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German Pages 414 [415] Year 2015
Marc Fabian Erdl Die Legende von der Politischen Korrektheit
Marc Fabian Erdl (Dr. phil.) studierte Wirtschaftswissenschaften, Germanistik und Berufspädagogik in Siegen. 1999-2001 war er Stipendiat am DFG-Graduiertenkolleg »Intermedialität«. Er publizierte zur politischen Semantik und zur Geschichte des Jazz in Deutschland.
Marc Fabian Erdl Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2004 transcript Verlag, Bielefeld zugl. Siegen, Univ., FB 3, Diss., 2003, u.d.T.: Erdl. M.F.: Die Rede von der Korrektheit. Überlegungen zur Erfolgsgeschichte und Attraktivität eines importierten Deutungsmusters. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld; Umschlagabbildung: © Carla und Vilhelm Hansen. Alle deutschen Rechte by Carlsen Verlag GmbH, Hamburg Lektorat & Satz: Marc Fabian Erdl Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-238-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
INHALT
Die Geschichte eines Irrtums 13 Fehlermeldung 13 Wie ein Forschungsinteresse erwacht 17 Das Satirekonzept der Neuen Frankfurter Schule 19 Die Neue Satirekritik 28 Wunschdenken 36 Die Geburt der Neuen Satirekritik aus dem Geist der Politischen Korrektheit? 38 Der Sinn der Übung 45 Wer spricht? 49
Vier Tableaus 65 Vorbemerkung: ›Auf den Schultern von Riesen‹? 65 Erstes Tableau: Die Diskussion in Nordamerika im halbblinden Spiegel der deutschen Rezeption 72
Zweites Tableau: Die nordamerikanische Linke und ihr Verhältnis zur ›Political Correctness‹ 89 Drittes Tableau: Teil des Problems oder Teil der Lösung? Anmerkungen zum Verlauf der Forschung in Deutschland 133 Viertes Tableau: Die Konfiguration eines deutschen Themenparks 176 Fazit: Zurück ans Zeichenbrett 221
Werkzeugkiste 227 Vorbemerkung: »Thingumbob again« 227 Momentaufnahmen: Gefällige Arrangements der Unkorrektheit 233 Werkzeug I: Deutungsmuster 239 Werkzeug II: Anmerkungen zum Diskursbegriff 245 Werkzeug III: Repertoire-Element 252 Exkurs: ›1984‹ als Repertoire-Element im Korrektheitsdiskurs 263 Werkzeug IV: Denkstil und Denkkollektiv 271
Fazit: Das Korrektheitsmuster als beliebtes Kollektivabstraktum – eine Beispielkaskade 276 Die Attraktivität des Korrektheitsmusters 295 Vorbemerkung: Nützliche Schönheit 295 Erstes Element: Polyfunktionalität 296 Zweites Element: Plausibilität 300 Das Herz der Bestie? Basisplausibilität und Konfliktstruktur des Phraseolexems ›politisch korrekt‹ 306 Drittes Element: Charme 313 Viertes Element: Legitimation durch Taktiken der Distanzierung 320 Ein Schritt zurück: Resonanzkalkül und Vorliebe 336 Der Stakeholder-Ansatz als heuristisches Modell zur Frage nach Resonanzkalkülen 342 Fazit: Das Verhältnis von Resonanzkalkül und Attraktivität im Korrektheitsdiskurs 349 Schlußbetrachtung: Diskurspartisanen 359 Vorbemerkung: Wozu eine Schlußbetrachtung, wenn es doch immer weitergeht? 359
»Kulturen der Niederlage« und Hegemoniebehauptungen 360 ›Rollen‹ als abstrahierte Repertoire-Elemente im Korrektheitsdiskurs 363 ›Selbsternannte Opfer‹ 369 Diskurspartisanen: Die Dialektik von Redefreiheit und Zensur im Korrektheitsdiskurs 374 Vergossene Milch 380
Literatur 383
Tausend Dank 409
Meiner Mutter Lucie Erdl
Some people don’t dig deep enough to find out what happened back then. They just fix it so it’s comfortable for the reader, which is really dangerous. Grandmaster Flash
Ist ein ausgebautes, geschlossenes Meinungssystem, das aus vielen Einzelheiten und Beziehungen besteht, einmal geformt, so beharrt es beständig gegenüber allem Widersprechenden. Ludwik Fleck
Nur immer ein Buch herauszugeben wenn man etwas Rundes zu sagen hat ist menschlicher Stolz, gibt es denn nicht noch mehr Figuren als die Ründe die auch alle schön sind, die Schlangen-Linie halte ich für ein Buch die dienlichste ... Georg Christoph Lichtenberg
Der Elfenbeinturm hat Schießscharten. Heinz-Klaus Metzger
DIE GESCHICHTE
EINES IRRTUMS
Fehlermeldung 13 | Wie ein Forschungsinteresse erwacht 17 | Das Satirekonzept der Neuen Frankfurter Schule 19 | Die Neue Satirekritik 28 | Wunschdenken 36 | Die Geburt der Neuen Satirekritik aus dem Geist der Politischen Korrektheit? 38 | Der Sinn der Übung 45 | Wer spricht? 49 Tried again, failed again, no matter. Try again, fail again, fail better. Samuel Beckett
Fehlermeldung Mit einem Fehler fing es an. Und wir1 bitten um Geduld, denn ihn zu erklären wird eine Weile dauern, und es erfordert einige ungewöhnlich ausführliche, bisweilen strapaziöse Zitate und umfangreiche Fußnoten. Aber dieser Fehler ist zu einleuchtend gewesen, als daß wir ihn aus einer Arbeit, die sich mit der Attraktivität einer mittlerweile nur allzu bekannten Redeweise befaßt, verbannen möchten; und die nicht selten schauerlichen Zitate sollen nicht gar so heftig aus dem Zusammenhang gerissen werden, in den sie eingebettet sind und aus dem wir sie, manchmal zu unserem Bedauern, entfernen müssen. Peter Hacks stand vor einem vergleichbaren Problem, als er die Schriften des völkischen ›Turnvaters‹ Jahn analysierte, und er wies, leicht angewidert, bezüglich der von ihm gewählten Belege auf ein bezeichnendes Phänomen hin: »Im Zusam-
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Das ›wir‹ dieser Studie ist als pluralis modestiae gemeint, und es wird verwendet, um Passivkonstruktionen oder auch das unpersönliche ›man‹ zu vermeiden, Konstruktionen also, die nur allzu oft Texte in Wüsteneien verwandeln. Zur weiteren Begründung für dieses Vorgehen vgl. Feilke (1994a: 26). An einigen, wenigen Stellen scheint es allerdings angezeigt, auf ein betont subjektives ›Ich‹ auszuweichen – unter Inkaufnahme der von Feilke beschriebenen Gefahr, ein wenig ›dogmatisch‹ zu klingen.
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menhang sind sie noch weit entsetzlicher« (Hacks 1991: 109). So ist es auch hier. Die Erzählung dieser Irrtumsgeschichte dient daher auch als ein Verweishorizont für die systematischeren Teile der Arbeit, und viele Motive und Erzählstränge dieses ersten Teils werden wir später wieder aufgreifen müssen. Lutz Niethammer hat seine verschlungene Studie über »kollektive Identität« als das »Logbuch seiner Reise auf der Geisterbahn [Identität]« bezeichnet (Niethammer 2000: 635, [634]). Das scheint uns ein treffendes Bild auch für unsere Studie zu sein, deren lineare Präsentationsform ihre keineswegs lineare Thematik (und auch Entstehungsgeschichte) paratextuell kaum zu bändigen vermag – numerierte Kapitel hin, Seitenzahlen her. Aber um noch einmal Lutz Niethammer zu zitieren: »Viel lehrreiche, aber fruchtlose Zeit verbrachte ich allerdings damit, falschem Verdacht nachzugehen« (Niethammer 2000: 72). Auch das ist uns nicht unbekannt – lange haben wir in diesem Sinne falsche Fährten verfolgt. Wir sind jedoch der Auffassung, daß der Irrtum, der zum Ausgangspunkt unserer Forschungen wurde und der hier zum Ausgangspunkt der schriftlichen Niederlegung unserer Überlegungen wird, nicht nur nicht einzigartig ist, sondern in vieler Hinsicht auch symptomatisch. Die Legende von der politischen Korrektheit wußte – nicht nur uns – rasch zu gefallen, und deshalb war man bereit, manche Zweifel unter den Tisch fallen zu lassen. In unserem Fall deshalb, weil wir angesichts der grotesken, oft auch juristischen Auseinandersetzungen um Satire und Zensur, angezettelt von Erniedrigten und Beleidigten wie beispielsweise von manchen TazLesern, von Björn Engholm und Bärbel Bohley und zahlreichen anderen tatsächlichen und vermeintlichen Objekten satirischer Produktion, nur zu gerne glauben wollten, daß es mit der ›Political Correctness‹ so einfach ist, wie wir es immer wieder hören, lesen und somit lernen sollten. Die Legende konnte bei uns an eine spezifische Affinität für eine einfache gefällige Erklärung erklärungsbedürftiger Vorgänge andocken. Diese Affinität war bestimmend dafür, daß wir der Attraktivität des in dieser Arbeit beschriebenen Deutungsmusters zeitweilig erlagen. Wenn Gereimtheiten und Ungereimtheiten einer solchen Erzählung sich die Waage halten, entscheidet eben oft die Neigung. In der hier vorzunehmenden Analyse der Legende werden wir es nicht dabei bewenden lassen. Aber wir wollen nicht vorgreifen. Einstweilen sei nur darauf hingewiesen, daß wir auf diese Entstehungsgeschichte als nicht unwichtigen Teil der Arbeit gelegentlich zurückkommen werden.2 Diese Arbeit
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Der Zugang zum Thema über die Satire, zu dem wir uns daher am Ende doch entschlossen haben, scheint nicht der schlechteste zu sein, obwohl er keineswegs so naheliegt, wie es auf den ersten Blick schien.
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schmeckt daher nicht nur nach Quellen, wie Lessing das wohl genannt hat,3 sondern sie zeigt auch, wie ein futuristischer B-Film der Fünfziger Jahre, die Klebestreifen, das Pappmaché, die Strippen und die allzumeist unterlebensgroßen Modelle ihrer Konstruktion. Angesichts der strukturell vergleichbaren Schwächen und handwerklichen Probleme, und außerdem eingedenk der Tatsache, daß in diesen eigenartigen Filmen immer wieder mal ein Mikrophon ins Bild ragt oder das Kostüm des Marsmenschen deutlich sichtbar einen Reißverschluß aufweist, wodurch die gewünschte Illusion unterlaufen wird, haben wir uns entschlossen, die Nahtstellen der Konstruktion unserer Studie sichtbar zu machen, indem wir immer wieder mal explizit in unsere zur Linearität genötigte Darstellung kommentierend und unterbrechend eingreifen. Aus Gründen, die sich den Lesern dieser Studie rasch erschließen werden, haben wir gelernt, den gewollt linearen, eleganten, tricktechnisch perfekten, handwerkliche Solidität vorgaukelnden und – kalauern wir ein erstes und letztes Mal im Stil der Zeit – ›wissenschaftlich korrekten‹ Studien zu diesem Thema auf das Äußerste zu mißtrauen. Bevor wir uns in diesen Vorbemerkungen vollends verheddern, noch einige Anmerkungen zu einem bestimmten Aspekt unserer Vorgehensweise. Die in dieser Studie präsentierte Auswahl der zahlreichen diskursiven Ereignisse, d. h. der Vorfälle und Zitate, ist, neben einer die Argumentation illustrierenden Einschlägigkeit, noch von einem weiteren gemeinsamen Kriterium bestimmt: die Beispiele sollen für die Leserschaft aus einer mit vertretbarem Aufwand überprüfbaren Quelle stammen. Das scheint selbstverständlich? Wir werden sehen, daß es genau das bei diesem Thema nicht ist. Gewiß, unsere Auswahl ist möglicherweise anfechtbar, und wer die Diskussionen der letzten Jahre verfolgt hat, wird die eine oder andere Trouvaille vermissen. Wir verweisen diesbezüglich ein weiteres Mal auf Niethammer, der im Nachwort seiner Arbeit ein akademisches Sittengemälde von großer Eindringlichkeit entwirft, das wir nur zu gerne wiedergeben. Er berichtet von zwei »Grunderfahrungen«, einerseits daß mir, nachdem die gewisse Manie des Forschers einmal in mir erwacht war, immer mehr Material für den derzeitigen Boom der Identitätskonjunktur vor die Füße geschwemmt wurde, ich mich in meinen Arbeitszimmern nur noch durch immer größere, unlesbare Bücherstapel tasten konnte und kaum mehr eine Zeitung aufschlagen oder eine Talk-Show anstellen konnte, ohne auf neue aparte Wortverbindungen und Kontexte kollektiver Identität zu stoßen. Auf der anderen Seite entzog sich mir das Objekt meines
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Wir haben diesen Ausdruck in Kurt Flaschs Studie über die Wissenschaftler im Ersten Weltkrieg gefunden (2000: 9).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT kognitiven Begehrens dort immer mehr, wo ich es irgendwie zu greifen suchte (Niethammer 2000: 634f, herv. v. MFE).
In der Beschreibung dieser ersten Grunderfahrung ist in aller Schönheit die Problematik enthalten, der man sich stellt, wenn man ein relativ frisches Thema und seine sprachlichen Versatzstücke untersucht, zu deren Verbreitung, Modifikation und Erweiterung Politiker, Journalisten, Werbefachleute und Wissenschaftler unermüdlich beitragen, indem sie Belege sonder Zahl produzieren – von den hier aus Gründen der Überprüfbarkeit nicht zitierfähigen mündlichen Beiträgen im Freundes- und Kollegenkreis einmal ganz abgesehen: der Hase Forscher gerät gegenüber der Igel-Legion des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs heillos ins Hintertreffen. Unmengen an Papiermüll sammeln sich auf diese Weise an. So heißt es, und hier ist ein Beispiel so gut wie irgendein anderes, im April 2002 in einer Sonderbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema Uhren: Political correctness auch bei Uhren: Was tragen Sie denn da? Wovor haben Politiker am meisten Angst: Vor der Überprüfung ihrer Reisekosten – und Hotelabrechnungen? Vor der Veröffentlichung ihrer Stasi-Akte oder den Memoiren ihrer einstigen Geliebten? Weit gefehlt! Am meisten Angst haben sie vor der Enthüllung der Uhr an ihrem Handgelenk (Braun/Pons 2002: 36, »Political correctness« in der Überschrift im Original knallrot und größer als der Rest der Überschrift).
Dummes Zeug – aber in vieler Hinsicht signifikant, und möglicherweise im Niethammerschen Sinne sogar »apart«. Allein aus Gründen der Übersichtlichkeit sind viele andere solcher Beispiele für die Verbreitung dieses Mythos durchs Raster gefallen sind – es wird aber immer noch reichen! Was nun die zweite Grunderfahrung Niethammers angeht, also das langsame Entgleiten der Sinnhaftigkeit beim näheren Betrachten der diskursiven Erscheinungsformen in Begriffen und Zusammensetzungen, so werden wir uns diesem Aspekt, der auch in bezug auf ›Political Correctness‹ seine Gültigkeit hat, in aller Ausführlichkeit widmen. Für die Präsentation recht vieler Zitate und somit auch ihrer Quellen gilt, abschließend sei es bereits angekündigt, eine Formulierung Gerhard Henschels: »Die Indizienbeweise sind fragmentarisch, ungerecht, [...] rücksichtslos aus allen möglichen schmierigen Zusammenhängen gerissen; woraus auch sonst?« (Henschel 1994: 8f).
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Wie ein Forschungsinteresse erwacht Der Schriftsteller Eckhard Henscheid geriet 1993 in schweres Fahrwasser. Er verlor letztinstanzlich einen Prozeß, den René Böll, der Sohn des 1985 verstorbenen Schriftstellers Heinrich Böll, gegen ihn angestrengt hatte. Henscheid hatte in einer Rezension im Raben Heinrich Böll als »steindumm« und »talentfrei«, darüber hinaus als »korrupt«4 bezeichnet (Henscheid 1991b). Den langwierigen Prozeß hatte der Schriftsteller noch nicht ganz verloren, da stand ihm bereits die nächste Klage ins Haus. Diesmal, im März 1993, war er der Literaturwissenschaftlerin und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler zu nahe getreten, indem er eine luzide Deutung eines kurz zuvor veröffentlichten, etwas bizarren Photos aus einer Reklame für die Kreditkartengesellschaft American Express durchführte (Henscheid 1993b). Das Photo zeigte Gertrud Höhler, gewohnt schneidig und in Reitkleidung auf einem Schreibtisch sitzend. Im Hintergrund sah man eine imposante, auf bildungsbürgerlich getrimmte Bücherwand, im Vordergrund, zu Mutters Füßen auf dem Teppich hingestreckt, den juvenilen Sohn Abel. Der im Konkret veröffentlichte Artikel ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Unter dem Titel »Sie muß verrückt sein« nahm Henscheid mit schwerem Gerät Höhlers Innenleben und auch das ihres Sohnes auseinander, wobei er das Photo unter anderem als die Ikone eines ödipalen Dramas interpretierte und kaum eine denkbare Vulgarität ausließ. Als ich die Anzeige irgendwann Ende 1992 im FAZ-Magazin das erste Mal gesehen hatte,5 war ich hinsichtlich der literarischen und psychologischen Verortung dieser verstörenden Inszenierung schlagartig zu ganz ähnlichen Resultaten wie Eckhard Henscheid gekommen. Ich stellte mir, nachdem ich mit dem Lachen endlich aufhören konnte, dieselbe Frage, die Henscheid entschieden bejahte: Sind Mutter und Sohn Höhler, sei es aus Geldgier, sei es aus Eitelkeit, in völliger Verkennung ihrer selbst und ihres Tuns möglicherweise schlicht und einfach verrückt geworden?6 Immerhin gibt es Dinge, die man, sofern man nicht am Hun-
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»Korrupt« wohl im Sinne von verdorben, nicht im Sinne von käuflich. Wir würden es nur zu gerne in dieser Studie abbilden, müssen aber wohl auf Archive und Bibliotheken verweisen, die die entsprechenden Ausgaben des FAZ-Magazins (zum Beispiel Heft 670, 31.12.1992, 2) oder das Konkret 3/1993 haben. Beispielsweise bei diesen Reminiszenzen bietet es sich an, auf die 1. Person Singular zurückzugreifen. Aber auch andere kamen zu dem Schluß, wie die im Mai 1993 im Konkret veröffentlichte Verteidigung Henscheids durch Robert Gernhardt zeigt, der anläßlich dieser Reklame diagnostizierte: »Es müßte einer schon völlig vernagelt sein, käme er bei diesem
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gertuch nagt, auch für Geld und gute Worte nicht mit sich machen lassen sollte. Es ist – der Mensch ist ein geselliges Wesen – immer angenehm zu wissen, daß man mit seinem Staunen über die Verfaßtheit der Welt nicht alleine steht, und insofern war Henscheids Text einige Monate später eine angenehme Überraschung. Um so erstaunter war ich über die Unbefangenheit Gertrud Höhlers, mit der sie stehenden Fußes einen Prozeß ins Rollen brachte, den Henscheid und Konkret 1996 letztinstanzlich verloren.7 Hätte Gertrud Höhler denn nicht damit rechnen müssen, daß sie sich (und ihren erwachsenen Sohn) mit einer solchen bundesweit geschalteten Werbeanzeige zum Gespött der Leute macht?8 Und hätte ein Gericht angesichts einer solchen Posse nicht die Pflicht gehabt, die Klägerin darauf hinzuweisen, daß derjenige, der sich in Gefahr begibt, darin umkommt? Offenbar nicht: zwar ist bis heute ungeklärt, wo der Spaß aufhört, aber seit dieser Zeit weiß man wenigstens, was er kosten kann. Die Parallelen der Fälle Böll und Höhler, also das aus unterschiedlichen Grün-
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schwülen Arrangement nicht auf schlimme Gedanken: Ticken die beiden noch richtig?« (Gernhardt 1993: 58). Die Fälle sind in zahlreichen Artikeln dokumentiert. Erste Meldungen zum Fall Böll fanden sich u.a. im Spiegel 31/1991, 174f.; Taz v. 16.09.1991; in der SZ vgl. Unterstöger 1992; zum Ende des Prozesses s. Spiegel 14/1993, Taz 30.03.1991 (nur Agenturmeldung); sowie vor allem Schäffer in der FAZ v. 23.04.1993. Bemerkenswert ist, daß fast die gesamte Presse eher auf Seiten Henscheids zu stehen schien, ohne seine Satire gutzuheißen (umfassend dazu Schäffer 1993). Die Weigerung des Bundesverfassungsgerichtes, den Fall zur Entscheidung anzunehmen (25.03.1993, 1. BvR 151/93), und damit die vorangegangene Verurteilung Henscheids ggfs. zu bestätigen oder aufzuheben, wurde einhellig kritisiert. Zum Fall Höhler vgl. Kotte 1993 in der Taz; vgl. auch »Herzsprung (links)«, anonym in Konkret 7/1993, 58 [Konkret darf diesen Artikel wie auch den Aufsatz von Henscheid über Höhler selbst nicht mehr ausliefern]; sowie erwartbar kontra Konkret/Henscheid »Der Frauenfeind« (anonymer Text in Emma 5-6/1993). Zu der juristischen Aufarbeitung der Problemlage vgl. die ausführlichen Analysen von Gounalakis 1995, Folckers 1997 sowie Rittig 1997. Gabriele Rittig ist übrigens die Anwältin von Henscheid und Justitiarin der Titanic. Derartige Peinlichkeiten rissen im Jahr 1993 nicht ab. Unbeanstandet von der Protagonistin ging im Sommer 1993 die folgende Erzählung durch die Boulevard-Presse: »Gertrud Höhler und ihr Bluts-Walker: Es ist ein schönes Gefühl für eine 51jährige Frau, einen jungen Mann an ihrer Seite zu spüren. Und es ist ein noch besseres Gefühl, zu wissen, daß er einen wirklich mag. Gertrud Höhler kann sich ganz sicher sein. Ihr Begleiter ist ihr Sohn Abel, 26, ein Bluts-Walker. Er begleitet sie zum Bundespresseball, in die Oper, führt gekonnt ihren Arm. Sie ist Literaturprofessorin, Unternehmensberaterin, eine Frau ohne Zeit, ohne Mann. [...] Ihr gemeinsamer Pakt fürs Leben: Nur sie beide wissen, wer Abels Vater ist« (Bunte 1993: 30). Die Axt im Haus ... Eckhard Henscheid und Konkret hätten sich den ganzen Ärger und die ganze Arbeit ersparen können!
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den beleidigte Getue der mehr (Höhler) oder weniger (René Böll) Betroffenen und vor allen Dingen die außergewöhnlich harten Reaktionen der Justiz erregten meine Aufmerksamkeit, zumal es nicht bei diesen beiden Fällen blieb. Zunächst aber verfolgte ich solche Angelegenheiten allenfalls nebenbei, ohne sie jedoch ganz zu vergessen.
Das Satirekonzept der Neuen Frankfurter Schule Die Häufung von Prozessen und vor allem anderen, außergerichtlichen Attacken gegen Satiriker der so genannten Neuen Frankfurter Schule (NFS)9 in den Neunziger Jahren war zwar auffallend, doch auf den zweiten Blick nicht so sehr überraschend. Hatte man doch seit Jahren vor allem von Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid zahlreiche Paratexte zum eigenen satirischen Schaffen lesen können, in denen sie sich mit einer neuartigen Kritik aus dem eigenen Lager bzw. aus Leserkreisen befaßten.10 Diese zunächst weitgehend folgenlose Kritik, die sich anläßlich von Veröffentlichungen der NFS außerhalb der Titanic oft noch intensivierte,11 korrespondierte mit einem brisanten Satirekonzept, das auf Konfrontation außerhalb der genreüblichen Grenzen und Spielregeln hin an-
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Seit 1981 übliche Bezeichnung für Autoren aus dem Pardon- und TitanicUmfeld. Im engeren Sinne sind gemeint Bernd Eilert, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Peter Knorr, Hans Traxler, Chlodwig Poth, F.W. Bernstein (d.i. Fritz Weigle), Friedrich Karl Waechter, aber man rechnet auch andere aus dem Umfeld der Titanic dazu wie z. B. Wiglaf Droste oder Thomas Gsella. Vgl. dazu Fahrenberg 1987, Verstappen 1990, Sonneborn 1994 (auch für die einzelnen Titanic-Rubriken 60ff), Schmitt 2001. Die Gründung der NFS wird heute rückdatiert auf 1961, das Jahr, in dem die Pardon konzipiert wurde. 10 Vgl. dazu u.a. Gernhardt 1988; darin insbesondere »Selbstanzeige oder: Prozeß in eigener Sache«, 436-446 [zunächst in Titanic 5/1987]. »Warum ich nicht gern Satiriker bin und mich nur ungern als solchen bezeichnet sehe«. In: Gernhardt 1989 [1984] Nachwort; Gernhardt 1994, darin div. Aufsätze; Henscheid 1991a [1986]: Nachwort zu den »Erledigten Fällen«; Henscheid 1992: 284-298 »In brandeigener Sache« [1984]. 11 1982 hatte Gernhardt in der Titanic eine Kunstfigur namens Paul Päng entworfen, einen volkstümlichen Zeichner, der für eine Karikaturenreihe »Ausländer vergraulen – aber mit Humor« firmierte. Laut Gernhardt sollte mit dieser verschachtelten Satire auf die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland kritisch reagiert werden. Die Karikaturen wurden in der Titanic und in der Sammlung Gernhardt 1989 [1984!] abgedruckt. Erst im Februar 1987 aber druckte die FR zwei der Karikaturen nach und verursachte damit einen Sturm der Entrüstung. Wenn die Satire ihr Areal verläßt, ist sie offenbar wesentlich wirksamer. Nacherzählt ist diese Geschichte in Gernhardt (1988: 436-446).
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gelegt war. Die NFS hatte ein Satirekonzept entwickelt, das – ganz abgesehen von dem bestechenden Können der Künstler – vor allem durch die Kombination dreier wesentlicher Neuerungen in der Titanic seit 1979 gekennzeichnet war. Die erste Neuerung, die sich in der Pardon bereits ankündigte, bestand in einer beträchtlichen Erweiterung des Themenspektrums, die auch zu neuen Opfern von Satiren führte: Friedensbewegte, sogenannte (Alt-)68er, Frauengruppen, Umweltgruppen, Ausländer, linke Liedermacher, Schriftsteller und Künstler, die Grünen, alle waren zu ihrer Überraschung potentielle Ziele der Satiriker geworden. Zwar gab es individuelle Rücksichten,12 aber die NFS hatte insgesamt ihre Kampfzone beträchtlich ausgeweitet. Noch dazu plädierte Gernhardt über die eigene Praxis hinaus für eine Abschaffung solcher Rücksichten innerhalb der Satire insgesamt, wobei er zu Beginn noch der Hoffnung Ausdruck gab, daß für sensible Themen aus den einzelnen Gruppen der Diskriminierten eigene Satiriker heranwachsen würden. Diese könnten sich ihrer Themen und Klientel annehmen, ohne in den Verdacht zu geraten, etwa frauenfeindlich, rassistisch oder homophob zu sein.13 Mit einer solchen Erweiterung des Themenspektrums als Konzept stand die NFS keineswegs völlig allein da, wenn sie auch wahrscheinlich über die Jahre konsequenter war. Gerade deshalb war Gernhardt zunächst optimistisch: So schrieb er (als »Hans Mentz«, s.u.) in der Titanic über die sogenannten »Szene-Kabaretts« wie die Drei Tornados und Karl Napps Chaos Theater, die er thematisch in der Tradition von Chlodwig Poths Progressivem Alltag14 sah und wie folgt beschrieb:
12 Gernhardt wollte selbst keine Witze über Israel oder das Judentum machen (Kotte 1990: 18). Chlodwig Poths persönliche Grenze sind Witze über Behinderte. Poth bezeichnet sich in dieser Hinsicht als gehemmt. Aber Poth weist – wie Gernhardt auch – darauf hin, daß er keine Probleme damit habe, wenn andere Witze reißen, die diese individuelle Grenze überschreiten (Interview Poth 1999). 13 Insbesondere Künstler wie Ralf König oder Claire Bretecher wurden daher den Lesern der Titanic als vorbildlich dargestellt. Vgl. dazu Gernhardt 1988a: 23ff, 105ff [1982]). 14 Es ist ein auch von uns bisher nicht verstandenes Phänomen, daß Poths Serie »Mein progressiver Alltag« in dieser Szene sehr beliebt war und vielleicht der größte Einzelerfolg eines NFS-Mitglieds. Diese Serie war in der Pardon gelaufen (ab 1972, vgl Schmitt 2001: 47ff) und griff thematisch-konzeptionell bereits der geschilderten Titanic-Konzeption vor. Sie war auch ein großer kommerzieller Erfolg. Die beiden Taschenbuchausgaben erzielten zusammen eine Auflage von einer Viertelmillionen (Interview Poth 2000). Diese Fähigkeit zur Selbstironie ging leider gerade zu dem Zeitpunkt verloren, als die Szene sie vielleicht am meisten gebraucht hätte.
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DIE GESCHICHTE EINES IRRTUMS Beide Gruppen sind [...] – unabhängig voneinander, wie sie versichern – auf einen Born munter sprudelnder Komik gestoßen, der so bald nicht versiegen wird. Da Komik am liebsten und prächtigsten in Widersprüchen Wurzeln faßt und gedeiht, da, wo hohe Theorie, hehrer Anspruch, verbindliche Moral und niedere Alltagspraxis auseinanderklaffen, liefert ihr die linke Scene einen geradezu idealen Nährboden. [...] Die Zahl derer, die versuchen, inmitten des sie umgebenden Sumpfes halbwegs sauber über die Runden zu kommen, nimmt zu, jeder dieser Versuche trägt den Keim des – gottlob auch komischen – Scheiterns in sich (Gernhardt 1988: 33f [urspr. ca. 1979/80]).
Als zweites hatte die Titanic dadurch ein diskursverknappendes Element eingeführt, daß die Redaktion grundsätzlich keine Leserbriefe abdruckte, sondern ausschließlich Briefe an die Leser, d.h. echte oder vermeintliche Leser, oft nicht mehr als kurze Attacken, Verspottungen oder kleine satirische Texte, manchmal durchaus auch lobende Kommentare über dies und das.15 Das ist insofern eine geniale Idee, als daß in Massendemokratien der Leserbrief »an die Herausgeber« oder auch die »Hörersendung« ein Mitspracherecht des Publikums simulieren, das den Volkszorn oder die Volksbegehren zu erkennen, zu kanalisieren und zu kalmieren hilft. Dieses Ventil zu verschließen und in seiner Wirkung geradezu umzukehren, ist ein symbolischer Tritt auch gegen die eigene Leserschaft, die nicht selten ein uneingeschränktes Mitsprachebedürfnis hat. Als Kontrast kann man beispielsweise die Leserbriefseiten der FAZ, SZ oder Taz heranziehen, deren Beiträger sich gerne als Ko-Autoren des Blattes verstehen und inszenieren. Ein möglicherweise einkalkulierter Nebeneffekt war es, daß diese redaktionelle Entscheidung gegen echte Leserbriefe einige Kämpfe in eine weitere Öffentlichkeit trug, denn wenn man sich als Leser über die Titanic aufregen wollte – in der Titanic selbst ging das nicht, es sei denn, man konnte, was bis heute gelegentlich vorkommt, eine Gegendarstellung durchsetzen. Weder die Berichterstattung in anderen Medien noch diese gelegentlichen Gegendarstellungen und Entschuldigungen sind für die Betreffenden ein echter Gewinn, denn dabei werden die Beleidigungen meist wiederholt und somit ein weiteres Mal abgedruckt! Aber andere, von den Lesern angezettelte satirekritische Auseinandersetzungen fanden im dadurch monolithisch auftretenden Blatt nicht statt. Wer die oft empörten oder versuchsweise komischen Leserbriefe der etwa zeitgleich gegründeten Taz kennt oder wer die sporadisch (z. B. Eilert 1990, Schmidt 1989) zitierten Auszüge aus Briefen liest, die die Titanic natür-
15 Diese Rubrik enthält natürlich auch Briefe an Adressaten, die keineswegs zu den Lesern gehören. Aber das gehört zum Spiel (Sammelband Titanic 1997).
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lich auch erreichten, der ahnt, was die Titanic sich und ihren Lesern damit erspart hat.16 Die dritte konzeptionelle Neuerung bestand darin, daß die Titanic durch die bereits erwähnte Hans Mentz Humorkritik ein öffentliches Forum der Beobachtung und Theoretisierung der Produktion von Komik hatte. Insbesondere Gernhardt,17 Henscheid und Eilert, aber auch andere Autoren, konnten unter diesem Pseudonym Arbeiten ihrer Kollegen und Konkurrenten beurteilen, unfreiwillig komische Fundstücke vorstellen, die deutsche und internationale Komikproduktion bekannt machen und die Funktionsweisen von Komik analysieren. Darüber hinaus erläuterten die Autoren hier die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Werke fabrizierten. Auch auf diese Weise konnten sie rezeptionslenkend Schule machen.18 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund muß Michael Kienzles Urteil gelesen werden, daß die NFS »der bislang letzte einflußreiche und lebendige Literaturzirkel in der bundesrepublikanischen Nachkriegsliteratur zu sein [scheint]«.19 Aber die Funktion der Humorkritik der NFS (innerhalb und außerhalb der Titanic) ging noch weiter: da Satiren eben nicht in erster Linie für die Ewigkeit, sondern für das Tagesgeschäft hergestellt sind, lassen sich die gesellschaftlichen Veränderungen, auf die sie reagieren, aus Satiren und den Reaktionen darauf extrapolieren. Und die Humorkritik diente, wie andere rezeptionslenkende Paratexte Gernhardts und Henscheids, als eine Meta-Ebene der Reflexion. Die fortschreitende Tribalisierung und Veränderung des Publikums sowie der Wandel der Kritik an Satirikern wurden – nach hoffnungsvollem und entspannten Beginn, s.o. – von hier ebenso scharf wie besorgt beobachtet, und die Beobachtungen zu den Achtziger Jahren sind in diesem Rahmen immer noch aufschluß-
16 Wir werden das im Lauf der Studie noch mit zahlreichen Beispielen belegen können. 17 Gernhardt wird mit Mentz oft umstandslos gleichgesetzt. So findet man in Eymers Pseudonymen Lexikon ausschließlich Robert Gernhardt als Aufschlüsselung für das Pseudonym »Hans Mentz« (Eymer 1997: 563). 18 Der von Gernhardt in den Achtziger Jahren erreichte Standard der Analyse dürfte bis heute uneingeholt sein, was nicht zuletzt auch mit seiner multimedialen Mehrfachbegabung als Zeichner, Maler, Schriftsteller und Dichter zu tun haben dürfte. Daß Gernhardt mal offen, mal verdeckt pro domo argumentiert, muß man dabei in Kauf nehmen. Vgl. den Sammelband Gernhardt 1988a, Gernhard 1990 (über Gedichte) und, als in Sachen Eitelkeit und kulturkonservativer Verblasenheit hochproblematisches Spätwerk, Gernhardt 1999 (über Malerei und Karikatur). Trotzdem ist mir keine kritische oder akademische Arbeit bekannt, die in Sachen Kenntnisreichtum, Gründlichkeit oder Vielseitigkeit an diese Studien heranreicht. 19 Kienzle (1997: 243). Eine vergleichbare Einschätzung findet sich bereits früh bei Michael Rutschky (1984: 185ff).
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reich. Insofern hätten die Satire und die Humorkritik der NFS auch ein Frühwarnsystem für die diskursiven Verschiebungen der Neunziger Jahre sein können, die sich in der Etablierung der Legende von der Politischen Korrektheit zeigte. Diese Studie wird mögliche Gründe zeigen, aus denen dieses Frühwarnsystem nicht funktionierte. Mit diesen drei konzeptionellen Besonderheiten, noch dazu verwirklicht in einer zu Beginn gänzlich selbstverwalteten Redaktion,20 hatte sich die NFS ein Bollwerk geschaffen, aus dem heraus eben nicht nur standesüblich gegen ›die da oben‹ geschossen wurde, sondern auch, und zwar oft ad hominem, gegen die meist für links oder fortschrittlich sich haltende Kollegen- sowie die restliche Prominentenschar. Eckhard Henscheid erläuterte Mitte der Achtziger Jahre mit Bezug auf seine Reihe Erledigte Fälle seine persönliche Motivation, die man als repräsentativ für die NFS interpretieren darf: Das Kratzen an linken, linksalternativen, grünalternativen Legenden, an dubiosen und im Zweifelsfall Gaunerfiguren erschien und erscheint mir nach der Idee der Serie nützlicher und reizvoller als der abermalige Nachweis, daß Geißler, Stoiber, Tandler Kryptofaschisten und Blödmänner seien. [...] Strauß, Kohl und Mischnick verströmen ab sofort im Regelfall wirklich nur noch Langeweile [...] Kritik z. B. an der eigenen Verwandschafts-Bagage bringt viel mehr erotic drive ... (Henscheid 1991a [1986]: 204).
Eine konzeptionell mit den Erledigten Fällen verwandte Rubrik, die es von Beginn an bis 1989 im Heft gab, hieß die Sieben peinlichsten Persönlichkeiten,21 und sie klärte die neuen Verhältnisse mit für die Betroffenen schmerzhafter Deutlichkeit. Im 1990 veröffentlichten Sammelband, der die gesamten Texte dieser Reihe enthält, beschreibt Bernd Eilert im Vorwort rückblickend die Richtlinien, die wir wegen ihrer thematischen Dichte und rhetorischen Prägnanz ausführlich zitieren möchten: Die meisten Anlässe wurden durch Inhalte gegeben oder deren Widerspruch zur Form. Und es waren immer wieder ähnliche Präformationen: das richtige Bewußtsein am falschen, das falsche am richtigen Platz; Eigennutz, der sich als Pflichterfüllung moralisch tarnt; Eitelkeit, die sich als Demut, Koketterie, die sich als Bescheidenheit ausgibt; viel Lärm, wenn es um nichts geht, betretenes Schweigen, wenn es darauf ankäme zu widersprechen; offene Türen einrennen und dafür vor Schwellen haltmachen, jenseits deren es interessant
20 Bernd Eilert: »Das war’s: das Ideal der selbstbestimmten Zeitschrift. Kein Zwang, keine falschen Rücksichten«. Zit. nach Sonneborn 1994: 52 (dort Verweis auf Original-Beleg Augsburger Allgemeine 19.10.1989). Selbst nach dem Ankauf durch die Mediengruppe Schmidt & Partner konnte durch einen (dem Vernehmen nach von Robert Gernhardt) geschickt aufgesetzten Vertrag die weitgehende Unabhängigkeit der Zeitung vom Verleger bewahrt werden (vgl. dazu Rönneburg 1997). 21 Zu Beginn waren es noch zehn pro Monat.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT werden könnte; Mut zeigen, wo keiner nötig wäre, schonungslose Offenheit, wo Diskretion gefordert wäre; allzu vielseitig sein wollen, und nicht mal eine gute Seite haben; mit Vorliebe das machen wollen, was man am wenigsten beherrscht; gern über das reden, wovon man am wenigsten versteht; andern alles nachmachen und sich dabei noch vormachen, man sei originell; Simples unnötig komplizieren, Kompliziertes fahrlässig vereinfachen; Unbewiesenes einfach akzeptieren, Selbstverständliches umständlich in Frage stellen; sich selbst Fragen stellen, deren Antworten keiner hören will; angemessene Formen nicht wahren, unsinnige Normen übererfüllen; den guten Zweck die üblen Mittel heiligen lassen; sich in den Medien über die Medien, ihre Ignoranz, Indolenz, Penetranz, Indezenz usw. zu beschweren – kurz: alles vermischen, Grenzen verwischen, gar nichts erkennen, alles benennen, nie ein Maß finden, Spaß unterbinden – peinlich, oh so peinlich sein (Eilert 1990: 28f).
Ein ambitioniertes Programm. Alleiniges Objekt eines so vielseitigen und umfangreichen Katalogs zu sein, konnten die Konservativen in den Achtziger Jahren gar nicht mehr leisten. Die Liste umfaßte all jene, die in der Öffentlichkeit arbeiteten oder sich in der Öffentlichkeit verbreiteten, und sei es durch Leserbriefe. Das traf selbstredend auch Leute, die sich einer linken oder progressiven Weltanschauung verschrieben glaubten. Das in dem Zusammenhang oft strapazierte, frucht- und endlose Streitgespräch von einer jeweiligen Vorherrschaft, die, je nach Klagendem, entweder die Linken oder die Rechten, auf jeden Fall die Anderen in den Medien haben, wollen wir nicht mit Letztbegründungsanspruch beurteilen. Wir halten die szientoiden Mythen à la »Schweigespirale«, »Rotfunk«, aber auch das gegenläufige Gerede von der »Hegemonialpresse« und den »Elitemedien« bereits für groben Unfug.22 In einer Massen- und Mediendemokratie mit ihrer geduldeten Polyphonie, die noch jeden ›Querdenker‹ zu integrieren sich bereit findet und als solchen feiert, sind solche Klagen über die eigene medienöffentliche Ohnmacht oft nur als rhetorisches Versatzstück von Bedeutung. Sie stützen verquere Zensurund Tabubehauptungen und fungieren damit für die beinahe unausweichlich sich anschließende Inszenierung eines Tabubruchs als distinktionsgewinnorientierte Kalkulationsgrundlage, wie wir noch ausführlich
22 Für die idée fixe »Schweigespirale« vgl. Noelle-Neumann et al (1990: 255ff): »Wer sieht, daß seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen [...] Im Begriff Schweigespirale liegt die Bewegung, das sich ausbreitende, gegen das man nicht ankommen kann« (ebd. 264); expliziter, larmoyanter und ohne jede intellektuelle Strenge der Mythos »Rotfunk« bei Röhl 1999, Kapitel 7, »Der Lange Marsch – Fallbeispiel WDR, 6468. Das absurde Wort »Elitemedien« wird von der ansonsten sehr differenziert argumentierenden Karsta Frank verwendet, wobei offen bleibt, ob sie die genannten Zeitungen (Zeit, Spiegel etc.) für eine Elite auf dem Markt hält oder ob gar die Leserschar damit gemeint ist (Frank 1996a: 185).
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zeigen werden – was übrigens nicht heißt, daß es nicht ernstzunehmende Zensurfälle und -forderungen gibt. All das wird uns noch beschäftigen. Aber, um den Faden wieder aufzunehmen, der Weg in die diversen Medien war für die vielschichtige Klientel, wie sie Eilert beschrieb, frei, und genau, wie er es hier prophezeite, sollte dieser Weg in den Neunziger Jahren noch viel breiter werden durch unter anderem noch mehr Privatvorstellungen vor aller Öffentlichkeit in Form von Talk-Shows, Telephon-Interviews, Prominenten-Portraits, Stargästen, Überraschungspartnern, Meinungsumfragen, Antwortbögen, Leserbriefen, Hörerstimmen, Zuschauerwünschen, Tagebüchern, Erinnerungen, Bekenntnissen, Beichten usw. [...] Wer wirklich will, bekommt auch die Gelegenheit, sich so häufig und so lang er mag zu produzieren (Eilert 1990: 36, herv. v. MFE).
Wenn auch, dies sei einschränkend vermerkt, eben nicht überall. Eilerts ex post konstruierte umfassende Kampfansage, nicht zuletzt auch an diejenigen Figuren des öffentlichen Lebens, die den Marsch durch die Institutionen ohne große Blessuren überstanden hatten und sich nun in der Öffentlichkeit bzw. den für sie relevanten Teilöffentlichkeiten in kommoder Halbdistanz zu ihrer kritischen Vergangenheit tummelten, war repräsentativ für das Konzept der NFS. Sie distanzierte sich scharf vom klassischen politischen Kabarett mit seinen traditionell einfachen moralischen und politischen Frontstellungen: Kabarettisten alter Schule nahmen und nehmen allerdings nur die aufs Korn, die weit und breit genug da oben stehen, um einerseits eine große Trefferfläche zu bieten, andererseits aber außer Reichweite zu sein (Eilert 1990: 31).
Neue und auch neuartige Konflikte konnten angesichts dieser Konzeption nicht ausbleiben, zumal die probaten Mittel der Herrschenden gegen Satire, nämlich durch direkte Machtausübung oder durch Anrufung der Gerichte Zensur durchzusetzen oder gar Gewalt anzuwenden, sich für diese neuerkorenen Satire-Opfer, die im großen und ganzen einem im weitesten Sinne linken, liberalen und alternativen Milieu entstammten, zunächst meist verboten. Bei den Protagonisten dieses Milieus handelte es sich oft um frühere Pardon-Leser, z.T. mittlerweile arrivierte Achtundsechziger23 oder ihre
23 Wir bitten, diesen Ausdruck als den begrifflichen Notnagel zu interpretieren, als der er in der Alltagskonversation verwendet wird. Daß sich übrigens beispielsweise Poth schon aus Altersgründen (Interview Poth 2000) und Gernhardt nicht als Achtundsechziger begreifen, beruht möglicherweise auf Distanzierungsbestrebungen, die sehr unterschiedlich motiviert sein können. Unaufgeregt und sehr reflektiert beschrieben kann man das auch in Poths Autobiographie nachlesen (Poth 2002: 159). Gernhardt hin-
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vermeintlichen Erben, denen das Lachen über die Widersprüche ihres mäßig »progressiven Alltags« offenkundig vergangen war. Die politische Enttäuschung geschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre mündete in den Neokonservativismus der bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Zeit der Regierungen Schmidt und Kohl ein. Solche Prozesse sind natürlich keine deutsche Spezialität gewesen. Eine deutliche Ähnlichkeit findet sich in den USA in dem Erstarken neokonservativer Strömungen und der »Southernization«, Prozesse, die die Sechzigerjahre politisch wie mentalitätsgeschichtlich zurückfahren wollen, aber deren (auch ästhetische) Ausgestaltung in Form von »Graswurzelbewegungen« ohne die Sechziger nicht denkbar wären.24
gegen inszeniert sich seit Jahren kokett als »liberaler Scheißer«, der – natürlich – klüger, selbstkritischer, integrer als die ›echten‹ Achtundsechziger war, und dadurch als der bessere Achtundsechziger (vgl. Gernhardt 1994: 250-260). Mehr ist dazu wirklich nicht zu sagen. 24 Zur These der »Southernization« der USA vergleiche die Studie von Schulman The Seventies. The great Shift in American Culture, Society, and Politics (2001). Schulman legt anhand zahlreicher Beispiele aus den genannten Bereichen die auch geographisch ablesbare Machtverschiebung innerhalb der amerikanischen Politik dar, wie sie sich größtenteils in den Siebziger und frühen Achtziger Jahren vollzog. Als prominente Resultate dieses »Rise of the Sunbelt« sind eine bis heute gesteigerte Spiritualität und/oder Religiosität (»the mounting influence of evangelical Christianity«, 93), und eine liberalistische und individualistische Abkehr weg von der (staatlichen) Politik, hin zur Ökonomie zu verzeichnen, die trotz aller unterwegs verlorenen, früheren idealistischen Bestandteile als Erbe der Sechziger/Siebziger interpretiert werden. In dieser Hinsicht wurden Ronald Reagan und George Bush Sr. typische Präsidenten dieses neokonservativen Zeitgeistes. In bezug auf die Rückkehr der Religion ähnlich, aber deutlich pessimistischer und kritischer argumentiert Minkenberg in seiner vergleichenden Analyse der französischen, deutschen und amerikanischen radikalen Rechten. Er beschreibt das kulturpolitische Framing der aufstrebenden Rechten in den USA als deutlich schärfere Abkehr von den Sechzigern (Minkenberg 1998: 142ff). Der Aufstieg der amerikanischen Rechten aller Schattierungen ist beschrieben in Hardisty 1999 und im Reader von Berlet 1995. Auf intellektueller und organisatorischer Schwundstufe fanden sich solche Bestrebungen auch in Deutschland. Vgl. dazu Leggewies Arbeit über deutsche konservative Denkfabriken, die sich nicht zuletzt an »1968« abarbeiten (1989 [1987]), und im Kontrast seine Studie über die »konservative Revolution« in den USA (1997). Zahlreiche Informationen über die Verbindung von Denkfabriken und der Rede von der Korrektheit finden sich in Scatamburlo 1998. Als vergleichende Geschichte der 68er in Deutschland, Frankreich, USA und Mexiko und ihrer Folgen vgl. Berman 1998, vor allem Kapitel 2 »Von der Moral der Nachkriegsgeneration«. Auch hier findet man eine ähnliche Bilanz wie bei Schulman: »Doch am Ende konnte man fast das gleiche Ergebnis [in Amerika und Europa, MFE] sehen. Bei der jüngeren Generation gab es eine neue Art von Individualismus und eine Lockerung der alten kulturellen Zwänge und Fesseln. Das war fast überall die Hauptkonsequenz der Studentenrevolten von 1968 [...]« (Berman 1998: 102).
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Die Revolution allerdings oder auch nur eine durchgreifende, längerfristige, nicht von ökonomischen Anforderungen oder Moden induzierte Veränderung der Gesellschaft war ausgeblieben. Paul Berman stellte in seiner Analyse von »1968« fest: [I]n der gesamten westlichen Welt erwiesen sich die Studentenunruhen als verblüffend unproduktiv, was konventionelle politische Veränderungen oder einen ökonomischen Wandel anging. Mehrere Jahre einer radikalen Agitation, von Straßenkämpfen und Rebellionen an den Universitäten kamen und gingen, und doch gab es die NATO immer noch, der Kapitalismus hatte sich nicht bemerkenswert verändert, die Armen waren nicht weniger arm, und die Republik der Arbeiterräte war nie gegründet worden (Berman 1998: 101f).
Das in den Siebziger und den frühen Achtziger Jahren auch in Deutschland aufkommende Interesse an einer neuen Religiosität (Stichwort ›New Age‹) und Innerlichkeit,25 die Konzentration auf und das gekonntere Artikulieren von Partikularinteressen (Rechte von Frauen, Homosexuellen, etc.), das Sichverzetteln in Scheingefechten (Volkszählung 1984, bzw. 1987), die demoralisierenden Folgen des sogenannten »Deutschen Herbstes«, die individuellen ökonomischen Notwendigkeiten der eigenen Professionalisierung und Berufsfindung, die das eigene schlechte Gewissen beruhigende Mär vom »langen Marsch durch die Institutionen«, die Entdeckung des Weltfriedens, der Menschenrechte und der Umwelt als vermeintlich ›jenseits von links und rechts‹ verortbarer politischer Themen, dies alles sowie zahlreiche andere Entwicklungen, die man hier nicht einmal anreißen kann, induzierten oder verstärkten den Wunsch danach, sich restkritisch zwar zu engagieren, aber eben auch zu arrangieren. Unter still geduldeten oder auch laut vorgetragenen Schmerzen fand man sich in vieler Hinsicht mit der normativen Kraft des Faktischen ab – wenn man nicht ohnehin gleich komplett konvertierte –, wobei oft mehr schlecht als recht ein rebellischer oder kritischer Habitus beibehalten wurde wie eine abgetragene, aber liebgewonnene Lederhose, die schon ein wenig an den Hüften kneift. Just diese Diskrepanz von Sein und Schein war für die Satiriker der NFS ein gefundenes Fressen, auch und gerade weil sie selbst in solche Prozesse involviert sind, wie Robert Gernhardt einmal selbstkritisch ausführte (Gernhardt 1989 [1984]: 218). Bezeichnenderweise heißt eine Sammlung von Geschichten, die er zu diesem vielschichtigen Themenkomplex veröffentlichte, im Untertitel Humoresken aus unseren Kreisen (Gernhardt 1987). Die Schwierigkeiten der Achtundsechziger und ihrer
25 Vgl. als Studie dazu Gugenberger/Schweidlenka 1987, die weite Teile dieser neuen Religiosität unter dem Blickpunkt ihrer Nähe zum Faschismus betrachten (vor allem 143ff).
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Nachfolger mit der eigenen Rolle und auch mit der Rolle, die den Satirikern als einer Art von Abwehrzauberern zugeschrieben wurde, manifestierten sich darin, daß die Betroffenen neue Modi der Satirekritik entwickeln mußten, wenn sie plötzlich Opfer der Satiriker wurden.
Die Neue Satirekritik Nicht wenige Leser der NFS waren ganz offenkundig entsetzt, weil sie sich vor jeder Satire sicher gewähnt hatten. Sie hatten sich gewöhnt an ein beinhart solidarisches oder allenfalls schmunzelnd-kritisches, eher linksliberales Kabarett und an eine dazu gehörige ›Szene‹ u.a. aus Liedermachern, moralischen oder moraloiden Lichtgestalten und Kleinkünstlern. Eine Szene immerhin, die eine eigene Infrastruktur aus Geschäften (Buchhandlungen, Bioläden etc.), Verlagen, Zeitungen und Zeitschriften (Taz, Pflasterstrand, Emma etc.) und Kneipen hatte, und die noch dazu mit den zunächst bürgerschreckartig auftretenden ›Grünen‹ einen alle möglichen Strömungen vereinenden, gerade auch Jüngere prägenden politischen Arm entwickelte. Es wurde den Autoren und Zeichnern der Titanic von Lesern und Opfern der Satire vorgeworfen, sie würden »Gesinnungsfaschismus« betreiben (Zwerenz 1983),26 im »StürmerStil« hetzen27 und, so Olaf Leitner im Tip anläßlich einer Attacke auf den Kabarettisten H.-D. Hüsch in der Titanic, »ihresgleichen an die Wand stellen, die Ebenen intellektueller Polemik verlassen und zur Knarre greifen«. Und weiterhin: »Henscheids Methode hat sein [sic] Vorbild in der Nazi-Presse« (Leitner 1985).
26 Zwerenz war dann 1983 auch ein früher, erfolgreicher Kläger gegen die Titanic, die ihn als »glorreichen Halunken« porträtiert hatte. Dabei hatte Henscheid ihn als »sozialistisch eingefärbte[n] Klumpen aus Rotz, Schleim und kaltem Bauern« bezeichnet, was vermutlich zu Zwerenz’ Erfolg vor Gericht beitrug: er erwirkte Schmerzensgeld, eine Gegendarstellung, die Schwärzung von inkriminierten Stellen (ein Reprint beim Zweitausendeinsverlag und bei Haffmans ist so zensiert). Außerdem gab er seiner Tochter [!] ein streckenweise bizarres Interview, in dem er sich als Opfer inszenierte, sich selbst mit den Verfolgten des Dritten Reichs auf eine Stufe stellte und mit der Titanic abrechnete (vgl. Henscheid 1983, Henscheid 1991a, Zwerenz Interview 1983, Solms 1997). 27 Dieser Vorwurf war so häufig zu vernehmen, daß Christian Schmidt, seinerzeit Chefredakteur der Titanic, zum zehnjährigen Jubiläum der Zeitschrift einen Überblicksartikel unter dem Titel »10 Jahre Stürmer-Stil?« verfaßte (Schmidt 1989: 52-60). Die schärfste Auseinandersetzung gab es um ein Hüsch-Porträt, zu dem Henscheid den Text und Traxler die Zeichnung anfertigte (nachgedruckt in Henscheid 1991).
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Der sich hier zeigende Wandel in der Satirekritik, die eben nicht mehr bei den herkömmlichen Vorwürfen wie ›blasphemisch‹ oder ›zersetzend‹ sich aufhielt, sondern die ›Menschenwürde‹ und die ›Persönlichkeitsrechte‹ der Verspotteten auf das Schlimmste bedroht wähnte oder das zumindest vorgab, und die das Verhalten der – künstlerisch und durch ihre Organisationsform institutionell unangreifbaren – NFS moralisch verurteilte, in die Nähe des Dritten Reichs rückte und von »Menschenverachtung« sprach, war in der Tat eine neue Qualität. Robert Gernhardt nannte das in einem Vortrag 1990 den Wandel der Vorwürfe »von der ›Nestbeschmutzung‹ zur ›Menschenverachtung‹« (Gernhardt 1994: 152). Da den ›gegenkulturellen‹ Instanzen die gängigen Vorwürfe an Satiriker aus politischen und habituellen Gründen nicht zur Verfügung standen, wichen sie auf einen anderen, weltanschaulich kompatiblen Verweishorizont aus, der es ihnen vielleicht ermöglichte, Kritik zu üben, sie zu intensivieren und wiederum gegen Widerworte zu immunisieren. Aber die ebenso historisch wie ästhetisch fragwürdigen Entgleisungen der Kritiker wie z. B. die Rede vom »Stürmer-Stil« zeigten auch auf die grundsätzliche Distanz hin, die sich zwischen der NFS und großen Teilen ihres Publikums aufgetan hatte. Robert Gernhardt, der sich im Laufe der Achtziger Jahre aus seiner Funktion als Satiriker zurückziehen sollte – bei gleichzeitiger Ausweitung seiner anderweitigen Medienpräsenz –, veröffentlichte 1984 einen für diesen Rückzug programmatischen Aufsatz, in dem er den weitgehenden Bruch des Blatt-Leser-Konsenses individuell und analytisch zu erklären suchte. Unter dem Titel Warum ich nicht gern Satiriker bin und mich nur ungern als solchen bezeichnet sehe führte er über die nach ihrem Selbstverständnis kritischen linken Leser seiner Satiren aus: Welch liebenswerte Zeitgenossen! Wie kritisch sie sind! Wie teilnehmend! Wie wach! Ich jedenfalls habe sie alle gern, und auch sie können mich gern haben: Der Werber, der tagsüber Hirn und Herz dafür opfert, daß mehr IntimSprays oder Bandnudeln verkauft werden, und der mir abends im Lokal mitteilt, er werde als der radikale Linke, der er bekanntlich sei, das von mir mitverantwortete Blatt bald nicht mehr kaufen, wenn es nicht unverzüglich schärfer werde, speziell in gesellschaftspolitischer Hinsicht [...] Wird gemacht, wir werden schärfer, sage ich dem Werber und denke: Werde erstmal selber schärfer, du Sack (Gernhardt 1989 [1984]: 208f).
Bei der Titanic und ihren Schreibern hatte es eine immer deutlichere Abgrenzung von denjenigen Kollegen und Lesern gegeben, die nicht anerkennen wollten, daß ihre Versuche, ein »richtiges Leben im valschen«28
28 Eine Anspielung auf Adornos viel zitierten Aphorismus: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« (Adorno 1997 [1951]). Gernhardt hatte eine
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zu führen, nicht nur weitestgehend zum Scheitern verurteilt waren, sondern durch dieses oft peinliche Scheitern auch Stoff für Satiren ergaben. Den Umstand, daß die Betreffenden das nicht akzeptierten, sondern um so härter und/oder larmoyanter auf ihrem Standpunkt beharrten und die Satiriker in die Pflicht zur Solidarität zu nehmen versuchten, begründete Gernhardt, dessen frühere Hoffnungen sich zerschlagen hatten, augenscheinlich resigniert folgendermaßen: Und da ich schon beim Denken bin, denke ich gleich weiter: Daß die alle nicht denken, stutzen, lachen oder sich wenigstens an aesthetisch gelungenen Lösungen freuen, sondern glauben wollen. Daß die noch den schwächsten und ältesten satirischen Dreh gutheißen, wenn er nur ihre ohnehin schon felsenfeste Meinung noch ein bißchen untermauert. Daß sie gerne einer Gemeinde angehören würden, der Gemeinde der Unangepaßten zwar, aber doch bittesehr einer mit klarer Satzung, klaren Glaubensartikeln, klaren Riten und klaren Emblemen. Und daß sie ausgerechnet vom Satiriker erwarten, daß der ihnen das alles frei Haus liefert, in Texten oder Bildern, denen nach Möglichkeit jedwede gedankliche oder artistische Zweideutigkeit fehlen sollte [...] (ebd. 209f).
Das sich diesen Ansprüchen verweigernde Satirekonzept der NFS und die Neue Satirekritik funktionierten zeitweilig wie kommunizierende Röhren: je schärfer die Kritik, desto bitterer oft die Satiren, und umgekehrt. Die bei Gernhardt hier nochmals explizit vollzogene Aufkündigung des Konsenses, wie sie von Henscheid 1991 bestätigt und von Eilert 1990 retrospektiv festgeschrieben wurde, führte zu Konflikten, die bis in die Neunziger Jahre hinein schrittweise eskalierten. 1988, also einige Jahre nach dem zuletzt zitierten Aufsatz, gab Gernhardt im Konkret ein Interview,29 in dem er wiederum biographisch ausholte und auf das heterogene Publikum hinwies:
Sammlung von Humoresken mit »Geschichten aus unseren Kreisen« veröffentlicht, die den bewußt valsch geschriebenen Titel hatte (Gernhardt 1987). 29 1987 (Ausstellung) und [!] 1988 geht man von 25 Jahren NFS aus. Im Jahr 2001 spricht man von 40 Jahren NFS (Schmitt 2001, Ausstellung in Frankfurt). Eine Grundsteinlegung der Schule hat es offenbar nicht gegeben. Insofern sind die vermeintlichen Feieranlässe etwas willkürlich festgelegt worden. Den möglicherweise ältesten Beleg für die Verwendung des Namens findet man 1981 auf einem von F.K. Waechter gemalten Ausstellungsplakat, noch als »neue Frankfurter Schule«. Eine Gemeinschaftsausstellung von Waechter, Gernhardt und Traxler in der Münchner Galerie Bartsch & Chariau wurde während einer vorbereitenden Arbeitssitzung mit diesem Namen versehen (vgl. Schmitt 2001: 26f, mit einer Abbildung des Plakates).
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DIE GESCHICHTE EINES IRRTUMS [Interviewer]: Es verirren sich ja auch mal gute Linke in die Leserschaft, die bei jenem Artikel oder jener Zeichnung so in Aufruhr geraten, daß sie der Zeitung Verrat an der Sache oder gar schlimmeres vorwerfen. [Gernhardt]: Es sind nicht nur die guten Linken. Es sind all jene Mitglieder all dieser Bewegungen, die von einem brennenden Glaubenseifer erfüllt sind, der es ihnen nicht erlaubt, neben sich zu treten und einen ironischen oder einen komischen, jedenfalls einen anderen Blick auf die Dinge zu akzeptieren, als den, den sie gewohnt sind. Bei diesen Gläubigen gibt es so etwas wie Lachverbote, die dazu führen, daß alles ganz eindimensional gesehen wird. [...] Wenn Frauen den »Zigeuner- und Judenbonus« für sich in Anspruch nehmen und sagen, daß sie die Juden von heute seien, wenn sie auch dann von Frauenfeindlichkeit sprechen, wenn Taten der Frauenbewegung kritisiert oder wenn ganz deutlich Frauenfeindlichkeit karikiert wird, dann betrübt mich diese Unfähigkeit, sich selber oder Kritik wahrzunehmen. Die Frauen können schließlich nicht sagen, uns steckt der Schrecken der NaziVerfolgungen noch in den Gliedern ... [Interviewer]: ... siehe Begriffspaarung »Nazismus« – »Sexismus« ... [Gernhardt]: Ja, solche Parallelen. Ich halte die für ganz gräßlich und demagogisch. [Interviewer]: Aber was denken Sie, wenn solche Kritik von Mitstreitern kommt? Zitat: »Das ist es: Vielleicht stellt sich dann noch heraus, daß die spätpubertären Feinstrich–Witzchen der Titanic-Riege im Geiste doch nicht so verschieden von jener neumodischen wilden Pinsler-Ästhetik sind, die in den Vorstandsetagen der Neuen Heimat ersonnen sein könnte (...)« (KONKRET 2/85). Das ist doch etwas anderes, als wenn Angriffe vom katholischen Sonstwas-Bund kommen? [Gernhardt]: Ja klar, und ich find diese neuen Empfindlichkeiten spannend und sehr bemerkenswert. Tucholsky hat mal geschrieben: »Wenn einer einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und schmollt.« Aber für ihn saßen die Schmoller immer rechts. Mit diesem Bewußtsein bin auch ich als angehender Satiriker aufgewachsen: Der Feind steht rechts, Einspruch wird stets von rechts erfolgen. Doch die Rechte nimmt die Satire schon gar nicht mehr wahr, weil die nicht im Fernsehen stattfindet, und weil sie keine »Titanic« liest, da kommen plötzlich solch warnende Zeigefinger von links, die sagen: »Eben habt Ihr einen ganz bösen Witz gemacht. Da kommt ein Betrunkener drin vor. Betrunkene sind Alkoholiker. Alkoholiker sind Kranke. Also darf man über Betrunkene keine Witze machen.« [...] Und zugleich reklamierten alle möglichen Gruppen eine Art von Opfer-Bonus. Die Frauen bezeichneten sich als die Juden von heute, und eine deutsche Rockmusikerin sagte, die deutschen Rockmusiker seien die Neger der deutschen Pop-Musik (Gernhardt 1988b: 75f, herv. v. MFE).
Diese Bilanz Gernhardts hatte durchaus ihre Berechtigung. Mit dem Fall Zwerenz hatten vergleichbare Argumentationen bereits 1983 die Gerichte und eine Teil-Öffentlichkeit erreicht, wobei die Urteilsbegründung und die Argumentation des Schriftstellers außerhalb des Gerichtssaales um einiges voneinander abwichen. Hatte Zwerenz in dem Interview, das er seiner Tochter gab, einen einerseits larmoyanten, andererseits politisch und moralisch akzentuierten Rundumschlag gegen die Titanic-Leute versucht, konnte das Gericht, das auf Beleidigung anerkannte, nur Ausdrük-
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ke mit – aus Sicht der Justiz eindeutig – verleumderischem und beleidigendem Charakter inkriminieren.30 Dieser Angriff aus dem vermeintlich eigenen Lager mit Hilfe der Gerichtsbarkeit blieb lange Jahre die Ausnahme. Dem Vernehmen nach vergleichsweise souverän und deutlich munterer als seine Verteidiger reagierte Hüsch selbst, indem er den außergewöhnlich harschen Text, den Henscheid über ihn verfaßt hatte, kurzerhand als einen »verbrecherischen Scheißartikel« bezeichnete und es dabei bewenden ließ. Völlig überzogen hingegen agierten Olaf Leitner, Elke Heidenreich, die wiederum mit NS-Vergleichen gespickte Briefe an Titanic, Traxler und Henscheid schrieb, oder auch Herbert Bonewitz, der geradezu darum flehte, ebenfalls als Opfer der Titanic etwas zu werden und mit Hüsch quasi gleichzuziehen.31 Mit dem Fall Böll erreichten solche Empfindlichkeiten nun wiederum die Gerichte, und in der bundesweiten Berichterstattung über die genannten Fälle eine breitere Öffentlichkeit. Deutlicher noch als bei Böll wurde die moralische Aufladung und Emotionalisierung solcher Auseinandersetzungen im Frühjahr 1993, etwa zeitgleich mit der Klage Gertrud Höhlers. Nun knüpfte auch ein von Björn Engholm, damals gerade so eben noch Ministerpräsident von Schleswig-Holstein,32 angestrengter Prozeß gegen die Titanic an die neuen Argumentationsweisen an. Die Titanic hatte auf dem Titelbild der April-Ausgabe das verschmitzt lächelnde Gesicht Engholms auf das bekannte Photo von Uwe Barschels Leiche in der Badewanne montiert, so daß es aussah, als grinse Engholm dem Betrachter aus der Badewanne entgegen.33 Die Schlagzeile lautete: »Sehr komisch, Herr Engholm.« Eine Satire von möglicherweise zweifelhaftem Geschmack. Engholm, zu der Zeit wegen seiner ganz gewiß zweifelhaften Rolle in der Barschel-
30 Insofern ist selbst der zensierte Text in dem Sammelband »Erledigte Fälle« keinesfalls als Gewinn für Zwerenz zu betrachten. Mit den geschwärzten Stellen wirkt er allemal noch etwas stärker. 31 Die Briefe von Heidenreich und Bonewitz liegen dem Verfasser als Photokopie aus dem Archiv der Titanic vor – besten Dank an Christian Schmidt! Bonewitz schlug, offenbar von allen guten Geistern verlassen, den Satirikern vor, ihn mit Hüsch in eine Reihe zu stellen, und lieferte Vorschläge gleich mit, wie er angemessen zu beleidigen sei. Wir kommen in unserer Schlußbetrachtung darauf zurück. Mit dem Kommentar von Hüsch wurde später auch das Buch über die »Erledigten Fälle« beworben (zumindest die uns vorliegende Taschenbuchausgabe Henscheid 1991a; Buchrücken). Laut Auskunft von Eckhard Henscheid fiel diese Äußerung anläßlich eines Interviews während einer Hüsch-Tournee. Der genaue Erscheinungsort jedoch ist nicht mehr nachzuweisen. 32 Er mußte als Ministerpräsident kurz darauf, am 03.05.1993, zurücktreten, weil er in der Affäre es mit der Ehrlichkeit nicht übertrieben hatte. 33 Man muß das Bild so ausführlich beschreiben, weil die Titanic das Heft nicht mehr ausliefern darf.
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Affäre politisch massiv unter Druck geraten, erwirkte rasch eine einstweilige Verfügung, mit der die Auslieferung des Heftes gestoppt wurde, und erstritt schließlich vor Gericht DM 40.000,- Schmerzensgeld.34 Er ließ es sich in der Anfangsphase der juristischen Auseinandersetzungen darüber hinaus nicht nehmen, in einem Fernsehinterview mit dem Moderator Roger Willemsen sein Leid über das ihm und möglichen weiteren Opfern von den Satirikern angetane Unrecht zu klagen und damit seinen Prozeß medienöffentlich zu begleiten.35 Auf Willemsens Fragen hin, warum er so massiv reagiere, fragte Engholm zurück: E[ngholm]: Darf Satire Menschen, die so etwas sehen, dazu verführen, sich möglicherweise das Leben zu nehmen? W[illemsen]: Würden Sie sagen, dieses Titelbild hat eine anstiftende Wirkung? E: Stellen Sie sich vor, Sie haben jüngere Kinder als ich. Und Sie [sie?] sehen so ein Ding am Kiosk. Ist das das Ziel von Satire, von satirischem Journalismus, Opfer zu produzieren? W: War es das, was Sie inkriminiert haben? E: Nein, ich finde, das müßten Sie empfinden. Darüber kann man nicht diskutieren. Man hat’s oder man hat’s nicht (Premiere 03.06.1993, zit. nach Schmidt 1993: 26).36
Anders gesagt: »Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen«. Diese Variation des SPD-Politikers über Goethe war signifikant für das Selbstverständnis, oder besser, die Selbstinszenierung als Opfer von vermeintlichen Beleidigungen und diesbezüglich vor allem für die unterstellte Wirkmächtigkeit der Beleidigung auf das seelische und körperliche Wohlergehen der Opfer, eine Empfindungsbehauptung, die vor Gericht und in der Öffentlichkeit offenkundig zusehends konsensfähig wurde.
34 Dieser Betrag liegt, zuzüglich der Prozeßkosten, an der Obergrenze dessen, was die Titanic finanziell verkraften kann (Seim/Spiegel 1995: 89ff). Daß diese Satire angesichts des Rücktritts Engholms wegen aufgekippter Lügerei geradezu prophetisch war, vermochte die Gerichte nicht zu beeindrucken. 35 S. auch den Vergleich der Rechtssprechung in den Fällen Böll und Engholm durch Gounalakis (1995: 814f). Gounalakis macht als interessantes Argument geltend, daß es sich bei Engholm um eine Person des öffentlichen Lebens handelt und daß die Titanic den politischen Kontext, nämlich die Diskrepanz zwischen Image des Politikers Engholm und seiner politischen Praxis in der Barschel-Affäre hinzugezogen habe, so daß »der Betroffene [Engholm, MFE] die – in seinen Augen – schwere Kränkung zu ertragen hätte« (ebd. 815). Eine Grenze zieht Gounalakis jedoch um das Privatleben. Argumentativ weicht Engholm in dem Interview mit Willemsen genau diese Grenze wieder auf. 36 Vgl. dazu auch Gernhardts Analyse in Konkret, in der er die Parallelen der Fälle Höhler, Böll, Engholm skizziert (Gernhardt 1993), außerdem Schmidt 1993 und 1996. Daß im übrigen, wenn überhaupt, allenfalls die Familie von Uwe Barschel anläßlich der Photomontage Grund zum Klagen gehabt hätte, sei nur am Rande bemerkt.
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Ein finanzieller Rekord durch eine Privatperson37 zeichnete sich ab, als ausgerechnet die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley 1996 anläßlich einer Photomontage auf dem Titelblatt des Eulenspiegel (3/1996), die sie im Geschlechtsverkehr mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zeigte, das einzige relevante ostdeutsche Satireblatt auf existenzbedrohende 100.000,- DM verklagte. Man einigte sich später außergerichtlich auf die etwas moderatere Summe von 20.000,- DM.38 Im März 1996 lieferte sie die, wie es heißt, Begründung für ihr Tun: »Wer seine eigene Würde nicht schätzt, der lächelt auch bloß über solch eine diffamierende Montage«.39 Diese neuen Formen der Moralisierung und die mediale Inszenierung solcher Konflikte erzeugte oder repräsentierte scheinbar ein Klima, in dem klassische, das heißt auch – aber nicht nur – vom Staat exekutierte Zensur unter neuen Vorzeichen gedeihen konnte. Eine von uns im Übermut geplante vergleichende Analyse von Klageschriften, Verteidigerstrategien und Urteilen in den Fällen Böll, Höhler, Engholm führte ins Leere. Denn die Tatsache, daß die Argumentationen vor Gericht sich gleichen, muß letztlich darauf zurückgeführt werden, daß die juristische Sprache und die in ihr verhandelten Tatbestände als solche (und eben nicht an sich) in hohem Maße formalisiert sind. Wer sein Recht, oder was er dafür hält, bekommen will, muß sich an diese sprachlichen Regeln halten und das Beste hoffen. Ein Text, der sich vor Gericht als ›Satire‹ bewährt, bleibt meist ungeschoren, weil er als ›Kunst‹ gilt; gelingt es den Anwälten der klagenden Partei, ihn als ›Schmähkritik‹ o.ä. durchzusetzen, sieht es für den Beklagten schlecht aus. Um so rätselhafter und willkürlicher wirken deshalb voneinander abweichende Urteile, wie sie in den selben Fällen und bei oft unveränderter Argumentation im Gang durch die Instanzen oder beim in den Neunziger Jahren oft zu beobachtenden Wechsel vom Straf- zum Zivilprozeßverfahren nicht selten sind.40 Anders gesagt: ob die Satiriker oder ihre Opfer jeweils in der Abwägung
37 Unternehmen versteigen sich noch zu ganz anderen Summen. Der Konzern McDonald’s hat anläßlich einer Satire eine Unterlassungsklage gegen die Titanic angestrengt, die im Wiederholungsfall die Schadensersatzsumme von 500.000,- DM hätte bezahlen müssen, natürlich vorausgesetzt, die Titanic hätte den Prozeß verloren. Angesichts des Risikos und vor allem der immensen Prozeßkosten entschloß sich die Titanic, klein beizugeben (vgl. Solms 1997: 14ff). 38 Zu Details vgl. auch Folckers (1997: 54). 39 In einem Interview in der BZ (zit. nach Solms 1997: 30). Wenig erfreulich ist es, daß Solms bezüglich der ungenauen Angabe »Ende März 1996« nicht präziser wird. 40 Solms spricht in diesem Zusammenhang vom »Rückzug der Strafjustiz«, der aber für die Satiriker keineswegs Vorteile gebracht hat (vgl. Solms 1997: 12ff).
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ihrer Ansprüche und der im Grundgesetzt fixierten, widersprüchlichen Grundrechte obsiegen, bleibt jedesmal spannend, aber wenig erhellend. Mit einer Diskursanalyse ist da wenig zu zwingen – die Modi der Urteilsfindung bleiben auch den professionellen Juristen rätselhaft, wie die von Ratlosigkeit gekennzeichneten Dokumentationen der genannten und anderer, vergleichbarer Prozesse zeigen.41 Zunehmend interessanter schien uns daher die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit, die solche eigentlich randständigen, nicht immer vor Gericht endenden Auseinandersetzungen erregten, sowie die widersprüchlichen Interpretationen, die sie in der Öffentlichkeit erfuhren. Denn ein überraschend großer Teil der Berichterstatter kritisierte die moralische Aufladung solcher Konflikte und den Hang dazu, sie gerichtlich auszutragen (so zum Beispiel Schaeffer 1993). Andere wiederum machten wie gezeigt ihrer Wut und ihrer Enttäuschung ob des vermeintlichen Verrats an der gerechten Sache und der sie tragenden Lichtgestalten Luft. Und zeitgleich zu diesen Zänkereien geriet in den frühen Neunziger Jahren ein anderer, in seiner Terminologie und Argumentationsweise zunächst amerikanisch geprägter Diskurs ins Blickfeld, der bisweilen ausdrücklich in den Diskurs um die Satire ›hinüberschwappte‹. Henscheids, Eilerts und Gernhardts Ausführungen zu arrivierten Linken, heterogenen Beleidigten, gekoppelten Opfergruppen einerseits, und andererseits die ausgewiesene Weinerlichkeit und Opferattitüde der von der NFS attakkierten Personen und vor allem ihrer oft selbsternannten Anwälte, der insgesamt rätselhafte, oft mit moralischem Vokabular verbrämte Furor, der die Auseinandersetzungen begleitete, die Fixiertheit auf öffentliches Sprechen und seine angeblichen Regeln, diese Mixtur ließ einen freudigen Verdacht in uns aufkeimen. Sollte die Ursache für die zunehmende Hysterie, die gegenüber den Satirikern an den Tag gelegt wurde, etwa ein Symptom für eine deutsche Spielart dessen sein, was als ›Political Correctness‹42 bezeichnet wurde, von der man ab 1991/1992 immer wieder mal hörte? Und andersherum gefragt: Sollten die flotten Satiriker demgegenüber ›herrlich politisch unkorrekt‹ und gerade deshalb ganz besonders prima sein? Das schien uns sehr plausibel. Das sollte auch vielen anderen schnell und nachhaltig einleuchten. In den Kram paßte es uns auch. Und genau hier fing der Fehler an.
41 Vgl. hierzu z. B. Gounalakis 1995, Schmidt 1996, Rittig 1997, Solms 1997. 42 Deutsche und englische Varianten werden hier synonym verwendet. Wir möchten darauf hinweisen, daß unsere Verwendung dieser Begriffe immer mit Anführungsstrichen zu lesen ist, als indirektes Zitat von Sprachkonventionen. Warum das problematisch ist, werden wir noch zeigen. Einstweilen lassen wir es dabei bewenden.
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Wunschdenken Bei unseren Recherchen im Zusammenhang mit Pressemeldungen über Satiriker und ihre Opfer tauchte immer wieder und immer häufiger der Begriff »Political Correctness«, bzw. eine seiner Varianten auf, bisweilen – wenn auch sehr am Rande – in der Titanic.43 Dieser Begriff war etwa in den frühen Neunziger Jahren in Deutschland angekommen, und seither spukt er im wahrsten Sinne des Wortes durch die Presselandschaft. Bereits 1992 spöttelte Diederichsen, wenn auch, wie sich zeigen sollte, folgenlos: »Ein Gespenst geht mal wieder um« (Diederichsen 1992: 25). Es half nichts, es war in der Tat von Beginn an ein Spuk, und sprachlich wurde er als solcher inszeniert: bekanntlich – Diederichsen muß die Allusion nicht auflösen – beginnt das Manifest der Kommunistischen Partei mit den Worten »Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus« (MEW, Bd. 4, 461). Die Anspielung auf diese nachgerade klassische Formulierung war in den ersten Jahren des Imports in hohem Maße populär. Der genaue Aktionsradius des PC-Gespenstes war hingegen schwer zu bestimmen. Es ging, folgte man der Berichterstattung, wahlweise »um an den amerikanischen Universitäten« (SZ; Brinck 1991),44 »um in Deutschland« (Spiegel anonym 28/1994: 160), »um in Europa [...], und ist diesmal aus Amerika gekommen« (Konkret; Scheit 1994: 48), »um die Welt« (Buchtitel; Bonder 1995), »um in der postmodernen Meinungsvielfalt« (Papcke 1996: 248), auch »geistert[e] es durch mancherlei Diskurs« (Taz; Green 1995). Man konnte als interessierter Zeitgenosse nur hilflos zuschauen, wie einen die ›Political Correctness‹ einzukreisen drohte. Zensur, Denkverbot, Inquisition, Tabu, Bücherverbrennung und was nicht gar, alles schien denkbar.
43 So war zum Beispiel in einem »Brief an den Leser« Hanns Joachim Friedrichs von »überraschungsfrei ordentlicher Gesinnung und journalistical correctness die Rede« (Titanic 2/1995: 8). Unter der Überschrift »PC« wurde in der Hans-Mentz-Humorkritik der Sammelband von Beard und Cerf (1994 [1992]) lobend rezensiert, wobei der von den Herausgebern vorgegebene Anlaß (von »US-SprachpuristInnen« »ersonnener Blödsinn«) unbesehen für bare Münze genommen wurde (Mentz 1993: 51). 1996 veröffentlichte Gernhardt dann ein Buch mit dem gefallsüchtigen Titel: Was deine Katze wirklich denkt. Dreizehn Lektionen in Catical Correctness, vorgetragen von ›Schimmi‹ (Zürich: Haffmans). Da war dann wirklich Hopfen und Malz verloren. 44 Auf die gängige Markierung der Political Correctness als »links« mit Hilfe dieser Anspielung hat für den Text von Brinck bereits Frank hingewiesen (Frank 1996a: 196f).
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Trotz der doch recht unsicheren Verortung durch die zahlreichen Gespensterjäger45 aus Wissenschaft und Publizistik war schlagartig ein in allen möglichen Argumentationen funktionierendes Wissen vorhanden, was es mit der ›Political Correctness‹ wohl so auf sich hat und wie die wohl beschaffen ist – denn, so der Tenor bereits in frühen Texten, all das gab es ja alles hier in Deutschland auch (vgl. explizit Ruge 1992, Zimmer 1993, Spiegel 1994). Man mußte sich also nicht lange bei den amerikanischen Verhältnissen aufhalten, auch wenn man sich immer wieder darauf berief. Die deutsche Presse geriet spätestens ab ca. 1993 außer Rand und Band vor Begeisterung über diesen neuen Begriff. Angekoppelt wurden jahrelang schwelende deutsche Diskussionen. Sie wurden nun unter diesem neuen Gesichtspunkt neu ventiliert oder retrospektiv abgehandelt, so zum Beispiel die Jenninger-Rede 1988 oder der Historikerstreit, der 1986 durch einen Artikel von Ernst Nolte ausgelöst worden war.46 Mit den neuen Kenntnissen über die ›Political Correctness‹ und der importierten Terminologie als Zutaten wurden solche Angelegenheiten wieder neu aufgeköchelt, zumal durch den Fall der Mauer und den Zusammenbruch der Sowjetunion die realgeschichtlichen Karten neu gemischt waren. Gesellschaftlicher und geschichtlicher Revisionismus kam nun im Gewand einer Modernisierung daher. Dabei wurde nicht selten die deutsche Politische Korrektheit als ein Syndrom der alten Bundesrepublik interpretiert (vgl. Behrens/von Rimscha 1995: 34), das und die jetzt endlich historisiert und überwunden werden mußten. All die Strömungen und Grüppchen, die man oft ungenau, aber um so überzeugender ›irgendwie‹, und dieser unpräzise Begriff ist bewußt gewählt, den Achtundsechzigern und/oder den Grünen und/oder den Linken und/oder der Postmoderne zurechnete, die eben genau die neuen Zielgruppen der Satiren im Stil der NFS waren und gegen die man irgend etwas zu tun oder sagen sich genötigt fühlte, konnten nun mit diesen neuen Begriffen erfaßt werden. Ideen, Ideologien, Wertvorstellungen, Lebensweisen und Theorien, die man dieser Zeit zurechnen konnte, wurden wahlweise dra-
45 Anton Sterzl im Münchner Merkur über Behrens/von Rimscha 1995: »Die beiden Autoren haben ein aufregendes, anregendes Buch geschrieben. Damit kann man auf Gespensterjagd gehen« (Klappentext auf Buchrückseite der zweiten Auflage). 46 So zum Beispiel bei Behrens/von Rimscha (1995: 21-27). Historikerstreit und Jenninger-Rede und ihre Interpretation als vermeintliche PCPhänomene sind gründlich, wenn auch mit problematischem Ansatz, analysiert und kritisiert bei Kapitzky 2000. Zum Historikerstreit, die Auseinandersetzung um die Einmaligkeit und historische Einordnung der nationalsozialistischen Judenvernichtung, gibt es zahlreiche Publikationen. Genannt seien als »polemischer Essay« Wehler 1988 sowie zur Übersicht sämtlicher Positionen der Reader »Historikerstreit« (Piper 1987).
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matisiert oder »ridikülisiert« (Diederichsen 1996: 51), gegebenenfalls auch beides zugleich. Die Themen der ›Political Correctness‹ in den USA waren schon unübersichtlich. Die deutschen Modifikationen und Befindlichkeiten sprachen jedem analytischen Zugriff Hohn. Zunächst jedoch hatten wir diese Fragwürdigkeit dieser Legende und ihrer Varianten übersehen, und auch wenn uns manche Kritik z. B. von Dieter E. Zimmer etwas überzogen zu sein schien und am Rande bereits interessierte Rechte den Schulterschluß mit den Satirikern suchten – am nachdrücklichsten und unangenehmsten zeigte sich hier Klaus-Rainer Röhl 1995 –, blieben wir sehr lange zu wenig mißtrauisch und viel zu begeistert. Den berüchtigten ›Beifall von der falschen Seite‹, einen Evergreen der Thematik ›Politik und Humor‹, kannte man ja bereits als Symptom einer thematisch vielseitigeren Satire, warum sollte das bei den Berichten zur ›Political Correctness‹ anders sein? Das, so schien es offenbar nicht nur uns, mußte man eben hinnehmen. In Grenzen besorgniserregender war da schon, daß die ganzen Neurechten aus dem Mohler-, Nolte- und Zitelmannumfeld die ›Political Correctness‹ für sich entdeckt hatten, dergestalt, daß sie den ihrer Meinung nach mangelnden Anklang ihrer geschichtsrevisionistischen Konzepte auf eine deutsche »historische Korrektheit« schoben, die eine ›unverkrampfte‹ Sichtweise auf die deutsche Geschichte verhindern würde – und was dergleichen Formeln mehr waren. Hier sahen wir allenfalls den bedauerlichen Mißbrauch eines ansonsten feinen und nützlichen Begriffs.47
Die Geburt der Neuen Satirekritik aus dem Geist der Politischen Korrektheit? Insgesamt, so sah es aus, konnte man zufrieden sein, daß das ganze inszenierte Leiden und Betroffenheitsgetue, auch der linksgestrickte Ruf nach Verboten und Sanktionen, endlich einen Namen hatte, und gleich
47 Vgl. dazu auch die Studie von Thomas Pfeiffer über das »Mediennetz der Rechten« (2002). Diesbezüglich als – in Duktus und thematischer Aufbereitung – repräsentatives Dokument zu lesen ist Rudolf Czernin »Das Ende der Tabus. Aufbruch in der Zeitgeschichte« (2000) aus dem Stocker Verlag. Die Argumentationsweisen der Neurechten findet sich dort trefflich repräsentiert: »[Die] neomarxistischen Epigonen der ›Frankfurter Schule‹ und die im ›Marsch durch die Institutionen‹ erfolgreichen 68er [...] haben in letzter Zeit eine neue Waffe zur Diskriminierung aller Andersdenkenden gefunden: die sogenannte ›Political correctness‹ (PC). In Verbindung mit der ›Historical Correctness‹ ist sie nichts anderes als der letzte Versuch, der Öffentlichkeit ein einseitiges – oft bewußt antideutsches – Geschichtsbild zu vermitteln« (Czernin 2000: 22).
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einen so eingängigen. Wir fanden trotz der uns peinlich berührenden Euphorie eines Dieter E. Zimmer, Eckhard Fuhr und Klaus Rainer Röhl, mit denen wir ja doch nicht gerne etwas gemeinsam hatten,48 daß die ersten Gerüchte und Meldungen über die Korrektheit und ihre Protagonisten haargenau auf die beleidigten Satirekritiker zu passen schienen, die sich seit den frühen Achtziger Jahren immer stärker hervortaten. Selbst wenn die eine oder andere Verwendung in der Presse nicht unseren Beifall fand oder wenn – wie bis heute – noch die flachsten Hervorbringungen des Kulturbetriebs von Rezensenten und Werbetextern als ›politisch unkorrekt‹ oder ›frei von jeder Political Correctness‹ usw. aufgehübscht wurden – zunächst gab es für uns keinen Grund zur Klage. Es paßte alles einfach zu gut zueinander: Sprache, Politik und Wissenschafts- bzw. Kulturbetrieb, typische Arbeitsfelder der NFS, waren auch die zentralen Gebiete, in denen die amerikanischen wie die deutschen ›Korrekten‹ die Lufthoheit via (ungerechter) Quotenregelungen, (alberner) Sprachregelungen, (kulturfeindlicher) Kanondebatten und Geschichtsdebatten (Matriarchat, Afrocentricity, Drittes Reich etc.) zu erlangen suchten, wie man immer wieder aufs neue lesen konnte. Und bezeichnender noch: die Korrekten verstanden überhaupt keinen Spaß und hatten auch keinen Sinn für den unfreiwilligen Humor, den ihr Auftreten mit sich brachte – zumindest wurde das allerorten mit dem Habitus des Es-ganz-genauWissenden berichtet. Im typischen Tonfall pars pro toto Mathias Matussek im Spiegel: »Lust, Witz und Ironie sind den politisch Korrekten ohnehin fremd« (Matussek 1993: 229). Spiegel-Leser (und Autoren) wissen mehr. Sie wußten es von Beginn an. Und man hatte ja sehen können, daß es die neuartig begründete Kritik (inklusive ernster Zensurforderungen oder anderen Strategien der Diskursverknappung) gegenüber Satirikern und auch anderen Autoren in Deutschland tatsächlich gab.49 Als Thomas Kapielski widerlicherweise am 17.10.1988 die Berliner Diskothek »Dschungel« als »gaskammervoll« beschrieb, war das sein letzter Beitrag als freier Mitarbeiter der
48 Hier konnten wir bereits damals, unserem Mißtrauen der PC gegenüber zum Trotz, Diedrich Diederichsen 1995 unsere Zustimmung nicht verweigern: »Wenn ›FAZ‹-Rechtsaußen Eckard Fuhr sich über ein Buch begeistert, das PC als »Gefahr für die Demokratie« deklariert, kann jeder, der sich wie du und ich über eines definitiv mit den anderen Kindern einig ist, daß wir nämlich eine andere Demokratie wollen als die ›FAZ‹, zumindest ein präventives Wohlwollen gegenüber offensivem [...] PC durchaus in seinem/ihrem Herzen hegen« (Diederichsen 1995: 54). Gemeint war Fuhrs Rezension des Buches »Politische Korrektheit in Deutschland«. Eine Gefahr für die Demokratie v. Behrens/von Rimscha 1995; vgl. Fuhr 1995. 49 Vgl. Seim/Spiegel 1995.
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Taz. Außerdem wurden nach wochenlangen Querelen auch zwei verantwortliche Redakteurinnen entlassen, die zu dem Autor standen, und wer diese Kündigungen nicht guthieß, galt vielen als Verharmloser der NSVerbrechen. Die rapide fortschreitende Eskalation des Konflikts wirkte ebenso überzogen wie die selbstgerechte und immer lautere Empörung über Kapielski, die beiden verantwortlichen Redakteurinnen und Wiglaf Droste, der sich wiederum gegen die Kritiker Kapielskis gewandt hatte. Die Auseinandersetzung zog sich wochenlang in Leserbriefen und Artikeln der Taz-Mitarbeiter hin.50 Hinweise auf eine Spielart dessen, was man als ›Political Correctness‹ bezeichnen sollte, gab es also zuhauf. Kaum weniger bizarr fanden wir dann einen Fall, den Chlodwig Poth einige Jahre später in der Taz zu berichten wußte, für die ihn Christian Schmidt interviewte. Poth war unter dem Vorwand des Sexismus »nach 17 Jahren von der IG Metall ausgebootet« worden. Er hatte für die Zeitschrift Metall, die zu der Zeit neuerdings im Rahmen des allgemeinen Outsourcing von einer Agentur konzeptionell betreut wurde, eine Karikatur gezeichnet, die einen Bandarbeiter in einer Automobilfabrik zeigte, dem der folgende einleuchtende Gedanke durch den Kopf ging: »Gruppenarbeit? Gruppensex wäre mir lieber!« Das, so Poth, sei ihm als »sexistisch und frauenver-
50 Vgl. dazu 17.10.88 Artikel von Kapielski (als T. K.) in der Taz-Berlin, ab 24.10.88 eine Leserbriefwelle, 04.11.1988 Bericht über den MitarbeiterInnenantrag zur Entlassung der RedakteurInnen, 14.11.88 Wiglaf Droste verteidigt die Redakteurinnen und greift im Gegenzug die Antragsteller an, wird dafür am 23.11.88 auf der Leserbriefseite und am 08.12.88 von Hajo Funke angegriffen und so fortan. Die einzelnen Argumente bitten wir dort nachzulesen. Signifikant für die Unübersichtlichkeit und das Niveau solcher Debatten wurde dann noch fast sieben Jahre später, als aus ganz anderen Gründen Wiglaf Drostes Lesungen von Frauen- und solidarischen Männergruppen z.T. mit Gewalt verhindert wurden und Jörg Lau in der Taz das kritisierte (Lau 1995), in Leserbriefen contra Lau und Droste darauf hingewiesen, daß es ja wohl Droste war, der das mit den »gaskammervollen Discos« geschrieben habe – das Gedächtnis ist eine tückische Instanz. Der Anlaß war der: Droste hatte in den Debatten um Katharina Rutschkys Buch »Erregte Aufklärung« die Partei Rutschkys ergriffen und u.a. eine mit den Mißbrauchsdebatten spielende Satire in der Titanic veröffentlicht. Rutschky hatte das ihrer Auffassung nach unseriöse Hantieren mit Dunkelziffern und Verdächtigungen etc. durch Selbsthilfegruppen wie »Wildwasser« attackiert und damit eine wenig aufklärende, aber dafür sehr erregte Debatte ausgelöst, die wir hier nicht weiter thematisieren möchten. Daraufhin wurden Lesungen des als »Täterschützer« apostrophierten Droste massiv gestört, und die Debatten wogten nur so durch die Taz, zu deren Mitarbeitern Droste in dieser Zeit u. W. gar nicht gehörte. Vergl. zu dieser Angelegenheit Rutschky (o.J. [1992]; Droste 1993; Lau 1994; 1995; Henschel 1995; Taz-Leserbriefseiten vom 11., 15., 26.05.1995, Schmidt 1996).
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achtend« ausgelegt worden, und daraufhin habe man ihn »kommentarlos rausgeschmissen«. Soweit Chlodwig Poths Schilderung. In der Unterzeile des Artikels hieß es dann, auf der Höhe der nunmehr kurrenten Terminologie: »Ärger über korrekt denkende Metallgewerkschaftler und unwissende, witzelose Feuilletonisten« (Poth 1995). Wieder der übliche Gegensatz: Korrektheit kontra Humor. Angesichts dieser Angelegenheit sahen wir schließlich eine noch weitergehende Gefahr, die uns in gewisser Hinsicht an die moraloide Trittbrettfahrerei eines Björn Engholm gemahnte: die Durchsetzung von ökonomischen Interessen und Personalpolitik im Zeichen der Korrektheit. Erst wesentlich später ging uns auf, daß es zwar, sofern die Geschichte stimmt, eine mit moralischer Heuchelei durchgeführte Entlassung eines unliebsam gewordenen Künstlers war, daß aber unbeschadet dessen das Wort »korrekt« erst nachträglich, an prominenter Stelle, appliziert worden war. Zunächst interpretierten wir daher kurzentschlossen und leichtsinnig die Neue Satirekritik aus den Achtziger und Neunziger Jahren quasi als einen der Prototypen oder eine spezifische Begleiterscheinung von deutscher Politischer Korrektheit, die für Zensur, Tabus und Heuchelei sorgte, wie man an solchen Fällen ja gesehen hatte und wie die eingangs beschriebenen Prozesse zu bestätigen schienen. Wie gesagt: Endlich hatte das, was da wirkte, einen Namen, eine Systematik, einen Steckbrief. Das Pseudowissen um die Parallelen in den USA und in Deutschland, das die öffentliche Meinung sich gemeinsam erarbeitete, fungierte also als permanentes Hintergrundrauschen auch bei der Deutung von Satiren, Satirikern, Satirekritikern. Die zahlreichen Anekdoten und Fallstudien und ihre Kopplung an die neue Terminologie stützten sich dabei gegenseitig. Die Satire nahm bei solchen Manövern, die es auch in anderen Bereichen der Kulturberichterstattung gab, durch ihre interdiskursive Schlüsselstellung und durch ihre ironische Ambivalenz eine Sonderstellung ein. Man kann unseren Zugang über die Satire der NFS zum Thema als idiosynkratisch kritisieren. Wir werden noch sehen, daß auch von Beginn an andere Bereiche verhandelt wurden. Doch war gerade die Satire im Stil der NFS durch ihre interdiskursive Schlüsselstellung, ihre konfliktorientierte Ästhetik und ihre thematische und konzeptionelle Bandbreite besonders anfällig für eine Kollision mit Positionen, die sehr rasch als »politisch korrekt« interpretiert wurden. Nicht zu vergessen, eine letzte Zuflucht gegen die Übermacht der Politisch Korrekten lag im Humor, den die Korrekten, wie man wußte oder schnell lernte – siehe Matussek –, nicht haben. Und so hieß es im vielleicht ersten weitverbreiteten, einschlägigen und umfassenden deutschen Artikel über diese neue Bedrohung aus Amerika:
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Freilich wäre dies nicht Amerika, wenn sich das Land nicht wieder von innen heraus gegen den totalitären Anspruch wehren würde. [...] auch die Studenten haben an ihren Universitäten Anti-PC-Clubs aufgemacht, die mit den Waffen des Wortes und des Sarkasmus streiten. John Leo, Kolumnist der U.S. News and World Report, nimmt sich immer wieder mit Witz und Schärfe der Orwellschen Sprach-Auswüchse an (Brinck, SZ. v. 02./03.11.1991).
Solche, hier wie so oft mit literarischen Allusionen angereicherte, Vorstellungen über das Spannungsverhältnis von Satire und ›Political Correctness‹ setzten sich durch und waren einfach zu kommunizieren. Einige Jahre später las man im Spiegel: Einwandfrei, das PC-Gespenst geht um in Deutschland; mit dem Stich-Wort [sic] »Dummdeutsch« markiert es der Autor Eckhard Henscheid schon seit einigen Jahren (Spiegel 28/1994: 160).
In der Presse, auch in den ersten ausführlichen wissenschaftlichen (Schenz 1994) sowie in journalismusähnlichen Arbeiten (unter anderem Röhl 1995, Behrens/von Rimscha 1995, Groth 1996) gab es unzählige solcher »einwandfreier« Informationen über ›Political Correctness‹ und Satire bzw. Humor, diskursive Arrangements, in denen diese Begriffe gegeneinander aufgebaut wurden. Ausgerechnet Röhl riet dann auch im Kampf gegen die Politische Korrektheit: »als Therapie: Erst mal ablachen« (Röhl 1995: 13). Doch nicht nur professionelle Medienleute wußten von diesem Antagonismus, sondern eine Weile später auch die Zeitungsleser. Mal ging es um den NFS-Eleven Wiglaf Droste, der den massiven Unmut von Frauengruppen auf sich gezogen hatte und wie folgt verteidigt wurde: Da haben wir es also mal wieder: Humor, Selbstironie und undogmatisches Denken sind bei denen, die meinen, einen wichtigen Beitrag zu einer linken, besseren Welt zu leisten, schon immer rare Güter gewesen. Das hehre Tun darf keinesfalls angezweifelt, in Frage gestellt oder gar verspottet werden. Es ist das Beharren, selbst in ihrer Scheiße noch ein gültiges Argument für den großen Zweck zu sehen, das diese Menschen so »anfällig« für Wiglaf Droste macht. Der hat wiederum sicher auch seinen Spaß daran, wie sich einige autonome Frauen- und Männergruppen an ihm und seinen Texten reiben und letztendlich genau die Reaktionen erbringen, die dem Zyniker Droste recht geben und aufzeigen, wie nötig Satire von der Art Drostes in einer Zeit ist, in der »political correctness« zur vorherrschenden Ideologie geworden ist (Martin Jaschke, Leserbrief in der Taz v. 26.05.1995, herv. v. MFE).
Mal ging es um eine satirische Anzeigenkampagne der Taz, die das Blatt bereits nach dem ersten Plakat, auf dem Rudolf Scharping verspottet wurde, einstellte, was zu folgender Interpretation Anlaß gab: Da denkt man nun, die Frage nach dem Wesen und vor allem nach den Grenzen der Satire hätte der olle Kurt Tucholsky längst und endgültig beantwortet. Aber die taz weiß es wohl besser: übersetzt aus dem tollen Verlautba-
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DIE GESCHICHTE EINES IRRTUMS rungsdeutsch Eurer taz-intern-Meldung (besonders schön: »die Serie wurde als der taz nicht adäquat angesehen« - der kleine Schritt von der Dialektik zur Dilettantik) ist Satire demnach nur das, was auch die letzte politicalcorrectness-infizierte Triefnase als solche erkennt und an-erkennt. [...] Besteht eigentlich die Gefahr, daß man sich mit political correctness durch Hautkontakt ansteckt? Bis zur Entwarnung Eurerseits jedenfalls werde ich die taz künftig nur noch mit Gummihandschuhen lesen (Helge R. May, TazLeserbriefseite 25.08.1994, herv. v. MFE).
Die implizite und explizite Botschaft war immer dieselbe: ›Political Correctness‹ und gelungene Satire (und richtige Kunst überhaupt!) sind unvereinbar – die Satirekritik aus tendenziell linken und progressiven Zusammenhängen hinwiederum beruht daher auf der in diesen Zusammenhängen virulenten ›Political Correctness‹! In einem Taz-Interview erzählte die Cartoonistin Diane Noomin über »Zensur, Frauencomics und die Hürden der Verfremdung« aus ihrer Vergangenheit und untermauerte damit diese Vorstellung: Als ich in den Siebzigern meine ersten Geschichten veröffentlicht habe, wurde ich sehr angegriffen. Meine Sachen waren nicht politically correct. Heute können die Frauen viel besser mit Satire und Ironie umgehen (Noomin 1992, herv. v. MFE).51
Auf einer Leserbriefseite der Taz – ein Ort, an dem solche Diskussionen oft mit beeindruckender Ausführlichkeit und Vehemenz vorangetrieben werden – hieß es 1993, als Stellungnahme zu einem Artikel mit dem Titel »Gegen die Gewalt sexistischer Propaganda«: [...] Wieder einmal fordert hier jemand das Recht auf Witzverschonung und Satirefreiheit ein, imaginiert unter dem Deckmäntelchen politischer Korrektheit verquere Kausalitätszusammenhänge herbei und wähnt die ahnungslosen Massen durch die »Autorität« (der) meinungsmachende(n) Medien« verführt und indoktriniert - das alte Spiel einer kleinbürgerlichen, kenntnisfreien und paranoiden RadikaLinken, die ihre Felle längst hat davonschwimmen sehen und sich nun auf Nebenschauplätzen tummelt, um ihre lächerliche Existenz zu entschuldigen. Wer heute noch - wie weiland die Vorsprecher des miefigen Sozialliberalismus der siebziger Jahre - die Off-Kinos (die, nebenbei gesagt, mittlerweile mehr oder weniger dieselben Mainstreamstreifen abnudeln wie die Filmpaläste am Ku’damm) »als Institution innerhalb eines gesellschaftskritischen Diskurses(?)« begreift, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Und zum »Schutz vor Demütigungen und Verletzungen« hat der große Billy Wilder eigentlich alles Notwendige gesagt: »Wenn ein Witz wirklich gut ist, dann ist es mir egal, wen ich damit beleidige« (Leserbrief Thomas Mohr in Taz v. 13.03.1993, herv. v. MFE).
51 Man beachte die Rückdatierung der PC in die Siebziger Jahre und besonders die implizite Feststellung, daß es »heute«, d.h. in den frühen Neunzigern ja viel besser sei.
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Auch dieser Brief enthält einige typische Motivkonstellationen, wie sie die Diskussionen um das Verhältnis von Kunst, Satire und ›Political Correctness‹ prägten. Man erkennt in der Argumentation, auch in der Berufung auf ein amerikanisches radikales Komik-Konzept,52 eine mögliche Prägung durch die NFS, deren Eleven (wie eben Droste) auch zuzeiten in der Taz arbeiten oder gearbeitet haben und deren Methodik und Satirekonzept in den schriftlichen Zeugnissen der Leserresonanz in Spurenelementen wiederzufinden ist. Man erkennt darüber hinaus ein weiteres Mal das sich früh abzeichnende Bedürfnis, deutsche Befindlichkeiten und nicht zuletzt gesellschaftliche Modernisierungsphantasien (contra »miefiger Sozialliberalismus der siebziger Jahre«) mit Hilfe der Legende von der Korrektheit zu verhandeln und einen spezifisch deutschen Themenpark zu konfigurieren, der nur gelegentlich noch in legitimatorischer Absicht an die USA zurückgebunden wird. In einem frühen deutschen Artikel über die Diskussionen um »Hate Speech« in den USA53 findet sich dieses geographische Wechselspiel, zu diesem frühen Zeitpunkt natürlich noch stärker von den amerikanischen Verhältnissen her argumentierend, vorgezeichnet: Einen Begriff wie »political correctness«, abgekürzt: »pc«, kann man wohl ohne weiteres als die auch hierzulande übliche »politische Korrektheit« verstehen, eine Haltung, die sich, Nan Levinson zufolge, in den USA durch besondere »Intoleranz, Humorlosigkeit, Selbstgerechtigkeit, schlagwortartiges Reden und Dogmatismus« auszeichnet. Die politische Korrektheit in diesen Breiten ist von dieser Definition vermutlich nicht weit entfernt (Ruge 1992, Taz v. 29.08.1992).
Wie mit einer Nähmaschine werden hier die beiden Länder verbunden, ihre Diskurse zusammengetackert. Die Phantomzeichnung des »PC«Gespenstes, wie sie sich aus diesen und zahlreichen anderen Fundstücken ergab, wies erstaunliche Ähnlichkeit mit dem auf, was Robert Gernhardt in seinen Arbeiten zwischen 1984 und 1990 als die »Neue Satirekritik« beschrieben hatte. Damit wäre ja eigentlich alles in Ordnung. Wo also liegt, jenseits aller Evidenz, der Haken bei der Angelegenheit?
52 Gernhardt bezog sich bereits früh affirmativ auf eine Stellungnahme von Mel Brooks: »Ich kann alles über jeden sagen. Ich kann jeden Schwarzen, jeden Juden, einfach jeden auslachen ... Ich bedrohe alle Dogmen [...] Geht es um Komik, kriegt jeder was ab« (zit. nach Gernhardt 1988 [1979/80]: 46ff ). Ein weiteres Mal benutzte Gernhardt dieses Zitat in der Titanic 5/87 in seinem Aufsatz Selbstanzeige (Nachdruck in 1988: 436446). 53 Vgl. dazu auch Butler 1998.
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Der Sinn der Übung Wir haben diese Irrtumsgeschichte keineswegs als autobiographischen Exorzismus geschrieben. Es dürfte klar geworden sein, wie sehr zahlreiche Motive der Diskussion um Satire im Stil der NFS und ihre Kritiker den Diskussionen um »Politische Korrektheit« und »Inkorrektheit« ähneln. Es wäre uns – methodisch wie mit Hilfe zahlreicher Zitate – ein Leichtes gewesen, die Geschichte der Neuen Satirekritik als eine Form spezifisch deutscher ›politischer Unkorrektheit‹ zu schreiben. Der gesellschaftliche Konsens, das plausible ›Wissen-um‹, die wissenschaftlich abgesegneten und einwandfrei zitierfähigen wissenschaftlichen Schriften und etablierten Publikationen, die Berufung auf seriöse Autorinnen und Autoren, die in dieses Lied mit einstimmen, all das wäre für eine solche Arbeit vorhanden, wie wir im nächsten Kapitel ausführlich belegen werden. Eine so konzipierte Arbeit hätte unleugbar einen gewissen Charme gehabt, eine Glätte der Argumentation und eine pointensichere Schlüssigkeit, die der vorliegenden Studie oft genug fehlen. Die interdiskursiven Beziehungen zwischen Satiren im Stil der NFS einerseits und der ›Rede von der Korrektheit‹ (d.h. immer auch von der Inkorrektheit!) andererseits sind vielfältig. Das liegt daran, daß sie vier entscheidende Komponenten in besonderem Maße teilen: eine insgesamt (mindestens) ambivalente Haltung zu ›1968‹ bzw. den Sechzigern und den tatsächlichen oder ausgebliebenen Folgen; ein geradezu libidinöses Verhältnis zur Sprache, das wir in Anlehnung an Gerhard Scheit ›Sprachidolatrie‹ nennen können;54 ein in Annahme und Ablehnung gleichermaßen obsessives Verhältnis zum Kulturbetrieb, seinen Akteuren und Artefakten, das man als ›Kulturfaszination‹55 bezeichnen kann; die diskurstaktische und -strategische Abhängigkeit sowohl von Regeln als auch von Modi des Regelbruchs. Der Einstieg über satirische Zusammenhänge scheint uns aus diesen Gründen nach wie vor geeignet. Wir werden im Verlauf der Studie einigen Texten und Akteuren, die wir hier vorgestellt haben, wiederbegegnen. Unsere Arbeit ist der Versuch, auch ein bißchen Ordnung zu schaffen. Das Textgerümpel der Verwendungsgeschichte hat in ganz unglaub-
54 Wörtlich »Idolatrie des Sprachlichen« (Scheit 1994). 55 Sandra Grether sprach in diesem Zusammenhang von »Kunstfaszination«. Den Hinweis auf diesen Begriff entnehmen wir einem Text von Diedrich Diederichsen: »Sandra Grether weist gegen den Vorwurf, PC sei immer so humorlos, kunstfeindlich undsoweiter, darauf hin, daß PC eine Kunstfaszination zugrundeliege« (1995: 54). Grether war zu dieser Zeit Mitarbeiterin der Spex.
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licher Weise überhand genommen, und die Produktion ist keineswegs beendet. Immer noch und immer wieder rekurriert man auf amerikanische Anekdoten, deren einzige Beweiskraft sich darin erschöpft, daß jeder schon mal von ihnen gehört hat. Immer wieder findet man angebliche Beispiele für ›Political Correctness‹, deren Ursprung niemand mehr nachvollziehen kann oder will und die dennoch ständig aufgeführt werden. Für all das gilt, was Dietmar Dath einst über eine sehr fragwürdige Zeitungsmeldung aus Australien schrieb: »immer gut, weit weg, prüft keiner« (1992: 27). Einer der wenigen mißtrauischen Artikel zu unserem Thema, der sich frühzeitig gegen solche (in diesem Fall Dieter E. Zimmers) Phantastereien und Halbwahrheiten stemmte, beschrieb es spottend in der Zeit so: Dieter E. Zimmer schlägt Alarm [...] und was er uns aus Amerika berichtet, wo ja seltsamerweise immer die seltsamsten Geschichten passieren, die Vermischten Seiten sind voll davon, das macht schon angst (Erenz 1993: 67).
Dieses gesunde Mißtrauen etablierte sich nicht, und in die deutsche PCBerichterstattung mischte sich alsbald ein, politisch meist unterschiedlich akzentuierter oder begründeter, antiamerikanischer Unterton. Ein großer Teil der deutschen Berichte über »PC« in den USA krankt an eben dieser Attitüde, einer Mischung aus Ressentiment und Halbwissen, und skurrilerweise sind die Berichte über deutsche Verhältnisse kaum besser. Weil Zeitungsmeldungen angeblich zwar gut recherchiert sind, aber keine Quellen ausweisen müssen, ist man auf sehr fragwürdiges Material angewiesen. Dementsprechend unzuverlässig sind die Berichte, die immer um die selben Motive kreisten, wobei sie aber auch sukzessive die Zahl und Art der Motive erweiterten: Kunst- und Kulturbetrieb, Universität und Schule, Sprachregelungen und andere Diskursverknappung, Zensur und Tabu, Heuchelei und mutiger Tabubruch, echte Opfer und vermeintliche Opfer, Gruppen von Diskriminierten und ihre Stellvertreter gegen Altlinke, müde Liberale und muntere Neurechte, Drittes Reich, Hauptwiderspruch contra Nebenwidersprüche, Verrat und Solidarität, die Angst vorm Beifall von der falschen Seite, tatsächlich der Beifall von der falschen Seite, die Erkenntnis, daß die falsche Seite womöglich doch die richtige ist, befreiendes Gelächter gegen grundstürzende Humorlosigkeit.56 Keine Studie wäre groß genug, all diese Funde und ihre Spielarten aufzunehmen. Und nicht allein, daß die ganz frühen Belege einer Klärung ihrer Funktionsweise harren – es werden wöchentlich mehr.
56 Hier ersparen wir uns einzelne Belege, da alle Motive bereits belegt sind oder im Lauf der Arbeit an geeigneter Stelle vorgestellt werden.
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Das allzu rasche weitverbreitete Verstehen dessen, was ›Political Correctness‹ angeblich ist und sein kann, die schlagartige Bereitschaft fast aller Autoren, sich selbst als inkorrekte Querdenker zu stilisieren (wiederum eine »Gemeinschaft der Unangepaßten«, wie Gernhardt es genannt hat), und die offenkundige Unwilligkeit, die Anekdoten und Legenden nachzuprüfen oder wenigstens kritisch zu betrachten, dies alles hätte einen eigentlich mißtrauisch machen müssen. Das Gros der deutschsprachigen journalistischen bzw. wissenschaftlichen Arbeiten und Lexikonbeiträge zu diesem Thema ist in einem Maße unzuverlässig, das in anderen wissenschaftlichen Gebieten kaum möglich wäre, und das so offensichtlich, daß einem die Augen tränen. Bisweilen dient der Bezug auf ›PC‹ ohnehin nur zur Illustration einer Argumentation, als eine Art modisches Accessoire, mit der ein Wissenschaftler oder Journalist seinem Publikum signalisiert, kritisch und auf der Höhe seiner Zeit zu sein.57 Diese Sachlage scheint uns, neben der unleugbaren Komplexität des Themas und seiner Quellen, zum einen einer oft unklaren Interessenlage der Autorinnen und Autoren geschuldet, zum anderen dem Umstand, daß es bisher noch nicht einmal einen auch nur halbwegs funktionstüchtigen Beschreibungsapparat gibt, mit dem das ›Gespenst‹ in seinen diskursiven Erscheinungsformen und Funktionen erfaßt werden kann. Die wenigen vielversprechenden Ansätze sind folgenlos versandet. Karsta Frank, die vor einigen Jahren »PC« in Deutschland als »Stigmawort« im Sinne von Fritz Hermanns beschrieben hat (Frank 1996a), kam zumindest für Teile des Diskurses der Sache noch recht nahe. Allerdings greift ihr Ansatz u. E. zu kurz. Charme, Polyfunktionalität und Plausibilität der Redeweise lassen sich damit alleine nicht erklären, und die Möglichkeiten, die die Rede von der Korrektheit dem Verwender bietet, seine Position zu legitimieren, sind damit nur unzureichend angedeutet. Auch die wenigen Versuche, »Political Correctness« positiv zu sehen und zu konnotieren
57 Das gilt beispielsweise für Zöllners Dissertation über Euphemismen (Zöllner 1997), Grübels Handbuchartikel über Zensur (1996), Gabels Dissertation über »Über- und Unterrepräsentation im Lernerenglisch« (2000: 223), Wendes Artikel über Zensur (2000); als kleines Beispiel dafür, wie so etwas aussieht, sei aus Metzlers Lexikon Kultur der Gegenwart zitiert, und zwar aus dem Artikel »Multikulturalität«: »Wenn aus Gründen der Æpolitical correctness darauf verzichtet wird, Kulturen kritisch zu prüfen und zu bewerten, gerät man rasch in die Falle des Kulturrelativismus« (Schweppenhäuser 2000: 359). Der in dieser erbärmlichen Wasserstandsmeldung enthaltene Verweis auf den Lexikonbeitrag Political Correctness im selben Band von Oliver Tolmein (2000) entlastet den Autor nur scheinbar, weil beide Artikel nicht so einfach zusammenpassen, wie das Layout es unterstellt. Tolmein ist gegenüber der Rede von der Korrektheit deutlich mißtrauischer.
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(z. B. Diederichsen 1992, 1995), und die kaum häufigeren Versuche, sich wenigstens gegen die Anti-PC-Kampagnen zur Wehr zu setzen bzw. sie angemessen kritisch zu untersuchen, tappen immer wieder in die Akzeptanzfalle: die Existenz einer ausreichend homogenen »Political Correctness« wird vorausgesetzt, und das, obwohl die Beteiligten doch jahrzehntelang beim Miteinanderhadern ohne sie auskamen. Sie wird scheinbar bewiesen mit Hilfe von zahllosen, oft fragwürdigen, Anekdoten, die aber zunächst mal der »Political Correctness« zugerechnet werden müssen. Das führt bei manchen Autoren zu einem gewissen Unbehagen an diesem Begriff sowie alsbald zum Einsetzen eines begriffsgeschichtlichen Verdrängungsprozesses. Bisweilen nimmt das komische Züge an: die Studie Sprachkritik und Political Correctness in der Bundesrepublik von Jens Kapitzky (2000), hat im Vorwort von den Herausgebern Achim Eschbach und H. Walter Schmitz eine unvergeßliche Köstlichkeit mit auf den Weg bekommen: Wesentlich für die Gesamtargumentation wie ihren Aufbau ist dabei, daß der Autor sich [...] klug einer Definition von »Political Correctness« enthält (Eschbach/Schmitz in Kapitzky 2000: 7).
Dem ist allerdings kaum zu widersprechen. Aber weder auf den Titel noch auf den Sprachgebrauch in der Arbeit hatte die hier gelobte Umsicht einen erkennbaren Einfluß. Kapitzky weiß um die widersprüchliche Literaturlage zum Thema, auch in den USA (Kapitzky 2000: 25). Dennoch verwendet er die Varianten des Begriffs auf eine Weise, die die grundsätzliche Existenz einer »Political Correctness« als etwas bereits konzeptualisiertes und ihren Ursprung im »Vokabular orthodoxer linker Gruppen« (ebd. 26) voraussetzt. Damit wiederum zertifiziert er, wenn auch angemessen einzelfallkritisch, sämtliche Vorurteile, die den Import prägten. In diesem Einleitungskapitel sowie zum Teil noch im nächsten Kapitel haben wir uns (trotz der vielen Anführungszeichen) dieser kommunikativen Bequemlichkeit ebenfalls hingegeben, um eine Einführung ins Thema überhaupt noch kommunizieren zu können. Es kommt aber im Lauf der Studie auch darauf an, diesen Sprachgebrauch schrittweise in Frage zu stellen, um die Konzeptualisierung und Plausibilisierung der Legende von der »Politischen Korrektheit« in Deutschland nachzeichnen zu können. Natürlich werden wir es nicht schaffen, das Gespenst wieder in die Flasche zu stopfen. Aber versprochen: wer sich auf diese Arbeit einläßt, dem wird der Gebrauch nicht mehr selbstverständlich sein. Und das ist immerhin was.
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Wer spricht? Was objektiv die Wahrheit sei, bleibt schwer genug auszumachen, aber im Umgang mit Menschen soll man davon nicht sich terrorisieren lassen. Es gibt da Kriterien, die fürs erste ausreichen. Eines der zuverlässigsten ist, daß einem entgegengehalten wird, eine Aussage sei »zu subjektiv«. Wird das geltend gemacht und gar mit jener Indignation, in der die wütende Harmonie aller vernünftigen Leute mitklingt, so hat man Grund, ein paar Sekunden mit sich zufrieden zu sein.58 Theodor W. Adorno
Wir haben eingangs festgestellt, daß es vielleicht notwendig sein würde, ab und an das einladende ›Wir‹ zurücktreten zu lassen und das ›Ich‹ dieser Studie klarzustellen, und das in einem kurzen Abschnitt bereits praktiziert. Die in einer wissenschaftlichen Studie dafür vorgesehenen rituellen Orte sind normalerweise Vorwort, Nachwort, Danksagung und versteckte Fußnoten. Es ist jedoch angesichts der Thematik vielleicht nicht verkehrt, einige persönliche und persönlich gemeinte Anmerkungen zwischenzuschalten, bevor wir fortfahren. Die Vielschichtigkeit der Legende, und damit die Reichweite der Rede von der Korrektheit bringt es mit sich, daß die mit ihr verhandelten, oft disparaten Themen, in meinem Alltag und wohl auch dem der Leser eine große Rolle spielen. Race/class/sex/gender/ethnicity, Minderheiten und schweigende Mehrheit, Leitkultur, Popkultur und Multikulti, Kanon und Zensur, Drittes Reich und deutsche Nation, Kommunismus und Emanzipation, das Verhältnis von Kranken zu Gesunden, schließlich Humor und wo der Spaß aufhört – zu diesen Themen dürfte wohl jeder nicht nur mehr oder weniger ausgefeilte und ausdrückliche Meinungen und Vorurteile haben, sondern auch Bestandteil solcher Meinungen und Vorurteile sein. Die lebensweltliche Einbindung der jeweiligen Diskursteilnehmer und -teilnehmerinnen in die meisten der hier aufgeführten Themen steht außer Frage. Bei den journalistischen und wissenschaftlichen Arbeiten
58 Adorno (1997 [1951]: 84).
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distanziert man sich oft ebenso explizit wie fadenscheinig von dieser Einbindung, oder aber man läßt sie unter den Tisch fallen, es sei denn, man positioniert sich gerade als Opfer von Zensur oder der Emanzipation anderer. Daraus ergibt sich dann eine Gemengelage, die in sprachliche und außersprachliche, oft willkürliche Praxen mündet, die in ihrer intraindividuellen Widersprüchlichkeit schon mal peinlich wirken. Robert Gernhardt hat 1984 in seinem Schwanengesang die vergleichbare ungemütliche Lage des Satirikers geschildert, dessen habituelle Meta-Position keine reale Grundlage hat. Es ist dieser beklagenswerte Umstand ein Leitthema seiner theoretischen Auseinandersetzungen mit seinem satirischen Schaffen gewesen, dessen Abschluß mit einigen wenigen Ausnahmen eben zu diesem Zeitpunkt zu verorten ist. Gernhardt streicht heraus, wie sehr auch der Satiriker in den Widersprüchen des Alltags gefangen und eben deshalb als Vertreter eines oft von der Leserschaft eingeklagten Glaubensbekenntnisses denkbar schlecht geeignet ist: Die Widersprüche, in welchen die anderen leben, sind auch die seinen. Die Strategien, mit denen sie versuchen, diese Widersprüche zu verschleiern, zu verdrängen oder — selten genug — zu lösen: Er hat sie alle ebenfalls ausprobiert. Er fordert wie alle die Reinerhaltung der Luft und fährt wie alle Auto. Er beklagt wie alle die Zerstörung der Städte und trägt wie alle sein Geld zu jenen Banken, die die Mittel zur Stadtzerstörung bereitstellen. Er ist wie alle für das Gute und gegen das Böse und hat wie fast alle ein tiefes Mißtrauen gegenüber allen, die vorgeben, den Weg zum Heil zu kennen ... (Gernhardt 1989 [1984]: 218).
Mutatis mutandis gilt diese Beschreibung auch für die deutschen Journalisten und Wissenschaftler, die sich am Diskurs über die Political Correctness beteiligten. Von einer Selbstreflexion wie bei Gernhardt und einer eigenen Positionsbestimmung im Diskurs findet sich bei ihnen zumeist keine Spur.59 Dieser blinde Fleck in bezug auf das eigene Eingebundensein hat sich auf die Qualität der Beschreibungen und Analysen bislang mehr als störend ausgewirkt. Nicht zuletzt deshalb, weil der Diskurs um die politische Korrektheit, im Amerikanischen stärker noch als im Deutschen, seine ursprüngliche akademische Herkunft, oder etwas vorsichtiger, seine(n) oft akademischen Schwerpunkt(e), kaum verleugnen kann, findet sich diese Verwicklung in dreifacher Weise bei Wissenschaftlern: in ihrem nichtprofessionellen Alltag, in der themengebundenen Forschung und schließlich im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb. Kaum bewirbt man sich um einen Platz in einem Graduiertenprogramm oder um eine Stelle als wissen-
59 Eine erwähnenswerte Ausnahme ist Karsta Frank (1996a und b). Dazu später mehr.
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schaftlicher Mitarbeiter, schon bekommt die leiseste Erwähnung der Frauenbeauftragten einen je nach individueller Situation bedrohlichen oder hoffnungsfrohen Klang. Und man erfährt durchaus nicht immer Erfreuliches über die Alltagstauglichkeit und Krisenfestigkeit der eigenen moralischen, politischen und wissenschaftlichen Auffassungen bezüglich der Gleichberechtigung durch Frauenquoten oder anderer affirmative action, wenn daran die individuelle Zukunft geknüpft ist. Aber nicht nur auf individuelle ›realpolitische‹ Erwägungen erstreckt sich die Verstricktheit: noch die trivialste Diskussion unter Freunden und Kollegen um das Wohl und Wehe populärer Musik oder das Herbstprogramm der Verlage ist ein Beitrag zu einer Kanondebatte, in der zwischen ›Anything goes‹, ›muß man gelesen haben‹ und ›Meisterwerk‹ einerseits, ›müßte verboten werden‹ und ›totaler Mumpitz‹ andererseits auch potentielle zukünftige Kanons (im weitesten Sinne) und gegebenenfalls Forschungsgebiete verhandelt werden – vom spielerischen, oft pfauenhaften Prunken damit, was man so alles weiß und kennt und sich in den Kopf getan hat, ganz zu schweigen. Daß man sowohl zur Kanonfrage als auch zu expliziten wie impliziten Sprachregelungen (begründet in Höflichkeit, Taktgefühl oder Zensur) gerade in der Wissenschaft geteilter Meinung sein dürfte und ein prekäres Verhältnis dazu pflegt, ist furchtbar trivial und wird oft deshalb nicht thematisiert. Die Wahl der gegenseitigen Beleidigungen oder der Formulierungweisen höflicher, kollegialer Kritik (oft in ihrer kommunikativen Funktion nur schwer unterscheidbar) bedarf sorgfältiger Vorentscheidungen, was man sagt und was besser nicht, und natürlich wie man es ausdrückt. Je nach Anlaß, Temperament und Tagesform kann man diese Modi der Diskursverknappung als Zensur oder aber auch als zivilisatorischen Fortschritt begreifen. Wie auch immer, eine Chancen-RisikoAbwägung ist stets vonnöten. Ebenso trivial ist leider auch, daß man einerseits durch die Auswahl der Forschungsthemen und den alltäglichen Hochschulbetrieb oder andererseits durch öffentliche Debatten um Bildungsfragen, Wehrmachtsausstellung, Martin Walsers Paulskirchenrede, den Historikerstreit, die Terroranschläge des 11. September 2001 und den Militäreinsatz in Afghanistan und Irak immer wieder auf die Fragen von Tabu, Zensur und Kanon zurückgeworfen wird. Auch »nach dem 11. September 2001«, wie eine gängige Floskel lautet, die einen vermeintlichen Wechsel indizieren soll, ist das meiste noch genauso, wie man es schon vorher gekannt hat. Mal geht alles seinen gewohnten Gang, dann aber geht es anlaß- und personengebunden wieder einmal rund, und schon ist man als Wissenschaftler wie als Privatperson plötzlich wieder mittendrin. Und in diesem Zusammenhang begegnet man ein ums andere Mal wieder der Legende, um die es hier geht, und den Diskursen, aus de-
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nen heraus das Deutungsmuster ›Korrektheit‹ sich entwickelt hat und in die es implementiert worden ist. Ein Beispiel: Im November 2001 veröffentlichte das konservative American Council of Trustees and Alumni (ACTA)60 eine Schrift unter dem Titel Defending Civilisation: How American Universities Are Failing America and what can be done about it im Internet.61 Die Zielrichtung dieser finanziell schlagkräftigen Organisation liest sich wie folgt: At this critical time in our history, ACTA has launched the Defense of Civilization Fund. The Fund will be used to support and defend the study of American history and civics and of Western civilization. The Fund’s first project is this report. In the wake of the September 11 terrorist attacks, Americans across the country responded with anger, patriotism, and support of military intervention. The polls have been nearly unanimous — 92% in favor of military force even if casualties occur — and citizens have rallied behind the President wholeheartedly. Not so in academe. Even as many institutions enhanced security and many students exhibited American flags, professors across the country sponsored teach-ins that typically ranged from moral equivocation to explicit condemnations of America. While America’s elected officials from both parties and mediacommentators from across the spectrum condemned the attacks and followed the President in calling evil by its rightful name, many faculty demurred. Some refused to make judgments. Many invoked tolerance and diversity as antidotes to evil. Some even pointed accusatory fingers, not at the terrorists, but at America itself (ACTA 2001: 1). [...] Until the 1960s, colleges typically required students to take surveys of Western civilization. Since then, those surveys have been supplanted by a smorgasbord of often narrow and trendy classes and incoherent requirements that do not convey the great heritage of human civilization. Accompanying this basic failure is an atmosphere increasingly unfriendly to the free exchange of ideas. Students have reported more and more that they are intimidated by professors and fellow students if they question »politically cor-
60 Ursprünglich gegründet unter dem Namen National Alumni Forum. Unter diesem Namen als antifeministisch und antimultikulturalistsch porträtiert in Hardisty (1999: 88). Sie sind nach eigenen Angaben vertreten an mehr als 400 Colleges und Universitäten und betreiben dort Elitenförderung und den Umbau von Curricula durch großzügige Spenden. 61 Heruntergeladen im Dezember 2001 von www.goacta.org. Die Schrift kann mit dem »Acrobat Reader« gelesen werden und ist wie ein Buch gesetzt. Die Seitenangaben richten sich danach. Die Broschüre ziert ein kämpferisches Motto von Lynne V. Cheney vom 05.10.2001: »[...] We need to know, in a war, exactly what is at stake.« Die Frau des jetzigen Vize-Präsidenten der USA war zur Zeit des Beginns der PC-Querelen Vorsitzende des »National Endowment for the Humanities« und eine der ersten, die in der Causa Thernstrom Partei gegen die vermeintlich politisch Korrekten an den Universitäten ergriff (Vergl. Wilson 1995: 19; Scatamburlo 1998: 24). Cheney war ebenso eine der ersten, die mit Bezug auf PC den Vorwurf des »linken McCarthyismus« aufbrachte (vgl. Schenz 1994: 56). Angesichts ausgerechnet des ACTA-Papiers eine zauberhafte List des Weltgeists.
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Es folgen nach diesem Einleitungsaufsatz, der Krieg und westliche Kultur (Civilisation) auf das trefflichste zu versöhnen weiß und an die Reden deutscher Wissenschaftler während des Ersten Weltkriegs erinnert,62 mehr als einhundert Belege für kriegskritische Äußerungen von Studenten und Gelehrten (sog. »campus response«), die sich gegen den Krieg in Afghanistan oder Krieg allgemein und damit gegen die westliche Zivilisation gestellt haben, so die Lesart von ACTA. Diese werden einer hier konfigurierten öffentlichen Meinung (sog. »public response«) gegenübergestellt, einer Auswahl bellizistischer Standpunkte. Der historische Bezugsrahmen, an den man sich in diesem Zusammenhang wohl gewöhnen muß, darf ebenfalls nicht fehlen: We learn from history what happens when a nation’s intellectuals are unwilling to sustain its civilization. In 1933, the Oxford Student Union held a famous debate over whether it was moral for Britons to fight for king and country. After a wideranging discussion in which the leading intellectuals could find no distinction between British colonialism and world fascism, the Union resolved that England would »in no circumstances fight for king and country.« As the Wall Street Journal reported: »Von Ribbentrop sent back the good news to Germany’s new chancellor, Hitler: The West will not fight for its own survival« (ebd. 7).
Nach dieser gefälligen Evokation des Dritten Reichs wird unverblümt zur glatten Erpressung aufgerufen, ein Vorgang, der das hierzulande neuerdings hochgelobte und beneidete Alumni- und Sponsorwesen in den USA in einem ganz neuen Licht zeigt. We believe that the West will fight for its own survival. But only if we know what we are fighting for. It has never been more urgent for education at all levels to pass on to the next generation the legacy of freedom and democracy. We call upon all colleges and universities to adopt strong core curricula that include rigorous, broad-based courses on the great works of Western civilization as well as courses on American history, America’s Founding documents, and America’s continuing struggle to extend and defend the principles on which it was founded. If institutions fail to do so, alumni should protest, donors should fund new programs, and trustees should demand action (ebd.).
Die Parallele zu den Brandreden deutscher Geisteswissenschaftler zu Beginn des ersten Weltkriegs liegt auf der Hand. Und interessant ist hier, daß solche Brandreden vom ACTA wie in einem Schneeballsystem wie-
62 Siehe dazu die Studie von Kurt Flasch (2000) zur »geistigen Mobilmachung« der deutschen Intellektuellen im ersten Weltkrieg.
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derum eingefordert werden. Daß der »Geist von 1914« auch in Deutschland keineswegs völlig in den Asservatenkammern der Geschichte verschwunden ist, konnte man unter anderem am 25.06.2002 aus der Süddeutschen Zeitung erfahren. In Regensburg fand im Frühjahr des Jahres auf Einladung des Literaturwissenschaftlers Hans Joachim Kreutzer eine Tagung statt, die sich mit der Berufsperspektive von Germanisten, wohl vor allem von Literaturwissenschaftlern, außerhalb der klassischen Berufsfelder befaßte. Wir zitieren aus einem Artikel von Michael Kohlhäufl auf der Hochschulseite der SZ: Literarische »Herzensbildung« muss kein Anachronismus sein. Sie kann zum Ernstfall werden. Daran erinnerte der Koblenzer Oberstleutnant: Reinhold Janke wollte sich erst nach einem Germanistik-Studium ganz der Truppe verschreiben. Wer bei internationalen Kriseneinsätzen unter humanitären Vorzeichen Tapferkeit zu üben gezwungen sei, müsse in der »abendländischen Werteordnung« verwurzelt sein, sagte Janke. Ein historisch gebildeter Staatsbürger in Uniform könne nicht mehr zur Maschine degradiert werden (SZ v. 25.06.2002, herv. v. MFE).
Edle Einfalt, stille Größe, und den Faust im Marschgepäck. Kurz gesagt: auch wenn Wissenschaftler gelegentlich den Eindruck machen – aus dieser Welt gefallen sind sie nicht, nicht in ihrer Individualität und ihrer politischen Existenz, aber auch nicht in ihrer Rolle als Mitglieder des Wissenschaftsbetriebs. Und wenn man nun aus dieser prekären Position einer mehrfachen Verstricktheit in sowohl höchstpersönlicher als auch professioneller Hinsicht sich noch ausgerechnet zu eben der Legende äußern möchte, die in ihrer immensen und anschlußfähigen Reichweite diese Verstricktheit als Hintergrund hat, wird man in der Pose des unbeteiligten, sine ira et studio vorsichhinforschenden Wissenschaftlers, rasch unglaubwürdig. Die Legende von der Politischen Korrektheit wird daher nicht von außen beschrieben, sondern von innen mitgeschrieben – und zwar unabhängig davon, ob man im Einzelfall eher zu solchen Positionen tendiert, denen das zweifelhafte Attribut ›PC‹ zugeschlagen wird oder zu solchen, die sich im Glanz einer vermeintlich tabubrecherischen Unkorrektheit sonnen. Die dem standesüblichen Habitus und den etablierten Verfahrensweisen geschuldete objektive Attitüde, die sich wie ein roter Faden oft auch durch das deutsche Feuilleton und vor allem durch weite Teile der deutschen Wissenschaft zieht, ist von bemerkenswerter Zählebigkeit. Sie schlägt sich oftmals nieder in einer Kritik an ›Franzosentheorien‹ und wird damit zu einer sachlich durch nichts gedeckten und meist völlig haltlosen Beschwörung streng wissenschaftlicher und positivistischer Denkweisen, einer Beschwörung mithin, die ihren wissenschaftshistorischen Ursprung nicht einmal in Spurenelementen mehr erkennen läßt und
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sich daher in ihrer Selbstzufriedenheit in dieser wohlfeilen Beschwörung eben rasch erschöpft. Die somit mal mehr, mal weniger elaboriert vorgetragenen Versprechen, zu sagen wie es ›wirklich‹ ist und endlich einmal ›mutig Klartext‹ zu reden, kurzum, all diese ganzen Posen und Rollen entpuppen sich bei näher Betrachtung als arg dünner Firnis, der allenthalben abblättert.63 Was mit großspuriger Geste als angebliche ›Politisierung‹ vom Balkon geworfen wird – zur Straße hin, damit es auch ja jeder sieht – kommt durch den Dienstboteneingang als implizite Voraussetzung oder kühne Realitätsfestschreibung wieder zurück. Heißt das umgekehrt, daß man sich wissenschaftlich gar nicht mit diesem Problem auseinandersetzen kann? Oder daß man abwarten muß, bis das Thema soweit ›abgehangen‹ ist, daß die Auseinandersetzung gänzlich historisch ist? Die in diesen Fragen kondensierte Unsicherheit bleibt, und auch der nachhaltige Eindruck, daß Arbeiten zur politischen Semantik, noch dazu zu einer aktuell gebräuchlichen, sich in einer Grauzone bewegen. Als ›teilnehmender Beobachter‹ stellt sich daher die Frage, auch in bezug auf die eigene Position: wer spricht? Meine eingeschränkte Solidarität und meine beinahe uneingeschränkten Sympathien gehören in dieser Angelegenheit, soweit es sie betrifft, den Satirikern der NFS, und zwar unabhängig davon, ob sie sich an den klassischen Zielen vergreifen oder
63 So muß man dann ausgerechnet bei Dieter E. Zimmer, dessen Unseriosität Frank 1996 ausführlich nachgewiesen hat, weil er nicht mal auf journalistischem Niveau im Stande ist, mit seinen Belegen ordnungsgemäß umzugehen, und der noch jedes Gerücht über PC unverdrossen nacherzählt, nachlesen: »In den »harten«, den Naturwissenschaften kann die Täuschung keinen Augenblick lang bestehen. [...] So erbarmungslos geht es in der Wissenschaft zu, und nur so lange es so erbarmungslos darin zugeht, bleibt sie Wissenschaft« (Zimmer 1997: 126, herv. v. MFE). In diesem Zusammenhang führt er aus: »Gibt es einen Lackmustest für Politische Korrektheit? [...] Vielleicht ist es dieser? Man zeige der Probandin oder dem Probanden ein wissenschaftliches Ergebnis, das möglicherweise irgendeiner anerkannten Opfergruppe nicht gefällt. Zum Beispiel: daß mathematische Hochbegabung bei Männern häufiger ist als bei Frauen, während der Begabungsschwerpunkt des weiblichen Geschlechts im sprachlichen Bereich liegt [...] nachgerade eine wissenschaftliche Binsenweisheit. Und dann beobachte man die Reaktion: Tritt ein Blick des Entsetzens in die Augen? Wenn dann noch der Kommentar kommt: Das sei wieder einmal typisch männliche Pseudowissenschaft, Frauen hätten so etwas nie und nimmer herausgefunden – dann darf man wohl die sichere Diagnose stellen: pc« (ebd. 127). Bis ins Detail ein naturwissenschaftlicher Ansatz zur eindeutigen PC-Identifizierung, da kann man nur den Hut ziehen. Wie Jürgen Link bereits 1986 feststellte: »er [Zimmer, MFE] ist wissenschaftsjournalist und popularisiert bestimmte resultate von spezialdiskursen. [...] die gesellschaft braucht dringend auch ihre dieter e. zimmers (ein jammer, daß sie keine besseren hat)« (Link 1986: 5). Allerdings.
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aber an den von mir vorgestellten erweiterten Themengebieten. Auch ziehe ich es vor, daß die Titanic mich gelegentlich noch mal verärgert, entsetzt oder mir den Atem verschlägt, denn wenn sie in einem Maße berechenbar wäre wie zum Beispiel ein Dieter Hildebrandt, brauchte ich sie nicht mehr. Ansonsten neige ich zu meiner eigenen Überraschung oft genug – und nach dem Quellenstudium, das diese Arbeit mit sich gebracht hat, zunehmend – zu einigen (im Grunde sehr unterschiedlichen) Positionen, die man in Deutschland unterschiedslos als ›politisch korrekt‹ zu diffamieren gelernt hat, insbesondere in Fragen zum Nationalsozialismus und zur Judenvernichtung, bei Kultur- und Kanonfragen und – es ist zugegebenermaßen etwas peinlich – in Fragen der affirmative action. Sollte beispielsweise die Prognose der Vereinten Nationen, daß die Gleichstellung von Männern und Frauen im Jahr 2490 zu erwarten ist, sofern das derzeitige Tempo der Angleichung der Verhältnisse bei Rechten und Möglichkeiten beibehalten wird, auch nur halbwegs richtig sein, sind womöglich doch noch einige Anstrengungen vonnöten.64 Auch finde ich bei aller Irritation und oft notwendiger methodischer, inhaltlicher und politischer Kritik manche Überlegungen zu z. B. Matriarchat, Gay & Lesbian Studies, Afroamerican Studies und sogar Afrocentricity reizvoll genug, um mich mit ihnen bei Bedarf ernsthaft auseinanderzusetzen und sie forschungshalber gegebenenfalls gegen etabliertere Vorstellungen auszutesten. Daß es in und zwischen den betreffenden Gruppen und Wissenschaftsauffassungen im weitesten Sinne politische Widersprüche und Spannungen gibt, sollte niemanden überraschen und wird doch immer wieder im Namen einer grundsätzlichen PCGegnerschaft gegen sie verwendet. Oft geht damit die wie üblich unbewiesene Unterstellung einher, bei den »Politisch Korrekten« würden diese Brüche nicht diskutiert, sondern heuchlerisch verschwiegen.65
64 Vgl. dazu den Artikel von Corinna Klünsch: Intuitiv und liebenwürdig, SZ v. 10./11.08.2002. 65 Ein sehr typisches Beispiel für diese armselige Diskurstaktik findet sich bei Dieter E. Zimmer, der zunächst völlig zu recht auf den notorischen Antisemitismus der von Louis Farrakhan angeführten »Nation of Islam« hinweist und dann fortfährt: »Wenn ihre Agitatoren [d.i. die der NOI; MFE] Stimmung gegen die Jewniversities oder Jew York machen – ist auch das noch politisch korrekt, da es ja irgendwie im Rahmen der Emanzipationskämpfe der Schwarzen geschieht? Als Farrakhan im Oktober 1995 zum ›Million Men March‹ nach Washington aufrief (etwa eine halbe Million kam), waren von der Kundgebung Frauen ausgeschlossen. Hätte eine weiße Organisation dergleichen getan, hätte sie sofort die gesamte Political Correctness auf dem Hals gehabt – wahrscheinlich hätte sie den Sturm nicht überlebt. Dürfen also die einstigen Opfer von weißem Rassismus heute selber Rassisten sein? Ja, genau das dürfen sie, das sollen sie sogar, ist dann oft die Antwort [...]« (Zimmer 1997: 121f). Es ist er-
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Aber ganz abgesehen davon finden noch die ›abgefahrensten‹ Ideen ihren Niederschlag in hochgradig populären Zusammenhängen und Artefakten (Film, Musik, Literatur), so daß profunde Kenntnisse über ihre Ideengeschichte nicht schaden können.66 Natürlich gerät man in diesen
müdend, die ganzen Lügen und Ungereimtheiten, die sich allein in dieser kurzen Passage verstecken, zu widerlegen: es gibt keine »gesamte Political Correctness«, die man am Hals haben könnte, womit sich Zimmers rhetorische Fragestellung im Grunde erledigt hat; der ›Million Men March‹ ist, wie zahlreiche andere solcher »Widersprüche«, innerhalb der Black Community ausgiebig und kontrovers unter den Aspekten Rassismus und Geschlechterdifferenz diskutiert worden (vgl. den Sammelband von Carbado 1999: 19-115; darin zahlreiche Artikel von u.a. Henry Louis Gates, Jr, Cornel West, Ishmael Reed etc.); es gibt sehr wohl weiße Organisationen, die Frauen regelmäßig ausschließen oder marginalisieren und die sich vor keinem »Sturm« fürchten müssen, selbst wenn sie ebenfalls eine Art ›Million Men March‹ organisieren, wie 1997 die evangelikalen ›Promise Keepers‹ mit der Veranstaltung »Stand in the Gap« (vgl. Hardisty 1999: 94). Daß Zimmer die antijüdischen und frauenfeindlichen Ressentiments der NOI für Rassismus hält, weist überdies auf ein weiteres analytisches Problem hin, mit dem er nicht fertig zu werden scheint. Zu den Problemen farbiger Homosexueller und den Kämpfen und Spannungen zwischen diesen beiden Minderheitengruppen in den USA vgl. Boykin 1998. 66 Ein kurzes Beispiel zur Illustration dieser Auffassung. Der Familienfilm »Muppets from Space« (Jim Henson Pictures 1999) ist ein Bündel zahlreicher cineastischer Topoi (Gefängnisfilm, Musikfilm etc.). Darüber hinaus ist er aber auch eine in einen Film für die ganze Familie umgewandelte philosophische Erzählung, die zahlreiche Stränge afroamerikanischer Popund Geschichtsmythen sowie Science-Fiction-Mythen zusammenfügt. In der Rolle des seiner Identität entfremdeten Gonzo, der, von Beginn der Fernsehshow an eine solitäre Minstrelfigur der Muppets, sich nun zu seiner eigenen Überraschung als ein auf der Erde gestrandeter Alien entpuppt, der von seinen Leuten – kosmische reisende Entertainer – gesucht wird, kristallisieren sich die Afro-Space-Mythen eines Sun Ra oder George Clinton, die wiederum auf Afrocentricity-Mythen aufbauen. Das geht bis zur Kostümierung und Ausstattung des Films: Das Raumschiff der AlienGonzos erinnert an George Clintons Mothership, das bei Bühnenshows des Funk-Musikers verwendet wurde und das ikonographisch an Sun RaInszenierungen und alte SF-Filme erinnerte. Die Musikauswahl des Filmes (Parliament, Earth, Wind & Fire etc.) unterstreicht dieses Motiv. Das Verblüffende ist u. E. die Tatsache, daß diese oft als abwegig diskriminierten Mythen offenbar so weit verbreitet sind, daß sie massenkompatibel geworden sind. Die Aussöhnung Gonzos mit seinem Schicksal – erwartbar bleibt er auf der Erde bei den Muppets – repräsentiert das Versprechen einer möglichen Assimilation des Fremden nach der Entdeckung seiner eigenen Identität und ist insofern ein hochpolitisches Statement für ein Einwanderungsland und einen ehemaligen Sklavenhalterstaat. Der Film wäre mal eine eigene Studie wert. Weiterführende Literatur zu den afroamerikanischen Mythen, SF, Schwarzer Musik und Popkultur: Diederichsen 1998a (Sammelband), darin v. a. Diederichsen 1998b, Szwed 1998, außerdem Vincent 1995, Lock 1999).
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Forschungszweigen und Wissenschaftszirkeln auch an Rassisten, Antisemiten und Wirrköpfe. Ein auch in Deutschland gelegentlich als Kronzeuge aufgerufener ›Gewährsmann‹ dafür ist Leonard Jeffries, der die Unterscheidung in Sun-People (Schwarze) und Ice-People (Weiße) geprägt hat und sehr eigenwillige, moraloide und rassistische Schlüsse daraus zu ziehen weiß.67 Immerhin lehrte er am New Yorker City College und war dort Leiter des Fachbereichs »Black Studies«, bis man ihn dann doch aus seiner Verantwortung entließ. Jeffries absurdes Gebaren gilt in der Diskussion (bei D’Souza 1996: 413ff und öfter; Kapitzky 2000: 31) als Beweis für die Gefährlichkeit solcher segregationistischer Studiengänge und die mangelnde Seriosität der »Afrocentricity« und »Black Studies«.68 Derartige Kritik ist im Einzelfall berechtigt und notwendig. Daraus abgeleitet die gesamten Ideen und Fragestellungen der Afrocentricity unreflektiert zu verwerfen, geht jedoch zu weit. Aus einer Gesellschaft heraus, in der die auf den Lehren Rudolf Steiners aufbauende Waldorfpädagogik und ihre Schulen ernstgenommen und staatlich gefördert werden, scheint mir überdies ein gewisses Maß an Zurückhaltung angebracht, was die instituionelle Etablierung irrationaler Denk- und Lebensstile in anderen Ländern angeht.69 Es sollte im übrigen niemanden ernsthaft verwundern, daß einigen Mitgliedern der betreffenden Identity-Politics-Gruppen nichts oder wenig an den Theorien, Traditionen, Geschichtsauffassungen und der Kultur liegt, die von den Klassen oder Schichten vertreten werden, denen sie ihre oft üble Lage verdanken. Als Malcolm X die Feststellung machte, sie, die Afroamerikaner, seien nicht am Felsen von Plymouth gelandet, vielmehr sei der Felsen von Plymouth auf ihnen gelandet, brachte er diese distanzierte Auffassung schön auf den Punkt. Der Umstand, daß dieses
67 Zur Kritik an Jeffries Rassismus vgl. auch West 1992; Diederichsen 1992; Eine harsche und ungerechte, aber in vielen Details kluge reaktionäre Kritik an der Afrocentricity, ihrem gelegentlichen Antisemitismus und an Jeffries findet sich bei D’Souza (1996: 337-386 und 387-429). Die konservative Diskurstaktik, Jeffries und Farrakhan mit den afroamerikanischen Studien und politischen Forderungen insgesamt gleichzusetzen, findet sich kritisiert bereits bei Bonder (1995: 16f). Ohne Nennung von Jeffries’ Namen hat der »Sonnenmensch« eine Eintragung bei Röhl erhalten (1995: 168). 68 Und es kann alles einmal um die eigene Achse gedreht werden. So beschreibt Greenspan, daß die Entlassung Jeffries wegen seiner antisemitischen Ausfälle ebenfalls als eine Folge der Political Correctness der Linken interpretiert worden ist (vgl. Greenspan 1999: 261). 69 Zu den Besonderheiten und dieser Pädagogik, ihren rassistischen Implikationen und den mystisch-historischen Kaspereien der Anthroposophie vergl. Bierl (1999: v. a. 85ff Wurzelrassenlehre; 202ff Waldorfpädagogik), außerdem Gugenberger/Schweidlenka (1987; u.a. 141f).
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Bonmot wiederum auf Cole Porters Lied Anything Goes (ausgerechnet!) zurückgeht, verweist auf die komplexen Verwicklungen, die die einzelnen Gruppen mit der Gesellschaft und ihrer jeweils dominanten Kultur haben, mit der, in der und gegen die sie versuchen, ihre Identitätspolitik zu entwickeln.70 Solche dispersen Überlegungen muß man auch für die deutschen Verhältnisse anstellen. Nicht nur kulturelle Importe, die noch als Exotismen abgetan werden könnten – womit man ihnen und ihrer Rezeption insgesamt nicht gerecht würde –, sondern auch in Deutschland produzierte Migrantenliteratur, Frauenfilme, Homosexuellen-Comics usw. haben ihren Platz im Kulturbetrieb und sind an einer günstigen Positionierung auch in der Wissenschaft mit einem gewissen Recht interessiert. Ob Integration oder Segregation letztlich konfliktorientierter sind, ist nicht immer leicht auszumachen. Weder eine multikulturell begeisterte Indifferenz bezüglich jedweder Identity Politics noch ein zum wer-weiß-wievielten Male wiederholter Versuch, universalistische Aufklärung betreiben zu wollen und Haupt- und Nebenwidersprüche kundig zuzuordnen, scheint mir hier sonderlich vielversprechend. Sei es drum, an einer Kanonerweiterung und an einer thematischen Ausweitung der Forschungsinteressen wird der akademische Betrieb, weder in den USA noch in Deutschland, wohl kaum zusammenbrechen. Das Bedrohungspotential für diese Institution liegt sichtlich woanders. Deutlicher und ohne jede Ambivalenz hingegen ist meine Distanz zu Positionen, deren Vertreter, in quälender Monotonie und mit anderthalb Augen auf eine angeblich von der »Schweigespirale« zum Verstummen gebrachte Mehrheit schielend, sich unverdrossen und kokett als betont tabubrecherisch und ›politisch inkorrekt‹ definieren und feiern bzw. fei-
70 Dieses Lied stammt aus dem Musical »Anything goes« aus dem Jahr 1934 (USA) bzw. 1935 (England). Musik und Liedertexte: Cole Porter; Libretto: P.G. Wodehouse & Guy Bolton. Der Text des Liedes wird mal Porter und mal Wodehouse zugeschrieben. (Jasen, David A.: P.G. Wodehouse. A Portrait of a Master. New York: Mason & Lipscomb 1974; Hal Cazelet & Sylvia McNair: The Land where the good songs go. The Lyrics of P.G. Wodehouse. CD Harbinger Records 2001). Der Titel sollte später von Paul Feyerabend in anderem Zusammenhang popularisiert werden. Für das Zitat von Malcolm X vergleiche u.a. Perry (1993 [1991]: 181) und die Autobiographie von Malcolm X, hg. von Alex Haley (Malcolm X 1992 [1965]: 214). Auch hier schlagen die Verhältnisse dann mit Spott zurück. So argumentierte Christopher Hitchens (1994): »There ought to be neither shame nor surprise in the fact that macho Malcolm X – who wouldn’t even own to a ›Eurocentric‹ name – annexed a good line from the white homosexual lyricist who composed You’re the top.[..] there will always be mutual linguistic and cultural exchange, just as there will always be some kind of canon« (Hitchens 1994: 134f).
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ern lassen möchten, wofür sie gegebenenfalls noch Preise einfahren, die ihren Mut zertifizieren. Man denke hier an Martin Walser, der seit Jahren in zahlreichen Texten seine Auffassung, daß ihn ein politisch korrekter Gesinnungsterror unter Druck setze, in öffentliche und öffentlich akklamierte Rede umsetzt – und der im Anschluß an seine Rede zur Verleihung des Friedenspreises im Oktober 1998, die die Walser-Bubis-Kontroverse auslöste, beinahe noch den »Preis für das unerschrockene Wort« erhalten hätte, mit der allerdings ganz fabelhaften Begründung des Antragstellers, der CDU in Halle, »daß die teilweise mehr als heftigen Reaktionen auf diese Rede jede weitere Begründung [erübrigen]«.71 Nun sind kodifizierte offiziöse Sprachregelungen (sog. »speech codes«) und staatliche Zensur grundsätzlich abzulehnen, obwohl ich andererseits nicht der Auffassung bin, daß es ein im Namen der Meinungsfreiheit einklagbares Menschenrecht gibt, Ausländer als ›Kanaken‹ zu bezeichnen und Auschwitz zu leugnen, wann und wo immer es einen überkommt, und sich dabei noch löwenmutig vorzukommen. Die aus diesen im Grunde unvereinbaren, gegenläufigen Auffassungen resultierenden Widersprüche muß man wohl aushalten, will man nicht in einen untragbaren Dezisionismus bezüglich der staatlichen Zensur geraten, wie man sie im Einzelfall gerne mal hätte.72 Eine grundsätzliche Ablehnung der Zensur erstreckt sich dann natürlich auch auf Satiren. Das heißt aber eben auch hier nicht, daß Kritik an den Künstlern und ihren Werken unmöglich ist und einem die Maßstäbe abhanden kommen sollten. Neben den genreüblichen handwerklichen und künstlerischen, auch komikorientierten Aspekten scheinen mir als Maßstab für politische Einschätzung und satirische Qualität vor allem zwei Kriterien hilfreich zu sein: 1) Trägt das Konzept oder das Artefakt zur Verunsicherung oder ausschließlich zur Bestätigung des Selbstbilds
71 Bereits 1994 hatte Walser im Spiegel eine Rede veröffentlicht, die ihn in dieser Rolle präsentierte (Über freie und unfreie Rede; Walser 1994). Dieser Farce folgte mit der Friedenspreisrede, in der er die Topoi verschärfte und von »Auschwitz« als »Drohroutine« und »Moralkeule« sprach, die Tragödie. (Rede und Dokumentation vgl. Dietzsch/Jäger/ Schobert 1999; Rohloff 1999; Schirrmacher 1999. Im Oktober 2000 entflammte eine kurze Diskussion über den Vorschlag der CDU in Halle, Walser für seine »Paulskirchenrede« den »Preis für das unerschrockene Wort« der dreizehn deutschen Luther-Städte zu verleihen. Den Preis erhielt dann Ute Leichsenring (s. dazu SZ vom 06.10.2000, Tagesspiegel vom 27.10. und 10.11.2000 sowie einen Kommentar zur Auseinandersetzung um den Preis in der JF vom 13.10.2000 unter dem auf den Historikerstreit gemünzten Titel Kritik, die nicht vergehen will). 72 Andererseits will es mir scheinen, daß manche Personen des öffentlichen Lebens durch ein konsequent eingehaltenes Schweigegelübde durchaus gewinnen würden.
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der Rezipienten bei?; und 2) sucht der Künstler sich weiche und von ihm und seinem Publikum weit entfernte Ziele, oder riskiert er auch mal etwas, zum Beispiel durch Witze über, wie Diederichsen (1995; s.u.) es nennt, »Anwesende«? Ein beinahe untrüglicher Gradmesser für die letztgenannte Qualität ist die Ressourcenkonstellation des Publikums, also in diesem Fall die politische, ökonomische, soziale und anerkannt moralische Macht oder auch Nähe eben derjenigen, mit denen der Satiriker sich anlegt und die auf ihn Einfluß haben, ein Rahmen, der sich in einer Diktatur und einer marktförmig ausgerichteten Massendemokratie beträchtlich unterscheiden kann.73 Insofern ist es in Deutschland heutzutage eben künstlerisch durchaus reizvoll, die eigenen, zahlenden Kunden vor den Kopf zu stoßen. Ein Angriff der NFS-Satiriker auf Heinrich Böll oder Hanns Dieter Hüsch und damit vor allem wohl auf deren Fans, die ja auch Titanic lesen, scheint mir daher verdienstvoller als das wohlfeile Reißen von Polenwitzen à la Harald Schmidt vor einem begeistert einverstandenen deutschen Publikum, das codiert wird als das angeblich satirische Gebaren eines Komikers, der tabubrecherisch daherkommt, der aber sowohl vor seinem Stammtischpublikum als auch vor der Regierungspolitik einknickt, wann immer es sich als opportun erweist.74 So wurde Schmidt,
73 Dieser Aspekt wird in späteren Kapiteln noch ausdrücklich thematisiert und terminologisch unterfüttert. 74 Noch 1996 konnte Diederichsen, dessen kritisches Instrumentarium sonst besser funktioniert, nicht umhin, Schmidt für seine Ambivalenz zu bewundern. Allerdings weist auch er auf eine Komplizenschaft Schmidts mit den dunklen Seiten seines Publikums hin (Diederichsen 1996: 186). Zur Diskussion um die Polenwitze vgl. das Interview mit Thomas Hermanns in der Taz v. 21.04.1997. Hermanns stellt sich auf Schmidts Seite und unterstellt diesem aufklärerische Impulse: »Grundsätzlich darf nichts und niemand heilig sein. Bei Harald Schmidt zum Beispiel trete ich ganz bewußt als schwuler Komiker auf und mache da auch jedes mal meine Pointen, weil ich genau weiß, was er eigentlich will. Er kämpft nämlich, genau wie bei seinen Polenwitzen, nicht gegen die Randgruppen, sondern gegen die falsche, deutsche Betroffenheit, die diese Themen umgibt.« Es ist gut zu wissen, daß Hermanns das genau weiß. Ansonsten sieht Hermanns seine Arbeit und die seiner Kollegen im Bereich Comedy als einen ehrbaren Versuch, »all die Entertainment-Traditionen [zurückzuerobern], die durch das Dritte Reich zerstört worden sind« (Hermanns 1997). Der nationale Aufschwung deutscher Komikproduktion scheint auf manche Nachfolger der NFS einen unwiderstehlichen Reiz auszuströmen. Hier ist mit Adorno zu antworten: »Die Behauptung, daß Hitler die deutsche Kultur zerstört habe, ist nichts als ein Reklametrick derer, die sie von ihren Telefontischen wieder aufbauen wollen«(Adorno 1997 [1951]: 67). Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Adornos Verständnis von der Kultur der Weimarer Republik sich sehr von unserem unterscheidet, in diesem Punkt ist seine Diagnose bis heute gültig.
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nachdem er bereits u.a. den Grimme-Preis erhalten hatte, mit dem »Medienpreis für Sprachkultur« der Gesellschaft für deutsche Sprache für das Jahr 1998 ausgezeichnet.75 Wir zitieren die Zeitungsmeldung aus der Taz, die wiederum – ein wenig distanziert – die Begründung der GdS zitiert: Den salbungsvollen Titel erhält er für »respektlose Art«, »ständiges Spielen mit Vorurteilen und Klischees« und für »politische Widerborstigkeit«. Das alles unter optimaler »Ausnutzung der sprachlichen Möglichkeiten« - in bester »Nonsens-Tradition seit Ringelnatz und Morgenstern« - und ohne sich »in einer oft genug geistig verkniffenen und verkrampften Umgebung weder sprachlich noch geistig von Political Correctness gängeln zu lassen« (Taz v. 13.11.1997, 19, herv. v. MFE).
Von diesem fragwürdigen Ruhm lebt Schmidt,76 und dafür hielt ihm keine geringere als Alice Schwarzer bei der Preisverleihung die Laudatio, normalerweise eine der unentwegtesten Satirekritikerinnen Deutschlands, die sonst kaum eine Gelegenheit ausläßt, Witzverschonung für sich und ihre Klientel (Frauen und bisweilen Tiere)77 zu fordern. Bei solchen Anlässen kommt wirklich alles zu allem, und das handelnde Personal strömt mit der rituellen Zähigkeit von Familienfeiern auf dem Lande zusammen. Nun gut, Harald Schmidts angeblich hochambivalente Position oder gar seine »politische Widerborstigkeit« kippen allerdings immer dann als brüchig auf, wenn er ernsthaft gefragt wird und sich darob ebenso ge-
75 Siehe auch dpa-Meldung vom 11.05.1998, zit. an diesem Tag in der SZ. »Schmidt sei nicht nur ein ebenso gnadenloser Komiker, sondern ein ebenso gnadenloser Aufklärer und Moralist, betonte [Alice Schwarzer]« (SZ 11.05.98, 19). 76 Und auch sein Gefolge. So konnte man in der SZ eine Eloge von Achim Graf auf Peter Rütten, den seinerzeitigen Chefautor von Schmidt, lesen, in dem Graf folgenden Gedankengang zusammenschrieb: »Political Correctness kümmert Rütten wenig. Für ihn existiert dieser Begriff allenfalls als Idee. Sein pragmatischer Gedanke ist, ›Harald mit gutem Material zu versorgen‹. Was ihn dabei mit seinem Chef eint, ist der unerbittliche Qualitätsanspruch« (Achim Graf: »Kein Sex mehr mit Harald«, SZ v. 03.04.2002.). 77 Unvergeßlich und ein Monument der Mediengeschichte war Alice Schwarzers Zubereitung eines Zitronenhuhns in Alfred Bioleks Kochsendung ›Alfredissimo‹, etwa ein Jahr, nachdem sie auf das Vehementeste die Tierrechte in der Emma eingeklagt hat, indem sie Frauen und Tiere diskursiv koppelte: »Frauen und Tiere. Die sind in den Augen des Patriarchats seit Jahrtausenden ein Programm: Sie sind das Fleisch, der Mann ist der Geist; sie sind die Natur, der Mann ist die Kultur; sie sind das Opfer, der Mann ist der Täter.« Für die Emma-Leserinnenschaft war erschütternd, wieweit die Herausgeberin hinter ihren eigenen Erkenntnisstand zurückfiel. Im Anschluß an das fernsehöffentlich geschändete Zitronenhuhn gingen erbitterte Leserbriefe bei der Emma ein (vgl. Schwarzer 1994 und Emma-Leserinnenbriefseiten Mai-August 1995).
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schmeichelt wie staatstragend gibt. Als das Jugendmagazin der SZ, die mittlerweile eingestellte Jetzt, ihn zum Thema Walser und Bubis interviewte, gab sich der Tabubrecher scheinbar verschlossen: Wenn Sie mich nach dem Holocaust fragen, werde ich weniger witzig antworten. Das liegt daran, daß ich seit der Rede von Martin Walser mich zu diesem Thema geschlossen halte. Ich habe eine private Meinung dazu. Als Unterhalter, der anders als Walser sozusagen keine Narrenkappe des Intellektuellen hat, werde ich einen Teufel tun, mich mit einer Silbe dazu zu äußern. Dafür ist in Deutschland die Zeit nicht reif. Man würde jede Kontrolle verlieren. Die Finger weg, das ist bei manchen Fragen die einzig richtige, professionelle Haltung« (HS in jetzt 8/1999, zit. nach Dehoust 1999: 64, herv. MFE).
Diese Aussage läßt Satz für Satz das sorgsam gepflegte Image der Ambivalenz in sich zusammenfallen. Die irrsinnigste Feststellung in dieser Selbstverortung ist möglicherweise die, ausgerechnet Harald Schmidt habe als der mehrfach ausgezeichnete und just für seine intellektuelle Brillanz vielgerühmte Fernsehkomiker, der er ist, im Gegensatz zu Walser »keine Narrenkappe des Intellektuellen«! In ihrer Verbrämtheit und ihrer – mit einer Kausalbehauptung abgefederten – Bezugnahme auf Martin Walser, des weiteren mit ihrem walserähnlichen Beharren auf der Privatheit der Meinung, ist dies eine in typischer Weise unverbrämte Stellungnahme. Und doch, bezeichnenderweise firmiert Schmidt mit dieser angeblichen Ausweichbewegung in rechten Kreisen als der Kronzeuge für die gewaltige Macht der ›Political Correctness‹ in Deutschland. So bramarbasierte Peter Dehoust in seinem im Nation Europa Verlag veröffentlichten Pamphlet So nicht, Herr Bubis! zu eben dieser Aussage von Schmidt: Geistesfreiheit in Deutschland? Ein vermintes Terrain. Nicht einmal ein Moderator, der für seine Respektlosigkeiten allerlei Medienpreise einheimste, wagt sich an die von Ignatz Bubis gesicherte Tabuzone heran (Dehoust 1999: 64).
Man fragt sich wirklich, wie deutlich Schmidt noch hätte werden müssen, um einen Peter Dehoust zufriedenzustellen. Eine augenfällige Parallele findet sich ein gutes Jahr später in Schmidts Stellungnahme zum Jugoslawienkrieg 1999. Vom Spiegel interviewt, stellt der Fernsehkomiker und Militärexperte fest: Wenn ich in meiner Sendung den Begriff Kosovo nur erwähnen würde, träte eisiges Schweigen beim Publikum ein. Man bringt mich mit einer ironischen Haltung in Verbindung, deshalb halte ich mich beim Thema komplett raus [...] Ich folge dem alten General Schmückle, daß dieser Krieg nicht aus der Luft zu gewinnen ist, daß er aber gewonnen werden muß, damit die NATO glaubwürdig bleibt. Über kurz oder lang geht es meiner Meinung nach nicht ohne Einsatz von Bodentruppen. Ich bin heilfroh, daß ich das niemandem erläutern oder begründen muß, aber ich glaube, daß das so ist. [...] Wenn der
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Auch hier wieder ein Lavieren am Rande der Nachweisgrenze, und gerade dadurch eine um so deutlichere Stellungnahme, die mögliche Rezeptionsweisen mitzudenken versucht. Rhetorisch vielleicht nicht gerade der letzte Schrei, aber dennoch nicht ungeschickt gemacht, und natürlich am passenden Ort. Denn der Spiegel, Botho Strauß 1993 und Martin Walser 1994 hatten es ja ebenfalls zur Freude der Leserschaft demonstriert, dürfte einer der beliebtesten Plätze in Deutschland sein, an dem man im stillen Kämmerlein vor nur ganz wenigen hunderttausend Lesern seine gefährlich unkorrekte Meinung sagen kann, die ja in diesen finsteren korrekten Zeiten eigentlich öffentlich nicht gesagt werden darf. Kurzum: das Austarieren von Nähe und Distanz zu diesem Thema bleibt nicht nur mühselig, sondern auch notgedrungen unvollständig und unbefriedigend. Auch hierin liegt die Tücke dieser Redeweise – es ist leichter, sie entweder unverdrossen zu applizieren oder aber ihr gleich vollständig aus dem Weg zu gehen, als sie zu analysieren! Meine Aufgabe sehe ich nun nicht darin, die einzelnen akkumulierten Diskussionen innerhalb der Legende wissenschaftlich zu transzendieren und mich damit den Konflikten scheinbar zu entziehen – das scheint mir nach Sichtung der vorhandenen Literatur zum Scheitern verurteilt. Die Rede von der ›Korrektheit‹ selbst, ihre Attraktivität und ihre Erfolgsgeschichte jedoch scheinen mir analysierbar. Sie als eine Art Mode einfach zu historisieren ist es offenbar zu früh. Längst überfällig ist ein Analyseinstrumentarium, das über den Einzelfall hinausweisen könnte. Ich betrachte diese Studie als eine Stellungnahme zur bisherigen Redeweise von der Korrektheit und zu den angekoppelten Diskursen, in erster Linie aber als eine ordnungstiftende Bestandsaufnahme und einen hoffentlich hilfreichen Beitrag zur Durchführung späterer Analysen. Allerdings, bevor wir im dritten und vierten Kapitel unsere diesbezüglichen methodischen Vorschläge machen, müssen wir uns dem Gang der Diskussion und der Forschung widmen. In diesem Zusammenhang wird es notwendig sein, einige Besonderheiten des deutschen Umgangs mit der Legende von der Korrektheit zu demonstrieren. Und so leicht der Import und die Modifikation der Legende gewesen sein mag – diesen Vorgang nachzuvollziehen, und sei es nur exemplarisch, ist ein anstrengendes Geschäft. Das nächste Kapitel wird daher, so möchten wir vorausschicken, kein Vergnügen, oder zumindest ein sehr gemischtes.
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VIER TABLEAUS Vorbemerkung: ›Auf den Schultern von Riesen?‹ 65 | Erstes Tableau: Die Diskussion in Nordamerika im halbblinden Spiegel der deutschen Rezeption 72 | Zweites Tableau: Die nordamerikanische Linke und ihr Verhältnis zur ›Political Correctness‹ 89 — Teil 1: Esprit d’escalier 90 — Teil 2: ›Gefahr erkannt, davongerannt!‹ Der Traum von der zweiten Welle 105 — Teil 3: Das Bohren dicker Bretter 129 | Drittes Tableau: Teil des Problems oder Teil der Lösung? Anmerkungen zum Verlauf der Forschung in Deutschland 133 | Viertes Tableau: Die Konfiguration eines deutschen Themenparks 176 | Fazit: Zurück ans Zeichenbrett 221 Wie es sich für einen ordentlichen Mythos gehört, prägen die Anfänge den gesamten Fortgang der Geschichte.1 Clemens Knobloch
Vorbemerkung: ›Auf den Schultern von Riesen?‹ Wie wir im vorigen Kapitel bereits andeuteten, ist es um die Forschung zum Thema ›Political Correctness‹ in Deutschland nicht sonderlich gut bestellt – weder dort, wo sie sich mit Nordamerika befaßt, noch in bezug auf den Import nach Deutschland und die hier erfolgenden Modifikationen der Legende.2 Die diskursiven Praxen, die vor allem die beklagens-
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Knobloch (2000: 159). Und das gilt erst recht für einen unordentlichen Mythos. Erst in jüngerer Zeit zeichnet sich eine Verbesserung ab, was aber den Gang der Dinge, also die fortlaufende Verwendung dieser Redeweise, kaum noch beeinflussen wird. So zum Beispiel durch die Studie von Ariane Manske (2002). Ihr Buch Political Correctness und Normalität interpretiert die »amerikanische PC-Kontroverse« als einen »conservative backlash«. Die Autorin versucht eine kulturgeschichtlich orientierte Rekonstruktion der amerikanischen Debatte, wobei sie nach eigener Aussa-
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werte journalistische Berichterstattung, aber auch die aus einem akademischen Umfeld stammenden Arbeiten auszeichnen, sind gekennzeichnet durch eine intellektuelle Nachlässigkeit, die sich in einer unkritischen Quellenrezeption und dem Nachplappern fragwürdiger Anekdoten niederschlägt sowie durch eine ans Boshafte grenzende Ignoranz bezüglich des amerikanischen Hintergrunds der Diskussion, der zwar insgesamt unübersichtlich und widersprüchlich, aber kein Arkanum ist. Das Erste Tableau, das deutsche Blickweisen auf amerikanische Sachverhalte präsentiert, ist vor allem diesem Komplex gewidmet. Hierbei werden wir auch auf zahlreiche amerikanische Texte zurückgreifen müssen, um unsere Überlegungen zu illustrieren. Dabei stellt sich heraus, daß die in diesen Texten enthaltenen Informationen ihren Weg in die deutsche Debatte gefunden haben und am Ende kaum wiederzuerkennen sind. Im Zweiten Tableau hingegen wird ein Aspekt der amerikanischen Debatte aufgegriffen, der bezeichnenderweise hierzulande nur fragmentarisch, wenn überhaupt, wahrgenommen worden ist: die Frage, wie die amerikanische Linke auf diese Angelegenheit reagiert hat. Insbesondere bei unserem Ersten Tableau zeigt sich ein Hang zum Kannegießern und hemmungslosen Umcodieren der Begriffe und Ereignisse auf deutsche Verhältnisse, so wie man es gerade braucht. Nicht eine angesichts der divergenten Erzählungen und akkumulierten Fakten und Behauptungen anzunehmende und nachvollziehbare Disharmonie, sondern eher die verblüffende Gleichförmigkeit der Nacherzählungen der Legende, sozusagen eine vielstimmige »Harmonie der Täuschung« (Fleck 1980: 41) charakterisiert die deutsche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ausnahmen gibt es. Sie schaden der Regel nicht. Diese Harmonie hat sich bis in die wissenschaftliche Aufbereitung fortgesetzt. Kapitzkys in erster Linie auf die Quantität bezogene, sehr maßvoll formulierte Diagnose, daß die wissenschaftliche Literaturlage zur »deutschen [PC-] Debatte geradezu dürftig« (2000: 47) ist und daß sich hierzulande »bei der Suche nach wissenschaftlichen Texten über Political Correctness ein beinahe trostloses Bild bietet« (ebd. 60), ist insgesamt aktuell geblieben. Sie gilt jedoch, und das ist wesentlich be-
ge die etwas »pauschale« (Manske 2002: 10) Einteilung der Kontrahenten in Konservative und (Links-)Liberale beibehält. Sie interpretiert die AntiPC-Kampagne als einen Kampf um »die Konstruktion von Normalität und um unterschiedliche Normalitätsvorstellungen« (Manske 2002: 11). Dabei setzt sie sich ausführlich mit dem Normalismuskonzept von Jürgen Link auseinander und appliziert es auf die amerikanische Debatte. Das scheint uns vor allem in methodischer Hinsicht das Niveau der wissenschaftlichen Aufarbeitung in Deutschland beträchtlich zu heben. Unsere dennoch pessimistische Einschätzung wird im Lauf der Studie ausführlich begründet werden.
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klemmender, auch für die Qualität der meisten Studien, die er und die wir gesichtet haben.3 Insofern ließe sich der Stand der ernstzunehmenden Forschung in Deutschland zum Thema relativ knapp zusammenfassen, und der Einfachheit halber könnte man Amerika Amerika sein lassen. So aber werden wir nicht verfahren, denn damit könnte aus dem Blick geraten, was uns am meisten interessiert: der Import des Mythos nach Deutschland und die hierzulande erfolgenden Modifikationen sowie der weitestgehende Zusammenbruch von Forschung und Kritik. Wir werden zeigen, wo so mancher Hund begraben liegt. Im Anschluß an die Momentaufnahmen aus Nordamerika wenden wir uns daher im Dritten Tableau exemplarisch einigen deutschen Studien zu, die sich mit dem Thema ›Political Correctness‹ in den USA und in Deutschland befaßt haben. Anders gesagt, mit Studien, die von wissenschaftlicher Seite an dem Import, der Modifikation und der Etablierung der Rede von der Korrektheit mitgewirkt haben. Wir werden sie in unterschiedlicher Ausführlicheit vorstellen. Der Grad der Ausführlichkeit sagt dabei nichts über die Qualität aus. Man mag angesichts unseres Themas die Aufteilung innerhalb des zweiten Kapitels disproportional und dieses Kapitel insgesamt zu lang finden. Es ist uns ebenfalls lang geworden. Manche Aspekte der amerikanischen Diskussion sind jedoch zu wichtig, um sie einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Die in diesem Kapitel bis an die Grenzen des Nervtötenden gehende Darstellung amerikanischer diskursiver Ereignisse soll zum Weiterforschen anregen, denn der Verlauf der Rede von der Korrektheit in den USA und die Einbettung in die dortigen politischen und kulturellen Verhältnisse haben einen Klärungsbedarf erzeugt, der über die Möglichkeiten nur einer Studie hinausgeht. Nur eine Anmerkung sei gestattet, für die wir den Beweis hier nicht in angemessener Länge liefern können – schließlich ist dies keine wissenschaftshistorische Arbeit – und uns mit Literaturhinweisen zufriedengeben müssen. Jenseits des im letzten Kapitel formulierten persönlichen Interesses an solchen Studien möchten wir hier eine Lanze für die angeblich korrekten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brechen. Das wissenschaftliche, intellektuelle und auch politische Niveau, das beispielsweise die Black Studies, die Gay & Lesbian Studies (vermutlich auch die Women Studies, aber da kennen wir uns nicht sonderlich gut aus), kurzum, was diese, auch hierzulande und aus sicherer Entfernung mit Hilfe importierter Gerüchte diffamierten und lächerlich gemachten
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Unser beider Literaturlisten weisen zahlreiche Übereinstimmungen und einige bedeutende Abweichungen auf. Zuletzt haben wir uns entschlossen, unsere Theorie aus anderen, mehrversprechenden Ansätzen zu entwickeln.
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Gruppen in den USA seit den Sechziger Jahren erreicht haben – neben all den Verrücktheiten und Überspanntheiten, die jeder akademische Betrieb hervorbringt – hätte die diesbezüglich einschlägigen Akteure der deutschen Presse, wenn sie nur einen Funken Professionalität hätten, am Wahrheitsgehalt der PC-Geschichten und an den Gerüchten über die Unwissenschaftlichkeit dieser Studiengebiete zumindest zweifeln lassen müssen.4
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Wir möchten hier nur die folgenden Literaturempfehlungen weitergeben, obwohl die Fülle an ständig neuem Material, das in den amerikanischen Hochschulen und Verlagen produziert wird, einen erschlägt und wir uns nicht einbilden, auch nur einen angemessenen Prozentsatz zu überschauen. Dennoch als Handreichung folgende Hinweise, die als Ausgangspunkt dienen könnten: Die Geschichte der amerikanischen Homosexuellenbewegung ist vielseitig und ausführlich geschildert in Out for Good (Clendinen/Nagourney 1999). Ein interessantes Panorama der Entwicklung dieser Bewegung vor und nach Stonewall, und vor und nach dem Aufkommen von AIDS, enthält der Sammelband Witness to Revolution. The Advocate Reports on Gay and Lesbian Politcs 1967-1999 (Bull 1999). Hier finden sich Artikel aus der Zeitschrift The Advocate, die 1967 in Los Angeles gegründet worden ist, und die in dieser Zeit zu einem Forum von Auseinandersetzungen innerhalb der Gay Community geworden ist sowie zu einem Platz der Auseinandersetzung mit dem ›Rest‹ der amerikanischen Gesellschaft. Wie für alle Sammelbände gilt, daß das Niveau unterschiedlich ist. Wiederum akademischer Provenienz ist der folgende Band: The Columbia Reader on Lesbians & Gay Men in Media, Society, and Politics (Gross/Woods (Hg.) 1999), der an der New Yorker Columbia Universität konzipiert worden ist. Das Themenspektrum erklärt sich aus dem Titel. Eine Reihe kluger Essays von nur einem Autor zu den Themen Identity Politics, Cultural Politics und den »Grenzen des Multikulturalismus« enthält Jeffrey Escoffiers American Homo (1998). Hervorheben möchten wir hier nur seine Überlegungen zur Unterscheidung zwischen homosexuellen Handlungen und homosexueller, öffentlich sichtbarer Identität, sowie den daraus resultierenden politischen Implikationen (Escoffier 1998: 33ff). Zahlreiche Modi der Darstellung, Repräsentation und Beurteilung von Gender, Race and Class in Media finden sich beschrieben und analysiert im gleichnamigen Reader, herausgegeben von Dines/Humez (1995). Hier werden Alltagsphänomene aus u.a. Werbung, Fernsehkomödien und Musiksendungen unter diesen Gesichtspunkten luzide erläutert. Hierzu läßt sich als ergänzende Studie aus Deutschland Ralf Kochs Buch »Medien mögens’s weiß«. Rassismus im Nachrichtengeschäft heranziehen. Koch beschreibt die Erfahrungen von alltäglichem Rassimus in den Medien, in den USA und in Deutschland, sowohl in der Darstellung als auch in der Produktion (Koch 1998). Eine konzise Geschichte der Kämpfe der Afroamerikaner um gesellschaftliche Partizipation von 1945-1990 ist zu finden in der Monographie Race, Reform and Rebellion von Manning Marable (1998). Einen akademischen und politischen ›Rundumschlag‹ findet man im Reader Black Men on Race, Gender and Sexuality (Carbado 1999), in dem zahlreiche Themen, die die Black Communitiy betreffen, äußerst kontrovers angesprochen werden, unter anderem von Cornel West, Henry Louis Gates, Jr. und Ishmael Reed. Stärker diskurspolitisch orientiert, de-
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Noch in der Bekämpfung und meist polemischen Abwertung der politischen und wissenschaftlichen Forderungen der Identity-Politics-Gruppen bringen amerikanische Rechtskonservative und Neokonservative wie Dinesh D’Souza oft mehr an Sachverstand und Können, und damit vermutlich contre coeur mehr an Respekt auf, als in beinahe der gesamten deutschen Diskussion von Spiegel bis Criticòn, von Zeit bis SZ sowie in weiten Teilen der Wissenschaft zu finden ist. Hierzulande reicht es bestenfalls für mahnende Worte an die Betreffenden, es doch mit der Korrektheit nicht so zu übertreiben, und schlimmstenfalls nur für dumme Witze und spenglersche Horrorszenarien. Aber es ist halt langwieriger und schwieriger, in ein Thema mit Sinn und Verstand einzusteigen, als groteske Wanderlegenden und knallbunte Dummheiten aus der amerikanischen Presse abzuschreiben und als authentische ›Bilder aus Amerika‹ dem deutschen Publikum vorzusetzen. Aus diesem Grund soll das zweite Kapitel unserer Studie auch dazu beitragen, daß die sattsam bekannten deutschen Verweise, wie schaurig und lustig es im amerikanischen Diskurs angeblich so zugeht, in anderem Licht lesbar werden und als das erkennbar werden, was sie mindestens sind: Dokumente fauler Vernunft. Sofern in der deutschen Forschung bereits eine Bestandsaufnahme relevanter Texte in angemessener Form geleistet wurde, werden wir, den Vorwurf der Oberflächlichkeit in Kauf nehmend, darauf verweisen und solche Texte nur noch bei Bedarf nennen oder sehr knapp skizzieren. Einige andere Texte der deutschen Forschung und Diskussion werden wir hingegen ausführlich darstellen, bisweilen in ähnlicher Asymmetrie wie bei den amerikanischen Texten. Manche langen Texte geben – im guten wie im schlechten – nicht viel her. Bei anderen hingegen kann man knapp formulierte Fehlinformationen finden, die zu widerlegen recht mühsam sein kann. Aus Sammelbänden und Themenheften wird nur eine Auswahl der Aufsätze genannt oder vorgestellt, mal im Text, mal nur in den Fußnoten. Bei den relevanten nordamerikanischen, etwa ab 1995 publizierten Texten zum Thema, die in Deutschland kaum oder gar nicht rezipiert worden sind, ist es ebenfalls vonnöten, ausführlicher zu werden, wobei eine gewisse Zähigkeit der Darstellung nur schwer zu vermeiden ist. Das von uns gewählte Verfahren, auch in diesem Kapitel in extenso
zidiert links und mit Bezügen zum PC-Diskurs (und mit wiederum einer scharfen Kritik an der orthodox linken Kritik an PC) ist die Arbeit des afroamerikanischen Historikers Robin Kelley Yo’ mama’s disfunktional (1999). Wir wollen es bei diesen minimalen Hinweisen bewenden lassen. Studiengebiete, die solche Arbeiten produzieren können, als Angriff auf die Wissenschaftlichkeit und abendländische Kultur (so eher von rechts) oder als nicht ausreichend politisch (so oft aus orthodox linker Sicht) oder als Quotenkram zu begreifen ist arrogant, und dumm obendrein.
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zu zitieren und diese Belege fortlaufend zu kommentieren, ist möglicherweise anfechtbar, nicht zuletzt aus ästhetischen Gründen. Zunächst aber geht es uns darum, vier vielfarbige Bilder von der Angelegenheit zu vermitteln. Wir halten uns – im bewußten Gegensatz zu den bisher geübten Praxen – an den Rat Yoshidas, im Zweifelsfall, und davon gibt es einige, lieber gründlich als anspielungsreich vorzugehen: Höchst unerfreulich ist es auch, wenn einer über etwas, was er selber sehr wohl kennt, einem anderen, der noch nie davon gehört hat, etwa schreibt: ›Was hat doch der und der Unglaubliches getan!‹, und dieser dann zurückfragen muß, worum es sich denn eigentlich handle. Es gibt manches, was in der Welt schon längst veraltet ist, aber zu dem und jenem Menschen noch nicht drang. So ist es auf keinen Fall unangebracht, sich deutlich auszudrücken (Yoshida 1963: 147f).
So ist es. Der naive Glaube an das wissenschaftliche Prinzip, demzufolge man vertrauensvoll auf den Forschungsergebnissen seiner Vorläufer aufbauen kann, so daß man, wie es ein Klischee sagt, »auf den Schultern von Riesen steht«,5 hat sich bei dieser Studie oft genug als Illusion entpuppt. Es ist mühselig genug, auch nur irgendeinen Stand der Forschung zu einem beliebigen Thema aufarbeiten zu müssen. Wenn man den größten Teil seiner Zeit damit zubringen muß, das Diskursgeröll aus unhaltbaren Behauptungen, Halbwahrheiten, Legenden, Mythen und glatten Lügen wegzuräumen, wird es eine Zumutung. Die Probleme, mit denen wir uns bei der Anfertigung dieser Arbeit weit über das übliche Maß herumplagen mußten, sind uns auch aus der Unzuverlässigkeit von Wissenschaftlern und Journalisten erwachsen. Deren Umgang mit der ganzen Angelegenheit ist nicht nur gekennzeichnet von verzeihlicher methodischer Wirrnis oder den Fehlern, die unvermeidbar dann entstehen, wenn irgendwo gearbeitet wird.6 Das Problem, das uns zu unserer Ausführlich-
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Dieser Bernhard von Chartres oder Isaac Newton und anderen zugeschriebene Aphorismus findet sich historisch aufgearbeitet in Merton 1989. Es verwundert nicht, daß Merton viel über das Kolportieren und Abschreiben zu erzählen weiß, einen Prozeß, in dem abgeschriebener Unfug durch genau diesen Prozeß den Status der Wahrheit erhält. In der Arbeit von Jens Kapitzky findet sich beispielsweise ein Rekurs auf Groth 1996. Dieser hatte lang und breit ausgeführt, daß Uwe Barschel »hingerichtet« worden sei, daß man aber, so insinuiert es die Überschrift des Kapitels, deshalb, weil Political Correctness nur zwischen »gut und böse« unterscheide, nicht jedoch zwischen »wahr und falsch«, die Aufklärung dieser Ermordung verhindert habe: »Mord hätte nicht gepaßt. Ein ermordeter Uwe Barschel wäre ein Opfer – von was auch immer – gewesen. Er, den man doch gerade als Täter dingfest gemacht hatte. [...] Ein Mordopfer ist ein Opfer. Barschel durfte kein Opfer sein« (Groth 1996: 76-78; Zitate von 78). In den Ausführungen von Kapitzky ist daraus »Rainer Barschel« geworden, eine vorzügliche Fehlleistung, die den nachge-
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keit bewogen hat, geht darüber hinaus: hervorstechendes Merkmal vor allem des deutschen Diskurses ist ein Informationstransfer, der den Leser unserer Studie ein ums andere Mal an das alte Kinderspiel von der ›Stillen Post‹ erinnern wird: Am Ende der Kette ist die Ausgangsinformation kaum noch wiederzuerkennen! Analog dazu hat sich als Standard vieler Autoren, die sich mit dem Thema befaßt haben, ein Verständnis von Offenlegung ihrer Quellen und ihrer kritischen Prüfung eingebürgert, das über den methodischen Ansatz von Marvin Gayes I heard it through the grapevine kaum hinausreicht.7 Das wird insbesondere dann im Eilertschen Sinne peinlich, wenn gegenüber den ›politisch korrekten Postmodernisten‹ und ›poststrukturalistischen Multikulturalisten‹ die Latte der westlichen rationalen Wissenschaftlichkeit so hoch gelegt wird, daß im selben Atemzug unsere Verteidiger der abendländischen Aufklärung bequem darunter herlaufen können. Die ohnehin allenfalls mediokre Eleganz manch einer Argumentation ist daher teuer erkauft. Auch aus diesem Grund scheint uns die in dieser Angelegenheit übliche Verwendung amerikanischer (und auch deutscher) Autoren und ihrer Arbeiten als einer weit entfernten Legitimationsquelle, ohne sie selbst quasi zu Wort kommen zu lassen, unangebracht. Hinzu kommt, daß sich manche notwendige Einordnung und Feststellung bezüglich der amerikanischen und deutschen Diskussion ohne eine ausführliche zitatgestützte Begründung wie eine üble Nachrede anhören könnte. Kurz gesagt, wir werden in diesem Kapitel einige von Diskursgestrüpp überwucherte Seitenpfade in Kauf nehmen. Der sich daran anschließende Teil, das Vierte Tableau dieses Kapitels, zeigt dann die ›Konfiguration eines deutschen Themenparks‹. Hier werden wir auf einer tour d’ horizon exemplarisch vorführen, welche diskursiven Wünsche mit der Legende von der Korrektheit so alle in Erfüllung gehen konnten, wenn man sie nur geschickt modifizierte. Wir standen vor der Wahl, diesen Aspekt erst nach unserem methodischen Teil zu behandeln, was die Darstellung (und die Lektüre) vielleicht vereinfacht hätte. Jedoch – und das hat den Ausschlag gegeben – ist das thematische und auch methodische Ineinandergreifen von medienöffentlichem Diskurs (oder besser: Diskursen) und Fachdiskurs(en) so signifikant, daß wir
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schalteten Instanzen offenbar so sehr einleuchtete, daß die Gutachter der Arbeit und der Verlag diese Kostbarkeit unangetastet ließen (Kapitzky 2000: 62). Dafür sei allen Beteiligten ganz herzlich gedankt. Aber Spaß beiseite: so etwas passiert eben. Natürlich hat Gaye dieses Lied, das man mit ihm verbindet, nur interpretiert. Musik und Text stammen von Norman Whitfield und Barrett Strong. Vgl. Liner Notes zu The Very Best of Marvin Gaye; Sony/Motown 1994, 530 292-2.
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es für angezeigt hielten, sie zusammen zu behandeln. Ein Fazit beschließt das Kapitel. Dort werden die Forschungsprobleme, die wir im folgenden en détail darstellen, bündig und mit nur sehr vereinzelten ergänzenden Zitaten und Literaturverweisen noch einmal aufgerollt.
Erstes Tableau: Die Diskussion in Nordamerika im halbblinden Spiegel der deutschen Rezeption Obwohl es das eine diskursive Großereignis höchstwahrscheinlich nicht gab, von dem aus die Rede von der Korrektheit sich durchgesetzt hat, kann man einen Zeitraum ausmachen, in dem der Begriff in die Aufmerksamkeit und den Sprachgebrauch einer größeren Öffentlichkeit einrückte. Den Beginn der Popularität dieser Redeweise in den USA darf man vermutlich auf den Winter 1990/1991 datieren. Eine Reihe von Artikeln in der überregionalen Presse, so heißt es, trat die landesweite Berichterstattung los. Genannt werden in diesem Zusammenhang z. B. der Artikel Richard Bernsteins The Rising Hegemony of the Politically Correct (New York Times 28.10.1990, 4,1)8 sowie die Arbeiten von John Taylor Thought Police (Newsweek 14.01.1991, 42-48) und die Titelgeschichte Are you politically correct? (New York Magazine v. 21.01.1991, 32-40).9 In diesen Artikeln beschrieben Bernstein wie Taylor den angeblichen Meinungsterror an amerikanischen Universitäten und in der Gesellschaft und erregten damit einiges Aufsehen. Hier wie in folgenden Berichten kreisten die Erzählungen um alle möglichen Bestrebungen der ›Korrekten‹, mit Hilfe von speech codes, Kanonveränderungen und affirmative action Macht zu akkumulieren oder auszuüben, Vorgänge, die in der sich entwickelnden Lesart als lächerlich und gemeingefährlich zugleich, auf jeden Fall aber als illegitim geschildert wurden.10 Bereits früh
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Bernstein hatte bereits etwa 1988 mit einer Jeremiade über die ›orwellschen‹ Zustände an Universitäten reüssiert (s. dazu den Exkurs im nächsten Kapitel). 9 Vgl. dazu z. B. die Literaturverzeichnisse bei Schenz 1994, Zimmer 1997, Zöllner 1997, Scatamburlo 1998. 10 Diese Vorgänge sind andernorts zwar oft widersprüchlich, aber ausführlich geschildert worden. In der amerikanischen Literatur zum Thema bieten sich Berman 1992, Wilson 1995, Scatamburlo 1998 zur Information an. Verhältnismäßig solide Wiedergaben der Ereignisse in der deutschen Literatur scheinen uns Schenz 1994 und Greil 1998 und, wenn auch sehr knapp, Frank 1996b zu bieten. Bei allen gilt, daß ihre Fokussierung auf die in erster Linie verhandelten, prominenten Themen den Blick für den Punkt unseres Interesses verstellen. Dazu später mehr.
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mischten sich Ridikülisierung und Dramatisierung der Situation zu einer Gemengelage, die zu entmischen recht kompliziert ist. Ein mittlerweile klassischer Beleg dafür ist die immergrüne Anekdote von dem angeblich politisch korrekten Ausdruck »vertically challenged« für Personen, die »kleinwüchsig« sind. Dieses Beispiel wird – wenn überhaupt – meist nach dem satirisch konzipierten Official Politically Correct Dictionary and Handbook zitiert, dessen Autoren, sofern sie Quellen angeben, satirische und seriöse Quellen unterschiedslos mischen. Keineswegs ist es so, wie u.a. Gerhard Scheit und Jens Kapitzky es rätselhafterweise in die Welt gesetzt und dort belassen haben, daß zwar die Autoren »es nicht ernst meinen«, daß sie aber »bei jedem Stichwort aus ernstzunehmenden angloamerikanischen Publikationen zitieren.«11 Die in dem »satirischen Wörterbuch« (so immerhin Frank 1996a: 194) vollzogene, lexikologische Gleichsetzung von lächerlichen und weniger lächerlichen, ernsthaft oder auch im Scherz vorgebrachten Sprachregelungen führt zu einer Ridikülisierung einer jeden Sprachregelung, auch und gerade dann, wenn sie angemessen, notwendig oder schlicht und altmodisch höflich sein
11 Scheit (1998b [1994]: 48); zustimmend zit. bei Kapitzky (2000: 38, Fn 26). Anders als Kapitzky und Scheit werden wir unsere Einschätzung hier begründen müssen und auch können. In der Tat finden sich bei Beard und Cerf zu fast jedem Lemma Verweise, aber eben auf Quellen von unterschiedlichster Verläßlichkeit. Das können durchaus die genannten »ernstzunehmenden« Publikationen und Autoren sein, aber eben auch Satiriker wie der »Doonesbury«-Autor G. B. Trudeau oder aber die Kampfschriften von D’Souza und John Leo sowie (für uns zumindest) gänzlich Undurchschaubares. Aber in der deutschen Forschung zu diesem Buch gibt es so etwas wie Quellenkritik nicht. Die Konsequenzen sind denn auch danach. So findet sich bei Schenz (1994: 24 Fn 4, herv. v. MFE) folgende Vorbemerkung zur Beispielpräsentation: »Die folgenden Beispiele finden sich in unzähligen [!] Artikeln. Der Einfachheit halber wurden sie dem Band Official Politically Correct Dictionary and Handbook entnommen.« Eines der Beispiele, die Schenz dann aufführt, lautet: »Gibt es weibliche Teilnehmer an einem (Universitäts-)Seminar, soll dieses in »Ovular« umbenannte werden« (ebd. 25). Das klingt schon recht unglaubwürdig. Ausführlich und genüßlich beschrieben, garniert mit einem Beispielsatz von Beard und Cerf, den diese unter dem Lemma »Seminar« selbst konstruiert haben dürften (sie geben für diesen Satz keinen Beleg), findet sich das Beispiel in der Dissertation von Zöllner ein weiteres Mal beschrieben (Zöllner 1997: 275 und ebd. Fn 172). Und wie sieht jetzt die »ernstzunehmende angloamerikanische Publikation« aus, aus der das stammt? Beard und Cerf geben für die Substitution von Seminar durch Ovular folgenden Beleg: »Unnamed professor at Washington University, cited by Christina Hoff Summers of the Clark University Department of Philosophy in an unpublished manuscript, quoted in D’ Souza, Dinesh Illiberal Education, Free Press 1991« (Beard, Cerf 1994: 167). Eine ausführliche Kritik an dem Umgang der amerikanischen PC-Gegner mit fragwürdigen oder ungelesenen Quellen und Zitaten kann man bei Feldstein nachlesen (1997: 41-45).
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könnte. Der von Beard und Cerf als lexikonähnliche Satire konfigurierte Verweiszusammenhang kontaminiert in doppelter Weise jedes Beispiel und jeden Ausdruck, indem er durchweg ernste Ursprünge vorgaukelt und gleichzeitig vergnügte Rezeption all dieser Beispiele einfordert, was zumindest bei vielen deutschen Lesern erfolgreich verlief. Wie bereits erwähnt, wurde der Band schon im Dezember 1993 in der Titanic (Mentz 1993: 51) lobend rezensiert. Auch hier wurde ein durchweg ernster Hintergrund der Sammlung unterstellt. Um auf das Beispiel zurückzukommen: die Herausgeber Beard und Cerf beziehen sich bei dem Eintrag »vertically challenged« wiederum auf John Taylors ebenfalls satirisch-polemischen Text aus dem New York Magazine. Der Definition zufolge wird der Ausdruck verwendet für Personen, die »unter- oder überdurchschnittlich groß«, mit anderen Worten, klein oder hochgewachsen sind (Beard/Cerf 1994 [1992]: 76). Wir bitten darum, diese Definition und vor allem die »ernstzunehmende angloamerikanische Publikation« im Gedächtnis zu behalten, wir kommen gleich darauf zurück! Ein John Taylor hat auch den Artikel zum Thema im Encyclopedia Britannica 1992 Book of the Year verfaßt, in dem PC wie folgt »definiert« (oder eben nicht) wird: ... pejorative term to describe a loose collection of feminists, Marxists, multiculturalists, and decontructionist together with their assorted left-wing positions on race, sexual, orientation, gender, class, the environment, and related issues (EBBY 1992: 459; zit. nach Schenz 1994: 23).
Mit dem abenteuerlichen Generalschlüssel »related issues« wird in dem renommierten Nachschlagewerk also früh die bis heute beliebig erweiterbare Applikation der Redeweise vorweggenommen, die sich in der Sammlung von Beard und Cerf ebenfalls zeigt. Im Anschluß an Klassiker des Kampfes gegen die Liberalen wie Allan Blooms The Closing of the American Mind (1987) verdient vor allem das Buch des jungen ›Neocon‹ Dinesh D’Souza Illiberal Education. The Politics of Race and Sex On Campus (1992) eine besondere Erwähnung, zumal es hierzulande als zwar unstrittig rechtskonservative, aber in der Sache verläßliche Informationsquelle für die Umtriebe der Politisch Korrekten gehandelt wird (Schenz 1994, Zöllner 1997). Ebenso wie Taylor beschrieb D’Souza den Fall Thernstrom als eine typische Erscheinung von PC an amerikanischen Hochschulen. Diese Fallstudie ist ein wichtiges Relais zwischen der amerikanischen Diskussion und der Einführung des Begriffs nach Deutschland.
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Erste Wanderlegende: Der Fall Thernstrom Der Harvard-Dozent Stephen Thernstrom hatte 1988 in seinem Kurs The Peopling of America Literatur lesen lassen, die nach Meinung einiger Studenten die Sicht der Minderheiten und Sklaven nicht ausreichend berücksichtigte, und war dafür in einer Studentenzeitung in die Kritik geraten. Es schlossen sich einige heftige Auseinandersetzungen an. Man darf vermuten, nicht immer auf dem allerhöchsten intellektuellen Niveau. Thernstrom beschloß nach langem Überlegen, diesen Kurs nicht mehr zu geben, obwohl zahlreiche prominente Konservative wie Lynne Cheney, Gattin des heutigen Vize-Präsidenten der USA und seinerzeit Vorsitzende des National Endowment for the Humanities, Partei für ihn ergriffen. Cheney wie Thernstrom sprachen angesichts der Kritik stilprägend von »McCarthyism of the Left.« (Wilson 1995: 18). John Taylor begann seine Nacherzählung der Begebenheiten wie folgt: »Racist.« »Racist!« »The Man is a racist!« »A racist.« Such denunciations, hissed in tones of self-righteousness and contempt, vicious and vengeful, furious, smoking with hatred – such denunciations haunted Stephen Thernstrom for weeks (Taylor 1991 im New York Magazine; zit. nach Wilson 1995: 17).
Die Geschichte macht seitdem in dieser Form die Runde. Ungefiltert gelangte sie auch nach Deutschland. In dem u. W. ersten weitverbreiteten, ausführlichen deutschen Artikel über PC diente sie ebenfalls als Aufhänger und wurde bis ins dramaturgische Detail genauso weitererzählt, deklariert als journalistische, authentische Beschreibung der Vorgänge: Dann begann es hinter Thernstroms Rücken zu zischeln »Der Mann ist ein Rassist« (Brinck 1991).
Nach Taylors Vorgabe wörtlich zitiert wird die Geschichte abermals in der Dissertation von Zöllner (1997: 230f) und nicht weiter überprüft.12
12 Zwar findet sich im weiteren Verlauf bei Zöllner eine deemphatisierte Darstellung dieser »Begebenheit«, aber wiewohl ein großer Teil bei Zöllner in indirekter Rede gehalten ist, bleibt eine distanzierte Betrachtung aus (Zöllner 1997: 230-233). Dafür aber findet man in der Fußnote 52 ab Seite 231 ein ellenlanges Extempore, in dem Zöllner über die Probleme des Begriffs »Native American« räsoniert, wobei sie als Quelle ihrer Überlegungen wieder mal allen Ernstes das Wörterbuch von Beard und Cerf heranzieht. Der Anlaß für ihre Ausführungen ist, daß Thernstrom Indians gesagt habe anstatt Native Americans und dafür kritisiert worden
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Die Tatsache, daß Taylor sie zwei Jahre später (in New York 19.04.1993) ein weiteres Mal abdrucken lassen konnte, wird von Zöllner mit einem argumentativen Taschenspielertrick so interpretiert: Dies läßt darauf schließen, daß im Jahr 1993 die Forderungen der PCBewegung an Einfluß gewonnen haben, zeigt aber auch, daß die Ablehnung gegenüber dieser Bewegung in gleichem Maße gewachsen ist (Zöllner 1997: 233).
Ein Witz von einer Schlußfolgerung, in der die zeittypische Rekombination mythischer Bestandteile (eine »PC-Bewegung«, die »Forderungen stellt«, die noch dazu zwischen 1990 und 1993 »an Einfluß gewonnen« haben) dem Leser als akkurate Tatsachenbeschreibung untergejubelt wird. Und somit typisch für den deutschen Umgang mit diesem Phänomen: immer gut, weit weg, prüft keiner. Eine im Ton neutrale, in der Bewertung zurückhaltende Darstellung dieser angeblichen Ereignisse findet man bereits bei Schenz, als schlagendes Beispiel für die »Sprachreglementierung« durch die politisch Korrekten (Schenz 1994: 36), wobei allerdings die Autorin relativierend und etwas distanziert feststellt, daß Thernstrom bei der amerikanischen Rechten »fast zu einem Märtyrer erhoben wird« (ebd.). Diese Anekdote, die als Wanderlegende durch die Debatten spukt, ist eines der deutlichsten Beispiele für das Eigenleben, das noch die fragwürdigsten Anekdoten in diesem Diskurs führen. Den Kurs und die Kritik daran hat es gegeben, auch Thernstroms Resignation, die aber u. W. offiziell von niemandem gefordert und vermutlich von nur wenigen ernsthaft gewünscht wurde. Auch der Vorwurf des Rassismus an ihn, offen oder hinter seinem Rücken gezischelt, ist bisher nicht schlüssig belegt (vgl. dazu Wilson 1995: 18f). Thernstrom selbst war, unseren Quellen zufolge, von Taylors ›Dramatisierung‹ der Angelegenheit überrascht, sogar »entsetzt«: Even Thernstrom said he was »appalled« at reading Taylor’s words, explaining that »nothing like that ever happened« (vgl. Wilson 1995: 17; mit weiterführender Literatur).
All das gab die Forschung bereits 1995 her, und wenn schon nicht als endgültige Antwort, dann zumindest als Anlaß zum Nachhaken. Dieses
sei, obwohl letzeres nach Beard und Cerf ebenfalls ein problematischer Ausdruck sein könne (»The Natives are restless« könne gar beleidigend wirken) und die Indianer ja schließlich auch das American Indian Movement gegründet hätten undsoweiter. Und dieser ganze Minderfug wird von der Autorin mit dem allergrößten Ernst vorgetragen.
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Nachhaken ist bisher meist ausgeblieben, und der Tradierung der Legende in der deutschen Wissenschaft hat es, wie man sieht, nicht geschadet.
Zügig also wußte die amerikanische Öffentlichkeit über Wesen und Wirken der ›Political Correctness‹ Bescheid. John K. Wilson beschrieb einige Jahre später die rasante Entwicklung der Diskussion in einprägsamen Worten: In 1991, a new phrase began to be heard across America. Political Correctness, PC for short, quickly became one of the hottest terms in the country, spawning a flood of books, magazine articles, and editorials describing a reign of terror at American universities, led by radical students and faculty and supported by acquiescent administrators. Within the span of a few months, the media produced a barrage of articles, each a variation on a single theme: that leftist totalitarians had taken control of universities and were intimidating professors, censoring conservatives, politicizing curricula, and imposing a new »McCarthyism of the Left« on higher education. »Political Correctness« became the rallying cry of the conservative of academia, the phrase behind which all of the enemies – multiculturalism, affirmative action, speech codes, feminism, and tenured radicals – could be united into a single conspiracy. The mythology of political correctness declares that conservatives are the victims of a prevailing leftist ideology in American universities, oppressed by radical students and faculty determined to brainwash them (Wilson 1995: 1).
Etwa so darf man sich das Bedrohungszenario zu Beginn der Neunzigerjahre vorstellen. Die von der politische Rechten geäußerten Sorgen um die Manipulation der amerikanischen Jugend an den Universitäten durch »radikale Gelehrte«13 haben sich seitdem nicht wesentlich geändert, wie der im vorangegangenen Kapitel zitierte ACTA-Bericht anläßlich des 11. September 2001 zeigt. Rasch entstanden in den USA Sammelbände und zahlreiche Artikel aller politischer Couleur.14 Die Vielzahl und Beschaffenheit dieser
13 »Tenured Radicals«, zu deutsch etwa »Radikale mit Professur auf Lebenszeit«, ist der Titel einer Streitschrift von Roger Kimball, einem expliziten PC-Gegner. Der Untertitel der Studie [überhaupt wären die Untertitel all dieser Schriften mal eine ganz eigene Arbeit wert] lautet: »How Politics Has Corrupted Our Higher Education«. Sie erschien 1991 und haut in dieselbe Kerbe wie D’Souzas Studie Illiberal Education. The Politics of Race and Sex on Campus aus dem Jahr 1992. Vgl. dazu Scatamburlo 1998. 14 Zum Teil finden sich diese frühen Berichte aufgearbeitet in Schenz (1994) (vor allem Presseberichte), Zöllner (1997), Greil (1998). Die Sammelbände von Aufderheide (1992), Dunant (1994), vor allen anderen aber der
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Quellen und die dort wieder abgedruckten oder verarbeiteten Presseberichte zeigen, daß Wilson in seinem Szenario das Sammelsurium an Themen, Behauptungen und Ängsten zwar narrativ verdichtet, daß er aber keineswegs übertreibt. In Deutschland vielbeachtet und -zitiert – die Rezeption der amerikanischen Diskussion dabei allerdings auf dem Stand von 1991 einfrierend – wird vor allem die 1992 von Paul Berman herausgegebene Aufsatzsammlung, Sie stellt eine erste ernstzunehmende, vielstimmige und umfassende Bestandsaufnahme der streitenden Parteien in den Jahren 1990 und 1991 dar und ist möglicherweise der bekannteste und meistzitierte Sammelband zu diesem Thema.15 Bereits hier finden sich auch erste Versuche von amerikanischen Linken wie z. B. dem Herausgeber selbst (Berman 1992b) oder Barbara Ehrenreich (1992 [1991]), sich der Herausforderung durch diesen Diskurs zu stellen. Ehrenreichs Beitrag ist dann auch programmatisch mit The Challenge for the Left betitelt, und die Autorin grenzt sich massiv von dem ab, was sie sich als PC und »Multiculturalism« zusammenreimt.16 Dabei vertritt sie den für viele Linke typischen Standpunkt, daß die auseinanderdriftenden Ansprüche der politischen Partikularisten ›der linken Sache‹ letztlich schaden und am Wesentlichen vorbeigehen: Multiculturalism as pluralism leads to a moral slackness, the slackness of cultural relativism. [...] There can be no left where the only politics is narrow politics of identity. We have to defend multiculturalism, but let’s remember always that at its intellectual and moral core, the left isn’t multi-anything (Ehrenreich 1992 [1991]: 337). Now, I’m all for verbal uplift. I like being called Ms. I don’t want people saying »man« when they mean me, too [...] But I know that even when all women are Ms., we’ll still get sixty-five cents for every dollar earned by a man. [...] Verbal uplift is not the revolution (ebd. 336).
Der Band von Aufderheide (1992) stellt thematisch keine Erweiterung des von Berman versammelten Themenspektrums dar. Das einzig besondere an dem Band von Dunant 1994 ist der Blick auf Europa, in erster Linie England (Syal 1994, Hall 1994) und Frankreich (Appignanesi 1994). Ansonsten ist der Stand der Debatte auch hier nicht wesentlich weiterentwickelt worden. Bei der Lektüre all dieser Sammelbände wird
Sammelband von Berman (1992) stellen für die Aufarbeitung die wichtigsten Ausgangspunkte der amerikanischen und deutschen Forschung dar. 15 Eine ähnliche Einschätzung findet sich bei Kapitzky (2001: 25). 16 Dieses Zusammenreimen liest sich z. B. wie folgt: »I’ve noticed students that I would characterize as P.C. who get very worked up about imagined or real verbal slights, but you don’t see them running en masse to support campus workers when they’re organizing or striking« (Ehrenreich 1992 [1991]: 335f, herv. v. MFE).
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noch einmal deutlich, daß die Diskussionen nicht erst mit den genannten, das künftige Vokabular prägenden Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln anfingen, sondern daß bereits lange laufende Auseinandersetzungen um das Erbe der Sechziger Jahre in den neuen Redeweisen ihre neue Form fanden! Der Sammelband von Berman ist insofern nicht überholt, als daß in ihm ein großer Teil der thematischen Bandbreite und der verschiedenen Konfliktfelder nach wie vor repräsentativ dargestellt werden. Auch hat er mit D’Souza, Kimball, Gates, Ehrenreich und anderen einige der prominenten Teilnehmer an politischen Kämpfen der Achtziger und Neunziger versammelt, die die Auseinandersetzungen bestimmt haben und von Publikation zu Publikation sich am Themenspektrum entlang bewegen. Zwar ließe sich Bermans Sammelband auch als eine Buchbindersynthese mit dem Ziel der Konzeptualisierung eines Themas bezeichnen, weil der Herausgeber die Gesamtheit einer »PC-Debatte« als Herausgeber mitkonstruiert.17 Aber man muß ihm bei aller Kritik zugestehen, daß er damit die Konzeptualisierungsverfahren der Auseinandersetzungen in den Medien letztlich nur widerspiegelt. Die anhaltende Bedeutung des Bandes liegt darin, daß sich hier erstens betont konservative Gegner von ›PC‹ und daran angekoppelten Themen oder Sichtweisen äußern wie Dinesh D’Souza oder Roger Kimball; zweitens Befürworter von keineswegs neuen Positionen, die zunehmend unter PC-Verdacht geraten sind, und die nun versuchen, Haltung zu bewahren, so Stanley Fish 1992, der sich ungewöhnlich deutlich für Sprachregelungen ausspricht,18 oder Henry Louis Gates 1992, der für eine Kanonerweiterung plädiert; sowie drittens bereits Autoren, die versuchen, auf eine Meta-Ebene zu gelangen: entweder indem sie versuchen, die PC-Debatte als eine Intrige von konservativen Kreisen darzustellen (Berubé 1992), oder indem sie sich dafür stark machen, vermeintlich linke, unter PC-Verdacht geratene Positionen von diesem als Stigma empfundenen Zusammenhang zu befreien, ohne sie aufzugeben. Hier ist vor allem Barbara Ehrenreich zu nennen, die an der defensiven Positionierung der amerikanischen Linken führend und stilprägend beteiligt ist.19 Bei Autoren wie Berman, Ehrenreich, dem auch in
17 So etwa ist auch die Einschätzung Kapitzkys (2000: 25) – woraufhin er dann im Verlauf seiner Studie ganz ähnlich verfährt. 18 Fish gilt bei den Gegnern von PC als der korrekte Gottseibeiuns schlechthin. Greenspan beschreibt zu recht, daß Fish »gewöhnlich als der Erzschurke der PC identifiziert« wird (Greenspan 1999: 266, übers. von MFE). 19 Bereits die Aufsatztitel der genannten Autoren geben entscheidende Hinweise auf Inhalte und Tendenz und werden deshalb hier aufgeführt. Roger Kimball (1992; 1990 [Rede] bzw. 1991 [Erstpublikation]): The Periphery vs. the Center. The MLA in Chicago [Eine flammende Rede gegen
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Deutschland in Übersetzung rezipierten Hall (1994, dt. 1996) wird übrigens deutlich, daß, und das überrascht nur auf den ersten Blick, eben auch die altgedienten Linken und Liberalen von den als PC markierten Positionen mindestens irritiert, manchmal beleidigt, wenn nicht gar bedroht.20 Hall, das sei erwähnt und dann aber rasch wieder vergessen, vertritt die bemerkenswert dumme These, daß, als er Mitte der Achtziger Jahre dem Begriff das erste Mal »begegnete«, die Political Correctness »eindeutig fester Bestandteil des Rückschlags der achtziger gegen die sechziger« gewesen sei. Er klagt diskurstypisch über die »Gedankenpolizei«, und dann hebt eine Klage über thematische Enteignung an, wie sie für die Linke typisch ist: Die Rechte und die Moral Majority waren diejenigen, die vorzuschreiben versuchten, was in Seminarräumen der Universität gedacht oder gesagt werden durfte und was nicht. Für mich war die Erfahrung mit einer »Gedankenpolizei« in nächster Nähe so unangenehm, daß ich bestenfalls höchst widersprüchliche Gefühle hegte, als die, die man vage zu »unserer Seite« rechnen könnte, anfingen, political correctness einzuführen, um das zu verteidigen, was ich in den meisten Fällen für »unsere Themen« halte (Hall 1994: 70).
Obwohl dieser unwürdige Versuch, den Ursprung des Gespenstes auf der politischen Rechten zu verorten, um daraus eine Delegitimierung der Identity Politics abzuleiten, selbst in Anbetracht des niedrigen Niveaus der klassischen Linken im Umgang mit der Angelegenheit einen besonderen Tiefpunkt darstellt, ist die hier vorgeführte Mischung aus Aggression und Larmoyanz in einer Weise typisch, daß wir an dieser Stelle einen Vorgeschmack geben wollten. Derlei wird uns noch einige Male begegnen. Doch zunächst zurück zum Sammelband von Berman. Neben seiner Vielstimmigkeit ist er noch aus anderen Gründen bemerkenswert. Zum einen finden wir, wie gesagt, in dem Band Artikel, die den Begriff ›Political Correctness‹ überhaupt nicht verwenden, deren Autoren aber bereit waren, ihre Ausführungen unter diesem Gesichtspunkt sammeln zu lassen (Gates 1992 [1989], West 1992 [1991]). Zum anderen läßt sich we-
Multikulturalismus und für eine eurozentrisch ausgerichtete Kultur]; Stanley Fish 1992: There’s No Such Thing as Free Speech and It’s a Good Thing, Too; Henry Louis Gates Jr 1992 [1989]: Whose Canon Is It, Anyway? [noch nicht explizit in den PC-Zusammenhängen erstellt, aber für die Kanondebatte zentral]; Michael Berubé 1992 [1991]: Public Image Limited: Political Correctness an the Media’s Big Lie; Barbara Ehrenreich (1992): The Challenge for the Left. D’Souza ließ sich am 18. Juni 1991 in der ›MacNeil/Lehrer Newshour‹ interviewen. 20 So stellt Sarah Dunant bereits 1994 fest: »What PC has done is achieve the remarkable double whammy of offending both the right and a good deal of the left at the same time« (Dunant 1994b: XI).
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gen der oft unterschiedlichen Interessenlage und Arbeitsgebiete der Autoren ein Überblick über die Handlungsfelder gewinnen, die in den USA zunehmend unter dem Begriff PC verhandelt wurden: eben affirmative action; die Umstellung des Kanons bzw. seine Erweiterung oder gar Abschaffung, insbesondere in Abkehr von oder Ergänzung zu einer allzusehr ausgeprägten eurozentrischen Sicht;21 Vermeidung von vor allem
21 Wie der Kampf um eine eurozentrische Sicht aussieht, und wie dabei das Deutungsmuster in Anschlag gebracht wird, demonstrierte dann 1994 in einsamer Schönheit Harold Bloom, der sich für den Western Canon – so der Buchtitel – stark macht. Mit alttestamentarischem Furor erregt sich Bloom bereits im Vorwort seiner »Elegy for the Canon« – »Most simply, the Canon is Plato and Shakespeare« (Bloom 1995 [1994): 35) – und sieht sich durch das ganze Buch hindurch mit dem Rücken zur Wand: »I feel quite alone these days in defending the autonomy of the aesthetic [...]« (ebd. 10). Das Thema Einsamkeit wird in vielen Variationen durchgespielt: »Finding myself now surrounded by professors of hip-hop« (ebd. 517). Die Gegner seiner Kanon-Vorstellungen werden in enervierender Eintönigkeit als »School of Resentment« charakterisiert (ebd. 53, 527). »The shadows lengthen in our evening land« (ebd. 16), heißt es in kulturkritischem Moll, und Bloom klärt die Fronten zwischen Kanonvertretern und den anderen: »I am aware that there is a covert alliance between popular culture and what calls itself ›culture criticism‹, and in the name of that alliance cognition itself may doubtless yet acquire the stigma of the incorrect« (ebd. 35, herv. v. MFE). Das hier anklingende Motiv »cognition contra correctness«, einer wirklichen Korrektheit jenseits der »politischen Korrektheit«, wird weiter unten noch analysiert werden. Im Ton weniger aufgeregt, in der Sache vergleichbar ist der individuelle Literaturbericht des Filmkritikers David Denby, der 1991 noch mal zur Columbia-Universität ging, um die gleichen zwei Pflichtkurse zu belegen wie 1961 zu seiner Studentenzeit, Klassische Literatur und Kulturgeschichte der Gegenwart. Auch hier die bange Frage: »Was war mit der Lehre im Zeitalter der ideologischen Grabenkämpfe um einen politisch korrekten Literaturkanon geschehen, in einer Ecke der Universität, die scheinbar weit weg war vom eigentlichen Kriegsgeschehen, wo aber offensichtlich der Schlachtenlärm des Kampfs der Kulturen und Ideologien zu hören war?« (Denby 2001 [1996]: 19, herv. v. MFE) Mit seiner Einschätzung, daß ausgerechnet dieser Bereich weit weg vom Geschehen war, dürfte Denby wirklich alleine stehen. Seine Attacke gegen Korrektheit fand die begeisterte Akklamation Fritz Göttlers (SZ v. 08.12.1999), ein Film- und Buchrezensent, der ohne diese Legende einen guten Teil seiner Texte in den letzten zehn Jahren nicht hätte schreiben können, wie die SZ-CD-ROM »Bücherkritiken Januar 1994-30. Juni 2000« exemplarisch zeigt (einfach PC-Begriffsvarianten und »Göttler« oder »göt« kombinieren; und das sind nur seine Buchkritiken!). In Deutschland wird in regelmäßigen Abständen eine Kanondebatte in der Presse und den Universitäten geführt. Daran war auch Harold Bloom in der FAZ beteiligt (vgl. dazu Gendolla/Zelle 2000: 9ff). Der Sammelband von Gendolla und Zelle bündelt einige Diskussionsstränge und enthält eine umfangreiche Bibliographie zu diesem Thema (ebd. 117-129). Der Literaturwissenschaftler Stefan Speck stellt in seinem Beitrag apodiktisch
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sprachlichen Diskriminierungen durch Erstellen von Speech Codes und anderen Verhaltensmaßregeln. Dennoch, in diesem Sammelband wurden – bei aller Polyphonie und Differenz – die in der Presse im Einzelfall versuchten und vollendeten Kontextualisierungen auf ›seriöser‹ Ebene bestätigt. Berman schreibt bei dieser Gelegenheit noch einen anderen Aspekt fest, der in den Debatten immer wieder mal für Aufruhr sorgte, nämlich die Anbindung all dieser Debatten an die Theoriestränge des Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus, die – je nach Geschmack und Interessenlage des Schreibers – sowohl im expliziten Anschluß an als auch in Abkehr von (im weitesten Sinne) ›Achtundsechzig‹ die theoretische und politische Diskussion an amerikanischen Universitäten angeblich stark beeinflußten. Das sollte sich für die Eskalation der Auseinandersetzungen als entscheidend erweisen, wobei es in den USA im Gegensatz zu Deutschland durch die Identity-Politics-Gruppen eine ausgesprochen starke politische Erdung dieser Theorieansätze gab.22 Insofern läßt sich eben nicht generell von einem depolitisierenden Einfluß reden, wenn auch, wie Linda Grant 1994 feststellt, es oft eine deutliche thematische Verschiebung des politischen Interesses gegeben hat.23 Man kann Gerhard Scheit zustimmen, der mit Bezug auf Diederichsen bilanzierte: Die amerikanische Rezeption der französischen Theorien schafft das Paradoxe: In der Welt als Zeichensystem wird die Rekonstruktion der Handlungsfähigkeit in Angriff genommen (Scheit 1998 [1994]: 65).
Nun ist es immer aufs neue verführerisch, die von gegenseitigen Beleidigungen gekennzeichnete Debatte bzw. diese Debatten als eine rein akademische Angelegenheit zu betrachten, denn die Handlungsfelder Speech
fest: »Es darf jedoch bezweifelt werden, daß das kulturelle Gedächtnis jemals gerecht, politisch korrekt oder nach objektiven wissenschaftlichen Maßstäben verfuhr oder verfahren können wird« (Speck 2000 [1997]: 85, herv. v. MFE). Im Gegensatz zu Kapitzkys Auffassung, der in völliger Verkennung der Presselandschaft vom »Fehlen einer ›Kanondebatte‹« in Deutschland spricht (Kapitzky 2000: 103), finden sich genügend Anzeichen, daß auch in Deutschland eine Kopplung zwischen den PC-Debatten und den Kanondebatten stattgefunden hat (vgl. auch Grübel 1996; Schwanitz 2001 [1999]). 22 Vgl. Berman 1992b: 7ff. Dieser Aufsatz findet sich außerdem referiert und umakzentuiert in Zöllner 1997: 225f. 23 In ihrem Aufsatz zum Thema »date rape« schreibt sie: »Why is feminism so fixated on rape, pornography and incest when the great issues of 1960s and 1970s feminism – equal pay, workplace nursery provision, proper rights for part-time employees – remain largely unsolved?« (Grant 1994: 82). Hier finden sich hinsichtlich der Konzentration auf ökonomische Fragestellungen Parallelen zu Ehrenreich.
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Codes, Kanon und affirmative action, nicht zuletzt das oft ungelenk anmutende Hantieren mit der jüngeren französischen Philosophie,24 wurden zunächst hauptsächlich vor dem Hintergrund der Regelungen von (in erster Linie sprachlichen) Umgangsformen, Zulassungsverfahren und Stellenvergabe durch Quotierung und Curriculumsentwicklung an Schulen und Universitäten verhandelt. Allerdings ist der Ausbildungsbereich, in dem ja nicht nur schlichte Bildungspatente, sondern auch ökonomische und gesellschaftliche Aufstiegsprozesse und Schlüsselpositionen mitgestaltet werden, für jede Gesellschaft zentral. Darüber hinaus werden in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften außeruniversitäre Themen verhandelt, dies um so mehr, wenn die Membranen zwischen Universität, Wirtschaft, Politik und Medien so durchlässig sind wie in den USA und, was im übrigen auch für Deutschland gilt, wissenschaftliche Profilierung vor allem durch Ausweitung der Theorie und die Neuerschließung von Themengebieten prozessiert werden muß.25 Nicht zuletzt sind die amerikanischen Universitäten Teil einer idealen, und das heißt in diesem Fall durchschnittlichen, amerikanischen Biographie, worauf Sarah Dunant zu Recht aufmerksam macht: But those who dismiss PC as just a storm in an American Academic tea cup are wrong. Because of the importance of the campus in America (nearly 50 per cent of all Americans go to college) what happens there has an impact on the rest of the country (Dunant 1994b: IX).
Dieses Zitat stammt aus dem zwei Jahre später in Großbritannien publizierten Sammelband, der in einer Anspielung auf H. G. Wells The War of the Words betitelt wurde (Dunant 1994). Hier versuchte die Herausgeberin Sarah Dunant, einen »Blick hinter die Schlagzeilen der Boulevardpresse«26 zu ermöglichen, und es finden sich mit Bezügen zu Europa vor allem Reflexionen über den Stand der Diskussion in den USA, beinahe ausschließlich aus in weitestem Sinne linker Sicht, in Affirmation oder mehr oder weniger scharfer Ablehnung gegenüber dem, was die jeweiligen Autoren unter PC verstehen möchten. Obwohl die Rückprojektion
24 Vergleiche hier den Bericht von Bricmont/Sokal 2001. 25 Natürlich gibt es diese Verbindungen auch in Deutschland. Dennoch scheinen uns einige deutliche Unterschiede zu bestehen. Vergleicht man beispielsweise eine Beschreibung, wie sie Claus Leggewie 1989 für die letztlich armseligen konservativen Denkfabriken in den Achtziger Jahren in Deutschland angefertigt hat, mit den einschlägigen Passagen in Leggewie 1997, Scatamburlo 1998, Hardisty 1999, die die Entwicklung und den Aufbau konservativer Thinktanks in den USA skizzieren, drängt sich der Eindruck allergrößter Provinzialität in Deutschland auf. Das von uns ausgeführte Beispiel ACTA ist nur die Spitze eines Eisbergs. 26 Wörtlich: »to get behind the tabloid headlines« (Dunant 1994: VIII).
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eher eine deutsche Spezialität zu sein scheint, finden sich auch andernorts Tendenzen, diese Deutung in die Vergangenheit auszudehnen. So erläutert Sarah Dunant im Vorwort ihres Sammelbands zu dem Thema eine genuin britische Parallele: So what has all this to do with us? Well, quite a lot actually. While many commentators here were denouncing the arrival of PC as some dread American import, as damaging our culture as McDonald’s has been to our taste buds, the fact is that its concerns – the promotion of rights and sensibilities of racial and sexual minorities through education, positive discrimination and culture – had already been part of a limited, but nevertheless bloody, political skirmish fought here during the early 1980s in the arena of the Greater London Council and other Labour run local councils. Of course there were differences of ideology and strategy between Ken Livingstone’s GLC and 1990s PC – though you’d be hard pressed to tell that from the media reports. Take almost any recent tabloid PC headline, substitute the words ›loony left‹ for ›PC‹ and I guarantee you’ll not be able to tell whether the story came from 1994 or ’84« (Dunant 1994: Xf).
Sie beschreibt im weiteren, daß auf PC in England von links wie von rechts insgesamt wesentlich panischer reagiert worden ist als in den USA, was sie im Falle der Linken ohnehin für eine »tragic affair« hält (ebd. XI).27 Der Kulturwissenschaftler Stuart Hall stellt sich wie gesagt in diesem Band deutlich gegen PC, was sich bis in die Titelgebung seines Aufsatzes niedergeschlagen hat. Er übt scharfe Kritik an der Sprachfixiertheit und dem invertierten Rassismus der Korrekten. Auf diese Weise vertritt er den mittlerweile klassisch gewordenen Standpunkt der beleidigten Linken, der die sogenannte »Second Wave of Controversy« prägt: The sense we had that PC has divided the left against itself, is not, in the end, an illusion or a mistake, because, indeed, there is a fundamental divide (Hall 1994: 182).
Diese Trennung besteht vor allem darin, wie er weiter ausführt, daß nach seiner Auffassung PC nur an einem bloßen Machtwechsel und nicht an einer Abschaffung oder wenigstens Kontrolle der Macht selbst interessiert ist (ebd. 182f). Die sich in seinen Ausführungen zeigende Unruhe angesichts dessen, was er so alles als ›politisch korrekt‹ diffamiert, zeigt
27 Ähnlich wie Dunant, aber weitaus expliziter stellt sich Syal 1994 in diesem Band affirmativ zu PC. Die von Dunant hier kritisierte Austauschbarkeit des Steckbriefs von »Loony Left« und PC wird übrigens bei Diederichsen genau umgekehrt verwendet, nämlich in scharfer Abgrenzung von PC gegenüber derjenigen Loony Left, die sich in Deutschland über Wiglaf Droste hergemacht hat (Diederichsen 1996: 115).
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in gewisser Weise die Hellsichtigkeit von Scheits Diagnose aus demselben Jahr: Political Correctness eignet sich eben nicht zuletzt dazu, die Machtfrage zu stellen. Die Antwort geht freilich über sie hinaus – und es ist ratsam, sich dafür zu wappnen (Scheit 1994: 51).
Der aus einer Vortragsreihe entwickelte Band Culture of Complaint von Robert Hughes, einem in den USA arbeitenden australischen Kunstkritiker, ist die einzige bedeutende Monographie, die zu diesem Thema ins Deutsche übertragen wurde.28 Der Autor positioniert sich in seinem Vorwort als ein Außenstehender, der sich über ein Land äußert, das er »kenn[t] und lieb[t] wie kein zweites Land außer Australien« (Hughes 1995 [1993]: 8). Was das Buch auszeichnet, ist die unter dem Strich weitgehend unparteiische Darstellung der unterschiedlichen Kombattanten. Besser gesagt: Hughes teilt nach allen Seiten aus.29 Er ist erklärter Gegner einer ›Political Correctness‹, verwahrt sich aber deutlich gegen die bekannte rechte Diagnose, es handele sich dabei um so etwas wie »McCarthyismus«. Einerseits macht er sich für Stephen Thernstrom stark (Hughes 1995: 79f). Andererseits spricht er sich aber auch gegen Zensurtendenzen auf der rechten Seite des politischen Spektrums aus, die er in ihrer Schädlichkeit und Unangemessenheit mit PC gleichsetzt. Den Hang der amerikanischen Rechten, ihre Werte in den Vordergrund zu stellen und ihr Land als einzig verbliebene Weltmacht zu positionieren, und die Diskursstrategie, diesen Umstand begrifflich zu verschleiern, bezeichnet Hughes als »patriotische Korrektheit«, ein Gegenbegriff, der auch am Rande der deutschen Diskussion gelegentlich zitiert oder verwendet wird (Bonder 1995, Behrens/von Rimscha 1995: 19). Zu all den in den Debatten verhandelten Punkten wie Multikulturalismus, Feminismus, Sklaverei in den USA etc. nimmt er dezidiert Stel-
28 Es gibt noch eine weitere Kleinigkeit, die diesen Band zu etwas Besonderem macht. Schon 1994 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel Nachrichten aus dem Jammertal – Wie sich die Amerikaner in political correctness verstrickt haben. Bereits ein Jahr später – eine ungewöhnlich kurze Frist – wurde dieselbe Übersetzung als Taschenbuch neuveröffentlicht, nun unter dem neuen Titel Political Correctness oder die Kunst, sich selbst das Denken zu verbieten. Das Buch ist aus diesem Grund ein Indikator für die seinerzeitige außerordentliche Konjunktur des Begriffes in Deutschland. Die deutsche Umschlagtextprosa des Taschenbuchs verkündet: »Ein glänzend geschriebenes Buch zur kulturellen und politischen Debatte der Stunde« (Hughes 1995). 29 Es ist uns daher rätselhaft, daß Diederichsen Hughes’ Buch und Schwanitz’ geradezu abstoßend dummen Roman Der Campus in einem Atemzug nennt.
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lung, wobei er affirmative und kritische Einschätzungen fallweise vornimmt und ausführlich begründet: Von der rassistischen Afrocentricity eines Leonard Jeffries oder dem Radikalfeminismus von Andrea Dworkin hält er nicht viel und weiß das in erfreulich treffende Worte zu kleiden. Die Homophobie von George Bush Sr. und Ronald Reagan allerdings ist ihm genauso ein Dorn im Auge (ebd. 47). Auch kritisiert er das, was möglicherweise eines der wichtigsten Leitmotive der Diskussionen darstellt und was nur allzuoft hinter dem vagen Ausdruck »Backlash« sich verbirgt: Etikettenschwindel, wohin man schaut. in den letzten fünfzehn Jahren ist es den amerikanischen Konservativen fast ebenso kampflos wie nahtlos gelungen, Forderungen und Wünsche, die in einem weniger neurotischen Staat als eine einfache Erweiterung der in der Verfassung garantierten Rechte und somit als ideologisch völlig neutral empfunden würden, als linksextrem zu brandmarken (Hughes 1995: 46).
Und noch einen wichtigen Hinweis kann man dieser Polemik entnehmen. Hughes macht sich über die Klage der Rechten lustig, daß die Universitäten seit den Sechzigern von den Linken »politisiert« würden. »Politisiert« seien sie immer schon gewesen, hält er dagegen (ebd. 86), um damit nachzukarten, daß die »Western Civ«-Kurse tatsächlich erst in die amerikanischen Lehrpläne aufgenommen [wurden], als und weil die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg eintraten. Die amerikanische Regierung wollte, daß die College-Boys wußten, wofür sie kämpften, und so wurde denn ein »War Issues-« sprich Propaganda -Kurs eingerichtet. [...] Er hatte die amerikanische Jugend über die teutonischen Teufeleien aufzuklären. Nach Kriegsende wurde der Kurs vom Columbia College zur »Geschichte der zeitgenössischen Kultur« umgemodelt, dem Prototyp der modernen »Western Civ«-Kurse, Ziel war nunmehr [...] die Herausbildung »demokratiesicherer« Studenten, komplett geimpft gegen die neue Bedrohung durch »das destruktive Element in unserer Gesellschaft«, den Bolschewismus (ebd. 87).30
Obwohl Hughes in Deutschland kurzzeitig rezipiert worden ist, ist seine vielfältig ausgerichtete Polemik für den Verlauf der deutschen Debatte beinahe wirkungslos geblieben – mit einer im Nachhinein muß man sagen, bedauerlichen – Ausnahme. Damit kommen wir zur zweiten Wanderlegende.
30 In Deutschland hat hierauf Bonder schon aufmerksam gemacht (1995: 12ff).
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Zweite Wanderlegende: Lourdes und die »Vertikal Herausgeforderten« Zwar hatten Schenz (1994: 20), aber auch Behrens und von Rimscha (1995: 19) auf Hughes ›Zweifrontenkrieg‹ aufmerksam gemacht, den der Australier munter und unverdrossen führt. Doch trotz solcher Rezeptionen und seiner Popularität ist von dem kompakten Buch in Deutschland wenig mehr hängen geblieben als die zu Tode zitierte Redewendung von dem »sprachlichen Lourdes«, das durch die politisch korrekten Sprachregelungen angeblich errichtet werden soll:31 We want to create a sort of linguistic Lourdes, where evil and misfortune are dispelled by a dip in the waters of euphemism. Does the cripple rise from the wheelchair, or feel better about being stuck in it, because someone back in the days of the Carter administration decided that, for official purposes, he was »physically challenged«? (zit. nach Zöllner 1997: 266; dt. Ausgabe Hughes 1995: 33).
Sowohl die religiöse Metapher als auch das Argumentationsschema mit Hilfe rhetorischer Fragen sind stilprägend für Deutschland geworden. Bereits 1994 in dem anonymen Spiegel-Artikel über »Amerikas neuesten Versuch, die Welt zu verbessern«, liest man eine Variation über Hughes’ Thema, in der auch die unvermeidlichen »Vertikal Herausgeforderten« aus dem Taylor-Aufsatz und dem satirischen Wörterbuch von Beard und Cerf uns wieder begegnen: Wird, nur mal so gefragt, der soziale Frieden gesichert und das »Streben nach Glück« (US-Verfassung) gefördert, wenn ein Schwarzer nun »Afro-Amerikaner« heißt? Ein Kleinwüchsiger »vertikal Herausgeforderter«? Ein Behinderter »anders Befähigter« und ein toter »nicht lebende Person«? Unfug? PC (Spiegel 28/1994: 160).
PC? Unfug. Bei Papcke lesen wir dann mehrfach, wiederum ohne genauen Quellennachweis,32 eine Mischung aus Hughes und Spiegel: Denn wenn der Blinde »other-visioned«, der Lahme »differently abled« oder der Zwergwüchsige »vertically challenged« genannt wird, was ist damit ge-
31 Wir zitieren hier nach dem Abdruck des Originalzitats bei Zöllner (1997: 266), weil die deutsche Übersetzung im Detail etwas unzuverlässig zu sein scheint. 32 Den Aufsatz gibt es in zwei leicht abweichenden Varianten, einmal als »Political Correctness und die Reinigung der Sprache« (1995) und zum anderen Mal als »Political Correctness und die Reinigung des Denkens« (1996).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT wonnen? [...] Allerdings hat das PC-sprachliche Lourdes den Effekt, eine Gemeinde semantisch Gleichgesinnter zu stiften (Papcke 1995: 26; 1996: 218).
Behrens und von Rimscha spinnen mit diesem Material im selben Jahr die Fabel (teils mit, teils ohne Quellenangabe) weiter, wobei sie sich der diskurstypischen Sprachidolatrie – »Man denkt in Sprache« – hingeben: PC ist richtiges Denken. Man denkt in Sprache. PC normiert daher die Sprache [...] Ein Zwergwüchsiger in den USA ist ein »vertikal Herausgeforderter«. Ein Blinder ist »anderssichtig« ... (Behrens/von Rimscha 1995: 14) [...] Die sanfteste Kritik an PC sieht in der Sprachreinheitsverordnung so etwas wie ein semantisches Lourdes. »Man taucht die Gebrechen der Menschen und die Übel der Zeit in die Wässer des Euphemismus«, schreibt Raeithel im Tagesspiegel (ebd. 30; ob wiederum Raeithel im Tagesspiegel 05.01.1995 seine Quelle angab, haben wir nicht geprüft).
Schließlich veröffentlichte der Eichborn Verlag ein Buch von Rainer Bruno mit »politisch korrekten Märchen« unter dem Titel »Schneewittchen und die sieben vertikal Herausgeforderten« (Bruno 1996). Allerspätestens hier hätte man so langsam etwas merken können. Dieter E. Zimmer, ansonsten nicht immer auf der Höhe des Geschehens, hat denn auch 1996 in der Zeit vergeblich darauf gepocht, daß es sich bei den »vertikal Herausgeforderten« um einen Scherz handele (Zimmer 1996: 56). Bereits in Zöllners Dissertation wiederum ist »vertically challenged« weiterhin ein zwar von der Autorin selbst ridikülisiertes, als Beleg aber ernstgenommenes Beispiel (Zöllner 1997: 220). Und auch in Dietrich Schwanitz’ Bildungsruine aus dem Eichborn Verlag liest man ein weiteres Mal, selbstverständlich ohne Beleg, zum Stichwort »Feminismus und Multikulturalismus«: Vor allem werden häßliche, diskriminierende Ausdrücke durch eine Art semantisches Lourdes geheilt und in schöne Ausdrücke verwandelt; man sagt nicht mehr »klein«, sondern »vertikal herausgefordert«, nicht mehr »doof«, sondern »andersbegabt« (Schwanitz 2001 [1999]: 358).
»Alles, was man wissen muß«, wie es im Untertitel dieses Buches großsprecherisch heißt. Nur Klaus Groth, dem kein Lektor rettend in den Arm gefallen ist und der durchweg die grammatikferne, die deutsche Form ›politisch korrekt‹ andeutende Variante »political correct« schreibt, hat scheinbar nicht richtig aufgepaßt und erzählt seinen Lesern: Den »horizontally challenged«, den horizontal Herausgeforderten, kannten wir bisher als Dicken. Entsprechend ist ein »vertically challenged« ein Dünner. Abgesehen davon, daß ein höflicher Mensch einem Häßlichen niemals sagen würde, daß er häßlich ist, wäre dieser political correct als »cosmetically different« zu bezeichnen (Groth 1996: 18, herv. v. MFE).
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Allein, Groth hat ganz prima aufgepaßt – er hat nur an einer schlechten Adresse abgeschrieben. Die hier vorzufindende Reihenfolge der im Wörterbuch von Beard und Cerf im Buch verstreuten Beispiele läßt mit hinreichender Sicherheit darauf schließen (Quellennachweise gibt es bei Groth natürlich nicht), daß er munter bei Bonder 1995 abgeschrieben hat, der sich zwar korrekterweise für seine Beispielmontage auf Beard und Cerf bezieht, aber beim Übersetzen gepfuscht hat: Dicke heißen »horizontally challenged«, horizontal Herausgeforderte. Dünne sind »vertically challenged«, also vertikal Herausgeforderte. Häßliche sollen »cosmetically different«, kosmetisch verschieden, genannt werden (Bonder 1995: 9).
Wir sprachen bereits über das Eigenleben von Anekdoten und von Redewendungen, die scheinbar quellen- und heimatlos durch die Diskurse wandern. Es dürfte nun klar geworden sein, wie wir das meinen.
Zweites Tableau: Die nordamerikanische Linke und ihr Verhältnis zur ›Political Correctness‹ Undank ist der Welten Lohn.
Ab Mitte der Neunziger Jahre läßt sich beobachteten, wie eine fragmentierte und von der Anti-PC-Kampagne arg verstörte amerikanische Linke versucht, in der politischen Diskussion wieder Boden gutzumachen. Das ist nicht immer schön anzusehen. Tendenziell lassen sich zwei Diskursstränge unterscheiden. Der erste wird gebildet von Texten und Argumentationen, in denen linke Wissenschaftler und Publizisten versuchen, sich gegen die Anti-PC-Kampagnen und mal mehr, mal weniger ambitioniert auf die Seite der Angegriffenen zu stellen. Der zweite wird gebildet von Linken, die versuchen, sich möglichst aus der Schußlinie zu bringen, und sei es um den Preis, daß sie sich gegen die Minderheitengruppen stellen. Hier ist in zahlreichen Spielarten zu beobachten, wie verletzte Eitelkeiten der arrivierten Linken nun durch das Begleichen alter Rechnungen mit diesen Gruppen gelindert werden sollen – wenn man so will, ein ›sprachliches Lourdes‹ ganz besonderer Art. Einige der in diesem Zusammenhang entstandenen Monographien und Sammelbandbeiträge wollen wir nun vorstellen.
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Teil 1: Esprit d’escalier Der bereits mehrfach zitierte John K. Wilson ist in Deutschland nur sehr wenig wahrgenommen worden, obwohl er bereits verhältnismäßig früh in der Debatte sich zu Wort meldete. Normalerweise ist ein solcher Befund nicht viel wert, denn es gibt einfach zu viel Material; aber wenn ein Buch The Myth of Political Correctness. The Conservative Attack on Higher Education heißt und an einem der zentralen Kampfplätze, der Duke University,33 entstanden ist, bietet sich eigentlich an, es zu Arbeiten und Thesenbildungen über die Ursprünge und den Verlauf der amerikanischen PC-Debatte heranzuziehen. Hinzu kommt, daß Wilsons Studie aktueller als die hierzulande weiterhin zitierten Arbeiten von D’Souza, Berman, Hughes etc. ist und bereits vom Titel her verspricht, einen neuen Aspekt ins Spiel zu bringen.34 Sie ist eine Mischung aus Erlebnisbericht und wissenschaftlicher Aufarbeitung. Auch muß man sie als eine bewußt hochschulpolitische Schrift betrachten – immerhin gehört Wilson zur Organisation »Teachers for a Democratic Culture«, einer linken Hochschulorganisation, die sich erst im Verlauf der Anti-PC-Kampagnen gründete.35 Die Arbeit scheint in erster Linie konzipiert als ein Gegenentwurf zu D’Souzas Illiberal Education und Kimballs Tenured Radicals. Der letzte Absatz von Wilsons Danksagung ist denn auch als Spitze gegen konservative Gruppierungen und Stiftungen zu lesen: Finally, I thank the following conservative foundations: the John M. Olin foundation, the Lynde and Harry Bradley foundation, the Carthage Foundation, and the Smith Richardson Foundation. None of them gave me any grants (I received no money from anyone to write this book), but millions of dollars from these foundations subsidized dozens of conservative organizations, books, and magazines that were indespensable in providing the errors, distor-
33 Der bereits erwähnte Stanley Fish, Vorkämpfer in Sachen speech codes, war eine Weile Vorsitzender des English Department an der Duke University. In den Diskussionen wurde Fish von den Rechten als »deconstructionist« sozusagen diffamiert (vgl. dazu Feldstein 1997: 43f). Haskell spricht davon, daß Fish »Orwellian Standards« in Sachen speech codes vertrete (Haskell 1996: 80). 34 Jedoch ist sie nicht aufgeführt in den Literaturlisten von Frank 1996, Zöllner 1997, Zimmer 1997, Kapitzky 2000, dafür in Diederichsen 1996, Greil 1998 und Manske 2002. Außerdem findet man frühere Aufsätze Wilsons bei Schenz 1994 erwähnt. 35 Laut Manske gründete sich diese Organisation als Gegenorganisatation zur konservativen NAS, die die Universitäten von affirmative action und sinkenden Leistungsstandards bedroht sieht. Eines der Gründungsmitglieder ist Gerald Graff. Vgl. dazu Manske 2002: 36.
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VIER TABLEAUS tions, and outright lies I analyze in these chapters. Without their successful efforts to create the myth of political correctness, I could not expose it in this book (Wilson 1995: IX).
Die Brisanz dieser ungewöhnlichen Danksagung erschließt sich dann, wenn man Wilsons Bericht liest, demzufolge die genannte John M.Olin Foundation 1988 ein $30.000 Stipendium für Dinesh D’Souza zur Verfügung stellte, damit er sein Buch Illiberal Education (unter dem Arbeitstitel The New Elite) begann.36 Nachdem D’Souza 1989 »research fellow« beim American Enterprise Institute (AEI) wurde, gab man ihm weitere $50.000, und die gleiche Summe im Folgejahr. Vom Madison Center erhielt er schließlich noch $20.000 für die Absatzwerbung des Buchs.37 Im Anschluß daran begann seine landesweite Expertenkarriere für Bildungsfragen und ›Political Correctness‹, die ohne weitere Prüfung auch für die deutsche Rezeption verbindlich wurde.38 So wurde ein ausführliches Interview mit D’Souza in Schenz 1994 abgedruckt, in dem er seiner Expertentätigkeit nachging, und er wird bei Zöllner 1997 und Kapitzky 2000 noch stets als verläßliche Referenz herangezogen.
Zwischenstück Bevor uns die Liebe zum Detail vollends davonträgt, brauchen wir an dieser Stelle für unsere Darstellung noch ein wenig Hintergrundmaterial zur Einordnung solcher Texte. Das American Enterprise Institute spielt als konservative Drehscheibe der amerikanischen Hochschulkriege eine bevorzugte Rolle. Gegründet wurde es 1943 als American Enterprise Association, um eine liberale Freimarktideologie gegen Roosevelts wohlfahrtsstaatliche New Deal Politik zu stärken. Erst in den späten Siebzigerjahren begann es durch finanzielle Förderungen in den Medien und
36 Am Rande sie angemerkt, daß diese Stiftung auch das oben zitierte ACTA mitfinanziert. Allerdings fällt der Beitrag mit 100.000 $ p.a. für eine ganze Institution vergleichweise bescheiden aus, wenn man die Finanzierung allein von D’Souza betrachtet. Siehe dazu auch den »Schedule of Grants« der Olin Foundation im Internet unter www.jmof.org. 37 Diese Geschichte ist aufgearbeitet in Scatamburlo (1998: 77). Die Zahlen, die wiederum Wilson nennt, stimmen mit ihren Angaben fast exakt überein ($30.000 Startkapital, $20.000 Absatzwerbung, Olin Stipendium $98.400) (Wilson 1995: 26). Vgl. zur finanziellen Ausstattung von rechten Denkfabriken überhaupt Scatamburlo (1998), Wilson (1995: 26ff); allgemein außerdem zum intellektuellen Neokonservativismus in den USA Leggewie (1997: 227ff); Hardisty (1999: 37ff). 38 In Berman 1992, Aufderheide 1992, sowie in diversen Fernsehshows, vgl. Scatamburlo 1998.
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Universitäten immens an Einfluß zu gewinnen, was sich unter der Reagan-Administration verstärkte (Hardisty 1999: 148). Mittlerweile engagiert das AEI sich u.a. gegen jede Form der affirmative action, weil dieses Konzept der Freimarktideologie abträglich sei. Es gibt intensive Kooperationen mit diversen landesweit arbeitenden Fernsehstationen und mit ungefähr einhundert Tageszeitungen, für die Artikel produziert werden (Scatamburlo 1998: 53ff). Auch finden unter diesem Schirm spektakuläre wissenschaftliche Publikationen eine Produktionsstätte. Zwei für unsere Studie relevante Beispiele wollen wir nennen: Als der Libertarian Charles Murray (zusammen mit Richard Herrnstein) 1994 sein Buch The Bell Curve publizierte, ein Buch, dessen Inhalt belegen sollte, daß schwarze Amerikaner im Durchschnitt weniger intelligent als weiße sind, wurde er beim konservativen Manhattan Institute entlassen, weil man selbst dort die Auffassung vertrat, daß er zu weit gegangen war.39 Die Bradley Foundation, die ihn bis dahin ebenfalls gefördert hatte, unterstützte ihn auch weiterhin und erneuerte sein Stipendium, nachdem er beim AEI untergekommen war (Hardisty 1999: 63). Während Herrnstein/Murray den biologischen Rassismus im AEI repräsentieren, argumentiert D’Souza grundsätzlich kulturalistisch. Im AEI wurde auch D’Souzas Nachfolgewerk, ein umfangreicher Band mit dem schönen Titel The End Of Racism (1996 [1995]) produziert, der darauf hinauslief, daß es in USA kaum noch ernsthaften Rassismus gegen Schwarze zu vermelden gebe, auch weil es kein ökonomisches Interesse an der Ausbeutung der Schwarzen durch die Weißen gäbe – wörtlich: »most whites have no economic stake in the ghetto« (ebd. 554). Bereits 1993 hatte der aus Indien in die USA eingewanderte Autor, der seit 1991 die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt (D’Souza 1996: vii), die deutsche Journalistin Viola Schenz über das Verschwinden des Rassismus daselbst aufgeklärt: [...] the fact is that old racism has become so either rare or underground that you now have to essentially hunt in dark alleys to find examples of it. That is basicly not a part of American public life (D’Souza 1993 Interview, 163).40
39 The Bell Curve erschien im Herbst 1994 und wurde in den USA zu einem Medienspektakel aufgeblasen. Eine knappe Darstellung des Wirbels und eine Kritik daran findet sich in Gardner (2002: 17-20). 40 Das ist also ein authentischer Bericht über den nicht mehr existierenden Rassismus aus einem Land, in dem knapp anderthalb Jahre später, am 27.06.1994 das Magazin Time das gleiche Photo des soeben unter Mordverdacht verhafteten farbigen Ex-Footballers O.J. Simpson auf dem Cover hatte wie sein Konkurrenzblatt Newsweek, nur daß Simpson auf dem Cover von Time viel »schwärzer« aussah. Die verantwortlichen Bildtechniker hatten das Gesicht manipuliert, damit Simpson noch dunkler und,
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Gefährlich hingegen sei der »New Racism« der Schwarzen (ebd.) und ihr selbstverschuldetes Versagen in Gesellschaft und Familie (vgl. D’Souza 1996: 477ff). Das größte strukturelle Problem für die Schwarzen sei daher die »Bürgerrechtsindustrie« und das Fehlen einer rasseneutralen, liberalistischen Politik: [I]t is the civil rights industry which now has a vested interest in the persistence of the ghetto, because the miseries of poor blacks are the best advertisement for continuing programs of racial preferences and set-asides (ebd. D’Souza 1996 [1995]: 554). [...] The real issue in America is not whether Cornel West [ein schwarzer Wissenschaftler und Bürgerrechtler, MFE; s. auch West 1992 in Berman 1992] can get a taxi. If he dresses well he is less likely to be mistaken for a criminal, and if one cab passes him by, another will come along to take him to the dining room at the Harvard faculty club (ebd.).41
Außerdem, so fährt D’Souza fort, müßten die amerikanischen Schwarzen in Rechnung stellen, daß man ihretwegen schließlich einen blutigen Krieg geführt habe (»one life for every six slaves freed«, ebd. 111)42 und sie sich eigentlich glücklich schätzen müßten, in dem einzigen Land geboren zu sein, das die Sklaverei großzügigerweise aus eigener Kraft abgeschafft habe, obwohl die Schwarzen selbst zu einer Revolte nicht fähig gewesen wären (ebd. 112). Ihre schlechte Situation in den USA hätten sie sich in erster Linie selbst zuzuschreiben. Als aufgrund der Publikation dieses Meilensteins der Rassismusforschung zwei afroamerikanische Konservative das AEI im Streit verließen (vgl. dazu auch Scatamburlo 1998: 120), reagierte D’Souza im Vorwort zur Taschenbuchausgabe so, wie man es mittlerweile kennt, indem er sich als Tabubrecher inszenierte, hier in einer ethnopluralistischen Variante:
so die Kalkulation, bedrohlicher aussah, zumal man ihm vorwarf, seine weiße Ehefrau ermordet zu haben. (Koch 1996: 171f). Zum alltäglichen, nicht in erster Linie sprachlichen Rassismus in den USA gegenüber auch wohlhabenden Afroamerikanern – von Armen ganz zu schweigen, aber es ist eben nicht nur ein Klassenproblem – siehe Graham 1995. Mit Blick vor allem auf Kulturkrieg und Sprache siehe Kelleys »Yo’ mama’s disfunktional« (1997). 41 Daß diese Ausführungen nichts anderes als Geschwafel sind, kann man in der vieldiskutierten Aufsatzsammlung von Graham nachlesen. Der Autor hat unter anderem den Alltagsrassismus in erstklassigen New Yorker Restaurants und in Golfclubs in den Neunziger Jahren akribisch dokumentiert (Graham 1995). 42 Das Zitat geht auf C. Vann Woodward zurück.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Yet there is no doubting the genuineness of those who claim to be deeply offended. Here we have, in miniature, the perception gap that continues to make an American conversation about race so difficult (D’Souza 1996: xv). Race remains the unsolved dilemma in the United States, and the current polarization over the issue will persist as long as there is a national taboo restricting honest discussion of group differences (ebd. xiii).
Kommen wir zurück zu Wilson. Er vertritt in seinem Buch die These, daß es sich bei der Political Correctness in erster Linie um einen Mythos handelt, den die amerikanische Rechte aufgebracht hat. Er sieht diesen Mythos und die taktische Verbreitung von absurden Geschichten und Vorwürfen als ein Symptom für die Furcht der Rechten vor einer sich – seit den Sechzigern – verändernden Gesellschaft. Seine Argumentation belegt er mit zahlreichen Beispielen. Er kann überzeugend darstellen, daß die Bedrohungsszenarios um den Kanon, um Repression durch Linke und um die Speech Codes, die vermeintlich das gesamte Hochschulsystem auf den Kopf zu stellen drohen, meist von konservativer Seite hausgemacht waren, obwohl er nicht bestreitet, daß es auch von linker Seite und von Minderheitengruppen zu orthodoxen Ausfällen gekommen ist. Er sieht die landesweite Kampagne gegen das, was man für das einheitliche Phänomen ›Political Correctness‹ hält, als Teil einer konservativen Strategie, das ungeliebte Erbe der Sechziger Jahre abzuwickeln und die Universitäten ausschließlich als staatstragende oder liberalistische Kaderschmieden einzurichten. Wilson zeigt außerdem, daß es eine Sisyphosarbeit ist, die Gerüchte und Anekdoten, die in der Presse ihre Runde machen, zu entkräften. Nochmal, man sollte eine nicht stattfindende Rezeption als Beleg nicht überbewerten, aber es ist dennoch interessant, daß die Wahrnehmung amerikanischer Arbeiten und Verhältnisse in fast allen jüngeren deutschen Arbeiten vor Wilson abzubrechen scheint. Sein Standard der Recherche ist in Deutschland bisher jedenfalls nicht erreicht worden.43 Ein Problem allerdings, das uns in dieser Arbeit noch viel Kopfzerbrechen bereiten wird, besteht in seiner unfreiwilligen (?) Hinnahme des Konfliktschemas. Dem »Mythos« von der Political Correctness hält er entgegen, daß es ja in Wirklichkeit eine »Conservative Correctness« gebe, derer man sich zu erwehren habe.44 Diese sieht er etwa bei Sanktionsoder Zensurversuchen von rechts am Werk, auch bei Attacken auf Ho-
43 Wie angedeutet, vermutlich mit der Ausnahme von Manske 2002. 44 Vgl. dazu vor allem das zweite Kapitel in Wilson (1995: 31ff).
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mosexuelle (Wilson 1995: 43; »heterosexual correctness)«45 oder bei den Angriffen auf die linksgerichtete wissenschaftliche Organisation »Critical Legal Studies«, die die Gerechtigkeit des amerikanischen Rechtssystems in Frage stellt (ebd. 37). Ähnlich wie bei Hughes’ Rede von der »patriotischen Korrektheit«, ist eine solche schlichte Musterumkehrung nicht ganz unproblematisch. Unabhängig von einer bei Wilson ausführlich begründeten, sachlichen Berechtigung der Diskurstaktik, den Spieß einfach umzudrehen, wird nämlich das Deutungsmuster auf diese Weise in seiner Funktionsweise bestätigt, ohne daß man etwas davon hat. Wir haben für unsere Studie nur eine seiner ausführlichen Fallstudien für eine nähere Betrachtung ausgesucht, weil dieser Fall auch auf die narrative Gestaltung der deutschen Diskussion immensen Einfluß genommen.46
Dritte Wanderlegende: Western Culture got to go Im Winter 1991 beschreibt Dinesh D’Souza folgende Szene, die sich 1988 an der Universität von Stanford zugetragen habe: Jesse Jackson led a group of protesting students who chanted ›Hey, Hey, ho, ho, Western Culture has got to go‹. 47
Diese Geschichte entwickelte sich zu einem Evergreen des Diskurses. An Walt Disneys Schneewittchen und die Sieben Zwerge gemahnend, wie
45 Medienwissenschaftler mag es interessieren, daß eine der heftigsten Auseinandersetzungen an der Universität von Iowa um den deutschen Film »Taxi zum Klo« von Frank Ripploh ging, der als Teil einer Serie von deutschen Filmen in Deutschkursen gezeigt wurde. Obwohl die Anwesenheit freiwillig blieb, gab es ein hartes Eingreifen der Universitätsleitung, die versuchte, eine weitere Aufführung, die zwei Studentengruppen anzettelten, zu verhindern, bis wenige Stunden vor dem Termin eine Gerichtsentscheidung ihr dazu die Kompetenz absprach (vgl. dazu Wilson 1995: 49ff). 46 Aus einer anderen Perspektive und ohne Bezug auf Wilsons Analyse finden wir Aspekte der Kanondebatte auch bei Kapitzky (2000: 33) geschildert, dessen Diagnose, daß es zwar vordergründig um den Kanon gehe, im Grunde aber um die Grundsätze multikulturellen Zussammenlebens, wir eingeschränkt zustimmen. Unseres Erachtens übersieht Kapitzky jedoch die im engeren Sinne politischen Implikationen der Western Civ Kurse, und für den Vorbildcharakter dieser Diskussion für Deutschland hat er keinen Blick. 47 D’Souza: ›Bogus‹ Multiculturalism. How not to Teach about the Third World. In: American Educator, Winter 1991, 30. Wir zitieren hier nach Wilson (1995: 64).
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Wilson treffend beobachtet hat, heißt es bei Herbert London, von der konservativen National Association of Scholars: Heigh-Ho, Western civ has got to go.48
Man ist geneigt anzunehmen, daß hier die Rede von den ›Vertikal Herausgeforderten‹ mit der Affäre in Stanford versehentlich zusammengebracht worden ist. Wie auch immer, John Leo schrieb einen Artikel in der U.S. News & World Report, in dem er Multikulturalismus als »das selbe alte Lied« bezeichnete und wiederum Jesse Jackson aufmarschieren ließ: Hey, hey, Ho Ho, Western Culture’s got to go (Lyrics by Stanford University and Jesse Jackson).49
Wie nicht anders zu erwarten, gelangte diese Räuberpistole auch nach Deutschland. In der Studie von Viola Schenz wird sie kolportiert, wobei die Autorin auf D’Souza verweist: Der Autor bezieht sich an diesem Beispiel auf den ›double-standard‹ vieler ›Gegner‹ der westlichen Kultur, die diese zwar vordergründig ablehnen, ihre Vorteile und Annehmlichkeiten aber durchaus zu schätzen wissen (Schenz 1994: 71).
Eine bekräftigende Fußnote von Schenz schließt sich an: An dieser Stelle sollte man ergänzen, daß auch das Recht der freien Meinungsäußerung und der Demonstration ein Produkt des Westens ist, das die PCAnhänger dazu nutzen, um gegen die westliche Kultur zu opponieren (ebd. Fn 72).
Es scheint für viele deutsche Beteiligte an solchen Diskussionen offenkundig ein kaum wieder gut zu machender Verlust zu sein, daß das alte rhetorische Muster, demzufolge man doch ›nach drüben‹ gehen solle, wenn es ›einem hier nicht passe‹, mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Verschwinden der DDR obsolet geworden ist: in vieler Hinsicht ist die Rede von der Korrektheit ein funktionaler Nachfolger. Die Stanford-Anekdote findet sich selbstverständlich auch in Zöllners Studie überliefert. Die Autorin beruft sich möglicherweise auf noch eine
48 Herbert London: Reforming Higher Education. In: The World & I, Mai 1991, 476 (zit. nach Wilson: 64). 49 John Leo: Two Steps Ahead of the Thought Police, New York: Simon & Schuster 1994, 19. (zit. nach Wilson 1995: 178).
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andere Quelle für diese Anekdote und fängt – autorisiert von einer nebulösen Instanz (»viele Kritiker«) – an zu deuten: Wenn die PC-Advokaten nicht so versessen darauf wären, den Westen zu verteufeln, merken viele Kritiker an, würden sie erkennen, daß die Verhältnisse in den Ländern der Dritten Welt alles andere als politisch korrekt seien. [...] Wenn also – wie 1988 in Stanford geschehen – Studenten auf dem Campus skandieren »Hey, Hey, ho, ho, Western Culture’s got to go!«, zeige dies nach Meinung vieler Kritiker nur, wie verfänglich die Täter-Opfer-Schablone der politisch korrekten Multikulturalisten sei (Zöllner 1997: 244, 245).50
Dieter E. Zimmer, wie gewöhnlich ohne Quellenangabe, weiß besonders genau Bescheid, was hinter diesem Slogan steht: Diese Koalition [von ausgewählten Opfergruppen, MFE] hat sich einen Kompositfeind erschaffen, der sie eint: den weißen (eurozentrischen) heterosexuellen (phallokratischen, patriarchalischen) Mann, also auch und besonders den toten, als Verkörperung einer als unterdrückend empfundenen europäischen Kulturhegemonie. Er ist der Täter, der sie alle zu Opfern gemacht hat und dessen Macht nun gebrochen werden soll. Das stand hinter den Sprechchören an der Stanford-Universität: »Hey, Hey, ho, ho, Western culture’s got to go« – He he, meck meck, westliche Kultur muß weg«. Das Frappierende daran war vor allem, daß diese Rufe an einer Elitestätte westlicher Kultur ertönten (Zimmer 1997: 111, herv. v. MFE).
»He He, Meck Meck«, tatsächlich ... Es ist unseres Erachtens viel frappierender, daß Zimmer, der sich in der Debatte wie kaum ein anderer für den Erhalt strikt rationaler Wissenschaftsstandards stark gemacht hat – vor allem gegenüber Feministinnen und Multikulturalisten –, weder willens noch imstande ist, die Quellen seiner Zitate offenzulegen oder wenigstens der Form halber gelegentlich mal zu prüfen, und dennnoch in Deutschland als Wissenschaftsjournalist einen bedeutenden Ruf genießt. Es ist aus heutiger Sicht wohl kaum noch mit letzter Sichherheit feststellbar, was sich 1988 an der Stanford Universität abspielte. Wilson immerhin liefert einen der wenigen ausführlichen Berichte:51 Der Pflicht-
50 Es ist nicht ganz ersichtlich, welche Quelle Zöllner für diese Anekdote herangezogen hat. Die nächste Quelle im Text präsentiert den Historiker Arthur Schlesinger, der »in diesem Zusammenhang« (Zöllner 1997: 245) die »Abschaffung der Sklaverei« als vom Westen selbst erzeugtes »Gegengift« gegen seine historischen Ungerechtigkeiten beschreibt. Der als liberaler Historiker geltende Schlesinger ist übrigens eine der schillerndsten, politisch eher moderaten Figuren des von der CIA gesponserten Kulturkriegs gegen den dräuenden Kommunismus, der mit Hilfe des »American Congress for Cultural Freedom« geführt wurde (vgl. Stonor Saunders 2000: 3f). 51 Übrigens wird der im folgenden geschilderte Zusammenhang auch sehr kurz bei Bonder (1995: 12f) und Diederichsen (1996: 59f) erläutert, wenn
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studiengang im Grundstudium »Western Culture« sollte, so eine Entscheidung des Stanford Faculty Senate, ersetzt werden durch einen im Literaturkanon und in der Thematik erweiterten Studiengang »Cultures, Ideas, Values«. In den Sechziger Jahren hatte Stanford den Pflichtkurs »History of Western Civilisation« eingestellt, den man 1980 unter dem Namen »Western Culture« wieder aufleben ließ. Die Literaturliste dieses Studiums galt mittlerweile selbst bei den Kursleitern als überholt und zu eng. Also unterstützten siebzig Mitglieder der Fakultät, darunter elf Kursleiter, einen Antrag auf Änderungen der Literaturlisten und stellten fest, daß der eingereichte Vorschlag für das CIV-Programm while requiring few changes in existing tracks, allows for courses that examine other cultures on a fully equal basis with that of Europe and courses that fully recognize the multicultural character of the United States (Minerva, Autumn 1989: 281; zit. nach Wilson 1995: 65).
Noch bevor im März 1988 die Entscheidung fiel, gab es bereits heftige Auseinandersetzungen in den Medien und Kampagnen gegen die geplanten Änderungen. Noch Jahre später behauptete Allan Bloom: Everybody knows, that the white, Western male hegemony in the curriculum was overthrown there (Bloom, Commentary 1991, 7; zit. nach Wilson 1995: 65).
Aufgrund der Erweiterung der Leselisten wurde von konservativer Seite unterstellt, daß man »den Westen fallen ließe«, und daß »eine lautstarke Minderheit eine weniger laute Mehrheit überwältigen wolle« (Education Secretary William Bennett im Fernsehen, zit. nach Wilson 1995: 64, übers. v. MFE). Politiker und die Medien hängten sich an diese Auseinandersetzungen, und es wurde ein lächerlicher Tumult um letztlich marginale Erweiterungen der Literaturlisten der einzelnen Kurse gemacht.52 Europäische und amerikanische Klassiker dominieren an amerikanischen Universitäten nach wie vor das akademische Geschehen in diesen und ähnlichen Veranstaltungen, was auch aus Denbys Bericht hervorgeht (2001). Die Verleumdungen gipfelten in der Behauptung, daß die schiere körperliche Präsenz der Studenten, die vor dem Raum, in dem der Senat
auch nur oberflächlich und mit etwas unsicherer Quellenlage. Wir finden ihn wichtig genug, um ihn hier zu wiederholen und mit weiterem Material darzustellen. 52 Die Modifikationen der Leselisten für die CIV-Kurse wichen in Stanford zum Teil voneinander ab. Die hier beschriebene Tendenz wurde davon nicht berührt, sofern man die bei Wilson beschriebenen Änderungen heranzieht. Vgl. dazu Wilson (1995: 65ff); dort findet man weiterführende Literatur.
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tagte, ihre Änderungswünsche demonstrierten, auch konservative Fakultätsmitglieder geradezu erpresst hätte, zu kapitulieren. Wilson zitiert Fakultätsmitglieder, durchaus auch Gegner des neuen CIV-Kurskonzeptes, die sich an keinerlei Repressalien durch die Studierenden erinnern können (Wilson 1995: 67-69). Jesse Jackson selbst hat übrigens tatsächlich eine Rede zu diesem Thema in Stanford gehalten (pro westliche Kultur in toto), gesungen hat er, soweit das von hier aus nachvollziehbar ist, nicht (ebd. 64, 67). Ausgegangen ist die ganze Angelegenheit wie das Hornberger Schießen. Der eher konservative Kursleiter Daniel Gordon, der Speech Codes und affirmative action ablehnend gegenüber steht, konnte nach eigenen Aussagen im CIV-Programm ohne Probleme seine Thesen vertreten und kam zu dem Schluß: Stanford has done a reasonably good job of creating a distinctive program in which the Socratic enterprise is enhanced by the addition of minority authors to the syllabus (Daniel Gordon: Inside the Stanford Mind, Perspectives April 1992, 1,8; zit. nach Wilson 1995: 69).
Dennoch haben die Alarmrufe von Allan Bloom, William Bennett und Dinesh D’Souza insofern ›Geschichte geschrieben‹, als daß heute zumeist die eigentlichen Umstände vergessen sind, nicht aber das muntere Liedchen der Studenten gegen die westliche Kultur, die man umstürzen wolleUnd es bleibt schwierig. Noch 1999 schreibt Louis Greenspan, sogar mit vagem Bezug auf D’Souzas Illiberal Education, aber ohne eine präzise Angabe des Fundstücks und sogar noch falscher als die anderen: D’Souzas book has colourful passages describing student demonstrators chanting »heigh ho, heigh ho, western thought [sic] has got to go« (Greenspan 1999: 264).
Auch bei Greenspan ist der musikalische Einfluß von Disneys Schneewittchen-Film nicht zu überhören. Überhaupt dürften solcherlei Tücken des individuellen Gedächtnisses mit seinen frei flottierenden Assoziationen hervorragende Sollbruchstellen der Berichterstattung sein: Am 14.11.2000 schreibt Klaus Harpprecht in der SZ über die »amerikanische Leitkultur« und bekommt dabei weder die Ereignisse noch die Terminologie noch den Sound der Angelegenheit ganz richtig zusammen: Die Exzesse der »political correctness« [...] scheinen halbwegs gezähmt zu sein. Einige Jahre lang tobten die Kohorten der zornigen schwarzen, hispanischen und radikal feministischen Studenten über den Campus, um in heiseren Sprechchören zu skandieren: »Ho-ho-ho / Western Culture has to go.« Sie wollten Mozart und Beethoven, Shakespeare, Goethe und Moliére wohl nicht in den Orkus verbannen (sofern sie von ihrer Existenz einen Schimmer hatten, was nicht immer ausgemacht war): vielmehr forderten sie von den Administrationen der Colleges und Universitäten, den Pflichtkurs »Western Culture«,
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT den jeder Student zu passieren hat, aus den Lehrplänen zu verbannen und durch das Studium der »ethnic cultures« zu ersetzen. Mit anderen Worten: die Kenntnis afrikanischer, indianischer, südamerikanischer, asiatischer und femininer Kulturen sollte vom Schatten der »dead white European bodies« befreit werden. Viele der Universitäts-Regenten gingen, heldisch wie Professoren sind, alsbald in die Knie (Harpprecht 2000: 15, herv. v. MFE).
In diesem Zitat von Harpprecht ist die Trias der deutschen Kulturberichterstattung über ›Political Correctness‹ aus Klassikerverehrung, Intellektuellenfeindlichkeit und Unkenntnis im Detail beispielhaft repräsentiert. Daß die geschilderten Ereignisse so nicht stimmen, wissen wir mittlerweile, trotz der – wie in Spiegel-Manier beschriebenen – lebensechten Details (»heisere Sprechchöre«). Der Ausdruck, an den der Autor sich zu erinnern glaubt und auf den auch Zimmer bei seiner Beschreibung des »Kompositfeinds« sich indirekt bezogen hat, heißt entweder »dead white european/american males« oder »dead white males«, also tote weiße (europäische oder amerikanische) männliche Künstler, Wissenschaftler und Philosophen, die in der Tat in Kanondebatten gelegentlich als Feindbilder herhalten mußten.53 Der Sound seines Liedes schließlich gemahnt doch eher an einen im Deutschland der späten Sechziger Jahre üblichen Chant, nämlich die Anrufung »Ho-Ho-Ho-ChiMinh«, die bei Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg zum besten gegeben wurde und die bis heute den Geist dieser Zeit akustisch zu illustrieren und repräsentieren verdammt scheint.54
Eine weitere kritische, der Aufklärung von fragwürdigen Anekdoten und Mythen sich verschreibende Studie zur amerikanische PC-Debatte ist die Arbeit von Richard Feldstein (1997). Sie versteht sich als eine »Antwort der kulturellen Linken« – so der Untertitel – auf die Anti-PC-Kampagne und schließt inhaltlich in vielen Teilen an Wilsons Arbeit an, der aber
53 Vgl. Duchak (1999: 84) mit dem Beispiel ›Dead White Male‹. Außerdem Beard und Cerf (1994 [1992]: 20) mit dem Beispiel ›Dead White European Male‹. Sie geben eine sehr seltsame Quelle an: Hackney, Sheldon: In the PC Wars, a Message from the Front. President’s Commencement address, University of Pennsylvania, 21.05.1991; Mark Terkessidis bezeichnete in der Taz vom 14.05.1994 den noch lebenden Paul Bowles als »Dead White Male«. 54 Dieser Chant findet sich in zahllosen Quellen und Reminiszenzen aufgeführt, und zwar sowohl in eher wissenschaftlichen und journalistischen als auch in eher romanhaften bzw. autobiographischen Texten. Als Beispiele seien genannt Koenen (2001: 67); Mündemann (1988: 111); Mand (1998: 41).
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laut Literaturangaben nicht verarbeitet worden ist. Bezüglich des Kampagnencharakters der sich als Anti-PC-Front formierenden Rechten kommen beide Autoren etwa zu den gleichen Schlüssen: es handelt sich um einen von der politischen Rechten angezettelten Kulturkampf, eine konzertierte Aktion gegen die gesellschaftspolitischen Folgen, Spuren und Restbestände der Sechzigerjahre an den amerikanischen Hochschulen und damit in der amerikanischen Gesellschaft. Auf der Ebene der Fallstudien überschneiden sich beide Bücher beträchtlich, auch hinsichtlich ihrer thematischen Gliederung. Genau wie Wilson versucht Feldstein die Mythen, die die Konservativen ins Spiel gebracht haben, kapitelweise abzuarbeiten, so zum Beispiel das Motiv vom »McCarthyism of the Left« (Feldstein 1997: 51-74). Er versucht darüber hinaus, sich der Diskussion nicht nur narrativ, sondern methodisch und historiographisch zu nähern. In Anlehnung an Lacan sieht er die Gesellschaft der Achtziger und Neunziger Jahre in einem Zeitalter der Paranoia (Feldstein 1997: 126), in dem die Konservativen in den USA, medial durch das Kabelfernsehen aufgerüstet, an die Paranoia der McCarthy-Ära anschließen konnte (Feldstein 1997: 70) – eine Paranoia, die sich nun noch stärker nach innen richtet als nach außen. Damit, so Feldstein, konnten die Konservativen den Begriff »McCarthyismus« durch gezielte Medienarbeit aus seiner historischen Bedingtheit herauslösen und wiederum gegen die Linke verwenden. If we [die Amerikaner, MFE] were fighting an external menace in the beginning of Reagan’s term, by the time Bush left office, »the socialist scourge« was found under every nook and cranny of your local university. For the age of McReaganism is typified by charges of left-wing McCarthyism »meant to disembody the name from history, to erase the memory of the right’s legacy of repression and reaction while a new attack is waged against progressive social movements« (Phelps 47). This is a calculated effort based on the cynical notion that events no longer have any meaning outside their performance on the cathode-ray tube or celluloid screen (Feldstein 1997: 73).55
Vergleichbare Verschiebungen finden sich auch hierzulande: Eine ähnliche Taktik in Deutschland ist in der Begriffsverschiebung des Wortes »ewiggestrig« zu sehen. Wurden bis zum Zusammenbruch des Sozialismus meist Anhänger des Nationalsozialismus und andere Erzkonservative damit bezeichnet, so dehnte sich die Reichweite des Begriffs schlagartig auf Kommunisten und andere Linke aus, denen mit den kom-
55 Das Zitat im Zitat ist aus: Christopher Phelps: The Second Time as Farce. The Rights ›New McCarthyism‹. In: Monthly Review (1991), 39-57.
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munistischen Staaten die reale Manifestation ihres teleologischen Weltbilds abhanden gekommen war.56 Solche Verschiebungen sind nicht unwichtig für eine gelungene langfristige Diskursstrategie. Sie entschärfen die Vergangenheit und verschärfen die Gegenwart des Begriffs. Ein vergleichbares Phänomen fanden wir bereits früh bei dem Vorwurf, die Titanic schreibe im StürmerStil: die Attacke auf die Titanic wird verschärft, wohingegen der Stürmer gleichzeitig relativiert wird. Und mit Hilfe dieses rhetorischen Kniffs wurde auch die bündigste uns bekannte Zusammenfassung einer Totalitarismustheorie erstellt. Einem Artikel der SZ zufolge verstieg sich der ehemalige Terrorist Boock dazu, über die Planung der von der RAF durchgeführten Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, die mit dessen Ermordung endete, folgendes von sich zu geben: »Das war unsere Wannsee-Konferenz.«57 Dieser Vergleich, irgendwo zwischen Größenwahn und Beichtwut der Ex-Linken angesiedelt, verschlägt einem dann doch den Atem. Um auf Feldstein zurückzukommen: Ein weiterer Argumentationsstrang in dieser Studie ist ein etwas weinerlicher Antikapitalismus, der mit einer an Baudrillard geschulten Medienkritik kombiniert wird, die nur allzuoft in einer Kritik der Technik und der Hardware versandet. Die
56 Es ist nicht mehr exakt nachzuvollziehen, wann genau in den Achtzigerjahren diese Umcodierung stattgefunden hat. Ein bedeutender Moment war das Attentat auf Alfred Herrhausen. So hieß es in einem Bericht der Taz über die Ermordung des Bankiers: »Ebenfalls mit dem Ziel, den politischen Gegner in die ›geistige Nähe‹ der Tat zu rücken, griff der bayerische Ministerpräsident Streibl den amtierenden Bundesratspräsidenten Momper an, der in einer Stellungnahme gesagt hatte, das Attentat sei ein ›verzweifelter wie kläglicher Versuch, die ewiggestrige Spirale von Gewalt und Gegengewalt erneut in Gang zu setzen‹. Streibl fand es ›eine unglaubliche Unterstellung‹, die Antwort des Rechtsstaates auf ›feige mörderische Attentate‹ als Gegengewalt zu diffamieren« (jg in: Taz v. 02.12.1989). Der von Momper verwendete und hier kolportierte Begriff »ewiggestrig« war am Tag zuvor in einem Aufsatz der Taz bereits stärker linkscodiert worden, unter den Auspizien einer neuen Welt: »Spätestens seit gestern ist klar: Es gibt in der Bundesrepublik eine linke Nachkriegsvariante der Ewiggestrigen und Unbelehrbaren.[...] Es ist zum Heulen. In einer Zeit, in der Weltgeschichte im Zeitraffertempo gemacht wird, in der überall festgefügte Weltbilder – nicht nur linke – in Trümmern liegen ... [...]. Die Botschaft dieses Anschlags zeugt von grenzenloser Selbstüberschätzung: Die Welt von Jalta neigt sich ihrem Ende zu, überall bieten sich neue Chancen für Veränderungen. Allein die selbsternannte revolutionäre Avantgarde der Bundesrepublik weiß in dieser Situation, wie gehabt, wo es langgeht. Sie allein kennt den Kurs - zu alten Ufern« (Gerd Rosenkranz Taz 01.12.1989). 57 Sonja Zekri: Der kalte Schmerz. Warum die RAF der Politik so wenig zu sagen hat. SZ v. 17.10.2002, 13.
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Versuche des Autors, das Phänomen der Anti-PC-Haltung der amerikanischen Konservativen mit dem methodischen Instrumentarium von Lacan und Irigaray als eine »paranoid projection« auszudeuten (Kap. 6), führen uns hier nicht weiter. Sein schönster Beitrag ist die Bezeichnung von Political Correctness als ein »cultural nonphenomenon«, eine durchaus interessante Formel, die es auch auf die publikumsorientierte Rückseite des Buches geschafft hat. Insgesamt kann man sein Buch lesen als einen Versuch, politische und diskursive Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Das zeigt sich auch darin, daß der Autor sehr verschiedene Verbündete gesucht hat. Er hat, wie im letzten Kapitel seines Buchs nachzulesen, an prominte Liberale und Linke wie Gerald Graff oder Stanley Aronowitz, aber auch an politisch nicht in dieser Weise bestimmbare Aktivisten von Identity-Politics-Gruppen, zwei komplexe Fragen gerichtet und ihre Antworten abgedruckt. Verkürzt lauten die Fragen erstens: »Wie erfolgreich sind die Neokonservativen (neocons) in ihren Versuchen gewesen, die PC-Debatte mit ihrer Agenda zu verknüpfen, die auf ein Zurückdrängen der ›Civil Liberties‹ hinausläuft und was kann man gegen diese Taktik unternehmen?«; und zweitens: »Die Neocons behaupten, daß die ›Campus radicals‹ sich nun anschicken, die Schulen mit Political Correctness zu unterwandern; wie kann man gegen diese Unterstellung der reaktionären Kräfte sich wehren und welche Rolle kann die angeschriebene Organisation dabei einnehmen?« (Feldstein 1997: 187ff). Wir wollen hier nicht alle Antworten referieren, zumal sie oft genug von Feldsteins Fragen abweichen, werden aber einige Aspekte herausgreifen, die auch für die »zweite Welle« typisch sind.58 Meist besteht bei den Aktivisten Einigkeit darüber, daß man sich nach den partiellen Erfolgen der Sechziger Jahre von den Aktivitäten der Neocons hat überrumpeln lassen: Neoconservatives have a mission; they are on an crusade. It seems that since the civil rights movement of the 1960s, liberals have fallen asleep (Skip Porteous, Institute for First Amendment Studies. zit. nach Feldstein 1997: 190).
Porteous und andere fordern daher, sich vor allem lokal zu organisieren und eine Grassroots-Organisationsform gegen die Rechten zu installieren. Ähnlich argumentiert Curt Shepard vom »National Gay and Lesbian Task Force Campus Project«. Er zeigt drei notwendige Strategien auf: 1. starke Organisationen; 2. Sichtbarkeit (der Personen und ihrer Anliegen);
58 Wir nennen dabei die Namen der Autoren, zitieren aber nur nach Feldstein 1997.
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3. Koalitionen mit anderen Gruppen innerhalb und außerhalb des Universitätsbetriebs (ebd. 194); die gegenseitige Unterstützung ist ihm dabei ein besonderes Anliegen:59 We need to take a stand against all forms of bigotry and hatred, even when our status as targets is not immediately clear (Curt Shepard; zit. nach Feldstein 1997: 197).
Gerald Graff und Gregory Jay von der Organisation »Teachers for a Democratic Culture« (der ja auch John Wilson angehört) machen auf ein generelles Problem der Debatte aufmerksam, das Feldstein entgangen sei. Dieser hatte als PC-Gegner fast durchweg Rechtskonservative und Neocons ausgemacht. Graff und Jay aber geht es um die Rückgewinnung derjenigen Linken und Liberalen, die sich von den »Politisch Korrekten« abgewendet haben, und um diejenigen, die einem breiten »Mittelfeld« zugerechnet werden und die, abgeschreckt von den Radikalen, Gefallen finden könnten an den Argumentationen D’Souzas und Kimballs. Nicht alle Liberalen, die sich gegen PC wenden, können laut Graff und Jay als Übertölpelte (»dupes«) gelten: Nor can we dismiss the fact that many of these liberals believe their anti-PC position is fully consistent with democratic, liberal-left principles, and that it is the academic and cultural left that is behaving in a totalitarian fashion. Insofar as the long-term survival of the academic and cultural left depends on winning back these traditional liberals (and there is good reason for thinking that it does), we think their defection needs to be taken seriously (zit. nach Feldstein 1997: 204).
Diese Einschätzung scheint die Feststellung Dunants zu untermauern, daß die Korrekten es geschafft haben, Rechte wie Linke gleichermaßen gegen sich aufzubringen. Graff und Jay plädieren dafür, daß politisch um das Mittelfeld gekämpft werden müsse und daß es der eher radikalen Kulturlinken nichts bringe, die »Liberalen« und »Konservativen« gleichermaßen zu verachten. Damit, und das ist unseres Erachtens so typisch wie diskursstrategisch fatal, schreiben sie auf der auf Versöhnung angelegten Schwundstufe einer gewendeten Totalitarismustheorie eine Genese fest, derzufolge die radikalen akademischen Linken die der Aufklärung verpflichteten und nun verschreckten Liberalen in die Arme der Neokonservativen getrieben haben. Die Verantwortung für den erbitterten Diskurs um PC und die damit verbundenen Probleme wird auf diese
59 Es wäre eine hübsche List des Weltgeists, wenn schließlich unter dem Druck der Anti-PC-Kampagnen zuletzt eine Gruppierung entstünde, die dem Gespenst, das angeblich umgeht, ähnlich sieht.
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Weise ausgerechnet an diejenigen delegiert, die ohnehin am meisten Schaden genommen haben. Obwohl die Autoren die Taktik der Neokonservativen zutreffend analysieren, die Identitätspolitiken auf ihre lächerlichsten und furchterregendsten Ausläufer zu reduzieren, versuchen auch sie zu einer großen gesellschaftlichen Diskussion mit allen Beteiligten zu laden, anstatt einen ernsten Konflikt zu riskieren. Ihre Hoffnung allerdings, daß es bei den amerikanischen neokonservativen Alt-Liberalen und bei den Konservativen überhaupt einen Konsensbedarf mit den Linken und Linksliberalen gibt, hat etwas Hilfloses (vgl. Feldstein 204-207). Insgesamt ist Feldsteins Buch auch durch diese Gastbeiträge ein interessantes Dokument, und zwar in der Hinsicht, daß sich hier andeutet, daß bei allen Differenzen und analytischen Schwächen der durch die anti-PC-Kampagnen verursachte Stupor auf Seiten der IP-Gruppen und der Linken überwunden zu sein scheint. Allerdings bei letzteren nicht unbedingt zugunsten derjenigen, die als ›politisch korrekt‹ diffamiert worden sind und werden.
Teil 2: ›Gefahr erkannt, davongerannt!‹ Der Traum von der zweiten Welle Eine in diskursstrategischer Hinsicht vergleichbare Stoßrichtung wie Graff und Jay verfolgt der Sammelband Mistaken Identities (Levitt/Davies/McLaughlin 1999), in dem kanadische und us-amerikanische Wissenschaftler versuchen, eine nach ihrem Selbstverständnis linke und liberale Politik wiederzubeleben, und zwar eindeutig auf Kosten der angeblich ›Politisch Korrekten‹, deren Konturierung wie gewohnt unklar bleibt. Der Band soll, wie im Untertitel und im Vorwort angekündigt, die »zweite Welle« der »Kontroverse um Political Correctness« repräsentieren. Die Herausgeber führen aus: But as observers of these phenomena [i.e. »excesses of extreme feminists, multiculturalists, and postmodernists«, MFE], we believe that the prevailing understanding of this controversy - as a political war between a stodgy right and a united left - is misleading (Levitt/Davies/McLaughlin 1999b: 1).
Aus dieser vermeintlichen Beobachterperspektive heraus, die ja nun keineswegs so originell ist wie die Herausgeber es verkünden (Stuart Hall hatte ja ähnlich argumentiert), entwickeln sie die Theorie einer »ersten Welle« der Kontroverse, die sich in den Auseinandersetzungen zwischen Korrekten und/oder Leugnern der Existenz einer Political Correctness einerseits und neokonservativen Rechten andererseits entwickelt habe. Die Herausgeber, und mit ihnen die weiteren Autoren des Sammelbands, wollen demgegenüber unter Beweis stellen, daß eine auf diese
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Weise polarisierte Sichtweise das Wesen der Auseinandersetzungen nicht erfaßt und daß man sich auch als Linker bzw. Liberaler gegen die »Exzesse der Political Correctness« (ebd. 2) wehren kann und sogar muß. Sie sind daher bemüht, die im amerikanischen Mediendiskurs verankerte Kopplung zwischen der Linken und ›Political Correctness‹ zu lösen und die nordamerikanische Linke (und das heißt in erster Linie sich selbst!) vom Stigma der ›Political Correctness‹ zu reinigen. ›Political Correctness‹ wird aus diesem Grund im Gegenzug als ein Störfaktor oder gar Gegner linken und linksliberalen Gedankenguts konzeptualisiert, wobei die Herausgeber in postsozialistischer Manier großen Wert darauf legen, daß sie im Sammelband drängende Fragestellungen »jenseits von links und rechts« (ebd. 1) behandeln. Dieses Selbstverständnis führt, wie wir zeigen werden, zu absonderlichen Verrenkungen. Der Schwerpunkt der einzelnen Studien liegt wiederum im akademischen Umfeld, wie immer aber mit begehrlichem Blick auf das gesellschaftliche Ganze. Es sind drei umfangreiche Fragestellungen, die von den Beiträgern abgearbeitet werden sollen.60 Die Beiträge der ersten Sektion behandeln Fragen der Verhaltensmaßregeln, die von den Korrekten angeblich angestrebt werden (»The New Culture of Rights and Regulations«, ebd. 15-144) (hier unter a). Als zweites werden Gegenüberstellungen vorgenommen zwischen dem von den Beiträgern angeblich oder tatsächlich befürworteten Universalismusanspruch einer aufklärerischen Linken einerseits und dem gefährlichen Partikularismus der Korrekten andererseits (»Questions of Universalism«, ebd. 145-276) (b). Als drittes, so verspricht es das Konzept des Buches, sollen die einem (vermeintlich) postmodernen und daher abzulehnenden Wissenschaftsverständnis geschuldeten Herausforderungen für Wissenschaft und Vernunft thematisiert werden, die sich in der Debatte ergeben haben (»Challenges to Science and Reason«, ebd. 277-329) (c). Wegen der im Sammelband praktizierten, äußerst fragwürdigen Mehrfachcodierung des Begriffs »Postmoderne«, der jeder analytischen Verantwortung augenscheinlich enthoben worden und meist zum reinen Abwertungsstereotyp verkommen ist, und auch einer unscharfen Argumentation der meisten Beiträger ist insbesondere die hier vorgenommene Aufteilung zwischen der zweiten und dritten Sektion für den Leser kaum mehr nachvollziehbar, zumindest nicht anhand der einzelnen Artikel.61
60 Der Sammelband enthält 19 Beiträge (inklusive Vorwort). Wir stellen hier nur eine Auswahl vor, die wir für die Themenkomplexe als repräsentativ betrachten. 61 Zwei Beispiele von Aufsätzen, die wir nicht ausführlich vorstellen, mögen das zeigen: So beschreibt in der zweiten Sektion Vered Amit-Talai (1999) die Beziehung zwischen einer wissenschaftlichen Auffassung, die sie
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Kurz gesagt, die Gliederung des Sammelbandes gaukelt eine Ordnung vor, die die Beiträge und ihr Arrangement letztlich nicht einlösen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit möchten wir dennoch einige ausgewählte Beiträge im Rahmen dieser Zuordnung vorstellen, wobei wir in einem Punkt eine Umordnung vornehmen: der von uns unter b) vorgestellte Beitrag von Barbara Epstein ist aus ganz rätselhaften Gründen dem dritten Themenkomplex zugeordnet worden. a) In der ersten Sektion des Sammelbandes interpretieren die Autoren die oft fanatische und bornierte Regelungswut bezüglich eines (allerdings wiederum von den Gegnern!) als »politisch korrekt« bezeichneten Verhaltens bzw. Sprechens sowie das (mehr oder weniger) konsequent durchgehaltene Konzept der affirmative action als totalitären Utopismus mit unterschiedlich hohem Gefährdungspotential für eine freie, aufgeklärte und demokratische Gesellschaft. Illustriert mit zahlreichen literarischen Versatzstücken (Ray Bradburys Fahrenheit 451, Huxleys Brave New World, Dostojewskis Die Brüder Karamasow etc.) parallelisiert Daphne Patai das Verhalten derjenigen, die z. B. in Universitäten bezüglich »Sexual harassment« strenge Regeln fordern, mit Romanfiguren, die sich zum Schutz ihrer fragilen Identität einem Großinquisitor unterwerfen wollen (Patai 1999: 31-33). Anhand z.T. durchaus überzeugender, zumindest plausibel sich anhörender Fallstudien62 beklagt sie das ausufernde Begehren einzelner Gruppen nach akademischen Schutzräumen, und sie führt zahlreiche in der Tat absurde Beispiele an, wie sich diese emanzipatorischen Bestrebungen in ihr Gegenteil verkehren können. Andererseits sind ihre Argumentation, die sich um das ebenfalls diffuse Ideal »academic freedom« rankt, und die Absicherung ihrer Ausführungen mit Hilfe einer Kollektion u. a. dystopi-
Postmodernismus nennt, und einem politischen Multikulturalismus, die sie miteinander harmonieren läßt. Hingegen sieht man in der dritten Sektion, wie Okey Chigbo, ein Kanadier nigerianischer Herkunft, statt – wie Alan Sokal in diesem Sammelband – mit neuen Argumenten Wissenschaft und Vernunft den Rücken zu stärken, vielmehr ›mit‹ Martin Luther King gegen eine »Black Intelligentsia« (Chigbo 1999: 329) streitet. Dabei verweilt er auf der Linie der konservativen Zivilisationskritik etwa eines Dinesh D’Souza, indem er jedwede »Black Ideology« als die »lähmendste Belastung« für schwarze Kinder klassifiziert: »I will argue that while racism does indeed exist, and while much can be done to improve the schools and the curriculum, above all, reasons for black educational underachievement can be found in the black community, the black family and the troubling subculture of black youth.« (Chigbo 1999: 314). Das scheint dann doch eher ein anderes als ein Wissenschaftsproblem zu sein. 62 Es bleibt natürlich das übliche Belegproblem.
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scher Romane wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch kaum seriöser als das Gros der angegriffenen Beispiele. Neil Hamilton, ebenfalls dem »academic freedom« verpflichtet, versucht sich an einer Geschichtsschreibung fundamentalistischer Bestrebungen, wobei er einen Zyklus von 15-20 Jahren zu identifizieren vermeint, der »episodic waves of zealotry« als Einflußgrößen an amerikanischen Schulen und Universitäten hervorbringe. Religiöser christlicher Fundamentalismus im 19. Jahrhundert, entfesselter Kapitalismus zur vorletzten Jahrhundertwende, Patriotismus im Ersten Weltkrieg, Antikommunismus vor dem Zweiten Weltkrieg, McCarthyismus danach, studentische Aktivitäten in den Sechzigern sowie schließlich die angeblich im Rahmen der Political Correctness entstandene Bedrohung der akademischen Freiheit durch einen Teil des universitären Lehrpersonals (»Fundamentalist Academic Left«), werden von ihm zu diesen »Wellen« gezählt (Hamilton 1999: 54). Durch die Zeloten sieht er nicht nur die »akademische Freiheit«, sondern auch die »öffentliche Glaubwürdigkeit« des Wissenschaftsbetriebs ernsthaft gefährdet, weil ihm die Entfremdung von der Gesellschaft drohe: Academics’ public credibility, which rests on the public perception that academics strive to meet traditional standards of professional competence in their teaching, scholarship, and public service, will also be lost. [...] Society’s willingness to give support to academic freedom is one of the remarkable achievements of humankind (Hamilton 1999: 76).
Der hier verkündete Glaube daran, daß eine Gesellschaft als Ganzes ein Ideal akademischer Freiheit unterstütze, kommt uns doch eher wie das Pfeifen im Walde vor. Dafür werden viel zu viele Ansprüche aus der fragmentierten Gesellschaft heraus an die Funktionen der Universität in politischer wie ökonomischer Hinsicht herangetragen, deren Lobbyisten sich um das akademische Ideal herzlich wenig scheren und ganz pragmatische Vorstellungen davon haben, was die Hochschulen speziell für sie im Bereich der Forschung und Ausbildung zu leisten haben. In seinem kurzen Beitrag The New Etiquette sieht Frank Furedi in Universität und Gesellschaft eher eine moralische als eine politische Bewegung,63 gar eine sexuelle Gegenrevolution am Werke, die er letztlich als Produkt einer Konvergenz von traditioneller Moral und »PC Etiquette« interpretiert (Furedi 1999: 96). Dieser neuen Etikette unterstellt er, daß sie auf die strikte Regelung des Privaten und Individuellen abziele,
63 »But politics is far from being the distinctive feature of PC. It is above all a moralising project, a new etiquette for regulating individual behaviour« (Furedi 1999: 85).
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wobei die allfällige Machtfrage aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen herausgelöst und in die Privatsphäre implementiert werde. Den Verfechtern der PC-Etikette wird eine »fundamentale Misanthropie« (ebd. 94) als Movens unterstellt, eine Einstellung, die einer Restitution alter Moralbegriffe unter neuen Vorzeichen entgegenarbeite. Der Kombination von AIDS und der Problematisierung sexueller Beziehungen (so zum Beispiel durch Fragen von Belästigung und Mißbrauch) wird in dieser Konvergenz ein gegenseitiger Verstärkereffekt zugerechnet.64 Da auch die neue Etikette, wie die traditionelle Moralisierung, den Menschen alles Schlechte zutraue, ergänzten sich beide. Die PC-Etikette gehe diesbezüglich in ihrer Wirkmächtigkeit und Reichweite über die traditionellen Formen der Moralisierung hinaus, und wie üblich sind Sprache und Humor bei Furedi wieder auf der diskursiven Artenschutzliste untergebracht: Language, humour and relationships at work are also subject to the moralising impulse of the PC etiquette. Unlike many of its moral competitors, the new etiquette is likely to thrive because it both indulges and speaks to our fears (Furedi 1999: 96).
Thematisch wieder ein wenig allgemeiner, aber deutlich schärfer im Ton als alle anderen Autoren sind die Ausführungen von Irving Horowitz, dessen Arbeit, darin dem Beitrag von Borovoy im selben Band vergleichbar,65 um die Frage von Gleichheit und Ungleichheit kreist. Allerdings gibt sich Horowitz mit einer nüchternen Bilanz nicht zufrieden, sondern versucht sich an einer sehr spezifischen Totalitarismustheorie. Abweichend von Neil Hamiltons Zyklusschema identifiziert Horowitz im zwanzigsten Jahrhundert einen Zyklus von dreißig Jahren, in dem politische Orthodoxie sich jeweils Bahn bricht. In den Dreißiger Jahren seien es Hitler und Stalin gewesen, die innerhalb ihrer Parteien Unterschiede eliminiert hätten. In den Sechziger Jahren habe sich dann das Aktionszentrum der Politik weg von den Parteien, hin zu den Bewegungen verlagert, was die Forderungen nach Orthodoxie undurchsichtiger (»more
64 »It is not surprising that many conventional moralists have been pleased by this sexual counter-revolution. They are absolutely delighted when liberal writers declare that we now realise that the sixties had gone too far. Claims that a lot of people were damaged And in many cases AIDS is welcomed as a timely reminder that recreational sex is immoral« (Furedi 1999: 95). 65 In seiner Fragestellung allgemeiner weist A. Alan Borovoy auf das unlösbare »Paradox der Gleichheit« hin. Ihm zufolge habe man das Ideal »Gleichheit« zu einer »Gottheit« erhoben, und in der Verfolgung dieses Ideals habe man letztlich neue Ungleichheiten produziert (Borovoy 1999: 44). Ansonsten ist dieser Beitrag kaum der Rede wert.
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covert«) gemacht habe. In den Neunzigern schließlich habe der politische Extremismus »die Felder der Parteien und Bewegungen [!] gleichermaßen verlassen«66 und sich die Universitäten als Wirkungsschwerpunkt ausgesucht, womit diejenigen Orte bedroht würden, die eine »Quelle organisatorischer Stärke« darstellten und die gesellschaftlichen Zentren der »Redefreiheit« seien (Horowitz 1999: 97). Horowitz liefert zunächst eine keineswegs ungewöhnliche, aber hier in ungewöhnlicher Selbstsicherheit vorgetragene Begriffsgeschichte des Terminus »Political Correctness«, der er zudem eine vage Verdunkelungstheorie voranstellt: The differentiated sources of assault on free speech – for that after all is what demands for Political Correctness are about – have served to obscure the actual origins of the term itself. The notion of »inner party democracy« within the Communist Party of the Soviet Union (and hence by extension to parties of a similar type in large nations such as China and small nations such as Cuba) was operationally transformed into the »dialectical« idea that a political position or task would be annonced, then debated, then agreed upon. Once the Party consensus had been reached, and a proper line hammered out, it became, by definition, the correct position (Horowitz 1999: 97).67
Nun ist das sicher eine bildgewaltige, aber selbst diskursimmanent wenig überzeugende Beweisführung. Oft ist es ja gerade die politische Unterdeterminiertheit der Bestrebungen, die die ›Political Correctness‹ angeblich auszeichnet.68 Nach diesem mäßig rasanten Einstieg in seine dann zunehmend an Fahrt gewinnende Argumentation plädiert Horowitz für eine »gute Gesellschaft«69 nach strikt antitotalitärem, westlichem, demokratischem Vorbild. Die besondere Rolle, die er den Gesellschaftswissenschaften dabei zuschreibt, macht sie nach seiner Auffassung für tota-
66 Das allerdings ist insofern originell, als daß hier und in den USA ja sonst immer von einer »PC-Bewegung« die Rede ist. Versucht Horovitz hier etwa, den Bewegungs-Begriff zu retten? 67 Es folgt der in der einschlägigen Literatur in der Tat oft vorzufindende Bezug zu Mao Tse Tung, den Horowitz wie folgt zitiert: »not to have a correct political point of view is like having no soul« (zit. nach Horovitz 1999: 100). Bei diesem gebetsmühlenartig auf Englisch oder Deutsch wiedergegebenen Mao-Zitat wäre es gut zu wissen, was Mao auf Chinesisch gesagt bzw. geschrieben hat und ob das überhaupt korrekt übersetzt worden ist. 68 Doch selbst wenn Horowitz hier das geleistet hätte, woran die Forschung bisher gescheitert ist, nämlich den etymologisch korrekten Erstbeleg zu bringen (und nicht mal das hat er), so wäre das dennoch für die weitere Forschung wertlos, weil die Verwendungsgeschichte, wie hoffentlich deutlich geworden ist, lange vor diesem Aufsatz darüber hinweggegangen ist, und keineswegs in irgendeiner ›Verdunkelungsabsicht‹. 69 Von dieser offenbar für den Sammelband konsensuellen Zielvorstellung einer »good society« ist auch im Vorwort die Rede (Levitt/Davies/McLaughlin 1999b: 5).
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litäre Übernahmeversuche durch die Korrekten so attraktiv. In seinem Kampf für das, was er unter einer ›guten Gesellschaft‹ versteht, versteigt er sich zu hanebüchenen Vergleichen, von denen wir drei ausführlich zitieren möchten: Equity, like inequity is an endless process, not a thing. Rights are won; new wrongs are located in the process. This is the way of the world. This is the way of all flesh. Demands are infinite, supplies are finite. The good society must find ways to bring public needs and private rights into some sort of harmonious framework. It is the role of science policy and research to help calibrate the relation of equity to liberty (Horowitz 1999: 109).
Die hier vollzogene Amalgamierung von religiösen und ökonomischen Platitüden, die Horowitz an seinen selbstgestellten, wissenschaftspolitisch in keiner Weise ideologiefreien Auftrag knüpft, hindert ihn nicht daran, unter Zuhilfenahme biologistischer Metaphorik, mit einem komparatistischen Crescendo jeden auch nur fahlen Schein von Seriosität hinter sich zu lassen: But when science itself is infected with ideological demands on one side and ascriptive regulations on the other, the aims of the good society, the democratic society, are permanently crippled. We make our society vulnerable to the very forces of political extremism we have spent the century overcoming in foreign lands [!!]. Unpleasant as it may be to contemplate, the slope from Aryan Science to Proletarian Science to Race or Gender Science is not only slippery, also hard to climb out of in a peaceful or painless way (Horowitz 1999: 109).
Der sich in dieser argumentativen Rutschpartie manifestierende Realitätsverlust, der sich nicht zuerst und nicht zuletzt, aber eben auch darin zeigt, daß Horowitz blind für seine eigenen ideologischen Vorgaben zu sein scheint, wird im Text mehrfach religiös transzendiert: This assault [on the autonomy of science and social research] is made in the name of righting ancient wrongs, but all too often this is a thin disguise for wronging ancient rights [...] For the extremists in our ranks, usurping the work of God has become routine behaviour (Horowitz 1999: 102). The efforts to right historic wrongs quickly, of men playing at God, and to assign for such wrongs to those closest at hand and most vulnerable, hardly are new or unique to American society (ebd. 103).
Affirmative action ist dieser Auffassung zufolge ein gegen die göttlichen und natürlichen Gegebenheiten verstoßendes Teufelswerk, mindestens aber – und das führt zum zweiten Vergleich – einwandfrei kommunistischen Ursprungs: [...] the existence of political orthodoxy has become a substantial problem in higher education because it has become a norm in the higher reaches of gov-
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT ernance. Its sources are models derived from totalitarian regimes, especially those of the Communist countries, who managed to link Political Correctness to affirmative action, i. e., advancement of the persons and causes of the vanguard proletariat (ebd. 113).
Folgt man Horowitz in diesem Punkt, dann sind – und das ist dann der dritte waghalsige Vergleich – Sowjetrußland, aber, und das überrascht dann doch, auch das nationalsozialistische Deutschland an zuwenig Liberalismus im Wettbewerb und zuviel affirmative action gescheitert, was uns allen eine Mahnung sein soll: The task of liberal society is to permit all to gain a place at the starting gate of the struggle to achieve the just, but different ends of each and every person; it is not to guarantee a place at the finish pole for each and every person. A race that ends with everyone arriving at the same time at the finish line in a dead heat is fixed. A society that ends with everyone standing on the same spot is just plain crooked or plain dead. The lack of innovation, incentive, or invention is more injurious to the survival of a system than foreign armies standing at the gates. This much the United States can, and should, learn from the Nazi German and Soviet Russian experiences (Horowitz 1999: 109).
Soweit der – ungelogen – »Hannah Arendt Distinguished Professor of Sociology and Political Science« der Rutgers University in New Brunswick, NJ – der Philosophin bleibt hüben wie drüben aber auch nichts erspart. Wir brechen die Wiedergabe seiner Ausführungen an dieser gewiß spannenden Stelle ab, in der Hoffnung, daß man uns nicht vorwirft, wir hätten in böser Absicht Sätze aus dem Zusammenhang gerissen. Die wissenschaftliche und intellektuelle Belanglosigkeit seiner Argumentation ist erschütternd, und man kann uns vorwerfen, ihm hier zuviel Platz einzuräumen. Als Beispiel für die oft bizarren Argumentationsweisen der amerikanischen Liberalen aber ist er unverzichtbar. Abzüglich einiger persönlicher Schrullen70 sind seine totalitarismustheoretischen Zerrbilder typisch für das Bedrohungsszenario, das sie in diesen Debatten immer aufs Neue zu entfalten helfen.
70 Es dürfte sogar in der Totalitarismustheorie ungewöhnlich sein, das Verhältnis von »aryan science«, »proletarian science« und »race or gender science« in eben dieser Reihenfolge als ein »rutschiges Gefälle« zu bezeichnen. Die Slippery-Slope-Metapher allerdings begegnet einem so häufig, daß sie in bezug auf die Diskussionen um Redefreiheit von H. L. Gates bereits als ein »Old Reliable« bezeichnet wurde. Gates führt über die Meinung der »First Amendment Absolutists« und ihren »Slippery-Slopism« aus: »The Picture here is that if we take one step down from the mountain peak of expressive freedom, we’ll slide down to the valley of expressive tyranny« (Gates 1996: 124).
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Fassen wir die Resultate dieses ersten Komplexes der »zweiten Welle« bis zu dieser Stelle zusammen, so ist von einigen Anekdötchen abgesehen nichts zu erfahren, was in anderem Zusammenhang nicht bereits thematisiert worden ist, mit der denkbaren Ausnahme von Horowitz’ verstiegenen Theorien. Die versprochenen Novitäten einer genuin linken Auseinandersetzung mit der ›Political Correctness‹ wollen sich hier, anders als bei Wilsons oder Feldsteins verdienstvollen Recherchen, noch nicht so recht erschließen, denn die Urteile der Neokonservativen und der hier als links oder liberal firmierenden Wissenschaftler über PC weichen kaum voneinander ab. Diese weitgehende Konkordanz ist auch zu erwarten gewesen, denn die Herausgeber des Bandes informieren ihre Leser über folgenden Grundkonsens: Agreeing with conservatives when they are right about particular issues is not joining a backlash, it is moving debate forward and modifying one’s position (Levitt/Davies/McLaughlin 1999b: 5).
Die Dialektik ist auch nicht mehr das, was sie mal hatte werden wollen. Wann immer solche politischen und erkenntnistheoretischen Banalitäten zum diskursstrategischen Credo erhoben werden, gilt es ausgesprochen genau hinzuschauen. Möglicherweise wird man dann Zeuge, wie ein Wissenschaftler den langen Lauf zu sich selbst erfolgreich absolviert. Und damit kommen wir zu einer wirklichen Besonderheit der linksgestrickten zweiten Welle. Das für die alte ›Neue Linke‹, die sich von der ihr unheimlichen Cultural Left abgrenzt, bedauerlich oft Signifikante findet sich wie in einer Nußschale in dem letzten Beitrag, den wir aus dem ersten Komplex skizzieren wollen. Er ist in seinen Grundzügen gerade für deutsche Leser nicht sehr originell, und genau aus diesem Grund für uns besonders wichtig. Der Autor, Philip Resnick, führt ebenso eindrücklich wie unfreiwillig komisch vor, warum Identity-Politics-Gruppen stets gut beraten sind, sich auf die etablierte, in den Feuern ihrer Enttäuschungsgeschichte geläuterte Linke aus den Sechziger Jahren möglichst nicht und niemals zu verlassen. Resnick plädiert wenig originell für mehr Toleranz zwischen den einzelnen Gruppen und stellt sich gegen radikale, perfektionistische Weltverbesserer, von den »Jacobins of the French Revolution« zu den »Marxist-Leninists of our own century« bis hin zu den »deep-ecologists of recent decades« (Resnick 1999: 117), die er als »infantil« bezeichnet und im folgenden mit den Korrekten gleichsetzt. Dabei scheut Resnick vor wohlfeiler, weil völlig folgenloser, Selbstgeißelung nicht zurück, die er mit der modischen Mischung aus altväterlicher Ermahnung und der Gönnerhaftigkeit des Revolutionsveteranen verknüpft:
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT As someone who came of political age in the 1960s and played a modest part in the new left of the day, I must confess to certain sins on the collective part of my own generation: a tendency to rhetorical over-kill, to the painting of our opponents in the establishment – political or university – in the most lurid of lights; to an impatience with those who differed with our views. We knew a better way to the future, just as various shades of socialism, communism, even anarchism, that had come before had had the inner track to truth. Surely the time has come to discard such credos. In the aftermath of the collapse of the Soviet Union and of the Berlin Wall, with Marxism-Leninism in eclipse and social democratic parties in Europe from Great Britain to Germany to Italy abandoning the doctrinal excesses of the past [was für doktrinäre Exzesse mag er meinen – etwa das Godesberger Programm der SPD?; MFE], the academic and cultural left in North America needs to rediscover the importance of temperate discourse. There is nothing illegitimate about gender, ethnicity, race, or sexual orientation as facets of identity. But its adherents must accept that they do not have some monopoly on virtue, and that the societies in which they are rooted are made up of people with multiple identities who need to live with one another in an atmosphere of civility – across the differences that divide them (Resnick 1999: 117).
Dieses Bekenntnis ist eine Mischung aus historischer und biographischer Enttäuschung, politischer Bankrotterklärung und der Einklagung zivilisatorischer Selbstverständlichkeiten als eiserner Reserve politischer Forderungen und linker Identität. Das ganze Trauerspiel führt Resnick auf eine für Veteranen der Sechziger Jahre typische Weise auf – man denke hierzulande an die antitotalitaristischen und semi-autobiographischen Schriften von Wolfgang Kraushaar (2000; 2001) oder Gerd Koenen (2001). Die synchron zu beobachtenden Konflikte innerhalb der einzelnen IP-Gruppen (und zwischen ihnen) werden hier in delegitimierender Rhetorik mit den diachronen Verwerfungen der eigenen vergeigten Biographie unzulässig kurzgeschlossen. Dabei wird der Verlauf der eigenen Biographie zur zwangsläufigen und folgerichtigen Entwicklung reinterpretiert und somit vorbildlich. Erklärungsbedürftige Erosionsprozesse im eigenen politischen und beruflichen Werdegang werden so erläutert, aufgearbeitet und zu einem, dem unbestechlichen Gang der Dinge sich beugenden, Reifeprozeß verklärt. Diese Erzählweise ist dann doch ein signifikanter Unterschied zu den Angriffen der Rechtskonservativen und Neocons, die sich vermutlich auch den folgenden Kalauer in Form einer Ehrenrettung für Karl Marx verkniffen hätten: In an odd version of political theatre, certain North American universities seem to have been reliving the Spanish Inquisition, the purge trials of the Stalin era, or the McCarthyist hearings of the 1950s. Only this time as farce,
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VIER TABLEAUS rather than as tragedy, to quote the politically incorrect Karl Marx of The 18th Brumaire of Louis Bonaparte (Resnick 1999: 118).71
b) Ein weiterer Schwerpunkt der »zweiten Welle« ist die Vertretung eines als links und universalistisch sich verstehenden Standpunkts gegenüber den (kultur-) relativistischen und partikularistischen Interessen der IP-Gruppen. Das hängt mit einem ›Totalitarismus der Mitte‹72 zusammen, den die amerikanische Linke der zweiten Welle als politisches Projekt zu verfolgen scheint. Wie Graff und Jay in ihrer Replik auf Feldsteins Fragen äußern auch andere Autoren, die sich dem linken Spektrum zurechnen, die Absicht, einen Kampf um die ideelle politische Mitte zu führen und die dort vermuteten oder erwünschten Akteure zu Positionen zu bewegen, die sie für links halten. Ersatzweise aber scheinen diese Linken sich damit zufrieden zu geben, die Positionen einer normalistischen Mitte für sich anzunehmen und sie kurzerhand und identitätsbewahrend als ›links‹ zu deklarieren. Alle nicht eindeutig rechtskonservativen Positionen, die man in diesem Zusammenhang für extrem oder schädlich hält und die folgerichtig der ›Political Correctness‹ zugerechnet werden, bezeichnet man dann beispielsweise als ›fundamentalistisch‹. Eine moderate Variante dieses diskursstrategischen Vorgehens findet man in dem Beitrag von Todd Gitlin 1999, der von »Fundamentalists« und »Essentialists« redet. Gitlin beschreibt akribisch das Auseinanderbrechen des Civil Rights Movement und das aus seiner Sicht bedenkliche Erstarken der Partikularinteressen, die sich nach dem Vorbild derjenigen radikalen Schwarzen organisierten, die sich vom Civil Rights Movement entfernt haben. Er nennt dies den »separatistischen Impuls«, der in der Folge von der Frauen- und Homosexuellenbewegung, aber auch von Juden und anderen Immigranten aufgegriffen und an ihre spezifischen Probleme und Bedürfnisse angepaßt wurde (ebd. 158), und der damit, ganz allgemein gesprochen, die Identity Politics entstehen ließ.73 Als diese Be-
71 Obwohl man da nicht sicher sein kann. Hierzulande werben rechtskonservative Gruppen nur zu gerne mit dem Rosa Luxemburg zuschriebenen Spruch: »(Die) Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.« Einen Beleg findet man bei Pfeiffer (2002: 99). Der Publizist und Verleger Rolf-Josef Eibicht hatte diesen Satz in einem Sammelband mit politischen Konzepten des rechtsnationalen Spektrums verwendet, um damit die ›Patriotenverfolgung‹ in Deutschland zu attackieren. Die »symbolische« bzw. »sprachliche Integration« (Pfeiffer) solcher Versatzstücke soll des weiteren eine politisch offene Haltung zur Schau stellen. 72 Den Ausdruck haben wir bei Bonder (1995: 27) gefunden. 73 Diese Einschätzung der Genese von IP-Gruppen ist in der Literatur weder selten noch völlig aus der Luft gegriffen. So weisen beispielsweise in ihrer umfassenden Geschichte der Homosexuellenbewegung in den USA Clendinen und Nagourney einige Male auf die Parallelen in den Entwick-
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strebungen auf die Universität übergriffen und dort in Forschung, Lehre und akademischem Alltag ihren Niederschlag in Konzepten des Multikulturalismus’ fanden, kam es aus der Sicht Gitlins zu vielen positiven Entwicklungen, die aber nur zu oft in einen vom ihm verurteilten Segregationismus umkippten. Dabei legt Gitlin Wert auf die Feststellung, daß – anders als etwa von Kimball und Bernstein unterstellt – der segregationistische Multikulturalismus der Identity Politics nicht etwa als Erbe der Linken der Sechziger Jahre zu interpretieren ist, sondern vielmehr als der Versuch, das universalistische Erbe der damaligen Linken auszuschlagen und diese Linke zu »pulverisieren«. Wörtlich heißt es in diesem Zusammenhang: But it was the late new left politics of seperatist rage, not the early new left politics of universalist hope, that nurtured their recruits, the graduate students and young faculty who subsequently carried what is either harshly or wishfully called »the politics of the Left« into the academy and institutionalized (or interred) it there. [...] By the time students born in the late 1950s and 1960s arrived on campuses, identity politics had become the norm of the »Left«, the tradition of protest. This generation had no direct memory of a united Left. They had politics. [...] By 1975, the universalist Left was thoroughly defeated – pulverized in fact (ebd. 1999: 162f).
Obwohl auch Gitlin eine tendenziell universalistische linke Position gegen die Partikularinteressen in Anschlag bringt und eine historisch nie existierende vereinigte Linke halluziniert, an die sich außer ihm wohl nur
lungen hin. Vergleichbar mit den Wirkungen der Radikalisierung der PostCivil-Rights-Schwarzenbewegung war die Radikalisierung der homosexuellen Gruppen im Anschluß an die Stonewall-Straßenschlacht, die bis heute am Christopher-Street-Day gefeiert wird, für viele Homosexuelle ein Befreiungsschlag, der hin zu einer schärferen Konturierung und Sichtbarkeit der homosexuellen Identität(en) führte, der aber andererseits bei vielen Veteranen der Bewegung auch Ängste auslöste, z. B. bei der sehr bescheiden und angepaßt auftretenden »Mattachine Society«, die sich von ihrem gutbürgerlichen Habitus mehr Akzeptanz bei der amerikanischen Bevölkerung versprach. Escoffier allerdings weist auf den kommunistischen Ursprung der Gründer dieser Gesellschaft hin (Escoffier 1998: 41ff). Als ihre nach dem Stonewall-Riot versuchte Intervention zur Deeskalation scheiterte, waren sogar Leute wie Dick Leitsch überfordert, der Jahre zuvor in der Mattachine-Society noch als eher radikal galt. Clendinen und Nagourney beschreiben seine Haltung (und zitieren [?] ihn) wie folgt: »The ›new homosexuals‹ were like the black militants who had upset the moral authority of the nonviolent black leaders of the mid1960s. Leitsch had always thought of himself, in philosophy and tone, closer to Martin Luther King, whose picture he kept on his office wall [...]. As he surveyed the new terrain, he thought bitterly, ›We’re turning out just like them. We’re getting to be like Stokely Carmichael‹« (Clendinen/Nagourney 1999: 24f, herv. v. MFE). Das ist gewiß nicht als Kompliment zu interpretieren.
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sehr wenige noch ›erinnern‹ dürften,74 verfügt er in seiner historischen Analyse scheinbar über genügend Sinn für die Ironie der Angelegenheit, um die nicht immer ganz uneitle und ressentimentfreie Position der amerikanischen Liberalen bezüglich der Black Power Bewegung zu erfassen: [...] during the mid-1960s, the black secession from integrated (if black-led) organizations proved traumatic for white liberals. It undermined their raison d’etre. What, after all, was liberalism without grateful lower classes to be liberal for? (Gitlin 1999: 152).
Das ist gut beobachtet und hübsch formuliert. Das Motiv des Undanks der Nachkommen und der Nutznießer der eigenen Pionierarbeit dürfte der Generalbaß jeder älteren Generation sein. Allerdings trifft dieses Verhaltensmuster nicht nur auf die seinerzeit enttäuschten und sich ausgeschlossen fühlenden weißen Liberalen der Sechziger Jahre zu: Es ist durch eine List des Weltgeists auch eine akkurate Beschreibung der Sichtweise des Autors, selbst Mitglied der übriggebliebenen akademischen Linken, die sich gegenüber den IP-Gruppen oft ebenso anklagend wie beleidigt verhalten. Die unentwegt vorgetragene Enttäuschung trägt bei Gitlin wie bei anderen Autoren den Beigeschmack eines Generationenkonflikts, der unter einem politischen Gesichtspunkt verhandelt werden soll. Auch kann man bisweilen vermuten, daß – mit einem Bild zu sprechen, das wir bei Peter Gay gefunden haben – hier möglicherweise die Leiter umgestoßen werden soll, auf der man selbst in politischer und akademischer, auch in biographisch-identitätspolitischer Hinsicht nach oben geklettert ist.75 Zwar hat Gitlin offenbar eine Ahnung von diesem
74 Eine ausführliche Kritik an Todd Gitlin, die wir teilen, findet man bei dem afroamerikanischen Historiker Robin Kelley. Kelley, ein bekennender Linker, der sich bei seiner scharfen Kritik der weißen angelsächsischen Aufklärungs-Idolatrie über die Grenzen der Identity Politics zwar im Klaren ist, aber mit der Larmoyanz des weißen linken akademischen Establishments nicht viel anfangen kann, führt in einem Rekurs auf ältere Texte Gitlins aus, in denen es um die Gefahren ging, die der Linken von den Identity Politics Gruppen drohten: »The scars of sectarianism run deep and trace their roots to the glorious days when old Marxists were supposedly more »universal«. Street fights erupted between socialists and anarchists; battles raged between Trotskyists and Stalinists and a variety of sects claiming to be the true heirs of Lenin: And then China entered the picture, along with Albania. These battles within the Marxist world contributed more to the internal implosion of left-wing parties than feminism and black nationalism« (Kelley 1997: 123). 75 Gay bezieht sich mit dieser Redewendung auf einen Teil der Widerstände, die dem sozialen Aufstieg einzelner Bürger in »exklusive Zirkel oder gar in den Adel« entgegenstanden: »Sie [die potentiellen Aufsteiger] mußten allerdings mit dem Widerstand derer rechnen, die sich bereits droben befanden und die nur zu erpicht darauf waren, die Leiter umzu-
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unerfreulichen Aspekt des Problems. Letztlich aber ist auch seine strekkenweise gelungene Analyse der nichttotzukriegenden Argumentationsweise vom Haupt- und Nebenwiderspruch verhaftet: The cultivation of difference is nothing new, but the sheer profusion of identities that claim separate political standing today is unprecedented. And here is perhaps the strangest novelty in the current situation: that the ensemble of group recognitions take up so much of the energy of what passes for the Left. [...] But what is a Left if it is not, plausibly at least, the voice of a whole people? [...] If there is no people, but only peoples, there is no Left (Gitlin 1999: 170f).
Aber das scheint doch eher ein Problem der Linken wie Gitlin als eins der »peoples« zu sein. Es ist ein übler Treppenwitz, daß genau diejenige Einschätzung, die man gemeinhin den »Korrekten« unterstellt, nämlich daß sie sich ständig und meist zu unrecht marginalisiert fühlen,76 in dieser Klage von Gitlin sich widerpiegelt, der sich offenbar um die Meriten seines politischen Engagements geprellt sieht, und zwar dadurch, daß die ehemalige New Left politisch nicht mehr die Rolle auf dem Campus spielt wie ehedem.77 Daß die mit dieser Sichtweise verknüpften Einwände bezüglich der Identitätshuberei der Minderheitengruppen in der Sache oft nicht einmal verkehrt sind, verstärkt das Durcheinander nur.
werfen, auf der einst ihre eigenen Vorfahren heraufgeklettert waren. Snobs vergessen niemals und lassen auch niemals zu, daß andere vergessen, welche eine entscheidende Kluft den Arrivierten vom Emporkömmling trennt« (Gay 1999: 29). Der hier beschriebene Vorgang funktioniert heutzutage recht gut innerhalb nur einer Generation, ja einer Biographie – man denke an die schulischen und akademischen Karrieren derjenigen, die heute im Kampf gegen verkrustete Strukturen tabubrecherisch Studiengebühren und einen Numerus Clausus fordern. 76 So heißt es in diesem Sammelband in einem ansonsten belanglosen Beitrag von Patricia Marchak apodiktisch: »The common theme [of political correctness, culture wars etc., MFE] is that a group or groups believe that they are excluded and marginalised by another group or groups. The excluding, dominant group controls the language and manages the agenda of the institution« (Marchak 1999: 187). 77 Vgl. wiederum Robin Kelleys scharfsinnige Diagnose: »On the other hand, we have to recognize that the backlash against so-called identity politics is also deeply personal, reflecting a tragic sense of loss or irrelevance experienced by some of these critics. Indeed, Gitlin feels personally victimized by identity movements because, in his words, they cast the ›Straight White Male‹ as the ›common enemy‹« (Kelley 1997: 105). Kelleys Folgerung, bei der er sich noch auf einen weiteren, uns unbekannten Autor bezieht, leuchtet uns auch angesichts der Parallelen zum zornigen Selbstmitleid eines Dieter E. Zimmer ein: »White male angst notwithstanding, whatever cul-de-sacs we might have entered, the Gitlin/Tomasky model will not lead us out« (ebd. 106).
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Wir haben Barbara Epsteins Beitrag dem zweiten Komplex des Bandes zugeschlagen. Das ist insofern vielleicht nicht ganz richtig, als daß sie im ersten Teil ihres Aufsatzes mit dem barocken Titel At a Time of Danger and Opportunity the Academic Left Should Take a Critical Look at Itself (Epstein 1999) durchaus einige wissenschaftshistorisch interessante Überlegungen zum Aufstieg von poststrukturalistischen Ansätzen in den amerikanischen Universitäten macht. Doch neben einem – allerdings in manchem Detail etwas fragwürdigen – Geschichtsabriß, in dem sie den Aufstieg der antihumanistischen Poststrukturalisten in den USA mit dem Niedergang der Linken parallelisiert, ist es ihr Hauptanliegen, den Poststrukturalisten ihre Zugehörigkeit zu den Linken abspenstig zu machen. Hierbei führt sie aus, daß eine der Quellen der Cultural Studies die ›Frankfurter Schule‹ gewesen sei, und fährt fort: In the US of the eighties and nineties, post-structuralism and Cultural Studies soon began to drift away from its initial political impetus, while continuing to describe itself as left, or radical, or subverse (Epstein 1999: 298).
Über diese Einschätzung ließe sich wahrscheinlich ernsthaft diskutieren, doch auf eine Analyse wartet man in Epsteins Aufsatz vergeblich. Ihre Begründungen für ihre Einschätzung und vor allem ihr Argumentationsschema sind vertraut – und für den weiteren Gang unserer Studie so wichtig, daß wir sie hier wiedergeben möchten. Zunächst einmal rechnet sie den Poststrukturalisten die geheimnisvolle, nicht näher erläuterte Macht zu, wie man sie auch den ›Politisch Korrekten‹ zurechnet, nämlich daß sie im Namen ihrer politischen Anliegen andere Meinungen und Auffassungen unterdrücken können: But the mixture of dogmatism based on political claims, and post-structuralist theory, that many people in the academy understand as radicalism, is strongest in the parts of the university, particularly the Humanities, where Theory (or post-structuralism) holds sway. The problem of dogmatism and suppression of dissent in the name of radicalism has been well publicized by the press ...
Wir unterbrechen dieses Zitat für einige Zwischenfragen: auf welchen Kanälen sind die von angeblich Radikalen angeblich unterdrückten Meinungen und die Frontberichte der universitären Grabenkämpfe in die Medien gelangt – als Kassiber, die unter Lebensgefahr aus dem Universitätsgebäude geschmuggelt wurden? Was ist es für ein Verständnis von Unterdrückung, wenn Rede und Gegenrede in den Universitäten und der Medienöffentlichkeit allerorten möglich sind? Wo sind die Bücher von Autoren wie z. B. Harold Bloom, Allan Bloom, und nicht zuletzt der Sammelband, aus dem Epsteins Aufsatz stammt, denn entstanden? Alles
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nur außerhalb des akademischen Bereichs?78 Epstein lehrte zur Zeit der Publikation am History of Consciousness Department der Universität von Kalifornien (Santa Cruz). Muß man sich dieses Institut als Partisanennest, das von seinen Widersachern umzingelt ist? Wohl kaum, denn das Zitat geht wie folgt weiter: ... There are a number of books [!] that address this problem and in some cases its links to post-structuralism. Some of this criticisms come from those on the right who dislike what they see as the ascendancy of the left within academia; as a result any criticism of these problems is often dismissed as part of the right’s attack on the left. But some of the books criticizing these problems reflect perspectives that are sympathetic to progressive or left politics, written by people who are disturbed by its distortions (Epstein 1999: 299).
Und nun werden renommierte Autoren wie Terry Eagleton aus dem Hut gezaubert als Zeugen dafür, daß man sehr wohl den Poststrukturalismus kritisieren und »fraglos ein Linker sein« (ebd.) kann. Wir wollen das gar nicht bestreiten. Uns interessiert vielmehr das Bedrohungsszenario, das hier entworfen wird. Gilt den Poststrukturalisten allen Ernstes jede Kritik am Poststrukturalismus bereits als rechts? Einen Beweis dafür bleibt Epstein schuldig. Und worauf will sie mit ihren Überlegungen eigentlich hinaus? Das festzustellen ist etwas knifflig, weil die Autorin mehrere disparate Ziele mit dem Aufsatz verfolgt. Zunächst einmal hat sie eine Hauptursache des Problems mit den Poststrukturalisten herausgefunden, auf die man allerdings nicht so schnell kommt: Es ist das »Starsystem« des Wissenschaftsbetriebs. The aspect of the post-structuralistic academic arena that has been least written about is the star system that has arisen within and around it. There have always been more and less prominent academics, but prominence is not the same thing as stardom (Epstein 1999: 299).
Ihre diesbezüglichen Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Geprägt, wenn auch nicht verursacht durch einen poststrukturalistischen Stil (ebd. 301), hat der egoistische oder egozentrische Wissenschaftsstar den alten »Prominenten Intellektuellen«, der sich der Öffent-
78 Wir möchten hier einen Hinweis von Louis Menand allerdings nicht unterschlagen: »It is notable that a number of the most publicized attacks on the contemporary university – for example, D’Souza’s Illiberal Education, Kimball’s Tenured Radicales, David Lehman’s Signs of the Time, and Richard Bernsteins’s Dictatorship of Virtue – were written by people who had once been enrolled in graduate programs but did not go on to have academic careers« (Menand 1996b: 9). Dem müßte man vielleicht noch mal nachgehen.
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lichkeit verpflichtet wußte, abgelöst, was sich, man glaubt es kaum, auch an der Veränderung der Photographien von Akademikern damals und heute zeigen lasse (ebd. 300). Das sich auch hier manifestierende »star system« also in den Humanities schade jeder progressiven Politik, weil es trotz der politischen Ambitionen einzelner Stars, die übrigens mehrheitlich progressiv seien, den Teilnehmern »implizit« mitteile, daß es nur auf »den Ruhm und das damit einhergehende Geld« ankomme. Die Ursache dafür liege in dem zerrütteten Verhältnis der ohnehin geschwächten Linken allgemein zum Wissenschaftsbetrieb in den Humanities. Weil der Wissenschaftsbetrieb ebendort, in nur schwach etablierten Feldern wie Social Sciences, Cultural Studies etc., von isolierten und politisch enttäuschten Linken geprägt sei, seien gerade diese Forschungsgebiete und ihre Protagonisten für die Anforderungen des Marktes besonders anfällig. Egoismus und der Abbau von Solidarität halte Einzug. Der Kulturradikalismus habe die echte, authentische Radikalität früherer Studenten abgelöst (ebd. 303). Das, so Epstein, war früher (»sixties and seventies«) ganz anders: A vibrant left politics and culture flourished in every major city in the North and in many of the South; few universities were untouched by it. The left was a major presence in national politics and in intellectual life, outside as well as within academia. The left brought a freshness, honesty and moral integrity to national discussion that compelled attention and respect. Over the course of the eighties and nineties this ebbed away, and today it is mostly gone (ebd. 302).
Es gibt also keine richtige Radikalität in der falschen, und wo Linke wie Epstein und Gitlin sind, ist bzw. war einstmals vorne. In diesem sentimentalen Sittenbild liegen eine Selbstüberschätzung und eine Eitelkeit, vor denen es einem bei aller Sympathie mit dem Aufbruchswillen der Sechziger Jahre nur gruseln kann. Gegen Ende des Beitrags kommen einige Ausführungen zum Thema affirmative action und zu den Problemen, die diese Programme mit sich bringen können. Die Diagnose, daß Quoten problematisch sind, ist nicht grundverkehrt. Aber auch hier wieder die Geste der unterdrückten freien Rede, diesmal von einer im Selbstverständnis »frischen und aufrechten« Linken, vorgetragen im anekdotenlastigen Duktus, den man hierzulande vom Wort zum Sonntag oder der Morgenandacht im öffentlichrechtlichen Radio kennt (»Neulich war/traf/hörte/sah ich ... « etc.) und dessen unserer Vermutung nach protestantische Prägung jemand anders erforschen mag: I recently attended a panel discussion on affirmative action [...] The first three speakers described affirmative action as having worked well [...] Listening to these speeches, I was thinking that affirmative action has not al-
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT ways worked so well in the areas of academia that I know something about. I found it hard to believe, that affirmative action could be free of such problems everyplace else. I also found it hard to believe that public opposition to, or in some cases ambivalence towards, affirmative action could be entirely based on false consciousness due to the influence of the right. It seemed to me that the left should acknowledge that there have been real problems with affirmative action, that it is very much a bureaucratic response to racism, that it suffers the problems of bureaucratic responses, even when implemented by progressives within the bureaucracies in question ...
Auch hier unterbrechen wir kurz. Soweit, abgesehen vom Duktus, der nicht jedermanns Sache ist (aber das müssen wir gerade sagen), wenig Einwände. Daß affirmative action ihre Probleme mit sich bringt, liegt in der Natur begrenzter Ressourcen, um deren Verteilung es schließlich geht. Aber nun erfährt die Narration eine dramatische Wendung: ... But I was afraid to say any of this in front of a large crowd. I did not want to be seen [!!] as a racist ...
Bereits eine Weile zuvor im Aufsatz hatte sie festgestellt: »A wide gap has emerged between what is said publically and what is said among friends, or in other arenas that are felt to be safe« (Epstein 1999: 307). Wie aber, und das ist daher sehr die Frage, wie ist es dann zur mutigen Publikation dieses offenbar hochriskanten Aufsatzes in einem Sammelband gekommen, der doch gewiß über eine sichere Arena hinaus rezipiert werden soll? Ist es Frau Epstein, anders als wenn sie unter vielen Menschen ist (»large crowd«, immer mordsgefährlich), bei ihren schriftlichen Zeugnissen gleichgültig, ob sie »für eine Rassistin gehalten« wird? Oder hofft Frau Epstein, daß der Text nicht gelesen wird? Abwarten: das Wort zum Sonntag ist noch nicht zuende, und der Erlöser für die beschriebenen Nöte kommt wie der deus ex machina auf die Bühne gestolpert und weiß vermutlich nichts von seinem Glück! Wir steigen wieder direkt ein: ... Fortunately, similar points were made by the last speaker, a prominent African American politician whose public standing protects him from the pressures generated within the academic left (Epstein 1999: 308).
Da kann dieser Politiker aber froh sein, daß er prominent und auch noch schwarz ist. Wir wissen wirklich nicht, was wir erbärmlicher finden sollen: den Kampf um die Ressourcen, die Jeanne D’Arc-Attitüde einer etablierten linken amerikanischen Wissenschaftlerin oder die Instrumentalisierung des anonymen »prominenten afroamerikanischen Politikers«, der gar nicht weiß, für was er hier als Kronzeuge herhalten muß – sofern es ihn gibt: die Anekdote wird, wie im Wort zum Sonntag, weder belegt noch datiert.
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Nicht alle Beiträge in diesem Sammelband, und das stimmt uns dann doch etwas fröhlicher, fischen in solch trüben Gewässern. Allein der Einstieg in den Beitrag von Louis Greenspan müßte seinen amerikanischen Kollegen und auch den meisten deutschen Autoren in den Ohren klingen. Er kann in einiger Hinsicht auch als direkte Antwort auf Epstein gelesen werden: There are those who believe that »Political Correctness« is forever prowling our campuses. It must be everywhere because everyone has been touched by it, everyone has been warned of its effects and everyone has been offered antidotes. On the other hand, it is nowhere, because no one claims to be its champions or advocates. Oddly, »Political Correctness« is known only through books and articles of its adversaries. True, these have exposed the sponsors of PC as a cabal of cultural leftists, yet when these leftists are named individually they rarely confess to their sins. Perhaps it is easier to think of PC by analogy to one of those fogs or mists in horror films that appear out of nowhere, engulf their victims, transform them in some mysterious way but leave the audience guessing as to who sent them (Greenspan 1999: 259).
Greenspan vertritt ganz offenkundig einen ganz anderen Standpunkt als die bisher präsentierten Autoren des Sammelbands. Analog zu unserer Rede von Dramatisierung und Ridikülisierung teilt er die Beobachter und Kommentatoren zum Thema PC in »Catastrophists« and »Comedians« ein. Den »Catastrophists« gibt er gleich zu Beginn des Aufsatzes einen Tritt mit auf den Weg: So great is the power of PC, they say, and so ubiquitous its influence, that the future historian who reads the works of such catastrophists will assume that they belong to a Samizdat that is ingeniously concealed in some remote region of the Himalayas – well out of reach of the commisars of PC. How then will s/he account for the fact that these same works have been published by respected publishers or well known institutes whose addresses are readily available? (Greenspan 1999: 258f).
Diese Frage sollte man sich immer wieder dann stellen, wenn von der inquisitorischen Zensur durch die Korrekten die Rede ist. Greenspan bestreitet nicht, daß es Ereignisse gab und gibt, die die Rede von der Political Correctness plausibilisieren: »The charge of »Political Correctness« can find appropriate targets« (ebd. 259). Andererseits, so Greenspan, gibt es beispielsweise eine populäre satirische Fernsehsendung, die »Politically Incorrect« heißt. Und wie wir in dieser Arbeit bereits oft genug gesehen haben: »›Political Correctness‹ [...] has spawned a culture of comedy«. Greenspan folgert völlig zu Recht auch aus diesem Nebenkriegsschauplatz: »The politically incorrect, whoever they are, remain safe« (alle Zitate ebd.).
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Von dieser Diagnose gelangt er bezüglich der Frage von Partikularismus und linkem Universalismus natürlich zu ganz anderen Schlüssen. Die Auseinandersetzungen zwischen einer eher orthodoxen Linken und einer Kulturlinken, wie sie auch in Deutschland ein beliebtes Gesellschaftsspiel sind,79 kranken nach Greenspan oft schon an der Konturlosigkeit dieser Begriffe. Auch wenn er bei denjenigen, die er zur »Kulturlinken« rechnet, oft die Abwesenheit eines gemeinsamen, konsensfähigen Ideals (»common good«) vermißt (ebd. 266), so sieht er die seit Mitte der Siebziger Jahre Boden gewinnende Position der Kulturlinken gegenüber den orthodoxen Linken wohlbegründet in einer ganz spezifischen Situation: The cultural left became the left wing opposition, not to the liberal welfare state that was in rapid decline but to its nemesis, a confident and successful conservatism which also began to gather strength in the seventies.80 [...] By default the cultural left became the only real rival to the right in the university (Greenspan 1999: 268).
Deutlich arbeitet er die Defizite der »Neuen Linken« heraus, die in ihrem orthodoxen Linkssein die Anliegen des Feminismus, der Homosexuellenbewegung etc. bis zum St.-Nimmerleins-Tag vertagt hätten. Mit Rekurs auf einen Essay von Steven Seidman81 erläutert er: Feminists and others began to see this as a form of reaction and launched a comprehensive critique of Marxism which took shape as post-modernism. In brief Seidman maintains that post-modernism has emerged because the left which purported to be a science, claimed that it would transform the problems of women, homosexuals and the different races into quantitative scientific economic categories. Hence it revealed that it would never understand what they were about (Greenspan 1999: 270f).
Nun ist Greenspan nicht unkritisch gegenüber den Identity-PoliticsGruppen. Insbesondere das Problem des religiösen Fundamentalismus hält der Theologe für die Kulturlinke unlösbar, denn weil auch der religiöse Fanatismus den identity politics zugerechnet werden könne, müsse man, so Greenspan spöttisch, schon »außergewöhnliche dialektische Fä-
79 Als Musterbeispiel sei genannt Robert Kurz (1999): Die Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise. Berlin. Edition Tiamat. Hier ist die Kulturlinke alles, was der Unfall und die Abweichung von einem Marxismus Kurzscher Prägung ist. 80 Diese Diagnose wäre dann bestätigt durch Hardisty 1999, Minkenberg 1998, Schulman 2001. 81 Steven Seidman: Post-Modern Social Theory as Narrative with a Moral Intent. In: ders. und G. Wagner (Hg.): Post-modernism and Social Theory. Cambridge: Blackwell 1992, 47-82.
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higkeiten mitbringen«, um darin etwas Fortschrittliches oder Linkes zu entdecken (ebd. 272). Er kommt angesichts der ökonomischen und politischen Entwicklung, die man mit dem Begriff ›Globalisierung‹ nur unzureichend beschreiben kann, zu der Auffassung, daß die Linke insgesamt vor einer Herausforderung steht. Der politische Bankrott links und rechts, den er diagnostiziert, führt ihn zu folgendem Fazit, mit dem er der orthodoxen Linken ins Stammbuch schreibt, wer der politische Gegner nicht ist: This along with the globalization that stands for economic disarray invites the left to rethink itself. It cannot return to the universalism of the old left but it cannot abandon it altogether. It seems clear, however that to concentrate its energies on a crusade over Political Correctness is a charge into windmills (ebd. 274).
c) Den letzten Komplex (Science and Reason) wollen wir nur anhand eines Autors vorstellen, zumal wir den Beitrag von Epstein bereits unter b) skizzierten und einen weiteren Beitrag von Okey Chigbo in einer kurzen Fußnote abhandeln konnten. Der von uns gewählte Beitrag ist insofern wirkungsgeschichtlich von Interesse, als daß sein Verfasser mit dem hier verhandelten Thema und einem vergleichbaren Text auch in Deutschland zu einer Symbolfigur des Kampfes gegen poststrukturalistischen »eleganten Unsinn« reüssierte, wobei sein politisches Anliegen und sein politischer Standort weitestgehend untergingen. Es geht um den Naturwissenschaftler Alan Sokal. Der Physikprofessor hatte 1996 einen aufsehenerregenden Wissenschaftsskandal angezettelt. Unter dem Titel Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity hatte er der Zeitschrift Social Text einen szientoiden Grubenhund beträchtlichen Ausmaßes angedreht, den das Blatt auch prompt abdruckte.82 In diesem Aufsatz koppelte er als postmodern codierte Rede- und Sichtweisen sowie Zitate mit ernster Geste an naturwissenschaftlichen Kokolores an, um der Öffentlichkeit klarzumachen, daß in diesem Bereich der Cultural Studies jedwedes kritische Instrumentarium zusammengebrochen ist und, wie es im Untertitel des von ihm und Bricmont verfaßten Buches heißt, daß »die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen« (Bricmont/Sokal 2001 [1997]).
82 Erschienen ist die Parodie als seitens der Redaktion ernstgemeinter Beitrag in der Frühjahr/Sommerausgabe der Zeitschrift (Heft 46/47, 217252). Drei Wochen später klärte Sokal die Öffentlichkeit über sein Manöver auf. Für die genaue Chronologie vgl. Bricmont/Sokal 2001 [1997], mit deutscher Version des Artikels, sowie Sokal 1999.
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Erwartungsgemäß ging dieser wohlkalkulierte Skandal um die Welt und wurde, außer in den USA, mit einiger Verzögerung vor allem in Deutschland und Frankreich mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.83 Die Ziele ihrer – mit dieser Aktion donnerschlagartig aufs Tapet gebrachten – Kritik faßten Sokal und sein Co-Autor Bricmont ein Jahr darauf zusammen: Die von ihnen angeschwärzten Autoren der Postmoderne (Kristeva, Lacan, Baudrillard etc.) würden mit von ihnen in keiner Weise verstandenen, abgesunkenen Wissensbeständen der modernen Naturwissenschaften und Mathematik, mit einer Terminologie, die ihrem Können keineswegs gehorcht, a tout prix versuchen, ihr eigenes wissenschaftliches Tun und Philosphieren aufzupolieren. Dabei mißbrauchten sie jenseits aller sachlichen Berechtigung oder erkenntnisleitenden Notwendigkeit Entlehnungen, mit dem einzigen Ziel, »den wissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser zu beeindrucken und – vor allem – einzuschüchtern.« (Bricmont/Sokal 2001: 20f). Dieses ablehnende Urteil wird ausführlich begründet und belegt. Eines jedoch machen die Autoren klar: es geht ihnen nicht darum, die Geistes- und Sozialwissenschaften in ihrer Gesamtheit anzugreifen, sondern nur den »Nimbus«, den die hier vorgeführten Wissenschaftler mit naturwissenschaftlichen Attrappen um ihre Texte aufgebaut haben: Sie seien deshalb so schwierig zu verstehen, weil die darin vorgebrachten Gedanken so tiefgründig seien. In vielen Fällen werden wir aufzeigen, daß die Texte einzig und allein deshalb so schwierig erscheinen, weil sie absolut nichts aussagen (ebd. 22).
Dieses verdienstvolle Vorhaben ist natürlich nicht überall gut angekommen, schon gar nicht bei der Zeitschrift Social Text, die sich blamiert fühlte. Der Applaus von rechts, gerichtet gegen die Linken allgemein und ihre merkwürdigen Theorien im besonderen, ließ auch nicht lange auf sich warten, wie Valerie Scatamburlo beschreibt: The editors of Social Text were left agape and quickly chastized Sokal for intellectual charlatanism and lack of good faith. As expected, right-wing spokespersons like Roger Kimball seized the day and pointed to the Sokal affair as just another example of the excesses of loony Left theorizing. This, of course, was the unfortunate off-shoot of Sokal’s prank, for it provided the Right with another excuse for theory-bashing (Scatamburlo 1998: 167).
83 Die Aufmerksamkeit hielt eine Weile an. Bereits zwei Jahre vor der deutschen Ausgabe des Buches von Bricmont und Sokal wurde es in der SZ von Thierry Chervel rezensiert. (T.C.: Lacan es nicht fassen. Unlogik des Sinns: hat der Poststrukturalismus sich verrechnet? In: SZ v. 02.10.1997, 17) s. auch Mariam Niroumand: Freizügig mit Unsinn gewürzt. In: Taz v. 22.01.1997.
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Sicherlich auch aufgrund solcher unerwünschter Allianzen sahen sich die Autoren später zu drei Feststellungen veranlaßt. Erstens, daß sie nichts über den Teil der Arbeit der Autoren sagen, der nicht naturwissenschaftlich ist (Bricmont/Sokal 2001: 28). Zweitens, daß es weder um einen »theoretischen Nationalismus und Protektionismus«, d. h. gegen französische Theorien und Wissenschaftler, gehe.84 Drittens wollen sie betonen, daß dieses Buch kein rechtes Pamphlet gegen linke Intellektuelle, keine imperialistische Attacke gegen die Pariser Intelligenzia und keine naive Forderung nach »gesundem Menschenverstand« darstellt (ebd. 33). Die Autoren sehen sich einer aufklärerischen Position verpflichtet und treten – mal ganz abgesehen von ihrem wissenschaftspolitischen Anspruch – gelegentlich explizit für etwas ein, was sie für links halten. Aber in ihrem Epilog sehen sie sich genötigt, abermals deutlicher zu werden: In anderen Kommentaren wird diese Geschichte [die ›Affäre Sokal‹; MFE] mit Angriffen auf die »multikulturelle Gesellschaft« und die »politische Korrektheit« in Zusammenhang gebracht. Es würde viel zu weit führen, diese Frage im Detail zu behandeln, aber wir möchten betonen, daß wir in keiner Weise die Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen oder den Respekt gegenüber Minderheiten ablehnen, der in derartigen Attacken oft lächerlich gemacht wird (ebd. 254).
Sokals Beitrag zum Sammelband ist die schriftliche und überarbeitete Fassung eines Vortrags, den er im Frühjahr 1997 auf der »Socialist Scholars Conference« hielt. Er macht drei Unterscheidungen, um sein Anliegen einzugrenzen. Er trennt epistemischen, ethisch/moralischen und ästhetischen Relativismus, und legt das Interesse seines Vortrags – nicht das seiner politischen Arbeit – ausschließlich auf das Problem des »epistemischen Relativismus«, in seinen Worten um den »Relativismus dessen, was Wahrheit (truth) und was Wissen (knowledge) ist« (Sokal 1997: 286). Seiner Auffassung nach werden allzu viele »kluge und engagierte Leute« (»smart and committed«) in Modetheorien hineingezogen, anstatt politisch und wissenschaftlich das Notwendige zu tun. Sokal macht sich auf, das seiner Meinung nach Richtige und Wahre zu verteidigen, und für die Linke hält er diese Einstellung für unabdingbar: It seems to me that truth, reason and objectivity are values worth defending no matter what one’s political views; but for those of us on the Left, they are crucial – without them, our critique loses all its force (ebd. 287).
84 So wohl ein Vorwurf von Didier Eribon an amerikanische Kritiker solcher Wissenschaftskonzepte. Vgl. dazu Bricmont/Sokal (2001: 33f.).
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Sokal positioniert sich gegen eine Einstellung, die er als »sloppy thinking« bezeichnet (ebd. 288). Er besteht darauf, daß zwei Konzepte unterschieden werden müssen, nämlich das Konzept »Wahrheit (truth)« und »Wahrheitsanspruch (claim of truth)« (ebd. 291). Die Tatsache, daß jemand im Namen einer unanfechtbaren, aufgeklärten Wissenschaft unwahre Sachen erzählt hat, stelle das Konzept »Wahrheit« im Sinne eines wissenschaftlichen Anspruchs nicht in Frage: Sure, lots of peole say things about women and African-Americans that are not true; and yes, those falsehoods have sometimes been asserted in the name of »science«, »reason« and all the rest. But claiming something doesn’t make it true, and the fact, that people – including scientists – sometimes make false claims doesn’t mean that we should revise the concept of truth (Sokal 1999: 291).
Die Verknüpfung der Suche nach objektiver Wahrheit mit einem politischen Anspruch ist gewiß problematisch, und die Tatsache, daß wissenschaftliche Wahrheiten oft historisch bedingt sind, in den Geisteswissenschaften mehr noch als in den Naturwissenschaften, geht hier im Getümmel der zwei Welten unter. Dennoch ist Sokal, ähnlich wie Greenspan und der oben ausführlich zitierte John K. Wilson, ein Beispiel dafür, daß zumindest Teile der amerikanischen Linken sich soweit gefangen haben, daß sie ihren politschen Kampf wieder aufnehmen, ohne in der Attitüde der geläuterten und/oder beleidigten Revolutionsveteranen ihren Nachfolgern nicht nur die Form ihres Protests anzukreiden, sondern auch noch mit Hilfe der Legende die Legitimation abzusprechen. Sokals explizite Beschränkung auf die von ihm monierten Kritikpunkte zeigt, daß es ihm wohl weniger um die diskurspolitischen Mitnahme-Effekte geht, wie man sie bei vielen seiner linken Kollegen sehen kann.
Insgesamt hinterläßt diese ›zweite Welle‹ einen schalen Geschmack. Das, was diese arrivierten Linken mit leichter Hand als ›Political Correctness‹ bezeichnen und meist diffamieren, ist nur allzuoft eine mahnende, unangenehme Erinnerung an eigene politische Versäumnisse und an das eigene Scheitern. Insofern, und diesem Umstand verdankt sich der von uns gewählte Titel dieses Abschnitts, ist der Sammelband das zum größten Teil niederschmetternde Manifest einer marginalisierten Restlinken, die versucht, in erster Linie sich selbst und ihr angekratztes Selbstbild zu retten. Man darf gespannt sein, wie sich das weiterentwickelt. Denn es ist nicht zu übersehen, daß in diesem Band mit einem diskurstaktischen Husarenstück, nämlich der Fiktion einer zweiten Welle, die komplexe Aus128
VIER TABLEAUS
einandersetzung um all das, was PC sein könnte, filetiert werden soll. Es wird versucht, all diejenigen Einwände gegen die »Political Correctness«, die unleugbar reaktionär und bigott sind, den Neokonservativen zuzuschlagen, wohingegen die hier kompilierte, in ihrem Selbstverständnis demokratische Mitte-Links-Koalition85 die Filetstücke, also die einleuchtendsten und attraktivsten Kritikpunkte an der vermeintlich homogenen PC sich sichern möchte, um sich auf Kosten sowohl der vermeintlich Korrekten als auch der Konservativen zu profilieren. Man kann sich bei aller berechtigter Kritik an dem, was (fragwürdigerweise) als PC bezeichnet wird, in Einzelfällen des Eindrucks nicht erwehren, daß eine in Nordamerika traditionell isolierte Linke sich, ohnehin mit arg verspäteter Reaktion, wenigstens als Kulturkriegsgewinnler etablieren möchte. Das an diese Doppelzüngigkeit geknüpfte Scheitern jeder ernsthaften politischen Bemühung, die über einen lauwarmen politischen und ökonomischen Kompromiß mit den Neokonservativen und Libertarians hinausgeht, läßt sich für die hier schwunglos vorgebrachten Restforderungen jetzt schon prognostizieren.
Teil 3: Das Bohren dicker Bretter Wir möchten im dritten und letzten Teil unseres Überblicks über die amerikanischen Schlachtfelder noch kurz zu einer Studie kommen, in der sich vielleicht am besten zeigt, wie weit die Analyse der Angelegenheit in Nordamerika fortgeschritten ist. Bei dieser Gelegenheit zeigt sich aber auch, daß der hier vollzogene analytische Fortschritt auf den allgemeinen Sprachgebrauch, auf die Funktionsweise des Deutungsmusters in öffentlichen Diskursen keinerlei Einfluß gehabt hat. Daß die wissenschaftliche Kritik und historische Problematisierung und ernsthafte Infragestellung der Redeweisen, wenn sie überhaupt geleistet werden soll, die Sache einiger Linker und der IP-Gruppen ist und vermutlich auch bleiben wird, ist nicht verwunderlich. Niemand anders hat sich durch die Rede von der ›Political Correctness‹ ernsthafte Probleme eingefangen – im Gegenteil. Die von uns bereits mehrfach zitierte Studie Soldiers of Misfortune von Valerie Scatamburlo (1998) knüpft in mancher Hinsicht an Wilsons Arbeit an. Allerdings, und hier macht sie gleich mehrere bedeutende
85 »The authors, [...] all of whom situate themselves somewhere from the center to the left of the political spectrum, highlight this second wave. Though they by no means represent a unified political tendency, these liberals, social democrats, socialists, and civil libertarians challenge the view of Political Correctness as a simple square-off between leftists and neoconservatives, and raise issues that go beyond left and right« (Levitt/ Davies/McLaughlin 1999b: 1).
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analytische Schritte nach vorn, beschreibt sie zum einen die Mythenbildung, die mit Hilfe des PC-Begriffs seitens der Rechten in einer zum Teil großangelegten, wenn auch dezentralisierten Medienkampagne durchgeführt und immer weiter forciert worden ist, wobei sie ausführliche und gut belegte Einblicke in das neokonservative Mediennetzwerk in den USA gewährt;86 gleichzeitig übt sie dezidierte Kritik an einem tatsächlich nachweisbaren Bündel von Einstellungen, das sie »P.C.-ethos« nennt und das dazu geführt habe, daß die Rede der Rechten von Political Correctness überhaupt so etwas wie eine Plausibilität entwickeln konnte. ›Political Correctness‹ taucht bei ihr darum auch allenfalls als erkannt fragwürdige Bezeichnung für eine Haltung auf, nicht etwa als so festgeschriebene Einstellung selbst oder gar als festes Konzept einer Bewegung. Scatamburlo geht hier einen vielversprechenden Weg zur Aufarbeitung dieser Angelegenheit: sie unterschlägt nicht die nachweislichen Anlässe und Gründe der Plausibilisierung, kritisiert, wo sie es für richtig hält, Teile des Bezeichneten und stellt doch den Bezeichnungsakt und die damit einhergehenden Unterstellungen insgesamt in Frage und in seinen historischen und politischen Ermöglichungszusammenhang. Das klingt so trivial und naheliegend, daß man überrascht ist, daß das kaum jemand in dieser konzisen Form geliefert hat, ohne entweder alles zu leugnen oder aber die der PC zugerechneten Anliegen zu denunzieren oder aber, wie etwa bei Diederichsen zu zeigen sein wird, sich in den eigenen Idiosynkrasien zu verlaufen. Scatamburlo beschreibt die Folgen der »P.C.Hysteria« kurz und bündig: Now that the epithet P.C. can be easily summoned to describe any and all who object to the regressive politics touted by the New Right, conservatives have in their possession a master trope, which enables them to summarily dismiss criticism and quell dissent (Scatamburlo 1998: 9).
Nun gehen wir keineswegs mit allen Thesen Scatamburlos konform. Auch sie hat sich in allzugroßer Selbstverständlichkeit auf den Poststrukturalismus als Übeltäter eingeschossen, dessen Theorien sie zu den Ursachen der Plausibilität der Anti-PC-Kampagne rechnet. Zwar konzediert sie, daß poststrukturalistische Ideen die »blinden Flecken« des Marxismus korrigieren würden (ebd. 170), aber ihre Distanz zu diesen Theorien ist nicht zu übersehen (vgl. 159ff). Zu Recht weist sie darauf hin, daß radikales Theoretisieren noch keineswegs radikales Handeln erzeugt, aber es wird auch durch diese Argumentation die gesamtgesell-
86 Davon haben wir ja oben bereits profitiert; vgl. bei Scatamburlo 1998 vor allem Kapitel 2 und 3.
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schaftliche Plausibilität der Anti-PC-Kampagne an einem viel zu abgehobenen Beispiel entwickelt. An dieser Stelle verfällt die Autorin dann doch allzusehr in die Routine, den Wissenschaftsbetrieb für den Nabel der gesellschaftlichen Diskurse zu halten. Aber das sind nur marginale Einwände. Insbesondere den letzten Punkt findet man an anderer Stelle bei Scatamburlo selbst relativiert. Sie beschreibt vier ungeeignete Reaktionen auf die Anti-PC-Kampagnen, wie sie sie bei vielen Linken oder auch Unterstützern von als PC bezeichneten Positionen diagnostiziert hat. Zunächst kritisiert sie, daß im Gegensatz zur Auffassung mancher Anti-Anti-PC-Aktivisten die Debatte weder der letzte hilflose Versuch des »Weißen Mannes« ist, an der Macht zu bleiben, noch sei es damit getan, die »rigide Orthodoxie« mancher zu leugnen, die als PC diffamiert worden sind. Diese beiden Varianten bezeichnet sie als »dismissive narratives« (ebd. 13). Als zweites moniert sie die Tendenz, die Anti-PC-Angriffe zu »dekontextualisieren« (ebd.), indem man sie als überraschende »plötzliche Reaktion« auf Linke im Lehrbetrieb interpretiert oder als eine rein akademische Angelegenheit. Scatamburlo beschreibt in diesem Zusammenhang beispielsweise den historischen Zeitpunkt, an dem die amerikanischen Konservativen durch den im Golf-Krieg neu entflammten Patriotismus das Trauma des Vietnam-Kriegs zu überwinden vermochten, als den geeigneten Zeitpunkt, gleich mit den gesamten Sechziger Jahren aufzuräumen. (ebd. 14). Die dritte Kritik, die Scatamburlo anbringt, bezieht sich noch deutlicher auf die Verengung auf akademische Kontexte. Diese dritte Gruppe von Erzählungen (narratives) wird als »depoliticized« bezeichnet. Scatamburlos diesbezügliche Kritik geht hier zum Beispiel gegen diejenigen, die sich innerhalb des akademischen Rahmens den Differenz- und Diversitätsspielereien hingeben und die Anti-PC-Kampagne ausschließlich als Angriff darauf betrachten. Ebenfalls lehnt sie es ab, einen Vorschlag des oben erwähnten Gerald Graff aufzugreifen, dessen Idee es gewesen sei, bezüglich der »Culture Wars« die Konflikte akademisch und pädagogisch aufzubereiten. Scatamburlo entgegnet: Suggestions to »teach the conflicts« tend to treat both sides (the liberal pluralists and the conservative traditionalists) as though they are equally weighted in terms of political power, thereby obscuring real power differentials (ebd. 15; dazu außerdem 221f ausführlich).
Der vierte Punkt, den sie kritisch betrachtet, bezieht sich auf die ihrer Meinung nach nicht selten anzutreffende rein defensive Tendenz der Angegriffenen, die Attacken auf die ›Political Correctness‹ und die poststrukturalistischen Theorien ausschließlich als eine bloße Form von Theoriefeindlichkeit und Anti-Intellektualismus abzutun (ebd. 16). Hier
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wäre ihrer Auffassung mal eine ordentliche Portion Selbstkritik gefragt, und eine Aufarbeitung der folgenden Fragestellung: Moreover, merely blaming the forces of anti-intellectualism does not adequately address why the New Right has been winning the culture wars, why their version of events has been so widely accepted, and why their regressive agenda has been readily embraced by large sectors of the population (ebd.).
Aus diesen Überlegungen heraus entwickelt sie ihre Kritik an der AntiPC-Kampagne und an manchen der als PC diffamierten Positionen, ohne diese Positionen weiter über Gebühr zu diffamieren. Im Gegensatz zu Linken wie Gitlin oder Epstein findet man bei ihr keine Spur davon, sich auf Kosten der Diffamierten zu profilieren. Eine der bestechendsten Leistungen der Autorin liegt darin, daß sie – deutlicher und präziser noch als Wilson – die Aussagen von PC-Gegnern wie D’Souza, Kimball, Allan Bloom, William F. Buckley etc. in ihrer historischen und organisatorischen Bedingtheit zeigt, als Teil einer – wenn auch wohl kaum zentral organisierten – Medienkampagne. Sie präsentiert umfassend die institutionellen Verknüpfungen und Geldströme, rollt Backlash und die »Conservative Counter-revolution« historisch auf, und zwar von den frühen Siebzigerjahren an, gelegentlich sogar mit Rückgriffen auf die Vierziger Jahre (vgl. Scatamburlo: 30-65). 87 Mit diesem Kraftakt hebelt sie eine, nicht zuletzt für den Verlauf der deutschen Debatten zum Thema, fatale Diskurskonstruktion aus: zum einen die Vorstellung von einer zwar inkohärenten und widersprüchlichen, aber dennoch zur Konzeptualisierung ausreichend einheitlichen Bewegung der Korrekten; und zum anderen den Mythos von den sich wehrenden vereinzelten Inkorrekten, die als ein Fähnlein der letzten Aufrechten als Diskurspartisanen sich zusammenfinden, die westliche Freiheit, die liberale Demokratie und den Kanon zu retten, außerdem konservative Besitzstände gegen die »Visigoths in Tweed«88 zu verteidigen, und schließlich ein paar astreine Witze zu reißen. Auch wird die manische Fokussierung auf die Sechziger Jahre zumindest relativiert dadurch, daß ein größerer historischer Kontext erarbeitet wird, obwohl auch Scatamburlo dafür plädiert, das »Erbe der Sechziger Jahre« (ebd. 208) für die politischen Auseinandersetzungen der Zukunft fruchtbar zu machen. Der amerikanische Verlauf des Diskurses wird von ihr somit eingebettet in seinen materialistischen und historischen Kontext, von dem aus die kulturalistischen und linguistischen Verwerfungen erst betrachtet werden können. Ob man all ihre politischen
87 Wir erinnern hier an die oben bereits erwähnte Darstellung Schulmans von der »Southernization« (Schulman 2001). 88 So der Titel von D’Souza 1992.
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VIER TABLEAUS
Ableitungen daraus begrüßt, ist freilich etwas anderes. Und auch für Scatamburlo gilt wie für alle hier präsentierten amerikanischen Arbeiten, daß sie aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Funktionsweise der Rede von der Korrektheit nicht begriffen oder zumindest nicht analysiert hat. Methodisch gibt das dann eben nicht allzuviel her. In der historischen Aufarbeitung der Angelegenheit allerdings, soweit sie Nordamerika betrifft, ist diese Untersuchung ein Quantensprung.
Drittes Tableau: Teil des Problems oder Teil der Lösung? Anmerkungen zum Verlauf der Forschung in Deutschland Die meisten Anti-PC-AutorInnen schreiben aus den immer gleichen Quellen ab. Diedrich Diederichsen (1996: 59)
Es ist nicht ganz einfach, an dieser Stelle neu anzusetzen und sich dem Verlauf der Forschung in Deutschland zu widmen, zumal ein großer Teil unserer Einschätzungen und auch die Gründe dafür schon in den bisherigen Text und die Fußnoten eingeflossen sind, so daß wir uns hier z.T. wiederholen werden. Aber einige deutliche Ausführungen sind doch noch nötig, nicht allein um dem akademischen Ritual Genüge zu tun, sondern vor allem um zu begründen, warum wir in den weiteren Teilen unserer Studie einen ganz anderen Weg gehen werden, als er sich ›folgerichtig‹ aus den bisherigen Forschungen hätte ableiten lassen. Soweit wir das beurteilen können, sind in Deutschland sowohl die meisten Texte aus dem publikumsorientierten, semi-akademischen Umfeld89 als auch die im engeren Sinne wissenschaftlichen Arbeiten (Quali-
89 Hierbei denken wir an Artikel in so illustren Blättern wie dem Merkur, dem Argument, dem Parlament, der Neuen Rundschau, in denen Akademiker und Publizisten sich gern mal ein wenig Auslauf und Reputation außerhalb der Fachöffentlichkeit verschaffen. Hierzulande viel zitiert und auf weiten Strecken solide im Abwägen der unterschiedlichen Positionen in den amerikanischen Debatten ist die deutsch-amerikanische Koproduktion von Kurthen/ Losey 1995 im Beiheft Aus Politik und Zeitgeschichte in der Zeitschrift Parlament. Im selben Heft ist ein Aufsatz, in dem die Journalistin Cora Stephan vor »Stammesideologie und unendlichem Werterelativismus« warnt, zu denen PC ihrer Auffassung führen
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fikationsschriften oder Handbuchartikel und Lexikonartikel), die sich um das Thema ›Political Correctness‹ ranken oder damit argumentieren, in einem ganz merkwürdigen Limbus anzusiedeln. Zunächst einmal hat das gewiß etwas mit der relativen Neuheit des Themas zu tun, so daß man viele Studien, vor allem die meist allzu flink produzierten Aufsätze eher unter dem Aspekt sehen muß, daß sie Pionierarbeiten sind, was ebenso erfreuliche wie problematische Folgen zeitigen kann. Solche Arbeiten erweitern den Horizont ihres jeweiligen Faches, in dem sie ihm ein neues Thema verschaffen, und sie arbeiten in einem relativ aktuellen Feld (hier ist Schenz 1994 zu nennen, die sehr rasch reagiert hat), womit in Feuilleton und Wissenschaft immer gut argumentieren ist. Der Unterhaltungswert des Themas schließlich ergibt sich aus seiner immanenten Konfliktstruktur und dem komischen Potential, das sich aus ihm ableiten läßt. Noch der zäheste Reaktionär – wir denken hier an Groth und Röhl – inszeniert sich sich als begnadeter Humorist. Die Autoren unterliegen, aus dem Umstand heraus, daß es nicht viel solides Material gibt, auf daß sie zurückgreifen können oder müssen, nur allzu oft der Versuchung, analytisch, quellenkritisch und methodisch gerne mal Fünfe gerade sein zu lassen – es kann ohnehin niemand aus dem Stand nachprüfen, ob das, was sie berichten, alles so seine Richtigkeit hat. Nun sind (zunächst) fehlende Kenntnisse erstens normal und zweitens weder tragisch noch ein unlösbares Problem, ohnehin zeigt sich bei schnell geschriebenen Texten in der Improvisation erst der wahre Meister; sofern man gegenüber den Lesern die Grenzen seines Wissens und Begreifens offenlegt, an die man binnenthematisch immer wieder stößt, ist kein Schaden entstanden. Geistes- und Sozialwissenschaftler jedoch sowie Zeitungsschreiber können das nach unserer Erfahrung offenbar nicht sehr gut, vielleicht ein Schultrauma, vielleicht eine déformation professionelle, wer weiß? Die Folgen sind fatal, denn da, wo ein schlichtes ›Ich weiß es nicht‹ oder ›Davon verstehe ich nichts‹ angebracht wäre, wird gnadenlos um das Umwissen herum oder über es hinweggeschrieben, manchmal auch in Form einer Laubsägearbeit in dieses Unwissen hinein, in der nur allzu berechtigten Hoffnung, daß sich das alles schon rechtzeitig versendet. Nehmen wir dafür als Beispiel aus der Literatur zu unserem Thema den streckenweise durchaus informativen Artikel von Hermann Kurthen (Soziologe) und Kay Marie Losey (Anglistin), in dem die Positionen der Gegner der ›Political Correctness‹ sowie
kann (Stephan 1995: 18). Ebenfalls in dieser Themenausgabe ist Papcke 1995, den wir noch gesondert vorstellen müssen. Zu dieser Art von Texten zählen auch die Monographien von Diederichsen 1996, Behrens/von Rimscha 1995 oder Klaus Rainer Röhl 1995.
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einzelner Gruppen, die man zu den Anhängern der ›Political Correctness‹ zählt, bündig beschrieben werden. Dieser Aufsatz gilt ganz allgemein als zuverlässige Darstellung (Kapitzky 2000: 59; Greil 1998: 20).90 Hier kann man Ausführungen finden, die sich auf den ersten Blick sehr einleuchten und dem Leser die Illusion vermitteln, er sei soeben solide und kenntnisreich über etwas informiert worden. Wir zitieren ausführlich: Die meisten Beobachter bestätigen, daß die Ursprünge der [PoliticalCorrectness-] Debatte zurückgehen auf die von von der Bürgerrechts-, AntiDiskriminierungs- und Antikriegsbewegung in den sechziger Jahren propagierten Ideale eines liberalen Humanismus und ihre Suche nach einer moralisch legitimierten Politik, die in der »Bevorzugung der Anliegen der Unterdrückten« ihren Ausdruck fand. Diesen Protestbewegungen folgten in den siebziger Jahren die Frauen- und in den achtziger Jahren die Homosexuellenbewegung. Ohne Zweifel beeinflußten diese Bewegungen, von den Rändern ausgehend, schließlich auch die Einstellungen und das Verhalten der Mehrheit und erhöhten die Sensibilität gegenüber Vorurteilen und Diskriminierung. Der Umbruch wurde begünstigt durch verschiedene Umstände, etwa Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, wie die verstärkte Einwanderung aus nichteuropäischen Ländern und überdurchschnittliche Geburtenraten unter einigen Minderheitengruppen (Kurthen/Losey 1995: 3f).
So elegant läßt es sich schreiben, wenn man von der Sache nichts versteht. Mit Woody Allen zu sagen: »Wohlmeinend, prägnant, alle Elemente enthaltend, von denen man sagen möchte, sie machen das aus, was unter bestimmten Bezugsgruppen als verbindende Kraft verstanden wird, und dennoch durch und durch von etwas durchzogen, was Jean-Paul Sartre so gerne als das ›Nichts‹ bezeichnet.«91 Es wird in diesen Präliminarien zu einem ansonsten deutlich besseren Aufsatz dem Leser ein analytischer Eintopf serviert, dessen einzelne Bestandteile nicht zueinander passen. Der zitierte Absatz hält einer genauen Lektüre nicht stand. Erstens sind gerade durch den Verlauf der Debatte und die Quellenlage die Begriffe »Beobachter« und »bestätigen« ein eher schlechter Scherz; zweitens ist es historisch falsch, den diskursiven Anschluß an die Sechziger bei der Homosexuellenbewegung erst in den Achtziger Jahren zu verordnen;92 drittens ist es schlechterdings unglaublich verfehlt, aus der »verstärkten Einwanderung aus nichteuropäischen Ländern« und den
90 Greil bezieht sich allerdings auf die englischsprachige Originalversion. 91 Woody Allen: Wie du dir, so ich mir. München: Rogner und Bernhard 1978, 92. 92 Allerdings hat sie durch das Aufkommen von AIDS in diesen Jahren gewiß eine durchgreifende Politisierung und Veränderung erfahren. Vgl. dazu Clendinen/Nagourney 1999. Doch bereits vorher hat es parallele Entwicklungen gegeben, die zu einer vergleichbaren Radikalisierung von Post-CSD-Homosexuellen und Black-Power-Afroamerikanern geführt haben, die sich von ihren konservativeren Vorgängern distanzierten.
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»überdurchschnittlichen Geburtenraten« eine »Begünstigung des Umbruchs« abzuleiten, und das ausgerechnet noch mit Bezug auf Frauen und Homosexuelle, womit man alle »Bewegungen«, die – auch das eine sehr bezeichnende Formulierung – »von den Rändern« herkommen, letztlich in einen PC-Topf wirft.93 Ob es viertens überhaupt historisch haltbar oder auch nur analytisch sinnvoll ist, ex post von »der Bürgerrechts-, AntiDiskriminierungs- und Antikriegsbewegung in den sechziger Jahren« zu sprechen, oder ob nicht vielmehr eine so zusammenfassende Sichtweise ganz unterschiedlicher Interessen nicht bereits das Gerede von einer »PC-Bewegung« in historischer Sicht reproduziert, müßte in diesem Zusammenhang ebenfalls zur Diskussion gestellt werden. Aber wie gesagt, so werden in einem Abschnitt, der bezeichnenderweise mit »Hintergrund« überschrieben ist, nicht vorhandene Kenntnisse simuliert, und es wird zitierfähig an einer mittelgroßen mythischen Erzählung, der narrativen Ideallinie der Legende mitgeschrieben, die sich elegant kommunizieren läßt und die gleichzeitig vage genug gehalten wird, um weitestgehend einwandsimmun zu sein. So etwas ist kein Einzelfall.94 Zu solchen Ärgernissen hinzu kommen für unseren Fall die spezifischen Autorenprobleme unseres Themas. Wir sprachen im ersten Kapitel von einer ›Grauzone‹, in der sich Arbeiten zur politischen Semantik bewegen. Einen ganz ähnlichen Verdacht äußert Kapitzky, wenn er diagnostiziert, daß »die Frage, ob nicht möglicherweise eine essayistische Beschäftigung mit PC die letztlich angemessenere Form ist, hier vorläufig
93 Daß gerade die in vieler Hinsicht erfolgreiche Einwanderung von NichtEuropäern wie beispielsweise Koreanern im Rahmen der PC-Debatte massiv gegen die Afroamerikaner und gegen affirmative action ins Feld geführt wird, wie man es bei D’Souza 1996 erleben kann, geht in dieser Melange völlig unter. Die Tatsache, daß die Gruppen und Untergruppen ständig miteinander hadern, was man ohne viel Mühe aus der von uns genannten Literatur herauslesen kann, ließe unseres Erachtens vielmehr auf einen gegenteiligen Effekt schließen. Das und die Frage, ob das Verhalten der Mehrheit wirklich weniger diskriminierend ist als früher, und wenn ja, warum das so ist, wären Gegenstände einer Untersuchung, die mehr Mühe verdient als die beiden Autoren sich hier auch nur ansatzweise gegeben haben. 94 Zahlreiche Arbeiten zum Thema Popkultur sind von einer solchen Haltung geprägt. Gut aufgearbeitet findet man dieses Problem geschildert bei Ulf Poschardt (1995: 147ff), der um die Unlösbarkeit solcher Urspungsfragen weiß und das anhand der teilweise unklaren Ursprungsgeschichte des HipHop demonstriert. Er zitiert Grandmaster Flash: »Some people don’t dig deep enough to find out what happened back then. They just fix it so it’s comfortable for the reader, which is really dangerous.« (Poschardt 1995: 159). Nicht umsonst haben wir dies als eines der Motti unserer Studie genommen. Die von Grandmaster Flash beschriebene Motivation für das landläufige Erstellen einer narrativen Ideallinie ist eines der Hauptprobleme der von uns gesichteten Studien.
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noch offen bleiben muß.« (Kapitzky 2001: 60). Nun, sowohl Kapitzky als auch der Verfasser dieser Studie haben sich zumindest in formaler Hinsicht anders entschieden. Die erste uns bekannte deutschsprachige Monographie zum Thema war ebenfalls eine eher wissenschaftlich ausgerichtete Arbeit (Schenz 1994).95 Erst dann schlossen sich die essayistischen, streckenweise abenteuerlichen Studien von Bonder 1995, Behrens/von Rimscha 1995, Groth 1996 sowie Diederichsen 1995 und 1996 an. Nicole Zöllner mit ihrer Dissertation Der Euphemismus im alltäglichen und politischen Sprachgebrauch des Englischen (1997), die ein Kapitel mit mehr als einhundert Seiten zum Thema ›Political Correctness‹ enthält, oder Tanja Greil 1998, sowie weitere Autoren weiterer Studien, die wir zum Teil noch nennen und vorstellen werden, haben den Versuch unternommen, sich mit dem Thema im akademischen Umfeld zu positionieren. Doch auch im journalistischen Feld, also bei Autoren wie Bonder, Diederichsen, Behrens/von Rimscha oder – dem Anspruch nach wenigstens – auch bei Zimmer 1997, haben die Autoren die Modi der Textproduktion rein äußerlich recht oft wissenschaftlichen Gepflogenheiten (bezüglich Fußnoten, Anmerkungsapparat, Zitationsweisen, Bibliographien) in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Verläßlichkeit unterworfen. Der Umstand, daß sehr viel dieser Gestaltung sich als Potemkinsches Dorf erwiesen hat, unterscheidet diese Arbeiten jedoch nicht so sehr wie man meinen sollte von im engeren Sinne (bzw. Selbstverständnis) wissenschaftlichen Schriften, wie wir in diesem Kapitel bereits mehrfach gezeigt haben. Und bei all seinen Idiosynkrasien ist Diederichsen unserer Erfahrung nach oft verläßlicher als Zöllner, und letztere ist genauso meinungsfreudig wie der frühere Herausgeber der Spex. Hier verschwimmen die vermeintlich textsortenbedingten Unterschiede. Aus diesen Problemen erklärt sich die relativ offen gehaltene Subjektivität unserer Argumentation, obwohl auch das natürlich als ein Gestus gelesen werden muß.96 Diesem Regreß ist kaum zu entkommen.
95 Diese Arbeit gibt uns hinsichtlich ihres formalen Status einige Rätsel auf. Das lieblose Layout und die Form der Danksagung sowie der formulierte Anspruch auf das Schließen einer wissenschaftlichen Lücke läßt auf eine Qualifikationsschrift schließen. Da wir Viola Schenz als Journalistin aus der SZ kennen, und wegen ihrer blitzschnellen Reaktion mit dieser Arbeit auf die gerade in Schwung kommende Debatte, könnte man sie auch dem journalistischen Feld zurechnen. 96 Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat anläßlich seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte vergleichbare Überlegungen angestellt: »Selbstverständlich ist es menschenunmöglich, alle Annahmen, Vorentscheidungen, und – im wortwörtlichen Sinne des Wortes – Vor-Urteile zu explizieren, ja: sich erst einmal bewußt zu machen. Im besten Fall steigt die Spitze
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Aber es geht bei dem Begriff ›Grauzone‹ nicht nur um dieses unentwirrbare Textsortengemisch. Das Ineinandergreifen des Inkommensurablen in solchen Texten ist auf den Umstand zurückzuführen, daß sowohl Thema als auch Intention der Verfasser zumeist unklar bleiben. ›Intention‹ bezieht sich dabei gar nicht so sehr auf die höchstpersönliche Motivation der Autoren, aus ihren »lebensweltlichen Vorstellungen« (Kapitzky 2000: 170) und Interessen heraus eben dieses und kein anderes Thema aufzugreifen. Es meint hier vielmehr, ob sie über den Begriff Political Correctness bzw. Politische Korrektheit schreiben (wollen) oder vielmehr mit ihm ein mal vages, mal recht konkretes Anliegen argumentieren oder aber, dritte und damit verbundene Möglichkeit, ob sie mit seiner Verwendung eine bestimmte Attitüde demonstrieren wollen. In der Thematik ihrer Arbeit, mehr noch in ihrem Sprachgebrauch bleibt aus diesem Grund oft ungelöst, ob sie die Bezeichnung ›politisch korrekt‹ in ihrer Funktionweise als Bezeichnung analysieren wollen, oder ob sie vielmehr darüber bramarbasieren, ob dieses oder jenes wohl ›politisch korrekt/inkorrekt‹ ist oder aber nicht und was daraus gegebenenfalls zu schließen ist. Praktiziert wird meist letzteres, das sei vorweggenommen, und dann ist aber für eine Analyse, wie wir sie uns vorstellen, auch schon alles zu spät. Kommen wir nun zu den einzelnen Texten. Nicole Zöllners bereits einige Male zitierte Dissertation, in der die Autorin »Tabus, Normen, Konventionen und Euphemismen am Beispiel der englischen Sprache«, meist in ihrer amerikanischen Variante, zu untersuchen vorgibt, steht unter folgendem Leitgedanken: »Euphemism and tabu are two sides of the same coin« (Max Adler, zit. nach Zöllner 1997: 11). Da die Arbeit etwa im Zeitraum 1994-1996 (ebd. 5) entstand, ist es nicht überraschend, daß Zöllner sich bei dieser Thematik und mit diesem Motto in weiten Teilen ihrer Studie auf die Rede von der ›Political Correctness‹ bezieht. Und ihre diesbezügliche Absicht teilt sie wie folgt mit: Kapitel 7 stellt eine Bewegung vor, die sich selbst politically correct nennt, von den US-amerikanischen Universitäten ausgeht, und sich durch Sprachrestriktionen und Sprachreformbemühungen hervorgetan hat. Diese Bewegung löste in den Vereinigten Staaten eine sehr kontrovers geführte Debatte aus, die um die Themen Meinungsfreiheit, Zensur, Rassimus und Sexismus, Multikulturalismus, Förderprogramme und Gleichberechtigung kreist.
eines Eisbergs ein wenig höher empor, während der massive Teil unter der Oberfläche – der die Meinungen und Schwerpunkte, wie sie sich über die Jahre hinweg ausgebildet haben, verkörpert – unsichtbar bleibt oder erst im Verlauf der Darstellung seine Umrisse erkennen läßt. Dennoch bleibt die größtmögliche Offenheit der Argumentation ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit« (Wehler, H.-U.: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 1: 1700-1815. München: Beck 1987, 4). Dem möchten wir uns anschließen.
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VIER TABLEAUS Am Beispiel der politically-correct movement, die langsam auch den europäischen Kontinent erreicht, läßt sich das Zusammenspiel von Sprache und Gesellschaft gut illustrieren. Gleichzeitig wird erkennbar, daß auch in der heutigen Zeit den Euphemismen eine zentrale Rolle zugedacht wird, wenn es darum geht, soziale Harmonie zu erzeugen (Zöllner 1997: 13).
Da kann man dann mit der Lektüre dieser Dissertation eigentlich auch schon aufhören. Wir werden den Vorgang, der sich in diesem Zitat zeigt, später noch als »magische Versachlichung« (Fleck 1980: 46) kennenlernen. In der hier herbeifabulierten Narration einer homogenen Bewegung, die angeblich eine Debatte »auslöste«, die dazu noch »langsam auch den europäischen Kontinent erreicht«, ist das Kernproblem von Zöllners Arbeit erfaßt, sofern sie sich mit ›Political Correctness‹ befaßt. Offenbar völlig einwandsimmun – Zöllner hat dem Literaturverzeichnis zufolge unkritisch eine ganze Menge einschlägiger Literatur weggelesen – wird die durch den Diskurs wabernde »Bewegung« kurzerhand als eine tatsächlich existierende festgeschrieben, ein Vorgang, der auch durch die nonchalant eine Authentizität vorgaukelnde Rückübersetzung ins Englische (»die politically-correct movement«) verstärkt werden soll. Bei allen Fragen Zöllners zum Thema, die zu diskutieren wären, und bei allen interessanten Verweisen auf Literatur und Geschichte in den Kampfgebieten race/class/gender etc. – unter den hier genannten Prämissen kann nichts mehr kommen, was die Analyse in irgendeiner Weise vorantreiben könnte. Zöllner ist entweder der Faszination des Deutungsmusters erlegen oder sie benutzt es, um ihre Argumentation zum Thema ›Euphemismus‹ resonanzorientiert in Wissenschaft und Öffentlichkeit zu positionieren. Unentwegt tauchen in ihrer Studie meist namenlos bleibende, »PCAnhänger« (ebd. 239), »PC-Vertreter« (237), »PC-Advokaten« (243), »PC-Verfechter« (237) etc. auf. Die Rede von der ›Political Correctness‹ wird damit unkritisch übernommen, wissenschaftlich zertifiziert und damit auch in der scientific community weiterhin verfestigt. Mit Hilfe dieser Arbeit als einer im akademischen Diskurs qua Textsorte etablierter Legitimationsinstanz hätten wir einen ganz unglaublichen Mist produzieren können. Schon 1994 hatte Viola Schenz ihre Arbeit Political Correctness mit dem Untertitel versehen: Eine Bewegung erobert Amerika. Allerdings relativiert Schenz den sich im knallig formulierten Titel zeigenden Befund dadurch, daß sie der amerikanischen Gesellschaft ausreichende Selbstheilungskräfte attestiert, um mit der »PC-Bewegung« fertig zu werden.97 Die Eroberung Amerikas fällt also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ins Wasser. Zwar wird in ihrer Studie durchweg
97 Siehe ihren Epilog (Schenz 1994: 127ff).
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der Eindruck erweckt, daß nicht nur das Hochschulwesen, sondern die gesamte Gesellschaft in den USA zumindest bedroht ist. Aber in Schenz’ Bilanz heißt es beruhigend: Auch wird sich [sic] in einem Volk, das die Rede- und Meinungsfreiheit schließlich an die erste Stelle ihrer Grundrechte gesetzt hat, Sprachzensur keine Chance haben (Schenz 1994: 136).
Hier wie durchweg im Verlauf des Buches führt die Autorin ihren eigenen Buchtitel ad absurdum. Allerdings kann man nicht genug betonen, daß sie als eine der ersten überhaupt versucht, die amerikanischen Geschehnisse umfassend und meist ohne denunziatorischen Gestus dem deutschen Publikum zu erläutern, auch wenn sie in das Gerede von der Bewegung mit eingestiegen ist und von ernsthafter Quellenkritk kaum eine Spur zu finden ist. Die Arbeit ist fakten- oder zumindest materialreich, zwar methodenlos, aber stringent geschrieben. Auch konnte Schenz noch nicht auf eine ernstzunehmende amerikanische Monographie zu dem Thema zurückgreifen, die die Arbeiten von D’Souza oder Kimball hätte relativieren und einordnen können. Sie hat in ihrer Pionierarbeit die in diesen Diskussionen zumeist genannten Topoi erstmals umfassend dargestellt, unter dem Strich sicherlich parteilich anti-PC, aber sie hat auch die Gegenargumente zu Wort kommen lassen, die Berechtigung vieler Anliegen (wenn auch nicht das Ausmaß) bestätigt, die man (und die sie) als ›PC‹ bezeichnet hat.98 Insofern ist ihre Arbeit aber auch zu den Fällen zu rechnen, wo anläßlich der sogenannten ›Political Correctness‹ ein eher liberaldemokratischer und lendenlahmer ›Normalisierungsdiskurs‹ bedient wird, in dem die guten Anliegen ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen geworfen werden, bzw., wie es die Herausgeber der Reihe darstellen, in der Schenz’ Studie publiziert worden ist, Mitte und Ränder gestaltet werden: Ihr [Schenz’] Urteil, daß die hohe Assimilationskraft Amerikas auch für politische Ideen einen Prozeß in Gang gesetzt hat, der den bewahrenswerten Kern des PC-Phänomens erhalten, Übertreibungen aber am Rande stehen lassen wird, kann dazu beitragen, die ideologischen Schützengräben zuzuschütten.99
98 All dies immerhin zu einer Zeit, in der die amerikanische Quellenlage (renommierte Bücher von Kimball, D’Souza etc; zahlreiche Zeitungs- und Sammelbandartikel) durchaus von konservativen Autoren dominiert wurde und die Linken z. B. in den Sammelbänden von Berman und Aufderheide noch kaum wußten, wo ihnen der Kopf stand. 99 Stephan Bierling/Dieter Grosser: Vorwort zu Schenz 1994 (ebd. 9).
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VIER TABLEAUS
Auf die Idee, die von ihr vorgestellten Debatten und ihr rhetorisches Procedere als solche in Frage zu stellen, ist die Autorin allerdings nicht gekommen. Ihre Überlegungen zu den »Leitfragen« ihrer Arbeit sind dementsprechend organisiert: Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, inwieweit PC das gesellschaftliche und politische Leben der USA negativ oder positiv beeinflußt (Schenz 1994: 16).
Es ist, angesichts der hier ganz selbstverständlich formulierten EntwederOder-Perspektive, die einen Zweifel an der Existenz der PC-Bewegung überhaupt nicht mehr zuläßt, immer wieder bemerkenswert, wie sehr dann aber darauf beharrt wird, daß die ›Political Correctness‹ nicht zu greifen und nicht zu definieren ist. So schreibt Schenz unter der Überschrift Definition und Inhalt: ›Political Correctness‹ umfaßt ein teilweise wirres Spektrum verschiedener Ideologien, Reformbewegungen und Utopien. Es ist daher schwierig, den Begriff exakt einzugrenzen. Das mag auch der Grund dafür sein, daß bis heute keine allgemein gültige Definition vorliegt (Schenz 1994: 23).
Das soll wohl so sein, und daran hat sich im Grunde nichts geändert. Diese bekannte definitorische Leerstelle ist im Grunde kein Problem. Unsere Kritik richtet sich auch nicht gegen den Umstand, daß der Begriff ›Political Correctness‹ nicht hinreichend definiert worden ist oder werden kann, sondern in erster Linie dagegen, daß dieser ja durchaus diagnostizierte Zustand für die Wissenschaftler nicht mal für einen Moment Anlaß zum Innehalten gab; daß er nicht als Indikator einer ungewöhnlichen Ungereimtheit gelesen wurde und zu der Frage führte, was man da eigentlich mit der fortwährenden Begriffsverwendung kommuniziert, wenn man schon nicht einmal für sich selbst, im Rahmen einer einzigen Studie und mit all den selbstherrlichen Möglichkeiten, die man sich am heimischen Schreibtisch anmaßen kann, imstande ist, ein nur für den Moment verbindliches ›Bezeichnetes‹ zuzuordnen, und stets ins Nebulöse, Anekdotische und Exemplarische zurückfällt. ›Political Correctness‹ war und ist ein Begriff, der den Sprechern permanent entfleucht, dessen Konnotationen sie aber dennoch für ihre Darstellung zu nutzen versuchen. In dieser Hinsicht hat sich mit Schenz’ Studie ein zum Pressegeschwafel kompatibler Standard etabliert, auf den die Wissenschaft vielleicht dann doch mal besser verzichtet hätte. Es scheint uns aus diesen Gründen verfehlt, Schenz’ Studie als eine Studie nur über die USA zu interpretieren. Denn mit ihrer Arbeit setzt die Implementierung und Etablierung der Rede von der Korrektheit in der deutschen Wissenschaft ein. Die Legende von der Existenz der PC-
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Bewegung wird geradezu axiomatisch verankert und über den Sprachgebrauch in dieser und in nachfolgenden Arbeiten ununterbrochen bestätigt. Variationen ergeben sich oft nur noch durch Umakzentuierungen und Themenkombinationen. Schenz’ Studie ist eine gebräuchliche Referenz in der Wissenschaft und in der Publizistik geworden, auf deren diskursive Etabliertheit man seine Argumentationen bis heute ›bauen‹ kann.100 Nicht zuletzt ihr, so unsere Vermutung, ist dann auch zu verdanken, daß Beard und Cerf hierzulande als ernsthafte Quelle rezipiert werden. Wir sprachen eben von einem ›Normalisierungsdiskurs‹.101 Es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn man Schenz’ Studie konzediert, daß in ihr die Ansprüche derjenigen, die sie als PC bezeichnet, nicht in Bausch und Bogen abgelehnt werden. Vielmehr kann man diese Studie lesen als den Versuch, diesen Anspruchsgruppen vorzurechnen, was sie vernünftigerweise fordern dürfen, ohne sich in den Augen der ›normalen‹ Gesellschaft lächerlich zu machen, und was ihnen im Rahmen der westlichen Vernunft versagt bleiben muß und wird. Getröstet, aber auch bedroht werden sie damit, daß man ihnen mitteilt, ohne die »westliche Kultur« sähe es um ihre Artikulationsmöglichkeiten noch viel böser aus.102 In diesem Zusammenhang ist es für Liberale, Linke und im weiten Sinne Demokraten notwendig, die Forderungen der angeblichen Korrekten als zu radikal, falsch oder wenigstens überzogen, ja als fundamentalistisch zu markieren. Wir hatten ja bereits für den amerikanischen Diskurs demonstrieren können, wie die dortige Linke dieses Schema aufgegriffen hat: in diesem Zusammenhang wird ein ›Wesentlichkeitsrhetorik‹ ins Spiel gebracht, die fatal der althergebrachten Rede vom Haupt- und Nebenwiderspruch gleicht. Diese Wesentlichkeitsrhetorik wird nicht nur thematisch ausgerichtet (etwa Ökonomie vs. Kultur, westliche Kultur vs. Multikulti etc.), sondern auch binnenthematisch organisiert. Die Autorin referiert Aussagen von Robert Hughes, den sie offenbar für einen Amerikaner hält, und Barbara Ehrenreich, in denen beide Varianten erkennbar werden: Hughes wirf den ›busybodies‹ unter seinen Landsleuten vor, den Sinn für die wesentlichen Dinge vollkommen verloren zu haben. Sie verwendeten Ihre Zeit mit dem Diskutieren von Nichtigkeiten, obwohl tatsächliche Probleme mit den Händen greifbar wären. [...] Auch Barbara Ehrenreich, die sich selber eine Linke nennt, erinnert daran, daß die meisten Hochschulen schließlich
100 Sie ist aufgeführt in den Literaturlisten von Zöllner 1997, Greil 1998, Kapitzky 2000. Überraschenderweise nicht bei Frank 1996a und 1996b. 101 Zu Überlegungen über die Bedeutung der Kategorie »Normalität« vgl. Link 1997. 102 Vgl. Schenz (1994: 68-73). Schenz referiert hier affirmativ einen Argumentationsstrang, wie man ihn bei Taylor und D’Souza nachlesen kann.
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VIER TABLEAUS ernstere und ältere Probleme haben wie zum Beispiel Alkoholmißbrauch, realer [sic] Rassimus und Sexismus, Belästigungen von Frauen bis hin zu ›date rape‹ oder Studiengebühren, die finanziell schwer belasten (Schenz 1994: 102).103
Der Haken bei diesen Argumentationen ist natürlich der Anspruch darauf, daß Hughes weiß, was »wesentlich« ist, und Ehrenreich zum Beispiel »realen« Rassismus von, tja, ›nicht-realem‹ meint unterscheiden zu können. Die hinlänglich bekannte Rede vom fehlenden Nutzen für den Kleinwüchsigen, wenn er politisch korrekt als ›vertikal herausgefordert‹ bezeichnet wird, hat ja in eben dieser Wesentlichkeitsrhetorik den Ursprung ihrer Pointe. Betrachtet man beispielsweise die in Deutschland etablierte Dichotomie zwischen »Realos« und »Fundis« bei den Grünen, die seit den Achtzigern eine bis in den Sprachgebrauch vergleichbare Frontstellung ergeben hat, dann hat man im Aspekt der Wesentlichkeitsrhetorik eine der Ähnlichkeiten, die den reibungslosen Import der PC-Debatte nach Deutschland ermöglichten.104 Solche Normalisierungen sind für viele der deutschen Kommentatoren und Mitgestalter des Diskurses reizvoll gewesen. Die ausgesprochen primitive und einfältig formulierte Ablehnung letztlich aller Ideen, die der PC in den USA zugerechnet worden sind und die man selbst der PC noch zusätzlich anhängt, wie man das bei Röhl, Groth oder insbesondere dem von allen guten Diskurs-Gespenstern verlassenen Klaus Hornung, der von der »Political Correctness ab 1933« halluziniert,105 nachlesen kann, ist in ihrer Schärfe
103 Sie bezieht sich dabei auf zwei Zeitungsartikel. Hughes: The Fraying of America. In: Time 03.02.1992: 44ff; auf deutsch erschienen im Merkur unter dem Titel Zerfällt Amerika? Über Separatismus und Politische Korrektheit (Hughes 1992); und Ehrenreich, Barbara: Teach Diversity With a Smile. In: Time 08.04.1991: 84. 104 Vgl. dazu vor allem Wagner 1992. Wir verweisen auf das »ZweiKolonnen-Schema mit der Gegenüberstellung von Elementen der »Realpolitik« und der »Idealpolitik« (ebd. 305), das Wagner aus theoretischen Zusammenhängen des 19. Jahrhunderts herauslöst. Im Verlauf seiner Argumentation zeigt Wagner »paradigmatische Konflikte« dieses Arrangements in der Medieninszenierung: Pragmatismus versus Unschuld; Radikale Pazifisten versus Realisten, und dergleichen mehr (ebd. 315). 105 »Worum es also gehen muß, ist deutlich genug: Um die Überwindung der neototalitären Methoden und Strategien der Political Correctness durch einen wirklich pluralistischen Kampf um die Wahrheit in einer freien Gesellschaft, mit A r g u m e n t e n und nicht mit lügnerischer Semantik, diffamierenden Verdikten und der Brandmarkung der Nonkonformen [...] Das mündet alles in ganz persönliche Konsequenzen und Entscheidungen. Wir hatten ja schon einmal in Deutschland eine Political Correctness, jene ab 1933. Und wenn die Jungen heute fragen: »Wie konntet ihr damals nur?«, so können sie heute wieder exemplarisch studieren, wie totalitäre Diktaturen zustandekommen« (Hornung 1999: 66, kursiv herv. v. MFE).
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und Konsequenz letztlich eine Randerscheinung geblieben, die wie bei Groth und Hornung ihre eigene Ridikülisierung in sich trägt. Doch ein Punkt ist bezüglich dieser Angelegenheit noch anzumerken. Es ist leider kaum aufzulösen, wann Schenz die Meinung anderer Autoren referiert und wann sie selbst urteilt, eine Eigenschaft, die sie strekkenweise mit Zöllner teilt, deren Hang zur indirekten Rede ebenfalls für Irritation sorgt. Insofern ist Schenz’ rhetorische Frage, mit der sie ein Kapitel unter der Überschrift Aufkommen von PC und der weltweite Zusammenbruch der Linken einleitet, vielleicht nicht 1 : 1 als ihre Überzeugung zu lesen: Ist es bloßer Zufall, daß die linksradikale PC-Welle ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ihren Höhepunkt erreichte (1990-92), als weltweit der Kommunismus kollabierte [...]? (Schenz 1994: 102, herv. MFE).
Schenz muß sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob nicht vielmehr, angesichts der von ihr extensiv ausgebreiteten Quellenlage und der auch von ihr ausführlichst referierten Ereignisse, die von ihr angesprochenen Jahre der Höhepunkt einer ›Anti-PC-Welle‹ waren, die sich ganz folgerichtig aus der Southernization, den verschiedenen Varianten des Backlashs und der Re- und Umorganisation der amerikanischen Rechten seit den Siebzigern entwickelt hatte. Und wenn man das versuchsweise bejaht, stellt sich die Frage ganz anders: Ist es bloßer Zufall, daß die Abwicklung der Sechziger Jahre und all derjenigen kulturellen und politischen Forderungen aus dieser Zeit, welche sich nicht umstandslos in den Kapitalismus und die Vermarktung eines ›Radical Chic‹ einpassen lassen, und die man samt und sonders als »PC« bezeichnet, in genau den Zeitraum fällt, da die USA und der, zumindest in dieser Weise von ihr repräsentierte Westen, zu dem auch Deutschland sich gerne mal zählt, als einzige Hegemonialmacht übriggeblieben sind? Wenn wir der Interpretation unserer amerikanischen Referenzen trauen können, kommt eine so formulierte Frage der Sache näher, trifft sie aber immer noch nicht ganz, nicht zuletzt wegen einiger sehr unterschiedlicher kommunikativer Bedürfnisse in den USA und in Deutschland. Fraglos, die amerikanischen Rechten konnten sich mit der PCDebatte einen großen Spaß machen. Die hysterischen und verwirrten Reaktionen der Linken vergrößerten das Vergnügen nur. Die Rede von der Korrektheit erlaubte hochflexible Grenzziehungen und erzeugte bei Gefährdeten rasch das Bedürfnis, allem möglichen abzuschwören. Die Illusion von der zweiten Welle, auf der – um im Bild zu bleiben – Teile der amerikanischen Linken ihrem Elend davonsurfen wollten, bringt das schön auf den Punkt.
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VIER TABLEAUS
Eine der wenigen wissenschaftlichen Studien, in denen Sprachregelungen im angeblichen Sinne der ›Political Correctness‹ zum Teil begrüßt werden ist die Dissertation von Tanja Greil Political Correctness und die englische Sprache. Studien zu (nicht-)diskriminierendem Sprachgebrauch unter besonderer Berücksichtigung des Social Labeling (1998). Mit dem Titel ist die Themenstellung der Arbiet dann auch in etwa umrissen. Grob gesagt, es handelt sich um eine Arbeit über Möglichkeiten und Grenzen von Speech Codes. Greils Studie ist in vieler Hinsicht deutlich aufschlußreicher als die vorhergehenden Arbeiten. Wie bei einer Linguistin nicht überraschend, legt sie den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die mit der PC-Thematik verknüpften Sprachregelungen, denen sie wohlwollend gegenübersteht. Sie beginnt bereits mit einem in der deutschen Forschung völlig untergegangenen Aspekt. Zunächst einmal wird im Vorwort auf die »Vielzahl überaus heterogener Themen« (Greil 1998: 1) hingewiesen, die mit dem Begriff belegt werden. Natürlich wird auch hier, man kennt das langsam, keine Definition gegeben: Eine allgemeingültige Definition von PC zu geben bzw. eine eindeutige Begriffsbestimmung des Terminus vorzunehmen, ist allerdings aufgrund der Themen- und Meinungsvielfalt, die mit dem Terminus PC verbunden ist, nur bedingt möglich (Greil 1998: 3).
Es wird im folgenden auch nicht mehr versucht. Und wieder, wir wiederholen es gebetsmühlenartig, hat es für Titel und Sprachgebrauch der Arbeit keine erkennbaren Folgen gezeitigt. Allerdings, das unvermeidliche Kapitel Der Terminus Political Correctness. Ursprung und Entwicklung, dessen Ingredienzien man bereits x-mal gelesen zu haben glaubt, beginnt mit einer für die deutschen Debatte dann doch ungewöhnlichen Pointe. Genau wie Wilson weist Greil auf den qualitativen Unterschied zwischen ›politically correct‹ und ›Political Correctness‹ hin: Die Nominalphrase political correctness kam offenbar erst im Zuge der PCDebatte in den USA, besonders an den amerikanischen Universitäten, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf: bis dahin scheint nur die Adjektivphrase politically correct in Verwendung gewesen zu sein. [...] Der Gebrauch von political correctness impliziert die Referenz auf ein existierendes Phänomen, währenddessen politically (in)correct lediglich eine bestimmte Verhaltensweise eines Individuums oder einer Gruppe beschreibt bzw. diese bewertet oder auch modifiziert (Greil 1998: 7f).106
106 Greil bezieht sich hier auf Cameron 1994.
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Wir müssen zu unserem Bedauern feststellen, daß wir den Aspekt mit dem »Modifizieren der Verhaltensweise« in diesem Satz nicht verstehen. Wie mag das wohl vor sich gehen? Doch abgesehen davon finden wir die Differenzierung der beiden Varianten sehr einleuchtend. Greil fährt fort: Der Effekt, der durch das Aufkommen und den zunehmenden Gebrauch von political correctness eingetreten ist, läßt sich nach Lipka als »Hypostasierung durch das Wort« bezeichnen, worunter die Erscheinung zu verstehen ist, »daß die Existenz eines sprachlichen Zeichens auch die Existenz eines einzigen von diesem bezeichneten Dings suggeriert«. Als Konsequenz wird dadurch eine »Vergegenständlichung, eine Erhebung zur Substanz« bei den betroffenen Lexemen erreicht (Greil 1998: 8).107
Nach dieser verheißungsvollen Stelle nimmt die Studie dann einen Weg, der nicht nur an unserem Interesse vorbeiläuft, sondern auf dem Greil hinter die sich hier andeutenden Erkenntnisse und analytischen Möglichkeiten zurückfällt. Sie versucht im folgenden, einen ›guten‹ PC-Begriff gegen die Sensationsmache der Presse zu etablieren, sie kämpft gegen den Begriff der ›Bewegung‹ und für das ›Konzept‹, und wendet sich gegen »konservative« Autoren wie Zimmer, Taylor und den Criticón-Autor Thomas Molnar: Daß der Terminus PC im öffentlichen Sprachgebrauch weniger mit der Diskriminierungsproblematik in Verbindung gebracht wird, sondern PC als Bezeichnung für eine breite ›Bewegung‹ verschiedender linksorientierter Interessengemeinschaften aufgefaßt wird, die die amerikanische bzw. westliche Kultur als diskriminierend und andere Kulturen unterdrückend gänzlich ablehnt, ist nicht zuletzt auch der überwiegend sensationsorientierten Medienberichterstattung zuzuschreiben (Greil 1998: 14).
Der Schlüsselbegriff, den Greil für diesen Prozeß verwendet ist, heißt »discursive drift« und ist bei Cameron (1994) entlehnt. Mit ihm gelangt Greil zu Schlüssen, die mehr ihrer Intention, nämlich einem Plädoyer für nicht-diskriminierendem Sprachgebrauch, geschuldet sein dürften, als einer Analyse, die auf ihren eigenen Erkenntnissen fußend hätte stattfinden können. Auch Greil erzählt die Geschichte vom selbstironischen linken Ursprung des Begriffs politically correct und fährt dann fort: War PC bis in die frühen achtziger Jahre ein Begriff linker Terminologie, so ist PC mittlerweile ein vielfach von ihrer Gegnerschaft, den Rechten und Konservativen gebrauchter Ausdruck, der von diesen eindeutig pejorativ und negativ konnotiert eingesetzt wird. [...] Wird ein Ausdruck wie PC, der ur-
107 Greil zitiert: Leonhard Lipka: Lexikalisierung, Idiomatisierung und Hypostasierung als Probleme einer synchronischen Wortbildungslehre. In: Herbert Brekle; Dieter Kastovsky (Hg.): Perspektiven der Wortbildungsforschung. Bonn 1977, 155-163. Hier 161.
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VIER TABLEAUS sprünglich den Charakter eines Insider-Begriffs besaß, von den Medien aufgegriffen und in der Öffentlichkeit eingeführt, bleibt dies für die Bedeutung des Terminus nicht ohne Folgen. Die Ausgliederung aus relativ speziellen Kontexten und die Verwendung des Begriffs in neuen, allgemeineren Kontexten, die eine breite Öffentlichkeit ansprechen, zog bei political correctness semantische Veränderungen nach sich. So ist einerseits von der einstigen »antidogmatischen, zweideutig-ironischen Verwendung«108 von political correctness durch die Linken im heutigen Gebrauch durch die Medien nichts mehr zu verspüren. Andererseits wird PC in den Medien und in der breiten Öffentlichkeit auch anders gebraucht als von den Konservativen, die PC vielfach als abwertenden Begriff und »Stigmawort« (Frank 1996b; 189) einsetzen [...] (Greil 1998: 15f).
Hier geht einiges durcheinander. Die ironische Verwendung und der implizite wie explizite Verweis auf diesen angeblichen Ursprung sind nicht nur erhalten geblieben, sondern sie gehören zum Ermöglichungszusammenhang der Erfolgsgeschichte des mit dem Begriff verbundenen Deutungsmusters (s. viertes Kapitel). Und andererseits wird der Begriff ›PC‹ mit seinen Varianten (substantiviert oder nicht) nach wie vor, und auch gerade in Medien, die man beim besten Willen nicht als »konservativ« bezeichnen kann, als »Stigmawort« verwendet, wenn auch in unterschiedlichen Graden der Intensität. Greil konstruiert hier eine allerdings originelle Erzählung vom »diskursiven Wandel« eines im Kern ehrenhaften Begriffs, der durch konservative Kritiker und eine sensationshungrige Medienöffentlichkeit in Mißkredit gebracht worden ist.109 Und den sie sich nun zu retten anschickt. Hierbei verfährt sie, wenn auch losgelöst von wissenschaftstheoretischen und weitgehend enthoben von diskursanalytischen Überlegungen, in gewisser Weise ähnlich wie Scatamburlo. Sie sieht sich dabei in Einklang mit der Gesellschaft, zumindest mit der amerikanischen. Die in den Medien konstruierte Vagheit des Begriffs sorgt ihrer Auffassung nach durch ihre Aufweichung des PC-Begriffs für den folgenden scheinbar paradoxen Effekt: Einerseits assoziieren [erg. »viele Amerikaner«] mit dem Terminus PC eher negative Vorstellungen und beurteilen in der Folge vieles pauschal negativ und und ablehnend, was nach Darstellung unter die Kategorie PC fällt. Andererseits werden die Konzepte, die sich bei näherem Hinsehen hinter dem Begriff verbergen [!!], vor allem die verschiedenen Formen von Antidiskriminierungs-Bestrebungen, durchaus gutgeheißen (Greil 1998: 16).
Auch für Deutschland unterstellt Greil ein in dieser Form »ambiges« Verhältnis zu dem Begriff (ebd. 13, Fn 12). Da sollte sie wohl noch ein
108 Diese Formulierung zitiert Greil nach Kurthen/Losey (1995: 4) Die Belegstelle Frank 1996b entspricht in unserer Literaturliste Frank 1996a. 109 Max Goldt übrigens hat kürzlich das gleiche mit dem Begriff »Gutmensch« versucht (Goldt 2002).
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zweites Mal hinschauen. Halten wir hier nur fest, daß die Studie als Ehrenrettung des Begriffs und der ihm von Greil zugerechneten Anliegen eine Rarität der Diskussion ist. Mit dem Begriff »Stigmawort« kommen wir zur nächsten Autorin. Karsta Frank veröffentlichte 1996 zwei Aufsätze zum Thema ›Political Correctness‹. Diese zwei Aufsätze gehören zu den ersten uns bekannten Arbeiten, die die Übertragung des PC-Diskurses nach Deutschland thematisiert (und nicht etwa bloß praktiziert) haben. Von diesen beiden interessiert uns insbesondere der in einem wissenschaftlichen Umfeld plazierte Aufsatz, in dem sie die Deutung von ›Political Correctness‹ als einem »Stigmawort« im Sinne von Fritz Hermanns unternimmt (Frank 1996a). Stigmawörter, so Frank, sind »griffige Kürzel für die Programme oder Positionen des politischen Gegners«. Diese funktionieren aufgrund der »deontischen Bedeutungskomponente des Stigmaworts«. Sie zitiert Hermanns Erläuterung dieser Komponente, »kraft derer Wort oder Wendung bedeutet oder mitbedeutet, daß wir, in bezug auf einen Gegenstand, etwas nicht dürfen, dürfen oder sollen.« (Frank 1996a: 187). 110 Ihre sehr persönlich gehaltene Problemstellung (Frank 1996a: 186f) enthält eine Gemeinsamkeit mit der Entwicklung unserer Studie, wie wir sie im ersten Kapitel als Teil unserer Motivation geschildert haben, und wir möchten Franks Überlegungen wegen ihres Seltenheitswerts wiederholen: Als Linguistin begann mich die Debatte über »political correctness« zu interessieren, als mir, konfrontiert mit einer anderen Sichtweise, meine eigene »Gewißheit« über diesen Gegenstand problematisch wurde. Die Auffassung, P.C. sei als Sprachpolitik eher lächerlich und als Versuch, schon die Diskussion über bestimmte Themen (z. B. Euthanasie) zu verhindern, antidemokratisch und aufklärungsfeindlich, war Teil meines Alltagswissens gewesen. Wie war diese »Gewißheit« zustandegekommen? Sie beruhte jedenfalls nicht auf der bewußten intellektuellen Auseinandersetzung mit dieser politische Strömung. Woher »wußte« ich also, daß die genannten Phänomene »wirklich« »political correctness« ausmachen? (Frank 1996a: 186)
Franks eigentlich naheliegende Frage ist Mitte der Neunziger Jahre überfällig gewesen. Sie ist bis heute als Ausgangspunkt für jede relevante
110 Frank verweist dabei auf folgenden Text: F. Hermanns: Deontische Tautologien. Ein linguistischer Beitrag zur Interpretation des Godesberger Programms (1959) der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1989. In: Klein, Josef: Politische Semantik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1989. Eine bündigere Darstellung des Konzeptes findet man in ders.: Schlüssel-, Schlag- und Fahnenwörter. Zu Begrifflichkeit und Theorie der lexikalischen »politischen Semantik«. Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 245 »Sprache und Situation«, Heidelberg/Mannheim, Dezember 1994 (lag als Manuskript vor; Dank an Fritz Hermanns).
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zeitgenössische Überlegung zur ›Politischen Korrektheit‹ in Deutschland unverzichtbar, es sei denn, man gehört zu den weißen Raben, die die Angelegenheit von Anfang an durchschaut haben. Aber selbst bei Diederichsen und den Leuten aus dem Spex-Umfeld, die sich rasch affirmativ zur PC stellten und zügig über die PC-Kritiker Bescheid wußten, haben wir da so unsere Zweifel. Frank stellt die Diskussion in Deutschland insofern ins rechte Licht, als daß sie die Übertragungsmodi durch die deutsche Presse thematisiert.111 Sie geht der Frage nach, wie sie selbst an ihr Wissen um ›Political Correctness‹ gelangte. In ihrem Aufsatz wird diese »Gewißheit« als Internalisierung eines bestimmten (Sprach)Normkonzeptes gedeutet, das im Meta-Diskurs der deutschen Elitemedien über P.C. entfaltet worden ist (Frank 1996a :186).
In einem kurzen historischen Abriß verweist sie auf die Beobachtung, daß die bisweilen zu beobachtende affirmative Bezugnahme auf den PCBegriff jüngeren Datums zu sein scheint.112 Frank bezeichnet das als den Versuch, das »Stigmawort« in ein »Fahnenwort«, um das sich Anhänger gruppieren können oder sollen, umzudeuten.113 Ob ihre im weiteren ausgeführte Begriffsgeschichte akkurat oder nur gelungen improvisiert ist, ist letzlich uninteressant. Frank unterstellt, daß »politically correct« innerhalb der »leninistischen Linken« lobend gemeint war, die Abkürzung »P.C.« bereits selbstironisch, und dann (so interpretiert sie Berman 1992) »griffen die Kritiker [i. e. die »Kritiker der Politik des Multikulturalismus an den amerikanischen Universitäten«] das Wort ›political correctness‹ auf und wandten es polemisch – als Stigmawort – gegen diese Politik« (Frank 1996: 189). Ob aufgegriffen oder von Konservativen selbst konzeptualisiert, der Effekt scheint uns akkurat beschrieben.
111 Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen bezeichnet Frank ausgerechnet Zeitschriften wie Spiegel, SZ, FAZ, FR und Zeit etc. (wörtlich: »auch die Taz kann dazu gerechnet werden«) als ›Elitemedien‹ (Frank 1996a: 185). Abgesehen davon, daß das selbst in Anführungszeichen ein dummes Wort ist, wird nicht klar, ob diese Blätter die Elite der Presselandschaft darstellen oder für eine Elite produziert werden. 112 Frank (1996: 189). Sie bezieht sich da auf Diederichsen (1992), der das ebenfalls behauptet hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das stimmt. Wir haben keinen affirmativen Bezug gefunden, der aus der Zeit vor der großen Aufklärung durch die PC-Gegener stammt. Positive Bezüge danach scheinen uns eher Symptome einer Anti-Anti-PC-Haltung zu sein. 113 Hierbei ist zu ergänzen, daß Fahnenwort nicht exakt der Gegenbegriff zu Stigmawort ist, zumindest nicht bei Hermanns. Hermanns nennt als Oberbegriff »Schlagwort«, unterscheidet dann zwischen »positivem Schlagwort« und »Stigmawort«, und »Fahnenwort« ist nur ein spezieller Fall eines »positiven Schlagworts« (Hermanns 1994: 15).
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Wieder einmal zeigt sich die etymologische Obsession der amerikanischen und deutschen Wissenschaftler, aus einer offenbar kaum noch nachvollziehbaren Genese des Begriffs einen homogenen Ablauf zu extrahieren, um damit einen Erkenntnisgewinn bezüglich seiner Verwendung abzuleiten. Die Übertragung dieser Obsession durch einschlägige Kapitel in den argumentativen Aufbau der Abschnitte wissenschaftlicher Texte, bei dem durch den Austausch einzelner Elemente stets gegenläufige Effekte erzielt werden können, gehört zu den großen Mirakeln vor allem auch des deutschen Diskurses über die Korrektheit. Frank hält sich dann auch dankenswerterweise nicht lange damit auf. Sie beschreibt vielmehr, worauf auch Scheit und Diederichsen schon hingewiesen hatten, nämlich daß die Identity Politics aus einer historischen Enttäuschung über die sechziger Jahre entstanden sind und daß ihre Protagonisten, entgegen der Lesart vieler Linker, auch in den Schriften französischer Theoretiker (Frank nennt vor allem Foucault, ebd. 191) Anleitungen zu politischem Handeln finden konnten. Die von ihr vorgestellten Themen (Universität, Geschlechterdebatte etc.) sind allemal die üblichen, so daß wir hier nicht weiter darauf eingehen müssen. Anhand der Artikel von Brinck (1991), Zimmer (1993), und des anonymen Spiegel-Artikels Dickwanst im Dunst (1994)114 kann Frank überzeugend darstellen, wie mit der Hilfe von uns mittlerweile bekannten Halbwahrheiten und rhetorischen Kniffen115 das Schreckgespenst einer Political Correctness gezeichnet wird, die bedrohlich und lächerlich zugleich ist. Wichtiger aber ist, daß bei Zimmer und im Spiegel-Artikel die Übertragung der Rede von der Korrektheit fortgesponnen wird, daß eben mit dieser Rede ihre Deutungsmöglichkeiten auf deutsche Verhältnisse appliziert werden. Auch bei Zimmer werden »links« und »politisch korrekt« gleichgesetzt, allerdings entpolitisiert und emotionalisiert gedeutet als ein starker, steter Wind aus politischen Grundsatzgefühlen, der ursprünglich von links her kommt, aber längst die ganze Landschaft bestreicht (Zimmer 1993).
Thematisch, und das verweist dann schon auf unseren nächsten Abschnitt, ist Zimmers Artikel ein Beitrag zur ›Konfiguration eines deutschen Themenparks‹. Typische Themen der deutschen »Alternativen« – wie Ökologie, Feminismus, Esoterik, Pazifismus – werden von ihm der PC zugerechnet; und insbesondere Schriftsteller wie Martin Walser,
114 Den werden wir erst im nächsten Abschnitt behandeln. 115 Bei Brinck beispielsweise die auch in den USA gängigen OrwellAllusionen.
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Hans Magnus Enzensberger und Wolf Biermann (»der Gottseibeiuns, vor dem sich jeder Rechtschaffene dreimal bekreuzigt«, wie Zimmer ironisch schreibt) würden »exkommuniziert« o.ä. (Zimmer 1993). Machen wir es daher an dieser Stelle kurz. Zimmer, und Frank zerlegt ihn hier in aller Ausführlichkeit, sieht sich selbst als Opfer, als »einschlägig Vorbestrafter« durch die »Tugendwächter«, und bastelt sich die PC als eine Art Inquisition zurecht.116 Frank nimmt das zum Anlaß, von einer »Übertragung« einer »normierten deontischen Bedeutung« auf ein neues Gebiet zu sprechen, nämlich sozusagen den schlechten Ruf, den die Inquisition hat, der PC anzuhängen (Frank 1996a: 199). Franks Interpretation des Vorgangs dürfte zumindest weitgehend zutreffen.117 Für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Angelegenheit hilfreich scheint uns die hier durchgeführte exemplarische Aufarbeitung einer umfangreichen Modifikation der Legende zu sein. Daß Zimmer bereits in diesem frühen Artikel zum Thema vor sich hin textet, viel behauptet, wenig belegt, keine Namen nennt und was dergleichen journalistische Großtaten mehr sind, kann man in den Archiven selbst nachlesen oder sich von Benedikt Erenz (1993) oder Karsta Frank erläutern lassen. Nicht ganz unproblematisch, wenn auch verständlich, finden wir Franks Verweis auf die Psychologie als zuständige Wissenschaft. Hier wird, was die Person Dieter E. Zimmer angeht, andeutungsweise mit wissenschaftlichen Kanonen auf auf Spatzen geschossen: Auf individualpsychologische Aspekte in Zimmers Beitrag kann ich nicht weiter eingehen; [...] Zimmer begreift sich explizit als langjähriges Opfer der PC; insofern ist sein Beitrag auch zu lesen als Versuch, ein für allemal mit seinen Kritikerinnen und Kritikern (der PC eben) abzurechnen, indem er ihnen pauschal das intellektuelle und moralische Niveau, die Bereitschaft sich »erst einmal [anzuhören], was einer sagt« abspricht. Psychologisch interessant finde ich auch die Frage, wie einer den Widerspruch verarbeitet, gerade das, was er bei anderen einklagt (den Austausch von Argumenten, das unvoreingenommene Streben nach Wahrheit) selbst am allerwenigsten zu leisten. Wie kommt es, daß sich einer von dem (legitimen) Anspruch, den er an andere stellt, selbst so vollständig suspendiert? Das sind jedoch Fragen, die in andere Kompetenzbereiche als die der Linguistik fallen (Frank 1996a: 200f, Fn 24)
Tun sie das wirklich? Wir sind uns da nicht so sicher. Gewiß, diese Psychologisiererei Franks ist auch als kleine Stichelei gegenüber dem vermeintlichen Psychoanalyse-Experten Zimmer zu lesen, und insofern
116 Siehe dazu auch die Kritik von Erenz an Zimmer (1993), die in der darauffolgenden Woche in der Zeit abgedruckt wurde. 117 Warum sie dennoch Zimmers Beitrag konzediert, »auf den ersten Blick sachlicher zu wirken« (ebd.) als der von Brinck, ist für uns nicht nachvollziehbar.
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vermutlich nicht für bare Münze zu nehmen. Dennoch bricht Franks Analyse damit an einer kritischen Stelle ein: warum hat denn außer Erenz 1993, Diederichsen 1996 und mit jahrelanger Verzögerung eben Karsta Frank kaum jemand auf diesen Artikel und den Autor mit Hohn und Spott oder wenigstens mit ernsthaftem Widerspruch reagiert? Warum konnte Zimmer 1996 und 1997 munter in dieselbe Kerbe hauen? Wenn Zimmer sich von seinen eigenen Ansprüchen »suspendieren« konnte – und wie sich zeigte, ohne nachteilige Folgen für ihn –, dann zeigt das nur, daß er genau das eben konnte. Seine diskursive Position als renommierter Journalist in der Zeit, seine Haltung zu der Legende von der ›Political Correctness‹, und auch die mit der geliehenen Redeweise durchgeführte resonanzorientierte Stellungnahme zu den von ihm angekoppelten Themen schufen ihm einen Rahmen, in dem genau das möglich war, was Frank und wir kritisieren: die Ignorierung eines jeden intellektuellen, journalistischen und wissenschaftlichen Minimalstandards. Und daß sein Rahmen ihm mehr Resonanz und mehr argumentative Freiheit verspricht, als ein Sammelbandbeitrag im Westdeutschen Verlag oder eine Dissertation, die beide von nicht übertrieben vielen Leuten, dafür aber vermutlich kritischer gelesen werden, auch dieser Sachverhalt dürfte auf der Hand liegen. Unter diesen exzellenten Rahmenbedingungen nutzte Zimmer die rhetorischen Möglichkeiten der Legende, seine Anliegen und Nöte zu kommunizieren und bei dieser Gelegenheit, wie Frank es nicht ohne Grund unterstellt, alte Rechnungen zu begleichen und sich als verfolgtes Opfer zu inszenieren.118 Um das zu erklären braucht man doch wohl wirklich kein psychologisches Instrumentarium. Trotz solcher Einwände erscheint uns Franks Beitrag als eine der wenigen Vorarbeiten zum Thema, die überhaupt etwas taugen und die Forschung langfristig voranbringen dürften. Es ist der erste uns bekannte Text, der sich dem Aspekt des Diskursimports und seiner spezifischen Problematik mit Akribie und Verstand genähert hat. Gewiß, auch Frank
118 Und wie nicht anders zu erwarten, sollte Zimmer sich in diese Opferrolle weiter hineinsteigern. Als er 1997 noch einmal einen großen Sammelaufsatz zu dieser Thematik publizierte, greinte er: »Ist es nichts als paranoide Einbildung, wenn auch hierzulande einige über ein inquisitorisches geistiges Klima Klage führen? [...] Gibt es in Deutschland das Analogon zur amerikanischen Political Correctness überhaupt? Es gibt sie nicht, wird dem Miesmacher entgegengehalten. Als 1993 ein Autor (zufällig war ich es selber) in der Wochenzeitung ›Die Zeit› das amerikanische PC-Phänomen erstmals [sic] versuchsweise auf deutsche Zustände projizierte, wurde er [!!!] sogleich scharf zurechtgewiesen: Erstens gebe es das gar nicht, zweitens bestehe es völlig zu recht« (Zimmer 1997: 138).
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ist parteiisch.119 Sie beschreibt die merkwürdige Genese des Begriffs, man kann annehmen, halbwegs akkurat, und versucht dann, ähnlich wie später Greil, ein Stück davon für ihre Anliegen zu retten und sich wenigstens gegen die selbsterklärten PC-Gegner zu positionieren. Sie erfaßt jedoch mit diskursanalytischem Instrumentarium zumindest einen Teilaspekt des Korrektheitsdiskurses in seiner Funktionsweise, nämlich die »Stigmatisierung« von mehr Positionen, als mit race/class/gender umfaßt werden können – was sich übrigens bei dem auch von Frank analysierten Spiegel-Artikel aus dem Folgejahr noch ins Absurde steigern sollte. Aus ihrer Optik jedoch fällt gelegentlich heraus, daß die Legende von der Korrektheit in Deutschland nicht nur für Konservative, sondern auch für Linke fallweise attraktiv war.120 Auch konnte man, wie wir noch zeigen werden, bereits 1992 bei der Taz die Modifikation des Diskurses beobachten. Insofern war Zimmer nicht, wie Frank behauptet und Zimmer selbst es wahrhaftig zu glauben scheint (1997: 138), der »erste, der eine Verknüpfung mit den bundesdeutschen Verhältnissen leistete« (Frank 1996b: 27). Das deutete sich wesentlich früher an. Bevor wir uns in genau diesem Zusammenhang der ›Konfiguration des deutschen Themenparks‹ widmen, seien abschließend für unseren Überblick noch Teile der ebenso konzisen wie problematischen Studie Sprachkritik und Political Correctness in der Bundesrepublik von Jens Kapitzky (2000) etwas ausführlicher referiert. Zum einen ist sie die ambitionierteste Darstellung, die wir zur Angelegenheit in Deutschland ge-
119 In besonderem Maße gilt das auch für den anderen Aufsatz von Frank im Argument, in dem sie mit größtenteils identischer Argumentation die Entwicklung des »PC-Diskurses« in den deutschen Medien beschreibt und ihn an den »neuen Antifeminismus« anknüpft (Frank 1996b). Hier interpretiert sie ihre (wahrscheinlich zutreffende) Einschätzung, daß seit den frühen Neunziger Jahren die erst seit wenigen Jahren etablierten Frauenthemen in der Presse von den Themen Familie und Kinder zurückgedrängt werden. Außerdem haben in den Jahren seit 1992 die offen antifeministischen Beiträge zugenommen, und zwar im Zeichen eines Kampfes gegen die »politische Korrektheit«, was sie an Beiträgen des Sammelbands Die selbstbewußte Nation demonstriert. 120 Franks These, daß in den Jahren 1992 und 1993 es noch von der politischen Ausrichtung des Autors oder Redaktion »abhängig war, mit welcher sozialen Bewertung der Ausdruck »political correctness« versehen wurde«, seit »Anfang 1994 aber in den Medien kaum mehr Wortverbindungen in einer positiven oder zumindest neutralen Bedeutung nachweisbar« sind (Frank 1996b: 29), ist eine haltlose Behauptung. Franks Verweis auf die CD-ROM der Taz, anhand derer man diese Entwicklung zeigen könnte, sind wir mit einer neueren Version der CD nachgegangen. Wir können die Diagnose nicht bestätigen. Allerdings, und das holen wir hier nicht nach, müßte man eine Frequenzanalyse auch gründlicher konzipieren, um etwas Schlüssiges dazu auch nur behaupten zu können.
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funden haben. Zum anderen verweist sie leider nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch in die Probleme des nächsten Abschnitts. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir sogar die Teile seiner Arbeit ausgewählt haben, die der Autor aufgrund seiner wissenschaftlichen Sozialisation und der Konzeption seiner Studie für nebensächlich halten würde. Für unsere Leitfrage bezüglich der deutschen Forschung (›Teil des Problems oder Teil der Lösung?‹) allerdings sind sie bedeutend. Kapitzky begreift sich als »Kommunikationswissenschaftler« und hat sich als erster ausführlich dem deutschen Diskurs um die Korrektheit gewidmet. Seine Fragestellung ist komplex, sein Ansatz konventionell, die Durchführung seiner Forschung stringent, und die Ergebnisse sind die, die man dann erwarten kann und befürchten muß. Aber beginnen wir am Anfang. In seiner Einleitung vertritt Kapitzky die These, daß Kommunikation nicht nur dem Austausch von Informationen diene, was seiner Auffassung nach die »alltagsweltliche Vorstellung« (ebd. 16) von ihrer primären Funktion sei, sondern daß sie vielmehr »zum Zweck gegenseitiger Steuerung« praktiziert werde (ebd. 18). Er führt aus: Man kann also Kommunikation kennzeichnen als einen Prozeß, in dem äußere Handlungen dazu dienen, die inneren Handlungen des Kommunikationspartners zu beeinflussen (ebd.).
Bereits in dieser Definition hat sich der Kapitzky einige Fallstricke geknüpft. Zu Recht weist er darauf hin, daß mit den einzelnen Texten zum Thema ›Political Correctness‹ nur sehr wenig miteinander gesprochen wird, sondern eher übereinander, und daß aus diesem Grund die Texte in erster Linie als Äußerungen gegenüber »dem Leser« zu interpretieren sind und nicht als Kommunikation zwischen den Autoren, sofern letztere nicht jeweils ebenfalls als Leser aufträten (ebd. 20). Dem ist soweit nichts hinzuzufügen. Dann allerdings wird der modellhafte Charakter seiner Darstellung zum Problem: [Es] wird hier davon ausgegangen, daß die Texte dem Zweck dienen, die inneren Handlungen des Lesers in Bezug auf Political Correctness in bestimmter Weise zu beeinflussen und ihn zu bestimmten Meinungen und Ansichten im Sinne der Autoren zu bewegen (ebd. 20f).
Diese Aussage enthält mehrere Variablen (was ist beispielsweise mit »inneren Handlungen in Bezug auf Political Correctness« genau gemeint?), von denen die meisten im Verlauf der Arbeit unaufgelöst bleiben. Der schwerwiegendste Fall ist der: es ist (und es bleibt im folgenden) völlig unklar, wer denn »der Leser« dieser Texte über Political Correctness ist, dessen innere Handlungen beeinflußt werden sollen.
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Wenn wir ihn richtig interpretieren, unterstellt er, daß jeder Schreiber eines jeden Textes zum Thema ›Political Correctness‹ jeden Leser auf seine Seite ziehen möchte, oder wie Kapitzky es nennt: »zu bestimmten Meinungen und Ansichten im Sinne [des Autors] bewegen« will. Wir halten diese Vorstellung, unabhängig von den nur allzu offensichtlichen Grenzen ihrer Realisierbarkeit, schlicht für abwegig. Es scheint uns ausgeschlossen, daß beispielsweise Dieter E. Zimmer mit einer einstimmigen wohlwollenden Aufnahme seiner Texte zum Thema gerechnet hat oder das auch nur begrüßt hätte. Vielmehr dürfte gerade der Mix aus Zustimmung, Ablehnung und Indifferenz der Leserschaft in allen Variationen und Mischungen eine bedeutende Rolle bei der Konzeption solcher Texte spielen, nicht zuletzt deshalb, weil die freudige Aufnahme beim einen Teil der Leserschaft die Ablehnung beim anderen geradezu fordert. Denkbar wäre allerdings, und dem schlössen wir uns an, daß man dieses »im Sinne der Autoren« so verstehen könnte, daß ein solcher Autor eine in hohem Maße variable Rezeption kalkuliert, und daß, wenn überhaupt, eben nur ein bestimmter Teil der Leserschaft ›überzeugt‹ werden soll, zumal ein Teil ohnehin bereits in Einklang mit dem jeweiligen Autor ist, und ein weiterer Teil auf gar keinen Fall überzeugt werden kann oder will oder auch nur soll,121 und genau das eben auch in die Planung der Kommunikationshandlung mit einfließt. Wir befürchten allerdings, daß wir hier unsere eigene Vorstellung von öffentlicher Kommunikation in die Aussage von Kapitzky hineinlesen, und brechen daher diese Überlegung an dieser Stelle ab. Denn zum einen werden wir noch mit Hilfe eines anderen Modells darauf zurückkommen, und zum anderen scheint es uns aus Kapitzkys weiteren Ausführungen hervorzugehen, daß unsere erste Interpretation seinen Intentionen eher entspricht. Wir möchten aber, bevor wir uns weiter mit dem Text beschäftigen, auf die Möglichkeit hinweisen, daß selbst dann, wenn wir die eine (zustimmungsorientiert) oder die andere (variabel orientiert) mögliche Konzeptionsweise des »Autors« unterstellen, wir immer davon ausgehen sollten, daß diese Absicht scheitern kann. Nicht nur deshalb, weil er in einer bestimmten Situation die ›falschen Worte‹ gewählt hat – sondern vielleicht auch, weil die »menschliche Sprache« am Ende doch nicht, wie Kapitzky es behauptet, »das leistungsfähigste Mittel zum Zweck gegenseitiger Steuerung« ist (ebd. 19). Von dieser idealistischen Warte aus ist es nicht allzuweit zu Klischees à la »Die Feder ist mächtiger als das Schwert«. Es gibt aber alltagsweltliche Situationen und Rahmenbedingungen, in denen
121 Wir möchten es nicht in Bausch und Bogen ausschließen, aber es würde uns sehr wundern, wenn Diederichsen auf eine euphorische Rezension in der Jungen Freiheit Wert gelegt hätte.
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einem die ›richtigen‹ Worte fehlen, und andere, in denen man sie nicht braucht. Sehen wir uns den Text weiter an. Der Autor spricht, wiewohl er den Begriff selbst für einigermaßen unzutreffend hält, in Anlehnung an den Sprachgebrauch bei Berman 1992 von einer »PC-Debatte« in der Bundesrepublik (Kapitzky 2000: 14; s. auch Fn 7). Um diese zu identifizieren, unterscheidet er zwischen Texten, die den Begriff bloß verwenden und deshalb nach seiner Auffassung nicht dazugehören, und Texten in Zeitungen und Zeitschriften, »die Political Correctness selbst zum Gegenstand haben« (ebd.). Zu diesem letztgenannten Korpus rechnet er dann auch einige Monographien, und erst die von ihm auf diese Weise gruppierten Texte und Bücher schließlich »bilden die bundesdeutsche PC-Debatte« (ebd.). Die auf diese Weise herbeigeführte Ordnung seines Diskurses hat natürlich arbeitsökonomische Vorteile. Ob sie für eine Analyse der Rede von der Korrektheit viel hergibt, steht auf einem anderen Blatt. Kapitzky übersieht hier, daß gerade die alltägliche Verwendung, die er mit allzu leichter Hand als »beliebig« (ebd. 14 und öfter) und daher als irrelevant abtut, in ihrer Selbstverständlichkeit, Kontinuität und Präsenz das Funktionieren der Redeweise in den von ihm analysierten engeren Zusammenhängen ermöglicht oder zumindest plausibilisiert. Diese künstliche Abkopplung erweist sich dann auch als Stolperstein seiner Analyse. Zunächst einmal jedoch liefert er eine weitere fugendichte Darstellung der Entwicklung in den USA, diesmal unter der Überschrift Wortgeschichte und Debattenbeginn. Es geht gleich im ersten Satz mit einer nur zu bekannten Festschreibung des ›Grapevine‹ los: Die Herkunft des Ausdrucks »Political Correctness« aus dem Vokabular orthodoxer linker Gruppen der Vereinigten Staaten steht in der gesamten Literatur außer Frage (ebd. 26, herv. v. MFE).
Das ist, wie wir mittlerweile wissen, just für die von Kapitzky gewählte Variante besonders zweifelhaft und beruht, wie so vieles, auf Hörensagen. Mag man es für den Begriff ›politically correct‹ noch mit einigen halbwegs guten Gründen annehmen, so ist ja gerade der substantivierte Ausdruck als impliziter Beleg einer Konzeptualisierung bereits bei Cameron 1994, Wilson 1995 und Greil 1998 ins Zwielicht geraten.122 Und
122 Im übrigen ist die Rede von einer »gesamten Literatur« allemal eine Übertreibung – und bei Kapitzky sind Wilson 1995, Feldstein 1997, Greil 1998, Scatamburlo 1998 nicht verarbeitet. Wohlgemerkt, es geht hier nicht darum, eine irgendwie ›vollständige‹ Literaturliste einzuklagen oder einen lächerlichen Vergleich durchzuführen, wer denn die schön-
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das ist, angesichts der Implikationen dieses Ursprungsmythos’ und der daraus abgeleiteten Legitimation der Legende, mehr als nur ein Schönheitsfehler. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Kapitzky nur die archetypische Ideallinie des Diskursverlaufs wiedergibt, wie sie in der Forschung durch reges Voneinanderabschreiben und anekdotisches Interpolieren entstanden ist, so kann man das nicht mehr damit entschuldigen, daß das Quellenmaterial eben nicht mehr hergibt, wie man es bei Schenz hatte geltend machen können. Eine Seite zuvor hatte er noch ausgeführt: Die Bezeichnung Political Correctness, Beginn und Verlauf der PC-Debatte sowie ihr politischer Hintergrund – zu all diesen Fragen liefert die Literatur verschiedene, mitunter gegensätzliche Antworten. Die Verschiedenheit dieser Antworten wird hier aufgefaßt als Verweis auf die unterschiedlichen politischen Überzeugungen der Autoren, wobei zugleich unterstellt wird, daß diese die Perspektive der Autoren auf das Thema jeweils mitgeprägt haben (Kapitzky 2000: 25).
Unsere Erachtens resultiert diese Existenz »gegensätzlicher Antworten« deutlich öfter aus einer unterschiedlichen Quellenauswahl und -interpretation. Diese vornehmlich in Abhängigkeit von einer, übrigens bei Kapitzky terminologisch unterbestimmten, »politischen« Perspektive zu sehen, scheint uns ein starkes Stück, angesichts der Tatsache, daß sich Autoren sehr unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung auf diese Ideallinie der Narration ›verständigt‹ haben. Die von Kapitzky abgenickte Herkunftsbeschreibung des Begriffs, die zwar eben nicht unstrittig ist, aber zugegebenermaßen dominant sein dürfte, unterscheidet ihn kaum so sehr von Behrens und von Rimscha, wie es die später in seinen Ausführungen zu Tage tretenden weltanschaulichen Differenzen würden vermuten lassen. Nach diesem Auftakt beschreibt Kapitzky als »Zentrale Aspekte« der amerikanischen »PC-Debatte« die Felder »Neubewertung der Geschichte«, Zugangsbedingungen an Universitäten (das scheint für ihn der wesentliche Aspekt der affirmative action zu sein), Kanondebatte und »die Bemühungen zur Einführung und Durchsetzung politisch korrekter Sprachregelungen, sogenannter ›Speech Codes‹« (ebd. 30). Das ist soweit nicht auffällig. Allerdings, auch Kapitzky nimmt an dem teil, was wir als ›Normalisierungsdiskurs‹ bezeichnet haben. Er historisiert, wenn
sten Texte verarbeitet hat. Kapitzky hat umfassendes Material verarbeitet, um das wiederum wir uns nicht gekümmert haben und bei dessen Wiedergabe wir uns auf ihn verlassen. Aber ohne ausreichende Quellenlage, beinahe nur auf der Basis von Berman 1992, Aufderheide 1992 und Schenz 1994 eine so steile These über die amerikanische Diskussion aufzustellen, das geht uns dann doch ein bißchen zu weit.
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auch mit deutlicher Sympathiebekundung, die Berechtigung der Forderungen: Prinzipiell trifft auch für die Auseinandersetzung auf jedem der vier Felder zu, was noch für die gesamte Debatte auszuführen sein wird: Während einerseits manche der Forderungen der PC-Befürworter weit jenseits dessen liegen, was aus unterschiedlichen Gründen im Rahmen einer multikulturellen Gesellschaft als sinnvoll erscheinen kann, sind doch die meisten dieser Forderungen zu einer Zeit und in einer Situation aufgestellt worden, in der mit einigem Recht eine Verbesserung der Situation vieler Angehöriger von Minderheiten gefordert werden konnte. Gerade das aber ignorieren und leugnen konservative Kritiker, wenn sie ihre berechtigte Kritik an überzogenen und z.T. auch gefährlichen Forderungen auf durchaus berechtigte Forderungen nach Gleichberechtigung oder Verbesserung politischer oder sozialer Bedingungen ausdehnen (ebd. 30f, herv. v. MFE).
Das ist ebenso großherzig wie kühn. Wir haben ja bereits erfahren müssen, daß auch Kapitzky nicht imstande ist, ›Political Correctness‹ zu definieren. Andererseits schreibt er hier implizit das Ausmaß der Berechtigung der Forderungen von »PC-Befürwortern« fest, verschiebt den Legitimationszusammenhang ihrer Forderungen in die Vergangenheit, unterstellt »sinnvolle« Grenzen des Begehrens, erkennt »gefährliche Forderungen« (gefährlich für wen und was eigentlich?) und verschafft sich in dieser Weise, die wir später noch genauer analysieren werden, rhetorisch den Zugang zu einer ›höheren Korrektheit‹. In den sich anschließenden Beschreibungen, die er zu den einzelnen Feldern anfertigt, stimmen wir ihm oft zu. Damit wir uns nicht mißverstehen: Es geht hier nicht etwa um eine im Rahmen einer Dissertation ausgetragene Zankerei um ein Für und Wider einzelner politischer Forderungen durch die einzelnen Gruppen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß ihm hier ein ernstes methodisches Problem, daß sich wie ein roter Faden durch die ganze Entwicklung der Angelegenheit zieht, ganz offenbar entgangen ist und somit seine Arbeit entscheidend prägt. Und selbst, wenn er später in seinen Ausführungen deutlich darauf verweist, daß es »feste Strukturen und überregionale Organisationen und Vernetzungen« der »PC-Befürworter« nicht gegeben habe (ebd. 40), fällt er in seiner Darstellung immer wieder hinter diese Erkenntnis zurück und kolportiert die Legende weiter: Einerseits sind sehr differente Forderungen im Namen Politischer Korrekheit [sic] vorgetragen worden, andererseits sind in vielen Fällen sehr verschiedene Dinge als politisch korrekt kritisiert und angegriffen worden. Aus diesem Grund ist eine Bestimmung der Bedeutung des Ausdrucks »Political Correctness« unabhängig vom jeweils diskutierten konkreten Gegenstand kaum möglich (Kapitzky 2000: 44).
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Man kann es bald nicht mehr lesen. Zunächst einmal hätten wir so langsam, nach mehr als zehn Jahren Diskussion und Forschung, gerne mal einige ausführliche, hieb- und stichfeste Belege für die Behauptung, daß in den USA in den immer wieder aufgeführten Kontexten dieses oder jenes ausdrücklich »im Namen Politischer Korrektheit« gefordert worden ist – Kapitzky jedenfalls bleibt sie hier wie üblich schuldig. Hinzu kommt, um die Spielregeln ein bißchen zu verschärfen, es sollten bitte Belege sein, die aus der Zeit vor 1990 stammen. Also bevor im Rahmen einer nationenweiten Auseinandersetzung in den USA der dortigen Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, daß es so etwas gebe und daß es besser sei (wenn auch hochgefährlich und todesmutig), sich gegen die ›Political Correctness‹ zu stemmen, wenn man sich nicht ins wilde Außen bezüglich der Westlichen Kultur/Zivilisation stellen möchte – was möglicherweise erst manchen animierte, sich gezielt und explizit als ›politisch korrekt‹ zu positionieren. Frank und Diederichsen hatten ja behauptet oder zumindest vermutet, daß affirmative Bezüge erst in der Folge der Diskussionen, sozusagen als ›Anti-Anti-PC-Effekte‹ aufgetreten sind. Es scheint aber so zu sein, als sei die Redewendung ›politically correct‹ vor dem Aufkommen der ganzen Diskussion 1990 verhältnismäßig selten vorgekommen, und es wird in Deutschland meist auf Studien hingewiesen, die erst mitten in der Diskussion entstanden (z. B. auf Perry 1992, sowie einige der Reminiszenzen bei Manske 2002: 32). Man kann diese Redewendung, so heißt es in solchen Arbeiten, wiederfinden in Texten und Flugblättern aus dem Umfeld der Black Power Bewegung und der Frauenbewegung in den Sechziger und Siebziger Jahren (vgl. zur Übersicht Manske 2002: 29-36), angeblich mal ernster, mal ironischer, gelegentlich bereits pejorativ gemeint.123 Das scheint uns durchaus plausibel. Wir wollen übrigens gar nicht ausschließen, daß es in den Achtziger Jahren so formulierte Forderungen gegeben hat, wie Kapitzky sie hier unterstellt. Auch der Begriff ›Political Correctness‹ mag bereits zuvor affirmativ verwendet worden sein. Wir wundern uns nur, daß in den einschlägigen Schriften uns diese Belege nicht permanent und zuhauf als Gründungsmanifeste der »politi-
123 Wir finden hier bei Manske einen interessanten Beleg, wie man sich innerhalb der Frauenbewegung mit Hilfe des Begriffs von einer Einstellung, die er angeblich repräsentiert, distanziert. »Die Feministinnen,« so beschreibt Manske mit Rekurs auf eine Darstellung von Ann Ferguson aus dem Jahr 1984, »die Pornographie als Befreiung verstanden, bezeichneten sich selbst [??] und ihre sexuellen Praktiken als politically incorrect sexuality und konstatierten: ›Sexual freedom requires oppositional practices, that is, transgressing socially respectable categories of sexuality and refusing to draw the line on what counts as politically correct sexuality‹« (Manske 2002: 32).
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cally-correct movement präsentiert worden sind. Offenbar sind sie entweder apokryph, sehr vereinzelt oder aber von allergrößter Folgenlosigkeit geblieben.124 Also weist man auf Arbeiten hin, die das ganze angeblich ausreichend aufgearbeitet haben. Für die Funktionsweise der Rede von der Korrektheit in den Neunziger Jahren und vor allem in Deutschland, das müssen wir hinzufügen, spielt ihre tatsächliche Existenz oder Nicht-Existenz nicht die geringste Rolle – wohl aber die etablierte und akzeptierte Behauptung, daß es sie sonder Zahl gegeben habe. Zum anderen, wenn man, wie Kapitzky es ausführt, jedesmal auf einen genauen Kontext angewiesen wäre, um die jeweilige Position und die Bedeutung dieses Begriffs zu analysieren, dann ließe das darauf schließen, daß die Kohärenz der einzelnen Elemente des Bedeutungsumfangs kaum ausreichte, um einen solchen singulären Begriff überhaupt zu rechtfertigen. Dann aber wäre der Begriff nichts anderes als ein Element einer »Schlumpfsprache«, wie man sie in Anlehnung an die Plansprache der Comicfiguren des Zeichners und Autors Peyo nennen könnte, bei der aleatorisch an die Stelle von Nomen, Verben, Adjektiven und Adverbien Varianten des Wortes »Schlumpf« (schlumpfen, schlumpfig etc.) eingesetzt werden, deren Bedeutung aus dem Kontext jedes Mal aufs Neue erschlossen werden muß.125 ›Schlumpfige Korrektheit‹ oder ›politisch un-
124 Bereits der älteste Original-Beleg, dessen wir in amerikanischen wissenschaftlichen Kontexten habhaft werden konnten, stammt aus dem Jahr 1986 und ist bereits ironisierend. Und es ist natürlich wieder mal ein Zufallsfund. Es handelt sich dabei um eine Passage aus Claudia Koonz’ Studie Mothers in the Fatherland. Women, the Family and Nazi Politics. Die amerikanische Ausgabe erschien 1986, die englische, aus der wir zitieren, im Jahr darauf. Im Vorwort heißt es: »And I recalled Emmy Göring’s Autobiography, At My Husband’s Side, in which she criticizes Germans, who, after 1945, ›pulled out their Jew to brag about (Renommierjude)‹, whenever it was politically correct. I remembered, too, the cynical protagonist in Heinrich [sic] Mann’s Mephisto ...« (Koonz 1987: xxx, herv. v. MFE). Die hier von Koonz vorgenommene begriffliche Verdichtung des von Emmy Göring monierten politischen Klimas läßt auf eine pejorative Verwendung schließen. Es gehört zu den vielen Treppenwitzen dieser Angelegenheit, daß in der überarbeiteten deutschen Ausgabe von 1991 die erste von uns hier hervorgehobene Passage, die Rede von der politischen Korrektheit, gar nicht übersetzt worden ist, aber in der zweiten der falsche ›Heinrich‹ gegen den richtigen ›Klaus‹ ersetzt worden ist. Übersehen worden wurde die Passage also nicht, sondern, so vermuten wir, man hat sie im Zuge einer intersubjektiven Verständlichkeit unter den Tisch fallen lassen, weil noch nicht klar war, wie schnell sich diese Redeweise in Deutschland herumsprechen würde (Koonz 1991: 54). Aber das bleibt spekulativ. Klar allerdings dürfte sein, daß bereits zu dieser Zeit dem Begriff etwas Abfälliges eignete. 125 Vgl. zur Verdeutlichung dieser Überlegungen z. B. Peyo: Blauschlümpfe und Schwarzschlümpfe. Hamburg: Carlsen 1996 [frz. 1963]. Zum Beispiel: »Siehst du? Das kommt, weil du nie zuschlumpfst! Das wird dich
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schlumpf‹? Das ist zwar eine reizvolle Idee, aber ganz so funktioniert die Rede von der Korrektheit dann doch nicht, allein schon deshalb nicht, weil die sprachlichen Varianten neben dem jeweiligen Kontext noch die Legende, also ihre Verwendungsgeschichte mit sich tragen. Und das ist, wie wir sehen werden, nicht der einzige Grund.126 Auch darf man in Kapitzkys Arbeit bei den Beschreibungen des amerikanischen Diskurses nicht allzu genau hinschauen, weil hier ausgesprochen windige Behauptungen aufgestellt werden. Wir möchten das an einem Beispiel vorführen, das aus einer späteren Stelle des Buchs stammt. Kapitzky versucht einen Vergleich zwischen den USA und Deutschland. Zunächst fängt das solide an. Er erläutert, daß den USA in gewisser Hinsicht mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst das alte Feindbild abhanden gekommen ist. Ob man so weit gehen muß wie Kapitzky, der unterstellt, daß »sich konservative Innenpolitiker auf die Suche nach einer neuen Bedrohung der amerikanischen Werte machten« und nun die »PC-Bewegung« als eine Art Lückenbüßer diese Funktion übernahm (Kapitzky 2000: 100), wissen wir nicht zu sagen. Wer will, hat genug äußere Feinde, wie sich ja neuerdings wieder zeigt. Wir halten das auch deshalb für zweifelhaft, weil die Auseinandersetzungen um einen großen Teil der Themen, die seit 1990 zunehmend als PC subsumiert worden sind, bereits lange vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingesetzt haben, wie übrigens auch Kapitzky weiß. Wir vermuten, aber können es hier nicht mit Bestimmtheit sagen, daß für die us-amerikanische Innenpolitik und auch die Entwicklung der Rede von der Korrektheit der Zusammenbruch der Sowjetunion keine so große Rolle gespielt hat wie beispielsweise in Deutschland. Es dürfte zwar durchaus so sein, daß das Ende des real existierenden Sozialismus die Entwicklung der Diskussion begünstigt und beschleunigt hat, aber es ist doch wohl ahistorisch zu unterstellen, daß es für die Idolatrie der amerikanischen Werte und den Kampf gegen die Sechziger Jahre nicht bereits in den frühen Siebziger und Achtziger Jahren ausreichend Belege gibt.127 Verhältnismäßig plausibel hingegen ist die folgende Annahme Kapitzkys:
schlumpfen! Wenn der Große Schlumpf sagt ...«– »Halt den Schlumpf!« (ebd. 23). Im Original übrigens »Les Schtroumpfs«. Es ist einfach zu schön. 126 Die Basisstruktur des Phraeolexems werden wir im vierten Kapitel untersuchen. 127 Wiederum verweisen wir auf unsere ›Gewährsleute‹ für den Aufstieg des konservativen Denkens in den USA seit den Sechziger Jahren Schulmann 2001; Hardisty 1999; ausführlich und mit langem historischen Atem wiederum Minkenberg 1998, v. a. ab 141ff zur »ethnokratischen Rekonstruktion der amerikanischen Nation« (ebd. 142); siehe dazu auch Leggewies These von einer »konservativen Revolution« in den USA seit den
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Es spricht [...] einiges für die Annahme, daß Fragen Politischer Korrektheit Ende der 80er Jahre auch eine Stellvertreterfunktion zukam, insofern einige der Diskurse, die als Teil der PC-Debatte aufgefaßt worden sind, grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens im Rahmen einer multikulturellen Gesellschaft diskutieren, wobei aus dieser Perspektive der Widerstand v. a. konservativer Kreise gegen PC eben auch als Widerstand gegen das gesamte Konzept des Multikulturalismus erscheint (Kapitzky 2000: 101).
Dem kann man zustimmen, wenn man das merkwürdige schiefe Bild von der »Stellvertreterfunktion« (wer vertritt da wo was oder wen?) außer acht läßt und ignoriert, wie selbstverständlich Kapitzky hier von »Fragen Politischer Korrektheit« redet. Im direkten Anschluß dann aber wird es hochproblematisch: Zusammenhänge wie die zuletzt genannten, [sic] lassen sich in der Bundesrepublik kaum herstellen. Das liegt nicht nur an der grundsätzlich verschiedenen Struktur der Gesellschaft, sondern auch an der spezifischen Situation, die in der Bundesrepublik Anfang der 90er herrschte. Im Unterschied zu den USA, die für die gesamte Dauer ihrer Geschichte Einwanderungsland gewesen und bis heute sind, stellten sich in der BRD vordergründig andere Probleme (ebd.).
Wir wissen gar nicht, wo man da als erstes mit der Kritik ansetzen soll. Es wäre zunächst ganz allgemein hilfreich, wenn Kapitzky erklären würde, was er unter der »Struktur der deutschen Gesellschaft« versteht und inwiefern sich diese von der der USA unterscheidet. Wir befürchten, daß es hier ganz dünn würde.128 Aber auch, wenn man das übergeht, reißen die Fragwürdigkeiten dieser Prämissen nicht ab.
Siebzigern (Leggewie 1997); verwiesen sei außerdem auf den Reader von Chip Berlet 1995, für die Rückkehr der Familienwerte vor allem Faludi 1993 [1991], als Dokument des Übergangs und der Amalgamierung von Wertvorstellungen der 60er und 80er recht früh bereits Urbanska 1986. 128 Hier noch ein Beispiel, um diesen vielleicht ungerecht klingenden Vorwurf zu belegen [kursive Hervorhebungen von MFE]. An einer anderen Stelle seines Berichts aus den USA spricht Kapitzky vom »universitären linken Spektrum« und erläutert kennerhaft: »Da die Vereinigten Staaten kein Parteiensystem europäischer Prägung kennen, gibt es auch keine so enge Verschränkung zwischen kulturellen und politischen Strukturen, wie sie beispielsweise für die Bundesrepublik typisch sind. Insofern bezieht sich »links« hier nicht auf einen parteipolitischen, sondern auf einen kulturellen Zusammenhang.« (Kapitzky 2000: 28f) Was mögen das für »enge Verschränkungen« sein, die es hüben gibt und drüben nicht? Und warum bietet es sich dann an, von einer kulturellen Linken zu reden? Selbst eine nicht als Partei organisierte Linke, falls das das Problem sein sollte, ist noch nicht automatisch eine kulturelle Linke. Diese wie auch immer verwegene Aussage mit ihrer ohnehin abwegigen Kausalitätsbehauptung wird dann noch »gestützt« durch eine so absurd anmutende Fußnote, daß man stundenlang darüber rätseln könnte, was
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Erstens: Die Bundesrepublik ist seit den Fünfziger Jahren de facto ein Einwanderungsland gewesen, und sie ist das, wenn auch mehr nolens als volens und nicht ausreichend juristisch codifiziert, bis heute – Fragen des Multikulturalismus stellen sich auch hier, wie es jede ›Kopftuchdebatte‹ zeigt. In spiegelverkehrter Hinsicht demonstrieren das auch die nimmermüden und albernen Kämpfe gegen eine Überfremdung der Sprache durch Anglizismen und angloamerikanische Popmusik.129 Außerdem umfaßt der Begriff »multiculturalism« nicht selten Fragen von Sexualität, Geschlecht und Religion, was in Einzelfällen sich oft genug anders darstellt, aber sowohl in den USA als auch hierzulande Konfliktpotential erzeugt.130 Es mögen daher andere Fragen und Konflikte sein als in den USA, zugegeben. Doch wenn sich hüben und drüben solche Probleme anders stellen, hängt das eben nur zum Teil mit dem Selbstverständnis der USA als einem Einwanderungsland zusammen, zumal dieser – die Einwanderer zusammenfassende – Begriff verschleiert, daß auch die Einwanderer heterogen genug sein dürften, um die allfälligen Probleme unterschiedlich zu konturieren: Ein hispanischer oder afrikanischer Einwanderer dürfte auf mehr und andere Probleme stoßen als zum Beispiel ein englischer, was übrigens auch regional, je nach geographischem Ziel in den USA, noch differenziert werden müßte. Hinzu kommt, daß die Einwanderung in Wellen und im Laufe von Jahrhunderten stattgefunden hat, und daß denjenigen Bewohnern Neuenglands, die sich damit die Zeit vertreiben, ihre Herkunft von der Besatzung der Mayflower herzuleiten, oder auch denjenigen, deren Ahnen bereits im
den Autor da geritten hat: »Richard Rorty hat deshalb [!] in neueren Veröffentlichungen (1997a, b) von einer »kulturellen Linken« gesprochen.« (ebd. Fn 7) Dazu nur soviel: was den Begriff »cultural left« angeht, hätte ihn Kapitzky bereits in Berman 1992 finden können, beispielsweise im Beitrag von John Searle (1992: 107). Wir nehmen an, daß er deutlich älter ist, lassen es aber dabei bewenden. Ihn – und sei es nur durch eine fehlgeleitete Fußnote – ausgerechnet Rorty als Resultat eines Terminologisierungsentschlusses zuzuschreiben ist völliger Nonsens. Auch ist der Ausdruck »Kulturlinke«, möglicherweise ein Lehnwort, der »cultural left« nachgebildet, hierzulande auch für viele deutsche Linke seit längerer Zeit gang und gäbe. Vgl. zu solchen Konzepten einer Kulturlinken u.a. Holert/Terkessidis 1996; zur wiederum linken Kritik daran Robert Kurz 1999. 129 Für den letzten Punkt beispielsweise findet man sogar bei Kapitzky (2000: 62) einen Hinweis auf Diederichsen (1996: 91). Hier kritisiert Diederichsen den Sänger Heinz-Rudolf Kunze, der sich für eine Quotenregelung für deutschsprachige Künstler starkmacht. Nationalaffirmative Aktion im Radio? Was wiederum die Anglizismen angeht, verweisen wir auf den Verein Deutsche Sprache und sein Periodikum, die Sprachnachrichten. Hier steht wirklich alles, was man zu diesem Thema wissen muß. 130 Vgl. dazu das Lemma »multiculturalism« in Duchak (1999: 210).
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Bürgerkrieg mitgemischt haben, ihr Status als Nachfahren von Einwanderern keineswegs dabei im Wege steht, neueren Zuwanderern das Leben schwer zu machen. Auch hier gilt – wir verwendeten das Bild bereits –, daß man gerne die Leiter umstößt, auf der man selbst nach oben gekommen ist.131 Zweitens: Selbst wenn man nur einen Teil der als PC kodierten Themen nimmt (und z. B. race zunächst ausklammert), finden sich ausreichend Parallelen zwischen beiden Ländern: die Fragen von Homosexualität (Stichwort Homo-Ehe) und der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind hierzulande genauso virulent wie in den USA, nur daß man in den USA möglicherweise einen höheren Organisationsgrad der einzelnen Gruppen unterstellen kann, was mit einer tendenziell höheren Neigung zu nicht-staatlichen Organisationsformen zu tun haben dürfte. Drittens: Einer der vermutlich wichtigsten Teilbereiche der Angelegenheit, der unter dem Begriff ›Multikulturalismus‹ in den USA läuft und allerdings spezifisch amerikanisch ist, ist nicht so sehr einem Einwanderungsproblem zuzurechnen, sondern der Geschichte der Afroamerikaner, der Sklaverei, des Bürgerkriegs, der Reconstruction und des Civil Rights Movement, sowie den Bemühungen dieser Gruppe (oder besser: dieser Gruppen) um politische Gleichberechtigung und im doppelten Sinne historische Aufarbeitung, nämlich bezüglich der Zeit in den USA und mit Blick auf ihre afrikanische Geschichte. Gewiß, wer mag, kann die Geschichte der Schwarzen in den USA als Einwanderung bezeichnen. Wir raten davon ab. Weder Plymouth Rock noch Ellis Island sind für Afroamerikaner symbolische Orte der Verheißung und Identifikation. Kommen wir nun zu der im Zitat angesprochenen »spezifischen Situation« in Deutschland. Denn es ist ja durchaus richtig, daß es in den Diskussionen spezifisch deutsche Themen gegeben hat. Kapitzkys Literaturüberblick über die deutschen Beiträge bzw. die Beiträge bezüglich der deutschen Verhältnisse ist mehr als hilfreich. Etwas unbefriedigend bleibt, gerade auch für unser Interesse, daß er sich vor allem an ›großen‹ Debatten und Texten abarbeitet. Der Vorteil für uns ist, daß wir das dann
131 Das Selbstverständnis der USA ist ohnehin eher kompliziert: »Die Gründung der USA beruht auf zwei völlig entgegengesetzten Mythen, deren Spannungsverhältnis die Entwicklung der nationalen Identität und die Ausgrenzungsleistung stets mitformte: auf der einen Seite die Fiktion einer homogenen Glaubens- und Abstammungsgemeinschaft aller Amerikaner, auf der anderen der Mythos einer auf die universalistischen Werte der Republik gegründeten offenen Einwanderungsgesellschaft, in der die Herkunftsunterschiede durch die Integration eingeschmolzen werden würden« (Minkenberg 1998: 95).
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VIER TABLEAUS
kurz halten können. Die von ihm herangezogenen Monographien sind Bonder 1995, Behrens/von Rimscha 1995, das Deutsche Phrasen-Lexikon von Klaus Rainer Röhl 1995, Groth 1996, Diederichsen 1996 und schließlich Arne Hoffmanns Political Correctness. Zwischen Sprachzensur und Minderheitenschutz 1996. Was die kürzeren Texte angeht, die er aufteilt in wissenschaftliche Texte, Essays und Berichte, so haben wir da unsere Zweifel, ob das weit trägt.132 Hier jedoch suspendieren wir uns ausnahmsweise mal davon, auch diese Literaturliste noch zu referieren, zumal zumindest einige der von Kapitzky herangezogenen Texte entweder schon genannt worden sind (Frank 1996a; Zimmer 1993) oder unten noch genannt werden. Kapitzkys Zusammenfassung dieser Texte zur »deutschen PC-Debatte« ist geprägt von einem ähnlichen Irritationsmoment, das auch unsere Studie kennzeichnet, auch wenn Kapitzky daraus ganz andere Schlüsse gezogen hat als wir: Überblickt man die Literatur über Political Correctness in der Bundesrepublik, so drängt sich zunächst der Eindruck einer thematischen Vielfalt auf, die gelegentlich die Grenzen der Beliebigkeit zu überschreiten scheint. [...] Es scheint, als würden die Standpunkte zu beinahe jedem Thema, das von einigem politischen oder zeitgeschichtlichem Interesse ist, unter der Fragestellung diskutiert, ob sie politisch korrekt oder unkorrekt sind (Kapitzky 2000: 62).
Das ist richtig, wenn man den Diskussionsbegriff nicht allzu wörtlich nimmt – eine ernsthafte, um ein bestimmtes Thema kreisende, Diskussion darüber, ob dieses oder jenes politisch korrekt oder unkorrekt ist, mit Rede und Gegenrede, die sich auch dieser Terminologie bedient, ist uns nicht präsent. Auch Kapitzky hatte darauf hingewiesen, daß es zumeist sozusagen ›Texte an die Leser‹ sind, die der Diskurs produziert hat. Was nun die oben angesprochene »spezifische Situation« (Kapitzky 2000: 101) in der Bundesrepublik angeht, von der Kapitzky spricht, muß man ihm an dieser Stelle teilweise Recht geben. Die Wiedervereinigung führte bei Teilen der Linken zu nostalgischen Gefühlen gegenüber der verschwundenen Bundesrepublik, und das wiedervereinigte Deutschland weckte nationale Begehrlichkeiten, die in der wiederauflebenden, keineswegs neuen Forderung nach einem »Schlußstrich« unter die deutsche Vergangenheit und nach einer »selbstbewußten Nation« sich nieder-
132 Diese Zweifel verstärken sich, wenn man in Betracht zieht, daß er unter Zuhilfenahme dieser Kategorien beispielsweise allen Ernstes Papcke 1995 zu den wissenschaftlichen Texten zählt. Abgesehen vom Broterwerb des Verfassers deutet, wie wir noch sehen werden, aber auch gar nichts auf eine wissenschaftliche Herkunft des Textes hin.
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schlagen, ein Prozeß, der bis heute andauert, offenbar an Fahrt gewinnend, und beispielsweise Topos in der Walser-Bubis-Debatte.133 Es nimmt dann auch nicht wunder, wenn ein Teil der nach Deutschland importierten Rede von der Korrektheit nun unter diesen Fragestellungen verhandelt wurde (bzw. auch umgekehrt), zumal das ›Dritte Reich‹ und die Modi seiner Interpretation bereits in der Spätphase der BRD, Ende der Achtziger Jahre, Gegenstand harter Auseinandersetzungen wurde, deren Verlauf ex post von konservativer Seite mit Hilfe der Rede von der Korrektheit neu gedeutet wurde. Es gab für die Rechten und Konservativen in einem neuen politischen Arrangement zusätzlich also die Möglichkeit, einige alte Schlachten mit einem modernisierten Vokabular nochmals zu schlagen. Insofern ist Kapitzkys Entscheidung, in erster Linie drei große Debatten aus diesem spezifisch deutschen Komplex zu untersuchen, sehr gut nachzuvollziehen. Entschieden hat er sich für den Historikerstreit, die Rede von Philip Jenninger und für die ›Neue Rechte‹ mit ihrem Sammelband Die selbstbewusste Nation (Schwilk/Schacht 1994). Nun besteht allerdings die Gefahr, und Kapitzky erliegt ihr auch prompt, dabei einem gewissen Aspektmonismus zu verfallen. Das ist insofern erstaunlich, als daß er mehrfach darauf besteht, daß es »ein erhebliches Maß an Beliebigkeit als Kennzeichen der unter dieser Überschrift diskutierten Themen« gibt (ebd. 104f). Die Bandbreite der Verwendung ist ihm also durchaus präsent. Er führt einleitend aus, wie er seine drei Beispiele ausgewählt hat: Es besteht in der Literatur über Political Correctness weithin Konsens darüber, daß Politische Korrektheit in der Bundesrepublik sehr häufig als »Historische Korrektheit« auftritt, d. h. daß politisch strittige Themen weniger unter den Gesichtspunkten von Rasse und Geschlecht, wie sie in der amerikanischen PC-Debatte wesentlich waren, sondern mit Bezug auf die jüngere deutsche Vergangenheit, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus, diskutiert werden. Dieser Einschätzung werde ich insofern Rechnung tragen, als ich Themen ausgewählt habe, bei denen ein solcher Bezug naheliegt oder zumindest hergestellt werden kann (Kapitzky 2000: 64).
133 Vgl. den Artikel Schluss mit dem Holocaust. Viele Hochschüler wollen von Nazi-Zeit nichts mehr wissen von Christoph Koch aus der SZ v. 04.11.2002: »Mehr als ein Drittel der Studenten will sich nicht länger mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen [...] ›Die Forderung nach einem gesunden Nationalbewußtsein kommt mittlerweile von 61 Prozent der Studierenden‹.« Der Autor bezieht sich auf eine kürzlich erschienene Studie von zwei Erziehungswissenschaftlern aus Essen, Klaus Ahlheim und Bodo Heger: Die unbequeme Vergangenheit. NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeiten des Erinnerns. Hierbei wurden über 2100 Studenten verschiedener Fachbereiche befragt. Auslöser der Untersuchung war die Paulskirchenrede Walsers.
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VIER TABLEAUS
Es ist bestimmt zutreffend, daß das Thema »Historische Korrektheit« zu den großen Schwerpunkten der deutschen Debatte gehört und in der ›Konfiguration eines deutschen Themenparks‹ eine der Hauptrollen spielt. Auch kann man konzedieren, daß das Dritte Reich oft ein Referenzpunkt aller möglichen Debatten (Sterbehilfe etc.) ist, wenn es um angebliche Denkverbote und Tabu-Themen geht. Es ist aber auch nicht verwunderlich, wenn Kapitzky, der sein Korpus der »Literatur über die Political Correctness« so zusammengestellt hat, daß die ausgewählten Verfasser zum großen Teil diejenigen Rechten sind, die um ›Glanz und Elend‹ der deutschen Vergangenheit kreiseln, nun aus eben diesem Korpus ableiten kann, daß die »Historische Korrektheit« das Schwerpunktthema der so konfigurierten »PC-Debatte« ist. Dieser Aspekt aber stellt in Deutschland nur eine spezifische Verwirklichung der Möglichkeiten dar, und zwar ohne die aus der amerikanischen Diskussion bekannten Themen auszuschließen oder abzulösen – zumal die deutsche ›Konfiguration‹ bisweilen auf die Begriffsgeschichte der USA zur Plausibilisierung angewiesen ist. 134
134 Auch gab es in Deutschland sozusagen ein Pendant zur »Bell Curve«Debatte. Die Vorsitzende des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Charlotte Höhn, hatte in einem Interview, das die Taz veröffentlichte, festgestellt, daß statistisch nachweisbar sei, daß Schwarze nicht so intelligent seien wie Weiße, daß man aber so was ja nicht sagen dürfe (Taz vom 03.09.1994; der Artikel ist übrigens nicht auf der TazCD-ROM enthalten). Die Angelegenheit schlug erwartungsgemäß hohe Wellen. Es ist ganz bemerkenswert, daß gerade in der Taz angesichts dieser Diskussion die auch hier etablierte Rede von der Korrektheit nicht ein einziges Mal in Anschlag gebracht worden ist! Wohl aber gilt Höhn bei Groth (1996), der fahrig wie immer »Charlotte Höhl« schreibt (ebd. 166), als Opfer der politischen Korrektheit, ebenso bei Behrens/von Rimscha (1995: 128), die der Interviewerin bzw. der Taz eine »sinnentstellende« (ebd. 129) Montage vorwerfen und diagnostizieren: »Höhn stand im Zentrum einer bösen Kontroverse, weil sie offensichtlich nicht in der Lage war, sich politisch korrekt auszudrücken« (ebd. 128). Ihre These: »In Wirklichkeit ging es darum, die Bevölkerungswissenschaft abzuschaffen« (ebd. 131). Auch sie referieren in diesem Zusammenhang ihre Sicht der Bell-Curve-Debatte. Wir zitieren ausführlich den abschließenden Zeitungsbericht taz gewinnt vs. Höhn aus der Taz, der auch Auszüge aus dem Interview enthält: Das Oberlandesgericht Köln hat jetzt die Klage der Leiterin des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaften, Charlotte Höhn, gegen die taz abgewiesen, soweit die Klägerin der taz verbieten wollte zu behaupten, sie halte Afrikaner für weniger intelligent. Das Landgericht Bonn hatte dies der taz verboten, nachdem ein Artikel mit der Überschrift »Reinrassige Ansichten. Deutsche Vertreterin bei Kairoer Konferenz hält Afrikaner für weniger intelligent« erschienen war. Charlotte Höhn, Leiterin der deutschen Delegation,
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Schon allein, so möchten wir ergänzen, wegen der ideologischen und rassistischen Konzeption des Nationalsozialismus spielen Fragen zum Thema ›Rasse‹ bereits in die Diskussion um das Dritte Reich hinein, in mal mehr, mal weniger enger Anlehnung an in diesem Zusammenhang bereits etablierte Positionen. Und daß unter dem Gesichtspunkt ›Geschlecht‹ gerade auch im Sammelband Die selbstbewusste Nation einige Autoren scharfe Angriffe gegen das führen, was man dort als Feminismus begreift, wobei mit denselben Versatzstücken gearbeitet wird wie in den expliziten Anti-PC-Artikeln, hat Karsta Frank (1996b) anhand der Beiträge von Rainer Zitelmann (1994) und Fritz Stern (1994) überzeugend herausgearbeitet.135 Bei Zitelmann kann man eine ohne Beleg vorgetragene Kritik des Multikulturalismus und des Feminismus lesen, bei der einzig und allein das Wort PC (ansonsten durchaus ein Leitmotiv des Sammelbands) noch fehlt: Offen und sehr erfolgreich wird von amerikanischen Feministinnen bereits die Einführung von Zensur gefordert, die »frauenfeindliche« Äußerungen (also solche, die sich kritisch mit dem Feminismus auseinandersetzen) unter Strafe stellt. Die Argumentationsmodelle ähneln sich, und es ist kein Zufall, daß viele Vertreter und Vertreterinnen des radikalen Feminismus noch vor wenigen Jahren überzeugte Marxisten waren. Die demokratische Rechte wird sich in Zukunft viel intensiver mit dem Phänomen des Feminismus auseinandersetzen müssen, als sie dies bislang getan hat. Es wäre verhängnisvoll, wenn sie sich auf die Kritik des Marxismus und Kommunismus konzentrieren würde, während die Linke dabei ist, neue
mußte die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vorzeitig verlassen. Die taz hatte Höhn wie folgt zitiert: Höhn: »Es ist leider statistisch nachweisbar. Ich weiß zwar, daß man das heutzutage nicht mehr sagen darf. Das ist eigentlich sehr schade.« [...] taz: »Was ist nachweisbar?« Höhn: »Daß es zum Beispiel Unterschiede in der Intelligenzverteilung gibt. Das kann man vielleicht ohne das Wort höher- und niederwertig verbreiten, aber selbst das darf man ja heute nicht mehr. Was ich mit einem gewissen Bekümmernis nicht nur hierzulande, sondern noch viel stärker in den USA beobachte, ist diese Art von Denkverboten, die überall verteilt werden. Das ist unwissenschaftlich, entschuldigen Sie!« taz: »Was meinen Sie mit Denkverboten?« Höhn: »Zum Beispiel, daß man sagt, daß die durchschnittliche Intelligenz der Afrikaner niedriger ist als die anderer. Selbst das Wort Rasse darf man ja nicht mehr in den Mund nehmen« (Taz v. 16.12.1995,2). 135 Fritz Stern redet gar von einer von den Feministinnen angestrebten »Apartheid« (Stern 1994). Bei Behrens und von Rimscha findet man dieses Bild, bezogen auf PC, wieder: »PC ist verbale Apartheid, die tausend Homelands schafft und aus diesen dann einen segregierten Staat« (1995: 177).
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VIER TABLEAUS »ismen«, nämlich den Multikulturalismus und den Feminismus, herauszubilden und umfassend zu propagieren. Die amerikanische Entwicklung, die ja in Deutschland meist nur mit einer gewissen Verzögerung nachgeholt wird, zeigt, daß Multikulturalismus und Feminismus die antikapitalistischen Theorien längst abgelöst haben (Zitelmann 1994: 179f).
Zitelmanns argumentatives Arrangement gleicht der Kritik orthodox linker Amerikaner an der ›PC‹, wenn auch mit umgekehrten politischen Vorzeichen. Wir finden daher Kapitzkys Konzentration auf die Aspekte der Historischen Korrektheit notwendig und sinnvoll, aber der »Konsens«, von dem er redet, ist so zumindest nicht vorhanden. Auch die Quellen, die er angibt (zumindest die, die wir nachgeprüft haben), haben zwar einen ihrer Schwerpunkte in der HK, sehen sie aber nicht als einziges Schwerpunktthema der ›Political Correctness‹ in Deutschland. In seiner Zusammenfassung des ersten Teils seiner Arbeit jedoch versteigt sich Kapitzky gar zu der Feststellung: »Von politischer Korrektheit ist in der Bundesrepublik in erster Linie als von »Historischer Korrektheit« gesprochen worden« (ebd. 103). Das mag für seine Arbeit gelten. Das gilt sinngemäß auch für die von ihm nicht untersuchte Walser-Bubis-Debatte, bei der die Verwendungsweise des Korrektheitsbegriff auf die historische Dimension fokussiert wurde.136 Sicherlich dürfte diese Variante in vieler Hinsicht der größte Unterschied zur us-amerikanischen Debatte sein, vermutlich zur Überraschung mancher amerikanischer Kenner und Kombattanten der us-amerikanischen Diskussionen.137 Doch selbst Behrens und von Rimscha, die von Kapitzky als Kronzeugen für seine Entscheidung herangezogen worden sind, 138 erläutern in ihrer Studie:
136 Vgl. die Dokumentation von Schirrmacher 1999. Ansonsten ebenfalls sehr instruktiv, aber nur in bezug auf die rechtskonservative und rechtsradikale Presse Dietzsch/Jäger/ Schobert 1999. 137 Nehmen wir als Kontrast hierzu einen Beleg aus den USA: Kay Arthur, die laut SZ »regelmäßiger Gast in den Sendungen von Christian Broadcasting Network« ist, stellt sich im Nahostkonflikt eindeutig auf Israels Seite, und zwar aus biblischen Gründen und mit folgender Begründung: »Wir müssen aufhören, politisch korrekt zu sein, und anfangen, biblisch korrekt zu handeln.« Ein bemerkenswertes Zitat. Die Stellungnahme pro Israel und gleichzeitig gegen die ›Political Correctness‹ ist, wegen einer rhetorisch meist völlig anders organisierten Konfliktlinie in Deutschland, ein deutliches Indiz für die Flexibilität und Inhaltsvarianz der Rede von der Korrektheit. Das Zitat stammt aus Wolfgang Koydl: Ein neuer Bund durch das Alte Testament. Amerikas religiöse Rechte wird zum Anwalt Israels und gibt damit die Richtung vor für die NahostPolitik von Präsident Bush. In: SZ v. 08./09.05.2002. 138 Kapitzky nennt u.a. Behrens/von Rimscha: »Politische Korrektheit entspricht in Deutschland damit oft einer Historischen Korrektheit« (HK). (1995: 21; zit. bei Kapitzky 2000: 64, Fn 28). Ein andere Beleg ist Noelle-Neumann (1996), die auch noch mehr Themen zu bieten hat. Daß der
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Für Autos zu sein, aber gegen Mülltrennung, Wale für nicht sehr schützenswert zu halten: All dies definiert den Katalog des politisch inkorrekten Bürgers. Gegen Autos, für Mülltrennung und Mitglied bei Greenpeace – das ist in Deutschland politisch korrekt (Behrens/von Rimscha 1995: 174).
Die Anwendung der Redeweise in Deutschland allgemein und selbst in politisch eindeutig rechten Zirkeln geht also deutlich über die immer als klassisch aufgeführten Themen und aber auch die sogenannte »jüngere deutsche Vergangenheit« und »historische Korrektheit« hinaus. Mit seiner Wahl der »Beliebigkeit« aber als dem Kriterium zum Ausschluß von Belegen aus der »PC-Debatte« hat sich Kapitzky selbst ein Bein gestellt – oder zumindest seinen Lesern. Was findet Kapitzky nun bei der Untersuchung der von ihm laubgesägten »PC-Debatte« heraus? Seine Hypothese ist angesichts des isolierten Korpus und der ausgewählten Beispiele frei von jeder Überraschung: [Man muß] m. E. davon ausgehen, daß das von den PC-Kritikern verfolgte Ziel wiederum politischen Charakter hat. Meine Hypothese lautet deshalb, daß sich in der überwiegenden Mehrzahl der Texte, die gemeinsam [nachdem er sie so als Gemeinsames kollationiert hat, MFE] die »PC-Debatte« bilden, die Charakterisierung bestimmter Standpunkte als politisch korrekt letztlich als Argument innerhalb jeweils konkreter politischer Auseinandersetzungen herausstellen wird (Kapitzky 2000: 62).
Es ist, so kann man dieser Hypothese entnehmen, also keineswegs so, daß Autoren wie Behrens und von Rimscha, Klaus Rainer Röhl oder auch Klaus Groth etwa ernsthafte, schlüssige und fundierte Kritik an einer ›Political Correctness‹ und an den von ihr angeblich geprägten Diskursgepflogenheiten formulieren; vielmehr machen sie mit Hilfe dieses Begriffs den politischen oder weltanschaulichen Gegner schlecht und versuchen dabei, eigene Ziele günstig zu argumentieren. Sie können nicht mal wissenschaftlich beweisen, daß die ›Political Correctness‹ wirklich eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Und dieses gewiß fragwürdige Verfahren der Argumentation hat also eine Zieldimension »politischen Charakters«. Wer hätte das erwartet? Kapitzky macht sich dann im Fall des Historikerstreits und dessen Darlegung bei Behrens/von Rimscha 1995 mit großem Besteck an die Analyse. Sein theoretisches Konzept basiert in diesem Fall auf Gerold Ungeheuers Überlegungen zu »verbalen Interaktionen«, die Kapitzky mit folgender Begründung auf schriftliche Texte erweitert:
von ihm ebenfalls angeführte Groth ebenfalls noch viel mehr anzubieten hatte, hat Kapitzky selbst vorher festgestellt (Kapitzky 2000: 62).
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VIER TABLEAUS [...] Ich [gehe] von der Annahme aus, daß prinzipiell jede Äußerung auf ihre argumentative Struktur hin untersucht werden kann und werde deshalb Ungeheuers theoretische Überlegungen auf den hier vorliegenden Fall eines essayistischen Textes ausdehnen (Kapitzky 2000: 66).
Es spricht in der Tat nichts dagegen, einen solchen »Essay« wie eine mündliche Aussage zu untersuchen. Ob allerdings Ungeheuers Konzeption dabei hilfreich ist? Kapitzky zitiert Ungeheuers »Begriff der Argumentation«: »Auf die wesentlichen Elemente abstrahiert, handelt es sich um die gedankliche Verbindung der inhaltlichen Komplexe ›Exposition‹ (E), ›Schlußfolgerung‹ (C), ›Modalität der Ableitung von E nach C‹ (m) und ›Rechtfertigung‹ (R), die durch die Figur R/m (C,E) ausgedrückt werden kann. Mit der Rechtfertigung wird begründet, daß die Schlußfolgerung C mit der Stringenz m aus der Exposition E folgt.«139
Wir wollen nicht ausschließen, daß mit einer solchen Figur formale, in hohem Maße standardisierte Diskurse gut aufgeschlüsselt, dargestellt und beurteilt werden können, beispielsweise ein juristisches Plädoyer oder eine Argumentation, wie man sie aus Schulaufsätzen kennt (›Computerspiele – Fluch oder Segen?‹). Wir wissen jedoch nicht, welchen Erkenntnisgewinn sich Kapitzky von der Anwendung dieser Methode auf das Feld der politischen Semantik und Rhetorik – und da gehört die Rede von der Korrektheit hin – versprochen hat. Schauen wir uns das Verfahren an einem von Kapitzky erarbeiteten Beispiel an: Behrens und von Rimscha, die in ihrer Streitschrift die ›Political Correctness‹ als »Gefahr für die Demokratie« bezeichnen und das mit fragwürdigen oder zumindest gewagt interpretierten Berichten über die USA argumentieren, stellen im Verlauf des Buches die These auf, daß, sogar bevor der Begriff ›Political Correctness‹ in den USA sich etabliert hatte, es in Deutschland bereits ein »Pendant« gegeben habe, nämlich eben die »Historische Korrektheit (Behrens/von Rimscha 1995: 21ff)«, derzufolge bestimmte Themen bzw. Sichtweisen »Tabu-Themen« sind.140 Dieser historisch bedingten deutschen Spielart der ›Political Correctness‹ ist es ih-
139 Zit. nach Kapitzky (2000: 66). Die Formel stammt aus Gerold Ungeheuer: Gesprächsanalyse an literarischen Texten. In: ders: Kommunikations– theoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen. Hg. von J.G. Juchem, Aachen: Alano Rader 1987, 184-222. 140 Sinngemäß: »Während in Amerika die Frage, ob Neger dümmer oder Frauen unterwürfiger sind, das absolute Tabu berührt, ist es in Deutschland die Frage, ob Juden reicher oder Bolschewiken böser als Nazis sind« (ebd. 21). Wörtlich: »Tabu-Thema im Sinne der politischen Korrektheit ist auch die Geopolitik, also die Lehre vom Einfluß des geographischen Raumes auf die Politik eines Staates« (ebd. 159).
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rer Auffassung nach geschuldet, daß es überhaupt zum sogenannten Historikerstreit um die Interpretation des Dritten Reichs kommen konnte, in dessen hier begrifflich neuarrangierter Wiederaufbereitung sie sich auf die Seite von Nolte, Hillgruber etc. stellen und gegen die »Linkshistoriker« (ebd. 25) oder auch die »68er«. Schließlich, so führen die Autoren aus, »wollten [die 68er] nicht akzeptieren, daß Interpretation, Revision und Neuinterpretation ein normaler Vorgang in der Geschichtswissenschaft ist«. Die Folge seien »Unterstellungen und Angriffe« gegen Nolte und schließlich »eine Offensive linker Historiker und Soziologen (Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka, Eberhard Jäckel) gegen die von ihnen als ›Viererbande‹ diffamierten Historiker Nolte, Andreas Hillgruber, Klaus Hillebrand und Michael Stürmer« (alle ebd. 24) gewesen. Mit Hilfe des bei Ungeheuer entliehenen Instrumentariums kann Kapitzky anhand des Beispiels ›Historikerstreit‹ nun schlüssig nachweisen, daß ihre Diagnose bezüglich des Gefahrenpotentials der Political Correctness für die deutsche Demokratie über den Charakter einer bloßen Behauptung nicht hinausgeht. Sie verwendeten, so hat er es aus ihrem Text herausdestilliert, zwei ineinander verschränkte Argumentationen: In Bezug auf Politische Korrektheit in der Bundesrepublik läßt sich ihre Argumentation wie folgt darstellen: Exposition (PK): PC bedroht in den USA die Grundrechte, insbesondere die Rede- und Meinungsfreiheit. Konklusion (PK): Auch in der Bundesrepublik sind Rede- und Meinungsfreiheit durch PC bedroht. Rechtfertigung (PK): Die Situation in der Bundesrepublik entspricht in wesentlichen Punkten der Situation in den USA. Im Fall des »Historikerstreits« argumentieren sie: Exposition (HS): Die Positionen, die Habermas und andere vertreten, sind Ausdruck von »PC-Denken«. Konklusion (HS):Die Positionen der »Linkshistoriker« sind unhaltbar und müssen zurückgewiesen, die Positionen der sogenannten »Revisionisten« als von PC bedrohte in Schutz genommen werden. Rechtfertigung (HS): In der Bundesrepublik sind Rede- und Meinungsfreiheit durch PC bedroht (Kapitzky 2000: 70).
Kapitzky setzt nach dieser schematischen Darstellung zur Kritik an. Er bezweifelt die erste Rechtfertigung, weil seiner Auffassung nach die Situation in den USA und Deutschland zu unterschiedlich sei, als daß man eine Gleichsetzung in dieser Form anstellen könne, und weil nach seinem Dafürhalten nicht einmal die Situation in den USA akkurat beschrieben sei. Somit sei die Konklusion nicht haltbar. Damit aber falle natürlich auch die zweite Argumentation flach, die nun mit einer fragwürdigen Konklusion aus der ersten geschlagen ist, und die daher als Rechtferti-
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VIER TABLEAUS
gung für die zweite natürlich auch nichts tauge. Das Analyseproblem ist technisch durchaus brillant gelöst, aber wir fragen uns, wo der Erkenntnisgewinn und Nutzen dieses Ergebnisses bleibt. Im weiteren Verlauf seiner Kritik bilanziert er: Es bleibt festzuhalten, daß Behrens und von Rimscha den konkreten Fall des »Historikerstreits« nicht als Beispiel nutzen, an dem sich zeigen ließe, worin die konkrete Gefahr Politischer Korrektheit besteht, sondern daß sie stattdessen inhaltlich Partei für die revisionistische Position Noltes ergreifen und diese Parteinahme mit der unterstellten Gefahr Politischer Korrektheit begründen (Kapitzky 2000: 72).
Kapitzky zeigt, daß sich das so zusammengefaßte Argumentationsschema auch bei der Diskussion der Rede von Philipp Jenninger, der laut Behrens und von Rimscha »das erste reale Opfer der historisch Korrekten« (1995: 27) ist, und bei den Argumentationen der ›Neuen Rechten‹ nachweisen läßt. Diese handwerklich ebenfalls blitzsauberen Darstellungen werden wir nicht mehr weiter referieren. Es zeichnet sich nämlich immer deutlicher ab, daß hier für unsere Fragen nach der Funktionsweise und der Attraktivität dieser Redeweise kein Weiterkommen ist. Wenn wir uns Kapitzkys Zwischenbilanz anschauen, also die Zusammenfassung seiner Ergebnisse, bevor er im zweiten, soweit wir es beurteilen können, systematisch untadeligen Teil seiner Arbeit die Tradition der Sprachkritik (Sternberger, Klemperer) mit dem vergleicht, was er die bundesdeutsche PC-Debatte nennt (ebd. ab Seite 107), so ist festzustellen, daß selbst mit seinen ausgefuchsten Methoden der Kommunikationsanalyse der Rede von der Korrektheit nicht beizukommen ist. Woran mag das liegen? Zum Teil sicherlich am ungeeigneten Instrumentarium. Kapitzky erinnert an den Mann in dem Witz, der die Schlüssel nicht dort sucht, wo er sie verloren hat, sondern dort, wo eine Laterne ist, weil er nur da Licht hat. Das soll heißen: Kapitzky arbeitet nicht vom vorgefundenen Problem, sondern von seinen wissenschaftlichen Voraussetzungen her. Die Quellen werden demzufolge so lange kollationiert, bis sie schließlich zu den vorhandenen Hilfsmitteln passen. Unterm Strich hat man dann ein glattes Ergebnis. Die Herausgeber seiner Arbeit sprechen dann im Vorwort, vermutlich ohne jede Ironie, von »überzeugenden Analysen geschickt ausgewählter Fallbeispiele aus der Political Correctness-Debatte« (Eschbach/Schmitz in Kapitzky 2000: 8). Das kann man wohl sagen. Kapitzky scheitert an seinem für die Analyse der Legende völlig ungeeigneten Verständnis für die Bedingungen medienöffentlicher Kommunikation, die eben nicht auf die Einhaltung wissenschaftlicher Tugenden hin abgestellt ist. Und wenn er an Hunderten solcher Texte, die nach den von ihm akzeptierten Spielregeln nicht für einen Groschen Überzeu173
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gungskraft haben, die Fragwürdigkeit der Methoden dieser Autoren vorführt, wenn er also beweisen kann, daß das ja alles gar keine richtigen, überzeugenden Argumentationen sind – was ist damit, und sei es nur auf der Ebene der Beschreibung, gewonnen? Was nutzt es für die Beschreibung eines Basketballspiels, wenn man feststellt, daß die Regeln des Weltschachverbands nicht eingehalten worden sind? Die Argumentationen, die Kapitzky seziert hat, funktionieren doch auf ihre Weise ganz fabelhaft. Manche stoßen auf viel positive Resonanz: Behrens und von Rimscha hatten zwei Auflagen in einem Jahr, wurden begeistert in der FAZ rezensiert141 und erhielten kommunikationsprägenden Belegstatus für den, der es braucht: der Begriff von der Historischen Korrektheit beispielsweise hat sich in rechten Kreisen etabliert,142 und Behrens und von Rimscha gelten bei beispielsweise bei Zöllner als ernstzunehmende Quelle für einen Bericht über die USA und auch für die deutschen Verhältnisse (Zöllner 1997: 285ff) – nun gut, das ist vielleicht nicht gerade eine Empfehlung, aber immerhin. Mehr kann man als Autor nicht verlangen. Kapitzkys hehres Verständnis von dem, was und wie eine ›Argumentation‹ sein soll, in allen Ehren, aber bei diesem Thema scheint uns eher ein Feldscher des Diskurses als ein Neurochirurg der Kommunikationsanalyse gefragt, wie Kapitzky unleugbar einer ist. Was ist denn von einer Analyse zu halten, die in wissenschaftlicher Akkuratesse und Akribie den »PC-Kritikern« am Ende folgendes nachweisen kann: Genauer [als der Begriff, MFE] hingegen konnte die Funktion bestimmt werden, die der Bezeichnung »Political Correctness« in vielen der Texte zu-
141 Wir verweisen hier vor allem auf die emphatische Rezension von Fuhr in der FAZ (»Die Hoffnung besteht, daß PC an solchen Haltungen bricht«), womit dann bei der zweiten Auflage auch auf dem Klappentext geworben wurde (Fuhr 1995). Noch lieber aber verweisen wir auf die unbezahlbare Replik von Diederichsen auf diese Rezension in der Spex: »Demokratie gefährden? Oh ja, bitte, bitte« (Diederichsen 1995: 54; 55). Wir werden den Bezug zu Fuhr weiter unten noch erläutern, wenn wir uns Diederichsen ausführlich zuwenden (Diederichsen 1995: 54; 55). 142 Wir wissen zwar nicht, ob die beiden ihn erfunden haben, aber wir haben keinen älteren Beleg gefunden. Ein typischer Beleg für die Kurrenz des Begriffs, putzigerweise in einer einen amerikanischen Ursprung vorgaukelnden ›amerikanischen‹ Fassung, fand man in einer Rezension von Albrecht Jebens im Criticòn, auf einer Seite zur Buchmesse 1999. Unter der Überschrift Wissenschaftlichkeit wider die »Historical Correctness« wurde ein Buch von Franz Seidler über Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht 1939-1945 (Schnellbach: Bublies 1999) euphorisch rezensiert. Im Text und in einer Zwischenüberschrift war dann von »historical-correctness-Medienkohorten« die Rede, angesichts derer der »Wissenschaftler von Rang« es schwer habe, die »Wahrheit zu vertreten« (Criticòn 163/1999: 63).
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VIER TABLEAUS kommt. So konnte in den vorstehenden Abschnitten in einigen exemplarischen Studien gezeigt werden, daß die Ziele der deutschen PC-Kritiker v.a. politischer Natur sind (Kapitzky 2000: 105).
Damit ist er glücklich wieder bei seiner Hypothese von Seite 62 angelangt. Es ist aber nicht nur die Kombination des selbstbewußten Komparativs von »genau« mit der analytischen Leerstelle »Ziele politischer Natur«, die uns einigermaßen ratlos zurückläßt und mit der die Funktion eben auch nicht bestimmt werden kann. Kapitzky steht noch vor weiteren Rätseln, und er stellt auch uns davor: Eben dies ist die entscheidende Schwachstelle der Argumentationen der PCKritiker: In den meisten Fällen wurden die inhaltlich vertretenen Positionen lediglich durch den Vorwurf, die Gegenposition sei politisch korrekt, gestützt. D. h. weder die Behauptung, Political Correctness sei eine Gefährdung der Meinungsfreiheit, noch die eigentlichen Positionen der PC-Kritiker wurden darüber hinaus inhaltlich begründet. Tritt man also als Leser mit der Erwartung an die PC-kritischen Texte heran, daß politische Positionen einer in der Sache verankerten Begründung bedürfen, so wird diese Erwartung regelmäßig enttäuscht (ebd. 106).
Das Ergebnis seiner Untersuchung konnte bei dem Design doch gar nicht anders ausfallen! In dem Moment, in dem man die gesellschaftlich weithin gestreute Legende nur für ein bestimmtes, auf das Feld der deutschen Geschichte und Politik eingegrenztes Gebiet untersucht, übersieht man eines zwangsläufig: die Relevanz nämlich der Redeweisen und Verweishorizonte, die Kapitzky mit leichter Hand als »beliebig« abtut, all die absurden, komischen, abwegigen, spannungsreichen Petitessen, aber eben auch die ernstgemeinten Traktate zum Thema race/class/gender, zu den ›Ökos‹ und den Behinderten, die Berichte aus den immer irgendwie suspekten USA, die von Sprachidolatrie und Kulturfaszination nur so bersten, und was der dergleichen Versatzstücke mehr sind. Genau diese Diskurssplitter und Elemente aber bilden in immer unterschiedlicher Rekombination ganz entscheidende Teile des Resonanzbodens, auf den die Begriffsverwender auch und gerade in den von Kapitzky vorgestellten Kontexten vertrauen können. Plausibilität und Durchschlagskraft einer Redeweise in der öffentlichen Kommunikation entstehen doch nicht aus der »Figur R/m (C,E)«. Mit einer Argumentationsweise à la Ungeheuer ist in der öffentlichen politischen Debatte, vor allem bei so heiklen wie attraktiven Themen, nicht zu rechnen. Und mit einer wiederum an Ungeheuer geschulten Kritik an solchen Texten, die dessen idealem Argumentationsschema nicht entsprechen noch das überhaupt erst versuchen, ist kein Blumentopf zu gewinnen. Gerade die mangelnde Eindeutigkeit und die Widersprüchlichkeit, die Kapitzky als eine »Brüchigkeit der theoretischen Basis ganzer Argu-
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mentationsgebäude« (ebd. 170) bei den »PC-Kritikern« diagnostiziert, ist in der rhetorischen Praxis der Grund ihrer Stärke und Flexibilität, und nicht etwa eine »entscheidende Schwachstelle ihrer Argumentation«. Im Wechselspiel zwischen Ridikülisierung und Dramatisierung entfaltet sich die rhetorische Stärke der Rede von der Korrektheit. Um dieses Wechselspiel zu aktivieren, kann man durchaus im selben Atemzug auf die Illegitimität eines Tuns sowie auf seine Gefahr und/oder Folgenlosigkeit verweisen, ohne daß man Gefahr liefe, der berechtigte Vorwurf der Widersprüchlichkeit würde der Argumentation schaden. Hier wird eben nicht in Syntheseabsicht Rede und Gegenrede praktiziert, sondern es wird für die ›Galerie‹ argumentiert. Anders gesagt: es werden für eine teilnehmende Öffentlichkeit, die sich die Zeit im diskursiven Themenpark vertreibt, Konflikt- und Identifikationsfelder bereitgestellt, zur aktiven Teilnahme oder auch nur zum Zuschauen. Was aber wird denn da so geboten?
Viertes Tableau: Die Konfiguration eines deutschen Themenparks Nehmen wir in Augenschein, was die Quellenlage hergibt, dann kann man wie gezeigt mit aller Vorsicht den Jahreswechsel 1990/1991 als den Beginn der großangelegten amerikanischen Berichterstattung über ›Political Correctness‹ ansetzen. Es hat weniger als ein Jahr gedauert, bis die Debatte auch hierzulande eine größere Öffentlichkeit erreichte, wobei allein der Begriff ›größere Öffentlichkeit‹ schon ein Problem darstellt.143 Es scheint, als habe wiederum nur ein wenig später eine Applikation des Begriffs auch auf deutsche Verhältnisse eingesetzt, die dann recht zügig eine Rückprojektion des Begriffs auf deutsche Ereignisse vor 1990 wie zum Beispiel den Historikerstreit oder die Jenninger-Rede mit sich brachte. Kapitzkys Einschätzung, es sei in Deutschland bei »einer Feuilleton-Debatte« geblieben (Kapitzky 2000: 47), gilt in erster Linie für größere Artikel. Das Einspeisen der Legende in die Diskurse geht allerdings über die Grenzen des Feuilletons rasch hinaus. Eine exakte Chronologie der Verbreitung dieser Legende wird wohl kaum noch möglich
143 Wir vermuten, daß man allerspätestens mit dem Artikel von Christina Brinck in der SZ (November 1991) von einer größeren Öffentlichkeit reden kann. Es gibt aber Belege, daß in anpolitisierten Teilöffentlichkeiten der Begriff bereits kursierte. Insofern ist es nicht zutreffend, wenn Kapitzky das Einsetzen der Diskussionen in Deutschland auf das Jahr 1992 datiert (Kapitzky 2000: 57).
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VIER TABLEAUS
sein, zumal die schriftlichen Zeugnisse, die aus Pressearchiven heraus durch Volltextsuche noch erschlossen werden könnten, nur einen Teil des Diskurses ausgemacht haben dürften. Darüber hinaus läßt das journalistische Abschreiben nur selten Rückschlüsse auf eine exakte Begriffsgeschichte zu. Und schließlich sind die mündlichen bzw. nicht gedruckten Interaktionen zwischen Personen, die ebenfalls potentielle Leser und Schreiber sind, das heißt also Modi und Personal des ›Sichherumsprechens‹ dieser Angelegenheit, schlechterdings nicht mehr zu erfassen. Man kann aber annehmen, daß auch sie die vielgestaltige Produktionsseite stark beeinflußt haben dürften. Im schroffen Gegensatz zum ursprünglichen Diskurs der Korrektheit, der sich, wo genau und wie auch immer, eben in den USA entwickelt hat, ist der deutsche Diskurs mit Sicherheit derivativ, und es fiele uns sehr schwer, von der eigenständigen Entwicklung einer Redeweise zu reden. Allenfalls kann man von Import und Modifikation reden, wie wir es bisher getan haben. Eine Menge Gebrauchsanweisungen und Blaupausen für den mit diesem Begriff inszenierten Konflikt waren im Import bereits enthalten. Aus der Tatsache des Imports ergibt sich eine zusätzliche Doppelbödigkeit, die dem amerikanischen Diskurs bei all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit fehlt. Wie zweifelhaft und unverständlich, dumm und albern all das sein mag, was hierzulande über die ›Political Correctness‹ behauptet worden ist und wird, die deutschen Diskursteilnehmer haben die durch die deutsche Presse und Wissenschaft zertifizierte ›Gewißheit‹, daß es ›irgend so etwas‹ in den USA ›tatsächlich‹ gibt – ›da kommt das Wort nämlich her‹, und ›da sind Sachen passiert, Donnerwetter‹ – »hey hey, ho ho« ad libitum. Daraus ergibt sich die persistierende Koexistenz der deutschen und amerikanischen Varianten der Rede von der Korrektheit – eine konsequente Ablösung der amerikanischen Varianten durch die deutschen hat nicht stattgefunden, und gerne wird bis heute die anekdotische und sprachliche Rückbindung an die USA praktiziert.144 Die Glaubwürdigkeit der spezifisch deutschen Varianten und der eigenen Narrationen, wie
144 Unter der Überschrift Sex sells hieß es am 01.07.2002 in der FAZ (Autor: hut.) gleich am Anfang des Artikels: »Politische Korrektheit ist eine amerikanische Erfindung. Engländer mögen prüde sein, stiff upper lip, erzkonservativ, aber nicht politisch korrekt«. Es ging dann um den Wortschatz des Oxford English Dictionary, Details sind hier nicht von Bedeutung. Der Artikel endet mit einer Aufforderung an eine englische Schriftstellerin, »das Lob der politischen Unkorrektheit zu singen.« Eine terminologische Rückbindung ist darin zu sehen, die (mit ziemlicher Sicherheit deutsche) Prägung »Historische Korrektheit« kennerisch als »historical Correctness« zu verwenden, vor allem dann, wenn es um deutsche Geschichte geht.
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zum Beispiel die von der »historischen Korrektheit«, erblüht im Sonnenschein der amerikanischen ›Realität‹. Wir werden im vierten Kapitel systematisch beschreiben, welche Folgen für die Legitimation und Plausibilität der Legende dieser Umstand hat. Um jedoch jetzt bereits einen Vorgeschmack darauf zu geben, sei auf Dieter E. Zimmer verwiesen, der ebenfalls von einem Import redet, und zwar nicht nur einer Redeweise, sondern sogar einer »Denkweise«: Insgesamt ahmt Deutsch die sprachlichen Renovierungen des politisch korrekten amerikanischen Englisch getreulich nach. Es handelt sich auch nicht bloß um den Import einiger Wörter. Importiert wurde die Denkweise, die jene Wörter hervorgebracht hat und hier nun neue des gleichen Schlags hervorbringt (Zimmer 1997: 149).
Das mag auf den ersten Blick den Interpretationen widersprechen, die Autoren wie Behrens und von Rimscha vorgenommen haben, denen zufolge es die deutsche »historische Korrektheit« schon gegeben habe, als die Rede von der ›Political Correctness‹ hier noch gar nicht bekannt war.145 Zimmer versieht seine Interpretation noch mit einem Blickwinkel, der das Bild wiederum auf den Kopf stellt. Er führt zunächst aus, daß die »die deutsche Sprache [...] bei der Übernahme nicht mit dem gleichen sophistischen Puritanismus vorgeht wie die amerikanische [...].«(ebd. 149). Nachdem das noch als knapper Vorteil verbucht ist, kommt Zimmer mit einer weiteren Volte: Dennoch wurden viel Benennungen politisch korrekt umfrisiert. Deutsch gibt sich dafür um so williger her, als die beschönigende Umschreibung – der Euphemismus – hierzulande eine lange Tradition hat. Man denke nur an das
145 Andererseits, wenn man Zimmer genauer liest, ist ja nicht gesagt, daß die Denkweise nicht bereits vor der Redeweise »importiert« worden ist. Mit dieser Sicht der Dinge stünde er auch nicht alleine: nicht wenigen scheint die Korrektheit als Spätfolge der Entnazifizierung und Reeducation zu gelten. Zum Kampf gegen Political Correctness und Wehrmachtsausstellung aus soldatischer Sicht vergleiche die Aufsatzsammlung des pensionierten Generalmajors der Bundeswehr Jürgen Schreiber unter dem abenteuerlichen Titel Wider den geistigen Terror linker Gesinnungspäpste. Aufsätze und Vorträge gegen heuchlerische Vergangenheitsbewältigung und das Diktat der »politischen Korrektheit« (Schreiber 1998). Sie enthält auch ältere Aufsätze, in denen die Argumentation noch ohne die Rede von der Korrektheit auskommen muß. Bemerkenswerterweise schlägt sich diese Sichtweise auch in der Darstellung von Koonz 1987 [1986] nieder. Wie erwähnt interpretierte sie Emmy Görings Spott über diejenigen, die nach dem Krieg ihren »Renommierjuden« vorzeigten, als Reaktion Görings auf eine Nachkriegsumwelt, die Göring für – wiederum mit den Worten Koonz’ – ›politisch korrekt‹ hielt (Koonz 1987: xxx).
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VIER TABLEAUS Wort der Nazis für den staatlich-industriellen Massenmord, Endlösung. In diesem Verschönerungsstreben sind sich alle politischen Lager einig (ebd 149f).
Diese sprachkritische Springprozession zeigt den Wunsch Zimmers, die verschiedenen Redeweisen und Denkweisen, die er als ›Politische Korrektheit‹ bezeichnet, in doppelter, ja dreifacher Weise zu desavouieren, nämlich erstens als eine (einheitliche), zweitens nachgeahmte, amerikanisierte Rede- und Denkweise in drittens nationalsozialistischer Euphemismus-Tradition. Damit ist seine Argumentation für jeden Interessierten offen. Das ist dann wohl das, was man ›Mehrfachadressierung‹ nennen könnte, und darin liegt ebenfalls eine ganz besondere Stärke der Rede von der Korrektheit, die sich im deutschen Diskurs erst entwickelt hat. In diesem Abschnitt wollen wir im Anschluß an Frank und Kapitzky, aber über beide hinausgehend, einige der deutschen Spezifika des Diskurses vorstellen, die sich zum ursprünglichen Paket der diskursiven Möglichkeiten in einem Ergänzungsverhältnis befinden. Der Begriff ›Konfiguration‹ ist dabei sowohl als das Resultat als auch als der Vorgang selbst zu verstehen.146 Weder streben wir eine vollständige Darstellung aller in Deutschland vertretenen Varianten an, noch wollen wir unterstellen, daß es sich bei unseren Beispielen jeweils um Erstbelege handelt. Die Funktionsweise, nicht die Summe aller Belege, macht die Erfolgsgeschichte der Redeweise aus. Im folgenden werden wir zeigen, wie Mut, Nutzen und Ästhetik gegen Verbot, Bedrohung und Lächerlichkeit immer aufs Neue inszeniert werden, und keineswegs nur von Rechtskonservativen. Wieder werden wir so verfahren, daß wir uns an zahlreichen einschlägigen Texten entlanghangeln. Eine thematische Gruppierung à la race/class/gender/Drittes Reich würde eine Landschaftsarchitektur vorgaukeln, die dieser Themenpark so nicht hat. Weder beschränkt sich die Rede von der Korrektheit auf eine solche Themenreihe, noch ist die Position des Musters darin immer dieselbe und daher vorhersehbar. Es kann jedoch gezeigt werden, daß in unterschiedlicher Distanz zu den amerikanischen Beispielen und Verhältnissen sich quasi ein deutsches Themenrepertoire entwickelt hat, über das manch ein amerikanischer Kenner der Debatte, gleich welcher politischer Couleur, vermutlich sehr ins Staunen geriete. Nehmen wir zu Beginn nur ein paar (und keineswegs alle) Beispiele aus der Taz des Jahres 1992, auch um die Einschätzung von Frank über
146 Ein Teil der folgenden Ausführungen enthält Beispiele, die ich bereits in meiner Staatsarbeit (Erdl 1997) analysiert habe, wie z. B. den Text von Papcke (1996) oder die Anzeige der JF (1996). Zu dem Zeitpunkt vermutete ich noch einen ›rechten‹ Themenpark. Das war allerdings arg schlicht gestrickt.
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Zimmers Rolle beim Import und Zimmers Selbsteinschätzung zu relativieren. Im Mai 1992 kann man einen Artikel über den frischgekürten Büchnerpreisträger George Tabori lesen, dessen Antworten auf die Frage, ob er ein Stück für eine Aufführung in Israel gedenke umzuschreiben, so wiedergegeben und zitiert werden: In Amerika gebe es die sogenannte »p.c.«-Bewegung, hält [Tabori], der sich noch immer im Angloamerikanischen zuhause fühlt, schließlich dagegen. P.c. steht für »politically correct«, eine propagierte Form der (Selbst-)Kontrolle, die jede Form des Sexismus, Rassismus usw. in Schrift und Bild verpönt. »Das hat mit Literatur und Kunst nichts zu tun«, empört sich Tabori, »da muß man inkorrekt sein. Sonst schreibt man für die Zensur.«147
Dabei geht es gar nicht um Amerika, sondern um Taboris Stück »Die Goldberg Variationen«, das hierzulande mit Erfolg aufgeführt worden ist, wie man dem Artikel entnehmen kann. Anläßlich einer Rezension eines Romans von Martin Amis hat einige Wochen zuvor bereits Walter Klier die LeserInnen der Taz über den Zustand der Weltliteratur im Zeichen der Postmoderne und der Political Correctness wissen lassen: Das einzige Moment, das alle Autoren, die üblicherweise der »Postmoderne« zugezählt werden, eint: sie sind politically correct, und das äußerst korrekt. [...] ob Süskind oder Eco, ob Ransmayr oder Calvino oder Garcia Marquez – sehr präzise enthalten sich diese Autoren nicht nur aller Äußerungen, die in die Nähe des Frauen-, Behinderten-, Farbigen- oder sonst Irgendwiefeindlichen geraten könnten: auch ihre zentralen, also Identifikationsfiguren sind in keiner irgendwie denkbaren Weise anrüchig. Diese klugen Schriftsteller wissen genau, daß die Rede ihrer Figuren als ihre Rede gelesen wird, und was wird dann aus dem, der bei [sic] sich bei non-pc-Verhalten ertappen läßt? Den stoßen wir in der [sic] Orkus des Ignoriertwerdens zurück [...] Lediglich unseren lateinamerikanischen Freunden, aufgrund ihrer naturgegebenen Feurigkeit und unserer ewigen Infatuation mit dem auch sonst geplagten Subkontinent, wird jede Ration an Sexismus nachgesehen, die wir Europäer zwar zu brauchen scheinen, einem der unseren [!!] aber niemals durchgehen ließen.148
Wie anders hingegen, so geht der Text dann weiter, der lobenswerte Martin Amis (»nicht postmodern, aber geschmacklos, eloquent und poetisch«). Hier wäre angesichts der sich furios Bahn brechenden europäischen Sexualnot am Ende des Zitats vielleicht wirklich mal ein Psychologe gefragt. Mit den beschränkten Mitteln der Diskursanalyse können wir hier nur festhalten, daß eine virtuelle große Übermacht angeblich politisch korrekter Autoren und Leser in Stellung gebracht wird, von denen
147 Sabine Seifert: Gescheites Scheitern. George Tabori bekommt den Büchnerpreis. Taz v. 26.05.1992, 17. 148 Walter Klier: Martin Amis: nicht postmodern. Taz v. 07.05.1992, 23.
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sich der gelobte Amis als Autor und natürlich der kennerhafte Walter Klier als Leser nur umso strahlender abheben. Der Verweis auf »uns Europäer« und auf, abgesehen von Garcia Marquez, nur europäische Autoren, rückt die Bedrohungen durch die ›Political Correctness‹ näher ran, als man es nach Tabori hätte vermuten mögen. Im August ist Uta Ruges bereits zitierter Artikel über »Hate-Speech« in den USA und in Deutschland zu lesen, aus dem man erfährt, daß es »hierzulande« auch »politische Korrektheit« gibt (Ruge 1992). Im Oktober dann beklagt sich ein Kommentator/eine Kommentatorin der TazBremen namens »step«, daß ihm/ihr eine deutsche Ausstellung gegen Fremdenfeindlichkeit nicht gefallen habe. Zum einen grundsätzlich nicht, und zum anderen, weil zu diesen Ausstellungen nur die Leute kommen, die das Ganze ohnehin abnicken werden. »Dicht an dicht« hängen »gut gemachte« Plakate, »eine Galerie des guten Willens, ausgewogen, politically correct allesamt«.149 Im Dezember des Jahres erfährt man etwas mehr und anderes. Eine Kulturveranstaltung namens »Spielhölle« hat in Frankfurt ein Festival über »Ästhetik und Gewalt« organisiert, mit dabei u.a. Diedrich Diederichsen und Dietmar Dath. Die Bilanz des Events faßt der Autor Martin Pesch so zusammen: Am Ende konnte man immerhin die Gewißheit mitnehmen, daß der linke Idealismus, demzufolge der politisch korrekte Künstler allein schon durch seine Correctness die Absolution für sein Produkt (Platte, Film oder Symbol) einheimst, dahin ist.150
Kaum ist das erledigt und die »Correctness« bereits 1993 offenbar perdu – und man beachte die frühe deutsch/amerikanische Variantenkombination –, da erledigt kurz vor Weihnachten der Taz-Autor Thomas Groß die im Winter 1992 organisierten Lichterketten gegen den zunehmend offenen Rassismus in Deutschland, die er in erster Linie für eine Inszenierung für das Fernsehen hält. Da mag er in vielen Fällen recht haben, und dennoch wird der Journalist hier Opfer dessen, was er vermeint aufzuklären. Auch er geht im Moment seiner Kritik noch der Medieninszenierung auf den Leim, weil ihm eben diese Kritik ermöglicht, sich mit Hilfe der Rede von der Korrektheit als der bessere, klügere, kritischere Antifaschist in der Taz zu inszenieren. Er unterstellt samt und sonders allen Beteiligten, daß es ihnen in erster Linie darum gegangen sei, ein besseres
149 step: »Fremde brauchen Freunde. Wir auch. Plakate gegen Fremdenfeindlichkeit«. Taz-Bremen v. 21.10.1992, 20. 150 Martin Pesch: Das Unbehagen in der Subkultur. Taz v. 04.02.1992, 16 (herv. von MFE).
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Deutschland zu demonstrieren, und »so verständlich und correct dieser Wunsch zunächst auch scheinen mag«, es gehe den Beteiligten gar nicht so sehr um die Ausländer selbst als vielmehr um das »bessere Volk«, als das man gesehen werden möchte, und außerdem drücke sich auch eine »Sehnsucht nach Autorität« darin aus, daß man von der Welt »Absolution« (vgl. auch den Artikel von Pesch) wolle. Gönnerhaft macht Groß Zugeständnisse, um am Ende doch zu mahnen: [...] Wenn der Lichterzauber schüchternen Protestlern zum Coming-Out verholfen hat, ist das mehr als nichts. Bloß: Ein Kerzlein macht noch keineN AntifaschistIN, und eine Ästhetisierung des guten Willens noch keine Ästhetik des Widerstands.151
Wiederum flackert hier die bereits oft in dieser Arbeit beschriebene ›Wesentlichkeitsrhetorik‹ auf. Und der in dieser Perfomanz enthaltene Glaube daran, daß ein Taz-Artikel von Thomas Groß die »Ästhetik des Widerstands« bringen oder auch nur erkennen wird, will sich bei uns auch so recht nicht einstellen. Denn wer umstandslos all denjenigen, die meinen, in Lichterketten eine ihnen gemäße politische Ausdrucksform gefunden zu haben, vorwirft, ihnen ginge es nur darum, »sich selbst Spitzennoten für gutes Betragen auszustellen«, wie der langjährige Taz-Autor Wiglaf Droste über Giovanni di Lorenzo sagte, und wer dahinter die Inszenierung eines nicht selten schmierlappigen »kritischen Patriotismus«, »die Politur des Deutschland-Bildes fürs Ausland« wittert, hat vermutlich nur allzuoft recht. Aber auch Autoren wie Droste, aus dessen Aufsatz Der Letzte macht die Lichterkette aus. Abschließende Einlassung zu einer lästigen Angelegenheit (1993: 47-52) diese letzten Redewendungen stammen, geraten in den langfristig ermüdenden Regreß, sich in dieser Art der Kritik als noch viel kritischer als die Lichterketten-Fans zu stilisieren, ebenfalls resonanzorientiert und öffentlich und wer weiß wie motiviert. Und wer das affirmativ liest, was Droste schreibt, fühlt sich dann gleich noch ein bißchen kritischer. Wenn sich der eine Moral aus der Lichterkette zieht, zieht sich der andere ein kritisches Bewußtsein aus der Droste-Lektüre. Trostlos ist beides, denn der unausweichliche Regreß solcher scheinbarer Meta-Kommunikationen ist immer ein unerfreulicher Anblick. Droste hat gewiß gute Gründe, und das ist nicht ironisch gemeint, gegen Faschismus und Rassismus zu schreiben und zu wettern. Ob diese guten Gründe per se besser oder höherwertige sind, als die von irgendeinem X-Beliebigen, der in einer Friedensdemo sich die Beine in den
151 Thomas Groß: Der Antifaschismus mit der Kerze. Taz v. 16.12.1992, 13.
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Bauch steht, müßte im Einzelfall geklärt werden. Die bloße Anwesenheit der offenbar unvermeidlichen politischen und kulturellen Adabeis wie Wolfgang Niedecken oder Peter Maffay, der diesbezüglich immerhin 1984 bereits von Rutschky ausführlich lächerlich gemacht wurde, entwertet eben noch nicht die Motive der Demonstrierenden.152 Doch immerhin: wer glaubt, die Legende von der Korrektheit habe für die Linke und für sich als kritisch verstehende Journalisten keinen Distinktionsgewinn gebracht und nur die Rechten profitieren lassen, dem muß man die präzisere Lektüre solcher Dokumente empfehlen.153 Auch das letzte Beispiel aus der Taz des Jahres 1992 funktioniert nach eben diesem Schema. Christel Dormagen hat ein Buch von HansJürgen Heinrichs über »In- und Ausländer« nicht gefallen. Sie hat es unter dem Titel Alles gut und schön einer Kritik unterzogen, des Inhalts, daß das Buch durchzogen ist von »Richtig-Denken-Wollen«, daß es »etwas rührend Ehrliches hat«, daß es außerdem schlecht geschrieben ist und überhaupt nicht so richtig gut. Dazu braucht sie viele Worte, von denen wir nur zwei Sätze in voller Länge wiedergeben wollen. Nach einer Zitatmontage, die Dormagens Urteil übrigens durchaus bestätigt, heißt es:
152 Rutschky erzählt vergnügt von einer von Musik begleiteten Friedensdemonstration, bei der schließlich die Parole »Lieber Raketen als Maffay« die Runde machte (Merkur 38 [1984], 28-38). Wir verweisen auf den Buchabdruck des Aufsatzes aus demselben Jahr (Rutschky 1984: 187). Rutschky interpretierte das seinerzeit als »den Gestus von Henscheid« (ebd.). Übrigens verstehen wir durchaus, wie man auf diesen kruden Gedanken der Demonstranten kommen kann. Aber wie man sieht, war das Bashing solcher Prominenter in den Neunzigern bereits ein alter Hut. 153 Der besessene Kampf linker ›PC-Kritiker‹ gegen die Lichterketten ist eines des faszinierendsten Ereignisse des Korrektheitsdiskurses und der angrenzenden Diskurse. Zahlreiche Autoren aus dem linken Umfeld z. B. des Tiamat-Verlages haben sich daran abgearbeitet, am schärfsten vielleicht Eike Geisel mit seinem Aufsatz Triumph des guten Willens. Die Selbstinszenierung der edlen Seelen (ursprünglich in der Taz vom 17.12.1992, also einen Tag nach Groß; abgedruckt im gleichnamigen, von Klaus Bittermann postum veröffentlichten Buch 1998, 81-84). Wir sind der Auffassung, daß Geisels Riefenstahl-Allusion eine Eselei ist, die auch mit seinem angenehm unversöhnlichen Habitus nicht ausreichend erklärt werden kann. Auch Autoren wie Gerhard Henschel und Wiglaf Droste haben sich in Bausch und Bogen über alle an den Lichterketten Beteiligten abfällig geäußert. Das scheint uns doch ein bißchen selbstgefällig und einfältig, bei aller berechtigten Kritik an den »edlen Seelen« und der häufigen politischen Folgenlosigkeit ihres Handelns. Es gilt hier der Maßstab, den wir auch für die Qualität der Satire ins Auge gefaßt haben: es sind zu weiche Ziele.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Da weizsäckert es unfreiwillig, aber heftig. Nun ist das Typische an der präsidentialen Menschlichkeitsrede aber, daß sie nicht nur politically correct ist, sondern auch wohl- und hohltönend.154
Gewiß. Und doch, wenn man allein diese sehr verschiedenen Beispiele der Taz an sich vorbeiziehen läßt, dann wird deutlich, daß bereits 1992, und da fing die deutsche Diskursmaschine erst an warmzulaufen, die Rede von der Korrektheit sichtlich schon sehr automatisiert praktiziert wurde und offenbar wenig Erklärungen benötigte. Die Verwendung der Legende verlieh dem Verwender eine kostenlose kritische Attitüde. Und was konnte man Ende 1992, wenn man nur die Taz gelesen hatte, schon alles wissen? PC kommt aus Amerika, hat was mit Zensur zu tun, ist kunstfeindlich oder zumindest kein Maßstab für Kunst, moralisch manchmal liebenswert, politisch aber nutzlos, in Deutschland gibt es das auch, die Betreffenden wollen Absolution, und es erinnert an Kirchentag und Weizsäcker. Gut hörte sich all das nicht an. Fahren wir mit unserem Besuch des Themenparks fort. Im Herbst 1992 erschien eine Doppelnummer des Merkur unter dem Titel GegenModerne? Über Fundamentalismus, Multikulturalismus und Moralische Korrektheit (Bohrer/Scheel 1992). Die sehr selbstverständlich gewählte Variante der Rede von der Korrektheit, »Moralische Korrektheit«, war zu erwarten. Das im Merkur gepflegte Feindbild ist nämlich nicht die Politik, sondern die Moral. So heißt es in Die Botschaft des MERKUR, einem Selbstbeweihräucherungssammelband, der anläßlich des Fünfzigjährigen Jubiläums dieser Zeitschrift von Kurt Scheel und Karl Heinz Bohrer einige Jahre später herausgegeben wurde, im Vorwort: Mit Karl Heinz Bohrer, der 1984 Herausgeber wurde, fand dann doch ein prinzipieller Wechsel statt – nicht so sehr in der Haltung als dem Gehalt der Zeitschrift. Auf eine Formel gebracht, die wohl auch der Außenwahrnehmung entspricht: Ästhetik statt Moral (Bohrer/Scheel 1997: 9).155
Es ist nicht überraschend, daß angesichts der Dichotomie zwischen Kunst und ›Political Correctness‹, die schnell zur ›Gewißheit‹ wurde, der Merkur das Thema aufgreifen und in seinem Sinne reformulieren würde. Wir verzichten darauf, die einzelnen Aufsätze u.a. von Robert Hughes 1992, Bernd Ostendorf 1992 und anderen in extenso darzustellen.156 Uns
154 Christel Dormagen: Alles gut und schön. In: Taz v. 18.12.1992, 17. 155 Gerade mit Bezug auf Bohrer und dessen ästhetizistische Dünnbrettbohrereien spricht der Siegener Kollege Gerhard Kaiser denn auch von »Blumenhändlern des Bösen« (Kaiser 2001: 183). Besser kann man es diesseits des gesetzlich Erlaubten nicht ausdrücken. 156 Zu Ostendorfs Aufsatz über den Multikulturalismus sei noch erwähnt, daß der Autor nicht von race/class/gender redet, sondern von GREC,
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interessiert das ›Framing‹, das die beiden Herausgeber den durchaus unterschiedlichen Autoren und Texten angedeihen ließen. Sie warnen in ihrem Editorial vor einem Fundamentalismus, den sie als immantenten Bestandteil der Moderne interpretieren und dessen »aggressivste« Bewegung der Faschismus gewesen sei. Hieran schließt sich eine Kritik des Multikulturalismus an. Einzelne Beiträge des Heftes fassen sie zu diesem Behuf so zusammen: So unterschiedlich die Beispiele und Positionen: daß Multikulturalismus als Ideologie einer liberalen, wohlmeinenden Mittelschicht reines Wunschdenken ist, haben nicht nur die amerikanischen Eruptionen gezeigt, sondern auch die pogromartigen deutschen Ausschreitungen, für die der Name Rostock steht (ebd. 745).
Somit wird aus einer angeblichen normativen Kraft des Faktischen eine Kritik an den – in dieser Kritik diffus bleibenden – Wertvorstellungen des Multikulturalismus gemacht. Im selben realitätsgestählten Ton heißt es an anderer Stelle: Fundamentalismus, Multikulturalismus, Moralische Korrektheit: Das Verbindende dieser drei Begriffe ist ein Wunschdenken, das – vielleicht aus den besten Motiven – die Welt, wie sie ist, nicht zur Kenntnis nehmen will und damit die Möglichkeiten, die verblieben sind, nicht nutzt (ebd. 746).
Wieder einmal die kantige Positionierung des ›Wesentlichen‹ gegen das ›Wunschdenken‹ im Zeichen der Rede von der Korrektheit. Für die Leserschaft des Merkur hingegen gibt es warme Worte, um den Blatt-LeserKonsens zu festigen: Das Widerwärtige und Dumme von Ausländerfeindlichkeit muß den Lesern dieser Zeitschrift nicht erklärt werden – nicht unbedingt aufgrund ihrer charakterlichen Makellosigkeit, aber wegen ihres Bildungsniveaus, ihrer sozialen Stellung (ebd.).
Ist es nicht schön, daß das ehrfurchtgebietende »Bildungsniveau« der Klasse, aus der die Merkur-Leserschaft sich rekrutiert, eben dieselbe vor Fehltritten zu schützen vermag? Angesichts des Selbstbildes der beiden Herausgeber, das sie mit dem höflichen Umweg über die Bauchpinselei der Leserschaft formulieren, fehlen sogar uns die passenden Worte, wobei »widerwärtig« und »dumm« vielleicht keine schlechte Wahl sind.
das bedeutet Gender-race-ethnicity-class. Er führt aus: »aber der Begriff Klasse ist gegenüber den anderen dreien zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken« (Ostendorf 1992: 860).
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Emotional gestärkt fahren die »Blumenhändler des Bösen« (Kaiser 2001: 183) fort, sich gegen den Moralismus in Rage zu reden: Die Krankheit, die unsereinem droht, sieht anders aus, sie heißt Moralismus, und dieser ist deswegen so verhängnisvoll, weil er selbstgerecht und glauben macht, das Wiederholen der Devise »pro bono, contra malum« sei politisches Handeln (ebd.).
Wir sind uns sicher, daß diese Bedrohung durch diese Krankheit für »unsereinen«, sofern Bohrer und Scheel dazu gerechnet werden, überschätzt wird. Umgekehrt ließe sich hingegen die Frage stellen, ob die mit Hilfe einer NFS-Allusion explizierte Ablehnung eines »alteuropäischen« Moralismus bzw. der amerikanischen »political correctness« (ebd.) automatisch ein politisch oder auch nur ästhetisch überzeugendes Konzept und Handeln nach sich zieht. 157 Und daß »Selbstgerechtigkeit« sich auch ganz ohne jeden Moralismus erzeugen läßt, haben Bohrer und Scheel ja eben auf das Schönste bewiesen. Aber auch hier geht es nicht um die Schlüssigkeit einer Argumentation, sondern um die Produktion eines affirmativ-kritischen, leserorientierten Sounds. Es war passenderweise auch Bohrer, der im selben Jahr ein »Wörterbuch des Gutmenschen« einklagte, das ihm zwei Jahre später auch geliefert wurde, von Eleven der NFS, die zu einer »Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache« ansetzten.158
157 »Pro bono contra malum« war das ironische Motto der Welt im Spiegel, eine Zeitung innerhalb der Pardon, die lange Jahre von Bernstein, Waechter und Gernhardt gestaltet und verantwortet wurde. 158 So der Untertitel des ersten Wörterbuchs, herausgegeben von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel 1994. Unter anderem Eckhard Henscheid und Wiglaf Droste gehörten zu den Autoren des Bandes, und Droste ersetzte im zweiten Wörterbuch Gerhard Henschel als Mitherausgeber 1995. Bereits im Konkret 3/1992 hatte Gerhard Henschel begeistert auf Bohrers Vorschlag reagiert, den dieser laut Henschel im Januarheft des Merkur gemacht hatte, und mit Hilfe des Gutmenschen-Begriffs Robert Jungk zerlegt (Henschel 1992: 54). Daß Bohrer 1992 der Anreger für die Herausgeber war, die Angelegenheit in Angriff zu nehmen, ist dem Nachwort von Klaus Bittermann im ersten Band zu entnehmen (Bittermann/Henschel 1994: 188). Bittermann zitiert Bohrer: »Vielleicht wäre es am besten, der Merkur legte in Zukunft ein kleines Wörterbuch des Gutmenschen an.« Diese Wörterbücher zeigten, ähnlich wie Henschels Studie Das Blöken der Lämmer. Die Linke und der Kitsch (1994), daß die Rede von der Korrektheit zwischen recht unterschiedlichen politischen Temperamenten einen Konsens stiften konnte, der sich im Wunsch nach einer Abwicklung der politischen Bestandteile der BRD zeigte und in dem Bewußtsein, einer neuen Zeit anzugehören, deren Kontur aber für die Beteiligten sich unterschiedlich darstellten. Auch gab es Unterschiede zu den üblichen Konservativen. Während die darauf abzielten, daß die 68er an all dem Schuld seien, was sie wiederum mit ›Political Cor-
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Wir machen einen Sprung zu einer anderen, weiterverbreiteten Zeitschrift. In den Jahren 1993 und 1994 war ›Political Correctness‹ eines der großen Themen im Spiegel. Für 1993 ist der oben bereits zitierte Artikel von Matussek von Bedeutung, der sich allerdings weitestgehend mit dem befaßt, was Matussek als akkurate Darstellung der amerikanischen Verhältnisse ausgibt. Für den Import der Redeweise bedeutender war, wie man bei Zimmer 1993 und Kapitzky (2000: 93ff) ausgeführt finden kann, der Aufsatz Anschwellender Bocksgesang von Botho Strauß (Strauß 1993 und 1994). Strauß hatte, zunächst im Spiegel, dann im Sammelband Die selbstbewußte Nation, ein antimodernes kulturkritisches Lamento vom Stapel gelassen, mit dem er offenbar den Nerv der frühen Neunziger getroffen hat. Die Reaktionen auf diesen Text wurden oft unter dem Gesichtspunkt der politischen Korrektheit interpretiert.159 In einem Artikel im Jahr darauf stellte ein, wie damals im Spiegel noch üblich, anonymer Autor unter dem Titel Dickwanst im Dunst seine Sicht der Dinge unter Verzicht auf jegliche inhaltliche Kohärenz und intellektuelle Redlichkeit vor. Dieser Offenbarungseid journalistischen Schaffens führte Karsta Frank zu der Diagnose: Hier erbricht jemand seine gesammelten Ressentiments gegen Frauen, Schwule, Afrikaner, Linke, Muslime, sozial Engagierte; kurz, gegen alles, was nicht weiß, heterosexuell, männlich und zutiefst zynisch ist – dieses Bild drängt sich auf (Frank 1996a: 204).
Karsta Frank hat völlig recht.160 In diesem Spiegel-Artikel wird eine dumme Behauptung an die andere gereiht: Falls PC überhaupt noch eine Sprache ist und falls tatsächlich dahinter ein Gedanke steckt: Amerikas jüngster Versuch, die Welt zu verbessern, ist bestenfalls ein Beitrag zum Dummbau von Babel (Spiegel 28/1994: 160).
rectness‹ bezeichneten, positionierten sich Bittermann und Henschel gegen diejenigen »Gutmenschen«, die »die besten 1968er Traditionen [...] leichtsinnig verschenkt[en]« (Bittermann/Henschel 1994: 10). 159 Es ist hier nicht die Stelle, auch diese Debatte noch aufzurollen. Wir verweisen auf die Langfassung des Textes von Strauß 1994, auf Schwilk/ Schacht 1994 sowie auf die bereits von Frank 1996a herausgearbeitete Konfrontation zwischen Zimmer und Erenz bezüglich der StraußDebatte. Hatte Zimmer 1993 (und auch noch 1997: 138) Strauß als ein Opfer der Diskursverknappung und »Verleumdung« (ebd. 1997) durch die Korrekten zu zeichnen versucht, so hatte Erenz 1993 zu recht darauf hingewiesen, daß kaum ein Text gründlicher und ausführlicher diskutiert wurde als gerade der Strauß-Text. Siehe zu diesem Komplex auch Kapitzky (2000: 93ff). 160 Vielleicht mit der Ausnahme des Vorwurfs, der Autor sei zynisch. Das ist er allenfalls fallweise, nicht aber, wenn es ums Abendland geht.
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Man ist selbst ohne weitere Kenntnis zu diesem Thema geneigt, jeden beliebigen PC-Befürworter gegen eine so armselige Kritik in Schutz zu nehmen. Hier drückt sich das kaum noch erträgliche Bedürfnis mancher PC-Kritiker danach aus, im Windschatten einer neuen Redensart und im Schlepptau etablierter Satiriker lustig sein zu wollen und das mit einem muffigen Anti-Amerikanismus zu verquicken, der später durch eine Evokation des Abendlandes noch intensiviert wird. Das nächste Zitat kennen wir bereits aus der Wanderlegende um die »vertikal Herausgeforderten«: Wird, nur mal so gefragt, der soziale Frieden gesichert und das »Streben nach Glück« (US-Verfassung) gefördert, wenn ein Schwarzer nun »Afro-Amerikaner« heißt? Ein Kleinwüchsiger »vertikal Herausgeforderter«? Ein Behinderter »anders Befähigter« und ein toter »nicht lebende Person«? Unfug? PC.
Wir wiederholen das Zitat an dieser Stelle wegen der Verknüpfung zwischen deutschen und amerikanischen politischen Wertmaßstäben einerseits (sozialer Friede, »Streben nach Glück«) und lächerlichen Beispielen andererseits, die mit dem Ziel vorgenommen wird, PC zu beiden in Gegensatz oder wenigstens an eine irrelevante Position zu stellen. Damit wird insinuiert, die angeblichen Bezeichnungen hätten die Erfüllung dieser Normen zum Ziel, und das diesbezüglich erwartbare Scheitern wird der Political Correctness zum Vorwurf gemacht. Die modifizierende Übertragung des amerikanischen Diskurses in den deutschen hat in diesem Artikel eine ihrer Membranen. Und der verquälte Humor des Artikels wiederum ist nicht der einzige Anschlußversuch an die Satire: Einwandfrei, das PC-Gespenst geht um in Deutschland; mit dem Stich-Wort [sic!] »Dummdeutsch« markiert es der Autor Eckhard Henscheid schon seit einigen Jahren. In seiner jüngsten Kollekte [meint die Reclam-Neuausgabe 1994, MFE] klappert es wieder reichlich: »Lernzielkontrolle«, »Qualifizierungsoffensive«, »Wertegemeinschaft« – das kann dem »vertikal Herausgeforderten« stolz die feuchte Hand reichen [...]. Soweit PC in bornierter Form (ebd.).
Henscheids Sammlung weist über das Themenspektrum des amerikanischen Diskurses deutlich hinaus. Diese Beispiele sind Kennzeichen einer thematischen Erweiterung – und zwar durch den Verfasser des Artikels, nicht durch Henscheid. Keiner der genannten Begriffe hat irgendeinen Bezug zu Minderheiten oder zum amerikanischen Diskurs, noch versucht er, eine Diskriminierung von egal wem oder was abzuwenden. Sie ist auch retrospektiv, denn obwohl Henscheids Buch 1993 neu aufgelegt wurde und das gewiß nicht zufällig, stammt es doch in seinen Grundzü-
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gen aus den mittleren Achtzigerjahren.161 Die Tendenz zur thematischen Modifikation ist hier insofern besonders signifikant, als daß bei einer stärkeren Anlehnung an den amerikanischen Diskurs man ja ebenfalls bei Henscheid hätte fündig werden können: Beispiele wie »Ausländerfeindlichkeit«, »ausgrenzen«, »Frauenfeindlich«, »Frauenkultur«, »postphallisch«, »Postmoderne«, und dergleichen mehr sowie Beispiele für ihre jeweilige Verwendung hätten den direkten Anschluß ermöglicht. Gleichzeitig aber hat Henscheid – wie man auch an diesen Beispielen sehen kann – Begriffe aus allen nur denkbaren Bereichen gewählt und pointiert dargestellt. Die Gleichung ›Dummdeutsch = PC‹ ist daher eine deutsche Eigenleistung, und sie erlaubt die Einbindung der Legende in eine längst bereits laufende sprachkritische und satirische Tradition. In diesem Artikel wird auch das erste »Wörterbuch des Gutmenschen« erwähnt (Bittermann/Henschel: 1994).162 Obwohl dieses Wörterbuch für das Thema PC wesentlich relevanter ist als das inhaltlich und methodisch verwandte Buch Henscheids – der Titel und zumindest Teile der Lemmaliste deuten es an –, begnügt sich der Spiegel mit der lapidaren Feststellung, daß es »kantenlos wirkt, was den drei Dutzend Autoren einfällt« (Spiegel 28/1994:162). Anders als Henscheids älteres Buch läßt sich dieses Wörterbuch vom Spiegel-Journalisten scheinbar nicht so leicht vereinnahmen. Gelegentlich läßt dieser Autor, auch durch seine Wortwahl, dann durchblicken, was ihn so umtreibt: An den US-Universitäten meutern Frauen und Schwarze gegen die Herrschaft des weißen Mannes; jeder Ethno-Clan schürft nach seinem Kyffhäuser, nach seiner eigenen Geschichte; nieder mit dem »Eurozentrismus«, es lebe der Zirkus Multikulti, der Balkan. [...] Spät ist es in Europa, der Name Abendland hat einen bitteren Beigeschmack von Wahrheit bekommen (ebd. 161f).
Es ist wirklich kaum zu ertragen. Das Problematische an diesen Bocksgesängen ist, daß der Autor sich jederzeit auf eine »Alles-gar-nicht-sogemeint«-Position herausreden und Kritik an der in diesen Texten vermittelten Weltanschauung als politisch korrekte Intervention zur Diskursverknappung zurückweisen könnte. Zu dieser Diskurstaktik, dem ›Jargon der Uneigentlichkeit‹, gehört auch das stete Sichbeziehen auf
161 Ursprünglich erschien es in zwei Bänden 1985 und 1986. Die ReclamAusgabe ist in manchen Teilen gekürzt und umgearbeitet, insgesamt aber deutlich erweitert worden. ›Political Correctness‹ hat übrigens kein eigenes Lemma erhalten, auch nicht in einer deutschen Variante. 162 Insofern hat Kapitzky völlig recht, das Wörterbuch des Gutmenschen in die Tradition der Sprachkritik in Deutschland einzuordnen. (Kapitzky 2000: 138). Neben dem LTI wären allerdings auch Bände zu nennen, die sich ganz allgemein mit »linker« Sprache befassen, z. B. Klasse, Körper, Kopfarbeit. Lexikon linker Gemeinplätze (Boehncke/Stubenrauch 1983).
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Satiriker wie Henschel und Henscheid, dessen Prozesse ja auch im Spiegel diskutiert worden sind (vgl. Spiegel 31/1991; 14/1993). Deutlich ernster als der anonyme Spiegel-Autor nahm Martin Walser die Rede von der Korrektheit. Walser ließ es sich nicht nehmen, sich 1994 im Spiegel als Opfer der allgegenwärtigen ›Politischen Korrektheit‹ zu inszenieren (Walser 1994). Eine (na, was wohl?) Preisverleihung war der Anlaß der Rede, die vom Spiegel nachgedruckt wurde. Walser hatte den »Dolf-Sternberger-Preis« für öffentliche Rede erhalten, und zwar für seine sechs Jahre zuvor gehaltene »Rede über Deutschland«.163 Der Preis war 1992 das erste Mal verliehen worden (an Willy Brandt), und mit der Verleihung an Walser sollte, so der Vorsitzende der Jury, Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel, »auf den engen Zusammenhang von Sprache und Politik aufmerksam gemacht werden« (Taz v. 07.11.1994). Die von Walser anläßlich der Verleihung in der Heidelberger Universität gehaltene Rede antizipierte in weiten Teilen die später berühmt gewordene Paulskirchen-Rede. Im Spiegel verteidigte Walser nicht nur sich und sein Gewissen, sondern, möglicherweise für beide ein wenig zu spät, vor allem Philipp Jenninger und auch Steffen Heitmann, der nach einigen Fällen, in denen er sich der Öffentlichkeit zu deutlich erklärt hatte, als Präsidentschaftskandidat der CDU nicht mehr tragbar war.164 Walser beschreibt bereits in dieser Rede, in wie große Schwierigkeiten man nach seiner Auffassung kommen kann, wenn man öffentlich, in »freier Rede« seine Meinung sagen möchte und diese nicht zur herrschenden ›politischen Korrektheit‹ paßt. Wie später in der PaulskirchenRede wird das mit Bezug auf den Nationalsozialismus individuelle Gewissen zur Privatsache erklärt, und das Gedächtnis ist laut Walser »keine Lagerstätte, sondern ein Prozeß« (ebd. 135), und unterliegt damit Neu-
163 Vgl. einen knappen Bericht dazu in der Taz v. 07.11.1994, 17. 164 Einen Bericht über eines der berühmtesten Zitate, die man ihm zuschreibt, zitieren wir wiederum nach Konkret, er stammt ursprünglich aus der Stuttgarter Zeitung: »Sachsens parteiloser Justizminister Steffen Heitmann hatte eine unheimliche Begegnung. Auf der Stuttgarter Königstraße ist er eines Samstags spazierengegangen und hat dort so viele ausländische Sprachen gehört und so viele fremdländische Menschen gesehen, daß er sich gefragt hat: ›Mensch, biste hier noch zu Hause?‹ Der Theologe hat sich so seine Gedanken gemacht. Er ist zu dem Schluß gekommen, daß ›Deutschland das Recht haben muß, seine kulturelle Identität zu wahren‹« (zit. nach Wolfgang Pohrt: Waffen für Hoyerswerda. Ein paar müßige Spekulationen, die so müßig nun auch wieder nicht sind. In: Konkret 11/1991, S. 27). 1993 zogen sich dann, als Kohl Heitmann zum Präsidentschaftskandidaten machen wollte, um diese und andere rhetorisch-politische Glanzleistungen die Auseindersetzungen so lange hin, bis Heitmann seine Kandidatur zurückzog. Damit galt er endgültig als Opfer der politischen Korrektheit.
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interpretationen. Auch hier ist bereits die Rede von der ›Instrumentalisierung‹, die diesmal dem SZ-Autor unterstellt wird, der mit seiner Frage zum Dritten Reich und zum Historikerstreit Heitmann aus dem Weg räumen wollte (ebd. 136). Nach einer Verteidigung Steffen Heitmanns und einem Angriff auf den Journalisten der SZ, der Heitmann mit Fragen zum ›Historikerstreit‹ angeblich aufs Glatteis geführt habe,165 stellt sich Walser prophylaktisch in diese Reihe der Verfemten: In diesem Klima frei reden? Ich hätte in jedem Jahr Gründe finden können, warum ich mich nicht der freien Rede anvertrauen kann, obwohl ich nichts lieber möchte als das. Zur Zeit ist es also der Tugendterror der political correctness, der freie Rede zum halsbrecherischen Risiko macht. (Walser 1994: 134).
Etwas weiter im Text heißt es: Ich weiß, auf diesem Wortweg wird mir das Wort Relativierung entgegengehalten werden und das Wort Singularität und Jenninger und Heitmann und so weiter. Also schrecke ich zurück. Mein Gewissen bleibt unveröffentlicht (ebd. 136).
Und so geht das Gerede noch eine ganze Weile weiter. Über sechs gedruckte Seiten des Magazins hin wird dem Leser des Spiegels wie zuvor dem Auditorium in der Heidelberger Universität nahegebracht, wie »halsbrecherisch« riskant die öffentliche Rede für den Sprecher ist. Wie mutig müssen erst die Zuhörer und Leser sein. Auch erfolgt eine Rückdatierung der politischen Korrektheit, nicht nur mit Bezug auf Jenninger,
165 Der Fall ist naheliegenderweise auch von Behrens/von Rimscha aufgegriffen worden (1995: 116-121). Von ihnen ist zu erfahren, daß Walser sich hier ohne Namensnennung auf Heribert Prantl bezieht. Auch von diesen beiden wird die Apologetik über Heitmannns angebliche Unfähigkeit argumentiert, mit den politisch korrekten Sprachspielen, der »politischen Rhetorik Westdeutschlands« umzugehen. Sie unterstellen, daß es nicht die Äußerungen Heitmanns waren, die ihn die Kandidatur gekostet haben, sondern die von Prantl verursachte Medienberichterstattung. Das Heitmann-Interview fand am 18./19.09.1993 statt. Drei Tage später wiederum – und da weisen Behrens und von Rimscha gerne drauf hin, fand in der selben Zeitung, »nachdem sie Heitmann hatte ins Messer laufen lassen« (Behrens/v. Rimscha 1995: 117), eine halbe Verteidigung Heitmanns statt. Dieter Schröder führte unter der Überschrift Wenn Heitmann ungeschützt redet aus, daß es Heitmann offenbar fehle an »Erfahrung und Verständnis für die politischen Rituale Westdeutschlands. Auch hier gibt es so etwas wie political correctness zumindest in der stark formalisierten Politiker-Sprache. Wer klug ist, vermeidet Reizwörter und gefährliche Tabus oder macht zumindest verbalen Kotau vor deren Hohepriestern« (SZ v. 21.09.1993, zit. nach Behrens/von Rimscha 1995:117).
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sondern auch zu den »konservativen Vorgängern der political correctness«, die nämlich, so Walser, die kleinsten Schritte noch zum Nachweis genutzt hätten, »daß man damit den Boden des Grundgesetzes verlassen habe« (ebd. 138). Diese ganze Rhetorik von Angst und Mut, Opfer und Verbot, wie wir sie in den USA beispielsweise bei Epstein beobachten konnten, ist auch hierzulande eines der Hauptmotive der Rede von der Korrektheit. Gegen Ende seiner Ausführungen schließlich demonstriert Walser ein mutiges Aufbegehren: Glaubt nicht, ihr klimabeherrschenden Korrektheitsdesigner, daß ihr uns durch und durch klimatisiert habt. Je mehr ihr das Sagbare ritualisiert, desto lebendiger wird innen die freie Rede (ebd. 138).
Stellt man in Rechnung, daß der Anlaß dieser Rede eine Preisverleihung an den Redner für eine frühere politische Rede ist, und nimmt man in diese Rechnung mit auf, daß diese Dankesrede noch dazu zwei Tage später im Spiegel abgedruckt werden wird, so daß sie, wenn wir uns über den Produktionsablauf nicht sehr täuschen, bereits vorher bei dem Blatt eingegangen ist – dann ist das zähe Beharren auf dem »Innen« des sich hier penetrant nach außen wölbenden Walserschen Gewissens und die Behauptung einer »halsbrecherischen« Gefahr durch die Korrekten reiner Nonsens. Das Resonanzkalkül des Autors wie des Spiegels erhält durch das beigefügte Kurzporträt des Autors und die Beschreibung des Redeanlasses so deutlich Kontur, daß die ganze Rede zur Farce verkommt: Walser versteht diese Rede als provozierendes Lehrstück über die Vertracktheit »öffentlicher Gewissensprüfung« und die »Banalität des Guten«, über Moralstaatsanwälte und »Tabuzüchtung im Dienst der Aufklärung«. Dabei verteidigt der Radikal-Individualist auch zwei über sich selbst gefallene Politiker: Philipp Jenninger und Steffen Heitmann, mit denen er nun wohl in eine Reihe gestellt wird. Der Mechanismus, der dies bewirkt, ist das Thema der Rede (ebd. 131; Kasten).
Das ist so nicht ganz richtig. Zu dem »Mechanismus, der dies bewirkt«, gehört in erster Linie die mediale Inszenierung, die hier Autor und Magazin vornehmen und mit der sie auf diejenigen versuchen rezeptionslenkend einzuwirken, die noch Hilfestellung beim Bedenken dieser Samstagsrede benötigen.166
166 Die vier Jahre später inszenierte Paulskirchenrede ist in einem Maße diskutiert und aufgearbeitet worden, das jedes Fassungsvermögen sprengt. Wir werden im nächsten Kapitel auf einen Teilaspekt der Rezeption dieser Rede rekurrieren, sehen aber hier davon ab, sie darzustellen. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß die Paulskirchenrede der Rede von 1994 nichts Wesentliches hinzuzufügen hat, so daß die
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Kommen wir zum nächsten Fall. Wir sind uns bei dem folgenden Autor nicht ganz sicher, ob sich Jens Kapitzky mit ihm vielleicht einen Spaß erlaubt hat, als er bei seiner Korpuserstellung den Text zur »wissenschaftlichen Literatur« zählte (Kapitzky 2000: 60). Der Soziologe Sven Papcke hat 1995 (und nochmals 1996)167 ganz andere, zum Teil weit jenseits der historischen Korrektheit, anzusiedelnde gefährliche deutsche Themen identifiziert. Papcke scheint sich dabei nicht recht entscheiden zu können, ob mit ›Political Correctness‹ die »Sprache« (so die Überschrift der Version 1995) gereinigt werden soll oder vielmehr das »Denken« (1996). Auf der Ebene der Ridikülisierung werden in seinen Ausführungen die gleichen schalen Geschichten heruntergespult wie in anderen Artikeln: »vertikal Herausgeforderte« etc. Auch ein Begriff wie das »PC-sprachliche Lourdes« (Papcke 1996: 218) ist bei Robert Hughes abgeschrieben, den Papcke an anderer Stelle formell zitiert, nicht aber hier. Was der Text an rhetorischer Farbigkeit zu bieten haben mag – von dem deutschen Soziologen jedenfalls stammt es nicht. Dafür hat er den Themenpark beträchtlich und systematisch zu erweitern versucht, indem er die Felder der Political Correctness in Deutschland wie folgt beschreibt: z z z z z
Tabuierung der Korrelation von Kriminalitätsform und (ausländischer) Täterherkunft; Verdächtigung jeder Eurokritik als antieuropäisch und damit friedensfeindlich, rückständig etc.; Gleichsetzung von Reformnotwendigkeiten im gesellschaftlichen Unterstützungsbereich mit »Sozialabbau«; Hysterisierung des sexuellen Miteinanders als wenigstens latent antifeministisch; [...] Verwerfung jeder außenpolitischen Erwägung staatspolitischer Sicherheits- und Eigeninteressen als »nationalistisch« (Papcke 1996: 219).
Papckes Methode ist durchsichtig, sein rhetorisches Arsenal schlicht: Nachdem er mit der Aufzählung lächerlicher Beispiele aus dem amerikanischen Sprachraum168 die üblichen Motive und Anekdoten aufruft, bastelt er sich den Themenpark zusammen, an dem ihm etwas liegt. Knobloch weist auf die »eindeutig pejorativen Transformationsworte« hin, die mit »krampfhaft neutralen ›Normalausdrücken‹« kombiniert werden, also »Tabuierung der Korrelation, Hysterisierung des sexuellen Mitein-
Aufregung 1998 zwar verständlich, aber reichlich spät war, vom Sommertheater 2002 um den Walser-Roman Tod eines Kritikers fast ganz zu schweigen. Zur Dokumentation der 1998er-Rede verweisen wir auf Schirrmacher 1999. 167 Wir zitieren im folgenden nach der zweiten Fassung des Textes 1996. 168 Papcke berichtet, daß man nicht kahlköpfig sagt, sondern »hairimpaired« usw. (ebd.: 219).
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anders, Gleichsetzung von Reformnotwendigkeiten mit ›Sozialabbau‹« (Knobloch 1998: 131). Wie Kapitzky es für andere Fälle demonstriert hat, bleibt hier argumentativ die angeblich beschriebene Bedrohung auf der Ebene der Behauptung stecken. Papcke versucht, seine Position einwandsimmun zu gestalten, indem er eine »kontroverse, aber offene« Diskussion einklagt und die dieser offenen Haltung zuwiderlaufenden Strategien der politisch Korrekten wie folgt beschreibt: z z
z
Denunziation und damit Mißachtung wichtiger Themen und Fragestellungen als verwerflich, unzulässig oder überholt; Ignorierung ideen-klimatischer Wandlungen als Folge gesellschaftspolitischer, wirtschaftsstruktureller beziehungsweise nationalstaatlicher Veränderungen; Verdrängung der Belange der einen oder anderen Sozialgruppe aus den Orientierungsprozessen beziehungsweise der Entscheidungsfindung der Gesellschaft (ebd. 219).
Das rhetorische Schema ist wie zuvor die Kombination von Kampfbegriff und Normalitätsfloskel vor dem Hintergrund des Lächerlichen: »Denunziation/Mißachtung« von »wichtigen Themen«, »Ignorierung« von »ideen-klimatischer Wandlungen« aufgrund realgeschichtlicher Veränderungen etc. Besonders zu beachten ist hier der zweite Punkt, in dem Papcke auf Endgültigkeit und beinahe Schicksalhaftigkeit einer »ideenklimatischen Wandlung« hinweist, ohne sich deutlich dahingehend zu äußern, welche Wandlung er damit konkret meint und welche Folgen wiederum damit verbunden sein könnten. Wiederum werden, so die Rhetorik, die ›wesentlichen‹ Probleme ignoriert. Deutlich wird auch, daß der Autor die von angeblichen PC-Bestrebungen angeblich Betroffenen als Opfer inszeniert. So sieht er das Scheitern von Steffen Heitmann in »eher läßliche[n] Verstöße[n] gegen die Offizialsprache« begründet. Solche ›Opfer‹ wie Heitmann sieht Papcke dann konsequenterweise in der Tradition eines Sokrates (ebd. 213).169 Sokrates, in der Tat, darunter macht man es nicht. Gleichsetzungen von angeblichen Opfern der an-
169 Der nach dem Leeren des Schierlingsbechers, wenn wir uns richtig erinnern, allerdings nicht weiterhin als Justizminister in Athen oder in vergleichbarer Stellung gearbeitet hat. Übrigens war zwei Jahre später auf einem Kongreß des rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim unter dem Titel Aufbruch und Erneuerung – Die Freiheit von Wort und Geist erkämpfen ein Referat Heitmanns geplant, unter dem nicht überraschenden Titel: Geistesfreiheit oder ›political correctness‹. Zu diesem Referat ist es allerdings nicht gekommen, weil einige Neonazis im Thule-Netz zum Besuch dieser Tagung aufforderten und daraufhin Heitmann von der Tagung Abstand nahm. Vgl. dazu Bernd Siegler: Heil den Skinheads mit Schlips (Taz v. 22.04.1995) und ebenfalls in der Taz die Agenturmeldung AFP vom 26.04.1995. Zum Thule-Netz vgl. Pfeiffer 2002, zum Studienzentrum Weikersheim Leggewie 1989.
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geblichen Korrektheit mit Opfern der Inquisition und anderer historisch unbestrittener Zensurbehörden sind in diesem Diskurs an der Tagesordnung. Im Oktober 1996 verfolgte die große alte Dame der deutschen Demoskopie, Elisabeth Noelle-Neumann, das hehre Ziel, in der FAZ eine bunt zusammenkontextualisierte Themenreihe endgültig als Themenpark zu etablieren und wissenschaftlich festzuzurren. Mit dem rhetorischen Versprechen in der Überschrift, jetzt aber wirklich die letzten Dinge klären zu wollen, publizierte sie in der FAZ den Artikel Political Correctness – was ist das? (Noelle-Neumann 1996). Unter Zuhilfenahme der Wundermittel ihrer berüchtigten Hausvariante der Demoskopie hat sie dann geklärt, daß die »Intellektuellen in Deutschland mit dem Begriff der »Politischen Korrektheit« unter sich blieben«.170 Noelle-Neumann erläutert ihre Gründe für diese Einschätzung. Kaum ein Mensch ›auf der Straße‹, so das Ergebnis, kannte angeblich den Begriff, und noch weniger konnten ihn definieren. Den Leuten wurden des weiteren bedeutende Fragen zum Thema der Begriffsverwendung von Worten wie »Negerkuß« oder »Mohrenkopf« gestellt, und »ob man diese lang gebräuchlichen Namen auch weiterhin sagen soll, oder [ob nicht], weil das Wort ›Neger‹ beleidigend ist?« Es fällt uns ehrlich gesagt schwer, bei dieser Art von Demoskopie den angemessenen Ernst zu bewahren. Schon die Fragen sind irrwitzig. Denn nicht das Wort »Neger« ist beleidigend, sondern gegebenenfalls die Art und Weise des Gebrauchs. Selbst wer das Wort »Negerkuß« für geschmacklos hält, muß nicht das Wort ›Neger‹ automatisch beleidigend finden. Das Gegenüberstellen dieses Unfugs mit dem erstens banalen Beispiel, das zweitens aber subtil an eine ehrwürdige Tradition (»lang gebräuchlich«) angeknüpft wird, dürfte die Befragten in große Verlegenheit gestürzt haben. Doch die Demoskopie, sie ist wetterfest und leistungsfähig. Unter der Fragestellung »Welche Themen auf dieser Liste sind heikle Themen?« sollten die Deutschen in Ost und West so brisante Themen wie Asylanten, Juden, Hitler und das Dritte Reich, Aussiedler, Neonazis, Türken, Homosexuelle, Republikaner, Moslems und Islam, Arbeitslose, Vaterlandsliebe
170 Da ist man als Leser der FAZ gleich vorgewarnt, denn dort ist man nicht intellektuell, sondern im Selbstverständnis allenfalls ein ›kluger Kopf‹. Doch wir werden noch belegen können, daß Noelle-Neumanns Einschätzung so wohl nicht stimmt, es sei denn, man erweitert den Begriff »Intellektueller« in bisher unbekannten Ausmaßen. Schließlich hatte der Begriff bereits 1996 eine Medienpräsenz, die nichts Elitäres mehr an sich hatte. Anders mag das aussehen, wenn jemand den Begriff definieren soll. Aber das klappt ja wie gezeigt ohnehin nicht.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT und Patriotismus, Frauenbewegung und Emanzipation, den Bürgermeister hier vor Ort [!!]
in eine Rangfolge bringen, und ihre Aussagen haben akkurat diese Hitliste der Gefahr des ihnen vorgesetzten Themenparks ergeben. Bei dieser Vorgabe und der letzlich sehr diffusen Fragestellung ist es erstaunlich, daß immerhin 14 % der Befragten noch gesagt haben, nichts davon sei heikel. Auch das läßt einigen Interpretationsspielraum offen. Der Vollständigkeit halber hinzugefügt sei, daß auch 4 % »Weißnichts« noch dabei waren. Was soll dem Leser der FAZ diese Reihe sagen? Frau NoelleNeumann zieht mit der ihr eigenen Grandezza den folgenden Kurzschluß: Die öffentliche Meinung lebt in der uralten [!] Bedeutung von überwältigendem, nicht rationalem, sondern emotionellem, moralgesättigtem Konformitätsdruck weiter, egal, mit welchem Namen sie bezeichnet wird, als öffentliche Meinung, Meinungsklima, Zeitgeist, Tabu – oder als »Political Correctness«.171 Die Bevölkerung besitzt zwar kein explizites Wissen, was öffentliche Meinung, Political Correctness, Meinungsklima ist, aber implizit weiß die Bevölkerung gut, was Meinungsklima ist, und die Demoskopie kann dieses Wissen zum Vorschein bringen.
In diesem internalisierten Wissen und der Unterwerfung darunter liegt nach Noelle-Neumanns denn auch eine besondere Gefahr für die freiheitliche Diskussion in unserer »Nation«, die aufgrund ihrer »Geschichte« einen »besonders rücksichtslosen Meinungsklimadruck« aufweist. Deshalb gilt, so das Fazit der Autorin: Man muß jeder Stimme dankbar sein, die in dieser Lage Konformität durchbricht und damit einen freiheitlichen geistigen Raum sichert.
Wie eben Sokrates, Walser oder Heitmann, möchte man ergänzen. An einer Stelle ihres Aufsatzes gibt Frau Professor Dr. Elisabeth NoelleNeumann den Lesern der FAZ auch noch den folgenden guten Rat: Es ist nie gut, mit Illusionen zu leben. Es wäre besser, das uralte [schon wieder, MFE] sozialpsychologische Wissen um die soziale Natur des Menschen zurückzugewinnen,
die, so die Pointe ihres Aufsatzes, einem aufgeklärten Konzept einer öffentlichen Meinung im Wege steht und so diesen ungeheuren Konformitätsdruck durch Tabu und Korrektheit ermöglicht. Und wieder eine neue
171 Angesichts dieses mystisch-historischen Raunens könnte man sich fragen, welches Rationalitätskonzept Frau Noelle-Neumann vorschwebt.
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Konstellation von Mut und Realismus versus Täuschung und Unterdrükkung, diesmal wissenschaftlich (mit Tabellen!) in der FAZ präsentiert. Es ist nicht überraschend, daß bei der Erweiterung des Themenparks die extreme Rechte nicht außen vor bleiben wollte und kräftig mitmischte. Dazu nur ein Beispiel: Im Rahmen einer Anzeigenkampagne und Initiative »Für die Freiheit« der Jungen Freiheit konnte man seit Mitte der Neunziger Jahre einen Anti-PC-Aufkleber (»Political Correctness – Nein Danke«) bestellen.172 Formal wie ästhetisch hat sich hier ein Anschluß an die in den Achtzigerjahren populären Anti-AtomkraftAufkleber und ähnliche Sticker vollzogen, die durch diese Verwendung eines Verkehrsverbotsschilds stilistisch zitiert werden.173 Inhaltlich geht es unter der Überschrift »Schaut nicht weg – greift ein!« in der Anzeige der JF um folgendes: Freiheit wird täglich bedroht, wenn – politische Veranstaltungen verhindert werden, – Druckereien, Kioske und Autos brennen, – Politiker, Publizisten und Redakteure überfallen und verletzt werden, – der freie Vertrieb von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen unterbunden wird, – Denk-, Rede- und Publikationsverbote faktisch herbeigeführt werden, [Anmerkung: bis hierhin hätte das so ähnlich auch in jedem linken Blatt stehen können, und jetzt wird es genuin rechtskonservativ:] – – –
demokratische Rechte und Konservative zu Extremisten gestempelt [!] werden, Freiheit der Wissenschaft und Forschung eingeschränkt werden, staatliche Institutionen (Justiz, Polizei, Armee), Kirche, Familie und Volk verächtlich gemacht werden;
[Nach diesem ideologisch eindeutigen Einschub wird man jetzt wieder allgemein] – –
Medien unter dem Druck von Parteien, Verbänden und radikalen Minderheiten ihre Unabhängigkeit aufgeben, Mut und Zivilcourage gegen Feigheit und Anpassung unterliegen (JF 10.05.96).
Mit dem Aufkleber können die Leser sich dann eine freiheitliche, mutige, inkorrekte Gesinnung im obigen Sinne attestieren und sie wiederum ih-
172 Ein Verbotsschild mit der Aufschrift am Rand »Political Correctness – Nein Danke« und einem durchgestrichenen großen »PC« in der Kreismitte. Mein Exemplar der JF ist vom 10.05.96. Die ganzseitige Anzeige wurde in dieser Zeit mehrfach geschaltet. 173 Auch das interpretieren wir als einen Indikator für eine in bezug auf Protest- und Äußerungsformen transideologische, mentalitätsgeschichtliche Gemeinsamkeit.
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rem Blatt bestätigen. Diese Freiheit ist jedoch, deutlicher als man das aus der Liste Noelle-Neumanns hätte erarbeiten können, ausschließlich die der Rechten. Der Kampf gegen ›Political Correctness‹ zeigt »Mut und Zivilcourage«, aber die beschworene Freiheit endet an den völkischen, nationalen und rechten Werten. Die Rede von der Freiheit der Wissenschaft, die bedroht wird, ist mit ziemlicher Sicherheit auch auf den Historikerstreit gemünzt. Das »faktische« Rede- und Publikationsverbot bezieht sich auf den in der JF für untragbar gehaltenen Zustand, daß nicht jeder rechte Schmonzes überall bereitwillig und unkritisiert veröffentlicht wird.174 Der Meinungsfreiheit im Sinne der JF sind also recht enge konzeptionelle Grenzen gesetzt. Etabliert werden soll sie, wie man sieht, zu einem bestimmten Zweck: einem durch keinerlei öffentliche Kritik mehr eingeschränkten nationalkonservativen Diskurs, der aber nicht unbedingt auf Zustimmung durch die gesamte Öffentlichkeit hin konzipiert ist und insofern nicht »überzeugend« sein muß. Und bis heute bleibt es ein Geheimnis derjenigen, die davon reden, wie ein »Denkverbot«, und das auch noch »faktisch«, herbeigeführt werden soll. Hier aber, und das hat Thomas Pfeiffer in seiner Studie zum »Mediennetz« der Rechten stringent herausgearbeitet, geht es um etwas anders: Wenn in der Zeitung von »Denkverboten« oder der »geistigen Diktatur der political correctness« gesprochen wird, ist einerseits – pauschal – das angeblich von links dominierte Diskursklima der Bundesrepublik gemeint, andererseits – konkret – das herrschende Strafrecht. Günther Zehm [als »Pankraz« wöchentlicher Kolumnist der JF; MFE] etwa attackiert den Straftatbestand der Volksverhetzung [...] »als eines jener unheimlichen Gummiwörter,
174 In diesem Fall dürfte sich – diese Spekulation scheint uns vertretbar – die JF auf die Affäre Weißmann im Ullstein- und Propyläen-Verlag beziehen, der von Herbert Fleissner und Rainer Zitelmann zum rechten Publikationsorgan umfrisiert wurde. Das ging so weit, daß durch Zitelmann dem Historiker Hans Mommsen, der den 9. Band der deutschen Geschichte (Drittes Reich) schreiben sollte, diese Arbeit (wg. Terminüberschreitung) entzogen und einem neurechten Lehrer namens Karl-Heinz Weißmann zugeschustert wurde, ohne das Einverständnis der Herausgeber dieser Reihe auch nur zu erfragen. Ende 1995 kam es daraufhin zum Skandal. Zitelmann wurde später aus dem Verlag entfernt und diesem Possenspiel durch die neue Verlagsleitung ein Ende bereitet. Das Buch von Weißmann erschien 1997 überarbeitet in einem anderen Verlag. Das ist das, was man bei der Neurechten unter »faktischer« Zensur versteht. Zwei naturgemäß differierende Standpunkte und Darstellungen finden sich im Vorwort zu Weißmann (1997: 11-19) und im Konkret (Köhler 1996). Außerdem war der Fall begleitet von einer ausführlichen Berichterstattung in der Tagespresse. Was nun die Wissenschaftlichkeit von Weißmanns Buch angeht, so möchten wir nur auf eine Bemerkung aus dem Vorwort zur Neuausgabe hinweisen: »Anders als in der Originalausgabe wurden jetzt Nachweise für die Zitate eingefügt« (Weißmann 1997: 18).
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VIER TABLEAUS mit denen man alles und jeden kriminalisieren kann (und auch tatsächlich kriminalisiert), was dem herrschenden Zeitgeist anstößig ist« (Pfeiffer 2002: 129).
Es zeichnete sich also die Hoffnung auf einen praktischen Nutzen der Legende ab. Die Anwendung der Rede von der Korrektheit auf die jeweiligen konkreten Bedürfnisse zeigt ihre Nützlichkeit zur Selbstverständigung in der Schreiber-Leser-Interaktion. Für die JF hat sich die Anti-PC-Kampagne, die einen Blatt-Leser-Konsens stiftet, daher als fester Bestandteil der corporate identity der Zeitung etabliert. Pfeiffer erläutert die mit Hilfe dieser Redeweise gestiftete Verbindung dieser Methode zu älteren »sozialen Bewegungen«: Der hohe Stellenwert dieser [Anti-PC-] Kampagne entspricht dem propagierten Selbstverständnis der JF, demzufolge sie von anderen Medien zurückgehaltene Informationen verfügbar mache [...] Diese Sicht erinnert an die Motivation von Medienmachern früherer neuer sozialer Bewegungen, insbesondere des Frankfurter Informationsdienstes zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten [...] (Pfeiffer 2002: 455, Anm. 115).
Was nun die Motive von Tabu, Denkverbot und Bedrohung angeht, so könnten wir mit dem Besuch im Themenpark jetzt fortfahren, wir könnten die Wehrmachtsausstellung, die Walser-Skandale 1998 und 2002 noch aufbereiten, die Diskussionen um Möllemann im selben Jahr,175 und dergleichen mehr. All diese Angelegenheiten sind mit Hilfe der Legende von der Korrektheit verhandelt worden. Wir werden das hier nicht verfolgen, obwohl manche Auszüge aus diesen Angelegenheiten im Verlauf der Arbeit noch von uns eingespeist werden.176 Kein Besuch im deut-
175 Dazu nur ein hübscher Sammelbeleg. In der Welt vom 31.05.2002 wurde anläßlich der Affären Walser 2002 und Möllemann von verschiedenen Welt-Autoren sieben kurze Artikel unter dem gemeinsamen Titel Das Tabu der Deutschen publiziert. In ihnen ging es um »Friedrich Merz und die deutsche Leitkultur«, »Peter Sloterdijk und die Menschenzüchtung«, »Martin Walsers Paulskirchen-Rede«, »Ströbele und die Raketen auf Israel«, Günter Grass zu Israels ›krimineller Handlung‹, »Botho Strauß und der ›Bocksgesang‹«, »Ernst Nolte im Historikerstreit«, die letzten beiden übrigens von Ansgar Graw, Mitautor beim Sammelband der »Selbstbewußten Nation«. All diese Themen wurden von der Redaktion mit folgender Bilanz überschrieben: »Die Deutschen und ihre Geschichte, das Verhältnis zu Israel: Das sind Stichworte für jene Themen, deren Behandlung in Deutschland immer wieder Emotionen, Verdächtigungen, Denunziationen nach sich ziehen, wenn die Diskutanten gegen die politische Korrektheit verstoßen« (Welt 31.05.2002, 3, herv. im Original). 176 Was die Wehrmachtsausstellung angeht, verweisen wir auf die gespenstische Aufsatzsammlung des rechtsnationalen Generalmajors Jürgen Schreiber mit dem alles sagenden Titel Wider den geistigen Terror linker Gesinnungspäpste. Aufsätze und Vorträge gegen heuchlerische Ver-
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schen Themenpark wäre aber auch nur annähernd vollständig, wollte man nicht wenigstens den einen Diskursstrang vorstellen, mit dem versucht wurde, ›Political Correctness‹ als etwas Positives zu retten und als Diskursstrategie in Deutschland zu etablieren. Diedrich Diederichsen nimmt im deutschen Diskurs um die ›Political Correctness‹ gewiß eine Sonderstellung ein, genau wie die von ihm mitherausgegebene Musikzeitschrift Spex, in der der Begriff bis in die späten Neunziger Jahre hinein meist affirmativ gebraucht wurde. Diederichsen war einer der ersten genaueren Beobachter des amerikanischen Diskurses, was insofern nicht verwundert, als daß er seinen Zugang zu der Diskussion in seiner Leidenschaft für afroamerikanische Popmusik begründet sieht.177 Diese Musik (mit ihren Texten) geriet, vor allem in ihrer Variante als HipHop, durch ihre interdiskursive Schlüsselstellung zwangsläufig in die einzelnen Scharmützel um ›Political Correctness‹ hinein: Afrocentricity, Homophobie, Fragen von Race und Gender, Black-on-Black-Crimes und allgemeine Gewaltfragen, Nation of Islam und Antisemitismus, Popkultur und Höhenkammkultur, Sexualität und Familiy Values, historische Fragen zum Thema Afrika und USA, nicht zuletzt Fragen der Zensur wegen sogenannter ›Explicit Lyrics‹. Zu all diesen Aspekten lassen sich unterschiedlichste Positionen in der schwarzen Musik und insbesondere im HipHop finden, und mit den so vorgefundenen Positionen kann für und gegen jeden denkbaren Standpunkt zu diesen Fragen argumentiert werden.178 Insofern ist die Chuck D. (Mitglied von Public Enemy) zuge-
gangenheitsbewältigung und das Diktat der »politischen Korrektheit« (1998). Walsers 98er-Rede wird im dritten Kapitel nochmal aufgegriffen, das Sommerskandälchen 2002 um seinen Roman brauchen wir nicht mehr gesondert abzuhandeln. Nach der Farce 1994 und der Tragödie 1998 kam hier eh nur noch heiße Luft, abgesehen von dem etwas überraschenden Henscheid-Interview in ausgerechnet der JF (Henscheid Interview 2002). 177 »Mein Interesse an PC verdankte sich weniger meinem protestantisch erzogenem Bedürfnis, Gutes zu tun oder im Lager der RichtigDenkenden eine Heimat zu finden. [...] Mein Interesse an PC verdankt sich eher meinem Interesse an schwarzer Kultur, dessen Ursprünge sich wiederum einer Faszination für schwarze Musik verdanken, die zunächst keine moralische, sondern nur hedonistische Gründe hatte« (Diederichsen 1992: 38). 178 Es ist kein Wunder, daß sich konservative Kreise mit Verbotswünschen bezüglich dieser Musik an die Gerichte wandten. Mit der erwartbaren Folge, daß die nicht jugendfreien Texte späterhin als besonderes Qualitätsmerkmal gehandelt wurden (Man denke an die zahlreichen »Parental Advisory«-Hinweise, die bereits fest in die Covergestaltung der Platten und CDs integriert wurden). Zur rechtskonservativen Kritik am HipHop siehe z. B. D’Souza 1996, der sich vor allem gegen den »Black racism«
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VIER TABLEAUS
schriebene Aussage, daß HipHop der »CNN der Schwarzen« ist, ebenso richtig wie unvollständig.179 Mehr noch als eine oft uneindeutige Nachrichtenfunktion hat diese Musikform einen archivarischen, enzyklopädischen Charakter sowie eine besondere Schlüsselstellung als Umschlagplatz politischer Auffassungen, ästhetischer, moralischer, politischer Wertvorstellungen und kultureller Selbstverständigungsprozesse, vorwie nachwissenschaftlicher. Konzepte des »Edutainment«, wie sie beispielsweise von KRS-One (Kris Parker) und seiner Formation Boogie Down Productions vertreten worden sind, bringen zusätzlich einen didaktischen Anspruch hinein.180 Gelegentlich wird von orthodoxen Linken als Kritik und Relativierung dieses politischen Anspruchs formuliert, daß diese Musikform und Kultur eingebunden ist in kapitalistische Verwertungsprozesse und deren Marktlogik. Solche Argumente sind nicht verkehrt, sie sind sozusagen nie verkehrt, stehen aber meist in Büchern, die verlegt worden sind, von denen man aus Anzeigen erfährt und die man ebenfalls kaufen muß.181 Ceteris paribus bleibt der besondere kulturelle und politische Anspruch der schwarzen Musik erhalten, und bis dato sieht es so aus, als würden künstlerische und politische Schwächephasen
stellt und bei Public Enemy fündig wird (ebd. 406). Eine ausgesprochen einseitige Kritik an Rap und dessen wohlwollender Aufnahme in der Wissenschaft formuliert er ebd. (511-514), wobei er schauerliche Beispiele, die es ohne Frage gibt, herbeizitiert. Wiederum mit Bezug auf Public Enemy allerdings stellt der Journalist Andrian Kreye fest, daß sie »nicht mehr an eine Gerechtigkeit für Schwarze [glaubten] und den politisch unkorrekten Radikalismus der schwarzen Separatisten [vertraten]« (Kreye: Die öffentlichen Feinde, SZ vom 21.11.2002, 13). 179 Es war uns nicht möglich, dieses Zitat mit letzter Sichherheit bis an seinen Urspung zurückzuverfolgen. Wir haben mehrfach davon gehört und es in der einschlägigen Literatur gefunden (z. B. auch bei Poschardt 1995: 151), und zitieren nach Heike Blümner: Street Credibility; in: Kemper, Peter/Langhoff, Thomas/Sonnenschein, Ulrich (Hg.): Alles so schön bunt hier. Die Geschichte der Popkultur von den Fünzigern bis heute. Stuttgart: Reclam 1999, 254-263; hier 263. 180 Vgl. direkt dazu die Platte der BDP: Edutainment. Zomba, Motown, BMG 1990. 181 Nicht gegen afromamerikanische Musik, sondern allgemein gegen die »postmoderne Lifestyle-Linke«, die er von Diederichsen repräsentiert sieht, richten sich auch die Invektiven von Robert Kurz. Er wirft diesen Poplinken eine »Ästhetisierung der Krise« vor. Das kann man machen, aber durch die folgenden Ausführungen wird es am Ende dann doch ein bißchen peinlich: »Dieser Sachverhalt darf nicht verwechselt werden mit dem Problem, daß im Kapitalismus auch radikale Kritiker notgedrungen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen oder daß es notwendig ist, mit kritischen Theorien in die bürgerliche Zirkulation hinein zu kommen, um sich überhaupt verständlich zu machen« (Kurz 1999: 19). Im Hintergrund spielt das Kurorchester verhalten den Evergreen Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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immer wieder durchbrochen. Als kulturelle Institution der Politisierung vieler Afroamerikaner ist die schwarze Popmusik bisher erhalten geblieben. Das aber soll an dieser Stelle genügen, um Diederichsens Verweishorizont auszuleuchten.182 Diederichsens Sozialisation durch Punk und den dadurch geprägten Musikjournalismus der Spex, und eben sein Interesse an der schwarzen Musik und ihrer kulturellen und politischen Einbindung sind bei der Rezeption seiner Arbeiten über ›Political Correctness‹ fast durchweg unterschätzt worden. Vor diesem Hintergrund muß man die Rezeption Diederichsens in Deutschland als ein wenig verkürzt beschreiben. Aber erst, wenn man darauf achtet, werden seine Argumentationen zugänglich. Genau hier liegt, wie wir zeigen werden, das Problem dieses Abschnitts des Themenparks. Diederichsens Studien zum Thema PC haben ihren Weg in die wissenschaftliche Aufbereitung in Deutschland über zwei Texte gefunden. Da war zunächst der Artikel PC zwischen PoMo und MuCu (Diederichsen 1992) in der Neuen Rundschau (Themenheft: Die letzte Weltmacht wankt – Abenteuerspielplatz Amerika) und sein Buch Politische Korrekturen (1996).183 Aber man konnte bereits im Konkret 9/1991 eine von Diederichsen verfaßte Besprechung finden, die so eingeleitet wurde: Gerüchteweise ist jetzt auch bei »Spiegel« und »FAZ« angekommen, daß sich an amerikanischen Hochschulen etwas tut, dessen Dimensionen und Militanz wie das Heraufdämmern einer neuen Studentenbewegung sich ausnehmen. Doch da seien Gott und die Toleranz vor: die vor allem sei bedroht von dem, was der hier immer als erster gedropte Begriff »Politically Correct« und die ihn tragenden (vor allem) antirassistischen und antisexistischen Bewegungen meinen. Amerika drohe zu zerfallen in nur an sich selbst interessierte Communities, bibbert der »Spiegel«, und in der »FAZ« diagnostiziert man, daß, von ein paar irren radikalen Jungnegern abgesehen, die Bewegung eh eher von altmarxistischen Dozenten ausgehe und nicht von der netten neuen Jugend (Diederichsen 1991).
182 Eine sehr konzise, wenn auch sehr subjektive Geschichte des HipHop, seiner politischen und kulturellen Rahmenbedingungen und seiner Rezeptionsgeschichte findet man bei Nelson George 1999. Hier finden sich auch Ausführungen zum politischen Selbstverständnis der Musiker und ihrem Einfluß auf die Politisierung ihres Publikums. Zur musikhistorischen Einordnung des HipHop in den Komplex ›Schwarze Popmusik der Nachkriegszeit‹ unerläßlich ist Vincent 1995. Für die deutsche Rezeption empfehlen sich nach wie vor einige Jahrgänge Spex, sowie Jacob 1993 und Poschardt 1995. 183 Beide Texte finden sich im Literaturverzeichenis von Kapitzky 2000. Frank 1996a und 1996b beziehen sich auf Diederichsen 1992. Greil 1998 wiederum bezieht sich nur auf Diederichsen 1996.
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VIER TABLEAUS
Es war dies, sofern man der CD-ROM der Zeitschrift vertrauen kann, das erste Mal, daß im Konkret diese Redewendung gebraucht wurde. Diederichsens Behauptung, daß bereits zu diesem frühen Zeitpunkt man immer »als erstes« diesen Begriff »droppen« würden, scheint uns für den Sommer 1991 etwas verfrüht, aber angesichts der sich entwickelnden Rede von der Korrektheit in Deutschland durchaus prophetisch. Es sollte dennoch bis zum Juni 1993 dauern, bis dieser Begriff im Konkret wieder in dieser Form »gedroppt« werden würde, dann allerdings von Georg Seeßlen und zwar genau so, wie man es kennt: Nur scheinbar reagiert ja das Gebot, »politically correct« zu sein, auf ein Mißtrauen gegenüber der Ideologie, nur scheinbar trägt es der Entwicklung einer Gesellschaft zu mehr Humanität Rechnung, in Wahrheit ist es die avancierteste Form von Verdrängung und Zensur: auf die Sprachregelung folgt eine Bildregelung. Ungeachtet der gesellschaftlichen Realität darf das Böse nicht mehr vom Kommunismus ausgehen, der ist erledigt und es schickt sich nicht, auf einen Gegner einzuprügeln, der am Boden liegt; das Böse darf aber auch weder von Schwarzen, Latinos oder asiatischen Amerikanern ausgehen, es darf keiner Frau zugeordnet sein, auch keinem Homosexuellen. Alles, was eine Diskriminierung sein könnte, hat gefälligst zu unterbleiben. Aber mit der Sprache oder dem Bild haben sich die Strukturen nicht geändert.184
Hier hat Seeßlen unkritisch den Diskurs über Political Correctness in seine persönlichen Interpretationsbedürfnisse implementiert, was er übrigens bis in jüngste Zeit praktiziert.185 Wir erwähnen das weniger als Kritik an Seeßlen, sondern nehmen das als bezeichnenden Beleg für ein grundsätzliches Problem der Zeitschrift Konkret und ihres Verhältnisses zum Thema, und kommen gleich darauf zurück. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man Diederichsen in den Neunziger Jahren für den Haupttheoretiker der Spex hält, und in gewisser Hinsicht war er für die Spex das, was Robert Gernhardt für die Titanic war, nämlich derjenige, der sich am meisten mit sich selbst und mit seiner Rolle im diskursiven Geschehen befaßte, ohne die Umgebung aus den Augen zu verlieren. Erwartungsgemäß gab es in der Spex in diesen Jahren immer wieder mal positive, selbstreferenzielle Bezüge auf die Redeweise, die durchaus bisweilen etwas ironisch waren, aber unvermittelt in ernsthafte Affirmation umschlagen konnten.
184 Georg Seeßlen: Phantastischer Revisionismus. Mit »Stark« haben George A. Romero und Stephen King den ersten Goodwill-Horrorfilm für die Clinton-Ära vorgelegt. In: Konkret 06/93, S. 54. 185 Im Dezember-Heft 2002 des Konkret führt Seeßlen in einer Aufarbeitung der in Baumärkten erhältlichen Bilder und Poster und ihrer Ästhetik aus: »Surfbilder sind die neue Variante der Segelschiff-Seestücke. Wale sind auch politisch sehr korrekt« (G. Seeßlen: Das Bild hinter Spax. In: Konkret 12/2002, 62-64, hier 64).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT
Ein Beispiel dafür sind die Ausführungen von Manfred Hermes, die er anläßlich einer Rezension des Films »My private Idaho« von Gus van Sant verfaßt hat, in der er von der »p.c.-Bisexualität« als einer Folge der »political correctness« redet. In diesem Zusammenhang erwähnt Hermes dann aber auch, daß der offen homosexuelle van Sant sich gegen die Outing-Politik von Schwulenaktivisten gestellt hat, und kommentiert: Aber ob man nun Vorstellungen von ›künstlerischer Korrektheit‹ einer ›politischen‹ entgegenstellen muß, wie er das in diesem Zusammenhang getan hat, ist zweifelhaft. Immerhin kann das politisch Korrekte gerade das künstlerisch Korrekte sein.186
Eine Option – und nicht etwa eine Kausalverknüpfung –, die Seeßlen sicherlich abgelehnt oder möglicherweise als Problemstellung gar nicht verstanden hätte. Denn obwohl Seeßlens Kulturkritik oft zu Positionen neigt, die man gegebenenfalls als ›PC‹ diffamieren könnte (man denke an seine berechtigte Riefenstahl-Kritik; Seeßlen 1994), macht ihm die Deutung seiner Beobachtungen mit Hilfe der Rede von der Korrektheit offenbar zuviel Vergnügen. Die Spex ihrerseits spielte weiterhin mit dieser Redeweise. Im Dezember 1991 wurde die regelmäßige Rubrik »Das politische Buch« im Inhaltsverzeichnis der Spex als »Das Politisch Korrekte Buch« angekündigt (Spex 12/1991, 3).187 Als ein weiteres Beispiel sei die halbironische Aufforderung zum Abonnement in der Spex im Januar 1993 genannt. Hier erfuhr der Leser unter der Überschrift »Financially Correct«: Bei uns geht immer alles korrekt zu. Alte Sache [...] Das Auslandsabo erhöht sich auf 72 Mark. Das hat aber nichts mit Ausländerfeidlichkeit zu tun, nur mit Portokosten. Denn vor SPEX ist jeder gleich.
Als Abo-Prämie gab es »das phänomenale Debüt von THE GOATS, der neuen, korrekten Rap-Sensation aus USA« (Spex 1/1993: 66). Im selben Heft fand man eine wesentlich ernster gemeinte Applikation der Redeweise. Im Januar 1993 war das Thema der Spex das Erstarken des Rechtspunk, der vor dem Hintergrund der rassistischen Übergriffe von Rostock interpretiert wurde. Unter der Überschrift 1992 - Das Jahr, in dem Punk brach, hieß es im Lead der Artikel:
186 Manfred Hermes: ›The Coming of the White Man.‹ ›My private Idaho‹ von Gus van Sant. In: Spex 11/1991, 74-75. 187 Eines der Bücher, die dort verhandelt wurden, war von Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel Herr P. und die Bombe (Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1991), in dem es um die deutsche Linke und den Golfkrieg ging, zu dem Zeitpunkt auch eine der großen Konfliktlinien im Konkret.
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VIER TABLEAUS In Deutschland bricht Punk weg: eine zehn Jahre vor sich hin gewachsene Spielart des Punk als Volksrock erlebt unter anderen, politisch denkbar unkorrekten Vorzeichen eine Medienpräsenz und einen Verkaufserfolg, den die Punks der ersten Generation nie erfahren haben. Während sich dort eine Rezessions-gebeutelte Rave-Nation der ästhetischen Möglichkeiten erinnert und bemächtigt, verliert die traditionelle Punk-Community Deutschlands, der linke Anarcho-Underground, ihre Musik an die Nation der Hassenden (Spex 1/1993: 31).
Solche mal ernsten, mal verspielten Kontextualisierungen der neuen Redeweise erreichten ein gutes Jahr später einen eher absurden Höhepunkt, als die Spex-Redaktion im Rahmen ihres jährlichen Leser-Polls fragte: »Wer oder was ist ein P.C.?«, und die Leserschaft zahlreiche Vorschläge à la »eine Abkürzung; prolling Ceitgeistanalytiker; pissender Coyote; pürierter Coitus« etc. anbot, außerdem einige ernsthafte Antworten, die kaum der Rede wert sind; auch genannt wurden »Leute, die ihren Falafel beim Kurden holten« (Spex 2/1994: 50). Die Redaktion zog offenbar etwas enttäuscht die Bilanz: »Wenig Kooperationsbereitschaft war zu spüren, als es darum ging, sich eine handliche Definition des Kürzels »p.c.« aus dem Kreuz zu leiern« (ebd.). Völlig richtig, aber zu dem Zeitpunkt hätte das niemanden mehr überraschen dürfen. Dennoch fungierte der Begriff der Korrektheit im Spex, anders als im Konkret, mit dem zu Beginn der Neunziger Jahre eine in Grenzen funktionierende Arbeitsgemeinschaft bestand, noch eine ganze Weile als Fahnenwort. Als im Oktober 1995 die Spex ihr 15-jähriges Jubiläum feierte, legte Diederichsen einen Schlüsselaufsatz vor, in dem er die Veränderungen des Blattes, der Leserschaft und der dort verhandelten Populärkultur einer eingehenden Analyse unterzog, indem er dieses Verhältnis mit dem PC-Begriff durchmusterte. Und obwohl er 1996 seine Theorien zu einem – auch denjenigen Wissenschaftlern, die vor den Untiefen einer Musikzeitschrift zurückzucken, standesgemäß zugänglichen – Buch erweiterte und er im Dezember desselben Jahres Teilnehmer an einem Symposion in Österreich zu dem Thema war (vgl. Steiner 1997), hat er in diesem Jubiläumsaufsatz seinen Standpunkt bündiger auf den Punkt gebracht als im Folgejahr. Es hat sich allerdings herausgestellt, daß sowohl seiner Tätigkeit in der Spex als auch dem Buch eine größere Wirkung bezüglich der Rede von der Korrektheit versagt geblieben ist. Diederichsen bezieht sich in seinen Überlegungen zu einem relativ großen Teil auf die in der Spex behandelte Popmusik, denn seiner Auffassung nach hat die Spex neben der reinen Deskription musikalischen Geschehens immer auch weitgehende Interpretationshilfe für die lesenden Rezipienten/Konsumenten geleistet. Diese Hilfe war über relativ lange Zeit statisch in Form und Inhalt. Diederichsen beschreibt das Auftauchen von PC im Musikjournalismus à la Spex als eine Begleiterschei-
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nung des »Zerbrechens des Indie-Konsenses« (Diederichsen 1995: 50).188 Diesen Konsens versteht Diederichsen als stilprägend für die – auch personell – außerordentlich homogene Kommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden der Spex in den Achtzigerjahren: Man sprach wenigstens seit ’83 – dem Moment, wo Punk-Aufbrüche, Revolten und Soul Rebels zu relativ friedvoller Indie-Statik erstarrten – mit einem scheinbar nicht näher definierten Haufen von Seinesgleichen. In Wirklichkeit aber war das eine sehr klar definierte Gruppe von relativ verfeinerten, narzißtischen, männlichen Oberschülern und Studenten mit der psychosexuell gestörten, infantilistischen Neigung zum Schallplattensammeln (ebd.).
Die Betrachtungsweise in der Spex sei zu der Zeit dieses kristallisierten Konsenses gekennzeichnet gewesen durch einen »linksradikalen Gestus, der sich außerhalb jeder praktischen Politik, aber auch außerhalb jedes politischen Verhältnisses zur zeitgenössischen Politik aufhielt« (ebd.). Diederichsen führt einige Beispiele für seine Art des Schreibens in der Mitte der Achtzigerjahre an, in denen er diesen in der Spex vertretenen »Linksradikalismus im Ferienlager« (ebd. 52) versagen sieht: In einem Vergleich zwischen ihm und anderen Musikern des Bebop nenne ich 1988 das Leben Charlie Parkers ein »Niggerleben«, meine damit, daß er wie ein »Nigger« behandelt worden ist. 1986 nenne ich eine bestimmte Pose einer schwarzen (afro-britischen) Sängerin »ganz Frau, ganz Neger«, im Glauben daran, so ein spezifisches Posenhaftes zu kritisieren (ebd. 50).
Es geht Diederichsen, wie er sagt, weder um Reue noch um Beharren auf diesen Positionen. Ohne seine Aussagen sinngemäß zu revidieren, weist er darauf hin, daß er so nicht mehr schreiben würde, und zwar mit einer interessanten und für unsere Arbeit folgenreichen Begründung: [Ich weiß heute], daß auch die deskriptive Verwendung des N-Worts ein geheimes, leises, eben gerade formal-ästhetisches Einverstandensein mit seiner expressiven Leistungsfähigkeit und damit auch mit den Verhältnissen transportiert, die es als Schimpfwort in die Welt gesetzt haben. Indem ich Parkers Leben so nenne, sage ich zum Beispiel, daß es so etwas gibt, und damit auch, daß es etwas Schicksalhaftes, Natürliches, Fatal-Richtiges oder meinetwegen Tragisches hat, das auf eine ferne Legitimität hinweist. [...] Daß es zu so einer Falle [...] kommt, liegt am undurchdachten, unkünstlerischen Einsatz eines zu eindeutigen, zu wenig mir gehorchenden, zu stark eindeutig codierten Wortes oder Textes (ebd. 52).
188 Wir denken, daß man in diesem Indiekonsens durchaus eine Analogie zu dem früheren Konsens der Satiriker mit ihrem Publikum sehen kann. Und hier wie dort stellt sich die Frage, ob es diesen Konsens wirklich gab oder ob er reines Wunschdenken war – im Falle Diederichsens Wunschdenken der Spex-Autoren.
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VIER TABLEAUS
Für Diederichsen manifestiert sich in dieser Erkenntnis eine – wenn auch nicht einheitliche und gleichzeitige – Veränderung in der musikjournalistischen Tätigkeit, auch bei anderen Spex-Mitarbeitern, deren Beginn er etwa 1988 verortet. Diesen Wechsel sieht er durch drei Entwicklungen beeinflußt: HipHop, SST und elektronische Datenverarbeitung – man hatte bei SPEX die Textverarbeitung per Computer eingeführt (ebd.).
Insbesondere diese drei Entwicklungen modifizierten das LeserSchreiber-Verhältnis nachhaltig. Diederichsen sieht Parallelen zwischen der besonderen Schreibweise, die durch die modernen Textverarbeitungsprogramme ermöglicht worden ist, und der Spielart der Rockmusik (im weiten Sinne!), die bei der damals populären Firma SST erschien: Endlos veränderbare Texte wurden nie fertig und boten sich der Autodekonstruktion dar. Den mäandernden, nie abgeschlossenen Sätzen entsprachen die unfertig komplexen, improvisierten Sounds von SST. Sie gefährdeten aber auch die stillschweigend vorausgesetzte Annahme eines problemlos kommunizierbaren Dialogs zwischen Autoren und Lesern. In der Folge wurde die bis dahin unerkannte Unterscheidung zwischen Anwesenden und Abwesenden und Eingeschlossenen und Ausgeschlossenen virulent (ebd.).
HipHop setzte diese Auflösungserscheinungen dann fort. Hatte man bis dahin in der Spex vermutet, über alle fortschrittsrelevanten musikalischen Bereiche interpretierend und symbolisch verfügen zu können, trat HipHop als – zunächst nicht integrierbarer – Repräsentant einer außermusikalischen Realität auf. Das ist insofern von Bedeutung, als daß die Aneignungsstrategien sich ändern mußten. Obwohl HipHop gerade nicht zur Identifikation einlädt, wenn man sich Diederichsens Beschreibung der Produzenten und Rezipienten der Spex so anschaut, so war und ist diese Musik dennoch auch für sie mit großem Genuß konsumierbar – aber dann eben unter anderen Voraussetzungen. Diese neuartige Aneignung skizziert er so: Bei HipHop funktioniert der Genuß gerade über das Nichtgemeintsein, über das numinose GANZ ANDERE der armen, ausgebeuteten schwarzen Menschen. [...] Er [der Genuß] reproduziert sich über die halb kleinbürgerlich schuldbewußte, halb selbstbewußt erleichterte Sicherheit, nichts damit zu tun haben zu können (ebd.).
Um diese Position des »ANDEREN« immer wieder neu berechnen und so nutzen zu können, wurde dieser »ANDERE« in der Spex durch stete Interpretation vertraut gemacht – Diederichsen spricht von einem »Verkauf von Folien für den Genuß« (ebd.). Dies funktionierte nur in be-
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stimmten Grenzen, denn das daraus folgende Paradoxon zwischen Aneignung und Fremdheit ist nicht lösbar: Die typisch SPEX-mäßige Aneignung von HipHop konnte die Wunde des Nichtgemeintsein und damit die Aufkündigung des alten Kommunikationskonsenses durch Identifikation nie ganz schließen [...] (ebd.).
Erst das Auftauchen von weißen Musikern wie Kurt Cobain oder Beck zu Beginn der Neunzigerjahre ergab auf ähnliche Weise nutzbare Figuren. Ihre »Selbststigmatisierung« (Beck als »Loser«, Cobain in »Smells Like Teen Spirit« und schließlich als Selbstmörder) und die Möglichkeit einer identifizierenden Rezeption erneuerte den alten Konsens, da man meinte, etwas dem HipHop strukturell Vergleichbares aufweisen zu können. Einer solchen Restabilisierung der Diskurspraxis der Spex aber steht Diederichsen mißtrauisch gegenüber. Er sieht die Notwendigkeit für eine neue »Polarisierung«, die den »Arbeitstitel PC« habe. Diederichsen setzt nun dazu an, PC in seinem Sinne zu beschreiben und zu funktionalisieren. PC wird von ihm eher als eine Diskurstaktik verstanden und nicht so sehr als ein Kanon von Themen. Die Inhalte seien »je und je auszudiskutieren« (ebd. 55). Nach seinem Dafürhalten ist ›Political Correctness‹ das genaue Gegenteil von der Selbstbezogenheit, die sich eben auch in den bisherigen Diskussionen um die gesellschaftliche Bedeutung von Musik insbesondere in der Spex gezeigt hat. Mit einer so verstandenen PC werden große Erwartungen verbunden: Im Prinzip geht es um Potentialitäten, also darum, überall und für alles zuständig zu sein, nicht nur dort, wo Moral, Herkunft, Pragmatik, Realismus und andere Determinanten vorab auswählen. [...] Wie von wem in wessen Namen und Interesse Widerstand zu leisten wäre, läßt sich nicht immer per philosophischer Letztbegründung entscheiden, sondern entscheidet sich situativ. Das steckt in dem ›korrekt‹ von Correctness – eine gewisse, entspannte Selbstverständlichkeit in der Frage, auf wessen Seite man steht (ebd. 54).
Der Autor sieht in dieser Flexibilität Parallelen zum Aufkommen des Punk in den Siebzigerjahren.189 Die Attraktivität des Punk habe aus zwei Faktoren bzw. Möglichkeiten bestanden:
189 Die Radikalität dieser beiden Richtungen bzw. Strategien sei vergleichbar. Beim Aufkommen des Punk hat man auch allerorten in liberalen Kontexten (z B. in der Sounds) von einer Bedrohung gesprochen. Unter anderem aus diesen Konflikten heraus ist ja auch die Spex entstanden. Es entbehrt insofern nicht einer gewissen Pikanterie, daß sich die deutschen Punks aus Diederichsens Generation heutzutage gerne als betont und explizit unkorrekt inszenieren. Nachzulesen bei Teipel 2001.
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VIER TABLEAUS 1.) Leute zum Sprechen zu bringen und zuzulassen, die vorher ausgeschlossen waren. 2.) Durch das Aufbringen einer großspurigen Behauptungsrhetorik. Sie setzte durch Benennungen Inhalte durch, die diskursiv und über Debatten, über das folgsame Einhalten der pseudo-pluralistischen Öffentlichkeitsgesetze, nicht möglich gewesen wären (ebd. 54).
Diederichsen sieht insbesondere den letzten Punkt nicht völlig unkritisch. So wichtig er diese Rhetorik findet, um relevante Themen und Wörter zu besetzen, so sehr ist er sich über die Gefahr von Auswüchsen im klaren. Selbstgerechtigkeit und Larmoyanz, wie sie ja die Debatten der Achtzigerjahre in Hülle und Fülle gebracht haben, könnten sich durchaus in Affirmation einer ›Political Correctness‹ legitimieren. Vor die Wahl gestellt, entscheidet er sich jedoch für ›Political Correctness‹: Über Einzelheiten von Einschätzungen kann und muß man natürlich streiten – denn Lächerlichkeiten, auch Depolitisierungs- und Betroffenheitskitsch, gibt’s mittlerweile auch hier genug. Aber wenigstens gibt es dazu endlich wieder ein Register. Wenn ›FAZ‹-Rechtsaußen Eckard Fuhr sich über ein Buch begeistert, das PC als »Gefahr für die Demokratie« deklariert, kann jeder, der sich wie du und ich über eines definitiv mit den anderen Kindern einig ist, daß wir nämlich eine andere Demokratie wollen als die ›FAZ‹, zumindest ein präventives Wohlwollen gegenüber offensivem [...] PC durchaus in seinem/ihrem Herzen hegen (ebd. 54).190
Die Gefahr für die Redefreiheit, auch was Satire angeht, sieht er in seinem Verständnis von ›Political Correctness‹ nicht gegeben: PC hieße in diesem Zusammenhange ja nicht, wie immer wieder geargwöhnt wird, daß Kastrationen im großen Stil vorgenommen werden müssen, sondern daß der kategorische Imperativ lautet, rede halt allzeit so, als wären die, über die du redest, anwesend. Und wenn du – was völlig o.k. ist – über jemanden einen Witz reißen willst, müssen entsprechende Gründe vorliegen, oder du mußt es erklären können und so gemeint haben (ebd. 55).
Diederichsens Reformulierung einer affirmativen Haltung zu einer hochflexiblen PC als Haltung (und nicht als Themenkanon mit vorgefertigten Meinungen) hätte möglicherweise bahnbrechend sein können, auch für die Satire. Die Forderung, »es so gemeint zu haben« und die Situation einer »Anwesenheit« zu den Objekten zu simulieren und eben dafür eine Verantwortung zu übernehmen, wie es beispielsweise Henscheid gezwungenermaßen gemacht hat, unterläuft den wohlfeilen Rückzug, wie er vor Gericht notwendig sein mag, um beispielsweise die Existenz einer
190 Diederichsen bezieht sich hier auf Fuhr 1995, eine euphorische Rezension von Behrens/von Rimscha 1995.
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Zeitschrift zu retten, wie er aber außerhalb der juristischen Sphäre oft peinlich wird. Diederichsen, so scheint es, wollte dieses Konzept einer ›PC‹ aus dem subkulturellen Ghetto, wie es eben auch die Spex darstellt, nach außen tragen. Das ist nicht gelungen. Einen größer angelegten, ebenfalls deutlich fehlgeschlagenen Versuch für ein breiteres Publikum startete er mit seinem Buch Politische Korrekturen (1996). Hier ist sein Ton aggressiver geworden, vor allem gegenüber den Satirikern. Eckhard Henscheid wird mit Otto Graf Lambsdorff und Dieter E. Zimmer in einem Atemzug genannt, weil sie sich durchweg, wie andere von Diederichsen aufgelistete Personen, über die »Verfolgung durch »P.C.« beklagen« (Diederichsen 1996: 7).191 Auch zeigt Diederichsen sich enttäuscht darüber, daß sich Robert Gernhardt ebenfalls auf diesen Diskurs eingelassen hat, wenn er, wie bereits erwähnt, im Zweitausendeins-Katalog ein Buch seines Kollegen Bernd Pfarr mit den Worten bewirbt, Pfarr sei »erfreulicherweise frei von politischer Korrektheit.« Daß selbst Gernhardt das dünnste, schwächste dazu billigste und falscheste, wenn nicht reaktionärste aller Gratislobe aussucht, den geschenktesten Spruch seit dem [..] unerträglichen ›gegen den Zeitgeist‹ [...] (ebd. 8).
Dies ist just eine Verknüpfung, die mit umgekehrten Vorzeichen im selben Jahr auch bei Elisabeth Noelle-Neumann verwendet worden ist, wenn sie »öffentliche Meinung, Meinungsklima, Zeitgeist, Tabu« mit »Political Correctness« gleichsetzt. Diederichsen wird in seinem Buch wesentlich ausführlicher als in seinem Aufsatz vor Jahresfrist, ohne etwas wesentlich Neues über sein Verständnis von PC hinzuzufügen. Noch einmal beschreibt er länger und ausführlicher, wie der Themenpark in den USA seiner Auffassung nach konfiguriert wurde, und wie schnell die Rede davon in Deutschland aufgenommen worden ist. Er bezieht sich als Kulminationspunkt der Diskussion vor allem auf das Jahr 1993, in dem die Präsidentschaftskandidatur Steffen Heitmanns scheiterte, weil dieser wie ausgeführt aus seinem Nationalismus und seinem Verhältnis zu Ausländern taktisch unklugerweise kein Geheimnis gemacht hat. Auch Diederichsen beschreibt, wie die Gelegenheit genutzt wurde, Heitmann im Anschluß als Opfer eines »politisch korrekten Tugendterrors« zu konstruieren (ebd. 106f).
191 Ich habe diesbezüglich keinen zeitgenössischen Beleg auftreiben können. Allerdings hat Henscheid in seinem Interview mit der JF auf die Gefahren der ›Political Correctness› für die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit abgehoben (Henscheid Interview 2002). Was wir, halten zu Gnaden, vor wenigen Jahren ja auch noch unterschrieben hätten.
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VIER TABLEAUS
Diese Entwicklungen kritisch zu beobachten und zu bekämpfen scheint Diederichsen zu diesem Zeitpunkt politisch wesentlich relevanter zu sein als der Kampf gegen die »Gutmenschen«, die zwar nach seiner Auffassung in den Achtzigerjahren durch Satiren bekämpfenswerte Idealtypen gewesen seien – wir erinnern an unsere Darstellung der Gründerjahre der Titanic –, die aber unter den politisch veränderten Vorzeichen der Neunzigerjahre »mit steigender Frequenz, wenn nicht von der Bildfläche verschwunden, so doch zumindest völlig irrelevant geworden« seien (ebd. 112). Eine Entwicklung, möchten wir einflechten, die sich seitdem durchaus noch beschleunigt hat. Obwohl er beispielsweise Wiglaf Droste hinsichtlich seines satirischen Schaffens für einen Profitler dieses in seinen Augen abgehalfterten Satiremodells hält, lehnt er die Verfolgung Drostes (und damit auch K. Rutschkys) durch die loony left ab, die seine Lesung mit Gewalt zu stören versuchten. Allerdings befürchtet Diederichsen insgesamt einen Mangel an Resistenz der Satiriker gegen die Vereinnahmung der Neurechten und der FAZ. Henscheid, Droste, Klaus Bittermann, diese und andere seien in diesem Umfeld längst zu »vielzitierten linken Anti-PC-Kronzeugen avanciert« (ebd. 115f). Mit dem Henscheid-Interview in der JF, in dem dieser sich für Jürgen Möllemann und Martin Walser (letzteren allerdings etwas despektierlich behandelnd) stark gemacht hat (Henscheid Interview 2002), ist diese Einschätzung in gewisser Hinsicht bestätigt worden. Seine Prognose allerdings, daß PC vor allem aus der Welt der Subkulturen heraus für die Linke günstig entwickelt werden kann, scheint rückblickend eher eine Überschätzung der Relevanz des eigenen beruflichen Tuns als Kulturbeobachter zu sein, die auch aus dem Irrglauben entsteht, er, Diederichsen, könne für die von ihm geschätzten Minderheiten mitsprechen. Es nützt nichts, wenn Diederichsen gelegentlich auf die Bedeutung der außersprachlichen Realität verweist, wenn in seinen Ausführungen immer wieder die Vorstellung zum Tragen kommt, daß gerade in den »nicht-normierten Lebensstilen« der Subkulturen der Ort liegt, von dem aus der Widerstand gegen Anti-PC entwickelt werden kann. Und für die Restlinke insgesamt behauptet er überdies, daß sie sich außerhalb dieses von ihm beschriebenen und mit als positiv verstandener PC verknüpften »Patchworks« von Interessen und Standorten nicht mehr politisch relevant betätigen könnte (vgl. dazu auch Diederichsen 1997: 138). Vielleicht liegen auch hier die Schlüssel für den Konflikt mit dem Konkret-Umfeld.192
192 Für unsere Vermutung spricht auch die Kritik Günther Jacobs, die er in der Testcard, einem Spex-Nachahmungsorgan in Buchform, ablieferte. Er wirft Diederichsen vor, nicht gezeigt zu haben, daß »Schwarze« oder
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT
Bei aller Sympathie unsererseits für Diederichsens unkonventionellen Ansatz sind die diskurstaktischen Schwächen nicht zu übersehen, und vielleicht hat seine spezifische Art der Stellungnahme dem eigenen Anliegen doch mehr geschadet als genutzt. Paradoxerweise wird er bei Verlassen des Spezialdiskurses in der Spex und bei Eintritt in den allgemein verfügbaren Büchermarkt streckenweise wesentlich elitärer, in dem Sinne, daß er zahllose Anspielungen bringt, die nur für vorinformierte Leser, die seine Argumentationsschemata und Musikkritiken in der Spex jahrelang verfolgt haben, noch mit angemessenem Zeitaufwand nachvollziehbar sind. Der Jubiläumsaufsatz 1995 war deutlich zugänglicher. Der diskurspolitisch und theoretisierend ausgerichtete Schreibstil, der als typisch für die frühen Neunziger Jahre der Spex gilt, ist vor allen in – im allerweitesten Sinne – linken Zusammenhängen auf Kritik gestoßen, bezeichnenderweise oft erst zu dem Zeitpunkt, als die Spex am Ende der Neunziger Jahre von diesem theoretischen und politischen Anspruch bereits abgekommen war und den Weg zu einer Musikzeitschrift, wie es sie zu Dutzenden gibt, eingeschlagen hatte. Diederichsen selbst, und das hat zum fragwürdigen Ruf der Spex beigetragen, pflegt einen oft assoziativen, idiosynkratischen Schreibstil, und er macht, so darf man unterstellen, nicht mal den Versuch, seinen Kommunikationsstil über eine szientoide Szenesprache hinaus weiterzuentwickeln. Das hat deutliche, oft auch überzogene Kritik hervorgerufen. So schreibt Jürgen Roth, wiederum im Hause Tiamat, in dem auch die Wörterbücher des Gutmenschen erschienen sind: Für die spex, das zu Köln am Rhein verfertigte Mitteilungsblatt der stolzen Schwätzer und ahnungslosen Laffen, fehlt jeder medienwissenschaftliche Begriff. [...] Nur zu erahnen ist, worum es sich da Monat für Monat dreht: um Platten, Kino, mal um Malerei, mal um bedeutende Theorie und Bücher und immer um alles zugleich und kreuz und quer, Hauptsache, die Autoren verstehen sich selbst nicht mehr (Roth 1999: 201).
»Black Culture« zu sagen nichts anderes als »Neger« meine, kurzum, daß man zeigen müsse, daß »es sich bei der PC-Debatte um den bekannten Streit um Universalismus und Differenz handelt« (Jacob 1997: 299). Nachdem Jacob die Angelegenheit so in den engen Grenzen seines Horizonts für sich handhabbar gemacht hat, fährt er fort, ausgesprochen haltlose Behauptungen aufzustellen. So erläutert er im weiteren: »Im politischen Leben beanspruchen doch alle Seiten, pc zu sein« (ebd. 300). Das ist angesichts der zahllosen Zeugnisse davon, welchen Gewinn es hierzulande bringt, sich als ›inkorrekt‹ zu präsentieren, ausgesprochen dummes Zeug. Wie kommt Jacob mit dieser Behauptung über die Runden? Indem er sich PC zu einer »habermasianischen Vorstellung des Aushandelns« zusammenreimt und ohne Not oder Begründung von »herrschenden PC-Werten« wie »Religion, Recht, Chancengleichheit, Demokratie etc. [!!]« redet, die ja auch ein Richard von Weizsäcker vertrete.
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VIER TABLEAUS
Muß man annehmen, daß Roth die Spex in Themenwahl, Habitus und Duktus nicht gefällt? Er spricht von einem »bis zur Demenz ausgeprägten Distinktionsbedürfnis« (ebd. 202) der Spex-Mitarbeiter. Michael Rudolf hat im selben Buch der Einfachheit halber von der Spex als »der Monatszeitschrift für komplett Bekloppte« (Rudolf 1999: 209) gesprochen.193 Nun ließe sich zum Schreib- und Denkstil beider Autoren ebenfalls einiges anmerken, was wenig schmeichelhaft ist, und das Distinktionsbedürfnis, das sich beim Vielschreiber und Henscheid-Epigonen Roth in diesem Zitat zeigt, wirkt auch nicht ganz gesund. Zwar geht ihre Kritik nicht völlig ins Leere, doch gerade für den Veröffentlichungszeitpunkt 1999 muß man feststellen, daß sie sozusagen ein totes Pferd treten. Zu dem Zeitpunkt wurde dort bereits so geschrieben, daß man Roths Verständlichkeitspostulat weitestgehend entgegekam. Aber auch innerhalb der Spex wurde immer wieder mal Kritik an Diedrichsens Versponnenheit laut. So sprach der langjährige SpexMitarbeiter Felix Reidenbach – im Blatt selbst – anläßlich seiner Lektüre des Buchs Politischen Korrekturen (1996), das er unter dem Strich durchaus empfahl, von Diederichsens »kaum verständlichem Schreibstil« sowie von der ärgerlichen Notwendigkeit, den Text »Wort für Wort eselsgeduldig in sich einzuscannen« (Reidenbach 1997: 19), um überhaupt etwas damit anfangen zu können. Ohne wie etwa Roth auf einen naiven Verständlichkeitsbegriff abzuzielen beschreibt Reidenbach zutreffend, daß Diederichsen (auch) in diesem Buch ein Versteckspiel betreibt, indem er Begriffe und Anekdoten als allgemein bekannt bzw. ausreichend populär voraussetzt, ganz gleich, wie abgelegen und schwer zugänglich die Quelle ist – solange es irgendwo publiziert ist, wird es als gleichermaßen zugänglich behandelt, und die Ausgrenzungsprozedur gegenüber Teilen der Leserschaft läuft über die Verwendung oft exzentrischer Versatzstücke, mit denen Diederichsen seine Texte schmückt. Das
193 Eine ausführlichere, streckenweise sehr verwirrte Kritik an Diederichsen findet sich bei Robert Kurz 1999. Auch von Political Correctness hat Kurz mal etwas läuten gehört, und ähnlich wie all die ökonomischen Versatzstücke seines Weltbilds mendelt er sich auch diesen Begriff für den Hausgebrauch um: »Die postmoderne Linke ist vor allem eine Lifestyle-Linke, die diesen Charakter auch auf ihren »Diskurs« ausdehnt. Die Leitmotive sind entweder »political correctness« oder umgekehrt »sozialästhetischer Tabubruch« [?!]. Hatte PC in den USA ursprünglich eine systemimmanente soziale Reformfunktion (Quotenrechte für Minderheiten), so handelt es sich heute um ein Ersetzen des Streits über Inhalte durch eine permanentes Aushandeln semantischer Koexistenzen, von dem jede Theorie-, Analyse- und Strategiedebatte verschlungen wird« (Kurz 1999: 17). Kurz’ in mancher Hinsicht berechtigte Kritik an den Affirmationstendenzen der als »Kulturlinke« bezeichneten Gruppierungen geht in einem argumentativen Furor verloren.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT
hat – und wir verweisen auf Yoshidas Kritik an dieser Form von Geheimnistuerei – nach Reidenbach fatale Konsequenzen: Sein Text schlägt sich damit auf die Seite des herrschenden Verständnisses von Verständlichkeit. Denn wo beim Schreiben kein verändertes Verständnis begünstigt wird [durch, so Reidenbach, Erklärungen von Anekdoten, Fremdwörtern und Namen, MFE], bleibt beim Lesen eben das bestehende Verständnis in Kraft (ebd. 20).
Reidenbachs glänzende Analyse der mißglückten Diskursstrategie Diederichsens faßt zusammen, warum jeder kritische Impuls, der von der Spex im Diskurs um ›Politische Korrektheit‹ hätte ausgehen können, letztlich versanden mußte: Diederichsens Veröffentlichungs-Stil verschleiert und erneuert die innerhalb seiner ›Zielgruppe‹ üblichen Ausgrenzungstechniken. Ausgrenzung ist »SzeneIntern« vor allem in den Kategorien »äußerliche Attraktivität« (poppig) und »Wissen« (akademisch) normbildend, und verstärkt – andere hin, Sphären her – Konsumzwang, Ratlosigkeit, Leiden. Diederichsens Buch wirkt stilistisch diesen Normen nicht entgegen, sondern es wiederholt diese Normen (ebd. 20).
Damit PC als »letzte Verteidungslinie des Anstands« (Gremliza) oder als »linkes Projekt« (vgl. Steiner 1997) hätte gerettet werden können, und dies unter den erschwerten Bedingungen durch die ohnehin in vieler Hinsicht festgefahrenen Konnotationen im Ursprungsland der Redeweise und durch den deutschen Themenpark, hätten sich die Verfechter dieser Position vielleicht doch etwas mehr Mühe geben müssen. Das gilt auch, und damit nähert sich unsere Rundreise durch den Themenpark so langsam ihrem Ende, für die halbherzigen Versuche im Umfeld des Konkret, dem wir diese beiden Redewendungen entnommen haben. Es ließe sich anhand der einzelnen Artikel in dieser Zeitschrift zeigen, daß die Verwendung in gewissen Grenzen weniger pejorativ ist als etwa im Spiegel. Aber bereits Seeßlen repräsentierte die meist übliche ablehnende Verwendungsweise. In den folgenden Jahren gab es einander zuwiderlaufende Verwendungen, die zwischen zaghafter Affirmation und (meist ridikülisierender) Kritik alle Felder abdeckten – eine Dramatisierung à la Zimmer ist allerdings eher selten. Eine erste gründliche Auseinandersetzung im Blatt stellte der Aufsatz von Gerhard Scheit 1994 dar. Er beschreibt, die grundsätzliche Existenz von ›Political Correctness‹ nicht mehr in Frage stellend: Mit der Selbstironie ist es wie mit der Selbstkritik, sie gibt dem Gegner Gelegenheit zu partizipieren: Konservative empfinden in Amerika an den sprachlichen Verrenkungen der PC reichlich Schadenfreude, sie amüsieren sich königlich über die Drohungen der selbsternannten Sprachwächter – und gewiß nicht wenige Linke können sich hier lachend von ihren Idealen verabschieden.
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VIER TABLEAUS Unbestritten ist, daß die Komik, die dieses Wort heute in Frankreich oder Deutschland verbreitet, nur mehr die Qualität eines Stammtisch-Herren– witzes hat: ein Kürzel für die Anmaßungen von Minderheiten, Frauen, Schwulen, Schwarzen ... – fast schon vergleichbar dem Klang einer anderen Abkürzung: »Emanze«. Es signalisiert die Gefahr einer Diktatur des Citoyens – vor der zu warnen ist, über die aber gleichwohl gelacht werden darf, wie eben über die drohende »Weiberherrschaft«. Im »Spiegel« – am Nebentisch sozusagen – wird dankbar mitgegrinst (Scheit 1994).
Hier macht Scheit auf die sehr begrenzte Komik der Rede von der Korrektheit aufmerksam sowie auf eine der humoristischen Traditionen, an die angeknüpft worden ist. Hinzu kommt in diesem Zitat die treffsichere Bemerkung bezüglich der Optionen, die sich für Linke aus der Redeweise ergeben. Neben der Überschätzung und Überhöhung der Valenz des eigenen kritischen Standpunkts, wie er einen großen Teil der in unserer Arbeit zitierten amerikanischen Linken auszeichnet, wird hier eine Ausstiegsoption über die Rede von der politischen Korrektheit aus ungelösten politischen Zwängen beschrieben, die oft wahrgenommen werden sollte. Scheit zeigt ein weiteres Problem auf, das hauptwiderspruchsorientierten Linken nur allzuoft und vielleicht auch allzugern entgeht: Es mag merkwürdig klingen, aber hinter jedem Schlagwort des PC-Sprach– schatzes verbirgt sich umgekehrt auch ein im weitesten Sinn politisches Problem, das diskussionswürdig wäre – man könnte es selbst hinter »Fatism« entdecken. Lächerlich wird es nur durch die Gleichschaltung mit allen anderen und – was damit zusammenhängt – durch eine seltsame Idolatrie des Sprachlichen, eine ungewöhnliche, geradezu zwanghafte Fixierung auf die Sprache. Die Citoyens der PC sind, wie es scheint, von der fast magischen Vorstellung durchdrungen, daß das Wort selbst bereits das Problem sei (nicht ein Problem bezeichne, selbst nur ein Teil davon wäre) – und damit dem Sprechen der gleiche Status wie dem Handeln zukäme (ebd.).
Nun ist festzustellen, daß die Sprachidolatrie oft ganz auf der Seite des Kritikers ist, wenn er sich an Dichtung und Wahrheit bezüglich der speech codes abarbeitet und übersieht, daß mit der Ablehnung der Korrektheit auch sehr konkrete politische Forderungen abgeschmettert werden. Wir finden dennoch, daß Scheit hier auf einen sehr bedeutenden Aspekt hingewiesen hat – was aber eben für die Diskurspraxis im Konkret letztlich folgenlos blieb. Noch in dem 1994 im Konkret Literatur Verlag erschienenen Band Originalton Deutsch stellt Oliver Tolmein zu seiner Person fest, daß er, nicht zuletzt in den Augen mancher, die sich von ihm nicht interviewen lassen wollten, ein »linker, als »pc«-Enthusiast eingeschätzter Autor« (Tolmein 1994: 8) sei. In diesem Band ist ein Interview des Autors mit Hermann L. Gremliza enthalten, in dem mit dem Korrektheitsmuster argumentiert wird. Gremliza weist auf Defizite von Korrektheit hin: 215
DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Ich bemühe mich gerade um personelle Veränderungen, die das sehr ordentliche und politisch ziemlich korrekte Konkret neu herausfordern (Gremliza Interview 1994: 86).
Tolmein entgegnet, als einer der wenigen, die zu dieser Zeit affirmativ von PC reden: »Konkret erscheint mir, zumindest was Feminismus angeht, eher als ziemlich, denn als politisch korrekt« (ebd.). 194 Gremlizas Herablassung ist typisch für die aus linker Sicht formulierte Kritik an der Idee der PC, der eben nicht viel politisch Nützliches zugetraut wird (vgl. ja auch Jacob 1997). Die Anti-PC-Kampagne allerdings, die bis Mitte der Neunziger Jahre vermutlich ihren größten Schwung hatte, hielt an und beunruhigte möglicherweise auch Teile des Konkret-Umfelds. Jedenfalls fand im Dezember 1996 in Österreich ein Kongreß zum Thema »Kulturkampf« statt, bei dem auch Gremliza, Diederichsen und Jacob vertreten waren. Bei dem Kongreß ging es in erster Linie um PC und um die Frage, ob PC wohl als linkes Projekt zu retten ist. In der Abschlußdiskussion stellte Gremliza die These von »PC als letzter Verteidigungslinie des Anstands« auf. Er führte aus, daß es in Deutschland überhaupt keine PC gebe, und fährt fort: »Das Klima ist ja dadurch gekennzeichnet, daß dieser Begriff der politischen Correctness nur von Rechts gebraucht wird« (zit. nach Steiner 1997:147f). Just diese Feststellung wird durch die Praxen im Konkret nicht bestätigt, wie sich ja im Gremliza-Interview 1994 oder bei Georg Seeßlen gezeigt hatte. Dieser kurzen Inszenierung einer Überlegung, das Kind zu retten, nachdem es bereits im Brunnen war, wurde dann auch in der Folge nicht mehr viel Beachtung geschenkt. Wir greifen zur Illustration ein paar Beispiele zwischen 1997 und 1999 heraus. Nehmen wir als ersten Wolfgang Fritz Haug, der neben anderen von Konkret gefragt wurde Was ist heute noch links? Er versucht hier den Spagat, Ideen zu formulieren, die man womöglich als ›politisch korrekt‹ brandmarken könnte und sich gleichzeitig vom Begriff ›Political Correctness‹ und den Kulturlinken nach links zu distanzieren: »Links« ist ein bestimmtes Wirken in einem Kraftfeld im Gegensatz. Man bleibt nicht links, sondern handelt in immer neuen konkreten Situationen links. Was den Brennpunkt jenes antagonistischen Kraftfeldes bildet, das Handlungen (und dazu gehört zunächst das öffentliche Wortergreifen!) zu linken oder rechten Handlungen stempelt, hat jüngst Richard Rorty in der »Zeit« als den Kampf zwischen Armen und Reichen definiert. Da dieser Gegensatz sich seit zwei Jahrzehnten verschärft, erklärt er es für Gequatsche, wenn gesagt wird, der Unterschied von links und rechts sei verschwunden.
194 Tolmein hat auch später einen Lexikoneintrag zum Thema Political Correctness verfaßt. Wir haben diesen Artikel nicht mehr erfaßt, weil er einfach nicht genug hergibt. Angesichts dessen, was Tolmein 1994 noch zu wissen glaubte, ist er sehr mager ausgefallen (Tolmein 2002).
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VIER TABLEAUS Recht hat er. Er hat aber auch dann recht, wenn er der »kulturellen Linken« vorwirft, eine Politik des Verdachts anstelle eines politischen Projekts zu verfolgen. Political Correctness ergibt noch lange keine richtige Politik. Ein linkes Projekt ringt um Hegemonie. Was sich losreißt vom Kraftfeld dieses Ringens, mag weiterhin radikal dagegen sein und hört doch auf, wirklich links zu sein, nämlich links zu wirken. Rortys Rechts-links-Unterscheidung ist aber zu primitiv. Der Kampf der Armen muß mit vielen anderen Kämpfen verbunden werden – allen voran der Kampf um Demokratisierung, ökologische Reformen und emanzipatorische Geschlechterverhältnisse. Dies verlangt viel Beweglichkeit im Umgang mit Widersprüchen und Einsicht in Zusammenhänge, also auch auf die Höhe der Zeit gebrachte marxistische Theorie.195
Wir sehen die üblichen Versatzstücke ›Wesentlichkeit‹ (hier vertreten durch einen auf das Materialistische zugeschnittenen Handlungsbegriff und die Rede vom »Wirken«) gegen ›Political Correctness‹, allerdings verknüpft mit der konzilianten Einschätzung, daß der Marxismus thematisch aufgemöbelt werden muß. Das nächste Beispiel entstammt wiederum einem Text von Gerhard Scheit, der mittlerweile die ›Political Correctness‹ deutlich kritischer sieht. Man erfährt aus dem Literatur-Konkret des Jahres 1997 über den offenbar visionären Heiner Müller: Noch ehe es den Begriff der Political Correctness überhaupt gab, wies Müller schon auf den gesellschaftlichen Zusammenhang von Barbarei und Correctness hin, den die Korrekten nicht wahrhaben wollen – und darin liegen wohl die stärksten Momente seiner Dramaturgie: Bühnenbilder zur Dialektik der Aufklärung. Die Beschwörung des revolutionären Subjekts verbleibt bei Müller nicht einmal mehr im Konjunktiv, sie ist ins Futurum entrückt. 196
Hinwiederum Scheits Erkenntnisse zum Thema ›Political Correctness‹ im biographischen Präteritum verschwunden sind. Er hat sich hier einer Verwendung des Begriffs hingegeben, die hinter seine vorherige Analyse deutlich zurückfällt. Eine ganz andere, ebenfalls eindeutig pejorative Verwendung finden wir in der Rezension Jan Pehrkes von Stonor Saunders 1999, ein Buch, in dem es um die Kulturpolitik der CIA während des Kalten Kriegs geht: Aber als der Geheimdienst umdisponierte und vornehmlich das Ziel verfolgte, als Counterpart zum real existierenden Sozialismus eine nicht-kommunistische Linke (CIA-Kürzel: NCL = Non-Communist-Left) aufzubauen, paßte der sture, kommunistenfresserische Eifer der Renegaten nicht mehr zur Corporate Identity. Nun waren keine Reaktionäre mehr gefragt, sondern flexible Gestalten, die ein fortschrittliches Amerika-Bild entwarfen. Die Kulturpolitik des »Congress« nimmt in dieser Phase fast Züge von »Political Correctness«
195 Wolfgang Fritz Haug: Was ist heute noch links? KONKRET-Umfrage. In: Konkret 10/1997, 19. 196 Gerhard Scheit: Opferkult und revolutionäres Subjekt. Arbeiterdichtung bei Peter Weiss und Heiner Müller. In: Literatur-Konkret 1997, 12.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT avant la lettre an. »There is also a strong feeling that for psychological reasons the entire cast of ›Four Saints‹ should be American Negro: to counter the ›suppressed race‹ propaganda ...«, schrieb ein amerikanischer »Congress«-Mann als Regie-Anweisung zu einem Theaterstück von Gertrude Stein, das in Paris aufgeführt werden sollte. Und der CIA-Mann in Hollywood sorgte derweil dafür, daß afro-amerikanische Schauspieler mehr Rollen in Filmen bekamen. 197
Es gehört schon ein wenig Perfidie dazu, die Politik der CIA zu der Political Correctness, wie man sie im Umfeld der Konkret sich begrifflich mittlerweile erarbeitet hatte, in bezug zu setzen. Möglicherweise hat Pehrke das auch nicht beabsichtigt. Aber er scheint auf den Effekt durch ein Wort, »das ihm nicht gehorcht« (Diederichsen 1995), nicht verzichten zu wollen. Wiederum gefragt: Was macht diese Rede von der Korrektheit, den Begriff ›Political Correctness‹ so attraktiv, und zwar selbst dann, wenn es um Zustände »avant la lettre« geht? Diederichsen gab vielleicht auch darauf einen Hinweis, als er die selbstkritische Diagnose für seinen Gebrauch des Wortes »Nigger« erstellte: es handelt sich möglicherweise um ein »formal-ästhetisches Einverstandensein mit seiner expressiven Leistungsfähigkeit« (ebd.). Wie auch immer, die Aussage, daß die Linken diesen Begriff nicht gebrauchen und für sich nutzbar machen, ist nicht zu halten, und sie hat soweit wir das überblicken können, für die deutschen Linken nie gestimmt. Allerdings läßt sich die Rede von der Korrektheit nicht auf ihren Stigmawort-Chrakter reduzieren. Und um den Besuch im Themenpark mit einem kleinen Feuerwerk abzuschließen, sei auf das Konkret vom Juni 2002 hingewiesen. Bereits auf dem Titelbild war in der Themenleiste zu lesen »Schröder/Walser – politisch korrekt nach rechts«. Das versprach viel, das wurde gehalten! Bei den Leserbriefen ging es schon los: Meisterhaft verdrängt werden in Deutschland politisch nicht so korrekte Tatsachen: So war Wagner nicht nur der Lieblingskomponist von Hitler, sondern auch der von Theodor Herzl.198
Wir gäben etwas dafür, Dinesh D’Souza oder Valerie Scatamburlo mit dieser Aussage zu konfrontieren und sie rätseln zu lassen, was das wohl bedeuten mag. Hermann L. Gremliza hingegen diagnostiziert in seinem Editorial sehr zutreffend:
197 Jan Pehrke: Operation Kultur. Kalter Krieg und weiche Themen: Frances Stonor Saunders beschreibt den Kulturkampf der CIA. In: Konkret 11/1999, 56 (Rezension von Stonor Saunders 1999), herv. v. MFE. 198 Siegfried Gerlich über Gottfried Wagner Die Meisterverdränger (aus Konkret 05/2002). In: Konkret 06/2002, 7.
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VIER TABLEAUS Martin Walsers Klage, er werde bestraft, weil er in öffentlicher Rede vorgetragen habe, was ihn privat umtreibe, ist Volkes Klage. [...] Wie Walser fühlt sich die Mehrheit, hier und überall in Europa, reglementiert, zensiert, von Hütern politischer Korrektheit terrorisiert.199
Das ist eher als Kritik an denjenigen zu interpretieren, die sich von der Korrektheit umzingelt sehen. Wir werden dennoch gleich sehen, daß Gremliza von der Korrektheit auch nichts hält oder sich zumindest so darstellt. Zunächst aber zitiert Jürgen Elsässer eine britische Investitionsberatungsfirma, allerdings um sie zu desavouieren: »Wir sind nicht um politische Korrektheit besorgt. Wir treffen keine moralischen Urteile. Unser Ziel ist lediglich, für Sie Geld zu machen.«200
Läßt man den genannten Leserbriefschreiber außer acht, so könnte man zunächst glauben, die Diskursmodi im Konkret seien bezüglich der Rede von der Korrektheit doch ganz andere. Das ist, wie auch die anderen Beispiele aus den Vorjahren gezeigt haben, nicht der Fall. Und auch in diesem Heft verleiht der ehemalige Titanic-Redakteur Christian Y. Schmidt der Rede von der Korrektheit wieder einen den bekannten Drall, wenn er über die Tagung »Nationalismus. Patriotismus. Demokratische Kultur« mit Gerhard Schröder und Martin Walser schreibt: Wie der deutschnationale Kanzler den antisemitischen Vordichter funktionalisierte, um auf politisch korrekte Weise ganz weit rechts Platz zu nehmen.201
Hier tritt – durch die Unterstellung einer Kompatibilität von Schröders relativer ›PC‹ und Nationalismus – wieder die politische Unzulänglichkeit dessen zutage, was man für politische Korrektheit hält. Günter Jacob dann, ebenfalls Teilnehmer bei der oben erwähnten Tagung in Österreich 1996, ein früherer Spex-Mitarbeiter und bei vielen sich bietenden Gelegenheiten über Kreuz mit den Spex-Leuten wie Diederichsen führt in einer Kritik der ›Bundeskulturstiftung‹ aus: Es ist die Identitätssuche des Bürgertums, die Machterfahrung qualifizierter neuer Eliten und der rebellische Konformismus der »Kulturarbeiter«, die sich ihre Berliner Republik als »selbstbewußte Nation« entwerfen und bei denen
199 H. Gremliza: Avanti populo? Nej tak! In: Konkret 06/2002, 9. 200 Jürgen Elsässer: Oldies but Goodies. In: Konkret 06/2002, 15. 201 Christian Y. Schmidt: Gefühle am Mittwoch. In: Konkret 6/2002: 26. Schmidts Interpretation der Veranstaltung und ihres Zwecks ist originell: »Gegen den auf Krawall gekämmten Dichter [...] wirkt der deutsche Kanzler plötzlich wie das letzte Bollwerk der Vernunft. Und eben das, so drängt sich der Eindruck auf, ist wohl auch der Zweck der ganzen Veranstaltung« (ebd. 28).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT sich hinter den Masken des politisch Korrekten die Wut auf jene angesammelt hat, die doch nur »das schlechte Gewissen der Deutschen ausnutzen«.202
Wesentlich entspannter ist der Gebrauch der Redewendung bei Martin Krauß. Er schreibt über eine Idee des Bundespräsidenten Rau, das Schalker Fußballstadion »Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion« zu nennen: Die politisch korrekte Idee (kein Nazi, endlich mal ’ne Frau, erst recht kein amerikanischer Konzern und das ganze noch in lokaler Mundart) wurde freilich nicht realisiert.203
Ernster hingegen ist das letzte Beispiel aus diesem Heft, und hatte der Herausgeber im Editorial noch die politisch Korrekten als eine Art Phantom der und für die Rechten wie etwa Walser skizziert, wird diese Rede nun eher im Sinne C. Y. Schmidts verwendet, und das »Maskenhafte« der Korrektheit im Sinne Jacobs wird wieder in den Vordergrund gestellt. Gremliza schreibt im Express, der letzten Rubrik im Heft, über einen Redakteur der Taz, der Diskursregeln aufgestellt habe, damit die Landsleute [...] ihrem Judenhaß auf so politisch korrekte Weise Ausdruck zu geben lernen, wie es der Redakteur der »Taz« im Lauf der Jahre gelernt hat.204
Wir möchten mit dieser fulminanten ›Leistungsschau‹ unseren Besuch im Themenpark abschließen. Wie sich gezeigt hat, ist es üblich, mit Hilfe der Legende von der politischen Korrektheit so ziemlich alles zu verhandeln, was einem gerade unter den Nägeln brennt. Es haben sich spezifische deutsche Themen und Varianten bzw. Verwendungsweisen der Rede entwickelt, die völlig losgelöst vom ohnehin diffusen amerikanischen Ursprung sind, aber auch Verwendungsweisen, die auf diesen amerikanischen Ursprung angewiesen sind. Der Rest ist kontingent und läßt keine national bedingten Präferenzen erkennen. All das funktioniert unabhängig davon, ob man glaubt, daß es ›Political Correctness‹ gibt oder aber nicht, auch unabhängig davon, wie man zu der Idee irgendeiner Korrektheit steht. Die in Deutschland beinahe sofort einsetzende Konfiguration eines deutschen Themenparks hat gezeigt, daß es einen Bedarf nach einer solchen diskurspolitischen Zauberformel gegeben hat. Wegen dieser vielseitigen Verwendbarkeit und der auch realisierten Verwendung sind wissenschaftliche Untersuchungen unter den genannten Gesichtspunkten »Stigmawort«, »Euphemismus«, »nichtdiskriminie-
202 Günther Jacob: Bundesidentitätsstiftung. In: Konkret 06/2002, 43. 203 Martin Krauß: Der verkaufte Vater. In: Konkret 06/2002, 53. 204 H. Gremliza: Gremlizas Express. In: Konkret 06/2002, 66.
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render Sprachgebrauch«, »politische Zielsetzung« – unabhängig von der uneinheitlichen Qualität dieser Ansätze – für Einzelfälle vielleicht ganz brauchbar. Sie decken die Chancen und Realisationen der Verwendung aber nicht ab. Mehr noch, sie erlauben keinen ernstzunehmenden methodischen Zugriff auf die Funktionsweise der Rede von der Korrektheit, weil sie – mit Ausnahme vielleicht von Frank – diese Redeweise letztlich auch nur verwenden und für sich funktionieren lassen. Also müssen wir, wenn wir unser Interesse weiterverfolgen wollen, etwas anderes ausprobieren. Zuvor aber fassen wir kurz die Ergebnisse der vier Tableaus zusammen.
Fazit: Zurück ans Zeichenbrett Eine diskursanalytische Studie über ein Thema zu schreiben, dessen sprachliches Material beständig im Fluß ist und Zuwachsraten aufweist, von denen Unternehmen gleich welcher Branche nur träumen können, bringt allerlei Probleme und Unwägbarkeiten mit sich. Man hat noch nicht ganz sich zum Schreiben hingesetzt, da trudeln neue Belege ein, einer schöner noch als der andere. Kapitzkys Methode, diesem Problem elegant auszuweichen, indem er alle Beispiele, die sich ins methodische Instrumentarium und ins analytische Arrangement nicht einbauen lassen wollen, ins Abseits der »Beliebigkeit« stellt, hat analytische Nachteile. Über die beneidenswerten arbeitsökonomischen Vorteile, die ein solches Vorgehen mit sich bringt, wissen wir mittlerweile auch Bescheid. Die sattsam bekannten Darstellungen der vermeintlichen »Ursprünge« und »Hintergründe« sowie die Berichte über den Verlauf des Diskurses in den USA sind – sowohl in den USA selbst als auch vor allem in Deutschland – von einer praktischen Hinnahme der Redeweise gekennzeichnet. Trivialerweise gilt das natürlich für die eher konservativen Autoren, die diese Debatte um den Jahreswechsel 1990/1991 in den USA sowie kurz darauf in Deutschland hatten hochkochen lassen und viel Spaß dabei hatten. Wiederum eher linke und liberale Autoren, die sich von der ›Political Correctness‹, so wie sie sie zu verstehen meinten oder es vorgaben, und vor allem vom Verlauf der Debatte entweder bedroht oder aber – in ihrer ohnehin kritischen Position gegenüber den IdentityPolitics-Gruppen – begünstigt fühlten, haben trotz zahlreicher Umakzentuierungen im Detail die Etablierung dieser Legende mitgetragen, die einen gewiß in der Hoffnung, daß der vergiftete Kelch an ihnen vorübergehe, die anderen bereits mit Blick auf die sich andeutenden Mitnahmeeffekte im »Kulturkrieg«. Hauptsache, die jeweils eigenen Anliegen und Verfahrensweisen galten nicht als ›politisch korrekt‹. Diese Faustre-
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gel gilt sowohl für die Varianten der Dramatisierung als auch die der Ridikülisierung von angeblichen Sprachregelungen und/oder politischen Ansprüchen fast beliebig konfigurierbarer Identity-Politics-Gruppen. Ausnahmen fanden wir in der von uns vorgestellten Literatur insofern, als daß es durchaus amerikanische Autorinnen und Autoren gab, die sich entweder um diskurshistorische Aufklärung des Mythos verdient gemacht haben (hier sind Wilson, Feldstein, Scatamburlo oder auch Greenspan zu nennen), oder aber sich um eine weitgehend äquidistante Sichtweise zumindest bemühten (Hughes, Berman, wiederum Greenspan). Stimmen, die bezüglich mancher Einzelfälle etwas vehementer aufbegehrten – sie werden daher oft genug als Kronzeugen einer tatsächlichen Existenz von Korrektheit zitiert – blieben Ausnahmen. Zu nennen wären hier beispielsweise Michael Berubé 1992, der etwas zu stark von der »großen Lüge der Medien« spricht, oder Stanley Fish 1992, der sich für speech codes stark gemacht hat, und Henry Louis Gates 1992 (Erstabdruck 1989), der, gewiß auch pro domo argumentierend,205 für eine Kanonerweiterung plädiert hatte, und sich damit wiederum in der »P.C.Debate« gegen die Kanon-Konservativen neu positioniert. Die Regel war ein solches Beharrungsvermögen nicht. Bei dem vorgestellten Material aus Nordamerika ließ sich zeigen, daß eine in verschieden konfigurierten Grenzen kritische Aufarbeitung des Diskursverlaufs bereits in der Mitte der Neunziger Jahre einsetzte. Dabei scheint uns vor allem eine mit Blick auf außersprachliche Bedingungen einsetzende Herangehensweise wie zum Beispiel bei Scatamburlo die meistversprechende Methode zu sein, um Erkenntnisse über den Ablauf und die Rahmenbedingungen zu gewinnen. Wir möchten nochmals betonen, daß ein so hoher Standard der Recherche für die deutschen Verhältnisse bis dato nicht erreicht worden ist. Wir haben im Rahmen unserer Studie solche Recherchen auf das für unsere Studie notwendige Minimum beschränkt, aber eine Gesamtübersicht auf dem Niveau von Scatamburlo oder auch nur Feldstein und Wilson steht bisher aus. Wir verbuchen das auf dem berüchtigten Konto ›Desiderat‹. Allerdings, und da setzt dann eine notwendige Kritik auch an Wilson und Scatamburlo ein, methodisch ist die Funktionsweise dieser Redeweise auch in ihren Studien nicht untersucht worden. Und Wilsons berechtigte Retourkutsche »Conservative Correctness« scheint uns eher kontraproduktiv und für eine tiefempfundene Ohnmacht symptomatisch zu sein.
205 Woraus er übrigens in diesem Aufsatz keinen Hehl macht. Schließlich war er in der Zeit, als der Aufsatz publiziert wurde, damit beschäftigt, erstmals eine Norton Anthology of Afro-American Literature herauszugeben.
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VIER TABLEAUS
Wissenschaftliche Arbeiten in Deutschland, in denen die Rede von der Korrektheit entweder unter dem Begriff »Euphemismus« (Zöllner 1997) oder aber unter dem Begriff »Stigmawort« (Frank 1996a/b) verhandelt werden, um nur zwei ganz verschiedenartige Beispiele zu nennen, sind hingegen von einer Herangehensweise gekennzeichnet, mit der die rhizomartige Rede auf eine Weise methodisch und analytisch gebändigt werden soll, die mit den rhetorischen Praxen allenfalls teilweise und fallweise in Übereinstimmung zu bringen ist. Der nicht zu vernachlässigende Umstand, daß gerade diese beiden Arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen – so könnte man Zöllners Arbeit mit Hilfe von Franks Terminologie in weiten Teilen recht schlüssig untersuchen –, ändert an dem grundsätzlichen Problem eines solchen Tunnelblicks nichts. Durch diesen Aspektmonismus entstehen letztlich eindimensionale Analysen, die mit nicht einpaßbaren Varianten der Redeweise nichts anzufangen wissen, und die deshalb die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Varianten der Redeweise nicht einmal mehr wahrnehmen. Das ist angesichts der Präsenz und Flexibilität dieser Legende einfach zu wenig. Das rhetorische Verfahren, das wir im weiteren Verlauf der Studie mit den Begriffen ›Resonanzkalkül‹ und ›Attraktivität‹ zu umreißen versuchen werden, wird zwar in den zahllosen Einzelfällen realisiert, beschränkt sich aber nicht auf sie. Daher muß es systematisiert werden, wenn die Analyse nicht im Anekdotischen oder gar im rhetorischen Mitmischen steckenbleiben soll. Die damit verbundenen analytischen Probleme sind keinesfalls zu unterschätzen. Wir konnten zeigen, daß sowohl in der deutschen Presse als auch in der deutschen Wissenschaft sich eine im Grunde einheitliche, wenn auch im Detail differierende Legende von der ›Political Correctness‹ in den USA und der politischen Korrektheit in Deutschland herausgebildet hat. Sie wird wie gezeigt allenfalls in diesen abweichenden Details noch kritisch untersucht, doch ihre grundsätzliche Berechtigung und Richtigkeit wird selten bis nie in Frage gestellt. Diese mittelgroße Erzählung bildet dann die Bühne, auf der jeweils unterschiedliche Haltungen und Überlegungen zur ›Political Correctness‹ inszeniert werden, indem man sich mit Hilfe der Legende zu den vermeintlichen Bedeutungen, dem angeblich jeweils ›Gemeinten‹ verhält. Dabei wird peinlich genau darauf geachtet, daß die eigene Haltung zu gleich welchem Thema möglichst gut, klug, kritisch und über jedwede Korrektheit hinausweisend aussieht, selbst dort noch, wo man sich gegen eine explizite wie implizite ›Unkorrektheit‹ wendet. Um die Leitfrage des Dritten Tableaus zu beantworten: für unsere Fragestellung nach der Funktionsweise und der Beliebtheit der Rede von der Korrektheit hat sich die deutsche Forschung, soweit wir sie gesichtet haben, als Teil des Problems herausgestellt, mit der denkbaren Ausnah-
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me von Karsta Frank. Als eines der Hauptübel hat sich der unreflektierte Umgang mit den Quellen entpuppt. Satiren und Kampfschriften, windige Zeitungsmeldungen und pamphletistische Aufsatzsammlungen, Interviews mit recht fragwürdigen Zeitzeugen, in denen von Korrektheit und Unkorrektheit die Rede ist, sie alle dienen den deutschen Forschern entweder als gleichermaßen ernstgenommene Referenzen für ihre jeweiligen Ausführungen und werden als Forschungsprobleme oder zumindest Untersuchungsobjekte gar nicht erst identifiziert. Oder aber, und das ist genauso fatal, es werden ›unwürdige‹, weil ›beliebige‹ Textsorten aus dem Analyseverfahren ausgeklammert, ohne daß geprüft wird, wie sehr sie in die angeblich großen Texte bereits eingewoben sind, womit dann allerlei abstruse Wanderlegenden etabliert werden. Entsprechend nutzlos sind die Resultate. Die stereotypen Kapitel oder Textpassagen, in denen die Autoren ihre jeweilige Version der Entstehung des Begriffs wiedergeben, werden als das Ergebnis eines wissenschaftlichen Forschens angedient und sind doch nichts weiter als ein im Mythischen und Anekdotischen wurzelndes Apriori. Die wegen dieser Sachlage naheliegende, bisweilen konsterniert festgestellte Unfähigkeit, ›Political Correctness‹ zu definieren, hat, und das ist für uns nach wie vor ein Mirakel, bei keinem der Autoren zu der Überlegung geführt, ihn nicht mehr zu verwenden bzw. von der Verwendung, nachdem man sie thematisiert hat, im Verlauf der Arbeit Abstand zu nehmen. Damit aber bestätigt man die doch recht fragwürdige Verwendungslogik des Begriffs, die unter anderem in der Auffassung gründet bzw. mit ihr legitimiert wird, es sei ursprünglich ja ein Fahnenwort gewesen, das sozusagen ›unter die Räuber gefallen‹ ist. Zwar wird gelegentlich festgestellt, daß dieses oder jenes möglicherweise zu unrecht als korrekt oder unkorrekt bezeichnet wird – der Vorgang des Bezeichnens selbst bleibt dabei unangetastet, seine Funktionsweise bleibt unerforscht. Nun streben wir dabei keinesfalls eine Totalanalyse an. Aber, um mal wieder in unsere Botanisiertrommel zu greifen, was fängt man mit dem hier gezeigten Forschungsstand an, wenn man an einem Tag wie dem 11.10.2000 müden Auges einen Blick in die Morgenzeitung wirft, in diesem Fall die Süddeutsche Zeitung, und sie mählich von hinten nach vorne liest, wie man das eben morgens so macht? Da fordert, so läßt Andreas Exler wissen, der CDU-Politiker Heiner Geißler wegen der »massiven Mitverantwortung der Politiker und Behörden für das Ressentiment gegen Ausländer in der Bevölkerung« eine »Renaissance« der ›Political Correctness‹ in Deutschland. Kaum hat man sich von dieser Überraschung erholt, stößt man auf einen Kommentar von Rainer Stephan, demzufolge die »spontane Weigerung« des Fußballtrainers Christoph Daum, sich einem aufoktroyierten Drogentest zu
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VIER TABLEAUS
unterziehen, »[mehr war] als nur politisch korrekt. Sie war politisch geboten, ja vorbildlich«.Prima! Der von Geißler angemahnten Renaissance schien demnach nichts im Wege zu stehen, ja, es bestand sogar kurzfristig die Möglichkeit, sie in vorbildlicher Weise zu überbieten, obwohl Daum dann am Ende doch einknickte. 206 Der aufmerksame Leser hatte an diesem Morgen einiges zusammenzudenken, was sich bis auf den heutigen Tag nicht recht fügen möchte. Stigmawort? Euphemismus? Nicht-diskriminierender Sprachgebrauch? Letztlich politische, lebensweltliche Ziele? Ach, woher denn ... Nun könnte man uns vorwerfen, daß wir es bei der Präsentation solcher und vergleichbarer Beispiele auf einen Knalleffekt anlegen. Ganz ungerecht wäre dieser Vorwurf nicht. Denn gewiß sind plakative Beispiele oft einleuchtender als – im Sinne einer Serialität – unauffällige. Jedoch geht es uns darum zu zeigen, daß es eben nicht einen entscheidenden Themenkanon gibt, auf den die Applikation der Redeweise beschränkt oder gar angewiesen ist. Die Beliebtheit eines Ausdrucks zeigt sich in Wahlentscheidungen. Sich bei einer Diskursanalyse auf die Ausgrenzung von ›falsch‹ oder – eben! – ›beliebig‹, unauffällig oder kunterbunt gebrauchten Wörtern zu kaprizieren, nur um die Rede von der Korrektheit analytisch handzahm zu kriegen, scheint uns angesichts der Leistungsfähigkeit der Legende zu kurz gesprungen. Und deshalb müssen wir nun zurück ans Zeichenbrett.207
206 Exler, Andreas: »Politiker mitverantwortlich für Ressentiments«. In: SZ v. 11.10.2000, 6. Stephan, Rainer: »Daums Fall«. In: SZ v. 11.10.2000, 4. Daum war – wie sich herausstellen sollte, zu Recht – in den Verdacht geraten, Kokain geschnupft zu haben. Zunächst allerdings weigerte sich Daum, einen solchen Test zu absolvieren. Der Kommentar beklagte, daß Daum von dieser Weigerung überraschend zurückgetreten war. 207 Die Leseerfahrung der Gutachter und auch der Freunde und Kollegen zeigt, daß an dieser Stelle der Arbeit vielleicht auch ein Moment des Innehaltens und Luftholens zu empfehlen ist.
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WERKZEUGKISTE Vorbemerkung: »Thingumbob again« 227 | Momentaufnahmen: Gefällige Arrangements der Unkorrektheit 233 | Werkzeug I: Deutungsmuster 239 | Werkzeug II: Anmerkungen zum Diskursbegriff 245 | Werkzeug III: Repertoire–Element 252 | Exkurs: ›1984‹ als Repertoire-Element im Korrektheitsdiskurs 263 | Werkzeug IV: Denkstil und Denkkollektiv 271 | Fazit: Das Korrektheitsmuster als beliebtes Kollektivabstraktum — eine Beispielkaskade 276
Didier Eribon: Für Sie ist ein Mythos also die Gesamtheit seiner Varianten, seiner Versionen. Sie versuchen nicht, die authentische Fassung zu bestimmen? Claude Lévi-Strauss: Es gibt keine wahre Fassung, ebensowenig eine authentische oder ursprüngliche Form. Alle Versionen müssen ernstgenommen werden.1
Vorbemerkung: »Thingumbob again« In diesem Kapitel werden wir das versprochene Analyseinstrumentarium zusammenstellen, also eine ›Werkzeugkiste‹, wie es mit der in der Tradition der Diskursanalyse nicht unüblichen Verspieltheit heißt.2 Während dieser Prozedur werden wir die allgemein verbreitete Selbstverständlichkeit der Verwendung des Begriffs ›politically correct‹ und seiner zahlreichen Varianten schrittweise hinter uns lassen können. Der Forschungsund Literaturbericht im vorangegangenen Kapitel hat neben all den anderen Mißhelligkeiten auch gezeigt, daß man unter Beibehaltung der unre-
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Lévi-Strauss/Eribon (1996: 205). Das Bild von der Werkzeugkiste geht auf Michel Foucault zurück (1976: 53). Diese Metapher, die auf Eklektizismus, Improvisation, Handwerkskunst und Provisorium gleichermaßen hinzuweisen scheint, wird von Diskursanalytikern heute noch gepflegt.
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flektierten Begriffsverwendung schwerlich in der Lage sein dürfte, eben diese Verwendung in ihrer Funktionsweise zu erklären und – um eine etwas abgedroschene Phrase zu benutzen, aber hier paßt sie dann doch mal – ihren Ermöglichungszusammenhang ›kritisch zu hinterfragen‹. Von vergleichbaren Erwägungen motiviert ist unsere Entscheidung, auch die in Wissenschaft und Feuilleton (und bis hierhin gelegentlich auch von uns) meist zu beiläufig verwendeten Begriffe ›Deutungsmuster‹ und ›Diskurs‹ für unsere Zwecke ein wenig zu spezifizieren, und zwar im Dienste einer – zumindest für den Zeit- und Geltungsraum unserer Studie – kommunikativen Verbindlichkeit. Die damit angestrebte intersubjektive Nachvollziehbarkeit unserer Argumentation soll sich nicht auf die wissenschaftliche Geländegängigkeit der Begriffe, ihre öffentliche Kurrenz und feuilletonistische Omnipräsenz verlassen müssen. Ab und an werden wir einige Beispiele und Motive aus den vorangegangenen Kapiteln wieder aufgreifen. Zum Einstieg in den dritten Teil der Arbeit allerdings werden wir einige weitere Momentaufnahmen Revue passieren lassen, Beispiele für diskursive Arrangements aus der jüngeren Zeit, bei denen sich der Novitäteneffekt der Rede von der Korrektheit sichtlich abgeschliffen hat und die eine gewisse Routiniertheit der Verwender erkennen lassen. An solchen Beispielen, alten wie neuen, ist nun wirklich kein Mangel, und unsere Kriterien bezüglich unserer vorgeführten Fundstücke sind hier vielleicht nochmals erklärungsbedürftig, zumal es sich zum Teil um ›Zufallsfunde‹ handelt3: allgemein leichte Zugänglichkeit der sehr verschiedenartigen Quellen,4 thematische Vielseitigkeit, ideologische und politische Polyphonie, außerdem unterschiedliche Grade sowohl der Ernsthaftigkeit als auch der für diesen Diskurs so typischen, gewollten oder unfreiwilligen Komik. Für all die Beispiele der Variationsweisen der Legende in diesem wie in allen anderen
3
4
Das gilt für Beispiele aus der Literatur, von Klappentexten, von Artikeln aus Provinzpostillen und Buchprospekten etc. Solche Zufallsfunde quantitativ zu systematisieren ist von einer Person schlechterdings nicht zu bewältigen. Eingeschränkte Frequenzanalysen, wie sie mit der Hilfe von CDROMs der »großen« Tageszeitungen und Magazine möglich sind, wären demgegenüber gewiß verdienstvoll. Sie helfen uns aber bei unserer Fragestellung nicht entscheidend weiter, und sind aus unserer Perspektive erst dann sinnvoll zu leisten, wenn man sich Klarheit darüber verschafft hat, was man – über die Worte hinaus – eigentlich sucht. Aus diesem Grund haben wir davon abgesehen, die Verwendung des Begriffs im Radio und im Fernsehen zu verfolgen, selbst wenn sie uns da und dort begegnet ist. Eine Ausnahme von der leichten Zugänglichkeit haben wir bei Buchprospekten und Verlagsprogrammen gemacht, die im Nachhinein oft nur schwer zu besorgen sind. Andererseits ist ihre Verbreitung für uns Grund genug zu unterstellen, daß, wenn das Deutungsmuster dort Anwendung findet, es auch gelesen wird.
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Abschnitten der Arbeit gilt: sie sind ausgewählt, und wenn man so will, ausgesucht, zugegeben. Mit der Lupe suchen, um sie in unsere Argumentation einzupassen, mußten wir sie wahrhaftig nicht. Wer die Möglichkeit hat, Tageszeitungen mit Volltextsuche zu scannen, oder wer sehr, sehr viel Zeit hat, kann sich selbst davon überzeugen. Manche Beispiele stammen aus Romanen, aus provinziellen Regionalblättern, von den Klappentexten populärer Bücher. All das sind Erscheinungsorte, die in wissenschaftlichen Arbeiten oft im Schatten der etablierten Instanzen stehen, als die viele Wissenschaftler Fachpublikationen (Monographien, Sammelbände, Aufsätze) betrachten, oder auch die überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, die sie als »Elitemedien« (Frank 1996), als die »großen Zeitungen« (Kapitzky 2000: 47) bezeichnen. Damit drohen solche Beispiele der Vergessenheit anheimzufallen, obwohl auch sie an der Etablierung der Rede von der Korrektheit durchaus ihren Anteil hatten und haben. Gelegentlich – die Abfassung einer solchen Studie dauert ja doch ihre Zeit – haben wir ein älteres gegen ein neueres Beispiel ausgetauscht, nicht aus einem neurotischen Zwang zur Aktualität heraus, sondern um zu zeigen, daß es sich bei all diesen Begriffsvarianten eben nicht um bloße Mode- oder Schlagwörter handelt, die mit dem Ende der ›großen‹ Artikel und der daran geknüpften Aufmerksamkeit verschwunden sind. Im Gegenteil: der Diffusionsprozeß, so sieht es zumindest aus, setzt sich fort, der ›Themenpark‹ baut an, vielleicht etwas verhaltener (und nicht mal da sind wir ganz sicher), aber immer noch mit überraschenden Elementen und Verknüpfungen. Mit der Vielzahl der Beispiele wollen wir die enorme Bandbreite der etablierten Begriffsverwendungsweise demonstrieren und es den Lesern ermöglichen, unsere etwas mäandernden Überlegungen nachzuvollziehen und unsere Schlußfolgerungen, vielleicht auch anhand eigener Funde, zu überprüfen, zu ergänzen, abzutönen und gegebenenfalls zu widerlegen. Die betrübliche – keiner weiß das besser als wir – Umständlichkeit dieser Darstellung ist notwendig, um den Konsens über die Legende von der Korrektheit und ihre Mythen in Wissenschaft und Mediendiskurs erkenntnisfördernd in Frage stellen zu können. Eine hingebungsvoll kontrafaktische Argumentation wäre wie gesagt deutlich eleganter geworden und vermutlich lustiger, für den Leser, aber auch für uns.5 Unbeschadet dessen sollten in der Kombination
5
Es hat sich gezeigt, daß unser Interesse für das Thema solange sehr einfach kommunizierbar war, wie großspurig verkündeten, die Neue Satirekritik sei eine Art prototypische Political Correctness gewesen. Nachdem wir diesen selbstgestrickten Konsens aufkündigten, wurde es ein bißchen schwierig, im Freundes- und Kollegenkreis in kurzen Sätzen zu erklären, was eigentlich ›das Problem‹ dieser Arbeit ist.
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der Fundstücke mit hilfreichen Theorieelementen unsere guten Vorsätze realisierbar sein. Aus den bisherigen Ausführungen erhellt auch, daß wir uns einer runden und restfreien Systematisierung der Beispiele durch eine scheinbar saubere Aufteilung in ›angemessene‹ und ›unangemessene‹ Begriffsverwendungen verweigern. Eine solche Trennung erscheint uns nur dann sinnvoll, wenn man eine grundsätzliche denotative Angemessenheit des Begriffs annimmt und man sich folgerichtig eine Political Correctness im ›engeren Sinne‹ und im ›weiteren‹ oder gar im ›übertragenen Sinne‹ zusammenreimt. Wir haben es jedoch mit einem ganz anderen Problem zu tun. Die jeweilige, nun ja, ›Bedeutung‹ der Begriffsvarianten ergibt sich einerseits situativ, andererseits kumulativ aus der wiederholten, offenbar längst nicht mehr erläuterungsbedürftigen Verwendung. Es gibt darüber hinaus noch eine dritte Seite, die sich aus den Elementen und der Struktur des Phraseolexems ›politically correct‹ ergibt. Doch erst im vierten Kapitel werden wir den für diesen Aspekt erforderlichen Ermöglichungszusammenhang systematisch darstellen können. Wir möchten nochmals darauf hinweisen, daß jeder noch so marginale Baustein, sogar jedes auf den ersten Blick absurd wirkende Diskursfragment zum Gelingen der allgemeinen Konzeptualisierung der Begriffe beiträgt. Aber eben nicht durch eine mehr oder weniger stark konturierende thematische Eingrenzung, sondern bereits durch bloße Anwendung der Rede von der Korrektheit, durch die wiederholte und wiederholende mediale Distribution, die in den Teilöffentlichkeiten immer aufs neue konsensuell vollzogen wird. Damit wird den Diskursteilnehmern ein konzeptualisierender, das Themengebiet erweiternder Anschluß durch ›Paraphrase‹ und ›Reproduktion‹ ermöglicht. Wir kommen auf diese Begriffe am Ende des Kapitels zurück. Das Resultat dieses fortlaufenden und zugegebenermaßen diffusen Konzeptualisierungsprozesses ist dann eine alles andere als deutliche Vorstellung davon, was ›politisch korrekt‹ bzw. ›inkorrekt‹ ist. Aus diesem Grund lief Noelle-Neumann 1996 mit ihrer etwas verspäteten Frage »Political Correctness – was ist das?« ebenso vielversprechend wie hochtourig ins Leere, zumindest, wenn man sich eine ›echte‹ Antwort auf diese Frage versprach. Vielmehr ist nämlich von Interesse, und zwar sowohl für unsere Überlegungen wie für die Diskurspraxen, wie man die Rede und ihre Begriffe diskursstrategisch und -taktisch oder, hängen wir es etwas tiefer, effektvoll und pointiert verwendet. Hier kommt es auf etwas anderes an: nämlich auf die gemeinschaftliche kommunikative Erzeugung und gebündelte Darstellung eines polyphonen, fragmentierten, oft (und gerne) widersprüchlichen ›Wissens-um‹; und damit der Erzeugung und Erhaltung eines Resonanzraums, in dem es (immer wieder)
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möglich ist, eine Frage wie die Noelle-Neumanns überhaupt erst zu stellen, mit der damit einhergehenden Unterstellung, daß überhaupt eine ›sinnvolle‹ Antwort gefunden werden kann, um die man sich dann aber gleich gar nicht mehr zu kümmern braucht. Denn die disparaten, als Antwort inszenierten Behauptungen selbst, die dann gefunden werden, sind zur Erzeugung und Erhaltung eines solchen Resonanzraums oft nicht einmal zweitrangig. Relevant ist allein die von fast allen Diskursteilnehmern geteilte und kommunizierte Unterstellung – ob es eine Überzeugung ist, vermögen wir nicht zu sagen –, daß es da so etwas gibt wie eine ›Political Correctness‹, etwas, das sich in Texten, bei Subjekten und ihren Verhaltensweisen herauskristallisiert hat und dessen Kontur, so vage sie auch sein mag, einen empirisch harten Kern hat. Dessen kasuistisch zwar demonstrierbare, dessen vor allem konzeptionell jedoch fragwürdige Existenz scheint für alle Beteiligten ein unhintergehbares Apriori zu sein. Das ist ein komplexes Konstrukt, und die rasche, fast schlagartige Etablierung des ›Wissens-um‹ um die Existenz der ›Political Correctness‹ darf einen gewiß in Erstaunen versetzen. Allerdings hat die hierzulande ebenso schnell wie weit verbreitete, durch allerlei Wanderlegenden und eine entfesselte Medienberichterstattung gestützte Auffassung, daß das Ganze ja eindeutig ›irgendwie aus Amerika‹ stammt, womit jede ernsthafte Frage nach Fug und Unfug dieser Begriffe, jede Mythos-oder-Realitäts-Debatte weitestgehend hinfällig war, bei der raschen Etablierung dieser Substantialismus-Unterstellung sehr geholfen. Den ›Rest‹, wie gesagt, erledigt dann oft die bloße Wiederholung. Die für diese Vorgänge grundlegende Fähigkeit zur Konzeptualisierung ist nach Auffassung von Hörmann so etwas wie eine anthropologische Konstante, die eine symbolbasierte Kommunikation erst ermöglicht. Er führt aus: Die Fähigkeit des Menschen, Symbole zu bilden, ist identisch mit der Fähigkeit, Beständiges im Strom der Ereignisse zu entdecken. Der Beginn dieser menschlichsten aller Fähigkeiten liegt in dem Ausruf, den W. JAMES so treffend formuliert hat: »Thingumbob again« – »wieder Dingsda« (Hörmann 1970: 296).
Und das funktioniert auch umgekehrt, in unserem Fall insofern, als daß die wiederholte Behauptung, schon wieder sei etwas ›politisch korrekt‹ oder auch ›nicht korrekt‹, eine Beständigkeitsbehauptung mittransportiert und somit in dieser kommunikativ erzeugten »Beständigkeit« den »Strom der [diskursiven] Ereignisse« zu kanalisieren hilft. Wenn man allenthalben auf den unterschiedlichsten diskursiven Ebenen davon hört und liest, dieses oder jenes sei ›politisch korrekt‹ oder ›unkorrekt‹, dann entgeht einem möglicherweise zuletzt die Künstlichkeit und alsbald die relative Neuigkeit dieses Deutungsmusters. Und man vergißt allzu leicht,
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sich selbst rechtzeitig vor dem vom jeweiligen Schreiber oft angestrebten verständnissinnigen Kopfnicken einmal zu fragen, was das Feuilleton bislang ohne diesen Ausdruck eigentlich so getrieben hat. In diesem Zusammenhang ist die häufige, ebenso konventionalisierte wie beiläufige Verwendung dieser Begriffe in Romanen, in zahllosen Zeitungsartikeln, in Buchrezensionen oder auf ansonsten unauffälligen Klappentexten für den langfristigen Erfolg des hier beschriebenen Konzeptualisierungsvorgangs denn auch von mindestens ebenso großer Tragweite wie einzelne Großartikel, sei es der x-te Aufsatz von Dieter E. Zimmer, sei es die 1996 in der FAZ veröffentlichte Allensbach-Umfrage, bei deren Analyse Elisabeth Noelle-Neumann ihr seit Jahr und Tag etabliertes Programm von der »Schweigespirale«, ihre angebliche Angst vor einem, wie sie es nennt, »Meinungsklimadruck« wie gewohnt fortschrieb und sich als ›Upgrade‹ dazu der Rede von der »Political Correctness« bediente. Es wäre unseres Erachtens daher verfehlt, wollte man ausschließlich die ›großen Schriften‹ aus Wissenschaft und Presse heranziehen, die diesem Themenkomplex gewidmet sind. Das wirft auch die nicht restfrei zu klärende Frage nach der Trägerschicht des, wie wir es interpretieren werden, ›Deutungsmusters‹ auf. Die Tatsache, daß ein Großteil der von uns gesichteten und auszugsweise präsentierten amerikanischen und deutschen Quellen aus der politischen und kulturellen Publizistik sowie der Wissenschaft stammen, heißt noch nicht, daß ausschließlich dort mit dem Deutungsmuster herumgefuchtelt, oder höflicher gesagt, operiert wird. Da wir quellenbedingt aus Sicht der Produktion und nicht der Rezeption argumentieren, könnte dieser Eindruck entstehen, noch verstärkt durch die in diesen Diskurs eingewobenen Themen semi-akademischer Provenienz und das beteiligte Personal. Wiederum aber ist es so, daß alle Texte für (mindestens) ein Publikum konzipiert werden, so daß zumindest das Auftauchen der Legende in denjenigen publizierten Texten, deren Zielgruppen nicht ausschließlich der Wissenschaft und dem Kulturbetrieb zuzurechnen sind, ein Indikator dafür ist, daß von den Autoren eine korrespondierende, verständnisvolle ›Trägerschicht‹ jenseits dieser relativ engen Sphären vorausgesetzt wird und werden kann. Ein möglicher weiterer Indikator ist der Umstand, daß die Rede von der Korrektheit, wenn auch erst nach einiger Zeit, in (veröffentlichten) Leserbriefen unter anderem an die Taz aufgegriffen wurde, wie wir bereits im ersten Kapitel gesehen haben – bei aller Vorsicht, die der Authentizität gerade dieser Textsorte entgegenzubringen ist, die ja die Brutstätte für Grubenhunde ist. Aber es ist uns mit unseren Mitteln nicht möglich, hier die Reihenfolge der Ereignisse wirklich schlüssig zu belegen: möglicherweise handelt es sich zu Beginn, also zur Zeit des eigentlichen Imports nach Deutschland, um eine ›Top-down-Etablierung‹
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des Deutungsmusters durch Multiplikatoren in den Medien; aber auch eine ›Bottom-up-Etablierung‹ (durch das Aufgreifen von Szene-Vokabular durch die Akteure der Presse) kann von uns nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Beide Vorgänge wären übrigens durchaus von Ort zu Ort in unterschiedlicher Weise denkbar, was den jeweiligen Nachweis erst recht erschweren dürfte. Beginnen wir also den dritten Teil der Arbeit zunächst mit einigen Momentaufnahmen, zwischen denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein kausaler Zusammenhang besteht. Das soll heißen, daß vermutlich nicht der eine Autor beim anderen abgeschrieben hat. Um so aufschlußreicher sind sie gerade deshalb in ihrer Ähnlichkeit. Dem genuinen ›Abschreiben‹, das wir ja auch aus den Wanderlegenden kennen, als einem diskursprägenden Element werden wir am Ende des Kapitels einige Anmerkungen widmen.
Momentaufnahmen: Gefällige Arrangements der Unkorrektheit Als Gerhard Schröder im Sommer 2001 seine Meinung äußerte, daß manche Kinderschänder nicht therapierbar seien und daher lebenslang eingesperrt werden müßten, um die Öffentlichkeit zu schützen, gab es in Deutschland – nicht zum ersten Mal – eine Debatte über das Für und Wider einer solchen Auffassung, aber auch über den Umstand, daß der Bundeskanzler sich so ausdrücklich eine, wie es heißt, durchaus populäre Meinung zu eigen gemacht hatte und resonanzorientiert verknappte: »wegschließen – und zwar für immer«.6 Die Westfälische Rundschau, eine keineswegs exzentrische oder an ein Spezialpublikum sich richtende Tageszeitung, veröffentlichte am 09.07.2001 in diesem Zusammenhang einen Kommentar, in dem die Forderung des Kanzlers befürwortet wurde und der mit den Worten endete: »Wenn Schröder diese Diskussion will, spricht er vielen aus dem Herzen.«7 Doch auch Dietmar Seher, dem Verfasser des Kommentars, war nicht entgangen, daß die vom Bundeskanzler geäußerte Auffassung
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Vgl. dazu auch den Spiegel-Artikel »Sexueller Supergau« vom 16.07.2001, 32-33, von Ulrich Jaeger und Rüdiger Scheidges. Schröder hatte, nachdem die verbrannte Leiche einer mißhandelten Achtjährigen gefunden worden war, zunächst in der Bild am Sonntag vom 08.07.2002 seine Forderung wie zitiert der Öffentlichkeit mitgeteilt, was bereits am nächsten Tag im WR-Artikel aufgegriffen wurde. Dietmar Seher: Opferschutz hat Vorrang. Der Kanzler fordert: Triebtäter wegsperren, WR 09.07.2001.
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womöglich mit Widerspruch zu rechnen hatte. Er leitete daher seinen Kommentar mit einer grundsätzlichen Überlegung ein, die wir hier ungekürzt zitieren wollen: Manche sind geneigt, dem Bundeskanzler allzu schnelles Nachplappern sehr populärer Floskeln und Forderungen vorzuwerfen. Das stimmt in Einzelfällen. Es ist aber nicht immer gerecht. Oft traut sich Gerhard Schröder nur, »politisch korrekte« Tabus und Denkverbote zu brechen. Und das ist genauso oft mutig wie nötig (WR 09.07.2001, herv. v. MFE).
Das bedrückende Thema Kindesmißbrauch und sein Bezug zu Debatten um die Korrektheit oder Unkorrektheit braucht uns nicht weiter zu interessieren. Worauf wir an dieser Stelle hinweisen wollen, ist die merkwürdig oszillierende Rhetorik, mit der der Kommentator die Position Schröders vom thematisch Spezifischen zum Allgemeinen transponiert. In dem hier entworfenen Tableau des öffentlichen Sprechens gibt es also »oft« »politisch korrekte« »Tabus« und sogar »Denkverbote«, die zu »brechen« »oft mutig«, aber auch »nötig« ist. Hier könnte ein aufmerksamer Leser hellhörig werden. Denn wenn die Position, die Schröder vertritt, zu den vermutlich mehrheitsfähigen »sehr populären Floskeln und Forderungen« gehören könnte, die dem Kanzler bisweilen zugerechnet werden, wenn er gar in diesem Fall »vielen aus dem Herzen spricht«, und wenn überdies sein Tun einer Notwendigkeit folgt – woraus speist sich dann die gleichzeitige Unterstellung des Kommentators, zu Schröders Äußerung gehöre irgendein besonders ausgeprägter Mut?8 Lassen wir die Frage noch ein wenig ruhen und gehen wir einstweilen zur zweiten Momentaufnahme. So heißt es im Oktober 2001 in einem Besinnungsaufsatz von Cathrin Kahlweit über die Nöte der Karriere-Frau und ihre besondere Midlife-Crisis: Auf die Phase der Depressionen folgt die Phase der vorsichtigen Fragen: Was, wenn du kündigst? Könntest du ohne Job leben? Würdest du dich zu Tode langweilen? Oder wagst du einfach den Gedanken nicht zu Ende zu denken, der jahrelang undenkbar war: dass es vielleicht Spaß macht, zu Hause zu sein? [...] Denkverbote werden aufgehoben, Tabus überprüft. Ist es politisch unkorrekt, den so spießigen wie unheimlichen Beruf der Hausfrau zu ergreifen? (SZ 13./14.10.2001, herv. v. MFE).
Die Korrektheit, hier wie in den Satiredebatten als Spaßkiller. Die Unkorrektheit, wieder einmal an irgendeinen rätselhaften Mut geknüpft, der sich gegen Tabu und Denkverbot stemmt. Gewiß, der Aufsatz ist nur
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Anders gefragt, wem gegenüber muß ein etwaiger Mut gezeigt werden?
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feuilletonistische Rollenprosa. Das Arrangement der von uns kursivierten Bestandteile ist bereits an der Grenze zur Parodie, und sei es hinter dem Rücken der Verfasserin.9 Dennoch beeindrucken angesichts des himmelweiten Unterschieds in der Thematik die Parallelen zum sicherlich ernstgemeinten Kommentar Dietmar Sehers, der dieselben Versatzstücke auf vergleichbare Weise verwendet. Mut, Notwendigkeit und Wagen contra Korrektheit, Tabu, Denkverbot – man hat sich an diese Begriffe, an dieses Arrangement gewöhnt. Sie müssen dem Zeitungsleser nicht mehr erklärt werden – und gerade das macht sie für uns erklärungsbedürftig. Obwohl eine solche Kasuistik immer etwas konstruiert wirkt, folgt hier als dritte Momentaufnahme noch eine Collage, bei der wir die genannten einzelnen Versatzstücke, und zwar innerhalb einer sehr spezifischen Presselandschaft, sich um ein einziges diskursives Ereignis gruppieren sehen, von dem bereits mehrfach die Rede war. Martin Walser gab in seiner am 17. Oktober 1998 gehaltenen Paulskirchenrede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an, wieder einmal10 »vor Kühnheit zu zittern«, als er die These aufstellte, daß »Auschwitz sich nicht zur Drohroutine eignet« und nicht als »Moralkeule« gegen die Deutschen »instrumentalisiert« werden dürfe.11 Als an dieser Rede Kritik, zunächst durch Ignatz Bubis, den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, aufkam, hieß es in der Zeitschrift Nation Europa (11-12/1998), daß man Walser »von höchster Stelle das Prädikat politischer Inkorrektheit« verliehen habe (zit. nach Dietzsch et al. 1999: 50). An selber Stelle wurde konstatiert, Walser habe »mit seiner Rede [...] ein bundesdeutsches Tabu gebrochen«. Dieses vermeintliche Tabu gilt Walter Marinovic in der Aula (11/98) gar als »das Tabu der Tabus«
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Wir möchten allerdings nicht darauf wetten. Noch die lächerlichsten Texte, die wir gefunden haben, sind bisweilen, soweit es sich aus dem Zusammenhang herauslesen läßt, todernst gemeint. 10 Walser wies in seiner Paulskirchenrede darauf hin, daß er bereits 1977 diese Floskel verwendet hatte, als er feststellte: »Wir dürften, sage ich vor Kühnheit zitternd, die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten.« (hier zit. nach Dietzsch/Jäger/Schobert 1999: 31). 11 Die Rede zitiere ich, wie auch die folgenden Zitate zur Causa Walser, nach Dietzsch et al 1999, einem DISS-Sammelband. Hier aus dem Abdruck der Rede S. 31. Bereits an dieser Stelle sei vermerkt, daß auch in Presseartikeln und Leserbriefen bzw. Briefen an Martin Walser man solche und vergleichbare Arrangements wiederfinden kann. Insofern kann man Frank Schirrmacher für seine Herausgeberschrift Die Walser-Bubis-Debatte (1999) gar nicht genug danken, in der die Erzeugnisse der extrem rechten Presse nicht zu finden sind, die aber insofern eine exzellente Ergänzung zur Dokumentation des DISS darstellt.
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(ebd. 93). Der Tabubruch scheint Walsers anerkanntes Markenzeichen zu sein, denn bereits zwei Jahre zuvor wurde Walser in der JF v. 06. April 1996 unter der – an einen bekannten Spätwestern gemahnenden – Überschrift »Der mit den Tabus bricht« interviewt und porträtiert (zit. nach Dietzsch et al 1999: 89). Hans Dietrich Sander in den Staatsbriefen (11/98) wiederum meinte, die Rede habe »eine nicht mehr schließbare Bresche in das tyrannische Mauerwerk der Denkverbote geschlagen« sowie, und das erinnert sehr an Dietmar Sehers paradoxe Argumentation, daß »der Romancier vom Bodensee mit diesen Worten nur [sagte], was die Mehrheit der Deutschen seit langem empfindet« (zit. nach Dietzsch et al 1999: 55).12 Der Neue Eckartbote13 (11/98 ) überschrieb seinen Bericht: »Mutiger Martin Walser« (Dietzsch et al. 1999: 74). Horst Mahler, der schillernde Vorzeigekonvertit der NPD, forderte bildungsbeflissen in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme in einem offenen Brief an Ignatz Bubis: »Sir [sic], geben Sie Gedankenfreiheit« (Dietzsch et al 1999: 75). Eigensinn, Mut, Unkorrektheit, ästhetischen Wert und Notwendigkeit des Walserschen Tabubruchs beschrieb Hans Heckel im Ostpreußenblatt (17.10.98). Wir zitieren ausführlich: Schon die Auszeichnung Martin Walsers mochte manchen überraschen. Hatte man sich doch schon fast daran gewöhnt, daß unter der Titulatur »unbequemer Denker und Mahner« nur noch solche mit Preisen bedacht werden, welche die »politisch korrekten« Denkschablonen der veröffentlichten Meinung nur um so greller umrissen. Anders Walser. Er begab sich nicht nur auf das wohl gefährlichste Feld der deutschen Debatten, den Umgang mit der NSVergangenheit – das tun viele, indes in weniger aneckender Weise. Was der Schriftsteller Walser jedoch in glänzender Rhetorik verlautete, ist mit »Tabubruch« nur fade umschrieben. [...] Wer aber soll, wer kann es fürchten, wenn Deutsche keine Angst mehr haben vor »Meinungssoldaten«? Was steckt hinter der Furcht vor dem Schwinden der »deutschen Angst«? Ist es, daß man die Deutschen schlechthin für Übeltäter hält, die für immer gebändigt werden müssen? Darum wird es gehen in der nun hoffentlich anlaufenden, wichtigsten geistigen Auseinandersetzung im Deutschland des zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts. [...] Es wird ernst (zit. nach Dietzsch et al 1999: 69, herv. v. MFE).14
12 Ähnlich übrigens Peter Sichrovsky in einem Interview in der JF v. 04.12.1998: »[Frage]: Sie haben [...] gesagt, Walser habe in seiner Rede nur ausgesprochen, was viele denken. Was denken die meisten? SICHROVSKY: Sowohl die Nachkommen der Täter, als auch die Nachkommen der Opfer empfinden große Sympathien für Walser – das weiß ich aus vielen Gesprächen.« (zit. nach Dietzsch et al 1999: 39) 13 Der Untertitel der Zeitschrift lautet: »Soweit die deutsche Sprache reicht«. 14 Die flankierende Stellungnahme Harald Schmidts und wiederum die Reaktion von Peter Dehoust hatten wir bereits im ersten Kapitel zitiert. In Schirrmachers Sammelband (1999) finden sich weitere vergleichbare Arrangements.
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Fassen wir die Essenz dieser drei Beispiele zusammen: die vielgestaltigen Tabus und Denkverbote werden an Haltungen geknüpft, die man als ›politisch korrekt‹ bezeichnet. Ihr sogenannter Bruch wird als ›un‹- oder ›inkorrekt‹ interpretiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Ausdrücke verwendet werden, macht vermutlich nicht mehr sehr viele Leser stutzig.15 Sie sind, nach einer ebenso jungen wie steilen Karriere, mittlerweile so allgegenwärtig, daß die eine Selbstverständlichkeit (nämlich die einer individuellen, inhaltlich oft hochvarianten, manchmal idiosynkratischen Verwendung) in der übergeordneten Selbstverständlichkeit (einer allgemein verbreiteten und hochfrequenten Verbreitung) reibungslos aufgeht. Diese ineinandergreifenden Selbstverständlichkeiten führen zu den erstaunlichsten Leseerlebnissen: so war in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung am 17./18. November 2001 auf ein und derselben Seite (III), die auch nur zwei Artikel enthielt, zu erfahren, daß, so der erste Artikel, in den Abenteuerreisen der Comic-Figur Petzi »bei näherer [!] Betrachtung von politischer Korrektheit keine Spur sein kann«,16 und daß der französische Aufklärer Voltaire, der Überschrift des Artikels zufolge, einen »politisch nicht korrekten« Brief, nämlich eine Polemik gegen Mohammed und den religiösen Fanatismus, an Friedrich den Großen schrieb.17 Sowohl die Verfasser des in den Fünfziger Jahren entstandenen Petzi-Comics als auch Voltaire wären über die hier post festum gestiftete weltanschauliche Gemeinsamkeit sicherlich verblüfft gewesen, zumal gerade der liebenswürdige Petzi, zu dessen 50. Geburtstag der Artikel verfaßt wurde, auf den ersten Blick, also bei nicht so naher Betrachtung, offenbar für ›politisch korrekt‹ gehalten werden könnte. Dies im Übrigen wäre dann ein Schicksal, das er – auch dies war aus der SZ zu erfahren – mit einer neuerdings sehr beliebten Kinderbuchfigur teilt, dem von Constanza Droop und Annette Langen geschaffenen Hasen Felix. Der nämlich, so läßt uns die Autorin des Artikels bei aller Sympathie für diese Figur leise spottend wissen, »ist politisch voll korrekt«.18 Ist aus diesem Sammelsurium am Ende zu folgern, daß Martin Walser tendenziell mehr
15 Walser-Leser schon mal gar nicht, denn einen großen Teil hatte man ja bereits vier Jahre zuvor lesen können. 16 Unter anderem deshalb, weil Petzi das Material für sein Schiff zusammengeklaut habe und die Bestohlenen dazu noch gelacht hätten. 17 Den Artikel zum 50. Geburtstag von Petzi (Rasmus Klump), einer Erfindung des Teams Carla und Vilhelm Hansen, verbrach Martin Brinkmann. Der Voltaire-Brief wurde vermutlich von der Redaktion der Wochenendbeilage mit dem Gütesiegel »politisch nicht korrekt« versehen. Ähnlich wie im Fall der Unterzeile des Poth-Interviews 1995 handelt es sich um eine nachträgliche Applikation. 18 Claudia Fromme: Felix und wie er die Welt sieht. SZ vom 23./24.03.2002.
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dem Petzi-Bären als dem Hasen Felix ähnelt? Und was läßt sich daraus schließen? Mit Kopfschütteln ist es hier nicht mehr getan, und wir erinnern an die kluge Entscheidung Kapitzkys, den Begriff ›Political Correctness‹ nicht zu definieren. Man kann sich hier natürlich wieder mal die Frage stellen, ob der eine oder andere Schreiber oder Redakteur im Eifer des Tagesgeschäfts einfach das dünnste Brett bohren möchte und seine Argumentation rasch zusammenhudelt, in der Hoffnung, daß sich das irgendwie versendet. Doch selbst dann, wenn man diese Frage schulterzuckend bejaht, muß man zu dem Schluß kommen, daß die Verwendung dieser Begriffe sich offenbar auf eine Art Plausibilität, eine Resonanz verlassen kann, die jedwede denotative Angemessenheit möglicherweise ersetzt, sie vielleicht sogar sukzessive erst erzeugt hat oder den Schein einer solchen zumindest mitträgt. Wir sind der Auffassung, daß uns der Begriff des Deutungsmusters dabei hilft, die absurd wirkenden Themenkonstellationen zu erklären, die jederzeit aktivierbare Plausibilität der Begriffe und damit ihre kommunikative Funktionstüchtigkeit zu erhellen. Und zwar ohne dabei immer wieder in die Falle zu tappen, von ›Korrektheit‹ oder ›Unkorrektheit‹ zu reden, als seien diese beiden selbstverständliche und bezüglich ihres so beschriebenen Objekts zwar flexible, aber dennoch identifizierbare Größen, wie es bisher üblich ist.19 Bandbreite und Variationstiefe unserer Beispiele, deren Auswahl man mit etwas Bosheit als eklektizistisch, mit etwas mehr Wohlwollen als bunt bezeichnen kann, deuten es bereits an: auch außerhalb des satirischen oder im engeren Sinne feuilletonistischen Diskurses dürfte wohl jeder, der in den vergangenen Jahren auch nur halbwegs aufmerksam die Tagespresse verfolgt hat, auf die eine oder andere, amerikanische oder deutsche Variante des Ausdrucks ›politically correct‹ bzw. ›politisch korrekt‹ gestoßen sein. Mit Hilfe dieses Ausdrucks, den und dessen Varianten wir in dieser Studie als repräsentativ für ein ›Deutungsmuster Politi-
19 Dieses Beharren auf der Existenz beider Größen ist ein Hauptproblem der Analysen. Als Diederichsen, der ebenfalls beide Größen sicherlich voraussetzt, dennoch von einer Medienkampagne sprach, den großen Einfluß von PC in Frage stellte und vor allem die Anti-PC-Strategie skizzierte, bewies einer der Rezensenten das Beharrungsvermögen, vor dem Ludwik Fleck 1935 (s. Motto) gewarnt hat: »Überhaupt wird man, sobald man sich von dem Eindruck der stilistischen und argumentativen Eleganz Diederichsens freimacht, seiner Zentralthese nicht zustimmen können: Politisch korrekte Rede gibt es« (Wackwitz 1996). Die phänomenologische Existenz von Sprache, die man als PC bezeichnen könnte, hatte Diederichsen überhaupt nicht bestritten – er hatte sie vielmehr eingeklagt und als Diskurstaktik zu etablieren versucht, allerdings in Abgrenzung von Auswüchsen und den ›loony left‹.
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cal Correctness‹ (im folgenden ›Korrektheitsmuster‹ genannt) interpretieren, hat sich ein Diskurs etabliert, den wir in dieser Arbeit bisher als ›Legende‹ oder ›Rede von der Korrektheit‹ bezeichnet haben und nun damit weitestgehend synonym als ›Korrektheitsdiskurs‹ bezeichnen wollen. Man könnte jedoch genauso gut vom Diskurs der ›politischen Unkorrektheit‹ oder vom ›Unkorrektheitsmuster‹ sprechen! Daß wir uns für ›Korrektheitsmuster‹ und ›Korrektheitsdiskurs‹ entschieden haben, ist ein pragmatisches Zugeständnis an die Notwendigkeit einer konsistenten Begriffsverwendung innerhalb einer solchen Studie und insofern eine kommunikative Bequemlichkeit (für Schreiber und Leser!), die an der Grenze dessen liegt, was wir uns in dieser Arbeit zugestehen. Je öfter man den Begriff ›Political Correctness‹ indirekt zitiert oder unreflektiert von ihm spricht, desto eher besteht die Gefahr, daß man seiner denotativen Potenz erliegt, dergestalt, daß nicht mehr der Begriff und seine Funktion analysiert werden, sondern daß man mit seiner unbedachten Verwendung andere Diskurse und die dort verhandelten Sachverhalte bzw. Haltungen denotiert, womit man ihn letztlich in seiner Wirkungsweise bestätigt und seine grundsätzliche, wenn auch fallbezogene Angemessenheit zertifiziert.
Werkzeug I: Deutungsmuster Die Rede vom ›Deutungsmuster‹ erfreut sich großer Beliebtheit. Der nur selten präzisierte Begriff scheint in den meisten Texten als verständnisstiftendes Element, als kommunikatives Gleitmittel komplizierter thematischer Räderwerke recht gut zu funktionieren, vor allem dann, wenn er nicht weiter erläutert wird. Trotz einiger engagierter Terminologisierungsversuche ist er immer noch als nahezu vogelfrei zu bezeichnen und daher den Gefahren ausgesetzt, zu einem Passepartout-Wort zu schwinden.20 Wir wollen daher versuchen, ihn für unsere Belange einzugrenzen und zu operationalisieren, werden uns aber ›klug‹ hüten, ihn definieren zu wollen. Bei diesem Balanceakt beziehen wir uns auf vorausgegangene Versuche von Definitionen, auf ihre Stärken und Schwächen. Einen ambitionierten Versuch finden wir im »Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung« (ILMES):
20 Wir können das hier nicht in extenso ausführen, empfehlen aber, diesen Begriff in die Suchmaschinen entweder von CD-ROMs mit gesammelten Zeitungsartikeln oder gar in Internet-Suchmachinen einzugeben. Die Bandbreite der Verwendung sprengt den Rahmen nicht nur dieser Arbeit.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Unter Deutungsmustern werden auf der Grundlage von Texten rekonstruierbare, normalerweise latente bzw. implizite Muster kultureller Sinnstrukturen verstanden, die manifesten Deutungen (Deutungsakten), d. h. Wahrnehmungen und Interpretationen der Welt zugrunde liegen. Als generative Regeln konstituieren sie den intersubjektiv verstehbaren Sinn von Handlungen. Soziale Deutungsmuster unterscheiden sich im Hinblick auf ihre historischkulturelle Reichweite, d. h. ihren Verbreitungs- und Allgemeinheitsgrad (Keller 1998).
Diese als Definition bezeichnete Erläuterung ist aufgrund ihres Bezugs zu Texten als Basis der Rekonstruktion sowie ihrer angepeilten Reichweite für unsere Zwecke geeignet. Gleichzeitig jedoch enthält sie hochproblematische Implikationen und analytische Leerstellen, die sich in der Verwendung von unterbestimmten Begriffen wie »normalerweise« [!], »latent«, »implizite Muster«, »Wahrnehmungen«, »intersubjektiv verstehbar« etc. ausdrücken: aus derlei vagen Bestandteilen läßt sich beim besten Willen keine solide Definition entwickeln. Weiter heißt es dann: Wie Deutungsmuster in der konkreten empirischen Analyse inhaltlich bestimmt werden, ist abhängig von dem fallbezogen herzustellenden Verhältnis von Fragestellung, Gegenstand und Methode (ebd.).
Übersetzt aus der Sprache der Soziologie in die Sprache der Operette heißt das soviel wie chacun à son goût. Es ist jedoch verfehlt, sich in einer Diskursanalyse allzu spöttisch von solchen Definitionsversuchen zu distanzieren. Denn zum einen beschreibt dieser Satz unsere Aufgabe in dieser Studie. Und schon das willkürliche Arrondieren von identifizierbaren Subjekten und ihren Texten, die beide wiederum bestimmten Äußerungsregeln unterliegen, ergibt ein sehr heterogenes Korpus. Wenn man diese Gesamtheit insgesamt als ›Diskurs‹ bezeichnet, ist das methodisch keinesfalls avancierter. Auch diesem Problem werden wir uns gleich stellen müssen. Zunächst aber wollen wir eine kurze Erklärung voranstellen, was wir »fallbezogen« unter einem Deutungsmuster verstehen. Wir werden dazu auf die Überlegungen von Georg Bollenbeck zurückgreifen. Der Kulturwissenschaftler beschreibt anhand von »Bildung und Kultur« eher die Funktionsweise eines Deutungsmusters, als daß er versucht, es zu definieren, und kann somit ein etwas heikles, aber funktionstüchtiges Analyseinstrument schaffen. So heißt es bei ihm: Das Deutungsmuster leitet Wahrnehmungen, interpretiert Erfahrenes und motiviert Verhalten. Diese individuelle Sinngebung vollzieht sich persönlich, ist aber keineswegs unvergleichbar, denn Deutungsmuster meint von außen angeeignete, vorgefertigte Relevanzstrukturen, die man nicht auswählt, sondern eher übernimmt (Bollenbeck 1994: 19).
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In einem späteren Text heißt es etwas abweichend, daß ein Deutungsmuster »... Erfahrungen interpretiert und Handeln motiviert« (Bollenbeck 1999: 19). Die hier durchgeführte Umakzentuierung bleibt für die Argumentation Bollenbecks folgenlos, und man darf daher von einem weitestgehend synonymen Gebrauch ausgehen. Das ist insofern nicht ganz glücklich, als daß »Verhalten« und »Handeln« streng genommen zwei sehr unterschiedliche Dinge sind. Allerdings scheint es uns legitim, den Begriff »Verhalten« bei Bollenbeck nicht im engeren Sinne psychologisch auszudeuten, sondern dem Autor eine Verwendung im allgemeineren Sinne zu unterstellen, also als ein Konglomerat von »inneren« Einstellungen und habituellen Praxen, wobei die Grenze zum kognitiv gesteuerten, also gezielten Handeln fließend ist. Handeln wie Verhalten ist gemein, daß der Einfluß eines Deutungsmusters auf das eine wie das andere in Art und Reichweite kaum eindeutig nachweisbar ist. Ebenfalls nicht schlüssig ist der wechselnde Gebrauch von »Erfahrenes« und »Erfahrungen«. Dieser Einwand mag etwas pingelig erscheinen, aber für die von Keller angesprochene »historisch-kulturelle Reichweite« eines Deutungsmusters ist durchaus von Bedeutung, ob dieses nur im Anschluß an seine Implementierung in den Diskurs weitere und zukünftige Erfahrungen gestaltet, und zwar Erfahrungen sowohl im Sinne des Prozesses als auch in bezug auf das Resultat; oder ob man dem Deutungsmuster eine Geltung auch in bezug auf bereits vergangene Vorkommnisse und Texte zugesteht – im Fall des Korrektheitsmusters also auf diskursive Ereignisse, die man dann als Belege für eine Political Correctness avant la lettre interpretiert. Ein weiterer Unterschied, der in diesem Fall noch zu beachten ist, liegt darin, ob man einem Text bzw. Verhalten konzediert, bereits in seiner eigenen Zeit korrekt oder unkorrekt gewesen zu sein, oder aber ob dieser Text bzw. dieses Verhalten nur aus Sicht einer späteren, vermeintlich von Political Correctness geprägten Zeit das eine oder andere ist. Die Tatsache, daß man Petzi, den ComicBären, und Voltaire mit Hilfe des Begriffs zu deuten versucht und daß, nehmen wir ein ganz anderes Beispiel, die Veteranen des deutschen Punk ihr seinerzeitiges (ca. 1976ff) Verhalten als gezielten Kampf gegen die damalige ›politische Korrektheit‹ (der 68er, Hippies und Alternativen)21
21 Nachzulesen ist diese Applikation des Korrektheitsmusters auf vergangene Zeiten in einer Interviewsammlung: »Von daher hatte ich etwas gegen diese Überfrachtung durch theoretisches Gelaber und die Integration von politisch korrekten Sprüchen in Bildern.« (Moritz R®); »Punk richtete sich ja weniger gegen die ältere Generation. Sondern es ging darum, was politisch völlig unkorrekt gegenüber diesen Grün-Alternativen wäre [übrigens ein bemerkenswerter Anachronismus; MFE]. Die immer über alles diskutieren wollen. Und da war eben so ein undifferenzierter Umgang mit Fa-
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verklären, spricht aber dafür, daß das Korrektheitsmuster beide Varianten der Applikation auf Vergangenes ermöglicht. Die immer aufs Neue kommunikativ gelingenden Applikationen auf bereits Erfahrenes und auf neue Erfahrungen stützen sich dabei gegenseitig. Sie tragen zur Wertbeständigkeit und thematischen Variabilität des Korrektheitsmusters bei und erhalten die Legende am Leben. Wir möchten für unsere Studie bezüglich der ›Wirkung‹ die Geltung eines Deutungsmusters insofern etwas einschränken, als daß wir die von Bollenbeck angesprochenen Funktionen als eine Möglichkeit begreifen – vielleicht motiviert ein Deutungsmuster das Handeln bzw. das Verhalten, wahrscheinlich sogar leitet es Wahrnehmungen und die Interpretation der Erfahrungen, vor allen Dingen aufgrund mit ihm etablierter Usancen der Kategorisierung von sprachlichen und nichtsprachlichen Phänomenen.22 Die Art und das gesamte Ausmaß dieser Deutungsmacht jedoch entziehen sich weitestgehend unserer Betrachtung, die vor der Stirne der Beteiligten bzw. knapp hinter ihren Texten und gegebenenfalls deren Geschichte ein allzu jähes Ende findet. Die Tatsache, daß verschiedene Menschen von und über ›Political Correctness‹ reden, heißt eben nicht unbedingt, daß sie dasselbe darunter verstehen, noch daß sie überhaupt (und ferner ihr Publikum) an die Existenz eines einheitlichen Phänomens glauben oder ihm gar dieselben Aspekte und Ereignisse zurechnen.23 Daß sie kommunikativ durch die geteilte und fortgesetzte Verwendung des Korrektheitsmusters eine bei allen ideologischen Konflikten gleichgerichtet orientierte Sichtweise demonstrieren und sie das in Kauf nehmen, einkalkulieren oder gar begrüßen, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Für solche Fälle hat Knobloch festgestellt: Ein durchgesetztes semantisches Deutungsmuster erkennt man daran, dass es auch von politischen und weltanschaulichen Kontrahenten geteilt wird (Knobloch 2001: 210).
schismus das Wirkungsvollste.« (Ralf Dörper). Diese Zitate aus Teipel (2001: 20 R®; 52 Dörper). 22 In diesem Sinne weisen wir auch darauf hin, daß das Deutungsmuster alleine überhaupt nichts macht, und daß der Subjektstatus, den wir aus den Beschreibungen übernommen haben, allenfalls metaphorisch gesehen werden sollte. Ein Deutungsmuster ist nichts ohne die textproduzierenden Subjekte, die es verwenden. 23 Aus etwas optimistischerer Sicht beschreibt Hans Hörmann die gleiche Beobachtung: »Trotz aller Schwierigkeiten kann man übersetzen, der Unterschied zwischen »amour« und »Liebe« braucht nicht größer zu sein als der zwischen »Liebe« (von Fritz Müller) und »Liebe« (von Eleonore Meier)« (Hörmann 1970: 350).
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Selbst bei den allzu raren kritischen Stimmen, die die kommunikative Praxis auf sich gezogen hat, gibt es also den Hang, von einer ›Political Correctness‹ oder auch den ›Politisch Korrekten‹ in einer Weise zu reden, als wäre die unhintergehbare Existenz des damit unterstellten, für eine Begriffsbildung ausreichend homogenen Konzeptes und eines identifizierbaren beteiligten Personenkreises eine ausgemachte Sache. Weil das bereits im Moment der Anwendung des Deutungsmusters bereits geklärt zu sein scheint, unabhängig davon, wer wen warum als politisch korrekt oder unkorrekt bezeichnet, wird oft nur die jeweilige Applikation dieses Korrektheitsmusters kritisiert. Noch der von Diedrich Diederichsen, Hermann L. Gremliza und Heiner Geißler versuchten, ins Positive gewendeten Umcodierung von Political Correctness ist die Hinnahme der grundsätzlichen Angemessenheit dieser Redeweise eingeschrieben. Wenn also ein Deutungsmuster sich etabliert hat und hochfrequent verwendet wird, wird es der gemeinschaftlichen Kommunikation, in der sich derartige Prozesse der »individuellen Sinngebung« niederschlagen können und/oder in der diese Prozesse inszeniert, legitimiert und, in erster Linie sprachlich, geäußert werden, seinen Stempel aufdrücken. Von den zahllosen Möglichkeiten, eine politische, persönliche und sachliche Position zu vertreten bzw. anzugreifen, wird die Verwendung des Deutungsmusters bevorzugt werden. Denn sie verleiht dem Sprechenden einen Status auf der Höhe der jeweils kurrenten Terminologie. Hinzu kommt, daß unter dem Gesichtspunkt des Resonanzkalküls sich ein etabliertes Deutungsmuster anbietet, weil sich in seinem Zeichen Konsens oder auch Dissens mit Blick auf eine weite Zuhörerschaft verhandeln und inszenieren lassen, übrigens vor allem dann, wenn ein Deutungsmuster per se auf Konflikte hin konstruiert ist. Deshalb hat seine Verwendung diskursökonomische Vorteile, was Schnell- und Vielschreiber (und das ist nicht abwertend gemeint) wie eben Journalisten freut. Sehr komplexe Sachverhalte lassen sich mit ihm bündeln und vermitteln, Texte und Textbausteine quasi auf Autopilot generieren und glätten, Verständigungsprozesse werden beschleunigt, indem ein gemeinsames Verständnis über die Konturen des Deutungsmusters unterstellt wird – man denke in diesem Zusammenhang auch an auf andere Fälle bezogene Deutungsmuster bzw. die sie repräsentierenden Begriffe wie ›Leitkultur‹, ›Globalisierung‹ und ›Standort‹, ›Schlüsselqualifikationen‹ oder ›Informations- und Wissensgesellschaft‹. Damit wird ein Deutungsmuster zu einer Ordnungskategorie des öffentlichen Sprechens, die oft nur schwer zu umgehen ist, insbesondere auf den Feldern, auf denen es sozusagen daheim ist. Für das ganz gewiß durchgesetzte Deutungsmuster »Bildung und Kultur« ist – neben dem restlichen Kulturbetrieb – in erster Linie das gesamte, vor allem schuli-
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sche und universitäre, Erziehungswesen bis heute eine begriffsgeschichtliche Heimstatt. Gleiches gilt für den – eben – ›Kulturbetrieb‹. Konservative wie progressive, auch ganz diffuse Vorstellungen über Ziele, Formen und Inhalte des Erziehungswesens und im weitesten Sinne Kulturbetriebs (wie in den Kanondebatten) müssen, unbeschadet aller ideologischen, theoretischen und praktischen Differenzen, sich zu diesen beiden Begriffen, diesem Deutungsmuster (sprachlich) verhalten, um Anschluß zu finden und resonanzfähig zu sein. Dabei wird gerne dick aufgetragen: Bildung. Europas kulturelle Identität nennt Manfred Fuhrmann seine bei Reclam publizierten Überlegungen zum richtigen Bildungskanon, dessen Zielrichtung der Titel bereits verkündet (Fuhrmann 2002). Auch eine Makulaturschrift, die nichts weiter ist als eine Papier gewordene Rumpelkammer für abgesunkene Kulturversatzstücke und Halbverstandenes, heißt, wie der Bestseller von Dietrich Schwanitz, konfirmandengerecht, herrschsüchtig und in vollem Ernst Bildung. Alles, was man wissen muß, und hat damit konsequenterweise beträchtlichen Erfolg (Schwanitz 19.[!] Aufl. 2001 [1999]). Der in der Titelgebung etwas jämmerlich geratene Anschlußversuch von Ernst Peter Fischer, seinen Lesern naturwissenschaftliches Orientierungswissen anzudienen, heißt dann ebenso anspielungsreich wie hüftlahm: Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte (Fischer 2001).24 In der Titelgebung ebenfalls trittbrettfahrend und mit Blickrichtung auf die von den verheerenden Ergebnissen der PISAStudie geschockten Schüler und ihre Eltern hat der Münchner Historiker Martin Zimmermann (als Herausgeber) im Arena Verlag eine durchdidaktisierte Variante dieses Abgreifertums praktiziert: Allgemeinbildung. Das mußt du wissen« (Zimmermann: 2002). Und wie man sieht: spätestens im Kinder- und Jugendbuchbereich verwandelt sich das Teilhabeversprechen des Deutungsmusters »Bildung und Kultur« endgültig in eine Drohung. Im Gegensatz zu diesem dominanten Deutungsmuster ist das Korrektheitsmuster bisher eher eine fallweise wahrgenommene Option öffentlichen Sprechens, die jedoch viel Anklang gefunden hat und bis heute findet. Der Ausdruck ›Political Correctness‹ ist, wie seine Varianten, deutschen Entsprechungen und Modifikationen sowohl Repräsentant als auch – in der permanenten Fortschreibung – Konstituent des Deutungs-
24 Die Ähnlichkeiten gehen bis zur Umschlaggestaltung beider Bücher, deren Cover jeweils ehrwürdig aussehende, in Leder gebundene Wälzer zeigen, die – zumindest uns – ein wenig an die Bücherwand von Gertrud Höhlers AmEx-Reklame (s. 1. Kapitel) erinnern.
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musters.25 In seiner konsequenten Verwendung entwickelt das Korrektheitsmuster eine eigene Tradition der Rede, in der sich Positionen und Sichtweisen ausdrücken, die keineswegs neu sind. Es lädt zu einer Rekombination alter Diskursstränge oder auch alter Diskurse insgesamt ein, deren Teilnehmer, möglicherweise gegen ihre Neigung, sich plötzlich Seite an Seite wiederfinden. Die Kritik an der (bzw. irgendeiner) ›Political Correctness‹ durch einen expliziten Reagan-Anhänger wie Dinesh D’Souza muß man von derjenigen einer Sozialistin wie Barbara Ehrenreich gewiß trennen. Umgekehrt wird Petzi sich nicht gegen Christoph Daum ausspielen lassen. Und wenn Diedrich Diederichsen und Heiner Geißler sich für mehr ›Political Correctness‹ aussprechen, so sollte es uns wundern, wenn Geißler die ›Political Correctness‹ ebenfalls als den »neuen Punk« zu würdigen wüßte.
Werkzeug II: Anmerkungen zum Diskursbegriff Nichts ist für einen Autobesitzer besorgniserregender als ein Mechaniker, der mitten in einer Reparatur ins Sinnieren gerät, was das denn so eigentlich sei, ein Schraubenschlüssel. Es wird aber mit dem Begriff ›Diskurs‹ möglicherweise noch mehr Unfug getrieben als mit dem Begriff ›Deutungsmuster‹, so daß wir auch hier noch einmal ansetzen möchten. Die Probleme fangen schon damit an, daß wir die mit Hilfe des Korrektheitsmusters bzw. der Legende verhandelten Themata einem ›Korrektheitsdiskurs‹ zuordnen. Mit der Einführung dieses Sammelbegriffs verfahren wir also auf genau die Weise, die wir bei den Konstrukteuren des Korrektheitsmusters kritisieren wollen, wenn sie beispielsweise von »PC-Debatte« reden. Die Ausreden, daß wir die im Begriff ›Debatte‹ enthaltene Akzentsetzung schon wegen ihrer weitgehenden sachlichen Unrichtigkeit vermeiden (eine Debatte ›Pro-und-Contra Correctness‹ fand ja wohl allenfalls am Rande statt), und daß unser Ordnungsversuch sich gerne auf einer Meta-Ebene verordnet sähe, verfangen in dieser Problematik nicht. Wir können es nicht mit Gewißheit sagen, aber wir vermuten, daß die meisten haupt- und nebenberuflichen Diskursanalytiker unter der Vagheit des Begriffs ›Diskurs‹ leiden, obwohl sie davon bei ihrer alltäglichen
25 Das gilt, der Deutlichkeit halber sei es hier vorweggenommen, auch für die Verwendung der vermeintlichen Gegenteile, also ›Unkorrektheit‹ etc. Erst beide Aspekte zusammen bilden das Korrektheitsmuster, und sie sind nur scheinbar hierarchisch zueinander: das, was man Korrektheit nennt, ging dem, was sich Unkorrektheit nennt, nicht voraus, auch wenn die gewählten Begriffe das unterstellen.
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Kommunikation und Arbeit profitieren. Bei dem Versuch, diesen Widerspruch in den Griff zu kriegen, geben sie folgerichtig sehr unglückliche Figuren ab. Es ist uns kaum erklärbar, daß immer aufs Neue ein letztes Wort zum Diskursbegriff gesucht wird, von dem die Autoren ernsthaft zu wünschen scheinen, es möge über ihre eigenen Arbeit hinausreichen und möglichst uneingeschränkte Geltung erlangen. Soweit gehen wir nicht. Uns geht es hier um eine sehr einfache Studie, und um die Kommunizierbarkeit ihrer Fragestellung und Lösungsansätze. Dabei kann man es etwas pragmatischer und weniger emphatisch angehen lassen als in den einschlägigen Schriften zu Diskursanalyse.26
26 Eine in diesem Sinne Glanz und Elend verbreitende Aufsatzsammlung ist das nützliche Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse (Keller et al 2001a). Es ist eine inspirierende Sammlung von ambitionierten Beiträgen, die unglücklicherweise von ihren Herausgebern mit einem liebenswerten, aber letztlich nicht einlösbaren Orientierungsversprechen begleitet wird. Im Text auf dem Buchrücken, der den Leser möglicherweise zum Kauf reizen soll, ist die Rede von »Forschenden und Studierenden, die [...] Orientierung suchen« und im weiteren Verlauf von einem »unübersichtlichen transdisziplinären Feld von diskurstheoretischen und diskursanalytischen Ansätzen [...], in dem das Handbuch Orientierung bietet« (Keller et al 2001a; Buchrücken). Das ist in erster Linie resonanzorientierte Verlagsprosa, und sie steht dort mit einer gewissen Berechtigung. Es geht uns auch nicht darum, daß man aus den Beiträgen von etablierten Forschern wie Siegfried Jäger, Willy Viehöver e tutti quanti nicht etwas Nützliches lernen könnte. Aber im Grunde machen all die Beiträger sozusagen ›ihr Ding‹. Dagegen wäre nichts zu sagen, hieße es nicht im Vorwort, daß das Handbuch in seiner thematischen und methodischen Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit Abhilfe schaffe bei dem »für viele Forschende und Studierende schwerwiegende[n] Problem, sich bei eigenen Forschungsvorhaben (z. B. bei Diplomarbeiten, Dissertationen, Forschungsprojekten) anhand mühevoller, weitgehend eklektizistischer Literaturanalyse einen begrifflich-methodischen Werkzeugkasten zusammenstellen zu müssen« (Keller et al 2001b: 16); die im Handbuch aufscheinende Pluralität von Rezepten ist aber einem grundsätzlichen Rezeptdenken keineswegs abhold, sondern nur Ausdruck einer sich für offen haltenden wissenschaftlichen Polyphonie, die, kein seltener Anblick, in ihrer scheinbaren Flexibilität nur um so hermetischer wird. Das führt oft zu unfreiwillig komischen Effekten. Der von uns aufrichtig geschätzte Siegfried Jäger treibt in seinem Beitrag zum richtigen Verfahren von Diskursanalysen die eigene Betriebsblindheit auf die nicht für möglich gehaltene Spitze, wenn er ein ausdifferenziertes, jeden Einzelschritt (mit dreifacher Tiefenstaffelung, z. B. »2.3.3 Gliederung des Artikels in Sinneinheiten«) penibel vorgebendes, bis ins Letzte durchdidaktisiertes Schema zur »Materialaufbereitung« mit folgender Vorbemerkung einleitet: »Materialaufbereitungen sind Basis und Herzstück der anschließenden Diskursanalyse. Sie sind äußerst sorgfältig vorzunehmen und (bei größeren Projekten mit mehreren MitarbeiterInnen) von allen Beteiligten in der gleichen Reihenfolge vorzunehmen, ohne daß dabei schematisch vorgegangen werden sollte. [...] Die folgende Zusam-
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Das für eine Arbeit notwendige Zusammenpferchen disparater Texte gilt oft als die Crux jeder Diskursanalyse, wie Busse und Teubert beschreiben: Die Einheit eines Diskurses (im Hinblick auf semantische Beziehungen, Thema, Gegenstand, Wissenskomplexe, Funktions- bzw. Zweckzusammenhänge) wird vom Untersuchungsziel, Interesse oder Blickwinkel der Wissenschaftler bestimmt (Busse/Teubert 1994: 16).
Da ist nichts gegen einzuwenden, auch wenn das in seiner Vagheit und Pointe an die ja ebenfalls recht frei gehaltene Definition des Begriffs »Deutungsmuster« im ILMES sowie an die daran geknüpfte Verantwortung des Untersuchenden erinnert. Wie man sieht, haben Busse und Teubert ein in hohem Maße leidenschaftsloses, korpusorientiertes Diskursverständnis, vielleicht nicht zuletzt, um dem verbreiteten Irrationalismus sowohl bei der euphorischen Aufnahme des Diskursbegriffs als auch bei der vehementen, nicht selten Rezeptionsmißverständnissen oder anderen Unwägbarkeiten geschuldeten Ablehnung entgegenzuwirken.27 Aber
menstellung gibt einen Überblick über die zu absolvierenden Analyseschritte und das zu verwendende Instrumentarium (=Werkzeugkiste)« (Jäger 2001: 104; kursiv im Original, kursiv und unterstrichen herv. v. MFE). Hier weiß die linke Hand ganz offenbar nicht mehr, was die rechte schreibt. Und gramgebeugt machen wir uns trotz dieser gutgemeinten Hilfestellung daran, unsere eigene Werkzeugkiste zusammenzustellen. 27 Wir möchten als Beispiel den etwas aufgeregt wirkenden Aufsatz Lothar Baiers erwähnen, der unter dem Titel »In den Orkus mit dem Diskurs« erschienen ist (Baier 1996). Zugegeben, dieser Text ist in einem etwas unseriösen, satirisch gemeinten Kontext erschienen (Berenberg/Kunstmann (Hg.): Längst fällig! 37 notwendige Verbote, 1997) und daher eigentlich cum grano salis zu lesen, aber man kommt doch nicht umhin festzustellen, daß Baier sich hier in erster Linie an seiner eigenen Abneigung gegen die französisch geprägte Wissenschaft (»Franzosentheorie«) abarbeitet. Zwar gibt es diesbezüglich für eine kritische Haltung nicht selten gute Gründe, wie auch der Fall Sokal und die sich anschließende Studie von Bricmont und Sokal 2001 belegen. Aber spätestens in dem Moment, in dem Baier zum Erstaunen des Lesers damit anfängt, mit dem »Dictionnaire Robert« herumzufuchteln, um zu belegen, daß das Verb ›discourir‹ »ausschließlich pejorativ gebraucht [wird], im Sinn von plappern, quasseln, daherquatschen« und er löffelscharf daraus schließt, daß ein ›discoureur‹ »nichts anderes [ist] als eine Quasselstrippe oder ein Dummschwätzer« und also damit seinen »Verbotsaufruf« begründet (ebd. 81), allerspätestens da liegt die Vermutung nahe, daß Baier von Sachen schreibt, von denen er nicht nur nichts versteht, sondern auch partout nichts verstehen möchte. Das wiederum ändert nichts an der zumindest fragwürdigen Konjunktur, die dieser Begriff tatsächlich hat, und insofern ist, wie man so sagt, ›an der Sache was dran‹ und Baiers Aufregung zwar überzogen, aber nicht völlig grundlos.
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nicht nur dieser angenehm unaufgeregte Umgang mit dem Diskursbegriff ist für uns hilfreich, sondern auch die relative Offenheit, die dieses Verständnis ermöglicht, und der daran geknüpfte Präzisierungsauftrag, der sich fallbezogen neu stellt. Knobloch hat verschiedene Varianten für den Diskursbegriff geschildert, deren erste und dritte uns hier interessieren.28 Zum einen spricht er von einer »thematisch und zeitlich gebundenen Textmenge, die mit Bezug auf ihre Binnenlogik und ihre pragmatische Funktion analysiert wird« (Knobloch 2000a: 100). Hier läßt sich vermutlich ein einfacher Anschluß an Busse und Teubert herstellen. Die andere, an Foucault angelehnte Variante, bei der die »Analyse des öffentlichen Sprechens (und Schreibens) im Hinblick auf die dadurch beförderten und bestätigten Praxen der Zurechnung und Distribution von Macht, Autorität und Wahrheit« (ebd.) im Vordergrund steht, kommt dem in unserer Studie verwendeten Diskursbegriff und daran geknüpften Analysebedürfnis am nächsten. Ergänzend kommt für unsere Studie hinzu, daß bisweilen auch die Zurechnung von Ironie und Ernsthaftigkeit eine Rolle spielt, beispielsweise dann, wenn es um die Frage geht, ob ein Text als Satire oder ein anderes Kunstwerk behandelt wird oder nicht, und welche Konsequenzen das gegebenenfalls für den Textproduzenten und die Textrezeption hat. Der bei der Durchführung von Diskursanalysen von Jürgen Link häufig benutzte Begriff »Interdiskurs« ist für uns insofern von Bedeutung, als daß er auf eine Vermittlungsfunktion öffentlichen Sprechens hinweist. Das bedeutet, daß im Interdiskurs Spezialdiskurse aufbereitet und sozusagen in die Öffentlichkeit reintegriert werden, aus der sie durch Spezialisierung und Arbeitsteilung herausgefallen sind (vgl. dazu Link 1986).29 Unter diesem Gesichtspunkt ließe sich beispielsweise die Verwendung des Korrektheitsmusters als ein interdiskursives Phänomen interpretieren, weil mit ihm verschiedene Spezialdiskurse (Kanondebat-
28 Die zweite Variante ist das auf Habermas zurückgeführte Verständnis von Diskurs als einem »metakommunikativen Gespräch, in dem Normen und Geltungsansprüche der öffentlichen Kommunikation suspendiert, thematisiert und herrschaftsfrei geklärt werden« (Knobloch 2000a: 100). Nichts könnte uns im Zusammenhang unserer Arbeit weniger interessieren als diese Idealvorstellung. 29 Der Gebrauch des Wortes ist wie bei Link üblich etwas schillernd. Einmal heißt es, daß er unter »interdiskurs [...] jene redetypen [versteht], die das arbeitsteilige system der spezialdiskurse wieder reintegrieren und totalisieren« (Link 1986: 5). Im übernächsten Absatz heißt es dann: »aus den verschiedensten spezialdiskursen sammelt sich nun in den redeformen mit totalisierendem und integrierendem charakter ein stark selektives kulturelles allgemeinwissen, dessen gesamtheit hier interdiskurs genannt wird« (ebd.).
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te(n), Geschichte etc.)30 kommuniziert, verknüpft und vergesellschaftet werden. Die Integrationsleistung des in diesem Sinne interdiskursiven Korrektheitsdiskurses kann, so unsere Vermutung, gar nicht überschätzt werden. Sein Potential, zahlreiche Diskurse kurzzuschließen, die sowohl eine oder mehrere fachliche Seiten als auch eine oder mehrere öffentliche Seiten haben, besteht nicht zuletzt darin, daß mit seiner Verwendung all diese Diskurse unverarbeitet und unreflektiert zur Verfügung stehen und plausibilisiert in Reihe geschaltet werden können. Wer sich als ›politisch unkorrekt‹ inszeniert, kann dadurch in viele Diskurse wertend hineinreden, von denen er keine vertiefte Kenntnis haben und von denen er nicht einmal wissen muß. Satiren sind ebenfalls, und das ist eine weitere Parallele, in einem vergleichbaren Sinne interdiskursive Texte: auch sie sind auf eine etwas widerspenstige Art integrierend und erfüllen interdiskursive Funktionen, indem sie eine Art ›Verfügungsgewalt‹ über die in der Satire kurzgeschlossenen Diskurse herstellen. Wir vertreten die Auffassung, daß man – auch aufgrund einer solchen Ähnlichkeit – vor allem in einer polymedial und tribalistisch organisierten Massendemokratie konsequenterweise von mehreren auf Integration ausgerichteten Interdiskursen mit unterschiedlicher Reichweite und unterschiedlichen Integrationsmodi reden muß – Links gelegentliches Beharren auf nur einem Interdiskurs scheint uns an der Vielfalt der Praxen öffentlichen, reintegierenden Sprechens vorbeizugehen.31 Also werden wir von Interdiskursen im Sinne von ›relativen Interdiskursen‹ reden, um zu verdeutlichen, daß man, um von einem Interdiskurs reden zu können, auch über zumindest einige Diskurse reden muß, zu denen er den Inter-Diskurs bildet.32 Damit ist aber klar, daß die Grenzen eines Interdiskurses durchlässiger sind als die eines abgrenzten Spezialdiskurses. Es liegt auf der Hand, daß das zu einem Methodenproblem führt.
30 Und auch diese Diskurse können mal mehr, mal weniger speziell ausfallen und im Sinne Links interdiskursiv prozessiert werden. 31 Es sei festgehalten, daß Link – »Gesamtheit« hin oder her – auch gelegentlich in dieser Weise interpretiert wird. So heißt es im Überblicksaufsatz Sozialgeschichtliche Zugänge [zur Literatur, MFE] von Kirsten Wechsel in dem Abschnitt, der sich mit Link befaßt: »[...] um einen Austausch über das Wissen der einzelnen Spezialdiskurse zu gewährleisten, ist ein Interdiskurs notwendig, der dieses Wissen über die Einzeldiskurse hinaus auch Laien zugänglich macht. Die Alltagssprache, politische, journalistische und populärwissenschaftliche Diskurse, aber auch die Literatur fungieren solchermaßen als Interdiskurse« (Wechsel 1996: 460f, herv. v. MFE). Wiewohl wir – abzüglich der enthierarchisierten Form der einfachen Auflistung – Wechsel in der Sache Recht geben, ist bei Link die Darstellung, wie gezeigt, keineswegs ganz eindeutig. 32 Bezeichnenderweise ist hier das Adjektiv »interdiskursiv« nützlicher als das zu sehr konzeptualisierende Substantiv.
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All die von uns bisher präsentierten und im weiteren noch zu präsentierenden Referenztexte bilden auf dreierlei Art ›die Rede von der Korrektheit‹ und damit auch die Legende, also die Teile dessen, was wir in Ermangelung eines besseren Wortes nun den Korrektheitsdiskurs nennen. Zum einen fallen Texte darunter, die ausdrücklich von dem Phänomen ›Political Correctness‹ (in den USA oder in Deutschland) zu handeln vorgeben, sich also gezielt auf der vermeintlichen Meta-Ebene ansiedeln. Dazu zählen Schlüsselaufsätze aus der Presse sowie die ersten ausführlichen wissenschaftlichen Studien, die sich ganz oder teilweise diesem Thema widmen. Zum anderen gehören Texte dazu, die sich des Korrektheitsmusters bedienen, indem sie es zur Beurteilung und Beschreibung einer Einstellung, eines Sachverhalts, einer Kritik, eines künstlerischen Artefakts etc. heranziehen. Als drittes, und hier wird es dann zugegebenermaßen windig, rechnen wir einige Texte dazu, die thematisch, begrifflich und argumentativ an die beiden anderen Gruppen von Belegtexten anschließen. Manche dieser Texte sind ältere Beiträge, die zum Teil bereits »offiziell« integriert wurden, so zum Beispiel der Aufsatz »Whose Canon Is It, Anyway?« von Henry Louis Gates (1992), der bereits 1989 in der New York Times Book Review publiziert wurde, aber in Bermans Sammelband Debating P.C. (1992) nachgedruckt wurde. Andere wiederum sind jünger, und in ihnen muß nur noch von ›Gutmenschen‹ oder ›Tabu‹ die Rede sein, um das etablierte Muster zu evozieren. Ab und an braucht man solche Aufsätze, um bestimmte Kontinuitätslinien von Argumentationen zu zeigen, aber wir sind uns darüber im klaren, daß wir damit den von uns kritisierten Mechanismus selbst in Anspruch nehmen. Andererseits, und das entlastet uns möglicherweise, ist das Korrektheitsmuster trotz einiger Vorläufer zwar terminologisch recht frisch, aber weder die subsumierten Themen noch die Methode der Subsumption unliebsamer Positionen sind etwas ganz Neues. Der Korrektheitsdiskurs mußte keineswegs bei Null anfangen.33 Wie gesagt, die meisten – vor allem deutschsprachigen – Texte34 zum Thema ›Political Correctness‹, die uns vorliegen, behaupten, über das
33 Ein weiteres Argument, daß unsere diesbezüglichen Zweifel ein wenig zumindest kalmiert, findet sich in Knoblochs Aufsatz zur »Theorie der Begriffsgeschichte«. Dort heißt es »wenn man es wirklich ernst meint mit der Isolierung diskursiver Sinnkonstanten, dann wird man nicht umhin können, die Bindung an eine Wortgestalt (und damit auch die lexikalische Darstellungsform) aufzugeben« (Knobloch 1992: 9). In der diesbezüglichen Fußnote heißt es dann noch etwas deutlicher: »Viele sinnähnliche Motive und Denkfguren lassen sich in Texten auch dann nachweisen, wenn ihr typischer Wortkörper nicht vorkommt« (ebd.). 34 Auch hier gilt, was bereits über das Deutungsmuster gesagt wurde: die Texte selbst behaupten überhaupt nichts, sondern mit ihnen behaupten
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Thema ›Political Correctness‹ bzw. die damit assoziierten Themen zu schreiben. Gelegentlich behaupten sie das mit einem gewissen Recht, beispielsweise wenn sie halbwegs stimmig den Verlauf der Diskussion beschreiben. In erster Linie aber tragen diese Texte wie gezeigt durch die unverblümte Anwendung des Korrektheitsmusters zur kommunikativen Konstruktion eines angeblich kohärenten Themas bei: eben der Legende von einer ›Political Correctness‹, zu der sich (formal implizit und anekdotisch explizit) die ›Incorrectness‹ deviant bzw. nur reaktiv verhält. Nicht zuletzt aus dieser implizit und/oder explizit behaupteten Reihenfolge der diskursiven Ereignisse entwickelte sich die Legitimation explizit ›unkorrekten‹ Sprechens und Schreibens, wie wir im vierten Kapitel zeigen werden. Die diskursive Konstruktion des Komplexes, durch die dieser fortgeschrieben wird, wird von einem imaginären Außen vorgenommen, so, als seien die Autoren in die Konstruktion selbst und vor allem die mit Hilfe des Korrektheitsmusters reintegrierten und neucodierten Diskurse in keiner Weise verstrickt. Diese Haltung gehört ja auch zum guten Ton in der Wissenschaft. Aber ein wissenschaftlich befriedigendes Außen gibt es in dem Korrektheitsdiskurs nicht, weil er in der erreichten und hier zu beschreibenden Ausdehnung zahllose individuelle, wissenschaftliche und kulturelle Fragen kontaminiert hat – am wenigsten wahrscheinlich die der Mathematik, obwohl das die einzige Wissenschaft ist, in der der Begriff Korrektheit eine ausreichende Stabilität aufzuweisen hätte! Paradox genug, in den Texten wird das, was aus einer relativen Außenperspektive gerade so eben realisierbar wäre, nämlich die Reflexion über die Verwendungsmodi des Deutungsmusters, nicht eingenommen: das Korrektheitsmuster wird einfach verwendet, das ist alles. Selbst bei Autoren, die kritische Positionen einnehmen, die also Kommunikationspraxis, von »korrekt/unkorrekt« etc. zu reden, fallweise kritisch untersuchen, findet sich rasch ein Rückfall in die kommunikative Praxis, das Inklusions-/Exklusionspotential des Deutungsmusters zu verwenden, und damit die Legende zu perpetuieren. Zu beschreiben, was und wer korrekt oder unkorrekt ist, beziehungsweise, warum eine solche Zuschreibung im Einzelfall zutreffend oder unzutreffend ist, bleibt als Ordnungsprinzip offenbar viel zu attraktiv, um das Muster selbst gezielt in Frage zu stellen.
die Autoren. Die Texte kommen aber nach der Publikation bisweilen ohne ihre Autoren recht gut in dieser Welt zurecht, und insofern steht einer metaphorisch gemeinten Subjektivierung nichts im Wege, sofern man sich an die Produktionsumstände erinnert.
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Werkzeug III: Repertoire–Element Bei der kommunikativen Konstruktion von relativen Interdiskursen spielen die Mechanismen der Verknüpfung der einzelnen Diskurse eine entscheidende Rolle. Hierbei gibt es, je nach Fragestellung, verschiedene Möglichkeiten, die verbindenden Elemente zu bezeichnen und ihre Funktion zu beschreiben. So bezeichnet Uwe Pörksen eine spezielle Gruppe von Begriffen als »Plastikwörter«. Diese haben den Weg von der Wissenschaft in die Alltagssprache gefunden und stiften dort, an jedem herkömmlichen Verständnis von Verstehen vorbei, nicht nur allerlei inhaltliche Verwirrung und gerade deshalb in gewisser Hinsicht gelingende Kommunikation, sondern sie werten vor allem die Äußerungen des Verwenders mit der Aura ihrer Herkunft, das heißt, ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang, auf. Pörksen bezieht sich bei seinen Ausführungen auf Begriffe wie Modell, Identität, Fortschritt, Sexualität etc. und beschreibt einige Phänomene und Regeln, die zu unserem Fall einige Parallelen aufweisen. Für uns ist von Bedeutung, wie Pörksen diesen interdiskursiven Transfer skizziert und bewertet: Sie [die Plastikwörter, MFE] entstammen in der Regel der wissenschaftlichen Sphäre oder sind durch sie hindurchgegangen, sind eine Art Wissenschaftsgeröll oder auch Brückenköpfe der Wissenschaft in die Umgangssprache (Pörksen 1997 [1988]: 22).
Er führt weiterhin aus: Wörter sind der Möglichkeit nach dehnbar, man ist meistens kaum in der Lage, einen Begriff aus dem Stegreif zu definieren; im konkreten Gebrauch dagegen, auf ein Gegenstandsfeld bezogen, nehmen die Wörter kraft der Stelle, die der Sprecher ihnen zuweist, ihre spezielle Bedeutung ein und sind beliebig nuancierbar. Dieser von der Bedeutungslehre als »normal« angesehene Fall scheint nicht einzutreten, wenn wir von ›Kommunikation‹, ›Sexualität‹ reden hören. Dem Sprecher ist diese Möglichkeit offenbar entzogen. Ihm fehlt die Definitionsmacht (ebd. 23).
Pörksen beschreibt hier ein vertracktes Problem, dem wir bereits mehrfach begegnet sind, nämlich das unausgewogene Verhältnis von Gebrauch und lexikalischer Festigkeit. Die von ihm hier unterstellte Polarität der beiden Möglichkeiten scheint uns überzogen, denn weder kann bei der Begriffsverwendung von Nicht-Plastikwörtern von völlig »beliebiger Nuancierbarkeit« die Rede sein, noch von dem Fehlen jeder Definitionsmacht im anderen Fall. Tendenziell aber scheint uns der Befund zuzutreffen, daß Begriffe ein Mitbringsel haben, das mit dem wissenschaft-
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lichen Terminus »Konnotation« allzu unpräzise beschrieben ist, und das unter ganz anderen Auspizien in anderen Diskursen zu unkontrollierbaren Effekten führen kann (wenn auch nicht muß!).35 Pörksen bezieht sich in erster Linie auf Fälle, in denen szientoides Vokabular den Alltagsdiskurs aufwerten und gegen Widerspruch immunisieren soll, also in gewisser Hinsicht auch auf das Phänomen, das Sokal und Bricmont aufgearbeitet haben. Nicht immer aber ist es der nichtwissenschaftliche Diskurs, dem es an Legitimation gebricht und der daher auf die Wissenschaft zurückgreifen muß. Einen auch aus diesem Grund zum Teil entgegengesetzten Verlauf untersuchen Knobloch und Bollenbeck in ihrem Forschungsprojekt Semantischer Umbau der Geisteswissenschaften. Damit ist, sehr verkürzt gesagt, eine Diskurspraxis gemeint, mit deren Hilfe die Wissenschaft sich im Rahmen ihrer fachlichen und diskursiven Spielregeln und Terminologien fortbewegt, wobei sie immer ein Auge auf die politischen und gesellschaftlichen Anforderungen hat, die an sie gerichtet werden oder von denen sie es zumindest vermutet. Dieser Vorgang, der fast immer ein Balanceakt ist – heutzutage beispielsweise dann, wenn ›fragwürdige‹ Fächer wie die Germanistik ihre betriebswirtschaftliche Optimierbarkeit und ihre ökonomische, berufsqualifizierende Relevanz inszenieren – geschieht unter anderem durch die Verwendung von sogenannten »Scharnierbegriffen«, womit Begriffe gemeint sind, die sowohl in der Fachwelt und als auch in der Alltagssprache »für zirkulationsfähige Inhalte« stehen, womit sie als »Boten« oder »Fähren« fungieren (Knobloch 2001: 209). Besonders anfällig für solche Umbauprozesse sind natürlich Fächer, deren Nutzen, heute sagt man auch gerne: deren Praxisrelevanz, in Frage steht. Bollenbeck führt aus: Gerade geisteswissenschaftliche Traditionsfächer müssen sich auf den Wechsel von Resonanzbedingungen, die den Zugang zu Macht, Geld und Reputation regeln, einstellen (Bollenbeck 2001: 15).
Daher sind diese Fächer, wie Bollenbeck anhand der Germanistik demonstriert, in besonderem Maße »resonanzbedürftig« (ebd.). Knobloch betont – anhand des Beispiels »Muttersprache« – die Wechselwirkung, die durch die Verwendung von Scharnierbegriffen zwischen den kommunikativen Sphären entsteht: Scharnierbegriffe sind innerfachlich terminologisiert und tragen in der allgemeinen Kommunikation eine starke Wert- und Affektladung. Sie taugen also
35 Wir erinnern an Diederichsen, dem das Wort ›Nigger‹ »nicht gehorcht« (Diederichsen 1995: 52).
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Es ist nicht zuletzt diese Scharnierfunktion, die es ermöglicht, daß die Diskurse ›Wissenschaft‹ und ›Politik‹, wie Knobloch es nennt, »für einander Ressourcen« von Macht und ihrer Legitimation sowie von »gesellschaftlicher Identität« sind (ebd.). Beschreiben Pörksen und Bollenbeck/Knobloch verhältnismäßig spezifische Funktionen solcher Begriffe und decken damit nur einen, wenn auch wesentlichen, Teil der Verknüpfungsstrategien analytisch ab, so wollen wir unsere Optik erweitern, zumal von einem engen fachlichen Hintergrund des Korrektheitsmusters beileibe nicht die Rede sein kann, selbst wenn es in fachlichen Diskursen schon einen warmen Platz gefunden hat. Eine weitgehend erforschte, hochgradig differenzierte, thematisch vielseitige Methodik zur Ausgestaltung eines Interdiskurses finden wir bei dem von Jürgen Link so genannten »System synchroner Kollektivsymbole«, kurz Sysykoll, mit dem eine Gesellschaft anhand verschiedener Basistopiken (rechts-links, oben-unten, innen-außen etc.) im weitesten Sinne politische Verortungen von Personen, Ideen und Ereignissen vornimmt. Insbesondere die Eigenschaft des Sysykoll, durch seine Topiken thematisch ausbau- und anschlußfähig zu sein, ermöglicht Erweiterungen und Integrationen, die sich in der thematisch vielschichtigen Verwendung von Fahrzeugmetaphern (»Motor des Fortschritts«, »das Boot ist voll« usw.) als Symbolen im öffentlichen Diskurs exemplarisch niederschlagen. Die feste Etablierung der Topiken und die Verknüpfung mit immer neuen Themen erlaubt zwar gegebenenfalls Achsenverschiebungen (z. B. im Kampf um »Mitte«, gegen »Extreme«), sie wird aber durch die semantischen Einzelschlachten insgesamt nicht auf den Kopf gestellt. Für uns relevant sind die Eigenschaften eines Kollektivsymbols, die Link als die »syntagmatische Komplexität« (ausdifferenzierbar in eine Isotopie mit mehreren Elementen) und die »Isomorphie-Relation« (zwischen Symbolisant und Symbolisat) bezeichnet (Link 1993: 17).36 In gewissem Sinne werden im Korrektheitsdiskurs Zusammenschlüsse analog geleistet, wenn auch in einer deutlich abstrakteren Weise. Der Korrektheitsdiskurs ist als ein relativer Interdiskurs eingebunden in sehr
36 Link hat häufig sein Konzept des Kollektivsymbols vorgestellt. Wir haben uns hier für den Text entschieden, in dem er seine Theorie am bündigsten dargestellt und weitestgehend auf bestimmte Idiosynkrasien verzichtet hat. Allerdings teilen wir in keiner Weise seinen Glauben an die fast unhintergehbare Macht der Kollektivsymbole auf das Unterbewußtsein der Individuen.
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viele verschiedene Diskurse um Rasse, um Sexualität, um Geschichte37 etc., in denen das Verhältnis von Stärke und Schwäche, von Täter und Opfer, von Macht und Ohnmacht und dergleichen verhandelt werden. Inhärente Widersprüche durch die Zusammenfassung verschiedener spannungsreicher Diskurse (man denke zum Beispiel an die spezifische Problematik schwarzer Homosexueller)38 oder durch die Brüche in den Biographien einzelner Beteiligter lösen die Isomorphie-Behauptung im Korrektheitsdiskurs nicht etwa auf, sondern verschärfen durch den damit oft einhergehenden Vorwurf der Doppelmoral, Inkonsequenz und Heuchelei an die Adresse der ›Gesamtkorrekten‹ das Konfliktpotential des Korrektheitsmusters. Die dem Korrektheitsdiskurs in besonderem Maße innewohnenden Fähigkeiten, Widersprüche zu leugnen oder gar zu integrieren, werden wir – im nächsten Abschnitt – als ein Spezifikum von Denkkollektiven beschrieben finden. Was nach Link entlang der Achsen des Sysykoll geleistet wird, um die herum die Katachresenmäander die Äquivalenzverhältnisse und den Zusammenschluß von Diskursen sicherstellen, geschieht im Korrektheitsdiskurs durch das, was wir bisher etwas lax als ›Versatzstücke‹ bezeichnet haben. Diese werden wir nun in Anlehnung an Wolfgang Iser als »Repertoire-Elemente« bezeichnen (Iser 1994 [1984]). Wir werden dieses Werkzeug soweit darstellen und modifizieren, wie es für unsere
37 »Rasse« steht hier für eine ganze Reihe von Diskursen, die über diesen Begriff laufen. Auch der Rassediskurs, wenn wir ihn so nennen wollen, ist in unserem Sinne ein relativer Interdiskurs, der an verschiedene Diskurse angebunden ist. 38 Die weitverbreitete Homophobie in der amerikanischen Black Community, nicht nur in der Nation of Islam (NOI), sondern auch bei den Nachfolgern des Civil Rights Movement, ist ein genauso deprimierendes Kapitel wie der ebenfalls nicht seltene Rassismus unter Homosexuellen. Dieser Komplex und auch seine Anfälligkeit für Kritik von »außen« ist recht gut erschlossen, was der Grund dafür ist, daß wir gerade ihn als Beispiel nehmen. Weiterführende Aufsätze und Artikel: Hutchinson 1999 (auch zum Thema NOI); Gates 1999 [1993], Gallagher 1999 [1997]: 398-401, Smith 1999 [1993]; eine glänzende Studie ist Keith Boykins Autobiographie: One more River to cross. Black & gay in America (1998). Dieser Aspekt ist auch ein arges Problem bei der Rezeption schwarzer Musik, vgl. Jacob 1993. Henry Louis Gates schrieb 1993 in einem Zeitungsartikel noch zu einer ganz besonderen Ursache der Auseinandersetzungen: »[The] sentiment, – that gays are pretenders to a throne of disadvantage that properly belongs to black Americans, that their relation to the rhetoric of civil rights is one of unearned opportunism – is surprisingly widespread. [...] For some veterans of the civil-rights era, it’s a matter of stolen prestige.« (Gates 1999 [1993]: 647). Gallagher stellte 1997 die selbe deprimierende Diagnose und erzählt, daß eine Nichte von Martin Luther King Jr. das Gay-Rights-Movement für einen »Affront« gegenüber der Bürgerrechtsbewegung (CRM) hält (1999: 398).
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Belange notwendig ist, und seine Funktionsweise anhand eines für den Korrektheitsdiskurs zentralen Beispiels illustrieren. Der Begriff Repertoire-Element ist von Iser aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive heraus für fiktionale Texte entwickelt worden und wurde von Klaus Schwind 1988 für die Analyse von Satiren exemplifiziert und analytisch verengt. Bei Schwind rückt die Produktionsseite stärker ins Blickfeld, die auch uns interessiert, zumal in unserer Studie die Rezeptionsseite ja weitgehend als terra incognita betrachtet wird. Denn sofern jemand über seine Rezeption sich äußert (und nur solche Quellen stehen uns ja zur Verfügung), ist er bereits wieder auf der Produktionsseite der Kommunikation angelangt. Auch Schwind weist deutlich genug darauf hin, daß die Verwendung von Repertoire-Elementen absichtsvoll geschieht und daß der Erfolg dieser Verwendung beim Rezipienten unsicher ist (Schwind 1988: 52) Die aus dieser Beobachtung abzuleitende Schwerpunktverlagerung werden wir übernehmen. Nach Iser »[bildet] das Repertoire jenen Bestandteil des Textes, in dem die Immanenz des Textes überschritten wird« (Iser 1994: 115). Weiter heißt es: Das Textrepertoire bezeichnet das selektierte Material, durch das der Text auf die Systeme seiner Umwelt bezogen ist, die im Prinzip solche der sozialen Lebenswelt und solche vorangegangener Literatur sind. Eingekapselte Normen und literarische Bezugnahmen setzen den Horizont des Textes, durch den ein bestimmter Verweisungszusammenhang der gewählten RepertoireElemente vorgegeben ist, aus dem das Äquivalenzsystem des Textes gebildet werden muß (Iser 1994: 143).
Etwas undeutlich bleibt Isers Trennung von ›Repertoire‹ und ›Repertoire-Element‹, die er bisweilen synonym zu gebrauchen scheint. Ihre Erscheinungsweise im Text beschreibt Iser: Nun besteht das Repertoire fiktionaler Texte nicht bloß aus jenen außertextuellen Normen, die den epochalen Sinnsystemen entnommen sind; es zieht in mehr oder minder verstärktem Maße auch vorangegangene Literatur, ja oftmals ganze Traditionen in zitathafter Abbreviatur in den Text hinein. Die Elemente des Repertoires bieten sich immer als eine Mischung aus vorangegangener Literatur und außertextuellen Normen (Iser 1994: 132).
Die ganze Metaphorik des Hineinziehens und des Innen und Außen von Texten will Iser in seinen Beschreibungen nicht recht gelingen. Es scheint uns daher sinnvoll, das Repertoire »Außen« zu verorten, die Repertoire-Elemente hingegen »Innen« als Repräsentanten dessen, was dem jeweiligen Text (oder allgemeiner: Diskurs) als Repertoire, als Verweishorizont dient. Die Repertoire-Elemente des Textes, die eine »außerästhetische Realität« (ebd. 115) repräsentieren sollen, nämlich lebenswelt-
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liche (aber eben auch literarische) Konventionen, Normen und Traditionen, »erscheinen immer im Zustand der Reduktion« (ebd. 116), manchmal gar in »zitathafter Abbreviatur« (ebd. 132). Dennoch oder gerade deshalb können sie Schemata [anbieten], die dem Leser ein bestimmtes Wissen vorgeben bzw. sedimentiertes Wissen aufzurufen vermögen. Folglich wird durch das gewählte Repertoire [!] die Vorstellungstätigkeit des Lesers mit der Antwort zusammengeschlossen, die ein Text auf eine bestimmte historische oder gesellschaftliche Lage zu geben versucht (ebd. 116).39
Es ist auch diese sehr allgemein gehaltene Beschreibung, die Isers Trennung von »fiktionaler« und »gebrauchssprachlicher Rede« sehr künstlich und überflüssig wirken läßt.40 Hinzu kommt ja der Umstand, daß sowohl literarische als auch außerliterarische Repertoires durch die Elemente in den Texten vertreten sind. Man muß keinen erweiterten Literaturbegriff vertreten, um das hier und im folgenden Zitat beschriebene Procedere, das als eine »Umcodierung« (Schwind 1988: 47) gedeutet wird, auch in wissenschaftlichen, feuilletonistischen und anderen Texten zu finden: Als fiktionaler Text löst der literarische die selektierten »Repertoire-Elemente« ab von ihrem »lebensweltlichen Funktionszusammenhang« und organisiert sie in seinen sprachlichen Strukturen innerhalb neuer Bedeutungszusammenhänge. Dadurch schafft der Text für diese Elemente gegenüber dem ursprünglichen Verwendungszusammenhang aber zugleich einen Problematisierungshorizont. Denn damit, daß er mit diesen Elementen an die Bedeutungs-
39 Es ist mehr als bezeichnend, daß Schwind dieses Iser-Zitat dahingehend frisiert, daß es bei Schwind die »gewählten Repertoire-Elemente« sind, die das leisten (Schwind 1988: 47, herv. von MFE). Der Elementbegriff bleibt bei Iser zugegebenermaßen undeutlich, und wir schließen uns Schwinds hier vorgenommener Umdeutung insofern an, als daß der Zusammenschluß wirklich über die identifizierbaren Text-Elemente (wie etwa Wörter, Begriffe, Namen, grammatische Konstruktionen) geleistet wird, die wiederum die von Iser genannten Normen, Konventionen, Traditionen zu repräsentieren und evozieren imstande sind. 40 Vgl. ebd. 104f. Das setzt sich fort insbesondere an der Stelle, an der Iser ausführt, daß die »Symbolorganisation fiktionaler Rede« sich eben nicht auf die »Vorgegebenheit empirischer Objekte beziehen kann« (ebd. 105). Da es bei politischer Rhetorik nicht durchweg um empirische Objekte geht, führt uns diese literaturwissenschaftliche Taschenspielerei erst recht nicht weiter. Isers mit Rekurs auf Austin erstellte hoffnungsfrohe Beschreibung der »gemeinsamen Konventionen zwischen Sprecher und Empfänger« führt ihn zu dem folgenden Schluß: »Was in umgangssprachlicher Verwendung der Sprechakte vorab gegeben sein muß, gilt es im Blick auf die fiktionale Rede erst aufzubauen« (ebd. 114). Iser überhöht damit die relative Bedeutung der Repertoire-Elemente für literarische Texte, indem er die Bedeutung solcher Repertoire-Elemente für die Alltagskommunikation unterschätzt.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT systeme der Kultur anschließt, indem er durch ihren Gebrauch jene gewissermaßen als Bezugskontexte aufruft, werden die Repertoire-Elemente in und mit der qualitativ anderen Neu-organisation des Textes in Beziehung gesetzt zu ihren außertextuellen Funktionszusammenhängen (Schwind 1988: 47).
Die hier beschriebene Arbeitsweise von Repertoire-Elementen läßt sich u. E. auch auf andere Textsorten beziehen, darüber hinaus auch auf andere Medien: Samples in der Musik (sozusagen ›akustische‹ RepertoireElemente),41 auch Photographien, einzeln oder collagiert (›visuelle‹ Repertoire-Elemente), dürften in der Rezeption analog funktionieren.42 Auch hier wird die Trennung von künstlerischen und anderen Repertoires durchlässig. Für den Korrektheitsdiskurs läßt sich das sehr schön zeigen, weil es für die Geschichte, Gestaltung und Legitimierung von Argumentationen oft keinen Unterschied mehr zu machen scheint, ob sich auf empirisches Material, ausgefeilte Theorien oder z. B. auf einen ScienceFiction-Roman bezogen wird, wie wir gleich sehen werden: entscheidend ist die vom Produzenten eines Textes getroffene Wahl eines anerkannten und attraktiven Repertoire-Elements und seine gelungene Ausgestaltung. Das umtriebige ›Gespenst‹ aus dem Einleitungssatz des kommunistischen Manifests ist im Korrektheitsdiskurs ein solches Repertoire-Element. Wir möchten zuvor noch eine weitere Aufteilung des Begriffs »Repertoire-Element« vorschlagen, die sich für das Beschreibungsarsenal
41 Es wäre mal eine Aufgabe für einen Musik- oder Medienwissenschaftler, warum und zu welchem Ende die Musik von Erik Satie Radiofeatures und Fernsehdokumentationen immer aufs Neue unsicher macht und welche Querverbindungen und Assoziationen damit ausgelöst werden sollen oder können! 42 Akustische Repertoire-Elemente sind als ›Samples‹ seit den frühen Achtzigerjahren in der populären Musik, vor allem im HipHop, etabliert. Sie gehen in ihrer Verweispräzision über das hergebrachte musikalische Zitat hinaus, weil sie – als Ausschnitt einer Aufnahme – auch eine ursprüngliche Interpretation durch einen Interpreten des Originals in das Artefakt einschleusen. Auch hier geht es, neben den spielerischen Elementen solchen Tuns, um die Herstellung von Tradition und Legitimität des eigenen künstlerischen Prozesses. Der von Reidenbach 1997 monierte, weil nicht erläuterte Gebrauch eines Fotos, das Beate Klarsfelds Ohrfeige gegen Kiesinger zeigt, auf dem Buchumschlag von Diederichsen 1996 ist ein Beispiel für ein ausschließlich visuelles Repertoire-Element. Die Herstellung von gemeinsamen Konventionen beschränkt sich bei Diederichsen auf ein Stammpublikum – hier wie so oft. Sein damit korrespondierender Hang zu sprachlichen und insbesondere terminologischen Idiosynkrasien führt ihn damit oft ins Abseits. Auch hier gilt unsere Betrachtung von der Produzentenseite her: gerade da, wo Repertoire-Elemente nicht oder nur eingeschränkt funktionieren, zeigt sich, daß sie zunächst bei der Produktion eine Rolle spielen, daß man ihnen eine Potential für die Rezeption zurechnet, das eben nicht immer eingelöst wird.
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unserer Studie als hilfreich erwiesen hat. Iser selbst hat darauf hingewiesen, daß »die Art, in der Konventionen, Normen und Traditionen im Repertoire fiktionaler Texte auftauchen, sehr verschieden sein [kann]« (Iser 1994: 115). Unterscheiden wollen wir im Folgenden zwischen ›objektgebundenen‹ und ›abstrahierten‹ Repertoire-Elementen. Ein objektgebundenes Repertoire-Element verweist unmittelbar auf einen eindeutig identifizierbaren Bedeutungszusammenhang, indem ein identifizierbares Artefakt (›artefaktgebundenes RE‹) bzw. das beteiligte Personal (›personengebundenes‹ oder auch ›institutionengebundenes‹ RE«) aufgerufen werden. Das am stärksten konventionalisierte Repertoire-Element wäre aus dieser Perspektive das Zitat im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit, das man seiner Argumentation einverleibt und das dort nicht zuletzt für Traditionsanbindung, Bestätigung und Legitimität von Überlegungen eine Rolle spielt. In seiner spezifischen Form ist es ebenso artefakt- wie personengebunden. Weniger stark konventionalisierte Bezüge z. B. durch Terminologie,43 Motti oder bloße Namensnennungen gehören ebenfalls dazu.44 Unter diesem Gesichtspunkt gehört die wiederholte Rede vom »McCarthyism« bezüglich Political Correctness eher zu den personengebundenen Repertoire-Elementen, und die Behauptung vom »StürmerStil« bezüglich der Titanic zu den eher artefaktgebundenen RepertoireElementen. Die Rede von der »Zensur« interpretieren wir als abstrahiertes Repertoire-Element, wenn hingegen die Rede von der »Inquisition« oder der »Reichsschrifttumskammer« ist, handelt es sich um ein objektgebundenes, in diesem Fall um eine institutionengebundenes RepertoireElement. Aufwendige Zusammenhänge lassen sich mit den RepertoireElementen evozieren und in eine Auseinandersetzung einschleusen. In gewissem Sinne gehört auch der früher deutlich häufiger anzutreffende Vorwurf, irgendetwas sei »kommunistisch«, dazu. Dieses RepertoireElement als Repräsentant eines politischen und theoretischen Konzeptes, das auch personell und durch mehr oder minder kanonische Texte – wenn auch widersprüchlich – kodifiziert ist, liegt aus unserer Perspektive zwischen den objektgebundenen und abstrahierten Repertoire-Elementen. Hier gerät man nämlich bereits auf eine Abstraktionsstufe, die all-
43 Terminologie ist sicherlich ein Grenzfall. So ist, wir hatten es bereits ausgeführt, bei Verwendung der Begriffe Diskurs oder Deutungsmuster einiges an Erklärungen notwendig, wie man sie meint und wo man sie her hat. 44 Die abfällige Bezeichnung »Name-dropping« würde in diesem Sinne auf einen als überzogen, fehlerhaft oder prahlerisch betrachteten Umgang mit Repertoire-Elementen hinweisen.
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gemein die Distanzierung (und uns die Zuordnung) erschwert. Clemens Knobloch führt dazu aus: In der Außenpolitik taugte das Schema [der »beweglichen Ein- und Ausschließung durch Gegenbegriffe«, MFE] dazu, jede Schweinerei und jede Diktatur zu adeln, wenn sie nur antikommunistisch orientiert war. Umgekehrt wurde alles im Handumdrehen für »kommunistisch« erklärt, was die eigenen machtpolitischen Interessen tangierte. [...] der [auf diese Weise, MFE] ausgegrenzte Feind selbst gerät in eine paradoxe, kommunikativ fast aussichtslose Lage, wie man ebenfalls an der PDS studieren kann (und wie man es in den 80er Jahren an den Grünen studieren konnte). Sie müssen sich unentwegt von der sozialistisch-kommunistisch-stalinistischen Feindprojektion distanzieren und können doch wissen, daß ihnen das überhaupt nichts nutzen wird. Selbst wenn die PDS Eugen Drewermann zum neuen Vorsitzenden wählen und das Parteiprogramm durch die Bibel ersetzen würde, jeder bliebe bei der »SEDNachfolgeorganisation« und dem Kommunismusverdacht (Knobloch 1998: 63ff).
Knobloch zeigt hier, wie ein allgemeinsprachliches Verständnis von »Kommunismus« und eine bestimmte historische Konstellation das Repertoire-Element zwischen Objektbindung und Abstraktion oszillieren lassen. Dennoch: die höhere denotative Festigkeit objektgebundener Repertoire-Elemente hat zur Folge, daß man sich gegebenenfalls stärker gegen sie verwahren bzw. von ihnen abgrenzen kann oder daß eine Verwendung leichter kritisiert werden kann. Der oft erfolgreiche Versuch der politisch extremen Rechten, die Kritik an ihrer Politik bzw. Weltdeutung als »Faschismuskeule« zu bezeichnen bzw. den tatsächlich meist unpräzisen Faschismus-Vorwurf zu entkräften, ist dafür ein gutes Beispiel.45 Gerade wegen der vielschichtigen Interessenlage der politischen Rechten ist für sie eine Abgrenzung von diesem einigermaßen spezifizierbaren Aspekt rechter Weltanschauung nicht allzu schwer. Bei abstrahierten Repertoire-Elementen ist eine derartige Distanzierung nicht so leicht möglich. Das zeigt sich umgekehrt nicht zuletzt daran, daß, weil im Gegenzug die Rede von der »Faschismuskeule« aus denselben Gründen wiederum leicht zu entkräften ist, Walser in seiner Paulskirchenrede stattdessen von »Moralkeule« sprach, ein Vorgang, den Alfred Schobert
45 Vgl. zu diesem Komplex Zimmer 1993 und die Replik von Frank 1996: »Der Vorwurf, ein »Nazi« zu sein, wird von Zimmer also implizit umgedeutet in einen demokratischen Ehrentitel, [...] da Zimmer zwischen berechtigtem und unberechtigtem Faschismus-Vorwurf nicht differenziert« (Frank 196: 202). Ein umfangreiches Dokument dieser Diskurs-Taktik ist das Buch des Bonner Politikwissenschaftlers Hans-Helmuth Knütter: »Die Faschismus-Keule. Das letzte Aufgebot der deutschen Linken« (1993), in dem der in der Tat oft all zu lässig angewandte Faschismus-Begriff der Antifa-Bewegungen eben diesen um die Ohren geschlagen wird, mit dem Ziel, rechte Anschauungen gegen jede Kritik zu immunisieren.
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als »dichterische Veredelung« der Faschismuskeule bezeichnet, die übrigens keineswegs auf Walser zurückgeht.46 Von dem Vorwurf, man habe die »Moralkeule« verwendet, muß man sich erstmal distanzieren können. Insofern kann man (und sollte man durchaus) von der Applikation des Korrektheitsmusters auch als dem ›Schwingen der Korrektheitskeule‹ reden. Ein abstrahiertes Repertoire-Element wird, oft mit einmaligem oder mehrfachem Rekurs auf angeblich exemplarische objektgebundene Repertoire-Elemente, da ins Spiel gebracht, wo – gegebenenfalls auch ohne expliziten Bezug – Werte und Konventionen evoziert werden, die einem oder mehreren Verweishorizonten entstammen und diese kurzschließen. Halten wir fest, daß eine (selbst angenommene oder von anderer Seite zugewiesene) diskursive Rolle wie das – eben im Gegensatz zu ›festen‹ Begriffen wie etwa ›Kommunismus‹ – konzeptionell freie »Opfer« und die ominösen Motive »Moral« oder »Denkverbot« weitestgehend abstrahierte Repertoire-Elemente sind, gegen die schwer zu argumentieren ist. Sind aber die begleitenden und illustrierenden objektgebundenen Repertoire-Elemente allzu ungeschickt gewählt und völlig unangemessen, wie zum Beispiel bei der Verbindung von Titanic und »Stürmer-Stil«, kann sich der Verwender sehr rasch dem Gespött preisgeben. Insofern tut man
46 Ausführlich heißt es bei Schobert (1999: 27): Im Gegenteil beziehen sich die politischen Programmpunkte [von Walsers Rede, MFE] zurück auf Schlüsselbegriffe, die seit 1989 peu à peu in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind, veredeln sie dichterisch (aus der »Auschwitz-« bzw. »Faschismuskeule« wird die »Moralkeule«) und verschärfen ihre Wirkung, indem sie ihnen endgültig den Ruch des Rechtsextremen nehmen. Diese »Veredelung« ist nicht Walser zu verdanken. Schon 1992 konnte man in einer Theaterrezension von Sonja Schock in der Taz-Berlin von einer »überflüssigen« und »peinlichen« »Moralkeule« lesen (23.11.1992). Die damit verwandte »moralische Keule« findet sich in der Taz mehrfach vor der Rede, einschlägig in einem Leserbrief von Astrid Kuhlmey anläßlich eines Artikels »War Jesus Jude oder Feminist?« von Erica Fischer (in der Taz 15.11.1996). Kuhlmey: Man kann sich wirklich schon eine Menge feministischer Rabulistik abringen [...] Erica Fischers Gemüt zerknirscht sich sorgenvoll: Es trieft vor Betroffenheit und Mystik. Jede Art der sachlichen Auseinandersetzung wird in den Zirkel des Antisemitismus verlagert. Die moralische Keule verbietet jede Frage. Auch eine solche: »Wir müssen uns doch fragen, wie es passieren konnte, daß dieses Volk soviel Haß auf sich gezogen hat.« [...] Schon in der DDR [wurde] es nicht gerne gesehen, bestimmte Fragen zu stellen. [...] Wenn ein solches Zensur- und Denkverbot [sic] in Zukunft weiter um sich greift, ist jeder Mystik im Denken Tür und Tor geöffnet. [...] politisch korrekte Schmerzstiller helfen nicht weiter« (Taz 30.11.1996, herv. von MFE). Da haben wir die einschlägigen Repertoire-Elemente wieder mal fast alle zusammen.
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als Verwender abstrahierter Repertoire-Elemente diskurstaktisch gut daran, entweder einwandfreie oder zumindest in der Zielgruppe akzeptierte objektgebundene Repertoire-Elemente als Stütze heranzuziehen. In weitestgehend säkularisierten und/oder protestantisch geprägten Massendemokratien ist der völlig anachronistische Verweis auf die »Inquisition« immer empfehlenswert, ein Repertoire-Element, das Dramatisierung und Ridikülisierung wie kaum ein zweites ermöglicht, was eben an der unleugbar schaurigen Geschichte dieser Institution liegt, die aber eben vor allem eines ist: Geschichte. Hat man etwas so Schönes nicht zur Verfügung, empfiehlt es sich, ganz auf objektgebunde Repertoire-Elemente zu verzichten: man ist dann einfach »Opfer« oder wird »verfolgt«, von »Tugendwächtern« (es sieht zwar aus wie ein personengebundenes Repertoire-Element, ist aber ein abstrahiertes) und eben nicht von einer »Gestapo« oder von »McCarthy«. Die Legitimation durch abstrahierte Repertoire-Elemente ist wegen ihrer inhaltlichen Varianz chancenreicher, verläuft aber ansonsten gleichförmig zur Verwendung objektgebundener Repertoire-Elemente. Gelegentlich finden auch, wie angedeutet, Substitutionsprozesse statt, beispielsweise indem man statt von »Zensur« oder »Verfolgung« (abstrahiert) nur noch von »McCarthyism« (objektgebunden) redet, aber das ist wie gesagt nicht ganz ohne Risiko. Repertoire-Elemente unterliegen einem permanenten Wandel. Wenn man eines verwendet, es in »eine andere Umgebung einrückt«, wird sozusagen der neue Verwendungskontext seiner Geschichte hinzugefügt, was Iser zu der Einschätzung veranlaßt, daß Repertoire-Elemente »in der Regel im fiktionalen Text zu einem Interaktionspol herabgestuft werden« (Iser 1994: 116). Diese Permutationen gehören zu der bereits erwähnten Umcodierung. Als Resultat, so unsere Einschätzung, kann ein Repertoire-Element gestärkt, aber auch verschlissen werden. Wie im Falle der Scharnierbegriffe müssen wir wegen unserer Trennung von Repertoire (Außen: Wert, Konvention etc.) und Repertoire-Element (Innen als Repräsentant von Wert, Konvention oder Beispielen dafür) auch unterstellen, daß sich auch das Repertoire, dem die Elemente jeweils entnommen werden, langfristig verändert. Das in der deutschen Literaturgeschichte vielleicht bekannteste Beispiel für die öffentliche Aufrufung eines Repertoire-Elements und die daraus resultierende Umcodierung stammt aus Goethes Die Leiden des jungen Werther, und zwar aus der Szene, in der Lotte angesichts einer bestimmten Wetter- und Stimmungslage »tränenvollen Auges« und wortkarg das Wort »Klopstock« ausspricht, um diese tränentreibende Situation an eine »herrliche Ode« des beiden Beteiligten bekannten Dichters zu knüpfen. Goethe läßt seine Heldin gemeinschaftsstiftend ein
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Repertoire-Element verwenden, und indem er das tut, verwendet der Autor ebenfalls ein Repertoire-Element, mit dem er die Autor-LeserBeziehung auf eine ›kanongestützte‹ Gemeinschaft hin auszutesten vermag. 47 Sollte nun jemand heutzutage auf den Gedanken kommen, angesichts einer vergleichbaren Situation seinem Partner »Klopstock« zuzumurmeln, so ist anzunehmen, daß weniger der Dichter gleichen Namens, sondern vor allem Goethes Werther und besagte Szene evoziert werden sollen – mit ausgesprochen unsicherem Erfolg, nebenbei bemerkt, da die Kenntnis der beiden ineinandergreifenden Verwendungszusammenhänge nicht mehr schlechterdings vorausgesetzt werden kann. Für solche Operationen müssen heute andere, weit bekanntere Repertoires her.
Exkurs: ›1984‹ als Repertoire-Element im Korrektheitsdiskurs Ein paar Monate nur noch, und es wird niemandem mehr in den Sinn kommen, Orwells »1984« zu zitieren. Denn nichts ist langweiliger als eine Utopie für das Gestern.48 Karl Pawek
Allenthalben und somit in deutlichem Gegensatz zu dem diesem Abschnitt vorangestellten Motto stolpert man bei der Sichtung des Materials zum Korrektheitsdiskurs über George Orwells weitverbreiteten Roman »Nineteen-Eightyfour«.49 Wir können daher an dieser Stelle auch nur eine kleine Auswahl seiner Verwendung als Repertoire-Element vorstellen und wollen uns dabei nicht am Inhalt des Romans aufhalten, den man in groben Zügen als bekannt voraussetzen kann. Denn, so heißt es in Kindlers Neuem Literatur Lexikon zum Roman: 1984 ist inzwischen zu einer scheinbar nicht mehr erklärungsbedürftigen Metapher für totalitäre Verhältnisse geworden (Böker 1988/1992: 785).
47 Vgl. Goethes Werke, Band VI, Hamburg: Wegner (1951: 27). 48 Pawek (1983: 70). 49 Vgl. auch Wilson (1995: 23): »It is virtually impossible to read any conservative attack on higher education without finding numerous references to Stalin, Hitler, fascism, and Orwells Thought Police.«
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Die Verwendung des Romans zur in erster Linie antikommunistischen Propaganda hat in den USA eine lange Tradition.50 Die Verfilmung aus den Fünfziger Jahren wurde durch die CIA zumindest mitfinanziert.51 Die Interpretationen des Romans weisen bis heute gelegentlich religiöse Züge auf. In seiner Habilitationsschrift über »Herrschaft und Sprache« verweist Wolfgang Bergsdorf, indem er Literaturgeschichte und Gesellschaftswissenschaft amalgamiert, gar auf die prognostische Kraft des Romans für die Bedürfnislage der amerikanischen Forschung: In den 60er und 70er Jahren wurde in der amerikanischen [lt. Anmerkungen wissenschaftlichen, MFE] Literatur den psychologischen und semantischen Methoden kommunistischer »Gehirnwäsche« besondere Aufmerksamkeit geschenkt, die George Orwell in seinem utopischen Roman »Neunzehnhundertvierundachtzig« antizipiert hatte (Bergsdorf 1983: 285f).
Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, daß die populäre Parabel und ihr Autor auch durch den Korrektheitsdiskurs geistern und dort Verständigungsprozesse stiften, und zwar sowohl in den USA als auch in Deutschland. Daß 1984 als Science-Fiction-Roman, als der er oft interpretiert wird, nicht sehr gelungen ist, hat vor Jahren bereits Isaac Asimov ausreichend schlüssig herausgearbeitet. Insbesondere mit der prognostischen Kraft ist es nicht allzu weit her.52 Um so besser funktioniert er als
50 Es finden sich natürlich auch anders akzentuierte Lesarten. So hat zum Beispiel Stevie Wonder das Repertoire-Element in einem Lied, geschrieben aus Sicht eines um seine Bürgerrechte streitenden Ghetto-Bewohners gegen die amerikanische Regierung in Anschlag gebracht. (Stevie Wonder, »Big Brother« auf »Talking Book«, Track 7; CD 2000 [LP 1972] Motown/Universal 157 354-2). 51 Vgl. die Studie von Frances Stonor Saunders über die CIA und ihre Kulturpolitik und -finanzierung zur Zeit des Kalten Krieges. Einer der untersuchten Aspekte ist der Schulterschluß der CIA mit nichtkommunistischen Linken in den Fünfziger und Sechziger Jahren (Stonor Saunders 2000 [1999]: 63) Sie weist auf eine allgemein antitotalitäre Einstellung Orwells hin, die von der amerikanischen Propaganda gezielt einseitig ausgelegt worden sei, was sich auch bei der von der CIA finanzierten (Zeichentrick)Verfilmung von Animal Farm gezeigt habe. Bei der Verfilmung von 1984 sei diese Akzentverschiebung beibehalten worden (Stonor Saunders 2000: 293ff). 52 Asimovs Einschätzung aus dem Jahr 1980 – man hatte ihn wegen des näherrückenden Jahres 1984 um eine Analyse gebeten – trifft den Nagel auf den Kopf: »Zusammenfassend sei gesagt: George Orwell führte mit 1984 meiner Meinung nach eher seinen Privatkrieg gegen den Stalinismus fort, als daß er versuchte, die Zukunft vorauszusehen. Er besaß nicht das Science-Fiction-Talent, eine plausible Zukunft zu beschreiben, und tatsächlich gibt es in der Welt von 1984 in fast jeder Hinsicht keine Beziehungen zur realen Welt der achtziger Jahre« (Asimov 1984: 348). Auch Asimovs Eingangsbemerkung scheint nicht unberechtigt zu sein: »Ich fragte mich, wieviele von den Leuten, die so eifrig über den Roman diskutierten, ihn
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ein legitimationsstiftendes Repertoire-Element im Korrektheitsdiskurs.53 Die Rollenverteilung in gut und böse mag im Roman wenigstens zum Teil ambivalent sein. In bezug auf die Rezeption ist sie erfreulich übersichtlich: seine Verwendung im Korrektheitsdiskurs (und als Schullektüre, nicht zu vergessen) indiziert fast immer die Selbstpositionierung eines Individuums bzw. einer Gesellschaft als freiheitlich, antitotalitär und als authentisch bezüglich einer außersprachlichen empirischen Realität, die angeblich von interessierter, meist mächtiger bzw. machtorientierter Seite nicht zuletzt durch ideologisch bedingte Sprachmanipulationen verschleiert werden soll, mit fragwürdiger politischer Zielsetzung. Insbesondere die Sprachidolatrie feiert in Orwells Roman und in seiner Rezeption große Erfolge. Die Benutzung der in diesem Roman von Orwell entwickelten Terminologie oder auch die bloße Nennung von Autor und Titel interpretieren wir als die Verwendung objektgebundener Repertoire-Elemente. Einen frühen und sehr wichtigen Beleg innerhalb des Korrektheitsdiskurses verdanken wir dem ehemaligen Präsidenten der USA, George Bush Sr., der in einer Rede an der Universität von Michigan am 4. Mai 1991 auf die Gefahren der Political Correctness und des Multikulturalismus hinwies und warnte: And in their own Orwellian way, crusades that demand correct behavior crush diversity in the name of diversity (zit. nach Wilson 1995: 8)
Scatamburlos Einschätzung zufolge ist diese Rede einer der entscheidenden Momente, von denen aus die Mediendiskussion ihren Ausgang nahm, denn hier erhielt das Korrektheitsmuster sozusagen die allerhöchsten politischen Weihen (Scatamburlo 1998: 135). Aber auch das Repertoire-Element, das Mitte der Achtziger Jahre aus naheliegenden Gründen wieder an Popularität gewonnen hatte,54 wird hier von prominenter Seite in einen an Dynamik und Aufmerksamkeit gewinnenden Zusammenhang eingerückt. Früh fand also bereits eine Kopplung des neuen
je gelesen haben, ob sie sich an irgendetwas daraus erinnern können« (ebd. 327). Für die Verwendung als Repertoire-Element spielt eine genauere Kenntnis allerdings keine Rolle. 53 Die auch nach 1984 anhaltende Konjunktur der von Orwell geprägten Terminologie zeigt sich auch daran, daß eine Sendung, die ausgewählten Personen monatelang bei einem sterbenslangweilige Alltag im Container unter anderem über die Schulter guckte, ausgerechnet »Big Brother« hieß. Die Publikationen dazu sind Legion. Vgl. als Überblicksaufsatz Rademacher 2001. 54 Vergleiche zur immensen Popularität Mitte der Achtziger in Deutschland und zur Textgeschichte Diederichsen 1984.
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Korrektheitsdiskurses an das Repertoire-Element ›1984‹ statt, das bereits vorher durch seine in Grenzen ambivalente Struktur in wahlweise antitotalitären oder gleich antikommunistischen Diskursen sich bewährt hatte, deren Frühzeit es natürlich – unter anderem – auch seine Entstehung verdankt. Wilson nennt einen noch älteren Beleg im weiteren Umfeld der Diskussion aus dem Jahr 1988. Damals hatte Richard Bernstein in der New York Times eine Diskussion um Erziehungsfragen und Liberalismus an der Duke University mit der »minute of hatred« verglichen.55 Sowohl Wilson als auch Scatamburlo halten Bernsteins Arbeiten für die New York Times für die frühesten Arbeiten oder Zeitungsartikel zum Thema PC (Wilson 1995: 13, Scatamburlo 1998: 135). Auf jeden Fall aber stammen sie aus der Zeit vor den großen Debatten. Um so hübscher ist der frühe Orwell-Bezug. Der konservative Autor Roger Kimball bekräftigte 1993 die Verwendung des beliebten Repertoire-Elements in bezug auf Political Correctness: No wonder the adjective ›Orwellian‹ is so often used to describe the rhetoric of political correctness. It is a perfect illustration of Orwellian ›doublethink‹ and the principal enunciated in Animal Farm that ›all animals are equal, but some are more equal than others‹. (zit. nach Feldstein 1997: 62)56
Auch diejenigen, die sich gegen die Verwendung des Korrektheitsmusters verwahren, wie Michael Berubé, kommen um die Verwendung dieses attraktiven Repertoire-Elements scheinbar nicht herum: [...] Newsweek proves unable even to distinguish between literary theory and campus administration: for as Newsweek would have it, »political correctness« is politically »Marxist in origin« and intellectually »informed by deconstructionism.« To ask whether this claim is even remotely true is to miss the point, for what Newsweek’s really saying is that P.C. is bad stuff plus more bad stuff: In Orwell’s famous phrase, it’s doubleplusungood (Berubé 1992: 139).
Richard Feldstein liefert eine seitenlange idiosynkratische OrwellExegese. Das muß man hier nicht ausführlich wiedergeben. Man ist ausreichend informiert, wenn Feldstein wie folgt argumentiert:
55 Richard Bernstein: A Minute of Hatered in ›Chapel Hill‹. Academia’s Liberals Defend Their Carnival of Canons against ›Bloom’s Killer B’s‹, New York Times 25.09.1988; ders.: The Rising Hegemony of the Political Correct, New York Times 28.10.1990. 56 Laut Feldstein aus Kimball, Roger: From Farce to Tragedy. In: Partisan Review 4/1993, 564-569, S. 567.
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WERKZEUGKISTE As we learned in Orwell’s 1984, low-level skirmishes help to perpetuate an ongoing conflict, which proves beneficial to the empowered interests who have a stake in the outcome of events (Feldstein 1997: 10).
Nun ist eine gesellschaftspolitische Analyse der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf der Basis eines vor Allegorien platzenden Zukunftsromans aus dem Jahr 1948 schlicht lächerlich. Doch Orwells Roman hat sich als Repertoire-Element völlig verselbständigt. Im Vorwort zu Feldsteins Buch versucht Teresa Brennan ebenfalls, es für sich in Anspruch zu nehmen und gegen die politische Rechte zu verwenden: So how did political correctness come to signify the Left – and liberal – putative imposition of a ›line‹? In an entirely conscious decision, at one of its numerous think tank meetings, the right adopted this term and used it in an Orwellian series of misrepresentations that have left the liberal center, and for that matter, the Left itself, seriously bewildered (Brennan 1997: X).
›Bewitched, bothered and bewildered‹ ... von einer »entirely conscious decision« während einer natürlich unidentifizierten, aber unterstellterweise identifizierbaren Sitzung zu sprechen scheint uns doch etwas weit hergeholt. Hier ist eine plausible Vermutung unrettbar in eine Verschwörungsgeschichte umgekippt – einen Beleg bezüglich Ort und Zeit bleibt Brennan selbstverständlich schuldig. Wenn in der Qualität solcher Argumentationen der Zustand der kulturellen Linken sich repräsentativ niederschlägt, muß man sich ernsthaft Sorgen machen. Aber wie man sieht: Autoren, die ideologisch und auch sonst wenig gemein haben, hantieren mit ein- und demselben Repertoire-Element. Nur wenige Autoren wie Greenspan verspotten die Konservativen und das Repertoire-Element, wiewohl sie es natürlich ebenfalls verwenden: Some see PC as catastrophe, others see it as comedy. The catastrophists describe »Political Correctness« as a sinister and potent McCarthyism, a kind of public brainwashing, that only people like the heroes of Orwell’s 1984 or Huxley’s Brave New World, or perhaps the androids in Blade Runner can resist (Greenspan 1999: 258).57
Auch in Deutschland erfreut sich dieses Repertoire-Element in einschlägigen Argumentationsweisen allergrößter Beliebtheit, und zwar bereits lange vor den Achtziger Jahren. Ein geradezu umwerfendes Beispiel soll hier vorgestellt werden. So ist in Rudolf Eichlers Verhexte Mutterspra-
57 Wie wichtig die Bekanntheit eines Repertoire-Elements ist, erhellt gerade aus diesem Beispiel, denn der Roman von Philip K. Dick, der als Vorlage des Films Blade Runner diente, heißt Do Androids dream of electric sheep?. Mit diesem längst vergessenen Titel als Anspielung ist allerdings wenig Repertoire zu aktivieren.
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che (1974) mehrfach vom »großen Bruder« (z. B. »dem großen Bruder der Ostdeutschen« (192), bzw. »der anonymen Meinungsmacht im Fernsehen« (244 und öfter) die Rede. Der sich auf W. Humboldt, Weisgerber, Trier, Porzig, Sapir/Whorf etc. und eben auch Orwell berufende Autor weiß über die sprachwissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Romanciers Bestrickendes zu berichten sowie über die Bedeutung von Orwells Prognose gerade für das Deutschland der direkten Post-68er-Ära: Geradezu seherisch hat George Orwell in seinem Roman ›1984‹ die Entwicklung beschrieben [...] Orwells Grundgedanke, daß eine veränderte Grammatik veränderte Denkstrukturen zur Folge haben, daß ein eingeschränktes und modifiziertes Vokabular andere Denkinhalte mit sich bringen würde, ist zweifellos richtig. Orwell ist als politischer Schriftsteller durch die Beobachtungen sprachlicher Tatsachen schon früh zu dieser Erkenntnis gelangt [..] Ohne von moderner Sprachwissenschaft gehört zu haben, zog er aus seinen Forschungen die gleichen Schlüsse, die jene auf Grund ihrer Forschungen gezogen hat [...] Die von Orwell entworfenen schaurigen Zukunftsbilder beginnen sich zu verwirklichen. Dafür nur ein Beispiel. Der Verfasser schildert das Wirken des »Wahrheitsministeriums«, in dem ein Heer von Beamten damit beschäftigt ist, laufend Urkunden zu fälschen. [...] Leider hat auch Deutschland, das die um Objektivität bemühte Geschichtswissenschaft mitbegründet hat, neuerdings diese Neigung zur Geschichtsklitterung angenommen; die deutsche Besonderheit daran: Die Wahrheit wird nicht zu unseren Gunsten, sondern zu unserem Nachteil gebeugt (Eichler 1974: 193f, herv. v. MFE).
Eichlers Buch ist ein erzreaktionäres und revisionistisches Dokument von munterer Unverstelltheit, und übrigens ein bemerkenswerter Beleg dafür, daß sich Vorstellungen und Theoreme der deutschen Sprachwissenschaft der Dreißiger und Vierziger Jahre auch in den politischen Kämpfen der Siebziger Jahre reaktualisieren ließen, obwohl sie in der wissenschaftlichen Diskussion dieser Zeit weitestgehend abgewirtschaftet hatten.58 Wie bestellt finden sich in den frühesten deutschen Beiträgen zum Korrektheitsdiskurs ähnlich funktionierende Verwendungsbeispiele. So heißt es bereits 1991 in der Süddeutschen Zeitung:
58 Knobloch spricht in diesem Zusammenhang vom »Absturz der Muttersprachideologie« (Knobloch 2001: 213). Die Frage, die sich uns hier stellt, ist folgende: wo bleiben die Ideen, wenn sie in der Wissenschaft keinen Platz mehr haben? Die Tatsache, daß die von Eichler verbratenen Bestände Teil der Lehrerausbildung waren, und daß die Weisgerberschen Vorstellungen in der Sapir-Whorf-Hypothese lange Zeit mehr oder minder konserviert worden sind, zeigen die Zählebigkeit dieses Denkstils. Auch ist mittlerweile schon mal von der Sapir-Whorf-Weisgerber-Hypothese die Rede (Lehmann 1998: 11). Zu der neuerlichen Konjuktur der sprachrelativistischen Vorstellungen vgl. Lehmann 1998.
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WERKZEUGKISTE So sind im Zuge der PC-Bewußtseinspflege nahezu unübersetzbare Wortschöpfungen entstanden, die sich kein Orwell hätte besser ausdenken können (Brinck 1991).
Des weiteren ist bei Brinck die Rede von der »Gedankenpolizei«, die ebenfalls in dem Roman eine Rolle spielt.59 Auch Dieter E. Zimmer hatte bereits Mitte der Achtzigerjahre einen Aufsatz über Wörter und Fahnen. Politik im Sprachkampf verfaßt,60 in dem er reichlich ungezwungen mit Orwell argumentiert: Die Sprachregelungen, die zu erlassen jeder gut organisierte Polizeistaat für notwendig hält, reglementieren nicht notwendigerweise das Denken; aber sie legen fest, welche Gedanken öffentlich werden können – und wenn in der Öffentlichkeit nur noch bestimmte Gedanken in bestimmten Wörtern und Wendungen vorkommen, kann niemand sich deren Allgegenwart entziehen und wird sie selber auch benutzen. Wer aber den Sprachgebrauch des Gegeners übernimmt, läßt ihn ein in seinen Kopf [!!!]. »Neusprech«, so heißt es in Orwells »1984«, »sollte nicht nur ein Ausdrucksmittel für die ... gemäße Weltanschauung und Geisteshaltung bereitstellen, sondern auch alle Denkweisen unmöglich machen« (Zimmer 1986: 153).
Mit der hier ausprobierten Argumentation konnte er in den Neunziger Jahren zum Experten der Zeit für ›Political Correctness‹ avancieren. Genutzt hat es der Zeit für ihr Image bei den Rechten übrigens nicht. Klaus Rainer Röhl rechnet die Zeit unbeschadet der korrektheitsfernen Aktivitäten Zimmers zum »politisch korrekten Medienkartell« (Röhl 1995: 13), und er führt aus: Doch die Ameisenstaaten und Orwellschen Staatsgründungen haben erst einmal abgewirtschaftet. Geblieben ist die Gedankenpolizei. Und jenes Blockwartsystem, das, unsterblich wie ein Zombie, wieder auferstanden ist und seit einiger Zeit in unseren Zeitungen, Verlagen, Funk- und Fernsehanstalten herumspukt [!], die richtige Gesinnung beim Schreiben und Sprechen einfordert und alle Abweichungen anzeigt, die dann mit sozialer Ächtung und Herabstufung bestraft werden, kaum anders als vor 2300 Jahren in Rom. Statt Schlag-Stock ein Schlag-Wort: Political Correctness (Röhl 1995: 10).
59 Auf das Orwell-Motiv in Brincks Text hatte bereits Karsta Frank hingewiesen. Allerdings wertet sie es als eine der zahlreichen »literarischen Anspielungen« in Brincks Text ab, die außerdem noch Kafka antreten läßt und von »akademischen Ajatollahs« redet, was wiederum Frank an Salman Rushdie denken läßt. Das trifft in der Beobachtung sicher zu, greift aber bei weitem zu kurz (Frank 1996a: 196). 60 Eine ursprüngliche Fassung des Textes müßte es geben, weil Zimmer erwähnt, daß dieser Aufsatz für die Buchfassung zu den am stärksten überarbeiteten gehört. Vor allem für diese Umarbeitung liefert Zimmer einen wertvollen Hinweis: »Auch Meinungen habe ich geändert, wo immer die alten mir nicht mehr haltbar erschien (es war seltener nötig als erwartet, am stärksten in dem Kapitel ›Wörter und Fahnen‹)« (Zimmer 1986: 211).
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Hier geht es mit den Repertoire-Elementen drunter und drüber. Doch auch Texte, die nicht in der Hektik des Tagesgeschäfts entstanden sind und deren Duktus deutlich von dem Röhls und Zimmers abweicht, verwenden 1984 als Beweissurrogat und Illustration. In Schenz’ Kapitel zur Sprachpolitik der »New Censorship« der »PC-Bewegung«, in dem die Autorin sich undifferenziert und mit ernstem wissenschaftlichen Habitus aus dem satirischen Buch von Beard und Cerf (1992) bedient, liest man als Catchphrase: »George Orwell läßt grüßen« (Schenz 1994: 58). Ebenso heißt ein Abschnitt in Zöllners Dissertation über Euphemismen »Newspeak« (Zöllner 1997: 273) und ein weiterer »Doublespeak« (ebd. 347). Hier wird mit Bezug auf William Lutz das Metaphernarsenal des Romans soweit wie möglich ausgeschlachtet, um ein überzeugendes und resonanzfähiges Begriffsinventar zu erstellen.61 Es findet dabei nicht nur die modische Verquickung verschiedenster Repertoires statt, sondern auch das Einrücken eines populären Romans an die Stelle eines erforderlichen analytischen Instrumentariums. Das alleine wäre nicht weiter tragisch, hätte man nicht den Eindruck, als würden die dem Roman entnommenen Terminologien jedes analytische Denken substituieren müssen. Dieser Substitutionsprozeß erfolgt dadurch, daß das oft rezipierte Werk mit seinen Bewertungen, inhaltlichen und begrifflichen Arrangements einem weitaus komplexeren Zusammenhang gleichgeordnet wird. Die ominösen Korrekten werden durch dieses Repertoire-Element – wie im gesamten Korrektheitsdiskurs – gleichzeitig ridikülisiert und dämonisiert: Lustig macht man sich über den ihnen unterstellten Hang zur oft lächerlichen Sprachmanipulation, mit der völlig vergeblich eine andere, eigentliche, authentische Wirklichkeit verschleiert werden soll. In diesem Sinne interpretiert Zöllner ja auch das PC-Phänomen in epischer Breite als besondere Spielart von Euphemismen. Aber ebenso, und das ist in der Kombination besonders tückisch, wird ihnen, den »sogenannten ›Gutmenschen‹« (Kapitzky 2000: 171) das Streben nach oder gar das Erreichen einer illegitimen und totalitären Machtposition durch Sprach- und Diskursmanipulation attribuiert. So kommt es, daß Positionen, die erklärtermaßen marginal sind und die
61 Zöllner erläutert, daß es einen »Doublespeak-« (seit 1974) und einen »Orwell-Award« (seit 1975) gibt, die vom »National Council of Teachers of English« verliehen werden. Der Vorsitzende des Komittees, William Lutz, erläutert uns den Begriff: »Doublespeak is language that pretends to communicate but really doesn’t [...] It is language, that conceals or prevents thought« (William Lutz, Doublespeak. New York. Harper 1990. Zit. nach Zöllner 1997: 349). Da ist also eine Sprache, die vorgibt zu kommunizieren. Und sie kann sogar Gedanken verbergen und verhindern. Was es nicht alles gibt.
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schon deshalb weitestgehend gefahrlos ridikülisiert werden können, gleichzeitig unverdrossen als bedrohlich geschildert werden. Der Verweis auf Orwell schließlich suspendiert die mit ihm argumentierenden Autoren oft von jeder Beweisführung. Das Repertoire-Element stiftet Verständigung und antitotalitären Konsens. Das scheint den Beteiligten zu genügen.
Werkzeug IV: Denkstil und Denkkollektiv Ein weiteres Werkzeug verdanken wir der wissenschaftstheoretischen Studie des Mediziners Ludwik Fleck, die er 1935 unter dem Titel Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv veröffentlichte (Fleck 1980). Er beschreibt in seiner Arbeit die Dynamik wissenschaftlichen Fortschritts, der sich in der Kollision und im relativen, nie endgültig stabilen Abgleich von »Denkkollektiven«, denen die forschenden Individuen angehören, vollzieht. Ein vollständiges Verstehen schließt er bei diesem Prozeß aus, und gerade diese kommunikative Unschärfe treibt den Fortschritt an: Gedanken kreisen vom Individuum zum Individuum, jedesmal etwas umgeformt, denn andere Individuen knüpfen andere Assoziationen an sie an. Streng genommen versteht der Empfänger den Gedanken nie vollkommen in dieser Weise, wie ihn der Sender haben wollte (Fleck 1980: 58).
Die Gedanken »wandern innerhalb der Gemeinschaft«, die er als Denkkollektiv bezeichnet, und werden dort vom vorherrschenden Denkstil umgearbeitet, den sie umgekehrt mit prägen. Die Reichweite der Begriffe Denkstil und Denkkollektiv geht bei Fleck aber über bloße wissenschaftliche Zusammenhänge hinaus: Definieren wir »Denkkollektiv« als Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen, so besitzen wir in ihm den Träger geschichtlicher Entwicklung eines Denkgebiets, eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturbestandes, als eines besonderen Denkstiles (Fleck 1980: 54f).
In diesem Kollektiv und seinen internen Umgestaltungen und Interaktionen geschieht der wissenschaftliche Fortschritt: »wissenschaftliche Arbeit [ist] Kollektivarbeit« (Fleck 1980: 57). Dieser Grundgedanke des sozial bedingten Denkens gilt laut Fleck aber eben auch für den nichtwissenschaftlichen Gedankenaustausch. Er spricht an anderer Stelle von einem eher »funktionellen« als »substanziellen« Begriff des Denkkollek-
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tivs, das er mit einem »Kraftfeld« vergleicht und das sich im Grad seiner Organisiertheit unterscheiden kann, wobei zwischen zwei sich zufällig unterhaltenden Menschen und einer verhältnismäßig stabilen, organisierten sozialen Einheit von Wissenschaftlern jeder Aggregatszustand möglich scheint (ebd. 135f). Genauso, wie ein Denkkollektiv aus seinen Mitgliedern gebildet wird, betrachtet Fleck das Denken des Individuums als das Resultat der in ihm zusammentreffenden Denkkollektive: Ein Individuum gehört eben mehreren Denkkollektiven an. Als Forscher gehört es zu einer Gemeinschaft, mit der es arbeitet und oft unbewußt Ideen und Entwicklungen heraufbeschwört, die, bald selbständig geworden, sich nicht selten gegen ihren Urheber wenden. Als Parteimitglied, als Angehöriger eines Standes, eines Landes, einer Rasse usw. gehört es wiederum anderen Kollektiven an. [...] Das Individuum läßt sich also ebensosehr aus kollektivem Standpunkte, als umgekehrt das Kollektiv aus individuellem untersuchen (ebd. 61).62
Hier beschreibt Fleck ungleich eleganter das, was wir eingangs als die ›Verstricktheit‹ des Wissenschaftlers bzw. Individuums skizziert haben. Auch das, was wir mit Keller als die »historisch-kulturelle Reichweite des Deutungsmusters« (s.o.) bezeichnet haben, die im Fall des Korrektheitsmusters sich wie gezeigt in beide Zeitrichtungen erstreckt, finden wir bei Fleck bereits bedacht: Historische und stilgemäße Zusammenhänge innerhalb des Wissens beweisen eine Wechselwirkung zwischen Erkanntem und dem Erkennen: bereits Erkanntes beeinflußt die Art und Weise neuen Erkennens, das Erkennen erweitert, erneuert, gibt frischem Sinn dem Erkannten. Deshalb ist das Erkennen kein individueller Prozeß eines theoretischen »Bewußtseins überhaupt«; es ist Ergebnis sozialer Tätigkeit ... (ebd. 54).
In einem vergesellschafteten Deutungsmuster wie dem Korrektheitsmuster finden diese beiden Richtungen der Erkenntnis dann zusammen. Diese soziale Tätigkeit kann laut Fleck schließlich zu einer länger andauernden Verfestigung von Betrachtungsweisen führten. Fleck nennt das die »Beharrungstendenz der Meinungssysteme« und führt dazu aus: Wenn eine Auffassung genug stark ein Denkkollektiv durchtränkt, wenn sie bis ins alltägliche Leben und bis in sprachliche Wendungen dringt, wenn sie im Sinne des Wortes zur Anschauung geworden ist, dann erscheint ein Widerspruch undenkbar, unvorstellbar (ebd. 41).
62 Wenn wir, wie es üblich ist, annähmen, die Political Correctness sei eine Erfindung der »Linken«, so wäre das ein Beispiel dafür, wie sich eine Idee gegen ihre Urheber wendet. Aber dies nur zur Illustration.
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Wir würden das nicht mit dieser Bestimmtheit aussprechen, aber wir stimmen Fleck mindestens soweit zu, daß ein Widerspruch gegen eine so verfestigte Auffassung nur mit Schwierigkeiten intersubjektiv nachvollziehbar und schnell zu formulieren ist. Man kann in manchen Fällen gewiß diejenige Position außerhalb des Diskurses einzunehmen versuchen, die Foucault als das »wilde Außen« bezeichnet hat.63 Wir haben aber für den Korrektheitsdiskurs bereits festgestellt, daß bei seiner Ausdehnung und Themenakkumulation eine Stellungnahme von einem noch so wilden Außen nicht zu leisten ist. Die Rede von Korrektheit und Unkorrektheit führt bisweilen zu vielleicht unterhaltsamen Streitereien, immer aber zur Rekonfiguration des Korrektheitsmusters: derjenige, der sich gegen die ›Correctness‹ positioniert, ebenso wie derjenige, der sich gegen die ›Incorrectness‹ stark macht, sie beide bauen am Meinungssystem, am Denkstil des Korrektheitsdiskurses mit. Daher ist Flecks Beschreibung für unsere dilemmatische Situation bestechend zutreffend, und zwar bis hin zur Aussage über die sprachlichen Wendungen, die im Falle des Korrektheitsmusters sogar den Ausgangspunkt der Entwicklung stellen, und deren Variationen das oft nicht weniger wilde Innen des Korrektheitsdiskurses »durchtränken«, bis hin zur Petzi-Bär-Exegese. Auch die anderen von Fleck beschriebenen Grade der Beharrungstendenz, blinde Flecken, das Verschweigen von Widersprüchen, die Integration von Widersprüchen im und in das Meinungssystem (ebd. 40ff) finden sich bei der kollektiven Konstruktion des Korrektheitsdiskurses. Wie zuvor allerdings möchten wir bezüglich des individuellen Denkens eine Einschränkung formulieren. Wir vertreten den Standpunkt, daß das nicht geäußerte Denken anderer Individuen unserer Betrachtung unzugänglich ist, und daß aus diesem Grund die Abschätzung von inneren Ursachen und Folgen öffentlicher Diskurse, prozessierter Deutungsmuster, also das Resultat der Umtriebe des Denkkollektivs auf das Denken spekulativ bleibt. Was jemand denkt, ist, sofern er es beim Denken beläßt, meist uninteressant für uns. Was uns hingegen bei unserer Analyse zur Verfügung steht, sind veröffentlichte Gedanken. Und für diese gilt die Einschätzung von Bergmann und Luckmann: Dazu kommt als grundsätzliches Problem, daß dem Handelnden wie dem Forschenden das fremde Bewußtsein prinzipiell unzugänglich ist und alles, was
63 »Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ›Polizei‹ gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß« (Foucault 1991 [1970]: 25). Es wäre nicht uninteressant, einmal zu untersuchen, wieviel Fleck in Foucault wiederzufinden ist.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT an »inneren« Vorgängen nach außen dringt, bereits selegiert, redigiert und zensiert wurde (Bergmann/Luckmann 1999b: 19).
Das ist keineswegs ein Widerspruch zu Fleck, denn die Modi der Selektion, Redaktion und Zensur können in Akkordanz mit dem Denkkollektiv stattfinden. Aber hier werden unsere Erkenntnisgrenzen markiert. Die Reichweite der hier angeschnittenen Problematik wird meist unterschätzt. Sie umfaßt ja nicht nur die Analyse von Wissenschaftsdiskursen wie bei Fleck oder, wie bei Bergmann und Luckmann, die »kommunikative Konstruktion von Moral«. Das sich hier zeigende Problem reicht bis in die vermeintlich triviale und oft rein technisch gelöste Frage der Übersetzbarkeit, Verständlichkeit oder Überzeugungskraft von Texten. Der Glaube an die Macht der Sprache, der sich letztlich doch immer wieder in der Suche nach Eichendorffs Zauberwort manifestiert, scheint unausrottbar; zahllose Rhetorik-Ratgeber und Seminare, Verkaufsschulungen und PR-Theorien legen von diesem Aspekt der Sprachidolatrie beredt Zeugnis ab, Symbole einer heruntergewirtschafteten Kommunikationsindustrie, die der Astrologie in Sachen Seriosität in nichts nachsteht. Bei instruktiven Texten hat man erkennbare Handlungen, deren Gelingen umstandslos einem Verstehensprozeß, einer Verständigung zugerechnet werden kann. Gibt es jedoch keine eindeutige Folgehandlung zu beobachten, sind der Interpretation über Art und Außmaß des Verstehens Tür und Tor geöffnet.64 Möglicherweise auch vor diesem Hintergrund ist Knoblochs etwas resigniert klingende Einschätzung zu erklären: Über das bloße Sprachverstehen hinaus benötigt man allgemeines Sozial- und Weltwissen, einen Bezugsrahmen oder ein Schema, das den einzelnen Teilen der Information Sinn verleiht, oft auch Fach- oder Spezialwissen. Was weiterhin über die Bedingungen und Faktoren von Verständlichkeit hinausgeht, reicht kaum über den gesunden Menschenverstand hinaus (Knobloch 1993a: 680).
Dem möchten wir zustimmen, und aus diesem Grund sehen wir die folgende Feststellung Ludwik Flecks mit einer gewissen Skepsis: Das Individuum hat nie, oder fast nie das Bewußtsein des kollektiven Denkstiles, der fast immer einen unbedingten Zwang auf sein Denken ausübt und gegen den ein Widerspruch einfach undenkbar ist (Fleck 1980: 56f, herv. MFE).
64 Auf die Eindeutigkeit der Folgehandlung legen wir großen Wert: anhand einer Gebrauchsanleitung einen Videorekorder zu programmieren ist eindeutig als Folgehandlung identifizierbar. Im Anschluß an eine Rede »Führer befiel, wir folgen!« zu rufen und irgendwelche krummen Dinger zu drehen, ist es nicht.
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Das erinnert an die Bedrohungsszenarien, die angesichts einer ›Political Correctness‹ Orwellschen Zuschnitts angestimmt wurden und werden. Fleck relativiert seine Rede von der Unbedingtheit des Zwangs dadurch, daß er keinem einzelnen Denkkollektiv eine Monopolstellung in bezug auf das Individuum zurechnet. Mag es einen Einfluß durch ein Denkkollektiv geben, so ist er durch die mehrfache Zugehörigkeit zu diversen Kollektiven, die wir mit dem Begriff ›Verstricktheit‹ bezeichnet haben, in weiten Teilen einschränkbar, allerdings je nach Kombination gegebenenfalls auch ausbaufähig. Es gibt daher, vorausgesetzt, der Zwangsbegriff Flecks trifft überhaupt den Sachverhalt, mehrere sich gegenseitig beeinflussende Zwänge, die miteinander im Widerstreit, aber auch in einem Ergänzungsverhältnis liegen oder die vielleicht sogar phasenweise indifferent zueinander sein könnten. Die intraindividuell oder im interpersonellen Denkkollektiv erreichten Kombinationen bleiben daher meist unabwägbar. Hierdurch, also gerade durch Prozesse, die zwar eine Art Verständigung, aber eben nicht absolutes, kontrollierbares Verstehen gestalten, kommt es ja erst zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch zwischen den Kollektiven, der sich im Kollektiv selbst, aber eben auch im Individuum abspielen kann. Was wiederum bei größeren und stabileren Denkkollektiven überindividuell stabil bleiben dürfte, ist der allgemeine Sprachgebrauch bzw. die Terminologie des Kollektivs. Fleck erläutert, daß wir von der Vergangenheit – mit allen ihren Irrtümern – [nicht] loskommen können. Sie lebt in übernommenen Begriffen weiter, in Problemfassungen, in schulmäßiger Lehre, im alltäglichen Leben, in der Sprache und in Institutionen (Fleck 1980: 31).
Hier Änderungen durchzuführen braucht es also nicht zuletzt günstige Momente und weitere hilfreiche flankierende Denkkollektive. Je mehr Bedürfnisse ein großes Denkkollektiv mit seinem Denkstil befriedigen kann, desto schlechter stehen die Chancen für einen Wechsel. Denn den »aktivsten Grad der Beharrungstendenz der Meinungssysteme«, den Fleck identifiziert hat, »bildet die schöpferische Dichtung, die sozusagen magische Versachlichung der Ideen, das Erklären, daß eigene wissenschaftliche Träume erfüllt seien« (Fleck 1980: 46). Insofern, die Prognose wollen wir an dieser Stelle schon wagen, wird uns die Legende in Deutschland noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Es stellt sich nun die Frage nach dem Nutzen der Fleckschen Überlegungen für unsere Arbeit. Nun liegt auf der Hand, daß Denkstilähnlichkeiten einen hohen Nutzwert für das Zusammenschließen von Diskursen haben. Die Ähnlichkeiten in der Themenauswahl, aber auch in der Herstellung von Antagonismen und Allianzen beispielsweise im satirischen
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Diskurs der NFS und im Korrektheitsdiskurs, sind bereits zur Genüge beschrieben worden. Auch konnte im zweiten Kapitel gezeigt werden, welche diskursiven Ähnlichkeiten im Umgang mit dem politischen Erbe der Sechziger Jahre den Import der Legende nach Deutschland günstig beeinflußten, unbeschadet aller allfälligen Unterschiede, die nicht wenige umfangreiche Modifikationen des Korrektheitsmusters hierzulande erforderlich machten. Das Bemerkenswerte ist, daß man oft geneigt ist, diese Ähnlichkeiten zwischen Denkstilen für selbstverständlich zu halten, und erst bei Abweichungen aufmerkt. Wir werden im letzten Kapitel anhand des abstrahierten RepertoireElements ›Opfer‹ im Korrektheitsdiskurs zeigen, wie solche Ähnlichkeiten zwischen den Denkstilen rhetorisch nutzbar gemacht worden sind. Zunächst aber haben wir noch andere Dinge zu besorgen.
Fazit: Das Korrektheitsmuster als beliebtes Kollektivabstraktum — eine Beispielkaskade Zum Abschluß des dritten Kapitels möchten wir noch einen anderen Aspekt aufgreifen, indem wir ein weiteres Mal auf Jürgen Links »System synchroner Kollektivsymbole« zurückkommen. Halten wir fest: wie oben ausgeführt nehmen wir an, daß die Repertoire-Elemente auf eine vergleichbare Weise funktionieren wie die von Link beschriebenen einzelnen Kollektivsymbole. Anders gesagt, wir interpretieren die Verwendung von Kollektivsymbolen – ebenso wie die Verwendung von Scharnierbegriffen oder Plastikwörtern – als eine spezifische Art der Verwendung von Repertoire-Elementen. Mit Repertoire-Elementen kann in einem Diskurs ein Repertoire im Sinne Isers, ein Denkstil und ein Denkkollektiv im Sinne Flecks, ein anderer Diskurs (inklusive Regelwerk und Teilnehmern) repräsentiert, aufgerufen und bestätigt, aber auch variiert, ergänzt und neu konfiguriert werden, in ernsthafter wie in ironisierender Absicht. Der Import des Repertoire-Elements in den einen Diskurs und die dort erfolgenden Modifikationen wirken gelegentlich zurück auf den ursprünglichen Kontext, bzw. das aufgerufene Repertoire – die zahlreichen Absicherungen, die vonnöten sind, wenn man den Begriff ›Diskurs‹ verwenden möchte, zeigen exemplarisch die Reichweite des Problems, das ja auch Pörksen bereits dargelegt hat. Stets ist man genötigt, die in der einfachen oder gehobenen Umgangssprache verwilderten Begriffe für seine Studien aufs Neue zu domestizieren, damit sie in der eigenen Arbeit keinen größeren Flurschaden anrichten. Ganz vermeiden lassen sich die dabei entstehenden Friktionen zwischen Denkkollektiven bzw. Dis-
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kursen nicht. Und manchmal, Fleck heißt uns hoffen, kommt sogar so etwas wie ein gewisser Fortschritt dabei heraus. Man sollte sich allerdings nicht unbedingt darauf verlassen. Trotz solcher kaum zu vermeidenden Kollateralschäden werden ununterbrochen verschiedenste Diskurse miteinander verknüpft, umakzentuiert, fortgeschrieben, kurzgeschlossen und auch – in eben diesen Grenzen – neu geschaffen. Ein Repertoire-Element zu verwenden, und sei es in ironischer Absicht oder auch nur versehentlich (oder gar ›falsch‹), heißt, dieses spezielle Sprachspiel mitzuspielen, sozusagen einen mal eher konsensorientierten, mal eher idiosynkratischen Teil einer solchen ›Fortsetzungsgeschichte‹ zu produzieren, die man mit Willy Viehöver auch als eine »Narration« bezeichnen könnte, womit Viehöver nicht zuletzt das einer »Erzählung« oder »Mythos« innewohnende, »diskursstrukturierende Regelsystem« meint (Viehöver 2001: 178) – das Spiel geht also weit über die Wortgrenzen hinaus! Die auf diese Weise erreichten Grade der wechselseitigen Durchdringung von Diskursen sind dabei durchaus unterschiedlich, ebenso wie – aber nicht unbedingt in Abhängigkeit davon – die strukturelle Komplexität solcher Repertoire-Elemente. So gesehen sind das Phraseolexem ›politically correct‹ und seine zahlreichen Varianten (beinahe ausschließlich abstrahierte)65 Repertoire-Elemente, die das Korrektheitsmuster repräsentieren, damit also auch den Korrektheitsdiskurs sowie mit situationsabhängiger Intensität die Diskurse, die diesem öffentlich und meist unwidersprochen zugerechnet worden sind und werden.66 Wenn man so will, verhält sich das Korrektheitsmuster – über den Wortkörper hinaus – dann auch als ein strukturell komplexes Repertoire-Element zu den anderen Diskursen, was uns ja wieder zu dem von uns eingeführten Begriff des ›relativen Interdiskurses‹ und der von Link geforderten syntagmatischen Komplexität führt. Das weitestgehend abstrakte Korrektheitsmuster, in seinen unterschiedlich komplexen Abstufungen und Variationen, und damit der Korrektheitsdiskurs haben sich einen Weg quer durch die Diskurse gefräst. Die zahlreichen Teilnehmer der Kommunikation haben die interdiskursive Etablierung des Korrektheitsmusters getragen. Es handelt sich daher um ein Kollektivabstraktum, dessen Trägerschicht wie gesagt nur sehr schwer zu identifizieren ist und die, das müs-
65 Wir werden im nächsten Kapitel zeigen, daß auch dem Korrektheitsmuster eine, wenn auch sehr eingeschränkte, räumliche Eigenschaft zu eigen ist. 66 ›Öffentlich‹ heißt hier, daß diese jeweils zentrale Position und ihre Übertragungsmöglichkeiten dem Produzenten und Rezipienten einer Äußerung gegenwärtig ist, wobei nicht gesagt ist, daß beim Rezipienten und Produzenten zentrale Position und Übertragungsmöglichkeiten identisch sind.
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sen wir mittlerweile unterstellen, in sich äußerst heterogen sein dürfte. Woran zeigt sich das? Das, was Link für das System synchroner Kollektivsymbole als Katachresenmäander bezeichnet, also die bisweilen arg kurvenreiche Fortschreibung eines Symbols, ist bei der Fortschreibung von Abstrakta paradoxerweise leichter und schwieriger herzustellen. Bei Kollektivsymbolen ist es unkompliziert, innerhalb einer Formulierung mehrfach etwa das Fahrzeug und überhaupt die Bezugsebene zu wechseln, also beispielsweise mit der Dampflokomotive Schiffbruch zu erleiden, weil man auf dem Flug zur Sonne das Handtuch werfen mußte oder so ähnlich – und so formulierte Bilderwelten auf (tatsächliche oder behauptete) Sachverhalte der Ökonomie zu applizieren. Obwohl auf diese Weise erzielte metaphorische Darstellungen die Bedeutung des Wortes ›Bildbruch‹ geradezu schmerzhaft spüren lassen, sind in Interdiskursen, also in reintegrierenden Sprechweisen, solche Metaphernhalden statthaft. Allenfalls Sprachkritiker vom Zuschnitt der NFS oder eines Hermann L. Gremliza nähmen daran nicht nur fallweise, sondern mit einer gewissen Regelmäßigkeit Anstoß. Hingegen ist eine (diskursabhängig) vermeintlich unangemessene oder ›falsche‹ Verwendung von Abstrakta, also nicht-ikonisch formulierter Deutungsmuster und damit verbundener Begriffe wie ›Zivilisation‹ oder ›Schlüsselqualifikation‹ (letzteres ist in der pädagogischen Umgangssprache ein Hybrid aus Symbol und Abstraktum67) nicht so leicht nachzuweisen wie ein echter Bildbruch, wenn sie auch, vor allem in stärker reglementierten Diskursen, im Zweifelsfalle härter ausgehandelt und sanktioniert wird. Jedoch gilt das dann nicht, wenn die Definitionslage und die diskursiven Spielregeln so unsicher sind wie im Fall des Korrektheitsmusters! Ermöglicht zusätzlich die so entstehende terminologische und denotative Unschärfe wie in unserem Fall die Befriedigung der verschiedensten Wünsche durch das Kollektivabstraktum, kommt es mit traumwandlerischer Leichtigkeit zu dem, was man mit Fleck als die »magische Versachlichung der Ideen« bezeichnen kann. Dadurch kann der Effekt eintreten, daß der ›Restwiderstand‹, den ein abstraktes Deutungsmuster im Betrachter auslösen kann, also damit auch sein erkenntnisleitendes differenzierendes Moment, sich verflüchtigt, es letztlich kaum noch etwas zu deuten gibt und »die magische Versachlichung« umschlägt in semantisches weißes Rauschen. Im Fall des Korrektheitsmusters allerdings ist dieses Wechselspiel aus Vagheit und Konkretion
67 Ein Grenzfall wären übrigens ›Bildung‹ oder auch ›Globalisierung‹, deren Bildhaftigkeit hinter ihrer Abstraktion weitestgehend verschwunden sein dürften.
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fallbezogen reversibel, und kommunikative Wünsche werden immer aufs Neue realisierbar. Das ungestörte Oszillieren zwischen Dramatisierung und Ridikülisierung der ›Political Correctness‹ im Korrektheitsdiskurs ist dafür symptomatisch. Der annähernd reibungslose Import der Legende läßt sich aus dieser von den verschiedensten Diskursteilnehmern offenbar schnell erfaßten, wenn wohl auch kaum analysierten Eigenschaft des Korrektheitsmusters erklären.68 Seine Erfolgsgeschichte sowie die variantenreichen Modifikationen und die beinahe aus dem Stand einsetzende Trivialisierung sind nach unserer Auffassung untrügliche Anzeichen dafür, daß das Korrektheitsmuster zwei entscheidende Eigenschaften aufweist, die Link als signifikante Eigenschaften von Kollektivsymbolen herausgestellt hat und die er an einem bekannten Beispiel erläutert: kollektivsymbole besitzen offenbar sehr hohe kulturelle reproduktions-kapazität (sie werden mit vorliebe wiederholt, abgeschrieben, wieder aufgenommen) und sehr hohe paraphrastische kapazität (man kann in einem einzigen kollektivsymbol eine ganze »botschaft« zusammenfassen). stellen wir uns vor, der bundespräsident dürfte [...] nur einen satz zu neujahr reden: er müßte sich dann wohl auf ein herzhaftes gürtel enger schnallen beschränken. (Link 1982: 6; kursiv herv. und Kleinschreibung im Orig.)
»Mit vorliebe wiederholt, abgeschrieben, wieder aufgenommen« und »eine ganze botschaft zusammenfassen« – gibt es eine bessere Beschreibung für das, was mit den einzelnen ausdruckseitigen Varianten des Korrektheitsmusters praktiziert worden ist und bis heute wird? Wir haben zu Beginn des Kapitels von der erheblichen Bedeutung der zahllosen Klein-
68 Neben dem in dieser Arbeit analysierten rasanten und durchschlagenden Erfolg des Korrektheitsmusters sei noch auf eine weitere Besonderheit hingewiesen, obwohl es gewiß immer problematisch ist, aus dem Fehlen eines Sachverhalts einen Schluß zu ziehen, und immer die Gefahr besteht, daß man eine Tatsache oder Quelle schlichtweg übersehen hat. Dennoch finden wir es auffällig, daß die amerikanischen Varianten des Begriffs, die bis heute mit den deutschen sozusagen friedlich koexistieren, nie (oder wenn, dann nur selten oder sehr am Rande – wir haben wie gesagt keinen Beleg gefunden) Gegenstand einer der nichtendenwollenden sprachkritischen Anglizismendebatten gewesen sind, die mit mal mehr, mal weniger öffentlicher Aufmerksamkeit in der Fach- und Tagespresse ausgetragen werden. Gerade die hohe Aufmerksamkeit, die der Begriff in der Mitte der Neunziger Jahre genoß, wäre normalerweise ein Anziehungspunkt für diejenigen Kombattanten gewesen, die z. B. statt vom ›Internet‹ gerne mal vom ›Weltnetz‹ reden und die ständig ihre fragile Identität durch die Übernahme fremdsprachiger Termini bedroht sehen. Möglicherweise gibt es also nützliche Fremdlinge im Wörterbuch, die ganz gern gesehen werden und sich damit nicht nur eine Aufenthaltsgenehmigung, sondern sogar eine Greencard verdient haben.
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schriften und anderer Diskursfragmente wie z. B. Romanen (bzw. Romanpassagen) gesprochen, die die Konzeptualisierung des Korrektheitsmusters tragen und die Legende immer aufs Neue ergänzen und variieren. Diese These ist streng genommen nicht zu beweisen, aber doch hinreichend zu belegen. Damit greifen wir erneut in unser Archiv.
Wir möchten bei der nun folgenden Beispielkaskade zur Illustration unserer Überlegungen mit einem Beispiel der Anwendung des Korrektheitsmusters in der schönen Literatur einsteigen. Wiederum ist es dem Zufall geschuldet, daß wir in den Romanen des, vorsichtig ausgedrückt, eher konservativen Unterhaltungsschriftstellers Tom Clancy, dessen mehrfach verfilmte »Jack-Ryan«-Romane immens hohe Auflagen erzielen, immer wieder mal auf das Korrektheitsmuster gestoßen sind. Angesichts der Popularität des amerikanischen Autors auch hierzulande erscheint es uns sinnvoll anzunehmen, daß die Funktionsweise des Korrektheitsmusters rasch auch bei der deutschen Leserschaft Clancys angekommen sein dürfte – und im Gegensatz zu Noelle-Neumanns Behauptung zeigt sich damit, daß die Intellektuellen keineswegs unter sich geblieben sind.69 In dem 1992 erstmals in Deutschland erschienenen Roman Das Echo aller Furcht konnte die große deutsche Fangemeinde – weit abseits des sich in den Medien gerade erst formierenden deutschen Korrektheitsdiskurses – sehr en passant erfahren, daß sich wohl irgendetwas geändert haben muß in ihrer Welt oder wenigstens in den USA: »Das ist ein Indianer« sagte ein Mann aus dem Stab des Coroners. »Verzeihung, heute sagt man ja politisch korrekt ›amerikanischer Ureinwohner‹« (Clancy 1994 [1992]: 581).
Den hier angedeuteten Wandel, sofern er nicht im Handlungsgetümmel des Romans unterging, konnte man als Leser eventuell noch für eine amerikanische Eigenheit halten. Einige Jahre später konnte die nun bekanntere Unkorrektheit bereits ein ganz anderes Gesicht annehmen, und der Clancy-Aficionado erfuhr etwas ganz bemerkenswertes aus dem Generationenkonflikt der frühen Neunziger Jahre (dt. EA 1996, am. EA 1994). Die Lage ist die: Die Japaner haben soeben, in den frühen Neun-
69 Wegen unserer Fragestellung scheint es berechtigt, nach den Übersetzungen zu zitieren. Wir zitieren hier nach den uns vorliegenden Taschenbuchausgaben und geben die Jahreszahlen der deutschen Erstausgaben an, die auch die Reihenfolge unserer Präsentationen bestimmen.
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zigern, wohlgemerkt, wieder mal einen Krieg gegen die USA angezettelt. Isoliert auf einer von der japanischen Armee unrechtmäßig besetzten Insel teilt ein als mutig und aufrecht geschilderter älterer Amerikaner, der als ehemaliger Soldat dort seinen Ruhesitz hat, unter großen Gefahren seiner in den USA lebenden Tochter telefonisch mit: »Mama und mir geht’s wirklich gut, ehrlich, Schatz«. Sie [die Tochter des Sprechers, MFE] haßte es, wenn er sie so nannte, aber es war wohl zu spät, ihn zu ändern. Papa würde einfach nie PC, politisch korrekt, sein (Clancy 2002a: 482).70
Die Unangemessenheit des töchterlichen Urteils angesichts der brandgefährlichen Situation ist wieder einmal ein Beispiel dafür, wie die Unwesentlichkeit der Korrektheitsfrage inszeniert werden kann. Im darauf folgenden Roman – der Protagonist Jack Ryan ist auf Umwegen, die man als heutiger Leser makaber finden kann, zum Präsidenten der USA gekürt worden71 – werden weitere Topoi des Korrektheitsdiskurses dem Leser nahegebracht bzw. für das Gelingen der Autor-Leser-Kommunikation in Dienst gestellt. So erhält der frischgebackene Präsident Ryan von seinem Stabschef eine grundlegende Lektion über den Umgang mit der Öffentlichkeit: »Helfen Sie einem alten Mütterchen über die Straße, wird eine Feministin sagen, es wäre herablassend. Helfen Sie nicht, werden AARP oder Graue Panther sagen, sie kümmern sich nicht um Bedürfnisse der Senioren. Das ist bei allen möglichen Interessengruppen so« (Clancy 2001 [deut. EA 1997]: 560).
Als der von diesem und anderen identitätspolitischen Kleinigkeiten genervte Ryan sich humorvoll und selbstironisch als streitlustig inszeniert (»Ich hab’s. Ich sag’ was, das alle sauer macht – und alle lieben mich«) (ebd.), wird er zurechtgewiesen von seinem taktisch gewieften Stabschef, der ihn mit den Medien – deren Mitarbeiter fast durchweg als zu liberal, sensationslüstern und politisch unzuverlässig geschildert werden – und den dort herrschenden Spielregeln vertraut macht:
70 Wir haben es nicht mehr nachprüfen können, halten es aber für gut möglich, daß die auch im deutschen Original kursiv gesetzte Erklärung des Akronyms eine Dienstleistung des deutschen Übersetzers ist. Es sieht ein bißchen ›holperig‹ aus. 71 Ein von einem japanischen Kamikaze-Piloten gesteuerter Jumbo-Jet hat, nach dem verlorenen Krieg aus dem vorangegangenen Roman, den amerikanischen Kongreß völlig zerstört und einen Großteil der amerikanischen Politiker getötet. Manchmal sind Unterhaltungsschriftsteller doch ein wenig unheimlich.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT »Und jeder Witz, den Sie erzählen, wird jemand sauer machen. Warum? Humor geht immer auf Kosten von jemand, und manchen Leuten ist Humor ein Fremdwort« (ebd.).
Einige Zeit zuvor hatte derselbe Stabschef dem Präsidenten einen ganz famosen Vorschlag zur Neugestaltung des Kabinetts gemacht, und wir begegnen einer uns mittlerweile vertrauten Wanderlegende, die hier für einen billigen Lacher eingesetzt wird. Der Stabschef erläutert, was seines Erachtens eine amerikanische Regierung braucht: Einen Hofnarren, geben Sie ihm einen Kabinettsposten. Sie verstehen, einen Zwerg – entschuldigung, männliche Person mit ungewöhnlich starker vertikaler Herausforderung – in bunten Strumpfhosen und einer Narrenkappe mit Schellen dran (ebd. 418, herv. von MFE).
Neben solchen Repertoire-Elementen, mit denen einige Topoi des amerikanischen und deutschen Korrektheitsdiskurses wieder aufgegriffen werden, die der Autor und der Übersetzer also voraussetzen können, findet man auch in diesem Roman wieder direkte Anwendungen des Korrektheitsmusters. Eine Szene spielt während der Landung eines Flugzeugs. Es ist unklar, ob hier der Erzähler kommentiert oder die Gedanken des Präsidenten wiedergegeben werden, dessen Wahrnehmung des Landevorgangs in dieser Szene geschildert wird: Die fahrbare Gangway wurde an die Tür geschoben, die vom weiblichen Steward geöffnet wurde – es wäre unkorrekt, sie eine Stewardeß zu nennen –, die ihm eine Zigarette anbot (ebd. 433).
In einem weiteren Roman dieser Reihe liegt ein Krieg zwischen den USA und Rußland einerseits und China andererseits an – Clancy hält sich sichtlich nicht mit Kleinigkeiten auf. Der besorgte amerikanische Außenminister, ein Sympathieträger dieser Romanserie, denkt so vor sich hin, »wie Menschen von unvernünftigen Taten abzubringen« (Clancy 2002b: 764) sind. Wir zitieren ausführlich: In der Praxis konnte das bedeuten, ihnen zu sagen: Wenn ihr das tut, wird die geballte Macht und Wut der USA über euch kommen und euch den Tag versauen. Da war es besser, den Betreffenden gut zuzureden, doch vernünftig zu sein, weil im globalen Dorf ihr Heil als Nation allein in der Vernunft lag. Aber die Wahrheit war, dass die Chinesen Denkstrukturen aufwiesen, die er nicht nachvollziehen konnte, daher wusste er auch nicht, was er sagen sollte, damit ihnen ein Licht aufging. Schlimmer noch – er hatte neben Außenminister Shen auch noch diesen Zhang [der Schurke des chinesischen Staates, wie der Leser weiß; MFE] kennengelernt und war absolut sicher, dass die beiden die Wirklichkeit mit anderen Augen betrachteten als er. [...] Eine leise innere Stimme schalt ihn für seinen Anflug von Rassismus, aber die Situation war zu verfahren, was nutzte da noch politische Korrektheit? Er hatte einen Krieg zu verhindern ... (Clancy 2002b: 764f, herv. v. MFE).
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Wir können es uns gewiß sparen, die in all diesen Romanpassagen verarbeiteten Repertoire-Elemente gesondert aufzulisten. Aber wir wollen festhalten, daß man allein aus den Romanen Clancys, ihrer Anordnung von Werten und Werteverfall, Relevanz und Nebensächlichkeit, Gut und Böse, konservativer Wahrheit und liberaler Träumerei, zumindest einige der wesentlichen Argumentationsweisen und Konfliktstrukturen des Korrektheitsdiskurses und der angeschlossenen Diskurse herausarbeiten könnte, und zwar ohne die Diskussion in den »Elitemedien« jemals verfolgt zu haben. Es dürften für die allgemeine, wenn auch interindividuell verschiedene, Konstruktion des ›Wissens-um‹ die Korrektheit auch und gerade solche Trivialitäten eine vergesellschaftende Rolle spielen. Wenden wir uns nun zunächst von der schönen Literatur zu ihren paratextuellen Rändern. Neben dem für jeden mit etwas Geduld und Zeit nachweisbaren Umstand, daß seit Beginn der Neunziger Jahre zahlreiche Bücher und Filme mit Hilfe des Korrektheitsmusters verhandelt werden, lassen sich gerade bei diesbezüglichen Textsorten die zwei von Link identifizierten Kapazitäten von Kollektivsymbolen (und Kollektivabstrakta) demonstrieren. Denn Rezensionen, lobende Vorworte und auch Klappentexte sind – ob mit oder ohne Erfolg, sei dahingestellt – auf Resonanz bedachte Kurz- und Kürzesttexte, die oft unter Zeitdruck entstehen. Wenn nun der Klappentext einer zweiten Auflage bzw. einer Taschenbuchausgabe sich auf die Rezension der Erstausgabe bezieht, verstärkt sich dieser Kondensationsprozeß. Durch die Verknüpfung des ›objektgebundenen Repertoire-Elements‹, also beispielsweise des Zitats einer Rezension, mit dem Kollektivabstraktum, das in diesem Zitat aufgeführt wird, kann man die von Link aufgeführten Kapazitäten effektvoll miteinander kombinieren. Schauen wir uns zu diesem Komplex einige Beispiele meist jüngeren Datums an, die aus Zusammenhängen stammen, die man getrost als kollektiv bezeichnen kann: Die Rundfunk- und Fernsehzeitschrift Hörzu hat eine eigene Bücherseite, die meist einen kurzen Artikel (bzw. eine Rezension) und einige Kürzestrezensionen enthält. Schwungvoll hebt die Besprechung eines Kurzgeschichtenbandes von Regula Venske an, die aus nur vier Sätzen besteht. Bereits der erste lautet: Böse Geschichten aus dem Hause Venske wieder einmal, und natürlich politisch überaus unkorrekt (HZ 33/2002: 116).
Die Art, in der das Korrektheitsmuster appliziert wird, deutet es bereits an: Es ist eine lobende Rezension, und nicht einmal das vermutlich fern von Wissenschaft oder ›Szene‹ anzusiedelnde Publikum der Hörzu, so scheint es, braucht eine Erläuterung, was es unter ›politischer Unkorrektheit‹ zu verstehen hat. Ähnlich kalkuliert scheint auch die extrem kurze 283
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Charakterisierung der Autorin Patricia Highsmith, über die und deren Kurzgeschichtenband Die frühe Mitte der Welt aus der geplanten Diogenes-Werkausgabe man einige Wochen zuvor an gleicher Stelle hatte erfahren können: 14 frühe Storys der moralisch unkorrekten Amerikanerin, einige erstmals auf Deutsch, andere überhaupt zum ersten Mal veröffentlicht – und allesamt selbstbewusste Gesellenstücke einer Schriftstellerin, die in der Fremde, in Europa, zur gefeierten Bestsellerin wurde (HZ 27/2002: 120).
Abgesehen von den blöden Witzen, die sich gerade bei diesem Fundstück dem Leser aufdrängen angesichts der weiblichen Form des Begriffs ›Bestseller‹, womit diese vielschichtige Rezension einen ganz besonders absurden Drall erhält, fällt auch hier die in einem Satz unterstellte Korrelation von – in einer wichtigen Nebenvariante – »moralischer Unkorrektheit« und Qualität bzw. künstlerischem Erfolg auf. Dieser Gegensatz ist zum cantus firmus in Lobeschriften geworden: Nirgendwo ist bei Camilleri Platz für politisch korrekte und eben deshalb sturzlangweilige Verdammung der organisierten Kriminalität im Schoß Siziliens,72
läßt uns der Schriftsteller Norbert Klugmann im Buchjournal wissen, einem als Zeitschrift camouflierten Werbeprospekt des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und erweitert oder bestätigt das kollektive ›Wissen-um‹, was es mit der politischen Korrektheit wohl noch so alles auf sich haben könnte. In dasselbe Horn stößt der Rezensent Martin Ebel für die Neue Zürcher Zeitung, wenn er über Amélie Nothombs Roman Mit Staunen und Zittern verlauten läßt: Nicht politisch korrekte Verständigungsliteratur zwischen zwei Kulturen, sondern ein lustvoller Extremismus, bis zu dem Punkt getrieben, wo Leiden in Lachen umkippt. 73
Ein typisches Lob, das es konsequenterweise auf den Buchrücken der zwei Jahre später veröffentlichten Taschenbuchausgabe geschafft hat. Werden von Klugmann und Ebel in erster Linie Unterhaltungswert, ja Lust und Korrektheit einander entgegengesetzt, so ist im nächsten Fall der Mut bzw. die Abwesenheit von Angst das Thema. Die amerikanische, hierzulande erfolgreiche und populäre Kriminalschriftstellerin
72 Norbert Klugmann: Der Ätna im Sizilianer. In: Buchjournal 3/2001, 32-35 (Zitat 32). (Artikel über den Kriminalschriftsteller Andrea Camilleri.) 73 Amélie Nothomb: Mit Staunen und Zittern. Zürich: detebe 2002.
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Donna Leon, so erfährt man in diesem Fall direkt vom Verlag in der Reklame für ihr Buch Latin Lover, [wirft] in den Kolumnen und Zeitungsartikeln für Emma, Vogue und Die Weltwoche [...] heikle Fragen auf und geht sie in der ihr eigenen direkten Art an, ohne die Angst, als politisch unkorrekt zu gelten.74
Wobei, es sei jetzt doch mal angemerkt, das einzige, was ein Autor bzw. eine Autorin ganz augenscheinlich fürchten sollte wie der Teufel das Weihwasser, das Etikett ist, seine oder ihre Literatur sei ›politisch korrekt‹. Unseres Erachtens völlig zu Recht hatte Diederichsen diese Form des Lobs als »das dünnste, schwächste, dazu billigste und falscheste, wenn nicht reaktionärste aller Gratislobe« bezeichnet. Diese Klage blieb ohne jede sichtbare Wirkung, denn auch weiterhin werden Bücher und Filme mit diesem Gratislob angepriesen. Wo es seitens der Rezensentenschar nicht eindeutig genug ist, muß der Verlag selbst die gewünschte Aussage herausdestillieren. So ist auf dem Buchrücken des Romans mit dem hübschen Titel Fuckwoman von Warwick Collins nach einer fünfzeiligen Inhaltsangabe die folgende Diagnose zu lesen, deren zweiter Teil, wie es heißt, aus einem früheren Spiegel-Heft stammt, und in deren ersten Teil wir einen ›alten Bekannten‹ vom Beginn des Kapitels wiedertreffen – den Tabubruch: Eine furiose Parabel über weibliche Ikonen und Geschlechterrollen, über Selbstjustiz und Tabubrüche. »Collins schreibt prosaisch, ironisch und politisch vollkommen inkorrekt« (Der Spiegel) (Collins 2002: Buchrücken, herv. von MFE).
Auch das Beispiel haben wir einer etwas näheren Betrachtung unterzogen. Da es sich bei dem Buch um eine deutsche Erstausgabe handelt, kann das Spiegel-Zitat sich nur auf etwas anderes beziehen. Die Homepage des Kunstmann Verlags, in dem das Buch erschienen ist, führt dann auch gleich ein älteres Buch des Autors auf, dem folgendes Lob zugeordnet worden ist: »Prosaisch, ironisch und politisch vollkommen unkorrekt [sic] erzählt der vielversprechende Autor von Rasse, Klasse, Sex und Kapitalismus« (Der Spiegel) (Website des Antje Kunstmann Verlags, 28.08.2002, herv. von MFE).
Der Schwenk von ›unkorrekt‹ zu ›inkorrekt‹ auf dem Buchdeckel ist nur eine Marginalie. Vielleicht ist er einem Abschreibefehler geschuldet,
74 Wir zitieren hier nach einer Reklameseite in einem anderen Buch der Autorin. D. L.: In Sachen Signora Brunetti. Zürich: detebe 2001
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vielleicht aber auch darin begründet, daß der i-Laut etwas zickiger klingt. Sei es drum. Auch stammt, der Genauigkeit halber sei es hinzugefügt, das gestrafft zitierte Lob des älteren Buches von Collins aus dem Kulturspiegel (3/2001), wohingegen es im ›normalen‹ Spiegel etwas abweichend hieß: Collins erkundet in seinem munteren Miniroman einen abseitigen Schauplatz, politisch unkorrekt, mit schrägem Witz, und kalauert mit den Vorurteilen über Schwarze, Weiße und Schwule (Spiegel 29/2001: 159).
Wie man sieht, wurde hier vom Verlag das knackigere Zitat mit der besseren Belegstelle kombiniert. Wenn man nun für den Klappentext oder andere Paratexte keine mit diesem zitierfähigen Gütesiegel spielende Fremddiagnose auftreiben kann, muß man sich selbst helfen. Diesen Kunstgriff benutzte der Goldmann-Verlag bzw. sein Autor Gisbert Haefs im Jahre 1996. Auf dem Buchrücken der Kurzgeschichtensammlung Auf der Grenze heißt es: Einmal mehr stellt Gisbert Haefs [...] sein beeindruckendes Talent zur Schau. Der begnadete Fabulierkünstler, Wortverdreher und Meister der geschliffenen Pointe erweist sich hier als Virtuose der kurzen Form. Daß es dabei politisch höchst unkorrekt zugeht, verzeiht man/frau gern, denn »wenn’s politisch nicht korrekt ist, dann ist es wahrscheinlich gut« (Matzbach) (Haefs 1996, Buchrücken, herv. v. MFE).
Die beinahe wortgleiche Inhaltsangabe auf Seite 2 des Buchs verzichtet auf das armselige Wortspiel »man/frau«, dessen unleugbar überflüssige Existenz in ernstgemeinten Texten in Deutschland den Mythos von der politischen Korrektheit zu plausibilisieren half. Stattdessen ist von »dem Leser und der Leserin« die Rede, und auch das »Matzbach« zugeschriebene Zitat fehlt. Das allerdings hat es bereits als solches in sich, denn Matzbach ist, und hier »verdichtet sich der Verdacht des Unfugs zur Gewißheit« (Bernd Eilert), eine Romanfigur Gisbert Haefs’, die er in einigen Kriminalromanen hat auftreten lassen, eine Art Bonvivant und Detektiv, und, man kann es befürchten, möglicherweise ein alter ego und weltanschauliches Sprachrohr seines Autors. Ob und wo Haefs seinen Protagonisten diesen Satz hat sprechen lassen, der hier als marktschreierisches Qualitätsversprechen fungiert, oder ob dem Umschlagtextautor die Phantasie durchgegangen ist, haben wir nicht mehr recherchiert.75 Normalerweise ist aber auch auf die Presse Verlaß, was die Erzeugung von kurzen, flotten und daher zitierfähigen Statements angeht. Wir könnten dieses Spiel mit der Montage von Belegen noch eine ganze
75 Es gibt für solche Kärrnerarbeit einen Grenznutzen.
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Weile fortsetzen, aber die paraphrastische und Reproduktionskapazität des Korrektheitsmusters scheinen, zumindest im kommerziellen Bereich, für unsere Zwecke hinreichend belegt.76 Die sich in der Existenz solcher Belege zeigende gelungene Vergesellschaftung des Korrektheitmusters, die wir mit dem Wort ›Kollektivabstraktum‹ zu fassen versuchen, beschränkt sich aber nicht nur auf die bunte Welt der Literatur mit ihrer Kulturfaszination, sondern sie hat auch andernorts ihre Spuren hinterlassen. Und eine, wie Link es nennt, »Vorliebe«, die im Rahmen der Werbeprosa bestenfalls mäßig amüsant, schlimmstenfalls dumm und lästig sein mag, wird in wissenschaftlichen Texten oder Lexikoneinträgen mit ihrem ganz anderen Geltungsanspruch und dem gravitätischen Selbstverständnis ihrer Verfasser zu einem ernsten Ärgernis. Denn nicht nur die im letzten Kapitel genannten Arbeiten, die sich erklärtermaßen hauptsächlich um das Korrektheitsmuster drehen, wissen es zu nutzen. In dem von Arnold und Detering 1996 herausgegebenen Handbuch Grundzüge der Literaturwissenschaft, dessen 1973 herausgebener Vorläufer bereits auf der ersten Seite der Neuausgabe als »Standardwerk« apostrophiert wird, findet sich ein in weiten Teilen erhellender Aufsatz von Rainer Grübel über das Verhältnis von »Wert, Kanon und Zensur«. Jedoch im letzten Absatz, also durchaus an prominenter Stelle einer jeden wissenschaftlichen Arbeit, finden sich wie von fremder Hand ange-
76 Und wer es wirklich ausführlicher braucht, den verweisen wir beispielsweise auf die CD Buchkritiken 1. Januar 1994–30. Juni 2000 der Süddeutschen Zeitung. Für dieses halbwegs überschaubare Korpus haben wir es dann doch mal überprüft. Nimmt man diese CD-ROM der SZ zur Hilfe, so findet man allein in diesem sehr eingeschränkten Textkorpus mehr als 150 Besprechungen, die das Korrektheitsmuster bei der Darstellung der besprochenen Bücher und Autoren in Anspruch nehmen, indem eine (deutsche oder englische) Variante der PC-Ausdrücke verwendet wird, also »politisch in/korrekt«, »Korrektheit« (im Sinne des Korrektheitsmusters, nicht im Sinne von Richtigkeit), »historisch korrekt«, »pädagogisch korrekt« etc., wobei sich aus dem Inhalt der Rezension ergibt, daß es im Sinne des Musters verwendet wird – Zweifelsfälle haben wir nicht mitgezählt! Konstellationen von Denkverbot und Tabubruch, die das Muster oft flankieren, haben wir dabei nicht einmal gesondert untersucht und deshalb ebenfalls nicht mitgezählt. Beinahe durchweg gelten die Regeln, daß »korrekt« schlecht ist, »unkorrekt« aber prima. Das hört sich nicht nach besonders viel an, aber zum einen sind die Literaturbesprechungen keinesfalls die einzige Rubrik, in der die SZ dieses Deutungsmuster verwendet, und zum anderen mußte man ja bis 1991 ganz ohne auskommen (wir kennen zumindest keinen früheren Beleg aus der SZ). Wie gesagt, eine Frequenzanalyse über mehrere Jahre und Zeitungen hinweg verspricht recht amüsant zu werden, vorausgesetzt, man hat sich vorher Gedanken darüber gemacht, was man da sucht. Auch in dieser Hinsicht hoffen wir, daß unsere Studie hilfreich sein wird.
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klebt einige oberflächliche Anmerkungen zum Thema »Autorentötung als brutalste Form der vorbeugenden Zensur« im 20. Jahrhundert, und in rascher Folge bezieht sich der Autor auf die UdSSR, das Dritte Reich und Ayatollah Khomeinis Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Dieser Absatz, und damit auch der Aufsatz, klingt dann ansatzlos folgendermaßen aus: Die in westlichen Kulturen wirkungsvollste Zensur üben gegenwärtig die Wächter von »Political Correctness«. Damit wird die im Prozeß der Zivilisation erkennbare Verlagerung der Zensur von außen nach innen rückgängig gemacht (Grübel 1996: 622).
Zurückstellen wollen wir die sich anbietende Frage, ob im gegenwärtigen Verständnis von ›Political Correctness‹ nicht auch und vielmehr die innere Zensur (Stichworte: Tabu, Denkverbot, Schere im Kopf) immer aufs Neue thematisiert worden ist und ob Grübels These nicht allein deshalb reichlich verwegen ist, von der Geschmacklosigkeit der Einordnung der ›Political Correctness‹ in diese Ahnenreihe einmal ganz abgesehen. Ebenso bedauerlich wie ist der Umstand, daß Grübel sich in keiner Weise veranlaßt sieht, sein Verständnis davon, was ›Political Correctness‹ ist und wer die ominösen Wächter77 sind, im Rahmen seines Textes aufzuschlüsseln und somit seine gefällige These nicht nur nachvollziehbar, sondern auch bestreitbar zu erläutern. Aber bei diesem Schlußteil des Handbuchartikels ins Detail zu gehen ist vergebliche Liebesmüh, denn so wie es aussieht, handelt es sich nur um eine resonanzorientierte Aufhübschung an prominenter Stelle, einen semantischen Neubau, den auf einen sachlichen Kern hin zu untersuchen niemanden glücklich oder auch nur schlauer machen würde. Der nachhaltige Nutzen von Grübels Ausführungen liegt woanders. Denn eine reine Freude hingegen ist der semantische Neubau selbst, der sozusagen prägend, ja vorbildlich war. Einige Jahre nach Grübels Einlassungen findet man in dem ebenfalls als relevantes Nachschlage-
77 Ob es etwa solche »Wächter« sind, von denen die Inhaltsangabe von Schwanitz’ Campus-Roman (1996: 2) so Bestrickendes zu berichten weiß: »Eigentlich ist es kaum verständlich, wie aus der harmlosen Affäre des akademischen Olympiers mit seiner leicht exaltierten Studentin Babsie ein »Fall« werden konnte. Doch im Kampf um Institutsbereiche kommt den eifernden Wächtern der Political Correctness der Skandal um die vorgebliche Belästigung gerade recht. Die Hatz auf Hanno Hackmann beginnt. Zudem steht die Wahl des Universitätspräsidenten an. Eine unglückselige Mischung aus wahlstrategischen Notwendigkeiten, radikalfeministischen Intrigen, Gesinnungsterrorismus und der Sensationsgier der Presse bringt den Professor an den Rand des Abgrunds«?? Es wird wohl so was sein.
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werk sich präsentierenden Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart, wiederum zum Artikelausklang und gewissermaßen als Sahnehäubchen am Ende des Stichworts »Zensur« den folgenden Wiedergänger: Darüber hinaus bleibt zu erwähnen, dass in den westlichen Kulturen gegenwärtig eine neue, überaus wirkungsvolle Form der Z[ensur] stattfindet: Sie wird ausgeübt von den Wächtern der ›Political Correctness‹. Mit dem Diskurs der ›Political Correctness‹ wird die im Verlauf der historischen Entwicklung beobachtbare Verlagerung von der äußeren zu inneren Z[ensur] rückgängig gemacht (Wende 2000).
Der Lexikoneintrag weist Grübels Aufsatz nicht als Quelle aus, obwohl hier ganz offensichtlich abgeschrieben wurde; wie dann auch nicht anders zu erwarten, gibt es keine hinreichende Erläuterung, was und wer wohl gemeint sein könnte, weil man das ja schließlich bei Grübel, der ebenfalls darauf verzichtet hatte, nicht hatte abschreiben können; selbstredend gibt es keinen Anschluß an eine auch nur fadenscheinige Argumentationslinie, sondern nur eine möglichst prominente Plazierung des abgekupferten ›Resonanzverstärkers‹; und – neben dem Unterschied, daß die Autorin noch kurz leidenschaftslos über Internet und Filmbewertungsstelle referiert, nachdem sie übrigens zuvor auch die Passagen über die »Autorentötung« bis hin zur Fatwa gegen Salman Rushdie weitestgehend bei Grübel abgeschrieben hat78 – als einziger originärer Beitrag in dieser Passage der Austausch der Elias-Allusion gegen die im Vergleich dazu etwas spröde Rede vom »Verlauf der historischen Entwicklung«. Dafür aber der offenbar in einem Lexikon Kultur der Gegenwart dringend notwendige Hinweis, daß der »Diskurs der Political Correctness« nicht nur »gegenwärtig stattfindet«, sondern sogar eine »neue Form« enthält, die aber andererseits »eine Verlagerung rückgängig« macht, also in ihrer Wirkung und Konzeption so neu auch nicht sein kann. So etwas ist selbst dann, wenn man sich an den nachlässigen Umgang der Wissenschaft mit der Legende gewöhnt hat, ein dicker Hund. Aber offenbar war
78 Grübel (1996: 622): Die brutalste Form vorbeugender Zensur ist auch im 20. Jahrhundert die Autorentötung. 1921 wurde mit Lenins Zustimmung der russische Dichter Nikolaj Gumilev von Staats wegen ermordert [sic], hunderte Autoren fielen den Verfolgungen in der UdSSR der dreißiger Jahre zum Opfer. Wende (2000: 553): Die brutalste Form der Z. ist die Autorentötung, die bis 20. Jh. praktiziert wird: 1921 wird mit Lenins Zustimmung der Dichter Nikolaj Gumlev von Staats wegen ermordet, in den 30er Jashren fallen Hunderte von Autoren den politischen Verfolgungen in der UdSSR zum Opfer. Und so geht das noch eine Weile weiter im Text.
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in beiden Fällen das Resonanzkalkül der Autoren hinreichend aufgegangen, der Beitrag konsensuell und resonanzorientiert genug konzipiert und verfaßt, um die Autoren selbst, die Herausgeber und den Verlag (und vielleicht die Leserschaft) zufriedenzustellen. Das Korrektheitsmuster taucht in solchen und vergleichbaren Fällen nur noch auf Schwundstufe auf, und je länger man es in diesen Beiträgen anschaut, desto unverwandter und nichtssagender schaut es zurück. Selbst Tom Clancys Romane sind bezüglich der Verwendungsgeschichte und der Bedeutungsvarianten deutlich aufschlußreicher und origineller. Sogar in die hehre Welt des Wörterbuchs hat es das Korrektheitsmuster gebracht, und damit kommen wir zu der letzten verschlungenen Beispielkombination in diesem Kapitel. Wir haben es nicht nachgeprüft, nehmen aber an, daß der sogenannte »Rechtschreib-Duden« zu den am weitesten verbreiteten Wörterbüchern im deutschsprachigen Raum gehört. Nun sollte man in Arbeiten zur historischen Semantik von Begriffen und ihrer Verwendungsgeschichte die Evidenzkraft von Wörterbüchern nicht überschätzen, und entgegen der Alltagspraxis in Familie, Schule und am Arbeitsplatz dürfte gerade der Rechtschreib-Duden die am wenigsten geeignete Instanz sein, wenn man der Bedeutung eines Begriffs nachgeht. Jedoch scheint gerade wegen der relativen Frische des Korrektheitsmusters das Ringen des Duden um eine gefällige Definition bezeichnend, zumal nach dem ersten Auftritt in der 21. Auflage in der darauf folgenden eine massive Umakzentuierung stattgefunden hat. So heißt es in der 21. Auflage zunächst: Political Correctness [...] (von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung), (Duden Band 1; 211996: 576).
und unter dem Eintrag »politisch« findet sich als Beispiel auf derselben Seite [...] politisch korrekt (auch iron. niemanden durch eine [möglicherweise] als abwertend empfundene Benennung diskriminierend).
Ein rundum gelungener erster Auftritt des Begriffs. Insbesondere die Anmutung einer »bestimmten Öffentlichkeit« und die Rede von der »Gesinnung« dürften den Leser richtig einstimmen. Allenfalls eine ›gewisse Öffentlichkeit‹ hätte möglicherweise noch pikierter und passender geklungen. Vier Jahre später wird diese Erläuterung – die die Sprachpraxen übrigens viel deutlicher widerspiegelt als ihre Nachfolgerin – abgelöst durch eine deemphatisierte, thematisch anders akzentuierte und weitgespannte, aber analytisch verengte Definition, die aus dem 1996 angeführten Beispiel für die deutsche Begriffsverwendung abgeleitet scheint:
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WERKZEUGKISTE Political Correctness [...] (Einstellung, die alle diskriminierenden Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt) (Duden Band 1; 222000: 756).
Vielleicht ist das als Indikator dafür zu lesen, daß der Korrektheitsdiskurs aus Sicht der Duden-Redaktion alles Debattenhafte endgültig verloren hatte. Es spielt auch keine so große Rolle. Denn die Karriere des Korrektheitsmusters war zu diesem Zeitpunkt schon viel weiter fortgeschritten und über ein eigenes Lemma hinausgewachsen. Die ›allerhöchsten Weihen‹ erhält ein Deutungsmuster (bzw. die es repräsentierenden Begriffe) nämlich dann, wenn es schließlich als Bestandteil einer Definition fungiert. Als Neueintrag durfte man in der 22. Auflage den Begriff ›Gutmensch‹ begrüßen, der wie folgt definiert wird: Gutmensch [...] (oft abwertend für jmd., der sich besonders für Political Correctness engagiert (Duden 2000, 443).
Wenn somit das erklärungsbedürftige Korrektheitsmuster bereits herangezogen werden kann, um noch fragwürdigere Begriffe auszudeuten, dann kann man wohl sagen, daß dieses Abstraktum kollektiv zur Verfügung steht und daß es keiner weitreichenden Erklärung mehr bedarf. Die Rede vom ›Gutmenschen‹, die mit der Etablierung des Korrektheitsmusters eng verknüpft ist,79 und die nicht nur »oft«, sondern wohl ausschließlich abwertend verwendet wird,80 ist sowohl für sich allein genommen als auch in Kombination mit dem Korrektheitsmuster immer wieder anzutreffen. Und der von Fritz Hermanns geprägte Terminus »Stigmawort«, der uns in bezug auf ›Political Correctness‹ analytisch nicht genügt, scheint uns wie kein anderer geeignet, die Funktionsweise des Wortes »Gutmensch« exakt zu beschreiben. In eben diesem Zusammenhang möchten wir noch einen Fall vorstellen, der das im Duden eingekapselte ›Wissen-um‹ Korrektheit und ›Gutmensch‹ sozusagen in seiner natürlichen Umgebung zeigt. Es geht
79 Vgl. dazu neuerdings Max Goldt, dessen jüngstes Buch unter dem Datum 17.10.2001 den folgenden Eintrag aufweist: »Gutmensch: Die Kritik an denen, die es mit der political correctness übertrieben haben, war berechtigt, und diejenigen, die das Wort »Gutmensch« prägten, sind keine schlechten Menschen. Der Begriff ist inzwischen aber in der rechten Ecke angelangt, wo er zum Diskreditieren jeder emanzipatorischen Bewegung, jeder Form von »Weltverbesserung« verwendet wird« (Goldt 2002: 54). Das ist zwar weder ganz falsch noch ganz richtig, aber vielleicht sind diese Ausführungen ein Indiz für ein gewisses Unbehagen. Und gewiß ein Indikator dafür, daß der Begriff ›Gutmensch‹ verschlissen ist. 80 Nochmal: aus dem Nichts heraus ist schlecht etwas zu beweisen, aber wir haben kein Beispiel für eine affirmative oder auch nur neutrale Verwendung des Begriffs gefunden. Wir wollen nicht ausschließen, daß sich eines finden läßt, haben aber unsere Zweifel.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT
dabei um das Buch Die Wut und der Stolz von Oriana Fallaci sowie die Reaktionen darauf.81 Zunächst zitieren wir Walter Bau in der WR vom 10.09.2002 mit einer Rezension von Fallacis »Polemische[r] Abrechnung mit dem Islam«: In diesen 194 Seiten ist kein Platz für »einerseits« und »andererseits«. Hier wird Klartext geschrieben, jeder Satz für sich ein Ausrufezeichen. [...] Keine Frage: Oriana Fallacis Buch ist einseitig, radikal, undifferenziert und oft ungerecht. [...] Nicht selten fragt man sich, was die Autorin zu derart polemischer Wortwahl getrieben hat, die die politisch korrekten Gutmenschen aufheulen lässt: »rassistisch«, »idiotisch«, »unlesbar«. Richtig ist: »Die Wut und der Stolz« ist ein unbequemes Buch, das jedoch – lässt man die ganze Brachial-Polemik einmal beiseite – wichtige Fragen stellt: Wie steht es um die nationale Identität in Europa? Hat die Politik die moralischen Grundsätze über Bord geworfen? Ist die Ökonomie der Maßstab aller Staatsgeschäfte? Mehrere deutsche Verlage winkten bei Fallacis Manuskript ab, ehe es List herausbrachte. »Ein bewusst radikales Buch, das provozieren will,« so Verlagsleiterin Doris Janhsen. Wer zu so grober Feder greift [?] wie Oriana Fallaci, muss damit leben, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Die Autorin rechnet fest damit: »Ich weiß, dass ich nicht verstanden werde«.82
Eine kokett pessimistische Einschätzung der hier gefeierten Autorin, sehr wahrscheinlich der Attitüde geschuldet, die hier kalkuliert als »Wut und Stolz« in Szene gesetzt wird. Auch im Focus psalmodiert der Rezensent Stephan Sattler über die – so wörtlich – »rhetorisch brillante Tirade« der Autorin: Der Text voller Sottisen gegen Muslime wird die Entrüstung der politisch Korrekten finden. Aber der große Freiheitspathos der Fallaci, ihr Stolz auf die westliche Kultur, imponiert jedem Unvoreingenommenen.83
In der Tat ist Fallaci in Deutschland auch auf Widerspruch, gar »Entrüstung« gestößen. Ludwig Ammann hat für die Zeitschrift Literaturen eine ausführliche und deutliche Kritik verfaßt (Ammann 2002). Auch er spricht von einer »rhetorisch brillanten Kriegspredigt« (ebd. 50). Dennoch ist das Buch seiner Meinung nach »nichts anderes als eine rassistische Hetzschrift« (ebd.), die Autorin Fallaci nur eine »große Diva der Demagogie« (ebd. 51). Die Kritik Ammanns könnte schärfer nicht sein, und auch das Repertoire-Element, das er anbringt, macht seine Ablehnung überdeutlich: »Seit Hitlers »Mein Kampf« hat kein Buch so erbarmungslos einer ganzen Religionsgemeinschaft den Krieg erklärt« (ebd.
81 Oriana Fallaci: Die Wut und der Stolz. München: List 2002. 82 Walter Bau in der WR v. 10.09.2002, herv. v. MFE. 83 Stephan Sattler: Mit heiligem Zorn. Oriana Fallaci rechnet mit der islamischen Welt ab und geißelt die »feigen Europäer«. In: Focus 35/2002: 82, herv. von MFE.
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WERKZEUGKISTE
50). Nun ist es nicht verblüffend, daß die auf Krawall und Theater angelegte Schrift von Fallaci auf Widerspruch stoßen würde, zumal bei jemandem, der so fein zu differenzieren weiß wie der Islamforscher Ammann. Denn der ist keineswegs ein Terroristenfreund, wie der ans letzte Zitat direkt anschließende Satz zeigt: Nicht allein denen, die es wahrlich verdienen, den Massenmördern vom 11. September – nein, allen »Söhnen Allahs« erklärt die Autorin den Krieg (ebd. 50).
Gewiß kann man sich die Frage stellen, ob es überhaupt irgend jemand auf Gottes weitem Erdenrund verdient hat, daß ihm ausgerechnet Oriana Fallaci den Krieg erklärt, und sei es postum, aber das ist nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem Text. Uns fasziniert in erster Linie, wie sich der Widerstand über inhaltliche Aspekte hinaus moralisch und rhetorisch legitimiert, denn eines darf offenbar nicht passieren: daß der sich entrüstende Ammann zu den ›Politisch Korrekten‹ gerechnet wird. Wie löst er dieses knifflige Problem? Zunächst einmal konzediert der Kritiker, daß es Aspekte des radikalen Islam gibt, die für »den Westen« Anlaß zur Sorge geben und »scharfe Worte und beherztes Handeln« (ebd. 51) erfordern. Aber sowohl inhaltlich als auch ästhetisch hat Ammann scharfe Kritik anzumelden, und wie schließlich auch in seiner Kritik die Gutmenschen und die ›politisch Korrekten‹ am Ende den Kürzeren ziehen müssen, um Ammanns Position zu stärken, das muß man gesehen haben, um es zu glauben: Fallaci hätte, mit Augenmaß, zum Widerstand gegen die neuen Feinde der freien Welt aufrufen können. Stattdessen lässt sie sich – um einmal ihren Ton anzuschlagen – von räudigen Ressentiments begatten wie eine läufige Hündin und schmäht alle Andersdenkenden als Idioten, Trottel und Luxuszikaden. Ja, es gibt politisch korrekte Weicheier, die so dämlich sind, im Namen des Pluralismus dessen Henker zu verteidigen. Aber es gibt noch ein paar Töne zwischen tumber Islam-Apologie und tobsüchtigem Anti-Islam (ebd. 51, herv. v. MFE).
Nachdem er nun den Verdacht von sich abgewendet hat, ›politisch korrekt‹ und gar ein ›dämliches Weichei‹ zu sein, reicht er den Schwarzen Peter des Gutmenschentums nicht nur weiter, sondern steckt ihn ausgerechnet der »von räudigen Ressentiments begatteten« Oriana Fallaci zu: In der Hoffnung, ihre Kritiker mundtot zu machen, zündete sie am 16. April 2002 eine zweite Bombe: »Über den Antisemitismus« als neue Schande Europas – eine Kampfschrift gegen pro-palästinensische Auswüchse. Sie weiß, welche Karte sticht im Kampf um die Krone des Gutmenschentums. Aber sie vergisst zu erwähnen, daß man für Palästina sein kann, ohne gegen Israel zu sein. Ohne Antisemit zu sein (ebd. 51, herv. v. MFE).
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Ist, so wie es sich aus dieser Kombination ableiten ließe, Oriana Fallaci am Ende gar eine von denen, die sich, wie es im Duden steht, »besonders für Political Correctness engagieren«, und hat sie deshalb die Krone verdient, weil sie sich für die Juden und gegen die Muslime positioniert? Nun, die rhetorische Kombination von ›Political Correctness‹ und einer projüdischen Einstellung scheint wirklich eine deutsche Spezialität zu sein. Doch auch an dieser Stelle kommt man mit inhaltlichen Fragen nicht weiter, und einstweilen staunen wir über die vorauseilende Retourkutsche Ammanns, mit der er dem Vorwurf der Korrektheit zu entkommen sucht. Solche Artikel wie die drei Rezensionen zu Fallaci leben sichtlich nur noch von der Rekombination der in der Legende etablierten Repertoire-Elemente und schreiben sich, wie so manch ein LexikonArtikel, fast von selbst.
Die einschlägigen ›inkorrekten‹ Qualitätsmerkmale wie Klartext, Mut, Deutlichkeit, Notwendigkeit, Radikalität, Unbequemlichkeit, Unvoreingenommenheit, Beifall von der falschen Seite etc., all diese hat man mit Bezug auf das Korrektheitsmuster im letzten Jahrzehnt buchstäblich Tausende von Malen lesen können, und ein Ende ist nicht in Sicht. Es haben allein die bis hierhin aufgeführten Beispiele unserer Studie gezeigt, in welchem Maße das Korrektheitsmuster zu einem Kollektivabstraktum geworden ist. Was aber macht es so beliebt?
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DIE ATTRAKTIVITÄT
DES
KORREKTHEITSMUSTERS
Vorbemerkung: Nützliche Schönheit 295 | Erstes Element: Polyfunktionalität 296 | Zweites Element: Plausibilität 300 | Das Herz der Bestie? Basisplausibilität und Konfliktstruktur des Phraseolexems ›politisch korrekt‹ 306 | Drittes Element: Charme 313 | Viertes Element: Legitimation durch Taktiken der Distanzierung 320 — Die Inversionsbehauptung 321 — Der Verweis auf den amerikanischen Ursprung 328 — Der Jargon der Uneigentlichkeit 332 | Ein Schritt zurück: Resonanzkalkül und Vorliebe 336 | Der Stakeholder-Ansatz als heuristisches Modell zur Frage nach Resonanzkalkülen 342 | Fazit: Das Verhältnis von Resonanzkalkül und Attraktivität im Korrektheitsdiskurs 349
Vorbemerkung: Nützliche Schönheit In diesem Kapitel werden wir die im Rahmen unserer bisherigen Überlegungen nur vorgeführte Vorliebe für die Legende von der politischen Korrektheit einer systematischen Betrachtung unterziehen können. Das Korrektheitsmuster, mit dessen Verwendung die Legende aufgerufen und fortgeschrieben wird, untersuchen wir dabei mit Blick auf die vier komplexen Eigenschaften, die wir für die Elemente seiner Attraktivität halten und wie folgt bezeichnen: Polyfunktionalität, Plausibilität, Charme und Legitimation. Ein weiteres Mal bitten wir um Geduld. Zunächst werden wir nämlich diese Eigenschaften unter dem Aspekt ihrer Funktion als Elemente der Attraktivität vorstellen, und zwar nacheinander, obwohl sie eng miteinander verzahnt sind. In diese Überlegungen eingeflochten findet sich dann eine ausführliche Analyse des ›Herzens der Bestie‹, wie man es nennen kann: die grundsätzliche und aggressive Konfliktstruktur des Korrektheitsmusters, um die sich die vier Elemente flankierend gruppieren. Diese Struktur ist von der Legende von der Korrektheit weitestgehend unabhängig und damit nicht nur unhintergehbar, sondern auch eine Stütze der Legende. Erst dann werden wir uns der Ausgangsfrage stellen, was wir eigentlich unter der ›Attraktivität‹ eines Deutungsmusters verstehen. Mögli-
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cherweise ist der Verfasser der Letzte, der so etwas beurteilen kann und sollte, aber uns erscheint – nach einem abgebrochenen Versuch in der ›richtigen‹ Reihenfolge – die ›umgekehrte‹ Reihenfolge schlüssiger und einfacher nachvollziehbar. Wir setzen also noch für eine kurze Weile einen wohlmeinenden Konsens voraus über das, was eine ›Vorliebe‹ bezüglich bestimmter Redewendungen ist. Wir glauben das deshalb machen zu dürfen, weil wir exemplarisch zeigen konnten, wie sich die Vorliebe in der Entwicklung und damit einhergehenden Anwendung eines Kollektivabstraktums niederschlägt. Als kommunikativer Konsens sollte daher das somit erarbeitete Hintergrundwissen für die nächsten Überlegungen noch ausreichend stabil sein. Wenn wir unseren Lektüreerfahrungen vertrauen können, dann scheint es so zu sein, daß man in einer wissenschaftlichen Arbeit Seriosität verheißende Begriffe wie ›Polyfunktionalität‹, ›Plausibilität‹, ›Legitimation‹ ohne Anstoß zu erregen verwenden kann, zumal sie keine Verständigungsbarrieren aufzubauen scheinen – unbeschadet der Tatsache, daß sie in jedem Falle erklärungsbedürftig blieben. Von ›Charme‹ zu reden hingegen mag dem einen oder anderen ein wenig deplaziert, gesucht vage oder gar frivol vorkommen. Nichts könnte uns ferner liegen. Wir werden zeigen, daß diese vier Begriffe geeignet sind, das, was wir als Elemente der ›Attraktivität‹ des Korrektheitsmusters bezeichnen, zumindest zu umreißen: nämlich die möglichen Gründe dafür, aus denen es sinnvoll, nützlich und reizvoll zu sein scheint, bei der Beschreibung von Auffassungen und Sachverhalten das Korrektheitsmuster zu verwenden. Wir werden nunmehr diese Eigenschaften skizzieren. Da sie zueinander in Wechselwirkungen und Ergänzungsverhältnissen stehen, werden sich Vorgriffe und Rückgriffe nicht völlig vermeiden lassen.
Erstes Element: Polyfunktionalität Als Polyfunktionalität bezeichnen wir diejenige Eigenschaft des Korrektheitsmusters, die es ermöglicht, oder anders gesagt, in der sich zeigt, daß das Muster in hohem Maße inhaltsvariant ist, also thematisch fast uneingeschränkt erweiterbar bzw., vom Standpunkt der Themen aus, fast beliebig einpaßbar – wobei wir das Wort ›fast‹ nur aus Gründen einer gewissen Zurückhaltung einsetzen: die mit einer solchen Einschränkung angedeutete Grenze, jenseits derer Themen beginnen, die auf gar keinen Fall mit dem Korrektheitsmuster kontaminiert werden könnten, scheint zumindest sehr schwer zu verorten zu sein. Aus den von uns gefundenen Belegen zumindest haben wir sie nicht herleiten können. Ebenfalls unterschiedlich und vielleicht unendlich ausdifferenziert akzentuierbar, wenn
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auch in deutlich weniger Spielarten, sind die Wertungen, die mit seiner Hilfe vorgenommen werden können. Das Element der Polyfunktionalität ist also das Resultat eines Bündels von Eigenschaften, die das Korrektheitsmuster thematisch variabel und bezüglich der mit ihm vorgenommenen Wertungen und Deutungen flexibel halten. Zwar kann man feststellen, daß bestimmte Themen häufiger und regelmäßiger angesprochen werden oder bereits viel früher angesprochen worden sind als andere; die grundsätzlichen Möglichkeiten (und selbst die Wahrscheinlichkeiten) der Applikation auf Sachverhalte werden jedoch nicht quantitativ entschieden: Camilleris Romane und das Hausfrauendasein, Petzi und Voltaire, Witze über Rudolf Scharping und das Verhältnis der Deutschen zum Dritten Reich, Black Power und Feminismus, Sprachregelungen und (tatsächliche, antizipierte oder auch nur unterstellte) Rezeptionsweisen – überraschend disparate Themen und Verhaltensweisen können wie gezeigt mit dem Korrektheitsmuster dargestellt, verhandelt, ausgedeutet oder auch mal nur benannt werden. Für die Eigenschaft der Polyfunktionalität spielen deshalb Unterschiede im Grad der Ernsthaftigkeit oder auch der thematischen Kohärenz zwischen den jeweiligen Sachverhalten, auf die das Muster appliziert wird, keine besonders große Rolle. Solche Unterschiede kommen jedoch dann zum Tragen, wenn es um die langfristige Stabilität des Korrektheitsmusters geht, die sich auch aus der kollektiven Konstruktion der Legende ergibt. Der Wechsel von Ridikülisierung und Dramatisierung, von (angeblichen und tatsächlichen) Verhältnissen, Einstellungen, Sachverhalten hat seine Verwendungsgeschichte in Deutschland bestimmt, und zwar wie gezeigt von Beginn an. Aber die Tendenz zur Ridikülisierung hat es zu keiner Zeit vermocht, das Potential des Korrektheitsmusters zur ernstgemeinten Dramatisierung gänzlich aufzuheben, und umgekehrt ist die bisweilen beschworene Bedrohung durch die Korrektheit und die Korrekten keine Garantie dafür, daß nicht bei nächster Gelegenheit wieder eine platte oder auch mal gewitzte Ridikülisierung einsetzt. Und so ist es beispielsweise möglich, die angeblichen Versuche der angeblich politisch Korrekten, mit Hilfe von Sprachregelungen eine Verbesserung der Welt zu erzielen, wegen ihrer offenkundigen Untauglichkeit (»Was nutzt es dem Zwerg ... « etc.) zu verhöhnen, um dann im selben Atemzug die brandgefährliche Manipulation des Denkens zu unterstellen und die Befürchtung zu äußern, eine Inquisition durch die Gedankenpolizei stehe ins Haus, ja sogar die Sprache selbst könne Schaden nehmen. Der stets mögliche Rekurs auf ›große‹ Themen trägt zur Stabilisierung bei. Nicht zuletzt diese Amplitude schützt das Korrektheitsmuster (zumindest bisher) vor attraktivitätsmindernden Verschleißerscheinungen,
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wie sie beispielsweise Mode- und Schlagwörtern drohen. Es ist jetzt noch nicht genau abzusehen, aber wir nehmen an, daß das Korrektheitsmuster wesentlich länger im Wortschatz der Medien bleiben wird als das eindeutig pejorative Stigmawort ›Gutmensch‹ (vgl. Goldt 2002: 54). Die Polyfunktionalität des Korrektheitsmusters ergibt sich also nicht nur aus seiner thematischen Vielseitigkeit, sondern zusätzlich auch aus einer stets flexiblen, polyvalenten Form seiner Applikation, die im Scherz wie im Ernst geschehen kann. Das Muster ist schon allein wegen dieser Polyvalenz ideologisch nicht festzulegen. In die gleiche Richtung geht auch der nächste, eher diachchrone Aspekt der Polyvalenz, der ebenfalls zur Polyfunktionalität des Musters beiträgt, und in besonderem Maße auch zur Plausibilität: Da die ›Political Correctness‹ in dem legendären Ruf steht, eine Art Fahnenwort einer wie auch immer sich konstituierenden »Bewegung« gewesen zu sein, ist der affirmative Bezug auf eine vermeintliche Unkorrektheit als ein quasi in Notwehr durchgeführter semantischer Enteignungsprozeß des Korrektheitsmusters codierbar, in den fast vergessenen Worten eines Kurt Biedenkopf sozusagen als das in Notwehr geschehende »Besetzen eines Begriffs«, das man je nach Einstellung kritisieren oder begrüßen mag.1
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Obwohl es sicherlich interessant wäre, den mit der in der Sprachwissenschaft aufsehenerregenden Rede von Biedenkopf 1973 angestoßenen Semantik-Kampf der Siebziger Jahre als direkten Vorläufer der Anti-PCKampagne zu untersuchen, wollen wir das Thema hier nur streifen. Biedenkopf hatte auf einem CDU-Parteitag der »Linken« vorgeworfen, daß sie »statt der Gebäude der Regierung Begriffe besetzen« würde (zit. nach Krell 2000: 138). Als Abwehrmaßnahme wurden dann zwei Semantikgruppen eingerichtet. Die wissenschaftliche Trostlosigkeit der Angelegenheit wird beschrieben in der instruktiven Studie von Krell. Einige kluge Anmerkungen zu Verbindungen und Parallelen beider Diskurse kann man bei Kapitzkys Ausführungen zur Geschichte der Sprachkritik in Deutschland 1945 finden (2000: 113ff). Zu Recht beispielsweise weist Kapitzky darauf hin, daß die von der CDU eingerichtete »Arbeitsgruppe Semantik« publizistisch auch von anderen Konservativen wie z. B. Klaus-Gerd Kaltenbrunner publizistisch flankiert wurde (vgl. den Sammelband Sprache und Herrschaft, Kaltenbrunner 1975). Hier betreiben z. B. Autoren wie Hermann Lübbe und Hans Maier ihre sprachidolatrischen Spielchen. Wir stimmen Kapitzky darin zu, daß am Ende der Siebziger Jahre die »(partei-) politisch motivierte Sprachkritik ihren Höhepunkt vorläufig überschritten hatte« (ebd. 123). Bereits die Habilitationsschrift von Bergsdorf (1983), die bezeichnenderweise Herrschaft und Sprache heißt, zitiert gerade mal Biedenkopfs unvermeidliche Redewendung vom Besetzen der Begriffe (ebd. 260) und erwähnt ihn und sein Konzept sonst mit keinem Wort. Ob das bloß eine für diese Arbeit typische wissenschaftliche Minimalaufbereitung ist oder eher ein gezielter Tritt vor das Schienbein des Kohl-Antipoden Biedenkopf vermögen wir nicht zu sagen. Eine in den Siebziger Jahren konzipierte, 1987 nur bibliographisch [!] erweiterte, auch heute in der Schule noch gebräuchliche Sammlung politischer Re-
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Dabei ist der Bezug auf die Unkorrektheit integraler Bestandteil des Deutungsmusters, wie wir nochmals betonen wollen. Die jeweilige Rede von der Korrektheit ist fast immer so konzipiert, daß man sich tunlichst gegen eine ›Political Correctness‹ stellt, aber dabei behaupten kann, ›ursprünglich‹ sei es genau umgekehrt gewesen, der affirmative Bezug auf eine Korrektheit sei der eigentliche. Die Versuche von Diederichsen oder die Überlegungen, »ob PC als linkes Projekt zu retten ist«, zeugen dann ex post davon, daß ein affirmativer Bezug auf politische Korrektheit zu leisten (gewesen) wäre, und plausibilisieren damit versehentlich die Ursprungsmythen. Damit aber ist eine theoretische Ideologieungebundheit (nicht etwa: Ideologiefreiheit!) des Korrektheitsmusters, die sich aus seiner legendären Geschichte angeblich schlüssig ergibt, durch eine nachgeholte affirmative Verwendung aufs neue bestätigt worden: Man kann sich kritisch oder affirmativ zur Korrektheit oder zur Unkorrektheit stellen, und egal, welche Option man wahrnimmt, auf die anderen Optionen als Optionen hinweisen. Die bekannten Überlegungen der Art, daß es sich bei dem, was wir als die Anwendung des Korrektheitsmuster kennen, um eine Erfindung der Rechten handelt, um die Linken irgendwie zu diffamieren, wobei die Rechten auf eine selbstironische Bezeichnung der Linken zurückgegriffen haben, mögen historisch möglicherweise berechtigt sein. Vielleicht würde eine Frequenzanalyse tatsächlich ein Übergewicht von in dieser Weise konstruierten Belegen ausweisen – und doch würde dies nichts Entscheidendes zu Möglichkeit und Praxis seiner Applikation beitragen! Das heißt natürlich nicht, daß das Korrektheitsmuster nicht fallweise ideologisierbar ist, aber eben niemals endgültig und über den jeweiligen Kontext hinaus für Anschlußdiskurse verbindlich. Die affirmative oder kritische Verwendung allein indiziert keineswegs, daß der Sprecher poli-
den, mit denen man die Schüler seit nunmehr fast dreißig Jahren in den Zauber der Rhetorik einweihen möchte, heißt, man kann es beinahe erraten, konsequenterweise und den allgemeinen Irrsinn abrundend Herrschaft durch Sprache (Schafarschik 2000 [1973]). Daß Sprache für diejenigen, die an der Macht nicht wesentlich beteiligt sind, das einzige ihnen mögliche Einfallstor in den Machtbereich darstellt, eine symbolische Partizipation durch vermeintliches ›Durchschauen‹ der Prozesse, mag zum Teil ihre Sprachidolatrie erklären. Krells Einschätzung, daß die »semantische Neupositionierung der CDU erst dann stattfand, als die sogenannten semantischen Kämpfe eigentlich für beendet erklärt worden waren«, dürfte wohl zutreffen (Krell 2000: 172ff). Seiner Einschätzung allerdings, daß »die sprachkritischen Attacken der siebziger Jahre« als »Defensive« zu sehen sind und eben aus diesem Grund »vor allem als ein Ausdruck der Machtlosigkeit einzuschätzen sind« (ebd. 172), können wir zustimmen. Das Verhältnis von Macht und Ohnmacht und seine Inszenierung in der politischen Kommunikation scheint uns komplexer zu sein.
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tisch links oder rechts, als konservativ oder progressiv oder in anderer Weise einzuordnen ist oder sich selbst einordnet. Versuche einer solchen Einordnungstrategie hat es gegeben. Sie sind als gescheitert zu betrachten. Die prinzipielle Ideologieungebundenheit des Musters trägt somit auf ihre Weise zur Erhaltung seiner Polyfunktionalität bei.
Zweites Element: Plausibilität Die Plausibilität ist in vieler Hinsicht die für die Analyse komplizierteste Eigenschaft des Korrektheitsmusters. Sie ist aus mehreren, sehr verschiedenen Quellen gespeist. Zum einen steht sie in intensiver Wechselwirkung zur Polyfunktionalität, in dem Sinne, daß Menschen offenkundig dazu neigen, sehr verschiedene Sachgebiete, Phänomene, Handlungsrollen zu analogisieren: Vergleiche und Metaphern gründen in dieser Neigung, und solche Repertoire-Elemente erleichtern den interdiskursiven Zusammenschluß verschiedener Diskurse. Wenn eine Analogisierung bereits oft genug mit Erfolg durchgeführt wurde, dann kann man ein Deutungsmuster, eine Metapher, ein Symbol, einen Erklärungsansatz in Form eines einfachen oder komplexen, objektgebundenen oder abstrahierten Repertoire-Elements immer wieder in ein neues, wenn auch vielleicht nicht in jedes neue, Gebiet übertragen.2 Ein solcher Prozeß erzeugt seine eigene Dynamik, weil die Plausibilität mit der Häufigkeit der gelungenen Übertragungen ansteigt.3 Anders gesagt: Plausibilität entsteht und erstarkt aus dem Prozeß der Umcodierung von Repertoire-Elementen, und wird somit in der kommunikativen Bewährung zum Selbstläufer. Bei der Erzeugung oder Entstehung von solchen Plausibilitäten geht es (auch) darum, eine ausreichend große Denkstilähnlichkeit zwischen
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Derlei finden wir ja bereits neutral beschrieben bei Fleck, im Spezialfall zu recht kritisiert bei Bricmont und Sokal, und als Beispiel für das Korrektheitsmuster nennen wir Zensurbehauptungen wie durch die WalserFangemeinde, die wissenschaftlich flankiert werden durch Zöllner 1997, Wende 2000, Grübel 1996. Der amerikanische Ökonom Paul Krugman hat beispielsweise die Beliebtheit der unsinnigen Analogie zwischen Ländern und Unternehmen, wie sie sich in der populären Rede vom »Wettbewerb«, der zwischen einzelnen Ländern bzw. ihrer Volkswirtschaft angeblich herrsche, unheilverkündend zeigt, süffisant wie folgt begründet: »Die Wettbewerbsmetapher [...] ist wohl vor allem wegen ihrer Eingängigkeit, ihrer Quasi-Selbstverständlichkeit so attraktiv. Unternehmer und Geschäftsleute haben sofort ein AhaErlebnis, wenn sie aus berufenem Munde hören, ein Land sei wie ein großes Unternehmen. Dieser Vergleich macht die Sache einfach und gibt ihnen das schöne Gefühl, die Dinge zu verstehen« (Krugman 1999: 34). Wir haben es hier mit einem ganz ähnlichen Phänomen zu tun.
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kurzgeschlossenen oder verknüpften Diskursen zu belegen oder zu behaupten, so daß eine interdiskursive Transposition von Deutungsmustern und Repertoire-Elementen (oder auch: Deutungsmustern als RepertoireElementen) legitim und angemessen zu sein scheint. Die Polyfunktionalität ist – von den oben genannten funktionalen Aspekten des vermeintlichen Enteignungsprozesses abgesehen – tendenziell synchron zu sehen: sie ist ›quer‹ durch die Themengebiete entwickelt. Die Plausibilität hat hingegen etwas mit der diskursiven Vorgeschichte des Korrektheitsmusters, seiner Konstruktions- und Verwendungsgeschichte, seiner kommunikativen Erfolgsgeschichte zu tun, wodurch sich für diesen Aspekt oftmals eine eher diachron ausgerichtete Sichtweise anbietet. Doch nach einer Weile nähern sich durch den Verlauf der Verwendungsgeschichte Polyfunktionalität und Plausibilität in einem beinahe unentwirrbaren Maße an. ›Neue‹ Themen werden mit dem Korrektheitsmuster erschlossen, und bilden damit zusätzliche Quellen für die Plausibilität, übrigens auch rückwirkend auf sozusagen historische Themen. Beide verhalten sich schließlich zueinander wie Standbein (Plausibilität) und Spielbein (Polyfunktionalität) der interdiskursiven Transposition von einfachen und komplexeren Repertoire-Elementen und damit einer Verknüpfung von Diskursen. Trotz der sukzessiv erfolgenden Verbindung dieser beiden Eigenschaften tut man gut daran, sie analytisch auseinanderzuhalten: ein großer Teil der Plausibilität des Korrektheitsmusters, den man in Deutschland zu konzedieren bereit gewesen ist, stammt nicht zuletzt aus dem Umstand, daß es sich bei dem Muster um einen Import handelt, noch dazu aus einer aus deutscher Sicht oft übel beleumundeten Gegend, wo ja auch etwas in Deutschland so unbeliebtes wie die ReEducation nach dem Dritten Reich ihren Ursprung hatte.4 Wir erinnern an dieser Stelle nochmals an die Rede vom »Gespenst«, das aus den USA und ihren Hochschulen stammt, und dergleichen mehr. Die Plausibilität der amerikanischen Histörchen, die zur Legende gehören, und damit das Korrektheitsmuster selbst waren allein damit bereits beinahe ausreichend hergestellt. Sich in Deutschland gegen Amerika und gegen den von den Achtundsechzigern angeblich geprägten und ruinierten Hochschulbetrieb zu positionieren ist jeweils für sich ein vielversprechendes Rezept – und in der Kombination erst recht. Weitere Quellen der Plausibilität liegen in den Ähnlichkeiten diskursiver Arrangements, die es auf mehreren Ebenen gibt, zwischen den USA und Deutschland, aber auch zwischen zahlreichen Diskursen innerhalb
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Bei General Schreiber 1998 und seiner Kritik der Wehrmachtsausstellung finden dann diese Komplexe – der Doppelsinn ist beabsichtigt – zusammen.
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dieser beiden Diskursgemeinschaften, und die wir hier ausnahmsweise mal ohne ausführliches Belegwesen recht allgemein auflisten: In beiden Ländern gibt es – mal bei ähnlichen, mal bei sehr verschiedenen Anlässen – ein nichtendenwollendes Diskursrauschen, in dem Themen und Auffassungen verhandelt werden, die mit Sprache, Bildung, Kultur, Zivilisation, Moral, Moralisierung, Politisierung, Sachzwang, Pragmatismus, etc. etwas zu tun haben, auch geht es um die Dichotomien à la Opfer versus Täter, Theorie versus Praxis, Manipulation versus Authentizität, kurzum, alles Themen und Konflikte, zu denen sich immer rasch Texte und Meinungen produzieren lassen. Diese neigen dazu, politisch mal mehr, mal weniger scharf akzentuiert, vom kleinsten Anlaß auf das gesellschaftliche Ganze hin zu entgleisen, und sie stoßen, weil ja jeder auf die eine oder andere Weise eingebunden ist, oft auf allgemeines Interesse.5 In diesem Zusammenhang erhobene Vorwürfe der illegitimen Moralisierung, Politisierung oder Ideologisierung von Sachverhalten sind hüben wie drüben an der Tagesordnung. Als Faustregel mag gelten, daß Moralisierung, Politisierung und Ideologisierung fast immer das ist, was der »Andere« macht.6 Diskurse innerhalb der Länder sowie zwischen ih-
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Daß diese Begriffe nicht 1:1 übertragen werden können, heißt nicht, daß die dort verhandelten Themen nicht in beiden Sprachen ausgehandelt werden, wie wir bereits in unserer Kritik an Kapitzky ausführten. Die kommunikativen Bedürfnisse finden in jeder Sprache ihren Weg, und die politischen Ähnlichkeiten in beiden Ländern sind allen Unterschieden zum Trotz immens. Ausbildungssysteme, Fragen von Minderheiten, Emanzipation und Gleichberechtigung mögen zwar in den USA und Deutschland mal mehr, mal weniger differieren – ihr per se konfliktorientierter Charakter wiederum ist jedoch auch aus der geographischen Ferne sichtbar und nachvollziehbar. Der Vorwurf der ›Ideologisierung‹ ist insofern etwas speziell, als daß er u. W. beinahe durchweg von konservativer Seite gegenüber den irgendwie »Linken« gebraucht wird und gegen eine angeblich unbestreitbare »Wahrheit« in Stellung gebracht wird (vgl. analytisch dazu Kapitzky 2000: 113ff; Schildt 1998, als abschreckende Beispiele Lübbe 1975; exemplarisch Kuhn 1975: »Worte sind dazu da, um Dinge zu bezeichnen. Sie sollen sagen, was ist; und insofern ihnen das gelingt, sagen sie die Wahrheit« Kuhn 1975: 11). Bei denjenigen (im eigenen Verständnis) NichtKonservativen, die auf Änderung gegen die Verhältnisse drängen, aber gegen die ›Korrekten‹ sind, wird die Rhetorik der ›Wahrheit‹ oft mit einer Rhetorik der ›Wesentlichkeit‹ kombiniert. Bei der Politisierung mischt sich der ernste Vorwurf der Illegitimität des Politisierens (z. B. des literarischen Kanons) mit der lächerlichen Vorstellung, die man vom Kannegießern hat. Bei der Moralisierung ist das Verhältnis viel komplizierter. Knobloch erläutert, daß Moralisierung eventuell nur ein Mittel sein kann, ein Thema oder einen Komplex wieder als »Problem wahrnehmbar zu machen« (Knobloch 1998: 147). Weiterhin führt er aus: »Die analytische Kalamität des Begriffs liegt in seiner ›transformatorischen‹ Semantik. Die suggeriert immer rhetorisch, daß hier etwas moralisch co-
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nen, die man mit Hilfe verschiedener Ordnungkategorien (beteiligtes Personal, Themen etc.) je und je encadrieren kann, können mit Erfolg auf Ähnlichkeiten abgeklopft oder gar erst konstituiert werden. Die Auf- und Abarbeitung der Sechziger Jahre in den USA und in Deutschland weist zahlreiche Parallelen auf, ein Aspekt, der jedoch in Deutschland dadurch umakzentuiert und verkompliziert wird, daß die Sechziger Jahre hier erstens in hohem Maße von den politischen und kulturellen Entwicklungen in den USA inspiriert und beeinflußt waren, und daß sie zweitens auch eine Zeit der Aufarbeitung des Dritten Reichs waren, die in weiten Teilen nach 1945 (und letztlich bis heute) nicht so recht gelingen wollte. Stellte man sich hierzulande gegen weite Teile der US-amerikanischen Politik (Stichwort: Vietnam), wurden dennoch die Verfahren des Protests nach amerikanischem Vorbild entwickelt.7 Durch die Übernahme, Umcodierung und Aneignung amerikanischer Populärkultur entstand auch eine bestimmte Ästhetisierung des Protests, der sich in Deutschland, anders als in den USA, auch gegen die NS-Vergangenheit und ihre Kontinuitätslinien in der Bundesrepublik richtete. Hingegen hat der Zweite Weltkrieg im Selbstverständnis der USA einen moralischen Standard gesetzt, hinter den das Land spätestens im VietnamKrieg für fast jeden deutlich sichtbar zurückgefallen ist.8 Sprache als eine Schlüsseltechnologie der Vergesellschaftung von Ideen einerseits und die zahlreichen Abteilungen des Kultur- und Ausbildungsbetriebs, vor allem
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diert wird, was ›eigentlich‹ in ein anderes Feld gehört« (ebd.). Es handelt sich dabei allerdings um mehr als eine analytische Kalamität. Das in der Diskussion inszenierte Verhältnis von Moral zur Moralisierung ist vergleichbar dem Verhältnis von Wahrheit bzw. Authentizität gegenüber Korrektheit im Sinne des Deutungsmusters. Hinzu kommt, daß eine Sphäre der eigentlichen Politik zumindest organisatorisch und konzeptionell vorstellbar ist (Rathaus, Staat etc.), außerhalb derer man zwangsläufig »nur« politisiert. Auch ist hier die Trennung von Gesellschaft und Individuum, von Öffentlichkeit und Privatem leichter zu bezeichnen. »Das Private ist politisch« ist aus diesem Grund eine deutliche, aber schwer durchzusetzende Forderung. Wo aber ist die Moral zuhause? Sie ist zwischen diesen Sphären frei beweglich. Diskursive Legitimierung eigener und Delegitimierung anderer Positionen sind daher mit dem Vorwurf der »Moralisierung« und dem Bezug auf einen »Sachzwang« dynamischer, aber auch instabiler, weil nicht sonderlich bezeichnungsfest. Zu diesem Komplex empfiehlt sich das Kapitel Die transatlantische Protestkultur. Der zivile Ungehorsam als amerikanisches Exempel und als bundesdeutsche Adaption in Kraushaar (2000: 53-80): »Die Politik [der Protestbewegungen in Deutschland, MFE] war von ihren Zielen her antiamerikanisch, der Protest jedoch von seinen Formen her proamerikanisch geprägt« (ebd. 54). Für die rhetorische Bedeutung des Zweiten Weltkriegs als legitimierendes Repertoire für spätere Kriege vergleiche die Analyse bei Knobloch (1998: 142ff).
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Geschichte und die schönen Künste, als natürliches Areal verschiedener ineinandergreifender diskursiver Schlachten andererseits bilden naheliegenderweise technisches Gerät und Werkstätten solcher Auseinandersetzungen. Vor allem solche Konflikte, die sich angeblich auf Gerät und Werkstatt schädlich auswirken, finden daher besondere Aufmerksamkeit. Wir haben in der Arbeit einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede der aufeinanderfolgenden mentalitätsgeschichtlichen Wandlungsprozesse jeweils in Deutschland und den USA herausgestrichen, die sich dennoch an der ideologischen Oberfläche und in ihrer (pop-)kulturellen Ästhetik durchaus ähneln. Das gilt sowohl für die Varianten des Aufbegehrens in den Sechzigern als auch des Sich-Arrangierens oder Kleinbeigebens in den Siebzigern und Achtzigern. Die oft ähnlichen Spielregeln, die sich in den Sechzigern international etablierten (vgl. Berman 1998), behielten diese Ähnlichkeit auch im Prozeß ihrer tatsächlichen oder behaupteten ›Überwindung‹, also bei dem, was man hierzulande mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung schon in den Siebzigern mal als »Tendenzwende«, später v. a. von der Regierung Kohl als »geistig-moralische Wende« bezeichnet hat,9 oder, sofern man es kritisiert, hüben wie drüben oft grosso modo als ›Backlash‹ apostrophiert.10 Damit ergeben sich natürlich Parallelen und Kompatibilitäten zwischen den sprachlichen und habituellen Gestaltungen der Prozesse.11 Sogenannte ›Graswurzel‹-Taktiken, die eine Zeitlang eher progressiven Bewegungen abseits der politisch etablierten Strukturen zu eigen waren bzw. zugerechnet wurden, werden seit den Siebzigern zunehmend auch von tendenziell wertkonservativen Gruppierungen kopiert, ein Vorgang, der eine (denkstil-)ähnliche, bisweilen rebellische Terminologie mit sich bringt – man denke in Deutschland an die rechtsgestrickten Ko-
9 Vgl. dazu Schildt (1998: 247f). 10 Siehe pars pro toto das (im amerikanischen Original) gleichnamige Buch von Susan Faludi, das in bezug auf die Geschlechterproblematik diese Deutung ausführlich vorführt (Faludi 1993 [1991]). 11 Dies gilt ganz unabhängig davon, wo im einzelnen die Schwerpunkte lagen und wieviel von dem Gerede jeweils Forderung blieb oder wie auch immer umgesetzt wurde. So reagierten viele Konservative wie z. B. Günther Rohrmoser enttäuscht auf den ihrer Meinung nach ausbleibenden Wandel, den die Rede von der »geistig-moralischen Wende« versprochen hatte (vgl. Schildt 1998: 249). Nun ist diese Formel allerdings in erster Linie eine Projektionsfläche, und Enttäuschungen konnten nicht ausbleiben; aber der dann mit den Ereignissen 1989ff einsetzende realgeschichtliche Wandel war rhetorisch mit ihr in vieler Hinsicht bereits antizipiert. Mit der Wiedervereinigung – Botho Strauß, Martin Walser und die Forderungen der Neuen Rechten nach einer »Selbstbewußten Nation« zeigen das – bekam diese Spielart der Überwindungsmentalität die ›zweite Luft‹.
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pien der »neuen sozialen Bewegungen« (Pfeiffer 2002) oder an die AntiPC-Kampagne und die dazugehörigen Aufkleber in der JF.12 Um nicht mißverstanden zu werden: Diese rhetorische Selbstverortung außerhalb eines angeblich monolithischen Hegemonialbetriebs hat es bei der politischen Rechten auch vor den Sechzigern gegeben, wie das Beispiel der »Konservativen Revolution« zeigt.13 Doch der mentalitätsgeschichtliche Wandel der Sechziger hat das Arrangement der dazu erforderlichen Repertoire-Elemente gehörig durchgerüttelt und einen neuen Ästhetisierungs- und Legitimationsschub erzeugt. Selbstverständlich gab es überall die zahllosen Bücher und Anekdoten, wahre, falsche, halbwahre, über Feministinnen, Linke, Minderheiten, etc., und über diejenigen, die auf unterschiedlichstem Niveau mitdiskutierten und sich einmischten (›Busybodies‹ auf amerikanisch, mit anderem Zungenschlag und erst seit den Neunzigern ›Gutmenschen‹ hierzulande), kurzum alle, die eben eine Unordnung der Diskurse demonstrierten – eine Unübersichtlichkeit, die nun durch das Korrektheitsmuster endlich mit einem Deutungsrahmen versehen wurde, der ein diskurspragmatisches, kommunikatives, durch Paraphrase und Reproduktion ausgelebtes ›Begreifen‹, Normalisieren oder auch Abwickeln all dieser komplizierten Angelegenheiten in einem Aufwasch ermöglichte: »Thingumbob again«! Und, um noch mal auf die im ersten Kapitel geschilderten Erfahrungen mit Satire und Satirekritik zurückzukommen: gewiß gab es diskursive Ereignisse inklusive mehr oder minder erfolgreicher Versuche der moraloiden Diskursverknappung, denen eine gewisse Regelhaftigkeit eignete und die zu den überlieferten Mythen der Korrektheit einwandfrei zu passen schienen. Die jüngere Kulturgeschichte ist eine Asservatenkammer plausibilitätsstiftender Repertoire-Elemente, die aber erst in ihrer Deutung als Symptome und Erscheinungsweisen ›politischer Korrektheit‹ zu Repertoire-Elementen des Korrektheitsdiskurses werden. Als These können wir also festhalten, daß ein Deutungsmuster sich unter ansonsten gleichen Voraussetzungen um so rascher etabliert, je schneller es narrativ (anekdotisch und verwendungsgeschichtlich) und strukturell in der Lage ist, auf die beschriebene Weise Plausibilität zu generieren – und, was uns bereits zum Charme führt, auch dadurch oft
12 Vgl. dazu Hardisty (1999: 37ff) »How the Right Organized at the Grassroots«; Überlegungen zum Sonderfall der extremen politischen deutschen Rechten unter diesem Gesichtspunkt kann man nachlesen bei Pfeiffer (2002: 15ff). Komparatistisch zwischen USA, Frankreich und Deutschland wird dieses Thema nicht zentral, aber mitlaufend bei Minkenberg 1998 behandelt, vor allem 213ff. 13 Vgl. dazu Schildt 1998 sowie grundlegend Breuer 1993.
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langgehegte Wünsche erfüllt. In eben diesem Zusammenhang ist die per se auf Konflikt angelegte Struktur des Phraseolexems ›politically correct‹ bzw. ›politisch korrekt‹ die vielleicht wichtigste, sicherlich aber die stabilste und von Anekdoten am wenigsten abhängige Quelle der Plausibilität. Sie leuchtet ganz unabhängig von jeder Verwendungsgeschichte ein und generiert damit bereits eine kontextunabhängige, grundlegende und konfliktorientierte ›Basisplausibilität‹.14 Deshalb sollten wir, bevor wir uns dem Charme widmen, das ›Herz der Bestie‹ ganz genau anschauen.
Das Herz der Bestie? Basisplausibilität und Konfliktstruktur des Phraseolexems ›politisch korrekt‹ Nehmen wir einmal an, die Leser dieser Studie, der gerichtsnotorische ›Durchschnittsleser‹ von Zeitungen und Magazinen, sowie auch der Verfasser (also ich), kurz und gut, wir alle hätten von der Legende von der politischen Korrektheit nichts mitbekommen. Wir wüßten absolut nichts über race/class/gender-ism, nichts über vertikal Herausgeforderte, nichts über Stanford und seine singenden Studenten, nichts über »Amerikas neuesten Versuch, die Welt zu verbessern«, Spiegel und Zeit, FAZ und SZ etc. kennten das Korrektheitsmuster ebenfalls nicht, der eher lächerliche als beweismächtige Rekurs auf Mao wäre aus Übersetzungsgründen nicht möglich,15 und ein gnädiges Schicksal hätte uns die diversen Walser-Debatten der Jahre 1994, 1998, 2002 sowie die Einlassungen derjenigen, die ihn mit Bezug auf die Legende unterstützt haben, erspart – um nur ein paar Anlässe, Gebiete und Presseerzeugnisse zu nennen, in denen das Diskursgespenst rastlos wie der Geist von Hamlets Vater umherging. Dennoch ließe sich mit dem Begriff ›politisch korrekt‹ aus dem Stand und schlagartig einleuchtend die diskursive Inszenierung eines
14 Daher kam es bei der ›Konfiguration eines deutschen Themenparks‹ nur noch darauf an, das Themenspektrum in vertraute Gebiete auszuweiten und den Anschluß an spezifisch deutsche bzw. auch in Deutschland verbreitete Befindlichkeiten zu leisten. 15 Und tatsächlich muß der Verweis fast immer den »Umweg« über die englische Sprache nehmen. Wilson beispielsweise verweist auf Ruth Perry (Wilson 1995: 4, Perry in Aufderheide 1992: 77). Diederichsen nennt eine Jane M. Gaines, die ebenfalls auf den Mao-Kontext hingewiesen habe (eine von vielen, darf man vermuten), und weist mit Recht süffisant darauf hin, daß die deutsche Übersetzung des Textes von Mao Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen hieß (Diederichsen 1996: 50). Mit der »Richtigkeit« aber ist schlecht spielen, weil man den Anspruch darauf benötigt, um seine eigene Position gegen die Korrektheit zu zementieren.
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(meist invertierten) Norm-Devianz-Konfliktes bewerkstelligen. ›Meist invertiert‹ insofern, als daß die Devianz meist die diskursiv günstigere Position im Konflikt innehat, woraus sich übrigens vielleicht erklärt, warum es ganz unabhängig von der Verwendungsgeschichte nicht ganz einfach ist, sich affirmativ zur ›Political Correctness‹ zu stellen. Ein solcher Konflikt, der nicht von der Legende gestützt würde, wäre wahrscheinlich nicht so brisant oder weitreichend oder auch ›komisch‹, wie wir ihn tatsächlich in den ganzen hier beschriebenen Zusammenhängen und gewiß darüber hinaus kennengelernt haben. Vielleicht brauchte er daher ein paar flankierende Narrationen, deren Funktion im Korrektheitsdiskurs die in der Verwendungsgeschichte akkumulierten Berichte und Anekdoten über die ›Political Correctness‹ hüben wie drüben übernommen haben. Wenigstens müßte man einen kommunikativen oder auch außersprachlichen Zusammenhang zur Interpretation heranziehen können. Aber das ist trivial, denn den braucht ja auch die ›SchlumpfKommunikation‹ bzw. der Leser, der sich dieser Kommunikation aussetzt. Uns geht es nun um eine theoretisch denkbare Unabhängigkeit des Korrektheitsmusters von der uns bekannten Verwendungsgeschichte und die Reduktion auf die strukturelle Basisplausibilität. Gestatten wir uns daher eine Erläuterung des allzu Selbstverständlichen. Wir stellen fast auf den ersten Blick fest, daß völlig unabhängig von seiner fragwürdigen Genese und von seiner variantenreichen Verwendungsgeschichte im Korrektheitsdiskurs, der zusammengesetzte Begriff ›politisch korrekt‹ in mindestens viererlei Hinsicht geeignet ist, Konflikte zu inszenieren. 1) Der Begriff ›korrekt‹ beschreibt die Möglichkeit oder gar die Realisierung der Übereinstimmung eines Geschehens, einer Feststellung, eines Verhaltens mit einer identifizierbaren Regel, einer ›Angemessenheit‹, ›Richtigkeit‹ und ›Wahrheit‹, kurz, einer Norm. ›Korrekt‹ ist man nur in Kongruenz mit dieser Norm. Die geringste Abweichung ist eine oder führt zu einer Unkorrektheit. Geht es nicht nur um eine Abweichung, sondern um eine bewußte Normverletzung, kann diese Devianz theoretisch zu einer Opposition sich ausweiten. Mit dem Begriff der Opposition aber verlassen wir den nüchternen Korrektheitsbegriff, der sich beispielsweise auf die Einhaltung der mathematischen Regeln, der buchhalterischen Gepflogenheiten oder der Rechtschreibregeln bezieht – wer sich verrechnet, versehentlich Ausgaben als Einnahmen bucht oder ›plöter Hunt‹ schreibt, betreibt damit noch keine Opposition gegen die Regeln, weil er es nicht auf eine Änderung der Norm anlegt.16 Relevant (für
16 Die emotionale, ja werweiß am Ende gar erotische Bindung vieler Deutscher an ihre archaische Rechtschreibung ist ein anderes Problem. Aller-
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das Konfliktpotential des Korrektheitsmusters) ist hier zunächst nur der Umstand, daß die Norm als der identifizierbaren Abweichung vorangehend angenommen wird! Sie mag sich entwickelt haben aus der Auffassung, daß ein bestimmter Zustand oder bestimmte Vorfälle für nicht gut oder nützlich gehalten werden. Die Norm mag also dem Ziel der Verbesserung einer bestehenden Sachlage oder wenigstens der Kodifizierung des angenommenen Minimums oder Optimums dienen, manchmal – wie in der Mathematik – gar der Festschreibung dessen, was nachweislich richtig ist; rhetorisch aber ist sie jeder denkbaren und erst nach einer Regelerstellung möglichen ›Abweichung‹ vorgeschaltet. Diese Überlegungen führen bereits zum zweiten Aspekt. 2) In einem übertragenen Sinn findet sich der Begriff ›korrekt‹ auch in bezug auf das Benehmen und Verhalten eines Individuums oder einer Gruppe in der Gesellschaft oder einem gesellschaftlichen Subsystem, oft im Sinne von konventionell ›höflich‹, gelegentlich im engeren und moralisch aufgeladenen Sinne von ›anständig‹, manchmal im lässigen, affirmativen Gebrauch als sozusagen ›okay‹. ›Korrekt‹ kann dabei – muß es aber nicht einmal – etwas spöttisch gemeint sein, im Sinne einer Buchhaltermentalitität, der man unterstellt, in einer bestimmten Sachlage fehl am Platz oder unzureichend zu sein. Auch bezüglich dieser Art von Korrektheit kann das Verhalten bzw. Benehmen mit den in der Gesellschaft gepflegten, mehr oder weniger kodifizierten Normen übereinstimmen, von ihnen abweichen oder, und das geht eben über die bloße orthographische oder mathematische Unkorrektheit hinaus, sich in Opposition dazu stellen. Dazu kommt, daß gesellschaftliche Normen zur Disposition stehen können, und man durch gezielte und bewußte Unkorrektheit möglicherweise zur Normänderung beiträgt oder beitragen möchte. Hier erhöht sich das Konfliktpotential des Korrektheitsbegriffs beträchtlich, insbesondere in Zeiten, in denen die Normen relativ instabil, funktional fragwürdig oder mehrdeutig codiert sind. Dabei zeichnet sich eine Ähnlichkeit zum Begriff der »kollektiven Identität« ab, wie er bei Niethammer problematisiert wird: Die Bestimmtheit des Ausdrucks [d.i. kollektive Identität, MFE] übertönte die Vagheit des Inhalts, der regelmäßig zeitspezifische Bezüge zu religiösen Ersatzbildungen und zu verlorenen oder erschütterten gesellschaftlichen Traditionen, Selbstverständlichkeiten, Unbewußtheiten erkennen ließ. Der Strukturlosigkeit des Begriffs war nur ein einziger fester Kern mitgegeben: die Ab-
dings waren die Diskussionen um die Einführung der Mengenlehre in den Grundschulen in den Siebziger Jahren ähnlich tumultuarisch wie der Zank um die Rechtschreibung.
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DIE ATTRAKTIVITÄT DES KORREKTHEITSMUSTERS grenzung vom Nicht-Identischen, in welcher Begrenzung auch immer, und insofern ist er im Kern auf Konflikt hin angelegt (Niethammer 2000: 625).
Ziehen wir den uns sehr fremden Gebrauch des Begriffs »Unbewußtheiten« ab. Wir finden drei Parallelen: Vagheit, Grenzziehung, Konflikt. Was Niethammer beschreibt, trifft auch auf den Gegensatz korrektinkorrekt zu. Auch hier finden Abgrenzungsprozesse implizit statt, und zwar bereits dann, wenn auch nur eine Seite sich bzw. die andere Seite als ›korrekt‹ oder ›unkorrekt‹ identifiziert. Wer ein eigenes oder fremdes Verhalten als ›korrekt‹ bezeichnet, verfügt über irgendein Konzept von Unkorrektheit – wiederum gilt aber auch das Gegenteil. Wird dabei diese in Anspruch genommene oder unterstellte Korrektheit an moralische Spielregeln geknüpft, droht eine Eskalation. Sind diese Spielregeln unsicher und ›strukturlos‹, erhöht sich ebenfalls das Konfliktpotential. Doch insbesondere – aber nicht nur – dann, wenn den Regeln der Korrektheit in dem von uns angesprochenen spöttischen Sinn eine gewisse Sprödheit zugerechnet wird, kann die tatsächliche oder behauptete Unkorrektheit auch den Charakter bzw. das Image einer befreienden Überwindlungshandlung für sich in Anspruch nehmen. Diese Tendenz wird verstärkt, wenn es gelingt, die Regeln dieser wie auch immer beschaffenen Korrektheit als unangemessen oder gar illegitim zu codieren. Sozusagen aus der Ferne zeigen sich hier schon die Legitimation und der Charme. Hier aber ist im Vorgriff bereits anzumerken, daß genau dieser Überwindungsgestus zur rhetorischen Grundausstattung des deutschen Konservativismus gehört, dessen Argumentationsmuster noch auf die Zeit nach der Französischen Revolution zurückgeht. Der Historiker Axel Schildt beschreibt in seiner Geschichte des deutschen Konservativismus, wie dieser als eine natürliche, ideologiefreie Reaktion inszenierte Konservativismus sich »seit der Kaiserzeit« und auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine »Objekt- und Opferrolle« anmaßte (Schildt 1998: 213). In den Fünfzigern, so Schildt, wurde dann von Konservativen die Auffassung vertreten, daß man sich nun aus der dieser Rolle »befreien müsse« (ebd.). Der Autor zitiert aus der Studie Politik ohne Wunschbild:17 »Ohne das Auftreten und Vorhandensein der Ideologien gäbe es keinen Konservativismus: Aus dem Ideologischen erwächst im Gegenschlag das konservative Selbstverständnis« (zit. nach Schildt 1998: 213).18
17 Die in der Titelwahl ein wenig an Bohrers und Scheels Ausführungen im Merkur erinnert. 18 Originalbeleg: Hans Mühlenfeld: Politik ohne Wunschbild. Die konservative Aufgabe unserer Zeit. Oldenburg 1952, 378.
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Es konnte die Rede von der Korrektheit also an eine längst etablierte deutsche diskursive Tradition anschließen. Mit seiner knappen Darstellung leistet Schildt eine für uns instruktive historische Einordnung des Antagonismus ›Wahrheit versus Ideologie‹, wie er im vermeintlich antiideologisch geprägten Teil des Korrektheitsdiskurses wiederum aufflakkern sollte. Im Sinne der Überwindung, die die Konservativen in ästhetischer Hinsicht nur zu gerne mit den Satirikern teilen wollen, ist dann auch die Behauptung vom ›befreienden Gelächter‹ zu interpretieren, vom Humor, der hilft, die ›politische Korrektheit‹ und die ›politisch Korrekten‹ zu überwinden. 3) Der Zusatz ›politisch‹ (konnotiert oft etwas unredliches, man denke auch die Redensart vom ›schmutzigen Geschäft‹19) erhöht ein weiteres Mal das Konfliktpotential des Korrektheitsbegriffs. Der Begriff ›politisch‹ beinhaltet öffentlich ausgetragene Interessenkonflikte von überindividueller, gegebenenfalls gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, die aber oft mit individuellen Motiven unterfüttert sind. Die Unterscheidung in Freund und Feind, wie Carl Schmitt sie als den begrifflichen Kern des Politischen beschrieben hat (Schmitt 1996 [1932]), ist sicherlich für den Alltagsgebrauch des Wortes etwas zu scharf. Dennoch, in diesem Sinne ›politisch‹ zu sein zeugt von persönlichem, einer vermeintlich neutralen Sachstruktur entzogenem Interesse und zieht daher oft Kritik auf sich.20 Das Wort ›politisch‹ ist – außerhalb der engen Sphäre tatsächlicher und regulierter Politik – an sich bereits ein Stigmawort, auch weil »jedes Thema, um politisch zu werden, eine bewegliche Grenzziehung zwischen ›Freund‹ und ›Feind‹ braucht«, wie Knobloch mit Bezug auf Schmitt ausführt (1998: 59). Ein Thema, eine Institution, eine Wissenschaft etc. zu ›politisieren‹ gilt auch aus diesem Grund oft als unredlich und streitlustig: wessen Handlungen außerhalb des institutionell eingerichteten Areals als ›politisch‹ codiert werden, dem unterstellt man, daß er öffentli-
19 Knobloch hat zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Redensart eine »maßgeschneiderte Dummheit« ist (Knobloch 1998: 22). Sie ist ein Abwertungsstereotyp, mit dem explizit von der Politik sich distanzierende Bewohner anderer kommunikativer Sphären (z. B. Ökonomie) sich in doppeltem Sinne reinwaschen können: ihre Geschäfte sind sauber, und sie haben mit dem schmutzigen nichts zu tun. 20 Selbst wenn man hinzurechnet, daß Schmitt seinen »Begriff des Politischen« viel enger gefaßt hat als wir das gemeinhin tun, so ist in den von Schmitt zur Abgrenzung herangezogenen, im Sinne Schmitts nicht eigentlich feindlichen Oppositionsstellungen (z. B. Konkurrent, Diskussionsgegner; vgl. Schmitt 1996 [1932]: 28) ebenfalls das Konfliktpotential enthalten, das wir sehr allgemein gesprochen als ›politisch‹ bezeichnen würden, sofern es um den Konflikt konträrer und die Durchsetzung eigener Interessen in der Öffentlichkeit geht.
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chen Streit sucht und seine Interessen über seine individuellen Rechte hinausgreifend verfolgt. Wir erinnern an Kapitzkys Lamento, daß die »Brüchigkeit der theoretischen Basis von Argumentationsgebäuden« der sogenannten PC-Kritiker ihre »praktischen lebensweltlichen« und »politischen Ziele« deutlich zeige. In gewisser Hinsicht hat er auf diese Weise den Politisierungsvorwurf im Rahmen des Korrektheitsdiskurses an den letzten Absender des Kettenbriefs zurückgeschickt. Daß es bei dem Attribut ›politisch‹ um das öffentliche, wenn auch gelegentlich hinterlistige Ausfechten ›lebensweltlicher‹ Interessen und Konflikten und nicht um eine verläßliche, objektive Norm oder saubere, interessenlose, wahrhaftige, sozusagen ›korrekte‹ Wissenschaft geht, die nicht nur von Kapitzky im Gegensatz dazu arrangiert wird, erhöht im alltäglichen Sprachgebrauch die semantische Spannung zwischen den Begriffen ›politisch‹ und ›korrekt‹. Das führt uns zum vierten Aspekt, mit dem wir uns weiter dem Korrektheitsmuster annähern. 4) Die Kombination von ›politisch‹ und ›korrekt‹ hat (ähnlich wie die in Deutschland früh aufkommende, damit verwandte Kombination ›moralisch korrekt‹, die sich aber nicht flächendeckend durchgesetzt hat, 21 sowie ähnliche Konstrukte) also noch eine weitere konfliktfreudige Eigenschaft. Sie impliziert aus Sicht desjenigen, der einem anderen ›politische‹ (oder sonstige) ›Korrektheit‹ unterstellt, daß dieser andere bzw. seine Einstellung nur sehr eingeschränkt korrekt ist, nämlich, um beim Beispiel zu bleiben, ausschließlich politisch (und was davon zu halten ist, weiß man ja), ansonsten aber eben nicht, also etwa in bezug auf die Einschätzung einer stillschweigend vorausgesetzten außersprachlichen Wirklichkeit oder Wahrheit oder aber einer höheren, wertvolleren Norm. Das allerdings ist nichts ganz neues. So kann man bereits für das Jahr 1968 eine spöttische Verwendung der Redewendung »juristisch korrekt« finden, die auch im Original, die beiden Wörter zu einem Begriff kombinierend, in Anführungszeichen gesetzt wurde, und mit der ausgedrückt werden sollte, daß das Juristische auch das einzig korrekte an der damit be-
21 Doch ab und an stößt man ja auf diese Nebenvariante: »So stößt [der Autor] den Leser auf den eigenen, moralisch korrekt verleugneten, morbiden Voyeurismus von zerstörten Körpern ...« (Linda Pieper, SZ vom 16.07.1997 über Alain Corbin: Die sexuelle Gewalt in der Geschichte); oder auch in der Unterzeile »Moralisch korrekt: die Studie zur Ausstellung Vernichtungskrieg«, über einer Rezension in der SZ zu einem Band über die Wehrmachtsausstellung, den das Hamburger Institut für Sozialforschung unter dem Titel »Besucher einer Ausstellung. Die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 in Interview und Gespräch« 1998 veröffentlichte. (Hubert Filser in SZ v. 07.04.1999).
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schriebenen Sichtweise war.22 Gelegentlich werden aber auch vermeintliche Normkonflikte mit jeweils zwei Varianten dieses Musters inszeniert. Wir erinnern an Kay Arthur, die sich im Namen einer »biblischen Korrektheit« gegen eine »politische Korrektheit« aussprach (s. 2. Kapitel), und möchten noch ein Beipiel aus dem amerikanischen Diskurs einflechten, das wir der Studie von Schenz entnehmen: »It’ s more than politically incorrect for students, faculty or campus administrators to tolerate incidents of bigotry – it is morally incorrect.«23
So geht es nämlich auch. Und damit kann derjenige, der sich explizit von einer eingeschränkten Korrektheit distanziert, einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit und damit explizit oder implizit einer ›höheren Korrektheit‹ in Anspruch nehmen, die er gegebenenfalls auch noch spezifizieren kann. Das was er sagt, mag ›politisch inkorrekt‹ sein, aber es ist ja nur in dieser eingeschränkten Hinsicht inkorrekt! Er verschafft sich damit also einen doppelten Vorteil, nämlich eine doppelt abgesicherte Integrität durch persönliche Authentizität und eine sachliche Autorität. Zwar sagt er Dinge, die ›politisch inkorrekt‹ sind, oder geht gar, was seltener vorkommt, über diese eingeschränkte Korrektheit hinaus, wie man in Stephans Kommentar zu Christoph Daum lesen konnte, in dem »politisch korrekt« mit »politisch geboten« übertroffen werden sollte. Aber er beschreibt, so oder so jenseits der politischen Korrektheit, ›mutig‹ die Dinge so, wie sie – im Umkehrschluß – ›wirklich‹ sind oder aber, auch das gibt es, wie sie richtigerweise sein sollten, jenseits der eingeschränkten und einschränkenden Korrektheit. Bisweilen fällt dann die Struktur des Musters wie gezeigt auf es selbst zurück: »moralisch« oder »biblisch korrekt« übertrumpft »politisch korrekt«. In diesen vier Aspekten der Basisplausibilität liegen die jederzeit aktivierbaren, verwendungsgeschichtlich unabhängigen Potentiale der von uns analysierten Legende von der Korrektheit. Sie bilden den Kern der
22 Das Beispiel stammt aus einem Aufsatz von Helmut Ridder, mit dem er einen Sammelband über das Thema ›KPD-Verbot‹ einleitete. Wörtlich heißt es: »Für den ›juristisch korrekten‹ Betrachter, der die Verbannung der westdeutschen Kommunisten in die Illegalität erst mit dem Bundesverfassungsgericht in erster und letzter Instanz am 17.08.1956 gegen die KPD verkündeten Verbotsurteil [...] beginnen läßt, ist das Verbot zwölf Jahre alt. Man muß jedoch daran erinnern, daß der Spruch der Karlsruher Richter nur einen bescheidenen organisatorischen Restbestand auflöste ...« (Ridder 1968: 8). Für dieses originelle Fundstück möchte ich mich bei Armin Nassauer recht herzlich bedanken. 23 Zit. nach Schenz (1994: 42). James O. Horton hatte sich im Winter 1992 gegen die Diskriminierung von Homo- und Bisexuellen an amerikanischen Universitäten ausgesprochen.
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Funktionsweise dieser Legende, eben das Herz der Bestie. Wir konnten zeigen, daß bereits die allgemeinsprachlichen Implikationen des kombinierten Begriffes »im Kern auf Konflikt« angelegt sind und zu Auseinandersetzungen einladen, wie sie dann im Korrektheitsdiskurs in großer Zahl realisiert worden sind und werden. Hieraus erklärt sich ein großer Teil seiner sofortigen Plausibilität und seiner raschen Verbreitung auch bei denen, die sich weder um amerikanische Hochschuldebatten und Fragen der Emanzipation von Frauen und Minderheiten scheren noch irgend etwas davon verstehen. Ein in dieser Weise gekonnt improvisiertes Binarisierungsmuster erklärt sich jedem von selbst. Und trotz einiger weniger Vorläufer wie dem erwähnten »juristisch korrekt« kann man sagen, daß erst in der Legende von der politischen Korrektheit das Korrektheitsmuster zur vollen Blüte gelangen konnte. Damit kommen wir zu den nächsten beiden attraktiven Elementen des Deutungsmusters.
Drittes Element: Charme Der Charme des Korrektheitsmusters entfaltet sich vor allem in seiner eher (schein-)devianten, pejorativen Variante, die im beschriebenen Norm-Devianz-Konflikt aus den gezeigten Gründen dominant ist, wie auch ein Blick auf die Beispiele zeigen dürfte, in denen rhetorisch die ›Korrekten‹ meist den Kürzeren ziehen. Es ist ganz gewiß attraktiv genug, eine so vielgestaltige und immer noch ausbaufähige Welt, wie sie im Korrektheitsdiskurs zusammenpfercht wird, mit Hilfe nur eines polyfunktionalen Deutungsmusters auszudeuten, das auch noch textsortenunabhängig bzw. -übergreifend (anders gesagt: interdiskursiv) plausibel ist, und allein der Charme dieses Sachverhalts bedarf wohl kaum einer weiteren Erklärung. Es wäre auch, gäbe es sie denn, für Anhänger der ›Political Correctness‹, in dieser Hinsicht ganz praktisch gewesen. Dennoch griffe zu kurz, wer das Korrektheitsmuster nur unter einem so pragmatischen Gesichtspunkt sähe. Der Umstand, daß das Muster eingewoben ist in wesentlich ältere Diskursstränge, die von den Phänomenen ›Sprachidolatrie‹ und ›Kulturfaszination‹ geprägt sind (z. B. Sprache und Denken; Zensur), macht es permanent anschlußfähig an in hohem Maße emotional aufgeladene Diskurse, die sozusagen Alltag und Feiertag betreffen, Triviales und Weihevolles, die Kunst und den Stammtisch, die Redefreiheit und die Muttersprache, Geschichte und Gegenwart.24
24 Die letzten beiden Posten wirken vielleicht etwas dick aufgetragen. Aber gerade die Bezüge zum Kommunismus, zu McCarthy, zur Inquisition, zum Dritten Reich und die allfälligen Vergleiche mit der Gegenwart der Spre-
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Bereits hier ist die Grenze zwischen magischer Versachlichung einerseits, für deren Erklärung Polyfunktionalität und Plausibilität zur Not ausreichen würden, und andererseits individueller Aufgebrachtheit und Vergnügtheit der Freunde des Korrektheitsmusters andererseits kaum noch zu halten. Das zeigt sich im folgenden Zitat Dieter E. Zimmers. Es ist aus einem Zusammenhang bzw. Sammelband gerissen, in dem es dem Autor um Sprachregelungen, Wissenschaftlichkeit, Feminismus, Rassenfragen, Intelligenztests, die »Pidginisierung der Sprache«, den »internationalen Status der deutschen Sprache« und dergleichen mehr geht (Zimmer 1997). Zimmer gerät in seiner Grabrede auf die »Auswüchse« der Korrektheit ins Träumen: Ehe der Begriff der Political Correctness da war, gab es den Gesinnungsdruck einer [!] radikalen politischen Bewegung, den er dann bezeichnen sollte, seit langem. Aber da er keinen zusammenfassenden Namen hatte, fehlte es ihm gewissermaßen an voller Realität – das Phänomen war allgegenwärtig und in Ermangelung eines Namens doch nicht benennbar. Die Plötzlichkeit [...], mit der er sich durchsetzte, zeigte, wie sehr er entbehrt worden war. Am Ende dürfte die bloße Existenz eines Namens einiges dazu beigetragen hat [sic], die Auswüchse der PC zu überwinden (Zimmer 1997: 108).
Das ist eine wortmagische Versachlichung, wie sie selbst im Korrektheitsdiskurs sich nicht alle Tage in dieser Offenheit zur Schau stellt. Die Legende hat, das darf man gewiß unterstellen, einem der Hauptbaumeister des deutschen Korrektheitsdiskurses ganz offenbar ein paar langgehegte Wünsche erfüllt. Und wenn man Zimmer nur ein wenig gegen den Strich liest, enthält seine Äußerung vermutlich eine zutreffende Feststellung, deren Wahrheitsgehalt zumindest wir nicht bestreiten wollen: in der Tat dürften gerade Autoren wie er hochbeglückt gewesen sein, daß ihnen das Schicksal bzw. die diskursive Entwicklung in den USA das Korrektheitsmuster auf einem Silbertablett mit Wasserkresse serviert hat. Zimmers Darstellung vom (auch und gerade eigenen) todesmutigen Kampf gegen den »Gesinnungsdruck einer radikalen Bewegung« und deren Überwindung durch ein Zauberwort und die damit agierenden Wortmagier, so peinlich im Sinne der NFS sie auch sein mag, ist eine für den deutschen Korrektheitsdiskurs typische Narration. Wenn Zimmer das ernsthaft glaubt, was er schreibt, so ist es als eine Aussage darüber zu lesen, wie das Korrektheitsmuster ihm half, seine disparaten Erlebnisse und Gefühle hinsichtlich dessen, was er gesagt hat, was er sagt und was er fürderhin sagen möchte sowie der erlebten und gewünschten Resonanz
chenden zeigen, daß mit dem Muster viele ungelöste Probleme aufgearbeitet werden.
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darauf, endlich einheitlich zu deuten. Bleiben wie immer die Fragen: Deutet ihm das Muster Erfahrenes und Erfahrungen, oder werden diese nur mit seiner Hilfe kommuniziert? Gibt es diese Erfahrungen und das Erfahrene überhaupt, oder gibt es nur die Kommunikation? Wir können sie nicht beantworten. Aber der Überwindungsgestus, der die eigene Position aufwertet und der sich kontextlos aus der polarisierenden Konfliktstruktur des Korrektheitsmusters entwickeln läßt, ist erkennbar der aggressive Teil des Charmes. Er taugt zur Selbststilisierung als Querdenker, aber auch zur Inszenierung als wertkonservativer oder auch moderner – was immer gerade benötigt wird – Diskurspartisan und Verteidiger bedrohter Werte, etwa einer bedrohten Aufklärung, Zivilisation, Sprache und Kultur, um nur ein paar Stereotypen zu nennen. Die Applikation des Korrektheitsmusters ist eine rhetorische Waffe, und eine ausgesprochen tückische noch dazu. Aber nicht immer wird es verwendet, um mit harten Bandagen zu kämpfen. Oft genug wird es nur spielerisch appliziert, so im Fall des in dieser Studie bereits oft strapazierten Petzi-Bären. Auch die wie gezeigt unausrottbare Rede von den »vertikal Herausgeforderten«, mag sie auch geschmacklos und zu Tode wiederholt sein, hat durchaus etwas Verspieltes. Es ginge zu weit, hielte man jeden möglichen Scherz, der mit dem Korrektheitsmuster konstruiert werden kann, jede Satire, jeden Kalauer aus der Wortspielhölle, jede auf Verblüffung angelegte Variante, und also per se den spielerischen Umgang mit dem Muster für ein Zeichen der gewollten Ridikülisierung aller emanzipatorischer Anliegen. Dennoch ist jeder nach diesem Verfahren konstruierte Scherz eine Bestätigung der grundsätzlichen Angemessenheit des Korrektheitsmusters und wird wiederum – als Teil der Verwendungsgeschichte – zur Plausibilität hinzuaddiert werden können. Daß überdies die vielfältigen Bezüge auf Satire und Humor à la NFS oder Harald Schmidt, die das Korrektheitsmuster eröffnet, neben der im nächsten Abschnitt ausgeführten Funktion der Legitimation der eigenen Position auch einen gewissen Charme haben, bedarf wohl kaum einer Erklärung. Teurer oder vermeintlich teurer Humor, der einen selbst nichts kostet, ist im doppelten Wortsinn unbezahlbar. Doch auch die politisch deutlicher und pejorativ akzentuierten Reden von »Orwell« und »McCarthy«, die mit oft tremolierender Stimme gehalten werden und der rhetorischen Dramatisierung der unheimlichen Macht der Korrekten dienen, gehören aus unserer Sicht zum Spielerischen, das für die Benutzer den Charme des Korrektheitsmusters ausmacht. Aggressivität und Verspieltheit als Elemente des Charmes dürfen nicht mit Dramatisierung und Ridikülisierung verwechselt oder in eins gesetzt werden. Die strukturell einfache Dramatisierung und die etwas kompliziertere Ridikülisierung sind zwei extreme Varianten von in erster
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Linie aggressiven Anwendungsweisen des Korrektheitsmusters. Sogar bei diesen beiden Extremen, und natürlich dazwischen, ist sozusagen ›noch jede Menge Spiel‹. Die Grenzen, was nicht verwundert, sind oft schwer zu ziehen und somit, wie auch im Antagonismus NFS versus »Neue Satirekritik«, möglicher Gegenstand oft erbitterter Auseinandersetzungen. Die sich darin zeigende Denkstilähnlichkeit zwischen den Auseinandersetzungen um die NFS und dem relativ neuen Korrektheitsdiskurs, und der dadurch ermöglichte Anschluß von Röhl 1995 an Bittermann/Henschel 1994 und Henscheid 1993a, sind eine direkte Folge daraus. Auch diese Denkstilähnlichkeit hat zur Plausibilisierung des Korrektheitsmusters beigetragen.25 Und somit kann man die dann doch irri-
25 Diese Überlegung läßt sich an einem Beispiel etwas konkreter zeigen. In seinem Buch geht Röhl nicht besonders kreativ vor. Er hat für sein Deutsches Phrasenlexikon formal und inhaltlich bei Henscheid und Henschel geklaut, was eben ging, und dann der ganzen Angelegenheit einen eindeutig rechten Drall gegeben. So ist beispielsweise dem Wort »Dummdeutsch« (vgl. Henscheid 1993b) ein eigenes Lemma gewidmet. Hier versucht Röhl, Kenntnisse über die NFS vorzugaukeln, die er nicht besitzt. So wird Robert Gernhardt und F.K. Waechter eine ominöse Rubrik in der Pardon zugeschrieben, die Röhl »Wiese« nennt (Röhl 1995: 57f). Das soll vermutlich die »WimS (Welt im Spiegel)« sein. Und es wird weiter drauflos erzählt: »So erschöpft sich ›Deutschlands einziges Satiremagazin‹ [sic] seit zwölf Jahren darin, Helmut Kohl wegen seiner angeblich charakteristischen Kopfform »Birne« zu nennen« (ebd. 58). Auch das ist falsch. Bereits etwa 1987 hörte die Titanic damit auf, Kohl so zu nennen, weil die CDU im September 1986 mit einer Birne für Kohl Reklame machte (Gernhardt 1988: 276ff). Stimmt es also, was Gernhardt im Interview mit Konkret in allzu kommoder Distanzierung behauptete? Wie er sagte »nimmt die Rechte die Satire schon gar nicht mehr wahr, weil die nicht im Fernsehen stattfindet, und weil sie keine ›Titanic‹ liest [...]« (Gernhardt Interview 1988b). Doch das ist nicht ganz richtig: zwar hat die Neue Rechte in dem Vorzeige-Konvertiten Röhl gewiß nicht ihren geschicktesten Schreiber. Daß er aber lesen kann wird deutlich, wenn Röhl ganze Passagen von Gerhard Henschel übernimmt und umformuliert. Zunächst das Original von 1994: Wer so [als Gutmensch, MFE] verfährt, tut gut daran, dem Konsumismus abhold zu sein, zum Frühstück Zehnkornzementbrot einzunehmen, sich dabei über einen taz-Artikel zu erregen und sogleich einen Leserbrief zu schreiben, in welchem jeweils mindestens einmal die Wörter »menschenverachtend«, »infam«, »diffamierend«, »zynisch«, »frauenfeindlich« und »hiermit kündige ich« vorkommen sollen. Anschließend geht es wahlweise ins Vaginaspiegelungsseminar oder zur Tagung der Stadtteil-Initiativgruppe »Schlesien bleibt unser!« alias »Yuppies raus aus Kreuzberg« […] (Henschel 1994: 9f). Bei Röhl liest man ein Jahr später folgendes und erfährt dann etwas über seine persönlichen Dämonen: [...] lesen Sie vor dem Frühstück nur die taz, oder, falls noch vorhanden, die junge welt. Dann essen sie Müsli, [...] abends eventuell zwei Scheiben Sechskorn oder Dinkelbrot mit Tofu. [...] Schreiben Sie ständig ihre Empörung an Klaus Bednarz oder Ralph Giordano.
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tierende, durchaus auch enttäuschende Tatsache, daß Eckhard Henscheid ausgerechnet der Jungen Freiheit ein Interview gab, in dem er sich für Martin Walsers Freiheit als Künstler und für Jürgen Möllemann gegen Michel Friedman aussprach, einer so begründbaren Denkstilähnlichkeit zurechnen. Wie weit diese letztlich geht, ist schwer zu sagen.26
Trennen Sie sich von ihrem Partner und besuchen Sie Veranstaltungen erotischer oder politischer Randgruppen (Schwule, Lesben, Lederschwule, Drogensüchtige mit Methadon-Programm, Kurden, Asylbewerber) (Röhl 1995: 230). Die Aufgabe könnte nun lauten, identische und umcodierte RepertoireElemente beider Texte zu identifizieren, aber das können wir uns hier sparen. Angesichts dieser offenkundigen Enteignungen und der vorgenommenen Umcodierung fallen dann die Reaktionen der ausgenutzten Satiriker überraschend halbherzig aus. Im Dezember 1995 rezensiert niemand anderes als ausgerechnet Gerhard Henschel das Buch von Röhl für die FAZ (Henschel 1995b). Statt aber nun Gemeinsamkeiten, Plagiate und vor allem Unterschiede zwischen Henschels Buch über »die Linke und den Kitsch« sowie das daran anschließende Wörterbuch des Gutmenschen einerseits und Röhls Machwerk andererseits herauszustreichen, beschränkt Henschel sich auf den Hinweis, daß Röhl bei Henscheids Dummdeutsch (1993b) abgeschrieben habe. Kein Hinweis auf das eigene Wörterbuch, das wegen seiner formalen Ähnlichkeiten und vor allem seiner spezifischeren Zielrichtung und Feindbilder viel eher als Henscheids Rundumschlag aus den Achtziger Jahren als Referenz zu Röhls PC-Lexikon gepaßt hätte, wie man ja auch Röhls Plagiat entnehmen kann. Es ist schon ein sehr schwaches Bild, das Gerhard Henschel hier abgibt. Die Denkstilähnlichkeit, so vermuten wir zumindest, ist ihm unangenehm. 26 Vgl. Henscheid Interview 2002. Der Anlaß war die sozusagen »doppelte« Antisemitismus-Debatte des Sommers 2002. Martin Walser hatte einen Schlüsselroman über sein Verhältnis zu Reich-Ranicki (natürlich verfremdet, aber deutlich erkennbar) in der FAZ als Vorabdruck geplant, als überraschend sein bis dahin stets loyaler Verteidiger der berüchtigten Paulskirchen-Rede und Laudator bei der Friedenspreisverleihung, der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, Walser in einem offenen Brief als Antisemiten angriff und den vereinbarten Vorabdruck des Romans Tod eines Kritikers ablehnte (FAZ 29.05.2002). Parallel dazu hatte eine Kette von Ereignissen, die wir wirklich nicht referieren müssen, den FDP-Politiker Jürgen Möllemann in eine Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Juden und vor allem Michel Friedman verwickelt, bei der Möllemanns anti-israelische Einstellung, kalkuliert als populistische Maßnahme zur Stärkung der FDP, bedrückend offen zu Tage trat. Der im beleidigten Diskant vorgetragene cantus firmus, demzufolge es doch wohl erlaubt sein müsse, auch Israel für seine Politik gegenüber den Palästinensern zu kritisieren, war dabei beklemmender, als es eine einfache Kritik an Israel je hätte sein können. Henscheid stellte sich in beiden Debatten auf die Seite der Freiheit der Kunst bzw. der freien Meinungsäußerung und gegen die Political Correctness, die er als Gegner dieser beiden identifiziert. Dabei lieferte er eine sehr zutreffende Analyse der Schirrmacherschen Aufmerksamkeitsökonomie. Zu Recht wies er darauf hin, daß Schirrmachers Argumente für seine Aufregung eigentlich nicht »hinreichen«, zumal er Walser ja
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Eines aber ist klar: In einer auf Normalisierung, Konfliktinszenierung und – durch sogenannte ›konstruktive Kritik‹ gewährleistete – Dynamisierung angelegten kapitalistischen Massendemokratie wie in den USA oder in Deutschland spielt der Überwindungsgestus eine enorme Rolle, vor allem bei der regelmäßig notwendigen Inventur von ›ehernen Werten‹ und dem allfälligen Austausch von Moden, Theorien und Denkstilen, deren Erkenntnisse und Forderungen man als überholt und, sofern es sich anbietet, ›ewiggestrig‹ bezeichnet, wobei das in diesem Begriff eingekapselte ›Gestern‹ ein kleiner Begriff ist, der mittlerweile viel tragen muß.27 Selbst wenn man unterstellt, daß theoretisch das Korrektheitsmuster für verschiedene Zwecke zu gebrauchen ist, also man sich sowohl affirmativ wie ablehnend zu ›Political Correctness stellen kann, hat doch aus diesem Grund die Selbstinszenierung als ›Tabubrecher‹ und ›Querdenker‹ viel mehr Schwung. Daß sie häufiger praktiziert wird, dürfte ebenfalls außer Frage stehen. Aber nun ist die Rolle des ›Querdenkers‹ oft genug bereits durchschaut worden, auch und gerade von Satirikern.28 Gerade im Korrekt-
in der Paulskirchen-Debatte noch verteidigte (und in der Tat muß man ergänzen, daß es gerade bei Walser bedeutendere Anlässe des Eingriffs gegeben hätte als ausgerechnet dieses Buch). Eine weitere Verteidigung Walsers in der JF lieferte ebenfalls im Rahmen eines Interviews der Kritiker Joachim Kaiser (Interview 2002). 27 Einige Varianten hatten wir bereits im ersten Kapitel erwähnt. Am Freitag, dem 29.11.2002 konnte man aus der SZ erfahren, daß der DGB Chef Michael Sommer durchaus für »niedrigere Einstiegs-Tarife für Langzeitarbeitslose« und dergleichen mehr zu haben ist. Auf die gerade im Anschluß an Sommers kapitalismuskonforme Äußerungen durchaus etwas beleidigende Schlußfrage von Robert Jacobi, der das Interview führte: »Wie wollen Sie denn langfristig erreichen, dass die Gewerkschaften nicht mehr als Reformbremser gelten?«, zeigte Sommer sich brav und einsichtig und demonstrierte gleichzeitig, dass er auf der Höhe der kurrenten Rhetorik sich bewegen kann: »Wir haben noch ein Image-Problem, aber das wird sich ändern [...] Wir sind nicht ewiggestrige Betonköpfe, wir werden noch mehr Menschen von uns überzeugen.« Die SZ nahm die knackige Aussage, die wir kursiv hervorgehoben haben, dann auch gütig als Überschrift. 28 Im ersten Wörterbuch des Gutmenschen gibt es gleich zwei Einträge zum Thema Querdenker, einen für uns unerheblichen von Wiglaf Droste, und einen weiteren von Kurt Scheel vom Merkur (Bittermann/Henschel 1994: 123ff). Scheels Eintrag ist besonders lustig und für uns signifikant, weil der Autor sich selbst als jemand inszeniert, der, als das angeblich noch etwas besonderes war, gerne als Querdenker galt: Wir waren eine kleine, radikale Minderheit, und natürlich macht es einen Unterschied, ob einige wenige, wirklich eigenständige u. originelle Köpfe wie wir als Querdenker bezeichnet und, bittesehr: beschimpft werden, oder ob Krethi und Plethi sich mit solcher Kennzeichnung zu schmücken gedenken. Im Ernst: Gegen den Querdenker
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heitsdiskurs jedoch hat das zu einer ganz absurden Verwerfung geführt, zu einer Verquickung von nicht kompatiblen Deutungen und RepertoireElementen, die eben nur durch die beschriebene Polyfunktionalität und Plausibilität des Korrektheitsmusters zusammengehalten werden. In seiner Analyse des in der Presse- und Wissenschaftslandschaft sein Unwesen treibenden Wortes ›Querdenker‹, das man ebenfalls als ein Deutungsmuster interpretieren kann, hat Martin Hecht zurecht von einer »Konjunktur der Querdenker« (so der Untertitel der Studie; 1997) gesprochen, die er klug und kenntnisreich darstellt und zerpflückt. Doch just in bezug auf den Korrektheitsdiskurs versagt sein kritisches Verständnis, genau wie das der Satiriker, und er erliegt dem aggressiven Charme des Korrektheitsmusters. Das zeigt die Art und Weise, in der er gegen Ende seines Textes hin den Versuch unternimmt, die beiden Deutungsmuster zu kombinieren. Wir zitieren diese Passage auszugsweise: Eines der letzten Kapitel der Vulgarisierung des kritischen Bewußtseins ist neben dem Querdenkertum die sogenannte Political Correctness [...]. [Sie] gibt vor, die gesellschaftlich moralische Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition der sechziger Jahre anzutreten. Sie ist die alltagstaugliche Variante des 68er-Moralismus in einem paramilitärischen Stadium. [...] Der moralisch-korrekte Geist spürte Sexisten und Rassisten auf, wo keiner sie vermutet hätte. [...] Er [dieser Geist; MFE] leistete Sexismus- und Faschismusprophylaxe, zur Not mit den Mitteln der Inquisition. [...] Um endlich Gerechtigkeit zu etablieren, hat die politische Korrektheit einem neuen fundamentalmoralischen Denken den Boden bereiten (Hecht 1997: 133f, herv. v. MFE).
Hier zerfällt Hechts Analyse des »Querdenkertums« in ihre Bestandteile. Daß es die von ihm beschriebenen Phänomene der sachlich haltlosen »Rassismus- und Sexismusprophylaxe« gibt, wissen wir aus zahlreichen Auseinandersetzungen um die Titanic oder aus Leserbrieforgien in der Taz, um nur zwei hier vorgestellte Bezugsrahmen zu nennen. Auch daß Hecht eine Existenz der ›Political Correctness‹, die irgendetwas »vorgibt«, in der üblichen Weise (kein Beleg, keine Beschreibung des Gemeinten, keine Namen) unterstellt, nehmen wir an dieser Stelle mal hin. Es ist auch nicht die diskursübliche, wenn auch ebenfalls sachlich haltlose Verknüpfung der Korrektheit mit der Inquisition, die mit Hilfe der rhetorischen Einschränkungsformel »zur Not« als das Resultat eines dif-
als solchen wie gegen den positiven Gebrauch spricht hauptsächlich seine grenzenlose Verbreitung und Hochschätzung (ebd. 124). Wer mag, kann diese drittklassige Ehrenrettung des ›echten‹ Querdenkers als ironische Volte lesen. Angesichts des Selbstbilds der MerkurHerausgeber, wie sie es anläßlich des Korrektheitsheftes vorführten, müssen wir jedoch annehmen, daß Scheel sich selbst in dieser Rolle ernst nimmt.
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ferenzierten Denkens ausgegeben wird, und die uns selbst angesichts der Prozesse gegen die Titanic bis heute nicht recht plausibel erscheinen will, die uns zu unserer Diagnose führt. Was uns jedoch auf das Äußerste konsterniert, ist die Tatsache, daß Hecht in seiner Analyse die üblichen Versatzstücke gegen die angebliche Korrektheit auffährt und mit dem Inquisitionsbegriff das sattsam bekannte Bild von Macht, Norm, Staats- und Kirchengewalt aufruft, um damit ausgerechnet den Begriff des »Querdenkertums«, und sei es ein vermeintliches, fortzuschreiben. Aber wenn es seit den frühen Neunziger Jahren in Deutschland einen prototypischen ›Querdenker‹ im Sinne Hechts gibt, der von einer beispiellosen Konjunktur getragen wird, dann ist das in erster Linie der stets vor Kühnheit zitternde Unkorrekte, der sich gegen die ›Inquisition‹ der mächtigen Korrekten stemmt, die ihn umzingeln, und dabei oft noch einen ganz prima Sinn für Humor zeigt. Und daß Hecht ausgerechnet dieses Paradebeispiel des Querdenkers in seiner Analyse gezielt übersieht, und er sich von der offenbar unwiderstehlichen Möglichkeit davontragen läßt, das eine angebliche Fahnenwort ›Political Correctness‹, das keines ist, mit dem anderen Fahnenwort ›Querdenker‹, das Hecht hier zu Recht in der Luft zerreißt, zu kombinieren und das eine am anderen abzuwerten, zeigt unseres Erachtens, wie attraktiv für ihn die Rede von der Korrektheit ist, dies aber eben vor allem in dem Teil, der sich gegen irgendeine inquisitorische ›Correctness‹ wendet. Auch in dieser Variante gilt: »Unbequem ist stets genehm«, wie Hecht sagen würde. Und charmant obendrein, möchten wir ergänzen.
Viertes Element: Legitimation durch Taktiken der Distanzierung Legitimation ist im Grunde weniger eine elementare Eigenschaft des Korrektheitsmusters als vielmehr eine Eigenschaft, die das Muster dem Verwender verleiht. Mit diesem Begriff sollen verschieden organisierte Diskurstaktiken erfaßt werden, die das Korrektheitsmuster ermöglicht. Das Streben nach und das Erzeugen von Legitimation ist sozusagen der gemeinsame, auch der entscheidende Nenner all dieser Taktiken, die, wie nicht anders zu erwarten, interagieren und selten in ›Reinkultur‹ vorkommen. Hinzu kommt, daß natürlich auch in der Polyfunktionalität und vor allem der Plausibilität, so wie wir sie beschrieben haben, bereits Teile der Legitimation enthalten sind. Daß überdies die wissenschaftliche Etablierung des Korrektheitsdiskurses eine Ressource der Legitimation darstellt, wollen wir hier nur erwähnen.
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Wenn wir von einer Art Diskursraum ausgehen (eine etwas verrutschte Metapher, zugegeben), so errichtet man durch die Verwendung des Korrektheitsmusters auf verschiedene Weisen, die wir als Distanzierungen bezeichnen, Frei- und Schutzräume für Standpunkte und Äußerungen, die in bezug auf die mit dem Korrektheitsmuster kontaminierten Diskurse sich einerseits gleichzeitig »innen«, andererseits mal im vermeintlich wissenschaftlich-objektiven, mal im »wilden« Außen verorten, von dem Foucault spricht. Dieses »wilde Außen« allerdings gewinnt deutlich an Gewicht, wenn man das ›Innen‹ ausreichend diffamiert und delegitimiert hat. Einige Gründe, die die Errichtung dieser mehrfach gestaffelten Legitimationszone ermöglichen, sind bereits in der Beschreibung der anderen drei Elemente vorgestellt worden. Wir werden jetzt versuchen, einige der wichtigsten Gründe zu systematisieren, indem wir sie als Taktiken der Distanzierung beschreiben.
Die Inversionsbehauptung Die Grundlage der Basisplausibilität des Korrektheitsmusters ist das Norm-Devianz-Verhältnis, das wir eben ausführlich geschildert haben. Warum die Devianz die meist diskursiv günstigere, nicht zuletzt flexiblere Position innehat, erklärt sich zunächst aus der Grundstruktur des Phraseolexems und weiterhin natürlich aus der uns bekannten Verwendungsgeschichte. Auch das, was wir mit Schildt für eine grundlegende rhetorische Strategie des deutschen Konservatismus halten, nämlich die eigene Position als eine natürliche und angemessene ›Reaktion‹ einerseits auf die ›Realität‹, andererseits auf die Bedrohung durch Ideologien zu präsentieren, gehört in dieses Inversionsschema. Das ist auch der Grund, aus dem wir Krells in vieler Hinsicht einleuchtende Einschätzung, daß die »sprachkritischen Attacken« im Semantik-Kampf der Siebziger Jahre als »Defensive« und daher »vor allem als ein Ausdruck von Machtlosigkeit einzuschätzen sind«, nicht vorbehaltlos teilen (2000: 172). Denn diese Tradition des Überwindungsgestus, und das heißt auch und gerade die Inszenierung einer Übermacht, gegen die man sich mutig zur Wehr setzt, stiftet in öffentlichen Diskursen und vor allem im Korrektheitsdiskurs jede Menge Legitimation, unbeschadet jedweder Machtverhältnisse. Man sollte sich aus diesem Grunde generell hüten, im Bereich der politischen Semantik die Rede von einer Defensive für bare Münze zu nehmen. Historisch ist »eine Bewegung, die sich selbst politically correct nennt« (Zöllner 1997), unseres Wissens nicht nachgewiesen worden (vgl. Greenspan 1999) – wie und wozu denn auch? Wenn es sie gegeben hätte, würde man sich vor Literaturhinweisen auf diesen Verein nicht retten können. Und es sei nochmals betont: selbst dann, wenn irgendwann ein-
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mal der etymologisch und historisch unanfechtbare Nachweis gelingt, daß es irgendwo eine Splittergruppe gegeben hat, die sich selbst in grauer Vorzeit akkurat in der stets unterstellten Weise als Verfechter einer wie auch immer konzipierten, aber dann auch genau so genannten »Political Correctness« inszeniert hat, machte das für das rhetorische Procedere der letzten ca. 10-15 Jahre keinen Unterschied. Der historische Nachweis der Existenz einer solchen Gruppe ist für das rhetorische Funktionieren der Legende weder nötig noch hinderlich, und die notorisch Unkorrekten landauf, landab sind bisher ohne diesen eindeutigen Nachweis gut gefahren. Und gäbe es diese Gruppe, hätte sie sich mit der Erfindung und Konzeptualisierung der ›Political Correctness‹ einen beträchtlichen Bärendienst erwiesen, wie die Geschichte ganz eindeutig gezeigt hat, und wie man aus der beschriebenen Basisstruktur des Musters hätte vorhersehen können. Insofern, und nur insofern, finden wir ja auch Wilsons These, daß ein, so nicht nur seine Auffassung, ursprünglich selbstironisch gemeinter linker Begriff ›politically correct‹ in den Achtziger Jahren erst von den amerikanischen Konservativen adaptiert, verschärft und dann in den Begriff der ›Political Correctness‹ »transformiert« worden ist, bezüglich des Transformationsprozesses recht einleuchtend.29 Wer sich also mit Hilfe des Korrektheitsmusters als ›politisch inkorrekt‹ inszeniert, unterstellt dabei implizit (und manchmal, aber nicht unbedingt, auch explizit) die von einem mächtigen Anderen geleistete Konstruktion und Kodifikation einer, wenn auch meist vagen und widersprüchlichen, gegebenenfalls übertriebenen oder gar heuchlerischen, Norm, für die dieser Inkorrekte selbst natürlich keine Verantwortung trägt. Weiterhin unterstellt er die Existenz einer Trägerschicht, die für die Konstruktion dieser Norm verantwortlich zeichnet und der zwar eine diesbezügliche Definitionsmacht zugerechnet wird, der man aber jedes Definitionsrecht weitestgehend absprechen kann. Die Macht dieser kor-
29 Wilson führt aus: »During the 1980s, conservatives began to take over this leftist phrase and exploit it for political gain, expanding its meaning to include anyone who expressed radical sentiments. Conservative writer Robert Kelner first heard of »political correctness« in the fall of 1985 as »a bit of college slang bandied about by young conservatives.« And the conservatives not only appropriated politically correct for their own attacks on the radical Left, they also transformed it into a new phrase – political correctness. [...] Politically correct referred to the views of a few extreme individuals; political correctness described a broad movement that had corrupted the entire system of higher education. [...] For conservatives, »I’m not politically correct« became a badge of honor, a defense against a feared attack – even though no one had been seriously accused of being politically incorrect« (Wilson 1995: 4). Das Zitat von Kelner stammt aus R. Kelner: »We Conservatives Wage a Phony War on Political Correctness«. In: Wall Street Journal v. 26.12.1991.
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rekten Trägerschicht gilt als usurpiert, bzw. (je nach Narration) ihr Streben danach als illegitim! Als Beispiel für die wissenschaftliche Absegnung dieser rhetorischen Inversionstaktik sei nochmals Grübels und Wendes Fabulieren von den »Wächtern der Political Correctness« mit ihrer »wirkungsvollsten Form« von Zensur wiederholt. Die Inversionsbehauptung wird in solchen und vergleichbaren Texten gestützt mit dem abstrahierten Repertoire-Element »Zensur«, historisch und phänomenologisch zu verorten beispielsweise zwischen so verschiedenartigen Instanzen wie »Inquisition«, »Reichsschrifttumskammer«30 und »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften«, also in den häßlicheren Episoden der Menschheitsgeschichte, die man mit diesen institutionengebundenen Repertoire-Elementen verbindet. Es scheint uns an dieser Stelle sinnvoll und illustrativ, eine sehr bekannte Redeweise vorzustellen, die auch in der Inversionsrhetorik des Korrektheitsdiskurses gelegentlich verwendet wird, die aber deutlich älter sein dürfte: die Redensart, derzufolge jemand ein ›selbsternannter‹ Irgendwas ist. Wir bestreiten nicht, daß es die mit diesem Begriff beschriebenen Akte der Selbsternennung gibt, und werden das noch zeigen, wenn wir uns um die ›selbsternannten Opfer‹ und die Diskurspartisanen kümmern. In bezug auf den Korrektheitsdiskurs allerdings kehrt sich der mit der Verwendung dieses Begriffs einhergehende Aufklärungsanspruch durch den Verwender ins Absurde um, weil dem Ausdruck ›selbsternannt‹ in diesem Diskurs oft Titel, Rollen und Funktionen folgen, zu denen man beim besten Willen nicht von einer dazu befugten Instanz hochoffiziell ernannt werden könnte oder das auch nur möchte. Die unterstellte Norm oder Rolle, die angeblich ›selbsternannt‹ vertreten wird, kann dabei allgemein sowie insbesondere im Korrektheitsdiskurs alle politischen und gesellschaftlichen Spektralfarben annehmen, wobei die beiden Redeweisen einander verstärken. Bereits Scheit 1994 sprach ja von den »Drohungen der selbsternannten Sprachwächter« der »Political
30 So beispielsweise Prof. Dr. Ekkehard Blattmann in einem Leserbrief v. 25.06.2002 an die SZ. Die Zeitung wählte für den Brief die Überschrift »Im Ton der Reichsschrifttumskammer«, eine Formulierung aus dem Brief. Bezüglich der Walser Affäre 2002 schrieb Blattmann, ausgewählt offenbar im Rahmen der Feuilleton-Scharmützel zwischen FAZ und SZ, ausgerechnet an die SZ über FAZ-Herausgeber Schirrmacher, er könne doch »jedes Jahr im Hinterhof der FAZ eine neuen Bücherverbrennung veranstalten: Man bräuchte dazu noch nicht einmal den Originalton ändern. Da könnte Schirrmacher antreten und vortreten und mit dem 5. Rufer perorieren: ›Gegen Verfälschung unserer Geschichte und ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Martin Walser.‹« Aber sicher doch ...
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Correctness«. Dazu drei weitere Beispiele aus dem Korrektheitsdiskurs in der Taz.
Christine Homeyer berichtete 1996 über eine Inszenierung von Verdis Troubadour durch Hans Neuenfels. Wir wollen ihr gerne glauben, daß die Aufführung grauslich war, aber uns interessiert natürlich, wie sie das kommuniziert. In ihrer Rezension bezeichnet sie den Regisseur als »selbsternannten Bürgerschreck«, schränkt jedoch sogar diese Einschränkung noch weiter ein: »später geht die politische Korrektheit mit Neuenfels allerdings durch und produziert allzu plakative Bilder.«31 Was, so fragen wir uns ein bißchen ratlos, ist in der Vorstellung der Autorin ein ›nicht-selbsternannter, politisch unkorrekter Bürgerschreck‹? Ist auf den am Ende mehr Verlaß, wenn es um »provokante« Operninszenierungen geht? Es ist aber immerhin möglich, daß Neuenfels sich selbst als »Bürgerschreck« versteht, wir haben es nicht nachgeprüft. Dann zumindest hätte dieser Teil der Beschreibung seine Berechtigung. Für das nächste, etwas ernstere Beispiel müssen wir einen kleinen Umweg machen und an ein Großereignis des Korrektheitsdiskurses erinnern, das wir bisher nicht erwähnt haben und auch nicht allzu sehr vertiefen wollen. Als im Frühjahr 1995 im Zusammenhang mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die Preisträgerin Annemarie Schimmel für einen Eklat sorgte, indem sie Verständnis für die Fatwa gegen Salman Rushdie äußerte, kam auch sie ins Zentrum des Korrektheitsdiskurses und wurde damit zur Symbolfigur der Opfer der Political Correctness, so unter anderem in der Welt am Sonntag, in der der Neurechte Ulrich Schacht unter dem Titel Annemarie Schimmel und die Inquisition der Linken ins Räsonieren kam (WamS v. 10.09.1995). 32 Wir verweisen auf Behrens und von Rimscha, die zunächst spöttisch feststellen, daß die kulturrelativistische Haltung Schimmels »für jeden Multikulti-Apologeten und Moschee-Befürworter eine hocherfreuliche Tatsache sein müßte« (Behrens/von Rimscha 1995: 137). Dann aber schlossen sie sich Ulrich Schachts Diagnose von einer nur »vorgeschobenen Liberalität« der Korrekten an. Wir zitieren Schacht:
31 Christine Hohmeyer: Heilige in der Peep-Show. Hans Neuenfels inszeniert Verdis »Troubadour« an der Deutschen Oper als wohlkalkulierten Schokker. In: Taz-Berlin v. 29.03.1996, 30. 32 Stellenweise hat der Korrektheitsdiskurs durchaus etwas von der Intimität einer Familienfeier. Wir wollen dennoch nicht vergessen, wie weit verbreitet er mittlerweile ist und auch schnell war.
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Hier wird, mal was anderes, ein westdeutscher kleingeistiger Universalismus mit der comme toujours inquisitorischen politischen Korrektheit amalgamiert, von der es ja sonst oft heißt, sie sei anti-universalistisch und aus eben diesem Grund abzulehnen. Aber was verschlägt ein solcher Einwand? Mit dem Korrektheitsmuster geht fast alles, wie man sieht, im Bedarfsfall auch eine ethnopluralistisch grundierte Schrift gegen politisch korrekten, linken, inquisitorischen Universalismus und seine »vorgeschobene Liberalität«. Und so darf uns der Leserbrief aus der Taz, auf den wir hin argumentiert haben, auch nicht mehr verwundern, ein Brief zur Lage der Nation, in dem Horst-Jürgen Schäfer Frau Schimmel ernsthaft kritisieren möchte, ohne in den Verdacht zu geraten, ›politisch korrekt‹ oder gar ›links‹ zu sein, und folgerichtig sich prophylaktisch gegen »selbsternannte Tugendwächter der political correctness und linke Fundamentalisten« positioniert und im Anschluß den Taz-Lesern die komplizierte Welt des Islam aus Sicht eines »nichtlinken Menschenrechts-Mahners« erklärt: Wegen ihres wissenschaftlich-literarischen Werkes hat Frau Professor Annemarie Schimmel zweifellos eine Ehrung verdient, ob aber dafür der bisher als politisch geltende »Friedenspreis des Deutschen Buchhandels« der richtige Anlaß ist, erscheint nicht nur selbsternannten Tugendwächtern der political correctness und »linken Fundamentalisten« als sehr fragwürdig, sondern auch nicht-linken Menschenrechts-Mahnern. Wenn auch das Alltagsleben in den islamischen Ländern nicht nur von den autoritär-repressiven und reaktionär-grausamen Seiten des Islams und seiner weltlichen und religiösen Vertreter geprägt wird und auch durchaus positive Aspekte vorzuweisen hat (zum Beispiel weniger Dekadenz und Sittenverfall als im Westen, was aber für alle autoritären Gesellschaften gilt), so stellt der Islam, besonders seine militante Variante, heutzutage nach dem Zusammenbruch des totalitären Sowjetkommunismus für den freiheitlich-demokratischen Westen die neue totalitäre Gefahr dar (und ebenso für die vielen modern-aufgeklärt eingestellten Personen in den islamischen Ländern selbst, siehe die Morde an Frauen, Journalisten und Intellektuellen in Algerien, Türkei, Ägypten und anderswo) (Taz v. 15.09.1995, herv. v. MFE).
Es gibt Leserbriefe, wir deuteten es an, bei denen wir den GrubenhundVerdacht nur schwer unterdrücken können, und dies ist einer davon. Nehmen wir dieses Beispiel dennoch wegen seiner poetischen Verdich325
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tung des Inversionsschemas zur Kenntnis. Die kombinierte Inversion geschieht hier spielerisch, fast nebenbei, um eine der eigenen Position vermeintlich ähnliche Einstellung, die nur ›falsch‹ begründet ist, zu delegitimieren bzw. um einen erwarteten Vorwurf, der die eigene Einstellung treffen könnte, zu unterlaufen. Ein letztes Beispiel, mal wieder aus dem Bereich Satire und NFS: In einem despektierlichen Taz-Artikel über eine Marburger Studentenzeitung namens Marburg Virus [sic] sowie ein dort ansässiges Radio, deren bzw. dessen Protagonisten sich dem Bericht zufolge in der bekannten Manier der ›Neuen Satirekritik‹ positionierten, und zwar wieder mal gegen die üblichen Verdächtigen W. Droste, K. Rutschky, M. Goldt sowie den Literaturwissenschaftler Nils Folckers,33 berichtete der Verfasser des Porträts, Matthias Thieme: Der Marburg Virus setzt nun auf die Methoden Eduard Zimmermanns und ruft die Leserschaft zur Hatz auf: »gesucht/Foto und Adresse von Nils Folckers/wir wollen ihn auch gerne treffen/ob mit einer Gerade oder einem Haken«, heißt es auf Seite 22. Neben und über der Suchmeldung prangen reichlich unbeholfene Zeichnungen, die kastrierte Männer darstellen. Die FahnderInnen unterschreiben als Frauke Nielsen / Anonyme Geschädigte des U.V.W.- Syndroms * (* Unverständnis, Verletztheit, Wut) Thelma & Louise / Riot Grrrl Band Marburg und die K.O.tinnen.«
Das – nehmen wir mal an, authentische – Zitat, das Thieme hier anführt, inklusive der Selbstbezeichnung dieser Gruppen, auch der hier geäußerte Plan selbst, all das ist in der Tat von kaum noch zu ertragender Dummheit, und in der Sache vermutlich zu recht kritisiert der Taz-Autor: Hier [bei dem Marburger »Radio Unerhört« (»links und frei«)] ist inzwischen das Abspielen von Wiglaf-Droste- oder Max-Goldt- CDs verboten. Radiodiskussionen über »Droste, Rutschky und die Folgen« führen ausschließlich feministisch korrekte Moderatoren mit feministisch korrekten Gästen - aus Angst, das Häuflein selbsternannter SexistenjägerInnen könnte den ganzen Laden spalten.34
So sehr wir Thieme zustimmen: die hier durchgeführte Applikation des Korrektheitsmusters ist zu diesem Zeitpunkt eine billige Rhetorik. Die naheliegende Frage, ob für Thieme und die Taz etwa ›nicht-selbsternannte‹, anderweitig zertifizierte »SexistenjägerInnen« einen zivilisatorischen Fortschritt bedeuten würden, und wie die offizielle Ernennung dann wohl
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Folckers hatte sich just in diesen Jahren um das Thema ›Satire und Zensur‹ verdient gemacht (Folckers/Solms 1996 u. 1997). 34 Matthias Thieme: U.V.W. Syndrom voll im Trend! Gegen Langeweile in der Provinz ist doch ein Kraut gewachsen: Eine Marburger Studentenzeitung bläst zur Jagd auf Sexisten In: Taz v. 24.07.1997 , 16 (herv. v. MFE).
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vonstatten zu gehen hat (Staatsexamen? Magisternebenfach?), bleibt offen. Wir meinen diese Frage keineswegs nur rhetorisch: Was Diederichsen lobend mit »großspuriger Behauptungsrhetorik« zu umschreiben versuchte, die eine ganz allgemeine »Zuständigkeit« jenseits klassischer Befugnisse einfach postulieren sollte, ist ein beständiges Irritationsmoment, das durchaus zu begrüßen ist. Die Formel von der »Selbsternennung«, in einer autoritätsgläubigen und normalistischen Expertengesellschaft automatisch ein Stigmawort, allzu leichtfertig mit in Frage stehenden ›Titeln‹ zu verknüpfen, auf die wohl kaum einer Anspruch erhebt, ist für diese Irritation so symptomatisch wie die jeweilige Selbstinszenierung als mutig ›inkorrekt‹ gegenüber den ›selbsternannten Sprach- oder Tugendwächtern‹. Und müssen wir uns wundern, daß man auch »selbsternannte Querdenker« durch die Taz geistern läßt?35 Was aber soll ein Querdenker denn sonst sein als ›selbsternannt‹? Es ist natürlich snobistisch, sich selbst als ›Querdenker‹ zu bezeichnen, und zeugt vielmehr davon, daß es mit dem Geradeausdenken nicht recht funktionieren möchte. Andererseits, in dem Moment, wo man jemanden hat oder braucht, der einem das ›Querdenkertum‹ zertifiziert, etwa die Redaktion der Taz, ist es auch schon vorbei damit.
Fassen wir zusammen: Die mit Hilfe des Inversionsschemas gestützte Behauptung einer Defensive gegen eine usurpierte Macht, einen illegitimen Einfluß oder den Versuch einer Einflußnahme verleiht dem Verwender des Korrektheitsmusters die Legitimation seiner mit Hilfe des Musters formulierten Ansprüche und Anschauungen. Die durch die Verwendung des Korrektheitsmusters inszenierte Defensive legitimiert letztlich erst, und das ist der rhetorische Clou dabei, die Verwendung des Korrektheitsmusters! ›Inkorrektheit‹ wird als reaktiv interpretiert, oder aber als eine Zuordnung durch die Korrekten, die dem ›Inkorrekten‹ widerfährt, mit der man ›gebrandmarkt‹ wird, obwohl man doch nur in ›freier Rede‹ sagt, wie es wirklich ist. Also, so das Drehbuch der Inszenierung, nimmt man diese vermeintliche Ausgrenzung für sich an und wendet sie gegen die vermeintlichen Ausgrenzer, die ›politisch korrekten Tugendwächter‹ etc. Damit kann derjenige, der sich mit großer Geste als inkorrekt inszeniert, dem Vorwurf entgehen, er sei ein ›selbsternannter
35 Allerdings sehr selten. Immerhin wurde die Hamburger Statt Partei dreimal mit diesem zweifelhaften Ehrentitel belegt. Taz-Hamburg 27.05.1995 und 27.10.1995, jeweils von Silke Mertens, und bereits am 24.01.1994 von Sannah Koch.
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Inkorrekter‹, weil die Benennungsmacht den Korrekten zugewiesen wird, was soll man da schon machen? Die in dieser Behauptung unterstellte Norm, von der man angeblich abweicht, muß bei einer so konzipierten Äußerung nicht mehr erläutert werden. Das Postulat ihrer Existenz ist gleichsam die konsensuelle Voraussetzung dafür, daß man überhaupt ›inkorrekt‹ sein kann. Wer sich in dieser Weise und meist ungefragt als ›inkorrekt‹ inszeniert, ist daher zweierlei Verantwortung enthoben: erstens muß er nicht erläutern, was die Norm ist – sollen das doch die korrekten Gutmenschen erledigen, die die Norm erfunden haben und allen damit auf die Nerven fallen; zweitens muß er nicht erläutern, warum ausgerechnet seine Position so hübsch ›inkorrekt‹ ist, denn die Art und das Ausmaß der Abweichung ist ihm, der er ja kein Normträger, kein ›selbsternannter Gutmensch‹, kein »Wächter der Political Correctness« ist, ohnehin völlig unverständlich. Ein als legitime ›Verteidigung‹ codiertes Handeln und Verhalten ist das beste Image, das ein Angriff haben kann. Auch das ist eine Begleiterscheinung, wenn auch nicht unbedingt eine Folge, des mentalitätsgeschichtlichen Wandels der sechziger Jahre. Wir kommen am Ende unserer Studie darauf zurück.
Der Verweis auf den amerikanischen Ursprung Diese Taktik erlaubt einige Spielarten: zum einen kann man eine der amerikanischen Varianten des Begriffs verwenden, was einen impliziten Verweis ergibt. Zwar ist der Begriff ›Political Correctness‹ als nützlicher Einwohner des deutschen Wörterbuchs mittlerweile eingebürgert worden, wie die Duden-Einträge zeigen, und soweit wir sehen, ist er trotz seiner hohen Frequenz aus den zahlreichen Anglizismendebatten herausgehalten worden. Dennoch bleibt die Fremdheit offensichtlich. Zum anderen gibt es die Option des direkten Verweises auf den amerikanischen Ursprung, auch durch historisierende Narrationen, durch das Paraphrasieren und Reproduzieren von Wanderlegenden usw. Diese Variante findet man nach unserer Einschätzung nicht mehr ganz so oft wie am Anfang, vermutlich, weil sie zur Flankierung einer Argumentation nicht mehr so notwendig ist und die Begriffe selbst, in ihrer Funktion als RepertoireElemente, dieses ›Wissen-um‹ ausreichend repräsentieren können. Ab und an wird diese Variante aber noch eingesetzt.36
36 Wir erwähnten ja oben bereits den Artikel in der FAZ vom 01.07.2002 mit dem folgenden Einleitungssatz. »Politische Korrektheit ist eine amerikanische Erfindung«, der sich dann im folgenden um ein englisches Thema drehte.
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Das Erfolgspotential dieser Taktik in bezug auf die Legitimation des Sprechenden ist allerdings so gut wie verbraucht. Am Anfang konnte damit ein meist fadenscheiniges Weltwissen über die USA präsentiert werden, mit dem die eigene Argumentation gestützt oder zumindest schick illustriert werden konnte. Nehmen wir dazu zwei Beispiele. So finden wir in einer früh im deutschen Korrektheitsdiskurs zu verordnenden Rezension über Douglas Couplands Roman Generation X die folgende Selbstverortung der Autorin am Puls der Zeit: Anything goes: Political Correctitude (kennt man) und Boomer Envy (wird selten zugegeben).37
Bevor sich jemand über die Kürze des Zitats beklagt: es wird auch im Zusammenhang nicht besser. In dieser Rezension wird halt nur das im Feuilleton der Taz beheimatete, auf Lässigkeit hin frisierte Kulturgeräusch produziert. Besonders schön finden wir hier das für 1992 reichlich angeberische »(kennt man)«, zumal ausgerechnet die von Anke Westphal gewählte Variante des Korrektheitsmusters bis heute ausgesprochen selten ist.38 Etwas ausführlicher bei der Zurschaustellung von nutzlosem Weltwissen ist ein »offener Brief«, der 1992 in der Taz erschien. Der Verfasser, Hans Christoph Buch, hatte sich an einem Spiegel-Interview mit Christoph Hein gestoßen, in dem dieser nach Ansicht des Briefschreibers das Thema ›Ausländerfeindlichkeit in Deutschland‹ unsensibel und sachlich falsch angefaßt hatte. Weltgewandtheit wird mit Distanzierung von ›Political Correctness‹ geschickt kombiniert, und hier finden wir die rhetorische Janusköpfigkeit, die diese Textsorte auszeichnet, in Vollendung: Lieber Christoph Hein, vor kurzem kehrte ich von einer Gastprofessur in Kalifornien zurück, wo ich mit amerikanischen Studenten unter anderem Ihren Roman Drachenblut gelesen und diskutiert habe. [es folgt eine Auseinander-
37 Anke Westphal: Wider die Einweg-Geschichte. Der erste Roman des Kanadiers Douglas Coupland: »Generation X«. In: Taz v. 21.08.1992. »Boomer Envy« ist laut Coupland, wir zitieren, der Vollständigkeit halber, nach einer späteren Ausgabe. (1994; Berlin: Aufbau): »Neid auf Wohlstand und langfristige materielle Sicherheit, die älteren Mitgliedern der Baby-Boomer-Generation durch die Gunst einer glücklichen Geburt zugeflossen sind« (ebd. 33). 38 Wir haben das im Internet mal spaßeshalber ausprobiert. Am 04.12.2002 ergab bei der Suchmaschine Google die Abfrage ›Political Correctness‹ »ungefähr 172.000« Treffer; die Abfrage ›Political Correctitude‹ ergab »ungefähr 396« Treffer. Etwa so hatten wir uns das auch vorgestellt. Eine Bedeutungsdifferenzierung war übrigens auf den ersten jeweils zehn Seiten nicht zu erkennen.
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›Wen dann?‹, ist man angesichts der Textsorte ›Offener Brief‹ versucht zu fragen. Denn der hier präsentierte Gestus des europäischen Kulturhochmuts, gepaart mit dem Habitus des Weltreisenden, womit der Expertenstatus des Briefschreibers dem staunenden Publikum präsentiert werden soll, ist bezüglich des Korrektheitsmusters verschlissen und war schon seinerzeit vermutlich arg abgeliebt. Diese Taktik, auch wenn sie gelegentlich in Reminiszenzen à la Klaus Harpprecht wieder aufgewärmt wird, wurde durch die erfolgreiche Konfiguration des deutschen Themenparks, die steten Hinweise, daß es ›so etwas‹ ja in Deutschland auch gebe und die Beispiele rasch präsentiert wurden, weitgehend obsolet. Etwas haltbarer ist diese legitimierende Taktik der begriffsgeschichtlichen ›Auslagerung‹ da, wo sie parallel zur Inversion verläuft. Nicht allein die Basisplausibilität des Musters und die damit mögliche Ursprungsbehauptung erzeugt die Berechtigung – der Umstand, daß das ja alles irgendwie aus den USA kommt, enthebt die Verwender des Korrektheitsmusters der Problematik, für die Verwendung des Begriffs in irgendeiner Weise Rechenschaft zu leisten, und suspendiert die Zuhörer vom Nachfragen, was denn nun eigentlich gemeint ist. Wird schon seine Richtigkeit haben, man ›weiß ja, wie es gemeint ist‹. Eine untergeordnete Spielart der im Rekurs auf die USA konstruierten Distanz ist ein Anti-Amerikanismus unterschiedlicher politischer und kulturalistischer Provenienz und Intensität, wie er sich teilweise bereits in dem offenen Brief von Buch nachweisen läßt. Er verfängt deshalb meist nicht so recht, weil wir ja auch über den Kampf der politisch Korrekten gegen angeblich uramerikanische Werte wie Redefreiheit informiert werden (vgl. Brinck 1991; Schenz 1994 und ihr Fazit). Der mit
39 Buch, Hans Christoph: Freiheit und Brot. Ein offener Brief von Hans Christoph Buch an Christoph Hein. In: Taz v. 08.01.1992 (herv. v. MFE).
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dem Muster inszenierte Konflikt war in den USA bereits vor jeder nur denkbaren deutschen Intervention in vollem Gange. Dennoch flackern gelegentlich solche deutschtümelnden Ressentiments auf, wie schon in dem mehrfach zitierten Spiegel-Artikel, dessen Autor davon sprach, daß es sich bei ›PC‹ um »Amerikas jüngsten Versuch die Welt zu verbessern« (1994) handele. Thomas Molnar nutzte ein Jahr zuvor bereits die amerikanische Herkunft des Begriffs in der Criticón, um zu einem Rundumschlag gegen die USA auszuholen, indem er die amerikanische Politik von »Reagans Präsidentschaft« und den »Feldzügen George Bushs [Sr.]« mit den Intentionen der ›Political Correctness‹ umstandslos in eins setzte, woraufhin er dann noch behauptete, die Regierung Clinton habe dann der politisch korrekten »›Untergrundbewegung‹ grünes Licht und die endgültige Legitimität« gegeben (Molnar 1993: 236). Wir zitieren diesen argumentativen Ritt über den Bodensee in Auszügen: Es ist mithin nicht notwendig, irgendeine Art von marxistischer Motivation hinter der political correctness zu vermuten, wenn wir die Motive auf die amerikanische Ideologie selbst und besonders ihre gegenwärtige Phase zurückführen können. [...] Seit 1945 und vermehrt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leben die USA in einer historischen Euphorie [...] Amerika sieht sich nicht nur als weltweite Hegemonialmacht, sondern ebenso als kulturelles Zentrum des Planeten. [...] Wie in ihrer Rolle als Großmacht, so bestehen die USA auch hinsichtlich ihrer kulturellen Hegemonie darauf, gänzlich neuartig zu sein und die Bedeutung der Kultur neu zu definieren. Political correctness ist, ob sich die beteiligten Professoren und Studenten dessen bewußt sind oder nicht, eine Methode, sich der Einzigartigkeit Amerikas zu vergewissern, seiner Unabhängigkeit von jeder früheren Zivilisation und Kultur, ja seiner neuen kommunikativen Dimensionen, in nie dagewesenen Formen jenseits des geschriebenen und gedruckten Wortes (Molnar 1993: 236).
Dieser kulturalistisch wie politisch argumentierende Anti-Amerikanismus, der sich sowohl gegen die ›Political Correctness‹ als auch gegen das wendet, was man mit Hughes wohl als amerikanische ›patriotische Korrektheit‹ bezeichnen könnte, und der beides als zwei Seiten der Medaille »kulturelle Hegemonie, nach der sich die Amerikaner immer heimlich sehnten« (ebd.) interpretiert, zeugt von einer Befindlichkeit, für die es in den USA wohl kein Pendant gibt. Die mehrfach codierte Ablehnung im Grunde disperser politischer und kultureller Werte, die man einer vermeintlich monolithischen USA zurechnet, ist in Deutschland daher ebenfalls eine Quelle der Legitimation eigener Weltanschauungen. Und so muß man den hierzulande üblichen Kampf gegen die Anglizismen auch eher als einen Kampf gegen Amerikanismen interpretieren, was wiederum im Korrektheitsdiskurs recht seltsame Verknüpfungen erlaubt. So auch in den Sprachnachrichten, dem Kampfblatt des Vereins
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Deutsche Sprache. Hier vermischt sich oft eine unausgegorene Kapitalismuskritik40 mit dem üblichen sprachrelativistischen Barmen deutscher Prägung. Im April 2002 erschien dort ein Artikel unter dem Titel Ey, Kültür zur Einheit, as you like it. Ein Diskurs außerhalb der politischen Korrektheit von Patrick Keßler. Hier wandte sich der Autor nicht nur gegen das »sogenannte Türkendeutsch«, sondern auch gegen den »geradezu obsessiven Gebrauch von Anglizismen [...] – trefflicher vielleicht durch den Begriff Amerikanismen ausgedrückt [...].« Diesen sieht er nicht zuletzt motiviert durch die »Globalisierung« und die Angst der Deutschen um ihre »internationale Wettbewerbsfähigkeit«. Wie die Überschrift bereits befürchten läßt, wird auch löwenherzig zur ›Politischen Korrektheit‹ Stellung genommen: Ich bin mir bewußt, daß ich in meinem Diskurs gelegentlich die Allgemeinplätze ›politischer Korrektheit‹ verlasse und in Regionen vorstoße, in denen üblicherweise Diskretion angesagt ist, doch ich möchte mir diesen Freiraum in teleologischer Absicht einräumen, ohne mich gleich in wilder Erklärungsnot zu sehen (Keßler 2002: 10, herv. MFE).
»To boldly go where no man has gone before«, wie es im Intro der Fernsehserie ›Star Trek‹ heißt, wird hier wie so oft »in Regionen vorgestoßen«, wo die Unkorrekten dieser Welt sich ohnehin längst gegenseitig auf den Füßen stehen, um rhetorische Distinktionsgewinne einzufahren.41
Der Jargon der Uneigentlichkeit Angesichts der Einleitung und eines großen Teils unserer Studie können wir die Beschreibung dieser Diskurstaktik verhältnismäßig schmal halten. Es versteht sich von selbst, daß ein humoristischer, witzelnder, satirischer, ironischer Umgang mit gleichgültig welchem Thema von einer gewissen Distanzierung lebt. Wenn wiederum Robert Gernhardt feststellt, daß diese Haltung oft nur sehr künstlich ist, weil der Satiriker lebensweltlich in die bespöttelte Umwelt eingebunden ist, trifft er den Nagel auf den Kopf. Der Satiriker ist gleichzeitig ›innen‹ und ›außen‹, eine Position, die er mit dem Wissenschaftler und Journalisten nicht nur im
40 ›Böser‹ Kapitalismus ist dabei immer das, was der Amerikaner macht, s. auch die Sprachnachrichten 6/2002, in denen man den Sturz Thomas Middelhoffs bei Bertelsmann als (miterkämpften) Sieg über den Amerikanismus feiert. 41 Man kann es wirklich langsam nicht mehr lesen. Und natürlich kämpft auch der VDS mit einem hübschen Aufkleber: Diesmal ist es ein StopSchild mit der Aufschrift: »Stoppt die Amerikanisierung unserer Sprache und Kultur!« Vermutlich zu beziehen beim VDS, www.vds-ev.de. Wir entnahmen den Aufkleber dem Juni-Heft 2002 der Zeitung.
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Korrektheitsdiskurs teilt. Diese zwiespältige Haltung wird von all denjenigen, die sich als unkorrekt inszenieren, nachgespielt, ästhetisch veredelt durch ihre diesbezüglichen humoristischen Äußerungen. Die meist armseligen Witze des Korrektheitsdiskurses leben von einer scheinbar oder tatsächlich ironischen Haltung, zum einen gegenüber den Dingen, die als korrekt interpretiert werden, sowie zum anderen gegenüber dem kommunikativen Akt selbst, mit dem man dieses oder jenes als ›korrekt‹ oder ›inkorrekt‹ bezeichnet. Alles gar nicht ›so‹ gemeint, und dennoch ganz ernst und ganz komisch, wie man es gerade braucht. Das ist es, was wir als den ›Jargon der Uneigentlichkeit‹ bezeichnen. Frühzeitig ist im Korrektheitsdiskurs unterstellt worden, daß Humor und ›politische Korrektheit‹ sich nicht vertragen. Folgerichtig wurden Humor und insbesondere Ironie als die Waffe gegen Korrektheit interpretiert, wie wir im ersten Kapitel beschrieben haben. Dabei orientierte man sich, wie zum Beiospiel Röhl, gelegentlich thematisch und formalästhetisch an der NFS. Auch einige Passagen bei Behrens/von Rimscha, Zimmer und natürlich der Spiegel-Artikel Dickwanst im Dunst versuchen eine ironische Distanz zum Thema zu inszenieren, letzterer ja ebenfalls mit explizitem Bezug auf Henscheid. Humor ist möglicherweise ästhetisch wie inhaltlich die befriedigendste (scheinbare) Meta-Haltung, die man im Korrektheitsdiskurs einnehmen kann. Diese Haltung ist rhetorisch nützlicher als die verwandte Wissenschaftlichkeit, weil Humor Nähe und Distanz, Spaß und Ernst deutlich flexibler handhaben kann und eine deutlich höhere Fehlertoleranz aufweist – Quellennachweise, terminologische Konsistenz, inhaltliche Kohärenz, sachliche Richtigkeit bei Witzen einzufordern ist wenig erfolgversprechend für Kritiker. Hieraus erschließt sich auch die Bedeutung von Diederichsens Forderung, daß man zwar durchaus Witze reißen könne, aber gegebenenfalls erklären können müsse, daß man sie auch genau so gemeint habe. Das ist eine interessante Formel, die an die Forderung des amerikanischen Cartoonisten G. B. Trudeau erinnert, satirische Attacken tunlichst ad hominem und nicht ad rem durchzuführen: There is a certain kind of joke – the putdown of politicians for their hypocrisy or lawyers for their greed – that is at heart profoundly cynical, because categorical attacks leave no room for hope. [...] This explains my personal taste for the ad hominem [...], because such satire implies – or should – that there are moral choices, that not everybody behaves this way, and with reason (Trudeau 1995: 7).
Seine eigenen Satiren ernst zu nehmen und gegebenenfalls zu erklären wäre daher eben nicht der Tod des Humors. Die Trostlosigkeit der juristischen Schriftsätze und der Prozesse zu diesem Thema ergibt sich aus den genannten juristischen Anforderungen bezüglich der Gerichtssprache
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und den ernsten Folgen für die Satiriker. Jenseits der Gerichtssäle können Witze und Humor in ihrer Funktionsweise durchaus erklärt werden, wie Gernhardt jahrelang demonstriert hat, ohne ihrer Komik beraubt zu werden. Das Ernstnehmen dieser Forderung wäre allerdings das Ende für einen seifigen Komiker wie Harald Schmidt, zumindest was seine gefällige Scheinambivalenz angeht. Und auch das wohlfeile Schlagen gegen alle Beteiligten einer Lichterkette als überstrapaziertes Satirekonzept könnte in der Forderung Trudeaus einen wichtigen Kontrapunkt erfahren. Ein Satiriker muß, es liegt in der Natur der Sache und ist auch pragmatisch einleuchtend, wenn er wieder mal vor Gericht steht, gegen Zensur und Diskursverknappung sein und sich auch so äußern. Andererseits kann er ohne derlei Spielregeln der Diskursverknappung und ihren regelmäßigen Bruch nicht arbeiten. Anders gesagt, es ist ihm nicht möglich, ohne dieses Wechselspiel seine Position zu norden und diskursiv aufzuwerten. Diesem berufsbedingten Paradox kann er kaum entkommen, und das macht ihn anfällig für hochproblematische Bündnisse und für die Mythen, die der Korrektheitsdiskurs lieferte. Gerhard Henschels zahnlose Kritik in der FAZ an Röhls Wörterbuch-Plagiat hat das sehr schön verdeutlicht (Henschel 1995b). Ein weiteres Beispiel für das Bedürfnis nach Diskursverknappung konnte man 1992 in der Titanic finden, als einer der Gründer der NFS, F. K. Waechter, seinen Entschluß, die Mitarbeit an dem Blatt einzustellen, in einem Interview-Gespräch mit Robert Gernhardt und anderen ausführlich begründete. Resigniert behauptete er, daß die Satire der Titanic »keine Sau mehr hinterm Ofen hervorlocken würde«, daß die Sprengkraft satirischer Artikel in anderen Blättern größer sei. Dafür spricht der im ersten Kapitel beschriebene Umstand, daß Satiren in der Tat in normalen Tageszeitungen oft für mehr Ärger sorgen als in der Titanic. Einer der Interviewer bestätigte die von Waechter monierte Tatsache: Das ist durch die TITANIC-Geschichte zu belegen. Wir hatten bis vor drei oder vier Jahren noch durchschnittlich drei Prozesse im Jahr, seit zwei Jahren [also seit 1990, MFE] keinen einzigen. Da ist schon eine Tendenz, der TITANIC eine Narrenfreiheit einzuräumen (Waechter Interview 1992: 36).
Eine Tendenz, die wenig später mit dem Engholm-Prozeß ein recht jähes Ende fand, das bei noch etwas höheren Kosten womöglich auch das Ende der Titanic bedeutet hätte.42 Aber die im Interview vorgeführte Haltung
42 Titanic hatte anläßlich des Films Schindlers Liste eine Pressemitteilung von McDonald’s fingiert und abgedruckt, in der für ein »Happy Jew Menü« und den »Yellow Star Cheeseburger« geworben wurde. McDonalds griff sofort ein. Die Auslieferung des Heftes wurde gestoppt und der
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der Titanic-Mitarbeiter, bei der der eigene Wirkungsgrad mit der Meßgröße ›Anzahl der Prozesse‹ beinahe formelhaft ermittelt wird, illustriert gut, was wir meinen. Und diese auch im Denkstil begründete Ähnlichkeit der Konfliktlinien im satirischen Diskurs und im Korrektheitsdiskurs hat möglicherweise dazu geführt, daß die Legende von der Korrektheit nicht die kritische Aufmerksamkeit gefunden hat, die ihr seitens der Satiriker gebührt hätte. Die Satiriker, insbesondere die der NFS, legitimieren sich rhetorisch auch durch ihr Selbstverständnis als auf die Umwelt Reagierende. Als Gernhardt angesichts der Prozesse gegen Konkret und Titanic und gegen seinen Kollegen Henscheid im Konkret zu einer Verteidigung ansetzte, tat er das unter der Überschrift Verletzte Verletzer (Gernhardt 1993). Er beschreibt, daß es ja zunächst einmal Höhler und Engholm waren, die mit ihrer unkontrollierten Vulgarität oder ihrer Unehrlichkeit an die Öffentlichkeit traten: War es nicht Ministerpräsident Engholm, der meine Würde als intelligibles Wesen dadurch verletzt hat, daß er seinen Namen während der unsäglichen Barschel-Pfeiffer-Jansen-Nilius-Geschichte unentwegt mit H-A-S-E buchstabierte? Hat nicht die Frau Professor mein Schamgefühl mit Schaftstiefeln getreten, als sie mir den tiefenpsychologischen Einblick in die makabren Mysterien ihres Familienlebens – nein: nicht gewährte – aufzwang, da die weitverbreitete Anzeige nicht zu übersehen war? Sowenig der Engholm und die Höhler sonst gemein haben mögen, zweierlei eint sie: Auf ihre Namen reimt sich nichts, und beide gehen gerichtlich dagegen vor, daß es jemand wagt, sich einen Reim auf ihre Taten zu machen. Wie aber diesem Reim entgehen, wenn die Vorgabe lautet: Jeder zwischen Rhein und Neisse / sieht: Die beiden bauen ... ? (Gernhardt 1993: 58).
Alles völlig richtig, aber eben auch kompatibel zum Inversionsschema des Korrektheitsdiskurses. Humor, sei er selbst gebastelt oder bei der NFS und Harald Schmidt ausgeliehen, ist eine höchst einwandsimmune und jedenfalls die eleganteste Haltung, die im Korrektheitsdiskurs eingenommen werden kann. Uneigentlich läßt sich ungestraft alles sagen, was einem auf der Zunge liegt – es sei denn, man hat die Machtverhältnisse falsch eingeschätzt und steht mal wieder vor Gericht. Aber, um die Verwirrung komplett zu machen, auch das kann, wie die Titanic demonstriert hat, durchaus zum Konzept und zum Selbstverständnis gehören.
Streitwert auf DM 500.000,- festgesetzt. Einen verlorenen Prozeß hätte das Blatt nicht überlebt. Bereits der Engholm-Prozeß lag an der Grenze des finanziell Verkraftbaren (vgl. dazu auch Friebe 1995: 192). Eine »Unterwerfungserklärung«, wie Gabriele Rittig, die Justitiarin der Titanic das genannt hat, konnte die Katastrophe, die ein Prozeß vermutlich bedeutet hätte, noch abwenden (Rittig 1997: 71).
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Damit möchten wir die Vorstellung der wichtigsten, eine Legitimation des Sprechers stiftenden, Taktiken der Distanzierung beenden. Wie nicht anders zu erwarten sind auch sie miteinander verknüpft, ihre von uns durchgeführte Trennung bleibt künstlich und ist einer argumentativen und analyseleitenden Aufmerksamkeitslenkung geschuldet. Wer die Arbeit bis hierhin verfolgt hat, kann sich nun die Frage stellen, ob nicht eigentlich der bisher immer wieder am Rande unserer Darstellung mitlaufende »Mut« und der damit verknüpfte »Überwindungsgestus« in bezug auf »Tabus und Denkverbote« im Rahmen des Charmes und der Legitimation nicht eine eigene Betrachtung wert wären. Und das ist richtig. Eine solche Betrachtung wird diese Arbeit abschließen. Um sie so zu durchzuführen, wie wir es uns vorstellen, ist es jedoch vonnöten, nun den Begriff der ›Attraktivität‹ zu spezifizieren. Woraus sie sich speist, wissen wir jetzt, und wir können es benennen. In unserer Vorbemerkung haben wir darauf hingewiesen, daß wir in diesem Kapitel das Pferd von hinten aufzäumen. Wir haben nun bereits einiges zu den attraktivitätserzeugenden Eigenschaften ausgeführt, ohne präzise Überlegungen zum Begriff der Attraktivität selbst anzustellen. Das Gegenstück zur Attraktivität eines Deutungsmusters aber ist unseres Erachtens das ›Resonanzkalkül‹ als Grundlage für die Herausbildung einer Vorliebe.
Ein Schritt zurück: Resonanzkalkül und Vorliebe Wiederholen wir es ruhig: Es zeigt sich in all den bisher vorgestellten Fundstücken, daß das Korrektheitsmuster sich in Deutschland bei seinem Import rasant in alle Richtungen ausgebreitet hat und daß es von Schreibern aller politischer Couleur immer wieder mal den Vorzug vor anderen möglichen Formen der Darstellung und Argumentationsgestaltung erhält, und zwar in immer wieder neuen Fällen und auch Themengebieten. Das gilt sogar für die seltenen Fälle, in denen sich affirmativ auf ›Political Correctness‹ bezogen wird, und man sich die Frage stellen muß, ob dieser Bezug originär ist oder sich deviant zur Anti-PC-Kampagne verhält. Die somit sehr verschiedenen Folgen der ›Reproduktionskapazität‹ und auch der ›paraphrastischen Kapazität‹ sind sichtbare Resultate (und somit à la longue auch plausibilitätsstiftende Ursachen) dessen, was wir als seine Attraktivität bezeichnen, sozusagen das, worauf die aus zahllosen Textzeugnissen ablesbare Haltung der Diskursteilnehmer abgestellt ist, die man mit Link als eine ›Vorliebe‹ bezeichnen kann und die man, etwas deemphatisierter und ein allzu großes kognitives Procedere unterstellend, als das Ergebnis eines ›Resonanzkalküls‹ interpretieren kann.
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Denn eines ist gewiß: die Entscheidung dafür, das, was man in der Öffentlichkeit sagen oder schreiben zu müssen glaubt, mit Hilfe des Korrektheitsmusters zu formulieren, ist zumal bei schriftlich verfaßten und weitergeleiteten Texten eine freiwillige und eine kalkulierte Entscheidung. Das hat sich ja auch in der ohne Not exerzierten Erweiterung der möglichen Bedeutungszusammenhänge und Anwendungsgebiete des Korrektheitsmusters gezeigt. Das Korrektheitsmuster scheint den Produzenten und Verteilerinstanzen von Texten mindestens das Maß an Zufriedenheit und Vergnügen zu verschaffen, das benötigt wird, einen Text so und eben nicht anders zu verfassen und zur Distribution freizugeben. Niemand ist oder wird aus sachlichen oder fachterminologischen Gründen gezwungen, einen Sachverhalt, eine Einstellung, ein Buch, einen Film oder was auch immer ausdrücklich als ›politisch korrekt‹ oder ›unkorrekt‹ etc. auszudeuten oder zu bezeichnen. Wenn dies also in Deutschland seit den frühen Neunziger Jahren allerorten und keinesfalls selten geschieht, sowohl in den »Elitemedien« als auch in Provinzpostillen, wenn darüber hinaus das Korrektheitsmuster bis auf die keineswegs ziellosen oder improvisierten Verlagsprogrammvorschauen, auf die Klappentext- und Waschzettelgestaltung durchschlägt, wenn es dritterseits in wissenschaftlichen Texten (und zwar eben nicht nur zentral, sondern oftmals gerade en passant) zur Argumentation und Illustration herangezogen wird, steht eines fest: nämlich, daß solche Entscheidungen, so unterschiedlich gemeint, durchdacht oder originell sie auch sein mögen, das Ergebnis eines – mal mehr, mal weniger gründlichen – diskurstaktischen oder sogar diskursstrategischen Planens sind, das sich in der zwar willkürlichen, aber doch wohl keineswegs zufälligen und urplötzlichen Verwendung des Korrektheitsmusters angemessen und erfolgversprechend umgesetzt sieht. Wir haben mehrfach und in vielleicht ermüdender Eindringlichkeit darauf hingewiesen, daß uns bei der Zuschreibung von individuellen Beweggründen im Rahmen dieser Arbeit nicht recht wohl ist, weil man im Allgemeinen über das, was ein Individuum ›in Wirklichkeit‹ ›denkt‹ oder ›meint‹, wenn es dieses oder jenes sagt und tut, so unglaublich viel Unsinn behaupten kann, ohne jemals irgendeine Art von Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Im Alltagsgeschehen mögen solche Vorurteile und Unterstellungen ihre Funktion, vielleicht gar ihre Meriten haben, und oft genug, so scheint uns, ist damit keine böse oder auch nur klare Absicht verknüpft. Mit ihnen so leger zu argumentieren, wie es sich im Korrektheitsdiskurs etabliert hat, ist eine grobe Fahrlässigkeit, deren Ursache vielleicht die lakonische Aussage von Helmuth Feilke am treffendsten skizziert:
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Die Thematik ›Sprache und Bewußtsein‹ ist so alt wie das Nachdenken über die Sprache selbst. Ihre ungebrochene Popularität verdankt sich – das darf man als sicher annehmen – eher dem Interesse am Bewußtsein als dem an der Sprache (Feilke 1994b: 71).
Wir teilen diese Einschätzung und möchten etwas ergänzen: ohne das Versprechen, etwas Schlüssiges über das Bewußtsein und seine Manipulation durch Sprache auszusagen, scheint manchen Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern ihr eigenes berufliches Tun offenbar zu spröde, ihre intellektuelle Verfügungsgewalt über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, nicht ausreichend betont. Zu behaupten, daß das, womit man sich beruflich auseinandersetzt, auch noch das Herz all der Dinge ist, die die menschliche Gesellschaft ausmachen, ist für viele, die sich professionell mit Sprache und Sprechen befassen, oftmals weitaus befriedigender, als arglose Phoneme über die Seiten zu schubsen.43 Für dieses Vergnügen allerdings zahlt man den Preis, daß man in sich wandelnden Konstellationen von Wissenschaft und Gesellschaft diese Behauptung immer aufs Neue verteidigen muß. Das ist nun kein Spezifikum der Sprachwissenschaftler. Ökonomen, Ingenieuren, Historikern, um nur ein paar willkürlich herauszugreifen, geht es nicht anders. Auch diese Wissenschaftler und die Fächer, die sie vertreten, sind in solche Ressourcenkonstellationen eingebunden, die ihnen das abverlangen.44 Allerdings geraten die Vertreter dieser Fächer vielleicht nicht in dem Maße ins selbstreferentielle Rotieren wie die Sprachwissenschaftler, weil bei ihnen die Sprache, derer sie sich bedienen, nicht auch noch gleichzeitig das Thema ist, das sie behandeln. Das Plastikwort ›Bewußtsein‹, um darauf zurückzukommen, hat den Vorteil, daß man darüber alles sagen kann, was einem gerade so einfällt, weil seine fachliche Seite bestenfalls umstritten und sein allgemeinsprachlicher Bedeutungsumfang auch auf die sprichwörtliche Kuhhaut nicht mehr passen möchte. Am Tiefpunkt solcher Argumentationen unterstellt man einem Individuum oder einer Gruppe im Brustton der Über-
43 Möglicherweise in diesem Sinne ist eine Feststellung Knoblochs zu interpretieren, die man in seiner Beschreibung der Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Wissenschaftsbetrieb findet. Er erläutert, daß es wegen der gegenseitigen Lähmung »konkurrierender Lehrmeinungen und konkurrierender Institutionen« durchaus die Möglichkeit gab, »neutrale Forschung« fortzusetzen. In der diesbezüglichen Fußnote allerdings ergänzt er, »dass als vollkommen ›neutral‹ uns nur imponiert, wofür die Gesellschaft keine Verwendung hat« (Knobloch 2001: 208 und Fn. 7). 44 Den Begriff »Ressourcenkonstellation« haben wir dem Aufsatz von Ash (1995) entlehnt. Ash beschreibt in ihm die »Umwandlung von Ressourcenkonstellationen« in der deutschen Wissenschaft in den Jahren 1933, 1945, 1990.
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zeugung ›unbewußte‹ Motive. Damit ist man noch bei den verwegensten Behauptungen argumentativ fein heraus, und zwar nicht nur deshalb, weil die Rede vom Unterbewußtsein in einer von der optimalen Austarierung des eigenen Innenlebens offenkundig besessenen Gesellschaft auf eine weithin gestreute Resonanz hoffen kann. Der Rückzug auf die Blackbox ›Unterbewußtsein‹ entzieht zahllose Argumentationen jedem Falsifikationsversuch auf das geschickteste.45 Indes, und insofern legen wir dann doch ein Stück unserer selbstgewählten Zurückhaltung ab, scheint uns ein sehr allgemein formulierter Beweggrund mit einem gewissen Recht unterstellbar, eine Beweggrund, der für alle Beteiligten an allen Diskursen gleichermaßen Geltung hat: wer sich öffentlich äußert, versucht einerseits, im Rahmen der (unterstellten oder tatsächlichen) Chancen und Risiken des Diskurses bella figura zu machen, und sich andererseits möglichst nicht um Kopf und Kragen zu reden.46 Welche Rahmen das sind und welche Ziele für das Individuum im einzelnen mit einer Äußerung verknüpft sind, das wiederum ist oft nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Genau diese Kleinigkeit
45 Zur Illustration dieser Diagnose nur ein Beispiel, das wir bei Jürgen Link gefunden haben. In einem seiner Aufsätze über das System synchroner Kollektivsymbole (sysykoll) führte er aus: »wenn [...] nun reale ereignisse wahrgenommen werden, so werden sie ubw. [i.e. unterbewußt bzw. Unterbewußtsein; MFE] bereits durch die raster des sysykoll wahrgenommen.« (Link 1982: 8). Eine gewiß diskussionswürdige und interessante Idee, die allerdings durch den semantischen Joker »ubw.« einwandsimmun gehalten wird und damit von völliger Wertlosigkeit ist. Link illustriert seine These, wie er es schlimmer nicht tun könnte: »ein beispiel von sicherlich verheerender wirkung im ubw. vieler deutscher war die flugzeugentführung von mogadischu, das flugzeug in der wüste symbolisierte unsere ganze gesellschaft. nach der aktion der gsg 9 wirkten arabische gesichter in unserem lande also zusätzlich wie entführer unseres flugzeugs« (ebd.). Bis dahin ist es nur eine sehr gewagte Argumentation. Im direkten Anschluß aber setzt Link zu einer erschütternden Beweisführung an: »der nürnberger nazi oxner, der 1982, nur gut 4 jahre später, wahllos auf ausländer schoß, die er sämtlich als »türken« phantasierte, hat mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit ubw. gsg 9-soldat gespielt« (ebd., herv. v. MFE). Hier kommt wirklich alles zu allem. Nicht einmal systemimmanent ist diese Argumentation auch nur einen Pfifferling wert, da Oxner eben von Türken und nicht von Arabern sprach, von der traumschönen Feststellung »nur gut 4 jahre später« mal ganz abgesehen. Die doppelte Leerformel »mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit ubw.« rundet dann diese Parodie einer Beweisführung ab. 46 Das gilt höchstwahrscheinlich auch für private Äußerungen. Über diese jedoch liegen uns keine Artefakte vor, die wir hier intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar präsentieren können.
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aber müssen wir uns wegen der spezifischen Eigenschaften des Korrektheitsmusters und der Spielregeln des Korrektheitsdiskurses, soweit sie rekonstruierbar sind, einmal ganz genau ansehen. Denn die bloße Verwendung des Musters erlaubt keinesfalls eine einfache Zurechnung von Beweggründen. Mit der ebenso vagen wie kühnen Diagnostizierung von »in letzter Konsequenz [...] politischen Zwecken«, die angeblich die Kritiker an der ›Political Correctness‹ umtreiben sollen, ist trotz der unbestreitbaren Plausibilität dieser Einschätzung allenfalls eine Scheinpräzision erreicht. Zugegeben: viel weiter kann man auch nicht kommen, wenn man in seinen Aussagen seriös bleiben möchte. Aber man sollte sich darüber im klaren sein, daß das nicht eben viel ist. Die Absicht, mit einer Äußerung gut dazustehen, und den Aufwand, den man der Formulierung und Inszenierung dieser Äußerung daher angedeihen läßt, haben wir bereits im Lauf der Arbeit als ›Resonanzkalkül‹ bezeichnet. Weder der Umstand, daß man sich und seine Äußerungen einem solchen Resonanzkalkül unterwirft, noch auch nur die Tatsache, daß es für alle an einem Diskurs Beteiligten gute Gründe zu geben scheint, an die grundsätzlichen Chancen eines solchen Resonanzkalküls zu glauben, sind letztlich Garanten dafür, daß ein solches Kalkül wirklich aufgeht, ja, daß es auch nur aufgehen kann, bzw. und noch vorsichtiger formuliert: daß eine Äußerung überhaupt solche Erscheinungen nach sich zieht, die eine Zurechnung ermöglichen, mit der man ex post ein Geschehen als nachweisliches Ergebnis, als Folge eben dieser Äußerung interpretieren kann. Der Grund für diese gestaffelte Unsicherheit ist bedrückend einfach: Wenn bereits der verhältnismäßig schlichte Vorgang des Verstehens von Texten, auch nur von instruktiven Texten, ein ernstes wissenschaftliches Problem darstellt, um wieviel übler mag es da um die Interpretation von komplexeren Kommunikations- und Handlungsabläufen bestellt sein, die man als ›Überzeugen‹, ›Beeinflussen‹ oder gar ›Manipulieren‹ etikettiert, noch dazu, wenn sie über die Struktur von Aufforderungen, doch mal bitte das Fenster zu schließen, hinausgehen – übrigens ein Vorgang, der weitaus komplexer ist, als es den Anschein hat? Mit, aber auch gerade von dieser Mischung aus den immergrünen Wünschen und Kausalitätsversprechen des Kommunikationsdesigns einerseits sowie den damit verbundenen erkenntnistheoretischen Glaubenssätzen und Imponderabilien andererseits leben (und das oft nicht schlecht) die Akteure der Werbe- und PR-Industrie, die Verfasser der bereits erwähnten Rhetorik-Ratgeber sowie, auf einer sekundären Ebene, die dienstbaren Geister der Werbewirkungsforschung..47 Geht ein Resonanzkalkül hier wie dort
47 Wir möchten diesen speziellen Fall der ›Borderline-Religosität‹ hier nicht allzu sehr vertiefen. Einen hübschen Überblicksartikel zu dieser Proble-
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scheinbar nicht auf, wird das allenfalls als Herausforderung interpretiert, es beim nächsten Mal ganz gewiß besser zu machen, mit Hilfe der allerneuesten Persuasionstechniken und wissenschaftlich aber so was von auf der Höhe ... Dieser Köhlerglaube gilt, um ein weiteres Beispiel zu nennen, für den Bereich der Unterrichtsplanung, -durchführung und -beurteilung im schulischen Feld, bei der Zurechnung von Beobachtetem zu dem, was angeblich die Ursache ist und zu dem, was angeblich die Folge sein wird, wie man ausführlich und übrigens verblüffend unterhaltsam bei Luhmann nachlesen kann.48 Luhmann hat eine treffende Beschreibung des Umgangs mit solchen »Enttäuschungen« im »Interaktionssystem Unterricht« gegeben, die man ohne Probleme auf jede Art von Kommunikation übertragen kann, die sich auf ein Resonanzkalkül verlassen muß und möchte:
matik, in dem die empirische Kenntnis um das Scheitern von Werbung sowie der unerschütterliche Glaube an die Mach- und Berechenbarkeit sich auf das Erstaunlichste die Waage halten, fanden wir am 09.07.2002 in der SZ auf der Wissenschaftsseite. Dort wird mit Rainer Baginski ausgerechnet ein früherer Pardon- und Titanic-Mitarbeiter, der in die Werbung gegangen ist, zitiert: »Fast alle Werbebotschaften verpuffen im Weltraum – ein ungeheurer Ideen- und Kapitalverschleiß, ein Festival der unentwegten Misserfolge [...] Leute, die partout nicht wollen, kriegen Sie nicht [...] Mehr als die Hälfte aller Kampagnen sind nicht erfolgreich.« Andere Bilanzen, die in diesem Text zitiert werden, sind (wenn auch nicht für uns!) noch viel deprimierender. »Nach Zahlen der Werbewirkungsforschung gehen davon [d.h., von 1500 Werbebotschaften, mit denen Bewohner von Industrieländern täglich konfrontiert werden; MFE] 85 Prozent ins Leere: Die Verbraucher nehmen sie nicht wahr. Weitere fünf Prozent gelten gar als kontraproduktiv.« Als weiterer Zeuge wird Guido Purper vom »Institut für Konsum- und Verhaltensforschung« der Universität des Saarlandes genannt, dessen Aussagen zufolge nur »ein Prozent der Werbeinhalte Wirkung entfalten.« Bemerkenswert und für das Überleben der Branche unerläßlich ist der gleichwohl felsenfeste Glaube daran, daß das gesamte Ensemble von Werbestrategien, von denen sprachliches Handeln letztlich nur einen Teil darstellt, überhaupt noch eine meßbare Wirkung entfaltet. Dieser Glaube schlägt sich in dem Umstand nieder, daß die Umsätze der Werbewirtschaft weltweit für das Jahr 2001 auf die doch recht stolze Summe von 491 Milliarden Dollar beziffert werden. Angesichts der unklaren Wirkung ein geradezu religiös anmutendes Opfer (alle Zahlen und Zitate nach Filser 2002). 48 So heißt es über das »Interaktionssystem Unterricht«: »Die im System selbsterzeugte Unsicherheit heißt nicht zuletzt, daß Voraussicht kaum möglich ist und daß das System sich retrospektiv im Blick auf das, was gerade geschehen ist, also mit dem Rücken zur Zukunft reproduziert. Die Schritte, die zum Erfolg führen, sind nicht im vornhinein spezifizierbar. [...] Eine weitere Konsequenz ist, daß Unterrichtsstunden einen guten und einen schlechten Verlauf nehmen können. Woran das liegt, ist kaum zu erklären; und wenn es plausible Erklärungen gibt, lassen sie sich nicht verallgemeinern« (Luhmann 2002: 104f).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT Jean Paul meinte in seiner Rede zum Antritt eines Lehramts sogar, daß die Erziehung überhaupt keine Folgen habe. Aber man braucht nicht so weit zu gehen, denn die Kategorie der Kausalität ist elastisch genug, um Enttäuschungen aufzufangen und abzuleiten. Wenn der Lehrer sich Mühe gegeben und kompetent gehandelt hat, braucht er Mißerfolge sich nicht selbst zuzurechnen – so wie ja auch einige Patienten sterben, einige Klienten ihre Prozesse verlieren und Therapie nicht immer anschlägt. Hier hilft die kognitive Elastizität des Kausalschemas, das es erlaubt, Erfolge sich selbst und Mißerfolge den Eigenarten des Schülers zuzurechnen (Luhmann 2002: 152).
Die so beschriebene »kognitive Elastizität« ist ein Schlüssel zum Verständnis des Resonanzkalküls und der Art und Weise, wie dieses wiederum kommuniziert und beurteilt wird – was übrigens oft etwas völlig anderes ist! Kalkuliert wird unverdrossen. Und das Aufgreifen von Themen, Redeweisen und Repertoire-Elementen zeigt, daß die Kommunikation nicht immer ganz folgenlos versandet. Infolgedessen kann man den Begriff des Resonanzkalküls, wenn auch mit einiger Vorsicht, verwenden. Um ihn aber für unsere Betrachtung nutzbar zu machen, müssen wir ihn einer Ausdifferenzierung unterziehen. Das heuristische Modell dazu entnehmen wir einer ›weichen‹ Wissenschaft – der sogenannten ›Managementlehre‹, die man als den schickeren Teil der Betriebswirtschaftslehre bezeichnen könnte. Es handelt sich dabei um den sogenannten ›Stakeholder-Ansatz‹49 Mit seiner Hilfe werden wir imstande sein, uns den Begriffen ›Vorliebe‹ und ›Resonanz‹, und damit auch den Begriffen Opfer und Tabu, Zensur, Diskursverknappung auf Sichtweite zu nähern. Mehr noch, der Begriff ›Attraktivität‹ wird durch ihn eine verläßliche Konturierung und Berechtigung erhalten.
Der Stakeholder-Ansatz als heuristisches Modell zur Frage nach Resonanzkalkülen Wir haben die Mahnungen von Bricmont und Sokal keinesfalls vergessen: der Transfer von Deutungsmustern, Terminologien und Metaphern aus der einen Wissenschaft in eine andere ist mit der Gefahr verbunden, Unfug zu produzieren, und oft genug nicht einmal »eleganten«. Das gilt
49 Eingeführt in die ökonomische Diskussion hat dieses Konzept, das seine Vorläufer in der Koalitionstheorie hat, möglicherweise R. Edward Freeman (1984). Zumindest bezieht man sich meist auf ihn. Eine übersichtliche Darstellung, die wir im folgenden verwenden werden, findet sich bei Welge/Al-Laham (1999: 165ff). Zur rhetorischen Funktion solcher Theoreme in der öffentlichen ökonomischen Debatte vgl. Erdl 2000. In diesem Aufsatz ist übrigens aus dem ›Erfinder‹ des Shareholder-Value, Alfred Rappaport, aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ein Anatol Rappaport (Erdl 2000: 465) geworden. Wir bitten nachträglich um Nachsicht.
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vor allem dann, wenn eine erwiesenermaßen ›harte‹, rhetorisch einschüchternde Terminologie eine intellektuell oder wissenschaftlich ›schwache‹ Argumentation stützen, aufhübschen und gegen Einwände immunisieren soll.50 Wenn wir in unserem Fall die Übertragung eines Deutungsmusters aus der Managementlehre dennoch für zulässig und auch nützlich halten, so hat das im wesentlichen drei Gründe. Der erste Grund ist allgemeiner Natur: sofern man einem Deutungsmuster, einer importierten Metapher oder einer Terminologie nicht allzuviel an Beweiskraft zumutet, ist ihr Transfer zumindest nicht schädlich: Die von Bricmont und Sokal gesammelten Fälle zeichnen sich durchweg gerade dadurch aus, daß dieses elementare Maß, beispielsweise in der Konstruktion von auf Naturwissenschaft gestützten Analogien, verletzt worden ist. Aus dieser Harmlosigkeitsklausel aber erklärt sich natürlich nicht der von uns unterstellte Nutzen. Deshalb sei als zweiter Grund angeführt, daß es sich beim Stakeholder-Ansatz um ein Deutungsmuster handelt, mit dem ein sehr vielschichtiges und unscharfes Phänomen erfaßt werden soll, dessen Problematik einige Parallelen mit den Fragen der öffentlichen Kommunikationen aufweist: es geht dabei um das Verhältnis einer Unternehmung zu seiner Umwelt insgesamt, also sowohl zu seinen personalen Bestandteilen als auch zu der Gesamtheit seiner Umgebung, sowie um – und das ist eher eine moralische Forderung als ein ernsthaft handlungsleitendes Konzept – eine strategische Zielbestimmung, die all diesen Anspruchsgruppen der Unternehmung gerecht werden soll. Oder eben, da fängt der Trubel an, eben auch nur einer Auswahl von ihnen! Daß aus dieser Kombination von moralischem Habitus, ganzheitlichem Anspruch und analytischer Unschärfe die weitestgehende Untauglichkeit des Konzeptes in der ökonomischen Praxis resultiert, stellt seine heuristischen Qualitäten für unsere Sache nicht so sehr in Frage, wie man meinen möchte.51 Der Stakeholder-Ansatz wird uns nicht unbedingt helfen,
50 Vgl. zu diesem Problem Bricmont/Sokal (2001: 17-35 und öfter). 51 Eine Kritik des Stakeholder-Ansatzes aus Sicht des Kommunikationswissenschaftlers ist bei Faulstich 2000 nachzulesen. Faulstich kritisiert unter anderem die »Verschleierungstendenz des Konzepts«, die die letztlich ganz unterschiedlichen und inkommensurablen Einflußfaktoren unterschiedlicher Stakeholder unterschlägt und daher die Tatsache verschleiert, daß ausschließlich nach den Machtverhältnissen entschieden wird. Etwas unglücklich ist Faulstichs Feststellung, daß »die zentrale Problematik der Macht bzw. Abhängigkeit beim Stakeholder-Ansatz ausgeblendet bleibt« (2000: 59). Das ist, wie wir gleich zeigen werden, in jeder Hinsicht falsch und zeigt nur, daß Faulstich in kein seriöses Managementbuch geblickt haben dürfte. Das Problem dieses Ansatzes dürfte vielmehr sein, daß er verspricht, die Machtproblematik, die er sehr wohl analysiert, zu überwinden! Einen weiteren Grund für Faulstichs These, daß dieser Ansatz für eine »Wissenschaft der Öffentlichkeitsarbeit« als
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alle Fragen öffentlicher Kommunikation im Zusammenhang mit dem Korrektheitsmuster zu beantworten, aber man wird sie immerhin besser identifizieren und formulieren können! Der dritte Grund schließlich ergibt sich ganz pragmatisch aus dieser Nützlichkeit, und das hat auch etwas mit der Konfrontation von Denkstilen zu tun, die ja nach Fleck möglicherweise weiterführen: man muß nicht jedesmal das Rad neu erfinden. Wenn in einer anderen Wissenschaft ein Instrument und eine Terminologie zu finden sind, mit deren Hilfe unser Fall abschließend bearbeitet werden kann, greifen wir zu. Bevor wir diesen Transfer durchführen, müssen wir den Ansatz skizzieren. Beim Stakeholder-Ansatz in der Managementlehre handelt es sich um eine als ganzheitlich sich verstehende Betrachtungsweise, mit der zunächst versucht wird, all diejenigen Gruppen und Individuen analytisch zu erfassen, die durch die (meist als zielorientiert verstandenen) Handlungen eines Unternehmens bzw. einer Unternehmung (letzteres trifft es wegen der schwächeren Objektbindung, der höheren Dynamik womöglich etwas besser) beeinflußt werden bzw. die imstande sind, auf die zielorientierten Handlungen einer Unternehmung Einfluß zu nehmen und die im weitesten Sinne Ansprüche (»stakes«) an die Unternehmung haben.52 Das Unternehmen bzw. die Unternehmung ist aus dieser theoretischen Perspektive in einer abstrakten, beinahe schon virtuellen Erscheinungsform zu sehen, nicht etwa im Sinne einer rechtlichen oder personalen Identitätszuschreibung, wie z. B. durch Nennung von Eigentümer, Firmenname oder Rechtsform. Stakeholder, mit einem anderen Ausdruck, »strategische Anspruchsgruppen« (Janisch 1993) sind daher, diese Beschreibung läßt es bereits ahnen, so ziemlich alle, sofern man den Untersuchungsradius weit genug spannt: Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, staatliche und regionale Institutionen, Anrainer, Medien, Lobbys etc.
Grundlage ungeeignet ist, sieht er darin, daß die Medien mal »instrumentell, zur Bestimmung von Zielgruppen, und einmal substantiviert, als ›Anspruchsgruppe‹, auftreten, nicht aber als Kondition von Öffentlichkeit und als Einflußfaktor von und für Interaktion« (Faulstich 2000: 59). Auch diesen zweiten Kritikpunkt halten wir für ein Zeichen ungenauer Lektüre. Gerade die in diesen Überlegungen grundlegende Auffächerung der Machtbasen ermöglicht das, was Faulstich hier als unmöglich im Rahmen des Ansatzes skizziert. Ob das zu einer Theorie reicht, sei wiederum dahingestellt. Aber unser Eindruck ist vielmehr, daß der Stakeholder-Ansatz, wenn man ihn aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit durchleuchtet, für die Öffentlichkeitsarbeiter zu eher unerfreulichen Erkenntnissen hinsichtlich der eigenen Mehrfachrollen führt. Das allerdings steht der Theoriesehnsucht dieser Dienstmagd der Betriebswirtschaftslehre allerdings eher im Weg als zur Verfügung. 52 Wörtlich: »who can affect or is affected by the achievement of the firm’s objectives« (Freeman 1984, 25).
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Auch rechnet man Eigentümer sowie Angestellte und Arbeiter ebenfalls zu den Stakeholdern einer Unternehmung, die in diesem Sinne eben weder ein Subjekt ist noch durch nur ein Subjekt repräsentiert wird. Und all diesen Gruppen und Individuen, so zumindest der Anspruch der Verfechter dieses Ansatzes, soll durch eine geeignete strategische Ausrichtung, den daraus abgeleiteten Taktiken und den daraus folgenden Handlungen der Unternehmung Gerechtigkeit widerfahren, nicht nur zu ihrem jeweiligen Nutzen, sondern wiederum auch zu dem der gesamten Unternehmung. In diesem Sinne wird mit mal ethischem, mal pragmatischem Zungenschlag zur Einführung dieses »interessenpluralistischen« Konzeptes geraten, das auch als »evolutorische« Überwindung eines bloßen Shareholder-Ansatzes, der sich in erster Linie an den Interessen der Eigentümer ausrichtet, gedeutet wird (Janisch 1993).53 Welge und Al-Laham führen in ihrer Kritik des StakeholderKonzeptes aus: »Da grundsätzlich jede gesellschaftliche Gruppe Interessen gegenüber der Unternehmung vertreten kann, ist eine beliebig umfangreiche Liste denkbar« (Welge/Al-Laham 1999: 166). Für den Analytiker ist das wenig erfreulich, von den praktischen Konsequenzen, die eine Umsetzung hätte, mal ganz abgesehen. Daher wird bereits in der Theorie ganz hastig zurückgerudert, indem man zwischen ›primären‹, das heißt in das unternehmerische Geschehen direkt eingebundenen, und ›sekundären (non-market)‹ Stakeholdern unterscheidet, und den ersten tendenziell eine höhere Relevanz zukommen läßt.54 Sie alle werden dann hinsichtlich ihrer »Ziel- und Machtstruktur«55 sowie ihre »Risikodimension« durchleuchtet – dieser Vorgang wird als »Stakeholder-Scanning« bezeichnet –, wobei sich in der Staffelung nach machtgestützter Relevanz schließlich der moralische Anstrich des Konzeptes nach und nach verflüchtigt. Unterschieden wird zunächst einmal nach den Zielen bzw. nach den ganz unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Interessen, die die einzelnen Stakeholder an und gegenüber der Unternehmung haben. Die
53 Auch spricht Janisch sanft drohend von einer »Sicherung der sinnvollen Ueberlebensfähigkeit der Unternehmung« durch den Stakeholder-Value und erläutert: »Eine Unternehmung ist ex definitione nur so lange sinnvoll zur Existenz berechtigt, als dass sie für ihre Anspruchsgruppen tatsächlichen materiellen und immateriellen, von diesen subjektiv empfundenen Nutzen zu generieren vermag. Dementsprechend heisst sinnvolles Ueberleben der Unternehmung im strategischen AnspruchsgruppenManagement Nutzengenerierung für alle strategischen Anspruchsgruppen« (Janisch 1993:143). 54 Vgl. hier und im folgenden Welge/Al-Laham (1999: 166f). Dort findet sich auch weiterführende Literatur. 55 Woraus sich erkennen läßt, das Faulstich nicht aufgepaßt hat.
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Machtstruktur der jeweiligen Stakeholder wiederum gliedert sich in vier sogenannte »Machtbasen«: z
z
z
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Bindungsmacht: das Ausmaß, in dem das Unternehmen in seiner Handlungsfreiheit an die Zustimmung des Stakeholders gebunden ist; Retaliationsmacht: die Möglichkeit des Stakeholders, »Sanktionen« bei Nichterfüllung seiner Ansprüche oder Interessen vorzunehmen; Substitutionsmacht: die Möglichkeit des Stakeholders, die Beziehung zum Unternehmen ohne oder bei nur geringem Schaden abzubrechen; Koalitionsmacht: die Möglichkeit eines Stakeholders, sich mit anderen Gruppen (also ebenfalls Stakeholdern) zu verbünden, deren Machtbasen anders, komplementär und evtl. stärker ausgeprägt sind.
Die Risikodimension schließlich ergibt sich aus der Höhe (und wir müssen ergänzen: aus der Art: persönlich, finanziell, Lebensqualität etc.) des Einsatzes, den die Stakeholder in die Unternehmung einbringen. Auch dieses Risiko des Stakeholders kann in einem sehr weiten Sinne interpretiert werden, und es ist eben mit einem rein materiellen bzw. finanziellen Einsatz nicht abgetan. Diese Risikodimension ist damit übrigens auch eine wichtige Zurechnungsadresse für die Legitimierung und Delegitimierung von Ansprüchen. Vom Stakeholder-Ansatz läßt sich übrigens eine aufschlußreiche Parallele zu Ludwik Flecks Theorie vom Denkstil und Denkkollektiv ziehen. Es ist trivialerweise so, daß ein Angestellter an eine Unternehmung andere Anforderungen und Wünsche stellt als ein Lieferant, ein Kunde oder ein Besitzer. Auch ist seine Risikodimension eine völlig andere, wobei fallweise entschieden werden muß, ob sie höher oder niedriger ist. Mit Fleck könnte man sagen, daß er bezüglich der Unternehmung in seiner Rolle als Angestellter einem anderen Denkkollektiv angehört als der Eigentümer. Folgerichtig wird er einen anderen Denkstil pflegen. Eine sich darauf einstellende, ihren philosophisch-ethischen Grundlagen entsprechende Stakeholder-Strategie der Unternehmung müßte sich also mindestens als indifferent, möglichst jedoch als kompatibel zu zahlreichen Denkstilen und den damit verbundenen, meist auseinanderdriftenden Wertvorstellungen, Träumen, Wünschen, Erwartungen und Ängsten und dergleichen mehr erweisen, soweit die Machtbasen und die Risikodimensionen das erforderlich erscheinen lassen. Zu den verschieden konfigurierbaren Idealen solcher Kompatibilitäten gehört beispielsweise die in Stellenanzeigen oft so oder so ähnlich zu findende Forderung, ›sich mit dem Unternehmen und seinen Zielen zu identifizieren‹. In solchen Formulierungen wird eine Denkstilähnlichkeit beträchtlichen Ausmaßes
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durch denjenigen eingeklagt, der bezüglich der Organisation in der Unternehmung – wie an der Textsorte unschwer zu erkennen – ganz offenbar am längeren Hebel sitzt. Diese geforderte Angleichung wird mit modischem Vokabular als Identitätsangebot dargestellt. Und das ist nur ein sehr einfaches Beispiel, das bereits den Sprengstoff solcher Beziehungen erkennen läßt.56 Verkompliziert wird dieses filigrane Geflecht durch den Umstand – wiederum verweisen wir auf Fleck –, daß ein Individuum in sich sehr verschiedene Stakeholder-Rollen vereint, mal auf eine, meist auf mehrere Unternehmungen bezogen, und daß es daher verschiedenen, oft widersprüchlichen Denkkollektiven angehört und sich aus diesem Grund mit verschiedenen Denkstilen intraindividuell abplagen muß. Es ist eine Sache, in einem Atomkraftwerk zu arbeiten. Es ist eine andere, neben einem zu wohnen. Wiederum eine andere ist es, seinen Strom daher zu beziehen. Eine weitere ist, Anteile an der Betreiberfirma zu halten. Man kann sich das leicht selbst durchbuchstabieren, und es dürfte klar sein, daß intraindividuell widersprüchliche Kombinationen zu Spannungen führen können, vor allem dann, wenn die persönlichen Prioritäten des Stakeholders unklar sind – wenn er sozusagen nicht weiß, ›was er eigentlich will‹. Der Aktienboom der letzten Jahre mit den bekannten deplorablen Folgen ist ein hübsches Lehrstück dafür, wie die Machtbasen innerhalb der Stakeholder insgesamt und auch innerhalb der einzelnen Individuen verschoben und neu gewichtet worden sind, und welche Folgen das für die Kommunikation haben mußte. Einem vom Aktienkurs faszinierten ›Eigentümer‹ lassen sich die Rationalisierungen bei der Telekom leichter plausibel machen als einem ›Kunden‹, der ewig und drei Tage auf einen neuen Anschluß warten muß und in den Telekom-Läden auf ständig wechselndes Personal stößt, das nicht immer so gut ausgebildet ist, wie es notwendig wäre. Auch das Aufblühen der sogenannten ›Investor Re-
56 Wir haben aus den uns bekannten Stellenanzeigen ein Destillat im Text erstellt. Um den Lesern einen echten Beleg anzuführen, verweisen wir auf die Zeitschrift Arbeitsmarkt BildungKulturSozialwesen des Wissenschaftsladens Bonn, Heft 35/2002. Hier finden wir auf Seite 4 die Stellenanzeige eines Münzenversandhauses, mit der »eine/n WerbetexterIn« gesucht wird: »Eine teamorientierte verantwortungsbewusste Arbeitsweise, sowie die volle Identifikation mit dem Unternehmen setzen wir ebenso voraus.« Angesichts der Tatsache, daß gerade Werbetexter wohl mit der Umschreibung ›Diskurssöldner‹ recht gut getroffen sein dürften, hat der Umstand, daß man ausgerechnet von ihnen eine »volle Identifikation« einklagt, etwas Albernes – und dann noch mit einem Münzversandhaus, also ehrlich. Die Forderung dürfte aber wohl ernst gemeint sein. Was geht in den Köpfen der Leute vor, die so etwas schreiben?
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lations‹ als einer speziellen Form der Unternehmenskommunikation, bei der die durch Aktienbesitz gekürten Eigentümer auch noch gleichzeitig wie Kunden behandelt werden müssen, zeigt, wie sich reale Verschiebungen der Machtbasen auf die einzelnen Denk- und schließlich auch Kommunikationsstile auswirken.57 Ein Resonanzkalkül, das sich an diese Stakeholder wendet, muß vor allem solche Verschiebungen in Rechnung stellen. Aber hier deutet sich bereits an, daß die Überlegungen zum Stakeholder-Ansatz für die Organisation von Kommunikation und Rhetorik möglicherweise fruchtbarer sind als eben für nichtsprachliche ökonomische Entscheidungen. Das Ergebnis des Stakeholder-Scannings schließlich ist eine sogenannte »Relevanzmatrix«, eine strukturierte und hierarchisierte Darstellung, in welchem Ausmaß und auf welche Weise die Unternehmung von ihren Stakeholdern jeweils beeinflußt werden könnte. Hier wird es dann analytisch meist ein wenig brenzlig, denn der ganzheitliche Anspruch dieses Ansatzes verunmöglicht eine exakte und innerhalb des Stakeholder-Kreises vergleichbare Quantifizierung. Das hätte böse Folgen für Empirie und Handlungsorientierung, die sich aus diesem methodischen Manko ergäben, nähme auch nur irgend jemand das Konzept als handlungsleitend ernst. Aber es sind nicht nur solche organisatorischen Mißhelligkeiten, die das Gerede vom Strategischen Anspruchsgruppenmagement und seiner vermeintlichen Ganzheitlichkeit als Blödsinn entlarven. Die Sollbruchstelle dieses Konzeptes liegt natürlich in den Machtbasen und in der Risikodimension. Welge und Al-Laham referieren eine vernichtende Kritik: Aufgrund sich wandelnder Engpaßsituationen erlangen die Ziele der Interessengruppen [Stakeholder, MFE] selten einen gleichwertigen Stellenwert. Vielmehr werde sich eine rational handelnde Unternehmensführung auf diejenigen Stakeholder ausrichten, die über eine kritische Ressource verfügen (Welge/Al-Laham 1999: 175, herv. v. MFE).
Was auch sonst? Mit dem Begriff ›kritische Ressource‹ ist möglicherweise das wichtigste Stichwort gefallen. Aber zunächst mal die Frage: Was sagt uns diese Einschätzung? Oder anders gefragt, wie hat man sich eine gängige Interpretation des Stakeholder-Ansatzes abseits der wissenschaftlich befriedeten Diskurse, wo man meist sehr nett miteinander umgeht, vorzustellen? Wir nehmen an, etwa so, wie man es 1996 in der NZZ nachlesen konnte:
57 Als Beispiel vgl. Täubert 1998.
348
DIE ATTRAKTIVITÄT DES KORREKTHEITSMUSTERS Ob und wie die Unternehmung die im Prinzip immer vorhandenen und unlimitierten Ansprüche aller möglichen Stakeholder berücksichtigen und befriedigen kann, hängt ausschließlich davon ab, ob diese Stakeholder einen produktiven Beitrag zum eigentlichen Unternehmenszweck leisten oder nicht (Kleinewefers 1996).
Da finden die Blütenträume von der Ganzheitlichkeit ein frostiges Ende.58 Und nun machen wir uns an den angekündigten Transfer. Es geht dabei wohlgemerkt nicht um eine Überlegung, wie in einer vom verträumten ganzheitlichen Stakeholder-Ansatz geprägten Gesellschaft eine allen Beteiligten angemessene Kommunikation aussähe. Die Analogien, die uns interessieren, sind ganz andere.
Fazit: Das Verhältnis von Resonanzkalkül und Attraktivität im Korrektheitsdiskurs Wir sind der Auffassung, daß jede in irgendeiner Weise öffentliche Äußerung –, ein Drittmittelantrag, ein Zeitungsartikel in der WR, eine Satire in der Titanic, Walsers Paulskirchenrede, der Vortrag des Mannes auf der Orangenkiste in einer Ecke des Hyde Park etc., gewiß auch eine Dissertation – mit der aus Strategie und Taktik abgeleiteten Handlung einer Unternehmung im eben beschriebenen Sinne verglichen werden kann. Das angesprochene Publikum, die Öffentlichkeit, also die Gesamtheit der Stakeholder dieses kommunikativen Aktes und der Strategie, in die dieser Akt eingebunden ist, sind im Singular nicht zu begreifen. Das Resonanzkalkül, das einer so verstandenen Äußerung unterliegt, bezieht sich somit auch auf das sprechende Subjekt. Der Sprecher muß es sich im kommunikativen Akt, also im identifizierbaren und ihm zurechenbaren
58 Sollte man zumindest meinen. Aber weit gefehlt: trotz dieser völlig berechtigten Kritik träumen Welge und Al-Laham den Traum von der Ganzheitlichkeit fort, und in ihrem versöhnlichen Vorschlag demonstrieren die Autoren, wie man unter völliger Auslassung bisheriger Erkenntnisse resonanzorientiert weiter argumentieren kann: »Insofern erfordert ein modernes Verständnis des strategischen Managements eine Synthese aus Shareholder Value und Stakeholder Value-Maximierung i. S. eines ganzheitlichen Konzeptes« (Welge/Al-Laham 1999: 175). Der Synthesegedanke, der hier zusammengebraut wird, krankt daran, daß konzeptimmanent den Shareholdern eine unhintergehbare »kritische Ressource« zugewiesen worden ist, an der sich die Strategie des Unternehmens auszurichten hat. Den ganzen Schmus von der Ganzheitlichkeit kann man sich dann sparen. Aber nochmals, es handelt sich hier um ein rhetorisches, vulgärphilosophisches Konzept, das auf Resonanz hin ausgerichtet ist. Insofern scheint für Welge und Al-Laham der ethisch-moralische Bezug aufs Ganze unverzichtbar.
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diskursiven Ereignis, auch selbst recht machen, zumindest insoweit, wie es seine kommunikative Strategie allgemein und damit sein Resonanzkalkül in Abhängigkeit von seiner Relevanzmatrix zuläßt. Das erzeugt je nachdem, wie man gestrickt ist, ein Spannungsfeld, das individuell bedeutend voneinander abweichen kann, folgt man unserer oben ausgeführten Grundannahme über das allgemeine Ziel eines jeden Resonanzkalküls: einigermaßen gut aussehen und sich nicht selbst schaden, wie und mit Hilfe welcher Stakeholder auch immer man diese beiden Optionen besetzen möchte.59 Das können beispielsweise Stakeholder sein, die, wie Bollenbeck es aufgezählt hat, über »Macht, Geld und Reputation« verfügen und sie gegebenenfalls als Ressource zur Verfügung stellen oder verweigern können (Bollenbeck 2001: 15). Es kann aber auch darum gehen, ganz andere kommunikative Ziele zu erreichen, und wenn man sich selbst nur gern reden hört. Welche Ziele das am Ende sind, bleibt oft unklar. Bereits der Begriff »Reputation« in der Wissenschaft ist außerhalb ganz enger diskursiver Ereignisse (gefeierte und vielzitierte Buchpublikation ) häufig fragwürdig. Jemand kann fachlich einen exzellenten Ruf haben und im Kollegenkreis dennoch als, nun ja, hochproblematische Persönlichkeit gelten. Dasselbe gilt umgekehrt, vielleicht aufgrund hoher sozialer Kompetenzen und einer ausgeprägten Begabung für die Quisquilien des Wissenschaftsbetriebs, Talente mithin, die die fachlichen Schwächen oft ausgleichen. Die Folgen für Forschungsanträge und Kooperationen können durch so etwas nicht wenig beeinträchtigt werden, und Chancen und Risiken sind nicht eindeutig verteilt. Aber je nachdem, worauf der Betreffende sich kapriziert hat, was und wer für ihn die kritische Ressource darstellt, kann er das eine oder andere als Erfolg oder als tragisches Scheitern verbuchen. Und wie immer gilt, daß auch zwischen diesen Extremen jede Menge Spiel ist, und daß sogar, wir wollen es zumindest nicht ausschließen, eine indifferente Haltung möglich ist. Der Korrektheitsdiskurs ist übrigens noch bei weitem unübersichtlicher. Die Kommunikation einer so verstandenen »Unternehmung«, fahren wir zunächst einmal damit fort, kann aus diesen Gründen auch nur als eine Fortsetzungsgeschichte verstanden werden. Die einzelnen kommunikativen Akte öffentlichen Sprechens mögen augenscheinlich ad hoc entstehen und punktuell beobachtbar sein. Ihr diskursiver Ermöglichungsund Begründungszusammenhang ist jedoch auch ein diachroner, mit
59 Auch und besonders für den Korrektheitsdiskurs heißt das beispielsweise: wer sich aus höchstpersönlichen Gründen als Märtyrer inszeniert, dem machen auch geworfene Tomaten nichts aus – im Gegenteil, sie müssen nur von der richtigen Hand geworfen werden!
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Blick auf die Vergangenheit und mit Planungen für die Zukunft. Insofern ist beispielsweise die im Korrektheitsdiskurs im Frühjahr 2002 ventilierte Frage, ob denn wohl Walsers Roman Tod eines Kritikers antisemitisch ist oder eher nicht, bereits vor jedem abschließenden Urteil dann eine Luftbuchung, wenn man diesen Roman nicht als Teil einer kommunikativen Geschichte interpretiert, zu der eben auch die zahlreichen vorhergehenden Reden und Texte Walsers und die Reaktionen seiner Anhänger und Kritiker zählen, sowie darüber hinaus all die anderen, die mit der Rede von der Korrektheit so ihre Erfahrungen gemacht haben. Diskursive Ereignisse sind als singuläre erlebbar und benennbar. Sie als solche zu diskutieren und zu analysieren ist völlig nutzlos. Die divergierenden Interessen des von uns als Stakeholder bezüglich der kommunikativen Unternehmung verstandenen Publikums ermöglichen und erfordern seitens des Verantwortlichen ein Resonanzkalkül, das es zumindest einem Stakeholder (einem Individuum oder einer Gruppe) mit der kritischen Ressource recht machen muß. Je nachdem, bei wem man diese kritische Ressource verortet, kann dann auch das Vergrätzen der einen Stakeholdergruppe als das Befriedigen einer anderen, ressourcenhaltigeren interpretiert werden. Damit aber zerbersten all die Reden vom ›Tabubruch‹, von der ›ketzerischen Meinung‹, die man jetzt aber mal dringend äußern müsse, vom ›Querdenken‹ etc., und zwar um so mehr dann, wenn eben die spektakuläre Spielart kommunikativer Akte, die man mit eben solchen Begriffen bezeichnet, zu genau den Anforderungen zählen, die ein Diskurs erfordert. Vor allem auf öffentlichen Konflikt und Konsens sowie deren Bewertung angelegte Diskurse und ihre so determinierten kommunikativen Akte, wie etwa die Paulskirchen-Rede (Walser mußte wissen, daß es Widerspruch geben würde, es war ja nicht seine erste Rede zu diesem Thema), oder auch die Texte, die dem Konzept der NFS nachgebildet sind, können daher nicht umhin, ablehnende Resonanz zu erzeugen. Sie brauchen das vielmehr, wie zum Beispiel das Waechter-Interview 1992 zeigte. Der mit einer öffentlichen Äußerung abgeklopfte Resonanzraum ist eben keine Echokammer. Gewiß, es gibt Fehlkalkulationen. Wenn McDonald’s Anwälte gegen die Titanic schickt, kann das für die Satiriker rasch ins Auge gehen. So etwas gilt selbstverständlich auch für nicht-satirische Diskurse. In der Wissenschaft herrscht bei allen Differenzen in den Einzelheiten unterm Strich die Meinung, daß Philipp Jenninger oder Steffen Heitmann, nicht so recht wußten, was sie da eigentlich taten noch wie ihnen geschah.60
60 Vgl. Kapitzky (2000: 73-93). Kapitzky zeigt hier, wie die Jenninger-Rede in den deutschen Korrektheitsdiskurs ex post hineingeholt wurde, und arbeitet auch einen großen Teil der Forschung zu der Rede auf.
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Mag sein. Daraus abzuleiten, ihre Reden seien nicht kalkuliert und nicht mehrfachadressiert gewesen, oder zu glauben, ihnen sei keinerlei Zustimmung entgegengebracht worden, wäre abwegig. Auch mit der Satire gegen McDonald’s ist der Titanic nicht etwa ein Malheur passiert. Allenfalls haben die Betreffenden in ihrer jeweiligen ›Kommunikationsunternehmung‹ die unterschiedlich ausgestatteten und kombinierten Machtbasen der Stakeholder in ihrer Gesamtheit sowie in ihrer jeweiligen Intraindividualität falsch eingeschätzt, und dabei übersehen, wer in bezug auf ihre Äußerungen über die »kritische Ressource« verfügt und bereit ist, sie zur Verfügung zu stellen oder zu verweigern. Das passiert schon mal. Unsere Annahme ist, daß individuelle Diskursstrategien, daraus abgeleitete Diskurstaktiken und schließlich die einzelnen kommunikativen Akte sich aus einer solchen »Relevanz-Matrix« ermitteln ließen. Davon aber kann man sich in der Wissenschaft nichts kaufen. Denn zum einen bleibt selbst aus der Sicht der Unternehmung bzw. hier desjenigen, der den kommunikativen Akt verantwortlich organisiert und/oder durchführt,61 die erstellte Relevanzmatrix meist unvollständig und fehlerhaft – bestenfalls ist sie approximativ richtig, bezüglich der Machtbasen der Stakeholder und der Anpeilung der kritischen Ressource einigermaßen verläßlich, und somit ist die daraus entwickelte Handlung ceteris paribus (in anderen Worten: wenn nichts schiefgeht) erfolgreich. Die von einem sprechenden (bzw. schreibenden) Subjekt in seiner Erscheinungsform als ›Unternehmung‹ aufgestellte Relevanzmatrix, in der es selbstverständlich ebenfalls als Bestandteil enthalten ist, ist das Ergebnis solcher strategischer Überlegungen und daraus abgeleiteter taktischer Erwägungen. Schon die Aussagen des empirischen Subjekts über seine eigenen ›eigentlichen‹ Kommunikationsabsichten und seine Beurteilung der erwarteten und tatsächlichen Resonanz aber sind mit der äußersten Vorsicht zu genießen, gleich ob sie vor, nach oder gar während der betreffenden Kommunikation geäußert werden. Jemand, der beifallheischend ankündigt, ›jetzt mal etwas ganz Ketzerisches sagen zu wollen‹, kommuniziert damit ein Resonanzkalkül, das in dieser Wortwahl möglichst nicht für voll genommen werden sollte, sofern man analytisch an die Sache herangehen will. Denn auch die Beurteilung eines kommunikativen Aktes, den man selbst durchgeführt hat, ist wiederum ein kommunikativer Akt, der einem vergleichbaren, vielleicht gleich, vielleicht anders arrangierten Resonanzkalkül unterliegt, das wiederum versucht, die kritische Ressource für diese relative Meta-Kommunikation auszuschöpfen. In der Rekonstruktion solcher Überlegungen durch den Diskursanalytiker sind noch
61 Das »und/oder« ergibt sich hier z. B. aus einer angenommenen Konstellation von Redenschreiber und Redner.
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deutlich mehr Abweichungen zu erwarten.62 Hier schlägt im allgemeinen die große Stunde der ›kühnen Behauptungsrhetorik‹. Man könnte nun einwenden, daß wir eine sehr einfache Grundtatsache der öffentlichen Kommunikation und ihrer ebenfalls öffentlichen Beurteilung recht umständlich ausdrücken wird. Aber dieses umständliche Herangehen und die so eröffnete Sichtweise gibt einem die Mittel, das im Korrektheitsdiskurs etablierte Gerede vom Tabubruch und Zensur als das hohle Gerede aufzuschlüsseln, das es beinahe durchweg ist. Noch einer weiteren Falle, in die man bei der Beschreibung öffentlicher Kommunikation gelegentlich tappt, kann mit Hilfe des hierhin transferierten Stakeholder-Ansatzes ausgewichen werden. Wenn man versucht, einen kommunikativen Akt dahingehend zu beurteilen, ob er erfolgreich ist oder nicht, scheint uns angesichts der äußerst disparaten und vielschichtigen Stakeholder-Umwelt die ohnehin unpräzise Meßgröße ›Zustimmung‹ nicht auszureichen. Eine Zustimmungsbereitschaft muß dann und nur dann, da und nur da erzielt werden, wo die Taktik oder die langfristige Strategie, der Anlaß und das Thema der Äußerung, die Art und das Ausmaß der Machtbasen diese Zustimmung genau dieses Stakeholders erforderlich machen. Und das heißt dort, wo beispielsweise die Bindungsmacht oder die Retaliationsmacht groß genug sind, die kommunikative Unternehmung bzw. das sprechende Subjekt kurz- oder langfristig zu behindern oder zu fördern, zu belohnen und zu bestrafen, und zwar in einer Weise, die das besagte Subjekt so empfindet: Der klassische Fall dafür bei Überlegungen zum politischen Diskurs ist der Versuch, mit Hilfe von Reden bzw. neuerdings Fernseh-Auftritten in Talkshows eine politische Wahlentscheidung zu beeinflussen, was aber ohne die (tatsächlichen oder unterstellten) Ressourcen, die hinter dem Redner stehen, mit Engelszungen geschehen könnte, ohne daß die gewünschte Folgekommunikation, das Kreuzchen an der richtigen Stelle, eintritt. Für diese Kommunikationshandlung des Wählers muß nämlich wiederum der Redner zumindest in der Einschätzung des Wählers die kritische Ressource haben. Kandidat und Wähler müssen also einander als Ressourcen bzw. Ressourceninhaber gelten. Doch selbst angesichts einer Rede und einer dazu passenden Wahlentscheidung ist die kognitive Elastizität des Kau-
62 Wir möchten das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, aber gewiß ist zu überlegen, wieweit die »Nachwelt« oder zumindest Teile von ihr als potentielle Stakeholder in solchen Überlegungen eine Rolle spielen. Zieht man beispielsweise die Tagebücher von Thomas Mann oder Joseph Goebbels heran, die auch auf nachweltliche Resonanz hin kalkuliert gewesen sein dürften, und vergleicht sie mit den Tagebüchern von Samuel Pepys, die diesbezüglich zumindest rätselhaft sind, dürften solche Unterschiede zu Tage treten.
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salschemas, von der Luhmann spricht, groß genug, um die tatsächlichen Modi der Zurechnung zu einer bloßen Vermutung gerinnen zu lassen. Vielleicht war es am Ende ja doch die Krawatte oder die richtige Haartönung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Öffentlich interpretiert jedoch wird die Wahl als das Mandat des Volkes, das einen richtig verstanden habe und einem voll vertraue, oder so ähnlich. Um nochmals auf den Ursprung des Stakeholder-Ansatzes zurückzukommen: Einer ökonomischen Unternehmung etwa zu unterstellen, sie müsse aus Gründen der Existenzsicherung auch »Nutzengenerierung« für ihre Konkurrenz betreiben, wie das Janisch 1993 und andere orthodoxe Anhänger dieser Theorie machen, gehört ins Reich der Fabel – es sei denn, die Machtbasen des Wettbewerbers sind dergestalt, daß Sanktionen seinerseits möglich sind, wie bei Kartellen. Für kommunikative Unternehmungen gilt das akkurat genau so. Wichtig ist es für den Resonanzkalkulierenden, eben die jeweiligen Stakeholder mit der kritischen Ressource zu identifizieren, deren Zustimmung oder wenigstens Duldung erzielt werden muß, um die eigene Strategie aufgehen zu lassen. Das ist nicht immer leicht, und kann, wenn überhaupt, eben nur von demjenigen letztlich schlüssig geleistet werden, der die Verantwortung für die Strategie trägt. Diese Zuordnung zu durchschauen wäre fast ebenso wichtig für denjenigen, der ex post die Kommunikation untersucht. Dem aber ist das in den seltensten Fällen möglich. Ersatzweise aber mag es reichen darzustellen, wer diese Ressource nicht hat, und wenn man ihn hundertmal als Vertreter der politisch korrekten Inquisition oder Diskurspolizei darstellt. Somit aber wird die behauptete Zurechnung der kritischen Ressource durch denjenigen, der entweder sein eigenes oder ein fremdes Resonanzkalkül zu beschreiben versucht, ein verläßlicher Indikator dafür, wie die jeweils Verantwortlichen diese Interpretation des Resonanzkalküls verstanden und bewertet wissen möchten! Hinzu kommt noch, daß beispielsweise die Ablehnung einer Stakeholdergruppe mit minderkritischer Ressource für den Sprecher die Resonanz wiederum bei derjenigen Stakeholdergruppe, die für den Sprecher relevant ist, um genau das Maß erhöhen kann, das erzielt werden soll. Eine Satire gegen Rudolf Scharping soll Nutzen für die Leser und Autoren der Titanic generieren, nicht etwa für Scharping. Und so funktionieren die vermeintlich tabubrecherischen Polenwitze eines Harald Schmidt. So funktionierte langfristig auch das Sichheranziehen eines Publikums, wie es die NFS in den Achtziger Jahren verstanden hat. So funktioniert ein Zeitungskommentar, der Schröders Haltung zum Thema ›Kindermißbrauch und Haftstrafen‹ als gleichzeitig möglicherweise populistisch, notwendig, mutig, und politisch unkorrekt sich zusammenreimt. Und so funktioniert auch die Beurteilung der Paulskir-
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chen-Rede durch die rechtsradikale Presse: während der Veranstaltung gab es stehende Ovationen, abgesehen von dem Ehepaar Bubis und Friedrich Schorlemmer, wie es heißt. Dennoch wurde die Kritik, die unter anderem von Bubis ausging und der sich nur verhältnismäßig wenige Teile der Öffentlichkeit anschließen wollten, als das Resultat unglaublich großer und gefährlicher Machtbasen der Politisch Korrekten aufgeblasen. Man konnte den Eindruck gewinnen, die gefürchtete »politically correct movement« hätte bereits die Gewehre ausgeteilt. Und natürlich wurde das dann sofort in einen Ehrentitel für (den als Beispiel fast unersetzlichen) Walser umgemünzt. Wir erinnern nur kurz an die Meldung der Zeitschrift Nation Europa, der zufolge die Kritik von Bubis an Walser »von höchster Stelle das Prädikat politischer Inkorrektheit« (11-12/1998) verliehen habe. Und wie erwähnt, für den Preis »für das unerschrockene Wort« hätte es beinahe auch noch gelangt, wobei sich da die Ressourcenkonstellation etwas überraschend so weit verschob, daß das dann doch nicht gelang. Doch wenn Martin Walser in irgendeiner Weise kritisiert wird, wird das wiederum von ihm selbst und von der rechten Presse oder auch von Joachim Kaiser als eine Art Auszeichnung verstanden.63 Auch hier gibt es eine Denkstilähnlichkeit mit den Satirikern, wie das Waechter-Interview zeigt. ›Viel Feind, viel Ehr‹. Wenn man erlebt hat, daß Walser nach 1994 und vor allem 1998 seine kommunikative Unternehmung fortgesetzt hat, ohne seine Diskursstrategie zu ändern, dann läßt sich zumindest sagen, daß Kritiker wie Ignatz Bubis und Konkret bezüglich Walser keine existenzgefährdende ›kritische Ressource‹ darstellten. Im großen und ganzen gilt diese Zähigkeit auch für die NFS. Die Titanic bleibt, trotz größtenteils neuer Besetzung, ihrem methodischen Kurs treu. Dennoch werden bei vergleichbaren Anlässen unterschiedliche Maßstäbe angelegt und manche Ziele mit offenbar zu kritischer Ressource vermieden. Nun gut, einen satirischen Kommentar der Titanic zu Henscheids Interview zum Thema Walser und Meinungsfreiheit in der Jungen Freiheit durfte man vermutlich nicht ernsthaft erwarten. Wiederum konsterniert daher einige Monate darauf der Umstand, daß der Schauspieler Peter Ustinov einen bösen ›Brief an die Leser‹ sich einfing, als er der National-Zeitung ein Interview gab und ausgerechnet dort über den Pazifismus schwadronierte (Titanic 4/2003: 7). Wie hieß es bei Bernd Eilert? »... viel Lärm, wenn es um nichts geht, betretenes Schweigen, wenn es darauf ankäme zu widersprechen ... Peinlich, oh so peinlich sein«.
63 Joachim Kaiser in der SZ v. 05.06.2002 beschrieb seine Sicht der Causa Walser 2002 unter der Überschrift Walsers Skandalon. Nicht antisemitisch, aber brillant, boshaft und hemmungslos.
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Solche Beobachtungen sind für unsere analytischen Zwecke immerhin etwas. Als die FAZ, bis dahin eine verläßliche (ob auch eine kritische?) Ressource für Walser, im Frühjahr 2002 die Hand unter ihm wegzog und damit den Skandal um seinen Roman erst auslöste, herrschte zunächst großes Durcheinander. Allerdings hat dann die SZ, personell aufgefrischt durch ehemalige FAZ-Leute, die sich mit Schirrmacher überworfen hatten, quasi die Rolle der kritischen Ressource versucht zu übernehmen, was sich in zahlreichen Pro-Walser-Artikeln niederschlug. Wir nehmen daher an, daß der Tod eines Kritikers auch Teil eines via Walser ausgetragenen Feuilleton-Kampfes um die Lufthoheit über den Bistrotischen gesehen werden muß. Das aber bleibt an dieser Stelle Spekulation und müßte gesondert untersucht werden. ›Cui bono?‹ ist bei solchen Betrachtungen noch immer nicht die dümmste Frage, die man stellen kann. Die Verwendung des Korrektheitsmusters, um darauf zurückzukommen, ist ein metakommunikativer Kommunikationsakt. Es wird mit dem Korrektheitsmuster ein permanenter Begleitdiskurs erzeugt, ein nutzenorientierter Kommentar mitgesprochen, eine Folie für die Interpretation geliefert, ein vermeintliches Resonanzkalkül mitgeteilt, das allerdings meist mehr von den großen Risiken redet als von den Chancen und Hoffnungen, die den Verwender des Korrektheitsmusters zu seiner Wahl eben des Musters und des daran geknüpften Themas bewogen haben, zu der ja niemand gezwungen wird. Die Rede von der Korrektheit begleitet und deutet all das, was mit Hilfe des Musters kommuniziert und auch das, was kommunizierend beurteilt wird. Das Korrektheitsmuster erlaubt durch seine Polyfunktionalität in diesen relativen Meta-Kommunikationen die plausible Konfiguration virtueller Machtbasen, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Koalition und Retaliation, eine Konfiguration, die als unterstellte freiheitsbedrohende Realität wiederum Mut, Legitimation, Charme und Wirkung der jeweiligen Aussage quasi mitliefert und zertifiziert. Diese Konfiguration wird auch ermöglicht durch den Umstand, daß ein Stakeholder allein (oder als Gruppe) stets in der Unterzahl ist. Um sich in die kommode, überwindungsfreudige Defensive und scheinbar schwach zu reden, muß er nur die anderen stark reden. Die Rede von der Korrektheit, die möglichst geschickte Applikation der Legende, ist bei genau diesem Vorgang eine große Hilfe. Das mit Hilfe dieser Legende geleistete Zusammenfassen verschiedenster Stakeholder erlaubte es beispielsweise, eine ganz unwahrscheinliche Koalitionsmacht im Sinne des Stakeholder-Ansatzes plausibel zu insinuieren – eine Koalitionsmacht, die diese Stakeholder in ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner ›PC‹ angeblich auf die Beine stellen konnten, bis sie am Ende »eine PC-Bewegung« waren, die es dann im Namen der Freiheit und der westlichen Zivilisation zu überwinden galt und gilt.
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Zu der Rede von der Korrektheit gehört dann wie gezeigt auch eine diachron geleistete, auf eine vermeintliche Tradition bzw. Denkstilähnlichkeit hin argumentierende Zusammenfassung, zum Beispiel von der spanischen Inquisition über die Reichsschrifttumskammer bis hin zu Orwells »Großem Bruder«. Solche Traditionslinien, an die sich dann etablierte Journalisten wie Zimmer dranhängen, sind vor allem in einer tribalistischen Massendemokratie ein einziger Unsinn. Aber eine so durchgeführte Konfiguration von Macht, vor deren Hintergrund jede Äußerung, die sich als quergedacht zu diesen retaliationsmächtigen »Pappkameraden« (Erenz 1993) stellt, erlaubt es jedem, sich als gegebenenfalls todesmutig oder zumindest heiter bis kritisch darzustellen. Und selbst für denjenigen, der manche Teile dieser Konfiguration für übertrieben hält, bleibt durch die schier endlose Kette von interdiskursiven Transpositionen von Repertoire-Elementen eine diskursiv erzeugte, ausreichend plausible, sich gegenseitig stützende Koalition von mächtigen Diskursverknappern übrig, um vielleicht nicht jede einzelne Aussage zum Thema ›PC‹, aber das dahinterstehende Prinzip des Korrektheitsmusters plausibel erscheinen zu lassen. Gut, nicht jeder rechnet mit der spanischen Inquisition und viele wissen, daß auch die Gestapo historisch erledigt ist – andererseits, es gibt eben Adabeis wie Ralph Giordano, was tun, wenn die einen bei einer diskursiven Missetat ertappen und, wie es ihre Art ist, auf immer derselben Tonhöhe Lärm schlagen? Ernsthaft gefragt: Wer hat nicht schon mal auf Konsens hin argumentiert, dann doch Widerspruch geerntet, und sich das eine oder andere Mal vielleicht gar die Zunge verbrannt oder rechtzeitig draufgebissen? Die banale Grundtatsache der Kommunikation, daß sie nämlich ein Koordinationsprozeß von Individuen ist, der geplant wird und gelingen oder scheitern kann, wird durch das Korrektheitsmuster auf attraktive Weise aufgemöbelt. Die Attraktivität des Korrektheitsmusters liegt nicht zuletzt in seiner leichten Zugänglichkeit: die – auf Grundlage der Basisplausibilität des Phraseolexems – in der Legende zusätzlich narrativ akkumulierte Plausibilität des Musters erlaubt den Bezug ganz allgemein, und die darauf fußende Argumentation kann mit ›Verständnis‹ im weitesten Sinne rechnen: man ›weiß doch, was gemeint ist‹. Seine Polyfunktionalität erlaubt daher auch den Bezug aus fast jedem Diskurs heraus. Sein Charme erlaubt das flexible Spiel von Nähe und Distanz, von Spaß und Ernst, von Ironie und Alarmismus. Seine mythische Geschichte und seine Polyfunktionalität erlauben theoretisch sogar den affirmativen Bezug auf die ›Political Correctness‹. Wir wissen, daß diese Option kaum je realisiert worden ist, und es dürfte nun auch klar sein, warum nicht. Unbeschadet dessen legitimiert die bloße Möglichkeit eines affirmativen Bezugs die Behauptung, daß es sich bei einer angeblichen Geste der Unkor-
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rektheit um eine Entscheidung des Sprechers zu einer meist als mutig oder wenigstens kritisch verstandenen Überwindung handelt. Was und wer dann im einzelnen überwunden wird, ist zunächst irrelevant. Aber man hat mit sich gerungen, oder wenigstens mit einer korrekten Gegenmacht, einer ganz kritischen Ressource, gebildet aus Machtbasen jenseits aller Vorstellungskraft. Unter dem Gesichtspunkt des Resonanzkalküls bedeutet Attraktivität zum einen, daß ein attraktives Deutungsmuster imstande ist, zahlreiche und komplex organisierte Resonanzkalküle gleichzeitig zu befriedigen. Die inhaltliche Unterbestimmtheit, in Kombination mit einem unterschiedlich scharf konturierbaren Konfliktpotential, das gegebenenfalls ironisch und/oder ridikülisierend gebrochen werden kann, macht das Korrektheitsmuster zu einer in dieser Hinsicht bedeutenden rhetorischen Figur. Die rasch gewachsene Attraktivität des Korrektheitsmusters, die bis heute dazu führt, daß man dafür eine Vorliebe entwickeln und pflegen kann, gründet in seiner stupenden Kompatibilität zu zahlreichen Denkstilen, in seiner Akkumulationsfähigkeit für zahllose konfliktbestimmte Diskurse und in seiner Bindung an etablierte RepertoireElemente, auf die zurückzugreifen offenbar mehr als reizvoll ist. Die Allgegenwart der Aspekte von Konflikt und Konsens, von Widerstand, Hinnahme und Überwindung, auch von Alt und Neu in jedem Diskurs, führt dazu, daß die jeweiligen Teilnehmer ein so multivariantes Deutungsmuster gut gebrauchen können – irgendwas ist immer zu reformieren, abzulösen, zu modernisieren, zu bekämpfen, wiederum also zu überwinden. Die Rede von der Korrektheit erlaubt überdies den Einbau höchstpersönlicher Kommunikationserfahrungen, die mit Erfolg und Scheitern, mit Chancen und Risiken zu tun haben, in einen wiederum größeren, von der eigenen Individualität gelegentlich sogar ablenkenden, Zusammenhang. Ob dieser Zusammenhang im engeren Sinne verständnisleitend oder letztlich nur verständigungsorientierend wirkt, wissen wir nicht zu sagen. Aber eines ist von Bedeutung: sich gegen die Korrektheit zu positionieren, minimiert das individuelle Risiko des verantwortlichen Stakeholders, der dabei aber immer noch als Opfer und als (möglicher) Überwinder des garstigen Schicksals, also als ›Diskurspartisan‹ sich darstellen kann. Dieser begehrten Rolle im Geschehen ist denn auch die Schlußbetrachtung unserer Arbeit gewidmet.
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SCHLUSSBETRACHTUNG: DISKURSPARTISANEN Vorbemerkung: Wozu eine Schlußbetrachtung, wenn es doch immer weitergeht? 359 | »Kulturen der Niederlage« und Hegemoniebehauptungen 360 | ›Rollen‹ als abstrahierte Repertoire-Elemente im Korrektheitsdiskurs 363 | ›Selbsternannte Opfer‹ 369 | Diskurspartisanen: Die Dialektik von Redefreiheit und Zensur im Korrektheitsdiskurs 374 | Vergossene Milch 380
Vorbemerkung: Wozu eine Schlußbetrachtung, wenn es doch immer weitergeht? Eine wissenschaftliche Arbeit mitten in einen laufenden Diskurs zu plazieren gaukelt eine ausreichende Abgeschlossenheit und eine Endgültigkeit vor, sowohl der Beschreibung als auch der beschriebenen Angelegenheit selbst. Weder das eine noch das andere trifft im Fall dieser Studie zu. Die Belege teufeln bis auf den Tag munter auf meinen Schreibtisch ein, und ich muß mich zusammenreißen, nicht kontinuierlich ein schönes Beispiel durch ein vermeintlich noch schöneres zu ersetzen, ein Spiel, das vermutlich noch jahrelang zu treiben sein wird. Statt nun also in der textsortenüblichen Weise ein vermeintlich rundes Ergebnis zu ›sichern‹ und zu präsentieren, werde ich zum Abschluß einen versetzten Blickwinkel einnehmen, der eine auf die Stilisierung der Akteure gerichtete, eine rollenbezogene Betrachtung der Attraktivität des Korrektheitsmusters ermöglicht. Redundanzen werden dabei nicht nur unvermeidlich sein – sie sind beabsichtigt. Da nun der Ausgangspunkt meiner Überlegungen das Verhältnis von Satire und ›Political Correctness‹ war, scheint es mir recht und billig, in den abschließenden Überlegungen nochmals auf dieses komplizierte Spannungsverhältnis zurückzukommen, beziehungsweise auf Beispiele, die ein solches hätten indizieren können. In gewissem Sinne schließt sich damit für die Leser wie auch für mich ein Kreis, der die mäandernden Überlegungen dieser Studie überspannt.
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»Kulturen der Niederlage« und Hegemoniebehauptungen Robin Hood und seine fröhliche Schar; die Räuber vom Liang Schan Moor; Leonidas bei den Thermopylen; Davy Crockett, James Bowie und die Schlacht um Alamo; die Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg ... und so weiter; und so fort. Wir kennen sie alle, oder doch zumindest das zugrundeliegende ›narrative Prinzip‹ all dieser Erzählungen und historischen Konstellationen: Literatur und Geschichte sind zum Zerplatzen gefüllt mit solchen Erzählungen um den gerechten Kampf des Schwächeren gegen den Stärkeren, des ethisch oder moralisch Überlegenen gegen den (nur) materiell, technisch oder sonstwie Überlegenen, dem der moralische Sieger zunächst oder gar endgültig unterliegt. Daß mithin ein gelegentlicher, mehr oder weniger überraschender Sieg des vermeintlich Schwächeren gegen den Stärkeren um so fulminanter und gerechter wirkt, ist an der biblischen Erzählung vom Kampf Davids gegen Goliath abzulesen. Doch bleiben wir zunächst einmal bei den (einstweilen) Unterliegenden, dieser spezifischen Sorte von ›Opfern‹. Wie auf sie gemünzte Erzählungen sich entwickeln, im ganz großen Stil inszeniert werden und schließlich den Mythenhaushalt ganzer Gesellschaften prägen, hat Wolfgang Schivelbusch in seinem Buch Die Kultur der Niederlage anhand der amerikanischen Südstaaten nach dem verlorenen Bürgerkrieg 1865, Frankreichs nach der Niederlage 1871 und Deutschlands nach 1918 durchbuchstabiert (2001). Sowohl aus der Niederlage selbst – in einer nach eigener Auffassung ehrenhaften Sache – als auch aus dem vermeintlich unfairen ›Wie‹ der Niederlage (etwa die »Dolchstoßlegende« in Deutschland nach 1918) werden sukzessive Legitimationsquellen für die eigene Vergangenheit, für die jeweilige, meist beklagte Gegenwart, und zuletzt für die großen Pläne für die Zukunft erschlossen. Sieht man sich die Wechselverhältnisse von ›Täter‹ und ›Opfer‹, damit auch von Meinungsfreiheit und Zensur im Korrektheitsdiskurs an, ist es ausgesprochen hilfreich, sich die kulturgeschichtliche Langlebigkeit und Faszination eben dieses narrativen Prinzips ins Gedächtnis zu rufen. Und repräsentativ für die so konstituierten ›Mythen‹ sind all diese Repertoire-Elemente der Narrationen, also Legenden, Romanhelden wie auch historische Personen und Gruppen – und zwar, das möchten wir hervorheben, ganz unbeschadet ihres vermeintlichen oder tatsächlichen Wahrheitsgehaltes, wie er für den einen oder anderen durch diese Elemente repräsentierten Fall diskutabel oder sogar unbestritten sein mag. Überlegungen bezüglich der historischen Wahrhaftigkeit solcher Mythen
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verkennen ihre diskursive Funktion. Mit implizitem oder auch explizitem Bezug auf das narrative Prinzip dieser Mythen wird schließlich tatsächliches, nicht-mythisches Sprechen und Handeln erläutert, illustriert und legitimiert – mal plausibel und im vollen Ernst, mal in charmanter Verspieltheit, oft, aber keinesfalls nur, im Jargon der Uneigentlichkeit. Für die Interpretation der Ergebnisse unsere Studie ergeben sich daraus folgende Überlegungen: Wir haben immer wieder mal von einem, wenn man so möchte, zweifachen oder miteinander verschränkten, mentalitätsgeschichtlichen Wandel gesprochen, der in den auf Überwindung fixierten Tumulten der Sechziger Jahre, ihren Forderungen und Ergebnissen, und eben auch in einigen Formen und Verfahren wiederum der Überwindung all dessen zu verorten ist, was man mit den Sechzigern – zu Recht oder zu Unrecht – assoziiert. Zu einer abschließenden Betrachtung dieser Epoche in Deutschland fühlen wir uns weder fachlich in der Lage, noch scheint es uns jetzt, solange die meisten Protagonisten noch an der wie auch immer gearteten Fortsetzung und Re-Interpretation dieser Jahre stricken, so ohne weiteres möglich zu sein. Einiges aber können wir an dieser Stelle festhalten: Ästhetisch wie weltanschaulich setzen in den Sechziger Jahren Auseinandersetzungen ein, die ihren Einfluß auf den Denkstil innerhalb der Bundesrepublik gehabt haben und vor allem mentalitätsgeschichtlich folgenreich geblieben sind. Legen wir Theodor Geigers Unterscheidung von Ideologie und Mentalität zugrunde,1 die er 1932 plakativ so formulierte »Mentalität ist eine Haut – Ideologie ist ein Gewand« (Geiger 1967: 78), so können wir festhalten, daß zahlreiche Ideologien oder Ideologeme seit den Siebzigern und nochmals verstärkt nach 1989 sukzessive abgearbeitet und unter den Teppich gekehrt worden sind, daß aber die Mentalität sich in den späten Sechzigern stärker und seitdem weniger stark geändert hat, als man glauben sollte. Bruce Schulman spricht wie oben erwähnt für die USA von der ›Southernization‹, in der durch die Transformationen in den »langen Siebzigern« eben auch das Erbe der Sechziger in einer sozusagen modernisierten bzw. die Gesellschaft modernisierenden Variante enthalten gewesen ist. Konsequenterweise lehnt er es ab, angesichts von Konvertiten wie Jerry Rubin, schlankweg von einem »Ausverkauf« der Ideale der Siebziger zu sprechen, obwohl auch er eine Gewinn- und Verlustrechnung aufmacht:
1
Vgl. Geiger 1967 [1932]. Unter Ideologien versteht Geiger »Ideen und Gedankengebäude«, die »als Doktrin oder Theorie« auftreten und gelehrt werden können (ebd. 77). Mentalitäten bezeichnet er hingegen als »geistig-seelische Disposition« und »Prägung durch Lebenserfahrungen« (ebd.).
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT [...] the »sellout« label misses the point. These icons, and their twenty-first century children, have preserved a Seventies Emphasis on authenticity and freedom, on political transformation through personal liberation. But the market – in particular, starting new businesses – became the favored means for personal liberation and cultural revolution. To be sure, something has been lost in this metamorphosis. But the legacies of the Seventies, the changes in latitude and changes in attitudes, remain potent. The long, gaudy, depressing, Seventies reinvented America. We live in their shadows (Schulman 2001: 257).
Nun teilen wir weder Schulmans im wesentlichen optimistische Sicht der Dinge2 noch glauben wir, daß die Entwicklung in den USA in den Siebzigern mit der Entwicklung in der Bundesrepublik der Achtziger umstandslos gleichzusetzen ist, trotz zahlreicher Parallelen in der Kombination von Larmoyanz, Innerlichkeit, Depolitisierungsstrategien und Geschäftssinn. Schulman aber, und das ist für uns hier wichtig, weist darauf hin, daß die Folgen des massiven mentalitätsgeschichtlichen Einschnittes, der sich in den Sechziger und Siebziger Jahren abgespielt hat, eben nicht spurlos verschwunden, sondern habituell erhalten geblieben sind. Und dies weit über das Maß hinaus (bzw. an diesem Maß vorbei), das enttäuschte Linke wie Berman zu konzedieren bereit sind. Der beliebte Gestus der Überwindung von gesellschaftlicher Macht, auch im Namen individueller Befreiung, eine zentrale und in der Sache oft berechtigte Attitüde der Sechziger Jahre, ist auf hohem Niveau wertstabil geblieben. Man konnte im deutschen Korrektheitsdiskurs nun mehrere Beobachtungen machen, die solche Überlegungen unterfüttern. Denken wir beispielsweise an die Anti-PC-Kampagne der mindestens mal wertkonservativen Jungen Freiheit, so zeigen sich hier die Ähnlichkeiten in Aufmachung und Tonfall, die eben einer in den Sechzigern wurzelnden Überwindungs-Ästhetik entsprechen, und damit auch in einer Zeit, die man mit Aufbegehren gegen Herrschaftsformen aller Art assoziiert. Nicht zuletzt deshalb konnte Pfeiffer argumentieren, daß dieses Blatt so wie andere rechtskonservative bis rechtsradikale Vereinigungen und Blätter als Erscheinungsformen einer »neuen sozialen Bewegung« zu interpretieren sind, »der Struktur nach – und nur der Struktur nach – vergleichbar mit den Studenten-, Friedens-, Öko-, Frauen- oder Dritte-Weltbewegungen« (Pfeiffer 2002: 15).3 Somit wurden und werden alte Konflikte in relativ neuen Formen verhandelt.
2 3
Die er allerdings merkwürdig unbestimmt im hier zitierten letzten Satz seines Buches aufzubrechen scheint. Interessant sind in diesem Zusammenhang vielleicht auch die zum Teil recht erfolgreichen Versuche der rechten Szene, ästhetischen und jugendkulturellen Anschluß an die Popkultur zu finden, die bereits in den Achtziger Jahren massiv zu beobachten waren und von der rechten Pres-
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Das Arrangement von Repertoire-Elementen ist im Korrektheitsdiskurs durchweg der Inszenierung einer Dialektik von Ohnmacht und Überwindung verpflichtet: Direkt geht es beinahe durchweg um ein legitimes Aufbegehren des (im Detail wie auch immer, aber keinesfalls ›verdientermaßen‹ oder ›gerechterweise‹) Unterlegenen gegen den übermächtigen Gegner. Dabei kann es in Sachen Machtzuordnung drunter und drüber gehen! Meist wird dem jeweiligen Gegner eine fast unbezwingbare, außerdem illegitime Medienübermacht unterstellt: »Rotfunk« versus »Hegemonialpresse«. Die eigene Stimme hingegen, und wenn sie noch so plakativ und prominent plaziert wird – siehe Martin Walser in Paulskirche und Spiegel – ist immer die Stimme des Unterdrückten, der sich nun dazu anschickt, seine Ketten abzuwerfen (mehr gibt es ja bekanntlich nicht zu verlieren) und dem Feind zu begegnen, ihn eventuell gar zu überwinden – und dabei gegebenenfalls sperrangelweit offen stehende Türen einzurennen.
›Rollen‹ als abstrahierte Repertoire-Elemente im Korrektheitsdiskurs Es scheint uns nun angezeigt, den moralisch eindeutig positiven, in der Sache oft recht diffusen Begriff ›Opfer‹ ein wenig aufzufächern. Denn es ist nicht überall, wo ›Opfer‹ draufsteht, auch Opfer drin. Schließlich geht es hier nicht so sehr um einen Opferstatus, wie er sich an einer außersprachlichen Realität entlang definieren und belegen (oder gegebenenfalls widerlegen) ließe, sondern um die kommunikative Konstruktion einer ›Rolle‹ und ihre rhetorische Funktion. Und die kommunikative Konstruktion (und Dekonstruktion) von ›Opfern‹ (und von ›Tätern‹ und ›Anwälten‹) ist ein Dreh- und Angelpunkt des Korrektheitsdiskurses, der in seiner Weise das bereits länger beliebte Gesellschaftssprachspiel von Macht, Machtkritik und Machtzurechnung übernommen hat. Die diskursive Erzeugung oder Relativierung von ›Opfern‹ erweist sich dabei als probates Verfahren, die jeweiligen Machtbasen in der Meta-Kommunikation narrativ zu rekonfigurieren. Nicht zu vergessen: auch der verantwortlich Durchführende einer kommunikativen Unternehmung ist letztlich ein Stakeholder wie alle anderen auch. Daß im Korrektheitsdiskurs tatsächliche (soweit nachweisbar) wie behauptete (also ablesbar) Machtbasen meist in bemerkenswerter Weise
se wie der JF massiv gefördert wurden. Vgl. dazu unter anderem Annas/Christoph 1993, Schröder 2001 und Searchlight et al 2001.
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voneinander abweichen, dürfte an diesem Punkt unserer Studie niemanden mehr in Erstaunen versetzen. ›Abstrahiert‹ sind Repertoire-Elemente wie eben die Rollen ›Opfer‹ und ›Täter‹ insofern, als daß sie sich weitestgehend von einem Kontext loslösen lassen. Gekoppelt werden sie wiederum im allgemeinen explizit an ›konkrete‹ Opfer und Täter. Analog zu diesen beiden Rollen werden wir von einer Rolle als ›Anwalt‹ sprechen, als der kaum jemand sich bezeichnet noch bezeichnet wird. Die Rolle eines solchen Fürsprechers, der gefragt oder ungefragt für ›Opfer‹ sich einsetzt, findet sich jedoch derartig penetrant und häufig, daß wir es für angezeigt halten, sie eigens zu benennen. Wir beginnen – vielleicht verwirrenderweise – mit einem Beispiel, das die Untersuchungsergebnisse unserer Studie auf den Kopf zu stellen scheint. Denn es könnte als Indikator, gar als ›Beweis‹, gelesen werden dafür, daß bereits Ende der Achtziger Jahren die Korrekten die Zügel in der Medienöffentlichkeit fest in der Hand hatten. Wir verweisen auf das erste Kapitel, unsere Irrtumsgeschichte. Das im folgenden beschriebene Diskursereignis macht unseren Irrtum gewiß noch plausibler. Und der Lauf dieser Studie dürfte die Leser hoffentlich soweit immunisiert haben, daß sie mit einem in diesem Sinne kontrastiven Beispiel werden umgehen können.4 Es zeigte sich bereits: Wer den Diskurs von Satire und Satirekritik in den Achtziger und Neunziger Jahren verfolgt hat, der konnte feststellen, daß es vor Opfern nur so wimmelte – Opfer von Satiren, Opfer von Gewalt und Unterdrückung aller Art, also alles genau wie im Korrektheitsdiskurs: »Opfer – nichts als Opfer« (Knobloch 1995). Keineswegs war es so, daß sich ausschließlich sozusagen ›echte Opfer‹ wie Gerhard Zwerenz oder Björn Engholm an den Satirikern abarbeiteten und an den Satiren, die ja nun fraglos auf sie gemünzt waren. Oft genug wurde dabei zusätzlich die eigene Koalitionsmacht als Machtbasis erweitert, indem man den ›Bodycount‹ des satirischen Anschlags bis ins Absurde erweiterte und gleichzeitig schaute, ob nicht mit der Justiz gemeinsam eine Basis zu
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Übrigens: Noch in einem weiteren Punkt konterkariert das folgende Beispiel scheinbar unsere bisherigen Ausführungen. Denn die gleich vorzustellenden Leserbriefe von ›Anwälten‹ aller möglicher Anliegen sind mit ziemlicher Sicherheit auf Aufmerksamkeit hin kalkuliert – Aufmerksamkeit, die sich sowohl auf die Schreiber selbst als auch auf deren spezifische, durchaus auseinanderdriftenden Anliegen hin orientieren dürfte. Auch die Frage, wessen Aufmerksamkeit hier gelenkt werden soll, steht einigermaßen unbeantwortbar im Raum, wenn man sich nicht mit der Leerformel ›die Taz-Leserschaft‹ zufriedengeben möchte. Immerhin, Eitelkeit als Triebfeder scheint hier nicht ganz ausgeschlossen.
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errichten war, die die eigene Retaliationmacht aufmöbeln könnte. Sehr schön und in kleinem Maßstab zu beobachten war dieses würdelose Auftreten bei Engholms Fernsehauftritt und seinen Aussagen über die Not der Kinder angesichts des Titanic-Titelbilds, parallel zum angestrengten und letztlich erfolgreichen Prozeß gegen das Blatt (s. erstes Kapitel). Nochmals: so etwas ist nicht selten, wie wir sehen konnten. Ein in seiner diskursiven Dichte und Vielschichtigkeit unübertroffenes Beispiel, ein Panoptikum rhetorischer Koalitionsversuche ist die in jeder Hinsicht unglaubliche Resonanz auf Elisabeth Weihnachtscartoon in der Taz vom 24.12.1988, der alle möglichen Leser auf den Plan rief. In ihrer wer weiß wie motivierten Empörung waren diese dazu imstande, wiederum alle möglichen Arten von ›Opfern‹, von denen sie unterstellen konnten, daß sie in der halbwegs säkular ausgerichteten Taz einwandfrei als akzeptierte Opfer durchgehen, zu Opfern just dieses gewiß blasphemischen Weihnachtscartoons kurzerhand zu ›erklären‹. Die Reaktionen waren ungewöhnlich zahlreich und heftig. In der Taz-Berlin wurden am 04.01.1989 zahlreiche Leserbriefe veröffentlicht, die – mit unterschiedlichem Temperament und unterschiedlichen Begründungen – diese Veröffentlichung verurteilten. Gernhardt hat diese Leserbriefseite als »Musterkarte der neuen Satirekritik bezeichnet« (Gernhardt 1994: 166). 5 Nur fünf der beinahe zwanzig Leserinnen und Leser gaben an, in ihren religiösen Gefühlen verletzt worden zu sein. Diese kann man durchaus als ›echte‹ Satire-Opfer bezeichnen, da die christliche Religion (in Gestalt von Jesus Christus und seiner Mutter) eindeutiges Objekt der Satire ist und damit als gemeinsamer Nenner fungiert. Diese Schreiber äußern sich direkt zum Thema der kritisierten Satire. Allerdings blieb es nicht dabei. Zahlreiche andere Opfergruppen müssen herhalten, um die Kritik am satirischen Cartoon zu legitimieren. Sie werden damit zu ›erklärten Opfern‹ des Cartoons. So wird in einem der weiteren Briefe Jesus gleichgesetzt mit »alle[n], die auch in unserer Zeit unter der Folter leiden müssen« (Dietmar Jürgens, Paderborn). Aber nicht nur in der Gegenwart, auch in der Vergangenheit werden Parallelen gefunden: »Es besteht kein Unterschied zwischen einem KZ-Opfer und Jesus am Kreuz«, findet Werner Köhler, Krefeld. Siegfried Lüderitz wirft der Taz vor, sie würde – und erschwerenderweise auch noch entgegen ihrer sonstigen politischen Linie – »Partei nehmen für Gewalt, ausgeübt durch die seinerzeitige Staatsmacht, nämlich römische Soldaten.«
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Eine ausführliche Analyse dieses Vorgangs, der wir nur zum Teil folgen werden, findet sich in Gernhardt (1994: 153ff).
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Wie Gernhardt bereits bemerkt hat, bleibt Erwin Kruse, Winnenden, sehr allein mit seiner politischen Einschätzung, daß »die Weihnachtsausgabe [...] genau gepaßt [hätte], wenn Ihr sie zur Zeit der Stalin-Ära in Moskau veröffentlicht hättet.« Denn tendenziell wird hier dieser Cartoon in eine rechte Ecke gestellt. Dazu paßt auch der Versuch einer ästhetischhistorischen Einordnung des Cartoons durch Dieter Wurm, JVA Morbid [sic]: Ich habe mal in der AntiFa gewirkt und mußte mich oft mit dem ›Stürmer‹ beschäftigen. Saukels [sic] Auswürfe waren gegen den taz-Comic zwergenhaft.
Neben solchen ›politischen‹ Einordnungsstrategien gibt es noch andere: ebenfalls verurteilt werden anläßlich des Cartoons »Sexismus [...], Gewaltverherrlichung, [...] Gewaltpornographie« (Dagmar, Eva u. a., Tübingen). Professor Claus Eurich konstatiert: »Menschenverachtend, Frauenverachtend. Gefühle verletzend.« Carmen und René Böll schließen sich an und bezeichnen den Cartoon als »mit das ekelhafteste, frauen- und kinderverachtendste, das wir je gesehen haben«. Eine elegante Kopplung der religiösen, politischen und sexuellen Ebenen gelingt eine Woche später schließlich Pastor Heinrich Albertz aus Bremen, wie man auch bei Gernhardt lesen kann: Die diesjährige Weihnachtsausgabe bietet im Feuilleton eine Mischung von Pornographie und blankem Haß gegen Jesus von Nazareth und seine Mutter übrigens beide Juden. Ich kündige mein Abonnement ...6
Es ist dürfte kaum überraschen, daß ein so interpretierter Cartoon eher einem Mann als einer Frau zugetraut wird, weil eine Frau in den evozierten Täterkontext der Pornographie nicht recht hineinpaßt. Und somit stellt Sabine Wendt, Marburg, fest: Ein neues Abo kommt für mich erst in Frage, wenn ihr euch für diesen [...] Vorfall bei Euren Lesen entschuldigt und der Zeichner der Karikatur [...] seinen verdienten Laufpaß bekommt [...].
Mag diese Formulierung vielleicht noch auf die Tradition zurückzuführen zu sein, die maskuline Form für beide Geschlechter zu verwenden, so ist beim bereits genannten Professor Claus Eurich die Zuordnung eindeutig: Offensichtlich [!] das Produkt eines Mannes, der seine Perversion nicht in Schmuddelkinos austoben kann, sondern auch noch selbst zum Zeichenstift
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Zit. nach Gernhardt (1994: 167).
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SCHLUSSBETRACHTUNG: DISKURSPARTISANEN greifen muß. [...] Der Abdruck solcher Kopfgeburten eines pathologischen Sexisten [...].
Ebenso »offensichtlich« wie falsch. Die Zeichnerin dieses Cartoons war ja eben Frau Elisabeth Kmölniger. Diese bei den Briefen wenig beachtete Tatsache allein relativiert noch nicht die ästhetischen und moralischen Urteile der Briefschreiber. Sie verdeutlicht allerdings, daß eine plausible und explosive Verbindung von Täter- und Opferrollen wichtiger ist als es schnöde Detailkenntnisse sind.7 Kurz gefaßt, auf der wackligen Basis eines geschmacklosen und unbestritten blasphemischen Cartoons wird so ein Spektrum von ›erklärten Opfern‹ (Frauen, Kinder, Opfer von Gewaltpornographie, Juden, Gefolterte) entwickelt, die andernorts ›echte‹ Opfer sein können, aber doch keineswegs in bezug auf den Cartoon. Zusätzlich erhält man durch das solidarische Eintreten sowohl für die ›echten‹ Opfer (gläubige Christen) als auch für die ganzen erklärten Opfer lauter Anwälte, ja Widerstandskämpfer, die auch repressive Maßnahmen nicht scheuen, wie der Brief von Sabine Wendt zeigt. Die Leserin Eva Quistorp hat passend dazu einen Vorschlag, wie das Vergehen der Taz zu sühnen ist: Als kulturelle »Entschädigung« für diese Comic-provokationen der taz, die vielleicht noch nach Italien und Polen passen,8 ansonsten aber eine Verhöhnung all derer sind, die wegen ihres Engagements in Basiskirchen in Südkorea, den Philippinen, in Mittelamerika, Chile, Südafrika schwer verfolgt und gedemütigt werden, erwarte ich von der taz den Abdruck der Neujahrspredigt, die der Bischof im Amazonasgebiet nicht mehr halten kann, weil er ähnlich wie Francisco Chico Mendes als Umweltschützer und Menschenrechtler von Killerkommandos von Großgrundbesitzern bedroht ist.
Ein weiteres Mal beschleicht uns der Grubenhund-Verdacht. Aber nehmen wir mal an, dieser Brief sei authentisch: Mit dem Cartoon von Kmölniger hatte dieses Durcheinander nichts mehr zu tun, wohl aber mit dem Selbstbild, das diese Repräsentantin der leserbriefschreibenden Solidargemeinschaft von sich vermitteln wollte, sowie mit den seinerzeit
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Die Androhung, das Abonnement zu kündigen, ist übrigens ein probates Mittel, seine Betroffenheit der Taz gegenüber zu unterstreichen. Mehr als ärgerlich und diesbezüglich auch unüblich ist die im Schreiben von Frau Sabine Wendt geäußerte Forderung, den Zeichner zu entlassen. Verwunderlich ist die hier geäußerte Auffassung, daß Polen und Italien (als streng katholische und europäische Länder?) den Comic verdient hätten, nicht aber die Länder der sogenannten Dritten Welt inkl. Südafrika. Einerseits scheint man Polen und Italienern mehr Blasphemie zumuten zu dürfen als den Eingeborenen des Amazonasbeckens!? Andererseits erscheint die Taz-Berlin eben genau dort in Berlin, das weder in Italien noch in Polen noch am Amazonas liegt, so daß der hier konstruierte Antagonismus in jeder Hinsicht deplaziert ist.
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populären politischen Themen, die hier aufgerufen wurden. Man kann hier ablesen, worin diese Leser der Taz die Funktion einer Tageszeitung sehen. Weitere Hinweise darauf gibt der Abschiedsbrief von Dagmar, Eva u. a., Tübingen, die ebenfalls ihr Abonnement kündigen: Wir verabschieden uns nicht nur von Sexismus und Gewaltverherrlichung, sondern auch von verwässerter linker, ursprünglich vielleicht sogar revolutionär gedachter Berichterstattung. Da es euch offensichtlich leichter fällt, gleich auf vier Seiten Gewaltpornographie zu dokumentieren, als aktuell und solidarisch mit den Betroffenen über staatliche Repression, Feminismus und über den Widerstand zu berichten, schlagen wir euch vor, eure Konzeption doch vielleicht dahingehend zu überdenken, zu produzieren was euch leichter von der Hand geht.
Hier wird losgelöst vom verhandelten Gegenstand frei assoziiert, »aktuell und solidarisch«. Es ist diese Argumentation in einem solchen Maße inkohärent, deplaziert und falsch, daß nicht einmal das Gegenteil mehr richtig ist. Gernhardt hat damals unter anderem den folgenden Schluß aus der ganzen Affäre gezogen: Wir sehen: Die Christen haben es gelernt, sich der kurrenten Argumente zu bedienen, wenn es jemand wagt, ihrem Glauben zu nahe zu treten (Gernhardt 1994: 168).
Das wäre also in unserer Terminologie ein Versuch, die Koalitionsmacht zu erweitern, und die Aufforderung, die eigene Retaliationsmacht (AboKündigung, bei der stets in finanziellen Schwierigkeiten lavierenden Taz ein prekäres Thema!) zu nutzen und zu erhöhen. Folgt man Gernhardts Argumentation, so haben die Christen die unterstellte politische Ausrichtung der Taz und ihrer Leserschaft resonanzkalkuliert instrumentalisiert, um ihren Glauben gegen Verunglimpfung zu schützen. Das ist nicht ausgeschlossen. Damit aber wäre nur eine Seite der Medaille beschrieben, denn in den Leserbriefen gibt es häufig genug Äußerungen des Inhalts, daß die Schreiber selbst keine Christen sind. Angesichts dessen, was in den Briefen geschrieben wird, könnte das stimmen.9 Die andere Seite der Medaille aber ist dann auf alle Fälle, daß ein beliebiger Anlaß von beinahe
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Nun ist allerdings denkbar, daß sich bei einigen ein auf religiöser Sozialisation fußendes Unbehagen angesichts einer Gotteslästerung zu artikulieren sucht, das man aber als aufgeklärter linker Taz-Leser nicht eingestehen möchte, vielleicht nicht einmal sich selbst. Dieses Unbehagen würde dann in die von Gernhardt sogenannten »kurrenten Argument« gekleidet und damit säkularisiert und scheinbar rationalisiert. Diese Überlegungen aber sind spekulativ und werden hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt.
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jedem Anwesenden genutzt werden kann, jeweils das Thema zu verhandeln, das ihm – angeblich oder tatsächlich, aber zumindest öffentlich – auf den Nägeln brennt. Die aus christlicher Sicht in der Tat angemessene Kritik der ›echten Opfer‹ an der Blasphemie des Cartoons ging unter im Tumult, den die ›Anwälte‹ der ›erklärten Opfer‹ inszenierten. Wir haben dieses Beispiel aus zwei Gründen gewählt. Zum einen läuft es, wie gesagt, unserem Argumentationsstrang erkenntnisgewinnend zuwider, indem es nochmals zeigt, daß es sehr wohl solche Phänomene gab (und gibt), die man späterhin gern geneigt war, als ›politisch korrekt‹ zu re-interpretieren, und zahlreiche Personen, die als ›Gutmenschen‹ zu bezeichnen nahelag. Zum anderen zeigt es wie in einer Versuchsanordnung, auf welche Weise – in einer ganz merkwürdigen Dialektik von Ohnmacht und Gegenmacht – die eigene Position und gegebenenfalls die Position dessen, was man zu verteidigen gedenkt, durch die Hypostasierung des eigenen Tuns und Seins oder aber durch Hypostasierung des vermeintlichen Gegners diskursiv aufgewertet werden. ›Opfer‹ und ›Täter‹ funktionieren in diesem Diskurs wie kommunizierende Röhren. Ein anerkanntes ›Opfer‹ (all die Gefolterten dieser Welt) als herangezogenes Repertoire-Element wertet das ›echte‹ Opfer der Satire dann auf, wenn beide diskursiv und plausibel gekoppelt werden können. Umgekehrt erzeugt nicht nur ein solches gutes Opfer einen richtig bösen Täter! Auch die gelungene Kopplung von Verursacher (z. B. Satirikern) und etablierten Täterrollen (»Stürmer-Stil«, also Nazis) ist hilfreich, um die eigene Anwaltsrolle und/oder die des ›Opfers‹ aufzuwerten.
›Selbsternannte Opfer‹ Das gezeigte Modell der Opferkonstruktion ist – wenig überraschend – auch auf die Konstrukteure bzw. ›Anwälte‹ selbst übertragbar. Das heißt, man kann sich mit diesem rhetorischen Verfahren auch kurzerhand selbst zum ›Opfer‹ einer Satire oder eines kommunikativen Aktes ganz allgemein positionieren und wird zum furiosen Anwalt in brandeigener Sache. Hier nun kippt das Verfahren vollends ins Absurde um. Wir hatten oben bereits unser Mißtrauen angesichts des Ausdrucks ›selbsternannt‹ ausführlich geschildert, weil nur allzuoft eine Beleidigung folgt oder zumindest eine Rolle, die nun wirklich niemand haben möchte. Ganz im Vertrauen: wer möchte schon gern ein selbsternannter ›Tugendwächter‹ sein und als solcher bezeichnet werden? Und auf den ersten Blick mag es geradezu abstrus wirken, sich selbst zum ›Opfer‹ von etwas oder jemandem zu erklären, gar von einer Satire – es sei denn, man verspricht sich etwas
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davon. Kurz und gut: Keiner möchte tatsächlich Opfer sein, aber mancher möchte durchaus als ›Opfer‹ gelten. Oft fand und findet man daher noch Beispiele, bei denen sich Diskursstrategen kurzerhand selbst zu Opfern der Satire ernennen, indem sie steif und fest behaupten, diese oder jene Satire sei auch an sie gerichtet gewesen worden und habe sie tief verletzt. Der vermeintliche Vorteil des Einsatzes für ›echte‹ oder ›erklärte Opfer‹ muß sich für den Akteur also nicht darauf beschränken, das Image zu haben, das ›Richtige‹ getan zu haben. Damit einhergehend stellt sich eventuell das Image ein, auf der richtigen, der guten Seite zu sein. Dies wird so zum Teil einer vermeintlichen Identität, die sich sowohl aus dem Selbstbild als auch aus der kalkulierten bzw. erhofften Sicht anderer zusammensetzt.10 Es scheint diese Bedeutung zu sein, die man der öffentlichen Konstruktion des Selbstbildes beimißt, die dazu führt, daß bisweilen der Einsatz für ein ›echtes‹ oder erklärtes Opfer nicht mehr ausreicht. Eine beliebte Form der Opferkonstruktion ist es aus diesem Grund, sich selbst zum Opfer einer Satire (oder auch einer anderen öffentlichen Aussage) zu erklären, um den erhofften Status zu erlangen. Ein etwas älteres Beispiel für diese Methode, das nicht auf eine Satire zurückgeht, sondern auf eine typische Aussage des mittlerweile fast vergessenen Radau-Politikers Franz-Josef Strauß, hat Robert Gernhardt einmal erläutert: Als das Strauß-Wort von den »Ratten und den Schmeißfliegen« bekannt wurde, war es anfangs natürlich Satirikerpflicht, für Bernt Engelmann und die anderen genannten Schriftsteller zu streiten. Als weitere Schriftsteller und Sympathisanten geradezu beleidigt darauf drangen, ebenfalls zu dem Ungeziefer gerechnet zu werden, hätte eigentlich auch dieser Gratismut, dieses Pochen auf eine Ehrenmärtyrerschaft aufs Korn genommen werden müssen. Das unterblieb, wahrscheinlich deshalb, weil kein Schreiber oder Zeichner Gefahr laufen wollte, dem FJS ungewollt Munition zu liefern [...] (Gernhardt 1988: 106).
In diesem Fall herrschten noch klare Verhältnisse: ein konservativer Politiker vergriff sich – vermutlich kalkuliert – im Ton, und die Satiriker standen auf der Seite des angegriffenen Schriftstellers. Gernhardt beschreibt hier, daß es aber selbst in diesen geordneten Zeiten Autoren gab, die sich nicht nur für Engelmann einsetzten, sondern dessen Opferstatus auf sich zu beziehen suchten. Die Motivlage ist im einzelnen schwer nachzuweisen. Es ist aber, vorsichtig formuliert, davon auszugehen, daß
10 Daß dieses Resonanzkalkül von entscheidender Bedeutung ist, ist daran abzulesen, daß ein großer Teil der hier relevanten Dokumente Zeugnisse öffentlichen Schreibens sind – Leserbriefe, Interviews, Glossen. Nur wenige Texte sind privater Natur, so zum Beispiel Elke Heidenreichs Briefe.
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der Gratismut der Aufwertung der eigenen künstlerischen und politischen Tätigkeit und damit der eigenen Person dienen sollte. Im zu Beginn unserer Studie erläuterten Fall von Heinrich Böll gab es den Versuch des Sohnes René Böll, über die zivilrechtliche Klage in Berlin hinaus auch einen Strafrechtsprozeß gegen Eckhard Henscheid zu führen, und zwar einmal wegen § 189 StGB (Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) und verblüffenderweise wegen § 185 StGB (Beleidigung). Daraufhin wurde ein Ermittlungsverfahren gegen »Henscheid und andere« eingeleitet und prompt wieder eingestellt. Auch ein zweiter Anlauf R. Bölls, diesbezüglich Recht zu erhalten, wurde abgeschmettert. Oberstaatsanwalt Klein in Frankfurt hatte auch noch eine abschließende Bemerkung zum Umcodierungsversuch des Opfers Heinrich durch den Sohn René: [Erg.: Die ablehnende Argumentation des Gerichts] gilt auch insoweit, als nunmehr noch vorgetragen wird, daß Strafanzeige auch wegen der darin liegenden Beleidigung des Anzeigeerstatters René Böll erstattet worden sei. Denn es ist nicht erkennbar, daß der Text des Beschuldigten Henscheid in irgendeiner sachlichen oder persönlichen Beziehung zu René Böll steht.11
Nicht immer sind solche Umcodierungsversuche so leicht zu durchschauen, und häufig sind sie das nicht einmal für diejenigen, die sie durchführen. Im Fall der Cartoonreihe von Gernhardt »Ausländer vergraulen – aber mit Humor« gab es erzürnte Reaktionen, als sie auszugsweise und ohne Autorenkennzeichnung in der FR erschien. Einige dieser Reaktionen hat Gernhardt zitiert:12 Ich als schwarze Deutsche bin empört, daß die FR skrupellose Bimbo- und Türkenwitze präsentiert (Eleonore Wiedenroth, Wiesbaden). Als schwarze Deutsche bin ich entsetzt über ihren Buchtip und die Abbildungen einschließlich des zitierten Textes [...] Das unsensible Verhalten betrachte ich einmal als persönliche Beleidigung, nicht nur, weil das Wort Bimbo [...] nachgedruckt wurde, sondern weil auch ein Weg gefunden worden ist, wie man Rassismus verpackt und diesen auch noch als Tip verbreitet (Vera Holzhauser, Mainz).
Nun sind die von Gernhardt gezeichneten rassistischen Verhaltensweisen so überzogen, die porträtierten Rassisten und der angebliche Zeichner der Cartoons, »Paul Päng«, so offensichtlich unsympathisch konstruiert, daß die Absicht dieser Satire gegen Ausländerfeindlichkeit sofort ins Auge springen müßte. Es ist aber vielleicht nicht ganz angemessen, jemandem, der vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus
11 D 50 Js 389 78.5/91 07.05.1992. 12 Vgl. Gernhardt (1988: 442).
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in besonderem Maße sensibilisiert ist, seine Humorlosigkeit in diesem Punkt zum Vorwurf zu machen. Wie auch immer: Die Umcodierung hat einwandfrei stattgefunden und wird öffentlich gemacht, also resonanzkalkulierend genutzt. Es ist dies übrigens einer der recht seltenen Fälle, bei denen sich die vom Satiriker eigentlich Unterstützten von der Satire angegriffen fühlen. Das nach meiner Kenntnis in der Geschichte der Neuen Satirekritik engagierteste Vorhaben, sich selbst zum Opfer einer Satire zu machen, unternahm Herbert Bonewitz, indem er sich an die oben erwähnte Satire Eckhard Henscheids gegen Hanns Dieter Hüsch anzuschließen versuchte.13 Das ging dann so weit, daß er von der Titanic geradezu eine Satire auf die eigene Person erflehte. Einige Passagen aus dem peinlichen Brief sollen hier zitiert werden, nicht um sich über Bonewitz lustig zu machen, sondern um zu zeigen, wie unterkandidelt der verbissene Wunsch sich äußern kann, auch ein zertifiziertes ›Opfer‹ zu werden. Nachdem Bonewitz Hüsch auf das Tapferste gegen »pseudo-marxistische Nächstenhiebe«14 verteidigt hat, weist er in seinem Brief auf einen formal wie inhaltlich erbärmlichen selbstgezeichneten »Comicstrip« hin, den er dem Brief beigelegt hat und den er der Titanic großzügig zur kostenlosen Veröffentlichung zur Verfügung stellt. Über die hier an den Tag gelegte selbstmörderische Zivilcourage ist sich Bonewitz durchaus bewußt: Selbst auf die Gefahr hin, daß ich dafür von Euch jetzt kräftig eins in die Fresse kriege. Was angesichts dieser Hüsch-Besudelung sogar eine Ehre wäre, zu den ›Erledigten Fällen‹ zu gehören. Hier ist mein offenes Geständnis, Ihr ehrenwerten Herren Satiriker: Ich mag den Hanns Dieter Hüsch! - Und jetzt erst recht.
Männerstolz vor Fürstenthronen ... in diesem Brief ist alles zu finden: das Flehen um Beachtung; das Mitspielenwollen; die ungefragte Solidarität mit einem ›Opfer‹; die Ehre, die damit verbunden wird, ein Opfer der Titanic zu sein, um dann in so illustrer Runde zu sein, wie Hüsch sie offenbar repräsentiert; dazu die Behauptung vom Löwenmut des ganzen Tuns. Zuletzt, vielleicht, um die Satiriker davon zu überzeugen, es doch mit ihm als satirischem Objekt zu versuchen, schreibt Bonewitz noch einen Katalog der Beleidigungen, die man ihm für diesen Fall zueignen möchte:
13 Brief von Bonewitz an Titanic v. 01.07.85 (Photokopie liegt vor). 14 Pikanter-, ja prophetischerweise hatte Henscheid in seiner Hüsch-Diatribe von Wortspielen geredet, »die keine Sau erträgt« (Henscheid 1991a: 52). Bonewitz schickt sich an, genau das zu bestätigen.
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SCHLUSSBETRACHTUNG: DISKURSPARTISANEN Falls Ihr zu einer eventuellen Replik noch ein paar Henscheid-adäquate Attribute für meine Person sucht, hier ein paar Vorschläge: Ex-Jeck, BüttenKasper, Möchtegern-Satiriker, Määnzer Handkäs-Narr, Provinz-Clown mit unbewältigtem Helau-Komplex, Deutschlands ältester Nachwuchskabarettist ... [der Rest auf der Kopie ist unleserlich, MFE].
Man muß hervorheben, daß das Ausmaß von Bonewitz' williger Opferbereitschaft einen erschreckenden Extremfall darstellt. Vielleicht ist gerade deshalb an diesem Brief so deutlich abzulesen, welch hohes Ansehen allgemein der Verfolgtenstatus genießt. Eine abgeschwächte Variante dieses Ankopplungsmanövers war im Zusammenhang mit dem HüschArtikel bei Elke Heidenreich zu finden. In einem ihrer Briefe, die sie zu eben diesem Anlaß schrieb und in dem sie, wie Henscheid es formuliert hat, »weit jenseits ihrer Verhältnisse ironisch wurde«,15 äußerte sie – wenn auch vielleicht ironisch – die Hoffnung, daß das eine Serie wird und daß wir alle noch drankommen. (Meine Eltern sind heute noch traurig, daß sie nie was mit der Reichsschrifttumskammer zu tun hatten).16
Zum einen war es zu diesem Zeitpunkt bereits eine Serie. Zum anderen ist die Gleichsetzung der Titanic mit der RSK doch ein bißchen überzogen. Und außerdem kam Frau Heidenreich gar nicht »dran«, noch etwa ihre Eltern. Also auch das Ausbleiben von Verfolgung kann durch bloße Spekulation überwunden werden und steht der Selbsternennung als wenigstens potentielles Opfer nicht im Wege, womit dann zur Legitimation des eigenen Standpunkts beigetragen wird. Der Anschlußfähigkeit an das satirische Objekt sind scheinbar keine Grenzen gesetzt.17 Bisweilen findet man gar den Fall, daß hinter solchen Nebelgranaten die ›echten‹ Opfer, wenigstens zum Teil, verheimlicht werden oder, vorsichtiger ausgedrückt, zumindest verschwinden und auch nicht gerne auf sich aufmerksam machen. Zwar ist es in erster Linie Heinrich Böll, der von Henscheid in der berüchtigten Rezension im Raben zum Opfer auserkoren ist. Andererseits muß man schon darauf hinweisen, daß es auch eine andere genannte Gruppe ordentlich gebeutelt hat, für die sich aber nicht mal vor Gericht und schon gar nicht in den Zeitungen jemand einsetzen wollte. Denn Henscheid stellte in seinem Text über die Leser Heinrich Bölls fest,
15 Vgl. Henscheid (1991a: 203). 16 E. Heidenreich an E. Henscheid, Brief v. 15.07.85. 17 Mittlerweile haben Henscheid und Heidenreich auch ihren Frieden miteinander gemacht. Das ist meines Wissens ein sehr seltener Fall.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT daß Hunderttausende lebenslang katholisch belämmerte und verheuchelte Idioten jahrzehntelang den häufig widerwärtigen Dreck weglasen [...]; ist das nicht alles wunderbar? (Henscheid 1991b: 220).
Man sieht, es gibt Opfergruppen, die sichtlich weniger attraktiv für Koalitionen und Anschlußversuche sind als andere. Lassen wir es dabei bewenden, die Konstruktionsmethode dürfte ausreichend belegt sein. Die Rolle als ›Opfer‹ funktioniert als ein abstrahiertes Repertoire-Element, das je und je an historisch oder zeitgenössisch, politisch unbestrittene Opfer und Täter angekoppelt wird, um die so verknüpfte Position des Opfers oder auch des Anwalts zu stärken. Die verfolgenden Instanzen, die dazu ebenfalls, meist als personen- oder institutionengebundene Repertoire-Elemente auftauchten, werden oft in den finstersten Farben gezeichnet: »Stürmer-Stil«, »Streicher«, Bezüge zu Orwell etc. Wir hatten das bereits. Aber was macht die meist passive, also leidende Opferrolle so interessant, in einer Gesellschaft, die gewiß nicht weniger von einem Ideal des ›Machens‹ geprägt ist? Oder drehen wir die Frage in eine etwas andere Richtung: wenn die Opferrolle so attraktiv ist, und man dennoch so furchtbar gern handeln möchte, ohne die legitimatorischen Vorteile der Opferrolle aufzugeben, was wird man dann? Am besten wird man ›Opfer‹ und ›Akteur‹ zugleich, oder ›Opfer‹ und ›Anwalt‹ in eigener Sache – kurz und gut, man wird zum ›Diskurspartisanen‹, der nicht einfach nur handelt, sondern das Böse ›überwindet‹. Dieser in höchstem Maße attraktiven Doppelrolle wenden wir uns nun zum Ende der Arbeit noch zu.
Diskurspartisanen: Die Dialektik von Redefreiheit und Zensur im Korrektheitsdiskurs Schon recht: eine etwas dick aufgetragene Überschrift, die aber nach dem Verlauf unserer Studie vielleicht gar nicht mehr so viele Worte braucht wie sie verspricht oder androht. Denn der Verweis auf die Absurditäten, die der hemmungslose Umgang mit den Begriffen ›Zensur‹ und ›Tabu‹ gerade im Korrektheitsdiskurs hervorgebracht hat, ist Generalbaß unserer Ausführungen gewesen. In der bereits mehrfach zitierten Rede von Gernhardt Von der Nestbeschmutzung zur Menschenverachtung schlägt der Cheftheoretiker der NFS am Ende den noch tätigen Satirikern vor, sich mit affirmativem Bezug auf Heine, Tucholsky und andere ebenfalls als Opfer »totalitaristischer Witzverdammung« zu inszenieren (auch Gernhardt spricht von einer »Opferrolle«), um sich gegen Satirekritik zu immunisieren (Gern-
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hardt 1994: 169) und sozusagen Kapital aus der Geschichte der genannten verfolgten Satiriker zu schlagen. In einer merkwürdig verqueren Rollenprosa erläuterte er dem Publikum: Ich sage es ungern, doch es muß gesagt werden: Dieses Kapital gilt es in Zukunft immer dann zu aktivieren, wenn es sich wieder ein Geschlecht, eine Religion oder ein Berufsstand unter Hinweis auf sein tendenzielles Judesein verbittet, als Gegenstand der Satire und als Anlaß des Gelächters zu figurieren: »Aha! Geht das schon wieder los?! So ist es nämlich schon immer losgegangen, ob zu Heines Zeiten, ob im Dritten Reich: Erst haben sie sich das Witzemachen verbeten, dann haben sie uns die Witze verboten [...]; erst gaben sie sich tödlich beleidigt, dann haben sie uns in den Tod geschickt–: Die Juden waren die Juden von gestern, die Frauen/Rocker/Christen/Schwulen etc. mögen die Juden von heute sein, wir Satiriker aber sind mit Sicherheit die Juden von morgen [...]« (Gernhardt 1994: 169).
Es könnte interessant sein herauszufinden, wie ernst Gernhardt diesen Ratschlag wirklich gemeint hat, aber egal. Was sich aus diesem Rat ablesen läßt, das ist die Attraktivität der Opferrolle als Legitimation des Tuns, gegen einen vermeintlichen – und sei es auch nur im Spaß so genannten – »Totalitarismus.« Kaum eine Kommunikationsweise oder Kunstform ist wie die Satire in so hohem Maße auf verbindliche Regeln und Maßstäbe angewiesen, schlicht um sie resonanzkalkuliert brechen zu können. Gerade Waechters Begründung für seinen Ausstieg aus der Titanic und auch Gernhardts Rückzug vom Satirenschreiben galten ja zunächst als Anzeichen für eine gewachsene Permissivität, die für die Satiriker in einen unendlichen, langweiligen Regreß umzuschlagen drohte. Wohl dem, der da plötzlich ›politisch korrekte Gutmenschen‹ als Feindbild zur Verfügung hatte, die es zu überwinden galt, und von denen man sich umzingelt sehen konnte. Das galt nicht nur für die Satiriker, die zu neuen Ufern aufbrachen. Der Zusammenbruch des Ostblocks zertifizierte realgeschichtlich bloß, was sich trotz einer mentalitätsgeschichtlichen Modifikation bereits längst wieder Bahn gebrochen hatte: eine weitestgehende Beibehaltung und allenfalls leicht modernisierende Re-Etablierung politisch hergebrachter konservativer Positionen. Diese aber sind nun flexibel stabilisiert, ästhetisch aufgemöbelt, vermehrt kapitalismuskompatibel, auf eine Reform und Wachstumsdynamik hin kalibriert und erlauben, ja erfordern ein hohes Maß an Rede- und Meinungsfreiheit, an geduldeter Polyphonie. In einer Massendemokratie ist dann aber nicht die mangelnde Redefreiheit das zentrale Problem gesellschaftlicher Kommunikation, sondern die weitestgehende, vor allem längerfristige Folgenlosigkeit dessen, was man öffentlich sagt, sofern man nicht über ausreichende außersprachliche Ressourcen verfügt. Rede und Gegenrede, selbst wenn sie zunächst skandalös scheinen, lösen sich zu guter Letzt in Geräusch und Flimmern
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auf. Da man aber – krausen Kausalitätsvorstellungen vom »wirkenden Wort« verhaftet – an die Folgen des eigenen sprachlichen Handelns zu glauben geneigt ist, ist die Legende von der Korrektheit ein hübsches Hilfsmittel, diesen Köhlerglauben in Schwung zu halten. Das im Korrektheitsdiskurs praktizierte rhetorische Amalgamieren von Stakeholdergruppen bezüglich der eigenen Äußerungen durch das Zusammenpacken disparater Gruppen zu ideellen ›Gesamtkorrekten‹ oder Gutmenschen, außerdem verwegene Traditions- und Analogiebehauptungen (Inquisition, Bücherverbrennung, Kritik ›an meiner mutigen Rede‹ allgemein), all diese rhetorischen Finten dienen demselben Effekt: Man bläst noch den kleinsten und belanglosesten Beitrag zu einer ganz unwahrscheinlichen Heldentat oder wenigstens zu einem Zeugnis bemerkenswerten Reformeifers auf. So viele Tabus, wie in den letzten fünfzehn Jahren angeblich gebrochen worden sind, dürfte es unserer Einschätzung nach in der gesamten Menschheitsgeschichte nicht gegeben haben. Nicht zuletzt erodiert dabei der Begriff der Redefreiheit, der freien Rede ganz allgemein. Denn wenn nicht der Staat selbst eingreift, durch das Verbot von Publikationen etc., sondern nur irgend jemand widerspricht, und das wird dann zum Anlaß genommen, von Inquisition und Zensur zu fabulieren, geht es nicht mehr um freie Rede, sondern um eine befreite Rede, befreit von jeder möglichen Kritik am Redner und am Gesagten. Ganz fabelhaft wird dieses Verfahren dann, wenn man einen Text oder ein Projekt nicht publiziert oder finanziert bekommt, eine Zeitschrift oder ein Verlag sagt: »Das drucken wir nicht«; und man dann nicht etwa ein Scheitern des Resonanzkalküls sieht, sondern sich coram publico vom vermeintlichen Scheiterhaufen laut klagend zu Wort meldet. Das Einnehmen dieser Haltung ist nach wie vor ein beliebter Sport. Hier geht es dann aber nur noch um die Alimentierung einer Rede, auf die man Anspruch zu haben glaubt. Dabei wird gerne übersehen, daß ein Resonanzkalkül, das Erfolg hat und Scheitern vermeidet, ja nicht nur als Folge einer von außen induzierten Selbstzensur interpretiert werden kann, sondern auch als freiwillige Anpassung bis hin zur Korruption. Wir sollten das grundsätzlich im Gedächtnis behalten, aber es spielt für die Legende von der Korrektheit keine so große Rolle. Um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: natürlich gibt es in Deutschland wie in den USA Fälle von Zensur, vor allem in staatlichen Organisationen wie Schulen, Behörden und dergleichen.18 Auch haben
18 Für die USA vergleiche die Studie von Diane Ravitch The Language Police. How Pressure Groups restrict what Students learn. Die Autorin beschreibt erfolgreiche und gescheiterte Versuche aller möglichen Grup-
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wir die Prozesse gegen die Titanic nicht vergessen, über deren zeitweiliges Ausbleiben wiederum niemand unglücklicher war als die Satiriker selbst. Hier könnte man durchaus mal genauer hinschauen, ob das so alles mit rechten Dingen zugeht und dem Recht auf Redefreiheit entspricht. Doch gibt es für so ziemlich jede Meinung und fast jedes Kunstwerk einen Platz. Nur ist der nicht immer an der Sonne, und da fängt meist der Ärger an. Denn häufiger als genuine Zensur gibt es zahlreiche Methoden der Diskursverknappung, wodurch bestimmte Nachrichten, Meinungen und Kunstwerke nicht oder nur am Rande publiziert oder gefördert werden. »Ja und?«, ist man angesichts der meisten dieser Klagen geneigt zu sagen. Wer noch ein Medium und ein Publikum hat, in dem und vor dem er lauten Halses über Zensur und Inquisition klagen kann, um den ist es in Sachen Redefreiheit meist nicht allzu schlecht bestellt. Als, wie oben erwähnt, auf den letzten Metern der Coup von Rainer Zitelmann scheiterte, seinen neurechten Gesinnungsgenossen Karlheinz Weißmann mit einem Band über ausgerechnet das Dritte Reich in den Propyläen Verlag zu heben, und zwar an den Herausgebern der Reihe Propyläen Geschichte Deutschlands vorbei, geschah dieses editorische Debakel parallel zur Trennung des Springer-Verlags von seinem Teilhaber Herbert Fleissner, der das Ganze mit eingefädelt hatte. Damit ging eine politische Kurskorrektur des Verlags einher, die eine weitgehende Trennung von der Neuen Rechten beinhaltete. Danach warf Fleissner sehr erwartbar »dem Verlag eine ideologische Haltung vor [...], die ihn an ›eine bestimmte Form der Bücherverbrennung‹ erinnere«, so Thorsten Thaler zustimmend in der Jungen Freiheit vom 19.06.1996 (Seite 5), die sich an diesem Tag in mehreren Artikeln widmete. In derselben Ausgabe hieß es im Aufmacher von Dieter Stein, der unter anderem ebenfalls diesen Vorfall zum Thema hatte, in der empörten Überschrift: »Keiner will es Zensur nennen«. Einerseits: warum denn auch, wenn es doch keine ist? Schließlich wurde das Werk von Weißmann andernorts ohne viel Federlesens veröffentlicht.19 Und andererseits: Ach doch, ganz viele nennen derlei völlig legitime Formen der Diskursverknappung Zensur, zum Beispiel Journalisten wie Röhl und Zimmer, Wissenschaftler wie Grübel und Wende. Daß die politische Korrektheit, die für so etwas verantwortlich gemacht wird, als politische Zurechnungsadresse vage, lächerlich und bedrohlich zugleich ist, daß man die (oft nur angebliche) Abwesenheit von bestimmten
pen, auf Lehrpläne und Leselisten einzuwirken, bis hin zu offenen Manipulation von Texten und Romanen (Ravitch 2003). 19 Weißmann, Karl-Heinz: Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933-1945. 2. durchges. und erweiterte Aufl. München: Herbig 1997.
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Äußerungen als unbedingt glaubwürdigen Indikator von »innerer Zensur« interpretiert, eben das macht die Legende für diese Art von kostenlosem Aufbegehren so nützlich. Wiederum in derselben Ausgabe der Jungen Freiheit hieß es dann in einem weiteren Artikel von Thorsten Thaler, daß der »Deutsche Autorenrat«20 besorgt sei. Wir zitieren aus dessen Erklärung: Der Deutsche Autorenrat tritt für eine offene Diskussion ohne Beschränkung der Themen und Meinungen ein. Er ruft dazu auf, Denkverbote und Gebotsschilder der ›politischen Korrektheit‹ nicht zu beachten; von welcher Seite sie auch aufgestellt werden: Wenn alle Welt und alle Medien einhellig applaudieren oder einhellig verurteilen, dann soll der einzelne kritisch prüfen, ob sie recht oder unrecht haben [...]. Meinungstrends soll er mißtrauen, und an Kampagnen soll er zweifeln. Wo er Fehler und Falschheit entdeckt, soll er widersprechen (zit. nach JF 19.06.96, 12, herv. v. MFE).
Nach diesen offenen und mutigen Worten werden die Diskurspartisanen dieser Erde vom Autorenrat zum Dienst gerufen: Die Welt braucht frei und selbständig denkende Menschen, Rebellen, die gegen den Strom von Vorurteilen schwimmen und die mutig für ihre Überzeugung eintreten, auch wenn sie damit gegen weithin anerkannte ›politisch korrekte‹ Gebote verstoßen (ebd.).
Korrektheit, Mut und Denkverbot – der Diskursbaukasten ist wieder vollständig. Man könnte uns vorwerfen, daß dieses beinahe schon blödsinnige Beispiel aus der JF ein besonders bizarrer Einzelfall von selbsternanntem Rebellentum etablierter und abgesicherter Schreiber ist. Das könnte man aber nur, wenn man unsere Studie nicht gelesen hat. Denn was sich hier wieder mal wie in einem Diskursterrarium zeigt, zieht sich wie ein Leitmotiv durch die gesamten Erzählungen, die die Legende von der politischen Korrektheit beinhalten und reproduzieren. Die Rede von der linken Meinungsmacht in Deutschland, um bei diesem Beispiel zu bleiben, ist nun keine Erfindung des Korrektheitsdiskurses noch beschränkt sich dessen Reichweite darauf. Aber durch die Kombination einer realgeschichtlichen Verwerfung (1989ff), die die auf eine Teleologie bauenden linken und ohnehin meist fragmentierten Positionen arg in Mitleidenschaft zog, erhielten solche pseudorebellischen, konservativen Strömungen neue Kraft und rhetorische Mittel. Und sowohl in der Auseinandersetzung mit 1945ff (Stichwort Re-Education), 1968ff und gegen die irritierenden Splittergruppen der Identity Politics, die in den Siebzigern und Achtzigern sich hierzulande formierten, bevor
20 Zu dem seinerzeit Arnulf Baring, Johannes Gross, Walter Kempowski und Joachim Fest gehörten.
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sie größtenteils von den Grünen kannibalisiert wurden, konnte man nun, sichtlich vom Weltgeist gestärkt, mit einem neuen, in diese Zeit passenden Deutungsmuster vom Leder ziehen. Denn wie gesagt, irgendwie konnte man immer eine Mehrheit gegen die eigene Position inszenieren und ihr eine Macht zurechnen, die so gut wie nie unter Beweis gestellt werden mußte. Noch das kleinste potentielle Widerwort konnte bereits als ›politisch korrekt‹ hypostasiert und damit entwertet werden, bevor überhaupt jemand auf die Idee kam zu widersprechen. Als die importierte Legende von der politischen Korrektheit aufkam, schien alles an seinen Platz zu fallen. Langgehegte Wünsche gingen in Erfüllung. Denn die Legende erlaubte vor allem eines: die Vereinigung der Vorzüge der Opfer-, der Täter (als Handelnder, nicht als Übeltäter) und der Rolle des ›Anwalts‹ eben in der Rolle des ›Partisanen‹. Im Kampf gegen beliebig konfigurierbare Übermächte etabliert sich der ›Diskurspartisan‹ als Rolle, ob nun bei Dieter E. Zimmer, Martin Walser, Ernst Nolte oder – nehmen wir sie als Quotenfrau – Elisabeth Noelle-Neumann. Sie alle sind selbst unter größtmöglicher Ausdehnung der Imaginationskraft keineswegs als Opfer von Zensur und Inquisition zu bezeichnen, wohl aber bisweilen Empfänger von unbotmäßigem Widerspruch, den sie nicht zu mögen scheinen. Allein das scheint ihnen schon zu reichen. Überwältigende feindliche Mehrheiten werden rhetorisch konfiguriert, Machtbasen von Gegnern werden in abenteuerlicher Weise hochgerechnet, und man selbst steht da wie das kleine gallische Dorf, von politisch korrekten Römern umzingelt, und ganz ohne Zaubertrank. Und da jedes Individuum, wenn es nur lange genug herumkonfiguriert, sich sowohl zu einer (unterdrückten und rebellischen) Minderheit und gleichzeitig zu einer legitimierten Mehrheit rechnen kann (zum Beispiel zur »schweigenden Mehrheit« oder »moral majority«), kann Legitimation sowohl ›demokratisch‹ als auch rebellionsästhetisch hergeleitet werden. Die Legende von der Politischen Korrektheit ist ein Füllhorn, das (rhetorisch) in jeder gewünschten Anzahl Inquisitoren und eben auch legitimierte Diskurspartisanen hervorbringen kann. Die Legitimationsmöglichkeiten, die mit dieser Rolle einhergehen, liegen auf der Hand. Ununterbrochen wehrt man sich gegen eine feindliche und/oder kollaborierende Übermacht. Immer muß man sich gegen die stemmen, die lächerlich und gefährlich zugleich sind. Eine Überzahl durch Zurechnung von Machtbasen ist immer unterstellbar, weil eh keiner genau weiß, was ›Political Correctness‹ ist – also haben alle ein ›Wissen-um‹. Auch weiß jeder, daß Rede nie ganz frei ist. Widerspruch oder Zustimmung bilden immer Determinanten des Sprechens und Fixpunkte des Resonanzkalküls. Wer nicht an die Ressourcen kommt, sieht sich von der korrekten Gehirnpolizei umzingelt, oder, wie es zauber-
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schön bei der JF heißt, von »faktischer Zensur«. Wenn man dieses banale Phänomen zum permanenten Konflikt hysterisiert, kann man mit allem und jedem sich als Kämpfer für die Redefreiheit darstellen. Dort, wo die Überwindung aus der Opferrolle heraus den rhetorischen Distinktionsgewinn liefert, ist ein Deutungsmuster, das genau das leistet, Gold wert. Und der jeweilige Sieg durch rhetorische Überwindung ist sicher. Notfalls konfiguriert man die Stakeholder solange, bis es paßt. Im Norm-Devianz-Verhältnis des Korrektheitsmusters gewinnt fast immer die Devianz. Und gerade das Abweichlertum, das Aus-der-ReiheTanzen, die Robin-Hood-Attitüde ist mentalitätsgeschichtlich und ästhetisch tief in den Sechziger Jahren verwoben. Beim langen Marsch durch die Institutionen sind die Kinder der Sechziger konsequenterweise über alles mögliche gestolpert, vor allem aber über sich selbst, und das gilt für die USA wie für Deutschland. Wir glauben nicht, daß die hier verhandelte Redeweise »bei einer der zahlreichen Denkfabriksitzungen« der Konservativen einkassiert oder erfunden worden ist, wie Brennan behauptet. Falls doch, möchten wir an dieser Stelle bei aller politischen Gegnerschaft den Hut ziehen. Besser ist eine rhetorische DoomsdayMaschine nicht zu konstruieren.
Vergossene Milch Weinen wir zum Abschluß noch ein wenig um vergossene Milch. Die Erfolgsgeschichte dieser Legende, wie wir sie in dieser Studie auszugsweise dargestellt haben haben, ist natürlich nicht aufgrund einer teleologischen Zwangsläufigkeit so verlaufen, wie sie nun einmal verlaufen ist. Das gilt für die USA, aber auch für den deutschen Korrektheitsdiskurs. Wir konnten allerdings zeigen, daß die grundsätzliche Funktionsweise des Korrektheitsmusters und seine – die Attraktivität dieser Legende konstituierenden – Elemente eben diesen Verlauf wahrscheinlicher gemacht haben. Einfacher und kostengünstiger als mit diesem Deutungsmuster konnte man die nützliche Rolle des todesmutigen Diskurspartisanen gar nicht erzeugen, und das, wie gezeigt, an so ziemlich jeder empirisch faßbaren Realität vorbei. Die halbherzigen Versuche von Diedrich Diederichsen oder von Teilen des Konkret-Umfelds, eine positiv gewendete Political Correctness in deutschen Diskursen zu etablieren, sind aus den geschilderten Gründen singulär geblieben und in Ansätzen steckengeblieben. Terminologische Idiosynkrasien und – für den Zuschauer kindisch anmutende – semi-ideologische Zänkereien scheinen allemal wichtiger gewesen zu sein, schaut man sich die Sandkastenraufereien von Diederichsen, Jacob
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und Kurz an. Das Ganze ist so überraschend nicht und läßt sich auch bei anderen Diskussionen in diesen Zirkeln beobachten. Wie hätte es dann ausgerechnet im Korrektheitsdiskurs anders sein sollen, der ohnehin per se auf Konflikt hin angelegt ist? Überdies gilt auch in Subkulturen oder Teilöffentlichkeiten, daß die Rede von der Korrektheit, so wie sie ist, offenbar mehr Resonanzkalküle zu erfüllen vermochte, als es eine Rede geschafft hätte, die offensiv und affirmativ mit dem PC-Etikett operiert. Das ist schade, weil man einen entscheidenden Schlüssel jeder modernen politischen Rhetorik übersehen hat. Die Frage ist nämlich: Hätte es für die jeweils als ›korrekt‹ Angegriffenen eine Möglichkeit gegeben, die daran festgemachte rhetorische Schlacht zu gewinnen oder zumindest durchzustehen? Möglicherweise. Und in gewisser Hinsicht war Diederichsen bereits auf dem richtigen Weg. Aus dem berühmten Interview, das Günter Gaus 1964 mit Hannah Arendt führte, stammte die folgende Mahnung der Philosophin: »Wenn man als Jude angegriffen wird, muß man sich als Jude verteidigen« (zit. nach Young-Bruehl 2000: 169). In dieser Kampfansage steckt neben dem offensichtlichen Sinn noch ein weiterer versteckt: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob man sich selbst als Jude begreift oder etwa nicht, z. B., weil man konvertiert ist. Das Etikett ›Jude‹ oder etwa ›Kommunist‹ oder gar ›Kulturbolschewik‹ wird zu einer Zurechnungsadresse, über die man als Angegriffener keinerlei Verfügungsgewalt mehr hat, und wenn man hundertmal darauf insistiert, etwa ein protestantischer Sozialdemokrat und Goethe-Liebhaber zu sein. Noch viel deutlicher zeigt sich diese Ohnmacht, wenn man als Element eines ›kulturellen Nichtphänomens‹ (Feldstein 1997) wie eben der ›Politischen Korrektheit‹ identifiziert, etikettiert und stigmatisiert wird. Wie will man das widerlegen, ohne die mit dieser Etikettierung angegriffene Position gleichzeitig mit zu revidieren? In diesem Sinne ist man stets gut beraten, dann, wenn man als ›politisch korrekt‹ angegriffen wird, sich als ›politisch korrekt‹ zu verteidigen. Es hätten viele vermeintliche Gutmenschen gut daran getan, das Korrektheitsmuster konsequent, und durchaus auch beliebig, für sich zu domestizieren, und es mit Verstand und Spaß zu verwenden. Das folgende Motto – auf T-Shirts oder Buttons – habe ich im Lauf der Jahre, die diese Studie gedauert hat, immer schmerzlicher vermißt: ›Politisch korrekt und Spaß dabei!‹ Für eine in diesem Sinne erfolgversprechende Inversionsstrategie, mit der man die Legende von der Politischen Korrektheit vom Kopf auf flinke Füße hätte stellen können, dürfte es zu spät sein.
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LITERATUR Um das Literaturverzeichnis in einem vertretbaren Umfang zu belassen, habe ich mich dazu entschlossen, zahlreiche Beispiele der Verwendung des Korrektheitsmusters in Tageszeitungen, Zeitschriften, Buchhandelsprospekten sowie andere für die Illustration unserer Argumentation notwendige Petitessen nur im Text der Studie nachzuweisen und auf einen eigenen Eintrag hier zu verzichten. Eine Ausnahme habe ich gelegentlich dann gemacht, wenn ein dem Tagesgeschehen geschuldeter Beleg für die Argumentation von größerer Bedeutung ist und/oder der Beleg in (oder auf) einem Buch zu finden ist, erstens in der – vielleicht irrigen – Auffassung, daß er sich dort nicht so leicht ›versendet‹, und zweitens, daß er intentional über das journalistische Tagesgeschäft hinaus repräsentieren und funktionieren soll und damit langfristig zur Konzeptualisierung und Verfestigung des Korrektheitsmusters beiträgt. Ist er nämlich in oder auf einem Buch erschienen, hat dieser Beleg offenbar mehrere, bisweilen zähe Instanzen durchlaufen. Darüber hinaus habe ich mich dafür entschieden, im Verzeichnis nur solche Texte aufzuführen, die ich tatsächlich zur Hand hatte. Sofern ich Zitate aus anderen Texten verwendet habe, die ich wiederum in den hier aufgeführten Texten gefunden habe, ist der ursprüngliche Erscheinungsort im Text der Studie bzw. den Fußnoten nachgewiesen. Aus naheliegenden Gründen (›Stille Post‹ etc.) habe ich nur sehr sparsam von dieser Belegweise Gebrauch gemacht. Zur Kennzeichnung verwendete Jahreszahlen im Text der Studie beziehen sich auf das Erscheinungsjahr der von mir verwendeten Ausgabe, die auch für die ggf. chronologische Anordnung in der Literaturliste verbindlich ist. Wo es mir interessant genug schien, habe ich ältere Ausgaben zumindest erwähnt oder andere evtl. nützliche Anmerkungen beigefügt. Sofern das Datum der Erstpublikation für die Chronologie der Ereignisse eine Rolle spielt, wird es im Text der Studie genannt. Vergleichbares gilt für Sammelbände, die Texte aus verschiedenen Jahren versammeln. Zu den Motti des Buches: Das Zitat von Grandmaster Flash entnahm ich dem Buch DJ-Culture von Ulf Poschardt (1995: 159). Das zweite Motto stammt aus der Studie von Ludwik Fleck (1980: 40). Das dritte findet sich in Heft B der Sudelbücher von Georg Christoph Lichtenberg, 131 (1994: 81). Das letzte las erst kürzlich ich in einem Interview, das Jens Wernscheid mit Heinz-Klaus Metzger führte. Wernscheid konfrontierte Metzger mit diesem – wörtlichen? – Zitat (Metzger Interview 2003: 46). Der Erstbeleg war nicht mehr aufzutreiben.
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DIE LEGENDE VON DER POLITISCHEN KORREKTHEIT
Abkürzungen KNLL
MEW
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FAZ FR HZ JF kRR NZZ SZ Taz WR
Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Hörzu Junge Freiheit kultuRRevolution Neue Zürcher Zeitung Süddeutsche Zeitung Tageszeitung Westfälische Rundschau
WDR:
Westdeutscher Rundfunk
Artikel aus den jeweiligen Zeiträumen werden nach folgenden CDROMs zitiert: Taz: Konkret: SZ:
12½ Jahre taz (September 1986-Februar 1999); 2 CDs (1999). 1980-1999 (2000). Buchkritiken 1. Januar 1994 – 30. Juni 2000 (2000).
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Leserbriefe, Briefe Leserbriefe sind hier nur aufgeführt, wenn es anläßlich eines diskursiven Ereignisses zu einer Häufung gekommen ist. Vereinzelte Leserbriefe als Belege sind nur im Text der Studie nachgewiesen. Die hier aufgeführten Privatbriefe an Henscheid und Titanic lagen mir als Photokopie vor. Danke an Eckhard Henscheid und Christian Schmidt.
Emma-Leserbriefseiten Mai/Juni 1995, Juli/August 1995 (Das gekochte Huhn – Tierschützerin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer kocht Zitronenhuhn bei Alfred Biolek). Taz-Leserbriefseite vom 04.01.1989, S. 16 (Thema: Weihnachtscartoon v. Elisabeth Kmölniger). Taz-Leserbriefseiten vom 11., 15. und 26.05.1995 (Thema: Wiglaf Droste). Bonewitz, Herbert an Titanic, 01.07.1985. Heidenreich, Elke an Hans Traxler, 13.07.1985. Heidenreich, Elke an Eckhard Henscheid, 15.07.1985. Heidenreich, Elke an Hans Traxler, 29.07.1985. Rittig, Gabriele an Eckhard Henscheid, 30.11.1994.
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TAUSEND DANK Eines der Symptome eines sich ankündigenden Nervenzusammenbruchs ist die Empfindung, daß die eigene Arbeit etwas ganz schrecklich Wichtiges ist. Bertrand Russell
Das Buch ist die erweiterte Fassung meiner Dissertation, die ich am 9. Dezember 2002 am Fachbereich 3 der Universität-Gesamthochschule Siegen eingereicht habe. Ludwik Fleck hat hellsichtig darauf hingewiesen, daß wissenschaftliches Arbeiten eine kollektive Tätigkeit ist. Leben übrigens auch. Beidem soll in dieser Danksagung Rechnung getragen werden. Ich habe mir sagen lassen, daß lange Danksagungen kitschig und prätentiös sind und von großer Redseligkeit zeugen. Und wenn schon. Clemens Knobloch förderte und begleitete die Arbeit von den ›unkorrekten‹ Anfängen bis zum Schluß. Sein Ideenreichtum, sein Gespür für Ungereimtheiten, seine präzise und aufmunternde Kritik, sein Humor, seine Hilfsbereitschaft in Schaffenskrisen und seine Geduld gaben mir den Freiraum, diese Arbeit so zu konzipieren, wie ich es für richtig hielt. Sein stets freundliches, gleichwohl unnachgiebiges Beharren darauf, das ›Ding‹ endlich mal einzureichen, half mir auch über diese letzte Hürde. Einen besseren Betreuer für eine Dissertation konnte ich mir nicht wünschen und kann ich mir nicht vorstellen. Burkhard Schaeder übernahm das Zweitgutachten. Nicht nur dafür sei ihm herzlich gedankt: in meiner Zeit als studentische Hilfskraft zeigte er mir zu meiner Überraschung, daß die Sprachwissenschaft eine fröhliche sein kann. Benno Wagner stand als dritter Gutachter bereit. Seine genaue Diagnose argumentativer Schwächen war eine große Hilfe für die Überarbeitung. Und seine spöttische Bemerkung über das ›intermittierende Flagellantentum‹ des Verfassers war ebenso treffend wie eine erfreuliche Bereicherung meines Wortschatzes. Georg Bollenbeck verzichtete in der Endphase der Arbeit mehr als einmal großzügig auf seinen Bürokoordinator. Das ist im Universitätsbetrieb keine Selbstverständlichkeit. Im Zuspruch wie im Widerspruch ist er außerdem eine niemals
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versiegende Quelle der Inspiration. Bernd Fichtner erklärte sich freundlicherweise bereit, beim Rigorosum im Juni 2003 mitzuprüfen. Mein Dank geht auch an akademische wie nicht-akademische Lehrer und Kollegen, für Trost & Rat, für Ausbildung & allerlei Ermöglichungszusammenhänge: Marion Heinz, Edith Nierhaus, Wolfgang Fastnacht, Peter Faigel, Helmuth Feilke, Bodo B. Gemper, Francis Hall, Horst Haunstein, Günter Helmes, Adolf Kell, Hans-Friedrich Schaeder, Jürgen ›vk‹ Stein. Alle haben auf ihre Art zum Zustandekommen dieses Buchs beigetragen. Katharina Funke und Marcel Sturm danke ich für Hilfe bei Last-Minute-Recherchen und dafür, daß sie mir im Notfall den Rücken freihielten. Besondere Erwähnung verdient ›mein roter Bruder‹ Werner Köster, der es verständnisvoll hinnahm, daß sein Bürokollege kurz vor dem Einreichen der Arbeit von der seelischen Ausgeglichenheit Robespierres war: »Ach Marc, locker bleiben, die Zeit der Promotion ist eine Zeit der manischen Depression. Noch 'n Kaffee?« Auf das Erfreulichste hat sich die Zusammenarbeit mit dem Bielefelder Transcript-Verlag gestaltet. Gedankt sei Karin Werner und Roswitha Gost für rasche Entscheidungen und besonders Gero Wierichs, der die technische Betreuung übernommen und stets einen guten Rat für das Layout gehabt hat. Außerdem möchte ich mich besonders herzlich bei Erdmut Gross vom Carlsen-Verlag in Hamburg bedanken, die nach nur kurzem Zögern die Verwendung des quietschvergnügten Petzi-Bären als Umschlag-Motiv ermöglicht hat. Die Aufnahme in das von der DFG geförderte Graduiertenkolleg »Intermedialität« in Siegen ermöglichte mir von Juli 1999 bis Ende 2001 zweieinhalb in finanzieller Hinsicht sorgenfreie Jahre sowie den Einblick in faszinierende Forschungsarbeiten von Kolleginnen und Kollegen. Danke an Peter Seibert, Volker Roloff, und vor allem an Friedrich Balke, Jochen Venus und Barbara Ullrich, die mit lässiger Hand die Koordination des Kollegs organisierten. »Das Erstaunliche an einem Tanzbären ist nicht, daß er schön tanzt, sondern daß er überhaupt tanzt.« Ich habe dieses halberinnerte Zitat nicht mehr nachweisen können, aber es ist eine exakte Beschreibung des Zaubers der Siegener Hochschule. Es ist mir – zumal meine Tage dort gezählt sind – ein Anliegen, mich bei all den nichtwissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen in Siegen zu bedanken, die den Laden am Laufen halten und uns letztlich so die Arbeit erst ermöglichen. Egal in welcher Rolle ich mit ihnen zusammengekommen bin, als Student, wissenschaftlicher Koordinator, Bibliotheksbenutzer, Mensagast etc. – ich bin selten auf etwas anderes gestoßen als auf Freundlichkeit, Kompetenz, Hilfsbereitschaft und Improvisationstalent. Stellvertretend seien genannt: die Dekanatssekretärin Birgit Weyland, ohne die man den Fachbereich 3
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TAUSEND DANK
vermutlich dichtmachen müßte; Gisela Schwung vom SISIB; Horst Ahlers von der Verwaltung; das Team der Bibliothek im AR; die unschlagbaren Teams von Mensa, Bistro und Cafeteria im AR; sowie der viel zu früh verstorbene Hans Leyendecker. IOU. Wo wir gerade bei den infrastrukturellen Rahmenbedingungen des Forschens sind: im Studium wie in der Zeit der Promotion war die Buchhandlung Am Kölner Tor in Siegen so etwas wie mein drittes Wohnzimmer. Wenn am Schreibtisch bei der Aufarbeitung der Belege aus oft ›schmierigen Zusammenhängen‹ das Bedürfnis nach common sense und schönen Büchern überhand nahm, oder wenn ich es einfach leid war, war dort über Jahre hinweg eine sichere Anlaufstelle. Gedankt sei darum dem Team: Petra Gregor, Christina Groos, Harald Hagedorn, Claudia Neef, der unersetzlichen Ruth Sassenberg, Vera Schnell, Beate Specht und vor allem meiner Lieblingsbuchhändlerin Cornelia Raddatz. Die überlebensnotwendige Versorgung mit Musik aller Art haben Raimund Adams vom Kratzer sowie Frank und Michael von der Rille übernommen. Ohne sie ... gar nicht auszudenken. Eckhard Henscheid und Christian Schmidt stellten mir für einen Vorläufer dieser Studie umfangreiches Material zur Verfügung. Eckhard Henscheid gewährte mir darüber hinaus bei meinen Besuchen in Frankfurt einen Einblick ins satirische Schaffen, der für die Betrachtung der NFS unerläßlich war. Vielen Dank. Eine Dissertation sortiert zuverlässig den Freundeskreis. Lars Rademacher gab mir bei unseren viel zu seltenen Treffen und langen Telefonaten viele Anregungen, vor allem in bezug auf Theorie und Praxis der Öffentlichkeitsarbeit und ihre Glaubenssätze. Axel Weidehoff hörte sich bei unseren jährlichen Wanderungen am zweiten Weihnachtstag den jeweiligen Stand der Dinge geduldig an und kommentierte die Entwicklung der Arbeit mit der ihm eigenen kritischen Klugheit. Stefan Eilert sah für die Überarbeitung einige Kapitel der Arbeit durch und klopfte sie auf Schwächen ab, die ich dann zügig korrigierte. Ich habe seitdem ein paar neue eingebaut, befürchte ich. Armin Nassauer ist ein findiger Antiquar und hervorragender Koch. Er bekam Anfang (»ich hab' da eine Idee«) und Ende (Copy-Shop!!) der Forschung in voller Härte mit, und hat mir oft contre coeur ein zum Teil widerwärtiges Belegmaterial besorgt, von dem viel, aber keineswegs alles den Weg in diese Arbeit gefunden hat. Ich werde es mit Vergnügen ins Altpapier geben, zumal er mir verboten hat, den »elenden Dreck« zurück ins Antiquariat zu bringen. Sein Laden ist nicht erst, seit ich dort gejobbt habe, mein zweites Wohnzimmer. Uneingeholt ist sein Vorschlag für den Titel der Arbeit: Das Ungeheuer von Loch Correctness. Chapeau!
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Mein Freund und Kollege Gerhard ›Guitar‹ Kaiser las das Manuskript akribisch und zerriß es an einigen Stellen, aber immer höflich, in der Luft. Für die Überarbeitung war seine Hilfe von immensem Wert, vor allem bei der Durchsicht des dritten Kapitels. Wenn eines Tages die Liste erstellt werden wird mit den einhundert besten Germanisten, die ›Gerhard Kaiser‹ heißen, wird er gewiß ganz weit oben auf der Liste zu finden sein. Die Freundschaft, ja die bloße Existenz von Aratee ›Tuk‹ Kaewsumrit macht diese Welt zu einem besseren Ort. Wenn sie einen Raum betritt, wird es heller. Auch haben katholische Fröhlichkeit und buddhistische Gelassenheit (oder umgekehrt?) ihr die Gabe verliehen, auf die allerbezauberndste Art hartnäckig zu sein: So konnte sie im Herbst 2002 mit einem strahlenden Lächeln jede – wirklich jede! – Woche fragen, ob ich denn nun endlich mal abgegeben habe, und ich kam nicht mal auf den naheliegenden Gedanken, sie achtkantig aus dem Büro zu werfen. Ich bin nun gespannt auf die Endphase ihrer Promotion ... ;) Robert Šimunek hat sich im Sommer und Herbst 2002 an langen und meist heiteren Abenden die gesamte Arbeit vorlesen lassen. Sein wissenschaftlicher Verstand, sein Nachhaken und sein Gehör für syntaktische wie inhaltliche Sprünge haben Schlimmeres verhütet. Nach den schier endlosen Arbeitssitzungen wurde ich dann noch regelmäßig in Grund und Boden gescrabblet, während wir beim Malzkaffee die letzten Dinge klärten: Plastikman oder Sun Ra? ATCQ oder BDP? Doom oder HalfLife? Davon ab: ohne seine zuverlässige Freundschaft hätte in den letzten zwei Jahren manches noch viel dunkler ausgesehen. Danke für alles! Von ganzem Herzen danken möchte ich Anke Poppen, die – um eine Formulierung von Tom Liwa zu verwenden – mehr für mich getan hat als John Coltrane für den Modern Jazz. Ihre Energie und Klugheit, ihr Optimismus und ihr Sinn für Angemessenheit haben mir ein ums andere Mal dabei geholfen, aus der von Russell beschriebenen Falle herauszufinden und über die Schreibtischkante hinaus zu sehen. Und das ist keineswegs alles. Ich schulde ihr mehr als ich wohl jemals werde zurückgeben können. Am meisten verdanke ich Lucie Erdl, meiner Mutter. Nicht nur, aber natürlich auch aus den textsortenüblichen Gründen. Darüber hinaus haben ihre niemals unkritische, aber immer bedingungslose Loyalität in ›schweren Wettern‹, ihr Scharfsinn, ihre Unbestechlichkeit, Herzlichkeit und Weltoffenheit sowie vor allem die lebenslange und unverbrüchliche Liebe zum bisweilen sehr deutlichen Wort diese Arbeit ermöglicht wie geprägt. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Siegen, im August 2004
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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:
Friedrich Jaeger, Jürgen Straub (Hg.) Was ist der Mensch? Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Anthropologie Dezember 2004, ca. 320 Seiten, kart., ca. 28,00 €, ISBN: 3-89942-266-X
Martin Warnke, Wolfgang Coy, Georg Christoph Tholen (Hg.) HyperKult II Zur Ortsbestimmung analoger und digitaler Medien November 2004, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 27,00 €, ISBN: 3-89942-274-0
Alexander Kochinka Emotionstheorien Begriffliche Arbeit am Gefühl Oktober 2004, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-235-X
Petra Löffler Affektbilder Eine Mediengeschichte der Mimik Oktober 2004, 296 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,90 €, ISBN: 3-89942-267-8
Franck Hofmann, Jens E. Sennewald, Stavros Lazaris (Hg.) Raum – Dynamik / dynamisme d’espace Beiträge zu einer Praxis des Raums / contributions aux pratiques de l’espace Oktober 2004, 356 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-251-1
Marion Picker Der konservative Charakter Walter Benjamin und die Politik der Dichter Oktober 2004, 184 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-249-X
Susanne Stemmler Topografien des Blicks Eine Phänomenologie literarischer Orientalismen des 19. Jahrhunderts in Frankreich Oktober 2004, ca. 300 Seiten, kart., ca. 28,00 €, ISBN: 3-89942-281-3
Manfred Riepe Intensivstation Sehnsucht Blühende Geheimnisse im Kino Pedro Almodóvars. Psychoanalytische Streifzüge am Rande des Nervenzusammenbruchs Oktober 2004, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,00 €, ISBN: 3-89942-269-4
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Georg Mein, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Soziale Räume und kulturelle Praktiken Über den strategischen Gebrauch von Medien September 2004, 322 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-216-3
Hartmut Seitz Lebendige Erinnerungen Die Konstitution und Vermittlung lebensgeschichtlicher Erfahrung in autobiographischen Erzählungen September 2004, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-248-1
Marc Fabian Erdl Die Legende von der Politischen Korrektheit Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos
Nicole Gronemeyer Optische Magie Zur Geschichte der visuellen Medien in der Frühen Neuzeit
September 2004, 414 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-238-4
September 2004, 242 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-240-6
Dirk Michael Becker Botho Strauß: Dissipation Die Auflösung von Wort und Objekt
Andreas Becker Perspektiven einer anderen Natur Zur Geschichte und Theorie der filmischen Zeitraffung und Zeitdehnung
September 2004, 238 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-232-5
Jörn Ahrens Ödipus Politik des Schicksals September 2004, 114 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 3-89942-252-X
Juli 2004, 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-239-2
Christine Rospert Poetik einer Sprache der Toten Studien zum Schreiben von Nelly Sachs Mai 2004, 414 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-215-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hg.) bilden mit kunst
Stephan May Faust trifft Auge Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms
April 2004, 350 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-207-4
Februar 2004, 416 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-191-4
Stefan Kramer Vom Eigenen und Fremden Fernsehen und kulturelles Selbstverständnis in der Volksrepublik China
Kerstin Kratochwill, Almut Steinlein (Hg.) Kino der Lüge
April 2004, 576 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-208-2
Hans-Joachim Lenger Marx zufolge Die unmögliche Revolution April 2004, 418 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-211-2
Februar 2004, 196 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-180-9
Jens Schröter Das Netz und die Virtuelle Realität Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Maschine Februar 2004, 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-176-0
Peter Widmer Angst Erläuterungen zu Lacans Seminar X April 2004, 176 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 3-89942-214-7
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de