Von der Hauptstadtposse zur Erfolgsgeschichte: Die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin 1971-2001 9783666300714, 9783525300718, 9783647300719, 1994199789


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Von der Hauptstadtposse zur Erfolgsgeschichte: Die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin 1971-2001
 9783666300714, 9783525300718, 9783647300719, 1994199789

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© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Schriften des Jüdischen Museums Berlin Band 1

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Daniel Bussenius

Von der Hauptstadtposse zur Erfolgsgeschichte Die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin 1971–2001

Vandenhoeck & Ruprecht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

Mit 16 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-30071-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Mit Unterstützung der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Stiftung Jüdisches Museum Berlin e. V. Umschlagabbildung: Das Jüdische Museum Berlin © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

»Wir sind der Meinung, dass das Museum wohl unser aller nächster Nachkomme ist.« Ein Emigrant und Stifter des Jüdischen Museums Berlin*

* Zitiert nach: W. Michael Blumenthal, Editorial, in: JMB Journal, 2011/Nr. 5: 10 Jahre/ 10 Years, hg. v. d. Stiftung Jüdisches Museum Berlin, S. 3. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach 1945 . . . . . 15 II. Die Anfänge des neuen Berliner Jüdischen Museums bis zum Scheitern des Projekts Palais Ephraim 1980/81 . . . . . . . 19 III. Der Realisierungswettbewerb »Erweiterungsbau Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« 1988/89 . . . . . 31 IV. Mauerfall und Wiedervereinigung – nach der Entscheidung im Realisierungswettbewerb . . . . . . . . . 68 V. Der Streit um das Jüdische Museum zur Zeit seines ersten Direktors Amnon Barzel 1994–1997 . . . . . . . . . . . . . . . 89 Die Rolle der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Mahnmal und Jüdisches Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 VI. W. Michael Blumenthal: Ein nationales Museum für deutsch-jüdische Geschichte in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . 148 Die Presse über die Berufung W. Michael Blumenthals . . . . . . . . 152 Einweihung des Libeskind-Baus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Die Eröffnung des Museums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Die Dauerausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 VII. Seit der Eröffnung der Dauerausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Vorwort

Als mich vor 17 Jahren, im Oktober 1997, Wolfgang Benz, der damalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, anrief und fragte, ob ich mir vorstellen könne, als Interimsdirektor das Berliner Jüdische Museum zu leiten, hatte ich keine Vorstellung davon, was das bedeutete. Rückblickend muss ich zugeben, dass es gut war, dass ich keine Ahnung hatte. Ich hätte mich sonst kaum von Wolfgang Benz’ Argumenten überzeugen lassen, Museumsexpertise sei für den Job nicht so wichtig wie diplomatisches Geschick und ich sei als ex-deutscher Jude und ehemaliges amerikanisches Kabinettsmitglied bestens qualifiziert. Die Situation der Berliner Kulturpolitik war im Oktober 1997 mehr als verfahren und die Konflikte um das Jüdische Museum, damals noch eine Abteilung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, schienen unlösbar. Hätte ich gewusst, welch absurde Züge die Diskussionen um den Status des Museums teilweise angenommen hatten und dass aus den von mir zugesagten 18 bis 24 Monaten ganze 17 Jahre werden würden, ich hätte wahrscheinlich abgelehnt. Nun, ich war ahnungslos genug, um die Herausforderung anzunehmen. Die Geschichte des Jüdischen Museums Berlin wurde, trotz ungünstiger Umstände und einiger Anlaufschwierigkeiten, eine Erfolgsgeschichte. Nach nur wenig mehr als einem Jahrzehnt gehört das Jüdische Museum Berlin zu einem der meistbesuchten Museen des Landes und ist international bekannt und geschätzt. Daniel Bussenius hat die Entstehungsgeschichte und den Werdegang des Museums von Streit und Unklarheit zum größten und wichtigsten Jüdischen Museum in Europa akribisch erforscht und dargestellt. Dafür gebührt ihm großer Dank. Seine Beschreibungen zeigen einerseits, wie mühsam, engstirnig und bürokratisch verstrickt die Anfänge dieser gesellschaftspolitisch so sensiblen deutschen Institution waren, andererseits zeigen sie aber ebenso, dass es auch die Entschlossenheit, Weitsicht und Unterstützung der wichtigsten Entscheidungsträger war, der wir den Erfolg des Jüdischen Museums Berlin zu verdanken haben. Und dass – wie immer – etwas Glück und ein wenig Mut eine Rolle spielten. Die aufregenden Zeiten vor der Eröffnung im September 2001 sind längst Geschichte und hier nachzulesen. Das Museum aber wird sich weiterhin kontinuierlich verändern und auch in Zukunft wichtige gesellschaftspolitische Impulse geben. Berlin, Juni 2014, W. Michael Blumenthal © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Einleitung

Die Berliner Zeitung Der Tagesspiegel sprach, als es wegen der Entlassung Amnon Barzels, des damaligen Direktors des Jüdischen Museums, am 27. Juni 1997 zu einem Streit zwischen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Berliner Senat gekommen war, von der »schärfsten deutsch-jüdischen Kontroverse« der Nachkriegszeit.1 Heute gilt das Jüdische Museum Berlin – inzwischen nicht mehr wie noch 1997 eine Hauptabteilung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, sondern eine selbstständige Stiftung in der Trägerschaft der Bundesrepublik Deutschland  – unbestritten als ein Erfolg, und es ist mit mehr als 700.000 Besuchern im Jahr eines der meistbesuchten Museen der deutschen Hauptstadt.2 Dieser Band will die 30-jährige Geschichte des Museums seit 1971 erzählen, die der Eröffnung der Dauerausstellung vorausging, und darüber hinaus von den nunmehr 13 Jahren seit der Ausstellungseröffnung im Jahr 2001. Im Mittelpunkt steht dabei die »politische« Entstehungsgeschichte des Museums, das heißt die Entscheidungen über seine Errichtung. Auf die zahlreichen Ausstellungskonzepte, die im Laufe dieser langen Zeit entwickelt wurden, wird nur am Rande eingegangen, weil nach Ansicht des Autors das eigentliche Problem zunächst nicht Fragen der Ausstellungsgestaltung waren, sondern die Frage nach der Stellung des Jüdischen Museums. Eine wichtige Rolle spielte über entscheidende Strecken dieser Entstehungsgeschichte das Wechselverhältnis zu einem anderen Berliner Projekt, zum »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, und der Debatte um seine Errichtung. Ein Motiv, dieses Buch über die Museumsgeschichte zu schreiben, war nicht zuletzt, dass offenbar unter manchen Intellektuellen auch nach der Entscheidung von Berliner Senat und Abgeordnetenhaus 1998, das Jüdische Museum aus der Stiftung Stadtmuseum auszugliedern, die Ansicht vorherrscht, dass die Verselbstständigung des Jüdischen Museums Berlin den

1 Thomas Lackmann, »Bleibt nur ein Berliner Zimmer?« Die Eröffnung der Ausstellung »Exil in Shanghai« und eine Protestveranstaltung für das Jüdische Museum am MartinGropius-Bau, in: Tagesspiegel, 5.7.1997; auch: Joachim Güntner, Ein Zerwürfnis, kaum zu heilen. Der Streit um das Berliner Jüdische Museum, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 17.10.1997. 2 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2011/2012, Berlin 2013, S. 22. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Einleitung

Ruch einer Usurpation habe – das ist, wie gezeigt werden wird, mit den Quellen schwer in Einklang zu bringen.3 Die Quellenbasis für diese Geschichte des Jüdischen Museums Berlin bilden hauptsächlich die Akten der Berliner Kulturverwaltung zum Mu­ seum,4 ferner die Akten Norma Drimmers, der ehemaligen Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die Veröffentlichungen der Berliner Bauverwaltung 1988/89 anlässlich des Realisierungswettbewerbs um die Erweiterung des Berlin Museums,5 die 1997 vom Verein der Freunde und Förderer des Stadtmuseums e. V. herausgegebene Dokumentation »Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin«,6 die umfangreiche Presseausschnittssammlung des Jüdischen Museums Berlin, die »Berlinischen Notizen. Zeitschrift des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin Museums e. V.«,7 die zahlreichen einschlägigen Aufsätze von Vera Bendt, von 1979 bis 1994 Leiterin der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums,8 die Publikationsorgane der Jüdischen Gemeinde zu Berlin,9 die Jahrbücher der Stiftung Stadtmuseum Berlin,10 die seit 2003 erscheinenden Jahresberichte des Jüdischen Museums Berlin, die Autobiografien W. Michael Blumenthals, von 1997 bis 2014 Direktor des Museums,11 und Daniel 3 Gerhard Schoenberner, Wiederkehr des Verdrängten. Vom Schuttplatz zum Interna­ tionalen Dokumentationszentrum. Die unendliche Geschichte der »Topographie des Terrors« in Berlin, in: Freitag, 13.4.2001; John Rosenthal, Von Katastrophe zu Katastrophe. Die bizarre Metaphysik des Architekten Daniel Libeskind, in: Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 672, April 2005, S. 318–328, hier: 319. 4 Der Bestand von ca. 70 Ordnern umfasst die Zeit von Anfang der 1970er Jahre bis zum Jahr 2002. 5 Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , Berlin 1988/89 [dabei handelt es sich um die Auslobung des Wettbewerbs]; Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung­ JÜDISCHES MUSEUM . Vorprüfbericht, Berlin 1988/89; Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse (mit englischsprachiger Zusammenfassung), Berlin Januar 1990. 6 Martina Weinland / Kurt Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin. Eine Dokumentation / The Jewish Museum in the Berlin Municipal Museum. A Record, hg. vom Verein der Freunde und Förderer des Stadtmuseums e. V., Berlin 1997. 7 Die Zeitschrift erschien von 1972 bis 1994. 8 Vera Bendt hieß mit Vornamen Veronika, bis sie ihn Ende 1989 offiziell zu Vera verkürzte. Um die Leserinnen und Leser nicht zu verwirren, wird sie im Fließtext durchgehend mit ihrem heutigen Namen genannt. Lediglich bei den Quellenangaben in den Anmerkungen und in der Bibliografie wird der Name angegeben, unter dem sie jeweils publiziert hat, d. h. bis Ende 1989 »Veronika Bendt«. 9 Kulturspiegel, 1985–1989; Berlin-Umschau. Nachrichten aus der Jüdischen Gemeinde, 1990–1997; jüdisches berlin. Gemeindeblatt, seit 1998. 10 Das Jahrbuch erschien von 1995 bis 2005. 11 W. Michael Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt. Mein Leben, Berlin 2010. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Einleitung

Libeskinds, des Architekten des Museums,12 sowie mehrere Zeit­zeugen­ gespräche.13 Eine solche umfassende, auf die Akten der Kulturverwaltung und der ehemaligen Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde gestützte Darstellung der Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums Berlin liegt bislang noch nicht vor. Vor allem die Zeit vor dem Realisierungswettbewerb 1988/89 und die Zeit nach der Berufung von W. Michael Blumenthal Ende 1997 wurden bisher in Publikationen zum Thema nicht eingehend behandelt.14 Der Autor dieses Buches war zunächst für längere Zeit Forschungsassistent von W. Michael Blumenthal bei den Recherchen für dessen Autobiografie. Darauf folgten Aufträge des Jüdischen Museums Berlin zu Recherchen über dessen Entstehungsgeschichte. Ob es dem Autor ­gelungen ist, eine faire Dar12 Daniel Libeskind, Breaking Ground. Entwürfe meines Lebens, Köln 2004. Libeskinds Autobiografie ist im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums Berlin keine besonders zuverlässige Quelle. Das Buch ist stark von den Auseinandersetzungen um den Wiederaufbau des World Trade Centers in New York nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geprägt – Libeskind hatte zunächst den Architektenwettbewerb um die Gestaltung des Wiederaufbaus gewonnen, wurde aber anschließend an den Rand gedrängt. Vgl. Martin Filler, Filling the Hole, in: The New York Review of Books, 52 (2005), Nr. 3, 24.2. 13 Gespräche wurden geführt mit: Hanns-Peter Herz, von 1976 bis 1992 Vorsitzender der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e. V. (24.7.2006); Klaus Schütz, von 1967 bis 1977 Regierender Bürgermeister von Berlin (28.8.2006); Inka Bertz, Leiterin der Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin (9.3.2009); Amnon Barzel, von 1994 bis 1997 Direktor des Jüdischen Museums, Hauptabteilung der Stiftung Stadtmuseum Berlin (17.3.2009); Dr. Vera Bendt, von 1979 bis 1994 Leiterin der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums beziehungsweise des Jüdischen Museums, Abteilung des Berlin Museums (24.3.2009 und 6.9.2011); Norma Drimmer, ehemalige Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (30.3.2009); Matthias Reese, Architekt, von 1991 bis 1998 Mitarbeiter von Daniel Libeskind (1.4.2009); Dr. Hermann Simon, seit 1988 Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin  – Centrum Judaicum (9.1.2014); Prof. Dr. Dominik Bartmann, 1992 bis 1995 kommissarischer Direktor des Berlin Museums (13.1.2014); Prof. Dr. Michael Naumann, 1998 bis 2000 Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (16.1.2014); Prof. Reiner Güntzer, 1967 bis 1995 Museumsreferent der Berliner Kulturverwaltung, 1995 bis 2003 Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin (23.1.2014); Dr. Kurt Winkler, 1992 bis 1994 Projektmanager des Berlin Museums für den Erweiterungsbau (28.1.2014); Prof. Dr. Rolf Bothe, 1980 bis 1992 Direktor des Berlin Museums (17.4.2014). 14 Thomas Lackmann, ein ehemaliger Tagesspiegel-Redakteur, der zu den wichtigsten Unterstützern Amnon Barzels, des Direktors des Jüdischen Museums in den Jahren 1994 bis 1997, im Streit um das Museum gehörte, hat ein halb zeithistorisches, halb fiktionales Buch zum Thema verfasst: Jewrassic Park. Wie baut man (k)ein Jüdisches Museum in Berlin, Berlin / Wien 2000. Außerdem gibt es die vergleichende Studie über die museale Darstellung des Holocaust von Katrin Pieper: Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U. S. Holocaust Memorial Museum in Washington, D. C., Köln u. a. 2006. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Einleitung

stellung dieser kontroversen Geschichte zu geben – darüber können nur die Leserinnen und Leser urteilen. Weil der Autor die Einschätzung der Ethnologin Sabine Offe teilt, dass bei Auseinandersetzungen um jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach dem Holocaust der biografische Hintergrund des Sprechers ein unhintergehbares Faktum ist, sei gesagt, dass der Autor ein nichtjüdischer Deutscher ist, geboren 1974.15 Der nachfolgende Text ist chronologisch aufgebaut, vorangestellt ist eine kurze Einführung in die Problematik jüdischer Museen in Deutschland und Österreich nach dem nationalsozialistischen Judenmord.

15 Vgl. Sabine Offe, Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland, Berlin / Wien 2000, S. 20 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

I.

Jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach 1945

Die jüdischen Museen in Deutschland und Österreich heute sind junge Institutionen, die überwiegend in den 1980er und 1990er Jahren gegründet wurden. Diese Gründungswelle ist noch nicht abgeschlossen. Die Museen stehen in der Regel in keiner Kontinuität  – weder von ihren Gebäuden noch von ihren Sammlungen her – zu den jüdischen Museen, die in Deutschland und Österreich bis zu ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten bestanden hatten. Jene früheren jüdischen Museen in Deutschland, Österreich und Ostmittel­ europa waren mehr als ein Jahrhundert nach dem Beginn der Emanzipation, Integration und Assimilation der Juden, nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, gegründet worden. Die tatsächlichen Ausstellungseröffnungen erfolgten  – oft nach langwieriger Suche nach geeigneten Räumlichkeiten – meist in den 1920er und 1930er Jahren. Jüdische Museen entstanden in Berlin, Breslau, Budapest, Danzig, Kassel, Krakau, Lemberg, Mainz, München, Prag, Wilna und Warschau, daneben in Westeuropa etwa in London. Die Museen wurden von jüdischen Gemeinden oder jüdischen Vereinen gegründet, und zwar weil eine Sammlung vorhanden war. Das Publikum der Museen war überwiegend jüdisch. Damals war die Sinnhaftigkeit »jüdischer« Museen heiß umstritten, das galt vor allem für die Frage, was sie denn ausstellen sollten, wollten sie sich nicht auf Judaica, d. h. religiöse Zeremonialobjekte wie etwa Toraschmuck, Chanukkaleuchter und Sederteller, beschränken. Besonders kontrovers wurde diskutiert, ob »jüdische« Bilder ausgestellt werden sollten. Dass die Frage sich überhaupt stellte, war wegen des Bilderverbots in der jüdischen Tradition an sich schon Ausdruck der Assimilierung an die christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft.1 Und falls »jüdische« Bilder ausgestellt werden sollten: Was qualifizierte ein Bild als »jüdisch«, die Religionszugehörigkeit seines Urhebers und / oder sein Sujet? Außerdem präsentierten einige dieser jüdischen Museen auch Materialien zur Geschichte des Gelobten Landes, wie Karten und Bilder.

1 Vgl. Vera Bendt, Einführung, in: Berlin Museum (Vera Bendt), Judaica Katalog. Abteilung Jüdisches Museum, Berlin 1989, S. 11–24, hier: 15 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach 1945

Abb. 1: Zwei Besucher in der Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin, Oranienburger Straße 31, 1936

Insoweit die Sammlungen dieser Museen die NS -Zeit überstanden und es keine Eigentümer oder Rechtsnachfolger von Institutionen mehr gab, die Ansprüche anmelden konnten, wurden sie, was den deutschen Einflussbereich der westlichen Siegermächte betraf, nach 1945 durch die Jewish Restitution Successor Organisation vor allem an jüdische Museen in Israel und den USA gegeben. Dieses Vorgehen folgte der Annahme, dass der Holocaust das Ende der deutsch-jüdischen Geschichte bedeute, dass es keine Juden in Deutschland mehr geben würde. Die jüdischen Museen in Nachkriegsdeutschland und Nachkriegsösterreich entstanden in einem fundamental anderen Kontext als ihre Vorgänger vor dem Nationalsozialismus. Träger waren nicht mehr jüdische Gemeinden, die Sammlungen gingen den Gründungsinitiativen nicht mehr voraus, und © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach 1945

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Abb. 2: Besucher betrachten moderne Kunst im Jüdischen Museum in Berlin, Oranien­ burger Straße 31, 1936.

adressiert waren die Museen an ein überwiegend nichtjüdisches Publikum, das mit Judentum und Juden wenig bis überhaupt nicht vertraut war. Vorausgegangen waren diesen Museumsgründungen in den 1960er Jahren als erste Wiederannäherung an das Thema Judentum große Ausstellungen, die stark auf das Judentum als Religion konzentriert waren, die »Synagoga. Kultgeräte und Kunstwerke von der Zeit der Patriarchen bis zur Gegenwart« 1960/61 in Recklinghausen und dann in Frankfurt am Main sowie die »Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein« 1963 in Köln. Die Museumsneugründungen seit den 1970er Jahren wurden in den meisten Fällen von den Kommunen getragen. In kleinen Orten war der Ausgangspunkt oft die Wiederentdeckung eines jüdischen Gebäudes  – so wurden in einigen Fällen ehemalige Synagogen, die nach dem Krieg in den 1950er Jahren umgebaut und umgewidmet worden waren, jetzt restauriert beziehungsweise erneut umgebaut und zu jüdischen Museen gemacht. In großen Städten wie Frankfurt am Main, Wien und Berlin war es hingegen der Gedanke, an die Tradition anzuknüpfen und wieder ein jüdisches Museum zu errichten. In den kleineren Orten gab es oft keine jüdischen Gemeinden mehr. Die neuen Museen entstanden in einem Umfeld ohne Juden. In den großen Städten gab es zwar wieder jüdische Gemeinden, doch war deren Interesse an den Museumsprojekten in der Regel begrenzt. Schon in der Nachkriegszeit, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Jüdische Museen in Deutschland und Österreich nach 1945

und nicht erst seit der Einwanderungswelle von Juden aus der Sowjetunion beziehungsweise der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 waren die meisten Juden in der Bundesrepublik keine überlebenden deutschen Juden oder deutsch-jüdischen Remigranten, die rechtzeitig aus dem nationalsozialis­ tischen Deutschland hatten fliehen können, sondern Überlebende aus Osteuropa. Diese waren nach ihrer Befreiung aus den Lagern bei Kriegsende auf der Flucht vor antisemitischen Pogromen in Polen in das besetzte Deutschland, vor allem in die amerikanische Besatzungszone, gekommen und hatten aus verschiedenen Gründen die ursprünglich geplante Weiterwanderung nach Israel oder Amerika nicht verwirklichen können oder wollen. Diese Gruppe der in Deutschland lebenden Juden betrachtete die deutsch-jüdische Geschichte nicht als ihre Geschichte. Generell herrschte unter den in der Nachkriegszeit in Westdeutschland lebenden Juden und ihren Kindern lange der Gedanke vor, man werde nicht auf Dauer in Deutschland leben, man saß auf den sprichwörtlichen »gepackten Koffern«. Diesem Selbstbild nicht als »deutsche Juden«, sondern als »Juden in Deutschland« entsprach die Ablehnung des Einsatzes eigener Mittel für öffentliche jüdische Einrichtungen überhaupt in Deutschland, nicht nur für Museen. Die Finanzierung jüdischer Einrichtungen in Deutschland erwartete man als Wiedergutmachung für den Raub und die Zerstörungen im Nationalsozialismus vom deutschen Staat und von den Kommunen.2

2 Vgl. Offe, Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen, S. 16, 29–35, 44, 71 f., 95–98, 207, 214; Cilly Kugelmann, Das Jüdische Museum als Exponat der Zeitgeschichte. Das Beispiel Frankfurt. Ein Lagebericht und Versuch der Einordnung, in: Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, 2 (1995/1996. 5756): Zur Darstellung jüdischer Geschichte nach 1945, S.  43–56, hier: 46, 54; dies., Bringschuld, Erbe und Besitz. Jüdische Museen nach 1945, in: Sabine Hödl / Eleonore Lappin (Hg.), Erinnerung als Gegenwart. Jüdische Gedenkkulturen, Berlin / Wien 2000, S. 173–192; dies., The national Context of Jewish Museums in Germany (Lecture held at Princeton University in 1999), in: Die ersten achtzig Jahre. The First Eighty Years. W. Michael Blumenthal zum Geburtstag, hg. von der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Stiftung Jüdisches Museum Berlin e. V., Berlin 2006, S. 187–197, hier: 187; Margrethe Brock-Nannestad, Jüdische Museologie. Entwicklungen der jüdischen Museumsarbeit im deutsch-jüdischen Kulturraum, in: Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, 1 (1994/1995. 5755): Jüdische Kultur in Museen und Ausstellungen bis 1938, S. 57–70, hier: 58; Ruth Ellen Gruber, Virtually Jewish. Reinventing Jewish Culture in Europe, Berkeley u. a. 2002, S. 157–159; Inka Bertz, Jewish Museums in the Federal Republic of Germany, in: Richard I. Cohen (Hg.), Visualizing and Exhibiting Jewish Space and History (= Studies in Contemporary Jewry. An Annual, 26), Oxford / New York 2012, S. 80–112. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

II. Die Anfänge des neuen Berliner Jüdischen Museums bis zum Scheitern des Projekts Palais Ephraim 1980/811

Im Jahr 1966 erschien in sechs aufeinanderfolgenden Ausgaben der Berli­ner Allgemeinen unabhängigen jüdischen Wochenzeitung zwischen dem 17.  Juni und dem 22. Juli folgender Aufruf der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: »Spendenaufruf für ein neues Jüdisches Museum An alle Mitglieder und Freunde der Jüdischen Gemeinde zu Berlin! Berlin besaß einst in der Oranienburger Straße ein wertvolles Jüdisches Museum, reich an Kult- und Kunstgegenständen, Büchern und Dokumenten. All diese Schätze und Sammlungen fielen der Kulturbarbarei des Nazitums zum Opfer. Die Ausstellung Historica Hebraica im Herbst 1965 zeigte, welch unentbehrlichen Beitrag zur Menschheitskultur das Judentum geleistet hat. Solche Dokumentationen dürfen nicht auf einmalige kurzfristige Gelegenheiten beschränkt bleiben: nur eine ständige Einrichtung dieser Art kann nachhaltige Wirkungen ausüben! Darum ergeht unsere Bitte an Sie: Helfen Sie uns beim Neuaufbau eines Jüdischen Museums in Berlin durch Spenden aller Art …; durch finanzielle Zuwendungen …; durch Hinweise auf mögliche Fundstellen …; Wir sind dankbar für jede Form der Mitarbeit!«2

Dieser Aufruf von 1966 musste deshalb überraschen, weil im Katalog der erwähnten Ausstellung »Historica Hebraica. Jüdische Kunst – Kultur und Geschichte aus dem Staatlichen Jüdischen Museum Prag«, die im September 1965 im Westberliner Jüdischen Gemeindehaus gezeigt worden war, Itzchak­ Pruschnowski, der Verwaltungsleiter der Gemeinde, geschrieben hatte:

1 Dieses und das folgende Kapitel bis zur Ausschreibung des Realisierungswettbewerbs um den Erweiterungsbau des Berlin Museums 1988 sind eine stark erweiterte und stellenweise korrigierte Überarbeitung des folgenden Aufsatzes des Autors, der somit überholt ist: Daniel Bussenius, Die Anfänge des Jüdischen Museums Berlin. Zur Entstehung des »integrativen Konzepts« vor der Wiedervereinigung, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 102 (2006), H. 2, S. 345–352. 2 »Spendenaufruf für ein neues Jüdisches Museum«, in: Berliner Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung. Der Weg, 17.6., 24.6., 1.7., 8.7., 15.7., 22.7.1966. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Die Jüdische Gemeinde zu Berlin besaß einst eines der reichsten Museen in Europa, es fiel dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer – heute fehlen uns die Voraussetzungen, der Nachwuchs, die künstlerischen Kräfte überhaupt, um Neues, Gleichwertiges zu schaffen.«3

Offenbar behielt Pruschnowski recht, dass die durch die nationalsozialistische Judenverfolgung radikal dezimierte Berliner Jüdische Gemeinde nicht in der Lage sein würde, in der Tradition der alten Jüdischen Gemeinde erneut ein Jüdisches Museum zu errichten. Jedenfalls konnten in einer RIAS Sendung vom 30. Juli 1967, in welcher der Aufruf aus dem Sommer des Vorjahres thematisiert wurde, keine Erfolge vermeldet werden. Vielmehr wurde die Frage aufgeworfen, was seit dem Aufruf geschehen sei, und darauf hingewiesen, dass Berlin inzwischen von der Schweizer Stadt Basel »überrundet« worden sei, wo man Anfang 1967 das erste jüdische Museum im deutschen Sprachgebiet nach 1945 errichtet habe.4 Trotz dieses erneuten Appells blieb der Aufruf der Jüdischen Gemeinde von 1966 ohne Erfolg. Vier Jahre später, im Jahr 1971, organisierte das junge Berlin Museum in der Kreuzberger Lindenstraße zum 300. Gründungsjubiläum der neuzeitlichen Berliner Jüdischen Gemeinde unter dem Titel »Leistung und Schicksal  – 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin« eine Ausstellung zu deren Geschichte.5 Im gleichen Jahr wurde die Vereinbarung »Zur Regelung gemeinsam interessierender Fragen« zwischen dem Berliner Senat und der Jüdischen Gemeinde unterzeichnet, die das Verhältnis zwischen Gemeinde und Senat auf eine neue Ebene hob. Das Berlin Museum war im Westteil der Stadt nach dem Mauerbau 1961 gegründet worden, weil das alte Berliner stadthistorische Museum, das Märkische Museum, im nun abgetrennten Ostteil der Stadt lag. 1969 hatte das Berlin Museum das wiederaufgebaute barocke Kollegienhaus in der Lindenstraße, bekannter unter dem Namen Kammergerichtsgebäude, in der südlichen Friedrichstadt bezogen, dem einzigen Teil der historischen Altstadt von 3 Itzchak Pruschnowski, Verwaltungsleiter des Jüdischen Gemeindehauses Berlin, Zur Einleitung, in: Historica Hebraica. Jüdische Kunst – Kultur und Geschichte aus dem Staatlichen Jüdischen Museum Prag. Ausstellungs-Katalog. Eine Ausstellung im Jüdischen Gemeindehaus Berlin, Fasanenstraße 79–80, 1.  September bis 22.  September 1965, Berlin 1965, S. 11–14, hier: 14. 4 Unkorrigiertes Manuskript: Elsberg, Jüdisches Museum in Berlin?, Auszug aus: Atelier am Sonntagabend für Kunst und Kultur, gesendet vom: RIAS , 30.7.1967, 21.45–22.15 Uhr, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380: III A, Fördergesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e. V., Bde. 1–3. 5 Vgl. Klaus Schütz, Heinz Galinski: (1912–1992): ein Berliner unter dem Davidsschild (= Jüdische Miniaturen. Lebensbilder, Kunst, Architektur, hg. v. Hermann Simon, Bd. 16), Berlin 2004, S. 32–38, 61. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Berlin, der zu Westberlin gehörte. Zu Beginn des Jahres 1971 hatte der Westberliner Senat die Trägerschaft des Museums übernommen.6 Die Anregung zur Ausstellung »Leistung und Schicksal« ging von Heinz Galinski aus, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Als Reaktion auf die Ausstellung wurde offenbar vielfach der Wunsch an Irmgard Wirth, die Leiterin des Berlin Museums, herangetragen, die jüdische BerlinGeschichte nach dem Ende der Ausstellung weiterhin in dem Museum zu zeigen. Auch Galinski trat während der Ausstellung mit diesem Gedanken an Wirth heran­. Daraufhin wandte sich Irmgard Wirth Ende November 1971 in einem Brief an Reiner Güntzer, den Museumsreferenten der Wissenschaftsund Kulturverwaltung. Sie verwarf in dem Schreiben die Möglichkeit, dem jüdischen Thema fortan lediglich einen Raum in ihrem Haus zu widmen, weil sie das angesichts der Bedeutung dieser Thematik für unangemessen hielt. Stattdessen schlug sie vor, eine Abteilung »Berliner Judaica« als »gewisser­ maßen ein Museum innerhalb des Berlin Museums« zu schaffen und diese zusammen mit der Theaterabteilung in einem hinter dem Kollegienhaus zu errichtenden Neubau unterzubringen.7 Wirth ersuchte um Erlaubnis, mit Heinz Galinski über diese Pläne zu sprechen, die ihr vom Senator für Wissenschaft und Kultur, Werner Stein, auch erteilt wurde. Dieser bat sie in diesem Zusammenhang darum, mit Galinski zu klären, ob überhaupt genug Ausstellungsstücke für eine Abteilung »Ber­ liner Judaica« zusammengetragen werden könnten und in welchem Ausmaß dabei mit einer Unterstützung durch die Jüdische Gemeinde gerechnet werden könne.8 Daraufhin berichtete Wirth Anfang Januar 1972 dem Senator von ihrem inzwischen geführten Gespräch mit Galinski. Dieser sei wie sie der Meinung, wenn sich alle anstrengten, müsse und werde es möglich sein, »die geplanten fünf Räume für die Berliner Judaica« mit interessanten Ex6 Vgl. Irmgard Wirth, Gründungsgeschichte des Berlin Museums (1965–1980), in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, 5 (1999), S. 121–141, hier: 123, 127, 129. 7 Irmgard Wirth, Zur Ausstellung, in: Leistung und Schicksal. 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin. Dokumente, Gemälde, Druckgraphik, Handzeichnungen, Plastik. Ausstellung vom 10. September bis 10. November 1971, Berlin Museum, Berlin 1971, S. 7 f., hier: 7; Heinz Galinski an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper, 27.7.1989, in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Er­ weiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S.  58 f.; Irmgard Wirth an den Museumsreferenten der Kulturverwaltung, Reiner Güntzer, 30.11.1971, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 85 f., vgl. auch S. 15; auch: Irmgard Wirth, Die Jüdische Abteilung, in: Berlinische Notizen. Zeitschrift des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin Museums e. V., 1975, Nr. 1/2, S. 9–12, hier: 10. 8 Wirth an den Museumsreferenten der Kulturverwaltung, Güntzer, 30.11.1971, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 85 f.; Senator für Wissenschaft und Kunst, Werner Stein, an Wirth, 30.12.1971, in: ebd., S. 87. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ponaten zu füllen, als Beispiel könne das frühere Jüdische Museum in Berlin gelten.9 Der von Klaus Schütz geführte Senat erwähnte in seinem Bericht über »Bildende Künste in Berlin« an das Abgeordnetenhaus zwei Jahre später, im April 1974, neben dem Vorhaben, das Berlin Museum um eine größere theaterhistorische Abteilung zu erweitern, die Möglichkeit, dem Museum »als Zeichen geistiger Wiedergutmachung« »eine Abteilung ›Jüdisches Museum‹« anzugliedern, »in dem der ganz wesentliche Beitrag der jüdischen Mitbürger zu Geist und Bild der Stadt zu würdigen wäre«. Zu Beginn desselben Jahres hatte das Berlin Museum weitere Ausstellungsflächen im dafür ausgebauten Dachgeschoss des Kollegienhauses eröffnet – damit waren die Raumreserven des Gebäudes erschöpft.10 Auf den Senatsbericht über die bildenden Künste in Berlin reagierte der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst des Abgeordnetenhauses, indem er dem Senat empfahl, vier in dem Bericht vorgeschlagene Vorhaben vorrangig anzugehen, darunter an vierter Stelle: die »Erweiterung des Berlin-Museums, insbesondere um eine Abteilung Jüdisches Museum«. Festzuhalten ist, dass der Senat bei der Erweiterung des Berlin Museums die theaterhistorische Abteilung priorisierte und die Erweiterung um eine Abteilung Jüdisches Museum lediglich als Möglichkeit erwähnte, während das Parlament die Priorität auf diese Abteilung setzte und die theaterhistorische dagegen gar nicht erwähnte.11 Irmgard Wirth ging daraufhin 1975 mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, das historische Palais Ephraim gegenüber dem Kollegienhaus (zwischen der Linden- und der Markgrafenstraße) für eine in ihrem Museum zu gründende Abteilung Jüdisches Museum und für dessen Theaterabteilung wiederzuerrichten.12 In ihrem Konzeptpapier vom Januar 1975 schrieb Wirth, das wiederzuerrichtende Palais Ephraim solle 9 Wirth an Senator Stein, 6.1.1972, abgedruckt in: ebd., S. 89 f., hier: 88. 10 Bericht des Senats von Berlin an den Ausschuß für Wissenschaft und Kunst des Abgeordnetenhauses von Berlin über »Bildende Künste in Berlin«, vorgelegt vom Senator für Wissenschaft und Kunst, Berlin 1974, S. 23, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 92. Zu den Raumnöten des Berlin Museums vgl. Günther Kühne, Anmerkungen zum geplanten Erweiterungsbau des Berlin Museums, in: Berlinische Notizen, 1981: Erwerbungen des Berlin Museums 1964–1981. Festgabe für Irmgard Wirth, S. 162–169, hier: 164. 11 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll, 6.  Wahlperiode, 92. Sitzung vom 23.1.1975 (Auszug), Besprechung von Drucksache 6/1702 (Auszug), abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 93–97, hier: 94. 12 Wirth, Die Jüdische Abteilung, S.  11; vgl. Veronika Bendt, Das »Haus Ephraim« und seine Nachkommen, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, 31 (1982), S. 83–106, hier: 89; Bothe, Zum Neubau des Jüdischen Museums. Kunstwerk Museum, in: Berlin Museum (Vera Bendt), Judaica Katalog, S. 40 f., hier: 40. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»in erster Linie dem Aufbau einer Jüdischen Abteilung dienen. Sie soll die Geschichte der Juden in Berlin veranschaulichen. Hierfür kann es keinen geeigneteren Bau geben, als dieses historisch bedeutende und architektonisch wertvolle Palais.«

Für die Jüdische Abteilung sah das Konzept im ersten Obergeschoss des Ephraim-Palais zunächst eine Fläche von 500 qm vor, 400 qm sollten dort zunächst für Wechselausstellungen genutzt werden, jedoch später beim entsprechenden Anwachsen der Sammlung der Jüdischen Abteilung als Erweiterungsfläche für diese dienen. Als Begründung für den geforderten baldigen Baubeginn schrieb Wirth, seit der Ausstellung »Leistung und Schicksal« 1971 sei der Wunsch nach der Wiederrichtung »eines Jüdischen Museums bzw. einer Jüdischen Abteilung« nicht verstummt: »Da das frühere Jüdische Museum in der Oranienburger Straße in der Nazizeit zwangsweise aufgelöst wurde, besteht für Berlin die Ehrenpflicht einer Wiedergutmachung.«

Wiederholt sei sie von Juden in aller Welt darauf hingewiesen worden, dass sie den Plan begrüßten und diesen auch durch die Stiftung von Objekten, die die nationalsozialistische Zeit überlebt hatten, unterstützen würden. Da die an dem Plan interessierten Emigranten zum großen Teil hochbetagt seien und es fraglich sei, ob die Generation ihrer Kinder sich noch für diesen Gedanken engagieren würde, sei es höchste Zeit, mit dem Bau eines Museums mit einer Jüdischen Abteilung zu beginnen.13 Die Idee, das Palais Ephraim wiederzuerrichten und darin insbesondere das Jüdische Museum unterzubringen, stammte ursprünglich von dem Remigranten und Springer-Journalisten Hans Wallenberg, der 1977 im Alter von 69 Jahren verstarb.14 13 Wirth, Zur Wiedererrichtung des Ephraim-Palais (Januar 1975), abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 98–101. 14 Laut Vera Bendt nannte Irmgard Wirth Hans Wallenberg als Urheber des Gedankens eines Jüdischen Museums im wiederzuerrichtenden Palais Ephraim. (Gespräch mit Vera Bendt am 6.9.2011.) In den beiden folgenden Artikeln wird Wallenberg als Urheber des Gedankens genannt, in Westberlin ein Jüdisches Museum zu errichten  – tatsächlich war Wallenberg nicht der Urheber des Gedankens der Wiedererrichtung eines Jüdischen Museums, sondern der Idee, das Jüdische Museum im wiederzuerrichtenden Palais Ephraim unterzubringen (das Gebäude wurde in diesem Kontext aber, weil es jüdisch konnotiert war, in der Öffentlichkeit als »Jüdisches Museum« verstanden). ­Arnold Bauer, Hans Wallenberg regte den Aufbau eines Jüdischen Museums für Berlin an. Die Bevölkerung kann sich mit Spenden beteiligen, in: Berliner Morgenpost, 21.1.1977; Wolf Jobst Siedler, Die Hoffahrt der Bußfertigen. Auch im Gedenken wollen die Deutschen die Größten sein – Berlin droht eine Flut von Mahnmalen, in: Süd­deutsche Zeitung (SZ), 28.4.2001. So war in einem Beitrag Wallenbergs im Jahr 1972 in den Berlinischen Notizen über das Berlin Museum vom Gedanken, in dem Museum auch eine Jüdische Abteilung beziehungsweise ein Jüdisches Museum einzurichten, noch nicht die Rede. Hans Wallenberg, Vom Sinn des Berlin Museums, in: Berlinische Notizen, 1972, Nr. 1, S. 3–5. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Der Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz machte sich diesen Gedanken zu eigen. Am 18. November 1975 hielt die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Berlin e. V. ihre Gründerversammlung ab, die Konstituierung folgte am 25. Februar 1976. Sie stellte sich unter »Aufgaben und Zweck« in ihrer Satzung in die Tradition des alten Berliner Jüdischen Museums, das vom 24. Januar 1933 bis zur Pogromnacht 1938 in der Oranienburger Straße 31 in Räumlichkeiten der Gemeinde bestanden hatte: »Aufgabe der Gesellschaft ist es, die Tradition des am 28.  November 1929 unter dem Ehrenvorsitz von Max Liebermann gegründeten ›Berliner Jüdischen Museums­ vereins‹ fortzuführen und das ›Jüdische Museum‹, das als Abteilung des Berlin Mu­ seums wieder errichtet wird, zu fördern.«15

Neben dem in der Satzungspräambel erwähnten Maler Max Liebermann hatten dem Gründungsausschuss des alten Museumsvereins unter anderen auch der Kaufhausunternehmer Georg Tietz, Theodor Wolff, Chefredakteur des Berliner Tageblatts, und der Schriftsteller Arnold Zweig angehört.16 Nach der Pogromnacht 1938 hatte die Gestapo das Museum geschlossen und die Sammlung beschlagnahmt, der Museumsdirektor Franz Landsberger war ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt worden.17 Ende 1978 zählte die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum 129 Mitglieder.18 Ihr Vorsitzender wurde der Leiter der Senatskanzlei unter Schütz, der SPD -Politiker Hanns-Peter Herz, ein evangelischer Christ mit einem jüdischen Vater, sein Stellvertreter wurde Heinz Galinski. Im Vorstand saß außerdem Ernst Cramer, ein deutsch-jüdischer Emigrant, der als amerikanischer Offizier nach Deutschland zurückgekommen war und nach dem Krieg als Journalist zu einem der engsten Mitarbeiter des Verlegers Axel Springer aufstieg.19 15 Satzung des Vereins »Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e. V.«, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 106. 16 Die Nennung der weiteren Mitglieder des Gründungsausschusses bei: Eike Geisel, Das Jüdische Museum in Berlin 1933–1938, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, 14 (1984), S. 277–285, hier: 280; Hermann Simon / Anna Fischer, Wer nahm an der Gründung des Jüdischen Museumsvereins am 28. November 1929 teil? – Eine Präsenzliste, in: Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung. Das Berliner Jüdische Museum (1933–1938), hg. v. Chana Schütz / Hermann Simon, Berlin 2011, S.  101–112, hier: 104. 17 Vgl. Hermann Simon, Das Berliner Jüdische Museum in der Oranienburger Straße. Geschichte einer zerstörten Kulturstätte, Berlin 2000, S. 134–138. 18 Käthe Kusserow, Das Jüdische Museum im Palais Ephraim, in: Berlinische Notizen, 1978, Nr. 1/2, S. 25–27, hier: 25.  19 Von 1969 bis 1985 leitete Cramer das Verlegerbüro Springers, 1981 wurde er zusätzlich Mitherausgeber der Welt am Sonntag. In dieser Zeit war er unter anderem der »Außenpolitiker« des Konzerns und sollte darüber wachen, dass das Haus eine proamerikani­ sche, proisraelische und antitotalitäre Linie fuhr. Nach dem Tode Springers war ­Cramer © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Zum Vorstand gehörte qua Amt als Leiterin des Berlin Museums auch Irmgard Wirth. Laut Vera Bendt, der Leiterin der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums in den Jahren 1979 bis 1994, war der Vorsitzende Herz ein typischer Repräsentant der Mitgliedschaft der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum. Viele der Mitglieder hätten aus der »Zwischenzone« gestammt, d. h. sie waren beispielsweise Christen mit (partiell) jüdischer Abstammung, und viele seien zugleich Mitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gewesen.20 Die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum machte es sich zur Aufgabe, für das zu gründende Jüdische Museum zu werben, vor allem in jüdischen Emigrantenkreisen, die dazu bewegt werden sollten, Objekte für die Sammlung zu stiften. Die Werbung unter Emigranten um Objekte zum Aufbau des Museums war deshalb zwingend notwendig, weil der Großteil der deutschen Juden den National­sozialismus durch Flucht ins Exil überlebt hatte. Von den – nach den Kriterien der Nationalsozialisten  – ca. 570.000 Juden, die 1933 in Deutschland gelebt hatten, wurden etwa 200.000 ermordet, 278.500 konnten das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1943 verlassen. Diese Emigranten gingen ungefähr zur Hälfte, ca. 140.000, in die USA und davon wiederum die Hälfte allein nach New York und fast ebenso viele, ca. 120.000, zwischen 1932 und 1948 nach Palästina, wo 1948 der Staat Israel gegründet wurde.21 Die Pläne der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum durchzog von Anfang an eine Ambivalenz, an der sich die spätere Auseinandersetzung um das Jüdische Museum entzünden sollte. So nannte sich die Gesellschaft zwar »Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Berlin«, doch ihrer Satzung war zu entnehmen, dass dieses Museum als Abteilung des Berlin Museums errichtet werden sollte. Einerseits lag in Erinnerung an das alte Berliner Jüdische Museum der Begriff »Museum« nahe, andererseits war er, da letztlich nur eine Abteilung geplant war, geeignet – vor allem in Verbindung mit dem jüdisch

von 1985 bis 1995 dann alleiniger Herausgeber der Welt am Sonntag. Vgl. Gudrun Kruip, Mit ehemaligen Nazis gemeinsam zur Demokratie? Der Remigrant Ernst Cramer und seine Rolle im Axel Springer Verlag, in: Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden, hg. v. Fritz Backhaus / Dmitrij Belkin / Raphael Gross, im Auftrag des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Göttingen 2012, 59–64; Hans-Peter Schwarz, Axel Springer. Die Biografie, Berlin 2008, S. 476; Ernst ­Cramer, auf: Munzinger Online (17.1.2006). 20 Gespräch mit Vera Bendt am 24.3.2009. 21 Vgl. Cilly Kugelmann / Jürgen Reiche, Vorwort, in: Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933, hg. von der Stiftung Jüdisches Museum Berlin und der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 2006, S. 10–12, hier: 11; Israel (Palästina), in: ebd., S. 99 f., hier: 99, und USA , in: ebd., S. ­178–180, hier: 178; Wolfgang Benz, Deutsche Juden im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte in Porträts, München 2011, S. 137. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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konnotierten Palais Ephraim –, in der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck zu erwecken.22 In Werbebriefen der Gesellschaft, die im Februar 1976 auch auf Englisch an jüdische Emigranten verschickt wurden, wurde der Abteilungsbegriff völlig vermieden. Stattdessen wurde die Errichtung des Jüdischen Museums als »integraler Bestandteil« des Berlin Museums angekündigt.23 Ebenso war ein entsprechender Artikel im Mai 1976 in Aktuell mit »Berlin plant ein Jüdisches Museum« überschrieben.24 In der gleichen Ausgabe des Berliner Informa­ tionsblattes für emigrierte Berliner berichtete Hanns-Peter Herz, dass er, als Vorsitzender der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa sowie in New York und Philadelphia von den Plänen berichtet habe, »das Ephraim’sche Palais als Heimstatt des Jüdischen Museums« wiederzuerrichten, und dass er damit auf großes Interesse gestoßen sei.25 Zwei Jahre später hieß eine Ausstellung von ersten Sammlungsobjekten für die­ geplante Jüdische Abteilung im Berlin Museum »Erste Erwerbungen und Stiftungen für das künftige Jüdische Museum im Palais Ephraim«.26 Vielleicht wollte man den Abteilungsbegriff Emigranten gegenüber auch deshalb vermeiden, weil er möglicherweise schlechte Erinnerungen weckte. Denn alles, was nach deutscher Bürokratie klang, war nach der hochgradig bürokratisch organisierten Ausgrenzung, Entrechtung und Beraubung der deutschen Juden durch die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren konta­miniert. Der Wiederaufbau des Palais Ephraim, das nach Veitel Heine Ephraim, einem prominenten Hofjuden von König Friedrich  II., benannt war, der es am Ende des Siebenjährigen Krieges erworben und zu seinem Prachtbau umgebaut hatte, wurde Ende der 1970er Jahre und vor allem im Jahr 1980

22 Satzung des Vereins »Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e. V.«, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 106. 23 Brief der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum zur Mitgliederwerbung, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  107 f.; die englische Fassung des Briefes in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380. Die in New York erscheinende Emigrantenzeitung deutscher Juden, Der Aufbau, schrieb 1987, sie habe die Pläne der Berliner Gesellschaft für ein Jüdisches Museum von Anfang an unterstützt und ihr »manche Gelegenheit zur Veröffentlichung von Aufrufen und Artikeln gegeben«. »Neue Räume für die jüdische Abteilung des Berlin Museums«, in: Der Aufbau, 13.2.1987; so auch: Hanns-Peter Herz, Neue Räume für die jüdische Abteilung des Berlin Museums, in: Aktuell. Information aus und über Berlin, Nr.  46, Februar 1987. 24 Dem Artikel war dann zu entnehmen, dass im wiederzuerrichtenden Palais Ephraim »u. a. das Jüdische Museum« eingerichtet werden sollte. »Berlin plant ein Jüdisches Museum«, in: Aktuell, Nr. 20, Mai 1976, S. 1. 25 Hanns-Peter Herz, Liebe ehemalige Mitbürger, in: ebd. 26 Vgl. Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 76. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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als sich das Scheitern dieses Plans abzuzeichnen begann, in Zeitungsartikeln wiederholt mit dem »­ Jüdischen Museum« gleichgesetzt.27 Vor dem Hintergrund der Ambivalenz Museum versus Abteilung befürchtete offenbar zumindest Reiner Güntzer, Museumsreferent der Kulturverwaltung, von Anfang an, die geplante Jüdische Abteilung des Berlin Museums könnte sich zu einem Jüdischen Museum verselbstständigen. In einem Vermerk für den Senator vom Sommer 1975 schrieb Güntzer über die geplante Gründung der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum: »Wegen der Trägerschaft der jüdischen Abteilung, die neben der theaterhistorischen Abteilung im Palais Ephraim untergebracht werden soll, ist eindeutig klar, daß es sich um Abteilungen des Staatlichen Berlin-Museums handelt; die oben erwähnte Förder­ gesellschaft [die geplante Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, D. B.] ist nur als unterstützender Museums-Förderverein denkbar. Wir sehen nicht, wo und wie hier noch eine weitergehende ›Konzeption‹ entwickelt werden könnte.«28

Güntzer sprach sich hiermit offensichtlich dagegen aus, dass die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum anstelle des Berlin Museums die Trägerschaft des Jüdischen Museums übernehmen könnte. Die Angst vor der Verselbstständigung der geplanten Jüdischen Abteilung des Berlin Museums fand sogar Niederschlag in der Satzung der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, die vom Juristen Güntzer entworfen wurde.29 Darin hieß es unter »Aufgaben und Zweck« im § 2 Absatz 3, das »›Jüdische Museum‹ im Berlin Museum« solle gefördert werden durch den »Erwerb von Sammlungsgegenständen mit dem Ziel ihrer Übereignung an das Land Berlin«. Die Zweckbestimmung wurde weiter präzisiert durch § 8 Absatz 2: »Jeweils zum Ende des Geschäftsjahres bietet der Vorstand die im Laufe des Jahres erworbenen Sammlungsgegenstände dem Senator für Wissenschaft und Kunst 27 Camilla Blechen, Jahre der Integration. Das künftige Jüdische Museum in Berlin, in: FAZ , 28.8.1978; Peter H. Göpfert, Palais Ephraim. Schlittert Berlin in eine Blamage?, in: Die Welt, 12.2.1980; ders., Museum auf Eis, in: Berliner Morgenpost, 18.3.1980; »Berliner Chronik. 18. März 1980«: in: Tagesspiegel, 18.3.2005. Das konstatiert auch: Bendt, Das »Haus Ephraim« in Berlin und seine Nachkommen, S.  91; vgl. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 10. 28 Museumsreferent Güntzer an Senator, 17.7.1975, in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 104 f., hier: 105. 29 SenWiss / Kunst, III E, Güntzer, 1.  Entwurf der Satzung des Vereins »Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin«, 3.2.1975, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380. Wirth erklärte 1975 in einem Zeitungsinterview, sie sei »beaufragt worden, für die Gründung einer ›Gesellschaft für ein Jüdisches Museum‹ zu sorgen«. Hans Faust, »Die Bevöl­ kerung muß aktiv mithelfen«. Interview über das Jüdische Museum, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 11.4.1975. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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zur Übernahme des Eigentums durch das Land Berlin mit der Auflage an, daß die Sammlungsgegenstände dem Verwaltungsvermögen des Berlin Museums zugewiesen werden.«

Zugleich bestimmte § 7 Absatz 7, dass Satzungsänderungen, die den Vereinszweck und die Zusammenarbeit mit den übrigen Abteilungen des Berlin­ Museums – also auch den zitierten § 8 Absatz 2 – betrafen, zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Senators für Wissenschaft und Kunst bedurften.30 Im Zuge der Planungen für den Wiederaufbau des Palais Ephraim meldete das Berlin Museum umfangreiche weitere Wünsche für seine Vergrößerung an, sodass der Wiederaufbau des Palais schließlich mit einem Erweiterungsbau geplant wurde.31 Dadurch wurde aber der Rahmen der Finanzierungszusage der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, des Nebenhaushaltes des Landes Berlin, gesprengt, und die Lottostiftung – im ausschlaggebenden­ Gremium sitzen sechs von Senat und Abgeordnetenhaus entsandte Berliner Politiker – zog ihre Zusage am 30. Januar 1980, noch zu Zeiten des Regierenden Bürgermeisters Dietrich Stobbe von der SPD, völlig zurück.32 Auch war zwischenzeitlich Kritik an dem Projekt Palais Ephraim laut geworden. Es war von Anfang an städtebaulich höchst bedenklich. Der ursprüngliche Standort des Palais befand sich im historischen Kern von Berlin, im Nikolaikirchviertel im Ostteil der Stadt in der Poststraße 16. Wegen der Verbreiterung der Mühlendammschleuse war das Palais während der NS -Zeit nach – damals freilich umstrittenen – Plänen noch aus der Weimarer Zeit abgebrochen worden. Dabei hatte man die historischen Bauteile allerdings sorgfältig für einen späteren Wiederaufbau verzeichnet.33 Bei Kriegsende lagen 30 Satzung des Vereins »Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e. V.«, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 106. 31 Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 8 / 117: Senat von Berlin, Anwort (Schlußbericht) auf die Kleine Anfrage Nr. 122, in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 109, auch S. 20 (Entwurf des Architekten Ernst Gisel). 32 »Ephraim-Palais soll jetzt 30,5 Millionen Mark kosten«, in: Tagesspiegel, 18.8.1979; SenKult III, Vermerk: Jüdisches Museum / Palais Ephraim, 17.3.1980, in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 111; auch: Heinz Elsberg, Jüdisches Museum Berlin  – Geschichte und Zukunft, gesendet vom: Sender Freies Berlin (SFB), Schulfunk, 28./29.10.1980, 9.05–9.35 Uhr und 15.05–15.35 Uhr, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 174: Gesellschaft Jüdisches Museum Berlin, dann Jüdische Abteilung des Berlin Museums, Bde. 4–7, bis 1983. Zur Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin: Ulrich Clewing, Sechs suchen den Richtigen. Sie klotzt nicht nur, sondern kleckert auch und hilft oft genug, wenn’s brennt. Die Stiftung der Deutschen Klassen­lotterie ist die bedeutendste Kunstmäzenin der Stadt – aber zugleich auch ein parteipolitisches Spielzeug, in: taz, 24.11.1995; ders., Das Geld kommt aus dem Paralleluniversum. Was mit Lottogeld­ alles geschieht und wie es getan wird, in: FAZ , 24.11.1999. 33 Paul Ferdinand Schmidt, Berliner Verkehrsfanatismus und kein Ende, in: Sozialistische Monatshefte, 38 (1932), 2. Halbband, S. 1240–1243. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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diese Bauteile im Westteil der Stadt. Aber legitimierte die verständliche Westberliner Sehnsucht nach einem Stück historischen Berlin den Wiederaufbau des Palais an unhistorischem Ort?34 Nachdem es 1981 in Westberlin zu einem Machtwechsel gekommen war und die CDU unter dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker die politische Führung übernommen hatte, entschloss sich der Senat, die Bauteile des Palais Ephraim an den Ostteil zu übergeben. Ostberlin hatte signa­ lisiert, das Palais in unmittelbarer Nähe seines historischen Standortes beim Wiederaufbau des Nikolaiviertels zum 750-jährigen Jubiläum der Stadt 1987 rekonstruieren zu wollen.35 Auch das Abgeordnetenhaus fasste am 11. März 1982 auf Initiative der SPD -Fraktion einen entsprechenden Beschluss. Erste Berichte über ein Interesse Ostberlins an einem Wiederaufbau des Palais Ephraim an seinem historischen Standort kursierten seit 1978. Die Befürwor­ter seines Wiederaufbaus als Erweiterungsbau für das Berlin Museum im Westteil der Stadt hatten dies lange zu ignorieren versucht.36 Die tatsächliche Übergabe der Fassadenteile des Palais an Ostberlin erfolgte im Juni und Juli 1983.37 Der neue CDU-geführte Senat, der sich zentral um eine Haushaltskonso­ lidierung bemühte, legte nach der Aufgabe des Projekts Palais Ephraim 1981 den Plan einer Erweiterung für das Berlin Museum vorerst auf Eis.38 Als »Entschädigung« wurde im gleichen Jahr für die im Entstehen begriffene Jüdische Abteilung des Berlin Museums mit Mitteln der Lottostiftung die Judaicasammlung von Zvi Sofer angekauft, der bis dahin wichtigste Schritt zum Aufbau einer Sammlung.39 Im Jahr 1979 war mit der Judaistin Vera Bendt eine Leiterin der Jüdischen Abteilung im Range einer Oberkustodin einge34 Vgl. Kühne, Anmerkungen zum geplanten Erweiterungsbau des Berlin Museums, S. 164. 35 Peter Jochen Winters, Kein doppelter Ephraim. Westberliner Senat verzichtet auf Rekonstruktion des barocken Palais / Wiederaufbau im Osten, in: FAZ , 26.8.1981. 36 »Ephraim-Palais ohne Theater«, in: Tagesspiegel, 3.12.1978; »Das Bauen und die Kunst. Harry Ristock über Jean Ipousteguy  – Zweimal Palais Ephraim?«, in: ebd., 7.12.1978; »Kein Interesse Ost-Berlins an Ephraims Steinen. Vorerst kein Wiederaufbau des Palais  – Angebot der alten Fassadenteile wurde ausgeschlagen«, in: ebd., 26.5.1982. Ein Aufsatz im Jahrbuch des Leo Baeck Instituts erwähnte bereits 1976 in einer Fußnote Überlegungen in Ost-Berlin, das Palais Ephraim nahe an seinem ursprünglichen Ort zu restaurieren: Dolf Michaelis, The Ephraim Family, in: Leo Baeck Institute. Year Book, 21 (1976), S. 201–228, hier: S. 211, Fn 41. 37 Vgl. Rolf-Herbert Krüger, Das Ephraim-Palais in Berlin. Ein Beitrag zur preußischen Kulturgeschichte, Berlin (Ost) 1988, S. 58. 38 Kurt Geisler, Der Rotstift siegte im langen Kampf um das Ephraim-Palais, in: Ber­liner Morgenpost, 26.8.1981; Brigitte Grunert, Berlin Museum braucht zweites Haus. Zunächst Ausweichquartier für die Jüdische Abteilung im Gropiusbau, in: Tagesspiegel, 8.5.1986. 39 Senator für Wissenschaft und Kulturelle Angelegenheiten, Pressemitteilung: Die JudaicaSammlung Sofer kommt ins Berlin-Museum, 28.8.1981, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 174; »Judaica Sammlung Sofer für das Berlin-Museum erworben«, in: Tages­ spiegel, 29.8.1981. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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stellt worden. Irmgard Wirth hatte am 10. November 1978, als im für Finanzen zuständigen Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses die Schaffung der Kustodenstelle für die Jüdische Abteilung auf der Tagesordnung stand, gesagt, die Stelle müsse mit einem Judaisten besetzt werden, der selbst Jude sei. Vera Bendt war im Alter von Mitte Zwanzig ins Judentum aufgenommen worden.40 Ein Schlaglicht darauf, wie es in Westberlin Anfang der 1980er Jahre um die Erinnerung an die jüdische Geschichte Berlins bestellt war, wirft ein Brief von Jutta Bohnke-Kollwitz, der Leiterin der »Germania Judaica. Kölner Biblio­thek zur Geschichte des Deutschen Judentums« und zugleich Geschäftsführerin der »Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Sammlungen in der Bundesrepublik und West-Berlin«, an Irmgard Wirth vom 15. April 1980. In dem Brief ist zu lesen, dass man in Köln, auch weil man davon ausging, West­ berlin werde ein jüdisches Museum errichten, eigene Überlegungen für ein re­präsentatives deutsches jüdisches Museum zurückgestellt habe.41 Bohnke-Kollwitz, die Wirth in dem Brief für eine Tagung der Arbeits­ gemeinschaft in Westberlin dankte, verschwieg dabei einen Eindruck nicht, den sie aus der Halb-Stadt mitgenommen hatte: »Bei der Programmerarbeitung […] wurde deutlich, daß der Westteil der Stadt heute fast völlig ohne Traditionsstätten aus der Geschichte des Berliner Judentums ist. […] Im westlichen Teil  der Stadt […] gibt es  – außer dem Gemeindehaus  – nichts, was einen Besuch gelohnt hätte, nichts in einer Stadt wie Berlin, die bis 1933 170–180.000 jüdische Einwohner hatte.«42

Ein Grund dafür war, dass das historische Berlin bis auf Teile der Friedrichstadt zur östlichen Stadthälfte gehörte. In Ostberlin befanden sich unter anderem die Ruine der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, der einstmals größten Synagoge der Stadt, der ehemalige Standort des Palais Ephraim im Nikolaiviertel und die jüdischen Friedhöfe an der Schönhauser Allee und in Weißensee. 40 Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, Stenographischer Dienst, InhaltsProtokoll, Hauptausschuß, 138. Sitzung, 10.11.1978, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380; Gespräch mit Vera Bendt am 6.9.2011. 41 Dazu auch: Vera Bendt, Den verstreuten Nachlaß als jüdisches Erbe annehmen, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 29.11.1990; dies., Erinnern und Leben. Hans Keilson gewidmet, in: Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, 3 (1997/1998. 5758): Über Erinnerung, S.  37–57, hier: 55, FN 34. Zur »Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Sammlungen« vgl.: Ralf Busch, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft jüdischer Sammlungen in Deutschland: Über ihr Entstehen und die Frühzeit, in: Aschkenas, 6 (1996), S. 287–293. 42 Jutta Bohnke-Kollwitz, Germania Judaica. Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums e. V., an Irmgard Wirth, 15.4.1980, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 174. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

III. Der Realisierungswettbewerb »Erweiterungsbau Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« 1988/89

Rolf Bothe, der Nachfolger von Irmgard Wirth als Direktor des Berlin Museums, und Vera Bendt regten den Ostberliner Historiker Hermann Simon, der in der dortigen kleinen Jüdischen Gemeinde aktiv war, dazu an, aus Anlass des 50. Jahrestages seiner Eröffnung eine Geschichte des ersten Jüdischen Museums in Berlin (1933–1938) zu schreiben. Dies geschah vermutlich auch deshalb, um das Thema des Erweiterungsbaus für das Berlin Museum und seine Jüdische Abteilung nach dem Scheitern des Projekts Palais Ephraim 1980/81 in der öffentlichen Diskussion zu halten. Abgesehen davon, dass die Archiv­bestände zur Geschichte Berlins im Ostteil der Stadt lagen, folgte es auch sonst einer gewissen Logik, einen Ostberliner um dieses Geschichtswerk zu bitten, da sich das ehemalige Jüdische Museum in einem Gebäude der G ­ emeinde neben der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße befunden hatte.1 Das Berlin Museum organisierte aus Anlass des 50. Jahrestages der Er­ öffnung des alten Jüdischen Museums am 24. Januar 1933 im Jahre 1983 eine Gedenkveranstaltung und gab Hermann Simons Band mit Unterstützung durch Sondermittel des Westberliner Abgeordnetenhauses heraus. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die zu diesem Zeitpunkt bevorstehende Übergabe der Bauteile des Palais Ephraim an Ostberlin dazu beigetragen hatte, diese Zusammenarbeit über die Mauer hinweg zu ermöglichen. Im Ostteil der Stadt erschien Simons Publikation zunächst jedoch nicht.2 Zudem eröffnete das Berlin Museum am 25. Januar 1983 eine Ausstellung »Synagogen in Berlin – Zur Geschichte einer zerstörten Architektur«. Zu der Gedenkveranstaltung 1 Zu den Berliner Archivbeständen vgl. Wolfgang Ribbe, Vom Vier-Mächte-Regime zur Bundeshauptstadt (1945–2000), in: ders. (Hg.), Geschichte Berlins, Bd. 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, 3. erw. u. aktual. Aufl., Berlin 2002, S. 1027–1210, hier: 1179. 2 Veronika Bendt / Rolf Bothe, Vorwort, in: Hermann Simon, Das Berliner Jüdische Museum in der Oranienburger Straße. Geschichte einer zerstörten Kulturstätte (Stadtgeschichtliche Publikationen, hg. v. Berlin Museum), Berlin 1983; auch: Hermann ­Simon, Die Jüdische Gemeinde und die Erhaltung der jüdischen Kultur in Ost-Berlin, in: Robin Ostow, Jüdisches Leben in der DDR , Frankfurt a. M. 1988, S. 53–62, hier: 56; ders., Das vergessene Museum. Aktenzeichen-Ost VA-2077–82: Wie das Buch über das erste­ Jüdische Museum in der Oranienburger Straße entstand, in: Die Welt, 26.7.2000. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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und Ausstellungseröffnung kehrte die in Israel lebende Erna Stein-Blumenthal, die von 1933 bis 1935 das alte Jüdische Museum geleitet hatte und dann emigriert war, erstmals nach Berlin zurück.3 Mit der Aufgabe des Projekts Palais Ephraim hatten der Direktor des Berlin Museums, Bothe, und die Kulturverwaltung die Verselbstständigung der Jüdischen Abteilung ernsthaft zu fürchten begonnen. Diese galt es aus ihrer Sicht unbedingt zu vermeiden, weil ein Erweiterungsbau des Berlin Museums ohne Legitimation durch den Raumbedarf für die Jüdische Abteilung politisch kaum durchsetzbar erschien. Im Jahr 1983 erwähnte Volker Hassemer, der Senator für Kulturelle Angelegenheiten, offenbar gegenüber dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde sogar Überlegungen, der Jüdischen Abteilung das Kollegienhaus zu überlassen und das Berlin Museum in einen Neubau oder in den Martin-Gropius-Bau zu verlagern. Das berichtete jedenfalls Heinz Galinski im Vorstand der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Anwesenheit von Rolf Bothe.4 Im September 1983 willigte der Vorstand der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum gegen den Willen der Kulturverwaltung und des Berlin Museums gegenüber dem Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker in provisorische Räume für die Jüdische Abteilung im Martin-Gropius-Bau ein. Von­ Weizsäcker versprach im Gegenzug einen späteren Erweiterungsbau für das Berlin Museum. Daraufhin räumte das Museum binnen kürzester Zeit seinen Vortragssaal für die Jüdische Abteilung, die bis dahin überhaupt keine festen Ausstellungsräumlichkeiten gehabt hatte. Mit diesem Raum, der schon am 19. Januar 1984, und damit lange vor den provisorischen Räumen im GropiusBau, eröffnet wurde, wurde die Zugehörigkeit der Jüdischen Abteilung zum Berlin Museum demonstriert.5 3 Rede des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am 24. Januar 1983 im Berlin Museum, abgeduckt in: Juliane Berndt, »Ich weiß, ich bin kein Bequemer …« Heinz Galinksi  – Mahner, Streiter, Stimme der Überlebenden, hg. v. Andreas Nachama, BerlinBrandenburg 2012, S.  303–307; Landespressedienst Berlin: Ausstellung »Synagogen in Berlin« im Berlin Museum, 10.2.1983, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 166; »Ein Museum erinnert sich«, in: Aktuell, Nr. 36, April 1983; Veronika Bendt, Die Jüdische Abteilung des Berlin Museums, in: ebd., Nr. 38, März 1984, S. 4 f., hier: 5; »Synagogen-Ausstellung. Erna Stein-Blumenthal kam extra aus Israel«, in: Bild, 25.1.1983. 4 Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, Protokoll der Vorstandssitzung am 6.6.1983, 7.6.1983, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 170: Erweiterungsbau Berlin Museum  – Jüd. Abt. – Gropiusbau. 5 SenKult III A, Güntzer, an Senator, 10.4.1980, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 142 f.; SenKult III A, Vermerk, 25.4.1980, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 174; »Der Rotstift siegte im langen Kampf um das Ephraim-Palais«, in: Berliner Morgenpost, 26.8.1981; Cramer an Herz, 19.7.1983, ab­ gedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 175; Herz an die Mitglieder der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, 15.8.1983, abgedruckt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 3: Eröffnung der drei zusätzlichen Ausstellungsräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau am 26. November 1986

Im Jahr darauf übereignete die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum die seit ihrer Gründung von ihr erworbenen Objekte satzungsgemäß dem Land Berlin – damit hatte die Gesellschaft bewusst bis zur Zusage zumindest vorläufiger Räume für die »Abteilung Jüdisches Museum« durch den Senat gewartet. Die Gesellschaft erklärte in diesem Zusammenhang, sie betrachte die geplanten Räume für die Jüdische Abteilung im Gropius-Bau als Provisorium und erwarte, dass die Abteilung angemessene Schauräume als »weder konzeptio-

in: ebd., S.  177; Bothe / Bendt an den Vorstand der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, 19.8.1983, abgedruckt in: ebd., S. 178 f.; Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 9/1286: Vorlage zur Kenntnisnahme Nr. 71 des Senats von Berlin über die endgültige Herrichtung und Nutzung des Gropius-Bau, 8.9.1983; Herz / Galinski an den Regierenden Bürgermeister, von Weizsäcker, 12.9.1983, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 180; SenKult V A 1, Vermerk: Jüdische Abteilung des Berlin-Museums, 9.7.1984, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 330: III A, Jüdische Abteilung des Berlin Museums, Bde. 8–11, bis 1986; vgl. Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 23; Berlin Museum. Kurzführer. Kunstund kulturgeschichtliche Sammlungen vom 16. bis 20. Jahrhundert (Deutsch / Englisch), Berlin 1987, S. 28. Ein Foto des 1984 eröffneten Ausstellungsraums der Jüdischen Abteilung im Berlin Museum in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 27. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 4: Die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau, 26. No­ vember 1986

Abb. 5: Der regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau am 26. November 1986 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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nell noch räumlich getrennte […] Abteilung des Berlin Museums« erhalten werde.6 Am 26. November 1986 wurden dann die drei zusätzlichen Ausstellungsräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im zweiten Obergeschoss des Martin-Gropius-Baus eröffnet. Dem Eröffnungsabend ging eine Pressekonferenz voraus, in welcher Kultursenator Hassemer (CDU) und Vera Bendt sprachen, abends folgten Reden von Rolf Bothe, Hanns-Peter Herz, Martin Weyl, dem Direktor des Israel Museums in Jerusalem, und Eberhard Diepgen (CDU), dem Regierenden Bürgermeister.7 Eine Verbindung Berlins zum Israel Museum bestand insofern, als dass der Verleger Axel Springer die Bibliothek und das Auditorium des Israel Museums finanziert hatte, wie er im Jahr 1966 bei seinem ersten Israelbesuch dem Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek spontan zugesagt hatte. Im gleichen Jahr hatte Springer sein neues Verlagshaus in Berlin eingeweiht.8 Hassemer, Herz und Diepgen betonten in ihren ähnlich formulierten Ausführungen, die Jüdische Abteilung des Berlin Museums sei nicht der Grundstein eines zukünftigen eigenständigen Berliner jüdischen Museums, sondern eine »weiter auszubauende eigenständige Abteilung des Berlin Museums«.9 Herz, der Vorsitzende der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, unterstrich: »[W]ir wollen kein besonderes Museum der Berliner Juden für die Berliner Juden, sondern die Jüdische Abteilung des Berlin Museums als einen integralen Bestandteil unserer stadtgeschichtlichen Sammlungen. Deshalb mischt sich in die Freude

6 Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, Protokoll der Vorstandssitzung am 6.6.1983, 7.6.1983, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 170; Gesellschaft für ein Jüdisches Museum an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Hassemer, 5.12.1985, abgedruckt: in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 185 f., vgl. auch: S. 28 f. 7 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, in: Berlinische Notizen, 1987, Nr.  4, S.  120–133. Die in der Ausein­ andersetzung mit dem Direktor des Jüdischen Museums Amnon Barzel vom Verein der Freunde und Förderer des Stadtmuseums herausgegebene Dokumentation über die Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums dokumentiert die bei der Einweihung der Ausstellungsräume im Gropius-Bau gehaltenen Reden nicht. In der vorangestellten Darstellung wird lediglich aus den Reden von Hassemer und Herz zitiert. Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 32–34. 8 Vgl. George Y. Kohler, Die »Affäre Springer« im Sommer 1966 und Axel Springers Bild in der israelischen Öffentlichkeit, in: Bild dir dein Volk!, S.  135–142, hier: 135 f., 139; Schwarz, Springer, S.  414; Ernst Cramer, Axel Springer, Israel und die Juden, in: Andreas Nachama / Julius H.  Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-­ jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992, S. 347–354, hier: 351. 9 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 121. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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über dieses Provisorium auch ein trauriger Unterton. Wir sind noch nicht in der Heimat, der wir seit 1975 zustreben, dem Berlin Museum. Im Berlin Museum bleibt deshalb eine feste Ausstellung, die unseren Anspruch auf den Ergänzungsanbau manifestiert.«10

Der Regierende Bürgermeister fügte dem in seiner Rede hinzu: »Die Jüdische Abteilung ist in das Berlin Museum ebenso selbstverständlich inte­ griert, wie es das jüdische Element vor der nationalsozialistischen Barbarei in Deutschland gewesen ist.«11

Die Ausführungen von Bendt auf der Pressekonferenz unterschieden sich lediglich in einem Wort von den Erklärungen der drei Genannten, aber darin lag der Kern eines Konflikts, der zwölf Jahre andauern sollte. Sie sprach, ganz wie es die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum bereits 1976 in ihren Werbebriefen an jüdische Emigranten getan hatte, von »der Idee eines Jüdischen Museums als eines ›integralen Bestandteils des Berlin Museums‹« – also nicht wie Hassemer, Herz und Diepgen von der Jüdischen Abteilung.12 Zur Eröffnung der Räume im Martin-Gropius-Bau waren Vertreter ausländischer jüdischer Museen aus Jerusalem, New York, Los Angeles und Amsterdam eingeladen worden. Martin Weyl aus Israel, der stellvertretend für die internationalen Gäste sprach, brachte zunächst seine Verwunderung über diese Einladung zum Ausdruck und gestand, dass seine Kollegen und er nicht wüssten, was ihre Gastgeber von ihnen erwarteten. In seinen in Englisch gehaltenen Ausführungen sprach er durchgängig vom »Jewish Museum« und nicht, wie die englische Übersetzung von »Jüdischer Abteilung« gelautet hätte, einem »Jewish Department«.13 Weyl erklärte, er halte die Räume im Martin-Gropius-Bau nicht für das ideale Umfeld für ein jüdisches Museum. Unmittelbar neben dem GropiusBau befinde sich das Gelände, auf dem das Hauptquartier der Gestapo gestanden hatte (außerdem auch die Gebäude von SS und deren Sicherheitsdienst, SD), weshalb einige seiner Kollegen sich »mit Steinen im Magen« im Museum bewegt hätten. Der dritte Raum der Ausstellungsfläche der Jüdischen Abteilung im Gropius-Bau, in dem der Nationalsozialismus thematisiert wurde,

10 Ebd., S. 129; vgl. auch den Kommentar von Herz zum Ausgang des Realisierungswettbewerbs im Juni 1989, in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 59. 11 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 123. 12 Ebd. 13 Ebd., S. 130 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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bot den Besuchern gar einen direkten Blick auf dieses Gelände, auf dem damals gerade Reste der Keller des Gestapo-Hauptquartiers frei­gelegt wurden.14 Die Bemerkung Weyls musste auch im Sinne derer sein, die fürchteten, das Provisorium für die Jüdische Abteilung im Gropius-Bau könne zum Dauerzustand werden und der Erweiterungsbau des Berlin Museums werde nie errichtet. Insofern war es keine Überraschung, dass der dem Berlin Museum besonders verpflichtete Tagesspiegel der Kritik Weyls am Standort der Jüdischen Abteilung im Gropius-Bau einen eigenen Artikel widmete.15 Weyls Bedenken gegen ein jüdisches Museum im Umfeld des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers mussten erst recht gegen 1985 wiederholt geäußerte Pläne des Regierenden Bürgermeisters Diepgen gelten, das Prinz-AlbrechtPalais – das Gebäude, in dem sich die Reichsleitung des Sicherheitsdienstes der SS (SD) befunden hatte – wieder aufzubauen und darin auch das Jüdische Museum unterzubringen. Dieser Gedanke, von dem Kultursenator Volker Hassemer Eberhard Diepgen schließlich abbringen konnte, richtete sich nicht zuletzt gegen Pläne für ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf diesem Gelände. Für dieses Projekt war 1983/84 ein Wettbewerb durchgeführt worden, dessen  – nach Ansicht vieler unbefriedigendes  – Ergebnis jedoch von Diepgen kassiert worden war.16 Der Fraktionsvorsitzende der 14 Ebd., S.  131; auch: John Laupitz, Zwei große Ausstellungen auf einen Streich, in: Ber­ liner Morgenpost, 27.11.1986; vgl. Veronika Bendt, Das Jüdische Museum Berlin. Eine Abteilung des Berlin Museums, Berlin 1986, S.  54; Berlin Museum. Kurzführer, S.  36; Krijn Thijs, Drei Geschichten, eine Stadt. Die Berliner Stadtjubiläen von 1937 und 1987, Köln u. a. 2008, S. 177. 15 »Jüdische Kritik am Standort der Dauerausstellung«, in: Tagesspiegel, 28.11.1986. Vera Bendt hatte den Museumsreferenten Güntzer vorab über die Einladung von Vertretern ausländischer jüdischer Museen – insbesondere von solchen Museen mit Beständen aus dem alten Berliner Jüdischen Museum – informiert und dabei erwähnt, dass an sie herangetragen worden sei, dass Berlin nicht mit Leihgaben aus dem Ausland rechnen könne, wenn es meine, mit den Räumen im Gropius-Bau bereits ein Jüdisches Museum geschaffen zu haben. Bendt an Güntzer, 4.10.1986, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 177. 16 Bothe an Güntzer, 19.3.1986, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 215–217; Lore Ditzen, Ein Platz, mit dem wir nicht um­gehen können. Diskussion um das ehemalige Gestapo-Gelände in Berlin, in: SZ , 19.3.1985; auch: Robert Frank, Sinn und Unsinn der Denkmalpflege – Zum angekündigten Wiederaufbau des Prinz-Albrecht-Palais, gesendet vom: SFB , Stadtkritik, 3.6.1985, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 330. Vera Bendt hatte die Überlegungen, das Jüdische Museum im (wiederaufzubauenden) Prinz-Albrecht-Palais unterzubringen, bereits im Oktober 1985 kritisiert: Veronika Bendt, Palais auf dem Prüfstein. Braucht das jüdische Kulturgut Berlins ein Museum?, in: Die Welt, 29.10.1985. Vgl. Brian Ladd, The Ghosts of Berlin. Confronting German History in the urban Landscape, Chicago 1998, S. 159; Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM , 1988/89, S. 30; Jane Kramer, The Politics of Memory. Looking for Germany in the new Germany, New York 1996, S. 139; Stefanie Endlich, Denkort Gestapogelände (= Schriftenreihe Aktives Museum, Bd. 2), Berlin 1990, S. 39. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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CDU im Abgeordnetenhaus, Dankward Buwitt, sollte am 20.  Dezember

1988, als der Wettbewerb für die »Erweiterung des Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« bereits ausgeschrieben war, noch einmal fordern, das Jüdische Museum auf dem Gelände des Prinz-Albrecht-Palais zu errichten.17 In seiner Rede am Abend der Ausstellungseröffnung, die an die von Weyl anschloss, erklärte Diepgen nun, der Erweiterungsbau des Berlin Museums stehe »wegen der Bedeutung des jüdischen Elements in der Berliner Geschichte  […] hoch oben auf der baulichen Prioritätenliste des Berliner Senats«.18 Diepgen zitierte außerdem aus einem Manuskript von Vera Bendt, was vor dem Hintergrund ihrer Äußerungen auf der Pressekonferenz zuvor nur als ein Versuch verstanden werden kann, sie festzulegen:

»›Ziel aller Anstrengungen ist ein zweites Haus für das Berlin Museum in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Alle provisorischen Unterkünfte der Jüdischen Ab­ teilung können aufgegeben‹ und, so haben Sie [Vera Bendt, D. B.] es ausgeführt, ›das Integrationsmodell des Museums verwirklicht werden. Für dieses Integrations­ modell gibt es bei gerechter Würdigung der historischen Tatsachen für Berlin keine Alternative.‹«19

Bei dem von Diepgen zitierten Text von Vera Bendt handelte es sich um das Manuskript für eine kleine Monografie, die 1986 in der Reihe »Berliner­ Forum« des Berliner Presse- und Informationsamtes erschien.20 Bendt hatte das Manuskript aber noch überarbeitet und in der veröffentlichten Fassung hieß es an der entsprechenden Stelle nun: »Mit einem zweiten Haus für das Berlin Museum könnten alle provisorischen Zwischenstadien der Jüdischen Abteilung beendet werden. Das ›Museum im Museum‹, wie die frühen Initiatoren und Gründer der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin das Jüdische Museum definierten, muß bei gerechter Würdigung der

17 »Buwitt: Jüdisches Museum auf das Prinz-Albrecht-Gelände«, in: Berliner Morgenpost, 21.12.1988. 18 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 132; auch: Landespressedienst: Jüdische Abteilung des BerlinMuseums setzt Tradition des alten Jüdischen Museums fort, 26.11.1986, in: Akten Senats­verwaltung, Ordner 379: III A, Berlin Museum, Erweiterungsbau, Bde. 6–10. 19 Diese Sätze waren dem Berlin Museum, d. h. seinem Direktor Bothe, so wichtig, dass sie in nahezu identischem Wortlaut auch in dem Papier des Berlin Museums für die Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellungsräume auftauchten. Berlin Museum, Juden in Berlin. Dokumente, Bilder, Kunstwerke aus den Sammlungen des Berlin Museums, undatiert [26.11.1986], in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 177: III A, Jüdische Abteilung des Berlin Museums, Bde. 12–15, bis 1988. 20 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 133. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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historischen Gegebenheiten ein integraler Bestandteil des stadtgeschichtlichen Berlin Museums sein.«21

Die von Diepgen zitierte Passage hatte Bendt gestrichen. Vera Bendt erklärte im Gespräch mit dem Autor, sie habe die Veränderung an ihrem Manuskript vorgenommen, nachdem ihr damals vorab der Rede­entwurf des Regierenden Bürgermeisters Diepgen zugegangen war.22 1978 war Diepgen, damals noch als Hauptausschuss-Mitglied des Abgeordnetenhauses, grundsätzlich skeptisch gewesen, ob man mit Sachspenden ehe­ maliger Berliner Bürger die Jüdische Abteilung des Berlin Mu­seums werde füllen können, und hatte gesagt, er könne sich auch eine andere Nutzung für das Palais Ephraim vorstellen, als dort ein jüdisches Museum unterzu­ bringen.23 Wenig Zweifel bestehen daran, dass das Berlin Museum die Vertreter der jüdischen Museen aus dem Ausland nicht zuletzt deshalb zum Eröffnungsabend eingeladen hatte, weil dem brachliegenden Projekt der Erweiterung des Berlin Museums neuer Schwung verliehen werden sollte.24 Das Versprechen, die Errichtung eines »schönen jüdischen Museums« in Berlin zu unter­stützen, gab Weyl an dem Eröffnungsabend nicht nur für das Israel Museum, sondern stellvertretend für alle israelischen Museen und sogar für alle jüdischen Museen weltweit ab.25 Bei einer anderen Berliner geschichtspolitischen Entscheidung, die in dieselbe Zeit fiel, wie die Eröffnung der drei Ausstellungsräume der Jüdischen Abteilung im Gropius-Bau, hält der Historiker Jacob S. Eder einen Anstoß aus dem Ausland für wahrscheinlich. Der Senat gab im Herbst 1986 bekannt, in der Wannsee-Villa, in der am 20. Januar 1942 die berüchtigte Konferenz zur Durchführung des nationalsozialistischen Judenmords stattgefunden hatte und die bislang als Schullandheim genutzt wurde, eine Gedenk- und Begegnungsstätte einrichten zu wollen. Dem vorausgegangen war im Januar 1986 ein Berlinbesuch des »US -German-Comittee on Learning and Remembrance«, das im Zusammenhang mit deutschen Bemühungen stand, die Gestaltung des geplanten Holocaust Museums in Washington, D. C., zu be­ 21 Veronika Bendt, Das Jüdische Museum Berlin. Eine Abteilung des Berlin Museums (= Berliner Forum, hg. v. Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, 5/86), Berlin 1986, S. 60. 22 Gespräch mit Vera Bendt am 6.9.2011. 23 Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, Stenographischer Dienst, InhaltsProtokoll, Hauptausschuß, 138. Sitzung, 10.11.1978, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380. 24 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 126. 25 Ebd., S. 131. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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einflussen. Auch ein Besuch des Hauses der Wannsee-Konferenz gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister hatte auf dem Programm gestanden.26 Hanns-Peter Herz, der Vorsitzende der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, thematisierte in seiner Rede am Eröffnungsabend einen weiteren Aspekt, der für die in Westberlin betriebene Erweiterung des Berlin Museums und für dessen Jüdische Abteilung in den 1980er Jahren eine wichtige Rolle spielte, indem er darauf hinwies: »daß die DDR aus Anlaß des 50. Jahrestags der Kristallnacht 1988 die wieder­ aufgebaute Neue Synagoge in der Oranienburger Straße als Jüdisches Museum eröffnen wird. Wir begrüßen diesen Plan und sehen darin auch ein Echo auf das Wirken un­serer Gesellschaft in diesem Teil der Stadt. Aber wir sind auch betrübt, weil BerlinWest Berlin-Ost offenbar ein wichtiges Feld überläßt.«27

Dass nicht nur in Ostberlin, sondern auch in Frankfurt am Main ein jüdisches Museum geplant war und dass man dort weiter war als in West­ berlin, spielte in der Debatte um das Westberliner Jüdische Museum seit dem Jahr 1980 in Rundfunk und Presse sowie ab 1986 auch in Briefen von Hanns-­ Peter Herz und Heinz Galinski an die politisch Verantwortlichen eine Rolle. Nicht zuletzt deshalb, weil Westberlin sich gerne rühmte, wieder die größte jüdische Gemeinde in Deutschland zu beherbergen.28 Im Februar 1980 war in Frankfurt unter einem CDU-geführten Magistrat die Konzeption eines jüdischen Museums beschlossen worden. Die endgültige Gründungsentscheidung folgte vier Jahre später, wobei das Jüdische Museum nicht ins Historische Museum der Stadt eingegliedert werden, sondern als selbstständige

26 Jacob S. Eder, Holocaust-Erinnerung als deutsch-amerikanische Konfliktgeschichte. Die bundesdeutschen Reaktionen auf das United States Holocaust Memorial Museum in Washington D. C., in: Jan Eckel / Claudia Moisel (Hg.), Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Göttingen 2008, S.  109–134, hier: 123 f., auch: 119; Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, überarb. Ausgabe, Frankfurt a. M. 1999, S. 165. 27 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau«, S. 129. Ganz ähnlich hatte sich Herz bereits im Februar 1986 geäußert. Peter Hans Göpfert, Museum für Geschichte der Juden in Berlin. Neuerwerbungen in der Lindenstraße, in: Berliner Morgenpost, 8.2.1986. 28 Dass Westberlin die größte bzw. bedeutendste jüdische Gemeinde in Deutschland beherberge, wird beispielsweise betont bei: Wirth, Die Jüdische Abteilung (1975), S. 10; Kusserow, Das Jüdische Museum im Palais Ephraim (1979), S. 25; Veronika Bendt, Juden in Berlin und Preußen. Zum Aufbau der Jüdischen Abteilung, in: Museum. Berlin Museum, Berlin / Braunschweig 1980, S. 118–122, hier: S. 122; vgl. Jack Zipes, The V ­ icissitudes of being Jewish in West Germany, in: Anson Rabinbach / Jack Zipes (Hg.), Germans and Jews since the Holocaust. The changing Situation in West Germany, New York / London 1986, S. 27–49, hier: 29 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Institution  – ein­gebettet in die Museumsufer-Konzeption  – im RothschildPalais errichtet werden sollte.29 Der geplante (Teil-)Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Ostberlin, den Herz in seiner Rede erwähnte, hatte sich seit 1985 angebahnt.30 Über diese Entwicklung dürfte Herz Ende November 1986 im Bilde gewesen sein, da sein Vorstandskollege in der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, sich am 25.  September 1986 erstmals mit Klaus Gysi, dem DDRStaatssekretär für Kirchenfragen, getroffen hatte. Weitere Treffen sollten 1987 und 1988 folgen.31 Diese West-Ost-Diplomatie Galinskis ab 1986, die angesichts seines Rufs als Westberliner Kalter Krieger überraschte, lässt sich vermutlich auch auf Entwicklungen zurückführen, auf die Vera Bendt in der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellungsräume im Gropius-Bau direkt anspielte,32 nämlich 29 Vgl. Georg Heuberger, Traditionsreicher Neubeginn. Das Jüdische Museum in Frankfurt am Main, in: Jüdischer Almanach 1997/5757 des Leo Baeck Instituts, hg. v. Jakob Hessing, Frankfurt a. M. 1996, S. 9–26, hier: 16 f.; ders., Traditionsreicher Neubeginn – Zielsetzung und Aufbau des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, in: Der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1988, S. 17–22, hier: 17; Kugelmann, Das Jüdische Museum als Exponat der Zeitgeschichte. Das Beispiel Frankfurt, S. 44–46. Hinweise in Presse und Rundfunk darauf, dass Frankfurt Westberlin voraus sei: Elsberg, Jüdisches Museum Berlin  – Geschichte und Zukunft (O-Ton Galinski), gesendet vom: SFB , Schulfunk, 28./29.10.1980; Dankwart Guratzsch, Spurensuche am Main. Frankfurt: Jüdisches Museum im Rothschild-Palais, in: Die Welt, 23.6.1981; in Briefen von Galinski und Herz: Galinski an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Hassemer, 10.2.1986, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 330; Herz an Hassemer (Verweis zugleich auf Ostberlin), 13.9.1988, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 289. 30 Der Westberliner Tagesspiegel meldete bereits im Dezember 1986, die DDR habe die Teilrestaurierung der Neuen Synagoge beschlossen, um dort ein jüdisches Museum einzurichten. »Synagoge Oranienburger Straße wird ein jüdisches Museum. DDR bewilligte 40 Millionen Mark für Restaurierung«, in: Tagesspiegel, 7.12.1986. Peter Kirchner, Die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße (Kopie aus einem Informationsheft der Ostberliner Jüdischen Gemeinde [1985], S. 5–8), in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: 330; vgl. Angelika Timm, Hammer  – Zirkel  – Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zum Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, S. 304 f.; Michael Wolffsohn, Die Deutschland Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden, 2. Aufl., München 1996, S. 329. Der Tagesspiegel hatte bereits 1975, dem Jahr der Gründung der Westberliner Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, schon einmal von Ostberliner Überlegungen berichtet, die Ruine der Neuen Synagoge zu einem Museum für jüdische Geschichte auszubauen. Ekkehard Schwerl, Die kleine Jüdische Gemeinde von Groß-Berlin. 400 Mitglieder im Ostteil, 5.000 im Westteil der Stadt, in: Tagesspiegel, 22.6.1975. 31 Vgl. Timm, Hammer – Zirkel – Davidstern, S. 306. 32 Vgl. Peter Kirchner, Die Jüdische Gemeinde von Ost-Berlin, in: Ostow, Jüdisches Leben in der DDR , S. 27–41, hier: 30; Wolffsohn, Die Deutschland Akte, S. 319, auch: 329 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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den »Historikerstreit« in der Bundesrepublik, der im Juni / Juli 1986 begonnen hatte und die gesamte zweite Jahreshälfte andauerte.33 Dazu gehörte ebenso, auch wenn Bendt ihn nicht erwähnte, der gemeinsame Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl und US -Präsident Ronald Reagan im Jahr zuvor auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg. Insbesondere aus jüdischer Sicht waren sowohl Bitburg als auch der Historikerstreit einschneidende Ereignisse. Kanzler Kohl hatte Präsident Reagan nach seinem Eintreten für den NATO -Doppelbeschluss zur nuklearen »Nachrüstung« des Westens gegen massive Proteste in der bundesdeutschen Bevölkerung im Gegenzug den gemeinsamen Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg als Geste der Versöhnung 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg abgefordert. Bald wurde bekannt, dass auf dem Friedhof auch Soldaten der Waffen-SS beigesetzt waren, und es erhob sich im Vorfeld des Staatsbesuchs scharfe Kritik an dem geplanten gemeinsamen Friedhofsbesuch von Kohl und Reagan. Protest gab es in erster Linie in den USA, aber auch in der Bundesrepublik, und zwar in beiden Fällen insbesondere von Juden, vor allem aus der jüngeren Generation, sowie jüdischen Organisationen. Reagan hielt, um den wichtigsten Bündnispartner auf dem europäischen Festland nicht zu verprellen, trotz des Proteststurms an dem zugesagten Programmpunkt fest, musste dafür aber einen deutlichen Einbruch seines Ansehens in den USA hinnehmen.34 Im Historikerstreit ging es darum, ob der Nationalsozialismus als bürgerliche Notwehr gegen den Kommunismus zu verstehen und zu entschuldigen sei, sowie um die Frage, ob die nationalsozialistischen Verbrechen, namentlich der ­Holocaust, einzigartig seien. In dieser Auseinandersetzung obsiegte – darüber herrschte im Rückblick zumindest lange Konsens  – die Linke, die einen kausalen Nexus zwischen Stalins und Hitlers Verbrechen verneinte und auf der Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Judenmords beharrte. Eine Konsequenz dieser großen geschichtspolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik 1985/86 war, dass sich fortan der politische Gegensatz 33 »Historiker-Streit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der national­sozialistischen Judenvernichtung, 9. Aufl., München / Zürich 1995. 34 Vgl. Anson Rabinbach, Introduction. Reflections on Germans and Jews since A ­ uschwitz, in: ders./Zipes (Hg.), Germans and Jews since the Holocaust, S. 3–24, hier: 6 f.; Shlomo Shafir, Ambiguous Relations. The American Jewish Community and Germany since 1945, Cincinnati 1999, S.  302; Ulrich Herbert, Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Martin Sabrow / Ralph Jessen / Klaus Große Kracht (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, S. 94–113, hier: 96 f.; Andrei S. Markovits, Jews and the Transition to a PostYalta-Order: Germany, Austria, Eastern Europe and the United States, in: Y. Michal­ Bodemann (Hg.), Jews, Germans, Memory. Reconstruction of Jewish Life in Germany, Ann Arbor 1996, S. 243–262, hier: 259; zur Haltung der damals jüngeren jüdischen Generation in der Bundesrepublik siehe: Kugelmann, Bringschuld, Erbe und Besitz, S. 187. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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zwischen links und rechts bis zum Ende der Ära Kohl stärker über die Einstellung zur nationalsozialistischen Vergangenheit als etwa über ökono­mische Fragen definierte.35 Mit der Eröffnung der drei neuen Ausstellungsräume im Gropius-Bau im November 1986 war die jüdische Abteilung des Berlin Museums auf drei Standorte verteilt. Bereits seit Januar 1984 verfügte sie über den Ausstellungsraum im Berlin Museum in der Lindenstraße und ihre Arbeits-, Depot- und Archivräume befanden sich seit 1983 in der Hardenbergstraße in Charlottenburg.36 Bezeichnend daran war, dass in dem Raum im Erdgeschoss des Berlin Museums herausragende Objekte der Judaica-Sammlung zu sehen waren, während der Nationalsozialismus im dritten Ausstellungsraum der Jüdischen Abteilung im Gropius-Bau thematisiert wurde. Die ersten beiden Räume dort zeigten das Thema »Juden in der Gesellschaft«, Judaica und die Geschichte der Berliner Jüdischen Gemeinde.37 Die Präsentation ausgewählter Judaica im Kollegienhaus passte dazu, dass das Berlin Museum unter seiner Gründungsdirektorin Wirth überwiegend ein »heiles Berlin« gezeigt hatte, auch wenn Wirths Nachfolger Bothe dem dann etwas entgegensteuerte.38 Mit dieser Konzeption wurde das Berlin Museum selbst von der Darstellung des Nationalsozialismus entlastet  – diese Aufgabe wurde durch die Jüdische Abteilung an einem anderen Standort übernommen. Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, hatte bei der Eröffnung der Ausstellungsräume der Jüdischen Abteilung im Gropius-Bau im November 1986 nicht das Wort ergriffen. Aber er hatte schon seit 1980 wiederholt öffentlich ein »Jüdisches Museum« gefordert – laut den Quellen verwendete er diesen Begriff regelmäßig. Im Jahr 1987, als sich das vom Bund hoch subventionierte Westberlin seine 750-Jahr-Feier eine Milliarde DM kosten ließ, äußerte er diese Forderung nun wesentlich massiver als zuvor. Ein weiterer Grund dafür dürfte gewesen sein, dass in Ostberlin die Pläne für die (Teil-)Restaurierung der Neuen Synagoge immer konkreter wurden.39 35 Vgl. Herbert, Der Historikerstreit, S.  97 f., 104; Jörg Lau, Selbstachtung und Selbst­ verbesserung. Der Patriotismus der Berliner Republik, in: Merkur, Nr. 689/690 (September / Oktober 2006), S. 800–812, hier: 802. 36 Bothe an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Kapazitätserweiterung des Berlin Museums, 12.5.1986, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  201–211, hier: 203; Vera Bendt, Abteilung Potemkin. Selbstbestimmung? Zur Diskussion über das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.5.1995. 37 Berlin Museum. Kurzführer, S. 32–36. 38 Vgl. Bartmann, Zur Geschichte des Berlin Museums, S. 143–146; Veronika Bendt, Die Jüdische Abteilung des Berlin Museums, in: Aktuell, Nr. 38 (März 1984), S. 4 f., hier: 5.  39 Zu den Kosten für die 750-Jahr-Feier vgl. Wilfried Rott, Die Insel. Eine Geschichte WestBerlins 1948–1990, München 2009, S. 392, 395. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Schon im Oktober 1980 war Galinski vom Sender Freies Berlin mit den Worten zitiert worden: »Selbstverständlich hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin ein besonderes Interesse am Wiederaufbau eines Jüdischen Museums. Wenn ich daran denke, welche Werte, und damit meine ich nicht nur die materiellen, sondern ganz besonders die ideellen Werte, einst das Jüdische Museum hier hatte, dann möchte ich ganz besonders unterstreichen, daß es gerade in unserer Zeit besonders wichtig wäre, wenn dieses Projekt möglichst bald hier entstehen würde.«40

Damals hatte Galinski auf die Frankfurter Konkurrenz verwiesen und betont, dass er größten Wert darauf lege, dass (West-)Berlin die erste Stadt sei, die ein solches Vorhaben verwirkliche.41 Auf das Drängen Galinskis hin stellte dann der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen im November 1987 fest, dass, so zitierte ihn die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, der 50. Jahrestag der Pogromnacht, also der 9. November 1988, ein geeignetes Datum für die mögliche Grundsteinlegung für »das lange erwartete Jüdische Museum in Berlin« wäre. Nur wenig später meldete die Architekturzeitschrift Bauwelt, Klaus Gysi, der DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, habe vor Journalisten erklärt, dass 1988 in Ostberlin mit dem Wiederaufbau der Neuen Synagoge begonnen werden solle.42 Am 13.  Januar 1988 wurde der Westberliner Kultursenator Hassemer von der Bild-Zeitung mit den Worten zitiert, das Berlin Museum erhalte einen Erweiterungsbau. Baubeginn werde wohl 1990 sein.43 Im März bat dann auch das 40 Elsberg, Jüdisches Museum Berlin – Geschichte und Zukunft, gesendet vom: SFB , Schulfunk, 28./29.10.1980. 41 Vgl. auch: Rede des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am 24. Januar 1983 im Berlin-Museum, abgedruckt in: Berndt, »Ich weiß, ich bin kein Bequemer …« S. 303– 307, hier: 303 u. 306 (Galinskis Rede wurde 1983 vom Landespressedienst Berlin veröffentlicht; dort fiel bezeichnenderweise anders als im Manuskript von Galinski selbst, der dort – wie sonst auch – nur vom »Jüdischen Museum« sprach, der Begriff der »Jüdischen Abteilung des Berlin-Museums«. Landespressedienst Berlin: Ausstellung »Synagogen in Berlin« im Berlin-Museum, 10.2.1983, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 162–167, hier: 164 f.); Herbert Willmann, 40 Jahre Jüdische Gemeinde. Heinz Galinski erinnert Senat an Versprechen für ein Museum, in: Morgenpost, 18.8.1985; »Fest für einen Zauberer. Kulturprogramm der Jüdischen Gemeinde zur 750-Jahr-Feier«, in: Tagesspiegel, 28.4.1987; »Tausend Mio. Deutschmark. Das Kulturprogramm der Jüdischen Gemeinde zur 750-Jahr-Feier«, in: taz, 28.4.1987; Peter Ambros, Eigenständiger Beitrag zum Stadtjubiläum. Die Presse informierte sich im Jüdischen Gemeindehaus über die Max-Reinhardt-Ausstellung, in: Berliner Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 15.5.1987. 42 »9. November 1988 geeigneter Tag für Grundsteinlegung des Jüdischen Museums«, in: Berliner Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 20.11.1987; »Wiederaufbau der Synagoge in Ost-Berlin beginnt 1988«, in: Bauwelt, 11.12.1987. 43 Hildburg Bruns, Berlin-Museum viel größer und neue Pläne für Kongreßhalle«, in: Bild, 13.1.1988. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Vorstandsmitglied der Gesellschaft für ein Jüdische Museum Ernst C ­ ramer in seiner Dankesrede nach einer Ehrung durch das Land Berlin den Senat öffentlich, »endlich die Einrichtung eines Jüdischen Museums in Berlin zu ermöglichen«.44 Obwohl Heinz Galinski, anders als Hanns-Peter Herz, der Vorsitzende der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, bei der Eröffnung der Ausstellungsräume im Gropius-Bau 1986, bei seinen Wortmeldungen nicht von der­ »Jüdischen Abteilung«, sondern vom »Jüdischen Museum« sprach, teilte er offensichtlich die von Herz vorgetragene Forderung nach der Anbindung der Jüdischen Abteilung / des Jüdischen Museums an das Berlin Museum. Das belegen nicht nur Vermerke Dritter über Gespräche mit Galinski in den Jahren 1980 und 1984, sondern auch ein Brief des Vorstands der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, gezeichnet von Herz, Galinski, Rolf Bothe und Vera Bendt, an den Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker vom 10. Juni 1983: »Die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum wendet sich an den Regierenden Bürger­ meister mit der dringlichen Bitte, die Planung seiner Amtsvorgänger aufzugreifen und für eine verbindliche Entscheidung von Senat und Abgeordnetenhaus Sorge zu tragen, damit für die 750 Jahrfeier die lebensnotwendige Erweiterung des Berlin Museums, ins­besondere für die Jüdische Abteilung, gewährleistet wird.«45

Während die Forderung nach einem Erweiterungsbau für das Berlin Museum öffentlich ausschließlich mit dem Raumbedarf der Jüdischen Abteilung / des Jüdischen Museums begründet wurde, gerieten die parallelen museumsinternen Planungen für den erhofften Erweiterungsbau in den 1980er Jahren immer umfangreicher, immer neue Abteilungen kamen hinzu. Schließlich wurde geplant, im Erweiterungsbau neben weiteren Abteilungen auch die allgemeine Berlin-Geschichte ab 1871 zu zeigen.46 In diesen Raumprogrammen 44 »Berlin ehrt Ernst Cramer«, in: B. Z., 12.3.1988; auch: »Auszeichnung«, in: Die Welt, 12.3.1988. 45 SenKult III, Vermerk: Jüdisches Museum / Palais Ephraim, 17.3.1980, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 380; Vorstand Gesellschaft für ein Jüdisches Museum (gez. Herz, Galinski, Bothe, Bendt) an den Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker, 10.6.1983, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  172–174, hier: 174; B-750, Koordination / Öffentlichkeitsarbeit, Gesprächsnotiz über ein Gespräch zwischen Galinski, Bendt und Andreas Nachama, 6.9.1984, abgedruckt in: ebd., S.  181; auch: Vorstand der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum (Herz, Galinski, Moshe Gerhard Hess, Erika Suchan, Wirth, Cramer) an den Regierenden Bürgermeister Diepgen, 5.12.1985, abgedruckt in: ebd., S. 185 f., hier: 186; Veronika Bendt, Die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau, in: Ros­ marie Beier / Leonore Koschnik (Hg.), Der Martin-Gropius-Bau. Geschichte und Gegenwart des ehemaligen Kunstgewerbemuseums, Berlin 1986, S. 153–155, hier: 154. 46 Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 11. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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nahm der Anteil der Jüdischen Abteilung an den Flächen des geplanten Erweiterungsbaus zunächst immer weiter ab.47 1987 formulierten dann Rolf Bothe, der Direktor des Berlin Museums, und Vera Bendt, die ihm unterstehende Leiterin der Jüdischen Abteilung, in einem gemeinsamen Papier »Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums« das »integrative Konzept«. Mit dem Argument, die allgemeine Berlin-Geschichte sei ohne ihre jüdischen Anteile und die jüdische Berlin-Geschichte nicht ohne den allgemeingeschichtlichen Kontext verständlich und darstellbar, wurde von Bothe und Bendt in dem Papier die Absicht begründet, kein jüdisches Museum zu errichten, sondern eine jüdische Abteilung im Erweiterungsbau des Berlin Museums: »Die Geschichte der Juden in Berlin ist so sehr mit der Geschichte der Stadt verbunden, daß beide kaum voneinander zu trennen sind, d. h., ein eigenständiges jüdisches Museum ist notwendig, aber ohne die Geschichte Berlins kaum denkbar, wie um­ gekehrt ein stadthistorisches Berlin Museum ohne Berücksichtigung seiner jüdischen Bürger jeden Sinn verlieren würde.«48

Für dieses Vorhaben bestand angesichts der 1988 bevorstehenden Eröffnung des Jüdischen Museums in Frankfurt und den ebenfalls für dieses Jahr an­ gekündigten Beginns der Restaurierung der Neuen Synagoge in Ostberlin Ende 1987 ganz offensichtlich erhöhter Legitimationsdruck.49 Dem gemeinsamen Papier von Bothe und Bendt, die ja schon 1986 in ihren Äußerungen bei der Eröffnung der Ausstellungsräume im Gropius-Bau unterschiedliche Akzente gesetzt hatten, war eine museumsinterne Auseinandersetzung vorausgegangen. Beide hatten ihre jeweiligen Positionen in Papieren niedergelegt, die sehr gegensätzlich waren. Bendt wollte in Abstimmung mit der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum ihre Abteilung in »Jüdisches Museum« umbenennen und forderte einen architektonisch abgesetzten Gebäudeteil im Rahmen der Erweiterung für dieses Museum mit eigenem Eingang und einer koscheren Milchbar.50 Im Hinblick auf den späteren Streit ist 47 Dies geht aus einer vergleichenden tabellarischen Übersicht hervor, die in der Kultur­ verwaltung im Juli 1988 angefertigt wurde. SenKult III A 2, Erweiterungsbau des Berlin Museums. Bisherige Raumprogramme in Zahlen im Vergleich, 22.7.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 172: SenKult, Erweiterungsbau, Korrespondenz, Sen-Papiere, 87, 88, 89, 91. 48 Rolf Bothe / Veronika Bendt, Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums, 14.12.1987, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 226–233, hier: 226 f. 49 Ebd. 50 Gespräch mit Hanns-Peter Herz am 24.7.2006. Bereits seit Januar 1988 hieß es im Kulturspiegel der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in den Ankündigungstexten in der Rubrik »JÜDISCHES MUSEUM im Berlin-Museum« nicht mehr »Jüdische Abteilung«, sondern »Jüdisches Museum (Abteilung des Berlin Museums)«. Kulturspiegel, Nr.  22, Januar © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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anzumerken, dass auch Bendt mit der Forderung nach einem »MUSEUM IM MUSEUM« keine Veränderung der organisatorischen Stellung der bisherigen Jüdischen Abteilung im Berlin Museum verlangte. Allerdings hätte ein abgesetzter Gebäudeteil des Erweiterungsbaus für das Jüdische Museum wahrscheinlich in der Praxis ein hohes Maß an Autonomie bedeutet.51 Bothe bezeichnete in seinem Papier den Holocaust als die einschneidendste Zäsur in der Geschichte Berlins – diese Formulierung sollte auch in die Wettbewerbsausschreibung für den Erweiterungsbau aufgenommen werden. Er wollte es aber bei der Jüdischen Abteilung belassen, auch wenn er sein Papier »Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums« überschrieb. Er sah im Erweiterungsbau auf der Haupterschließungsebene im ersten Stock (für den Erweiterungsbau war laut Auslobungstext kein eigener Besuchereingang geplant, vielmehr sollte er mit einer Brücke im ersten Stock mit dem Kollegienhaus verbunden werden) Räumlichkeiten für diese Ab­ teilung vor, in denen jüdischer Kultus und die Gemeindegeschichte präsentiert werden sollten. Räume unter der Überschrift »Juden in der Gesellschaft« sollten das Scharnier zwischen der Jüdischen Abteilung und der Präsentation der allgemeinen Berlin-Geschichte ab 1871 bilden. Uneinig waren sich Bothe und Bendt auch darüber, wo die Geschichte des Antisemitismus anzusiedeln war: Sollte sie, wie Bendt forderte, in der allgemeinhistorischen Ausstellung gezeigt werden, oder, wie Bothe verlangte, im Zusammenhang mit dem Thema »Juden in der Gesellschaft«?52 Jahre später schrieb Bendt in einem Brief an die Kulturverwaltung, der Vorschlag von Bothe habe der damaligen Tendenz stadthistorischer und heimatgeschichtlicher Museen entsprochen, die nationalsozialistische Geschichte in ihren jüdischen Abteilungen zu zeigen. So stellte sich 1987 auch die Situation im Berlin Museum mit seiner Jüdischen Abteilung dar.53 In dem gemeinsamen Papier von Bothe und Bendt fanden sich dann fast ausschließlich die Vorstel1988, S. 3, auch beispielsweise: Nr. 39, Dezember 1989, S. 4. Im Juni 1997 schrieb der ehemalige Staatssekretär in der Kulturverwaltung Winfried Sühlo in der FAZ: »Viele Menschen in der Jüdischen Gemeinde haben in der Phase der Planung des Neubaus die Vorstellung geäußert, das neue Jüdische Museum in Berlin solle ein eigenständiges Gebäude sein.« Winfried Sühlo, Leistung und Schicksal. Zur Zukunft des Berlin Museums und des Jüdischen Museums, in: FAZ , 16.6.1997. 51 Veronika Bendt, Zur Konzeption der Jüdischen Abteilung als MUSEUM IM MUSEUM im Stadtgeschichtlichen Berlin Museum, 1.12.1987, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 175: III A, Berlin Museum, Erweiterungsbau, Bde. 11–15. 52 Rolf Bothe, Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museum, 30.11.1987, in: ebd. 53 Vera Bendt, Stiftung Stadtmuseum, an Sartorius, Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten (darin: Stellungnahme zum Protokoll vom 29.6.1995), 8.7.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau, Erweiterungsbau Jüdisches Museum, Kopien. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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lungen von Museumsdirektor Bothe wieder. Die Möglichkeit eines architektonisch auch nach außen herausgehobenen Gebäudeteils für die Jüdische Abteilung wurde lediglich als nachrangige Alternative erwähnt.54 Vor der Ausschreibung des Erweiterungsbaus für das Berlin Museum, die auf der Grundlage des Papiers von Bothe und Bendt erfolgen sollte, wurde auf Wunsch von Volker Hassemer, dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten, im Berliner Aspen Institut am 15. März 1988 noch eine Gesprächsrunde veranstaltet, die das »integrative Konzept« absichern sollte.55 An der Veranstaltung nahmen neben dem Amerikaner Herbert Strauss, dem Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, auch drei jüdische Fachleute aus dem europäischen Ausland und Israel teil – allerdings war die Runde bei weitem nicht so international, wie jene vorgaben, die sich später auf sie beriefen.56 Die Tischvorlage »Erweiterungsbau des Berlin Museums, ein­schließlich einer eigenständigen Jüdischen Abteilung« für die Tagungsteilnehmer stammte allein von Museumsdirektor Bothe und ihr wichtigster Absatz lautete: »Der Name ›Jüdisches Museum‹ erscheint uns sinnvoll, um auch nach außen eine wirksame Repräsentation zu erreichen. Natürlich kann man auch, um die enge Verbindung zu unterstreichen, den Begriff ›Jüdische Abteilung‹ beibehalten. […] Verwaltungstechnisch und organisatorisch bleibt das Jüdische Museum dem Berlin Museum zugeordnet; inhaltlich sind beide eng miteinander verzahnt, formal, d. h. architek­ tonisch, soll das Jüdische Museum im Neubau deutlich akzentuiert werden und sich im Innern ebenso deutlich zum stadthistorischen Museum öffnen.«57

Dass über das integrative Konzept auf der Tagung ausweislich des Berichts nicht besonders offen diskutiert wurde, ist nicht völlig überraschend, da Kultursenator Hassemer sich in seiner Einleitung auf der Tagung klar zu den Prämissen dieses Konzepts bekannte – das Jüdische Museum müsse an das Stadtmuseum angebunden sein – und somit den Teilnehmern vermutlich den Eindruck vermittelte, die grundlegenden Entscheidungen seien bereits gefallen. 54 Bothe / Bendt, Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums, 14.12.1987, S. 227 f., 232. 55 SenKult PlanRef, Schneider, Vermerk: Jüdische Abteilung des Berlin Museums, 25.1.1987, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 379; Kultursenator Hassemer an den Regierenden Bürgermeister Diepgen, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 218–221, hier: 219; Bothe an den Senator für Kulturelle An­ gelegenheiten, Hassemer, 30.7.1987, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 175. 56 Die Teilnehmerliste siehe: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 79 f. 57 Bothe, Tischvorlage für die Expertentagung im Aspen Institut: Erweiterungsbau des Berlin Museums, einschließlich einer eigenständigen Jüdischen Abteilung, März 1988, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. ­234–239, hier: 238. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Nach Hassemer sprach Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Ihm ging es um das Grundsätzliche, einen konzep­tionellen Konsens hielt er für relativ leicht herstellbar. Er begrüßte, dass Senats­mittel »für den Aufbau eines Jüdischen Museums in Berlin bewilligt und vorhanden seien«, wie Hassemer zuvor berichtet hatte, und betonte, eine Grundsteinlegung noch im November 1988 wäre als »historisches Ereignis« zu werten. Obwohl der Berliner Senat seit der Amtszeit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz Entsprechendes immer wieder versprochen habe und obwohl Westberlin die größte jüdische Gemeinde in der Bundesrepublik beherberge, habe sich der Entscheidungsprozess lange hingezogen. Galinski bedauerte, dass kleinere Orte in der Bundesrepublik Berlin in dieser Frage »weit voraus« seien. Das Ziel müsse »ein eigenständiges Museum im Verbund mit dem Berlin Museum sein […], welches nicht nur die negative Seite der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern auch die deutsch-jüdische Symbiose«

zeige. Ein solches Museum, war Galinski sich sicher, könne mit der vollen­ Unterstützung der jüdischen Gemeinden im Ausland rechnen.58 Zwei der drei auswärtigen Teilnehmer äußerten – in der Form allerdings sehr dezent – Zweifel an dem integrativen Konzept. Judith Belinfante, Direktorin des Amsterdamer Jüdischen Historischen Museums, hob hervor, ohne dies weiter zu kommentieren, dass ihr Museum von einer jüdischen Stiftung getragen werde und einen nationalen und keinen stadthistorischen Auftrag habe. Das Amsterdamer Museum war im Jahr zuvor in einem Komplex aus vier ehemaligen Synagogen eröffnet worden.59 Aryeh Segall, Direktor des Zentralarchivs für die Geschichte des jüdischen Volkes in Jerusalem, wandte ein, die Berliner jüdische Geschichte lasse sich nicht auf den stadthistorischen Rahmen beschränken.60 Edward van Voolen, Kurator am Jüdischen Museum Amsterdam, und Belinfante wiesen außerdem auf das Phänomen der »Lücke« hin. Ein Berliner jüdisches Museum laufe Gefahr, Kontinuität in der Darstellung vorzuspiegeln, wo keine vorhanden sei. In Bereichen, in denen authentische jüdischberlinische Gegenstände nicht erhalten seien, solle man nicht versuchen, die Lücken zu füllen, sondern sie textdokumentarisch erklären.

58 Aspen Institute Berlin, Yvonne Badal, Gesprächsrunde »Jüdisches Museum im Berlin Museum«, S. 240–242. 59 Ebd., S. 244 f.; »Einblick in das jüdische Leben. Europäischer Museumspreis für das Jüdische Historische Museum in Amsterdam«, in: Tagesspiegel, 7.5.1989. 60 Aspen Institute Berlin, Yvonne Badal, Gesprächsrunde »Jüdisches Museum im Berlin Museum«, S. 245. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Eine sinnliche Darstellung von Verlust sei im Auftrag eines jüdischen Museums unumgänglich.«61

Eine wichtige Entscheidung wurde auf der Aspen-Tagung allerdings getroffen: Man empfahl, wie es bereits die Tischvorlage von Museumsdirektor Bothe nahelegte, die Jüdische Abteilung des Berlin Museums »Jüdisches Museum« zu nennen  – der von Bendt geforderte und von Galinski in der Gesprächsrunde ganz selbstverständlich verwendete Begriff wurde also aufgegriffen.62 Außerdem stand in der Zusammenfassung des Berichts über die Gesprächsrunde, dass das dem Berlin Museum zugeordnete Jüdische Museum »architektonisch klar als eigenständiger Teil des Gesamtgebäudes [d. h. des Erweiterungsbaus, D. B.] […] erkennbar sein« müsse  – diese Formulierung entsprach weit eher den Vorstellungen Bendts als denen von Bothe.63 Zu den Tagungsunterlagen gehörte auch ein Statement des Harvard-Professors Henry Rosovsky zum »Jüdischen Museum im Berlin Museum«. Dieser sprach sich gegen ein »separates Jüdisches Museum« aus, da ein solches Museum von weit weniger Menschen besucht werde als ein integriertes und da zudem nur Menschen »mit ganz spezifischem Interesse« ein solches Museum besuchten  – gemeint waren ganz offensichtlich Juden. Daher befürwortete er unter »pädagogischen Gesichtspunkten« ein integriertes Jüdisches Museum.64 Die Sorge, nur wenige Menschen könnten ein jüdisches Museum besuchen, war damals offenbar verbreitet. Auch Vera Bendt hatte 1986 bei der Eröffnung der Ausstellungsräume im Gropius-Bau konstatiert, Ausstellungen zum Thema Judentum seien keine Publikumsrenner.65 Nachdem die Aspen-Gesprächsrunde aus Sicht der Kulturverwaltung befriedigend verlaufen war, schrieb der Senat im Dezember 1988 den Wettbewerb für den »Erweiterungsbau Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« aus.66 Die ganze, ohnehin schon problematische Entwicklung wurde 61 Ebd., S. 249. 62 Ebd., S. 247. 63 Ebd., S. 240. 64 Aspen Institute Berlin, Bemerkung von Professor Henry Rosovsky, undatiert, abgedruckt in: ebd., S. 253. 65 »Eröffnung neuer Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im­ Martin-Gropius-Bau«, S. 122; die Befürchtung auch bei: Andreas Nachama, Zeremonial­ objekte und jüdische Geschichte  – Zukunft und Geschichte jüdischer Museen in der Bundesrepublik, in: Heinz Sproll / Gerhard Stephan (Hg.), Begegnung und Dialog. Ludwigsburger Beiträge zum israelisch-deutschen und christlich-jüdischen Gespräch (= Ludwigsburger Hochschulschriften, Bd. 6), Ludwigsburg 1987, S. 143–154, hier: 153. 66 SenKult III A 2, Güntzer an Senator, 5.4.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 175. In dem Vermerk schreibt Güntzer: »Bei der Aspen-Tagung ist die bisherige Zielsetzung des Berlin Museums und unseres Hauses in dem entscheidenden Punkt, nämlich kein eigenständiges jüdisches Museum, sondern ein integratives Modell anzustreben, voll bestätigt worden.« © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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zum Sprengsatz für die Zukunft, als Kultursenator Volker Hassemer bei der öffentlichen Ankündigung des Erweiterungsbaus am 3. November 1988 diesen mit dem Jüdischen Museum gleichsetzte und dabei völlig überging, dass das Jüdische Museum nur ein knappes Drittel der Flächen in diesem Bau nutzen sollte. Hassemer muss das gewusst haben, da im Februar 1987 das Museumsreferat seines Hauses ihm in einem Vermerk versichert hatte, dass für die Jüdische Abteilung im Erweiterungsbau ausreichend Flächenanteile vorge­ sehen seien, und er selbst darauf im März 1987 einen Brief mit einer entsprechenden Versicherung an den Regierenden Bürgermeister geschrieben hatte. Im Juli 1988 war in seiner Senatsverwaltung eine Tabelle über die Entwicklung der Flächenverteilung in den verschiedenen Stadien der Planung des Erweiterungsbaus angefertigt worden.67 Hintergrund war vermutlich einmal mehr, dass wenige Tage später, am 9. November, die Eröffnung des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main im Beisein von Bundeskanzler Helmut Kohl sowie die Einweihung von Synagogen und Gedenkstätten in Darmstadt, Essen und Hamburg anstand und am 10. November, unter Teilnahme von Erich Honecker, der Grundstein für die Teilrestaurierung der Neuen Synagoge in Ostberlin gelegt wurde.68 Der 9. November 1988 markierte den Höhepunkt des Gedenkens an die Pogromnacht von 1938 in der Geschichte der Bundesrepublik.69 67 Bernhard Schulz, Der Erinnerung Form geben. Senatsbeschluß zum Jüdischen Museum und Ausstellung aus Anlass des 9. November, in: Tagesspiegel, 4.11.1988; SenKult III A 2, Güntzer an Senator, Erweiterungsbau des Berlin Museums, 13.2.1987, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 379; Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Hassemer, an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 4.3.1987, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 218–221, hier: 220; SenKult III A 2, Erweiterungsbau des Berlin Museums. Bisherige Raumprogramme in Zahlen im Vergleich, 22.7.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 172; auch: Bothe an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Hassemer, 10.11.1988, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 288. Laut eines namentlich nicht gekennzeichneten Papiers der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum vom 6.  Dezember 1988 war die Ankündigung des Erweiterungsbaus durch Hassemer am 3.  November nicht die einzige Gelegenheit, bei der das Gebäude als »Jüdisches Museum« dargestellt wurde. Gleiches habe der Regierende Bürgermeister Diepgen in seiner Rede vor dem Gemeindehaus am 8. November und Hassemer bereits am 30. Oktober bei der Übergabe eines Tora­ vorhangs in der Synagoge Fraenkelufer getan. Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, Wettbewerb Erweiterung Berlin Museum, 6.12.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 329: Berlin Museum, Erweiterungsbau, Bde. 16–20. 68 Über die Museumseröffnung in Frankfurt a. M. wurde auch in der Westberliner Presse berichtet: »Durch die historische Gasse in eine vergessene Welt. Stunden der Besinnung im neuen Jüdischen Museum zu Frankfurt«, in: Berliner Morgenpost, 16.11.1988. 69 Harald Schmid, Erinnern an den »Tag der Schuld«. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001, S.  411, 414, 427, 449, 494 f.; Ruppert Seuthe, »Geistig moralische Wende«? Der politische Umgang mit der NS -Vergangenheit in der Ära Kohl am Beispiel von Gedenktagen, Museums- und Denkmalprojekten, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Der Grundsteinlegung für die Teilrestaurierung der Neuen Synagoge am 10. November 1988 war am 6. Juni dieses Jahres ein Treffen – ihr erstes überhaupt – zwischen Erich Honecker und Heinz Galinski vorausgegangen, und im Juli war auf Beschluss des Ministerrats der DDR die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum ins Leben gerufen worden. Ihre Aufgabe war es, »die Neue Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße für gegenwärtige und künftige Generationen als bleibendes Mahnmal wiederaufzubauen und ein Zentrum für die Pflege und Bewahrung jüdischer Kultur zu schaffen«.70 Direktor der Stiftung wurde der Ostberliner Historiker Hermann Simon, der 1983 eine Geschichte des ersten Berliner Jüdischen Museums vorgelegt hatte, damals herausgegeben vom Berlin Museum, die jetzt auch erstmals in Ostberlin erschien.71 Heinz Galinski hatte sich auch bereit erklärt, im internationalen Kuratorium der Stiftung Neue Synagoge mitzuarbeiten.72 Als die DDR-Führung 1988 entschied, die Neue Synagoge teilweise zu restaurieren, hatte die Ost­ berliner Jüdische Gemeinde gerade noch 200 Mitglieder und war zudem stark überaltert. In der gesamten DDR zählten die jüdischen Gemeinden nicht mehr als 600 Mitglieder.73 Die Bemühungen der DDR in den 1980er Jahren um ein besseres Verhältnis sowohl zu jüdischen Organisationen als auch zu Israel hingen direkt mit dem Ziel zusammen, Handelserleichterungen durch die Vereinigten Staaten von Amerika zu erreichen.74 Am 8. November 1988 nahm Heinz Galinski dann an der zentralen Veranstaltung der DDR zum 50. Jahrestag der Pogromnacht in der Volkskammer teil, bei der er von Honecker mit dem »Stern der Völkerfreundschaft« ausgezeichnet wurde. Am Tag darauf hielt er eine Gedenkrede im Deutschen Theater in Ostberlin. Galinski hätte als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland an dem Tag gerne in der Gedenkstunde des DeutFrankfurt a. M. u. a. 2001, S. 79; Heuberger, Traditionsreicher Neubeginn. Das Jüdische Museum in Frankfurt am Main, S. 17; Hermann Simon, Die Neue Synagoge einst und jetzt, in: »Tuet auf die Pforten«. Die Neue Synagoge 1866–1995. Begleitbuch zur stän­digen Ausstellung der Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«, hg. v. Hermann Simon / Jochen Boberg, Berlin 1995, S. 10–42, hier: 36. 70 »Wie Phönix aus der Asche. ›Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum‹. Gespräch mit Hermann Simon, Direktor der Stiftung«, in: DurchSicht. Forum für Museumspädagogik in Berlin und Brandenburg, 4 (1995), II, S. 3–9, hier: 4; Simon, Die Neue Synagoge einst und jetzt, S. 36. 71 Hermann Simon, Das Berliner Jüdische Museum in der Oranienburger Straße. Geschichte einer zerstörten Kulturstätte, Berlin (Ost) 1988. 72 Wolffsohn, Die Deutschland Akte, S. 331 f. 73 Die Jüdische Gemeinde Berlin (Ost), in: Wegweiser durch das jüdische Berlin. Geschichte und Gegenwart, Berlin 1987, S.  49–58, hier: 49; Wolffsohn, Die Deutschland Akte, S. 317 f. 74 Timm, Hammer – Zirkel – Davidstern, S. 298 f.; Simon, Die Neue Synagoge einst und jetzt, S. 36. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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schen Bundestags gesprochen; er war von der Fraktion der Grünen dafür vorgeschlagen worden, dieser Vorschlag hatte aber im Ältestenrat des Parlaments keine Mehrheit gefunden.75 Das Ministerium für Kultur, der Staatssekretär für Kirchenfragen und der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR organisierten außerdem aus Anlass des Jahrestags der Pogromnacht eine Ausstellung »Und lehrt sie: Gedächtnis!« im als Dependance des Märkischen Museums wiederaufgebauten Palais Ephraim. Anschließend wurde diese Ausstellung von der Westberliner Jüdischen Gemeinde Anfang 1989 im Gropius-Bau im Westteil der Stadt gezeigt.76 An dem Auslobungstext für den »Realisierungswettbewerb Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum«, der Ende 1988 in Westberlin vom Senator für Bau- und Wohnungswesen veröffentlicht wurde,­ waren vor allem drei Dinge bemerkenswert: Erstens wurde das Jüdische­ Museum als »[v]ordringlicher Erweiterungsgrund« genannt, obwohl es nur ein knappes Drittel der Flächen in dem Erweiterungsbau ausmachen sollte, und es wurde vor allem auf den ersten Seiten des Textes völlig in den Mittelpunkt gerückt. Unter »Anlaß und Ziel« hieß es eingangs: »Eine Erweiterung des Berlin Museums ist notwendig geworden, weil die Abteilung Jüdisches Museum vergrößert und vollständig in das Berlin Museum integriert werden muß, und weil Ausstellungs-, Depot- und sonstige Funktionsflächen fehlen.«

Erst ab Seite 60 bekam der Leser ein realistisches Bild davon vermittelt, was tatsächlich im Erweiterungsbau gezeigt werden sollte: die allgemeine Berlin-­ Geschichte ab 1870, Sonderabteilungen und die »Abteilung Jüdisches Museum«.77 Zweitens fand sich in dem Auslobungstext nirgends die Forderung, dass das Jüdische Museum »architektonisch klar als eigenständiger Teil des Gesamtgebäudes erkennbar sein« müsse, wie sie im Bericht über die Gesprächsrunde im Aspen Institut festgehalten worden war. Drittens ging der Architekturhistoriker Wolfgang Schäche in seinen Ausführungen über die Geschichte der südlichen Friedrichstadt, in der das um den Erweiterungsbau zu ergänzende Kollegienhaus gelegen war, recht ausführlich auf das Gelände der heutigen »Topographie des Terrors« ein. Das war naheliegend, weil die erste Ausstellung dort, die am 4. Juli 1987 eröffnet wor75 Seuthe, »Geistig-moralische Wende«?, S. 79, FN 134; »Wir gedachten des 9.  November 1938«, in: Kulturspiegel, Nr. 29, November 1988, S. 6 f.; Schmid, Erinnern an den »Tag der Schuld«, S. 433 f. 76 »Und lehrt sie: Gedächtnis!«, in: Kulturspiegel, Nr. 32, Februar 1989, S. 1 f. 77 Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , 1988/89, S. 4 (Zitat), 15 (Zitat), 59 f., 65 f.; auch: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 9. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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den war, großes Publikumsinteresse gefunden hatte.78 Schäche schrieb, dass sich auf dem Areal zwischen Prinz-Albrecht-Straße, Wilhelmstraße und Anhalter Straße das »Zentrum des Terrorsystems« der Nationalsozialisten befunden habe, von hier sei die »Terrormaschinerie« dirigiert worden.79 Dem Auslobungstext war das »integrative Konzept« von Bothe und Bendt vom Dezember 1987 angehängt.80 Bei dem Wettbewerb handelte es sich zwar um einen bundesoffenen, d. h. nationalen, Wettbewerb, zu dem aber zwölf aus­ ländische Architekten zugeladen wurden.81 Als Kontext des Wettbewerbs für den Erweiterungsbau waren die beinahe zeitgleich veröffentlichten Aufrufe für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin äußerst wichtig. Die Berliner SPD hatte als Antwort auf die Relativierung der Schoa im Historikerstreit auf ihrem Parteitag am 4. November 1988 ein Holocaust-Mahnmal auf dem Platz der Republik, der Fläche westlich des Reichstagsgebäudes, gefordert.82 Und die Journalistin und Sozialdemokratin Lea Rosh, die eine ganz zentrale Rolle bei der Durchsetzung des den er­mordeten Juden Europas gewidmeten Mahnmals spielen sollte, hatte am 5.  November 1988 im SPD -Parteiorgan Vorwärts zwei Holocaust-Mahnmale in Berlin gefordert: eines für die ermordeten deutschen Juden, das mit ­deren Namen versehen werden sollte, und ein weiteres für die ermordeten Juden Europas.83 An dem Wochenende 28./29. Januar 1989, an dem in Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus stattfanden, veröffentlichte die Bürgerinitiative Perspektive Berlin, an der Rosh führend beteiligt war, in der Frankfurter Rundschau (FR), im Tagesspiegel und in der taz einen Aufruf für ein »unübersehbares Mahnmal … für die Millionen ermordeter Juden« auf dem Gestapo-Gelände. Angeführt wurde die Liste der Unterzeichner von Willy Brandt, es folgten zahlreiche SPD -nahe Intellektuelle und Künstler aus der Bundesrepublik, darunter der Journalist Klaus Bednarz, Günter Grass, der Kabarettist Dieter 78 Vgl. Thijs, Drei Geschichten, eine Stadt, S. 177–179. 79 Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , 1988/89, S. 1, 30.  80 Bothe / Bendt, Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums, in: ebd., S. 77–81. 81 Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , 1988/89, S. 5 f. (der Auslobungstext nennt noch die Zuladung von zehn ausländischen Architekten); Senats­ verwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung Berlin Museum. Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 30. 82 »SPD schlägt Holocaust-Mahnmal am Reichstagsgebäude vor. Momper: Symbolischer Mittelpunkt der damaligen Macht« (Tagesspiegel, 5.11.1988), abgedruckt in: Heimrod /  Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 53. 83 Lea Rosh, Kriegsdenkmäler – ja, Holocaust-Denkmal – nein? (Vorwärts, 5.11.1988), abgedruckt in: ebd., S. 51 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Hildebrandt, der Rhetorikprofessor Walter Jens, der Sänger Udo Lindenberg, Otto Schily, Helmut Simon, der Präsident des Evangelischen Kirchentages, der Grafiker Klaus Staeck, Franz Steinkühler, Chef der Industriegewerkschaft Metall, und der Verleger Klaus Wagenbach sowie aus der DDR die Schriftsteller Volker Braun, Christoph Hein, Heiner Müller und Christa Wolf.84 Anfang April erschien im Tagesspiegel ein zweiter Aufruf, der vor ­a llem um die Namen etlicher prominenter SPD - und Grünen-Politiker erweitert war: darunter Herta Däubler-Gmelin, Klaus v. Dohnanyi, Peter Glotz, H ­ ilmar Hoffmann, Oskar Lafontaine und Heide Simonis von der SPD sowie Gerd Bastian, Petra Kelly und Antje Vollmer von den Grünen. Unterschrieben hatten jetzt auch die Journalisten Hanns Joachim Friedrichs und Ralph Giordano, der Schriftsteller Johannes Mario Simmel sowie Jan Philipp Reemtsma und aus Ostdeutschland der Theologe Friedrich Schorlemmer sowie Peter Kirchner, der Vorsitzende der Ostberliner Jüdischen Gemeinde. Im Kontext des Realisierungswettbewerbs »Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« war besonders bedeutsam, dass auch Anke Martiny, die neue sozialdemokratische Berliner Kultursenatorin, zu den Unterzeichnern gehörte. Nach der Wahl am 29. Januar 1989 war es in Berlin zu einem Machtwechsel gekommen und die Stadt wurde nun von einer Koa­lition aus SPD und Alternativer Liste regiert – als großer Wahlsieger galten allerdings die rechtsradikalen Republikaner, die mit sieben Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus eingezogen waren.85 Nicht minder bedeutsam für den Realisierungswettbewerb war, dass Wolfgang Nagel, der baupolitische Sprecher der Berliner SPD und künftige Senator für Bau- und Wohnungswesen, bereits am 4. Februar 1989 gefordert hatte, auf den von der Bundesregierung geplanten Neubau für das Deutsche Historische Museum in Berlin zu verzichten und stattdessen umgehend ein nationales Holocaust-Mahnmal zu errichten.86 Am 22. und 23. Juni 1989 tagte die Jury im Wettbewerb Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum. Fast alle Wettbewerbsteilnehmer hatten sich an die »vorzuziehende Alternative« in der Ausschreibung gehalten: Sie hoben die Abteilung Jüdisches Museum nach außen architek­tonisch nicht hervor. Völlig aus dem Rahmen fiel der Entwurf von Daniel L ­ ibeskind, 84 Lea Rosh, Von der Idee zur Entscheidung, in: dies., »Die Juden, das sind doch die anderen«. Der Streit um ein deutsches Denkmal. Mit Beiträgen von Eberhard Jäckel, Tilman Fichter, Jakob Schulze-Rohr, Wolfgang Ullmann, Berlin / Wien 1999, S. 13–170, hier: 20; vgl. Endlich, Denkort Gestapogelände, S. 21. 85 Rosh, Von der Idee zur Entscheidung, S. 21; vgl. Hans Georg Stavginski, Das HolocaustDenkmal. Der Streit um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« in Berlin (1988–1999), Paderborn u. a. 2002, S.  30; zur Berlin-Wahl am 29.1.1989 vgl. Rott, Die­ Insel, S. 402. 86 Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 27. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 6: Der Entwurf von Daniel Libeskinds Wettbewerbsbeitrag, 1989

einem amerikanisch-jüdischen Architekten und Architekturtheoretiker polnischer Herkunft, der bis dato noch nie ein Gebäude gebaut hatte. Er hatte allerdings 1987 in Berlin mit seinem Projekt »City Edge« den Wettbewerb für eine Wohnanlage »Am Karlsbad« im Rahmen der Internationalen Bau­ ausstellung gewonnen, für das sich jedoch kein Investor gefunden hatte. Zudem ist er einer der acht Architekten, deren Arbeiten vom New Yorker Museum of Modern Art 1988 in der Ausstellung »Deconstructivist Architecture« präsentiert wurden.87 Sowohl der Begleittext als auch Entwurf und Modell von Libeskinds Wettbewerbsbeitrag 1989 waren stark holocaustzentriert. Das Deckblatt von Libes­ kinds Entwurfserläuterungen war schwarz eingefärbt und trug die Aufschrift »Gedenkbuch / 6 000 000«, und in den Erläuterungen bezeichnete Libeskind den Holocaust als das »absolute Ereignis der Geschichte«; das Modell war 87 Arnt Cobbers, Daniel Libeskind (= Architekten und Baumeister in Berlin, Bd. 1), Deutsch /  Englisch, Berlin 2001, S. 9, 20 f.; Paul Goldberger, Reimagining Berlin, in: New York Times Magazine, 5.2.1995; Falk Jaeger, in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 63 f., hier: 63. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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mit Seiten aus dem vom Bundesarchiv herausgegebenen Gedenkbuch der er­ mordeten deutschen Juden beklebt; und seinen Beitrag hatte er  – die Ausschreibung hatte eine Identifikationsnummer gefordert, um die Anonymität des Verfahrens zu gewährleisten – mit der Nummer 6 000 001 versehen.88 Bald nach dem Wettbewerb fand Libeskind für den Grundriss seiner Bauskulptur die Metapher »eines komprimierten und verzerrten Sterns«, ähnlich »dem gelben Stern«, der an der für den Bau vorgesehenen Stelle so oft getragen worden sei.89 Dieses von dem Architekten selbst gefundene Bild für seinen Entwurf sollte sich unter dem Begriff »geborstener«, »aufgebrochener« oder »zerbrochener Davidstern« einbürgern.90 Im September 1991, als die Frage diskutiert wurde, ob der Erweiterungsbau für das Berlin Museum nach der Wiedervereinigung der Stadt noch gebaut werden solle, sagte Libeskind in einem Interview, sein Entwurf mache sichtbar, dass »der Holocaust das unsichtbare, aber gegenwärtige Rückgrat des Projektes« sei.91 Die Holocaustzentrierung seines Entwurfs war auch ein Spiegel der Biografie Daniel Libeskinds: Er war 1946 als Kind jüdischer Eltern, die 1939 vor den Deutschen aus Polen in die Sowjetunion geflohen waren und dort unter Stalin Zwangsarbeit hatten leisten müssen, in einem Flüchtlingskrankenhaus im polnischen Łódź zur Welt gekommen. Seine Eltern hatten 85 Familienangehörige im Holocaust verloren, und in Łódź, wo 1939 220.000 Juden gelebt 88 Libeskind, Gedenkbuch / 6 000 000. Explanatory Report, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 327: Berlin Museum Erweiterungsbau, Bde. 21–25; Libeskind, Breaking Ground, S.  111 f. Das Deckblatt von Libeskinds Entwurfserläuterungen ist abgebildet in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum (deutsch / englisch), hg. v. Kristin Feireiss, Berlin 1992, S. 62. 89 Der früheste Beleg für die Einführung der Metapher des »verzerrten Sterns« ist nach Kenntnis des Autors: Daniel Libeskind, Between the Lines (Transcript of a talk at Hannover University on December 5, 1989), in: Daniel Libeskind. Between the Lines – the extension of the Berlin Museum with the Jewish Museum (Katalog zur Ausstellung im Joods Historisch Museum Amsterdam, 7.6.–22.9.1991), hg. v. Joods Historisch Museum Amsterdam, Amsterdam 1991, S.  10–14, hier: 10.  Libeskinds Vortrag vom 5.12.1989 an der Universität Hannover ist in verschiedenen Varianten immer wieder abgedruckt worden. Die früheste deutsche Fassung, nach der hier die englische von 1991 übersetzt wurde: Daniel Libeskind, Between the Lines, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum (deutsch / englisch), hg. v. Kristin Feireiss, Berlin 1992, S. 57–61, hier: 58. 90 Beispiele: Walter Boehlich, Ein Berliner Skandal. In der alten und neuen deutschen Hauptstadt werden Menschen jüdischen Glaubens nicht ermordet, sondern entlassen, in: Titanic, Juli 1997, S. 26–29, hier: 26; »›Dieser Bau ist ein zerbrochener Davidstern, die Welt weiß davon‹. Der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Michael W. Blumen­ thal, über seine Einigung mit dem Senat und den aufregenden Prozeß, eine Mission zu entwickeln«, in: Tagesspiegel, 27.3.1998; Daniel Libeskind im Gespräch mit Doris Er­ bacher und Peter Paul Kubitz, in: Jüdisches Museum Berlin. Architekt Daniel Libes­k ind, mit einem Fotoessay von Hélène Binet, Amsterdam / Dresden 1999, S. 15–45, hier: 24.  91 Klaus Hartung, Die unmögliche Geschichte von Berlin, in: taz, 14.9.1991. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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hatten, gab es 1950 noch 5.000.92 Daniel Libeskind und seine Schwester erlebten auf der Schule in Łódź im Nachkriegspolen Anfang der 1950er Jahre Antisemitismus.93 Als Daniel elf Jahre alt war, wanderte die Familie nach Israel aus und zog zwei Jahre später weiter nach New York.94 Der berühmte Architektenkollege Libeskinds Frank Gehry urteilte über dessen Erweiterungsbau für das Berlin Museum, man spüre in dem Gebäude Libeskinds Zorn über den Holocaust.95 In seinem Entwurf sah Libeskind im Gegensatz zu der in der Ausschreibung empfohlenen Variante die Anbindung des Erweiterungsbaus an das Kollegienhaus nicht über eine Brücke auf der Ebene des 1. Obergeschosses, sondern unterirdisch vor. Dementsprechend verlagerte er auch die Abteilung Jüdisches Museum, die laut Ausschreibung auf der Haupterschließungsebene des Erweiterungsbaus liegen sollte, ins Untergeschoss.96 Libeskind wollte damit keineswegs die Abteilung Jüdisches Museum herab­ setzen: Zum einen sollte dadurch wohl symbolisiert werden, dass die – vernichtete  – jüdische Kultur das Fundament des modernen Berlin bildet, im Erweiterungsbau sollte ja auch die allgemeine Berlin-Geschichte ab 1871 gezeigt werden, zum anderen konnte niemand den Erweiterungsbau besuchen, ohne an den Räumen der Abteilung Jüdisches Museum vorbeizukommen, da Libes­k ind den Zugang über das Untergeschoss geplant hatte.97 92 »Wenn Schicksal Architektur wird« (Interview von Bernhard Schneider mit Daniel Libeskind), in: Berliner Illustrierte Zeitung (Beilage der Berliner Morgenpost), 13.8.1989; Libeskind, Breaking Ground, S. 72, 131–137. 93 »Ein Wiederaufbau, der völlig neue Ansprüche stellt« (Interview mit Daniel Libeskind geführt von W. Michael Blumenthal), auf: tagesschau.de, 1.7.2004. 94 Libeskind, Breaking Ground, S. 17. 95 Zitiert nach: Victoria Newhouse, Wege zu einem neuen Museum. Museumsarchitektur im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 1998, S. 239. 96 Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Vorprüfbericht, Berlin 1988/89, Vorprüfblatt Entwurf 1021 (Erschließung), unpaginiert; Daniel Libeskind, Gedenkbuch / 6 000 000. Explanatory Report, in Akten Senatsverwaltung, Ordner 327; ders., Erläuterungsbericht, in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 73–79, hier: 78. 97 Zur Deutung der Ansiedlung der Abteilung Jüdisches Museum im übertragenen Sinn als Fundament der (modernen) Berliner Stadtgeschichte: Stadtmuseum Berlin, Konzeption der Erstpräsentation im Berlin Museum (barockes Kollegienhaus und Daniel­ Libeskind-Erweiterungsbau mit Jüdischem Museum) der Stiftung Stadtmuseum, Zusammenfassung, 15.10.1997, S. 10, in: Akten Norma Drimmer. Zur Kritik an dieser Deutung: Helmuth F. Braun / Inka Bertz, Konzeptionelle Überlegungen und Themen­vorschläge zur Erstpräsentation des Jüdischen Museums im Stadtmuseum Berlin, 1.10.1997, S. 2, in: ebd. Zur enormen Bedeutung des jüdischen Bürgertums für Berlin im 19./20. Jahrhundert bis 1933: Festvortrag zur Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus des Berlin Museums am 9. November 1992 gehalten im Kammermusiksaal von Professor Dr. Rürup, S. 4, in: ebd. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Mitunter behaupten diejenigen, die über die Entwicklung seit 1998, die Verselbstständigung des Jüdischen Museums und die Übernahme sowohl des Libeskind-Baus als auch des Kollegienhauses durch dieses Museum nicht glücklich sind, Libeskinds Erweiterungsbau habe das Kollegienhaus zur »Verteilerzone« »degradiert«. Wenn man das so sieht, dann ist der Vorwurf jedoch nicht an den Architekten Libeskind, sondern an die für den Auslobungstext 1988 Verantwortlichen zu richten. Im Auslobungstext wurde aus Kostengründen – weil man einen per­sonalintensiven eigenen Eingangsbereich für den Erweiterungsbau vermeiden wollte  – gefordert, den Erweiterungsbau an das Kollegienhaus anzu­binden, und die Größe des Erweiterungsbaus, mehr als dreimal so groß wie das Kollegienhaus, ergab sich aus den im Auslobungstext verlangten Nutzungsflächen von fast 10.000 Quadratmetern. Daraus folgte, dass der Eingang des Kollegienhauses fortan den Eingangsbereich für den durch die Erweiterung massiv vergrößerten Gesamtkomplex bilden würde.98 Richtig an dem Vorwurf ist, dass wegen des großen Besucheraufkommens seit 2001 diese Funktionsflächen erhebliche Teile des Kollegienhauses beanspruchen. 1988/89 hatte man mit ungleich weniger Besuchern für das Berlin Museum und seine Abteilung Jüdisches Museum gerechnet. Stärkster Fürsprecher des Libeskind-Entwurfs in der Jury war deren Vorsitzender, der einflussreiche Berliner Architekt Josef Paul Kleihues, der Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung 1987.99 Heinz Galinski, der der Jury ebenfalls angehörte  – allerdings offenbar erst auf Intervention der Jüdischen Gemeinde Ende 1988 hin –, ließ sich die meiste Zeit der zweitägigen Sitzung vertreten, stattete aber der Jury am zweiten Tag zusammen mit

98 Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , 1988/89, S.  61–63; Senats­ verwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S.  43; SenKult V, Güntzer, an Bothe, 17.4.1985, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 192 f.; Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 10/188, S.  37 f.: Senat von Berlin, Antwort auf die Kleine Anfrage Nr.  499, 2.8.1985, abgedruckt in: ebd., S.  183 f., hier: 184; III A 1, Bedarfs­ programm Erweiterungsbau des Berlin Museums, Anlage A: Allgemeine Erläuterungen zum Bedarfsprogramm, [Oktober 1988], in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 172. 99 Daniel Libeskind, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Ab­teilung Jüdisches Museum, S.  9; Interview mit Kleihues (18.5.2004), in: Wiebke Siever, Muse­ um und Kulturpolitik: Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und das Jüdische Museum in Berlin (unveröffentlichte Magisterarbeit, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, Philosophische Fakultät), Band: Interviews, Abbildungen, Interview 3, Bonn 2004; zum Einfluss Kleihues’ in Berlin vgl. ­Michael Sontheimer, Berlin, Berlin. Der Umzug in die Hauptstadt, 2.  Aufl., Hamburg 1999, S. 190. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Hanns-Peter Herz einen Besuch ab.100 Dabei wurden die gegensätzlichen Prioritäten von Galinski und Museumsdirektor Rolf Bothe, der auch Mitglied der Jury war, deutlich. Während Galinski für das Jüdische Museum im Rahmen der Erweiterung ein »eigenständiges Gebäude« forderte, erklärte Bothe, die Öffnung des Jüdischen Museums nach innen, d. h. zur Darstellung der allgemeinen Berlin-Geschichte, »sei wichtiger als die Markierung nach Außen«.101 Galinski billigte schließlich den Libeskind-Entwurf, obwohl dieser keinen architektonisch eigenständigen Gebäudeteil für das Jüdische Museum vorsah. Einen Hinweis auf seine Motive dabei gab Galinski in seinem viel zitierten vierseitigen Brief an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper vom 27. Juli 1989, nach Abschluss des Wettbewerbs. Er schrieb, er habe sich »mit Nachdruck« für den Libeskind-Entwurf eingesetzt, und endete mit einem leicht verschlüsselten Satz: »Die Erinnerung an die Leiden jüdischer Bürger in einer unsäglichen Vergangenheit und der Wille, die bedeutenden Leistungen Berliner Juden aufzuzeigen, ist gewichtiger als alle Einwendungen. Die Geschichte selbst wird in ihrer vielfältigen Erscheinung zum Denkmal jüdischer Geschichte, das besser der Vergangenheit Rechnung trägt als viele andere Zeichen.«102

Sehr viel deutlicher war Vera Bendt, die Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum, in der Berliner Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung am 7. Juli geworden, die sich dort in dieser Frage gewiss nicht ohne das Einverständnis Galinskis, der die Jüdische Gemeinde zu Berlin autoritär leitete, äußern durfte: »Der Entwurf von Daniel Libeskind versteht sich als Metapher für eine Vergangenheit der Stadt, die niemals vergessen werden darf. […] Die Preisentscheidung ist sensationell, weil niemand, weder Vertreter des Museums noch der Verwaltung, und auch nicht Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, jemals mit einem Entwurf rechneten, der die Jüdische Abteilung des Berlin 100 Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, Wettbewerb Erweiterung Berlin Museum, 6.12.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 329; V. Bendt, Stiftung Stadtmuseum, an Sartorius, Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten (darin: Stellungnahme zum Protokoll vom 29.6.1995), 8.7.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau. 101 Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 47; Ergebnisprotokoll der Sitzung des Preisgerichts am 22. u. 23.6.1989, S. 3, 5, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 397: Berlin Museum, Erweiterung Jüdische Abteilung, Libeskind. 102 Galinski an den Regierenden Bürgermeister, Walter Momper, 27.7.1989, abgedruckt in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 58 f., hier: 59. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Museums trotz des geringen Raumes, den sie als ›Jüdisches Museum‹ in dem neuen Gebäude einnimmt, das gesamte Museumsensemble definieren läßt. Es wird zu einer Gedenkstätte für die zerbrochenen Träume deutsch-jüdischen Zusammenlebens, allerdings setzt es nicht der Idylle ein Denkmal, sondern ist eine Herausforderung für die Zukunft. Das Konzept und Projekt für das Außen und Innen dieses erweiterten Berlin ­Museums, in dem die Berlin-Geschichte in ihrer ganzen Komplexität zur Parabel für den Untergang europäisch-jüdischer Kultur wird, ist außer­ordentlich und einmalig. Ein derartiges Memorial wird, wenn der Bau erst steht, in der ganzen Welt einmalig sein. Dies wurde besonders von Heinz Galinski erkannt, der dem Entwurf sein Votum gab und so eine Entscheidung herbeiführte, die die Idee eines Jüdischen Museums ins 21. Jahrhundert trägt.«103

Schließlich schrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) in ihrem Beitrag über das Resultat des Wettbewerbs: »Ein weiterer Aspekt verdient Aufmerksamkeit. Der Bauhistoriker Wolfgang ­Schäche [der stellvertretend für Heinz Galinski als Sachpreisrichter fungierte, D. B.104] wies darauf hin, daß das Gebäude mit seinem inhaltlichen Schwerpunkt der Jüdischen Geschichte und seiner besonderen Gestalt geeignet sei, die Stadt von einer pein­ lichen Diskussion zu befreien. Anders als alle bisherigen Versuche, mit angestrengt bedeutungsvollen Denkmälern der Vergangenheit Rechnung zu tragen, sei dieser Bau als ›begehbare Großplastik‹ ein von Inhalten bestimmtes ›erlebbares‹ Zeichen. Die ehrenwerten, aber hilflos eindimensionalen Bemühungen über ein ›Holocaust‹Denkmal würden durch ihn obsolet. Die Stadtgeschichte selbst in ihrer mannig­ fachen Erscheinung würde so ein Zeugnis und ein Bekenntnis.«105

Mit anderen Worten: Diese Äußerungen Galinskis, Bendts und Schäches legen den Schluss nahe, dass Galinski im Juni 1989 mit seinem Votum für den 103 Vera Bendt, Jüdisches Museum für Berlin – Chance und Herausforderung, in: Berli­ ner Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 7.7.1989. Im August 1991, als der Regierende Bürgermeister Diepgen und der CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Landowsky den Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Verweis auf die Finanzprobleme Berlins nach der Wiedervereinigung infrage stellten, wurde Bendt in der FAZ mit den Worten zitiert: »Zudem könne der Bau des neuen Hauses [des LibeskindBaus, D. B.] den langen Streit um ein Holocaust-Denkmal in Berlin beenden.« »Das abwesende Haus. Berlin stoppt Jüdisches Museum und Amerika-Bibliothek«, in: FAZ , 1.8.1991. 104 Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 46. 105 Lore Ditzen, Ein erregendes Stadtzeichen. Zum Wettbewerb für den Erweiterungsbau Jüdisches Museum Berlin (SZ , Juni 1989), abgedruckt in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 66. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Entwurf Daniel Libeskinds für die Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum, in dem er ein Museum und Holocaust-Mahnmal zugleich sah, auch die von Lea Roshs Initiative angestoßene Debatte um ein Holocaust-Mahnmal in Berlin beenden wollte. Diese Interpretation bestätigte Hanns-Peter Herz, der damalige Vorsitzende der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, der Galinski bei dessen Besuch der Jurysitzung begleitete, im Gespräch mit dem Autor.106 Gewiss ist zudem, dass Galinski 1988/89 nicht zu den Unterstützern der Mahnmal-Initiative gehörte. Er unterschrieb den Aufruf für das Mahnmal damals nicht. Die Erklärung, die Lea Rosh später dafür bot – sie habe Galinski nicht gefragt, weil es sich um eine Initiative von Nichtjuden handeln sollte –, ist nicht überzeugend, da der Vorsitzende der Ostberliner Jüdischen Gemeinde, ­Peter Kirchner, zu den Unterzeichnern des zweiten Aufrufs gehörte und sogar Mitglied im Kuratorium des Förderkreises wurde, der im Herbst 1989 aus der Bürgerinitiative Perspektive Berlin hervorging.107 Genau drei Wochen vor der Tagung der Jury im Realisierungswettbewerb hatte Galinski sich in einem Hearing am 1./2. Juni zur Nutzung des Gestapo-Geländes gegen das von der Perspektive Berlin geforderte Holocaust-Mahnmal ausgesprochen.108 Generell herrschte in der Westberliner Diskussion der 1980er Jahre über den Umgang mit dem Prinz-Albrecht-Gelände spätestens nach dem unbefriedigenden Ergebnis des Wettbewerbs für ein Mahnmal 1983/84 eine ausgesprochen denkmalskeptische Position vor. Schon 1983 hatte Wolfgang Schäche geschrieben: »Eigenschaft eines Denkmals ist die Verkürzung eines komplexen Ablaufes auf einen einzelnen Aspekt, der von denen, die das Denkmal aufstellen, für den wichtigsten gehalten wird. […] Indem das Denkmal die subjektive Bewußtwerdung einengt und auf ein vorgegebenes Ziel hinsteuert, ist es autoritär.«109

Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und der deutschen Wiedervereinigung revidierte Galinski dann seine Haltung gegenüber der Forderung nach einem »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« und 106 Gespräch mit Hanns-Peter Herz am 24.7.2006. 107 Rosh, Von der Idee zur Entscheidung, S. 28 f., 37; Lea Rosh (Interview), »Keine Denkpause«. Über die Kritik am Holocaust Mahnmal (Der Spiegel, 10.7.1995), abgedruckt in: Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 464. 108 Vgl. Endlich, Denkort Gestapogelände, S. 26. 109 Thomas Biller / Barbara Lauinger / Wolfgang Schäche, Entstehung und Entwicklung des Untersuchungsgebietes, in: Dokumentation zum Gelände des ehemaligen Prinz-AlbrechtGeländes und seiner Umgebung, hg. v. d. Internationalen Bauausstellung Berlin 1987, Berlin 1983, S. 18–33, hier: 33; auch: Endlich, Denkort Gestapogelände, S. 27, 34; dies., in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e. V. (Hg.), Der Wettbewerb für das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«. Eine Streitschrift, Berlin 1995, S. 36–38, hier: 38. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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trug diese ab 1991 mit.110 Die entscheidenden Faktoren für diesen Meinungswandel Galinskis dürften der Mauerfall und die Wiedervereinigung gewesen sein. Hatte Westberlin unter der Oberherrschaft der Westalliierten gestanden, so sollte die wiedervereinigte Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland, wie der Deutsche Bundestag im Juni 1991 beschloss, auch wieder Sitz des deutschen Parlaments und der deutschen Regierung werden.111 Viele Juden in aller Welt hatten die deutsche Teilung – auch wenn sie historisch andere Ursachen hatte – als eine Art Sühne für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland angesehen. Mit diesem Argument wandte sich 1989/90 auch der deutsche Schriftsteller Günter Grass gegen die Wiedervereinigung.112 Aus dieser Perspektive stellte sich nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung die Frage nach einem Mahnmal für den Judenmord in der deutschen Hauptstadt neu und mit ganz anderer Dringlichkeit.113 Selbst vor den Initiativen der Berliner SPD sowie von Lea Rosh und der Perspektive Berlin für ein Holocaust-Mahnmal Ende 1988, Anfang 1989 lag damals anscheinend der Gedanke, den Bau beziehungsweise den Gebäudeteil für das Jüdische Museum in Berlin mit Mahnmalelementen zu versehen, in der Luft. In der Aspen-Gesprächsrunde zum Jüdischen Museum im März 1988 hatte der damalige Kultursenator Volker Hassemer ausdrücklich erklärt, ein jüdisches Museum in Berlin »dürfe weder den Charakter eines Mahnmals noch einer Gedenkstätte haben«.114 Hingegen gab es im am 9. November 1988 eröffneten Jüdischen Museum in Frankfurt am Main eine Gedenkwand mit den Namen der im Nationalsozialismus deportierten und ermordeten Frankfurter Juden.115 110 »Das Schweigen Bonns gegeißelt. Europäischer Jüdischer Kongreß tagte erstmals in Berlin«, in: Frankfurter Rundschau (FR), 11.11.1991; vgl. Stavginski, Das Holocaust-Denkmal, S. 45 f. 111 Zur Oberherrschaft der Westalliierten in Westberlin siehe: Rott, Die Insel. 112 Vgl. Ines Lehmann, Die deutsche Vereinigung von außen gesehen. Angst, Bedenken und Erwartungen in der ausländischen Presse, Bd. 2: Die Presse Dänemarks, der Niederlande, Belgiens, Luxemburgs, Österreichs, der Schweiz, Italiens, Portugals und Spaniens und jüdische Reaktionen, Frankfurt a. M. u. a. 1997, S. 414; Shafir, Ambiguous Relations, S. 341; zu Grass’ Position vgl. Heinrich A. Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2: Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung, München 2000, S. 537 f., 540 f. 113 Jack Zipes, The contemporary German Fascination for Things Jewish: Toward a ­Minor Jewish Culture, in: Sander L. Gilman / Karen Remmler (Hg.), Reemerging Jewish Culture in Germany: Life and Literature since 1989, New York / London 1994, S.  15–45, hier: 19; Rafael Seligmann, What keeps the Jews in Germany quiet?, in: ebd., S. 173–183, hier: 180. 114 Aspen Institute Berlin, Yvonne Badal, Gesprächsrunde »Jüdisches Museum im Berlin Museum«, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 241. 115 Der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, Jüdisches Museum Frankfurt am Main, S. 20. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Zugleich gibt die Äußerung Hassemers, des liberalsten CDU-Vertreters in dem von Eberhard Diepgen in den 1980er Jahren geführten Senat, Anlass zu der Vermutung, dass ohne den Machtwechsel in Berlin im Januar 1989­ Libeskind mit seinem stark holocaustzentrierten Entwurf für die Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum kaum den Realisierungswettbewerb hätte gewinnen können, beziehungsweise dass die Politik sich anschließend nicht bereit erklärt hätte, den Entwurf auch tatsächlich zu bauen. Denn ein erster Preis für einen Entwurf bedeutet noch lange nicht, dass er auch realisiert wird – die Liste der in Berlin nicht gebauten siegreichen Wettbewerbsentwürfe ist lang.116 Der nach den Wahlen am 29. Januar 1989 neu gewählte Regierende Bürgermeister Walter Momper hatte am 26. April die Perspektive Berlin zu einem Gespräch empfangen und der rot-grüne Senat Unterstützung für das Denkmalprojekt signalisiert.117 Das war das politisch-kulturelle Umfeld, in dem sich Daniel Libeskind mit seinem Entwurf im Juni 1989 durchsetzen konnte – mit der ironischen Wendung, dass Heinz Galinski mit seiner Zustimmung zu diesem Entwurf auch die Initiative der Perspektive Berlin erledigen wollte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) urteilte über den Ausgang des Realisierungswettbewerbs dann auch: Libeskinds Entwurf sei »dezidiert mahnmalhaft«. »In Berlin hat man sich gegen eine funktionale Lösung und für ein architek­tonisches Spektakel entschieden.«118 Auch wenn Heinz Galinski mit dem Ausgang des Realisierungs­wett­bewerbs im Juni 1989 zufrieden war, bleibt die Frage, warum er sich im Vorfeld nicht stärker für den von ihm geforderten eigenen Gebäudeteil für das Jüdische Museum einsetzte. Laut dem Tagesspiegel-Redakteur Thomas Lackmann, der ab 1995 regelmäßig über das Jüdische Museum schrieb, gibt es eine Über­lieferung, dass Galinski bei der Forderung nach einem jüdischen Museum zugunsten der Förderung jüdischer Schulen durch den Senat zurückgesteckt habe. Galinski habe gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Diepgen vor der Ausschreibung des zweiten Hauses für das Berlin Museum Ende 1988 im Gegenzug für die Einrichtung einer jüdischen Oberschule in dessen »Mischnutzung« eingewilligt, d. h. keinen eigenen Bau für das Jüdische Museum gefordert.119

116 Zu Hassemer vgl. Kramer, The Politics of Memory, S.  139 f.; Thijs, Drei Geschichten, eine Stadt, S. 177 f.; zur langen Liste der nicht gebauten siegreichen Entwürfe in Realisierungswettbewerben vgl. Ladd, The Ghosts of Berlin, S. 229. 117 Vgl. Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 27. 118 Camilla Blechen, Neubau des Jüdischen Museums in West-Berlin, in: FAZ , 29.6.1989. 119 Lackmann, Wie baut man (k)ein Jüdisches Museum in Berlin? Die avantgardistische Baustelle der neuen alten Hauptstadt ist ein brisanter Zankapfel, in: Tagesspiegel, 7.12.1995; ders., Jewrassic Park, S. 24. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Hanns-Peter Herz bestätigte im Gespräch mit dem Autor, dass Galinskis Priorität die jüdischen Schulen gewesen seien.120 Hintergrund war, dass in den 1980er Jahren die Leitungen der jüdischen Gemeinden in Deutschland (und Europa)  angesichts der Entfremdung der jungen Generation von jüdischen Traditionen um das Fortbestehen ihrer Gemeinden bangten. Insbesondere die hohe Rate an Eheschließungen mit nichtjüdischen Partnern  – die Jüdische Gemeinde in Deutschland wies die höchste Rate in der jüdischen Diaspora überhaupt auf – wurde mit Sorge gesehen.121 Bernard Wasserstein, der Autor einer Geschichte der Juden in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, schreibt in diesem Zusammenhang, für viele jüdische Gemeindeführungen in Westeuropa seien jüdische Schulen »das Allheilmittel«.122 Im Westberliner Fall kam hinzu, dass die Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion nicht erst 1989/90 begann, sondern bereits Anfang der 1970er Jahre eingesetzt hatte. Ende der 1980er Jahre machten diese in den letzten zwei Jahrzehnten zugewanderten Juden bereits etwa die Hälfte der 6.000 Gemeindemitglieder aus. Da in der kommunistischen Sowjetunion die Religionsausübung massiv unterdrückt und verfolgt wurde, waren viele dieser Einwanderer der religiösen Tradition weitgehend entfremdet  – sollten ihre Kinder an die Jüdische Gemeinde gebunden werden, erschienen jüdische Schulen umso sinnvoller.123 Zu den Institutionen, die zur Festigung jüdischer Identität beitragen können, zählte Salomon Korn, der Vorsitzende der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, 2009 in 120 Heinz Galinski, Klartext. Zwei Bewährungsproben, in: Berlin-Umschau, 1 (1990), Nr. 4, S. 1 f., hier: 2; »Ansprache von Jerzy Kanal zum Trauerakt für Heinz Galinski«, in: ebd., 3 (1992), Nr. 8, S. 2. Nach Herz’ Kenntnis gab es einen solchen Deal, er konnte ihn aber nicht mehr genau datieren. Erste solche Überlegungen habe es noch zu Zeiten des Regierenden Bürgermeisters von Weizsäcker gegeben, als die Bauteile des Ephraim Palais an Ostberlin übergeben wurden, intensiver sei das 1987/88 ein Thema gewesen. Gespräch mit Hanns-Peter Herz am 24.7.2006. Vera Bendt schreibt in einem 1997/98 veröffentlichten Aufsatz, für Galinski sei bei der Gemeindearbeit das Jüdische Museum nicht die oberste Priorität gewesen. Bendt, Erinnern und Leben, S. 46. 121 Vgl. Anthony D. Kauders, Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik, München 2007, S. 174, 181, 191–193, 214, 223; zu der hohen Rate der Eheschließungen mit nichtjüdischen Partnern auch: Micha Brumlik, The Situation of the Jews in Today’s Germany (1990), in: Bodemann (Hg.), Jews, Germans, Memory, S.  1–16, hier: 12; Michael Wolffsohn / Thomas Brechenmacher, Deutschland, jüdisch Heimatland. Die Geschichte der deutschen Juden vom Kaiserreich bis heute, Mitarbeit: Friederike Kaunzner, München / Zürich 2008, S. 261. 122 Vgl. Bernard Wasserstein, Europa ohne Juden. Das europäischen Judentum seit 1945, München 2001, S. 395. 123 Vgl. Alexander Jungmann, Jüdisches Leben in Berlin. Der aktuelle Wandel in einer metropolitanen Diasporagemeinschaft, Bielefeld 2007, S. 134 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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einem Vortrag neben jüdischen Schulen jüdische Kindergärten, Jugendzentren und Volkshochschulen, Bibliotheken sowie jüdische Hochschulen und Rabbinerseminare, jedoch nicht jüdische Museen – was durchaus konsequent war, da diese in Deutschland nicht von jüdischen Gemeinden getragen wurden, sondern sich in kommunaler oder staatlicher Trägerschaft befanden.124 Die Jüdische Grundschule im Westberliner Bezirk Charlottenburg er­ öffnete 1986, nach der Wiedervereinigung wurde im früheren Ostteil der Stadt im Gebäude der ehemaligen »Jüdischen Freischule« 1993 die Jüdische Oberschule gegründet, und 1995 schließlich konnte die Jüdische Grundschule, jetzt benannt nach Heinz Galinski, nach Grunewald in ein von dem israelischen Architekten Zvi Hecker errichtetes Gebäude umziehen – die Entscheidung für den Neubau war 1990 gefallen.125 Im Vergleich mit dem 1980/81 gescheiterten Westberliner Projekt Palais Ephraim stellte die Entscheidung der Jury für den Libeskind-Entwurf einen radikalen ästhetischen und geschichtspolitischen Kurswechsel dar. Mit dem Projekt Palais Ephraim war der Wiederaufbau eines Barockpalais beabsichtigt gewesen, das die besseren Zeiten des deutsch-jüdischen Verhältnisses in Preußen symbolisieren sollte – wobei manche gerne übersahen, dass die Judenpolitik Friedrichs II. kein Ausbund an Toleranz gewesen war. Hingegen war der Entwurf Daniel Libeskinds ein radikal-avantgardistisches Projekt, das den Holocaust als absoluten Bruch in der deutsch-jüdischen Geschichte in den Mittelpunkt stellte.126 Die Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum, Vera Bendt, hatte bereits 1986, nach der Eröffnung der Ausstellungsräume für die Jüdische Abteilung im Gropius-Bau, und zunehmend ab dem Zeitpunkt, als sich die Ausschreibung des Realisierungswettbewerbs für die Museums­ erweiterung 1988 abzeichnete, die Position vertreten, dass ein jüdisches Mu124 Salomon Korn, Das Dilemma der jüdischen Kultur in Deutschland (2009), in: Y. Michal Bodemann / Micha Brumlik (Hg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen 2010, S. 259–263, hier: 262. 125 Wasserstein, Europa ohne Juden, S. 242; Jungmann, Jüdisches Leben in Berlin, S. 138. 126 Vgl. V. Bendt an Reiner Güntzer, 22.6.1990, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  298 f., hier: 298. Zur Judenpolitik König Friedrichs II. vgl.: Preußen starb an sich selbst. Ansprache Heinz Galinskis anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Juden in Preußen« (1981), abgedruckt in: Berndt, »Ich weiß, ich bin kein Bequemer …« S. 292–296, hier: 293; Blumenthal, Die unsichtbare Mauer, S. 126, 129 f., 137, 151; Jüdisches Museum Berlin. Geschichten einer Ausstellung. Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 66, 70. Der israelische Historiker Walter Grab war Anfang der 1980er Jahre in Berlin mit seinen Vorschlägen für die Darstellung der Judenpolitik Friedrichs II. im Beirat der großen Preußenausstellung auf schroffe Ablehnung gestoßen. Julius H. Schoeps, Ein Synagogenadler namens F. W. Rex. Drei Wochen vor dem festlichen Opening des Jüdischen Museums Berlin eröffnet das Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Wie soll man sie zeigen, die preußisch-jüdische Vergangenheit?, in: Tagesspiegel, 17.8.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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seum in Berlin nur dann wieder entstehen könne, wenn sich Juden mit ihm identifizierten. Damit meinte sie zumindest zweierlei: Zum einen war ein solches Museum darauf angewiesen, dass (ehemalige) deutsche Juden ihm Objekte für die Sammlung anvertrauten, zum anderen war ein Museum, das einen nichtjüdischen Blick auf das Judentum warf, in ihren Augen kaum als »jüdisches Museum« zu bezeichnen – und angesichts der Bedeutung, welche die Berliner Juden bis 1933 für die Geschichte des modernen Berlin gehabt hatten, für die Stadt völlig unangemessen. Bei ihren Versuchen, Juden für die Abteilung Jüdisches Museum zu gewinnen, hatte Bendt 1987/88 zugleich konstatiert, dass »nur eine kleine Gruppe von Juden im heutigen Berlin« erkannt habe, »wie sehr die Jüdische Abteilung des Berlin Museums auch ihre kulturpolitische und politische Aufgabe« ist, und dass eine Wahrung und ein Ausbau des bislang Erreichten nur möglich sei, wenn von jüdischer Seite der Standpunkt des Beobachtens aufgegeben werde und anteilnehmende Mitarbeit an seine Stelle trete.127 Eine Erklärung, warum sich Ende der 1980er Jahre nur wenige West­ berliner Juden für die Jüdische Abteilung / das Jüdische Museum interessierten, war, dass auch in Westberlin schon in den 1950er Jahren deutsch-jüdische Überlebende und Remigranten nur noch zehn Prozent der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde ausgemacht hatten.128 Die in einem Berliner Jüdischen Museum, zumal in Verbindung mit dem Berlin Museum, auszustellende Geschichte war nicht die Geschichte der übergroßen Mehrheit der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und von deren Vorfahren. Daher blieben die Mobilisierungsversuche Vera Bendts zunächst ohne erkennbare Resonanz. 127 Bendt, Das Jüdische Museum Berlin. Eine Abteilung des Berlin Museums (= Berliner Forum, hg. v. Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, 5/86), Berlin 1986, S. 48; dies., Berlin Museum – Jüdische Abteilung. Zur Geschichte ihrer Sammlung, in:­ MuseumsJournal. Berichte aus den Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam, 1 (1987/1988), Nr. 3, S. 26–28, hier: 28 (Zitate); dies., Aussichten auf das Jüdische Museum, in: Antiqua ’89 Berlin, hg. v. AMK Berlin, 25.–29. November. 18. Verkaufsausstellung von Kunst und Antiquitäten, Berlin 1989, unpaginiert; dies., Den verstreuten Nachlaß als jüdisches Erbe annehmen, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 29.11.1990; dies., Jüdisches Museum Amsterdam. Versuch einer historischen Beschreibung, in: MuseumsJournal, 5 (1991), Nr. 3, S. 72–74, hier: 74. Bendt schrieb am 22.6.1990 in einem Brief an den Museumsreferenten Güntzer: »Seit Öffnung der Mauer ganz besonders, aber auch schon vorher, war mir persönlich immer klar, daß es in einem Jüdischen Museum nicht nur um die toten Juden gehen kann.« V. Bendt an Reiner Güntzer, 22.6.1990, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 298 f. 128 Vgl. Jungmann, Jüdisches Leben in Berlin, S. 131; zum Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen der demografischen Verschiebungen im Judentum in der Bundesrepublik in den Nachkriegsjahren durch die Mehrheitsgesellschaft vgl. Julius H. Schoeps, Das (nicht-)angenommene Erbe. Zur Debatte um die deutsch-jüdische Erinnerungskultur, in: Bodemann / Brumlik (Hg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden, S. 245–258, hier: 249. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

IV. Mauerfall und Wiedervereinigung – nach der Entscheidung im Realisierungswettbewerb

Nach der Entscheidung im Realisierungswettbewerb Wenige Monate nach der Jury-Entscheidung für den Entwurf von Daniel­ Libeskind im Juni 1989 fiel die Berliner Mauer. Damit war, auch wenn der rotgrüne Westberliner Senat im Januar 1990 bekräftigte, den Entwurf realisieren zu wollen, das ganze Projekt infrage gestellt.1 Zum einen kamen auf die bald wiedervereinigte Stadt riesige Finanzlasten für die Sanierung des Ostteils zu, zum andern hatte man jetzt Zugriff auf Gebäude, die als alternative Unterbringungsmöglichkeiten für ein Jüdisches Museum denkbar waren. Die DDR hatte zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 das Palais Ephraim wiedererrichtet und zudem am 10. November 1988 damit begonnen, die Ruine der Neuen Synagoge zum Centrum Judaicum auszubauen, in dem auch ein Museum vorgesehen war. Heinz Galinski sprach beim Richtfest der Teilrestaurierung der Neuen­ Synagoge in der Oranienburger Straße am 29.  Oktober 1990  – die Vereinigung der Westberliner (6.000 Mitglieder) und der Ostberliner Jüdischen Gemeinde (200 Mitglieder) zum 1. Januar 1991 stand kurz bevor –, und wenige Monate später, im April 1991, tauchte in der Gemeindezeitung BerlinUmschau eine neue Rubrik auf: »Aus der Oranienburger Straße«.2 Bald sollten Fotos der restaurierten Synagoge in Zeitungsartikeln, Aufsätzen und auf Buchcovern zum Sinnbild neuen jüdischen Lebens im wiedervereinten Deutschland werden.3 Das Berlin Museum war damals frühzeitig bemüht, im Zusammenspiel mit Hermann Simon, dem Leiter des Centrum Judaicums, alle möglichen Überlegungen, das in Westberlin geplante Jüdische Museum im Centrum Judaicum unterzubringen, abzuwehren, indem betont wurde, dass dort nur eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Neuen Synagoge gezeigt werden solle.4 1 Landespressedienst: Libeskind-Projekt für Jüdisches Museum, 16.1.1990, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 327. 2 Simon, Die Neue Synagoge einst und jetzt, S. 37; »Aus der Oranienburger Straße«, in: Berlin-Umschau. Nachrichten aus der Jüdischen Gemeinde, 2 (1991), Nr. 4, S. 11. 3 Vgl. Offe, Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen, S. 104, 139. 4 Bothe an Güntzer, 17.7.1990, darin: Anlage: Abteilung Jüdisches Museum des Berlin Museums und Centrum Judaicum, 9.7.1990 (Hermann Simon bestätigt mit seiner Unter© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Das Vorstandsmitglied der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Ernst Cramer plädierte – und das war eine entscheidende Wendung – im August 1991 in der Berliner Morgenpost öffentlich gegen die Errichtung des Libes­ kind-Baus: Finanziell seien dem Senat zwei »jüdische« Großprojekte, Libes­ kind-Bau und Centrum Judaicum, nicht zuzumuten. Vor die Wahl gestellt, entscheide er sich für das Centrum Judaicum. Wenn man seinerzeit Zugriff auf den historischen Standort des Jüdischen Museums in der Oranienburger Straße gehabt hätte, wäre in Westberlin in den 1970er Jahren nie der Gedanke eines Jüdischen Museums als integraler Bestandteil des Berlin Museums aufgekommen. Diese These Cramers dürfte zutreffen. Dafür spricht auch, dass es in der alten Bundesrepublik keinen Ort gab, wo man für ein jüdisches Museum nicht auf ein historisches Gebäude zurückgegriffen, sondern einen Neubau errichtet hatte.5 Als Alternative zum Libeskind-Bau schlug Cramer die Einrichtung des Jüdischen Museums im Palais Ephraim vor.6 Schon seit 1990 hatte Cramer als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum intern gefordert, die Gesellschaft solle sich diese Position zu eigen machen, und war, als er sich damit nicht durchsetzte, im März 1991 von seinem Amt zurückgetreten.7 Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister, und Klaus Landowsky, der CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, betrieben dann im Sommer 1991 im Zuge einer Sparrunde wegen der desolaten Finanzlage Berlins die Verschiebung des Libeskind-Baus. Das wurde von dessen Befürwortern jedoch aus guten Gründen als völlige Abkehr von dem Projekt wahrgenommen.8 Prominente Unterstützung bekamen Landowsky und Diepgen von dem Berliner Verleger und Publizisten Wolf Jobst Siedler, der den Libeskind-Bau nicht lediglich aufgeschoben, sondern gestrichen sehen wollte – für ihn handelte es sich um »Baupläne aus einer anderen Zeit«.9

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schrift die Kenntnisnahme), abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 294–296, hier: 295 f.; Vera Bendt, Erste Überlegungen für die Zusammenarbeit mit der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum, in: Berlinische Notizen, 1991, S. 34 f. Vgl. Kugelmann, Bringschuld, Erbe und Besitz, S. 187. Nach der Jahrtausendwende wurde in München das neu gegründete dortige Jüdische Museum im Neubau des Jüdischen Gemeindezentrums untergebracht. Ernst Cramer, Ephraim-Palais ist ein würdiger Standort, in: Berliner Morgenpost, 18.8.1991. Auch: Aus der Repräsentantenversammlung (Rede von Galinski), in: Berlin-Umschau, 2 (1991), Nr. 7, S. 5. »Keine Ausnahmereglung für das Jüdische Museum. Tabus darf es bei der Zurückstellung von Neubauten nicht geben«, in: Tagesspiegel, 16.8.1991; »Diepgen gegen neues Jüdisches Museum«, in: Berliner Zeitung, 21.8.1991; »Briefaktion für Jüdisches Museum«, in: Tagesspiegel, 24.8.1991; Annette Ramelsberger, Jonglieren mit Millionen. Senatoren berieten über Drei-Milliarden-Kürzung, in: Berliner Zeitung, 26.8.1991. Wolf Jobst Siedler, Berlin und seine Juden, in: B. Z., 24.8.1991. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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In einer ersten Reaktion auf diesen Vorstoß Landowskys und Diepgens schien Galinski sich mit dem vorläufigen Verzicht auf den Libeskind-Bau und dem Palais Ephraim als Provisorium für das Jüdische Museum anfreunden zu können. Zu diesem Zeitpunkt wurde er laut einiger Presseberichte mit der­ Alternative »Förderung jüdischer Schulen oder Libeskind-Bau« unter Druck gesetzt.10 Am 27. Februar 1991 hatte Galinski in einer Versammlung der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum im Zusammenhang mit dem LibeskindBau erklärt, er kämpfe jetzt für eine Jüdische Schule – gemeint war damit die Jüdische Oberschule – und sehe dabei große Finanzierungsprobleme.11 Auf Anregung des parteilosen, auf SPD -Ticket ernannten Kultursenators Ulrich Roloff-Momin trat die Leitung des Berlin Museums in dieser Situation in Zusammenarbeit mit Nina Libeskind, der aus einer Politikerfamilie stammenden und politisch erprobten Ehefrau des Architekten, eine nationale und internationale Kampagne mit Briefen an prominente Juden und befreundete Direktoren jüdischer Museen zur Rettung des Erweiterungsbaus los.12 Nina Libeskind war auch diejenige gewesen, die ihrem Ehemann nach dessen Sieg im Realisierungswettbewerb im Juni 1989 gesagt hatte, wenn er wolle, dass sein Entwurf tatsächlich gebaut werde, müssten sie nach Berlin ziehen – was sie auch prompt getan hatten.13 Bei der Kampagne zur Rettung des Erweiterungsbaus wurde – in weit stärkerem Ausmaß als noch 1988 bei der Ankündigung des Realisierungswettbewerbs – der Eindruck erweckt, beim Erweiterungsbau des Berlin Museums handele es sich um ein Jüdisches Museum. Um die alternative Unterbringungsmöglichkeit für das Jüdische Museum im Palais Ephraim abzuwehren, berief sich Museumsdirektor Rolf Bothe zugleich auf das integrative Konzept – die Unterbringung des Jüdischen Museums in einem eigenen Gebäude hätte de facto seine Verselbstständigung bedeutet.14

10 Bothe, Gedächtnisprotokoll, Sitzung Gesellschaft für ein Jüdisches Museum am 27.2.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 173; »Das abwesende Haus. Berlin stoppt Jüdisches Museum und Amerika-Bibliothek«, in: FAZ , 1.8.1991; »Galinski: Kritik am Bau-Aufschub Jüdisches Museum«, in: Berliner Morgenpost, 3.8.1991; Kurt W. Forster, Ein­ Jüdisches Museum gehört zu Berlin, in: Berliner Morgenpost, 25.8.1991; Klaus Hartung, Die unmögliche Geschichte von Berlin. Über den Entwurf für ein Jüdisches Museum und das Verhältnis von Architektur und deutscher Vergangenheit / Ein Gespräch mit dem Architekten Daniel Libeskind, in: taz, 14.9.1991. 11 Bothe, Gedächtnisprotokoll, Sitzung Gesellschaft für ein Jüdische Museum am 27.2.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 173; Gespräch mit Klaus Schütz am 28.8.2006. 12 »Resolution für das Jüdische Museum«, in: Tagesspiegel, 18.8.1991; Roloff-Momin, Zuletzt: Kultur, S. 169. 13 Libeskind, Breaking Ground, S. 104 f., 155, 162 f. 14 Rolf Bothe, Auf das Jüdische Museum kann an der Spree nicht verzichtet werden, in: Berliner Morgenpost, 14.8.1991; ders., Pressemitteilung: Erweiterungsbau des Berlin Mu© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Während in dem deutschsprachigen Brief zur Mobilisierung für die Protestkampagne von Museumsdirektor Bothe und Vera Bendt an Freunde und Kollegen vom »Erweiterungsbau des Berlin Museums« die Rede war, den es vor den Sparbeschlüssen zu retten gelte, hieß es in der englischen Version: »[t]he planned Extension building of the Berlin Museum with the Jewish­ Museum«. Von einer Jüdischen Abteilung war in der englischen Fassung wie schon in den englischsprachigen Werbebriefen der Gesellschaft für ein­ Jüdisches Museum, die in den 1970er Jahren verschickt worden waren, wie­ derum nicht die Rede.15 Prominente Juden aus dem Ausland kamen der Aufforderung nach, einen Protestbrief an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und eine Kopie des Briefes an den Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski zu schicken – Hintergrund des zweiten Teils der Aufforderung war auch die schwankende Haltung Galinskis –, oder meldeten sich zu Wort: darunter B ­ enjamin Netanjahu, stellvertretender israelischer Außenminister, der Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, Jack Lang, französischer Minister für Kultur und Kommunikation, und aus den USA Abraham Foxman, der Direktor der Anti-Defamation League, Rabbiner Marvin Hier, Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, und Eli M. Rosenbaum, Beauftragter für Kriegsverbrecher im US -Justizministerium.16 Laut Daniel Libeskinds Autobiografie war damals auch Willy Brandt, der Ehrenvorsitzende der SPD, unter den wichtigsten Befürwortern des Libes­ kind-Baus und habe sich bei Bundeskanzler Helmut Kohl für dessen Realisierung verwendet.17 Der Gemeindevorsitzende Galinski bekam zudem einen Brief von Israel Singer, dem Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, in dem dieser das hohe Ansehen Daniel Libeskinds und der Familie von Nina­ seums mit Abteilung Jüdisches Museum (darin: Stellungnahme), 15.8.1991, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  306–308, hier: 307. 15 Bothe / Bendt an Freunde und Kollegen, 30.7.1991, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 305; englische Fassung, 30.7.1991, abgedruckt bei: Siever, Museum und Kulturpolitik, Textband, Anlage 4.  16 Die Briefe von Netanjahu (23.8.1991) und Lang (17.9.1991) abgedruckt in: ebd., Anlagen 5.1 und 5.2; Teddy Kollek an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 15.9.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 386; Rabbi Marvin Hier, Dean Simon Wiesenthal Center LA , an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 15.8.1991, in: ebd.; zu den weiteren Briefen: »Proteste wegen Jüdischem Museum. Diepgen bekommt zahlreiche Briefe von jüdischen Museen aus dem In- und Ausland«, in: taz, 23.8.1991; Aliza Marcus, Die Stadt, die Spiele und das Museum. Der Streit um das Jüdische Museum ist ein Streit über den Umgang mit der Vergangenheit. Architekt Libeskind: »Hier den Rotstift anzusetzen, gehorcht der gleichen Logik wie der Holocaust.«, in: taz, 28.8.1991. 17 Libeskind, Breaking Ground, S.  164. Weitere Belege für ein Engagement von Willy Brandt konnten nicht gefunden werden. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Libeskind, deren Bruder Stephen Lewis Botschafter Kanadas bei den Vereinten Nationen gewesen war, bezeugte.18 Rabbi Marvin Hier erklärte in seinem Brief an Diepgen beispielsweise, er habe Verständnis für die finanziellen Probleme Berlins, es bestehe aber »die größere Notwendigkeit, in Berlin die geschichtliche Wahrheit herzustellen und darzustellen«. Die schärfsten Wortmeldungen stammten von Rolf Bothe und dem Architekten des Erweiterungsbaus selbst. Bothe erklärte gegenüber der Berliner Morgenpost: »Wer hätte gedacht, daß 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ein jüdisches Museum zum zweiten Mal gefährdet ist.«19 Und die New York Times zitierte Bothe mit den Worten, dass die teure Olympiabewerbung Berlins gegen jüdische Geschichte ausgespielt werde, und das, im wiedervereinigten Deutschland, »makes me sick to my stomach«.20 Laut der Berliner Tageszeitung taz kommentierte Libeskind die Überlegungen, die Erweiterung des Berlin Museums einzusparen, mit den Worten: »Es ist unwichtig, wieviel dieses Museum kostet. Hier den Rotstift anzusetzen, gehorcht denselben Gesetzen wie der Holocaust.«21

Ähnlich argumentierte laut einer Meldung der taz der kulturpolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen, Albert Eckert, der erklärt habe, eine Aufschiebung des Jüdischen Museums wäre ein »antisemitischer Affront«  – tatsächlich hatte er lediglich gewarnt, die Entscheidung könnte international möglicherweise als solcher aufgefasst werden. Auch die beiden anderen Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus, PDS und FDP, sowie schließlich auch der Koalitionspartner der CDU in der großen Koalition, d. h. die SPD, lehnten die Verschiebung des Erweiterungsbaus ab.22 Zu den Briefen aus dem Ausland an den Regierenden Bürgermeister kamen noch kritische Artikel in einflussreichen ausländischen Medien hinzu. Ein ausführlicher Bericht der Nachrichtenagentur Reuters war über18 Israel Singer, Generalsekretär World Jewish Congress, an Galinski, 30.7.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 386. 19 Nikolas Rechenberg, Finanzmangel: Wird jüdisches Museum auf Eis gelegt?, in: Berliner Morgenpost, 30.7.1991. 20 John Tagliabue, Jewish Wing for Berlin Museum in Jeopardy, in: New York Times (NYT), 7.8.1991. 21 Aliza Marcus, Die Stadt, die Spiele und das Museum. Der Streit um das Jüdische Museum ist ein Streit über den Umgang mit der Vergangenheit. Architekt Libeskind: »Hier den Rotstift anzusetzen, gehorcht der gleichen Logik wie der Holocaust.«, in: taz, 28.8.1991. 22 »Jüdisches Museum: Grüne warnen vor ›antisemitischem Affront‹«, in: taz, 24.8.1991; Albert Eckert, Presseerklärung: Ein schwarzer Tag für die Berliner Kultur, 26.8.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 386; »Kultursenator: Jüdisches Museum so bald wie möglich bauen«, in: Tagesspiegel, 6.8.1991; »SPD für Baubeginn des Jüdischen Museums«, in: taz, 15.8.1991. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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schrieben: »Can reunited Berlin afford a Jewish Museum?«, und die New York Times betitelte ihren vierspaltigen Aufmacher: »Jewish Wing for Berlin Museum in Jeopardy«.23 Nach der Kampagne zur Rettung des Erweiterungsbaus soll Eberhard Diepgen Nina Libeskind gefragt haben, ob sie nicht seine Wahlkampfmanagerin werden wolle – er habe noch nie erlebt, dass jemand binnen so kurzer Zeit so viele Menschen mobilisiert habe. Zwar war der Hinweis des Regierenden Bürgermeisters auf die desolate Finanzlage Berlins grundsätzlich richtig, nicht zuletzt, weil die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung angesichts der immensen Kosten des Aufbaus Ost die hohen Subventionen, welche die Insel Westberlin am Leben erhalten hatten, binnen kürzester Zeit zusammenstrich. Zudem war auch Ostberlin als Hauptstadt der DDR stark subventioniert worden, was jetzt ebenso entfiel. Aber der internationale Eindruck war ein anderer: Deutschland war kaum ein Jahr wiedervereinigt und in seinem Westteil ein offenkundig sehr reiches Land, das damals im Ruf stand, zusammen mit Japan wirtschaftlich der eigentliche Gewinner des Kalten Krieges zu sein. Und seine Hauptstadt Berlin, die gerade auch zum zukünftigen Sitz von Parlament und Regierung bestimmt worden war, wollte aus finanziellen Gründen auf ein Gebäude für das Jüdische Museum verzichten, gleichzeitig aber an einer Olympia-Bewerbung festhalten. Hinzu kam noch die Welle fremdenfeindlicher Gewalttaten nach der Wiedervereinigung, die 1991/92 ihren Höhepunkt erreichte. Kurzum: Der Versuch von Klaus Landowsky und Eberhard Diepgen, den Erweiterungsbau auf die lange Bank zu schieben, scheiterte. Diepgen bot Libes­kind offenbar zuletzt einen lukrativen alternativen Bau­auftrag, ein Hochhausprojekt am Alexanderplatz, an, falls er auf den Erweiterungsbau für das Berlin Museum verzichte, aber Libeskind wies dieses Angebot zurück.24 Am 17. Oktober beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag der Fraktionen von CDU und SPD, mit dem es sich dafür aussprach, »daß der geplante Erweiterungsbau für die Jüdische Abteilung des Berlin-Museums nach den Plänen des Architekten Libeskind unverzüglich realisiert wird«.

23 Paul Taylor, Can reunited Berlin afford a Jewish Museum?, Reuters, 1.8.1991; John Tagliabue, Jewish Wing for Berlin Museum in Jeopardy, in: NYT, 7.8.1991; außerdem: Michele Landsberg, Museum honoring Jews of Germany faces delay, in: Toronto Star, 10.8.1991; Henry Marx, Bau des Jüdischen Museums Berlin nur verschoben?, in: Der Aufbau (New York), 16.8.1991; Jonathan Glancey, Too poor for its richest plan? Berlin is going broke; it may have to sacrifice its new Jewish Museum, in: Independent, 21.8.1991; vgl. »Erstarrter Blitz. Wird der Bau des Jüdischen Museums in Berlin aufgeschoben? Gegen die Absicht formiert sich Widerstand«, in: Der Spiegel, Nr. 34, 19.8.1991. 24 Klaus Hartung, Chronik eines ungebauten Museums, in: taz, 14.9.1991; Libeskind, Breaking Ground, S. 166. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Es forderte den Senat dazu auf, bis Ende März nächsten Jahres zu berichten, wie ein Baubeginn 1993 sichergestellt werden könne.25 Mit diesem Beschluss setzte auch das Berliner Parlament den Erweiterungsbau zwar nicht mit dem Jüdischen Museum, aber mit der Jüdischen Abteilung gleich. Kultursenator Roloff-Momin hatte am 25. September 1991 im Vorfeld der Entscheidung des Abgeordnetenhauses den Erweiterungsbau vor Vertretern Israels und in Anwesenheit von Heinz Galinski mit »dem Jüdischen Museum« identifiziert. Der Anlass war die Übergabe von zehn Gemälden aus dem Jerusalemer Israel Museum als Dauerleihgabe an das Jüdische Museum im Berlin Museum. Die Kunstwerke stammten aus der Sammlung des alten Berliner Jüdischen Museums. Roloff-Momin erklärte, man könne den gesamten Erweiterungsbau des Berlin Museums »mit Fug und Recht« als jüdisches Museum betrachten, da die außer dem Jüdischen Museum dort geplanten Theater- und Modeabteilungen ebenfalls eminente Zeugnisse jüdischen Lebens enthielten.26 Zu dieser Linie bekannte er sich auch in seinen 1997 erschienen Memoiren freimütig, ohne ein Bewusstsein dafür erkennen zu lassen, dass es problematisch sein könnte, als verantwortlicher Senator in einer Angelegenheit eine Sache öffentlich anzukündigen, während die eigene Verwaltung tatsächlich eine andere Sache plant.27 Der bis dahin einmalige Vertrauensbeweis, dass eine israelische Institution deutsch-jüdische Kulturgüter dauerhaft als Leihgabe nach Deutschland gab, ging auf erste Gespräche im Jahr 1985 zurück. Seit 1988 hatte Rolf Bothe, der Direktor des Berlin Museums, den Hinweis auf die geplanten Leihgaben des Israel Museums in kritischen Phasen des Erweiterungsprojekts als Argument gegenüber der politischen Spitze benutzt. Im Juli 1988 hatte er den Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf vertraulich über den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit dem Israel Museum informiert und angemerkt, er hoffe, dieser könne das gegenüber seinen Gesprächspartnern ein­setzen  – dies war wenige Monate vor der Bekanntgabe der Senatsentscheidung, die Erweiterung des Berlin Museums zu bauen.28 In einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper schrieb Bothe im 25 Der Antrag ist abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  315; »Unverzüglicher Baubeginn für die Erweiterung des BerlinMuseums (Jüdisches Museum)«, in: Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokolle, 12. Wahlperiode, Bd. 2: 15. Sitzung am 10.10.1991 bis 28. Sitzung am 30.3.1992, Berlin 1992, S. 1313; Sascha Adamek, Museum wird 1993 gebaut. Ausschuß für geplanten Baubeginn des Jüdischen Museums / Streit bei CDU ?, in: Berliner Zeitung, 26.9.1991. 26 Ansprache des Senators für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, anläßlich der Übergabe von zehn Gemälden des Israel Museums, 25.9.1991, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 309–314, hier: 312 f. 27 Roloff-Momin, Zuletzt: Kultur, S. 167. 28 Bothe an Staatssekretär Lutz von Pufendorf, 1.7.1988, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 177; auch: Bendt an Güntzer, 12.9.1988, in: ebd. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Oktober 1989 von seiner bevorstehenden Reise nach Israel wegen der Vertragsunterzeichnung über die zehn Dauerleihgaben und wies darauf hin, dass man in Israel verbindliche Aussagen von ihm zum Libeskind-Bau erwarte, die Bauverwaltung aber den Vertrag mit dem Architekten noch nicht unterschrieben habe.29 Als im Juli 1991 der Aufschiebungsversuch durch Diepgen und Landowsky bereits in der Luft lag, schrieb Bothe an Kultursenator Roloff-Momin, dass die von deutscher Seite durch Mäzene finanzierte Restaurierung der zehn Gemälde abgeschlossen sei, die offizielle Übergabe durch das Israel Museum am 23. November stattfinden solle und dass die Übergabe von israelischer Seite durchaus als neuer Schub für den »Neubau« gedacht sei.30 Die Abkehr Ernst Cramers vom Libeskind-Bau im Jahr 1990 hatte nicht nur seinen Austritt aus dem Vorstand der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum zur Folge, sondern auch, dass fortan nicht mehr die Springer-Zeitung Berliner Morgenpost der publizistische Hauptunterstützer der Jüdischen Abteilung / des Jüdischen Museums war. Diese Rolle übernahm zunehmend der Tagesspiegel. Ab Mitte der 1970er Jahre hatten der Verleger Axel Springer und sein Verlag, namentlich die Berliner Morgenpost und auch Die Welt, das Projekt der Erweiterung des Berlin Museums um das Palais Ephraim massiv unterstützt.31 Springer war selbst von Anbeginn Mitglied der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum und einer der großzügigsten, vielleicht auch der großzügigste private Spender gewesen. Der Löwenanteil der Mittel für den Aufbau der Sammlung der Jüdischen Abteilung kam allerdings von der staatlichen 29 Bothe an den Regierenden Bürgermeister, Momper, 23.10.1989, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 327; auch: Bothe an Staatssekretär Hanns Kirchner, 31.7.1989, in: ebd. 30 Bothe an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, 16.7.1991, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 173; zur politischen Instrumentalisierung der Leihgaben aus dem Israel Museum vgl. auch Bendt, Die andere Hälfte. Das »Judensilber« des Märkischen Museums im Kontext der Vereinigung von Berlin Museum und Märkischem Museum 1990 bis 1998 (ungedrucktes Manuskript), S. 19 f., http://bendt.org/pdf/Judensilber _im_Maerkischen_Museum.pdf [abgerufen am 1.7.2011]. 31 Vera Bendt publizierte 1985 ein Plädoyer für das Jüdische Museum in der Morgenpost und der Welt, nach der Juryentscheidung für den Libeskind-Entwurf 1989 erschienen in der Morgenpost Interviews mit Daniel Libeskind sowie Rolf Bothe und 1991, als die Berliner CDU-Spitze die Verschiebung des Libeskind-Baus betrieb, fand die Debatte mit Beiträgen von Ernst Cramer, Rolf Bothe und Kurt W. Forster im Wesentlichen in der Morgenpost statt. Bendt, Palais auf dem Prüfstein. Braucht das jüdische Kulturgut in Berlin ein Museum?, in: Die Welt, 29.10.1985; dies., Friedhof wird zum Museum, in: Berliner Morgenpost, 6.11.1985; »Wenn Schicksal Architektur wird« (Interview von Bernhard Schneider mit Daniel Libeskind), in: Berliner Illustrierte Zeitung (Beilage der Berliner Morgenpost), 13.8.1989; »Mehr Raum für die Stadtgeschichte. Gespräch mit Direktor Rolf Bothe über den Erweiterungsbau des Berlin Museums, in: Berliner Morgenpost, 5.9.1989; Ernst Cramer, Ephraim-Palais ist ein würdiger Standort, in: ebd., 18.8.1991; Rolf Bothe, Auf das Jüdische Museum kann an der Spree nicht verzichtet werden, in: ebd., 14.8.1991; Kurt W. Forster, Ein Jüdisches Museum gehört zu Berlin, in: ebd., 25.8.1991. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, dem Berliner Nebenhaushalt.32 Der Tagesspiegel hatte dagegen zunächst eine besondere Affinität zum Berlin Museum insgesamt – was vermutlich daran lag, dass sein Mitbegründer E ­ dwin Redslob 1962/63 die Bürgerinitiative zur Gründung des Museums, den »Verein der Freunde und Förderer des Berlin Museums«, ins Leben gerufen hatte.33 Neben der Infragestellung der Erweiterung des Berlin Museums hatte die Wiedervereinigung noch eine weitere Konsequenz für die Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum, die damals in der Öffentlichkeit jedoch nicht diskutiert wurde. Bedingt durch die Teilung Berlins, zumal seit dem Mauerbau 1961, gab es viele öffentliche Einrichtungen in der Stadt in zweifacher Ausführung, einmal im Ostteil und einmal im Westteil. Nach der Wiedervereinigung lag es schon aus Kostengründen nahe, diese Einrichtungen zusammenzuführen. Dies wurde bald auch für die stadthistorischen Museen, das Märkische Museum und das Berlin Museum, geplant. Für die Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum hatte die geplante Zusammen­f ührung der beiden stadthistorischen Museen  – darauf wies Vera Bendt in späteren Aufsätzen hin – aber wegen des Holocaust ganz besondere Implikationen. Für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums war das Abgeschnittensein  Westberlins vom historischen Berlin nämlich auch ein Vorteil gewesen. Das Berlin Museum war erst nach dem Mauerbau gegründet worden und hatte – anders als das Märkische Museum – somit keine nationalsozialistische Vergangenheit. Bendt berichtet, eine der ersten Fragen potenzieller jüdischer Stifter für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums sei immer gewesen, wann denn das Museum gegründet worden sei.34 Im Fall des Märkischen Museums war Ende der 1980er Jahre unter den Eingeweihten, auch im Westteil der Stadt, bekannt, dass im Nationalsozialismus Teile des Silbers, das den Berliner Juden nach der Pogromnacht 1938 geraubt worden war, dort gelandet waren.35 32 Elsberg, Jüdisches Museum Berlin – Geschichte und Zukunft, gesendet vom: SFB , Schulfunk, 28./29.10.1980; Dieter Strunz, Meinung, in: Berliner Morgenpost, 4.11.1988; zur Bedeutung der Lottostiftung für den Sammlungsaufbau der Jüdischen Abteilung vgl. Veronika Bendt, Berlin Museum – Jüdische Abteilung. Zur Geschichte ihrer Sammlung, in: MuseumsJournal, 1 (1987/1988), Nr. 3, S. 26–28, hier: 28.  33 »Die unbeirrte Sammlung. Erwerbungen und Stiftungen im Berlin Museum«, in: Tagesspiegel, 22.6.1984; »Berlin Museum braucht zweites Haus. Zunächst Ausweich­quartier für die Jüdische Abteilung im Gropiusbau, in: ebd., 8.5.1986; vgl. Kai Michel, Edwin Redslob, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, 5 (1999), S. 86–120, insbesondere: 105. 34 Bendt, Kannibalen der Kulturpolitik. Eine Richtigstellung zum Jüdischen Museum Berlin (unveröffentlichter Artikel), http://bendt.org/pdf/Kannibalen%20der%20Kultur politik.pdf. 35 Ein erheblicher Teil dieses Bestandes, der in einer Kartei erfasst worden war, war inzwischen spurlos verschwunden. Vgl. Bendt, Die andere Hälfte, S. 18, 21, 29, 30, FN 28.  © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Im Fall des 1988 eingeweihten Frankfurter Jüdischen Museums war die nationalsozialistische Vergangenheit des Historischen Museums der Stadt einer der ausschlaggebenden Gründe gewesen, das Jüdische Museum nicht als Abteilung dieses Museums, sondern als eigenständige Institution zu errichten.36 Insofern erscheinen die beiden folgenden Thesen im Hinblick auf die Ab­ teilung Jüdisches Museum im Berlin Museum plausibel: Ohne die Teilung Berlins und die Trennung Westberlins vom historischen Zentrum der Stadt wäre, wie Ernst Cramer 1990/91 urteilte, in Westberlin kein Neubau geplant worden, um darin die Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum unterzubringen, und ohne die Abschneidung Westberlins vom Berliner stadthistorischen Museum, dem Märkischen Museum, wäre das Jüdische Museum wegen der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit kaum als Abteilung in das stadthistorische Museum integriert worden. Obendrein barg eine Vereinigung von Berlin Museum und Märkischem Museum, das über riesige Sammlungen verfügte  – von den 1,4 Millionen Sammlungsobjekten der beiden Museen entfielen gerade einmal 3.500 Stücke auf die Jüdische Abteilung des Berlin Museums –, die schwer von der Hand zu weisende Gefahr, dass die Abteilung Jüdisches Museum im neuen, vereinten stadthistorischen Museum eine wesentlich geringere Rolle spielen würde als bislang im Berlin Museum. Unter den Sammlungsbeständen des Märkischen Museums mochten auch aus Sicht der Jüdischen Abteilung interessante Stücke sein, doch das änderte institutionell betrachtet an der Verschiebung der Verhältnisse nichts.37 Der Entwurf für den Erweiterungsbau wurde bis zur Grundsteinlegung am 9.  November 1992 intern in Abstimmung zwischen dem Architekten, dem Berlin Museum und den beteiligten Senatsverwaltungen zunächst aus Kostengründen massiv verändert. Der Senat hatte 77 Millionen DM für die Museumserweiterung vorgesehen, die erste Schätzung für den LibeskindEntwurf ergab jedoch 170 Millionen DM. In mehreren Überarbeitungen wurden die Kosten auf 119 Millionen gesenkt.38 Von den Elementen des tatsächlich errichteten Gebäudes, die später am meisten diskutiert werden sollten, 36 Ebd., S. 20, auch: 7. 37 Lackmann, Die Welt in der Zentrifuge. Seit drei Jahrzehnten bemüht sich Berlin um ein Jüdisches Museum, in: Tagesspiegel, 30.4.1995; Kurt Winkler, Sachstandsbericht zur konzeptionellen Vorbereitung der Erstpräsentation im Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, 26.10.1995, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 440–447, hier: 443, vgl. auch S. 64 f. 38 Vgl. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Vorausset­zungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 27; SenKult, Staatssekretär Hanns Kirchner, an Staatssekretär Hans Görler, Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, 20.9.1990, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 328: Berlin Museum, Erweiterungsbau, Bde. 26–28; SenKult III A 2, Vermerk: Gespräch mit Fr. Dr. Bendt über den Erweiterungsbau des Berlin Museums © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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den Voids (Leerstellen), dem später so genannten Holocaust-Turm und dem Garten des Exils, war ursprünglich keines in seiner heutigen Form vorgesehen. Dies wird in Beiträgen zur Entstehungsgeschichte des Libeskind-Baus­ regelmäßig übersehen, erwähnt werden im Zusammenhang mit der Kostenreduktion gewöhnlich nur das Aufrichten der im Wettbewerbsentwurf schiefen Außenwände und die Reduktion der Zahl der externen Voidtürme von vier auf einen (den späteren Holocaust-Turm).39 Die Voids wurden im ersten und zweiten Obergeschoss als hermetisch abgeschlossene Hohlräume, die lediglich durch wenige kleine Guckfenster einsehbar sind, realisiert.40 Ursprünglich waren jedoch an ihrer Stelle an der West- und Ostseite offene und nicht überdachte Schächte vorgesehen, die, weil die entsprechenden Abschnitte der Außenwände des Museums in Glas gehalten werden sollten, auf allen drei Ebenen den Blick, im Erdgeschoss auch den Gang in West-Ost-Richtung durch das Gebäude ermöglicht hätten. Anfänglich gab es Überlegungen, in den Schächten die Namen der ermordeten europäischen oder der ermordeten Berliner Juden anzubringen.41 Die Beam 28.9.1990, 2.10.1990, in: ebd.; SenKult III A 2, Vermerk zum Erweiterungsbau Berlin Museum für Senator, 23.7.1991, in: ebd., Ordner 386. 39 Abbildungen in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S.  72–75; Daniel Libeskind, Gedenkbuch /  6000 000. Explanatory Report, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 327; Grundriss des Untergeschosses im DIN-A-3-Format, undatiert, in: ebd.; Grundriss des Erdgeschosses im DIN-A-3-Format, undatiert, in: ebd. 40 Rolf Bothe, Das Berlin Museum und sein Erweiterungsbau, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum, S. 33–52, hier: 36, 52; ders., Einladung zur ersten Sitzung »Konzepte für den Neubau«, 18.1.1992, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  413–415, hier: 415. 41 »Wenn Schicksal Architektur wird« (Interview von Bernhard Schneider mit Daniel­ Libeskind), in: Berliner Illustrierte Zeitung (Beilage der Berliner Morgenpost), 13.8.1989; »Wie der Direktor des Berlin Museums die Nutzung des Neubaus sieht«, in: Bauwelt, 1989, Nr.  32; Rolf Bothe, Zum Neubau des Jüdischen Museums. Kunstwerk Museum, in: Berlin Museum (Vera Bendt), Judaica Katalog. Abteilung Jüdisches Museum, S. 40 f., hier: 41; Kurt W. Forster, Monstrum mirabile et audax, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum, S. 17–23, hier: 20; Bendt an Staatssekretär Kirchner, 3.9.1990, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 328; SenBauWohn H VII A  – KMS , Dietz, Vermerk: Erweiterungsbau Berlin-Museum mit Abteilung Jüdisches Museum, 1.10.1990, in: ebd.; Senator für Bau- und Wohnungswesen, Nagel, an Senatorin für Kulturelle Angelegenheiten, Martiny, 13.11.1990, in: ebd. Laut dem Konzept von Amnon Barzel vom Oktober 1995 für das Jüdische Museum war zu diesem Zeitpunkt noch vorgesehen, in dem im Kollegienhaus durch Libeskind eingestellten »voided Void«, in dem die Treppe hinunter zum Übergang in den Erweiterungsbau untergebracht war, die Namen der 55.000 aus Berlin deportierten Juden und Jüdinnen anzubringen. Amnon Barzel, Ein Jüdisches Museum für Berlin. Konzeption und räumliche Planungen, Oktober 1995, S. 36, in: Akten Norma Drimmer; vgl. ders., Konzeption des Museums© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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sucher des Museums wären beim Gang durch die Ausstellung im Erdgeschoss und im ersten und zweiten Obergeschoss – in den letzteren beiden war die allgemeine Darstellung der Berlin-Geschichte vorgesehen – immer wieder auf die Namen der Ermordeten gestoßen. Ursprünglich war in dem »integrativen Konzept« von Bothe und Bendt vorgesehen gewesen, dass der Ausstellungsbereich »Juden in der Gesellschaft« eine Übergangszone zwischen den Räumen des Jüdischen Museums und denen zur allgemeinen Berlin-Geschichte bilden sollte. Seit dem Sieg des­ Libeskind-Entwurfs im Wettbewerb war jedoch museumsintern vorgesehen, diesen Ausstellungsbereich an den Schächten, den späteren Voids, zu platzieren. Statt einer Übergangszone sollte es nun also zahlreiche »Inseln« in der Schau zur allgemeinen Berlin-Geschichte zur Darstellung des Themas »Juden in der Gesellschaft« geben.42 Diese Konzeption, die sich aus der Architektur ergab, verschärfte die Machtfrage gewaltig. Wer sollte für die Gestaltung dieser Inseln verantwortlich sein: der Direktor des Berlin Museums oder die Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum? Sollte Ersteres der Fall sein, beschränkte sich die Kompetenz der Leiterin des Jüdischen Museums auf den Kultus und die Gemeindegeschichte im Untergeschoss. Als die Idee der Schächte auch aus Sicherheitsbedenken zugunsten der Voids aufgegeben wurde,43 und damit die Anbringung der Namen der Ermordeten in den Schächten nicht mehr möglich war, wurden stattdessen neue Mahnmalelemente im Untergeschoss angesiedelt, wo die jüdische Eigengeschichte gezeigt werden sollte. Zwar sah der ursprüngliche Entwurf Libes­ kinds externe Voidtürme wie den späteren Holocaust-Turm und auch einen, wenn auch völlig anders gestalteten Garten vor, doch ein »Holocaust-Memorial« – die Bezeichnung, die sich erstmals im April 1990 belegen lässt, geht auf den Architekten selbst zurück, später trat die Benennung »Holocaust-Turm« an ihre Stelle  – und ein »Garten des Exils« waren zu dem Zeitpunkt nicht geplant.44 rundgangs, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 416–439, hier: 417; auch: »Noch einmal nachdenken. Ein Gespräch mit Amnon Barzel über das Holocaust-Mahnmal«, in: SZ , 13.2.1997. 42 »Mehr Raum für die Stadtgeschichte. Gespräch mit Direktor Rolf Bothe über den Erweiterungsbau des Berlin Museums«, in: Berliner Morgenpost, 5.9.1989; Bothe, Zum Neubau des Jüdischen Museums. Kunstwerk Museum, S. 40. 43 Gespräch mit Matthias Reese am 1.4.2009. 44 Daniel Libeskind, Plan Untergeschoss, 24.4.1990, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 327; auch: Berlin Museum, Braun / Föhl, Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum. Kommentar des Berlin Museums zum Baubeschreibungsentwurf vom 22.3.1991, 8.4.1991, in: ebd., Ordner 328; vgl. Kurt Winkler, Ceci n’est pas un musée – Daniel Libeskinds Berliner Museumsprojekt, in: Daniel Libeskind. Radix – Matrix. Architekturen und Schriften, hg. v. Alois Martin Müller, München / New York 1994, S. 122–127, hier: 124. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Gegen diese Veränderungen rebellierte Vera Bendt intern schon im August 1990, weil sie darin den Versuch sah, die Darstellung der allgemeinen Berlin-Geschichte vom Holocaust zu entlasten, ein Wiederaufleben der Tendenz deutscher Museen, jüdische Geschichte und den Holocaust zusammen zu präsentieren, und weil die Memorialarchitektur in ihren Augen drohte, die gesamte kleine Ausstellung zur jüdischen Geschichte im Untergeschoss zu dominieren. Aus diesem Grund wurde sie von Museumsdirektor Bothe, auch auf Wunsch von Daniel Libeskind, ab September 1990 von der weiteren Planung des Baus sowie seiner Bespielung, die von Januar bis Oktober 1992 stattfand, ausgeschlossen.45 Offenbar sah auch Heinz Galinski Anfang dieses Jahres Probleme im Hinblick auf die Stellung des Jüdischen Museums. Denn am 30.  Januar 1992 schrieb der Museumsreferent Reiner Güntzer einen Vermerk für Senator Roloff-Momin, in dem er berichtete, Galinski sei »nicht einverstanden damit, daß das Jüdische Museum eine Abteilung des Berlin-Museums und künftig des Stadtmuseums sein soll«. Galinski habe ihn zu sich »zitiert«, und Güntzer bat den Senator, das Verfahren an sich zu ziehen und den für den 10. Februar vereinbarten Termin aufzuheben.46 Bald darauf erkrankte Galinski schwer und verstarb am 19. Juli 1992, sodass er in dieser Sache nichts mehr unternehmen konnte.47 Wenige Monate später wurde am Jahrestag der Pogromnacht von 1938, dem 9. November, der Grundstein für die Erweiterung des Berlin Museums mit der Abteilung Jüdisches Museum gelegt. In der Überschrift der Presse­ erklärung zur Rede des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen zu diesem Ereignis war von »der Grundsteinlegung für das Jüdische Museum« die Rede.48 Etwas näher am Geplanten, aber ebenfalls unter Vermeidung des 45 Vera Bendt an Staatssekretär Kirchner, 3.9.1990, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 328; Vera Bendt, Stiftung Stadtmuseum, an Sartorius, Senatsverwaltung für Kulturelle An­gelegenheiten (darin: Stellungnahme zum Protokoll vom 29.6.1995), 8.7.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau; vgl. Bendt, Die andere Hälfte, S. 22; Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 62 f. 46 SenKult III A, Güntzer, an Senator Roloff-Momin, 30.1.1992, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 145: V A, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Personal: A. Barzel, V. Bendt, Auswahlverfahren 1993, Bde. 1–3, 1992 – Okt. 1993. Am 10.4.1992 schrieb Museumsdirektor Bothe an den Staatssekretär Hermann Hildebrandt in der Kulturverwaltung: »Obwohl der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde den Neubau-Entwurf Libeskinds und das dort zu verwirklichende integrative Modell akzeptiert, wünscht er eine Stärkung der Jüdischen Abteilung, die in Selbständigkeit und Verantwortung an die Stellung des Direk­tors heranreichen soll.« Bothe an Staatssekretär Hermann Hildebrandt, 1.4.1992, in: ebd. 47 Vgl. Klaus Schütz, Heinz Galinski, S. 62. 48 Presseerklärung: Anläßlich der Grundsteinlegung für das Jüdische Museum am 9. November 1992 führte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, unter © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abteilungsbegriffs hieß es in der Überschrift des Pressetextes zur Rede von Bausenator Wolfgang Nagel zur Grundsteinlegung »Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum«.49 Zwei Monate zuvor, am 8. September, hatte Senator Nagel im Israel Museum in Jerusalem allerdings anlässlich der Ausstellungseröffnung »Erweiterung des Berlin Museum mit dem Jüdischen Museum« von der »Erweiterung des Berlin Museums (Jüdisches Museum)« und der bevorstehenden »Grundsteinlegung für dieses Jüdische Museum« gesprochen.50 Rolf Bothe, der Direktor des Berlins Museums  – Vera Bendt, die Leiterin der Jüdischen Abteilung, sprach zur Grundsteinlegung nicht –, redete in seiner Ansprache am 9.  November 1992 hingegen vom »Erweiterungsbau«, allerdings auch vom »Jüdischen Museum«, das ins Berlin Museum eingegliedert werden solle. Auch bei Bothe fiel im Zusammenhang mit dem Jüdischen Museum der Abteilungsbegriff nicht.51 Im Informationsblatt des Berliner Senats für emigrierte Berliner, Aktuell, wurde anschließend in einer kurzen Meldung von der Grundsteinlegung »für die Errichtung des Jüdischen Museums«, berichtet.52 Genauso irreführend wie die Pressemitteilungen von Diepgen und Nagel zur Grundsteinlegung waren die Vorworte der beiden sowie von Kultursenator Roloff-Momin im 1992 als Begleitbuch zur erwähnten Ausstellung im Israel Museum erschienenen deutsch-englischen Band­ »Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum«.53 Die Politiker der großen Koalition in Berlin hätten sich und anderen viel Ärger erspart, wenn sie auf die deutlichen Warnungen in dem Vortrag des an der Technischen Universität Berlin lehrenden Historikers Reinhard ­Rürup

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anderem aus, hg. v. Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, in: Akten Norma Drimmer. Rede von Bausenator Wolfgang Nagel anläßlich der Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus des Berlin Museums mit Jüdischem Museum am 9. November 1992, in: ebd. Rede von Wolfgang Nagel, Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin, am 8.9.1992 im Israel Museum in Jerusalem, in: ebd. Rede gehalten von Prof. Dr. Rolf Bothe zur Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus am 9. November 1992, in: ebd. Die Reden aus Anlass der Grundsteinlegung für den Er­ weiterungsbau am 9. November 1992 sind in der vom Verein der Freunde und Förderer des Stadtmuseums Berlin herausgegebenen Dokumentation über das Jüdische Museum nicht abgedruckt. »Berlin bekommt ein Jüdisches Museum«, in: Aktuell, Nr. 52, 1993. Diepgen: »Die Erweiterung des Berlin-Museums wird ein Jüdisches Museums beherbergen« und »das Jüdische Museum als Erweiterung des Berlin Museums«. Eberhard Diepgen, Vorwort, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum, S.11; Nagel: »die geplante Errichtung eines jüdischen Museums als integraler Bestandteil des Berlin Museums«, in: ebd., S. 13 f., hier: 13; Roloff-Momin: »Im November 1992 wird der Grundstein für den Neubau des Jüdischen Museums gelegt.«, in: ebd., S. 15. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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auf dem Festakt anlässlich der Grundsteinlegung im Kammermusiksaal der Philharmonie gehört hätten. Rürup, der als Sachverständiger dem Realisierungswettbewerb 1989 beigewohnt hatte, erklärte, Anlass für den Festakt, er zitiere die umständliche Formulierung bewusst, sei die Grundsteinlegung für einen »Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum« und wies darauf hin, dass in der vom Senatsprotokoll verschickten Einladung »leicht abweichend« vom »Berlin Museum mit Jüdischer Ab­ teilung« die Rede sei.54 Tatsächlich sei an ein »Museum im Museum« gedacht, womit – wenn er das richtig verstanden habe  – »gleichermaßen die Eigenständigkeit der jüdischen Geschichte und ihre Integration in die allgemeine Stadtgeschichte« ausgedrückt werden solle. Dann folgte der hellsichtige Kommentar: »Das ist eine ungewöhnliche, anspruchsvolle und gewiss nicht einfache Konstruktion, deren Grundüberlegungen unmittelbar einleuchten, deren Praktikabilität sich in dem neuen Gebäude freilich erst noch erweisen muss.«

Zudem wies Rürup darauf hin, dass – was angesichts der öffentlichen Kommunikation der Erweiterung des Berlin Museums durch den Senat seit 1988 kein Wunder war – der Erweiterungsbau, obwohl er niemals ausschließlich für die Darstellung der jüdischen Geschichte vorgesehen gewesen sei, in der­ Öffentlichkeit von Anfang an als »das neue Jüdische Museum« verstanden worden sei.55 Seit April des Jahres 1992 hatte zunächst Museumsdirektor Rolf Bothe und dann auch Reiner Güntzer, der Museumsreferent der Kulturverwaltung, den Plan entwickelt, die Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum, Bendt, vollends an den Rand zu drängen, indem sie für das Jüdische Museum über der Oberkustodenstelle von Bendt eine eigene Direktorenstelle schaffen wollten.56 54 Zur Teilnahme Rürups an den Sitzungen der Jury im Realisierungswettbewerb 1989: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Vorprüfbericht, Beilage 1: Ergebnisprotokoll der Sitzung des Preisgerichts am 22. Juni und 23. Juni 1989, Anwesenheitslisten 22.6. und 23.6., jeweils S. 2. 55 Festvortrag zur Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus des Berlin Museums am 9. November 1992 gehalten im Kammermusiksaal von Professor Dr. Rürup, S.  1, in: Akten Norma Drimmer. Dass der Erweiterungsbau vom Zeitpunkt der ersten Planung an in der Öffentlichkeit »vor allem« als Neubau eines Jüdischen Museums verstanden wurde, stellte im Januar 1995 auch der Mitarbeiter des Berlin Museums Kurt Winkler fest: Kurt Winkler im Auftrag des Berlin Museums, Ein Museum für Berlin. Die Erstpräsentation der stadtgeschichtlichen Sammlungen im Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, Januar 1995, S. 5, in: ebd. 56 Bothe, Vermerk, 30.4.1992, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 145; Bothe an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, 22.6.1992, in: ebd.; SenKult III A 2, Güntzer, an Senator, Vermerk: Berlin Museum. Nachfolge Prof. Dr. Bothe und Leitung © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Ende 1992 bezog Kultursenator Roloff-Momin Jerzy Kanal, den neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, und Hanns-Peter Herz, den Vorsitzenden der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, in die geplante Ausschreibung der neuen Direktorenstelle für das Jüdische Museum mit ein. Herz lehnte dieses Vorgehen in einem Brief an Roloff-Momin mit deutlichen Worten ab. Er halte die Berufung eines Direktors vor der erforderlichen Klärung des Status des Jüdischen Museums für die falsche Reihenfolge. Konsequent verweigerte Herz die Mitarbeit bei der Auswahl eines neuen Direktors. Er bezeichnete gegenüber dem Kultursenator, wie es auch Bendt einige Monate später gegenüber der Kulturverwaltung tat, unmissverständlich die Abhängigkeit der Leitung des Jüdischen Museums von der des Berlin Museums als das eigentliche Problem.57 Als Herz sich mit dieser Position nicht durchsetzen konnte, schied er 1994 als Vorsitzender der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum aus.58 Binnen drei Jahren verlor die Gesellschaft damit ihre drei Führungsfiguren: Ernst Cramer, Heinz Galinski und Hanns-Peter Herz. Die Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum, Vera Bendt, der diese Pläne nicht verborgen blieben, hatte am 16. Dezember 1992, wenige Monate nach dem Tod von Galinski und gut einen Monat nach der Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus für das Berlin Museum, erstmals in der Repräsentanten­ versammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin über das Jüdische Museum gesprochen. Sie hielt eine Brandrede, in der sie erklärte, sie habe sich seit vielen Jahren allein mit der Konstitution für ein Jüdisches Museum befasst, weil sich niemand sonst damit habe beschäftigen wollen. Das Thema sei tabu gewesen. Was die Konstituierung des Jüdischen Museums betreffe, liege alles brach. Es gebe ein Bauprojekt für einen aufwendigen Neubau, aber es gebe »kein­ adäquates Museumsprojekt«. Für das »Jüdische Museum« gebe es als Museum keine Rechtsgrundlage, ja, sie behaupte, selbst für die »Jüdische Abteilung« gebe es die nicht. Intern werde im Hinblick auf das aus der Vereinigung von Berlin Museum und Märkischem Museum entstehende stadtgeschichtliche Museum bereits wieder von einer »jüdischen Abteilung« gesprochen. Bendt urteilte über die unklare Stellung des Jüdischen Museums im Berlin Museum be­ziehungsweise in der geplanten Stiftung Stadtmuseum: der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums, 11.9.1992, in: ebd.; Bothe an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, 26.10.1992, in: ebd. 57 Hanns-Peter Herz, Vorsitzender Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, an Dominik Bartmann, Berlin Museum, 14.12.1992, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 173; Herz an Senator Roloff-Momin, 28.12.1992, in: ebd., Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Personal, Dr. Bendt, Bde. 1–3, Kopien; Bendt an Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Fischer, 24.5.1993, in: ebd., Ordner 173. 58 »Jüdisches Museum: Neuer Gesamtvorstand«, in: Tagesspiegel, 10.6.1994. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Wenn diese prinzipielle Kompetenzfrage nicht gelöst wird, ist das Museumsprojekt Jüdisches Museum zum Scheitern verurteilt. Es wird dann ein Bauprojekt realisiert, das zum Denkmal für die Instrumentalisierung eines politisch wirksamen Argumentes der 70er und 80er Jahre wird. Das Argument hieß ›Erweiterungsbau des Berlin Museums für das Jüdische Museum‹.«

Bendt forderte die Repräsentanten auf, »eine kleine Arbeitsgruppe zu bilden«, um sich mit diesem dringenden Thema zu beschäftigen.59 Im Bericht der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung über die Sitzung war zu lesen, Bendt habe die Versammlung mit ihrer Brandrede »überrascht«.60 Keine zwei Monate nach dem Auftritt Bendts vor der Repräsentantenversammlung deutete sich in der Berlin-Umschau. Nachrichten aus der Jüdischen Gemeinde im Februarheft 1993 eine Positionsveränderung der Gemeindeführung im Hinblick auf die Abteilung Jüdisches Museum an. In den Ankündigungstexten in der Rubrik »JÜDISCHES MUSEUM im Berlin-Museum« war nicht mehr vom »Jüdischen Museum (Abteilung des Berlin Museums)« die Rede, sondern wie in der Überschrift vom »Jüdischen Museum im Berlin Museum«.61 Bendt wandte sich ein halbes Jahr später auch an die Kulturverwaltung. Sie forderte, im Hinblick auf das »Jüdische Museum im Berlin Museum« die Differenz zwischen den Begriffen Jüdisches Museum und Jüdische Abteilung aufzuheben und eine Identität zwischen Namen und Institution herzustellen, und warnte: »Geschieht dies nicht, wird das Neubauprojekt ein Fiasko der Museumsgeschichte und zum Debakel in der Berliner Kulturlandschaft werden.«62

Der Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal akzeptierte den Plan von Museumsdirektor Rolf Bothe und der Kulturverwaltung zur Einrichtung einer Direk­ torenstelle für das Jüdische Museum im Gegenzug für die Zusage, in Ver­ handlungen zwischen Gemeinde und Kulturverwaltung die Stellung des Jüdischen Museums im Berlin Museum zu klären. Allerdings verhinderte Kanal anschließend nicht, dass die Verhandlungen auf die Zeit nach der Be­ rufung für die neue Direktorenposition des Jüdischen Museums vertagt wurden. Damals war die Jüdische Gemeinde offenbar politisch nicht besonders handlungsfähig – dies war nach dem Tod von Galinski, der die Gemeinde zuvor 43 Jahre lang autoritär geleitet hatte, und angesichts der rasanten Mehr59 Peter Ambros, Aus der Repräsentanz (Sitzung vom 16.12.1992), in: Berlin-Umschau, 4 (1993), Nr. 3, S. 6–8, hier: 7 f. 60 Adina Voges, Not am Mann in Erziehungsfragen. Repräsentantenversammlung diskutierte bis tief in die Nacht, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 24./31.12.1992. 61 Berlin-Umschau, 4 (1993), Nr. 2, S. 7. 62 Bendt an Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Fischer, 24.5.1993, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 173. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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heitsverschiebung in der Gemeinde durch die so genannten Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion auch kein Wunder. Schon 1993 machten Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion bereits 70 Prozent der Gemeinde­mitglieder aus.63 Die Handlungsfähigkeit der Gemeinde in Sachen Jüdisches Museum war wohl zusätzlich beeinträchtigt, weil es in ihren Reihen drei prominente Mitglieder gab, die unabhängig davon, was sie zu verschiedenen Zeitpunkten anstrebten oder nicht anstrebten, als potenzielle Kandidaten für den Direktorenposten des Jüdischen Museums in Betracht kamen: Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße, der aus einer alteingesessenen Berliner jüdischen Familie stammte, und zwei weitere Historiker, Andreas Nachama und Julius H. Schoeps, die 1992 die großangelegte Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« im Martin-Gropius-Bau mitkuratiert hatten .64 Dass Hanns-Peter Herz und Vera Bendt mit ihrer Position, das alles entscheidende Problem sei die Frage der Stellung der Abteilung Jüdisches­ Museum, richtig lagen, bestätigen Äußerungen von Dominik Bartmann, dem kommissarischen Leiter des Berlin Museums nach dem Weggang von Rolf Bothe, und Kurt Winkler, seit 1992 Projektmanager des Berlin Museums für den Erweiterungsbau. Der kommissarische Museumsdirektor Bartmann fragte den Museumsreferenten Güntzer in einem Brief vom Juli 1993, wie sich das Verhältnis zwischen ihm und dem künftigen Direktor des Jüdischen Museums, der ja im Vergleich zu Vera Bendt, der bisherigen Leiterin im Range einer Oberkustodin, höher gestellt sein würde, bis zur Gründung der Stiftung Stadtmuseum gestalten würde. Zwar erfordere das integrative Modell ein hohes Maß an Kooperation, dennoch müsse man bei der Ausstellungsgestaltung im Konfliktfall wissen, »wer letztendlich entscheidet«.65 Kurt Winkler schrieb in seinem ausführlichen Konzept für die Erstpräsentation im »Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum« vom Januar 1995 in nicht zu überbietender Klarheit:

63 Peter Ambros, Aus der Repräsentanz (Sitzung vom 27.4.1993), in: Berlin-Umschau, 4 (1993), S. 11. 64 Jüdische Lebenswelten. Essays, hg. von Andreas Nachama / Julius H.  Schoeps / Edward van Voolen, Frankfurt a. M. 1991; Jüdische Lebenswelten. Dokumentation der Aus­ stellung, hg. v. Andreas Nachama / Gereon Sievernich, Frankfurt a. M. 1992; vgl. Zipes, The contemporary German Fascination for Things Jewish, S. 21; Y. Michael Bodemann, A Reemergence of German Jewry, in: Gilman / Remmler (Hg.), Reemerging Jewish Culture in Germany, S. 46–61, hier: 57; Bertz, Jewish Museums in the Federal Republic of Germany, S. 98. 65 Bartmann an Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Güntzer, 2.7.1993, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 145. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Es wäre freilich naiv zu glauben, daß die Konstruktion eines administrativ halb autonomen, halb nachgeordneten Jüdischen Museums nicht zu Konflikten führt. Selbst Fachkollegen in anderen Berliner Museen ist kaum zu vermitteln, ob der Libeskind-Bau nun das Jüdische Museum mit stadtgeschichtlichem Schwerpunkt, oder das Stadtmuseum mit Jüdischem Annex darstellt. Für die tägliche Arbeit ist ein definierter Modus der Entscheidungsfindung unabdingbar. […] Das integrative Modell ist daher weniger ein Problem der Inhalte, als eine Herausforderung für Administration und Management.«66

Keiner der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung nahm die Warnungen von Reinhard Rürup, Hanns-Peter Herz und Vera Bendt sowie Dominik Bartmann und Kurt Winkler ernst. Offenkundig glaubte man in der Kulturverwaltung und im Senat, man werde in der Lage sein, die fortdauernde Einordnung des »Jüdischen Museums« als Abteilung in die Hierarchie des Berlin Museums beziehungsweise der Stiftung Stadtmuseum durchzusetzen, obwohl man in entscheidenden Situationen wiederholt den Eindruck erweckt hatte, bei der Erweiterung des Berlin Museums handele es sich um ein Jüdisches Museum. Deshalb kam es nach der Besetzung der 1993 ausgeschriebenen Direktorenstelle für das Jüdische Museum zum großen Konflikt. Bei den Verhandlungen mit der Kulturverwaltung über die Auswahl des Direktors für das Jüdische Museum konnte die Jüdische Gemeinde durch­ setzen, dass der Direktor, die Direktorin jüdisch sein musste und dass niemand ohne die Zustimmung der Gemeinde eingestellt werden würde, ihr bei der Entscheidung also ein Veto zukam.67 Einer Äußerung des Gemeindevorsitzenden Jerzy Kanal am 13. Januar 1993 in der Repräsentantenversammlung ist zu entnehmen, dass er Vera Bendt, die bisherige Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum, die sich auch auf die Direktorenstelle bewerben sollte, offenbar nicht als passende Kandidatin für diesen Posten betrachtete. Er sagte: »Es wäre wünschenswert, für die Position des Direktors einen Juden zu gewinnen, es sei jedoch nicht einfach, eine dafür geeignete Person zu finden.«68 In der von der Kulturverwaltung im Juni und Juli 1993 in deutschen Zeitungen und der International Herald Tribune geschalteten Stellenanzeige für die Museumsdirektorenstelle hieß es, gesucht werde ein Museumsdirektor und Professor »für das in dem neuen Erweiterungsbau des Berlin Museums einzurichtende Jüdische Museum« und das Arbeitsgebiet wurde unter ande66 Kurt Winkler im Auftrag des Berlin Museums. Ein Museum für Berlin. Die Erstpräsentation der stadtgeschichtlichen Sammlung im Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, Januar 1995, S. 22, in: Akten Norma Drimmer. 67 »Aus der Repräsentanz« (Sitzung vom 17.2.1993), in: Berlin-Umschau, 4 (1993), Nr.  5, S. 10 f. 68 »Aus der Repräsentanz« (Sitzung vom 13.1.1993), in: Berlin-Umschau, 4 (1993), Nr.  4, S. 10. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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rem mit den Worten beschrieben: »Leitung des Jüdischen Museums im Berlin Museum« – einmal mehr wurde an einer wichtigen Wegmarke das Wort »Abteilung« vermieden.69 Vollends grotesk erscheint der Text der Stellenanzeige vor dem Hintergrund, dass gut zwei Monate später der Jüdischen Gemeinde Auszüge aus dem Entwurf für die Gesetzesvorlage über die Errichtung der Stiftung Stadtmuseum Berlin zugeleitet wurde, in dem es hieß: »Es wird noch zu prüfen und mit der Jüdischen Gemeinde zu klären sein, ob der – seit der Aspen-Tagung 1988 allgemein gewünschte – Titel ›Jüdisches Museum im Berlin Museum‹ nach der Wiedervereinigung Berlins und angesichts der Museums-Pläne des Centrum Judaicum mißverständlich werden könnte; dann wäre die Verwendung des früheren – und insoweit unmißverständlicheren – Namens ›Jüdische Abteilung‹ für das Stadtmuseum erneut zu diskutieren.«70

Laut einer späteren Aussage Günther Gottmanns, des Vorsitzenden des Landesverbandes der Museen zu Berlin, vor dem Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses, war bei der Ausarbeitung des Museumsstiftungsgesetzes zur Gründung der Stiftung Stadtmuseum 1992/93 zunächst vorgesehen gewesen, dass der Direktor des Jüdischen Museums zugleich stellvertretender Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum sein solle, was jedoch nicht eingelöst wurde.71 In der Auswahlkommission für die Besetzung der Direktorenstelle des Jüdischen Museums waren mit Norma Drimmer und Roman Skoblo zwei Mitglieder der Jüdischen Gemeinde vertreten, außerdem – mit der Begründung, dass der Direktor des Jüdischen Museums in den ersten Jahren seiner Amtstätigkeit eng mit ihm zusammenarbeiten müsse – der Architekt des Erweiterungsbaus, Daniel Libeskind. Die Kommission entschied sich am 23./24. November 1993 für den israelischen Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher 69 Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Stellenausschreibung: Museumsdirektor und Professor für das Jüdische Museum, Juni / Juli 1993, abgedruckt in: Weinland /  Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 337; Westpress Werbeagentur an Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, 22.6.1993, in: Akten Senats­ verwaltung, Ordner 145. 70 SenKult III A (M), Vorlage Stadtmuseum Berlin (Stand: September 1993), 29.9.1993, S. 132, in: Akten Norma Drimmer. 71 Abgeordnetenhaus von Berlin, 13.  Wahlperiode, Wortprotokoll, Ausschuß für Wissenschaft, Forschung und Kultur, 8.  Sitzung, 20.10.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 1, Senats-Vorlage JM Beschluß v. 5.5.98, Kopien. Ähnlich äußerte sich 1997 auch Andreas Nachama: Volker Müller, Der Libeskindbau verdient kein Ende mit Schrecken. Zur Kündigung von Amnon Barzel als Direktor des Jüdischen Museums, in: Berliner Zeitung, 28./29.6.1997; Mariam Niroumand, Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, über die zukünftige Konzeption des Jüdischen Museum, die Bedeutung des Libeskind-Baus und den Streit nach der Entlassung des Museumsdirektors Amnon Barzel, in: taz, 7.7.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Amnon Barzel.72 Dieser leitete zu dieser Zeit als Gründungsdirektor das Museum Luigi Pecci für zeitgenössische Kunst in Prato bei Florenz und stammte aus einer Familie kabbalistischer Juden, die bereits 1842 aus Galizien nach Zefat in Palästina übergesiedelt war.73 Barzel berichtete später, es seien die Libeskinds gewesen, die ihn förmlich bekniet hätten, sich auf die Stelle in Berlin zu bewerben.74 Die Entscheidung der Auswahlkommission für Barzel war insofern sehr gewagt, als dieser kaum Deutsch konnte. Aus diesem Grund empfahl die Kommission die Besetzung einer zusätzlich zu schaffenden Hauptkustodenposition mit Hermann Simon, der sich auch auf die Direktorenstelle beworben hatte. Zudem forderte sie im Hinblick auf die künftige Arbeit im Libeskind-Bau, die Finanzausstattung des Jüdischen Museums »substantiell« zu verbessern.75 Der Historiker Julius H. Schoeps und die emeritierte Judaistin Marianne Awerbuch, die lange an der Freien Universität Berlin gelehrt hatte, intervenierten beim Regierenden Bürgermeister Diepgen, weil sie Barzel vor allem wegen der fehlenden Sprachkenntnisse nicht für qualifiziert hielten.76 Dieser zögerte daraufhin über Monate die Entscheidung über die tatsächliche Einstellung Barzels hinaus.77 Nachdem sich der Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal in einem Brief an Eberhard Diepgen für Barzel ausgesprochen hatte, wurde dieser schließlich bestellt.78 Die offizielle Amtseinführung fand im Juli 1994 statt. 72 Senator Roloff-Momin an den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jerzy Kanal, 11.12.1992, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 674: Berlin Museum Erweiterungsbau, 16.9.92–31.12.93, Bde. 33–34; Protokoll der Jury zur Auswahl des Direktors für das Jüdische Museum, 25.11.1993, in: ebd., Ordner 146. 73 »Neuer Direktor des Jüdischen Museums Berlin: Amnon Barzel«, in: Aktuell, Nr.  54, 1994; Zafrir Cohen, Amnon Barzel, in: Berlin-Umschau, 6 (1995), Nr. 2, S. 17; vgl. Lackmann, Jewrassic Park, S. 51. 74 Thomas Lackmann, »Schütze Gott uns vor solchen Leuten!« Der Missionar und sein Minenfeld. Amnon Barzel, der Ex-Direktor des Jüdischen Museums Berlin, über nette Feinde, unangenehme Freunde, die Bluthochzeit mit den Deutschen und das lebenswerte Leben, in: Tagesspiegel, 30.10.1998. 75 Protokoll der Jury zur Auswahl des Direktors für das Jüdische Museum, 25.11.1993, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 146. 76 Julius H.  Schoeps an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 6.12.1993, in: Akten Norma Drimmer; Marianne Awerbuch an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 7.1.1994, in: ebd.; SenKult III A 4, Geschke, Vertrauliches Protokoll über das Auswahlverfahren zur Besetzung der Stelle Leitung Jüdisches Museum im Berlin Museum, 28.12.1993, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143: V A, Stiftung Stadtmuseum, Personal: A. Barzel, Bde. 7–9, ab 1.1.1995. 77 Regierender Bürgermeister, Diepgen, an Senator für Kulturelle Angelegenheiten, RoloffMomin, 17.1.1994, in: ebd., Ordner 146. 78 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, Kanal, an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 8.2.1994, in: Akten Norma Drimmer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

V. Der Streit um das Jüdische Museum zur Zeit seines ersten Direktors Amnon Barzel 1994–1997

Zur Amtseinführung Amnon Barzels als Direktor des Jüdischen Museums erklärte Kultursenator Ulrich Roloff-Momin den Erweiterungsbau des Berlin Museums anders als noch 1991/92 nicht zum Jüdischen Museum, aber er bezeichnete dieses als dessen »Hauptnutzer«. Auch das traf nicht zu, weil das Raumprogramm des Realisierungswettbewerbs 1988/89 der Abteilung Jüdisches Museum lediglich ein knappes Drittel der Ausstellungsflächen zugewiesen hatte, und auf diesen Anteil kam man auch nur dann, wenn man die Ausstellungsflächen für das Thema »Juden in der Gesellschaft« der Abteilung Jüdisches Museum zurechnete.1 Amnon Barzel meldete sich schon bald nach seiner Amtseinführung regelmäßig in diversen Printmedien zu Wort, darunter Ende November 1994 in der Washington Post. Er kritisierte das Fehlen eines Etats für den Aufbau des Berliner Jüdischen Museums und dessen mangelhafte Personalausstattung. Dem war tatsächlich so: Der jährliche Etat für Ausstellungen betrug gerade einmal 150.000 DM, d. h. Berlin baute für 120 Millionen Mark einen »Erweiterungsbau für das Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum«, hatte jedoch keinen Etat für die Einrichtung des Jüdischen Museums eingeplant. 1 Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Presseunterlagen zur Amtseinführung des Direktors des Jüdischen Museums Amnon Barzel, 6.7.1994 – Berlin Museum, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 146: V A, Stiftung Stadtmuseum, Personal: A. Barzel, Bde. 4–6, 29.10.1993–31.12.1994. In einem Schreiben an Barzel vom 29.3.1995 bezeichnete Roloff-Momin das Jüdische Museum erneut als »Hauptnutzer« des Erweiterungsbaus: Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, an Barzel, 29.3.1995, S. 7, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; zum Raumprogramm des Erweiterungsbaus: Der Senator für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung ­BERLIN­ MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM , 1988/89, S.  65 f.; auch: Renate Altner / Dominik Bartmann, Zur Präsentation der Berlingeschichte im Libeskindbau, in: Ein Museum für Berlin. Positionen zum Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum von Daniel Libeskind, hg. v. Berlin Museum und Märkischem Museum aus Anlaß des Richtfestes am 5. Mai 1995, Berlin 1995, S. 12–18, hier: 17 (Altner und Bartmann kamen, weil sie die im Raumprogramm des Realisierungswettbewerbs genannte Wechselausstellungsfläche der Abteilung Jüdisches Museum und die Ausstellungsfläche »Juden in der Gesellschaft« nicht mitzählten, für das Jüdische Museum sogar nur auf einen Flächenanteil von einem knappen Viertel im Erweiterungsbau). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Dominik Bartmann, der kommissarische Direktor des Berlin Museums, hatte Kultursenator Roloff-Momin im Januar 1994 gewarnt, sollten im Ber­ liner Doppelhaushalt 1995/96 keine Mittel für die Erstpräsentation im Erweiterungsbau des Berlin Museums eingeplant werden, »so ist ein kulturpolitisches Desaster vorprogrammiert, denn insbesondere die jüdische Welt wird den Umgang Deutschlands mit seiner Vergangenheit daran messen, wie sich in der deutschen Hauptstadt ein Museum präsentiert, das mit der Losung der Integration von Geschichtsmuseum und Jüdischem Museum antritt«.2

Der aus der Toskana zugezogene Barzel äußerte gegenüber der Washington Post auch Unmut ganz anderer Art über Berlin: Hier bekomme man nicht eine Flasche guten Weins, wie auch das Wetter zu wünschen übriglasse.3 Später, im August 1995, als der Streit um das Jüdische Museum schon eskaliert war, warf Barzel der Stadt mangelnden Enthusiasmus für Kultur vor und konstatierte gegenüber der taz: »Ich habe noch nie in einer so ärmlichen Stadt ge­ useum lebt.«4 Seine Parole lautete: Berlin muss zeigen, dass es ein Jüdisches M will. Aber nicht nur Berlin gegenüber ging Amnon Barzel auf Konfrontation. Im März 1995 kritisierte er den Bundespräsidenten Roman Herzog. Die SZ schrieb: »Da konnte er [Barzel] in der Zeitung lesen, daß Bundespräsident Roman Herzog die Schirmherrschaft für einen deutschen Förderverein für das zukünftige Jüdische Museum in Warschau übernommen hat. Nun wundert sich Barzel über dieses Land, in dem sich der ranghöchste politische Repräsentant für ein jüdisches Museum in Warschau einsetzt, während gleichzeitig das Jüdische Museum vor der Haustür stiefmütterlich behandelt wird.«5

Wenige Monate später sagte Barzel der taz mit Blick auf die deutsche Wirtschaft: »[I]ch will von allen großen deutschen Konzernen hören, ob sie das Jüdische Museum finanziell unterstützen. All diese großen Firmen, die es schon zur Nazizeit gab: Sie-

2 Dominik Bartmann, Kommissarischer Direktor Berlin Museum, an Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Roloff-Momin, 13.1.1994, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 144: II A, Erweiterungsbau Berlin Museum, Bde. 35, 1.1.1994–31.3.1995 + Ergänzungs BPG Altbau. 3 »The Berlin Squall: For the Jewish Museum, a Stormy Evolution«, in: Washington Post, 26.11.1994. 4 Claudia Hart, Zu wenig Enthusiasmus für die Kultur. »Ich habe noch nie in einer so ärmlichen Stadt gelebt«: Ein Gespräch mit dem Leiter des Jüdischen Museums, Amnon Barzel, in: taz, 18.8.1995. 5 Marianne Heuwagen, Ein Bau ohne Geld. Über die Schwierigkeiten, das Jüdische Museum in Berlin zu betreiben, in: SZ , 9.3.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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mens, Mercedes, AEG. Wenn sie nein sagen, möchte ich ihr Nein hören. Und wenn sie nein sagen, möchte ich eine besondere Arbeit dazu in Auftrag geben. Ich bin mir sicher, daß [der Künstler, D. B.] Hans Haacke gerne helfen wird.«6

Barzel war, darin waren sich seine Freunde und Feinde schnell einig, ein brillanter Rhetoriker, aber kein Diplomat. Mit seiner internationalen Kampagne – um eine solche handelte es sich – wandte er genau die Methode an, mit welcher Rolf Bothe, der Direktor des Berlin Museums, und der Architekt Daniel Libeskind mit Rückendeckung des Kultursenators Ulrich Roloff-Momin 1991 den Erweiterungsbau des Berlin Museums als »Jüdisches Museum« vor den Einsparmaßnahmen nach der Wiedervereinigung gerettet hatten. Barzel wollte mit seiner Kampagne entsprechend der Stellenausschreibung, auf die er sich beworben hatte, auch tatsächlich der Direktor eines Jüdischen Museums werden. Das gesamte inhaltliche Spektrum des Streits zwischen Direktor Barzel auf der einen und Reiner Güntzer, dem langjährigen Museumsreferenten der Senatsverwaltung für Kultur, ab Sommer 1995 dann als Generaldirektor der neu gegründeten Stiftung Stadtmuseum Berlin unmittelbarer Vorgesetzter von Barzel, und der Senatsverwaltung für Kultur auf der anderen Seite entfaltete sich bereits in den ersten Monaten. Barzel forderte viel mehr Geld und Personal sowie Autonomie und bald auch den gesamten Libeskind-Bau für das Jüdische Museum. Die Senatsverwaltung entgegnete, Barzel solle erst einmal ein Konzept vorlegen, und wiederholte diese Forderung auch dann noch, als bereits  – freilich missliebige – Konzepte Barzels vorlagen. Daneben drehte sich der Streit auch darum, ob das Jüdische Museum seinen Schwerpunkt auf die historische Dauerausstellung legen sollte oder auf Wechselausstellungen von zeit­ genössischen Künstlern zu jüdischen Themen, wie Barzel forderte, dessen persönliche Vorliebe als ehemaliger Leiter der israelischen Sektion auf den Biennalen von Venedig und São Paulo die Gegenwartskunst war. In der öffentlichen Diskussion ging es vor allem um die Frage der Auto­ nomie. Die Argumente der beiden Seiten sind schnell aufgezählt: Diejenigen, die die Eingliederung des Jüdischen Museums als Abteilung in das Berlin­ Museum, beziehungsweise die 1995 gegründete Stiftung Stadtmuseum, verteidigten, verwiesen vor allem auf die internationale Fachtagung des Aspen Instituts 1988, die das »integrative Konzept«, befürwortet habe, weil die jüdische von der berlinischen Geschichte untrennbar sei. Das zweite Hauptargument von Güntzer, der Senatsverwaltung und ihren Unterstützern war die Berufung auf Heinz Galinski, den 1992 verstor­ benen jahrzehntelangen Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde. Die6 Hart, Zu wenig Enthusiasmus für die Kultur, in: taz, 18.8.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ser habe ein selbstständiges jüdisches Museum abgelehnt, weil ein solches das »Ghetto auf dem höheren Niveau der Kulturinstitutionen« wiederholt hätte. Das Schlagwort war hier, es gelte eine »Ghettoisierung« des Jüdischen Museums zu vermeiden. Außerdem beriefen sich die Gegner Barzels auf die Architektur des Libeskind-Baus, der die Durchdringung von jüdischer und berlinischer Geschichte auf einzigartige Weise verkörpere, zum Beispiel etwa dadurch, dass den Besuchern der Zugang zum Libeskind-Bau nur durch das barocke Kollegienhaus möglich sei. Schließlich argumentierten sie, die Sammlung der Jüdischen Abteilung reiche nicht annähernd aus, um den­ Libeskind-Bau zu bespielen, und die Kosten für ein selbstständiges Jüdisches Museum würde den Rahmen des Berliner Museumsetats völlig sprengen. Die Befürworter eines autonomen Jüdischen Museums hatten folgende Argumente: Erstens habe sich durch den Mauerfall 1989 und durch die Entscheidung des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1991, Berlin wieder zum Sitz von Bundestag und Bundesregierung zu machen, alles verändert. In der deutschen Hauptstadt müsse es ein angemessenes jüdisches Museum geben; wie könne man rechtfertigen, dass es vielerorts in Europa eigenständige jüdische Museen gebe, aber ausgerechnet das Jüdische Museum in der deutschen Hauptstadt sich mit dem Status einer Abteilung des Stadtmuseums begnügen müsse? Nach dem Holocaust verbiete es sich, zweitens, in einem jüdischen ­Museum in Deutschland jüdische Geschichte aus der Perspektive der Mehrheit zu erzählen. Die Deutschen müssten sich der Perspektive der jüdischen Minderheit stellen. Ein jüdisches Museum aus der Perspektive der Minderheit verbiete es auch, dessen Leiter dem Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin zu unterstellen. Drittens könne man ein jüdisches Museum in Berlin schlechterdings auf berlinische jüdische Geschichte begrenzen, weil von Berlin aus die Vernichtung der europäischen Juden geplant und gesteuert wurde. Viertens, sei es offensichtlich, dass der Libeskind-Bau mit seinen Architekturelementen Holocaust-Turm, Garten des Exils und Voids ein Jüdisches Museum sei. Ihre erste für die interessierte Öffentlichkeit erkennbare Eskalationsstufe erreichte die neue Etappe der Auseinandersetzung um das Jüdische Museum, die mit der Berufung von Amnon Barzel zum Museumsdirektor begonnen hatte, mit dem Richtfest des Erweiterungsbaus am 5.  Mai 1995. Der Direktor des Jüdischen Museums war für diesen Anlass zunächst nicht als Redner vorgesehen. Das änderte sich erst durch eine Intervention der Präsidentin des Abgeordnetenhauses und angesehenen Berliner Politikerin, Hanna-Renate Laurien (CDU), und Jerzy Kanals.7 7 »Wie soll man leere Räume ertragen, Herr Barzel?«, in: Tagesspiegel, 27.4.1995; Eike Geisel, Mehr Friseure als Juden. Das Jüdische Museum in Berlin verschwindet, bevor es richtig da ist – es wird nur eine Abteilung. Eine Hauptstadtposse, in: Wochenpost, 13.7.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 7: »Ein Museum für Berlin: Positionen zum Erweite­ rungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum von Daniel Libeskind«, aus Anlass des Richtfestes am 5.  Mai 1995 vom Berlin Museum und Märkischen Museum heraus­ gegebene Broschüre

Zum Richtfest gaben das Berlin Museum und das Märkische Museum, die im Monat darauf zur Stiftung Stadtmuseum Berlin vereint werden sollten, gemeinsam eine Broschüre heraus – gemessen an den Worten von Kultursenator Roloff-Momin zur Amtseinführung Barzels war auch das schon merkwürdig, weil das Jüdische Museum, angeblich der »Hauptnutzer« des Erweiterungsbaus, nicht zu den Herausgebern gehörte. Jedoch waren die Herausgeber so ehrlich, die Broschüre »Ein Museum für Berlin. Positionen zum Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum von Daniel © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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­Libeskind« zu nennen. Damit war bereits im Titel der Publikation angedeutet, dass die zu Wort kommenden Autoren, größtenteils Mitarbeiter des Berlin Museums beziehungsweise Märkischen Museums, gegensätzliche Positionen vertraten, was bedenklich stimmten musste, da der Erweiterungsbau bald eingerichtet werden sollte. An höherer Stelle hielt man so viel Offenheit anscheinend nicht für angebracht, weshalb die Veröffentlichung nicht weiter verbreitet wurde.8 Und in der Tat war ihr Inhalt brisant. Das Raumprogramm für den Erweiterungsbau, das Amnon Barzel in dem ausführlichsten Beitrag vertrat, widersprach dem, das Kurt Winkler, der Projektmanager des Berlin Museums für den Erweiterungsbau, wenige Monate zuvor präsentiert hatte.9 Nach den Plänen von Barzel sollte im Erdgeschoss des Erweiterungsbaus die integrative Darstellung der Geschichte der Juden und der allgemeinen Geschichte Berlins zwischen 1871 und 1933 sowie in einem eigenen Raum religiöse jüdische Kunst gezeigt werden, im ersten Obergeschoss die integrierten Kunstsammlungen des Stadtmuseums und des Jüdischen Museums und im zweiten Obergeschoss Wechselausstellungen sowie die Grafik­ abteilung.10 Das von Kurt Winkler skizzierte Raumprogramm sah hingegen im Erdgeschoss Wechselausstellungen, im ersten und zweiten Obergeschoss die Dauerausstellung zur Berlin-Geschichte ab 1871 und im Untergeschoss die Schauräume des Jüdischen Museums vor  – damit vertrat Winkler das, was in den Eckpunkten bereits zwischen 1989 und 1992 im Berlin Museum geplant worden war.11 Amnon Barzel erklärte dem Autor dieses Buches gegenüber im Gespräch, dass die Auseinandersetzung um das Jüdische Museums für ihn ab dem Moment, als ihm klar wurde, dass für das Museum lediglich Räume im »­ Keller« vorgesehen waren, zum »Krieg« (»war«) geworden sei.12 Eine Woche vor dem 8 Klaus Hartung, Berliner Geschichtsaffären. Der langwierige Streit um das Jüdische Museum bedroht den Ruf der Hauptstadt. Die Politiker scheinen dies endlich zu begreifen. Sie versuchen eine Wende, in: Die Zeit, 19.9.1997; vgl. Lackmann, Jewrassic Park, S. 81 f. 9 Vgl. Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 52. 10 Amnon Barzel, Das Jüdische Museum im Berlin Museum, in: Ein Museum für Berlin. Positionen zum Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum von Daniel Libeskind, hg. v. Berlin Museum und Märkischem Museum aus Anlaß des Richt­ festes am 5. Mai 1995, Berlin 1995, S. 30–57, hier: 40–44. 11 Kurt Winkler, Die »Leere« ausstellen? Daniel Libeskinds Museumsbau als museo­logische Herausforderung, in: ebd., S. 60–72, hier: 62; Kurt Winkler im Auftrag des Berlin Museums. Ein Museum für Berlin. Die Erstpräsentation der stadtgeschichtlichen Sammlungen im Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, Januar 1995, in: Akten Norma Drimmer; ders., Konzeption des Erweiterungsbaus des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum, 25.10.1992, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 316–336, hier: ­326–328, 331, 335 f. 12 Gespräch mit Amnon Barzel am 17.3.2009; Amnon Barzel, Stellungnahme zur Einrichtung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, 4.4.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; vgl. auch: Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 499. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Richtfest am 5.  Mai hatte Barzel gegenüber dem Tagesspiegel im Interview erklärt: »Es gibt Kräfte, die das Jüdische Museum in den Gebäudekeller abdrängen wollen. Sie nutzen jeden Trick, das Budget zu beschneiden, eine Definition zu finden, nach der es nicht existiert: nur als Unterabteilung. Wir kämpfen um die Existenz.«13

In dieser Position dürfte Barzel, der selbst kaum Deutsch konnte, von Vera Bendt bestärkt worden sein, der durch seine Berufung die Leitung der Abteilung Jüdisches Museum entzogen wurde, die aber weiterhin dort beschäftigt war. So steuerte Bendt auch den Teil über »die Geschichte der Neuplanung eines Jüdischen Museums für Berlin« zu Barzels Beitrag im Richtfestband bei.14 Bereits seit 1990 hatte Bendt sich gegen die Platzierung der Abteilung­ Jüdisches Museum im Untergeschoss des Erweiterungsbaus zur Wehr gesetzt. Die Behauptung Barzels 1995, die seit 1997 auch von Bendt erhoben wird, dass es nach dem Realisierungswettbewerb 1989 eine »Verlagerung« des Jüdischen Museums gegeben habe, traf nicht zu. Vielmehr hatte der Architekt Libeskind selbst, wie gezeigt, in seinem Wettbewerbsentwurf 1989 das Jüdische Museum als »Umsteigestation« im Untergeschoss des Erweiterungsbaus vorgesehen.15 Die Unterbringung der Abteilung Jüdisches Museum im »Keller« entsprach allerdings  – nach landläufigem Verständnis  – symbolisch der »Degradierung« des Jüdischen Museums, die es gemessen an dem, was die verantwortlichen Politiker regelmäßig in Schlüsselmomenten der Entstehungsgeschichte des Erweiterungsbaus angekündigt hatten, tatsächlich gab. Im Entwurf für den Erweiterungsbau hatte es allerdings im Zuge seiner Umplanungen seit 1989 eine »Verlagerung« gegeben. Weil aus den ursprüng13 »Wie soll man leere Räume ertragen, Herr Barzel?«, in: Tagesspiegel, 27.4.1995. 14 Vera Bendt, Die Geschichte der Neuplanung eines Jüdischen Museums für Berlin, in: Amnon Barzel, Das Jüdische Museum im Berlin Museum, in: Ein Museum für Berlin. Positionen zum Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, S. 30–32. 15 Dies war Bendt 1989 auch bewusst gewesen. Manfred Gerber, Die jüdische Geschichte soll in Berlin nicht in den Keller. Seit Ende der 70er Jahre ist die Wiesbadenerin Dr. Vera Bendt in die Querelen um das Jüdische Museum verwickelt, in: Wiesbadener Kurier, 8.10.1997; Vera Bendt, »Wahnsinnige Wissenschaft«. E. T. A. Hoffmann, Exil und das Jüdische Museum, in: E. T. A.-Hoffmann Jahrbuch, 8 (2000), S. 106–139, hier: 113–115; dies., Die andere Hälfte, S. 23; dies., Zum Neubau des Jüdischen Museums. Zukunftsperspektiven, in: Berlin Museum (Vera Bendt), Judaica Katalog, S. 36–39, hier: 36; dies., Aussichten auf das Jüdische Museum, in: Antiqua ’89 Berlin, hg. v. AMK Berlin, 25.–29. November. 18. Verkaufsausstellung von Kunst und Antiquitäten, Berlin 1989, unpaginiert. Auch der Besprechung des Libeskind-Entwurfs in der Zeitung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der Berlin-Umschau, im Februar 1990 war unzweideutig zu entnehmen, dass die »Judaica-Sammlung« in einem schrägen »X« unter dem oberirdischen Teil des Neubaus gezeigt werden sollte (das sich allerdings, wie es in dem Artikel richtig hieß, nach der ursprünglichen Planung unter dem Neubau hinaus erstrecken sollte). Simon Srebrny, Ein Bauprojekt zum Nach-Denken, in: Berlin Umschau, 2 (1991), Nr. 2, S. 6 f., hier: 6. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 8–10: Silke Helmerding: Baudokumentation Libeskind-Bau

lichen Schächten, in denen die Namen der deportierten und ermordeten Berliner Juden angebracht werden sollten, die hermetisch geschlossenen Voids geworden waren, wurden stattdessen auf der Ebene des Untergeschosses nun der Holocaust-Turm und der Garten des Exils gebaut. Gegen das Vorhaben, die Räume der Abteilung Jüdisches Museum in unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser Mahnmalarchitektur einzurichten, hatte sich schon Bendt vehement gewehrt. Barzel lehnte dies ebenso entschieden ab, und Inka Bertz und Helmuth F. Braun, die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Jüdischen Museums in der Planungsgruppe des Stadtmuseums für die Erstpräsentation im LibeskindBau, gaben noch im Herbst 1997 schriftlich die Minderheitenposition zu Protokoll, dass sie die Einrichtung des Jüdischen Museums im Untergeschoss ablehnten. Vera Bendt, Amnon Barzel sowie Inka Bertz und Helmuth F. Braun © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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argumentierten übereinstimmend, die Präsentation des Jüdischen Museums in unmittelbarer Nähe von Holocaust-Turm und Garten des Exils suggeriere, die jüdische Religion sei der Grund für Exil und Holocaust. Ebenso übereinstimmend forderten Barzel sowie Bertz und Braun, stattdessen im Untergeschoss die Berlin-Geschichte in den Jahren 1933 bis 1945 zu zeigen – das »Fundament« des Libeskind-Baus sei nicht die jüdische Religion, sondern die nationalsozialistischen Verbrechen.16 Ebenfalls zum Richtfest zeigte das Jüdische Museum im Rohbau des Gebäudes von Daniel Libeskind ab dem 30. April 1995 eine erste Ausstellung, »Überleben in Sarajevo. Eine Jüdische Gemeinde hilft ihrer Stadt«. Die Ausstellung erzählte mit Fotografien des Amerikaners Edward Serotta von der humanitären Hilfsorganisation »La Benevolencija«, die Ende des 19. Jahrhunderts in Sarajevo von sephardischen Juden gegründet, und nach Ausbruch des Bosnienkriegs 1992 von Juden, Christen, Moslems, Serben und Kroaten wiederbelebt worden war. Diese Ausstellung war ein Spiegel der starken Gegenwartsorientierung Amnon Barzels, der in seinem Museum vor allem­ »jüdische Situationen« zum Thema machen wollte.17 Ganz offensichtlich vor dem Hintergrund der zum Richtfest am 5. Mai offenbar gewordenen Meinungsverschiedenheiten um die Nutzung des Erweiterungsbaus trug Museumsdirektor Barzel auf Antrag der CDU-Fraktion am 22.  Mai im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses zum Stand der Entwicklung des Jüdischen Museums vor. Er berichtete, dass er über keinen effektiven Mitarbeiterstab verfüge, da von nominell fünf Stellen des Jüdischen Museums eine nicht besetzt sei, und die anderen bis auf eine tatsächlich für das Museum nicht oder nur bedingt zur Verfügung stünden. An Sachmitteln stünden ihm für den Rest des Jahres 1995 gerade einmal noch 21.000 DM zu Verfügung; für Ankäufe seien 100.000  DM versprochen. Er forderte eine Aufstockung der Sachmittel auf mindestens 930.000 DM für 1995, 1,2 Millionen für 1996 und 3,3 Millionen für 1997, das Jahr, in dem das Museum eröffnen sollte, sowie eine Aufstockung der Mitarbeiterstellen zunächst auf neun und im Eröffnungsjahr dann auf 14 Stellen. Barzel bekannte sich zwar zum »integrativen Modell«, interpretierte es jedoch völlig anders als die Leitung des Berlin Museums und die Kultur­ verwaltung:

16 Helmuth F. Braun / Inka Bertz, Konzeptionelle Überlegungen und Themenvorschläge zur Erstpräsentation des Jüdischen Museums im Stadtmuseum Berlin, 1.10.1997, S. 1, in: Akten Norma Drimmer. 17 Katrin Bettina Müller, »Bürgers help Bürgers«. Ausstellung im Rohbau des Jüdischen Museums / Das Provisorium als lebendiger Ort / Solidarität mit Sarajevo, in: taz, 29.4.1995; vgl. Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  54 (Foto), 77. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Ich bin deshalb glücklich darüber, daß der Erweiterungsbau des Berlin Museums das Heim für das integrierte Jüdische Museum ist, das bei all seinen Aktivitäten mit den Materialien der gesamten Stiftung Stadtmuseum arbeiten kann.«

Diese Formulierung und der ausdrückliche Hinweis Barzels, es treffe nicht mehr zu, dass im Erweiterungsbau neben dem Jüdischen Museum auch die Mode- und Theaterabteilung untergebracht werden sollten, waren kaum anders zu verstehen, als dass Barzel den gesamten Erweiterungsbau für das Jüdische Museum beanspruchte. Der Museumsdirektor nutzte die Gelegenheit auch, um das im November 1994 vom Abgeordnetenhaus beschlossene Berliner Museumsstiftungsgesetz zur Gründung der Stiftung Stadtmuseum Berlin zu kritisieren.18 Insbesondere bemängelte er, dass der Stiftungsrat lediglich aus dem zukünftigen Generaldirektor der Stiftung und dem Senator für kulturelle Angelegenheiten bestehen solle. Barzel erklärte, dass das Museumsstiftungsgesetz daher »nicht mit dem demokratischen Geist in Einklang steht, der in Deutschland seit fast einem halben Jahrhundert herrscht«. Das Gesetz war auch schon zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung umstritten gewesen. So stimmte die FDPFraktion im Abgeordnetenhaus dagegen und organisierte am 28. März 1995 eine Veranstaltung, auf der sich neben Amnon Barzel auch Christoph Stölzl, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, und der Stiftungsexperte Rupert Graf Strachwitz gegen das Gesetz aussprachen.19 Über solche Bedenken hatten sich der Kultursenator Ulrich Roloff-­Momin, der Senat sowie das Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der großen Koali­ tion beim Stiftungsgesetz hinweggesetzt. Ebenso machte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in einem fragwürdigen Verfahren  – und gegen den Protest Uwe Lehmann-Brauns, des kulturpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, und der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum – den langjährigen Museumsreferenten seiner Verwaltung, Reiner Güntzer, im Juli / August 1995 zum Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, obwohl dieser als zuständiger Referent zuvor die Stiftung selbst erdacht und den Posten des Generaldirektors kreiert hatte.20 Insofern illus18 Gesetz über Museumsstiftungen des Landes Berlin, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 341–343. 19 Nicola Kuhn, Das Dach drückt. Diskussion über das neue Stiftungsgesetz der Berliner Museen, in: Tagesspiegel, 30.3.1995. 20 Reiner Güntzer hat im Gespräch mit dem Autor erklärt, dass Eberhard Diepgen 1995 Kultursenator Ulrich Roloff-Momin das Berufungsverfahren für den Generaldirektorposten der Stiftung Stadtmuseum entzogen habe. Gespräch mit Reiner Güntzer am 23.1.2014. Ulrich Clewing, Museumslandschaft geprägt. Gesichter der Großstadt: Reiner Güntzer, bislang Referatsleiter bei der Kulturverwaltung wird Generaldirektor der neugeschaffenen Stiftung Stadtmuseum, in: taz, 24.7.1995; ders., Unberufener Jurist. Wird Reiner Güntzer doch nicht Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum?, in: taz, 5.8.1995; © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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trierten das Museumsstiftungsgesetz und die Berufung von Güntzer zum Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum die Problematik der großen Koalition aus CDU und SPD, die Berlin von 1990 an ein Jahrzehnt lang regierte. Zusammen machten die beiden Parteien einen so großen Teil des alten Westberliner Establishments aus, dass für eine nennenswerte politische Opposition kaum Raum blieb. Amnon Barzel sagte später einmal, er habe als Museumsdirektor nicht mit dem Fortleben der deutschen Vergangenheit, sondern der Vergangenheit von Westberlin gekämpft: »Das war keine Stadt, sondern ein Vorposten. Da zählte nur die Tugend des Ausharrens.«21 In der Aussprache nach dem Vortrag Barzels vor dem Kulturausschuss am 22. Mai 1995 erwähnte der FDP-Abgeordnete Peter Tiedt einen Zeitungsartikel, der eine gute Woche zuvor im Observer, einer angesehenen britischen Sonntagszeitung, erschienen war und in dem unter der Überschrift »Jewish scars reopened over Berlin Museum« harte Vorwürfe gegen die Stadt wegen ihres Umgangs mit dem Jüdischen Museum erhoben wurden. Der Observer schrieb, Amnon Barzel, der neue Direktor des Jüdischen Museums, und die Jüdische Gemeinde zu Berlin seien immer von einem eigenständigen Jüdischen Museum ausgegangen, mit eigenen Finanzen und eigenem Personal, das über seine Ausstellungen selbst bestimme. Der Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal wurde mit den Worten zitiert, dass man sonst nicht 25 Jahre lang für das Jüdische Museum gekämpft hätte. Auch die Berliner Abgeordneten, die für die Errichtung des teuren Libeskind-Baus gestimmt hatten, hätten gedacht, es handle sich um ein autonomes Jüdisches Museum. Aber, zitierte die britische Zeitung einen anonymen Berliner Verwaltungsbeamten, ein autonomes Jüdisches Museum sei nie beabsichtigt gewesen, man habe nur die »jüdische Karte« gespielt, um den Erweiterungsbau für das Berlin Museum durchzusetzen. Darauf folgte ein Zitat eines anderen anonymen Beamten, das zuvor schon der Tagesspiegel-Redakteur Thomas Lackmann öffentlich gemacht hatte und das, wenn es tatsächlich so gefallen sein sollte, vor dem Hintergrund des Holocaust nur als geschmacklos bezeichnet werden kann: »The new plan would see the Jewish section become the largest department in a new city museum, enjoying the same status as Berlin’s small hairdressing and dog muse»Güntzer Chef des größten Museums? Neue Angriffe«, in: Tagesspiegel, 4.8.1995; Thomas Lackmann, Ein Schwarzbuch für Barzel. Streit ums Jüdische Museum: Diepgen, heißt es, hat entschieden, in: Tagesspiegel, 20.9.1996; Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Duodezfürstentum des Reiner Güntzer. Im Streit um das Jüdische Museum gibt es nur einen Ausweg: Die Auflösung des Kulturkombinats »Stiftung Stadtmuseum«, in: Berliner Zeitung, 16.7.1997; Michael S. Cullen, Ein Bollwerk für den General. Der Berliner Museumsstreit geht weiter: Die Stiftung Stadtmuseum, zu der das Jüdische Museum gehört, hat in ihrer jetzigen Struktur keine Zukunft, in: Tagesspiegel, 27.8.1997. 21 Klaus Hartung, Berliner Geschichtsaffären, in: Die Zeit, 19.9.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ums. […] A Berlin newspaper quoted a city official saying: ›The hairdressing museum is only a department and, after all, there are more hairdressers here than Jews.‹«

Der Artikel endete mit einem Zitat Barzels, der für den Fall seines Scheiterns ziemlich deutlich mit dem Antisemitismusvorwurf drohte: »Barzel is confident that, despite his battles with bureaucracy, he will succeed in realising his vision. But he is in no doubt what it means for Berlin if he fails. ›It means that the sickness didn’t pass. That the virus still exists. That we have to be alert. That the Germans have to be alert.‹«22

Bei der Lektüre des Artikels, in dem Barzel viel zitiert wird, lässt sich schwer der Eindruck vermeiden, dieser habe den Autor inspiriert. Dieser Artikel war offenbar der Ausgangspunkt für die Anschuldigung gegen Barzel, er operiere mit dem Antisemitismusvorwurf. Und es sagt einiges über die deutsche politische Psychologie aus, dass das »Friseurzitat« in der deutschen Presse regelmäßig unter Berufung auf den Bericht im britischen Observer wiedergegeben wurde und nicht auf den ersten Bericht im Tagesspiegel. Allerdings musste aus Sicht der Berliner Politik vielleicht noch schwerer wiegen, dass in dem­ Observer-Artikel Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, mit der Forderung nach einem finanziell und personell eigenständigen Jüdischen Museum zitiert wurde. Laut einem zwei Jahre später erschienenen Tagesspiegel-Artikel von Thomas Lackmann rief Kultursenator Roloff-Momin in seiner Rede in der Ausschusssitzung am 22.  Mai 1995  – unter dem zustimmenden Klopfen aller Fraktionen  – aus, er lasse sich keinen Antisemitismus vorwerfen. RoloffMomin erklärte außerdem, dass er »keinen Unterschied« sehe zwischen den Vorstellungen Barzels, wie er sie in der Richtfestbroschüre dargelegt hatte, und denen des Senats. Diese Sichtweise war erstaunlich, da das von Barzel in der Broschüre dargelegte Raumprogramm nicht mit den Planungen des Berlin Museums und der Kulturverwaltung übereinstimmte.23 22 Denis Staunton, Jewish scars reopened over Berlin Museum. »We had to play the Jewish card to get the money,« says a city official, in: The Observer, 14.5.1995. 23 Abgeordnetenhaus von Berlin, 12. Wahlperiode, Plenar- und Ausschußdienst, InhaltsProtokoll Ausschuß für Kulturelle Angelegenheiten 80. Sitzung, 22.5.1995, S. 2–10; Amnon Barzel, Jüdisches Museum  – Stand der Entwicklung (80. Sitzung des Kulturausschusses), 22.5.1995, in: Akten Norma Drimmer; Thomas Lackmann, Der Salto, in: Tagesspiegel, 6.10.1997 (diesen Text übernahm Lackmann auch in sein Buch über die Auseinandersetzung um das Museum: Jewrassic Park, S. 147 f.). Von dem kleinen Eklat im Abgeordnetenhaus am 22.05.1995 war in den tags darauf veröffentlichten Berichten der Berliner Presse über die Ausschusssitzung nichts zu lesen. »Autonomie für Jüdisches Museum«, in: Tagesspiegel, 23.5.1995; »Kulturausschuß: Jüdisches Museum will Auto­ nomie«, in: Berliner Morgenpost, 23.5.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Nach dem Auftritt von Barzel im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses veröffentlichte der Tagesspiegel drei Beiträge zur Debatte um das Jüdische Museum, und zwar von Vera Bendt, Dominik Bartmann, dem kommissarischen Leiter des Berlin Museums, und Joachim Sartorius, dem zuständigen Abteilungsleiter der Kulturverwaltung. Bendt warnte, solange das »Jüdische Museum« in Wahrheit als Abteilung des Berlin Museums beziehungsweise des Stadtmuseums geführte werde, handele es sich um ein »Potemkinsches Dorf« – ein solches könne Berlin sich in Bezug auf das Jüdische Museum jedoch nicht leisten. Bartmann und Sartorius hingegen beriefen sich auf die Aspen Tagung 1988, die das integrative Konzept abgesegnet habe und an der auch Bendt als damalige Leiterin der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums teilgenommen habe.24 Am 8. Juni stimmte dann das Berliner Abgeordnetenhaus dem Erlass der Verordnung über die Errichtung der »Stiftung Stadtmuseum Berlin – Landes­ museum für Kultur und Geschichte Berlins« zu und unterstrich in dem Beschluss auch, wie es sein Kulturausschuss am 22. Mai nach Amnon Barzels Auftritt empfohlen hatte, die Absicht des Senats »dem entstehenden Jüdi­ schen Museum im Stadtmuseum Berlin volle kulturelle Autonomie zu gewährleisten«. Konkret forderte das Berliner Parlament außerdem, die bislang bloß nominelle Hauptabteilung Jüdisches Museum im Organigramm der künftigen Stiftung Stadtmuseum durch die Untersetzung von drei Abteilungen zur wirklichen Hauptabteilung zu machen. Für die dann notwendige Personalausstattung solle die Kulturverwaltung das Jüdische Museum um zwei Mitarbeiterstellen verstärken. »Außerdem wird der Senat aufgefordert, die Sachmittelausstattung des Jüdischen Museums im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten Berlins kontinuierlich auf ein Niveau zu erhöhen, das der gewünschten und erforderlichen Ausstrahlung des Jüdischen Museums im Stadtmuseum entspricht.«25

Aus Sicht der Berliner Kulturpolitik war das großzügig, weil zu dieser Zeit extremer Spardruck herrschte. Im April hatte sich herausgestellt, dass die 24 Vera Bendt, Abteilung Potemkin. Selbstbestimmung? Zur Diskussion über das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.5.1995; Dominik Bartmann, Ein Museum ist kein Denkmal. Zur Debatte um Berlins Jüdisches Museum, in: ebd., 7.6.1995; Joachim Sartorius, Der herbeigeredete Streit. »Integrativer Faktor«: zur Debatte über Berlins Jüdisches Museum, in: ebd., 30.6.1995. 25 Abgeordnetenhauses von Berlin, 12.  Wahlperiode, Beschlußprotokoll der 86. Sitzung, 8.6.1995, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 371; vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 12/5497: Verordnung über die Errichtungs-Satzung der Stiftung Stadtmuseum Berlin  – Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins (Auszug), abgedruckt in: ebd., S.  346–359, hier: 355; Generaldirektor Güntzer an Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Sartorius, 20.9.1995, hier: S. 4, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Hauptstadt für 1995/96 vom Bund nicht wie erwartet 148 Millionen DM Kulturförderung, sondern lediglich 28 Millionen DM bekommen würde.26 Schon diese Forderung nach den zwei zusätzlichen Mitarbeiterstellen für das Jüdische Museum konnte wegen der in Berlin herrschenden Haushaltssperre­ allerdings erst über ein Jahr später erfüllt werden, und dann so, dass Barzel sich beklagte, eine der beiden Stellen sei dem Stadtmuseum allgemein und nicht speziell dem Jüdischen Museum zugeordnet worden.27 Das grundsätzliche Problem war, dass spätestens im Konfliktfall »volle kulturelle Autonomie« für eine Institution ohne Finanz- und Personal­autonomie nicht möglich ist. Mit seinem Beschluss bestätigte das Parlament aber gerade die Eingliederung des Jüdischen Museums in die Stiftung Stadtmuseum und verwehrte damit dem Jüdischen Museum weiterhin die finanzielle und personelle Autonomie. In den Materialien zur Verordnung über die Errichtung der Stiftung Stadtmuseum hieß es auch, die Ausstellungsfläche des Jüdischen Museums mit Religions- und Gemeindegeschichte befinde sich im Unter­ geschoss des Erweiterungsbaus des Berlin Museums.28 In dieser Situation veröffentlichte die Wochenpost am 13.  Juli 1995 eine bitterböse Polemik des Berliner Publizisten Eike Geisel.29 Zuvor hatte Eike Geisel unter anderem zusammen mit Henryk M. Broder parallel zur Großausstellung »Jüdische Lebenswelten« Anfang 1992 in der Akademie der Künste die Ausstellung »Geschlossene Vorstellung. Der jüdische Kulturbund in Deutschland 1933–1941« kuratiert.30 Bereits die Überschrift seiner Polemik sprach Bände: »Mehr Friseure als Juden. Das Jüdische Museum in 26 Nicola Kuhn, Die staatlich engagierten Bettler. Betriebsprüfung Kultur (5): Sponsoring, Museumsshop und gestrichene Ausstellungen – wie sich die Museen des Landes Berlin auf die nächste Sparrunde einstellen, in: Tagesspiegel, 2.7.1995. 27 »Jüdisches Museum: Komplott? Dialog?«, in: Tagesspiegel, 24.5.1996; SenWissKult, Sartorius, an Senator, Vermerk: Ihr Gespräch mit Herrn Amnon Barzel am 24.5.1996, 23.5.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; Barzel an Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Radunski, 12.8.1996, in: ebd.; Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, un­datiert (Juni 1997), hier: S.  4, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum, Kopien. 28 Materialien I zur Verordnung über die Errichtungs-Satzung der Stiftung Stadtmuseum (Auszug), abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 368–370, hier: 368. 29 Unmittelbar nach dem Realisierungswettbewerb im Juni 1989 hatte sich Geisel noch mit grundsätzlichen Argumenten gegen ein Jüdisches Museum in Berlin ausgesprochen, weil es »Grauen in Kultur« verwandle. Eike Geisel, Museum macht frei, in: Bauwelt, Nr. 32 (1989). Die Wochenpost wurde Ende 1996 eingestellt. 30 Vgl. Zipes, The Contemporary German Fascination for Things Jewish, S. 21. Zu Geisel siehe: Klaus Bittermann, Nachwort, in: Eike Geisel, Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, hg. v. Klaus Bittermann, Berlin 1998, S. 197–202; Kramer, The Politics of Memory, S. 271. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Berlin verschwindet, bevor es richtig da ist  – es wird nur eine Abteilung. Eine Hauptstadtposse«. Geisel warf der »Gauklertruppe« um Senator Roloff-Momin vor, ein Kunststück vorzuführen, auf das selbst der Magier David Copperfield neidisch wäre: etwas zum Verschwinden zu bringen, was noch gar nicht existiere, das Jüdische Museum. »Und diese Geschichte ist die Geschichte eines einzigartigen Etikettenschwindels. Nach außen verkauft man das Projekt, das 1991 wieder eingefroren werden sollte und erst auf internationalen Protest hin in Angriff genommen wurde, als ›Jüdisches Museum‹. Intern bedient man sich einer Fülle bürokratischer Tarnbegriffe: ›Jüdische Abteilung des Berlin Museums‹, ›Jüdische Hauptabteilung‹. An der Baustelle liest man: ›Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum‹. Diese Konstruktionen verraten freilich alle nur, daß man die Emigranten (auf deren Schenkung man spekulierte), das Ausland (aus Reputationsgründen) und die deutsche Öffentlichkeit dreist belogen hatte. […] Seit die verschiedenen lokalgeschichtlichen Museen […] unter einem Dach, in der ›Stiftung Stadtmuseum‹ vereinigt sind, gieren alle bloß nach neuen Räumen und Ausstellungsflächen. Sie würden auch die architektonische Kröte [den LibeskindBau, D. B.] schlucken, wenn nur diese Zumutung nicht mehr Jüdisches Museum heißt und erst recht keines ist, sondern eine folkloristische Abteilung mit Kulturgerät. […] In einem internen Papier hat Reiner Güntzer, Referatsleiter für Museen, bereits die Ablösung von Barzel gefordert. Er fürchtet die Dominanz jüdischer Themen über Fragen der Berliner Geschichte, eine Überfremdung, mit der schon Schluß gemacht worden war. Der von Sachkenntnis nicht beschwerte, aber mit Strebsamkeit ausgestattete Kulturpolitiker möchte zu gern Generaldirektor der ›Stiftung Stadtmuseum‹ werden. Dann wird er noch entschiedener verhindern können, daß das geplante Restaurant des Museums eine jüdische Speisekarte hat. Dann wird er auch verhindern können, daß die ausdrücklich für das Jüdische Museum bereits gestifteten Gelder diesem auch zugute kommen. Der aus der Emigration zurückgekehrte Felix Simmenauer etwa hatte nicht nur seine große Sammlung zur Geschichte jüdischer Sportvereinigungen dem Jüdischen Museum hinterlassen, sondern dieser Institution auch einen Geldbetrag in Höhe von über einer Million Mark testamentarisch vermacht. Diese Summe steht Amnon Barzel nicht zur Verfügung, sie wurde von der Kulturverwaltung im April diesen Jahres unter dem Namen ›Stiftung Stadtmuseum‹ bei einer Bank angelegt. Amnon Barzel wird gegen diese Riege Hilfe brauchen, und diese Unterstützung wird allenfalls aus dem Ausland kommen. Hier möchte man, wie es aussieht, lieber mit toten Juden zu tun haben. Für ein Denkmal [das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, D. B.] ist Geld da. Als museale Objekte sind Juden willkommen, als leibhaftige Personen, die wie Barzel ein Zentrum der lebendigen Auseinandersetzung planen, sind sie bloß Störenfriede. Nicht einmal beim Richtfest des Jüdischen Museums sollte der zum Abteilungsleiter degradierte Barzel sprechen. Erst als die Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien von dieser Schäbigkeit erfahren und auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde dem Kultursena© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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tor Nachhilfeunterricht im öffentlichen Benehmen erteilt hatte, durfte Barzel eine Rede halten. Amnon Barzel ist Israeli. Daß er Jude sei, sagt er, habe er in Israel nie verspürt. Das sei einfach selbstverständlich. Dem Mangel an jüdischem Bewußtsein versuchen israe­lische Politiker und Pädagogen dadurch abzuhelfen, daß sie Schulklassen zu einer Besichtigungstour durch die ehemaligen Vernichtungslager schicken. Sie fahren, wie es in Berichten darüber oft heißt, als Israelis hin und kehren als Juden zurück. Amnon Barzel hat an keiner dieser Touren teilgenommen. Er tourt durch die Berliner Politik. Und seit er sich auf diesem Marsch durch die Institutionen befindet, sagt er, fühle er sich als Jude.«31

Die zentralen Vorwürfe Eike Geisels waren inhaltlich richtig: der über den Etikettenschwindel, die Stiftung Simmenauer des 1991 verstorbenen Felix Simmenauer, ein Betrag von 800.000 US -Dollar, und dass Amnon Barzel beim Richtfest des Libeskind-Baus zunächst nicht als Redner vorgesehen war; auch die Bemerkung über das interne Papier, in dem Reiner Güntzer als Referatsleiter Museen bereits die Ablösung von Barzel gefordert habe. Um eine Lösung zu finden, hatte Güntzer am 31. Januar 1995 Barzel und Dominik Bartmann zu sich nach Hause eingeladen. Weil keine gefunden wurde, forderte Güntzer nach dem Treffen in einem Vermerk der Kultur­ verwaltung, auch unkonventionelle Lösungen zu erwägen, etwa Barzel und Hermann Simon, den Leiter des Centrum Judaicums, Ämter und Funktionen tauschen zu lassen, oder Barzel zu kündigen, nach dem Motto: »besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!«32 So sehr Eike Geisel mit seinen zentralen Feststellungen richtig lag, so falsch war seine Prognose, dass Barzel die Unterstützung, die er in dieser Auseinandersetzung mit der Ber­ liner Ver­waltung und Politik benötige, allenfalls aus dem Ausland bekommen werde. Barzel wurde im Museumsstreit von Teilen der Berliner und der nationalen deutschen Presse, die im Streit um das Jüdische Museum eine ganz entscheidende Rolle spielte, massiv unterstützt. Als Reiner Güntzer im August 1995 seinen neuen Posten als Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum antrat, war das Verhältnis zwischen ihm und Amnon Barzel, der ihm nun direkt unterstand, also bereits völlig zerrüttet. 31 Eike Geisel, Mehr Friseure als Juden. Das Jüdische Museum in Berlin verschwindet, bevor es richtig da ist – es wird nur eine Abteilung. Eine Hauptstadtposse, in: Wochenpost, 13.7.1995. 32 II A, Güntzer, Vermerk, 7.2.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; Simona Seiffarth, Mehr als nur ein Berliner Intrigenspiel. Soll Amnon Barzel, streitbarer Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, vom Senat geschaßt werden?, in: taz, 7.8.1995; Thomas Lackmann, Das Brennglas für Berlin. Ablenkungsmanöver: Seit Januar 95 sucht die Kulturverwaltung nach Wegen, den Direktor des Jüdischen Museums loszuwerden. Dabei geht der Streit gar nicht um die Person Barzel, sondern um die Frage: Was ist Integration?, in: Tagesspiegel, 31.5.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Schon bei einem der ersten Hauptabteilungsleitertreffen der Stiftung Stadtmuseum unter Generaldirektor Güntzer im September 1995 kam es zwischen ihm und Barzel zum Eklat. Nachdem Barzel Güntzer vorgeworfen hatte, das Jüdische Museum mit »einem ›Witz‹« an Finanz- und Personalausstattung planmäßig kleinzuhalten, verwahrte sich Güntzer – ähnlich wie Kultursenator Roloff-Momin im Mai im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses – dagegen, in die »antisemitische Ecke« gestellt zu werden. Barzel wiederum legte Wert darauf, niemandem Antisemitismus vorgeworfen zu haben.33 Eine Woche später beschäftigte sich die Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde mit dem Konflikt. Nachdem Amnon Barzel seine Sicht der Dinge vorgetragen hatte, erwiderte Jerzy Kanal, der Gemeindevorsitzende, er sei empört, dass von den 10.000 Quadratmetern im Libeskind-Bau nur 1.000 für das Jüdische Museum zur Verfügung stehen sollen, dies sei – damit nahm er einen Begriff auf, den Eike Geisel gebraucht hatte – »ein Etikettenschwindel«. Im Protokoll hieß es dann weiter: »Es sei möglich, führt der Gemeindevorsitzende aus, daß der jetzige Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, Herr Güntzer, gar kein oder nur ein ganz kleines Jüdisches Museum zulassen wolle. Hiergegen kündigt Herr Kanal den entschiedenen Widerstand der Gemeinde an. Gleichzeitig warnt er davor, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.«

Kanal erinnerte auch daran, »daß das integrative Modell von Anfang angeplant gewesen sei«. Auch die Stellung des Jüdischen Museums als Hauptabteilung in der Stiftung Stadtmuseum hielt er offensichtlich für akzeptabel, da er die Versammlung fragte, was denn gegen diese Regelung spreche. Norma Drimmer bemerkte in der Aussprache dazu lapidar, dass kulturelle Autonomie finanzieller Autonomie bedürfe und dass davon in den Statuten der Stiftung Stadtmuseum für das Jüdische Museum nichts zu finden sei. Und Vera Bendt erklärte auf die Frage des Gemeindevorsitzenden, es sei ein entscheidender Unterschied, ob das »Jüdische Museum« ein Museum oder eine Hauptabteilung sei. Barzel sei als Museumsdirektor berufen worden und solle jetzt zum Hauptabteilungsleiter degradiert werden. Sein neuer Vorgesetzter, Güntzer, habe 28 Jahre lang nichts unversucht gelassen, »um das Jüdische Museum zu verhindern«. Im weiteren Verlauf der Debatte betonte Kanal, die Gemeinde müsse wissen, was sie in den Verhandlungen mit dem Senat erreichen wolle, und kritisierte die Angriffe von Museumsdirektor Amnon Barzel gegen die politisch Verantwortlichen in der Presse. Barzel verteidigte sich daraufhin gegen die Kritik des Gemeindevorsitzenden: »Sein Gang an die Presse war seiner 33 Thomas Lackmann, Der Salto, in: Tagesspiegel, 6.10.1997; vgl. ders., Jewrassic Park, S. 147 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Ansicht nach nötig, und die Resonanz darauf war sehr positiv.«34 Nach der Diskussion verabschiedete die Repräsentanz einstimmig eine Resolution, die zunächst nur Kultursenator Roloff-Momin übergeben wurde und erst ein Jahr später, als der Konflikt um das Jüdische Museum noch weiter eskaliert war, publik gemacht wurde. »Die Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat mit Mißbehagen und tiefer Enttäuschung aus dem Gesetz- und Verordnungsblatt Nummer 31 vom 22. Juli 1995 zur Kenntnis nehmen müssen, in welchem beim Zusammenschluß der verschiedenen Museen zur Stiftung Stadtmuseum – Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins – das Jüdische Museum nicht existent ist. Nach den uns bekannten Plänen der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten soll das Jüdische Museum nur eine Hauptabteilung im Stadtmuseum mit eingeschränkten Kompetenzen sein. Dies sehen wir als Folge des konsequenten Bestrebens der Kulturverwaltung an, den Status des Jüdischen Museums herunterzusetzen. Das zwischen dem Senat von Berlin und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ver­ abredete Modell sieht ein Jüdisches Museum vor, das bei voller Autonomie in finanzieller, kultureller und administrativer Hinsicht in das Berlin-Museum integriert ist. Der Libeskind-Bau, dessen Architektur, Konzeption, Planung und K ­ onstruktion auf diesem Modell basiert, ist auf das Jüdische Museum hin konzipiert, als solches geplant und hat dafür die Zustimmung des Abgeordnetenhauses mit einem Aufwand einer dreistelligen Millionensumme erhalten. Es ist für die Jüdische Gemeinde zu Berlin nicht hinnehmbar, wenn in einem Verwaltungsakt die ursprüngliche Bedeutung des Libeskind-Baus derartig verändert und dem eigentlichen Sinn entfremdet wird. Die Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin fordert den Senator für kulturelle Angelegenheiten und seine Verwaltung auf, dafür Sorge zu ­tragen, daß das Jüdische Museum, wie versprochen, als Bestandteil der Stiftung Stadtmuseum sowohl in der kulturellen Planung wie in der finanziellen Ausstattung seine Eigenständigkeit erhält. Das Museum muß personell und finanziell derart ausgestattet werden, daß es seiner Aufgabe, ein lebendiges Andenken an das Jüdische Leben in dieser Stadt und dessen wichtigen Beitrag auf kulturellem, wissenschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet zu sein, gerecht werden kann.«35

In dieser Situation hatten die Kulturverwaltung und der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum die Idee, die Findungskommission, die 1993 den Personalvorschlag für den Direktorenposten des Jüdischen Museums gemacht 34 »Aus der Repräsentanz. Nach dem Protokoll von Sigmount Königsberg« (Sitzung vom 13.9.1995), in: Berlin-Umschau, 7 (1996), Nr. 1, S. 13 f. 35 Ebd., S. 14 f; auch: Michael Zehden, Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Resolution der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (13.9.1995), 14.9.1995, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 372; Gemeindevorsitzender Kanal an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 25.9.1996, in: Akten Norma Drimmer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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hatte, wieder einzuberufen. Dabei war ihr Ziel, den Architekten Daniel Libes­ kind als Ausstellungsberater an die Spitze einer Projektgruppe zur Konzeption der Erstpräsentation im Erweiterungsbau zu setzen, um Amnon Barzel an die Kandare zu nehmen.36 Libeskind hatte Berlin 1994 zunächst verlassen, weil er nach seinem ersten Platz im Realisierungswettbewerb 1989 und nach der Wiedervereinigung 1990 nicht – wie erhofft – weitere der nun in Berlin zahlreich zu vergebenden großen architektonischen Aufträge hatte gewinnen können. So hatte er sich erfolglos an den Gestaltungswettbewerben für den Potsdamer Platz und den Alexanderplatz beteiligt. Im Zusammenhang mit seiner Entscheidung, Berlin zu verlassen, hatte er schwere Vorwürfe gegen die vor allem von dem mächtigen Senatsbaudirektor Hans Stimmann vertretene Politik der »kritischen Rekonstruktion«, die unter anderem die historische Traufhöhe und Steinfassaden vorschrieb, erhoben. In einem Interview Libeskinds mit dem Rheinischen Merkur im Oktober 1994 war zu lesen: Libeskind: »Das grenzt an die neofaschistische Auffassung darüber, wie die Welt auszusehen habe, und zum Schaden für die Welt scheinen Lampugnanis [eines bekannten Architekturkritikers, D. B.] Ansichten ziemlich genau denen zu entsprechen, die der Berliner Bausenat und der Baudirektor, Herr Stimmann, propagieren. Sie haben gesagt: ›Die Maßstäbe, die der Architekt für die Stadt Berlin, Stimmann, anlegt, sind autoritäre und repressive Erlasse‹, und Sie haben gewisse Berliner Kreise folgendermaßen charakterisiert: Es herrsche dort ›eine häßliche Atmosphäre, die der Pathologie einer Zeit ähnelt, in der die Vorstellung von ›entarteter Kunst‹ entstand‹. Ich habe diese Atmosphäre selbst erlebt; Sie können das zitieren. Mein Entwurf für das Jüdische Museum wurde von Stimmann als ›pervers‹ bezeichnet, und – für mich äußerst interessant – er warf ihn in einen Topf mit Mies van der Rohes Nationalgalerie und mit Bauten von Hans Scharoun und Erich Mendelsohn. Er behauptete, diese vier Architekten hätten die verheerendsten Auswirkungen für Berlin gehabt. […] Wenn ich also das Wort ›entartet‹ benutzt habe, so war das nicht metaphorisch gemeint. Die Argumente und Begriffe, die die Verwaltung benutzt, sind absolut die gleichen, wie sie in der Ausstellung ›Entartete Kunst‹ von 1936 verwendet wurden. Herr Stimmann hat mir diesen Vorwurf während einer öffentlichen Veranstaltung gemacht. Da das Ganze passierte, als in Berlin die Rekonstruktion der Ausstellung ›Entartete Kunst‹ gezeigt wurde, habe ich zu ihm gesagt: ›Herr Stimmann, Sie sollten sich diese Ausstellung ansehen, weil Ihnen vielleicht nicht klar ist, was Sie da sagen.‹ Ich war äußerst höflich. Später tat es mir leid, daß ich so höflich gewesen war.«37 36 Stiftung Stadtmuseum, AbtL 13, Kurt Winkler, Sachstandsbericht zur konzeptionellen Vorbereitung der Erstpräsentation im Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum, 26.10.1995, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 447. 37 »›Es tut mir leid, daß ich höflich war.‹ Daniel Libeskind, sein Jüdisches Museum und ein Architekturkonflikt in der deutschen Hauptstadt«, in: Rheinischer Merkur, 7.10.1994; © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Während Ulrich Roloff-Momin und Reiner Güntzer sich 1995 dagegen verwahrten, von Barzel, wie sie meinten, des Antisemitismus bezichtigt zu werden, war die Kulturverwaltung offenbar bereit, Libeskind seine Äußerungen aus dem Vorjahr – die gewiss nicht zurückhaltender waren als die von ­Barzel gegenüber dem Observer – zu vergeben. Daniel Libeskind geriet durch die Übernahme der Kommissionsleitung für die Erstpräsentation in einen Interessenkonflikt, weil er zugleich hoffte und darauf drängte, auch den Auftrag für das Ausstellungsdesign im Erweiterungsbau zu bekommen, und weil er sich an der zweiten Runde des Gestaltungswettbewerbs für das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« beteiligte. Anfänglich hatte er das Mahnmal entschieden abgelehnt und an der ersten Wettbewerbsrunde so auch nicht teilgenommen.38 Der Berliner Senat war neben dem Bund und dem Förderkreis von Lea Rosh einer der drei Auslober des Mahnmalwettbewerbs. Zwei Entwürfe, der von Daniel Libeskind und ein weiterer, sollten nicht durch das Votum der eigens eingerichteten Findungskommission, sondern auf ausdrücklichen Wunsch von Berlin und Bund in der zweiten Runde im November 1997 in die Endauswahl der letzten vier Entwürfe gelangen.39 Anfang Dezember 1995 trat die »Expertenkommission« aus Mitgliedern der Findungskommission von 1993 zusammen, dazu gehörten Joel Cahen, der Chefkurator des Diasporamuseums in Tel Aviv, Norma Drimmer, Günther Gottmann, Daniel Libeskind, Roman Skoblo und Edward van Voolen. Diese Expertenkommission legte in ihrem Beschluss ein vorbehaltloses Bekenntnis zum »integrativen Konzept« ab und forderte, Libeskind, wie vom Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum und der Verwaltung erhofft, zum Leiter der Projektgruppe für die Präsentation im Erweiterungsbau zu machen, damit »die höchstmögliche Übereinstimmung zwischen architektonischem und vgl. auch Daniel Libeskind, Die Banalität der Ordnung (121 Arch +, März/1994), in: Daniel Libeskind, Kein Ort an seiner Stelle. Schriften zur Architektur – Visionen für Berlin, Dresden / Basel 1995, S. 146–153, hier: 149. 38 Interview mit Daniel Libeskind geführt im April 1994, in: Elke Dorner, Daniel Libeskind, Jüdisches Museum Berlin, 2. Aufl., Berlin 2000, S. 13–19, hier: 18; Libeskind an Kultursenator Roloff-Momin, 11.12.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Konzep­ tionsstreit Erweiterungsbau des Jüdischen Museums im Stadtmuseum – Libeskindbau – ab Juni 1996, Kopien; Büro Libeskind (C. Zahn) an SenKult, Geschke, 5.1.1996, in: ebd., Ordner: II A, Nutzungskonzeption; Libeskind an Generaldirektor Güntzer, 14.4.1997, in: ebd., Ordner: Jüdisches Museum allgemein, Libeskind-Bau, Kopien; Libeskind an Senator Radunski, 20.8.1997, in: ebd.; Daniel Libeskind, Die gegenseitige Verflechtung der Kultur zeigen, in: Richard Chaim Schneider, Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute, München 2000, S. 461–469, hier: 465. 39 Holger Wild, Nach der Denkpause. Qual der Wahl, in: Die Welt, 18.11.1997; vgl. Claus Leggewie / Erik Meyer, »Ein Ort, an den man gerne geht«. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München / Wien 2005, S. 154; Seuthe, »Geistig-moralische Wende«?, S. 286. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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museologischem Konzept herbeigeführt wird«.40 Amnon Barzel, der im Oktober, wie von der Kulturverwaltung verlangt, ein ausführliches Konzept für das Jüdische Museum vorgelegt hatte, das dasselbe Raumprogramm für den Erweiterungsbau vorsah, wie er es bereits im Mai in der Broschüre zum Richtfest vertreten hatte, ließ sich darauf ein.41 Zwischen Anfang Dezember 1995 und Ende Februar 1996 trat die Projektgruppe, die Libeskind-Kommission, zehnmal zusammen. Ihr gehörten neben dem Architekten Mitarbeiter seines Büros und Mitarbeiter der Stiftung Stadtmuseum, darunter vor allem Amnon Barzel, Dominik Bartmann und Kurt Winkler, an. Auch Edward van Voolen vom Jüdischen Museum in Amsterdam nahm an einigen Sitzungen teil. Das von der Kommission beschlossene Konzept bedeutete für Barzel eine Niederlage auf der ganzen Linie, da es das Raumprogramm festschrieb, dem er sich mit seinem Beitrag im Richtfestband im Mai 1995 entgegengestellt hatte. Vorgesehen wurde also die Unterbringung der Ausstellungsräume der Hauptabteilung Jüdi­ sches Museum im Untergeschoss des Erweiterungsbaus und die der Dauer­ ausstellung zur allgemeinen Berlin-Geschichte im ersten und zweiten Obergeschoss.42 Der Streit um das Jüdische Museum im Stadtmuseum war auch Gegenstand von Auseinandersetzungen in der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum. Am 11.  September 1995 hatte sich die Gesellschaft von ihrer Vor­ sitzenden Dorothea Kolland getrennt, weil ihr Parteilichkeit zugunsten des Stadtmuseums vorgeworfen worden war. Neuer Vorsitzender wurde Bernhard Schneider, ein enger Vertrauter des Architekten Libeskind, der in den 1980er Jahren als Planungsreferent für Kultursenator Volker Hassemer gearbeitet hatte. Schneider war 1996 als Kulturstaatssekretär für den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Peter Radunski, vorgesehen. Zu der Einstellung kam es jedoch aufgrund einer Haushaltssperre in Berlin nicht. Schneider arbeitete stattdessen auf Werksvertragsbasis für den Senator, der

40 Beschluß der Expertenkommission zur Ausarbeitung konzeptioneller Grundsätze für das Jüdische Museum, 4.12.1995, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 376. 41 SenKult II A 2, Geschke, Sitzungsprotokoll der Sitzung vom 4.12.1995, 30.1.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Nutzungskonzeption; Amnon Barzel, Ein Jüdisches Museum für Berlin. Konzeption und räumliche Planungen, Oktober 1995, in: Akten Norma Drimmer. 42 Daniel Libeskind, Organisatorisches und räumliches Grundkonzept für das Jüdische Museum und Berlin Museum auf Grundlage des »integrativen Modells«, 24.2.1996, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 377–390, hier: 379–381, 385, 388; Anita Kugler, Zu international gedacht? Was wird von den hochfliegenden Plänen zum Berliner Jüdischen Museum bleiben? Am Stuhl des Direktors Amnon Barzel wird schon heftig gesägt, in: taz, 25.5.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ihn als praktisch seinen »Hauptberater« bezeichnete.43 Auch Schneider musste als Vorsitzender der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum wenig später, im Mai 1996, auf Aufforderung seiner Vorstandskollegen sein Amt niederlegen, nachdem er öffentlich die Entlassung Barzels gefordert hatte.44 Teilweise zeitgleich mit den letzten Sitzungen der Libeskind-Kommission erschien im Tagesspiegel eine zweite Serie mit Debattenbeiträgen zum Jüdi­ schen Museum. Verfasst hatten sie: Hanna-Renate Laurien, bis 1995 Präsidentin des Abgeordnetenhauses und amtierende Vorsitzende des Diözesan­rats der Katholiken im Erzbistum Berlin, Klaus Schütz, ehemaliger Regierender Bürgermeister (1967–1977) und ehemaliger deutscher Botschafter in Israel (1977–1981), Jürgen Bostelmann, Vorstandsvorsitzender der Grundkredit Bank und Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin Museums, Salomon Korn, Frankfurter Architekt und Gedenkstättenbeauftragter des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie Jochen Boberg, Leiter des Berliner Museumspädagogischen Dienstes.45 Bis auf Korn stammten alle Autoren aus dem alten Westberlin. Während Bostelmann das integrative Konzept verteidigte und Korn mehr über die Architektur Libeskinds als über den gegenwärtigen Streit schrieb – dabei das »integrative Modell« allerdings akzeptierte –, lasen sich die Beiträge von Laurien, Schütz und Boberg dem T ­ enor nach als Unterstützung von Barzel.46

43 »Das wichtigste Gut der Politik sind Entscheidungen. Kultursenator Peter Radunski über die Kritik der letzten Wochen und die Projekte der nächsten Jahre«, in: Berliner Zeitung, 7.6.1996. 44 Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, undatiert (Juni 1997), S. 6, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum; Gesellschaft für ein Jüdische Museum in Berlin e. V., Tätigkeitsbericht 1996, 17.3.1997, in: Akten Norma Drimmer; Kai Ritzmann, Jüdische Museum: Zwei Konzepte, zwei Männer – ein Grabenkrieg, in: Berliner Morgenpost, 21.5.1996. 45 Zu Korns Funktion als Gedenkstättenbeauftragter des Zentralrats vgl. Rosh, Von der Idee zur Entscheidung, S. 50. 46 Hanna-Renate Laurien, Wie baut Berlin ein Jüdisches Museum? (1) Erlebbare Integration, in: Tagesspiegel, 14.2.1996; Klaus Schütz, Ende der Durchreise. Was wird aus Berlins Jüdischem Museum? (2) Einzigartige Präsenz, in: ebd., 16.2.1996; Jürgen Bostelmann, Ein Prüfstein. Was wird aus Berlins Jüdischem Museum? (3) Die Wechselwirkung, in: ebd., 20.2.1996; Salomon Korn, Phantomschmerzen. Was wird aus Berlins Jüdischem Museum? (4) Eingefrorener Blitz, in: ebd., 22.2.1996; Jochen Boberg, Unglaubliche Chance. Was wird aus dem Jüdischen Museum Berlin? (5) Die Utopie, in: ebd., 3.3.1996. Im Juli 1996 plädierte dann in der Zeitung ein Berliner Museumsmann, Helmut BörschSupan, langjähriger Vizedirektor der »Schlösser und Gärten« und bis 1995 Museumsdirektor von Schloss Charlottenburg, für ein Jüdisches Museum im Libeskind-Bau: Helmut Börsch-Supan, Verteilungskämpfe. Beispiel Jüdisches Museum: So verschleißt die Kulturbürokratie, in: ebd.; 25.7.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Obwohl die Auseinandersetzung um die Bespielung des Libeskind-Baus fürs erste beigelegt schien, als Barzel nachgegeben hatte, lebte der Streit wieder auf. In der Expertenkommission, die nach der letzten Sitzung der Libeskind-Kommission erneut zusammengetreten war, hatte es einen Eklat gegeben: Amnon Barzel hatte erklärt, dass er, falls das beschlossene Konzept nicht rechtzeitig zum Eröffnungstermin zu realisieren sei, den Erweiterungsbau mit einer großen Ausstellung zum Thema »Die Opferung des Isaak« eröffnen wolle. Die Mehrheit der Sitzungsteilnehmer hatte das als Abrücken vom Ergebnis der Kommissionsarbeit empfunden und dafür plädiert, Möglichkeiten zu prüfen, sich von Barzel zu trennen.47 Am 1. April bestimmte nun Reiner Güntzer, der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, Arbeitsgruppenleiter, die weiter an dem Konzept für das »Berlin Museum mit Libeskind-Erweiterungsbau (das Jüdische Museum eingeschlossen)« und parallel dazu an dem Konzept für das Märkische Museum arbeiten sollten. Dominik Bartmann wurde Leiter der Arbeitsgruppe »Berlin Museum mit Libeskind-Erweiterungsbau« und Amnon Barzel Leiter der Arbeitsgruppe Wechselausstellungen. Das bedeutete, dass Barzel weder für die Gestaltung des Themas »Juden in der Gesellschaft« in der Dauerausstellung zur allgemeinen Berlin-Geschichte verantwortlich sein sollte, noch die Verantwortung für die Gestaltung der Räume der Hauptabteilung Jüdisches Museum im Untergeschoss zugebilligt bekam.48 Konsequenterweise bestritt Generaldirektor Güntzer dann in einem Schreiben an Barzel am 7. Juni 1996 auch, dass das Jüdische Museum »Hauptnutzer« des Libeskind-Baus sei. Hauptnutzer sei vielmehr das Stadtmuseum, »überwiegend mit der Gesamtpräsentation der Berliner Stadtgeschichte unter dem Aspekt des integrativen Modells«.49 Mit dem Versuch, Barzel sogar die Verantwortung für die Schaufläche des Jüdischen Museums im Untergeschoss zu entziehen, hatte Generaldirektor Güntzer aber selbst aus Sicht des Senats

47 SenKult II A 2, Geschke, Sitzungen der Beratungskommission »Jüdisches Museum im Stadtmuseum« am 26.2. und 27.2.96, 29.2.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Nutzungskonzeption; Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, unpaginiert (S. 13), undatiert (2001), in: Akten Norma Drimmer. 48 Stiftung Stadtmuseum, Generaldirektor Güntzer, Zur zügigen, weiteren Konzepterarbeitung für das Berlin Museum mit dem Libeskind-Erweiterungsbau, 1.4.1996, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S.  393. Bald wurde die Hausmitteilung Güntzers in der Presse zitiert: »Jüdisches Museum: Direktor kaltgestellt?«, in: Berliner Morgenpost, 18.6.1996; »Jüdisches Museum. Güntzers Rückzieher«, in: Tagesspiegel, 20.6.1996. 49 Güntzer an Barzel, 7.6.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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überzogen.50 Bei der Vorbereitung des Antrags für die Finanzierung der Erstpräsentation im Gebäudekomplex an der Lindenstraße Ende 1996 wurde Barzel die alleinige Zuständigkeit für die Räume im Unter­geschoss, aber keine weitere Kompetenzen zugewiesen.51 Barzel beanspruchte daraufhin in einem Brief an Senator Peter Radunski, den Vorsitzenden des Stiftungsrates der Stiftung Stadtmuseum, die Zuständigkeit für die Erst­präsentation im gesamten Libeskind-Bau und erklärte erneut, im Untergeschoss die Zeit von 1933 bis 1945 zeigen zu wollen, eine Absicht, mit der er sich in der Libeskind-Kommission nicht hatte durchsetzen können.52 Der Konflikt eskalierte weiter, als im Juni 1996 öffentlich bekannt wurde, dass der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum seit seiner Amtseinführung im Sommer des Vorjahres eine Ausstellung über Heinz Galinski im Schöneberger Rathaus plante, ohne das Jüdische Museum seines Hauses und die Jüdische Gemeinde einzubeziehen, deren Vorsitzender Galinski immerhin 43 Jahre lang gewesen war. Reiner Güntzer begründete das damit, dass er die Ausstellung dem »deutsch-jüdischen Patrioten Galinski« widmen wolle – das habe weder mit dem Jüdischen Museum noch mit der Gemeinde zu tun.53 Er hatte sich in einem Brief direkt an die Witwe Heinz Galinskis gewandt und vorab, so steht es in diesem Schreiben, niemanden außer dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen in Kenntnis gesetzt.54 Es liegt nahe, dass der Vorschlag, ihrem verstorbenen Ehegatten eine Ausstellung zu widmen, Ruth Galinski grundsätzlich gefallen musste, zugleich war das Ausstellungsprojekt offensichtlich der Versuch, in der Auseinandersetzung um das

50 »Jüdisches Museum. Güntzers Rückzieher«, in: Tagesspiegel, 20.6.1996. Regierender Bürgermeister, Diepgen, an Senator Radunski, 28.6.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. Diepgen schrieb, er habe dem Gemeindevorsitzenden Kanal in einem Gespräch in den zurückliegenden Tagen »deutlich gemacht«, dass der »Abteilungsleiter Jüdisches Museum im Berlin Museum« auch »eigene Verantwortungen« habe, und forderte von Radunski eine klare Definition der Aufgaben »des Leiters (Abteilungsleiters) des Jüdischen Museums«. 51 Kurt Winkler, Protokoll der Arbeitssitzung zur Vorbereitung des Lottoantrags ›Erst­ präsentation im Gebäudekomplex Lindenstraße‹ am 9.12.1996, 19.12.1996, in: Akten Norma Drimmer. 52 Barzel an den Vorsitzenden des Stiftungsrates der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Senator Radunski, 15.1.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Stiftung Stadtmuseum, Berlin Museum mit Libeskind-Erweiterungsbau (Bauakten), Bde. 36–37, Kopien. 53 Anita Kugler, Ein Museum droht zu verschwinden. Noch keine Entscheidung im Streit um die Zukunft des Jüdischen Museums. Gespräch zwischen Kultursenator Radunski und Museumschef Barzel verschoben, in: taz, 20.6.1996. 54 Reiner Güntzer an Ruth Galinski, 21.8.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Jüdische Museum der Jüdischen Gemeinde die Deutungshoheit über ihren langjährigen Vorsitzenden zu entziehen.55 Im Zusammenhang mit dem Ausstellungsprojekt ist auch denkbar, dass angesichts des rasanten Wandels in der Jüdischen Gemeinde durch die Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion die deutsch-jüdische Tradition, aus der Galinski kam, gegen die aus Osteuropa und der Sowjetunion stammenden Gemeindemitglieder und ihre Kinder ausgespielt werden sollte. Das Bekanntwerden der von Güntzer geplanten Galinski-Ausstellung war ein Wendepunkt in der Auseinandersetzung um das Jüdische Museum. Danach war eine Zusammenarbeit der Jüdischen Gemeinde mit Reiner Güntzer nicht mehr möglich. Am 20. Juni 1996 war in der Wochenpost zu lesen: »Die jüdische Gemeinde lehnt mittlerweile, nachdem man lange versucht hatte, neutral zu bleiben, jede Kooperation mit Reiner Güntzer ab. ›Alles was er tut, ist nur darauf gerichtet, ein jüdisches Museum zu verhindern‹, erklärt der heutige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Jerzy Kanal. ›Wir lassen uns nicht mehr gefallen, daß Direktor Güntzer glaubt entscheiden zu können, was jüdisch ist und was nicht.‹«56

Noch schärfer äußerte sich Kanal gegenüber der SZ: »Güntzer versucht das­ Jüdische Museum zu tilgen.«57 Bekenntnisse zum »integrativen Modell« waren von den meisten führenden Gemeindemitgliedern, mit Ausnahme von Andreas Nachama, fortan nicht mehr zu hören.58 In einer Auflistung von Stichpunkten für den Regierenden Bürger­meister zeigte sich Jerzy Kanal empört darüber, dass der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum es nicht für nötig erachtet habe, sich im Hinblick auf seine Vorhaben für das Jüdische Museum mit der Jüdischen Gemeinde in Verbindung zu setzen. Stattdessen habe dieser versucht, die Jüdische Gemeinde zu umgehen, indem er sich in einem Schreiben an Ignatz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, gewandt habe. Güntzers Vorhaben einer Ausstellung zum »deutschen Patrioten« Galinski ohne Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde und dem Jüdischen Museum bezeichnete er als »absurde Idee«.59 55 Stiftung Stadtmuseum, Alice Uebe, Protokoll der Hauptabteilungsleiterrunde am 14.5.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. 56 Dieter Wulf, Quirliger Querdenker. Wie der Kultursenator den Leiter des Jüdischen Museums in die Wüste schicken will, in: Wochenpost, 20.6.1996. 57 Marianne Heuwagen, Versuch einer Tilgung. Das Jüdische Museum in Berlin ist zum Streitobjekt geworden, in: SZ , 25.6.1996. 58 Ingolf Kern, Berlin Museum: Der Libeskind-Bau muß Ende 1998 bespielt werden, in: Die Welt, 12.12.1996. 59 Gemeindevorsitzender Kanal an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 24.6.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Konzeptionsstreit. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Norma Drimmer, die Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen ­Gemeinde, übergab der Kulturverwaltung im Juni 1996 eine detaillierte Chronologie zur Geschichte des »Jüdischen Museums«, in der dokumentiert wurde, wie mit dem Museum in den vergangenen Jahren von der Kulturverwaltung und dem Berlin Museum verfahren worden war.60 Im September schrieb die Die Welt, der Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal favorisiere ein eigenständiges Jüdisches Museum »mit einem autonomen Direktor«, der selbst Entscheidungen fällen können und Finanzautonomie haben müsse. Jerzy Kanal beanspruche dabei den Libeskind-Bau für das Jüdische Museum.61 Daraufhin war im Tagesspiegel zu lesen, aus dem Roten Rathaus verlaute, dass zwar ihr Vorsitzender, aber nicht die ganze Jüdische Gemeinde hinter Amnon Barzel stehe. Daher sei eine Ablösung Amnon Barzels möglich, während Reiner Güntzer in seinem Amt als Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum verbleiben solle.62 Offenkundig in Reaktion darauf schrieb der Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal am 25.  September einen Brandbrief an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Kanal unterstrich darin, dass Heinz Galinski »mindestens seit über 20 Jahren für die Entstehung eines Jüdischen Museums« gekämpft habe: »Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, daß der Begriff ›integratives Modell‹ dazu genutzt wird, das Jüdische Museum nach dem Gutdünken von Menschen zu gestalten, die jedes Empfinden für das Wesentliche der jüdischen Geschichte vermissen lassen und dadurch das Ganze ad absurdum führen.«

Über die Anordnung von Generaldirektor Reiner Güntzer vom 1. April, mit der Barzel zum Leiter der Arbeitsgruppe Wechselausstellungen bestimmt worden war, urteilte Kanal, damit sei Barzel »degradiert« worden. Zugleich gab Kanal zu, dass sich Barzel »ungeschickt« verhalten habe, weil er sich »mehrfach an die Öffentlichkeit« gewandt habe. Für die Gemeinde sei es jedoch undenkbar, dass Barzel entlassen werde und »die Kompetenz für das Jüdische Museum auf irgendeine Art bei Herrn Güntzer belassen wird«. Das war auch so zu verstehen, dass sich die Gemeinde der Entlassung Barzels nicht widersetzen würde, wenn zugleich dem Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum die Kompetenz für das Jüdische Museum entzogen würde. Zum Schluss brachte Kanal sein Gefühl zum Ausdruck, dass Diepgen die 60 Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, undatiert (Juni 1997), hier: S. 4, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum, Kopien. 61 »Kanal will eigenständiges Jüdisches Museum«, in: Die Welt, 18.9.1996. 62 Thomas Lackmann, Ein Schwarzbuch für Barzel. Streit ums Jüdische Museum: Diepgen, heißt es, hat entschieden, in: Tagesspiegel, 20.9.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Einwände der Jüdischen Gemeinde und ihres Vorsitzenden »nicht mit dem gebührenden Ernst« betrachte. Auf seinen Brief sollte Jerzy Kanal keine Antwort bekommen.63 Für das offensichtlich getrübte Verhältnis zwischen dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und dem Regierenden Bürgermeister gab es eine naheliegende Erklärung. Drei Jahre zuvor, am 14. November 1993, hatte der Gemeindevorsitzende gemeinsam mit dem parteilosen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin und dem Verein Aktives Museum in einem Demonstrationszug gegen die Einweihung der Neuen Wache Unter den Linden als neue nationale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland protestiert, weil deren Inschrift Opfer und Täter der nationalsozialistischen Verbrechen in einen Topf warf.64 Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte trotz gleicher Bedenken dennoch an der Einweihung teilgenommen, nachdem ihm Bundeskanzler Helmut Kohl im Gegenzug die Unterstützung für ein den ermordeten Juden Europas gewidmetes Denkmal in Berlin versprochen hatte.65 Es ist kaum anzunehmen, dass Diepgen 1996 den öffentlichen Protest Kanals und der Gemeinde gegen die Einweihung der neuen nationalen Gedenkstätte vergessen hatte. Jerzy Kanal erklärte dann am 16. Oktober in der Repräsentantenversammlung, er habe bei mehreren Gelegenheiten mit Senator Peter Radunski und dem Regierenden Bürgermeister über das Jüdische Museum gesprochen. Es sei mit baldigen Entscheidungen zu rechnen, die jedoch möglicherweise nicht im Sinne der Gemeinde ausfallen könnten. Wie in seinem Schreiben an den Regierenden Bürgermeister erklärte er vor der Versammlung, dass es für die Gemeinde unerträglich sei, wenn Amnon Barzel entlassen werde und Reiner Güntzer die Kompetenzen für das Jüdische Museum behalte.66 Seit dem 30. September versuchte der israelische Philosoph Yehuda Elkana, ein Permanent Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, eine Gesprächsrunde zum Jüdischen Museum unter dem Titel »A New Jewish Museum in Berlin: Purpose, Concept and Realization« zu organisieren. Die geplante Ver­ 63 Gemeindevorsitzender Kanal an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 25.9.1996, in: Akten Norma Drimmer; Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Ab­ geordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, undatiert (Juni 1997), S. 7, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum. 64 Vgl. Reichel, Politik mit der Erinnerung, S. 205; Brumlik, The Situation of the Jews in Today’s Germany, S. 14. 65 Vgl. Ignatz Bubis, Das war das einzige Mal, daß ich ernsthaft gedacht habe, ob ich nicht auswandern soll, in: Schneider, Wir sind da!, S.  296–305, hier: 304; Leggewie / Meyer, »Ein Ort, an den man gerne geht«, S. 49, 163. 66 »Aus der Repräsentanz« (Sitzung am 16.10.1996), in: Berlin-Umschau, 7 (1996), Nr. 10, S. 12 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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anstaltung wurde als Unterstützungsaktion für Amnon Barzel wahrgenommen, da von den eingeladenen Teilnehmern erwartet wurde, dass sie der Position Barzels nahestanden, und da die Reise- und Unterbringungskosten von der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum getragen werden sollten.67 Die Gesellschaft unterstützte nun, nachdem sie sich von ihrem Vorsitzenden Bernhard Schneider getrennt hatte, Barzel. Obwohl Yehuda Elkana dann den Kreis der Einzuladenden erweiterte, um dem Vorwurf der Einseitigkeit zu begegnen, kam die Diskussion im Wissenschaftskolleg nicht zustande, weil Kultursenator Peter Radunski, Daniel Libeskind und Reiner Güntzer die Teilnahme an der Veranstaltung ablehnten und der Kultursenator zudem einen entsprechenden Brief an die Leitung des Wissenschaftskollegs sandte.68 Mitte September hatte Libeskind in einem Interview mit dem Tagesspiegel Amnon Barzel widersprochen, der von Anfang an gesagt hatte, beim Erweiterungsbau handele es sich ganz offensichtlich um ein Jüdisches Museum: »Tagesspiegel: Wollten Sie in Berlin ein Jüdisches Museum bauen? Libeskind: Niemals. Ich war beeindruckt von der Herausforderung, etwas zu bauen für die Integration jüdischer Geschichte mit Berliner Geschichte. Beide sind nicht zu trennen – außer im Rahmen tragischer Umstände. Tagesspiegel: Bekannt wurde Ihr Bau aber als Jüdisches Museum. Die Besucher aus aller Welt werden es so nennen und nicht vom Erweiterungsbau des Berlin Museums sprechen. Libeskind: Aber es war immer beabsichtigt, ein Berlin Museum mit Jüdischem Museum zu bauen. Sie brauchen einen Dichter, um dafür den richtigen Namen zu finden.«69

Damit blieb Libeskind dem treu, was er schon im August 1989, eineinhalb Monate nach der Juryentscheidung im Realisierungswettbewerb, in einem Interview mit Bernhard Schneider gesagt hatte: »Es geht nicht um die Gegenüberstellung zweier Museen, eines für die Geschichte Berlins und daneben ein jüdisches. Der zentrale Punkt ist der, daß die jüdische Seite der Geschichte Berlins mit dem Schicksal der Stadt so unauflöslich verflochten ist, daß man nicht von zwei separaten Vorgängen sprechen kann.«70 67 Yehuda Elkana, Wissenschaftskolleg zu Berlin, an Kurt Winkler, 30.9.1996, abgedruckt in: Weinland / Winkler, Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin, S. 399 f.; Parti­ cipants in the Round-Table-Dialogue. Wissenschaftskolleg am 3.11.1996, undatiert, abgedruckt in: ebd., S. 401. 68 Libeskind an Yehuda Elkana, Wissenschaftskolleg zu Berlin, 30.10.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Konzeptionsstreit; »Internationale Debatte zum Jüdischen Museum abgesagt«, in: Tagesspiegel, 31.10.1996. 69 »Was ist ein jüdisches Museum, Herr Libeskind?«, in: Tagesspiegel, 19.9.1996. 70 »Wenn Schicksal Architektur wird« (Interview von Bernhard Schneider mit Daniel­ Libeskind), in: Berliner Illustrierte Zeitung (Beilage der Berliner Morgenpost), 13.8.1989. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Auch wenn der Architekt es anders sah, war sein Erweiterungsbau, der durchzogen ist von Elementen, die an die Schoa erinnern, in den Augen vieler, wenn nicht der meisten ein »Jüdisches Museum«. Libeskind selbst hatte zu dieser Wahrnehmung maßgeblich beigetragen, indem er in einem Vortrag an der Universität Hannover am 5. Dezember 1989, der 1991 erstmalig und seitdem in verschiedenen Varianten immer wieder veröffentlicht wurde, für seine Bauskulptur die Metapher vom zerbrochenen Davidstern eingeführt hatte. Nachdem die Jüdische Gemeinde in der Resolution ihrer Repräsentanz vom 13.  September 1995, die lediglich dem Kultursenator übergeben, aber nicht öffentlich bekannt gemacht worden war, »volle Autonomie« für das Jüdische Museum gefordert hatte, wertete sie den Erlass der Verwaltungs­ satzung der Stiftung Stadtmuseum durch den Senat im März 1997 als Provokation, weil die Satzung von dem unveränderten Hauptabteilungsstatus des Jüdischen Museums im Stadtmuseum ausging.71 Daraufhin beschloss die Repräsentantenversammlung, deren Neuwahl kurz bevor stand, einstimmig eine Resolution, nicht weiter mit dem Senat bei der Errichtung »des sogenannten Jüdischen Museums« zusammenzu­ arbeiten, und erneuerte darin die Forderung nach »voller Autonomie« für das Museum. Diese Resolution wurde der Presse sofort bekannt gemacht.72 Auch die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum kündigte die Zusammenarbeit mit dem Senat auf, und Daniel Libeskind stellte sich nun ebenfalls auf die Seite der Gemeinde, indem er einen Brief an Kultursenator Peter Radunski schrieb, in dem er erklärte, die strukturellen Fragen der Bedeutung des Jüdischen Museums und des Berlin Museums seien nie gelöst worden. Darin stimme er voll mit der Jüdischen Gemeinde überein.73 Wie weit der Streit um das Jüdische Museum inzwischen eskaliert war, zeigte eine Radiosendung des SFB, die am 26. April 1997 ausgestrahlt wurde. Norma Drimmer von der Jüdischen Gemeinde erklärte darin, der gegenwärtige Umgang der Berliner Verwaltung mit der Gemeinde sei beispiellos. Museumsdirektor Barzel, der wenige Tage zuvor eine Delegation des Kultur­ausschusses der Knesseth, des israelischen Parlaments, durch den Libeskind-Bau geführte hatte, äußerte sich sehr harsch über den Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum (in Übersetzung):

71 Verordnung über die Verwaltungssatzung der »Stiftung Stadtmuseum Berlin  – Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins«, vom 10.3.1997, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 53. Jahrgang, Nr.  14, 27.3.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum. 72 »Resolution der Repräsentantenversammlung«, in: Berlin-Umschau, 8 (1997), Nr. 5, S. 2. 73 »Jüdische Gemeinde: Museumsprotest«, in: Tagesspiegel, 11.4.1997; Daniel Libeskind an Senator Radunski, 11.4.1997, in: Akten Norma Drimmer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Der Hauptwidersacher [Reiner Güntzer, D. B.] wurde zum Generaldirektor ernannt, vielleicht weil er der einzige ist, der bereit war, jeden Tag zu kämpfen, um durch unglaubliches Verhalten das Jüdische Museum als jüdisches Museum zu vernichten. Das Jüdische Museum kann keine kleine Ausstellung im Untergeschoß mit rituellen Ausstellungsgegenständen sein. […] Im Augenblick befinden wir uns an einem Punkt, wo die Vernichtung des Jüdischen Museums gerade stattfindet, vielleicht ist der Höhepunkt erreicht.«74

In einem anderen O-Ton sagte Barzel (wiederum in Übersetzung): »Aber ich habe nie gedacht, daß es [das Amt als Direktor des Jüdischen Museums, D. B.] so eine Mission werden würde: seit zweieinhalb Jahren jeden Tag wie eine Mauer den Angriffen standzuhalten, die darauf abzielen, das Jüdische Museum zu unterdrücken und zu demütigen, damit es ein ethnisches Museum im Untergeschoß wird.«

Mit ähnlich direkten Worten war Barzel bereits am 16. April in der Berliner Zeitung zitiert worden: »›Sie wollen das Jüdische Museum nicht.‹ Es handele sich um einen ›Haß‹ und eine ›freche Beleidigung‹, wie sie die Juden seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erfahren hätten. Bis nach Jerusalem und New York sehe man es mit Sorge. ›Ich hätte nicht geglaubt, daß ich hier so etwas erleben würde‹, sagt Barzel. Aber er werde den Gegnern des Museums das Feld nicht räumen. ›Ich werde bleiben. Es ist eine Mission.‹«75

Zudem hatte er in der taz zur gleichen Zeit angedroht, einen unabhängigen Untersuchungsausschuss zusammenzustellen, der die Vorgänge um das Jüdische Museum klären sollte.76 Reiner Güntzer, so Otto Langels, der Autor der SFB -Sendung, bezeichne seinen Kontrahenten »als Fundamentalisten« und nenne dessen Ansichten »schlicht meschugge«. Dass die vom Abgeordnetenhaus im Juni 1995 beschlossene »volle kulturelle Autonomie« für das Jüdische Museum zumindest in der damaligen Personalkonstellation völlig wertlos war, demonstrierte ein Zitat Güntzers: Wenn beispielsweise der Direktor des Jüdischen Museums ein Ausstellungskonzept vorlege, seien das für ihn »eher Fingerübungen«. 74 Zum Besuch der Knesseth-Delegation: Thomas Lackmann, Wir haben nicht Israel geschaffen, um uns das hier anzuhören! Acht Tage nach dem Rückzug der Jüdischen Gemeinde von den Museumsplänen des Senats Knesseth-Politiker im Libeskind-Bau, in: Tagesspiegel, 18.4.1997; »Jüdische Gemeinde verläßt Galinskis Linie. Autonomie oder Integration: Senat wartet im Streit um Libeskind-Bau Vorstandswahlen ab«, in: Die Welt, 18.4.1997. 75 Volker Müller, Wedelt der Schwanz mit dem Hund? Berlins absurdes Theater um das Jüdische Museums, in: Berliner Zeitung, 16.4.1997. 76 Matthias Benirschke, Streit um Jüdisches Museum eskaliert. Barzel sieht Intrigen. Kultursenator weist Vorwürfe zurück, in: taz, 12.4.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Laut dem bereits zitierten Artikel in der Berliner Zeitung kommentierte Güntzer das Vorhaben Barzels, im Erweiterungsbau die Berliner Geschichte aus der Perspektive der jüdischen Minderheit zu thematisieren, mit den Worten, da wedele der »Schwanz mit dem Hund«.77 Gegenüber dem Boulevardblatt B. Z. hatte der in die Wolle gefärbte Katholik Güntzer am 12. April erklärt, die Mitwirkung der Jüdischen Gemeinde beim Jüdischen Museum im Stadtmuseum sei nie vorgesehen gewesen. Die katholische Kirche funke ja auch nicht dazwischen.78 Daniel Libeskind erklärte in der SFB -Sendung (gemäß Übersetzung), dass Amnon Barzel 1993 unter den Bewerbern für den Direktorenposten des Jüdischen Museums der beste gewesen sei – der Architekt hatte der Auswahlkommission ja selbst angehört –, er aber jetzt von ihm enttäuscht sei, weil er »sich nicht ernsthaft mit der Berliner und jüdischen Geschichte« auseinandersetze.79 In der Sendung wurden auch die Umstände der Berufung Barzels 1993/94 rekapituliert. Damals sei neben Daniel Libeskind vor allem Kultursenator Ulrich Roloff-Momin von Barzel überzeugt gewesen. Für Roloff-Momin war bei der Entscheidung für Barzel ein ausschlaggebendes Motiv gewesen, dass dieser sich als Gründungsdirektor des Kunstmuseums in Prato als fähiger Spendeneinwerber erwiesen hatte.80 Langels urteilte darüber: »So wie die Beteiligten heute die Berufung Barzels beschreiben, muß es zugegangen sein wie unter Marktschreiern. Wer eine blumige Rede hielt, die meisten Ver­ sprechungen machte und mit Millionen-Dollar-Präsenten winkte, hatte die besten Chancen. Die Begeisterung in der Kulturverwaltung muß so groß gewesen sein, daß die Peinlichkeit des Vorgangs nicht weiter auffiel. Berlin hielt die Hand auf, um Geldgeschenke entgegenzunehmen und sich damit klammheimlich der finanziellen Ver77 Volker Müller, Wedelt der Schwanz mit dem Hund?, in: Berliner Zeitung, 16.4.1997; auch: Ute Frings, Braucht Berlin ein jüdisches Museum oder nicht? Eine schier unlösbare Frage für eine Hauptstadt, die sich lieber im Streit ergeht, als Entscheidungen zu fällen, in: FR , 28.6.1996. 78 Norma Drimmer, Der politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses zu einem Jüdischen Museum im Erweiterungsbau des Berlins Museums und der Umgang mit ihm durch die Verwaltung, undatiert (Juni 1997), S. 8, in: Akten Senats­verwaltung, Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum; Ingo Timm, Ansprache zum 60. Geburtstag des Generaldirektors der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Prof. Reiner Güntzer, am 10.7.1998, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, 4 (1998), S. 416; Abschiedsrede von Generaldirektor Prof. Güntzer am 10.7.2003, in: ebd., 9 (2003), S. 314–317, hier: 315. 79 Einen ganz ähnlichen Vorwurf gegen Barzel hatte Libeskind bereits im September 1996 in einem Interview mit dem Tagesspiegel erhoben: »Was ist ein jüdisches Museum, Herr Libeskind?«, in: Tagesspiegel, 19.9.1996. 80 Thomas Mauder / Paul Kaiser, Plötzlich ist der Querdenker in Berlin fehl am Platz. Der Streit um das Jüdische Museum. Amnon Barzel kämpft für ein vitales Modell der Er­ fahrung, in: Rheinischer Merkur, 24.5.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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antwortung für das Jüdische Museum weitestgehend zu entledigen. Die Deutschen, genauer gesagt die Nationalsozialisten, zerstörten 1938 das Jüdische Museum. Ein halbes Jahrhundert später stimmen deutsche Politiker, weil das Geld knapp ist, sofort zu, wenn ein jüdischer Bewerber andeutet, dank exzellenter Beziehungen Spenden für das Jüdische Museum zu akquirieren. 1938 mußten Juden den Schaden bezahlen, den Nazis in der Pogromnacht angerichtet hatten. Warum sollen Juden nicht auch jetzt zahlen, wenn ein Jüdisches Museum errichtet werden soll? Haben so Berliner Politiker gedacht?«81

Ulrich Roloff-Momin selbst, der bereits in einem Leserbrief an den Tagesspiegel, veröffentlicht am 29.  September 1996, den Rauswurf Barzels gefordert hatte und dessen Berufung bald als den schwersten Fehler seiner Amtszeit bezeichnen sollte, bestätigte in seinen Memoiren »Zuletzt: Kultur«, dass ein angebliches Versprechen Barzels, Spenden einzuwerben, ein entscheidendes Motiv für dessen Berufung gewesen war.82 Er behauptete, nachdem die Auswahlkommission ihm im November 1993 Barzel empfohlen habe, habe er diesen in einem Vieraugengespräch auf das Fehlen von Etat und Mitarbeitern für das Jüdische Museum hingewiesen. Daraufhin habe dieser erwidert, acht Millionen Dollar könne er durch Sponsoren leicht zusammenbringen. Barzel erklärte dagegen im Mai 1996, ihm sei damals ein Etat versprochen worden.83 Kurz nach seinem Amtsantritt im September 1994, noch bevor die neue Etappe des Streits um das Jüdische Museum begonnen hatte, hatte er in einem Interview gesagt: »Ich werde mindestens acht Millionen DM pro Jahr brauchen, unabhängig von Sonderausstellungen. Das wird wohl für den Berliner Senat zu viel sein. Deshalb werde ich versuchen, Sponsoren zu finden.«84 81 Transkript: Von der Kunst des Spagats. Der Streit um das Jüdische Museum im Stadtmuseum, SFB , eine Gulliver-Sendung von Otto Langels, Redaktion Johannes Wendt, gesendet am: 26.4.1997. 82 Ulrich Roloff-Momin, Kultursenator a. D., Leserbrief, in: Tagesspiegel, 29.9.1996; »Diepgen steht ›voll und ganz‹ zu Barzels Entlassung«, in: ebd., 1.7.1997. 83 Roloff-Momin, Zuletzt: Kultur, S. 171 f. Die Passage über die Berufung Barzels erschien auch im Rahmen des Vorabdrucks im Tagesspiegel. Ders., Aus dem Rennen direkt ins Amt. »Zuletzt: Kultur« (2. Folge): Wie Amnon Barzel zum Direktor des Jüdischen Museums wurde, in: Tagesspiegel, 10.10.1997; SenKult III A 4, Geschke, Vertrauliches Protokoll über das Auswahlverfahren zur Besetzung der Stelle Leitung Jüdisches Museum im Berlin Museum, 28.12.1993, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; Mauder / Kaiser, Plötzlich ist der Querdenker in Berlin fehl am Platz, in: Rheinischer Merkur, 24.5.1996. Bereits im Juni 1995 hatte der zuständige Abteilungsleiter der Kulturverwaltung, Joachim Sartorius, im Tagesspiegel geschrieben, Barzel habe seine Bewerbung um den Direktorenposten mit dem Versprechen untermauert, erhebliche Drittmittel einzuwerben. Joachim Sartorius, Der herbeigeredete Streit, in: Tagesspiegel, 30.6.1995. 84 Sabine Pfennig-Engel, »Ich will mit einer Ausstellung ›Die Opferung des Jitzchak‹ beginnen«. Gespräch mit Amnon Barzel, in: Jüdische Rundschau Maccabi, Nr. 39, 26.9.1994. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Roloff-Momin begründete seine damalige Entscheidung, die Direktorenstelle für das Jüdische Museum international auszuschreiben, damit, dass er die Personalauswahl nicht »auf dem üblichen Berliner Niveau« habe treffen wollen. Auch das ist angesichts der Tatsachen, dass der »Direktor« des Jüdischen Museums in der in Planung befindlichen Stiftung Stadtmuseum lediglich Abteilungsleiterstatus haben sollte und dass für das Museum kein nennenswerter Etat existierte und in den nächsten Jahren auch nicht vorgesehen war, schwer nachvollziehbar. Selbst wenn Roloff-Momins Version des Einstellungsgesprächs mit Barzel stimmen und dieser tatsächlich Versprechungen über die Einwerbung von Spenden gemacht haben sollte, die er anschließend nicht einhielt, hätte es sich um einen Akt höherer Gerechtigkeit gehandelt, dass der Kulturverwaltung die Erwartung, ein neues Jüdisches Museum in Berlin durch Spenden von Juden aus dem Ausland zu finanzieren, schließlich auf die Füße fiel. Die Spekulation auf Spenden von Juden aus dem Ausland zur Finanzierung jüdischer Kultureinrichtungen war keineswegs neu im Nachkriegs-Berlin. Die DDR hatte in den 1980er Jahren gehofft, die Restaurierung der Neuen Synagoge teilweise mit Spenden aus dem Ausland finanzieren zu können, und deshalb ein internationales Kuratorium eingerichtet.85 Und auch in der Westberliner Kulturverwaltung waren intern schon in den 1980er Jahren unter Kultursenator Volker Hassemer im Planungsreferat Überlegungen angestellt worden, für das Jüdische Museum in den USA Spenden einzuwerben.86 Anfang Mai 1997 veröffentlichte dann der Verein der Freunde und Förderer des Stadtmuseums die umfangreiche von Martina Weinland und Kurt Winkler erstellte Dokumentation »Das Jüdische Museum im Stadtmuseum Berlin«, deren ausführliche Einführung und Erläuterungen zweisprachig auf Deutsch und Englisch gehalten waren. Die Dokumentation zielte ganz offensichtlich auf die Verteidigung des »integrativen Konzepts« und der Position der Gegner Barzels ab. Zusätzliches Gewicht erhielt die Dokumentation dadurch, dass sie vom Vorsitzenden des Vereins der Freunde und Förderer 85 Vgl. Timm, Hammer – Zirkel – Davidstern, S. 311; Jutta Illichmann, Die DDR und die Juden. Die deutschlandpolitische Instrumentalisierung von Juden und Judentum durch die Partei- und Staatsführung der SBZ / DDR von 1945 bis 1990, Frankfurt a. M. 1997, S. ­262–264; Reichel, Die Politik mit der Erinnerung, S. 173. 86 SenKult PlanRef, Schneider, Vermerk: 750-Jahr-Feier, Fund-raising für das Jüdische Museum Berlin als Abteilung des Berlin-Museums, undatiert (ca. Juli 1983), in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 170; SenKult V A, Güntzer, Sachstandsvermerk: Angemessene Unterbringung des »Jüdischen Museums« (Abt. des Berlin-Museums), 8.7.1983, in: ebd., Ordner 174; SenKult PlanRef, Schneider, Vermerk: Jüdische Abteilung des Berlin Museums, 25.1.1987, in: ebd., Ordner 379; SenKult III A 2, Vermerk: Erweiterungsbau für das Berlin Museum, 5.3.1987, in: ebd.; »›Jüdisches Museum muß gebaut werden‹. Direktor nennt die erneute Diskussion über den Erweiterungsbau des Berlin Museums ›ungeheuerlich‹« (Interview mit Rolf Bothe), in: Spandauer Volksblatt, 21.8.1991. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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des Stadtmuseums, Jürgen Bostelmann, zusammen mit Lutz von Pufendorf, der ebenfalls dem Vereinsvorstand angehörte, der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Von Pufendorf sollte, wie bereits bekannt war, Anfang Juni als Kulturstaatssekretär reaktiviert werden. Wenige Tage vor der Präsentation der Dokumentation war von Pufendorf in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung mit den Worten zitiert worden, die Auseinandersetzung um das Berliner Jüdische Museum sei ausschließlich eine Personalfrage: »Das Problem heiße einzig und allein: Amnon Barzel, und wenn das gelöst sei […] werde sich alles andere auch klären«.87

In der Dokumentation waren entscheidende Momente der Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums nicht erfasst: die Reden, die 1986 bei der Eröffnung der drei Schauräume für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums im Gropius-Bau gehalten worden waren; ferner die Tatsache, dass sich Heinz Galinski 1989, wie im Ergebnisband des Realisierungswettbewerbs nachzulesen war, einen eigenen Gebäudeteil für das Jüdische Museum im Rahmen der Erweiterung gewünscht hatte, bevor er sich für den Entwurf Daniel Libeskinds aussprach; die Reden, die am 9. November 1992 bei der Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau gehalten worden waren; und die Erklärung von Ulrich Roloff-Momin 1994 zur Amtseinführung Amnon Barzels. Darüber hinaus verschwieg die Dokumentation, dass Vera Bendt, die Leiterin der Jüdischen Abteilung, 1987 Positionen vertreten hatte, die stark von denen des Direktors des Berlin Museums, Bothe, abwichen. Außerdem war in der Dokumentation das Konzept Amnon Barzels für das Jüdische Museum nur zur Hälfte abgedruckt, was damit begründet wurde, dass der andere Teil  bereits in der Broschüre zum Richtfest veröffentlicht worden sei. Dieser Teil enthielt aber Barzels von den Vorstellungen der Stiftung Stadtmuseum und von Daniel Libeskind abweichende Raumprogramm für den Erweiterungsbau.88 Am 1. Juni 1997 standen die Wahlen zur Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde an. Da der amtierende Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal  – der wie Heinz Galinski Auschwitz-Überlebender war  – nicht erneut­ antrat, war im Voraus klar, dass die Wahlen einen Generationswechsel nach sich ziehen würden und dass der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu­ 87 Dieter Wulf, Mogelpackung Jüdisches Museum. Nach dem neuesten Verwaltungsbeschluß bestimmt allein die Stadt, was jüdische Kultur ist, in: Allgemeine Jüdische­ Wochenzeitung, 2.5.1997. 88 Thomas Lackmann, »Dann müßte man den Libeskindbau sofort wieder abreißen«. Schlagabtausch im Märkischen Museum: Lutz von Pufendorf und Jürgen Bostelmann präsentieren ein brisantes Buch über das Jüdische Museum in Berlin, in: Tagesspiegel, 3.5.1997; Volker Müller, Auf einem Auge blind. Der Nicolai-Verlag präsentierte eine Dokumen­tation zum Jüdischen Museum in Berlin, in: Berliner Zeitung, 5.5.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Berlin erstmals nach 1945 nicht mehr aus dem Kreis der Überlebenden stammen würde. Dieser bevorstehende Generationswechsel in der Führung der Jüdischen Gemeinde war auch Thema in der Presse.89 In der Welt hieß es am 25. Juni, jenem Tag, an dem die neu gewählte Repräsentantenversammlung den neuen Gemeindevorstand wählte, erwartungsfroh: »Die neue Generation, die die Geschicke der Gemeinde bestimmt, wird ihr Selbst­ verständnis anders definieren müssen, als die abgetretene, die den Holocaust noch selbst erlebt hat. Gelingt ihr das, wird sie eine ganz große Rolle spielen. Ihr Erfolg wird auch einer für Berlin sein.«90

Nach den Wahlen zur Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde, aber noch vor der Wahl des neuen Gemeindevorstands veröffentlichte der Tages­spiegel ein Streitgespräch zwischen Amnon Barzel und Winfried Sühlo (SPD), der zur Zeit der Berufung Barzels Kulturstaatssekretär gewesen war. Kurz zuvor hatte Sühlo in einem Beitrag in der FAZ geschrieben, wolle man am integrativen Konzept festhalten, müsse sich der Senat von Amnon Barzel trennen und einen kompetenten Nachfolger finden. Sühlo fügte allerdings noch hinzu, das müsse im Dialog mit der Jüdischen Gemeinde geschehen, in dieser Frage könne nur einvernehmlich gehandelt werden.91 Das Streitgespräch zwischen dem ehemaligen Kulturstaatssekretär und dem Museumsdirekor endete in völliger Konfrontation. Bemerkenswert war zunächst die Reaktion Sühlos auf den Hinweis des Tagesspiegels, das Abgeordnetenhaus habe »kulturelle Autonomie« für das Jüdische Museum gefordert. Dazu erklärte der Staatssekretär a. D., es handele sich dabei um »[e]ine typische Entscheidung auf parlamentarischer Ebene«. Barzel bemerkte in dem Gespräch zum integrativen Konzept: »Integrieren können Sie nur, was die gleichen Rechte hat, und nicht indem Sie jemand ganz klein machen und ihn dann verschlingen. Das ist Elimination.«

Darauf entgegnete Sühlo: »Ich bin sauer, wenn Herr Barzel hier von Elimination spricht. Dieses Wort gehört nicht in unseren Zusammenhang.«

Am Ende des Gesprächs erklärte Barzel, er habe Senator Peter Radunski vor einem Monat gesagt, er mache entweder ein autonomes Museum nach seinem Konzept oder gar keines: 89 Bernd Matthis, Aufschwung und Zerreißprobe, in: Tagesspiegel, 27.5.1997. 90 Kurt Teske, Der Kommentar: Gespannt auf diese Wahl, in: Die Welt, 25.6.1997. 91 Winfried Sühlo, Leistung und Schicksal. Zur Zukunft des Berlin Museums und des Jüdischen Museums, in: FAZ , 16.6.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Die Welt soll wissen: Berlins Politiker wollen gar kein Jüdisches Museum, sie ver­ dienen keins. […] 52 Jahre nach dem Holocaust, diese Haltung in Berlin: gegenüber jüdischer Geschichte und Kultur. Jetzt soll ich gehen, die Jüdische Gemeinde hat nichts mehr mit dem Museum zu tun, die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum zieht sich zurück, das Wissenschaftskolleg kann nicht mal eine Diskussion veranstalten. Ich kann morgen gehen. Aber was machen Sie mit der Jüdischen Gemeinde? Wollen Sie den Juden hier auch sagen, daß sie gehen sollen?«

Sühlo erwiderte, diese Frage sei abwegig, und fügte hinzu, »diese Überzogenheit« mache eine Zusammenarbeit mit Barzel unmöglich.92 Am 25.  Juni wurde Andreas Nachama zum neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde gewählt. Am Tag darauf, als er unterwegs zum Antrittsbesuch beim Regierenden Bürgermeister war, erfuhr Nachama von der am selben Tag erfolgten Kündigung Barzels durch Reiner Güntzer, den Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, die mit Rückendeckung der Kultur­ verwaltung und des Regierenden Bürgermeisters erfolgt war.93 Die Kündigung war schon allein deshalb außergewöhnlich, weil in der Bundesrepublik noch nie dem Direktor eines wichtigen Museums gekündigt worden war.94 Barzel reagierte mit der Erklärung, er werde kämpfen: »politisch, ideo­ logisch und juristisch«. Offenbar hatte der Senat auf eine zurückhaltende Reaktion der Gemeinde gehofft, weil Nachama als Befürworter des »integrativen Konzepts« und Gegner Barzels galt – Anfang August sollte er gegenüber dem Tagesspiegel sagen, Barzel sei ein »israelischer Rambo«.95 Der neu gewählte Gemeindevorstand empfand die Entlassung Barzels jedoch als kalkulierte Überrumpelung und »Herabwürdigung« seiner selbst und reagierte heftig. In einer Presseerklärung teilte er mit:

92 Peter von Becker / Thomas Lackmann, Die Zukunft des Jüdischen Museums steht auf dem Spiel. Daniel Libeskinds kühner Museumsbau: ein steingewordener Blitz. Aber­ Funken schlagen jetzt hinter den Kulissen. Ex-Staatssekretär Winfried Sühlo fordert zur Rettung des Museums die Entlassung des Direktors Amnon Barzel – und Barzel kontert: ein Streitgespräch, in: Tagesspiegel, 23.6.1997. 93 Anita Kugler, Museumsdirektor geschaßt, in: taz, 28.6.1997; »Diepgen steht ›voll und ganz‹ zu Barzels Entlassung«, in: Tagesspiegel, 1.7.1997; Peter Philipps, Gehakel auf dünnem Eis. Kleinkarierter Streit gefährdet mehr als das Jüdische Museum, in: Berliner Morgenpost, 25.10.1997. 94 Klaus Hartung, Berliner Geschichtsaffären. Der langwierige Streit um das Jüdische­ Museum bedroht den Ruf der Hauptstadt, in: Die Zeit, 19.9.1997. 95 Uwe Schmitt, Vergiftet. Klima im Berliner Museumsstreit, in: FAZ , 2.7.1997; »Sind Sie stolz, deutscher Jude zu sein, Herr Nachama?«, in: Tagesspiegel, 6.8.1997; Michael Z.  Wise, Fighting  a Culture War over  a »Lightning Bolt«. With its Director dismissed and its Mission in Question, Berlin’s Jewish Museum in Limbo, in: Forward (New York), 19.9.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Unseres Wissens ist in Berlin seit 1945 kein Museumsdirektor entlassen worden. Leider drängt sich der Vergleich mit der finsteren Zeit zwischen 1933 und 1938 auf, in der jüdische Museumsdirektoren in Berlin ihres Amts beraubt wurden.«96

Der Senat hätte gewarnt sein können, da auch Gemeindemitglieder, die nicht als Freunde Barzels galten, wie Andreas Nachama und Julius H. Schoeps, im vorangehenden Jahr seine Linie deutlich kritisiert hatten.97 Auf die Presseerklärung der Gemeinde reagierte der Senat nun seinerseits empört und forderte eine Entschuldigung von Nachama. Dieser verlangte hingegen bald öffentlich, nun auch Güntzer zu entlassen, weil es nicht Sieger und Verlierer in diesem Streit geben dürfe. Das ergänzte er mit dem Hinweis: Hätte der Senat sowohl Barzel als auch Güntzer entlassen, dann hätte er sich mit keinem Wort beschwert.98 Außerdem erklärte er, Generaldirektor­ Güntzer habe den letzten Beweis erbracht, dass das integrative Konzept zumindest auf der administrativen Ebene gescheitert sei, und schloss für die Gemeinde jede weitere Zusammenarbeit mit Güntzer aus.99 Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin warfen sich gegenseitig öffentlich Unwahrheit vor in der Frage, ob Letzterer über die bevorstehende Entlassung Barzels vorab informiert gewesen sei. Von Pufendorf erklärte zudem, es müsse möglich sein, einem jüdischen Museumsdirektor zu kündigen, wenn dieser seine Aufgabe nicht erfülle.100 Einiges spricht dafür, dass Andreas Nachama nicht vorab von der Ent­ lassung Barzels informiert war. Am Tag vor Barzels Entlassung war ein Interview mit ihm in der FAZ erschienen, in dem er erklärt hatte, die Probleme des Jüdischen Museums würden mit einer Kündigung Barzels nicht ver­schwinden, sie müssten strukturell gelöst werden. Er rate der Kulturverwaltung, zunächst die inhaltlichen und organisatorischen Hausaufgaben zu 96 Pressemitteilung des Vorstands der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, undatiert, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143; »Jüdisches Museum: Barzel gekündigt«, in: Tagesspiegel 27.6.1997. 97 »Ende der ›fruchtlosen Diskussionen‹ angemahnt«, in: Berliner Morgenpost, 1.10.1996; Volker Müller, Auf einem Auge blind, in: Berliner Zeitung, 5.5.1997; Volker Müller, Der Libeskindbau als Holocaust-Mahnmal. Der Historiker Julius H.  Schoeps hat eine Lösung für zwei Streitfälle, in: Berliner Zeitung, 12.6.1997. 98 »Jüdisches Museum: Nachama fordert Absetzung Güntzers«, in: Tagesspiegel, 29.6.1997; »Jüdisches Museum: Barzel gekündigt«, in: Tagesspiegel, 27.6.1997; Volker Müller, Der Libeskindbau verdient kein Ende mit Schrecken. Zur Kündigung von Amnon Barzel als Direktor des Jüdischen Museums, in: Berliner Zeitung, 28./29.6.1997. 99 »Nachama: Integratives Modell gescheitert. Weiter Streit um Jüdisches Museum«, in: Tagesspiegel, 5.7.1997; »Jüdisches Museum: Akademie der Künste sucht die Lösung«, in: ebd., 7.8.1997. 100 Uwe Schmitt, Vergiftet. Klima im Berliner Museumsstreit, in: FAZ , 2.7.1997; »Der Streit um das Jüdische Museum verschärft sich«, in: Tagesspiegel, 4.7.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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machen.101 Die Empörung der Jüdischen Gemeinde im Allgemeinen und von Andreas Nachama im Besonderen über das Timing der Kündigung war nur zu begründet. Die Kündigung am Tag nach der Wahl des neuen Gemeindevorsitzenden zeugte von einer erstaunlichen Kaltschnäuzigkeit. Über ein Jahr war Peter Radunski als Kultursenator bereits im Amt, ohne dass man von ihm etwas zum Jüdischen Museum gehört hätte, und über ein Jahr lang hatte die Presse Gerüchte kolportiert, der Senat beabsichtige Barzel zu entlassen, und nun erfolgte die Kündigung an diesem Tag.102 Der Jüdischen Gemeinde und Teilen der Presse drängte sich der Schluss auf, dass der Senat meine, nun, da man es nicht mehr mit einem HolcoaustÜberlebenden an der Gemeindespitze zu tun hatte, könne man mit der Gemeinde anders umspringen. Deshalb war der Vergleich mit der »finsteren Zeit« in der Presseerklärung der Gemeinde auch kein Schnellschuss, sondern eine bewusste Demonstration gegenüber der Politik, dass sich auch ihre neue Führungsgeneration das Recht herausnahm, die Deutschen an ihre Ver­ gangenheit zu erinnern.103 Vier Monate später berichtete Andreas Nachama der taz, kurz nach seiner Wahl zum Gemeindevorsitzenden habe ihm ein höherer Beamter aus der Senatsverwaltung gratuliert und hinzugefügt: »Sie werden es schwer haben, ›Ihnen fehlt die KZ -Nummer auf dem Arm‹.«104 Dass diese Interpretation von Barzels Entlassung durch die Gemeinde und Teile der Presse berechtigt war, bewies Staatssekretär von Pufendorf beim Antrittsbesuch des neuen Gemeindevorsitzenden Nachama bei Kultursenator Peter Radunski am 27. Juni, der erklärte, die Zeit sei vorbei, »in der ›Radika101 »Gespräch mit Andreas Nachama. So ist das jüdische Leben: Es gibt keinen Papst«, in: FAZ , 25.6.1997. 102 Paul Kaiser, Klaffender Riß. Im Streit um das Jüdische Museum bahnt sich offenbar die Ablösung von Direktor Barzel an, in: Tagesspiegel, 20.5.1996. Am 2. Oktober 1996 bat Barzel in einem Schreiben an Senator Radunski diesen, die Meldungen der deutschen und ausländischen Presse, der Senat beabsichtige ihn zu entlassen, offiziell zu dementieren. Barzel an Radunski, 2.10.1996, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. 103 Sabine Pfennig-Engel, »Ich wollte nicht ein berufsmäßiger Jude werden«. Interview / Berlin – Der neugewählte Gemeindevorsteher Andreas Nachama über sich und seine Gemeinde, in: Jüdische Rundschau Maccabi, 24.7.1997; Malte Lehming, Verheerendes Signal, in: Tagesspiegel, 27.6.1997; Volker Müller, Der Libeskindbau verdient kein Ende mit Schrecken, in: Berliner Zeitung, 28./29.6.1997; Ute Frings, Die ›ärmliche Stadt‹. Berlin schaßt einen Querdenker. Amnon Barzel, Chef des Jüdischen Museums in Berlin, wird entlassen / Letzte Ausstellung unter seiner Regie?, in: FR , 4.7.1997; Y. Michal Bodemann, Ein böses Possenspiel. Die Entlassung des jüdischen Museumsdirektors Barzel zeigt: Deutsche und Juden leben, allen Gedenkritualen zum Trotz, in verschiedenen Erinnerungswelten, in: taz, 5./6.7.1997. 104 Anita Kugler, Ohne Nummer im Arm. Sind nur tote Juden gute Juden? Andreas­ Nachama, Chef der Berliner Jüdischen Gemeinde, will nicht mehr gelassen sein, in: taz, 27.10.1997; vgl. Andreas Nachama, Wir bewegen uns auf einer dünnen Eisdecke, in: Schneider, Wir sind da!, S. 409–422, hier: 410. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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linskis‹ in der Fasanenstraße ihre Politik durchsetzen können« (in der Fasanenstraße befindet sich das Westberliner Gemeindezentrum).105 Die Wortwahl »Radikalinskis« legt nahe, dass von Pufendorf damit nicht nur Jerzy Kanal, sondern auch dessen Vorgänger Heinz Galinski meinte. Offenbar hatte der Senat seit längerem geplant, Barzel nach den Wahlen in der Jüdischen Gemeinde zu entlassen. Darauf deutete nicht nur die Reakti­ vierung des erklärten Barzel-Gegners von Pufendorf als Kulturstaatssekretär im Juni hin, sondern auch eine Äußerung von Senator Peter Radunski. Laut Tagesspiegel vom 13.  Mai zeigte sich der Senator zuversichtlich, dass »nach den Wahlen in der jüdischen Gemeinde endlich mit der dringend notwendigen Sacharbeit« für das von Daniel Libeskind entworfene Museum begonnen werden könne.106 Das Presseecho auf die Entscheidung des Generaldirektors der Stiftung Stadtmuseum und des Senats, Barzel am 26. Juni zu kündigen, war von Anfang desaströs. Malte Lehming betitelte seinen Kommentar vom 27. Juni im Tagesspiegel »Verheerendes Signal«. Lehming gab zwar zu, dass man über den »ruppigen« Barzel durchaus geteilter Meinung sein könne, urteilte jedoch, »sowohl die Art als auch der Zeitpunkt seiner Kündigung sind ein Skandal«.107 Mit einer negativen Reaktion des Tagesspiegels und linker und links­ liberaler Zeitungen hatte der Senat vermutlich gerechnet, aber ein Zeichen, dass er sich gründlich verkalkuliert hatte, war der Kommentar in der FAZ . Dabei hatte diese noch Anfang Mai anlässlich der Veröffentlichung der Dokumentation des Vereins der Freunde und Förderer des Stadtmuseums dem Senat recht deutlich die Entlassung Barzels nahegelegt und Winfried Sühlo hatte keine zwei Wochen zuvor in einem Artikel in dem Blatt offen für eine Trennung von Barzel plädiert, allerdings im Einvernehmen mit der Jüdischen Gemeinde.108 Nun war der Kommentar in der Zeitung überschrieben: »Ber­ liner Affront«, und wie für den Tagesspiegel gab es für sie »an der verheerenden Wirkung von Art und Zeitpunkt der Entscheidung keinen Zweifel«. Zudem bemerkte sie, der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, Reiner Güntzer, sei nicht minder umstritten als Barzel.109 Auch aus der Berliner Politik schlug dem Senat bald scharfe Kritik entgegen. Nicht nur die Grünen – die bereits ein Jahr zuvor gefordert hatten, im Libeskind-Bau »vorrangig« Zeugnisse jüdischen Lebens in Berlin zu zeigen  –, sondern auch der Koalitionspartner der CDU in der großen Koali105 Andreas Nachama, Jüdische Gemeinde zu Berlin, Vermerk: Antrittsbesuch bei Kultursenator Peter Radunski, Abschiedsbesuch von Herrn Kanal am 27.6.1997, 28.6.1997, in: Akten Norma Drimmer. 106 »Jüdisches Museum: Radunski vermittelt«, in: Tagesspiegel, 13.5.1997. 107 Malte Lehming, Verheerendes Signal, in: Tagesspiegel, 27.6.1997. 108 Camilla Blechen, Kommentar, in: FAZ , 5.5.1997. 109 »Berliner Affront. Kündigung im Jüdischen Museum«, in: FAZ , 28.6.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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tion, die SPD, sowie die FDP verlangten die Rücknahme der Kündigung Barzels. Unmittelbar nach der Kündigung hatte Nikolaus Sander, der kulturpolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, die Entscheidung allerdings noch als unvermeidbar bezeichnet.110 Die FDP verwies darauf, dass sie das Museums­stiftungsgesetz von Anfang an abgelehnt hatte, und verlangte Autonomie für das Jüdische Museum und die Entlassung Güntzers. Das Jüdische Museum stelle eine »riesige Chance« für Berlin dar und der LibeskindBau müsse zu einem »internationalen Ort der Begegnung und des Dialogs« werden.111 Am 3. Juli wurde die Ausstellung »Leben im Wartesaal. Exil in Shanghai 1938–1947« in den Räumen der Hauptabteilung Jüdisches Museum im Gropius-Bau eröffnet. Die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum rief für den Abend unter dem Motto »Ein Jüdisches Museum  – ohne Juden?!« zu einer Protestversammlung vor dem Gebäude auf.112 Amnon Barzel erklärte dabei, »[d]ie erstaunliche Hartnäckigkeit, mit der sich die Kulturverwaltung einem selbstständigen Jüdischen Museum widersetze, lasse am ›historischen Verantwortungsbewußtsein‹ von Politikern Zweifel aufkommen«.113 Am Tag darauf legte Reiner Güntzer, der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, im Tagesspiegel in einem »Das Integrationsmodell muß bleiben« überschriebenen Beitrag erstmals seinen Standpunkt einer breiten Öffentlichkeit dar. In dem ausführlichen Artikel berief er sich auf die »internationale Expertentagung« 1988 im Berliner Aspen Institut, ließ aber gleichzeitig durchblicken, dass er im Hinblick auf das »integrative Modell« die alte Bezeichnung »Jüdische Abteilung« für viel unmissverständlicher hielt, obwohl diese Runde beschlossen hatte, dass die Jüdische Abteilung des Berlin Museums fortan »Jüdisches Museum im Berlin Museum« heißen sollte. Neben der Aspen-Tagung berief sich Güntzer vor allem auf Heinz Galinski. Er berichtete von einer Begebenheit, die sich drei Jahrzehnte zuvor zugetragen habe: »Als Museumsreferent hatte ich im Auftrag des damaligen Senators für Wissenschaft und Kunst, Professor Werner Stein, Ende der 60er Jahre den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gefragt, ob ein eigenständiges Jüdisches Museum 110 »Noch keine Entscheidung über Jüdisches Museum. Kultursenator Radunski sprach mit Direktor Barzel. Weitere Kritiken am Plan für ein Holocaust-Museum«, in: Berliner Zeitung, 26.6.1996; »Kündigung von Barzel überschattet Antrittsbesuch. Kultursenator weist NS -Vergleich Nachamas zurück«, in: Die Welt, 28./29.6.1997. 111 »Nachama contra Pufendorf, FDP contra Stadtmuseum«, in: Tagesspiegel, 3.7.1997. 112 Anzeige: »Ein Jüdisches Museum – ohne Juden?!«, in: Tagesspiegel, 2.7.1997. 113 »Barzel kritisiert Berliner Politiker«, in: Berliner Zeitung, 4.7.1997; Thomas Lackmann, »Bleibt nur ein Berliner Zimmer?« Die Eröffnung der Ausstellung »Exil in Shanghai« und eine Protestveranstaltung für das Jüdische Museum am Martin-Gropius-Bau, in: Tagesspiegel, 5.7.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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in Berlin wieder gegründet werden solle. Die Entscheidung von Galinski, an die der Senat von Berlin sich seither gehalten hat, war eindeutig und präzise: Galinski lehnte es – wie ich mich deutlich erinnere – ab, das Ghetto auf dem ›höheren Niveau‹ der Kulturinstitution wiederholen zu lassen; vielmehr forderte er eine in die allgemeine Stadtgeschichte Berlins integrierte Darstellung.«114

Güntzer erweckte zudem den Eindruck, dass das zeitlebens die Position Galinskis geblieben sei. Damit interpretierte er die Position Galinskis zum Jüdischen Museum in den 1970er und 1980er Jahren auf einseitige, verzerrende Weise.115 Güntzer stand damit nicht allein. Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf hatte am 30. Juni in einem ausführlichen Brief an Frank Schirrmacher, den für das Feuilleton zuständigen Mitherausgeber der FAZ , geschrieben: »Barzel hat sich eine Strömung innerhalb der Jüdischen Gemeinde zu eigen gemacht, welche die Galinski-Idee eines integrativen Modells für ein Berliner Stadtgeschicht­ liches Museum von Anfang an mißbilligt und immer die Einrichtung eines unabhängigen eigenständigen Jüdischen Museums verlangt hat.«116

Was die 1970er und 1980er Jahre betrifft, war der wahre Kern der Position, die Güntzer und von Pufendorf Heinz Galinski unterstellten  – darauf wies Andreas Nachama in Reaktion auf den Artikel Güntzers hin –, dass Galinski ein isoliertes Jüdisches Museum ablehnte und die Anbindung an das Berlin Museum befürwortete.117 Er wollte aber keinesfalls ein nach außen »unsichtbares« Jüdisches Museum. Im Ergebnisband des Realisierungswettbewerbs 114 Dieses Argument war während des Museumsstreits schon in der Welt zu lesen gewesen: »Kanal will eigenständiges Jüdisches Museum«, in: Die Welt, 18.9.1996; »Jüdische Gemeinde verläßt Galinskis Linie. Autonomie oder Integration: Senat wartet im Streit um Libeskind-Bau Vorstandswahlen ab«, in: ebd., 18.4.1997; Ingolf Kern, Autonomie oder integratives Modell. Der Streit um das Jüdische Museum im Stadtmuseum schwelt noch immer – Barzels Ablösung gefordert, in: ebd., 25.6.1997. Güntzer erwähnte diese Begebenheit bereits 1983 in einem Vermerk: SenKult V A, Güntzer, Sachstandsvermerk: Angemessene Unterbringung des »Jüdischen Museums« (Abt. des Berlin-Museums), 8.7.1983, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 174. 115 Vgl. Vera Bendt, Die Geschichte der Neuplanung eines Jüdischen Museums für Berlin (dabei handelt es sich um den von Bendt beigesteuerten ersten Abschnitt zum Beitrag von Amnon Barzel in diesem Band), in: Ein Museum für Berlin. Positionen zum Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum von Daniel Libeskind, S. 30. 116 Staatssekretär Lutz von Pufendorf an Frank Schirrmacher, 30.6.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner 143. 117 Nachama: »Ich habe den Eindruck, da wird Heinz Galinski falsch in Anspruch genommen. Worum es ihm ging, war eben wirklich nur, daß die jüdische Geschichte nicht aus der allgemeinen herauskatalputiert wird.« Mariam Niroumand, Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, über die zukünftige Konzeption des Jüdischen Museum, die Bedeutung des Libeskind-Baus und den Streit nach der Entlassung des Museumsdirektors Amnon Barzel, in: taz, 7.7.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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1988/89 war nachzulesen, dass Galinski in der Jurysitzung, bevor er sich für den Libeskind-Entwurf aussprach, einen eigenen Gebäudeteil im Rahmen der Erweiterung für das Jüdische Museum gefordert hatte – eben ein sichtbares Jüdisches Museum. Dazu passte auch, dass Galinski schon vor der AspenTagung 1988 durchgängig vom »Jüdischen Museum« und nicht von der »Jüdischen Abteilung« gesprochen hatte. Galinskis Haltung zum Jüdischen Museum entsprach damit seiner grundsätzlichen Position zur Stellung der Juden im Nachkriegsdeutschland, die er 1982 in einem Interview aus Anlass seines 70. Geburtstags formuliert hatte: »Ich habe von Anfang an einer Ghettoisierung, einer Abkapselung von der Umwelt widersprochen, da ich sonst in Deutschland überhaupt keine Existenzmöglichkeit für eine jüdische Gemeinde sehen würde. Ich bin allerdings ganz entschieden gegen jede Assimilation, aber ich bejahe die völlige Integration, weil es notwendig ist für ein positives Zusammenleben.«118

In Güntzers und von Pufendorfs Darstellung der Haltung Galinskis zum Jüdischen Museum wurde aus der »völligen Integration« jedoch die Assimilation, die Galinski grundsätzlich abgelehnt hatte. Etwas Weiteres kommt hinzu: Vera Bendt erklärte im Gespräch mit dem Autor, dass sie vor vielen Jahren sowohl Heinz Galinski als auch Reiner Güntzer auf die »Ghettobemerkung« angesprochen habe, die Galinski in den späten 1960er Jahren gemacht haben soll. Bendt bezweifelte, dass diese Bemer­ kung tatsächlich von Heinz Galinski stammte, weil sie nicht seinem Sprachstil entspreche. Galinski konnte sich nur dunkel an das lange zurück liegende Gespräch erinnern. Nicht er, sondern sein Gesprächspartner habe damals diese Bemerkung gemacht. Auf Bendts Nachfrage, was er geantwortet habe, sagte Galinski: Nichts, weil ihm das »zu spitzfindig« gewesen sei. Als Bendt Güntzer mit der Aussage Galinskis konfrontierte, bestätigte der Jurist deren Schilderung und meinte, nach der Dienstordnung der Verwaltung bedeute kein Widerspruch ein Ja. – Heinz Galinski war zwar eine Westberliner Institution, aber kein Verwaltungsmitarbeiter.119 In einer weiteren Schlüsselpassage seines Textes berief sich Güntzer wiederum auf Galinski: »Unmittelbar nach dem Ende des Krieges und der Befreiung von der Nazi-Diktatur haben vielerorts in Deutschland jüdische Menschen, kaum dem geplanten Mord in 118 »… um der Menschheit zu ersparen, was uns nicht erspart geblieben ist …« Burkhard Asmuss und Andreas Nachama im Gespräch mit Heinz Galinski anläßlich seines 70. Geburtstags (1982), in: Nachama / Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang, S. 53–78, hier: 74; auch: Ernst Cramer, Heinz Galinski zum 75. Geburtstag, in: Kulturspiegel, Nr. 21, Dezember 1987, S. 2–5, hier: 4.  119 Gespräch mit Vera Bendt am 24.3.2009. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Konzentrationslagern entronnen oder aus dem Exil zurückgekehrt, beim Enttrümmern und Wiederaufbau geholfen, weil sie dies für ihre Bürgerpflicht, für ihre vaterländische Pflicht, hielten. Diese jüdischen Menschen  – Heinz Galinski mag als das herausragende Berliner Beispiel gelten – haben den nichtjüdischen Menschen in Deutschland und in Berlin die gemeinsame Rückkehr in die Familie gesitteter Völker geschenkt. Heinz Galinski und viele andere, die ebenso bewundernswert dachten wie er, haben trotz aller an ihnen begangenen und geplanten Verbrechen ihre Judenheit wieder in die allgemeine Berliner und deutsche Gesellschaft integriert.«120

Auch wenn es nach 1945 deutsche Juden gegeben haben mag, die so dachten, war es für einen nichtjüdischen Deutschen auch in den 1990er Jahren nicht angebracht, den Begriff der »vaterländischen Pflicht« zum Maßstab in einer Auseinandersetzung mit der Berliner Jüdischen Gemeinde um das Jüdische Museum zu machen. Obendrein hatte sich diese Gemeinde in ihrer Zusammensetzung bereits seit den 1970er Jahren durch den Zuzug von Juden aus der Sowjetunion, später dann aus der ehemaligen Sowjetunion rasant verändert. Dieser Zuzug war durchaus im Sinne Westberlins beziehungsweise des vereinten Berlin und der Bundesrepublik und wurde von deutschen staatlichen Stellen gefördert, um den Fortbestand der in den 1980er Jahren stark überalterten Jüdischen Gemeinde in der Bundesrepublik zu sichern. Insofern konnten sich die Berliner Kulturverwaltung und die Stiftung Stadtmuseum schlecht darüber beklagen, dass diese Verschiebung der demographischen Verhältnisse in der Jüdischen Gemeinde möglicherweise auch zu Veränderungen ihrer inhaltlichen Positionen geführt hatte. Am 7. Juli verteidigte Andreas Nachama in einem Gespräch mit der taz den Vergleich der Kündigung Barzels mit der »finsteren Zeit«, relativierte ihn etwas, fügte zunächst aber einen neuen hinzu: »Wie soll es jetzt weitergehen? Es sind ja ziemlich harte Worte gefallen. Sie haben den Rausschmiß Barzels mit 1933 verglichen … Es hat einmal das Konzept ›Museum des ausgerotteten Volkes‹ [das von den Nationalsozialisten geplante »Zentralmuseum für jüdische Altertümer« in Prag, D. B.] gegeben, und man muß, wenn man in Deutschland ein jüdisches Museum macht, ungeheuer aufpassen, daß man nicht in diese Ecke kommt. Im besten Fall käme dabei 120 Reiner Güntzer, Das Integrationsmodell muß bleiben. Wie geht es weiter mit dem Jüdischen Museum? Der Leiter des Stadtmuseums, Reiner Güntzer, bezieht erstmals in der aktuellen Auseinandersetzung öffentlich Stellung und erläutert sein Konzept, in: Tagesspiegel, 4.7.1997; ganz ähnlich: ders., Geleitwort, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, 1 (1995), Berlin 1997, S.  10–17; an weniger exponierter Stelle als im Tages­spiegel hatte Güntzer seinen Standpunkt bereits im Oktober 1996 dargelegt: ders., Nur ein integratives Modell kann’s sein! Kleines Plädoyer für die Rückkehr zur Sachlichkeit, in: Berliner Forum. Informationsblatt der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin, 1 (1996), Nr. 1, S. 11; eine eingehende Kritik an Güntzers Artikel im Tagesspiegel bei: Offe, Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen, S. 195–198. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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noch ein Mahnmal heraus, im schlechtesten Fall eine ethnographische Sammlung über ›die Fremden‹, die da von näher oder ferner nach Berlin gekommen sind … … eine Reliquiensammlung … Genau. Das versteht Herr Güntzer offenbar nicht. Er kann nicht begreifen, daß es in dieser Stadt immerhin 10.500 Juden gibt, die nicht zulassen können, daß ihr Bild fremdbestimmt wird. Mein Vergleich mit 1933 war eine akademische Feststellung, ich glaube nicht, daß da Entschuldigungen am Platz sind. Es ist ja leider faktisch richtig.«121

An der scharfen Rhetorik Andreas Nachamas und der Jüdischen Gemeinde in Reaktion auf die Kündigung Amnon Barzels wurde in der Presse auch Kritik geübt, darunter von Hermann Rudolph, dem Herausgeber des Tages­ spiegels.122 Aber – und das war in der Sache entscheidend – alle Kommentatoren stimmten darin überein, dass ein Jüdisches Museum nicht ohne die Jüdische Gemeinde aufgebaut werden könne und der Senat dieser daher nun entgegenkommen müsse. Dies hatte die Kulturverwaltung zunächst jedoch keinesfalls vor. Axel Wallrabenstein, der Sprecher der Kulturverwaltung, wurde am 3. Juli in der taz mit den Worten zitiert, die Direktorenstelle des Jüdischen Museums werde erst wieder bei Eröffnung des Jüdischen Museums im LibeskindBau 1999 besetzt werden.123 Noch am 5. August erklärte Kultursenator Peter ­Radunski gegenüber der B. Z. auf die Frage, was jetzt aus dem Direktoren­ posten von Amnon Barzel werde: »Ich hätte am liebsten eine Konzeptgruppe. Was hier geschehen ist, ist doch abstrakter Wahnsinn. Es weiß keiner mehr, wovon er spricht. Dabei gab es mal einen Grundgedanken, und mit dem soll das Haus Ende 1999 auch eröffnet werden. Ohne jüdische Geschichte ist Berliner Geschichte nicht denkbar und umgekehrt. Und wir hoffen, daß uns mit diesem Konzept emigrierte Juden Erinnerungsstücke stiften und auch Geld spenden. Darum wollte sich Barzel auch kümmern, hat er aber nicht getan.« 121 Niroumand, Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin, Andreas Nachama, in: taz, 7.7.1997. Den Vergleich zu dem von den Nationalsozialisten g­ eplanten Museum in Prag hatte bereits zwei Tage zuvor der der Berliner Jüdischen Gemeinde angehörende Soziologe Michal Bodemann in einem Zeitungsartikel gezogen. Bodemann, Ein böses Possenspiel, in: taz, 5./6.7.1997. 122 Hermann Rudolph, Kein Ort für Kraftproben, in: Tagesspiegel, 6.7.1997; auch: Anita Kugler, Antifa-Gehabe, in: taz, 28./29.6.1997; Peter von Becker, Ein Drama, doch keine Tragödie. Die jüngste Auseinandersetzung um das Jüdische Museum Berlin: Noch bietet sich für die Kontrahenten die Chance einer zukunftsweisenden Lösung, in: Tagesspiegel, 9.7.1997. 123 »Protest gegen Entlassung Barzels. Museumsgesellschaft fordert Rücknahme der Kündigung«, in: taz, 3.7.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Mit anderen Worten: Der Kultursenator und seine Verwaltung wollten durch die Erstpräsentation im Libeskind-Bau erst einmal Fakten schaffen und dann die Direktorenstelle des Jüdischen Museums wieder besetzen. Eine mit Aspiranten auf die Nachfolge Barzels besetzte Konzeptgruppe war gewiss einfacher zu handhaben als ein Museumsdirektor.124 Erst ab Anfang September deutete sich an, dass sich Peter Radunski und Lutz von Pufendorf langsam von dem Gedanken verabschiedeten, die Direktorenstelle des Jüdischen Museums bis 1999 unbesetzt zu lassen.125 Abgesehen davon, dass die Presse das Timing und die Art von Barzels Kündigung scharf kritisierte und darauf beharrte, dass ein Jüdisches Museum in Berlin nicht ohne Beteiligung der Jüdischen Gemeinde errichtet werden könne, reagierte sie auch grundsätzlicher auf den Eklat im Streit um das Museum. Am 16. Juli attackierte Dieter Hoffmann-Axthelm in der Berliner Zeitung die Stiftung Stadtmuseum als das »Duodezfürstentum des Reiner Güntzer«. Ende August schlug Michael S. Cullen im Tagesspiegel in dieselbe Kerbe. Kritik an der Konstruktion der Stiftung Stadtmuseum kam auch von­ György Konrád, seit Mai 1997 Präsident der Akademie der Künste, sowie von Christoph Stölzl und Rupert Graf Strachwitz, die bereits 1995 öffentlich Kritik daran geübt hatten. Am 19.  August brachte der PDS -Abgeordnete Thomas Flierl einen von 35 weiteren Abgeordneten der PDS und der Grünen unterstützten Resolutionsentwurf in das Abgeordnetenhaus ein, in dem es unter anderem hieß, eine Reform der Rechtskonstruktion der Stiftung Stadtmuseum sei unabdingbar. Der CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns sprach dann am 20. Oktober im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses davon, dass die Satzung der Stiftung Stadtmuseum »demokratisiert« werden müsse. Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf erklärte die Stiftung ebenfalls im Oktober zur »perversen Konstruktion«. Erstaunlich war eigentlich, dass im Sommer und Herbst 1997 niemand mehr die Stiftungskonstruktion öffentlich verteidigen wollte, obwohl 1994 im Abgeordnetenhaus nur die FDP gegen das Museumsstiftungsgesetz gestimmt hatte. Allseits wurde jetzt anerkannt, dass ein Stiftungsrat, der lediglich aus dem Kultursenator und dem Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum bestand, ein Unding war.126 124 »Über Berlin muß man in New York und Tokio sprechen. Senator Peter Radunski im B. Z.-Gespräch über die aktuellen Kulturbrennpunkte der Stadt«, in: B. Z., 5.8.1997. 125 »Amnon Barzel heute vor dem Arbeitsrichter«, in: Die Welt, 4.9.1997; Kai Ritzmann, »Die Schelte ist unverdient«. Staatssekretär Pufendorf zur Kritik am Jüdischen Museum, in: Berliner Morgenpost, 11.10.1997. 126 Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Duodezfürstentum des Reiner Güntzer. Im Streit um das Jüdische Museum gibt es nur einen Ausweg: Die Auflösung des Kulturkombinats »Stiftung Stadtmuseum«, in: Berliner Zeitung, 16.7.1997; Michael S.  Cullen, Ein Bollwerk für den General. Der Berliner Museumsstreit geht weiter: Die Stiftung Stadtmuseum, zu der das Jüdische Museum gehört, hat in ihrer jetzigen Struktur keine Zukunft, in: Tagesspiegel, 27.8.1997; Thomas Lackmann, »Ein Streichelzoo ist doch kein © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Ähnlich grundsätzlich wie die Kritik an der Stiftung Stadtmuseum waren die Beiträge, in denen auf die öffentliche Wahrnehmung des seiner Vollendung entgegen gehenden Libeskind-Baus hingewiesen wurde. Heinrich Wefing deutete in der FAZ den Bau als »architektonische Unabhängigkeitserklärung des Jüdischen Museums« – ganz im Gegensatz zu dem, was dessen Architekt Daniel Libeskind nur kurze Zeit davor gesagt hatte.127 Dabei konnte Wefing sich auf den Architekten Klaus Humpert berufen, der als Jurymitglied im Realisierungswettbewerb im Juni 1989 für den Libeskind-Entwurf gestimmt und anschließend geschrieben hatte: »Die unlösbare Aufgabe, an das Barockpalais anzubauen und gleichzeitig der Abteilung Jüdisches Museum eine eigene Ausdrucksform zu geben, diese Forderungen des ›sowohl als auch‹ werden eindeutig zugunsten eines neuen unabhängigen Museums geklärt.«128

Eine Lösungsmöglichkeit in dem Konflikt um das Jüdische Museum schien zunächst die Einschaltung der Akademie der Künste zu sein. Da die Kulturverwaltung es kategorisch ablehnte, nach Barzel auch General­direktor Reiner Güntzer zu entlassen, hatte der Gemeindevorsitzende Andreas Nachama angeregt, das Jüdische Museum aus dem Stadtmuseum herauszu­lösen und es der Akademie der Künste zu unterstellen. Dann veröffentlichte ihr Präsident, György Konrád, der mit den Beteiligten gesprochen hatte, Anfang September in der FAZ jedoch ein flammendes Plädoyer für ein selbstständiges Jüdisches Museum mit europäischer Perspektive im Libeskind-Bau.129 Arabergestüt!« Stiftungs-Strukturen: Zwei Fachleute nennen andere Modelle, in: ebd.; »Radikal erneuern«, in: ebd.; Volker Müller, Gespräch. Städtisch ist zu klein gedacht für den Libeskindbau. György Konrád sieht ein europäisches Jüdisches Museum, in: Berliner Zeitung, 8.9.1997; Abgeordnetenhaus von Berlin, 13.  Wahlperiode, Drucksache 13/1905: Antrag des Abgeordneten Flierl und weiterer 35 Abgeordneter über Jüdisches Museum für Berlin, 19.8.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: VA 1, SenatsVorlage; Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Wortprotokoll, Ausschuß für Wissenschaft, Forschung und Kultur, 8. Sitzung, 20.10.1997, S. 29, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 1, Senats-Vorlage JM Beschluß v. 5.5.98; »›Wir geben bloß einen Rahmen‹. Ruhe nach dem Sturm: Das Berliner Jüdische Museum soll kulturell und finanziell autonom werden – im Rahmen der Stiftung Stadtmuseum. Ein Gespräch über das ›integrative Modell‹ mit Lutz von Pufendorf«, in: taz, 31.10.1997. 127 Heinrich Wefing, Überwältigende Verselbständigung. Vorgriff auf die Autonomie: Daniel Libeskinds markanter Neubau für das Jüdische Museum in Berlin, in: FAZ , 11.7.1997; auch: ders., In Assoziationsgewittern. Monument einer Sezession: Der geweißte Schauer von Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin, in: FAZ , 7.11.1998. 128 Klaus Humpert, Freiburg, Mitglied der Jury, in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S. 53. 129 György Konrád, Kunstwerk und Übungsfeld der Einfühlung. Die bloße Existenz eines Jüdischen Museums in Berlin wäre eine Geste von außerordentlicher Bedeutung, in: FAZ , 9.9.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Daraufhin erlahmte in der Kulturverwaltung das Interesse an einer bereits geplanten öffentlichen Diskussion über das Museum in der Akademie.130 Diese fehlende Bereitschaft, die widerstreitenden Konzepte öffentlich zu diskutieren, hatte in der Auseinandersetzung bereits Tradition: 1995 war der Band zum Richtfest des Erweiterungsbaus nicht weiter verbreitet worden, weil er Barzels missliebiges Konzept enthielt, und im Herbst 1996 hatte die Kulturverwaltung die Absage einer am Wissenschaftskolleg geplanten internationalen Diskussionsveranstaltung bewirkt. Bereits vor der Veröffentlichung von Konráds FAZ-Artikel war Ende August Christoph Stölzl, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, der ebenso wie die FAZ im Ruf stand, Bundeskanzler Kohl nahezustehen, mit deutlichen Worten im Tagesspiegel zitiert worden: Berlin sei »doch keine märkische Sandscholle«, die Stadt würde sich selbst alles abschneiden, wenn der Libeskind-Bau »nicht in das Konzert der Jüdischen Museen der Welt einträte«.131 Dies spricht für den Wahrheitsgehalt der von W. Michael Blumenthal in seiner Autobiografie erwähnten Gerüchte, dass nach dem Skandal um die Kündigung Barzels die Bundesregierung hinter den Kulissen eingegriffen und den Regierenden Bürgermeister Diepgen gedrängt habe, die Krise rasch zu entschärfen.132 Am 27. September folgte die zweite, dieses Mal fristlose Kündigung von Amnon Barzel, wohl auch aus juristischen Erwägungen, um die Position der Stiftung Stadtmuseum vor dem Arbeitsgericht zu verbessern. Wieder war das Timing der Kündigung unglücklich, außerdem ihre Begründung. Ihr Bekanntwerden fiel auf den Tag, an dem der Gemeindevorsitzende Andreas N ­ achama Bilanz seiner ersten 100 Tage im Amt zog, und neben einem Interview, das Barzel dem Stadtmagazin Zitty gegeben hatte, wurde als Begründung auch genannt, dass Barzel die Äußerung Andreas Nachamas, seine Kündigung erinnere an »die finstere Zeit«, auf der Jahrestagung der Internationalen Kunstkritikergesellschaft im nordirischen Derry am 20./21. September zitiert habe. Darauf, dass das Zitieren einer Aussage von ihm als­ offizieller Grund für die fristlose Entlassung Barzels genannt wurde, re­ agierte Nachama empört.133 130 »Akademie der Künste: ›Senat scheint unseren Rat nicht zu wollen‹«, in: Tagesspiegel, 1.10.1997; Thomas Lackmann, Der Kommentar, in: ebd. 131 Lackmann, »Ein Streichelzoo ist doch kein Arabergestüt!«, in: Tagesspiegel, 27.8.1997. 132 Vgl. Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 501. 133 Generaldirektor Güntzer an Amnon Barzel, fristlose Kündigung, 27.9.1997, in: Akten: Norma Drimmer; »Amnon Barzel jetzt fristlos gekündigt«, in: Tagesspiegel, 30.9.1997; Volker Müller, Neue Scherben zum Sabbat, in: Berliner Zeitung, 30.9.1997; Heinrich Wefing, Betriebsstörung. Amnon Barzel fristlos gekündigt, in: FAZ , 30.9.1997; Ute Frings, Gemeindechef Nachama legt sich mit Senat an. Berliner Stiftung Stadtmuseum entläßt Direktor des Jüdischen Museums zum zweiten Mal, in: FR , 30.9.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Gegenüber der Zitty hatte Barzel gesagt: »In Berlin gibt es einen Haß auf jüdische Geschichte, jüdisches Erinnern, jüdische Kultur und Existenz. Der Streit um das Jüdische Museum ist ein schlechtes Zeichen. Der Libeskind-Bau ist voll von Symbolen und Assoziationen jüdischen Lebens und Schicksals. Die Architektur ist ein Mahnmal, eine auf jüdischer Geschichte basierende Skulptur, in der das Unsagbare des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur nach dem Holocaust repräsentiert wird.«134

Seinen Höhepunkt erreichte der Streit um das Jüdische Museum gute drei Wochen später, als der Gemeindevorsitzende Andreas Nachama bei einer Anhörung zum Museum vor dem Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses am 20. Oktober erklärte: »Die Jüdische Gemeinde ist natürlich betroffen über den Umgang mit ihr. Das geht aus den Resolutionen der Repräsentantenversammlung hervor und aus vielen Gesprächen, die ich mit unseren Mitgliedern geführt habe. […] Man sagt: Der Lack ist ab im Umgang zwischen nichtjüdischen und jüdischen Berlinern und man ist sehr verunsichert über eine solche Vorgehensweise. Das mag Ihnen nicht passen. – (Vor­ sitzender [Dr. Biewald (CDU), D. B.]: Es ist auch nicht so!)  – Ich weiß, daß solche Worte immer problematisch sind. Aber es soll auch an dieser Stelle gesagt sein, daß der Eindruck entsteht, als wären nur tote Juden gute Juden. Das ist eine bittere Pille; das ist ein bitteres Stück Wahrheit. Wenn Sie die Artikel der internationalen Presse lesen über solch einen wunderbaren Bau, der über 100 Millionen DM gekostet hat, ist ein solcher Streit völlig unnötig.«135

Während Abgeordnete aller Abgeordnetenhausfraktionen, die Zeitung die Welt ebenso wie Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden ­ brige in Deutschland, Nachamas Aussage kritisierten,136 interpretierte die ü Presse, darunter auch die Berliner Morgenpost, Nachamas Verhalten als Symptom der schwersten Krise im deutsch-jüdischen Verhältnis in Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg und forderte vom Senat, endlich zu handeln.137 Sibylle Wirsing schrieb in einem harschen Kommentar in der FAZ: 134 Marius Babias, »Jeder lebende Jude ist ein Mahnmal«. Interview mit Amnon Barzel, Direktor des Jüdischen Museums, in: Zitty, 25.9.1997. 135 Abgeordnetenhaus zu Berlin, Wortprotokoll Ausschuß für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses, 20.10.1997, S.  21, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 1, Senats-Vorlage JM Beschluß v. 5.5.98; »Nachama verschärft den Ton. Gemeindevorsitzender im Kulturausschuß: ›Der Lack ist ab zwischen Berlin und den Juden‹«, in: Die Welt, 21.10.1997. 136 Sven Bernitt, Nachamas Worte machen betroffen, in: Die Welt, 26.10.1997; Jola Merten, Bubis warnt Nachama vor falschen Tönen. Auslöser: Streit ums Jüdische Museum, in: Berliner Morgenpost, 22.10.1997. 137 Peter Philipps, Gehakel auf dünnem Eis. Kleinkarierter Streit gefährdet mehr als das Jüdische Museum, in: Berliner Morgenpost, 25.10.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»Über den Ernst der Situation sind seit der Beratung vor dem Kulturausschuß keine Illusionen mehr möglich. […] Während Konrád darauf hinweist, daß Berlin die ­Metropole war, von der Europa die Direktiven zur Massendeportation empfing, propagieren die Kulturpolitiker der Kleinstadt eine Konfliktlösung auf die sanfte Tour. Sie möchten den Museumsstreit am liebsten begraben.«138

Publizistische Unterstützung genoss der Senat zu diesem Zeitpunkt lediglich noch durch Die Welt.139 Andreas Nachama rechtfertigte den Eindruck unter Mitgliedern seiner Gemeinde, für die Mehrheitsgesellschaft seien nur tote Juden gute Juden, mit dem Hinweis auf die Instrumentalisierung des zu Lebzeiten durchaus umstrittenen Galinski durch die Gegenseite in der Ausein­ andersetzung.140 Lutz von Pufendorf und vor allem Peter Radunski hatten seit der ersten Kündigung Barzels im Juni den Eindruck zu erwecken gesucht, es gäbe keine Krise. Schwierigkeiten rührten allenfalls daher, dass die Jüdische Gemeinde durch den Zuzug der russischen Juden selbstbewusster geworden sei. Die Autonomie des Jüdischen Museums sei hinreichend gesichert, da bestehe nur ein Wahrnehmungsproblem.141 Zu der Äußerung Nachamas, der »Lack« sei ab, erklärte Radunski gar, das »vorbildliche Klima« müsse er­halten werden.142 In der Anhörung vor dem Parlamentsausschuss sprach auch der Historiker Reinhard Rürup, der bereits in seiner Festrede zur Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau des Berlin Museums am 9. November 1992 deutliche Zweifel am integrativen Konzept geäußert hatte. Rürup erklärte, man werde aus der gegenwärtigen Krise nur herauskommen, wenn man Änderungen an der bisherigen Einbindung des Jüdischen Museums in die Stiftung Stadtmuseum vornehme. Die bislang zugrunde liegende Vorstellung von einem »Museum 138 Sibylle Wirsing, Unterm Teppich von Berlin. Wohin mit dem Jüdischen Museum?, in: FAZ , 22.10.1997. 139 Ingolf Kern, Der Kommentar. Im Ton vergriffen, in: Die Welt, 30.9.1997. 140 Volker Müller, Harte Worte aus dem Mund eines Besonnenen, in: Berliner Zeitung, 23.10.1997; zu Galinski vgl.: Ralph Giordano, Auschwitz – das war der Daseinskompaß, in: Nachama / Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang, S.  25 f., hier: 25; Kauders, Unmögliche Heimat, S. 263, FN 64. 141 Jens Jessen, Die Zickzacklinie der Berliner Geschichte. Was wird aus dem Jüdischen Museum nach der Entlassung seines Direktors? Ein Gespräch mit Peter Radunski, in: Berliner Zeitung, 1.7.1997; »Über Berlin muß man in New York und Tokio sprechen. Senator Peter Radunski im B. Z.-Gespräch über die aktuellen Kulturbrennpunkte der Stadt«, in: B. Z., 5.8.1997; »›Wir geben bloß einen Rahmen‹. Ruhe nach dem Sturm: Das Berliner Jüdische Museum soll kulturell und finanziell autonom werden – im Rahmen der Stiftung Stadtmuseum. Ein Gespräch über das ›integrative Modell‹ mit Lutz von Pufendorf …«, in: taz. 31.10.1997. 142 »Nachama verschärft den Ton. Gemeindevorsitzender im Kulturausschuß: ›Der Lack ist ab zwischen Berlin und den Juden‹«, in: Die Welt, 21.10.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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im Museum« sei ebenso anspruchsvoll wie kompliziert und nach seiner Einschätzung »nicht wirklich durchdacht« und »nicht realisierbar«. Da der Bau Daniel Libeskinds von Anfang an nicht nur in der Berliner, sondern auch in der internationalen Öffentlichkeit als ein Jüdisches Museum verstanden worden sei, solle nun ein mutiger Schritt nach vorne unternommen werden. Rürup plädierte für ein selbstständiges Jüdisches Museum im Libeskind-Bau. Er rechtfertigte das auch damit, dass die jüdische Geschichte in Berlin seit der Mitte des 18. Jahrhunderts keine Lokalgeschichte mehr gewesen sei. »Mehr als irgendwo anders wurden in Berlin die Modelle jüdischen Lebens in der modernen Gesellschaft entwickelt, von der jüdischen Aufklärung über die großen religiösen Lager bis zur Wissenschaft des Judentums und den Versuchen der Erneuerung jüdischen Lebens unter den Bedingungen des frühen 20. Jahrhunderts.«

Sollte sich Berlin tatsächlich für ein Jüdisches Museum in dem »ganz und gar ungewöhnlichen« Libeskind-Bau entscheiden, sei seiner Ansicht nach eindeutig, dass sich auch die Bundesregierung für dieses Museum engagieren sollte. Rürups Schlussfolgerung lautete: »Wer Schaden von Berlin und von der Bundesrepublik abwenden will, sollte sich entschließen, einen deutlichen Schritt nach vorn zu tun – und das rasch, weil hier Gefahr im Verzuge liegt.«

Eine ähnliche Position vertrat der CDU-Abgeordnete Lehmann-Brauns, der erklärte, die entscheidende Rahmenbedingung sei die Architektur des Erweiterungsbaus. Dort könne man keine »Spreewaldtrachten« zeigen. In diese Architektur gehöre die Geschichte der Juden, und zwar nicht nur in Berlin, sondern in Europa.143 So hatte auch bereits zwei Jahre zuvor Amnon Barzel in seinem Konzept für das Jüdische Museum argumentiert. Er hatte geschrieben: »Die Jüdische Identität, und dies ist eines ihrer wichtigsten Charakteristika, hatte schon immer eine andere historische und auch imaginäre Geographie als die christliche Mehrheitskultur. Wenn man vermitteln will, was die Besonderheit jüdischer Identität ausmacht, so würde eine Engfassung des Berlin-Bezuges diese Vermittlung unmöglich machen.«144

Ganz ähnlich wie Rürup und Lehmann-Brauns in der Ausschusssitzung forderten in Berlin lebende Jüdinnen und Juden am 27. Oktober in einem offe143 Abgeordnetenhaus zu Berlin, Wortprotokoll Ausschuß für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses, 20.10.1997, S.  22–25, 27–29, in: Akten Senats­ verwaltung, Ordner: V A 1, Senats-Vorlage JM Beschluß v. 5.5.98. 144 Amnon Barzel, Ein Jüdisches Museum für Berlin. Konzeption und räumliche Planungen, S. 11, in: Akten Norma Drimmer. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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nen Brief an Senator Peter Radunski den Libeskind-Bau als Raum der Selbstdarstellung für die jüdische Minderheit. Zu den Unterzeichnern gehörte der Historiker Werner T. Angress, der Publizist Michael S.  Cullen, die Schrift­ stellerin Inge Deutschkron, die Rabbinerin Elisa Klapheck und der Schriftsteller Günter Kunert. Unterstützt wurde der offene Brief unter anderen von dem Verleger Klaus Wagenbach sowie dem Journalisten Ralph Giordano und der Schriftstellerin Sarah Kirsch.145 Derweil liefen im Stadtmuseum die Planungen für die Erstpräsentation nach den bisherigen Konzepten weiter. Am 15.  Oktober hatte das Stadtmuseum die Konzeption für die Erstpräsentation »der Stiftung Stadtmuseum im Berlin Museum und Erweiterungsbau« vorgelegt, in der nach wie vor die Ausstellungsräume für die jüdische Eigengeschichte im Untergeschoss vorgesehen waren. Inka Bertz und Helmuth F. Braun, die Mitarbeiter der Hauptabteilung Jüdisches Museum, übten Kritik an diesen Plänen und forderten, stattdessen dort die nationalsozialistische Geschichte zu zeigen.146 Ende Oktober teilte Kultursenator Peter Radunski dann mit, die Stellung des Jüdischen Museums in der Stiftung Stadtmuseum solle reformiert werden. Der Direktor des Museums solle automatisch stellvertretender Generaldirektor der Stiftung sein, das Museum selbst zur unselbstständigen Stiftung aufgewertet, zudem der Beirat der Stiftung Stadtmuseum erweitert werden. Kolloquien an der Akademie der Künste zum Jüdischen Museum sollten jedoch erst nach dem Aufbau einer Eröffnungsausstellung im Erweiterungsbau stattfinden – weil man ja bereits ein Konzept habe: das integrative. Eine Konzeptkommission sollte auf Grundlage der Pläne, die die Libes­ kind-Kommission vorgelegt hatte, die Dauerausstellung zum Herbst 1999 vorbereiten. Als Mitglieder waren vorgesehen: wiederum Daniel Libeskind, Matthias Flügge, der Vizepräsident der Akademie der Künste, Gary Smith, der Leiter des Einstein-Forums, Günther Gottmann, der Direktor des Deutschen Technikmuseums, Hermann Simon, Leiter des Centrum Judaicum, die

145 Offener Brief an den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Oktober 1997, in: Akten Norma Drimmer; Jola Merten, Neues Konzept für Jüdisches Museum sieht Autonomie vor. Spekulationen über Barzels Nachfolger – Offener Brief an Radunski, in: Berliner Morgenpost, 28.10.1997. Am Tag der Vorstellung von W. Michael Blumenthal als neuer Direktor des Jüdischen Museums wurde der offene Brief in der Berliner Zeitung veröffentlicht: Offener Brief, in: Berliner Zeitung, 8.12.1997. 146 Stadtmuseum Berlin, Konzeption für die Erstpräsentation im Berlin Museum (barockes Kollegienhaus und Daniel Libeskind-Erweiterungsbau mit Jüdischem Museum) der Stiftung Stadtmuseum. Zusammenfassung, 15.10.1997, S. 9 f., in: Akten Norma Drimmer; Helmuth F. Braun / Inka Bertz, Konzeptionelle Überlegungen und Themenvorschläge zur Erstpräsentation des Jüdischen Museums im Stadtmuseum Berlin, 1.10.1997, S. 1 f., in: ebd. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Hamburger Judaistin Monika Richarz und der Amerikaner Tom Freudenheim, Leiter des New Yorker YIVO -Instituts.147 Zuvor hatten sich bereits die Anzeichen verdichtet, dass die Direktorenstelle des Jüdischen Museums bald wiederbesetzt werden würde. Zwei Tage nach der Anhörung im Abgeordnetenhausausschuss erschien in der B. Z. ein Interview mit Andreas Nachama, der sagte, es heiße jetzt, dass der Senat einen Interimsdirektor für das Jüdische Museum berufen wolle.148 Das­ Handeln des Senats Ende Oktober war wohl eine Reaktion auf den Aufritt Nachamas im Ausschuss. Insofern waren Nachamas scharfe Worte vielleicht nicht nur Ausdruck der Empörung der Jüdischen Gemeinde und von ihm persönlich ge­wesen, sondern hatten auch den Senat daran hindern sollen, den Eklat um das Jüdische Museum einfach auszusitzen und mit den bisherigen Planungen für den Erweiterungsbau unverändert fortzufahren. Teile der Presse interpretierten die Ankündigungen Ende Oktober als entscheidenden Schritt des Senats, Teile blieben skeptisch: Es sei nach wie vor unklar, wer die Hoheit über den Erweiterungsbau haben solle, ob aus dem Status als unselbstständige Stiftung wirklich die Haushalts- und Personalautonomie folge, und auch die Finanzierung des Museums sei nach wie vor nicht gesichert.149 Andreas Nachama reagierte versöhnlich, sprach sogar vom »Königsweg« und erklärte sich bereit, beim »integrativen Konzept« zu bleiben und nicht den ganzen Libeskind-Bau für das Jüdische Museum zu beanspruchen.150 Das Berliner Abgeordnetenhaus stellte sich mit den Regierungsfraktionen der großen Koalition, CDU und SPD, in einem Beschluss vom 13.  November hinter die Linie der Kulturverwaltung. Es hielt am »integrativen Modell«

147 Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Pressemitteilung: Statement von Senator Peter Radunski anläßlich der Vorstellung des neuen Direktors des Jüdischen Museums in der Stiftung Stadtmuseum, Prof. Michael Blumenthal, am 8. Dezember 1997, 10.30 Uhr im Berliner Rathaus, in: ebd.; Kai Ritzmann, »Die Schelte ist unverdient.« Staatssekretär Pufendorf zur Kritik am Jüdischen Museum, in: Berliner Morgenpost, 11.10.1997; Thomas Lackmann, Neue Struktur für das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.10.1997; Volker Müller, Jüdisches Museum wird unselbständige Stiftung, in: Berliner Zeitung, 29.10.1997. 148 »Riesen-Wirbel nach Angriff auf den Senat. Ein schrecklicher Satz des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin«, in: B. Z., 22.10.1997. 149 Thomas Lackmann, Es gibt doch noch zu tun, in: Tagesspiegel, 29.10.1997; Barbara Junge, Alles o.k., nichts klar, in: taz, 29.10.1997; Y. Michal Bodemann, Königsweg mit Fallstricken. Berlin: Der Kompromiß beim Jüdischen Museum läßt vieles offen, in: taz, 31.10.1997; »Jüdisches Museums aus der Krise?«, in: Neues Deutschland, 6.11.1997. 150 Thomas Lackmann, Neue Struktur für das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.10.1997; Joachim Güntner, Versöhnung eingeleitet. Mehr Autonomie für das Berliner Jüdische Museum, in: NZZ , 1./2.11.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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fest und plädierte gleichzeitig, wie auch schon im Juni 1995, für die »volle kulturelle Autonomie« des Jüdischen Museums im Stadtmuseum – die Parlamentsmehrheit ging also wie der Senat davon aus, dass sich die Auseinandersetzung um die Stellung des Jüdischen Museums über eine Reform der Stiftung Stadtmuseum beilegen lasse.151

Die Rolle der Presse Im Streit um das Jüdische Museum unter seinem Direktor Amnon Barzel hatte die Presse fraglos eine entscheidende Rolle gespielt.152 Überraschend ist aus heutiger Perspektive zunächst, dass die Debatte lange in erster Linie von Berliner Zeitungen bestritten wurde. Das Zentralorgan der Auseinander­ setzung war bis Mitte 1997 ohne jeden Zweifel der Tagesspiegel: Hier wurde am detailliertesten über die Auseinandersetzung berichtet und hier erschienen die meisten Debattenbeiträge. Zitate aus internen Papieren des Stadtmuseums und der Senatsverwaltung waren im Tagesspiegel eher die Regel als die Ausnahme; die Weitergabe solcher Unterlagen war das Kampfmittel von Amnon Barzel, dessen Gegner ja seine Vorgesetzten waren.153 Eine wichtige Rolle im Museumsstreit spielten auch die taz und, allerdings erst ab 1996, die Berliner Zeitung. Ab Juni 1997 schaltete sich dann die FAZ nachdrücklich ein. Die nationale Presse berichtete über den Berliner Museumsstreit zunächst nur zusammenfassend und kommentierte ihn, trieb ihn aber bis zur Intervention der FAZ 1997 nicht durch große Debattenbeiträge im Feuilleton v­ oran. Dies stellte einen großen Unterschied zur parallelen Mahnmaldebatte dar. Offenbar akzeptierte also auch die Presse lange die Senatssicht, es gehe um ein Berliner und nicht um ein nationales Jüdisches Museum. Als erste Zeitung hatte allerdings die überregionale SZ im März 1995 Partei für Barzel ergriffen.154 Ab dem Monat darauf folgten einige Berliner Organe: die taz, der

151 Abgeordnetenhaus von Berlin, 13.  Wahlperiode, Drucksache 13/2687: Der Senat von­ Berlin, Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über Jüdisches Museum, 5.5.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III, Kopien. 152 Die Bedeutung der Medien in der Auseinandersetzung um das Berliner Jüdische Museum betont auch: Y. Michal Bodemann, In den Wogen der Erinnerung. Jüdische Existenz in Deutschland, München 2002, S. 99. 153 Vgl. Lackmann, Jewrassic Park, S. 51. 154 Marianne Heuwagen, Ein Bau ohne Geld. Über die Schwierigkeiten, das Jüdische Museum in Berlin zu betreiben, in: SZ , 9.3.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Tages­spiegel, das Stadtmagazin Zitty und die Wochenpost.155 Ab Anfang 1996 unterstützte der Tagesspiegel, insbesondere sein Redakteur Thomas Lackmann, Barzel immer stärker. Im Laufe dieses Jahres schwenkte auch die Berliner Zeitung auf die senatskritische Linie ein. Einer der wichtigsten Presseartikel für den Verlauf des Berliner Museumsstreits war der im britischen Observer im Mai 1995 erschienene, der von den deutschen Zeitungen häufig zitiert werden sollte. Ähnlich einflussreich dürfte nur die von Eike Geisel im Juli 1995 in der Wochenpost publizierte Polemik gewesen sein. Die Berliner Morgenpost des Springer Verlags schreckte bis zum Herbst 1997 bei eher senatsfreundlicher Tendenz vor jeder deutlichen Positionierung im Museumsstreit zurück. Die Springer-Presse befand sich in einer unangenehmen Lage, ab dem Zeitpunkt zumal, als die Jüdische Gemeinde öffentlich Stellung bezog: Einerseits ist sie konservativ ausgerichtet, andererseits gehört das Eintreten für die deutsch-jüdische Verständigung zu den Redaktionsgrundsätzen und zum Vermächtnis des Verlagsgründers Axel Springer. Festzuhalten bleibt, dass keine Berliner Zeitung offen für die Kulturverwaltung Partei ergriff. Die nationale Presse verhielt sich zu dem Berliner Museumsstreit zunächst entsprechend dem Rechts-links-Schema. Während die SZ und die FR Barzel unterstützten, vertrat die FAZ zunächst konsequent die Senatsmeinung, die auch von der Welt, insbesondere 1997 mit zahlreichen Artikeln unterstützt wurde. An den Kommentaren der FAZ bis zur Kündigung Amnon Barzels war bemerkenswert, dass sie ausgesprochen legalistisch die Senatssicht ver­ traten und auf die bestehende Beschlusslage verwiesen, der sich Barzel nicht beugen wolle, ohne auf die Argumente der Gegenseite dafür, die Beschlusslage zu ändern, auch nur einzugehen. Auch der Welt waren diese Argumente nicht zu entnehmen. Die Kehrtwende der FAZ in Reaktion auf den Zeitpunkt und die Art von Barzels Kündigung gehörte zweifelsohne zu den entscheidenden Momenten in der Auseinandersetzung. Die senatskritische Presse operierte mit zahlreichen Begriffsprägungen im Hinblick auf den Museumsstreit und die Stadt, welche die Bühne für ihn abgab und die 1999 Sitz von Bundestag und Bundesregierung werden sollte: »Hauptstadtposse«, »Provinztragödie«, »absurdes Theater« und »Möchtegern-Metropole«. Und im Hinblick auf das »Jüdische Museum«, wie es vom

155 Ulrich Clewing, Großangelegte Bestandssicherung. In Berlin sollen per Stiftung zwölf Museen zum größten Stadtmuseum Europas vereinigt werden, in: taz, 28.4.1995; ders., Kaltgestellt. Das Jüdische Museum hat ein neues Haus, aber keinen Etat, in: Zitty, 1995, Nr. 10, S. 49; Thomas Lackmann, Die Welt in der Zetrifuge, in: Tagesspiegel, 30.4.1995; Eike Geisel, Mehr Friseure als Juden. Das Jüdische Museum in Berlin verschwindet,­ bevor es richtig da ist – es wird nur eine Abteilung. Eine Hauptstadtposse, in: Wochenpost, 13.7.1995. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Senat geplant war: »Etikettenschwindel«, »Mogelpackung« und »Potemkinsches Dorf«.156 Wie sehr die Position des Senats in der veröffentlichten Meinung in der Defensive war, ließ sich daran ablesen, dass die FAZ dagegen zunächst mit der »regionalen Dokumentationspflicht« des Berlin Museums argumentierte.157 Später sprach die Zeitung wegen des angeblichen Desinteresses Barzels an seiner eigentlichen Aufgabe von einem drohenden »Desaster« bei der Museumseröffnung.158 Der Trumpf in den Händen der Senatskritiker war zweifelsohne, dass sich für den »Erweiterungsbau Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum« längst – und mit kräftiger Nachhilfe des Senats – der Begriff »Jüdisches Museum« eingebürgert hatte. Selbst der FAZ und der Welt unterlief es, dass sie, statt die umständliche, lange offizielle Formel oder die unverfänglichen Begriffe »Erweiterungsbau« oder »Libeskind-Bau« zu gebrauchen, das Gebäude als »Jüdisches Museum« beziehungsweise »Rohbau der Jüdischen Abteilung« bezeichneten.159 Die Neigung der Presse, in den Überschriften von Artikeln, die von der Jüdischen Abteilung beziehungsweise der Abteilung Jüdisches Museum oder dem Erweiterungsbau des Berlin Museums handelten, vom »Jüdischen Museum« zu sprechen, gehörte ansatzweise schon seit dem Projekt Palais Ephraim, also seit Mitte der 1970er Jahre, spätestens aber seit 1988 zu den Konstanten der Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums.160 156 Vera Bendt, Abteilung Potemkin. Selbstbestimmung? Zur Diskussion über das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.5.1995; Eike Geisel, Mehr Friseure als Juden. Das Jüdische Museum in Berlin verschwindet, bevor es richtig da ist – es wird nur eine Abteilung. Eine Hauptstadtposse, in: Wochenpost, 13.7.1995 (in dem Artikel spricht Geisel von einem »einzigartigen Etikettenschwindel«); Marianne Heuwagen, Judaica vs. Bierkrüge, in: SZ , 31.8.1995 (in dem Artikel fällt ebenfalls der Begriff »Etikettenschwindel«); Thomas Lackmann, Berliner Mogelpackung, in: Tagesspiegel, 21.5.1996; Jochen Boberg, Zur Debatte: Provinz-Tragödie mit hoffentlich gutem Ende. Zum Tauziehen um das Jüdische Museum in Berlin, in: Berliner Zeitung, 28.5.1996; Ute Frings, Braucht Berlin ein jüdisches Museum oder nicht? Eine schier unlösbare Aufgabe für eine Hauptstadt, die sich lieber im Streit ergeht, als Entscheidungen zu fällen, in: FR , 28.6.1996 (in dem Artikel fällt der Begriff »absurdes Theater«); Volker Müller, Wedelt der Schwanz mit dem Hund? Berlins absurdes Theater um das Jüdische Museums, 16.4.1997; Dieter Wulf, Mogelpackung Jüdisches Museum. Nach dem neuesten Verwaltungsbeschluß bestimmt allein die Stadt, was jüdische Kultur ist, in: Allgemeine Jüdische Wochen­zeitung, 2.5.1997. 157 Camilla Blechen, Ein Dach für viele Sorgen. Schwieriger Zusammenschluß zur Stiftung Stadtmuseum Berlin, in: FAZ , 4.1.1996. 158 Dies., Auf Distanz, in: FAZ , 21.9.1996. 159 Dies., Auf Distanz, in: FAZ , 21.9.1996; »Folklore oder Weltniveau? Eine Dokumentation soll den Streit um das Jüdische Museum beruhigen«, in: Die Welt, 2.5.1997; »Zehnmal geknickter Baukörper. Schaustellen-Gang durch die Jüdische Abteilung des Berlin-­ Museums«, in: ebd., 8.7.1996. 160 Nur einige Beispiele seien für den Zeitraum bis 1991 genannt: Camilla Blechen, Jahre der Integration. Das künftige Jüdische Museum in Berlin, in: FAZ , 28.8.1978; Elsberg, Jüdisches Museum Berlin  – Geschichte und Zukunft, gesendet vom: SFB , Schulfunk, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Mahnmal und Jüdisches Museum Vieles deutete darauf hin, dass der Streit um das Jüdische Museum in den Jahren 1994 bis 1997 nur deshalb so lange ungelöst blieb und so weit eskalieren konnte, wie es dann 1997 passierte, weil parallel über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas debattiert wurde. Der Zentralrat der Juden in Deutschland war ganz offensichtlich an einer Zuspitzung des Berliner Museumsstreits nicht interessiert. Salomon Korn, Architekt und Gedenkstättenbeauftragter des Zentralrats, der dort für das Mahnmal zuständig war, akzeptierte Anfang 1996 in einem Zeitungsartikel, wenn auch eher beiläufig, das »integrative Konzept« und sprach Ende Oktober 1997 in einem Artikel in der FAZ vom »forschen ›Emanzipationskurs‹« Amnon Barzels, der von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin unterstützt worden sei.161 Zwar berichtete Die Welt im September 1996 über den Vorsitzenden des Zentralrats, Ignatz Bubis, dieser habe einmal gegenüber Journalisten gesagt, dass er sich ein selbstständiges Jüdisches Museum in Berlin wünsche, dies sei aber seine Privatmeinung, er mische sich nicht in diese Berliner Angelegenheit ein. Im Jahr 1997 jedoch wies er im April – zunächst ohne Namens­ nennung – Barzels zugespitzte Rhetorik als überzogen zurück und kritisierte im Oktober die scharfen Äußerungen des neuen Vorsitzenden der Jüdischen 28./29.10.1980; Peter Hans Göpfert, Museum für Geschichte der Juden in Berlin. Neuerwerbungen im Haus an der Lindenstraße, in: Berliner Morgenpost, 8.2.1986; Bernhard Schulz, Der Erinnerung Form geben. Senatsbeschluß zum Jüdischen Museum und Ausstellung aus Anlaß des 9. November, in: Tagesspiegel, 4.11.1988; »Jüdisches Museum wird in Kreuzberg gebaut. Nach jahrzehntelanger Diskussion jetzt die Entscheidung«, in: Berliner Morgenpost, 4.11.1988; Jan Draeger, Zick-Zack-Bau für jüdische Geschichte. Mailänder Architekt wurde mit ungewöhnlichem Entwurf Wettbewerbs-Sieger (Berliner Morgenpost, Juni 1989), abgedruckt in: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.), Realisierungswettbewerb Erweiterung BERLIN MUSEUM mit Abteilung JÜDISCHES MUSEUM . Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse, S.  68; Lore Ditzen, Ein erregendes Stadtzeichen. Zum Wettbewerb für den Erweiterungsbau Jüdisches Museum Berlin (SZ , Juni 1989), abgedruckt in: ebd., S.  66; Camilla Blechen, Neubau des Jüdischen Museums in West-Berlin, in: FAZ , 29.6.1989; »Bausenator zieht eine Dokumentation zum Jüdischen Museum zurück. Kreuz hinter dem Namen des Architekten – Strafanzeige gegen Druckerei«, in: Tagesspiegel, 21.2.1990; Nikolas Rechenberg, Finanzmangel: Wird jüdisches Museum auf Eis gelegt?, in: Berliner Morgenpost, 30.7.1991; »Das abwesende Haus. Berlin stoppt Jüdisches Museum und Amerika-Bibliothek«, in: FAZ , 1.8.1991; »Kultursenator: Jüdisches Museum so bald wie möglich bauen«, in: Tagesspiegel, 6.8.1991; »Erstarrter Blitz. Wird der Bau des Jüdischen Museums in Berlin aufgeschoben? Gegen die Absicht formiert sich Widerstand, in: Der Spiegel, Nr. 34, 19.8.1991; Sascha Adamek, Museum wird 1993 gebaut. Ausschuß für geplanten Baubeginn des Jüdischen Museums / Streit bei CDU ?, in: Berliner Zeitung, 26.9.1991. 161 Salomon Korn, Phantomschmerzen, in: Tagesspiegel, 22.2.1996; ders., Ein Bau wie Kain und Abel, in: FAZ , 31.10.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Gemeinde zu Berlin, Nachama, vor dem Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Abgeordnetenhauses offen.162 Bubis und Korn waren beide Frankfurter und in die Mahnmaldebatte stark involviert. Ein entscheidender Schritt für die Realisierung des Mahnmals war ge­ wesen, dass Bundeskanzler Kohl Ignatz Bubis, im Gegenzug für dessen Teilnahme an der Einweihung der Neuen Wache als neue nationale Gedenkstätte der Bundesrepublik am 14. November 1993, seine Unterstützung für die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas an zentraler Stelle in Berlin versprochen hatte. Im Jahr 1998 wurde Bubis in eine Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Martin Walser verwickelt, als der sich in seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels polemisch gegen das HolocaustMahnmal aussprach. Walser sprach darin von der »Dauerpräsentation unserer Schande«, die dazu führe, dass er anfange wegzuschauen, und der drohenden »Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum«.163 Daraufhin warf Ignatz Bubis ihm »geistige Brandstiftung« vor.164 Kurzum: Es bestehen keine Zweifel, dass für Ignatz Bubis das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wichtiger war als die Frage nach der Stellung des Jüdischen Museums in Berlin, bei dem es sich zu dieser Zeit immer noch um ein städtisches und nicht um ein nationales Projekt handelte.165 Vermutlich erleichterte das zeitliche Zusammentreffen der Auseinander­ setzungen um das Jüdische Museum und das Mahnmal es auch dem Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum und der Kulturverwaltung, Daniel Libeskind für eine Mitarbeit in der Auseinandersetzung mit Barzel zu gewinnen. Libeskind beteiligte sich an der zweiten Runde des Mahnmalwettbewerbs und gelangte dabei nur durch die Unterstützung des Berliner Senats und der Bundesregierung in die Endausscheidung der letzten vier Entwürfe. Reiner Güntzer wusste von unterschiedlichen Standpunkten der Berliner Jüdischen Gemeinde und des Zentralrats der Juden in der Auseinandersetzung um das Berliner Jüdische Museum  – oder er vermutete, dass es sie gäbe. Denn als eine seiner ersten Amtshandlungen als Generaldirek162 Transkript: Von der Kunst des Spagats. »Kanal will eigenständiges Jüdisches Museum«, in: Die Welt, 18.9.1996. 163 Martin Walser, Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede, in: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.), Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1998. Martin Walser. Ansprachen aus Anlaß der Verleihung, Frankfurt am Main 1998, S. 9–14, hier: 11 f. 164 Michael Brenner, Ein neues deutsches Judentum?, in: ders. (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012, S. 419–434, hier: 426. 165 Y. Michal Bodemann, Das zerredete Denkmal. Was will eigentlich Ignatz Bubis? (FAZ , 2.4.1998), in: Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 1047 f., hier: 1048. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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tor der Stiftung Stadtmuseum im Sommer 1995 schrieb er einen Brief an den Vorsitzenden des Zentralrats und schlug ein Treffen vor. Ignatz Bubis lehnte das jedoch ab und gab Güntzers Brief an die Berliner Gemeinde weiter. Daraufhin schickte der Gemeindevorsitzende, Jerzy Kanal, Güntzer einen Brief, in dem er erklärte, die Gemeinde fasse sein Vorgehen »als bewußten­ Affront« auf.166 Auffällig ist auch, dass es Berliner oder in Berlin lebende jüdische Intel­ lektuelle wie Michael S. Cullen und György Konrád und nicht Vertreter des Zentralrats waren, die im Sommer 1997 in den Streit um das Jüdische Museum öffentlich eingriffen, indem sie Kritik an der Stiftung Stadtmuseum und der Kulturverwaltung übten, beziehungsweise ein unabhängiges Jüdisches Museum im gesamten Libeskind-Bau forderten. Auf Spannungen zwischen der Berliner Jüdischen Gemeinde und der übrigen deutschen jüdischen Gemeinde deutete auch hin, dass Andreas Nachama als neuer Berliner Gemeindevorsitzender nicht in das Präsidium des Zentralrats der Juden gewählt wurde.167

166 Reiner Güntzer an den Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, 25.8.1995, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau; Bubis an Güntzer, 1.9.1995, in: ebd.; Jerzy Kanal an Güntzer, 4.9.1995, in: ebd.; Güntzer an Kanal, 6.9.1995, in: ebd. 167 »Aus der Repräsentanz«, in: Berlin-Umschau, 8 (1997), Nr. 8, S. 8. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

VI. W. Michael Blumenthal: Ein nationales Museum für deutsch-jüdische Geschichte in Berlin

Zur Zeit der Berufung von W. Michael Blumenthal zum Nachfolger von Amnon Barzel als Direktor des Jüdischen Museums im November 1997 standen die politisch Verantwortlichen, Peter Radunski, der Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Lutz von Pufendorf, sein Kulturstaatssekretär, und der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, unter erheblichem öffentlichen Druck. Sie hatten sich dazu durchgerungen, die Direktorenstelle des Jüdischen Museums nicht, wie sie ursprünglich geplant hatten, bis 1999 unbesetzt zu lassen, sondern stattdessen einen Interimsdirektor zu berufen.1 Die Absicht, lediglich einen Interimsdirektor bis zur Eröffnung der Dauerausstellung im Erweiterungsbau statt eines regulären Direktors zu berufen, begründete von Pufendorf am 31. Oktober in einem Gespräch mit der taz mit der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit dem entlassenen Museumsdirektor Barzel. Zudem erklärte er bei dieser Gelegenheit, der Interimsdirektor werde nach Möglichkeit in Berlin gesucht.2 Wunschkandidat der Kulturverwaltung und des Stadtmuseums war zunächst Hermann Simon, der Leiter des Centrum Judaicum und Vorsitzende der im Juni neu gewählten Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde, gewesen – offensichtlich erhoffte man sich, mit dem als ausgleichend geltenden Historiker doch noch das integrative Modell retten zu können.3 Am 3.  November veröffentlichten Heiner Emde und Michael Wolffsohn im Focus einen Artikel, in dem sie Simons Stasi-Kontakte als Leiter des Centrum Judaicum im Mai / Juni 1989 und die Auseinandersetzungen darüber in 1 Thomas Lackmann, Neue Struktur für das Jüdische Museum, in: Tagesspiegel, 29.10.1997. 2 »›Wir geben bloß einen Rahmen‹. Ruhe nach dem Sturm: Das Berliner Jüdische Museum soll kulturell und finanziell autonom werden – im Rahmen der Stiftung Stadtmuseum. Ein Gespräch über das ›integrative Modell‹ mit Lutz von Pufendorf«, in: taz, 31.10.1997. 3 Marius Babias, »Jeder lebende Jude ein Mahnmal«. Interview mit Amnon Barzel, Direktor des Jüdischen Museums, in: Zitty, 25.9.1997; »Der umstrittene Wunschkandidat«, in: Die Welt, 30.10.1997. Bereits im September 1996 hatte Die Welt Hermann Simon als möglichen Nachfolger für Amnon Barzel genannt: »Kompromiß für das Jüdische Museum in Sicht. Kommt Hermann Simon, Leiter des Centrum Judaicum, für den bisherigen Direktor Amnon Barzel?«, in: Die Welt, 28.9.1996; auch: »Barzel verliert Unterstützung. Jüdische Gemeinde geht auf Distanz zum Direktor des Museums«, in: Tagesspiegel, 11.10.1996. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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der Berliner Jüdischen Gemeinde zum Thema machten – Simon war jedoch kein inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsministeriums gewesen.4 Der Münchner Politikwissenschaftler Wolffsohn hatte schon vor der Veröffentlichung des Focus-Artikels gefordert, aufgrund seiner Stasi-Kontakte dürfe­ Simon nicht Direktor des Berliner Jüdischen Museums werden. Zwar erklärte Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Simons Stasi-Akte sei harmlos, harmloser gehe es nicht, dennoch war dieser für die Nachfolge Amnon Barzels offenbar aus dem Rennen.5 Anschließend wurde auch der Architekt Daniel Libeskind als Nachfolger Barzels ins Spiel gebracht. Diesem Vorschlag stimmte die Jüdische Gemeinde jedoch nicht zu.6 Die Umstände, unter denen W. Michael Blumenthal zum Direktor des Jüdischen Museums berufen wurde, lassen sich wohl nur damit erklären, dass die politisch Verantwortlichen dringend positive Nachrichten benötigten. In den Verhandlungen hinter den Kulissen hatte die Jüdische Gemeinde durchgesetzt, dass umgehend ein Interimsdirektor berufen werden sollte und dass die Position nur mit einem pensionierten Rabbiner, einem pensionierten Hochschullehrer, einem pensionierten Museumsdirektor oder einem elder statesman besetzt werden durfte.7 Wolfgang Benz, der Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der Technischen Universität Berlin, der die ihm angetragene Stelle des Interimsdirektors entschieden ablehnte, schlug Lutz von Pufendorf stattdessen W. Michael Blumenthal, einen ehemaligen amerikanischen Finanzminister und Spitzenmanager deutsch-jüdischer Herkunft, vor. Blumenthal wurde 1926 in Oranienburg bei Berlin geboren und lebte bis zur Flucht seiner Familie 1939 nach Shanghai in Berlin. Wolfgang Benz kannte W. Michael Blumenthal, weil sich dieser nach seinem Ausscheiden als Chef des Computerkonzerns Unisys seinen deutsch-jüdischen Wurzeln zugewandt, ein Buch über die Geschichte der preußischen Juden, »Die Unsichtbare Mauer«, geschrieben und dafür in Berliner und Brandenburger Archiven recherchiert hatte. Die Idee Benz’ war auf den ersten Blick ziemlich erstaunlich, weil Blumenthal beruflich nie mit Museen zu tun gehabt hatte. Aber er konnte Blumenthal mit dem Argument überzeugen, dass vor dem Hintergrund des Berliner Streits um das Jüdische Museum kein Mu4 Heiner Emde / Michael Wolffsohn, Der goldene Fußtritt. Die Jüdischen Gemeinde Berlin streitet sich über ein Vorstandsmitglied mit Stasi-Vergangenheit, in: Focus, Nr. 45, 3.11.1997. 5 Malte Lehming, Turbulenzen in der Jüdischen Gemeinde. Aufregung um die StasiAkte über Hermann Simon / Bubis: »Harmloser geht’s gar nicht mehr«, in: Tagesspiegel, 29.10.1997. 6 »Versöhnung eingeleitet. Mehr Autonomie für das Berliner Jüdische Museum«, in: NZZ , 1./2.11.1997. 7 Andreas Nachama, Liebe Gemeindemitglieder, in: Berlin-Umschau, 8 (1997), Nr. 9, S. 1–3, hier: 3. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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seumsfachmann, sondern jemand mit politischem und diploma­tischem Geschick, Durchsetzungsvermögen und guten Umgangsformen gebraucht werde. Noch viel erstaunlicher war aber, dass die Berufung Blumenthals, der in der Berliner Kulturszene neben Wolfgang Benz nur Hermann Simon bekannt war – allerdings war Blumenthal Mitglied im Aufsichtsrat der Debis –, nach nur zwei langen Telefonaten mit Kulturstaatssekretär von Pufendorf am 13. November öffentlich bekannt gegeben wurde, ohne dass es eine persönliche Begegnung mit den politisch Verantwortlichen gegeben hätte. Und das, obwohl es sich angesichts des Streits um das Jüdische Museum um keine beliebige Personalentscheidung handelte.8 W. Michael Blumenthal schreibt in seiner Autobiografie, wenn er gewusst hätte, »wie tief der Karren des Berliner Jüdischen Museums im Dreck steckte«, hätte er den Posten kaum angenommen. Im Rückblick sei es jedoch die richtige Entscheidung gewesen, allerdings aus den falschen Gründen.9 Manfred Lahnstein, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hatte Blumenthal sehr bestärkt, von Pufendorfs Angebot anzunehmen, mit einer einfachen Begründung: »Weil sie Dir nichts abschlagen können.«10 Ob Peter Radunski und Lutz von Pufendorf, die am »integrativen Modell« festhielten, Blumenthal beriefen, weil sie hofften, den elder statesman für ihre Ziele einspannen zu können? In diesem Fall wären sie jedoch schlecht informiert gewesen, denn es waren keine Geheimnisse, welche die Presse in den nächsten Wochen über die Biografie Blumenthals zu berichten wusste: Der war, nachdem ihm in den Jahren 1939 bis 1947 die Straßen Shanghais eine harte Schule fürs Leben gewesen waren, ein »knochenharter« hochrangiger amerikanischer Handelsdiplomat geworden, amerikanischer Finanzminister, hatte als solcher dem Nationalen Sicherheitsrat der Supermacht USA angehört, und hatte als Manager den Computerkonzern Unisys durch eine Übernahme geschaffen.11 Die Erläuterungen von Axel Wallrabenstein, Radunskis Sprecher, deuten darauf hin, dass Peter Radunski, Lutz von Pufendorf und auch Eberhard Diepgen annahmen, einen freundlichen Pensionär für repräsentative Aufgaben engagiert zu haben. Auf diese Weise sollte das durch den Museums8 Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 494–496; Wolfgang Benz, Die Geschichte vom Regenmachen, in: Die ersten achtzig Jahre, S.  113–118; hier: 114–116; auch: ders., Triumphale Rückkehr. W. Michael Blumenthal, in: ders., Deutsche Juden im 20.  Jahrhundert, S. 208–215, hier: 208–210; Interview mit Peter Radunski (29.4.2004), in: Siever, Museum und Kulturpolitik, Band: Interviews, Abbildungen, Interview 7, B. 1 f., hier: 1. 9 Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 495 f. 10 Manfred Lahnstein, Begegnungen mit einem großen Zeitgenossen, in: Die ersten achtzig Jahre, S. 100–103, hier: 103. 11 Volker Müller, Neuer Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Michael Blumenthal (USA) wird Chef im Libeskindbau, in: Berliner Zeitung, 14.11.1997; Robert von Rimscha, Mann hoher Ansprüche, in: Tagesspiegel, 7.12.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 11: W. Michael Blumenthal (rechts) bei seiner Vorstellung als Direktor des Jü­ dischen Museums in Berlin am 8. Dezember 1997 mit Peter Radunski (links)

streit angeknackste internationale Ansehen Berlins wiederhergestellt werden und Spenden amerikanischer Juden für das Jüdische Museum eingeworben werden.12 So bezeichnete es Wallrabenstein als die »[w]ichtigste Aufgabe« Blumenthals, international für das Jüdische Museum zu werben. Blumenthal sei zwar »kein Museumsmann«, aber dafür gebe es ja die neu eingesetzte Konzeptgruppe unter der Leitung von Daniel Libeskind. Dem Eindruck, Blumenthal werde nur eine begrenzte Rolle spielen, wurde nicht zuletzt dadurch Vorschub geleistet, dass er, wie bereits der Presse­ erklärung zu entnehmen war, lediglich als »Interimsdirektor des Jüdischen Museums im Stadtmuseum Berlin« für zwei Jahre berufen wurde.13 Wall12 Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 502. 13 Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung, und Kultur, Axel Wallrabenstein, Pressemitteilung: W. Michael Blumenthal wird Interimsdirektor des Jüdischen Mu­ seums, 13.11.1997; »Neuer Direktor für das Jüdische Museum« (Zitat), in: Tagesspiegel, 14.11.1997; »Ex-US -Finanzminister wird Museumsdirektor« (Zitat), in: taz, 14.11.1997; »Der Schadensbegrenzer«, in: taz, 14.11.1997; »Jüdisches Museum: Ex-US -Minister wird Direktor«, in: Ber­liner Morgenpost, 14.11.1997; »Enge Absprache?«, in: Tagesspiegel, 15.11.1997; Dieter Wulf, Zurück nach Berlin. Michael Blumenthal wird Interimsdirektor des Jüdischen Museums, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 27.11.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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rabenstein erklärte außerdem, Blumenthal sei in Absprache mit der Jüdischen Gemeinde berufen worden. Der Gemeindevorsitzende Nachama widersprach dem, da er zwar an der Festlegung der Auswahlkriterien beteiligt gewesen sei, Blumenthal aber bisher überhaupt nicht kenne und lediglich vorab über dessen Berufung informiert worden sei. Mit ihrem Vorgehen bei der Berufung Blumenthals ließen Lutz von Pufendorf und Peter Radunski – das blieb der Öffentlichkeit verborgen – die fortbestehende Einbindung des Jüdischen Museums in die Stiftung Stadtmuseum völlig unberücksichtigt. Deren Generaldirektor Reiner Güntzer wurde an der Personalentscheidung nicht beteiligt und erfuhr sie aus der Zeitung – ganz im Sinne der Jüdischen Gemeinde, die es seit der ersten Kündigung Barzels Ende Juni kategorisch ablehnte, dass Güntzer weiterhin irgendwelche Befugnisse im Hinblick auf das Jüdische Museum haben sollte.14

Die Presse über die Berufung W. Michael Blumenthals Die Presse gestand der Senatsverwaltung zu, es sei ihr eine Überraschung gelungen, mit der niemand gerechnet habe. Den Ton für die Kommentierung setzte Der Tagesspiegel, der die Berufung als »Glücksgriff« bezeichnete.15 Der überwiegende Teil  der Presse, neben dem Tagesspiegel die Berliner Zeitung sowie FAZ , SZ und Zeit, begrüßte die Berufung enthusiastisch und vertrat die Ansicht, W. Michael Blumenthal sei durchsetzungsfähig, werde seinen eigenen Weg gehen und ihm schwebe ganz gewiss kein provinzielles Museum vor.16 Klaus Harpprecht sang in einem Porträt in der Zeit ein Loblied auf Blumen­ thal und prophezeite, sollten die Verantwortlichen mit Blumenthal so verfahren wie mit Barzel und dieser deshalb seinen neuen Job hinschmeißen, werde Berlin – noch bevor die Stadt Sitz von Bundestag und Bundesregierung werde – in einen »Abgrund der Lächerlichkeit und des Zorns« stürzen. Und er äußerte zudem die Hoffnung, dass Blumenthals »helle Vernunft« auch in 14 Interview mit Kurt Winkler, Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum (19.4.2004), in: Siever, Museum und Kulturpolitik, Band: Interviews, Abbildungen, Interview 6, B. 1–3, hier: 3. 15 Paul Stopp, Ein Glücksgriff, in: Tagesspiegel, 14.11.1997. 16 Malte Lehming, Chance für Berlin und seine Historie, in: Tagesspiegel, 8.12.1997; Volker Müller, Was erbt Michael Blumenthal in Berlin? Im provinziellen Gezänk um das Jüdische Museum wurde viel Zeit vertan. Der neue Chef könnte jetzt für eine Symbiose aus Topmanagement und Künstlertum sorgen, in: Berliner Zeitung, 15./16.11.1997; »Ein Mann des Brückenschlags«, in: FAZ , 14.11.1997; Marianne Heuwagen, Moderator im Dauerstreit. Schwieriges Amt für früheren US -Finanzminister. Michael Blumenthal wird Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, in: SZ , 2.12.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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den »hohepriesterlichen Kreis der Juroren für das Holocaust-Mahnmal« hin­ überwirken werde.17 Es gab aber auch Stimmen, wie die Berliner Morgenpost und taz, die bezweifelten, dass der Nichtexperte Blumenthal großen Einfluss auf die Gestaltung des Museums haben werde, und im Sinne der Äußerungen von Wallrabenstein die Gestaltungsmacht vielmehr bei der Libeskind-Konzeptgruppe sahen.18 Gleichzeitig waren in einigen Zeitungen gewisse Ängste zu spüren, wie Blumenthal sich gegenüber den Deutschen verhalten werde, da er mit seiner Familie 1939 aus Hitler-Deutschland hatte fliehen müssen. Mit deutlichem Unbehagen zitierte die Morgenpost eine Äußerung Blumenthals, wonach er keine inneren Bindungen an Deutschland mehr habe und die Deutschen zwar nicht hasse, doch seien sie ihm genauso fremd wie die Franzosen. Auch erinnerte die Presse an Blumenthals Reaktion im Jahre 1977, als er nach seiner Er­nennung zum amerikanischen Finanzminister vom Berliner Boulevardblatt B. Z. in einer Schlagzeile als »Berliner« vereinnahmt worden war: »Erst schmeißen sie mich raus und nun bin ich plötzlich ›ein Berliner‹. Wie lustig!«19 Im Januar 1998 gab die Morgenpost Blumenthal mit den folgenden Worten wieder: »Für mich war Deutschland eine Vergangenheit, die ich gern und erfolgreich vergessen habe.« Das gelte auch für andere Amerikaner deutsch-jüdischer Herkunft in seiner Generation wie zum Beispiel Henry Kissinger. Dagegen habe die Generation seiner Eltern ihre deutsch-jüdischen Wurzeln nie vergessen.20 Blumenthal hielt sich zum Zeitpunkt der Bekanntgabe seiner Berufung gar nicht in Berlin auf, sondern in der Universitätsstadt Princeton im amerikanischen Bundesstaat New Jersey, wo sich auch in Zukunft sein Lebensmittelpunkt befinden würde. Doch bereits von dort aus machte er die ersten wichtigen Aussagen zu seiner zukünftigen Tätigkeit und wunderte sich gleichzeitig gegenüber dem Spiegel über den Wirbel, den er in Deutschland verursachte.21 17 Klaus Harpprecht, Harte Nüsse reizen ihn, in: Die Zeit, 21.11.1997. 18 »Der Schadensbegrenzer«, in: taz, 14.11.1997; »Der neue Direktor«, in: Berliner Morgenpost, 14.11.1997. 19 »Der neue Direktor«, in: Berliner Morgenpost, 14.11.1997; »Neuer Direktor des J­ üdischen Museums« (Zitat), in: Berliner Zeitung, 14.11.1997. Der B. Z.-Artikel von 1977 hing­ gerahmt in Blumenthals Büro als amerikanischer Finanzminister. Vgl. Lotte Lustig­ Marcus, The Return. In Honor of Werner Michael Blumenthal’s 80th Birthday, in: Die ersten achtzig Jahre, S. 36–51, hier: 48. 20 Jola Merten, Gedanken eines Amerikaners in Berlin über Juden und Nichtjuden, in: Berliner Morgenpost, 21.1.1998; vgl. Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 19, 89, 474. 21 Walter Mayr, Pendeln zwischen zwei Welten. Am Sonntag tritt der frühere US -Finanzminister als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin an. Er verbrachte seine Kindheit im Vorkriegs-Berlin und bringt den Willen mit, ein großes Projekt gegen kleinlichen Zank zu schützen, in: Der Spiegel, 2.12.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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In der B. Z. trat er den Ängsten entgegen, er könnte den Deutschen kühl­ gegenüberstehen. Das Blatt konnte berichten: »Blumenthal kann seine Herkunft nicht verleugnen: ›Wenn ich in Berlin bin, rede ich nur Deutsch. Ich könnte sogar berlinern, aber das klänge doch etwas gezwungen.‹«22

In einem ersten Interview hatte er der Zeitung bereits gesagt: »Ich habe meine Kindheit in unschöner Zeit verbracht, mußte als Jude mit 13 aus Berlin fort. Dennoch hat die Stadt meiner Kindheit immer einen Platz in meinem Herzen gehabt.«

Im gleichen Interview erklärte er, er werde sein Möglichstes dafür tun, »damit Berlin ein angemessenes, schönes Jüdisches Museum« erhält, und dafür auch in anderen Ländern werben – die Formulierung »schönes Jüdisches­ Museum« deutete bereits an, dass es sich nicht um ein Holocaust-Museum handeln sollte.23 Dem Berliner Senat kam Blumenthal entgegen, indem er mehrfach deutlich machte, der vergangene Streit, der ihn betrübt und traurig gemacht habe, interessiere ihn nicht in seinen Einzelheiten, er wolle die Situation beruhigen und blicke in die Zukunft.24 Aber auch seine persönliche Motivation, und für wie wichtig er seine neue Aufgabe hielt, brachte er zum Ausdruck. Gegenüber dem Spiegel bekannte er, ein »eindrucksvolles jüdisches Museum« gestalten helfen zu wollen, »aus sentimentalen Gründen, als Berliner, als Jude, aber auch, weil ich das Ziel für wichtig halte – ich glaube, daß es sich gehört.«25

In einem eindrucksvollen Porträt in der Berliner Zeitung war zu lesen: »›Dieses Museum ist das Beste, was Berlin für das 21. Jahrhundert passieren kann‹, sagt Blumenthal, ›und ich wünsche mir, daß alle Berliner, auf die ich treffen werde, die ganze Bedeutung dieses Projekts erkennen.‹«

Obwohl Blumenthal sich zu diesem Zeitpunkt weigerte, Aussagen zur Konzeption zu machen  – er wolle erst einmal nach Berlin kommen, Gespräche 22 Jürgen Schönstein, Es ist meine Pflicht. B. Z.-Besuch bei W. Michael Blumenthal in New York, der das Jüdische Museum in Berlin leiten soll, in: B. Z., 2.12.1997. 23 »Michael Blumenthal wird Direktor des Jüdischen Museums. B. Z. sprach mit dem ehemaligen US -Finanzminister«, in: B. Z., 14.11.1997. 24 Kerstin Ullrich, »Ich habe viel Erfahrung als Moderator«. Der Interimsleiter des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, zu seinen Plänen, in: Berliner Morgenpost / Berliner Allgemeine, 16.11.1997. 25 Walter Mayr, Pendeln zwischen zwei Welten, in: Der Spiegel, 2.12.1997. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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führen und zuhören –, war schon nach diesen Interviews und ausführlichen Porträts klar, dass Blumenthals Vorstellungen von diesem »für Berlin und Deutschland wichtige[n] Museum« nicht zur Stellung des Berliner Jüdischen Museums in der Stiftung Stadtmuseum passten.26 Blumenthal nahm nach seiner grundsätzlichen Zusage am Telefon, als er einige Wochen später, am 8.  Dezember, nach Berlin reiste und nachdem er sich zwischenzeitlich über die Situation des Jüdischen Museums genauer informiert hatte, den Posten des Interimsdirektors unter drei Bedingungen an: erstens freie Hand bei der Beurteilung der Lage, zweitens die völlige Freiheit, eigene Vorschläge für die Gestaltung des Jüdischen Museums machen zu können, und drittens lehnte er es, um unabhängig zu bleiben, ab, für die Tätigkeit bezahlt zu werden, er wollte den Posten also pro bono übernehmen. Gegenüber Kulturstaatssekretär von Pufendorf erklärte Blumenthal, sollten seine Bedingungen für Berlin nicht akzeptabel sein, dann wäre er nicht böse, sähe sich aber nicht mehr an seine Zusage gebunden. Nach dem Skandal um die Entlassung Barzels und nachdem die Berufung von Blumenthal auf der Grundlage von lediglich zwei Telefonaten bereits öffentlich ver­ kündet worden war und wichtige Presseorgane darauf euphorisch reagiert hatten, konnte sich der Berliner Senat gegenüber der Öffentlichkeit schwerlich einen Rückzieher Blumenthals leisten.27 In seinem ersten persönlichen Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen bat Blumenthal darum, nicht auf den Begriff »integratives Modell« festgelegt zu werden, wofür jener Verständnis äußerte.28 Aus heutiger Perspektive bestehen angesichts der Zielstrebigkeit, die Blumenthal anschließend an den Tag legte, wenig Zweifel, dass er bereits feste Vorstellungen hatte, als er sich bereit erklärte, das Amt zu übernehmen. Vermutlich aus diesem Grund sind einzelne Akteure im Berliner Museumsstreit im Rückblick davon überzeugt, dass die Berufung W. Michael Blumenthals nur durch eine Intervention von höchster Stelle  – sprich: des Bundeskanzleramts  – beim Regierenden Bürgermeister oder beim Kultursenator Peter­

26 Stefan Elfenbein, »Ich komme nicht, um alte Geschichten aufzuwärmen«. Warum Michael Blumenthal, der deutsche Emigrant mit amerikanischer Bilderbuchkarriere, Direktor des Berliner Jüdischen Museums wird, in: Berliner Zeitung, 22.11.1997. 27 Blumenthal an von Pufendorf, 5.2.1998, in: Jüdisches Museum Berlin, Akten W. Michael Blumen­t hal, Ordner: Senatskanzlei, SenKult, AGH 1997–2001; »Ex-US -Minister wird Jüdisches Museum leiten«, in: Die Welt, 14.11.1997; Elfenbein, »Ich komme nicht, um alte Geschichten aufzuwärmen«, in: Berliner Zeitung, 22.11.1997; vgl. Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 496. 28 Senatskanzlei III C, Blomeyer, Vermerk, Antrittsbesuch von Herrn Blumenthal als Leiter des Jüdischen Museums Berlin, 10.12.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Senats-Vorlage. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Radunski zu erklären ist.29 Dabei handelt es sich wohl um eine Legende. Hier war nicht Planung von ganz oben am Werk, vielmehr haben die Verkettung des Handelns Einzelner und die Nachlässigkeit von Entscheidungsträgern dem Geschick des Berliner Jüdischen Museums eine überraschende Wendung gegeben. Zugleich ist es gut möglich, dass Eberhard Diepgen oder Peter Radunski in der zweiten Jahreshälfte 1997 nach der Kündigung Amnon Barzels von der Bundesregierung gedrängt wurden, den Konflikt um das Jüdische Museum zu befrieden. Man sollte jedoch die Autonomie der Landespolitik in der f­öderalistischen Bundesrepublik nicht unterschätzen. So stellte sich der Regierende Bürgermeister ab Februar 1998 öffentlich gegen den von Bundeskanzler Helmut Kohl favorisierten Entwurf »Eisenman II« in der zweiten Runde des Wettbewerbs für das Holocaust-Mahnmal. Eberhard Diepgens Kritik war so grundsätzlich, dass sie zu Recht als Infragestellung des Mahnmals an sich verstanden wurde. Damit war er 1998 zunächst der Hauptgegenspieler von Kanzler Kohl im Mahnmalstreit.30 Gegen die These, die Berufung Blumenthals sei auf Wunsch der Bundesregierung erfolgt, spricht vor allem, dass der Senat mit dieser Personalentscheidung keinesfalls vom integrativen Konzept abgerückt war. Es sollte noch mehr als ein halbes Jahr vergehen, bis Blumenthal dem Senat die Aufgabe dieses Konzepts und ein wirklich eigenständiges Jüdisches Museum abgerungen hatte. Die Euphorie über die Berufung W. Michael Blumenthals steigerte sich mit dessen Ankunft in Berlin Anfang Dezember noch einmal. Der Auflauf im Roten Rathaus bei der Vorstellungspressekonferenz am 8. Dezember wurde in den Zeitungen mit dem bei der Vorstellung eines neuen Bundeskanzlers verglichen, und Blumenthal erklärte amüsiert, als amerikanischer Finanzminister habe er nicht mehr Presse gehabt. Allein seiner Ankunft schrieben die Kommentatoren eine beruhigende Wirkung auf die heillos ver29 So Amnon Barzel: Thomas Lackmann, »Schütze Gott uns vor solchen Leuten!« Der Missionar und sein Minenfeld: Amnon Barzel, der Ex-Direktor des JMB , über nette Feinde, unangenehme Freunde, die Bluthochzeit mit den Deutschen und das lebenswerte Leben, in: Tagesspiegel, 30.10.1998; und Kurt Winkler: Interview mit Kurt Winkler, Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum (19.4.2004), in: Siever, Museum und Kulturpolitik, Band: Interviews, Abbildungen, Interview 6, B. 3; vgl. Lackmann, Jewrassic Park, S.  176. Dagegen glaubte der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Schütz nicht an eine Beteiligung der Bundesregierung. Gespräch mit Klaus Schütz am 28.8.2006. 30 Vgl. Rosh, Von der Idee zur Entscheidung, S. 96, 99; Leggewie / Meyer, »Ein Ort, an den man gerne geht«, S. 163, 169–171. Eberhard Diepgen, Memento Berlin. Bedenken gegenüber dem Holocaust-Mahnmal (Tagesspiegel, 28.3.1998), ders., Der Weg, den wir beschritten haben, ist nicht gangbar (Tagesspiegel, 16.8.1998), in: Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, S. 1043, 1094 f., hier: 1094, siehe auch: S. 32. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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fahrene Auseinandersetzung um das Jüdische Museum zu; erbitterte Kontrahenten hätten sich am Rande seiner Vorstellung die Hand gereicht. Durch die Presse­konferenz sahen sich diejenigen bestätigt, die vorausgesagt hatten, Blumenthal werde sich nicht zur Marionette des Kultursenats machen lassen. Blumenthal trat »außerordentlich selbstbewußt« auf, bestand auf »voller Autonomie«, vermied aber vorerst konkrete Aussagen zur Konzeption des Museums mit der Begründung, er habe noch nicht einmal den Libeskind-Bau gesehen und wolle diesen zunächst begehen. Peter Radunski erklärte, Blumenthal und er seien übereingekommen, dass dieser ab sofort so autonom handeln werde, als ob die unselbstständige Stiftung Jüdisches Museum bereits errichtet sei. Blumenthal fügte dem hinzu, er könne sich nicht vorstellen, dass es Weisungen vom Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, Reiner Güntzer, an ihn geben werde. Auf die Frage, was er denn zu tun gedenke, falls ihm doch nicht die versprochene Autonomie gewährt werde, bemerkte Blumenthal, er habe sich auch in der Vergangenheit schon mit solchen Situationen auseinandersetzen müssen und er werde nicht verhungern, wenn man ihn entlassen sollte. Der Tagesspiegel berichtete von der Pressekonferenz unter der Überschrift »Einer, der das Spiel bestimmt«, und der Reporter kommentierte, Blumenthal sei sich offensichtlich gewiss, dass die politisch Verantwortlichen sich »nahezu jeder seiner Forderungen werden beugen müssen«. In einer Hinsicht äußerte Blumenthal sich aber doch schon zur Konzeption und tat dies auch noch einmal intern in seinem ersten Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister. Das Museum müsse die lange Geschichte der deutschen Juden insgesamt zeigen, die Jahre 1933 bis 1945 seien »nur ein kleiner, ein scheußlicher Teil« davon – das Jüdische Museum sollte also kein Holocaust-Museum werden. Das war keine völlig abwegige Option, da einige Stimmen wie György Konrád und Julius H. Schoeps in der Mahnmaldebatte­ öffentlich forderten, auf das Mahnmal zu verzichten, denn der Libeskind-Bau sei bereits das Mahnmal.31 31 Moritz Müller Wirth, Wer nickt diesmal? György Konrád ist zu einer der maßgeblichen Stimmen der Stadt geworden. Sein Beitrag zur Mahnmal-Debatte spitzt die Diskussion zu, in: Tagesspiegel, 27.11.1997; »Einer, der das Spiel bestimmt« (Zitate), in: Tagesspiegel, 9.12.1997; »Es gilt«, in: ebd.; »Autonomie erwartet«, in: ebd.; »Allseits offen. Blumenthals Berliner Museumspläne«, in: FAZ , 9.12.1997; Ingolf Kern, Erst einmal spazierengehen. Der frühere US -Minister Blumenthal übernahm sein neues Amt in Berlin, in: Die Welt, 9.12.1997; Ute Frings, »Zuhören, lernen und offen sein …«. Blumenthal stellt sich als neuer Direktor des Jüdischen Museums in Berlin vor, in: FR , 9.12.1997; Julius H. Schoeps, Blitzender Zickzackbau kontrovers. Wie geht das Jüdische Museum Berlin künftig mit dem provokanten Libeskind-Bau um?, in: Tagesspiegel, 17.4.1998; Senatskanzlei  III  C, Blomeyer, Vermerk, Antrittsbesuch von Herrn Blumenthal als Leiter des Jüdischen Museums Berlin, 10.12.1997, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Senats-Vorlage. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Bei seinem zweiten Berlin-Aufenthalt, seit seine Berufung angekündigt worden war, gab Blumenthal am 22. Januar 1998 erneut eine Pressekonferenz. Seine Aussagen gegenüber den Journalisten ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Bereits am Vortag hatte er auf einer Podiumsdiskussion im Centrum Judaicum erklärt, der Libeskind-Bau sei ein »jüdisches Gebäude«, wer das nicht sehe, sei »blind«. Er habe inzwischen alles über die Entstehung des Museums gelesen und den missbrauchten Begriff »integratives Modell« benutze er nicht. Dass die »Stadtmuseums-Idee« durch die Haupt­ stadtwerdung Berlins relativiert werde, dem stimme jeder zu, den er gesprochen habe. Auf die Frage nach der von Senatsseite geplanten unselbstständigen Stiftung antwortete er, der rechtliche Status des Jüdischen Museums werde bis März geklärt. Wie auch immer die Rechtsform aussehen werde, er bestehe auf absoluter Verfügungsfreiheit über Etat, Personal und Konzept. Die Rechtskonstruktion müsse es auch ermöglichen, Bundes- und Sponsorengelder einzuwerben. Und die Mission des Museums sei die Darstellung jüdischer Geschichte in Deutschland mit Akzent auf Berlin. Mit diesem Auftrag sei das Museum selbstverständlich auch ein Forum, auf dem über Fragen wie Toleranz gegenüber Minderheiten diskutiert werde. Ein so konzipiertes Museum sei auch Sache des Bundes.32 Erstaunlich war, dass über diese Entwicklung zwar im Tagesspiegel und den nationalen Zeitungen berichtet wurde, aber weder in der Politik noch in der Presse eine Debatte begann, obwohl Blumenthal sich mit seinen Er­ klärungen gegen die Pläne von Senat und Abgeordnetenhaus aus dem Oktober und November des vergangenen Jahres stellte. Vertrat der Senat doch weiterhin das »integrative Modell«, das am Tag der Bekanntgabe der Berufung Blumenthals auch noch einmal vom Abgeordnetenhaus bestätigt worden war. Die Erklärung für die ausgebliebene Debatte dürfte sein, dass die publizistischen Verteidiger des integrativen Konzepts, vor allem die Welt, aus Gründen der Staatsräson, des deutsch-amerikanischen Bündnisses, da nun ein prominenter Amerikaner sein Direktor war, keinen neuen Streit um das Museum riskieren wollten. In ihrem Bericht von der Pressekonferenz schrieb die FAZ , Blumenthal lasse »keinen Zweifel daran, daß er entschlossen ist, die Früchte des Zorns seines wegen heftigen Autonomiebegehrens entlassenen Amtsvorgängers Amnon Barzels zu ernten«.33 Die FR urteilte, Blu32 Thomas Lackmann, Warum, zum Teufel, Chef des Jüdischen Museums? Direktor Blumenthal überrascht die Öffentlichkeit, in: Tagesspiegel, 23.1.1998; auch: Michael S. Cullen, »Über die Autonomie ist nicht zu streiten«. Michael Blumenthal über Probleme, Aufgaben und Perspektiven für das Jüdische Museum in Berlin, in: ebd., 13.2.1998. 33 »Die Mission. Konturen des Jüdischen Museums«, in: FAZ , 24.1.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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menthal wolle nicht weniger als Barzel und werde wahrscheinlich auch alles bekommen.34 Die politisch Verantwortlichen widersprachen W. Michael Blumenthal zumindest in der Öffentlichkeit nicht. Reiner Güntzer, der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, vollzog nun eine völlige Kehrtwendung. Er verstand sofort und ließ die Kultur­ verwaltung das auch wissen, dass, sobald man Blumenthals Gleichung »Libes­ kind-Bau = Jüdisches Museum« akzeptierte, der wie auch immer geartete Verbleib des Jüdischen Museums in der Stiftung Stadtmuseum hinfällig war, dass unter diesen Umständen das Modell einer unselbstständigen Stiftung in der Stiftung Stadtmuseum nur dazu diente, das Gesicht der politischen Spitze zu wahren, sich aber nicht mehr von der Sache her rechtfertigte. Das »integrative Konzept« war – das wusste Güntzer nur zu gut – in den 1980er Jahren erfunden worden, um über das Jüdische Museum die Erweiterung des Berlin Museums durchzusetzen. Mit dem Kampf um den Erweiterungsbau war die entscheidende Schlacht verloren. Nun galt es für Güntzer als Generaldirektor des Stadtmuseums nach dieser schweren Niederlage, so gut es ging, die Interessen seiner Institution zu wahren. Er befürchtete, ein Verbleib des Jüdischen Museums unter ihrem Dach habe für die Stiftung Stadtmuseum mehr Nachteile als dessen völlige Verselbstständigung. Eine unselbstständige Stiftung Jüdisches Museum hätte Zugriff auf die gesamte Sammlung der Stiftung Stadtmuseum. Nutzte das Stadtmuseum trotz der Aufgabe des Libeskind-Baus weiterhin Räumlichkeiten im Kollegienhaus, würde es in der Öffentlichkeit als Anhängsel des Jüdischen Museums wahrgenommen werden. Deshalb bot er auch die völlige Aufgabe des Kollegienhauses an und verlangte von der Politik räumliche Kompensation in Form der Überlassung anderer Bauten in der Nähe des Stammhauses Märkisches Museum.35 All dieses formulierte Güntzer in einem Schreiben an Eberhard Diepgen vom 27. Februar und in Stellungnahmen gegenüber der Kulturverwaltung.36 Das Schreiben an Diepgen blieb jedoch unbeantwortet, und die Kultur­ verwaltung vergatterte Güntzer zum Schweigen; ihm wurde per dienstlicher Weisung untersagt, sein Schreiben an Diepgen dem Direktor des Jüdischen Museums, der vorläufig als sein Stellvertreter fungierte, zu zeigen.37

34 Ute Frings, Reinreden läßt sich Blumenthal nicht. Der neue Direktor des Jüdischen Museums Berlin will vor allem eines – Autonomie, in: FR , 27.1.1998. 35 Güntzer an Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Klemke, 13.3.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Synopse, Kopien. 36 Generaldirektor Güntzer an den Regierenden Bürgermeister, Diepgen, 27.2.1998, ab­ gedruckt in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, 4 (1998), S. 399. 37 Generaldirektor Güntzer an Staatssekretär von Pufendorf, 23.3.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III . © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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W. Michael Blumenthals Strategie war es, zunächst die entscheidenden Statusfragen, wie er sie auf der Pressekonferenz im Januar benannt hatte, direkt mit den politisch Verantwortlichen zu klären, und er konnte dieses Verfahren auch durchsetzen.38 Gegenüber Amnon Barzel hingegen hatten die politische Spitze und die Kulturverwaltung immer darauf beharrt, er habe erst ein schriftliches Ausstellungskonzept vorzulegen, bevor über Statusfragen zu reden sei. Die Libeskind-Konzeptgruppe, die vom Senat zur Planung der Er­ öffnungsausstellung im Libeskind-Bau eingesetzt worden war und die kurz nach Blumenthals Ernennung unter dessen Vorsitz erstmalig zusammentrat, ließ Blumenthal Kommission sein und saß ihre Sitzungen ab. In den Verhandlungen mit der Kulturverwaltung wurde er von dem einflussreichen Rechtsanwalt Peter Raue, einem absoluten Insider der Berliner Kulturszene, beraten und vertreten. Blumenthals ohnehin schon überaus gute Verhandlungsposition wurde dadurch noch zusätzlich gestärkt, dass in Berlin  – fälschlicherweise  – der Eindruck herrschte, er handle im Auftrag des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Von der Berliner Zeitung wurde in diesem Sinne ein anonymes Mitglied des Abgeordnetenhauses zitiert, und so äußerte sich auch Andreas ­Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.39 Auch wenn es sich dabei um eine Legende handelte, dürfte Blumenthal, der sagt, als Finanzminister habe er gelernt, in der Politik könne der Schein genauso wichtig sein wie die Realität, kein Interesse daran gehabt haben, ihr den Boden zu entziehen.40 Eine erste Einigung zwischen dem Senat und Blumenthal wurde in einem Gespräch am 24. März 1998 erzielt. Dieser hatte die Meinung vertreten, seine Forderungen seien am besten und eigentlich nur in einem völlig selbstständigen Jüdischen Museum, einer eigenen Stiftung, zu realisieren. Die Senatsseite, die der Blumenthal’schen Gleichung »Libeskind-Bau = Jüdisches Museum« nur unter Bauchschmerzen nicht widersprach, beharrte auf der unselbstständigen Stiftung. Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf, der eine besondere Affinität zur Stiftung Stadtmuseum hatte, gehörte er doch dem Förderverein des Berlin 38 Blumenthal an Staatssekretär von Pufendorf, 5.2.1998, in: Jüdisches Museum Berlin,­ Akten W. Michael Blumenthal, Ordner: Senatskanzlei, SenKult, AGH 1997–2001. 39 Peter Ambros, Wille, Sammlung, Haus. Bald geht es im Libeskindbau zur Sache. Die Gestaltung des lange umstrittenen Jüdischen Museums war Thema eines Colloquiums in Berlin, in: Berliner Zeitung, 7.4.1998; Knut Teske, Deutscher Staatsbürger mit dünner Haut. Berliner Profile: Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, in: Die Welt, 29.5.1998. 40 Ralph Bollmann, Geburtshelfer mit Sinn für Größe. Michael Blumenthal hat das Jüdische Museum in Berlin gerettet – und will es jetzt mit großem Pomp eröffnen, in: taz, 28.8.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Museums beziehungsweise des Stadtmuseums an, bemühte in dieser Auseinandersetzung erneut die alten Argumente. Bei einer selbstständigen Stiftung drohe die »Ghettoisierung« des Jüdischen Museums, vor der Heinz Galinski gewarnt habe, und der Respekt vor diesem gebiete es, bei der Einbindung in die Stiftung Stadtmuseum zu bleiben.41 In einem Kompromiss akzeptierte Blumenthal die unselbstständige Stiftung unter der Bedingung, dass alle seine Forderungen hinsichtlich der Autonomie erfüllt werden sollten. Die »Einigung« wurde von den beiden Seiten jedoch unterschiedlich kommuniziert. In der Presseerklärung der Senatsverwaltung vom 24. März wurden Blumenthal Autonomie, Finanz- und Personalhoheit sowie die alleinige Entscheidungskompetenz für das »Jüdische Museum im Libeskind-Bau« zugesichert – diese Formulierung ließ aber offen, ob das Jüdische Museum tatsächlich das ganze Gebäude bekommen sollte.42 Blumenthal erklärte dagegen in einem Tagesspiegel-Interview am 27. März: »Um die Autonomie ging von Anfang an der Streit. Ich habe immer gesagt, das Jüdische Museum sollte eigentlich völlig selbständig sein. Aber wenn de facto völlige Autonomie besteht, ist mir die Struktur-Formel schnuppe. In dem Moment, als die Autonomie gesichert war, und Senator Radunski sagte: ›Bitte lassen wir es doch als unselbständige Stiftung‹, habe ich gesagt: ›Wenn die Basis ist wie besprochen, nämlich daß der Libeskindbau das Jüdische Museums ist, dann ist alles okay.‹«

Zum Abschluss des Interviews erklärte Blumenthal, falls man ihn doch entlassen sollte, werde er als »Stachel im Fleisch« in der Stadt bleiben und sich weiterhin dafür einsetzen, aus dem Libeskind-Bau ein »richtiges Berliner-deutsch-jüdisches-Museum zu machen«.43 In verschiedenen Interviews äußerte Blumenthal sich nun auch zu den Kosten. Diese würden höher sein, als »Berlin sich das je erträumt hat«.44 Im Tagesspiegel-Interview erklärte er: »Gesetzt den Fall, die Fixkosten betrügen im Jahr 15 Millionen und die Stadt brächte das auf, dann müßten immer noch fünf Millionen dazukommen für

41 Staatssekretär von Pufendorf an Raue, 20.2.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, JMB , Michael Blumenthal, Kopien. 42 Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Axel Wallrabenstein, Pressemitteilung, Eröffnung des Jüdischen Museums 1999 steht nichts mehr entgegen. Einigung zwischen Radunski und Blumenthal über Struktur, 24.3.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner  III, Kopien. 43 »›Dieser Bau ist ein zerbrochener Davidstern, die Welt weiß davon‹. Der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Michael W. Blumenthal, über seine Einigung mit dem Senat und den aufregenden Prozeß, eine Mission zu entwickeln«, in: Tagesspiegel, 27.3.1998. 44 Marianne Heuwagen, Die Zahlen, das Bezahlen und das Erzählen. W. Michael Blumenthal, der neue Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, über seine Ziele und Projekte, in: SZ ., 3.4.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Projekte, durch Sponsoren zum Beispiel, so daß man im Jahr auf 20 Millionen käme. Aber was bringt Berlin auf? Acht oder zehn?«45 Die unterschiedliche Interpretation der Einigung in der Berliner Zeitung und im Tagesspiegel verdeutlichte die Schwierigkeiten des alten West­berlin, sich vom »integrativen Konzept« zu lösen. Während Stephan Speicher in der ehemaligen Ostberliner Zeitung fragte, warum es so lange gedauert habe bis zur Aufgabe der »Unglücksidee«, und an der »Weltorientierung« ihrer Verteidiger zweifelte, war Hermann Rudolph, der Herausgeber des West­berliner Blattes, zwar voll des Lobes für Blumenthal, feierte aber gleichzeitig das, was dieser lediglich als Kompromiss zugestanden hatte, die Beibehaltung der unselbstständigen Stiftung. (Die Feuilletonredaktion des Tages­spiegels befürwortete seit längerer Zeit die Verselbstständigung des Jüdischen Museums.46) Voller Romantik und Pathos – wohl nur dadurch zu erklären, dass, wie Rudolph in seinem Kommentar auch erwähnte, der Mitbegründer des Tagesspiegels, Edwin Redslob, auch der Gründer des Berlin Museums gewesen war – schrieb Rudolph über das »integrative Modell«: »Es gibt mancherlei Gründe, in einem solchen Museum [einem selbstständigen nationalen Museum zur deutsch-jüdischen Geschichte, D. B.] eine Aufgabe zu sehen, die nach dem Schicksal, das das Judentum in Deutschland erlitten hat, der Mühe wert ist. Aber das wäre eine andere Geschichte gewesen. In gewissem Sinne hätte sie ein Ende des sehr besonderen, eigentlich nur hier vorstellbaren Vorhabens bedeutet, das Berlin seit mehr als zwei Jahrzehnten mit dem Jüdischen Museum verfolgt hat. Die nun gefundene Einigung erlaubt, es nun doch zum Ziel zu führen.«47

W. Michael Blumenthal sagte hingegen im Tagesspiegel-Interview: Das »integrative Modell« sei ein »Codewort« gewesen, um dem Stadtmuseum die Kontrolle über das Jüdische Museum zu geben. »Was war bloß ihr [Blumenthals Verhandlungspartner, D. B.] Problem gewesen? Irgendwie wollten sie unbedingt die Verbindung des Jüdischen zum Stadtmuseum aufrecht erhalten. Vielleicht war es sogar etwas wie eine Ehrensache.«48

Mit der »Einigung« vom 24. März war es aber nicht weit her. In einem Vermerk vom 24.  April buchstabierte Kulturstaatssekretär von Pufendorf aus, was die Ergebnisse der Verhandlungen mit Blumenthal für die rechtliche Aus45 »›Dieser Bau ist ein zerbrochener Davidstern, die Welt weiß davon‹«, in: Tagesspiegel, 27.3.1998. 46 Stephan Speicher, Befriedung eines Museums, in: Berliner Zeitung, 26.3.1998. 47 Hermann Rudolph, Das Jüdische Museum jenseits des Streits um des Kaisers Bart. Nach der Einigung über die Struktur des Hauses: Jetzt erweist sich die Berufung Michael Blumen­t hals als die Chance, die Berlin nicht versäumen darf, in: Tagesspiegel, 25.3.1998. 48 »›Dieser Bau ist ein zerbrochener Davidstern, die Welt weiß davon‹« in: Tagesspiegel, 27.3.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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gestaltung der unselbstständigen Stiftung Jüdisches Museum aus seiner Sicht bedeuteten und wiederholte dabei ältere Vorschläge, die Blumenthal noch vor der »Einigung« am 24. März abgelehnt hatte.49 Diese Vorschläge waren für Blumenthal inakzeptabel, weil sie keine völlige Autonomie des Jüdischen Museums im Hinblick auf Etat, Personal und Ausstellungskonzept vorsahen. Einen entsprechenden Brief schrieb Rechtsanwalt Peter Raue am 28. April an von Pufendorf.50 Dennoch kündigte ein Bericht des Senats zum Jüdischen Museum an das Abgeordnetenhaus vom 5.  Mai, gezeichnet vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und Senator Peter Radunski, genau die rechtlichen Regelungen an, wie sie von Pufendorf in seinem Vermerk vom 24. April vorgesehen hatte.51 Daraufhin erschien am 9. Mai ein Artikel von Michael S. Cullen im Tages­ spiegel, in dem es hieß, der Bericht des Senats an das Abgeordnetenhaus sei nicht mit Blumenthal abgestimmt gewesen. Vielmehr sei ein bereits von Blumenthal beanstandetes Papier an das Parlament gegangen. Daher sei es zu »Irritation und Mißtönen« gekommen; aus Blumenthals Umgebung sei verlautet, »der Direktor habe sich sehr geärgert, er sei ›im Dreieck gesprungen‹«.52 Es folgte ein eindringlicher Brief Peter Raues an Lutz von Pufendorf, nun Vorschläge zu machen, die mit den Vereinbarungen vom 24. März auch übereinstimmten.53 Die Antwort von Pufendorfs fiel ziemlich schnoddrig aus. Die entscheidenden Weichen seien überhaupt noch nicht gestellt worden, man solle die ganze Sache nicht so ernst nehmen, es habe sich »lediglich um die Erfüllung einer Berichtspflicht gegenüber dem Hauptausschuß des Abgeordneten­hauses« gehandelt. In der Sache bestritt von Pufendorf, dass mit den von ihm vorgesehenen Regelungen die Vereinbarungen des 24. März verlassen werden würden. Höchst befremdlich war sein Kommentar zur Rolle Michael S. Cullens: »Vor diesem Hintergrund bedrückt mich vor allem, daß uns jeder mit großem Ernst erarbeitete Konsens von solchen kleinverständigen Scharfmachern immer wieder in Mißkredit gebracht wird, wie nach meinem letzten ausführlichen Gespräch mit

49 Raue an Staatssekretär von Pufendorf, 23.3.1998, in: Akten Senatsverwaltung V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III; Staatssekretär von Pufendorf, Vermerk: Konzeption für die neue Struktur des Jüdischen Museums im Stadtmuseum. Wesentliche Ergebnisse der Besprechung vom 24.3.1998, 24.4.1998, in: ebd. 50 Raue an Staatssekretär von Pufendorf, 28.4.1998, in: ebd. 51 Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/2687: Der Senat von Berlin, Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über Jüdisches Museum, 5.5.1998, in: ebd. 52 Michael S.  Cullen, Jüdisches Museum: Senatsbericht ignoriert Blumenthals Einwände, in: Tagesspiegel, 9.5.1998. 53 Raue an Staatssekretär von Pufendorf, 11.5.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III . © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Herrn Blumenthal offensichtlich durch den gerne im Trüben fischenden Mike Cullen bewirkt worden ist.«54

Daraufhin teilte Peter Raue Lutz von Pufendorf mit  – eine Abschrift ging auch an den Regierenden Bürgermeister –, W. Michael Blumenthal habe dessen Schreiben mit »Unverständnis« und »Empörung« gelesen, und Blumenthal setzte sich nun direkt mit Senator Peter Radunski in Verbindung.55 Laut einem später erschienenen SZ-Artikel weigerte sich Blumenthal ab einem bestimmten Zeitpunkt, mit von Pufendorf länger zu verhandeln; dies dürfte der Moment gewesen sein.56 Im Rückblick schreibt Blumenthal in seiner Auto­ biografie, von Pufendorf habe »mit plumpen Manövern und unerträglichem Starrsinn ein Rückzugsgefecht« geführt, und zwar auch dann noch, als dessen Aussichtslosigkeit bereits absehbar war.57 Eberhard Diepgen war alarmiert und schrieb am 29. Mai an Peter Radunski: »[L]eider verstärken sich die Anzeichen dafür, daß die angestrebte Lösung für das Jüdische Museum im Stadtmuseum nicht das Einvernehmen von Herrn Professor Blumenthal findet und alsbald mit einer äußerst ärgerlichen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroverse hierüber gerechnet werden muß. Ich brauche nicht zu betonen, daß eine Neuauflage einer Debatte um das Jüdische Museum und seine Stellung im Stadtmuseum für das Ansehen der Stadt und auch des Senats sehr schädlich wäre, zumal davon auszugehen ist, daß die Verständnisbereitschaft in der Öffentlichkeit immer mehr abnimmt.«58

Rückendeckung erhielt Blumenthal am 11. Juni erneut im Tagesspiegel. Dort war zu lesen: »[N]ur daß das Engagement des ehemaligen US -Finanzministers nicht auf den Augenblick des freundlichen Medien-Echos beschränkt sein konnte, haben Diepgen und Radunski offenbar nicht bedacht. Denn Blumenthal ist nicht der Mann, sich als Aushängeschild für eine Mogelpackung vorführen zu lassen. […] Blumenthal trifft auf zähesten Widerstand […] Schon der Libeskind-Bau, diese singuläre und großartige Schöpfung, ist Verpflichtung genug, ein eigenständiges Jüdisches Museums zu schaffen. Wenn die Kulturverwaltung darauf nicht endlich die angemessene Antwort findet, darf man auf Michael Blumenthals Donnerwort gespannt sein.«59 54 Staatssekretär von Pufendorf an Raue, 22.5.1998, in: ebd. 55 Raue an Staatssekretär von Pufendorf, 26.5.1998, in: ebd. 56 Blumenthal an Senator Radunski, 29.5.1998, in: ebd.; Marianne Heuwagen, Ein TopManager ehrenamtlich. Wie Michael Blumenthal, der Direktor des neuen Jüdischen Museums, Politik und Kultur beherrscht, SZ , 27.1.1999. 57 Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 503 f. 58 Regierender Bürgermeister Diepgen an Senator Radunski, 29.5.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A Entwürfe Neufassung MuStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III . 59 »Noch immer Gezerre ums Jüdische Museum«, in: Tagesspiegel, 11.6.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Ganz offensichtlich versuchten Lutz von Pufendorf, Peter Radunski und Eberhard Diepgen händeringend, die völlige Abkehr von dem, was sie lange Jahre und zuletzt erst im Oktober 1997 mit der Ankündigung der unselbstständigen Stiftung vertreten hatten, zu vermeiden.60 Am 12. Juni schrieb Die Welt, dass Reiner Güntzer, der Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum, sich bereits im Februar für eine selbstständige Stiftung Jüdisches Museum ausgesprochen und von Pufendorf ihm deshalb einen Maulkorb verpasst habe. Der Artikel endete mit dem Satz: »Insider berichten, daß Diepgen noch nicht endgültig von dem Gedanken der Autonomie [für das Jüdische Museums, D. B.] überzeugt ist.«61 Eine knappe Woche später, am 18.  Juni, berichtete der Tagesspiegel, Blumenthal habe am Vortag in der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde nach einem Gespräch mit Radunski berichtet, es gebe nunmehr eine Einigung mit dem Senat, die in den nächsten Tagen publik gemacht werden solle. Das Jüdische Museum werde aus der Stiftung Stadtmuseum ausgegliedert und somit eine selbstständige Stiftung werden sowie den ganzen Libeskind-Bau übernehmen.62 Dagegen erklärte Radunskis Pressesprecher Wallrabenstein am 18.  Juni, das Jüdische Museum werde zunächst als unselbstständige Stiftung innerhalb der Stiftung Stadtmuseum arbeiten, um aber eine Etatbeteiligung des Bundes zu erreichen, werde eine selbstständige Stiftung erforderlich werden.63 Am darauffolgenden Tag berichteten dann W. Michael Blumenthal und Peter Radunski dem Regierenden Bürgermeister von ihrer Einigung. Diese sah zunächst die Errichtung einer unselbstständigen Stiftung und anschließend – möglichst noch im nächsten Jahr – die einer selbstständigen Stiftung vor. Blumenthal fragte noch einmal, ob nicht unmittelbar die selbstständige Stiftung errichtet werden könne, Radunski beharrte aber auf der Zwei-StufenLösung. Die Grundsatzentscheidung über die Errichtung der selbstständigen Stiftung sollte aber bereits in das Gesetz zur Errichtung der unselbstständigen Stiftung aufgenommen werden. Zu der von Blumenthal angestrebten Mitfinanzierung durch den Bund merkte Eberhard Diepgen an, er würde einer »projektorientierten Mitfinan60 Blumenthal, In achtzig Jahren um die Welt, S. 503 f. 61 »Autonomie für Jüdisches Museum wackelt. Senatsbeamter warnt vor Neugründung – Generaldirektor des Stadtmuseums fordert Kompensation«, in: Die Welt, 12.6.1998. 62 »Jüdisches Museum ›auf eigenen Füßen‹. Direktor Blumenthal erreichte Loslösung vom Stadtmuseum Berlin«, in: Tagesspiegel, 18.6.1998; Volker Müller, Tagebuch: Horizonte, in: Berliner Zeitung, 19.6.1998. 63 Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Axel Wallrabenstein, Pressemitteilung: Zur aktuellen Diskussion um das Jüdische Museum in Berlin, 18.6.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 10.6.–5.8.98, Ordner IV, Kopien; Michael S. Cullen, Jüdisches Museum vorerst selbständig, später autonom?, in: Tagesspiegel, 19.6.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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zierung im Rahmen der Hauptstadtkulturfinanzierung den Vorzug geben«. Diepgen wollte also zu diesem Zeitpunkt noch die institutionelle Mitfinanzierung durch den Bund, die auf eine Mitträgerschaft des Bundes hinauslief, vermeiden.64 Nachdem anschließend auch das Museumsreferat der Kulturverwaltung dafür plädierte, unmittelbar die selbstständige Stiftung zu verwirklichen, wurde der gesetzgeberische Umweg über die unselbstständige Stiftung am Ende doch nicht gegangen.65 Ende Oktober 1998 verabschiedete der Senat die entsprechende Gesetzesvorlage, die einen Monat darauf vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde.66 Alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, CDU, SPD, PDS und Grüne, sprachen sich jetzt für die Selbstständigkeit des Jüdischen Museums aus.67 Erst zur ersten Lesung im Parlament am 12. November gestand Radunski öffentlich ein, dass sich die ursprünglichen Pläne zur Einbindung des Jüdischen Museums in das Stadtmuseum nicht realisieren ließen, weil diese der neuen Hauptstadtrolle Berlins nicht angemessen seien und der Libeskind-Bau eine Eigendynamik entwickelt habe, die zur ausschließlichen Nutzung durch das Jüdische Museum Berlin keine Alternativen mehr zulasse.68 W. Michael Blumenthal hatte in der Zwischenzeit mit der Erarbeitung des Konzepts für das Jüdische Museum Berlin begonnen. Einiges hatte er bereits im Dezember 1997 und Januar 1998 festgelegt: Es sollte kein HolocaustMuseum werden, sondern die deutsch-jüdische Geschichte über ihre ganze Dauer erzählen, und es sollte kein stadthistorisches Berliner, sondern ein deutsch-jüdisches Museum mit dem Akzent auf Berlin werden. Im März war im Tagesspiegel-Interview die Ankündigung hinzugekommen, beabsichtigt sei ein Museum, das nicht von einer Sammlung ausgehe, sondern den Fragen: »[W]as will ich erzählen? Und wie?« Entsprechend dieser erzählerischen Absicht werde das Museum dann ausgestattet. So habe man es auch im Holocaust-Museum in Washington gemacht. Der Interviewer bemerkte dazu, das sei ein »Disneyland-Konzept«, das in Deutschland lange umstritten gewesen sei, inzwischen werde die Me64 Senatskanzlei III C, Blomeyer, Gespräch des Regierenden Bürgermeisters mit Herrn Prof. Blumenthal am 19.6.1998, 22.6.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 10.6.–5.8.98, Ordner IV; Senator Radunski und Blumenthal, Presseerklärung zur Zukunft des Jüdischen Museums, 24.6.1998, in: ebd. 65 SenWissKult V A 1, Apel, Jüdisches Museum, 30.6.1998, in: ebd. 66 »Jüdisches Museum soll zur Stiftung werden«, in: Tagesspiegel, 29.10.1998; »Selbständige Stiftung Jüdisches Museum«, in: ebd., 28.11.1998. 67 Abgeordnetenhaus von Berlin, 13 Wahlperiode, Plenarprotokoll 13/53, 12.11.1998, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: MusStG, Ordner VI, Kopien. 68 SenWissKult V A, Statement von Kultursenator Peter Radunski zur 1. Lesung des Mu­ seumsstiftungsgesetzes des Landes Berlin am 12.11.1998 im Berliner Abgeordnetenhaus, 11.11.1998, in: ebd. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 12: Schlüsselübergabe an W. Michael Blumenthal (v. l. n. r.: Peter Radunski, Daniel Libeskind, W. Michael Blumenthal, Jürgen Klemann)

thode aber akzeptiert. So eindeutig, wie der Journalist glaubte, war es mit der Zustimmung zu dieser Methode aber nicht – der Vorwurf, ein »Disneyland« zu planen, sollte das Museum bis zur Eröffnung der Dauerausstellung im September 2001 begleiten.69 Anfang April hatte dann ein von der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum und der Friedrich-Naumann-Stiftung organisiertes öffentliches Colloquium zum Konzept des Jüdischen Museums stattgefunden, in dem Blumenthal, Vertreter der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, Mitarbeiter deutscher und europäischer jüdischer Museen und Journalisten zu Wort kamen.70 Im Juni folgte ein geschlossener Workshop, an dem auch mehrere Amerikaner und ein Israeli, Jeshajahu Weinberg, teilnahmen.71 Zum Zeitpunkt des Workshops wurde bekannt, dass Blumenthal Weinberg als Berater verpflichten wollte. Dieser war nach vielen anderen beruflichen Tätigkeiten in einem bewegten Leben Ausstellungsmacher geworden

69 »›Dieser Bau ist ein zerbrochener Davidstern, die Welt weiß davon‹«, in: Tagesspiegel, 27.3.1998. 70 »Ein Ort des Zurückfindens«, in: ebd., 7.4.1998. 71 »Spätestens 1999 wird das Jüdische Museum selbständige Stiftung«, in: ebd., 25.6.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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und hatte das Diaspora-Museum in Tel Aviv und das Holocaust-Museum in Washington, beides erzählende Museen, mit aufgebaut.72 Im September folgten weitere öffentliche Festlegungen Blumenthals, die auf dem beruhten, was zu dieser Zeit in dem Papier »Konzept und Vision« fixiert wurde. Er versprach, das Jüdische Museum Berlin, das größte Jüdische Museum in Europa, werde ein »Weltklasse-Museum« und ein »Wahrzeichen« der Stadt werden. Als Eröffnungstermin wurde jetzt, statt wie bisher geplant das Jahresende 1999, der Oktober 2000 festgelegt. Auch das war angesichts der Größe der zu bespielenden Fläche immer noch extrem knapp bemessen, und deshalb sollte zur Eröffnung auch nicht schon die komplette Dauer­ ausstellung über die gesamte Spanne der deutsch-jüdischen Geschichte präsentiert werden, sondern eine erste Schau über die Epoche von 1860 bis 1918, für Blumenthal die »goldene Zeit« der Integration der deutschen Juden in das gesellschaftliche Leben Deutschlands. Erneut grenzte Blumenthal das Museum von einem Holocaust-Museum und auch von einem Holocaust-Mahnmal ab. Das Museum werde die deutschen Juden, »unsere Vorfahren«, »als lebendige schaffende Menschen zeigen, die etwas für dieses Land getan haben, aber auch als normale Menschen, einflußreiche, intelligente oder dumme Menschen«. Dies sei der Unterschied zu einem Denkmal. »Wir möchten, daß die jüdischen Bürger dieses Landes nicht nur als Opfer gesehen werden.«73 In dem Papier »Konzept und Vision« bemerkte Blumenthal einleitend, das Museum entstehe zu einem »außergewöhnlichen historischen Zeitpunkt«: »Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der tragischen Zerstörung der einstmals blühenden jüdischen Gemeinden in Deutschland schlägt dieses Museum sein Domizil in der neuen Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschland auf. Und erneut nimmt eine noch kleine, aber stetig wachsende Zahl jüdischer Deutscher ihren Platz neben ihren nichtjüdischen Mitbürgern ein.«

Im Rahmen des an einer Erzählung und nicht an einer Sammlung orientierten Konzepts des Jüdischen Museums Berlin sollten Texte, Multimedia-Techniken und historische Objekte aller Art eingesetzt werden. Nach dem Vorbild des Washingtoner Holocaust-Museums war ein spezielles Learning Center

72 Ingolf Kern, Jüdisches Museum könnte doch ganz selbständig werden, in: Die Welt, 19.6.1998; Michael S.  Cullen, Der Erzähler als Gestalter. Eine Berliner Begegnung mit »Shaike« Weinberg, dem Einrichtungs-Berater des Jüdischen Museums, in: Tagesspiegel, 25.6.1998; auch: Michael Kustow, Shaike Weinberg, in: Guardian, 4.1.2000; vgl. Elaine Heumann Gurian, Reminiscing about Shaike Weinberg and Michael Blumenthal, in: Die ersten achtzig Jahre, S. 124–131, hier: 126 f. 73 »Blumenthal: Museum wird Wahrzeichen Berlins«, in: Tagesspiegel, 27.9.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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vorgesehen, das durch interaktive Computertechnik Quellenmaterial bereitstellen und so die Ausstellung in Text, Bild und Ton ergänzen sollte. Das Learning Center spiegelte die Absicht des Museums wider, vor allem auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. Dabei verfolgte es nicht zuletzt das Ziel, gerade jüngeren Deutschen die ethische Bedeutung und die prak­ tischen Vorteile von Toleranz gegenüber religiösen und ethnischen Minder­ heiten sowie die Kosten von Intoleranz nicht nur für die Minderheiten, sondern auch »für ihre Unterdrücker und eine intolerante und gleichgültige Mehrheit« zu vermitteln.74 Als Blumenthal im November 1998 in einem taz-Interview vorgehalten wurde, die von ihm genannten Vorbilder für das von ihm geplante Museum, neben dem Holocaust-Memorial-Museum in Washing­ton D. C. auch das Haus der Geschichte in Bonn, seien dem Vorwurf ausgesetzt, Geschichte zu banalisieren und Kitsch zu produzieren, erklärte er: »Was die ­Snobisten sagen, ist mir egal.«75 Mit der Bundestagswahl im September 1998 endete die Ära Kohl und eine rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder stellte die Bundesregierung. Diese plante ein eigenes Regierungsamt für Kultur einzurichten – etwas, was es bislang in der Bundesrepublik nicht gegeben hatte, weil das Grundgesetz die Zuständigkeit für Kultur bei den Ländern ansiedelt. Kandidat für das Amt war der in New York arbeitende Verleger Michael Naumann, der im Wahlkampf keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er das geplante HolocaustMahnmal ablehnte.76 Blumenthal nahm nach der Bundestagswahl schnell Kontakt zu Michael Naumann auf. Er machte in seinem Schreiben an Naumann vom 28. Oktober auf die Verbindung zwischen Jüdischem Museum und Mahnmaldebatte aufmerksam: »We seem to get constantly entangled in the Mahnmal debate, at least in the public rhetoric. That’s understandable.« Und er unterstrich die Wichtigkeit einer Koordinierung der Pläne. Blumenthal bot seine Hilfe an, betonte aber auch, er brauche Naumanns Hilfe – schließlich sollte nach seinem Willen der Bund zumindest einen Teil der Finanzierung des Jüdischen Museums Berlin übernehmen.77 74 Jüdisches Museum Berlin, Konzept und Vision, Berlin 1998, S. 3, 13, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Stiftung Jüdisches Museum, Presse, Kopien. 75 Ralph Bollmann, »Was die Snobisten sagen, ist mir egal«. Neue Reihe in der taz: Wer hat etwas zu sagen in Berlin? […] Michael Blumenthal … zählt zu den Machern mit frischen Ideen, in: taz, 2.11.1998. 76 »Naumann lehnt Holocaust-Mahnmal strikt ab« (Tagesspiegel, 21.7.1998), in: Michael Jeismann (Hg.), Mahnmal Mitte. Eine Kontroverse, Köln 1999, S.  254; vgl. Leggewie / Meyer, »Ein Ort, an den man gerne geht«, S. 167; Rafael Seligmann, Der Deutsche Schädel und sein jüdisches Auge, in: FR , 6.9.2001. 77 Blumenthal an Staatsminister Michael Naumann, 28.10.1998, in: Jüdisches Museum Berlin, Akten Direktor W. Michael Blumenthal, Ordner: Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt, Botschaften, div. Einzelpersonen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Seine Argumente gegenüber der Bundesregierung für deren Beteiligung am Jüdischen Museum Berlin hatte Blumenthal bereits in einem Memo­ randum für Michael Mertens, Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, am 13.  März 1998 vorgetragen: Dem Jüdischen Museum werde inzwischen eine erhebliche internationale Aufmerksamkeit entgegengebracht, vergleichbar der für das Mahnmalprojekt, gerade auch in den USA und in Israel. Das Museum berge sowohl Risiken als auch Chancen für die Bundesregierung. Scheitere das Projekt, werde nicht nur der Berliner Senat, sondern auch, ob berechtigt oder nicht, die Bundesregierung dafür verantwortlich gemacht werden. Dagegen stünden die folgenden Chancen: Mit dem Museum könne Deutschland der Welt zeigen, dass es sich an seine jüdischen Mitbürger erinnere und ihre Leistungen würdige. Das Museum überwinde die HolocaustFixierung, indem es die ganze deutsch-jüdische Geschichte erzähle. Durch seine pädagogische Arbeit und als Zentrum für Forschung leiste das Museum einen Beitrag zur Vermittlung der Bedeutung von Toleranz für das Zusammenleben in einer Gesellschaft. Schließlich demonstriere Deutschland der Welt mit dem Museum, dass die Deutschen sich der letztendlichen Tragödie der deutsch-­jüdischen Erfahrung für Gegenwart und Zukunft bewusst seien.78 Zweieinhalb Monate nach dem Brief W. Michael Blumenthals an Michael Naumann, am 18.  Januar 1999, berichtete dann die New York Times, Blumen­thal habe am 30.  Dezember in New York eine Einigung zwischen Naumann und Peter Eisenman, dem amerikanischen Architekten des Mahnmalentwurfs, vermittelt. Der neue Entwurf Eisenmans, »Eisenman III«, sah neben einem weiter verkleinerten Stelenfeld eine »Bücherwand« vor, in der eine Bibliothek und ein Archiv sowie ein Holocaust-Museum untergebracht werden sollten. Damit ging Eisenman auf die Vorbehalte von Michael Naumann und wohl auch von Kanzler Gerhard Schröder ein, man dürfe die Besucher mit dem Mahnmal Eisenmans, das bewusst jede Aussage verweigerte und für das keinerlei Beschriftung vorgesehen war, nicht allein lassen. Mit dieser Konzeption für das Mahnmal war nun aber eine Koordinierung mit dem Jüdischen Museum Berlin dringend geboten, weil beide Institutionen ein Museum, ein Archiv und eine Bibliothek umfassen sollten. Die New York Times vermeldete in ihrem Artikel denn auch, dass Blumenthal gesagt habe, das Jüdische Museum werde das Mahnmal verwalten, um Doppelungen zu vermeiden.79 Der Be78 Blumenthal an Ministerialdirektor M. Mertens, 13.3.1998, in: ebd. 79 Roger Cohen, Schröder backs Design for  a vast Berlin Holocaust-Memorial, in: NYT, 18.1.1999; auch: Thomas Lackmann, Naumanns Entlastungstrick (Die Zeit, 28.1.1999), in: Heimrod / Schlusche / Seferens (Hg.), Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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richt der New York Times wurde von der deutschen Presse aufgegriffen, bald war aber nur noch die Rede von einem Koordinierungsgremium für die Arbeit von Jüdischem Museum und Mahnmal, in dem Blumenthal Mitglied beziehungsweise Vorsitzender werden solle.80 Darüber wurde im Tagesspiegel Unbehagen laut: Überlasse man dem Jüdischen Museum Berlin auch noch das Mahnmal oder Blumenthal zumindest die Leitung der Koordinierungsgruppe, dann hätten die Deutschen die Verantwortung für ihre Erinnerungskultur in der neuen Hauptstadt bequem an den Amerikaner W. Michael Blumenthal delegiert.81 Die Problematik der Überschneidung des Jüdischen Museums mit dem Mahnmal entschärfte sich dann dadurch, dass der Bundestag sich im Juni 1999 nicht für den Entwurf Eisenman III, sondern Eisenman II plus entschied, einen Entwurf, der neben dem Stelenfeld lediglich einen kleinen Ort der Information vorsah. Blumenthal hatte in seinem Brief an Naumann auch bemerkt, das Jüdische Museum werde ständig in die Mahnmaldebatte verwickelt. Diese Tendenz verstärkte sich zur Zeit der Einweihung des Libeskind-Baus im Januar 1999 noch einmal. Zu diesem Zeitpunkt war in der Presse viel über die Architektur des Gebäudes zu lesen, und es wurden wie schon im Sommer 1997 Stimmen laut, die argumentierten oder zumindest andeuteten, der Bau sei doch ganz offensichtlich ein Holocaust-Mahnmal und daher solle man auf das Stelen­ feld verzichten. Darunter waren György Konrád, der Präsident der Akademie der Künste, und erneut Julius H. Schoeps sowie zahlreiche Journalisten beziehungsweise Zeitungen, so Heinrich Wefing in der FAZ und auch Wolfgang Büscher in der Welt, der Bayernkurier, das Parteiorgan der CSU, und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, die inzwischen eingestellte evangelische Wochenzeitung; außerdem der Berliner Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, und einige Monate später ein Beitrag in der taz sowie im Sommer der proJuden Europas«, S. 1233 f., hier: 1233; vgl. Leggewie / Meyer, »Ein Ort, an den man gerne geht«, S. 179 f., 184 f. 80 Ein Protokoll der Berliner Senatskanzlei über ein Gespräch zwischen Blumenthal und Diepgen am 26. Februar 1999 bestätigt entsprechende Pläne Blumenthals für den Fall, dass als Teil des Mahnmals ein Dokumentationszentrum mit Bibliothek und Ähnlichem errichtet werden sollte. »Mahnmals-Entwurf findet breite Unterstützung«, in: Tagesspiegel, 19.1.1999; »Es geht um 2000 Jahre Geschichte«, in: Tagesspiegel, 19.1.1999; Marianne Heuwagen, Ganz amerikanisch. Libeskinds Jüdisches Museum wird am Freitag in Berlin eröffnet, in: SZ , 20.1.1999; dies., Ein Top-Manager ehrenamtlich. Wie Michael Blumenthal, der Direktor des neuen Jüdischen Museums, Politik und Kultur beherrscht, in: SZ , 27.1.1999; Senatskanzlei III C 1, RBm-Termin mit Herrn Prof. Dr. Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, am 26.2.1999, Ergebnisprotokoll, 8.3.1999, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 6, Konstituierende Sitzung des Stiftungsrats der Stiftung JMB am 26.8.1999, Kopien. 81 »Gereiztheiten sind überflüssig«, in: Tagesspiegel, 19.1.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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minente Kunstsammler und Remigrant Heinz Berggruen.82 Auch noch zur Eröffnung der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin im September 2001, als das Mahnmal schon seit mehr als zwei Jahren vom Deutschen Bundestag beschlossen war, gab es Stimmen, die den Augenblick zur Revision dieser Entscheidung, zum Verzicht auf das Mahnmal, nutzen wollten: darunter Michael Mertes in der katholischen Wochenzeitung Rheinischer Merkur.83

Einweihung des Libeskind-Baus Zur Einweihung des Libeskind-Baus veranstaltete Museumsdirektor W. Michael Blumenthal warnenden Stimmen zum Trotz, so etwas funktioniere in Deutschland nicht, zu Ehren des Architekten und zum Nutzen des Museums am 23. Januar 1999 ein Fundraising-Dinner nach amerikanischem Vorbild. Der Termin war mit Bedacht gewählt: Fast auf den Tag genau 66 Jahre zuvor, am 24. Januar 1933, hatte das erste Jüdische Museum in Berlin seine Tore geöffnet. Für das Fundraising-Dinner wurden Tische für zehn Personen zu 25.000  DM verkauft, Plätze für Einzelpersonen zu 1.000 DM; die zahlenden Gäste durften sich dafür Gründungsmäzen beziehungsweise Gründungsförderer nennen. Zahlreiche große Unternehmen buchten Tische.84 Zu der Feier fanden sich 450 Gäste aus Bonn, Berlin und New York ein, darunter der Bundestagspräsident, der Bundeskanzler und zahlreiche Minister.

82 Heinrich Wefing, Schlüsselübergabe für Daniel Libeskinds Jüdisches Museum, in: FAZ , 23.1.1999; Wolfgang Büscher, Ein leeres Haus voller Bedeutungen. Berlin nimmt sein neues Jüdisches Museum in Augenschein, in: Die Welt, 1.2.1999: Maximilian Müller-Härlin, Immanenter Appell. Jüdisches Museum Berlin, in: Bayernkurier, 30.1.1999; Johannes Wendland, Der totale Bruch. Nun hat die Hauptstadt endlich ihr Architektur-Highlight – und vielleicht sogar schon ein Holcaust-Mahnmal: das Jüdische Museum, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 29.1.1999; Alexander Pajevic, »Das Museum ist ein Museum und kein Mahnmal«. Jüdisches Museum und Stiftung Topographie des Terrors lehnen Diepgen-Vorstoß zum Holocaust-Gedenken ab, in: Tagesspiegel, 20.8.1998; Philipp v. Studnitz, Wie schön! Wir haben wieder eine jüdisch-deutsche Elite, in: B. Z., 25.1.1999; Wolfgang Kil, Die Orientierungsnot im Zickzack. Das Jüdische Museum Berlin ist geöffnet, aber noch nicht bespielt, in: taz, 8.4.1999; Heinz Berggruen, Die Erinnerung an Auschwitz soll wachbleiben, aber ich will Deutschland nicht abhaken, in: Tagesspiegel, 24.6.1999; am Ende des Jahres auch: Joachim Braun, Marginalien, in: Welt am Sonntag, 19.12.1999. 83 Michael Mertes, Deutschland? Ja, bitte! Juden und Deutsche / In der Bundesrepublik steigt die Aussicht auf ein neues, vielfältiges Miteinander. Das Holocaust-Mahnmal verbreitet den überlebten Geist der Hoffnungslosigkeit. Der Libeskind-Bau dagegen sensibilisiert für Chancen der Zukunft, in: Rheinischer Merkur, 7.9.2001. 84 Elisabeth Binder, Das Dinner der Mäzene. Zur Fertigstellung des Jüdischen Museums speist man nach amerikanischem Vorbild – gegen Vorlage eines Schecks, in: Tages­spiegel, 18.1.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Das waren weit mehr Gäste, als das Museum erwartet hatte; man hatte aus Platzgründen viele Interessenten abweisen müssen. Die Geldsammelaktion brachte dem Museum Einnahmen von 1,2 Millionen DM. Wichtiger noch, auch wenn es in der Presse weniger kommentiert wurde, war aber, dass sich an dem Abend die Bundesregierung in die Pflicht nehmen ließ. Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte auf der Feier an, der Bund werde sich an der Finanzierung des Museums beteiligen. W. Michael Blumenthal konnte an dem Abend außerdem bekannt geben, dass der Berliner Immobilienunternehmer Rafael Roth mehrere Millionen DM zur Finanzierung des Learning Centers gespendet hatte. Ein vergnügter Gast der Gala war Amnon Barzel, seit November 1998 Ehrenmitglied der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum, der erklärte, das, wofür er gekämpft habe, sei nun erreicht.85 Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister, räumte ein, man habe »erst unter Schmerzen« schließlich erkannt, dass der Libeskind-Bau ein jüdisches Museum sei. Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt eine launige Rede, in der er die Ausstellungsmacher bemitleidete, die nun vor der äußerst schwierigen Aufgabe stünden, diesen Bau zu bespielen. Außerdem bemerkte er, er sei gerne gekommen, weil er glaube, dass in dem Museum »nicht nur die furchtbare Geschichte der Juden in Deutschland gezeigt wird, sondern eher die fruchtbare Geschichte«. W. Michael Blumenthal hob in seiner Rede neben der musealen die pädagogische Aufgabe seines Museums hervor und erklärte vermutlich im Hinblick auf die Walser-Bubis-Debatte, die Erinnerung an den Holocaust habe kein Ende – das zu glauben, sei eine gefährliche Illusion.86 Zwei Wochen später sollte er in der International Herald Tribune mit der Bemerkung zitiert werden: »The German thirst to be ›normal‹ again is strong.«87 Direkt an den Bundeskanzler gewandt sagte er bei der Einweihung: »Als ein amerikanischer Jude […] ist es für mich eine Freude und große Genug­ tuung  – und nicht nur für mich, sondern für viele ausländische Beobachter, Juden und Nichtjuden –, daß die 10-jährige Mahnmal-Debatte – das kritische Symbol die85 Zur Ehrenmitgliedschaft Barzels in der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum: »Amnon Barzel geehrt«, in: AJW, 26.11.1998. 86 »Ein einzigartiges Galadinner für ein außergewöhnliches Haus. Jüdisches Museum mit Feier zu Ehren des Architekten Libeskind offiziell eröffnet, in: Tagesspiegel, 24.1.1999 (Zitat); Bernhard Schulz, Große Gäste, große Gala. Blumenthal bat zum »Fundraising­ Dinner« und alle, alle kamen. Mit Bundeskanzler und Regierendem Bürgermeister, in: ebd., 25.1.1999; Kai Ritzmann, Ein festlicher Abend des Bürgersinns, in: Berliner Morgenpost, 25.1.1999; Uwe Schmitt, Geliehener Glanz. Deutsche Szene: Eröffnung des­ Jüdischen Museums, in: FAZ , 25.1.1999; Marianne Heuwagen, Es loben die Herren. Das Jüdisches Museum Berlin wird als ein neues Wahrzeichen gefeiert, in: SZ , 25.1.1999. 87 Roger Cohen, American in Berlin looks forward and back, in: International Herald Tribune, 28.1.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ser Frage der nationalen Erinnerung in Deutschland – sich anscheinend einer Entscheidung nähert. Wir begrüßen es, daß dies durch ihre persönliche Unterstützung ermöglicht wird.«88

Nach den Einweihungsfeierlichkeiten wurde der leere Libeskind-Bau für das Publikum geöffnet, und fast zwei Jahre lang bestand die Möglichkeit, sich durch das leere Gebäude führen zu lassen. Der Auftakt dazu fand in der fünften »Langen Nacht der Museen« 1999 statt, in der sich der Bau als die größte Attraktion erwies.89 Die Besprechungen des Libeskind-Baus in der deutschen Presse waren  – wie bei einem Gebäude dieser Radikalität nicht anders zu erwarten  – ausgesprochen kontrovers, doch sollte sich bald seine Einstufung als »Meisterwerk« durchsetzen. Schon früher hatte Peter Eisenman, der der Architekt des Berliner Holocaust-Mahnmals werden sollte, das Gebäude als das »Ronchamp der neunziger Jahre« bezeichnet, es also mit einem der berühmtesten Bauwerke des 20.  Jahrhunderts verglichen.90 Trotz seines persönlichen Zerwürfnisses mit Libeskind über den Mahnmalwettbewerb blieb Eisenman bei dieser Einschätzung und zählte den Bau noch 2004 zu den zehn besten Gebäuden aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.91 Zur Eröffnung am 23. Januar 1999 feierte Michael Mönninger das Gebäude in der Berliner Zeitung als »unerwartetes Meisterwerk«, das »sinnlich wie intellektuell zu den wirklich großen Bauerfindungen des 20.  Jahrhunderts« zähle.92 Scharfe Kritik gab es in einem weiteren Artikel im gleichen Blatt, in dem verlangt wurde, das Bauwerk lieber wieder abzureißen, in der Ber­ liner Morgenpost und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dessen Besprechung mit »Der gebaute Horror« überschrieben war. Dem Bau wurde in diesen A ­ rtikeln vor allem der Vorwurf gemacht, er sei als Ausstellungsgebäude dysfunktional, nicht bespielbar.93 Im November 1999 erhielt Daniel Libeskind 88 Einleitende Worte von W. Michael Blumenthal zur Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Einweihungsfeier des Libeskind-Baus am 23.1.1999, S. 2, in: Jüdisches Museum Berlin, Büro Direktor W. Michael Blumenthal. 89 »Lange Nacht der Museen: Ansturm auf ein noch leeres Haus«, in: Berliner Morgenpost, 31.1.1999. 90 Gerwin Zohlen, Blitz, Krach, Feuer, in: Die Zeit, Nr. 29, 12.7.1996. 91 Rainer Haubrich, »Ich hätte gerne Speer getroffen«. Peter Eisenman über sein Holocaust-Mahnmal, den Architekten des Führers und die Fußball-Bundesliga, in: Die Welt, 13.12.2004. 92 Michael Mönninger, Ein neues Gedächtnistheater der Baukultur. Das unerwartete Meisterwerk: Aus der dunklen Architekturphilosophie von Daniel Libeskind ist der epochale Neubau seines Jüdischen Museums entstanden, das heute eröffnet wird, in: Berliner Zeitung, 23./24.1.1999. 93 Sven Felix Kellerhoff, Oben zu hell, unten zu düster. Gebaute Skulpturen: Das Jüdische Museum demonstriert die Radikalität der dekonstruktivistischen Architektur, in: Ber© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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dann den Deutschen Architekturpreis, den bedeutendsten Preis dieser Art in Deutschland.94 Mit etwas zeitlichem Abstand zu seiner Eröffnung zählte Falk Jäger, der Architekturkritiker des Tagesspiegels, den Libeskind-Bau im Januar 2000 zu den »absoluten Spitzenwerken« der Architektur der 1990er Jahre in Berlin.95 Und Ulrich Raulff urteilte in der FAZ: »Das Werk des Architekten Daniel Libeskind gilt als einer der ganz wenigen Bauten, die sich dank Exzentrizität und Formwillen über die graue Masse dieser architektonisch verpfuschten, langweiligen Stadt [Berlin, D. B.] erheben.«96

Nach der Eröffnung der Dauerausstellung im September 2001 erklärte der amerikanische Architekturkritiker Martin Filler das Gebäude dann zum definitiven architektonischen Statement über den Holocaust.97 Wie kontrovers der Libeskind-Bau in einzelnen Aspekten beurteilt wird, zeigt sich schon an der Frage, wie er sich gegenüber dem Kollegienhaus und seiner weiteren Umgebung verhält. Während Heinrich Wefing urteilte, der »scharfkantige Bau« zerfetze den »strapazierten Stadtraum« der südlichen Friedrichstadt weiter und zeige dem barocken Nachbargebäude »die kalte Metallschulter«, und Martin Filler von einem »aggressiven« Gebäude sprach, sah Gerhard Matzig ein fast bescheidenes Gebäude, das sich neben dem Palais­ ducke. Wer den Bau umrunde, begreife, dass er »als perspektivisch erfaßbares Ganzes die Umgebung spiegelt, ihr antwortet, sogar versöhnt. Auf eigentlich ganz leise, wohlklingende Art«.98

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liner Morgenpost, 21.1.1999; Susanne Beyer, Der gebaute Horror. Das Gebäude des Jüdischen Museums in Berlin, entworfen vom Amerikaner Daniel Libeskind, wird diese Woche erstmals zugänglich. Das extravagante Haus ist so symbolbeladen, daß sich das Planerteam schwertut, ein geeignetes Ausstellungskonzept zu finden, in: Der Spiegel, Nr. 3, 25.1.1999; John Czaplicka, Resonanzen der Leere. Das unvollkommene Meisterwerk: Warum man Daniel Libeskinds Jüdisches Museum besser abreißen sollte, in: Berliner Zeitung, 23./24.1.1999. Reiner Stache, Es ist gut, Anfänger zu bleiben. Bundespräsident Rau überreichte Daniel Libeskind den Deutschen Architekturpreis 1999, in: Berliner Morgenpost, 17.11.1999. Falk Jäger, Die Stadt im Fluß. Berlin lockt Architekturkenner aus aller Welt – ein kritischer Rückblick auf die Baukunst der neunziger Jahre, in: Tagesspiegel, 18.1.2000. Ulrich Raulff, Die Tiefe. Entscheidung beim Mahnmal, in: FAZ , 8.7.2000. Martin Filler, Into the Void, in: The New Republic, 1.10.2001; auch: ders., Berlin – die vertane Chance. Ein ungeheures Fiasko: Das drastische Urteil eines amerikanischen Architekturkritikers über den Bauboom der vergangenen Jahre, in: FAZ , Berliner Seiten, 31.10.2001; auch: Salomon Korn, Keine modische Hülle, sondern ein Gestaltungsmittel. Der Libeskind-Bau – ein Kunstwerk zeitgenössischer Architektur, in: Jüdisches Museum Berlin. Spezial der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, September / Oktober 2001, S. 54. Wefing, In Assoziationsgewittern, in: FAZ , 7.11.1998; Filler, Berlin – die vertane Chance, in: FAZ . Berliner Seiten, 31.10.2001; Gerhard Matzig, Die Ruhe nach dem Sturm. Am Wochenende wird in Berlin das Jüdische Museum eröffnet, in: SZ , 28.1.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Zu einem ganz ähnlichen Urteil kam Hugh Pearman, Architektur­k ritiker der Sunday Times, der feststellte, Libeskind habe das Jüdische Museum sehr viel zurückhaltender und sorgfältiger in seine Umgebung eingebettet, als es in den ersten Zeichnungen und Modellen den Anschein gehabt habe. Libes­ kind habe ein musikalisches Verständnis für den Rhythmus einer Stadtlandschaft.99 Schon im Entwurfsstadium 1992 hatte Rolf Bothe, der Direktor des Berlin Museums, zutreffend geurteilt, von der Lindenstraße aus betrachtet, wirke das neue Gebäude »eher bescheiden und zurückhaltend, da es schmaler und niedriger ist als der barocke Baukörper«.100 W. Michael Blumenthal hatte sich schon kurz nach seiner Berufung erstmals in die deutsche Debatte über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit eingebracht, was er fortan regelmäßig tat. Die ersten beiden Beiträge publizierte er in der ersten Jahreshälfte 1998 im Tagesspiegel. Dabei wahrte er stets Distanz und machte gegen eventuelle deutsche Hoffnungen auf eine völlige Rückkehr des Emigranten in das Land seiner Geburt immer klar, dass er ein Amerikaner ist, der sein Land liebt und verehrt.101 Aus amerikanisch-jüdischer Perspektive analysierte er das Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland nüchtern und schonungslos, immer unter der Maßgabe, dass die Vergangenheit nicht vergessen werden darf, aber die Erinnerung so gestaltet werden muss, dass ein gutes Zusammenleben in Zukunft möglich ist. Dabei ging es ihm nicht ausschließlich um das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden, sondern um Toleranz gegenüber allen Minderheiten in Deutschland. Er schilderte eindringlich das eigene Schicksal und das seiner Familie­ unter dem Nationalsozialismus. Das Deutschland von heute sei ein völlig anderes, nicht nur als Nazi-Deutschland, sondern auch als Kaiserreich und Weimarer Republik. Es sei eine westliche Demokratie, Antisemitismus existiere nur noch vereinzelt, und das Interesse an jüdischen Dingen sei überraschend stark. Trotz aller Fortschritte sei die Toleranz gegenüber Minder­heiten jedoch noch nicht so weit entwickelt, wie das wünschenswert sei. Dies sei selbstverständlich nicht nur ein deutsches Problem, aber für die Deutschen sollte es besondere Bedeutung haben. In den Debatten über Ausländer und Zuwanderung weckten manche Formulierungen von »spezifisch deutschen Werten und deutscher Kultur« in einem einstigen deutschen Juden »unerfreuliche

99 Hugh Pearman, Angriffe auf den »Berliner Block«. Die neue Hauptstadt-Architektur aus britischer Sicht: Das beste haben Ausländer gebaut, in: Die Welt, 24.8.2000. 100 Bothe, Das Berlin Museum und sein Erweiterungsbau, in: Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum, S. 42. 101 Malte Lehming, Wir über uns – und die anderen. Wie Juden heute in Berlin leben. Diskussion mit Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, in: Tagesspiegel, 21.1.1998. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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­Erinnerungen«. Die Vertiefung der Toleranz sei vor allem die Aufgabe der Generation junger Deutscher, der er vertraue.102 Blumenthal erklärte, dass die Frage nach den Gründen für den Holocaust für ihn der Auslöser gewesen sei, sich, nachdem er seine deutsch-jüdische Herkunft fast vergessen hatte, in den 1990er Jahren der deutsch-jüdischen Geschichte zuzuwenden. Die politische Quintessenz seines Buches »Die unsichtbare Mauer« fasste er folgendermaßen zusammen: Die Juden seien im 19. Jahrhundert in Deutschland schneller vorangekommen als anderswo und hätten einen rasanten Aufstieg erlebt, allerdings seien ihnen die politischen Schlüssel­stellungen verwehrt geblieben. Die undemokratischen politischen Verhältnisse und der Mangel an Zivilcourage hätten antisemitische Propagandisten begünstigt. Diese und andere Faktoren hätten den Holocaust schließlich möglich gemacht. Über seine Erfahrungen und das Verhältnis von Juden und Nichtjuden in Deutschland sowie über die Aufgabe des Jüdischen Museums Berlin schrieb er: »Jedesmal, wenn ich nach Deutschland komme, lande ich als Amerikaner und fliege als Jude ab. Immer, ohne Ausnahme, wenn ich in Deutschland mit jemandem spreche, wird mir vollkommen klar, daß mein Gegenüber mich in erster Linie als Juden sieht und nicht zunächst einmal als menschliches Wesen. Nur 50 Jahre nach dem Holocaust ist das keineswegs verwunderlich. Viele Deutsche geben sich die größte Mühe, Juden nicht zu verletzten. Das ist verständlich, aber nicht natürlich. Sie halten sich zurück und ärgern sich gleichzeitig, daß sie das tun müssen. Ein besseres Verständnis der jüdisch-deutschen Geschichte sollte Toleranz und gegenseitigen Respekt fördern, sollte es aber beiden Seiten auch ermöglichen, offener und ehr­licher miteinander umzugehen. Juden und Nichtjuden müssen beides: die frühere Geschichte erforschen und ein neues Kapitel schreiben, ein Kapitel, das am Ende die Wunden heilen kann. Das Jüdische Museum, so hoffe ich, wird ein Schritt in diese Richtung sein.‹«103

Im Herbst 1999 folgten dann innerhalb kurzer Zeit drei weitere Debattenbeiträge Blumenthals.104 In einem Artikel in der Welt packte Blumenthal die 102 Michael Blumenthal, Die Deutschen müssen wachsam bleiben. Trotz aller Fortschritte ist die Toleranz gegenüber Minderheiten noch nicht voll entwickelt, in: Tagesspiegel, 20.2.1998 (am darauffolgenden Sonntag wurde der Essay auf Deutschlandradio gesendet). 103 Michael Blumenthal, Ein noch immer verkrampftes Verhältnis. Juden und Nichtjuden müssen Geschichte erforschen – und ein neues Kapitel schreiben (Abdruck der Über­ setzung eines Newsweek-Artikels), in: Tagesspiegel, 5.6.1998. 104 Am 14. März 1999 war ein Vorabdruck aus der »Unsichtbaren Mauer« im Tagesspiegel erschienen: W. Michael Blumenthal, Der lange Weg zur Emanzipation, in: Tagesspiegel, 14.3.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Berliner bei ihrem Stolz. Berlin sei schon immer eine »besondere Stadt« gewesen, hier zuerst hätten sich in der Kaiserzeit Intellektuelle und Künstler über die Sterilität der Hofkultur der Hohenzollern lustig gemacht, selbst unter den N ­ azis sei Berlin ein wenig anders gewesen. Die Stadt präge eine »Mischung aus Esprit und Phantasie, gewürzt mit Skepsis, Respektlosigkeit – und Schnauze«. Oft werde er von Berlinern gefragt, ob Berlin wieder »eine richtige Weltstadt« werde. Manche meinten, die Zutaten dazu seien in der Vergangenheit preußische Ordnung, Fleiß und dynamischer Unternehmergeist gewesen. Er meine, dass in dieser Aufzählung etwas Wichtiges fehle, das Geheimnis Berlins sei, dass es immer eine Einwandererstadt wie keine andere in Deutschland gewesen sei. Blumenthal erinnerte an die jüdischen Bürger Berlins: »Auch in der deutschen Hauptstadt waren höchstens vier Prozent der Berliner jüdisch. Doch bestimmt hat keine andere Gruppe das Leben und die Kultur tiefer beeinflusst als diese kleine Gruppe stolzer Deutscher.«

Das Berlin von heute müsse alle Minderheiten willkommen heißen, ob sie aus der Türkei, Russland oder von anderswo herkämen, ob sie Christen, Juden oder Muslime seien. Dies sei die beste Garantie für das Aufleben der Berliner Kultur und dafür, »dass das Besondere des einstigen Berlins auch wieder die Zukunft« der Stadt bestimmen werde.105 In einem Beitrag in der FAZ , »300 Jahre jüdisches Leben in Berlin oder: das Jüdische Museum als nationale Herausforderung« schilderte Blumenthal das Schicksal der Berliner Juden. Die deutschen Juden seien aus der Geschichte der Stadt nicht wegzudenken, doch voll geschätzt und geliebt worden seien sie nie. Ihre Vertreibung und Ermordung habe eine Lücke in Deutschland und Berlin gerissen, die nie wieder gefüllt worden sei. Den überlebenden Juden sei Bitterkeit geblieben, viele hätten sich mit Schaudern von Deutschland abgewendet, doch manche hätten »den Traum nie ganz vergessen« können und »der Schmerz des Abschieds« sei »für immer groß« geblieben. Die Erinnerung der Juden und der Deutschen an die Schoa werde nie dieselbe sein. Die Nachkommen der Opfer und der Täter müssten aber das Trauma der jeweils anderen Seite verstehen und respektieren lernen – ohne Selbstmitleid, aber auch ohne Anspruch auf moralische Überlegenheit. Dafür brauche es vielleicht noch eine ganze Generation. Einen Schlussstrich jedoch werde es nie geben. Die Schoa sei so einzigartig, dass die Welt sie nicht vergessen werde. Wie die Kreuzritter oder die Inquisition werde sie auch noch in

105 Michael Blumenthal, »Wir wollen lebendig machen, was hier einmal war«. Die jüdischen Bürger Berlins haben entscheidend zum Weltruf der Stadt beigetragen, in: Die Welt, 14.9.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Jahrhunderten im kollektiven Gedächtnis verankert sein. Daher sei die Frage nicht ob, sondern wie man sich an die Schoa erinnere.106 Für ein gelingendes Erinnern müsse jetzt alles auf den Tisch kommen und bisher noch unbereinigtes Unrecht, wo immer möglich, wieder gut gemacht werden. Blumenthal nannte die ehemaligen Zwangsarbeiter, die »herren­ losen« jüdischen Bankkonten und Versicherungspolicen sowie die gestohlene Kunst. Erinnern sei wichtig, aber nicht einfach; falsches Erinnern sei gefährlich, wie die Geschichtsmythen der Nationalsozialisten zeigten. Das Jüdische Museum Berlin sei ein wichtiger Teil der nationalen deutschen Erinnerung, weil es die deutschen Juden nicht als die Opfer von Auschwitz, sondern als schaffende Menschen zeige, sowie das schreckliche Unrecht, das ihnen oft angetan wurde, mit unendlich schweren Folgen für ganz Deutschland.107 In einem Essay »Streit um die Erinnerung« berichtete Blumenthal von seinen Beobachtungen zum Verhältnis der verschiedenen Generationen jüdischer und nichtjüdischer Deutscher zum Holocaust. Juden der ersten Generation hätten, wie einige offen zugäben, nur in Deutschland weiterleben können, weil sie ihre schlimmsten Erinnerungen verdrängt hatten. Für Nichtjuden der ersten Generation sei dies anscheinend kaum anders gewesen, auch wenn es vielen nicht bewusst sei oder sie es nicht zugeben wollten. Er kenne einen angesehenen, ehrenwerten Deutschen von unzweifelhafter demokra­ tischer Einstellung, der von Anfang an ein entschiedener Gegner des NS -­ Regimes gewesen sei. Während des Krieges war dieser Mann Offizier an der russischen Front und arbeitete zeitweise in einem Berliner Ministerium. Er schwöre heute, von dem Judenmord erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfahren zu haben. Auch wenn die Selbsttäuschung wahrscheinlich ehrlich sei, glaube er ihm nicht. Der Gedanke, davon gewusst zu haben, aber nichts getan zu haben oder getan haben zu können, sei für den Mann so unerträglich, dass er gelernt habe, seine Erinnerung zu verdrängen.108 Die zweite Generation der Deutschen habe die Last der Vergangenheit am längsten getragen. Unter ihnen fänden sich die eifrigsten Philosemiten, aber auch diejenigen, denen die öffentliche Erinnerung am meisten missfalle. Auf der jüdischen Seite sei auch die zweite Generation traumatisiert und schleppe das vage Schuldgefühl mit sich herum, nicht ausgewandert zu sein. Er wisse

106 Diese Position vertrat Blumenthal im Oktober 2000 auch in einer Diskussionsrunde in Berlin: Thomas Lackmann, Wir sind das Opfer. »Die Zukunft des Gedenkens«: eine Diskussion in Berlin, in: Tagesspiegel, 19.10.2000. 107 W. Michael Blumenthal, Daß du geliebt warst, wird du wissen, doch nie, wie sehr. 300 Jahre jüdisches Leben in Berlin oder: das Jüdische Museum als nationale Herausforderung, in: FAZ , 25.9.1999. 108 Ders., Streit um die Erinnerung. Über den schwierigen Weg zu einer Ethik des Gedenkens: Der Holocaust und die Öffentlichkeit, in: FAZ , 9.10.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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nicht, wie oft er schon von Juden in Deutschland gehört habe, warum die geplante Auswanderung im allerletzten Moment gescheitert sei. Diese Juden dächten ganz stark in den Kategorien »wir, die Juden« und »sie, die Deutschen«. Kürzlich habe ihm ein guter Freund erzählt: Seine Mutter sei Zwangsarbeiterin gewesen und habe zu Lebzeiten keine Entschädigung bekommen. Nie habe sich jemand bei ihr entschuldigt. Jetzt, wo sie tot sei, erinnere sich das Unternehmen widerwillig, aber jetzt sei es zu spät. Er werde das nie vergessen und wolle, dass »sie« es nie vergessen. Im Dezember 1999 gab W. Michael Blumenthal dann die Verschiebung der Eröffnung der Dauerausstellung um ein Jahr vom Oktober 2000 auf den September 2001 bekannt und begründete dies mit notwendigen Umbaumaßnahmen am Libeskind-Bau, da nun weit mehr Besucher erwartet würden als ursprünglich geplant. Dafür sollte zur Eröffnung aber nicht nur eine Ausstellung zu einer Epoche der deutsch-jüdischen Geschichte präsentiert, sondern bereits die ganze Geschichte erzählt werden.109 Blumenthal konnte im Frühjahr 2000 dann einen Erfolg vermelden, der ein Meilenstein und eine kleine Sensation war. Das New Yorker Leo Baeck Institut hatte sich in Verhandlungen mit Blumenthal bereit erklärt, seinen gesamten Archivbestand, den wichtigsten, den es zur deutsch-jüdischen Geschichte gibt, in Kopien und teilweise gar in Originalen dem Jüdischen Museum Berlin für sein Archiv zur Verfügung zu stellen. Zwar hatte es in dem New Yorker Institut bereits in den 1980er Jahren Überlegungen zu einem Schritt in diese Richtung gegeben, doch hatte auf deutscher Seite eine entsprechende Institution gefehlt. Natürlich gab es in dem Institut Widerstand gegen diesen Schritt, vor allem gegen die teilweise Überlassung von Originalen, hatten doch viele der Stifter der Archivbestände nach ihrer Flucht aus Deutschland mit dem Land nichts mehr zu tun haben wollen. Für diese Entscheidung sprach hingegen die Tatsache, dass längst das Gros der Wissenschaftler, die mit den Beständen des Instituts arbeiteten, Deutsche waren. Das Bereitstellen der Bestände in Berlin erleichterte nicht nur Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte in Deutschland erheblich, sondern es leistete auch einen Beitrag zur Selbstfindung der deutschen jüdischen Gemeinde.110 An der Jahreswende 1999/2000 starb im hohen Alter der Projektleiter für die Dauerausstellung Jeshajahu Weinberg. Sein Nachfolger wurde Ken Gorbey – dabei handelte es sich um eine ausgesprochen unkonventionelle Personalentscheidung Blumenthals. Gorbey war Neuseeländer, Nichtjude, weder Judaist noch Historiker, hatte wenig Kenntnis der deutsch-jüdischen Geschichte und 109 Nicola Kuhn, Die neue Berliner Museums-Unordnung. Alles anders. Was wird aus Libeskind-Bau und Gemäldegalerie?, in: Tagesspiegel, 16.12.1999. 110 Martina Meister, Der große Handschlag. Das Archiv des New Yorker Leo-Baeck-Instituts kommt ins Jüdische Museum Berlin, in: FR , 5.5.2000. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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sprach kein Deutsch.111 Allerdings hatte er als Museumsmanager einen hervorragenden Ruf. Er war in Neuseeland an der Schaffung von Te Papa Tongarewa, dem populären und erfolgreichen Nationalmuseum Neuseelands, maßgeblich beteiligt gewesen. Ausschlaggebend für die Berufung waren ganz offensichtlich Gorbeys Fähigkeiten als Museumsmanager, da Blumenthals Zeitplan, im September 2001 eine Dauerausstellung zur deutsch-jüdischen Geschichte insgesamt zu präsentieren, geradezu halsbrecherisch war.112 Gorbeys Rezept bestand in demokratischer Offenheit, minutiöser Planung und intensiver Marktforschung. Te Papa Tongarewa gelang es so, Menschen anzuziehen, die sonst nicht in Museen kommen: ethnische Minderheiten und Unterprivilegierte. Als er nach seiner Motivation, die Projektleitung für die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin zu übernehmen, gefragt wurde, war Gorbeys Antwort eindeutig: die Architektur Daniel Libeskinds. Zusammen mit Gorbey kam Nigel Cox, ein weiterer nichtjüdischer Neuseeländer, zuständig für die Entwicklung des Erzählfadens der Ausstellung.113 Im Juli 2000 präsentierte Blumenthal dem Stiftungsrat seines Museums das vertrauliche Konzept für die Dauerausstellung und sechs Tage später wurde er auf Antrag der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus zu diesem Konzept angehört. Zentrale Punkte darin waren: Die Besucher sollten als »Kunden« aufgefasst werden und ein konsequent an ihren Bedürfnissen orientiertes ­Museum aufgebaut werden. Im Sinne dieses Konzepts fand im Hinblick auf die Konzeption der Ausstellung eine Zweiteilung statt. Ein wissenschaftliches Team erarbeitete, was in dem Museum gezeigt werden sollte, für das Wie war aber das »Visitor Experience Team« unter Ken Gorbeys Leitung zuständig. Implizites erkenntnisleitendes Interesse der Ausstellung sollten gemäß dem wissenschaftlichen Konzept die Dimensionen von Volk und Religion sein. War bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert im Diasporajudentum die Zugehörigkeit zu Religion und Volk deckungsgleich gewesen, so hatte mit der Moderne die Ausdifferenzierung eingesetzt. Mit den beiden Dimensionen war die zentrale Frage des Judentums in der Moderne angesprochen: Was ist jüdische Identität? Was macht Judentum aus?

111 Roger Cohen, A Jewish Museum struggles to be born. Berlin’s Efforts to honor lost Millions are mired in Dissent, in: NYT, 15.8.2000. 112 Ken Gorbey, Storytelling, in: JMB Journal, Nr. 5 (2011), S. 55–58, hier: 55. 113 Heinrich Wefing, Neuer Mut aus Neuem: in: FAZ , 18.5.2000; Thomas Lackmann, Die Kiwis kommen. Machtwechsel: Tom Freudenheim verläßt das Jüdische Museum, zwei Neuseeländer bereiten die Eröffnung vor, in: Tagesspiegel, 25.5.2000; Ayhan Bakir­ dögen, Insel-Erfahrung im Jüdischen Museum, in: Berliner Morgenpost, 27.5.2000; Jürgen Reiche, Te papa Tongarewa oder welche Vorbilder hat eigentlich das Jüdische Museum Berlin?, in: MuseumsJournal, Juli 2001, S. 4–6. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Das Ausstellungskonzept wollte des Weiteren die wechselseitige Beeinflus­ sung von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen herausarbeiten, nicht nur die Leistungen der Juden in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen in der Moderne zeigen, sondern auch wie die jüdische Kultur und Religion schon seit dem Mittelalter durch die nichtjüdische Umwelt beeinflusst worden waren. Die Nazizeit sollte  – und das war für ein deutsches jüdisches Museum neu  – konsequent aus der Perspektive der Juden gezeigt werden, und zwar in doppelter Hinsicht, so wie sie damals erlebt und auch wie sie später erinnert wurde. Auf »Horrorbilder« aus Konzentrations- und Vernichtungslagern sollte vollständig verzichtet werden. Das Konzept sah ebenfalls nicht vor, in der Ausstellung den Aufstieg des Nationalsozialismus zu erklären  – das Jüdische Museum Berlin betrachtete es nicht als seine Aufgabe, den Deutschen die Frage nach dem Warum zu beantworten.114 In seinen mündlichen Ausführungen im Abgeordnetenhaus machte Blumenthal entscheidende Aspekte des Museumskonzepts sehr deutlich. Das geplante Museum sei kein jüdisches Museum, sondern ein deutsches Geschichtsmuseum. Beim Namen »Jüdisches Museum« handele es sich daher vielleicht um einen falschen Namen.115 Im Sinne dieser Äußerung Blumen­ thals wurde der Name seines Museums im April 2001 um den Untertitel »Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte« ergänzt.116 Außerdem sagte Blumenthal den Abgeordneten: Das Museum sei nicht für die Elite gedacht, sondern für die breite Bevölkerung, auch sei es ein Museum für Deutsche und nicht für Juden – die bräuchten dieses Museum nicht. Blumenthal gab zu, mit der Architektur des Libeskind-Baus nicht restlos glücklich zu sein. Hätte man ihn früher geholt, hätte er versucht, mit Libeskind über Änderungen zu reden.117 Sorgen bereitete ihm vor allem, dass der Museumsbesucher auf dem Erschließungsweg, um zum Anfang der Dauerausstellung im zweiten Obergeschoss zu gelangen, zunächst im Untergeschoss des Neubaus die Achsen des Exils und des Holocaust kreuzen würde und man ihn nicht daran hindern könne, sich vor Besichtigung der Ausstellung in den oberen Geschossen die Ausstellungsobjekte zu Exil und Holocaust in den Achsen anzuschauen und sich in den Garten des Exils und den 114 Jüdisches Museum Berlin, Presentation to the Stiftungsrat, 13.6.2000, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 1, Jüdisches Museum, Museumskonzept, Kopien. 115 Blumenthal an Staatsminister Naumann, 14.11.2000, in: Jüdisches Museum Berlin, Akten Direktor W. Michael Blumenthal, Ordner: Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt, Botschaften, div. Einzelpersonen. 116 »Jüdisches Museum jeden Tag geöffnet«, in: FAZ , Berliner Seiten, 7.4.2001. 117 Vgl. auch: Otto R. Romberg, Ich wollte den Holocaust verstehen. TRIBÜNE -Gespräch mit Michael W. Blumenthal, Direktor Jüdisches Museum Berlin, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 41 (2002), S. 85–94, hier: 92; Daniel Libeskind, in: Die ersten achtzig Jahre, S. 122 f., hier: 122. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Holocaust-Turm zu begeben. Auf diese Weise würden die Besucher als Erstes mit dem »schreckliche[n] Ende« konfrontiert. Angesichts der Berühmtheit des Baues und gerade seiner Mahnmalelemente war die Befürchtung begründet, die Eindrücke im Untergeschoss könnten die Ausstellung überlagern.118 Deutlich waren auch Blumenthals Forderungen an das Parlament. Er warnte die Abgeordneten davor, in den nächsten Tagen nicht die geplanten Umbaumaßnahmen am Libeskind-Bau abzusegnen; dann könne er garantieren, dass das Museum nicht zum geplanten Termin im Herbst 2001 eröffnen werde. Zu den Finanzen erklärte er, der diesjährige Etat betrage 18 Millionen statt der geplanten 24 Millionen DM  – Berlin hatte 6 Millionen weniger gegeben, als zunächst erwartet –, damit komme man irgendwie hin, aber im nächsten Jahr habe das Museum wegen der Ausstellungseröffnung 24 bis 28 Millionen DM angesetzt: »Mit weniger kommen Sie nicht weg. […] Aber wenn wir es nicht haben, werden Sie auch eine dementsprechend bescheidene Ausstellung in diesem außergewöhnlichen Bau haben. Das würde ich Ihnen, meine Damen und Herren, nicht raten.«119

Zwei Tage später gab der Hauptausschuss des Parlaments nach kontroverser Diskussion die Finanzierung des größten Teils der vom Museum geforderten Umbaumaßnahmen frei.120 Zum 1. Januar 2001 wurde die Finanzierung des Jüdischen Museums vollständig durch die Bundesregierung übernommen; das Museum entkam damit der Finanzmisere des Landes Berlin. Diese Entwicklung hatte sich seit dem Januar des Vorjahres angekündigt, als Michael Naumann erklärte hatte, sich bei der Hauptstadtkulturfinanzierung wegen dessen zweifelsfrei überregionaler Bedeutung insbesondere auf das Jüdische Museum Berlin konzentrieren 118 Vgl. T. J. Reed, Unplayable History. The Jewish Museum Lindenstrasse Berlin, in: Times Literary Supplement, 5.10.2001. 119 Abgeordnetenhaus Berlin, 14.  Wahlperiode, Wortprotokoll Ausschuß für Kulturelle Angelegenheiten, 9. Sitzung, 19.6.2000, S. 7, 16, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: V A 1, Jüdisches Museum, Museumskonzept; Thomas Lackmann, Blumenthal: Jüdisches Museum ein »Museum für Deutsche«, in: Tagesspiegel, 20.6.2000; »Blumenthal fordert schnelle Entscheidung. Haushaltsausschuß müsse 10 Millionen Mark für das Jüdische Museum bewilligen, sonst verzögere sich die Eröffnung«, in: taz, 20.6.2000; »Jüdisches Museum: Blumenthal droht mit späterer Eröffnung«, in: Berliner Morgenpost, 20.6.2000; Ulrich Clewing, Ein deutsches Geschichtsmuseum, in: FAZ , 20.6.2000; ders., Blumenthals Risiko, in: ebd.; »Das Jüdische Museum und Stölzls meisterhafte Worte für die Zukunft«, in: Die Welt, 20.6.2000; Steffi Kammerer, Ein Amerikaner in Berlin. Warum Museumsdirektor Michael Blumenthal für die deutsche Hauptstadt zwei Nummern zu groß ist, in: SZ , 12.7.2000. 120 »Klimaanlage und Datennetz für das Jüdische Museum. Der Hauptausschuß gab nach kontroverser Diskussion 8,9 Millionen Mark für den Umbau frei«, in: Tagesspiegel, 22.6.2000. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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zu wollen.121 Die Einigung zwischen der Bundesregierung und dem Ber­liner Senat über die dauerhafte und vollständige Übernahme der ­Finanzierung des Jüdischen Museums Berlin durch den Bund war im Oktober 2000 erzielt worden.122 Völlig gesichert war diese Entscheidung allerdings erst durch die Unterzeichnung des Hauptstadtkulturvertrags zwischen dem Bund und dem Land Berlin am 13.  Juni 2001.123 In diesem Jahr wurde auch die Umwandlung der Stiftung Jüdisches Museum Berlin von einer Berliner Landes- in eine Bundesstiftung noch so rechtzeitig durch den Deutschen Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, dass sie wenige Tage vor der Er­ öffnung der Dauerausstellung des Museums in Kraft treten konnte. Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für die Stiftung Jüdisches Museum Berlin zeigte, dass sich die Regierung die Argumente, die W. Michael Blumenthal schon 1998 für eine Bundesbeteiligung genannt hatte, zu eigen machte. Das Museum, so hieß es in dem Gesetzentwurf, sende Signale stellvertretend für die Bundesrepublik aus, die auch weltweit so verstanden würden, und es habe eine politisch-pädagogische Zielsetzung: die Förderung von Toleranz gegenüber Minderheiten. Dieses Anliegen passte sehr gut zur Agenda der rot-grünen Bundesregierung, die mit einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts die Einbürgerung von lange in Deutschland ­lebenden Ausländern vereinfacht und zu einem Rechtsanspruch erhoben hatte und die beabsichtigte, die Zuwanderung nach Deutschland durch ein ­eigenes Gesetz zu steuern – und damit Zuwanderung als Realität anzuerkennen.124 Ab dem Jahr 1999 kündigte sich die näher rückende Eröffnung der Ausstellung des Jüdischen Museums durch Presseberichte über jüdische Emigranten an, die dem Museum persönliche Erinnerungsstücke vermacht hatten. Diese Artikel erzählten von dem Schicksal der Emigranten und ihren Motiven, dem Museum sehr persönliche Dinge anzuvertrauen. Daneben wurde 121 »›Mit Sicherheit wird keine Oper übernommen.‹ Michael Naumanns neue Richtlinien: Der Bund will sich stärker für das Jüdische Museum engagieren«, in: Berliner Morgenpost, 21.1.2000; Frederik Hanssen, Der Osten ist die Rettung. Michael Naumann hat neue Ideen für die Hauptstadtkultur, in: Tagesspiegel, 8.3.2000; »Goldene D-Mark. 120 Millionen für Berlin«, in: Berliner Zeitung, 20.7.2000. 122 »Die Stadt behält die Philharmoniker. Bund und Berlin einigen sich über Förderung er Hauptstadtkultur«, in: SZ , 13.10.2000; auch: Michael Naumann, Eine Erinnerung /  Remembering the Jewish Museum, in: JMB Journal, Nr. 5 (2011), S. 63 f. 123 »Zweifel am Gesetz für das Jüdische Museum«, in: FAZ , Berliner Seiten, 1.6.2001; »NidaRümelin: Nicht wackeln! Der Hauptstadtkulturvertrag ist unterzeichnet. Mehr Geld für Museumsinsel möglich«, in: Berliner Zeitung, 14.6.2001. 124 Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/6028, Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer »Stiftung Jüdisches Museum Berlin«, 14.5.2001, in: Akten Senatsverwaltung, Ordner: Bundesgesetz zur Errichtung der Stiftung »Jüdisches Museum Berlin«, Kopien. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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von der Presse auch beleuchtet, wie das Museum bei der Materialsuche für seine Sammlung vorging, und dabei die außerordentliche Schwierigkeit hervorgehoben, Ausstellungsobjekte für die Zeit bis zum Ende des Mittelalters zu finden.125 Das der Öffentlichkeit im April 2001 präsentierte neue Logo des Museums bezeugte einmal mehr die Absicht, kein Holocaust-Museum sein zu wollen. Sein Designer, Marion Meyer, umgab den Zickzack des LibeskindBaus, der das bisherige Logo des Museums bestimmt hatte, mit der stilisierten roten, kreisrunden Form des Granatapfels, dem jüdischen Symbol für Leben und Fruchtbarkeit.126 Als die Eröffnung der Dauerausstellung im September 2001 anstand, konnte das Museum bereits den ersten Besucherandrang bilanzieren. 350.000 Menschen hatten den leeren Libeskind-Bau besichtigt, von denen, so Blumenthal in einem Interview, »konservativ gesagt« die Hälfte der Meinung gewesen war, das Gebäude sei so beeindruckend und spreche für sich, dass man es leer lassen sollte.127 Diesen Forderungen trat Blumenthal assistiert von Libeskind entgegen: Es gehe jetzt darum, das jüdische Leben in Deutschland in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen.128 Holger Liebs konstatierte in der SZ: »Im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls hat Libeskinds ›Blitz‹ ein­ geschlagen wie kaum ein Bauwerk zuvor.«129

125 Vgl. Leonore Maier, Erinnerung und Familiengedächtnis. Die Stifter des Jüdischen Museums / Remembrance and Family Memory: The Jewish Museum Donors, in: JMB Journal, 2011/Nr., 5, S. 78–80. 126 »Der Apfel, den ein Blitz durchzuckt. Mit diesem neuen Logo präsentiert sich das Jüdische Museum«, in: B. Z., 7.4.2001. 127 Der folgende Band versammelt Impressionen und Reflexionen von Mitarbeitern des Museumspädagogischen Dienstes Berlin, die Besucher durch den leeren Libeskind-Bau geführt haben: Museumspädagogischer Dienst Berlin (Hg.), Leerzeit. Wege durch das Jüdische Museum Berlin, Berlin 2000. 128 »Interview der Woche. Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, im Gespräch mit Siegfried Buschschlüter«, gesendet vom: Deutschlandfunk, 9.9.2001, 11.05 Uhr. Beispielsweise war auch Lala Süsskinds erster Gedanke bei der Begehung des leeren Museums: Kein Exponat darf die Leere zerstören. Nach der Eröffnung der Dauerausstellung hat sie diese Meinung revidiert. Grußwort der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Lala Süsskind, in: JMB Journal, Nr. 5 (2011). 129 Holger Liebs, Leere der Geschichte. Das ist das Ende: Das Jüdische Museum als Bühne der Erinnerung, in: SZ , 10.9.2001; ebenso schon im Januar 1999 Falk Jaeger: Die Fülle der Leere. Ein Haus? Oder eher ein Form gewordener schmerzhafter Gedanke? Daniel Libeskinds Bau des Jüdischen Museums in Berlin, der morgen offiziell eröffnet wird, ist eine architektonische Sensation, in: Tagesspiegel, 23.1.1999. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Die Eröffnung des Museums Die am 9.  September 2001 beginnenden Feierlichkeiten zur Eröffnung des Museums sollten acht Tage dauern. Bemerkenswert war schon die Terminwahl; bis dahin war es üblich gewesen, jüdische Museen in der Bundesrepublik am Jahrestag der Pogromnacht von 1938, dem 9. November, zu er­öffnen. So war es in Frankfurt 1988 geschehen, und an diesem Tag hatte man in Berlin auch 1992 den Grundstein für den Libeskind-Bau gelegt.130 Der Eröffnungstermin des Jüdischen Museums Berlin erinnerte an die Ausstellung »Leistung und Schicksal« zum 300. Jubiläum der Gründung der neuzeitlichen Berliner Jüdischen Gemeinde dreißig Jahre zuvor im Berlin Museum, die am 10. September 1971 eröffnet hatte. Den Aufakt der Feiern 2001 bildete ein Galaabend mit 850 Gästen und 155 Journalisten. Das Festprogramm bestand aus einem Konzert in der Philharmonie, Gustavs Mahlers 7. Symphonie, gespielt vom Chicago Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim, und einem anschließenden Dinner im Jüdischen Museum, mit der Möglichkeit zur Ausstellungsbesichtigung. Die Reden an dem Abend hielten Bundespräsident Johannes Rau und Museumsdirektor W. Michael Blumenthal. Auf den Galaabend folgte am 10. September der »Tag der Erinnerung«, an dem die Stifter und Leihgeber zur Besichtigung ins Museum und zu einem Empfang im Roten Rathaus mit Klaus Wowereit, dem Regierenden Bürgermeister, geladen wurden. Mehr als tausend kamen, zum großen Teil mit ihren Angehörigen. Außerdem gab es einen Presseempfang mit 500 angemeldeten Journalisten aus aller Welt. Die Gäste des Galaabends am 9. September umfassten die Spitzen der deutschen Politik und Repräsentanten der Wirtschaft und Kultur sowie viele Prominente aus den USA und aus Israel. Darunter waren: aus Deutschland neben dem Bundespräsidenten der Bundeskanzler und elf Minister; aus dem Ausland 18 Botschafter und der Oberbürgermeister von Shanghai; aus Israel der Knesseth-Präsident, Avraham Burg; aus den Vereinigten Staaten der Historiker Fritz Stern, der Vorsitzende der Anti-Defamation League, Glen Tobias, der demokratische Außenpolitiker Richard C. Holbrooke und Henry Kissinger.131

130 »Zwei Städte, zwei Zeugen«, in: FAZ , 8.9.2001. 131 Marianne Heuwagen, Ein hehres Erbe. Wird doch noch alles gut? Wie das Jüdische Museum, das in einem Monat eröffnet, mit der Geschichte des Judentums umgeht, in: SZ , 9.8.2001; Claudia Becker, Keine Angst vorm Fliegen. Das Jüdische Museum stellte eine Ausstellung vor, die vor allem den jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur zeigt, in: Berliner Morgenpost, 28.8.2001; Ralph Bollmann, Geburtshelfer mit Sinn für Größe. Michael Blumenthal hat das Jüdische Museum in Berlin gerettet – und will es jetzt mit gro© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 13: Bundeskanzler Gerhard Schröder und Museums­ direktor W. Michael Blumenthal am 9. September 2001

Allerdings hatte die Eröffnungsgala in den Wochen zuvor eine Eigendynamik entwickelt, die auch Blumenthal etwas unheimlich wurde.132 Die Teilnahme an dem gesellschaftlichen Ereignis des Jahres galt als »Muss«; viele ließen ßem Pomp eröffnen, in: taz, 28.8.2001; Volker Müller, Ab Sonntag im Libeskindbau. Im Gespräch mit zwei Ausstellungsmachern über das Jüdische Museum, in: Berliner Zeitung, 6.9.2001; »Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen«, in: Tagesspiegel, 8.9.2001; Daniel Bax, Wegweiser in die Zukunft. Erinnerung im globalen Zeitalter: Am Sonntag wird in Berlin das neue Jüdische Museum eröffnet … Das internationale Interesse ist jetzt schon enorm, in: taz, 8.9.2001; »Ein Rundgang für die Stifter«, in: Die Welt, 11.9.2001. 132 Ralf Melzer, »Ich bleibe, solange man mich will«, in: FAZ , 18.9.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 14: Zwei Stifterinnen vor einer Vitrine am »Tag der Erinnerung«, 10. September 2001

nichts unversucht, um in den Kreis der Erlauchten vorzudringen. Teile der Presse widmeten sich mit sichtlicher Freude und Hingabe der Aufgabe, endlich einmal aus dem damals noch so wenig repräsentativen Berlin von einem großen Gesellschaftsereignis berichten zu dürfen. Die FAZ urteilte, die Gäste­ liste dürfte die »sorgfältigste Auslese von Prominenz und Bedeutung darstellen, die in der Bundesrepublik jemals getroffen wurde«, sah in ihr ein getreues Abbild der gerade entstehenden »Berliner Republik« und druckte sie deshalb vollständig ab.133

133 »Dresscode der Republik«, in: FAZ , 8.9.2001; »Die Berliner Republik«, in: FAZ , 10.9.2001; auch: »Lieben Sie Partys?«, in: FAZ , 30.8.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Die SZ wertete den Abend als »Weltkulturereignis«. Das Rezept und zugleich der Preis der Rettung des Projekts Jüdisches Museum durch Blumenthal sei seine Internationalisierung und seine »programmatische Weltlichkeit, ja Heiterkeit«.134 Ein Kommentar im Tagesspiegel stellte einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der deutschen Erinnerungskultur und der deutschen Beteiligung an militärischen Einsätzen im Rahmen des westlichen Bündnisses und der UNO seit der Wiedervereinigung her. Die vergangenen Jahre seien der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit der national­sozia­ listischen Vergangenheit gewesen. Die Deutschen hätten instinktiv geahnt, dass dies zur Zerstreuung des Misstrauens im Ausland angesichts des wiedervereinigten Deutschlands notwendig gewesen sei. Einher gegangen sei die Wiedergutmachung des NS -Unrechts mit der »Wiedergutwerdung« der Deutschen. Beide Entwicklungen stünden nun kurz vor ihrem Abschluss.135 Arno Widmann kommentierte in der Berliner Zeitung, das Museum breche mit der gängigen Sicht auf die deutsch-jüdische Geschichte. Deren Darstellung in dem Museum kulminiere nicht mehr in Auschwitz. Zwar müsse nach wie vor jeder Abschnitt dieser Geschichte darauf bezogen werden und sich an ihm erweisen, aber Auschwitz sei nicht länger Fluchtpunkt aller L ­ inien dieses Epochengemäldes. Damit werde das Jüdische Museum in den nächsten Jahren zwangsläufig seine Hauptrolle darin haben, zur Historisierung des Holocaust beizutragen. Mit dieser These konnte sich Widmann auf W. Michael Blumenthal berufen, der in seiner Rede gesagt hatte, wider allem Erwarten nach 1945 gehörten heute wieder jüdische Bürger zum deutschen Staat, und deren Kinder würden sich in Zukunft »ganz fraglos als Deutsche verstehen«.136 In den Porträts über Blumenthal, die aus Anlass der Museumseröffnung erschienen, wurde deutlich, dass ihm die Aufgabe als Direktor des Jüdischen Museums Berlin inzwischen ans Herz gewachsen war. Blumenthal erzählte, ihm sei erst wirklich klar geworden, wie wichtig seine Aufgabe sei, als er nachts mit einem amerikanischen Freund über den Gendarmenmarkt auf dem Weg zu einer Bar war. Der Freund habe ihm gesagt, er, Blumenthal, habe in seinem Leben viele wichtige Jobs gehabt, unter anderem sei er amerikanischer Finanzminister gewesen, aber einer in einer langen Reihe, nicht mehr als eine historische Fußnote. Dagegen sei sein Werk als Direktor des Jüdischen Museums Berlin etwas ganz Besonderes. Das Museum werde immer da sein, es werde in Deutschland eine wichtige Rolle spielen und es werde mit Blumenthals Namen verbunden sein: 134 Ulrich Raulff, Steinerne Nacht. Die Eröffnung des Jüdischen Museums  – ein Welt­ ereignis, in: SZ , 8.9.2001. 135 »Der Bau der Wiedergutwerdung«, in: Tagesspiegel, 9.9.2001. 136 Arno Widmann, Ein Museum für die Zukunft, in: Berliner Zeitung, 8.9.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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»›Das alles sollte dir viel Genugtuung verschaffen.‹ Das tut es auch, gibt der Ameri­ kaner Blumenthal zu, und der Jude aus Oranienburg pflichtet ihm bei. ›Meine Vorfahren wären wahrscheinlich sehr stolz.‹«137

Klaus Harpprecht berichtete in einem Porträt in der Zeit, Blumenthal sei zu einer Autorität in der deutschen Hauptstadt geworden, die von allen Partnern und Parteien respektiert werde. In seinem Salon, in dem Haus, wo einst vor 200 Jahren Rachel Varnhagen die deutschen Geistesgrößen empfing, treffe sich, wer Wichtiges zu bereden habe. Harpprecht zog das Fazit: »Er ist ein amerikanischer, ein jüdischer, in einem Winkel seines Wesens auch ein deutscher Glücksfall.«138

Blumenthal erklärte unmittelbar nach der Eröffnung der Dauerausstellung – er war einmal vor vier Jahren, 1997, zum Interimsdirektor auf zwei Jahre bis zur geplanten Ausstellungseröffnung 1999 ernannt worden –, aus einer »Teilzeitbeschäftigung« sei eine »echte Leidenschaft« geworden und deshalb fände er es schwierig, jetzt aufzuhören. Die Bundesregierung habe gefragt, ob er seine Arbeit fortsetze. Das wolle er tun.139 Einen großen dunklen Schatten auf die Festwoche zur Eröffnung der Dauerausstellung des Jüdischen Museums warfen die Terroranschläge in New York und Washington, D. C. am 11. September. An dem Tag sollte die Dauerausstellung eigentlich für das allgemeine Publikum geöffnet werden, was daraufhin um zwei Tage verschoben wurde.140 Infolge der Anschläge in den USA wurden die Sicherheitsvorkehrungen für das Jüdische Museum Berlin, wie für amerikanische und jüdische Einrichtungen in Berlin auch, massiv verstärkt.

137 Stefanie Flamm, Ein paar andere Jobs gab es zuvor schon. Dieser aber ist einer seiner wichtigsten: W. Michael Blumenthal ist Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Berlin, in: FAZ , 1.9.2001. 138 Klaus Harpprecht, Magier der Vernunft. Michael Blumenthal ist ein Virtuose im Umgang mit Menschen. Im Berliner Dickicht hat er das Jüdische Museum aufgebaut, in: Die Zeit, Nr. 37, 6.9.2001. 139 Ralf Melzer, »Ich bleibe, solange man mich will«, in: FAZ , 18.9.2001. 140 W. Michael Blumenthal, Ten years ago  – and Ten Years to Come / Vor zehn Jahren  – und in zehn Jahren, in: JMB Journal, 2011/Nr. 5, S. 15–18, hier: 15; Interview mit Daniel Libes­k ind, in: ebd., S. 70–72, hier: 70 f. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Die Dauerausstellung Die Ausstellungskritiken der großen Feuilletons attestierten dem Museum entgegen der zuvor geäußerten Befürchtungen unisono, es sei kein Disneyland geworden, und fielen ansonsten gemischt aus. In der regionalen Presse waren die Bewertungen ganz überwiegend positiv. Die Hauptkritikpunkte in Teilen der nationalen Presse lauteten: Die Ausstellung sei überfrachtet und beraube die Architektur Libeskinds ihrer Wirkung, die Voidbrücken wirkten jetzt als bloße Raumteiler. Zwar sei die Präsentation sehr materialreich, doch fehle es an Thesen. Innerjüdische Konflikte im Prozess der Moderne würden nicht als solche gezeigt, wie zum Beispiel der Schock, den die Ostjuden bei­ assimilierten deutschen Juden ausgelöst hätten. Außerdem meide die Ausstellung die Extreme wie Karl Marx und Rosa Luxemburg sowie das Thema des jüdischen Selbsthasses.141 Der polemische Henryk M. Broder schrieb im Spiegel über die Ausstellung, die deutsch-jüdische Geschichte lasse sich auf zwei Weisen erzählen. Entweder als Geschichte der Verfolgung, der missglückten Anpassung und des Leidens mit kurzen Epochen der Hoffnung oder als langer, allmählicher Verschmelzungsprozess »mit ein paar desaströsen Zwischenspielen wie dem Holocaust«. Blumenthal habe sich für die optimistische Variante entschieden und sei damit unausgesprochenen politischen Vorgaben gefolgt. Der Bund gebe nicht viel Geld für ein Museum, das die deutsch-jüdische Geschichte »wie ein[en] einzig[en] monumental[en] Katastrophenfilm« darstelle.142 Gegen die Kritik, die Ausstellung beraube in den beiden Obergeschossen die Architektur ihrer Wirkung, hob Klaus Harpprecht in der Zeit hervor, das Untergeschoss mit den Achsen sei »unversehrter Libeskind«. Bei der 141 Heinrich Wefing, Ein Blitz zuckt ums Panoptikum. Ausstellungswut im Jüdischen Museum Berlin, in: FAZ , 11.9.2001; Lothar Müller, Der gescheute Konflikt. Die Ausstellung kreist um die Historie der jüdischen Kultur in Deutschland – ohne interne Spannungen zu thematisieren, in: SZ , 11.9.2001; Alan Posener / Hannes Stein, Triumph des guten Gefühls. Die Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin überwindet den­ Libeskind-Bau, in: Die Welt, 11.9.2001; Philipp Gessler, Seltene Momente der Stille. Die Architektur erweist sich als schwierig: Die verwinkelten Gänge des Baus verstärken die Orientierungslosigkeit, die sich beim Besucher bald einstellt, in: taz, 11.9.2001; Martina Meister, Lindenblätter, Holocaustturm und Lebensrad. Gedenken und Spiel unter einem Dach: Zweieinhalb Jahre nach seiner Fertigstellung ist das Jüdische Museum Daniel Libeskinds eröffnet worden, in: FR , 14.9.2001; Elena Lappin, Zerbrochene Intentionen. Leerstellen der Erinnerung: Ein Besuch im Jüdischen Museum Berlin, in: FAZ , 21.9.2001. 142 Henryk M. Broder, »Es ist vergeblich«. Das neue Jüdische Museum in Berlin will mit der Geschichte versöhnen und die Bundesrepublik als moralische Weltmacht etablieren. Es könnte zu viel des Guten sein, in: Der Spiegel, Nr. 39, 24.9.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Gestaltung der Ausstellung sei W. Michael Blumenthal und Ken Gorbey bewusst gewesen, dass sie praktisch keinerlei Vorwissen über das Judentum bei deutschen Besuchern voraussetzen können und deshalb Grund­wissen vermitteln müssen. Die meisten Deutschen würden keine Juden kennen. Auch sei das Museum kein Haus der Verklärung; so werde nicht verschwiegen, dass der zumeist als Beispiel preußischer Toleranz gefeierte König Friedrich II. Moses Mendelssohn die Aufnahme in die Akademie der Künste verweigert habe.143 Aufschlussreich war auch der Blick in die Bild-Zeitung. Deren Reporterin schrieb: »Schon vor dem Eingang ducke ich mich. Unbewußt, innerlich. Aus angespeichertem Respekt vor all dem Leid, das sie schultern mußten. Juden, die Kinder Israels. […] Diese brüchige Festung, die die Sehnsucht nach Erlösung von diesem ewigen Duckdich-Trieb eher noch verstärkt.«

Entgegen dieser Erwartung schilderte sie dann die Ausstellung als positive Überraschung. Die Präsentation der Erinnerungsstücke in den Achsen im Untergeschoss sei elegisch und kein »Anklagestück der Vergangenheitsbewältigung«. Gorbey zitierte sie mit den Worten, in der Ausstellung solle die deutsch-jüdische Geschichte nicht vom Holocaust dominiert werden. Die Reporterin konstatierte: »Der Krieg ist seit über fünfzig Jahren zu Ende. Die Kids von morgen sollen hier nicht nur an die zwölf Horror-Jahre erinnert werden, sondern auch an die produktiven Jahrhunderte, in denen Juden ein ganz selbstverständlicher Teil deutscher Geschichte waren.«144

Dass der Eindruck, den die Bild-Reporterin mitgenommen hatte, vom Jüdischen Museum Berlin gewollt war, war dem Nachrichtenblatt des Leo Baeck Instituts zu entnehmen. Dort hieß es nach Eröffnung der Dauerausstellung, es sei nicht beabsichtigt, bei den erwarteten Tausenden Besuchern, insbesondere bei Kindern, Schuldgefühle zu wecken, sondern ihnen einen positiven Eindruck zu vermitteln von den Errungenschaften und Beiträgen der Juden zur deutschen Geschichte.145 Die verschiedenen Kritiken zeigten, dass Blumenthal und Gorbey in einem Feld völlig gegensätzlicher Erwartungen operierten. Einige hatten offensichtlich Angst vor dem Jüdischen Museum, Angst, es könnte eine einzige Anklage sein – siehe Bild, aber auch die Bemerkungen des Stimmungspolitikers­ 143 Klaus Harpprecht, Ein Haus des Lebens, in: Die Zeit, 13.9.2001. 144 »Erster Rundgang durchs neue Jüdische Museum. Deutschlands wichtigste Ausstellung«, in: Bild, 11.9.2001. 145 »The New Jewish Museum Berlin«, in: LBI News, Winter 2002. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Gerhard Schröder bei der Einweihung des Libeskind-Baus im Januar 1999 über die »furchtbare« und die »fruchtbare« Geschichte. Ihnen sollte nun die Angst genommen werden – das Museum wollte Juden als gewöhnliche Menschen zeigen und deutlich machen, dass das Zusammenleben möglich ist. Dafür ­optierten Blumenthal und Gorbey.

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VII. Seit der Eröffnung der Dauerausstellung

Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin ist seit ihrer Eröffnung kontinuierlich weiter entwickelt worden, das heißt, sie ist trotz ihres Namens als »work in progress« zu verstehen. In den ersten Jahren wurde die Zahl der präsentierten Objekte stark reduziert, gut vierzig Prozent der ursprünglich 3800 Objekte wurden bis 2005 entfernt.1 Außerdem wurden die Ausstellungssegmente »Deutsche und Juden zugleich«, »Stadt, Land, Hof«, »Glaubenssachen« und die Präsentation in der Achse des Exils sowie einzelne Vitrinen in anderen Segmenten überarbeitet. Die Segmente »So einfach war das« mit gesprochenen Berichten von Juden über ihr Leben in Deutschland nach 1945 und »Vor Gericht: Auschwitz / Majdanek« über die beiden größten NS -Prozesse der Bundesrepublik kamen neu hinzu.2 Daneben ist das Museum seit der Ausstellungseröffnung bemüht, die Besucherorientierung zu verbessern, was im Libeskind-Bau kein leichtes Unterfangen ist. Zu diesem Zweck wurde in der Dauerausstellung auf dem Boden zunächst eine rote Linie gezogen, später traten schwarze Punkte und Pfeile an ihre Stelle. Damit arbeitet die Museumsleitung in den oberen Geschossen des Libeskind-Baus der Architektur bewusst entgegen, während im Untergeschoss die Präsentation in den Achsen des Exils und des Holocaust hinter die Memorialarchitektur zurücktritt. Der Architekt wollte die Besucher seines zickzackförmigen Museumsgebäudes gerade desorien­tieren.3 Dagegen sagte Projektmanager Ken Gorbey anlässlich der Ausstellungseröffnung im September 2001, das letzte, was man gebrauchen könne, seien desorientierte Besucher.4

1 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2003/2004, S. 20. 2 Dies., Jahresbericht 2009/2010, S. 9 f.; Klaus Lüber, Karl Marx zieht ein. Neue Exponate ergänzen die Dauerausstellung im Jüdischen Museum (Welt Kompakt, 29.4.2005), in: dies., Jahresbericht 2005/2006, S. 98; Monika Flores Martínez, Vor Gericht: Auschwitz / Majdanek, in: JMB Journal, 2013/Nr. 9: Zeiten / Times, hg. v. d. Stiftung Jüdisches Museums Berlin, S. 32. 3 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2001/2002, S. 41; Srebrny, Ein Bauprojekt zum Nach-Denken, in: Berlin-Umschau, 1 (1990), Nr. 2, S. 7; Ken Gorbey, Der Auftrag, das Publikum, das erzählerische Konzept, in: Museumskunde, 66 (2001), Nr.  2, S. 73–75, hier: 75; Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2005/2006, S. 34; dies., Jahresbericht 2009/2010, S. 8; dies., Jahresbericht 2011/2012, S. 7. 4 »Zur Eröffnung des Jüdisches Museums. Ein Themenabend von Jochen Kölsch«, gesendet von: Arte, 11.9.2001. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Zwei große Wechselausstellungen werden pro Jahr im ersten Obergeschoss des Kollegienhauses gezeigt, außerdem kleinere Ausstellungen in der Eric F. Ross Galerie sowie im Rafael Roth Learning Center im Libeskind-Bau. Die Bandbreite reicht von historischen und kunsthistorischen Ausstellungen über Ausstellungen von Judaica, Kunst und Fotografie bis zu Comic- und Literatur-Ausstellungen. Im März 2007 veranstaltete das Museum eine Aktionswoche für Darfur, um auf die Vertreibung und Ermordung von Minderheiten im Sudan aufmerksam zu machen. Die Aktionswoche ging auf das persönliche Engagement von Museumsdirektor Blumenthal zurück, der von der Bundesregierung forderte, international für eine robustere Darfur-Politik einzutreten. Blumenthal erklärte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Ich werde nie vergessen, dass wir verfolgt wurden, alles zurücklassen mussten und immer in Lebensgefahr schwebten. Und ich werde nicht vergessen, dass die Welt das alles mit Worten des Bedauerns zur Kenntnis nahm, aber ansonsten nichts getan hat. Wenn ich heute derartiges Unrecht sehe, egal wo auf der Welt, dann erinnere ich mich an ein Versprechen, das ich mir selbst gab. Nicht still bleiben.«5

Um seine Reichweite unter deutschen Schülern weiter zu erhöhen, ergriff das Museum 2007 die Bildungsinitiative »on.tour – Das JMB macht Schule«, in deren Rahmen Museumspädagogen des Hauses inzwischen mit zwei Bussen mit mobilen Ausstellungen und Workshopangeboten vor allem Schulen in ganz Deutschland besuchen, aber auch Orte wie die Jugendstrafanstalt Berlin-Plötzensee.6 Zudem erstellt das Museum Unterrichtsmaterialien für Schulen. Den Anfang machte 2005 der Band »Kommentierte Dokumente zur Geschichte der Juden im Nationalsozialismus«. Große Fortschritte konnten in den vergangenen Jahren im Hinblick auf das Vorhaben verzeichnet werden, das Jüdische Museum Berlin zu einer zentralen Archiv- und Forschungsstätte für die deutsch-jüdische Geschichte auszubauen. Inzwischen ist etwa ein Drittel des Archivguts des New Yorker Leo Baeck Instituts im Jüdischen Museum auf Mikrofilm verfügbar. Dieses Projekt hat aber durch die Digitalisierung relativ an Bedeutung verloren: Denn seit Oktober 2012 ist der Großteil des Archivbestands des Leo Baeck Instituts und seiner Dependance im Jüdischen Museum Berlin im Internet frei zugänglich. 5 »›Wir wollen an das Gewissen appellieren‹. Michael Blumenthal über Darfur, Sensibilität und eigene Erfahrungen«, in: Jüdische Allgemeine, 15.3.2007; Jens Wiegmann, »Mehr Engagement für Darfur«. Blumenthal appelliert an Bundesregierung – Grüne fordern EUSanktionen, in: Die Welt, 23.3.2007. 6 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2009/2010, S.  55; dies., Jahresbericht 2011/12, S. 53. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Außerdem stehen seit Mai 2004 die 1051 Interviews der Shoah Foundation Steven Spielbergs, die mit deutschsprachigen Zeitzeugen oder in Deutschland lebenden Zeitzeugen geführt wurden, im Museum zur Verfügung.7 Im Jahr 2007 kam eine Dependance der Londoner »Wiener Library«, eines der wichtigsten Archive zum Nationalsozialismus und zum Holocaust, mit 500 Mikrofilmen hinzu.8 Zu den umfangreichen Online-Aktivititäten des Muse­ums gehören nicht nur die eigene Website sowie gesonderte Websites zu besonderen Ausstellungsprojekten, sondern auch zwei Youtube-Kanäle, ein FacebookAuftritt und ein Museumsblog. Neu eingerichtet wurde im November 2012 eine Online-Datenbank, in der inzwischen mehr als 8.000 Objekte aus der Sammlung des Museums recherchiert werden können.9 Nicht nur die Dauerstellung des Jüdischen Museums Berlin wurde seit 2001 weiter entwickelt, sondern auch baulich gab es in der Lindenstraße keinen Stillstand. Am 25. September 2007 konnte der von Daniel Libeskind überdachte Innenhof des Kollegienhauses als neue Veranstaltungsfläche des Museums eingeweiht werden. Durch das einer Laubhütte nachempfundene Glasdach, das zu zwei Dritteln von privaten Spendern und Sponsoren und zu einem Drittel von der Bundesregierung finanziert wurde, gewann das Museum den dringend benötigten Raum für große Veranstaltungen.10 Im Jahr darauf entwickelte das Museum den Gedanken einer programmatischen Erweiterung, die Idee einer Bildungsakademie entstand. Für die Museumspädagogik, das Archiv und die Bibliothek mit ihren Sammlungen wurde die ehemalige Blumengroßmarkthalle vis-à-vis des Jüdischen Museums nach Plänen von Daniel Libeskind umgebaut und im November 2012 eröffnet. Die Kosten dafür wurden zu gut sechzig Prozent vom Bund getragen, der Rest wurde privat finanziert, vor allem von den amerikanischen Freunden des Museums und dem 2010 verstorbenen Mäzen Eric F. Ross, nach dem der Bau benannt wurde.11 Im Frühjahr 2013 erwachte im Innern des Eric F. Ross Baus der »Garten der Diaspora«  – gewissermaßen ein Pendant des Gartens des Exils  – zum Leben. Der 600 Quadratmeter große Raum ist Teil der Veranstaltungs­ flächen der Akademie.12 Programmatisch steht am Eingang der Akademie 7 Sven Felix Kellerhoff, Erinnerung bildet. Shoah Foundation bringt Interviews mit Zeitzeugen ins Jüdische Museum, in: Berliner Morgenpost, 19.5.2004. 8 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2007/2008, S.  38; dies., Jahresbericht 2011/2012, S. 36. 9 Ebd., S. 41 f., 56. 10 »Eine Laubhütte in der Lindenstraße. Jüdisches Museum feiert Eröffnung des Glashofes«, in: Tagesspiegel, 26.9.2007. 11 Sebastian Preuss, Blumen und Bildung. Das Jüdische Museum wächst über die Straße und baut die Großmarkthalle zur Besucherakademie aus, in: Berliner Zeitung, 11.8.2011. 12 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2011/2012, S. 38. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 15: Daniel Libeskind: Skizze der Akademie des Jüdischen Museums Berlin

des ­Jüdischen Museums Berlin ein Zitat des Philosophen, Rechtsgelehrten und Arztes Moses Maimonides in fünf Sprachen: »Höre die Wahrheit, wer sie auch spricht.« Die Akademie soll ein Ort für Forschungen, Diskussionen und Gedankenaustausch über jüdische Geschichte und Gegenwart sowie gesellschaftliche Vielfalt sein. Damit wird das Themenspektrum des Museums um Programme erweitert, die sich mit Deutschland als Einwanderungsland und der damit verbundenen Pluralisierung der Gesellschaft auseinandersetzen. Zu diesen Aktivitäten gehört ein Fellowship-Programm für Forschungsvorhaben zur jüdischen Geschichte und Kultur sowie zu Migration und Diversität in Deutschland und ein Jüdisch-Islamisches Forum. Karen Körber, die erste Fellow, forscht in ihrem Projekt über die jüdische Gegenwart in Deutschland zur zweiten Generation der in den 1990er Jahren eingewanderten russischsprachigen Jüdinnen und Juden. Im Mittelpunkt des Jüdisch-­ Islamischen Forums stehen religionsphilosophische und religionspraktische Fragen.13 »Vielfalt in Schulen« ist ein weiteres Projekt im Rahmen der Akademie des Jüdischen Museums Berlin. Es wird das zusammen mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und mit Förderung der Stiftung Mercator durchgeführt. Das Projekt zielt durch die Verbindung von Lehrerfortbildung 13 Akadmieprogramme Migration und Diversität, http://www.jmberlin.de/main/DE/03b-Akademie/04-Akademieprogramme/00-akademieprogramme.php (16.4.2014); Das Fellowship-Programm des Jüdischen Museums Berlin, http://www.jmberlin.de/main/ DE /03-Sammlung-und-Forschung/Fellowship/Fellowship.php (16.4.2014). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Abb. 16: Die Akademie des Jüdischen Museums Berlin, 2013

mit prozessbegleitender Beratung auf die interkulturelle Öffnung von Schulen und soll auf ein diskriminierungsfreies Schulklima hinwirken. Das Projektteam arbeitet über einen Zeitraum von zwei Schuljahren mit drei Berliner Schulen zusammen. Nach einer wissenschaftlichen Evaluation der Projektergebnisse sollen die Ansätze in der Lehrerbildung mehrerer Bundesländer verankert werden.14 Seit seiner Eröffnung im September 2001 gehört das Jüdische Museum Berlin zu den meist besuchten Museen sowohl der Hauptstadt als auch Deutschlands insgesamt. Dabei stieg die Besucherzahl von knapp 660.000 im Jahr 2002 auf gut 760.000 im bisherigen Rekordjahr 2010. Es ist dem Museum also nicht nur gelungen, die Besucherzahlen aus den ersten Jahren nach seiner Eröffnung zu halten, sondern sie sogar weiter zu steigern.15 Günter B. Ginzel nennt in einer Fernsehdokumentation über das Museum als dessen Erfolgsrezept »eine Atmo­sphäre der Offenheit und Fröhlichkeit, die im Museum 14 Ulrike Wagner, Vielfalt in Schulen. Für eine gemeinschaftliche und beteiligungsorientierte Schulkultur, in: JMB Journal, Nr.  6 (2012): Generationen / Generations, hg. v. d. Stiftung Jüdisches Museums Berlin, S. 36. 15 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2011/2012, S. 22. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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ebenso präsent sei wie das Gedenken und Nachdenklichkeit«.16 Wesentlich zu dieser Atmosphäre tragen die Hosts bei, die, wie ihr Name sagt, nicht als Museumswächter, sondern als Gastgeber aufgefasst werden und agieren.17 Zugleich hat sich die Besucherstruktur – eine intensive Besucherforschung gehört seit Anbeginn zur Strategie des Museums – im vergangenen Jahrzehnt deutlich verändert. Kam im Jahr 2002 lediglich ein Viertel der Besucher aus dem Ausland, so sind es seit dem Jahr 2008 etwa zwei Drittel. Damit ist es dem Museum gelungen, von dem boomenden Berlin-Tourismus zu profitieren und die ausländischen Gäste der Stadt für die deutsch-jüdische Geschichte zu interessieren. Unter den Museumsbesuchern sind auch die Familien der Stifter mit ihren Kindern und Enkeln – inzwischen haben etwa 1.700 Stifter dem Jüdischen Museum Berlin originale Objekte geschenkt. Für die jüngere Generation der Stifterfamilien übernimmt das Museum anhand der dort befindlichen Familienkonvulute quasi eine Übersetzerfunktion im Hinblick auf die Familiengeschichte.18 Das Jüdische Museum Berlin zieht – entsprechend seiner Zielsetzung – seit 2001 ein auffällig junges Publikum an. So war, wie auch schon in den Vorjahren, 2012 unter den Besuchern die Altersgruppe zwischen 20 und 29 Jahren am stärksten vertreten.19 Schulgruppen sind mit etwa zehn Prozent aller Besucher ein wichtiger, aber keinesfalls alles dominierender Faktor unter den Gästen. Erklärtes Ziel von Gründungsdirektor W. Michael Blumenthal ist es, dass jeder deutsche Schüler im Laufe seiner Schullaufbahn einmal das Jüdische Museum Berlin besucht.20 Er und Cilly Kugelmann, seit 2002 Programmdirektorin des Museums, freuen sich allerdings besonders, wenn sie im Museum auf junge Menschen treffen, die das Haus auf eigene Faust besuchen.21 Das Interesse jüngerer Menschen am Jüdischen Museum Berlin ist angesichts der Überalterung des Publikums vieler etablierter Kultureinrichtungen umso bemerkenswerter. Gewandelt hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht nur die Zusammensetzung der Besucher nach ihrer Herkunft, sondern auch deren Motivation für 16 Dies., Jahresbericht 2005/2006, S. 71. 17 Dies., Jahresbericht 2011/2012, S. 21. 18 Daten und Fakten / Facts and Figures, in: JMB Journal, 2011/Nr. 5, S. 14; Maier, Erinnerung und Familiengedächtnis, S. 80. 19 Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2001/2002, S.  46; dies., Jahresbericht 2003/2004, S.  38; dies., Jahresbericht 2005/2006, S.  33; dies., Jahresbericht 2007/2008, S. 27; dies., Jahresbericht 2009/2010, S. 27; dies., Jahresbericht 2011/2012, S. 23 f. 20 »More than something to look at«. Director Michael Blumenthal’s Vision of the Jewish Museum Berlin, in: Der Aufbau, 16.8.2001; Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2011/2012, S. 23. 21 »Bei Cilly Kugelmann. Kein Museum für Holocaust geplant«, in: Augsburger Allgemeine, 6.8.2002; W. Michael Blumenthal, Gut aufgestellt für die Zukunft, in: Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Jahresbericht 2003/2004, S. 15. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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den Museumsbesuch. Anfänglich nannte mehr als die Hälfte der Museumsgäste die Architektur des Libeskind-Baus als ein Motiv, die somit noch vor der Erwartung, etwas über deutsch-jüdische Geschichte zu lernen, das am häufigsten genannte Motiv für den Besuch war. Parallel zum Anstieg des Anteils ausländischer Museumsbesucher wurden die Motive vielschichtiger. Inzwischen avancierten Wechselausstellungen zu einem häufig genannten Grund für den Museumsbesuch.22

22 Dies., Jahresbericht 2001/2002, S. 47; dies., Jahresbericht 2003/2004, S. 24, 39; dies., Jahresbericht 2005/2006, S.  34; dies., Jahresbericht 2007/2008, S.  28; dies., Jahresbericht 2009/2010, S. 28; dies., Jahresbericht 2011/2012, S. 24. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Danksagung

Ich danke W. Michael Blumenthal und der Museumsleitung für das einige Jahre zurückliegende Angebot, zur Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums Berlin zu recherchieren, und vor allem auch für die Bereitschaft, die Ergebnisse in der neuen Schriftenreihe des Museums zu publizieren. Ebenso danke ich dem früheren Geschäftsführer des Jüdischen Museums Berlin, Ulrich Klopsch, für die vielfältige Unterstützung und die Ermunterungen durchzuhalten über die Jahre hinweg. Bei der Berliner Kulturverwaltung bedanke ich mich für den Zugang zu den Akten zur Jüdischen Abteilung / zum Jüdischen Museum und bei Norma Drimmer, ehemalige Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, für die Einsicht in ihre Unterlagen. Ohne diesen Aktenzugang wäre dieses Buch überhaupt nicht möglich gewesen. Ich danke allen an der Entstehung des Jüdischen Museums Berlin beziehungsweise den Konflikten darum Beteiligen, mit denen ich darüber sprechen konnte: Dominik Bartmann, Amnon Barzel, Vera Bendt, Inka Bertz, Rolf Bothe, Norma Drimmer, Reiner Güntzer, Hanns-Peter Herz (†), Michael Naumann, Matthias Reese, Klaus Schütz (†), Hermann Simon und Kurt Winkler. Vielen Dank an Robert Nehring, Doreen Tesche und Inka Bertz, die das Manuskript in früheren Stadien gelesen haben, für ihre Kritik und Anregungen. Und ein großer Dank an die Mitarbeiterinnen der Publikationsabteilung des Jüdischen Museums Berlin, Christine Marth und Marie Naumann, für die hervorragende Zusammenarbeit und ihre Geduld bei der Vorbereitung des Manuskripts für die Drucklegung. Christine Marth danke ich ganz besonders für ihr intensives Lektorat. Schließlich danke ich allen, die bei dem leicht verrückten Unterfangen, dieses Projekt die meiste Zeit und über etliche Jahre nebenher zu betreiben, nicht die Geduld mit dem Autor verloren haben.

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Quellen und Literatur

Quellen Unveröffentlichte Quellen Akten Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Ordner: Bundesgesetz zur Errichtung der Stiftung »Jüdisches Museum Berlin«, Kopien. Ordner: V A 6, Konstituierende Sitzung des Stiftungsrats der Stiftung JMB am 26.8.1999, Kopien. Ordner: Stiftung Jüdisches Museum, Presse, Kopien. Ordner: V A 1, Jüdisches Museum, Museumskonzept, Kopien. Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 16.3.98–9.6.98, Ordner III, Kopien. Ordner: V A, Entwürfe Neufassung MusStG, 10.6.–5.8.98, Ordner IV, Kopien. Ordner: MusStG, Ordner VI, Kopien. Ordner: V A 1, Senats-Vorlage JM Beschluß v. 5.5.98, Kopien. Ordner: Synopse, Kopien. Ordner: V A, JMB, Michael Blumenthal, Kopien. Ordner: V A, Stiftung Stadtmuseum, Berlin Museum mit Libeskind-Erweiterungsbau (Bauakten), Bde. 36–37, Kopien. Ordner, Stiftung Stadtmuseum, Hauptabteilung Jüdisches Museum, Presse Jüdisches Museum, Kopien. Ordner: Stiftung Stadtmuseum, Personal, Dr. Bendt, Bde. 1–3, Kopien. Ordner: II A, Gesellschaft für ein Jüdisches Museum ab 1994, allgemeiner Schriftverkehr. Ordner: II A, Konzeptionsstreit Erweiterungsbau des Jüdischen Museums im Stadtmuseum – Libeskindbau – ab Juni 1996, Kopien. Ordner: Jüdisches Museum allgemein, Libeskind-Bau, Kopien. Ordner: II A, Nutzungskonzeption Libeskind-Bau, Erweiterungsbau Jüdisches Museum, Kopien. Ordner 143: V A, Stiftung Stadtmuseum, Personal: A. Barzel, Bde. 7–9, ab 1.1.1995. Ordner 144: II A, Erweiterungsbau Berlin Museum, Bde. 35, 1.1.1994–31.3.1995 + Ergängzungs BPG Altbau. Ordner 145: V A, Stiftung Stadtmuseum, Personal: A. Barzel, V. Bendt, Auswahl­ verfahren 1993, Bde. 1–3, 1992 – Okt. 1993. Ordner 146: V A, Stiftung Stadtmuseum, Personal: A. Barzel, Bde. 4–6, 29.10.1993– 31.12.1994. Ordner 170: Erweiterungsbau Berlin Museum – Jüd. Abt. – Gropiusbau. Ordner 172: Erweiterungsbau, Korrespondenz, Sen-Papiere, 87, 88, 89, 91. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

Quellen und Literatur

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Gespräche Prof. Dr. Dominik Bartmann, 1992 bis 1995 kommissarischer Direktor des Berlin Museums (13.1.2014). Amnon Barzel, 1994 bis 1997 Direktor des Jüdischen Museums, Hauptabteilung der Stiftung Stadtmuseum Berlin (17.3.2009). Dr. Vera Bendt, 1979 bis 1994 Leiterin der Jüdischen Abteilung des Berlin Mu­ seums beziehungsweise des Jüdischen Museums, Abteilung des Berlin Museums (24.3.2009 u. 6.9.2011). Inka Bertz, Leiterin der Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin (9.3.2009). Prof. Dr. Rolf Bothe, 1980 bis 1992 Direktor des Berlin Museums (17.4.2014). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Quellen und Literatur

Norma Drimmer, ehemalige Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (30.3.2009). Prof. Reiner Güntzer, 1967 bis 1995 Museumsreferent der Berliner Kulturverwaltung und 1995 bis 2003 Generaldirektor der Stiftung Stadtmusum Berlin (23.1.2014). Hanns-Peter Herz, 1976 bis 1992 Vorsitzender der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Berlin e. V. (24.7.2006). Prof. Dr. Michael Naumann, 1998 bis 2000 Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (16.1.2014). Matthias Reese, Architekt, 1991 bis 1998 Mitarbeiter von Daniel Libeskind (1.4.2009). Klaus Schütz, 1967 bis 1977 Regierender Bürgermeister von Berlin (28.8.2006). Dr. Hermann Simon, seit 1988 Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum (9.1.2014). Dr. Kurt Winkler, 1992 bis 1994 Projektmanager des Berlin Museums für den Erweiterungsbau (28.1.2014).

Veröffentlichte Quellen Gemeindeblätter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin jüdisches berlin, seit 1998 Berlin-Umschau, 1990–1997 Kulturspiegel, 1985–1989

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© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Online-Medien tagesschau.de © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525300718 — ISBN E-Book: 9783647300719

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Quellen und Literatur

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Wasserstein, Bernard, Europa ohne Juden. Das europäischen Judentum seit 1945, München 2001. Wegweiser durch das jüdische Berlin. Geschichte und Gegenwart, Berlin 1987. Welzbacher, Christian, Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009. Wiedmer, Caroline, The Claims of Memory. Representations of the Holocaust in contemporary Germany and France, Ithaca / London 1999. Winkler, Heinrich A., Der lange Weg nach Westen, Bd. 2: Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung, München 2000. Wolffsohn, Michael / Brechenmacher, Thomas, Deutschland, jüdisch Heimatland. Die Geschichte der deutschen Juden vom Kaiserreich bis heute, Mitarbeit: Friederike Kaunzner, München / Zürich 2008. Wolffsohn, Michael, Die Deutschland Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden, 2. Aufl., München 1996. Young, James E., Nach-Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur, Hamburg 2002.

Bildnachweis Abb. 8, 9, 10 © JMB, Foto Silke Helmerding Abb. 13 © JMB, Foto Stephan Schraps Abb. 1, 2 © JMB, Foto Herbert Sonnenfeld Abb. 16 © JMB, Foto Jens Ziehe Abb. 14 © Archie Kent Abb. 3, 4, 5 © Photonet.de/Lehnartz Abb. 12 © Andreas Schoelzel Abb. 6, 15 © Studio Daniel Libeskind Abb. 11 © ullstein bild – P/F/H

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Personenregister

Angress, Werner T.  140 Barenboim, Daniel  186 Bartmann, Dominik  85 f., 90, 102, 105, 110, 112 Barzel, Amnon  11, 88–149, 152, ­155–160, 173 Bastian, Gerd  55 Bednarz, Klaus  54 Belinfante, Judith  49 Bendt, Vera  12, 25, 29–31, 35 f., 38 f., 41 f., 45–48, 50, 60 f., 66 f., 71, 76, ­79–86, 95, 97, 102, 106, 123, 131 Benz, Wolfgang  9, 149 f. Berggruen, Heinz  172 Bertz, Inka  97 f., 140 Blumenthal, W. Michael  9, 12 f., 136, 148–193, 195, 199 Boberg, Jochen  111 Bohnke-Kollwitz, Jutta  30 Bostelmann, Jürgen  111, 123 Bothe, Rolf  31 f., 35, 43, 45–48, 50, 54, 60, 70–75, 79–85, 91, 123, 176 Brandt, Willy  54, 71 Braun, Helmuth F.  97 f., 140 Braun, Volker  55 Broder, Henryk M.  103, 191 Bubis, Ignatz  114, 116, 137, 145–149, 173 Burg, Avraham  186 Büscher, Wolfgang  171 Buwitt, Dankward  38 Cahen, Joel  109 Clinton, Bill  160 Cox, Nigel  181 Cramer, Ernst  24, 45, 69, 75, 77, 83 Cullen, Michael S.  134, 140, 147, 163 f. Däubler-Gmelin, Herta  55 Deutschkron, Inge  140

Diepgen, Eberhard  34 (Bild), 35–39, 44, 48, 64, 69–75, 80 f., 88, 99, 113, 115 f., 136, 148, 150, 155 f., 159, 163–166, 171, 173 Dohnanyi, Klaus von  55 Drimmer, Norma  12, 64, 87, 106, 109, 115, 118 Eckert, Albert  72 Eder, Jacob S.  39 Eisenman, Peter  170 f., 174 Elkana, Yehuda  116 f. Emde, Heiner  148 Ephraim, Veitel Heine  26 Filler, Martin  175 Flierl, Thomas  134 Flügge, Matthias  140 Foxman, Abraham  71 Freudenheim, Tom  141 Friedrich II  26, 66, 192 Friedrichs, Hanns Joachim  55 Galinski, Heinz  21, 24, 32, 40–45, 49 f., 52, 60–71, 74, 80, 83 f., 113–115, 123, 128–132, 161 Galinski, Ruth  113 Geisel, Eike  103–106, 143 Ginzel, Günter B.  198 Giordano, Ralph  55, 140 Glotz, Peter  55 Gorbey, Ken  180 f., 192–194 Gottmann, Günther  87, 109, 140 Grass, Günter  54, 63 Güntzer, Reiner  21, 27, 80, 82, 85, 91, 99 f., 104–106, 109, 112–120, 125 f., 128–135, 146 f., 152, 157, 159, 165 Gysi, Klaus  41, 44 Harpprecht, Klaus  152, 190 f.

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Personenregister

Hassemer, Volker  32, 35–37, 44, 48 f., 51, 63 f., 110, 122 Hecker, Zvi  66 Hein, Christoph  55 Herz, Hanns-Peter 24–26, 35 f., 40 f., 45, 60, 62, 65, 83, 85 f. Hier, Marvin  71 f. Hildebrandt, Dieter  55 Hoffmann, Hilmar  55 Hoffmann-Axthelm, Dieter  134 Holbrooke, Richard C.  186 Honecker, Erich  51 f. Humpert, Klaus  135 Jäger, Falk  175 Jens, Walter  55 Kanal, Jerzy  83 f., 86, 88, 92, 100 f., 106, 114–116, 123, 128, 147 Kelly, Petra  55 Kirchner, Peter  55, 62 Kirsch, Sarah  140 Kissinger, Henry  153, 186 Klapheck, Elisa  140 Kleihues, Josef Paul  59 Klemann, Jürgen  167 (Bild) Kohl, Helmut  42 f., 51, 71, 116, 136, 146, 156 Kolland, Dorothea  110 Kollek, Teddy  35, 71 Konrád, György  134–138, 147, 157, 171 Körber, Karen  197 Korn, Salomon  65, 111, 145, 146 Kugelmann, Cilly  199 Kunert, Günter  140 Lackmann, Thomas  64, 100 f., 143 Lafontaine, Oskar  55 Lahnstein, Manfred  150 Landowsky, Klaus  69 f. 73, 75 Lang, Jack  71 Langels, Otto  119 f. Laurien, Hanna-Renate  92, 104, 111 Lehmann-Brauns, Uwe  99, 134, 139 Lehming, Malte  128 Lewis, Stephen  72

Libeskind, Daniel  13, 55, 56 (Bild), ­57–73, 80, 87 f., 91, 95, 108–111, ­117–120, 123, 135, 139 f., 146 f. Libeskind, Nina  72, 73, 88 Liebermann, Max  24 Liebs, Holger  185 Lindenberg, Udo  55 Luxemburg, Rosa  191 Martiny, Anke  55 Marx, Karl  191 Mendelssohn, Moses  192 Mertens, Michael  170 Mertes, Michael  172 Meyer, Marion S. 185 Mönninger, Michael  174 Momper, Walter  60, 64, 74 Müller, Heiner  55 Nachama, Andreas  85, 114, 125–127, 130–138, 141, 146 f., 152, 160 Nagel, Wolfgang  55, 81 Naumann, Michael  169–171, 183 Netanjahu, Benjamin  71 Pearman, Hugh  176 Pruschnowski, Itzchak  19 f. Pufendorf, Lutz von  74, 123, 126–134, 138, 148–152, 155, 160, 162–165 Radunski, Peter  110, 113, 116–118, 124, 127 f., 133, 134, 138, 140, 148, 150, 151 (Bild), 152, 156, 157, 161–167, 167 (Bild) Rau, Johannes  186 Raue, Peter  160, 163 f. Raulff, Ulrich  175 Reagan, Ronald  42 Redslob, Edwin  76, 162 Reemtsma, Jan Philipp  55 Richarz, Monika  141 Roloff-Momin, Ulrich  70, 74 f., 80 f., 83, 89–93, 99, 101, 104, 106–109, 116, 120–123 Rosenbaum, Eli M.  71 Rosh, Lea  54, 62 f., 109 Rosovsky, Henry  50

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Personenregister

Rudolph, Hermann  133, 162 Rürup, Reinhard  81 f., 86, 138 f. Sander, Nikolaus  129 Sartorius, Joachim  102 Schäche, Wolfgang  53 f., 61 f. Schily, Otto  55 Schirrmacher, Frank  130 Schneider, Bernhard  110 f., 117 Schoeps, Julius H.  85, 88, 126, 157, 171 Schorlemmer, Friedrich  55 Schröder, Gerhard  169 f., 173, 187 (Bild), 193 Schütz, Klaus  22, 24, 49, 111 Segall, Aryeh  49 Serotta, Edward  98 Simmel, Johannes Mario  55 Simon, Helmut  55 Simon, Hermann  31, 52, 68, 85, 88, 105, 140, 148–150 Simonis, Heide  55 Singer, Israel  71 Skoblo, Roman  87, 109 Smith, Gary  140 Sofer, Zvi  29 Speicher, Stephan  162 Springer, Axel  24, 35, 75, 143 Staeck, Klaus  55 Stein-Blumenthal, Erna  32 Steinkühler, Franz  55 Stern, Fritz  186 Stimmann, Hans  108

Stölzl, Christoph  99, 134, 136 Strachwitz, Rupert Graf  99, 134 Strauss, Herbert  48 Sühlo, Winfried  124 f., 128 Tiedt, Peter  100 Tietz, Georg  24 Tobias, Glen  186 Vollmer, Antje  55 Voolen, Edward van  49, 109 f. Wagenbach, Klaus  55, 140 Wallrabenstein, Axel  133, 150–153, 165 Walser, Martin  146 Wasserstein, Bernard  65 Wefing, Heinrich  135, 171, 175 Weinberg, Jeshajahu  167, 180 Weinland, Martina  122 Weizsäcker, Richard von  29, 32, 45 Weyl, Martin  35–39 Widmann, Arno  189 Winkler, Kurt  85 f., 94, 110, 122 Wirsing, Sibylle  137 Wirth, Irmgard  21–25, 30 f., 43 Wolf, Christa  55 Wolff, Theodor  24 Wolffsohn, Michael  149 Wowereit, Klaus  186 Zweig, Arnold  24

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