schön gläntzend / etliche geel, etliche braun; und die anderen weiß / braun und blau durch einander gemenget; also daß etwan etliche Reihen halber weiß / die anderen braun und die dritten blau; und etliche Granen darnach durcheinander vermenget und versetzet seyn; [...] Etliche Kolben [...] darunter die weißen und blauen mit kleinen braunen Tüpfflein artlich besprenget seynd / als wenn sie durch einen Mahler also künstlich gemahlet worden wären. Etliche seynd rot / schwartz und braun / etwan eins ums ander; etwan zwey oder drey / auch vier / mehr und weniger / eins ums ander / also versetzt. [...] Etliche Kolben aber seynd rot und Castanienbraun / hin un her eine Färb um die andere versetzt; die andern sind goldgeel und weiß / auch je eine Färb um die andere versetzet; und etliche blau / geel und weiß / darunter die weissen und geelen mit blauen Tüpfflein besprenget seynd / also daß wie wir auch zuvor gesaget / sich höchlich an dieser Frucht zu verwundern. Und sind also dieses Indianischen Korns fünffzehn Geschlecht / da die Frucht allein mit ihren Farben also unterschieden wird. [...] (496). 42
42
Zum Motiv der vielfarbigen Maiskolben in der altmexikanischen Poesie s. Anders/
Jansen 1988, 212f. mit weiterführenden Hinweisen auf Garibay III, 1968.
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Im Anschluß erläutert Floris — in Anlehnung an Acosta — die Zubereitung eines Maisbrotes (tlaolli) bei den Indianern, die Vergärung des Mais zu alkoholischen Getränken in Peru (azua) bzw. in ganz Amerika (chicha), verschiedene Röstmethoden, medizinische Anwendungen und schließlich die Zubereitung von Maisfladen, Gerichten aus Bohnen und Mais sowie Garmethoden für Maiskolben und Mais-/Fleischgerichte bei den Chichimeken. Weitere Zubereitungsarten für Maisbrot und Maisgerichte aus Benzoni und Acosta ergänzt der Erzähler für den Leser während des Ausritts der Gesellschaft (499ff.). Francisci schafft damit einen Übergang zur Schilderung von Brotzubereitungen aus anderen Wurzeln (u.a. Maniok) bei den Brasilianern (501). Francisci verbindet die botanischen Darstellungen in der Regel mit ausführlichen Informationen über die (Heil-)Wirkungen der Pflanzen, aber auch mit Hinweisen auf ihren besonderen Stellenwert im gesellschaftlichen und im religiösen Leben. So verweist er z.B. im Zusammenhang mit der Zubereitung von Maisfladen (tortillas) darauf, daß besonders feine Küchlein nur für die indianischen Fürsten zubereitet würden: Aber für die grosse Indianische Herren werden kleine Küchlein bereitet / von gesiebtem Mayz oder Korn; welche so zart und dünne / und reinlich / daß man schier durchhin sihet; massen sie so dünne wie Papier. Imgleichen macht man auch kleine Teller=Küchlein von demselbigen gesichteten Korn: die zwar dicke; aber dennoch gleichwol durchsichtig sind. Das ist aber nur / wie gesagt für / Fürstliche Mäuler (499). Auch bei den Blumen werden die botanischen Informationen in einen komplexen kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet. Francisci berichtet über ihre Bedeutung im gesellschaftlichen Leben der indianischen Völker, ihre Funktion in der Festkultur und bei religiösen Riten sowie ihre Verwendung als Symbol auf Abbildungen hoher Persönlichkeiten. So erläutert Francisci unter Berufung auf Francisco Hernández und José de Acosta die Bedeutung von Blumenkränzen als Kopfschmuck bei Festen der Mexikaner und den rituellen Stellenwert bestimmter Blumen, so z.B. der beinernen Blume {omizochitl), der Herz- (jolosuchil), der Angiers- und der Tigerblume (ozoloxóchitl): Es sey in NeuSpanien / noch eine andere Blum in grossem Werth / welche sie Jolosuchil nennen, das ist Hertzblumen: weil sie / wie ein Hertz gestaltet / und an der Grösse auch nicht geringer. Ebener massen dienet ihren Kräntzen die Blume / Angiers genennt: [...]. Die Indianer haben den Brauch / daß sie diese / und dergleichen / Blumen / bey ihren Fest=Spielen und Täntzen / in den Händen tragen; welches auch Könige und grosse Herren für einen Pracht halten. Daher kommts / daß man ihre Vorfahren gemeiniglich mit
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Blumen abgemahlet sihet: wie man / in den Europaeischen Ländern / den Konterfaiten Handschuh in die Hände mahlet [...] (358f.)- 43 Ein Blick in das ca. 1200 Namen umfassende botanische Register der ausländischen Pflanzen — das in Wirklichkeit noch umfangreicher ist, da ein Teil der Pflanzen im deutschsprachigen "Blatweiser" aufgeführt sind —, läßt auf Anhieb den großen Teil an mexikanischen und brasilianischen Pflanzennamen erkennen, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß Francisci für den Bereich der Neuen Welt sehr ausführlich die Werke von Francisco Hernández, José de Acosta, Eusebius Nieremberg, Georg Marggrav, Willem Piso und Joannes de Laet ausgewertet hat. Noch stärker wird der Anteil Mexikos und Brasiliens an der Flora in der nachfolgenden Schilderung des Blumen- und Baumgartens von Hortensius sichtbar. Da es Francisci nicht nur um die Vermittlung botanischer Informationen geht, sondern da die Bedeutung der Pflanzen — wie zum Beispiel im Fall des Maises — in der Regel in komplexen Zusammenhängen erscheint, stehen hinter diesen Pflanzennamen umfassende kulturgeschichtliche Sachverhalte. Der Leser dieses Werks erhält über die naturgeschichtliche Darstellung Einblick in vielfältige Perspektiven der Auseinandersetzung mit der Neuen Welt. Es ist interessant zu beobachten, wie Francisci, ausgehend von José de Acosta und Francisco Hernández, die sich durch ihr umfassendes Interesse für die Natur und Geisteswelt der indianischen Völker auszeichnen, die genuine Bedeutung dieser Blumenthematik für Mexiko erfaßt. Francisci vermittelt den Lesern seines "Lustgartens" ein umfassendes Bild von der Schönheit und der Vielfalt der mexikanischen Flora. Darüberhinaus wird der hohe Erkenntnisstand der indianischen Völker hinsichtlich der Wirkungen der Pflanzen — Heilwirkung, Erzeugung von berauschenden oder halluzinogenen Wirkungen — deutlich. Der poetische Teil des LSG zeigt andererseits auf der Ebene der Gartenund der Pflanzensymbolik mit ihren Analogien zum menschlichen Leben sowie ihrer Beziehung zu den Bereichen der Dichtung und der Kunst erstaunliche
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Vgl. hierzu Acosta 1986, 276 (lib. 4, cap. XXVIII).— Zur Bedeutung der Blumen in allen Bereichen des indianischen Kultur- und Geisteslebens sowie zur Spiegelung dieses Phänomens in dem Stellenwert der Blumensymbolik in vielen mexikanischen Codices vgl. Heyden 1985. Zahlreiche Abbildungen dokumentieren die Bedeutung und Beliebtheit des Themas. Zu den bekanntesten Darstellungen von Blumen in den Händen hochgestellter Persönlichkeiten gehört die Abbildung von Nezahualpilli, König von Texcoco (1464-1515) — Sohn des Dichterkönigs Nezahualcoyotzin — in einem Codex der Spätzeit, dem Codex lxtlilxochitl ("Schwarze Blume"). Der König trägt ein Blumengesteck in der Hand, s. Anders 1988, 129, Abb. 90.— Zur rituellen Bedeutung einzelner Blumen, so u.a. der Herzblume (yolloxöchitl) und der Tigerblume (oceloxöchit[) als Schmuck für die Angehörigen des Adels s. Heyden, 51, 53, 77.
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Affinitäten zum Lebens- und Weltgefühl in der altmexikanischen Poesie44, in der die Verbindung von Blumen-/Pflanzensymbolik mit dem Thema der Vergänglichkeit des einzelnen Menschenlebens und des Lebens der Völker, die Verbindung von Naturempfinden und religösem Gefühl sowie die Vorstellung vom Leben als Traum ebenso eine zentrale Rolle spielt.
3.3.2 Die Flora der Neuen Welt in einem niederländischen Lustgarten: der Garten des Hortensius Der spielerischen Gestaltung des Stoffes steht eine andere, mehr realitätsbezogene Perspektive der Darstellung in Form von Beschreibungen von zvei zeitgenössischen niederländischen Gärten gegenüber. Es handelt sich einmal um den großen Prachtgarten des Hortensius (775ff.) und im anderen Fall um eben kleineren Garten in einem der Landsitze von Floris (1056ff.). Der Besuch des Gartens von Hortensius ist der Höhepunkt des ersten Teües. Francisci hat bereits vorher im Text und in den Anmerkungen mehrfach darauf hingewiesen und einige Male durch den Mund seiner Personen betont, daß nan in diesem Garten wirklich sehen könne, was vorher in den Gesprächen und Spielen nur im Garten der Phantasie habe wachsen können (768, 778 u.a.). Francisci liefert eine sehr ausführliche Beschreibung dieses "mehr Fürstlich/ als Bürgerlichen]" Gartens, der seinen Herrn wohl mehr als eine "Tonne Geld" gekostet habe (775). Die riesige Ausdehnung der Gartenanlage mit ihrer kunstvollen Architektonik (Grotten, Brunnen, Laubengänge, Pyramidensäulen u.a.), die prunkvollen Gartenskulpturen — darunter Erdteilallegorien aus verschiedenfarbigem Marmor, das "Lust-Haus" und seine kostbare Innenausstattung werden bis in Details beschrieben. Schwerpunkte der Darstellung sind die Besichtigung des Blumengartens (778-808) und die des Baum-Gartens (810-859). Die beiden Beschreibungen werden durch ein Festmahl und eine Spazierfahrt auf den Kanälen von einander getrennt. Dabei lockern die Scherzreden der Personen die bei der Beschreibung der Pflanzen und Bäume dominierende enzyklopädische Informationsfülle auf. Francisci betont den Pflanzenreichtum dieses Gartens, dessen "etliche tausend Blumen [...] den Anschauenden deutlich gnug fürmahleten / es wire der Niederländische Hortensius / der sie hätte aus der Ferne bringen / und allhie pflantzen lassen" (775). Der Garten wird als ein "aus allen vier Theten der Welt / hieselbst eingesamleter Blumen-Schatz" (778) dargestellt. Hier ist der unmittelbare Berührungspunkt zwischen dem zeitgenössischen Lustgaren und den Kunst- und Wunderkammern, die das gleiche Sammelprinzip und Jie gleiche Sammellust miteinander verbindet. Die Verknüpfung von Garten/Kunstkammer/Museum kommt dann auch im Zusammenhang mit der — an späterer
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In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf Garibay 1964-68; Leander 1972; ferner die deutschsprachige Anthologie Früh-Welkende Blumen. Aztekische Gesänge. 1983 so^ie Heyden 1985; dort jeweils ausführliche Literaturhinweise.
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Stelle erfolgenden — Schilderung der Gartenkultur bei den Inkas und Azteken zur Sprache. Um Wiederholungen zu vermeiden und um den Stoff nicht ausufern zu lassen, bedient sich Francisci eines Kunstgriffes im Zusammenhang mit der Begründung der ausgewählten Blumen: es sollen nur diejenigen "angezeigt" werden, die "neu" sind und nicht schon in dem vorangegangenen Blumen-Spiel dargestellt worden seien, was Franciscis Tendenz zur Disposition des Stoffes nach bestimmten Auswahlkriterien erkennen läßt. Es folgt eine Auswahl von 44 Blumenarten, die Hortensius "neulich aus beyden Indien [hat] bringen lassen" (778). Dieses Neuigkeitskriterium ist von doppeltem Interesse: es dient als Argument für die Beschränkung des Stoffes, denn bei Berücksichtigung aller anderen noch vorhandenen Pflanzen "würde ein eignes grosses Buch daraus werden" (795), und ist andererseits im Zusammenhang mit der Kritik an dem exzessiven Pflanzenimport wichtig. Hortensius muß immer wieder neue Lieferungen ordern, weil ein großer Teil der empfindlichen exotischen Gewächse in dem härteren europäischen Klima bzw. in der ungewohnten Erde nicht gedeihen. Sie müssen in ihrer eigenen importierten Erde in Töpfen gehalten werden. Und der leicht spöttische Hinweis, daß sie "diesen Sommer über / etwas herfür gesprösselt" (779) seien, betont diese Akklimatisierungsprobleme, die immer wieder angesprochen werden. Auch beim Besuch des Lust-Waldes, in dem viele fruchttragende Bäume aus Ost- und West-Indien stehen, verweist der Erzähler ausführlich auf die ungenügenden Lebensbedingungen vieler dieser Pflanzen: Ja von etlichen / welche dieses Land gar nicht kunten vertragen / war kaum ein Finger = oder Spann = langernSchoß / oder Sprößlein zu sehen / auch keine Hoffnung / weder zu ihrem grösserm Aufwachs / noch zu langer Daurhafftigkeit vorhanden und doch ließ Herr Hortensius / damit sein Baum= Register nicht dünner wurden / alle Jahr / oder so offt es seyn kunte / frische an die Stelle / aus Ost= oder West= Indien / bringen (811). Die Beschreibung des Blumen- und des Baum-Gartens dient also keineswegs nur der Ausbreitung botanischer Informationsfülle, sondern enthält zugleich gesellschafts- und kulturkritische Aspekte. Die Auseinandersetzung mit dem Garten des Hortensius ermöglicht eine Bearbeitung des Stoffes in mehrere Richtungen: der Reichtum der dort kultivierten Blumen, Pflanzen und Bäume aus West- und Ost-Indien ist zum einen der Stimulus für die Entfaltung der botanischen Materie, er läßt sich aber auch verbinden mit Kritik an der Gartenkultur der Niederländer, deren Blumenliebe einen Hang zur Geltungssucht und zur Vergewaltigung der Natur erkennen läßt. Immer wieder wird im Zusammenhang mit diesem Gartenbesuch der Gegensatz zwischen Kunst und Natur beschworen. Bereits auf der Fahrt zum Besuch des Gartens kommt es zu höchst interessanten Auseinandersetzungen über den Gegensatz von Natur und Kunst beim Vergleich der holländischen Landschaft mit ihrem geradlinigen Kanalnetz, in dem sich ein Ziergarten an den anderen
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reiht, mit der natürlichen Unregelmäßigkeit deutschen Landschaften (770ff.). Die von der Natur allein gestaltete Landschaft ist ein schönerer Garten als die von menschlicher Kunst geschaffene Ziergartenlandschaft, in der das Wasser seine Freiheit an überkünstelte Wasserspiele verliert und sogar die Tiere als Schädiger der Blumen nur in Form von Skulpturen geduldet werden (771). In Sinnebalds Evozierung der natürlichen Schönheit der Berg-, Wald- und Flußlandschaften in Deutschland erreicht Franciscis Prosa poetische Dimension. Der Garten des Hortensius scheint für Francisci einen besonderen Stellenwert zu haben. Die zum Teil ambivalente Darstellung, in der sich Bewunderung und Kritik verbinden, enthält sehr viele ansprechende Beschreibungen, galante Situationen, poetische Einschübe und höchst interessante Kontroversen, die Aspekte der Garten- und Landschaftsästhetik behandeln, wie man sie sonst erst vom frühen 18. Jahrhundert in England kennt. Der Gedanke drängt sich auf, daß diese Gartenbeschreibung auf das Erlebnis eines realen Gartenbesuchs zurückgehen könnte. Hinzu kommt, daß Francisci mehrfach den Realitätswert dieses Gartenbesuchs betont im Gegensatz zu dem zuvor von der Spielgesellschaft erbauten imginären Garten. Es fällt weiter auf, daß in dem sich anschließenden Kapitel mit literarischen Beschreibungen von Gärten in aller Welt (871-887) sowie in der Schilderung der aztekischen und inkaischen Gärten in Teil I (886f.) und III (1698ff., 1720f., 1735) genaue Quellennachweise gegeben werden, während bei der Beschreibung des Gartens von Hortensius (775-859) jeder Hinweis auf eine eventuelle literarische Vorlage fehlt. Die detaillierten Angaben in den Fußnoten beziehen sich nur auf Literaturnachweise und Kommentare zu den Informationen in den Quellen im Zusammenhang mit den Beschreibungen der Flora in Hortensius' Garten. Ähnlich wie vorher bei den Blumenspielen wird in der Beschreibung von Hortensius' Garten der überdurchschnittlich hohe Anteil an Pflanzen aus der Neuen Welt / Amerika deutlich. Mexiko, Peru und Brasilien sind bei den Blumen stark und im Baumgarten sogar überwiegend vertreten. 109 Baumarten werden hier minutiös beschrieben und mit römischen Zahlen durchnumeriert. Hiervon entfallen mehr als zwei Drittel auf Mexiko und Brasilien. Es sind vor allem die im Zusammenhang mit dem Gartenbesuch beschriebenen faszinierend vielfältigen riesigen Baumarten aus der Neuen Welt, die auch in den Gesprächen, im Anschluß an den Gartenbesuch bei Hortensius eine Rolle spielen. Die Berichte über Riesenbäume in Amerika (855ff.) und den brasilianischen Urwald, in dem "Lust und Unlust / Anmuth und wildes Grausen" (865f.) wohnen, bilden einen starken Kontrast zu dem vorher beschriebenen oft kümmerlichen Wachstum der von Europa importierten Pflanzen. Im Gegensatz zu dem enzyklopädischen Charakter der Beschreibungen der Baumarten im Lustwald des Hortensius kommt in den nachfolgenden Diskussionen der Gesellschaft wieder stärker die Wandlung des Lebens- und Naturgefühls zum Ausdruck. Eine Sehnsucht, in der Natur gesellschaftliche Zwänge zu überwinden, wird in Aurelias Reaktion auf den Bericht über Baumwohnungen in Riesenbäumen in Amerika und Afrika sichtbar (857f.):
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Mich gelüstete auch also im Grünen zu hausen; und bilde mir ein / es sey nicht allein viel lustiger / sondern auch gesünder / unter oder zwischen den Zweigen / weder steinernen Wänden und Mauren zu hausen; gleich wären diese noch so blanck geputzt / und die Prangstube mit lauter Gold oder Porcellainen überzogen und getäfelt. Solches bedunckt mich auch unserer menschlichen Natur gemäß. Denn im Grünen seynd ja auch die ersten Menschen erschaffen. Auf dem frischen Blumen=vermengten Grase / unter irgend einem Laub=und anmuthreichen Baum / dessen lieblich=blühende / und mit purpur=roten oder goldfarbnen Früchten beladene Zweige von allerhand holdseligen Vöglein besprungen und besungen worden / ist Zweiffels frey unserer allerersten Mutter die Ruhe so annehmlich gewest / daß sie das allerköstlichste Zimmer in unserer Stadt Amsterdam nicht davor eingetauschet hätte (859).
3.3.3 Ein Blick in die Gartenkultur in der Neuen Welt: Natur und Kunst in den Lustgärten der indianischen Hochkulturen Während der Garten des Hortensius den Blick auf das Eindringen der exotischen Flora in die europäischen Gärten lenkt, wechselt die Perspektive in Franciscis anschließendem geschichtlichem Rückblick auf die Gartenkultur in aller Welt zu den Gärten in der Neuen Welt. Auch in diesem Zusammenhang spielt das Verhältnis von Kunst und Natur eine wichtige Rolle. In allen Teilen des LSG sind Darstellungen von Gärten in der Neuen Welt enthalten, die häufiger mit Landschaftsbeschreibungen verbunden sind, und sich auf Guayana, Brasilien, Mexiko und Peru beziehen. Im Zusammenhang mit der Schilderung der amerikanischen Flora werden zahlreiche Hinweise auf spanische und indianische Gärten in der Neuen Welt gegeben. Francisci differenziert zwischen den Gärten der "Wilden", bei denen es sich hauptsächlich um große Baumgärten handele (886), und den kunstvollen Gärten der Hochkulturen. Es sind vor allem die Gärten der Inkas und Azteken, über die Francisci in mehrfachen Zusammenhängen unter Angabe von spanischen und anderen europäischen Quellen (886, 1698) berichtet. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang sind die Gärten der Inka- und Aztekenherrscher Huayna Capac und Moctezuma, deren Besonderheit darin bestand, Kunst und Natur gemeinsam zu präsentieren, Garten und Kunstkammer zugleich zu sein, und damit möglicherweise direktes Vorbild für die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance geworden sind.45 Detailliert wird hier die unbeschreibliche Kunstfertigkeit der Inkas und Azteken beschrieben, die Flora und Fauna ihres Herrschafts-
45 Polleroß 1992, 36. Vgl. hierzu auch den Hinweis bei Heyden 1985 auf eine bereits in der Mexikanistik des 19. Jahrhunderts begegnende These, die ersten botanischen Gärten in Italien hätten sich nach Kenntnis und nach dem Vorbild der altmexikanischen Gärten entwickelt.
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gebietes in ihren Gärten systematisch anzusiedeln (was vor allem von Moctezuma berichtet wird) und sie darüber hinaus in Gold und Silber täuschend echt nachzubilden. Die Beschreibungen der inkaischen und aztekischen Gärten finden sich in Teil I (886) und Teil III des LSG (1698f., 1720, 1735), aber auch im NPGKS sowie in den späteren naturwissenschaftlichen Werken von Francisci (1676 und 1680). Aus Mexiko werden außer den Gärten von Moctezuma auch die von Ixtapalapan beschrieben, die bereits bei Cortés begegnen. 46 In den Schilderungen der Gärten Moctezumas (1719f.) wird die Faszination angesichts der Vielfalt ihrer Flora und Fauna deutlich. Große Bewunderung erregen vor allem die "Tierhäuser" und das Bestreben Moctezumas, die Tiere artgerecht unterzubringen und zu ernähren. Betont wird auch sein Interesse für Abnormitäten in der Natur, das in der Einrichtung eines speziellen Hauses für "Monster" (u.a. Zwerge) sichtbar wird. Bei den inkaischen Gärten werden vor allem ihre Pracht und ihr Kunstcharakter hervorgehoben. Mehrfach wird auf die unbeschreibliche Kunstfertigkeit der Inkas verwiesen, Bäume, Blätter und Früchte aus Gold nachzubilden. Von Huayna Capas Garten berichtet Francisci unter Berufung auf zahlreiche Quellen, er habe einen riesigen Garten neben seiner Burg mit lauter goldenen Gewächsen besessen: Neben der Burg / fand man einen Garten / mit Golde gepflastert / und mit güldenen Bäumen / die fein in zierlicher Ordnung stunden / besetzt; da Stamm / Aeste / Zweige / Blätter / und Früchte purklares Gold waren / und trefflich schön leuchteten / wenn die Sonne ihr Stralen=Gold darauf warff. [...] : und nicht allein nur Bäume / sondern auch viel andre Sachen mehr / von feinem Golde / da anzutreffen gewest. Was nur von zwey= oder vierfiissigen Thieren / von Vögeln und Gewürm / in Peru gelebt; was man für Geschlechte von Kräutern / Blumen / und Pflantzen / daselbst gefunden; das hat er alles/ aus reinem dichten Golde / oder von den rarsten und gesuchtesten Edelgesteine / recht nach dem Leben / bilden und formiren lassen / und so wol in diesem Pracht=Garten / als hin und wieder in den Gemächern seiner stoltzen Burg / ordentlich hinstellen (1698).
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Cortés 1963, 57. Eine Beschreibung dieser Gärten von Ixtapalapan findet sich außer bei Cortés auch in Bernal Díaz del Castillo (Historia verdadera da le conquista de la Nueva España), s. Heyden 1985, 47; ebda, weitere Hinweise auf die Beschreibung von fürstlichen Prachtgärten, vor allem diejenigen von Nezahualcóyotl, in denen Ästhetik und das Bestreben nach wissenschaftlicher Systematisierung im botanischen Bereich untrennbar miteinander verknüpft waren. Obwohl Francisci Bernal Díaz del Castillo in seinem LSG nennt, scheint er seine Chronik ('1632) nicht gekannt zu haben.
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Im Zusammenhang mit der Schilderung eines zweiten Prunkgartens von Huayna Capac auf der Insel Puna wird eine Art Schatz-AVunderkammei 47 in dem dortigen Palast erwähnt: Daselbst [d.h. auf die Insel Puna] hin begab sich der Ingas zu öfftern / in seinen angerichteten Prachtgarten / der erwehntermassen / gleichfalls von Gold und Silber blühete. In seinem Prang=Zimmer / seynd gantz güldene Riesenbilder / auch aller Peruanischen Thiere / Vögel / Fische / Bäumen und Pflantzen / Bildnissen / in rechter Lebens = Grösse und Dicke / von Golde / gestanden. [...] (1698f.). Auf Franciscis Darstellungen dieser indianischen Natur- und Kunstgärten beruft sich einige Jahre später der Medizinprofessor Johann Daniel Major in seiner Abhandlung Vorstellung etlicher Kunst- und Naturalien-Kammern in Amerika und Asien (1674). Er nennt Moctezuma in diesem Zusammenhang "[...] Americanische[r] grosse[r] Alexander / (und hätte bald geschrieben / andrem Salomon / so viel nehmlich die Beförderung weltlicher Wissenschaften betrifft /) billich aufs höchste ist zu loben" ( § 3 , unpag.). Das Thema dieser indianischen Gärten48 hat eine lange Tradition und läßt sich durch eine Vielzahl von Werken vom 16., über das 17. bis ins 18. Jahrhundert verfolgen. Für eine Reihe von ihnen ist offensichtlich Franciscis Darstellung die Quelle. Die Verbindung von Gartenthema und Goldthema bietet über Gartenbeschreibungen in der Neuen Welt hinaus Entwicklungs- und Transformationsmöglichkeiten nach mehreren Seiten hin, so u.a. in die Mineralogie — Steine, die Baum- und pflanzenähnliche Gold- und Silberadern erkennen lassen —
47 In der Bilderfolge zu G. Benzonis Reisebericht in de Brys Sammlung (America. Sechstes Buch. 1597) werden in der Bildlegende die Schatzkammer von Huayna Capac sowie seine Prachtgärten erwähnt: "Man schreibt, daß der König Huayna Capac in seiner Schatzkammer Bilder von Gold so groß als große Riesen, jedoch inwendig hohl gehabt habe. Item von Gold und Silber abgegossene vierfüßige Tiere, Vögel, Bäume und Gewächse, desgleichen alle Arten von Fischen wie sie entweder im Meer, daran sein Königreich grenzt, oder in den fließenden Wassern, so in seinem Reich sind, gefunden werden. Ferner schreibt man von einem Lustgarten der Inka auf einer Insel, nicht weit von Puna gelegen, dahin sich dieselbigen Großfürsten oftmals überführen ließen, um dort Bankette zu halten oder sich zu erlustieren, und darinnen waren Gewächse, Blumen, Bäume, alle aus Gold und Silber gemacht. [...]" (America de Bry 1990, 243).
Francisci nennt als Quellen für die Beschreibung der Inkagärten Cieza de León, F. López de Gomara, Walter Raleigh, José de Acosta, Petrus Bertius sowie das Argonauticon Americanorum (1647) des deutschen Jesuiten Johannes Bisselius. Auch Antonio de la Calancha, eine der wichtigsten Quellen Franciscis, erwähnt die Inkagärten in seiner Coránica moralizada (1638, Libro I, cap. XV u. 1974, Bd. I, 224f., mit Quellenhinweisen) und betont die Glaubwürdigkeit dieser Berichte. 48
Speziell zur Bedeutung der altindianischen Gärten in Mexiko vgl. Heyden 1985 (Cap. III: Los jardines y los nobles, 45-49) mit zahlreichen Quellenhinweisen.
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sowie in den Bereich der Chemie bzw. Alchemie, wo die bei den Versuchen mit Quecksilber entstehenden goldenen und silbernen Bäume (arbor philosophicä) beschrieben werden (892ff.). Wie so oft bei Francisci wird diese komplexe Entwicklung eines ganzen Themenkreises mithilfe von Wortspielen schließlich in Scherz aufgelöst: der Geizhals Argyrides nimmt den Bericht über die Gold- und Silberbäume in den Gärten der Neuen Welt einerseits und die bei chemischen Versuchen entstehenden Metallbäume und -pflanzen andererseits so wörtlich, daß er begierig danach fragt, wie und wo man diese wachsen lassen könne (892ff.). 3.4 Das Werk als literarischer Lustgarten Polleroß (1992, 50ff.) hat daraufhingewiesen, daß das Konzept der Kunst- und Wunderkämmer in Verbindung mit den Erdteilallegorien auch auf den Bereich der Bücherverzeichnisse und der Bibliotheken übertragen wurde49 und verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf Leon Pinelos Epitome de la Biblioteca Oriental i Occidental, Nautica y Geogräfica (1629), einem frühen Verzeichnis von Amerika- und Asienliteratur. Auch Franciscis Werk kann in diesen Zusammenhang gestellt werden, mit Blick auf die darin verarbeitete Literatur, die das umfassende zeitgenössische Wissen über West- und Ost-Indien und damit aus den vier Weltteilen darstellt. Der dem LSG vorangestellte umfangreiche "Catalogus Authorum", der auf sechseinhalb dreispaltig bedruckten Folioseiten mehr als 300 Werke mit Bezug zu Ost- und West-Indien von ungefähr 130 der am häufigsten zitierten Autoren aus dem europäischen Raum erfaßt, hat die Funktion eines sehr reichhaltigen repräsentativen Verzeichnisses von europäischer Amerika- und Asienliteratur. Dieses breite Literaturspektrum wird noch erweitert durch die hohe Zahl von nur im Text selbst zitierten Quellen. Der Ost- und West-Indische wie auch Sinesische Lust- und Stats-Garten (1668) stellt in Verbindung mit dem zweiten großen Werk, dem Neu-Polirten Geschieht-, Kunstund Sittenspiegel ausländischer Völcker (1670) eine umfassende Biblioteca Oriental i Occidental des späten 17. Jahrhunderts dar. Franciscis Leistung bei der Verarbeitung dieses immensen Materials muß sehr hoch eingeschätzt werden. In seinem Vorwort verweist er darauf, daß die Vielfalt und der Reichtum der Natur West- und Ost-Indiens eine riesige Literatur habe entstehen lassen, so daß es mittlerweile "mehr vor eine Last / als Lust / mehr vor eine Straffe / als Ergetzung des Gemüts" zu halten sei, "alle Folianten / so hievon handeln / nur mit den Augen durchzuwandern" (Vorrede, Bl. ) ( 4V). Der Reichtum dieses Schrifttums sei allerdings bisher einem großen Publikum nicht zugänglich, da der größte Teil dieser Literatur in lateinischer Sprache geschrieben sei. Mit Blick auf einige der wichtigsten älteren und neuesten Quellen postuliert Francisci ein zentrales Ziel seines Werkes:
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Zur Beziehung zwischen Bibliothek und Kunst-/Wunderkammer im 17. und 18.
Jahrhundert s. auch Fechner 1977.
143
Was Ximenes, was Hernández, Rechus, was zu diesen unsren Zeiten / Marchgravius, Piso, Bontius, de Laet, Jonston, und viel andere mehr / von seltenen und schönen Wunder=Gewächsen / durch vielfältiges Reisen / in Erfahrung gebracht / und Lateinisch beschrieben; das soll hie / aus einem Teutschen Erdreich und Boden / aufschiessen (Bl. « 4V). Die Prinzipien der Lustgarten- und Kunst-/Wunderkammerästhetik sind auch gültig für die von Francisci getroffene Quellenauswahl. Wer sich die Mühe macht, die von ihm verarbeitete Literatur mit "den Augen zu durchwandern", wird die Vorstellung vom literarischen Lustgarten nicht als blasse Metapher empfinden. Dazu tragen im Werk selbst die zahlreichen Illustrationen bei, aber auch die verwendeten Quellen, von denen viele zu den Höhepunkten der botanischen Buchillustration der frühen Neuzeit gehören. Beeindruckend ist die Fülle, die Mannigfaltigkeit und die Qualität der Quellen. Unter ihnen befinden sich auch einige erlesene "seltene Gewächse" aus fernen Landen, die Francisci für den "forschgierigen" Leser in seinem gelehrten Anmerkungsapparat sorgfältig dokumentiert und kritisch kommentiert. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist eine bereits eingangs erwähnte peruanische Quelle, die Coránica moralizada del Orden de San Augustin en el Perú (1638; 1974) des Augustinermönchs Antonio de la Calancha, die Francisci in einer lateinischen Bearbeitung zugänglich war. Calanchas belgischer Ordensbruder Joachim van den Bruel — bekannter unter der latinisierten Namensform Joachim Brulius — hat den fast tausend Folioseiten umfassenden Band unter dem Titel Historiae Peruanae in einer lateinischen Bearbeitung 1651/52 in Antwerpen herausgebracht und darin die ausufernden biblischen Anspielungen gestrafft. Calanchas Werk zählt in der neueren Forschung neben den frühen Chroniken von Pedro Cieza de León zu den um ihrer Authentizität willen besonders geschätzten Quellen. 50 Calancha verarbeitet umfangreiches Material aus den spanischen Kolonialarchiven, zu denen er Zutritt hatte, und indigene Überlieferungen und Berichte von indianischen Informanten, zu denen er enge Kontakte geknüpft hatte. Der spröde Titel läßt nicht erahnen, daß dieses Werk zahlreiche mythische Berichte aus der Vorstellungswelt verschiedener indianischer Kulturen in Peru, detaillierte Informationen über die religiösen Vorstellungen und über das Sozialwesen der Inkas sowie spannungsreiche Erzählungen aus dem Bereich der Missions- und der Kolonialgeschichte enthält. Francisci hat Calancha sehr geschätzt, wie aus zahlreichen Äußerungen in seinen Werken hervorgeht. Er hat diese Quelle vor allem im LSG sowie im NPGKS, aber dann auch in anderen Werken verarbeitet und hat damit kanonbildend gewirkt; denn sowohl von Happel als auch spätere Bearbeiter von Francisci, so vor allem Simon de Vries in mehreren Werken und Thomas Kimayer
50
Vgl. hierzu M . Merino in seinem Vorwort (Calancha/Torres 1972, X I X f f . , X L I X ) .
144
(1705) in seiner Kompilation aus Werken von Francisci und Happel haben Calanchas Werk verwendet. Die Qualität von Franciscis Darstellung hängt unmittelbar zusammen mit der Qualität der von ihm ausgewählten Quellen. Das umfassende Spektrum europäischer Literatur zu den beiden "Indien", die kritisch-vergleichende Verarbeitung der Quellen, der komparative Ansatz, die Vielfalt und Relevanz der behandelten Fragestellungen und die enge Verbindung von wissenschaftlicher und literarischer Perspektive in Franciscis LSG und in seinem NPGKS ermöglichen einen komplexen Einblick in die Auseinandersetzung mit der Neuen Welt im deutschen Sprachraum im späten 17. Jahrhundert, eingebunden in einen umfassenden europäischen kulturgeschichtlichen Kontext.
4 Schlußbemerkung Franciscis Leistung ist in der zeitgenössischen Literatur anerkannt worden. Sowohl der LSG als auch der NPGKS werden mit Bezug auf die Neue Welt als wichtige Quelle zitiert. Die Beliebtheit des Werkes wird auch durch Kompilationen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts dokumentiert. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist das umfangreiche vierbändige Werk des niederländischen Schriftstellers Simon de Vries, der in seinen Curieusen aenmerckingen der bysonderste Oost en West-Indische verwonderenswaerdige dingen (1682) in erster Linie Franciscis LSG sowie seinen NPGKS verarbeitet hat unter explizitem Rückgriff auf die von Francisci gewählte Form des Gesprächs. 51 De Vries hat sich nach eigener Aussage ebenso wie Francisci jahrelang mit dieser Materie beschäftigt. Aber Franciscis Leistung sei auf diesem Gebiet nicht zu überbieten, deshalb habe sein eigenes Werk nur den Charakter von "Aenmerckingen" zu den beiden großen Werken des deutschen Autors. De Vries weist allerdings daraufhin, daß bei Francisci vieles enthalten sei, was er seinen niederländischen Lesern nicht zumuten könne. Hierzu gehören u.a. — wie eine erste Durchsicht des Textes ergab — Franciscis kritische Ausführungen über den Krieg zwischen England und Holland sowie die ästhetischen Kontroversen im Bereich der Lustgarten- und Landschaftsästhetik, in denen die "natürliche" Schönheit deutscher Landschaften der "künstlichen" Schönheit der holländischen Landschaft vorgezogen wird. Bezeichnenderweise hat de Vries die umfangreichen Beschreibungen von Hortensius' Garten mit ihrer Kritik an dem exzessiven Pflanzenexport aus den Kolonialreichen nicht verwendet. Die Ausstrahlung von Franciscis Werk ist demnach nicht auf Deutschland beschränkt geblieben. Seine Rezeption in Holland ist ein wichtiges aber unbekanntes Kapitel seiner bisher unaufgearbeiteten Wirkungsgeschichte. Inwieweit
51
V g l . hierzu die Ausführungen von Simon de Vries in der Vorrede zu seiner voluminö-
s e n vierbändigen Francisci-Bearbeitung über Gespräch und Spiel in Franciscis Werk(en) als Vorbild für die Struktur seines eigenen W e r k e s .
145
außer zu De Vries auch Verbindungen zu Dapper/Montanus bestehen ist eine weitere, naheliegende Fragestellung angesichts der Tatsache, daß die große Amerikadarstellung De Nieuwe en Onbekende Wereld 1671 veröffentlicht und 1673 ins Deutsche übersetzt wird (s. Anm. 8). In den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts erscheinen in Deutschland und in den Niederlanden eine Reihe von wichtigen Publikationen zu Amerika. Eine Untersuchung ihrer möglichen wechelseitigen Beziehungen wäre ein wichtiger Beitrag zur innereuropäischen Auseinandersetzung mit der Neuen Welt. Franciscis Werk kommt in diesem Zusammenhang wegen seiner europäischen Ausrichtung eine Schlüsselstellung zu.
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"Wie in einem Trachten-Buch": Völker der ganzen Welt in Wort und Graphik bei Grimmelshausen, unter besonderer Berücksichtigung der Wassermännlein Joseph B. Dallett Grimmelshausen scheint ein unersättlicher Leser von Werken unterschiedlichster Art gewesen zu sein. Obwohl seine Lektüre von der Quellenforschung eingehend untersucht worden ist, wird man ihren Umfang wahrscheinlich allein schon deshalb nie vollständig erfassen können, weil er sicher nicht alles Gelesene auch in seinem Werk verwendet hat. Aber selbst wenn er seine Quelle angibt, ist Vorsicht geboten. Manchmal ist die Quellenangabe in einem Zitat enthalten, so daß man von einer Angabe aus zweiter Hand sprechen muß. Andere Male handelt es sich um regelrechte Listen, bei denen häufig der Verdacht gerechtfertig erscheint, daß er sie von einem anderen Autor entlehnt oder manchmal sogar die Listen von zwei oder drei Autoren miteinander vermischt hat. Eine besondere Bedeutung kommt den Hinweisen auf Bücher zu, die der Erzähler im Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch macht: Was Simplicius gelesen haben will, hat Grimmelshausen häufig selbst gesehen oder gelesen. Zu den vielen offen genannten oder versteckten Vorlagen gehören auch illustrierte Werke, die über die Titelkupfer hinaus Diagramme, Tabellen, Landkarten, Holzschnitte oder Kupferstiche enthalten. Nachweislich hat Grimmelshausen die abgebildeten Wappen in Johannes Stumpfs Chronick (Dallett 1982, 25f.) wie auch die Embleme in Julius Wilhelm Zincgrefs Sapientia Picta (Jons 1968) gekannt; und zweifelsohne kannte er auch die zwei eindrucksvollen, in Kupfer gestochenen Porträts aus der großangelegten Beschreibung der Reise nach Rußland und Persien des Adam Olearius (1656), auf denen die fünfundzwanzigjährige, hell aussehende, in eine Art Hose gekleidete "Grünländerin" Kabelau zu sehen ist, die zuvor "etliche Tage" bei diesem in Holstein zu Gast gewesen war (Dallett 1977, 218, Anm. 177). Im sechsten und letzten Teil seiner Autobiographie unterhält der pilgernde Simplicissimus eine Reihe von leichtgläubigen Schweizer Gastgebern, die den unerhörten Erzählungen aus dem Mund ihres fremden Besuchers gierig lauschen, mit ausgedehnten, weitgehend erlogenen Reiseberichten. Er will überall gewesen sein. Unter anderem habe er angeblich "die Grünländer / deren Wei-
1 Dem Social Sciences and Humanities Research Council of Canada sowie der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel gilt wegen ihrer Unterstützung meiner Teilnahme am Wolfenbütteler Arbeitsgespräch im Dezember 1991 mein aufrichtiger Dank. Barbara KesCosta (Montréal) und Hartmut Rudolph (Münster) sei für die Durchsicht ganzer Teile meines Manuskripts auf das herzlichste gedankt.
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ber Hosen tragen" (528)1 gesehen, ohne daß Olearius auch nur mit einer Silbe erwähnt würde. Weitere Berichte von fiktiven Reisen schließen auch "Brasilianer" ein, "so die frembte mit Wainen [...] empfangen", ja sogar "die Indianer hinder der Mageionischen Strassen / am Mare Pacificè / deren Weiber kurze Haar die Männer selbst aber lange Zöpff tragen" (528f). Vermutlich hat Grimmelshausen den Bericht über den (später) so genannten "Tränengruß" gewisser Stämme Brasiliens dem dritten Band von de Brys America entnommen, und zwar Jean de Lérys Historia der französischen Kolonisierungsversuche in Brasilien (Dallett 1977, 222), während er seine Kenntnis vom (aus europäischer Perspektive gesehen) "geschlechtsverkehrten" Haarputz gewisser Inselbewohner im südlichen Stillen Ozean dem dreizehnten Buch bzw. dem Appendix desselben Bandes der de Bryschen Grands Voyages verdanken dürfte (ebda., 219-221). Auf der Weltumseglung des Holländers Willem Schouten in den Jahren 1615-1617, über die de Brys Text berichtet, stießen die Europäer in erheblicher Entfernung von der südamerikanischen Küste auf zwei Inseln (die heutigen îles de Horn), deren freundliche Bewohner ihr Haar in der beschriebenen Art und Weise trugen. Auf beide neuweltlichen Seltsamkeiten wird der Leser der jeweiligen Bände von de Brys America aber auch durch einen hervorragenden Kupferstich aufmerksam gemacht. So mag es auch Grimmelshausen ergangen sein, der selbst ein nicht unbegabter Graphiker war. Ziel dieses Beitrags ist es, Grimmelshausens Vertrautheit mit einer besonderen Art der Buchillustration zu belegen. Gemeint sind Abbildungen von Trachten, die nach Ländern oder Regionen geordnet sind, zu denen auch Amerika gehört. Allein die Abbildungen für sich dürften bereits auf die Komposition des Simplicissimus eingewirkt haben; vermutlich haben aber auch die Textpartien, die die Abbildungen begleiten oder umgeben, die Vorstellungen des Dichters mitbestimmt. Die oben zitierten Passagen machen indes nur einen winzigen Teil der sehr langen, rekapitulierenden Reiseberichte aus, die der Pilger in der Schweiz zum besten gibt. Diese Disproportion hat zwei Gründe: zum einen bedient sich Grimmelshausen gelegentlich seiner respektablen Amerika-Kenntnisse, um eine Erzähleinheit auszuschmücken bzw. zu vertiefen, ohne jedoch den Ursprung seines Wissens anzugeben — wie z.B. seine teils wörtliche, teils paraphrasierende Übernahme des Berichtes von Charles de Rochefort von den "leuchtenden Fliegen" auf Saint Croix 2 , wobei das Amerikanische des Vorbildes allerdings
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Die Seitenangaben im Text beziehen sich in der Folge auf die Ausgabe Grimmelshausen
1984. 2 S. die dem Dichter sicher zugänglich gewesene Übersetzung des französischen Originals, nämlich die zweibändige Historische Beschreibung Der Antillen-Inseln in America gelegen (Frankfurt 1668); die gemeinte Textstelle verwendete Grimmelshausen bei der Schilderung seiner fiktiven Kreutz-Insel im südlichen Indischen Ozean, also dem letzten
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vielen Lesern verborgen bleiben bzw. geblieben sein dürfte; zum anderen erhält Amerika in keinem Werk des Autors zentrale Bedeutung; allenfalls gibt es Mikrothemen, kleine (wenn auch manchmal wichtige) Motive oder Exempla, so z.B. die Bemerkungen im Satyrischen Pilgram zum Tabakgebrauch der Indianer oder dem Geschütz der Konquistadoren. Nur an einer Stelle beschreibt der Erzähler des Simplicissimus ausführlich ein vorgebliches Gebiet der Neuen Welt, wobei die ausmalenden Details selbst jedoch keinesfalls authentisch amerikanisch sind. Nun lügt Simplicius gewiß, wenn er in der Schweiz behauptet, er habe auch "Rio dela platta in America" (530) gesehen; hätte er aber den Gastgebern (wie schon zuvor den Lesern) von seinem angeblichen Besuch des "Mare del Zur" (428) auf dem Boden des Meeres als einer wahrhaftigen Begebenheit erzählt, wäre er vielleicht doch auf Skepsis gestoßen. Die Reise dahin macht er bereits im Fünften Buch. Ausgangspunkt ist der Hof des Königs der Wassermännlein am im Wasser gelegenen Mittelpunkt der Erde, von wo aus "ein Loch welches etlich hundert Meil lang war" direkt zum "Grund deß [...] fridsamen Meers" (428) hinführt. 3 Während keine der für die Erdoberfläche üblichen geographischen Bezeichnungen zum so zentral gelegenen Hof des Königs passen würden, betrachtet dieser den Stillen Ozean überhaupt als "Americanisch" (432). Die Reisebegleiter des Simplicius sind mehrere Wassermännlein, die selbst am "Abgrund" des Pazifiks "Nahrung [zu] holen" (428) haben; auf der Rückreise informieren sie den deutschen Touristen eingehend über Geologie und Mineralogie. Simplicius spricht Deutsch mit den Wassermännlein, wie — scheinbar — auch sie mit ihm, was ihn aber überrascht, wie er sich erinnert; denn sie sehen, trotz ihrer stark reduzierten Größe, genau wie "Peruaner / Brasilianer / Mexicaner und Insulaner de los latronos" (429) aus. Diese Ähnlichkeit beruht vor allem auf ihrer Kleidung, welche der Tracht des Landes oder Gebiets gleicht, in dem das jeweilige Wassermännlein als Seewächter beschäftigt ist. Im Gespräch erfährt Simplicius, daß seine Begleiter eigentlich nicht Deutsch reden, sondern eine eigene, ihnen allen gemeinsame Sprache, die aber alle Völcker auff dem gantzen Umbkreiß der Erden in ihrer Sprache verstünden / und sie hingegen dieselbe hinwiderumb: welches daher komme / dieweil ihr Geschlecht mit der Thorheit so bey dem Babylonischen Thum vorgangen / nichts zu schaffen hätte (429). Allerdings wird noch vor der Reise in den Stillen Ozean angedeutet, daß die Wassermännlein, die die verschiedensten Nationen vertreten, alle Deutsch sprächen, ohne daß dafür jedoch die geringste Erklärung geboten oder auch nur
Schauplatz des Romans; er übernimmt sogar in nur leicht veränderter Form die Allegorisierung der "leuchtenden Fliegen" (Dallett 1977, 166-187). 3 Vgl. Dallett 1977, 194-98; Weydt 1985, 7-18; Hast 1988.
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gesucht würde; der Erzähler bemerkt einfach die Diskrepanz zwischen dem Aussehen eines Männleins aus Sizilien und dessen Fähigkeit, Deutsch zu sprechen (424). Nicht einmal die darauf folgende Unterhaltung mit dem König der Wassermännlein, der auch "fein gut Teutsch" (424) spricht, weckt das Interesse an der Frage nach dem Woher solcher Sprachfähigkeit. Auch sonst bleiben manche Fragen offen, so die Frage nach dem Ursprung des christlichen Glaubens dieser kleinen, vernünftigen, jedoch seelenlosen Wesen und ihrer vorzüglichen Bibelkenntnisse; oder die Frage nach dem Aussehen des Königs; anders als seine Untergebenen kommt er mit keinem Menschenvolk in Kontakt, da er die "Geschäffte" (418) in seinem Reich vom Mittelpunkt aus verwaltet, weshalb er auch nicht wie das jeweilige Menschenvolk aussehen und gekleidet sein kann: wie aber sonst? Offen bleibt zunächst auch die Frage, wie Simplicius selbst während seines Aufenthalts unter Wasser gekleidet ist; erst in Kapitel 17 erfährt der Leser, daß Simplicius als Witwer "ein schwartz Trauer-Kleid" trägt (435). Während Simplicius erst beim Aufenthalt im Stillen Ozean von der universalen, an das Pfmgstwunder der Apostelgeschichte erinnernden Sprachfähigkeit der Wassermännlein erfährt, legt er in der Szene, die seine ersten Eindrücke im Weltinnern wiedergibt, den Akzent vielmehr auf die unkonventionelle Gleichheit am Hof, an dem es keine Rangordnung gibt und ausgerechnet dienendes Personal fehlt (423), dann aber auch auf die erstaunliche Mannigfaltigkeit der versammelten Miniaturwesen, die alles andere als uniformiert sind. Man sieht: die Ebenbilder der Chineser und Africaner, Troglodyten und Novazembler, Tartarn und Mexicaner, Samogeden und Moluccenser, ja auch von denen / so unter den Polls arctico und antarctico wohnen/ das wol ein seltzames Spectacul war; die zween / so über den wilden und schwartzen See die Inspection trugen / waren allerdings bekleidet / wie der so mich convojirt / weil ihre See zunächst am Mummel-see gelegen / zog also der jenige / so über den Pilatussee die Obsicht trug / mit einem breiten ehrbaren Bart und einem par Bloderhosen auff / wie ein reputierlicher Schweitzer / und der jenige / so über den obgemeldten See Camarina die Auffsicht hatte / sähe beydes mit Kleidern und Geberden einem Sicilianer so ähnlich / da einer tausend Ayd geschworen hätte / er wäre noch niemalen auß Sicilia kommen / und könte kein Teutsches Wort; Also sähe ich auch / wie in einem Trachten-Buch/ die Gestalten der Perser / Japonier / Moscowiter / Finnen / Lappen / und aller andern Nationen in der gantzen Welt (424). Bis auf die "Mexicaner" werden in dieser Schilderung die von uns schon behandelten Begleiter des Simplicius auf der späteren Reise in den Pazifik — "Peruaner / Brasilianer [...] und Insulaner de los latronos" — noch nicht erwähnt (Heimat bzw. Arbeitsgebiet letzterer sind die im nordwestlichen Stillen Ozean gelegenen Marianen und gehören deshalb eigentlich nicht mehr in den
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amerikanischen Kontext), doch muß man sie sich als ebenfalls am Hof anwesend hinzudenken. Dies fällt uns umso leichter, als im vorausgehenden Kapitel von einer ganz besonderen Verbindung zwischen den ersten Amerikanern und den Vorfahren der jetzigen Wassermännlein die Rede ist. Um die weltweite Verbindung aller Seen untereinander zu erklären, erinnert der Mummelseefürst während des Abstiegs zum Weltmittelpunkt an die entschiedene Rettungsaktion seiner "Vor-Eltern vor alten Zeiten", welche etliche Cananeer / die dem Schwerd Josuce entronnen / auß Desperation in einen solchen See gesprengt / in geführt [haben] / massen deren Nachkömmlinge noch heutigen Tag den See zu weisen wissen / auß welchem Eltern anfänglich entsprungen (422).
und sich Americam auff den ihre Ur-
Die südamerikanische, hier mit altweltlicher Sage phantasierend verwobene Legende, auf die der kleine Fürst anspielt, wurde Grimmelshausen vermutlich durch zwei Bände der de Bryschen Grands Voyages vermittelt (Dallett 1977, 198-202); es ist allerdings möglich, daß der Autor von einer weiteren Quelle angeregt wurde. Aber zurück zur Feststellung des Simplicius, die versammelten Fürsten wirkten "wie in einem Trachten-Buch". Die Formulierung setzt natürlich voraus, daß "Trachtenbuch" ein Simplicius wie auch Grimmelshausen geläufiger Begriff war, was wiedenim den Schluß zuläßt, daß beide Beispiele der Gattung kannten. Wo liegt aber der Dreh- und Angelpunkt dieses Vergleichs? Meint man etwa das Nebeneinander vieler unterschiedlich gekleideter Figuren, so muß man bedenken, daß die Figuren in einem Trachtenbuch zumeist in Einzelbildern oder in Porträts kleinerer Gruppen erscheinen, die streng genommen hinter- oder übereinander, also sukzessiv plaziert und darüber hinaus streng nach Erdteilen und dann nach Herkunftsland bzw. -Stadt eingeteilt bzw. aneinander gereiht sind. Grimmelshausens Darstellung ist dagegen sprunghaft und entspricht gleichsam der Bewegungsfreiheit der schwebenden Schwimmer sowie der Zwanglosigkeit des Hofes. Die so entwaffnend eingeführten, rhetorisch vereinten Männlein, die "unter den Polis arctico und antarctico" tätig sind, arbeiten offensichtlich in Seen, die in weitester Entfernung voneinander liegen. Allerdings nennt Simplicius die im übrigen benachbarten "Finnen" und "Lappen" fast im gleichen Atemzug; und die von ihm festgestellte Gleichheit der Kleidung der drei Fürsten aus dem Schwarzwald legt nahe, daß diese auch am Hof in Nachbarschaft zueinander zu sehen sind. In einem Trachtenbuch käme es zu einem denkbaren, alles bestimmenden Kontinuum, einer kollektiven (allerdings schweigenden) Gegenwärtigkeit allein in dem ideellen, ohne Perspektive und Schatten bestehenden Raum, der manchmal die Einzelfiguren
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umgibt — wie z.B. in Hans Weigels prächtigen Holzschnitten von 15774. Der Zweck eines typischen Trachtenbuchs dürfte trotz, wenn nicht gerade wegen seines umfassenden Charakters ein zentrifugaler sein; ein solches Buch hat eine Anlage, die das Auge des Lesers mit jeder Seite in eine stets andere Ferne hinlenken kann. Es gibt allerdings auch eine andere Perspektive: Man könnte sagen, daß die abgebildeten Figuren eines Trachtenbuchs, für welche immer derselbe Maßstab der Größe genommen wird, alle in gleichem Abstand, gleicher Entfernung oder Nähe vom Betrachter aufgestellt sind. Während in manchen Trachtenbüchern nach Stand und Beruf unterschieden wird, vereinfacht Grimmelshausen: So verschieden seine kleinen Trachtenträger auch aussehen, gleichen sie sich in ihrer Lebensaufgabe, ja sogar der Orientierung und Gesinnung, wie sie den versteckten Absichten des Romans entspricht. Die vorerst nicht erörterte Universalsprache der Wassermännlein bezeichnet einen weiteren Unterschied zu den Trachtenbüchern, in denen natürlich keine Gespräche stattfinden und die babylonische Sprachenverwirrung nicht thematisiert zu werden braucht. 5 Alle bisher genannten Unterschiede sind im Vergleich mit den Trachtenbüchern jedoch marginal; der entscheidende Punkt liegt vielmehr darin, daß die Vielfalt der Trachten die Harmonie der Wassermännlein untereinander und, in spiegelbildlicher Reflektion, die Disharmonie unter den realen Völkern der Welt betont. Nirgends sieht Simplicius kleine Wasserfrauen, obwohl von ihnen die Rede ist. Trachtenbücher ohne Frauenbildnisse sind jedoch selten und allenfalls da zu finden, wo es um Militärisches geht, so in Abraham de Bruyns Diversorum gentium armatura equestris (1577a). Selbst in Jost Ammans Artliche vnnd kunstreiche Figurn zu der Reutterey (1584) sind Frauen, wenn auch etwas spärlicher, vertreten. Manche Trachtenbücher sind ganz auf Frauen spezialisiert, so die Ammansche Serie Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber / hohes vnd niders Stands (1586) und die im gleichen Jahr herausgekommene lateinische Variante, Gynceceum, Siue THEATRVM MVLIERVM. Die Mehrzahl der von mir eingesehenen Trachtenbücher des 16. Jahrhunderts (m.E. die Blütezeit der Gattung in Deutschland) zeigt Figuren beiderlei Geschlechts. 6 Könnte Grimmelshausen trotzdem an ein Trachtenbuch gedacht haben, das ausschließlich männliche Figuren zeigt und zugleich international angelegt ist?
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Vgl. Neubers Bemerkungen zum "Ambiente" ähnlicher neuzeitlicher Textillustrationen: es "erscheint reduziert auf einen unspezifischen Boden, der die bisherigen Landschaftsdarstellungen ersetzt" (1990, 251). 5
In manchen Trachtenbüchern umgeben oder begleiten die Abbildungen Textteile, die natürlich unter Umständen einen Leser ablenken können, der sich aufs Betrachten beschränken will. Gelegentlich spielen die Bildbeigaben also eine im Vergleich zum Text untergeordnete Rolle. 6
S. Amman 1561; Berteiii 1563; Boissard 1581; de Bruyn 1577b; Grassi 1585; Vecellio 1598; Weigel 1577.
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Obgleich die geographische Reichweite der Trachtenbücher unterschiedlich groß ist, behaupten viele Autoren — zu Recht oder Unrecht — die ganze Welt zu erfassen. Bereits der frühe Recueil de la diuersité des habits (1562) berücksichtigt neben Europa, Asien und Afrika auch die "liles sauuages". Auch das als umfangreichstes aller älteren Trachtenbücher geltende Werk des Cesare Vecellio, Habiti antichi et moderni (zuerst 1590), zeigt im Titelkupfer der Ausgabe 1598 die vier Erdteile. Und doch widmet Vecellio den Menschen Amerikas — von Peru über Mexiko und Florida bis Virginia — nur eines von zwölf Büchern. Demgegenüber räumen Grimmelshausens zwei Auflistungen der unter Wasser vertretenen Nationen zusammengenommen den Süd- und Nordamerikanern einen deutlich höheren Anteil zu. Je nachdem, wie man die Einwohner der Polargebiete einstuft, scheinen dennoch die wie Amerikaner gekleideten Wassermännlein in dem tableau vivant des Hofs zunächst schwächer vertreten zu sein. Zu den Büchern, die Grimmelshausen gekannt haben dürfte, gehört meiner Meinung nach ein geographisch-anthropologisches, aber auch historisches Sachbuch, dessen Haupttitel ursprünglich Newe Summarische Welt Historia lautete, dem später GEOGRAPHIA HISTÓRICA vorangestellt wurde, und das u.a. Religion, Gebräuche und Sprache, zusätzlich oft auch die politische Situation bei allen möglichen Völkern kurz behandelt (weitaus am ausführlichsten sind allerdings die Betrachtungen zu den "Teutschen"). Das Werk ist zwischen 1612 und 1627 fünfmal in Schmalkalden erschienen. Viele deutsche Bibliotheken besitzen Exemplare dieses Werkes, unter ihnen auch die Staatliche Kunstbibliothek in Berlin, in der bekanntlich die Lipperheidesche Kostümbibliothek aufbewahrt wird, zu deren Beständen ein Exemplar des Erstdrucks der Newen Summarischen Welt Historia zählt. Das Werk steht zu Recht in diesem Kontext, da es tatsächlich auch als Trachtenbuch gelten kann. Laut Titelblatt enthält es u.a. "Contrafeten aller Nationen vnd Völcker Trachten". Die Erläuterungen des Textes zur Physiognomie sowie Kleidung vieler (vom deutschen Standpunkt aus gesehen) naher und ferner Stämme werden durch insgesamt dreiunddreißig grob ausgeführte Holzschnitte illustriert. Jedes Bild zeigt eine in einem fast leeren Raum stehende Einzelfigur, die mit den landesüblichen Kleidungsstücken ausstaffiert und manchmal in einer lebendigen Haltung fixiert ist. Die Bilder wirken in dem umfangreichen Text (je nach Ausgabe zwischen 500 und mehr als 600 Seiten) etwas verloren, was aber dadurch aufgefangen wird, daß achtzehn Bilder zu kleinen Folgen von je zwei oder drei zusammengefaßt werden. Für Europa gibt es insgesamt achtzehn, für Asien und Afrika je sechs Figuren; und für die drei Hauptteile der Neuen Welt — "America", das "Mittagland Magellanica" (Terra Incógnita Australis) und "Mitternacht oder Nordland" — je eine. In den kleinen Holzschnitten (der innere Rahmen jedes Bildes mißt ca. 6 zu 9 cm) werden wie bei Grimmelshausen nur Männer abgebildet. Der Verfasser der Geographia Histórica war Historiker und Lehrer, aber auch Theologe und neulateinischer Dichter, zur Zeit der Erstausgabe unseres Textes "Diener [...] Gottes in H. Predigtambt zu Eschwege"; eine Zeitlang
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lebte er in Kassel und genoß als poeta die Gnade seines Landesherrn Landgraf Moritz (vgl. Dilich 1986, Nachwort, XI). Er schrieb u.a. Kompendien zur Geschichte der französischen Könige sowie der römischen Kaiser. Als Reformierter mischte er sich, allerdings gewissermaßen irenisch, in zeitgenössische theologische Kontroversen. Es überrascht also nicht, daß er in der Newen Summarischen Welt Historia für die meisten zur Diskussion stehenden Völker neben politischen und sittlichen Fragen auch die jeweilige Religion bespricht. Er hieß Hermann Schmidt, lebte von 1570 bis 1634 und nannte sich dem Zeitgebrauch entsprechend lateinisch Faber, Fabricius und vor allem Fabronius (mit dem Beinamen Moseman[n][us]); darüber hinaus benutzte er auch einige Pseudonyme (vgl. Jöcher 1961, II, Sp. 497). Er hat die aufeinander folgenden Ausgaben seines mehrfach erweiterten Werkes selbst besorgt. 7 Auch die im Werk vorkommenden Völkernamen variieren, worauf ich bei meinem Quellennachweis aus praktischen Gründen nicht weiter eingehe. Manchmal gleicht die Form eines Eigennamens an einer Stelle des Handbuchs der Form des entsprechenden Namens bei Grimmelshausen, während eine andere Variante keine genaue Entsprechung hat; es kommen aber auch völlig abweichende Schreibweisen vor. Zu jedem Bild gibt es ein lateinisches Distichon sowie einen deutschen Vierzeiler, in denen das jeweilige Volk eine lateinische als auch eine deutsche Bezeichnung erhält. Die lateinischen Verse sind übrigens als Gruppe im großen Holographon der Poemata des Dichters in der Hessischen Landesbibliothek/Murhardschen Bibliothek in Kassel (2° Ms. Poet, et roman. 12) unter den Epigrammata vorhanden. Nicht immer informieren die Verse über die abgebildete Landestracht. Aber der Prosatext des jeweiligen Kapitels erörtert ohnehin in den meisten Fällen die übliche Männer-, zuweilen aber auch die Frauenkleidung des Landes. Zu den Völkern, denen nicht die Ehre zukommt, in einem Holzschnitt dargestellt zu werden, gehören die Bewohner von Nova Zembla, welche den frühen holländischen Entdeckern zwar unsichtbar blieben, bei ihnen aber trotzdem irgendwie den Eindruck hinterlassen haben sollen, daß sie sich "meinstlich in Thiereshäute bekleiden / das Rauhe herauß kehren / vnd es also vmb sich formiren / daß die Thieresschwentze jhnen hinden vbers Gesäß hinunter hangen / wiewol ein jeder ort sein besondere weise hat" (II, 75). Die "Leute in Magellanica" (dem neuweltlichen Südland) [gleichen] "in kleidung den Mitternachtländern. Da je näher dem Polo Anarctico je kälter ist es daselbsten" (II, 91), während das Distichon zum "Magellaner"-Holzschnitt die südliche Gegend gerade mit Nova Zembla vergleicht: "Magellana Novce ZemblcE sita compare Zona, \ Subjacet extremis utraque terra polis" (II, 90). Paradoxerweise aber geht der in diesem letzten Holzschnitt des Werks gezeigte
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Im gegenwärtigen Beitrag wird aus der letzten, 1627 erschienenen Ausgabe zitiert; die Abbildungen aber entstammen der Erstausgabe; mit einer Ausnahme sind die Holzschnitte in allen Ausgaben identisch.
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Mann barfuß und trägt keine Kopfbedeckung. Allerdings trägt er ein aus Tierfell gefertigtes Cape, das dem des "Nortländerfs]" im vorletzten Holzschnitt ähnlich ist (II, 71). Dieser ist jedoch von Kopf bis Fuß in Pelze gekleidet, trägt über der Schulter den Stiel einer mit Gelenken versehenen, dreizackigen Harpune und hält mit seiner linken Hand senkrecht vor sich einen Kajak; man möchte ihn ohne weiteres einen Eskimo nennen. Suchte man ein Vorbild für die Wassermännlein aus der Arktis in Grimmelshausens Vorstellung, so hätte man hier einen Ansatzpunkt. Im übrigen erinnert Grimmelshausens Formulierung "unter den Polis arctico und antarctico" an einige fast identische Wendungen im Sachbuch (vgl. 3, 10; II, 51, 81 f.). Beide Verfasser schenken den nördlichen Breiten mehr Aufmerksamkeit als den südlichen. Wo Fabronius neben dem Eskimo ("Nortländer"), dem "Samiut" und dem "Muscawer" verschiedene Skandinavier ("Dennemärcker", "Lapländer in Dennemarck", "Schwede" und "Finländer in Schweden") im Bild zeigt und, wie bereits erwähnt, für das "Mittagland" einzig den "Magellaner", so nennt Grimmelshausen die "Ebenbilder" von fünf Völkern des Nordens ("Novazembler", "Samogeden", "Moscowiter / Finnen / Lappen"), ohne einen "Magellaner" zu erwähnen, während weitere, namenlos bleibende, nur summarisch angedeutete Völker aus der Antarktis durch ihr Gegenstück oder ihre Gegenstücke in der Arktis gleichsam aufgewogen werden. Dennoch dürfte man aus Grimmelshausens Begriff der südpolarischen Völker auch die "Magellaner" ableiten. Zu den oben genannte Kleingruppen oder Figurenfolgen bei Fabronius gehören übrigens einmal der "Dennemärcker" und der "Lapländer in Dennemarck" (273f.), einmal (wenig später im Text) der "Schwede" und der "Finländer in Schweden" (291f.), aber auch der "Mußcawer" und der "Samiut" (322f.), was zu Grimmelshausens Zusammenstellung am Ende seines Katalogs — "Moscowiter / Finnen / Lappen" — passen würde. Besonders klein wird der "Samiut" dargestellt; und tatsächlich heißt es von diesem als typisch zu verstehenden Vertreter der "Samiuten" oder "Samogetce", daß er "Zwerch von Statur" (323) ist, was eine genaue Entsprechung ("kurtz von Statur") in der späteren Reisebeschreibung des Olearius (1656, 160) findet (vgl. Abb. 4). Dessen Schreibweise, "Samojeden", scheint übrigens zwischen der des Trachtenbuchs ("Samogetce") und der Grimmelshausens ("Samogeden") zu liegen. Hat vielleicht gerade die "parva statura" dieses kleinen Nordländers — besonders im implizierten Kontrast zur Riesenbeute ("Zwerch von Statur / seynd gleichwol risch / Zu fangen ein grossen Wallfisch" (323)) — die Einbildungskraft Grimmelshausens entzündet und ihn möglicherweise erst, nachdem er die Begegnung am Mummelsee und die Reise zur Weltmitte bereits entworfen hatte, zu einer Verbindung der Männlein aus den Mummelseesagen und unserer Bildserie geführt? Wie dem auch sei, die Samiuten erhalten von Fabronius selber die Bezeichnung "Männlein", wenn er in seinem Text das Volk schildert:
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Die Samiuten [...] seind Männlein von vier Schue lang / wie die Holländische Schiffarten berichten. Tragen lange Haar / darein sie einen Zopff flechten / welchen sie auff den Rücken hinab hangen lassen / haben breyte flache Angesichter / schwartzfärbig von Kält / einen grossen Kopff / kleine Augen / kurtze krumme Schenckel / jhre Knye gehen nicht recht vorwerts / sondern zur Seiten / seynd so schnell vom Lauffen vnd Springen / daß einer jhnen nit folgen kan. Ihre Kleider seind kurtz vnd enge von Demiingen vnd Gemsheuten / kehren das rauhe herauß (324f.). Sollte Grimmelshausen beabsichtigt haben, den optischen Eindruck der kleinen, manchmal zu Gruppen zusammengefaßten Holzschnitte verbal wiederzugeben, hätte er die Figuren nicht nur räumlich radikal verändern müssen. Denn während seine Wassermännlein als Person gewordene Friedfertigkeit dargestellt werden, sind die Holzschnittfiguren mit vier Ausnahmen bewaffnet. Es sind dies der "Niderlender in Teutschlandt", der "Chineser in India", der "Magellaner" und der "Grieche", der ein Buch in der Hand hat (345). Bei den anderen sieht man am häufigsten ein Schwert, das allerdings nicht ohne weiteres eine kriegerische oder feindliche Einstellung des Trägers bedeuten muß, oder aber Krummsäbel, Degen, Speer, Axt, Stock, Keule, Flinte (diese trägt der "Lapländer in Dennemarck"); die Harpune des "Nortländers" sowie Pfeil und Bogen des Samiuts sind mehr Jagdgeräte als Waffen. Im Vierzeiler zum "Vnger" stellt Fabronius die Kriege zweier der auch bildlich dargestellten Völker in den Mittelpunkt: In Vngar hört man viel von Krieg / Der Vngarn rümbt erlangten Sieg. Der Türkisch Nachbar lehrt in wohl / Wie er den Sebel führen sol (148). Ähnliches steht etwa in den Versen über den "Illryrier oder Crabat" (166) sowie über den "Madagascar" (585); auch vom Polen heißt es, "Zu Pferd ist er ein Kriegßmann gut" (305). Grimmelshausens Wassermännlein hingegen greifen höchstens zum Gewitter, um die Menschen im Zaum zu halten, und im Fall des besonders neugierigen Simplicius bedienen sie sich der Argumentation. Nur etwa zehn der von Grimmelshausen genannten Völker erscheinen in den Holzschnitten. Dennoch könnte man annehmen, daß Grimmelshausens Kleiderschau von Fabronius mit angeregt worden sei, ohne daß unbedingt für jedes im Roman erwähnte Volk ein graphisches Vorbild vorhanden sein müßte. In der Tat gibt es in der Galerie der Holzschnitt-Porträts trotz deren vergleichsweise hoher Anzahl keine Entsprechung zu mehreren der von Simplicius ausdrücklich genannten Völker. Das trifft z.B. für die "Japonier", die "Mexicaner", die "Brasilianer", die "Molluccenser", die "Troglodyten" und die "Insulaner de los latronos" zu; die zwei letzten fehlen allerdings auch im Text der Geographia Historica. Der Autor beschreibt die Wirtschaft auf den "Inseln Molucca" oder "Moluccis" sowie die geographische Lage und Politik Japans, nicht aber die
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Trachten auf den zwei Inselgruppen. Die Kleidung der im Sachbuch nicht abgebildeten Mexikaner stellt Fabronius nur rückblickend, wenn auch mit einer bunt-exotischen Eindringlichkeit wie folgt dar: Ihre Kleidung waren Tiger / Löwen vnd anderer grimmiger Thiere Häute. Die vornembsten trugen Feldzeichen vnd Federbüsche im Haar / welches sie in die Höhe zusammen bunden hatten so viel Quasten daran hangen / wie viel Thaten sie gethan hatten (II, 48). Über die Art und Weise der Bewohner Brasiliens, sich zu schmücken und ihren Körper zu bemalen, informiert die Geographia Histórica dagegen ausführlich. Sie tragen z.B. Halsbänder von Meerschnecken oder daraus hergestellten "Corallen", sie binden sich Fedderbüsche auff die Stirn oder hinden an das Häupt / an die Armen / vnnd auff den Hindern / wie eine Scheibe zusammen gehefftet / vnnd mahlen sich seltzam durch einander/ einen Armen roth / den andern schwartz vnd dergleichen. Theil [...] haben Kotzen vnd Thires-häute vmb / als bey den Pattagonen / theils haben nun [!] ein Baumwollen Tuch vmb die Länden / ein Theil gehen gar bloßnackend / außgenommen / daß sie wie gemelt mit Fedderbüschen gezieret seynd (II, 29). Wenn Grimmelshausens Leser mit der Geographia Histórica vertraut wäre, könnte er sich das in Brasilien wirkende Wassermännlein (wie auch die Wassermännlein aus Mexiko) konkret vorstellen, zumal der im Holzschnitt abgebildete Peruaner ("Americaner in Peru") mit seinen Halsbändern und den Federbüschen am Hintern den beschriebenen Brasilianern zumindest teilweise entspricht (vgl. Abb. 1). Für Afrika bietet Fabronius nicht weniger als sechs prototypische Holzschnitte, die dem Leser helfen könnten, sich die am Hof der Wassermännlein weilenden "Africaner" bildlich vorzustellen: "Mauritaner oder Weisser Mohr", "Egyptier", "Nigrit", "Aethiops oder Mohr", "Cafres in Aethiopia" und "Madagascar" (die drei letzten bilden zusammen eine Folge, 583-585); gerade diese Vielfalt würde jedoch ihre Zusammenfassung unter einem Oberbegriff bei Grimmelshausen erschweren. Der im Trachtenbuch porträtierte "Italianer oder Welscher" soll wohl die ganze Halbinsel kleidungsmäßig repräsentieren; auch wenn er keine für eine bestimmte Region charakteristische Tracht trägt, hat er vielleicht Grimmelshausens in "Kleidern und Geberden" vorgeblich ganz authentisch wirkenden "Sicilianer" mit angeregt. Nun wird dessen Heimatsee Camarina an dieser und zwei
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weiteren Stellen des Romans mit dem Schweizerischen Pilatussee in Verbindung gebracht, so wie es auch bei Fabronius zu lesen ist.8 Natürlich wird im Roman vorausgesetzt, daß Simplicius selbst die Trachten den verschiedenen Regionen zuordnen kann; auch wenn sein Wissen größtenteils auf Bücher zurückgehen sollte, erkennt er offensichtlich sofort die Trachten bestimmter Seen, die vermutlich noch nie zuvor in einem Trachtenbuch abgebildet wurden. So erblickt er zwei Männlein, die "über den wilden und schwartzen See die Inspection" tragen und ähnlich gekleidet sind wie das fürstliche Männlein vom benachbarten Mummelsee, über dessen Herkunft — der Fürst hat Simplicius zum Hof geholt — ja kein Zweifel bestehen kann. Und doch wird im Roman nicht eindeutig erkennbar, ob Simplicius, der gerade zum ersten Mal in seinem Leben den Mummelsee gesehen hat, auf Einwohner der Region getroffen ist. Man darf sich jedoch eine Tracht vorstellen, wie sie im ganzen Schwarzwald zu sehen war. Grimmelshausen nimmt es offensichtlich mit der Geographie nicht ganz genau, und kümmert sich außerdem wenig um gesellschaftliche Unterschiede. Er hat keine Scheu, ein nach Hans Weigel (Abb. LXVI) für höher stehende Schweizer gedachtes, sehr elegantes Kleidungsstück, nämlich "Bioderhosen", dem Wächter über den Pilatussee zuzuweisen, der ja in enger Verbindung mit dem See Camarina steht (s.o.). Aber das so gekleidete, bärtige Männlein vom Pilatussee (allerdings ein Fürst) vertritt als "reputierlicher Schweitzer" gleichsam die ganze deutsche Schweiz, was auch für den örtlich nicht differenzierten Schweizer bei Weigel gilt. Bei Fabronius trägt der "Schweitzer in Teutschland" (39) eine nicht bauschige Hose ohne sichtbaren Kniebund, wohl aber mit Streifen; die graphische Ausführung ist undeutlich, so daß man fragen könnte, ob der Künstler vielleicht eine Pluderhose beabsichtigt hatte; denn dem Vierzeiler zufolge hat der Schweizer "manchen Schnit" im "Kleid". Den Bart der Figur mit Grimmelshausen "breit" und "ehrbar" zu nennen, wäre wohl etwas übertrieben (anders als bei der Figur Weigels). Der Schweizer wird nach Fabronius "Bey König vnd Fürsten auff Erden. [!] | Zur Guardi viel gebrauchet", während sein Ebenbild am Unterwasserhof des Königs nie eine solche Aufgabe erhalten könnte, da dieser ganz ohne "Leibguardi" (423) auskommt. Daß Fabronius seinem eigenen Volk nur einen einzigen Holzschnitt widmet (obgleich er sowohl den Schweizer als auch den Holländer als "in Teutschland" anwesend versteht), während Grimmelshausen drei Figuren bespricht, die im engeren Sinn aus Deutschland stammen, dürfte mehrere Gründe haben. Ich
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Die Verbindung zwischen den beiden Seen wird zusätzlich damit begründet, daß über dem "See Camarina in Sicilia" (genau wie über dem Pilatussee) ein Gewitter entstehe, wenn man darein Steine werfe, was Grimmelshausens Gewährsmann für V, 14 — Wolfgang Hildebrand (Burkhard 1919, 141 f., Anm. 3; Dallett 1981, 360, Anm. 53) — höchstwahrscheinlich unmittelbar von Fabronius übernommen hat; sicher schließt Grimmelshausens Kenntnis von Hildebrand seine Vertrautheit mit Fabronius nicht aus.
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vermute, daß Grimmelshausen damit eine Aussage treffen wollte, die uns zu einem wichtigen Paradoxon führen kann: Fabronius betont einerseits den deutschen Hang zur ausländischen, modischen Kleidung, andererseits die deutsche Treue. Diese wird auch im Vierzeiler des entsprechenden Holzschnitts erwähnt: "Gar offt hat er erlangt den Preiß / | Daß er auffrichtig Trew beweiß" (37). Nun zeigt sich Simplicissimus ("Teutsch"!) am Hof als Lügner und hält eine lange Rede, welche die wirklichen, schlimmen Umstände in der Menschenwelt in ihr Gegenteil verkehrt, da er glaubt, der König wolle nur Gutes hören, um die Angst davor zu vertreiben, daß die seine Leute mit dem ewigen Tod bedrohende "Endschafft" (425) nahe sei. Der König durchschaut jedoch die erlogene Rede, die wir unter anderem als eine Parodie auf die typische, auf Schmeichelei zielende Rede der Höflinge betrachten können, zugleich aber auch als Mißbrauch der (laut Fabronius uralten) deutschen Sprache, den die drei Schwarzwälder Wasserfürsten schweigend bezeugen können. Daß auch diese drei Männlein anscheinend Deutsch beherrschen, versteht sich vom Prinzip der Wundersprache her, führt den Leser aber auch auf die märchenhaften Geschichten zurück, in denen Wassermännlein Deutsch sprechen (V, 10), was Simplicius zuvor als einen der Beweggründe zu seiner Mummelseereise nannte, so kindisch und falsch ihm diese Geschichten auch vorgekommen waren. Simplicius' Reise unter Wasser erfährt im Roman an späterer Stelle eine erzählerische Beglaubigung. Das utopische Wasserreich besucht er jedoch nie wieder. Als literarische Fiktion erlangt Grimmelshausens entropische Utopie auch in der Sprache einen Universalismus ohnegleichen. Die Universalität der Kleidung, die uns vorgeführt wird, ist eher additiv; sie unterstreicht aber, wie souverän alle Unterschiede im Äußeren ausgeglichen werden können. Der Neuen Welt kommt jedoch keine herausragende Bedeutung in der hier analysierten Episode zu, deren Hauptanliegen das Selbstverständnis des moralisch zu erziehenden Menschen ist, des Erzählers wie auch des Lesers. Wenn aber die ganze Welt aufgerufen werden sollte, durfte die Neue Welt natürlich nicht fehlen, wobei Grimmelshausen seine Belesenheit gut zustatten kam. Ein Erlebnis besonderer Art ist die Reise in das "Americanische Meer", dessen Boden überall mit Juwelen bestreut und von Mondschein und Sternenlicht beschienen ist; davon ragen "gewaltige Schroffen viel Meil wegs hoch in die Höhe", wo sie "lustige Inseln" tragen; unten sind sie mit "allerhand lustigen und wunderbarlichen Meergewächsen geziert / und von mancherley seltzamen kriechenden / stehenden und gehenden Creaturen bewohnet". Da gibt es "Schnecken-Häußlein so hoch als ein zimlich Rondel / und so breit als ein Scheuerthor; Item Perlen so dick als Fäuste / welche [die Männlein] an statt der Eyer assen" (428f.). Mutatis mutandis hört sich diese Beschreibung wie ein Wunschtraum der ersten neuzeitlichen europäischen Entdecker an. So unwahrscheinlich es jedoch im Geflecht der gegenweltlichen Utopie auch klingen mag und soll, läßt sich eines der Motive durch einen Tatsachenbericht bei Fabronius wenigstens in naturgeschichtlicher Hinsicht bestätigen. Fabronius beschreibt im Kapitel
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über Ägypten eine Tätigkeit, die Grimm elshausens regen Gestaltungsdrang zusätzlich angeregt haben könnte, wie der folgende Spaltendruck aufzeigen soll: Im roten Meer / wie dann auch in andern Orten / wachsen auch Corallen. Es wächset nemlich ein reisiges oder staudiges Kraut im Meer / das ist / im wasser gantz weich vnd ästig / so mans aber mit einem Garn oder Eisen herauß zeucht / wird es von stund an roth / vnd verwandelt sich in einen Stein / vnd je röther es ist / je köstlicher es ist ("525" = 552).
[...] ehe wir auff den Grund deß obgedachten fridsamen Meers kamen / darauff stunden Corallenzincken so groß als die Eichbäum / von welchen sie zur Speise mit sich nahmen / was noch nicht erhärtet und geferbt war / dann sie pflegen sie zu essen / wie wir die junge Hirschgeweyh (428; s. Dallett 1976, 251, Anm. 71).
Es lassen sich noch weitere Anklänge an Fabronius im Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch aufzeigen. Der sorgfältige Nachweis einer Abhängigkeit in dem Sinn, daß Grimmelshausen Passagen aus dem Werk des Fabronius aufgenommen und umgeformt hätte, kann hier nicht mehr durchgeführt werden. Nur einen Punkt will ich herausgreifen und hervorheben: der Verfasser der Geographia Histórica war an Sprachen außerordentlich interessiert und ging auch auf die Wirkungen der babylonischen Sprachverwirrung ein, die er mit der allgemeinen Veränderlichkeit menschlicher Rede in Verbindung brachte. Er reflektierte über den Ursprung der einheimischen Sprachen in Amerika sowie über die Möglichkeit, daß die ersten Einwohner der Neuen Welt auf dem Seeweg dort angekommen sein könnten. Einen guten Teil des ethnologischen Wissens, das er in sein Buch einbrachte, verdankte er zumindest indirekt dem Graphiker, dessen Holzschnitte im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen. Dieser Graphiker bat nämlich Fabronius darum, Epigramme zu seinen Bildern zu verfassen. Fabronius wollte diese Arbeit jedoch erst nach gründlichen Studien übernehmen, die dann — wie auch die im Gedächtnis gebliebenen Eindrücke seiner "Wanderschafft" in jungen Jahren — zu seinem Buch führten ([l]i«j-[2]).
Anhang Im Jahre 1614 veröffentlichte Fabronius einen von ihm so genannten Bücherkatalog, welcher die für die Newe Summarische Welt Historia benutzte Bibliographie darstellen dürfte; die bibliographische Auflistung war kein Einzeldruck, sondern erhielt seinen Platz (ab S. 74) in einem neuen Werk des Autors, CHRONOLOGIA HISTÓRICA: Oder Zeitrechnung / ordentlich Verzeichnis vnnd Nebensatz Vornehmer Geschichten der Welt [...], das wie das frühere Sachbuch in Schmalkalden bei Kezelius verlegt wurde. Eine Einteilung der Bibliographie, die PARTICULARES DE NATIONIBVS heißt, faßt u.a. die Werke zusammen, die Fabronius für seine dortigen Erörterungen der Neuen Welt herangezogen haben
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muß. (Die CHRONOLOGIA HISTÓRICA selbst enthält nur vier dürftige Eintragungen zur Geschichte der Neuen Welt.) Im Kontext des Wolfenbütteler Arbeitsgesprächs, aus dem der vorliegende Beitrag hervorgegangen ist, dürfte es von Interesse sein, die betreffende kurze Auflistung ausgebreitet zu sehen. [S. 83] 22. De America: Navigatio Columbi & Vestutii [!]. Historia Brasiliano Iohannis Stadi Homburgensis Germanicé. Militia Parana sive à Rio del piata Virici Schmidlini. Straubingensis Germanicé. Historia de Gujana Releghi, Hulsii. Epistola P. Richerii ex Gallia Antarcti[c]a. Thomas Hariotus Anglus. 23. De Boreali: Navigationes Batavorum versus Aquilonem Hulsii. Roslini judicium de ijsdem Batavoreum navigationibus instituendis per mare Scythium. [S. 84] Septentrio Novantiquus interprete Megisero. Olaus itemque Magnus. 24. De Magellanica: Navigationes circum orbem terrarum Ferdinandi Magellanici. Franc. Drak Thomae Candischi, Olivarii ä Horto.
Bibliographie Quellen A m m a n , Jobst. 1561. IVDOCI AMMANNI CLERUS TOTIUS ROM. ECCLESIA?, hoc est, PONTIFICIORVM ORDINVM OMNIVM Omninò utriusque Sexus Habitus,
artificiosissimis Figuris expressus, & antehac adjectis Francisci Modii Brug. singulis Octostichis, in quibus cujusquè Ordinis Ecclesiastici Origo, Progressus & Vestitus ratio breviter ex variis historiis delineatus, exactè descriptus; Nunc autem appositis Ioann. Adami Loniceri Franco/. Rhythmis Germanicis nitidior & illustrior in lucerti denuò prolatus. Das ist: Der Römischen Catholischen Kirchen jemahls gewesene Ständ und Orden / [...] Anjetzo aber in beyderley Sprachen von newem wieder auffgelegt / und an Tag gegeben. Frankfurt am Mayn. In Verlegung / Johann Wilhelm Ammons / und Wilhelm Serlins. ANNO M. De. Lxi. —. 1584. Artliche vnnd Kunstreiche Figurn zu der Reutterey / sampt jrem musterhafftem Geschmuck / Dergleichen nie außgangen. Jetzt erst durch den Kunstreichen Jost Ammon wohnhafft zu Nörnberg gerissen. Getruckt zu Frankfort am Mayn / In Verlegung Sigmund Feyerabend. —. 1586. Jm Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber / hohes vnd niders Stands / wie man fast an allen Orten geschmückt vnnd gezieret ist [...] Durchauß mit neuwen Figuren gezieret / dergleichen nie ist außgangen. Jetzt und erst durch den weitberühmbten Jost Amman wonhafft zu Nürnberg gerissen, sampt einer kurtzen Beschreibung durch den wolgelehrten Thrasibulum Torrentinum [...] allen ehrliebenden Frauwen vnd Jungfrawen zu ehren in Rheimen verfaßt. M.D.Lxxxvi. Getruckt zu Frankfurt am Mayn in Verlegung Sigmund Feyerabends.
168 — . 1 5 8 6 . Gynceceum,
Siue
THEATRVM MVLIERVM,
NIVM PER EVROPAM IN PRIMIS, NATIONVM,
IN QVO PRAECIPVARVM
GENTIVM,
POPVLORVMQVE,
OMCVIVS-
CVNQVE dignitatis, ordinis, status, conditionis, professionis, cetatis, faemineos habitus videre est, ARTIFICIOSISSIMIS NVNC PRIMVM figuris, neque vsquam antehac pari elegantia editis, expressos ä IODOCO AMANO. [...]. M . D . L x x x v i . Francoforti, Jmpensis Sigismundi Feyerabendij. B e r t e i i i , F e r d i n a n d o . 1 5 6 3 . OMNIVM FERE GENTIVM NOSTR/E
NVNQVAM ANTE HAC ALDITI. Ferdinando Venetijs Anno M D LXIII.
Berteiii
ALTATIS
Aineis Typis
HABITVS,
Excudebat.
Boissard, Jean Jacques. 1581. HABITVS Variarum Orbis gentium. Habitz de Nations estranges. Trachten mancherley Völcker des Erdskreyß. [...] 1581. o.O. ' de Bruyn, Abraham. 1577a. Diversarum
gentium armatura
equestris.
(HADR.
DAMMAN GANDAVUS, E T ABRAHAMVS BRVYNVS ANTWERPIANVS) O . O .
—. 1577b. OMNIVM PCENE GENTIVM IMAGINES [...]. Egit impensam I. Ruius, scalpsit [!] Abrah. Bruynus his styli auxilium attulit H. Damman M D LXXVII[.] o.O. [Köln], Fabronius, Hermannus [...] Mosemanus. 1612. Newe Summarische Welt Historia: vnnd Beschreibung aller Keyserthumb / Königreiche / Füürstenthumb ! vnnd Völcker heutiges Tages auff Erden. [...] Mit Beyfiigung der Landtafeln vnd Controfeten [!] aller Nationen vnd Völcker Trachten. [...]. Getruckt zu Schmalkalden / durch Wolffgang Ketzeln. 1612. Unsere Abbildungen sind dieser Ausgabe entnommen (Exemplar der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel [Sign. Gb 96]). —. 1614. CRONOLOGIA HISTORICA: Oder Zeitrechnung / ordentlich Verzeichnis mnd Nebensatz Vornehmer Geschichten der Welt: So sich in Europa / Asia / Africa: America / Nordt vnd Mittaglandt hin vnd wider zugetragen haben / Aus H. Schrifft/ Chronologiis vnd Relationen Alter vnd Newer Historien zusammen bracht / durch fleiß HERMANNI FABRONII Mosemanni. [...] Gedruckt zu Schmalkalden durch Wolffgangum Kezelium / Jm Jahr 1614. —. 1627. GEOGRAPHIA HISTORICA: Newe Summarische WElt-Historia / Oder Beschreibung aller Keyserthumb / Königreiche / Fürstenthumb / vnd Völcker heutiges Tages auff Erden. Was für Land vnd Leute in der gantzen Welt / was jhre Gestallt/ Kleidung / Sprachen vnd Handthierung / was für Religion / Glaube vnd mancherley Sitten / Jtem für Regirung vnd weltlichen Regiment in allen denen Landen seyen: Mit Beyfiigung der Land Tafeln vnd Contrafeten aller Nationen vnd Völcker Trachten. Sampt Vermeidung dencknöhtiger Geschichten / sonderlich auch Erzehlung der Newen wunderlichen Reisen vnd Schiffarten / so heutiges Tages in Orient vnd Occident / gegen Mitternacht vnd Mittag in die Newen Welten zu geschehen pflegen. Die fünffte Edition. Abermal mit weiterer Außführung vnd mehrerm Zusatz vieler Alten
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vnd Newen Historien vermehret / durch Fleiß: HERMANN! FABRONII, MOSEMANNI. Gedruckt zu Schmalkalden / durch Wolffgang Ketzeln / Fürstl. Hess. Buchdruckern. Anno Christi 1627. —. POEMÄTA HERMANNI FABRONLL MOSEMANNI:
Ministri
Dei,
et Poetee
Laureatj.
MS. Hessische Landesbibliothek/Murhardsche Bibliothek Kassel. Sign. 2° Ms. poet. et roman. 12. G r a s s i , B a r t o l o m e o . 1 5 8 5 . DEI VERIRITRATTIDEGL' DEL MONDO.
HABITIDI
INTAGLIATI IN RAME PER OPRA DI BARTOLOMEO
NO. LIBRO PRIMO.
TVTTELE
PARTI
GRASSI
ROMA-
[ . . . ] . IN ROMA. MDLXXXV.
Grimmelshausen. 2 1984. Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Hg. von Rolf Tarot. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. Olearius, Adam. 1656. Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse [...] Welche Zum andern mahl heraus gibt Adam Olearius Ascanius / der Fürstlichen Regierenden Herrschafft zu Schleßwig Holstein Bibliothecarius vnd Hoff-Mathematicus. [...] Schleßwig / Gedruckt in der Fürstl. Druckerey / durch Johan Holwein / Im Jahr M DC LVI. [Recueil de la diuersite des habits]. [1562], 1572. OMNIVM FERE GENTIVM nostreeque cetatis Nationum, Habitus & Effigies. In eosdem Ioannis Sluperij Henelensis Epigrammata. Adiecta ad singulas Icones Gallica Tetrasticha. [...] ANTVERPLAL, Apud Ioannem Bellerum, sub Aquila aurea. M. D. LXXII. [...] Paris. de Rochefort, Charles. 1668. Historische Beschreibung Der Antillen Inseln in America gelegen In sich begreiffend deroselben Gelegenheit / darinnen befindlichen natürlichen Sachen / sampt deren Einwohner Sitten und Gebräuchen mit 45. Kupfferstücken gezieret, von dem Herrn de Rochefort, zum zweyten mahl in Französischer Sprach an den Tag gegeben / nunmehr aber in die Teutsche übersetzet. Franckfurt / In Verlegung Wilhelm Serlins / Buchdruckers und Buchhändlers. Vecellio, Cesare. 1598. HABITI ANTICHI, ET MODERNI di tutto il Mondo. Di Cesare Vecellio. Di nuouo accresciunti di molte figure. [...] IN VENETIA, Appresso i Sessa. [Col.: M.D.XCVIII. Appresso Gio. Bernardo Sessa], W e i g e l , H a n s . 1 5 7 7 . HABITVS PR/ECIPVORVM
POPVLORVM,
TAM VIRORVM
QVAM
feeminarum Singulari arte depicti. Trachtenbuch: Darin fast allerley vnd der fürnembsten Nationen / die heutigs tags bekandt sein / Kleidungen / beyde wie es bey Manns vnd Weibspersonen gebreuchlich / mit allem Vleiß abgerissen sein / sehr lustig vnd kurtzweilig zusehen. Gedruckt zu N ü r n b e r g / bey Hans Weigel Formschneider, f...] ANNO M. D. LXXVII.
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Forschungsliteratur Burkhard, Werner. 1929. Grimmelshausen. Erlösung und barocker Geist. (Deutsche Forschungen 22). Frankfurt/M.: Verlag Moritz Diesterweg. Dallett, Joseph B. 1976. Mensch und Tierreich im Simplicissimus: Perspektiven zu den Quellen. In: Daphnis, 5: 217-265.
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té
ri I S T O R I A
Sfmcrtcancrfn pmt.
H a n c f c r c a n t i p o d u m p r x d i v c s America g t n t e m , Q u a fluit curi fero tipa P a r a n a lacu. Ammert bei; grofjim © a i \ y nacfcjtf Ìcuf a u f jü^ert f£uf. © i i ^ßarJfrfiioiTcit barcti ®clt>/ J;i|>aina mii C f y f f e n If. Ìcuft
Abb. 1: "Americaner in Peru". Aus: Fabronius 1612, II, 23. Herzog August Bibliothek, Sign. Gb 96.
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