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German Pages 234 [236] Year 2011
Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Stefan Borchers
Die Erzeugung des ›ganzen Menschen‹ Zur Entstehung von Anthropologie und Ästhetik an der Universität Halle im 18. Jahrhundert
De Gruyter
Herausgeber: Daniel Fulda, Ulrich Barth, Harald Bluhm, Robert Fajen, Wolfgang Hirschmann, Jürgen Stolzenberg, Heinz Thoma, Sabine Volk-Birke Wissenschaftlicher Beirat: Wolfgang Adam, Roger Bartlett, Gunnar Berg, Reinhard Brandt, Lorraine Daston, Laurenz Lütteken, Jean Mondot, Alberto Postigliola, Paul Raabe, Peter Hanns Reill, Heiner Schnelling Redaktion: Sonja Koroliov Satz: Kornelia Grün
ISBN 978-3-11-025126-5 e-ISBN 978-3-11-025127-2 ISSN 0948-6070 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort
Das Zustandekommen dieses Buches war keine leichte Geburt. Seit seiner ursprünglichen Konzeption hat es eine vollständige Metamorphose durchlaufen und tritt nun nach einer für eine Dissertation überdurchschnittlichen Tragzeit ans Licht. Ich erachte es als ein großes Privileg, dass ich mich ebenso lang wie intensiv dem Quellenstudium und der vom Thema gebotenen Interdisziplinarität hingeben durfte. Zu Dank verpflichtet bin ich einer Reihe von Personen und Institutionen, die mir im Laufe der Jahre Anregungen gegeben und Unterstützung gewährt haben. Zuallererst gebührt meinem wissenschaftlichen Betreuer, Martin Rector, Dank für die Langmut, mit der er den Wandel der Fragestellung aufgenommen und das Promotionsverfahren zu einem guten Abschluss geführt hat. Carsten Zelle, der das Zweitgutachten übernommen hat, möchte ich für die freundliche Aufnahme danken, die das Thema bei ihm gefunden hat, sowie für die inspirierenden Hinweise, die er mir während der Endphase der Niederschrift hat zukommen lassen. Herbert Breger bin ich für die Übernahme des Vorsitzes bei der mündlichen Prüfung sehr verbunden. Die Arbeit ist im Wintersemester 2008/09 von der Philosophischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation im Fach Deutsche Literaturwissenschaft angenommen worden. Ihre Entstehung ist von seiten der Universität durch ein Stipendium finanziell unterstützt worden. Die Arbeit ist für den Druck leicht überarbeitet und um neuere Forschungsliteratur ergänzt worden. Für ihre Aufnahme unter die Halleschen Beiträge zur Europäischen Aufklärung bin ich den Herausgebern der Reihe zu Dank verpflichtet. Danken möchte ich ferner den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir konsultierten Bibliotheken, insbesondere der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover, der Bibliothek des Landeskirchenamts Hannover, der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen mit ihrer Abteilung für Handschriften und seltene Drucke, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar und der Universitätsbibliothek Leipzig. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sondersammlungen der Bibliotheca Albertina verdanke ich den Hinweis auf die unveröffentlichte Magisterarbeit von Johannes Bronisch über den Briefwechsel Christian Wolffs mit dem Reichsgrafen Ernst Christoph von Manteuffel. Johannes Bronisch hat mir großzügig Einblick in seine Arbeit gewährt und mich mit gezielten Hinweisen auf einzelne Stücke der Korrespondenz versorgt, wofür ich ihm herzlich danke. Willkommene Anlässe für Forschungsaufenthalte in Leipzig waren zwei Einladungen durch Kathrin Franke, der ich zugleich für ihre Unterstützung V
beim nachträglichen Abgleich von Quellen Dank sagen möchte. Christian Rosenau habe ich nicht allein für mehrere Einladungen nach Weimar zu danken, sondern auch für das unvergleichliche Erlebnis von Kunst in statu nascendi. Hendrik Schneider hat die Arbeit in einem frühen Stadium der Verschriftlichung gelesen und mich vor manchen Schwächen in der Argumentation bewahrt, wofür ich ihm tief verbunden bin, um so mehr, als er es sich nicht hat sauer werden lassen, auch noch die Endfassung zu lesen. Inga Rost und Jacob Jones haben – zeitweise über große Entfernungen hinweg – Anteil am Zustandekommen der Dissertation genommen. Ihnen danke ich für viele, zumal in der Endphase der Niederschrift höchst willkommene Aufmunterungen und Freundschaftsdienste. Einen letzten Korrekturgang hat Annemarie Schäfer dankenswerterweise auf sich genommen. Bettina Grote, last but not least, hat die Entstehung der Arbeit vom Anfang bis zum Ende als teilnehmende Beobachterin begleitet und mir mehr Liebe zugewandt, als ich bei Licht besehen verdiene. Dafür kann ich nicht anders danken als durch den Ausdruck innigster Gegenliebe. Widmen möchte ich das Buch meiner Mutter, Rosemarie Borchers, sine qua non. Berlin, im September 2009
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Stefan Borchers
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Theologische Erbmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Seelenursprung und Commercium als Implikate der Generationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Anthropologien und Generationstheorien nach dem Modell des totus homo . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die fortpflanzende Kraft der Geschöpfe . . 1.2.2 Die Seele als Baumeisterin ihres Körpers .
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2 Die Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Streit um die psychophysische Präexistenz . . . . . . . . . . . 2.2 Generationslehren der ‚vernünftigen Ärzte‘ und der Ästhetiker 2.2.1 Die Zeugungslehren Johann Gottlob Krügers und Ernst Anton Nicolais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Seelenursprung bei Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ganzheit versus Teilbarkeit: Regeneration als psychophysisches Problem . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Stahlianische und wolffianische Regenerationstheorien . 2.3.2 Ein skeptisches Lehrgedicht über die Regeneration . . . . 2.4 Krügers Träume von der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Die Geburt der Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Föderaltheologische Anthropologie in Baumgartens Ästhetik 3.2 Die Verbesserung des ästhetischen Naturells . . . . . . . . . . . . 3.3 Aufklärerische Systematisierung der Ästhetik bei Meier . . . . 3.4 Generationstheoretische Paradigmen in Meiers Ästhetik . . . .
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4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung
Zu wissen ist, daß Mann und Weib wahrhafftig einträchtige Ursachen der Generation sind, so daß sie einen Menschen, nicht anders, als ein Hund den Hund, ein Vogel den Vogel, zeugen. Es ist diese einträchtige Generation so beschaffen, daß sie nicht allein den Cörper, sondern auch zugleich die Seele, das ist, den gantzen Menschen zeugen.1
Dem neueren literaturwissenschaftlichen Forschungsinteresse an der Anthropologie der Aufklärung ist in jüngster Zeit eine aussichtsreiche wissenschaftsgeschichtliche Perspektiverweiterung auf das gesamte Ensemble der aufklärerischen Wissenschaften vom Leben zuteil geworden.2 Während das Interesse an der Anthropologiegeschichte der Aufklärung ursprünglich vor allem dem Leib-Seele-Zusammenhang galt, der im 18. Jahrhundert infolge der cartesischen Substanzentrennung zerrissen schien und eben dadurch den Zeitgenossen die Konzeption des ‚ganzen Menschen‘ prekär machte,3 wendet die Literaturwissenschaft ihre Aufmerksamkeit inzwischen verstärkt auch einer weiteren Erblast des Cartesianismus zu, die gleichfalls für Literatur und Ästhetik der Aufklärung bedeutsam wurde, nämlich der im Rahmen der 1 2
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Johann Jacob Woyt: Physicalische und medicinische Abhandlung von Sein Selbst-Erkäntnüs. Dresden 1702, S. 5. Vgl. neben den Beiträgen in Christian Begemann u. David E. Wellbery (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt. Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit. Freiburg i.Br. 2002 (= Rombach Wissenschaften: Reihe Litterae, 82) auch die weiteren Arbeiten von Christian Begemann: Kunst und Liebe. Ein ästhetisches Produktionsmythologem zwischen Klassik und Realismus. In: Michael Titzmann (Hg.): Zwischen Goethezeit und Realismus. Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier. Tübingen 2002, S. 79–112; Ders.: Der Körper des Autors. Autorschaft als Zeugung und Geburt im diskursiven Feld der Genieästhetik. In: Heinrich Detering (Hg.): Autorschaft. Positionen und Revisionen [DFG-Symposion 2001]. Stuttgart u. Weimar 2002, S. 44–61. Ferner die Aufsätze von Helmut Pfotenhauer: Jean Pauls literarische Biologie. Zur Verschriftlichung von Zeugung und Tod (mit besonderer Berücksichtigung des ‚Siebenkäs‘). In: Peter-André Alt u.a. (Hg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, S. 461–477 sowie von Wolfgang Riedel: Deus seu Natura. Wissensgeschichtliche Motive einer religionsgeschichtlichen Wende – im Blick auf Hölderlin. In: Hölderlin-Jahrbuch 31 (1998/99), S. 171–206. Zur Vermessung des von der anthropologiegeschichtlichen Forschung bearbeiteten Terrains vgl. Wolfgang Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft. In: IASL, Sonderheft 6: Forschungsreferate, Folge 3 (1994), S. 93–157; Tanja van Hoorn: Das anthropologische Feld der Aufklärung. Ein heuristisches Modell und ein exemplarischer Situierungsversuch. In: Jörn Garber u. Tanja van Hoorn (Hg.): Natur – Mensch – Kultur. Georg Forster im Wissenschaftsfeld seiner Zeit. Hannover-Laatzen 2006, S. 125–141.
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‚mechanischen Philosophie‘ problematischen Frage nach der Entstehung des Organischen, die sich mit Begriffen wie Zeugung und Geburt, Bildung und Entwicklung, Reproduktion und Regeneration verknüpft, kurz: dem Komplex der biologischen Generation.4 Eine solche Erweiterung der Forschungsperspektive erfordert eine Verzahnung literaturwissenschaftlicher und wissenschaftsgeschichtlicher Fragestellungen, wie sie aus der Anthropologiegeschichtsschreibung bekannt ist, steckt aber den interdisziplinären Rahmen insofern anders ab, als sie die Literatur- und Ästhetikgeschichte mit den vielfältigen Vor- und Frühformen der Biologie in Beziehung setzt, die im Austausch zwischen Philosophie, Theologie und Medizin verhandelt wurden.5 Die vorliegende Arbeit will der Bedeutung des Komplexes der biologischen Generation bei der Konzeptualisierung des künstlerischen Schaffens durch die im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts entstehende philosophische Ästhetik nachgehen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik und ‚Biologie‘ ergibt sich zunächst daraus, daß Vorstellungen von der künstlerischen Produktion immer schon mit Lehren von der Zeugung und Entwicklung natürlicher Organismen interferiert haben.6 Dementsprechend rekurriert ein ganzes Arsenal klassischer Topoi für das künstlerische Schaffen auf natürlich-prokreative Entstehungsprozesse.7 In 4
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Während zunächst das Aufkommen der sogenannten Philosophischen Ärzte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts als Signum einer anthropologischen Wende der Aufklärung galt (vgl. Hans-Jürgen Schings: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1977), datiert man sie neuerdings auf das zweite Drittel des Jahrhunderts (vgl. vor allem die einschlägigen Arbeiten von Carsten Zelle). Damit ist meines Erachtens eine Ausweitung des Forschungsinteresses unmittelbar geboten, denn die Frage nach dem ‚ganzen Menschen‘ ist erst relativ spät auf das philosophische Teilproblem des commercium mentis et corporis eingeschränkt worden, das in der ersten Jahrhunderthälfte noch nicht so isoliert angegangen wurde, weshalb sogar von einer ‚Monopolisierung‘ der anthropologischen Diskussion durch Platner gesprochen wird; vgl. Maximilian Bergengruen, Roland Borgards und Johannes Friedrich Lehmann: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Die Grenzen des Menschen. Anthropologie und Ästhetik um 1800. Würzburg 2001, S. 8. Zur Kritik an der Vordatierungsthese vgl. neuerdings Yvonne Wübben: Limitierte Anthropologie. Grenzen des medizinisch-philosophischen Wissenstransfers am Beispiel von Johann August Unzer. In: Manfred Beetz, Jörn Garber u. Heinz Thoma (Hg.): Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert. Göttingen 2007, S. 49–68. Daß die gebotene Interdisziplinarität die Forschung bisweilen auch grandios scheitern läßt, belegt Eric Achermanns wissenschaftshistorisch fundierte Kritik an einem von Sigrid Weigel vorangetriebenen Unternehmen (Eric Achermann: Genetik und Genesik. An- und Bemerkungen zu Sigrid Weigels [Hg.] ‚Genealogie und Genetik‘. In: Scientia poetica 6 [2002], S. 172– 203). Leider unbeeindruckt von dieser Kritik neuerdings Sigrid Weigel: Genea-Logik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften. München 2006. Laut Stefan Willer „liefert die Überschneidung von Zeugung, Empfängnis, Geburt einerseits und künstlerisch-intellektueller Kreativität andererseits ein Muster, von dem man wohl behaupten darf, daß es schlechthin kulturbildende Funktion besitzt.“ (Stefan Willer: ‚Eine sonderbare Generation‘. Zur Poetik der Zeugung um 1800. In: Sigrid Weigel u.a. [Hg.]: Generation. Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte von Genealogie. München 2005 [= Trajekte], S. 125–136, hier S. 125) Vgl. David E. Wellbery: Kunst – Zeugung – Geburt. Überlegungen zu einer anthropologischen Grundfigur. In: Begemann u. Wellbery (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt, S. 9–36.
der Aufklärung wurde der Zusammenhang von menschlicher Kreativität und natürlicher Prokreation aber insofern problematisch, als eine ganze Reihe sich widersprechender Theorien über die biologische Generation im Umlauf war. Um so gewissenhafter mußte sich also die im Entstehen begriffene philosophische Ästhetik ihres biologischen Bezugsrahmens versichern, wenn sie die Frage nach der ‚Erzeugung von Kunst‘ anging. Diese ästhetikgeschichtliche Problematik ist wissenschaftshistorisch zu rekonstruieren. Ähnlich wie von einer ‚Anthropologie der Aufklärung‘ kann natürlich auch von einer ‚Biologie der Aufklärung‘ nur avant la lettre die Rede sein, stehen doch beide Wissensbereiche im 18. Jahrhundert gewissermaßen noch unter Kuratel von Theologie und Metaphysik; der Prozeß ihrer disziplinären Verselbständigung findet erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit ihrer auch institutionellen Aufwertung zu Einzelwissenschaften seinen Abschluß.8 Dementsprechend zeichnet sich ihre Vorgeschichte in der Aufklärung vornehmlich im geschäftigen Austausch zwischen den Wissenschaften ab, die ihr je unterschiedlich motiviertes Interesse an der ‚Naturkunde‘ in empirisch-induktiven, rationalistisch-deduktiven oder auch gänzlich spekulativen Beiträgen artikulierten, deren Verbreitung, zumal im neuen Medium der wissenschaftlichen Zeitschrift,9 ein bis dahin ungekanntes Ausmaß und eine rasante Beschleunigung erfuhr. An den Universitäten wurden die Wissenschaften vom Leben von ‚Naturkündigern‘ betrieben, die ebensogut der philosophischen wie der medizinischen oder auch der theologischen Fakultät angehören konnten, letzteres zumal im Zeichen der Physikotheologie.10 Die Ordinariate für Physik 8
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Zur Disziplingeschichte der Biologie vgl. Kai Torsten Kanz: Von der ‚Biologia‘ zur Biologie. Zur Begriffsentwicklung und Disziplingenese vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. In: Uwe Hoßfeld u. Thomas Junker (Hg.): Die Entstehung biologischer Disziplinen II. Beiträge zur 10. Jahrestagung der DGGTB in Berlin 2001. Berlin 2002, S. 9-30. Speziell zur Geschichte der Biologie im 18. Jahrhundert vgl. Shirley A. Roe: The Life Sciences. In: Roy Porter (Hg.): The Cambridge History of Science. Bd. 4: Eighteenth-Century Science. Cambridge u.a. 2003, S. 397–416; Lois N. Magner: A History of the Life Sciences [1979]. 3., überarb. u. erw. Aufl. New York u. Basel 2002; Ilse Jahn: Biologische Fragestellungen in der Epoche der Aufklärung (18. Jh.). In: Dies. (Hg.): Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien. 3., neubearb. und erw. Aufl. Jena u.a. 1998, S. 231–273; Clara Pinto-Correia: The Ovary of Eve. Egg and Sperm and Preformation. Chicago u. London 1997; Änne Bäumer: Geschichte der Biologie. Bd. 3: 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M. u.a. 1996; Ilse Jahn: Grundzüge der Biologiegeschichte. Jena 1990, S. 159–310. Vgl. Rudolf Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland 1740–1890. Frankfurt a.M. 1984, S. 394–396, 425–431. Vgl. Ernst Mayr: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Vielfalt, Evolution und Vererbung [The Growth of Biological Thought, 1982]. Übers. v. Karin de Sousa Ferreira. Berlin u.a. 1984, S. 85f.; Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 442f.; Ilse Jahn: Der Beitrag deutscher Physikotheologen zum Erkenntniszuwachs in der Biologie des 18. Jahrhunderts. In: Änne Bäumer u. Manfred Büttner (Hg.): Science and Religion / Wissenschaft und Religion. Proceedings of the Symposium of the XVIIIth International Congress of History of Science at Hamburg – Munich, 1.–9. August 1989. Bochum 1989, S. 26–36; Richard Toellner: Die Bedeutung des physico-theologischen Gottesbeweises für die nachcartesianische Physiologie im 18. Jahrhundert. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 5 (1982), S. 75–82.
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waren zwar traditionell den philosophischen Fakultäten zugeordnet, wo neben Mathematik, Geometrie, Mechanik und Kosmologie auch die Lehre von den drei Naturreichen gepflegt wurde, also Mineralogie, Botanik und Zoologie; doch betrieben hauptsächlich Mediziner das Studium der Lebewesen, da die Tier- und Pflanzenkunde einen festen Bestandteil der Heilmittellehre oder Materia medica ausmachte. Da zu den traditionellen Lehrinhalten der Medizin neben der Anatomie und Physiologie des Menschen auch die der Tiere und Pflanzen zählte, begannen einige der prominentesten Vertreter der aufklärerischen Lebenswissenschaften ihre Karriere mit einem Medizinstudium.11 Neben den Universitäten spielten aber natürlich auch die wissenschaftlichen Akademien und gelehrten Gesellschaften eine gewichtige Rolle in der Vorgeschichte der Wissenschaften vom Leben im 18. Jahrhundert, wenn auch in Deutschland in weniger starkem Maße als etwa in England und Frankreich.12 Eher gering fällt dagegen der Beitrag von Privatgelehrten aus, die ohne Anbindung an wissenschaftliche Institutionen zur Entwicklung der Lebenswissenschaften beitrugen, wie etwa die berühmte Ausnahmeerscheinung Leeuwenhoek, der durch seine außergewöhnliche Geschicklichkeit bei der Konstruktion von Mikroskopen zum wissenschaftlichen Autodidakten avancierte.13 Wenngleich die Weite des damit skizzierten wissenschaftsgeschichtlichen Horizonts in der vorliegenden Arbeit durch die Einschränkung auf die Lehre von der biologischen Generation begrenzt werden soll, kann dies doch nur anhand exemplarischer Einzelstudien erfolgen, die allerdings so gewählt werden sollen, daß sie die komplexe Gemengelage erkennen lassen, die das Denken in dieser Frage in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmte.14 Besonders geeignet dazu sind die unterschiedlichen Konzepte der biologischen Generation, die zu dieser Zeit an der Universität Halle vertreten wurden, und zwar nicht nur wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Nachbarschaft zur Begründung der Ästhetik als eigenständiger Disziplin, sondern auch wegen ihres besonderen theologischen und philosophischen Einschlags.15 Verantwortlich dafür war nicht zuletzt die eigentümliche Atmosphäre 11
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Vgl. Mayr: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt, S. 87; Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 324–330; Jahn: Grundzüge der Biologiegeschichte, S. 299f. Vgl. Jahn: Grundzüge der Biologiegeschichte, S. 165f.; Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 67–74; Jürgen Voss: Die Akademien als Organisationsträger der Wissenschaften im 18. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 231 (1980), S. 43–74. Vgl. Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 64– 67. Speziell zu Leeuwenhoek vgl. Edward G. Ruestow: The Microscope in the Dutch Republic. The Shaping of a Discovery. Cambridge u.a. 1996; Marian Fournier: The Fabric of Life. Microscopy in the Seventeenth Century. Baltimore u. London 1996, S. 79–91. Vgl. Roe: The Life Sciences, sowie die entsprechenden Abschnitte in den Überblicksdarstellungen von Bäumer: Geschichte der Biologie; Jahn: Grundzüge der Biologiegeschichte. Die Perspektivierung auf die Universität Halle ermöglicht es, an eine Reihe exzellenter neuerer Studien zur Anthropologiegeschichte anzuknüpfen, die sich insbesondere der sogenannten Schule der halleschen Psychomediziner widmen, deren Erforschung seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der Aufklärungsforschung bildet; vgl. die Beiträge in Carsten Zelle (Hg.): ‚Ver-
des Gegen- und Miteinanders von Pietismus und Wolffschem Rationalismus in Halle, der auch in neueren Untersuchungen zur Anthropologie der sogenannten ‚vernünftigen Ärzte‘ breites Interesse gezollt wird.16 An diese Forschung soll mit Blick auf das Ensemble der halleschen Generationslehren angeknüpft werden, was allerdings dadurch erschwert wird, daß disziplingeschichtliche Arbeiten, sei es zur Biologie- oder zur Medizingeschichte, die Interferenzen zwischen ‚Biologie‘, Philosophie und Theologie bislang weitgehend vernachlässigt haben.17 Auf die Beziehungen zwischen den Wissenschaften kommt es bei der Untersuchung des Zusammenhangs ästhetischen und generationstheoretischen Denkens aber ganz entscheidend an. Die Ästhetik wurde bekanntlich durch Alexander Gottlieb Baumgarten als eine Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis begründet, die das System der Wolffschen Schulphilosophie um eine Logik der unteren Seelenvermögen ergänzen sollte.18 Wolff selbst hatte die sinnlichen Vermögen im Vergleich zu den oberen Seelenkräften geringgeschätzt, insofern ihnen jegliche Deutlichkeit der Erkenntnis abginge; Baumgarten zufolge sollte jedoch auch die nicht-begriffliche sinnliche Erkenntnis einer eigenen Evidenz und Vollkommenheit fähig sein, die sich angesichts eines schönen Gegenstandes dem Gemüt durch ein Gefühl der Lust mitteilt.19 Diese Neubewertung der sinnlichen Vermögen des Menschen durch Baumgarten
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nünftige Ärzte‘. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung. Tübingen 2001 (= Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 19). Vgl. Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte. – Zum geistigen Klima im Halle der Aufklärung und zur Geschichte der halleschen Universität vgl. Norbert Hinske (Hg.): Zentren der Aufklärung I: Halle. Aufklärung und Pietismus. Heidelberg 1989 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, 15); Udo Sträter: Aufklärung und Pietismus – das Beispiel Halle. In: Notker Hammerstein (Hg.): Universitäten und Aufklärung. Göttingen 1995 (= Das achtzehnte Jahrhundert: Supplementa, 3), S. 49–61; Günter Jerouschek u. Arno Sames (Hg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694– 1806). Hanau u. Halle 1994. Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. die Arbeiten von Carl Hinrichs: Der Hallische Pietismus als politisch-soziale Reformbewegung [erstmals 1953]. In: Ders.: Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen. Hg. v. Gerhard Oestreich. Berlin 1964, S. 171–184; Ders.: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in BrandenburgPreußen als religiös-soziale Reformbewegung. Göttingen 1971. Zeugungstheoretische Aspekte werden zwar gelegentlich in Studien zu einzelnen halleschen Medizinern oder ‚Biologen‘ berücksichtigt, doch illustrieren deren Ergebnisse im allgemeinen nicht mehr als das, was aus den Überblickswerken zur Biologiegeschichte ohnehin längst bekannt ist. Eine Ausnahme davon bilden die neueren Forschungen zu Caspar Friedrich Wolff, dessen generationstheoretische Arbeiten das Ende des hier interessierenden Untersuchungszeitraums markieren; vgl. dazu insbesondere die Arbeiten von Shirley A. Roe: Rationalism and Embryology: Caspar Friedrich Wolff’s Theory of Epigenesis. In: Journal of the History of Biology 12 (1979), S. 1–43; Dies.: Matter, Life, and Generation. Eighteenth-Century Embryology and the Haller-Wolff-Debate. Cambridge u.a. 1981. Auf eine terminologische Differenzierung zwischen Seelenkräften und -vermögen wird im folgenden verzichtet. Vgl. Heinz Paetzold: Einleitung. In: Alexander Gottlieb Baumgarten: Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes (lat./dt.). Übers. u. mit e. Einl. hg. v. Heinz Paetzold. Hamburg 1983 (= Philosophische Bibliothek, 352), S. VII–LII, hier S. XIXf., XXXV.
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und seinen Schüler Georg Friedrich Meier vollzog sich zeitgleich mit jener Neubestimmung der leib-seelischen Einheit des Menschen durch eine Gruppe junger hallescher Mediziner, die sich in der Nachfolge Georg Ernst Stahls und Friedrich Hoffmanns dazu verstanden, dem cartesianischen Dualismus ein Bild vom ‚ganzen Menschen‘ entgegenzusetzen. Damit nahm eine neue Gestalt der Anthropologie ihren Anfang, die schließlich zur Zentralwissenschaft der späten Aufklärung avancieren sollte.20 Angesichts des regen Austauschs zwischen diesen beiden Disziplinen, die im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts in Halle begründet wurden, hat man in jüngster Zeit zu Recht von einer „Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie“21 gesprochen. Von einem vergleichbaren persönlichen und fachlichen Austausch ist auch in bezug auf die Frage der biologischen Generation auszugehen. Doch obschon die von Stahl hinterlassene anti-reduktionistische Deutungstradition der Lebensprozesse22 eine entscheidende Voraussetzung dafür bot, jenen Aporien der Generationslehre zu entgehen, in die sich die mechanistische Naturlehre unweigerlich verstrickte, konnten die halleschen Mediziner dennoch keine in sich geschlossene Theorie von der Entstehung des Lebens vorweisen. Verantwortlich dafür ist nicht allein die Vielgestaltigkeit der Phänomene von Zeugung, Embryonalentwicklung und Regeneration, die sich kaum in einem einzelnen Modell unterbringen ließen, sondern vor allem die Abhängigkeit ihrer Deutung von theologischen und philosophischen Prämissen. Bezog sich also die Ästhetik bei der Konzeptualisierung der künstlerischen Kreativität auf zeitgenössische Vorstellungen von der biologischen Generation, dann situierte sie sich damit zugleich in 20
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Die „anthropologische Wende“ wird inzwischen nicht mehr wie noch bei Riedel (Anthropologie und Literatur) als Produkt der Spätaufklärung begriffen, sondern auf die Zeit um 1740 vordatiert; vgl. vor allem Carsten Zelle: ‚Zwischen Weltweisheit und Arzneiwissenschaft‘. Zur Vordatierung der anthropologischen Wende in die Frühaufklärung nach Halle (eine Skizze). In: Reinhard Bach, Roland Desné u. Gerda Haßler (Hg.): Formen der Aufklärung und ihrer Rezeption. Expressions des Lumières et de leur réception. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ulrich Ricken. Tübingen 1999 (= Stauffenburg-Festschriften), S. 35–44; Ders.: ‚Vernünftige Ärzte‘. Hallesche Psychomediziner und Ästhetiker in der anthropologischen Wende der Frühaufklärung. In: Walter Schmitz u. Carsten Zelle (Hg.): Innovation und Transfer. Naturwissenschaft, Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Dresden 2004 (= Aufklärungsforschung, 2), S. 47–62. Vgl. Carsten Zelle: Sinnlichkeit und Therapie. Zur Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie um 1750. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 5–24. Vgl. Alfred Gierer: Organisms-Mechanisms: Stahl, Wolff, and the Case against Reductionist Exclusion. In: Science in Context 9 (1996), S. 511–528. – Die ältere wissenschaftshistorische Literatur verzeichnet den Gegensatz von Reduktionismus und Antireduktionismus als Alternative Mechanismus versus Vitalismus; vgl. Reinhard Mocek: Zum Mechanismus-VitalismusParadigma der Stahl-Ära. In: Wolfram Kaiser u. Arina Völker (Hg.): Georg Ernst Stahl (1659– 1734). Hallesches Symposium 1984. Halle 1985 (= Wissenschaftliche Beiträge der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg, 1985/66 [E 73]), S. 31–40. Zur Unangemessenheit der weithin verbreiteten Klassifizierung von Stahls holistischer Position als ‚Vitalismus‘ oder ‚Animismus‘ vgl. Johanna Geyer-Kordesch: Stahl – Leben und seine medizinische Theorie. In: Dietrich von Engelhardt u. Alfred Gierer (Hg.): Georg Ernst Stahl (1659–1734) in wissenschaftshistorischer Sicht. Leopoldina-Meeting am 29. und 30. Oktober 1998 in Halle. Heidelberg 2000 (= Acta Historica Leopoldina, 30), S. 33–48, hier S. 44, 46.
einem größeren disziplinären Rahmen, ohne ihn im einzelnen genauer zu kennzeichnen. Die wissenschaftshistorische Rekonstruktion der Generationslehre hat deshalb Verbindungen zwischen einstmals eng zusammengehörigen Wissensbereichen nachzuspüren, deren Zusammenhang später aufgekündigt wurde. Die heutige exklusive Zuordnung dieser Inhalte zu mehr oder weniger abgeschotteten Einzeldisziplinen gestaltet die Erschließung von Quellen aus der Vor- und Frühgeschichte der Biologie entsprechend schwierig. Der vagen und offenen Begrifflichkeit der aufklärerischen Lebenswissenschaften soll deshalb durch einen an Hans Blumenberg angelehnten ‚metaphorologischen‘ Zugang entsprochen werden, der es erlaubt, auch jenen sich zuerst in Metaphern, Modellen und Analogien vollziehenden Verschiebungen und Neuverknüpfungen von Konzepten nachzugehen, mit denen sich die (vor-)wissenschaftliche Sprache ihrer vollständigen „Auflösung in Begrifflichkeit“ widersetzt.23 Die Metaphorologie trägt dem Umstand Rechnung, daß sich begriffliche Umwertungen zunächst im ‚Unbegrifflichen‘, das heißt vor allem in ‚Metaphern‘ vorbereiten.24 Einem neuen Denken wird die Bahn zuallererst durch sich wandelnde metaphorische Leitfiguren bereitet, die ein Deutungspotential eröffnen, dem sich neuartige Begriffe und systematisch schlüssige Konzepte erst nachträglich einpassen müssen – ohne es je gänzlich erschließen zu können.25 Blumenberg gelangt daher zu folgender Charakterisierung des metaphorologischen Erkenntnisgewinns: der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren. [...] die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen [...].26
Demnach fungiert ein Wandel im Unbegrifflichen nicht bloß als Indikator für die Veränderung der begrifflichen Semantik von Systemen, sondern ermöglicht diese überhaupt erst. Die eigentümliche Produktivität metaphorischer Leitvorstellungen entfaltet sich aber nicht allein in festgefügten wissenschaftlichen Systemen. Für die 23 24
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Hans Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern. In: Archiv für Begriffsgeschichte 15 (1971), S. 161–214, hier S. 164. Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie [1960]. Frankfurt a.M. 1998, S. 18. – Eine kritische Analyse des Blumenbergschen Metaphernbegriffs unternimmt Jürg Haefliger: Imaginationssysteme. Erkenntnistheoretische, anthropologische und mentalitätshistorische Aspekte der Metaphorologie Hans Blumenbergs. Bern u.a. 1996; zum späteren Konzept des ‚Unbegrifflichen‘ siehe Blumenbergs Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit (in Ders.: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a.M. 1979, S. 75–93) sowie David Adams: Art. Unbegrifflichkeit I. In: HWPh, Bd. 11, Sp. 116f. – Ganz in diesem Sinne hatte Owsei Temkin bereits 1949 den Stellenwert von Metaphern im biologischen Denken bestimmt: „They were not always mere figures of speech, but integrating concepts used by biologists in guiding their thought.“ (Owsei Temkin: Metaphors of Human Biology. In: Robert C. Stauffer [Hg.]: Science and Civilization. Madison 1949, S. 167–194, hier S. 185) Vgl. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 10–12. Ebd., S. 13.
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Vorgeschichte der Wissenschaften vom Leben im 18. Jahrhundert wird man vielmehr feststellen können, daß die Offenheit unbegrifflicher Problemstellungen und Konzepte gerade deren Attraktivität für kulturelle Selbstverständigungsprozesse wie die Ästhetik ausmacht, wohingegen die von der wissenschaftlichen Begriffsbildung erstrebte terminologische Eindeutigkeit nach Blumenbergs Beobachtung stets mit einer „Verarmung an imaginativem Hintergrund und an lebensweltlichen Leitfäden“ einhergeht.27 Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird im folgenden vorzugsweise von „Metaphern“, „Analogien“ oder „Modellen“ die Rede sein, wenn zusätzlich zu den in Begriffen sich manifestierenden theoretischen Konstrukten auch deren vor- und unbegriffliche Dimension in den Blick treten soll, die sich gelegentlich sogar als erkenntniswirksamer erweist als der terminologische Bedeutungskomplex selbst.28 So wird man sagen können, daß Metaphern, Modelle und Analogien der Generationslehre für die ästhetische Reflexion gerade deshalb bedeutsam sind, weil sie es erlauben, einen ganzen Fundus von Vorstellungen mitzudenken, die einander im Gefüge einer systematisch geordneten Begrifflichkeit zuletzt ausschließen. Doch versteht es sich von selbst, „daß die Beziehung von Kunst und Prokreation nicht nur metaphorischen Status hat“.29 Die methodische Öffnung auf das Feld des ‚Unbegrifflichen‘ hin kann und soll deshalb die wissenschaftsgeschichtliche Aufarbeitung nur in spezifischer Weise erweitern, nicht aber ersetzen. Die Leitvorstellungen und Konzepte der Wissenschaften vom Leben sollen in der vorliegenden Arbeit ganz unabhängig davon zu ihrem Recht kommen, ob sie nach Maßgabe der heute zuständigen Fachwissenschaften als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, als ‚richtungweisend‘ bzw. ‚modern‘ oder als ‚überholt‘ bzw. ‚irreführend‘ einzuschätzen sind. Dieses eigentlich selbstverständliche Absehen von wissenschaftsgeschichtlichen Wertungskriterien sei hier nur deshalb betont, weil die neuere literaturwissenschaftliche Forschung allzu gern derart wertenden Überblicksdarstellungen zur Biologiegeschichte folgt, in denen Wissenschaftsgeschichte vornehmlich als Geschichte des Erkenntnisfortschritts im Sinne einer kontinuierlichen und
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Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern, S. 163. – In diesem Sinne hat Stefan Willer jüngst die Uneindeutigkeit als das eigentlich produktive Moment am Konzept der Generation hervorgehoben; vgl. Stefan Willer: ‚Generation‘, ein übersetztes Wort: Zur Wort-, Begriffs- und Metapherngeschichte. In: Ohad Parnes, Ulrike Vedder u. Stefan Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Frankfurt a.M. 2008, S. 21–39, hier S. 36–39. Es mag dahingestellt bleiben, ob über die hier beabsichtigte kulturgeschichtliche Inanspruchnahme der Metaphorologie hinaus generell eine „kulturgeschichtliche Reformulierung der Metaphorologie“ geboten ist, wie Rüdiger Zill sie für nötig erachtet (Rüdiger Zill: ‚Substrukturen des Denkens‘. Grenzen und Perspektiven einer Metapherngeschichte nach Hans Blumenberg. In: Hans Erich Bödeker [Hg.]: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Göttingen 2002 [= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, 14], S. 209–258, hier S. 252). Christian Begemann: Art. Gebären. In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Hg. v. Ralf Konersmann. Darmstadt 2007, S. 121–134, hier S. 128.
kumulativen Wissenschaftsentwicklung geschrieben wird.30 Deren Urteil folgend wird dann beispielsweise die Epigenesis um ihrer ‚Modernität‘ willen gegen die Präformation ausgespielt oder die Vielzahl konkurrierender Denkansätze in ein Abfolgeschema von Theorien verkehrt, das vermeintlich vom Druck der Empirie (in Gestalt neuer Entdeckungen oder gewisser Fortschritte in der Mikroskopierund Präparationstechnik) unterhalten wurde. So ist noch in einem neueren Standardwerk zur Biologiegeschichte zu lesen, die Präformationstheorie „herrschte zumindest in der ersten Hälfte des 18. Jh. [...] als einzig mögliche [!] Erklärung der Entwicklungsprozesse der Organismen, die vom Standpunkt der Gesetze der Mechanik nicht zu verstehen waren.“31 Eine literaturwissenschaftliche Würdigung von Generationslehren des 18. Jahrhunderts kann auf solche Urteile getrost verzichten und sich statt dessen der Frage zuwenden, worin die Besonderheiten der jeweiligen Modelle für ihren kulturellen Kontext bestanden, was ihre Durchsetzung begünstigt oder gehemmt haben mag und welche unterschiedlichen Vorstellungen und Denkweisen sie den Zeitgenossen eröffneten oder verwehrten. Die weitreichende kulturgeschichtliche Bedeutung des skizzierten Problemkomplexes von Ästhetik und Generationslehre ist in der literaturwissenschaftlichen Forschung einschlägig vor allem für die Zeit „um 1800“ untersucht worden, etwa für die idealistische Sprach- und Naturphilosophie oder für die Literatur der Klassik und Romantik.32 Dabei wurde auch immer wieder des „Übergangs von 30
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Beispiele solcher ‚whig history of science‘ finden sich nicht bloß in der älteren Forschung. Zur Bibliographie vgl. Änne Bäumer-Schleinkofer: Bibliography of the history of biology. Bibliographie zur Geschichte der Biologie. Frankfurt a.M. u.a. 1997. Nach wie vor unübertroffen ist die erstmals 1963 erschienene Arbeit von Jacques Roger: Les sciences de la vie dans la pensée française du XVIIIe siècle. La génération des animaux de Descartes à l’Encyclopédie. Nouvelle édition. Paris 1993. Jahn: Biologische Fragestellungen in der Epoche der Aufklärung, S. 256. Vgl. Helmut Müller-Sievers: Epigenesis. Naturphilosophie im Sprachdenken Wilhelm von Humboldts. Paderborn u.a. 1993; Ders.: Über Zeugungskraft. Biologische, philosophische und sprachliche Generativität. In: Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner u. Bettina WahrigSchmidt (Hg.): Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin 1997, S. 145– 164; Ders.: Self-Generation: Biology, Philosophy, and Literature Around 1800. Stanford 1997; Riedel: Deus seu Natura; Christian Begemann: Poiesis des Körpers. Künstlerische Produktivität und Konstruktion des Leibes in der erotischen Dichtung des klassischen Goethe. In: German Life and Letters 52 (1999), S. 211–237; Johannes Bierbrodt: Naturwissenschaft und Ästhetik 1750–1810. Würzburg 2000 (= Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, 279), S. 184–201, 283–302; Stefan Metzger: Die Konjektur des Organismus. Wahrscheinlichkeitsdenken und Performanz im späten 18. Jahrhundert. München 2002; Helmut Pfotenhauer: Apoll und Armpolyp. Die Nachbarschaft klassizistischer Kreationsmodelle zur Biologie. In: Begemann u. Wellbery (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt, S. 203–224; Pfotenhauer: Jean Pauls literarische Biologie; Willer: Eine sonderbare Generation; Ders.: Sui generis: Genie und Generativität zwischen ästhetischer Theorie und biologischer Vererbungslehre. In: Parnes, Vedder u. Willer: Das Konzept der Generation, S. 120–149. – Auch für den Wandel des historischen Denkens in der deutschen Spätaufklärung wird die Bedeutung der Zeugungsphysiologie reklamiert; vgl. Peter Hanns Reill: Science and Science of History in the Spätaufklärung. In: Hans Erich Bödeker u.a. (Hg.): Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 81),
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präformationistischen zu epigenetischen Theorien von der Erzeugung von Organismen am Ende des achtzehnten Jahrhunderts“33 gedacht, der sich für die Philosophie, Sprach- und Dichtungstheorie der späten Aufklärung als bedeutsam erweise.34 Sogar schon für die Genieästhetik des Sturm und Drang ist er als relevant reklamiert worden. So hat Christian Begemann im Zusammenhang mit der Erforschung historischer Modelle von Autorschaft erklärt, daß im Sturm und Drang die alte Analogie von künstlerischer Produktion und natürlicher Prokreation grundsätzlich neu konzeptualisiert worden sei.35 Herders genetisches Denken habe etwa die Frage nach dem Ursprung der Kunst über die gemeinsame etymologische Abstammung von Genius und Genesis in den Kontext einer „Biologie der Kunst“ gerückt. Diese folgenreiche Gleichsetzung werde allerdings „zumeist nur als ein Subtext greifbar [...], der sich vorzugsweise in der Metaphorik artikuliert“.36 Erstaunlicherweise ist Begemann der Tiefendimension dieses „Subtextes“ jedoch nicht weiter nachgegangen, sondern hat sich mit der Feststellung begnügt, daß „der ästhetikgeschichtliche Paradigmenwechsel [...] in engster diskursiver Beziehung zu einem wissenschaftsgeschichtlichen Umbruch im Bereich der entstehenden Biologie“ stehe, nämlich der Kontroverse zwischen Präformation und Epigenesis.37 Dieser Einschätzung wird man sich gewiß nicht verschließen können, doch täuscht der schematische Gegensatz von Präformation und Epigenesis allzu leicht über den tatsächlichen Stand der Generationslehre im 18. Jahrhundert hinweg. Schließlich war die Epigenese nicht erst durch Caspar Friedrich Wolffs Theoria generationis von 1759 – übrigens eine hallesche medizinische Dissertation! – als Alternative zur Präformation auf den Plan getreten. Das epigenetische Denken läßt sich bis zu Aristoteles zurückverfolgen, und durch seine Autorität war es stets lebendig und präsent geblieben. So hatte William Harvey, der Entdecker des großen Blutkreislaufs, die Epigenesis 1651 in seinem Opus magnum De generatione animalium emphatisch gegen konkurrierende Konzepte sowohl der hippokratisch-galenischen
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S. 430–451, hier S. 445f.: „This shift in patterns of scientific thought [from preformation to epigenesis, S.B.] was to have an important effect in the subsequent transformation of eighteenth-century German historical thougt.“ Vgl. neuerdings auch: Ders.: Schiller, Herder, and History. In: Michael Hofmann u.a. (Hg.): Schiller und die Geschichte. München 2006, S. 68–78. Müller-Sievers: Über Zeugungskraft, S. 146; vgl. auch Wellbery: Kunst – Zeugung – Geburt, S. 20. – Albrecht Koschorke, der sich den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext besonders buntscheckig zurechtschneidert, spricht sogar von „einem auch philosophisch folgenreichen Paradigmenwechsel von der Präformationslehre, die noch der aristotelischen Vorstellung von der Konstanz der Arten verpflichtet ist, zu einem neuartigen evolutionären [!] Ansatz, der Epigenesis.“ (Albrecht Koschorke: Geschlechterpolitik und Zeichenökonomie. Zur Geschichte der deutschen Klassik vor ihrer Entstehung. In: Renate von Heydebrand [Hg.]: Kanon Macht Kultur. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen. Stuttgart u. Weimar 1998, S. 581–599, hier S. 597). Vgl. Müller-Sievers: Über Zeugungskraft, S. 152–164. Vgl. Begemann: Der Körper des Autors. Ebd., S. 49. Ebd., S. 53; nahezu wortgleich in Begemann: Art. Gebären, S. 129.
Medizin als auch des frühen Präformationismus in Anschlag gebracht.38 Noch weit bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts blieb die Zeugungs- und Entwicklungslehre durch eine unübersichtliche Gemengelage von Generatio spontanea und Metamorphose, Zwei-Samen-Lehre und Panspermie, Präformation und Epigenesis gekennzeichnet. Diese Unübersichtlichkeit macht aber zugleich den Reichtum der Generationslehre aus und erklärt ihre Ausstrahlungskraft auf andere Disziplinen. Dagegen ließe sich nur schwerlich begreiflich machen, wie ausgerechnet Caspar Friedrich Wolffs botanisch-zoologische Spezialuntersuchung jenen grundlegenden Wandel im Denken hätte auslösen können, den die Vertreter eines biologiegeschichtlichen Paradigmenwechsels von der Präformation zur Epigenesis postulieren – und tatsächlich blieb Wolff die wissenschaftliche Anerkennung bis zum Ende des Jahrhunderts versagt. Man tut also gut daran, die wissenschaftsgeschichtliche Komplexität der Generationslehre im 18. Jahrhundert nicht so weit zu reduzieren, daß dadurch zuletzt entscheidende Dimensionen des metaphorischen „Subtextes“ unzugänglich werden. Es wäre in diesem Sinne auch verfehlt, den Verweisungszusammenhang von Genieästhetik und Generationslehre im 18. Jahrhundert auf das originelle Wortkondensat „Epigenius“ einengen zu wollen, das Helmut Müller-Sievers zur Kennzeichnung der „Juxtaposition von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft“ bei Kant ins Spiel gebracht hat.39 Für die Zeit „um 1800“ mag diese Kurzformel eine gewisse Berechtigung besitzen, doch zumindest für die ersten drei Viertel des 18. Jahrhunderts lassen sich keine unzweideutigen Zuordnungen von Ästhetik und Zeugungstheorie ausmachen. Der kritische Kant hingegen stand so sehr im Bann von Blumenbachs (oder vielmehr Tetens’) Neubegründung der epigenetischen Zeugungs- und Entwicklungslehre,40 daß er seine Deduktion der Kategorien in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1787) polemisch als „Epigenesis der reinen Vernunft“ gegen anderslautende Ableitungen in Anschlag bringen konnte, indem er diese mit Generationstheorien in Beziehung setzte, die einstmals 38 39 40
Vgl. François Duchesneau: Les modèles du vivant de Descartes à Leibniz. Paris 1998, S. 212– 223; Roger: Les sciences de la vie, S. 112–121, 130f. Müller-Sievers: Self-Generation, S. 63. Vgl. Johann Nicolaus Tetens: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. 2 Bde. Hildesheim u. New York 1979 [ND der Ausg. Leipzig 1777] (= Ders.: Die philosophischen Werke, 1–2), Bd. 2, S. 448–538; Johann Friedrich Blumenbach: Über den Bildungstrieb (Nisus formativus) und seinen Einfluß auf die Generation und Reproduction. In: Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur 1 (1780), 5. Stück, S. 247–266 [elektr. Ressource unter http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/goettmag/goettmag.htm (12. März 2008)]; Ders.: Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte. Stuttgart 1971 [ND der Ausg. Göttingen 1781]. – Zur Schlüsselrolle Tetens’ für Kants Bekehrung zu einer als „generische Präformation“ (Kritik der Urteilskraft, § 81) neu verstandenen Epigenesis vgl. Richard Toellner: Kant und die Evolutionstheorie. In: Clio Medica 3 (1968), S. 243–249, hier S. 246f.; speziell zu Tetens’ Generationslehre vgl. Richard Toellner: Evolution und Epigenesis. Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklungsphysiologie. In: Heinz Goerke u. Heinz MüllerDietz (Hg.): Verhandlungen des 20. Internationalen Kongresses für Geschichte der Medizin, Berlin 22.–27. August 1966. Hildesheim 1968, S. 611–617.
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mit der Epigenesis konkurriert, ihre Stichhaltigkeit aber – zumindest aus seiner Sicht – inzwischen vollständig eingebüßt hatten.41 Wenn Kant schließlich in der Kritik der Urteilskraft (1790) die Kreativität des Genies als natürliche Seite der Kunst mit dem epigenetisch wirkenden Bildungstrieb als künstlerischer Seite der Natur argumentativ verschränkte,42 dann ist diese Zuordnung Produkt einer intensiven Arbeit am Begriff, die jedoch keinesfalls als Telos des Aufklärungsdenkens in Hinblick auf die Lehre von der biologischen Generation betrachtet werden sollte. Die von Kant zugunsten der argumentativen Prägnanz an den überlieferten Konzepten der Epigenesis, Präformation und Generatio aequivoca vorgenommenen Schlichtungen erlauben es nämlich nicht, die kulturelle Bedeutung der Generationslehren im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch nur annähernd zu ermessen. Doch ist es ganz im Sinne der Kantischen Schlichtung gesprochen, wenn Müller-Sievers mit Blick auf Herders frühe Schriften feststellt, daß „sich bei Herder aber auch – und zwar gerade im Zusammenhang mit der Erklärung des Ursprungs der Sprache – Argumente durch[halten], die nichts weniger als epigenetisch sind.“43 Befremdlich wäre im Gegenteil, wenn es sich anders verhielte, denn das Nebeneinander widerstreitender Zeugungs- und Entwicklungslehren war für den kulturellen Kontext noch der siebziger und achtziger Jahre schlechterdings prägend; ja, nicht einmal den Protagonisten des Streits war es in jedem Fall darum zu tun, der von ihnen favorisierten Theorie einen alleinigen Erklärungsanspruch zu erobern; so ließ Wolff neben der ‚eigentlichen Generation‘ auch eine ‚Entstehung‘ von Lebewesen aus anderem als organischem Material zu;44 selbst Blumenbach betonte immer wieder, daß die Epigenesislehre nicht jegliche Entstehung neuen Lebens aufkläre und gestand deshalb der Generatio aequivoca einen gewissen (wenn auch begrenzten) Erklärungswert zu.45 Nicht einmal hier, am vermeintlichen Umschlagpunkt des ‚Paradigmenwechsels‘, findet sich also jener Ausschließlichkeitsanspruch eines einzelnen Modells der biologischen Generation, den das Abfolgeschema von Schulen und Lehrmeinungen suggeriert, mit dem insbesondere die
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Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 167f.; vgl. dazu Müller-Sievers: Epigenesis, S. 49–52. Vgl. Müller-Sievers: Epigenesis, S. 67f. Vgl. ebd., S. 120. Wolff weist ausdrücklich darauf hin, daß es „noch heutiges Tages dergleichen Entstehungen in der Natur“ gebe, beschränkt sich in seinen Ausführungen allerdings im wesentlichen auf „diejenige natürliche Verrichtung, welche eigentlich Generation muß genennet werden“ (Caspar Friedrich Wolff: Theorie von der Generation in zwei Abhandlungen erklärt und bewiesen. Berlin 1764 [ND Hildesheim 1966 zusammen mit Ders.: Theoria Generationis], S. 225f.) Vgl. Johann Friedrich Blumenbach: Handbuch der Naturgeschichte. [Bd. 1]. Göttingen 1779, § 13, S. 20f.; Ders.: Über den Bildungstrieb (Nisus formativus), S. 254f.; Ders.: Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte, §§ 10–12, S. 21–23. – Zur möglichen Differenzierung zwischen Generatio aequivoca und Generatio spontanea vgl. Peter McLaughlin: Spontaneous versus Equivocal Generation in Early Modern Science [1994]. In: Annals of the History and Philosophy of Biology 10 (2005), S. 79–88.
ältere Medizin- und Biologiegeschichtsschreibung arbeitet.46 Wie lange der besagte Theorienpluralismus die Diskussion prägte, läßt sich unter anderem daran ablesen, daß sich Samuel Thomas Soemmerring noch 1791 die Festlegung auf eine bestimmte Generationslehre mit der Begründung versagte: „Eine jede der Erzeugungstheorien enthält, nach meiner Meynung, Wahrheiten, die sich mit den Wahrheiten der andern sehr gut und leicht combiniren lassen; allein ausschließlich wahr und befriedigend scheint mir keine einzige.“47 Es ist also abwegig, wenn die Literaturwissenschaft die Entwicklungen in der Lehre von der biologischen Generation im 18. Jahrhundert zu einem Paradigmenwechsel von der Präformation zur Epigenesis verkürzt.48 Gleichwohl findet sich dieser Schematismus noch dadurch gesteigert, daß David E. Wellbery die Präformation nachgerade zu einem bis in die Aufklärung hinein verbindlichen Strukturelement des abendländischen Denkens erhebt. Er benennt nämlich („etwas vereinfachend gewiß“!) ein „alteuropäische[s] Standardmodell biologisch-kultureller Vaterschaft“, dessen „platonisch-christliche Topologie“ die Zeugung als „Reproduktion eines präformierten väterlich-göttlichen Prinzips“ bestimme.49 Diesem 46
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Das gilt insbesondere für die in der Literaturwissenschaft sich ungebrochener Beliebtheit erfreuenden deutschsprachigen Überblicksdarstellungen von Ilse Jahn und Karl E. Rothschuh, vor allem Jahn: Grundzüge der Biologiegeschichte; Dies.: Biologische Fragestellungen in der Epoche der Aufklärung; Karl E. Rothschuh: Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert. Freiburg i.Br. u. München 1968; Ders.: Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 1978. Samuel Thomas Soemmerring: Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Cassel befanden. In: Ders.: Werke. Bd. 11: Schriften zur Embryologie und Teratologie. Hg. v. Ulrike Enke. Basel 2000 [ND der Ausg. Mainz 1791], S. 113–163. Der von Kant vorzeitig ausgerufene Sieg der Epigenesis sollte also nicht zu wissenschaftsgeschichtlichen Fehleinschätzungen hinsichtlich der Situation in der Zeugungslehre während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verleiten. Vielmehr ist nach Rádls Worten zu berücksichtigen, daß es „noch gegen das Ende des 18. Jahrhunderts [...] zahlreiche Biologen [gab], die – wohl mit einiger Zurückhaltung – die Evolution als die einzig mögliche Art der embryonalen Entwicklung betrachteten. Noch Cuvier und Geoffroy wußten von nichts, was dem Evolutionismus gegenübergestellt werden konnte.“ (Emanuel Rádl: Geschichte der biologischen Theorien in der Neuzeit. Erster Teil. Hildesheim u. New York 1970 [ND der 2., gänzlich umgearb. Aufl. Leipzig u. Berlin 1913], S. 240). Vgl. etwa Sigrid Weigel: Inkorporation der Genealogie durch die Genetik. Vererbung und Erbschaft an Schnittstellen zwischen Bio- und Kulturwissenschaften. In: Dies. (Hg.): Genealogie und Genetik. Schnittstellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte. Berlin 2002 (= Einstein-Bücher), S. 71–97, hier S. 80; Dies.: Vom Phantasma des Fort- und Nachlebens im Erbe [2004]. In: Dies.: Genea-Logik, S. 59–69, hier S. 65. Wellbery: Kunst – Zeugung – Geburt, S. 21f. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sollen demnach Kunsttheorie und „die durch die Epigenesistheorie revolutionierte Embryologie“ zur Befestigung der „für die bürgerliche Kernfamilie typische[n] Geschlechterpolarität“ beigetragen haben. (Ebd., S. 17f.) Dieser Befund läßt sich aber gerade nicht – wie Wellbery es unternimmt – ins 18. Jahrhundert zurückprojizieren, berührte doch die Auseinandersetzung zwischen Präformationisten und Epigenetikern nach dem Urteil von Thomas Laqueur (auf den sich Wellbery ja ausdrücklich beruft!) gerade nicht die Frage des ‚sozialen Geschlechts‘ (gender); vgl. Thomas Laqueur: Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud. Cambridge, Mass. u. London 1990, S. 174 (wo allerdings der mit Albrecht von Haller streitende Caspar Friedrich Wolff zu einem gewissen „Christian Woolf“ entstellt wird).
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„zentrale[n] diskursgeschichtliche[n] Befund“ widerspricht jedoch nicht allein der wissenschaftsgeschichtliche Tatbestand, daß die Idee der Präformation nicht weiter als bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht,50 sondern auch die von Wellbery selbst als Beleg angeführte Metaphorik, wenn er etwa plausibel zu machen versucht, die Rede vom Ausstreuen des ‚Samens der Vernunft‘ sei „[d]er Logik der Metapher nach [...] als geistige, und das heißt: wahrhaftige, Insemination“ zu verstehen.51 Tatsächlich indiziert die Metapher des ausgestreuten Samens jedoch die Vorstellung einer ungeschlechtlichen Fortpflanzung, denn die Vermehrung von Pflanzen mittels Samen wurde ungeachtet Camerarius’ Entdeckung der Pflanzensexualität 1694 noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein als ungeschlechtlicher Generationsprozeß verstanden.52 Der ‚diskursgeschichtliche Befund‘ dürfte sich zudem anders darstellen, wenn man die historischen Zeugungslehren in ihrem medizinischen und theologischen Kontext betrachtet, der schon von den Zeitgenossen als ein durchaus kompliziertes Geflecht von physiologischen und metaphysischen Problemen wahrgenommen wurde. Insbesondere die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele, die in aller Regel nicht in einem Atemzug mit der Frage nach der Erzeugung des Körpers beantwortet wurde, liefert einen anderen Befund als die von Wellbery behauptete Präponderanz des männlich-zeugenden Prinzips. So findet beispielsweise in einer unter dem halleschen Mediziner Michael Alberti verteidigten Dissertation der Umstand Erwähnung, daß die Seele des Kindes zwar nach Meinung der meisten Mediziner und Philosophen vom Vater stamme, nach Meinung der Theologen aber von der Mutter.53 Die offenkundige Unvereinbarkeit einer solch widersprüchlichen Zuweisung der Geschlechterrollen bei der Zeugung mit Wellberys ‚alteuropäischem Standardmodell‘ zeigt, daß diesem Konstrukt eine nicht bloß ‚vereinfachende‘, sondern vielmehr entstellende Heraustrennung der biologischen Thematik aus ihrem kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext zugrunde liegt. Für die vorliegende Arbeit soll dagegen jener enge Zusammenhang von Philosophie, Theologie und Medizin in Fragen der biologischen Generation erkenntnisleitend sein, der im Ensemble der halleschen Zeugungslehren 50
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Wo man sich auf die Autorität antiker Autoren für die Präformation beruft, handelt es sich zumeist um Rückprojektionen des präformationistischen Denkens der Neuzeit; tatsächlich kannte die Antike die Vorstellung vollständig präformierter Embryonen nicht, sondern diskutierte im Rahmen sogenannter Samenlehren allein das Vorhandensein von Einzelteilen des elterlichen Organismus im (väterlichen und ggf. mütterlichen!) Samen, die sich bei der Zeugung zum Embryo zusammenschlössen; vgl. dazu Erna Lesky: Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihr Nachwirken. Wiesbaden 1951 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz: Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1950, Nr. 19), S. 1225–1425. Wellbery: Kunst – Zeugung – Geburt, S. 21f. Zur antiken Analogie von Zeugung und Getreideaussaat vgl. aber Winfried Schröder: Art. Zeugung. In: HWPh, Bd. 12, Sp. 1330–1335, Sp. 1331. Vgl. Michael Alberti (Praes.): De termino animationis foetu humani. Wenn das Kind im Mutter-Leibe die Seele empfängt. Med. Diss. (Resp. Ludwig Hansen) Halle 1726, S. 51 (Urheber dieser Dissertation ist der Respondent).
zum Tragen kommt und der auch noch der im Entstehen begriffenen philosophischen Ästhetik sein Siegel aufdrückt. Für eine Würdigung des Zusammenhangs von Ästhetik und Generationslehre kommt es also darauf an, sich nicht durch Vorannahmen von einem Paradigmenwechsel den Blick auf das ganze Spektrum von Zeugungs- und Entwicklungslehren im 18. Jahrhundert benehmen zu lassen, das ästhetischen Konzeptionen sowohl im Begrifflichen wie im Unbegrifflichen entsprechend reiche Anknüpfungsmöglichkeiten bot. Neben den unterschiedlichen Vorstellungen von der körperlichen Seite des Zeugungsgeschehens zählen dazu, wie gesehen, auch die verschiedenen Theorien zur Entstehung der menschlichen Seele, die jedoch von der medizin- und biologiegeschichtlichen Forschung zu den Generationslehren des 17. und 18. Jahrhunderts hartnäckig ignoriert werden, was sich – zurückhaltend formuliert – als wenig gegenstandsangemessene Rückprojektion eines Paradigmas metaphysik- und theologiefreier Naturwissenschaft ausnimmt, das selbst erst mit der modernen Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems aufkam. Die Einengung generationstheoretischer Fragestellungen auf die bloße Physiologie von Zeugung und Embryonalentwicklung ist also ahistorisch und dementsprechend ungeeignet, der engen Verflechtung der Disziplinen im 18. Jahrhundert zu begegnen. Fragt man daher nach der Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘, dann ist zu beachten, daß die Entstehung des Körpers (Embryogenese) nicht notwendigerweise zusammen mit der Entstehung der Seele (Psychogenese) verhandelt wurde. Anhand des hier gewählten Ausschnitts von Generationslehren wird das insofern leicht einsichtig, als an der Universität Halle Embryogenese und Psychogenese in den verschiedenen Wissenschaften durchaus konträr diskutiert wurden; so nahmen beispielsweise pietistische Theologen eine Entstehung der Seele bei der Zeugung an, wohingegen die sogenannte Leibniz-Wolffsche Philosophie von einer Präexistenz aller Seelen seit Erschaffung der Welt ausging. Demnach verdient in Hinblick auf die Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ neben den verschiedenen Modellen der Zeugungsphysiologie auch die Zeugungsmetaphysik einige Aufmerksamkeit. Die in philosophischen, vor allem aber in theologischen Seelenlehren gründenden Vorstellungen von der Fortzeugung eines immateriellen, seelischen Prinzips, die sich ja ebenfalls mit der Genese des Kunstwerks oder des Künstlers analogisieren ließen, verbanden sich längst nicht überall mit Lehren von der Entstehung des Körpers zu integralen Modellen einer leib-seelischen Prokreation. Nicht zuletzt deshalb scheinen sie bislang der Aufmerksamkeit der einschlägigen Forschung entgangen zu sein, was aber zumindest im Hinblick auf die neuere anthropologiegeschichtliche Forschungsrichtung insofern erstaunlich ist, als im 18. Jahrhundert nach den Worten Friedrich Vollhardts „die theologische Disziplin der Anthropologie noch ganz selbstverständlich zu der den Menschen beschreibenden Wissens-
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ordnung“ gehörte.54 Im Zusammenhang mit dem Problemkomplex der biologischen Generation wäre hier auf die verschiedenen Lehren vom Ursprung der menschlichen Seele zu verweisen, auf die Vollhardt allerdings nicht eingeht, obgleich „die Frage nach der origo animae“ nach den Worten des Theologiehistorikers Gerhard Ebeling „ein zentrales Thema theologischer Anthropologie“ bildete, verquickten sich darin doch „verschiedene philosophische Auffassungen wie die von der Materialität oder Immaterialität der Seele mit Gesichtspunkten biblischer Überlieferung wie insbesondere der Lehre von der imago Dei, von der Unsterblichkeit der Seele und von der Erbsünde.“55 Zusammen mit den Theorien von der körperlichen Seite des Zeugungsgeschehens ergeben die Seelenursprungslehren eine Konstellation, auf die sich Vollhardts Feststellung zur theologischen Anthropologie ohne weiteres übertragen läßt, daß sie nämlich „jene Bilder und Vorstellungskomplexe bereit[stellt], die am Ende des 18. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung umbesetzt werden konnten“.56 Nicht zufällig tritt hier die Blumenbergsche Formel von der ‚Umbesetzung‘ an die Stelle des Kuhnschen ‚Paradigmenwechsels‘, an dem Blumenberg denn auch „die Vernachlässigung der Kontinuität als Voraussetzung jeder möglichen Diskontinuität“ kritisiert.57 Schließlich stößt nicht jede ‚Wende‘ der Wissenschaftsgeschichte, die sich metaphorologisch an ihrer Rhetorik aufzeigen läßt, gleich die ‚Wissensordnung‘ als solche um. Auch bei der allmählichen Durchsetzung der Epigenesis gegen konkurrierende Generationslehren kann man in diesem Sinne von einer ‚Umbesetzung‘ innerhalb „eines intakt bleibenden und funktional vorausgesetzten Stellenrahmens“ sprechen.58 Die Ästhetik ist zwar auf diesen Umbesetzungsprozeß bezogen, aber nicht in der Weise, daß sie ihm auf dem Fuße folgt, wie die literaturwissenschaftliche Indienstnahme des angeblichen biologiege-
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Friedrich Vollhardt: Christliche und profane Anthropologie im 18. Jahrhundert: Beschreibung einer Problemkonstellation im Ausgang von Siegmund Jacob Baumgarten. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 68–90, hier S. 75. Gerhard Ebeling: Lutherstudien II: Disputatio de homine. 3 Teile. Tübingen 1977–89, Teil 2: Die philosophische Definition des Menschen, S. 29. Vollhardt: Christliche und profane Anthropologie im 18. Jahrhundert, S. 75. Hans Blumenberg: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt a.M. 1975, S. 596. Diese Kritik läßt sich natürlich ebenfalls gegen die ‚Wissensarchäologie‘ Foucaults vorbringen; vgl. Josef Früchtl: Die Idee des schöpferischen Menschen. Eine Nachgeschichte zu ihrer Vorgeschichte. In: Franz Josef Wetz u. Hermann Timm (Hg.): Die Kunst des Überlebens. Nachdenken über Hans Blumenberg. Frankfurt a.M. 1999, S. 226–243, hier S. 228f. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Kritik an der von Foucault hypostasierten Diskontinuität von klassischer und moderner Episteme vgl. die Rezension zu Les mots et les choses von John C. Greene. In: Social Science Information 6,4 (1967), S. 131–138, bes. S. 135–137; vgl. auch Jacques Roger: The Living World. In: George S. Rousseau u. Roy Porter (Hg.): The Ferment of Knowledge. Studies in the Historiography of Eighteenth-Century Science. Cambridge u.a. 1980, S. 255–283. Blumenberg: Die Genesis der kopernikanischen Welt, S. 596. Zum Konzept der ‚Umbesetzungen‘ vgl. auch Monika Betzler: Formen der Wirklichkeitsbewältigung. Hans Blumenbergs Phänomenologie der ‚Umbesetzungen‘: Ein Porträt. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 49 (1995), S. 456–471.
schichtlichen Paradigmenwechsels als Begründung für den Übergang von der rationalistischen Regelpoetik zur Genieästhetik nahelegt. Sichtbar machen läßt sich die Umbesetzung nur durch die Rekonstruktion eben jenes Stellenrahmens, innerhalb dessen sie erfolgte. Das soll in der vorliegenden Arbeit durch die Kontextualisierung der in Halle entstehenden Ästhetik mit den dort gelehrten Generationstheorien in Medizin, Philosophie und Theologie geschehen.
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1 Theologische Erbmasse
Die Lehre von der Erzeugung des Menschen ist bis weit ins 18. Jahrhundert hinein von einer eigentümlichen Doppelung ihres theoretischen Zugangs geprägt: Auf der einen Seite verhandeln Medizin sowie eine philosophisch inspirierte Naturforschung als Vorläuferdisziplinen der heutigen Biologie die körperlichen Aspekte des Zeugungsgeschehens und der Embryonalentwicklung, auf der anderen Seite fällt die metaphysische Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele in die Zuständigkeit von Philosophie und Theologie. Was auf den ersten Blick wie eine simple Arbeitsteilung zwischen Physiologen und Metaphysikern anmutet, stellt sich bei näherer Betrachtung als wissenschaftssystematische Weichenstellung von erheblicher Tragweite dar, die der Lehre von der biologischen Generation, wie wir sie kennen, einen kaum überbrückbaren Hiat einschreibt. Zusätzlich erschwert die cartesische Substanzentrennung zwischen Körper und Geist sowohl die Erklärung des commercium mentis et corporis als auch die wissenschaftliche Konzeptualisierung der Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘. Aufschlüsseln läßt sich das Miteinander von Physiologie und Metaphysik, das die in Halle gelehrten Generationstheorien kennzeichnet, durch einen knappen systematisierenden Überblick über die maßgeblichen philosophischen und theologischen Lehren vom Ursprung der menschlichen Seele und die ihnen korrespondierenden Modelle vom Körper-SeeleZusammenhang.
1.1 Seelenursprung und Commercium als Implikate der Generationstheorie Der Artikel Seelen Ursprung in Johann Georg Walchs Philosophischem Lexicon von 1726,1 der später unverändert Eingang in den Zedler-Artikel Seele fand,2 faßt 1
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Vgl. Johann Georg Walch: Philosophisches Lexicon. Leipzig 1726 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)], Sp. 2330–2343; der Artikel blieb in den Nachauflagen des Lexikons erhalten. Vgl. auch die umfangreiche Anmerkung, die der hallesche Theologe Siegmund Jacob Baumgarten dem Ursprung der menschlichen Seele im Ersten Theil seiner Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie widmet (Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie die in Engeland durch eine Geselschaft von Gelehrten ausgefertiget worden. Genau durchgesehen und mit häufigen Anmerkungen vermeret von Siegmund Jacob Baumgarten. Erster Theil. Halle 1744, S. 104f., Anm. 91). Baumgarten und Walch sind sich darin einig, daß die Entstehung der menschlichen Seele unter die ‚philosophischen Geheimnisse‘ bzw. die ‚Geheimnisse der Natur‘ zu rechnen sei, „davon die Art und innere Möglichkeit nicht begriffen werden kan.“ (Siegmund Jacob
in hervorragender Weise das Wissen um den Ursprung der menschlichen Seele zu Beginn des 18. Jahrhunderts zusammen. Er gruppiert die unübersichtliche Vielzahl historisch überlieferter Seelenursprungslehren zu drei konkurrierenden Modellen:3 Der Präexistentianismus (1) lehrt die Erschaffung aller menschlichen Seelen zu Beginn der Welt, doch sollen sie erst im Laufe der Embryonalentwicklung mit ihren Körpern vereinigt werden; diese bereits in altkirchlicher Zeit als häretisch verworfene Lehre fand besonders unter Philosophen und in kabbalistisch-pansophischen Kreisen immer wieder Anhänger.4 Die katholische und die reformierte Dogmatik lehrten hingegen den Kreatianismus (2), also die fortgesetzte Erschaffung neuer Seelen durch Gott und deren Eingießung (infusio) in den Embryo zu einem gewissen Zeitpunkt nach der körperlichen Empfängnis.5 Die lutherische Dogmatik schließlich war zunächst unentschieden geblieben zwischen dem Kreatianismus einerseits und dem Traduzianismus (3) andererseits, dem zufolge die Seele sich in der Immanenz fortpflanzt und ohne unmittelbares göttliches Zutun von den Eltern auf den Nachwuchs übergeht; in der lutherischen Orthodoxie setzte sich dann aber der Traduzianismus weitgehend durch,6 und der lutherische Pietismus
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Baumgarten: Evangelische Glaubenslehre. 3 Bde. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1759– 60, Bd. 2, S. 574) Vgl. Johann Georg Walch: Einleitung in die Philosophie, worinnen alle Theile derselbigen nach ihrem richtigen Zusammenhang erkläret, und der Ursprung nebst dem Fortgang einer ieden Disciplin zugleich erzehlet worden, sonderlich zum Gebrauch des Philosophischen Lexici. Hildesheim, Zürich u. New York 2007 [ND der Ausg. Leipzig 1727], (= Thomasiani, 1), S. 738–740. Vgl. Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste [verlegt von Johann Heinrich Zedler]. 64 Bde., 4 Suppl.-Bde. Graz 1961–64 [ND der Ausg. Halle u. Leipzig 1732–54], Bd. 36, Sp. 1051–1143, hier Sp. 1087–1098. Die ganze Bandbreite der historisch wesentlich differenzierter geführten Diskussion um den Seelenursprung ist eindrucksvoll in der 1669 in Leipzig unter Jacob Thomasius verteidigten Disputatio physica de origine animae humanae (Resp. Johann Vake) dokumentiert. Noch im 18. Jahrhundert erschienen in Halle (1725 und 1745) zwei Nachdrucke dieser außerordentlich detaillierten Darstellung (beide unter dem Titel: Jacob Thomasius: Tractatio physica de origine animae humanae). – Leibniz, der von seinem Lehrer Jacob Thomasius ein Exemplar dieser Schrift erhalten hatte (vgl. Thomasius’ Brief vom 6./16. Mai 1669 in Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe [Akademie-Ausgabe]. Reihe 2: Philosophischer Briefwechsel. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin 2006, S. 39f., hier S. 40), reduzierte in § 86 seiner Théodicée (1710), wie später auch Walch, die Vielzahl der Seelenursprungslehren zu drei Hauptmodellen; vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften. 7 Bde. Hg. v. Carl Immanuel Gerhardt. Hildesheim u. New York 1978 [ND der Ausg. Berlin 1875–90], Bd. 6, S. 149. Vgl. Robert Crocker: Henry More and the Preexistence of the Soul. In: Ders. (Hg.): Religion, Reason and Nature in Early Modern Europe. Dordrecht u.a. 2001, S. 77–96; Winfried Schröder: Art. Präexistenz. In: HWPh, Bd. 7, Sp. 1228–1233, hier Sp. 1230–1233. Vgl. Helmut Riedlinger: Art. Kreatianismus. In: HWPh, Bd. 4, Sp. 1193f. Vgl. Carl Heinz Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung. 2 Bde. Gütersloh 1964/66, Bd. 2, S. 197–207, bes. S. 202f.; Otto Weber: Grundlagen der Dogmatik. 2 Bde. Neukirchen 1955/62, Bd. 1, S. 525f.; Paul Althaus: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik [erstmals 1947/48]. 8. Aufl. Gütersloh 1972, S. 334. – Bekannte Abweichungen von der traduzianistischen Mehrheitsmeinung finden sich im 17. Jahrhundert an den theologischen Fakultäten der Universitäten Jena und Helmstedt; sie sind sowohl bei Walch (Philosophisches Lexicon, 1726, Sp. 2334f.) als auch im bereits erwähnten § 86 von Leibniz’ Théodicée als Ausnahmen angeführt.
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Spenerscher Observanz war allem Anschein nach sogar besonders streng traduzianistisch ausgerichtet.7 Kreatianer und Präexistentianer stimmen darin überein, daß sie den Ursprung der Seele vom Ursprung des Körpers trennen. Sie betrachten die Beseelung des Embryos als einen übernatürlichen Vorgang, der in einem gewissen zeitlichen Abstand zur natürlichen Erzeugung des Körpers erfolgt. Gemeinsam ist ihnen dabei die Ungewißheit über den genauen Zeitpunkt der Beseelung; verbreitet war die Meinung, der Körper müsse zunächst einmal menschliche Züge aufweisen, um überhaupt eine menschliche Seele aufnehmen zu können, was nicht vor dem vierzigsten Tag der Schwangerschaft der Fall sei.8 Während aber Entstehung und Wachstum des Körpers Resultat (im einzelnen umstrittener) physiologischer Prozesse sein sollen, verlegen Präexistentianer und Kreatianer den Ursprung der menschlichen Seele in ein unmittelbares Schöpfungshandeln Gottes. Die entscheidende Differenz besteht in der Vorstellung von der Abgeschlossenheit bzw. Unabgeschlossenheit der Schöpfung, denn nach Ansicht der Präexistentianer stellt die Erschaffung sämtlicher Seelen, die dereinst einen menschlichen Körper beleben werden, einen Bestandteil des Schöpfungswerks der sechs Tage dar, wohingegen die Kreatianer Gott unentwegt mit der Hervorbringung neuer Seelen befaßt sehen. Im Unterschied zu den ersten beiden Seelenursprungslehren stellt der Traduzianismus eine Verbindung zwischen Zeugungsmetaphysik und Zeugungsphysiologie her, insofern er den Ursprung sowohl des Körpers als auch der Seele in das natürliche Zeugungsgeschehen verlegt. Ein unmittelbares Eingreifen Gottes (wie die Beseelung) ist dabei weder im Moment der Zeugung bzw. Empfängnis noch im Verlauf der Embryonalentwicklung gegeben; allerdings verdankt sich der theologischen Auslegung zufolge das natürliche Geschehen mittelbar der Wirkung des göttlichen Segensspruchs (Gen. 1,28). Die Frage nach einem terminus animationis foetus erübrigt sich innerhalb des traduzianistischen Modells des Seelenursprungs dadurch, daß Entstehung von Körper und Seele im Akt der Zeugung zusammenfallen: Der Embryo muß vom Zeitpunkt der Empfängnis an als beseelt betrachtet
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Dieser Zusammenhang ist selbst in der Pietismusforschung meines Wissens bislang unbeachtet geblieben. Im Anschluß an Aristoteles findet sich häufig eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Beseelungstermine, meist vierzig Tage beim männlichen, achtzig Tage beim weiblichen Embryo. Aristoteles war indessen von einer Sukzessivbeseelung (anima vegetativa, anima sensitiva, anima rationalis) ausgegangen, wohingegen in christlichen Beseelungslehren oft nur nach dem Ursprung der dem Menschen allein eignenden anima rationalis gefragt wird. Zu den verschiedenen in der Antike diskutierten Beseelungsterminen vgl. Jan Hendrik Waszink: Art. Beseelung. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Hg. v. Theodor Klauser. Bd. 2. Stuttgart 1954, Sp. 176–183; Volker Henning Drecoll: Der Umgang mit dem ungeborenen Leben in der Alten Kirche. In: Eilert Herms (Hg.): Leben: Verständnis. Wissenschaft. Technik. Kongreßband des XI. Europäischen Kongresses für Theologie, 15.–19. September 2002 in Zürich. Gütersloh 2005 (= Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, 24), S. 315–341, hier S. 332–339.
werden, er wird als psychophysische Einheit von den Eltern erzeugt.9 Das bleibt selbstverständlich nicht ohne Auswirkung auf die juristische Bewertung der Abtreibung: Hatte die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) von 1532 bei der Strafzumessung ausdrücklich zwischen einer noch unbeseelten und einer bereits beseelten abgetriebenen Frucht unterschieden, so gingen Zweifel an der Legitimität dieser Unterscheidung bezeichnenderweise von lutherischen Strafrechtlern aus. Rechtshistorische Studien nennen in diesem Zusammenhang Johann(es) Brunnemann (1608–1672) und Johann Heinrich Berger (1657–1732).10 Der hallesche Pietismus rezipierte insbesondere den auch theologisch gebildeten Brunnemann, dessen Meditationes sacrae ad ductum Evangeliorum domicalium (Halle 1700) kein Geringerer als August Hermann Francke postum herausgab.11 Die Fortpflanzung der Seele von den Eltern auf den Nachwuchs kann auf verschiedene Weise erklärt werden, etwa dergestalt, daß sie einen materiellen Bestandteil des elterlichen Samens ausmacht, wie Tertullian es in Weiterführung der stoischen Zeugungslehre postuliert hatte,12 oder aber dadurch, daß sie (kraft gött9 10
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Eine Differenzierung zwischen Simultanbeseelung und Traduzianismus ist für die Untersuchung von Beseelungskonzepten des 18. Jahrhunderts entbehrlich. Vgl. Otto Kröner: Die vorsätzlichen Tötungsdelikte in ihrer Entwicklung von der Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Diss. jur. Göttingen 1958, S. 24; zur Konfessionszugehörigkeit Brunnemanns und Bergers vgl. die entsprechenden Artikel im Deutschen Biographischen Archiv [DBA I]. Mikrofiche-Ausgabe. München u.a. 1985. Günter Jerouschek, der eindrücklich die enge Verflechtung der juristischen Positionen in dieser Frage mit den herrschenden theologischen Beseelungslehren herausarbeitet, macht einigermaßen überraschend die „dem Traduzianismus zuneigende Medizin“ für den in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu verzeichnenden Wandel in der strafrechtlichen Bewertung der Abtreibung verantwortlich (Günter Jerouschek: Lebensschutz und Lebensbeginn. Die Geschichte des Abtreibungsverbots [erstmals 1988]. Tübingen 2002 [= Rothenburger Gespräche zur Strafrechtsgeschichte, 3], S. 140f.). Tatsächlich wird man für ‚die Medizin‘ kein einheitliches Bild zeichnen können; allerdings hat die Medizingeschichtsschreibung, soweit ich sehe, die Bedeutung des konfessionellen Hintergrundes bisher noch gar nicht erkannt. – Völlig verfehlt ist die Darstellung von Dieter Kluge, wonach ausgerechnet die Stahlsche Medizin für den Wandel des juristischen Denkens in dieser Frage verantwortlich gewesen sein soll; vgl. Dieter Kluge: ‚eyn noch nit lebendig kindt‘. Rechtshistorische Untersuchungen zum Abbruch der Schwangerschaft in den ersten 3 Monaten der Entwicklung der Frucht auf der Grundlage der Carolina von 1532. Frankfurt a.M. u.a. 1986 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 2: Rechtswissenschaft, 578), S. 70–78. Hier wird das Symptom zur Ursache gestempelt! Stahl steht in dieser Frage vielmehr ganz in der Tradition lutherischer Theologie, die sich sowohl im medizinischen als auch im juristischen Denken niedergeschlagen hat. Vgl. Walter Delius: Der Jurist Johannes Brunnemann (1608–1672) und der Pietismus. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 8 (1957), S. 19–22. Im Zusammenhang mit der Abtreibung verweist der Stahlianer Alberti in einer gerichtsmedizinischen Schrift auf die juristischen Arbeiten Brunnemanns und dessen zuletzt in Halle lehrenden Schwiegersohns Samuel Stryk, zugleich aber auch auf die pietistische Theologie, nämlich auf Speners Evangelische Lebens-Pflichten; vgl. Michael Alberti: Commentatio in constitutionem criminalem Carolinam medica. Halle 1739, S. 287f. Vgl. Wolfgang Kersting: ‚Noli Foras Ire, In Te Ipsum Redi‘. Augustinus über die Seele. In: Gerd Jüttemann, Michael Sonntag u. Christoph Wulf: Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Unveränderter Nachdruck [erstmals 1991]. Göttingen 2005, S. 59–74, hier S. 65; Hans Blumenberg: Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie. Frankfurt a.M. 1987,
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lichen Segens) bei der Zeugung von den Eltern auf den Nachwuchs übergeht.13 Diese spiritualistische Variante setzte sich im Luthertum weitgehend durch; dennoch blieb dem Traduzianismus der pauschale Vorwurf nicht erspart, er lehre die Materialität der menschlichen Seele, zumal seit Etablierung der cartesischen Substanzentrennung res cogitans und res extensa bereits von ihrem Ursprung her als geschieden begriffen wurden – hatte Descartes doch ausdrücklich erklärt, die Seele stamme nicht in derselben Weise von den Eltern ab wie der Körper.14 Die Reformatoren und die lutherische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts hatten dagegen ein Leib und Seele integrierendes Konzept vertreten, das sich als solches auch auf die Entstehung des Menschen erstreckte.15 Dieses integrale Modell eines ‚totus homo‘ gründete erklärtermaßen in der biblischen Anthropologie, die ‚Geist‘ und ‚Fleisch‘ einander dichotomisch entgegensetzt, ohne deshalb in einen Dualismus von Körper und Seele zu verfallen. Im Gegenteil kann sie ohne weiteres die menschliche Seele (im Unterschied zum göttlichen ‚Geist‘) mit zum ‚Fleisch‘
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S. 52; Heinrich Karpp: Probleme altchristlicher Anthropologie. Biblische Anthropologie und philosophische Psychologie bei den Kirchenvätern des dritten Jahrhunderts. Gütersloh 1950, S. 41–45, 71–75. Vgl. Fernando Vidal: Les sciences de l’âme, XVIe–XVIIIe siècle. Paris 2006 (= Les dixhuitièmes siècles, 95), S. 62. – Eine speziell für den Traduzianismus des halleschen Pietismus wichtige Quelle scheinen die dem Makarios zugeschriebenen Geistlichen Homilien gewesen zu sein: Im Lehrprogramm des Pädagogiums der Franckeschen Anstalten gehörten sie zu den anstelle der Werke heidnischer Autoren bevorzugten christlichen Schriften; vgl. Gustav Kramer: August Hermann Francke. Ein Lebensbild. 2 Bde. Hildesheim, Zürich u. New York 2004 [ND der Ausg. Halle 1880/82] (= Bewahrte Kultur), Bd 1, S. 241. Makarios gilt auch als der „grosse Heilige des Pietismus.“ (Gilles Quispel: Makarius, das Thomasevangelium und das Lied von der Perle. Leiden 1967 [= Supplements to Novum Testamentum, 15], S. 1) Er predigte in seiner dreißigsten Homilie unverkennbar traduzianistisch: „Die irrdischen Väter zeugen einen Sohn aus ihrer eigenen Natur, aus ihrem Leib und Seel“ (so die Übersetzung des radikalen Pietisten Gottfried Arnold in: Ein Denckmahl des alten Christenthums, bestehend in des Heil. Macarii und anderer hocherleuchteten Männer aus der Alten Kirche höchsterbaulichen und außerlesenen Schrifften. Goslar 1699, Bd. 1, S. 383). Vgl. René Descartes: Meditationes de prima philosophia [1641]. In: Ders.: Œuvres. 13 Bde. Hg. v. Charles Adam u. Paul Tannery. Paris 1897–1913, Bd. 7, S. 50: „Quantum denique ad parentes attinet, [...] non tamen profecto illi me conservant, nec etiam ullo modo me, quatenus sum res cogitans, effecerunt [...].“ Vgl. auch das Bekenntnis zum Kreatianismus, das Descartes bereits für den Discours de la Méthode (1637) vorgesehen, dort aber nicht ausgeführt hatte: „I’auois descrit [...] l’ame raisonnable, & fait voir qu’elle ne peut aucunement estre tirée de la puissance de la matiere, [...] mais qu’elle doit expressement estre creée [...].“ (Ebd., Bd. 6, S. 59 [Hervorh. S.B.]) Auch in Briefen betonte Descartes immer wieder, die Seele könne nur durch einen besonderen Schöpfungsakt Gottes hervorgebracht werden; vgl. etwa den Brief an einen unbekannten Adressaten vom März 1638 (ebd., Bd. 2, S. 34–47, hier S. 41f.) oder den Brief an Regius vom Januar 1642 (ebd., Bd. 3, S. 491–520, hier S. 505). „Nie war fraglich, daß man vom Leib traduzianisch zu lehren habe, das heißt: daß wie bei anderen Lebewesen die Entstehung der Animalität auch des Menschen im Zeugungszusammenhang geschehe, daß Gott hier also nur indirekt über die causae secundae als Schöpfer wirke. Dagegen war es eine erstaunliche Abweichung von der Lehrtradition, daß Luther auch von der menschlichen Seele die traduzianische Auffassung vertrat.“ (Gerhard Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens. 3 Teile. Teil 1: Prolegomena. Der Glaube an Gott, den Schöpfer der Welt. Tübingen 1979, S. 273f.)
rechnen.16 Der Traduzianismus muß als generationstheoretische Entsprechung dieser altprotestantischen totus-homo-Lehre verstanden werden, insofern der Embryo von der Empfängnis an als ‚beseelter Leib‘ aufgefaßt wird.17 Bemerkenswert ist immerhin, daß sich dieses prä-cartesianische Modell im lutherischen Bereich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein behaupten konnte, mehr noch, daß es offenbar als theologisch begründete Alternative zum philosophischen Postulat der Substanzentrennung aufgefaßt wurde.18 Damit übereinstimmend läßt sich ein Fortleben des überkommenen Influxionismus bei der Erklärung der Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele in anthropologischen Konzeptionen lutherischer Mediziner ausmachen. Indes war mit der Hypothese von der prästabilierten Harmonie zwischen Körper und Seele, wie Leibniz und Wolff sie propagierten, eine neue Lösung des Commercium-Problems auf den Plan getreten, die auch dem Verständnis der biologischen Generation eine originelle Wendung verlieh, stellt doch die zwischen den Substanzen waltende prästabilierte Harmonie einen eigenen Schöpfungstatbestand dar. Nimmt man also an, daß Gott alle Substanzen bereits zu Beginn der Welt geschaffen hat, so ergibt sich die Konsequenz, daß jedem dereinst belebten Körper seine Seele schon bei der Schöpfung zugeordnet wurde. Damit wird der ursprüngliche Präexistentianismus, der ja nur die Präexistenz der Seele kannte, zur Vorstel-
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Allgemein zum totus homo bei Luther vgl. Ebeling: Lutherstudien II, Teil 3: Die theologische Definition des Menschen, S. 96–98, 572; Erdmann Schott: Fleisch und Geist nach Luthers Lehre unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs ‚totus homo‘. Leipzig 1928. Speziell zum Zusammenhang der totus-homo-Lehre mit dem Traduzianismus bei Luther vgl. Ebeling: Lutherstudien II, Teil 2, S. 58. Genau aus diesem Grund hatte Spener die durch die unterschiedliche Strafzumessung in der Carolina vorgegebene juristische Unterscheidung zwischen einem noch unbelebten bzw. unbeseelten und einem bereits belebten bzw. beseelten abgetriebenen Foetus als theologisch verfehlt kritisiert: Weil nach seiner Überzeugung „in dem ersten augenblick der empfängnüß die seele vorhanden ist“, liege in beiden Fällen „ein grausamer todtschlag“ vor (Philipp Jacob Spener: Die Evangelische [!] Lebens-Pflichten. 2 Theile. Hildesheim, Zürich u. New York 1992 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1692] (= Ders.: Schriften, 3,2,1–2), Th. 1, S. 426). Mehr noch, Spener stellte sogar die juristische Abgrenzung der Abtreibung von der Kindstötung in Frage: „Aus solcher sünde [der hurerey, S.B.] kommen nachmalen so viel andere, sonderlich kindermord: dem auch gleich zu halten ist, wo leichtfertige dirnen die frucht abtreiben, und wol einige gedencken mögen, um solche zeit, da sie das leben, wie man sagt, nicht haben, seye es kein todtschlag. Aber es ist die seele in dem ersten augenblick der empfängnüß da, und also alles solches abtreiben vor GOtt ein grausamer todtschlag.“ (Ebd., Th. 2, S. 569) Hier läßt sich der Fortbestand einer Konstellation ausmachen, die Paul Mengal für das 17. Jahrhundert folgendermaßen beschrieben hat: „Il se met en place à cette époque [la fin du XVIe siècle et le début du XVIIe siècle, S.B.] une étroite relation qui ne fera que se renforcer tout au long du XVIIe siècle entre créationnisme et dualisme, d’une part, traducianisme et monisme, d’autre part.“ (Paul Mengal: La naissance de la psychologie. Paris, Budapest u. Turin 2005 [= Généalogies de la psychologie], S. 290) Der ‚Monismus‘ steht bei Mengal für die alte aristotelische Konzeption des Körper-Seele-Zusammenhangs, wohingegen ich das Pendant des Traduzianismus als altprotestantische totus-homo-Lehre anspreche, weil sich der konfessionelle Aspekt im vorliegenden Zusammenhang als der entscheidende erweist.
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lung von der gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele umbesetzt.19 In dieser im folgenden kurz als ‚psychophysische Präexistenzlehre‘ apostrophierten Theorie erwächst dem Traduzianismus ein Konkurrenzmodell, das ebenfalls von einer gemeinsamen Entstehung von Körper und Seele ausgeht, diese aber in das göttliche Schöpfungswerk der sechs Tage zurückverlegt.20 Das Modell der psychophysischen Präexistenz behebt das Dilemma der Beseelungsfrage unter den Bedingungen der cartesischen Substanzentrennung, indem es die Vereinigung von Körper und Seele von der Immanenz in die vorzeitliche Transzendenz des Hexaemerons verlegt und beide Substanzen gemeinsam präexistieren läßt.21 Bedeutsam ist, daß zur Plausibilisierung dieser Theorie von Anfang an auf mikroskopische Befunde verwiesen wurde, insbesondere auf die Existenz belebter ‚Tierchen‘ (animalcula) im männlichen Samen.22 Im Verein mit der Vorstellung von der unendlichen Teilbarkeit der Materie konnte so über die schlichte Präformation des Nachwuchses der nächsten Generation hinaus die Hypothese von der Präexistenz aller Generationen von Lebewesen seit Erschaffung der Welt aufgestellt werden. Die Abgeschlossenheit der Schöpfung im Bereich des Lebendigen war nicht zuletzt eine Voraussetzung dafür, die Welt als eine vollkommene Maschine vorzustellen, deren Betrieb von unwandelbaren Naturgesetzen geregelt wird, die als solche zwar keine Lebewesen entstehen lassen, wohl aber deren suk19
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In diesem Sinne ergänzt auch Justus Christian Hennings den Artikel Seelenursprung in der vierten Auflage von Walchs Philosophischem Lexicon (2 Theile. Leipzig 1775, Th. 2, Sp. 851– 868, hier Sp. 853f., 863–865). Gegen den von Walch favorisierten Traduzianismus bringt Hennings die Lehre von der psychophysischen Präexistenz (in ihrer ovistischen Variante) in Stellung, allerdings ohne sie terminologisch vom Präexistentianismus alter Prägung abzugrenzen. Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang auch die von Hennings neu ins Lexikon aufgenommenen Artikel Erzeugung, Fortpflanzung, Präformation und Saamenthierchen sowie die umfangreiche Darstellung des Komplexes von Seelenursprung und Zeugungslehre in seinem Buch Geschichte von den Seelen der Menschen und Thiere (Halle 1774, S. 484–512). Die Vorstellung von der gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele fand im Anschluß an Leibniz und Wolff zahlreiche Anhänger, nicht zuletzt auch unter Theologen; vgl. Christoph Karl Rüdiger Olearius: Die Umbildung der altprotestantischen Urstandslehre durch die Aufklärungstheologie. Diss. theol. (masch.) München [1969], S. 67, der hier allerdings fälschlich von einer präexistentianistischen Konzeption bei den von ihm untersuchten Aufklärungstheologen ausgeht und deshalb verwundert feststellt: „Wo die theologischen Lehrbücher diesen Punkt näher ausführen, zeigen sich erhebliche Abweichungen von der bekannten platonischen Vorstellung über eine Präexistenz der Seelen, so daß die zunächst naheliegende Vermutung eines unmittelbaren Zusammenhangs mit derselben sich nicht bestätigt.“ Als theologischer Vorläufer dieser Konzeption läßt sich vielmehr Augustinus mit seinen rationes seminales benennen; vgl. Peter Harrison: Scaling the Ladder of Being: Theology and Early Theories of Evolution. In: Robert Crocker (Hg.): Religion, Reason and Nature in Early Modern Europe. Dordrecht u.a. 2001 (= Archives internationales d’histoire des idées / International Archives of the History of Ideas, 180), S. 199–224, hier S. 208; Hendrik Cornelis Dirk de Wit: Histoire du développement de la biologie [Ontwikkelingsgeschiedenis van de Biologie, 1982–89]. 3 Bde. Übers. v. H.C.D. de Wit u. André Baudière. Lausanne 1992–94, Bd. 3, S. 372. Genauer besehen hatte Leibniz gleich zwei Varianten der psychophysischen Präexistenz von Körper und Seele anzubieten, nämlich eine ‚kreatianistische‘ und eine ‚traduzianistische‘; vgl. dazu unten S. 97f. Vgl. etwa § 91 der Théodicée (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 152).
zessive ‚Entwicklung‘ aus vorgeformten Keimen anstoßen können. Genau genommen eröffnete die Lehre von der psychophysischen Präexistenz als integrales Modell des Körper- und Seelenursprungs überhaupt erst die Möglichkeit, das präformationistische Denken in den Bereich des Luthertums einzuführen, nämlich durch die Lösung der Vorstellung von der Präformation des Körpers aus der Bindung an den Kreatianismus, wie sie bei den der römischen und der reformierten Konfession entstammenden Begründern der Präformationstheorie ursprünglich bestanden hatte. Die Interferenz des Präformationismus mit theologischen Seelenursprungslehren ist in der Forschung bisher nicht gesehen worden.23 Wenn in Darstellungen der Biologie- oder Medizingeschichte die tradierten Seelenursprungslehren und ihr Fortleben bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein überhaupt je Erwähnung finden,24 dann bleiben die konfessionellen Differenzen in dieser Frage durchweg ausgespart. Sie sind aber für die zeitgenössische Rezeption des präformationistischen Denkens ganz entscheidend, zumal in Deutschland, wo der im Luthertum vorherrschende Traduzianismus in der Generationslehre bis dato geradezu anti-präformationistisch gewirkt hatte – war es doch nur schwer vorstellbar, daß ein Embryo bereits vor der Zeugung vollständig vorgebildet, wenn auch in unsichtbarer Verkleinerung existieren sollte, während seine Seele erst durch den Zeugungsakt selbst entstand. Betrachtete man die Seele entsprechend der aristotelischen Tradition gar als forma corporis, dann war es nachgerade widersinnig, eine Präformation des organischen Körpers ohne sie anzunehmen. Im katholischen und reformierten Bereich konnten hingegen die verschiedenen präformationistischen Gestalten der Generationslehre ins Kraut schießen, weil dem Kreatianismus zufolge die Embryogenese ganz und gar unabhängig von der Psychogenese verlief. So mußte dort beispielsweise die präformationistische Zeugungsphysiologie in Medizin oder Naturphilosophie gar nicht mit dem Anspruch auftreten, die Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ zu erklären, sondern sie konnte es getrost einer theologisch approbierten Zeugungsmetaphysik überlassen, die Frage nach der Entstehung der menschlichen Seele zu beantworten.25 Daraus darf jedoch nicht einfach auf eine Leerstelle in rein physiolo23
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In einer verbreiteten Geschichte der Biologie heißt es zur Bedeutung der Präformationstheorie im 18. Jahrhundert allen Ernstes: „Diese Theorie ließ sich wunderbar mit den allgemeinen Schöpfungslehren vereinbaren und befriedigte Theologen und Deisten gleichermaßen.“ (Jahn: Biologische Fragestellungen in der Epoche der Aufklärung, S. 256) Rühmliche Ausnahmen bilden: Joseph Needham: A History of Embryology [erstmals 1931/34]. New York 1975 [ND der 2., überarb. Aufl. Cambridge 1959 (= History, Philosophy and Sociology of Science: Classics, Staples and Precursors)], S. 204f.; Roger: Les sciences de la vie; de Wit: Histoire du développement de la biologie, Bd. 3, S. 247–361, bes. S. 286 sowie neuerdings Hans-Jörg Rheinberger u. Staffan Müller-Wille: Vererbung. Geschichte und Kultur eines biologischen Konzepts. Frankfurt a.M. 2009, S. 40f. Insofern macht es auch keinen Sinn, von einer „Physiologisierung der Erbsündenlehre“ bei Malebranche zu sprechen, wie Gabriele Dürbeck es unternimmt (Gabriele Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung. Perspektiven der Philosophie, Anthropologie und Ästhetik um 1750. Tübingen 1998 [= Studien zur deutschen Literatur, 148], S. 98–104). Der entsprechende Abschnitt von Dürbecks Arbeit enthält neben dem theologischen Fehlurteil auch einige
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gisch anmutenden Konzepten der Embryogenese geschlossen werden. Sie basieren vielmehr auf einem ebenso selbstverständlich wie unausgesprochen vorausgesetzten Kreatianismus. So ist es höchst aufschlußreich, wenn de Graaf und Leeuwenhoek, die Begründer des Ovismus bzw. Animalculismus, die Frage nach den Seelen jener von ihnen ins Auge gefaßten präformierten Embryonen stillschweigend übergehen. Daß dafür schlicht der Kreatianismus und nicht etwa eine naturwissenschaftlich-nüchterne Metaphysikabstinenz verantwortlich ist, illustrieren die phantastischen Spekulationen über eine mögliche Einschachtelung (emboîtement) aller Organismen in den zuerst erschaffenen Exemplaren jeder biologischen Spezies, wie sie bei einer ganzen Reihe von Denkern begegnen, die dem römischen bzw. dem reformierten Bekenntnis entstammen wie Malebranche und Swammerdam, Haller oder Bonnet. Sie entwickeln ihre Vorstellungen von der Präexistenz ineinander eingeschachtelter Körper bezeichnenderweise ganz unabhängig von einer (dogmatisch für sie ungangbaren) Präexistenz aller Seelen; dabei steht der Kreatianismus so selbstverständlich im Hintergrund, daß sich die Frage nach der Beseeltheit der Embryonen für sie gar nicht erst stellt und somit nicht einmal ex negativo zur Sprache kommt. Dagegen sahen sich Mediziner und Philosophen lutherischer Herkunft zumeist genötigt, jede neue Generationstheorie kritisch auf ihre Verträglichkeit mit dem Traduzianismus hin zu prüfen. Im Fall einer behaupteten vollständigen Präformation des Embryos mußte das Ergebnis einer solchen Prüfung natürlich negativ ausfallen, so daß sich die Abschnitte über Embryologie in den Lehrbüchern lutherischer Mediziner oftmals als bloße Sammlungen physiologischer Indizien für die Präformation lesen, denen jedoch bezeichnenderweise keine Entscheidung in der Sache folgt. Die anti-präformationistische Wirkung des Traduzianismus in der Generationslehre wird erst mit der Durchsetzung der psychophysischen Präexistenzlehre gebrochen: Sie bot als integrales Modell die Möglichkeit, den vom Traduzianismus geforderten gemeinsamen Ursprung von Körper und Seele mit der Vorstellung einer vollständigen Präformation des Embryos auszusöhnen. Wissenschaftsgeschichtlich ist also festzuhalten, daß sich medizinische oder naturphilosophische Konzepte der Embryogenese erst im Zusammenhang mit den ihnen korrespondierenden Vorstellungen von der Psychogenese erschließen, wohingegen sie ohne die Berücksichtigung metaphysischer und schöpfungstheologischer Fragestellungen opak bleiben.26 Das zeigt zuletzt noch die Behandlung dieses Kom-
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krasse wissenschaftsgeschichtliche Fehleinschätzungen, so wird Descartes kurzerhand zum Präformationisten (ebd., S. 99), Aristoteles gar zum Animalculisten gestempelt (ebd., S. 99, Anm. 48) und die göttliche Erschaffung präformierter Keime mit der Urzeugung gleichgesetzt (ebd., S. 101f.). Wenn Sigrid Weigel (Genea-Logik, S. 107–142, hier S. 132) der Epigenesislehre „die theologisch fundierte Auffassung der Präformationisten“ entgegensetzt, so scheint sie damit eine theologische Fundierung der Epigenesis bestreiten zu wollen. Daß dies ausgerechnet unter der Überschrift Die vergessene Geschichte des Generationskonzepts geschieht, ist selbst nichts anderes als ein Symptom der beklagten Geschichtsvergessenheit.
plexes durch Kant, dessen kritische Philosophie der Frage nach dem Seelenursprung ein Ende setzen sollte. Daß die hier in Rede stehende Überkreuzung von Zeugungsphysiologie und Zeugungsmetaphysik bei Kant dennoch zum Tragen kam, verdankt sich dem Umstand, daß er seine Metaphysikvorlesungen auf der Grundlage von Alexander Gottlieb Baumgartens Lehrbuch abhielt,27 und für Baumgarten war der Ursprung der menschlichen Seele, wie zu zeigen sein wird, aufgrund von theologischen Rücksichten ein ausgesprochen delikates Thema. Anthropologiegeschichtlich läßt sich an den Entwicklungen innerhalb der Generationslehre ein Bruch mit der altprotestantischen Anthropologie ablesen: Die Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘, wie die Lehre von der psychophysischen Präexistenz sie unter der Voraussetzung der Substanzentrennung konzeptualisierbar machte, schickte sich an, dem generationstheoretisch mit dem Traduzianismus verbundenen Menschenbild des totus homo den Boden zu entziehen. In Halle wurde dies von den pietistischen Theologen sofort erkannt und aufs heftigste bekämpft. Die Lehre von der biologischen Generation kann somit gewissermaßen als Indikator für einen anthropologiegeschichtlichen Ablösungsprozeß dienen, der vom substanzmetaphysisch noch ungespaltenen ‚totus homo‘ zum philosophisch (wie auch immer prekär) vermittelten ‚ganzen Menschen‘ führt. Die heuristische Entgegensetzung der beiden Begriffe läßt nicht allein deutlich werden, daß die schon früh bei Christian Thomasius begegnende und in der Forschung vielzitierte Formel vom „gantze[n] Menschen“,28 durchaus nicht dem für die jüngere Schule der ‚vernünftigen Ärzte‘ charakteristischen Begriff entspricht,29 sie macht zugleich darauf aufmerksam, daß die Geburt der Ästhetik in Halle ein anthropologisches Denken voraussetzt, das sich erst mühsam gegen theologische und philosophische Widerstände durchsetzen mußte.
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Davon zeugen die überlieferten Vorlesungsnachschriften; exemplarisch sei auf die sogenannte Metaphysik Arnoldt verwiesen: Immanuel Kant: Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe). Bd. 29,1,2 (=Abt. 4: Vorlesungen, Bd. 6: Ergänzungen II. Erste Hälfte, zweiter Teil). Berlin 1983, S. 941-1040, hier S. 1030-1032. Christian Thomasius: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Hildesheim 1968 [ND der Ausg. Halle 1691], S. 95. Zur Beliebtheit der thomasianischen Formel in der Forschung vgl. Rainer Godel: ‚Eine unendliche Menge dunkeler Vorstellungen‘. Zur Widerständigkeit von Empfindungen und Vorurteilen in der deutschen Spätaufklärung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 52 (2002), S. 542–576, hier S. 546f. sowie die dort in Anm. 17 genannten Nachweise; ferner Christian J. Emden: Metapher, Wahrnehmung, Bewußtsein. Nietzsches Verschränkung von Rhetorik und Neurophysiologie. In: Renate Lachmann u. Stefan Rieger (Hg.): Text und Wissen. Technologische und anthropologische Aspekte. Tübingen 2003 (= Literatur und Anthropologie, 16), S. 127-151, hier S. 148; Ulrich Gaier: Anthropologie der Neuen Mythologie. Zu Funktion und Verfahren konjekturalen Denkens im 18. Jahrhundert. In: Jörn Garber u. Heinz Thoma (Hg.): Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert. Tübingen 2004, S. 193–218, hier S. 194; Thomas Franke: Ideale Natur aus kontingenter Erfahrung. Johann Joachim Winckelmanns normative Kunstlehre und die empirische Naturwissenschaft. Würzburg 2006 (= Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, 579), S. 36. Vgl. dazu unten S. 57–59.
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1.2 Anthropologien und Generationstheorien nach dem Modell des totus homo Halle mit seiner 1694 gegründeten Friedrichs-Universität war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Zentrum der Aufklärung, in dem auch die Wissenschaften vom Leben eine Blüte erlebten. Im Lehrkörper der Universität waren Wissenschaftler ersten Ranges versammelt, die innerhalb der ‚life sciences‘ recht unterschiedliche Positionen vertraten. Das gilt insbesondere für die beiden ersten Ordinarien der medizinischen Fakultät, Friedrich Hoffmann und Georg Ernst Stahl, aber nicht weniger für den Mathematiker und Philosophen Christian Wolff, der 1706 an die Fridericiana berufen wurde. Hoffmann wirkte als einer der prominentesten Vertreter der mechanistischen Medizin in Deutschland, Stahl hingegen als Begründer eines ganzheitlichen Psychodynamismus.30 Obwohl beide dem Pietismus Franckescher Prägung nahestanden,31 hielten vor allem in Stahls Schule 30
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Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle liegen zahlreiche Studien vor; verwiesen sei auf: Wolfram Kaiser und Karl-Heinz Krosch: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle im 18. Jahrhundert. V: Georg Daniel Coschwitz (1679–1729). In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe 13 (1964), S. 797–816, 832–836; Dies.: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle im 18. Jahrhundert. XI/XII: Die Disputationsliste (1750–1799). In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe 14 (1965), S. 623–676; Dies.: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle im 18. Jahrhundert. IX: Extraordinarien und Doctores legentes. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe 14 (1965), S. 357– 396, 427–432; Dies.: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle im 18. Jahrhundert. XVI: Die Disputationen und Doktoranden der Jahre 1700–1749. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe 15 (1966), S. 1011–1124; Wolfram Kaiser: Der Lehrkörper der Medizinischen Fakultät in der halleschen Amtszeit von Georg Ernst Stahl. In: Kaiser u. Völker (Hg.): Georg Ernst Stahl, S. 59–66; Ingo W. Müller: Mechanismus und Seele – Grundzüge der frühen hallensischen Medizinschulen. In: Jerouschek u. Sames (Hg.): Aufklärung und Erneuerung, S. 245–261; Jürgen Konert: Academic and Practical Medicine in Halle During the Era of Stahl, Hoffmann, and Juncker. In: Caduceus 13 (1997), S. 23–38. – Speziell zu Hoffmann und Stahl vgl. Jürgen Konert: Hoffmann oder Stahl? Medizinische Fakultät und Franckesche Stiftungen in der Gründungsära. In: Richard Toellner (Hg.): Die Geburt einer sanften Medizin. Die Franckeschen Stiftungen zu Halle als Begegnungsstätte von Medizin und Pietismus im frühen 18. Jahrhundert. Tagungsband zum Internationalen Symposion der Franckeschen Stiftungen vom 16. bis 19. April 1998. Halle 2004, S. 51–72; Ders.: Iatromechanische Theorie und ärztliche Praxis im Vergleich zur galenistischen Medizin. (Friedrich Hoffmann – Pieter van Foreest, Jan van Heurne). Stuttgart 1991; Johanna Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert. Das Leben und Werk Georg Ernst Stahls. Tübingen 2000 (= Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 13); Dies.: Georg Ernst Stahl’s radical Pietist medicine and its influence on the German Enlightenment. In: Andrew Cunningham u. Roger French (Hg.): The Medical Enlightenment of the Eighteenth Century. Cambridge u.a. 1990, S. 67–87; Karl E. Rothschuh: Studien zu Friedrich Hoffmann (1660–1742). In: Sudhoffs Archiv 60 (1976), S. 163–193, 235–270. Vgl. Richard Toellner: Die Geburt einer sanften Medizin. Die Begegnung von Pietismus und Medizin in den Franckeschen Stiftungen. In: Ders. (Hg.): Die Geburt einer sanften Medizin,
pietistische Glaubensinhalte Einzug in die medizinische Theorie und Praxis.32 Doch auch Hoffmann knüpfte an pietistische Positionen an, was sich insbesondere für seine Lehre vom Menschen und in der Generationslehre als bedeutsam erweist. 1.2.1 Die fortpflanzende Kraft der Geschöpfe Den menschlichen Körper verstand Friedrich Hoffmann als eine von einer immateriellen und unsterblichen Seele bewohnte Maschine, deren wundersame Einrichtung und staunenswerte Funktionalität in physikotheologischer Weise das Dasein und die Güte Gottes unter Beweis stellten.33 In seiner feierlichen Antrittsrede an der im Aufbau befindlichen Universität Halle konnte Hoffmann sich dementsprechend vornehmen zu zeigen, wie ein Atheist allein durch die Demonstration der überaus kunstvollen Struktur der Körper-Maschine von der Existenz Gottes überzeugt werden könne: Der menschliche Leib gleiche in seinem anatomischen Gefüge und in seiner physiologischen Organisation jenem vielgesuchten, aber von niemandem zustande gebrachten Perpetuum mobile, das von einem höchst bewunderungs- und anbetungswürdigen Künstler und Werkmeister (opifex et artifex)
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S. 9–24, hier S. 22; Konert: Academic and Practical Medicine in Halle, S. 29; Roger French: Sickness and the soul: Stahl, Hoffmann and Sauvages on pathology. In: Andrew Cunningham u. Roger French (Hg.): The Medical Enlightenment of the Eighteenth Century. Cambridge u.a. 1990, S. 88–110, hier S. 89–98, 109f.; Johannes Karcher: Die animistische Theorie Georg Ernst Stahls im Aspekt der pietistischen Bewegung an der Universität zu Halle an der Saale im zu Ende gehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert. In: Gesnerus 15 (1958), S. 1–16, hier S. 2, 6. – Jürgen Helm sieht allerdings Hinweise für eine mit den Jahren wachsende Distanz Stahls zum Pietismus; vgl. Jürgen Helm: ‚Daß auch zugleich die Gottseligkeit dadurch gebauet wird‘. – Pietismus und Medizin in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (2003), S. 199–211, hier S. 204f.; Ders.: Das Medizinkonzept Georg Ernst Stahls und seine Rezeption im Halleschen Pietismus und in der Zeit der Romantik. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 167–190, hier S. 174. Vgl. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus. In: Ders. (Hg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Göttingen 1993, S. 439–539, hier S. 456. Hoffmann wird in der Forschung immer wieder als Vertreter einer mechanistischen Medizin nach rationalistischen Grundsätzen apostrophiert. Tatsächlich sind seine Beziehungen zum Rationalismus gar nicht von der Hand zu weisen, so stand er jahrelang mit Leibniz in Korrespondenz und war offenbar für die Berufung Wolffs an die Universität Halle mitverantwortlich; vgl. Carl Günther Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. 3 Theile [erstmals 1736–38]. Hildesheim u. New York 1977 [ND der Ausg. Leipzig 1737–38] (= WGW III, 1,1–3), Th. 2, § 741, S. 651. Dennoch kann er nicht einfach als „grosser Liebhaber der Leibnitz-Wolffischen Weltweisheit“ betitelt werden, wie das bereits zu seinen Lebzeiten geschah (Carl Günther Ludovici: Neueste Merckwürdigkeiten der LeibnitzWolffischen Weltweisheit. Hildesheim u. New York 1973 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1738] (= WGW III, 3), S. 313). Denn Hoffmann hat nicht nur Zweifel an der prästabilierten Harmonie angemeldet (vgl. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 1, § 276 [recte: § 279], S. 224f.), sondern stand der Wolffschen Philosophie wohl insgesamt reserviert gegenüber; vgl. dazu unten S. 79. Er ließe sich deshalb ebensogut unter die „Widersacher der Wolffischen Philosophie“ wie unter die „fürnehmsten Wolffianer“ rechnen, wie Ludovicis doppelte Einordnung Hoffmanns zeigt; vgl. ebd., Th. 1, § 451, S. 324 einerseits und Th. 3, § 250, S. 250 andererseits.
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zeuge.34 Im Zuge seiner Beweisführung streifte Hoffmann auch den Prozeß der Embryonalentwicklung und gab seinen Hörern zu bedenken, daß der Mensch aus einem winzigen Punkt seinen Anfang nehme, nämlich aus dem weiblichen Ei (ovulum), das in sich einen Spiritus enthalte, der vermittels einer besonderen vis plastica Urheber und Verfertiger (auctor et fabricator) aller Teile des menschlichen Körpers sei.35 Anders als die Vertreter der ovistischen Präformation stellte Hoffmann sich also keinen mehr oder weniger ausgebildeten Embryo als Bewohner des Eies vor, der nur noch eines Größenwachstums bedürfte, um in all seinen Teilen sichtbar zu werden, sondern deutete einen epigenetischen Prozeß der Embryonalentwicklung an. Eine solche Auffassung findet sich auch in seinen 1695 erschienenen Fundamenta medicinae; dort erklärt er gleich im ersten Paragraphen des Abschnitts zur Generationslehre, daß alle Tiere und somit auch die Menschen aus Eiern ihren Anfang nähmen, was nichts anderes ist als eine Paraphrase des Harveyschen Grundsatzes „Ex ovo omnia“.36 Und ganz wie Harvey, der seine Exercitationes de generatione animalium ausdrücklich als Revision und Erneuerung der aristotelischen Zeugungs- und Entwicklungslehre formuliert hatte,37 sah auch Hoffmann den männlichen Samen bei der Zeugung nur formaliter am Werk: Allein der feinste und flüchtigste Teil (subtilissima effluvia) des männlichen Samens, die Aura seminalis, dringe durch die Poren des Uterus bis zum Ei und teile ihm einen belebenden Bewegungsimpuls mit.38 In seiner Medicina rationalis systematica sprach Hoffmann 1718 allerdings davon, daß der ganze organische Körper in staunenswerter Verkleinerung schon im Samen enthalten sei und daß die Zeugung nichts anderes bewirke als eine Ausdehnung jenes winzigen Körperchens.39 Doch betonte er zugleich, daß eine einseitige 34
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Vgl. Friedrich Hoffmann: De atheo convincendo ex artificiosissima machinae humanae structura [1693]. [Halle] 1705, S. 7, 12, 17 (erneut in Ders.: Opera omnia physico-medica. Bd. 5. Genf 1740, S. 125–130); vgl. dazu auch French: Sickness and the soul, S. 97. Friedrich Hoffmann: Fundamenta medicinae. Halle 1695, S. 12. Vgl. Hoffmann: Fundamenta medicinae, S. 52; vgl. Ders.: Medicina rationalis systematica. Bd. 1. Halle 1718, S. 240. Vgl. Erna Lesky: Harvey und Aristoteles. In: Sudhoffs Archiv 41 (1957), S. 289–316, 349– 378; Walter Pagel: William Harvey’s Biological Ideas. Selected Aspects and Historical Background. Basel u. New York 1967, S. 233–237. Hoffmann: Fundamenta medicinae, S. 53, 55; vgl. auch Ders.: Untersuchung derer ErbKranckheiten nach ihrem Ursprung. In: Ders.: Gründliche Anweisung, wie ein Mensch in Ansehung der Temperamente, Stuffen-Jahre, Erbschaffts- und Bergwercks-Kranckheiten, auch Studierende durch gute Diät die Gesundheit erhalten und sich vor Kranckheiten verwahren können. Bd. 9. Halle 1728, S. 727–789, hier S. 755, 758f. Hoffmann: Medicina rationalis systematica, S. 234: „Ergo in quovis semine jam totum, quamvis stupendae exiguitatis, organicum corpus, latet.“ Vgl. auch Hoffmanns Definition der Zeugung im Abschnitt zur Ernährung: „Generatio enim corporis nihil aliud est, quam minutissimi corpusculi, quod jam in semine delitescit, extensio, quae secundum longitudinem, latitudinem et soliditatem, antequam ad perfectionem veniat, ad multos annos se extendit et tunc dicitur auctio.“ (Ebd., S. 162) – In ähnlicher Weise spricht Hoffmann 1728 in einer Schrift über Erbkrankheiten zustimmend von einer vollständigen Präformation des Embryos im Samen, betont aber zugleich den Zeugungsanteil beider Geschlechter durch ihren jeweiligen Samen, womit
Präformation des Keimes – entweder im männlichen Samen oder im weiblichen Ei – ausgeschlossen sei: Allein schon die Geschlechtsdetermination des Nachwuchses mache ein Zusammenwirken männlichen und weiblichen ‚Samens‘ erforderlich.40 Anders lägen die Verhältnisse dagegen im Pflanzenreich, wo die ‚Samen‘ – also die Körner oder Früchte der Samenpflanzen – ohne geschlechtliche Zeugung heranreiften. Die Sexualität der Pflanzen war zwar schon 1694 von Camerarius postuliert worden, die Erkenntnis setzte sich aber erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durch; bis dahin galten die ‚Samen‘ der Pflanzen nicht als Zeugungsprodukte, sondern bloß als Zeugungsstoffe analog zum ‚Samen‘ männlicher Tiere.41 Entsprechend seiner Auffassung vom Pflanzenreich als asexueller Sphäre versäumte Hoffmann nicht darauf hinzuweisen, daß eine Vermehrung dort auch ganz ohne Samen möglich sei, nämlich durch einzelne Pflanzenteile, deren vis propagativa aus der organischen Struktur der kleinsten Teilchen (minima molecula) bei genügendem Zufluß von Nahrungssaft vollständige Pflanzen hervorbringen könne.42 Hier sei zunächst festgehalten, daß Hoffmann trotz seines vielbeschworenen Mechanismus in der Frage der biologischen Generation gerade nicht an Descartes, sondern an Harvey anknüpfte. Descartes hatte die Entstehung des Embryos zwar ebenfalls als epigenetischen Prozeß beschrieben, doch sah er ihn als eine Art Gärung der Zeugungsstoffe beider Geschlechter an. Anders als die traditionelle ZweiSamen-Lehre hippokratisch-galenischer Provenienz kam die cartesische Zeugungslehre dabei ohne die Vorstellung aus, die einzelnen Körperteile und Organe der Eltern seien in Form kleinster Teilchen in ihrem Samen präsent und würden bei der Formation des Embryos bloß neu miteinander kombiniert;43 statt dessen interpretierte Descartes die Embryogenese mechanistisch als naturgesetzlich gesteuerten Vorgang, bei dem die Samenflüssigkeiten beider Geschlechter bei ihrer Vermischung einander als Gärungsmittel (levain) dienten und die in ihnen enthaltenen Materieteilchen durch die Wärme des Fermentationsprozesses in eine solche organisierende Bewegung versetzten, daß sie sich zu einer lebendigen Struktur zusammenfügten, die sich sukzessive selbst vervollkommne.44 Metaphorisch be-
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eine einseitige Präformation ausgeschlossen ist; vgl. Hoffmann: Untersuchung derer ErbKranckheiten, S. 752–755. Vgl. Hoffmann: Medicina rationalis systematica, S. 236, 240f. Vgl. Rudolf Schmitz u. Peter Hartwig Graepel: Zur Geschichte der Sexualtheorie der höheren Gewächse. In: Sudhoffs Archiv 64 (1980), S. 1–24, 250–286, hier S. 2–18. Hoffmann: Medicina rationalis systematica, S. 234; vgl. François Duchesneau: La Physiologie des Lumières. Empirisme, Modèles et Théories. Den Haag u.a. 1982, S. 55f. Zu den Samenlehren der Antike vgl. Lesky: Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike. Vgl. René Descartes: La Description du Corps Humain [1648, erstmals 1664 veröffentlicht u.d.T. De la formation du Fœtus]. In: Ders.: Œuvres, Bd. 11, S. 217–290, hier S. 253; dt. in Ders.: Über den Menschen (1632) sowie Beschreibung des menschlichen Körpers (1648). Nach der ersten französischen Ausgabe von 1664 übers. u. eingel. v. Karl E. Rothschuh. Heidelberg 1969, 137–190, hier S. 164f. – Zu Descartes’ Generationslehre vgl. Roger: Les sciences de la vie, S. 140–154; Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 72–82; Stephen Gaukroger: Descartes’ system of natural philosophy. Cambridge u.a. 2002, S. 194–196.
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wegte Descartes sich damit im Rahmen eines schon bei Thomas von Aquin mit dem Kreatianismus verschwisterten ‚käsetechnischen Zeugungsmodells‘,45 innerhalb dessen die Erschaffung und Einflößung der Seele als ein vom Fermentationsprozeß der Embryogenese unabhängiger Vorgang verbildlicht wird. Die Körpermaschine hingegen entsteht nach Descartes’ Auffassung infolge eines ausschließlich nach den Bewegungsgesetzen der Materie ablaufenden Mechanismus.46 Für ein formgebendes Prinzip, wie Hoffmann es mit seiner vis plastica im Anschluß an Harvey postulierte, wäre in einem dezidiert mechanistischen Konzept der biologischen Generation kein Platz gewesen. Mit seinem Vorbehalt gegen einen derartigen Reduktionismus stand Hoffmann indes nicht allein: Die Herleitung komplexer Organismen aus der bloß naturgesetzlich geregelten Bewegung ungeformter Materie, wie sie von Descartes oder Gassendi Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen worden war, hatte tatsächlich nur wenige Anhänger gefunden.47 Um so begieriger waren in den 1670er Jahren de Graafs vermeintliche Entdeckung des Säuger-Eies und Leeuwenhoeks Beobachtung der Spermatozoen im männlichen Samen aufgenommen worden, da sie sich im Sinne einer Präformation des Embryos deuten ließen. Insbesondere Malpighis mikroskopische Studien am Hühnerei (De formatione pulli in ovo, 1673; De ovo incubato, 1675) hatten als Beleg für eine ovistische Präformation herhalten müssen;48 Malebranche hatte sie umgehend im ersten Band seiner Recherche de la vérité (1674) aufgegriffen und über eine mögliche Präexistenz der Keime aller Lebewesen seit den Tagen der Schöpfung spekuliert: Die ersten Weibchen aller Tierarten und Eva als Stammutter des Menschengeschlechts könnten mit den Kei-
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Vgl. Albert Mitterer: Die Zeugung der Organismen, insbesondere des Menschen nach dem Weltbild des hl. Thomas von Aquin und dem der Gegenwart. Wien 1947 (= Wandel des Weltbildes von Thomas auf heute, 3), S. 156–161. Zu Thomas’ Kreatianismus vgl. ebd., S. 180; zu Descartes’ Kreatianismus vgl. oben S. 22. Als Quellen des käsetechnischen Zeugungsmodells nennt Mitterer: Hiob 10,10 und Aristoteles (De generatione animalium I,20, 729a). Vgl. Rainer Specht: Commercium mentis et corporis. Über Kausalvorstellungen im Cartesianismus. Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, S. 61. Die Wissenschaftsgeschichtsschreibung macht dafür die methodisch-konzeptionelle Schwäche von Descartes’ Physiologie selbst verantwortlich; vgl. etwa das Urteil Émile Guyénots: „Descartes ne produisit qu’une œuvre enfantine lorsqu’il voulut expliquer la construction et le fonctionnement des êtres vivants par des considérations tirées de la mécanique et d’une grossière physique.“ (Émile Guyénots: Les sciences de la vie aux XVIIe et XVIIIe siècles. L’idée d’évolution [erstmals 1941]. Paris 1957 [= L’évolution de l’humanité, 68], S. 444) Jacques Roger spricht sogar davon, daß Descartes’ postum erschienene Embryologie geradezu das ganze System seiner Philosophie zu diskreditieren drohte: „la pensée tout entière de Descartes se trouvait mise en question par la ruine de son embryologie.“ (Roger: Les sciences de la vie, S. 443) Vgl. Müller-Sievers: Epigenesis, S. 31. – Zu den Generationstheorien Descartes’ und Gassendis vgl. allgemein Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 72–82, 106–115; Roger: Les sciences de la vie, S. 135–154. Dies durchaus gegen Malpighis eigene Intention; vgl. Howard B. Adelmann: Macello Malpighi and the Evolution of Embryology. Ithaca, N.Y. 1966, Bd. 2, S. 885f.; Roger: Les sciences de la vie, S. 335; Bäumer: Geschichte der Biologie, S. 50–52.
men aller ihrer Nachkommen in sich geschaffen worden sein.49 Die Idee der Einschachtelung (emboîtement) der Keime ineinander wie auch das konkurrierende Konzept der Panspermie, also der Verstreuung präexistenter Keime in der Welt, konnten gleichermaßen sicherstellen, daß die Lebewesen mehr waren als ein zufälliger Zusammenschluß materieller Teilchen zu einer organischen Struktur; ihre Einrichtung verdankten sie vielmehr einer vorzeitlichen Schöpfertat Gottes, wohingegen der innerweltliche Zeugungsakt nur die Funktion erfüllte, sie zum Leben zu erwecken und ihre Entwicklung (evolutio) zu voller Größe in Gang zu setzen. Die Mehrzahl der akademisch bestallten Mediziner – nicht dagegen der praktischen Ärzte und der Geburtshelfer50 – hatte in der Folge eine Präformation des Embryos entweder im männlichen Samen (Animalculismus) oder im weiblichen Ei (Ovismus) angenommen, allerdings waren unter den Medizinern die Animalculisten deutlich in der Minderzahl geblieben.51 Friedrich Hoffmann hielt die Annahme einer vollständigen Präformation des organischen Körpers hingegen für keine gangbare Alternative, vor allem deshalb nicht, weil sie eine gleichzeitige Vererbung väterlicher und mütterlicher Anteile ausschloß, denn der Keim konnte schließlich nur von einem Geschlecht stammen.52 Wenn sich in Hoffmanns generationstheoretischen Schriften trotzdem gelegentlich Verweise auf die mikroskopischen Befunde eines präexistenten Körperchens im Ei bzw. auf die ‚lebendigen Tierchen im männlichen Samen‘ finden,53 ist zu beachten, daß es ihm dabei nur um den Aufweis vorhandener organischer Strukturen zu tun war, nicht um die Behauptung einer vollständigen Präformation des Embryos. Die Zeugung erforderte laut Hoffmann zwei ‚Samen‘ (semina), den einen in eine Membran eingekapselt, den anderen zu einem feinen Hauch aufgelöst.54 Doch anders als für Descartes, der die antike Zwei-Samen-Lehre mechanistisch interpretiert und die Embryogenese, wie gesehen, durch die Mischung und Fermentation der Samenflüssigkeiten beider Geschlechter erklärt hatte, stellte sich die Zeugung für Hoffmann im Anschluß an Harvey gar nicht als rein materielles Geschehen dar. Vielmehr sah er zwei Formprinzipien am Werk, nämlich ein spirituöses im Ei und ein ätherisches in der Aura seminalis; beider Zusammenwirken schaffe aus einem 49
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Vgl. Nicole Malebranche: Œuvres complètes. Bd. 1. Hg. v. André Robinet u.a. Paris 1962 (= Bibliothèque des textes philosophiques), liv. 1, ch. 6, § 3, S. 83; vgl. dazu Roger: Les sciences de la vie, S. 336f. Vgl. Roger: Les sciences de la vie, S. 272. Vgl. ebd., S. 371f. Vgl. dazu auch Hoffmanns Ablehnung jeglicher Präformationstheorie in dem Aufsatz Gründliche und heilsame Untersuchung der wunderbaren Vermehrung und Fortpflantzung der Menschen, Thiere und Pflantzen (In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 8 vom 19. Februar 1742, Sp. 113–121, hier Sp. 117). Vgl. Hoffmann: Fundamenta medicinae, S. 52; Ders.: Medicina rationalis systematica, S. 234f.; Ders.: Untersuchung derer Erb-Kranckheiten, S. 752–754. Vgl. Hoffmann: Medicina rationalis systematica, S. 236: „ad generationem vero animalis duo semina requiruntur, alterum quod in membranacea capsula continetur, sive ovum, alterum fluidum, quod in subtilissimos halitus resolvitur, quale est masculinum.“
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winzigen ungeformten, aber organischen Anfang nach und nach die vollkommene Gestalt des Embryos. Obwohl Hoffmann eine Erklärung von Zeugung und Vererbung „durch cörperliche, natürliche und nothwendig würckende Ursachen, welche man mechanische zu nennen pfleget“ favorisierte,55 stand eine durchgehend mechanistische Zeugungslehre von ihm nicht zu erwarten – rührte die Generationstheorie doch unmittelbar an theologische Belange, insbesondere hinsichtlich der Frage des Ursprungs der menschlichen Seele. Hoffmann war nicht nur außerordentlich an theologischen Fragen interessiert, er unterhielt auch enge Beziehungen zum halleschen Pietismus; sogar schon vor seiner Berufung zum Professor an der Fridericiana hatte er mit August Hermann Francke in Kontakt gestanden.56 Es ist überliefert, daß er die Schriften des Pietismus in großer Vollständigkeit besaß und neben der Heiligen Schrift eifrig die Werke Luthers, Melanchthons und Speners studierte, mit letzterem stand er auch in persönlichem Kontakt;57 besonders schätzte er Johann Arndts Wahres Christentum, dessen „Erkänntniß und Einsicht in Natur und Gnade Er [!] vielmals höchlich bewundert“.58 Daß Hoffmann nicht nur persönlichen Umgang mit den halleschen Pietisten pflegte, sondern dem Pietismus auch inhaltlich nahestand,59 läßt sich an einem Text zeigen, in dem er die Einrichtung der seelsorgerlichen Arbeit nach ärztlichen Grundsätzen empfahl, weil es „zwischen der Cur des
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Hoffmann: Untersuchung derer Erb-Kranckheiten, S. 751. Vgl. Rudolf Beneke: Friedrich Hoffmann. In: Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Bd. 4: Lebensbilder des 18. und 19. Jahrhunderts. Magdeburg 1929, S. 20–40, hier S. 25; Jürgen Konert: Friedrich Hoffmann (1660– 1742). In: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 86 (1992), S. 1079–1082, hier S. 1080. Vgl. Friedrich Hoffmann: Vernünfftige physicalische Theologie und gründlicher Beweis des göttlichen Wesens und dessen vollkommensten Eigenschafften aus reifer Betrachtung aller in der Natur befindlicher Wercke, besonders des Menschen [Exercitatio de optima philosophandi ratione, 1741]. Übers. v. Friedrich Eberhard Rambach. [Halle] 1742, o.S. Nachricht von dem ruhmwürdigen Leben und seligen Absterben [...] Herrn D. Friedrich Hoffmanns. In: Johann Georg Franck u.a.: Ein christlicher Medicus als ein ehrwürdiger Medicus ward, da der weiland wohlgeborne, hochgelahrte Herr, Herr D. Friedrich Hoffmann [...] entschlafen [...] in der gewöhnlichen Trauer-Rede vorgestellt. Halle 1743, S. 41–58, hier S. 55. – Zu Hoffmanns Bibliothek vgl. Werner Piechocki: Das Testament des halleschen Klinikers Friedrich Hoffmann des Jüngeren (1660–1742). In: Werner Piechocki u. Hans-Theodor Koch: Beiträge zur Geschichte des Gesundheitswesens der Stadt Halle und der Medizinischen Fakultät der Universität Halle. Leipzig 1965 (= Acta Historica Leopoldina, 2), S. 107–144, hier S. 123. Die einschlägige medizinhistorische Forschung hat dies zumeist bestritten; vgl. zuletzt Konert: Hoffmann oder Stahl, S. 60. Sandra Pott will Hoffmann allein schon dadurch im Gegensatz zum Pietismus sehen, daß er gelegentlich gegen gewisse „Schwärmer“ Stellung bezieht (Sandra Pott: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur. Studien zu Säkularisierungsvorgängen vom frühen 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Berlin u. New York 2002 [= Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit, 1], S. 378). Doch darf man die Umtriebe des radikalen Pietismus nicht einfach mit dem Pietismus Spenerscher Observanz gleichsetzen; Hoffmann jedenfalls stand mit dem gemäßigten halleschen Pietismus auf ausgesprochen gutem Fuße. Treffend spricht Roger French deshalb von Hoffmann als einem „enlightened Pietist“. (French: Sickness and the soul, S. 93f.)
Leibes und der Seele“ gewisse Übereinstimmungen gebe:60 Den Bußkampf, den „die vor Sünden krancke Seele“ zu überstehen habe, setzte Hoffmann darin dem Verlauf einer körperlichen Krankheit gleich, deren Krisen es abzuwarten gelte, um die Gefahr von Rückfällen zu bannen;61 erst die „von den heßlichen Neigungen und Lastern“ freie Seele des „Wiedergebornen“ sei in einem Zustand, der dem der körperlichen Gesundheit gleiche, „wenn alle Lebens-Bewegungen in ihrer Ordnung und Wircksamkeit sich befinden“.62 Obgleich Hoffmann in der Konsequenz erklärte, die „Ordnung und Methode, deren sich ein vernünftiger Medicus bedienet, wird ein Muster derjenigen seyn, deren sich ein Seelen-Artz [!] billig bedienen soll“,63 ließ er sich doch nicht (wie manche Vertreter der Stahl-Schule) dazu verführen, die ‚Seelen-Cur‘ als Domäne der Medizin zu beanspruchen, was angesichts der von ihm konstatierten Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele ja durchaus nahegelegen hätte.64 Rein theologischen Fragen ging Hoffmann in einer Reihe von Schriften nach, unter anderem in seinem Kurtzen Begriff der gantzen Christlichen Religion von 1738. Dort gab sich der Mediziner allerdings bescheiden und führte bloß aus, es sei dem menschlichen Verstand unbegreiflich, worinnen die fortpflanzende Kraft der Geschöpffe in dem Saamen bestehe: was die sinnliche Seele der Thiere sey, und wo sie ihren Sitz habe: was eigentlich in seiner Natur ein Geist sey, und wie die menschliche Seele mit dem Cörper verknüpft und in denselben, auch der Cörper wiederum in die Seele würcke.65
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Friedrich Hoffmann: Gründliche Ausführung, daß ein rechtschaffener Theologus die Cur seiner anvertrauten Seelen nach der Methode und Ordnung, wie ein Medicus die Krancken curiret, einrichten müsse. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 40 vom 1. Oktober 1742, Sp. 641– 652, hier Sp. 642. – Bei diesem Text handelt es sich um die Übersetzung einer akademischen Festrede Hoffmanns aus dem Jahr 1702 (De officio boni theologi ex idea boni medici), die auch in seine Opuscula physico-medica (Ulm 1725/26 u.ö.) und in seine Opera omnia (Suppl. 1,1. Genf 1749) Aufnahme gefunden hat, was auf eine anhaltend hohe Wertschätzung Hoffmanns für diesen Text schließen läßt. Zu dieser Rede vgl. S. Pott: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur, S. 52–56. Hoffmann: Gründliche Ausführung, Sp. 649. Ebd., Sp. 645. – Die Verwendung des einschlägigen pietistischen Vokabulars ist so offensichtlich, daß sich allein durch diesen Text schon Jürgen Konerts Erklärung erledigt, in Hoffmanns Publikationen fehlten „typisch pietistische Ausdrücke.“ (Konert: Hoffmann oder Stahl, S. 60) Hoffmann: Gründliche Ausführung, Sp. 642. Vgl. Friedrich Hoffmann: Von dem Wesen und Würckungen der vernünftigen menschlichen Seele. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 40 vom 2. Oktober 1741, Sp. 649–656, hier Sp. 656; Ders.: Gründlicher Beweiß, daß zu einen [!] gesunden Verstande die Gesundheit des Leibes höchstnothwendig sey. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 42 vom 16. Oktober 1741, Sp. 687–700, hier Sp. 689. – Durchaus irreführend ist es, wenn Sandra Pott bei Hoffmann einen (im Sinne der Stahl-Schule) ‚vitalistischen‘ Seelenbegriff heraushören will; vgl. S. Pott: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur, S. 222, Anm. 48. Die Seelenbegriffe Hoffmanns und Stahls sind vielmehr beide theologisch fundiert! In der Frage der biologischen Generation wird sich das im folgenden genauer an beider Festhalten am Traduzianismus zeigen. [Friedrich Hoffmann]: Kurtzer Begriff der gantzen Christl. Religion. Deutlich und ordentlich in einem guten Zusammenhang der Grund-Wahrheiten zu erwünschter Erbauung vorgestellet von
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Doch stand für ihn allemal fest, daß das Kind nach Leib und Seele von den Eltern abstamme, daß sich also die menschliche Seele im Sinne des Traduzianismus innerweltlich fortpflanze; als Beleg dafür könne die Vererbung körperlicher und seelischer Makel oder Krankheiten von den Eltern auf das Kind gelten: obgleich alle Menschen an Seel und Leib durch sündlichen Saamen fortgepflantzet werden; so zeiget doch die Erfahrung, daß, wenn die Boßheit und grosse Laster bey beyden Eltern sehr eingewurtzelt sind, dieselbe nicht anders als andere Kranckheiten auf die Kinder fortgepflantzet werden [...].66
Ausführlicher wandte Hoffmann sich der Zeugungsproblematik in einer Reihe von Aufsätzen zu, die kurz vor seinem Tod in den Wöchentlichen Hallischen Anzeigen erschienen. Freimütig eröffnete er dort seine Meinung „von dieser sehr wichtigen Materie“67 und kehrte dabei deutlich den Zusammenhang biologischer und theologischer Fragestellungen hervor. Fest stand für ihn, daß „GOtt nicht von neuen die Dinge erschaffet, sondern nur durch eine, ihnen gleich im Anfange beygelegte, vermehrende und wachsende Kraft ihre Dauer erhält“.68 Gottes Ruhen nach dem sechsten Schöpfungstag, das von den Anhängern der Präformation gern als Argument für die Präexistenz der Keime aller Lebewesen vorgebracht wurde, verfing in Hoffmanns Augen also nicht; er bestritt im Gegenteil jegliche Vorstellung einer Präexistenz, sei es im Sinne der Panspermie, die er bei Fabri, Perrault und Sturm fand, sei es in Form der Einschachtelungslehre Malebranches.69 Statt dessen sah Hoffmann die Abgeschlossenheit der Schöpfung dadurch garantiert, daß Gott den zuerst erschaffenen Lebewesen eine besondere Kraft implantiert habe, die ihre organischen Verrichtungen steuere und sich in den aufeinanderfolgenden Generationen der Geschöpfe fortpflanze.70 Die Erhaltung der belebten Welt durch die Fortpflanzung der verschiedenen biologischen Arten war demnach kein unmittelbares Werk Gottes, sondern Wirkung einer in den Lebewesen seit den Tagen der Schöpfung fortwirkenden Reproduktionskraft göttlichen Ursprungs, ohne daß die Natur selbst dadurch zu einer schöpferischen Größe bei der Hervorbringung neuer Lebewesen erhoben würde. Hoffmann steht mit dieser Konzeption einer eigentümlich depotenzierten Natur erkennbar im Einklang mit der lutherischen Schöpfungslehre, wonach Gott causa efficiens sowohl der Schöpfung als auch der Er-
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einem Christlichen Liebhaber der Philosophie und Medizin. F.H. o.O. 1738, S. 18. – Es handelt sich um Hoffmanns eigene Übersetzung seiner im gleichen Jahr erschienenen Meditationes theologicae, quibus summa religionis christianae breviter et perspicue traditur, auctore Medico Christiano, F.H.; vgl. [Friedrich Eberhard Rambach]: Kurze Nachricht von dem Leben und Schriften Herrn D. Friedrich Hofmanns [!]. Halle 1760 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)], S. 36f., Nr. 54. Hoffmann: Kurtzer Begriff der gantzen Christl. Religion, S. 14. Hoffmann: Gründliche und heilsame Untersuchung, Sp. 118. Ebd., Sp. 115. Vgl. ebd., Sp. 117. Vgl. ebd., Sp. 118.
haltung der Welt ist.71 Nichts anderes predigte der kirchliche Pietismus: Schon Spener hatte in seiner Evangelischen Glaubens-Lehre dargelegt, daß GOTT alles in den ersten geschöpffen erschaffen, wovon die andere alle herkommen, also sind wir in Adam erschaffen; sodann, weil es noch jetzo seine krafft ist, [die] in den geschöpffen würcket, wann andere darauß sollen gezeuget oder fortgepflantzet werden: und ist also niemal bloß der natur werck, also, daß GOTT nicht selbst darinnen würcket; daher, die also werden, seine geschöpffe sind.72
In eben diesem Sinne heißt es auch in der „Normaldogmatik des hallischen Pietismus“73 von Johann Anastasius Freylinghausen, Franckes nachmaligem Schwiegersohn: Wiewohl nun GOtt diese ietztbeschriebene Schöpffung in 6. Tagen vollendet hat, so beweiset er doch noch biß auff den heutigen Tag seine allmächtige Schöpffers-Krafft, in dem er durch das anfangs ausgesprochene ʩʤʩ (es werde) die gantze Natur in ihrem Wesen erhält, und die zur Zeugung geordnete Geschöpffe in der ihnen mitgetheilten Seegens-Krafft sich fortpflantzen und vermehren läßet. Daher, was auch ietzo vermöge der einmahl eingeführten Ordnung unter Menschen, Thieren und Gewächsen gezeuget wird, als ein Geschöpff GOttes anzusehen.74
Hoffmann steht, was den theologischen Hintergrund seiner Zeugungslehre anbelangt, also erkennbar im Einklang mit pietistischen Lehrinhalten; allerdings war die Auffassung vom bloß indirekten Beitrag Gottes zur Erhaltung der biologischen Spezies in Halle nicht unumstritten: Beispielsweise ging Siegmund Jacob Baumgarten, seit 1734 ordentlicher Professor der Theologie an der Fridericiana, von einer unmittelbaren Mitwirkung (concursus immediatus) Gottes bei der Erhaltung der belebten Welt aus und erklärte dementsprechend in seiner (postum herausgegebenen) Dogmatik: Daß GOtt bey solcher Hervorbringung der einzeln Stücke einer jeden Art allezeit mitwirke, nicht nur den Geschöpfen und allen ihren Veränderungen gegenwärtig sey, und die Volziehung seines einmal gemachten Rathschlusses in denselben und von denselben beobachte, mit ansehe und bemerke, oder einen Zuschauer davon abgebe, sondern auch die wirkende Kraft in den Geschöpfen nebst ihrer Fortdauer verschaffe und erhalte, wodurch ein concursus immediatus GOttes und influxus generalis bey den Veränderungen derselben entsteht [...].75
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Vgl. Ratschow: Lutherische Dogmatik, Bd. 2, S. 163–184. Philipp Jacob Spener: Die Evangelische Glaubens-Lehre. 2 Bde. Hildesheim, Zürich u. New York 1986 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1688] (= Ders.: Schriften, 3,1,1–2), S. 300 des Anhangs Kürtzerer Auszzug, deß zu Franckfurt am Mäyn Anno 1680 gehaltenen Jahrgangs; vgl. auch ebd., S. 943 des Haupttexts. Johannes Wallmann: Der Pietismus. Göttingen 2005 (= Die Kirche in ihrer Geschichte, 4,1), S. 127. Johann Anastasius Freylinghausen: Grundlegung der Theologie. Hildesheim, Zürich u. New York 2005 [ND der Ausg. Halle 1703] (= Historia scientiarum: Fachgebiet Theologie), S. 28f. S.J. Baumgarten: Evangelische Glaubenslehre, Bd. 1, S. 639. Auch in seiner populären Theologischen Moral betont Baumgarten, daß das „natürliche Vermögen zur Zeugung von GOtt herrühret, [...] auch die jedesmalige Zeugung und Bildung der Menschen unter GOttes besonderer und genauesten Aufsicht stehet [...].“ (Siegmund Jacob Baumgarten: Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen oder Theologische Moral. Halle 1738, § 157, S. 351).
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Hoffmann dagegen untermauerte sein Modell der indirekten Mitwirkung Gottes an der Erhaltung der biologischen Spezies naturwissenschaftlich durch die Einführung einer besonderen Trägersubstanz, des Äthers. Er sah die Reproduktionskraft der Lebewesen nämlich an dieses höchst subtile Medium gebunden, das sie übertrage und fortpflanze.76 Der alle Materie durchdringende Äther nehme die besondere Kraft und Struktur der organischen Körper an und bilde sie deren Samen ein, „und zwar in der allersubtilsten und unsichtbaren Figur und Form, bis selbe hernach, durch gebührende Wärme und gehörigen Zufluß eines subtilen Nahrungs-Saftes, sichtbar gemacht wird.“77 Die Einprägsamkeit von Form und Figur in das subtile Trägermedium gab Hoffmann Anlaß, eine Strukturähnlichkeit von Fortpflanzung und sinnlicher Wahrnehmung festzustellen: Und da das Gehirne der Sitz aller innern und äusserlichen Sinnen ist, in welchen sich gleichfalls ein sehr subtiler, reiner und kräftiger Saft aus dem Geblüte [...] absondert [...]: so ist daraus sicher zu schlüssen, daß eine grosse Harmonie und gleich artige Würckung zwischen dem Gehirne und den Geburts-Gliedern, und zwischen dem subtilen Hirn- und Nerven-Saft, welchen die medici spiritus animales nennen, und zwischen dem Saamen seyn müsse. Es besteht aber diese Ubereinstimmung vornemlich darinne, daß, wie in dem Saamen sich die gantze structur des Cörpers abbildet und andern mittheilet; also auch in dem Gehirne, worinne sich das principium aethereum nicht minder concentriret, besonders dergleichen ebenfalls geschehe.78
Der männliche Same gleiche demnach in „Eigenschaft, Verrichtung, Kraft und Würckung“ den spiritus animales, die in den Nervenbahnen zirkulierten und dem Gehirn die Bilder der sinnlich wahrgenommenen Dinge einprägten.79 In ähnlicher Weise hatte bereits Harvey die Einprägung einer Vorstellung in das Gehirn und das Empfängnisgeschehen als übereinstimmende oder zumindest analoge Vorgänge gedeutet – nicht umsonst spräche man in beiden Fällen von „conceptiones“.80 Aller76
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Vgl. Hoffmann: Gründliche und heilsame Untersuchung, Sp. 118; Ders.: Fortsetzung der Abhandlung von der vermehrenden Kraft der lebendigen Geschöpffe. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 9 vom 26. Februar 1742, Sp. 129–138, Sp. 129. Hoffmann: Gründliche und heilsame Untersuchung, Sp. 120. – Karl E. Rothschuh will die Äthertheorie als Fundament der Hoffmannschen Generationstheorie schlechthin verstanden wissen; vgl. Rothschuh: Studien zu Friedrich Hoffmann, S. 178, 268. Tatsächlich finden sich aber in Hoffmanns Fundamenta medicinae, auf die Rothschuh seine Argumentation stützt, gerade keine Ausführungen zur Rolle des Äthers bei der biologischen Generation! Zur Hoffmannschen Äthertheorie vgl. Duchesneau, La Physiologie des Lumières, S. 39–48; Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik. Tübingen 1992 (= Studien der deutschen Literatur, 119), S. 376f. Hoffmann: Fortsetzung der Abhandlung, Sp. 135. Friedrich Hoffmann: Von den [!] der Gesundheit und Leben höchstschädlichen Mißbrauch des venerischen exercitii mit höchstnöthiger Abmahnung davon. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 30 vom 23. Juli 1742, Sp. 481–491, hier Sp. 484. „Functiones enim utriusque, conceptiones dicuntur“ (William Harvey: Exercitationes de generatione animalium. London 1651, S. 295). Vgl. dazu Jörg Jantzen: Physiologische Theorien. In: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Historisch-Kritische Ausgabe. Reihe I: Werke. Ergänzungsband zu Band 5 bis 9: Wissenschaftshistorischer Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797–1800. Stuttgart 1994, S. 373–668, hier S. 568; Albrecht
dings sah Hoffmann das strukturelle und funktionelle Äquivalent des Gehirns nicht wie Harvey im empfängnisbereiten Uterus, sondern in der Bereitungsstätte des männlichen Samens: Es kömmt demnach der überaus künstliche und aus lauter ungemein kleinen Gefässen bestehende Bau der Hoden mit dem von Gehirne auf das genaueste überein, als dessen Rinde ebenfals aus einer Menge der allersubtilsten Röhren bestehet. Daher man mit allen Recht urtheilet, daß die testes und das Gehirn einerley Nutzen und Verrichtungen haben, und in beyden der zarteste, geistreiche und ausdehnende Theil des Geblütes und der lymphae abgesondert, und nach und nach erhöhet werde.81
Doch nicht allein der männliche Same bestimme durch die in ihm enthaltene ätherische Trägersubstanz die Form der Frucht, sondern das Ei berge seinerseits „die Form und structur des Cörpers“; dies lehrten gleicherweise die Geschlechtsdetermination des Nachwuchses und die altbekannte züchterische Erfahrung, insbesondere bei der Hybridisierung von „Maul-Eseln, die aus Pferden und Eseln gezeuget werden, und beyder structur gemein haben.“82 Der Nachwuchs arte im allgemeinen sogar stärker nach der Mutter, „weil das Kind im Mutter-Leibe die Nahrung von der Mutter empfängt, und vermittelst des fluidi cerebri, in welchen sonderlich die Eindrücke so wohl der Seele als Leibes sind, impressiones bekömmt.“83 Zahlreiche Beispiele sogenannten ‚Versehens‘ von Schwangeren belegten, daß sinnliche Eindrücke oder Begierden der Mutter sich durch die zirkulierenden spiritus animales in den noch formbaren Körper des Kindes einprägen könnten.84 Auf diese Weise vermöge die mütterliche Einbildungskraft während der Embryonalentwicklung „die Structur der Kinder in Mutter-Leibe zu verkehren, und anders zu formiren.“85
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Koschorke: Inseminationen. Empfängnislehre, Rhetorik und christliche Verkündigung. In: Begemann u. Wellbery (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt, S. 89–110, hier S. 92. Hoffmann: Von den der Gesundheit und Leben höchstschädlichen Mißbrauch, Sp. 484. – Eine solche Funktionsanalogie von Hirn und Hoden hatte Hoffmann bereits 1726 behauptet; vgl. Friedrich Hoffmann: Untersuchung, von denen unmäßigen und unzeitigen Liebes-Wercken, und was für Kranckheiten daher entstehen. In: Ders.: Gründliche Anweisung wie ein Mensch sich bey verschiedenen Umständen und Zufällen seine Gesundheit erhalten und grösserem Uebel vorbauen könne. Bd. 7. Halle 1726, S. 69–132, hier S. 86. Hoffmann: Fortsetzung der Abhandlung, Sp. 132. Ebd., Sp. 137. Vgl. Friedrich Hoffmann: Von der Einbildungs-Kraft und deren wunderbaren Würckung im menschlichen Cörper. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 12 vom 19. März 1742, Sp. 177–189, hier Sp. 179–182. Hoffmann: Von der Einbildungs-Kraft, Sp. 188; vgl. auch Hoffmanns Vorrede zu Krügers Naturlehre: „Was vor grosse Dinge und Würckungen in der Natur vermag die starcke Einbildungskrafft, sonderlich bey Menschen. Wie kan bey einer schwangern Frau durch eine starcke Phantasie die ordentliche Formation des Kindes und dessen Gliedmassen im Mutterleibe gar bald zerstöret und verändert werden? wie die vielerley Arten der Mißgeburten ausweisen.“ (Friedrich Hoffmann: Vorrede. In: Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. [Erster Theil]. Mit einer Vorrede von der wahren Weltweisheit begleitet von Herrn Friedrich Hoffmann. Halle 1740, o.S.) Ansonsten galt Hoffmann die Hervorbringung von (insbesondere menschlichen) Mißgeburten durch die Kraft der Imagination auch als Beleg für das fortdauernde Wunderwirken Gottes in der Natur und vermittels der Natur: „Deum, adhuc in rerum natura, & per naturam, in
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Die Wirkung der Einbildungskraft in den Körper bestimmt Hoffmann allerdings als rein materielles Geschehen, an dem die immaterielle Vernunftseele des Menschen keinen Anteil habe;86 deshalb komme ein ‚Versehen‘ auch im Tierreich vor, wie schon die biblische Geschichte von den gefleckten Lämmern und Zicklein des Patriarchen Jakob beweise, die beim Anblick bunter Stäbe in der Tränke empfangen worden waren (Gen. 30,37–39).87 Mit der Unterscheidung einer sinnlichen und einer vernünftigen Seele im Menschen – der anima sensitiva und anima rationalis der aristotelisch-scholastischen Tradition – stieß Hoffmann indes auf die theologisch heikle Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele. Zwar versicherte er, daß die sinnliche und die vernünftige Seele „in ihrer Würckung dermassen von GOtt verknüpfet und vereiniget seyn, daß sie eine substanz machen“,88 doch blieb damit ungeklärt, ob sich die immaterielle Vernunftseele überhaupt in derselben Weise fortpflanzen könnte wie der Körper und die ätherische, aber materielle sensitive Seele. Das war nicht zuletzt eine Frage, um die es heftige theologische Kontroversen gegeben hatte, denn das Zeugnis der Heiligen Schrift war in diesem Punkt alles andere als eindeutig. Angesichts des in der lutherischen Dogmatik vorherrschenden und im halleschen Pietismus geradezu kämpferisch übersteigerten Traduzianismus überrascht es nicht, daß auch Friedrich Hoffmann eine Fortpflanzung der menschlichen Seele bei der Zeugung annahm: Gleichermaßen kan man auch leichter und deutlicher diese wichtige und von allen Zeiten her in Streit gewesene Frage, ob die vernünftige Seele mit dem Cörper fortgepflantzet oder von neuen erschaffen werden, einsehen und beurtheilen, da denn jenes billig zu glauben ist.89
Körper und Seele des Menschen werden also bei der Zeugung gemeinsam fortgepflanzt, die Einheit des theologisch verstandenen totus homo ist für Hoffmann demnach durch den im Luthertum vorherrschenden Traduzianismus verbürgt.90 Die prinzipielle Unverträglichkeit des Traduzianismus mit der Annahme einer vollständigen Präformation des Körpers vor der Zeugung machte Hoffmann deshalb nicht zu schaffen, weil er die ‚Anlage‘ des künftigen Organismus im Ei nicht im Sinne
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productione monstrorum, ex sola virtute imaginatrice, & maxime in propagatione generis humani, patrare miracula [...].“ (Friedrich Hoffmann: De fato physico et medico ejusque rationali explicatione. Med. Diss. [Resp. Caspar Harbort] Halle 1724, S. 49f.) Vgl. Friedrich Hoffmann: Ausführlicher Beweiß, daß die unordentliche Gemüths-Verfassung die vornehmste Ursach vieler schweren [!] Kranckheiten ja des Todes sey. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 16 vom 16. April 1742, Sp. 249–258, hier Sp. 249f. Vgl. Hoffmann: Von der Einbildungs-Kraft, Sp. 182. Ebd., Sp. 189. Ebd. – Die Vermutung, daß Ärzte generell den Traduzianismus favorisierten, spricht Robert Crocker in Hinblick auf England in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus: „The doctrine [traducianism, S.B.] was favoured particularly by physicians, it seems.“ (Robert Crocker: Henry More and the Preexistence of the Soul, S. 93, Anm. 47) Zum Zusammenhang des Traduzianismus mit der altprotestantischen Lehre vom ‚totus homo‘ vgl. Ratschow: Lutherische Dogmatik, Bd. 2, S. 202f.
einer komplett vorgegebenen Organisation interpretierte, sondern im Sinne einer durch den männlichen Samen zu ergänzenden Struktur. Den gemeinsamen Beitrag beider Geschlechter zum Zeugungsgeschehen belegte nach seinem Dafürhalten allein schon die Vererbung von Merkmalen sowohl des Vaters als auch der Mutter. Die Embryonalentwicklung war für Hoffmann denn auch mehr als die bloße ‚Entwicklung‘ einer bereits vollständig vorgegebenen Anlage, weshalb auch die Seele der Mutter das Wachstum des Embryos in entscheidender Weise beeinflussen konnte. Präformationistische und epigenetische Ansätze schlossen einander in Hoffmanns Denken also nicht aus, sie ergänzten sich vielmehr gegenseitig. Das Besondere der bei Hoffmann nachgewiesenen Verbindung einer medizinischen Zeugungslehre mit dem Traduzianismus läßt sich im Kontrast zu den generationstheoretischen Positionen Gundlings und Buddes zeigen, die beide an der philosophischen Fakultät der Universität Halle lehrten. Nicolaus Hieronymus Gundling, der wohl bedeutendste Schüler Christian Thomasius’ und wie dieser zugleich Angehöriger der juristischen und der philosophischen Fakultät,91 berief sich in seinen Otia (1706–07) ausdrücklich auf die Autorität Hoffmanns in Fragen der biologischen Generation. Vom CommerciumProblem ausgehend, dem er in seinen Schriften breiten Raum widmet,92 kam er in einem Aufsatz Von dem Temperament der Spanier auf die Frage der Zeugung des Menschen zu sprechen und bekannte dort: Mir gefället der neuern Naturkündiger ihre Meinung nicht übel, als welche dafür halten, daß in dem Saamen selbsten die delineation aller Theile des Menschlichen Cörpers enthalten, welches auch die Microscopia anzeigen, und daß die Zeugung darinnen bestehe, daß eine Euolution dieser Theile geschehe, biß das Kind zur Zeitigung komme, und ans TagesLicht gestellet werde; nach welchen hernach die Lufft, Hitze, Speise und Tranck zu fernerer ausarbeitung nicht wenig thut, und contribuiret.93
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Vgl. Johann Christian Förster: Übersicht der Geschichte der Universität zu Halle in ihrem ersten Jahrhundert [1794]. Hg., bearb. und mit Anhängen versehen von Regina Meyer und Günter Schenk. Halle 1998 (= Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte: Monographien), S. 43; Gerd Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems (Lehre von der prästabilierten Harmonie und vom psychophysischen Parallelismus in der Leibniz-Wolffschen Schule). Hildesheim 1974 [ND der Ausg. Langensalza 1925] (= Philosophische und psychologische Arbeiten, 8), S. 161–166. Gerd Fabian führt aus, Gundling habe „den Zusammenhang zwischen Leib und Seele geradezu zum Fundament seiner Philosophie und speziell seiner Ethik gemacht [...], ohne allerdings eine Lösung dieses Problems zu schaffen.“ (Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 162) Nicolaus Hieronymus Gundling: Von dem Temperament der Spanier. In: Ders.: Otia. 3 Bde. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1706–07, Bd. 1, S. 1–80, hier S. 4. Nahezu wörtlich übernimmt Gundling diese Ausführungen später in seine Schriften zur Logik und Ethik; vgl. Ders.: Philosophische Discourse [Via ad veritatem, 1713–15]. Frankfurt a.M. und Leipzig 1730–40, Bd. 1: Die Vernunftlehre, S. 21 sowie Bd. 2/3: Die Sittenlehre, S. 538f. In der Sittenlehre fügt Gundling relativierend hinzu: „Es ist dieses [die Delineation der Teile des Körpers im Samen, S.B.] freilich nur eine conjectur, welche hin und wieder ventiliret wird. Zu einer gewissen und ma-
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Alles scheint hier zunächst auf einen entschiedenen Präformationismus Gundlings hinzudeuten, so die Berufung auf die „neuern Naturkündiger“ und auf die durch mikroskopische Befunde bezeugte „delineation“ aller Teile des Körpers, die nur noch der ‚Entwicklung‘ bedürften.94 Von den Zeitgenossen wurden diese zeugungstheoretischen Ausführungen dementsprechend als ein vorbehaltloses Bekenntnis Gundlings zur Präformation, speziell zum Ovismus, verstanden und kritisiert. Das veranlaßte ihn zu folgender Richtigstellung: Ich habe von der Delineatione partium in ouo materno kein Wort gesaget: sondern vielmehr gemeinet, die Delineatio seye in dem Saamen so wohl deß Mannes, als deß Weibes, welche Opinion ein berühmter Medicus unserer Friedrichs-Vniuersität in der Dissertation de Morbis hereditariis außgeführet hat.95
Unterstrichen wird dieses Bekenntnis zu einer auf die antike Zwei-Samen-Lehre rekurrierenden Zeugungstheorie durch ein umfängliches Zitat aus eben jener Dissertation, deren Titel richtiger mit De affectibus hereditariis illorumque origine anzugeben ist und die natürlich von niemand anderem als Friedrich Hoffmann stammt.96 Gundling ignoriert allerdings geflissentlich, daß in Hoffmanns Generationstheorie Embryogenese und Psychogenese durch den Traduzianismus verbunden sind, woraus sich die Möglichkeit der Vererbung seelischer Dispositionen und nicht zuletzt der Erbsünde ergibt. Er selbst hegt nämlich, wie er einige Jahre später ausführt, Zweifel an den überkommenen Seelenursprungslehren. Das Commercium zwischen Körper und Seele, die Gott miteinander verbunden habe,97 gestatte zwar zu sagen, daß die Seele im Leibe sey. Wie sie aber hineingekommen, kan man freilich nicht gewiß sagen; ob per traducem, an per immediatam Dei creationem, oder auf andere Weise; das ist alles ungewiß. Es ist noch keine einzige Meinung de propagatione vorgebracht worden, welche nicht ihre dubia habe.98
Gundlings Skepsis gegenüber dem Traduzianismus gründet vor allem auf dem Problem der Teilbarkeit der Seele;99 er geht sogar so weit, dem Kreatianismus eine
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thematischen demonstration bringen wir es ohnedem nimmermehr in dieser Sache.“ (Ebd., S. 539) Ausdrücklich leugnet Gundling eine Baumeistertätigkeit der Seele an ihrem Körper, wodurch sich seine Zeugungstheorie von der seines Lehrers Thomasius deutlich abhebt; vgl. Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 165; vgl. dazu auch unten S. 57–59. Nicolaus Hieronymus Gundling: Versuch von dem Willen deß Menschen. In: Ders.: Otia., Bd. 3, S. 108–151, hier S. 129; auch diese Passage findet sich fast wörtlich im bereits zitierten Paragraphen der Logik; vgl. Ders.: Philosophische Discourse, Bd. 1, S. 21. Dort wird Hoffmann sogar namentlich genannt, der Titel der Dissertation aber erneut falsch angegeben. Friedrich Hoffmann: De affectibus hereditariis illorumque origine. Med. Diss. (Resp. Anton Philipp Bornemann) Halle 1699. Vgl. Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 163f. Gundling: Philosophische Discourse, Bd. 2/3: Die Sittenlehre, S. 538. Vgl. ebd., S. 539.
größere Wahrscheinlichkeit zuzusprechen, was nach dem vorangegangenen Bekenntnis zu Hoffmanns Generationstheorie einigermaßen überraschend anmutet: Die probabelste Meinung ist wohl diese, daß jede Seele peculiariter erschaffen werde. Gnug, indessen, wir sind wenigstens völlig überzeuget; animam residire in corpore tanquam domicilio suo, und daß sie sehr genau mit demselben verknüpfet sey, mithin auch ein mutuum commercium actionum & passionum klärlich wahrgenommen werde.100
Für diese Wendung dürften indes nicht allein philosophische Erwägungen über die Unteilbarkeit der Seele den Ausschlag gegeben haben, sondern auch Gundlings theologische Ausbildung an der Universität Jena, wo, wie erwähnt,101 im 17. Jahrhundert eine Bastion des Kreatianismus innerhalb des Luthertums bestand. Ein anderer Absolvent dieser Schule war der von 1693 bis 1705 in Halle als Professor der Moralphilosophie lehrende Johann Franz Budde, der später eine theologische Professur in Jena übernahm. Ihm wird zwar immer wieder eine Nähe zum Pietismus nachgesagt,102 doch war er als Theologe um eine vermittelnde Position zwischen Pietismus und Orthodoxie bemüht,103 als Philosoph war er erklärter Eklektiker. Die in seiner halleschen Zeit entstandenen Schriften fanden als Lehrbücher für den philosophischen Unterricht in hohen Auflagen Verbreitung und stellen „das vor Wolff am weitesten verbreitete philosophische System“ dar.104 Buddes Elementa philosophiae theoreticae (1703), in deren Vorrede sich eine Würdigung der Verdienste Friedrich Hoffmanns um die Naturlehre findet,105 beginnen ungewöhn100 101 102
Ebd., S. 540. Vgl. oben S. 19, Anm. 6. Vgl. Ulrich Gottfried Leinsle: Reformversuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus. Augsburg 1988, S. 191f.; Max Wundt: Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung. Hildesheim 1964 [ND der Ausg. Tübingen 1945] (= Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, 32), S. 63–75. 103 Vgl. Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens. 5 Bde. [erstmals 1949–54]. Waltrop 2000, Bd. 2, S. 320, 326. Laut Arnold F. Stolzenburg wurde Budde in Halle gerade wegen seiner Beziehungen zur Orthodoxie (er hatte in Wittenberg und Jena studiert) eine theologische Professur verweigert; vgl. Arnold F. Stolzenburg: Die Theologie des Jo. Franc. Buddeus und des Chr. Matth. Pfaff. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Deutschland. Aalen 1979 [ND der Ausg. Berlin 1926] (= Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche, 22), S. 245. Dennoch galt Budde manchem Orthodoxen geradezu als Pietist, wiewohl er selbst es stets abgelehnt habe, sich als solchen zu bezeichnen (ebd., S. 254f., 257). Noch lange nach seiner halleschen Zeit leistete er den Pietisten in ihrem Kampf gegen die Wolffsche Philosophie Schützenhilfe; vgl. Johann Franz Budde: Bedencken über die Wolffianische Philosophie, nebst einer historischen Einleitung zur gegenwärtiger [!] Controversie zum Druck übergeben von Jo. Gustavo Idirpio [d.i. Johann David Jäncke]. Freyburg [d.i. Jena] 1724. 104 Wundt: Schulphilosophie, S. 66; vgl. auch ebd., S. 75. Nach Buddes Elementa philosophiae theoreticae wurde laut Zedlers Universal-Lexicon „fast auf allen Universitaeten, und denen vornehmsten Gymnasiis in Teutschland gelesen“ (Anon.: Art. Buddaeus, Joann Francisc. In: Zedler: Universal-Lexicon, Bd. 4, Sp. 1793–1797, hier Sp. 1795). 105 Vgl. Johann Franz Budde: Elementa philosophiae instrumentalis seu institutiones philosophiae eclecticae. 3 Bde. Bd. 2: Elementa philosophiae theoreticae [erstmals 1703]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Hildesheim, Zürich u. New York 2004 [ND der 8. Aufl. Halle 1724] (= Historia scientiarum: Fachgebiet Philosophie), Vorrede, o.S.
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licherweise mit einer Anthropologie (De homine), die „eine ganze Anatomie, Physiologie, Pathologie und Psychologie“ umfaßt.106 Das abschließende Kapitel dieser Anthropologie ist ganz der Frage nach dem Ursprung des Menschen gewidmet und erörtert den Ursprung des Körpers ebenso wie den der Seele.107 Budde gibt zunächst eine zusammenfassende Darstellung der neueren medizinischen Generationstheorien, und zwar sowohl des präformationistischen Ovismus und Animalculismus als auch der Epigenese nach mechanischen Gesetzen.108 Vom biblischen Schöpfungsbericht ausgehend, besteht er jedoch darauf, daß die zeugende und fortpflanzende Kraft den Menschen von Gott eingegeben sei und als solche den Sterblichen unbegreiflich bleibe.109 Zu einem ähnlich negativen Befund kommt er dann auch in der Seelenursprungsfrage: Da er weder dem Traduzianismus noch dem Kreatianismus den Vorzug geben mag, beschließt er seine Anthropologie mit der knappen Feststellung, daß der Ursprung der menschlichen Vernunftseele (mens) unserer Erkenntnis unzugänglich sei.110 Hält man sich vor Augen, daß ein mit Bedacht urteilender Eklektiker wie Budde sowohl in der Naturphilosophie als auch in der Dogmatik ohne eine Entscheidung zwischen Kreatianismus und Traduzianismus auskam, obschon er den Ursprung des organischen Körpers wie den der Seele eigens abhandelte, erscheint es um so naheliegender, daß die bei Friedrich Hoffmann begegnende Synthese von medizinischer Zeugungslehre und Traduzianismus ein Produkt des halleschen Pietismus darstellt. Ihr Fortleben in der von Hoffmann begründeten Ärzteschule belegt eine Reihe von Aufsätzen aus der Feder Carl Ludwig Neuenhahns, eines in Halle niedergelassenen Arztes, der 1738 von Hoffmanns bedeutendstem Schüler Johann Heinrich Schulze promoviert worden war und mehr als zehn Jahre nach Hoffmanns Tod mit Vermischten Anmerkungen über einige auserlesene Materien zur Beförderung nützlicher Wissenschaften an die Öffentlichkeit trat.111 Er ließ darin seinem Spott über solche medizinische Generationslehren freien Lauf, die aufgrund der entweder rein patrilinear oder rein matrilinear vorgestellten Präformation des Emb106 107 108 109
Wundt: Schulphilosophie, S. 70. Vgl. Budde: Elementa philosophiae instrumentalis, S. 117–128. Vgl. ebd., S. 122–127. Vgl. ebd., S. 122: „Ita ergo cum semel hominum genus productum esset, generandi et se multiplicandi vim eidem indidit Deus, ut propagari posset. Et hoc modo, per generationem videlicet, hodie homines oriuntur. Est vero generatio ita comparata, ut quanto magis eius effectus admirandi sunt, eo minus ratio modusque intelligi ab ullo mortalium possit.“ 110 Vgl. ebd., S. 128: „Quare nihil aliud superest, quam ut ingenue profiteamur, mentis nobis incognitam esse originem.“ – In seiner Dogmatik kam er nach einem Überblick über die Geschichte der Seelenursprungslehre dann zum gleichen Ergebnis; vgl. Johann Franz Budde: Institutiones theologiae dogmaticae variis observationibus illustratae. 2 Bde. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 7,1–2. Hildesheim, Zürich u. New York 1999 [ND der Ausg. Leipzig 1723] (= Historia scientiarum: Fachgebiet Philosophie), S. 498. 111 Carl Ludwig Neuenhahn: Vermischte Anmerkungen über einige auserlesene Materien zur Beförderung nützlicher Wissenschaften. 4 Theile. Leipzig 1754–56. Zu Schulze vgl. Wolfram Kaiser u. Arina Völker: Johann Heinrich Schulze (1687–1744). Halle 1980 (= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1980/45 [T 38]).
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ryos weder die Geschlechtsdetermination des Nachwuchses noch die Vererbung seitens beider Elternteile klären könnten.112 Um aber nicht auf eine mechanistisch verstandene Epigenesislehre und den mit ihr verbundenen Kreatianismus zu verfallen, erklärte er (ganz im Sinne Hoffmanns), daß die Embryogenese nicht „von ohngefehr mechanisch nothwendig“ erfolge und auch nicht „von dem allgemeinen Weltgeiste oder von GOtt unmittelbar ausgeführet“ werde.113 Statt dessen machte er wie Hoffmann eine „geheime Kraft“ im männlichen Samen, „welche die Alten vim plasticam zu nennen pflegten“, für die Hervorbringung des Körpers verantwortlich.114 Doch reiche diese Erklärung noch nicht hin, die Entstehung des ‚ganzen Menschen‘ begreiflich zu machen, bleibe doch die Frage, „von wem nehmlich die vernünftige Seele nach dem Falle [nach dem Sündenfall, S.B.] ihren Ursprung nehme?“115 Unter heftiger Polemik vor allem gegen den Präexistentianismus bekannte Neuenhahn sich dann ebenfalls zur traduzianistischen Lösung des Seelenursprungsproblems: Der Mensch würket also in der Handlung der Erzeugung, nach denen ihm anfänglich mitgetheilten Kräften der Seele und Fähigkeit des Leibes, überträgt beyder Wesen auf einen andern Menschen, und macht ihn selbst zu einer lebendigen Seele aus dem Wesen seiner eignen Seele, oder vielmehr aus ihren Kräften. Es ist also auch ganz irrig und ungeräumt, wenn man wähnet, daß eine vorräthige bestimmte Zahl der Seelen anfangs geschaffen wären, und in einem Raume aufbehalten, alsdenn aber herausgegeben würden, wenn ein fruchtbarer Beyschlaf erfolgte. Dieses ist ein Gedanke blöder Vernunft, der zu andern irrigen Meynungen anlasset. Wir behaupten also mit Recht, daß Gott, so zu sagen, einen Theil seiner Macht und Weißheit auf das menschliche Geschlecht übertragen habe, sich selbst nach Leib und Seele zu verbreiten, denn er gebot ihnen fruchtbar zu seyn und sich zu mehren.116
Die Integration theologischer und medizinischer Positionen soll hier also die Entstehung des ‚ganzen Menschen‘ nach Leib und Seele einsichtig machen. Neuenhahn erkannte jedoch, daß die nach dem altprotestantischen Modell des ‚totus homo‘ verbürgte Fortpflanzung der Seele von den Eltern auf den Nachwuchs in einem philosophisch-naturkundlichen Kontext insofern prekär war, als die dabei vorausgesetzte Übertragbarkeit der Seele zugleich die Frage nach deren Einheit bzw. Teilbarkeit aufwarf: Gott bließ dem ersten Menschen nur einen Geist, eine vernünftige Seele ein, diese Einheit aber, die in ihrem Wesen nicht trennbar ist, hat zugleich eine Vielheit geistlicher Kräfte, und vervielfältigt sich wie die Materie, und mit ihr in der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts, ob sie gleich an sich nicht leidet wie die Materie. Daß aber unser Verstand die Theilbarkeit der Seele nicht fassen kan, dürfen wir uns so ferne nicht wundern, da wir das Wesen dieses Geistes nicht verstehen, sondern die Erkenntniß desselben durch den Fall in unserm Verstande verlo112
Vgl. Carl Ludwig Neuenhahn: Von der Verschiedenheit der menschlichen Bildung. In: Ders.: Vermischte Anmerkungen, Th. 1, S. 219–280, hier S. 226–228. Ebd., S. 233. Ebd., S. 232f. Carl Ludwig Neuenhahn: Von der Verschiedenheit der menschlichen Gemüthsbildung. In: Ders.: Vermischte Anmerkungen, Th. 2, S. 421–545, hier S. 440. 116 Ebd., S. 441f. 113 114 115
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schen ist, wir mögen gleichwol auch nicht daran zweifeln, wenn uns die Warheit dieser Sache durch die Erfahrung in diesen und andern täglichen Beweisen bekannt wird.117
Verantwortlich für die mangelnde Einsichtigkeit der Fortpflanzung der Seele ist also nach Neuenhahns Einschätzung nicht etwa eine unzulängliche philosophische Begrifflichkeit, sondern die (wiederum theologisch verbürgte) allgemeine Verderbnis der menschlichen Vernunft infolge des Sündenfalls. In seinen Augen sorgte allein die Erfahrung für eine gewisse Evidenz der innerweltlichen Fortpflanzung der Seele, beispielsweise durch die (auch gemütsmäßige) Ähnlichkeit des Nachwuchses mit beiden Elternteilen: „wir sehen aber vielmehr aus der Gleichheit der Kinder mit ihren Aeltern, daß sie die Seele von solchen erhalten haben.“118 Neben den theologischen Positionen des Kreatianismus und des Präexistentianismus mußte Neuenhahn sich schließlich noch mit einer Lehre auseinandersetzen, die davon ausging, „daß Gott alle Seelen vom Anfange der Welt erschaffen, und sie mit einem gewissen kleinen organischen Leibe unterschieden habe.“119 Diese ursprünglich von Leibniz begründete psychophysische Präexistenzlehre hatte, wie bereits erwähnt, ihren einflußreichsten Vertreter in Christian Wolff gefunden. Wolffs Name wird allerdings von Neuenhahn in seiner Auseinandersetzung mit dieser in Halle also durchaus prominenten Lehre nicht erwähnt. Eine Erklärung dafür bietet der Umstand, daß der 1740 in allen Ehren an die Fridericiana zurückberufene Philosoph zum Zeitpunkt der Abfassung der medizinischen Abhandlung das Amt eines Kanzlers der Universität bekleidete (er starb 1754, im Jahr vor der Veröffentlichung von Neuenhahns Sammlung).120 Die Vorstellung von der gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele ist nach Neuenhahns Auffassung eine bloße „Hypothese“, ein „Wahn“, der „vielen nachtheiligen Folgen unserer heiligen Religion unterworfen“ sei.121 Die von ihm (ebenso wie seinerzeit von Hoffmann) erwartete Zusammenstimmung von Medizin und Naturlehre mit pietistischen Glaubensinhalten gab demnach den Ausschlag dafür, die psychophysische Präexistenz des Menschen nach Leib und Seele als unzuträgliche Spekulation abzulehnen. Eine ähnliche theologisch motivierte Zurückweisung der psychophysischen Präexistenzlehre findet sich auch unter Vertretern der Stahl-Schule, die mit ihren Ausfällen gegen die Wolffsche Philosophie den Angriffen der pietistisch geprägten theologischen Fakultät gewissermaßen vorgearbeitet hatten, deren Resultat die damalige Verweisung Wolffs von der Universität Halle gewesen war.
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Ebd., S. 442. Carl Ludwig Neuenhahn: Von der Gemeinschaft der Seelen untereinander. In: Ders.: Vermischte Anmerkungen, Th. 2, S. 685–728, hier S. 713. 119 Ebd., S. 713f. 120 Die meisten Aufsätze der Sammlung stammen (laut deren Vorreden) aus den Jahren 1744 bis 1754. 121 Neuenhahn: Von der Gemeinschaft der Seelen untereinander, S. 714.
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1.2.2 Die Seele als Baumeisterin ihres Körpers Stahl kritisierte ebenso wie Hoffmann die zeitgenössischen Präformationstheorien als ungeeignet, das Problem der biologischen Generation zu lösen: Eine einseitig matrilineare bzw. patrilineare Einschachtelung vollständig präformierter Keime mußte schon deshalb ausgeschlossen sein, weil die Entstehung des Embryos ganz offensichtlich einen gleichwertigen Beitrag beider Geschlechter voraussetzte, wie es etwa Hybridzüchtungen belegten.122 Stahls Lösung des Generationsproblems sah jedoch anders aus als diejenige Hoffmanns. In seinem voluminösen Hauptwerk Theoria medica vera (1708) stellte Stahl bekanntlich das Wirken der Seele in den Mittelpunkt des physiologischen Geschehens, so auch in der Zeugungs- und Entwicklungslehre.123 Stahls Begriff der ‚Seele‘ ist allerdings schillernd und unterscheidet sich deutlich von dem der Tradition;124 modern gesprochen umfaßt er „zentrale Systemeigenschaften unbewußter und bewußter Rationalität von Lebensvorgängen“125 und hintertreibt die cartesische Substanzentrennung zwischen res cogitans und res extensa, indem er als „Erkenntnisfähigkeit im Körper, das leitende und nicht dualistisch begriffene Konzept der Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung (bewußt und unbewußt) und Körperorganisation“ gefaßt wird.126 Stahl erklärte, der Körper sei so beschaffen, daß die Seele sich seiner aufs bequemste zu allen ihren Geschäften bedienen könne, ja er existiere einzig und allein um ihrer willen;127 seine zweckmäßige Einrichtung erlange er dadurch, daß die Seele selbst 122 123
Vgl. Georg Ernst Stahl: Theoria medica vera. Halle 1708, S. 496, 505–509. Vgl. Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 301–305, 314. – Zum Stahlschen Seelenbegriff allgemein vgl. Paul Hoffmann: La Controverse entre Leibniz et Stahl sur la nature de l’âme. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 199 (1981), S. 237–249; Ders.: L’âme et les passions dans la philosophie médicale de Georg-Ernst Stahl. In: Dix-huitième siècle 23 (1991), S. 31–43. 124 Vgl. Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 308: „Le statut ontologique de l’âme ne préoccupe guère Stahl, qui évacue volontiers les concepts métaphysiques [...].“ Dies schlägt sich auch in der Terminologie nieder; vgl. Axel Bauer: Georg Ernst Stahl (1659–1734). In: Dietrich von Engelhardt u. Fritz Hartmann (Hg.): Klassiker der Medizin. Bd. 1: Von Hippokrates bis Christoph Wilhelm Hufeland. München 1991, S. 190–201, 393–395, hier S. 195: „Vielfältig sind die Termini, die Stahl zur Bezeichnung dieser Seele verwendet: Anima, Physis, Natura, Vis vitalis, Principium vitale, Agens vitale oder Vis plastica heißt bisweilen jenes Prinzip, das die seit der Antike geläufige Pneumalehre auf besondere Weise interpretiert und fortführt.“ 125 Alfred Gierer: Stahls konstruktiver Antimechanismus. In: Engelhardt u. Gierer (Hg.): Stahl in wissenschaftshistorischer Sicht, S. 49–58, hier S. 55. 126 Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 51; vgl. auch Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 349f. An anderer Stelle weist Geyer-Kordesch darauf hin, daß nach Stahls holistischem Ansatz eine Unterscheidung von Leib und Seele am lebendigen Körper „nicht nur absurd, sondern auch gefährlich“ sei; Johanna Geyer-Kordesch: Psychomedizin – die Entwicklung von Medizin und Naturanschauung in der Frühaufklärung. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 25–47, hier S. 28. In diesem Zusammenhang rückt sie Christian Thomasius in die Nähe der Stahlschen ‚Psychomedizin‘ (ebd., S. 43–46); vgl. dazu unten S. 57. 127 Vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 44f., 260; Ders.: Negotium Otiosum, seu Skiamachia. Halle 1720, S. 91: „Adeoque Corpus humanum absoluta necessitate, & perpetua veritate, sit propter Animam, & nullam aliam rem sub sole: Propter illam, inquam, absoluta necessitate: propter ullam aliam rem, ne quidem ulla suspicabili probabilitate.“
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ihn zu ihrem Gebrauch erbaue und einrichte.128 Während der Embryonalentwicklung verrichte die Seele die Baumeistertätigkeit an ihrem Körper durch die Steuerung und Überwachung von Bewegungen wie den Umlauf des Blutes oder die Zufuhr des Nahrungssaftes.129 Sie wirke aber nicht nur durch Bewegungen, sondern Bewegung sei das eigentliche Wesen der Seele.130 Die numerische Zerlegbarkeit jeder Bewegung in einzelne Teilbewegungen lieferte Stahl die Begründung für die Teilbarkeit des bewegenden Wesens der Seele selbst, nämlich bei ihrem Übergang in der Zeugung von den Eltern auf den Nachwuchs.131 Obschon Stahl sich nicht auf die ihm müßig erscheinende Frage einlassen wollte, wie das Zeugungsgeschäft a priori zu erklären sei, zielten seine Ausführungen zur Teilbarkeit der Seele doch unverkennbar darauf ab, den Traduzianismus als theologische Lösung des biologischen Problems zu installieren.132 Diese mit dem halleschen Pietismus gut zusammenstimmende Deutung des Zeugungsgeschehens wurde von Stahls Schülern begeistert aufgenommen: Seine Ausführungen zur Teilbarkeit des bewegenden Wesens der Seele wurden nicht nur in die einschlägigen Lehrbücher zur Physiologie aufgenommen,133 sondern erfuhren oftmals auch noch eine theologische Vertiefung.134 Insbesondere Stahls Lehr128
Vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 260f.: „Vnde mox tanto iustior etiam apparet altera illa collectio, quod ipsa etiam anima, & struere sibi corpus, ita vt ipsius vsibus, quibus SOLIS seruit, aptum est; & regere illud ipsum, actuare, mouere soleat, directe atque immediate, sine alterius mouentis interuentu aut concursu.“ 129 Vgl. ebd., S. 506. 130 Vgl. Lelland J. Rather: G.E. Stahl’s Psychological Physiology. In: Bulletin of the History of Medicine 35 (1961), S. 37–49, hier S. 46. 131 Vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 494: „[...] quod diuisionem animarum attinet, generalis certe conceptus non deest, quod, cum animae essentia, quantum in sensum cadit, in actiuitate Motoria maxime consistat; Motus autem in perpetua diuisione numerica ita consistat, vt nullus Motus diuersorum temporum, sit numero idem cum illo, qui praegresso tempore factus est: Haec consideratio etiam, nullo absoluto impedimento, transferri posse videatur quadantenus ad ipsum Mouens: vt nempe conceptus non aeque absolute abhorreat, quod cum motus sit res adeo diuisibilis, etiam Movens videri possit diuisibile.“ Vgl. dazu Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 303. Vgl. dazu auch P. Hoffmann: La Controverse entre Leibniz et Stahl, S. 241f. 132 Stahl hat die Frage des Ursprungs der Seele also nicht einfach als medizinisch irrelevant abgetan (so Francesco Paolo De Ceglia: Introduzione alla fisiologia di Georg Ernst Stahl. Lecce 2000, S. 10, 82), er hat sie vielmehr als theologisch gelöst betrachtet. 133 Vgl. etwa Georg Daniel Coschwitz: Organismus et mechanismus in homine vivo obvius et stabilitus, seu hominis vivi consideratio physiologica. Leipzig 1725, S. 180f.; Michael Alberti: Introductio in universam medicinam tam theoreticam quam practicam. Bd. 1: Physiologia et pathologia medica. Halle 1718, S. 36; Johann Juncker: Conspectus physiologiae medicae et hygieines. Halle 1735, S. 145f. 134 Johanna Geyer-Kordesch weist darauf hin, „daß die Hauptverteter der Nachfolge Stahls fast alle ausgebildete Theologen waren.“ (Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 7) – Der Traduzianismus wurde auch in der die Stahlsche Medizin kompilierenden und popularisierenden Literatur als unabdingbarer Bestandteil des Lehrgebäudes verstanden, so etwa in der „aus Stahlischen Principiis und dessen Nachfolgern Schrifften“ entworfenen Darstellung: [Johann Christoph Eubelhueber (auch: Eubelhuber)]: Kurtzer Begriff der natürlichen Sein-selbst Erkenntnüß, bestehend in zwar kurtz gefassten, doch gründlichen Unterricht von der Physiologie und Pathologie. Regensburg 1739, S. 2–4.
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stuhlnachfolger Michael Alberti, ursprünglich studierter Theologe, war eifrig bemüht, die theologische Fundierung der Stahlschen Medizin herauszuarbeiten.135 In seiner Abhandlung von der Seele des Menschen, der Thiere und der Pflantzen berief er sich auf eine vermeintlich augustinische Konzeption der Seele, um zu erweisen, daß es ein und dieselbe Substanz sei, die die Vernunftschlüsse verrichte und alle zur Erhaltung des Körpers notwendigen (unwillkürlichen und unbewußten) Bewegungen steuere.136 Eine solche vernünftige Seele komme dem Menschen nicht allein zu, sondern auch den Tieren und Pflanzen; den Menschen zeichne also nicht die Vernünftigkeit, sondern allenfalls die Unsterblichkeit seiner Seele aus;137 in jedem Fall sei das Stufenmodell von anima vegetativa, anima sensitiva und anima rationalis der aristotelisch-scholastischen Tradition zurückzuweisen.138 Der 135
Zu Alberti vgl. Wolfram Kaiser und Arina Völker: Michael Alberti (1682–1752). Halle 1981 (= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1982/4 [T 44]). – Eine pietistische Prägung Albertis vermerkt bereits der zeitgenössische Biograph Friedrich Börner, der seinen Nachrichten von den Lebensumständen und Schriften jetztlebender berühmter Aerzte und Naturforscher in und um Teutschland schriftliche Auskünfte der von ihm abgehandelten Mediziner zugrunde legte; vgl. Johanna Geyer-Kordesch: Medical Biographies of the 18th Century: Reflections on Medical Practice and Medical Education in Germany. In: Wolfgang Eckart u. Johanna Geyer-Kordesch (Hg.): Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert. Die Quellen- und Forschungssituation. Ein Arbeitsgespräch. Münster 1982 (= Münstersche Beiträge zur Geschichte und Theorie der Medizin, 18), S. 124–147, hier S. 130. Laut Börner war es der persönliche Umgang mit Francke, „der auch bey unsern Gelehrten [Alberti, S.B.] die Funken einer wahren Gottesfurcht mehr anzündete und ihn zu einer rechtschaffnen Ausübung anführte.“ (Friedrich Börner: Nachrichten von den Lebensumständen und Schriften jetztlebender berühmter Aerzte und Naturforscher in und um Teutschland. Wolfenbüttel 1749–53, Bd. 1, S. 406) Ferner habe Alberti, so Börner, „die Stahlischen Lehrsäze in ein so helles Licht gesezt, daß Er billig unter die verdientesten und berühmtesten Lehrer der Stahlischen Schule gezählt werden kann. [...] Besonders sind aber auch die Verdienste des Herrn Hofrats in dieser Wissenschaft [der Medizin, S.B.] ausserordentlich, daß Er ihren Nuzen, Gebrauch und Verbindung mit der Gottesgelahrtheit, Rechtsgelehrsamkeit und Weltweißheit gezeiget hat.“ (Ebd., S. 413). Börners biographische Artikel sind auch in das Deutsche Biographische Archiv (DBA I) eingegangen. 136 Vgl. Michael Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften. Halle 1721, S. 42f. – Tatsächlich handelt es sich bei dem von Alberti herangezogenen Traktat De spiritu et anima um eine pseudo-augustinische Schrift aus dem 12. Jahrhundert; vgl. Leo Norpoth: Der pseudoaugustinische Traktat: De spiritu et anima [erstmals 1924]. Köln u. Bochum 1971. 137 Johanna Geyer-Kordesch hat in ihrer Kritik an der Charakterisierung des Stahlschen Seelenbegriffs durch Karl E. Rothschuh auf die Differenz von medizinischem und theologischem Seelenbegriff hingewiesen, insbesondere erhebe sich für Stahl nicht die Frage der Unsterblichkeit der anima rationalis; vgl. Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 50f., Anm. 148. Dem dürfte im Hinblick auf die Stahl-Schule nur bedingt zuzustimmen sein; zumindest läßt sich nicht behaupten, daß es Stahl oder seinen unmittelbaren Schülern „nicht um die Lösung theologischer Fragen ging, sondern um rein medizinische“ (so Geyer-Kordesch, ebd., S. 51, Anm. 148). Im Zusammenhang der Generationslehre liegt die Interdependenz zwischen theologischen und medizinischen Konzepten auf der Hand. 138 Vgl. Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 16, 45f., 135–138, 159, 164, 208, 242–265; Ders.: De superstitione medica [Med. Diss. (Resp. David Gottfried Kletschke) Halle 1720]. In: Ders.: Specimen medicinae theologicae. Halle 1726, S. 142–202, hier S. 168; Stahl: Theoria medica vera, S. 263f.; Stahl: Negotium Otiosum, S. 125: „Quid, cum antiquioribus Sophistis, etiam ipse Galenus huic veritati opposuerint tricarum, triplici illa animarum serie; Ve-
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innige Zusammenhang, den das Walten einer vernünftigen Seele in allen Lebewesen zwischen den Reichen der belebten Natur herstellt, erweist sich für Alberti gerade bei der Fortpflanzung aufs Deutlichste: Wann wir in der Schöpffung die Gleichheit derer Thiere mit dem Menschen suchen wollen, so finden wir sie in einem solchen Werck, da die Seele des Menschen gleichsam den Grund des gantzen übrigen Fortganges, ja den Fort- und Ausgang selbst richtig und ordentlich (wo sie nicht perturbiret wird) ausmachet; dieses ist die Fortpflantzung des Menschlichen Geschlechts (und hat gewiß nicht ohne Grund diese expression des Fortpflantzens überkommen) oder das opus generationis [...].139
Die Fortpflanzung von Mensch und Tier soll im Hinblick auf die Seele also mit der Vermehrungsart der Pflanzen übereinstimmen. Dieser bemerkenswerten Feststellung liegt eine implizite Anspielung auf die Vermehrung von Pflanzen mittels Ablegern zugrunde, die dem Traduzianismus den Namen gibt: Die Seele des ‚Sprößlings‘ ‚stammt‘ demnach von den Eltern wie die als Ableger in die Erde gesenkte Weinranke (tradux) vom Weinstock – die ungeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen bildet also das Modell für die Entstehung neuer Seelen bei der geschlechtlichen Zeugung. Alberti führt das traduzianistische Argument weiter aus und vermerkt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, „daß die Seele divisibilis sey“,140 da sie bei der Zeugung von den Eltern auf den Nachwuchs übergehe.141 Das ließ sich freilich nicht von Pseudo-Augustinus ableiten (übrigens auch nicht von Augustinus selbst, der den Traduzianismus nur um seiner Brauchbarkeit für die Erbsündenlehre willen nicht verworfen hatte),142 wohl aber von Philipp Jacob
getativae, sensitivae, & rationalis: in Scholis notum est. Medici vero, quotquot hac de re aliquid edisseruerunt, uni animae tres has facultates tribuerunt: Vocatis solum in subsidium spiritibus, ne anima immediate in corpus agere videretur.“; vgl. ebd., S. 198f.; Lelland J. Rather u. John B. Frerichs: The Leibniz-Stahl Controversy II: Stahl’s Survey of the Principal Points of Doubt. In: Clio Medica 5 (1970), S. 53–67, hier S. 57; vgl. dazu auch Fritz Hartmann: Mechanismus-Organismus-Konzepte von G.W. Leibniz und G.E. Stahl im Vergleich. In: Hans Poser (Hg.): Nihil sine ratione. Mensch, Natur und Technik im Wirken von G.W. Leibniz. VII. Internationaler Leibniz-Kongreß, Berlin, 10.–14. September 2001. Vorträge. Bd. 1. Hannover 2001, S. 462– 469, hier S. 465; Hans Werner Ingensiep: Geschichte der Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 2001, S. 244–252; Wolfgang U. Eckart: Art. Pflanzenseele II. In: HWPh, Bd. 7, Sp. 403–405, hier Sp. 403. 139 Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 51. 140 Ebd., S. 197; vgl. dazu Ingensiep: Geschichte der Pflanzenseele, S. 248. 141 Die Übereinstimmung mit der lutherischen Dogmatik wird in einer unter Alberti verteidigten Dissertation zum Beseelungstermin ausdrücklich hervorgehoben: „Nostri temporibus omnes Evangelico Lutherani traducem defendunt nec de illa sententia discedere possunt salva doctrina de peccato originali &c.“ (Hansen: De termino animationis foetu, S. 45) 142 Vgl. Helmut Riedlinger: Art. Generatianismus und Traduzianismus. In: HWPh, Bd. 3, Sp. 272f; Norpoth: Der pseudo-augustinische Traktat, S. 93–99. Allgemein zu Augustinus’ Anthropologie vgl. Erich Dinkler: Die Anthropologie Augustins. Stuttgart 1934 (= Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, 4) sowie neuerdings Christoph Horn: Art. Anthropologie. In: Augustinus Handbuch. Hg. v. Volker Henning Drecoll. Tübingen 2007, S. 479–487.
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Spener, den Alberti oft und ausgiebig zitierte.143 Aus Speners Schrift Der hochwichtige Articul von der Wiedergeburt ließ sich etwa die Meinung beibringen: „Zeugen heisset eigentlich einem andern sein wesen mittheilen, wie in dem leiblichen die eltern ihren kindern ihr natürliches wesen und leben, leib und seele, durch göttlichen segen mittheilen.“144 Die Seele des Nachwuchses stammt demnach ebenso wie sein Körper von den Eltern ab; der im Pietismus so nachdrücklich gepredigte Traduzianismus stellte also bei seiner Anwendung auf die medizinische Zeugungslehre eine integrale, psychophysische Theorie der Entstehung des Organismus nach Leib und Seele zur Verfügung, wohingegen der Kreatianismus ebenso wie der Präexistentianismus die natürliche Erzeugung des Leibes von der göttlichen Erschaffung der Seele trennte. Gewährleistet wird die Einheit des Menschen in der stahlianischen Zeugungslehre mithin durch das altprotestantische Modell des ‚totus homo‘, das sie gleichzeitig auf den Traduzianismus als theologische Lösung der gemeinsamen Fortpflanzung von Leib und Seele verpflichtet. Doch ist an der halb medizinischen, halb theologischen Generationstheorie der Stahl-Schule nicht allein die Vorstellung von der Zeugung bemerkenswert, sondern auch die Konzeption der Embryonalentwicklung: Wie gesehen kam der Metapher der Seele als Baumeisterin an ihrem Körper eine zentrale Rolle im Stahlschen Psychodynamismus zu.145 Anders als in zeitgenössischen Präformationstheorien, die von einem bloßen Größenwachstum des in all seinen Einzelheiten unsichtbar präformierten Keimes ausgingen und die deshalb von einer ‚Entwicklung‘ des Embryos im Sinne einer evolutio sprechen konnten, ging man in der Stahl-Schule davon aus, daß sich die Struktur des Organismus erst nach und nach als Ergebnis eines epigenetischen Prozesses aus rudimentären Anfängen herausdifferenziere. So wandte sich der Stahlianer Christian Friedrich Richter gegen die Vorstellung einer animalculistischen Präformation mit dem Argument, „daß der Anfang zur Bildung und Wachsthum des Leibes nicht in dem Samen geschehe, sondern in einem ausser dem Utero an denen Testibus [hier: die Eierstöcke] befindlichen Ovulo, wohin also dasjenige Cörperlein [das Animalculum, S.B.], wenn es auch im Saamen würcklich
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Vgl. etwa die Dissertationen Albertis in der Sammlung Specimen medicinae theologicae (Halle 1726, passim); vgl. dazu S. Pott: Medizin, Medizinethik und schöne Literatur, S. 71. 144 Philipp Jacob Spener: Der hochwichtige Articul von der Wiedergeburt [1696]. Hildesheim, Zürich u. New York 1994 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1715] (= Ders.: Schriften, 7), S. 127. 145 Vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 260f., 506; Christian Friedrich Richter: Höchst-nöthige Erkenntniß des Menschen, sonderlich nach dem Leibe und natürlichem Leben. 3., verm. und verb. Aufl. Halle 1710, S. 99. – Zu Richter vgl. Jürgen Helm: Christian Friedrich Richters ‚Kurtzer und deutlicher Unterricht‘ (1705). Medizinische Programmschrift des Halleschen Pietismus? In: Toellner (Hg.): Die Geburt einer sanften Medizin, S. 25–37; Ders.: Daß auch zugleich die Gottseligkeit dadurch gebauet wird, S. 200–203; Eckhard Altmann: Christian Friedrich Richter (1676–1711). Arzt, Apotheker und Liederdichter des halleschen Pietismus. Witten 1972; Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 5,1: Aufklärung und Pietismus. Tübingen 1991, S. 87–92.
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vorhanden wäre, nicht würde gelangen können.“146 Gegen die Vorstellung einer Präformation im Ei spreche hinwiederum das beobachtbare epigenetische Wachstum des Keims: Bey der Bildung des Leibes hat man wargenommen, daß nicht der gantze Leib auf einmal formiret, sondern vornehmlich der Anfang von denen nöthigsten Gliedern gemacht, und dannenhero erstlich das Gehirn und Hertz gebildet werde [...]. Daher diejenigen gantz keinen Grund haben, welche gläuben, daß der Cörper schon in der gantzen Gestalt in dem Ovulo zu finden sey.147
Auch in Hinsicht auf die Epigenese ließ sich trefflich an pietistisches Gedankengut anschließen:148 Alberti berief sich auf eine Äußerung Speners, die den Bau des Körpers durch die Seele als einen epigenetischen Prozeß kennzeichnete, der sukzessive von undifferenzierten Anfängen zur differenzierten Gestalt des Menschen führte.149 Speners Diktum lautete: Wo der mensch empfangen wird, ists nicht gleich eine völlige menschliche gestalt, sondern ein geringer anfang, darauß, wer es siehet, nimmer gedencken solte, daß ein menschlicher Leib formiret werden könte: aber allgemach bildet GOTT, und in dessen krafft die seele ihre wohnung, den leib, biß er eine völlige gestalt gewinne.150
Wenn sich dennoch kein emphatisches Bekenntnis zur Epigenese bei Stahl und seinen unmittelbaren Schülern findet, so liegt das offenbar daran, daß ihnen die Ausprägungen der Epigenesislehre im 17. Jahrhundert suspekt waren, und zwar nicht nur Descartes’ und Gassendis mechanistische bzw. atomistische Konzeptionen der Embryogenese, sondern ebenso Harveys Erneuerung der aristotelischen 146
Christian Friedrich Richter: Erbauliche Betrachtungen von Ursprung und Adel der Seelen. Halle 1718, S. 245f. Diese postume Schrift Richters blieb bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts präsent; nach vier Auflagen erschien 1767 noch eine „verbesserte und vermehrte Auflage“ (vgl. Altmann: Christian Friedrich Richter, S. 219). 147 Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 26f.; vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 500, 507. – Auch Richters Erkenntniß des Menschen erfreute sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit; sie erschien 1791 in 18. Auflage; die hier zitierte erste Ausgabe des Werkes wird im Titel als dritte Auflage (nämlich von Richters Kurztem und deutlichem Unterricht von 1705) gezählt; vgl. Altmann: Christian Friedrich Richter, S. 75, 217. 148 Im Falle Christian Friedrich Richters sind besonders enge Bindungen zum Pietismus gegeben: Seine Familie war mit Spener bekannt und mit Francke verwandtschaftlich verbunden, den der junge Richter brieflich auch als „Herr Schwager“ anredet; vgl. Altmann: Christian Friedrich Richter, S. 17, 19. 149 Vgl. Michael Alberti: De natura generatrice. Med. Diss. (Resp. Christoph Bartholomäus Huhn) Halle 1731, S. 30. Zur Urheberschaft Albertis siehe: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 40 vom 1. Oktober 1731, Sp. 627f. 150 Spener: Articul von der Wiedergeburt, S. 966. – Völlig verdreht wird dieser Zusammenhang in der Darstellung Kluges, wonach Speners theologische Position die Stahlsche Medizin voraussetze und nicht umgekehrt; vgl. Kluge: eyn noch nit lebendig kindt, S. 75, Anm. 25. Ursache für diese Fehldeutung dürfte nicht so sehr der Umstand sein, daß dem Autor die Spenerschen Lebens-Pflichten trotz umfangreicher bibliographischer Recherchen merkwürdigerweise unauffindlich geblieben sind, sondern daß ihm allem Anschein nach Person und Werk Speners völlig unbekannt waren; vgl. ebd.: „wir haben ihn [Spener, S.B.] uns als Zeitgenossen von Stahl vorzustellen.“
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Epigenesislehre. Stahl selbst wollte ebensowenig als Mechanist wie als Aristoteliker verstanden werden, ja er grenzte sich sogar aufs Schärfste von der aristotelischen Naturphilosophie ab;151 entsprechend dürftig fielen seine Kommentare zu den Generationstheorien Harveys und Aristoteles’ in der Theoria medica vera aus.152 Immerhin erkannte er die Verlegung des Zeugungsgeschehens ins Ei an und würdigte in diesem Zusammenhang insbesondere Malpighis embryologische Studien am Hühnerei. Die Erwägung gewisser „materialia rudimenta“ im Ei, die gemeinhin als Beleg für eine Präformation des Embryos gewertet wurden, stellte für Stahl jedoch in keiner Weise in Frage, daß die Seele des Nachwuchses von den Eltern stammte.153 Sein Schüler Christian Friedrich Richter folgte dieser Argumentation, indem er erklärte, es sei „noch ein anderer Ursprung der Seelen zu erkennen, welcher durch die Fortpflantzung und Zeugung geschiehet. Denn daß die Seelen durch die Eltern auf die Kinder fortgepflantzet werden, ist gantz offenbar“.154 Für die traduzianistisch gedeutete Fortpflanzung der Seele war die Frage einer materiellen Präformation des Körpers also schlechterdings bedeutungslos. Nicht etwa das vermeintliche biologische ‚Faktum‘ beobachtbarer präformierter Strukturen des Keims im Ovum gab den Ausschlag für die medizinische Generationstheorie der Stahl-Schule, maßgeblich war vielmehr die Verträglichkeit von medizinischem Wissen und pietistischer Glaubenslehre. Unterstrichen wird das noch dadurch, daß Richter (ebenso wie Alberti studierter Theologe) bei seiner Erläuterung der Übertragung der Seele von den Eltern auf den Nachwuchs biblische Zeugnisse heranzog, die – gegen die vermeintliche Anlage im Ei – wiederum den männlichen Zeugungsbeitrag in den Vordergrund rückten: so wird endlich GOtt der HErr, als der Stamm-Vater des menschlichen Geschlechts vorgestellet, und von Adam, unserm Vater, gesaget, daß er ein Sohn Gottes gewesen. Gleichwie nun solches von dem Leibe des Menschen nicht gesaget werden mag, als von welchem uns klar bezeuget wird, daß er auß einem Erden-Kloße formiret worden: also ist solches offenbarlich von der Seele anzunehmen, welche von GOtt dem Adam eingehauchet worden. Dieser göttliche Hauch war gleichsam der Same zu allen menschlichen Seelen, welchen der Vater der Geister in den Adam außgesäet, auß welchem hernach die Seelen des gantzen 151
Vgl. Georg Ernst Stahl: Aristotelis error circa definitionem naturae correctus [1701]. Mit dt. Übers. in: Engelhardt u. Gierer (Hg.): Stahl in wissenschaftshistorischer Sicht, S. 254–271; Ders.: De medicina medicinae necessaria [1702]. Mit dt. Übers. in: Engelhardt u. Gierer (Hg.): Stahl in wissenschaftshistorischer Sicht, S. 200–253, hier S. 246. Bernward Josef Gottlieb erklärt Stahl dagegen – im Bemühen, ihn als Repräsentanten einer verborgenen Tradition des ‚Vitalismus‘ in der abendländischen Wissenschaftsgeschichte zu reklamieren – nicht allein zum Epigenetiker, sondern als solchen kurzerhand zum Aristoteliker; vgl. Bernward Josef Gottlieb: Vitalistisches Denken in Deutschland im Anschluß an Georg Ernst Stahl. In: Klinische Wochenschrift 21 (1942), S. 445–448, hier S. 445; Ders.: Bedeutung und Auswirkungen des hallischen Professors und kgl. preuß. Leibarztes Georg Ernst Stahl auf den Vitalismus des XVIII. Jahrhunderts, insbesondere auf die Schule von Montpellier. In: Nova Acta Leopoldina N.F. 12, Nr. 89 (1943), S. 423–502, hier S. 453f., 459. 152 Vgl. Stahl: Theoria medica vera, S. 498, 500. 153 Ebd., S. 496; vgl. Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 304. 154 Richter: Erbauliche Betrachtungen, S. 29. Eine ganz ähnliche theologische Argumentation findet sich bei Juncker: Conspectus physiologiae medicae, S. 146f.
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menschlichen Geschlechts, eine nach der andern, hervorgehen solte: denn wenn nicht das gantze menschliche Geschlecht damals in den einigen Adam wäre verfasset gewesen, so hätte auch nicht desselben Fall, und der darauf erfolgte Tod zu allen Menschen hindurch dringen können, als welches, wie Paulus an die Römer bezeuget, darum geschehen ist, dieweil sie in Adam alle gesündiget haben, als welche sie damals alle in den Lenden Adams gewesen.155
Die Vorstellung von der Präsenz des gesamten Menschengeschlechts in Adam, von der bei Paulus (Röm. 5,12) durchaus nicht die Rede ist, die aber gewöhnlich aus dem Hebräerbrief (Hebr. 7,9f.) extrapoliert wurde,156 resultiert aus Richters traduzianistischer Interpretation der Erbsündenlehre; allerdings schrieb er damit dem Traduzianismus eine Aporie bezüglich des ontologischen Status der Seelen ein, die im Stammvater zwar sündigen, aber nicht als einzelne präexistieren sollten.157 In der Folge manifestiert sich bei Richter ein Widerspruch zwischen der Einheit bzw. Vielheit der Seelen in Adam, den die Metapher des Pflanzensamens eher akzentuiert als schlichtet, denn die dem „Erden-Kloße“ durch den göttlichen Hauch verliehene einzelne Seele sollte ja zugleich die Vielzahl der Seelen des gesamten künftigen Menschengeschlechts beinhalten, das „in den einigen Adam wäre verfasset gewesen“.158 Die Vielheit der Seelen wird zwar durch die Analogie des Pflanzensamens, der „in den Adam außgesäet“, begreifbar gemacht,159 doch verbietet es sich gerade, die künftigen Seelen wie Samenkörner als einzelne vor Augen zu stellen, weil das dem als häretisch verworfenen Gedanken einer Präexistenz der Einzelseelen seit dem sechsten Schöpfungstag gleichkäme. Im Sinne einer integralen, psychophysischen Interpretation der Fortpflanzung wäre es jedoch recht naheliegend, zugleich mit der Präformation der materiellen Strukturen des Keims auch eine Präexistenz der ihn dereinst belebenden Seele anzunehmen. 155
Richter: Erbauliche Betrachtungen, S. 2. In Bezug auf den Traduzianismus Christian Friedrich Richters verdient der Umstand Erwähnung, daß er während seiner Studienzeit ein Collegium asceticum des pietistischen Theologen Paul Anton besucht hatte, in dem die Geistlichen Homilien des Makarios gelesen und kommentiert wurden. Richter selbst hat dort mehrfach eigene Auslegungen vorgetragen; aus seinem persönlichen Besitz hat sich ein Exemplar der oben (Anm. 13) zitierten, von Gottfried Arnold besorgten Übersetzung des Makarios erhalten; vgl. Altmann: Christian Friedrich Richter, S. 23f. 156 Die Vorgeschichte derartiger Erbsündentheorien auf traduzianistischer Grundlage reicht lt. Olearius: Umbildung, S. 36, zurück bis zur Fehlübersetzung von Röm. 5,12 bei Augustinus. 157 Johann Jacob Rambach, der von 1726 bis 1731 als Nachfolger Franckes in Halle lehrte, stellt in einer postum herausgegebenen Schrift klar, die Seelen von Adams Nachkommen seien beim Sündenfall „zwar noch nicht actualiter, das ist, würklich vorhanden gewesen; aber doch waren sie virtualiter, der Krafft und Grundlegung nach in ihm“. Wenngleich diese Ausführungen nicht gegen den Kreatianismus, sondern gegen die sozinianische Leugnung der Erbsünde gerichtet sind, steht der Traduzianismus für Rambach doch ganz außer Frage; so führt er zur Übertragung der Erbsünde „durch die natürliche Fortpflanzung“ aus: „Denn da er [Adam, S.B.] nach dem Verlust des göttlichen Ebenbildes aus seiner verderbten Massa Kinder zeugete, so haben diese Kinder das Verderbniß mit bekommen.“ (Johann Jacob Rambach: Historische und theologische Einleitung in die Religions-Strittigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche mit den Socinianern. 2 Theile. Hg. v. Christian Hecht. Coburg u. Leipzig 1745, Th. 2, S. 620f.) 158 Richter: Erbauliche Betrachtungen, S. 2. 159 Ebd.
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Richter wandelt durchaus am Rande einer solchen psychophysischen Präexistenzlehre, die sich jedoch nicht mit der altprotestantischen Anthropologie in Einklang bringen ließe. Um sich gegen den Verdacht des Präexistentianismus zu wappnen betont er, daß gemäß der von ihm vertretenen traduzianistischen Lösung der Seelenursprungsfrage den menschlichen Seelen vor der Zeugung keine Existenz als Einzelwesen zukomme. Der ‚totus homo‘ als solcher präexistiert nicht, daran ist theologisch viel gelegen: Richters Skrupel sind durchaus begründet, und es kann nicht überraschen, daß auch andere Stahlianer präformationistischen Generationslehren wegen der Gefahr des Präexistentianismus aus dem Weg gingen. So warnte der Stahlianer Johann Storch noch um die Jahrhundertmitte vor unliebsamen theologischen Konsequenzen des Animalculismus: „Auch dürfen wir nicht dabey auf die Grundlose Meynung de Prae-existentia animarum verfallen, welche, daß sie alle in Adams Lenden in denen Samen-Würmgens schon solten vorhanden gewesen seyn, durch keine arithmetische Rechnung [...] erwiesen werden kan.“160 Richters theologische Argumentation war dagegen in erster Linie gegen den Kreatianismus gerichtet: Gegen die Vorstellung einer fortwährenden Erschaffung neuer Seelen durch Gott führte er zunächst die Abgeschlossenheit der Schöpfung nach dem sechsten Tag ins Feld, das gleiche Argument also, das gelegentlich von Anhängern der Präformation gegen die Epigenese ausgespielt wurde: Wenn aber eingewendet wird, daß die Seelen jedesmal unmittelbar von GOtt selbst geschaffen, und hernach erst dem Cörper einverleibet werden: so scheinet solches erstlich mit jenem Ausspruch zu streiten, daß GOtt am siebenden Tage, nachdem Er die gantze Schöpfung vollendet, geruhet habe; denn wie könte solches damit bestehen, wenn er nachher von Zeit zu Zeit so viele Millionen Seelen geschaffen hätte.161
Ferner sah Richter den Kreatianismus im Widerspruch zur Erbsündenlehre, denn es sei nicht anzunehmen, daß Gott sündige Seelen erschaffe; die Erbsünde und die aus ihr abgeleitete Notwendigkeit der Taufwiedergeburt reime sich weitaus besser mit dem Traduzianismus zusammen: Hernach so ist es auch unseres Erachtens ein Einwurf, der mit der Vollkommenheit dieses grossen HErrn nicht allzuwohl überein kommet: Denn die Seelen, so nach der ersten Schöpfung hervorkommen, sind allzumal verderbt und unrein, und müssen daher hernach erst von oben herab wieder gebohren und gereiniget werden. Von solchem Verderben ist ja ohne dem auch das gemeine Bekenntniß, daß es durch die Zeugung auf die Seelen fortgebracht werde: wie
160
Johann Storch: Von Weiber-Kranckheiten. 8 Bde. Gotha 1746–53, Bd. 3 (u.d.T. Von Kranckheiten der Weiber, 1748), S. 38. – Storch war zwar kein unmittelbarer Schüler Stahls, stand aber ganz unter dem Eindruck seiner Lehre und wirkte als eifriger Propagator und Popularisator der Stahlschen Methode, vor allem durch seine Praxis Stahliana von 1728; vgl. GeyerKordesch: Medical Biographies, S. 134f.; Börner: Nachrichten, Bd. 1, S. 492, 498f. 161 Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 43f. – Johanna Geyer-Kordesch geht so weit, Richters Höchst-nöthige Erkenntniß des Menschen „eigentlich zu den Schriften Stahls“ zu zählen (Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 30). Wenigstens die explizite theologische Untermauerung der Generationslehre findet sich aber so nicht bei Stahl und muß als originäre Zutat Richters betrachtet werden.
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könte aber solches geschehen, wenn nicht die Seelen selbst auch gezeuget und fortgepflantzet würden.162
Ein letztes theologisches Argument für den Traduzianismus sah der fromme Mediziner darin, daß die permanente Erschaffung neuer Seelen, wie der Kreatianismus sie postulierte, Gott zum Mittäter an jenen Zeugungen machen würde, die gegen seine ausdrücklichen Gebote erfolgten: „Weil auch viel Generationes gantz wieder den Willen des HErrn, und seine Ordnung geschehen, die er dahero selbst verwirft, so kan man nicht anders, als diesen Schluß machen, daß die Kraft einen gantzen Menschen nach Leib und Seel hervor zubringen dem Menschen selber anvertrauet sey.“163 Unterstützung erhielten bei Richter die theologischen Erwägungen zur Abstammung der Seele des Nachwuchses von den Eltern durch den empirischen Befund der Vererbung psychischer Dispositionen: Es offenbaren sich auch die Gemüths-Neigungen der Eltern in den Seelen der Kinder, und manchmal werden gantz particuliere Laster, des Stehlens, des Geitzes etc. auf sie fortgeerbet, zu einem offenbaren Zeugniß, daß sie von ihren Eltern ausgegangen und von ihnen, auch der Seele nach, nach ihrem Bilde gezeuget worden.164
Hier sei zunächst festgehalten, daß die Stahl-Schüler der ersten Generation den Psychodynamismus ihres Lehrmeisters durch theologische Argumente untermauerten, die sie oftmals direkt der pietistischen Glaubenslehre entlehnten. So ließ sich beispielsweise die konstitutive Bedeutung der Seele für den Organismus, wie sie in der Stahlschen Medizin gelehrt wurde, auf Speners Evangelische Glaubens-Lehre stützen, in der es heißt: „Wir wissen, die seele wohne also in dem leib, daß sie sich nicht nur desselben zu ihren wercken gebrauchet, sondern ihm alles leben mitteilet, und also den leib erhält“.165 In der Frage der Zeugung findet die Anlehnung der Stahl-Schule an theologische Positionen darin ihren Niederschlag, daß sie die dem altprotestantischen Modell des ‚totus homo‘ verpflichtete traduzianistische Seelenursprungslehre zu einem medizinischen Konzept der Abstammung des Nachwuchses von den Eltern nach Leib und Seele ausbaute, das sie mit einem – ebenfalls 162 163 164
Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 44; vgl. auch Ders.: Erbauliche Betrachtungen, S. 29f. Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 44f.; vgl. auch Ders.: Erbauliche Betrachtungen, S. 29f. Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 44; vgl. auch Ders.: Erbauliche Betrachtungen, S. 29f. – Das Übergewicht theologischer Argumente in Richters Erörterung der Frage der Abstammung der Seele relativiert Eckhard Altmanns summarische Einschätzung: „Von Theologie wird man bei Richter besser nicht sprechen. [...] Er ist im Grunde trotz einiger theologischer Vorlesungen Laie geblieben und war in erster Linie Arzt. Nur mit diesen Einschränkungen können wir von der Behandlung theologischer Fragen bei Richter sprechen.“ (Altmann: Christian Friedrich Richter, S. 196) 165 Spener: Die Evangelische Glaubens-Lehre, S. 1148. – Diesen und weitere Belege aus Speners Schriften zitiert Michael Alberti in der Dissertation De conscientia medica (Diss. med. Halle 1724 [Resp. Theodor Andreas Müller]. In: Alberti: Specimen, S. 96f.). Dieser Sammlung medizinisch-theologischer Dissertationen Albertis aus den Jahren 1722 bis 1725 ist ein Vorwort des halleschen pietistischen Theologen Joachim Lange beigegeben.
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durch die Spenersche Glaubenslehre zu stützenden – epigenetischen Modell der Embryonalentwicklung verband, das von der Metapher der Baumeistertätigkeit der Seele an ihrem Körper getragen wurde. Die wohl prägnanteste Formulierung dieser Integration theologischer und medizinischer Konzeptionen in der Zeugungslehre der Stahlschen Medizinerschule läßt sich bei Johann Daniel Gohl finden, der seine polemische Diskussion zeitgenössischer Generationstheorien folgendermaßen beschloß: „Und daher haben wir nach denen von GOtt vollbrachten SchöpfungsWercken die Seele des Menschen ab ovo her per traducem zur Baumeisterin ihres Leibes.“166 Ein ähnliches Modell der Embryonalentwicklung, das dem „Geist“ das Baumeisteramt an seinem Körper zuweist, findet sich in Christian Thomasius’ Versuch von Wesen des Geistes von 1699. Thomasius trifft sich mit der StahlSchule in der anti-cartesianischen Stoßrichtung seiner Metaphysik,167 womit jedoch keine einfache Abhängigkeit seiner philosophischen Konzeption von der medizinisch-theologischen Zeugungslehre Stahls (oder umgekehrt) behauptet werden soll.168 Auffällig ist allerdings, daß Thomasius den bei Descartes exklusiv für den Menschen reservierten Geist-Begriff auf alle Naturreiche ausdehnt, ähnlich wie die Stahl-Schule ihren Begriff der anima rationalis zugleich auf das Tier- und Pflanzenreich applizierte.169 Thomasius schreibt dazu: 166
Johann Daniel Gohl: Aufrichtige Gedancken über den von Vorurtheilen krancken Verstand. Hg. v. Johann Juncker. Halle 1733, S. 58. – Zu Gohl vgl. Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 229f.; speziell zu seiner Lehrtätigkeit in Halle vgl. Kaiser u. Krosch: Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle XVI, S. 1018f. 167 Vgl. Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 52; Hans-Georg Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß. Problemgeschichtliche Studien zur deutschen Lyrik in Barock und Aufklärung. 2 Bde. Tübingen 1981 (= Studien zur deutschen Literatur, 64/65), Bd. 1, S. 247–256; Ders.: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,1, S. 97–103; Wilhelm Schmidt-Biggemann: Pietismus, Platonismus und Aufklärung: Christian Thomasius’ ‚Versuch von Wesen des Geistes‘. In: Frank Grunert u. Friedrich Vollhardt (Hg.): Aufklärung als praktische Philosophie. Werner Schneiders zum 65. Geburtstag. Tübingen 1998 (= Frühe Neuzeit, 45), S. 83–98, hier S. 84; Friedrich Vollhardt: ‚Die Finsternüß ist nunmehro vorbey‘. Begründung und Selbstverständnis der Aufklärung im Werk von Christian Thomasius. In: Ders. (Hg.): Christian Thomasius (1655–1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Tübingen 1997 (= Frühe Neuzeit, 37), S. 3–13, hier S. 9f.; HansJürgen Engfer: Christian Thomasius. Erste Proklamation und erste Krise der Aufklärung in Deutschland. In: Werner Schneiders (Hg.): Christian Thomasius 1655–1728. Interpretationen zu Werk und Wirkung. Hamburg 1989, S. 21–36, hier S. 26–31. 168 In der Literaturwissenschaft werden derartige Abhängigkeiten allzuschnell konstruiert, wie zum Beispiel die der Thomasianischen Affektenlehre von der Stahlschen Affektpathologie; vgl. etwa Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,1, S. 96. 169 Thomasius geht insofern sogar weiter als die Mediziner, als er den Geist selbst in der unbelebten Natur am Werke sieht; vgl. etwa Christian Thomasius: Versuch von Wesen des Geistes oder Grund-Lehren, so wohl zur natürlichen Wissenschafft als der Sitten-Lehre. Hildesheim, Zürich u. New York 2004 [ND der Ausg. Halle 1699] (= Ders.: Ausgewählte Werke, 12), Kap. 7, Th. 29, S. 139. Dennoch verweist Michael Alberti in seiner Abhandlung De paedantismo medico (1708) durchaus zustimmend auf Thomasius’ Metaphysik; vgl. Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 475. Völlig verfehlt scheint es indes, wenn Hans-Georg Kemper Thomasius mit seiner Geister-Lehre auf dem Weg in den Pantheismus
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Der Geist des Menschen kömmt darinne mit den Geistern anderer Cörper überein, daß auch seine Seele bestehe, aus Licht und Lufft, und daß dieser Geist dem Menschen in den Saamen und ihrer Empfängniß seine Gestalt giebet, seinen Leib formieret und darinnen wircket, und daß dieser Geist eines Wesens ist mit dem Geist der Thiere und Pflantzen u.s.w. noch vielmehr aber mit dem Geist andrer Menschen, nur daß unsterschiedene Grade in Mischung dieses Geistes sind: daß dieser Geist in dem Menschen wircket, [...] daß dieser Geist in Menschen empfindet und sinnlich ist, und daß dieser Geist in Menschen verständig und begierig ist.170
Bau des Körpers, Commercium, Sinnlichkeit, Verstand und Wille sind also allesamt Wirkungen ein und desselben Geistes, weshalb Thomasius auch Wert auf die Feststellung legt, daß der menschliche Geist in jeden [!] Menschen, wie in den Thieren, ja in allen irrdischen Cörpern nur einer sey, ob er gleich unzehlich unterschiedene Kräffte hat, und daß dannenhero die Lehre der Philosophen[,] die dem Menschen drey Seelen, eine vernünfftige, sinnliche und wachsthümliche zuschreiben, ohne Grund ist [...].171
Statt dessen macht Thomasius eine Dreiteilung des Menschen nach der paulinischen Unterscheidung von Leib, Seele und Geist geltend, wobei er den Begriff ‚Seele‘ mit dem Willen in eins setzt. Den Willen wiederum regiere eine „widerwärtige Dreyheit“172 von Ehrgeiz, Geldgeiz und Wollust oder – „nach der Schrifft“ – „Fleisches Lust, hoffärtiges Leben, und Augenlust“,173 die unschwer als Erbsündenfolge zu erkennen ist: „Und also ist leicht zu begreiffen, wie ein jeder Mensch aus drey Theilen, aus Leib, Seele (dem natürlichen dreyfachen Geist) und Geist (dem guten Geist) bestehe.“174 Die Erörterung der biologischen Generation macht deutlich, was unter dem „guten Geist“ in dieser trichotomischen Anthropologie zu verstehen ist, nämlich ein Gnadenprodukt, das nicht zur verderbten Natur des Menschen gehört, sondern von Gott eingeflößt wird: Der natürliche Geist wird in der Vermischung der beyden Geschlechte [!] eben so fortgepflantzt wie bey denen Thieren, aber der gute Geist kömmet von GOtt, und ist der Geist GOttes[,] der in uns wohnet [...].175
sieht; vgl. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 1, S. 252. An anderer Stelle spricht Kemper von einem „hierarchisch gestuften animistisch-vitalistischen Pantheismus“ in Thomasius’ Metaphysik (Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,1, S. 98). – Der Zeitgenosse Johann Georg Walch schätzte den Sachverhalt folgendermaßen ein: „Was der Herr Thomasius vom Wesen des Geistes vorgetragen, hat in vielen Stücken eine genaue Verwandschafft [!] mit verschiedenen Materien aus der Theologie [...].“ (Johann Georg Walch: Historische und theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche. 5 Theile. 8 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972–85 [ND der 2. Aufl. Jena 1733– 39], Th. 3, S. 46) 170 Thomasius: Versuch von Wesen des Geistes, Kap. 7, Th. 148, S. 174f. 171 Ebd., Kap. 7, Th. 153, S. 671 [fehlpaginiert für S. 176]. 172 Ebd., Kap. 7, Th. 187, S. 188. 173 Ebd., Kap. 7, Th. 183, S. 187. 174 Ebd., Kap. 7, Th. 190, S. 189. 175 Ebd., Kap. 7, Th. 191, S. 189. Martin Gierl weist darauf hin, daß Thomasius mit seiner trichotomischen Anthropologie bereits vor der Veröffentlichung seiner Metaphysik Anstoß er-
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Der „natürliche Geist“ oder die Seele pflanzt sich also wie der Körper innerweltlich bei der biologischen Generation fort.176 Nur scheinbar wird dieses traduzianistische Modell der Körper- und Seelenfortpflanzung durch den unmittelbar von Gott kommenden „guten Geist“ durchkreuzt; denn hier klingt durchaus kein kreatianistisches Beseelungsmodell an – gehört doch der gute Geist gar nicht zur natürlichen Ausstattung des Menschen; er ist „der Geist GOttes“, der aus dem „alten, natürlichen, fleischlichen oder seelischen Menschen“ einen „neue[n], übernatürliche[n], geistliche[n] Mensch[en]“ macht.177 Der ‚neue Mensch‘ geht indes nicht aus der biologischen Generation, sondern aus der Bekehrung und Wiedergeburt des Christen hervor, und zwar als „eine gantz andere Art“, die mit dem unwiedergeborenen Menschen nichts gemein hat.178 Somit zeigt sich, daß der bei Thomasius in Rede stehende ‚ganze Mensch‘179 nicht als Präfiguration des im 18. Jahrhundert sich einbürgernden Begriffs zu sehen ist; Thomasius rekurriert damit vielmehr (wie seine Kollegen Hoffmann und Stahl in ihren medizinischen Generationstheorien) auf das altprotestantische Modell des ‚totus homo‘, den substanzmetaphysisch noch ungespaltenen Menschen.
regt hatte; vgl. Martin Gierl: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1997 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 129), S. 451–456. Insbesondere Friedrich Hoffmann habe sie seinerzeit als „ein Verderben der Medizin und der Physik“ zurückgewiesen (ebd., S. 451). Johann Georg Walch vermerkt ausdrücklich, Thomasius habe seine trichtomische Anthropologie bald wieder aufgegeben; vgl. Walch: Einleitung in die Religions-Streitigkeiten, Th. 3, S. 46. 176 Wie oben (S. 22) bereits angeführt, zählt in diesem trichotomischen Modell die menschliche Seele (im Unterschied zum göttlichen Geist) mit zum ‚Fleisch‘. 177 Thomasius: Versuch von Wesen des Geistes, Kap. 7, Th. 194, S. 190. Hans-Georg Kemper glaubt im abschließenden Teil der Thomasischen Metaphysik Anklänge an die katholischscholastische Auffassung des Verhältnisses von ‚natura‘ und ‚gratia‘ feststellen zu können; vgl. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 1, S. 254f. Meines Erachtens ließe sich hier eher auf die besondere Gestalt der Spiritus-Lehre verweisen, mittels deren Melanchthon versucht hatte, dichotomische und trichotomische Anthropologien miteinander zu vereinbaren; vgl. etwa Jürgen Helm: Die ‚spiritus‘ in der medizinischen Tradition und in Melanchthons ‚Liber de anima‘. In: Günther Frank u. Stefan Rhein (Hg.): Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Sigmaringen 1998 (= Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten, 4), S. 219–237. 178 Thomasius: Versuch von Wesen des Geistes, Kap. 7, Th. 194, S. 190; Thomasius merkt dazu erläuternd an: „homo regenitus & irregenitus specie differunt“ (ebd., Anm. a). 179 Thomasius: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre, S. 95.
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2 Die Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘
Die cartesische Substanzentrennung hatte es schwer, im lutherischen Bereich Fuß zu fassen, so nachhaltig war die Wirkung des dichotomischen, aber integrierten Modells des totus homo. Erst die ‚Aufhebung‘ der Substanzentrennung in der Hypothese von der prästabilierten Harmonie verschaffte ihr Einlaß in das Denken lutherischer Theoretiker. In Halle war es Christian Wolff, der die generationstheoretischen Konsequenzen aus der Leibnizschen Gedankenfigur zog und die Vorstellung von der psychophysischen Präexistenz gegen den mit dem Modell des totus homo verbundenen Traduzianismus in Stellung brachte. Zugleich indiziert Wolffs Vernunftoptimismus und Perfektibilitätsglaube ein Menschenbild, das zur altprotestantischen Anthropologie deutlich in Kontrast steht.
2.1 Der Streit um die psychophysische Präexistenz Im Gegensatz etwa zu den Medizinern Hoffmann und Stahl war Christian Wolff ein überzeugter Präformationist, der eine besondere Verbindung von biologischer Generation und Seelenursprung anzubieten hatte. Die (vermeintlichen) Entdeckungen in den Lebenswissenschaften in den 1670er Jahren, die von den Zeitgenossen vielfach im Sinne einer Präformation des Keimes gedeutet worden waren, eröffneten in der Philosophie einen Raum für Spekulationen über die mögliche Präexistenz aller organischen Körper seit Erschaffung der Welt. Swammerdam und Malebranche, die als erste den Gedanken einer Einschachtelung sämtlicher Organismen in den zuerst erschaffenen Exemplaren einer jeden biologischen Spezies ins Spiel brachten, übergingen stillschweigend bei ihren Erörterungen zur Präexistenz der Körper die theologisch brisante Frage nach einer möglichen Präexistenz der Seelen, lehrten doch sowohl die katholische als auch die reformierte Dogmatik eine Erschaffung der menschlichen Seelen durch Gott im Laufe der Embryonalentwicklung. Nicht zufällig begegnen daher naturphilosophische Annahmen über die Präexistenz beseelter Körper zuerst bei Denkern, die dem Luthertum entstammten. Leibniz hatte mit der Hypothese von der prästabilierten Harmonie zwischen Körper und Seele die Voraussetzung dafür geschaffen, das präformationistische Denken in den Bereich des Luthertums einzuschleusen, wo sich bis dato der vorherrschende Traduzianismus anti-präformationistisch ausgewirkt hatte; nun stand ihm mit der psychophysischen Präexistenzlehre ein Konkurrenzmodell zur Seite, das ebenfalls
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von einem gemeinsamen Ursprung von Körper und Seele ausging.1 Die psychophysische Präexistenzlehre stellt, wie erwähnt, keineswegs eine Spielart des antiken, dem Christentum früh anstößig gewordenen Präexistentianismus dar, sie war vielmehr darauf angelegt, die Frage des Seelenursprungs durch das Postulat einer gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele seit den Tagen der Schöpfung dem Zuständigkeitsbereich der Theologie zu entziehen, indem sie sie mit der naturphilosophischen Problematik des Ursprungs der organischen Körper verquickte. Es versteht sich, daß dieses Ansinnen Kritik von theologischer Seite auf sich zog; besonders heftig fiel der Widerspruch von seiten des lutherischen Pietismus aus, lief die psychophysische Präexistenzlehre doch offen dem dort gepredigten Traduzianismus zuwider: So erklärte beispielsweise der hallesche Theologe Lange jegliche Meinung, „die Seele werde nicht per traducem, mit der Kraft der Saamens-Vermischung, eingeflöset“ zu einer großen „Thorheit“.2 Prominentester Verfechter dieser „Thorheit“ in Halle war Christian Wolff, zu dessen Amtsenthebung und Vertreibung im Jahr 1723 Joachim Lange maßgeblich beitrug und dessen Rückberufung erst Ende 1740 erfolgte.3 Wolff vertrat nicht allein eine präformationistische Generationslehre, sondern er führte sie auch entschlossen gegen den Traduzianismus ins Feld. Damit düpierte er nicht nur seine Kollegen von der theologischen, sondern auch von der medizinischen Fakultät, was sicherlich um so schwerer wog, als er neben Philosophie und Mathematik zugleich auch Physiologie und Physik lehrte; zeitweise oblag ihm sogar die offizielle Fachvertretung für Physik, nachdem nämlich der eigentlich für die Professio physices zuständige Mediziner Georg Ernst Stahl 1715/16 als Leibarzt nach Berlin abberufen worden war, wo er bis zu seinem Tod (1734) wirkte, ohne sein hallesches Lehramt je wieder anzutreten.4 1 2
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Vgl. oben S. 23–25. Joachim Lange: Gründliche Ursachen, zur christlichen Policey, in Anlegung der Findelhäuser [mit 5 Fortsetzungen]. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 6 vom 8. Februar bis Nr. 13 vom 28. März 1740, hier Nr. 6 vom 8. Februar 1740, S. 94f. Vgl. Albrecht Beutel: Causa Wolffiana. Die Vertreibung Christian Wolffs aus Preußen 1723 als Kulminationspunkt des theologisch-politischen Konflikts zwischen Halleschem Pietismus und Aufklärungsphilosophie [erstmals 2001]. In: Ders.: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus. Tübingen 2007, S. 125–169; Martin Kühnel: Joachim Lange, der ‚Hällische Feind‘ oder: Ein anderes Gesicht der Aufklärung. In: Ders. (Hg.): Joachim Lange (1670–1744), der ‚Hällische Feind‘ oder: Ein anderes Gesicht der Aufklärung. Ausgewählte Texte und Dokumente zum Streit über Freiheit – Determinismus. Halle 1996 (= Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte: Texte und Dokumente), S. 9–31, hier S. 13–16; Brecht: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus, S. 505f.; Bruno Bianco: Freiheit gegen Fatalismus. Zu Joachim Langes Kritik an Wolff. In: Hinske (Hg.): Zentren der Aufklärung, S. 111–155. – Die erste Berufung Wolffs nach Halle (1706) soll auf Empfehlung Leibniz’ und Friedrich Hoffmanns erfolgt sein; vgl. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 2, S. 651. Die Professio physices gehörte zwar in den Zuständigkeitsbereich der philosophischen Fakultät, doch war sie noch vor Wolffs Berufung an die Universität Halle nach langwierigen Besetzungsschwierigkeiten der medizinischen Fakultät unterstellt worden, deren Professor primarius sie wahrnahm; vgl. Willy Gebhardt: Die Geschichte der Physikalischen Institute der Uni-
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Christian Wolff hat den Wissenschaften vom Leben im deutschen Sprachraum entsprechend „seiner Auffassung von der Physiologie als anthropologisch-biologischer Gesamtwissenschaft“5 durch seine fast fünfzig Jahre währende Lehrtätigkeit wie durch zahlreiche Schriften nachhaltig Geltung verschafft. Hellsichtig hat er erkannt, daß die von seiner Epoche ausgehende Neubestimmung der Natur eine Wirkung weit über die Grenzen der mit ihr befaßten Disziplinen hinaus entfalten und schließlich auch in den Bereich der ‚Künste‘ ausstrahlen würde: „Endlich zündet auch die Natur-Lehre ein Licht in den Künsten an, als welche ohne dieselbe eben so wenig als die Artzeney-Wissenschaft verständlich werden können.“6 Bei diesem von der Naturlehre ausgehenden Licht ist nicht zuletzt an die „neuen
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versität Halle. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe 10 (1961), S. 851–859, hier S. 851. Wolff nahm seine Lehrtätigkeit im Bereich der Physik im Jahr 1709 auf, nachdem der Primarius der medizinischen Fakultät, Friedrich Hoffmann, als Leibarzt nach Berlin berufen worden war; vgl. Christian Wolff: Eigene Lebensbeschreibung. Hg. v. Heinrich Wuttke. In: WGW I, 10: Biographie. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Leipzig 1841], S. 146. Möglicherweise spekulierte Wolff darauf, dadurch eine Anwartschaft auf die Position zu erlangen; sie verblieb jedoch bei den Medizinern und wurde während Hoffmanns Abwesenheit durch Stahl, den Professor secundarius der medizinischen Fakultät, vertreten. Bei ihm scheint sie dann auch verblieben zu sein, als Hoffmann 1715 sein akademisches Amt wieder antrat. Immerhin wurde sie Wolff in Anerkennung seiner Verdienste um die Lehre von seiten der Regierung für den Fall der Vakanz in Aussicht gestellt; vgl. [Johann Christoph Gottsched]: Historische Lobschrift des weiland hoch- und wohlgebohrnen Herrn Christians, des H.R.R. Freyherrn von Wolf. In: WGW I, 10: Biographie. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Halle 1755], Beylagen zum I. Abschnitte, S. 12f. (Beylage N). Dieser Fall trat im Folgejahr unverhoffterweise ein, da nunmehr Stahl als Leibarzt nach Berlin ging; später fiel die Fachvertretung für Physik dann wieder an die medizinische Fakultät zurück, wo sie von Stahls Lehrstuhlnachfolger Alberti wahrgenommen wurde; vgl. Günter Mühlpfordt: Die organischen Naturwissenschaften in Wolffs empiriorationalistischer Enzyklopädistik. In: Il cannocchiale: rivista di studi filosofici n. 2–3 (1989), S. 77–106 [ND in WGW III, 31: Novi studi sul pensiero di Christian Wolff. Hg. v. Sonia Carboncini u. Luigi Cataldi Madonna. Hildesheim, Zürich u. New York 1992], hier S. 81f.; Ders.: Physiologie, Biologie und Agronomie im rationalistischen Wissenschaftssystem Christian Wolffs. In: Arina Völker u. Burchard Thaler (Hg.): Die Entwicklung des medizinhistorischen Unterrichts. Halle 1982 (= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1982/6 [E 43]), S. 74–91, hier S. 75–77; Wolfram Kaiser und Arina Völker: Christian Wolff und die Medizinische Fakultät Halle. In: Hans-Martin Gerlach, Günter Schenk u. Burchard Thaler (Hg.): Christian Wolff als Philosoph der Aufklärung in Deutschland. Hallesches Wolff-Kolloquium 1979 anläßlich der 300. Wiederkehr seines Geburtstages. Halle 1980 (= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, 1980/32 [T 37]), S. 147–154, hier S. 147f.; Wolfram Kaiser: Christian Wolff (1679–1754) und die medizinischen Konzeptionen seiner Zeit. In: Zeitschrift für die gesamte innere Medizin und ihre Grenzgebiete 34 (1979), S. 309–317, hier S. 311f. Mühlpfordt: Die organischen Naturwissenschaften, S. 78. Christian Wolff: Ratio praelectionum [erstmals 1718]. Hildesheim u. New York 1972 [ND der 2., verm. Aufl. Halle 1735] (= WGW II, 36), S. 190: „Lucem denique Physica affundit Arti, quae perinde ac Medicina rationalis fieri nequit nisi per Physicam.“ Dt. nach Ders.: Des weyland Reichs-Freyherrn von Wolff übrige theils noch gefundene kleine Schriften und einzele [!] Betrachtungen zur Verbesserung der Wissenschaften. Hildesheim, Zürich u. New York 1983 [ND der Ausg. Halle 1755] (= WGW I, 22), S. 765.
Grundwahrheiten von der Erzeugung der Pflanzen, Thiere und Menschen“7 zu denken, denen Wolff stets eine besondere Aufmerksamkeit gezollt hat. In der Generationslehre bekannte er sich wie bereits Leibniz zum Animalculismus oder genauer gesagt zu einer Art von Ovo-Vermismus,8 der die ‚Auswicklung‘ (evolutio) des ‚Samenwürmchens‘ ins Ovum verlegte.9 Wolff stellte sogar eigene mikroskopische Studien an, da er sich mit den kursierenden Beschreibungen der Spermatozoen nicht zufriedengeben wollte: Ich habe in einer so wichtigen Sache auch gerne mit eigenen Augen sehen wollen und zu dem Ende gleichfalls den männlichen Saamen durch das Vergrösserungs-Glaß betrachtet, wo sich eine Gelegenheit dazu ereignet, da es ohne Anstoß hat geschehen können, und die Sache nicht anders als Leeuwenhoek, Hartsoeker, Hugenius und andere berühmte Naturkündiger gefunden, auch diese anmuthigen Thierlein nicht ohne Vergnügen andern gezeiget [...].10
Auch in seinen naturkundlichen Vorlesungen in Halle widmete er sich schon bald der Generationstheorie;11 am ausführlichsten stellte er seine Zeugungs- und Entwicklungslehre dann in seiner Deutschen Physik (1723) dar, in der er sich zugleich bemühte, alle maßgeblichen neueren Theoretiker auf dem Gebiet der biologischen Generation zu berücksichtigen und ihre Erkenntnisse – soweit möglich – zu einer Synthese zu führen. Dadurch ergeben sich mitunter überraschende Positionen hinsichtlich der physiologischen Details des Zeugungsgeschehens, die der Wolffschen Generationstheorie ein ganz eigenes Gepräge verleihen.12 So widerspricht er zwar dem Harveyschen Befund des leeren Uterus, der lange Zeit für Verwirrung in 7
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Christian Wolff: Theologia naturalis. Pars prior [erstmals 1736]. 2 Bde. Hildesheim u. New York 1978 [ND der 2., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1739] (= WGW II, 7,1–2), § 780, S. 765: „principia moderna de generatione plantarum & animalium hominumque physica“. Dt. nach Ders.: Natürliche Gottesgelahrheit. Erster Theil. Übers. v. Gottlieb Friedrich Hagen. Hildesheim, Zürich u. New York 1995 [ND der Ausg. Halle 1742–43] (WGW I, 23, 1–3), Bd. 3, § 780, S. 31. Zum Konzept des Ovo-Vermismus vgl. Roger: Les sciences de la vie, S. 315f.; Duchesneau: Les modèles du vivant, S. 231; Pascal Duris u. Gabriel Gohau: Histoire des sciences de la vie. Paris 1997, S. 130. Vgl. Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur [‚Deutsche Physik‘]. Hildesheim u. New York 1981 [ND der Ausg. Halle 1723] (= WGW I, 6), §§ 439– 454, S. 708–735. – Zu Leibniz’ Animalculismus vgl. Müller-Sievers: Epigenesis, S. 33; Roger: Les sciences de la vie, S. 293–323, 366–370. Christian Wolff: Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird [‚Deutsche Experimentalphysik‘, erstmals 1721–23]. 3 Theile. Hildesheim u. New York 1982 [ND der Ausg. Halle 1727–29] (= WGW I, 20,1–3), Th. 3, § 99, S. 451. Wolff hielt nach eigenen Angaben bereits im Wintersemester 1717 Vorlesungen zur Zeugungslehre, in denen er den Animalculismus vertrat; vgl. Wolff: Ratio praelectionum, S. 208f. Trotz des breiten Raums, den die Generationslehre in Wolffs Denken einnimmt, hat sie meines Wissens bislang weder eine medizin- noch eine philosophiegeschichtliche Würdigung erfahren. Der einzige Titel zur Zeugungs- und Entwicklungslehre in Gerhard Billers großer Bibliographie der Wolff-Forschung ist in Wirklichkeit dem Embryologen Caspar Friedrich Wolff gewidmet; vgl. Gerhard Biller (Hg.): Wolff nach Kant: eine Bibliographie. Hildesheim, Zürich u. New York 2004 (= WGW III, 87), Nr. 749.
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der Zeugungslehre gesorgt hatte,13 gibt aber die Vorstellung von der Aura seminalis dennoch nicht auf, die – solange kein materielles Agens auszumachen war – als feinster geistiger ‚Samenhauch‘ die Befruchtung des Eies hatte besorgen sollen. Statt dessen macht er sie für die nötige Reifung und Losreißung des Eies vom Eierstock verantwortlich: Der Saame wird durch die milde Wärme in der Mutter [d.i. im Uterus] in einen subtilen Hauch aufgelöset und dringet in die Mutter-Trompete, die ihre vielfältige Blätter an den Eyer-Stock leget und ein Eyerlein zuergreiffen sich schicket. Der Hauch von dem Samen dringet in das Eyerlein, welches an der Eröffnung der Trompete lieget, und wird dadurch in ihm eine innere Bewegung erreget, wovon es anfängt zu wachsen. Je grösser es wird, je mehr dehnet es die Haut des Eyer-Stockes aus, biß sie endlich gar zerspringet und ein Theil davon in die Trompete gehet. [...] Je mehr es wächset, je mehr dehnet es die Trompete aus und zwar gegen die Mutter zu etwas mehr als vornen, wo es hinein kommen war, weil es sonst nicht durch den blossen Wachsthum könnte fortgerücket und bis in die Mutter gebracht werden.14
Der Same löst sich Wolff zufolge allerdings nicht vollständig in jenen subtilen Hauch auf, der den Eisprung bewirkt, er enthält zugleich „eine unsägliche Menge Saamen-Thierlein“,15 von denen aber nur die wenigsten die weite Reise durch die Eileiter bewältigen könnten, um sich in einem Ei einzunisten. Durch diese Erklärung und durch den Hinweis auf ähnlich gelagerte Verhältnisse im Pflanzenreich, wo auch nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der ‚Samen‘ (hier wieder verstanden als Zeugungsstoffe, nicht als Zeugungsprodukte) aufkeimt, erledigt sich in Wolffs Augen der verbreitete Einwand gegen den Animalculismus, die vermeintliche ‚Verschwendung‘ jener ‚unsäglichen‘ Quantität sei natur- und vernunftwidrig.16 Das Ei selbst enthält in Wolffs ovo-vermistischem Modell der Generation keinerlei Anlagen für den Organismus, sondern bloß eine „unförmige[ ] Materie“, aus der „unmöglich die Frucht gebildet werden [kann].“17 Es bietet allerdings die unverzichtbare bergende Hülle für die ‚Entwicklung‘ des Animalculums, die von Wolff in Analogie zur Metamorphose der Schmetterlinge beschrieben wird: „Die Saamen-Thierlein haben nicht die Gestalt der Frucht [...] und kommet demnach die Frucht durch eine Verwandlung heraus, wie etwan aus den Raupen die MolckenDiebe.“18 Bei der ‚Verwandlung‘ kommt es Wolff einerseits auf die Kontinuität der präformierten Strukturen an, für die er sich auf Swammerdams Studien zur Metamorphose der Insekten beruft, andererseits auf die sukzessive Veränderung der angelegten Struktur im Laufe der Embryonalentwicklung, die er mit Malpighis 13
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Vgl. Wolff: Deutsche Physik, § 440, S. 710–713. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Dietlinde Goltz: Der leere Uterus. Zum Einfluß von Harveys De generatione animalium auf die Lehren von der Konzeption. In: Medizinhistorisches Journal 21 (1986), S. 242–268. Wolff: Deutsche Physik, § 443, S. 717f. Ebd., § 450, S. 728. Ebd., § 445, S. 720f. Ebd., § 444, S. 718. Ebd., § 446, S. 721.
Beobachtungen am Hühnerei untermauert.19 Entscheidend ist bei Wolff der Umstand, daß die einzelnen Teile des Organismus zwar erst sukzessive „zum Vorscheine kommen“, aber allesamt bereits im Animalculum vorhanden sein sollen: Es sind demnach alle Theile des Leibes in dem Saamen-Thierlein im kleinen verborgen, denn sonst könnten sie nicht heraus wachsen: aber nicht in solcher Proportion gegen einander, wie sie nach diesem im grossen vorhanden, denn dieselbe erreichen sie im grossen erst nach und nach, wie es der Augenschein ausweiset.20
Obschon die Metapher der ‚Verwandlung‘ eigentlich einen großen Spielraum für Vorstellungen von einem kompletten Gestaltwechsel bzw. einem epigenetischen Wachstumsprozeß hätte gewähren können, schöpft Wolff diese Möglichkeit nicht aus, sondern betont statt dessen die Kontinuität präformierter Strukturen, wie Swammerdam sie im Fall der Insektenmetamorphose durch den Nachweis von bereits in der Raupe vorhandenen Strukturen des späteren Schmetterlings belegt hatte.21 Das bei der ‚Verwandlung‘ des Samentierchens in ein großes Tier zum Vorschein kommende ‚Neue‘ ist demnach gar nicht neu, sondern bereits in der Anlage vorhanden gewesen. Nur die jeweilige Reihenfolge und die unterschiedliche Wachstumsgeschwindigkeit der einzelnen Körperteile vermitteln den Anschein einer Epigenese, tatsächlich sind jedoch alle Strukturen präformiert. Allerdings kann es im Laufe der Embryonalentwicklung zu Störungen des ordentlichen Wachstums durch die mütterliche Einbildungskraft kommen, denn laut Wolff sind Mutter und Kind während der Schwangerschaft durch einen gemeinsamen Blutkreislauf verbunden.22 Demnach ist das Blut des Kindes in seiner Bewegung eben solchen Veränderungen unterworffen [...], die das Blut der Mutter leidet. Weil nun dieses durch ihre Sinnen und Einbildungs-Krafft in allerhand ausserordentliche Bewegungen gesetzt werden kan [...]; so muß auch zu gleich das Geblüte des Kindes darein gerathen.23
Aufgrund seiner zunächst sehr weichen Beschaffenheit könne im Embryo „durch eine starcke Bewegung des Geblütes leicht eine Verrückung oder auch wohl gar eine Verletzung einiger Theile erfolgen.“24 Die mütterliche Einbildungskraft beeinträchtigt also nicht die Seele des Kindes beim Bau ihres Körpers, wie es die StahlSchule lehrte; nach Wolff handelt es sich vielmehr um einen ganz und gar mechanischen, über den gemeinsamen Blutkreislauf vermittelten Wirkungszusammenhang.
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Vgl. ebd., § 446, S. 722. Ebd. Zu Swammerdams Untersuchungen zur Metamorphose der Insekten vgl. Fournier: The Fabric of Life, S. 69. Vgl. Wolff: Deutsche Physik, § 448, S. 724–726. Ebd., § 448, S. 724. Ebd.
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In seiner Deutschen Physik vermied Wolff jegliche Festlegung in der Frage, ob über die Präformation des einzelnen Keimes im Spermatozoon hinaus eine Präexistenz aller Generationen von Lebewesen in den ersten männlichen Exemplaren jeder biologischen Spezies anzunehmen sei.25 Auch später ließ er offen, ob von einer Einschachtelung der Keime ineinander ausgegangen werden müsse oder von ihrer Zerstreuung in der ganzen Welt im Sinne der Panspermielehre, doch stand für ihn allemal fest, daß die Keime aller Menschen und Tiere seit den Tagen der Schöpfung präexistierten.26 Gleichwohl kann er eine gewisse Präferenz für die Einschachtelungsidee nicht verleugnen, benutzt er sie doch über den Bereich der biologischen Generation hinaus als Bildspender für die sukzessive Entfaltung eines bereits angelegten Potentials: In der Psychologia rationalis, in der er die Frage nach dem Ursprung der Seele durch die psychophysische Präexistenz zu lösen beansprucht, kommt Wolff auch an anderer Stelle auf die biologische Einschachtelungslehre (systema involutionis) zu sprechen; er bedient sich ihrer nämlich als Analogie für die Hervorbringung sinnlicher Ideen (ideae sensuales) durch die Seele: Diese Perzeptionen können, so Wolff, nicht von Vorgängen im Körper, speziell in den Sinnesorganen oder im Gehirn (ideae materiales), abgeleitet werden, weil die Substanzentrennung zwischen Körper und Seele das verbietet; gemäß der Hypothese von der prästabilierten Harmonie bringt daher die Seele ihre sinnlichen Ideen selbst hervor,27 was aber die Überlegung erforderlich macht, daß diese bereits in Gestalt eines emboîtements (involutio idearum) präformiert sind und nur noch der Reihe nach auseinander hervorgehen müssen.28 25 26
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Vgl. ebd., § 454, S. 732–735. Vgl. Christian Wolff: Psychologia rationalis [erstmals 1734]. Hildesheim u. New York 1972 [ND der 2., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1740] (= WGW II, 6), §§ 704–707, 727f., S. 625–629, 651f.; Ders.: Theologia naturalis, Pars prior, § 780, S. 765. Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 613, S. 543: „In systemate harmoniae praestabilitae anima vi sibi propria producit omnes suas perceptiones & appetitiones continua serie.“ Vgl. dazu auch Jean École: De la nature de l’âme, de la déduction de ses facultés, de ses rapports avec le corps, ou la ‚Psychologia rationalis‘ de Christian Wolff [1969]. In: Ders.: Introduction à l’opus metaphysicum de Christian Wolff. Paris 1985, S. 79–111, hier S. 87; Anton Bissinger: Die Struktur der Gotteserkenntnis. Studien zur Philosophie Christian Wolffs. Bonn 1970 (= Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik, 63), S. 119f. Das Analogon der biologischen Einschachtelung erklärt Wolff dabei wie folgt: „Exemplum involutionis alias occurrit in doctrina de generatione, ubi inter diversa systemata, quae a philosophis excogitata sunt, occurrit quoque systema involutionis. Nimirum si de praeexistentia corpusculorum organicorum, quae rudimentorum nomine vulgo veniunt, sermo inciderit; in Adamo praeextitisse dicuntur omnes ipsius posteri. Adamus in se continuit omnia rudimenta liberorum ex se prognatorum, in quorum rudimentis jam actu continebantur rudimenta liberorum ex ipsis nascendorum seu nepotum ipsius Adami; Et idem affirmatur de Adami pronepotibus, abnepotibus & ita porro. Rudimenta igitur sequentis generationis continuo continentur in rudimentis anterioris, sed diverso praeformationis gradu. Atque ita rudimenta omnium posterorum Adami in eadem linea recta descendentium diverso praeformationis gradu involuta fuere in rudimento filii sui, ut alia una evolutione seu generatione, alia duabus, alia non nisi tribus inde evolvi potuerint & ita porro. Involutionis adeo notio, qualem supponimus in interiore perceptionum nostrarum ratione explicanda non est in foro philosophico incognita. Translata vero ad perceptiones nostras lucem affundit tertiae mentis operationi, qua unum ex alio colligitur. Cur
Die Einschachtelung erklärt also mehr als nur die Erzeugung des Körpers und den Ursprung der menschlichen Seele – sie ist für Wolff zugleich Strukturmodell für die Entwicklung von Vorstellungen, die ineinander verschachtelt in der Seele bereitliegen, um dann sukzessive auseinander hervorzugehen: Nur dasjenige, was in ihr selbst schon dunkel präformiert ist, kann die Seele auf dem Wege der ‚Entwicklung‘ zur Klarheit bringen.29 Aufgrund der unterstellten Ähnlichkeit (similitudo) der sinnlichen Ideen mit den von ihnen repräsentierten Objekten ist die Seele dabei zugleich ein Spiegel des Universums,30 wenngleich sie die nach Wirkursachen ablaufende Aufeinanderfolge der Weltzustände ihrerseits in der Ordnung von Finalursachen ausdrückt.31 Die Kette der Ursachen und Wirkungen läßt sich ihrerseits in die Metaphorik der biologischen Generation übersetzen: Jeder Weltzustand entspringt gewissermaßen aus dem ihm voraufgehenden und geht mit dem ihm folgenden schwanger.32 Kraft der Ähnlichkeit mit ihren Objekten repräsentieren die
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enim hoc fieri possit & quaenam ex dato colligi queant, inde intelligetur.“ (Wolff: Psychologia rationalis, § 187, S. 154). Es überrascht nicht, daß Wolffs Gegner die involutio idearum dazu benutzten, seiner Philosophie fatalistische Konsequenzen nachzuweisen; vgl. etwa Budde: Bedencken über die Wolffianische Philosophie, § 11, S. 15; zusammen mit Wolffs Erwiderung erneut abgedruckt in: Herrn D. Joh. Francisci Buddei Bedencken über die Wolffianische Philosophie mit Anmerckungen erläutert von Christian Wolffen. In: WGW I, 17: Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1724], S. 84–94. In seiner Deutschen Metaphysik überarbeitete Wolff daraufhin (ab der dritten Auflage von 1725) einige der inkriminierten Paragraphen und entschärfte das bis dato eindeutig präformationistisch aufzufassende Modell der involutio idearum dadurch, daß er den Prozeß der ‚Auswicklung‘ recht konventionell als Aktualisierung von bloß in potentia gegebenen sinnlichen Ideen interpretierte, womit er zugleich das generationstheoretische Modell zu einem dem metaphysischen Tatbestand kaum mehr angemessenen Vergleich herabstimmte: Die Seele wickle demnach die sinnlichen Ideen „nur gleichsam in einer mit dem Leibe zusammenstimmenden Ordnung aus ihrem Wesen heraus, indem sie sich selbsten determiniret das mögliche würcklich zu machen.“ (Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von GOTT, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt [‚Deutsche Metaphysik‘, erstmals 1720]. Hildesheim, Zürich u. New York 1983 [ND der neuen [11.], hin u. wieder verm. Aufl. Halle 1751] (= WGW I, 2), § 819, S. 508; vgl. dazu den kritischen Apparat zur Reprintausgabe, S. 758). Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 91, S. 65: „Ideae sensuales sunt similes objecto, quod repraesentant.“ Vgl. auch Wolff: Deutsche Metaphysik, § 769, S. 481. Vgl. dazu allgemein Bissinger: Die Struktur der Gotteserkenntnis, S. 82; École: De la nature de l’âme, S. 86f. Metaphysische Voraussetzung dieses Entsprechungsverhältnisses ist die zwischen Körper und Seele waltende prästabilierte Harmonie; vgl. Hans Adler: Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie – Ästhetik – Geschichtsphilosophie bei Johann Gottfried Herder. Hamburg 1990 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, 13), S. 21f.; Bissinger: Die Struktur der Gotteserkenntnis, S. 87, 119–124. Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 187, S. 153. Schon Leibniz spricht wiederholt davon, daß in der Konsequenz seiner Hypothese von der prästabilierten Harmonie das Gegenwärtige als schwanger mit dem Zukünftigen anzusehen sei; vgl. etwa § 360 der Théodicée: „C’est une des regles de mon systeme de l’harmonie generale, que le present est gros de l’avenir“ (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 329) Ähnlich in § 22 der Monadologie: „tellement que le present y est gros de l’avenir.“ (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 610) – Wolffs generationstheoretische Metaphorik bestätigt also die von Bissinger attestierte besondere Nähe der Psychologia rationalis zu Leibniz; vgl. Bissinger: Die Struktur der Gotteserkenntnis,
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sinnlichen Ideen bei Wolff die kausale Vergangenheitsgebundenheit und Zukunftsträchtigkeit der Weltzustände; die Perzeptionen der Seele sind dazu wie die Generationen der Lebewesen in Form eines emboîtements organisiert. Es steht demnach zu vermuten, daß sich die Plausibilität der Präformationslehre für Wolff neben physiologischen Erwägungen mindestens ebensosehr ihrer Affinität zu kosmologischen bzw. schöpfungstheologischen Vorstellungen verdankt, denen zufolge sich die einmal geschaffenen Substanzen allein nach den ihnen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu ‚entwickeln‘ brauchen, ohne daß es dazu eines weiteren Eingriffs Gottes bedarf. Das lehrt jedenfalls ein genauerer Blick auf die verschiedenen Anläufe, die Wolff zur Lösung der Seelenursprungsfrage unternimmt. „[D]ie Frage von dem Ursprunge der Seele in Erzeugung des Menschen“ wird von Wolff nämlich trotz jener eindeutigen Präferenz für die Einschachtelungslehre unter „die schweren philosophischen Knoten“ gerechnet,33 worin sich eine gewisse Unentschiedenheit zwischen dem klassischen Kreatianismus einerseits und der psychophysischen Präexistenzlehre andererseits zu erkennen gibt. In seinen Anmerkungen zur Deutschen Metaphysik zieht er sich auf den bloß negativen Befund zurück, daß die Seele des Kindes als einfaches Ding weder von einem anderen einfachen Ding wie der Seele der Eltern noch von etwas Zusammengesetztem wie dem männlichen Samen ihren Ursprung nehmen könne.34 Diese metaphysischen Bestimmungen ließen sich zwar trefflich gegen den Traduzianismus verwenden, doch verblieb als positiver Befund nur die Feststellung, daß die menschliche Seele ihren Anfang allein durch eine Schöpfertat Gottes nehmen könne, deren Zeitpunkt jedoch unbestimmt blieb: Sowohl eine Präexistenz seit dem vorzeitlichen Schöpfungswerk der sechs Tage war denkbar als auch eine Erschaf-
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S. 94f. Zum Zusammenhang von Innatismus und Präformationismus bei Leibniz vgl. Catherine Wilson: Leibniz and the Animalcula. In: Michael A. Stewart (Hg.): Studies in SeventeenthCentury European Philosophy. Oxford u. New York 1997 (= Oxford Studies in the History of Philosophy, 2), S. 153–175, hier S. 169f. Christian Wolff: Nöthige Zugabe zu den Anmerckungen über Herrn D. Buddens Bedencken von der Wolffischen Philosophie. In: WGW I, 18: Schutzschriften gegen Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1724], § 65, S. 195. Wolff empfahl später, seine Verteidigungsschriften gegen Budde als dritten Teil seiner Deutschen Metaphysik zu lesen, nämlich nach den als zweitem Teil gezählten Anmerckungen zur Deutschen Metaphysik; vgl. Christian Wolff: Der vernünfftigen Gedancken von GOTT, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil, bestehend in ausführlichen Anmerckungen [‚Anmerkungen zur Deutschen Metaphysik‘, erstmals 1724]. Hildesheim, Zürich u. New York 1983 [ND der 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1740] (= WGW I, 3), Vorrede zur andern Auflage, o.S. Vgl. Ebd., § 28, S. 59f.: „Ich habe erwiesen, daß die Seele mit unter die einfachen Dinge gehöret, und daher muß sich auch auf ihren Ursprung appliciren lassen, was hier von dem Ursprunge der einfachen Dinge überhaupt gesaget wird. Nemlich weil ein einfaches Ding aus keinem zusammengesetzten entspringen kan; so kan auch die Seele nicht aus dem Saamen des Mannes in Erzeugung des Menschen ihren Ursprung nehmen, und daher nicht auf eine solche Art, wie der Leib, fortgepflantzet werden. Wiederum, weil kein einfaches Ding von einem einfachen natürlicher Weise entstehen kan; so kan auch die Seele der Kinder nicht von der Seele der Eltern ihren Ursprung nehmen.“
fung in der Zeit, und zwar im Gefolge des körperlichen Zeugungsgeschehens, wie es der Kreatianismus lehrte. Zwar erklärte Wolff es in seiner Psychologia rationalis kurzerhand für bewiesen, daß die menschliche Seele in jenem organischen Körperchen präexistiere, aus dem der Fötus im Mutterleib gebildet wird,35 – sei es nun das Samentierchen oder irgendein anderer Keim (gemeint ist das weibliche Ei) – doch stellte er seine Ausführungen ausdrücklich unter den Vorbehalt, daß Art und Zeitpunkt der Seelenerschaffung noch im Rahmen der Theologia naturalis diskutiert werden müßten.36 Einen schlüssigen Beweis für die psychophysische Präexistenz von Körper und Seele konnte er aber auch dort nicht führen, obschon er zunächst vollmundig verkündete: Die menschlichen Seelen sind von GOtt in der ersten Schöpfung der Dinge geschaffen worden. [...] Weil sie nun also entstehen, nicht aber anders als durch eine Schöpfung entstehen können: so ist es klar, daß die menschlichen Seelen von GOtt erschaffen worden seyen. Sie sind aber schon in den wirklichen vorhandenen kleinen gliedmaßlichen Cörpern, aus welchen die Frucht in Mutterleibe gebildet wird, und werden mit denselbigen in den Leib der Mutter hineingebracht: folglich werden sie nicht erst geschaffen, wenn die Frucht in Mutterleibe gebildet wird. Es ist demnach kein Grund vorhanden, warum man nicht einräumen solte, daß dieselbigen eben so wohl als die Elemente der materiellen Dinge gleich in der ersten Schöpfung von GOtt mit hervorgebracht worden seyn.37
Er schränkte diese Aussage dann aber wieder so stark ein, daß am Ende offenbleiben mußte, ob die vernünftigen Seelen der Menschen zusammen mit ihren Körpern nun tatsächlich schon zu Anfang der Welt geschaffen worden seien, „dergestalt, daß heutiges Tages nichts mehr geschaffen wird,“ oder ob sie alsdann erst geschaffen [werden], wenn die Frucht in Mutterleibe zu leben anfängt; wenn man nur einräumet, daß sie von Gott erschaffen werden, ohnerachtet das erstere der wahrheit gemässer ist, welches aber nur diejenigen verstehen werden, welche die neuen Grundwahrheiten 35
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Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 704, S. 625: „Animae praeexistunt in corpusculis organicis praeexistentibus, ex quibus foetus in utero formatur. Hodie pro certo atque explorato habetur, foetum in utero materno non generari ex massa seminis rudi atque indigesta, sed ex corpusculo organico praeexistente, sive organicum istud corpusculum sit animalculum spermaticum, sive quodcunque aliud rudimentum foetus: quod in Physicis accuratius discutiendum nobis hic perinde est. Enimvero quoniam generatio non admittitur nisi ex praeexistente organico, quia vi corporum ex massa rudi et indigesta, quam chaos dicimus, organicum quid formari concipi nequit [...].“ Immerhin erklärte er bereits vorbeugend, daß eine Erschaffung aller Seelen zu Beginn der Welt auch nach Ansicht von Theologen mit der Heiligen Schrift vereinbar sei; vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 704, S. 626: „Antequam in Theologia naturali evicerimus, animas a Deo ex nihilo fuisse productas; de earum ortu certi quid definire non datur. [...] Ibidem vero ostendemus generaliter, quae a Deo creata sunt, ea in prima rerum creatione fuisse producta: quae et communis Theologorum scripturae sacrae conformis sententia est.“ Wolff: Theologia naturalis, Pars prior, § 780, S. 765: „Animae humanae a Deo creatae in prima rerum creatione. [...] Quoniam adeo oritur [...], oriri autem nequit nisi per creationem [...]; animas humanas a Deo creatas patet. Praeexistunt autem in corpusculis organicis praeexistentibus, ex quibus foetus in utero formatur [...], & cum iis in uterum matris deferuntur [...], consequenter non demum creantur, quando foetus in utero formatur. Quamobrem nulla subest ratio, cur non admittamus, eas perinde ac elementa rerum materialium in prima statim creatione a Deo fuisse creatas.“ Dt. nach Ders.: Natürliche Gottesgelahrheit, Erster Theil, Bd. 3, § 780, S. 30.
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von der Erzeugung der Pflanzen, Thiere und Menschen aus der Naturlehre, und die von Wirklichkeit der Seelen vor der Belebung ihrer Leiber aus der Lehre von der Seele eingesehen haben.38
Wolff billigt hier der gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele gegenüber der nachträglichen Erschaffung der Seelen im Gefolge des Zeugungsgeschehens also lediglich eine höhere Wahrscheinlichkeit zu,39 für die er jedoch keine Argumente aus der natürlichen Theologie beibringen kann, weshalb er auf seine entsprechenden Ausführungen zur Naturlehre bzw. zur Psychologie zurückverweist. Doch ebensowenig wie in der natürlichen Theologie lassen sich die Fragen der biologischen Generation in der Physiologie oder in der Psychologie abschließend beantworten. Obgleich Wolff einzelne Konzeptionen wie den Traduzianismus a priori ausschließen will, bleibt er zuletzt doch unentschieden, ob von einer Präexistenz oder einer Neuschaffung der menschlichen Seelen auszugehen sei, entscheidend ist für ihn, daß der ‚ganze Mensch‘ als ein Geschöpf Gottes anzusehen ist.40 Der Vorbehalt, der in dieser Formulierung steckt, läßt zuletzt offen, ob Wolff die biologische Generation wirklich als eine ‚Erzeugung des ganzen Menschen‘ konzipiert oder als ein Geschäft, das erst durch einen Eingriff Gottes in seine Schöpfung abgeschlossen wird. Der wunde Punkt der psychophysischen Präexistenzlehre bestand im offenkundigen Überangebot beseelter ‚Samentierchen‘, die keine Empfängnis auslösten. Die flagrante Verschwendung einer enormen Quantität von ‚Samentierchen‘, die nicht zur Befruchtung gelangten, ließ sich zwar, wie gesehen, durch den Verweis auf das Pflanzenreich relativieren, doch schien es mit der Güte Gottes unvereinbar, daß eine unvorstellbar hohe Zahl eigens geschaffener menschlicher Seelen niemals zur Entwicklung ihrer rationalen Vermögen gelangen sollte.41 Da die prästabilierte Harmonie zwischen Körper und Seele die Gegenwart einer Seele in jedem dereinst belebten Körper notwendig machte, hatte Leibniz sich seinerzeit darauf verlegt, dem Animalculum nur die sensitive Seele eines Tieres zuzuspre38
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Wolff: Theologia naturalis, Pars prior, § 780, S. 765: „Nobis hic perinde est, sive quis statuat animas humanas in prima statim rerum creatione cum eo, quod substantiale est in omnibus corporibus, fuisse creatas, ita ut hodie nihil creetur amplius; sive defendat, eas tum demum creari, quando in utero vivere incipit foetus, modo agnoscatur, eas a Deo creari, etsi veritati consentaneum sit prius, non tamen intelligendum nisi iis, qui principia moderna de generatione plantarum & animalium hominumque physica & de praeexistentia animarum psychologica habuerint perspecta.“ Dt. nach Ders.: Natürliche Gottesgelahrheit, Erster Theil, Bd. 3, § 780, S. 31. Vgl. auch Wolff: Theologia naturalis, § 24, S. 26: „Etenim certum est, animam a parentibus cum corpore generari non posse [...] & saltem maxime probabile eam praeexistere ante formationem foetus in utero“ [Hervorh. S.B.]. Vgl. Wolff: Theologia naturalis, Pars prior, § 782, S. 766. Am prägnantesten ist wohl in diesem Zusammenhang die Formulierung in einer Notiz aus dem Leibnizschen Nachlaß mit dem Titel De animarum creatione atque mentium origine: „Quodsi animas quoque humanas a Deo initio creatas in seminibus latere, atque conceptionem expectare statuamus, in aliud paradoxum incidimus, quod scilicet innumerae animae humanae inutiles maneant in seminibus, nec unquam perveniant ad rationis usum.“ Leibniz: Sämtliche Schriften, Reihe 6: Philosophische Schriften, Bd. 4, Teil B. Berlin 1999, S. 1496.
chen, die auch im Falle der Zerstörung des ihr zugehörigen Körpers fortexistieren und zu einem späteren Zeitpunkt ein Tier beleben könnte; die rationale Seele des Menschen würde hingegen erst im Falle der Empfängnis durch eine Transmutation aus der sensitiven Seele des Samentierchens hervorgehen und auf diese Weise zu einem Wesen aufrücken, das auch nach dem Absterben des ihm zugehörigen Körpers seine Personalität bewahren könnte. Er war jedoch nicht zu einem abschließenden Urteil darüber gelangt, ob dieser Vorgang nur durch ein göttliches Wunder oder auch auf natürlichem Wege geschehen könne.42 Christian Wolffs Unentschiedenheit zwischen dem klassischen Kreatianismus einerseits und der psychophysischen Präexistenzlehre andererseits läßt sich genau auf diese offene Frage zurückführen. In jedem Fall aber lasse sich, so Wolff, der Leibnizschen Lösung des Commercium-Problems, der Hypothese von der prästabilierten Harmonie, nachrühmen, daß sie „die Gemeinschafft zwischen dem Leib und der Seele auf eine verständliche Weise erklären kan.“43 Das Systema harmoniae praestabilitae ist die sichere Warte, von der aus Wolff influxionistische Anthropologien nach dem altprotestantischen Modell des totus homo und deren generationstheoretisches Pendant, den Traduzianismus, als Kolonnen des Materialismus angreift.44 Auf der anderen Seite feuern die halleschen Pietisten als entschiedene Traduzianer bei der Auseinandersetzung mit Wolff immer auch Salven gegen Leibniz, wenn es um die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele geht.45 Neben Determinismus und Fatalismus als vermeintlichen Konsequenzen der Leibniz-Wolffschen Philosophie zählt das Theorem von der psychophysischen Präexistenz zu ihren bevorzugten Angriffspunkten. Doch ließ sich den beiden Philosophen strenggenommen nicht der Vorwurf des Präexistentianismus machen, da sie eben keine Präexistenz der personalen menschlichen Vernunftseelen behaupteten, sondern allein eine Präexistenz ‚beseelter‘ Keime, deren vorzeitlicher Schlummer erst mit der ‚Entwicklung‘ des 42 43
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Vgl. dazu unten S. 97f. Christian Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, die er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Welt-Weißheit heraus gegeben [erstmals 1726]. Hildesheim u. New York 1975 [ND der 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1733] (= WGW I, 9), § 209, S. 595. Es versteht sich, daß Wolffs Verwendung des Begriffs ‚Materialismus‘ nicht den Vorwurf impliziert, seine Gegner würden die Substantialität der Seele rundweg leugnen; er markiert vielmehr das Versagen ihrer Seelenkonzeption unter den Bedingungen des (nach-)cartesischen Leib-Seele-Dualismus. Und tatsächlich scheidet ja das altprotestantische Modell des totus homo Leib und Seele dichotomisch voneinander, aber nicht im Sinne einer vollständigen Disjunktion. Von seinem Ursprung her war der christliche Traduzianismus indes mit vollem Recht materialistisch zu nennen, insofern sein Begründer Tertullian an die stoische Vorstellung von der Körperlichkeit der Seele angeknüpft hatte; vgl. dazu oben S. 21f. Joachim Lange: Bescheidene und ausführliche Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico von GOtt, der Welt, und dem Menschen. Hildesheim, Zürich u. New York 1999 [ND der Ausg. Halle 1724] (= WGW III, 56), S. 81–85; Ders.: Caussa Dei et religionis naturalis adversus atheismum. Hildesheim, Zürich u. New York 1984 [ND der 2. Aufl. Halle 1727] (= WGW III, 17), S. 178, 443–446.
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Gehirns und der Sinnesorgane enden sollte, so daß sie in den Status rationaler Seelen aufrückten, die über klare Vorstellungen und ein Bewußtsein ihrer selbst verfügten.46 Der Theologe Lange ließ seine Kritik an den Generationslehren von Leibniz und Wolff daher bloß in den eher allgemein gehaltenen Vorwurf münden, sie leisteten „den Atheisten zur Verleugnung der Unsterblichkeit der Seelen noch mehr Vorschub, als das Systema des Epicuri mit seinen atomis.“47 Wenn er Wolff darüber hinaus bezichtigte, er pflege „in Physicis in der materia de generatione hominis sehr ärgerlich zu reden“,48 so gründete sich dieser Vorwurf sicherlich nicht zuletzt darauf, daß die Lehre von der psychophysischen Präexistenz dem Traduzianismus den Boden streitig machte. Die Tübinger theologische Fakultät fand es ebenfalls bedenklich, daß nach Wolffs Lehre alle Seelen der Menschen auf einmahl zugleich von GOtt und zwar nur als animae sensitivae, die den gradum rationalitatis erst in der würcklichen Conception vom Menschen erlangen, welches so wohl mit der Natur der Seele des Menschen, als mit der in der Theologie recipirten hypothesi de propagatione animae per traducem offenbar streitet.49
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Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, §§ 706–718, S. 628–640; dazu École: De la nature de l’âme, S. 107. Lange: Bescheidene und ausführliche Entdeckung, S. 84. – Zu Langes Kritik an der Wolffschen Schöpfungslehre vgl. Susanne Ehrhardt-Rein: Zwischen Glaubenslehre und Vernunftwahrheit. Natur und Schöpfung bei Hallischen Theologen des 18. Jahrhunderts. Münster 1996 (= Physikotheologie im historischen Kontext, 3), S. 46–75. Joachim Lange: Ausführliche Recension der wider die Wolfianische Metaphysic auf 9 Universitäten und anderwärtig edirten sämmtlichen 26 Schriften. In: WGW III, 64,1: Schriften über Joachim Langes und Johann Franz Buddes Kontroverse mit Christian Wolff. Teil 1. Hildesheim, Zürich u. New York 2000 [ND der Ausg. Halle 1725], S. 4. Wolffs Ausführungen über die biologische Generation sind gelegentlich sogar als Anlaß für die zu seiner Vertreibung führenden halleschen Streitigkeiten angeführt worden: „Man erzehlet, es habe Hr. Wolff in seinen physicalischen Stunden die Lehre von der Erzeugung des Menschen allzuhandgreiflich und deutsch erkläret, daß die Anhänger der Hällischen Gottesgelehrten vor Schaam die Augen niedergeschlagen, und das bey ihnen dadurch erregte Aergerniß den Gottesgelehrten mit Seufzen und Thränen geklaget hätten.“ (Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 2, S. 95) Ludovici selbst zählt diese Erklärung jedoch unter die ‚erdichteten‘ Versionen vom Ursprung der Kontroverse (ebd., S. 96). Der Theologischen Facultät zu Tübingen Bedencken über die Wolffische Philosophie [1725]. In: Carl Günther Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften wegen der Wolffischen Philosophie, zur Erläuterung der bestrittenen Leibnitzischen und Wolffischen Lehrsätze. Hildesheim u. New York 1976 [ND der Ausg. Leipzig 1737/38] (= WGW III, 2), Th. 1, S. 159. Ludovici druckt die Bedencken der Tübinger theologischen und philosophischen Fakultäten erneut in seinem Artikel Wolfische Philosophie für das Zedlersche Universal-Lexicon ab und führt dort zu deren Entstehung an: „Als der öffters von uns gelobte Hr Bülfinger [d.i. der Wolff-Schüler Georg Bernhard Bilfinger, S.B.] im 1725 Jahre von Tübingen abgereiset war, wurde dem Durchl. Hertzoge von Würtemberg vorgetragen, als ob die Wolfische Philosophie gefährlich und irrig sey. Dieser forderte darauf am 25 Junius des gedachten Jahres von der Theologischen so wohl als Philosophischen Facultät zu Tübingen ihr Bedencken über die Wolfische Philosophie. Beyde Facultäten haben auch hierunter ihren unterthän. Gehorsam bezeiget, daß jede insbesondere ihren Bericht abgestattet hat.“ ([Carl Günther Ludovici]: Art. Wolfische Philosophie. In: Zedler: Universal-Lexicon, Bd. 58 [ND in WGW III, 68: ‚Wolff (Christian)‘ und ‚Wolffische Philosophie‘. Zwei Artikel aus Johann Heinrich Zedlers Univer-
Diesen Vorwurf parierte Wolff, indem er auf sein eigenes theologisches Studium anspielend ausführte, es sei „bekannt, daß nicht alle Philosophi und Theologi den traducem defendiret, und ich bin selbst in Jena die hypothesin creationis animarum gelehret worden, wo sie die größten Theologi defendiret.“50 Nicht ohne Häme dürfte er die Erläuterung angefügt haben, selbst Budde, der den halleschen Pietisten inzwischen Schützenhilfe im Kampf gegen ihn geleistet hatte,51 beurteile den Traduzianismus kritisch: Hr. Budde erkläret den traducem vor eine Sache, die dem Materialismo favorisiret, und als ein Theologus abstrahiret er mit Recht von allen hypothesibus, weil in der Schrifft keine Gründe vorhanden, daraus man den modum propagationis animae decidiren kan. Solte der Tradux nicht ein leeres Wort seyn und die Buddische Imputation deutlich wiederleget werden, so muß man zu der Leibnitzischen hypothesi Zuflucht nehmen.52
Neben dem Hinweis auf widerstreitende Lehrmeinungen innerhalb der lutherischen Theologie ist der Vorwurf des psychologischen Materialismus Wolffs schärfste Waffe gegen den Traduzianismus: Ein Übergang der Seele von den Eltern auf den Nachwuchs sei, so lehrte er, mit dem einfachen Wesen der Seele unvereinbar, die Rede von ihrer Teilbarkeit mache sie nachgerade zu einem zusammengesetzten
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sal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Hildesheim, Zürich u. New York 2001], Sp. 883–1232, hier Sp. 1003) Christian Wolffens Anmerckungen über der Theologis[chen] Facultät zu Tübingen Responsum wegen seiner Philosophie [1725]. In: Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 2, S. 42–63, hier S. 59 (erneut im genannten Zedler-Artikel Ludovicis, Sp. 1012–1022, hier Sp. 1020). – Wie oben (S. 19, Anm. 6) erwähnt, hatte die theologische Fakultät der Universität Jena im 17. Jahrhundert abweichend von der üblichen lutherischen Lehrmeinung hinsichtlich des Seelenursprungs den Kreatianismus vertreten. Die Lehre von der psychophysischen Präexistenz stieß aber auch dort auf Ablehnung, wie aus einer Stellungnahme zu den Tübinger Bedencken hervorgeht, die den Jenaer Fakultäten während der Wolffschen Streitigkeiten abverlangt worden war. Offenbar hat die Mehrheit der Jenaer Theologen und Philosophen die psychophysische Präexistenzlehre fälschlicherweise im Sinne des althergebrachten Präexistentianismus aufgefaßt; vgl. [Johann Jacob Syrbius]: Bericht der Theologischen und Philosophischen Facultät zu Jena an die Universität, und durch diese an den hochfürstlichen Eisenachischen Hof [1725]. In: Ludovici: Art. Wolfische Philosophie, Sp. 1029– 1050, hier Sp. 1032. Vgl. Budde: Bedencken über die Wolffianische Philosophie. – Die Publikation der Schrift war offenbar gegen Buddes Willen durch eine Intrige Joachim Langes erfolgt; vgl. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 1, § 265, Anm. a. Christian Wolff: Anmerckungen über der Theologis[chen] Facultät zu Tübingen Responsum wegen seiner Philosophie. In: Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 2, S. 59f. (erneut in Ludovici: Art. Wolfische Philosophie, Sp. 1020). – Budde wird von Wolff sonst als Propagator des Materialismus gescholten: „Man kan nicht in Abrede seyn, daß bey einiger Zeit der Materialismus in Deutschland überhand genommen, nachdem eben die Buddische Philosophie der studierenden Jugend in die Hände gegeben worden. Und ich weiß Exempel, welche selbst sich in der Materialisterey auf diese Stütze gegründet, die ich aber wieder zurechte gebracht.“ (Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 208, S. 589) Seiner eigenen Philosophie rühmt Wolff nämlich den besonderen Nutzen nach, nicht nur gegen Atheismus, sondern gleichermaßen gegen Skeptizismus, Materialismus und Idealismus zu wappnen; vgl. ebd., §§ 207–210, S. 583–600.
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körperlichen Wesen.53 Auch eine materielle Präformation des Keimes ohne Kopräsenz einer Seele, wie einige hallesche Mediziner sie immerhin für möglich erachteten, ließ sich mit der Wolffschen Philosophie nicht vereinbaren, denn aufgrund der prästabilierten Harmonie von Körper und Seele mußte jedem dereinst belebten Körper seit Beginn der Welt eine Seele zugehören.54 Die Frage des Ursprungs der menschlichen Seele entzweite Wolff also mit seinen halleschen Kollegen;55 es konnte daher nicht ohne Spannungen bleiben, wenn er als offizieller Fachvertreter der Physik eine Generationstheorie lehrte, die dem Traduzianismus den Boden entzog. Folgerichtig war die Seelenlehre einer der Hauptangriffspunkte sowohl der halleschen Pietisten als auch der Stahlschen Medizin gegen den Rationalismus Leibniz-Wolffscher Prägung. Stahl selbst hatte im 1720 publizierten Negotium Otiosum Leibniz’ Einwendungen gegen seine Theoria medica vera harsch zurückgewiesen,56 und Alberti sekundierte ihm mit seinen Medicinischen und Philosophischen Schrifften (1721), in denen er der Seele – konträr zu Wolffs Leib-SeeleDualismus – ein „ohncörperliches (ich meyne aber nicht schlechthin immateriale sondern incorporeum) Wesen“ bescheinigte.57 Insofern ist die von Stahl und Alberti 1720/21 unternommene programmatische Ausweitung der medizinischen Argumentation auf das Gebiet der Philosophie gewissermaßen als Auftakt für den 53
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Vgl. Christian Wolff: Philosophia prima sive Ontologia [erstmals 1730]. Hildesheim 1962 [ND der 2. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1736] (= WGW II, 3), § 687, S. 519f.; Ders.: Psychologia rationalis, §§ 701, 703, S. 623–625; Ders.: Theologia naturalis, Pars prior, § 24, S. 26. Vgl. Wolff: Psychologia rationalis, § 727, S. 651f. Jean École spricht bei Wolff von ‚Kreatianismus‘, was zwar durchaus mit dessen Selbsteinschätzung zusammenstimmt, genau genommen aber die Pointe der psychophysischen Präexistenz verfehlt; vgl. Jean École: La métaphysique de Christian Wolff. 2 Bde. Hildesheim, Zürich u. New York 1990 (= WGW III, 12,1–2), Bd. 1, S. 318–320; Ders.: De la nature de l’âme, S. 106f. Vgl. Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 201–220; François Duchesneau: Stahl, Leibniz, and the Territories of Soul and Body. In: John P. Wright u. Paul Potter (Hg.): Psyche and Soma. Physicians and Metaphysicians on the Mind-Body Problem from Antiquity to Enlightenment. Oxford 2000, S. 217–235; Lelland J. Rather u. John B. Frerichs: The Leibniz-Stahl Controversy I: Leibniz’ Opening Objections to the ‚Theoria medica vera‘. In: Clio Medica 3 (1968), S. 21–40; Dies.: The Leibniz-Stahl Controversy II; Karl E. Rothschuh: Leibniz, die prästabilierte Harmonie und die Ärzte seiner Zeit. In: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 14.–19. November 1966. Bd. 2: Mathematik – Naturwissenschaften. Wiesbaden 1969 (= Studia Leibnitiana Supplementa, 2), S. 231–254, hier S. 235–243. Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 16. Es entbehrt also jeder Grundlage, wenn Gerd Fabian Alberti unter Hinweis auf das Leib-Seele-Problem ausgerechnet zu einem Cartesianer erklärt; vgl. Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 173. Die Seele ist für Alberti zwar unkörperlich, dadurch aber nicht zugleich immateriell. Auch Stahl betont die Unkörperlichkeit der Seele, bestreitet aber ihre Immaterialität; vgl. Stahl: Negotium Otiosum, S. 94, 100. Eine ähnliche Konzeption der Seele vertritt der zeitweise in Halle lehrende Thomasius-Schüler Andreas Rüdiger; vgl. Max Dessoir: Geschichte der neueren deutschen Psychologie [Bd. 1: Von Leibniz bis Kant, erstmals 1894]. Amsterdam 1964 [ND der 2., völlig umgearb. Aufl. Berlin 1902], S. 99; Walter Sparn: Philosophie. In: Hartmut Lehmann (Hg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Göttingen 2004, S. 227–263, hier S. 244f.
offenen Kampf der halleschen Pietisten gegen Christian Wolff zu betrachten, der mit seiner Vertreibung aus Halle endete.58 In der heißen Phase der Auseinandersetzung drangen die pietistischen Theologen 1723 sogar darauf, den in Berlin als Leibarzt ansässigen Stahl in eine Kommission zu berufen, die zur Prüfung der gegen die Wolffsche Philosophie erhobenen Vorwürfe eingesetzt werden sollte – so gewiß konnten sie seiner Parteilichkeit in der Sache offenbar sein.59 Die anderen Fakultäten hielten sich in der seit Wolffs Prorektoratsrede60 von 1721 offen geführten Kampagne der pietistischen Theologen eher bedeckt, zumindest schlossen sie sich nicht dem von der theologischen Fakultät vorgegebenen Kurs an: So gelang es dem Dekan der philosophischen Fakultät nicht, eine von allen Professoren getragene Stellungnahme gegen Wolff herbeizuführen;61 in der 58
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Vgl. Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 201f.; ein solcher Zusammenhang zwischen der Publikation des Negotium Otiosum und den bald darauf einsetzenden Auseinandersetzungen um die Wolffsche Philosophie in Halle ist bereits von den Zeitgenossen hergestellt worden; vgl. Georg Volckmar Hartmann: Anleitung zur Historie der LeibnitzischWolffischen Philosophie. Hildesheim u. New York 1973 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1737] (= WGW III, 4), S. 367f. Die Einschaltung Stahls durch die theologische Fakultät der Universität Halle belegt Albrecht Beutel durch Akten des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem; vgl. Beutel: Causa Wolffiana, S. 151-154, bes. S. 152, Anm. 208; vgl. auch Wilhelm Schrader: Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle. 2 Bde. Berlin 1894 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)], Bd. 1, S. 216; Hinrichs: Preußentum und Pietismus, S. 411. – Den Vorschlag von Gutachtern durch seine pietistischen Gegner kommentierte Wolff verächtlich: „Damit sie nun recht behalten möchten, so sandten sie ihre Auflagen nach Hofe und schlugen Leute zu Richtern vor, von denen gantz Berlin wuste, daß sie ihnen zugethan und der Sache nicht gewachsen waren.“ (Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 218, S. 632) Christian Wolff: Oratio de Sinarum philosophia practica. Rede über die praktische Philosophie der Chinesen (lat./dt.). Übers. u. hg. v. Michael Albrecht. Hamburg 1985 (= Philosophische Bibliothek, 374); vgl. darin die instruktive Einleitung des Herausgebers. Vgl. auch Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 1, S. 259–261; Gerhard Sauder: Vollkommenheit. Christian Wolffs Rede über die Sittenlehre der Sineser. In: Frank Grunert u. Friedrich Vollhardt (Hg.): Aufklärung als praktische Philosophie. Werner Schneiders zum 65. Geburtstag. Tübingen 1998 (= Frühe Neuzeit, 45), S. 317–333. Vgl. Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 689f. Die von Hartmann geschürten Zweifel, ob eine Stellungnahme der philosophischen Fakultät gegen Wolff überhaupt zustande gekommen sei, erklären sich vermutlich dadurch, daß im Druck lediglich Wolffs Verteidigung gegen die Theologen erschienen ist: Des Herrn Doct. und Prof. Joachim Langens oder: Der Theologischen Facultaet zu Halle Anmerckungen über des Herrn Hoff-Raths und Professor Christian Wolffens Metaphysicam von denen darinnen befindlichen so genannten der Natürlichen und geoffenbarten Religion und Moralität entgegen stehenden Lehren. Nebst beygefügter Hr. Hoff-R. und Prof. Christian Wolffens gründlicher Antwort. In: WGW I, 17: Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Kassel 1724]. Zur Verwirrung hat auch die Verwechslung beider Verteidigungsschriften in Wolffs Eigener Lebensbeschreibung (S. 193f.) beigetragen, doch hat Albrecht Beutel die Unklarheiten mittlerweile durch Hinweis auf das überlieferte Archivmaterial beseitigt; vgl. Beutel: Causa Wolffiana, S. 146, Anm. 159. – Bei dem von Wolff nicht mit Namen genannten „Decanus Facultatis philosophicae“, der selbst „ein Theologus“ war (Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 218, S. 630f.), handelt es sich um Christian Benedict Michaelis; vgl. Beutel, Causa Wolffiana, S. 145. Bei dem
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juristischen Fakultät versagten Thomasius, Heineccius und Ludewig jegliche Mitwirkung an einem solchen Verfahren; von einer Stellungnahme der medizinischen Fakultät in dieser Sache ist nichts bekannt.62 Doch ist aus der institutionellen Zurückhaltung nicht unbedingt auf kollegiales Wohlwollen gegenüber Wolff zu schließen. Durch seine Verabsolutierung der mathematischen Methode, durch eigenes Ränkespiel und nicht zuletzt durch sein überhebliches Auftreten hatte er sich bereits vor seiner Prorektoratsrede viele Sympathien verscherzt; das gibt jedenfalls eine betont ausgewogene Schilderung der Vorgeschichte seiner Vertreibung zu bedenken, die 1724 pseudonym als Unpartheyisches Sendschreiben an einen guten Freund in B. von dem neuesten Staat in Halle herausgegeben wurde.63 Diese in der Forschung viel zu wenig beachtete, ausgesprochen wohlinformierte Darstellung stammt erkennbar von einem Angehörigen der Universität Halle, als ihr Verfasser wurde Nicolaus Hieronymus Gundling vermutet,64 der, obschon von Ludovici als „der allerälteste unter den Hällischen Gegnern Herrn Wolffens“65 bezeichnet, sich dennoch nicht mit dessen pietistischen Verfolgern gemein machte.66 Für eine solche Zuschreibung spricht unter anderem der Umstand, daß im Sendschreiben gleich zweimal angeführt wird, Wolff habe sich einst selbst als „Kätzer- und Atheisten-Macher“ gegen Gundling wie auch gegen dessen Lehrer
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ebenfalls nicht namentlich genannten Senior der philosophischen Fakultät, der gegen das von den Theologen angestrebte Verfahren opponierte, handelt es sich um Bartholomäus Johann Sperlette; vgl. Gottsched: Historische Lobschrift, S. 62. Die Beschwerdeschrift über die Wolffsche Philosophie, die der Dekan Michaelis (ungeachtet der Einwände mehrerer Fakultätsangehöriger) im Namen der philosophischen Fakultät an das Berliner Oberkuratorium sandte, soll laut Gottscheds Darstellung in Wirklichkeit von Lange und Strähler abgefaßt worden sein (so auch Wolff: Eigene Lebensbeschreibung, S. 193). Vgl. Schrader: Geschichte der Friedrichs-Universität, Bd. 1, S. 214; Hinrichs: Preußentum und Pietismus, S. 404; Beutel: Causa Wolffiana, S. 145f. Nicolai Veridici Impartialis Bohemi unpartheyisches Sendschreiben an einen guten Freund in B. von dem neuesten Staat in Halle darinnen viel unbekandte und merckwürdige Umstände was die Dimission des Herrn Hoff-Rath Wolffens betrifft, entdecket werden. Herausgegeben von Lamberto Probino Symzero Meclenb. Wittenberg 1724; zu Wolffs Vertreibung siehe dort S. 9– 33. Die Neutralität der Darstellung wird schon von den Zeitgenossen anerkannt: So erklärt der Jenaer Philosoph Gottlieb Stolle, das Sendschreiben werde „eher andern als der Wolffischen und Langischen Parthey, unpartheyisch vorkommen.“ (Gottlieb Stolle: Anleitung zur Historie der Gelahrheit, denen zum Besten, so den freyen Künsten und der Philosophie obliegen. Nunmehr zum viertenmal verbessert und mit neuen Zusätzen vermehret, herausgegeben. Jena 1736, S. 505) Gabriel Wilhelm Götten bemerkt: „Der Verfasser hält es weder mit Hrn. Wolfen noch den Gottesgelehrten zu Halle; sondern ist Hrn. Thomasio sehr geneigt. Er bringt viele besondere Umstände an und meldet allerley Dinge von der Erhebung Hrn. Wolfens, dessen Politischen Fehlern, Verachtung andrer Professorn u.d.m.“ (Gabriel Wilhelm Götten: Das Jetzt-lebende gelehrte Europa. 3 Theile. Hildesheim u. New York 1975 [ND der Ausg. Braunschweig u.a. 1735–40], Th. 2, S. 708) Vgl. Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 878f.; Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 3, § 17, S. 14. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 3, § 17, S. 16. Vgl. Gottsched: Historische Lobschrift, S. 62.
Thomasius betätigt.67 Seinerzeit hatte Gundling (unter der Maske eines seiner Hörer) anonym repliziert und Wolff als einen „gewissen Lyscander“ aufs Korn genommen, der „wenn es auf sein interesse ankäme, ein ketzermacher“ wäre.68 Daß der Vorwurf des Atheismus bzw. Sozinianismus nun auf Wolff selbst fällt, erscheint dem Verfasser des Unpartheyischen Sendschreibens dementsprechend als späte Vergeltung. Mehr noch: Die damals bezichtigten Thomasius und Gundling könnten darin die Erfüllung eines überkommenen Rechtsgrundsatzes sehen: „Per quod quis peccat, per idem punitur & idem.“69 Vom intimen Einblick des Verfassers in den Verlauf der Auseinandersetzung zeugt nicht zuletzt seine ausdrückliche Würdigung von Wolffs Appell an die Theologen der Berliner Hofpartei als eines geschickten Schachzugs zur Abwehr der gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen, hätte er sich doch insbesondere bemüht, die Verträglichkeit der Hypothese von der prästabilierten Harmonie mit dem reformierten Prädestinationsglauben herauszustellen:70 Daß der Herr Hoffrath [Wolff, S.B.] sich bey den Herrn Theologis Reformatis suchte beliebt zumachen, halte ich vor den klügsten streich den er in der gantzen Sache gethan; denn weil er wuste daß seine Feinde Theologi, so war es gewiß recht wohlgethan, daß er diesen leuten eben solche entgegen zusetzen suchte die ihnen die Stange halten konten.71
Gundlings Lehrer, Christian Thomasius, stand der Wolffschen Philosophie skeptisch, wenn nicht feindselig gegenüber. Ludovici zählt ihn denn auch unter die „Widersacher der Wolffischen Welt-Weißheit“72 und führt darüber hinaus an, Thomasius habe „die Wolffische Philosophie mit verfolgen helffen; ob er wohl, abermahls aus besonderer Klugheit, solches mehr heimlich und durch andere, als 67 68
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Vgl. Anon.: Unpartheyisches Sendschreiben, S. 13f., 31 (Zitat S. 13). Vgl. ebd., S. 19 mit Zitat aus [Nicolaus Hieronymus Gundling]: Aufrichtiges Sendschreiben eines Gundlingischen Zuhörers an Herrn Christoph August Heumann. Altranstädt 1713, S. 3. – Tatsächlich war der damalige Angriff gegen Gundling wohl nicht von Wolff ausgegangen, sondern von beider Fakultätskollegen Johannes Friedemann Schneider, was zum Zeitpunkt von Wolffs Vertreibung allem Anschein nach noch nicht offenkundig war; vgl. die Anmerkung des Herausgebers zum Wiederabdruck des Aufrichtigen Sendschreibens in den postum erschienenen Satyrischen Schriften Gundlings (Jena u. Leipzig 1738 [Mikrofiche-Ausgabe in: Bibliothek der deutschen Literatur. München u.a. 1990–94], S. 453–518, hier S. 457); Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 3, § 17, S. 15f.; vgl. auch: Hans Werner Arndt: Erste Angriffe der Thomasianer auf Wolff. In: Schneiders (Hg.): Christian Thomasius, S. 275–286, hier S. 284f. Vgl. Anon.: Unpartheyisches Sendschreiben, S. 31. Dieser Schachzug Wolffs ist auch durch einen Brief Johann Heinrich Callenbergs an Ernst Salomon Cyprian vom 11. November 1723 belegt; vgl. Theodor Wotschke: Wolffs Briefe über seinen Streit mit den hallischen Pietisten. In: Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 21 (1932), S. 51–74, hier S. 51, Anm. 1. Anon.: Unpartheyisches Sendschreiben, S. 19. In ähnlicher Weise hatte Thomasius zehn Jahre zuvor die reformierte Hofpartei gegen Angriffe der halleschen Pietisten in Stellung gebracht; vgl. Hinrichs: Preußentum und Pietismus, S. 384. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 1, § 451, S. 325.
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öffentlich that: wie er denn nur ein eintziges mahl wieder Wolffen geschrieben hat“.73 Diese einzige Gelegenheit des öffentlichen Eintretens gegen Wolff datiert allerdings erst nach dessen Vertreibung aus Halle,74 doch dürfte die gegenseitige Geringschätzung auch vorher schon offenkundig gewesen sein.75 Thomasius soll auch den pietistischen Theologen, wie es in der Wolffschen Lebensbeschreibung kolportiert wird,76 zu Beginn der Streitigkeiten den Rat gegeben haben, die Wolffschen Schriften unter sich aufzuteilen und gezielt auf ‚belastendes Material‘ durchzugehen, obschon er selbst zuvor Opfer ähnlicher Kampagnen eben jener Theologen gewesen war.77 73 74
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Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 2, S. 190, Anm. 62. Gemeint ist die von Thomasius an Leibniz und Wolff kritisierte Anwendung der mathematischen Methode auf Philosophie und Theologie, wie er sie im Anhang zu denen Thomasischen gemischten Händeln (Halle 1726, S. 144–147, auszugsweise auch in Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 920f.) vorbringt. Aufschlußreich ist insbesondere die (in Hartmanns Auszug geflissentlich unterschlagene) direkt gegen Wolff gerichtete Passage: „Da aber vor wenigen Jahren ein neuer Confucianer und Leibnizianer so verwegen war, in einer öffentlichen oration die scientiam Sinicam & sapientiam Confucianam gantz unverschämt heraus zustreichen, habe ich mich nebst meinen andern Herren Collegen gar sehr über diese Thorheit entsetzt, und muß bekennen, daß seit der Zeit, so offt ich dieses Confucianers Streit-Schrifften, und seine übrige tractate, in welchen er die Philosophie nach Mathematischen Grillen reformiren will, lese, mir zum öfftern, aus denen Evangelien-Sprüchen, die ich in meiner ersten Jugend als ein Knabe gelernet, der bekandte Spruch einfällt: Daß dich der Wolff nicht falscher Weiß / Unter den Schaaf-Kleidern zureiß &c.“ (Ebd., S. 146f.) Laut Darstellung des anonymen Unpartheyischen Sendschreibens (S. 13f.) soll Wolff sich einst ein Exemplar von Gabriel Wagners Polemik gegen Thomasius’ Metaphysik verschafft haben (Realis de Vienna Prüfung des Versuchs vom Wesen des Geistes, 1707), die in Halle auf Betreiben der Universität verboten worden war. Er ließ das Buch unter seinen Studenten kursieren, bis es schließlich durch eine Indiskretion an Thomasius selbst gelangte. In einer die Herausgeberfiktion des Unpartheyischen Sendschreibens aufgreifenden weiteren anonymen Schrift aus demselben Jahr wird kolportiert, Wolff habe Thomasius’ Metaphysik „nur eine Canaillen-Philosophie zu nennen“ gepflegt (Anon.: Nachricht von einigen Begebenheiten zu Halle, besonders von Tit. pl. Herrn Chr. Thomasio, zum Druck befördert von Lamberto Probino Symzero, Meclenb. o.O. 1724, o.S.). – Dagegen halten die im Rezensionsorgan Hallische Neue Bibliothec auszumachenden Sticheleien, die Hans Werner Arndt als Erste Angriffe der Thomasianer auf Wolff gewertet wissen will, einem genaueren Blick nicht stand; vgl. Arndt: Erste Angriffe der Thomasianer auf Wolff, S. 279–283. Einzig Gundlings (fehlgeleitete) Attacke auf Wolff (siehe oben Anm. 68) dürfte diesen Namen wirklich verdienen. Gleichwohl heißt es in Abhängigkeit von Arndts Darstellung noch bei Hans-Georg Kemper: „Die Thomasianer vergalten solche Geringschätzung alsbald mit Kritik an Wolff, und Thomasius selbst, der sich mit öffentlicher Polemik zurückhielt, unternahm doch auch nichts zu Wolffs Gunsten, als dieser im Streit mit den Halleschen Pietisten geriet.“ (Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,1, S. 103) Vgl. Wolff: Eigene Lebensbeschreibung, S. 193; vgl. dazu auch Beutel: Causa Wolffiana, S. 145. Einige Wahrscheinlichkeit erhält diese Darstellung durch die (oben Anm. 74) erwähnte Empörung Thomasius’ über Wolffs Lob des Konfuzius in der Prorektoratsrede von 1721. Vgl. Kramer: August Hermann Francke, Bd. 2, S. 151–155; Hinrichs: Preußentum und Pietismus, S. 382–387; die Parallelen des Vorgehens der pietistischen Theologen gegen Thomasius 1713/14 zum Verfahren gegen Wolff 1723 betonen Hinrichs (Preußentum und Pietismus, S. 415f.) und Beutel (Causa Wolffiana, S. 155). Zu Thomasius’ früheren Streitigkeiten mit den pietistischen Theologen, aber auch mit Friedrich Hoffmann vgl. Gierl: Pietismus und Aufklärung, S. 437–458.
Schwerer einzuschätzen ist das Verhältnis zwischen dem Mediziner Friedrich Hoffmann und Christian Wolff: Einerseits soll er einer der wenigen gewesen sein, von denen Wolff persönlich Abschied nahm, bevor er Halle verließ,78 was auf einen freundschaftlichen Umgang beider hindeutet; andererseits soll er Wolff während des Streits mit der theologischen Fakultät nahegelegt haben, freiwillig auf weitere philosophische Vorlesungen zu verzichten und sich statt dessen auf die Mathematik zu beschränken.79 Joachim Lange spricht im nachhinein sogar von einer Warnung des Herrn Geheimen Raths Hoffmanns, von den Lectionen über die Metaphysick und Moral ab[zu]stehen, und sie denen dazu bestellten Professoribus [zu] überlassen [...], gleichwie diese ihm gerne seine Mathematic und Physic überliessen.80
Selbst wenn man Hoffmanns Rat oder Warnung nicht wie der Wolffianer Hartmann unmittelbar von den pietistischen Theologen angestiftet sehen will,81 bleibt doch festzustellen, daß sich der Mediziner damit nolens volens als Instrument der Pietisten betätigte, die in erster Linie Wolffs Lehrbefugnis beschnitten sehen wollten. Aufschlußreich ist auch der Umstand, daß sich der von den Pietisten gegen Wolff aufgestachelte Daniel Strähler mit dem Manuskript seiner Widerlegung der Wolffschen Metaphysik zunächst an Hoffmann wandte – offenbar erwartete er in ihm einen Gleichgesinnten zu finden; doch statt der erhofften Unterstützung seines Ansinnens holte Strähler sich sowohl bei Hoffmann als auch bei Thomasius eine Abfuhr.82 Die Vertreibung des Philosophen bedeutete indes nicht das Ende des Wolffianismus in Halle. Als in den 1730er Jahren erste Gerüchte von einer möglichen Rückberufung Wolffs in preußische Dienste aufkamen, setzte deshalb eine „zweite Welle des Antiwolffianismus“83 ein, zumal die neue Philosophie inzwischen sogar in die theologische Fakultät selbst Einzug hielt, nämlich in Gestalt Siegmund Jacob Baumgartens, der 1734 überraschend zum Ordinarius ernannt 78
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Vgl. Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 878; merkwürdigerweise weiß Hartmann hier mehr als das von ihm als Quelle ausgewertete, mutmaßlich von Gundling stammende Unpartheyische Sendschreiben, in dem bloß Ludewig, aber nicht Hoffmann namentlich genannt wird; vgl. Anon.: Unpartheyisches Sendschreiben, S. 31. Vgl. Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 699. Carl Hinrichs ordnet diesen Vorschlag Hoffmanns fälschlich unter die nach Wolffs Vertreibung ergriffenen Maßnahmen ein; vgl. Hinrichs: Preußentum und Pietismus, S. 419. Joachim Lange: Kurtzer Abriß derjenigen Lehrsätze, welche in der Wolffischen Philosophie, der natürlichen und geoffenbahrten Religion nachtheilig sind, ja sie gar aufheben, und gerades Weges, obwohl bey vieler gesuchter Verdeckung, zur Atheisterey verleiten [1736]. In: Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 1, S. 14–38, hier S. 31. Vgl. Hartmann: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie, S. 698f. Vgl. Wolff: Eigene Lebensbeschreibung, S. 192. Günter Mühlpfordt: Radikaler Wolffianismus. Zur Differenzierung und Wirkung der Wolffschen Schule ab 1735. In: Werner Schneiders (Hg.): Christian Wolff 1679–1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung. Hamburg 1983, S. 237–252, hier S. 243.
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wurde.84 Er hatte der Wolffschen Philosophie anfangs reserviert gegenübergestanden,85 brachte sie aber spätestens in seiner Zeit als Fakultätsadjunkt (seit 1732) in den theologischen Lehrbetrieb ein, weshalb er von Joachim Lange, dem inzwischen letzten Vertreter jener älteren Generation streng pietistischer Theologen (Francke starb 1727, Anton 1730, Breithaupt 1732), die Wolffs Vertreibung angezettelt hatte, wiederholt angefeindet wurde.86 Als 1736 die ersten Bögen der Baumgartenschen Theologischen Moral erschienen (das vollständige Werk trägt den Erscheinungsvermerk 1738),87 unternahm Lange sogar eine persönliche Intervention bei Hofe, um die Verbannung der Wolffschen Philosophie von der halleschen Universität zu erneuern. Sein Unternehmen scheiterte jedoch, was nicht zuletzt dem Wirken eines Kreises um den Grafen Manteuffel in Berlin zuzuschreiben ist, der offensiv die Rehabilitierung des Philosophen betrieb.88 Um sein Anliegen dennoch durchzusetzen sah Lange sich genötigt, brieflich immer neue Beschuldigungen zu erheben und neben dem älteren Baumgarten auch dessen jüngeren Bruder Alexander Gottlieb, seit 1735 Magister legens der philosophischen Fakultät, als Vertreter der Wolffschen Philosophie zu denunzieren.89 Der König ermahnte in der Folge 84
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S.J. Baumgartens Ernennung zum ordentlichen Professor der Theologie ging (an der Fakultät vorbei) offenbar auf die Initiative eines Gönners, des Berliner Propstes Michael Roloff, zurück, der ein enger Freund seines verstorbenen Vaters gewesen war; vgl. Förster: Geschichte der Universität zu Halle, S. 91; August Tholuck: Geschichte des Rationalismus. Erste Abtheilung: Geschichte des Pietismus und des ersten Stadiums der Aufklärung. Berlin 1865, S. 135; Martin Schloemann: Siegmund Jacob Baumgarten. System und Geschichte in der Theologie des Überganges zum Neuprotestantismus. Göttingen 1974 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 26), S. 38f. Vgl. dazu die differenzierten Ausführungen von Schloemann: Siegmund Jacob Baumgarten, S. 35, Anm. 94. Die ersten Beschwerden Langes gegen Baumgarten stammen aus den Jahren 1733/34; vgl. Tholuck: Geschichte des Rationalismus, S. 135 (dort allerdings fälschlich das Jahr 1730 für Baumgartens Bestellung zum Fakultätsadjunkten); Schloemann: Siegmund Jacob Baumgarten, S. 40f. S.J. Baumgarten: Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen; zur Publikationsgeschichte vgl. Schloemann: Siegmund Jacob Baumgarten, S. 42f. und S. 49, Anm. 163; Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 2, § 472, S. 426f. Vgl. Detlef Döring: Beiträge zur Geschichte der Gesellschaft der Alethophilen in Leipzig. In: Ders. u. Kurt Nowak (Hg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820). Teil I. Stuttgart u. Leipzig 2000 (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, 76,2), S. 95–150, hier S. 99–105; Cornelia Buschmann: Wolffianismus in Berlin. In: Wolfgang Förster (Hg.): Aufklärung in Berlin. Berlin 1989, S. 73–101. Allgemein zu Manteuffel vgl. aus der älteren Forschung die Arbeit von Thea von Seydewitz: Ernst Christoph Graf Manteuffel, Kabinettsminister Augusts des Starken. Persönlichkeit und Wirken. Dresden 1926 (= Aus Sachsens Vergangenheit, 5) sowie neuerdings die unveröffentlichte Magisterarbeit von Johannes Bronisch: Ernst Christoph Graf von Manteuffel und der Wolffianismus 1738–1749. Mäzenatentum, Adel und Aufklärung. Universität Leipzig, Historisches Seminar 2004. – In der Literaturwissenschaft wird Manteuffel gelegentlich als Schüler [!] Gottscheds apostrophiert, so von Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,2: Frühaufklärung, S. 185. Martin Schloemann zitiert einen entsprechenden Brief Langes an König Friedrich Wilhelm I. vom 18. September 1736 aus dem Zentralarchiv Merseburg; vgl. Schloemann: Siegmund Jacob
zwar den älteren Baumgarten, in seinen theologischen Vorlesungen „von allen dergleichen unverstendlichen Philosophischen Fratzen“ abzusehen, verordnete dem Intriganten Lange aber zugleich Stillschweigen in der Sache.90 Die auf königlichen Befehl schriftlich abgefaßten Vorwürfe Langes gegen die Wolffsche Philosophie wurden wie seinerzeit im Vorfeld der Vertreibung des Philosophen an eine paritätisch aus lutherischen und reformierten Theologen zusammengesetzte Berliner Kommission überwiesen, die diesmal ihre Arbeit auch tatsächlich aufnahm und im Ergebnis die vorgebrachten Anschuldigungen als unhaltbar zurückwies.91 Durch den Mißerfolg seiner Kampagne bei Hofe ließ Lange sich allerdings nicht davon abhalten, in Halle weiterhin gegen die Wolffsche Philosophie vorzugehen. Ein zentraler Angriffspunkt war auch hier wieder die Lehre von der biologischen Generation und die damit verbundene Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele. So ist es wohl maßgeblich ihm zuzuschreiben, daß Johann Friedrich Stiebritz, einem vom Pietismus abgefallenen und zum Wolffianismus bekehrten ehemaligen Schüler Langes, von seiten der theologischen Fakultät der Universität der Druck einer Disputation De origine animae per praeexistentiam untersagt wurde.92 Die Ernennung Stiebritz’ zum Extraordinarius der philosophischen Fakultät versuchte Lange 1738 dadurch zu torpedieren, daß er ihn bei der theologischen Fakultät wegen einer kurz zuvor erschienenen Gründlichen Abhandlung von WunderWercken welche nach den Gründen der neuern Welt-Weisen abgefasset worden in Mißkredit brachte, ohne damit allerdings etwas auszurichten.93 Seinen Kampf für
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Baumgarten, S. 48, Anm. 155. Publizistisch flankiert wurden Langes Ausfälle gegen den Wolffianismus an der Universität Halle wieder einmal von Daniel Strähler, wie Ludovici vermerkt: „Hr. Strähler hatte auch den Hallischen Gottesgelehrten, den vortrefflichen Hrn. Sigismund Jacob Baumgarten, [...] angetastet, ingleichen auf den jungen Hrn. Roloff und den jüngern Hrn. Baumgarten gestichelt.“ (Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 1, § 680, S. 589f.) – Weder die literaturwissenschaftliche noch die philosophiegeschichtliche Forschung hat, soweit ich sehe, diese Verwicklung Alexander Gottlieb Baumgartens in den Streit um die Wolffsche Philosophie bisher zur Kenntnis genommen. Kabinettsordres an Lange und Baumgarten vom 22. September 1736, abgedruckt bei Schrader: Geschichte der Friedrichs-Universität, Bd. 2, S. 462f. Joachim Langes bereits zitierter Kurtzer Abriß (vgl. oben Anm. 80) erschien mehrfach im Druck; ergänzt durch Wolffs Erwiderungen und die Stellungnahmen der Mitglieder der Berliner Untersuchungskommission findet er sich in Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 1. Vgl. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 3, S. 264. Ludovicis Bericht beruht auf der mündlichen Schilderung eines Freundes, „welcher vorgab, daß er von allen [!] gantz genaue Nachricht wüste“ (ebd., S. 262). Demnach ging die Initiative zum Verbot des Drucks der Disputation formell vom Anti-Wolffianer Daniel Strähler aus, Ludovici rechnet sie gleichwohl mit unter die Schicksale, die Stiebritz „von und durch Hrn. Langen“ erfuhr (ebd., S. 264). Johann Friedrich Stiebritz: Gründliche Abhandlung von Wunder-Wercken welche nach den Gründen der neuern Welt-Weisen abgefasset worden. In: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle [...] I. Probe. Halle 1738, S. 24–78; vgl. dazu Hans-Joachim Kertscher: Die ‚Prüfende Gesellschaft‘ in Halle. In: Detlef Döring u. Kurt Nowak (Hg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820). Teil III. Stuttgart u. Leipzig 2002 (= Abhandlungen der Sächsischen
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die Sache des Traduzianismus führte Lange jedoch unverdrossen fort, wie seine oben zitierte Invektive von 1740 belegt, in der er all jene Lehrmeinungen der „Thorheit“ zieh, die einer Fortpflanzung der Seele per traducem widersprachen.94 Daß der Siegeszug der neuen Philosophie an der Universität Halle von solchen Positionen aber längst nicht mehr aufzuhalten war, lehrt ein Blick auf die Zeugungslehren, die von einer jüngeren Generation von Medizinern sowie von Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier, den späteren Begründern der philosophischen Ästhetik, vertreten wurden.
2.2 Generationslehren der ‚vernünftigen Ärzte‘ und der Ästhetiker Nachdem Stahl sein hallesches Lehramt 1715/16 aufgegeben hatte, fiel seinen Schülern, allen voran Michael Alberti und Johann Juncker, die Aufgabe zu, die von ihm ausgearbeitete medizinische Theorie nachfolgenden Studentengenerationen zu vermitteln. Zu dieser Zeit sah sich die akademische Lehre allerdings – anders als unter der Ägide Stahls – über alle Fakultäten hinweg einem wachsenden Einfluß des Wolffianismus ausgesetzt, der sich anschickte, das Fundament der Wissenschaft überhaupt zu vermessen und den Einzelwissenschaften ein von der aufgeklärten Vernunft geprüftes und geläutertes Begriffssystem vorzuschreiben. Obschon Wolffs Amtskollegen aus der medizinischen und der theologischen Fakultät dieses Ansinnen zumeist harsch zurückwiesen, übte es doch auf die jüngere Generation einen unwiderstehlichen Reiz aus. In der Folge mehrten sich – ungeachtet der zeitweiligen Inkriminierung des Rationalismus nach Wolffs Vertreibung aus Halle – Versuche, die Lehrinhalte der Einzeldisziplinen mit Gedanken der Wolffschen Philosophie anzureichern. Unter diesen Voraussetzungen machte sich eine Gruppe ‚vernünftiger Ärzte‘ daran, eine Medizin des ‚ganzen Menschen‘ auszuarbeiten; es versteht sich, daß dabei der Theorie der biologischen Generation die Aufgabe zukam, den Ursprung des Menschen nach Leib und Seele im Kontext philosophisch ‚geklärter‘ Begrifflichkeiten plausibel zu machen.
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Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, 76,6), S. 70–99, hier S. 90f.; Ferdinand Josef Schneider: Das geistige Leben von Halle im Zeichen des Endkampfes zwischen Pietismus und Rationalismus. In: Sachsen und Anhalt 14 (1938), S. 137–166, hier S. 148f. Falsch ist indes Schneiders Behauptung (ebd., S. 149), Stiebritz habe sich später von der Lehre von der Präexistenz der Seelen distanziert; tatsächlich meldete er in seinem Aufsatz Uberzeugender Beweis daß die Materie und Cörper nicht gedencken können bloß Bedenken gegen eine Herleitung der Seelen aus den Elementen der Körper an; die Präexistenz der Seelen selbst stand für ihn dabei nicht in Frage; vgl. Johann Friedrich Stiebritz: Uberzeugender Beweis daß die Materie und Cörper nicht gedencken können. In: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle [...] V. Probe. Halle 1740, S. 377–408, hier S. 406f. Vgl. oben S. 61.
2.2.1 Die Zeugungslehren Johann Gottlob Krügers und Ernst Anton Nicolais Inaugurator der jüngeren Ärzteschule war Johann Gottlob Krüger,95 der zunächst Naturwissenschaften und Mathematik studiert, daneben aber auch philosophische und medizinische Kollegs besucht hatte. Als Magister der philosophischen Fakultät verfaßte er eine Naturlehre, die neben der Physik auch Gegenstände der Physiologie abhandelte und 1740 mit einer Vorrede seines Paten Friedrich Hoffmann erschien;96 nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin und der bald darauf erfolgten Ernennung zum außerordentlichen Professor der medizinischen Fakultät erweiterte Krüger das Werk um gesonderte Bände zur Physiologie (1743) und zur Pathologie (1750).97 Die Generationslehre findet dementsprechend sowohl im ersten als auch im zweiten Teil der Naturlehre Berücksichtigung; allerdings macht sie bei Krüger im Laufe der Jahre eine bemerkenswerte Entwicklung durch, von der auch seine weiteren Schriften Zeugnis ablegen.98 95
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Zu Krüger vgl. Kaiser u. Krosch: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät, IX: Extraordinarien und Doctores legentes, S. 376–378; Hans-Peter Nowitzki: Der wohltemperierte Mensch. Aufklärungsanthropologien im Widerstreit. Berlin u. New York 2003 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 25 [259]), S. 33–86; dazu jetzt kritisch: Yvonne Wübben: Aufklärungsanthropologien im Widerstreit? Probleme und Perspektiven der Anthropologieforschung am Beispiel von Hans-Peter Nowitzkis ‚Der wohltemperierte Mensch‘. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 244 (2007), S. 3– 26. Die Vorrede Hoffmanns findet sich nur in der Erstauflage. – Winckelmann fertigte sich übrigens Exzerpte aus Krügers Naturlehre an; vgl. Élisabeth Décultot: Johann Joachim Winckelmann. Enquête sur la genèse de l’histoire de l’art. Paris 2000 (= Perspectives germaniques), S. 210–213. In der Germanistik hat dies zu einer krassen Fehlinterpretation des philosophieund wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrundes von Krügers Schrift geführt: Thomas Franke, der gemäß der These seiner Arbeit die „empiristische Naturphilosophie“ als „epistemologische Voraussetzung der normativen Kunsttheorie Winckelmanns“ herausstellen will (Franke: Ideale Natur aus kontingenter Erfahrung, S. 7), ordnet Krüger einem „Thomasianischen Empirismus“ zu, auf den er durch einen Schüler Rüdigers eingeschworen worden sei, nämlich durch Adolph Friedrich Hoffmann, der fälschlich als Verfasser eben jener Vorrede von der wahren Weltweisheit benannt wird (ebd., S. 59). Tatsächlich handelt es sich natürlich um den Hallenser Friedrich Hoffmann, der jedoch beim besten Willen nicht als Kronzeuge für den von Franke gesuchten epistemologischen Empirismus herhalten kann, denn die von ihm in der Vorrede angesprochene Begrenztheit des menschlichen Verstandes indiziert durchaus kein epistemologisches, sondern vielmehr ein anthropologisches Problem: Hoffmann beklagt nämlich die dem Menschen mit dem Sündenfall verlorengegangene vollkommene Wesenserkenntnis, der durchaus keine Empirie abhelfen kann; vgl. Hoffmann: Vorrede. In: Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], o.S. Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, welcher die Physiologie, oder die Lehre von dem Leben und der Gesundheit des Menschen in sich fasset. Halle 1743; Ders.: Naturlehre. Dritter Theil, welcher die Pathologie, oder Lehre von den Krankheiten in sich fasset. 2 Bde. Halle 1750. – Die Erweiterung der ursprünglichen Anlage des Werks zog auch Änderungen in der nunmehr als Erster Theil der Naturlehre gezählten Physik nach sich, die 1744 in zweiter und 1749 in dritter Auflage erschien. Wenig erhellend sind in diesem Zusammenhang die insbesondere in der medizingeschichtlichen Forschung beliebten Etikettierungen Krügers, wonach er das eine Mal ein Vermittler von Hoffmann und Stahl sein soll (Kaiser u. Krosch: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle IX, S. 378), das andere Mal ein erklärter Parteigänger Wolffs (Kaiser u.
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Zunächst stellt Krüger in der Naturlehre die verschiedenen miteinander konkurrierenden Theorien von der Erzeugung des Menschen nebeneinander und weist auf ihre jeweiligen argumentativen Stärken und Schwächen hin.99 Den wenigsten Schwierigkeiten ist seiner Einschätzung nach die animalculistische Präformationslehre bzw. der Ovo-Vermismus unterworfen;100 doch sieht Krüger hier noch weiteren Untersuchungsbedarf, insbesondere weil der Präformationismus die Entstehung der Muttermäler nicht befriedigend erkläre. Die Muttermäler waren, wie gesehen, von beiden älteren halleschen Mediziner-Schulen als Argument gegen die Präformation gedeutet und im Sinne eines epigenetischen Wachstums des Embryos ausgelegt worden: Sofern sich nämlich ein ‚Versehen‘ der Schwangeren, also ein starker Affekt der werdenden Mutter beim Anblick oder bei der bloßen Vorstellung eines Gegenstands, in Form eines Muttermals oder einer Mißbildung dem Körper des Ungeborenen sollte einprägen können, war eine vollständige Präformation des Embryos schlechterdings auszuschließen. In der Stahl-Schule galten die Muttermäler darüber hinaus als Beleg für die Baumeistertätigkeit der Seele an ihrem Körper, und zwar dergestalt, daß der Affekt der Mutter die Seele des Ungeborenen in einer solchen Weise irritieren sollte, daß dieser beim Bau ihres Körpers eine mehr oder weniger getreue Abbildung des betreffenden Gegenstands unterlaufe. Krüger hält diesen Schluß von der Entstehung der Muttermäler auf die Baumeistertätigkeit der Seele allerdings für problematisch: Wolte man deswegen [wegen der Muttermäler, S.B.] behaupten, daß die Seele sich selbst einen Cörper bauete: so würde man zuweit gehen, und einen Schluß machen, der sich nach den Regeln der Vernunftkunst nicht rechtfertigen liesse. Denn man wird nimmermehr erweisen kön-
Völker: Christian Wolff und die Medizinische Fakultät Halle, S. 151) oder aber „kein reiner Stahlianer“, obschon „seine medizinische Erfahrung im Gegensatz zur Philosophie Wolffs“ stehe (Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 242). Gegen die in der Literaturwissenschaft begegnende Abstemplung Krügers als Stahlianer, etwa durch Gabriele Dürbeck und Wolfram Mauser, hat Tanja van Hoorn zu Recht Einspruch erhoben; vgl. Gabriele Dürbeck: Physiologischer Mechanismus und ästhetische Therapie. Ernst Anton Nicolais Schriften zur Psychopathologie. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 104–119, hier S. 109, Anm. 19; Wolfram Mauser: Glückseligkeit und Melancholie. Zur Anthropologie der Frühaufklärung [erstmals 1990]. In: Ders.: Konzepte aufgeklärter Lebensführung. Literarische Kultur im frühmodernen Deutschland. Würzburg 2000, S. 211–243, hier S. 222; Tanja van Hoorn: Entwurf einer Psychophysiologie des Menschen. Johann Gottlob Krügers ‚Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrtheit‘ [1745]. Hannover-Laatzen 2006, S. 92. – Krüger selbst erklärt bei Gelegenheit, daß er „so wohl aus dem Stahlianischen als Mechanischen Lehrgebäude verschiedenes annehme, und eben darum halte ich es nicht vor unmöglich, diese beyden Sachen mit einander zu verbinden.“ (Johann Gottlob Krüger: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit [1745]. In: Tanja van Hoorn: Entwurf einer Psychophysiologie, S. 68). 99 Vgl. Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], § 692, S. 788; Ders.: Naturlehre, Zweyter Theil, §§ 466–471, S. 773–778. 100 Aus Krügers Physiologie geht hervor, daß er den Ovo-Vermismus für die Position Leeuwenhoeks hielt, der er die wenigsten Schwierigkeiten attestiert hatte; vgl. Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], § 692, S. 788; Ders.: Naturlehre, Zweyter Theil, § 471, S. 777f.
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nen, daß die Seele eines Kindes hierinnen so viel Geschicklichkeit besitzt, da sie doch in andern Stücken so dumm ist.101
Krüger scheint mit seiner Skepsis allerdings auf Widerspruch gestoßen zu sein, jedenfalls sah er sich in der zweiten Auflage seiner Schrift veranlaßt nachzulegen: Gesetzt aber auch, daß die Seele der Baumeister ihres Cörpers wäre, so frage ich einen jeden meiner Leser auf sein Gewissen, ob er es nun begreift, wie es mit der Erzeugung des Menschen zugehet, ich bin gewiß versichert, wenn er vernünftig ist so wird er antworten er sey jetzo eben so klug als er vorher gewesen wäre.102
In Krügers Augen ist die stahlianische Generationslehre also überhaupt ungeeignet, die Entstehung von Körper und Seele zu erhellen, weshalb er sie schließlich als unnütz verwirft.103 Unter den weiteren vorgetragenen Generationstheorien scheint er den auch von Christian Wolff vertretenen Ovo-Vermismus zu favorisieren,104 doch versagt er sich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus eine eindeutige Festlegung, denn neben dem ‚Versehen‘ der Schwangeren lassen ihn insbesondere die Phänomene der Rassenmischung oder Hybridisierung an einer vollständigen Präformation des Embryos zweifeln.105 Diesem Befund widersprechen seine präformationistisch anmutenden Ausführungen zur biologischen Generation im Pflanzenreich durchaus nicht, wonach die erste Pflanze alle künftig aus ihr hervorgehenden Exemplare enthalten sollte; denn Krüger deutet die Vermehrung der Pflanzen als ein asexuelles Phänomen und zieht dementsprechend keine Schlüsse daraus für die geschlechtliche Erzeugung der Tiere und Menschen.106 Als Analogie für die biolo-
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Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], § 692, S. 788f.; vgl. auch Ders.: Physicotheologische Betrachtungen einiger Thiere. Halle 1741, S. 104. Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. Erster Theil. 2. Aufl. Halle 1744, § 692, S. 852; vgl. auch Ders.: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit, S. 71: „Bauet die Seele ihren Körper selbst, so weiß man nicht, wie es mit der Verfertigung desselben zugehet, und dieses ist es doch eben was man gerne wissen wollte.“ 103 Vgl. Krüger: Naturlehre, Zweiter Theil, § 466, S. 773f. 104 Vgl. ebd., § 469, S. 775f. 105 Vgl. ebd., § 471, S. 777f. 106 Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], § 669, S. 764. Das gegen Walter Schatzberg, der hier ein generelles Bekenntnis Krügers zur Einschachtelung herauslesen will; vgl. Walter Schatzberg: Scientific Themes in the Popular Literature and the Poetry of the German Enlightenment, 1720–1760. Bern 1973 (= German Studies in America, 12), S. 61. Krüger hält jedoch die Sexualität der Pflanzen für „noch nicht mit völliger Gewißheit ausgemacht“ (Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. Erster Theil. 3. Aufl. Halle 1749, § 668, S. 894) und stellt seine Ausführungen zur biologischen Generation im Tier- und Pflanzenreich genau unter diesen Vorbehalt, wie sein Rückverweis aus der Lehre von der Erzeugung des Menschen (ebd., § 692, S. 919) auf den genannten Paragraphen zur Pflanzenvermehrung belegt. Krügers Zweifel an der Analogisierbarkeit pflanzlicher und tierischer Fortpflanzung scheinen in den 1740er Jahren immer massiver geworden zu sein, was insbesondere mit der Entdeckung der Regeneration des Süßwasserpolypen zusammenhängen dürfte (vgl. dazu unten S. 108–129); es ist jedenfalls auffällig, daß er seine grundsätzlichen Zweifel an der Pflanzensexualität erst in der dritten Auflage seiner Schrift explizit gemacht hat. 102
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gische Generation im Tierreich bedient er sich statt dessen der Metamorphose der Insekten: Diese dreyfache Verwandlung einer Raupe ist bey ihr nichts eigenes, nein wir treffen dieselbe vielmehr auch bey andern Insecten, ja ich wollte fast sagen bey allen Thieren wiewohl auf eine andere Art an. Selbst die Menschen sind davon nicht ausgenommen. Sie gleichen einem Fische, so lange sie sich in dem männlichen Saamen befinden; sie werden zum Amphybio, das heißt, sie können im Wasser und der Luft zugleich leben, so lange sie sich im Mutterleibe aufhalten, und endlich nehmen sie ihre dritte und letzte Verwandlung mit der menschlichen Gestalt zugleich an, darin man sie zu denen Thieren zehlen muß, die bloß allein in der Luft leben können.107
Krüger interpretiert hier die ‚Verwandlung‘ anders als Wolff, nämlich nicht in erster Linie im Hinblick auf den Fortbestand der Strukturen, sondern im Sinne eines völligen Gestaltwechsels, ja sogar eines Übergangs von einer Gattung von Lebewesen in die andere. Die Kontinuität liegt dabei ganz auf seiten der Seele, die trotz aller ‚Verwandlungen‘ des Körpers dieselbe bleibt. Solche Erwägungen lassen an die bei Leibniz wesentlich flexibler als bei Wolff gehandhabten Überlegungen zur Präformationslehre denken, und tatsächlich ist das Leibnizsche Denken nicht ohne Einfluß auf Krügers Naturlehre. Das zeigt beispielsweise die von ihm ins Feld geführte monadische Struktur der Körperwelt: Der Cörper besitzt eine Kraft, vermöge welcher er sich beständig nach allen Gegenden zu bewegen bemühet [...]. Weil man nun die Würckung eines Cörpers als eine Sache anzusehen hat, welche sich von seiner Kraft nicht trennen läßt: so müssen die Cörper in der Welt beständig in einander würcken. Alles ist belebt, alles ist, so zu sagen, beseelt.108
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Krüger: Naturlehre, Erster Theil, 3. Aufl., § 693, S. 932f. In seiner Diät oder Lebensordnung dient die Verpuppung der Seidenwürmer und Schmetterlinge Krüger auch als Analogie für den Übergang vom Leben zum Tod, an dem damit wiederum die Kontinuität der Seele, also ihre Unsterblichkeit, herausgestellt wird; vgl. Johann Gottlob Krüger: Diät oder Lebensordnung. Halle 1751, S. 567. Bereits Jan Swammerdam hatte das scheinbar leblose Puppenstadium als physikotheologischen Beleg für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele gedeutet; vgl. die erstmals 1737/38 von Herman Boerhaave aus dem Nachlaß herausgegebene Biblia naturae: Johann Swammerdamm [!] Bibel der Natur, worinnen die Insekten in gewisse Classen vertheilt, sorgfältig beschrieben, zergliedert, in saubern Kupferstichen vorgestellt, mit vielen Anmerkungen über die Seltenheit der Natur erleutert, und zum Beweis der Allmacht und Weisheit des Schöpfers angewendet werden [übers. v. Johann Jacob Reiske]. Leipzig 1751, S. 9, 138, 143, 228. 108 Krüger: Naturlehre, [Erster Theil], § 186, S. 196; vgl. dazu Schatzberg: Scientific Themes in the Popular Literature, S. 58. Die von Nowitzki (Der wohltemperierte Mensch, S. 37f.) pauschal unterstellte antimetaphysische Ausrichtung Krügers scheint einer zeitlichen Entwicklung unterworfen, denn die zitierte Passage fällt ab der zweiten Auflage (1744) weg. In seinen erstmals 1754 erschienen Träumen ironisiert Krüger dann die Monadenlehre und weist eigens darauf hin, daß Wolff sie von Leibniz nicht übernommen habe; vgl. Johann Gottlob Krüger: Träume. 3., verm. Aufl. Halle 1765, S. 8–12 (Der andre Traum) sowie S. 287 (Der 78. Traum); vgl. dazu auch Wolfram Mauser: Johann Gottlob Krügers ‚Träume‘. Zu einer wenig beachteten literarischen Gattung des 18. Jahrhunderts. In: Adrien Finck u. Gertrud Gréciano (Hg.): Germanistik aus interkultureller Perspektive. Festschrift für Gonthier-Louis Fink. Straßburg 1988 (= Collection Recherches Germaniques, 1), S. 49–59, hier S. 55.
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Sofern die physische Welt als durchgängig beseelt aufgefaßt wird, erübrigt sich aber eine besondere Theorie über den Ursprung der Seelen: Sie sind immer schon dagewesen und waren immer schon mit einem Körper verbunden. Es ist also die Hypothese von der psychophysischen Präexistenz, die hinter Krügers Generationslehre steht, wobei die in Analogie zur Metamorphose postulierten ‚Verwandlungen‘ des Körpers einen Spielraum für epigenetische Wachstumsprozesse eröffnen, den Krüger im Gegensatz zu Wolff dazu nutzt, die Vorstellung einer durchgängigen Präformation des Körpers zu konterkarieren. In den Physicotheologischen Betrachtungen einiger Thiere (1741) erhebt Krüger dann – ganz im Sinne Hoffmanns – die biologische Generation zu einem staunens- und bewunderungswürdigen Zeugnis für den göttlichen Schöpfer.109 In physikotheologischer Absicht referiert er die aus der Naturlehre bekannten Positionen, indem er ausführt, daß ein jedes Thier aus einem befruchteten Eye erzeuget werde. Die Befruchtung geschieht durch den männlichen Samen, welcher eine Menge ungemein kleiner Thiere in sich begreift. Diesem zu folge entsteht ein Thier aus einem Thiere, und die Erzeugung ist bloß eine Art der Verwandlung, dergleichen wir unter andern bey den Seidenwürmern und Raupen wahrnehmen.110
Überhaupt scheint die ‚Verwandlung‘ den Ausschlag für die dem Animalculismus gegenüber dem Ovismus zugestandene höhere Wahrscheinlichkeit zu geben, etwa wenn Krüger in seinem Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit (1745) fragt: Ist er [der Körper, S.B.] schon vorher in dem Eylein des Eyerstockes verhanden? oder entsteht er durch Verwandlung eines Saamenthierchens? welches letztere gantz wahrscheinlich zu seyn scheinet, da sich dergleichen Verwandlung bey einer unbeschreiblichen Menge der Insecten beständig zuträgt [...].111
Trotz dieser Erwägungen bleibt die biologische Generation in Krügers Augen „eines von den allerverborgensten Geheimnissen der Natur [...], wo es allemal eine kleine Verwegenheit ist, wenn man einen ungezweiffelt ausgemachten Satz feste stellen will.“112 Ausdrücklich wendet er sich den metaphysischen und schöpfungstheologischen Implikationen der Generationslehre zu, indem er nicht nur die Lehre von der Generatio aequivoca bestreitet, sondern auch die Annahme einer beständigen Erschaffung immer neuer Generationen von Lebewesen unmittelbar durch Gott: Wenn man behauptet, daß die Thiere beständig von neuen erschaffen würden: so hat man den Vortheil dabey, für gottselig angesehen zu werden. Allein was hat man eigentlich damit gesagt? Gewiß nichts anders, als man begreiffe die Art und Weise nicht, wie die Thiere hervor109 110 111 112
Vgl. Krüger: Physicotheologische Betrachtungen einiger Thiere, S. 128. Ebd., S. 131. Krüger: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit, S. 71. Ebd.
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gebracht werden, und wolle doch nicht dafür gehalten seyn, als ob man dergleichen nicht verstünde.113
Die Vorstellung einer beständigen Neuschaffung von Körpern und Seelen durch Gott birgt in Krügers Augen sogar die Gefahr eines verkappten Spinozismus, insofern das Geschäft der Natur mit dem göttlichen Schöpfungswerk verwechselt würde: Ja wenn man mich böse machte, so wolte ich noch hinzusetzen, daß dieses eine Art von Atheisterey sey. Man verwirrt GOtt und die Natur mit einander. Dieses war aber eben der Punct, darinnen es Spinosa versehen hatte.114
In den in seiner Helmstedter Zeit erschienenen Gedancken von der Erziehung der Kinder (1752) versagt Krüger sich schließlich jegliche theologische Erörterung, indem er nur noch „als ein blosser Weltweiser“ verstanden werden will.115 Die genuin philosophische Version der Epigenese à la Descartes rechnet er schon im vorhinein wegen ihrer metaphorischen Verwurzelung im käsetechnischen Zeugungsmodell geringschätzig unter jene „seltsamen Träume[ ]“, welche man zu allen Zeiten von diesem Geheimnisse der Natur [der Erzeugung des Menschen, S.B.] gehabt hat, wohin unter andern gehöret, daß der männliche und weibliche Saamen, wie ein saures und laugenhaftes Saltz mit einander brauseten, und dadurch die erste Bewegung hervorbrächten.116
Seine Übersicht über die medizinischen Zeugungstheorien fällt jedoch auch nicht günstiger aus: Die meisten Aertzte glauben, ich sage, sie glauben, weil sie es nie bewiesen haben, daß der gantze Leib des Kindes bereits in dem kleinen Eyerchen der Eyerstöcke bey der Mutter anzutreffen wäre, und das durch eine gewisse in dem männlichen Saamen befindliche subtile Mate113
Krüger: Physicotheologische Betrachtungen einiger Thiere, S. 128. Zur Ablehnung der Generatio aequivoca vgl. ebd., S. 129f. sowie Krüger: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit, S. 68f. 114 Krüger: Physicotheologische Betrachtungen einiger Thiere, S. 128. – Tatsächlich liegt eine solche Vermengung durchaus in der Konsequenz der epigenetischen Naturauffassung, hatte doch beispielsweise der Epigenetiker Harvey die bei der biologischen Generation wirkende Instanz wahlweise als ‚Gott‘, ‚natura naturans‘ oder ‚anima mundi‘ bezeichnet – freilich ohne sie damit zu ein und derselben Substanz zu machen: „Nec magnopere litigandum censeo, quo nomine primum hoc Agens compellandum, aut venerandum veniat, (cui nomen omne venerabile debetur) sive Deus, sive natura naturans, sive anima mundi apelletur. Id enim omnes intelligunt, quòd cunctarum rerum principium sit, & finis; quòd aeternum, & omnipotens existat; omniùmque autor & creator, per varias generationum vicissitudines, caducas res mortalium conservet, ac perpetuet; quòd ubique praesens, singulis rerum naturalium operibus non minùs adsit, quam toti universo; quòd nomine suo, sive providentiâ, arte, ac mente divina, cuncta animalia procreet. [...] omnia verò corpora naturalia, summi ejus Numinis & opera sunt, & instrumenta [...].“ (Harvey: Exercitationes de generatione animalium, S. 145) Zum epigenetischen Naturbegriff vgl. Riedel: Deus seu Natura, passim. 115 Johann Gottlob Krüger: Gedancken von der Erziehung der Kinder. 2 Theile. Halle 1752, Th. 1: Von der Bildung des Leibes, S. 12. 116 Ebd., S. 14.
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rie dergestalt in Bewegung gesetzt würde, daß es zu leben anfinge; Andere können sich überreden, daß die in den männlichen Saamen befindliche Thierchen in den Eyerchen durch eine Verwandlung zu Menschen würden. Und noch andre bilden sich ein, daß die in dem männnlichen Saamen befindliche Seele aus dieser Materie einen Cörper baue, welchen sie bewohne und belebe. Alles dieses kommt mir nicht sonderlich wahrscheinlich vor.117
Weder Ovismus noch Animalculismus noch die Stahlsche Generationslehre haben also vor Krügers Augen Bestand; gleiches gilt für Spekulationen, wonach naturgesetzliche Bildungskräfte die Embryogenese steuern sollen, wie sie etwa in Buffons Histoire naturelle mit dem Konzept der ‚inneren Form‘ begegnen.118 Krügers im Laufe der Zeit offenbar stetig gewachsene Skepsis angesichts der „Ungewißheit und Dunckelheit, welche in der Lehre von der Erzeugung herrschet“, richtet sich allerdings in erster Linie gegen die ‚philosophischen Lehrgebäude‘ von der biologischen Generation, nicht aber gegen die „unwiedersprechlichen Erfahrungen, welche man hierinnen gemacht hat“.119 Trotz aller Skepsis fühlt er sich deshalb berufen, als ärztlicher Praktiker Verhaltensmaßregeln für die Zeit der Schwangerschaft und für die Aufzucht der Kinder zu geben. So rät er beispielsweise, Frauen sollten sich besonders zu Anfang der Schwangerschaft vor allen heftigen Gemüthsbewegungen und Ausschweiffungen der Einbildungs-Kraft sorgfältig hüte[n], nicht nur um eine unzeitige Geburt zu vermeiden, sondern auch das Kind vor Kranckheiten und den Muttermählern zu bewahren. Denn ohngeachtet grosse Männer in unsern Tagen leugnen wollen, daß die Einbildungs-Kraft der Mutter über die Frucht Gewalt habe: so habe ich mich doch nicht überwinden können, ihren Gedancken beyzupflichten, und nach vielen Erfahrungen, die man davon hat, und ich zum Theil selbst gesehen habe, zweifele ich, daß solches iemals geschehen werde.120
Die praktische Erfahrung als Arzt bestärkt ihn also darin, vor den Gefahren des ‚Versehens‘ zu warnen, hält er doch dafür, „daß der Einfluß, welchen man von der Einbildungs-Kraft der Mutter auf das Kind behauptet, noch grösser sey, als man ihn sich vorzustellen pflegt.“121 Er verlegt sich deshalb auf den Rat, daß sich „alle Mütter vornemlich im Anfange der Schwangerschaft der Gemüths-Ruhe und einem Vergnügen überlassen [sollten], daß [!] auf Unschuld und Tugend gegründet ist.“122 Aus diesem Grund lobt er auch jene aus China berichtete Praxis, die bereits Christian Wolffs Zustimmung gefunden hatte: „Man sagt, daß die Chineser bey den schwangern Frauen schöne Gemählde in die Stuben hängen, und ihnen Lieder, welche von der Tugend handeln, vorsingen.“123 Wolff hatte seinerzeit die günstige physiologische Wirkung dieser kulturellen Tradition damit begründet, daß materielle Ideen im Gehirn der Mutter ähnliche Ideen im Ungeborenen begünstigten, 117 118 119 120 121 122 123
Ebd., S. 14f. Vgl. ebd., S. 15f. Ebd., S. 16. Ebd., S. 18. Ebd. Ebd., S. 18f. Ebd., S. 19; ein ähnliches Lob findet sich in Ders.: Diät oder Lebensordnung, § 140, S. 440.
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wodurch gewissermaßen Bahnungen geschaffen würden, die eine natürliche Anlage (dispositio) zu bestimmten Vorstellungen und Begehrungen der Seele darstellten.124 Obgleich Krüger in diesem Zusammenhang selbst keine physiologischen Erörterungen anstellt, stimmt er, was die praktischen Konsequenzen anbelangt, voll und ganz mit Wolff überein: „Ich kan nicht leugnen, daß ich diese Gewohnheit billige, und also in diesem Glaubens-Artickel mit ihnen [den Chinesen, S.B.] einig bin.“125 Wenn Krüger hier als Praktiker zum gleichen Ergebnis gelangt wie Wolff, so sollte das doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er inzwischen sowohl philosophischen als auch medizinischen Zeugungs- und Entwicklungslehren kritisch gegenüberstand. Dennoch ließ er es nicht zu einem Bruch mit den Prinzipien der Wolffschen Philosophie oder dem von ihr vorgegebenen anthropologischen Rahmen kommen.126 Eine ganz vorbehaltlose Anlehnung an die Wolffsche Zeugungsmetaphysik findet sich hingegen bei seinem nur wenig jüngeren Schüler und nachmaligen Kollegen Ernst Anton Nicolai, der sich unter den halleschen Psychomedizinern am eingehendsten mit Fragen der biologischen Generation beschäftigt hat. Nicolai nahm sein Studium in Halle im Jahr der Rückberufung Christian Wolffs (1740) auf, bei dem er bald Mathematik und Experimentalphysik hören sollte.127 In der Medizin schloß er sich zunächst an Johann Heinrich Schulze an, „der Ihn [!] nicht nur selbst aufrichtig liebte“,128 sondern auch ins Haus des betagten Friedrich Hoffmann einführte, wo er schließlich Quartier bezog, um ihm in den letzten Lebensjahren bei der Herausgabe seiner Schriften und bei der Abfassung medizini-
124
Vgl. Wolff: Oratio de Sinarum philosophia practica, S. 62–65; vgl. dazu auch die Einleitung von Michael Albrecht, ebd., S. XXXVIII; Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 2, S. 68; Sauder: Vollkommenheit, S. 324. – Ein Lob der chinesischen Tradition ohne Erörterungen zum physiologischen Wirkungsmechanismus findet sich in der (erstmals 1721 erschienenen, also zeitgleich mit der Prorektoratsrede entstandenen) Deutschen Politik; vgl. Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen. Hildesheim u. New York 1975 [ND der 4. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1736] (= WGW I, 5), § 379, S. 354. 125 Krüger: Gedancken von der Erziehung der Kinder, Th. 1, S. 19. 126 Das persönliche Verhältnis zwischen Krüger und Wolff hat im Laufe der Jahre allerdings erheblich gelitten, wie Carsten Zelle auf der Grundlage von Krügers Briefen an Albrecht von Haller neuerdings herausstellt; vgl. Carsten Zelle: ‚Ey was hat der Arzt mit der Seele zu thun‘? Physiologie und Psychologie bei Albrecht von Haller und Johann Gottlob Krüger. In: Tanja van Hoorn u. Yvonne Wübben (Hg.): ‚Allerhand nützliche Versuche‘. Empirische Wissenskultur in Halle und Göttingen (1720–1750). Hannover 2009, S. 21–40, hier S. 38f. 127 Vgl. Börner: Nachrichten, Bd. 2, S. 369 [fehlpaginiert für S. 379]. Über den Zeitpunkt seines Besuchs von Vorlesungen Wolffs vgl. Heike Elisabeth Lauer: Ernst Anton Nicolai (1722– 1802) – Untersuchungen zu Leben und Werk, seiner Zeugungslehre und Auffassung vom Versehen der Schwangeren unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung von Mißbildungen. Diss. med. Tübingen 1996, S. 6; zur Biographie Nicolais vgl. auch Kaiser u. Krosch: Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät, IX: Extraordinarien und Doctores legentes, S. 384– 386. 128 Börner: Nachrichten, Bd. 2, S. 375f. Zu Schulze vgl. Kaiser u. Völker: Johann Heinrich Schulze, passim.
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scher Consilia zur Hand zu gehen.129 Auf diese Weise wurde Nicolai zu einem intimen Kenner der Hoffmannschen Medizin, die er in seinen eigenen Schriften durch die Wolffsche Philosophie zu fundieren versuchte.130 Nach dem Abschluß seines Medizinstudiums mit der Promotion widmete Nicolai dem Problem der biologischen Generation zwei Bücher, in denen er eine medizinische Zeugungslehre nach Maßgabe der Wolffschen Philosophie ausarbeitete. Er lehnt sich dabei so eng an Wolffs Schriften an, die er mitunter seitenlang zitiert – insbesondere benutzt er dessen Darstellungen der Physik und der Experimentalphysik sowie der Metaphysik und der Natürlichen Theologie –, daß sich seine Ausführungen über weite Strecken geradezu wie eine Wiedergabe der Wolffschen Generationstheorie lesen. Doch stützt Nicolai sich darüber hinaus auch auf Alexander Gottlieb Baumgartens (erstmals 1739 erschienene) Metaphysica und Georg Friedrich Meiers Gedancken vom Zustande der Seele nach dem Tode (1746). Diese beiden jüngeren Autoren und nachmaligen Begründer der Ästhetik rekurrieren im Unterschied zu Wolff auch auf die Leibnizsche Monadenlehre, was sich ebenfalls in Nicolais Generationstheorie niederschlägt.131 Nicolai beginnt seine Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe (1746) mit einem kurzen Referat des Ovismus und des Animalculismus, das ihm zunächst Anlaß zu der Feststellung gibt, die in der Generationslehre herrschende Verwirrung und Dunkelheit mache es schwierig, sich überhaupt zugunsten einer 129
Vgl. Börner: Nachrichten, Bd. 2, S. 367 [fehlpaginiert für S. 377]. Börner, der seine MedizinerBiographien, wie bereits erwähnt, nach schriftlichen Auskünften der jeweils Portraitierten abfaßte, berichtet ferner, der greise Hoffmann habe Nicolai „als einen Sohn geliebet“ (ebd., S. 370 [fehlpaginiert für S. 380]). Gabriele Dürbeck, die dieses Zitat ebenfalls bringt, will gleich zwei Quellen dafür kennen; vgl. Dürbeck: Physiologischer Mechanismus, S. 106. Doch handelt es sich tatsächlich um ein und denselben Artikel Börners, zum einen im Original, zum andern in der Wiedergabe des Deutschen Biographischen Archivs. Für die von ihr (ebd., S. 108) reklamierte, wenig plausible Abkehr Nicolais von der Stahlschen Medizin zugunsten der Hoffmannschen Konzeption in den 1750er Jahren dürfte es nicht ohne Belang sein, daß Börners Bericht auf Informationen von Nicolai selbst zurückgeht, denn damit erledigt sich Dürbecks Verwunderung über den Umstand, daß Börner „in Nicolai bereits 1752 den treuen Nachfolger Hoffmanns sieht und dessen vorübergehende Adaption der Stahlianischen Lehre in den frühen Schriften zwischen 1744–46 nicht einmal für erwähnenswert hält“ (ebd., S. 106). Überhaupt kann die Klassifizierung nach ‚Schulen‘ der jüngeren Generation der ‚vernünftigen Ärzte‘ kaum je gerecht werden, insofern ihnen gerade an einer Synthese verschiedener Ansätze aus Medizin und Philosophie gelegen war. Nicht einmal Stahlianismus und Wolffianismus schlossen sich in ihren Augen aus; vgl. dazu unten S. 121–122. 130 Vgl. etwa den Zusatz zum Titel seiner Wirckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Cörper (1744): „aus den Gründen der neuern Weltweißheit hergeleitet“. Ganz zu Recht bezeichnen Wolfram Kaiser und Arina Völker Nicolai als einen Parteigänger Wolffs; vgl. Kaiser u. Völker: Christian Wolff und die Medizinische Fakultät Halle, S. 151. Die jüngste medizinhistorische Spezialuntersuchung unterschätzt hingegen die Bedeutung Wolffs für Nicolais Zeugungslehre eklatant, was in Anbetracht der zahlreichen Verweise auf die Wolffschen Schriften, aus denen Nicolai mitunter ganze Paragraphen zitiert, kaum nachvollziehbar ist; vgl. Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 36–46. 131 Vgl. Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 24f., die allerdings von einem recht beliebigen Eklektizismus Nicolais ausgeht.
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bestimmten Theorie auszusprechen.132 Er nähert sich seinem Gegenstand deshalb durch überblicksartige Darstellungen der Zwei-Samen-Lehre sowie der verschiedenen Theorien der Samenbereitung,133 die ihn zu dem Schluß führen, ein Zusammenwirken von männlichem und weiblichem Samen sei als mögliche Ursache der Embryogenese auszuschließen, da es nicht glaubhaft erscheine, daß „eine so vollkommene Maschine als der menschliche Körper ist, aus einer ohngefähren Vermischung zweyer flüßigen Materien oder allein aus einer flüßigen Materie [entsteht], welche nicht die geringste Bildung in sich enthält [...] .“134 Infolgedessen sei es unabdingbar, daß jene ‚Körpermaschine‘ bereits vor der Zeugung existiert, und zwar entsprechend der herrschenden Präformationslehren entweder im Ovum oder im Spermatozoon. Die mikroskopisch nachweisbare Existenz belebter ‚Tierchen‘ im männlichen Samen gibt für Nicolai den Ausschlag zugunsten des Animalculismus: es muß vielmehr schon ein Körper vorhanden seyn, der aus verschiedenen Gliedmassen zusammengesetzt ist, wann ein Körper von eben der Art, ich meine, ein organischer Körper hervorgebracht werden soll. Ein solcher organischer Körper präexistiert nun entweder in dem Eye oder dem männlichen Saamen [...] aber in dem männlichen Saamen befinden sich unzehlige Thiergen oder organische Körper. Derowegen muß die Frucht nothwendig aus einem Saamenthiergen entstehen.135
Dementsprechend plädiert Nicolai entschieden für „die Leeuwenhöckische Theorie“, die „uns die richtigsten Maximen entdeckt, nach welchen die Natur die Menschen hervorbringet“.136 Diese etwas gewagte Formulierung präzisiert Nicolai später, indem er unter Verweis auf die Wolffsche Psychologia rationalis und Theologia naturalis klarstellt, daß nicht die ‚Natur‘, sondern Gott die Menschen hervorbringe, die Natur selbst habe kein Vermögen etwas zu schaffen.137 Den übernatürlichen Akt der Hervorbringung beseelter Wesen datiert Nicolai mit Wolff auf den Anfang der Welt.138 Bei der Beschreibung der beseelten Animalcula überläßt Nicolai das Feld dann ganz dem Philosophen, indem er weitläufig aus dessen Deutscher Experimentalphysik zitiert.139 Auch an anderer Stelle weist er auf die Übereinstim132
Vgl. Ernst Anton Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe und der Harmonie und Gemeinschaft, welche die Mutter währender Schwangerschaft mit demselben hat. Halle 1746, S. 19–21. 133 Vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 28–32, 57f. Nicolai favorisiert wie Wolff die hämatogene Samenlehre; vgl. dazu Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 38f. 134 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 44f.; vgl. dazu Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 42. 135 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 100f. 136 Ebd., S. 102. 137 Vgl. ebd., S. 188f. 138 Vgl. ebd., S. 189. 139 Vgl. ebd., S. 62–69; Nicolai gibt einen kompletten Paragraphen aus Wolffs Deutscher Experimentalphysik wieder, in dem Wolff die Samentierchen nach eigenem Augenschein beschreibt; vgl. Wolff: Deutsche Experimentalphysik, Th. 3, § 99, S. 445–453. Lauer verkennt, daß es sich
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mung mit seinem philosophischen Lehrer hin, dem er bei dieser Gelegenheit auch offen seine Reverenz erweist: Der letztere unter diesen Männern [unter den zuvor genannten Malpighi, Réaumur, Newton und Wolff, S.B.], aber der erste und vornehmste unter allen an Wissenschaften, ich meine den Herrn Baron von Wolf, ist wegen der Art der Erzeugung des Menschens mit mir einerley Meinung. Seine Gedanken hiervon gefallen mir ungemein wohl, und verdienen hierher gesetzet zu werden. 140
Der sich daran anschließende Paragraph aus Wolffs Deutscher Physik141 mit einer weiteren Beschreibung der Spermatozoen dient Nicolai dann auch in seinen Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber (1749) zum Beweis dafür, „daß die Menschen aus solchen Würmerchen erzeuget werden.“142 Ausdrücklich erklärt er denn auch in dieser zweiten Schrift zur Generationslehre: „Ich bin selbst der Meynung zugethan, daß die Menschen aus den Saamenthiergen erzeuget werden“143 und interpretiert im Sinne von Wolffs Ovo-Vermismus das weibliche Ei als bloßen Schauplatz der ‚Verwandlung‘ des Animalculums, der selbst nichts anderes zu dessen ‚Entwicklung‘ beitrage als ihm eine „bequeme Wohnung“ anzuweisen.144 Der weibliche Beitrag zur biologischen Generation kommt in dieser Sichtweise erst nach der Empfängnis zum Tragen: Durch den wie üblich unterstellten gemeinsamen Blutkreislauf bestehe während der Schwangerschaft eine Gemeinschaft zwischen Mutter und Kind, die eine Reihe von Einflüssen auf das Ungeborene zulasse.145 Insbesondere das Temperament des Kindes werde auf diese Weise durch die (ordentlichen oder unordentlichen) Bewegungen des Blutes der Mutter determiniert.146 Neben den allgemein bekannten Einwirkungen der mütterlichen Einbildungskraft, dem ‚Versehen‘ der Schwangeren, benennt Nicolai unter häufigen Verweisen auf Hoffmanns Pathologie schließlich noch eine Reihe anderer Ursachen für embryonale Fehlbildungen.147
bei dieser langen Passage um ein Zitat handelt und deklariert deshalb die Beschreibung der Spermatozoen fälschlich als Ergebnis eigener mikroskopischer Beobachtungen Nicolais; vgl. Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 39. 140 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 104. 141 Vgl. ebd., S. 104f.; es handelt sich um § 444 der Vernünfftigen Gedancken von den Würckungen der Natur. 142 Ernst Anton Nicolai: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber. Halle 1749, S. 43. 143 Ebd., S. 44. 144 Ebd., S. 45. In Anlehnung an Wolff wird die Verwandlung von Nicolai analog zur Insektenmetamorphose vorgestellt; vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 107; Ders.: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber, S. 48f. 145 Vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber, S. 69–71; Ders.: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 197–246, 258–263. 146 Vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 238–248. 147 Vgl. ebd., S. 216–233.
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Der Zeugungsmetaphysik widmet Nicolai in seiner ersten Schrift ein ganzes Kapitel Von der Seele des Kindes im Mutterleibe,148 in dem er die verschiedenen Lehrmeinungen über den Ursprung der menschlichen Seele abhandelt. Als Orientierungshilfe dürfte ihm dabei die im Vorjahr in Halle wiederaufgelegte Disputatio physica de origine animae humanae des Jacob Thomasius gedient haben, darauf deutet zumindest die detaillierte Abhandlung der einzelnen Schulen hin.149 In seine Darstellung der verschiedenen „Secten“ streut Nicolai Argumente aus der rationalistischen Schöpfungs- und Seelenlehre ein, um die Antiquiertheit und Widersprüchlichkeit der überkommenen Seelenursprungslehren zu demonstrieren. So führt er gegen den klassischen Kreatianismus nicht bloß die Uneinigkeit der Gelehrten über den genauen Zeitpunkt der Beseelung des Embryos an, den manche auf den dritten, vierten oder fünften Tag nach der Empfängnis datierten, andere dagegen auf den dreißigsten bzw. vierzigsten Tag oder sogar erst auf den dritten Monat,150 sondern er verweist auch auf die schöpfungstheologische Widersinnigkeit einer erst nach der körperlichen Empfängnis erfolgenden Erschaffung der Seele: Denn man hat nach der Zeit einsehen lernen, daß das Kind im Mutterleibe nicht nur von dem ersten Augenblicke an, da es in der [!] Mutterleib ist gebracht worden, seine Seele habe, sondern auch schon lange vorher, ehe es noch einmahl in die Gebährmutter gekommen, und da es noch ein Saamenthiergen gewesen, gehabt habe. Ja, es kan auch nicht einmahl diese Meinung, daß nemlich die Seele zu dem Kinde, wenn es gezeuget würde, von GOtt erschaffen würde, behauptet werden, indem sie andern offenbaren Wahrheiten widerspricht. Denn so viel als ich weiß, so hat GOtt die Schöpfung schon einmahl vollendet und nimmet ietzo keine neue Schöpfung vor.151
Dafür bürgte ihm die Wolffsche Natürliche Theologie,152 in der allerdings dem Kreatianismus, wie gesehen, zumindest der Stellenwert einer nicht endgültig zu widerlegenden Alternative zur Präexistenz der menschlichen Seelen zugebilligt worden war.153 Aufgrund einer theologischen Argumentation verfiel der klassische Kreatianismus gleichwohl Nicolais Verdikt: Und wenn es wahr wäre, wie wolte man denn die Fortpflanzung der Erbsünde erklären, denn GOtt müste ja nothwendig Seelen hervorbringen, die mit der Erbsünde befleckt wären? Dieses ist aber ungereimt, und gotteslästerlich gesprochen.154
Mit dem gleichen Argument also, mit dem Christian Friedrich Richter den Traduzianismus gegen den Kreatianismus in Stellung gebracht hatte, streitet Nicolai hier 148 149
Ebd., S. 167–197. Zu Jacob Thomasius’ Abhandlung der verschiedenen historischen Gestalten der Seelenursprungslehren vgl. oben S. 19, Anm. 3. 150 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 170. 151 Ebd., S. 173. 152 Vgl. ebd., S. 189. 153 Vgl. dazu oben S. 69–70. 154 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 173.
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für die Sache der gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele. Sie ist es, die in seinen Augen jene Auseinandersetzung um den genauen terminus animationis foetus hinfällig macht; die Antwort auf die Frage nach dem Zeitpunkt der Beseelung müsse lauten: Die Seelen waren immer schon da, und sie waren immer schon mit ihrem zugehörigen Körper verbunden.155 Gegen traduzianistische Herleitungen der Seele des Kindes von den Eltern mobilisiert Nicolai die monadische Verfaßtheit der menschlichen Seele, für die er – nicht ganz zutreffend – auf Wolffs Deutsche Metaphysik verweist, vor allem aber auf Georg Friedrich Meiers gerade erst erschienene Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode.156 Aber auch die Uneinigkeit der Traduzianer über die Art und Weise der Abkunft der Seele des Kindes von den Eltern führt Nicolai für die Sache der psychophysischen Präexistenz ins Feld: Einige von ihnen [den Traduzianern, S.B.] halten davor, daß die Seele des Kindes von der Seele der Mutter fortgepflanzet würde, andere leiten den Ursprung derselben sowohl von der Seele des Vaters als der Mutter, die meisten aber von der Seele des Vaters alleine her. Sie behaupten ferner, daß die Seele des Kindes von der Seele des Vaters entweder auf eine unmittelbare Weise oder mittelbar vermittelst gewisser Lebensgeister fortgepflanzet werde.157
All diese ‚ungereimten‘ Lehren betrachtet Nicolai geradezu amüsiert wie historische Kuriositäten, ohne zu realisieren, daß sie in Halle durchaus an der Tagesordnung waren. Dabei hätte er bei Friedrich Hoffmann ohne weiteres lernen können, wie sich medizinische Zeugungslehre und pietistischer Traduzianismus miteinander vereinbaren ließen – eine Lösung, der andere hallesche Mediziner wie Carl Ludwig Neuenhahn oder die Stahlianer Alberti und Juncker noch nach der Mitte des Jahrhunderts folgten. Doch parodiert Nicolai die theologisch verbrämten Ausführungen seiner frommen Fachkollegen über die Erzeugung des Menschen, wenn er unter Anspielung auf Psalm 22,7 fragt: „Hat also derjenige nicht recht, welcher saget: ich bin ein Wurm und kein Mensch?“158 Andere Schriftbelege oder theologische Autoritäten bringt er nicht bei, vielmehr verläßt er sich bei der Darstellung seiner eigenen Seelenursprungslehre ganz auf die Wolffsche Philosophie. Mit ihr teilt er nicht nur den anti-traduzianistischen Impuls,159 sondern auch die ‚mathematische‘ Methode; so deduziert er beispielsweise: „Alle Thiere haben eine Seele. (per princ. psychol.) Das Saamenthiergen ist ein Thier. Derowegen muß das Saamenthiergen eine Seele haben.“160 Da beseelte Wesen aber, wie gesehen, allein von Gott 155 156 157 158 159
Vgl. ebd., S. 191. Vgl. ebd., S. 181f.; zu Meiers Gedancken siehe unten S. 101–103. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 178. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber, S. 49. Lauer verkehrt diese Tatsache gerade ins Gegenteil, wenn sie ihre Ausführungen zu Nicolais Generationslehre mit der Feststellung schließt: „Der menschlichen Frucht wird im Moment der Empfängnis die Seele des Vaters durch das Samentierchen übertragen.“ (Lauer: Ernst Anton Nicolai, S. 44) 160 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 186.
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hervorgebracht werden könnten und dieser seine Schöpfung am sechsten Tage abgeschlossen habe, lasse sich folgern, „daß die menschlichen Seelen am Anfang bey der Schö[p]fung sind erschaffen worden, und es ist demnach gewiß, daß die menschlichen Seelen jederzeit vor der Erzeugung der Menschen vorhanden sind.“161 Auf die bei Wolff unentschieden gebliebene Frage, ob die beseelten Keime in Form eines emboîtements organisiert seien oder im Sinne der Panspermie in der Welt verstreut lägen, geht Nicolai nicht eigens ein, doch läßt sich eine Präferenz für die Einschachtelungslehre erkennen, wenn er schreibt: Jeder Vater hat alle seine Kinder, ehe die Mutter noch mit ihnen schwanger gegangen, unter der Gestalt der Saamenthiergen bey sich getragen, und enthält noch auf diese Art alle seine zukünftigen Kinder in sich.162
Deutlich spricht Nicolai die Parallelität der körperlichen und seelischen ‚Entwicklung‘ aus: Entfaltet der Embryo sukzessive seine bereits im Samentierchen präformierten körperlichen Strukturen,163 so verwirklicht die Seele zur gleichen Zeit das in ihr schlummernde Potential, indem sie von bloß dunklen Vorstellungen „in dem Statu Präexistentiä“ zu klaren, aber verworrenen Vorstellungen aufrückt und nach der Geburt des Kindes auch klarer und deutlicher Vorstellungen fähig wird.164 Die Seele wird also im gleichen Zuge „nothwendig vollkommener“ wie „der Körper des Saamenthiergens vollkommener wird.“165 Nicolai beschreibt diese Vorgänge unter stetem Verweis auf Baumgarten und Meier. Hier ist deshalb der Ort, die Generationstheorien der halleschen Ästhetiker kurz zu beleuchten. 2.2.2 Seelenursprung bei Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier Für einen dem Pietismus entstammenden Anhänger der sogenannten LeibnizWolffschen Philosophie wie Alexander Gottlieb Baumgarten stellten die gegensätzlichen Konzeptionen von Seelenursprung und biologischer Generation in Theologie und Philosophie ein erhebliches Problem dar. Er referierte deshalb in seiner Metaphysica die verschiedenen Theorien über den Ursprung der menschlichen Seele, um sie auf ihre Verträglichkeit mit den Begriffen der neueren Meta161
Ebd., S. 189. Nicolai beruft sich auf die Paragraphen 676 und 834 des ersten Teils von Wolffs Theologia naturalis. 162 Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 101. 163 Nicolai betont, daß alle Teile der Frucht bereits im Samentierchen vorhanden seien, obschon sie erst nach und nach zum Vorschein kämen, indem „die nothwendigen und fürnehmsten Theile des menschlichen Körpers, nemlich das Gehirn im weitläufigten Verstande genommen nebst dem Marke im Rückgrade, und nach diesen das Herz nebst seinen Adern, zuerst für allen andern Theilen gebildet und herfürgebracht würden.“ (Ebd., S. 107f.) Diesen bloß scheinbar epigenetischen Befund sieht er durch die embryologischen Studien Harveys und Malpighis bestätigt. 164 Vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 182–190. 165 Ebd., S. 187.
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physik zu prüfen.166 Auffällig ist, daß er dabei von den neueren psychophysischen Generationstheorien, die den Ursprung der Seele mit dem des Körpers verquickten, nur die animalculistische Variante anführt. In seinen Ausführungen dazu versucht er sogar, den Traduzianismus mit der Vorstellung der Präexistenz der Einzelseelen auszusöhnen.167 Eine solche Verbindung von Traduzianismus und psychophysischer Präexistenzlehre weist weniger auf Wolff als vielmehr auf Leibniz zurück, der in seiner Théodicée den Ursprung der menschlichen Seele durch die Annahme einer psychophysischen Präexistenz von Körper und Seele seit den Tagen der Schöpfung zu lösen beansprucht hatte.168 Genauer gesagt hatte Leibniz dort zunächst eine ‚kreatianistische Variante‘ jener psychophysischen Präexistenzlehre vorgestellt, die eine Umschaffung (transcréation) der sensitiven Seele des Samentierchens in eine rationale menschliche Seele bei der Empfängnis vorsah, also eine übernatürliche Intervention Gottes beim menschlichen Zeugungsgeschäft,169 dann aber auch eine ausdrücklich als ‚traduzianistische Variante‘ („une maniere de Traduction“) bezeichnete Lösung präsentiert, die die Entstehung der menschlichen Seele auf natürliche Weise, d.h. ohne Zuhilfenahme göttlichen Wunderwirkens,
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Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica [erstmals 1739]. Hildesheim 1963 [ND der 7. Aufl. Halle 1779], §§ 770–775, S. 310–313. Zu den philosophischen Voraussetzungen und zur Entstehung der Metaphysica vgl. Dagmar Mirbach: Einleitung. In: Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysik. Übers. v. Georg Friedrich Meier. Nach dem Text der zweiten, von Joh. Aug. Eberhard besorgten Ausgabe 1783. Hg. v. Dagmar Mirbach. Jena 2004 (= Klassiker der Metaphysik, 1), S. IX–XXIII, hier S. X–XIV. – In seiner Philosophia generalis weist Baumgarten die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele einem eigenen Fachgebiet innerhalb der Psychologie zu, für das er den Namen „Anthropogonia“ vorschlägt; vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten: Philosophia generalis. Hg. v. Johann Christian Förster. Hildesheim 1968 [ND der Ausg. Halle 1770], § 148, S. 66. 167 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 774, S. 313. 168 Die Seelenursprungslehre bestätigt also, was Gerd Fabian generell für Baumgarten feststellt, daß er nämlich „in seiner Metaphysik mehr von Leibnizens eigenen Doktrinen als von denen Wolffs ausging.“ (Fabian: Beitrag zur Geschichte des Leib-Seele-Problems, S. 49) In diesem Sinne äußert sich bereits Meier in seiner Baumgarten-Biographie über die Metaphysica; vgl. Georg Friedrich Meier: Alexander Gottlieb Baumgartens Leben. Halle 1763 [neuerdings ediert in Alexander Aichele u. Dagmar Mirbach (Hg.): Alexander Gottlieb Baumgarten. Sinnliche Erkenntnis in der Philosophie des Rationalismus. Hamburg 2008 (= Aufklärung: Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, 20), S. 351–373], S. 40f. Treffend wird Baumgarten von Mario Casula als ‚Leibnizianer in Wolffschem Gewande‘ bezeichnet – so Dagmar Mirbachs elegante Übersetzung in der Einleitung zu A.G. Baumgarten: Metaphysik, S. XII für Mario Casula: La metafisica di A.G. Baumgarten. Mailand 1973 (= Studi di filosofia, 5), S. 22. Ursula Niggli weist darauf hin, daß Baumgartens Anlehnung an Leibniz stärker als in der Erstauflage der Metaphysica in seinen Bearbeitungen der zweiten und dritten Auflage (1743 bzw. 1750) hervortrete; vgl. Ursula Niggli: Einleitung. In: Alexander Gottlieb Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik. Hg., übers. u. kommentiert v. Ursula Niggli. Frankfurt a.M. 1998, S. XI–LXXX, hier S. LXV–LXXIII; vgl. auch die Auflagen-Konkordanz, ebd., S. 195–207. – Zur Seelenursprungslehre bei Leibniz vgl. Rita Widmaier: Leibniz und Eva? Leibniz’ Naturphilosophie unter wissenschaftstheoretischem Aspekt. In: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Die Zukunft des Wissens. XVIII. Deutscher Kongreß für Philosophie, Konstanz 1999. Workshop-Beiträge. Konstanz 1999, S. 833–840, hier S. 838. 169 Vgl. §§ 90f. der Théodicée (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 152).
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erklären sollte.170 Wolff hatte diese eigentümliche Sprachregelung, die seiner strikten Abwehr des Traduzianismus zuwiderlief, nicht übernommen, wohl aber sein Schüler Georg Bernhard Bilfinger, nach dessen Dilucidationes philosophicae de Deo, anima humana, mundo, et generalibus rerum affectionibus Baumgarten bekanntlich seine Metaphysikvorlesungen in Halle einrichtete.171 Bilfinger hatte die von Leibniz behauptete Umwandlung des Samentierchens in ein großes Tier bzw. in einen Menschen als einen „tradux animalium ex animalis“ gegen die überkommene Vorstellung vom „tradux animae ex anima“ in Anschlag gebracht, insofern nämlich ein ‚Übergang‘ von einer Klasse von Lebewesen in eine andere stattfinde.172 Baumgarten erschien eine solche Lösung des Zeugungsproblems, die den Traduzianismus mit den Erkenntnissen der neueren Naturlehre auszusöhnen versprach, offenbar außerordentlich verlockend. Sie ermöglichte es ihm zuletzt, in seiner Vorlesung zur Dogmatik auf der einen Seite darauf zu verweisen, die Seelen aller Menschen seien ebenso wie die Anlagen ihrer Körper von Gott bereits zu Beginn der Welt geschaffen worden,173 auf der anderen Seite aber die Fortpflanzung der Seele per traducem zur Stützung der Imputations- und Erbsündenlehre heranzuziehen.174 Das war nur möglich, weil er in seiner Metaphysica, auf die er sich hier ausdrücklich bezog,175 völlig neu definiert hatte, was unter einer „propagatio animarum humanarum per traducem“ zu verstehen sei, nämlich eine ‚Fortpflanzung 170
So in § 397 der Théodicée (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 329); in § 85 der Causa Dei heißt es entsprechend „Tradux quidam“ (ebd., S. 452). – Diese ‚traduzianistische Variante‘ ist von den Zeitgenossen fast ausnahmslos übersehen worden. Auch die Forschung ignoriert im allgemeinen den doppelten Anlauf zur Erklärung des Seelenursprungs in der Théodicée; vgl. etwa Widmaier: Leibniz und Eva, S. 838. 171 Vgl. Ursula Franke: Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten. Wiesbaden 1972 (= Studia Leibnitiana Supplementa, 9), S. 12. Eine kuriose Fehldeutung von Baumgartens Bilfinger-Rezeption hat Bergmann in die Welt gesetzt, indem er die biographische Mitteilung Meiers, Baumgarten sei die (Wolffsche) Metaphysik durchgegangen, „und Bülfinger sonderlich leistete ihm dabey Hülfe“ (Meier: Alexander Gottlieb Baumgartens Leben, S. 16), allzu wörtlich nimmt und erklärt, Baumgarten sei „mit Bilfinger zusammen im Sommer 1735 die Metaphysik durchgegangen.“ (Ernst Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik durch Alex. Gottlieb Baumgarten und Georg Friedrich Meier. Mit einem Anhang: G.F. Meiers ungedruckte Briefe. Leipzig 1911, S. 5f., Anm. 1) Meiers Angabe bezieht sich natürlich auf die Dilucidationes, Bilfinger war 1735 schon lange nicht mehr in Halle. 172 Vgl. Georg Bernhard Bilfinger: Dilucidationes philosophicae de Deo, anima humana, mundo, et generalibus rerum affectionibus. Hildesheim u. New York 1982 [ND der Ausg. Tübingen 1725] (= WGW III, 18), §§ 113f., S. 107f. Zu Bilfinger vgl. Heinz Liebing: Zwischen Orthodoxie und Aufklärung. Das philosophische und theologische Denken Georg Bernhard Bilfingers. Tübingen 1961. 173 Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten: Praelectiones theologiae dogmaticae. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1773, § 288, S. 169: „Iam Deus creauit omnes totius generis humani animas, omnia omnium corporum humanorum substantialia et prima stamina. Ergo Gen. 1,26. c. 2,7. non de creatione Adami tantum, sed generis humani intelligamus.“ 174 Vgl. ebd., §§ 313f., 332, S. 184f., 195f. 175 Vgl. etwa ebd., § 289, S. 170.
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der Seele durch den Übergang‘, die nicht notwendigerweise eine ‚Entstehung der Seele‘ (ortus animae) bei diesem Übergang voraussetze. Baumgartens Kunstgriff besteht genau besehen darin, den Begriff der propagatio animarum per traducem als Oberbegriff für solche Seelenursprungstheorien einzuführen,176 zu denen der Traduzianismus in seiner klassischen Gestalt – in Baumgartens Übersetzung eine Lehre des „Ursprungs durch den Uebergang“177 – gar nicht mehr zählt, denn die Vorstellung einer Entstehung der Seele des Kindes aus den Eltern (ex parentibus) hatte er bereits im Vorfeld der Setzung des neuen Begriffs als metaphysisch unmöglich ausgeschlossen.178 Dementsprechend kann bei Baumgarten die „Fortpflantzung menschlicher Seelen durch den Uebergang“ – so der deutsche Terminus – neben der Vorstellung einer Entstehung der Seele durch die Eltern (a parentibus) auch die eigentlich anti-traduzianistische Vorstellung einer gemeinsamen Präexistenz von Körper und Seele vor der Zeugung zum Inhalt haben.179 Wie leicht zu erkennen ist, handelt es sich bei diesem letzteren Modell der Fortpflanzung der Seele durch den Übergang, das ohne die Annahme ihrer Entstehung bei der Zeugung auskommt, um Leibniz’ ‚traduzianistische Variante‘ des Seelenursprungs. Im Sinne der auch von Wolff gelehrten psychophysischen Präexistenz von Körper und Seele führt Baumgarten aus, daß die menschliche Seele vor der Empfängnis ein Samentierchen belebe und im Zuge ihrer schrittweisen Befreiung aus der Einschachtelung, Generation um Generation (per plures generationes), an Vorstellungskraft zunehme.180 Gegen Wolffs anti-traduzianistischen Impetus und in Anlehnung an Leibniz’ vermittelnde Sprachregelung legt Baumgarten Wert darauf, hier von einer propagatio per traducem zu sprechen, obgleich er ja den klassischen Traduzianismus ebenso wie Wolff als denkunmöglich ablehnt. Bemerkenswerter als diese Adaption der psychophysischen Präexistenzlehre ist jedoch das andere von Baumgarten in der Metaphysica unter dem Namen einer ‚Fortpflanzung der Seele durch den Übergang‘ verhandelte Modell des Seelenursprungs. Es beinhaltet nämlich die Vorstellung der Entstehung der Seele bei der Zeugung, ohne daß Baumgarten sich damit auf die Meinung des klassischen Krea176 177
Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, §§ 773f., S. 312f. Ebd., §§ 771, S. 311 [Hervorh. S.B.]. – Eine Eindeutschung einzelner lateinischer Termini findet sich ab der vierten Auflage der Metaphysica von 1757; vgl. die Hinweise von Ursula Niggli in der Bibliographie zur Edition A.G. Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. 217–250, hier, S. 220f. 178 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 772, S. 311. Von der auf keinerlei Weise möglichen Entstehung der Seele des Kindes aus den Eltern (ex parentibus) unterscheidet Baumgarten terminologisch ihre Entstehung durch die Eltern (a parentibus); vgl. ebd., § 775, S. 313. 179 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, §§ 773f., S. 312f. 180 Vgl. ebd., § 774, S. 313: „Propagatio animarum humanum per traducem potest concipi, 2) vt ortum animae non inuoluat, sed praeexistens anima statuatur iam exstitisse ante interuenientem conceptionis actum in arctissimo commercio cum parte seminis, aut accuratius animalculo spermatico, & sic retro, per plures generationes, sensim aucta & euoluta ipsius animae vi repraesentatiua, prout paulatim propius propiusque transformationi suae magnae & incrementis factum est corpus animalculi spermatici electi, quod in maius theatrum prodiret.“
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tianismus zurückziehen würde, wonach die Zeugung des Embryos auf natürliche Weise vonstatten geht, seine Beseelung aber auf übernatürliche Weise durch Gott erfolgt. Das erhellt aus seiner Antwort auf eine Rezension zur ersten Auflage der Metaphysica, in der ihm der (anonyme) Rezensent unterstellt hatte, seine Lehre von der Fortpflanzung der Seele per traducem setze voraus, die Seelen der Menschen würden entweder schon vor der Empfängnis in den Samentierchen präexistieren oder aber von Gott aus Nichts erschaffen werden.181 Letzteres wies Baumgarten in seiner Vorrede zur zweiten Auflage der Metaphysica (1742) als Fehlinterpretation zurück: Neben der Präexistenz der Seele im Samentierchen halte er ihre Hervorbringung durch die Seelen der Eltern für denkbar, also eine Art von Konkreatianismus.182 Demzufolge würden sowohl der Körper als auch die Seele des Kindes bei der Zeugung durch die Eltern (a parentibus) hervorgebracht, was allerdings, da die Erschaffung neuer Seelen aus Nichts die natürlichen Kräfte des Menschen übersteige, nur unter Mitwirkung der Schöpferkraft Gottes (concurrente ipsius vi creatrice) geschehen könnte.183 Die Mitwirkung (concursus) Gottes am menschlichen Zeugungsgeschäft wäre somit Teil der Erhaltung (conservatio) der Schöpfung, die Baumgarten an anderer Stelle auch im Sinne der lutherischen Orthodoxie als eine creatio continuata bezeichnet.184 Sichtlich läuft der Konkreatianismus auf eine – von Baumgarten nicht ausdrücklich gezogene – anti-präformationistische Konsequenz hinaus, denn eine Präformation des Körpers würde der postulierten gemeinsamen Entstehung von Körper und Seele des Kindes bei der Zeugung widersprechen. Hier sei festgehalten, daß beide von Baumgarten verhandelten Lösungen der Seelenursprungsfrage eine gemeinsame Entstehung von Körper und Seele vorsehen, entweder zu Beginn der Welt oder bei der Zeugung. Eine Präexistenz der Seele ohne ihren Körper ist für ihn ebenso undenkbar wie eine Präformation des Körpers ohne die zugehörige Seele. Der Konkreatianismus speist also ähnlich wie der Traduzianismus der halleschen Pietisten einen anti-präformationistischen Impuls. Allerdings wird daraus noch nicht einsichtig, warum Baumgarten den Konkreatianismus und die psychophysische Präexistenzlehre programmatisch unter dem Begriff einer ‚propagatio animarum humanarum per traducem‘ zusammenfaßt, zumal er den klassischen Traduzianismus im Rahmen der neueren Metaphysik als 181
Vgl. Anon.: Rez. zu Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica (1739). In: Nova Acta Eruditorum, Supplementa 4 (1742), S. 266–273; den kommentierten Text der Rezension samt Übersetzung bietet Ursula Nigglis Edition A.G. Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. 141–186, hier S. 162f. 182 Vgl. die Vorrede zur zweiten Auflage der Metaphysica in A.G. Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. 30f. In der Folge ergänzte Baumgarten den entsprechenden Paragraphen der Metaphysica um einen entsprechenden Satz zum Konkreatianismus; vgl. den Kommentar von Ursula Niggli (ebd., S. 184, Anm. 30). 183 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 773, S. 312. 184 Vgl. ebd., § 951, S. 389; zum Begriff der creatio continuata in der lutherischen Orthodoxie vgl. Weber: Grundlagen der Dogmatik, 1955/62, Bd. 1, S. 555f.
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widerlegt betrachten konnte. Vermutlich waren es theologische Gründe, die ihn zu jener eigentümlichen Begriffsprägung veranlaßten, teilt doch sein Biograph Abbt mit, „daß er [Baumgarten, S.B.] sein Studiren und sein philosophisches Wissen mit beständiger Rücksicht nicht bloß auf die Lehre des Glaubens, sondern auch auf das ganze dogmatische Gebäude seiner kirchlichen Partey einrichtete.“185 Als Kind des halleschen Pietismus mußte ihm nicht zuletzt daran gelegen sein, dem von Wolff erhobenen Vorwurf die Spitze zu nehmen, die Traduzianer lehrten nichts anderes als die Materialität der Seele.186 Tatsächlich war für Baumgarten eine Teilbarkeit oder gar Materialität der Seele, wie sie etwa der Mediziner Alberti propagiert hatte, per definitionem ausgeschlossen. Für eine spiritualistische Fassung des Traduzianismus, wie sie vom Theologen Lange gegen Wolff ins Feld geführt worden war,187 blieb Baumgarten aber durchaus offen. Er legte deshalb Wert auf die Feststellung, der Vorwurf des psychologischen Materialismus treffe nicht schlechthin jede Vorstellung von der Fortpflanzung der menschlichen Seele per traducem.188 Man erkennt hier leicht den Seitenhieb auf Wolffs kategorischen Anti-Traduzianismus. Was es Baumgarten unmöglich macht, sich der Wolffschen bzw. der Leibnizschen Lösung des Seelenursprungsproblems voll und ganz anzuschließen, ist offenbar eben jenes „dogmatische Gebäude seiner kirchlichen Partey“. Sein Schüler Georg Friedrich Meier dagegen ist der pietistischen Glaubenslehre weniger verpflichtet und macht sich deshalb von seinem Freund und Lehrer Baumgarten in der Frage der Zeugung des Menschen unabhängig. Meier widmete der Zeugungslehre in seinen Schriften einige Aufmerksamkeit, so in seinen Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode (1746), in denen er die philosophischen Argumente für die Unsterblichkeit der Seele einer kritischen Prüfung unterzog.189 In diesem Zusammenhang ging er auch auf jenen
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Thomas Abbt: Leben und Charakter Alexander Gottlieb Baumgartens [erstmals 1763]. In: Ders.: Vermischte Werke. 6 Theile. 3 Bde. Hildesheim u. New York 1978 [ND der Ausg. Berlin u. Stettin 1772–82], Th. 4, S. 213–244, hier S. 240. 186 Vgl. etwa Wolff: Philosophia prima sive Ontologia, § 687, S. 519f.; Ders.: Theologia naturalis, § 24, S. 26; Ders.: Psychologia rationalis, § 703, S. 624. 187 Vgl. Lange: Caussa Dei, S. 177: „Non enim asseritur traductio materialis, sed spiritualis sub vehiculo materiae.“ 188 A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 775, S. 313: „Ergo non omnis, traducem quomodocunque intellectum admittens, materialismi psychologici reus est.“ – Diese wesentliche Differenzierung entgeht Mario Casula in seiner allzu knappen Darstellung der Baumgartenschen Seelenursprungslehre; vgl. Casula: La metafisica di A.G. Baumgarten, S. 195. 189 Meier hielt die Unsterblichkeit der Seele für nicht bewiesen und auch prinzipiell unbeweisbar, womit er einen Sturm der Entrüstung auslöste, weil einige Zeitgenossen seine Zweifel an der Beweisbarkeit gleich als Widerlegung der Unsterblichkeit mißverstanden; vgl Günter Schenk: Leben und Werk des halleschen Aufklärers Georg Friedrich Meier. Halle 1994 (= Hallesche Gelehrtenbiograpien), S. 56f.; Josef Schaffrath: Die Philosophie des Georg Friedrich Meier. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärungsphilosophie. Eschweiler 1940, S. 52–57.
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zumal unter Wolffianern beliebten Beweis der Unsterblichkeit ein, der sich auf eine angebliche Analogie von Geburt und Tod stützte:190 Wenn ein Mensch gebohren wird, so wird ein Saamenthiergen in den Leib der Mutter gepflantzt. Daselbst wird der Körper dieses Thiergens, gleichsam durch eine Versetzung in einen neuen Boden und ein fetteres Erdreich, vollkommener, und zur Vereinigung mit der Seele geschickter. Eine ähnliche Veränderung geht auch im Tode vor, weil die Seele einen neuen Körper bekomt. Folglich ist der Tod der Geburt ähnlich, und die Seele wird im Tode eben so verändert, als es in der Geburt geschehen. Da sie nun durch die Geburt vollkommener geworden, so wird sie auch nach dem Tode vollkommener werden.191
Dieser Analogieschluß hat in Meiers Augen keinen Bestand, da sich für den unvoreingenommenen Betrachter zwischen Geburt und Tod keinerlei Ähnlichkeit erkennen lasse.192 Obschon Meier also den Schluß von der Präexistenz der Seele auf ihr Fortleben nach dem Tod als philosophisch unhaltbar verwarf, bestand für ihn dennoch kein Zweifel an ihrer Präexistenz; im Gegenteil sprach er sich entschieden für die psychophysische Präexistenzlehre Leibniz-Wolffscher Provenienz aus: Nach meiner Meinung ist es ungemein begreiflich, wie die Seele eines Saamenthierchens im Mutterleibe sich entwickelt. Es hat schon vorher, ehe es noch in den Leib der Mutter verpflantzt worden, die absolute Vernunft in Besitz gehabt. Im Mutterleibe ist es in einen solchen Zusammenhang versetzt worden, in welchem seine Kraft an Stärcke hat zunehmen können, folglich ist ihm dadurch der Gebrauch der Vernunft physisch und hypothetisch möglich geworden.193
Deutlich wird hier, daß Meier nicht an eine ‚Umschaffung‘ der menschlichen Seele aus einer bloß sensitiven Seele denkt (Leibniz’ kreatianistische Variante), sondern wie Baumgarten die ‚traduzianistische Variante‘ (freilich ohne diesen Ausdruck zu verwenden) der psychophysischen Präexistenzlehre bevorzugt. Demnach präexistiert im Samentierchen also eine rationale Seele, die aber erst nach der Geburt des Menschen zum vollen Gebrauch ihrer Kräfte gelangt. Ihr Aufrücken zu höheren Graden der Vorstellungskraft geschieht parallel zur Ausbildung des ihr zugehörigen Körpers während der Embryonalentwicklung. Folglich gibt es einen Übergang zwischen den verschiedenen Klassen von Monaden, die Meier in recht freier Variation von Leibniz’ Monadenlehre postulierte.194 Der Aufstieg einer sensitiven Seele zu einer rationalen Seele sei, so führt er aus, kein ontologisch unmöglicher 190
Vgl. etwa Ludwig Philipp Thümmig: Demonstratio immortalitatis animae ex intima eius natura deducta. Diss. phil. (Resp. Konrad Heinrich Mensching) Halle 1721. Georg Friedrich Meier: Gedancken vom Zustande der Seele nach dem Tode. Halle 1746, § 59, S. 128. 192 Vgl. ebd. 193 Ebd., § 62, S. 196. Es ist also falsch, wenn Schaffrath behauptet, Meier führe „die Leibnizische Lehre von der Präexistenz der Seele“ bloß als eine Theorie an, die er nicht verstehe; ebenso verfehlt ist die Annahme, Meier habe die Leibnizsche Philosophie womöglich gar nicht aus dessen eigenen Schriften, sondern nur in der Wolffschen Darstellung gekannt. (Schaffrath: Die Philosophie des Georg Friedrich Meier, S. 92) 194 Vgl. Meier: Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode, § 54, S. 114f. 191
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Sprung von einer Gattung oder Art zur anderen, sondern ein kontinuierlicher Übergang zu immer höheren Graden der Vorstellungskraft, der auch mit der Geburt des Menschen noch nicht abgeschlossen sei: Im Mutterleibe, und wenn wir gebohren werden, haben wir lauter dunckele Vorstellungen [...]. Mit den Jahren wächst unsere Vorstellungs-Kraft, und wir bekommen daher auch klare Vorstellungen, bis endlich dieselben, mit der Vermehrung der Stärcke unser Kraft, deutlich werden.195
Diese Auffassung findet sich auch in Meiers erstmals 1755 bis 1759 in vier Bänden erschienener Metaphysik,196 in der er wie Baumgarten die Zeugungstheorie im Zusammenhang mit der Frage nach dem Ursprung der menschlichen Seele behandelt.197 In der Vorrede zu diesem Werk räumt er freimütig ein, bei der Abfassung „des Herrn Professor Baumgartens Metaphysik beständig vor Augen gehabt“ zu haben,198 die ihm überdies als Grundlage für seine eigenen Metaphysik-Vorlesungen in Halle diente.199 Dennoch bestand Meier darauf, mit seiner ungleich umfangreicheren Ausarbeitung der philosophischen Hauptwissenschaft „kein blosser Abschreiber und Uebersetzer“ zu sein.200 Und tatsächlich wich er nicht selten von Baumgartens Darstellung ab, so auch im Hinblick auf den Ursprung der menschlichen Seele.201 Anders nämlich als Baumgarten, dem, wie gezeigt, zwei Modelle der Fortpflanzung der Seele per traducem plausibel erschienen, wollte Meier nur ein einziges Paradigma der biologischen Generation gelten lassen, nämlich das Wolffsche.202 195 196
Ebd., § 55, S. 119f. Zitiert wird im folgenden nach der zweiten Auflage von Meiers Metaphysik (Halle 1765); alle Belegstellen wurden mit der Erstauflage (Halle 1755–59) verglichen. 197 Vgl. Georg Friedrich Meier: Metaphysik. 4 Theile. Hildesheim, Zürich u. New York 2007 [ND der 2. Aufl. Halle 1765] (= WGW III, 108,1–4), Th. 3: Die Psychologie, §§ 775–785, S. 483– 498. 198 Ebd., Th. 1: Die Ontologie, Vorrede, o.S. 199 Vgl. Riccardo Pozzo: Georg Friedrich Meiers ‚Vernunftlehre‘. Eine historisch-systematische Untersuchung. Stuttgart-Bad Cannstatt 2000 (= Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abt. 2: Monographien, 15), S. 159. Für den akademischen Gebrauch legte Meier 1766 eine deutsche Übertragung der Baumgartenschen Metaphysica vor, die allerdings „nicht als wörtliche Übersetzung, sondern als eigenständige Leistung Meiers“ aufzufassen ist, wie Dagmar Mirbach betont (Mirbach: Einleitung. In: A.G. Baumgarten: Metaphysik, S. XIX). 200 Meier: Metaphysik, Th. 1, Vorrede, o.S. 201 Weitere wichtige Abweichungen von Baumgartens Metaphysica betreffen Meiers Einschätzung der Monadenlehre und der zwischen Körper und Seele waltenden prästabilierten Harmonie; vgl. Michael Albrechts Vorwort zur Reprint-Ausgabe von Meiers Metaphysik (Bd. 1, S. 5*–14*, hier S. 8*–14*). 202 Günter Schenk reklamiert Meier für einen ‚holistischen Denkansatz‘ des 18. Jahrhunderts im Sinne eines auf Stahl zurückgehenden ‚Vitalismus‘; vgl. Günter Schenk: Wesen und Funktion der Ästhetik als Universitätsdisziplin aus der Sicht ihrer Begründer A.G. Baumgarten und G.F. Meier. In: Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt zum 75. Geburtstag. Bd. 2: Frühmoderne. Weimar u.a. 1997, S. 109–124, hier S. 110f. Doch weist gerade Meiers Generationslehre nicht auf Stahl, sondern auf die psychophysische Präexistenzlehre Wolffs zurück. Christian Wolff und Friedrich Hoffmann werden
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Allerdings betonte er gleich zu Anfang seiner Ausführungen die Müßigkeit der Seelenursprungslehre überhaupt: Sie sei „mehr artig und neugierig, als nützlich“, da sie ganz ohne praktische Folgen bleibe und nur wenig Gewisses zu sagen verstatte.203 Diese Indifferenz ist insofern bemerkenswert, als zur gleichen Zeit der hallesche Arzt Neuenhahn noch – wie bereits zitiert – vor den „vielen nachtheiligen Folgen unserer heiligen Religion“ warnte, die aus einer falschen Zeugungsund Seelenursprungslehre erwüchsen, speziell aus einer anti-traduzianistischen wie der von Wolff propagierten psychophysischen Präexistenzlehre.204 Daß ein solcher Rigorismus in den fünfziger Jahren aber bereits eine Randerscheinung darstellte, lehrt ein Blick auf Siegmund Jacob Baumgartens Behandlung dieser Frage. Der ältere Baumgarten, Meiers „einziger Lehrer in der Theologie“,205 rechnete nämlich die überkommene Lehre vom Ursprung der menschlichen Seele gar nicht mehr unter die zentralen Gegenstände der Dogmatik,206 sondern beschied sich bei entsprechender Gelegenheit mit einem bloß historischen Abriß der einstmals hart umkämpften Positionen.207 Der Streit konkurrierender Beseelungsmodelle war offenbar infolge der Durchsetzung des mit der psychophysischen Präexistenzlehre verbundenen Menschenbildes für viele Philosophen obsolet geworden. Meier blieb trotz der eingangs von ihm betonten praktischen Folgenlosigkeit der Seelenursprungslehre in der Sache dann doch nicht indifferent. Vielmehr benutzte er in seiner Metaphysik das historische Referat der „verschiedenen Meinungen der Weltweisen von dieser Sache“208 zu einer kritischen Prüfung ihrer Voraussetzungen und Konsequenzen.
von Schenk jedoch dem ‚empirisch-naturwissenschaftlich-mechanistischen Denkmodell‘ der ‚Physikotheologie‘ zugeordnet. Solche Etikettierungen führen schlechterdings in die Irre, wenn es heißt, „der Gegensatz von ‚Physikotheologie (Mechanismusmodelle) und Vitalismus (Holismusmodelle)‘ [gehört] zum vordisziplinären Feld der Ästhetik, wobei nur vom Vitalismus aus ein unmittelbarer Weg zur Halleschen Ästhetik führt.“ (Ebd., S. 111) Dem ist gerade in Hinblick auf Baumgartens oben (S. 96–101) dargestellte Generationslehre zu widersprechen. 203 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 775, S. 483. 204 Neuenhahn: Von der Gemeinschaft der Seelen untereinander, S. 714. Meiers Psychologie erschien erstmals 1757 als Dritter Theil seiner Metaphysik. 205 So Meier in seinem eigenhändig verfaßten Lebenslauf, der in seinem Nekrolog ausführlich zitiert wird; vgl. Samuel Gotthold Lange: Leben Georg Friedrich Meiers. Halle 1778, S. 33. Nach Langes Darstellung ehrte Meier den älteren Baumgarten „als einen anderen Vater“, den jüngeren Baumgarten aber „als einen freundschaftlichen Bruder“ (ebd., S. 86). Vgl. auch HansGeorg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 6,1: Empfindsamkeit. Tübingen 1997, S. 144f. 206 Laut Siegmund Jacob Baumgartens Vorlesungen zur theologischen Polemik (postum herausgegeben) handelt es sich gar nicht um einen dogmatischen, sondern um einen rein philosophischen Streit; vgl. Siegmund Jacob Baumgarten: Untersuchung theologischer Streitigkeiten. 3 Bde. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1762–64, Bd. 2, S. 537f., Anm. O. 207 Vgl. neben der genannten Darstellung in S.J. Baumgartens Vorlesungen zur theologischen Polemik auch die umfangreiche Anmerkung zu seiner Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie, Erster Theil, S. 104f., Anm. 91. 208 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 775, S. 483.
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Er beginnt seine Darstellung indes mit einer Überlegung zum Ursprung des menschlichen Körpers: Die Erfahrung lehrt, daß der Mensch gezeuget und gebohren wird, und es ist unleugbar, daß die menschliche Seele durch die Zeugung und Geburt eben denjenigen Körper bekomme, den wir auf diesem Erdboden und in diesem Leben haben. Dieser Körper mag nun vorher in einer andern Gestalt, oder als eine rohe und ungeformte Materie, oder auf irgends eine andere Art da gewesen seyn: so ist doch so viel gewiß, daß er die gegenwärtige Ausbildung, Gestalt und Einrichtung, in der Zeugung erlanget, und wie dieses zugehe und erklärt werden könne, das muß in der Physiologie untersucht werden.209
Obschon Meier also eine Entscheidung über die Art und Weise der Embryogenese – genauer gesagt: über die Alternative von Präformation und Epigenese – in die Zuständigkeit der Physiologie verweist, greift er deren Urteil am Ende seiner Ausführungen doch dadurch vor, daß er sowohl die von Descartes behauptete Epigenese nach mechanischen Gesetzen als auch die in der Stahl-Schule gelehrte epigenetische Baumeistertätigkeit der Seele an ihrem Körper für abstrus erklärt: man darf hernach nicht zu den seltsamen Einfällen seine Zuflucht nehmen, als wenn der menschliche Körper durch die blosse Wärme im Mutterleibe gebildet würde, oder als wenn die Seele der Mutter oder des Kindes diesen Körper bauete, welche in der Physiologie weiter beurtheilt werden müssen.210
Nach einem kurzen Referat verschiedener präexistentianistischer Positionen nimmt Meier dann eine Differenzierung innerhalb derjenigen Lehrmeinungen vor, die behaupten, „daß die Seele in dem Augenblicke der Zeugung oder nachher, währender Schwangerschaft der Mutter, entstehe.“211 Plausibel will ihm nur die Vorstellung einer Seelenentstehung im Moment der Zeugung erscheinen, wohingegen er der Ansicht, sie entstehe erst danach, keine Wahrscheinlichkeit zugesteht: Meinem Bedünken nach kan man es wohl schwerlich, durch irgends einen Grund, wahrscheinlich machen, daß, wenn man annimt, die Seele eines Menschen sey vor seiner Zeugung nicht würklich gewesen, sie einige Zeit nach der Zeugung hervorgebracht werde.212
Einer solchen Auffassung, die sich sowohl in kreatianistischen als auch in manchen traduzianistischen Seelenursprungslehren findet, spricht Meier die Wahrscheinlichkeit durch den Hinweis ab, „die Ordnung der Natur [scheine] zu erfodern, daß die Seele alsobald da seyn müsse, so bald ihr Körper würklich wird“.213 Die Entstehung der Seele getrennt von der Entstehung des Körpers zu denken, hält er dagegen für abwegig, weil seiner Überzeugung nach der Körper bereits im Augenblick seiner Entstehung „einigermassen die Geschicklichkeit besitzt, die ein Körper
209 210 211 212 213
Ebd., § 776, S. 483f. Ebd., § 783, S. 495. Ebd., § 777, S. 484. Ebd. Ebd., § 777, S. 485.
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haben muß, wenn er von einer Seele bewohnt werden soll.“214 Körper- und Seelenentstehung müßten demnach zeitlich im Augenblick der Zeugung zusammenfallen. Es handelt sich hier um die Umkehrung des traduzianistischen Zweifels an der vollständigen Präformation des Körpers vor Entstehung der Seele: Machte es unter der Voraussetzung des Traduzianismus keinen Sinn, einen Körper vollständig präformiert zu denken, dessen zugehörige Seele erst noch entstehen sollte, so lautet Meiers Einwand umgekehrt, wenn man schon eine Entstehung der Seele annehme und nicht vielmehr ihre Präexistenz, dann dürfe sie zeitlich nicht der Entstehung des Körpers nachgeordnet sein. Die „Ordnung der Natur“, auf die er in diesem Zusammenhang begründend verweist, ist nichts anderes als die zwischen Körper und Seele waltende prästabilierte Harmonie, durch die beide unabdingbar aufeinander bezogen sind. Unter der Voraussetzung der prästabilierten Harmonie zwischen Körper und Seele verdienen folglich nur diejenigen Spielarten des Traduzianismus und diejenige Gestalt des Kreatianismus eine ernsthafte Widerlegung, die eine mit der körperlichen Empfängnis zeitgleiche Entstehung bzw. Erschaffung der Seele behaupten. Gegen den Traduzianismus fährt Meier indes das ganze von Wolff her bekannte Arsenal von Einwänden auf, wonach ein einfaches Ding wie die Seele – oder in Meiers Formulierung: eine „einzelne endliche Substanz“215 – nur durch einen göttlichen Schöpfungsakt entstehen kann, nicht aber aus einem anderen einfachen Ding wie der Seele der Eltern noch aus einem zusammengesetzten Ding wie dem Körper der Eltern.216 Und wie seinerzeit für Wolff liegt auch für Meier die Konsequenz daraus auf der Hand: „Die ganze Meinung der Traducianer ist ungereimt“.217 Den von Baumgarten behaupteten Konkreatianismus würdigt Meier einer eigenen Widerlegung, indem er ihm bescheinigt, er würde zwar die Fortpflanzung der Erbsünde leicht einsichtig machen, sei aber „dem Character der wahren Weltweisheit zuwider“, weil „man noch nicht im Stande gewesen, einen wahren philosophischen Grund anzugeben, durch welchen sie [die behauptete Mitschöpferkraft der Eltern, S.B.] nur einigermassen wahrscheinlich gemacht werden könnte.“218 Demnach bleiben für Meier als mögliche Erklärungen des Ursprungs der menschlichen Seele nur die psychophysische Präexistenz von Körper und Seele seit den Tagen der Schöpfung und die mit der körperlichen Empfängnis zeitgleiche Erschaffung der Seele durch Gott (Meier spricht hier von Inducianismus) übrig, die gleiche Konstellation also, die schon Christian Wolff in seiner Theologia naturalis skiz-
214 215 216 217 218
Ebd. Ebd., § 779, S. 487. Vgl. ebd., § 779, S. 488. Ebd., § 777, S. 486; vgl. auch ebd., §§ 779f., S. 487, 489f. Ebd., § 782, S. 493f.; vgl. auch ebd., § 783, S. 495: „Man darf also nicht annehmen, daß den menschlichen Seelen eine Schöpferskraft beygelegt werden könne, ihres gleichen hervor zu bringen.“
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ziert hatte.219 Und wie Wolff bringt auch Meier es nicht über sich, in der psychophysischen Präexistenzlehre noch irgendeine Anleihe beim Traduzianismus zu erkennen, wie Baumgarten es in der Nachfolge Leibniz’ beansprucht hatte. Statt dessen will er (nach dem Vorbild Wolffs) die beiden genannten Seelenursprungsmodelle als Spielarten des Kreatianismus verstanden wissen, weil sie die Entstehung der Seele unmittelbar auf eine Schöpfertat Gottes zurückführen und nur in der Frage des Zeitpunkts der Erschaffung differieren. Ebenfalls von Wolff übernimmt er die Einschätzung, daß der Lehre von der psychophysischen Präexistenz eine höhere Wahrscheinlichkeit zukomme als dem klassischen Kreatianismus, dem zufolge die Seele erst zum Zeitpunkt der Zeugung geschaffen wird.220 Folglich beanspruchte Meier, „zugleich die Meinung des Creatianers und Präexistentianers“ zu vertreten, wenn er lehrte, daß GOtt zugleich [mit der Seele, S.B.] einen unendlich kleinen Körper zugerichtet, und ihn alsobald mit der Seele in die genaueste Gemeinschaft gesetzt. Daher der ganze Mensch nach Leib und Seele, als ein unendlich kleines Thierchen, schon längst vor der Zeugung in der Welt gewesen.221
Als Beleg für die Präexistenz beseelter Körper verwies Meier auf die Entdeckung der Spermatozoen und setzte sich dabei auch mit dem geläufigen Einwand der Verschwendung unzähliger Seelen auseinander: Da nun wenigstens mehrerentheils nur Ein Mensch gezeugt wird, so würde GOtt die allermeisten dieser Thierchen vergebens erschaffen haben. Allein dawider kan man einwenden, daß wir die Absichten GOttes bey diesen Thierchen nicht alle wissen, und daß aus unserer Unwissenheit nichts geschlossen werden könne. Ferner beobachtet man bey den Pflanzen, daß dieselben in ihren Saamenkörnern schon vorher gebildet sind, ehe sie noch hervorwachsen, da sie doch lange nicht so kunstreiche Körper sind, als die thierischen.222
Zur Herkunft der Samentierchen verweist er auf den doppelten Erklärungsansatz durch die Panspermie einerseits und die Einschachtelungslehre andererseits. Die Panspermie hält er indes für unwahrscheinlich, da sie die Geschlechterdifferenz überflüssig erscheinen lasse und zusätzliche Probleme aufwerfe wie etwa die Konstanz der Arten.223 Dagegen habe die Lehre von der Einschachtelung das Zeugnis der Heiligen Schrift für sich, die lehre, „daß die Nachkommen in den Lenden ihrer Vorfahren, vor ihrer Geburt würklich gewesen.“224 Auch ließen sich, so Meier, die der Einbildungskraft durch die Vorstellung eines emboîtements der Keime aufgebürdeten Schwierigkeiten ausräumen, wenn man die unendliche Teilbarkeit der Materie in Betracht ziehe,225 so daß die psychophysische Präexistenz im Sinne der 219 220 221 222 223 224 225
Vgl. dazu oben S. 69f. Vgl. Meier: Metaphysik, Th. 3, §§ 779, 782, S. 488f., 492 Ebd., § 783, S. 494f. Ebd., § 783, S. 495f. Vgl. ebd., § 784, S. 496. Ebd., § 785, S. 497. Vgl. ebd.
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Einschachtelungslehre als die wahrscheinlichste Seelenursprungslehre gelten dürfe.226 Meier geht also souverän mit den von Baumgarten überkommenen Lösungen der Seelenursprungsfrage um; mehr als seinem philosophischen Lehrer neigt er hier Wolff zu, dessen anti-traduzianistischen Impuls er teilt. Baumgarten dagegen blieb, wohl aus Rücksicht auf den Traduzianismus der halleschen Pietisten, in dieser Frage zuletzt unentschieden. Eine ähnliche Konstellation, nämlich die stärkere Verpflichtung Baumgartens gegenüber theologischen Prämissen, wird sich dann auch in seiner Ausarbeitung der Ästhetik zeigen.
2.3 Ganzheit versus Teilbarkeit: Regeneration als psychophysisches Problem Im Verlauf der 1740er Jahre erfuhr die Generationslehre innerhalb der Physiologie einen unerwarteten Bedeutungsaufschwung durch Abraham Trembleys Entdeckung der Regenerationsfähigkeit des Süßwasserpolypen. Diese Entdeckung gilt zu Recht als Meilenstein in der Geschichte der Wissenschaften vom Leben, doch ist in der einschlägigen wissenschaftsgeschichtlichen Forschung bislang unbeachtet geblieben, daß sie auch in Deutschland zeitnah ihren Niederschlag gefunden hat.227 An der Universität Halle wurde sie von Medizinern, Theologen und Philosophen aufgegriffen, so daß sich an diesem Beispiel der Stand der Diskussion in den aufklärerischen Lebenswissenschaften im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts, insbesondere was ihren theologischen und metaphysischen Rückhalt anbelangt, gut ablesen läßt. Trembley waren 1740 bei naturkundlichen Studien Exemplare des Süßwasserpolypen Hydra ins Netz gegangen.228 Das Hohltier zeigte sich in der Lage, die Zerschneidung in eine Vielzahl von Stücken zu überleben und jedes dieser Stücke binnen kurzer Zeit zu vollständigen Individuen auswachsen zu lassen – eine Entdeckung, die umgehend für Aufsehen in der gesamten europäischen Gelehrtenwelt sorgte,229 weil sie das Phänomen der Regeneration geradezu als Schlüssel zur allge226 227
Vgl. ebd., § 785, S. 498. Die einschlägigen Studien zur Geschichte der Regenerationsforschung vermitteln den Eindruck, daß Trembleys Entdeckung in Deutschland erst mit erheblicher Verspätung rezipiert worden sei; vgl. Charles E. Dinsmore (Hg.): A history of regeneration research. Milestones in the evolution of a science. Cambridge u.a. 1991; Beate Moeschlin-Krieg: Zur Geschichte der Regenerationsforschung im 18. Jahrhundert. Basel 1953 (= Basler Veröffentlichungen zur Geschichte der Medizin und der Biologie, 1). 228 Vgl. Virginia P. Dawson: Nature’s Enigma: The Problem of the Polyp in the Letters of Bonnet, Trembley and Réaumur. Philadelphia 1987, S. 85–118. 229 Vgl. Giulio Barsanti: Les phénomènes ‚étranges‘ et ‚paradoxaux‘ aux origines de la première révolution biologique (1740–1810). In: Guido Cimino u. François Duchesneau (Hg.): Vitalisms from Haller to the Cell Theory. Florenz 1997 (= Biblioteca di Physis, 5), S. 67–82, hier S. 68– 71; Jantzen: Physiologische Theorien, S. 597–601; Howard M. Lenhoff und Sylvia G. Lenhoff:
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meinen Generationstheorie erscheinen ließ. Zugleich stellte sie den Präformationismus insofern vor unübersehbare Schwierigkeiten,230 als der Präexistenzlehre zufolge die Gesamtzahl der materiellen Keime bzw. der immateriellen Seelen im göttlichen Schöpfungsakt ein für allemal festgelegt galt und demzufolge nicht von der neugierigen Willkür des Menschen abhängen konnte, der im Experiment aus einem einzigen Tier durch wiederholte Zerstückelungen beliebig viele Exemplare schuf.231 Trembley hatte seine Beobachtungen zunächst Réaumur, dem wohl renommiertesten Naturforscher seiner Zeit, mitgeteilt, der sie experimentell bestätigte, der Pariser Akademie der Wissenschaften vortrug und eine vorläufige Mitteilung publizierte.232 2.3.1 Stahlianische und wolffianische Regenerationstheorien Dadurch daß Trembleys Experiment die Zahl der Kreaturen prinzipiell als disponibel erscheinen ließ, nährte es aber nicht nur Zweifel an der Präexistenz der Keime, sondern eröffnete auch eine völlig neue Angriffsmöglichkeit auf die dem Cartesianismus verpflichtete mechanistische Physiologie. Ein Adept der halleschen Psychomedizin, Christian Gottlieb Kratzenstein,233 griff daher Trembleys Entdeckung Abraham Trembley and the origins of research on regeneration in animals. In: Dinsmore (Hg.): A history, 1991, S. 47–66, hier S. 58f.; Thomas L. Hankins: Science and the Enlightenment. Cambridge u.a. 1985, S. 131; Elisabeth B. Gasking: Investigations into Generation 1651–1828. Baltimore 1967, S. 64f.; Roger: Les sciences de la vie, S. 390–396; Aram Vartanian: Trembley’s Polyp, La Mettrie, and Eighteenth-Century French Materialism. In: Journal of the History of Ideas 11 (1950), S. 259–286. – Sogar Albrecht von Haller ließ sich durch Trembleys Polypen-Experiment für einige Jahre zur Epigenesislehre bekehren; vgl. Duchesneau: La Physiologie des Lumières, S. 278–280; Roe: Matter, Life, and Generation, S. 22–25; Richard Toellner: Albrecht von Haller. Über die Einheit im Denken des letzten Universalgelehrten. Wiesbaden 1971 (= Sudhoffs Archiv: Beihefte, 10), S. 182–184. Hallers Schüler Blumenbach ließ sich vierzig Jahre später durch die Regeneration des Süßwasserpolypen zu seiner epochemachenden Schrift Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte anregen, die das Ende der Präformation besiegelte; zur Bedeutung der Polypenregeneration für die Entstehung der Schrift vgl. Blumenbach: Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte, S. 9f. 230 Vgl. Lenhoff u. Lenhoff: Abraham Trembley and the origins of research on regeneration in animals. 231 Vgl. Michael Sonntag: Die Seele und das Wissen vom Lebenden. Zur Entstehung der Biologie im 19. Jahrhundert. In: Gerd Jüttemann, Michael Sonntag u. Christoph Wulf (Hg.): Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Unveränderter Nachdruck [erstmals 1991]. Göttingen 2005, S. 293–318, hier S. 303. 232 Vgl. Trembleys Brief an Réaumur vom 15. Dezember 1740 in Maurice Trembley (Hg.): Correspondance inédite entre Réaumur et Abraham Trembley. Genf 1943, S. 11; Anon.: Diverses Observations de Physique et d’Histoire Naturelle. XI: Animaux coupés et partagés en plusieurs parties, et qui se reproduisent tout entiers dans chacune. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Avec les Mémoires de Mathématique et de Physique [43], Année 1741 [Paris 1744], S. 33–35. Noch vor den Sitzungsberichten der Akademie erschien ein erster Abriß von Trembleys spektakulärer Entdeckung in der Vorrede zum sechsten Band von Réaumurs Mémoires pour servir à l’histoire des insectes (Paris 1742 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)], Préface, S. xlix–lxxx). 233 Kratzenstein studierte u.a. bei dem Stahlianer Johann Juncker (1679–1759), dem laut Börner (Nachrichten, Bd. 3, S. 702) „größten Schüler des berühmten Stahl“, und war in den Jahren
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unverzüglich auf und glaubte „hieraus den Hauptsatz der Stahlianischen Arzneygelahrtheit: Daß die Seele ihren Cörper baue, ohnstreitig erweisen“ zu können.234 In der einschlägigen Forschung hat Kratzensteins kleine Schrift für einiges Rätselraten gesorgt; so verkennen sowohl Joachim Gessinger als auch Andreas Kleinert,235 daß es sich dabei um einen durchaus ernstzunehmenden wissenschaftlichen Beitrag handelt, den als solchen immerhin Albrecht von Haller einer Rezension für würdig erachtete, die Gessinger sogar selbst verzeichnet.236
1740 bis 1743 einer „der bevorzugten Schüler und Adlati in der Waisenhaus-Sprechstunde“, also Mitarbeiter an Junckers fortschrittlichem Collegium clinicum, das – obschon nicht an der Universität, sondern am Waisenhaus angesiedelt – „einen Zentralpunkt innerhalb des Studienplanes in der Medizinischen Fakultät“ darstellte (Wolfram Kaiser, Karl-Heinz Krosch u. Werner Piechocki: Collegium clinicum Halense. In: 250 Jahre Collegium Clinicum Halense 1717– 1967. Beiträge zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle. Halle 1967 [= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1967/3 (R 2)], S. 9–76, hier S. 39f., 57). Vgl. auch Kratzensteins bei Kaiser u. Krosch: Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle XVI, S. 1116f. abgedrucktes Curriculum vitae. Eine Wiedergabe der Handschrift findet sich bei Egill Snorrason: C.G. Kratzenstein, professor physices experimentalis Petropol. et Havn. and his Studies on Electricity during the Eighteenth Century. Odense 1974 (= Acta historica scientiarum naturalium et medicinalium, 29), S. 142– 145. Vgl. auch Wolfram Kaiser: Christian Gottlieb Kratzenstein (1723–1795) und die Anfänge der Elektrotherapie. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 2 (1995), S. 41– 53; Eduard Jacobs: Christian Gottlieb Kratzenstein, der Naturforscher. In: Zeitschrift des HarzVereins für Geschichte und Alterthumskunde 14 (1881), S. 133–160 sowie neuerdings Susan Splinter: Zwischen Nützlichkeit und Nachahmung. Eine Biographie des Gelehrten Christian Gottlieb Kratzenstein (1723–1795). Frankfurt a.M. u.a. 2007 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 1047). 234 Christian Gottlieb Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue: In einem Glückwünschungsschreiben an Herrn Heinrich Friedrich Delius; als Derselbe die Doctorwürde in der Arzneygelahrtheit auf der Universität zu Halle annahm. Halle 1743, S. 5. Es gibt eine Reihe weiterer Ausgaben dieser Schrift, die allerdings (nach dem zwischenzeitigen Erscheinen von Trembleys Mémoires, pour servir à l’histoire d’un genre de polypes d’eau douce, à bras en forme de cornes, 1744) einige nicht unbedeutende Änderungen aufweisen (das dürfte bereits für die zwote und verbesserte Auflage von 1744 gelten, die jedoch über den Leihverkehr nicht zu beschaffen war). Im folgenden wird ergänzend auch nach der Ausgabe von 1745 zitiert, die Kratzenstein seiner Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft (2. u. verm. Aufl. Halle 1745 [ND in Ders.: Abhandlung von dem Aufsteigen der Dünste und Dämpfe. Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft. Lindau i.Br. 1978], S. 27–41, hier S. 34) beigegeben hat. Weitere Abdrucke in Ders.: Physicalische Briefe. 3. u. verm. Aufl. Halle 1746, S. 30–42; Ders.: Physicalische Briefe. 4. Aufl. Halle 1772, S. 31– 44. – Das Kapitel zu Kratzensteins Beweiß bei Snorrason (C.G. Kratzenstein, S. 67–70) strotzt leider von Ungenauigkeiten und Fehlern; auch Kaiser (Christian Wolff und die medizinischen Konzeptionen seiner Zeit, S. 316) verzeichnet den Kontext der Entstehungsgeschichte von Kratzensteins Beweiß erheblich. 235 Joachim Gessinger: Auge & Ohr. Studien zur Erforschung der Sprache am Menschen 1700– 1850. Berlin u. New York 1994, S. 547–556; Andreas Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 91–102, hier S. 92–97. 236 Vgl. [Albrecht von Haller]: Rez. zu Christian Gottlieb Kratzenstein, Abhandlung vom Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft (21745). In: Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, 85. Stück vom 25. Dezember 1745, S. 709f. (erneut in Ders.: Tagebuch der medicinischen Litteratur der Jahre 1745 bis 1774. 3 Bde. Hg. v. Johann Jakob Römer u. Paul Usteri. Bern
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Ganz zu Recht macht daher Tanja van Hoorn darauf aufmerksam, Kratzensteins Schrift bleibe trotz des gelegentlich ironisierenden Tonfalls nicht im Scherzhaften stecken.237 Wenig stichhaltig ist in diesem Zusammenhang Kleinerts Hinweis, daß Kratzenstein seine Physicalischen Briefe, die ja den Beweiß und seine Fortsetzung enthalten, „mehr im Scherz als Ernst geschrieben“ haben will,238 denn diese Aussage dürfte eher auf den launigen Stil als auf den Inhalt der beiden Abhandlungen zielen. Nichtsdestotrotz erklärt Kleinert Kratzensteins Beweiß für einen „Studentenulk“ und führt mit Gessinger „zahlreiche Merkwürdigkeiten“ an, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Publikation nähren sollen.239 Dabei hat sich Kratzenstein in der Fortsetzung des Beweises: Daß die Seele ihren Cörper baue ausdrücklich gegen eine ähnlich gelagerte zeitgenössische Verkennung seines Anliegens verwahrt und weitere Argumente für seine Regenerationstheorie nachgelegt, die er durch den Abdruck einer brieflichen Abhandlung Christian Wolffs über die Regeneration des Polypen untermauerte.240 Konsequenterweise, aber ebenfalls zu Unrecht, ziehen Gessinger und Kleinert die Authentizität von Wolffs Brief gleich mit in Zweifel, worin van Hoorn ihnen folgt.241 In seiner kleinen Abhandlung von 1743 schickte Kratzenstein sich an zu demonstrieren, daß das vom Polypen in völlig neuer Form aufgeworfene Problem des Seelenursprungs bei der biologischen Generation die „Cartesianischen Maschinenmachers“ unausweichlich in Selbstwidersprüche verwickle.242 Die Konsequenz daraus lag für Kratzenstein auf der Hand: Da sich von der Seele „nicht mechanisch philosophieren läßt; so wird man wohl in der Medicin nicht bloß mechanisch son-
1789–91 [ND in zwei Bänden Hildesheim u. New York 1974], Bd. 1, S. 14–16); nachgewiesen bei Gessinger: Auge & Ohr, S. 548. Tanja van Hoorn: Hydra. Die Süßwasserpolypen und ihre Sprößlinge in der Anthropologie der Aufklärung. In: Manfred Beetz, Jörn Garber u. Heinz Thoma (Hg.): Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert: Supplementa, 14), S. 29–48, hier S. 45–47. 238 Kratzensteins Brief an Euler vom 14. März 1747; im Regest mitgeteilt in Adolf P. Juškeviþ u. Eduard Winter (Hg.): Die Berliner und die Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers. Bd. 3: Wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Korrespondenzen 1726–1774. Berlin 1976, S. 177; zitiert bei Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin, S. 102. 239 Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin, S. 96f. unter Verweis auf Gessinger: Auge & Ohr, S. 551f. 240 Vgl. Christian Gottlieb Kratzenstein: Fortsetzung des Beweises: Daß die Seele ihren Cörper baue. Zweites Schreiben an D.H.F.D. In: Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 51–62, hier S. 51f. 241 Vgl. van Hoorn: Hydra, S. 47. Zu Wolffs brieflicher Abhandlung über die Regeneration vgl. unten S. 116–121. 242 Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 6; Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 36. – Daß sich diese Apostrophe keinesfalls auf die Anhänger Friedrich Hoffmanns bezieht (so Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin, S. 95), dürfte nach den obigen Ausführungen zur Generationstheorie und Seelenlehre Hoffmanns auf der Hand liegen. 237
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dern organisch philosophieren müssen.“243 Dies geschehe am besten dadurch, daß der Begriff der Seele gemäß dem Stahlschen Psychodynamismus als Fähigkeit des Organismus zur Aufrechterhaltung seiner Lebensfunktionen bestimmt werde, als intellectus insitus, dessen Rationalität sich nicht in der Vernunft des menschlichen Bewußtseins erschöpfe, sondern in der zweckmäßigen Struktur und sinnvollen Funktionsweise alles Lebendigen seine Wirkung entfalte.244 Descartes’ Leugnung der Existenz von Tierseelen glaubte Kratzenstein en passant durch den Verweis auf willkürliche Bewegungen und Gedächtnisfunktionen bei Tieren abtun zu können,245 was ihm um so leichter fiel, als darüber innerhalb der Stahl-Schule ein breites Einvernehmen herrschte.246 Dort ging man, wie gesehen, sogar noch weiter und erkannte allem Organischen – neben Menschen und Tieren auch den Pflanzen – die Begabung mit einer Vernunftseele (anima rationalis) zu, deren Wirksamkeit sich in der Steuerung des Wachstums und in der Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen beweise.247 Der Seele des Menschen kam in diesem Paradigma ihre Sonderstellung also nicht durch die Vernunft, sondern durch die Unsterblichkeit zu, die sie den Seelen der Tiere und Pflanzen voraus haben sollte.248 Da der cartesischen Substanzentrennung von seiten der Stahlschen Medizin zugunsten eines leib-seelischen Organismuskonzepts ganz offen widersprochen wurde,249 brauchte Kratzenstein sich nicht erst mit der Frage herumzuschlagen, wie 243 244
Kratzenstein: Fortsetzung des Beweises, S. 58. Vgl. Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 3; Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 32. 245 Vgl. Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 6; Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 36. – Tatsächlich steht Kratzenstein mit der Annahme von Tierseelen ganz auf dem Boden der hippokratisch-galenischen wie der christlichen Tradition. Die Stahl-Schule hatte in diesem Punkt nichts anderes gelehrt; vgl. Lester S. King: The Philosophy of Medicine. The Early Eighteenth Century. Cambridge, Mass. u. London 1978, S. 147. 246 Vgl. etwa Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 190–216; Ders.: De superstitione medica. In: Ders.: Specimen, S. 142–202, hier S. 159–167. 247 Vgl. Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 16, 208, 242–265; JacquesEdmond Chancerel: Recherches sur la pensée biologique de Stahl. Paris 1934, S. 38. 248 Vgl. Alberti: Medicinische und philosophische Schrifften, S. 213–216; siehe dazu auch oben S. 49f. 249 Vgl. etwa, was Christian Friedrich Richter im Kapitel Von der Vereinigung des Leibes und der Seele, und von dem Effect derselben seiner Höchst-nöthigen Erkenntniß des Menschen lehrt: „Was nun die Vereinigung selbst betrift, so bestehet sie in einer solchen genauen Verbindung des Leibes mit der Seele, daß, ob sie gleich sonst ihrer Natur nach gantz divers und unterschieden sind, sie doch nun ein einiges Ding werden, und den Menschen zusammen constituiren; da sie denn auch nicht einmal im Concept ohne Verkehrung und ohne Fingirung gantz falscher Eigenschaften, so sich bey dem Menschen nicht befinden, mehr distinguiret und geschieden werden können. Und damit ich es noch deutlicher ausdrücke, die Materie oder der Leib ist von der Seele durch die Vereinigung dergestalt angezogen, und mit ihr, so zu sagen, vermenget worden, nicht anders, als wäre die Seele selbst Fleisch oder materialisch, der Leib aber seelisch worden.“ (Richter: Erkenntniß des Menschen, S. 79f.) Richter wendet sich deshalb an anderer Stelle auch energisch gegen jeglichen Dualismus von Körper und Seele: „Weil nun Seel und
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sich wohl die Seele bei der Zerteilung des Körpers auf dessen einzelne Fragmente verteile, ja, er hätte sich sogar auf Stahl selbst berufen können, der (in Erwiderung eines Leibnizschen Einwandes im Negotium Otiosum) zur Erklärung der Bewegungen abgetrennter Körperteile gewisser Tierarten nachgerade eine Teilbarkeit ihrer Seelen postuliert hatte.250 Daß aber im Falle des Polypen die Teile des zerstückelten Lebewesens nicht nur eine Zeitlang weiterlebten, sondern sich in kurzer Zeit wieder zu vollständigen Tieren ergänzten, war ein wissensgeschichtliches Novum, das der bekennende Stahlianer Kratzenstein als neuartigen Beweis für das Wirken der Seele in den Körper präsentierte. Nur ein „verständiger Director“ wie die Seele könne nämlich, so Kratzenstein, den Wiederaufbau des verstümmelten Körpers leiten: „Der blosse Mechanismus findet hier gar keine Statt; denn derselbe ist ja durch die Zerschneidung des Cörpers unterbrochen worden. Ohne einen verständigen Wesen lässet sich dieses also ohnmöglich begreiflich machen.“251 Er hielt daher das Phänomen der Regeneration des Polypen für geeignet, die Generationstheorie der Stahl-Schule zu exemplifizieren, der zufolge die Seele ihren Körper baut und erhält. Für die Physiologie der Regeneration präsentierte Kratzenstein eine Erklärung, die der bis dahin geführten wissenschaftlichen Debatte eine bemerkenswerte Wendung verlieh. Hatte beispielsweise Réaumur seinerzeit im Hinblick auf die Regeneration der Krustentiere nur leichthin eine gewisse Funktion des Nahrungssaftes bei der Entwicklung der präformierten Keime angedeutet,252 so wies Kratzenstein dem Nahrungssaft in seiner vom Stahlschen Psychodynamismus inspirierten Deutung der Regeneration des Polypen eine Schlüsselfunktion zu: Aufgrund einer Empfindung beim Zerschneiden sollte der intellectus insitus eine Bewegung im Gefäßsystem des Polypen veranlassen, wodurch der Nahrungssaft an der Schnittstelle aus-
Leib in diesem Leben vereiniget sind, und darinnen schlechter dinges zusammen gehören, so müssen sie auch in der Betrachtung nicht geschieden werden, weil es sonst unmüglich [!] ist, zu einem wahren und nutzbaren Erkenntniß des Leibes zu gelangen.“ (Ebd., S. 96) Vgl. auch ebd., S. 195f. sowie Alberti: De superstitione medica. In: Ders.: Specimen, S. 142–202, hier S. 159–167. Vgl. dazu Toellner: Die Geburt einer sanften Medizin, S. 21; Geyer-Kordesch: Pietismus, Medizin und Aufklärung, S. 210–212. 250 Vgl. Stahl: Negotium Otiosum, S. 91: „Ubi, paucis, ad illam exceptionem, de Motu abscissarum, adhuc sese quasi legitime moventium partium, imprimis in aquatilibus & amphibiis, facilis est responsio; quod animae illae, Corporeitati in eo propinquiores, quod iterum dissolvi credibile sit, (cum contrarium e fide non asseratur) etiam divisibiles esse possint.“ 251 Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 37f. (Ergänzung gegenüber der Erstausgabe des Beweises, daß die Seele ihren Cörper baue). 252 „Nous dirons bien que vers la partie coupée il se porte beaucoup des suc nourricier, et assés pour former de nouvelles chairs.“ (René-Antoine Ferchault de Réaumur: Sur les diverses Reproductions qui se font dans les Écrevisses, les Omars, les Crabes, etc. Et entr’autres sur celles de leurs Jambes et de leurs Écailles. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Avec les Mémoires de Mathématique et de Physique [14], Année 1712 [Paris 1714], S. 223–241, hier S. 235) – Zu Réaumurs frühen Regenerationsexperimenten vgl. Dorothy M. Skinner u. John S. Cook: New limbs for old: some highlights in the history of regeneration in Crustacea. In: Dinsmore (Hg.): A history of regeneration research, S. 25–45.
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trete und durch sein Gerinnen ein „confuses Chaos“ formiere.253 Die eigentliche Neubildung geschehe dann unter Leitung der Seele durch die Differenzierung der abgetrennten Körperteile in diesem Chaos, „welches weder zu einen Kopfe noch Schwanze geschickt seyn würde.“254 Den aus der Präformationstheorie resultierenden Schwierigkeiten bei der Erklärung der Regeneration des Polypen entging Kratzenstein also dadurch, daß er sie epigenetisch als Binnendifferenzierung im zunächst unorganisierten geronnenen Nahrungssaft interpretierte. Der epigenetische Charakter der Regeneration des Polypen stand für Kratzenstein gewissermaßen a priori fest, denn er erklärte entschieden: „Der Anwachs dieser [neuen, S.B.] Theile muß nothwendig durch den Nahrungssaft geschehen.“255 Da kein zeitgenössischer Bericht eine Neubildung im geronnenen Nahrungssaft vermeldet hatte, kann Kratzensteins wohlerwogene Deutung nur auf Analogiedenken beruhen. Bei der nicht eigens benannten Analogie handelt es sich offenbar um das Phänomen der Kallusbildung im Pflanzenreich, den Wundverschluß verletzter Pflanzen, aus dem neue Triebe sprießen können, so daß die abgetrennten Pflanzenteile scheinbar ersetzt werden.256 Immerhin bleibt festzuhalten, daß Kratzenstein in der Debatte um die Regeneration des Süßwasserpolypen zur Formulierung der ersten epigenetischen Regenerationstheorie gelangte, was von der älteren positivistisch orientierten Wissenschaftsgeschichte wohl deswegen geflissentlich übersehen worden ist, weil er sie nicht auf der Basis eigener Beobachtungen und Experimente konzipierte, sondern als Ergebnis einer durch Analogiedenken geprägten eigenständigen Interpretation der von Réaumur (in seiner vorläufigen Mitteilung über die Regeneration des Polypen in der Naturgeschichte der Insekten) mitgeteilten Fakten. Kratzenstein mußte nämlich eingestehen: Unsere Saal ist mir bisher nicht so günstig gewesen, daß sie einen solchen Polypus hervorgebracht hätte, ich würde sonsten den Versuch selbsten angestellt, und den Bau seines Cörpers nach der Zergliederungskunst untersuchet und hier beygefügt haben.257
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Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 6; Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 37 Ebd. Ebd. Ausgerechnet im Falle des Polypen trifft diese originelle Interpretation der Regeneration allerdings nicht zu: In biologischer Terminologie gesprochen, interpretiert Kratzenstein sie als Epimorphose, d.h. als Differenzierung der fehlenden Struktur durch Wachstum vom Wundrand her; tatsächlich vollzieht sie sich beim Polypen jedoch morphallaktisch, d.h. die fehlenden Teile werden mittels Umorganisation der Reststruktur ohne neues Wachstum ersetzt. Vgl. Herbert Lange, Peter Nick u. Katharina Nübler-Jung: Art. Regeneration. In: Lexikon der Biologie in fünfzehn Bänden. Bd. 11. Heidelberg 2003, S. 462f.; speziell zur Regeneration des Süßwasserpolypen siehe Richard J. Goss: Principles of Regeneration. New York u. London 1969, S. 35–46. 257 Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 5; leicht verändert in Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 34f. 254 255 256
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Aufgrund der ihm mangelnden eigenen Anschauung griff er unter anderem auf antike Berichte über ‚Polypen‘ zurück – ein Mißgriff, den er in der erweiterten Ausgabe seiner Schrift korrigierte,258 denn die Antike kannte unter diesem Namen nur Kopffüßer wie Kraken und Kalmare, die zwar durchaus in der Lage sind, abgetrennte Arme zu regenerieren, nicht aber aus Körperfragmenten vollständige Individuen heranwachsen zu lassen wie das Hohltier.259 Immerhin konnte Kratzenstein mit seiner Deutung der Regeneration des Polypen an die in der halleschen Medizin vorgezeichnete Tradition epigenetischen Denkens anknüpfen. Der sukzessive Bau des Körpers durch die Seele während der Embryonalentwicklung war in der Stahl-Schule, wie gezeigt, in Weiterführung pietistischer Vorstellungen als epigenetischer Prozeß konzipiert worden, der von undifferenzierten Anfängen zur ausdifferenzierten Gestalt führte. Die Originalität von Kratzensteins Bestreben besteht darin, die Epigenese (wie auch immer spekulativ) auf die durch Trembleys Polypen-Experiment radikal neu gestellte Frage der Regeneration übertragen und an ihr bewährt zu haben, während in der zeitgenössischen Diskussion zunächst präformationistische Deutungen dominierten. Kratzenstein krönte seine Überlegungen abschließend damit, daß er die dem ausgewachsenen Süßwasserpolypen innewohnende Regenerationskraft mit derjenigen Kraft identifizierte, mittels deren die Seele bereits das Wachstum des Embryos gleichsam als Baumeisterin ihres Körpers beaufsichtige.260 Auf diese Weise schlug er den Bogen von der Regeneration des Polypen zur allgemeinen Generationstheorie und bezog sich dabei insbesondere auf das Wachstum des menschlichen Embryos im Mutterleib. Damit kündigte sich bereits in den frühen vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts an, daß die Embryologie zum zentralen Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der „mechanischen Philosophie“ und ihren Gegnern aus den Reihen der Stahl-Schule werden sollte. 258
Vgl. Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 5f. und die entsprechenden Änderungen in Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 35f. sowie die Verteidigung S. 59f. Wie erwähnt, mögen sich die Änderungen bereits in der zweiten Auflage von Kratzensteins Schrift (1744) finden, jedenfalls sofern es ihm möglich war, Trembleys im selben Jahr erschiene Mémoires schon zur Kenntnis zu nehmen. Dafür spricht, daß der Verleger Hemmerde bereits im Frühjahr 1745 eine (dann nicht erschienene) Übersetzung von Trembleys Buch durch Kratzenstein „mit Anmerckungen, aus der Physic- Metaphysic- und Insecten-Historie“ ankündigte (Katalog der Oster-Buchmesse 1745 [Mikrofiche-Ausgabe in: Kataloge der Frankfurter und Leipziger Buchmessen. Hg. v. Bernhard Fabian. Hildesheim 1977–85], o.S.). 259 Vgl. Hans Gossen: Art. Polypen. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Alterthumswissenschaften. Neue Bearbeitung begonnen v. Georg Wissowa. [Reihe 1]. Bd. 21,2. Stuttgart 1952, Sp. 1791–1797. 260 Vgl. Kratzenstein: Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, S. 7f.; Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 39; ausführlicher dann in Ders.: Fortsetzung des Beweises: Daß die Seele ihren Cörper baue. Zweites Schreiben an D.H.F.D. (ebenfalls in Ders.: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 51–62). – Die Metapher von der Seele als Baumeisterin des Körpers ist in der Stahl-Schule verbreitet, vgl. Alberti: Introductio, S. 28f.; Ders.: Schrifften, S. 56f.
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Auch Christian Wolff, dessen Vorlesungen Kratzenstein neben seinem Medizinstudium besuchte,261 zeigte sich von Trembleys Beobachtungen am Polypen und ihren Konsequenzen für Philosophie und Naturlehre unmittelbar beeindruckt. In einer brieflichen Abhandlung, die Kratzenstein später in der erweiterten Ausgabe seiner kleinen Schrift als Brief an R** G** abdruckte,262 gestand Wolff die „grosse Schwierigkeit in der Metaphysic“ offen ein, die „dieser besondere Modus Generationis“ bereite.263 Wie bereits erwähnt, ist die Authentizität dieser Abhandlung in der Forschung allgemein bezweifelt worden.264 Sie ist aber authentisch, und zwar handelt es sich um einen Brief Wolffs an seinen adligen Gönner, den Reichs-Grafen Ernst Christoph von Manteuffel vom 27./28. Juli 1743, dessen Original sich innerhalb der umfangreichen Wolff-Manteuffelschen Korrespondenz erhalten hat.265 Wolff war seit 1733 auswärtiges Mitglied der Pariser Académie des Sciences und stand unter anderem mit Réaumur in brieflichem Kontakt,266 der ihm bereits im Januar 1742 von Trembleys frappierender Entdeckung berichtet hatte.267 Da Wolff den Tieren eine Seele zusprach,268 sah er durch Trembleys Experiment die heikle 261
Kaiser: Christian Gottlieb Kratzenstein, S. 43; laut seinem oben (Anm. 233) erwähnten Curriculum vitae studierte Kratzenstein Philosophie bei dem Wolffianer Johann Friedrich Stiebritz sowie bei Christian Wolff selbst. 262 Christian Wolff: Brief an R** G** [1743]. In: Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 42–50. 263 Ebd., S. 43. 264 Vgl. Gessinger: Auge & Ohr, S. 551f.; Kleinert: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin, S. 96f.; van Hoorn: Hydra, S. 47. 265 Universitätsbibliothek Leipzig Ms 0346, fol. 48r–51r; vgl. dazu Stefan Borchers u. Johannes Bronisch: Christian Wolff und der Süßwasserpolyp. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Quellenwert des Briefwechsels des Philosophen. In: Studia Leibnitiana 37 (2005), S. 224–237. Ich zitiere im folgenden nach Kratzensteins recht getreuem Abdruck, der als Reprint von 1978 greifbar ist. Zum Briefwechsel zwischen Wolff und Manteuffel vgl. allgemein die ältere Arbeit von Heinrich Ostertag: Der philosophische Gehalt des Wolff-Manteuffelschen Briefwechsels. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Leipzig 1910] (= WGW 3, 14) sowie neuerdings die unveröffentlichte Magisterarbeit von Johannes Bronisch: Ernst Christoph Graf von Manteuffel und der Wolffianismus. 266 Vgl. Jürgen Voss: Christian Wolff, die Pariser ‚Académie des Sciences‘ und seine wissenschaftlichen Kontakte nach Frankreich. In: Jerouschek u. Sames (Hg.): Aufklärung und Erneuerung, S. 162–168, hier S. 165–167. 267 Vgl. Wolffs Brief an Manteuffel vom 21. Januar 1742 (Universitätsbibliothek Leipzig, Ms 0345, fol. 276r–277r, hier fol. 277r). Den Hinweis auf diesen Brief verdanke ich Johannes Bronisch. Weitere Einzelheiten zur Nachricht Réaumurs über die Regeneration, die als Dokument offenbar nicht überliefert ist, finden sich in Wolffs Brief an Manteuffel vom 28. Januar 1742 (Universitätsbibliothek Leipzig, Ms 0345, fol. 280r–281v, hier fol. 281r). 268 Schon Leibniz hatte es in ausdrücklichem Widerspruch zu Descartes’ Konzeption von Tieren als Automaten für unumgänglich gehalten, Tieren und sogar Pflanzen eine Seele zuzusprechen; vgl. etwa die Paragraphen 14 und 70 bis 72 der Monadologie (Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 608f., 619); vgl. dazu Ingensiep: Geschichte der Pflanzenseele, S. 234–244. Auch Christian Wolff hatte in Abgrenzung gegen den Cartesianismus zumindest den Tieren eine Seele zuerkannt, die ihnen sogar ein Bewußtsein ihrer selbst ermögliche; vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, §§ 789, 794, 892, S. 492, 495, 553f.; Ders.: Anmerkungen zur Deutschen Metaphysik, § 295, S. 495f.; Ders.: Psychologia rationalis, §§ 749, 751, S. 665–669.
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Frage aufgeworfen, „woher die Seelen so vieler Thiere kommen, da doch das Thier, welches zerschnitten wird, nur eine Seele hat, hingegen diese sich nicht, wie desselben Leib, zerschneiden lässet, daß aus einem Stück der Seele, wiederum eine gantze Seele würde.“269 Einigen Aufschluß erwartete er sich vom Vergleich mit Regenerationserscheinungen im Pflanzenreich, wie er auch sonst häufig Schlußfolgerungen „per analogiam generationis animalium et vegetationis plantarum“ anstellte.270 In diesem Fall postulierte er also eine Analogie von Polypen- und Pflanzenregeneration: Es ist hier was ähnliches mit der Vegetatione Surculi, wovon ich mich besinne vor sehr vielen Jahren Experimente gemacht und auch beschrieben zu haben, da Z.E. ein Reiß von der Wurtzel eines Rosenstocks, in der Erde Wurtzeln treibet, wo es in der Luft Augen hervorbringet, die ausschlagen und in Reiser wachsen, anderer Exempel zu geschweigen.271
Derartige Experimente zur Pflanzenphysiologie hatte Wolff vor allem während seiner ersten halleschen Lehrperiode, aber auch noch während seines Marburger Exils unternommen; ihren Höhepunkt stellen jene Forschungen zur Bestockung des Getreides dar, deren Fortführung ihm noch der greise Leibniz persönlich dringend angeraten hatte.272 Wolffs erste eigenständige ‚biologische Schriften‘ legen davon beredtes Zeugnis ab; in ihnen finden sich auch die hier angespielten Beobachtungen zum Austreiben der Wurzeln des Rosenstocks.273 269 270
Wolff: Brief an R** G**, S. 43f. Wolff: Brief an Johann Daniel Schumacher vom 14. November 1734, abgedruckt bei Anton Schiefner: Vier Briefe von Leibnitz und Christian Wolff. In: Bulletin de l’Académie Impériale de St. Petersbourg 6 (1863), Sp. 317–327, hier Sp. 323f.; vgl. auch Wolff: Deutsche Physik, § 407, S. 645. 271 Wolff: Brief an R** G**, S. 44f. 272 Vgl. Christian Wolff: Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes. Erläuterung der Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes. Mit einem Nachwort von Holger Böning. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 [ND der Ausg. Halle 1718 und 1719] (= Volksaufklärung: Ausgewählte Schriften, 1), Kap. 3, §§ 4f., S. 19f.; Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 2, § 114, S. 79; Gottsched: Historische Lobschrift, S. 41. – Wolffs beflissene Fortsetzung seiner pflanzenphysiologischen Forschung auch nach seiner Vertreibung aus Halle ist durch zahlreiche Briefe aus der Marburger Zeit belegt; vgl. neben dem angeführten Brief an Schumacher etwa die Briefe an Johann Albrecht von Korff vom 22. Mai und vom 4. Dezember 1735 oder an Georg Wolfgang Krafft vom 9. September und 24. November 1737 (sämtlich enthalten in: Briefe von Christian Wolff aus den Jahren 1719–1753. Ein Beitrag zur Geschichte der kaiserlichen Academie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Hildesheim u. New York 1971 [ND der Ausg. St. Petersburg 1860] (= WGW I, 16), S. 83–89, 104f., 206–208). 273 Vgl. neben der genannten Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes (1718) Wolffs Erläuterung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes (1719), darin die angespielte Stelle, cap. 1, § 6, S. 6f.; vgl. auch die entsprechenden Querverweise in Ders.: Deutsche Physik, § 389, S. 605–607 und Ders.: Vernünfftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflantzen [‚Deutsche Physiologie‘]. Hildesheim u. New York 1980 [ND der Ausg. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1725] (= WGW I, 8), § 235, S. 656f. – Zu Wolffs botanischen Arbeiten vgl. allgemein Gregor Kraus: Christian Wolff als Botaniker. Rede gehalten zur Übernahme des Rectorats der Universität Halle am 12. Juli 1891. Halle 1892.
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Die Teilbarkeit pflanzlicher Organismen in mehrere überlebensfähige und sich selbst regenerierende Individuen ließ sich jedoch nicht ohne weiteres auf tierische Lebewesen übertragen, denen zusätzlich eine prinzipiell unteilbare Seele eignen sollte, denn Pflanzen sprach Wolff ja ausdrücklich die Begabung mit einer Seele ab.274 Die Analogie zur Pflanzenregeneration half ihm also nicht weiter: „Allein hieraus läst sich noch nicht begreifen, wo die vielen Seelen herkommen, wenn aus einem Stücke ein gantzes Thier werden kann.“275 Eine Lösung des metaphysischen Problems versprach er sich davon, daß er Überlegungen seiner animalculistischen Generationstheorie auf die Regenerationstheorie übertrug. So spekulierte er, daß „jedes von den Saamen-Thierlein, auch wenn sie im Geblüte vorhanden sind, seine Seele [habe], welche vermöge der Principiorum physiologicorum mit dem Leibe harmonicis Mutationibus unterworfen ist.“276 Wolff geht hier zum einen von einer Zirkulation der „Saamen-Thierlein“ im gesamten tierischen Organismus aus, eine These, durch die er die antike – nicht zuletzt von Aristoteles vertretene – hämatogene Samenlehre277 mit der modernen Lehre vom Blutkreislauf zu verbinden trachtete: Der Saame wird von dem Geblüte in denen Testiculis abgesondert, und dannenhero müssen gedachte Thierlein in dem Geblüte befindlich seyn, welches aus der Art und Weise wie die Secretio geschiehet, auch leicht a priori zu begreiffen ist.278
Zum anderen erklärt er die psychophysische Präexistenz von Körper und Seele im ‚Samentierchen‘ als einen Zustand prästabilierter Harmonie, dergestalt, daß die ‚Evolution‘ des Körpers des „Samen-Thierleins“ zugleich auch dessen Seele 274
In seiner Deutschen Logik rechnete Wolff den Begriff der anima vegetativa unter jenen „Wörter-Kram“, den Descartes „glücklich umgestossen“ habe (Christian Wolff: Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit [‚Deutsche Logik‘, erstmals 1713]. Hg. und bearb. v. Hans Werner Arndt. Hildesheim 1965 (= WGW I, 1), S. 112). Vgl. auch Ders.: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 185, S. 505; Ders.: Deutsche Metaphysik, § 789, S. 492; Ders.: Psychologia rationalis, § 751, S. 667f.; Ders.: Theologia naturalis, Pars prior, § 783, S. 766f. 275 Wolff: Brief an R** G**, S. 45. 276 Ebd., S. 46. 277 Zur Tradition hämatogener Samenlehren seit der Antike vgl. Lesky: Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike, S. 1344–1417. – Aristoteles hatte (De generatione animalium I,4, 717a; I,19, 726b) die Hoden zur bloßen Durchgangsstätte des männlichen Samens erklärt – eine Vorstellung, der sich Wolff bereits in den zwanziger Jahren in seinen Schriften zur Physik und Physiologie anschloß, indem er postulierte, der Same werde „von dem Geblütte abgesondert“; vgl. Wolff: Deutsche Physik, § 454, S. 732–735; vgl. auch Ders.: Deutsche Physiologie, § 184, S. 504–509. Auch Gottsched folgte dieser Theorie in seinen erstmals 1733/34 erschienenen Ersten Gründen der gesammten Weltweisheit; vgl. die Edition der 7. Aufl. von 1762 in Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Hg. v. Phillip M. Mitchell. Bd. 5: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. 4 Teile. Berlin u. New York 1983–95 (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), Teil 1: Theoretischer Theil, § 855, S. 505; eine entsprechende Formulierung findet sich bereits in der Erstauflage (dort in § 1087); vgl. ebd., Teil 3: Variantenverzeichnis. Bearb. v. Otto Tetzlaff, S. 109. 278 Wolff: Brief an R** G**, S. 45.
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betreffe. Auf diese Weise könne jedes Teilstück des Polypen „eine besondere Seele bekomme[n], in dem es zu einem gantzen Thiere wird.“279 Wolff schließt sich hier erkennbar Überlegungen Réaumurs zur Regeneration des Polypen an, die er jedoch in sein eigenes philosophisches System einpaßt.280 Da sich der Ovo-Vermismus seiner naturkundlichen Schriften für die Phänomene der Regeneration nicht in Anwendung bringen ließ, postulierte Wolff hier einen blanken Animalculismus, dem zufolge sich parallel zur körperlichen ‚Entwicklung‘ des „Saamen-Thierleins“ auch dessen Seele herausbilden sollte, und zwar ohne vorherige Einnistung des Animalculums in ein Ovum. Das war ein gewagter Schritt, vor dessen Konsequenzen Wolff am Ende dann wieder zurückschreckte. Trat doch statt der von ihm erwarteten Erhellung der Generationslehre durch die Regeneration genau das Gegenteil ein: Die Theorie der geschlechtlichen Generation wurde durch die ungeschlechtliche Vermehrung ‚beseelter‘ Tiere per Regeneration gerade in Frage gestellt. Die Überführung der ovovermistischen Generationslehre in eine animalculistische Regenerationstheorie ließ die „Saamen-Thierlein“ jegliche Beziehung zum Geschlecht der Tiere verlieren; ihre regenerationstheoretische Funktionsbestimmung erfolgte derart entsexualisiert, daß man versucht sein könnte, von einem „Samen-Ey“ zu sprechen – eine Begriffsbildung, die in zeitgenössischen ‚biologischen‘ Texten tatsächlich zuweilen begegnet.281 Metaphern und Begriffe der Zeugungslehre büßten also bei ihrer Anwendung auf die Regeneration insgeheim die Dimension ‚männlich/weiblich‘ ein, 279 280
Ebd. Neben Réaumurs Mémoires pour servir à l’histoire des insectes, in deren sechstem Band (Préface, S. xlix–lxxx) Trembleys Entdeckung angezeigt und regenerationstheoretisch interpretiert wird, kannte Wolff nachweislich auch schon den älteren Aufsatz Réaumurs zur Regeneration von Krustentieren (Sur les diverses Reproductions qui se font dans les Écrevisses, les Omars, les Crabes, etc.), denn er hatte den entsprechenden Band der Histoire de l’Académie Royale des Sciences, in dem er erschienen war, für die Acta Eruditorum vom März 1716 (dort S. 97–106, zu Réaumur S. 99) rezensiert. Für die Zuordnung der anonymen Rezension zu Wolff vgl. die Einleitung des Herausgebers zu Christian Wolff: Sämtliche Rezensionen in den Acta Eruditorum (1705–1731). 5 Teile. Hildesheim, Zürich u. New York 2001 (= WGW II, 38,1–5), Teil 1, S. IX–XXVIII, hier S. XII. Bereits 1737 hatte Carl Günther Ludovici Wolff als Autor dieser Rezension identifiziert, vgl. Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. 2, S. 216, Nr. 220. Einen Vergleich von Wolffs und Réaumurs Regenerationstheorien habe ich an anderer Stelle vorgenommen; vgl. Borchers u. Bronisch: Christian Wolff und der Süßwasserpolyp. 281 Vgl. etwa Johann Daniel Herrnschmidt: Von den rechten Grentzen der Philosophiae naturalis [datiert 1719]. In: Johann Georg Hoffmann: Kurtze Fragen von den natürlichen Dingen. 6., durchgängig verb. u. verm. Aufl. Halle 1770, Vorrede, S. 24 oder Hermann Samuel Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion [1754]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Göttingen 1985 [ND der 3., verb. und stark verm. Aufl. Hamburg 1766] (= Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschafen Hamburg, 53), S. 127–129, 133, 596, 598. – Die präformationistische Regenerationstheorie bestätigt hier Thomas Laqueurs Befund, wonach der Präformationismus des 17. und 18. Jahrhunderts eine parthenogenetische Fortpflanzung in einer eigentlich geschlechtslosen Welt unterstellte: „And in fact neither ovism nor animalculism suggested a world of two sexes but rather a world of no sex at all. Both bespoke parthenogenic reproduction [...].“ (Laqueur: Making Sex, S. 173)
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wodurch ihre weitere Verwendbarkeit in der allgemeinen Generationslehre in Frage gestellt wurde. Anders gesagt: Als Schlüssel für die allgemeine Generationstheorie betrachtet, entwertete die Regeneration durch ihren ungeschlechtlichen Charakter deren (vor-)begriffliches Instrumentarium. Das dürfte der Grund dafür sein, daß Wolff es am Schluß seiner brieflichen Abhandlung vorzog, die Regeneration im Tierreich als möglicherweise doch nicht aufklärbar hinzustellen, indem er einräumte, „daß diese Theoria Generationis noch nicht completa ist, sondern noch verschiedene Fragen, sowohl in Ansehung des Leibes, als der Seele zu beantworten übrig sind.“282 Dieses Eingeständnis des Hauptes der deutschen Schulphilosophie offenbart die Schwierigkeit oder besser gesagt die Unmöglichkeit, das Problem der Regeneration im Rahmen der Präformationslehre zu lösen, ohne dabei entweder die cartesische Substanzentrennung oder den überkommenen Seelenbegriff preiszugeben. Nichts veranschaulicht Wolffs Ratlosigkeit angesichts dieses Dilemmas besser als seine Erwägung, die aristotelische Lehre von der Generatio aequivoca sei in den Wissenschaften vom Leben womöglich „zu frühzeitig verworfen“ worden, die er im zweiten Postskriptum seiner brieflichen Abhandlung nachschob,283 hatte er doch in seiner Deutschen Physik ganz unverhohlen seine Skepsis gegenüber Vorstellungen von einer ungeschlechtlichen Vermehrung von Tieren bekundet: Mann [sic!] findet auch bey dem kleinesten Ungezieffer, daß auf eine dergleichen [sexuelle, S.B.] Art ihr Geschlechte fortgepflantzet wird und hat noch niemand ein einiges Exempel anführen können, da eine lebendige Creatur auf eine andere Art wäre erzeuget worden.284
Solche „Exempel“ standen auch gar nicht zu erwarten, weil die Generatio aequivoca für Wolff gewissermaßen a priori ausgeschlossen war. In der Ratio praelectionum hatte er zur Begründung seiner Generationstheorie ausgeführt, daß die Erzeugung nichts anders sey, als nur eine Entwickelung eines organischen Cörperleins das vorhero schon dagewesen ist. Ich behaupte nemlich, daß die Thiere (animalia) aus den Saamenthierchen entstehen, [...] weil durch natürliche Gründe bewiesen wird, daß sonst eine organische Erzeugung durch die Kräfte der Natur unmöglich sey.285
Schwerer noch als „natürliche Gründe“ (rationes physicae) mußten allerdings metaphysische Gründe wiegen: Nach der Wolffschen Metaphysik konnte nur Gott Seelen erschaffen und mit organisierten Körpern ausstatten;286 dementsprechend 282 283 284 285
Wolff: Brief an R** G**, S. 46. Ebd., S. 50. Wolff: Deutsche Physik, § 439, S. 709. Vgl. Wolff: Ratio praelectionum, S. 208f.: „Ostendi autem generationem non esse nisi evolutionem corpusculi organici praeexistentis. Animalia nempe prodire ex animalculis spermaticis defendo, [...] quod per rationes physicas evincatur impossibilitas productionis organicae per Naturae vires.“ Dt. nach Ders.: Übrige kleine Schriften, S. 695; vgl. auch Ders.: Deutsche Physik, §§ 444, 446, S. 719, 722. 286 Vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, § 768, S. 480f.
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unterschied sich das Reich der beseelten Lebewesen von der übrigen Natur dadurch, daß der Schöpfer in ihm den Sonderstatus der prästabilierten Harmonie zwischen Körpern und Seelen eingerichtet hatte. Wolffs kurzzeitige Bereitschaft, diese kategoriale Unterscheidung zugunsten der Generatio aequivoca preiszugeben, zeugt also von einer durchaus beträchtlichen Irritation seines Denkens durch das biologische Faktum der Regeneration des Süßwasserpolypen. Desungeachtet pflichtete Kratzenstein 1745 in der Fortsetzung seiner Schrift Wolffs animalculistischer Deutung der Regeneration freudig bei. Trotz der von Wolff nicht ausgeräumten metaphysischen Schwierigkeiten und trotz des offensichtlichen Widerspruchs zu seiner eigenen epigenetischen Deutung der Polypenregeneration schloß Kratzenstein sich seinem philosophischen Lehrer an und erklärte die „Loewenhöckische Theorie, nach welcher die Menschen und Thiere aus den Saamenthierchen entstehen“ kurzerhand für erwiesen.287 Die Tragweite dieser Aussage wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß Stahls Lehrstuhlnachfolger Alberti den Animalculismus noch als Ausgeburt der Phantasie (foetus phantasiae) abgetan hatte.288 Kratzenstein zeigte sich in seiner Fortsetzung des Beweises: Daß die Seele ihren Cörper baue demnach bereit, den Boden der Stahlschen Medizin zu verlassen, deren Lehrsatz er ursprünglich hatte beweisen wollen. Geradezu als entschiedener Parteigänger Wolffs trat er nun auf, wenn er versuchte, die Unvereinbarkeit der Präformationslehre mit den Phänomenen der Regeneration herunterzuspielen; doch bemühte er sich immerhin um eine vermittelnde Position, indem er postulierte, daß „die Seele des Saamenthierchens ihr Baumeisteramt“ bei der „Evolution“ des in ihm vorgebildeten organisierten Körpers verrichte289 – eine übrigens mit der Wolffschen Metaphysik durchaus unvereinbare Behauptung,290 die Kratzenstein dadurch zu entschärfen trachtete, daß er die Einwirkung der Seele auf den Körper schlicht mit der prästabilierten Harmonie gleichsetzte: „so wird die 287
Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 52. – Die hier übernommene animalculistische Position bekräftigte Kratzenstein noch einmal 1748 in seiner Abhandlung von der Erzeugung der Würmer im menschlichen Cörper (Halle 1748, S. 43–50); dabei bekannte er sich schließlich sogar zur Theorie des emboîtements („systema involutionis“) und behauptete die Einschachtelung der ‚Saamenthierchen‘ bis hinauf zu Adam (ebd., S. 50). Allerdings äußerte er auch Vorbehalte gegen die hämatogene Samenlehre wie sie oben (S. 118f.) bei Wolff dargestellt wurde (vgl. Kratzenstein: Abhandlung von der Erzeugung der Würmer im menschlichen Cörper, S. 47–49). 288 „Foetus phantasiae est, quando asseritur, quod in semine lateant & involuti haereant homunciones, pygmaei humani.“ (Alberti: Introductio, S. 30) Zusammen mit der damals berüchtigten Wurmpathologie zählte Alberti die Theorie von den ‚Samenwürmchen‘ unter den physikalischen Aberglauben: „quare sub tali deductione hanc theoriam de vermibus addita quadam limitationes superstitioni medicae assignavimus.“ (Ders.: De superstitione medica. In: Ders.: Specimen, S. 142–202, hier S. 176); zu Albertis Aberglaubenskritik vgl. M. Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 357–364. 289 Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 52. 290 Wolff hatte beispielsweise in § 762 seiner Deutschen Metaphysik ausdrücklich erklärt, daß „die Würckung des Leibes und der Seele in einander der Natur zuwider“ sei (Wolff: Deutsche Metaphysik, S. 474).
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Wirckung derselben [der Seele, S.B.] in den Cörper vollkommen als ein Influxus idealis, welches eben so viel als Harmonia heissen soll, erkläret seyn.“291 Doch ging Kratzenstein trotz seiner ausdrücklichen Bezugnahme auf die prästabilierte Harmonie weiterhin von einer Wirkung der Seele in den Körper aus, die in der Stahl-Schule allgemein propagiert, von Leibniz und Wolff hingegen entschieden bestritten wurde. Auch andere Vertreter der Generation der ‚vernünftigen Ärzte‘ griffen Trembleys Entdeckung in der Folge auf, so Nicolai, der darin die Generatio aequivoca bewiesen sah, womit er also auf die von Wolff in seinem Postskriptum erwogene Lösung der Regeneration verfiel.292 Johann August Unzer erklärte dagegen die Polypen schlicht zu unbeseelten Tieren, weil ihm jede andere Lösung in metaphysischer Hinsicht widersinnig erschien.293 Krüger, der die beiden letzten Paragraphen seines Grundrisses eines neuen Lehrgebäudes der Arzneygelahrheit der Generationslehre widmete, sah sich durch die neu entdeckte Art der Fortpflanzung per Regeneration aufgerufen, „nicht leichte inskünfftige einen allgemeinen Satz für unwidersprechlich zu halten“294 und schloß seine Abhandlung mit dem Eingeständnis seiner Unwissenheit.295 2.3.2 Ein skeptisches Lehrgedicht über die Regeneration Ein poetisches Nachspiel fand Kratzensteins Schrift über die Regeneration des Polypen in Gestalt eines Lehrgedichts, das der hallesche Theologiestudent Christoph Gottfried Jacobi unter dem Titel Gedanken beim Polypus, aus dessen zerschnittenen Teilen andere erwachsen (1745) verfaßte.296 Jacobi dürfte Kratzenstein 291 292
Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 62. Vgl. Nicolai: Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe, S. 26f. In seiner zweiten Schrift (Nicolai: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber, S. 18–20) folgt er Maupertuis’ Darstellung der Polypenregeneration in der Vénus physique (1745). Zu Maupertuis’ (Re-)Generationslehre vgl. Michael H. Hoffheimer: Maupertuis and the Eighteenth-Century Critic of Preexistence. In: Journal of the History of Biology 15 (1982), S. 119–144; Vartanian: Trembley’s Polyp, passim. 293 Vgl. Johann August Unzer: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig 1771, S. 628f. 294 Krüger: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit, S. 70; vgl. dazu van Hoorn: Entwurf einer Psychophysiologie, S. 105–107. 295 Vgl. Krüger: Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit, S. 72. 296 Christoph Gottfried Jacobi: Gedanken beim Polypus, aus dessen zerschnittenen Teilen andere erwachsen [1745]. In: Hans Querner u. Ilse Jahn: Christoph Gottfried Jacobi und die Süßwasserpolypen des Abraham Trembley. Dorothea Kuhn zum 80. Geburtstag. Marburg 2003, S. 11–15 (Zitatnachweise nach dieser Ausgabe im folgenden direkt im Text unter Angabe der Verszählung); vgl. dazu im selben Band die Beiträge von Hans Querner: ‚Sagt belebte Philosophen ...‘ – ein bisher unveröffentlichtes Lehrgedicht von Christoph Gottfried Jacobi über die Entdeckung des Süßwasserpolypen durch Abraham Trembley (1740), S. 9–11 sowie von Ilse Jahn: Biologiegeschichtlicher Kommentar zum Gedicht über den Süßwasserpolypen und die Entstehung des Lebensbegriffes im 18. Jahrhundert, S. 31–56, 58–61. Querner ist entgangen, daß Jacobi das Gedicht einige Jahre später veröffentlicht hat. Es findet sich in Christoph Gottfried Jacobi: Geistliches Vergnügen, oder, verschiedene zur Ermunterung des
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schon auf der Wernigeroder Lateinschule gekannt haben, die beide offenbar mit Förderung des pietistisch gesinnten Grafen Christian Ernst besucht hatten.297 Im Jahr 1744 war Jacobi seinem ehemaligen Mitschüler Kratzenstein dann zum Studium an die Universität Halle gefolgt, wo er neben Theologie auch philosophische, physikalische und anatomische Vorlesungen hörte, so daß er neben Siegmund Jacob Baumgarten unter anderem auch Georg Friedrich Meier zu seinen Lehrern zählte.298 Unmittelbarer Anlaß für die Abfassung des Gedichts war, wie sich zeigen wird, das Erscheinen der erweiterten Ausgabe von Kratzensteins Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue, die neben der Fortsetzung des Beweises auch Christian Wolffs briefliche Abhandlung über die Regeneration sowie einen Kupferstich mit Abbildungen aus Abraham Trembleys Mémoires pour servir à l’histoire d’un genre de polypes d’eau douce, à bras en forme de cornes (1744) enthielt. Die intellektuelle Aufregung um die Regeneration des Polypen spielt Jacobi in seinem kunstvoll in trochäischen Tetrametern abgefaßten Lehrgedicht scherzhaft mit der Frage an: Wie hat ein so klein Geschöpfe grosse Selen aufgewekt, Um die Ursach einzusehn, um die Gründe auszusinnen Wie es doch zerschnitten lebt? Und wer wird den Preis gewinnen?299 (V. 50–52)
Das Unerhörte des biologischen Phänomens der ungeschlechtlichen Vermehrung per Regeneration wird im Gedicht folgendermaßen apostrophiert: Das ist eine Zeugungsart, so noch unbekant gewesen; So ist kein zerschnitnes Tier aufgelebet und genesen. (V. 39f.)
Tatsächlich reicht die Beschäftigung mit der Frage, was beim Zerschneiden von belebten – und je nach Theoriestand: beseelten – Tierkörpern passiert, weit hinter die von Jacobi skizzierte Traditionslinie neuzeitlicher Philosophie und Naturforschung zurück. In der christlichen Theologie hatte das auch nur vorübergehende Fortleben zerteilter Tierkörper immer schon Anlaß zu Spekulationen über die Tierseele gegeben, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob die an abgeGeistes auf gewisse Tage und Zeiten entworfene, und in eben der Ordnung gesamlete Gedichte. Leipzig und Quedlinburg 1752, S. 222–227. Unterschiede zwischen beiden Textfassungen werden im folgenden (abgesehen von orthographischen Varianten) vermerkt. Anders als in der Handschrift ist in der gedruckten Fassung das Entstehungsjahr des Gedichts nicht angegeben, dafür ist der Text im Druck nach inhaltlichen Sinnabschnitten in Strophen gegliedert (sie umfassen die Verse 1–12, 13–30, 31–34, 35–40, 41–52, 53–72). 297 Vgl. die beiden biographischen Artikel von Eduard Jacobs zu Jacobi und Kratzenstein in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 13 (1881), S. 573–575 bzw. Bd. 17 (1883), S. 57–61. 298 Vgl. Hans Querner: Leben und Wirken von Christoph Gottfried Jacobi (1724–1789). In: Querner u. Jahn: Jacobi und die Süßwasserpolypen des Abraham Trembley, S. 20–30, hier S. 22f., 25. 299 Der Druck von 1752 setzt: „Wie hat ein so klein Geschöpfe grosse Selen aufgewekt. / Hier die Ursach einzusehn, und die Gründe auszusinnen, / Wie es doch zerschnitten lebt? Und wer wird den Preis gewinnen?“
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trennten Körperteilen zu beobachtende Sensibilität bzw. Irritabilität (beispielsweise das Zucken eines abgeworfenen Eidechsenschwanzes) als Indiz für eine fortbestehende Seelenaktivität zu deuten sei. Noch aufdringlicher wurde diese Frage, sobald sich an Fragmenten eines Tierkörpers über solch ungerichtete Bewegungen hinaus ein komplexes Verhalten wie Flucht ausmachen ließ, konnte das doch als um so sichereres Indiz für die Gegenwart einer Tierseele in dem abgetrennten Körperteil gelten. Das dadurch aufgeworfene Problem der Teilbarkeit der Seele war theologisch natürlich von höchstem Interesse; nicht umsonst beschäftigten sich deshalb auch Augustinus und Thomas von Aquin mit den Seelen zerteilter Tiere. Augustinus schildert in seinem Dialog De quantitate animae, wie einst einer seiner Schüler mit einem Schreibgriffel einen Tausendfüßler (reptantem bestiolam multipedem, longum dico quendam vermiculum) in zwei Teile schnitt, die daraufhin zur Überraschung und zum Schrecken aller Zuschauer in entgegengesetzte Richtungen davonliefen.300 Bei genauerer Untersuchung wurde festgestellt, daß sich die beiden Teile des Tausendfüßlers in weitere Stücke zerschneiden ließen, an denen ebenfalls eigenständige Bewegungen zu beobachten waren, so daß Augustinus eingesteht, dies hätte ihn seinerzeit fast von der Körperlichkeit der Seele überzeugt. Im Lehrdialog, also mit dem Abstand mehrerer Jahre, transformiert er seine Überlegungen jedoch schlicht in die Frage, ob die Seele, wenn auch nicht selbst, so doch durch den Körper (per corpus) zerteilt werden könne.301 In der Literatur des 18. Jahrhunderts lebt das Beispiel des zerteilten Tausendfüßlers fort, so etwa in Brockes’ Betrachtung des Schlafs, in dem es als Analogie für das lebendige, zugleich aber konfuse und widerspruchsvolle Wesen des Traumes dient:302 Es lässet uns, von ihrem [der Träume, S.B.] leichten Wesen, St. Augustin ein artig Gleichniß lesen: Wie, wenn man einen Wurm, den, wegen vieler Füsse, Man Tausend-füsser nennt, In kleine Stücke theilet; Es recht verwunderlich, wie alles läufft und eilet, Wie jedes Stückgen flieht, bald hier, bald dahin rennt, Und doch nicht weiß, wohin. Denn alle sind Bis auf das erste Stück, woran der Kopff noch, blind. Indessen lauffen sie beständig hin und her, Als ob ein jedes Stück ein gantzes Würmgen wär: Dort rennet eins auf sechs, hier eins auf sieben Füssen, Wie sie der Zufall gab, und trägt am andern Ort Das Stückgen Leib und Seel, so sein ist, mit sich fort; Man siehet sie, sich fliehn, sich stossen und mit Hauffen 300
Vgl. Augustinus: De quantitate animae, 62–68 (cap. 31f.). Bereits Aristoteles (Historia animalium IV,7, 531b–532a) berichtet davon, daß die Teile entzweigeschnittener Wespen und Skolopender noch lange Zeit Lebensbewegungen aufweisen. 301 Augustinus: De quantitate animae, 68 (cap. 32). 302 Wolfram Mauser konnte die bei Brockes als „artig Gleichniß“ vom Tausendfüßler angespielte Stelle bei Augustinus nicht ausmachen; vgl. Wolfram Mauser: Bei ‚Betrachtung des Schlaffs‘ (1728) eröffnet sich Brockes ein Blick in die ‚Werkstatt der Seele‘ [erstmals 1998]. In: Ders.: Konzepte aufgeklärter Lebensführung, S. 275–300, hier S. 296, Anm. 56.
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Bald an- bald von einander lauffen. Nicht anders gehet es in unsrer Ruh Mit unsern Träumen zu: Scheint einer etwan erst manierlich, ordentlich, Gleich bricht er und zertheilet sich In tausend Grillen, welche fliegen, Sich sencken, sich begegnen, lauffen, stehn, Verworren durch einander gehn, So, daß nicht zwo geschickt sich wiederum zu fügen.303
Auch der heilige Thomas kannte Beispiele dafür, daß gewisse Tiere ihre Zerstückelung überleben und sich mitunter sogar regenerieren können.304 Da seine einschlägigen Überlegungen dazu in einem dezidiert anti-traduzianistischen Kontext stehen,305 führt er zur Lösung des theologischen Problems der Teilbarkeit der Seele eine Fallunterscheidung ein: Die Seelen vollkommener Tiere vermehren sich demnach nicht bei einer Zerteilung ihres Körpers, die Seelen unvollkommener Tiere hingegen schon. Genau genommen liege jedoch auch hier keine wirkliche Vermehrung der Seelen vor, sondern es seien in solchen Tieren, etwa in Ringelwürmern (in animalibus anulosis), bereits mehrere Seelen in potentia vorhanden, die in den abgetrennten Körperteilen bloß in actu kämen.306 Von den im 18. Jahrhundert angestellten Überlegungen zur Regeneration des Polypen unterscheidet sich diese Lösung vor allem dadurch, daß Thomas den potentiellen Seelen keine eigenen Körper zuweist, wie Réaumur und Wolff das mit ihren beseelten ‚Keimen‘ bzw. ‚Samentierchen‘ taten. Unter derart neuzeitlichem Vorzeichen betrachtet denn auch der Theologiestudent Jacobi die theologisch-philosophische Problematik der Tierseele. So hebt er in seinem launigen Lehrgedicht ausdrücklich hervor, daß Körper und Seele seit Leibniz’ Hypothese von der prästabilierten Harmonie in der Naturlehre stets in ihren korrespondierenden Veränderungen betrachtet würden: Warum gibt man auf den Körper, auf die Sele solche Acht? Wenn sich etwas hier bewegt, gleich wird dorten nachgesehen, Ob Veränderung erfolgt; ja man wil noch weiter gehen. Man verfolgt des Körpers Nerven, man durchschauet Haupt und Stirn, Stört das zarteste Gewebe, man durchforschet das Gehirn, Der so schnelle Lauf des Bluts, seine wohlgemischten Teile 303
Barthold Hinrich Brockes: Betrachtung des Schlafs, als eine Göttliche Wohlthat, bey dem 1728sten Jahres-Wechsel. In: Ders.: Irdisches Vergnügen in GOTT. 9 Theile. Th. 3: Verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit des Herrn Abts Genest nebst verschiedenen eigenen theils Physicalischen theils Moralischen Gedichten. 2. Aufl. Hamburg 1730 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)], S. 667– 692, hier S. 679f. 304 Vgl. etwa Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 119, art. 2; Ders.: Summa contra gentiles, lib. 2, cap. 89; Nachweise zu Thomas’ Aristoteles-Kommentar bei Mitterer: Die Zeugung der Organismen, S. 98f. 305 Vgl. Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, lib. 2, cap. 86. 306 Ebd., lib. 2, cap. 89. Zur Frage der Teilbarkeit der Tierseele bei Thomas vgl. Mitterer: Die Zeugung der Organismen, S. 106f.
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Werden ganz genau bemerkt. Daß man sich nicht übereile Wird die Probe wiederholet.307 (V. 14–21)
Diese gründliche Naturforschung gilt Jacobi als ebenso ergötzlich wie nützlich, wodurch sie – der Dichter wird es nicht ohne Ironie vermerkt haben – der horazischen Forderung des prodesse et delectare entspricht: Solte man sich nicht erfreun, Wenn man was besondres merket? Man sieht unverhoft was ein, Das bisher noch unbekant, das doch schon den Nuzzen zeiget, Der hernach daraus entsteht; Wunder wenn man da nicht schweiget? (V. 21–24)
Von den auf diese Weise gewonnenen neuen Erkenntnissen hebt Jacobi nach der Anführung Newtons und Musschenbroeks insbesondere Leeuwenhoeks Entdeckung der Spermatozoen und den durch das präformationistische Denken bewirkten Wandel in der Generationstheorie hervor, der den „gemeinen Wahn“, also die althergebrachten und gewöhnlich angenommenen Zeugungslehren, überwinde: Wunder, wenn ein Lowenhoek Viel von Samentiergens spricht, viel von der Erzeugung schreibet Und nicht beym gemeinen Wahn, wie gewöhnlich stehen bleibet? (V. 26–28)
An dieser Stelle, nach einer Exposition, die fast die Hälfte des Textes ausmacht, nimmt das Gedicht seine Wendung zu dem im Titel angezeigten Gegenstand, dem sich im Experiment regenerierenden Polypen. Auch durch die Regenerationsexperimente Trembleys und Réaumurs sieht Jacobi die Naturlehre der horazischen Forderung genügen: Und so solte Tremblei schweigen? Reaumür solte stille seyn? Bringt nicht auch was sie erfahren, Nuzzen und Vergnügen ein? Sie zerschneiden einen Wurm, seine Teile zu betrachten, Diese aber regen sich, als ob sie den Schnitt nicht achten; Jedem bleibt sein eigen Leben, das zerschnittne wird ersetzt, Aus dem einen werden viele; ieder ist als nie verlezt. (V. 29–34)
Die Regeneration des Polypen übertreffe damit noch die der mythischen Hydra, deren abgeschlagene Köpfe zwar nachwüchsen, sich selbst jedoch nicht zu einer Mehrzahl lebendiger Individuen ausbildeten: Ists doch, als wenn Herkules dort der Schlangen Kopf weghauet, Die sich dann an dessen stat einen andren schaft und bauet! Ja, noch mehr, das weggeschnitne wird hier selbsten so vermehrt, Daß ein ganzer Wurm sich zeiget. Würklich, das heist bald ernehrt! (V. 35–38)
Allzu simplen Erklärungen für diese erstaunliche Regenerationsleistung erteilt der Text eine Absage, so der Annahme einer Mehrzahl von Tieren in einem Leib: 307
Der Druck des Gedichts von 1752 setzt abweichend in Vers 17: „man durchsuchet Haupt und Stirn“.
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Sind es etwa solche Teile, ist der Wurm wol so gebaut, Daß man gleichsam viele Tiere an dem einen Leibe schaut, Die die blosse Haut verknüpft, die wenn diese aufgeschnitten, Auch so gleich für sich bestehn? Oder sieht man in der Mitten Einen Leib und viele Mäuler? Nein, man sieht nur einen Mund Und der Bauch ist wie bei andren mit dem langezognen Schlund Und Gedärmen angefült, nur der Kopf ist schön gezieret. Hand und Fus ist dran gepflanzt, die dis Tier so zierlich füret, Die es wegen ihrer Länge auf zwei Elen von sich streckt. (V. 41–49)
Hier zeigt sich deutlich, daß Jacobis Darstellung ganz dem Wissensstand der Kratzensteinschen Schrift verhaftet ist:308 Er spricht dem Polypen nicht allein Organe zu, die das Hohltier gar nicht besitzt, sondern er spielt auch nacheinander alle von Kratzenstein und Wolff im einzelnen diskutierten Fragen zur Regeneration durch, so die vermeintliche Teilbarkeit der Seele, ihre Baumeistertätigkeit am Körper und die Alternative von Influxus physicus und prästabilierter Harmonie: Kan man wol die Sele teilen? Und doch läst es sich so an; Oder kan man draus beweisen, daß sie Körper bauen kan? Sol es Vorbestimmung seyn, oder sol mans Einflus nennen? (V. 53–55)
In der Unsicherheit über die Art und Weise des Körper-Seele-Zusammenhangs deutet sich die Uneinigkeit innerhalb des Wolffianismus an, ob die Hypothese von der prästabilierten Harmonie conditio sine qua non der Wolffschen Systemphilosophie sei oder ob sie durch influxionistische Theorien ersetzt werden könne, wie dies prominent Gottsched und Reinbeck vorführten. Kratzenstein hatte, wie gesehen, zwischen Stahlschen und Wolffschen Lösungen der Regeneration – und damit des Commercium-Problems – geschwankt und eine Synthese dadurch versucht, daß er die Seele zur Baumeisterin ihres Körpers bei der Evolution des Samentierchens erklärte, was er als Influxus idealis aufgefaßt wissen wollte.309 Diese Synthese findet denn auch im Lehrgedicht ihren Niederschlag: Sind es kleine Samentiere, die ihr eigner Geist belebt, Der aus dem geteilten Gliede einen neuen Körper webt; Saget, ob sie so zerstreut, daß auch in dem kleinsten Teile Eins zurükke bleiben kan, das nach einer kurzen Weile
308
Jacobis Rekurs auf die Positionen Kratzensteins und Wolffs zur Polypenregeneration entgeht den Herausgebern seines Gedichts, die beide jeweils nur an einer Stelle auf Kratzenstein zu sprechen kommen; vgl. Querner: Leben und Wirken von Christoph Gottfried Jacobi, S. 22; Jahn: Biologiegeschichtlicher Kommentar zum Gedicht über den Süßwasserpolypen, S. 44 (dort fälschlich als Christian Gottlob Kratzenstein angeführt). Allem Anschein nach kennen sie – wenn überhaupt – nur die erste Fassung seines Beweises von 1743, nicht jedoch die hier maßgebliche erweiterte Ausgabe von 1745, obschon Jahn immerhin die nochmals erweiterte Ausgabe in den Physicalischen Briefen von 1746 zitiert – dies jedoch nur nach Goezes Trembley-Übersetzung von 1775 und offenbar ohne Kratzensteins Buch selbst zu Rate gezogen zu haben. 309 Vgl. oben S. 122.
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Seinen ganzen Leib erbauet? Hat man denn auch im Geblüt Solche Tiergens aufgeiagt, die es doch erst närt und zieht? 310 (V. 57–62)
Hier lassen sich gewisse Zweifel an der Vorstellung einer Zirkulation der Samentierchen im Geblüt heraushören, mittels deren Wolff die antike hämatogene Samenlehre mit der Lehre von der psychophysischen Präexistenz der Keime kurzgeschlossen hatte; insbesondere die Ungeschlechtlichkeit der Regeneration macht die Existenz entsprechender Samentierchen fraglich: Hat man gleich auf keine Art und auf kein Geschlecht gesehen; So sind doch aus iedem Wurm, womit der Versuch geschehen, Wieder andere entsprossen. (V. 63–65)
Der daraus resultierende Anti-Präformationismus bleibt jedoch verhalten; auch die spezielle Rolle, die Kratzenstein der Gerinnung des Nahrungssafts bei der Regeneration des Polypen zugewiesen hatte, scheint nicht recht befriedigend: Hat denn wol der Nahrungssaft, Der mit aus den Wunden dringet, ein Vermögen, eine Kraft? Ist er wol für sich geschikt sich so künstlich auszudehnen, Daß ein Haupt, ein Fus entsteht, wer verknüpft die zarten Sehnen? (V. 65–68)
All das sind Fragen, die Jacobis Staunen erregen und die ihm längst nicht erschöpfend beantwortet erscheinen; jedenfalls begegnet er Kratzensteins Lösungsvorschlag mit Skepsis und empfiehlt in den letzten Versen seines Gedichts, ein endgültiges Urteil über die Regeneration des Polypen aufzuschieben und statt dessen die Beobachtungen weiterer Naturforscher abzuwarten: Hier wird ia ein denkend Wesen, das sich seiner selbst bewust, Ia die Sele wird erfordert. Doch halt ein, verwegne Lust! Halt mit deinem Urteil ein! Die Erfahrung wird’s noch zeigen Und kein Kenner der Natur wird hiebei ganz stille schweigen. (V. 69–72)
Diese Skepsis bestimmt auch den ironischen Tenor des Gedichts, der schon in den Anfangszeilen deutlich wird, wenn „belebte“ Philosophen angerufen und um Zustimmung für den Weg experimenteller Naturforschung ersucht werden: Sagt, belebte Philosophen, sagt, ob uns nicht die Natur Schon so manches Ding entdekket? Findet man nicht hier die Spur Wie ein aufgeklärter Wiz was besondres ausgefunden, Das, da ers genau besehn, und mit andern wohl verbunden, Ganze Reihen von Begriffen ausgebessert, umgekehrt, Ja mit einer neuen Lehre unsre Wissenschaft vermehrt?311 (V. 1–6)
310 311
Der Druck des Gedichts von 1752 setzt in Vers 62 metrisch korrekt: „aufgejaget“. Im Druck von 1752 heißt es in Vers 3 leicht abweichend: „Wo ein aufgeklärter Wiz was besonders ausgefunden“.
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Natürlich stellt das Gedicht selbst ebenfalls ein Produkt jenes ‚aufgeklärten Witzes‘ dar, indem es die besagte Ausbesserung und Umkehrung der Begriffe in den Wissenschaften skeptisch begleitet. Durch die ironische Distanzierung von der Arbeit des Begriffs ist es dazu angetan, den Lesern – speziell natürlich Kratzenstein selbst als dem mutmaßlichen Adressaten – die durch die Polypenregeneration (vor allem im Hinblick auf die Natur der Seele) offenbleibenden Fragen vor Augen zu führen, womit es seinerseits eine zugleich vergnügliche und nützliche Wirkung entfalten soll. Eine solche Distanznahme zu den wissenschaftlichen Problemen der Generations- und Seelenlehre gestattet sich auch der Philosoph und Mediziner Johann Gottlob Krüger in seiner erstmals 1754, also schon in seiner Helmstedter Zeit erschienenen Sammlung Träume.
2.4 Krügers Träume von der Seele Die literarische Form der Traumerzählung ermöglichte Krüger Freiheiten, die er sich als Wissenschaftler sonst versagen mußte, wenn er es vermeiden wollte, durch allzu spielerische oder spekulative Gedanken bei seinen Fachlesern Anstoß zu erregen.312 Krügers Träume richteten sich an ein gebildetes oder zumindest bildungsbeflissenes, aber nicht notwendigerweise gelehrtes Publikum, das bereit war, sich auf artifizielle und zuweilen skurrile Gedankenexperimente einzulassen, sofern sie unterhaltsam präsentiert wurden. Den Erwartungen seiner Leser kam Krüger durch eine Vielzahl von Figuren, Themen und Formen entgegen und würzte seine heute überwiegend langatmig und konstruiert wirkenden Traumerzählungen durch exotische Schauplätze und Völkerschaften, spektakuläre Raumund Zeitreisen sowie durch ironische Brechungen der Erzählhaltung. Zudem versah er seine Sammlung mit einer traumtheoretischen Vorrede sowie mit einer kritischen Beurtheilung der Träume, die das Medium der Darstellung zugleich sachlich erläutern und ironisch wenden: So schließt die Vorrede mit dem Bekenntnis, die Träume seien eine Vermischung von Wahrheit und Irrtum,313 wohingegen die Beurtheilung augenzwinkernd die Authentizität und Ungekünsteltheit der Traumerzählungen verkündet.314 Die Seele und ihr Verhältnis zum Körper steht im Mittelpunkt zahlreicher Traumerzählungen Krügers, die auf unterhaltsame Weise die verschiedenen philosophischen und theologischen Modellvorstellungen vom Körper-Seele-Zusammen312
Wolfram Mauser erklärt die literarische Gattung des Traums in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum „Testfall für eine Einbildungskraft, die die Bereiche des Gewohnten überschreitet.“ (Mauser: Johann Gottlob Krügers Träume, S. 54) 313 Vgl. Krüger: Träume, Vorrede, o.S. 314 Vgl. ebd., Beurtheilung der Träume, o.S. Zur Authentizitätsfiktion in Krügers Träumen vgl. Hans-Walter Schmidt-Hannisa: Johann Gottlob Krügers geträumte Anthropologie. In: Zelle (Hg.): Vernünftige Ärzte, S. 156–171, hier S. 163.
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hang illustrieren sollen. Einander ablösende Protagonisten oder wechselnde Gesprächspartner des Ich-Erzählers dienen dazu, die verschiedenen Implikationen und Konsequenzen bestimmter theoretischer Ansätze vor Augen zu führen, so auch im 107. Traum (der Ausgabe von 1765), der seinen Ausgang von der Beobachtung eines offensichtlich unaufgeklärten und widervernünftigen Begriffs von der Seele des Menschen nimmt:315 Mir träumte, daß ich zu einem Menschen kam, welcher im Bette lag und mit vielen andern Leuten umgeben war. Macht nur das Fenster auf, rief eine Weibsperson, denn es ist aus, der gute Mann ist todt. Ach ja, schrie seine Frau, macht lieber zwey Fenster auf, daß die arme Seele hinaus kann, denn er war corpolent. Es kam mir sehr lächerlich vor, daß diese Frau ihren Mann nach dem Tode zum Fenster hinausweisen wollte, da sie sich doch ganz gut mit ihm vertragen, und solches also vermuthlich aus der guten Meynung that, daß sich die Seele nicht an den Kopf stossen möchte. (S. 387f.)
Die mit dem abergläubischen Verhalten verbundene ‚lächerliche‘ Vorstellung von der den Körper verlassenden Seele gibt dem Ich-Erzähler Anlaß, seine Gedanken dem anwesenden Geistlichen zu eröffnen, woraufhin sich ein kurzes Gespräch entspinnt: Ja, sagte er, die guten Leute wissen nicht, daß die Seele ein Geist ist, welcher durch verschlossene Thüren gehen kann. Ja wol, Herr Pastor, sagte ein junges Frauenzimmer; denn ein Geist hat nicht, wie ihr sehet, das ich habe. Sie wollen sagen, er hat nicht Fleisch und Bein; und darinn haben sie Recht; denn die Geister sind sehr subtil und durchdringen alles. (S. 388)
Daß die Vorstellung von der Subtilität der Geister nicht weniger naiv ist als die von der Körperlichkeit der Seele, erweist sich bei der Fortsetzung des Gesprächs im Garten, wo die Gesellschaft auf einen in tiefem Nachdenken versunkenen Philosophen trifft, der sich leicht als Wolffianer identifizieren läßt, weil er auf jede Frage eine Antwort aus der rationalen Psychologie Wolffs parat hat.316 Er tadelt die „Gewohnheit, die Seelen der Verstorbenen zu dem Fenster hinauszulassen“ unter Hinweis auf den Wolffschen Begriff des einfachen Dings: O, sagte der Philosoph, dieses ist eine grosse Narrheit, welche daher kömmt, daß man den Leuten nicht sagt, daß die Seele ein einfaches Ding ist, welches keine Länge, Breite und Dicke hat. (S. 388f.)
Da diese Bestimmung als bloß negativ von seinen Hörern kritisiert wird, legt er nach, indem er die Wolffsche Wesensbestimmung der Seele als vis repraesentativa vorbringt: „Damit sie also nicht denken, daß ich nichts bejahendes von der Seele sagen kann, so sage ich ihnen hiermit, daß die Seele eine Kraft hat, sich die Welt
315
Krüger: Träume, S. 387–393 (Der 107. Traum); Seitennachweise nach dieser Ausgabe im folgenden direkt im Text. 316 Vgl. zum folgenden das 5. Kapitel der Deutschen Metaphysik: Von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt sowie die einschlägigen Definitionen der Psychologia rationalis Wolffs.
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vorzustellen.“ (S. 389) Doch wird diese Aussage von seinem anonym bleibenden Gesprächspartner als trivial zurückgewiesen: Das heißt auf deutsch, fuhr der andere fort, die Seele kann denken. Daran zweifelt ohnedem kein Mensch, allein sie würden sich jedermann verbinden, wenn sie uns offenbareten, wie es die Seele machte, wenn sie denket. (Ebd.)
Diese Nachfrage pariert der wolffianische Philosoph dadurch, daß er statt des Wesens der Seele nun ihre Natur ins Spiel bringt: „Dieses fließt aus ihrer Natur, welche die Kraft ist, sich die Welt vorzustellen, und von keinem zusammengesetzten Dinge gesagt werden kann.“ (ebd.) Von hier aus verlagert sich das Gespräch auf die Frage, „warum ein zusammengesetztes Ding nicht eben so gut als ein einfaches sollte denken können?“ (ebd.) Hier stimmt dem Wolffianer der Geistliche eifrig bei, der die Unkörperlichkeit der Seele für eine Voraussetzung ihrer Unsterblichkeit hält: O dieses ist sehr leicht zu beweisen, erwiederte [!] der Philosoph, hören sie nur: Alle Veränderungen eines Körpers geschehen durch die Bewegung; nun können wir nicht begreifen, wie aus der Bewegung ein Gedanke entstehet, derowegen kann kein Körper denken. Ja wol, fiel ihm der Geistliche in die Rede, denn wenn die Seele körperlich wäre, so wäre sie ja nicht unsterblich; also wäre kein Himmel und keine Hölle, das wären ja recht atheistische Gedanken. (S. 389f.)
An dieser Stelle entbrennt ein hitziger Streit, der in Schimpfereien gipfelt, woraufhin sich ein bisher unbeteiligter Zuhörer in das Gespräch einmischt, der sich in der Folge als der ‚vernünftigste‘ in der Runde auszeichnet. Er weist auf die in der Sache selbst begründete Unmöglichkeit vernünftiger Begriffe von der Seele hin: Diese Seele, welche sich unternimmt von allem zu denken, ist unvermögend zu dem Gedanken von ihr selbst. Sie ist wie das Licht, welches alles sichtbar macht, das aber selbst nicht gesehen werden kann. Begriffe von dieser Art übersteigen die Grenzen der menschlichen Vernunft; und die Philosophen, welche sich bemühen uns die Geister zu schildern, machen entweder nur Pinselstriche ohne Farbe, oder sie verwandeln sich in Redner und werden den Mahlern ähnlich, die uns GOtt unter der Gestalt eines alten Mannes abbilden. (S. 390)
Begreiflicher wäre dagegen die Veranschaulichung der Seele in Comenius’ Orbis pictus, wo sie als ein den ganzen Körper erfüllendes ausgedehntes Wesen erscheint (vgl. Abb. 1): Warum waren sie [die Philosophen, S.B.] nicht lieber mit dem Bilde, welches Comenius in dem orbe picto abzeichnen lassen, zufrieden? da es doch ganz hübsch war, indem man ganz deutlich daraus begreifen könnte, wie die Seele den ganzen Leib durchdringe und belebe. Allein die vielen Puncte standen ihnen nicht an; sie fanden es für nöthig diese Sache ins kleine zu bringen, und die Seele in einen einzigen Punct zu verwandeln. Die wichtige Ursache, welche sie hierzu bewegte, war nichts geringers, als weil sie nicht begreifen konnten, wie viele Puncte dächten, gerade als wenn sie es besser begriffen, wie ein einziger denken könne. (S. 390f.)
131
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Abb. 1: Paul Creutzberger: Holzschnitt zu Comenius’ Orbis sensualium pictus Abschnitt XLII: Anima hominis. Die Seele des Menschen
, 1658,
Man dürfe sich aber nicht einreden lassen, „daß alles unmöglich sey, davon man die Entstehungsart nicht einsiehet“ (S. 391), denn es gebe genügend durch Erfahrung gesicherte Phänomene, deren Ursache man nicht angeben könne, wie etwa die Regeneration der Krebse und Polypen: Warum kann man aus einem Polypus mehrere verfertigen, wenn man ihn zerschneidet? Warum wachsen den Krebsen die Scheeren wieder, wenn man eine abgebrochen hat, und nicht den Husaren die Köpfe, wenn sie abgehauen sind? (S. 391f.)
Die Unsterblichkeit der Seele resultiere durchaus nicht aus ihrer Bestimmung als einfaches Ding, sondern sei ein Glaubenstatbestand der geoffenbarten Religion: Laßt es uns also nur gestehen, daß uns die Materialität der Seele so wenig Beweise ihrer Sterblichkeit, als ihre Immaterialität Beweise der Unsterblichkeit darbietet: sondern, daß wir diese Lehre ganz allein der Religion zu danken haben. (S. 393)
Die Körperlichkeit der Seele führt mithin nicht direkten Wegs in den Atheismus, wie der Geistliche zuvor ausgemalt hatte; sie widerspreche nicht einmal dem christlichen Unsterblichkeitsglauben: Die Gefahr, daß die Seele sterblich seyn würde, wenn sie ein zusammengesetzes Ding wäre, ist so gar groß nicht, wie man sie sich vorstellet: denn es kam ja bloß darauf an, ob GOtt es haben wollte, daß diese denkende Maschine [der menschliche Körper, S.B.] untergehen sollte; und ein jeder Christ wird diese Frage nach den Gründen der Religion durch Nein beantworten. (S. 392)
Dieser Argumentation kann auch der Geistliche freudig zustimmen, so daß am Ende des Traums der Streit um die Seele des Menschen beigelegt ist. Die Fiktion des Traums gestattet die Einführung einer Sphärentrennung zwischen Vernunft und Religion, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts durchaus nicht Realität war, denkt man etwa an die Empörung, die Krügers Freund und Kollege Meier mit seinen Gedancken vom Zustande der Seele nach dem Tode auslöste, in denen er den Beweis der Unsterblichkeit der Seele als ein unmögliches Ansinnen an die Vernunft aus der Philosophie ausschließen und ganz der Offenbarung anheimstellen wollte.317 Die Ausdehnung der Seele im ganzen Körper ist eine Gedankenfigur, die Krüger auch an anderen Stellen seiner Träume beschäftigt.318 Die Illustration aus dem Orbis pictus mag als Vorlage für einen Traum gedient haben, in dem der Ich-Erzähler die Seele eines Ochsen in ihrem Körper ausgebreitet erblickt:319 317 318
Vgl. dazu oben S. 101, Anm. 189. Yvonne Wübben weist darauf hin, daß Krüger auch in seinen physiologischen Schriften von einem materiellen Substrat der Seele ausgeht; vgl. Wübben: Aufklärungsanthropologien im Widerstreit, S. 12. 319 Vgl. Krüger: Träume, S. 226–229 (Der 63. Traum); vgl. dazu Wolfram Mauser: Anakreon als Therapie? Zur medizinisch-diätetischen Begründung der Rokokodichtung [erstmals 1988]. In: Ders.: Konzepte aufgeklärter Lebensführung, S. 301–329, hier S. 308f.; Schmidt-Hannisa: Johann Gottlob Krügers geträumte Anthropologie, S. 168.
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Der Ochse, welchen ich sahe, war ganz durchsichtig, und dieses setzte mich in den Stand, die ganz unbeschreibliche Menge der zartesten Gefässe zu erblicken, aus denen sein ganzer Leib mit einer erstaunenswürdigen Kunst zusammengesetzt war. Ich sahe alle Säfte in demselben herumlaufen, und erblickte die zuckenden Bewegungen aller Fäsergen. Ich untersuchte die Quelle davon, und fand sie in der Seele, welche ich nun abmahlen will, wenn es anders möglich ist etwas abzumahlen, das nicht gemahlt werden kann. Ein Strom der allersubtilsten Materie, welche ich mit nichts besser, als dem Lichte vergleichen kann, ob sie schon nichts weniger, als Licht war, hatte den ganzen Körper bis auf die kleinsten Fäsergen durchdrungen. (S. 227)
Die im Körper ausgebreitete Seele sorgt für dessen Sensibilität und Irritabilität, und im Gehirn als dem Ort des stärksten Glanzes erscheint sie als blitzender Punkt, in dem sich ein „Haufen künstlicher Gemählde“ erblicken läßt, „die aber nicht beständig blieben, sondern immer durch andere abgewechselt wurden.“ (S. 227f.) Diese „Gemählde“ in der Seele korrespondieren den „Bewegungen in dem Leibe des Ochsens, und ich bemerkte, daß es alsdenn an denen Orten sehr helle ward, welche sich bewegten.“ (S. 228) Der psychophysische Parallelismus wird schließlich dadurch unterbrochen, daß ein Fleischer den Ochsen mit einem Beile dergestalt vor den Kopf schlug, daß er zu Boden fiel. Bei dem Schlage gab der helle Funken im Gehirn ein recht blitzendes Licht von sich. In dem Augenblick aber ward er sehr dunkel [...] und nachdem das Gehirn kalt geworden, konnte ich ihn gar nicht mehr sehen. (S. 228)
Im zerlegten Körper bleibt aber auch nach dem Erlöschen des Bewußtseins eine Seelentätigkeit in Form von Irritabilität und Sensibilität erhalten: Es [das Licht, S.B.] blieb in den abgehauenen Stücken, und ein jeder Teil fühlte es, wenn er angerührt ward, und zog sich daher eben so zusammen, als wenn der Ochse noch ganz gewesen wäre. Nach und nach verlohr sich in den abgehauenen Stücken Fleisch alles Licht. Sie fühlten nichts mehr, sie zogen sich nicht mehr zusammen, der Umlauf der Säfte hörte auf, und sie wurden kalt. (S. 228f.)
Eine Anwendung auf die Seele des Menschen findet sich dann noch einmal in einem Traum, in dem sich der Ich-Erzähler vornimmt, beim Träumen auf seine eigene Seele achtzugeben, die sich ihm folgendermaßen darstellt:320 Sie war kein einfaches Ding, sie war auch kein Körper. [...] Genug es kam mir diese Seele fast so vor wie die Fixsterne, welche erscheinen, und denn wieder verschwinden, und von welchen einige Naturkündiger glauben, daß sie auf der einen Seite glänzen, und auf der andern dunkel sind. Ich sahe diese Seele mit der dunkeln Seite weit stärker in den Leib würken als mit der hellen. Die Bilder, welche sich auf dieser dunkeln Seite vorstellten, und beständig mit einander abwechselten [...] schienen aus dem Innersten der Seele so zu sagen hervorzuquillen. (S. 638)
Der Traum gestattet hier also die Unterscheidung zweier Seiten der Seele, deren eine in den Körper wirkt, während die andere offenbar die Bewußtseinsinhalte abbildet, jedenfalls bietet sich dem Träumer darauf sein eigenes Bild dar, was zur 320
Vgl. Krüger: Träume, S. 637–639 (Der 158. Traum); vgl. dazu Schmidt-Hannisa: Johann Gottlob Krügers geträumte Anthropologie, S. 170f.
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ironischen Brechung der Fiktion Anlaß gibt: „Ich erblickte darauf [auf der glänzenden Seite der Seele, S.B.] mein eigen Bildniß so klein, dabey aber so natürlich abgemahlt, daß ich recht darüber erschrack, und wünschte, daß ich einmal zu träumen aufhören möchte.“ (S. 638f.) Auch sein Verleger, der ihm daraufhin erscheint und ihm Wiegenlieder vorsingt, vermag diesen Schrecken nicht zu bannen; der Träumer erwacht und nimmt sich vor, sich „das beschwerliche Träumen vom Halse zu schaffen.“ (S. 638) Mit diesem Fiktionsbruch schloß die Erstausgabe der Träume denn auch konsequenterweise ab.321
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Vgl. Mauser: Johann Gottlob Krügers Träume, S. 57.
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3 Die Geburt der Ästhetik
Der ‚ganze Mensch‘ wurde im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts an der Universität Halle nicht nur als psychophysisches Doppelwesen ins Visier genommen, sondern auch entlang jener Trennungslinien gesucht, die von der rationalistischen Vermögenspsychologie zwischen den Erkenntnis- und Begehrungskräften sowie zwischen den oberen und unteren Seelenvermögen gezogen wurden. Diese von der Terminologie vorgegebenen Brechungen bestimmten das Bild vom Menschen nicht nur in den Wissenschaften vom Leben, sondern auch in der im Entstehen begriffenen Ästhetik. In jüngster Zeit ist die Forschung deshalb verstärkt dem Austausch zwischen hallescher Medizin und Ästhetik nachgegangen, der den Kreis der ‚vernünftigen Ärzte‘ beispielsweise zu ‚psychologischen Curen‘ oder ‚ästhetischen Therapien‘ inspirierte.1 Von anthropologiegeschichtlichem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Konzeption des ‚felix aestheticus‘, der Baumgarten zum Leitbild der ästhetischen Unterweisung dient. Baumgarten stellt den felix aestheticus als einen in all seinen Vermögen entwickelten Menschen vor und nimmt damit nach Ernst Cassirers Darstellung in gewisser Weise das spätaufklärerische Humanitätsideal und das Schillersche Programm der ästhetischen Erziehung des Menschen vorweg.2 Steffen W. Groß hat jüngst nachdrücklich betont, Baumgartens Ästhetik sei zu verstehen als Philosophie der ästhetischen Produktivität und der gestalterischen Kraft des Menschen. Sein felix aestheticus ist nicht der Künstler oder der Dichter in der engeren Bedeutung des jeweiligen Terminus, sondern der ganze Mensch in der höchst widersprüchlichen Ganzheit seiner Anlagen, Vermögen und Möglichkeiten. [...] Die Kunst stellt dabei nur einen möglichen Bereich, einen eher kleinen Ausschnitt aus dem weiten Feld dar, in dem sich die ästhetische Produktivität des Menschen manifestiert. [...] Die ‚Aesthetica‘ entstand als Reaktion auf ein erkenntnistheoretisches und im weiteren Sinne anthropologisches Problem.3
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Vgl. Johann Christian Bolten: Gedancken von psychologischen Curen. Halle 1751; dazu Zelle: Sinnlichkeit und Therapie, S. 16–24. So etwa Ernst Cassirer im letzten Abschnitt des Ästhetik-Kapitels seiner Philosophie der Aufklärung (1932). In: Ders.: Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe). Hg. v. Birgit Recki. Bd. 15: Die Philosophie der Aufklärung. Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz. Hamburg 2003, S. 367–371. Steffen W. Groß: Felix aestheticus. Die Ästhetik als Lehre vom Menschen. Zum 250. Jahrestag des Erscheinens von Alexander Gottlieb Baumgartens ‚Aesthetica‘. Würzburg 2001, S. 17. Leider erliegt Groß der Versuchung einer Aktualisierung des Baumgartenschen Ansatzes, wodurch er sich der Chance einer historisch relevanten Interpretation der Aesthetica begibt.
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Zu beachten ist, daß Baumgartens Konzeptualisierung der Ästhetik als Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis von grundlegenden systematischen Äquivokationen geprägt ist, die dafür sorgen, daß der felix aestheticus eigentümlich zwischen produktions- und rezeptionsästhetischen Kategorisierungen schwankt;4 Baumgarten hat solche Begriffsverwirrungen, wie Klaus Weimar herausgearbeitet hat, bewußt in Kauf genommen, um die Ästhetik aus der Wolffschen Philosophie heraus als eigenständige Disziplin entwickeln zu können.5 Nimmt man indes den felix aestheticus (unbeschadet seiner theorieimmanenten Funktion und Limitation) als anthropologisches Konzept in den Blick, dann zeichnen sich – wie schon in der Generationslehre – philosophische und theologische Prämissen ab, die dem im Entstehen begriffenen ästhetischen Denken die Richtung anweisen. In Hinblick auf die anthropologiegeschichtliche Fragestellung ist insbesondere der theologische Motivationshintergrund bei der Begründung der neuen Disziplin aufschlußreich. Denn hier liegen nicht allein die anthropologischen Wurzeln der philosophischen Ästhetik offen zutage, vielmehr zeichnet sich darin zugleich eine spezifische theologische Fundierung der Aufklärung insgesamt ab.
3.1 Föderaltheologische Anthropologie in Baumgartens Ästhetik Die Grundzüge der philosophischen Ästhetik hatte Baumgarten ebenso wie die Metaphysica noch in seiner halleschen Zeit ausgearbeitet, zunächst in den Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (1735), später auch in Kollegs.6 Hatten die Meditationes vorderhand nur eine philosophische Poetik auf der Grundlage des Wolffschen Rationalismus geboten, so weitete Baumgarten die
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Vgl. Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. München 1989, S. 72f. Vgl. ebd. Vgl. Groß: Felix aestheticus, S. 31; Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 12; Ferdinand Josef Schneider nennt das Jahr 1738 als terminus ante quem für Baumgartens Lehrveranstaltungen zur Ästhetik; vgl. Schneider: Das geistige Leben von Halle, S. 162f. Allerdings dürfte es sich bei den halleschen collegia privatissima vornehmlich um Lehrstunden zur Dichtkunst und noch nicht zur Ästhetik im weiteren Sinne gehandelt haben; vgl. Ludovici: Neueste Merckwürdigkeiten der Leibnitz-Wolffischen Weltweisheit, § 232, S. 360. Nichtsdestotrotz ist die Behauptung zu relativieren, Baumgarten habe in den fünf Jahren seiner halleschen Dozententätigkeit nicht über Ästhetik gelesen (so Bergmann: Die Begründung der deutschen Ästhetik, S. 20). Die Textgrundlage der später erschienenen Aesthetica kam allerdings nach eigener Auskunft erst aufgrund seiner Frankfurter Vorlesungen zur Ästhetik im Wintersemester 1742/43 zustande; vgl. die Praefatio zu: Alexander Gottlieb Baumgarten: Aesthetica. 2 Bde. Frankfurt a.d.O. 1750/58 [ND in einem Band Hildesheim, Zürich u. New York 1986], Bd. 1, o.S. sowie die kommentierte Bibliographie in A.G. Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. 226. Die Aesthetica liegt neuerdings in einer zweisprachigen Ausgabe vor: Alexander Gottlieb Baumgarten: Ästhetik (lat./dt.). Übers. u. hg. v. Dagmar Mirbach. 2 Bde. Hamburg 2007 (= Philosophische Bibliothek, 572a/b); neben der Paragraphenzählung wird im folgenden die Seitenzählung der (über beide Bände fortlaufend paginierten) Erstausgabe von 1750/58 angegeben.
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Ästhetik später zu einer Theorie der schönen Künste insgesamt aus.7 Sein eigentliches Hauptwerk, die Fragment gebliebene Aesthetica (1750/58) veröffentlichte er erst nach seinem Wechsel an die Viadrina. Baumgartens Ästhetik zeichnet sich durch ihren weiten erkenntnistheoretischen Ansatz aus, der darauf angelegt ist, die von der rationalistischen Vermögenspsychologie eher stiefmütterlich behandelten unteren Erkenntniskräfte des Menschen systematisch zu vermessen. Entsprechend umfassend definiert Baumgarten die Ästhetik als Lehre von der sinnlichen Erkenntnis oder „gnoseologia inferior“.8 Das breite gnoseologische Fundament ist von der philosophiegeschichtlichen Forschung immer schon als eigentümlich für die Baumgartensche Ästhetik erkannt worden,9 ebenso ihr Anspruch, zur Bildung des ‚ganzen Menschen‘ und damit zu einer neuen philosophischen Anthropologie beizutragen.10 Auch innerhalb der Literaturwissenschaft sind die wissenschaftsgeschichtlichen Grundlagen dieser Konzeption inzwischen ins Blickfeld gerückt. So ist im Rahmen der neueren anthropologiegeschichtlichen Forschung zur halleschen Medizinerschule der ‚vernünftigen Ärzte‘ wiederholt auf den Zusammenhang von ästhetischem und anthropologischem Denken hingewiesen worden, vornehmlich hinsichtlich der Rolle der Einbildungskraft und der Behandlung des Commercium-Problems.11 Der für die Zeugungslehre charakteristischen Verflechtung von Medizin, Theologie und Philosophie wurde in diesem Zusammenhang bislang jedoch nur ansatzweise nachgegangen. Dabei ist gerade für Baumgartens Aesthetica eine spezielle Vermittlung philosophischer und theologischer Anthropologie auszumachen, nämlich die Idee einer sukzessiven Vervollkommnung der menschlichen Natur.
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Vgl. Werner Strube: Die Entstehung der Ästhetik als einer wissenschaftlichen Disziplin. In: Scientia poetica 8 (2004), S. 1–30, hier S. 14–30. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 1, S. 1: „AESTHETICA (theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis) est scientia cognitionis sensitiuae.“ Zur Definition vgl. ausführlich Michael Jäger: Kommentierende Einführung in Baumgartens ‚Aesthetica‘. Zur entstehenden wissenschaftlichen Ästhetik des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Hildesheim u. New York 1980, S. 5–42. Zur älteren Forschung vgl. die Nachweise bei Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 47, Anm. 342; Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 5–11. Vgl. Ernst Cassirer: Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte [1916]. In: Ders.: Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe). Hg. v. Birgit Recki. Bd. 7. Text u. Anm. bearb. v. Reinold Schmücker. Hamburg 2001, S. 82 f.; Ders.: Die Philosophie der Aufklärung, S. 367f.; Hans Rudolf Schweizer: Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis. Eine Interpretation der ‚Aesthetica‘ A.G. Baumgartens mit teilweiser Wiedergabe des lateinischen Textes in deutscher Übersetzung. Basel u. Stuttgart 1973, S. 15. Vgl. etwa Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung, S. 115–134, 285–307; Zelle: Sinnlichkeit und Therapie; Ders.: Erfahrung, Ästhetik und mittleres Maß: Die Stellung von Unzer, Krüger und E.A. Nicolai in der anthropologischen Wende um 1750 (mit einem Exkurs über ein Lehrgedichtfragment Moses Mendelssohns). In: Jörn Steigerwald u. Daniela Watzke (Hg.): Reiz, Imagination, Aufmerksamkeit. Erregung und Steuerung von Einbildungskraft im klassischen Zeitalter (1680–1830). Würzburg 2003, S. 203–224.
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Wenn Baumgarten als Ziel der Ästhetik die Vervollkommnung (perfectio) der sinnlichen Erkenntnis benannte,12 dann folgte er damit gleichermaßen dem aufklärerischen Programm einer Perfektibilisierung der menschlichen Erkenntnis, für das vor allem die Philosophie Christian Wolffs stand,13 wie auch dem Menschenbild der föderaltheologischen Anthropologie, die sich im Luthertum seit Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend durchgesetzt hatte.14 Baumgartens Anleihen bei der 12
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A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 14, S. 6: „Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitiuae [...].“ Auf die Doppelbedeutung von ‚perfectio‘ bei Baumgarten als ‚Vollkommenheit‘ und als ‚Vervollkommnung‘ hat Alfred Baeumler nachdrücklich aufmerksam gemacht; vgl. Alfred Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft [erstmals 1923 u.d.T.: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik. Bd. 1]. 2., durchges. Aufl. Darmstadt 1967, S. 114, Anm. 1; vgl. auch Hans-Georg Peters: Studien über die Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten unter besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zum Ethischen. Berlin 1934, S. 14. Wie Armand Nivelle bemerkt, hatte bereits Braitmaier in seiner Paraphrase dieses Paragraphen das Wort „perfectio“ auf zwei verschiedene Weisen übersetzt; vgl. Armand Nivelle: Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik [Neubearbeitung von: Les théories esthétiques en Allemagne de Baumgarten à Kant, 1955]. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin u. New York 1971, S. 19. Und zwar folgendermaßen: „Zweck der Ästhetik ist die Vervollkommnung der sinnlichen Erkenntnis als solcher [...]. Die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis nun heißt Schönheit.“ (Friedrich Braitmaier: Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing. 2 Bde. Frauenfeld 1888/89 [ND in einem Band Hildesheim u. New York 1972], Bd. 2, S. 23 [Hervorh. S.B.]) – Sehr erhellend ist es in diesem Zusammenhang, daß Baumgarten im ersten Paragraphen der von Poppe edierten Kollegnachschrift das Gebot der ‚Vervollkommnung‘ der sinnlichen Erkenntnis unmißverständlich zu einem Implikat seiner Definition der Ästhetik erklärt: „Man könnte vielleicht noch eins und das andere wider unsere Erklärung einwenden; man könnte sagen, warum man nicht perficiendae zur Definition hinzugesetzet hätte. Allein die wenigen Kennzeichen bestimmen einmal schon alles zum hinlänglichen Unterschiede, und dann liegt das schon darinnen, weil alle Wissenschaft meine Kenntnis vollkommener macht.“ (Alexander Gottlieb Baumgarten: [Kollegnachschrift einer Ästhetikvorlesung]. In: Bernhard Poppe: Alexander Gottlieb Baumgarten. Seine Bedeutung und Stellung in der Leibniz-Wolffischen Philosophie und seine Beziehungen zu Kant. Nebst Veröffentlichung einer bisher unbekannten Handschrift der Ästhetik Baumgartens. Borna u. Leipzig 1907, S. 59– 258, hier § 1, S. 71; dieser Paragraph findet sich auch in Alexander Gottlieb Baumgarten: Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Übers. u. hg. v. Hans Rudolf Schweizer. Hamburg 1983 [= Philosophische Bibliothek, 351], S. 79–83, hier S. 82f.) Friedhelm Solms spricht im Hinblick auf die perfectio zwar von einem „Prozeßcharakter der sensitiven Erkenntnis auf das Ziel einer Vervollkommnung hin“, ohne aber den ethischen und religiösen Motivationshintergrund dieses Ziels zu erkennen (Friedhelm Solms: Disciplina aesthetica. Zur Frühgeschichte der ästhetischen Theorie bei Baumgarten und Herder. Stuttgart 1990 [= Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, 45], S. 60). Der Wolffianer Bilfinger, der die wissenschaftliche Erforschung der unteren Erkenntnisvermögen in § 268 seiner Dilucidationes zuerst angeregt hat, handelt dort ausdrücklich von der „Perfectibilitas facultatum“; vgl. Bilfinger: Dilucidationes philosophicae, S. 254. Auf genau diesen Paragraphen verweist Baumgarten in seiner Aesthetica; vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 11, S 4. Zum Perfektibilitätsdenken der Aufklärung vgl. Gottfried Hornig: Perfektibilität. Eine Untersuchung zur Geschichte und Bedeutung dieses Begriffs in der deutschsprachigen Literatur. In: Archiv für Begriffsgeschichte 24 (1980), S. 221–257 sowie: Ders.: Art. Perfektibilität. In: HWPh, Bd. 7, Sp. 241–244. Zur Föderaltheologie allgemein vgl. Anselm Schubert: Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung. Göttingen 2002 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 84), S. 124–172; Gottlob Schrenk: Gottesreich und Bund im äl-
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Föderaltheologie sind am deutlichsten in seiner Dogmatikvorlesung formuliert,15 sie spielen jedoch unverkennbar auch in seine Grundlegung der Ästhetik hinein, durchschlagend vor allem in der Frankfurter Zeit. Die Bedeutung der föderaltheologischen Anthropologie für Baumgartens Denken dürfte mit seinem Wechsel nach Frankfurt sogar noch gewachsen sein, denn die Föderaltheologie stammt ursprünglich aus der reformierten Theologie, und die Viadrina war seit dem 17. Jahrhundert eine calvinistisch-lutherische Mischuniversität, d.h. die Professuren der theologischen Fakultät waren paritätisch mit Lutheranern und Reformierten besetzt.16 Allerdings ist jüngst gezeigt worden, wie stark die Theologie Siegmund Jacob Baumgartens, der ausschließlich in Halle wirkte und zu dessen Hörern der jüngere Bruder zählte,17 ebenfalls dem Menschenbild der Föderaltheologie verpflichtet ist und es mit dem aufklärerischen Programm einer moralischen und erkenntnismäßigen Besserung des Menschen verbindet.18 In der Dogmatik des älteren Baumgarten amalgamieren sich aufklärerische, lutherisch-orthodoxe und föderaltheologische Inhalte.19
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teren Protestantismus vornehmlich bei Johannes Coccejus. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus und der heilsgeschichtlichen Theologie. Gießen u. Basel 1985 [ND der Ausg. Gütersloh 1923] (= Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2), S. 82–126. Vgl. A.G. Baumgarten: Praelectiones theologiae dogmaticae, §§ 304–311, S. 179–183. – Die Forschung hat, soweit ich sehe, Baumgartens Dogmatik bislang völlig ignoriert, das gilt sogar für Autoren, die seine Ästhetik aus religionsgeschichtlicher Perspektive untersuchen wie Petra Bahr und Wilhelm-Ludwig Federlin; vgl. Petra Bahr: Darstellung des Undarstellbaren. Religionstheoretische Studien zum Darstellungsbegriff bei A.G. Baumgarten und I. Kant. Tübingen 2004; Wilhelm-Ludwig Federlin: Kirchliche Volksbildung und bürgerliche Gesellschaft. Studien zu Thomas Abbt, Alexander Gottlieb Baumgarten, Johann David Heilmann, Johann Gottfried Herder, Johann Georg Müller und Johannes von Müller. Frankfurt a.M. u.a. 1993 (= Theion, 1). Federlin fragt in bezug auf die unter Baumgartens Namen erschienenen theologischen Schriften sogar, ob nicht „die beiden Baumgartenbrüder an dieser Stelle verwechselt“ worden seien (ebd., S. 62, Anm. 11). Solche Zweifel behebt inzwischen die kommentierte Baumgarten-Bibliographie von Ursula Niggli (In: A.G. Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. 217–250, hier S. 224, 228), die auch Angaben zur Überlieferung der Texte bietet. Vgl. Albrecht Beutel: Aufklärung in Deutschland. Göttingen 2006 (= Die Kirche in ihrer Geschichte, 4, Lfg. O2), S. 271; Gerd Heinrich: Art. Frankfurt an der Oder, Universität. In: Theologische Realenzyklopädie. Hg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller. Bd. 11. Berlin u. New York 1983, S. 335–342, hier S. 339; Günter Mühlpfordt: Die Oder-Universität 1506– 1811. Eine deutsche Hochschule in der Geschichte Brandenburg-Preußens und der europäischen Wissenschaft. In: Günther Haase u. Joachim Winkler (Hg.): Die Oder-Universität Frankfurt. Beiträge zu ihrer Geschichte. Weimar 1983, S. 19–72, hier S. 48. Vgl. Meier: Alexander Gottlieb Baumgartens Leben, S. 11. Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 161–169. Vgl. ebd., S. 161: „In Baumgartens Glaubenslehre vereinigen sich in kaum unterscheidbarer Weise lutherische Urstandslehre, föderaltheologischer Perfektibilitätsgedanke und Wolffianische Vervollkommnungsidee.“
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Bekannt ist die Föderaltheologie vor allem durch ihre Auslegung der Heilsgeschichte als Abfolge von Bundesschlüssen Gottes mit den Menschen.20 Einer ihrer wichtigsten Vermittler im Luthertum war der mit Spener in regem Kontakt stehende Naturrechtslehrer und Theologe Samuel von Pufendorf,21 und über Spener scheint die Föderaltheologie schließlich in den halleschen Pietismus Eingang gefunden zu haben.22 In der Forschung hat das dazu geführt, daß jene neue, von der Föderaltheologie bereitgestellte Anthropologie vornehmlich als Produkt des naturrechtlichen Denkens in den Blick genommen wurde.23 Und obschon zugleich „eine bedeutende theologische Vorgeschichte“24 der Ästhetik supponiert wird, ist der Föderaltheologie selbst in diesem Kontext noch keine Aufmerksamkeit zuteil geworden. So bleibt insbesondere rätselhaft, warum die föderaltheologische Anthropologie in Hans-Georg Kempers groß angelegter Studie zu Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß (1981) keine Erwähnung findet, ist sie doch unter dem Gesichtspunkt der wiederherzustellenden Gottebenbildlichkeit des Menschen von ganz entscheidender Bedeutung.25 Im vorliegenden Zusammenhang kommt es allein auf die der Föderaltheologie zugrunde liegende Anthropologie an, die der lutherischen Orthodoxie ein neues Menschenbild vermittelte, das sich im 18. Jahrhundert zunehmend durchsetzte.26 Die föderaltheologische Anthropologie gründet sich auf eine eigenwillige Inter20
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Johannes Coccejus, der Begründer der Föderaltheologie, gilt dementsprechend als „der erste Vertreter eines heilsgeschichtlichen Aufrisses des Ganzen der Theologie.“ (Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1, S. 243). Vgl. Detlef Döring: Pufendorf-Studien. Beiträge zur Biographie Samuel von Pufendorfs und zu seiner Entwicklung als Historiker und theologischer Schriftsteller. Berlin 1992 (= Historische Forschungen, 49), S. 67–69, 91–92, 111. Spener hielt auch die Leichenpredigt Pufendorfs; vgl. ebd., S. 69. – An die Föderaltheologie knüpft Pufendorf in seinem nachgelassenen Jus feciale Divinum (1695) an; vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 148–152. Bereits 1672 hatte er mit De jure naturae et gentium der theologischen Imputationslehre rechtsphilosophisch den Boden entzogen, womit er theologiegeschichtlich zum Verfall der Erbsündenlehre beitrug; vgl. ebd., S. 201–204. Die Nähe des älteren halleschen Pietismus (Anton, Breithaupt, Francke, Lange) zur Föderaltheologie konstatiert bereits Schrenk: Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus, S. 308f. Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 6,1, S. 192; Vollhardt: Zwischen pragmatischer Alltagsethik und ästhetischer Erziehung; Ders.: Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2001 (= Communicatio, 26). So Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 6,1, S. 216. Das gleiche gilt für Darstellungen zur Geschichte des Bildungsbegriffs, die zwar gelegentlich dessen Abkunft vom Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen vermerken, dabei die föderaltheologische Anthropologie jedoch unbeachtet lassen; vgl. etwa Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. 2. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1994, S. 103–109; Hans Schilling: Bildung als Gottesbildlichkeit. Eine motivgeschichtliche Studie zum Bildungsbegriff. Freiburg i.Br. 1961 (= Grundfragen der Pädagogik, 15), S. 49–112. Die folgende Darstellung schließt an die Ergebnisse von Anselm Schuberts exzellenter Studie zur föderaltheologischen Anthropologie an; vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, bes. S. 107– 172.
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pretation der biblischen Paradieserzählung als Geschichte eines durch den Sündenfall scheiternden Werkbundes (foedus operum) Gottes mit Adam. Theologiegeschichtlicher Hintergrund dieser Interpretation ist die von der Reformation vorgebrachte Kritik an der traditionellen Urstandslehre: Die spätmittelalterliche Theologie hatte Adam zusätzlich zu seiner natürlichen Gottebenbildlichkeit mit einer übernatürlichen Gnadengabe ausgestattet gesehen, die unter anderem in Gerechtigkeit, Unsterblichkeit und Weisheit bestanden haben soll und die ihm durch den Fall verlorenging, so daß sich die Menschen seither zwar noch ihrer Gottebenbildlichkeit, aber keiner Urstandsgerechtigkeit mehr erfreuten.27 Luther hatte dem energisch widersprochen, indem er die Urstandsgerechtigkeit Adams mit der Gottebenbildlichkeit identifizierte und somit beide durch den Sündenfall verloren sah.28 In diesem Sinne galt der Verlust der Gottebenbildlichkeit in der lutherischen Orthodoxie als tiefgreifende Zerrüttung der menschlichen Natur, die nach dem Sündenfall ganz und gar verworfen und allein zum Bösen geneigt sei. Grundsätzlich anders sah die Föderaltheologie die Natur des Menschen, nämlich als ein auf Vervollkommnung angelegtes Potential. Sie stimmte dementsprechend die traditionell unterstellte Urstandsvollkommenheit Adams herab zu einer bloßen Fähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung seiner selbst (durch den Beistand göttlicher Gnade),29 die durch den Sündenfall nicht verlorenging, sondern im Sinne einer prozessualen Perfektibilität des Menschen erhalten blieb.30 Damit wurde die Gottebenbildlichkeit von einer statischen in eine dynamische Konzeption überführt.31 Seit Ende des 17. Jahrhunderts verbreitete sich diese Lehre über die Grenzen der reformierten Theologie hinaus, und so findet sich nach den Worten Anselm Schuberts „der in der späteren Aufklärungstheologie und -philosophie allgegenwärtige Topos von der sukzessiven Vervollkommnung des Menschen durch Gottes Gnade und stete Übung in der Tugend seit Budde auch in den Entwürfen der lutherischen Theologen.“32 Schließlich konnte sich die von der föderaltheologischen Anthropologie ausgehende Dynamisierung der Gottebenbildlichkeit des Menschen ganz zwanglos mit der aufklärerischen Idee einer Perfektibilität der menschlichen Natur verbinden: Da nämlich der Föderaltheologie zufolge die Natur des Menschen infolge des Sündenfalls zwar zerrüttet, die imago Dei aber nicht gänzlich zerstört 27
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Diese Konzeption gründete sich auf die eigentümliche Begriffsdopplung in der Vulgata (Gen. 1,26), wo die Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht allein als „imago“ sondern auch als „similitudo“ bezeichnet wird; vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 33f.; Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens, Teil 1, S. 411f.; Althaus: Die christliche Wahrheit, S. 338; Weber: Grundlagen der Dogmatik, Bd. 1, S. 615–629. Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 34f., 110; Ebeling: Lutherstudien II, Teil 3, S. 98–105; Althaus: Die christliche Wahrheit, S. 338; Weber: Grundlagen der Dogmatik, Bd. 1, S. 625. Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 227: „Der Mensch ist nicht von einem vollkommenen Status herabgestürzt, sondern muß sich vor wie nach dem Sündenfall sukzessive der Vollkommenheit erst annähern, um darin seine Bundesverpflichtung vor Gott zu erfüllen.“ Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 124–137. Vgl. ebd., S. 173. Ebd., S. 160; vgl. auch Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 2, S. 326.
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sein sollte, wie Luther es gewollt hatte,33 war eine Verbesserung oder Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis- und Begehrungskräfte denkbar, durch die sich die Gottebenbildlichkeit wiedergewinnen ließe – sei es mit oder ohne göttlichen Beistand.34 Die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit blieb demnach dem Menschen als Entwicklungsziel seines Lebens wie auch der Menschheitsgeschichte als ganzer aufgegeben.35 Nur vor diesem Hintergrund ist Baumgartens Auseinandersetzung mit dem Einwand zu verstehen, man dürfe die unteren Erkenntnisvermögen, deren Theorie und Schulung sich die Ästhetik widmen sollte, nicht durch eine entsprechende Ausbildung anreizen und stärken.36 In den Prolegomena zu seiner Aesthetica macht er gegen diesen Vorbehalt geltend, die Sinnlichkeit müsse zwar beherrscht, aber nicht unterdrückt werden; zu ihrer Lenkung empfehle sich gerade die Ästhetik, da sie (als rational kontrollierte Wissenschaft) den unteren Erkenntniskräften die richtige Richtung anweisen und sie so vor weiterer Verderbnis bewahren könne.37 33
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Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 34f.; Heinrich Köster: Urstand, Fall und Erbsünde. Von der Reformation bis zur Gegenwart. Freiburg i.Br. u.a. 1982, S. 6f.; Julius Gross: Geschichte des Erbsündendogmas. Ein Beitrag zur Geschichte des Problems vom Ursprung des Übels. Bd. 4: Entwicklungsgeschichte des Erbsündendogmas seit der Reformation. München u. Basel 1972, S. 35. Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 164f. Insofern ist das föderaltheologische Gebot der menschlichen Selbstvervollkommnung mit der lutherischen Anthropologie unvereinbar. Darin trifft es sich mit dem aus dem Naturrecht abgeleiteten aufklärerischen Perfektibilitätsstreben; vgl. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 1, S. 261. Vgl. dazu auch unten S. 148. Vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 125; A.G. Baumgarten: Praelectiones theologiae dogmaticae, § 383, S. 225f. Daß es sich bei diesem vorweggenommenen Einwand um ein durchaus geläufiges Argument gegen das Programm der neuen Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis handelte, belegt beispielsweise Theodor Johann Quistorps Unterstellung, nach den Lehrsätzen von Baumgartens Meditationes (1735) müsse „der Liebhaber der Poesie sich eine Fertigkeit in dunklen und verwirrten Vorstellungen, und in Erregung der Affecten erwerben“, was ihn „gar leichtlich mit seinem Verstande und Willen unter die Herrschaft der Sinnen, der Einbildungskraft und der Affecten bringen“ könne: „Darinn bestehet aber eben die sittliche Sklaverey; die Sklaverey des Willens.“ (Theodor Johann Quistorp: Erweis, daß die Poesie schon für sich selbst ihre Liebhaber leichtlich unglückselig machen könne. In: Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste 1 [1745], 5. Stück, S. 433–452, hier S. 445f., hier zit. nach dem Abdruck in Georg Friedrich Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen. 3 Bde. Hg. v. Hans-Joachim Kertscher u. Günter Schenk. Halle 1999–2002 [= Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte: Texte und Dokumente], Bd. 2: Der ‚kleine Dichterkrieg‘ zwischen Halle und Leipzig, S. 20–32). „Facultates inferiores, caro, debellandae potius sunt, quam excitandae et confirmandae. Rsp. a) Imperium in facultates inferiores poscitur, non tyrannis. b) Ad hoc, quatenus naturaliter impetrari potest, manu quasi ducet aesthetica. c) Facultates inferiores non, quatenus corruptae sunt, excitandae confirmandaeque sunt aestheticis, sed iisdem dirigendae, ne sinistris exercitiis magis corrumpantur, aut pigro vitandi abusus praetextu tollatur vsus concessi diuinitus talenti.“ (A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 12, S. 5) Bereits 1746 hatte sein Bruder eine ganz ähnliche Rehabilitierung der schönen Wissenschaften in seiner Vorrede zu Samuel Gotthold Langes Oden Davids unternommen; vgl. Siegmund Jacob Baumgarten: Vorrede. In: Samuel Gotthold Lange: Oden Davids oder poetische Uebersetzung der Psalmen. 4 Theile. Halle 1746, Th. 1,
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Auf welches Menschenbild er damit rekurrierte, geht aus der Erläuterung des entsprechenden Paragraphen der Aesthetica in Baumgartens Kolleg mit wünschenswerter Klarheit hervor: Man sagt, in der Schrift wird befohlen, das Fleisch, das ist die verderbten Untererkenntniskräfte der Seele, zu kreuzigen und gar nicht auszubessern. Allein man vermischt hier Unterdrückung des Sündlichen, was in ihnen ist, mit der gänzlichen Ausrottung des Sinnlichen. Das letzte hieße die menschliche Natur ablegen wollen, und das fordert die christliche Religion nie; sondern sie will nur, wir sollen über diese verworrene Kenntnis herrschen. Die Ästhetik verstärkt überdem die sinnlichen Begierden nicht, sondern sie trägt vielmehr zum Vorteile der Gottesfurcht das Ihrige bei. Sie lehrt uns Gedanken als häßlich verabscheuen, wenn sie ihr zuwider sind. Sagt man, zur Gottesfurcht muß ich übernatürlicherweise zubereitet werden und nicht durch Künste, so bedenkt man nicht genug, daß einige Grade der Besserung durch menschliche Künste gezwungen werden können und nicht übernatürlich geschehen. Da wir überdem noch Überbleibsel des göttlichen Ebenbildes in dieser Kenntnis haben, so können wir sie durch die Ästhetik deutlicher auseinandersetzen und näher erkennen.38
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o.S.; vgl. dazu Wolfgang Martens: Hallescher Pietismus und schöne Literatur. In: Ders.: Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung. Tübingen 1989, S. 76–181, hier S. 160–166; Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 6,1, S. 159f. – Armand Nivelle verkennt den theologischen und moralphilosophischen Hintergrund, vor dem die Prolegomena zur Aesthetica stehen und bescheinigt Baumgarten dementsprechend „Inkonsequenz“ und „Irrwege“ bei der Begründung der Ästhetik (Nivelle: Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik, S. 17). A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 12, S. 78f. Petra Bahr, die dieses Zitat immerhin als Beleg für die „religionstheoretischen Implikate“ von Baumgartens Ästhetik anführt, verkennt den hier vorliegenden Begründungszusammenhang völlig, weil sie die in Rede stehende „Besserung durch menschliche Künste“ fehlinterpretiert: „Die Passage deutet mehr an als daß sie ausführt, was als eine der theologieträchtigen Folgewirkungen seiner [Baumgartens, S.B.] Theorie der repraesentiones sensitiva [sic!] erfolgt [...]. Was Baumgarten unter den ‚Künsten‘ versteht, die da zu den Trägern der Ebenbildlichkeit werden, gehört zu den grundlegenden Fragen, die geklärt werden müssen, um dem Relief seiner Darstellungstheorie scharfe Konturen zu verleihen.“ (Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 22f.) Dabei kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß hier nicht von irgendwelchen ‚Künsten‘ die Rede ist (und schon gar nicht als „Trägern der Ebenbildlichkeit“), sondern von denjenigen philosophischen Disziplinen, die auf die Verbesserung bzw. Vervollkommnung der Erkenntnis- und Begehrungskräfte des Menschen zielen und damit auf die Wiederherstellung seiner Gottebenbildlichkeit. Auch der Kontext des Zitats gibt hinlänglich Aufschluß darüber, daß Baumgarten hier speziell auf seine ‚Kunstlehre der Ästhetik‘ abhebt (‚ars aesthetica‘ ist seine Parallelbildung zur ‚ars logica‘), deren Legitimierung die Prolegomena der Aesthetica ja ganz überwiegend (§§ 5–12) gewidmet sind; schließlich heißt es in der Kollegnachschrift nur wenige Zeilen zuvor: „Wie sich die Logik als Kunst zur Logik als Wissenschaft verhält, so verhält sich die Ästhetik als Kunst zur Ästhetik als Wissenschaft.“ (A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 10, S. 78 [Hervorh. S.B.]) – Wilhelm-Ludwig Federlin bringt das Zitat, um Baumgartens Ästhetik „eine erkenntniskritische und eine theologiekritische Komponente“ nachzuweisen: „Letztere besteht darin, den schöpfungsgemäßen Naturzustand des Menschen, seine leibhafte Existenz und Sinnlichkeit, die das Dogma von der Erbsünde und der Verwerflichkeit der Sinnlichkeit gefangen genommen, unterdrückt und verdorben hat, wiederherzustellen.“ (Federlin: Kirchliche Volksbildung und bürgerliche Gesellschaft, S. 87f.) Diesem Befund ist entgegenzuhalten, daß die bei Baumgarten als Konsequenz der föderaltheologischen Anthropologie geforderte Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit keineswegs per se theologiekritisch ist, vielmehr stellt sie eine durch und durch theologieimmanente Kritik der lutherischen Orthodoxie dar.
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Die imago Dei ist demzufolge dem Menschen durch den Sündenfall nicht gänzlich abhanden gekommen, sie bekundet sich vielmehr durch gewisse „Überbleibsel“,39 die selbst „in dieser Kenntnis“, das heißt in der verworrenen sinnlichen Erkenntnis vorhanden sind. Baumgarten duldet es deshalb nicht, die Sinnlichkeit schlechthin zu verdammen; sie gehört für ihn zur Natur des Menschen, die als solche zwar verdorben ist, es aber – entgegen der orthodox-lutherischen Auffassung – nicht dauerhaft bleiben muß.40 Ganz im Sinne der föderaltheologischen Anthropologie ist es deshalb gesprochen, wenn Baumgarten die Bereitung des Menschen zur Gottesfurcht nicht allein einem übernatürlichen Gnadenakt anheimgestellt sein lassen will, wie es der lutherischen Rechtfertigungslehre entspräche, sondern zugleich eine „Besserung durch menschliche Künste“ fordert.41 In der Philosophie waren für die ‚Verbesserung der Seele‘ traditionellerweise die Disziplinen der Ethik und der Logik zuständig, denen die methodische Besserung des Willens bzw. des Verstandes oblag. Als entscheidend wurde in der Regel die Verbesserung des Verstandes durch die Logik oder Instrumentalphilosophie angesehen, galt doch der Wille gemeinhin als abhängig von den Vorstellungen des Verstandes. Zwar pochten in Halle sowohl die Pietisten als auch die Thomasianer darauf, der Anfang der Besserung sei beim Willen zu machen, doch galt es im allgemeinen als ausgemacht, daß den Begehrungen oder Verabscheuungen des Willens jeweils eine Verstandeserkenntnis zugrunde liege und eine Besserung der Erkenntnis an sich also unabdingbar sei.42 Baumgarten erweitert nun die für die Verbesserung der Erkenntnis zuständige Instrumentalphilosophie dadurch, daß er der Logik die Ästhetik zur Seite stellt;43 sie soll die unteren Erkenntniskräfte verbessern und vervollkommnen, also genau diejenige Aufgabe übernehmen, die die Logik für die oberen Erkenntniskräfte erfüllt.44 Zur Besserung des ‚ganzen Verstandes‘45, also der oberen und der unteren 39
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In Baumgartens Dogmatikvorlesung ist den Reliquiae imaginis Divinae ein eigener Abschnitt gewidmet; vgl. A.G. Baumgarten: Praelectiones theologiae dogmaticae, §§ 383–387, S. 225– 228. – In seiner Metaphysica bescheinigt Baumgarten allem Seienden eine gewisse Ähnlichkeit mit Gott und macht eine Stufenleiter der Gottebenbildlichkeit für die vollkommeneren Wesen aus; vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, §§ 852f., S. 347f. An der Universität Halle war insbesondere der Thomasianismus von der pessimistischen lutherischen Anthropologie geprägt. Thomasius hatte jeglichen Versuch einer Besserung der durch und durch verderbten menschlichen Natur als von vornherein zum Scheitern verurteilt angesehen; vgl. Engfer: Christian Thomasius, S. 30f., 33. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 12, S. 79. Zur Diskussion zwischen Wolffianern einerseits und Pietisten und Thomasianern andererseits vgl. Walch: Art. Verbesserung der Seele. In: Ders.: Philosophisches Lexicon, 1726, Sp. 2641– 2646. Auf die theologische Seite des Streits geht Walch ausführlicher in seiner Darstellung der Religions-Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche ein, und zwar im Abschnitt Von den neusten streitigen, sonderlich so genannten Pietistischen Puncten überhaupt; vgl. Ders.: Einleitung in die Religions-Streitigkeiten, Th. 2, S. 1–544, hier S. 246–251. Vgl. Solms: Disciplina aesthetica, S. 25f. Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 2, S. 72: „Ein jeder brachte ein natürliches Vermögen zu schließen mit auf die Welt, das er durch Regeln der Kunst verbesserte. Ein jeder bringt
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Erkenntnisvermögen des Menschen, müssen – und das ist wissenschaftssystematisch neu – beide Teildisziplinen der organischen Philosophie zusammenwirken;46 sie eint dabei das Ziel der Verbesserung (emendatio) bzw. Vervollkommnung (perfectio) der menschlichen Erkenntnis,47 von der, wie gesehen, zuletzt auch die Verbesserung des Willens abhängt. Damit stehen die beiden Disziplinen der Instrumentalphilosophie aber zugleich im Dienste jenes umfassenden Programms zur Besserung der menschlichen Natur, das auf eine Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit durch die sukzessive Vervollkommnung aller menschlichen Erkenntnis- und Willenskräfte zielt. Das Desiderat einer neu zu gründenden Disziplin der Ästhetik als „Wißenschafft der Verbeßerung sinnlicher Erkenntnis“48 entsteht demzufolge nicht einfach aus der Vernachlässigung der sinnlichen Erkenntnis zugunsten der oberen Erkenntniskräfte und der daraus resultierenden einseitigen Bevorzugung der Logik in der rationalistischen Philosophie. Die Verbesserung des ‚ganzen Verstandes‘ ist vielmehr ein Gebot der von Baumgarten vertretenen Anthropologie.49 Die Ästhetik schließt deshalb nicht bloß eine in der rationalistischen
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auch ein natürliches Vermögen schön zu denken mit auf die Welt, das eben wie jenes in der Logik durch Regeln verbessert werden kann; und wir können hier das Verhältnis setzen: Wie sich die künstliche Logik zur natürlichen verhält, so verhält sich die künstliche Ästhetik zur natürlichen.“ Anselm Haverkamp spricht sehr treffend davon, Baumgarten postuliere eigentlich „eine Analog-Logik im streng logischen Verstande, deren Organon die Ästhetik sein soll.“ (Anselm Haverkamp: Wie die Morgenröthe zwischen Nacht und Tag. Alexander Gottlieb Baumgarten und die Begründung der Kulturwissenschaften in Frankfurt an der Oder. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 76 [2002], S. 3–26, hier S. 14, Anm. 20). A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 1, S. 66. Dieser Paragraph findet sich auch in A.G. Baumgarten: Texte zur Grundlegung der Ästhetik, S. 79–83, hier S. 80. Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 1, S. 66: „soll also der ganze Verstand gebessert werden, so muß die Ästhetik der Logik zu Hilfe kommen.“ Vgl. etwa A.G. Baumgarten: Aesthetica, §§ 3, 14, S. 2, 6 sowie seine Definition der Logik: „LOGICA [...] ARTIFICIALIS est philosophia cognitionis intellectualis perficiendae.“ (Alexander Gottlieb Baumgarten: Acroasis logica in Christianum L.B. de Wolff. Hildesheim 1973 [ND der Ausg. Halle 1761] (= WGW III, 5), § 9, S. 5). [Alexander Gottlieb Baumgarten]: Philosophische Briefe von Aletheophilus. Frankfurt u. Leipzig 1741, S. 7; eine sprachlich modernisierte Fassung des zweiten Schreibens aus Baumgartens moralischer Wochenschrift findet sich in A.G. Baumgarten: Texte zur Grundlegung der Ästhetik, S. 67–72, hier S. 69. Die grundlegende Bedeutung der föderaltheologischen Anthropologie für Baumgartens Ethik und Ästhetik ist der Forschung, soweit ich sehe, bislang völlig entgangen. So erklärt beispielsweise Steffen W. Groß nur obenhin, der Anstoß zur Begründung der Ästhetik sei von Baumgartens Wahrnehmung ausgegangen, „daß die menschliche Erkenntnis in ihrer Gesamtheit verbessert werden muß“, ohne jedoch eine Ursache dafür angeben zu können (Groß: Felix aestheticus, S. 68). Nach Günter Schenk basiert „das Zusammenwirken der drei normativen Wissenschaften [Logik, Ethik, Ästhetik, S.B.] als Trias [...] primär auf einer philosophisch-psychologisch geprägten Anthropologie und der darin eingebetteten ethisch-religiösen Theorie der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen.“ (Schenk: Wesen und Funktion der Ästhetik, S. 116) Die föderaltheologisch fundierte Idee einer Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit läßt Schenk dabei außer acht, obschon sie für Baumgarten das eigentliche Ziel des menschlichen Vervollkommnungsstrebens darstellt. Michael Jäger zitiert in seiner detaillierten Analyse der einzelnen Paragraphen der Prolegomena der Aesthetica immerhin jene „Überbleibsel des göttlichen Ebenbildes“ aus der Kollegnachschrift, weiß damit in seiner Analyse aber nichts anzu-
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Gnoseologie auszumachende Lücke, indem sie die Instrumentalphilosophie um eine ‚Logik der unteren Erkenntnisvermögen‘ erweitert;50 die von ihr zu leistende Vervollkommnung der sinnlichen Erkenntnis gehört vielmehr zu jenem föderaltheologischen Projekt der Verbesserung der menschlichen Natur und ist als solche, theologisch gesprochen, Teil des menschlichen Heiligungsstrebens. Dieser fromme Auftrag ist im Auge zu behalten, wenn es Baumgarten in seiner Aesthetica dann im einzelnen darum geht, die Natur des Künstlers, sein Ingenium oder ästhetisches Naturell zu ‚verbessern‘.51 Die föderaltheologische Forderung nach einer Vervollkommnung der Erkenntnis- und Begehrungsvermögen zur Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit fügt sich nahtlos in das in Halle vor allem von Christian Wolff vorangetriebene Programm einer moralischen und erkenntnismäßigen Perfektibilisierung des Menschen ein.52 Die Verbesserung der Erkenntnis und des Willens als Ziele der Logik bzw. der Ethik waren bei Wolff insofern miteinander verquickt, als er den Willen von der Erkenntnis des Guten abhängig sah,53 weshalb nach seinem Dafürhalten der Vervollkommnung des Verstandes als des Vermögens deutlicher Erkenntnis auch
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fangen; vgl. Jäger: Kommentierende Einführung in Baumgartens Aesthetica, S. 189. Petra Bahr, die das Zitat, wie gesehen, ebenfalls bringt, hält eine ominöse „Umstellung im Verständnis der biblischen Imago-Dei-Figur im Kontext der Imitatiolehre“ für dessen „theologische Pointe“; ihr entgeht jedoch die föderaltheologische Anthropologie als der hier entscheidende Motivationshintergrund, statt dessen verweist sie nur ganz allgemein auf eine „Verbesserungsmaxime, die Aufklärung und Pietismus als emphatische Bildungsbewegungen teilen.“ (Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 23). Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 533, S. 187: „Scientia sensitiue cognoscendi & proponendi est AESTHETICA, (Logica facultatis cognoscitiuae inferioris, Philosophia gratiarum & musarum, gnoseologia inferior, ars pulchre cogitandi, ars analogi rationis).“ Die abweichenden Formulierungen dieses Paragraphen in den beiden ersten Auflagen der Metaphysica verzeichnet Hans Rudolf Schweizer in seinem Kommentar zu A.G. Baumgarten: Texte zur Grundlegung der Ästhetik, S. 90f., Anm. 80. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, §§ 47–77, S. 19–34. – Den pietistischen Hintergrund von Baumgartens Philosophie im allgemeinen und seiner Aesthetica im besonderen beleuchten neuerdings die Aufsätze von Simon Grote (Pietistische ‚Aisthesis‘ und moralische Erziehung bei Alexander Gottlieb Baumgarten, S. 175–198), Dagmar Mirbach (‚Ingenium venustum‘ und ‚magnitudo pectoris‘. Ethische Aspekte von Alexander Gottlieb Baumgartens ‚Aesthetica‘, S. 199–218) und Clemens Schwaiger (Baumgartens Ansatz einer philosophischen Ethikbegründung, S. 219–237) in dem von Alexander Aichele und Dagmar Mirbach herausgegebenen Themenschwerpunkt Alexander Gottlieb Baumgarten – Sinnliche Erkenntnis in der Philosophie des Rationalismus des Jahrbuchs Aufklärung (20/2008). Das erklärt nebenbei auch, warum die Bedeutung der föderaltheologischen Anthropologie für die Aufklärungstheologie so lange verkannt werden konnte; vgl. Schubert: Das Ende der Sünde, S. 125–127. Vgl. etwa Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 143, S. 411: „Der Wille strebet nach dem, was wir für gut erkennen, und verabscheuet, was wir vor böse halten. Soll er nun vollkommen werden, so müssen wir es dahin bringen, daß er niemahls nach etwas strebet, als was in der That gut ist, und nichts verabscheuet, als was in der That böse ist. Und hieraus habe ich gewiesen, daß der Wille nicht anders als vermittelst des Verstandes könne gebessert werden.“
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die eigentliche Schlüsselrolle zufiel.54 Die Verpflichtung des Menschen zur Vervollkommnung seiner selbst und anderer hatte Wolff in seiner Deutschen Ethik als ein „Gesetze der Natur“ demonstriert, das sogar dann Geltung für sich beanspruchen dürfte, „wenn auch gleich kein GOtt wäre.“55 Im Gegensatz dazu ist das Selbstvervollkommnungsgebot („PERFICE TE“) in Baumgartens Ethik zuallererst religiös fundiert: „Esto imago dei tui tantum ipsi similis, quantum esse potes [...].“56 Die Forderung nach einer Vervollkommnung der unteren wie der oberen Erkenntnis- und Begehrungskräfte, die Baumgarten unter den Pflichten des Menschen gegen sich selbst abhandelt,57 resultiert also aus dem föderaltheologisch motivierten Streben nach einer Wiederherstellung der verlorenen Gottebenbildlichkeit.58 Die Ästhetik schließt hier an, indem sie die „Überbleibsel des göttlichen Ebenbildes“59 in der sinnlichen Erkenntnis in den Mittelpunkt stellt.60 Baumgarten weist energisch auf die Verbesserungsbedürftigkeit und Vervollkommnungsfähigkeit der sinnlichen Erkenntnisvermögen des Menschen hin und fordert eine Verbesserung des ‚ganzen Verstandes‘. Und obschon er sich vorzugsweise der Terminologie der Wolffschen Metaphysik bedient, untergräbt er doch in gewisser Weise deren Grundlagen.61 Zugespitzt läßt sich sagen, daß das Bemühen um eine Verbesserung 54
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Vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, § 277, S. 153: „Das Vermögen das Mögliche deutlich vorzustellen ist der Verstand. Und hierinnen ist der Verstand von den Sinnen und der Einbildungs-Kraft unterschieden, daß, wo diese allein sind, die Vorstellungen nur höchstens klar, aber nicht deutlich seyn: hingegen wo der Verstand dazu kommet, dieselben deutlich werden.“ Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen [‚Deutsche Ethik‘, erstmals 1720]. Hildesheim u. New York 1976 [ND der 4., hin u. wieder verm. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1733] (= WGW I, 4), § 20, S. 16f. Zur Herkunft des aufklärerischen Selbstvervollkommnungsgebots aus den Naturrechtskonzeptionen des 17. Jahrhunderts und zu seinen poetologischen Konsequenzen vgl. Kemper: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung, Bd. 1, S. 261; Ders.: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit, Bd. 5,2, S. 76–85; Vollhardt: Zwischen pragmatischer Alltagsethik und ästhetischer Erziehung; Ders.: Naturrecht und ‚schöne Literatur‘ im 18. Jahrhundert. In: Otto Dann u. Diethelm Klippel (Hg.): Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution. Hamburg 1995 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, 16), S. 216–232; Ders.: Selbstliebe und Geselligkeit, passim. Alexander Gottlieb Baumgarten: Ethica philosophica [erstmals 1740]. Hildesheim 1969 [ND der 3. Aufl. Halle 1763], § 19, S. 13 (mit Rückverweis auf das Selbstvervollkommnungsgebot in § 10). Vgl. ebd., §§ 201–249, S. 116–154. Zwar hat die Forschung gelegentlich die dem felix aestheticus in der Aesthetica aufgegebene Vervollkommnung seiner sinnlichen Vermögen auf Baumgartens Ethik zurückbezogen, dabei jedoch übersehen, daß das Selbstvervollkommnungsgebot dort eine zuvörderst theologisch begründete Verbindlichkeit darstellt; vgl. das Kapitel zur perfectio bei Peters: Studien über die Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten, S. 14–26 sowie Groß: Felix aestheticus, S. 119– 124. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 12, S. 79. Es ist also zu wenig gesagt, wenn Ernst Cassirer (Philosophie der Aufklärung, S. 368) die Ästhetik bei Baumgarten „nicht nur logisch legitimiert, sondern [...] gewissermaßen auch ethisch gefordert und ethisch gerechtfertigt“ sieht. Sie ist überdies religiös geboten! Eine „Binnenkritik des Wolffianismus“ durch die Ästhetik nennt das Carsten Zelle: Klopstocks Diät – das Erhabene und die Anthropologie um 1750. In: Kevin F. Hilliard u. Katrin Kohl
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der unterhalb der Deutlichkeitsschwelle rangierenden cognitio sensitiva den Rahmen sprengt, den die rationalistische Erkenntnislehre der Sinnlichkeit eigentlich hatte stecken wollen: Statt ein bloßes Supplement der Instrumentalphilosophie abzugeben, nimmt die Ästhetik implizit eine tiefgreifende Korrektur an der rationalistischen Gnoseologie vor.62 Zum Verständnis dessen sind einige bereits erwähnte Grundbegriffe jener Erkenntnislehre etwas genauer zu qualifizieren.63 Mit den Kriterien der ‚Klarheit‘ und ‚Deutlichkeit‘ auf der einen Seite bzw. der ‚Dunkelheit‘ und ‚Verworrenheit‘ auf der anderen Seite hatte Descartes seinerzeit über die Wahrheitsfähigkeit bzw. Irrtumsanfälligkeit von Vorstellungen befunden, indem er dunkle und verworrene Vorstellungen für die Irrtümer der Menschen verantwortlich machte, wohingegen er klare und deutliche Vorstellungen zu Bürgen der Wahrheit der Erkenntnis ernannte. Leibniz hatte die gegenseitige Ausschließung der Wahrheits- bzw. Irrtumskriterien dadurch aufgehoben, daß er sie als aufeinanderfolgende Stufen der Vervollkommnung der Erkenntnis interpretierte;64 so sollte die Klarheit der Erkenntnis insofern der Dunkelheit etwas voraus haben, als sich der Inhalt einer klaren Vorstellung von dem einer anderen Vorstellung unterscheiden und als solcher wiedererkennen ließe. Unter den klaren Vorstellungen sollten wiederum die deutlichen von den verworrenen dadurch unterschieden sein, daß sich in ihnen einzelne Merkmale identifizieren ließen; je mehr dieser Merkmale dann wieder deutlich erkannt werden könnten (und je mehr Eigenschaften dieser Merkmale usw.), desto weiter überschreite eine Erkenntnis das Kriterium der Deutlichkeit in Richtung auf die (allein Gott vorbehaltene) cognitio intuitiva. Wolff übernahm die Begriffe ‚dunkel‘ (obscura), ‚klar‘ (clara), ‚verworren‘ (confusa) und ‚deutlich‘ (distincta) von Leibniz, wobei er ‚confusa‘ schlicht als ‚undeutlich‘ übersetzte.65 Die Undeutlichkeit wurde von Wolff allerdings abwertend
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(Hg.): Wort und Schrift – Das Werk Friedrich Gottlieb Klopstocks. Tübingen 2008 (= Hallesche Forschungen, 27), S. 101–127, hier S. 125 (Carsten Zelle hat mir diesen Aufsatz freundlicherweise vor der Veröffentlichung zugänglich gemacht). Ursula Franke spricht hier sehr zurückhaltend von einer „Modifizierung der Gnoseologie durch die detaillierte Reflexion auf die Perzeptionsform der sinnlichen Erkenntnis.“ (Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 44) Brigitte Scheer spricht immerhin von einer „Kritik Baumgartens am rationalistischen Erkenntnisbegriff.“ (Brigitte Scheer: Baumgartens Ästhetik und die Krise der von ihm begründeten Disziplin. In: Philosophische Rundschau 22 [1976], S. 108–119, hier S. 112) Hans Adler nennt das Ergebnis des Prozesses treffend eine „Umstülpung“ der rationalistischen Erkenntnislehre (Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 33). Die folgende Skizze der rationalistischen Erkenntnislehre nach Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 1–26; vgl. auch Ders.: Fundus animae – Der Grund der Seele. Zur Gnoseologie des Dunklen in der Aufklärung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 62 (1988), S. 197–220, hier S. 198–203; Eberhard Ostermann: Die Authentizität des Ästhetischen. Studien zur ästhetischen Transformation der Rhetorik. München 2002, S. 77–79. Vgl. Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 3; der maßgebliche Text von Leibniz dazu sind die Meditationes de cognitione, veritate et ideis von 1684 (Leibniz: Sämtliche Schriften, Reihe 6, Bd. 4, Teil A. Berlin 1999, S. 585–592). Vgl. Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 16.
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als Unvollkommenheit, nämlich als „ein Mangel der ferneren Grade der Klarheit“ bestimmt,66 denn wo Undeutlichkeit und Dunckelheit übrig bleibet, da ist die Erkäntniß noch nicht zum höchsten Grade gebracht, und nachdem viel oder wenig Undeutlichkeit und Dunckelheit übrig ist; so ist sie weit oder nicht weit davon entfernet. Und also entstehen aus der Undeutlichkeit und Dunckelheit die Grade der unvollkommenen Erkäntniß.67
Wenn also Baumgarten dagegen ins Feld führt, „daß wir ohne verworrene Vorstellungen nicht zu deutlichen gelangen können“,68 dann hätte Wolff dem allenfalls in entwicklungspsychologischer Hinsicht zugestimmt, nämlich insofern Kinder zunächst nur undeutlich erkennen und den Verstandesgebrauch erst durch die Schulung ihrer Aufmerksamkeit und die genaue Beachtung der Verschiedenheiten der Dinge lernen.69 Ausdrücklich aber warnte er davor, bei der undeutlichen Erkenntnis stehenzubleiben: Die undeutlichen Begriffe sind für ihn nur „ein Anfang zum Verständnis. Derowegen ob man zwar bey ihnen nicht verbleiben muß [...]; so kan man doch zu erst nur klare, aber undeutliche Begriffe suchen, biß man nach und nach der deutlichen gewohnet.“70 Wer aber in seiner kognitiven Entwicklung erst einmal zum Vernunftgebrauch gelangt ist, sollte nach Wolffs Mahnung die deutliche Erkenntnis – wo immer sie zu haben ist – der undeutlichen vorziehen.71 Das geht sogar so weit, daß Wolff das Stehenbleiben bei undeutlichen Begriffen nicht einmal durch die beschränkte Reichweite der menschlichen Sinnesorgane gerechtfertigt sieht, verhelfen doch beispielsweise Mikroskope oder
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Wolff: Deutsche Metaphysik, § 215, S. 119 [Hervorh. S.B.]. Ebd., § 281, S. 154 [Hervorh. S.B.]. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 7, S. 76. Baumgarten geht hier deutlich über Wolff hinaus, der bloß festgestellt hatte: „Es äussert sich aber das Obere [das obere Erkenntnisvermögen, S.B.] nicht ohne vorhergehenden Gebrauch des Unteren, und von dem Gebrauche des einen kommet man nicht zu dem Gebrauche des andern durch einen Sprung.“ (Wolff: Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, § 93, S. 257) Baumgarten kommt es dagegen nicht auf das Formale, den sukzessiven Gebrauch von unterem und oberem Erkenntnisvermögen an, sondern auf das Materiale der Erkenntnis selbst. Nach Anton Bissinger wird die in der Psychologia empirica der Sinneserkenntnis zugestandene Bedeutung von Wolff in der Psychologia rationalis wieder zurückgenommen: „Zwar werden die Veränderungen in den Sinnen, im Körper anerkannt, aber eigentliche Bedeutung für die intellektuelle Erkenntnis haben sie nicht, da die Seele alle Wahrnehmungen aus sich selbst entwickelt.“ (Bissinger: Die Struktur der Gotteserkenntnis, S. 123). Vgl. Wolff: Deutsche Politik, § 90, S. 66f. Wolff: Deutsche Ethik, § 282, S. 180. Zwar nimmt auch nach Wolffs Dafürhalten „alles unser Nachdencken von der anschauenden Erkäntniß ihren [sic] Anfang“ (Wolff: Deutsche Metaphysik, § 746, S. 525), doch begründet das für ihn beileibe keinen Vorrang der anschauenden Erkenntnis – im Gegenteil zeigt die gebotene ‚Deutlichkeit‘ bereits das Überschreiten der Schwelle zur figürlichen Erkenntnis an: „Daher geschiehet es auch, daß, so bald wir uns entweder einen allgemeinen Begrif von einer Art Dinge, davon wir eines sehen, oder sonst empfinden, formiren, oder auch nur etwas deutliches mercken, oder von einem Dinge ein Urtheil für uns fällen wollen, wir von der anschauenden Erkäntniß zu der figürlichen schreiten.“ (ebd., § 322, S. 178 [Hervorh. S.B.]).
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Ferngläser „gar ofte zu einem deutlichen Begriffe, den wir sonst nimmermehr erlangen würden.“72 Für Baumgarten hingegen – und darin besteht seine Korrektur der rationalistischen Gnoseologie – besitzt die Undeutlichkeit der cognitio sensitiva ein eigenes Recht, das sie nicht an eine eventuell auch zu habende deutliche Erkenntnis abtreten muß: Sie ist conditio sine qua non der deutlichen Erkenntnis, ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Wahrheit, das nicht übersprungen werden kann, denn die Natur macht bekanntlich keine Sprünge.73 Doch leitet Baumgarten aus dieser Einsicht nicht wie Wolff die Forderung nach möglichster Deutlichkeit der Erkenntnis ab; sie dient ihm vielmehr dazu, eine Verbesserung nicht erst der deutlichen, sondern auch schon der sinnlichen Erkenntnis zu propagieren.74 Diese strebt aber nicht nach dem Ideal der Gewißheit wie die Verbesserung der deutlichen Erkenntnis durch die Logik, sondern beansprucht eine eigene Vollkommenheit, nämlich die Schönheit der Erkenntnis.75 Obschon also die deutliche Erkenntnis ihren Weg über die Sinnlichkeit nimmt, ist die Ästhetik als Wissenschaft von der Verbesserung der sinnlichen Erkenntnis alles andere als eine logische Propädeutik.76 Die Schönheit der Erkenntnis ist nämlich keine Wegmarke auf halber Strecke zur Gewißheit, sondern, mit Ernst Cassirer zu sprechen, „ein selbständiger Wert.“77 Sie ist eine dem Sinnenwesen Mensch eigentümliche Vollkommenheit seiner unteren Erkenntniskräfte. Dadurch aber, daß die Vernunfterkenntnis – ungeachtet aller deduktiven Schlüssigkeit, die ihr zweifelsohne zu eigen sein mag – unabdingbar auf die undeutliche cognitio sensitiva bezogen bleibt, ist die Gewißheit der deutlichen Erkenntnis 72 73
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Wolff: Deutsche Logik, Cap. 1, § 22, S. 134; vgl. ebd., Cap. 1, § 21, S. 133f. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 7, S. 3: „Obi. [...] confusio mater erroris. Resp. [...] sed confusio [...] conditio, sine qua non, inueniendae veritatis, vbi natura non facit saltum ex obscuritate in distinctionem. Ex nocte per auroram meridies. [...] non commendatur confusio, sed cognitio emendatur, quatenus illi necessario admixtum est aliquid confusionis.“ Völlig verzeichnet wird die Argumentation Baumgartens in diesem Paragraphen bei Wolfram Mauser: Geselliges Lachen als patriotische Pflicht. Georg Friedrich Meiers Apologie des Scherzens [erstmals 1995]. In: Ders.: Konzepte aufgeklärter Lebensführung, S. 346–358, hier S. 350. Zur Kontinuität von undeutlicher zu deutlicher Erkenntnis bei Baumgarten vgl. Egbert Witte: Logik ohne Dornen. Die Rezeption von A.G. Baumgartens Ästhetik im Spannungsfeld von logischem Begriff und ästhetischer Anschauung. Hildesheim, Zürich u. New York 2000 (= Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, 53), S. 54f., Anm. 48. – Wolff hatte zwar ebenfalls vom Kontinuitätsprinzip die Notwendigkeit eines allmählichen Fortschritts von klaren zu deutlichen Erkenntnissen hergeleitet, doch billigte er der undeutlichen Erkenntnis nur die Rolle einer ‚Vorbereitung‘ der deutlichen Erkenntnis zu, insbesondere in der ‚ersten Kindheit‘ des Menschen, also vor dem eigentlichen Vernunfterwerb; vgl. Wolff: Deutsche Politik, § 89, S. 64–66. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 3, S. 1. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Baumgartens Betonung des Eigenwertes der sinnlichen Erkenntnis keine Wendung zu einem erkenntnistheoretischen Empirismus oder Sensualismus impliziert; vgl. Groß: Felix aestheticus, S. 65f. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 14, S. 6. Vgl. Cassirer: Freiheit und Form, S. 81f. Ebd., S. 82.
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selbst nachhaltig erschüttert.78 Da Baumgarten so unverdrossen an der rationalistischen Begrifflichkeit festhält, könnte man meinen, er sei sich des Umstands gar nicht bewußt gewesen, daß sein Unternehmen insgeheim deren Grundlagen unterminierte. Schließlich sprach er sich in den zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Schriften weder offen gegen die Hierarchisierung von ‚unteren‘ und ‚oberen‘ Seelenvermögen in der Psychologie aus noch gegen die Beschränkung der Philosophie auf deutliche Erkenntnisse allein – sollte doch auch die Ästhetik ‚hinlänglich gewisse Gründe‘, mithin deutliche Erkenntnisse über die Gesetze der Sinnlichkeit liefern.79 Vielmehr bemühte er sich darum, seine Beschäftigung mit den sinnlichen Vermögen des Menschen als das Schließen einer Bresche in der rationalistischen Erkenntnislehre darzustellen, ohne damit die Sinnlichkeit besonders herausstellen zu wollen, etwa als ‚blinden Fleck‘ oder gar als ‚das Andere der Vernunft‘. Tatsächlich war er sich aber durchaus darüber im klaren, daß seine Ästhetik ein Menschenbild voraussetzt, das sich erheblich von dem der Wolffschen Philosophie unterscheidet: Baumgarten sieht den Menschen zwar nicht schlechthin als ‚Mängelwesen‘ an,80 er erklärt aber immerhin, daß „ein endlicher Geist, wie der Mensch ist“, nicht von allen ihn betreffenden Belangen eine deutliche Erkenntnis erwerben könne, sondern sich schon aus pragmatischen Gründen in vielem mit undeutlichen Erkenntnissen begnügen müsse.81 Christian Wolff dagegen hatte seinerzeit bloß eingeräumt, der menschliche Verstand sei – wohlgemerkt – „noch nicht im höchsten Grade gründlich“;82 doch läßt sich diesem Zugeständnis zugleich entnehmen, daß für ihn die „Gründlichkeit“ – also die „Deutlichkeit in Schlüssen“83 – als Ziel jeglicher Verbesserung der menschlichen Erkenntnis außer Frage stand. Das Pro78
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Es erscheint allerdings übertrieben, darin eine „revolutionäre Tat“ sehen zu wollen, die in der „Brechung des rationalistischen Monopols“ bestanden hätte (so Groß: Felix aestheticus, S. 66). Das lehrt schon der Umstand, daß die systematische Erforschung der unteren Erkenntniskräfte bereits vor Baumgarten von dem Wolffianer Bilfinger als Desiderat ausgemacht wurde; vgl. Jäger: Kommentierende Einführung in Baumgartens Aesthetica, S. 177f. Moderater ließe sich mit Egbert Witte von einer Binnenkritik des Rationalismus seitens der Ästhetik sprechen, die „im Aufweis der Grenzen der rationalistischen-intellektualistischen Philosophie“ durch die Theorie der sinnlichen Erkenntnis besteht (Witte: Logik ohne Dornen, S. 53). Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, §§ 1, 10, S. 71, 77f.; Cassirer: Freiheit und Form, S. 84f.; Ders.: Philosophie der Aufklärung, S. 356. Das ist vorzubringen gegen die verkürzende Anwendung von Blumenbergs Gegenüberstellung einer Anthropologie des ‚armen‘ bzw. ‚reichen Menschen‘ auf Baumgartens Aesthetica, wie Petra Bahr sie unternimmt; vgl. Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 48. Ihr Ergebnis, für Baumgarten sei der Mensch „in eminenter Weise ein Mängelwesen, das seine Besitzlosigkeit durch Wahrscheinlichkeitsgewinnung überspielt, um leben zu können“ (ebd.), darf getrost bezweifelt werden, steht doch im mundus optimus (vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, §§ 436– 447, S. 142–147) die biologische Überlebensfähigkeit des Menschen ganz außer Frage. Weit davon entfernt, sein Überleben zu gefährden, besteht jener ‚Mangel‘, den man dem Menschen bei Baumgarten zweifelsohne attestieren kann, vielmehr in einem malum metaphysicum, nämlich der verlorenen Gottebenbildlichkeit. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 8, S. 77. Wolff: Deutsche Metaphysik, § 855, S. 529 [Hervorh. S.B.]. Ebd., § 854, S. 529.
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gramm zur Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen, das Wolff vorzeichnete, kannte dementsprechend nur Vollkommenheiten der ‚gründlichen‘ Erkenntnis,84 wohingegen eine Verbesserung der Sinnlichkeit als eines eigenständigen Erkenntnisvermögens für ihn nicht denkbar war.85 Baumgarten stellt dem logischen Ideal der ‚Gründlichkeit‘ – und zwar ebenbürtig! – die „Schönheit der Erkenntnis“ zur Seite.86 Dementsprechend hält er neben der Verbesserung der oberen Erkenntnisvermögen auch eine Vervollkommnung der Sinnlichkeit für geboten. Die eigens dieser Aufgabe gewidmete neue philosophische Disziplin lasse sich, wie er in seiner Aesthetica ausdrücklich anmerkt, nicht dadurch abtun, daß man die Sinnlichkeit für unter der Würde eines Philosophen erkläre.87 Dem entspricht eine Absage an das stoische Ideal der Atharaxie,88 die Baumgarten mit seinem älteren Bruder teilt, der „[d]as Bestreben einer gäntzlichen Unterdruckung und Wegschaffung aller Sinlichkeit oder einer völligen Unempfindlichkeit“ in seiner Theologischen Moral (1738) als „nicht nur an sich vergeblich, sondern auch unrechtmässig“ erklärt hatte.89 Die Brüder zogen aus ihrer anthropologischen Diagnose denn auch die gleiche Konsequenz, nämlich die Verpflichtung des Menschen zur „Besserung aller seiner Kräfte und Arten des Vermögens“,90 was ausdrücklich die oberen wie die unteren Verstandes- und Begehrungskräfte sowie die Leibeskräfte einschloß.91 Der jüngere Baumgarten ließ sich in seinem Kolleg zur Ästhetik in diesem Zusammenhang zu einem kaum verhohlenen Angriff gegen das Menschenbild der Wolffschen Philosophie hinreißen: Wann man den Philosophen als einen Fels vorstellet, der bis über die Hälfte in die Wolken geht, mit der Überschrift non pertu[r]batur in alto, so vergißt man den Menschen und bedenkt nicht, daß die Stoiker mit ihren Weisen schon lächerlich wurden. Der Philosoph bleibt ein
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Vgl. Wolff: Deutsche Ethik, § 284, S. 181: „Da nun der Mensch zu den Vollkommenheiten des Verstandes verbunden ist [...] so ist er auch zu gründlicher Erkäntniß verbunden. Er soll dahin trachten, daß er geschickt wird alles dasjenige gründlich zu erkennen, was durch Schlüsse heraus gebracht, oder durch die Vernunfft erkand wird.“ Dementsprechend hatte Wolff zwar Regeln zur ‚Schonung‘ – aber eben nicht ‚Verbesserung‘ – der naturgegebenen Sinnesvermögen vorgeschrieben; vgl. Wolff: Deutsche Ethik, §§ 498–502, S. 341–344. Auch die ‚Stärkung‘ der Sinne durch optische oder akustische Instrumente stellte für ihn keine ‚Verbesserung‘ im Sinne einer auch nur vorübergehenden positiven Veränderung dar; vgl. ebd., § 504, S. 345f. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 14, S. 80; vgl. Ostermann: Die Authentizität des Ästhetischen, S. 74f. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 6, S. 3: „Obiici posset nostrae scientiae [...] indigna philosophis et infra horizontem eorum esse posita sensitiua, phantasmata, fabulas, affectuum perturbationes, e.c. Rsp. a) philosophus homo est inter homines, neque bene tantam humanae cognitionis partem alienam a se putat, b) confunditur theoria pulcre cogitatorum generalis et praxis ac exsequutio singularis.“ Zur anti-stoischen Stoßrichtung der Ästhetiker und der ‚vernünftigen Ärzte‘ vgl. Zelle: Klopstocks Diät, S. 113. S.J. Baumgarten: Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen, § 306, S. 771f. Ebd., § 306, S. 773; vgl. auch den Marginaltitel zu § 125, S. 262: Besserung aller Kräfte und Fertigkeiten. Vgl. ebd., § 125, S. 264.
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Mensch, folglich behält er Sinnlichkeit, und auf dieser [hier: an deren] Verbesserung muß er auch als Philosoph denken.92
Hält man sich vor Augen, daß das beschriebene Bild mit dem lateinischen Motto kein geringeres Werk als eben Wolffs Deutsche Ethik als Frontispiz zierte (vgl. Abb. 2), dann wird deutlich, daß Baumgarten seine anthropologisch begründete Forderung nach einer Verbesserung des ‚ganzen Verstandes‘ durchaus als Angriff auf das Haupt der deutschen Schulphilosophie verstand. Wolffs Selbst- und Menschenbild sowie sein einseitig auf die ‚Gründlichkeit‘ der Erkenntnis zielendes Aufklärungsprogramm werden von Baumgarten hier also in anthropologischer Hinsicht als verfehlt dargestellt. Hatte Wolff das Dunkle und Undeutliche in der menschlichen Erkenntnis nur einseitig als Mangel oder Defekt (defectus, privatio) bestimmt,93 dann folgt Baumgarten ihm zwar dahingehend, daß er der dem Menschen zugänglichen Wahrheit – im Vergleich mit der höchsten logischen Wahrheit, die nur Gott zuteil wird – ein untilgbares Defizit bescheinigt (malum metaphysicum, defectus veritatis),94 er bemüht sich aber nichtsdestoweniger, „die gesamte Komplexität der konkreten Sinnlichkeit nicht-privativ zu bestimmen, indem er, vermittels einer Erweiterung der ‚Klarheit‘, eine extensive neben die intensive treten läßt, die als nicht-deutliche, als ‚confuse‘, die ganze Fülle der perceptio praegnans zu umfassen imstande ist.“95 Die von Baumgarten eigens eingeführte „neue gnoseologische Kategorie [...] der extensiv größeren Klarheit“96 gewährt der sinnlichen Erkenntnis des Menschen eine eigene Art von Vollkommenheit,97 was eine erhebliche Strapazierung der 92
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A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 6, S. 76. – Ursula Franke zitiert zwar diese Stelle, an der Baumgarten „einen Philosophen, der sich um das Sinnfällige nicht kümmert“ ironisiere, übersieht jedoch, daß es sich um einen ausgesprochen zielgerichteten Angriff handelt (Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 38, Anm. 4). Ebenso übersehen Michael Jäger und Petra Bahr, die beide das Zitat aus der Kollegnachschrift bringen, die Stoßrichtung gegen Wolff; vgl. Jäger: Kommentierende Einführung in Baumgartens Aesthetica, S. 130f.; Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 55. Vgl. Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 75; Witte: Logik ohne Dornen, S. 34; Adler: Die Prägnanz des Dunklen, S. 16f., 39f.; Adler: Fundus animae, S. 202; Solms: Disciplina aesthetica, S. 39. Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 557, S. 360. Witte: Logik ohne Dornen, S. 54. Adler: Fundus animae, S. 205; vgl. Strube: Die Entstehung der Ästhetik, S. 17; Paetzold: Einleitung. In: A.G. Baumgarten: Philosophische Betrachtungen, S. XX, XLV. In den Meditationes und der Metaphysica ordnet Baumgarten dem Konzept der extensiven Klarheit neben der ‚claritas‘ auch den Begriff der ‚vividitas‘ zu; in der Aesthetica erörtert er es dann unter dem Begriff der ‚lux aesthetica‘; vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 617, S. 403. Vgl. Wolfgang F. Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert: Baumgarten, Meier u. Breitinger. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980), S. 481–506, hier S. 497. – Schon in seinen Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (1735) hatte Baumgarten extensiv klare Vorstellungen als besonders ‚poetisch‘ bezeichnet (§§ 16f.), da sie viel zur Vollkommenheit eines Gedichts beitragen (§ 11); vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten: Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes (lat./dt.). Übers. u. mit e. Einl. hg. v. Heinz Paetzold. Hamburg 1983 (= Philosophische Bibliothek, 352), S. 12f., 16f.
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Abb. 2: Frontispiz zu Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, 1720.
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rationalistischen Terminologie darstellt, denn für Wolff war die Vollkommenheit der Empfindung bzw. der Erkenntnis untrennbar an deren Deutlichkeit gebunden.98 Der Ästhetik geht es darum, die Gesetze dieser Vollkommenheit zu erforschen; nur dadurch ist sie in der Lage, dem felix aestheticus ‚Regeln‘ für die Produktion bzw. Rezeption von Kunst an die Hand zu geben. Zur Regelästhetik und Theorie der schönen Künste wird Baumgartens Ästhetik also erst aufgrund der von ihr geleisteten Aufklärung der sinnlichen Erkenntnis als solcher.
3.2 Die Verbesserung des ästhetischen Naturells Die Sinnlichkeit rückt bei Baumgarten durch die ihr zuerkannte eigene Vollkommenheit in der Hierarchie der Erkenntnisvermögen merklich auf, sie steht nicht länger unter der Botmäßigkeit der verstandesmäßigen Erkenntnis.99 Das bedeutet aber wohlgemerkt keine Aufwertung der Sinnlichkeit schlechthin, sondern allein der durch die Ästhetik zu vervollkommnenden Sinnlichkeit.100 Denn nur insofern die Fülle undeutlicher Vorstellungen in ihr auch wirklich zusammenstimmt, ist die extensive Klarheit der sinnlichen Erkenntnis der Vollkommenheit der deutlichen Erkenntnis ebenbürtig. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Verbesserung des künstlerischen Naturells durch die Ästhetik, wie ein Blick auf die fünf in den ersten Abschnitten der Aesthetica aufgezählten Eigenschaften des schönen Geistes lehrt: Der felix aestheticus benötigt nach Baumgarten nicht nur 1) eine angeborene Anlage zum schönen Denken (aesthetica naturalis connata),101 er muß sie auch 2) durch Übungen (exercitia aesthetica) in Gebrauch halten,102 3) durch Unterricht (disciplina aesthetica) kultivieren,103 um sie dann 4) im Zustand ästhetischer Begeisterung (impetus aestheticus) voll ausschöpfen zu können.104 Dies sind die wichtigsten Beweggründe (causae) des schönen Denkens;105 ferner wäre 5) noch die Neigung zur Ausbesserung (correctio aesthetica) zu nennen,106 doch sieht
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Vgl. etwa Wolff: Deutsche Metaphysik, § 824, S. 511: „Derowegen sind die Empfindungen, in so weit sie Deutlichkeit haben, vollkommen; in so weit sie aber Undeutlichkeit haben, unvollkommen“; vgl. auch: ebd., § 281, S. 154. 99 Friedhelm Solms spricht treffend davon, daß die sinnliche Erkenntnis damit nicht länger der begrifflichen „subordiniert, sondern in ihrem eigenen Vorstellungsfeld, insbesondere also den Künsten, eine autonome Erkenntnis ist.“ (Solms: Disciplina aesthetica, S. 40) Martin Pott schreibt Baumgarten und Meier eine Tendenz zu, „die Wolffsche Hierarchie der Seelenvermögen umzukehren.“ (M. Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 326). 100 Vgl. Paetzold: Einleitung. In: A.G. Baumgarten: Philosophische Betrachtungen, S. XVI. 101 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, §§ 28–46, S. 11–19. 102 Vgl. ebd., §§ 47–61, S. 19–26. 103 Vgl. ebd., §§ 62–77, S. 26–34. 104 Vgl. ebd., §§ 78–95, S. 35–44. 105 Vgl. ebd., § 27, S. 11. 106 Vgl. ebd., §§ 96–103, S. 45–49.
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Baumgarten die Überarbeitung des im Zustand der Begeisterung Geschaffenen nicht in jedem Fall als erforderlich an.107 Einen genaueren Blick verdienen die übrigen vier Eigenschaften des felix aestheticus. Um mit der ästhetischen Begeisterung (4) zu beginnen, ist auf den Terminus des ‚fundus animae‘ hinzuweisen, den Baumgarten in der Metaphysica als ‚Inbegriff der dunklen Vorstellungen‘ (perceptionum obscurarum complexus) eingeführt hatte.108 In seinem Kolleg zur Ästhetik heißt es dazu ausführlich: Unsere Seele ist so beschaffen [...], daß eine erstaunende Menge von Vorstellungen im Grunde derselben dunkel bleiben, daß sie aber oft zu einem geringen Grade der Dunkelheit gelangen und sich gleichsam an das Reich der Klarheit anhängen.109
Zum Verständnis einer solchen ‚Aufhellung‘ vormals dunkler Vorstellungen ist an die generationstheoretische Analogie der Einschachtelung von Keimen zu erinnern, die Wolff auf die Hervorbringung von sinnlichen Vorstellungen durch die Seele angewandt hatte.110 In seiner Metaphysica hatte Baumgarten dieses Konzept der involutio idearum aufgegriffen, indem er seinerseits von einer ‚Entwicklung‘ vormals dunkler Vorstellungen zu klaren sprach: „PRODVCITVR (euoluitur) PERCEPTIO, quae fit in anima minus obscura“.111 Auf die Schlüsselfunktion von „organizistischen Metaphern und Modellen“ hat in diesem Zusammenhang Hans Adler hingewiesen, erstaunlicherweise jedoch ohne dem durch die Präformationslehre indizierten biologiegeschichtlichen Kontext weiter nachzugehen.112 Dabei läßt sich hier einiger Aufschluß über den Verweisungszusammenhang von theologischem und (natur-)philosophischem Denken bei Baumgarten gewinnen: Der aus der mystisch-pietistischen Sprache stammende Begriff des Seelengrundes,113 den Baumgarten in die Vermögenspsychologie einführt, schließt Wolffs präformationistisches Konzept mit einer theologisch unterfütterten Metaphorik zusammen, insofern der Grund der Seele all jene sinnlichen Vorstellungen bereithalten soll, die die Seele nach und nach ‚entwickeln‘ kann. ‚Entwickelt‘ werden dunkle Vorstellungen normalerweise dadurch, daß die Seele ihnen ihre Aufmerksamkeit zuwendet und sie dadurch in die Klarheit hebt. Doch läßt sich ein bedeutsamer Unterschied zwischen den generationstheoretischen Anleihen der beiden Autoren in dieser Frage herausstellen: Ähnlich wie in seiner Schrift über die Vermehrung des Getreides, in der er betont hatte, die zahl107 108 109 110 111 112
Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 97, S. 122. Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 511, S. 176; vgl. dazu Adler: Fundus animae, S. 204f. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 80, S. 116. Vgl. dazu oben S. 66–68. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 559, S. 198. Hans Adler: Prägnanz – Eine Denkfigur des 18. Jahrhunderts. In: Karl Menges (Hg.): Literatur und Geschichte. Festschrift für Wulf Koepke zum 70. Geburtstag. Amsterdam u. Atlanta 1998, S. 15–34, hier S. 17; vgl. auch Ders.: Die Prägnanz des Dunklen, S. 91f. 113 Vgl. August Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus. 2., erg. Aufl. Tübingen 1968, S. 162–170.
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reichen in einer Pflanze eingeschachtelten Samenkörner könnten einzig und allein unter Einhaltung der Generationsfolge auseinander hervorgehen, nicht aber schlagartig und auf einmal, wie anderslautende Erklärungen der Bestockung es wollten,114 bestand Wolff in seiner Psychologie und Erkenntnislehre darauf, daß auch die ‚Evolution‘ sinnlicher Ideen, also ihr Übergang von der Dunkelheit vielfacher Einschachtelung zur Klarheit, nur streng sukzessiv erfolgen könne, gewissermaßen durch das Abstreifen einer Hülle nach der anderen.115 Auch die Entdeckung der Regeneration des Süßwasserpolypen hatte an dieser Einschätzung nichts geändert, hatte Wolff sich doch darauf berufen, daß allein die ‚im Geblüte‘ zirkulierenden Samentierchen der unmittelbar folgenden Generation im Falle der Zerschneidung des Tieres zur Entwicklung gelangten – wenn die Regeneration nicht sogar als Generatio aequivoca erfolgte. Baumgarten dagegen hält auch eine schlagartige Erhellung oder ‚Entwicklung‘ dunkler, am Grunde der Seele liegender Vorstellungen für möglich, und zwar in divinatorischen Momenten wie dem dichterischen Enthusiasmus bzw. impetus aestheticus. Er bestimmt die ästhetische Begeisterung entsprechend als einen solchen Zustand, in dem die ‚ganze Seele‘ ihre Kräfte anspannt, besonders aber die unteren Seelenvermögen, so daß sich der dunkle Grund der Seele vorübergehend in Richtung Klarheit hebt.116 Nach dieser Konzeption verfügt der felix aestheticus in der ästhetischen Begeisterung über einen bevorzugten Zugang zur Klarheit sinnlicher Ideen, die in den dunklen Vorstellungen der Seele ‚keimhaft‘ immer schon enthalten gedacht wird. Normalerweise würde die Klarheit solcher Vorstellungen (aufgrund der mehrfachen Grade ihrer Einschachtelung) dem Bewußtsein so lange unzugänglich bleiben, bis sie Schritt um Schritt zu ihrer vollständigen ‚Entwicklung‘ gelangt wären. Doch können Baumgarten zufolge in der ästhetischen Begeisterung die Vorstellungen des felix aestheticus auf einen Schlag eine ganze Fülle von Merkmalen annehmen und dadurch das Schönheitskriterium der extensiven Klarheit erfüllen.117 Solchen nicht-rationalen Erkenntnisweisen widmet Baumgarten auch außerhalb der Aesthetica in seiner Philosophie überraschend breiten Raum, womit er sich deutlich von der rationalistischen Vermögenspsychologie abhebt.118
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Vgl. Wolff: Entdeckung der wahren Ursache, Kap. 1, §§ 20–22, S. 9f.; vgl. dazu neuerdings Stefan Borchers: Samenkörner und Samentierchen. Zu Christian Wolffs Zeugungsphysiologie. In: van Hoorn u. Wübben (Hg.): Allerhand nützliche Versuche, S. 65–87, hier S. 75f. 115 Vgl. das oben S. 66, Anm. 28 wiedergegebene Zitat aus der Psychologia rationalis. 116 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 80, S. 36: „Psychologis patet in tali impetu totam quidem animam vires suas intendere, maxime tamen facultates inferiores, vt omnis quasi fundus animae [...] surgat nonnihil altius [...].“ 117 Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 80, S. 116. 118 So gehört nach dem Tableau der Baumgartenschen Philosophia generalis eine ganze Reihe ‚mantischer‘ Erkenntnisweisen zu den Gegenständen der organischen Philosophie; vgl. Baumgarten: Philosophia generalis, § 147, S. 53–57.
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Die ästhetischen Übungen (2) und der ästhetische Unterricht (3) dienen einer gezielten Verbesserung der seelischen Vermögen des felix aestheticus.119 Sie erfolgen entweder durch improvisierende Selbstausbildung (autoschediasmata) oder durch theoriegeleitete Lektionen, die von der Ästhetik als einer Kunstlehre (ars erudita) rational kontrolliert werden;120 der ästhetische Unterricht besteht in der formalen Unterweisung sowohl in den Gegenständen der schönen Bildung (pulchra eruditio) als auch der eigentlichen Theorie vom Wesen der schönen Erkenntnis (theoria de forma pulchrae cognitionis).121 Das methodische Lehrprogramm der disciplina aesthetica wiederum belegt,122 daß es für den felix aestheticus mit einer Verbesserung seiner sinnlichen Vermögen allein nicht getan ist: „Man denke nicht, man dürfe Verstand und Vernunft als ein schöner Geist gar nicht brauchen. Nein, man muß sie auch üben.“123 Sogar zum Erwerb einer gewissen Portion Gelehrsamkeit ist der schöne Geist verbunden, insbesondere geziemt ihm eine ordentliche Kenntnis von Gott und seinen Eigenschaften. Da der schöne Geist sich die edelsten und wichtigsten Gegenstände aussuchen muß, wann seine Erkenntnis vollkommen sein soll, so erhellet bald, daß Gott unter allen der edelste und größte Gegenstand seiner Gedanken sei. [...] Nach Gott ist sonder Zweifel das Ganze der Schöpfung das wichtigste und edelste. [...] Man bekümmere sich alsdann näher um die bekannte Einteilung der drei Naturreiche, man kenne das menschliche Geschlecht, man lerne einzelne Menschen nach ihren verschiedenen Gemütsbeschaffenheiten und nach ihren körperlichen Eigenschaften kennen.124
Diese „Anthropognosie“ ist laut Baumgarten durch Psychologie, Historie und Kenntnis der Altertümer zu ergänzen, doch sei dem schönen Geist keine polyhistorische Gelehrsamkeit vonnöten.125 Abgerundet wird die schöne Bildung durch die Kenntnis der Regeln der Kunst, wie die Ästhetik als Theorie der schönen Künste sie zum Gegenstand hat.126 Doch dürfe man, so Baumgarten, neben der gebotenen Vervollkommnung der Erkenntnis eine Verbesserung „in Ansehung des Herzens nicht vernachlässigen, sonst wird nur ein Teil gebessert, und der andere bleibt lasterhaft.“127 Das von Baumgarten auf der Grundlage der föderaltheologischen 119
Wolff hatte in seiner Deutschen Ethik zwar eine ‚Erweiterung‘ von Einbildungskraft und Gedächtnis durch fleißige Übung gefordert, aber eben nicht im Sinne einer systematischen ‚Verbesserung‘ oder ‚Vervollkommnung‘ der unteren Erkenntniskräfte, sondern nur als Vorbereitungen zur vernünftigen Erkenntnis; vgl. Wolff: Deutsche Ethik, § 505, S. 346. Baumgarten dagegen konzipiert die ästhetischen Übungen als eigenständige Maßnahmen zur ‚Verbesserung‘ der sinnlichen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen des felix aestheticus, die als solche nicht auf die Vernunfterkenntnis zielen; vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, §§ 48f., S. 98f. 120 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, §§ 52, 58, S. 21, 24. 121 Vgl. ebd., §§ 63, 68, S. 27, 28f. 122 Vgl. Solms: Disciplina aesthetica. 123 A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 38, S. 90. 124 Ebd., § 64, S. 108. 125 Vgl. ebd., §§ 64–66, S. 108f.; vgl. dazu Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert, S. 489. 126 Vgl. A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, §§ 68–71, S. 110f. 127 Ebd., § 50, S. 99; vgl. ebd., § 44, S. 94.
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Anthropologie inaugurierte Besserungsprogramm der Ästhetik ist also wahrlich umfassend, es zielt auf nichts Geringeres als „einen natürlich schönen Geist [...] vollkommen zu machen“.128 Die unter (1) genannte natürliche Anlage zum schönen Denken (dispositio naturalis animae totius ad pulchre cogitandum) differenziert Baumgarten weiter mit den Begriffen ‚ingenium‘ (ingenium latius dictum connatum) und ‚indoles‘;129 letztere nennt er auch das angeborene ästhetische Temperament (temperamentum aestheticum connatum), das – vorzugsweise als melancholisches – in einer gewissen Proportion der Begehrungsvermögen besteht, die den Menschen zur künstlerischen Betätigung prädisponiert.130 Beide Begriffe, ‚ingenium‘ und ‚indoles‘, verweisen zurück in die Metaphysica: Baumgarten hatte dort das ‚ingenium‘ (ingenium latius dictum) als Proportion der Erkenntnisvermögen untereinander (facultatum cognoscitivarum proportio) definiert und als deutsche Synonyme dafür „Kopf, Gemüths-Fähigkeit“ vorgeschlagen;131 als ‚indoles‘ hingegen bezeichnete er die Proportion der Begehrungsvermögen untereinander (facultatum appetitivarum proportio), wofür er die Übersetzung „Gemüths-Art“ anbot.132 Sowohl die „Gemüths-Fähigkeit“ als auch die „Gemüths-Art“ sei durch Übungen und Gewohnheit (exercitiis & consuetudine) veränderbar.133 Es ist also die harmonische Ausgewogenheit der jeweiligen Proportionen der Erkenntnis- bzw. Begehrungsvermögen (ingenii ac indolis consensus),134 auf die es für den felix aestheticus ankommt, denn ‚Kopf‘ und ‚Herz‘– so die Übersetzung in der Kollegnachschrift – 128 129
Ebd., § 4, S. 75. Das ‚ästhetische Naturell‘ fällt bei Baumgarten also ganz ausdrücklich nicht mit dem ‚ingenium‘ zusammen, wie Armand Nivelle behauptet; vgl. Armand Nivelle: Literaturästhetik. In: Walter Hinck (Hg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. 11: Europäische Aufklärung (Teil 1). Frankfurt a.M. 1974, S. 15–56, hier S. 48. 130 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 29, S. 12; Ders.: Kollegnachschrift, § 46, S. 96f. 131 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 648, S. 239. Das ingenium strictius dictum entspricht dagegen dem ‚Witz‘, also dem Vermögen, Übereinstimmungen zwischen Dingen wahrzunehmen; vgl. ebd., § 572, S. 204. Marie-Luise Linn irrt also, wenn sie zwischen Baumgarten und Meier eine Differenz hinsichtlich des Ingenium-Begriffs diagnostiziert; vgl. Marie-Luise Linn: A.G. Baumgartens ‚Aesthetica‘ und die antike Rhetorik [erstmals 1967]. In: Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorik. Zwei Bände. Bd. 2: Wirkungsgeschichte der Rhetorik. Darmstadt 1991, S. 81–106, hier S. 91, Anm. 29. Baumgartens ingenium latius dictum findet sich bei Meier übersetzt als „aesthetische[r] und geistreiche[r] Kopf“ im entsprechenden Abschnitt Von dem schönen Geiste; vgl. Georg Friedrich Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. 3 Theile [erstmals 1748–50]. Hildesheim u. New York 1976 [ND der 2. Aufl. Halle 1754– 1759] (= Documenta Linguistica, Reihe 5: Deutsche Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts), Th. 1, § 217, S. 510f. Dem ingenium strictius dictum ist dann im zweiten Hauptstück des ersten Hauptteils ein eigener Abschnitt Von dem Witze (§§ 399–419) gewidmet. Die Meinung, Meier habe Baumgartens Unterscheidung zweier Bedeutungen des Ingenium-Begriffs unterlaufen, scheint von Baeumler in die Welt gesetzt worden zu sein, der hier eine ‚Entwicklung‘ in Richtung auf den Geniebegriff Kants ausmachen möchte; vgl. Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts, S. 157f. 132 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 732, S. 289. 133 Vgl. ebd., §§ 650, 732, S. 240, 289. 134 A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 47, S. 19; vgl. ebd., § 50, S. 20.
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bilden zusammen die ‚ganze Seele‘, von der die Definition der Natur des Künstlers in der Aesthetica spricht: Ad characterem felicis aesthetici generalem [...] requiritur [...] AESTHETICA NATVRALIS CONNATA, [...] dispositio naturalis animae totius ad pulcre cogitandum, quacum nascitur.135
Die Komplementarität von ‚ingenium‘ und ‚indoles‘ ist für Baumgartens Definition der natürlichen Anlage zum schönen Denken ganz entscheidend.136 Ursula Franke hat deshalb zu Recht erklärt, man müsse hier „aus Baumgartens trockenen Begriffsbestimmungen das Pathos des Ideals der Bildung des ganzen Menschen heraushören“.137 Die ‚Ganzheit‘ des Menschen steht nämlich im 18. Jahrhundert nicht nur hinsichtlich des Zusammenhangs von Körper und Seele in Frage, sondern auch hinsichtlich des Verhältnisses der Erkenntnis- und Begehrungsvermögen zueinander. Um diesen Zusammenhang von ‚Kopf‘ und ‚Herz‘ zu thematisieren, zieht Baumgarten in Ermangelung entsprechender Begrifflichkeiten der Wolffschen Psychologie die Komplementärbegriffe ‚ingenium‘ und ‚indoles‘ aus der antiken Rhetorik heran.138 Unter seinen zahlreichen Anleihen bei der rhetorischen Tradition sind diejenigen zur natura hominis allerdings die prekärsten, weil sie eine Vermen135 136
Ebd., § 28, S. 11f. [Kursivierung, S.B.]. Das wird zumal dadurch deutlich, daß laut Joachim Dyck ‚natura‘ und ‚ingenium‘ zuvor in der deutschen Barockpoetik vielfach gleichgesetzt wurden: „zwischen dem Oberbegriff natura und dem Spezifikum ingenium wird von vielen Theoretikern nicht mehr unterschieden. In der Opposition zu ars werden beide Begriffe synonym gebraucht.“ (Joachim Dyck: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. 2., verb. Aufl. Bad Homburg v.d.H. u.a. 1969, S. 120, Anm. 1). 137 Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 65; vgl. neuerdings Dies: Sinnliche Erkenntnis – was sie ist und was sie soll. A.G. Baumgartens Ästhetik-Projekt zwischen Kunstphilosophie und Anthropologie. In: Aichele u. Mirbach (Hg.): Alexander Gottlieb Baumgarten, S. 73–99. Dem Hinweis auf den Anteil der indoles am Ziel der Bildung des ‚ganzen Menschen‘ kommt um so mehr Gewicht zu, als sich die einschlägige philosophiegeschichtliche Forschung lange Zeit allein auf Baumgartens Konzeption des Ingeniums kapriziert hatte, weil sie vermeinte, darin eine Antizipation des Kantischen Geniebegriffs ausmachen zu können; die ästhetische Disposition besteht nach Baumgarten aber ausdrücklich in einer gewissen Proportion sowohl der Begehrungs- als auch der Erkenntniskräfte, die er nicht nur in der Metaphysica (§§ 648, 732) in analoger Weise definiert, sondern auch in der Aesthetica (§§ 29, 44) systematisch gleichordnet. Wolfgang Bender erklärt deshalb zu Recht, „daß das Erkenntnisinteresse der jungen Disziplin [der Ästhetik, S.B.] vor dem Hintergrund eines umfassenderen anthropologischen Modells gesehen werden muß, für das Begriffe wie ‚felix aestheticus‘ oder ‚Schöngeist‘ kennzeichnend sind.“ (Bender: Rhetorische Tradition und Ästhetik im 18. Jahrhundert, S. 489) Folglich greift Alfred Baeumler zu kurz, wenn er bloß das Bildungsziel einer „allseitig entwickelten Persönlichkeit“ in der Vorstellung des ‚ganzen Menschen‘ ausgesprochen sieht (Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts, S. 208). Vielmehr handelt es sich dabei um nichts Geringeres als die theologisch und erkenntnistheoretisch fundierte anthropologische Leitvorstellung von Baumgartens Ästhetik. 138 Zu denken wäre beispielsweise an die Komplementarität von ingenium und indoles bei Cicero (Orator 41; De oratore 1,131 und 2,88f.); vgl. dazu André Pellicer: Natura. Étude sémantique et historique du mot latin. Paris 1966 (= Publications de la Faculté des lettres et sciences humaines de l’Université de Montpellier, 27), S. 102–119.
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gung der rationalistischen mit der rhetorischen Anthropologie zur Folge haben, deren Auswirkungen auf die Ästhetik noch zu zeigen sein werden.139 Die Rede vom ‚Ingenium‘, vor allem aber vom ‚Temperament‘ des felix aestheticus scheint es auf den ersten Blick unerläßlich zu machen, daß der Künstler über eine gewisse von Geburt an vorhandene körperlich-seelische Ausstattung verfügt. So kommt Baumgarten an einer Stelle seiner Aesthetica ausdrücklich auf die medizinische Temperamentenlehre zu sprechen,140 der zufolge die spezifische Mischung der Körpersäfte das Temperament eines Menschen ausmacht. Tatsächlich zieht er dieser geläufigen Lehre (trita temperamentorum doctrina) jedoch eine psychologische Konzeption vor, nämlich das ‚temperamentum animae‘, das er in seiner Metaphysica auch als „Mischung der Gemüths-Neigungen“ übersetzt hatte. Dieses ‚Temperament der Seele‘ besteht in einem gewissen Verhältnis der Begehrungskräfte untereinander, das dem Willen eine bestimmte Richtung, einen „Hang“ (passio dominans), verleiht.141 Die Kollegnachschrift läßt keinen Zweifel daran, daß Baumgarten das Vorherrschen gewisser Gemütsneigungen gerade nicht von der Mischung der Körpersäfte abhängig denkt, sondern der medizinischen Temperamentenlehre nur insofern „einige Wahrheit“ zubilligt, als die physische und die psychische Einrichtung des Menschen aufeinander abgestimmt sind, allerdings ohne einen wie auch immer gearteten Kausalnexus, der die Substanzentrennung zwischen Körper und Seele überbrücken würde.142
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Wolff hatte das Vermögen des ‚Witzes‘ kurzerhand mit dem rhetorischen Begriff des Ingeniums für identisch erklärt, indem er Rednern und Poeten eine besondere Fähigkeit zum Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen Dingen zuerkannte, die ihnen insbesondere den Gebrauch von Tropen erleichtere; vgl. Wolff: Psychologia empirica, § 477, S. 367f. – Zu Recht stellt deshalb Joachim Dyck im Anschluß an Wolfgang Bender fest, „daß die Begriffsbildung bei Baumgarten, Breitinger und Meier, obwohl sie durch Christian Wolff analytisch gesichert ist und durchaus neu erscheint, gleichwohl der antiken Rhetorik entstammt“ und „daß die Rhetorik überhaupt strukturbildend für die Ästhetik wurde.“ (Joachim Dyck: Philosophisches Ideal und rhetorische Praxis der Aufklärung: Eine Problemskizze. In: Helmut Schanze u. Josef Kopperschmidt [Hg.]: Rhetorik und Philosophie. München 1989, S. 191–200, hier S. 192) Zum Fortleben der Rhetorik im 18. Jahrhundert allgemein vgl. Klaus Dockhorn: Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg v.d.H. u.a. 1968; Joachim Dyck: ‚Rede, daß ich dich sehe.‘ Rhetorik im Deutschland des 18. Jahrhunderts. In: Gert Ueding u. Thomas Vogel (Hg.): Von der Kunst der Rede und Beredsamkeit. Tübingen 1998, S. 70–89. Das aktuelle Forschungsinteresse an der rhetorischen Anthropologie dokumentieren die Sammelbände Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München 2000; Stefan Metzger u. Wolfgang Rapp (Hg.): Homo inveniens. Heuristik und Anthropologie am Modell der Rhetorik. Tübingen 2003 sowie das von Peter D. Krause herausgegebene Themenheft des Jahrbuchs Rhetorik von 2004 Rhetorik und Anthropologie (= Rhetorik: Ein internationales Jahrbuch, 23). 140 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 46, S. 18f. 141 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 732, S. 289. – Wolff hatte den Willen definiert als „eine Neigung des Gemüths gegen eine Sache, die wir uns als gut vorstellen.“ (Wolff: Deutsche Logik, Cap. 1, § 19, S. 133 [Kursivierung, S.B.]). 142 A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 46, S. 97; vgl. Fabian: Beitrag zur Geschichte des LeibSeele-Problems, S. 81f.
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Da Baumgarten die Proportion der seelischen Vermögen von Gewohnheit und Übung abhängig denkt, steht für ihn eine erst im nachhinein erworbene Proportion der Erkenntnis- und Begehrungsvermögen nicht hinter der dem Menschen ursprünglich angeborenen zurück. Obschon er also die natürliche Anlage (dispositio naturalis) ausdrücklich als ‚angeboren‘ kennzeichnet, gilt sie ihm deshalb noch lange nicht als invariable Naturgabe, sondern ganz im Gegenteil als beeinflußbar und formbar; sie sei, so Baumgarten, der Formung und Ausbildung durch beständige ästhetische Übungen (continua exercitia) sogar in besonderer Weise bedürftig, da sie ihre Stärke sonst in kürzester Zeit verliere.143 Auch der ästhetische Unterricht (disciplina aesthetica) ist dem felix aestheticus ungeachtet seiner angeborenen Anlage zum schönen Denken unverzichtbar: Wer hier nur seiner guten Natur folgen will, wird leichtlich fehlen; denn die Regeln müssen ihn von der Materie und Form seiner Sachen gewiß machen. Man wird Schaden davon haben, wann man ohne die Kenntnis der Regeln bleiben will; denn die gute Natur wird endlich verrauhen und man wird nicht wissen, was man machen soll, weil man die Regeln nicht weiß.144
Der natürlichen Anlage zum schönen Denken eignet bei Baumgarten also etwas überraschend Transitorisches, das ihrer Bestimmung als ‚natura‘ zu widersprechen scheint.145 Das läßt sich am besten an der Art und Weise deutlich machen, wie Baumgarten die künstlerischen Vermögen mit den Begriffen ‚Fähigkeit‘ bzw. ‚Fertigkeit‘ belegt:146 Laut Definition der Metaphysica ist eine Fertigkeit (habitus) eine durch häufige Wiederholung gleichartiger oder ähnlicher Handlungen, also durch Übung gesteigerte Fähigkeit (facultas); Fertigkeiten sind im Grunde also nur Fähigkeiten in höherem Grade. Dennoch spricht Baumgarten im gleichen Atemzug auch von ‚angeborenen‘ Fertigkeiten der Seele (habitus animae connati), ja sogar von ‚göttlichen‘ (infusi), die sich beide von den ‚erworbenen‘ (acquisiti) dadurch unterscheiden, daß sie gerade nicht von der Übung abhängen.147 Angeborene und 143
Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 48, S. 19: „Natura [...] non potest vel per breuius tempus, in eodem gradu subsistere. [...] hinc nisi continuis exercitiis augeantur eius vel dispositiones vel habitus, [...] decrescit, quantacunque ponatur, nonnihil ac torpescit [...].“ 144 A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 62, S. 106f. 145 Vgl. etwa A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 28, S. 11 gegen Ders.: Metaphysica, §§ 40, 430, S. 13, 139f. 146 Vgl. Franke: Kunst als Erkenntnis, S. 72f. 147 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 577, S. 206: „Facultatum animae maiores gradus quum sint habitus [...] & crebra repetitio actionum homogenearum, seu qua differentiam specificam similium, sit EXERCITIVM: exercitio augentur animae habitus [...]. HABITVS animae non dependentes ab exercitio, naturales tamen CONNATI (dispositiones naturales): dependentes ab exercitio, ACQVISITI, supernaturales, INFVSI [...] vocantur.“ – Als Synonyme fügt Baumgarten „angebohrene“, „erworbene“ und „göttliche Fertigkeiten der Seele“ bei. (Ebd.) – Christian Wolff hingegen hatte Fertigkeiten ausschließlich aus der Übung einer natürlichen Anlage hervorgehen sehen, angeborene oder göttlich eingegebene Fertigkeiten waren für ihn dagegen per definitionem ausgeschlossen; vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, § 525, S. 321f.; Ders.: Psychologia empirica, § 430, S. 339f. Johann Georg Walch hatte an dem von der Scholastik aufgebrachten Begriff des habitus infusus die Grenzüberschreitung zur Theologie gerügt; vgl. Walch: Art. Habitus. In: Ders.: Philosophisches Lexicon, 1726, Sp. 1384–1386, hier: Sp. 1384f.
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erworbene Fertigkeiten unterscheiden sich demnach nicht qualitativ voneinander, sondern allenfalls quantitativ, solange Übung und Gewohnheit sie noch nicht angeglichen haben. Das Kriterium der ‚Angeborenheit‘ ist in der Metaphysica also keine wesensmäßig-naturhafte Bestimmung der Fähigkeiten oder Fertigkeiten. Konsequenterweise wertet Baumgarten in der Aesthetica die natürlichen Anlagen (dispositiones naturales) bzw. angeborenen Fertigkeiten (habitus connati) dann auch nicht höher als die erworbenen Fertigkeiten (habitus acquisiti);148 das gilt auch für die Fertigkeit des schönen Denkens (habitus pulchre cogitandi), die – insofern sie nicht angeboren ist – durch ästhetische Übungen erworben werden kann.149 Durch Übungen lassen sich die Fähigkeiten und Fertigkeiten (dispositiones vel habitus) aber nicht nur im Umfang der natürlichen Anlage (natura) erhalten, sondern auch verstärken.150 Gerade darin besteht die ‚Verbesserung‘ oder ‚Vervollkommnung‘ der Natur des felix aestheticus, die Baumgarten als Ziel der Ästhetik bestimmt hatte. Weiteres Licht fällt auf diese Bestimmungen durch einige Ausführungen in der Theologischen Moral des älteren Baumgarten zu eben jenen habitus infusi, auf die sein jüngerer Bruder in der Metaphysica abzielte. Ausgehend von der Feststellung, daß die göttliche Gnade dem Christen in der Bekehrung übernatürliche Fertigkeiten verleihe,151 heißt es dort: Alle Menschen haben verschiedene Arten des Vermögens oder natürliche Fähigkeiten, aus deren Gebrauch Fertigkeiten entstehen [...]; Christen bekommen überdis durch die göttliche Gnadenwirckungen und derselben Genehmhaltung auch richtigen Gebrauch, übernatürliche Fertigkeiten. Da dieselbe nun von GOtt nicht vergeblich ertheilt werden, sondern insgesamt Mittel zur weitern Beförderung ihrer Wohlfarth seyn sollen, auch ohne rechtmäßige Anwendung abnehmen und auf hören [...]: so sind Christen verbunden, sich sowol überhaupt der möglichsten Besserung und Vermehrung aller natürlichen und übernatürlichen Kräfte und Fertigkeiten zu befleißigen [...].152
Die von Gott verliehenen Fertigkeiten bedürfen also ebenso wie die natürlichen Fertigkeiten der Übung und Besserung; sie sind nicht schon in ihrer Eigenschaft als göttliche Gaben vollkommen (ebensowenig wie die ‚angeborenen‘ natürlichen Fertigkeiten), sondern erst durch ihren Gebrauch zu vervollkommnen. Entsprechend ist für den jüngeren Baumgarten die ‚natura‘ (ungeachtet ihrer ‚Angeborenheit‘) ganz wesentlich auf Formung und Erweiterung hin angelegt. Hier läßt sich
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In Analogie zur traditionellen Unterteilung der Logik differenziert Baumgarten auch die Ästhetik in eine natürliche und eine künstliche und die aesthetica naturalis dann wiederum in eine angeborene und eine erworbene natürliche (!) Ästhetik; vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, §§ 2, 58, S. 1, 24. Die ohne methodische Unterweisung in der theoretisch fundierten Kunstlehre der Ästhetik erworbenen Fertigkeiten sind demnach nicht weniger ‚natürlich‘ als die angeborenen. 149 Vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 47, S. 19: „[...] vt habitus pulcre cogitandi sensim acquiratur“. 150 Vgl. ebd. § 48, S. 19. 151 Vgl. S.J. Baumgarten: Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen, § 72, S. 129f. 152 Ebd., § 125, S. 262f.
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eine Limitierung der anthropologischen Konzeption durch die Anleihe bei der Rhetorik erkennen: Es ist das Ergänzungsverhältnis von ars und natura,153 das es Baumgarten in der Aesthetica erlaubt, eine Verbesserung der Natur durch die Kunst – nämlich durch die Kunstlehre (ars) der Ästhetik – zu konzeptualisieren.154 Die Kunstlehre der Ästhetik kann die Natur des Künstlers nur deshalb verbessern, weil Baumgartens Begriff der ‚natura‘ gerade nicht-essentialistisch bestimmt ist: Die ‚angeborenen Fertigkeiten‘ sind dem Menschen nicht natürlicher als die ‚göttlichen‘ oder die ‚erworbenen‘, sie sind einfach nur nicht durch Übungen verstärkt; gleichwohl bedürfen sie der Übung, um nicht zu verkümmern. Doch ist ihre ‚angeborene‘ Stärke eben nicht natürlich in dem Sinne, daß sie ihnen unverlierbar wäre – gerade deshalb insistiert Baumgarten ja auf Übung und Ausbildung der natürlichen Anlage durch die Kunstlehre der Ästhetik. Genau besehen müßte das vermeintlich biologisch determinierte Kriterium der ‚Angeborenheit‘ der natürlichen Anlage zum schönen Denken (verstanden als körperlich-seelische Ausstattung des Menschen) die Forderung nach einer ‚Verbesserung der Natur‘ ausschließen; doch wird der Konflikt beider Konzepte in der Aesthetica darum nicht offenbar, weil Baumgarten die Natur des Künstlers im Sinne der rhetorischen Anthropologie bestimmt und dabei die Topik der biologischen Generation geflissentlich meidet. Keinesfalls aber läßt sich dafür eine einseitige Festlegung Baumgartens auf ein präformationistisches Generationsmodell dingfest machen, hatte er doch in seiner Metaphysica der Vorstellung von der psychophysischen Präexistenz des Menschen mit dem Konkreatianismus ein Modell an die Seite gestellt, das mit der gemeinsamen Entstehung von Körper und Seele bei der Zeugung unverkennbar auf die Epigenesis hinauslief. Bei Baumgartens Schüler Georg Friedrich Meier kommt es dann allerdings zu Friktionen von rhetorischer Anthropologie und generativer Metaphorik.
3.3 Aufklärerische Systematisierung der Ästhetik bei Meier Die Grundzüge von Baumgartens Aesthetica nahm Georg Friedrich Meier in seinen Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften (1748–50) vorweg – freilich mit „Genehmhaltung“ seines verehrten Lehrers, den er als den eigentlichen „Haupturheber der Aesthetik“ benannte.155 Nach Baumgartens Wechsel nach Frankfurt an
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Vgl. Florian Neumann: Art. Natura. In: HWRh, Bd. 6, Sp. 135–139; Ders.: Art. Natura-arsDialektik. Ebd., Sp. 139–171. 154 Zur Fortwirkung des Naturbegriffs der antiken Rhetorik bei Baumgarten vgl. Linn: A.G. Baumgartens Aesthetica und die antike Rhetorik, S. 90–93. 155 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, Vorrede zur ersten Auflage, o.S. (zitiert wird nach der 1754–59 erschienen zweiten Auflage; alle Belegstellen wurden mit der Erstauflage abgeglichen). Zum Anschluß Meiers an Baumgarten vgl. Uwe Möller: Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie im frühen 18. Jahrhundert. Studien zu Gottsched,
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der Oder hatte Meier seine eigenen Vorlesungen zur Ästhetik nach dessen Kolleg eingerichtet und konsequenterweise auch die Verteidigung Baumgartens gegen die Angriffe aus dem Lager der Gottschedianer übernommen.156 Meier orientierte sich in den Anfangsgründen oft bis in einzelne Formulierungen hinein an Baumgartens Kolleg, von dem ihm eine Ausfertigung „in kurzen lateinischen Paragraphen“ vorgelegen hatte; gleichwohl legte er – wie in seiner später erschienenen Metaphysik – Wert darauf, in seiner Ausarbeitung mehr getan zu haben „als ein blosser Uebersetzer und Paraphraste“.157 Tatsächlich lassen sich einige gewichtige Unterschiede zwischen Baumgartens und Meiers Grundlegung der Ästhetik benennen. So ist beispielsweise kritisiert worden, daß Meier das erkenntnistheoretische Fundament der Ästhetik verkürze, indem er sich in seiner Ausarbeitung vor allem auf die Theorie der schönen Wissenschaften und Künste konzentriere,158 wobei „eine Psychologisierung der ästhetischen Grundbestimmungen“ an die Stelle der ursprünglich gnoseologischen Konzeption trete.159 Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß die von Baumgarten betriebene erkenntnistheoretische Fundierung der Breitinger und G.Fr. Meier. München 1983, S. 88; Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 79. 156 Vgl. etwa Georg Friedrich Meier: Vertheidigung der Baumgartischen Erklärung eines Gedichts, wider das 5 Stück des I Bandes des neuen Büchersaals der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Halle 1746 [erneut in Ders.: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2, S. 33–55], § 1, S. 4: „Indem ich also mich bestreben werde, den wahren Begriff eines Gedichts zu retten, so habe ich zugleich das Vergnügen, die Ehre des Herrn Professor Baumgartens zu beschützen. Weil derselbe ietzo weder Zeit noch Lust hat sich selbst zu vertheidigen, so hat er mir die Erlaubnis gegeben, seine gute Sache zu unterstützen. Ich habe mir dieselbe um so viel lieber ausgebeten, ie mehr der Angriff mich selbst mit angeht, weil ich ietzo nach den Grundsätzen dieses gelehrten Mannes, die Theorie der schönen Wissenschaften, öffentlich lehre.“ – Zur Kontroverse mit den Gottschedianern vgl. die Texte und Kommentare in Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2 sowie Witte: Logik ohne Dornen, S. 60–62. 157 Vorrede zur ersten Auflage in Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, o.S. Zum Beginn von Meiers halleschen Vorlesungen über die Ästhetik und zur Ausarbeitung der Anfangsgründe vgl. Schenk: Leben und Werk des halleschen Aufklärers G.F. Meier, S. 19. – Völlig überzogen ist es, wenn Steffen W. Groß (im Anschluß an Alfred Baeumler) Meier für die geringe Rezeption der Aesthetica verantwortlich macht und ihn überdies für blind gegenüber Baumgartens originärem Ansatz erklärt; vgl. Groß: Felix aestheticus, S. 17. 158 Vgl. etwa Witte: Logik ohne Dornen, S. 65f.; Solms: Disciplina aesthetica, S. 115. Anselm Haverkamp spricht in bezug auf Meiers Anfangsgründe sogar vom „ersten und weitreichendsten der Rezeptionsunfälle Baumgartens.“ (Haverkamp: Wie die Morgenröthe zwischen Nacht und Tag, S. 8) Ein Zurückfallen Meiers hinter den von Baumgarten erreichten Theoriestand behauptet auch Hans-Georg Juchem: Die Entwicklung des Begriffs des Schönen bei Kant. Unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs der verworrenen Erkenntnis. Bonn 1970, S. 27– 33. Angesichts der besagten „Genehmhaltung“ seines philosophischen Lehrers erscheint es jedoch angebrachter, in Meier mit Petra Bahr einen „Interpreten“ zu sehen, „über dessen Interpretation bestimmter Fragen, z.B. der Hermeneutik oder der Theorie der Gemütsbewegungen, Baumgartens Konzeption allererst aufgehellt werden kann.“ (Bahr: Darstellung des Undarstellbaren, S. 12, Anm. 4) Das heißt natürlich nicht, daß nicht in Einzelheiten gewisse Unterschiede diagnostiziert werden müssen, vgl. etwa die unten (Anm. 161) angeführte Kritik Baumgartens an Meier. 159 Witte: Logik ohne Dornen, S. 66.
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Ästhetik nicht allein in Meiers Anfangsgründen, sondern auch in seinen umfangreichen Schriften zur Logik und zur Metaphysik zu finden ist.160 Das findet schon darin seinen Ausdruck, daß Meier im Aufbau nicht bloß der Anfangsgründe, sondern auch der Vernunftlehre (1752) Baumgartens nach rhetorischem Muster gegliederter Aesthetica folgt;161 ebenso darin, daß Meier – obschon das Hauptaugenmerk der Vernunftlehre der Verbesserung der oberen Erkenntnisvermögen gilt – darin doch ausdrücklich an Baumgartens Korrektur der rationalistischen Gnoseologie und die entsprechende Aufwertung der unteren gegenüber den oberen Erkenntnisvermögen anknüpft: Vernunft und Verstand können unmöglich recht vollkommen seyn, wenn nicht die sinnlichen Kräfte der Seele verbessert sind, und in dieser Vollkommenheit der sinnliche [!] Kräfte besteht eben die Schönheit des Geistes. Wenn die untern Kräfte der Seele nicht recht vollkommen sind, so legen sie den obern viele Hindernisse in den Weg.162
Meiers Metaphysik setzt ebenfalls die gnoseologische Wende der Aesthetica voraus, beispielsweise wenn Meier ganz en passant erklärt, „die dunkele und verworrene Erkenntniß [könne] grösser und vollkommener seyn, als die klare und deutliche.“163 Entgegen der oftmals behaupteten Verflachung und Popularisierung von Baumgartens erkenntniskritischem Ansatz kann man Meier im Gegenteil dessen konsequente Verfolgung in einer ganzen Reihe von Werken bescheinigen. Nach den Worten von Riccardo Pozzo geht Meier insofern sogar noch über Baumgarten hinaus, als er „durch seine von der Psychologie ausgehende, zügig vorangetriebene
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Angesichts der breiten, weit über die Anfangsgründe hinausreichenden Rezeption von Baumgartens gnoseologischem Ansatz durch Meier erledigt sich die ihm von Armand Nivelle zugeschriebene Inferiorität gegenüber der konzeptionellen Leistung der Aesthetica von selbst; vgl. Nivelle: Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik, S. 43–46. 161 Vgl. Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 154–158. Auf den analogen Aufbau der beiden Meierschen Auszüge (Auszug aus der Vernunftlehre, 1752; Auszug aus den Anfangsgründen aller schönen Künste und Wissenschaften, 1758) hat bereits Günter Schenk hingewiesen; vgl. Schenk: Wesen und Funktion der Ästhetik als Universitätsdisziplin, S. 118f. – Die einzige nennenswerte Abweichung von der Gliederung der Aesthetica betrifft die hier vor allem interessierende Abhandlung vom Charakter eines schönen Geistes, die Baumgarten an die Spitze seines Werkes gestellt hatte, während Meier sie recht willkürlich ans Ende des ersten Bandes der Anfangsgründe verbannte, wofür er sich denn auch prompt einen Tadel seines ehemaligen Lehrers zuzog: „Deshalb wird diese Abhandlung [vom schönen Geist, S.B.] natürlicher voranstehen, als wenn wir sie mit Herrn Meier zuletzt nehmen wollten. Wann ich die wesentlichen Stücke von der Beschaffenheit einer Sache anführe, so führe ich ihren Charakter an.“ (A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 27, S. 85) In Meiers Vernunftlehre schließt der entsprechende Abschnitt zum Charakter eines Gelehrten sogar das Gesamtwerk ab; vgl. dazu Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 299–306. 162 Georg Friedrich Meier: Vernunftlehre. Halle 1752, § 588, S. 768. Vgl. auch die Berücksichtigung des Konzepts der ‚extensiven Klarheit‘ im Abschnitt Von der Klarheit der gelehrten Erkentniß sowie die zahlreichen Verweise auf die Anfangsgründe (ebd., §§ 145–186, S. 168– 250). 163 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 524, S. 83; vgl. auch ebd., § 526, S. 85f.
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Erhebung der theoretischen und praktischen Regeln von Logik, Ästhetik und Rhetorik zu einem gesamten System der artes liberales“ gelangt.164 Im vorliegenden Zusammenhang ist es allerdings von Bedeutung, daß Meier Baumgartens föderaltheologischen Ansatz bei der Grundlegung der Ästhetik nicht übernimmt, wonach die Vervollkommnung der unteren Erkenntnisvermögen im Dienst der Wiederherstellung der menschlichen Gottebenbildlichkeit steht, sondern statt dessen dem in der Baumgartenschen Ethica formulierten, ursprünglich von Wolff stammenden,165 Selbstvervollkommnungsgebot der praktischen Philosophie folgt,166 wenn er die Verbesserung der unteren Erkenntniskräfte als eine moralische Pflicht herausstellt: Es ist eine von den vornehmsten Pflichten, die wir gegen unsere Seele zu beobachten haben, daß wir alle unsere sinlichen Kräfte der Seele ausbessern müssen. [...] Wenn also die philosophische Sittenlehre volständig seyn sol, so mus man wissen, wie man den sinlichen Theil der Seele verbessern soll, dieses aber lehrt uns die Aesthetick.167
Die Perfektibilisierung der menschlichen Erkenntniskräfte ist für Meier also in erster Linie ein sittliches Gebot und kein göttlicher Auftrag. Nur über einen Umweg, nämlich über den „ungemeinen Nutzen“, den die Ästhetik „in der philoso-
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Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 307. Ganz zu Recht spricht auch Martin Pott davon, daß bei Meier die „psychologisch-genetische Betrachtung der Erkenntnis- und Begehrungskräfte zur Grundlage wissenschaftlicher Philosophie überhaupt [wurde], die er im Anschluß an seinen Lehrer und Lehrstuhlvorgänger in Halle, Alexander Gottlieb Baumgarten [...], in Grundzügen aus dem Wolffschen System rekonstruierte.“ (M. Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 326). 165 Vgl. dazu oben S. 148. 166 Vgl. A.G. Baumgarten: Ethica philosophica, § 10, S. 9. Wolffs zentrale ethische Maxime lautet: „Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet.“ (Wolff: Deutsche Ethik, § 12, S. 12). 167 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 18, S. 30. – Nach Wolffs Deutscher Ethik ist der Mensch zwar ebenfalls verpflichtet, nach Scharfsinnigkeit, Witz usw. zu streben, aber wohlgemerkt als Vermögen deutlicher Vorstellung, die von ihm unter den Pflichten gegen den Verstand (§§ 253–371) abgehandelt wurden; Pflichten gegen die unteren Erkenntnisvermögen kannte Wolff im Gegensatz zu Baumgarten und Meier nicht – abgesehen von der bereits erwähnten Pflicht zur Verbesserung von Einbildungskraft und Gedächtnis durch Übung, die er jedoch bemerkenswerterweise unter die Pflichten gegen den Leib (§§ 437– 512) zählte; als Begründung dafür erklärte er, daß sich Gedächtnis und Einbildungskraft „nach dem Zustande des Gehirnes richten.“ (Wolff: Deutsche Ethik, S. 346, § 505) – Abgerundet wird das Tableau der für die Verbesserung der Seelenvermögen des Menschen zuständigen Wissenschaften durch die sogenannte philosophische Pathologie, der Meier seine Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt (1744) gewidmet hatte. Die Vollständigkeit dieser ‚Vierertafel‘ bestätigt der aus der Schule der ‚vernünftigen Ärzte‘ hervorgegangene Johann Christian Bolten in seinen Gedancken von psychologischen Curen folgendermaßen: „Die Ästhetik [...], Logick [...], philosophische Pathologie und Moral [...] sind demnach die Wissenschaften, welche zusammengenommen eine vollständige Wissenschaft aller Regeln ausmachen, welche man zu beobachten hat, alle Kräfte der Seele durchgängig zu verbessern. Alle Kranckheiten der Seele haben ihren Siz in den Erkenntnis und Begehrungskräften der Seele [...] folglich sind diese Wissenschaften hinreichend, alle Kranckheiten der Seele daraus curiren zu lernen.“ (Bolten: Gedancken von psychologischen Curen, S. 63).
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phischen Sittenlehre“ stiftet,168 stellt sich ein Bezug der von ihr geleisteten Verbesserung der sinnlichen Kräfte zur Gottebenbildlichkeit des Menschen her, insofern sich nämlich das sittliche Gebot in eine Anweisung zur Vermehrung der Ebenbildlichkeit übersetzen läßt: Der erste Grundsatz der practischen Weltweisheit, den die Weltweisen annnehmen: mache dich selbst durch alle deine freye Handlungen vollkommener, ist also eben so viel, als wenn man sagt: werde immer ein grösseres Ebenbild GOttes. [...] Je mehr also ein Mensch seinen Verstand verbessert, je mehr vernünftige Erkenntniß und wahre Gelehrsamkeit er besitzt, je weiser und klüger er ist, ein desto grösseres Ebenbild GOttes ist er. Wie abgeschmackt und untheologisch denken demnach die andächtigen Feinde der Gelehrsamkeit, und der Verbesserung der menschlichen Vernunft!169
Inwieweit hier von einer Verbesserung des ‚ganzen Verstandes‘ im Sinne Baumgartens die Rede ist, bleibt indes fraglich, bezieht Meier die Vermehrung der Gottebenbildlichkeit in diesem aus seiner Natürlichen Gottesgelahrheit stammenden Zitat doch ausdrücklich nur auf die Besserung von Vernunft und Verstand, unter deren Aufsicht der Mensch allein solche freien Handlungen unternimmt, die ihn vollkommener und mithin Gott ähnlicher machen. Es ist dabei wohlgemerkt die ‚Nachahmung Gottes‘, die nach Meiers Dafürhalten die menschliche Gottebenbildlichkeit vermehren hilft;170 eine Wiederherstellung der durch den Sündenfall verlorenen Urstandsvollkommenheit hat er im Unterschied zu Baumgarten nicht im Sinn. Dementsprechend findet sich in Meiers Anfangsgründen keine vergleichbare Anwendung der von der föderaltheologischen Anthropologie abgeleiteten Idee einer Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit durch die von der Ästhetik zu leistende Verbesserung der sinnlichen Vermögen des Menschen. Nur ganz obenhin streift Meier die bei Baumgarten in der Grundlegung der Ästhetik ausgeführte religiöse Problematik, wenn er auf die Einwände von „einigen mürrischen und catonischen Sittenlehrern“ eingeht,171 die die Sinnlichkeit mit der Erbsünde identifizieren und deshalb „die Aesthetick mit dem grossen Banne [...] belegen.“172 Zur Verteidigung der neuen philosophischen Disziplin bringt Meier nur knapp reihend vor, daß die Sinlichkeit überhaupt, von der Erbsünde und demjenigen, was der Geist Gottes Fleisch nent, unterschieden sey; daß man die Sinlichkeit beherschen, nicht aber als ein Tyranne mit
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Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 18, S. 30. Meier: Metaphysik, Th. 4: Die natürliche Gottesgelahrheit, § 872, S. 134f. Georg Friedrich Meier: Abbildung eines wahren Weltweisen. Hildesheim, Zürich u. New York 2007 [ND der Ausg. Halle 1745] (= WGW III, 100), § 13, S. 19f.; vgl. auch ebd., § 88, S. 175. 171 Carsten Zelle arbeitet an diesem Zitat eine „doppelte Frontstellung“ der Ästhetik heraus, nämlich gegenüber der christlichen Anthropologie mit ihrer Betonung der Erbsünde einerseits und gegenüber einer an der stoischen Ethik der Apathie orientierten philosophischen Anthropologie andererseits (Zelle: Klopstocks Diät, S. 111f.). 172 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 22, S. 35.
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derselben umgehen müsse; daß man nicht so unsinnig seyn müsse, und die Sinlichkeit ausrotten wollen; und daß Adam, mitten in dem Stande der Unschuld, die Eva zärtlich geliebt habe.173
Meier beläßt es bei dieser kurzen Erwähnung der christlichen Urstandslehre, ohne sie im Sinne der föderaltheologischen Anthropologie zu vertiefen. An der Wendung, „daß Adam, mitten in dem Stande der Unschuld, die Eva zärtlich geliebt habe“ ist gerade noch erkennbar, daß die Urstandslehre bereits in jenem frühen Baumgartenschen Kolleg zur Ästhetik, dessen lateinische Niederschrift Meier vorgelegen hatte, einen Motivierungshintergrund für die Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis- und Begehrungskräfte abgegeben hatte, doch nimmt Meier diesen Faden nicht auf, sondern läßt es bei der bloßen Erwähnung bewenden, ohne irgendwelche Schlüsse von der zärtlichen Liebe vor dem Sündenfall auf die durch die Ästhetik zu leistende Vervollkommnung des Menschen nach dem Fall zu ziehen. Die bei Baumgarten eindeutig auf Wolff gemünzte Kritik am Selbst- und Menschenbild des rationalistischen Philosophen fällt bei Meier, der ja als Kollege Wolffs in Halle lehrt, weniger persönlich aus, wenn er sein idealtypisches Bild eines Weltweisen entwirft: Ein rechtschaffener Weltweiser verbessert also nicht bloß seine obern Erkenntnißvermögen, den Verstand und die Vernunft, sondern auch die untern Kräfte. Er bedient sich nicht bloß der erstern in der Untersuchung der philosophischen Wahrheiten, sondern auch der letztern. [...] Ein wahrer Weltweiser erinnert sich daß er ein Mensch ist, und philosophirt als ein Mensch, unter Menschen, auf eine menschliche Art. Er verbessert alle seine untere Kräfte, durch die schönen Wissenschaften. Er ist ein Poet und Redner, wenigstens der Theorie nach, und versteht die schönen Wissenschaften. Er braucht seine, dergestalt verbesserten, sinnlichen Erkenntnißkräfte, in der Untersuchung und dem Vortrage der Weltweisheit. Dadurch wird seine Erkennntiß und Vortrag nicht nur gründlich, sondern auch schön, und gefält auf eine unendliche Art.174
Nicht weniger als Baumgarten sieht auch Meier die gebotene Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen in den Dienst der Bildung des ‚ganzen Menschen‘ gestellt:175 Wer sich allein auf die „höhern Wissenschaften“ verlege, die ausschließlich auf eine „Ausbesserung“ der deutlichen Erkenntnis zielen, der drohe, so
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Ebd., § 22, S. 36. Meier: Abbildung eines wahren Weltweisen, § 50, S. 98f. Trotz Meiers persönlicher Zurückhaltung war ihm dennoch Wolffs Verachtung gewiß, klagte dieser doch 1750 einem Besucher, „daß man jetzo alles ästhetisch machen wolle; es heiße damit nichts; die Baumgartensche Aesthetick sowohl als die Meiersche sey elendes Zeug.“ (J.C.C.O. [d.i. Johann Carl Conrad Oelrichs]: Tagebuch einer gelehrten Reise 1750, durch einen Theil von Ober- und NiederSachsen [Aus der Handschrift]. In: Johann Bernoulli: Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Bd. 5. Berlin u. Dessau 1782, S. 1–152, hier S. 61f. [Hinweis bei Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 81]). 175 Vgl. die Nachweise bei Cassirer: Philosophie der Aufklärung, S. 368, Anm. 102; vgl. auch Möller: Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie im frühen 18. Jahrhundert, S. 86.
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Meier, zu einem trockenen Stubengelehrten zu verkommen.176 Um einer solch einseitigen Ausbildung entgegenzuwirken, empfehle sich die gleichzeitige Kultivierung der sinnlichen Erkenntnis durch das Studium der ‚schönen Wissenschaften‘, denn: „Die schönen Wissenschaften beleben den ganzen Menschen. Sie hindern die Gelehrsamkeit nicht, sondern machen sie menschlicher.“177 Auch ein ‚gelehrter Kopf‘ setze einen ‚schönen Geist‘ voraus,178 weshalb eine Verbesserung der sinnlichen Erkenntnis auch im Interesse einer Vervollkommnung der Vernunfterkenntnis durch die ‚höheren Wissenschaften‘ geboten sei.179 Dementsprechend steht für Meier die Verbesserung der sinnlichen Erkenntnis durch die Ästhetik im Dienste „einer grössern Ausbesserung unserer gantzen Erkentnis.“180 Denn gemäß Baumgartens Korrektur an der rationalistischen Gnoseologie, der Meier hier folgt, bereitet die Sinnlichkeit den oberen Erkenntniskräften „einen guten Stof und schöne Materialien“ zu.181 In Anbetracht dieser Erkenntnisgenese muß die Logik ihren Führungsanspruch bei der Verbesserung der menschlichen Erkenntnis an die Ästhetik abtreten: Und da, die sinnlichen Begriffe, der Stoff zu den deutlichen sind; so kann niemand seine Begriffe nach der Vernunftlehre gehörig und völlig verbessern, der sie nicht schon nach der Ästhetik verbessert hat: er müßte denn mit bloß trockenen gelehrten Begriffen zufrieden sein wollen.182
Hatte Baumgarten in wissenschaftssystematischer Hinsicht die Eigenständigkeit der Ästhetik gegenüber der Logik vermögenspsychologisch begründet, so münzt Meier den oben angeführten Verweis auf die Kontinuität der Natur an einer Stelle sogar zu einem schöpfungstheologischen Argument für die neue Hierarchie der Erkenntnisvermögen um:
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Meier karikiert solche Weltweisen, die ihre sinnlichen Erkenntniskräfte zugunsten der oberen Erkenntnisvermögen ganz vernachlässigen, einmal als „Mißgeburthen, die einen so ungeheuren Kopf haben, daß der übrige Körper nur ein Anhang desselben zu seyn scheint.“ (Meier: Abbildung eines wahren Weltweisen, § 50, S. 98). 177 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 15, S. 25. 178 Vgl. Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 301f. 179 Vgl. Meier: Vernunftlehre, § 588, S. 768. 180 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 15, S. 24. 181 Ebd., § 13, S. 20. 182 Georg Friedrich Meier: Auszug aus den Anfangsgründen aller schönen Künste und Wissenschaften [1758]. In: G.Fr. Meier und die Anfangsgründe aller schönen Künste und Wissenschaften. Hg. v. Günter Schenk. Halle [1992] (= Bibliothek mitteldeutscher Denker, Abt. 1: Hallesche Aufklärer, 1), S. 1–129, hier § 164, S. 64. – Ganz zu Recht stellt Riccardo Pozzo deshalb in bezug auf Meiers Vernunftlehre fest: „Die Abhängigkeit der oberen von den unteren Erkenntniskräften ist für Meier von entscheidender Bedeutung.“ (Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 302).
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In der Natur geschieht kein Sprung. Bey der Schöpfung der Welt war es erst finster auf der Tiefe, und alsdenn sprach GOtt: es werde Licht! Wir Menschen bekommen also nicht mit einemmale eine klare Erkenntniß, sondern wir müssen zuerst eine dunkele Erkenntniß haben.183
Genauerhin verfährt die menschliche Seele im Zuge ihrer Erkenntnisgewinnung sogar analog zur göttlichen Weltschöpfung, wenn sie aus der ursprünglichen dunklen Erkenntnis ihre klare Erkenntnis herausarbeitet: Wir wollen nur noch bemerken, daß die dunkele Erkentniß den Stof ausmacht, aus welchem die Seele das ganze Gebäude ihrer klaren Erkentniß aufführt. Als GOtt die Welt schuf, so schuf er erst etwas, welches finster und leer, oder ein Chaos war, und daraus bildete er dieses prächtige Weltgebäude. Die dunkele Erkentniß ist das Chaos in der Seele, der rohe Klumpen Materie, den die schöpferische Kraft der Seele bearbeitet, und aus welchem sie nach und nach alle klare Erkentniß zusammensetzt. Ohne dunkele Erkentniß könten wir gar keine klare Erkentniß haben, denn hier kan der Satz als wahr angenommen werden: aus Nichts wird Nichts.184
Hans Adler hat darauf hingewiesen, daß bereits Christian Wolff die unvermeidliche Existenz von Dunklem und Undeutlichem im menschlichen Verstand anerkennt.185 In der Bewertung wandele sich das Dunkle im Laufe des 18. Jahrhunderts dann „immer mehr vom Störfaktor zum Nährboden“.186 Die Qualifizierung des Dunklen durch Wolff einerseits und durch Baumgarten und Meier andererseits bestätigt diesen Befund: Wolff spricht davon, „daß unser Verstand niemahls gantz rein ist, sondern bey der Deutlichkeit beständig noch viel Undeutlichkeit und Dunckelheit übrig bleibet.“187 Er betrachtet das Undeutliche also als Hemmschuh der deutlichen Erkenntnis, den es auf dem Weg zum erkenntnistheoretischen Ideal der Gründlichkeit abzustreifen gilt.188 Meier hingegen erklärt nicht nur, daß „alle unsere deutlichen Vorstellungen [...] zum Theil sinnlich“, mithin undeutlich seien,189 er 183
Meier: Vernunftlehre, § 156, S. 186; vgl. dazu Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 221. – In diesem Sinne greift Meier in der Vernunftlehre auch das sprechende Bild „Ex nocte per auroram meridies“ aus Baumgartens Aesthetica auf; vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 7, S. 3. Bei Meier findet es seinen Ausdruck folgendermaßen: „Die Natur thut niemals einen Sprung. Wir können also die dunkele Erkentniß nicht unmittelbar in eine deutliche verwandeln, sondern wir müssen aus der Dunkelheit, durch die verworrene Klarheit, in die Deutlichkeit übergehen. Zwischen der finstern Nacht, und dem hellen Tage, befindet sich die Morgendemmerung [!].“ (Meier: Vernunftlehre, § 173, S. 221f.). 184 Meier: Vernunftlehre, § 159, S. 195. Ähnlich bereits in Ders.: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt. Frankfurt a.M. 1971 [ND der Ausg. Halle 1744] (= Athenäum Reprints), § 49, S. 56f. 185 Vgl. Adler: Fundus animae, S. 202f.; daran anknüpfend: Gerhard Sauder: ‚Dunkle‘ Aufklärung. In: Das achtzehnte Jahrhundert 21 (1997), S. 61–68, hier S. 64f. 186 Adler: Fundus animae, S. 208. 187 Wolff: Deutsche Metaphysik, § 285, S. 156. 188 Laut Baumgarten ist der deutlichen Erkenntnis notwendigerweise Undeutlichkeit beigemischt (necessario admixtum est); vgl. A.G. Baumgarten: Aesthetica, § 7, S. 3. 189 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 525, S. 84. In Meiers Auszug aus der Vernunftlehre heißt es dementsprechend: „Keine menschliche deutliche Erkenntnis ist ganz deutlich.“ (Georg Friedrich Meier: Auszug aus der Vernunftlehre [1752]. In: Immanuel Kant: Gesammelte Schriften. Bd. 16. Berlin 1914 [= Abt. 3: Handschriftlicher Nachlaß, Bd. 3: Logik], § 144, S. 349).
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schließt sich darüber hinaus Baumgartens Bewertung der sinnlichen Erkenntnis als conditio sine qua non der deutlichen Erkenntnis an, indem er den Anteil des Dunklen und Undeutlichen am Deutlichen herausstellt: „Hätten wir nun keine dunkeln Vorstellungen, so hätten wir auch gar keine klare Erkenntniß. Es sind also dieselben nicht nur nicht unnütz, sondern sie sind auch der Seele ganz unentberlich.“190 Unentbehrlich sind sie, genauer besehen, nicht allein dadurch, daß sie Materialien bereitstellen, aus denen sich deutliche Erkenntnisse gewinnen lassen, vielmehr ist die Deutlichkeit schon im Dunklen und Undeutlichen angelegt und enthalten, und das in einem durchaus präformationistischen Sinne. Denn Meier bedient sich – wie zuvor schon Wolff und Baumgarten – explizit der biologischen Vorstellung von der ‚Evolution‘ präformierter Keime als Modell für die Hervorbringung klarer Vorstellungen aus vormals dunklen: „Nemlich eine Vorstellung wird hervorgebracht, oder entwickelt, wenn ihre Dunkelheit vermindert, und ihre Klarheit hervorgebracht und vermehrt wird.“191 Wie gesehen, ist die Klarheit schon ‚keimhaft‘ im Dunkel der Sinnlichkeit vorhanden, aus dem sie bloß ‚entwickelt‘ (evolvitur) werden muß.192 Der „fundus animae“, jener „Inbegrif aller dunkeln Vorstellungen der Seele“, die „die Grundlage der ganzen menschlichen Erkenntniß ausmachen“,193 wird in dieser präformationistischen Deutung nachgerade zum genetischen Ursprungsort jeglicher sinnlichen Erkenntnis. Meier gab allerdings gelegentlich auch andere als biologische Deutungen der ‚Entwicklung der Erkenntnis‘, so etwa in der meteorologischen Metapher der ‚Aufklärung‘: Diejenige Handlung, wodurch die Dunkelheit der Erkentniß vermindert, und die Klarheit hervorgebracht und vermehrt wird, heißt die Entwickelung oder die Auswickelung der Erkentniß. Wenn die Erkentniß dunkel ist, so ist sie hinter einem undurchdringlichen Nebel versteckt, und sie ist in eine finstere Decke eingewickelt oder eingehüllet. Und sie wird eingewickelt, wenn sie dunkeler wird. So bald nun die Dunkelheit abnimt, und die Klarheit vermehret wird, so bald verdünnet sich der Nebel, und die Erkentniß fängt an immer heller und heller durchzuschimmern, wie das Bild der Sonne, wenn ein dicker Nebel anfängt zu verschwinden.194
Die Austauschbarkeit biologischer und meteorologischer Metaphorik für die ‚Entwicklung‘ der Erkenntnis verweist auf denselben Zusammenhang, der sich in Baumgartens föderaltheologisch motiviertem Programm einer Wiederherstellung
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Meier: Metaphysik, Th. 3, § 486, S. 28. Ebd., § 556, S. 130f. Es handelt sich um eine wörtliche Übersetzung aus A.G. Baumgartens Metaphysica (§ 559, S. 198). – Kant wird hier später energisch Widerspruch anmelden; in seinem Handexemplar von Meiers Auszug aus der Vernunftlehre notiert er zu der entsprechenden Stelle: „allein die hervorbringung einer klaren Erkentnis ist nicht evolutio. synthetischer Ursprung der Klarheit.“ (Kant: Gesammelte Schriften, Bd. 16, S. 324, Nr. 2343). 192 Riccardo Pozzo, der die Stelle anführt, übersieht den Zusammenhang mit der Präformationslehre; vgl. Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 222. In gleicher Weise hatte Hans Adler ihn bei Baumgarten übersehen; vgl. oben S. 157. 193 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 485, S. 26. 194 Meier: Vernunftlehre, § 162, S. 200f.
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der Gottebenbildlichkeit durch die Verbesserung der sinnlichen Erkenntnis im Bild der Hebung des dunklen Seelengrundes ausgedrückt hatte: Was auf den ersten Blick als Ausbildung präformierter Strukturen erscheinen könnte, ist bei Baumgarten in Wirklichkeit nichts anderes als ein Restitutionsprozeß, durch den eine infolge des Sündenfalls verlorene Vollkommenheit wiederhergestellt wird; in gleicher Weise ist in Meiers Metapher der ‚Aufklärung‘ das Licht der Erkenntnis stets dagewesen, jedoch „hinter einem undurchdringlichen Nebel versteckt“, so daß sich die ‚Entwicklung der Erkenntnis‘ ebensogut als Auflösung eines verhüllenden Nebelschleiers ins Bild setzen läßt. Man könnte an dieser Stelle versucht sein zu fragen, ob nicht das aufklärerische Perfektibilitätsstreben insgesamt durch die zentrale meteorologische Metaphorik und Ikonographie der ‚Aufklärung‘ im Sinne einer Auflösung und Vertreibung verdunkelnder Wolken unversehens in die Nähe des föderaltheologischen Restitutionsprogramms rückt.195 Wie die ‚ästhetische Erziehung‘ könnte sich dann auch die aufklärerische Hoffnung auf eine Vervollkommnung des Menschen als letztlich theologisch motivierte Heilserwartung darstellen, die ihrer Erfüllung im Rahmen einer göttlichen ‚Erziehung des Menschengeschlechts‘ harrt. Für Meier ergibt sich aus dem gnoseologischen Befund die Forderung nach einer Verbesserung und Vervollkommnung der unteren Erkenntnisvermögen und damit das Desiderat einer wissenschaftlichen Ästhetik: Da nun das sinnliche Erkenntnißvermögen sich bey aller unserer Erkenntniß geschäftig erweist, und so viel Macht über die ganze Seele ausübt: so breitet sich die gröste Unvollkommenheit über alle unsere Erkenntniß, und die äusserste Zerrüttung über die ganze Seele aus, wenn dasselbe nicht aufs möglichste verbessert wird. Daher preißt sich diejenige Wissenschaft von selbst ungemein an, welche man die Aesthetik nennt, oder die Wissenschaft der Regeln, wie wir eine Sache auf eine recht vollkommene Art sinnlich erkennen und vortragen sollen. In dieser Wissenschaft wird gezeigt, wie wir das untere Erkenntnißvermögen verbessern, und recht gebrauchen sollen.196
Wie bei Baumgarten vorgezeichnet, legt die Verbesserung der sinnlichen Erkenntnis durch die Ästhetik zugleich das Fundament zur Verbesserung des ‚ganzen Verstandes‘, also der oberen und unteren Erkenntniskräfte in ihrer Gesamtheit: Wir Menschen haben keinen ganz reinen Verstand, folglich bestehen die allerersten Theile, woraus wir unsere deutliche Erkentnis zusammensetzen, aus sinlichen Begriffen. Das Ganze ist jederzeit volkommener, wenn alle Theile so viel als möglich ist volkommen sind. Sol also unsere vernünftige Erkentnis recht volkommen seyn, so müssen die ersten Theile derselben so schön seyn als möglich. Da diese nun sinliche Begriffe sind, so ist es das Geschäfte der Aesthetick, die Theile gleichsam so zuzuschneiden, und dem Verstande zu übergeben, welcher sie zusammensetzt, um ein volkommenes und regelmäßiges Gebäude aufzuführen. Folglich be195
Zur Metaphorik und Ikonographie der Aufklärung vgl. Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung [erstmals 1957]. In: Ders.: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp. Frankfurt a.M. 2001, S. 139–171, hier S. 168–170; Werner Schneiders: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990, S. 49–109. 196 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 527, S. 86.
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fördert auch die künstliche Aesthetick die Verbesserung des Verstandes und aller obern Kräfte der Seele, weil dieselben aus den untern zusammengesetzt sind, und die letzten durch die Aesthetick verbessert werden.197
Wenngleich bei Meier der Bezugshorizont der föderaltheologischen Anthropologie fehlt, so gelangt er im Ergebnis doch ebenfalls zur Forderung nach einer Verbesserung und Vervollkommnung der unteren wie der oberen Erkenntnisvermögen. Die Vollkommenheit der Erkenntnis besteht aber ganz wesentlich in ihrer Klarheit: Je klärer, lebhafter und deutlicher also eine Erkenntniß ist, desto grösser ist sie, folglich auch desto vollkommener. Die Klarheit ist die Ursach, warum die Erkenntniß besser mit ihrem Zwecke übereinstimt, als wenn sie dunkel ist; indem eine klare Erkenntniß den Gegenstand viel besser und weitläuftiger abbildet, als die dunkele.198
Legt man dabei, wie Meier es hier implizit tut, die von Baumgarten getroffene fundamentale Unterscheidung von intensiver und extensiver Klarheit zugrunde, so ergeben sich zwei Arten von Vollkommenheit der Erkenntnis, und dementsprechend sind es auch zwei verschiedene Wissenschaften, die sich der Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis anzunehmen haben: Die Logik lehrt die Vervollkommnung der intensiv klaren Erkenntnis, die Ästhetik die Vervollkommnung der extensiv klaren:199 Und da kan man alle Vollkommenheiten der Erkentniß in zwey Arten abtheilen. Zu der ersten gehören diejenigen Vollkommenheiten, welche der Erkentniß zukommen, in so ferne sie nicht deutlich ist, und das sind die ästhetischen Vollkommenheiten der Erkentniß, oder die Schönheiten der Erkentniß, von denen ich in meiner Ästhetic gehandelt habe. Zu der andern Art rechne ich diejenigen Vollkommenheiten der Erkentniß, welche in ihr stat finden können, in so ferne sie deutlich ist, und das sind die logischen Vollkommenheiten der Erkentniß [...] Gleichwie nun die Ästhetic die Regeln untersucht, durch deren Beobachtung wir unsere Erkentniß verschönern; so handelt die Vernunftlehre von den Regeln, durch deren Beobachtung wir die logischen Vollkommenheiten der Erkentniß hervorbringen.200
197 198 199
Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 13, S. 20f. Meier: Metaphysik, Th. 3, § 505, S. 55. Vgl. ebd., § 503, S. 52f. Dementsprechend frei fällt auch Meiers Übersetzung von Baumgartens Definition der Ästhetik aus: „Die Wissenschaft der Regeln der Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntniß und der Bezeichnung derselben ist die Wissenschaft des Schönen (aesthetica, logica facultatis cognoscitivae inferioris, philosophia gratiarum et musarum, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis), und sie handelt von der Verbesserung aller untern Erkenntnißkräfte.“ (Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysik [übers. v. Georg Friedrich Meier]. Halle 1766, § 395, S. 171) Daß Meier Baumgartens ursprüngliche Definition der Ästhetik (vgl. oben S. 147, Anm. 50) aber durchaus in dessen Sinne erweitert, darüber läßt insbesondere die Kollegnachschrift keinen Zweifel. 200 Meier: Vernunftlehre, § 36, S. 38f. – In der Vernunftlehre führt Meier die extensiv klare Erkenntnis unter dem Namen der ‚lebhaften Erkenntnis‘; vgl. Meier: Vernunftlehre, § 166, S. 211. Der Auszug aus der Vernunftlehre gibt dafür das lateinische Synonym „cognitio extensive clarior, vivida“ (Meier: Auszug aus der Vernunftlehre, § 135, S. 333). Sie ist nicht zu verwechseln mit der ‚lebendigen Erkenntnis‘ (cognitio viva), wie dies Riccardo Pozzo unterläuft, der hier auf den Artikel Lebendige Erkenntniß aus Walchs Philosophischem Lexicon verweist; vgl. Pozzo: Meiers Vernunftlehre, S. 223, Anm. 1120. Meier behandelt die auf das Begeh-
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Standen bei Baumgarten Logik und Ästhetik gleichermaßen unter dem von der föderaltheologischen Anthropologie abgeleiteten Gebot der Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis- und Begehrungskräfte zur Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit, so lassen sich für Meier die Vollkommenheiten der menschlichen Seelenvermögen nur vermittelt über das ethische Selbstvervollkommnungsgebot mit der Idee einer Vermehrung der Gottebenbildlichkeit in Verbindung bringen – nicht aber im föderaltheologischen Sinne einer Restitution der im Urstand gegebenen Ebenbildlichkeit.
3.4 Generationstheoretische Paradigmen in Meiers Ästhetik Das also ist der wissenschaftssystematische Hintergrund, vor dem Meier die Ästhetik als eine „Theorie der schönen Erkentnis überhaupt“201 bzw. als eine „Wissenschaft [...] von dem Wesen der schönen Gedancken überhaupt“202 entwirft und systematisiert. Ausdrücklich würdigt er Baumgartens Ansatz als eine „genetische Erklärung“, die – im Unterschied zu anderen Regelpoetiken – „die poetischen Schönheiten“ aus ihren „ersten Quellen“ ableite, nämlich aus den sinnlichen Erkenntniskräften des Menschen, die der Dichter „entweder von Natur besitzen, oder durch die Kunst erlangt haben“ müsse.203 Das Verhältnis der erworbenen „künstlichen Aesthetick“ zur „natürlichen Aesthetick“, also dem unangeleiteten Gebrauch der unteren Erkenntniskräfte gemäß ihrer angeborenen Güte,204 beurteilt Meier in den Anfangsgründen zunächst eher skeptisch, wenn er ausführt: Die allerersten Meister, in allen schönen Wissenschaften und Künsten, sind von der Natur ganz allein gebildet worden [...]. Wer nicht von Natur zum schönen Denken geschickt ist, den bearbeitet die Kunst [hier: die Kunstlehre der Ästhetik] vergeblich. Man mus der Natur folgen, sonst bleibt man ein Stümper und macht sich selbst lächerlich. Die blosse natürliche Aesthetick kan jemanden zu einem bewundernswürdigen schönen Geiste machen, die blos künstliche aber bringt Mißgeburthen hervor, welche den Musen zur Schande gereichen.205
rungsvermögen wirkende ‚lebendige Erkenntnis‘ im Abschnitt Von der gelehrten Erkentniß, in so ferne sie practisch ist; vgl. Meier: Vernunftlehre, § 264, S. 388f. Dagegen handelt er die extensiv klare ‚lebhafte Erkenntnis‘ im Abschnitt Von der Klarheit der gelehrten Erkentniß ab. Die ‚lebhafte Erkenntnis‘ wirkt nämlich nicht notwendigerweise auf das Begehrungsvermögen, obschon in der Rührung oder Erweckung von Leidenschaften eine ihrer Wirkungsmöglichkeiten besteht. 201 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 2, S. 5. 202 Georg Friedrich Meier: Vorstellung der Ursachen, warum es unmöglich zu seyn scheint, mit Herrn Profeßor Gottsched eine nützliche und vernünftige Streitigkeit zu führen. Halle 1754 [erneut in: Ders.: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2, S. 122– 156], § 7, S. 17. 203 Meier: Vertheidigung der Baumgartischen Erklärung eines Gedichts, § 8, S. 13f. 204 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 12, S. 16f. 205 Ebd., § 12, S. 17f. – Diesen für den didaktischen Wert der Kunstlehre der Ästhetik negativen Befund bekräftigte Meier später noch einmal in seinen Betrachtungen über den ersten Grund-
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Anders als solche „Mißgeburthen“ zeichnen sich für Meier ‚geborene Künstler‘ – oder wie er sagt: „geborne schöne Geister“206 – durch eine besondere „Fruchtbarkeit des aesthetischen Geistes“207 aus. Der ‚geborene‘ Künstler wird also mit der gleichen generativen Metaphorik bedacht, die Meier sonst nur auf die schaffende Natur anwendet. Der „schöne Geist“, der für Meier „vornemlich in grossen und vollkommenen sinnlichen Erkentnisvermögen besteht, und überhaupt dieienige Proportion aller Vermögen der Seele ist, wodurch sie zur schönen sinnlichen Erkentniß geschickt und geneigt ist“, ist selbst eine Hervorbringung der Natur, denn er ist dem Menschen „angeboren“.208 Wie Meier an anderer Stelle bemerkt, heißt die Proportion der Gemütsvermögen auch „die Gemüthsfähigkeit, oder die Gemüthsgestalt, oder der Kopf, oder dasjenige, was die Franzosen das Genie eines Menschen nennen.“209 Dieser „Gemüthsfähigkeit“, die in ihrer Definition genau Baumgartens „ingenium latius dictum“ entspricht,210 widmet Meier in seiner Metaphysik sogar ein eigenes Kapitel, während Baumgarten sie in der Metaphysica an wenig exponierter Stelle im Abschnitt Ratio abgehandelt hatte, obgleich das „ingenium latius dictum“ ausdrücklich in einer Proportion aller, nicht bloß der höheren Erkenntnisvermögen bestehen sollte. Doch handelt es sich bei diesem ‚Genie‘ oder ‚Kopf‘, wie Meier nachdrücklich betont, nicht etwa um eine bloß zufällige Gabe der Natur, sondern um eine Einrichtung der göttlichen Providenz zugunsten der „Glückseligkeit des ganzen menschlichen Geschlechts“: Folglich wird ein Mensch, durch seinen Kopf, eben zu einer gewissen Art der menschlichen Geschäfte aufgelegt; weil er, vermöge desselben, eben diejenige Erkenntniß erlangen kan, die zu ihrer Verrichtung erfodert wird. Und GOtt hat den menschlichen Gemüthern eben so viele verschiedene Gestalten gegeben, damit ein iedwedes Geschäfte, welches zur menschlichen Glückseligkeit nöthig ist, unter den Menschen Köpfe finde, die sich dazu besonders schicken. Wie groß ist nicht die Güte und Weisheit GOttes! Durch diese Einrichtung des Kopfs eines ieden Menschen hat GOtt, einen iedweden, zu einer Lebensart berufen, und wer diesem Rufe
satz aller schönen Künste und Wissenschaften mit folgenden Worten: „Ich habe in meiner Aesthetik erwiesen, daß der schöne Geist, folglich die Geschicklichkeit die Regeln der schönen Künste und Wissenschaften zu beobachten, dem Menschen angebohren werden müsse, und daß er also weder durch eine Kunst, noch durch eine Wissenschaft, erlangt werden könne. Und was die Fertigkeit schön zu dencken und zu handeln betrift, so erlangt man sie vornemlich durch solche Uebungen, durch welche man zwar die Regeln der schönen Künste und Wissenschaften beobachtet, sich aber derselben währender Uebung nicht bewußt ist, wenigstens alsdenn, wenn der schöne Geist, so zu reden, begeistert ist.“ (Meier: Betrachtungen über den ersten Grundsatz aller schönen Künste und Wissenschaften, § 6, S. 13). 206 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 223, S. 525. 207 Ebd., § 59, S. 106. 208 Meier: Betrachtungen über den ersten Grundsatz aller schönen Künste und Wissenschaften, § 25, S. 55. – Auch in seiner Metaphysik betonte Meier den Anteil der „Naturgaben“ für den Künstler: „Ein gebohrner Dichter bringt einen so grossen Grad des Witzes mit auf die Welt, den die meisten andern Menschen erst durch Uebung erlangen müssen.“ (Meier: Metaphysik, Th. 3, § 575, S. 166). 209 Meier: Metaphysik, Th: 3, § 643, S. 274. 210 Vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 648, S. 239.
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folget, der ist der Stimme GOttes gehorsam, und er wird allemal in seiner Art ein Meister werden können.211
Wie bei Baumgarten vorgezeichnet, gehört auch bei Meier neben der „Gemüthsfähigkeit“ eine entsprechende „Gemüthsart“ (verstanden als Proportion der Begehrungskräfte) zum Naturell des schönen Geistes, neben dem ‚Kopf‘ also auch das ‚Herz‘.212 Meier nennt es auch „das Temperament der Seele, oder die Mischung der Gemüthsneigungen“,213 betont allerdings dessen Abhängigkeit von der Proportion der Erkenntniskräfte; in seiner Psychologie heißt es dazu: „Und da alle Begehrungsvermögen von dem Erkenntnißvermögen abhangen, wie wir bisher gesehen haben; so richtet sich auch das Herz eines Menschen nach seinem Kopfe, und die Verschiedenheit der menschlichen Gemüthsarten, hanget von der Verschiedenheit ihrer Gemüthsfähigkeiten, ab.“214 Beide sind aber wiederum nicht in dem Sinne ‚angeboren‘, daß sie sich nach der Geburt nicht mehr änderten, vielmehr können sie durch Übungen, Gewohnheiten und Lebensarten geformt werden. In den Anfangsgründen führt Meier deshalb in bezug auf das „aesthetische Temperament“ aus: „Wenn wir geboren werden, so sind wir gleichsam in Absicht auf die Tugend gleichgültig, es kan also aus uns alles gemacht werden.“215 Verantwortlich dafür ist 211
Meier: Metaphysik, Th. 3, § 645, S. 275f. In seiner Vernunftlehre preist Meier die Providenz in einer ähnlichen Formulierung: „Die Natur, und GOtt durch dieselbe, haben ihre Gaben aufs weiseste und gütigste unter die Menschen vertheilt. Hätten sie allen Menschen einerley Geschicklichkeit verliehen, so würden sie sich alle auf einerley legen, und würde damit wol die Wohlfahrth des menschlichen Geschlechts bestehen können? Sie erfodert ja alle nützlichen Künste und Wissenschaften. Und es musten demnach die Menschen so verschieden eingerichtet werden, damit alle Arten der menschlichen Erkentniß ihre Liebhaber und Meister in dem menschlichen Geschlechte antreffen möchten.“ (Meier: Vernunftlehre, § 585, S. 764) – In Baumgartens Metaphysica findet sich an der entsprechenden Stelle keine solche Verbindung von menschlichem Ingenium und göttlicher Providenz; vgl. A.G. Baumgarten: Metaphysica, § 649, S. 240. 212 Vgl. dazu Möller: Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie im frühen 18. Jahrhundert, S. 86f. 213 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 722, S. 405. So bereits in Meier: Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen, § 119, S. 181 u. passim. Daß das „Temperament“ bei Meier im Unterschied zur medizinischen Temperamentenlehre eine psychologische Kategorie darstellt, betonen Martin Pott und Tanja van Hoorn; vgl. M. Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 328; van Hoorn: Affektenlehre – rhetorisch und medizinisch. Zur Entstehung der Anthropologie um 1750 in Halle. In: Rhetorik 23 (2004), S. 81–94, hier S. 89. Meier folgt damit der oben (S. 162) dargestellten Konzeption des Temperaments in Baumgartens Metaphysica. 214 Meier: Metaphysik, Th. 3, § 721, S. 403; vgl. auch ebd., § 666, S. 310: „Die Vollkommenheit und Unvollkommenheit des Begehrungsvermögens hanget also, von der Vollkommenheit und Unvollkommenheit des Erkenntnißvermögens, ab.“ 215 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 228, S. 535. Die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks ‚natürlich‘ thematisiert Meier in seiner Psychologie folgendermaßen: „Das Wort natürlich ist, in allen Wissenschaften, einer erstaunlichen Zweydeutigkeit unterworfen, sonderlich wenn es von der menschlichen Seele gebraucht wird. [...] Z.E. was uns angebohren wird, heißt manchmal schlechtweg natürlich; weil dasjenige Natürliche, was wir nach und nach durch unsere Handlungen würklich machen, etwas erlangtes genennt wird. [...] Das Natürliche heißt manchmal dasjenige, was nicht künstlich ist; weil das Künstliche, durch einen besondern regelmäßigen Gebrauch unserer Kräfte, hervorgebracht wird. [...] Man sagt, die Gewohnheit
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der bei Meier wie bei Baumgarten nicht-essentialistisch gefaßte Begriff der Natur der menschlichen Seele; er erlaubt es ihm erst, von einer ‚Verbesserung‘ der menschlichen Natur zu sprechen.216 Besonders aufschlußreich ist es in diesem Zusammenhang, wenn Meier das „aesthetische Naturel“ des ‚geborenen Künstlers‘ beschreibt und dabei seine sonst in den Schriften zur Ästhetik nur implizit angespielte Generationstheorie offenlegt: Die Natur bildet alle ihre Werke dergestalt, daß sie ihnen den Samen alles desjenigen, wozu sie dieselben bestimt hat, selbst einpflanzt. Da nun so vielerley von dem ganzen menschlichen Geschlecht zu verrichten ist, daß nicht ein jeder Mensch, zu allen menschlichen Verrichtungen, hinreichende Kräfte und Zeit haben kan; so hat die Natur einen jeden, zu einer gewissen Art der Werke des Geistes und des Leibes, schon in seiner ersten Anlage vorbereitet, und diese Vorbereitung ist als ein befehlender Beruf des großen Urhebers der Natur anzusehen.217
Die Natur stattet demnach im Auftrag ihres göttlichen Urhebers den Künstler oder ‚schönen Geist‘ mit allen ihm nötigen Vermögen aus, die – in der Metapher des Pflanzensamens – nur noch aufkeimen und wachsen müssen. Ausdrücklich sieht Meier diese Ausstattung bereits im ‚Keim‘ des Menschen, „in seiner ersten Anlage“, gegeben. Analog zum Pflanzensamen, der die vollständige Pflanze in ihrer differenzierten Gestalt, wenn auch verkleinert, in sich enthalten soll – nicht erst seit Malpighis pflanzenphysiologischen Studien ein fester Topos der naturkundlichen Literatur218 –, wird die ‚Entwicklung‘ der menschlichen Seelenvermögen hier im Bild als bloßer Wachstumsvorgang vorgestellt. Es wäre jedoch voreilig, die Genese des Künstlers in Meiers Ästhetik damit auf das präformationistische Modell eingeschränkt zu sehen, denn Meier erklärt umgehend: Ob gleich eine glückliche und erwünschte Geburt unentbehrlich ist, und das meiste zu einem schönen Geiste beyträgt, so ist sie doch nicht zureichend. Die Natur arbeitet ihre Werke, nur gleichsam aus dem Groben heraus. [...] gleichwie ein Weinstock verwildert, und endlich lauter Heerlinge trägt, wenn man ihn nicht wartet und beschneidet: also werden auch die Gaben der Natur in der Seele entweder unbrauchbar bleiben, oder gemisbraucht werden, wenn man nicht den angebornenen Geist bearbeitet. [...] Folglich ist unleugbar, daß zu einer glücklichen Geburt auch, eine solche Anwendung und ein solcher Gebrauch der von der Natur ertheilten Gaben zum schönen Denken, kommen müsse, wodurch die natürliche Geschicklichkeit, zu einer Fertigkeit im schönen Denken, erhöhet wird. Die Natur gibt einem schönen Geist entweder die
sey die andere Natur, und daher nennt man dasjenige natürlich, was nicht von den Gewohnheiten abhanget. Desgleichen nennt man auch natürlich, was nicht willkührlich ist. Unterdessen sieht ein iedweder, daß das Erlangte, Gesellschaftliche, Willkührliche, Künstliche u.s.w. ebenfals etwas Natürliches ist, wenn es anders nicht ein Wunderwerk seyn soll.“ (Meier: Metaphysik, Th. 3, § 749, S. 447f.). 216 Zwar unterscheidet Meier in seiner Metaphysik zunächst die Natur und das Wesen der Seele voneinander; vgl. Meier: Metaphysik, Th. 3, § 747, S. 443f. Er weist aber zugleich auf die Besonderheit des psychologischen ‚Natur‘-Begriffs hin: „so ist es ein gefährlicher Irrthum, wenn man das Wort Wesen hier in der derjenigen Bedeutung nimt, welche wir ihm in der Ontologie begelegt haben. Nach dieser Bedeutung ist, das Wesen, schlechterdings nothwendig.“ (Ebd., Th. 3, § 747, S. 444f.). 217 Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 223, S. 525f. 218 Vgl. Fournier: The Fabric of Life, S. 117.
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bloßen Möglichkeiten schön zu denken, oder, wenn es ja angeborne Fertigkeiten gibt, so sind dieselben doch nicht gros genug, und wenigstes müssen sie doch in Uebung gesetzt werden.219
Die Ausbildung und Übung des ‚schönen Geistes‘ – durch Lektüre der „allerbewährtesten Dichter und Redner“, durch theoriefreien ebenso wie durch theoriegeleiteten Unterricht in den schönen Künsten und Wissenschaften220 – leistet eine gewissermaßen epigenetische Steuerung und Korrektur der angeborenen „Gaben“. Doch hat Meier gute Gründe, die aus der klassischen Rhetorik geläufige Entgegensetzung von ars und natura nicht in die generationstheoretische Alternative von Präformation und Epigenese zu übersetzen; statt dessen bedient er sich land- und gartenbaulicher Vergleiche und Metaphern, wenn er das Verhältnis von natura und ars bildhaft mit demjenigen zwischen natürlichem Wildwuchs einerseits und sorgfältiger Bearbeitung des Gartens andererseits vergleicht: Ein natürlicher Aestheticus ist einem grossen Garten ähnlich, den aber die Kunst nicht bearbeitet. Alle Bäume und Gewächse schiessen mit Macht in die Höhe, allein sie wachsen durch einander, und arten sehr leicht in eine Wildnis aus. Das Unkraut wächst so leicht in demselben, als die nutzbaren Gewächse. Ein künstlicher Aestheticus aber gleicht einem wohlangelegten Garten, den die kunstreiche Hand eines geschickten Gärtners wartet und bearbeitet.221
Schon Baumgarten hatte in seinem Kolleg unter Berufung auf die rhetorische Tradition das Verhältnis von ars und natura durch die Analogie zum Land- bzw. Gartenbau erläutert: Quintilian erklärt sich im 24. Kap. [vielmehr im 19. Kap., S.B.] des 2. Buches über den Redner schon so, daß er der Kunst mehr beilegt als der Natur und sich des Gleichnisses eines königlichen Gartens bedient, wo zwar die fruchtbare Erde viel tut, aber der Fleiß des Gärtners noch mehr zwingen muß.“222
Entgegen dieser Darstellung fällt Quintilians Vergleich allerdings nicht nur prosaischer, sondern auch eindeutig zugunsten der natura aus: Er spricht nämlich davon, daß selbst der beste Landmann (agricola) auf unfruchtbarem Boden nichts ausrichten könne, wohingegen ein fruchtbarer Boden auch ohne jegliche Bebauung etwas hervorbrächte; auf fruchtbarem Boden aber werde der Bebauer (cultor) mehr erzielen, als die Güte des Bodens von allein hervorbringen würde.223 An anderer Stelle hatte Baumgarten selbst ebenfalls der natura den Vorzug vor der ars eingeräumt: „Wir sahen, daß die natürliche Anlage das meiste, die Übung auch sehr viel
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Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 224, S. 527f. Vgl. ebd., §§ 225–227, S. 529–534, Zitat § 225, S. 530. Ebd., § 12, S. 19. Die Metaphorik des verwildernden Gartens verwendet Meier auch bei der Darstellung des Charakters eines Gelehrten in seiner Vernunftlehre; vgl. Meier: Vernunftlehre, § 596, S. 779f. 222 A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 11, S. 78. 223 Vgl. Quintilian: Institutio oratoria 2,19,2. – Wie schon die fehlerhafte Quellenangabe zeigt, ist die Kollegnachschrift in diesem Punkt offenbar nicht ganz verläßlich.
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und die Kenntnis etwas beitrage [...].“224 Es ist daher zu wenig gesagt, wenn in der Forschung festgestellt wird, „daß Baumgarten sich im Streit um die Vorherrschaft zwischen ingenium und ars nicht grundsätzlich entscheidet, daß er aber doch leicht dem ingenium zuzuneigen scheint. In gewisser Weise nimmt Baumgarten damit den Standpunkt Ciceros ein, der in De oratore nach langen Erörterungen zu einer Dominanz der Veranlagung gelangt, ohne daß deren wissenschaftlich-exakte Pflege vernachlässigt werden dürfe.“225 Meier leitet in seinen Anfangsgründen aus der Charakterisierung des Verhältnisses von Kunst und Natur eine Funktionsbestimmung der Kunstlehre der Ästhetik ab, die mit der zu Anfang seiner Schrift gegebenen scharf kontrastiert: „Die künstliche und natürliche Aesthetick widersprechen einander nicht, sondern sie müssen aufs sorgfältigste mit einander verbunden werden.“226 Unter allen Umständen bedarf demnach die ‚natürliche Ästhetik‘ zu ihrer Vervollkommnung und zum Schutz vor ‚entartendem‘ Wildwuchs einer Verbindung mit der ‚künstlichen Ästhetik‘ und einer entsprechenden theoriegeleiteten Ausbildung. Eine theoriefreie Ausbildung des ‚schönen Geistes‘ durch die eigenständige Übung seiner Vermögen (Meier spricht hier vom ‚Naturalisieren‘) reiche dagegen nicht aus: Das blosse naturalisiren ist einer Wildnis ähnlich, wo zwar die Natur in ihrer ganzen Stärke, aber auch mit allen ihren Mängeln erscheint. Die kunstmäßigen Uebungen aber sind einem schönen Garten ähnlich, wo die Natur durch die Kunst verbessert worden.227
Anders als zu Beginn, wo er die Natur zur bloßen Werkgehilfin ihres göttlichen Urhebers erklärt hatte, entwirft Meier hier ein völlig anderes Bild der schaffenden Natur: Er attestiert ihr Mängel und erklärt sie für verbesserungsbedürftig und durch menschliches Handeln verbesserungsfähig: eine Diagnose, die ihm allerdings – wie gesehen – den Verzicht auf die zuvor so ausgiebig verwandte Metaphorik der Zeugung und Entwicklung auferlegt. Grund dafür ist die Eigengesetzlichkeit der generativen Metaphorik: Im Kontext der biologischen Generation verbietet sich nämlich die Rede von einer ‚Verbesserung der Natur‘, und zwar keineswegs als Folge einer vermeintlich alles beherrschenden Stellung des Präformationismus in der Generationstheorie des 18. Jahrhunderts, sondern als Folgelast des auch von Meier zugrunde gelegten nicht-essentialistischen Begriffs der ‚Natur‘ der Seele.228 224 225 226
A.G. Baumgarten: Kollegnachschrift, § 78, S. 113. Linn: A.G. Baumgartens ‚Aesthetica‘ und die antike Rhetorik, S. 92f. Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Th. 1, § 12, S. 19; vgl. auch ebd., § 224, S. 528: „Folglich ist unleugbar, daß zu einer glücklichen Geburt auch, eine solche Anwendung und ein solcher Gebrauch der von der Natur ertheilten Gaben zum schönen Denken, kommen müsse, wodurch die natürliche Geschicklichkeit, zu einer Fertigkeit im schönen Denken, erhöhet wird. Die Natur gibt einem schönen Geist entweder die bloßen Möglichkeiten schön zu denken, oder, wenn es ja angeborne Fertigkeiten gibt, so sind dieselben doch nicht gros genug, und wenigstes müssen sie doch in Uebung gesetzt werden.“ 227 Ebd., § 227, S. 534. 228 Ein essentialistischer ‚Natur‘-Begriff würde die Rede von einer ‚Verbesserung der Natur‘ ausschließen, wie Meier in seiner Ontologie deutlich macht: „Es ist daher ungereimt, wenn man
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Weder die Präformation noch die Epigenese gestatteten im 18. Jahrhundert die Konzeptualisierung einer wirklichen ‚Verbesserung der Natur‘ im Sinne der Optimierung eines genetischen Bestands. Vielmehr entzog sich die in der biologischen Generation tätige Natur ganz unabhängig von der Frage nach der Präformation oder Epigenese einem ‚verbessernden‘ Zugriff seitens des Menschen. Zwar konnte man sie beim Zeugungsgeschäft auf gewisse Weise manipulieren, etwa durch züchterische Eingriffe oder durch die Wirkung der Einbildungskraft, wie das Beispiel der gefleckten Zicklein und Lämmer des Patriarchen Jakob zeigte, doch waren solche Manipulationen gerade nicht im Sinne einer ‚Verbesserung‘ des körperlichen Substrats der biologischen Generation aufzufassen. Metapherngeschichtlich ließe sich im Gegenteil sogar zeigen, daß die generative Metaphorik in besonderer Weise dazu tendierte, eine grundsätzliche Unverbesserlichkeit der menschlichen Natur vor Augen zu führen.229 Das gilt selbst noch für die Analogien aus der landund gartenbaulichen Sphäre, auf die Meier schließlich verfiel und unter denen sich insbesondere die Veredelung von Gehölzen als Hintergrundmetapher für eine ‚Verbesserung der Natur durch die Kunst‘ angeboten hätte. Doch war die Veredelung, ungeachtet ihres die Qualität der Früchte zweifellos ‚verbessernden‘ Charakters, im Hinblick auf das eigentliche Substrat der biologischen Generation im Gegenteil das Musterbeispiel für die Forterbung einer im Kern korrumpierten Natur. So hatte beispielsweise Augustinus die (traduzianistisch gedeutete) Fortpflanzung der Erbsünde gerade mittels der Analogie der Pflanzenveredelung bekräftigt, genauer gesagt durch die Produktion unedler Samen (nicht Früchte!) durch veredelte Gewächse.230 Sie erklärt für Augustinus, warum selbst Eltern, die dank der Taufe von der Erbsünde frei sind, unausweichlich Kinder zeugen, die ihrerseits mit dem seelischen Makel zur Welt kommen: So wie ein veredelter Ölbaum Samen produziere, die zu wilden Ölbäumen aufschössen, entstehe auch aus dem Fleisch eines (qua göttlicher Gnade) Gerechten doch wieder ein Sünder. In beiden Fällen (Veredelung bzw. Wiedergeburt) bleibe sich die zeugende Substanz doch gleich. Übertragen auf das sich mit dem Körper forterbende Instinktverhalten im Tierreich findet sich diese Anwendung generationstheoretischer Prinzipien auf die Erbsündenlehre noch bei Meiers theologischem Lehrer, dem älteren Baumgarten: Weil die eigentliche Art der natürlichen Zeugung noch eine [!] Geheimnis ist, sonderlich was die Sele und deren Anrichtung betrift, so kan auch die eigentliche Beschaffenheit dieser sagen wolte, daß die Wesen der Dinge, z.E. das Wesen der Menschen, verbessert oder verschlimmert, oder auf irgend eine Art verändert werden könne [...].“ (Meier: Metaphysik, Th. 1, § 127, S. 212). 229 Mit Blick auf die Pädagogik des (späten) 18. Jahrhunderts ist von einem paradoxen Verhältnis von Vervollkommnung und Unverbesserlichkeit der menschlichen Natur gesprochen worden; vgl. Ulrich Herrmann: Vervollkommnung des Unverbesserlichen? Über ein Paradox der Anthropologie des 18. Jahrhunderts. In: Dietmar Kamper u. Christoph Wulf (Hg.): Anthropologie nach dem Tode des Menschen. Vervollkommnung und Unverbesserlichkeit. Frankfurt a.M. 1994, S. 132–153. 230 Vgl. Augustinus: De nuptiis et concupiscentia 1,19,21 und 2,34,58.
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Fortpflantzung des natürlichen Verderbens nicht erkläret werden: doch wird sie einiger massen begreiflich, aus der auch bey Thieren unläugbaren Fortpflantzung gewisser natürlicher Triebe oder besondern Einschränckungen ihrer wirckenden Kraft zu gewissen Verrichtungen, dadurch alle eintzele Thiere sich in dergleichen Fällen ihrer Arth gemäß verhalten, oder mit allen übrigen eintzeln Stücken ihrer Art übereinstimmung [!] handeln, wenn sie gleich von denselben dergestalt gäntzlich abgesondert gewesen, daß sie es von ihnen nicht durch Nachahmung haben lernen können. Da sich demnach die Spinnen, Adlers, Wolfes, Fuchses, Löwen-Art, bey allen dergleichen Thieren natürlich befindet, so kan diese gegenwärtige verderbte Menschen Art oder Beschaffenheit unserer Natur auch wol fortgepflantzet werden.231
Die Artung der Tiere oder Menschen ändere sich denn auch nicht infolge nachträglicher ‚Besserungen‘, da solche ‚Einschränkungen der Natur‘ beim Erbgang keine Rolle spielten: So wenig aber bey Thieren, was ihnen durch Kunst oder Gewohnheit beygebracht wird, vermittelst der Fortpflantzung auf die Jungen übergehet, weil solches nicht zur Einschränckung ihrer Natur gehört; so wenig wird die übernatürliche Besserung frommer Eltern auf ihre Kinder fortgepflantzt; obgleich bey solcher natürlichen Zeugung verschiedene Einschränckung dieses Verderbens vorgehen kan, so aus den angeerbten stärckern natürlichen Neigungen zu gewissen Lastern bey manchen Personen unläugbar ist.232
Der bei Meier in die Ästhetik eingebrachte (und beim jüngeren Baumgarten ebenfalls vorausgesetzte) nicht-essentialistische Naturbegriff der rhetorischen Tradition muß sich also mit dem im Bildbereich der biologischen Generation anzusetzenden Naturbegriff als unverträglich erweisen. Das Programm einer ‚Verbesserung‘ der menschlichen Natur, wie es von der neuen Disziplin der Ästhetik mittels einer kunstgerechten Ausbildung der in der ‚Natur des Künstlers‘ angelegten Vermögen angestrebt wurde, läßt sich daher nicht ohne offensichtliche Widersprüche in die Metaphorik der biologischen Generation übersetzen. Die in diesem Kontext begrenzte Tragfähigkeit der generativen Metaphorik gibt damit zuletzt die anthropologische Begrenztheit des ästhetischen Besserungsprogramms selbst zu erkennen.
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S.J. Baumgarten: Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen, § 48, S. 73f. Ebd., § 48, S. 74.
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4 Ergebnisse
Die an der Universität Halle zu Beginn des 18. Jahrhunderts begegnenden anthropologischen Modelle zeigen sich – ungeachtet des epochalen Ereignisses der cartesischen Substanzentrennung – noch weitgehend der altprotestantischen Anthropologie des ‚totus homo‘ verpflichtet, insofern sie den Menschen nicht als ein aus Körper und Seele zusammengesetztes Doppelwesen in den Blick nehmen, sondern ihn als irreduzible leibseelische Einheit betrachten. Die Einrichtung dieser Einheit zählt für sie zu jenen unerforschlichen Geheimnissen des Schöpfers, die, dem Zugriff der menschlichen Vernunft größtenteils entzogen, den Auskünften des Dogmas anheimgestellt sind. Für die halleschen Mediziner Hoffmann und Stahl sowie für ihre unmittelbaren Schüler ist die daraus resultierende Anbindung an die überkommene theologische Anthropologie von so grundlegender Bedeutung, daß demgegenüber der medizingeschichtlich gemeinhin überschätzte Gegensatz zwischen mechanistischer und animistischer Ärzteschule kaum ins Gewicht fällt. In der Generationslehre schlägt sich die Orientierung an der altprotestantischen Anthropologie in Form eines entschiedenen Traduzianismus nieder, der seinerseits ein anti-präformationistisches Modell der Embryonalentwicklung bedingt, denn anders als in der katholischen und reformierten Dogmatik werden im Luthertum Psychogenese und Embryogenese in aller Regel als unauflösliche Einheit betrachtet. Die in Halle zu beobachtende Überkreuzung anthropologischer und generationstheoretischer Überlegungen dürfte deshalb keine singuläre Erscheinung gewesen sein, sondern sich auch an anderen lutherischen Universitäten am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts finden. Bei der weiteren anthropologiegeschichtlichen Erforschung dieses Feldes könnte sich der Traduzianismus daher als Schibboleth für solche Anthropologien erweisen, die sich, von der neuen Philosophie unbeirrt, auf das alte Modell des ‚totus homo‘ stützen. Radikal in Frage gestellt wird die überkommene lutherische Anthropologie in Halle durch die von Christian Wolff eingeführte leibnizianische Denkfigur der prästabilierten Harmonie zwischen Körper und Seele. Ihr zufolge ist das Verhältnis der beiden Substanzen zueinander dadurch geregelt, daß sie von Gott in eine genaue Übereinstimmung gebracht worden sind, die jegliche Wechselwirkung zwischen ihnen, etwa durch ein subtiles Trägermedium wie den spiritus animalis, ausschließt. In der Generationslehre bringt dieses Theorem den Gedanken der Präexistenz der menschlichen Seele wieder ins Spiel, insofern die Einrichtung der prästabilierten Harmonie zwischen Körper und Seele als Teil des göttlichen Schöpfungshandelns aufzufassen ist. Zwar ist der Zeitpunkt der Erschaffung der mensch184
lichen Seele prinzipiell unbestimmbar – Leibniz ließ die Frage bewußt offen, Wolff machte bloß eine höhere Wahrscheinlichkeit der Präexistenz geltend –, doch steht für beide Philosophen die Koexistenz von Körper und (möglicherweise bloß tierischer) Seele in dem zur Empfängnis gelangenden Samentierchen allemal außer Frage; zumindest die tierischen Seelen müssen also seit den Tagen der Schöpfung präexistieren, und zwar immer schon in Verbindung mit einem (wegen seiner Winzigkeit unsichtbaren) Körper; vermutlich aber präexistiert sogar die vernünftige menschliche Seele zusammen mit einem ihr zugehörigen körperlichen Substrat, so daß sich auf der Grundlage der prästabilierten Harmonie eine psychophysische Präexistenzlehre formulieren läßt, die sich als alternatives Konzept der Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ nach Leib und Seele anschickt, dem klassischen Traduzianismus das Feld streitig zu machen. Genau genommen ließ sich der Traduzianismus zwar schon mit Descartes’ Substanzentrennung als erledigt betrachten, doch hatte sich im Luthertum keine alternative Anthropologie flächendeckend gegen das althergebrachte Modell des ‚totus homo‘ durchgesetzt. Überhaupt wurde im lutherischen Bereich der Versuch einer Ersetzung des Traduzianismus durch ein rein philosophisches Paradigma weithin als Zumutung empfunden. So konnte es dazu kommen, daß der hallesche Pietismus die Lehre von der psychophysischen Präexistenz als Angriff auf einen dogmatischen Zentralbestand auffaßte und in der Auseinandersetzung mit Wolff entsprechend hart bekämpfte. Tatsächlich dürfte der Widerstand der halleschen Pietisten gegen die rationalistische Zeugungsmetaphysik gerade dem Umstand zuzuschreiben sein, daß mit der psychophysischen Präexistenzlehre eine Theorie der Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ auf den Plan trat, die das von ihnen so energisch verfochtene altprotestantische Modell abzulösen geeignet schien. Die Vertreibung des Philosophen aus Halle war indes kein Sieg über den Wolffianismus; zur Zeit von Wolffs Rückberufung nach Halle ist die Lehre von der psychophysischen Präexistenz bei der jüngeren Generation an der Universität mehr oder weniger Gemeingut und findet sich dementsprechend bei den ‚vernünftigen Ärzten‘ ebenso selbstverständlich wie bei den Philosophen Baumgarten und Meier. Bei ihnen allen ist neben einem direkten Anknüpfen an Wolff auch ein Zurückgehen auf Leibniz in Betracht zu ziehen; hier wie dort regelt die Präformation weit mehr als bloß den Komplex der biologischen Generation: In Gestalt der Einschachtelungslehre stellt sie ein Modell der Sukzession der Weltzustände und der Perzeptionen der Seele bereit, das sich in der Abfolge der Lebewesen gewissermaßen nur in seiner handgreiflichsten Form zeigt. Ein solch umfassendes Verständnis der Präformation legen die Begründer der Ästhetik denn auch ihren Ausführungen zur evolutio idearum, der Auswicklung sinnlicher Vorstellungen, zugrunde. Die Sinnlichkeit als derjenige Bereich, dessen theoretischer wie praktischer Erschließung Baumgarten und Meier die neue Wissenschaft der Ästhetik programmatisch zuordnen, ist demzufolge genau in derjenigen Art und Weise strukturiert, wie es
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die Generationen der Lebewesen laut der drastischsten Form des Präformationismus sein sollen, nämlich in Gestalt eines vollständigen emboîtements. Die mit den Ästhetikern in regem Austausch stehenden Ärzte Krüger und Nicolai widmen der Zeugungslehre in ihren Schriften einigen Raum, wobei sie sich mit der ganzen Fülle zeitgenössischer Generationstheorien und deren jeweiligen argumentativen Stärken und Schwächen bestens vertraut erweisen. Beide werten insbesondere züchterische und medizinische Befunde wie die Bastardisierung oder das ‚Versehen‘ der Schwangeren als gewichtige Einwände gegen einen allzu starren Präformationismus, bekennen sich aber unter gewissen Vorbehalten dennoch zur animalculistischen Präformation. Anders als für ihren Generationsgenossen Kratzenstein stellt die Maxime der Stahlschen Medizin, daß die Seele ihren Körper baue, für sie keinen an der Zeugungs- oder Regenerationslehre zu bewährenden Satz dar. Kratzenstein dagegen wertet die Regeneration des Süßwasserpolypen zunächst als schlagenden Beleg für die epigenetische Baumeistertätigkeit der Seele an ihrem Körper und unternimmt nach Kenntnisnahme der Wolffschen Regenerationstheorie sogar den Versuch einer Synthese präformationistischer und epigenetischer Ansätze, indem er die Seele zur Baumeisterin ihres Körpers bei der ‚Evolution‘ des Samentierchens erklärt. Hier wird einmal mehr deutlich, daß präformationistische und epigenetische Deutungen der biologischen Generation im 18. Jahrhundert durchaus nicht in einem Ausschließungs-, sondern vielmehr in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen, was sich im Unbegrifflichen durch das geläufige Analogon der ‚Verwandlung‘ belegen läßt: Die Metamorphose der Insekten ist ein in der Generationslehre häufig bemühtes Beispiel für eine komplette Gestaltveränderung, bei der nur scheinbar diskontinuierliche Stadien von der Raupe über die Puppe bis hin zur Imago durchlaufen werden, während doch in Wirklichkeit trotz der Verwandlung eine grundlegende Kontinuität der anatomischen Strukturen besteht. Die ‚Verwandlung‘ eines Samentierchens in einen Menschen wäre demnach ebenfalls als bloß äußerlicher Gestaltwandel anzusehen, der sich vor dem Hintergrund einer innerlichen Kontinuität, nämlich der Identität der seit den Tagen der Schöpfung präexistierenden Seele, vollzöge. Parallel zur ‚Verwandlung‘ ihres zugehörigen Körpers macht die Seele einen kontinuierlichen Übergang von bloß dunklen zu klaren (aber verworrenen) Vorstellungen durch, im Falle des Menschen bis hin zu klaren und deutlichen. Dieses Tableau der rationalistischen Generationslehre findet sich trotz gelegentlicher Einwände und Zweifel bei den Medizinern Krüger und Nicolai ebenso wie in den Lehrbüchern zur Metaphysik von Baumgarten und Meier. Das Lehrgedicht Christoph Gottfried Jacobis zeigt, wie sehr das biologische Phänomen der Regeneration nicht nur Philosophen und Mediziner, sondern auch Theologen an der Universität Halle beschäftigte – eine Aufmerksamkeit, die die Regeneration in erster Linie deshalb erregte, weil die Zeitgenossen wähnten, damit einen Prüfstein für die mit der biologischen Generation verknüpften metaphysischen Probleme an die Hand zu bekommen, vor allem für die Seelenursprungsfrage 186
und für das Commercium-Problem. Auch Johann Gottlob Krügers literarische Verarbeitung der Generations- und Seelenlehren bewegt sich auf dem Theorieniveau der Zeit. Im Vergleich zu wissenschaftlichen Darstellungen gestatten die literarischen Formen den Autoren allerdings größere Lizenzen bei der Herausarbeitung von Problemen und Aporien, die die Lehrsysteme in Hinblick auf die biologische Generation und auf das commercium mentis et corporis prägen. Die Kontextualisierung von Kratzensteins und Krügers literarischen Arbeiten mit ihrem theologieund wissenschaftsgeschichtlichen Entstehungshintergrund hat hier zeigen können, wie genau und anspielungsreich sie auf seinerzeit hochaktuelle und brisante Fragestellungen wie die nach der Teilbarkeit oder Körperlichkeit der Seele und nach der Art und Weise ihres Commerciums mit dem Körper reagieren. Alexander Gottlieb Baumgartens Generationslehre zeichnet sich vor denen der jüngeren halleschen Mediziner dadurch aus, daß sie neben der psychophysischen Präexistenz auch einen Konkreatianismus zuläßt und beide Modelle der Erzeugung des ‚ganzen Menschen‘ unter dem Begriff einer propagatio animae humanae per traducem zusammenfaßt – ein terminologisch zunächst befremdlich anmutendes Konstrukt, für das theologische Rücksichten ausschlaggebend gewesen sein dürften. Einen ähnlich religiös motivierten Einschlag weist auch das in der Aesthetica vertretene Menschenbild auf. Baumgarten entwickelt dort keine Sonderanthropologie des Künstlers, sondern entwirft mit seinem felix aestheticus das Muster eines ganzheitlich ausgebildeten Menschen, dessen obere und untere Seelenvermögen in einer ausgewogenen Proportion zueinander stehen. Erzielt werden soll diese Ausgewogenheit durch eine umfassende Verbesserung der natürlichen Anlagen des Menschen, denn nach Baumgartens Dafürhalten sind die angeborenen Vermögen qua Geburt nicht statisch festgelegt. Sie bedürfen vielmehr einer beständigen Übung und Verstärkung – allein schon, um nicht im Laufe der Zeit zu verkümmern. Bei der Ausbildung bzw. Verbesserung der natürlichen Anlagen kommt den unteren Seelenkräften nach Baumgarten eine Schlüsselrolle zu, weil sie den oberen das Material zubereiten. Baumgarten vollzieht damit eine tiefgreifende Korrektur an der rationalistischen Gnoseologie, deren hierarchische Ordnung von oberen und unteren Seelenvermögen er gewissermaßen ins Gegenteil verkehrt. Ausgetragen wird diese Differenz jedoch nicht, da Baumgarten sich in den zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Schriften ganz im Rahmen der rationalistischen Terminologie bewegt. Allerdings gibt er seiner Kritik an der rationalistischen Anthropologie in seinem Frankfurter Kolleg zur Ästhetik in einer kaum verhohlenen Weise Ausdruck, indem er das Frontispiz der Wolffschen Deutschen Ethik als falsches Selbstund Menschenbild des Philosophen auslegt, gegen das er seine auf Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen des Menschen angelegte neue Wissenschaftsdisziplin in Anschlag bringt. Obgleich sich also das von der Ästhetik ausgemalte Besserungsprogramm terminologisch in den Bahnen der rationalistischen Seelen- und Erkenntnislehre bewegt, steht es doch zugleich unter dem Aspekt einer religiösen Anthropologie, die eine 187
Verbesserung der menschlichen Natur für ebenso nötig wie möglich erachtet. Das mutet zunächst insofern paradox an, als der ‚ganze Mensch‘ theologisch betrachtet vor allem das Subjekt der Erbsünde ist, das als solches eine von Grund auf zerrüttete Natur aufweist. Demgegenüber nimmt sich Baumgartens ästhetische Programmatik recht eigenwillig aus; sie ist nur vor dem Hintergrund der seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ins Luthertum eindringenden föderaltheologischen Anthropologie zu verstehen, die zu einer erheblichen Aufhellung der pessimistischen lutherischen Anthropologie beigetragen hat und der sich nicht zuletzt die Öffnung der lutherischen Theologie gegenüber dem aufklärerischen Perfektibilitätsdenken verdankt: Unter föderaltheologischem Vorzeichen ist eine ‚Verbesserung‘ der Natur des Menschen denkbar, die sich sowohl auf seinen Leib als auch auf seine Seele erstreckt. Von der Föderaltheologie werden dem Menschen nämlich auch nach dem Sündenfall noch Reste seiner ursprünglichen Gottebenbildlichkeit zuerkannt, auf deren Wiederherstellung es in jedem einzelnen Menschen wie auch in der Menschheitsgeschichte insgesamt ankommt. Wenngleich eine völlige Besserung der menschlichen Natur nur von der Mitwirkung der göttlichen Gnade zu hoffen steht (und womöglich erst mit der Auferstehung erlangt wird), ist ein Anfang doch schon vom Menschen selbst zu machen. Alexander Gottlieb Baumgarten, in dessen Dogmatikvorlesung sich bezeichnenderweise deutliche Anleihen bei der föderaltheologischen Anthropologie finden, erklärt in seinem Kolleg über die Ästhetik ausdrücklich, bestimmte Grade der Besserung würden nicht von der göttlichen Gnade, sondern von menschlichen ‚Künsten‘ bewirkt. Damit sind die Disziplinen der Moral- und Instrumentalphilosophie gemeint, speziell aber natürlich die Ästhetik, der als Theorie der Verbesserung der unteren Erkenntnisvermögen (aufgrund der genannten Schlüsselstellung der unteren Erkenntniskräfte gegenüber den oberen) eine besondere anthropologische Relevanz zukommt. Baumgarten macht seine Ästhetik ausdrücklich zu einem Instrument der Verbesserung der menschlichen Natur, womit er sie der Logik und der Ethik gleichberechtigt zur Seite stellt. Eine auf die bloße Besserung des Willens und der oberen Erkenntniskräfte gerichtete Ausbildung des Menschen sieht Baumgarten hingegen als problematisch und defizitär an; erst die von der Ästhetik ins Werk zu setzende Ausbesserung der unteren Erkenntnisvermögen kann seiner Ansicht nach der Fehlbarkeit der auf die oberen Seelenkräfte gerichteten Disziplinen abhelfen. Darin besteht bei Baumgarten der Anteil der neubegründeten Wissenschaft der Ästhetik an der Bildung des ‚ganzen Menschen‘. Wenn Baumgarten die Ausbildung der sinnlichen Vermögen nicht metaphorisch auf die biologische Generation bezieht, so ist das vornehmlich dem Umstand zuzuschreiben, daß sich die von ihm intendierte ‚Verbesserung der Natur‘ einer Übertragung in den Bildbereich der Zeugung und Entwicklung der Lebewesen entzieht. Die generative Metaphorik stößt deshalb an eine Grenze, weil im 18. Jahrhundert eine ‚genetische‘ Verbesserung etwaiger Anlagen einfach nicht konzeptualisiert werden konnte – weder für das Tier- noch für das Pflanzenreich. Züchterische 188
Verfahren und gärtnerische Veredelungen gestatten zwar eine entsprechende Auslese und sichern eine höhere Ertragsgüte, doch setzen sie gerade nicht an der zeugenden Substanz an, die als Teil der Natur dem menschlichen Eingriff entzogen bleibt. Baumgartens Naturbegriff rekurriert deshalb auf die aus der rhetorischen Tradition geläufige ars-natura-Dialektik: Als ‚natürlich‘ gelten ihm diejenigen ‚Anlagen‘ des Menschen, die sich durch Wiederholung und kunstgerechte Übung als formbar und entwicklungsfähig erweisen; konsequenterweise wertet er die ‚angeborenen‘ oder von Gott eingeflößten Vermögen deshalb auch nicht höher als die erst durch Ausbildung zur Geltung gebrachten: Beide sind nach seinem Verständnis ‚natürlich‘. Eine biologische Konzeption ‚präformierter Anlagen‘ kann hier nicht Platz greifen, obschon Baumgarten das präformationistische Denken alles andere als fremd war. Dagegen bemüht Georg Friedrich Meier in seiner Ausfertigung der Ästhetik durchaus generationstheoretische Vorstellungen für die Konzeptualisierung ‚angelegter‘ Vermögen. Das führt ihn allerdings in erhebliche Schwierigkeiten, wenn auch nicht offenkundig in der Argumentation, so doch im Metaphorischen; denn das mit der Ästhetik verfolgte Ziel einer ‚Verbesserung der Natur‘ kann nur mit dem aus der ars-natura-Dialektik stammenden nicht-essentialistischen Naturbegriff operieren, nicht jedoch mit dem der Generationstheorie zugrunde liegenden essentialistischen. Meier verfällt deshalb auf zwei konfligierende Naturbegriffe, deren Unverträglichkeit er nur dadurch begegnen kann, daß er die generative Metaphorik am Ende zugunsten land- und gartenbaulicher Analogien aufgibt. Damit sind aber wohlgemerkt keine Aporien des präformationistischen Denkens in aestheticis beschrieben, die von der Epigenese schließlich aufgelöst würden. Vielmehr steckt im nicht-essentialistischen Naturbegriff der Rhetorik immer schon der Keim zu jener Auffassung von der nachträglichen Formbarkeit natürlicher Anlagen, den jede Doktrin der schönen Künste vermittels der von ihr behaupteten Lehr- und Lernbarkeit ihrer Inhalte voraussetzt. Die wissenschaftsgeschichtliche Rekonstruktion der Zeugungs- und Seelenursprungslehren der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat gezeigt, daß die Ästhetik Baumgartens und Meiers gerade nicht durch ihre zeitliche Stellung vor einem vermeintlichen biologiegeschichtlichen Paradigmenwechsel von der Präformation zur Epigenesis gekennzeichnet ist, wie in der Literaturwissenschaft unter Rückgriff auf eine einzelwissenschaftlich betriebene Biologiegeschichtsschreibung vielfach behauptet worden ist. Gegen diese einen biologiehistorisch längst überwundenen Schematismus fortschreibende Sichtweise hat die vorliegende Arbeit zeigen können, daß die Ästhetik, was ihr Verständnis der ‚Natur des Künstlers‘ anbelangt, mit einem theorieimmanenten Atavismus behaftet zur Welt gekommen ist, der im unreflektierten Rückgriff auf einen der rhetorischen Tradition entstammenden Naturbegriff besteht und sich mit demjenigen der Naturwissenschaften und der neueren Philosophie zuletzt als unvereinbar erweist.
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Das läßt sich freilich nur ex post sagen. Den Zeitgenossen dagegen mußte die Koexistenz rhetorischer und ‚biologischer‘ Naturbegriffe in der Ästhetik nicht notwendigerweise anstößig werden. Denn was ‚Natur‘ sei, wurde im 18. Jahrhundert keineswegs allein in den Naturwissenschaften, sondern in allen vier Fakultäten verhandelt. Außer der ‚Naturkunde‘ beanspruchten – zumal in Hinblick auf die Natur des Menschen – auch Theologie und Medizin, Naturrechtslehre und Metaphysik, Rhetorik und Historie eine genuine Fachkompetenz. Spürbar wurde die Unverträglichkeit der verschiedenen Naturbegriffe erst, nachdem Kant den Umfang dessen, wonach sich naturwissenschaftlich und philosophisch überhaupt sinnvoll fragen läßt, radikal neu bestimmt hatte. Wenngleich die Kritik der Urteilskraft ihrerseits noch ein gemeinsames Dach über Ästhetik und ‚Biologie‘ spannt, ist für Kant jene von der ästhetischen und der teleologischen Urteilskraft einem Gegenstand zuerkannte Zweckmäßigkeit doch nichts anderes als eine regulative Idee. Übertragungen zwischen biologischem und ästhetischem Bildbereich lassen sich demnach nicht auf ein Natur und Kunst gemeinsames ‚Wesen‘ gründen; zulässig sind sie allein im Wissen um ihre bloß pragmatische oder heuristische Funktion. Die Frage nach dem Seelenursprung schließlich wird von Kant vollends verabschiedet. Obgleich er als akademischer Lehrer seine Metaphysikvorlesungen auf der Grundlage von Baumgartens Metaphysica abhielt und seinen Hörern dabei regelmäßig auch den Abschnitt über den Ursprung der menschlichen Seele erläuterte, ließ er doch keinen Zweifel daran, daß nicht allein die dort präsentierten Antworten verfehlt seien, sondern schon die Frage selbst. Seine Zurückweisung sowohl des Traduzianismus als auch der psychophysischen Präexistenzlehre zeigt überdeutlich, daß die ‚Zertrümmerung‘ der althergebrachten Metaphysik auch vor dem ‚ganzen Menschen‘ nicht haltmachte.
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Literaturverzeichnis
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– Aesthetica. 2 Bde. Frankfurt a.d.O. 1750/58 [ND in einem Band Hildesheim, Zürich u. New York 1986]. – Ästhetik (lat./dt.). Übers. u. hg. v. Dagmar Mirbach. 2 Bde. Hamburg 2007 (= Philosophische Bibliothek, 572a/b). – Die Vorreden zur Metaphysik. Hg., übers. u. kommentiert v. Ursula Niggli. Frankfurt a.M. 1998. – Ethica philosophica [1740]. 3. Aufl. Halle 1763 [ND Hildesheim 1969]. – [Kollegnachschrift einer Ästhetikvorlesung Alexander Gottlieb Baumgartens]. In: Bernhard Poppe: Alexander Gottlieb Baumgarten. Seine Bedeutung und Stellung in der Leibniz-Wolffischen Philosophie und seine Beziehungen zu Kant. Nebst Veröffentlichung einer bisher unbekannten Handschrift der Ästhetik Baumgartens. Borna u. Leipzig 1907, S. 59–258. – Metaphysica. 7. Aufl. Halle 1779 [ND Hildesheim 1963]. – Metaphysik [übers. v. Georg Friedrich Meier]. Halle 1766. – Philosophia generalis. Hg. v. Johann Christian Förster. Halle 1770 [ND Hildesheim 1968]. – Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes [Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus, 1735] (lat./dt.). Übers. u. mit e. Einl. hg. v. Heinz Paetzold. Hamburg 1983 (= Philosophische Bibliothek, 352). – Praelectiones theologiae dogmaticae. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1773. – Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Übers. u. hg. v. Hans Rudolf Schweizer. Hamburg 1983 (= Philosophische Bibliothek, 351). – Theoretische Ästhetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der ‚Aesthetica‘ (1750/58). Übers. u. hg. v. Hans Rudolf Schweizer. 2., durchges. Aufl. Hamburg 1988 (= Philosophische Bibliothek, 355). [Baumgarten, Alexander Gottlieb]: Philosophische Briefe von Aletheophilus. Frankfurt u. Leipzig 1741. Baumgarten, Siegmund Jacob: Erbauliche Erklärung der Psalmen. 2 Bde. Halle 1759. – Evangelische Glaubenslehre. 3 Bde. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1759–60. – Geschichte der Religionspartheyen. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1766 [ND Hildesheim 1966]. – Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie die in Engeland durch eine Geselschaft von Gelehrten ausgefertiget worden. Genau durchgesehen und mit häufigen Anmerkungen vermeret von Siegmund Jacob Baumgarten. Erster Theil. Halle 1744. – Unterricht vom rechtmässigen Verhalten eines Christen oder Theologische Moral. Halle 1738. – Untersuchung theologischer Streitigkeiten. 3 Bde. Hg. v. Johann Salomo Semler. Halle 1762– 1764. – Vorrede. In: S.G.L. [d.i. Samuel Gotthold Lange]: Oden Davids oder poetische Uebersetzung der Psalmen. 4 Theile. Halle 1746, Th. 1, o.S. Beyer, Justus Israel: Alte und neue Geschichte der Hallischen Gelehrten sowohl insgemein, als der Friedrichsuniversität allda. 6 Theile. Halle 1739–41. Bilfinger, Georg Bernhard: Dilucidationes philosophicae de Deo, anima humana, mundo, et generalibus rerum affectionibus. Tübingen 1725 [ND Hildesheim u. New York 1982 (= WGW III, 18)]. Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. [Bd. 1]. Göttingen 1779. – Über den Bildungstrieb (Nisus formativus) und seinen Einfluß auf die Generation und Reproduction. In: Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur 1 (1780), 5. Stück, S. 247–266 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)]. – Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte. Göttingen 1781 [ND Stuttgart 1971]. Bolten, Johann Christian: Gedancken von psychologischen Curen. Halle 1751. Börner, Friedrich: Nachrichten von den Lebensumständen und Schriften jetztlebender berühmter Aerzte und Naturforscher in und um Teutschland. 3 Bde. Wolfenbüttel 1749–53 [biographische Artikel aufgenommen in das Deutsche biographische Archiv (DBA I)]. Brockes, Barthold Hinrich: Betrachtung des Schlafs, als eine Göttliche Wohlthat, bey dem 1728sten Jahres-Wechsel. In: Ders.: Irdisches Vergnügen in GOTT. 9 Theile. Dritter Theil: Verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit des Herrn Abts Genest nebst verschiedenen eige-
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nen theils Physicalischen theils Moralischen Gedichten. 2. Aufl. Hamburg 1730 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)]. Budde, Johann Franz: Bedencken über die Wolffianische Philosophie, nebst einer historischen Einleitung zur gegenwärtiger [!] Controversie zum Druck übergeben von Jo. Gustavo Idirpio [d.i. Johann David Jäncke]. Freyburg [d.i. Jena] 1724. – Elementa philosophiae instrumentalis seu institutiones philosophiae eclecticae. 3 Bde. Bd. 2: Elementa philosophiae theoreticae [erstmals 1703]. 8. Aufl. Halle 1724 [ND: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Hildesheim, Zürich u. New York 2004 (= Historia scientiarum: Fachgebiet Philosophie)]. – Institutiones theologiae dogmaticae variis observationibus illustratae. Leipzig 1723 [ND in zwei Bänden: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 7,1–2. Hildesheim, Zürich u. New York 1999 (= Historia scientiarum: Fachgebiet Philosophie)]. Cicero, Marcus Tullius: De oratore (lat./dt.). Übers. u. hg. v. Harald Merklin. Stuttgart 1978. – Orator (lat./dt.). Hg. u. übers. v. Bernhard Kytzler. München 1975 (= Tusculum-Bücherei). Comenius, Johann Amos: Orbis sensualium pictus. Faksimiledruck der Ausgabe Noribergae, M. Endter, 1658, mit einem Nachwort von Hellmut Rosenfeld unter Beifügung eines vollständigen Faksimileabdrucks des Lucidarium-Probedrucks von 1657. Osnabrück 1964 (= Milliaria: Faksimiledrucke zur Dokumentation der Geistesentwicklung, 4). Coschwitz, Georg Daniel: Organismus et mechanismus in homine vivo obvius et stabilitus, seu hominis vivi consideratio physiologica. Leipzig 1725. Descartes, René: Œuvres. 13 Bde. Hg. v. Charles Adam u. Paul Tannery. Paris 1897–1913. – Über den Menschen (1632) sowie Beschreibung des menschlichen Körpers (1648). Nach der ersten französischen Ausgabe von 1664 übers. u. eingel. v. Karl E. Rothschuh. Heidelberg 1969. Dreyhaupt, Johann Christoph von: Pagus Neletici et Nudzici, oder Ausführliche diplomatischhistorische Beschreibung des [...] Saal-Creises. 2 Theile. Halle 1749/50. – Pagus Neletici et Nudzici, oder diplomatisch-historische Beschreibung des Saal-Creyses. In einen Auszug gebracht, verbessert, mit einigen Anmerkungen erläutert, und fortgesetzt von Johann Friedrich Stiebritz. 2 Theile. Halle 1772/73. [Eubelhueber (auch: Eubelhuber), Johann Christoph]: Kurtzer Begriff der natürlichen Sein-selbst Erkenntnüß, bestehend in zwar kurtz gefassten, doch gründlichen Unterricht von der Physiologie und Pathologie. Regensburg 1739. Förster, Johann Christian: Übersicht der Geschichte der Universität zu Halle in ihrem ersten Jahrhundert [1794]. Hg., bearb. u. mit Anhängen versehen von Regina Meyer u. Günter Schenk. Halle 1998 (= Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte: Monographien). Franck, Johann Georg u.a.: Ein christlicher Medicus als ein ehrwürdiger Medicus ward, da der weiland wohlgeborne, hochgelahrte Herr, Herr D. Friedrich Hoffmann [...] entschlafen [...] in der gewöhnlichen Trauer-Rede vorgestellt. Halle 1743. Freylinghausen, Johann Anastasius: Grundlegung der Theologie. Halle 1703 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 2005 (= Historia scientiarum: Fachgebiet Theologie)]. Gohl, Johann Daniel: Aufrichtige Gedancken über den von Vorurtheilen krancken Verstand. Hg. v. Johann Juncker. Halle 1733. Götten, Gabriel Wilhelm: Das Jetzt-lebende gelehrte Europa. 3 Theile. Braunschweig u.a. 1735–40 [ND Hildesheim u. New York 1975]. Gottsched, Johann Christoph: Ausgewählte Werke. Bd. 5: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. 4 Teile. Hg. v. Phillip M. Mitchell. Berlin u. New York 1983–95 (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). [Gottsched, Johann Christoph]: Historische Lobschrift des weiland hoch- und wohlgebohrnen Herrn Christians, des H.R.R. Freyherrn von Wolf. Halle 1755 [ND in WGW I, 10: Biographie. Hildesheim u. New York 1980]. Gundling, Nicolaus Hieronymus: Otia. 3 Bde. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1706–07. – Philosophische Discourse [Via ad veritatem, 1713–15]. 3 Bde. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1739– 40. – Satyrische Schriften. Jena u. Leipzig 1738 [Mikrofiche-Ausgabe in: Bibliothek der deutschen Literatur. München u.a. 1990–94].
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[Gundling, Nicolaus Hieronymus]: Aufrichtiges Sendschreiben eines Gundlingischen Zuhörers an Herrn Christoph August Heumann. Altranstädt 1713 [erneut in Ders.: Satyrische Schriften, S. 453–518]. Haller, Abrecht von: Tagebuch der medicinischen Litteratur der Jahre 1745 bis 1774. 3 Bde. Hg. v. Johann Jakob Römer u. Paul Usteri. Bern 1789–91 [ND in zwei Bänden Hildesheim u. New York 1974]. [Haller, Abrecht von]: Rez. zu Christian Gottlieb Kratzenstein, Abhandlung vom Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft (21745). In: Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, 85. Stück vom 25. Dezember 1745, S. 709f. [erneut in Ders.: Tagebuch der medicinischen Litteratur, Bd. 1, S. 14–16]. Hansen, Ludwig: De termino animationis foetu humani. Wenn das Kind im Mutter-Leibe die Seele empfängt. Med. Diss. (Praes. Michael Alberti, Resp. et auct. Ludwig Hansen) Halle 1726. Hartmann, Georg Volckmar: Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1737 [ND Hildesheim u. New York 1973 (= WGW III, 4)]. Harvey, William: Exercitationes de generatione animalium. London 1651. Hausen, Carl Renatus: Geschichte der Universität und Stadt Frankfurt an der Oder, seit ihrer Stiftung und Erbauung, bis zum Schluß des achtzehnten Jahrhunderts, größtentheils nach Urkunden und Archiv-Nachrichten bearbeitet [erstmals 1800]. 2. Aufl. Frankfurt a.d.O. 1806. Hennings, Justus Christian: Geschichte von den Seelen der Menschen und Thiere. Halle 1774. Herrnschmidt, Johann Daniel: Von den rechten Grentzen der Philosophiae naturalis [datiert 1719]. In: Johann Georg Hoffmann: Kurtze Fragen von den natürlichen Dingen. 6., durchgängig verb. u. verm. Aufl. Halle 1770, Vorrede. Hoffbauer, Johann Christoph: Geschichte der Universität zu Halle bis zum Jahre 1805. Halle 1805. Hoffmann, Friedrich: Ausführlicher Beweiß, daß die unordentliche Gemüths-Verfassung die vornehmste Ursach vieler schweren [!] Kranckheiten ja des Todes sey. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 16 vom 16. April 1742, Sp. 249–258. – De affectibus hereditariis illorumque origine. Med. Diss. (Resp. Anton Philipp Bornemann) Halle 1699. – De atheo convincendo ex artificiosissima machinae humanae structura [1693]. [Halle] 1705. – De fato physico et medico ejusque rationali explicatione. Med. Diss. (Resp. Caspar Harbort) Halle 1724. – De officio boni theologi ex idea boni medici. Halle 1702. – Die unbeschreiblich grossen Wohlthaten GOttes, die er durch die Sonne den wachsenden und lebendigen Geschöpffen auf dem Erdboden erweiset. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 10 vom 5. März 1742, Sp. 150–156. – Fortsetzung der Abhandlung von der vermehrenden Kraft der lebendigen Geschöpffe. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 9 vom 26. Februar 1742, Sp. 129–138. – Fundamenta medicinae. Halle 1695. – Gründliche Ausführung, daß ein rechtschaffener Theologus die Cur seiner anvertrauten Seelen nach der Methode und Ordnung, wie ein Medicus die Krancken curiret, einrichten müsse [De officio boni theologi ex idea boni medici, 1702]. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 40 vom 1. Oktober 1742, Sp. 641–652. – Gründliche und heilsame Untersuchung der wunderbaren Vermehrung und Fortpflantzung der Menschen, Thiere und Pflantzen. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 8 vom 19. Februar 1742, Sp. 113–121. – Gründlicher Beweiß, daß zu einen [!] gesunden Verstande die Gesundheit des Leibes höchstnothwendig sey. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 42 vom 16. Oktober 1741, Sp. 687–700. – Medicina rationalis systematica. Bd. 1. Halle 1718. – Opera omnia physico-medica. 6 Bde., 2 Suppl.-Bde. Genf 1740–49. – Opuscula physico-medica. 2 Bde. Ulm 1725/26. – Untersuchung derer Erb-Kranckheiten nach ihrem Ursprung. In: Ders.: Gründliche Anweisung, wie ein Mensch in Ansehung der Temperamente, Stuffen-Jahre, Erbschaffts- und BergwercksKranckheiten, auch Studierende durch gute Diät die Gesundheit erhalten und sich vor Kranckheiten verwahren können. Bd. 9. Halle 1728, S. 727–789.
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– Untersuchung, von denen unmäßigen und unzeitigen Liebes-Wercken, und was für Kranckheiten daher entstehen. In: Ders.: Gründliche Anweisung wie ein Mensch sich bey verschiedenen Umständen und Zufällen seine Gesundheit erhalten und grösserem Uebel vorbauen könne. Bd. 7. Halle 1726, S. 69–132. – Untersuchung von der Seele, daß sie eine Ursache so wol der Gesundheit, als auch vieler Kranckheiten sey. In: Ders.: Gründliche Anweisung wie ein Mensch vor dem frühzeitigen Tod und allerhand Arten Kranckheiten durch ordentliche Lebens-Art sich verwahren könne. [Bd. 1]. Halle 1715, S. 204–263. – Vernünfftige physicalische Theologie und gründlicher Beweis des göttlichen Wesens und dessen vollkommensten Eigenschafften aus reifer Betrachtung aller in der Natur befindlicher Wercke, besonders des Menschen [Exercitatio de optima philosophandi ratione, 1741]. Übers. v. Friedrich Eberhard Rambach. [Halle] 1742. – Von dem Wesen und Würckungen der vernünftigen menschlichen Seele. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 40 vom 2. Oktober 1741, Sp. 649–656. – Von den [!] der Gesundheit und Leben höchstschädlichen Mißbrauch des venerischen exercitii mit höchstnöthiger Abmahnung davon. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 30 vom 23. Juli 1742, Sp. 481–491. – Von der Einbildungs-Kraft und deren wunderbaren Würckung im menschlichen Cörper. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 12 vom 19. März 1742, Sp. 177–189. – Von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, aus Vernunfts-Schlüssen erwiesen. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 38 vom 18. September 1741, Sp. 617–628. – Vorrede. In: Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. [Erster Theil]. Halle 1740, o.S. [Hoffmann, Friedrich]: Kurtzer Begriff der gantzen Christl. Religion. Deutlich und ordentlich in einem guten Zusammenhang der Grund-Wahrheiten zu erwünschter Erbauung vorgestellet von einem Christlichen Liebhaber der Philosophie und Medizin. F.H. o.O. 1738. Hoffmann, Johann Georg: Kurtze Frage von den natürlichen Dingen [erstmals 1720]. 6. Aufl. Halle 1770. Jacobi, Christoph Gottfried: Gedanken beim Polypus, aus dessen zerschnittenen Teilen andere erwachsen [1745]. In: Hans Querner u. Ilse Jahn: Christoph Gottfried Jacobi und die Süßwasserpolypen des Abraham Trembley. Dorothea Kuhn zum 80. Geburtstag. Marburg 2003, S. 11– 15. – Geistliches Vergnügen, oder, verschiedene zur Ermunterung des Geistes auf gewisse Tage und Zeiten entworfene, und in eben der Ordnung gesamlete Gedichte. Erste Samlung [mehr nicht erschienen]. Leipzig u. Quedlinburg 1752. Juncker, Johann: Conspectus medicinae theoretico-practicae. Halle 1718. – Conspectus physiologiae medicae et hygieines. Halle 1735. Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe). Berlin 1902ff. Kataloge der Frankfurter und Leipziger Buchmessen. Hg. v. Bernhard Fabian. [Mikrofiche-Ausgabe] Hildesheim 1977–85. Kestner, Christian Wilhelm: Medicinisches Gelehrten-Lexicon. Jena 1740 [ND Hildesheim 1971]. Kratzenstein, Christian Gottlieb: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft. 2. u. verm. Aufl. Halle 1745 [ND in Ders.: Abhandlung von dem Aufsteigen der Dünste und Dämpfe. Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft. Lindau i.Br. 1978]. – Abhandlung von der Erzeugung der Würmer im menschlichen Cörper. Halle 1748. – Beweiß, daß die Seele ihren Cörper baue: In einem Glückwünschungsschreiben an Herrn Heinrich Friedrich Delius; als Derselbe die Doctorwürde in der Arzneygelahrtheit auf der Universität zu Halle annahm. Halle 1743. – Physicalische Briefe. 3. u. verm. Aufl. Halle 1746. – Physicalische Briefe. 4. Aufl. Halle 1772. Krüger, Johann Gottlob: Diät oder Lebensordnung. Halle 1751. – Gedancken von der Erziehung der Kinder. 2 Theile. Halle 1752. – Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrheit. Halle 1745 [ND in Tanja van Hoorn: Entwurf einer Psychophysiologie des Menschen. Johann Gottlob Krügers ‚Grundriß eines neuen Lehrgebäudes der Artzneygelahrtheit‘ (1745). Hannover-Laatzen 2006, S. 133–212].
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– Naturlehre. [Erster Theil]. Mit einer Vorrede von der wahren Weltweisheit begleitet von Herrn Friedrich Hoffmann. Halle 1740. – Naturlehre. Erster Theil. 2. Aufl. Halle 1744. – Naturlehre. Erster Theil. 3. Aufl. Halle 1749. – Naturlehre. Zweyter Theil, welcher die Physiologie, oder die Lehre von dem Leben und der Gesundheit des Menschen in sich fasset. Halle 1743. – Naturlehre. Dritter Theil, welcher die Pathologie, oder Lehre von den Krankheiten in sich fasset. 2 Bde. Halle 1750. – Physicotheologische Betrachtungen einiger Thiere. Halle 1741. – Träume [erstmals 1754]. 3., verm. Aufl. Halle 1765. Lange, Joachim: Ausführliche Recension der wider die Wolfianische Metaphysic auf 9 Universitäten und anderwärtig edirten sämmtlichen 26 Schriften. Halle 1725 [ND in WGW III, 64,1: Schriften über Joachim Langes und Johann Franz Buddes Kontroverse mit Christian Wolff. Teil 1. Hildesheim, Zürich u. New York 2000]. – Bescheidene und ausführliche Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico von GOtt, der Welt, und dem Menschen. Halle 1724 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1999 (= WGW III, 56)]. – Caussa Dei et religionis naturalis adversus atheismum. 2. Aufl. Halle 1727 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1984 (= WGW III, 17)]. – Gründliche Ursachen, zur christlichen Policey, in Anlegung der Findelhäuser [mit 5 Fortsetzungen]. In: Wöchentliche Hallische Anzeigen Nr. 6 vom 8. Februar bis Nr. 13 vom 28. März 1740. – Kurtzer Abriß derjenigen Lehrsätze, welche in der Wolffischen Philosophie, der natürlichen und geoffenbahrten Religion nachtheilig sind, ja sie gar aufheben, und gerades Weges, obwohl bey vieler gesuchter Verdeckung, zur Atheisterey verleiten [1736]. In: Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 1, S. 14–38. Lange, Samuel Gotthold: Leben Georg Friedrich Meiers. Halle 1778. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die philosophischen Schriften. 7 Bde. Hg. v. Carl Immanuel Gerhardt. Berlin 1875–90 [ND Hildesheim u. New York 1978]. – Sämtliche Schriften und Briefe (Akademie-Ausgabe). Darmstadt (später: Berlin) 1923ff. Ludovici, Carl Günther: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. 3 Theile [erstmals 1736–38]. Leipzig 1737–38 [ND Hildesheim u. New York 1977 (= WGW III, 1,1–3)]. – Neueste Merckwürdigkeiten der Leibnitz-Wolffischen Weltweisheit. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1738 [ND Hildesheim u. New York 1973 (= WGW III, 3)]. – Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften wegen der Wolffischen Philosophie, zur Erläuterung der bestrittenen Leibnitzischen und Wolffischen Lehrsätze. 2 Theile. Leipzig 1737/38 [ND in einem Band Hildesheim u. New York 1976 (= WGW III, 2)]. [Ludovici, Carl Günther]: Art. Wolfische Philosophie. In: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste [verlegt von Johann Heinrich Zedler]. Bd. 58. Leipzig u. Halle 1748, Sp. 883–1232 [ND in WGW III, 68: ‚Wolff (Christian)‘ und ‚Wolffische Philosophie‘. Zwei Artikel aus Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Hildesheim, Zürich u. New York 2001]. Malebranche, Nicole: Œuvres complètes. Bd. 1. Hg. v. André Robinet u.a. Paris 1962 (= Bibliothèque des textes philosophiques). Meier, Georg Friedrich: Abbildung eines wahren Weltweisen. Halle 1745 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 2007 (= WGW III, 100)]. – Alexander Gottlieb Baumgartens Leben. Halle 1763 [neuerdings ediert in Aichele u. Mirbach (Hg.): Alexander Gottlieb Baumgarten, S. 351–373]. – Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. 3 Theile [erstmals 1748–50]. 2. Aufl. Halle 1754–59 [ND Hildesheim u. New York 1976 (= Documenta Linguistica, Reihe 5: Deutsche Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts)]. – Auszug aus den Anfangsgründen aller schönen Künste und Wissenschaften [1758]. In: G.Fr. Meier und die Anfangsgründe aller schönen Künste und Wissenschaften. Hg. v. Günter Schenk. Halle [1992] (= Bibliothek mitteldeutscher Denker, Abt. 1: Hallesche Aufklärer, 1), S. 1–129.
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– Auszug aus der Vernunftlehre [1752]. In: Immanuel Kant: Gesammelte Schriften. Bd. 16. Berlin 1914 (= Abt. 3: Handschriftlicher Nachlaß, Bd. 3: Logik). – Betrachtungen über den ersten Grundsatz aller schönen Künste und Wissenschaften. Halle 1757 [erneut in Ders.: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 3: Philosophische Ästhetik – Literaturtheorie – Neue Deutsche Dichtung, S. 170–206]. – Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen. 3 Bde. Hg. v. Hans-Joachim Kertscher u. Günter Schenk. Halle 1999–2002 (= Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte: Texte und Dokumente). – Gedancken von dem Zustande der Seele nach dem Tode. Halle 1746. – Metaphysik. 4 Theile [erstmals 1755–59]. 2. Aufl. Halle 1765 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 2007 (= WGW III, 108,1–4)]. – Theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt. Halle 1744 [ND Frankfurt a.M. 1971 (= Athenäum Reprints)]. – Vernunftlehre. 2 Theile. Halle 1752. – Vertheidigung der Baumgartischen Erklärung eines Gedichts, wider das 5 Stück des I Bandes des neuen Büchersaals der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Halle 1746 [erneut in Ders.: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2: Der ‚kleine Dichterkrieg‘ zwischen Halle und Leipzig, S. 33–55]. – Vorstellung der Ursachen, warum es unmöglich zu seyn scheint, mit Herrn Profeßor Gottsched eine nützliche und vernünftige Streitigkeit zu führen. Halle 1754 [erneut in Ders.: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2, S. 122–156]. Neuenhahn, Carl Ludwig: Vermischte Anmerkungen über einige auserlesene Materien zur Beförderung nützlicher Wissenschaften. 4 Theile. Leipzig 1754–56. Nicolai, Ernst Anton: Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber. Halle 1749. – Gedancken von der Erzeugung des Kindes im Mutterleibe und der Harmonie und Gemeinschaft, welche die Mutter währender Schwangerschaft mit demselben hat. Halle 1746. – Wirckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Cörper aus den Gründen der neuern Weltweißheit hergeleitet. Halle 1744. [Oelrichs, Johann Carl Conrad]: Tagebuch einer gelehrten Reise 1750, durch einen Theil von Ober- und Nieder-Sachsen (Aus der Handschrift). In: Johann Bernoulli: Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Bd. 5. Berlin u. Dessau 1782, S. 1–152 Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae libri XII (lat./dt.). 2 Bde. Hg. v. Helmut Rahn. Darmstadt 1972–75 (= Texte zur Forschung, 2–3). Quistorp, Theodor Johann: Erweis, daß die Poesie schon für sich selbst ihre Liebhaber leichtlich unglückselig machen könne. In: Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste 1 (1745), 5. Stück, S. 433–452 [erneut in Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Bd. 2, S. 20–32]. [Rambach, Friedrich Eberhard]: Kurze Nachricht von dem Leben und Schriften Herrn D. Friedrich Hofmanns [!]. Halle 1760 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)]. Rambach, Johann Jacob: Historische und theologische Einleitung in die Religions-Strittigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche mit den Socinianern. 2 Theile. Hg. v. Christian Hecht. Coburg u. Leipzig 1745. Réaumur, René-Antoine Ferchault de: Additions aux Observations sur la Muë des Ecrevisses, données dans les Memoires de 1712. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Avec les Mémoires de Mathématique et de Physique [20], Année 1718 [Paris 1719], S. 263–274. – Mémoires pour servir à l’histoire des insectes. Bd. 6: Suite de l’Histoire des Mouches à quartres aîles avec un supplément à celle des Mouches à deux aîles. Paris 1742 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)]. – Sur les diverses Reproductions qui se font dans les Écrevisses, les Omars, les Crabes, etc. Et entr’autres sur celles de leurs Jambes et de leurs Écailles. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Avec les Mémoires de Mathématique et de Physique (14), Année 1712 (Paris 1714), S. 223–241.
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Reimarus, Hermann Samuel: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion [1754]. 3., verb. und stark verm. Aufl. Hamburg 1766 [ND in Ders.: Gesammelte Schriften. Göttingen 1985 (= Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschafen Hamburg, 53)]. Richter, Christian Friedrich: Erbauliche Betrachtungen von Ursprung und Adel der Seelen. Halle 1718. – Höchst-nöthige Erkenntniß des Menschen, sonderlich nach dem Leibe und natürlichem Leben. 3., verm. u. verb. Aufl. Halle 1710. – Kurtzer und deutlicher Unterricht von dem Leibe und natürlichen Leben des Menschen. Halle 1705 [ND Zürich 1985 (= Die Hallischen Waisenhaus-Arzeneyen)]. Soemmerring, Samuel Thomas: Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Cassel befanden. Mainz 1791 [ND in Ders.: Werke. Bd. 11: Schriften zur Embryologie und Teratologie. Hg. v. Ulrike Enke. Basel 2000, S. 113– 163]. Spener, Philipp Jacob: Der hochwichtige Articul von der Wiedergeburt [erstmals 1696]. Frankfurt a.M. 1715 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1994 (= Ders.: Schriften, 7)]. – Die Evangelische Glaubens-Lehre. Frankfurt a.M. 1688 [ND in zwei Bänden Hildesheim, Zürich u. New York 1986 (= Ders.: Schriften, 3,1,1–2)]. – Die Evangelische [!] Lebens-Pflichten. 2 Theile. Frankfurt a.M. 1692 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1992 (= Ders.: Schriften, 3,2,1–2)]. – Lauterkeit des evangelischen Christentums. Halle 1706. Stahl, Georg Ernst: Aristotelis error circa definitionem naturae correctus. In: Observationes selectae ad rem litterariam spectantes 3 (1701), S. 141–155 [ND mit dt. Übers. in Engelhardt u. Gierer (Hg.): Stahl in wissenschaftshistorischer Sicht, S. 254–271]. – De medicina medicinae necessaria. Halle 1702 [ND mit dt. Übers. in Engelhardt u. Gierer (Hg.): Stahl in wissenschaftshistorischer Sicht, S. 200–253]. – Negotium Otiosum, seu Skiamachia. Halle 1720. – Theoria medica vera. Halle 1708. Stiebritz, Johann Friedrich: Gründliche Abhandlung von Wunder-Wercken welche nach den Gründen der neuern Welt-Weisen abgefasset worden. In: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle [...] I. Probe. Halle 1738, S. 24–78. – Uberzeugender Beweis daß die Materie und Cörper nicht gedencken können. In: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle [...] V. Probe. Halle 1740, S. 377–408. Stolle, Gottlieb: Anleitung zur Historie der Gelahrheit, denen zum Besten, so den freyen Künsten und der Philosophie obliegen. Nunmehr zum viertenmal verbessert und mit neuen Zusätzen vermehret, herausgegeben. Jena 1736. Storch, Johann: Von Weiber-Kranckheiten. 8 Bde. Gotha 1746–53. Swammerdam, Jan: Bibel der Natur, worinnen die Insekten in gewisse Classen vertheilt, sorgfältig beschrieben, zergliedert, in saubern Kupferstichen vorgestellt, mit vielen Anmerkungen über die Seltenheit der Natur erleutert, und zum Beweis der Allmacht und Weisheit des Schöpfers angewendet werden [Biblia naturae sive historia insectorum, 1737/38, übers. v. Johann Jacob Reiske]. Leipzig 1751. [Syrbius, Johann Jacob]: Bericht der Theologischen und Philosophischen Facultät zu Jena an die Universität, und durch diese an den hochfürstlichen Eisenachischen Hof [1725]. In: Ludovici: Art. Wolfische Philosophie, Sp. 1029–1050. Tetens, Johann Nicolaus: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. 2 Bde. Leipzig 1777 [ND: Hildesheim u. New York 1979 (= Ders.: Die philosophischen Werke, 1–2)]. Thomas von Aquin: Erhaltung und Regierung der Welt. Summa theologiae I, 103–119 (lat./dt.). Heidelberg u.a. 1951 (= Die deutsche Thomas-Ausgabe, 8). – Summa contra gentiles (lat./dt.). 2 Bde. Hg. v. Karl Albert u. Paulus Engelhardt. Darmstadt 1982. Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle 1691 [ND Hildesheim 1968]. – Versuch von Wesen des Geistes oder Grund-Lehren, so wohl zur natürlichen Wissenschafft als der Sitten-Lehre. Halle 1699 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 2004 (= Ders.: Ausgewählte Werke, 12)]. [Thomasius, Christian]: Anhang zu denen Thomasischen gemischten Händeln. Halle 1726.
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Thomasius, Jacob: Disputatio physica de origine animae humanae. Diss. phil. (Resp. Johann Vake) Leipzig 1669. – Tractatio physica de origine animae humanae. Halle 1725. – Tractatio physica de origine animae humanae. Halle 1745. Thümmig, Ludwig Philipp: Demonstratio immortalitatis animae ex intima eius natura deducta. Diss. phil. (Resp. Konrad Heinrich Mensching) Halle 1721. Trembley, Abraham: Abhandlungen zur Geschichte einer Polypenart des süßen Wassers mit hörnerförmigen Armen. Übers. u. mit einigen Zusätzen hg. v. Johann August Ephraim Goeze. Quedlinburg 1775. – Mémoires, pour servir à l’histoire d’un genre de polypes d’eau douce, à bras en forme de cornes. Leiden 1744. Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig 1771. – Gedancken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle 1746. Vienna, Realis de [d.i. Gabriel Wagner]: Prüfung des Versuchs vom Wesen des Geistes. o.O. 1707. Walch, Johann Georg: Einleitung in die Philosophie, worinnen alle Theile derselbigen nach ihrem richtigen Zusammenhang erkläret, und der Ursprung nebst dem Fortgang einer ieden Disciplin zugleich erzehlet worden, sonderlich zum Gebrauch des Philosophischen Lexici. Leipzig 1727 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 2007 (= Thomasiani, 1)]. – Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der EvangelischLutherischen Kirche, von der Reformation an bis auf die ietzige Zeit. 5 Theile. 2. Aufl. Jena 1733–39 [ND in acht Bänden: Stuttgart-Bad Cannstatt 1972–85]. – Philosophisches Lexicon. Leipzig 1726 [elektronische Ressource unter: (12. März 2008)]. – Philosophisches Lexicon. 4. Aufl., verm. von Justus Christian Hennings. 2 Theile. Leipzig 1775 [ND Hildesheim 1968]. WGW Wolff, Christian: Gesammelte Werke. Hg. v. Jean École u.a. Abt. I: Deutsche Schriften. Abt. II: Lateinische Schriften. Abt. III: Materialien und Dokumente. Hildesheim u.a. 1962ff. Wolff, Caspar Friedrich: Theoria Generationis. Halle 1759 [ND Hildesheim 1966 zusammen mit Ders.: Theorie von der Generation in zwei Abhandlungen erklärt und bewiesen]. – Theorie von der Generation in zwei Abhandlungen erklärt und bewiesen. Berlin 1764 [ND Hildesheim 1966 zusammen mit Ders.: Theoria Generationis]. Wolff, Christian: Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird [‚Deutsche Experimentalphysik‘, erstmals 1721–23]. 3 Theile. Halle 1727–29 [ND Hildesheim u. New York 1982 (= WGW I, 20,1–3)]. – Anmerckungen über der Theologis[chen] Facultät zu Tübingen Responsum wegen seiner Philosophie [1725]. In: Ludovici: Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften, Th. 2, S. 42–63. – Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, die er in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Welt-Weißheit heraus gegeben [erstmals 1726]. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1733 [ND Hildesheim u. New York 1975 (= WGW I, 9)]. – Brief an R** G** [1743]. In: Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft, S. 42–50. – Briefe von Christian Wolff aus den Jahren 1719–1753. Ein Beitrag zur Geschichte der kaiserlichen Academie der Wissenschaften zu St. Petersburg. St. Petersburg 1860 [ND Hildesheim u. New York 1971 (= WGW I, 16)]. – Der vernünfftigen Gedancken von GOTT, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil, bestehend in ausführlichen Anmerckungen [‚Anmerkungen zur Deutschen Metaphysik‘, erstmals 1724]. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1740 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1983 (= WGW I, 3)]. – Des Herrn Doct. und Prof. Joachim Langens oder: Der Theologischen Facultaet zu Halle Anmerckungen über des Herrn Hoff-Raths und Professor Christian Wolffens Metaphysicam von denen darinnen befindlichen so genannten der Natürlichen und geoffenbarten Religion und Moralität entgegen stehenden Lehren. Nebst beygefügter Hr. Hoff-R. und Prof. Christian Wolffens gründlicher Antwort. Kassel 1724 [ND in WGW I, 17: Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980].
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– Des weyland Reichs-Freyherrn von Wolff übrige theils noch gefundene kleine Schriften und einzele [!] Betrachtungen zur Verbesserung der Wissenschaften. Halle 1755 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1983 (= WGW I, 22)]. – Eigene Lebensbeschreibung. Hg. v. Heinrich Wuttke. Leipzig 1841 [ND in WGW I, 10: Biographie. Hildesheim u. New York 1980]. – Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes. Halle 1718 [ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 zusammen mit Ders.: Erläuterung der Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes. Mit einem Nachwort von Holger Böning (= Volksaufklärung: Ausgewählte Schriften, 1)]. – Erläuterung der Entdeckung der wahren Ursache von der wunderbahren Vermehrung des Getreydes. Halle 1719 [ND zusammen mit Ders.: Entdeckung der wahren Ursache]. – Herrn D. Joh. Francisci Buddei Bedencken über die Wolffianische Philosophie mit Anmerckungen erläutert von Christian Wolffen. Frankfurt a.M. 1724 [ND in WGW I, 17: Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980]. – Natürliche Gottesgelahrheit. Erster Theil [Theologia naturalis. Pars prior, 1736]. Übers. v. Gottlieb Friedrich Hagen. 3 Bde. Halle 1742–43 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1995 (= WGW I, 23,1–3)]. – Nöthige Zugabe zu den Anmerckungen über Herrn D. Buddens Bedencken von der Wolffischen Philosophie. Frankfurt a.M. 1724 [ND in WGW I, 18: Schutzschriften gegen Johann Franz Budde. Hildesheim u. New York 1980]. – Oratio de Sinarum philosophia practica. Rede über die praktische Philosophie der Chinesen (lat./dt.). Übers. u. hg. v. Michael Albrecht. Hamburg 1985 (= Philosophische Bibliothek, 374). – Philosophia prima sive Ontologia [erstmals 1730]. 2. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1736 [ND Hildesheim 1962 (= WGW II, 3)]. – Philosophia rationalis sive Logica [erstmals 1728]. 3., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1740 [ND in drei Bänden Hildesheim, Zürich u. New York 1983 (= WGW II, 1,1–3)]. – Psychologia empirica [erstmals 1732]. 2., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1738 [ND Hildesheim 1968 (= WGW II, 5)]. – Psychologia rationalis [erstmals 1734]. 2., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1740 [ND Hildesheim u. New York 1972 (= WGW II, 6)]. – Ratio praelectionum [erstmals 1718]. 2., verm. Aufl. Halle 1735 [ND Hildesheim u. New York 1972 (= WGW II, 36)]. – Sämtliche Rezensionen in den Acta Eruditorum (1705–1731). 5 Teile. Hildesheim, Zürich u. New York 2001 (= WGW II, 38,1–5). – Theologia naturalis. Pars prior [erstmals 1736]. 2., verb. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1739 [ND in zwei Bänden Hildesheim u. New York 1978 (= WGW II, 7,1–2)]. – Vernünfftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflantzen [‚Deutsche Physiologie‘]. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1725 [ND Hildesheim u. New York 1980 (= WGW I, 8)]. – Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen [‚Deutsche Politik‘, erstmals 1721]. 4. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1736 [ND Hildesheim u. New York 1975 (= WGW I, 5)]. – Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge [‚Deutsche Teleologie‘, erstmals 1724]. 2. Aufl. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1726 [ND Hildesheim u. New York 1980 (= WGW I, 7)]. – Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur [‚Deutsche Physik‘]. Halle 1723 [ND Hildesheim u. New York 1981 (= WGW I, 6)]. – Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen [‚Deutsche Ethik‘, erstmals 1720]. 4. Aufl., hin u. wieder vermehret. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1733 [ND Hildesheim u. New York 1976 (= WGW I, 4)]. – Vernünfftige Gedancken von GOTT, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt [‚Deutsche Metaphysik‘, erstmals 1720]. Neue [11.] Aufl., hin u. wieder vermehret. Halle 1751 [ND Hildesheim, Zürich u. New York 1983 (= WGW I, 2)].
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– Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit [‚Deutsche Logik‘, erstmals 1713]. Hg. und bearb. v. Hans Werner Arndt. Hildesheim 1965 (= WGW I, 1). [Wolff, Christian]: Rez. zu Histoire de l’Académie Royale des Sciences, Année 1712. In: Acta Eruditorum (1716), S. 97–106 [ND in WGW II, 38,2. Hildesheim, Zürich u. New York 2001]. Woyt, Johann Jacob: Physicalische und medicinische Abhandlung von Sein Selbst-Erkäntnüs. Dresden 1702. Zedler, Johann Heinrich [Verleger]: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. 64 Bde., 4 Suppl.-Bde. Halle u. Leipzig 1732–54 [ND Graz 1961–64].
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6 Abbildungsnachweis
Abb. 1: Paul Creutzberger: Holzschnitt zu Comenius’ Orbis pictus (Abschnitt XLII: Anima hominis. Die Seele des Menschen) aus Johann Amos Comenius: Orbis sensualium pictus. Faksimiledruck der Ausgabe Noribergae, M. Endter, 1658, mit einem Nachwort von Hellmut Rosenfeld unter Beifügung eines vollständigen Faksimileabdrucks des Lucidarium-Probedrucks von 1657. Osnabrück 1964 (= Milliaria: Faksimiledrucke zur Dokumentation der Geistesentwicklung, 4), S. 88. Abb. 2: Frontispiz zu Christian Wolffs Deutscher Ethik (Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen. Halle 1720) aus Werner Schneiders: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990, S. 88.
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7 Namenregister
Kursivierte Seitenzahlen verweisen auf Nennungen in den Fußnoten. Abbt, Thomas 101 Alberti, Michael 14, 21, 49–53, 56, 57, 62, 74, 82, 95, 101, 121 Anton, Paul 54, 80, 141 Aristoteles 10, 20, 26, 30, 32, 52f., 118, 120, 124f. Arnd(t), Johann 34 Arnold, Gottfried 22, 54 Augustinus, Aurelius 24, 49f., 54, 124, 182 Baumgarten, Alexander Gottlieb 5, 27, 80, 81, 82, 91, 96–103, 104, 106–108, 136– 140, 143–148, 149, 150–154, 156–181, 183, 185–190 Baumgarten, Jacob 80 Baumgarten, Siegmund Jacob 18, 37, 79– 81, 104, 123, 140, 143, 153, 164, 182 Berger, Johann Heinrich 21 Bilfinger, Georg Bernhard 72, 98, 139, 152 Blumenbach, Johann Friedrich 11f., 109 Boerhaave, Herman 86 Bolten, Johann Christian 168 Bonnet, Charles 26 Börner, Friedrich 49, 91, 109 Breithaupt, Joachim Justus 80, 141 Breitinger, Johann Jacob 162 Brockes, Barthold Hinrich 124 Brunnemann, Johann(es) 21 Budde, Johann Franz 41, 43f., 67f., 73, 142 Buffon, Georges Louis Le Clerc de 89 Callenberg, Johann Heinrich 77 Camerarius, Rudolph Jacob 14, 31 Christian Ernst, Graf zu StolbergWernigerode 123 Cicero, Marcus Tullius 161, 181 Coccejus, Johannes 141 Comenius, Johann Amos 131f.
Creutzberger, Paul 132 Cyprian, Ernst Salomon 77 Descartes, René 1, 18, 22, 24, 26, 31–33, 47, 52, 57, 60, 71, 88, 105, 112, 116, 118, 120, 149, 184f. Euler, Leonhard 111 Fabri, Honoré 36 Francke, August Hermann 21, 28, 34, 37, 49, 52, 54, 80, 141 Freylinghausen, Johann Anastasius 37 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 80f. Gassendi, Pierre 32, 52 Goeze, Johann August Ephraim 127 Gohl, Johann Daniel 57 Götten, Gabriel Wilhelm 76 Gottsched, Johann Christoph 76, 80, 118, 127 Graaf, Regnier de 26, 32 Gundling, Nicolaus Hieronymus 41–43, 76f., 78f. Haller, Albrecht von 13, 26, 90, 109, 110 Hartmann, Georg Volckmar 75, 78, 79 Hartsoeker, Nicolas 63 Harvey, William 10, 30–33, 38f., 52f., 63, 88, 96 Heineccius, Johann Gottlieb 76 Hennings, Justus Christian 24 Herder, Johann Gottfried 10, 12 Hoffmann, Adolph Friedrich 83 Hoffmann, Friedrich 6, 28–47, 59f., 61f., 78, 79, 83, 87, 90f., 93, 95, 103, 111, 184 Huygens, Christiaan 63 Jacobi, Christoph Gottfried 122f., 126– 128, 186
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Juncker, Johann 82, 95, 109f. Kant, Immanuel 11f., 13, 27, 160f., 173, 190 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 21 Korff, Johann Albrecht von 117 Krafft, Georg Wolfgang 117 Kratzenstein, Christian Gottlieb 109–116, 121–123, 127–129, 186f. Krüger, Johann Gottlob 39, 83–90, 122, 129f., 133–135, 138, 186f. Lange, Joachim 56, 61, 72, 73, 76, 79–82, 101, 141 Lange, Samuel Gotthold 104, 143 Leeuwenhoek, Antoni van 4, 26, 32, 63, 84, 92, 121, 126 Leibniz, Gottfried Wilhelm 15, 19, 23, 24, 29, 46, 60, 61, 63, 67f., 70–74, 78, 86, 91, 96–99, 102, 107, 113, 116, 117, 122, 125, 149, 184f. Ludewig, Johann Peter von 76, 79 Ludovici, Carl Günther 29, 72, 76f., 81, 119 Luther, Martin 22f., 34, 142f. Makarios 22, 54 Malebranche, Nicolas 25, 26, 32, 36, 60 Malpighi, Marcello 32, 53, 64, 93, 96, 179 Manteuffel, Ernst Christoph Graf von 80, 116 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 122 Meier, Georg Friedrich 6, 82, 91, 95f., 97f., 101–108, 123, 133, 156, 160, 162, 165–183, 185f., 189 Melanchthon, Philipp 34, 59 Michaelis, Christian Benedict 75f. Musschenbroek, Petrus van 126 Neuenhahn, Carl Ludwig 44–46, 95, 104 Newton, Isaac 93, 126 Nicolai, Ernst Anton 83, 90–96, 122, 186 Perrault, Claude 36 Pseudo-Augustinus 49f. Pufendorf, Samuel von 141
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Quintilianus, Marcus Fabius 180 Quistorp, Theodor Johann 143 Rambach, Johann Jacob 54 Réaumur, René-Antoine Ferchault de 93, 109, 113f., 116, 119, 125f. Reinbeck, Johann Gustav 127 Richter, Christian Friedrich 51–56, 94, 112 Roloff, Friedrich Wilhelm 81 Roloff, Michael 80 Rüdiger, Andreas 74, 83 Schiller, Friedrich 136 Schneider, Johannes Friedemann 77 Schulze, Johann Heinrich 44, 90 Schumacher, Johann Daniel 117 Soemmering, Samuel Thomas 13 Spener, Philipp Jacob 20, 21, 23, 34, 37, 51f., 56f., 141 Sperlette, Bartholomäus Johann 76 Spinoza, Benedictus de 88 Stahl, Georg Ernst 6, 21, 28, 35, 46–49, 51–53, 55, 56f., 59–61, 62, 65, 74f., 82, 83, 84, 89, 91, 103, 105, 109, 112f., 115, 121f., 127, 184, 186 Stiebritz, Johann Friedrich 81, 82, 116 Stolle, Gottlieb 76 Storch, Johann 55 Strähler, Daniel 76, 79, 81 Stryk, Samuel 21 Sturm, Johann Christoph 36 Swammerdam, Jan 26, 60, 64f., 86 Tertullianus, Quintus Septimius Florens 21, 71 Tetens, Johann Nicolaus 11 Thomas von Aquin 32, 124f. Thomasius, Christian 27, 41, 42, 47, 57f., 74, 76–79, 145 Thomasius, Jacob 19, 94 Trembley, Abraham 108f., 110, 115f., 119, 122f., 126, 127 Unzer, Johann August 122
Wagner, Gabriel 78 Walch, Johann Georg 18, 19, 24, 58f., 145, 163, 175 Winckelmann, Johann Joachim 83 Wolff, Caspar Friedrich 5, 10–12, 13, 63 Wolff, Christian 5, 15, 23, 24, 28, 29, 43, 46, 60–82, 83f., 85–87, 89–99, 101–
104, 106–108, 111, 116–123, 125, 127f., 130, 137, 139, 147–158, 159, 161, 162f., 168, 170, 172f., 184–187 Zedler, Johann Heinrich 18, 43, 72f.
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