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German Pages 278 [270] Year 2014
Michael Kauppert, Irene Leser (Hg.) Hillarys Hand
Kulturen der Gesellschaft | Band 11
Michael Kauppert, Irene Leser (Hg.)
Hillarys Hand Zur politischen Ikonographie der Gegenwart
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch das Herder-Kolleg – Zentrum für transdisziplinäre Kulturforschung der Universität Hildesheim
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 7
E INLEITUNG Briefing P050111PS-0210. Zum realen und imaginären Kontext des Situation-Room-Fotos vom 1. Mai 2011
Michael Kauppert | 11
S OZIOLOGISCHE PERSPEKTIVEN Ein Pressefoto als Ausdrucksgestalt der archaischen Rachelogik eines Hegemons. Bildanalyse mit den Verfahren der objektiven Hermeneutik
Ulrich Oevermann | 31 Ein Bild der Abwesenheit. Die Fotografie aus dem Situation Room als widersprüchliche Zeigegeste
Ruth Ayaß | 59 Conference Room 1. Mai 2011. Zur Unwägbarkeit ikonischer Macht – oder: Was Hillarys Hand verdeckt
Roswitha Breckner | 79 »E pluribus unum«. Eine wissenssoziologische Konstellationsanalyse visuellen Handelns
Jürgen Raab | 105 Resonanz-Bild und ikonische Politik. Eine visuelle Diskursanalyse partizipativer Propaganda
Boris Traue | 131
KUNST - UND KULTURWISSENSCHAFTLICHE P ERSPEKTIVEN Der Situation Room des 1. Mai 2011
Horst Bredekamp | 159 »Public Viewing« oder das elliptische Bild aus dem »Situation Room« in Washington
Michael Diers | 165 Brüchige Sichtbarkeiten. Medienmechanismen amerikanischer Bildpolitik nach 9/11
Katja Müller-Helle | 187 Die betroffene Feldherrin, oder: where in the world is Osama bin Laden?
Susann Neuenfeldt | 203 Die Geburt der Bilder aus dem Geist des Erschreckens. »Wahre Bilder«, Bilderverbot und Bildfetischismus
Gerhard Schweppenhäuser | 221
METHODISCHE REFLEXION Die Kunst des Sehens. Eine Reflexion der methodischen Zugänge visueller Bildanalysen
Irene Leser | 247
Autorinnen und Autoren | 271
Vorwort
Das hier zur Diskussion gestellte, am 1. Mai 2011 von Pete Souza aufgenommene und am 2. Mai auf Flickr veröffentlichte Foto aus dem Situation Room des Weißen Hauses ist das Dokument einer Erregung. Das Foto wurde massenmedial außerordentlich schnell verbreitet, es forderte unzählige politische, rechtliche und moralische Kommentare heraus, es lud zu zahlreichen Bild-Adaptionen ein und hinterließ im öffentlichen Diskurs eine breite Spur von Spekulationen über arkanes Wissen. Der Forschungskreis »Materiale Kulturanalysen« im HerderKolleg und das »Methodenbüro« des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim waren es, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, nach dem ersten Abkühlen des kollektiven Erregungszustandes, am 18. und 19. November 2011, einen zweitägigen Workshop zu einer wissenschaftlichen Analyse des Fotos zu organisieren. Auf der interdisziplinär angelegten Veranstaltung stellten Ruth Ayaß, Michael Diers, Ulrich Oevermann, Ulrike Pilarczyk, Aglaja Przyborski, Martin Schuster, Gerhard Schweppenhäuser und Jürgen Raab ihre Analysen zur Diskussion. In einem nochmals vergrößerten Abstand zu den aufgeladenen Diskussionen aus dem Frühjahr 2011 haben die Herausgeber die aufgezeichneten Tagungsbeiträge und vorliegenden Manuskripte im Wintersemester 2012/13 mit Studierenden der Universität Hildesheim im Rahmen eines Seminars zur materialen Kulturanalyse diskutiert. Aus dem Workshop zur Bildanalyse sind zwei Publikationen hervorgegangen, die auf das Foto vom 1. Mai 2011 einen Blick aus der zeitlichen Ferne und in sozialer Distanz zur Verstrickung in den kollektiven Erregungszustand werfen: Auf der einen Seite der im Juli 2014 im Babara Budrich Verlag erschienene, von Aglaja Przyborski und Günther Haller herausgegebene Band »Das politische Bild. Situation Room: Ein Foto – vier Analysen«. Dieses Buch enthält Interpretationen von Günther Haller, Aglaja Przyborski, Ulrike Pilarczyk und Martin Schuster. Auf der anderen Seite der hier vorliegende Band, der die auf dem Workshop präsentierten Analysen um diejenigen von Horst Bredekamp, Roswit-
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ha Breckner, Katja Müller-Helle, Susanne Neuenfeldt sowie Boris Traue ergänzt. Die in diesem Buch vertretenen Autorinnen und Autoren sollten die für das Foto maßgebliche Frage beantworten, was das Foto sowohl unter inhaltlichen und formalen, wie auch unter ästhetischen Gesichtspunkten zu etwas Besonderem in der Bildpolitik der Moderne macht. Wie sich denken lässt, enthält dieses Buch ein breites Spektrum von Interpretationen des Fotos – ein Gegenstand, der gleichwohl doch nur ein einziger ist. Die Herausgeber haben sich deswegen dazu entschlossen, die Einheit der Beiträge nicht im Gegenstand selbst, sondern in der Differenz ihres analytischen Zugangs zu suchen. Die Beiträge sind hinsichtlich ihrer (mutmaßlichen) Zugehörigkeit zum Feld der Kulturwissenschaften bzw. zur soziologischen Disziplin sortiert. Auf diese Weise erlaubt die Fokussierung auf ein gemeinsames Material nicht nur den kontrastiven Vergleich von Methoden der Bildanalyse. Die in diesem Buch versammelten Arbeiten laden ihre Leserinnen und Leser auch dazu ein, die möglichen disziplinären Eigenarten kulturwissenschaftlicher bzw. soziologischer Bildanalysen zu reflektieren. Hildesheim, 31.07.2014 Irene Leser, Michael Kauppert
Briefing P050111PS-0210 Zum realen und imaginären Kontext des Situation-Room-Fotos vom 1. Mai 2011 M ICHAEL K AUPPERT
E INLEITUNG Wissenschaftliche Fotoanalysen können unterschiedlich fokussiert sein. Sie können ein Foto daraufhin untersuchen, was es in seiner inhaltlichen, formalen und ästhetischen Darbietung zu etwas Besonderen macht. Sie können danach forschen, was man mit einem Foto bezweckt, wie ein Foto medial kommentiert oder auch transformiert wird oder was ein Foto für Bedeutungen und Bedeutungsaufschichtungen in sich trägt (vgl. hierzu die Analysen in diesem Band). Ein Foto kann aber auch aus dem Blickwinkel einer eher journalistischen Berichterstattung untersucht werden. Die folgenden Überlegungen finden ihren Anfang darin, dass sie sich auf diese Weise der Frage nach dem Kontext zuwenden. Zwar kann die nachstehende Analyse des Kontextes nur eine en miniature sein, nichtsdestotrotz trifft aber auch für die eher journalistisch orientierte Kontextanalyse das zu, was für wissenschaftliche Varianten der Kontexterschließung weitgehend selbstverständlich geworden ist. Immer suchen und finden sie etwas zum Einbetten, zum Situieren, zum Rekontextualisieren. Im allseitigen und allfälligen, ganz und gar selbstverständlichen Bekenntnis zum »Kontext« stößt diese Art von kultur- wie sozialwissenschaftlicher Forschung auf die eigenen sachlichen Voraussetzungen: Sie hat nicht nur ihrerseits einen sozialen Kontext (etwa in der Organisation und Durchführung von Forschung). Die Berufung auf den Kontext gehört vielmehr auch zu den Ermöglichungs- und Reproduktionsbedingungen von qualitativer Forschung überhaupt. Was immer durch den Kontext »zusammengewoben« wird, stets bleibt die Annahme, dass etwas nur in bzw. durch etwas
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anderes seine Bedeutung, seine Relevanz, seinen Wert erlangen kann. Jeder Text hat einen zwar mitgegebenen, aber nicht gleichermaßen mitpräsentierten Kontext. Der Fluss der Ereignisse ist gar nicht möglich, ohne das Bett, in dem diese eingelagert sind und verlaufen können. Jede Äußerung hat ihren situativen Index. Der Kontext ist damit immer nur ein Kontext. Auch bei der hier vorliegenden Kontextanalyse handelt es sich um ein Stück, das unvollständig ist und unvollständig bleiben muss. Im Folgenden geht es darum, den gleichermaßen realen wie imaginären Kontext des am 01. Mai 2011 vom Hausfotografen des US-amerikanischen Präsidenten, Pete Souza, aufgenommenen Fotos aus dem Situation Room zu skizzieren. Wann und wo ist die Fotografie entstanden? Wen zeigt sie? Was geschieht bei jener Aktion, die die Protagonisten der Fotografie beobachten? Was könnten die Protagonisten des Fotos zum Zeitpunkt seiner Aufnahme gesehen haben? Und schließlich: Wie wurde das Foto in den Medien unmittelbar nach seiner Aufnahme kommentiert und interpretiert? Ob und inwieweit die vorgelegten Antworten auf diese Fragen, die, da sie vorwiegend an den Relevanzen des Alltagswissens orientieren sind, mehr als nur deren Liaison mit einem dem Alltag entsprechenden Wissensformat, dem Journalismus, bezeugen können, muss hier offen bleiben.
D ER R AUM Das Foto entstand im sogenannten Situation Room. Der Situation Room liegt im Erdgeschoss des Westflügels des Weißen Hauses. Abbildung 1: Westflügel des Weißen Hauses, östliche Blickrichtung
Quelle: http://www.whitehousemuseum.org/west-wing/overview/westwing-entrance-2009-new-building.jpg [letzter Zugriff: 08.05.2014]
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Anders als die Bezeichnung Situation Room es nahelegt, handelt es sich dabei nicht nur um einen einzelnen Raum, sondern um einen Komplex von Räumen im Westflügel des Weißen Hauses. Der Situation Room ist ein pars pro toto. Abbildung 2: Situation Room-Komplex im Erdgeschoss des Weißen Hauses, nördliche Blickrichtung
Quelle: http://www.whitehousemuseum.org/ww0.htm [letzter Zugriff: 08.05.2014]
Zieht man sämtliche im Internet zur Verfügung stehenden Bilder 1 aus dem Situation-Room-Komplex zur lokalen Identifikation hinzu und vergleicht sie mit dem Referenzfoto, kommt als Ort der Fotografie nur der in Abbildung 2 umrandete Raum in Betracht. Er dürfte in etwa 15 m² groß sein und ist an der Frontseite mit zwei Bildschirmen ausgestattet, die Videoübertragungen zulassen. Darüber befinden sich Uhren, die verschiedene Weltzeiten präsentieren.
1
Für die Obama-Administration ist es charakteristisch, dass, gegenüber anderen Präsidentschaften, Fotos aus dem Situation Room publiziert werden. Sie stammen meist aus dem »Main Conference Room«, der dem kleinen Konferenzraum aus Abbildung 3 gegenüberliegt.
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Abbildung 3: Kleiner Konferenzraum, nördliche Blickrichtung
Quelle: http://www.whitehousemuseum.org/west-wing/situation-room/situation-room-2007-small-conf.jpg [letzter Zugriff: 08.05.2014]
D AS F OTO Das am 01.05.2011 von Pete Souza aufgenommene Foto, stammt aus dem »White House's Photostream« auf flickr.com (ein Web-Dienstleistungsportal für eine digitale Bildcommunity). Es trägt die Bezeichnung P050111PS-0210 und ist mit einer Unterzeile und einem (für das Weiße Haus üblichen) disclaimer 2 versehen. Die Unterzeile lautet: »President Barack Obama and Vice President Joe Biden, along with members of the national security team, receive an update on the mission against Osama bin Laden in the Situation Room of the White House, May 1, 2011. Seated, from left, are: Brigadier General Marshall B. ›Brad‹ Webb, Assistant Commanding General, Joint Special Operations Command; Deputy National Security Advisor Denis McDonough; Secretary of State Hil-
2
Im Haftungsausschluss ist zu lesen: »This official White House photograph is being made available only for publication by news organizations and/or for personal use printing by the subject(s) of the photograph. The photograph may not be manipulated in any way and may not be used in commercial or political materials, advertisements, emails, products, promotions that in any way suggests approval or endorsement of the President, the First Family, or the White House.« (Quelle: flickr.com)
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lary Rodham Clinton; and Secretary of Defense Robert Gates. Standing, from left, are: Admiral Mike Mullen, Chairman of the Joint Chiefs of Staff; National Security Advisor Tom Donilon; Chief of Staff Bill Daley; Tony Blinken, National Security Advisor to the Vice President; Audrey Tomason[,] Director for Counterterrorism; John Brennan, Assistant to the President for Homeland Security and Counterterrorism; and Director of National Intelligence James Clapper. Please note: a classified document seen in this photograph has been obscured. (Official White House Photo by Pete Souza)« (flickr.com)
Im auf flickr.com ebenfalls zugänglich gemachten Exchangeable-InformationFile (Metadaten des Fotos) wird als Aufnahmedatum der 1. Mai, 16:05 Uhr Ostküstenzeit angegeben.
W AS GESCHIEHT BEI DER O PERATION »N EPTUNE ' S S PEAR «? Nachdem die CIA im August 2010 den mutmaßlichen Aufenthaltsort Osama bin Ladens in einem Vorort Abbottabads in Pakistan ermittelt hatte, ordnete USPräsident Barack Obama Ende April 2011 den Angriff auf das Anwesen durch eine Spezialeinheit der Navy Seals für den 1. Mai an. Auf einem US-amerikanischen Militärflughafen im afghanischen Jalalabad heben gegen 23:00 Uhr Ortszeit zwei mit Tarnkappentechnik ausgestattete Hubschrauber des Typus Black Hawk in Richtung Abbottabad zu dem von der CIA geleiteten Militäreinsatz »Neptune's Spear« ab. Sie werden von zwei Hubschraubern vom Typus Chinook begleitet, deren Aufgabe es ist, die beiden »Black Hawks« mit Treibstoff und bei Bedarf auch militärisch zu unterstützen. Unerkannt von der pakistanischen Abwehr fliegen die beiden Tarn-Hubschrauber mit einer Spezialeinheit der Navy Seals, einem Dolmetscher sowie einem Spürhund an Bord die insgesamt 270 km lange Strecke von Afghanistan nach Abbottabad und treffen gegen 0:30 Uhr vor Ort ein. Das 3.500m² große Anwesen Bin Ladens ist etwa 4 km vom Stadtzentrum und einen Kilometer von einer pakistanischen Militärakademie entfernt. Einer der beiden Hubschrauber gerät während des Schwebeflugs über dem Grundstück in Turbolenzen und muss eine kontrollierte Bruchlandung hinlegen.
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Abbildung 4: Das über die Außenmauer des Anwesens von Bin Laden gefallene Heckteil des abgestürzten Hubschraubers
Quelle: Zeitgeistmagazin, 05.05.2011
Die Besatzung bleibt unverletzt. Anders als geplant, landet der zweite Hubschrauber nicht auf dem Dach des dreistöckigen Hauptgebäudes, sondern vor dem Grundstück. Die Seals sprengen sich von außen in das ummauerte Grundstück (vgl. Abbildung 5) ein und teilen sich in zwei Gruppen auf. Vor dem Nebengebäude, der Wohnung des Kuriers und persönlichen Vertrauten Bin Ladens, Abu Ahmad al-Kuwaiti, kommt es zu einem kurzen Feuergefecht, woraufhin dieser (samt dessen Frau) von den Seals erschossen wird. Im Hauptgebäude, das von der zweiten Gruppe gestürmt wird, erschießen die Seals zunächst den Bruder Kuwaitis und einen Sohn Bin Ladens. Im dritten Stockwerk wird daraufhin Osama bin Laden durch zwei Schüsse getötet.3
3
Hinsichtlich der Frage, ob Bin Laden in seinem Schlafzimmer oder beim Transport zum Hubschrauber erst im Erdgeschoss des Gebäudes getötet wurde, liegen unterschiedliche Angaben vor (vgl. Landler/Mazzetti 2011, Al-Awsat 2011, Dozier 2011). Ähnlich unbekannt ist, ob Bin Laden sich am Feuergefecht beteiligte und seine jüngste Ehefrau als Schutzschild benutzt habe (vgl. Booth 2011), ob er unbewaffnet war und seine Frau sich schützend zwischen ihn und den schießenden Soldaten postiert habe und dabei verletzt wurde (vgl. Drogin u.a. 2011) oder ob drei US-Soldaten Bin Laden am Ende des Flures im 2. Stock antrafen, ihn ins Schlafzimmer folgten, wo zwei Frauen versuchten, Bin Laden zu schützen (vgl. Dozier 2011).
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Insgesamt werden bei der etwa 38-minütigen Aktion fünf Personen getötet. Der Leichnam Bin Ladens, drei AK-47-Sturmgewehre, zwei Pistolen, mehrere Mobiltelefone (vgl. Tapper u.a. 2011), sowie über 100 Speichermedien, DVDs, Computerdisketten, zehn Computerfestplatten, fünf Computer und große Mengen an Schriftstücken werden von den Seals sichergestellt (vgl. Landler/Mazzetti 2011). Im Lagezentrum des Weißen Hauses werden Präsident Obama und Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates über die Geschehnisse in Abbottabad aus zwei Quellen unterrichtet. Aus Afghanistan werden sie durch Admiral William McRaven auf dem Laufenden gehalten. Aus der Zentrale der CIA in Langley, einem nur wenige Kilometer entfernten Vorort Washingtons, werden sie durch den damaligen CIA-Chef (und späteren Verteidigungsminister) Leon Panetta informiert. Die Personen im Lagezentrum verfolgen das Geschehen per Audiound Videoübertragung. Kurz nach der Landung der Seals und noch vor der Erstürmung des Hauptgebäudes kommt es Panetta zufolge zu einem etwa 2025minütigem Ausfall der Bild-Übertragung. Abbildung 5: Schema des Anwesens von Bin Laden in Abbottabad
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Neptune‘s_Spear [letzter Zugriff: 08.05.2014]
Offen ist bis heute, ob es sich beim Bildausfall um die Signal-Störung der Helmkamera eines Navy Seal handelte oder um den Ausfall der Draufsicht durch eine Drohne über dem Anwesen Bin Ladens. Nach der Durchführung der Operation äußerte sich Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS zu den Ereignissen wie folgt:
18 | M ICHAEL K AUPPERT Obama:
»We were able to monitor to the situation in real time getting reports back from McRaven […] as well from Leon Panetta. There were big slots of time in which all we were doing is just waiting. […] We were … in the situation. We knew as the events unfolded what was happening in and around the compound, but we could not get information clearly about what was happening inside the compound.
Interviewer: Could you hear gun fire? Obama:
We had a sense of when gun fire and explosion to …
Interviewer: Flashes? Obama:
Yes.«
Das Audiosignal, so lässt sich aus der Stellungnahme Obamas schließen, beschränkte sich auf Kommentare des Geschehens durch McRaven und Panetta. Obama beantwortet die Frage nach dem Höreindruck ausweichend-verallgemeinernd: »a sense of when gun fire... « Das könnte zwar eine Wahrnehmung meinen, lässt aber auch eine »Ahnung«, ein »Gefühl«, eine Art »Sinn für den Kampf« als Interpretation zu. »We were able to monitor to the situation«, hieße demnach so viel (bzw. so wenig), dass im Situation Room a) die Audiosignale von McRaven und Panetta übertragen wurden. Es handelte sich insofern um Informationen aus zweiter und dritter Hand. b) die Videosignale entweder eine (unterbrochene) Draufsicht per Drohne (in einer mondlosen und noch dazu wolkenverhangenen Nacht) zuließen und/oder eine (unterbrochene) Übertragung durch eine oder mehrere Helmkameras. Es bleibt also ungeklärt inwiefern man im Situation Room in eine ferne Situation tatsächlich eingebettet gewesen ist. Direkt zu hören bekam man in Washington aus Abbottabad jedenfalls nichts. Und sehen konnte man nur wenig. Was man sah, das waren »Blitze« – möglicherweise vom kurzen Feuergefecht mit Abu Ahmad al-Kuwaiti vor dem Nebengebäude. Zu meinen, die Erschießung von Osama bin Laden im Hauptgebäude wäre für die Anwesenden im Situation Room sichtbar gewesen, setzt somit mindestens dreierlei voraus: Erstens eine technisch funktionierende Übertragung durch eine Helmkamera wenigstens eines
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Navy Seals4; zweitens die Zuschreibung, die Anwesenden im Situation Room hätten sich, wenn auch nicht zu Mitspielern, so aber doch zu Beobachtern von einer Art Ego-Shooter-Spiel gemacht; drittens verlangt diese Annahme einen Zweifel am Dementi der Bildübertragung während des Einsatzes durch die Verantwortlichen in Washington. Wie auch immer, zieht man die beiden Monitore im Konferenzraum heran (Abbildung 3), so erscheint es vorstellbar, dass auf dem einen Monitor das Videosignal der Drohne (zeitweilig) zu sehen war, während auf dem anderen die Verbindung zum CIA bzw. nach Afghanistan gehalten wurde.
W AS
KÖNNTEN DIE ABGEBILDETEN GESEHEN HABEN ?
P ERSONEN
Analysieren wir zunächst die Unterzeile der Fotografie zur Beantwortung der Frage, was die Protagonisten in dieser Situation mutmaßlich gesehen haben. Obama et al., heißt es dort, »receive an update on the mission against Osama bin Laden«. Das heißt: Man war bis dahin gerade nicht »up to date«, nicht »auf dem Laufenden«. Die Informationen flossen, wie Obama im CBS-Interview erklärt, offensichtlich nicht stetig. Zum einen soll es jene 20-25minütige Unterbrechung des Videosignals gegeben haben. Zum anderen kann man unterstellen, dass während der etwa 15minütigen Kampfaktion zwischen den Seals und McRaven in Afghanistan nur wenige Informationen geflossen sind, die an Washington hätten überhaupt übermittelt werden können. Unterstellt man nun weiterhin, sowohl die Aufnahmezeit des Fotos sei authentisch, wie die Zeitangaben aus der Dokumentation ›Targeting Bin Laden‹ des US-amerikanischen History Channels, die Anfang September 2011, kurz vor dem 10. Jahrestag von 9/11, ausgestrahlt wurde (vgl. Tab. 1), hält man sich darüber hinaus noch den zeitweiligen Bildausfall bzw. die Bedingungen einer Drohnendraufsicht auf das Geschehen vor Augen, dann drängt sich – wenn man die Ereignisse in der Nähe von Abbottabad in Washingtoner Ortszeit konvertiert – ein Schluss auf: Die Akteure im Situation Room haben nicht die Erschießung Bin Ladens (oder den toten Bin Laden), sondern die Sprengung des Hubschraubers durch die Seals kurz vor ihrem Abflug vor Augen gehabt. Dies könnten die »Flashes« gewesen sein, von denen Obama im Fernsehinterview sprach. Und das hieße: Es ist die Explosion des Hubschrau-
4
Das erscheint nicht nur den Aussagen der Verantwortlichen, sondern auch verschiedenen Medienberichten zufolge (vgl. Miller 2011; Bergen 2012) als eher unwahrscheinlich.
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bers im fernen Pakistan, mit der Hillary Clintons Geste in Washington zeitlich korreliert. Tabelle 1: Dokumentation des History Channels zur Aktion Ort
Jalalabad
Abbottabad
Washington
Berlin
Abflug
1. Mai, 22:30
1. Mai, 23:00
1. Mai, 14:00
1. Mai, 20:00
Ankunft
2. Mai, 00:00
2. Mai, 00:30
1. Mai, 15:30
1. Mai, 21:30
Erschießung Osama bin Ladens
2. Mai, 00:20
2. Mai, 00:50
1. Mai, 15:50
1. Mai, 21:50
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2. Mai, 00:35
2. Mai, 01:05
1. Mai, 16:05
1. Mai, 22:05
Rückflug
2. Mai, 00:38
2. Mai, 01:08
1. Mai, 16:08
1. Mai, 22:08
Rückankunft
2. Mai, 03:00
2. Mai, 03:30
1. Mai, 18:30
2. Mai, 00:30
Seebestattung Osama bin Ladens
2. Mai, 10:30
2. Mai, 11:00
2. Mai, 02:00
2. Mai, 08:00
Aktion
Dass es sich hierbei um nichts weiter als um eine Hypothese handelt, geht auch aus einem TV-Interview hervor, das am 06.07.2014 in der Talk-Show »Günter Jauch« mit Hillary Clinton geführt wurde. Sie sagte: »Was ich dort sehe, ist ein Video von dem Compound, außerhalb des Compounds. Unsere Special Forces landen dort in Hubschraubern. Und einer dieser Hubschrauber, der schlägt auf an der Wand dieses Compounds und wird dadurch eben manövrierunfähig. Und unsere Sorge ist für die Männer, die dort in eine schwierige Situation hinein gehen. [...] Was Sie hier sehen, in dem Bild, das ist ein sehr angespannter Moment. Wir warten eben darauf, was passiert.«5
Ob nun der Absturz oder die Sprengung des Hubschraubers: Mit Hilfe der schon anlässlich des Workshops zur Bildanalyse im November 2011 formulierten The-
5
Die Aussage entspricht dem Wortlaut der Live-Übersetzungen der in der Sendung eingesetzten Dolmetscherin.
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se lässt sich die vielfach getätigte Annahme auf Distanz bringen, jene Geste könne nichts anderes sein als eine unmittelbare Reaktion auf den toten Osama bin Laden. Wenn es denn überhaupt eine Geste der Betroffenheit ist, die Hillary Clinton auf dem Foto zeigt, so könnte sie sich durchaus auch auf ein anderes Ereignis als die Erschießung von bzw. auf ein anderes Objekt als den toten Bin Laden beziehen. Der Hypothese zufolge handelte es sich mit der Explosion des Hubschraubers um ein Ereignis, das in der Rezeption des Fotos bis heute kaum eine Rolle gespielt hat. Darüber hinaus zeigt sich, dass der Kontext des Fotos keineswegs unentschieden ist, sondern durch eine kollektive Imagination besetzt wird: Jedermann hat(te) sofort (eine Variante der Erscheinung von) Osama bin Laden vor Augen. Ausgerechnet das, was man als Betrachter des Fotos nicht sieht, schiebt sich demnach mit erstaunlicher Schnelligkeit und Hartnäckigkeit vor das geistige Auge des Betrachters des Fotos aus dem Weißen Haus. Zumindest ein Kontext des Fotos ist – und bleibt wohl – eine kollektive Imagination.
M EDIEN 6 Als »Hochladedatum« gibt flickr.com den 2. Mai, 10 Uhr Pacific Daylight Time (PDT) an. Weiterhin ist bei Flickr vermerkt, dass das Foto noch am selben Tag ersetzt wurde. Eine Uhrzeitangabe darüber fehlt.7 Um 18.30 Uhr des 2. Mai wurde das Bild auf flickr.com 390.000 Mal angesehen, um 20 Uhr sind es bereits 600.000, 25 Stunden nach der Veröffentlichung hatte es 1,4 Mio. »Views«. Am 5. Mai ist das Situation-Room-Foto das meist angesehene Bild auf Flickr. Am 11.09.2011, zehn Jahre nach den Terroranschlägen auf das World Traide Center in New York City und das Pentagon in Arlington (Virginia), hat es 2.583.878 views. Kurz nach der Veröffentlichung auf flickr.com verbreiten erste Onlinemedien das Foto. Die New York Times titelt: »Images Show Tension and Intensity in Situation Room« (Shear 2011a). Obwohl erwähnt wird, dass es weitere acht Bilder gibt, wird in der kurzen Meldung ausschließlich das Situation-Room-Foto
6
Zusammengestellt von Katharina Frohne, vgl. hierzu auch die Recherche von Günther
7
Der Sitz (des von yahoo aufgekauften) Flickr ist Sunnyvale in Kalifornien. Insofern
Haller 2014: 51ff. entspricht 10 Uhr an der Westküste 13 Uhr an der Ostküste. Sowohl das Aufnahme-, als auch das Upload-Datum kann auf flickr.com leicht verändert werden. Keines der anderen acht Bilder aus dem Fotostream des Weißen Hauses wurde ersetzt. Insgesamt scheint dies bei Fotoveröffentlichungen vom Weißen Haus eher unüblich zu sein.
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beschrieben. Besondere Beachtung finden vor allem die Mimik und Gestik von Clinton und Obama. Ferner wird berichtet, dass die amerikanische Regierung in Besitz eines Bildes sei, das mit 95-prozentiger Sicherheit den toten Bin Laden zeige (Mazzetti u.a. 2011). Bereits nach wenigen Tagen wird das Situation-Room-Foto in zahlreichen Zeitungen, Onlinemagazinen und Blogs besprochen, zu einem fotografischen Meilenstein erhoben, als »classic« (Blake 2011), »iconic« (Memoli 2011) und »symbolisch« (Ramezani 2011) bezeichnet. Am 3. Mai fragt der Nachrichtensender CNN »A photo for the ages?« (Silverleib 2011) und behauptet, »it may prove to be the defining image of Barack Obama’s presidency«. Besondere Beachtung finden weiterhin insbesondere die Mimik und Gestik von Clinton und Obama sowie die auffällig abseitige Position des Präsidenten, der sich, »obwohl der mächtigste Mann im Raum« (Jauer 2011) »auf einem kleinen Stuhl in der Ecke« (Silverleib 2011) befinde. Das Situation-Room-Foto halte, so zitiert CNN einen Fotografen G. W. Bushs, einen »prägenden Moment der Geschichte« fest. Es werde die öffentliche Wahrnehmung des Präsidenten so prägen, wie es populäre Fotografien von Harry Truman, John F. Kennedy, Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush in der Vergangenheit getan haben. Der Artikel schließt feierlich, beinahe verheißungsvoll: »Obama’s presidency is all but certain to go through countless twists and turns before he finally leaves office. But the image of him hunkered down on May 1 [...] may be one of the few that breaks through the clutter of the modern media culture and leaves an enduring mark.« (ebd.) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z) weist am 3. Mai darauf hin, dass das Bild nicht zeige, was die amerikanische Regierung zu sehen bekommen habe; man könne lediglich sehen, was sich in ihren Gesichtern abspiele, nicht aber, was sie dazu veranlasst habe (vgl. Jauer 2011). Nachdem es zunächst hieß, die amerikanische Regierung plane, Fotos des toten Osama bin Laden zu veröffentlichen (Die Zeit 2011), gibt Obama am 4. Mai bekannt, dass er nicht beabsichtige, die Bilder freizugeben. Er sei davon überzeugt, auch ein Bild, das den toten Bin Laden zeige, werde nicht die Zweifel derer beseitigen, die nicht glauben, dass Bin Laden tatsächlich tot sei. Das Bild sei weder Propaganda-Instrument noch Trophäe (Landler/Mazzetti 2011). Nachdem Kritik an Obamas Entscheidung, die Bilder von Bin Laden nicht zu veröffentlichen, laut wurde, berichtet die New York Times (NYT) am 5. Mai, Obama habe seinen Entschluss bestärkt. Trotz des Drucks und der Kritik von außen (etwa von Seiten Sarah Palins und Lindsey Grahams) und des Versprechens, seine Regierung werde die »offenste und transparenteste in der Geschichte Amerikas« sein, weist er die Forderung, die Fotos zu veröffentlichen, erneut zurück
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(vgl. Shear 2011b). Reymer Klüver schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung (SZ), Obamas Entscheidung sei falsch und werde als »merkwürdiger Akt vorsorglicher Zensur« auf Dauer nicht haltbar sein (Klüver 2011). CNN titelt am 5. Mai 2011 »What ›Situation Room Photo‹ reveals about us« und verspricht eine tiefergehende Analyse des Situation-Room-Fotos. Während die meisten Kommentare sich bislang nur auf die »historic nature« des Bildes konzentrierten, lasse es darüber hinaus außerdem tiefergehende Schlüsse auf die US-amerikanische Gesellschaft zu. Politikwissenschaftler, Historiker und Soziologen kommen im Folgenden zu Wort, äußern sich zu der Veränderung, die das Bild für den Führungsstil Obamas bedeute und der Errungenschaften, die das Situation-Room-Foto ihrer Ansicht nach für »black men in American culture«, aber auch die Rechte der Frau sei. Hillary Clintons Gesichtsausdruck und ihre vor den Mund gehaltene Hand dient in beinahe allen Artikeln zum Situation-Room-Foto als Anhaltspunkt der Anspannung, die offensichtlich im Situation Room geherrscht habe. Immer wieder wird er ähnlich interpretiert, als entsetzt, schockiert, ängstlich, besorgt und angespannt beschrieben. Am 5. Mai äußert sich Clinton erstmals selbst zu ihrer Geste und sagt, sie habe keine Ahnung, was genau sie in jenem Moment gesehen habe und was in ihr vorgegangen sei; sie habe vermutlich lediglich niesen müssen, da sie an einer Allergie leide (The Week 2011). Zahlreiche Medien äußern anschließend ihre Zweifel an dieser Erklärung. Es wird vermutet, Clinton wolle vermeiden, dass ihre emotionale Reaktion als Schwäche ausgelegt werde. Am 6. Mai schreibt der Spiegel ironisch, es »dürfe alles gewesen sein«, »ein Schnupfen, ein Husten, ein Beinbruch wenn notwendig, nur bloß kein Gefühl« (Meckel 2011). Es sei offensichtlich, dass man nun versuche, die emotionale Reaktion Clintons herunterzuspielen; tatsächlich aber habe der Fotograf sie sicher nicht zufällig zum Mittelpunkt des Bildes gemacht. Clintons offensichtliche Angst sei in sozialen Netzwerken zur Zielscheibe von Hohn und Spott geworden, weshalb sie nun offenbar das Bedürfnis habe, sich zu rechtfertigen. Die SZ schreibt, »die Ikonographie der Macht [halte] wohl nur Ausdruckslosigkeit für den einzig adäquaten Code der Souveränität« (Graff 2011). Es sei fragwürdig, ob das Situation-Room-Foto nicht viel mehr PropagandaInstrument als bloße Momentaufnahme sei. Die eigentliche Frage, die der Diskurs um das Situation-Room-Foto und die nicht veröffentlichen Bilder Bin Ladens aufwürfen, sei jedoch, warum der Mensch überhaupt an die Authentizität von Bildern glaube, da diese schließlich inszeniert, modifiziert oder gar gänzlich synthetisch geschaffen werden können (vgl. Klüver 2011). Über die Bildbetrachtung und -deutung des Bildes hinaus fragt auch der SWR danach, welche Be-
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weiskraft Fotografien überhaupt noch besitzen. Im Zeitalter der Bildbearbeitung sei die Auffassung, ein Foto könne ein Abbild der Realität darstellen, eine Illusion, so Medienwissenschaftler Thomas Petersen (vgl. Kögl 2011). Dennoch könne man die Begründung der Veröffentlichungsgegner des Bildes von Bin Laden, die sich u.a. darauf berufen, ein Foto könne keinen Beweis darstellen, nicht gelten lassen, schreibt die F.A.Z. Die Naivität, die man so dem Betrachter unterstelle, sei ungerechtfertigt. Wie auch Texte würden Fotografien von ihren Konsumenten »mit Skepsis auf ihre Wahrscheinlichkeit hin befragt«. Die Bedeutung von Fotografien erschöpfe sich nicht in der Tatsache, dass sie gefälscht sein könnten (Klonk 2011). Die Diskussion um das Situation-Room-Foto und die nicht veröffentlichten Bilder Bin Ladens mündete im Nachhinein vor allem in die Frage, was Obama mit der Veröffentlichung ausgerechnet dieses Bildes bzw. der Zurückhaltung des Bildes Bin Ladens bezweckt haben könnte. Im Kunstmagazin ART analysiert der Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker Wolfgang Ullrich monatlich aktuelle Fotografien. Die August-Ausgabe 2011 widmete sich dem Foto aus dem Situation Room. Ullrich beschreibt vor allem, inwiefern das Situation-Room-Foto als Machtinstrument fungiere und erklärt, warum es eine so vereinnahmende Wirkung auf seinen Betrachter ausübe. Mit dem Situation-Room-Foto sei »ein imposantes Stück einer Ikonografie der Macht« gelungen. Die Macht in einer Demokratie hätte sich, so Ullrich, kaum besser in Szene setzen können: »Der Öffentlichkeit wird signalisiert, sie werde in das Geschehen eingeweiht, und zugleich wird sichergestellt, dass das Entscheidende einer Elite vorbehalten bleibt. [...] Obwohl also angenommen werden darf, dass selbst bei längerer Betrachtung des Fotos nichts mehr zu entdecken ist, was einen Hinweis auf das geben könnte, was nur die Mächtigen sehen, wird der Betrachter jede Geste und jedes Detail im Raum gewissenhaft mustern. Zu sehen, dass ein anderer etwas sieht, was man selbst nicht sehen kann, stimuliert den Blick in extremer Weise.« (Ullrich 2011)
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Ein Pressefoto als Ausdrucksgestalt der archaischen Rachelogik eines Hegemons Bildanalyse mit den Verfahren der objektiven Hermeneutik U LRICH O EVERMANN
M ETHODOLOGISCHE V ORBEMERKUNGEN Zum epistemischen Status von Bildern: Die konstitutive Bedeutung des Rahmens Da es hier exemplarisch um die Methodologie und um Methoden der Bildanalyse geht, muss ich etwas weiter ausholen und der Frage nachgehen, was eigentlich epistemisch gesehen ein Bild für eine Ausdrucks- und Erkenntnisform ist. Ich gehe dabei zunächst von der allgemeinsten Erscheinungsform aus. Dann ergibt sich eigentümlicher Weise formal, dass alles das ein Bild ergibt, was durch einen Rahmen konstituiert wird. Ein Bild ist der Gegenstand, der einen Rahmen füllt. Diese befremdliche, aber einfache Festlegung hält einen erfolgreich davon ab, ein Bild a priori mit einer Abbildfunktion zu identifizieren. Denn damit käme man sofort in allergrößte Schwierigkeiten, z.B. in der Analyse von ungegenständlichen Bildern. Ohne das an dieser Stelle genau ableiten zu können, komme ich dann z.B. auch zu dem Ergebnis, dass Bilder nicht dadurch hinreichend bestimmt sind, dass sie etwas darstellen, sondern dass sie etwas zur Erscheinung bringen, was epistemologisch eine entscheidende Differenz ist. Unter anderem wird in dieser Bestimmung betont, dass Bildern die Eigenlogik einer unmittelbar gegebenen sinnlichen Präsenz zukommt und sie dadurch die Krise einer Unbestimmtheit auslösen können.
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Aber was macht man dann mit Bildern, die solche im Sinne dieses Darstellens tatsächlich sind, ohne dass sie einen Rahmen haben. Diese haben entweder einen indirekten Rahmen in Gestalt eines regelmäßigen, deutlich abgrenzenden Randes oder sie sind tatsächlich erkennbar Darstellungen qua Abbildungen von etwas. Letztere sind natürlich immer Bilder, erkennbar daran, dass sie etwas abbilden, das sich gegenständlich unabhängig von dieser Abbildung identifizieren lässt, auch wenn es eine Fiktionalität bedeutet. Das galt schon für die berühmten Höhlen- und Felsenbilder der frühen Menschheit und der archaischen Kulturstufen. Sie sind häufig Abbildungen von Beutetieren, dazu gehörigen Jägern, Tänzen von menschlichen Wesen, etc. Vieles spricht dafür, dass sie eine magische Funktion der Herbeibeschwörung von überlebensnotwendigen Beutetieren in Zeiten des klimatisch bedingten Mangels hatten, so z.B. die Felsenzeichnungen an der namibischen Felsenküste, die in den Trockenzeiten die jagdbaren Tiere im Hinterland zum Inhalt haben. D.h. also: Alle gegenständlichen Bilder sind auch dann Bilder, wenn sie nicht gerahmt sind. Aber umgekehrt sind nicht-gegenständliche Bilder, wenn sie nicht gerahmt sind, auch keine Bilder, sondern nur Ornamente oder Dekor. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wenn Kacheln, z.B. für Küchen- oder Badezimmerwände, zugleich etwas abbilden, wie das z.B. bei den berühmten Delfter Kacheln der Fall ist, dann sind sie natürlich Bilder. Aber wenn sie nichts abbilden, dann werden sie nur Bilder unter der Bedingung, dass sie gerahmt sind. Was immer man in einen Rahmen stellt, erhebt dadurch sofort den Anspruch, ein Bild zu sein. Ein Rahmen fordert als solcher also per se ein Bild ein. Das ist für ihn konstitutiv. Ohne ein Bild ist er nur leer. Deshalb werden Spiegel gerne, jedenfalls dann, wenn sie eine für die Präparation der Selbstpräsentation des Raumbewohners zentrale Funktion einnehmen, mit opulenten Rahmen versehen. Durch sie wird, was der Betrachter von sich im Spiegel erblickt, zum Bild. Aber ein Bild als Bildinhalt erfordert für sich komplementär einen Rahmen, es kann diesen durch einen abgrenzenden Rand ersetzen. Aber ohne Rahmen und ohne abgrenzenden Rand ist es nur dann ein Bild, wenn es zugleich eine gegenständliche Abbildung ist. Durch diese Bestimmung erreichen wir ohne Probleme, die ungegenständliche bildende flächige Kunst unter unsere Bestimmung von Bild subsumieren zu können. Aber der Rahmen ist mehr als eine nur formale Konstituente des Bildes. Er grenzt es funktional vor allem als Bild aus der weiteren wahrnehmbaren Umgebung ab. Das gilt natürlich auch für die Ränder einer Bildfläche. Aber diese abgrenzende Funktion leitet sich als Abkürzung aus einem Rahmen ab. Anders gesprochen: Der explizite Rahmen realisiert erst das, was dann auch ein bloßer
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Rand einer Bildfläche oder eine formell randlose Abbildung unter der zusätzlichen Bedingung der Gegenständlichkeit des Bildinhaltes leisten kann. Die Zeitlosigkeit des Bildes In dieser Abgrenzungsfunktion hebt der Rahmen das Bild aus dem Zeitstrom der Wahrnehmung des Betrachters heraus. Auch wenn ein Bild in den Anfängen der Kulturgeschichte immer auch eine Abbildungsfunktion hatte, bewirkte es doch auf elementare Weise dies: Das Abgebildete aus dem Strom der erlebbaren Welt herauszunehmen und still zu stellen. Das ist das Faszinierende an Bildern: dass sie einen Augenblick des Geschehens von Welt für alle Zeiten still stellen und damit ein Heraustreten aus der Realzeit ermöglichen. Bilder sind aufgrund dieser Funktion die ersten manifesten, materialen Protokolle der Praxis von Menschen. Im Hintergrund von Protokollen steht selbstverständlich als zentrale Konstitutionsbedingung immer die Sprachlichkeit der menschlichen Gattung, durch die allererst eine Bedeutungsfunktion eingerichtet wird, ohne die die kategoriale Differenz von Protokoll und protokollierter Wirklichkeit nicht errichtet werden kann. Sobald das der Fall ist, ergibt sich als Nächstes die Differenz zwischen Protokollen, die immateriell als bloße Erinnerungen des sprachfähigen Subjekts bestehen, und solchen Protokollen, die als materialisierte und lesbare Ausdrucksgestalten objektiviert, vergegenständlicht sind. Für sprachliche Ausdrucksgestalten bzw. Protokolle gilt das erst unter der Voraussetzung der Schriftsprachlichkeit, also menschheitsgeschichtlich sehr spät. Lange vorher liegen in Bildern und Skulpturen solche materialisierten Protokolle vor, die der Logik von Aufzeichnungen entsprechen. Zu ihnen analog lassen sich Spuren nicht nur wahrnehmen, sondern auch lesen. Unter diesem Gesichtspunkt der relativen Zeitlosigkeit sind Bilder und Skulpturen im Unterschied zu nichtschriftlichen sprachlichen und nicht-notierten klanglichen Gebilden bzw. Ausdrucksgestalten die menschheitsgeschichtlich frühesten Aufzeichnungen bzw. objektivierten Protokolle menschlicher Praxis. Und nur Protokolle ermöglichen aufgrund dieser Zeitenthobenheit Intersubjektivität und damit methodisierte, d.h. überprüfbare Erkenntnis. Durch Protokolle erst wird die Unmittelbarkeit menschlicher Praxis im Hier und Jetzt transzendiert und in die Selbstreflexivität eingezogen. Protokolle bestimmen zugleich die unübersteigbare Grenze einer Datenbasis für methodisierte Erkenntnis. Protokolle haben natürlich zum Komplementär eine Wirklichkeit, die sie protokollieren, aber diese Wirklichkeit ist realzeitlich und daher flüchtig. Zur Überprüfung können wir sie selbst niemals heranziehen, es sei denn, in Gestalt unserer
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Erinnerung, aber die ist auch ein Protokoll, und zwar ein wegen seiner Immaterialität sehr unzuverlässiges. Bilder sind also als diese Protokolle von Augenblicken etwas, was man auch erstarrte Lebendigkeit nennen kann. Sie stellen etwas in seiner Lebendigkeit besonders Auffälliges, sei es als unbeabsichtigte Abdrucke oder als beabsichtigt hergestellte Ausdrücke, still und fixieren bzw. objektivieren es für eine wiederholte Betrachtung. Häufig werden Bilder von vornherein für eine »ewige«, jedenfalls zeitlich unspezifizierte Betrachtung hergestellt. Als diese erstarrte Lebendigkeit lassen sie sich dann in der Folge methodisch daraufhin überprüfen, welche hypothetische Wirklichkeit sie protokollieren und wie authentisch bzw. gültig sie das tun. Ich breche diese epistemologische Erörterung von Bildern hier ab (näheres dazu unter Oevermann 2000), füge nur noch hinzu, dass mit dieser Bestimmung des Bildes als Gerahmtes sogleich eine erste Richtlinie für die Bildanalyse auf einfache Weise gegeben ist (vgl. exemplarisch Oevermann 2009): Wenn Bilder nämlich gerahmt sein müssen, dann haben sie immer einen Rand, und wenn sie einen Rand haben, dann bestimmt dieser zugleich ihre Mitte. Die Differenz von Rand und Mitte ist für ein Bild konstitutiv und sie diktiert die Komposition und deren Qualität. Das hat sich z.B. bei der Analyse von Kinderbildern außerordentlich gut bewährt. Als erstes lässt sich so ganz einfach feststellen, wie das Kind mit der vorgegebenen Fläche in deren Aufteilung zurecht gekommen ist: Klemmt es alles eng und ängstlich an den Rand, überschreitet es überall unkontrolliert den Rand oder setzt es Peripherie und Zentrum der Fläche in ein maßvolles Verhältnis zu Peripherie und Zentrum des Bildinhalts. Ränder können geometrisch sehr verschieden geformt sein. Sie sind in der Regel rechteckig, weil gerahmte Bilder an Wänden so am flächensparsamsten platziert werden können. Von Arnold Gehlen wird eine hierzu passende Anekdote kolportiert. Er hielt Ende der 50er Jahre vor »gebildeten« Damen einen Vortrag über moderne Kunst. Zu jener Zeit war in solchen Kreisen das kulturkritisch rückständige Buch »Verlust der Mitte« (Ersterscheinung 1948) des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr en vogue. Als in der eröffneten Diskussion nach dem Vortrag eine dieser Damen sogleich mit Verweisen auf diese Lektüre aufwartete, soll Gehlen dieses Schwadronieren mit der trockenen Bemerkung unterbunden haben: »Meine Damen, wer hier die Mitte verloren hat, soll dann bitte den Rand halten.«
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Z UR ANALYSE DES FOTOGRAFISCHEN B ILDES »H ILLARYS H AND « Zum Foto als Ausdrucksgestalt Was hier zu analysieren ist, ist zweifellos ein Bild. Es hat einen rechteckigen Rand, und es benötigt keinen Rahmen, weil es gegenständlich ist. Außerdem erkennen wir sofort, dass es sich um ein Foto, also um eine gerätevermittelte technische Aufzeichnung handelt, bei der eigentlich nur der Ausschnitt der aufgezeichneten Realität und die Tiefenschärfe der Aufzeichnung gestaltet werden kann, es sei denn, diese Realität sei selbst gestaltet worden für die fotografische Abbildung, wie das in den Anfängen der Kunstfotografie etwa in Angleichung an die Stilllebenmalerei der Fall war oder bei gestellten Fotos etwa zu einer Hochzeit immer noch der Fall ist. Für fotografische Bilder gilt als einfachstes Kriterium der Abgrenzung von gemalten oder gezeichneten Bildern, dass ihr Bildinhalt immer schon Vergangenheit bzw. vollzogene Wirklichkeit ist. Zukunft kann man grundsätzlich nicht fotografieren, aber man kann sie problemlos zeichnen oder malen. Insofern stehen Fotos viel näher an der Funktion des Protokollierens, während gezeichnete oder gemalte Bilder immer auch die Funktion des Entwerfens umfassen. Wenn sie nur dem protokollarischen Fixieren und dem Illustrieren dienen, fallen sie in der Regel aus einer ästhetischen Funktion heraus. Mit dieser langen erkenntnistheoretischen Vorbereitung der konkreten Bildanalyse sollte u.a. klar geworden sein, dass es im Folgenden ausschließlich um die Analyse des Bildes als eines eigenlogischen Gegenstandes geht. Mit vielen Analysen des gegenwärtigen »visual turn« habe ich vor allem deshalb Probleme, weil bei ihnen bei genauerer Betrachtung häufig eigentlich gar nicht primär Bilder als Bilder analysiert werden, sondern die Prozesse des Betrachtens von Bildern, ohne dass der Gegenstand dieser Betrachtung zuvor als solcher bestimmt worden wäre, ja noch schlimmer: häufig die Bilder zirkulär analysiert werden nach der Maßgabe der Reflexion ihres Betrachtens – wie das z.B. notorisch in der sogenannten Tiefenhermeneutik geschieht. Etwas Weiteres zur Methodologie vorweg: Für die Bildanalyse, wie ich sie verstehe, gilt erst recht, was für die objektiv hermeneutische Analyse jeglicher Protokolle entscheidend ist: Sie ist rein immanent durchzuführen, d.h. ohne Einbezug von externem Kontextwissen. Für den hiesigen Fall bedeutet das: Man kennt zwar die abgebildeten Personen aus anderen Veröffentlichungen, d.h. man kann den Personen ihre Eigennamen zuordnen und entsprechend ihre Identitätsmerkmale und Funktionen: z.B. Präsident, Außenministerin, etc. Aber das lasse
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ich alles weg, weil es nicht im Bild als Bild enthalten ist, sondern aus einer Zuordnung unseres Wissens zum Bildinhalt selbst resultiert. Bilder enthalten als Bilder nur ganz wenig Wissen. Erst wenn wir unser Wissen dem im Bild Präsentierten zuordnen, d.h. wenn wir das im Bild Präsentierte wiedererkennen, wird das Bild zum »Behälter« von Wissen. Aber das ist ein Wissen, das nicht durch das Bild entstanden ist. Der narrative Bildinhalt summarisch Der Hauptinhalt des Fotos sind Personen in einem Raum. Sechs Personen sitzen eng zusammen um einen Tisch, sieben weitere stehen eng zusammen hinter ihnen, zwei weitere sind nur in ganz geringen Ausschnitten ohne ihre Gesichter zu erkennen, eine weitere Person ganz vorne, vor der ganzen Szene. Insgesamt sind nur zwei Personen davon Frauen, eine sitzend, eine stehend. Mit einer Ausnahme starren alle mit gespanntem Gesichtsausdruck auf einen gemeinsamen Punkt, der nicht sichtbar ist und bezogen auf den Bildraum weit vor diesem auf der linken Seite liegt. Der Raum ist für die vielen Menschen viel zu klein, außerdem ohne Tageslicht, stark von oben beleuchtet. Einige von den Stehenden befinden sich schon außerhalb des Raums, in der Tür oder im Vorraum. Ein Mann unter ihnen muss sich um den Türholmen herum beugen, damit er etwas von dem sehen kann, was alle anderen betrachten. Der entscheidende Bildinhalt ist also, dass mindestens 16 Leute auf engstem Raum versammelt sind und gemeinsam gebannt auf etwas schauen, was sich ihnen gegenüber im Raum befindet, für die Stehenden ungefähr auf gleicher Höhe, für die Sitzenden erhöht. Sie müssen etwas nach oben schauen. Wenn man sich den Raum im Grundriss als Rechteck vorstellt, worauf der Tisch mit seiner Platte verweist, dann müsste sich das, worauf die gezeigten Menschen schauen, vor ihnen, an der der schmalen Tür des Raumes gegenüberliegenden Seite befinden, z.B. an der gegenüberliegenden Wand, tendenziell dort eher rechts als links; oder noch besser, aus der Perspektive der Betrachtenden im Bild: in der Ecke des Raumes hinten rechts. Es muss sich also um etwas handeln, was sich dort abspielt: ein Geschehen. Denn so wie auf dem Bild würden die Anwesenden weder stehen bzw. sich gruppieren noch schauen, wenn es sich um ein feststehendes, unbewegliches Gebilde oder Exponat handelte. Also muss es sich bewegen bzw. eine Sequenz bilden. Da aber der Raum zu klein ist dafür, dass es ein reales Geschehen, wie auf einer Bühne, sein könnte, muss es sich um eine Präsentation bewegter Bilder
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durch eine technische Vorrichtung handeln, also um einen Film oder Vergleichbares, einschließlich einer Dia-Schau. Das könnte von der Spannung auf den Gesichtern her eine Übertragung eines wichtigen Sportereignisses sein. Schwerlich ist vorzustellen, dass eine »Konserve« präsentiert wird. Es muss eine Live-Übertragung sein. Warum? Weil die Spannung, von der die Haltung und die Mimik sowie vor allem die Raumanordnung der auf dem Foto gezeigten Betrachtenden zeugt, letztlich nur durch die Live-Übertragung eines in sich spannungsvollen Geschehens mit offenem Ausgang hergestellt werden kann; des Weiteren: weil die sichtbare Improvisiertheit eines für die Mehrheit der Anwesenden unbequemen Zusammentreffens durch eine external bedingte zeitliche Fixierung des übertragenen Ereignisses bedingt ist. Dessen zeitliche Festlegung ist, wie für Live-Übertragungen konstitutiv, von den Betrachtern nicht frei wählbar oder bestimmbar. Erste Schlussfolgerung An diesem Punkt der Analyse lässt sich generalisierend schon das Folgende festhalten: Das Hauptthema des Bildes besteht darin, das einheitliche, gemeinsame Betrachten einer eng in einen kleinen Raum gepferchten Gruppe von etwas höchste Aufmerksamkeit und Spannung Hervorrufendem zu zeigen, das selbst auf dem Foto nicht gezeigt wird, sondern nur sehr indirekt und keineswegs eindeutig erschlossen werden kann. Das Foto zeigt also das Betrachten von etwas und nicht das Betrachtete selbst. Es hat demnach zum Inhalt, was für es selbst als Bild konstitutiv ist: dazu da zu sein, betrachtet zu werden. Für das Foto ist also etwas ganz anderes thematisch als für die auf dem Foto gezeigten Betrachter und man muss nun fragen, was an einem Foto für eine Öffentlichkeit interessant sein kann, das nicht das offensichtlich historisch außerordentlich Bedeutsame an dem Objekt des Betrachtens zeigt, sondern nur das Betrachten selbst. Offensichtlich ist es denjenigen Instanzen, die ein solches Foto in die Öffentlichkeit bringen, wichtig, dass diese von diesem Betrachten Kenntnis nimmt und daran teilhat. Damit wird dieses Betrachten, das gezeigt und öffentlich propagiert wird, zu einer wichtigen öffentlichen Angelegenheit. Selbstverständlich muss dabei vorausgesetzt werden, dass den Betrachtern des Presse-Fotos vom Betrachten das von diesem Betrachten betroffene Objekt der Aufmerksamkeit unmissverständlich bekannt und klar ist, was Nachträglichkeit voraussetzt. Da aber das Foto ein Protokoll eines jeweils aktuellen Geschehens ist, in diesem Falle des Betrachtens von etwas höchst Wichtigem, wird vom Foto präsupponiert, dass der offene Ausgang dieses Geschehens noch nicht entschieden ist, deshalb also die Relevanz des von den Fotografierten Betrachteten noch gar nicht endgültig festgelegt
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ist, sondern erst später, beim Veröffentlichen des Fotos, bestimmt wird. Das auf dem Foto protokollierte, spannungsvolle Betrachten kann das eines sich herstellenden Gelingens oder umgekehrt eines Misslingens sein.1 Daraus folgt wiederum seinerseits, dass die Entscheidung darüber, ob das Foto veröffentlicht wird, getrennt werden muss von der Entscheidung, das Foto überhaupt zu machen. Dass das Foto gemacht wird, enthält damit aber in sich schon die Hoffnung, dass das im aufmerksamen Betrachten thematische krisenhafte Geschehen auch tatsächlich zu einem »guten Ende« führen wird. Denn man wird davon ausgehen können, dass im anderen Falle eine Veröffentlichung, wie wir noch sehen werden, nicht besonders opportun sein wird. Allein aufgrund dieser Präsuppositionen der kategorialen Differenz zwischen dem fotografierten Betrachten von etwas und dem darin thematischen, aber eben selbst nicht gezeigten betrachteten Geschehen, wird das den Betrachtern auf dem Foto unmittelbar als Live-Übertragung Präsentierte zu einer Angelegenheit von allergrößter Bedeutung für die Allgemeinheit. Diese Akzentuierung der Relevanz ist doppelt determiniert: Zum einen ergibt sie sich daraus, dass etwas die gespannte Aufmerksamkeit der in einem Raum sich Drängenden in Anspruch nimmt und diese dadurch in der auf dem Foto sichtbaren besonderen Konstellation quasi krisenhaft vergemeinschaftet. Dies kann nur durch eine krisenhafte Außeralltäglichkeit dessen motiviert sein, was die auf dem Foto gezeigte Gemeinschaft aktuell gemeinsam betrachtet. Zum anderen wird das von der fotografierten Gruppe Betrachtete in seiner Bedeutsamkeit noch dadurch unterstrichen, dass es selbst auf dem Foto nicht sichtbar ist und darin eine besondere Markierung erfährt. Denn würde man unterstellen, dass das etwas X-Beliebiges und nicht von allgemeiner Bedeutsamkeit wäre, dann würde das Foto als solches ohne Bedeutung sein: nur eine Art Schnappschuss eines Gruppengeschehens, das nur für die Fotografierten einen privaten anekdotischen Erinnerungswert haben könnte – eine Lesart, die wir ja schon durch das Lesen des Fotos selbst ausschließen konnten. Das Foto würde dann gewissermaßen zur Banalität eines
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An dieser einfachen Feststellung kann man sich im Übrigen das notorische Missverständnis des Pragmatismus von Peirce durch die deutsche Bewusstseinsphilosophie klar machen, jener sei eine dem Kapitalismus wesensverwandte Philosophie des erfolgskontrollierten Handelns. Die Kategorie des Erfolgs und des Erfolgens wird hier notorisch an die Bedingung des Gelingens geknüpft und mit diesem gleichgesetzt. »Success«, Erfolg, heißt aber für Peirce schlicht das, was bei einem durch einen bestimmten Begriff geleiteten Handeln objektiv daraus hervorgeht, sukzediert. Das kann im Sinne der Zielsetzung des Handelnden faktisch beides sein: ein Gelingen oder ein Misslingen.
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Erinnerungsfotos für das private Fotoalbum der auf dem Foto Gezeigten implodieren. Hier kommt nun etwas Drittes ins Spiel, was zwar auf dem Foto selbst nicht dargestellt ist, was aber zur pragmatischen Rahmung von Fotos als Fotos gehört und insofern Bestandteil einer rein bildimmanenten Lesung ohne Verwendung von Wissen über den äußeren Kontext ist. Was ist die pragmatische Erfüllungsbedingung eines Fotos? Derjenige, der ein Foto macht, hat dabei immer einen künftigen Betrachter im Auge, und sei es im Grenzfall nur den Autor des Fotos selbst. Für diesen muss er also die Relevanz des Fotos, d.h. des fotografischen Protokolls und damit des auf ihm Protokollierten unterstellen. Bezüglich dieser Relevanz ergeben sich dann die bekannten typologischen Unterschiede von Fotos: Erinnerungsfotos für das private Album, Dokumentationen eines institutionell wichtigen Geschehens oder Umstandes, Veröffentlichungen von Ereignissen oder Tatsachen von allgemeinem Interesse, künstlerische Gestaltungen als Selbstzweck. Für diese verschiedenen Typen gelten jeweils eigene Kriterien dafür, ob ein Foto »etwas geworden« ist. Wir hatten unbegründet schon die pragmatische Bestimmung des Fotos als Presse-Foto übernommen. Das nun geht allerdings aus der rein bildimmanenten Betrachtung zwingend noch nicht hervor, auch wenn vieles darauf hindeutet. Es ergibt sich zum einen aus der Prominenz der auf dem Foto abgebildeten USPolitiker und zum anderen trivialerweise daraus, dass wir gar nicht vermeiden können, uns an das in der Weltpresse am Tage nach der Tötung bzw. Hinrichtung Bin Ladens in Pakistan im Zuge einer invasorischen US-militärischen Geheimaktion veröffentlichte Foto zu erinnern. In diese Bestimmung als PresseFoto geht also schon konstitutiv die pragmatische Rahmung mit ein, dass diese Aktion, deren Live-Protokollierung von der fotografierten Gruppe auf dem Foto verfolgt wird und deren Betrachtung ihrerseits im Foto protokolliert wird, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erfolgreich abgeschlossen sein muss. Das ist einerseits ein Fakt, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung besteht, andererseits im Sinne einer pragmatischen Erfüllungsbedingung eine pragmatisch regelhafte Vorbedingung für die Veröffentlichung, die ja nur einen Sinn macht, wenn durch sie der erfolgreiche Abschluss der militärischen Operation indirekt, aber zwingend der Weltöffentlichkeit mitgeteilt wird. Um es noch einmal anders zu sagen: Während zum Zeitpunkt der fotografischen Aufzeichnung noch offen ist, ob die militärische Operation gelingen wird, muss zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, also der Realisierung des von vornherein für das Foto konstitutiven Zwecks, dieses Gelingen erfüllt, zur Tatsache geworden sein. Der Bildinhalt des Fotos verweist also auf etwas, was noch gar nicht eingetreten ist, aber eintreten soll. Von daher ergibt sich schon hier die Folgefrage, warum der Weltöffentlichkeit
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auf diese »indirekte« Weise mit einem Bild, das das Betrachten einer LiveÜbertragung zeigt, die zudem höchst geheim war und nur einem sehr kleinen Kreis von Funktionären zugänglich, eben jenen auf dem Foto Abgebildeten, ein sehr bedeutsames Geschehen mitgeteilt wird und nicht mit einem Foto, das das Geschehen selbst protokolliert? Generell gilt für sinnstrukturierte Gebilde, also für Ausdrucksgestalten, dass mit Bezug auf sie zwischen den den bedeutungsgenerierenden Regeln entsprechenden pragmatischen Erfüllungsbedingungen einerseits und der tatsächlichen Erfülltheit andererseits unterschieden werden muss. Das ist der tiefere Grund dafür, dass die objektive Bedeutung von Ausdrucksgestalten nicht aus dem je konkreten empirischen Kontext ihrer Äußerung erschlossen werden kann, sondern unabhängig davon immanent aus den bedeutungsgenerierenden Regeln und das heißt: aus der Explikation der pragmatischen Erfüllungsbedingungen, um dann erst mit dem tatsächlich gegebenen Kontext daraufhin verglichen zu werden, inwieweit diese Erfüllungsbedingungen auch tatsächlich erfüllt sind. Nur so werden die Zirkularität in der Bestimmung von objektiven Bedeutungsstrukturen oder latenten Sinnstrukturen und ein damit verbundener Empirismus vermieden, der in der bloßen Paraphrase faktischer Gegebenheiten besteht. Mit dieser Methodologie der Vermeidung von Zirkularität, die – soweit ich das sehen kann – systematisch nur von der objektiven Hermeneutik zum Prinzip erhoben wird, wird ein die bloße Beschreibung überschreitendes Erschließen und Erklären erst ermöglicht (vgl. Oevermann 2013). Bezogen auf das hiesige Datum: Für das Foto galt schon zum Zeitpunkt seiner Herstellung die genannte pragmatische Erfüllungsbedingung, dass es sich zur Veröffentlichung erst eignete, wenn tatsächlich das von ihm protokollierte Betrachten einer Live-Übertragung sich auf einen Vorgang bezog, der als für die Weltöffentlichkeit bedeutsamer zu seinem beabsichtigten Ende erfolgreich geführt worden war, wenn also seine pragmatische Erfüllungsbedingung wirklich eingetreten war. Damit verschränkt ist die weitere Bedingung, dass die LiveÜbertragung als solche auf einen sehr kleinen Kreis von Geheimnisträgern beschränkt sein muss. Daraus ergibt sich die weitere Folgefrage: warum die spätere Veröffentlichung die explizite Dokumentation dieser Exklusivität, in der doch im Grunde eine strukturelle Negation der Konstitutionsbedingungen von Öffentlichkeit zu sehen ist, in Kauf nimmt, ja geradezu betont? Inwieweit die pragmatischen Erfüllungsbedingungen für die Veröffentlichung des Fotos tatsächlich erfüllt sind, lässt sich in der Tat erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem des »Schießens« des Fotos bestimmen und geht aus dem Bildtext selbst immanent nicht hervor. Nur wenn man das Kontextwissen hinzufügt, dass das zu analysierende Foto, wie hier, ein veröffentlichtes Pressefoto
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tatsächlich ist, kann man zwingend erschließen, dass die pragmatischen Erfüllungsbedingungen auch tatsächlich erfüllt waren. Dann weiß man auch, dass der den Betrachtern auf dem Foto live gezeigte Vorgang als filmische bzw. videographische Präsentation dieser Öffentlichkeit, die nur über das tatsächliche Ergebnis dieses Vorgangs informiert werden soll, weitgehend vorenthalten wurde, dass aber zugleich die nachträgliche Veröffentlichung dieses Fotoprotokolls des auf die Exklusivität von Geheimnisträgern beschränkten Betrachtens für die Publikation des Betrachteten selbst in seinem Ergebnis steht. Das heißt auch: Mit der Stellvertretung dieses Fotos für den mitzuteilenden Erfolg wird dessen Rezipienten zugleich das Einverständnis zugemutet, über das Wie des Procedere in der Herstellung des Ergebnisses nicht informiert sein zu müssen. Und indem die Spannung des auf dem Foto gezeigten Betrachtens gewissermaßen als Rahmung für ein nicht gezeigtes Gerahmtes fungiert, wird die Differenz zwischen der Zulassung zur unmittelbaren Betrachtung und der breiten Öffentlichkeit, die nur das Protokoll des Betrachtens zu Gesicht bekommt, umso deutlicher markiert, zugleich aber auch die Gier der Öffentlichkeit nach unmittelbarer Teilhabe an der Sensation gekitzelt. Und die Präsentation tritt damit an die Stelle des Präsentierten. Fortsetzung der narrativen Bildinterpretation Nur eine der gezeigten Personen ist farbig, und damit auf dem Bild eine extreme Minderheit. Ein Teil der Männer trägt Krawatten, der größere Teil »casual«, die meisten ohne Jacken. Also ist es warm im Raum und das Zusammentreffen informell. Der Raum selbst hat kein Tageslicht, aber helles Kunstlicht, etwa in der Raummitte von oben – eigentlich störend für das Betrachten eines Films. Ergo ist es wahrscheinlich eine Extra-Beleuchtung für das Foto, das erkenntlich ohne Blitzlicht aufgenommen wurde. Dies ist ein zweiter Hinweis darauf, dass ein Foto zugleich als Dokument des Betrachtens und als Chiffre des eigentlichen Geschehens irgendwie wichtig und von vornherein geplant ist. Vier Männer haben die Arme verschränkt. Das ist auffällig, weil es im Gegensatz zur Spannung auf den Gesichtern steht, es scheint daher eine inszenierte Geste der Gelassenheit zu sein. Am auffälligsten ist natürlich, dass einer der Männer nicht auf das Geschehen schaut, sondern auf sein Laptop-Display. Er ist zugleich der einzige in Uniform, ein hoch dekorierter Offizier (Ein-Sterne General), in den mittleren Jahren. Seine Uniform ist blau, dementsprechend wahrscheinlich eine Uniform der Luftwaffe. Er schaut auf seinen Laptop-Monitor und hat die Finger auf der Tas-
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tatur. Er muss also mit seinem PC etwas machen, was mit dem Geschehen bzw. dessen Präsentation unmittelbar etwas zu tun hat. Das Wahrscheinlichste ist, dass er das, was die anderen auf einem Großbildschirm sehen, auf seinem kleineren Display sieht und dessen Übertragung steuert bzw. überwacht. Wahrscheinlich kann er auf seinem Laptop mehrere Kanäle, d.h. mehrere Kameras empfangen und bestimmen, welche auf den großen Monitor aktuell übertragen werden. Er ist dann nicht nur der »Dispatcher« der Übertragung, sondern hat mit der Steuerung des übertragenen Geschehens selbst unmittelbar etwas zu tun. Also kann es sich wohl nicht mehr um ein Sportereignis handeln (z.B. ein Baseball-Spiel zwischen Armee-Einheiten), sondern es muss ein militärisches Geschehen sein, also die Übertragung einer militärischen Aktion. Des Weiteren stehen auf dem Tisch vier aufgeklappte Laptops (neben dem des eben beschriebenen Generals), ohne dass auf deren Display etwas zu sehen ist. Sie sind aber per Kabel sichtbar angeschlossen. Es handelt sich um eine einheitliche Ausrüstung des Raumes, alles hp (Hewlett Packard) Laptops des gleichen Typs. Aber sie werden offensichtlich im Moment des Fotos nicht gebraucht von denjenigen, die außer dem General am Tisch sitzen. Wozu sind sie dann benutzungsbereit, d.h. aufgeklappt? Auf der Tastatur des PCs vor der Frau liegen Dokumente, das obere, ein farbiges, offensichtlich »verpixeltes« Foto, anscheinend eine Luftaufnahme eines Gebäudekomplexes, die für den Betrachter unkenntlich bzw. unauswertbar gemacht werden sollte. Es hat weiterhin den Anschein, dass die Verpixelung der Abbildung schon vor der Aufnahme erfolgte und nicht erst ausschnitthaft auf dem Abzug der Aufnahme. Somit wäre die „Maskierung“ der Abbildung schon für ihre Betrachter im Raum gedacht und nicht nur für die Betrachter des Pressefotos. Aber vollständig sicher ist diese Schlussfolgerung nicht. Darunter liegt offensichtlich eine Google-Earth Luft- bzw. Satellitenaufnahme, also ein Hinweis auf das Operationsgebiet der militärischen Aktion. Demnach handelt es sich um eine gezielte kleinräumige Aktion, so wie sie typischerweise erfolgt, wenn es darum geht, einzelne Menschen zu retten, zu befreien oder auch zu töten oder zu fangen. Die Frau hat als einzige der anwesenden Personen ein Notizbuch und darunter einen Ordner auf dem Schoß, der so aussieht wie ein Handbuch, und einen Stift in der Hand, so als ob sie sich Notizen machen will. Gleichzeitig ist sie über die Dokumente in der Mappe wahrscheinlich vorbereitet bzw. gebrieft worden. Auf dem Außenumschlag der Mappe ist zu lesen: TOP SECRET CODE WORD NOFORY und darunter u.a. FOR USE …. IN SITUATION ROOM ONLY. Daraus muss man zwingend schließen, dass es sich bei dem Raum, in
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dem sich alle Leute auf dem Foto befinden, um den Situation Room handelt, einen Raum also, in dem streng geheime Inhalte übertragen werden, also auch solche, wie hier, die mit streng geheimen militärischen Einsätzen zu tun haben, und der sich wahrscheinlich durch strenge Abhörsicherungen und Sicherungen im Gebrauch von Telefon- und IT-Netzen auszeichnet. Also müssen alle Anwesenden vorweg über den militärischen Eingriff informiert und als Geheimnisträger eingeschworen gewesen sein. Sie kennen die dafür vereinbarte Zeit. Demnach gehören sie zum Führungsstab der Operation. Die anwesenden Geheimdienstangehörigen sind an ihren Zugangsausweisen und Badges an Bändern um den Hals erkennbar. Die Uniform des Offiziers verweist zwingend auf eine staatliche Führungsinstanz. Das wird bestätigt durch das große Emblem an der Wand hinten links. Es ist das Wappensiegel des US-amerikanischen Präsidenten, das auch auf einem der beiden Pappbecher auf dem Tisch und auf den Identitätsschildern und -bändern zu erkennen ist. Daraus folgt zwingend bildimmanent, determiniert durch abgebildete, lesbare sprachliche Symbole, die Zuordnung des Raums zur Institution des amerikanischen Präsidentenamtes, mit größter Wahrscheinlichkeit also das Weiße Haus in Washington. Das Foto wurde also in der am besten abgeschotteten Zentrale der führenden Weltmacht USA gemacht. Ich gehe bewusst aus methodischen Gründen nach wie vor nicht auf die Identität der abgebildeten Personen ein, obwohl auch mir als Zeitungsleser diese bekannt sind. Denn täte man das, dann bedeutete das die zirkuläre Verwendung von außerbildlichen Kontextinformationen, bevor alle auf dem Bild selbst lesbaren Details ausgeschöpft worden sind. Für die Gesamtkomposition ist ein wichtiges Detail noch nicht vermerkt worden: die vom Betrachter aus gesehen an der rechten Seite des Tisches sitzenden Personen: die Frau und der Mann im weißen Hemd, sind zwar den Tischplätzen mit zwei aufgeklappten Laptops zugeordnet, aber doch deutlich vom Tisch – V-förmig – so abgerückt, dass sie einen Winkel für die Ansicht durch den Betrachter, d.h. mit Front auf ihn, öffnen. Das Abrücken der zwei Personen ist im Übrigen wenig motiviert durch das Bemühen, dem jeweils hinter einem Sitzenden den Blick auf den großen Bildschirm besser freizugeben. Das wäre von den rekonstruierbaren Winkelverhältnissen auf dem Foto her nicht erforderlich. Durch die Öffnung sind die Gesichter der drei sitzenden Personen, mit der Frau in der Mitte, gestaffelt als eine Reihe auf der rechten Seite des Bildes sichtbar, die sich deutlich von der Reihe auf der linken Seite des Bildes abhebt, die hinten mit dem den Computer bedienenden Offizier beginnt und mit einem Mann im blauen offenen Hemd ganz links endet. In der Mitte dieser Reihe sitzt
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die einzige farbige Person, im auffallenden Freizeitlook, die offensichtlich in ihrem Stuhl vom Tisch in eine Längsrichtung zu diesem abgerückt ist, wahrscheinlich um das Geschehen an der ihr gegenüberliegenden Wand bequemer verfolgen zu können. Der die Reihe für den Betrachter optisch eröffnende Offizier gehört funktional nicht in diese Reihe, denn er sitzt an der Stirnseite des Tisches und bedient einen PC, dessen Display in der Vertikalen deutlich kleiner, aber in der Horizontalen deutlich breiter ist als die anderen sichtbaren, eng aneinander stehenden Laptops auf dem Tisch. Das spricht für die Funktion in einer Übertragungsregie. Dieser Offizier fällt also in mehreren Hinsichten aus dem Handlungs-Habitus der übrigen Personen heraus: Er ist der einzige, der Uniform trägt, der einzige, der einen Laptop bedient und deshalb nicht auf das Geschehen am großen Bildschirm schaut, und der einzige, dessen Laptop nicht dem Standard im Raum entspricht. Der Tisch macht durch die intarsierte Goldleiste am Rand und das polierte Mahagoni einen wertvollen Eindruck, ist aber gleichzeitig ein technisches Gerät mit einer Kabelführungsleiste in der Mitte, also eine Art Großkonsole, die dazu da ist, mehrere Laptops gleichzeitig operationsfähig anzuschließen bzw. miteinander zu vernetzen. Dadurch wird der vergleichsweise kleine Raum zu einem PC-Pool-Raum, in dem offensichtlich ein übertragbares Geschehen gleichzeitig auf einen großen Bildschirm an der hinteren Wand projiziert werden kann. Vor den Dokumenten, die – bildimmanent gesehen – zu der am Tisch sitzenden Frau gehören und auf deren PC-Tastatur liegen, befinden sich zwei rote Aktenordner mit einer Tabellenkopie obenauf, auf der wiederum eine Lesebrille geöffnet in einer Richtung so abgelegt ist, dass sie zu dem schlanken drahtigen Mann hinter (bildimmanent gesehen) der Frau gehört. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass auch vor dem Mann ganz links auf dem Bild, ein ähnliches Fotodokument in Gestalt eines Satellitenbildes von einem Gebäudekomplex, wie an dem Platz der Frau, liegt. Offensichtlich haben diese beiden Personen also ein vergleichbares Briefing erhalten. Bleibt nun am Schluss ein Detail noch nachzutragen, das in der medialen Diskussion über dieses Foto eine zentrale Rolle spielte: Die Frau hat ihre rechte Hand zum Munde geführt, als ob sie einen Entsetzensschrei unterdrücken bzw. ersticken oder einen Hustenanfall verdecken müsste. Im Widerstreit zwischen diesen beiden Motivationen – ein Gähnen kann man ausschließen, weil dazu weder die Handhaltung noch der Gesichtsausdruck passen – spricht mehr für die erstere Lesart: Die Augen, die im Übrigen wegen ihrer Rötung auf eine Übermüdung der Person hinweisen, sind auffällig weit aufgerissen und die Armhaltung verweist darauf, dass diese Geste unwillkürlich und plötzlich ausgeführt wurde. Währenddessen ruht jedoch die linke Hand der Person erstaunlich entspannt auf
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dem Notizbuch und hält locker einen Stift. Auf jeden Fall ist diese Frau die einzige Person, die eine Hand zu einer Ausdrucksgeste einsetzt. Zugleich hält sie ihren Kopf etwas kokett, jedenfalls im Sinne einer Ausdrucksbewegung, wie sie Frauen häufig eigen ist, leicht nach rechts geneigt, wie um ein besonderes Interesse an etwas zu signalisieren. Diese unauffällige Geste verbindet sich mit einem möglichen Motiv der Inszenierung eines Ausdrucks, einer Bewegung für den Betrachter. Es kommt hinzu, dass die offensichtlich mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommene Szene so fotografiert worden ist, dass die größte Tiefenschärfe etwa 2,5 m vom Fotoapparat entfernt besteht, jedenfalls in dem Bereich des Bildraumes, in dem die Frau mit der Entsetzen signalisierenden Geste sitzt. Weitere Schlussfolgerungen – Inszenierung oder »natürliches« Protokoll? Damit haben wir alle wichtigen Details des Bildes beisammen. Auf ihrer Basis können wir weitere Schlüsse ziehen, ohne auf weiteres Kontextwissen zurückzugreifen. Ich möchte auch betonen, dass ich die reichlich zur Verfügung stehenden technischen Daten zur Herstellung des Fotos bewusst nicht zur Kenntnis genommen, geschweige zur Analyse benutzt habe. Sie sind im engeren Sinne nicht Bestandteil des Bildes bzw. des auf dem Bilde Sicht- und daher Lesbaren, sondern nur so weit von Bedeutung, wie sie auf dem Foto Sichtbares bewirken, das einzig analysiert wird. Auf eine planimetrische oder mit anderen – auf die Komposition des Bildes bezogenen – Methoden arbeitende Analyse habe ich verzichtet, weil ein Foto nur begrenzt ästhetisch komponiert ist. Ein Foto zeichnet auf, was vor dem Fotoapparat, d.h. in dessen Aufnahmewinkel optisch vorhanden ist. Das kann von menschlicher Hand bewusst komponiert sein. Und das war in den Anfängen der Fotografie auch häufig der Fall, wenn etwa Fotografen in künstlerischer Absicht analog zur Malerei Stillleben vor der Linse der Kamera arrangierten oder gar Landschaftsausschnitte2. Aber in der Regel sind die Möglichkeiten des Arran-
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Vgl. dazu und zu dem ganzen Thema als ein aufschlussreiches historisches Detail aus der Anfangszeit der Fotografie die viel diskutierte Frage, auf welchen von den zwei unter den berühmten frühen Fotos von Roger Fenton aus dem Krimkrieg von 1853-56 befindlichen Aufnahmen vom »Valley of the Shadow of Death«, die beide am selben Tag vom selben Standpunkt gemacht wurden, die Landschaft vom Fotografen manipuliert wurde. Auf der einen Aufnahme liegt der Weg durch das Tal voller Kanonenkugeln, auf der anderen ist er davon frei geräumt. Hat der Fotograf die
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gements der Realität, die fotografiert werden soll, stark begrenzt und häufig soll das Arrangement auch gerade vermieden werden oder wenigstens nicht erkennbar sein. So kämpft der Fotograf eines typischerweise stark arrangierten »Motivs«, also sogenannter gestellter Fotos, etwa im Falle eines Familienfotos, heftig damit, ein möglichst hohes Maß an Spontaneität im Arrangement zu erhalten. Planimetrische oder ähnliche Bildanalyseverfahren machen aber meines Erachtens keinen großen Sinn, wo ein Bild im Wesentlichen aus einer Aufzeichnung, einer vom Akt des Fotografierens weitgehend unabhängig gegebenen Realität besteht. Das ist hier der Fall. Es ist wenig plausibel anzunehmen, der Fotograf habe die Sitzanordnung vollständig arrangiert, erst recht ist unplausibel, er habe die gesamte Gruppe zu einer schauspielerischen Leistung des Spannung und ernste Sorge ausdrückenden Mienen- und Gestenspiels angespornt. Und wenn er es getan hätte, dann würden wir es auf dem Foto sofort erkennen. Man erinnere sich nur daran, dass wir z.B. auf im Feuilleton veröffentlichten Fotos intuitiv sofort erkennen können, ob es sich um »Stills« aus Filmen oder Szenenfotos von Bühnenaufführungen handelt, oder um Protokolle aus dem wirklichen Leben. Sicherlich wird der Fotograf dafür gesorgt haben, dass sein Bildausschnitt »stimmt«, d.h. der fotografierten Situation angemessen ist. Aber angesichts der räumlichen Enge wird er da nicht viel Spielraum gehabt haben. Und anzunehmen, er habe den Präsidenten zur Inszenierung von dessen zur Schau getragenen Bescheidenheit bewusst in die Ecke des Raumes, weg von einem privilegierten Platz am Tisch, gesetzt, halte ich für weniger plausibel, als anzunehmen, der Präsident sei kurz vor dem Beginn der Übertragung auf die letzte Minute gerufen und dann auf einer gerade noch übrig gebliebenen freien Position platziert worden. Wenn aber so wenig Freiheitsgrade für ein Arrangement zur Verfügung stehen und ein Arrangement im Übrigen hier auch von der Sache her gar nicht gefordert wird, denn es geht nicht um künstlerische Gestaltung sondern um allenfalls suggestive Dokumentation, dann gehen Analyseverfahren, die an Bildwerken völlig zu Recht entwickelt worden sind, in denen die Inhalte hinter die Prägnanz der ästhetischen bzw. künstlerischen Darstellung um der Darstellung willen zurücktreten, in der Erzeugung von Überprägnanz an der Sache vorbei bzw. es wird in ihrer Anwendung die wesentliche Differenz von einem Foto als AufKugeln weggeräumt oder hat er sie umgekehrt auf dem Weg verteilt, um die protokollierte Realität dramatischer erscheinen zu lassen? Zu dieser Frage hat Errol Morris eine akribische, methodologisch aufschlussreiche, dem objektiven Hermeneuten vertraut klingende Analyse der beiden Fotos vorgelegt und in der Analyse Susan Sontags Ausführungen zu diesem Problem der Oberflächlichkeit überführt (vgl. Morris 2007a, 2007b, 2007c).
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zeichnung und einem künstlerisch vollkommen frei hervorgebrachten Bild irreführend getilgt. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass Fotografen in der Wahl ihres Bildausschnittes und bei den sehr begrenzten Möglichkeiten eines Um-Arrangierens der fotografierten Realität von einem künstlerischen Blick und einer ikonographisch geschulten Komposition sich leiten lassen können. Drei Dinge verweisen bei diesem Foto auf eine Inszenierung der gesamten Szene: a. Die für das Verfolgen eines Geschehens auf einem großen Wandbildschirm kontraproduktive helle Beleuchtung von oben in der Mitte des Raumes, die aber funktional ist für die fotografische Aufnahme, die erkenntlich ohne störendes Blitzlicht erfolgte. b. Das Wegrücken der vorderen beiden Personen in der Reihe rechts vom Tisch, so dass sie vom Betrachter gut von vorn zu sehen sind. c. Die nach Selbstinszenierung riechende Gestik der Frau im größten Schärfebereich des Fotos. Die ersten beiden Indikatoren sind wohl unstrittig. Sie besagen aber nicht viel und verweisen allenfalls auf das, was zu den pragmatischen Erfüllungsbedingungen des Fotos ohnehin gehört: Dass es für den Fall des Erfolges der militärischen Operation als Ausdruck des lang ersehnten Triumphes der USA über das »Böse« von der Weltöffentlichkeit aufgenommen und publiziert werden sollte. Beim dritten Indikator liegt die Sache weniger einfach. Wir hatten zwar schon Argumente dafür angeführt, dass die Handgeste von Hillary Clinton eher für den Ausdruck eines Entsetzens spricht als für die Reaktion auf einen Hustenreiz, aber sicher konnten wir uns dabei nicht sein. Wenn es eher als Geste eines Entsetzens oder Erschreckens erscheint, dann ergibt sich als kaum entscheidbares Folgeproblem, was genau dieses Entsetzen oder dieses Erschrecken bei der Live-Übertragung hervorrief. War es das blutige Töten und Abschlachten von Menschen? Dann würde sich in dieser spontanen Geste des Entsetzens noch ein Stück unmittelbaren Betroffen-Seins unabhängig vom rationalen Kalkül der Verfolgung eines Feindes widerspiegeln. Oder war es das Erschrecken über Anzeichen eines möglichen Scheiterns der Operation, z.B. in dem Augenblick, in dem einer der beiden Hubschrauber auf eine Begrenzungsmauer krachte, umzustürzen drohte und auf jeden Fall außer Gefecht gesetzt wurde, was den unter großem Zeitdruck stehenden Rücktransport vor einem drohenden Entdeckt-Werden durch die pakistanische Luftwaffe massiv gefährdete? Bildimmanent ließe sich das nur entscheiden, wenn tatsächlich die Geste prägnant die Differenz zwischen Entsetzen und Erschrecken entziffern ließe. Dazu sehe ich mich nicht in der La-
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ge. Ich kann nicht einmal sichere Hinweise dafür entziffern, ob es sich um eine gespielte oder um eine spontane, authentische, emotionale Reaktion handelt. Auf jeden Fall kann ich die weiterreichende und voraussetzungsvollere Interpretation, es handele sich um eine gespielte und damit inszenierte Reaktion, für mich nicht überzeugend abweisen. Dieser Inszenierungsverdacht stößt sich mit dem ganz anderen Tatbestand, dass alle Personen, mit nur einer motivierten Ausnahme, gebannt und voller zugleich unterdrückter Spannung auf ein und dasselbe Geschehen auf einem auf dem Foto nicht sichtbaren Bildschirm schauen. Dort wird ein Geschehen übertragen, das zeitgleich – live – eine streng geheime militärische Operation aus der Luft auf einen genau abgezirkelten Gebäudekomplex irgendwo auf dieser Erde betrifft und das für die US-Regierung von zentraler Bedeutung sein muss. Es kann sich also nur um eine geheime Aktion der Befreiung oder der Verhaftung bzw. Tötung einer für die USA zentralen Person oder Gruppe handeln und um eine Aktion, die auf anderem als dem Wege des direkten militärischen Eingriffs nicht zu erreichen ist, also eine Nacht- und Nebel-Aktion einer Weltmacht. Dieser dem Modus der höchsten Krisenhaftigkeit entsprechenden Verfolgung einer Live-Übertragung eines Geschehens mit ungewissem Ausgang widerspricht das Routinehafte einer Inszenierung für ein Foto. Aber es widerspricht diesem Routinehaften der Inszenierung auch, dass ganz offensichtlich die Fotografierten nicht nur so tun, als ob sie ein solches höchst spannungsvolles und krisenhaftes Geschehen live verfolgten, sondern es aktuell tatsächlich auch tun. Andernfalls müsste man die im Foto protokollierten Anzeichen für eine starke emotionale Beteiligung auf die Rechnung einer erfolgreichen schauspielerischen Anweisung durch den Fotografen oder die Rechnung einer geradezu habituellen Emotionalisierung setzen. Der Fiktionalität einer in sich routinehaften Inszenierung widerspricht also das höchst Krisenhafte des aktuellen Geschehens, das sich jeglicher Inszenierung sträubt. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Ganz offensichtlich müssen die Anwesenden über den Sinn und Zweck des Fotos informiert worden und mit ihm einverstanden gewesen sein. Dieser Sinn und Zweck wäre nicht abgedeckt von einem bloßen Erinnerungsfoto für die Anwesenden. Dieses Fotos war für ein Publikum, für eine Öffentlichkeit gedacht. Dieser also sollte mit dem Foto gezeigt werden, mit welcher Anspannung das offene Ende einer für ihr Machtzentrum zentralen, aber risikovollen Aktion erlebt und ein Erfolg erhofft wurde. Damit soll die Öffentlichkeit teilhaben daran, dass die US-amerikanische Exekutive eine mutige, riskante Aktion durchgeführt hat. Da das verfolgte Geschehen selbst und die Verfolgung des Geschehens offensichtlich nicht inszeniert bzw. gestellt sein können, sondern von ungewissem Ausgang, aber außerordentlicher
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Wichtigkeit sind, erhebt sich hier die schon ausführlich behandelte Frage: Wäre das Foto auch dann der Öffentlichkeit übergeben worden, wenn das riskante Geschehen in einem Desaster geendet hätte und nicht in einem Erfolg? Höchstwahrscheinlich nicht. Möglicherweise hätte sogar die Option erhalten werden müssen, das Desaster im Falle seines Eintretens zu verschweigen bzw. der Öffentlichkeit in einer stark manipulierten Version zu präsentieren. Wenn diese Annahme richtig ist, wurde also das Foto in der Erwartung eines Erfolges der Aktion gemacht und eine dafür notwendige gewisse Inszenierung vorgenommen. Dieses In-den-Bann-Geschlagen-Sein von einem wichtigen aktuellen LiveGeschehen wird durch die folgenden weiteren sichtbaren Umstände unterstützt: a. Es sind viel mehr Leute anwesend als normalerweise in diesen kleinen Raum passen. Die meisten müssen stehen. Einige, mindestens drei, stehen im Vorraum. b. Die Anwesenden sind – sichtbar an ihrer Kleidung – aus einem konkurrierenden routinehaften Berufsalltag in einem Zentrum der US-amerikanischen Exekutive herausgerissen worden. Es handelt sich um in der Exekutive Beschäftigte unterschiedlichen Status und unterschiedlicher Kompetenz, die gemeinsam ein großes Interesse daran haben, dieses Geschehen live zu verfolgen. Die Sozialform ihrer Anwesenheit ist nach Status deutlich gestaffelt. Die wichtigsten Personen müssen angesichts der Verknappung der Plätze die sein, die sitzen. Die nächste zentrale Frage, die sich auftut, ist, was das Interesse der Anwesenden daran ist, das Geschehen auf dem Bildschirm live zu verfolgen? Die Spannung, verursacht durch die Ungewissheit des Ausgangs eines für die USamerikanische Weltmacht kriterialen Geschehens allein, kann dieses Interesse nicht konstituieren. Denn wenn dieses Geschehen so zentral war, dann werden alle Beteiligten seinen positiven oder negativen Ausgang ohnehin unmittelbar nach dessen Eintreten als abstrakte, begrifflich kondensierte einfache Information erhalten, so wie man das Ergebnis eines Fußballspiels unmittelbar nach seiner Beendigung als Interessierter jederzeit erhalten kann. Der Vergleich des vermutlichen Geschehens, das die auf dem Foto Anwesenden aktuell verfolgen, mit der Übertragung eines Fußballspiels, trägt durchaus weiter: Denn ein Fußballfan ist gerade nicht mit der Information über das Ergebnis zufrieden gestellt, er möchte das spannungsreiche Spiel live verfolgen können, weil es ihn ungemein unterhält. Entsprechend wollen die auf dem Bild Fotografierten von der Live-Übertragung einer offensichtlich höchst riskanten militärischen Operation unterhalten
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werden, bei der es um das Überleben der amerikanischen Macht geht. So sehen auch tatsächlich einige Gesichtsausdrücke der Abgebildeten aus. Sie strahlen Optimismus und gewollte Gelassenheit aus, also die Überzeugung von einem guten Ende. Andere Mimiken sind aber auch von Skepsis durchzogen. So z.B. die des einzigen farbigen Mannes. Aber dieses Unterhalten-Werden-Sollen ist kein Hinderungsgrund dafür, das Foto der Öffentlichkeit zu übergeben. D.h.: Dass die öffentliche Dokumentation der interessierten Verfolgung eines spannungsvollen, für die USA überlebenswichtigen militärischen Vorgangs durch die Beamten der höchsten ExekutivSpitze zugleich den Charakter einer voyeuristischen Befriedigung erfüllt, wird nicht als legitimationsstörend oder die Würde der Exekutive beeinträchtigend gesehen. Vielmehr wird es für wichtiger gehalten, dass die Öffentlichkeit auf eine primitive Weise in diese voyeuristische Befriedigung einbezogen wird bzw. am Triumphgefühl der Exekutive teilhaben soll, denn wir waren ja davon ausgegangen, dass das Foto nur im Falle des Erfolgs der militärischen Operation veröffentlicht wird. Methodisch kontrollierte Einfügung von externem Kontextwissen Bis hierhin haben wir die Bildanalyse ausschließlich auf die bildimmanenten Daten, also auf das im Bild Lesbare gestützt und keinerlei Kontextinformationen über Sachverhalte außerhalb des im Bild Sichtbaren benutzt, es sei denn im Sinne von »mundane reasoning« fallunspezifisches Wissen über die allgemeine Verfasstheit der erfahrbaren aktuellen Welt. Darauf lege ich großen Wert. Erst jetzt, nach einer vollständig immanenten, ohne jedes fallspezifische Kontextwissen durchgeführten Analyse des Bildes beginnen wir sukzessive dieses Kontextwissen in das Ergebnis der Analyse einzutragen. Auch das muss einer dem konkreten Bild angeschmiegten Logik folgen. Zuerst ist es interessant und zugleich am wichtigsten einzuführen, um was es bei der riskanten militärischen Operation tatsächlich ging. Jeder weiß das bei diesem Bild seit langem, so dass es schwieriger ist, im konkreten Fall dieses Kontextwissen für die Analyse auszuschließen, als es zu berücksichtigen. Ich habe an manchen Stellen auch, allerdings ausschließlich aus Gründen der Darstellungsökonomie, nicht inferentiell, auf dieses Kontextwissen vorgegriffen. Und jeder potentielle Betrachter des Bildes wusste das, als es zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Es ging konkret um die Hinrichtung (ohne vorausgehendes Gerichtsverfahren) von Osama bin Laden, den seit langem von der US-Macht gesuchten angeb-
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lichen Terroristen, wegen dessen Ergreifung diese einen Krieg in Afghanistan (aber gegen wen?) angezettelt hat, der schon in den ersten zwei Jahren mehr als 3500 Todesopfer unter Zivilisten gefordert hatte. Prekär war diese live übertragene militärische Operation eigentlich nicht wirklich, das größte Risiko bestand der Sache nach darin, dass man Bin Laden tatsächlich nicht angetroffen hätte. Dieses Risiko war aber nach den vorausgehenden Recherchen gering. Ein wirkliches Risiko bestand wohl darin, dass die pakistanische Führung und das pakistanische Militär, auf deren Boden diese Operation, offensichtlich ohne deren Wissen, durchgeführt wurde, vorzeitig Wind von diesem Unternehmen bekam. Im Grunde also ist das Hauptinteresse der Anwesenden letztlich, der LiveÜbertragung einer Hinrichtung beizuwohnen, also das zu tun, was dem Vorgang der Beiwohnung einer Hinrichtung von Pferdedieben im Wilden Westen weitgehend entspricht. Einzig die entweder unwillkürlich von einem Entsetzen ergriffene oder dieses Entsetzen geschickt inszenierende Frau auf dem Foto gibt zu erkennen, dass sie das live erlebte Sterben eines Mannes oder mehrerer Personen seiner Familie möglicherweise nicht unberührt lässt – oder vielleicht auch das befürchtete Sterben eines Soldaten auf der eigenen Seite? Oder das nervenaufreibende Bangen um den Erfolg, den man so sehr herbeisehnt? Jetzt erst macht es Sinn, das für jeden Betrachter schon von Anfang an vorliegende Wissen über die Identität der fotografierten Personen der Interpretation hinzuzufügen. Ich beginne mit der Frau und fahre dann in der Reihenfolge der Bekanntheit der weiteren Personen fort: Die Frau ist Hillary Clinton, zum Zeitpunkt der Aufnahme die amerikanische Außenministerin, die in dieser Funktion verständlicherweise hier anwesend ist. Sie ist als eiskalte Strategin und Karrieristin bekannt. Dem widerspricht das auf diesem Foto physiognomisch Sichtbare nicht. Auch nicht, dass sie ein Leben hinter sich hat, das in übermäßiger Weise im Modus der Krise und nicht der Routine verlaufen ist, erkennbar etwa an den für ihr Alter übermäßigen Falten an Hals und Unterkinn. Dass sie an exponierter Stelle sitzt, ist durch ihr Amt vollständig determiniert. Der amerikanische Präsident Barack Obama, die einzige farbige Person auf dem Foto, ist leicht zu erkennen. Er sitzt auffällig zurückgezogen aus der Bildmitte in einer Ecke des Raumes und verfolgt konzentriert und ernst das Geschehen. Das Foto zeigt ihn als einen Beteiligten, der kontrastiv zum überragenden Status seines Amtes bescheiden und uneitel in der Mitte seiner Mitarbeiter sitzt. Durch das Foto wird das Image eines nur der Sache dienenden, uneitlen Amtsinhabers gestärkt, der seine Autorität nicht auf äußeres Prestige und auf vordergründige Inszenierungen gründen muss. Neben ihm ganz links sitzt der Vizeprä-
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sident Joe Biden, dessen informelle Erscheinung im geöffneten Hemd den Eindruck von jemandem vermittelt, der ständig in seinem Büro präsent ist. Neben Clinton im Vordergrund ganz rechts sehen wir den Verteidigungsminister Robert Gates, der das Geschehen sehr gelassen verfolgt. Er ist gemeinsam mit den anderen anwesenden Angehörigen von Militär und Geheimdienst Krawattenträger.
S TRUKTURGENERALISIERUNG Die gesamte Führungsspitze der USA ist also im Situation Room zusammengepfercht und vergemeinschaftet in der Betrachtung der Live-Übertragung einer militärischen Geheimoperation. Also muss diese von höchster Wichtigkeit sein. Man muss in das Foto nicht viel Mysteriöses hineininterpretieren. Es ist ein vergleichsweise banales Dokument – für sich genommen jedenfalls. Aber wegen der historischen Bedeutung des Ereignisses, die dem Gegenstand der Live-Übertragung und damit auch dessen offizieller Rezeption zukommt, wird es zwingend zu einem historischen Dokument. Stellt man es in einen weiteren historischen Kontext, der auf dem Bild selbst in keinem Detail thematisch ist, dann dokumentiert es die Schließung einer dramatischen Agenda, die vor allem für die USA mit der monströsen Zerstörung der Twin-Towers in New York sowie eines Teils des Pentagon in Washington und der dadurch verursachten Tötung von mehr als 3000 US-Bürgern, zu verantworten von der von Osama bin Laden angeführten al-Qaida, eröffnet wurde. Diese Schließung erhält dadurch, dass sie in einer Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren besteht, den Charakter einer triumphalen Vergeltung, mehr im Modus der Rache als der Wiederherstellung eines universal gültigen Rechts. Diese Logik begann schon mit der Kriegführung in Afghanistan, die im November 2001 startete. Man muss sich erinnern, dass für die USA die Zusage der damaligen afghanischen Regierung bzw. der maßgeblichen afghanischen Machthaber, über die weitere Beherbergung Osama bin Ladens in ihrem Herrschaftsbereich oder eine mögliche Auslieferung gemäß ihrer eigenen Entscheidungsverfahren und Rechtstraditionen zu befinden, von Anfang ohne jede Bedeutung war. Dies macht den fehlenden Respekt vor anderen als der eigenen Kultur deutlich. Die weltweite Veröffentlichung des Fotos aus dem Situation Room übernimmt also auch die Funktion, die Weltöffentlichkeit wie selbstverständlich in diesen Modus einzuschließen und entsprechend zu vereinnahmen. Interessant ist deshalb an dem Foto weniger sein immanenter Gehalt und dessen Gestaltung als die Frage, warum es überhaupt veröffentlicht worden ist
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und warum es zu diesem Zweck ganz offensichtlich in gewissen Hinsichten, aber in bescheidenem Ausmaß, inszeniert wurde. Dieser Veröffentlichungszweck eines fotografischen Dokumentes, das nichts anderes protokolliert als das Betrachten der Live-Übertragung einer dramatischen militärischen Aktion durch wenige Auserwählte an der Spitze der USamerikanischen Exekutive, verweist auf einen Zusammenhang, in dem die nach Genugtuung dürstende Rache des US-amerikanischen Hegemons an einem angeblichen Terroristen, der aber auch ebenso gut als Widerstandskämpfer einer von den USA unterdrückten Kultur gelten könnte, wie selbstverständlich als legitimes Interesse einer Völkergemeinschaft unterstellt wird, die als Wertegemeinschaft von den USA angeführt zu werden von dieser beansprucht wird. Dass die Würde des Menschen auch dann zu achten ist, wenn es sich um einen Verbrecher handelt, wird hier, wenn man dieser Hinrichtung voyeuristisch beiwohnen will wie einem Sportereignis, klar missachtet. In archaischen, vormodernen Zeiten war dieser Voyeurismus wenigstens dadurch gemildert, dass er in ein öffentliches Ritual eingebunden war. Das auf dem Foto Protokollierte, nicht so sehr wie die Art der Protokollierung selbst und ihre spätere Verwendung als Pressefoto, entsprechen, zumal die Betrachtenden ja nicht auf die militärischen Experten und Spezialisten beschränkt sind, der Logik der Beteiligung von Zuschauern an der Hinrichtung von Kapitalverbrechern in vielen amerikanischen Bundesstaaten bis heute, und es setzt den Umgang mit Pferdedieben im Wilden Westen fort. Jedenfalls entspricht es nicht dem Geist einer an der universalen Gültigkeit von Menschenrechten orientierten Justiz in einem demokratischen Staat mit funktionierender Gewaltenteilung, sondern der archaischen Rachelogik eines Hegemons. Mir ist wichtig zu betonen, dass es mir bei der Analyse des Fotos nicht primär auf eine politisch-inhaltliche Auswertung ankam, sondern darauf zu demonstrieren, zu welchem Ergebnis man gelangt, wenn man Schlussfolgerungen maximalistisch nur auf das im Bild Sichtbare stützt und zusätzliches Kontextwissen allenfalls erst ganz am Schluss einträgt, also in diesem Sinne nichts anderes zu betreiben als Bildanalyse und nicht Analyse der Weisen, wie wir ein Bild entziffern. Dass aber gerade dabei möglicherweise viel radikalere politische Schlussfolgerungen am Ende herauskommen als bei einer »Inhaltsanalyse«, überrascht den objektiven Hermeneuten nicht. Die Einsicht in die Wahlverwandtschaft von Bildveröffentlichung und Rachelogik, die aus dieser Bildanalyse herausspringt, hat sich in der seit Veröffentlichung des Fotos vergangenen Zeit in den folgenden Hinsichten bestätigt:
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a. Inzwischen ist von einem der am Hinrichtungskommando beteiligten Soldaten der US-Elitetruppe, den »Navy Seals«3, bekannt geworden, dass von Anfang an bei dieser Operation gar nicht vorgesehen war, Bin Laden lebend zu ergreifen, um ihn dann vor ein Gericht zu stellen. Er hat ebenfalls darüber informiert, dass Bin Laden auf brutalste Weise erschossen wurde, ohne bewaffnet zu sein oder Anstalten zu machen, sich zur Wehr zu setzen (Owen/Maurer 2012, vgl. zu dem Ganzen auch Mackey/Harris 2011 und Hintergrund 2012).4 Das wird im Prinzip, wenn auch nicht ganz klar, in dem amerikanischen Film »Zero Dark Thirty (2012)« (Regie: Kathryn Bigelow, Drehbuch: Mark Boal) bestätigt, einer auf den Angaben der amerikanischen Geheimdienste weitgehend fußenden Inszenierung der Operation gegen Bin Laden. b. Der verfälschenden offiziellen Darstellung dieses Geschehens in der Öffentlichkeit kurz nach der Hinrichtung, Bin Laden sei bewaffnet gewesen und habe zu schießen versucht, entspricht die amerikanische Version seiner »Bestattung«. Zwar wurde, mit Verweis auf die Vermeidung einer späteren Errichtung einer islamistischen Pilgerstätte, der Familie der Leichnam weggenommen. Aber es wurde wortreich betont, man habe diesen Leichnam streng nach dem muslimischen Ritus bestattet, womit gemeint war: gewaschen und in weißes Leintuch gehüllt, bevor man ihn eben nicht, was für Muslime sehr wichtig ist, in einem Erdgrab beisetzte, sondern von einem Flugzeugträger in den Indischen Ozean kippte. Es sollte damit ein Rest Achtung vor einer fremden Kultur und der Würde des menschlichen Lebens bekundet werden. Eigentlich müssten Märtyrer, und dieser Anspruch traf nun für Bin Laden, sowohl was seine Lebensführung als auch seinen Tod anbetrifft, unbedingt zu, nach islamischem Recht so wie sie im Kampf bzw. in ihrer Bewährung getötet wurden, bestattet werden, ohne Waschung und ohne Kleiderwechsel (denn sie gehen ja der Vorstellung nach unmittelbar mit ihrem Tod ins Paradies ein) (al-Mukkaramah o.J.). Die vermeintlich die muslimische Tradition achtende Bestattung durch das amerikanische Militär nimmt also Bin Laden diesen Märtyrerstatus und missachtet ihn entweder bewusst, dann wäre das
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Akronym aus Sea, Air, Land. Es handelt sich um eine Spezialeinheit der US Navy, die dem United States Naval Special Warfare Command (NAVSPECWARCOM) untersteht.
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Inzwischen ist das Pseudonym des »Navy Seal«-Autors Owen als das von Matt Bissonnette aufgelöst worden (Levine 2012). Innerhalb der beteiligten »Navy Seal« Einheit ist ein Streit darüber entstanden, wer der Todesschütze war (Bronstein 2013). Das ändert aber nichts an der Durchführung des Hinrichtungsauftrags als solchen.
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zynisch und blasphemisch, oder unwissend, dann bekundete sich darin ebenfalls eine Missachtung der islamischen Kultur. c. Die Bin Laden-Hinrichtung bildet das Hauptthema des viel beachteten Films »Zero Dark Thirty«. Interessant ist an diesem Film, dass er das riesige amerikanische Wüsten-Militärgefängnis Bagram in Afghanistan, wo »Terroristen« vom amerikanischen Geheimdienst unter Einsatz systematischen Folterns verhört werden, dokumentiert und die Verhörmethoden quasi-authentisch zeigt. Die intellektuelle Debatte zu diesem Film, auch in den deutschen Feuilletons, beschränkte sich dann allerdings auf die abgehobene ethische Seminarfrage, ob aus Verhören unter dem Einsatz von Foltermethoden stammende Informationen dadurch gerechtfertigt waren, dass sie zur Ergreifung und Tötung Bin Ladens beitrugen. Der eigentliche Skandal dieses handwerklich sicher sehenswerten Films bestand meines Erachtens darin, dass in ihm an keiner Stelle das Vorführen des enormen organisatorischen und technologischen Aufwandes für einen Krieg, in dem es anfänglich nur um das Ergreifen eines einzigen Mannes ging, Anlass für das Aufwerfen der Frage gab, was eigentlich die Rechtfertigung dafür war, dass in diesem »asymmetrischen Krieg« Tausende von Zivilisten getötet, ganze Landstriche verwüstet wurden und am Ende von den vorgeblich hehren Zielen einer demokratischen und zivilgesellschaftlichen Transformation so gut wie keines nachhaltig realisiert wurde – eine typische Reduktion von Politik auf Technik und Organisation, verbrämt durch ethische Abstraktion. Dieses Ausblenden der Kernfrage durch den scheinbar kritischen Film mag auch erklären, warum er mit ganzer Unterstützung der amerikanischen Geheimdienste entstehen konnte. d. Der Rachelogik in der Hinrichtung Bin Ladens entspricht deren Verlängerung in der inzwischen flächendeckenden Hinrichtung von angeblichen Terroristen durch den Einsatz von Kampfdrohnen, vor allem im Jemen, in Somalia und in Pakistan. Darüber kann man sich seit einiger Zeit in einer gut recherchierten Dokumentation informieren (vgl. Scahill 2013, ähnlich Mazzetti 2013). Sie weist nach, dass die Hinrichtung durch Drohnen auf der Grundlage von fragwürdigen Tele- und Internet-Überwachungsdaten erstens nicht selten die »Falschen« trifft und zweitens recht häufig mit der kollateralen Tötung »Unschuldiger«, d.h. nicht Gemeinter, verbunden ist. Diese am Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten gefällten verfahrenslosen Todesurteile haben, so wird hier nachgewiesen, unter Obama, im Vergleich zur Bush-Administration, erheblich zugenommen.
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L ITERATUR Mazzetti, Mark (2013): Killing Business. Der Geheime Krieg der CIA, Berlin: Berlin Verlag. Oevermann, Ulrich (2000): »Die Methode der Fallrekonstruktion in der Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen Praxis«, in: Klaus Kraimer (Hg.), Die Fallrekonstruktion, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 58–153. Oevermann, Ulrich (2009): »›Get Closer‹. Bildanalyse mit den Verfahren der objektiven Hermeneutik am Beispiel einer Google Earth-Werbung«, in: Jörg Döring (Hg.), Geo-Visiotype. Zur Werbegeschichte der Telekommunikation. (Massenmedien und Kommunikation), Siegen: universi Universitätsverlag Siegen, S. 129–177. Oevermann, Ulrich (2013): »Objektive Hermeneutik als Methodologie der Erfahrungswissenschaften von der sinnstrukturierten Welt«, in: Phil C. Langer/Andela Kühner/Panja Schweder (Hg.), Reflexive Wissensproduktion. Anregungen zu einem kritischen Methodenverständnis in qualitativer Forschung. (Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialpsychologie), Wiesbaden: Springer VS, S. 69–98. Owen, Mark/Maurer, Kevin (2012): No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden. Dutton: Penguin Books, Ltd. (deutsch: Mission erfüllt. Navy Seals im Einsatz: Wie wir Osama bin Laden aufspürten und zur Strecke brachten, München: Heyne). Scahill, Jeremy (2013): Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen, München: Antje Kunstmann. Sedlmayr, Hans (1948): Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbol der Zeit, Salzburg: Otto Müller Verlag.
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I NTERNET -Q UELLEN al-Mukkaramah, Makkah (o.J.): »Bestattungsregeln im Islam – (sunnitisch)«, unter: http://www.way-to-allah.com/dokument/Bestattungsregeln_im_Islam. pdf [letzter Zugriff: 10.04.2014]. Bronstein, Phil (2013): »The Man Who Killed Osama bin Laden... Is Screwed«, in: esquire vom 11.02.2013, unter: http://www.esquire.com/features/manwho-shot-osama-bin-laden-0313?click=pp [letzter Zugriff: 10.04.2014]. Hintergrund (2012): »Insider-Bericht zur Tötung bin Ladens«, in: Hintergrund vom 31.08.2012, unter: http://www.hintergrund.de/201208312230/ globales/terrorismus/insider-bericht-zur-toetung-bin-ladens.html [letzter Zugriff: 10.04.2014]. Levine, Eitan (2012): »Matt Bissonnette: Top 10 Facts You Need to Know«, in: Heavy vom 11.02.2013, unter: http://www.heavy.com/news/2012/08/mattbissonnette-top-10-facts-you-need-to-know/ [letzter Zugriff am 10.04.2014]. Mackey, Robert/Harris, Elisabeth A. (2011): »Updates on the Killing of Bin Laden«, in: The New York Times vom 05.05. 2011, unter: http://thelede. blogs.nytimes.com/2011/05/05/updates-on-bin-ladens-death-may-5/?_php= true&_type=blogs&_r=0 [letzter Zugriff: 10.04.2014]. Morris, Errol (2007a): »Which Came First, the Chicken or the Egg? (Part One)«, in: The New York Times vom 04.10.2007, unter: http://opinionator.blogs. nytimes.com/2007/09/25/which-came-first-the-chicken-or-the-egg-part-one/ [letzter Zugriff: 18.03.2014]. Morris, Errol (2007b): »Which Came First? (Part Two)«, in: The New York Times vom 04.10.2007, unter: http://opinionator.blogs.nytimes.com/2007/10/ 04/which-came-first-part-two/ [letzter Zugriff: 18.03.2014]. Morris, Errol (2007c): »Which Came First? (Part Three): Can George, Lionel and Marmaduke Help Us Order the Fenton Photographs?«, in: The New York Times vom 23.10.2007, unter: http://opinionator.blogs.nytimes.com/ 2007/10/23/which-came-first-part-three-can-george-lionel-and-marmadukehelp-us-order-the-fenton-photographs/ [letzter Zugriff: 18.03.2014].
Ein Bild der Abwesenheit Die Fotografie aus dem Situation Room als widersprüchliche Zeigegeste R UTH A YAß
E INLEITUNG Bei der Fotografie, die am 1. Mai 2011 im »Situation Room« des Weißen Hauses in Washington aufgenommen wurde,1 handelt es sich um ein ambivalentes Phänomen. Sie präsentiert uns die Führungsebene der US-amerikanischen Regierung, wie sie der medialen Übertragung einer militärischen Aktion folgt, aber sie zeigt uns zum Beispiel nicht die Übertragung selbst. Der vorliegende Beitrag diskutiert diese Ambivalenz, die in der Fotografie auf mehreren Ebenen gegeben ist. Er diskutiert, was die Fotografie zeigt – und was sie nicht zeigt. Die Fotografie verweist in vielerlei Hinsicht auf Dinge, die im Bild nicht gegeben sind. Wie in einer Kippfigur wiederholt sich das Element der Abwesenheit in verschiedenen Facetten. Die Fotografie aus dem Situation Room wird daher als ein Bild der Abwesenheit(en) beschrieben.
D IE F OTOGRAFIE : G RUPPENBILD MIT D AME ( N ) Das Bild ähnelt zunächst in vielen Aspekten einer Familien- oder Gruppenfotografie, wie sie unter anderem von Bourdieu et al. in »Un art moyen« (1965) und
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»Situation Room« ist die Bezeichnung für die politisch-militärische Zentrale für abhörsichere und verschlüsselte Kommunikationen des US-Präsidenten, die aus mehreren Räumen besteht und sich im Westflügel des Weißen Hauses befindet.
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von Boerdam/Martinius (1980) beschrieben wurde: Hier ist ein Kollektiv abgebildet, das sich zu einem bestimmten Anlass zusammengefunden hat. Wie in einer Familienfotografie zeigt sich eine geordnete Aufstellung, die sich in einer Staffelung von sitzenden Personen in der ersten Reihe und stehenden Personen in zweiter und dritter Reihe niederschlägt. Wie in einer typischen Gruppenfotografie auch sitzen die Hauptpersonen in den vorderen Reihen und überdecken teilweise die Personen, die in der ersten Reihe stehen, so wie diese wiederum ihrerseits die Personen verdecken, die in den hinteren Reihen stehen. Auch die starke »Konvergenz der Blicke« (Bourdieu 2006: 93) ist ein typisches Merkmal der Familienfotografie: Man hält still, die Aufmerksamkeit richtet sich auf einen gemeinsamen Punkt. »Auf den meisten Gruppenphotos«, schreibt Bourdieu, »stehen die Personen dicht nebeneinander (stets in der Bildmitte).« (Ebd.) Abbildung 1: Pete Souza, Die Fotografie aus dem Situation Room
Quelle: www.whitehouse.gov/photos-and-video/photogallery/may-2011photo.day [letzter Zugriff: 04.03.2014]
Was die Fotografie allerdings von einer klassischen Familien- oder Gruppenfotografie unterscheidet, ist die deutlich versetzte, laterale Frontalanordnung von Kamera und Blickrichtung der fotografierten Gruppe. Die Blicke der anwesenden Personen richten sich nicht in die Kamera, wie dies bei einer Gruppenfotografie üblich wäre. Sie konvergieren vielmehr an einem anderen Punkt, der – vom Fotografen und vom Betrachter der Fotografie aus gesehen – links von der Kamera liegt (bis auf den Blick von Brigadier General Marshall B. Webb am Kopfende des Tisches, dessen Augen auf seine Hände, respektive die Tastatur gerichtet sind). Die Gruppe schaut am Fotografen vorbei und betrachtet etwas,
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das außerhalb des Bildausschnitts liegt: Sie beobachtet etwas, das der Betrachter der Fotografie nicht sieht. Dass es sich hierbei um die Übertragung einer militärischen Aktion handelt, die auf die Tötung mehrerer Personen zielt, geht aus der Fotografie nicht hervor. Die »geordnete Aufstellung« (Bourdieu 2006: 93), die für Familienfotografien typisch ist, wird zudem insofern durchbrochen, als die Gruppenanordnung im Bild alles andere als symmetrisch ist. Während sich die sechs in vorderster Reihe sitzenden Personen noch zu einem regelmäßig verteilten Halbrund gruppieren, wird die Aufstellung zum rechten und oberen Bildrand (i.e. zur Tür hin) immer dichter und gedrängter, was dazu führt, dass Personen im Bild enthalten sind, von denen nur Teile sichtbar sind. Von einer Person ist nur ein Arm zu sehen, von einer weiteren Person ist nur ein Schulterstück zu erkennen, eine dritte zeigt nur ihren Hinterkopf. Enge und Gedränge führen auch dazu, dass sich im oberen rechten Teil des Bildes die Personen so sehr drängen, dass manche von ihnen sich recken oder seitlich beugen müssen, um der Übertragung folgen zu können – dies betrifft Tony Blinken (Sicherheitsberater des Vizepräsidenten) und auch, rechts neben ihm stehend, Audrey Tomason (Leiterin der Nationalen Anti-Terror-Zentrale), beide mit schräger Kopfhaltung. Der Fotograf, Pete Souza, hatte nach eigener Darstellung kaum Möglichkeit, seine Position zu verändern. »With so few chairs, others just stood at the back of the room. I was jammed into a corner of the room with no room to move. During the mission itself, I made approximately 100 photographs, almost all from this cramped spot in the corner.« (zitiert nach Bicker 2012) Auch auf einer Familienfotografie geht es in der Regel gedrängt zu. Für Familienfotografien ist typisch, dass die Personen so dicht beieinander stehen, dass sie einander teilweise verdecken und damit ›angeschnitten‹ gezeigt werden; sie symbolisieren auf dem Bild durch ihre dichte Positionierung ihre Zusammengehörigkeit als Gruppe. Jedoch wird diese Enge sehr viel symmetrischer verteilt als auf der Fotografie aus dem Situation Room. Die deutlich asymmetrische Verteilung der Personen auf dem Bild trägt zu dem Eindruck bei, dass hier, im Unterschied zur Familienfotografie, nicht länger oder gar nicht an einer Aufstellung der Personen gearbeitet wurde. Es ist gerade der Personenstau an der Tür, der, gemeinsam mit dem Blickkorridor der Personen, die dominante, diagonal verlaufende Achse des Bildes bestimmt. Die Aufmerksamkeit des Betrachters richtet sich dadurch zunächst auf die abgebildeten Personen, deren Identität man zu dechiffrieren sucht. Kaum ein unbeteiligter Betrachter wird dabei jedoch alle anwesenden Personen zweifelsfrei identifizieren können. Auch professionelle Beobachter, Journalisten etwa, konnten nicht alle Personen auf Anhieb identifizieren und Namen sowie Funktionen benennen. Im Netz und in den Printmedien
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führte dies umgehend zu »Who-is-who«-Sehhilfen (siehe zum Beispiel Abbildung 2) und vor allem zu einer Diskussion über die Frage, um wen es sich bei der zweiten Frau handeln mochte, die der Öffentlichkeit bis dato unbekannt war. Abbildung 2: Who is who?
1. Vice President Joe Biden 2. President Barack Obama 3. Brig. Gen. Marshall B. »Brad« Webb 4. Deputy National Security Advisor Denis McDonough 5. Secretary of State Hillary Rodham Clinton 6. Secretary of Defense Robert Gates 7. Admiral Mike Mullen, chairman of the Joint Chiefs of Staff 8. Tom Donilon, national security adviser 9. Bill Daley, chief of staff 10. Tony Blinken, national security advisor to the vice president 11. Audrey Tomason, director for counterterrorism 12. John Brennan, assistant to the president for Homeland Security and 13. James Clapper, director of National Intelligence Quelle: http://geo-000.blogspot.de/2011/05/situation-room-photo.html [letzter Zugriff: 04.03.2014]
Die Abbildung und Nennung der bis dahin namentlich nicht bekannten Audrey Tomason führte zu zahlreichen Pressekommentaren über diese »mystery woman«, der immerhin die Leitung der Terrorismusabwehr oblag (z.B. Quigley 2011). Nicht nur ihre Unbekanntheit zog Neugier auf sich: Sie war, neben der (damaligen) Außenministerin Hillary Clinton, die einzige Frau auf der Fotografie, zudem auch die sichtlich jüngste Person. Das Personengedränge und das daran anknüpfende »Who is who« beschäftigt den Betrachter zunächst und lenkt ihn von dem ab, was er nicht sieht.
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D IE S TELLVERTRETER Pete Souza, offizieller Fotograf des Präsidenten und Leiter der Bildstelle des Weißen Hauses, hatte die Fotografie (wie andere Fotografien zuvor auch schon) nach der Presseerklärung des US-Präsidenten zunächst am 2. Mai 2011 um 10 Uhr auf der (kommerziellen) Bilderplattform Flickr über den Flickr-Account des Weißen Hauses und wenig später auf der Internetseite des Weißen Hauses veröffentlicht. Das Bild war dort mit dem Titel »Photo of the day« überschrieben und mit der folgenden Bildlegende versehen: »President Barack Obama and Vice President Joe Biden, along with members of the national security team, receive an update on the mission against Osama bin Laden in the Situation Room of the White House, May 1, 2011.« Es folgte die Personenlegende und der abschließende Hinweis: »Please note: a classified document seen in this photograph has been obscured.«2 Ohne diese Kontextinformationen ließe sich die Fotografie zunächst nicht verstehen. Wir sehen keine Handlung, die abgebildet würde. Die Personen sind reglos und stumm. Die Versammlung wirkt zunächst ungefähr und zufällig – wie eine nicht von langer Hand anberaumte Versammlung von Abteilungsleitern einer Firma, in der kein strenger Dresscode herrscht oder gerade der Casual Friday gilt: Die meisten Personen tragen kein Sakko und/oder keine Krawatte, zwischen Laptops stehen Kaffeebecher; zwei der sitzenden Personen in der vorderen Reihe finden keinen Platz direkt am Tisch, sondern sitzen entweder an der Ecke des Tisches (Denis McDonough) bzw. fast abseits in der Ecke des Raumes (Barack Obama). Der Eindruck von Nicht-Arrangiertheit der Situation wird aber vor allem durch das verpixelte Dokument vor Hillary Clinton erzeugt. Die Sichtbarkeit offen liegender Dokumente, die als so geheim gelten, dass sie im Nachhinein unkenntlich gemacht werden müssen, scheint für die Authentizität der Situation zu bürgen (vor allem, da im Gegenzug auf der Fotografie andere Elemente, die auf die Formalität der Situation hinweisen, nicht sichtbar sind und zum Beispiel das Präsidentenwappen an der Wand von Tom Donilon fast ganz verdeckt wird). Wie auf das Gesicht von Audrey Tomason stürzte sich die Netzöffentlichkeit auf dieses Detail. Das Dokument konnte wieder entschlüsselt werden3 – es zeigt eine Luftaufnahme des Gebäudekomplexes in Abbottabad, welcher während der militärischen Operation gestürmt wurde. Dass das Dokument zum einen überhaupt offen auf dem Tisch lag
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Vgl. www.whitehouse.gov/photos-and-video/photogallery/may-2011-photo.day [letz-
3
Siehe hierzu zum Beispiel http://www.iywib.com/the_situation_room_photo.php
ter Zugriff: 04.03.2014]. [letzter Zugriff: 04.03.2014].
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(wo es doch so geheim war), weshalb es für die Publikation der Fotografie verpixelt werden ›musste‹ (aber offenbar ohne Aufwand wieder entschlüsselbar war), darf man getrost zur Inszenierung der Fotografie rechnen. Der explizite Hinweis in der originalen Publikation der Fotografie auf Flickr und den Internetseiten des Weißen Hauses – »Please note: a classified document seen in this photograph has been obscured.« – lässt sich eigentlich nur als sportliche Aufforderung begreifen, die mit Kalkül verfährt. Denn was sich hinter der Verpixelung verbirgt, ist schließlich der einzige Hinweis im Bild auf Osama bin Laden und damit der einzige Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine Versammlung zu einem ganz anderen Anlass handelt (zur Betrachtung einer Sportübertragung etwa, siehe hierzu die Beiträge von Diers und Oevermann in diesem Band). Das verpixelte Foto auf dem Tisch liefert das ›Objekt‹ des Bildes – das Objekt der Handlung: einen Ort und einen Gebäudekomplex in Pakistan; das Ziel-Objekt der militärischen Aktion: Osama bin Laden. (Auch wenn in den Medien meist auf die Tötung Osama bin Ladens Bezug genommen wurde: Erschossen wurden insgesamt fünf Personen.) Von den zentralen Personen, die an dieser militärischen Aktion entweder als Täter oder als Opfer beteiligt sind, werden auf der Fotografie also nur Stellvertreter gezeigt: Brigadier General Webb, der keine Waffe hält oder mit sich führt, aber durch Uniform und militärische Abzeichen und seine Position am Pult der Vertreter des Militärs im Raum ist; Osama bin Laden und seine Entourage, die für die Betrachtergruppe im Situation Room nur medial vermittelt, für den Betrachter der Fotografie aber nur indirekt (über das Gebäude, in dem sie sich aufhalten) und doppelt medial vermittelt (als Bild im Bild) vorhanden und noch dazu verschlüsselt durch die Verpixelung der Fotografie auf dem Tisch vor Außenministerin Clinton im Raum gegeben sind. Von diesen Stellvertretern abgesehen zeigt die Fotografie keine Täter und keine Opfer, nur Publikum.
Z WISCHEN I RONIE DES B ILDES
UND
P ARODIE : D IE AUFBEREITUNG
Nach der Publikation der Fotografie im Internet, bei der insbesondere die Veröffentlichung auf Flickr enorm erfolgreich war und zunächst alle Zugriffs-Rekorde zu sprengen schien (25 Stunden nach ihrer Veröffentlichung am 2. Mai um 10 Uhr wies die Fotografie 1,4 Millionen Zugriffe auf), nahm die Fotografie ihren Weg in die Tageszeitungen.
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Abbildung 3: Krieg führen zwischen Kaffeebechern
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2011, S. 1
Im deutschsprachigen Raum haben sehr viele Tageszeitungen die Fotografie als Aufmacher auf der ersten Seite verwendet. Die Süddeutsche Zeitung, die vom Bild einen Ausschnitt zeigte, der auf die im Vordergrund sitzenden, eher bekannten Personen fokussiert, untertitelte die Fotografie nüchtern mittels eines »Krieg führen zwischen Kaffeebechern« (Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2011, S. 1). Die Frankfurter Allgemeine überschrieb ihren Abdruck des Fotos mit der Zeile »Public Viewing« (Frankfurter Allgemeine, 4. Mai 2011). Die Bezeichnung »Public Viewing« ist in der Alltagsverwendung in der Regel aus dem Fußballkontext bekannt, wo das gemeinsame Anschauen eines Fußballspiels auf einer Großleinwand in einem öffentlichen Raum, zum Beispiel einem Biergarten, gemeint ist. Im Englischen versteht man unter diesem Ausdruck aber die Aufbahrung eines Leichnams (vgl. hierzu den Beitrag von Diers 2011 und in diesem Band). Die Zeile in der Frankfurter Allgemeinen spielt mit beiden Bedeutungen und verwendet sie beide zugleich: Sie bezeichnet einerseits eine Gruppe, die etwas auf einer größeren Leinwand gemeinsam betrachtet. Was die Gruppe aber betrachtet, ist kein Spiel, sondern, so deutet es uns die Bildlegende an, die Tötung einer oder mehrerer Personen bzw. der Handlungen, die diese gezielt planen. Die Gruppe ist also möglicherweise Augenzeuge einer Hinrichtung oder doch zumindest der Handlungen, die eine solche vorbereiten. Beide Bildlegenden rahmen damit aber die Fotografie neu, indem sie sie nicht nur als eine »mission«, also als Einsatz (so Souzas originale Bildlegende) beschreiben, sondern als Teil einer kriegerischen Handlung (Süddeutsche Zeitung) bzw. als Zeugenschaft einer Tötung bzw. eines Toten (Frankfurter Allgemeine).
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Abbildung 4: Public Viewing
Quelle: Frankfurter Allgemeine, 4. Mai 2011, S. 1
Zusätzlich zu den Abdrucken der Fotografie in der deutschsprachigen und der internationalen Presse haben sich zahlreiche Kolumnen und Artikel mit der Fotografie beschäftigt. Dabei war der Ton in der amerikanischen Presse deutlich pathetischer. In der New York Times z.B. griff der Kommentator in der Beschreibung des Bildinhalts zu melodramatischer Lyrik: »One of the nine photographs released online by the White House shows Secretary of State Hillary Rodham Clinton with her right hand covering her mouth, her eyes glued to a screen just out of the camera’s shot. President Obama is in a corner chair, hunched over with his hands in his lap, his brow furrowed and his mouth set into a grim frown. His eyes, too, are focused, laser-like, without any of the lightness that he often displays public.« (Shear 2011)
Lyrisch ist diese Passage nicht allein wegen ihrer emphatischen Beschreibung der Hauptperson als charismatischer Herrscherfigur. Es finden sich poetische Assonanzen: »His brow furrowed and his mouth in a grim frown«; es finden sich des Weiteren klare Alliterationen (»laser-like, […] lightness«). Was aber, jenseits solcher pathosgeladenen Zuschreibungen, die Rezeption des Bildes dominiert hat, sind Veränderungen des Bildes. Nachdem die in New York erscheinende ultraorthodoxe jiddische Wochenzeitung Di Tzeitung aus religiösen Gründen bei ihrem Abdruck der Fotografie beide Frauen aus dem Bild
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entfernt hatte,4 musste man nicht lange darauf warten, bis jemand im Gegenzug aus der Fotografie alle Männer entfernte und nur noch die beiden Frauen im Bild beließ.5 Wer auch immer den Anfang machte, trat eine ganze Kaskade von ironischen Verfremdungen los: − Im Internet finden sich mehrere Montagen, welche die fiktive Verlängerung des Raumes zeigen. Darunter befindet sich ein Bild, das eine mit Funktionären und Militärangehörigen dicht besetzte andere Hälfte des Tisches enthüllt und damit die in der Fotografie sichtbare Hälfte des Raumes quasi spiegelt. Die Personen dort schauen ebenso ernst zurück, der Tisch ist übersät mit Kaffeebechern, Wasserflaschen, Getränkedosen sowie Arbeits-Unterlagen. Hinter der Gruppe ist eine große Computerprojektion zu sehen (Zeichenketten im Bluescreen).6 Die Fotografie greift die alltägliche, geschäftsmäßige Atmosphäre des Raumes und des Personenarrangements auf. Diese Parodien lösen ironisch auf, was die Fotografie verbirgt (das, was die Anwesenden sehen) und banalisieren es. − Es finden sich des Weiteren Nachstellungen der Szene mit Playmobilfiguren, darunter eine, die peinlich genau auf Geschlechterverteilung, Hautfarbe und Haartracht achtet und auch die Kaffeebecher nicht vergisst.7 Die Montage
4
Für die Fotografie aus dem Situation Room ohne die beiden Frauen Hillary Clinton und Audrey Tomason siehe http://failedmessiah.typepad.com/failed_messiahcom /2011/05/hasidic-paper-removes-hillary-clinton-from-osama-picture-567.html [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Die Zeitung hat sich später für die Bildmanipulation entschuldigt.
5
Für die recht entvölkerte Fotografie aus dem Situation Room ohne Männer siehe http://www.npr.org/blogs/thetwo-way/2011/05/13/136271340/situation-room-memecontinues-this-time-all-the-men-are-removed [letzter Zugriff: 04.03.2014].
6
Für die Fiktion von der ›anderen‹ Hälfte des Raumes siehe http://www.flickr.com /photos/ivanchaos/5714707382/ [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Dort findet sich eine Reihe weiterer Parodien und Verfremdungen.
7
Siehe http://randommization.com/wp-content/uploads/2011/05/Situation-room-photoin-Lego.jpg [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Nachstellungen mit Lego- oder Playmobilfiguren haben eine gewisse Tradition bei Bilderparodien. Auch vor Charles C. Ebbets berühmtem Lunch atop a Skyscraper aus dem Jahr 1932 und vielen anderen berühmten Fotografien machen Playmobilfiguren nicht Halt. Es existieren auch Nachstellungen der Fotografie aus dem Situation Room mit Spielfiguren aus dem Film Toy Story.
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greift die Passivität der Figuren in der Fotografie auf und mokiert sich (auch) über die Steifheit der Szene. Verschiedentlich wird das Bild verändert, indem einzelne Personen in das Bild hineinmontiert werden. In einer Montage greift die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright mit einem ›Wii-Controller‹ beherzt in das Geschehen ein; über Mike Mullen steht in einer Denkblase: »Hoooly gradma [sic!] ...«.8 In mehreren Collagen werden populäre Figuren aus der amerikanischen (Populär-)Kulturgeschichte von Sitting Bull bis Elvis Presley hinzu montiert. Auf einer dieser Collagen finden sich allein hinter Audrey Tomason: Chewbaka, Meister Proper und Santa Claus.9 Die Montagen spielen mit der Überfüllung des Bildes und spitzen die Personenfülle zu Wimmelbildern des Typs »Where is Waldo?« zu. US-Präsident Barack Obama hält in seiner hockenden Sitzposition einen Gamepad in beiden (nun sichtbaren) Händen; er spielt.10 Die Montage kann als Anspielung auf Ego-Shooter-Spiele verstanden werden. Mehrere Montagen versehen Figuren aus dem Bild mit Textblasen. Ein Beispiel einer ›Denkblase‹ bei Brigadier General Marshall B. Webb: »Six month till I retire from this crap«.11 Diese Montagen spielen mit der Stummheit der Szene in der Fotografie. Sie fügen den Personen die Gemütsregungen und Äußerungen hinzu, die in der – stimmlosen, reglosen und gestenarmen – Fotografie fehlen.
Die umgehende Parodierung des Bildes in diesen und zahlreichen anderen Montagen speist sich zum einen aus der umgehenden Popularität der Fotografie. Die Parodien leben vor allen Dingen aber von der spielerischen Manipulation jener Kernelemente, welche die ursprüngliche Fotografie auszeichnen und ihre Eigenart ausmachen: Der Fokus, auf dem die Blicke so gebannt ruhen; die Steifheit
8
Siehe computer.de.msn.com/netzwelt/photoshop-sei-dank-die-wahrheit-über-obamassituation-room?page=6#image=11 [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Auch hier findet sich eine ganze Serie weiterer Parodien und Verfremdungen.
9
Auch von diesen Montagen gibt es mehrere Exemplare. Siehe z.B. http://designyou trust.com/2011/05/17-best-situation-room-parody/ [letzter Zugriff: 04.03. 2014].
10 Siehe http://www.flickr.com/photos/ivanchaos/5714147059/in/photostream/ [letzter Zugriff: 04.03.2014]. 11 Siehe http://www.ingannati.it/2011/05/07/se-non-ritornerete/ [letzter Zugriff: 04.03. 2014].
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und Bewegungslosigkeit der Szene; die verborgenen Hände; die Passivität der Gruppe; die vorgebeugte Sitzposition von US-Präsident Obama.
O HNE P ATHOS ,
OHNE
P OSE
Während Diers das Pendant zur Fotografie aus dem Situation Room in der europäischen Kunstgeschichte sucht und dabei auf Rembrandts Die Anatomie des Dr. Tulp (1632) stößt (vgl. den Beitrag von Diers in diesem Band), scheint ein Vergleich mit einem anderen Bild weit naheliegender: Die Fotografie des (damaligen) US-Präsidenten George W. Bush am 1. Mai 2003 bei seinem Auftritt auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln vor der Küste San Diegos, während dessen er das Ende des Irak-Kriegs verkündete. Es ist diese Fotografie, die im Bildgedächtnis vorhanden ist, mit der die Fotografie aus dem Situation Room in Konkurrenz tritt, von der sie sich absetzt und vor deren Hintergrund sie verstanden werden muss. Abbildung 5: »Mission accomplished«
Quelle: http://www.usnews.com/news/blogs/press-past/2013/05/01/theother-symbol-of-george-w-bushs-legacy, Foto: Associated Press [letzter Zugriff: 04.03.2014]
Dieses Bild ist mit der Fotografie aus dem Situation Room zunächst eng verwandt, weil es sich ebenfalls um eine fotografische Abbildung eines USPräsidenten im Zusammenhang mit militärischen Aktionen nach dem 11. September 2001 handelt. Es unterscheidet sich jedoch in mehreren Punkten gravierend von ihr.
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Der direkte Vergleich der beiden Fotografien macht deutlich, dass es keineswegs nur der abwesende Leichnam ist, der die Fotografie aus dem Situation Room auszeichnet, sondern dass es vielmehr ihre Affektarmut, ihre Bewegungslosigkeit und ihre Schweigsamkeit sind, die ihr Wesen ausmachen: − Wir sehen Bush mit einem hoch gereckten Daumen und einem Lächeln im Gesicht. Gestik und Mimik signalisieren Freude und positive Gefühle. In der Fotografie aus dem Situation Room fehlen solche Gesichtsausdrücke gänzlich. Die meisten Gesichter wirken ernst und eher gespannt. Die einzige Geste – die zum Mund geführte Hand von Außenministerin Hillary Clinton – scheint weniger eine Emotion, zumal eine negative, auszudrücken als diese zu verbergen. Niemand ballt eine Faust o.ä., niemand drückt freudige Erwartung aus.12 − Hinter Bush sind links und rechts Personen zu erkennen, die dicht gedrängt stehen und die offensichtlich ein Publikum bilden. Sie haben die Hände vor der Brust erhoben und applaudieren. Vor ihm finden sich am unteren Bildrand mehrere Hinterköpfe sowie Hände, die erhoben applaudieren. Bush scheint umringt von einem jubelnden Publikum. − Die Szenerie im Situation Room ist von unterdrückten Affekten und Schweigen geprägt. Niemand spricht. Auf der Fotografie auf dem Flugzeugträger hingegen wird gejubelt, auch Bushs »thumbs up« kann als triumphierende Jubelpose verstanden werden. Das Bild weist zudem auf eine Rede hin: Bush steht an einem Rednerpult, vor ihm sind mindestens zwei große Mikrofone erkennbar. Links im Bild ragt die Scheibe eines Teleprompters empor. − Bushs Auftritt wurde sorgsam inszeniert. Für die Szene musste der Flugzeugträger eine bestimmte See-Position einnehmen und sich auch so ausrichten, dass das Licht richtig fiel und nicht im Hintergrund die Küste und die Skyline von San Diego erkennbar waren. Bushs Administration bestand auf einer Jetlandung auf dem Flugzeugträger, obwohl der Flugzeugträger in Reichweite der Küste lag und mit dem Helikopter erreichbar gewesen wäre. Bei der Landung trug Bush einen »flight suit« und posierte mit Piloten und der Crew des Schiffes. Im Gegenzug zu dieser Top Gun-Zitate verwendenden Insze-
12 Die Irritation, die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer (via Pressesprecher verlautbarten) Mitteilung auslöste, sie »freue« sich über die Tötung Osama bin Ladens, speiste sich vermutlich auch daraus, dass sich von den abgebildeten Personen niemand erkennbar freut und Merkels Freude seltsam, da ohne Anschluss, wirkte. Irritiert zeigte sich unter anderem der Vatikan: »Ein Christ sollte niemals den Tod eines Menschen begrüßen«, so ein Sprecher des Vatikans.
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nierung wirkt die Szene im Situation Room eher geschäftsmäßig – durch die offenen Hemdkragen, die Kaffeebecher, das Gedränge. Die Fotografie, die Bush zeigt, achtet sorgsam auf Sichtbarkeit relevanter Symbole und Embleme: So ist das Präsidentenwappen auf der Vorderseite des Pultes in vollem Umfang sichtbar. Im oberen Bildrand ist das umstrittene Banner »Mission accomplished« nicht nur erkennbar, sondern auch so in das Bild integriert, dass seine Lesbarkeit garantiert ist. Im Bild aus dem Situation Room sind relevante Symbole wie das Wappen des Präsidenten auf der hinteren Wand verdeckt. Auch wenn die Bush-Administration das Aufhängen des Banners »Mission accomplished« später als Fehler einräumte: Das Banner meldet einen ›Vollzug‹, einen Abschluss, als gelte es, einen Victory Day zu begehen. Zum Entstehungszeitpunkt der Fotografie war dies mindestens verfrüht, und angesichts des einsetzenden Guerillakriegs im Irak auch falsch. Das in den Farben der amerikanischen Nationalflagge gehaltene Banner suggeriert, es wäre ein Auftrag (erfolgreich) erfüllt worden. Dass im Wort »mission« auch eine religiöse Konnotation mitschwingt, die auf einen göttlichen Auftrag hinweist, ist kein Zufall. In der Fotografie aus dem Situation Room deutet nichts einen erfolgreich durchgeführten Auftrag an; vielmehr scheint ein Vollzug einer Handlung mit ungewissem Ausgang stattzufinden. (Zwar fällt auch hier der Begriff »mission«, jedoch wird sie in der Bildlegende als »an update on the mission against Osama bin Laden« und damit als nicht abgeschlossen dargestellt.) Die Fotografie, die Bush zeigt, achtet sorgsam auf eine zentrale Positionierung der Hauptperson in der Mitte des Bildes; Präsident Obama hingegen sitzt an einer randseitigen Position in einer eher unscheinbaren vorgebeugten Haltung und zeichnet sich durch die Abwesenheit einer erkennbaren Pose aus. Verglichen mit der Bush-Fotografie wirkt die Fotografie aus dem Situation Room unpathetisch und unheroisch. Darüber hinaus zeigt die Fotografie vom Flugzeugträger Bush als exponierte Einzelperson und ist ganz und gar auf ihn zugeschnitten. Er ist zwar umringt von einem jubelnden Kollektiv (das als Masse gesichtslos bleibt), aber dieses Kollektiv jubelt ihm zu, er ist nicht Teil von ihm. Obama hingegen ist Teil des Kollektivs, er ragt aus diesem nicht heraus, scheint vielmehr in ihm zu verschwinden.
Diese Abwesenheit von martialischen und triumphierenden Elementen setzt sich in der Rhetorik der Präsentation der Ereignisse nach der militärischen Operation fort. Nach Abschluss dieser sogenannten »Operation Geronimo«, deren Realität
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die Fotografie aus dem Situation Room belegen sollte, hatte Obama auf der anschließenden Presseerklärung kurz vor Mitternacht sachlich die Ereignisse geschildert. Er begann – wie ein Berichterstatter – mit den folgenden Worten: »Good evening. Tonight, I can report to the American people and to the world that the United States has conducted an operation that killed Osama bin Laden, the leader of al Qaeda, and a terrorist who’s responsible for the murder of thousands of innocent men, women, and children.«13 Zum Vergleich: Als Saddam Hussein gefangen wurde, eröffnete Paul Bremer die (legendäre) Pressekonferenz am 14.12.2003 in Bagdad mit den Worten »Ladies and gentlemen, we got him«, woraufhin ein guter Teil des anwesenden (irakischen) Pressecorps in heftige Jubelrufe und Applaus ausbrach. Wenig später verbreitete das amerikanische Militär Fotografien von Saddam Hussein, die ihn übermüdet und unrasiert bei medizinischen Untersuchungen zeigten. Von einer solchen Aufladung mit triumphierenden und martialischen oder dämonisierenden und demütigenden Gesten sind die Fotografie des Situation Room und ihr unmittelbarer Kontext frei.14 Es herrscht ein eher versachlichender, nüchterner Stil vor. Während von der Fotografie vom Flugzeugträger eine eher martialische und sporenrasselnde Gestik und Symbolik ausgeht, zeichnet sich die Fotografie aus dem Situation Room durch Abwesenheiten aus: durch die Abwesenheit von Posen, Triumphgebärden und Pathos.
Z EIGEN ,
NICHT ZEIGEN
An der Fotografie aus dem Situation Room fällt insbesondere auf, dass etwas nicht gezeigt wird. Wir sehen nicht, was die Gruppe sieht. Auslassungen dieser Art werden als elliptisch bezeichnet. Auf diese Interpretation kam auch ein Großteil der Feuilletons (und die detaillierte kunstwissenschaftliche Interpretation des Bildes von Diers in diesem Band). Die Fotografie ist allerdings mehr als eine Ellipse. Sie ist nicht nur dadurch charakterisiert, dass etwas ganz Konkretes nicht gezeigt wird (die Tötung Osama bin Ladens und mindestens vier weiterer Personen). Sie zeigt weder den Tötungsakt noch den bzw. die Toten. Die Fotografie ist insgesamt davon geprägt, dass etwas nicht geschieht, nicht gezeigt bzw. verdeckt oder nicht getan wird: Neben der offensichtlichen Leerstelle – dem nicht gezeigten Leichnam – wird in der Fotografie eine ganze Reihe anderer
13 Siehe http://www.whitehouse.gov/photos-and-video/video/2011/05/01/presidentobama-death-osama-bin-laden#transcript [letzter Zugriff: 02.03.2014]. 14 Zur »Konfiguration des Bösen« siehe Kreimeier 2003.
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Dinge verdeckt: das Wappen an der hinteren Wand; der möglicherweise geöffnete Mund der Außenministerin Hillary Clinton; die Hände nahezu aller Anwesenden; das Dokument auf der Tastatur vor Clinton. Die Szene ist in sich kontrolliert: die Position der Arme in der verschränkten Pose bewirkt das Verbergen der Hände und unterdrückt unkontrollierte Gestik; die einzige wahrnehmbare Geste aller anwesenden Personen – die rechte Hand von Hillary Clinton – verbirgt Clintons möglicherweise offenen Mund und unterdrückt eventuell einen emotionalen Ausdruck. (Die Bewegung kontrolliert noch den möglichen Kontrollverlust.) Die abgelichtete Szenerie weist insgesamt eine sehr niedrige Affektladung auf, es gibt keine emotionale Entladung. Es ist also nicht allein die Abwesenheit des Toten und des Tötungsaktes, welche die Fotografie auszeichnet. Die Fotografie ist als Ganzes und in den Details ein Bild der Abwesenheiten. In gewisser Weise wird sie von einem sehr merkwürdigen Widerspruch charakterisiert: Sie zeigt etwas nicht. Sie zeigt nicht die Tötung und nicht die Toten; sie zeigt keinen Pathos und keinen Triumph. Sie verbirgt mehr, als sie zeigt. Der Zeigegestus der Fotografie hat daher einen durchaus widersprüchlichen und ambivalenten Charakter. Die Fotografie spielt mit dem Zeigegestus, der Bildern gewöhnlich eigen ist: Sie beansprucht einerseits, etwas zu zeigen – so wie eine Fotografie des Eiffelturms beansprucht, den Eiffelturm zu ›zeigen‹ (zum Zeigegestus von Fotografien siehe Wiesing 2013). Aber sie zeigt andererseits nicht, was dem Bild zugrunde liegt und der wesentliche Anlass für das Bild ist. Die Fotografie aus dem Situation Room ist insofern ambivalent, als sie etwas zeigt, indem sie etwas nicht zeigt. Die Fotografie steht damit nicht nur in direktem Widerspruch zur eher kriegerischen Bild- und Sprachsymbolik der Bush-Regierung. Sie hat darüber hinaus auch noch ein ganz anderes bildliches Gegenstück, zu dem sie sich verhält: die Bilder vom 11. September 2001. Dieser Tag machte die Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt, ohne ihr Einverständnis und in den meisten Fällen wohl auch gegen ihren Willen, zu (Bildschirm-)Augenzeugen tausendfachen Mordes. Das Attentat vom 11.09.2001 setzte, in seiner ganzen Planung – von der Uhrzeit am Morgen bis zur Wahl der Flugzeuge als Tatwaffen – auf größtmögliche Sichtbarkeit und Öffentlichkeit. Dieser Maximierung der Sichtbarkeit setzt die Fotografie aus dem Situation Room eine Minimierung von Sichtbarkeit und Öffentlichkeit entgegen. Sie verlagert den Tod hinter die Kulissen und minimiert die Zahl der Augenzeugen. Der Betrachter der Fotografie sieht nicht das Geschehen selbst; der Betrachter der Fotografie sieht keine Grausamkeiten. Er ist darauf angewiesen, die Betrachter der Übertragung beim Betrachten zu betrachten. Die Fotografie zeigt ihm nicht, was die Videoübertragung dem anwesenden Publikum zeigt. Die Fotografie und die auf ihr gezeigten Personen treten damit zwi-
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schen den Betrachter (der Fotografie) und den abgebildeten Tötungsakt. Der Betrachter der Fotografie kann nicht sehen, was sie sehen, er kann nur ihre relativ affektarme Rezeptionshaltung bei dieser Bildübertragung betrachten. Die Betrachtergruppe tritt als vermittelnde Instanz auf – was sie sieht, lässt sie vielleicht schaudern – aber wenn sie es tut, zeigt sie es, bis auf die ambivalente Geste von Clinton, nicht. Dem Betrachter der Fotografie ist damit eine direkte und unvermittelte Reaktion auf das Geschehen versagt. Er kann nicht ›mitschaudern‹. Der Situation Room, so Bredekamp, wird deswegen überhaupt zum Bild, weil er »als Ort der Zeugenschaft zu bezeugen war« (2012: 69 und in diesem Band). Für den Betrachter der Fotografie schiebt sich die Betrachtergruppe im Bild vor das Betrachtete. Wenn er von irgendetwas Zeuge wird, dann davon, dass andere etwas bezeugen (von dem wir nicht exakt wissen, was es genau ist). Der Betrachter wird nicht selbst zum Zeugen der Szene, aber ihm kommt eine vermittelte Zeugenschaft zu. Was auch immer das Bild zeigt, es zeigt es doppelt vermittelt.
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OHNE
K RIEG
In ihrem Essay »Das Leiden anderer betrachten« (2003) befasst sich Susan Sontag mit der Frage, welche Empfindungen Fotografien von Krieg und Leid im Betrachter auslösen. In ihren früheren Essays (Sontag 1992) hatte sie von einer eher abstumpfenden Wirkung der Bilder gesprochen. In »Das Leiden anderer betrachten« revidiert sie im Wesentlichen diese These. Über »quälende« Fotografien schreibt Sontag: »[…] sie suchen uns heim und lassen uns nicht mehr los.« (2003: 104) Die Bilder verschafften uns eine »imaginäre Nähe zum Leiden anderer« (a.a.O.: 119). Dabei sei nicht nötig, dass leidende Menschen gezeigt würden. Über eine der ersten Kriegsfotografien, die überhaupt gemacht wurden, ein Bild des britischen Fotografen Roger Fenton aus dem Krimkrieg, schreibt Sontag: »Fentons Foto ist ein Porträt der Abwesenheit, des Todes ohne die Toten. […] es zeigt nur eine breite, von Wagenspuren zerfurchte, mit Steinbrocken und Kanonenkugeln übersäte Straße, die sich durch eine sanft gewellte Ödnis in die leere Ferne windet.« (Sontag 2003: 60) Die meisten der Fotografien Fentons waren, der langen Belichtungszeit wegen, gestellt. In der späteren Kriegsfotografie hingegen sind Darstellungen von kämpfenden, leidenden und sterbenden Menschen durchaus üblich, man denke nur an die Fotografien, die Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg oder bei der Landung der Alliierten in der Normandie gemacht hat oder an die Fotografien aus dem amerikanischen Vietnamkrieg, die in der US-Öffentlichkeit ein solches Entsetzen auslösten, dass der amerikanische Krieg in Vietnam unter erheblichen Druck geriet und schließlich beendet wurde.
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Auf eine solche direkte Konfrontation von Betrachter und Abbildung verzichtet die Fotografie aus dem Situation Room. Hier wird kein fallender Krieger während des Akts seiner Tötung gezeigt (Robert Capa, The Falling Soldier, 1936), kein schreiendes Mädchen, das vor Napalmbomben flieht (Huỳnh Công Út, The Terror of War, 1972), und keine von Kanonenkugeln übersäte Straße wie auf Fentons Fotografie aus dem Krimkrieg (Roger Fenton, The Valley of the Shadow of Death, 1855). Der Betrachter der Fotografie aus dem Situation Room sieht kein Leid, kein Blut, keine Leiche, keine Todesangst und keine schreienden Angehörigen. Natürlich zeigen auch Bilder vom Krieg nicht ›den‹ Krieg. Bilder der Gewalt, schreibt Sofsky (er bezieht sich auf Fotografien und Gemälde), »sind niemals die Gewalt selbst. Der dargestellte Schrecken ist kein realer Schrecken. Pixel oder Pinselstriche bluten nicht. […] Auf Bildern ist Gewalt nur sichtbar, nicht riechbar, hörbar, tastbar, fühlbar.« (2011: 18) Aber in der Fotografie aus dem Situation Room ist es gerade die Sichtbarkeit, die verstellt wird. Da sich der Fotograf auf der Seite der Betrachtergruppe befindet (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn), kontrolliert seine Position auch die Perspektive auf die dargestellten kriegerischen Handlungen. Er selbst hat keinen Zugang zum Geschehen und ist als Reporter in die Gruppe eingebettet. Von dieser und anderen Formen von »embedded reporting« ist die amerikanische Kriegsführung und Kriegsberichterstattung seit dem ersten Irak-Krieg geprägt (vgl. hierzu kritisch Butler 2010). Mit diesen Formen der Kriegsberichterstattung hat sich aber auch die Kriegsfotografie gewandelt. Was sich ändert, sind die Darstellungen der Opfer des Krieges. Es wird eingeschränkt, »was und wie wir sehen« und es wird »im Voraus festgelegt, was in das Wahrnehmungsfeld gelangt und was nicht«, eine »Festlegung dessen […], was als Realität zu gelten hat: was in welchem Umfang überhaupt als existent wahrgenommen wird« (Butler 2010: 67). In dieser Art domestizierter Kriegsfotografie verschwinden die Opfer und ihr Leid hinter der Fotografie. Was wir schlussendlich sehen, ist eine Kriegsfotografie ohne Krieg. (Wohlgemerkt: Nicht der Krieg wird domestiziert, sondern die Kriegsfotografie.) Die Abwesenheit von Leid erschwert entsprechend die Entstehung von Mitleid. Die Opfer, die für uns nur mehr vermittelt wahrnehmbar sind, sind nicht weiter bzw. nicht ohne Weiteres bemitleidbar und betrauerbar. Noch viel stärker als Fentons Fotografie der zerfurchten Straße ist das Bild aus dem Situation Room ein »Porträt der Abwesenheit, des Todes ohne die Toten«.
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L ITERATUR Boerdam, Jaap/Martinius, Warna Oosterbaan (1980): »Family photographs – a sociological approach«, in: The Netherlands’ Journal of Sociology 16 (2), S. 95-119. Bourdieu, Pierre et al. (Hg.) (2006): Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Hamburg: EVA (orig.: Un art moyen. Essai sur les usages sociaux de la photographie, 1965). Bourdieu, Pierre (2006): »Die gesellschaftliche Definition der Photographie«, in: ders. et al. (Hg.), Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Hamburg: EVA (orig.: Un art moyen. Essai sur les usages sociaux de la photographie, 1965). Bredekamp, Horst (2012): »Der ›Situation Room‹ des 1. Mai 2011«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 6 (1), S. 66-70. Butler, Judith (2010): »Folter und die Ethik der Fotografie – Denken mit Susan Sontag«, in: dies., Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, Frankfurt am Main: Campus, S. 65-97 (orig.: Frames of war. When is a life grievable? 2009). Diers, Michael (2011): »›Public Viewing‹ oder Das elliptische Bild aus dem ›Situation Room‹ in Washington. Eine Annäherung«, in: Felix Hoffman (Hg.), Unheimlich vertraut. Bilder vom Terror, Köln: König, S. 308-331. Kreimeier, Klaus (2003): »Die Konfiguration des Bösen. Ikonographische Anmerkungen zum Bild Osama bin Ladens in den Massenmedien«, in: Navigationen 3 (2), S. 11-22. Sofsky, Wolfgang (2011): Todesarten. Über Bilder der Gewalt, Berlin: Matthes & Seitz. Sontag, Susan (1992): Über Fotografie, Frankfurt am Main: Fischer (orig.: On photography, 1990). Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten, München: Hanser (orig.: Regarding the pain of Others, 2003). Wiesing, Lambert (2013): Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens, Berlin: Suhrkamp.
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I NTERNET -Q UELLEN Bicker, Phil (2012): »Pete Souza’s portrait of a presidency«, in: Time LightBox vom 08.10.2012, unter: http://lightbox.time.com/2012/10/08/pete-souza-por trait-of-a-presidency/#55 [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Quigley, Rachel (2011): »Who is Audrey Tomason? The mystery of the woman in the situation room photo«, in: The Daily Mail Online vom 05.05.2011, unter: http://www.dailymail.co.uk/news/article-1383959/Who-Audrey-Toma son-The-mystery-woman-situation-room-photo.html; [letzter Zugriff: 04.03.2014]. Shear, Michael D. (2011): »Images show tension and intensity in Situation Room«, in: The New York Times Blog The Caucus vom 02.05.2011, unter: http://thecaucus.blogs.nytimes.com/2011/05/02/images-show-tension-inten sity-in-situation-room/?_php=true&_type=blogs&_r=0 [letzter Zugriff: 04.03.2014].
Conference Room 1. Mai 2011 Zur Unwägbarkeit ikonischer Macht – oder: Was Hillarys Hand verdeckt R OSWITHA B RECKNER
Das Foto, welches hier zur Diskussion steht, hat sich sehr rasch in verschiedensten medialen Kontexten verbreitet und ist in kürzester Zeit zur Ikone geworden. Alle größeren amerikanischen und deutschsprachigen Tageszeitungen haben ihm im Anschluss an seine Veröffentlichung auf Flickr am 2. Mai 2011 ganze Artikel gewidmet. In unzähligen Blogs wurde nahezu jedes Detail genauestens unter die Lupe genommen, kommentiert und aus verschiedensten Blickwinkeln interpretiert. In der ZDF-Serie »History« kam die Fotografie bei einer Online-Befragung des Publikums zu »Bilder, die Geschichte machen « am 04.03.2012 sogar unter die TOP 10.1 Die Relevanz dieses Bildobjekts im globalen medialen Diskurs ist unbestritten, mithin die Aufgabe, ihm aus einer soziologischen Perspektive nachzugehen. Was aber lässt sich vor diesem Hintergrund noch über diese Fotografie sagen? Kann ein spezifischer methodischer Zugang in Form einer visuellen Segmentanalyse (Breckner 2010, 2012) den bereits vorliegenden journalistischen, wissenschaftlichen, im Internet kursierenden Kommentaren und nicht zuletzt den in diesem Band und anderen Kontexten publizierten (Przyborski/Haller 2014) Analysen noch etwas hinzufügen? Der Herausforderung dieser Frage gewahr, lässt sich mein Beitrag von einer weiteren leiten: Was ist an dieser Fotografie so besonders, dass sie innerhalb von 24 Stunden, mit millionenfachen Klicks im Internet zu einer Ikone in einem politisch-medialen Feld geworden ist?
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http://www.youtube.com/watch?v=tHGlvXWKJpc [letzter Zugriff: 15.04.2014]
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Anhand einer Segmentanalyse, die auf die Wahrnehmung des Bildes, seine formale Gestalt und thematischen Bezüge sowie auf seinen medialen Gebrauch fokussiert, werde ich im Folgenden vier Antwortmöglichkeiten, die sich wechselseitig nicht ausschließen, zur Diskussion stellen und das Ergebnis der Analysen am Schluss in drei Thesen zusammenfassen. Erste Antwortmöglichkeit: Die Fotografie ist als Bild komplex, so dass die wahrnehmend sinnerschließende Aufmerksamkeit im Bild verweilt. Zweitens: Das, worauf die Blicke der im Foto abgebildeten Personen gerichtet sind, und was selbst nicht sichtbar ist, ist ein konstitutiver Bestandteil des Bildes, der mit eigenen Bildphantasien gefüllt werden muss, um die thematische Brisanz des Fotos zu verstehen. Dies erfordert einen aktiven Wahrnehmungsprozess seitens der BetrachterInnen. Drittens: Barack Obama und Hillary Clinton, die zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos öffentlich prominentesten Machtträger, sind in diesem Bild anders zu sehen als in den üblichen medialen Inszenierungen. Sie fügen sich nicht nahtlos in das immer wieder aufgebaute Bild souverän handelnder Machthaber. Es handelt sich bei diesem Foto vielmehr um ein Hinterbühnenbild (Goffman 1969) mit dem Reiz des seltenen, vielleicht sogar »unerlaubten « Blickes hinter die Kulissen. Und schließlich viertens: Der mediale Diskurs, in dem das Bild zirkuliert, legt die im Foto angelegten Ambivalenzen in verschiedene Richtungen lustvoll dekonstruktiv aus und reagiert darauf bildlich mit vielfältig gestalteten mashups2 oder memes3, die jeweils spezifische thematische Aspekte hervorheben, ironisieren, überhöhen oder auch hinzufügen. Die besagte Fotografie hat in diesen Prozessen ein Eigenleben entwickelt, dessen Dynamik nicht mehr zu kontrollieren ist.
R EKONSTRUKTION
DER BILDLICHEN
K OMPLEXITÄT
Fokussiert auf die Bildwahrnehmung sowie auf formale Bildaspekte werde ich zunächst zeigen, in welcher Weise die Fotografie Aufmerksamkeit generiert und
2
Der Begriff mashup stammt ursprünglich aus der Musikszene und meint das Samplen und Überlagern verschiedener Songs. Inzwischen hat er sich auf das »Mischen« von web-Applikationen ausgedehnt. »A mash-up, for example, could overlay traffic data from one source on the Internet over maps from Yahoo, Microsoft, Google or any content provider« (http://www.webopedia.com/TERM/M/mash_up.html [letzter Zugriff: 10.03.2014]).
3
Meme »is an idea, style or action which spreads, often as mimicry, from person to person via the Internet, as with imitating the concept« (http://en.wikipedia.org/wiki/Internet_meme [letzter Zugriff: 10.03.2014], vgl. auch Wiebogen 2014).
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worauf diese gerichtet ist. Als erstes werde ich zeichnerisch meinen Wahrnehmungsprozess dokumentieren und erste Eindrücke festhalten, welche die affektiven Resonanzen sowie erste mit dem Bild verbundene thematische Sinnzusammenhänge einschließen. Als nächstes werden die wesentlichen formalen Charakteristika des Bildes erfasst, um im Abgleich mit der subjektiven Bildwahrnehmung Bildsegmente als Grundlage für den nächsten Analyseschritt zu bestimmen. Von den bildlich zunächst isolierten Segmenten nehme ich an, dass sie in je spezifischen Verbindungen untereinander im Gestaltzusammenhang der Fotografie für die Entstehung von Bedeutungs- und Sinnbezügen im Prozess des Sehens entscheidend sind.4 Ziel der daran anschließenden Segmentanalyse ist es, bildliche Potentiale der Fotografie zu erschließen, die sich in verschiedenen medialen und außerbildlichen sozialen Kontexten realisieren und konkretisieren, oder aber auch irrelevant gesetzt werden können.5 Die sukzessive Analyse der Segmentverbindungen wird hier nicht im Detail dargestellt (zum Analyseverfahren siehe Breckner 2010: 265-296, Breckner 2012). Vielmehr werde ich bild-thematische Bezüge, die sich vor allem aus der szenischen Choreographie, aber auch aus der Perspektive sowie der planimetrischen Strukturierung der Bildfläche (Imdahl 1994) einstellen, ergebnisorientiert präsentieren. Dabei wird der konkrete Kontext, in dem das Bild entstanden ist, zunächst weitgehend ausgeklammert, um die Potentialität des Fotos in seiner bildlichen Gestalt in den Vordergrund zu rücken. Erst im daran anschließenden Schritt werde ich die Entstehungs- und Verwendungskontexte sukzessive hinzuziehen und analysieren. Der Wahrnehmungsprozess Dieses Bild hatte ich in verschiedenen Zusammenhängen bereits mehrfach gesehen. Dennoch beobachtete ich bei einem konzentrierten erneuten Erfassen meinen Wahrnehmungsprozess und zeichnete ihn wie folgt ein:
4
Die Segmentanalyse basiert auf phänomenologisch orientierten Bildtheorien (vgl. exemplarisch Boehm 2007) sowie bedeutungs-, gestalt- und symboltheoretischen Konzepten (Langer 1979). Zur theoretisch-methodologischen Begründung des Zugangs siehe Breckner 2010: 19-62; 83-124.
5
Zum systematischen Zusammenhang immanenter und exmanenter Bildbezüge vgl. auch Raab 2012.
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Abbildung 1: Pete Souza, P050111PS-0210 im Fokus des Wahrnehmungsprozesses
Quelle: http://www.whitehouse.gov/photos-and-video/photogallery/may1-2011 [letzter Zugriff: 24.03.2014], Darstellung des eigenen Wahrnehmungsprozesses
Mein Blick fiel zunächst auf die weißen/hellen Flächen der drei prominent platzierten Herren (1-3) und wanderte zwischen diesen, eine Art Dreieck bildend. Der Fokus fiel dann auf die einzige Frau am Tisch, die ich als Hillary Clinton erkannte. Mir fielen v.a. ihre Handhaltung und ihre scheinbar nahezu intime körperliche Nähe zu ihrem Sitznachbarn im blauen Hemd auf (4). Anschließend sprang ich zu der Person auf der anderen Seite des Tisches, die ich als Barack Obama identifizierte (5), und dann zu der im Vergleich zu ihm viel auffälligeren Figur in Uniform gleich rechts neben ihm (6). Ich nahm schließlich die Gruppe der stehenden Personen wahr (7), blickte zurück zum Tisch, zum weißen CaféPappbecher (8) und schließlich zum Hintergrund (9), der eine weiße Wand in einem Raum mit einer Zierleiste über einer Holzpaneele erkennen ließ. Dann erst fokussierte ich einzelne Gesichter, insbesondere jene der beiden Männer im Vordergrund mit den hellen Hemden, die etwas distanziert zu beobachten scheinen; nahm die Ernsthaftigkeit des Ausdrucks von Obama wahr, seine körperliche Hinwendung zu einem Geschehen, auf das der Blick gerichtet ist; bemerkte das Erschrecken in Clintons Augen; den nach unten gerichteten Blick des Mannes in der mit vielen Orden versehenen Uniform. Mir fiel auf, dass – außer dem Mann rechts neben Clinton – alle mit geschlossenem Mund auf etwas blicken, das noch zu keiner eindeutigen Resonanz in der Gruppe der nahezu ausschließlich männlichen Betrachter Anlass zu geben scheint. Die Gesichter, auch der stehenden Männer, wirken angespannt beobachtend, in gewisser Weise entschlossen ab-
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wartend, selbst jene der neugierig hervorlugenden hinteren Personen. Weitere Details des Bildes, wie etwa die Art, wie die zweite Hand Hillary Clintons auf einem Buch und Ordner liegt; der verschwommene Kopf der Person in der Ecke links unten; weitere Gegenstände auf dem Tisch (Laptop, Kabel, Papiere, Brille, zweiter Café-Pappbecher) und hinter dem Tisch (ein undefinierbarer Gegenstand links neben Obama); die einzelnen Figuren in der Gruppe im Hintergrund, von denen die »Hervorlugenden « besonders auffielen; die geschlossene Tür sowie den von einer Person verdeckten, an der Wand hängenden Gegenstand, erfasste ich erst nach und nach, ohne die Reihenfolge der Wahrnehmung noch genauer bestimmen zu können. Thematisch stach der erschrockene Blick Hillary Clintons, die besorgte Miene Barack Obamas und seine im Vergleich zu den ihn umgebenden Figuren relativ geringe Bildgröße ins Auge. Letzteres erweckte den Anschein einer Verschiebung seiner Bedeutung in diesem bild-räumlichen Zusammenhang. Es wirkte fast so, als ob er hier nicht »dazugehöre «, eher Beobachter als Handelnder sei, ähnlich wie Hillary Clinton, die als Frau mit ihrer Handgeste ebenfalls einen Kontrapunkt zu den beherrschten Mienen der im Bild dominanten Männer bildete. Die Kleidung der Personen, der Tisch mit den Computern und weiteren Utensilien vermittelten den Eindruck einer alltäglichen Arbeitssituation, die dennoch eine außeralltägliche Besonderheit durch die gespannten Blicke auf etwas links außerhalb des Bildes und die gedrängte Enge der scheinbar »Dazugeholten« erhielt. Die Spannung in den meisten Gesichtern erweckte die Vorstellung, dass das zu Sehende die ganze Aufmerksamkeit erfordert. Dass es sich wahrscheinlich um etwas Wesentliches handelt, zeigt sich auch im Bemühen der ganz hinten platzierten Personen, ihre Sicht auf das zu Sehende, das im Bild selbst nicht erkennbar ist, sicherzustellen. Es entstand der atmosphärische Eindruck einer konzentrierten Situation, in der nicht gesprochen wird und die möglicherweise gerade dadurch alle umfasst – einschließlich mich als Bildbetrachterin –, auch wenn die jeweiligen inneren Haltungen und Emotionen zum Geschehen sehr unterschiedlich sein mögen. Formale Bildgestaltung und »Blickführung« Ein erster Blick auf formale Gestaltungsaspekte, vor allem die Perspektive und Feldlinien (Imdahl 1988), lässt erkennen, dass einerseits die szenische Anordnung der Gruppe um den Tisch mit einem Fluchtpunkt rechts oben im Bild 6 so-
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rechts/links immer aus der Perspektive der Betrachter.
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wie ein die Blicke organisierendes Objekt, links außerhalb des Bildes, eine bildliche Spannung zwischen Fluchtpunkt und Feldlinien erzeugen. Das Bild erscheint insofern vielschichtig, als der Blick der die Fotografie Betrachtenden in zwei Richtungen gleichzeitig gezogen wird: einmal entlang des Fluchtpunktes nach rechts oben im Bild und einmal entlang der Feldlinien nach links außen. Abbildung 2: Fluchtpunkt und Feldlinien im Bild
In der Blickbahn des Fluchtpunktes (dargestellt durch die gestrichelten Linien) liegen vor allem die Augen der im Ensemble der Männer bildlich prominenten Hillary Clinton sowie ihre Hand, und – fast noch wichtiger – er endet auf der geschlossenen Tür. Folgen die Betrachterblicke hingegen den Blicken der Figuren im Bild (hervorgehoben durch die durchgezogenen Linien), treten die Gesichter der Dargestellten in den Wahrnehmungsfokus sowie das nicht Sichtbare, worauf sie – mit Ausnahme der einzigen Figur in Uniform – alle gerichtet sind. Das Bild öffnet sich nach links. Die perspektivische Ausrichtung der Fotografie – die Aufnahme erfolgt von oben herab in einer leichten Aufsicht – legt einen eher beobachtenden, der Gruppe gegenüber distanzierten Blick nahe. Die in der Bildfläche dominanten Blickbahnen ziehen uns als BetrachterInnen hingegen stärker in das Bild hinein. Dadurch, dass die Perspektive und die Feldlinien unseren Blick in verschiedene Richtungen lenken, wird eine Ambivalenz auf der Ebene der formalen Komposition deutlich. Sie bewegt sich inhaltlich zwischen einer eher distanzierten Beobachtung des im Bild Dargestellten und der Involvierung in die auf das nicht Sichtbare gerichteten Blickbahnen. Durch diese Spannung wird unser Blick in der Mitte des Bildes gehalten. Die Figuren scheinen sich um das an sich un-
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spektakuläre, aber von der Bilddynamik in mehrfachen Kreuzungspunkten liegende Bildzentrum, den Tisch, herum zu gruppieren. Dadurch erscheinen die Konstellation der Figuren, respektive die szenische Choreographie für die thematische Erschließung der Fotografie zentral. Szenische Choreografie Abbildung 3: Die Sitzenden in der »ersten Reihe«
Abbildung 3: Die erste Reihe am Tisch
In der Konstellation der sitzenden Akteure wird erneut augenfällig, dass Brigadier General Marshall B. Webb, der Mann in Uniform mit den auffallend vielen Orden, welche auf seinen hohen Rang verweisen, bildlich eine besondere Position einnimmt: er ist der Einzige, der nicht auf das Geschehen links außerhalb des Bildes fokussiert ist, sondern auf etwas vor sich Liegendes blickt. Und er ist der Einzige, der scheinbar etwas »tut«, also ein Handelnder und nicht nur Zuschauer eines Handlungsgeschehens. Damit drängt sich die Frage auf, wer an der von nahezu allen beobachteten Handlung in welcher Funktion beteiligt ist. Bildimmanent wird in dieser Konstellation eine räumliche Distanz und damit möglicherweise auch eine sozialräumliche Differenzierung zwischen den drei rechten und den drei linken Figuren sichtbar. Links sitzen US-Vizepräsident Joe Biden, Präsident Barack Obama und der Vize-Kommandeur der US Spezialkräfte Brigadier General Marshall B. Webb, dessen Aufgabenbereich u.a. die Ausführung der Terrorismusbekämpfung ist. Auf der bildrechten Seite sehen wir den stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater Denis McDonough, der für Auslandsgeheimdienst und Überwachung zuständig ist, die US-Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates in der Funktion der Lan-
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desverteidigung. Obama und Clinton sind damit durch die für die »Mission« zentralen Akteure gerahmt, wiewohl zwischen Obama und Webb sowie zwischen Clinton und McDonough jeweils eine deutlichere körperliche Nähe innerhalb der Dreierkonstellation zu erkennen ist. Inwiefern die gesamte körperräumliche Konstellation mit den jeweiligen Aufgabenbereichen und amtsbezogenen Loyalitäten und/oder mit persönlichen Nähe- und Distanzverhältnissen zusammenhängt, sei dahingestellt. Das ließe sich nur durch eine ausgedehntere Recherche funktionsbezogener wie auch gruppendynamischer Beziehungen in diesem Team interpretieren. Rein bildlich gesehen kann aber festgehalten werden, dass die Gruppe nicht ganz geschlossen erscheint. Vielmehr entstehen unterschiedlich große Zwischenräume zwischen den verschiedenen Figuren. Auch die Mimiken verweisen auf unterschiedliche Ausdrucksgehalte. An dieser Stelle sollen nur jene von Clinton und Obama näher betrachtet werden. 7 Die Mimik Hillary Clintons, mit typisch »weiblicher« Geste, die auf Erschrecken verweist, erzeugt einen Kontrast zu den beherrschten Gesichtern und Körperhaltungen der sie umgebenden Männer. Damit fällt Clinton als einzige Frau in diesem Ensemble von Männern besonders auf. Sieht man sich ihre Hand-Geste im Verhältnis zu ihren Augen genauer an, wovon die Interpretation des Entsetzens vor allem ausgeht, entsteht jedoch auch ein anderer Eindruck. Die Hand wirkt groß, zupackend – eine faltige Arbeitshand, die nicht so recht zu einer verschreckten Frau passen will. Auf den zweiten Blick erscheint die Geste Clintons weniger feminin als im Kontext ihrer bildlichen Umgebung, und insbesondere auch weniger als im gendernden ersten BetrachterInnenblick. Barack Obama, auf askriptiver Ebene als einziger »Farbiger« ähnlich exponiert wie Clinton, lässt durch die sichtbar hohe Anspannung die deutlichste emotionale Beteiligung unter den ihn umgebenden Männern erkennen. Die anderen Herren nehmen eher eine äußerlich distanzierte Beobachterhaltung, oder aber gar einen Ausdruck zurückgehaltener Genugtuung ein. In Verbindung mit der in der fotografischen Perspektive verkleinerten, im Vergleich zu den anderen Figuren unscharfen Darstellung Obamas, erscheint seine Betroffenheit bildlich »zurückgesetzt«, während die von Hillary Clinton bildlich hervorgehoben wird. Gefühle der Betroffenheit stehen hier in Verbindung mit einer weiblichen Geste, sind al-
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Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer segmentellen Interpretation von Gesichtern siehe Breckner 2014.
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so feminisiert, während die leichten Anzeichen emotional noch nicht gänzlich kontrollierter innerer Beteiligung am Geschehen seitens Barack Obamas, des obersten Repräsentanten demokratisch legitimierter Macht, bildlich marginalisiert erscheint. Abbildung 4:Die »zweite Reihe« vor geschlossener Tür
Die Relevanz der Situation wird durch die im Hintergrund sich drängenden Zuschauer unterstrichen. Zwei von ihnen (der Sicherheitsberater des VizePräsidenten: Tony Blinken und die Direktorin der Nationalen Anti-TerrorZentrale: Audrey Tomason) müssen sich reckend bemühen, gute Sicht auf das Geschehen zu erhalten. Zugleich wird deutlich, dass alle Zuschauer und nicht unmittelbar Handelnde sind. Die geschlossene Tür verweist darauf, dass es sich nicht um eine öffentliche Präsentation handelt, an der noch weitere Zuschauer teilnehmen könnten oder gar erwartet werden. Vielmehr weist sie auf eine geschlossene Gesellschaft, die sich vor etwas formiert, was selbst nicht sichtbar ist. Mit der geschlossenen Tür, auf die der perspektivische Blick zuläuft, könnte symbolisch gar verbunden sein, dass sich alle, ob sie wollen oder nicht, im Anblick des Geschehens in einem nach hinten geschlossenen Raum befinden, mithin nicht ohne Weiteres aus der Situation heraustreten können. Die geschlossene Tür könnte jedoch auch mit ganz banalen Konnotationen und entsprechend undramatischen Sehweisen verbunden werden. Sie könnte einen geschlossenen Raum als atmosphärische Rahmung einer Gemeinschaftsbildung signalisieren (vgl. Raab in diesem Band), die sich durch das gemeinsame Ansehen eines Fußball- oder Baseballspiels einstellt. Die Tür könnte auch ge-
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schlossen sein, damit es nicht zieht. In diesem ganz pragmatischen Sinne könnte es sich auch um die Vorführung eines Films in einem engeren Kreis von Personen, die an dessen Entstehen beteiligt waren, handeln (vgl. Oevermann in diesem Band). Dass diese Sehweise möglich ist, zeigen viele der in Folge angefertigten und im Netz zirkulierenden mashups – dazu später mehr. In Kombination mit dem vorherigen Segment, den Figuren um den Tisch, werden diese Sehweisen allerdings wieder unwahrscheinlich. Abbildung 5: Die ganze Gruppenkonstellation
Die Geste Hillary Clintons entspricht nicht dem Entsetzen vor einem Sportereignis, bei dem die »eigene « Mannschaft dabei ist, zu verlieren. Auch die Möglichkeit, dass es sich um einen »Horrorfilm in 3D« handelt (vgl. Schweppenhäuser in diesem Band), der das Erschrecken der weiblichen Figur erklären würde, ist angesichts der Präsenz des hohen Repräsentanten des Militärs eher unwahrscheinlich. Bliebe noch als potentielle Möglichkeit die Dokumentation einer schwierigen Bergung eines gesunkenen Schiffes – oder eben der Anblick einer militärischen Aktion. Letzteres wird dadurch unterstrichen, dass General Marshall B. Webb bildmittig im Chefsessel prominent platziert ist, während alle anderen, einschließlich Obama, sich um ihn herum gruppieren. Erneut stellt sich die Frage, wer hier Handelnder in welcher Position ist und wer nur Zuschauer. Vor allem stellt sich die Frage, worum es sich handelt, auf das alle Blicke (bis auf den des Militärs) so konzentriert gerichtet sind.
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DES
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U NSICHTBAREN
Niemand weiß, was genau diese Personen in dem Augenblick sahen, in dem dieses Foto gemacht wurde. Nur das Wissen um den Kontext, in dem die Aufnahme entstanden ist, die Ergreifung und Tötung Osama bin Ladens, füllt die bildliche Leerstelle auf, allerdings rein imaginativ. Das Wissen, die Vorstellungstätigkeit und affektive Involvierung der das Bild-Geschehen Betrachtenden wird, wie bereits in anderen Analysen festgestellt (vgl. Ayaß, Oevermann in diesem Band), zu einer konstitutiven Bilddimension. Ohne das Wissen, um welche Situation es sich hier handelt, bliebe das Foto thematisch uninteressant, weil frei schwebend im, wenn auch unwahrscheinlichen, aber theoretisch dennoch gegebenen Möglichkeitsraum zwischen Fußballspiel, Horrorfilm, Bergungsaktion und vielem anderem. Auf jeden Fall haben wir es hier mit einer doppelten medialen Vermittlung zu tun: Das, worauf die Blicke gerichtet sind, ist kein aktuales Geschehen in einer raum-zeitlichen Situation, in die die Zuschauer einbezogen sind. Das Zuschauen ist vielmehr selbst wiederum durch die Fotografie medial vermittelt. Ein Bild mit doppeltem Boden. Formal gesehen erzeugt das, worauf die Blicke der Dargestellten gerichtet sind, das selbst aber nicht sichtbar ist, eine Bildebene, die Aufmerksamkeit bindet. Das Bild endet nicht an seinem Rahmen, sondern geht über den linken Rand hinaus. Es handelt sich mithin um den Ausschnitt einer Szene, die erst in der imaginativen Ergänzung dessen, was links vom Bild passiert, »vollständig « wird. Dieses nicht Sichtbare ist dadurch nicht nur Horizont des Bildes, sondern wird zu einem zwar nicht sichtbaren, szenisch dennoch notwendigen Bestandteil der Fotografie. Das Bild erfordert die imaginative Involvierung in die Szene, um sie vollständig erfassen zu können. Mit William T. Mitchell (2005) gilt es also nicht nur zu fragen, welche Wirkungen das Bild in spezifischen Bedeutungs- und Sinnbezügen entfaltet, wenn ihm BetrachterInnen begegnen. Vielmehr geht es in Umkehrung des Subjektstatus darum, was das Bild begehrt. Mitchells generelle Antwort auf diese Frage lautet: Das Bild begehrt, was es nicht hat. »Man kann die Frage auch so formulieren: Woran mangelt es in diesem Bild; was lässt es aus? Wo liegt seine Zone der Auslöschung? Wo sein blinder Fleck? Seine Unschärfe? Was schließt der Rahmen oder die Grenze des Bildes aus? Was lässt uns der Blickwinkel der Darstellung nicht sehen und was lässt er das Bild nicht zeigen? Was benötigt oder fordert das Bild von seinem Betrachter, um sein Werk zu vollenden? « (Mitchell 2005: 69) In dieser Perspektive lassen sich weitere Überlegungen zu dieser Fotografie anschließen. Was ihr offensichtlich fehlt, ist der Fokus des Geschehens, um das es eigentlich geht. Ihr fehlen auch die in der generellen Anspannung
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festgehaltenen, im Vollzug dieser Situation aber zu erwartenden Emotionen: Triumph, Genugtuung, aber auch Erschrecken und Abscheu. Diese Emotionen sind zwar andeutungsweise zu erkennen, aber nicht in festlegbarer Deutlichkeit. Die Fotografie »verlangt« von den Betrachtenden mithin die Ausgestaltung von Emotionen, die sie selbst kaum preisgibt. Im für die BetrachterInnen bekannten Kontext der Tötung Bin Ladens sind verschiedene Arten der affektiven Involvierung in das Bildgeschehen über den Blick (vgl. Belting 2006) denkbar. Es kann sich eine vermittelte Teilhabe an einem Akt absichtlicher Tötung in Identifikation mit den Mächtigen einstellen. Eine Selbstermächtigung, die mit eigenen Bildern und Phantasien ausgestaltet wird, wäre in diesem Fall zu erwarten. Denkbar ist auch ein offener Voyeurismus im Hinblick auf den phantasierten Opferstatus des bzw. der Getöteten. Das Blickbegehren wäre in diesem Fall auf das Leiden des Opfers gerichtet, mit welchem eine (pervertierte) Form der lustvollen Selbstermächtigung einhergehen würde. Die gegenteilige emotionale Reaktion, etwa ein sich unmittelbar einstellendes Entsetzen oder gar Abscheu, kann wiederum zu einer emotionalen Distanzierung führen, weil »wir« als BetrachterInnen in das Geschehen nicht eingreifen können (vgl. Sontag 2003). Dennoch werden wir als Betrachtende über jedwede affektive Involvierung zu Mit-Handelnden. Dies wirft erneut die Frage auf, wer hier handelt: diejenigen, die nicht zu sehen sind, diejenigen, die die Entscheidungen getroffen haben und jetzt deren Ausführung überwachen – und wenn letztere, wer genau ist das in diesem Bild –, oder ist es gar das Kollektiv jener, die über das Bild affektiv und imaginativ zu Mit-Handelnden werden, also etwa die »US-Amerikanische Nation« oder gar die »Weltpolizei« im Kampf gegen das inkarnierte Böse, oder aber der »Rest der Welt«, der sich am politischmoralischen Dilemma der als »übermächtig« wahrgenommenen US-Regierung nahezu schadenfroh ergötzt? Das, worauf die Fotografie unmittelbar verweist und was nicht zu sehen ist, bleibt – ebenso wie die damit verbundenen Emotionen – auch in der Folge der medialen Darstellung des Tötungsaktes eine visuelle Leerstelle. Das Weiße Haus hatte entschieden, keine Bilder vom Akt der Tötung Bin Ladens freizugeben. Es sind auch keine Fotos aus dem Situation bzw. Conference Room erschienen, die dem unmittelbaren Tötungsgeschehen zuzurechnen gewesen wären. Die mit dem vorliegenden Foto eng verbundenen Bildräume verlangen vielmehr von den BetrachterInnen, visuell-affektiv gestaltet zu werden – und setzen dadurch die Phantasietätigkeit in verschiedene Richtungen frei. Das sind ideale Bedingungen, in denen Mythen entstehen. Sie antworten auf das, was im Bild nicht zu sehen ist, und was möglicherweise im Kontext der staatsrechtlich illegalen Tötung einer Person auch nicht sichtbar gemacht werden
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soll. Es lässt sich fragen, ob das eigentliche Geschehen unsichtbar bleiben soll, um eine voyeuristische Bezugnahme auf das Geschehen nicht zuzulassen (siehe dazu die Diskussion um die Veröffentlichung der Fotos von Abu Ghraib); um das Begehren nach Bildern von Gewalt nicht zu stimulieren; um die Distanz zwischen jenen, die sehen dürfen, was konkret geschieht und jenen, denen dies verborgen, oder aber auch nicht zugemutet wird, aufrecht zu erhalten? Oder ist im unmittelbaren Moment der Aufnahme dort, wohin alle blicken, nicht so viel Spektakuläres zu sehen – wie Hillary Clinton in ihrem nachträglichem Kommentar zu ihrer Handgeste, die auf einen allergischen Hustenanfall bezogen gewesen sei, glauben machen wollte? Oder aber untergräbt das dort zu Sehende als ein grausam erscheinender Akt der Tötung die moralische Legitimität der sich demokratisch inszenierenden Macht? Alle diese Fragen und noch weitere sind in den journalistischen und wissenschaftlichen Analysen dieses Bildes schon vielfach gestellt worden, ohne hinreichend befriedigende Antworten gefunden zu haben. Auch dies zeugt von der Vielschichtigkeit der Fotografie, die sich nicht auf eindeutige Aussagen reduzieren lässt, vielmehr gerade durch das nicht Sichtbare, das die (mythische) Tätigkeit der Betrachter verlangt, weite und offene Bildräume eröffnet. Auf jeden Fall zeugt ihre Veröffentlichung in Verbindung mit der visuellen Leerstelle des gesamten Geschehenskontextes von der Ambivalenz einer politischen Strategie, die durch offensive Bild-Transparenz sich demokratischer Aufklärung verpflichtet und zugleich durch Bildentzug die eigene Position abzusichern hat. Was an diesem Bild damit deutlich wird, ist das prekäre Verhältnis von Sichtbar-Machen und Verdecken in der politischen Inszenierung demokratisch zu legitimierender Macht.
I KONISCHE I NSZENIERUNG VON M ACHT UND IHRE U NWÄGBARKEITEN Die Besonderheit dieses Fotos im Hinblick auf die ambivalente bildliche Inszenierung Barack Obamas als mächtigsten Mann der Welt, als der er als Präsident der USA wahrgenommenen wird, und seiner ehemaligen Gegenspielerin, der ebenfalls mächtigen Außenministerin Hillary Clinton, fällt insbesondere dann auf, wenn man es mit anderen, im medialen Kontext typischen ikonischen Inszenierungen, als deren Meister sich Obama versteht, vergleicht. Nahe liegt ein Vergleich mit den Fotos, die an jenem Tag im Weißen Haus vom gleichen Fotografen, Pete Souza, gemacht, als Fotoserie zusammengestellt und gemeinsam mit
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dem zentralen Bild auf Flickr und im White House Fotostream veröffentlicht wurden.8 Abbildungen 6: Barack Obama – Meister ikonischer Inszenierungen
Auf dem linken Bild – es handelt sich um jenes, das die Fotoserie vom 01.05.2011 einleitet – ist Obama in typischer Geste, im Chefsessel sitzend, zu sehen. Er zeigt, wo es langgeht, blickt über die Kamera hinaus in die Zukunft und repräsentiert, selbst in legerer Kleidung ohne Krawatte, vor dem Präsidentenwappen das Regierungsamt. Der nationale Sicherheitsberater (National Security Advisor), Tom Donilon, ist als kontrastierende Figur zu sehen, die mit aufmerksam erstaunten Blicken dem Zeigefinger Obamas folgt.
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Auf dem Bild aus dem Conference Room zeigt Obama hingegen eine »aufnehmende« und nicht »anweisende« Haltung. Die Gesichtszüge sind äußerst angespannt, der Blick sehr konzentriert, aber keineswegs, wie üblich, mit einem Zug ins Fröhlich-Lockere. Auch die sonst sehr typische optimistisch-offensive Haltung weicht hier einem Zug ins Defensive, zeigt gar mit den leicht hochgezogenen Schultern eine Spur von Furcht. Auf jeden Fall ist keine Freude oder Erleichterung zu erkennen.
Vgl. https://www.flickr.com/photos/whitehouse/sets/72157626507626189/; http://www.whitehouse.gov/photos-and-video/photogallery/may-1-2011 [letzter Zugriff: 24. 03.2014]; siehe auch eine Zusammenstellung verschiedener Fotos im Reuters-Videobeitrag vom 4. Mai 2011, http://online.wsj.com/article/SB100014240527 48703834804576301351486023840.html [letzter Zugriff: 07.03.2012]
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Abbildung 7: Rede des US-Präsidenten mit seinen Sicherheitsberatern
In diesem Foto, das im Fotostream unserem Ausgangsbild folgt, ist Obama szenisch erneut Herr der Lage. Selbst wenn er nur von hinten zu sehen ist macht die Aufnahme klar, dass er den Vorsitz hat und alle anderen auf ihn bzw. seine Position bezogen sind. Er steht vor seinem nationalen Sicherheitsteam und der Außenministerin. Alle umgeben ihn, selbst wenn einige skeptische Blicke zu erkennen sind, und zollen ihm, zum großen Teil stehend, rituell Anerkennung. Anders als im Ausgangsbild sieht man hier einen Bildschirm an der Frontseite des Raumes, auf dem im Moment allerdings nichts Spektakuläres zu erkennen ist. Man könnte annehmen, es handele sich um den gleichen Raum wie im Ausgangsbild. Diese Szene findet jedoch in einem anderen Raum statt, den Recherchen zufolge im eigentlichen Situation Room, der sehr viel größer ist (46 m2) als der enge Conference Room, in dem das Ausgangsfoto aufgenommen wurde. Das vierte Bild des Fotostreams scheint mit Obamas Anspannung im Ausgangsbild zu korrespondieren:
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Abbildung 8: Vergleich der Handgesten von Barack Obama und Hillary Clinton in einer Haltung der Anspannung
Dennoch lässt es sich als Kontrast zu Obamas Darstellung im Ausgangsfoto und vor allem als Kontrast zu Hillary Clinton sehen. Obama sitzt – noch oder wieder, das kann nicht entschieden werden – im Chefsessel. Die massige Rückenlehne ermöglicht dem Bild, Stärke und Macht des Präsidenten zu inszenieren. Er ist zwar, wie auch Clinton, mit einer Hand-am-Mund Geste zu sehen. Im Unterschied zu ihrer Hand weist diese allerdings auf Beherrschung in einer gespannten Situation, evtl. auch auf konzentriertes Nachdenken. Sie erzeugt eher den Eindruck kontrollierter Emotionen, die, durch die Hand förmlich zurückgehalten oder gedrängt, unausgesprochen bleiben sollen, und entspricht in keiner Weise einer unmittelbaren, fast reflexartigen Reaktion wie etwa jener, die Clinton trotz ihrer »großen Hand« zugeschrieben wird. Das Ausgangsbild fordert auch im Kontext der anderen Bilder des Fotostreams zur Wahrnehmung einer grundlegenden Ambivalenz heraus: Offenbar geht es darum, die Integrität eines demokratisch legitimierten Repräsentanten einer Weltmacht zu sichern, indem diese staatsrechtlich nicht gedeckte Handlung letztlich durch die damit verbundenen Gesten des Skrupels und der Zurückhaltung zumindest moralisch dennoch als legitim erscheint.9 Bezüglich der faktischen Handlungsmacht des Souveräns stellen sich jedoch Zweifel ein. Das führt zur Frage, wieso dieses vom Cheffotografen des Weißen Hauses aufgenommene Foto zur Veröffentlichung auf Flickr freigegeben wurde: Um die Botschaft zu vermitteln, dass die Entscheidung zur Tötung Bin Ladens nicht leicht gefallen sei und damit die eigene Moralität aufrecht zu erhalten? Soll es Stärke und Zu-
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Diese These ist bereits mehrfach vertreten worden, unter anderem im Kommentar der Medienwissenschaftlerin Kathrin Fahlenbrach in der Sendung »Bilder, die Geschichte machen« am 04.03.2012 (siehe Fußnote 1).
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sammenhalt in Krisensituationen demonstrieren? Dieser Zusammenhalt erscheint allerdings »stumm« und auf die Rolle von in einem engen Raum versammelten Zuschauern eines nicht sichtbaren Geschehens, gar einer anonymen Macht, beschränkt. Das wiederum untergräbt die denkbare Inszenierungsabsicht von souverän in Einigkeit Handelnden. »Sieger« sehen anders aus. Soll das Foto also zeigen, dass hier Menschen mit »normalen« Gefühlen eine schwere Entscheidung getroffen und getragen hatten, und eben nicht macht- und gewaltgierige Politiker? Dieser Vermutung widerspricht allerdings die Haltung und Position des Militärs. Daher lässt sich fragen, ob die bildlichen Ambivalenzen bei der Freigabe der Fotografie übersehen, oder zugunsten der Darstellung der Mächtigsten als »Menschen wie du und ich« in Kauf genommen wurden, um deren Handeln zumindest auf dieser Ebene zu legitimieren? Oder diente das Foto gar dazu, der ehemaligen Rivalin Hillary Clinton zu schaden, indem sie als »schreckhafte Frau « gezeichnet und damit lächerlich machenden Kommentaren preisgegeben wurde? Die vielfältigen Fragen zum Ausgangsbild werden vor allem dann deutlich, wenn es als eine spezifische Form der Inszenierung von Macht betrachtet wird, mithin als Teil einer politischen Ikonographie. Letztere ist, von Aby Warburg inspiriert, von der Antike über die Neuzeit bis heute beobachtet und typologisch beschrieben worden (vgl. exemplarisch Bredekamp 2010: 171-230, Warnke 2006, 2011). Aus den Analysen lassen sich Hinweise dafür gewinnen, wieso die besagte Fotografie, im Unterschied zu den anderen aus den Situationen davor oder danach, eine solche Prominenz erfahren hat. Die spezifische Darstellung Obamas schließt möglicherweise, trotz seiner Besonderheit gegenüber seiner üblichen ikonischen Inszenierung, an die allgemeine Funktion von Herrscherbildern an, nämlich stellvertretend die Präsenz des Amtsträgers zu erzeugen. Das Bild und die Person werden austauschbar in dem Sinne, dass der Amtsträger zum Bild wird und umgekehrt, dass ein Bild den Amtsträger ersetzen kann. Dies zeigt sich etwa dann, wenn dem Bild der gleiche Respekt entgegengebracht, wie auch umgekehrt, die Herrschaft einer Amtsperson durch die Zerstörung ihrer Bildnisse beseitigt wird. Die Darstellung des Herrschers mit einem individualisierten Gesicht spielte im Verlauf der Geschichte eine zunehmend wichtige Rolle. Warnke zufolge wurde die Person des Herrschers seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr als »Amtsträger oder als Träger eines göttlichen Auftrages definiert«, vielmehr schien »der Betrachter […] aufgefordert zu sein, die Lektüre der amtlichen Satzungen um eine Lektüre der Gesichtszüge zu ergänzen.« (Warnke 2011: 481ff.) »In der Neuzeit wächst die Erwartung, durch Bildnisse der politischen Führer Einzelheiten über deren Charakter zu erfahren […]. In dieser Hinsicht befriedigten das
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Herrscherbild und die Bildnisse der Herrscherfamilie eine ganz elementare Neugierde und Anteilnahme. Sie sollten den zunehmenden Abstand zwischen dem abgeschirmten Hof und der Gesellschaft überbrücken.« (a.a.O: 484f.) Ein »persönlich gestimmter Austausch« zwischen Publikum und Herrscher wurde immer wichtiger. »Das Bild bietet dem Betrachter von sich aus Anreize, sich der dargestellten Person gefühlsmäßig zu nähern.« (Warnke 2006: 149) Damit das möglich wird, muss das Herrscherbild den Erwartungen der Betrachter entsprechen, denn es wird, so Warnke, erst »in den Herzen der Untertanen « (a.a.O.: 154) wahr und lebendig. Es ist die Zuneigung der Untertanen, die das Bild mitgestaltet (vgl. ebd.). »Insgesamt darf man wohl den Schluss ziehen, dass das vervielfältigbare Herrscherbildnis das Wohlwollen der jeweiligen Öffentlichkeit suchen und dieser konsensfähige Wertungsangebote machen muss. Andernfalls läuft es Gefahr, beschädigt oder in Eigenregie vervielfältigt zu werden. […] Das Bildnis bietet sich als mediales Forum an, auf dem die Legitimation der Autorität immer neu begründet und überprüft wird.« (a.a.O.: 162)
Die Tatsache, dass es sich bei diesem Bild um eine Fotografie handelt, verstärkt die Präsenz der Herrscher in ihrer Körperlichkeit. Als materielle Spur (DidiHuberman 1999, Geimer 2010) eines Augenblicks stellt sie eine spezifische Verbindung zu einer »realen« Situation her, deren fotografischer Abdruck in der Regel nicht bezweifelt wird, selbst wenn wir wissen, dass Fotografien in hohem Maße manipuliert werden können, und das auch immer häufiger geschieht. Dennoch zeigen Fotografien Details und Ansichten, die eine durchgestaltete und professionalisierte Darstellung auch unterlaufen können. Insbesondere Körperdarstellungen und Gesichter offenbaren eine Vielzahl von Facetten, die sprachlich schwer auszudrücken, geschweige denn zu kontrollieren sind. Ambiguitäten in Bezug auf widerstreitende oder aber tabuisierte und zugleich beherrschte affektive Zustände werden sichtbar, deren Wirkung sprachlich kaum noch zurückgeholt werden kann – wie etwa an der Geste Hillary Clintons deutlich geworden ist. Auf jeden Fall entwickelt diese Fotografie, trotz geschickter Inszenierung, ein Eigenleben, welches nicht gänzlich zu kontrollieren ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den visuellen Kommentaren, die kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Fotos im Netz kursierten.
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B ILDLICHE R ESONANZEN IN DER MEDIALEN Z IRKULATION Die Vieldeutigkeit dieses Fotos in diesem spezifischen historischen Kontext ist in vielen professionellen, semi-professionellen und alltäglichen Reaktionen nicht selten ironisch bis sarkastisch thematisiert worden. Das Bild wird als ein mit Leben ausgestattetes Objekt betrachtet, mit dem interagiert werden kann (Belting 2006, Bredekamp 2010, Mitchell 2005). Welcher Art sind nun die visuellen Bezugnahmen und welche Aspekte der Fotografie werden bildlich kommuniziert? Im Folgenden geht es mir nicht um einen systematischen oder gar umfassenden Einblick in die Vielzahl der kursierenden Bilder, welche als mashup oder als meme bezeichnet werden. Vielmehr sollen am Beispiel einiger ausgewählter Bilder potentielle Betrachtungsweisen der Ausgangsfotografie und deren Iteration gezeigt werden. Ein prägnantes Beispiel ist die Verwandlung der Szene und ihrer Figuren in die Ansicht eines Superman-Comics. Das, was im Ausgangsbild fehlt, die Geste von »siegenden Helden«, wird hier hinzugefügt. Barack Obama wird als Captain America dargestellt, der Vizekommandeur der US Spezialkräfte Brigadier General Marshall B. Webb als Superman, der Generalstabschef Michael Glenn Mullen als Spider-Man, der Nationale Sicherheitsberater Tom Donilon als Batman und Hillary Clinton als Wonder Woman. Abbildung 9: Die Helden
Quelle: http://cdn.theatlantic.com/static/mt/assets/politics/assets_c/2011/05/ Superhero sit room-50551.php [letzter Zugriff: 21.03.2014]
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Interessanterweise verkörpert – dem Bildaufbau entsprechend – Marshall Bradley Webb, der militärische Verantwortliche für »spezielle Operationen«, den Superhelden, und nicht Barack Obama. Es fällt auch auf, dass Hillary Clinton nicht als kämpfende Heldin erscheint und ikonographisch, vor allem durch die veränderte Frisur, eher an Tarzans Jane als an Wonder Woman erinnert; hier wird ihre Weiblichkeit betont. Diese Darstellung ist einerseits eine beißend-ironische Brechung der mit der Aktion verbundenen Machtphantasien, nämlich damit »das Böse« endlich gebannt zu haben. Die Inszenierung kann aber auch als ein affirmativer Kommentar zur Aktion gesehen werden, in der die Superman-Gemeinde ihre Helden auf der »guten Seite« gegen »das Böse« kämpfen sehen will; die Geschlechterordnung noch so richtig in Ordnung ist; und Barack Obama gänzlich unauffällig wird in der Runde der »Weißen«. Die Kontingenz der Betrachtungsmöglichkeiten ist selbst Teil der Inszenierung. In einem anderen mashup steigert sich die potentielle Ironie zu Sarkasmus. Abbildung 10: Boom!!! Headshot!!!
Quelle: http://ddunleavy.typepad.com/.a/6a00d8345264db69e2014e8858 fcf7970d-pi [letzter Zugriff: 24.03.2014]
Letzterer wird einerseits durch die überhöhte Pointierung des Gesichtsausdrucks von Verteidigungsminister Robert Gates, welcher zwischen Akklamation und Genugtuung changiert, artikuliert. Andererseits wird das nicht Sichtbare als Text, der wiederum an die Comic-Sprache angelehnt ist, ins Bild geholt. Die Artikulation einer Faszination angesichts einer imaginierten Gewaltszene wird dadurch möglich, dass das Geschehen – weil ja ein Comic – als nicht wirklich real dargestellt wird.
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Die bildliche Abwesenheit Bin Ladens, die zugleich thematischer Bildfokus ist, wird auch noch in anderer Weise vergegenwärtigt. Mit einem Aufmacher, in dem Bin-Laden in das Foto integriert wird10, berichtete die persische Zeitung Asriran über die Entscheidung des Weißen Hauses, kein Foto des getöteten Bin Laden zu veröffentlichen, und von den damit verbundenen Zweifeln, ob er überhaupt tot sei. Trotz der Tötung ist Bin Laden immer noch gegenwärtig. Schließlich gibt es Bilder, die auf die inhärente Spannung der Situation auf andere Weise bildlich antworten, etwa durch eine Fiktionalisierung als Film 11, oder durch die Inszenierung eines Spaß-Events, in das mehrere populäre Figuren aus der amerikanischen Kulturgeschichte hineincollagiert werden12. Ein solcher Umgang mit der weltpolitisch hoch brisanten Situation hat die Funktion – so die Reflexionen des Fotografen Dennis Dunleavy13 –, mit kulturell verfügbaren Mitteln, in diesem Fall populärkulturellen, den Schrecken der Situation, der im kollektiven amerikanischen Emotionshaushalt unzweifelhaft mit 9/11 verbunden ist, zu überwinden. In all diesen Beispielen ist eine »Wir-Konstruktion« (Schütz/ Luckmann 1979) zu erkennen, die möglicherweise dazu dient, sei es ironischdistanzierend, sei es affirmativ, dem Schrecken des Terrors, der Osama bin Laden zugeschriebenen wird und in 9/11 kulminierte, ein Ende zu setzen. Darauf könnte ein weiteres Bild verweisen, welches potentiell die Homogenisierung der Mächtigen in der Entschlossenheit eines Gesichtes zum Thema macht14. In diesem Bild wurde allen Figuren der Kopf von Barack Obama aufgesetzt und damit seine im Ausgangsbild zurückgenommene Machtposition überzogen wieder hergestellt. Das »Obamakollektiv« hat ein einziges männliches Gesicht, auch wenn es aus vielen verschiedenen Körpern besteht. Neben der (ambivalenten) Thematisierung der Handlungsmächtigkeit des (nationalen) Kollektivs in der hoch emotionalen historischen Situation, ist das Geschlechterverhältnis in der Machtzentrale ein weiterer Fokus der bildlichen Kommunikation (vgl. Liebhart 2006). Vor allem wird die (mangelnde) Präsenz
10 Vgl. http://www.asriran.com/fa/news/164659/ﺍﻭﺑﺎﻣﺎ-ﻋﻜﺲ-ﺟﺴﺪ-ﺑﻦ-ﻻﺩﻥ-ﻣﻨﺘﺸﺮ-ﻧﺨﻮﺍﻫﺪ-
[ ﺷﺪletzter Zugriff: 24.03.2014] 11 Vgl. http://images.sodahead.com/slideshows/000008667/5259140639_situation_ room_44985178647-44985241159_xlarge.jpeg [letzter Zugriff: 24.03.2014] 12 Vgl. http://blog.gaborit-d.com/wp-content/uploads/2011/05/06-10-parodies-fun-de-lasituation-room.jpg [letzter Zugriff: 24.03.2014] 13 Siehe http://ddunleavy.typepad.com/the_big_picture/2011/05/photoshop-and-thepublic-muse.html [letzter Zugriff: 24.03.2014] 14 Vgl. http://ddunleavy.typepad.com/.a/6a00d8345264db69e2015432385ece970c-800wi [letzter Zugriff: 24.03.2014]
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von Frauen im »Wir« der global mächtigsten Zentrale der Macht zum Thema, sei es durch Bilder, in denen die Frauen 15, sei es durch solche, in denen die Männer16 wegretuschiert wurden. Als Pendant und Gegenbild erscheint im Zuge eines performativen Bildhandelns wiederum dieses mashup, mit dem die Position Clintons in der Runde mächtiger Frauen gestärkt werden soll. Zugleich wirkt sie mit ihrer Geste allerdings auch hier eher verschreckt als mächtig – die Intention geht nicht ganz auf. Abbildung 11: Women Back in the Picture
Quelle: http://www.rationalskepticism.org/news-politics/is-a-mere-photoof-a-wo man-offensive-t22116-60.html [letzter Zugriff: 24.03.2014]
In den verschiedenen mashups und memes zeigt sich also, dass zum einen die Leerstelle des Bildes, auf die alle Blicke gerichtet sind, zum anderen die marginalisierte Machtpräsentation Obamas und die unausgewogene Geschlechterverteilung im Ausgangsbild in Umkehrung und Übersteigerung ironisiert, affirmativ kommentiert und in verschiedene Richtungen bildthematisch ausgestaltet werden.
15 Vgl. http://www.funny-city.com/img/el/668x0/000/003/3608_44917.jpg [letzter Zugriff: 24.03.2014] 16 Vgl. http://www.funny-city.com/img/el/668x0/000/003/3608_7305.jpg [letzter Zugriff: 24.03.2014]
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D ER D ISKUSSIONSBEITRAG IN DREI ZUSAMMENFASSENDEN
T HESEN
Was also zeigt das vom Weißen Haus als Photo of the Day auserkorene Bild und sein Ikonenstatus im Kontext politischer Ikonographie? (1) Auf der Ebene der Komposition zeigt seine Bildlichkeit eine Spannung zwischen zwei Blickführungen. Die eine geht von der perspektivischen Projektion aus und legt mit der »Draufsicht« eine distanzierte Beobachtung der Szene nahe. Die andere weist mit den Feldlinien in die entgegengesetzte Richtung und involviert auch die BetrachterInnen des Fotos in seinen impliziten emotionalen Gehalt, indem ihre Blicke der Blickrichtung nahezu aller im Bild Beteiligten folgen. Die szenische Choreographie ist hingegen »mittig« um den Tisch herum angelegt und hält dadurch gleichzeitig den Blick »in der Mitte«. Diese komplexe Komposition bindet und lenkt auf rein formaler Ebene die Aufmerksamkeit in verschiedene Richtungen und eröffnet unterschiedliche Sehweisen. (2) Mit der bildlichen Spannung sind thematische Spannungen verbunden. Die Feldlinien weisen in Verbindung mit dem Kontextwissen über den Rahmen des Bildes hinaus auf einen staatsrechtlich illegalen Tötungsakt, dessen politische und vor allem moralische Legitimität dennoch beansprucht wird. Die Perspektivlinien weisen demgegenüber symbolisch auf einen (politisch) geschlossenen Raum, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Insgesamt zeigt die Inszenierung der Mächtigen, gegenüber der üblichen Demonstration von Stärke, Brüche, vor allem in der Geste von Hillary Clinton, aber auch in der marginalisierten Bildposition Barack Obamas. Die herausgehobene Stellung von General Marshall B. Webb lässt die Frage aufkommen, wer hier die Handelnden und wer die Zuschauer sind. Durch diese Ambivalenz wird die ikonische Inszenierung von Macht unwägbar; das Bild entwickelt eine Dynamik, die seitens der Dargestellten und der Bildproduzenten nicht mehr gänzlich zu kontrollieren ist. (3) Mit dem medialen Fokus, v.a. auf die Geste Hillary Clintons, wird die politische Brisanz des Fotos (wer ist hier Handelnde/r, wer Zuschauer?) verdeckt. Das Gendering des Blickfokus, der auf der Perspektivlinie liegt, hat hier auch die Funktion, sich von dem Schrecken der Situation, der sich außerhalb des Bildes abspielt, zu distanzieren, ihn gar zu trivialisieren und zu bagatellisieren. Dies setzt sich auch in der Vielfalt der sprachlichen wie bildlichen Kommentare fort. Die Inszenierung der Macht wird sowohl ironisch und sarkastisch, als auch affirmativ gegenüber der Aktion bildlich kommentiert, ergänzt und neu gestaltet. Die Reaktionen auf die Fotografie bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Dekonstruktion und Bewunde-
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rung der »Helden«. Dies kann auch als Versuch verstanden werden, auf das Trauma von 9/11, welches durch die Tötung Bin Ladens reaktiviert wurde, in einer Weise populärkulturell zu reagieren, die eine Distanzierung davon ermöglicht. Die insgesamt auch als Deutungskonkurrenz der Situation zu sehenden Bilddiskurse, welche zwischen Clintons Handgeste und Obamas Position als Handelnder oder Zuschauer changieren, werfen zugleich die Frage auf, ob hier womöglich nicht auch das bekanntermaßen politisch angespannte Verhältnis zwischen Barack Obama und Hillary Clinton zum Thema wird. Es wirft die Frage auf, ob das Foto im Kontext der öffentlichen Wahrnehmung gar etwas vom Machtkampf zwischen Obama und Clinton zeigt, ein Machtkampf, der sich im ersten Präsidentschaftswahlkampf als einer zwischen Angehörigen zweier gesellschaftlicher Kategorien, beide mit beschränktem Zugang zu den höchsten Ämtern, dargestellt hat.
L ITERATUR Belting, Hans (2006): »Der Blick im Bild. Zu einer Ikonologie des Bildes«, in: Bernd Hüppauf/ Christoph Wulf (Hg.), Bild und Einbildungskraft, München: Fink, S. 121-144. Boehm, Gottfried (2007): Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: University Press. Breckner, Roswitha (2010): Sozialtheorie des Bildes. Zur interpretativen Analyse von Bildern und Fotografien, Bielefeld: transcript. Breckner, Roswitha (2012): »Bildwahrnehmung - Bildinterpretation. Segmentanalyse als methodischer Zugang zur Erschließung bildlichen Sinns«, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie (ÖZS) 2/12, S. 143-164. Breckner, Roswitha (2014): »Offenheit – Kontingenz – Grenze? Interpretation einer Porträtfotografie«, in: Michael R. Müller/Jürgen Raab/Hans-Georg Soeffner (Hg.), Grenzen der Bildinterpretation, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 123154. Bredekamp, Horst (2010): Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Didi-Huberman, Georges (1999): Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln: DuMont. Geimer, Peter (2010): Theorien der Fotografie zur Einführung, Hamburg: Junius. Goffman, Ervin (1969): Wir alle spielen Theater, München: Piper.
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Imdahl, Max (1988): Giotto – Arenafresken. Ikonographie – Ikonologie – Ikonik, München: Fink Verlag. Imdahl, Max (1994): »Ikonik. Bilder und ihre Anschauung«, in: Gottfried Boehm (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Fink, S. 300-324. Langer, Susanne K (1979): Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt am Main: Fischer. Liebhart, Karin (2006): »Politische Köpfe. Anmerkungen zur Visualisierung personifizierter Politik«, in: Elke Doppler/Michaela Lindinger/Frauke Kreutler (Hg.), Schau mich an. Wiener Porträts. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Vienna: Christian Brandstätter Verlag Wien S. 75-87. Mitchell, William J.T. (2005): What Do Pictures Want? The Lives and Loves of Images, Chicago: University of Chicago Press. Przyborski, Aglaja/Haller, Günther (2014): Das politische Bild. Situation Room: Ein Foto – vier Analysen, Opladen: Barbara Budrich. Raab, Jürgen (2012): »Visuelle Wissenssoziologie der Fotografie. Sozialwissenschaftliche Analysearbeit zwischen Einzelbild, Bildkontexten und Sozialmilieu«, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 37, S. 121–142. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (1979): Strukturen der Lebenswelt, Band 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten, München: Hanser. Warnke, Martin (2006): »Der Anteil der Öffentlichkeit am neuzeitlichen Herrscherbild«, in: Christa Maar/Hubert Burda (Hg.), Iconic worlds. Neue Bilderwelten und Wissensräume, Köln: DuMont, S. 147-164. Warnke, Martin (2011): »Herrscherbildnis«, in: Uwe Fleckner/ Martin Warnke/ Hendrik Ziegler (Hg.), Handbuch der politischen Ikonographie: Band 1, Abdankung bis Huldigung, München: Beck, S. 481-490. Wiebogen, Lorenz (2014): Text und Bild in Internetmems, MA Arbeit Universität Wien: Bibliothek.
»E pluribus unum« Eine wissenssoziologische Konstellationsanalyse visuellen Handelns* J ÜRGEN R AAB
V ORBEMERKUNG Am 20. September 2001 erklärte George W. Bush in einer gemeinsamen Sitzung der beiden Kammern des US-Kongresses: »Our war on terror begins with AlQaeda, but it does not end there. It will not end until every terrorist group of global reach has been found, stopped and defeated« (United States Department of State 2002: 135). Fast zehn Jahre später, am 1. Mai 2011, gelang der ObamaRegierung mit der Hinrichtung von Osama bin Laden ein entscheidender Schlag im proklamierten »war on terror«. Als zentrales Element in den medialen Erfolgsmeldungen über die Tötung des Hauptverantwortlichen für die Anschläge vom 11. September 2001 sollte sich schon bald die mit den offiziellen verbalen, textförmigen und audiovisuellen Verlautbarungen zeitgleich erfolgte Veröffentlichung einer Fotografie erweisen. Ihre Einspeisung ins Internet und die dadurch mögliche Verbreitung verhalf der Fotografie zu einer beachtlichen internationalen Wahrnehmung. Nicht nur zahlreiche Nachrichtenberichterstatter reproduzierten und kommentierten das Bild im Rahmen ihrer tagesaktuellen Meldungen und
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Für wichtige Hinweise und hilfreiche Diskussionen danke ich Martina Egli, Stefan Joller und Marija Stanisavljevic. Der Beitrag ist eine um methodologische und methodische Überlegungen erweiterte Fassung des Aufsatzes »Bildpolitik. Zur Präsentation und Repräsentation politischer Weltbilder in symbolischen Formen und rituellen Ordnungen«, in: Hitzler, Ronald (Hg.) (im Erscheinen), Hermeneutik als Lebenspraxis. Bern/Weinheim: Beltz Juventa.
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in ihren Jahresrückblicken. Die Fotografie regte auch eine breite, vielgestaltige und anhaltende Resonanzkommunikation im interaktiven Medium des Internets an, bildete darüber hinaus den Gegenstand von sozial- und kunstwissenschaftlichen Interpretationen, und reüssierte nicht zuletzt zum Objekt künstlerischer Auseinandersetzung, beispielsweise in der Installation »May 1, 2011« des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar (vgl. Janser/Seelig 2011: 44f.). Für manchen Interpreten erlangte sie bereits den Status einer modernen Ikone (vgl. Diers 2011 und in diesem Band). Schon heute gilt für ausgemacht, dass sie in die Geschichtsschreibung eingehen und sich ins kollektive visuelle Gedächtnis des westlichen Kulturraumes, wie auch seiner ideologischen und politischen Kontrahenten, einprägen wird. Abbildung 1: President Barack Obama and Vice President Joe Biden, along with members of the national security team, receive an update on the mission against Osama bin Laden in the Situation Room of the White House, May 1, 2011
Quelle: www.flickr.com/photos/whitehouse/5680724572/ [letzter Zugriff: 24.03.2014].
Die hier anstehende Feinanalyse eines politisch motivierten visuellen Handelns geschieht aus einer hermeneutisch-wissenssoziologischen, genauer, aus einer symboltheoretischen und ritualsoziologischen Perspektive. Die »kleinteilige Auslegung eines Beispiels symbolischer Formung und rituellen Handelns« (Soeffner 2010: 10) umfasst im Sinne Max Webers ein deutendes Verstehen und ursächliches Erklären des sich im Datum dokumentierenden sozialen Sinns visuellen Handelns (vgl. Weber 1985: 1). Entsprechend des Vorhabens wird im Fol-
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genden zunächst das für die Einzelbildauslegung vorgeschlagene methodische Verfahren der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse in aller gebotenen Kürze vorgestellt und begründet. Darauf aufbauend werden am Beispiel des Fotos aus dem Situation Room die konkrete Bauform der visuellen Konstruktion rekonstruiert und die wissensvermittelnde Bildkommunikation untersucht. Methodologisch entscheidend ist dabei, dass die aus der im allerersten Schritt rein formalen Analyse gewonnenen Strukturhypothese sofort und unmittelbar auf die Bildinhalte und damit auf die historisch-politische Situation sowie auf die möglichen Handlungsmotive derjenigen bezogen wird, welche die Fotografie als symbolische Gestalt in Akten visuellen Handelns konstruierten und sie in ritualisierten Handlungszusammenhängen und Kommunikationskontexten einsetzten. Darüber hinaus steht der Versuch an, zu verallgemeinernden Aussagen über die Kulturbedeutung moderner politischer Ikonographie zu kommen – konkret zur, über die Bedeutungszusammenhänge zwischen dem fotografischen Einzelbild und der die unmittelbare Anschauung des gegebenen Bildes transzendierenden und daher nur appräsentativ erfahrbaren politischen Idee.
ANLIEGEN UND G RUNDZÜGE DER WISSENSSOZIOLOGISCHEN K ONSTELLATIONSANALYSE Fotografien unterscheiden sich von anderen visuell-technischen Kommunikationsmedien – und darin gründet in phänomenologischer Perspektive ihr eidos – durch die hochgradige, technisch maximal mögliche, visuelle Verdichtung, Konzentration und Erstarrung von Raum und Zeit (vgl. Oevermann 2009, Soeffner 2012). Wie jedes Einzelbild sind Fotografien daher epistemisch gesonderte Ausdruckgestalten und Symbolbereiche sui generis, weshalb auch häufig vom Eigenwert und Eigensinn der Bilder die Rede ist.1 Dieses phänomenologisch be-
1
Weil es in Einzelbildern keine vorausgehenden Handlungsakte und keine zu erwartenden Nachfolgehandlungen gibt, in ihnen sich also kein zeitlich sich entfaltender Handlungsprozess und mithin keine zeitlich sich aufbauende Sinnkonstitution dokumentiert, sondern ›nur‹ eine bereits abgeschlossene Handlung, in der die Anlässe, Ziele und Resultate des Handelns in zeitlich höchster Verdichtung typisiert und fixiert sind, kann die hermeneutische Wissenssoziologie das von ihr favorisierte methodische Verfahren der Sequenzanalyse für die Auslegung konkreter Ausdrucksgestalten allenfalls bedingt einsetzten (zur begrifflichen Unterscheidung von Handeln und Handlung siehe Luckmann 1992 sowie Schütz 2010). Konsequenterweise rückt die
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gründete Bildverständnis, wie es in Anschluss an Edmund Husserl unter anderem Jean-Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty oder Vilém Flusser vertreten, kleidet der Philosoph und Kunsthistoriker Gottfried Boehm in den Begriff der »ikonischen Differenz«, den er in seiner vielzitierten Definition wie folgt umschreibt: »Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem, was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler auf irgendeine Weise optimiert.« (Boehm 1994: 29f.)
Die von Boehm genannte ›Überschaubarkeit‹ ist für die Bestimmung der Sinn und Bedeutung tragenden Fläche eines Bildträgers fundamental. Sie generiert und markiert – in der Fotografie als technisch vorgegebene Rahmung – jenen rational bemessenen Ausschnitt, für den Elemente und Details ausgewählt und so miteinander und aufeinander hin verklammert werden können, dass sich Sinn und Bedeutung generierende Bezugsmöglichkeiten und Zusammenhänge zwischen ihnen eröffnen. Nur durch die Aufbringung eines solchen, vermittels Rahmung gegebenen Grundkontrastes, der die »ikonische Differenz« setzt, kann sich innerhalb der Sinngrenze ein »Binnenereignis« in seiner Bestimmtheit entwickeln, entfalten und erweisen. Entsprechend formuliert Niklas Luhmann: »Die anfängliche Unterscheidung setzt das, was sie unterscheidet und bezeichnet, gegen den unmarked space der Welt. >...@ Nur innerhalb dieser Primärform kann das Bild entstehen« (1995: 58f.). Erst die Rahmung macht es also möglich, dass ein Sehereignis, wie Boehm notiert, »auf irgendeine Weise optimiert« werden kann. Mit Hilfe der Rahmung kommen Bildproduzenten in die Lage, die simultan in der Rahmenvorgabe zu versammelnden Elemente und sinntragenden Details gemäß ihrer Handlungsmotive und Seherwartungen zu spezifischen Sinnund Bedeutungszusammenhängen bildenden Gliederungen und Formen, Gruppierungen und Gestalten, mithin zu kohärenten und prägnanten Konstellationen zu arrangieren, also Einordnungen und Anordnungen, Überordnungen und Unterordnungen zu organisieren (vgl. Waldenfels 1998).2
wissenssoziologische Konstellationsanalyse die zeitgleich gegebenen, räumlichen Aspekte der Sinnkonstitution visuellen Handelns in den Vordergrund. 2
Erving Goffmans »Rahmen-Analyse« (1977) bildet in diesem Sinne dann auch den erkenntnistheoretischen und methodologischen Hauptbezugspunkt der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse (vgl. Raab 2012).
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Die wissenssoziologische Konstellationsanalyse stellt sich entsprechend die Aufgabe, die Kohärenz- und Prägnanzbildungen in Einzelbildern methodisch kontrolliert zu rekonstruieren, um über die Bauform des konkreten Handlungsproduktes zu Aussagen über den sozialen Sinn eines visuellen Handelns und das mit ihm vermittelte Bildwissen zu gelangen. Analytisch arbeitet sie hierfür innerhalb und zwischen drei Analyserahmen: (a) der Rekonstruktion und Erforschung der inneren Organisationsstruktur von Einzelbildern, (b) der Untersuchung der ›Rahmung‹ der Einzelbilder in kommunikativen Kontexten und (c) der Beschreibung der kulturellen Umwelt und der sozialen Situation derjenigen, die diese Bilder herstellen und verwenden, vermitteln und rezipieren. Dabei gilt ganz grundsätzlich, dass die drei nun kurz vorzustellenden Analyserahmen nicht formalistisch im Sinne einer Interpretationsmechanik missverstanden werden dürfen, denn sie legen den Interpretinnen und Interpreten keinerlei zwingend abzuarbeitende Schrittfolgen auf. Ganz im Sinne der Grounded Theory wollen sie vielmehr, indem sie verschiedene, sich wechselseitig erhellende Zugänge und Perspektiven eröffnen und offen halten, zur Entwicklung von im Analyseprozess sich zusehends plausibilisierenden, absichernden und erhärtenden Aussagen über den Fall kommen. Rekonstruktion der Sichtbarkeitsordnung des Einzelbildes Als formale, ein jedes technische Bild fundamental bedingende und daher erste Sinngrenze bildet der Rahmen eines jeden Bildes zugleich die erste ›natürliche‹ Grenze der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse. Dabei verharrt die Interpretation selbstverständlich nicht auf dem materiellen Rahmen ›an sich‹, sondern konzentriert sich auf die Verhältnisse und Spannungen zwischen den für die Bestimmung einer Bildfläche elementaren ›Randbedingungen‹ einerseits und den in Wechselwirkung mit ihnen stehenden Sinn und Bedeutung konstituierenden visuellen Ordnungen auf der Bildfläche andererseits. Mit dem Rahmen nimmt die wissenssoziologische Konstellationsanalyse das zum grundlegenden Bezugspunkt ihrer Bildinterpretationen, was als einzig objektive Struktur tatsächlich vorausgesetzt werden kann. Denn er ist jeglicher alltäglichen Produktion, Rezeption und Interpretation technischer Bilder a priori vorgelagert. In einem durch einen Rahmen definierten Bildraum kann ein Zentrum geschaffen und um diesen Bedeutungskern ein Randgebiet mehr oder weniger bedeutsamer Bildelemente anlegt werden. Mit kreisförmigen und quadratischen Rahmen teilt das heute allgemein gebräuchliche Rahmenrechteck die Möglichkeit, ein solches Zentrum im geometrischen Mittelpunkt zu platzieren. Doch es erlaubt darüber hinaus die hoch variable, gleichzeitige Anlage mehrerer sinntragender und be-
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deutungsgenerierender Zentren. Aus diesem Grund unterscheidet Rudolf Arnheim mit »Zentrizität« und »Exzentrizität« denn auch zwei stets gemeinsam, aber in unterschiedlichen Kombinationen auftretende und für die Dynamik innerhalb einer Bildkomposition eigentlich verantwortliche Ordnungssysteme. Unter »Zentrizität« fasst er die relativ einfachen, aber bereits dynamischen Beziehungen zwischen einem Kompositionszentrum und seiner Peripherie, wobei das Zentrum »einfach ein Punkt sein, [...] aber auch jede andere Form annehmen oder sogar aus einer Reihe von Formen bestehen« kann (1996: 27). Das mit »Exzentrizität« bezeichnete visuelle Ordnungssystem erfasst dann die sehr viel komplexeren Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zentren, zusammen mit den vielfältigen anziehenden und abstoßenden Spannungen zu ihren jeweiligen Peripherien und zu anderen Zentrum-Peripherie-Konstellationen im Bild. Ein wichtiges methodisches Hilfsmittel zur Entwicklung von Lesarten über eine Sichtbarkeitsordnung und für das zu deren Kontrolle und Korrektur notwendige Hervorkehren von Widersprüchen, ist die von Max Imdahl vorgeschlagene Rekonstruktion der planimetrischen und perspektivischen Bildordnung. Ihr Ergebnis, ein als Hypothese formuliertes »Feldliniensystem«, beschreibt die kompositorischen Hauptlinien eines Bildaufbaus, erfasst konvergierende und divergierende Blickführungen, und hebt über die Analyse dieser Sachverhalte und Prozesse die in der sinnlichen Wahrnehmung von Einzelbildern prinzipiell angelegte Doppelaspektivität von zeitlicher Simultaneität und Sukzession auf (vgl. Imdahl 1996: 447ff.). Dergestalt werde jene ›zentrischen‹ Bedeutungskerne und Bedeutungsränder eines bildlich verfassten Wirklichkeitsausschnitts zunächst formal, also zuallererst in gezielter Einklammerung der figürlich-gegenständlichen Inhalte einer Darstellung und damit in größtmöglicher Distanz zum Alltagssehen, intersubjektiv nachvollziehbar bestimmt, um von ihnen ausgehend und auf sie hin im zirkulären Verfahren die inneren, genuin ikonischen Strukturzusammenhänge eines Einzelbildes zu analysieren. Roswitha Breckner erschließt dabei die Bedeutungskerne, die sie »Segmente« nennt, in der von ihr vorgeschlagene Segmentanalyse, primär inhaltlich, um sie anschließend in Reflexion auf ihren subjektiven Wahrnehmungsprozesses auf mögliche Sinnbezüge interpretativ zu befragen (vgl. Breckner 2010, 2014 sowie in diesem Band). Auch die wissenssoziologische Konstellationsanalyse bewegt sich zwischen Form und Inhalt (vgl. Mannheim 1964: 110ff.). Im Unterschied zu der von Roswitha Breckner vorgeschlagenen Segmentanalyse setzt sie aber die objektive Form primär. Von der Form ausgehend, werden die subjektiven Bedeutungen ausgeformt und ins Bild gesetzt. Dabei fragt die wissenssoziologische Konstellationsanalyse, welche näher zu bestimmenden Inhalte wo und wie in die Primärform des Rechteckrahmens eingelassen sind, und welche – zunächst wieder for-
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mal, dann aber sofort inhaltlich – von ihnen ableitbaren ›exzentrischen‹ Beziehungsverhältnisse in Gestalt von Formkorrelationen, Richtungstendenzen und Motivverdichtungen beschrieben werden können.3 Noch vor der Berücksichtigung von Kontexten jenseits der Grenzen des Einzelbildes vermag die Analyse so auf Sinnstrukturen aufmerksam zu werden, die ansonsten möglicherweise nicht oder nur einseitig interpretiert werden. Dadurch gelangt die wissenssoziologische Konstellationsanalyse zu einer ersten, noch vagen Strukturhypothese als einer Schritt für Schritt entwickelten sozialwissenschaftlichen »Konstruktion zweiter Ordnung«, die über das in der Komposition eines Einzelbildes als alltagsweltlicher »Konstruktion erster Ordnung« dokumentierte visuelle Handeln hinaus reicht (Schütz 2010). Da Einzelbilder jedoch keine kontextlosen Gebilde sind, müssen sie, neben der Rekonstruktion der Sichtbarkeitsordnung im Bild, stets auch, wie im Folgenden aufgezeigt wird, in Abhängigkeit zu ihren unmittelbaren und mittelbaren Bildkontexten sowie in Verbindung mit den Kontexten ihrer sozialen Handlungs- und Verwendungspraktiken interpretiert werden. Unmittelbare und mittelbare Bildkontexte Bewegt sich die rekonstruktive Analyse der Sichtbarkeitsordnung noch streng innerhalb des durch die Rahmenränder begrenzten Bildausschnittes, überschreitet sie diese mit dem nächsten Analyserahmen in zwei Richtungen. Auf der ers-
3
Mit dem Primat der Form löst die wissenssoziologische Konstellationsanalyse die methodischen Grundprinzipien der hermeneutischen Sozial- und Medienforschung ein. Sie erzeugt größtmögliche Distanz zum Alltagssehen und Alltagsverstehen von Bildern, das sich primär auf die Inhalte einer Darstellung richtet (Stichwort: Kontextfreiheit, vgl. Wernet 2006). Damit stellt sie Offenheit her, für alternative Einsichten in das vermeintlich schon Verstandene oder gar für gewiss und selbstverständlich Genommene. Sie hält damit zugleich den Zweifel gegenüber allen – vor allem auch den eigenen – Deutungsangeboten und Erklärungen wach (vgl. Soeffner 2004). Auch Max Imdahls hermeneutischer Ansatz der Ikonik verfolgt das Primat der Form: Während sich das »wiedererkennende Sehen« auf den inhaltlichen Bildsinn bezieht und veranschaulicht, was gemeint und gezeigt ist, richtet sich das »sehende Sehen« auf den formalen Bildsinn (vgl. Imdahl 1985): auf die Art und Weise wie etwas dargestellt ist und mithin auf die Ordnung des Sichtbaren (vgl. Waldenfels 1998). Der dabei gebotene, sofortige Aufeinanderbezug von Form und Inhalt, reduziert plausibel die Vielzahl an möglichen, sich in den Hilfslinienkonstruktionen ausdrückenden Lesarten (Stichworte: Extensivität und Sparsamkeit, vgl. Wernet 2006).
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ten Teilebene umfasst der Bildkontext jenes kommunikative Arrangement, das ein Einzelbild unmittelbar mit Deutungshinweisen oder gar Direktiven versieht. In diesem Sinne können Bildtitel, Bildunterschriften und allgemein die ein Bild direkt umlagernden Texte, Tabellen, Graphiken usw., genauso wie weitere, gegebenenfalls zur Veranschaulichung von Abläufen, Wandlungen und Variationen oder schlichtweg zu Vergleichsordnungen arrangierte Bilder oder Bildfolgen untersucht werden. Seine Grenze erreicht der unmittelbare Bildkontext spätestens dort, wo ein Einzelbild mit anderen kommunikativen Elementen zu einer wiederum geschlossenen Sinneinheit verklammert und auf eine eingegrenzte Bedeutung hin organisiert wird. Dies ist beispielsweise der Fall bei Plakaten, Flyern oder Artikeln, bei Zeitungen, Illustrierten und Büchern, Ausstellungen, Katalogen und Alben, Internetseiten, Archiven, Portalen usw.4 Die zweite Teilebene des Bildkontextes schließt jene individuellen und gesellschaftlichen Wissensbestände ein, die eine Interpretation jenseits der Grenzen des Bildrahmens und des unmittelbaren Kontexts an das gegebene Einzelbild heranträgt. Zu diesem mittelbaren Kontext gehören subjektive Bilderfahrungen und Sehgewohnheiten mit den durch sie angeregten Appräsentationen und Assoziationen ebenso, wie das Bezüge, Vergleiche und Kontraste zu anderen Bilddarstellungen eröffnende, über unterschiedliche Bildungsprozesse angeeignete, kulturelle Wissen um Stile und Sujets, Symbole und Gattungen, Bildprogramme und Bildtraditionen (vgl. Müller 2012). Auf dieser Teilebene bedient sich die Interpretation jenem Zusammenspiels aus »wiedererkennendem Sehen« (Imdahl 1996) und Kontextwissen, auf das sich Erwin Panofskys ikonographischikonologische Analyse stützt (vgl. Panofsky 1979). Im Falle der Fotografie gehören zu den mittelbaren Bildkontexten zudem die Selbstaussagen von Fotografinnen oder Fotografen und Informationen über ihre Biographie, ihre Themen, ihr Werk und seine Rezeption, sowie Kenntnisse über den Entstehungskontext eines Bildes und über dessen Karriere an verschiedenen Publikationsorten, sowie nicht zuletzt die gegebenenfalls von einer Interpretationsgruppe selbst zu ihrem Fall erhobenen empirischen Daten.
4
Hier ist es möglich, mit der Sequenzanalyse von Texten im engeren Sinn zu arbeiten, und diese durch komparativ-kontrastive Analysen von Bild und Text, Bild und Bildern zu ergänzen und zu erweitern (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, Soeffner 2012, Müller/Raab 2014).
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Sozialmilieu und Handlungshorizont Die Frage nach der Interpretation des Wie eines Bildhandelns ist zugleich immer eingebunden in die Frage nach seinem Warum. Warum wurde genau diese Darstellungsoption als Antwort auf ein kommunikatives Problem gewählt und keine andere, auch noch mögliche? Die auf dem bisherigen Wege der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse entwickelte, korrigierte und ergänzte Strukturhypothese erfährt durch ihre Anlegung, Überprüfung und Korrektur in diesem Analyserahmen eine nochmalige Erweiterung um die Frage der gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit eines spezifischen visuellen Handelns. In diesem Kontext formen sich die Beziehungen des einzelnen zu seiner Umgebung und zu seiner sozialen Mitwelt (vgl. Goffman 1977: 22f.). Aus ihm begründet sich die »Standortgebundenheit« (Mannheim 1995) und die »relativ natürliche Weltanschauung« (Scheler 2006) eines Individuums innerhalb seines sozialen Milieus, nicht weniger als die seiner Milieuwelt umgreifende, soziokulturelle Ordnung. Aus der Kultur-, Gesellschafts- und Gruppenzugehörigkeit heraus – und wiederum auf diese hin – werden jene kommunikativen Darstellungsformen, Arrangements und Inszenierungen entworfen, ausgestaltet und vorgeführt, die, im Ringen um soziale Akzeptanz, die Kommunikationserwartungen des Zielpublikums zu bedienen versuchen. Damit wirkt ein solcher Handlungskontext zugleich als Auslöser, Gegenstand, Ziel und Resultat menschlicher Erfahrungen, Äußerungen und Handlungen, und in ihm überkreuzen sich die Ästhetik und die Pragmatik visuellen Handelns. Innerhalb seiner Grenzen bilden soziale Milieus ihre eigenen medialen Typisierungen aus und entwickeln Sehordnungen mit spezifischen Sehgewohnheiten und Seherwartungen, die sie dann wiederum medial für die eigene Sehgemeinschaft reproduzieren (vgl. Raab 2008). Doch der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse kann es nicht darum getan sein, allein die Reproduktionsmechanismen und die Schließungsprozesse, und über den Habitus, die Trägheit und reine Faktizität einer Milieuwelt zu beschreiben (vgl. Mannheim 1964, Bourdieu 1970, Bohnsack 2009). Vielmehr müssen sich ihre Untersuchungen auch und gerade auf die Experimentierfelder visuellen Handelns und auf die in ihnen möglichen Grenzgänge und Grenzüberschreitungen richten. Und damit auf jene Handlungshorizonte von Sozialmilieus, an denen sich die Dynamiken und Potentiale für Neuorientierungen und Strukturumbildungen des Handelns ebenso auftun, wie für die Öffnungen, Anpassungen und Wandlungen von sozialen Milieus selbst sowie von soziokulturellen Ordnungen insgesamt.
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F ORMALE R EKONSTRUKTION DES VISUELLEN B INNENEREIGNISSES IM F OTO AUS DEM S ITUATION R OOM Zur Rekonstruktion der Sichtbarkeitsordnung des Einzelfotos, bildet das Entree der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse in der Regel der sinnlogisch einfachste, aufgrund seiner rein formalen Orientierung am Rahmen zunächst vielleicht simpel, krude und mechanisch anmutende Einzug der Mittelachsen. Während die geometrisch vollkommen gleichmäßige, auf exakter mathematischer Berechnung beruhende Zentrizität sicherlich einen Grenzfall darstellt, ist ihre Umsetzung im Foto aus dem Situation Room, das im Folgenden im Zentrum der Analyse steht, dagegen umso auffälliger (Abb. 2, links oben; vgl. hierzu Raab 2012 sowie Müller/Raab 2014). Abbildung 2: Schrittweise Rekonstruktion des Feldliniensystems
Ziehen wir für den vorliegenden Fall sogleich den Inhalt hinzu, so zeigt sich, dass das Bildzentrum punktgenau an jener Grenzstelle liegt, an der sich die Auszeichnungen für militärische Kompetenz und Leistung mit dem Sitz des Herzens der hier befindlichen Person, des Brigadegenerals Marshall Bradley Webb, berühren bzw. voneinander scheiden. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass das durch das ›Fadenkreuz‹ markierte Zentrum das visuelle Handeln in sehr grundlegender Hinsicht regelorientiert aufzeigt. Für Arnheim (1996) kann ein Bild, das eine solche, noch rudimentäre Zentrizität aufweist, immer schon bereits auf
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Exzentrizität hin angelegt sein, d.h. auf dynamische Wechselwirkungen zwischen Zentren, die sich dann zu »Massen« oder »Knoten« innerhalb eines durch »Vektoren« aufeinander bezogenen, komplexen Kompositionssystems ausbilden. Für die Erschließung dieser dynamischen Wechselbeziehungen, welche die Blickführungen einer Bildanschauung anleiten und mögliche Bedeutungszuschreibungen generieren können, und die daher zunächst als hypothetische Lesarten gelten, gilt es, die perspektivischen (Abb. 2, rechts oben) und planimetrischen Elemente (Abb. 2, links unten) der Bildordnung und mithin jene kompositorischen Hauptlinien des Bildaufbaus zu rekonstruieren, die Imdahl (1996) in ihrer Zusammenschau als »Feldliniensystem« bezeichnet. Die für eine ökonomische Vorgehensweise und für die Gewährleistung von Nachvollziehbarkeit gleichermaßen wichtige Auflage, Hilfskonstruktionen möglichst sparsam einzusetzen, löst die wissenssoziologische Konstellationsanalyse ein, indem sie nur jene Hilfslinien als gültig ansieht, die in Kombination des Feldliniensystems mit den Bildinhalten, auf die sie sich beziehen, sinnhaft erscheinen und einzig aus diesem Grund für die Interpretation relevant sind. Werden alle für die Fotografie aus dem Situation Room konstruierten Hilfslinien aufeinander projiziert (Abb. 2, rechts unten), geben sich aus ihren Überkreuzungen rein formal vier Aufmerksamkeits- und Bedeutungskerne zu erkennen. Sie können nun – das inhaltliche Kontextwissens über den Fall mit einbeziehend – auf ihre Entsprechungen und Gegensätze mit deren jeweiligen Wechselwirkungen und Spannungsverhältnissen hin interpretativ befragt werden. Beispielsweise können sie, was hier allein aus Platzgründen nur in Andeutung und nicht in Auslegung geleistet werden kann, hinsichtlich der zwischen den vier dominanten Zentren und aus ihren vielfältig denkbaren Kombinationen ableitbaren Analogien und Kontrasten in Kleidung, Ethnie und Geschlecht, zentraler oder randständiger Positionierung im Bild, oder bezüglich der hierarchischen Stellung der Personen im Nationalen Sicherheitsrat der USA und ihrer öffentlichen Bekanntheit interpretiert werden. Darüber hinaus können sie in Bezug auf den über Gestik, Mimik und Körperhaltung vorgeführten Grad an geteilter Anteilnahme und emotionaler Ergriffenheit hin analysiert werden. Zieht man die journalistische Berichterstattung vergleichend hinzu, fällt auf, dass den über die rein formale Analyse des Bildraumes und seiner Komposition als herausgehoben identifizierten Personen – Barack Obama, Hillary Clinton, Brigadegeneral Marshall Bradley Webb und im Hintergrund die, trotz ihrer Funktion als »Director for Counterterrorism« bis dato weitgehend unbekannte, Audrey Tomason – eine sehr viel größere Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion der Fotografie aus dem Situation Room zuteilwurde, als allen anderen im Bild dargestellten Gruppenmitgliedern, nicht zuletzt auch hinsichtlich mögli-
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cher Deutungen ihrer jeweiligen Entsprechungen und Ergänzungen, Spannungen und Gegensätze.
E IN - UND AUSSCHLUSS
DER
B ILDBETRACHTER
In Anschauung der Fotografie sind Bildbetrachter in die eingefangene Szenerie und soziale Situation paradoxerweise zugleich ein- und ausgeschlossen. Eingeschlossen wirken sie, weil sie ihren Platz im zahlenmäßig größten Teil der Gruppe, der um den Tisch stehenden Personen einnehmen. Dabei fällt die Enge des geschauten Raumes ins Auge: ein Eindruck, der durch die vielen, dicht gedrängten Anwesenden noch unterstützt wird, und den die Fotografie durch den gewählten Bildausschnitt, der mehrere Personen nur in Teilansichten erfasst und andeutet, noch forciert. Zudem sind mehr Personen zugegen, als der Raum für seinen konventionellen und routinierten Gebrauch vorsieht, denn nicht für alle sind Sitzplätze vorhanden. Und schließlich wirkt die Gruppe durch die im Hintergrund des Raumes als geschlossen erkennbare Tür exklusiv und zumindest für den Moment als vollständiges Kollektiv. All diese Umstände legen den Schluss nahe, dass die Zusammenkunft zu einem besonderen Anlass stattfindet, der aufgrund der unvorteilhaften und unangemessenen Umstände zudem nur kurze Zeit in Anspruch nehmen wird. Ein augenscheinlicher Hinweis darauf, dass die Bildbetrachter einem besonderen Anlass oder zumindest im Augenblick der fotografischen Aufnahme einem bedeutsamen Augenblick beiwohnen, offenbart sich schließlich darin, dass, mit Ausnahme einer Person, alle Anwesenden dasselbe sehen wollen, ihr reines Dabeisein oder bloßes Zuhören offenkundig nicht hinreicht. Neben dem Einschluss scheinen die Bildbetrachter von der sozialen Situation gleichzeitig ausgeschlossen, stehen sie der Gruppe doch wie neutrale Betrachter gegenüber und werfen einen distanzierten und dabei zugleich exklusiven Blick auf die soziale Situation. Sie teilen ganz offensichtlich nicht den der Gruppe gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus. Was Bildbetrachter demgegenüber aber sehen, ist, was die Gruppenmitglieder im Bild nicht sehen können: die in Gestik, Mimik und Körperhaltungen sich ausdrückenden Reaktionen auf das Geschaute. Die Fotografie- und Filmsprache nennt die Einstellung auf ein Gesicht, auf eine Mimik, Gestik und Körperhaltung, in der ein Widerschein davon liegt, was eine Person wahrnimmt und erfährt, »Reaction Shot«. Ihn zeichnet aus, dass er eine Leerstelle produziert, die außerhalb des Bildes, in der Regel dem Bild gegenüber und oftmals sogar hinter dem Rücken der Betrachter liegt, und die an sie appelliert, jene Aussparung und Erfahrungslücke mit Projektionen und Interpretatio-
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nen appräsentativ zu füllen, und mithin sinnlich Gegebenes mit sinnlich aktuell nicht und gegebenenfalls niemals oder niemals wieder sinnlich Gegebenem, zu einer Sinnfigur zu synthetisieren. Doch während sich im konventionellen »Reaction Shot« – für den die Aufnahme eines zum Zeitpunkt der Terroranschläge am 11. September 2001 für die »New York Times« tätigen Fotografen Ángel Franco ein anschauliches Beispiel abgibt (vgl. Abb. 3) – das körpergebundene Ausdrucksverhalten der Abgebildeten wechselseitig bestätigt und zu einer sinfonischen, kollektiven Form ergänzt, die den Bildbetrachtern eine stimmige Auffüllung der Leerstelle und die Entwicklung einer eindeutigen Lesart erlaubt oder zumindest nahelegt, vermittelt die Fotografie aus dem Situation Room ein breites Spektrum keineswegs einheitlicher und zudem auch nicht eindeutiger Haltungen und Reaktionen. Abbildung 3: Woman react as they witness the collapse of Two World Trade Center building, or South Tower, from about a halfmile away on Canal Street in New York
Quelle: Ángel Franco/The New York Times, www.smh.com.au/world/wit ness-to-the-desperate-20110910-1k32e.html [letzter Zugriff: 24.03.2014]
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H ILLARYS H ANDS – S YMBOL UND S YMBOLFIGUR S YMBOLBILD
IM
Zusammen genommen präsentiert die Fotografie aus dem Situation Room die Gruppe als widersprüchliche Einheit. Der durch die vorherrschende Konvergenz der Blicke, die Isoliertheit und Enge des Raumes sowie die körperliche Nähe der Personen angezeigten Homogenität und Geschlossenheit der Gruppe, steht eine offensichtliche Differenz und Kontingenz in den Haltungen und Reaktionen ihrer Mitglieder gegenüber; ein Eindruck, den die Bildkomposition mittels Perspektive und Planimetrie rein formal noch unterstützt. So zum Beispiel, wenn man die Bildfigur Audrey Tomason in den Fokus rückt. Sie ist jenes Gruppenmitglied, das planimetrisch, größen- und flächenmäßig die unbedeutendste Rolle spielt, durch die Positionierung im Fluchtpunkt (vgl. Abb. 2) perspektivisch aber zur wichtigsten Person erhoben und in die Gruppenkonstellation eingebunden wird. Oder, wenn die beiden altersmäßig und äußerlich auch sonst sehr ähnlichen Personen, Vizepräsident Joe Biden auf der linken und Verteidigungsminister Robert Gates auf der rechten Bildseite, die Szenerie planimetrisch wie zwei nahezu identische Randfiguren in Horizontalspannung einfassen, rahmen und zusammenschließen. Die damit angezeigte Spannung – der Gegensatz von Einheit und Geschlossenheit einerseits, und Differenz und Kontingenz andererseits – wiederholt und verdichtet sich nochmals in der Bildfigur Hillary Clinton. Sie ist die einzige Person, die beide Hände in Ganzansicht präsentiert, und damit ihrer Bildfigur in einer für sich geschlossenen Grundgestalt zwei völlig gegensätzliche, sich im wahrsten Sinne einander entgegen setzende Gebärden verleiht.5
5
Vgl. in Kontrast hierzu die Analyse von Matthias Warstat über Barack Obamas Gestik bei öffentlichen Auftritten: »Die Hände kommen vergleichsweise sparsam zum Einsatz. Auffällig ist dabei der gleichmäßige, fast paritätische Einsatz von linker und rechter Hand. Die meisten seiner akzentuierten Gesten führt Obama sowohl mit rechts als auch mit links aus, und er neigt dazu, die beiden Seiten abwechselnd zu aktivieren, was Ausgewogenheit und Stabilität suggeriert. Kaum je kommen die Hände in die Nähe des Gesichts; er lässt sie auf Bauch- oder Brusthöhe, um die Wirkung von Blick und Mimik nicht zu schmälern. Denn zweifelsohne bilden Kopf- und Gesichtsbewegungen den eigentlichen Schwerpunkt von Obamas rhetorischem Gestus« (2010: 183). Eine an dieser Stelle nicht mehr einlösbare Mikroanalyse der von Clinton vorgeführten Gestik könnte die symbolische Qualität der aufgezeigten Ambivalenz noch prägnanter herausarbeiten. Sie müsste vor allem auf die Spezifik der Accessoires, wie Ring, Armband, Schreibgerät, Jacke und Jackenknöpfe eingehen, wie auch auf das Notizbuch und den Aktenordner, auf denen die linke Hand, mit
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Obschon sie eine einheitliche und geschlossene Gestalt repräsentiert, wirkt sie doch in der vom Bild eingefangenen Form zugleich widerspruchsvoll in sich gebrochen (vgl. Abb. 4). Abbildung 4: Ausschnittvergrößerungen: Hillary Clinton
Kontrastiert man sie mit der Bildfigur des Brigadegenerals Marshall Bradley Webb, sticht die bildimmanente Vorführung von Gemeinsamkeiten und gleichzeitigen Gegensätzen markant hervor. Der Vergleich beider Bildfiguren symbolisiert die besondere, Aufmerksamkeit erweckende und letztlich unaufhebbare Spannung, die die widersprüchliche Einheit im Bild repräsentiert. Denn beide sitzen am Tisch und befinden sich nahe des Bildzentrums, beide sind im Unterschied zu allen anderen Abgebildeten mit einer ihrer Hände aktiv, und beiden ist mit Audrey Tomason einerseits und Barack Obama andererseits planimetrisch und perspektivisch je eine geschlechtsgleiche Person zugeordnet – allesamt Gemeinsamkeiten, die den Unterschied der Geschlechter, die Differenz zwischen
angezeigter Passivität ruht – allesamt umlagernde Sinn- und Bedeutungsträger, die der erhobenen, aktiven rechten Hand mehrheitlich fehlen, und deren sinn- und bedeutungsgenerierende Funktion dort vor allem das Gesicht und insbesondere die Augen übernehmen. Zur Deutung einer inneren Spannung und Polarität von heftiger Affektbewegung und disziplinierter Hemmung, sei auf Sigmund Freuds Feinanalyse von Michelangelos Moses-Statue verwiesen (vgl. Freud 1946: insb. 185ff. sowie Oevermann 2005: 217f.).
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militärisch und zivil sowie zwischen Anteilhabe und Nichtteilhabe am Aufmerksamkeitsfokus der Gruppe, und nicht zuletzt den Gegensatz von Selbstberührung und Arbeitstätigkeit in den jeweiligen Handaktivitäten nur umso deutlicher hervortreten lassen.6 Insgesamt zeigt sich also, dass die Fotografie aus dem Situation Room die traditionelle symbolische Repräsentation des Politischen als widersprüchliche Einheit an verschiedenen Stellen und auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder aufs Neue und damit sich selbst steigernd und sich selbst bestätigend ins Bild setzt. Sie generiert im medialen Bildraum eine, gemäß den politischen Handlungszielen der Akteure, sich autopoietisch selbst schließende Sinngestalt. Dabei gereicht die Praxis visuellen Handelns soweit, dass auch Bildinhalte, wie die beiden zunächst als Marginalien erscheinenden, auf dem Tisch stehenden Coffee-to-Go-Becher oder das im Hintergrund zu erkennende »Seal of the President of the United States«, diesem Strukturprinzip folgen. Anhand des nur in Teilansicht gezeigten, vermeintlich randständigen Sigels, soll der Strukturgehalt der bis an dieser Stelle entwickelte Strukturhypothese überprüft, gegebenenfalls korrigiert und erweitert werden. Bei diesem Bildelement handelt es sich im allerengsten Verständnis um ein Symbol 7, das sich trotz oder vielleicht sogar wegen des Umstandes, dass es die Fotografie nur in Abschattung und Andeutung präsentiert, für den mit dem Kulturraum und seiner Geschichte, seinen Kollektivsymbolen und rituellen Handlungsformen vertrauten Betrachter sofort appräsentativ vervollständigt (Abb. 5).8
6
Die Konstellation von ›Hillarys Hands‹ erfüllt damit vollständig die Kriterien dessen, was Rudolf Arnheim ein »Mikrothema« nennt: »Eine kleine, stark abstrahierte Fassung des Bildinhaltes, die sich gewöhnlich in der Nähe der Mitte der Komposition findet. Häufig wird das Mikrothema durch die Gestik der Hände ausgedrückt.« (1996: 247)
7
In der griechischen Antike meinte symbolon das ursprünglich eine Einheit Bildende, das als Muschel, Tonscheibe, Ring oder Geldstück zerbrochen und dann als soziales Erkennungszeichen und als Beweis der sozialen Zusammengehörigkeit wieder zusammengefügt werden kann. Weil das Symbol ein Problem und seine Lösung in einer einzigen ästhetischen Ausdrucksgestalt aufeinander bezieht und miteinander verbindet, also die Gegensätzlichkeiten vorführt, zusammenzieht und ausgleicht, versinnbildlicht es die grundlegende Form des menschlichen Umgangs mit Widersprüchlichkeiten (vgl. Soeffner 2010).
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Die Entscheidung für die Wahl genau dieses Bildelementes begründet sich aus der ritual- und symboltheoretischen Grundorientierung der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse und nicht, wie man annehmen könnte, auf das von Roland Barthes
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Abbildung 5: Ausschnittvergrößerung: Präsidentensigel in der Fotografie aus dem Situation Room und ›The Seal of the President of the United States‹
Quelle: http://www.statesymbolsusa.org/IMAGES/seal-presidential.jpg [letzter Zugriff: 27.05.2014]
beschriebene punctum. Gerade die in der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse gebräuchliche hermeneutische Auslegung von Kollektivsymbolen, als bildhaft ausgeformte, kommunikative Konstruktionen verspricht weitreichende Einsichten in gemeinschaftliche Wahrnehmungen und Orientierungen, Haltungen und Handlungsmotive (vgl. Soeffner 2010: 35ff.). Hierbei auf das von Roland Barthes beschriebene punctum zu rekurrieren, hat eher den Charakter einer Verlegenheitslösung. Denn für Barthes beruhen die Anlässe der Wahrnehmung und die Inhalte der Erfahrung eines punctums auf der Einbringung radikaler Subjektivität, die nicht objektivierbar sein kann und sein will, und die sich somit auch den sozialwissenschaftlichen Verfahren, Begriffen und Beschreibungen entzieht, weshalb er konsequent folgert: »um das punctum wahrzunehmen, wäre mir >...@ keine Analyse dienlich« (1985: 52). Weil das Ursprungsmotiv seiner Zuschreibung vollständig im Subjekt verhaftet ist und bleibt, markiert das punctum, und allein darauf legt es Barthes Unterscheidung zum studium an, einen Ort fernab jeder diskursiv-kommunikativen Aushandlung und damit letztlich jenseits des Sozialen (vgl. Raab 2012, Damisch 2004, Warncke 2006). Ein durch eine Interpretin oder einen Interpreten konstatiertes punctum ist somit bereits innerhalb einer Interpretationsgruppe für die Herstellung von Intersubjektivität nicht verhandelbar und bleibt daher für die wissenssoziologische Konstellationsanalyse mit ihrem Anspruch auf methodisch kontrollierte Interpretation unverfügbar.
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In dem, für das Selbstverständnis der Nation zentralen Symbol des USamerikanischen Präsidenten, hält der abgebildete Weißkopfadler in seiner linken Kralle ein Pfeilbündel und in seiner rechten einen Olivenzweig. Die dreizehn Pfeile repräsentieren die dreizehn Gründungsstaaten der USA, ebenso wie die dreizehn Blätter und die dreizehn Früchte des Olivenzweiges. Zusammen symbolisieren das Pfeilbündel und der Olivenzweig – so eine in den Vereinigten Staaten populäre, an die »Olive Branch Petition« von 1775 angelehnte Interpretation – »that the United States of America has a strong desire for peace, but will allways be ready for war«.9 Darüber hinaus hält die offizielle Beschreibung des dem Präsidentensigel, als Vorbild dienende »Great Seal of the United States«, fest, dass die Aureole über dem Adlerkopf dreizehn Sterne enthält und sich das Schild aus insgesamt dreizehn weißen und roten Streifen zusammensetzt. Nicht zuletzt besteht auch das vom Adler im Schnabel getragene Motto aus dreizehn Buchstaben. In der Fotografie aus dem Situation Room ist die Anzahl der abgebildeten Personen zwar nicht abschließend zu bestimmen, wohl aber lassen sich genau dreizehn Personen eindeutig identifizieren und sind im offiziellen Begleittext zum Bild auch namentlich und mit ihrer Funktion genannt (www.flickr.com/ photos/whitehouse/5680724572/, letzter Zugriff: 24.03.2014). In Absehung von den mit der Zahl Dreizehn und deren mannigfacher Wiederholung vielfach immer wieder vorgebrachten kabbalistischen und esoterischen Deutungen des Sigels, bearbeitet die Fotografie – verdichtet im Sigel – also ein Grundproblem moderner westlich geprägter Gesellschaften, auf das Georg Simmel in seiner Interpretation eines (zufälligerweise gleichfalls dreizehn Personen darbietenden) Gemäldes von Leonardo da Vinci eingeht. Da Vincis Abendmahl zeige erstmals in der Kunstgeschichte »wie ein äußeres Ereignis über eine Anzahl völlig verschiedener Menschen kommt und jeden einzelnen von ihnen zur vollsten Entwicklung und Offenbarung seiner individuellen Eigenart veranlasst.« Dergestalt, so schließt Simmel, bringe da Vincis Gemälde »das Lebensproblem der modernen Gesellschaft« zum Ausdruck, zeige, was die Gemeinschaft in ihrer Existenz gefährdet, gebe aber zugleich auch eine mögliche Antwort auf das von ihr selbst aufgeworfene Problem, und führe vor, was die Gemeinschaft existentiell zusammenhält. Denn »wie aus individuell absolut verschiedenen und dabei doch gleichberechtigten Persönlichkeiten eine organische
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Unter den Eindrücken des Zweiten Weltkrieges, lässt Präsident Truman 1945 den Adlerkopf aus seiner Blickrichtung zum Pfeilbündel in Richtung des Olivenzweigs wenden, um über die in der Wappenkunde positiv besetzte, heraldisch rechte Seite die primäre Friedensorientierung der Vereinigten Staaten zu versinnbildlichen.
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Geschlossenheit und Einheit werden könnte, ist hier, in der Vorwegnahme durch die Kunst ›im Bilde‹ gelöst.« (Simmel 1995: 306f.) Entscheidend für die politische Bedeutung der Fotografie aus dem Situation Room ist mithin weniger, worauf sich die Blicke der auf ihr Abgebildeten mehrheitlich richten und was sie nicht zeigt, als vielmehr was sie ihren Betrachtern konkret vor Augen führt: Das in der Fotografie präsentierte und durch sie repräsentierte, im Sigel zudem an zentraler Stelle dem Weißkopfadler als Motto expressis verbis in den Schnabel gelegte Paradox der widersprüchlichen Einheit, einer aus vielen unterschiedlichen Haltungen sich fügenden politischen Haltung – »E pluribus unum«, in der offiziellen Übersetzung: »out of many one«. Angesichts der selbst hervorgerufenen Krise, ist die Variationsbreite der in der Fotografie wiedergegebenen Reaktionen und Haltungen unter den politischen Repräsentanten ausgesprochen vielseitig. Sie muss es auch sein, denn in der zivilisierten Welt gilt Gewalt, sofern sie nicht durch eine rationale Vertragsbasis legitimiert ist, als schändlich und unrecht. In diesem Sinne steht das Bild im Dienste der Legitimation eines irrationalen Gewalthandelns: des aktuellen ebenso wie – für ein Land im Dauerkriegszustand wohl strukturell notwendig – zukünftigen, gleichfalls nicht legitimierten Gewalthandelns, auf das das Bildsymbol bereits vorbereiten mag. Doch so breit sich eingedenk dieses Umstandes das Spektrum der Reaktionen und Haltungen bei den vorgeführten Personen auch darbietet, es lässt, dies versinnbildlicht die Fotografie, den Bund nicht zerbrechen und auseinanderfallen. Vielmehr erneuert sich die Gruppe und zusammen mit ihr der durch die Gemeinschaft, über die Vorführung von Geschlossenheit und Einheit, in Heterogenität und Differenz, im Bildraum symbolisierte und repräsentierte Kulturraum. Er versichert sich so den Grundfesten seines Soseins, bearbeitet die Krise und stellt sich dadurch auf Dauer.
K ULTURALISIERUNG K RIEG DER B ILDER
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Die Legitimation von politischer Ordnung und politischem Handeln verlangt nach symbolischer Repräsentation; im weitesten Sinne nach einer Semantik des Politischen in Gestalt von Ritualen und Symbolen, Narrativen, Mythen und Selbstbilddarstellungen, die den Bezug zu einer alltagstranszendenten Sinnebene herstellen und absichern, aus der heraus die politische Ordnung und das politische Handeln ihre letztbegründende Geltung und Legitimation erhalten, und über die sich eine soziale und kulturelle Ordnung als Einheit und Ganzheit imaginiert. Zur visuellen Darstellung und Vermittlung dieser Sinnebene, und damit zur Ver-
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sinnbildlichung des politisch Imaginären, setzt die US-Regierung mit dem Einsatz des fotografischen Einzelbildes, als dem ältesten technisch-visuellen Medium, auf traditionelle Symbolpolitik. Das Foto verhilft, wie die Analyse zeigt, der alltagstranszendenten Wirklichkeit der Nation, als dem sinnlich nicht unmittelbar Erfahrbaren – im Sinne Émile Durkheims (1994), der gemeinverbindlichen Idee – im Symbol des Siegels, in der Symbolfigur Clinton und im Symbolbild der Fotografie als Ganzes, zu konkreter Sichtbarkeit. Stellt ein Betrachter die derart im Bildraum an verschiedenen Stellen und auf unterschiedlichen Ebenen wiederholt angezeigte Repräsentationsbeziehung her, so offenbart sich ihm eine höhere, ihn übersteigende und ihn doch zugleich einbeziehende Wahrheit: »E pluribus unum« – die Vorstellung, Teil einer obschon disparaten, so doch in ihrem Kern auf Identität sich gründenden Gemeinschaft zu sein. In dieser Repräsentationsbeziehung erreicht die Fotografie ihr politisches Ziel: Sie reproduziert und aktualisiert den politischen Urgedanken und das politische Urbild der Gemeinschaft anlässlich eines aktuellen Ereignisses in höchst aktuellem Gewand. Sie wird so zum Medium und technischen Mittler im fortwährenden Prozess ritueller Vergemeinschaftung und offenbart, wie visuelle Repräsentationen in Gestalt von Abzeichen, Emblemen, Wappen, Fahnen oder eben Fotografien selbst die ganze Realität von Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften sein oder erschaffen können, deren wirksame soziale Existenz allein in und durch die symbolische Repräsentation besteht. Für diese kommunikative Leistung setzt die US-Regierung mit Pete Souza, als ihrem empirisch-praktischen Experten für fotografische Repräsentationen des Politischen, auf ein Höchstmaß an Professionalität. Der Erfolg des kommunikativen politischen Handelns gründet sich aber vollends darauf, dass die Verantwortlichen die in der Fotografie aktualisierte, traditionelle Arbeitsweise visueller Symbolpolitik für die spezifischen Erfordernisse der Web 2.0-Kommunikation anreichern und ›updaten‹, indem sie das Internet nicht nur als Verbreitungsmedium einsetzt, sondern auch – worauf abschließend noch kurz eingegangen werden soll – gezielt in seinen Potenzialen als Resonanzmedium nutzen. Denn der offizielle Begleittext zur Fotografie aus dem Situation Room weist explizit auf einen technischen, digital nachbearbeiten Eingriff in unmittelbarer Nähe ihres Zentrums hin. Den Internetnutzern untersagt sie sogleich derartige Manipulationen für deren mögliche Aneignungsweisen und lässt dabei erkennen, dass zum Publikationszeitpunkt offenbar schon damit gerechnet wurde.10 Trotz oder möglich-
10 »The photograph may not be manipulated in any way and may not be used in commercial or political materials, advertisements, emails, products, promotions.« (www.flickr.com/photos/whitehouse/ 5680724572/, letzter Zugriff: 24.03.2014)
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erweise gerade wegen der Verbotsklausel animiert die Fotografie seit ihre Veröffentlichung zu einem, von den Verantwortlichen stillschweigend und sicherlich wohlwollend geduldeten, regen visuellen Antwortverhalten, das vielfältige Neuaneignungen, im Verständnis von Erving Goffman (1977) Modulationen, in Gestalt von Variierungen, Verfremdungen und Ironisierungen in sich trägt. Dabei fungieren die zentral ins Bild gesetzte Verpixelung, die nicht minder prominent platzierten schwarzen Computermonitore und die leeren Wandflächen im Hintergrund wie so viele andere Details und Elemente des visuellen Handelns als Projektionsflächen, Anschlussstellen und Aktionsrahmen für die interaktivvisuelle Resonanzkommunikation (siehe aus der Fülle von auffindbaren Beispielen exemplarisch Abb. 6). Abbildung 6: Modulationen der interaktiv-visuellen Resonanzkommunikation
Quellen: oben und rechts unten: http://knowyourmeme.com/memes/the-situation-room/ photos, links unten: http://weknowmemes.com/wp-content/uploads/2012/ 07/mariobalotelli-meme-situation-room.jpg [letzter Zugriff: 27.05.2014]
Was an diesen Anschlussstellen und innerhalb der Aktionsrahmen als Antwortverhalten interaktiv angestoßen und generiert wird, steht allerdings, anders als im Falle der oben beschriebenen traditionellen Symbolpolitik, in keinem Bezug mehr zu einer alltagstranszendenten Sinnebene. Vielmehr konstituiert und stabilisiert die Einbringung popkultureller und damit für sich bereits gesellschaftlich stark verankerter, durch das Internet noch potenziert verbreiteter, wiederholt ab-
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rufbarer und umfassend bearbeitbarer Symbol- und Wissensbestände, einen alltagsimmanenten Transzendenzbezug. Für die Herstellung der alltagsimmanenten Transzendenz werden diese popkulturellen Wissensbestände, gerade auch in ihrer sich ausprägenden Vielzahl und Vielfalt, zu willkommenen Bausteinen einer nun wie von selbst sich ausmalenden, anreichernden und vervollständigenden Konstruktion jener gemeinverbindlichen Idee, über die sich die zu repräsentierende soziale, politische und kulturelle Ordnung bestätigt, legitimiert und absichert (vgl. Srubar 2007). Wenn daher Clément Chéroux in seiner Analyse der »Bildpolitik des 11. September[s]« über die kommunikative Strategie der Terroristen vermutet, dass sie, um »einen maximalen Medieneffekt zu erzielen, [...] für eine Medialisierung durch Wiederholung konzipiert wurde« (Chéroux 2011: 15f., Hervorh. im Orig.), dann scheint dieses Kalkül auch der Präsentationsweise und Verbreitungslogik der Fotografie vom Gegenschlag am 1. Mai 2011 zugrunde zu liegen. Denn im Krieg der Bilder befeuert das visuelle Symbol mittels der von ihm selbst angeregten Wiederholung nicht nur die mediale Kommunikation und stellt Öffentlichkeit für ihre Botschaft her. Es ist darüber hinaus ein schlagender Beleg für die kommunikative Überlegenheit, dies über nur eine einzige Fotografie und ihrer Freisetzung im Internet, dem gemeinhin demokratischen und deliberativen Medium schlechthin, leisten zu können (vgl. Habermas 2008: 160f.). Zum einen impliziert dieser Kulturalisierungsprozess mit der radikalen Exklusion eines gegengelagerten Kulturverständnisses aus der Kultur der ›Weltgesellschaft‹ einen Prozess der De-Kulturalisierung: den Ausschluss jener Idee und Praxis von Kultur, gegen die sich das militärische Handeln der in der Fotografie aus dem Situation Room abgebildeten politischen Repräsentanten richtet. Dieser Kulturraum liegt mitsamt den symbolischen Repräsentationen und Repräsentanten seines Weltbildes bereits jenseits der Grenzen des konkreten Bildraums und des sinnlich Wahrnehmbaren. Nur noch die zwischen den Polen von Gleichgültigkeit und Entsetzen changierenden, das Spektrum möglicher gesellschaftlicher Haltungen und Reaktionen auf die Tötung Bin Ladens wie ein breitgefächertes Identifikationsangebot repräsentierenden Blicke seiner Kontrahenten, weisen auf ihn hin. Während wiederum deren im Bildraum der Fotografie manifestierte Gegenentwurf mit seiner Kulturbotschaft des »American Way of Life« über die interaktiv-visuelle Resonanzkommunikation, gerade auch mit ihren spielerischkreativen Auffüllungen und Abwandlungen und ihren ironisch-karikierenden Adaptionen und Zitationen, eine fortgesetzte kommunikative Bestätigung und plebiszitäre Bestärkung erfährt. Zum anderen stellt dieser Kulturalisierungsprozess an die digitale und interaktive Kommunikation im Web 2.0 offenbar die besondere Anforderung, den
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Konstruktionscharakter der eigenen Kommunikation im kommunikativen Handeln sogleich mit vorzuführen. So wie im vorliegenden Fall die Fotografie aus dem Situation Room, als im Bruchteil einer Sekunde entstandene und Menschen abbildente Momentaufnahme, zweifelsohne authentisch und echt ist, weist sie zugleich unmissverständlich aus, wie gemacht und moduliert sie tatsächlich ist. In sich modernisierenden und medialisierenden Gesellschaften gibt die kommunikative Konstruktion kultureller Wirklichkeit zunehmend zu erkennen, dass ihre Handelnden mit dem Paradox eines von ihnen selbst beständig hergestellten und nur schwerlich zu differenzierenden Zugleich an Natürlichkeit und Künstlichkeit konfrontiert sind. Im Unterschied zu ihren Vorläufern und ihren Gegnern machen sich solche Gesellschaften verstärkt auf die Vorläufigkeit und die Veränderbarkeit der eigenen Kultur aufmerksam, und führen sich mit und in ihren medialen Kulturobjektivationen – deren Inszenierungslogik sich zwischen Dokumentation und Modulation, Sensation und Skandal bewegt (vgl. Hitzler 1989) – selbst vor Augen, nicht nur dass, sondern auch wie Kultur in verschiedenen Versionen durchspielbar ist. Forciert wird diese reflexive und performative Haltung zur Kultur durch die digitalen und interaktiven Kommunikationsmedien. Die empirische Erforschung der in ihnen ablaufenden, gesellschaftliche Wirklichkeiten und Kulturen mitkonstituierenden oder mitdestruierenden kommunikativen Prozesse, verlangt nach hinreichend komplexen Untersuchungsdesigns und Beschreibungsmodellen. Sie mit zu entwickeln, gehört zu den Aufgaben der visuellen Wissenssoziologie.
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Resonanz-Bild und ikonische Politik Eine visuelle Diskursanalyse partizipativer Propaganda * B ORIS T RAUE
D IE S ICHTBARKEIT
DER
R EGIERUNG
Am 2. Mai 2011 veröffentlicht die Regierung der Vereinigten Staaten auf der Foto-Sharing-Plattform Flickr neun Fotografien, die den 1. Mai 2011 im Weißen Haus dokumentieren. Unter diesen Fotografien wurde in der Folgezeit eine besonders herausgehoben. Sie wird bereits am 6. Mai in einem Wikipedia-Eintrag – einer partizipativen Institution der Wissenssicherung – beschrieben und erhält auf diese Weise den Namen »situation room«.1 Es handelt sich bei der Fotografie um einen Datensatz und einen Sinnpartikel eines Bilderstroms, der sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Bild- und Videosphäre (Treske 2013) verdichtet hat, die das Alltagsleben durchwirkt. Das Bild kommt also erst durch Deutungs- und
*
Der Beitrag ist eine empirische Anwendung der wissenssoziologisch begründeten »visuellen Diskursanalyse« (vgl. Traue 2013). Der Text profitierte von kritischen Anmerkungen verschiedener Kolleginnen und Kollegen. Dank dafür gebührt insbesondere Mathias Blanc, Christoph Engemann, Ulrike Guerot, Heike Kanter, Cornelia Kastelan, Hubert Knoblauch, Irene Leser, Lisa Pfahl, Anja Schünzel sowie Lena Schürmann. Ich danke außerdem der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung dieser Publikation im Rahmen der Förderung des DFG-Forschungsprojekts »Audiovisuelle Kulturen der Selbstthematisierung«.
1
Auf der ersten Wikipedia-Version vom 6. Mai heißt es: »There is currently no official name for the photograph, but it is labeled as P050111PS-0210 on the official White House page on Flickr where it has become the website’s most viewed image« [letzter Zugriff: 20.06.2014].
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Auswahlhandlungen, die durch und in einem medialen Apparat prozessiert werden, als herausgehobenes visuelles Ereignis zur Geltung. Dementsprechend hat die Fotografie ihre innere Voraussetzung in der »neuen Form des audiovisuellen Diskurses«, der »an der Schnittstelle von Mensch und Medienmaschinen angelangt [ist], an der die Subjekte selbst apparativ tätig werden, um das Resultat der Illusionierung mitzugestalten oder zumindest zu modifizieren« (Zielinski 1994: 268). Die Situation-Room-Fotografie regt in den Resonanzräumen des Netzes (Blogosphäre, Wikipedia, Foren, Social Media) zu Deutungen an, löst verbale und visuelle Reaktionen aus und wird, wie viele andere netzmedial verbreitete Artefakte, durch Weiterverbreitung, Kommentierung und andere Formen von ›Mikro-Kuratierung‹ (Traue 2013) allmählich in seiner Bedeutung und Relevanz fixiert. Die Fotografie ist als Propaganda konzipiert, und zwar in dem formalen Verständnis, das der jeglicher ideologiekritischen Methode unverdächtige Talcott Parsons nahelegt: »Propaganda is one kind of attempt to influence attitudes, and hence, directly or indirectly the actions of people […]. It is specifically contrasted with rational ›enlightenment‹, with the imparting of information from which a person is left to ›draw his own conclusions‹, and is thus a mode of influence mainly through ›non-rational‹ mechanisms of behavior. […] The same basic insights are applicable to a very different orientation of policy, that of ›reinforcement‹, of strengthening attachment to the basic institutional patterns and cultural traditions of the society […].« (Parsons 1942: 142)
Während die nicht-rationale Beeinflussung von Bevölkerungen unter Demokratietheoretikern im Allgemeinen einen schlechten Ruf genießt und etwa als »symbolische Politik« (Edelman 2005) moniert wird, sieht der funktionalistische Realist Parsons in ihr einen legitimen Modus gesellschaftlicher Stabilisierung, der allerdings hinter das mit dem Aufklärungsmodell verbundene Niveau bürgerlicher Eigenaktivität zurückfällt. Die Regierungs-PR, zu der die Fotografie aus dem Situation Room zählt, muss in diesem Sinne dem propagandistischen Ereignismanagement zugerechnet werden, das bekanntlich eine Reaktion des Regierungs-, Geheimdienst- und Militärapparats (nicht nur) der Vereinigten Staaten in Folge der Anschläge des 11. Septembers 2001 bildet. In der politischen Philosophie spiegelt sich diese Entwicklung in der Diagnose einer immunitären bzw. autoimmunitären Politik (Derrida 2004, Esposito 2008, Mitchell 2011) wieder. Zu fragen ist nun, welche Stadien diese Konstellation durchlaufen, in der die Bekämpfung äußerer (immunitärer) und innerer (autoimmunitärer) Feinde in den
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Vordergrund politischer Krisenwahrnehmung rückt. Zur Analyse dessen bedarf es einer minimalen Historisierung und mediengebundenen Kontextualisierung der Situation-Room-Fotografie: Allgemein bekannt ist, dass die administrative, militärische und geheimdienstliche Mobilisierung in Folge von 9/11 eigene ›Visualitäten‹ (Mirzoeff 2011) hervorbrachte. Die offizielle Kriegsberichterstattung durch ›embedded journalists‹, die gesteigerte Bedeutung der Satellitenfotografie und der Drohnen-Fotografie wie auch die videografische Bildgebung der militärinternen vernetzten Kriegsführung und Qualitätssicherung verdichteten sich zu einer audiovisuellen Begleitung militärischer Souveränitätsausübung. Mit dieser militärischen Macht waren visuelle Performances der regierenden Körper verbunden: Erinnert sei an George W. Bush auf einem Flugzeugträger (vgl. hierzu die mit der Fotografie aus dem Situation Room in Vergleich gesetzte Analyse von Ayaß in diesem Band), George W. Bush beim Thanksgiving-Dinner der Soldaten, George W. Bush entschlusskräftig im Weißen Haus. Als Antwort auf die Bildlichkeit des 11. Septembers, so Tom Holert, »wurde ein Tableau der Bilder und Symbole errichtet, das als Navigationsarmatur, als Interface für eine neuartige geopolitische Situation dienen sollte« (Holert 2008: 14). Der Blick auf das Kriegsgeschehen blieb in der Bildpolitik der Regierung jedoch – wenig überraschend – einseitig. Die ›fehlenden‹ Bilder wurden erst durch die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit ergänzt: 2003 erschütterte der Abu-Ghuraib-Skandal nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit; W.J.T. Mitchell bilanziert: »The U.S. Government has done everything in its power to contain, control, and close the case, with the result that the suppression [Hervorh. im Orig.] of the images becomes the issue in itself […].« (Mitchell 2011: 118) Die US-Administration erlebte ab 2010 durch die Ausstrahlung von militärinternem Dokumentationsmaterial – etwa durch die Wikileaks-Organisation – eine weitere Welle von Kritik, die in ihrer Intensität der Gefängnisaffäre ähnelt. Die administrative Visualität forderte also Gegen-Visualitäten heraus (Mirzoeff 2011). Der gouvernementale Bilddiskurs wurde nach dem Abu-Ghuraib-Folterskandal (2004-2007) und nach der Wikileaks-Affäre nicht mehr in gleicher Form aufrechterhalten. Nach der Wahl von Barack Obama – der seinen Wahlerfolg bekanntlich nicht zuletzt einer internetgestützten Kampagne zu verdanken hat – wurde er auf eine neue technologische, geopolitische, legitimatorische und ästhetische Grundlage gestellt. Die Umrisse dieser Erneuerung spiegeln sich auch in der Situation-Room-Fotografie wieder. Nicht nur die herrschaftsfreie Kommunikation, auch Propaganda wird erst in reziproken Prozessen wirksam, insofern »die Motive in Kunst und Propaganda stets auch Kommunikatoren zwischen Herrschern und Beherrschten [sind], die
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sich darin gegenseitig ihre Erwartungen und Anforderungen mitteilen« (Bruhn 2003: 87). Welche technischen, ästhetischen und wissenskulturellen Formen das Kommunikationsregime (Traue 2014) annimmt, in dem solche Erwartungen und Anforderungen neuerdings mitgeteilt werden, soll mit der Analyse der Fotografie und ihres audiovisuellen Diskurses deutlicher werden. Die Selbstthematisierung der Instanzen des Regierens – so die These der folgenden Überlegungen – wird im Zuge des digitalen Medienumbruchs um Elemente partizipativer Wissensproduktion und damit um eine Dimension der Selbstillusionierung erweitert. Die Citoyens, so die im Folgenden vorgebrachte These, sind im Zuge der Verbreitung von (textuellen und visuellen) ›ResonanzBildern‹ eingeladen, das »Resultat der [medialen] Illusionierung« (vgl. Zielinski 1994: 268) und damit die Legitimierung der Herrschaft mitzugestalten. Propaganda – in ihren Hauptgestalten Marketing und Public Relations – schmiegt sich auf diese Weise dem reflexiven Modus der Aufklärungstradition an, in dem Menschen in die Lage versetzt werden, ›ihre eigenen Schlüsse zu ziehen‹ (vgl. Parsons 1942: 142). Die Situation-Room-Fotografie, eingewoben in die audiovisuellen Ströme und Textlabyrinthe der ›comment culture‹ des Netzes (Lovink 2007) exemplifiziert eine neue Stufe in der Etablierung von Politikpräsentationen und der – nicht zuletzt in den Medienwissenschaften – beinahe mythologisch überhöhten Performanzen der ›Macht der Vielen‹ (Reichert 2013), mit deren Hilfe sich Regierte gegenseitig Erwartungen gegenüber Regierenden mitteilen. Diese Mitteilungen können wiederum beobachtet und in kybernetischen Governance-Praktiken in einer kontrollgesellschaftlichen Konstellation (Deleuze 1993) nutzbar gemacht werden (Tiqqun 2007). Es ist nicht nur die veränderte technische Infrastruktur per se, die einen neuerlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas 1990) anzeigt, sondern die empirisch beobachtbare Art und Weise der Partizipation der ›Leute‹ an der Wissensproduktion. Dabei deuten sich Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen Öffentlichkeitsformen an, deren Verhältnis Negt und Kluge schon in den 1970er Jahren als Verhältnis zwischen bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit diskutiert hatten (Negt/Kluge 1972). Heute muss es um das konflikthafte Verhältnis zwischen der von Amateuren dominierten Netzöffentlichkeit und der Aneignung netzmedialer Öffentlichkeiten durch Experten- und Elitengruppen erweitert werden.
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ANLIEGEN
UND G RUNDZÜGE DER WISSENS SOZIOLOGISCHEN ( AUDIO -) VISUELLEN D ISKURSANALYSE Die wissenssoziologische Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit zielt darauf ab, Korrespondenzen zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Sinn dieser Verhältnisse für die darin Handelnden zu finden, um Stabilitäts- und Transformationsbedingungen dieser Verhältnisse zu rekonstruieren. Sozialität, Sinn und Materialität konstituieren sich in diesem Verständnis wechselseitig (Keller 2005). Der subjektive Sinn der Handelnden als auch der unpersönliche, gesellschaftliche Sinn wird in Gestalt kommunikativer Praktiken sichtbar, die von den Vorgaben des institutionalisierten Wissens angeleitet sind. Der analytische Werkzeugkasten wissenssoziologischer Diskursanalysen (Keller 2005) wurde in jüngster Zeit um medientheoretische Begriffe erweitert (Keller/Knoblauch/Reichertz 2012, Traue 2013, Traue 2014), mit denen die Wirkungen medialer Apparate in den Blick genommen werden können. Bei PR-Fotografien sind dies die ›Aufschreibesysteme‹ (Kittler 1986) des Netzmediums und der »optischen Medien« (Kittler 2002). Das methodische Gesamtinteresse richtet sich dabei nicht auf das einzelne Bild2, sondern auf die Praktiken und Techniken der Zurverfügungstellung und Transformation von visuellem (und nicht-visuellem) Wissen, das Objektivität (Daston/Galison 2010) suggeriert. Im Rahmen dieses Forschungsprogramms nähere ich mich dem Gegenstand in vier andernorts ausführlich dargestellten (Traue 2013) Schritten: 1. der Schilderung des Bildes, 2. der Analyse der Medialiät bzw. des medialen Dispositivs, 3. der Feinanalysen im Rahmen fokussierter Hermeneutiken und 4. der Untersuchung von Transformationen von Sicht- und Sagbarkeiten.
2
Die Relevanz des Einzelbildes sollte eben nicht stillschweigend vorausgesetzt, sondern als Ergebnis eines zu beschreibenden gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses begriffen werden, um der Gefahr zu entgehen, politische und epistemische Relevanzsetzungen einfach zu reproduzieren.
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AUS DEM S ITUATION IM NETZMEDIALEN D ISPOSITIV
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Schilderung der Fotografie Die Situation-Room-Fotografie tritt dem Betrachter in der Regel als leuchtende, bunte Oberfläche eines Bildschirms entgegen, die nach Belieben aufzurufen ist. Sie ist üblicherweise umgeben von umfangreich angelagerten Texten. Das Bild ist skalierbar, d.h. mal ist es sehr klein, es kann aber auch den gesamten Bildschirm einnehmen. Das Bild kann gespeichert werden, um es dann dauerhaft zu betrachten, auszudrucken, weiterzuverarbeiten oder zu manipulieren. Die dem Bild angelagerte Über- bzw. Unterschrift lautet: »The situation room«. Ein situation room ist – ähnlich dem beinahe synonymen »war room« – ein Raum, der für Lagebesprechungen genutzt wird. Doch was ist zu sehen? Eine Gruppe von Menschen sitzt eng gedrängt, aber in gelockerter Formation teils um einen Tisch, steht teils dahinter. Alle blicken in dieselbe Richtung. Bemerkenswert, so eine Betrachterin3, sind die aufgeklappten »Maschinenköpfe« der Laptops, die auf etwas Abwesendes verweisen und einen Hinweis darauf geben, dass die abgebildeten Personen auf einen ebensolchen, vermutlich größeren Bildschirm schauen. Insgesamt machen die Bildschirme und die Blicke der abgebildeten Personen auf ein unsichtbares Bild im Bild, ein entzogenes Ereignis, dessen Bedeutung wir nur aus der Reaktion der Zuschauenden erschließen können und eventuell auch sollen, aufmerksam. Das Bild kann darüber hinaus auch in seinem formalen Aufbau beschrieben werden. Eine zu Rate gezogene Kunsthistorikerin bemerkt einen wohlkomponierten Bildaufbau4, der dazu geeignet ist, ein Panorama der Gesichtsausdrücke zu inszenieren. Clintons Hand bietet dazu eine klassische Pathosformel der Malerei auf: das Erschrecken vor der eigenen Tat. Eine siebenjährige Betrachterin sieht »Leute, die arbeiten […]. Der eine hat eine Uniform an, der wohnt da vielleicht. Die anderen sind nur zu Besuch, bei einem Arbeitstreffen […]. Die schauen da hin weil da irgendwas los ist. Alle schauen auf dasselbe. Die eine überlegt so: ›Oh Gott was ist denn das jetzt?‹«. Die als Arbeitsgruppe gelesene Menschenansammlung wirkt in ihrer szenischen 3
Die Fotografie wurde in einer aus Wissenschaftlern und Nichtwissenschaftlern zusammengesetzten Interpretationsgruppe besprochen.
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Die ›Planimetrie‹ der Fotografie (vgl. hierzu die Analysen von Raab und Breckner in diesem Band) wird in der vorliegenden Analyse nur eine untergeordnete Rolle spielen. Andere Aspekte der Fotografie sind aufschlussreicher.
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Konstellation eigentümlich einladend, wie eine Runde, in der man am Tisch Platz nehmen könnte oder die zumindest noch einen Stehplatz anbietet. Die Versunkenheit vieler Beteiligter in ihre Anspannung, sehr deutlich sichtbar bei Obama und Clinton, erweckt den Eindruck, dass in dieser Runde eine Sorge vorherrscht. Zu fragen ist, was der Gegenstand dieser Sorge ist. Ist der Anlass der Fotografie bekannt, kann gefragt werden: ist es die Sorge um das Scheitern der militärischen Aktion, oder Berührbarkeit, Mitleidsfähigkeit, gar ein Moment der Scham im Angesicht einer ethisch problematischen Handlung? In der Fotografie selbst wird der Gegenstand der Sorge nicht gezeigt. Dafür verdeutlicht die Gruppenfotografie Spannungen zwischen Routine und Aufregung, räumlicher Ordnung und improvisiertem Durcheinander, Anwesenheit und Abwesenheit; Spannungen, die die Zuschauer involvieren, ohne eine Antwort auf die Fragen geben zu können. Die (hier verkürzt dargestellte) Schilderung der Fotografie ergibt verschiedene Merkpunkte für Feinanalysen im Rahmen ›fokussierter‹ Hermeneutiken: die digitale Materialität des Internet-Bildes, die ›einladende‹ Formation der Gruppe, die Dynamik zwischen Rückzug und Engagement, die gestische Typik. Mediales Dispositiv Die Geschichte der propagandistischen Bildgebung reicht mindestens bis zur Technik und Ästhetik des Monuments zurück (vgl. z.B. Bruhn 2003). Für unseren Zweck genügt es, die jüngeren und jüngsten medialen Kulturtechniken und Apparate in Betracht zu ziehen. Die zweidimensionale Repräsentation gesellschaftlicher, politischer und kultureller Verhältnisse – die eigene Formtraditionen bereithält – rückt mit der Verbreitung des Buchdrucks und der Erforschung von optischen Geräten in den Horizont einer »politischen Optik« (Bredekamp 2006: 73). Das Wissen um die faszinierende, also aufmerksamkeitsfesselnde Wirkung von Bildern ist mittlerweile Allgemeinwissen der Werbebranche in ihren politischen und kommerziellen Zweigen, das etwa in der standardmäßigen Illustration von Texten und in der Weiterentwicklung überraschender Bildeinsätze (z.B. im Pop-up) ihren Ausdruck findet. Der Einsatz von fotografischen Bildern auf Bildschirmen hat medientechnische Voraussetzungen, die nicht ganz unwesentlich sind: Technische Grundlage gegenwärtiger Fotografien ist die digitale Fototechnik: Hinter dem konventionellen Objektiv werden Halbleiter-Strahlungsdetektoren als Bildsensoren verwendet. Diese Sensoren ermöglichen eine Digitalisierung des Lichts, also eine Bildwandlung, bei der eine Diskretisierung (Zerlegung in Bildpunkte) und Quantisierung (Umwandlung der Farbinformation in einen digitalen Wert) stattfindet. Diese diskreten Bildpunkte lassen sich in ei-
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ne Bilddatei schreiben, anschließend beliebig reproduzieren, als Datei übermitteln und am heimischen Computer oder den sogenannten mobile medias (Smartphone, Tablet usw.) wieder auslesen. Wenn diese Dateien im netzmedialen Dispositiv verbreitet werden, etwa auf Webseiten, die durch Browser sichtbar gemacht werden, geschieht diese Speicherung und Übermittlung automatisiert. Die Fotografie erscheint dann wie selbstverständlich auf dem Bildschirm, und zwar als hochauflösende, skalierbare, farbige und lumineszierte Bildfläche. Die HDAuflösung der digitalen Fotografie und Videografie als auch der Grafikkarten und Bildschirme ist die technische Voraussetzung für die Verwendung detailreicher Darstellungen wie die des Situation-Room-Fotos in der politischen Optik von gegenwärtigen Telekommunikationsmedien (vgl. auch Kittler 2002: 312). Im Fall der Situation-Room-Fotografie kommen dabei wesentliche netzvermittelte Kommunikationsstrategie zum Tragen: Seit Mai 2009 veröffentlicht das Weiße Haus seine Bilder auf der frei zugänglichen Foto-Sharing-Plattform Flickr. Mittlerweile wurden auf diesem Weg über 5000 Fotografien eingestellt, d.h. durchschnittlich etwa drei Bilder pro Tag. Damit veränderte die staatliche Öffentlichkeitsarbeit seit dem Amtsantritt Barack Obamas ihren modus operandi: sie bindet eine größere Anzahl von als Bürgerinnen und Bürger adressierten Zuschauern in ihr Kommunikationsregime ein. Denn die Auswahl der relevanten Fotografien wird nicht mehr ausschließlich durch die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung betrieben, sondern sie obliegt einer allgemeinen Öffentlichkeit, zu der große Nachrichtenagenturen ebenso gehören wie politische Gruppen, die Wissensamateure der Online-Enzyklopädie Wikipedia und viele andere. Die Auszeichnung des Fotos aus dem Situation Room als »ikonische« Fotografie (zuerst »photography«, dann »noted photography«) wird durch die partizipative Enzyklopädie Wikipedia erstmals am 26.03.2013 vorgenommen, ist also Ergebnis eines »crowdsourcings«, bei dem die Mitglieder des Publikums sich darum bemühen, die Relevanz der Fotografie zu fixieren. 5 Die Akteure der Netzöffentlichkeit leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zur Pressearbeit des Weißen Hauses. Die von menschlichen Akteuren erstellte Wissensbildung wird dabei durch algorithmische Wissenstechniken ergänzt, die in die Wissensbildung durchaus massiv eingreifen: Die Thesaurisierung aller im Netz veröffentlichten Daten durch Google und andere Suchmaschinen (Galloway 2004, Röhle 2010) trägt ei-
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Der Wikipedia-Eintrag wurde am 6. Mai 2011 erstellt und seitdem über 200 Mal überarbeitet (http://tools.wmflabs.org/xtools/articleinfo/index.php?article=%20Sit% 2 0uation_% 20Room&lang=en&wiki=wikipedia [letzter Zugriff: 15.05.2014]).
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nen Großteil der zum Thema erstellten Beiträge beisammen. Der Korpus aller an die Fotografie angelagerten Texte und Bilder wird also halbautomatisch erstellt. Die Regierungsbilder vom 2. Mai 2011 sind Bestandteil und Anlass eines wuchernden Diskurses von Zeitungsaufsätzen (vgl. hierzu die Analysen von Ayaß und Kauppert in diesem Band), Blog-Kommentaren, Foto-Collagen, in dem um die Wahrnehmung und die Deutung der Ereignisse vom 1. Mai gerungen wird. Außerdem wurden eine Reihe von Fernseh- und Kinofilmen produziert, die sich der Aufgabe widmeten, die Ereignisse um den 1. Mai zu erhellen. Was im Situation-Room-Bild unsichtbar bleibt, wird von der US-amerikanischen Fernseh- und Filmindustrie, aber auch von den Bild- und Netz-Amateuren thematisiert. Sie liefert ihre Version fehlender Bilder nach und sucht so die ›Leerstellen‹ der White-House-Fotografie zu füllen. Ein netzvermitteltes Partizipationsdispositiv, in dem die Vielen an der Konstruktion von Sinnfiguren mitarbeiten dürfen, in dem sich die Programmindustrien und Regierungsinstanzen aber Kontrollreserven vorbehalten, bildet die mediale Infrastruktur, in der die Situation-Room-Fotografie ihre Relevanz gewinnt. Die Schilderung der Fotografie und die Beschreibung des medialen Dispositivs ihrer Produktion, Verarbeitung und Verbreitung legt damit eine Fokussierung der Feinanalysen auf drei Aspekte nahe: Der Ikonographie der Fotografie als Lagebesprechung und Berufsdarstellung, die filmische Nachlieferung fehlender Bilder und die Kommentierung der Fotografie im Resonanzraum sozialer Medien.
F OKUSSIERTE H ERMENEUTIKEN Lagebesprechung und Berufsfotografie Bei der Fotografie »Situation Room« handelt es sich – gemäß Titel, Anlass und netzmedial generierter Thesaurisierung – um die Darstellung einer Lagebesprechung. Die visuelle Darstellung von Lagebesprechungen hat eine lange Geschichte, die insbesondere in der enzyklopädischen Tradition von Bedeutung ist. So stellte der Berliner Hofkupferstecher Johann David Schleuen bereits im 18. Jahrhunderts eine Reihe von Stichen her, die antike Lagebesprechungen darstellen. Sie enthalten bereits alle Elemente, die auch in der aktuellen Lagebesprechungsfotografie von Bedeutung sind: die Versammlung von zivilem und militärischem Personal unterschiedlicher Hierarchiestufen in lockerer Formation, außerdem die zentrale Stellung optischer Fernmedien in der grafischen Darstellung: Landkarten, später Feldstecher und Gerätschaften zur Simulation von
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Feind- und Eigenlage. Die Lagebesprechungsdarstellung ist kein exklusives Experiment der Herrschenden – auch Rebellen halten sie ab und werden dargestellt, so etwa die Tiroler Milizen in der Darstellung von Josef Speckbacher (Lagebesprechung der Tiroler Freiheitskämpfer) um 1890. Charakteristisch für die Lagebesprechungsfotografie des 20. Jahrhunderts 6 ist die Heraushebung der Stellung des zivilen obersten Feldherren, die in den militärischen Experten mit ihrer Verfügung über die optischen und explosiven Fernmedien einen Gegenpart findet. Sehr deutlich wird dies in der Fotografie, die Ronald Reagan 1986 bei einer Lagebesprechung über die Bombardierung von Tripolis und Bengasi zeigt. Abbildung 1: President Reagan in a briefing with National Security Council Staff on the Libya Bombing
Quelle: http://commons.wikimedia.org [letzter Zugriff: 29.04.2014]
Ähnlich der Fotografie vom 1. Mai 2011 suggeriert die Fotografie von 1986, dass der Präsident seine Macht – zumindest in diesem Augenblick – an das technologische Kontrollzentrum und seinen Bediener delegiert. In der Darstellung – die noch im alten Situation Room des Weißen Hauses stattfindet – wird Ronald Reagan, wie auch Hillary Clinton in der Fotografie aus dem kleinen Konferenzraum, mit vorgehaltener Hand präsentiert, allerdings in einer eindeutigeren Variante: Reagan scheint über die vom Militär gezeigte Angriffsstrategie nachzudenken. Damit ist die Geste bei Reagan wohl unmissverständlich als nachdenkliches
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Der umfangreiche Korpus der Wehrmachts-Lagebesprechungen wird hier nicht thematisiert.
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Betrachten zu werten. Clintons ›geschlossene Geste‹ regt hingegen zu Überlegungen an, ob es sich bei ihr um eine Geste handelt, die es erleichtern soll, sich nicht expressiv zu verhalten, sondern etwas auf sich wirken zu lassen oder ob sie als Geste der Fassungslosigkeit, als Anzeichen des Erschreckens zu interpretieren ist. Die Fotografie vom 1. Mai 2011 zeigt im Sinne einer typischen Lagebesprechungsfotografie eine Begegnung von zivilen und militärischen Akteuren in einem in gewisser Weise informellen Setting. Die Lagebesprechung besitzt aufgrund ihres semi-improvisierten Grundzugs eine naturalistische Qualität: es handelt sich zweifellos um die Darstellung einer – wenn auch außergewöhnlichen – Arbeitssituation, die an Fotografien der ›white-collar‹-Arbeitswelten, als ein wichtiges Sujet der Außendarstellung von Unternehmen und öffentlichen Institutionen, erinnert. Abbildung 2: ›white-collar‹-Arbeitswelt
Quelle: http://www.alexanderverweyen.com/private-banking/images/foto _head.jpg [letzter Zugriff: 30.06.2014)
Im Gegensatz zu Fotografien aus der ›white-collar‹-Arbeitswelt fällt in der Fotografie aus dem Situation Room jedoch auf, dass keines der Mitglieder des National Security Teams lachend oder zufrieden abgebildet ist. Doch trotz dieser ästhetischen Regulierung des Affektausdrucks eröffnet die Offenheit der Situation einen Raum für die Interpretation der Absichten und Motive der am militärischen Regierungshandeln Beteiligten. Die szenische Gestaltung der Fotografie stellt eine bemerkenswerte Figuration der Blicke her: der Zuschauer ist eingeladen, das Geschehen selbst zu beurteilen. Wie im Staalmeester-Gemälde von Rembrandt lassen die Protagonisten der Fotografie den Betrachter an ihrer Sitzung teilhaben.
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Abbildung 3: Rembrandt: De Staalmeesters (Die Vorsteher der Tuchmacherkunst), 1662, Öl auf Leinwand
Quelle: SK-C-6 (Malerei, Öl auf Leinwand), Gemäldesammlung Rijksmuseum, Amsterdam
Die Aufmerksamkeit der Protagonisten im Staalmeester-Gemälde wie auch derer im Situation Room richtet sich auf ein Ereignis, das links neben den Betrachtern situiert ist. Der Betrachter ist eingeladen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen oder sich im Hintergrund dazuzugesellen. Durch die Auflösung der Sitzordnung in eine lockere rhythmische Bewegung wirkt die Gruppe nicht geschlossen, sondern erlaubt prinzipiell die Integration weiterer Personen. Durch solche und ähnliche Darstellungsformen wird die mediale Partizipationsfiguration visuell inszeniert und den Adressaten nähergebracht. Die Fernseh- und Filmindustrie sowie die Netzamateure bemühen sich bald nach Veröffentlichung der Fotografie um die Einordnung des Geschehens. Deren Arbeit am Bild und seiner Interpretation sind Gegenstand der folgenden Überlegungen und Interpretationen. Filmische Nachlieferung fehlender Bilder: Der Beruf und das Geschlecht des Regierens Die partizipative Sinnproduktion der Fernseh- und Filmindustrie, deren Produkte sich an die Fotografie anlagern und damit ihren offenen Sinn ausfüllen, befasst sich in der Hauptsache mit der Arbeitssituation der military and intelligence community und mit den darin relevant werdenden Gefühlen und ihrem Ausdruck.
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Die Terroristenverfolgung ist in den einschlägigen Filmen und Serien als workplace drama dargestellt. Dieser Umstand lässt die Filme und Serien aber nicht scheitern, bietet er doch umfangreiche Möglichkeiten einer Identifikation des Publikums mit den Hintergrundproblemen gouvernementaler Praxis. Die Bild- und Programmindustrie beteiligt sich damit an einer Konkretisierung des Sinns der Fotografie vom 2. Mai, mit anderen Worten: an der Nachlieferung der fehlenden Bilder. 2012 werden verschiedene Dokumentationen gesendet: am wichtigsten sind »The last days of Osama bin Laden« (Regie: Carsten Oblaender), »Seal Team Six: The Raid On Osama Bin Laden« (Regie: John Stockwell) sowie der international distribuierte Film »Zero Dark Thirty« (Regie: Kathryn Bigelow) 7. »Zero Dark Thirty«, der Film, der mit $ 132 Millionen Einnahmen als einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 2012 gilt, sollte im Oktober 2012, kurz vor den Präsidentschaftswahlen anlaufen. Der Filmstart wurde schließlich auf den 19. Dezember 2012 verschoben – anders als beim »cheesy TV film Seal Team Six«8, der vom Obama-Unterstützer Harvey Weinstein produziert und zwei Tage vor den Präsidentschaftswahlen im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Mit dem Interesse für Hillary Clintons Geste wie auch der neugierigen Blicke der Direktorin der Nationalen Anti-Terror-Zentrale Audrey Tomason korrespondiert ein auffälliger Umstand: In allen genannten Filmen gibt es eine weibliche Hauptrolle, die gegen das Misstrauen, die Faulheit und die Risikoaversion ihrer männlichen Vorgesetzten und Kollegen das Projekt der Verfolgung von Osama bin Laden vorantreibt. In der Ernsthaftigkeit ihrer Berufsausübung leidenschaftlicher, wenn nicht obsessiver Frauen, sind sie die auf die Ergreifung Bin Ladens hinwirkenden Hauptfiguren dieser Filme. Zum Bild tritt in den Filmen die Stimme. In einer Szene in »Seal Team Six« spricht Vivian Hollands, eine CIA-Mitarbeiterin und die Hauptfigur des Films am Telefon mit dem Leiter ihrer Behörde: Vivian Hollands:
»Who is that speaking? Vivian Hollands, Mr. Panetta, Senior Counterintelligence Thread Analyst –
Pannetta:
Well, Miss Hollands, the President of the United States is gonna be staking his Presidency on this call. No one’ll ever know your name if this turns out badly (legt auf).« (Seal Team Six: 1:04:48ff.).
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Der Film präsentiert nach Verlautbarung des Verleihers »the story of history’s greatest
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J. Hoberman: Zero Dark Thirty: the US election vehicle that came off the rails,
manhunt for the world’s most dangerous man«. Guardian vom 18.01.2013.
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Die CIA-Agentin gilt ihren Kollegen als fanatisch, ist aber die einzige Person, die in ihrer Arbeit die Feinde der Nation unablässig verfolgt. Als es in »Seal Team Six« endlich zum Einsatz kommt, werden Bilder der Situation-RoomFotoserie an den passenden Stellen im Film eingeblendet (vgl. 1:10:58) und auf diese Weise tatsächlich als quasi-dokumentarische Stills eingesetzt, deren Sinn der Film wiederum expliziert. Kathryn Bigelows Film »Zero Dark Thirty« (vgl. hierzu auch die Analysen von Diers und Oevermann in diesem Band) baut dieses Muster der human interest story aus. Auch in Bigelows Arbeit ist ein gendering der geheimdienstlichen Arbeit unübersehbar. Protagonistin des Films ist Maya (gespielt von Jessica Chastain), eine Analytikerin der CIA, deren Karrierewillen sich angesichts des Todes einer Kollegin in eine leidenschaftliche Entschlossenheit wandelt Bin Laden dingfest zu machen, u.a. durch Folter von Verdächtigen. Die photography des Films inszeniert – mit einem Spiel von Glasscheiben, an die sie stößt oder die sie von Machtzentren trennen – die Gefährdung Mayas durch ihre berufliche Leidenschaftlichkeit. Maya ist eine Figur, die selbst jeden Maßstab für eigenes Risiko und die Rechtfertigung der Mittel aus den Augen verliert. Ihr Fanatismus äußert sich in einer obsessiven kriminalistischen Detailbesessenheit und in Regelübertretungen in der (geheimdienstlichen) Berufsausübung. Die Darstellung ihrer Berufsrollenausfüllung wird von Rezipienten als Anomalie, als Abweichung vom Schema der ›Politik‹ konstatiert: »It’s only at the very beginning and the very end that Zero Dark Thirty functions (brilliantly) as a ripped-from-the-headlines political thriller. Much of the rest of the time, it’s a workplace drama about a woman so good at her job that most of her colleagues think she’s crazy.«9 (Stevens 2012)
In der Serie Homeland, die international in fünf Staffeln verbreitet wird, findet sich eine genial ausgeschmückte Wiederholung dieser Figur. Carrie Mathison (gespielt von Claire Danes), ebenfalls eine ehrgeizige CIA-Agentin, ist einem heimgekehrten Kriegsveteranen auf den Fersen, der zugleich Schläfer einer saudischen Terrorzelle ist und so zum domestic terrorist wird. Carrie leidet an einer bipolaren Störung: in den manischen Phasen kommt sie dem Schläfer und anderen Terroristen auf die Schliche, verliebt sich aber gleichzeitig in ihn und setzt
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Amateur-Kommentatoren fassen sich meist kürzer: »Over-hyped United States rubbish. Even if you see past the jingoistic propaganda you’re left with a poorly executed tedious B-movie. Yawn. Avoid at all costs« (daithi23, http://www. metacritic.com/movie/zero-dark-thirty/user-reviews [letzter Zugriff: 28.02.2014]).
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sich gegenüber ihrem trägen Chef durch (Still: SE1E04, 10:00). In depressiven Phasen erschrickt sie über ihre eigene Entschlossenheit (Still: SE01E01, 44:50).10 Abbildung 4: Stills aus der Serie Homeland
Quelle: Still: SE01E01, 44:50
Still: SE01E04, 10:00
Die in der Fotografie aus dem Situation Room dargestellte Geste des Erschreckens wird hier diegetisch als Kippfigur organisiert und als Melodram inszeniert. Beruflicher Ehrgeiz und der Wunsch nach Schutz der Nation schlagen bei Maya und Mathison in eine exzessive persekutorische und zugleich kriminalistischhermeneutische Leidenschaft um. Die damit verbundene berufliche und staatliche Grenzüberschreitung und Gewaltausübung führt zu einem Erschrecken über die manische Qualität der eigenen Berufsausübung seitens ihrer so als vernünftig erscheinenden (männlichen) Kollegen. Gegenbilder im Resonanzraum der sozialen Medien Die Beobachtung, dass die autoimmunitäre Visualität ein Ergebnis partizipativer Sinnproduktion ist, wirft die Frage auf, ob innerhalb dieser Visualität Gegenvisualitäten (Mirzoeff 2011) entstehen. Umfassende Resonanz findet die Regierungsfotografie bei Nutzerinnen und Nutzern der Social Media. Für die staatlichen Institutionen und die etablierten Massenmedien sind die Nutzungsweisen und Interpretationspraktiken der ›sozialen Medien‹ ein Resonanzraum, den sie als Indikator für die öffentliche Meinung und zur Aktivierung
10 Die Figur des Verstehens des Feindes ist nicht nur für den US-Amerikanischen Kolonialismus typisch (Theweleit 2013). Das Human Terrain System des amerikanischen Militärs setzt Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ein, um das ›menschliche Terrain‹ der Kriegsschauplätze zu verstehen und beeinflussen zu können.
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der Bürger nutzen können. Aber die Akteure des Netzes nutzen nicht nur Chancen zur Akklamation, sondern auch zur Persiflierung. Aus dem offiziellen »Situation Room« entstehen kurz nach der Veröffentlichung zahlreiche Situation Room photoshop memes.11 Das Archiv knowyourmeme.com etwa führt 75 Versionen der Fotografie. Deren Interpretationen lagern sich – algorithmisch und kuratorisch vermittelt – an die ursprünglich publizierte Fotografie an und werden so zum Teil des Bildarchivs. Abbildung 5: Auswahl an »Situation Room photoshop memes«
Quelle: http://knowyourmeme.com/ memes/the-situation-room [letzter Zugriff: 29.04.2014]
11 Als »meme« wird gemeinhin ein visueller Topos bezeichnet, der durch die Bearbeitung eines einfachen grafischen oder fotografischen Motivs entsteht. Memes operieren mit Metaphern, Ironie, Humor; sie setzen Montagetechniken ein, um den intendierten Sinn visueller Bedeutungen aus dem Lot zu bringen.
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Eine Variante dieser Amateur-Interpretationen besteht aus einem sogenannten »facebombing«. Obamas Gesicht ist dupliziert und auf alle Köpfe montiert (vgl. hierzu auch die Analyse von Ayaß, Breckner und Neuenfeldt in diesem Band). Üblicherweise wird das facebombing genutzt, um eine entgleiste Miene, die zufällig in einem Bild zu finden ist, zum Hauptinhalt des Bildes zu machen. Obamas vorgeblich authentisch entgeisterter Gesichtsausdruck, der unter den gefassteren Gesichtern besonders hervortritt, wird so als strategisches, und eben nicht akzidentielles Moment des Bildes sichtbar gemacht. Eine andere Version wandelt diese Technik zu einem »Gesten-bombing« ab. Die Montage der Handgeste von Hillary Clinton an die männlichen Körper zeigt, dass sie vor allem bei Clinton als Fassungslosigkeit interpretiert wird, nicht so aber bei den Männern der Runde. Hier wirkt sie ganz ähnlich wie bei der Reagan-Lagebesprechung als nachdenkliches Betrachten. In einer dritten Variante wird die nüchterne, gespannte, Verantwortlichkeit suggerierende Atmosphäre durch den Einsatz sogenannter »Trollfaces« kritisiert. Trollfaces gehören zu den bekanntesten Memen im Netz. Sie werden u.a. eingesetzt, um anzuzeigen, dass ein anderer Nutzer ein aggressives, belästigendes Verhalten an den Tag legt. Die Trollfaces zitieren wiederum – typisch für das historisch tiefe gestaffelte grafische Wissen in der Netzästhetik – die gezeichneten Porträts von Otto Dix. Die besorgten und scheinbar an sich selbst zweifelnden Subjekte der originären Situation-Room-Fotografie werden mit der Umarbeitung als Karikatur in die kritische Tradition des Realismus eingerückt. Damit gelingt es, die Beschäftigung mit der Seele der Regierungsakteure zu unterbrechen und stattdessen auf die Kontinuität des Militarismus hinzuweisen. Im Archiv der Memes und Mashups findet sich darüber hinaus auch die Bearbeitung »Maestros de la composition« des Argentinischen Künstlers Tam Muro. Sie spielt direkt auf das Verhältnis von Bildproduzenten und Publikum an, indem sie die Fotografie in das Sujet des Velázquez-Gemäldes »Las Meninas« (1656) einsetzt. Dieses Gemälde ist bekannt für seine drastische Thematisierung des Verhältnisses von Betrachter und Kunstwerk. Die hier explizierte Parallele zur Situation-Room-Fotografie besteht in der Entzogenheit der Leinwand auf der Leinwand bzw. des Screens auf dem Screen. Damit wird der Objektstatus des Gemäldes in Frage gestellt und ein dialogisches Verhältnis zwischen Künstler und Zuschauer hergestellt. Muro holt in Form des im Hintergrund stehenden Malers den Fotografen und dessen Absichten und die Verantwortung der Zuschauer zurück ins Bild. In dieser Form der Rekontextualisierung (Hall 1973) des Bildes wird die mit der Fotografie inszenierte symbolische Politik, dargestellt als ›snapshot‹ mit einem ausgeprägten naturalistischen Realitätseffekt (vgl. Barthes 1980), in Frage gestellt.
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Insgesamt zeigen sich in den Memes und Mashups Taktiken ironischer Brechung und eine experimentelle Explikation visueller Wirkungen. Zu fragen ist aber, welchen Anschluss diese Taktiken zu aktivistischen und wissenschaftlichbildkritischen Diskursen finden – und umgekehrt: ob die bild- und wissenskritischen Praktiken einen Zugang zu dieser praktischen Kritik der visuellen und medialen Verhältnisse finden.
I KONISCHE P OLITIK UND R ESONANZ -B ILD Partizipative Repräsentationsproduktion Die Herstellung »avancierte[r] Medien-Politik-Kopplungen« (Holert 2008: 139) ist sicherlich nicht erst seit 2011 für beinahe jegliche Form politischer Aktivität typisch und verbindlich geworden. Allerdings sind mit dem Netzmedium neuartige Möglichkeiten entstanden, das Publikum der Staatsbürger in die Produktion legitimatorischer Sinnfiguren einzubinden. Dass damit eine partizipative KoProduktion von legitimatorischen Sinnmustern eingesetzt hat, dürfte hinreichend deutlich geworden sein. Die Bebilderung des 1. Mai 2011 markiert, so die hier entwickelte These, einen Übergang zwischen zwei Formen ›symbolischer Politik‹ im Umgang mit einer (auto-)immunitären Krisenwahrnehmung und -forcierung. In den Analysen der Bildlichkeit des 2. Mai 2011 – vor dem Hintergrund der Krisen der AntiTerrorismus-Ikonik – wurde deutlich, dass partizipative Formen kommunikativer Legitimitätskonstruktion für Souveränitätsregime und ihre Akteure an Bedeutung gewinnen. Mitchell bringt die Ikonisierung der Anti-Terror-Kriege in seiner Aufarbeitung der post 9/11-Ära mit einer Angst vor den molekularen Reproduktionstechnologien des Klonens in Verbindung. Die ›clonophobie‹ sieht er dabei in Zusammenhang mit der Visualität selbst: »The real problem with cloning is more fundamental and far-reaching. At bottom the fear of cloning is rooted in the fear of images and image-making, arguably one of the most durable phobias that human beings have ever developed for themselves. […] Clonophobia is, in short, the contemporary expression of a much more ancient syndrome known as iconophobia, the fear of the icon, the likeness, resemblance, and similitude, the copy or imitation.« (Mitchell 2011: 31)
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Wenn die Angst vor der Duplizierung und der Bedrohung des Eigenen durch eine Vervielfältigung des Eigenen im Fremden und des Fremden im Eigenen12 Kennzeichen des alten Bildregimes sind, überrascht die Figuration der neuen, durch Netzmedien gestützten Selbstthematisierungen durch eine weitgehende Abwesenheit dieser Furcht. So unterscheidet sich die Situation-Room-Fotografie von früheren Lagebesprechungsdarstellungen durch die klare Zurücknahme einer dezisionistischen Souveränitätsbehauptung. Obama wirkt auf der SituationRoom-Fotografie mit eingesunkenen Schultern wie zurückgezogen in die Tiefe eines nachdenklichen Selbst. Clinton präsentiert mit ihrer Pathosformel der vorgehaltenen Hand eine emotionale Tiefe, die den Zuschauer zur Überlegung anregt, ob sie vor ihrer eigenen Härte, zu der sie durch den ›Terrorismus der Anderen‹ gezwungen wurde – also vor der Gewalt in sich selbst – erschrickt. An der psychischen Konstitution der Frauenfiguren in den begleitenden Filmen und Serien, die ergänzende Storylines zur offiziellen Propaganda liefern, wird die ganze Problematik des – vorgeblichen – Leidens an der eigenen Aggressivität und damit die Innenwendung der autoimmunitären Konstellation nach 9/11 exemplifiziert. Dabei wird deutlich, dass die Aktivierung des Publikums – teilweise vermittelt über die Film- und Programmindustrien – Akzeptanz für ansonsten wenig demokratisch legitimierte Politiken generieren kann. Die Zuschauenden selbst zeigen an, welche Legitimationsstrategien am erfolgversprechendsten sind – bzw. welche sie ablehnen oder für ineffizient halten, entweder in Form der Zuschauerquote oder durch satirische Bearbeitung mittels Memes und Mashups. Diese Strategie entbehrt nicht einer gewissen Perversität: Die zu überzeugenden Zuschauer geben letztlich freimütig Auskunft darüber, wie sie am liebsten überzeugt werden wollen. Durch die algorithmischen Mapping- und Aggregationstechniken von ›Big Data‹, deren Nutzerinterface das Social Web bildet, ist eine Rückmeldung über die Überzeugungskraft der politischen Propaganda leichter denn je zu erlangen. Wir sind also eingeladen, in das Ringen der Regierung, sich selbst angemessen und erfolgreich darzustellen, einzurücken, während die Option einer oppositionellen Kritik dieser Bilder durch Gegenbilder erschwert wird. Anstelle von symbolischer Politik kann hier von ›ikonischer Politik‹ gesprochen werden. Ikonische Politik zehrt vom psychoästhetischen Moment, das Bredekamp (2011) ›substitutiven Bildakt‹ nennt und die Gefahren der Verwechselung von Bild und Realität in sich birgt. Ikonische Politik oder Ikonopolitik operiert mit latenten Bildtypen, die Ähnlichkeit mit den ›reinen‹ oder leeren Signifikanten im Sinne Lacans (vgl. Laclau 1990) haben, also mit Symbolen, denen
12 Der »War on drugs« und andere »Kriege« gegen Eigenschaften und Gebräuche von Bevölkerungen entsprechen diesem Schema.
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kein Signifikat entspricht und auf die jeder Betrachter das eigene Begehren richten kann bzw. soll. Ikonische Politik steigert die Möglichkeiten eines aktivierten, formal souveränen Publikums, zur Legitimität weitgehend fremdbestimmter Weisen des Regiert-Werdens beizutragen – oder sie zu durchkreuzen. Ikonische Politik bezieht ihre Wirksamkeit u.a. aus Mechanismen »ikonischer Macht« (Kanter 2014, vgl. auch Alexander/Bartmanski/Giesen 2011): »Agieren mit Bildern ist doing perspective. Es ist kein neuer Gedanke, dass Bildern immer nur eine Perspektivität innewohnt. So liegt die Macht der Bilder auch nicht in dieser einen Sichtweise an sich, somit nicht in den Bildern selbst. Vielmehr äußert sich ikonische Macht darin, welche Orientierungen überhaupt bildlich ausgedrückt werden, bzw. zur Geltung kommen. Dies ist wiederum abhängig von unterschiedlichen Bildpraktiken, die gestaltend implizit Welt normieren.« (Kanter 2014)
Der Begriff ikonischer Politik erleichtert es, eine Mikrophysik der Macht zu denken, die auf Wissenstechniken beruht, in denen sich der Souverän ›Bevölkerung‹ – der gesellschaftlichen Selbstverehrung in der Religion (Durkheim 2013)13 ähnlich – selbst darin verehrt, die eigene Macht im Deuten der Bilder des Regierens zu erkennen ohne jenen ohne weiteres eigene Repräsentationen entgegensetzen zu können und sich dadurch effektiv im politischen Raum zu repräsentieren (vgl. auch Spivak 1988). Das Resonanz-Bild Der Soziologe und Bildwissenschaftler Mathias Blanc spricht im Bezug auf den Dokumentarfilm vom Typus des Beziehungs-Bildes (Blanc 2012), das realisiert wird, wenn die Relationen zwischen Abgebildeten (Sujets und Darsteller des Films) und Abbildenden (Regie, Kameraperson, Produzent etc.) im filmischen Bild so dargestellt werden, dass Zuschauer durch audiovisuelle Spuren der Interaktion zwischen diesen Instanzen aktiviert und befähigt werden, die Produktionsweise und Repräsentationsstrategie des Films deutend zu rekonstruieren. In Anlehnung an diese Formulierung möchte ich hier vom Resonanz-Bild und von Resonanzmedien sprechen. Das numerische audiovisuelle Dispositiv generiert neue Erfahrungen der Resonanz in zwei Varianten: Erstens in Form der Wahrnehmung der Responsivität anderer (in Form von content-Zugriffen, Kommentaren, Likes etc.). Zweitens in Erfahrungen und Praktiken der Selbstbeobachtung,
13 »Elles [les représentations collectives] correspondent à la manière dont la société dans son ensemble se représente les objets de l’expérience.« (Durkheim 2013: 617)
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die als Resultat einer »doppelten Subjektivierung« (Knoblauch 2007, 270ff.) anzusehen sind: Die Zuschauer werden einerseits als identitäre Subjekte angerufen, also einer sozialen Typik unterworfen, andererseits aber sind sie aufgefordert, »eigene Erfahrungen [zu] machen, und zwar Erfahrungen besonderer [...] Art. [...] Vom Subjekt wird erwartet, aus seinem Innenraum so zu schöpfen, dass es etwas daraus in die Kommunikation (wie die Alltagssprache so verräterisch sagt) ›einbringen‹ kann« (a.a.O.: 270). Wenn es wiederum so etwas Typisches in die Kommunikation einbringen kann, wird das als eine gelingende Handlung erfahren werden. Hartmut Rosa spricht in einem anderen, aber verwandten Zusammenhang von »Selbst-Welt-Resonanz« und »Resonanzerfahrungen« (Rosa 2011: 21). Seine Fassung der Frage nach dem Verhältnis von Einsamkeitszumutung und Responsivitätswunsch scheint vor allem mit der Sorge um eine allgemeine Abnahme von Resonanzerfahrungen verbunden zu sein. Ist es nicht vielmehr so, dass digitale Medien Resonanzerfahrungen jeglicher Art begünstigen, ja sogar anbieten, wenn auch meist auf den Sehsinn beschränkte? Das numerische audiovisuelle Dispositiv hält nämlich Resonanzerfahrungsmöglichkeiten mit eigenen Erlebnis-Sequenzen vor. Algorithmische Vorwegnahmen von Erwartungen und Wünschen, wie sie Big Data-Technologien ermöglichen, schließen die Resonanzerfahrungen gewissermaßen kurz, indem sie versprechen, diese Wünsche sofort zu befriedigen. Die ikonische Politik der Situation-Room-Fotografie und ihrer visuellen und textuellen Kommentierung stellt solche Resonanzböden bereit; dadurch wird, bzw. soll der Eindruck einer Übermacht der Exekutive vermieden werden: Das ›Erschrecken‹ Clintons sowie die Informalität von Obamas Kleidung und Haltung können auch als ›Technologien des Geschlechts‹ (de Lauretis 1987) begriffen werden, in denen kommuniziert wird, dass bei der Tötung Bin Ladens eine weiblich konnotierte Affektivität am Werk ist, eine Bereitschaft zur Empathie, Einfühlung, Leidenschaft, die von der kalten Präzision einer Militärmaschine deutlich abrückt. Überschreiten Partizipationsbereitschaft und Resonanzwünsche eines teilnehmenden und zu Mitwirkung aufgeforderten, dabei aber von realer demokratischer Mitbestimmung weitgehend ausgeschlossenen Publikums allerdings den Rahmen des Nützlichen, schlagen sie – so die Argumentation der visual politics des untersuchten Bildregimes – in eine Gefährdung der Gemeinschaft um. Das autoimmunitäre Sichtbarkeitsregime ikonischer Politik legitimiert dabei auch, dass Subalterne wie Maya oder Carrie reglementiert oder ausgeschlossen werden, dass also repressive Maßnahmen gegen Bevölkerungen notwendig werden. Ähnliche Figuren, die ›zu scharf‹ gemacht wurden und schließlich durch Überer-
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füllung ihrer Aufgaben oder kritische Wendung gegen ihrer Institutionen auffallen, werden (ohne dass ansonsten Ähnlichkeiten zwischen ihnen suggeriert werden sollen) ganz real durch die military and intelligence community kriminalisiert. Zu nennen sei hier etwa Lynndie England, Charles Graner, Chelsea Manning und Edward Snowden. Die institutionellen Architekten der militärischen und paramilitärischen Interventionen werden durch diese audiovisuelle Ontologie (feminisierter Leidenschaften) exkulpiert. Resonanzmedien als globale Machttechnik Aus diesen medialen, kulturellen und politischen Entwicklungen ergibt sich eine Situation, die als postpropaganistisch bezeichnet werden kann. Die Diagnose postpropagandistischer Verhältnisse betrifft nicht allein die Vereinigten Staaten. Die Selbstthematisierung des Regierens wird weltweit zunehmend auf partizipative Techniken umgestellt, in denen eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den Diskursen und Bildern des Regierens und ihres Image praktiziert wird – wenn auch in viel geringerem Umfang eine Beteiligung an den politischen Entscheidungen. Dies läuft auf nichts weniger hinaus als eine medientechnische und -ästhetische Perfektionierung liberaler Gouvernementalität (Foucault 2004), die in den neuen Medienverhältnissen – als Gouvernemedialität (Traue 2009, Engemann 2014) – zu sich selbst kommt. Jeder offene Machiavellismus, jede explizite Setzung, die Widerspruch herausfordern könnte, wird in diesem kybernetischen Regierungsmodus, der auf kommunikativen Rückkopplungsschleifen beruht (Tiqqun 2007), vermieden. Andererseits gibt es Hinweise, dass im Zuge solcher symbolischer bzw. ikonischer Partizipationsangebote auch Bedürfnisse nach einer Beteiligung an Entscheidungsprozessen zunimmt, was sich in neuen Beteiligungsverfahren wie Mediationsverfahren, Bürgerforen, raumgreifenden Protestformen wie Occupy etc. wiederspiegelt. Angela Merkels Politikstil der konsequenten Vermeidung von ›Machtworten‹ exemplifiziert diese neue Ungreifbarkeit der Herrschaftsverhältnisse. Er hat Resonanzmedien viel zu verdanken. Die wöchentliche Webvideo-Sendung »Kanzlerin direkt« inszeniert etwa das persönliche Engagement der Kanzlerin und ermuntert den Zuschauer, vermittels einer Befragung durch ebenso neugierige wie zaghafte junge Journalistinnen und Journalisten, sich in ihre Rolle zu versetzen. Während dieses Format auf jugendtypische Personalisierungsbedürfnisse ausgerichtet ist, zielte der Einsatz der sogenannten Merkel-Raute im Bundestagswahlkamp 2013 auf ein allgemeines Publikum ab. Die typische Handgeste der Kanzlerin wird auf einem zentralen Wahlkampfplakat ausgestellt. Die Mosaikstruktur des Wahlplakats, das nur ein paar Hände mit aneinandergepressten
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Fingern und Daumen darstellt, ist aus unzähligen Foto-Einsendungen von Parteimitgliedern zusammengesetzt. Es zeigt in einer Inszenierungsstrategie, die sich bei der Ikonographie des Frontispiz des Hobbesschen Leviathan bedient (vgl. Bredekamp 2006), die partizipationsgenerierte Legitimität der regierenden Kandidatin an. Auch dieses postpropagandistische Bild findet mit unzähligen Fotomontagen spöttische Resonanz (vgl. http://merkelraute.tumblr.com/) und trägt auf diese Weise zur Diskussion über die Wirksamkeit dieser Form der Selbstthematisierung des Regierens und der Regierenden bei.14 Eine große Gefahr der ins Leere laufenden, nicht ernst gemeinten Partizipationsangebote ist die weitere Abwendung von demokratischer Partizipation und die Weckung von Sehnsüchten nach der effektivsten mimetischen, pseudopartizipativen Regierungsweise – dem derzeit erstarkenden (neu-)rechten politischen Autoritarismus. Die ikono-kybernetische Koordination gesellschaftlicher Reproduktion und Transformation durch Resonanzmedien eröffnet allerdings auch neue Möglichkeiten der Etablierung von Gegen-Visualitäten und der Forcierung von Interventionen, mit denen pseudo-partizipative Legitimationsangebote durchkreuzt werden.
14 Im Falle der ironischen Brechungen des Wahlkampfplakates geht es anders als bei den Memes und Mashups der Situation-Room-Fotografie aber weniger um die Ironisierung der realpolitischen Dimensionen als um eine Kritik an der auf den persönlichen Stil reduzierten Regierungspolitik.
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Der Situation Room des 1. Mai 2011 * H ORST B REDEKAMP
Dem Auge öffnet sich ein mittelgroßer Raum. Um den lackierten hölzernen Tisch sitzt und steht eine Reihe von Personen, deren Anspannung mit Händen zu greifen ist. Die Dargestellten blicken gebannt auf einen unsichtbar bleibenden Punkt, so dass die Kamera nicht wahrgenommen wird. Die Fotografie gilt daher weniger dem Portrait einer Gruppe als vielmehr deren Reaktion auf ein Ereignis. Da der amerikanische Präsident wie auch die Außenministerin sofort auszumachen sind, wird unmittelbar deutlich, dass eine für die Spitze der Vereinigten Staaten höchste Anspannung erzeugende Situation festgehalten ist. Die dem Bild beigegebenen Informationen und die Umstände seiner Veröffentlichung bestätigen diesen Eindruck. Die Fotografie wurde von Pete Souza am 1. Mai 2011 um 16.05 Uhr im Situation Room des Weißen Hauses in Washington aufgenommen (vgl. http://www.flickr.com/photos/whitehouse/5680724572/). Pete Souza, der offizielle Fotograf des Weißen Hauses, hat mit seiner Standortwahl die Spitze der Entscheidungs- und Handlungsträger der Vereinigten Staaten von Amerika im Sinne eines veritablen Historienbildes erfasst. Die Distanz zwischen dem Zielpunkt der Blicke und dem Blickpunkt der Kamera lässt eine räumlich verschobene, spannungsvolle Komposition entstehen. Von der unscharf bleibenden Schulter eines Unbekannten in der linken unteren Ecke geht ein Vektor zu der rechts im Hintergrund erkennbaren Tür, während der rechts im Vordergrund befindliche Verteidigungsminister und der auf der linken äußeren Seite sitzende Vizepräsident eine Querachse bilden, von der aus sich ein Halbkreis von Personen nach rechts in die Tiefe des Raumes aufspannt. Der Bogen der Sitzenden geht vom Präsidenten der USA über einen Brigadegeneral und den
* Der Beitrag wurde in einer ersten Fassung veröffentlicht in der Zeitschrift für Ideengeschichte VI/I (2012), S. 66-70.
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stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater bis zur Außenministerin. Die Reihe der Stehenden reicht vom Vorsitzenden des Generalstabs, dem das Präsidentensiegel verdeckenden Nationalen Sicherheitsberater, dem Stabschef des Weißen Hauses, dem Nationalen Sicherheitsberater des Vizepräsidenten, der Direktorin für Terrorismusbekämpfung und dem stellvertretenden Sicherheitsberater des Präsidenten bis zum Geheimdienstdirektor. Wie um das Dramatische dieser Zusammenstellung zu betonen, ist jener CIA-Agent, der den Wohnsitz von Osama bin Laden aufspürte, nur in Form seines am rechten Bildrand zu erkennenden Armes präsent, ohne dass seine Identität preisgegeben wird. Ein weiteres Detail bestärkt, dass die Aufnahme ein veritables Historienbild abgibt. Auf dem Laptop der Außenministerin ist ein Satellitenbild zu erkennen, aber das darüber liegende Dokument ist durch Verpixelung unkenntlich gemacht worden, so dass sich die Fotografie in ein Gemälde verwandelt. Wie die Bildlegende ausweist, beobachten die Anwesenden über eine Kamera die Tötung des al-Qaida Führers Osama bin Laden und seiner Begleitung in seinem Haus in Abbottabad, Pakistan (vgl. die grundlegende Analyse von Diers in diesem Band). Da der Souverän des fremden Territoriums nicht informiert wurde, waren die rechtlichen Voraussetzungen dieser Aktion trotz der kurz nach dem 11. September 2001 beschlossenen Ermächtigung des Kongresses, gegen den Terrorismus Krieg zu führen, nicht gegeben, zumal sich die Getöteten nicht mit Waffengewalt gewehrt haben. Dem völkerrechtlichen Begriff des targeted killing zufolge ist es gestattet, eine Person zu töten, die im Begriff ist, eine terroristische Tat zu begehen. Um Bin Laden im Sinn dieser Regel in seinem eigenen Haus töten zu können, hätte, juristisch unhaltbar, seine gesamte Existenz als instantaner Terrorakt definiert werden müssen. Die Aktion war im Zuge des Kampfes gegen al-Qaida aber politisch und militärisch gefordert, und jenseits der Sympathisanten von al-Qaida dürften es selbst strikte Legalisten schwer gehabt haben, ihre Genugtuung über die Liquidierung von Bin Laden zu unterdrücken. Gleichwohl aber bleibt jener Grundkonflikt zwischen Staat und Recht, dem Hans Kelsen einen ungeheuren Aufsatz gewidmet hat, latent (vgl. Kelsen 1922/23). Die Fotografie ist das Dokument dieser Dissonanz. Sie zeigt die Dominanz des Politischen im Zustand einer seit 9/11 gegebenen, niemals aber explizit definierten Ausnahmesituation. Der vormodernen Rechtstheorie zufolge bedeutet ein Attentat eine Verwundung des staatlichen Gesamtkörpers, die durch die Hinrichtung des Attentäters geheilt werden muss. Die qualvolle Exekution François Damiens im Jahr 1757
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war eine Folge dieser Verkörperungstheorie.1 Im Rahmen einer in den USA in weitaus stärkerem Maß als in Europa virulent gebliebenen body politic könnte die Exekution Bin Ladens als eine abgeschwächte Form dieses Begriffes vom Staatskörper verstanden werden (vgl. Haltern 2009). Dadurch, dass sie vor Zeugen geschieht, wird die Wunde des verletzten politischen Körpers geheilt: diese Tradition scheint in der Fotografie des Situation Rooms neu aufzuleben. Diese nie zuvor gezeigte Entscheidungszelle musste zum Bild werden, weil sie als Ort der Zeugenschaft zu bezeugen war. Die Fotografie bekundet das Ungeheure des Vorgangs, um die rechtliche Problematik auf vielfältige Weise zu überspielen. In diesem Kippverhalten liegt die paradigmatische Qualität des Bildes. Es stellt sich zwischen die politischen und militärischen Erfordernisse der erfolgreichen Tat und die Bedenken, ob der juristische Preis nicht zu hoch war, zumal das Risiko des Misslingens hinzukam. Das erste Motiv liegt in der Vermeidung, dem Medusa-Antlitz des Bildschirms ins Gesicht zu sehen. Darstellungen von Tötungen oder von Getöteten als Trophäen sind rechtswidrig. Der Blick geht daher nicht auf die Bildquelle, sondern auf die Beobachter eines medial vermittelten Geschehens. Durch diese zweifach indirekte Zeugenschaft geht der Vorwurf einer rechtswidrigen Darstellung der Aktion ins Leere. Die zweite Form, auf das rechtlich Bedenkliche des Ereignisses zu reagieren, liegt darin, die hoheitliche Überhöhung, die diesem Akt in der Vormoderne zukam, zu vermeiden (vgl. Foucault 1976: 79). Hierzu trägt zunächst der Habitus der Kleidung bei. Angesichts dessen, dass sechs Personen Krawatten tragen, der Präsident jedoch betont leger gekleidet ist, erscheint das Ereignis als Ausdruck einer von jedem Inszenierungsdruck freien, inneren Notwendigkeit. Dies besagt auch die Körpersprache. Obwohl die Außenministerin verlauten ließ, es handle sich um die Reaktion auf einen Anfall von Heuschnupfen, gilt ihre Handgeste als Zeichen des Erschreckens, zumal der leicht geöffnete Mund des neben ihr sitzenden Denis McDonough dieselbe Reaktion zeigt. Hierfür spricht schließlich die gespannte Zuwendung, die von Barack Obama ebenso wie von Personen im Hintergrund, und hier vor allem von Audrey Tomason und dem sich zur besseren Sicht zur Seite neigenden Tony Blinken, ausgeht. Das dritte Motiv einer Überbrückung der Kluft zwischen Staat und Recht liegt in der Vermeidung des Eindrucks, hier sei eine gestaffelte Hierarchie am
1
Es ist kein Zufall, dass Michel Foucault dies zum Leitmotiv seiner Analyse des Blickregimes wählte. So problematisch seine Fixierung auf den kontrollierenden Blick auch sein mag, so bietet seine Deutung des Wechselspiels von Hinrichtung des Attentäters und Heilung des Nationenkörpers doch einen Schlüssel (vgl. Foucault 1976: 15-25).
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Werk gewesen. Die Sitzordnung ist aufgelöst. Der dem Präsidenten der USA zustehende Platz an der Stirn des Tisches ist von dem konzentriert auf den Laptop blickenden Marshall Bradley Webb eingenommen, der vermutlich Kontakt zum Ort des Geschehens hält. Im Gegenzug ist Obama, der Stunden zuvor den Einsatzbefehl in einsamer Entscheidung gegeben hatte, geradezu demonstrativ zur Seite gerückt. In vorgebeugter Spannung, auf den unsichtbaren Bildschirm blickend, wird er zur kleinsten der um den Tisch postierten Personen. Dadurch aber, dass die Ecke des Raumes als feiner Strich auf seine Schläfe zuläuft, wird er zu einer Scharnierfigur des Raumes. Mit intuitiver Genauigkeit hat der Fotograf das Doppelspiel von Enthierarchisierung und Hervorhebung getrieben, um allen Pathos zu vermeiden und gerade hierdurch das punctum einer politischen Ikonologie der Demokratie zu schaffen (Barthes 1985: 57, 59).2 Mit dieser Inversion von Hierarchie wird die Fotografie zum Apotropaion vor dem eigenen Unbehagen der Protagonisten. Das vierte Element der Entlastung des Konflikts zwischen Politik und Recht liegt darin, dass die Aufnahme nicht als gleichsam gerahmtes Offizium gegeben, sondern bereits am 2. Mai gemeinsam mit acht weiteren Aufnahmen auf der Plattform Flickr zur Verfügung gestellt wurde. Die Wahl dieses Forums, auf dem sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung etwa vier Milliarden Bilder und Videos befanden, entsprach jener Form der Einflechtung in das digitale Netz, dem Obama einen Teil seines Wahlerfolgs verdankte. Die Fotografie wurde gestiftet, zugleich aber von den privaten wie professionellen Nutzern »gemacht«, und dies ließ sie in kurzer Zeit zur meistgesehenen Aufnahme von Flickr werden. Hierdurch erreichte das Gruppenportrait den Charakter der von Thomas Hobbes definierten signs, die »zum Gebrauch für alle bestimmt sind« (Hobbes 1967: 15). Seine Berühmtheit ist das Produkt eines digitalen Plebiszits. Die Fotografie Pete Souzas schreibt sich mit all diesen Elementen ihrer widersprüchlichen Motive in jenes Langzeitgedächtnis ein, in dem komplexe Gemeinschaften ihre Konsistenz zu gewinnen suchen. Präsent ist der politische Körper der USA, wie er gesehen werden will: Unhierarchisch, informell, gleichwohl aber entscheidungs- und tatkräftig und zudem ehrlich bewegt ein Historienbild der Demokratie. Zugleich aber zeigt und überspielt die Aufnahme die Dominanz der Exekutive. Hierin ist Souzas Situation Room ein Signum des Jahres 2011.
2
Vgl. zur kunsttheoretischen Vorgeschichte und zur jüngeren Literatur: Bredekamp 2010: 249-252.
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L ITERATUR Barthes, Roland (1985[1980]): Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bredekamp, Horst (2010): Theorie des Bildakts, Berlin: Suhrkamp. Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Haltern, Ulrich (2009): Obamas politischer Körper, Berlin: University Press. Hobbes, Thomas (1967): Vom Körper, hg. u. übers. von Max FrischeisenKöhler, Hamburg: Meiner Verlag. Kelsen, Hans (1923): »Gott und Staat«, in: Logos, Internationale Zeitschrift für Philosophie und Kultur, Band. 11, S. 261-284.
»Public Viewing« oder das elliptische Bild aus dem »Situation Room« in Washington * M ICHAEL D IERS »Das Foto des Präsidentenfotografen Pete Souza [hat] Aussichten auf einen Platz im Geschichtsbuch [...]. Fest steht jedenfalls eines: Die Interpretation dieses Bildes wird nie ganz enden.« FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, NR. 105, 6. MAI 2011, S. 9
E RSATZBILD – B ILDERSATZ In der Nacht zum Montag, dem 2. Mai 2011, 1 stürmte eine Gruppe von 25 Navy Seals den bestens gesicherten Gebäudekomplex in einem Vorort der nordpakistanischen Garnisonsstadt Abottabad, in welchem sich der US-amerikanische Staatsfeind Nummer 1, Osama bin Laden, mit seiner Familie und Getreuen vor der Öffentlichkeit verschanzt hatte.2 Der gesuchte, im Rahmen dieser Aktion ge-
*
Der Beitrag wurde in einer ersten Fassung veröffentlicht in: Ausst.Kat. »Unheimlich vertraut. Bilder vom Terror«, C/O Berlin, hrsg. v. Felix Hoffmann, Köln 2011, S. 308331.
1
Angabe laut pakistanischer Ortszeit (UTC+6); nach US-amerikanischer Ortszeit (Washington, UTC-4) wurde die »Operation Neptune’s Spear« (alias »Geronimo«) am Nachmittag des Sonntag, 1. Mai 2011, durchgeführt.
2
Siehe zu dieser Militäraktion ausführlich den Wikipedia-Artikel »Operation Neptune’s Spear«, URL: de.wikipedia.org/wiki/Operation_Neptune’s_Spear [letzter Zugriff: 11.03.2014].
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tötete Terrorist galt als Chef der islamistischen al-Qaida-Gruppe und als hauptverantwortlicher Drahtzieher der Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September 2001. Bereits im August des Vorjahres war der Geheimdienst auf das Versteck Bin Ladens aufmerksam geworden, das nicht, wie vielfach vermutet, in einer unzugänglichen Berggegend im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, sondern in einer Großstadt, nicht weit entfernt von der ortsansässigen Militärakademie und damit in mancher Hinsicht sogar offen zutage lag. Osama bin Laden wurde nächtens in seinem Schlafraum von den Soldaten der amerikanischen Elitetruppe gestellt und, wie es heißt, mit zwei gezielten Schüssen in Kopf und Brust getötet.3 Die Legitimität dieses Vorgehens, sofern es sich nicht um Notwehr gehandelt hat, steht aus völker- und menschenrechtlicher Perspektive durchaus infrage. Dennoch wurde die Kommandoaktion unmittelbar nach Bekanntwerden außerhalb der Welt des militanten Islamismus begrüßt und als stolzer Sieg der US-Regierung gefeiert. Nun hätte es in einer von Bildmedien geprägten Welt naheliegen können, Dokumentarfotografien des blutigen Geschehens, insbesondere der Leiche des Protagonisten zu veröffentlichen, um letzte Zweifel an seinem tatsächlichen Ende zu beseitigen.4 Zwar widerspricht es dem Ethos einer zivilisierten Gesellschaft, (Gräuel-)Propaganda mittels Schockfotografien zu betreiben, aber dieser Grundsatz ist in der Vergangenheit bei vergleichbaren Anlässen immer wieder verletzt worden. Die Festnahme und Hinrichtung Saddam Husseins (2006) sind ebenso Bild geworden wie die Leiche Pol Pots (1998) oder aber die Füsilierung Nicolae Ceaușescu und seiner Frau Elena (1989) vor laufender Kamera (vgl. Stadler 2011:16). Es scheint auch heute noch ein vermeintliches Kriegsrecht des Bildes zu geben, das es auch auf offizieller Seite immer wieder gestattet, Bilder des Grauens in die Welt zu setzen, die weder auf die Würde der Opfer (und seien diese auch politische Kriminelle) noch auf die persönlichen oder religiösen Gefühle der Betrachter Rücksicht nehmen. Dass dieser Akt der Barbarisierung im Internet inzwischen Alltag ist, steht auf einem anderen Blatt, und zwar auf dem
3
Die genauen Umstände der Erschießung Osama bin Ladens sind von offizieller Seite im Detail noch nicht bekannt gemacht; laut Süddeutscher Zeitung wurde der al-QaidaChef durch einen Kopfschuss, dem unmittelbar ein zweiter Schuss (in die Brust) nachgesetzt wurde (sog. »Double Tap«) getötet. (vgl. Matern/Das Gupta 2011).
4
Fotos anderer Opfer der Kommandoaktion sind hingegen kurz nach dem Ereignis in die Öffentlichkeit gelangt; vgl. u.a. die über die Agentur Reuters verbreiteten Aufnahmen der Erschossenen, die auch von Bild.de am 5. Mai 2011 veröffentlicht worden sind (bild.de 2011).
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einer offenen Gesellschaft mit ihren kaum kontrollierbaren medialen Freiräumen. Insofern mag es als kluge Strategie der US-Regierung gelten, auf die Ausgabe von Bildern des zerfetzten Körpers des Chefideologen des islamistischen Terrors zu verzichten. Die dafür angegebenen Gründe lauten je nach Quelle unterschiedlich. Sei es, dass auf den Respekt vor gläubigen Muslimen hingewiesen wird, sei es, dass keine Märtyrerikone geschaffen werden solle, sei es, dass man selbstbewusst auf Triumphgesten meint verzichten zu können.5 Ohne Frage steckt neben moralischen oder ethischen Bedenken insbesondere auch (presse-) politisches Kalkül hinter dieser Zurückhaltung. Aber die Welt ging – selbstredend in Zeiten gesteigerter, teils perverser Lust am Bild – nicht vollständig leer aus, sondern erhielt ihr Bild des grauenvollen Geschehens; allerdings handelt es sich dabei nur um ein indirektes Zeugnis (Abb.1). Abbildung 1: Pete Souza, Barack Obama und sein Krisenstab im »Situation Room« des Weißen Hauses am 1. Mai 2011
Quelle: The White House
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US-Präsident Barack Obama hat ausführlich zu dem Entschluss, keine Bilder des getöteten Osama bin Laden zu zeigen, Stellung genommen, u.a. in einem Interview im Rahmen der CBS-Serie »60 Minutes« am 4. Mai 2011: »It is important to make sure that very graphic photos of somebody who was shot in the head are not floating around as an incitement to additional violence or as a propaganda tool.« (zit. n. Brian Montopoli 2011)
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Am dritten Tag nach der Aktion, das heißt am Mittwoch, dem 4. Mai, machten zahlreiche Zeitungen in aller Welt mit einer umgehend notorisch gewordenen Aufnahme aus dem »Situation Room« in Washington auf, die der leitende Fotograf des Weißen Hauses, Pete Souza, gefertigt und kurz darauf, wiederum im offiziellen Auftrag, über das Internetportal Flickr veröffentlicht, sprich weltweit distribuiert und der Betrachtung preisgegeben hat.6 Prompt wurde das Bild denn auch binnen 38 Stunden 1,6 Millionen Mal aufgerufen. »The photo […] is well on its way to destroying all auf Flickr’s viewing records« (Johnson 2011), hieß es daher bereits bald nach der Veröffentlichung. Und es hat den Anschein, dass dieses Foto der Geheimsitzung im abhörsicheren »Situation Room«, das auf den ersten Blick ein eher durchschnittliches, weil recht alltäglich erscheinendes Gruppenfoto ist, auch weiterhin als Ersatz für die ausgebliebene Schockfotografie zu dienen hat, die für manche Zeitgenossen als »Trophäe« den Erfolg der Regierung Obamas pointiert zur Schau gestellt hätte (vgl. Graff 2011:11; Klonk 2011:34). Auf die (medien-)politische Funktion und ästhetische Qualität des genannten Bildes soll im Folgenden näher eingegangen werden. Das Gruppenfoto hat inzwischen den (Kult-)Status eines politischen Ereignisbildes inne und darüber hinaus offenbar auch das geeignete Format, in den Rang eines Historienbildes aufzurücken.
B ILDBEOBACHTUNG In diagonal gestaffeltem Aufbau zeigt das Bild eine Runde von insgesamt sechzehn Personen, darunter zwei Frauen sowie drei Gestalten, die nur angeschnitten im Bild erscheinen. Die Gruppe hat sich sitzend oder stehend um einen langgestreckten Tisch versammelt, der weitgehend mit Laptops gefüllt ist. Alle Teilnehmer blicken in ein und dieselbe Richtung, und zwar in eine Zone links außerhalb des Bildes. Wem oder was die Gruppe gerade ihre Aufmerksamkeit widmet, lässt sich innerbildlich nur bedingt klären. Dabei spielen die Körperhaltungen, vor allem aber die Blicke der Protagonisten eine wesentliche Rolle. Es handelt sich, so viel ist rasch deutlich, um eine Gruppe von Zuschauern, die einem Bildgeschehen beiwohnt, zum Beispiel einer Fernsehübertragung. Da kein Kleidercode vorherrscht und zahlreiche Mitglieder der Runde eher leger gekleidet sind, könnte es sich durchaus auch um ein Ereignis aus der Welt des
6
Die Fotografie in ihrer vom Weißen Haus freigegebenen Gestalt findet sich unter http://www.flickr.com/photos/whitehouse/5680724572/in/photostream [letzter Zugriff: 20.01.2014].
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Sports handeln. Doch der Ernst der Lage scheint tiefer zu reichen. Dies jedenfalls ist der Eindruck, den vor allem die ernsten Gesichter des in der Ecke links platzierten, in seiner Körpergröße durch die Perspektive und das Sitzmöbel arg minimierten US-Präsidenten sowie seiner schräg gegenüber sitzenden Außenministerin machen. Letztere hat bei weit aufgerissenen Augen vor Schreck oder Entsetzen ihre rechte Hand zum Mund geführt. Versammelt sind auf der Fotografie die Mitglieder jenes Geheimkommandos, das an der Seite Obamas die Aktion gegen Bin Laden in mehreren Sitzungen an Ort und Stelle beraten und die notwendigen Maßnahmen vorbereitet hat, darunter neben diversen Sicherheits- und Antiterrorberatern sowie Stabschefs vorn links der Vizepräsident Joe Biden und vorn rechts der Verteidigungsminister Robert Gates. Insgesamt herrscht extreme Anspannung vor. Auf den Fotografen im Raum achtet im Augenblick jedenfalls niemand, sodass er unbeobachtet seiner Arbeit nachgehen kann. Die Uhrzeit des Treffens ist recht genau zu bestimmen, und zwar irgendwann zwischen 15.30 und 16.30 Uhr amerikanischer Ortszeit, eben zu jener Stunde, zu der parallel sich in 11.000 Kilometer Entfernung die Operation »Geronimo« vollzieht, die in der verabredeten Code-Meldung »Geronimo-EKIA« (enemy killed in action) ihren »Höhepunkt« finden sollte (Matern/Richter 2011: 2).7 Dass die Augen nahezu aller Anwesenden auf die Live-Übertragung des Einsatzes links außerhalb des Bildausschnitts gerichtet sind, bestärkt dadurch die befremdliche Tatsache, dass es sich bei dem zentralen Dokument der Serie um ein elliptisches, ein unvollständiges oder »halbes« Bild handelt, auf dem zwar die Zuschauerrunde, aber nicht das Geschehen gezeigt wird. Einen konkreten Hinweis auf den Gegenstand der gespannten Aufmerksamkeit hätte eventuell ein Detail, und zwar die Illustration auf der Tastatur des Computers von Clinton liefern können, aber genau diese Darstellung wurde vom Weißen Haus digital unkenntlich gemacht.8 Durch die Beschränkung auf die Zuschauer rücken vor allem de-
7
Laut den Metadaten des vom Weißen Haus auf dem Internetportal Flickr veröffentlichten Digitalbildes, das die offizielle Fotokennnummer P050111PS-0210 trägt und inzwischen auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag besitzt (»The Situation Room (photograph)«), »drückte Souza den Auslöser um 16 Uhr 05 Washingtoner Zeit, als es in Pakistan 1 Uhr 05 nachts war. Zu jenem Zeitpunkt hatte der Angriff gerade begonnen«. (Rüesch 2011)
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Laut Bildlegende auf der Homepage des Weißen Hauses, wo es heißt: »Please note: a classified document seen in this photograph has been obscured.« Im Internet wurde viel darüber spekuliert, welche Dokumente hier unleserlich gemacht worden sind (und
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ren psychisch-emotionale Reaktionen für den Betrachter ins Zentrum. Sie machen das Bild in besonderer Weise beredt. Sorge, Anspannung und Entsetzen prägen die Gesichter, deren Mienenspiel – Hillary Clinton ausgenommen – nicht von detailliert sprechenden Gestikulationen begleitet wird.9 Daher sind gerade Clintons Blick und Geste für die Rezeption und Wirkung von signifikanter Bedeutung, denn deren Zusammenspiel verleiht der dramatischen Zuspitzung einen gesteigerten Ausdruck. Während die Männer ihre Arme verschränkt oder auf dem Rücken versteckt halten, stellt Clinton für den Betrachter außerhalb des Bildes die eigentliche Pathosgestalt (und ›Leidfigur‹) dar, über welche sich das Maß des Schreckens rekonstruieren lässt. Kaum ein Zufall, dass es sich bei dieser zentralen Figur um eine Frau handelt; die Männer haben vorsorglich ihre Hände verborgen, sprich in Sicherheit (vor der Kamera) gebracht und sich dadurch vor Anzeichen seelischer Erschütterung gewappnet, ganz so, wie es dem herkömmlichen Rollenklischee der Geschlechter entspricht. Kaum zufällig auch, dass die Außenministerin einige Tage später erklären sollte, es sei ihr in diesem Augenblick kein Schreck, wie das Bild suggeriere, in die Glieder gefahren, sondern es habe sie vielmehr eine Heuschnupfenattacke gequält. Dass Clinton ihre Emotionen, welche die Aufnahme deutlich fixiert, nachträglich zu leugnen versuchte,10 hat offenbar mit dem öffentlichen Profil einer Politikerin zu tun, die glaubt, sich in ihrem Beruf im Kreis vermeintlich ›harter‹ Männer nicht ›schwach‹ zeigen zu dürfen. Ohne ihren derart pointiert ins Bild gerückten Gefühlsausbruch, der für das Verständnis der Fotografie eine kardinale Orientierungsfunktion inne hat, läge jedenfalls eine völlig andere, weitaus weniger aussagekräftige Aufnahme vor. Clintons Geste ist, um mit dem Kunsthistoriker Aby Warburg zu sprechen, im Kontext der Versammlung geradewegs als ein »Superlativ der Gebärdensprache« in Hinsicht auf die Suggestion und Wirkung der Szene anzusehen, die sich für den Betrachter gerade im Off des Bildes abspielt. Die (politische) Botschaft der Aufnahme ist leicht zu resümieren: Eine Versammlung verantwortungsvoll handelnder Politiker und Berater fiebert dem Gelingen einer Aktion entgegen, die zuvor im nämlichen Raum diskutiert und bera-
wie diese Fehlstellen möglicherweise technisch wieder rückgängig gemacht werden könnten) (vgl. Silver 2011). 9
Es hieß in der Presse, der Vizepräsident Joe Biden habe während der Sitzung einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten lassen.
10 »Außenministerin Hillary Clinton sagte am Donnerstag in Rom auf die Frage, ob sie entsetzt gewesen sei, diese 38 Minuten seien zwar die ›intensivsten ihres Lebens‹ gewesen, aber vielleicht habe sie auch nur ein Niesen unterdrückt« (Gropp 2011: 9; vgl. hierzu auch MSNBC 2011).
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ten wurde. Mittels Satellitenübertragung steht ihnen jetzt das Geschehen in Echtzeit vor Augen. Die Videokameras der Elitetruppe referieren jeden einzelnen Schritt, und bei dem Augenblick, den das Foto fixiert, könnte es sich, dies die Rhetorik des Bildes, um den zentralen dramatischen, peripatetischen Augenblick, das heißt um die Erschießung des verhassten Feindes handeln.11 Das aus dem Weißen Haus Verlautete, gerade der Anblick der Erschießung Bin Ladens sei den hier Versammelten erspart geblieben, weil für die Dauer von rund zwanzig Minuten, den entscheidenden zumal, eine technische Störung die Satellitenübertragung verhindert habe (vgl. Neue Zürcher Zeitung Online 2011), wird man vermutlich als Legende zum Schutz der Mitglieder des Krisenstabes begreifen müssen, die sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, einer äußerst brutalen Erschießungsszene vor dem Bildschirm ›Aug in Aug‹ beigewohnt zu haben. Dass jedoch die Souza-Aufnahme eben dies zu belegen scheint, ist bis dato ein unaufgehobener Selbstwiderspruch der Washingtoner Pressepolitik, nicht zuletzt Barack Obamas, den das Time Magazine im vorliegenden Zusammenhang als einen geschickten Bildstrategen im Kampf gegen Bin Laden, der selber ein »master of iconopolitics« gewesen sei, apostrophiert hat (Strauss 2011). Die Videobilder, die den Einsatz der Navy Seals dokumentieren, sind nur den im Raum anwesenden privilegierten Zuschauern vorbehalten, dem Betrachter hingegen bleiben sie ›vorsorglich‹ erspart. Die Aufnahme appelliert stattdessen an die Vorstellungskraft des Betrachters und setzt darauf, dass die ebenso prägnante wie provokante Leerstelle des Bildes, die zugleich eine eminent medienpolitische Lücke im System der Berichterstattung repräsentiert, auf eine imaginative, virtuelle Weise ausgefüllt wird. In explizierter Form stellt die Aufnahme den Bildverzicht, man könnte auch sagen: die verordnete Bildverweigerung (oder auch: Zensur), vor Augen. Das gezeigte Bild, das nicht die Tat, sondern die Reaktionen der Befehlshaber und Berater referiert, soll als hinreichendes Surrogat für das von vielen Seiten nachgefragte, teils geradezu vehement geforderte ›fehlende Bild‹ (des Leichnams) fungieren.12
11 Solange kein detailliertes Protokoll der Kommandoaktion in Abottabad vorliegt, lässt sich aus der angeblich auf die Minute genau zu datierenden Aufnahme (16.05 Uhr Washingtoner Zeit, siehe hierzu Anm. 1 und 7) auf keinen bestimmten Augenblick des Geschehens im fernen Pakistan rückschließen. Dennoch bleibt das mit der Veröffentlichung ebendieser Fotografie einhergehende Kalkül der visuellen Suggestion bestehen, es handele sich um den ›entscheidenden‹ Moment der Tötung Bin Ladens. 12 Die Herausgabe von Fotos des erschossenen Osama bin Laden wurde von verschiedenen Seiten mit z.T. durchaus unterschiedlicher Begründung gefordert; so hat z.B.
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Innerbildlich wird ›vor aller Augen‹ der Tathergang verifiziert, außerhalb des Bildes bleibt nur, mit einer Formulierung des deutschen Sprachpsychologen Karl Bühler gesagt, die »Deixis am Phantasma«. Das heißt, dass über die gezeigte Szene an die gemeinschaftliche Vorstellungskraft appelliert und darüber hinaus darauf abgezielt wird, dass sich die drängende Nachfrage nach dem einzig schlagenden (Bild-)Beweis erübrige – eine Medienstrategie, die ebenso ungewöhnlich wie bislang einmalig ist.
G RUPPENBILDNIS Ikonografisch gesprochen, handelt es sich bei der gezeigten Fotografie um ein Gruppenbildnis, dessen Komposition sich eng an die Vorbilder der holländischen Barockmalerei anlehnt. Wollte man in der Charakterisierung noch einen Schritt weitergehen, so böte sich Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp zum Vergleich an (Abb. 2): ein großformatiges Gemälde, das nicht nur dem Aufbau, sondern auch dem Sujet nach mit dem Washingtoner Porträt verwandt ist (vgl. Heckscher 1958; Volkenandt 2004; Warnke 1993; Mitchell 1994). Einander ähnlich sind der gewählte Bildausschnitt, der flächig und neutral gestaltete Hintergrund des Halbrunds sowie die Ballung der Personen in einer Bildhälfte (hier nach links, dort nach rechts hin geöffnet); ferner die für den Betrachter zum Einstieg ins Bild ausgesparte Mitte; die Sonderzone, die hier wie dort der Tischfläche eingeräumt wird; die Auszeichnung einer einzigen, sehr charakteristischen Handbewegung (Tulp/Clinton); die Funktion von demonstrativ gezeigten Papieren (die Namensliste bei Rembrandt, die ursprünglich eine anatomische Zeichnung war); das geordnet-ungeordnete, eng gestaffelte Beieinander zahlreicher, ins helle Licht getauchter (Experten-)Köpfe, die sämtlich als Porträts zu identifizieren sind.
Joseph Lieberman, Vorsitzender des US-Senatsausschusses für Heimatschutz, verlauten lassen: »So grauenvoll sie sein werden, weil er in den Kopf geschossen wurde: Die Veröffentlichung der Bilder könnte notwendig sein, um Zweifel zu unterdrücken, dass dies irgendein Trick der amerikanischen Regierung war« (vgl. Giesen 2011: 6). In Deutschland hat unter anderem die BILD-Zeitung vehement für die Freigabe der Fotos plädiert: »Ich denke, man sollte den toten Bin Laden der Welt zeigen. Sein zerschossenes Gesicht gehört zu den Bildern von 9/11.« (BILD 2011)
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Abbildung 2: Rembrandt Anatomie des Dr. Tulp, 1632, Öl auf Leinwand
Quelle: Mauritshuis, Den Haag
Analog zu dem bei Souza ausgesparten Videoscreen ließe sich bei Rembrandt das zu Füßen des Delinquenten geöffnet postierte, von außen aber nicht einsehbare Buch – vermutlich Vesalius’ berühmtes Standardwerk De humani corporis fabrica – anführen. Ähnlich wie im »Situation Room« bleibt auch im Anatomischen Theater Amsterdams dem Betrachter das durch das Arrangement herbeizitierte Bild-im-Bild, demnach der Blick in den illustrierten anatomischen Atlas verwehrt. Innerbildlich hingegen stößt der Foliant bei den Versammelten auf reges Interesse. Denn kaum ein Mitglied der Runde blickt direkt auf den Leichnam,13 die Mehrzahl scheint vielmehr an den Darstellungen des klassischen Lehrbuchs (oder aber am Betrachter vor dem Bild) interessiert zu sein. Soweit die Parallelen. Die ikonografische Differenz zwischen Gemälde und Fotografie muss nicht eigens herausgestellt werden: Die Laptops und Kaffeebecher auf dem Konferenztisch ersetzen selbstverständlich nicht den Leichnam, auch wenn sie im Augenblick, den General ausgenommen, der im Moment höchster Anspannung und Entscheidung auf Obamas angestammten Platz am Kopfende des Tisches (und somit auf den Präsidentenstuhl!) vorgerückt ist, um von dort aus möglicherweise den ungehinderten Nachrichtenfluss zu steuern,
13 »No eye within the painting sees the body«, schreibt Mitchell (1994: 148).
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keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen und daher mit ihren blinden Bildflächen als ›tote‹ Gegenstände in Erscheinung treten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die Veröffentlichung des SouzaFotos als Aufmacher der Ausgabe vom 4. Mai 2011 mit der leicht frivolen Schlagzeile »Public Viewing« überschrieben und im Kommentar zugleich darauf hingewiesen, dass dieser Ausdruck im englischsprachigen Raum weniger das gemeinschaftliche TV-Erlebnis in der Öffentlichkeit als vielmehr »die öffentliche Aufbahrung eines Toten« (FAZ 2011: 1) meine, das heißt eine andere, zeremonielle Form von Leichenschau. Damit hätte der Kommentar, ohne es näher zu begründen, im Hinblick auf den Bildgehalt den Nagel auf den Kopf getroffen und auf diese Weise zugleich auch die ikonografische Verbindung zu Rembrandts Gemälde geschlagen. Im Amsterdam der Zeit fanden einmal jährlich, und zwar jeweils im Winter, öffentliche Sektionen vor zahlendem Publikum statt. Sie wurden als theatralische Schau dargeboten und demonstrierten ›vor aller Augen‹ den aktuellen Stand der Chirurgie. Um auch dem bei Rembrandt gezeigten Toten die Ehre einer kurzen persönlichen Erwähnung zu erweisen, sei auf Folgendes hingewiesen: Es handelt sich um Adriaan Adriaans alias Aris Kindt, einen Straßenräuber, der am Freitag, dem 31. Januar 1631 wegen Manteldiebstahls hingerichtet worden ist; die Leichenöffnung erfolgte tags darauf, folglich am Sonnabend, dem 1. Februar des genannten Jahres. William S. Heckscher hat in seiner Werkmonografie des Gemäldes betont (Heckscher 1958), Rembrandt habe seinen Protagonisten und Auftraggeber Dr. Nicolaes Tulp als eine Art Hohepriester gewürdigt, der die Gesellschaft vom Übel befreie, indem er den Leichnam eines Kriminellen einem sozialen, sprich guten Zweck zuführe – die anatomische Schau fungiert demnach als Reinigungsakt und Austreibung des Bösen, kurzum als ein »trionfo over death and sin«. (Heckscher, zit. n. Mitchell 1994: 155)
V ORBILDER , N ACHBILDER Die Juxtaposition der Aufnahme aus Washington mit Rembrandts Gemälde lässt sich darüber hinaus auch aus der Geschichte der politischen Ikonografie im engeren Sinn herleiten (Abb. 3).
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Abbildung 3: Freddy Alborta, Ernesto »Che« Guevara auf dem Totenbett, Vallegrande/Bolivien, 10. Oktober 1967
Quelle: Bride Lane Library/Popperfoto/Getty Images
Das berühmte Foto von Freddy Alborta, das den ermordeten Ernesto »Che« Guevara am 10. Oktober 1967, am Tag nach seiner Hinrichtung auf dem zur Schau gestellten Totenbett im bolivianischen Vallegrande, umstanden von seinen Verfolgern, zeigt, hat sich der Ikonografie, aber auch der Komposition nach ins öffentliche Bewusstsein der Zeitgenossen eingeprägt.14 In einem Waschtrog auf einem Leintuch christusgleich aufgebahrt, versuchen die Militärs mit ihren despektierlichen Hand- und Fingergesten dem toten Revolutionsführer vor klickender Fotokamera auch noch die allerletzte Ehre zu nehmen und ihren Triumph auszukosten. Das eine Bild überlagert das andere, die große Leerstelle in der Aufnahme von Pete Souza, die gerade durch die verpixelte Zone im Zentrum eine besondere Anziehungskraft erhalten hat, will in der Betrachtung immer neu ausgefüllt werden, und zwar mit dem zentralen Motiv des szenischen Geschehens – mit der Leiche. In ihrer Längsstreckung provoziert die Tischfläche formal und metonymisch den liegenden Körper. Wie ein ›mise en abyme‹ verweist darüber hinaus die Pixelfläche auf den Akt der Zensur und damit auf eine ›Auslöschung‹, der
14 Auf dieses Bild macht im Rahmen der Diskussion um politische Sensationsfotos aus Anlass der Souza-Aufnahme auch David Levi Strauss in seinem Artikel im Time Magazine aufmerksam (vgl. Strauss 2011).
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Inkarnat-Ton aber, aus der Ferne gesehen, auf einen Körper. Auch an dieser Stelle, im ›leeren‹ Zentrum des Bildes, wird nochmals das ›entscheidende‹ Bild-imBild durch den Eingriff in die Substanz der Fotografie radikal negiert. Eine historisch näherliegende, motivisch verwandte Aufnahme aus dem Irakkrieg zeigt Saddam Husseins Söhne Uday und Qusay auf ihrem Totenbett (Abb. 4). Äußerlich weitgehend wiederhergestellt, werden die Leichen der von einem US-Einsatzkommando getöteten beiden Männer zum Beweis ihres Ablebens der internationalen Öffentlichkeit demonstrativ vorgeführt. Eine Filmkamera, unterstützt von hellem technischem Licht, zeichnet die Gesichtszüge zur Identitätssicherung auf. Abbildung 4: Stan Honda, Uday und Qusay Hussein, aufgebahrt im Flughafen Bagdad, 25. Juli 2003
Quelle: Bride Lane Library/Popperfoto/Getty Images, Fotografie Reuters/ Corbis
Wiederum werden die Körper in diagonaler Ausrichtung gezeigt. Es sind nicht zuletzt diese standardisierten Kompositions(richt)linien oder Bildschemata, welche die Assoziation einer abwesenden Anwesenheit des ausgeschlossenen Dritten im Washingtoner Bild unterstützen. Offenbar löst gerade der doppelte Bildverzicht (Bildschirm und Pixellandschaft), welcher der Souza-Aufnahme ebenso explizit wie markant eingezeichnet ist, das Verlangen nach ›Komplettierung‹ der Leerstelle, die als Fehlstelle begriffen wird, aus (vgl. Kemp 1985). Doch zurück zur Anatomie des Dr. Tulp und zu ihrer künstlerischen Darstellungstradition, und zwar so, wie sie Warburg in seinem berühmten Bilderatlas
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vom Ende der 1920er-Jahre präsentiert (Warburg 2000): Auf der Tafel 75 des Mnemosyne-Atlas (Abb. 5) sind all jene relevanten Darstellungen versammelt, die dem Thema der Anatomie von ihren magischen Anfängen in der Form der »Gedärmschau« bis zur medizinisch-wissenschaftlichen Leichenschau oder Pathologie in der frühen Neuzeit gewidmet sind. Abbildung 5: Aby Warburg, Der Bilderatlas MNEMOSYNE, Tafel 75: »Magische Anatomie. Gedärmschau (und) Wissenschaftliche Anatomie.«
Quelle: Aby Warburg
Mantik und Medizin, so die Argumentation der Bilderreihe, lösen einander über zahlreiche historische Stufen allmählich ab. Die bildende Kunst hat in vielen Darstellungen die Totenklage und Beweinung nicht scharf von einer anatomischen Sektion getrennt, vielmehr beides dem Bilderaufbau nach parallel gestaltet, sodass hier die Trauernden, dort die medizinischen Experten einen aufgebahrten Leichnam umstehen. Rembrandts berühmte Anatomieszenen repräsen-
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tieren auf Warburgs Tafel einen modernen Wende- und Schlusspunkt der Entwicklung, indem sie von der Gepflogenheit der publikumswirksam inszenierten Leichenöffnungen des Barockzeitalters berichten. Ob Warburg das Washingtoner Foto als zeitgenössisches Beispiel der Neuformulierung eines tradierten Modells in seinen Atlas aufgenommen hätte, ist selbstverständlich müßig zu fragen – da anachronistisch –, heuristisch jedoch dann aufschlussreich, wenn man nach dem Modellcharakter von Warburgs unterdessen legendärem Arbeitsinstrument, respektive seiner Aktualität fragt. Begreift man den Atlas nicht als ein wissenschaftsgeschichtlich abgeschlossenes, sondern als ein durchaus virulentes, jeweils zu adaptierendes Instrument kritischer Analyse, dann lässt sich zur Erprobung des Konzeptes auch eine punktuelle Fortführung denken. Wenn der Hamburger Gelehrte allerdings erlebt hätte, in welch rasantem Tempo das Washingtoner Bild zu einer Ikone des aktuellen politischen (Medien-)Diskurses aufgerückt ist und wie es dabei alle möglichen Stufen der Transformation und Variation durchlaufen hat – von der digitalen Bearbeitung (Tilgung der beiden weiblichen Gestalten im Rahmen der Veröffentlichung in der New Yorker jüdisch-orthodoxen Wochenzeitung »Di Tzeitung«, vgl. Davidson 2011)15, über die detektivische Dechiffrierung sprechender, im Bild versteckter Details durch Blow-ups, welche nicht zuletzt die im Lagezentrum aus Sicherheitsgründen vorherrschende Paranoia der Geheimhaltung bloßlegt (vgl. Malkoff o.J.), oder den Cartoon, der die Obama-Mannschaft durch die Bank in Fernsehzuschauer jener königlichen Hochzeit in London verwandelt, die am selben Tag, als in Washington die Entscheidung zur Durchführung der Aktion »Geronimo« gefällt wurde, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, wie es emphatisch hieß, vollzogen wurde (Emmerson 2011), bis zur frappierenden Verfremdung einer digitalen Montage, die den Kopf des Gesuchten wie einen leibhaftigen Gott-seibei-Uns auf den Körper des Vizepräsidenten steckt und folglich Osama selber bei der eigenen Erschießung als Zuschauer zeigt (vgl. road-monster.com); wenn Warburg all diese Verwandlungen gekannt hätte, dann wäre ihm das Washingtoner (Ersatz-)Bild als Paradigma einer zeitgenössischen Presse-Ikone, die das Sujet der Leichenschau und Autopsie über die moderne Form der Teichoskopie
15 Als Reaktion auf diese Manipulation wurde im Internet auch eine Variation der Souza-Aufnahme veröffentlicht, die ausschließlich die beiden Frauen in dem sonst leeren Raum zeigt (vgl. http://2.bp.blogspot.com/-2emZT4c3LG4/Tc2_AlPqapI/AAA AAAAAAAM/ldaxC-hcUtg/s1600/situationroom-misandrist.jpg [letzter Zugriff: 30. 06.2011]). Das Bild wurde am 10. Mai 2011 im Netz publiziert, unter anderem mit der Unterschrift »Men removed due to modesty concerns ...«.
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(Television) aufgreift, als treffliche zeitgenössische Ergänzung seiner Atlastafel vermutlich kaum entgangen. Ernst H. Gombrich hat in seiner Warburg-Biografie von 1970 skeptisch gefragt, wie viele der sogenannten »Aktualitäten« (gemeint sind die Presse- und Werbebilder, die Warburg auf den drei Schlusstafeln zeigt) am Ende tatsächlich in die Druckfassung des Atlasses hineingelangt wären (vgl. Gombrich 1981: 404). Offenbar wollte er damit andeuten, dass ihm das historische Projekt auf den letzten Tafeln ins allzu Gegenwärtige (und Beliebige) zu entgleiten drohe. Von heute – und der immensen Rezeption – aus betrachtet wird man sagen können, dass gerade darin der zentrale Attraktions- und Anknüpfungspunkt, ja die epistemologische Qualität und erkenntnis-kritische Brisanz des Projektes für viele seiner Nutzer, darunter nicht zuletzt die bildenden Künstler, liegt. Und auf der anderen Seite zeigt der Vergleich der Fotografie aus dem »Situation Room« mit den ›Vorbildern‹ der Tafel 75, dass es möglich ist, jene aus einer künstlerischen Tradition heraus zu verstehen, die ihrer formalen und gedanklichen Komposition zugrunde liegt, aber kaum auf Anhieb zu erkennen ist. Dazu bedarf es einer den Blick schärfenden Kontrastfolie, zum Beispiel Warburgs Bilderatlas. Oder aber man hält sich an die bildende Kunst in ihrer aktuellen Gestalt (vgl. Didi-Huberman 2010). Abbildung 6: Thomas Hirschhorn, Blick in das Pariser Studio des Künstlers, 2010
Quelle: Fotografie: M. Diers
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Künstler wie Thomas Hirschhorn befassen sich seit Jahren mit einem Bilderprojekt, das dem Warburgs in mancher Hinsicht ähnelt. Auch sie versuchen, der Menge der politischen, häufig genug brutalen Bilder Herr zu werden, das heißt sie zu sammeln, zu ordnen und neu – oft in Form von Tableaus – zu arrangieren, um sie auf künstlerische Weise in Bezug auf ihre Wirkmacht zu analysieren, damit man ihnen nicht ›hilflos‹ gegenüberstehen muss (Abb. 6). Hirschhorn hat dazu verschiedene Präsentations- und Kommentarformen entwickelt. Darunter auch das Modell der »Ur-Collage«, das jeweils zwei Fotos, die einander in ihrer Herkunft und Aussage konträr gegenüberstehen, ästhetisch bruchlos zusammenfügt (Abb. 7) (vgl. Kulli 2008). Abbildung 7: Thomas Hirschhorn, Ur-Collage (Serie „XXL“), 2008, Karton, Drucke, Klebeband
Quelle: Galerie Susanna Kulli (Hrsg.): »Ur-Collage: Thomas Hirschhorn«, Zürich 2008.
Der krasse Zusammenschnitt der beiden Motive – eine Anzeige aus einem Modemagazin hier, das Bild eines zerfetzten Körpers aus dem Internet dort – überfällt den Betrachter schlagartig und fordert ihn im nächsten Schritt dazu auf, nachzudenken über den Parallellauf zweier einander nur scheinbar entfernt gegenüberstehender Welten, sowie nicht zuletzt über den historischen Kontext einer öffentlichen »Leichenschau«.
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P OSTSCRIPTUM Der Spielfilm »Zero Dark Thirty« (USA 2012, R.: Katherine Bigelow) ist der Nacherzählung der zehn Jahre währenden Jagd auf Osama bin Laden aus der Perspektive des CIA gewidmet. Gleich zu Beginn heißt es, er beruhe in seinen Schilderungen auf Tatsachen aus erster Hand (»based on firsthand accounts of actual events«). Höhepunkt des Films ist die Erstürmung des Gebäudes in Abottabad, in dem sich der gesuchte al-Qaida-Chef versteckt hielt, und schließlich dessen Erschießung. Diese fiktiv-dokumentarische Szene füllt in ihrer Dramatik und Detailliertheit eben jene explizite Lücke in der Berichterstattung über die Ereignisse aus, die das Weiße Haus ins Zentrum ihrer Bildpolitik gerückt hat. Ohne dass die amerikanische Regierung wortbrüchig geworden wäre, kompensiert die Hollywood-Inszenierung, die sich rühmt weitgehend »authentisch« zu sein, das entstandene Vakuum. Auch wenn in dem in der Dunkelheit vollzogenen Handgemenge die Gestalt Osama bin Ladens nie deutlich auszumachen ist, kommt seine Leiche doch mehrfach schemenhaft ins Bild, bevor sie anschließend, in einen Sack verfrachtet, abtransportiert wird. Doch damit nicht genug: Zurück auf dem Stützpunkt der Navy Seals in Afghanistan, wird der Leichensack auf eine Bahre gehievt. Sodann führt ein Offizier die CIA-Agentin Maya, deren aufreibendem Einsatz die Enttarnung Osama bin Ladens zu verdanken ist, an den Leichentisch heran, um den Gesuchten identifizieren zu lassen. Zu diesem Zweck zieht sie den Reißverschluss auf, klappt das Tuch zur Seite und für einen Moment wird ein Kopf, genauer ein weißer Bart und eine Nasenspitze sichtbar. »Er ist es«, so lautet das mimisch übermittelte Urteil der sichtlich erschöpften Protagonistin. Durch Augenschein, das heißt von Angesicht zu Angesicht, wird die Identität bestätigt. Dass im übrigen Bin Ladens Kopf durch einen gezielten Schuss aus nächster Nähe weithin zertrümmert und daher unkenntlich gewesen sein muss, spielt hier, wo es im Sinne der Peripetie um das erste und zugleich letzte persönliche Gegenüber von Heldin und dem zur Strecke gebrachten Schurken geht, keine Rolle. Maya hat das Gesicht und damit das Wesentliche unmittelbar gesehen, stellvertretend für den Zuschauer, der nicht ganz so nah an die Leiche, die man von politischer Seite aus partout nicht zeigen wollte, herangeführt wird, der aber immerhin doch einen kurzen entscheidenden Blick werfen kann und dadurch mittelbar ebenfalls zum Augenzeugen wird. Der Film unterläuft die Bildzensur des Weißen Hauses, das aber wohl dankbar dafür sein wird, auf diese Weise von der visuellen Beweispflicht »entlastet« worden zu sein. Anders wäre auch nicht zu verstehen, dass es bei der Vorberei-
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tung des Films offenbar beste Kontakte zwischen einigen Regierungsvertretern und dem Team der Filmemacher gegeben hat.
L ITERATUR BILD (2011): »Betrifft: die Todesfotos Bin Ladens«, in: BILD vom 05.05.2011. Didi-Huberman, Georges (Hg.) (2010): Ausst.Kat. ATLAS – How to Carry the World on One’s Back?, Madrid, Museo Nacional de Arte Reina Sofia u. a. Madrid 2010. FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (2011): »Public Viewing«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.05.2011, S. 1. Galerie Susanna Kulli (Hg.): »Ur-Collage: Thomas Hirschhorn«, Ausst.-Kat. Galerie Susanna Kulli: Zürich 2008. Giesen, Christoph (2011): »Beweisbilder gegen die Zweifel«, in: Süddeutsche Zeitung vom 04.05.2011, S. 6. Gombrich, Ernst H. (1981): Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Frankfurt am Main: Philo and Philo Fine Arts. Graff, Bernd (2011): »Das Antlitz des Bösen. Warum selbst Hochzivilisationen noch den Drang kennen, die Bilder ihrer toten Erzfeinde zu zeigen und zu verbreiten«, in: Süddeutsche Zeitung vom 03.05.2011, S. 11. Gropp, Martin (2011): »Kommando mit Schäferhunden«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2011, S. 9. Heckscher, William S. (1958): Rembrandt’s Anatomy of Dr. Nicolaes Tulp, New York: New York University Press. Kemp, Wolfgang (1985): »Verständlichkeit und Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts«, in: ders. (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Köln: DuMont, S. 253-278. Klonk, Charlotte (2011): »Warum wir trotzdem Bilder brauchen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.05.2011, S. 34. Matern, Tobias/Richter, Nicolas (2011): »Geronimos Tod. Vierzig Minuten, die die Welt veränderten: Wie der US-Präsident und sein engster Zirkel das Ende eines Thrillers erlebten«, in: Süddeutsche Zeitung vom 04.05.2011, S. 2. Mitchell, Dolores (1994): Rembrandt’s ›The Anatomy Lesson of Dr. Tulp‹: A Sinner among the Righteous, in: artibus et historiae, 15, 30, 1994, S.145-156. Stadler, Rainer (2011): »Usama-Fotos wecken Neugier, wären aber kein letzter Beweis«, in: Neue Zürcher Zeitung vom 06.05.2011, S. 16. Volkenandt, Claus (2004): Rembrandt: Anatomie eines Bildes, München: Wilhelm Fink Verlag.
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»P UBLIC V IEWING « ODER DAS
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Brüchige Sichtbarkeiten Medienmechanismen amerikanischer Bildpolitik nach 9/11 * K ATJA M ÜLLER -H ELLE
Der amerikanische Journalist Walter Lippmann eröffnet seine Abhandlung Public Opinion von 1922 mit einer Inselgeschichte. Unter der Überschrift The World Outside and the Pictures in Our Heads lässt er im Herbst des Jahres 1914 eine Delegation von Engländern, Franzosen und Deutschen den Beginn des ersten Weltkrieges verpassen. Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt verlegten Tiefseekabel zur Nachrichtenübertragung werden in großem Bogen an der Insel vorbeigeführt und auch das Postschiff kommt nur alle 60 Tage. Nachrichten sind eine Sache des zeitlichen Aufschubs. Mit sechs Wochen Verspätung erfahren die Inselbewohner Mitte September, dass sich England, Frankreich und Deutschland im Krieg befinden. »For six strange weeks they had acted as if they were friends, when in fact they were enemies.« (Lippmann 1922: 3) Das Bild im Kopf und das Weltgeschehen, die Unterscheidung zwischen Freund und Feind sind nicht mehr deckungsgleich; die Nachricht vom Krieg lässt die gemeinsamen Tätigkeiten der Inselbewohner retrospektiv zu einer in Realität gekleideten Maskerade erstarren. Lippmanns Eingangserzählung entwirft ein Szenario der Ungleichzeitigkeit des Kriegsgeschehens mit dem persönlichen Erleben der Einzelnen. »There was a time for each man when the picture of Europe on which men were conducting their business as usual, did not
*
Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Textes »Risse im Bildgewebe. Bildpolitiken der Abwesenheit«, der im Rahmen der Ausstellung »This is Willem Popelier« im c/o Berlin, organisiert von Ann-Christin Bertrand und Felix Hoffmann, im September 2012 erschienen ist (vgl. Müller-Helle 2012: 8-24).
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in any way correspond to the Europe which was about to make a jumble of their lives.« (ebd.) Die Pointe seiner strukturellen Analyse der öffentlichen Meinungsbildung nach dem Ersten Weltkrieg mündet dann aber nicht in der These, dass es schnelle und langsame Medien der Informationsübertragung gibt, die einem historischen Wandel unterworfen sind. Das Überraschende der Ausführungen Lippmanns, der als Berater des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson 1918 am 14-Punkte-Programm für ein friedvolles Zusammenleben Europas beteiligt war, ist die Übertragung des Inselmodells auf die Struktur von Nachrichtenvermittlung überhaupt. Die Personage der Public Opinion ist konstitutiv von Informationen ausgeschlossen und das Resultat dieses Ausschlusses ist eine Verwechslungsgeschichte: Die indirekten Bilder des Geschehens werden anhaltend mit der Realität verwechselt. »Looking back we can see how indirectly we know the environment in which nevertheless we live. We can see that the news of it comes to us now fast, now slowly; but whatever we believe to be a true picture, we treat as if it were the environment itself.« (a.a.O.: 4) Die Insel Lippmanns ist nicht nur ein ›ferner Ort‹, sondern eine symbolische Operation. »Eine Insel, die weitab vom Festland siedelt, setzt eine Unterscheidung, sie zieht eine Linie« (Meynen 2010: 82). Diese Linie verläuft zwischen Informationsübertragung und nichtverlegten Kabeln, Sehen und Nicht-Sehen, Wissen und NichtWissen. Das Wissen um die Verwechslung oder zumindest Verunklärung der Grenze zwischen der Realität und ihren Bildern ist eine notwendige Voraussetzung heutiger medialer Bildpolitik. Ein Beispiel der Inszenierung eines weltpolitischen Ereignisses, welches die Spannung zwischen Sichtbarmachung und Verbergung von Wissen medial fasst, ist das am 1. Mai 2011 von Pete Souza gefertigte Foto aus dem Situation Room. Es hat in den letzten Jahren immer wieder Reflexionsräume freigelegt. Im Folgenden soll es um künstlerische Verarbeitungen der mit der Fotografie verbundenen bildpolitischen Strategien gehen, die in den weiteren Rahmen der amerikanischen Bildpolitik nach 9/11 ausgreifen.
E INFÖRMIGE B ILDER Am 3. Mai 2011 fährt der niederländische Fotokünstler Willem Popelier zum Flughafen. Sein Interesse gilt an diesem Tag nicht einem fernen Reiseziel, sondern der internationalen Presse der Zeitungsauslagen. In der Nacht zum 2. Mai hatte ein Sonderkommando des US-amerikanischen Militärs Osama bin Laden auf einem Anwesen in Pakistan erschossen. Ein überraschendes Bild übereinander gestapelter Zeitungen tut sich vor Popeliers Augen auf. Seit einem Jahrzehnt
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war die Leerstelle des von den amerikanischen Medien hoch stilisierten Terroristen auf der Flucht zur Triebfeder der internationalen Politik geworden. Wie würde das Ereignis des Todes Bin Ladens nun in den Medien bebildert werden? Willem Popelier kauft so viele internationale Zeitungen wie möglich und ist überrascht von den Titelseiten. Kein Leichnam wird als Beweis oder Trophäe abgelichtet, keine Spuren einer gewaltsamen Überführung des weltweit meistgesuchten Mannes, sondern allein das Porträt des intakten Gesichts Bin Ladens kommt ihm immer und immer wieder entgegen. Das Porträt Bin Ladens verdeckt das Geschehen, das Gesicht verschweigt seinen Tod. In Popeliers Arbeit Osama Papers (vgl. Abbildung 1) übersäen die Titelseiten der Zeitungen vom 3. Mai eine weiße Wand.1 In der Zusammenschau schrumpft das Weltgeschehen in einer Vielzahl gleicher Bildmotive zusammen. Hinter Glas aufgezogene reproduzierte Zeitungsseiten umranden die sich ähnelnden Porträts Bin Ladens mit verschiedenen Headlines. Die Daily Mail druckt in fetten Lettern »OBAMA WATCHED BIN LADEN DIE ON LIVE VIDEO«, das Algemeen Dagblad vermerkt nüchtern »BIN LADEN DOOD« und die Neue Zürcher Zeitung denkt an den nächsten Schritt: »Angst vor Rache für Bin Laden«. Das lebende Gesicht Bin Ladens bleibt. Das Porträt wird als Schutzschild der amerikanischen Sicherheitspolitik eingesetzt, die davon ausgeht, dass sich die Öffentlichkeit auf das Verwechslungsspiel zwischen Bildern und Geschehen einlassen wird. Die offizielle Begründung Barack Obamas für das Zurückhalten der Bilder des toten Bin Laden ist der Schutz der amerikanischen Truppen im Irak und in Afghanistan. Dem Kunstkritiker David Levi Strauss folgend, zeigt sich in der Bildpolitik der amerikanischen Regierung seit Abu Ghraib eine Verbergungsstrategie von Bildern. Am 13. Mai 2009 erklärte Obama, »er werde sein Veto gegen die Freigabe weiterer Bilder misshandelter Gefangener in Abu Ghraib einlegen und damit eine vorher getroffene Vereinbarung der Regierung mit der American Civil Liberties Union (ACLU)« (Strauss 2012: 62) widerrufen. Die Begründung folgt der gleichen Logik wie die Headline der Zürcher Zeitung nach Bin Ladens Tod, die die Angst vor der Rache ins Zentrum stellt. »Ja, die unmittelbare Folge ihrer Freigabe wäre, glaube ich«, so Obama, »antiamerikanisches Empfinden zu schüren und unsere Truppen größerer Gefahr auszusetzen.« (ebd.) Denn die Freigabe postmortaler Bilder von Leichnamen kann – das zeigt die Geschichte – die gewünschte Wirkung auch verfehlen.
1
Vgl. die Dokumentation der Arbeit »Osama Papers« auf http://www.willempopelier. nl/osama.html (zuletzt gesehen am 12.05.2014)
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Abbildung 1: Willem Popelier, Osama Papers, Titelseiten 3. Mai 2011
Quelle: This is Willem Popelier, hrsg. von Felix Hoffmann, Berlin 2012, n.p.
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So löste etwa die Präsentation des Leichnams Che Guevaras, den die bolivianische Armee mithilfe des amerikanischen Nachrichtendienstes CIA 1967 hingerichtet hatte, nicht Bewunderung für die Souveränitätsgeste der Akteure aus, sondern evozierte Mitleid für den erschlagenen Revolutionär. Auch die propagandistisch eingesetzten Fotografien der getöteten Söhne Saddam Husseins, Udai und Qusai, die im Leichenschauhaus des US-Militärs am Flughafen von Bagdad am 25. Juli 2003 aufgenommen wurden sowie die Bilder der öffentlichen Hinrichtung Saddam Husseins schürten, neben der abschreckenden Wirkung, Sympathiebekundungen ihrer Anhänger. Um im Falle Bin Ladens Märtyrerverehrung zu verhindern, entscheidet sich die amerikanische Regierung dazu, überhaupt keine Bilder der Leiche zu veröffentlichen. In diese Leerstelle setzt sich sein intaktes Porträt und der Medienmechanismus der Zeitungen kommt in Gang: Er produziert eine endlose Zahl immer gleicher Bilder, welche von Obamas Pressestelle in den medialen Kreislauf eingespeist werden. Das Porträt wiederum wird Teil des Begehrens nach Beweisbildern für seinen Tod. Abbildung 2: Unbekannt: Gefälschtes Leichenbild Osama bin Ladens, 2. Mai 2011
Quelle: zahlreiche Internetquellen
Im Internet kursieren ab dem 2. Mai 2011 gefälschte Leichenbilder, die Bin Ladens Gesicht verstümmelt und ausgeblutet zeigen, um dem Phantom ein Vorstellungsbild zu geben (Hoffmann 2011: 12-27). Der Kunsttheoretiker Tom Holert hat mit Bezug auf Judith Butler vorgeschlagen, die Bildpolitiken des Krieges als Rahmensetzungen zu verstehen.
192 | K ATJA M ÜLLER-H ELLE »Rahmen sind selektiv, sie verdrängen, entwirklichen, dehumanisieren und delegitimieren, was nicht ins ›Bild‹ soll. Aber indem sie derart verdrängen und entsorgen, bildet sich in den Unmengen unterdrückter, ausgeschlossener, die offizielle Darstellung störender Bilder ein Potential des Widerstands.« (Holert 2012: 34)
Die im Internet verbreiteten Bildmanipulationen des Porträts Bin Ladens bergen einen Widerstand gegen die Leerstelle des toten Körpers. In der medialen Berichterstattung bleibt das Bild des toten Bin Laden hingegen aus. Dementsprechend ist das Thema der Osama Papers nicht die viel beklagte Bilderflut der Medien, sondern die Reduktion des Bilderspektrums auf einzelne, wenige Bilder. Es geht um die Wiederholung des immer gleichen, limitierten Bildmotivs. In stiller Einigkeit wird der Welt vor Augen geführt, dass sie nichts zu sehen bekommt. Walter Lippmann hatte in seinem schon erwähnten Buch diese Eigenschaft der Presse als »manufacture of consent« (Lippmann 1922: 176) beschrieben. Dies besagt, dass durch eine übereinstimmende Berichterstattung die Glaubwürdigkeit der Nachricht erhöht wird: »Alle sagen es, also muss es stimmen« (Weibel 2012: 92). Die paradoxe Situation in der Berichterstattung der Ereignisse vom 1. Mai 2011 ist dabei die Einigung auf die Abwesenheit von Bildern. Im Panorama der Zeitungsmeldungen haben sich alle auf ein bestimmtes Schweigen verständigt; das Wissen über das Geschehen bleibt in einer Wiederholungsschleife der Porträts gefangen – Substitution statt Veröffentlichung. Der Kulturwissenschaftler Felix Hoffmann fasst den Bin Laden-Effekt pointiert zusammen: »Für kurze Zeit wurde der meistgesuchte Terrorist noch einmal zu einem der meistpublizierten Gesichter des frühen 21. Jahrhunderts« (Hoffmann 2011: 24). Die reduzierten Variationen des Gesichts wurden zum Cover für ein Geschehen, welches vor der Öffentlichkeit visuell verborgen bleiben sollte. Die Osama Papers verfolgen eine ähnliche Strategie wie Hans-Peter Feldmanns Zusammenschau der Titelseiten in 9/12 Front Page von 2002 (siehe Abbildung 3). Feldmann sammelte die 151 Titelseiten von Zeitungen am Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington DC und stellte sie für Ausstellungen zusammen.2
2 Die Zeitungsseiten werden digital wiederabgedruckt und vor weißem Karton reproduziert, die ungerahmten Reproduktionen können im Ausstellungsraum beliebig gehängt werden (Dander/Lorz 2012: 112-115).
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Abbildung 3: Hans-Peter Feldmann: 9/12 Front Page, 2002 [12.09.2001 Titelseite], 151
Quelle: Bild Gegen Bild, hrsg. von Patrizia Dander und Julienne Lorz, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, Köln 2012, S. 114.
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Obwohl die medialen Anordnungen von 9/11 und die der Tötung Bin Ladens diametral entgegengesetzt sind – am 11. September 2001 findet das historische Ereignis live vor den Fernsehzuschauern statt, die Tötung Bin Ladens hingegen wurde nicht bebildert – gibt es eine Strukturähnlichkeit in der nachträglichen Verwendung von Fotografien in den Medien: die Einengung des Bildmaterials. Clémént Chéroux hat in seinem Essay Diplopie. Bildpolitik des 11. Septembers dieses Phänomen beschrieben: »In den Stunden unmittelbar nach den Attentaten übermittelte das New York Büro von Associated Press bereits mehrere hundert Bilder an die 1.500 angeschlossenen amerikanischen Tageszeitungen sowie an 15.000 Abonnenten in 112 Ländern.« Weiter stellt er fest, dass »86% – also fünf Sechstel – der Darstellung der Attentate […] vom 11. und 12. September in nur sechs Bildtypen erfolgte, die sich auf 30 verschiedene Bilder verteilten.« (Chéroux 2011: 47) Der Informationskonsens der Bildredaktionen führt zur Wiederholung des Immergleichen. Diese Repetition wird medial vervielfältigt: auf Computerbildschirmen, Fernsehscreens, Mobiltelefonen oder in den Printmedien. Während bei 9/11 die totale Sichtbarkeit ein Zeichen, eine Markierung setzen sollte, geht das Ende des Verantwortlichen in der Unsichtbarkeit vonstatten: Im Schatten seines Gesichts.
»Y OUR W EEKLY ADDRESS « Das Porträt Osama bin Ladens verweist auf die Abwesenheit von Bildern, die seinen Tod dingfest machen würden. Gleichzeitig erscheint in der medialen Berichterstattung ein zweites Porträt: das Bild Barack Obamas als sein siegreicher Antagonist. Zwei Gesichter, von den Zeitungsseiten zu einem Doppelporträt formatiert. In seiner Langzeitarbeit Your Weekly Address stellt Willem Popelier das Porträt Obamas als immer wiederkehrende Bestätigung des amerikanischen Wertesystems aus.3 Im Gesicht Obamas kulminiert der amerikanische Traum, dessen Bedrohung durch die Anschläge von 9/11 durch eine präzise Prozedur der medialen Vermittlung des Gesichts gebannt werden soll. Seitdem Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten ist, hält er jeden Samstag unter dem Titel »Your Weekly Address« im Internet eine Ansprache an die amerikanische Öffentlichkeit. Popelier sammelt alle ›weekly addresses‹ seit dem 15. November 2008 und wählt ein Filmstill aus jedem Kurzfilm aus. Die Stills wurden so ange-
3
http://www.whitehouse.gov/briefing-room/weekly-address (zuletzt gesehen am 14.05.2014)
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passt, dass das Gesicht Obamas in jedem die gleiche Größe behält. In einer präzisen Prozedur werden die Filmstills von zwei Händen in regelmäßigem Rhythmus übereinandergelegt. Die von oben starr fixierte Kameraposition nimmt den sich im Verlauf des Films immer weiter anhäufenden Stapel der Fotografien auf; während sich einzelne Details wie die Anzugfarbe, die Platzierung der Hände oder auch der gesamte Innenraum verändern, bleibt das Gesicht Obamas starr dem Betrachter zugewandt. Abbildung 4: William Popelier: Your Weekly Address
Quelle: This is William Popelier, hrsg. von Felix Hoffmann, Berlin 2012, n.p.
Mit jedem neuen Bild wird das Gesicht in leicht verändertem Setting präsentiert, das im Fortschreiten des Films immer mehr zu einer flächigen Maske erstarrt. Der Stapel der Bilder häuft sich an, die Sichtbarkeit jedes neuen Bildes ist an die Verdeckung des vorangegangenen gekoppelt. Hierbei entsteht eine Monotonie der Darstellung, die sich an das Gravitationszentrum des Gesichts Obamas bindet. Auch wenn sich die Bilder akkumulieren, kommt man nie weiter als bis zur Oberfläche. »Since it is a movie on a flat surface, even if it is a huge stack of paper, it doesn’t grow, it won’t get you any further than just the surface.«4 Oben links wechselt mit jedem Bild das Datum, die zeitliche Taktung erinnert den Betrachter an das Voranschreiten der Uhrenzeit. Die Tonspur des von oben auf eine Fläche projizierten Films wird ausgespart; in den im Internet ausgestrahlten ›weekly addresses‹ erzählt die Stimme Obamas von den Erfolgen der letzten
4
Vgl. mein Interview mit Willem Popelier in Felix Hoffmann 2012: 35
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Woche, dem Kampf gegen den Terrorismus, dem Ideal des demokratischen Zusammenlebens.
M AY 1, 2011 In den Osama Papers und in Your Weekly Address stehen sich Osama und Obama wie zwei verwandte Seiten des gleichen medialen Prinzips gegenüber. Das Verhältnis, welches zwischen diesen beiden politischen Gesichtern und der Öffentlichkeit gestiftet wird, kommt in der prominentesten bildpolitischen Volte der amerikanischen Regierung auf den Punkt: der Pressefotografie des Situation Rooms von Pete Souza. Dieses Bild wurde nicht nur zur Überdeckung des absenten Bildes des toten Bin Laden als das offizielle Pressefoto des Weißen Hauses veröffentlicht, es birgt in sich zudem ein Blickregime, in dem die Struktur der politischen Bildkampagne offensichtlich wird. Der Zeitungsleser setzt sich mit an den Tisch der militärischen und politischen Spitzen Amerikas, in dem Moment, in dem die Tötung Bin Ladens gerade im Vollzug ist. Wir sehen nicht das Geschehen, sondern wir sehen Barack Obama, Hillary Clinton, den befehlshabenden General Marshall B. Webb und weitere Berater bei der konzentrierten Betrachtung einer Liveübertragung, kurz bevor der Ausgang des riskanten Manövers entschieden ist. Wir sehen nichts und gleichzeitig sehen wir die Verantwortlichen, die scheinbar der vollen Sichtbarkeit ausgesetzt sind. Die Betrachter dieses Bildes sollen in den Gesichtsausdrücken so lange lesen, bis sie sich selbst als Betrachtende begreifen und merken, dass die Pointe dieses Bildes der Entzug von anderen Bildern ist. Dieses Pressefoto führt die bildpolitische Kontrolle über Blickregime vor, die nicht das Zeigen von Bildern, sondern vor allem ihr Verbergen zur Praxis macht. »I don’t believe«5 ist die Antwort des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar auf das Pressefoto. Für ihn war das Bild Anlass, auf einem Symposium im Haus der Kunst in München der ikonografischen Einordnung der kunsthistorischen Vorredner seinen Zweifel entgegenzusetzen. In seiner Arbeit May 1 2011 zeigt Jaar zwei Monitore und daneben zwei Drucke. Auf dem rechten Monitor ist das Foto des Situation Rooms zu sehen und daneben eine vom Weißen Haus publi-
5
Vgl. die Videoaufzeichnung des Vortrags »It is difficult« von Alfredo Jaar im Rahmen des Symposiums am 09./10.06.2012 zur Ausstellung »Bild – Gegen – Bild« auf der Website des Hauses der Kunst München: www.hausderkunst.de (zuletzt gesehen am 10.06.2012).
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zierte Entschlüsselungsgrafik, auf der die Personen des Bildes mit einer Namensliste versehen sind. Die scheinbare Transparenz konterkariert Jaar mit zwei weißen Flächen, welche die Bildformate der rechten Seite aufnehmen und in eine Unsichtbarkeit abgleiten lassen oder zumindest eine Frage nach dem Sichtbaren stellen. »This is a case, where we are being asked to believe without seeing.«6 Die Bildrecherche Jaars zeigt, dass das Bild des Situation Rooms das erste nach der Tötung Bin Ladens war, welches das Weiße Haus auf ihre Flickr-Seite zum freien Download stellte. Erst nach ein oder zwei Tagen wurden acht andere Bilder des Tages auf der Seite veröffentlicht. Aber was glaubt Jaar diesem Bild nicht? Dass es den weltpolitisch relevanten Augenblick authentisch wiedergebe? Es stellt sich ja selbst als Metabild, als Kommentar zur Schauanordnung der Situation zwischen den Akteuren und der Öffentlichkeit aus. Willem Popelier hat die Oberfläche des Bildes vom Situation Room nach Öffnungen abgesucht, die diese Bildstrategie aufschlüsseln können. In seiner Arbeit Obscured Classified Document isoliert Popelier das verpixelte Foto, was auf dem Laptop vor Hillary Clinton liegt, und stellt dies im Format eines US-Standard-Briefes aus. Das Detail des Fotos wird als Ausschnitt zur abstrakten Formation. Das Muster aus gelben, braunen und weißen Rechtecken gibt keinen Hinweis auf die verschlüsselten Informationen, auch wenn sie im Bild enthalten sind. Im Herauslösen dieses blinden Flecks wird das Detail entkontextualisiert und stellt einen Kommentar zur im Bild vorgeführten Schauanordnung dar. Es wird zum geheimen Schlüssel der Blicke. Obama betrachtet Osama, die Betrachter des Bildes betrachten dieses Betrachten und dieses Betrachten ist durch ein chiastisches Verhältnis von Transparenz und Opazität der Informationen strukturiert. Die Betrachter betrachten etwas und können es nicht sehen. Dieses Spiel zwischen Sichtbarkeit und Entzug trifft im Fall des Mediums der Fotografie auf eine lange Tradition des Ringens um Glaubwürdigkeitsstrategien, in denen Fotografien im Kontext von juridischen, wissenschaftlichen oder ökonomischen Diskursen immer wieder als Protagonisten der Wahrheit und Beglaubigung auftreten. Der Glaube an ein objektives Bild beruhte auf dem ältesten Paradigma der Fotografietheorie, welches das Bild der Fotografie als Spur des Realen fasst und damit das indexikalische Zeichen als wahres Abbild protegiert. Diese schon von dem Zeichentheoretiker Charles Sanders Peirce 1893 vorgeschlagene Definition schreibt sich teilweise in der Theoretisierung der Fotografie durch Rosalind Krauss fort: »Photographie ist ein Abdruck oder eine Übertragung von Realem; sie ist eine photochemisch verarbeitete Spur, die kausal mit
6
Alfredo Jaar im Vortrag »It is difficult«, 09.06.2012, Haus der Kunst München.
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dem Ding in der Welt, auf das sie referiert, verbunden ist, wie Fingerabdrücke, Fußstapfen oder Wasserringe, die kalte Gläser auf einem Tisch hinterlassen.« (Krauss 1998: 116) Nur weil sich diese diffuse Vorstellung der Verbindung der Fotografie mit dem Realen in der einen oder anderen Form bis heute gehalten hat, gibt uns das Foto aus dem Situation Room Rätsel auf. Die Spannung aus einer indexikalischen Spur und der Unsichtbarkeit des Geschehens wird hier zum Schlüssel des Bilddokuments.
S ELBSTBILD UND F REMDBILD Walter Lippmann hatte über die Formierung der öffentlichen Meinung in Bezug zum veröffentlichten Wissen von Informationen einen strukturellen Ausschluss der Öffentlichkeit konstatiert. Der Ausschluss weist in der Bildpolitik nach 9/11 auf die Distributionspraktiken der amerikanischen Regierung und ihre Verwobenheit mit den Bildredaktionen der internationalen Zeitungslandschaft. Schwieriger zu erfassen als die machtpolitische Seite der verbreiteten Bilder ist jedoch die Frage, was die fotografischen Bilder überhaupt zeigen? Trotz der Transparenz ihrer Intransparenz versprechen die Bilder, an irgendeinem Punkt mit dem realen Geschehen verbunden gewesen zu sein. Nur mit dieser Erwartung ist die massenweise Präsentation des Porträts Bin Ladens als anachronistischer Schachzug zu verstehen. Das Porträt zeigt Bin Laden – aber nicht zu dem Zeitpunkt, der von den Schlagzeilen angegeben ist. Die Zeitebenen von Bild und Text fallen auseinander, während die Beweiskraft des fotografischen Bildes ausgesetzt wird, um ihrer Macht zu entgehen. Gegen all das Wissen um Bildmanipulation und mediale Transformation der Bilder scheint sich das Versprechen des Realitätseffektes der Fotografie äußerst resistent zu behaupten. In Bezug auf das fotografische Porträt rührt dies an die Frage, was von einer Person in eine Fotografie übergeht und auf was wir in einem fotografischen Porträt blicken. Dieser Frage ist Willem Popelier nicht nur in den politischen Porträts der Medien nachgegangen, sondern auch in privaten Fotografien. Der Reflexion über offizielle Porträts sind Arbeiten zur fotografischen Erfassung im standardisierten Passbildformat und zur eigenen Familiengeschichte vorausgegangen. Die persönlichen Arbeiten Willem Popeliers sind von der Annahme getragen, dass es in den eigenen fotografischen Biografien nicht um Schicksale geht, die nur für einzelne Individuen Geltung haben, sondern in denen ein gesamtgesellschaftlicher Umgang mit Identität sichtbar wird. Die Privatfotografien von zwei Zwillingsbrüdern in Kinderstühlen (This is me & This is me), die Variation von 39 Passbildern, nach den Regeln der niederländischen Behörden aufgenommen (Re-
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jected Identities), die Reise durch Florida (Visual Proof of my Existence) – die nicht von der eigenen Kamera, sondern durch offizielle Überwachungskameras, Kameras von anderen Touristen oder Action Shots in Walt Disney World dokumentiert werden – fragen nach den Grenzen der Selbstwiedergabe im Bild. In seiner Arbeit Rejected Identities lotet Popelier die Grenzen des Erfassbaren in der Identitätsfotografie aus. In 39 offiziellen Fotostudios lässt er sich gemäß der vom niederländischen Staat festgelegten 39 Kriterien für offizielle Passbilder ablichten. Abbildung 5: Willem Popelier: Rejected Identities
Quelle: This is William Popelier, hrsg. von Felix Hoffmann, Berlin 2012: 20.
Die Dispositive des scharfen fotografischen Abbildes, des standardisierten Passbildformates, der starren Bildkomposition und der Archivierung der Bildvorlagen nehmen Standards der kriminologischen Praxis aus der zweiten Hälfte des
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19. Jahrhunderts auf.7 Der Bildtypus des Verbrechers, den Alphonse Bertillon als Begründer der anthropometrischen Messmethode und seit Anfang der 1880er Jahre als Leiter des Erkennungsdienstes der Pariser Polizei mit Karteikarten systematisieren ließ, dient hier als ikonografischer Bezugspunkt. Die Normierung der Aufnahmesituation bei gleichzeitiger Verschärfung der Identifizierung hervorstechender – das hieß im bertillonschen System individueller – Merkmale sollte den allgemein zugänglichen Nachweis der Identität erbringen. Wie Allan Sekula in seinem Aufsatz The Body and the Archive von 1986 analysiert, versuchte Alphonse Bertillon »die Meisterschaft des Berufsverbrechers, sich zu verkleiden, falsche Identitäten und vielfältige Biografien anzunehmen sowie Alibis zu erfinden, zu überlisten« (Sekula 1986: 34). Alphonse Bertillon nutzte hierbei die Fotografie innerhalb seines anthropometrischen Systems zur Standardisierung von Täterphysiognomien. Auch das heutige behördliche Passfoto bezieht sein überindividuelles Bildschema aus dem Kontext dieser kriminologischen Praxis des 19. Jahrhunderts. Dieses kriminologische Bildsystem befragt Popelier, indem er während der Fotositzungen ständig die Kriterien der staatlichen Erfassung unterläuft. Das Ergebnis: 20 von 39 Fotografien wurden von den Behörden abgelehnt (vgl. Abbildung 5). Die Pointe dieser künstlerischen Produktion liegt in der Spannung zwischen Selbstbild und Fremdbild. Popelier macht sich sein eigenes Selbstbild fremd. Diesem künstlerischen Verfahren vorgängig ist das Versprechen auf den Realitätseffekt der Fotografie, welches die Frage nach der »eigentlichen« Person im fotografischen Abbild offen lässt. Analog zu diesem Versprechen eines Realitätseffekts der Fotografie werden uns die Protagonisten der amerikanischen Politik im Situation Room vorgestellt und erstarren gleichzeitig in Posen einer uns vorgeführten Realität. Als Betrachter dieser Fotografie werden wir zu Inselbewohnern, die der Vertauschung von Realität und Bild und deren gegenseitiger Formierung ständig ausgesetzt bleiben.
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Vgl. zur Identitätsfotografie und ihrer Bearbeitung in der künstlerischen Praxis Drück 2004; Regener 1999 und 2003.
B RÜCHIGE S ICHTBARKEITEN
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L ITERATUR Chéroux, Clément (2011): Diplopie. Bildpolitik des 11. September, Konstanz: Univ. Press. Dander, Patrizia/Lorz, Julienne (2012): Bild Gegen Bild, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, Köln: König Verlag. Drück, Patricia (2004): Das Bild des Menschen in der Fotografie. Die Porträts von Thomas Ruff, Bonn: Reimer Verlag. Hoffmann, Felix (2011): »Bildidentitäten. Eine Einführung«, in: ders. (Hg.), Unheimlich vertraut. Bilder vom Terror, Ausst.-Kat. c/o, Köln: König Verlag, S. 12-27. Holert, Tom (2012): »Visuelle Antagonismen und die Kritik des Rahmens«, in: Patrizia Dander/Julienne Lorz (Hg.), Bild Gegen Bild, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, Köln: König Verlag, S. 30-45. Krauss, Rosalind (1998): Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München: Fink Verlag. Lippmann, Walter (1922): Public Opinion, New York: Harcourt Verlag. Meynen, Gloria (2010): »Insel als Kulturtechnik (Ein Entwurf)«, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 01, Berlin: Akademie Verlag, S. 79-91. Müller-Helle, Katja (2012): » Risse im Bildgewebe. Bildpolitiken der Abwesenheit«, in: Felix Hoffmann (Hg.), This is Willem Popelier, Ausst.-Kat. c/o Berlin, Berlin: Deutscher Kunstverlag, S. 8-24. Regener, Susanne (1999): Fotografische Erfassung: Zur Geschichte medialer Konstruktionen des Kriminellen, München: Fink Verlag. Regener, Susanne (2003): »Das Phänomen Serienkiller und die Kultur der Wunde«, in: Irmgard Bohunovsky-Bärnthaler (Hg.), Von der Lust am Zerstören und dem Glück der Wiederholung, Klagenfurt: Ritter Verlag. Sekula, Allan (1986): »The Body and the Archive«, in: October, Vol 39, MIT Press, S. 3-64. Strauss, David Levi (2012): »Über bin Ladens Leiche: Das Zurückhalten und Ersetzen von Bildern – von Abu Ghraib bis Abbottabad und darüber hinaus«, in: Patrizia Dander/Julienne Lorz (Hg.), Bild Gegen Bild, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, Köln: König Verlag, S. 62-71. Weibel, Peter (2012): »Die Presse im Spiegel der Theorie«, in: Walter Smerling (Hg.), Art and Press. Kunst, Wahrheit, Wirklichkeit, Ausst-Kat. MartinGropius-Bau, Köln: Wienand, S. 91-95.
Die betroffene Feldherrin, oder: where in the world is Osama bin Laden? S USANN N EUENFELDT
D AS
VERWORFENE
T OTENPORTRAIT
Am 1. Mai 2011 wird der al-Qaida-Chef Osama bin Laden in einer Militäraktion von US-amerikanischen Elitesoldaten auf seinem Anwesen in Abbottabad, Pakistan erschossen. Unmittelbar danach verhängt die US-amerikanische Regierung ein striktes Bilderverbot. Sie entscheidet, keine Fotos vom toten Terroristen an die Öffentlichkeit herauszugeben. Eine Veröffentlichung des Totenportraits, so begründet der amtierende US-amerikanische Präsident Barack Obama seine Entscheidung, könne die nationale Sicherheit der USA erheblich gefährden und möglicherweise weitere Terroranschläge wie die vom 11. September 2001 auslösen. Anstelle des von der Öffentlichkeit erwarteten und gleichermaßen gefürchteten Totenbildes wird das Foto aus dem Situation Room, dem Hochsicherheitstrakt im Weißen Haus, veröffentlicht. Das Foto zeigt den US-amerikanischen Präsidenten und seinen engsten Mitarbeiterstab, wie sie gemeinsam auf einen Bildschirm schauen, der auf dem Foto selbst jedoch nicht zu sehen ist. Auf dem Bildschirm verfolgen sie die Militäraktion zur Tötung von Osama bin Laden per Video-Live-Schaltung. Die Militäraktion trug den Namen »Neptune’s Spear«. In dem Augenblick, in dem das Foto gemacht wurde, so lautet eine inoffizielle Bildunterschrift des Fotos (die offizielle ist »Obama […] receives an update«, vgl. http://www.whitehouse.gov/photos-and-video/photogallery/may-1-2011), soll der Schrecken erregende Anblick des durch einen Kopf- und einen Brustschuss tödlich verletzten Bin Ladens zu sehen gewesen sein. So munkelt zumindest die Medienwelt (vgl. Dinan 2011, Johnson 2011, Madison 2011, Mazzetti/Cooper/Baker 2011, Rüb 2012, Tucker 2011, Zimmer 2011).
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Ob die im Situation Room Abgebildeten tatsächlich das Bild vom toten Osama bin Laden betrachten, wird sich nie mit Sicherheit beweisen lassen. Eines ist jedoch sicher, anstelle der Totenfotografie gibt die US-amerikanische Regierung das fotografische Portrait der Augenzeugen der Tötung zu sehen. Das Regierungsfoto aus dem Situation Room schiebt sich damit wie eine Blende vor das verworfene Totenbild, das von der Öffentlichkeit imaginiert und in zahlreichen privaten Internet-Foren unmittelbar nach der Todesnachricht von Bin Laden per Photoshop nach- und ausgestellt wurde. Das Bild der Betrachtung des Toten ersetzt hier also das fotografische Antlitz des toten Körpers, das zugleich bezeugen würde, was es zu sehen gäbe: den physischen Tod des al-Qaida-Anführers in der kriegerischen Aktion. Damit kommt es zu einer grundlegenden Verschiebung einer wesentlichen ikonographischen Performanz der traditionellen Kriegsfotografie. An die Stelle des nationalen Spektakels vom toten (und damit besiegten) Körper des Kriegsgegners, tritt der sublime Blick auf das Schauspiel der Betrachterfiguren, die auf den toten Körper des Gegners blicken, während der tote Körper selbst fotografisch nicht gezeigt wird. Seit der Veröffentlichung des Fotos aus dem Situation Room, das sich ähnlich wie die Bilder vom 11. September 2001 in das kulturelle Imaginäre eingebrannt hat (und gleichermaßen als eine Replik auf diese gelesen werden kann), ist viel über die Körperhaltung, Mimik und Gestik der Abgebildeten auf dem Foto debattiert, spekuliert und phantasiert worden. Der Gesichtsausdruck der männlichen weißen Betrachter wird in der Presse nahezu unisono als kontrolliert, versteinert oder gar gefühllos interpretiert. Mit ablehnender Körperhaltung und den teilweise sogar verschränkten Armen fungieren die männlichen weißen Betrachterfiguren als direkte Nachbilder des Kalten Krieges. Im Gegensatz dazu wird das Gesicht des US-Präsidenten Barack Obama als lauernd, angespannt oder auch mit sich selbst und seinen politischen Entscheidungen hadernd interpretiert. Die widersprüchlichsten Emotionen aber löste die Geste der US-Außenministerin Hillary Clintons aus. Ihre Körperhaltung – sie bedeckt mit der rechten Hand ihren Mund – wird von den Medien vielfach als eine ver/störende Geste der Empathie und des unangebrachten Mitgefühls ausgelegt. Ihre Betrachterpose wird als unpassendes Mitleid(en) mit dem Tod des al-Qaida-Führers aufgefasst. (vgl. etwa Dinan 2011, Johnson 2011, Schulz 2012, Tucker 2011) Die Betrachtergeste von Clinton ist daher nicht selten auch in Großaufnahme zu sehen:
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Abbildung 1: Nahaufnahme Situation Room
Quelle: Offizielles Regierungsfoto Situation Room Washington DC, 2 May 2011 [letzter Zugriff: 27.04.2014]
Die New York Times etwa kommentierte Clintons Gesichtsausdruck und Körperhaltung mit den dramatisierenden Worten Hillary Clinton »holds her hand over her mouth and appears, what? Shocked? Awed? Dismayed?« (Johnson 2011) In Abwehr dieser impliziten Vorwürfe an ein unangebrachtes Mitgefühl mit dem Tod von Osama bin Laden revidierte Clinton ihre Geste im Nachhinein. Sie sagte, dass sie zwar die »intensivsten 38 Minuten ihres Lebens« im Situation Room empfunden habe, ihre Körperhaltung habe jedoch »nicht viel zu bedeuten«. Sie könne sich an ihre »Gefühle« in dem Augenblick, in dem das Foto entstanden ist, nicht mehr erinnern (CBS News vom 2. Mai 2011, Übers. d. Autorin) und wahrscheinlich habe sie lediglich einen allergischen »Husten«, ein »Niesen« oder einfach nur ein »Gähnen« zu unterdrücken versucht (The Week vom 5. Mai 2011, Übers. d. Autorin, vgl. auch Korges 2011). In meinem Beitrag möchte ich die Betrachterfigur, die Clinton im Foto aus dem Situation Room besetzt, in den Mittelpunkt der Ausführungen stellen. Clinton verkörpert das emotionalisierte, das affektive Zentrum des Fotos, das als ein ikonographischer Ersatz für das Totenportrait von Osama bin Laden von der USamerikanischen Regierung zu sehen gegeben wird. Nur in welchem Verhältnis stehen Clintons Betrachterfigur weißer affektiver Weiblichkeit und das verworfene Totenportrait von Bin Laden? Ich frage, welchen Anteil das Foto aus dem Situation Room an der Etablierung der ikonographischen Beweiskraft hat, die
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normalerweise mit einem Totenportrait einhergeht. Welche bildlichen Traditionen greift Clintons Betrachtergeste auf und in welcher Beziehung stehen diese Traditionen zu US-amerikanischen Mythen, Alb/Träumen und Traumata? Zur Beantwortung der Fragen habe ich meinen Beitrag in zwei Teile untergliedert. In einem ersten Schritt wende ich mich der Betrachterfiguration weißer einfühlsamer Weiblichkeit, speziell für den US-amerikanischen Kontext und konkret in Hinblick auf die Anti-Terror-Politik der USA seit den Anschlägen von 9/11, zu. In einem zweiten Schritt werde ich einen unheimlichen Untertext sichtbar machen, der dem Foto aus dem Situation Room zugrunde liegt. Dieser Untertext ist dem fotografischen Anblick des Betrachterkollektivs nicht auf den ersten Blick zu entnehmen, bestimmt jedoch die Diskurse um die Ikonographie des Fotos mit und steht in einem direkten Zusammenhang damit, wie Clinton ihre mitfühlend gedeutete Betrachtergeste im Nachhinein zurücknimmt.
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In kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Zusammenhang von Blickregimen, Vergeschlechtlichung und der Inszenierung von Betrachterfiguren wurde überzeugend herausgearbeitet, dass die Inszenierung von weiblichen weißen Betrachterfiguren mit einigen ikonographischen, kulturellen, politischen aber auch körperlichen Anstrengungen verbunden ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es darum geht, Blickpositionen einzunehmen, die traditionell nicht für weiße weibliche Betrachterfiguren zugänglich gewesen sind, wie etwa bei der klassischen Blickposition des Flaneurs (der bewegte und kolonisierende Blick), des Voyeurs (der distanzierende und sexualisierende Blick) oder auch des Stalkers (der aggressiv verfolgende und Gewalt einflößende Blick) (vgl. Koch 1980, Bryson 1983, Bruce 1985, Maiwald 1993, Jay/Brennan 1996, Kravagna 1997, Handschuh-Heiss 2000, Hansmann 2000, Schade/Wenk 2005, Neuenfeldt 2014). Im Rahmen kulturkritischer Überlegungen zu Blickpositionen, die an weiße männliche (und oftmals zugleich heteronormative) Subjektpositionen gebunden sind, haben Untersuchungen im Bereich der Visual Studies danach gefragt, welche kulturellen Investments Betrachterinnen unternommen haben, um das Verhältnis zwischen weiblichen Subjektpositionen und traditionell männlich konzipierten Betrachterfiguren in den Blickpunkt zu rücken, umzucodieren, alternative weibliche Betrachterfiguren zu entwerfen oder auch traditionelle Blickpositionen zu affirmieren. Die Untersuchungen haben vor allem die Konventionalität, die Historizität und die Kompulsivität von Genre- und Medienpraktiken herausgearbeitet und gezeigt, dass mit Genres und Medien immer vergeschlechtlichte Blick-
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praktiken einhergehen, die historisch variablen und kulturell spezifischen Blickregimen unterliegen. In genrespezifischen und medialen Rahmungen sind also bereits Blickpositionen, Blickbeziehungen und Blicktechnologien für die Konstruktion von Betrachterfiguren eingeschrieben, die mit Subjektkategorien wie Gender, Race, Klasse oder Begehren interdependent verschränkt sind (vgl. Kravagna 1997, Schade/Wenk 2005, Allan 2011, Dietze 2013, Neuenfeldt 2014). Diese Erkenntnisse der Visual Studies sind die theoretischen Eckpfeiler, innerhalb derer ich Clintons Betrachterfigur weißer affektiver Weiblichkeit analysiere. Im Foto aus dem Situation Room geht es nämlich zunächst um das Blickregime der politischen Ikonographie, und im Besonderen um das Genre des Feldherrenportraits. Im Zuge der Technisierung, das heißt der Mechanisierung und der Computerisierung der Kriegstechnik im 20. und 21. Jahrhundert haben sich die ikonographischen Konventionen des Feldherrenportraits in der westlichen Kunstgeschichte grundlegend geändert. Während das klassische Feldherrenportrait den Feldherren mitten auf dem Kriegsschauplatz (meistens auf einem Pferd oder einem Hügel) lokalisiert1 und ihn das Kriegsgeschehen mit eigenen Augen betrachten ließ, kommt es in den modernen Bebilderungen immer mehr zu einer Distanzierung und letztlich zu einer totalen Isolierung des Feldherrn vom Schlachtfeld und gleichermaßen zu einer Virtualisierung des Kriegsgeschehens durch neue Medien (z.B. der Golf-Krieg 1991 aus Computerspielperspektive oder auch die ferngesteuerten Drohnen in Afghanistan). Die Kunsthistorikerin Susanne von Falkenhausen spricht in modernen Schlachtenmalereien, aufgrund der fehlenden Potraitierung von Feldherren, von einer »Leere« auf dem Kriegsschauplatz. Anstelle der Feldherren nehmen andere Faktoren, wie etwa das kämpfende Soldatenheer oder auch die Bilder der toten aufgebahrten Kriegsfeinde portraitierende Funktionen ein. Damit übernehmen diejenigen, die das Bild betrachten, den Feldherrenblick. Als Augenzeuge des Kriegsgeschehens wird jeder Betrachter eines Kriegsbildes zu einem »Zeitzeugen der Leere« (von Falkenhausen 1997, S. 493) und gleichzeitig zu einem Feldherren der Leere. Im Foto aus dem Situation Room kehrt nun wiederum der Feldherr zurück ins Zentrum des Bildes. Hier versammeln sich sogar mehrere Feldherrinnen und Feldherrn – die politischen Repräsentanten der US-amerikanischen Nation – als Betrachterfiguren in einem geschützten und vom Kriegsschauplatz weit entfernten Kommandoraum im Weißen Haus, um sich mit eigenen Augen das tödliche Finale ihrer Kriegspolitik anzusehen. Ihre Blicke werden für die Öffentlichkeit transparent gemacht und in einer Luhmannschen Beobachtungssituation dritter
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Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die Feldherrenportraits von Napoleon Bonaparte zur Zeit der Napoleonischen Kriege zu nennen (vgl. Telesko 1998).
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Ordnung vervielfacht (vgl. Luhmann 1998). Die das Foto Betrachtenden sehen dem Feldherrenkollektiv dabei zu, wie sie die Militäraktion zur Tötung von Osama bin Laden, die wiederum durch Helm-Kameras live übertragen wird, betrachten. Den eigentlichen Gegenstand der Betrachtung, das Bild des toten Bin Laden, gibt das Foto nicht zu sehen. Das Bild wird aus der fotografischen Rahmung und damit gleichzeitig aus dem Archiv des US-amerikanischen Imaginären gebannt. Als Ersatz dafür wird ein Kriegsstab als Betrachterkollektiv abgebildet. Die wesentliche Blickachse im Bild ist der gemeinsame, der gebündelte Blick auf eine unsichtbare Leinwand. Bis auf General Marshall Webb, der im Zentrum des Fotos als eine Schaltstelle, als eine Art Master Mind, die Militäraktion per Tastendruck auf dem Laptop leitet, blicken alle Abgebildeten wie gebannt auf den im Foto abwesenden Bildschirm. Die Feldherren aus dem Situation Room hinterlassen also nicht etwa eine Leere auf dem Kriegsschauplatz, sondern ihre Blicke fixieren die Leerstelle des Fotos (und damit auch des War on Terror). Die Bündelung der einzelnen Blicke auf jenen abwesenden Fluchtpunkt hin, in dem alle Feldherren-Blicke zusammenlaufen, fungiert als eine Aufladung des Fotos mit der ikonographischen Beweiskraft, die sonst der Totenfotografie inhärent gewesen wäre. Die Konzentration der Blicke auf die Leerstelle des Fotos garantiert die Augenzeugenschaft der Betrachter, die den Tod des al-QaidaAnführers vor aller Welt bezeugen, ohne jedoch das Bild des toten Kriegsgegners und damit auch den imperialistischen Gestus der Militäraktion offen legen zu müssen. So beweisen ihre Blicke zugleich den Erfolg des War on Terror, ohne den Beweis für den Krieg selbst auszustellen. Das Foto aus dem Situation Room erinnert dadurch auch nicht an eine klassische Kriegsfotografie, sondern an eine Hinrichtungsszene, bei der die Hinrichtungskammer und der Zuschauerraum (vgl. Abb. 3) miteinander überblendet werden. Das Hinrichtungskomitee scheint, unter gleichzeitiger Auslöschung der Hinrichtungsszene (und des Hingerichteten), in den Zuschauerraum projiziert. Abbildung 2: Letzte öffentliche Hinrichtung USA, 1936
Abbildung 3: Hinrichtungskammer in Lucasville
Quellen: Der Freitag vom 19. Mai 2011, S. 18, Spiegel Online vom 7.12.2009 [letzter Zugriff: 29.04.2014]
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Diese Überblendung theatraler Topographien während der Vollstreckung der Todesstrafe erzeugt im Foto aus dem Situation Room zugleich den Eindruck einer öffentlichen Hinrichtung, die letztmalig im Jahr 1936 in den USA in Kentucky stattfand (vgl. Abb. 2). Im Rahmen des gebündelten (bezeugenden und zugleich legitimierenden) Täter-Blicks im Situation Room spielen die individuellen Blicke der einzelnen Betrachterinnen und Betrachter eine entscheidende Rolle. Die jeweiligen Betrachterfiguren schauen mit unterschiedlicher Mimik, Gestik und Körperhaltung auf die abwesende Leinwand (vgl. hierzu auch den Beitrag von Raab in diesem Band). Der Aspekt der Verkörperung, das heißt der Verkörperlichung, aber auch der Inkorporation von Blicken, berührt eine der zentralen Fragestellungen gegenwärtiger visueller Theorien, insbesondere Filmtheorien, nämlich die Frage nach dem Zusammenhang von Blickregimen, Körperpraktiken und der Inszenierung von Betrachterfiguren (vgl. Pink 2012, Ross 2012, Lovatt 2013, Thornham 2014, Neuenfeldt 2014). Diese Frage ist für das Foto aus dem Situation Room so bedeutsam, da die flirrende Grenzstellung des Fotos zwischen Fakt (Regierungsportrait) und Fiktion (Inszenierung der Regierungsmitglieder als Feldherrenkollektiv) eine körperlich verfasste Nähe zwischen den Betrachtern der Fotografie und der im Foto inszenierten Betrachterfiguren etabliert. Diese körperliche Nähe, die weder eine radikale Trennung noch eine Gleichsetzung der Betrachterinnen und Betrachter mit ihren Betrachterfiguren im Foto erlaubt, eröffnet einen umkämpften Verhandlungsraum für die komplexen und vielschichtigen Prozesse, die zwischen der fotografischen Inszenierung des Feldherrenportraits im Situation Room und der Verwerfung des Totenportraits vom al-Qaida-Chef Osama bin Laden ablaufen. Die einzelnen Betrachterfiguren im Foto aus dem Situation Room sind durch und durch körperlich entworfen. Sie agieren auf unterschiedliche Weise das Verhältnis von Blick- und Körperpraktiken im Genre des Feldherrenportraits aus. Sie unterscheiden sich vor allem in der Dramaturgie, das heißt in der Dramatisierung ihrer visualisierten und visualisierenden Affekte. Während die weißen männlichen Betrachter auf dem Foto mit einem affektkontrollierten Betrachterkörper versehen sind, der die Gefühle beim Anblick des toten Körpers im Zaum hält und dabei kalt, unberührt oder undurchdringlich aussieht, wird Hillary Clinton als eine körperlich Anteil nehmende Betrachterin entworfen – als eine Feldherrin, die in der Lage ist, Empathie zu fühlen. Mitgefühl und Mitleiden werden hier (insbesondere auch in der kulturellen Bewertung der Blicke und Blickpositionen in der Debatte um das Foto) an den Betrachterkörper weißer und politisch privilegierter Weiblichkeit gebunden. Dieser Betrachterkörper markiert das emotionalisierte Zentrum, den wunden Punkt des Feldherrenportraits. Mit ih-
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rer Geste zeigt Clinton Mitgefühl – einen Affekt, den beispielsweise der USPräsident Barack Obama in seinem öffentlichen Statement zum 7. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 den Selbstmordattentätern grundsätzlich abspricht: »The essence of this tragedy [9/11] «, so Obama, »derives from a fundamental absence of empathy on the part of the attackers«.2 (Obama 2001) Es ist also Clintons Betrachterfigur, die die US-amerikanische Empathie- und damit auch Demokratiefähigkeit verkörpert. Sie verkörpert diese gegen die vermeintliche Gefühllosigkeit des terroristischen Attentäterkörpers, aber auch gegen die kriegerische Härte weißer Männlichkeit, die im Situation Room, in militärischer Uniform, hemdsärmelig oder im eleganten Designer-Anzug vertreten und zu sehen ist. Damit steht Clintons empathische Betrachtergeste ganz im Dienst des USamerikanischen Demokratie-Mythos. Clintons Betrachterposition weißer empathischer Weiblichkeit harmonisiert die konkurrierenden Diskurse des USamerikanischen Demokratieversprechens mit dem Recht auf einen fairen Prozess und der Auge-um-Auge-und-Zahn-um-Zahn-Anti-Terror-Politik der USA seit dem 11. September 2001. Denn Clinton wird in dem fotografischen Schauraum als eine Betrachterin in Szene gesetzt, die paradoxerweise beides kann, die Militäraktion anordnen, das heißt sie überwachen, für gut heißen und legitimieren, und im gleichen Augenblick an deren Konsequenzen und Aus/Wirkungen leiden oder gar Mitleid mit den Betroffenen empfinden. Die ideologische Funktion von Clintons fotografisch erzeugtem und zugleich ver/störendem Mitgefühl liegt in der Legitimation der Kriegspolitik der USA gegen den als gefühllos konstruierten Gegner. Die in den Körper, in die Affekte verlagerte symbolische Teilhabe an der Konstruktion des terroristisch Anderen, ist der Einsatz Clintons, um auf dem Feldherrenportrait als Repräsentantin der US-amerikanischen Kriegspolitik mit abgebildet zu werden. Ihre Figur der betroffenen Feldherrin ist jedoch nicht nur der weibliche (weiße) Gegenspieler zum gefühllos konstruierten (männlich islamischen) Feind. Mit ihrer empathischen Betrachtergeste hält Clinton zugleich das US-amerikanische Demokratieversprechen aufrecht, während die unter ihrer Aufsicht stattfindende Militäraktion dieses Versprechen aufkündigt und seine kolonialen und imperialistischen Strukturen offenlegt. Der bezeugende, legitimierende und zugleich betroffene Täterinnen-Blick ist eine ideale Figuration, um
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Vergleiche dazu Simon Stricks Ausführungen zum Zusammenhang von Empathie und Demokratie. Empathie deutet Strick speziell für den US-amerikanischen Kontext als hegemoniales und biopolitisch erzeugtes Mitgefühl weißer Weiblichkeit mit schwarzer Männlichkeit und deren Forderungen nach politischer Teilhabe (vgl. Strick 2014).
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die machtvollen Paradoxien und Widersprüche in der Anti-Terrorismus-Politik der USA seit 9/11 im Schwange zu halten.
E THNIC D RAG : D ER N ATIVE AMERICAN J OKER In seinem Artikel »The Global Homeland State: Bush's Biopolitical Settlement«, der zwei Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York City erschienen ist, hat Donald Pease dargelegt, dass die Anti-Terror-Politik der USA mit einer radikalen Umdeutung nationaler Tropen, der so genannten Myth and Symbol School aus den 1950er Jahren, einherging. So wurde beispielsweise aus dem Mythos des »Virgin Land« nach 9/11 der Mythos »Native Land« oder aus den »Errands into Wilderness« die »Homeland Security«. Diese Neukodierung US-amerikanischer Mythen, die auf der Verdrängung des Traumas von der Kolonisierung des US-amerikanischen Kontinents basiert, hatte vor allem die Funktion, einen nationalen Ausnahmezustand, d.h. »a State of Emergency« zu etablieren und die Kriegspolitik der USA gegen den Terrorismus aus einheimischer Sicht als einen »Homeland Security Act« notwendig erscheinen zu lassen und gleichermaßen zu rechtfertigen. Diese Umdeutung nationaler Mythen, von der Unberührtheit und Jungfräulichkeit des Landes in der Kolonialzeit, in einen Mythos vom einheimischen Boden nach 9/11 und damit auch vom terroristischen Angriff auf diesen Boden, beschreibt Pease als eine grundlegende Umschichtung – als eine Indigenisierung nationaler Erzählungen. Diese hatte das Phantasma von der Beheimatung unter den US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern im Sinne von »Wir sind alle Einheimische (= Native Americans)« zur Folge. (vgl. Pease 2003: 1ff., ebenso wie Benbow 2007 und Sieg 2002) Die Kriegserklärung der USA gegen den Terrorismus, gegen das terroristisch Andere, erscheint nun in einer historischen Verdrehung und wird in einer absurden Geste des Ethnic Drags (ähnlich wie bei der Boston Tea Party im Jahr 1773) als ein phantasmatischer Widerstandsakt der Native Americans (d.h. der Siedlerinnen und Siedler im Jahr 1773, die mit den US-Amerikanern im Jahr 2001 gleichgesetzt sind) gegen die terroristischen Angreifer (d.h. die Britische Kolonialmacht im Jahr 1773 und die al-Qaida im Jahr 2001) imaginiert. Diese symbolische Anleihe am Native-American-Widerstands-Diskurs, die charakteristisch für die Rechtfertigung des War on Terror nach 9/11 ist und der zugleich eine Ab- und Anerkennung des Traumas vom Genozid an den Native Americans inhärent ist, spielt auch in der Militäraktion zur Tötung von Osama bin Laden eine Rolle. Deutlich wird dies in der so genannten »Code Name Controversy«, die kurz nach der Veröffentlichung des Fotos aus dem Situation Room
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in den Medien entfacht ist (vgl. Zimmer 2011). In der Kontroverse gab es Uneinigkeiten darüber, ob die Militäraktion zur Tötung von Bin Laden, Bin Laden selbst oder der Akt der Tötung des al-Qaida-Anführers den Codenamen »Geronimo« trug. Die Kontroverse wurde mit einem offiziellen Statement von Seiten der Regierung beantwortet, »Geronimo« sei das Codewort für Bin Ladens Tötung gewesen: »Geronimo EKIA (Enemy Killed in Action)«, soll einer der EliteSoldaten den Tod von Bin Laden und damit das Ende der Militäraktion ausgerufen haben (vgl. CBN News 2011, Channel 4 News 2011). In der Kontroverse um den Codenamen »Geronimo« wird der direkte Bezug zu Geronimo, einer Native American Heldenfigur im Widerstand gegen die Kolonisierung und die Ermordung der indigenen Bewohnerinnen und Bewohner des Landes im 19. Jahrhundert hergestellt. Im Sinne der Argumentation von Pease würde es sich bei der »Operation Geronimo« um eine Imagination der USamerikanischen Elitesoldaten als Native Americans handeln. »Geronimo« als Codename für Bin Laden oder auch als Codename für die Tötung von Bin Laden konstruiert darüber hinaus aber auch den terroristisch Anderen als indigen. In der Code-Name-Kontroverse kommt es also zu machtvollen Aneignungen, Verwerfungen und Überblendungen zwischen Native-American-Widerstands-Diskursen und dem Terrorismusdiskurs, nach deren verdrehter Logik Geronimo Geronimo angegriffen und auch Geronimo Geronimo getötet hätte. »Geronimo« fungiert hier etwa wie ein frei flottierender Ethnic Joker, der in verschiedenen Imaginationen eingelöst werden kann. Die problematische Anleihe am indigenen Widerstands- und Trauma-Diskurs in der Kriegspolitik der USA nach 9/11 flackert noch einmal wie ein unheimliches Nachbild an der Betrachterfigur von Hillary Clinton auf. Indem Clinton ihre empathische Geste zu dem Zeitpunkt, als die Codename-Kontroverse ihren Höhepunkt erreichte, unter anderem mit der Ausrede abwehrte, sie hätte bloß gegähnt, und angesichts der Tatsache, dass Geronimos indigener Name Gokhlayeh »Der Gähnende« bedeutet, wird die Native-American-Helden-Figur, wenn auch unbewusst, an die Betrachterfigur der mitfühlenden weißen Feldherrin gebunden. Mit Clintons Ausrede wird der Native-American Joker eingelöst, der auf der Hinterbühne des War on Terror flottierte und in verschiedenen Imaginationen bespielt wurde. Die für den US-amerikanischen Kontext spezifische Figur der empathischen weißen Weiblichkeit erfährt mit dem Foto aus dem Situation Room also nicht nur eine Wendung hin zum Mitgefühl weißer Weiblichkeit mit islamisch-terroristischer Männlichkeit. In Clintons Interpretation ihrer Betrachtergeste als eventuell »gähnend« wird dieses Mitgefühl mit dem terroristischen Gegner in einer unheimlich anmutenden Geste des Ethnic Drags (vgl. Sieg 2006) – in der körperlichen Aneignung indigener widerständiger Männlichkeit –
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verneint. Clintons Betrachterpose stellt damit nicht nur eine Figuration dar, die den Konflikt zwischen US-amerikanischem Demokratieversprechen und der Kriegspolitik der USA harmonisiert und eindämmt. Clinton fungiert zugleich als eine neo/koloniale Figuration, an der die historischen Verdrehungen des War on Terror-Diskurses zu sehen gegeben wird: Clintons Betrachterfigur überträgt die nationale Verleugnung des Traumas vom Genozid an den Native Americans und der gleichzeitigen Anrufung dieses Traumas als Legitimation für die Kriegspolitik der USA in eine affektive und eine verkörperte Betrachterpose.
D AS L EIDEN DER B ETRACHTERIN BETRACHTEN Susan Sontag diskutiert in ihren Essays On Photography (1977) und Regarding the Pain of Others (2003) den Zusammenhang von Fotografie und tödlich wirksamer Gewalt, die in der Totenfotografie als einem Untergenre der Kriegsfotografie eine radikale Bebilderung findet. Während Sontag in On Photography das tödliche Gewaltpotential der Fotografie beklagt, mit dem Betrachter zu Konsumenten des Todes werden, die beim Anblick gewalttätiger Szenen abstumpfen, plädiert sie zwei Jahre nach 9/11 in Regarding the Pain of Others für eine offensive Gewalt des fotografischen Bildes. Sontag fordert beispielsweise die Veröffentlichung von Fotos toter amerikanischer Soldatinnen und Soldaten im Irakkrieg, deren Anblick Mitleiden erzeugen und mit dem an die politische Verantwortlichkeit der Betrachter appelliert werden kann. Mit dem Foto aus dem Situation Room und insbesondere in Hinblick auf Clintons Betrachterfigur ließe sich Sontags Argumentationslinie folgendermaßen weiterführen: Im Foto aus dem Situation Room geht es nicht darum, das Leiden der Anderen empathisch zu betrachteten, sondern das Leiden der weißen Betrachterin in ihrer hegemonialen Artikulation fotografisch sehen zu geben, und das unter gleichzeitiger Verwerfung des eigentlichen Gegenstands der Betrachtung, nämlich des Totenportraits von Osama bin Laden.3 Mit dieser Verwerfung verlagert das Foto aus dem Situation Room traditionelle Funktionen des Genres der Totenfotografie: Es ist nicht mehr das Totenportrait, das den toten Körper abbildet und gleichzeitig bezeugt, sondern der fotografische Anblick eines Betrachter- bzw. Täterkollektivs, das als Ersatz für den toten Körper gezeigt wird (vgl. hierzu die Ausführungen von Ayaß in diesem Band). Das Foto aus dem Situation Room wird mit der ikonographischen Beweiskraft der Totenfotografie
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Vergleiche hierzu Judith Butlers kritische Überlegungen zu betrauernswerten Körpern im US-amerikanischen Kontext (Butler 2004).
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aufgeladen. Diese Beweiskraft ist in besonderer Weise an die Betrachtergeste der weißen hegemonialen, einfühlsamen und kolonisierenden Weiblichkeit von Hillary Clinton geknüpft. Clintons affektive Betrachtergeste sorgt mit dafür, dass das Totenportrait von Osama bin Laden aus dem US-amerikanischen Imaginären für immer verschwindet, gleichzeitig potenziell unendlich phantasiert wird, und damit in jedem Fall als ein nicht betrauenswerter toter Körper aus dem Archiv der US-amerikanischen Kriegsfotografien ausgeschlossen bleiben kann. Vor dem Hintergrund der Verwerfung des Totenportraits, der Ikonizität des Ersatzfotos aus dem Situation Room, aber auch aufgrund des strikten Verbots der US-amerikanischen Regierung, das Foto in irgendeiner Weise zu manipulieren, entstand im Internet eine unüberschaubare Anzahl von Karikaturen zu diesem Foto. Mit ihnen werden die Blickregime, die im Foto bereits angelegt sind, betont, verschärft, konterkariert oder auch unsichtbar gemacht (vgl. hierzu auch die Beiträge von Ayaß, Breckner, Raab und Traue in diesem Band). Die Karikaturen reagieren (wenn auch auf sehr unterschiedliche und komplexe Weise) auf das Blick-Tabu bzw. das Blick-Gebot, auf das, was zu sehen und nicht zu sehen gegeben wird. Auf einer dieser Karikaturen (vgl. Abb. 4) wird das Gesicht des U.S-Präsidenten Barack Obama wie in einem »Blackface-Szenario« (vgl. Lott 1995) auf die anderen Betrachterfiguren im Situation Room projiziert: Abbildung 4: Obamas im Situation Room
Quelle: Karikatur im Internet von conservativecritic.wordpress.com [letzter Zugriff: 27.04.2014]
Die unterschiedlichen Körperhaltungen der Betrachterinnen und Betrachter verändern nicht nur den Blick von Barack Obama, auch das Gesicht von Obama hat
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einen Effekt auf die jeweiligen Verkörperungen. U.a. erzeugt die Karikatur eine fast magische Verschmelzung zwischen Clintons betroffener Körpergeste und Obamas mit sich selbst hadernden Blick. Diese Verschmelzung wiederholt das Phänomen des Ethnic Joker im Diskurs um den War on Terror, der nicht nur in verschiedenen Imaginationen wie im Fall von Geronimo (Geronimo als USElitesoldat und/oder Bin Ladens Tötung), sondern zumindest in seiner karikaturistischen Überspitzung in verschiedenen Ethnien eingelöst werden kann. Analog zu dieser magischen Verschmelzung von Clintons Körperhaltung und Obamas Mimik funktioniert ein weiteres offizielles Regierungsfoto, das eine Nahaufnahme von Barack Obama aus dem Situation Room zeigt (vgl. Abb. 5). Dieses Foto hat jedoch bei Weitem nicht die Aufmerksamkeit erlangt, wie das hier diskutierte Foto, aus dem Clintons mitfühlend gedeutete Betrachtergeste immer wieder isoliert zu sehen gegeben wurde (vgl. Abb. 5): Abbildung 5: Barack Obama im Situation Room
Abbildung 6: Hillary Clinton im Situation Room
Quelle: Situation Room Washington DC, 2 May 2011 [letzter Zugriff: 27.04.2014]
In der Zusammenschau der beiden Fotos (beide Betrachterfiguren bedecken mit der Hand ihren Mund) mit dem Close-Up aus der Karikatur (Abb. 4), lässt sich die Frage stellen, welche innerpolitischen Funktionen die fotografische Inszenierung weißer affektiver Weiblichkeit in Hinblick auf die von Barack Obama im Foto aus dem Situation Room mit übernimmt, zumal hier zwei ehemalige politische Konkurrenten um das Amt des Präsidenten im Situation Room zusammen sitzen (vgl. hierzu den Beitrag von Breckner in diesem Band). Vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen liegt es nahe, dass in Clintons betroffener Feldherrinnengeste nicht nur die Aufkündigung der für den US-amerikanischen Kontext spezifischen Empathie weißer Weiblichkeit mit schwarzer Männlichkeit durchscheint. Denn dieser historisch gewachsene und durchaus prekäre Pakt der Empathie hat allein schon durch die Tatsache eines schwarzen
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Präsidenten eine Neukonstituierung erfahren. Dies wird im Regierungsfoto aus dem Situation Room noch einmal ikonographisiert und verläuft über zwei politische Achsen in der Verkörperung ein und derselben Betrachterfigur. Sie verläuft zum einen über die ver/störende Empathie mit dem terroristisch Anderen aber auch über die unterschwellige Geste des Native American Drag in der Abwehr dieser Empathie. Die Empathie mit dem terroristisch Anderen würde eine Aufkündigung der Allianz zwischen weißer Weiblichkeit und schwarzer Männlichkeit bedeuten, die mit der Geste des Native American Drag noch einmal verstärkt würde. Denn die Native-Amerikanisierung weißer Weiblichkeit gegenüber schwarzer Männlichkeit hat einen rassistischen Effekt, der weiße Weiblichkeit – und damit weiße Dominanz und Herrschaft –»ethnisch beheimatet« naturalisiert und uramerikanisiert. Inwieweit der 11. September 2001 und seine innerpolitischen Folgen das Machtgefüge des sogenannten US-amerikanischen Quartetts (weiße Weiblichkeit/Männlichkeit vs. schwarze Männlichkeit/Weiblichkeit, vgl. Dietze 2013) grundlegend umgeschichtet hat, erfordert eine genauere Betrachtung. Es ist zu vermuten, dass die im Rahmen des War on Terror erstmalig stattfindende Indigenisierung US-amerikanischer Gründungsmythen die komplexen Machtlinien der Trauma-Erzählungen im kulturellen Imaginären der USA auf lange Sicht hin verändern werden. Das Phantasma der Beheimatung (innerhalb dessen Native American Drag nur eine Formation darstellt) wird die Verflechtungen post/kolonialer, vergeschlechtlichter und rassistischer Strukturen in den US-amerikanischen Traumanarrativen verschieben, neue Macht- und Herrschaftsgebilde und vor allem neue imaginäre Spielfelder erschaffen. Clintons unbewusste Selbstindigenisierung als »Die Gähnende«, über die Figuration des frei flottierenden Native American Joker auf der Hinterbühne des War on Terror, scheint mir nur ein Ausdruck dieser Verschiebungen.
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Die Geburt der Bilder aus dem Geist des Erschreckens »Wahre Bilder«, Bilderverbot und Bildfetischismus * G ERHARD S CHWEPPENHÄUSER
Die Worte, mit denen Roland Barthes einst das Bildgenre der Pressefotografie kennzeichnete, passen exakt als Beschreibung des Bildes vom Mai des Jahres 2011, das den Präsidenten der USA mit Regierungsmitgliedern und engen Mitarbeitern dabei zeigt, wie sie die Jagd nach dem damaligen Staatsfeind Nr. 1 auf einem Bildschirm mitverfolgen: Es ist »ein ausgefeiltes, ausgewähltes, strukturiertes und konstruiertes Objekt« (Barthes 1990: 15). Wie alle Medienbilder gibt es nicht den Blick auf ein Stück der Welt frei, sondern Perspektiven auf die Welt vor. Es ist kein »Fenster zur Wirklichkeit« (Belting 2005: 7), sondern Ergebnis komplexer Selektionsprozesse. Dieses Bild, das auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkt, hat Furore gemacht. Der Spiegel sprach euphorisch von einer »kraftvollen« Dokumentation, von einem Bild »für die Ewigkeit« und hielt die Veröffentlichung für die »perfekte [...] Inszenierung des Sieges« (Schmitz 2011). Pressefotografie und PR-Inszenierung sind eins geworden; das Foto ist Dokument der Zeitgeschichte und politische Demonstration zugleich. Es war (und ist) aber auch eine Folie für kritische Diskurse und hat als Projektionsfläche für unterschiedliche Weltbilder gedient. Mich interessiert die »quasi-transzendentale« Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit für die verschiedenen Zuschreibungen. Sie führt auf weitere Fragen: nach dem Zeichenhaften, nach dem Bildhaften und nach dem Ideologiehaften des Bildes. Ich werde nacheinander drei Perspektiven einnehmen: Zuerst
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Erstveröffentlichung in Schweppenhäuser 2013: 192-211.
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eine zeichenphilosophische und dann eine wahrnehmungsphilosophische, und schließlich werde ich diese Methoden – und das Objekt der Interpretation – aus der kultur- und sozialphilosophischen Perspektive der kritischen Theorie betrachten. Während die kritische Theorie im bildphilosophischen Diskurs immer noch nicht so recht zum Zuge gekommen ist, liefern sich semiotische und phänomenologische Ansätze auf diesem Terrain einen heftigen Wettstreit, in dem sie einander auszuschließen scheinen. Meine These ist, dass man sie im Licht der Kritischen Theorie zusammenbringen kann.
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SEMIOTISCHE
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Wenn man von der Annahme ausgeht, dass Bilder wesentlich über ihre Zeichenhaftigkeit zu bestimmen sind, hat man zwischen verschiedenen Zeichenaspekten zu unterscheiden, die auf das Modell von Peirce zurückgehen. Wer Bilder als Abbilder versteht, fasst sie als mimetisch-analoge Nachbildungen auf, die etwas darstellen, das man mit den Augen sehen oder imaginieren kann. Ein Bild ist dann ein ikonisches Zeichen, das ein Stück extra- und/oder intramentaler Wirklichkeit denotiert. Wer betont, dass unser Bildbewusstsein durch Darstellungsund Deutungskonventionen geprägt ist, fasst Bilder als Konstruktionen mit kodierter und dekodierbarer Bedeutung auf. Ein Bild ist dann ein symbolisches Zeichen, dessen soziokulturelle Konnotationen die Denotation überschreiben. Dann gilt es, die Bedingungen der Lektüre von Bildern zu rekonstruieren. Der locus classicus für die semiotische Analyse der Strukturen von Medienbildern ist ein Text, den Roland Barthes vor 50 Jahren veröffentlicht hat: »Die Fotografie als Botschaft«. Auch wenn es dort um Pressefotos aus einer Ära geht, die lange vor dem digitalen Bild liegt, ist es lohnenswert, sich noch einmal mit seiner »strukturalen Analyse der fotografischen Botschaft« (Barthes 1990: 12) zu beschäftigen. Fotografie erscheint wie eine »Botschaft ohne code« (a.a.O.: 15). Weil sie lediglich zu denotieren scheint, schreibe man ihr »besondere Glaubwürdigkeit« (a.a.O.: 17) zu. Tatsächlich würden Fotografien aber gerade deshalb funktionieren, weil sie »eine denotiert-konnotierte Doppelstruktur« (a.a.O.: 18) besitzen. Jedes Foto denotiert manifeste, offizielle Bedeutungen und konnotiert latente Bedeutungen. Die letzteren folgen kulturellen Kodierungen, sie sind also nicht einfach den individuellen Assoziationen überlassen. So entstehen visuelle »Mythologien«. Zeichensysteme, die als Subtext an andere Zeichensysteme anschließen, hat Barthes an anderer Stelle ›mythologisch‹ genannt, weil der Mythos, eine
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archaische Form des Wissens, ›Geschichte in Natur verwandelt‹. »[A]lles vollzieht sich, als ob das Bild auf natürliche Weise den Begriff hervorriefe, als ob das Bedeutende das Bedeutete stiftete« (Barthes 1998: 113). Es ging darum, die ideologische »Naturalisierung des Kulturellen« (Barthes 1990: 21) zu entmythologisieren, indem methodologisch kontrolliert gezeigt wird, dass Bedeutungen immer von Menschen gemacht und daher veränderbar sind. Im Falle von Bildern hieße das, ihre textartige Struktur zu entziffern. Bildsemiotik steht damit in der Tradition nominalistischer Aufklärung, die mit Roscellin und Abälard beginnt. Sie geht davon aus, dass die mimetische Bildauffassung ein prärationaler archaischer Restbestand ist. Ihre Kritik der Bildmagie ist keine kulturgeschichtliche Angelegenheit, sondern Fortsetzung des Projekts der Aufklärung in einer von Bildern überfluteten Gegenwart. Strukturale Bild-Hermeneutik verbalisiert latente Bedeutungen, die dem Bild neben der manifesten Bedeutung eingeschrieben sind; dazu zieht sie den verbalen Kontext eines Medienbildes heran. »Der Text«, heißt es bei Barthes in diesem Zusammenhang, »ist eine parasitäre Botschaft, die das Bild konnotieren, das heißt ihm ein oder mehrere zusätzliche Signifikate ›einhauchen‹ soll« (a.a.O.: 21). Auch das Foto aus dem Situation Room würde ohne sekundäre Vertextung als Zeitdokument oder herrschaftliche Bildbotschaft nicht funktionieren. Es könnte auch in macht- und kulturkritischen Diskursen nicht als Beweismittel umgenutzt werden. Für meine Textanalyse habe ich den Text der Spiegel-Online-Fotostrecke ausgewählt. Er lautete im Jahre 2011: »Angespannte Stimmung: US-Präsident Barack Obama (2.v.l.) und Mitglieder seines Sicherheitsrats werden im Weißen Haus über die Aktion gegen Osama bin Laden informiert. Mit dabei: Vizepräsident Joseph Biden (l.), Außenministerin Hillary Clinton (2.v.r.) und Verteidigungsminister Robert Gates (r.).«1 Die Bildunterschrift nennt den Ort der Aufnahme, sie beschreibt, was geschieht und gibt die Namen von einigen Abgebildeten sowie ihre Position im Bild an. Die »Stimmung« der Personen wird als »angespannt« charakterisiert. Außerdem wird der Name einer Person genannt, die auf dem Bild nicht zu sehen ist. Im Bild selbst sind Bruchstücke von Worten zu erkennen: »President« und »united«. Soviel zu den Denotationen der Text-Nachricht.
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So Spiegel Online am 03.05.2011; mittlerweile wurde die Bildunterschrift verändert. Sie lautet nun: »Der wichtigste Moment von Obamas Präsidentschaft: Gemeinsam mit Vize Joe Biden (links), Außenministerin Hillary Clinton (2. von rechts) und Verteidigungsminister Robert Gates (rechts) verfolgt er konzentriert die entscheidenden Minuten des Einsatzes – so suggeriert es jedenfalls das Foto.« (Spiegel Online 2014)
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Die Konnotationen der Text-Nachricht bewegen sich auf den Bedeutungsfeldern der Worte »Stimmung«, »Aktion« und »Information«. »Stimmung« unterstellt, dass in historischen Momenten alles von der Befindlichkeit der Mächtigen abhängt. »Aktion« konnotiert: Große Männer (und eine Frau) machen Geschichte. Es konnotiert ähnlich wie »Information«: nüchtern, sachlich und seriös. Zusammen mit den Worten »gegen Osama Bin Laden« steht das semantisch neutrale Wort »Aktion« konnotativ für »Tötung« – denn unmittelbar nach seiner Veröffentlichung und in den Monaten danach wurde das Bild ja allgemein so rezipiert, als sei die Aufnahme in jenem entscheidenden Augenblick gemacht worden, in dem die »Aktion« auf ihrem Höhe- und Endpunkt angelangt sei. Dass das Bild auch in dem Augenblick aufgenommen sein worden könnte, als einer der Armeehubschrauber während des Einsatzes beinahe abstürzte, begann sich erst ein knappes halbes Jahr später herumzusprechen . (Nicht etwa erst in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA im Herbst 2012, wie das mitunter zu lesen war, etwa in der Süddeutschen Zeitung vom 20./21. Oktober 2012 [Richter 2012].) Der Kontext unterstellte seinerzeit, dass die »Tötung« politisch legitim ist. Roland Barthes hat dieses Verfahren so beschrieben: »Das Wort tritt zur Sublimierung, Pathetisierung oder Rationalisierung des Bildes hinzu« (Barthes 1990: 21). Die Denotationen der ikonischen Botschaft sind die Personen, Dinge und visuellen Merkmale des Raumes; also alles, was das Bild zu sehen gibt. Mit den Worten von Barthes: Die Denotation erfolgt über »die Linien, Oberflächen und Schattierungen« (a.a.O.: 12), und, das müssen wir hinzufügen, über die Farben – also über diejenigen Faktoren, durch die ein Foto visuelle Analogien mit dem fotografierten Signifikat erzeugt. Die Konnotationen der ikonischen Nachricht hängen vor allem am stummen Ausdruck der Personen. Die Sitzhaltung des Präsidenten konnotiert, neben seiner Konzentration, lässige Souveränität. So kann man es lange aushalten. Der »schwarze Mann« im Weißen Haus kann sich das erlauben; er ist auch nicht an den KrawattenDresscode gebunden und verlangt ihn nicht von allen Mitarbeitern. Die Augenbrauen des Staatsoberhauptes sind leicht nach unten gezogen; das kann man als Ausdruck von Ernst und Skepsis empfinden. Sein Blick sei »wie ein Laser« gewesen, schwärmte die New York Times (Korges 2011). Diese journalistische Fantasie spielt mit der Vorstellung von eiskalten Science-Fiction-Wesen, die ihre Feinde mit Blickstrahlen töten. Eine Augenbraue des Vizepräsidenten ist etwas angehoben. In Verbindung mit der Linie des Mundes könnte dies zum Ausdruck bringen, dass er nicht unzufrieden ist. Die Außenministerin dagegen verdeckt ihren Mund mit der Hand. Es sieht aus, als wäre sie ergriffen und würde einen erschrockenen Ausruf unter-
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drücken. Diese Geste gilt als Ausdruck starker, aber kontrollierter Emotionalität. Sie habe »eine Hand auf dem vor Schreck aufgerissenem Mund« gehabt, schrieb zum Beispiel der hartgesottene Hermann Gremliza (2011: 8) in seiner Zeitschrift Konkret. Als literarischer Beleg für die Beschreibung jener Ausdrucksgeste des Erschreckens bietet sich eine Stelle aus Kafkas Verwandlung an. Dort wird geschildert, wie Gregor Samsas Vorgesetzter aus dem Büro reagiert, als er sieht, was mit Gregor geschehen ist, noch bevor die Familie ihn als Insekt gesehen hat. Gregor »wollte tatsächlich die Tür aufmachen, tatsächlich sich sehen lassen«, schreibt Kafka. »Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung mehr und konnte ruhig sein. Würden sie aber alles ruhig hinnehmen, dann hatte auch er keinen Grund sich aufzuregen.« (Kafka 1980: 66) Kafka lässt Gregor mit Mühe die Zimmertür öffnen, und »da hörte [Gregor] schon den Prokuristen ein lautes ›Oh!‹ ausstoßen – es klang, wie wenn der Wind saust – und nun sah er ihn auch, wie er, der der Nächste an der Tür war, die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare, gleichmäßig fortwirkende Kraft.« (a.a.O.: 68) Dass wir die Gemütsbewegungen anderer Menschen an ihrem Ausdruck erkennen können, scheint sich von selbst zu verstehen: Ein »innerer«, unsichtbarer Vorgang ruft indexikalische Zeichen hervor, die an der »Außenseite« sichtbar werden und als natürlicher Affekt-Ausdruck gedeutet werden. Das funktioniert normalerweise auch, allerdings unter Reduktion der mimischen Komplexität durch den Interpreten.2 Doch schon ein kurzer Exkurs in die medienphilosophische Forschung über die Semiotik der Affekte gibt Anlass zu der Annahme, dass unsere Deutungen keineswegs zwingende Folgen eines natürlichen Systems von Ausdruckszeichen sind. Körperbewegungen und Mimik sind sichtbar, lassen sich aber »nur schwer kategorisieren« (Löffler 2004: 10). Wir interpretieren visuelle Beobachtungen und geben unsere Zuschreibungen als inneren Gehalt des Ausdrucks eines Anderen aus. Dafür haben sich in unserer Kultur seit dem 19. Jahrhundert Deutungsweisen etabliert, die Petra Löffler in ihrer Kölner Dissertation unter dem Titel Affektbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik mit Michel Foucaults Methode der Diskursarchäologie untersucht hat. Die »Grenze zwischen Anthropologie und Semiotik der Affekte« ist »nur schwer zu ziehen«, stellt Löffler fest. »Sie bleibt […] fließend: Ob eine Miene als authentischer
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Wenn bei Menschen, z.B. durch einen Schlaganfall, eine bestimmte Hirnregion ausfällt, kann es zum Krankheitsbild der Prosopagnosie kommen, zur »Gesichtsblindheit«. Die Erkrankten haben die Fähigkeit verloren, die Mimik anderer Menschen zu deuten und können auch Personen nicht mehr wiedererkennen.
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Ausdruck oder als erlernte Konvention bewertet ist, hängt […] von den Kontexten und den Medien ab, in denen sie gebraucht bzw. durch die sie visualisiert wird.« (ebd.) Die Vorstellung von der »Lesbarkeit des Menschen« (a.a.O.: 15 ff.) hängt demnach mit ästhetischen Darstellungskonventionen im Geflecht hegemonialer Ordnungen des Wissens und der Macht zusammen. Subjektivität wird mit den Mitteln der Wissenschaft erst beschreibbar, wenn man sie objektivieren kann. Seit Ende des 18. Jahrhunderts versucht man, menschliche Mimik durch verbesserte Darstellungsmethoden zu erschließen. Lavater arbeitete bei seinen physiognomischen Versuchen mit Schattenrissen, die insofern Vorläufer der Fotografie genannt werden können, als man sie für objektiver hielt als Zeichnungen. Später wurde die Fotografie, die man für objektiver hielt, zur Grundlage der psychologischen Ausdruckstheorie. Das vergleichende Besehen von Bilderserien und ganzen Archiven flüchtiger Bewegungen des Körpers trat an die Stelle der interpretierenden Deutung vom Antlitz eines menschlichen Gegenübers. Das Beobachtungswissen wurde vermehrt, aber die Deutungsobjektivität blieb eine Chimäre. – So viel an dieser Stelle zu Löfflers Untersuchungen. Empirische Forschungen schließen heute an Darwins Deutung des emotionalen Ausdrucks als Restbestand »von ursprünglich funktionalen Verhaltensweisen« an, »die einen Anpassungsvorteil in der natürlichen Selektion brachten« (Mitmansgruber 2003: 18).3 Gern wird behauptet, dass es universale, kulturübergreifende Signale für »Ärger, Furcht, Ekel, Traurigkeit und Vergnügen« (a.a.O.: 18 f.) geben würde. Neurophysiologen verweisen auf spezifische neuronale Erregungsmuster, die diesen Gefühlen entsprechen würden (vgl. a.a.O.: 19). Mit dem Facial Action Coding System versucht man, einzelnen Emotionen distinktive Gesichtsausdrücke zuzuordnen (vgl. a.a.O.: 18), die sich biometrisch erfassen lassen. Das führt dazu, dass die Vielfalt subtiler mimischer Formen schematisch erfasst und entdifferenziert wird. Aber selbst die Emotions-Stereotypen, die man auf diese Weise generiert, um beispielsweise Dienstleistungs- und Pflegeroboter zu entwickeln, die Gefühlsausdrücke simulieren (und deshalb bezahlte Arbeitskräfte ersetzen) können (vgl. Weber 2010), sind alles andere als universal und kulturübergreifend. In der historischen Anthropologie (vgl. Gebauer 2010, S. 317 ff.; Gebauer/Wulf 2010) herrscht Übereinstimmung, dass Gestik und Mimik zwar in der Leibnatur des Menschen fundiert, aber zugleich auch Bestandteile kodierter, kommunikativer Praktiken sind. Als kulturelle Ausdrucks- und Mitteilungsgestalten überformen sie unsere Naturbasis. Wenn es eine »›historische Grammatik‹ der ikonographischen Konnotation« geben würde, schrieb Roland Barthes
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Für den Hinweis und Erläuterungen danke ich Stefan Beckmann.
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vor fünfzig Jahren, könnte man »festgelegte Bedeutungselemente« klassifizieren, wie beispielsweise den »Blick gen Himmel« oder »gefaltete Hände« (Barthes 1990: 17). In diesem Fall ist der häufig konnotierte Subtext der Schreckensgeste: »typisch weibliche Betroffenheit«. Frau Clinton selbst sah sich bekanntlich zu einer Neuinterpretation gezwungen: Sie musste einfach nur gähnen, hieß es; andere Verlautbarungen für die Presse verwiesen auf saisonale Allergie-Symptome. Wollte Clinton sich der Festlegung auf die Frauenrolle entziehen? Oder wollte sie den Verdacht loswerden, sie verspüre Mitgefühl für den Gejagten, während sie »über die Aktion gegen Osama Bin Laden informiert« wird? Sympathy for the Devil darf vielleicht Mick Jagger bekunden, aber nicht die Außenministerin der USA. Ich komme noch einmal auf das Sichtbare zurück. Oben auf dem Stapel Papier liegt ein »verpixeltes« Bilddokument, das als indexikalisches Zeichen dafür gedeutet werden kann, dass das Foto vor der Veröffentlichung bearbeitet wurde. Die Konnotation ist: »streng geheim«, das Foto sagt gleichsam: »Ich bin ein offizielles Produkt aus streng kontrollierten Bild-Anbau«. Zusammen mit Frau Clintons Geste könnte das unkenntlich gemachte Dokument als Zentrum des Bildes gelten. Man könnte auch die militärischen Auszeichnungen des uniformierten Mannes mit hinzunehmen, der sich beinahe in Bildmitte befindet. Marshall Webb schaut als einziger nicht aus dem Bild hinaus, sondern auf einen Monitor im Bild. Kaum ein Betrachter würde annehmen, dass er gerade private E-Mails liest oder gelangweilt im Internet surft; die atmosphärischen Konnotationen deuten auf Kontrolle und Macht, auf eine Vollzugsmeldung oder einen entscheidenden Befehl, den er, möglicherweise als Leiter der Aktion, gerade gibt. Man kann das semantische Zentrum des Bildes aber auch außerhalb des Rahmens lokalisieren. Im Zusammenspiel zwischen Denotationen und Konnotationen entsteht dann ein »Superzeichen«, das in seiner Abwesenheit präsenter ist als die sichtbar gegenwärtigen Bildzeichen. Darauf werde ich später noch einmal, aus anderer Perspektive, zurückkommen. Nun möchte ich die Ergebnisse des ersten Teils zusammenfassen. Das analysierte Bild bildet nicht einen Teil der »wirklichen Wirklichkeit« ab, sondern übersetzt kulturellen Sinn in visuelle »Kodierungen« (Müller-Doohm 1993: 245). Im Sinne von Peirce ist es nicht nur ikonisches Zeichen, sondern, in erster Linie, symbolisches Zeichen (vgl. ebd.). Sein Bedeutungsgehalt wird nicht natürlich hervorgerufen. Er ist arbiträr, beruht auf Übereinkunft, genau wie bei einem Text. Ihren rechtfertigenden Charakter erhält die Bildbotschaft aus dem Machtzentrum der Weltpolitik vermittels der Konnotationen, die einerseits quasi-
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textuell sind und andererseits, über die sekundären Vertextungen im jeweiligen Verwendungszusammenhang des Bildes, auch im wörtlichen Sinne.
D IE PHÄNOMENOLOGISCHE P ERSPEKTIVE Bilder wirken aber anders als Texte. Das ist trivial, jedoch auch vertrackt, denn es zeigt die Grenzen der Lesbarkeit von Bildern und erinnert an die Basis der kognitiven, deutenden Bildlektüre. Damit komme ich zur phänomenologischen Perspektive. Die Basis der Dekodierung ist die Wahrnehmung. Das hat übrigens auch der Semiotiker Barthes gewusst. Er stellte 1961 fest, dass man eigentlich »die Mechanismen […] der Wahrnehmung der Fotografie erhellen« müsse. Barthes gab zu: »über diesen Punkt wissen wir jedoch nicht viel: Wie lesen wir eine Fotografie? Was nehmen wir wahr? In welcher Reihenfolge, in welchem Ablauf? Was heißt überhaupt wahrnehmen?« (Barthes 1990: 24) Doch Barthes fragte seinerzeit nicht weiter; er zog sich mit der auf Jean Piaget gestützten Vermutung aus der Affäre, dass es »keine Wahrnehmung ohne unmittelbare Kategorisierung gibt« und dass die Fotografie daher »im Moment der Wahrnehmung verbalisiert« (ebd.) würde. Das hilft aber nicht weiter. Mit der Semiotik kann man zwar eine Menge primärer und sekundärer Bildbedeutungen entziffern, doch kein Bild ganz aufschließen. Wenn man die Auffassung vertritt, dass Bilder immer Zeichen sind (und nichts anderes), interessiert man sich eigentlich auch gar nicht dafür, was Bilder sind. Man will nur wissen, wie – oder: als was – sie funktionieren. Etwas wird ja erst zu einem Zeichen, indem es als solches benutzt wird. Zeichen stehen bekanntlich nicht für sich selbst, sondern für etwas anderes (den Inhalt) und dann auch noch für jemand anderen (die Zeichenverwender). Als Zeichen kann man fast alles benutzen. Ein Zweig kann bei der Schnitzeljagd im Wald als Zeichen eingesetzt werden. Aber man würde nicht sagen, dass der Zweig ein Zeichen ist, es sei denn in metaphorischer Redeweise. Die Rose ist nicht meine Liebe, sie repräsentiert meine Liebe, z.B. wenn man per Telefon veranlasst, dass der fernen Geliebten eine Rose ins Hotelzimmer gebracht wird. Aber die Rose als solche ist natürlich auch kein Zeichen, sondern ein botanisches Objekt. Insofern hierdurch einem naiven Essentialismus vorgebeugt wird, ist der semiotische Funktionalismus legitim und hilfreich. Das philosophische Erkenntnisinteresse am Bild kann er aber nur partiell befriedigen. Wenn wir ein Bild auf seinen Zeichencharakter reduzieren – den es ohne Frage haben kann –, haben wir
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noch nicht bestimmt, was es zum Bild macht. Was ist das Bildhafte eines Bildes? Was unterscheidet es von allen anderen, nicht-bildlichen Zeichen? Lambert Wiesing hat gegen die zeichenphilosophische Bildauffassung vorgebracht, dass »Bildlichkeit« nicht »das Ergebnis einer Verwendung von Dingen« ist, sondern vielmehr »eine wahrnehmbare Eigenschaft von Dingen« (Wiesing 2008: VII). Das Bildliche besteht demzufolge in der Sichtbarkeit – und in nichts anderem. Das gilt für images und für pictures, also für innere und äußere Bilder. Diesen Einwand halte ich für überzeugend. Schon Jean-Paul Sartre hatte festgestellt: Das Bild, das ein Maler von einem Haus malt, ist kein Zeichen für ein Haus – es ist nichts anderes als ein gemaltes Haus. Der Maler, sagte Sartre, möchte »auf der Leinwand ein imaginäres Haus schaffen, und nicht das Zeichen eines Hauses« (Sartre 1958: 9). Das eingebildete Haus wird als Gebilde wahrnehmbar. Wenn ich ein Bild von einem Glas Bier sehe, können sich Empfindungen einstellen, die zum Teil der Empfindung beim Anblick eines realen Biers gleichen. Auf die Dauer würde mich das Bild nicht vor dem Verdursten retten, aber dennoch ist festzuhalten, dass sich die Sichtbarkeit anscheinend in Spürbarkeit umsetzt. Diese Spürbarkeit ist nur eine imaginäre, aber als solche bewirkt sie etwas. Sehe ich kein Bild vom Bierglas, sondern ein Schild mit der Aufschrift »ein Glas Bier«, dann wird eine Gedankenverbindung hergestellt, die mich vom Wort zum inneren Bild führt. Dabei kann sie ebenfalls eine Empfindung bewirken. Aber das äußere Bild überspringt sozusagen diesen Vermittlungsschritt. Es wirkt nicht kognitiv und rational, sondern sensorisch. Wenn ich ein Bild in der Zeitung sehe, betrachte ich etwas. Ein dreidimensionales Objekt, zum Beispiel die Teetasse, aus der ich beim Zeitungslesen trinke, kann ich ebenfalls betrachten, aber ich erschließe sie mir weiterhin auch noch dadurch, dass ich sie berühre oder ihren Klang beim Aufsetzen auf die Untertasse höre, wobei ich weitere ihrer relevanten Merkmale erfasse. Das Bild in der Zeitung kann ich als solches nur sehen, es ist ein »nur-sichtbarer« Gegenstand, und auch die Objekte darin sind »nur-sichtbare« Gegenstände. Wenn ich versuche, ein Bild in der Zeitung zu berühren, berühre ich stattdessen den Bildträger, das Zeitungspapier. Ich kann auch nicht um einen Gegenstand im Bild herumgehen. Und die Objekte im Bild verändern sich nicht und werden auch nicht älter (außer im Bildnis des Dorian Gray aus der Erzählung von Oscar Wilde). Die Kritik an der semiotischen Reduktion des Bildlichen geht auf Edmund Husserl zurück, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf hingewiesen hatte, dass bildhafte Repräsentation eine Vergegenwärtigungsleistung eigener Art ist, die sich von zeichenhafter Repräsentation relevant unterscheidet. »Das erscheinende Bildding weckt nicht eine neue Vorstellung, die sonst mit ihm nichts zu
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tun hätte«, schrieb Husserl (2006: 32). »Es weist nicht in der Weise eines blossen, sei es auch analogischen Symbols oder eines willkürlichen Zeichens über sich hinaus auf ein anderes, das mit dem Zeichen selbst nicht innerlich einheitlich bewusst wäre oder gar zu ihm keine innere Beziehung hätte« betonte er. »Vielmehr veranschaulicht das Bildobjekt das mit ihm zwar nicht Identische, aber ihm inhaltlich mehr oder minder Gleiche oder Ähnliche.« (ebd.) Im Unterschied zur kognitiven Erfassung des Bezeichneten durch ein von diesem substanziell verschiedenen Symbol findet bei der Betrachtung eines Bildes also eine Anschauung statt. »In den verwandten Zügen lebt etwas vom Bewusstsein des intendierten Gegenstandes. In das Bild schauen wir den gemeinten Gegenstand hinein, oder aus ihm schaut er zu uns her.« (ebd.) Das Bild stellt (für) uns dar, was wir in ihm sehen. Ein Bild zeigt aber nicht nur, was es zeigt; es zeigt immer auch, wie es zeigt, was es zeigt (zum Beispiel als digitale Farbfotografie). Was es zeigt, zeigt es im Modus reiner Sichtbarkeit. Seine Objekte sind nicht anwesend, nur Formen auf einer Oberfläche. Kurzum – und stark vereinfacht ausgedrückt: Als Phänomenologe interessiert man sich nicht so sehr dafür, was man sieht, sondern dafür, dass man sieht. Im Rahmen der »phänomenologischen Reduktion« rückt die Wahrnehmung in den Vordergrund, das Sehen als solches und die Isolierung von Sichtbarkeit. In einem nächsten Schritt ist zu fragen, was die Wahrnehmungen bewirken. Sehen ist nie reines Sehen als solches, sondern immer gerichtetes Sehen von etwas; Phänomenologen sprechen hier bekanntlich von der Intentionalität, der bewussten Aufmerksamkeit, die ein Betrachter auf etwas richtet. In unserem Beispiel ist das erstens die Bildform und zweitens der Bildinhalt. Die Form kann man mit technischen Fachbegriffen, mit Genre- oder Stilbegriffen beschreiben: Farbfoto, digitales Bild, Pressefoto, Gruppenbild usw. Der Bildaufbau kann anhand von Kriterien der ästhetischen Komposition oder der planimetrischen Analyse untersucht werden.4 Der Inhalt: Das sind dreizehn Personen in einem Raum und zwei weitere, die man teilweise sehen kann, ein Tisch, fünf LaptopComputer, Elektrokabel, Text- und Bilddokumente sowie eine Tasche, ein Wasserflasche und zwei Pappbecher, eine Lesebrille; ferner zwei Türrahmen, eine halbhohe Wandvertäfelung und ein Wappen mit Inschrift, das teilweise verdeckt ist. Sechs Menschen sitzen im Halbkreis am Tisch, sieben stehen dahinter. Die Gruppe der Sitzenden besteht aus fünf Männern und einer Frau, die Gruppe der
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Siehe dazu Aglaja Przyborski (2014) sowie die Beiträge von Horst Bredekamp, Michael Diers, Jürgen Raab und Roswitha Breckner in diesem Band.
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Stehenden aus sechs Männern und einer Frau. Alle, bis auf einen, schauen auf einen Punkt außerhalb des Bildes, der sich offenbar etwas oberhalb der Mitte des linken Bildrands befindet. Während die Bildsemiotik den Akzent auf die Bildlektüre legt, also auf das Erkennen, betont die Phänomenologie, dass Bildwahrnehmen eine Form des Erlebens ist. Hatte Husserl (1980) die Intentionalität des Betrachters noch als rationale Aufmerksamkeit beschrieben, so erweiterte Barthes in seiner poststrukturalistischen Phänomenologie der Fotografie das Verständnis von Intentionalität. Für ihn ist sie nämlich primär die affektive Ausrichtung auf das Gesehene: Die affektive Intentionalität ist »durchdrungen« von »Verlangen, Abneigung, Sehnsucht nach Vergangenem und Euphorie« (Barthes 1989: 30). Aus wahrnehmungsphilosophischer Sicht würde man also sagen: Die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass wir Emotionales in Bilder hineinprojizieren können, dass wir ein »magisches« Verhältnis zu Bildern haben können, ist nicht ihre Zeichenhaftigkeit, sondern ihre Sichtbarkeit. Man muss nun nicht so weit gehen wie William James Thomas Mitchell (2008), der gern davon spricht, dass Bilder leben, lieben oder etwas wollen. Trotzdem könnte man mit guten Gründen festhalten, dass sie mitunter wirken, als ob sie lebendig wären. »Wer sich rein in ein Bild hineinschaut, der lebt in der Bildlichkeit«, heißt es bei Husserl: »er hat im Bild selbst die Vergegenwärtigung des Objekts« (Husserl 2006: 37). Das Bild der fernen Geliebten ist beim normalen, unreflektierten Gebrauch kein Informationsträger, den sie dem Liebhaber übermittelt hat. Wenn er das Bild anblickt, scheint es zurückzublicken (vgl. Belting 2005: 134). Es erzeugt einen Eindruck, der in mancher Hinsicht dem der sichtbaren Gegenwart seiner Geliebten ähnelt. Ein Foto kann visuelles Begehren oder Ablehnen wecken. Sein offizieller, kultureller Inhalt kann in den Hintergrund gedrängt werden, weil die Betrachter im Inneren von einem affektiven, gänzlich kontingenten Moment getroffen werden. Das Foto kann eine »Wunde« hinterlassen: das berühmte punctum des späten Barthes.5 Subjektives Erleben kommt dann vor dem Erkennen, und Bestürzung wiegt schwerer als Belehrung. Magie schiebt sich gleichsam vor die Rationalität.6
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Es wird häufig missverstanden, und zwar dann, wenn man übersieht, dass Barthes den Namen punctum ausschließlich für ein schlechthin nichtkodierbares, kontingentes Erlebnis eines Bilddetails reservierte, das meist nicht einmal verständlich beschrieben werden kann (geschweige denn, dass es durch den Fotografen inszeniert werden könnte).
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Dazu kommt die eigentümlich faszinierende Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart: Die Jetztzeit im Augenblick der Aufnahme scheint dem Untergang entrissen zu
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Nicht nur Bilder von Personen können eine »magische« Komponente haben; auch Bilder von Landschaften, Häusern, Designgegenständen oder was auch immer können diesen impact auf die Betrachter haben. Impact bedeutet im Englischen u.a.: Anprall, Aufprall, Einschlag, Bedeutung, Wirkung, Auswirkung, Schockwirkung. Ich verwende das Wort hier, weil seine Bedeutungsaspekte semiotische und physisch-materielle Ebenen verbinden. Ich fasse zusammen: Bilder sind lesbar, aber heikel wird es offenbar dann, wenn Lesbarkeit das zureichende Kriterium für ein Bild sein soll. Seine nichtzeichenhafte Sichtbarkeit kann ein Bild zum Objekt von Begehren oder Angst machen. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass wir Emotionales in Bilder hineinprojizieren, also ein »magisches« Verhältnis zu Bildern haben können. Der phänomenologische oder wahrnehmungsphilosophische Ansatz macht deutlich: Auch wenn wir eine Fotoreportage betrachten, dekodieren wir die Bilder zunächst einmal nicht, sondern nehmen sie erst einmal wahr. Solches Bildwahrnehmen ist ein stellvertretendes Erleben, so ähnlich wie ein Probehandeln; wir versetzen uns in die Lage von Beobachtern oder Teilnehmern »vor Ort«, mit denen wir visuelle Eindrücke teilen. Dabei mag sich etwas einstellen, was einen auf ganz individuelle Weise bestürzt. Für mich ist es überhaupt nicht »Hillarys Hand«, sondern der leicht geöffnete Mund des Mannes neben ihr mit dem stechenden Blick aus dunklen Augenhöhlen: Denis McDonough. Es scheint, als würde er tief Luft holen; vielleicht hat er einen anerkennenden Pfiff oder eine Bemerkung auf den Lippen. Wenn mich das beeindruckt, hängt es vermutlich mit persönlichen Erinnerungsspuren zusammen, die bis in die Tiefen des Philosophischen Seminars der Hamburger Universität zurückreichen, wo ich vor langer Zeit studiert habe. Genauere Angaben kann ich dazu nicht machen, und die wären hier auch auf keine Weise von Belang. Solch ein irrationales punctum im Sinne von Barthes kann die Betrachter auf gänzlich »inoffizielle« Weise ins Bild hineinziehen. Mit dem historischen Bildinhalt hat das nichts zu tun. Trotzdem beeinflusst es die Beziehung der Betrachter zum Bild. Es unterläuft seine hegemonialen Sinn-Zuschreibungen, mildert aber nicht seinen Schrecken.
sein. In zweiter Reflexion bestätigt sie aber nur, dass dieser Augenblick eben doch niemals wiederkehrt.
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Ich werde nun noch einmal die Perspektive wechseln und einige Überlegungen zu einer kritischen Theorie des Bildes entfalten. Dabei werde ich die phänomenologische Theorie des visuellen Begehrens mit der semiotischen Kritik der Bildmagie verbinden und mit einem weit gefassten Begriff kritischer Theorie arbeiten. Am Ende des ersten Teils habe ich darauf hingewiesen, dass man das semantische Zentrum unseres Bildes auch außerhalb des Rahmens suchen kann und dass das abwesende »Superzeichen« vermutlich präsenter ist als die sichtbaren Bildzeichen. Die Richtung der Blicke zeigt, dass das sinnhafte Zentrum des Bildes außerhalb liegt. Im Moment der Aufnahme praktizieren alle Personen offenbar eine moderne Kulturtechnik: Sie schauen auf einen Bildschirm. Der entscheidende Bildschirm ist aber nicht zu sehen. Der Apparat, der das Bild regiert, ist der eine große Unsichtbare des Bildes. Er wird weder ikonisch noch linguistisch denotiert. Das oder der andere große Unsichtbare wird immerhin linguistisch denotiert; in der Bildunterschrift wird scheinbar sein Name genannt, der Name des Toten, des negativen Objekts des Begehrens. Das Bild wird also, mit Kafkas Worten, von einer »unsichtbaren Kraft« beherrscht. Sie geht nicht von einem abstoßenden Insekt aus, sondern von einem ambivalenten, abstoßenden und anziehenden Bildobjekt, das im Bilde sichtbar ist, für uns jedoch unsichtbar bleibt. Die Frage ist erstens, welchen unsichtbaren Bildgegenstand die Betrachter des Bildes ergänzen; und zweitens, welche Deutungsvorgaben mit Hilfe der Kontextangabe bzw. mit Hilfe des expliziten Begleittexts gemacht werden. Wenn wir von der Spiegel-Fotostrecke ausgehen, lautet dieser, wie gesagt: »Angespannte Stimmung: US-Präsident Barack Obama (2.v.l.) und Mitglieder seines Sicherheitsrats werden im Weißen Haus über die Aktion gegen Osama Bin Laden informiert.« Die medien- und bildpolitische Strategie der Bildurheber und -verbreiter lief zunächst darauf hinaus, den Kitzel des vermeintlich entscheidenden Augenblicks zu vermitteln, also der Tötung des Feindes; später konnte eine andere Tonart angeschlagen werden, indem die Lesart favorisiert wurde, dass auf dem Bild die Mächtigen zu sehen sind, die ohnmächtig mit ansehen müssen, wie ihre treuen Untergebenen in tödliche Gefahr geraten. Ob Härte und Genugtuung gegen den Feind oder Mitgefühl mit den eigenen Leuten »gesehen« werden sollen, soll in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen gleichermaßen nutzbringend sein. Es bietet sich an, einen Bedeutungsträger, der die Kodierung regiert, aber selbst nicht präsent ist, mit Slavoj Žižek (2006) einen »Master Signifier« zu nen-
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nen. Der Neopsychoanalytiker versteht darunter die internalisierte Instanz des Vaters, des Herrn im Reich der symbolisch vermittelten Bedeutungen. Wie der Geist des Vaters in Shakespeares Hamlet ist die Herrschaft des »Master Signifiers« zwar kontingent, weil seine Bedeutungszuschreibungen letztlich arbiträr bleiben. Aber er ist der Herr über die Kontingenz; gerade weil er sich der Wahrnehmung entzieht, ist er übermächtig. Im System der Bedeutungen ist er der oberste Souverän, der allen Zeichen ihren Sinn zuweist. Selbstverständlich ist der verfolgte Terrorist nicht als Vaterfigur der US-Exekutive zu deuten und seine Erschießung nicht als Vatermord seitens einer Brüdergemeinschaft. Aber die gesetzlose Tötung des zum personifizierten Bösen stilisierten Staatsfeindes und die Rationalisierung des kollektiven Tötungsakts erinnert nicht nur oberflächlich an die emotionale Ambivalenz, die Freud den Ausführenden jenes blutigen Gründungsakts von sozialer und kultureller Lebensform zuschreibt. Gleichwohl: Das Abwesende ist auch in diesem Fall das Präsente (vgl. Žižek 1991: 77, Butler 2011). Und hier hätten wir es, aus dieser Theorieperspektive betrachtet, gleich mit einem doppelten »Master Signifier« zu tun: mit dem Bildschirm und dem, was darauf zu sehen ist – oder besser gesagt: was durch den Rezeptionskontext selbst wiederum doppelt kodiert ist, als Triumph der »eigenen Leute« oder als Todesgefahr, in die sie geraten. Für diesen Deutungsschritt benötigt man aufgeklärte Semiotik. Doch das Resultat dieser Operation ist nicht die Eliminierung des »Magischen«, sondern die Rekonstruktion der Wiederkehr eines verdrängten magischen Moments. Um sich darüber Klarheit zu verschaffen, hilft ein Exkurs in die Bild- und Kunstgeschichte. Dort wurde die Annahme formuliert, dass archaische Bilder zu ihrer Zeit eine Art medialer Realpräsenz erzeugt haben: Sie vergegenwärtigten Abwesendes, das Furcht einflößt oder Sicherheit vermittelte; und zwar durchaus nicht als Zeichen, sondern als Erscheinungsbilder der weltlichen Macht und als Kult-Bilder. Herrscherbilder stabilisieren die politische Ordnung, Totenbilder unterstützen das Gedenken an die verstorbenen Ahnen und legitimieren Familientraditionen (vgl. Lüdeking 1994). Kultbilder können dabei helfen, im inneren Erleben die Grenzen des Selbst zu überschreiten. So kann man leichter in phantasierten, spirituellen Gemeinschaften aufgehen. Die ikonische Präsenz der Abwesenden kann trösten, wie das Bild der fernen Geliebten, aber sie kann auch (wie etwa im Horrorfilm) als schockhafte Wiederkehr erlebt werden. Angst und Schrecken, oft herabgestuft zu Ehrfurcht und Demut, sind Empfindungen, die Unterwerfung und Gehorsam wahrscheinlicher machen. Dies wird in religiösen Kulten visuell vermittelt (und akustisch unterstützt).
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In der Kulturphilosophie hat man aus diesem Wissen in Verbindung mit religionsgeschichtlichen Erkenntnissen Schlüsse über die Bedeutung realer und imaginärer Gewalt für symbolisch überformte Praktiken der Vergemeinschaftung gezogen. Schon Nietzsche wusste: Keine Kultur ohne Furcht und Schrecken, »Härten und Gewaltsamkeiten« sind die »mächtigste[n] Bindemittel zwischen Mensch und Mensch« (Nietzsche 1977: 517). Wenn man, mit Christoph Türcke, einen kollektiven Wiederholungszwang als Beginn der Kultur annimmt, dann kann man sich vorstellen, dass Generationen von Menschen den Schrecken, den Naturkatastrophen auslösen, in Opferritualen immer wieder szenisch nachgespielt haben, und es ihnen durch stellvertretende Wiederholung allmählich leichter fiel, ihn zu bewältigen (vgl. Türcke 2008: 60-68).7 Vermutlich haben sich lebende Bilder der kollektiven, realen Tötung von Mitgliedern der Gemeinschaft durch häufige Wiederholung in das kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Auch wo sie religiös überformt wurden, blieben sie Bilder von Mord und Totschlag.8 Hinrichtungen sind auch eine Wiederkehr des Archaischen in der Gegenwart. Vielleicht geht deshalb so eine Faszination von ihnen aus. Noch vor zehn Jahren wurde in den USA diskutiert, ob man die Todesstrafe live im Fernsehen übertragen soll. Das Foto aus dem Situation Room zeigt eine Video-Übertragung der Todesstrafe, die ohne große juristische Umstände exekutiert wird, für ein exklusives Publikum. Während Zeichen auf Konventionen beruhen und gelesen werden müssen, können Bilder größere Wucht und unmittelbare Überzeugungskraft entfalten,
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Menschenopfer wurden irgendwann durch Tiere ersetzt, später reichte man den Gewalten, den man Opfer darbrachte, Früchte des Feldes oder Artefakte als Gaben, und schließlich wurde das Opfer nur noch als Symbolhandlung praktiziert (siehe dazu auch Schweppenhäuser 2013: 47f.). Beim christlichen Abendmahl, der symbolischen Verabreichung von Christi Leib und Blut, darf man – mit Nietzsche – also getrost in Erinnerung behalten, dass es Zeiten gab, in denen man sich nicht mit Esspapier und Rotwein begnügt hat.
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In der bildenden Kunst der Moderne ist die Wiederholung als Formprinzip aufgegriffen worden, u.a. bei Andy Warhol, Bruce Nauman und anderen: »Kunstwerke oder künstlerische Aktionsformen, die das Prinzip der Serie einsetzen, lassen vielfach Strukturen der Wahrnehmung und des Handelns wiederkehren, die einer magischreligiösen Sphäre entstammen.« (Zitko 1998: 160) Solche Arbeiten nehmen Formen »einer rituellen Praxis« (ebd.) wieder auf. »Die stetige Wiederholung eines Motivs oder einer Form erinnert an das durch die sinnliche Wahrnehmung nicht vollständig zu Fassende, an das Unbeherrschbare und Überwältigende und bildet in diesem Sinne das Instrument einer Evokation des Erhabenen.« (a.a.O.: 162)
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weil sie einen sinnlich spürbaren Abglanz des Objekts transportieren. Damit komme ich zur Frage, was dahinter steckt, dass Bilder zum Fetisch werden können – und erneut an einen Punkt, wo ich ohne Rekurs auf kunsthistorische Forschungen mit meinen kulturphilosophischen Überlegungen nicht weiterkäme. Wichtige Hinweise finden sich bei Hans Belting, der den Paradigmenwechsel vom kulturellen Primat des Bildes zum Zeichen rekonstruiert hat. In der formativen Phase der christlichen Region am Ausgang der Spätantike wurde die Verkörperung Gottes in Gestalt eines sterblichen Menschen als »Bild« Gottes interpretiert (vgl. Belting 2005: 45-85). Man schrieb einem Bild Beweiskraft zu, das gar keins war. Jesus Opfertod galt als religiöser Wahrheitsbeweis. Als authentisch galten Abbilder, die sich auf sein Urbild zurückbeziehen ließen, vor allem auf Abdrücke seines Gesichts auf Textilien. Das sind im semiotischen Sinne indexikalische, natürliche Zeichen. Spuren, die das Objekt im direkten Kontakt hinterlassen hat, entfalten eine Kraft, die andere Zeichen nicht besitzen, die keine sinnliche Gewissheit auslösen. Von dieser weiß man zwar in der Philosophie von Platon bis Hegel (vgl. Hegel 1970: 82-92), wie trügerisch sie sein kann. Aber ihrer Faszinationskraft tut das keinen Abbruch. Noch für Derrida stand ja fest, dass die Grundform des Zeichens die Spur ist (vgl. Derrida 1992). Doch die Theologen trauten der Kraft des Bildes nicht. Vom »Master Signifier«, dem Herrn der Bezeichnungen, soll man sich kein Bildnis machen. Als Gründungsdokument des Glaubens galt die heilige Schrift. Das Bildverbot im Monotheismus verstärkte die ehrfurchtgebietende Wirkung der Vorstellung von Gott. Eine Übermacht, die so gewaltig ist, dass wir sie nicht einmal sehen können, können wir uns noch weit schrecklicher ausmalen. Die reformatorische Verinnerlichung des Glaubens knüpfte daran an. (Im unsichtbaren Angesicht des verborgenen Gottes finden wir weniger Trost als vor einem Bildnis der Jungfrau Maria.) Also wandte man sich von der sinnlichen Gewissheit des Visuellen ab, weil nur das Wort Glaubensgewissheit verbürgt, und setzte auf die Verbindlichkeit der Zeichen. Nicht das Bildnis des Körpers von Jesus Christus gehörte in den Mittelpunkt, sondern ein Zeichen, nämlich das Kreuz (vgl. Belting 2005: 137 ff.). Das Kreuz ist freilich nicht nur symbolisches Zeichen, sondern auch ikonisches: Abbild eines Folter- und Mordwerkzeugs. Das bleibt bei Belting unerwähnt. Aber das macht nichts, denn dass gerade diesem Zeichen die Bedeutung »Christentum« zugeschrieben wurde, war ja das Ergebnis einer kulturellen Konvention. Auch ein anderes Symbol hätte zum Erkennungszeichen der Kirche werden können. Es bleibt nun noch die intertextuelle Wirkungsweise des untersuchten Fotos zu erwähnen. Ein Bild stellt nicht nur dar, was auf ihm zu sehen ist; es steht auch
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stellvertretend für andere Bilder, die es im kulturellen Kontext evoziert. In diesem Fall sind das die historischen Bilder von den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001. Sie wurden nicht nur dekodiert, sondern vor allem erlebt. Sie faszinieren im Nachhinein, weil sie das unwiderruflich Vergangene beleben. Wir phantasieren uns, über unser stellvertretendes Erleben, gleichsam ins Bild hinein. Andererseits hatten die Bilder vom 11. September 2001 auch eine bilderstürmerische Seite. Es ging gegen die »Bilder« westlicher Wirtschaftsmacht und kultureller Hegemonie – nicht primär auf dem Wege sinnlicher Erfahrung, sondern über das »Entziffern« einer visuellen Botschaft. Mitchell hat betont, dass die Bilder vom 11. September kodierte Nachrichten waren (vgl. Mitchell 2008: 29). Die Terrorangriffe waren zwar darauf angelegt, Bilder zu erzeugen. Diese Bilder sollten aber nicht nur wahrgenommen, sondern gedeutet und verstanden werden – als Botschaften, als furchterregende Zeichen. Wenn man so will, waren es anti-ikonische Bilder. So schreibt sich das magische Erbe in die rationale Welt der Zeichen ein. Die anthropologische Grundlage des Zeichenverstehens liegt meiner Ansicht nach aber »unterhalb« der deutenden Vernunft: Es ist die perzeptive Erfahrung des Schreckens. Meine These lautet: Man versteht nicht, wie Bilder wirken, wenn man Phänomenologie und Semiotik nicht zu verbinden versteht. Mit einer alten Metapher könnte man es auch so sagen: Phänomenologie beschreibt die perzeptiven Vorgänge an der visuellen Basis, Semiotik entziffert die kognitiven Konstruktionen des visuellen Überbaus. Wenn man versucht, die anthropologischen und sozialen Voraussetzungen an der Basis jener zeichenhaften Sinnkonstruktionen des visuellen Überbaus aufzuspüren, betreibt man Kritische Theorie. Die ältere Kritische Theorie plädierte für ein »Bilderlesen« (Tränkle 2011), bei dem ikonische Unmittelbarkeit in das Medium Schrift übersetzt wird. »Dialektik offenbart […] jedes Bild als Schrift«, heißt es in der Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1987: 46). Horkheimer und Adorno richteten sich damit zunächst gegen eine naturwissenschaftsorientierte Sprachauffassung, die komplexe Begriffe auf bildhafte Signale reduziert. Dies sei weder dem Bild noch dem Begriff angemessen. Das wichtigste Ziel ihrer kritischen Bildlektüre war aber eine Historisierung von Bildern, die – latent oder manifest – mythischen Charakter haben (genau wie in der ideologiekritischen Semiotik). Die »Rede von der Schrift der Bilder«, die auch in Benjamins Theorie des dialektischen Bildes enthalten ist, verweist darauf, dass es einmal einen gemeinsamen Zusammenhang gegeben haben muss, in dem Schrift und Bild »als kulturelle Produkte menschlichen Ausdrucksgebarens« (Tränkle 2011) entstanden sind, wie Sebastian Tränkle mit Recht festgestellt hat.
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René Girard hat diesen Zusammenhang als »mimetisches Begehren« bezeichnet (Girard 2006/1999; Hetzel 2008). Menschen ahmen die Lebensentwürfe und das Verhalten der Anderen nach. Sie ahmen insbesondere gewaltförmiges Verhalten nach. Das ist sozusagen der Abgrund jeder Kultur – aber nach Girard ist es das, was sie zusammenhält (ähnlich wie in den Theorien von Nietzsche und Türcke). Bilder vermitteln Eindrücke, die wir über die Wahrnehmung empfangen, und Botschaften, die über die Denotationen und die Konnotationen der Zeichen zustande kommen. Diese kann man auch »symbolische Botschaften« und jene »perzeptive Botschaften« nennen (Müller-Doohm 1997: 101). Perzeptive und semiotische Aspekte von Medienbildern kann man analytisch isolieren, aber sie treten gleichzeitig und ungeschieden auf. Diese simultane Vermischung überdeckt die Geschichte des Schreckens und seiner Bewältigung, die sich in Medienbildern eingeschrieben hat. Vielleicht muss man von einer doppelten Rezeption aktueller Medienprodukte ausgehen, die einerseits kognitiv-dekodierend und andererseits perzeptivemotional geschieht. Wenn es um das erstaunliche Phänomen des dauerhaften Erfolgs von Horrorfilmen geht, vermuten Experten, dass die Faszinationskraft für junge Zuschauer vor allem zwei Gründe hat: zum einen wegen ihres Interesses am menschlichen Körper, der ja nirgendwo anders so intensiv ins Bild gesetzt wird wie im zeitgenössischen Horrorfilm, und zum anderen wegen ihrer Sensibilität für die Botschaft der Gewalt, die Menschen außerhalb der Filmfiktion ja latent oder manifest täglich angetan wird. Nicht umsonst steht die Folter im Zentrum der neueren Erfolgsprodukte dieses Genres (vgl. Riedel 2010: 424 ff.). Der impact, den solche Filme haben, dürfte darauf beruhen, wie perzeptive Ebene und Dekodierungsebene in der Rezeption zusammenspielen. Um die Suggestivkraft der Bilder besser zu begreifen, muss man heute die perzeptive Ebene stärker in den Blick nehmen. Die kulturellen Kodierungen differenzieren sich immer stärker aus, die Welt erscheint komplexer denn je. Semiotisch betrachtet, wird sie immer komplizierter. Aber aus der phänomenologischen Sicht lässt sich dies auf wenige, entscheidende Faktoren reduzieren, welche die Basis der Bildwirkung ausmachen. Das ist zum einen das Begehren und zum anderen die Erzeugung und die Bewältigung von Furcht und Schrecken. Über- und Unterkomplexität sind verkoppelt.9 Auf der einen Seite beobachten wir heute eine Bild-Euphorie der Kulturindustrie und des iconic turn – und auf der anderen Seite einen neuen, fundamentalistisch-religiösen Bildersturm. Die feindlichen kulturellen Lager haben al-
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Für Denkanstöße in diese Richtung bin ich Thomas Friedrich dankbar.
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lerdings etwas gemeinsam: die »Fetischisierung des Bildes« (Tränkle 2011). Es gibt positive Fetische und negative; die positiven werden angebetet, die negativen zerstört oder verdammt. 10 Im Bild aus dem Situation Room wird der Fetisch nicht verehrt; aber auch hier ist der unsichtbare »Master-Signifier« allgegenwärtig und allmächtig. Er beherrscht das Universum der Bedeutungen: Alle müssen sich ihm unterwerfen, auch die, die ihn bekämpfen. Das Bild aus dem Weißen Haus ist ein negatives Totenbild. Der visuell abwesende Tote ist kognitiv präsent – gleichsam als Text in das Bild eingeschrieben. Das Bild schließt auf diese Weise sein Verbot ein. Aber in einer anderen Hinsicht führt es das Bilderverbot ad absurdum. Denn das Objekt der Begierde wird indirekt visualisiert. Als verbotenes Bild wird es, paradoxerweise, zum Fetisch. Dazu passt auch die offizielle Weigerung, einen Fotobeweis für die Tötung des Feindes zu liefern. Nein, hieß es, das Bild des toten Osama bin Laden wird nicht veröffentlicht, das könne man niemandem zumuten. Außerdem wolle man kein Material für einen Märtyrer-Kult liefern. Das sind vermutlich Rationalisierungen. Aber was steht dahinter? Vielleicht die Botschaft, dass dieses Bild zu wahr ist, um gezeigt zu werden? Ist nur das verbotene Bild ein »wahres Bild«? Das »wahre Bild« des Toten muss geheim bleiben. Die Publikation würde es aus dem Arkanbereich entfernen, aus dem verborgenen Heiligtum der Herrschaft. In der Welt der hochzivilisierten Magie würde man damit einen Machtverlust riskieren. Man überlässt es den vermeintlichen Barbaren des Mittleren Ostens, im Triumphgeschrei die Bilder der Leichen besiegter Machthaber zu zeigen. Mit der empirischen Untersuchungsmethode der Tiefenhermeneutik (vgl. König 2005/2000) ließe sich vermutlich nachweisen, dass es zwei starke Bildaussagen gibt. Die eine könnte man mit den Worten »Wir haben ihn!« beschreiben, die andere mit den Worten: »Aber wir zeigen ihn Euch nicht.« In der Rezeption werden sie als Uneindeutigkeit der Bildaussage erfahren. Diese Uneindeutigkeit könnte als Indikator für einen Konflikt zwischen manifester und latenter Sinnebene gedeutet und zum Ausgangspunkt der Interpretation werden. Auf der einen Seite stünde dann die Botschaft der manifesten Sinnebene: »Schaut her, wie wir unsere Aufgabe erfüllen, unser Vaterland zu verteidigen, und dabei zivilisierte Menschen bleiben.« Auf der anderen Seite stünde die Botschaft der latenten Sinnebene: »Schaut her, mit welcher Genugtuung wir uns unsere tödli-
10 Žižek (2011) hat an anderer Stelle von dem »Übergang vom abstoßenden phobischen Objekt zum erhöhten Fetisch« gesprochen.
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che Rache als Live-Sendung ansehen – auch wenn vielleicht nicht alle von uns ausreichend starke Nerven haben.«11 »Ideologie ist Rechtfertigung«, stellte Adorno in den 1950er Jahren fest. »Wo bloße unmittelbare Machtverhältnisse herrschen, gibt es eigentlich keine Ideologien.« (Adorno 1972: 465) Als ›ideologisch‹ ist ein Denken zu bezeichnen, das Widersprüche glätten möchte, die darauf zurückzuführen sind, dass in der Sache, die legitimiert wird, Gegensätze stecken, welche sich durch Theorie allein nicht auflösen lassen. Ideologien sind Theorieformen, die nicht Bestehendes beschreiben, sondern indirekt beschreiben, was sein soll. Denn sie legen Auffassungen davon nahe, was die Welt ist und wie in ihr gehandelt werden kann.12 Bei aller Souveränität im Umgang mit Fragen des internationalen Rechts können die Mächtigen der führenden Weltmacht nicht auf legitimatorische Gesten verzichten, wenn sie tun, was sie für richtig halten – und für so wichtig halten, dass sie sich nicht an Recht und Gesetz gebunden sehen. Der ideologische Charakter der Bildbotschaft, d.h. ihre Absicht, Gewalt zu legitimieren, teilt sich auf ihrer latenten Sinnebene mit, die in negativer Gestalt vom Kredit der »wahren Bilder« zehrt. Aber auch hier kann Ideologie nur wirken, wenn ihr auch ein Stück Wahrheit innewohnt, das in falscher Gestalt zur Erscheinung kommt. Diese Wahrheit könnte darin bestehen, dass das offizielle Ereignisfoto aus dem Weißen Haus die rächenden Täter als betroffene Zuschauer zeigt. Darauf hat Mitchell in einem Vortrag hingewiesen, den er im Mai 2011 am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung hielt. Christina Zück (2011) grübelte wenig später in ihrem Internet-Blog darüber nach: Das Bild sei »eine Abbildung von Menschen, die vor Monitoren sitzen«, schrieb sie. Man könne es als »eine Neurepräsentation, eine unheimliche Verdopplung […] der Erfahrung des Schreckens« lesen. Es wäre dann das Gespenst der Erfahrung des Schreckens am 11. September 2001, »von dem die Menschen in der ganzen Welt gelähmt waren, als sie vor dem Fernseher saßen und die Flugzeuge in die Türme knallen sahen.« Frau Zück hat recht: Der visuelle Bann des Unheimlichen bleibt ungebrochen – auch in den vermeintlichen »Aufnahmen des Triumphs« 13.
11 Das Rache-Motiv hat Ulrich Oevermann in seiner objektiv-hermeneutischen Lektüre des Fotos (in diesem Band) eindringlich herausgearbeitet. 12 Vgl. Jaeggi 2009: 281. – Ideologien treten auf, als würden sie nur beschreiben, aber faktisch konstituieren sie – über ihre implizite Normativität – soziale und kulturelle Praktiken. Ideologiekritik ist eine Denkform, die durch Rekurs auf die immanenten Widersprüche einer Theorie zeigt, dass diese lediglich vorgibt, ihre Gegenstände zu beschreiben, jedoch in Wahrheit implizit normativ ist. 13 So im (mittlerweile neu redigierten) Bericht von Spiegel Online am 03.05.2011.
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Mein Fazit lautet: Der zeitgeschichtliche impact dieses Fotos wird vermittelt durch den »offiziellen«, kodierten Bedeutungsgehalt. Das Gewusste, Unsichtbare des Bildes erzeugt Betroffenheit. Die affektive Intentionalität wird domestiziert, indem man das Bild als authentisches Dokument des entscheidenden Augenblicks inszeniert. Doch was macht seinen Schrecken letztlich aus? Das Gewusste, Kodierte – oder das Wahrgenommene, nicht Kodierte? Ich würde von einem dreifachen Schrecken sprechen. Die Personen sehen Bilder von einer Tötung, freuen sich oder erschrecken darüber, wollen es aber nicht zeigen; das ist »Schrecken eins«. Wir sehen, wie die Auftraggeber die Tötung im Moment des Vollzugs betrachten; das ist »Schrecken zwei«. Und wir werden auf der Ebene der Wahrnehmung, die wir nicht rational kontrollieren können, affektiv mit hineingezogen; das ist »Schrecken drei«. Ob der Bilderfetisch nun affirmativ, dämonisierend oder vorbewusst ist – er muss in jedem Fall zum Gegenstand einer Bildkritik werden, die phänomenologische, semiotische und ideologietheoretische Aspekte verbindet. Sonst können wir die Bilder nicht verstehen, mit denen die Medienindustrie unser visuelles Unbewusstes kolonisiert. Aber wir könnten auch die Bilder nicht verstehen, mit denen (und über die) wir aus freien Stücken kommunizieren und ästhetische Erfahrungen machen.
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Die Kunst des Sehens Eine Reflexion der methodischen Zugänge visueller Bildanalysen I RENE L ESER »[I]n jeder Wissenschaft verhält es sich so, daß Erkenntnis-Werkzeug und Erkenntnis-Gegenstand einander wechselseitig bedingen und recht eigentlich ›bewahrheiten‹.« PANOFSKY 2006: 24
Dem amerikanischen Literatur- und Kunstwissenschaftler W.J.T. Mitchell folgend, leben wir in einem Zeitalter »einer alles durchdringenden Bildproduktion« (Mitchell 2008: 104). Bilder haben »in nahezu allen Lebens- und Wissensbereichen eine nie gekannte Bedeutung erlangt« (Burda 2004: 12). Sie dienen u.a. privater Erinnerung, der Dokumentation (institutionell) wichtiger Ereignisse, der Information über Vorgänge, Begebenheiten und Sachverhalte, der Repräsentation von Herrschaft, politischer und militärischer Macht, der Darstellung und Analyse (natur-)wissenschaftlicher Befunde oder künstlerischen Schaffens (vgl. Bredekamp 2013: 13ff., Holicki 1993: 33, Oevermann1). Neuere Techniken der Erzeugung und Verbreitung führen zu einer medialen ›Bilderflut‹ (vgl. Bredekamp 2013: 13), so dass der von Roland Barthes schon in den 1980er Jahren getroffenen Aussage heute noch stärkere Bedeutung beigemessen werden muss. In seinem berühmt gewordenen Essay »La chambre claire. Note sur la photographie« hält er Folgendes fest:
1
Alle Verweise, die ohne Angabe des Erscheinungsjahres erfolgen, sind Querverweise auf die in diesem Band publizierten Artikel.
248 | I RENE L ESER »Photographien sehe ich überall, wie heutzutage jeder von uns; sie kommen aus der Welt zu mir, ohne daß ich danach frage; es sind nur ›Bilder‹, beliebig tauchen sie auf, beliebig verschwinden sie wieder. Gleichwohl habe ich bemerkt, daß es unter denen, die ausgewählt, bewertet, anerkannt, in Bildbänden oder Zeitschriften zusammengetragen worden waren und die damit den Filter der Kultur passiert hatten, bestimmte Photos gab, die stillen Jubel in mir auslösten, so als rührten sie an eine verschwiegene Mitte – einen erotischen Punkt oder eine alte Wunde –, die in mir begraben war (wie harmlos auch immer das Sujet erscheinen mochte).« (Barthes 1985: 24f.)
Ob das in diesem Band aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete Foto aus dem Situation Room das von Barthes beschriebene punctum, also einen Moment bestechenden Erlebens (vgl. a.a.O.: 36), »visuelles Begehren oder Ablehnen« (Schweppenhäuser) wirklich in sich trägt, muss jeder für sich bestimmen (vgl. hierzu die Ausführungen von Bredekamp, Raab und Schweppenhäuser). Zweifelsfrei ist es ein Foto, das im medialen Diskurs größte Aufmerksamkeit erhielt und zum entsprechenden studium anregt (vgl. Barthes 1985: 36f.). Nachdem es das Weiße Haus mit acht weiteren Fotografien über das Internetportal Flickr veröffentlichte, wurde es umgehend in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften und Blogbeiträgen reproduziert und kommentiert. Es gilt als eines der am meisten betrachteten Fotos auf Flickr (vgl. Bredekamp, Kauppert, Haller 2014: 53). Das Foto wurde zum Beitrag unterschiedlicher Diskussionen, seien sie am Stammtisch, im Radio, in Zeitungen und Zeitschriften, Plattformen der Social Media oder im wissenschaftlichen Bereich. Ein jeder, der die tagesaktuelle Berichterstattung verfolgt, hat das Foto auf dem einen oder anderen Weg wahrgenommen. Ähnlich der Bilder der am 11. September 2001 einstürzenden Twin Towers hat es sich in das kollektive Gedächtnis »des westlichen Kulturraumes, wie auch seiner ideologischen und politischen Kontrahenten« (Raab) eingebrannt. Damit ist es zumindest kein Foto, das, wie so viele, in der medialen Bilderflut beliebig auftaucht und wieder verschwindet. Für manch einen ist es gar ein Foto, das ihn nicht mehr loslässt. Es regt zur Teilhabe »an den Figuren, an den Mienen, an den Gesten, an den äußeren Formen, an den Handlungen« (Barthes 1985: 35) an. Es kann zur Analyse der ästhetischen Wirkung, des politischen Geschehens, der historischen oder gesellschaftlichen Bedeutungskraft dienen, im Modus der visuell-diskursiven Einbettung, vor dem Hintergrund seiner künstlerischen Vorbilder oder im Zuge seiner medialen Weiterverarbeitung analysiert werden. Das Bild ermöglicht aufgrund seiner Mehrdeutigkeit (vgl. Przyborski 2014: 117, Schuster 2014: 137f.) eine Vielzahl an Betrachtungsweisen und Erkenntniswegen. Es ist eine »optische Sinfonie« (vgl. Reichertz 1992: 143), die unterschiedliche Fragen aufwirft, Fragen, die entweder das Bild in sei-
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ner gesellschaftlichen Bedeutung zu entziffern versuchen oder sich an den visuell-ästhetischen Wert des Bildes richten. Die erste Fragerichtung bildet den Kern der soziologischen, die zweite den der kunst- und kulturwissenschaftlichen Analysetradition. Beide Traditionslinien sind mit je fünf Beiträgen in diesem Band vertreten. Jede Analyse kann für sich gelesen werden. Sie zeigen den methodisch reflektierten »Akt des Sehens«, den zu »geregelten Wörtern und Sätzen« geformten »Deutungsakt« (ebd.) der einzelnen Autorinnen und Autoren auf. Die Analysen des Bildes können aber auch als sinfonisches Gemeinschaftswerk2, als ein auf das Zusammenklingen eines ganzen Orchesters hin angelegtes Instrumentalwerk in mehreren Sätzen betrachtet werden, die es ermöglichen das mehrperspektivische Seh-, Ausdrucks- und Wirkpotenzial des Fotos nachzuzeichnen. In Würdigung der verschiedenen Ansätze werden die in diesem Band vertretenen Zugänge und die daraus hervorgegangenen Interpretationen des Fotos aus dem Situation Room entsprechend dem klassischen Aufbau einer Sinfonie in vier Sätzen reflektiert.3 Zu denken sei hier etwa an die zwischen 1803 und 1808 von Ludwig van Beethoven komponierte 5. Sinfonie, c-moll, op. 67 (vgl. WernerJensen 1998: 311).4 Der erste sinfonische Satz der hier vorliegenden Reflexion konzentriert sich in Anlehnung an die Sonatenhauptsatzform der 5. Sinfonie auf die von Unbestimmtheit und Ambivalenz geprägte Eigenlogik (vgl. Cadenbach 1994: 494) der Fotografie aus dem Situation Room.5 Der zweite Satz stimmt ent-
2
Für Hinweise und Detailinformationen zur Komposition sinfonischer Werke danke ich Peter Ablinger. Christin Sager und Anne-Katrin Stolle danke ich für ihr sorgfältiges Korrekturlesen des Manuskripts.
3
Ergänzt werden sie um die diesen Band einleitende Analyse (Kauppert) und die aus dem Buch »Das politische Bild. Situation Room: Ein Foto – vier Analysen« stammenden Interpretationen von Günther Haller, Ulrike Pilarczyk, Aglaja Przyborski und Martin Schuster (2014).
4
Im Zuge der romantischen Beethoven-Rezeption wurde sie u.a. als »Schicksalstragödie für Weltbühnen. Kampf. Sieg« (Lenz 1860: 71) interpretiert. Sie gilt als eine zunächst (allgemein-)menschliche, ab 1859 politische und spätestens ab 1926 dann ins Nationale überhöhte musikalische Erzählung von Niederlage und Triumph, vom ewigen menschlichen Schicksalskampf, von Leid und Erlösung (vgl. Cadenbach 1994: 487, Fuchs 1986: 127ff.).
5
Die 5. Sinfonie Beethovens ist ähnlich der Sinfonien Haydns eine der ersten, die im ersten Satz nicht auf das herkömmliche Formmodell eines aus mehreren Motiven gebauten Themas zurückgreift, sondern sich eines kurzen, dafür aber sehr prägnanten Motivs bedient. Das Seitenthema (man könnte es mit der Kontextualisierung der Fotografie gleichsetzen) spielt im ersten Satz eine untergeordnete Rolle.
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sprechend des Tonika-Gegenklangs der 5. Sinfonie eine andere, den ersten Satz methodisch kontrastierende Tonart an. Er fokussiert die Analyseschwerpunkte, die das Bild im Rahmen der medial verfügbaren Kontextinformationen reflektieren. Der dritte Satz – in der 5. Sinfonie von Beethoven anstelle des als überkommen geltenden Menuetts ein Scherzo – beinhaltet Peripheriepunkte, die die assoziative Vorstellungskraft der Bildbetrachter beflügeln. Der letzte Satz, das Finale, schlägt entsprechend der Beethov‘schen Vorlage im Rückgriff auf die vorangegangenen Sätze eine weiterführende Zusammenführung, in diesem Fall ein umfassendes Analyseraster visueller Bildinterpretationen vor.
E RSTER S ATZ : D ER ›K OPFSATZ ‹ EIGENLOGISCHER G EGENSTAND
– D AS F OTO
ALS
Das Foto aus dem Situation Room – darüber sind sich alle Autorinnen und Autoren in diesem Band einig – zeigt »ein Kollektiv« (Ayaß) an Betrachterinnen und Betrachtern, die »gemeinsam gebannt auf etwas schauen« (Oevermann), das selbst nicht Gegenstand der Fotografie ist. Das Bild ermöglicht einen »distanzierten und dabei zugleich exklusiven Blick« (Raab) auf eine soziale Situation. Die Betrachter der Fotografie bekommen also ein »Protokoll des Betrachtens zu Gesicht« (Oevermann), nicht aber das, was die Protagonistinnen und Protagonisten im Bild sehen. Betrachtet man das Foto aus seiner Eigenlogik heraus (vgl. Ayaß, Bredekamp, Breckner, Diers, Oevermann, Raab), bieten sich mannigfaltige Interpretationen an. Wie andere Fotografien auch, stellt es »einen Augenblick des Geschehens von Welt für alle Zeiten still«. Statt »den Blick auf ein Stück der Welt« freizugeben, gibt es ausgewählte »Perspektiven auf die Welt vor«. Um das Foto aus seiner Eigenlogik heraus zu interpretieren, muss es zunächst »rein immanent«, »d.h. ohne Einbezug von externem Kontextwissen« (Oevermann) gelesen werden. Der methodische Vorteil der (zunächst) kontextfreien Auslegung liegt darin, die Inhalts- und Strukturprinzipien des Bildes in einer möglichst akribischen, bildimmanent sinnlogisch erschöpfenden Analyse freizulegen. Dies kann unterschiedliche Verfahrensweisen in sich tragen: Im Sinne der objektiven Hermeneutik wird das Foto zunächst einzig unter Hinzuziehung »fallunspezifischem Wissen[s] über die allgemeine Verfasstheit der erfahrbaren aktuellen Welt« (Oevermann) und ohne Benennung der abgebildeten Personen gelesen.6 Es kann
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Der objektiven Hermeneutik folgend, ist es von Vorteil, wenn das »fallspezifische Kontextwissen« erst eingefügt wird, sobald »alle auf dem Bild selbst lesbaren Details
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aber auch – und das ist vor dem Hintergrund vielleicht pragmatischer Erwägungen in diesem Band die üblichere Herangehensweise – mit Einbeziehung der Personennamen, Identitäts- und Funktionsmerkmale analysiert werden (vgl. Ayaß, Breckner, Bredekamp, Diers, Raab). Dabei wird die Fotografie entweder im Sinne der von Roswitha Breckner entwickelten Segmentanalyse (vgl. Breckner 2010) ausgehend vom eigenen Wahrnehmungsprozess, d.h. im Fokus affektiver Resonanzen und damit verbundener thematischer Sinnzusammenhänge gelesen, um im anschließenden Schritt einzelne, am Inhalt orientierte Segmente näher zu interpretieren (vgl. Breckner).7 Oder die Analyse findet ihren Ausgang
ausgeschöpft worden sind« (Oevermann). Hierbei hat die objektive Hermeneutik ähnliche Grundannahmen wie die dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack 2007, Przyborski 2014, Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 337-357). Der Ausschluss von fallspezifischem Kontextwissen bedeutet natürlich nicht, dass gesamtgesellschaftlich geteiltes, institutionalisiertes, generalisiertes, weitgehend stereotypisiertes Wissen nicht angewendet werden könne (vgl. Bohnsack 2007: 28, 32). Es geht gerade darum, auf der Grundlage des objektiv vorhandenen Erfahrungsraums, imaginative Vergleichshorizonte anzuführen (vgl. a.a.O.: 33), um das Bild von seiner Eigengesetzlichkeit bzw. seiner »denotativen Bedeutung« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 340, vgl. Schweppenhäuser) her aufzuschlüsseln. Zur Vermeidung der zirkulären Verwendung außerbildlicher Kontextinformationen (vgl. Oevermann) werden hingegen die je individuellen, fallspezifischen Besonderheiten und milieutypischen Charakteristika (vgl. Bohnsack 2007: 29), sowie die besonderen Geschichten, die das Bild erzählt (vgl. a.a.O.: 32) suspendiert. Mittels Ausschluss des fallspezifischen Kontextwissens kann geklärt werden, was das Bild von sich aus erzählt und was über Kontextinformationen (wie die Identität der fotografierten Personen, das, worauf das Bild konkret verweisen soll, die offizielle Rezeption oder in welchem historischen Kontext es entstanden ist) in das Bild getragen wird. Ein entscheidender Unterschied zwischen der objektivhermeneutischen und der dokumentarischen Bildanalyse besteht allerdings darin, dass die dokumentarische Methode zur Rekonstruktion des Dokumentsinns, ähnlich der wissenssoziologischen Konstellationsanalyse (vgl. hierzu Raab, Raab 2008) und der Segmentanalyse (vgl. hierzu Breckner, Breckner 2010), auf die Rekonstruktion der Formalstruktur des Bildes zurückgreift (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 338), die objektive Hermeneutik hingegen bewusst darauf verzichtet (vgl. Oevermann). 7
Da durch die Simultanitätsstruktur eines Bildes sich »der Detaillierungsgrad der Wahrnehmung« wie auch die »Reihenfolge der Wahrnehmung bildrelevanter Elemente« (Breckner 2010: 288) von Person zu Person unterscheiden, schlägt Roswitha Breckner vor, die Analyse in einer Gruppe durchzuführen und in einer vergleichenden Diskussion die Gemeinsamkeiten im Wahrnehmungsprozess auszutauschen, um das
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im formalen Bildaufbau (vgl. Bredekamp, Raab, Przyborski 2014: 115ff.)8. Hierfür werden, im Sinne Arnheims die »sinntragenden und bedeutungsgenerierenden Zentren«, sowie im Sinne Imdahls die »kompositorischen Hauptlinien eines Bildaufbaus« (Raab), d.h. die planimetrische und perspektivische Anordnung (vgl. Breckner, Raab) wie auch die szenische Choreographie (vgl. Breckner) und das Verhältnis von Schärfe und Unschärfe (vgl. Boehm 2007, Oevermann, Przyborski 2014: 129) rekonstruiert. Ziel ist es, vor dem Hintergrund möglichst sparsamer Liniensetzungen, die kompositionsbedingten und sinnstiftenden Elemente des Bildes herauszufiltern.9
gemeinsam geteilte »Grundmuster« der sich voneinander unterscheidenden Elemente zu eruieren und im Anschluss daran eine Segmentanalyse vorzunehmen (vgl. ebd.). Ulrike Pilarczyk schlägt in der von ihr gemeinsam mit Ulrike Mietzner begründeten Methode der seriell-ikonografischen Fotoanalyse (2005), ähnlich wie Boris Traue in der von ihm entwickelten Methode der visuellen Diskursanalyse, ebenfalls eine Erstanalyse in einer (möglichst heterogen zusammengesetzten) Gruppe vor, nicht aber, um ein gemeinsam geteiltes Grundmuster zu eruieren, sondern um die »Multiperspektivität«, die »Deutungsvielfalt und Widersprüchlichkeit« von Bildern einzufangen. Dies sei v.a. bei »massenmedial vermittelte[n] Bilder[n]« wie dem aus dem Situation Room nötig, da sie »auf die spontane Wahrnehmung der Rezipient/inn/en« zielen. Sie sollen »intuitiv verstanden werden« (Pilarzyk 2014: 73f.). 8
Den Ausgang der Fotoanalyse im formalen Bildaufbau zu nehmen erzeugt eine größere »Distanz zum Alltagssehen und Alltagsverstehen von Bildern« (Raab). Das suggeriert der Fotoanalyse einen objektiveren Charakter, weil er nicht unter Einbezug des subjektiven Wahrnehmungsprozesses, sondern unter Einbezug der formalen Strukturen erfolgt. Da sich die Sinnkonstruktion jedoch im »intuitiven bzw. atheoretischen Erkennen von formalen Strukturen« (Przyborski/Wohlraab-Sahr 2014: 345, Herv. im Orig.) vollzieht, trägt auch die Rekonstruktion der Formalstrukturen eine gewisse Subjektivität in sich (vgl. hierzu die unterschiedlichen Linienführungen von Raab und Breckner).
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Bildanalysen, die die formale Komposition eines Fotos fokussieren, gehen anders als die objektiv-hermeneutische Bildanalyse nicht davon aus, dass Fotos »begrenzt ästhetisch komponiert« seien. Zwar ist auch ihnen bewusst, dass entgegen eines Gemäldes, die »Möglichkeiten des Arrangements der Realität« (Oevermann) in Fotografien beschränkt sind, jedoch erkennen sie in Anlehnung an die kunsthistorische Interpretationsmethode Imdahls in einem jeden Foto »ein nach immanenten Gesetzen konstruiertes und in seiner Eigengesetzlichkeit evidentes System« (1979: 190). Durch die Auswahl der Situation, des Bildausschnitts, den visuellen Grundkontrast, die gewählte Farbe und Form, den Stil, die Gattungsordnungen und die Formen der Nachbearbei-
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Dem Postulat der Eigenlogik eines Bildes folgend, zeigt sich in der Fotografie aus dem Situation Room also eine Gruppe, die sich ähnlich wie auf einer »klassischen Familien- oder Gruppenfotografie« (Ayaß, vgl. Przyborski 2014: 123) in Form eines Arbeitstreffens (unter Abteilungsleitern) (vgl. Ayaß, Breckner, Traue) »zu einem bestimmten Anlass zusammengefunden hat« (Ayaß). Die Fotografie selbst wirkt durch die helle Beleuchtung von oben, die vom Tisch weggerückte Position von Hillary Clinton und Robert Gates sowie die »nach Selbstinszenierung riechende Gestik« von Hillary Clinton, die sich »im größten Schärfebereich des Fotos« befindet, »in bescheidenem Ausmaß inszeniert10« (Oevermann). Die Fotografie zeigt »eine geschlossene Gesellschaft« (Breckner, Herv. im Orig.), die, die Blicke interpretierend, »einem bedeutsamen Augenblick« beiwohnt (Raab). Die Gruppe scheint an einer »Live-Übertragung eines in sich spannungsvollen Geschehens mit offenem Ausgang« (Oevermann) teilzunehmen. Der Augenblick kann, verschiedene Lesarten bildend, ein mediales Sportereignis (vgl. Breckner, Diers, Oevermann), ein (Horror-)Film (vgl. Breckner, Oevermann, Schweppenhäuser), eine Dia-Schau (vgl. Oevermann) oder die schwierige »Bergung eines gesunkenen Schiffes« (Breckner) sein. Es kann aber auch, unter Einbeziehung des prominent in der Bildmitte platzierten, an der Stirnseite des Tisches sitzenden, von den anderen gerahmten (vgl. Breckner, Oevermann, Raab) Militärs, General Marshall Bradley Webb sowie dem auf dem Tisch liegenden, für den Betrachter unkenntlich gemachten Bilddokuments und der darunter liegenden Google-Earth Luft- bzw. Satellitenaufnahme, eine militärische Aktion sein (vgl. Oevermann). Um was für ein Geschehen es sich tatsächlich handelt, ist die bildimmanente ›Leerstelle‹11 (vgl. Ayaß, Breckner,
tung lassen sich Fotografien als arrangierte (Kunst-)Werke interpretieren (vgl. Boehm 1994: 30, Bohnsack 2007: 36, Przyborski 2014: 115). 10 Die Grafikerin und Photoshop-Expertin Mara Zebest geht über die Annahme der im bescheidenen Ausmaß vorgeführten Inszenierung hinaus. Sie glaubt, dass Barack Obama wie auch Audrey Tomason später in das Bild hinein retuschiert wurden (vgl. Haller 2014: 38). Darüber hinaus hält es Ulrike Pilarczyk nicht für unwahrscheinlich, dass die Farbtemperaturen und Helligkeitswerte der Fotografie nachbearbeitet wurden (vgl. Pilarczyk 2014: 87). 11 Der Begriff der ›Leerstelle‹ ist ein von Wolfgang Iser eingeführter Grundbegriff der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik. ›Leerstellen‹ eröffnen »einen Auslegungsspielraum«, der vom Leser/der Leserin beseitigt bzw. aufgefüllt werden muss. Damit hält der »Text ein Beteiligungsangebot an seine Leser bereit. Sinkt der Leerstellenbeitrag […], dann gerät er in Gefahr, seine Leser zu langweilen, da er sie mit
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Diers, Müller-Helle, Neuenfeldt, Raab, Traue). »Wem oder was die Gruppe gerade ihre Aufmerksamkeit widmet, lässt sich innerbildlich nur bedingt klären« (Diers). »Es handelt sich« um einen »Ausschnitt einer Szene, die [entweder] erst in der imaginativen Ergänzung dessen, was links vom Bild passiert, ›vollständig‹ wird« (Breckner) oder durch das Lesen der Haltung, Gestik und Mimik der Abgebildeten (vgl. Ayaß, Breckner, Diers, Neuenfeldt, Oevermann, Raab, Schweppenhäuser). Das, was die Bildbetrachter in den Gesten der Abgebildeten sehen, ist »ein breites Spektrum keineswegs einheitlicher und zudem auch nicht eindeutiger Haltungen und Reaktionen« (Raab). Sie sehen Protagonisten und Protagonistinnen, die sie in ihren »Analogien und Kontrasten in Kleidung, Ethnie und Geschlecht, zentraler oder randständiger Positionierung im Bild«, ihren in »Gestik, Mimik und Körperhaltung vorgeführten Grad an geteilter Anteilnahme und emotionaler Ergriffenheit« interpretieren können. Richtet sich der Fokus auf die »Aufmerksamkeits- und Bedeutungskerne« (Raab) des Bildes, die mit Barack Obama, Hillary Clinton, Brigadegeneral Marshall Bradley Webb und der Direktorin der Nationalen Anti-Terror-Zentrale, Audrey Tomason, vier zentrale Personen herauskristallisieren, thematisiert die Fotografie den Gegensatz zwischen Mann und Frau, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Zivil und Militär (vgl. Raab), unter Einbezug der ›Leerstelle‹ und des auf dem Tisch liegenden verpixelten Dokuments, den Gegensatz zwischen Sichtbarem und Nicht-Sichtbarem (vgl. Ayaß, Bredekamp, Breckner, Müller-Helle, Neuenfeldt, Oevermann, Raab, Schweppenhäuser). Die Fotografie besticht also durch ihre bildimmanente »Übergegensätzlichkeit« (vgl. Przyborski 2014: 125, 131, 134f.). Rein bildlich gesehen zeigt sich eine Gruppe, die »nicht ganz geschlossen erscheint« (Breckner). Sie zeigt widersprüchliche Spannungen auf, die sich auf dem »im Hintergrund zu erkennenden ›Seal of the President of the United States‹« verdichten. In seinem Schnabel trägt der im Siegel abgebildete Adler den Schriftzug »E pluribus unum«: aus vielen eines. In seiner rechten Kralle hält er einen Lorbeerzweig
einem steigenden Maß an Bestimmtheit – sei dies nun ideologisch oder utopisch orientiert – konfrontiert. Erst die Leerstelle gewährt einen Anteil am Mitvollzug und an der Sinnkonstitution des Geschehens.« (Iser 1975: 236) Wolfgang Kemp machte den Ansatz für die rezeptionsästhetische Analyse von Kunstwerken fruchtbar. Für ihn sind manche Kunstwerke »punktuell unvollendet […], um sich im Betrachter zu vollenden. Diese Unvollendetheit ist eine konstruktive, intendierte.« (2003: 254) Für Kemp besteht also die Hauptaufgabe einer ›Leerstelle‹ darin, »den Betrachter an der innerbildlichen Kommunikation zu beteiligen, die Kommunikation mit dem Bild mit der Kommunikation im Bild zu verschränken.« (Kemp 1992: 315) Für Hinweise in diese Richtung danke ich Sarah Kuschel.
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als Symbol des Friedens. In der linken Kralle befinden sich 13 Pfeile, die als Symbol der Kriegsbereitschaft gelesen werden können (vgl. Raab). Damit zeigt die Fotografie den US-amerikanischen »Demokratie-Mythos« (Neuenfeldt) einer immer kriegsbereiten, aber im Grunde friedlichen Nation auf. Sie symbolisiert ein Betrachterkollektiv in »Geschlossenheit und Einheit, in Heterogenität und Differenz« (Raab, Herv. im Orig.), das – mit Ausnahme des seinen Laptop bedienenden Brigadegeneral Marshall Bradley Webb – gebannt auf etwas außerhalb des Bildes schaut.
Z WEITER S ATZ : K ONTEXTUALISIERUNG Da Fotografien keine zeitlich sich entfaltenden Handlungsprozesse und »keine zeitlich sich aufbauende Sinnkonstruktion« bilden, »Einzelbilder« aber gleichzeitig »keine kontextlosen Gebilde sind« (Raab), »[e]ine kontextfreie Betrachtung von Bildern« für manch einen Wissenschaftler »gar nicht möglich« ist (Schuster 2014: 137), »müssen sie […] in Abhängigkeit zu ihren unmittelbaren und mittelbaren Bildkontexten sowie in Verbindung mit den Kontexten ihrer sozialen Handlungs- und Verwendungspraktiken interpretiert werden« (Raab). Die Interpretation kann je nach Forschungsfrage unterschiedliche »komparativ-kontrastive Analysen« beinhalten. Es »können Bildtitel, Bildunterschrift und allgemein die ein Bild direkt umlagernden Texte, Tabellen, Graphiken usw., genauso wie weitere, gegebenenfalls zur Veranschaulichung von Abläufen, Wandlungen und Variationen oder schlichtweg zu Vergleichsanordnung arrangierte Bilder oder Bildfolgen« (Raab), Zeitungsaufsätze (vgl. Ayaß, Kauppert), Blog-Kommentare (vgl. Traue), schon vorhandene wissenschaftliche Interpretationen oder »filmische Nachlieferungen« (Traue) zur Analyse herangezogen werden, um die Wahrnehmung und die Deutung des im Bild Abgebildeten zu analysieren. Ein erster Schritt der kontextuierenden Analyse bei der Fotografie aus dem Situation Room kann z.B. die dem vom Weißen Haus mitgegebene Bildlegende auf Flickr bzw. der Internetseite des Weißen Hauses sein (vgl. Ayaß, Bredekamp, Kauppert). Hierbei handelt es sich um eine Bildlegende, die mit einer »parasitären Botschaft, die das Bild konnotiert, das heißt ihm ein oder mehrere zusätzliche Signifikate ›einhauchen‹ soll« (Barthes 1990: 21, vgl. hierzu die Analyse von Schweppenhäuser), aufwartet. In der Bildlegende ist zu lesen, dass die auf dem Foto Abgebildeten ein »update on the mission against Osama bin Laden in the Situation Room of the White House« erhielten. Vertraut man der Stellungnahme von Barack Obama im am 15.05.2011 durchgeführten Interview mit dem Fernsehsender CBS oder der von Hillary Clinton am 06.07.2014 in der Talk-
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Show »Günter Jauch« und setzt sie mit den »Zeitangaben aus der Dokumentation ›Targing Bin Laden‹ des US-amerikanischen History Channels« in Verbindung, so muss es sich bei dem, auf das die Abgebildeten schauen, um den »Absturz« oder die »Sprengung des Hubschraubers durch die Seals kurz vor ihrem Abflug […] im fernen Pakistan« (Kauppert, vgl. hierzu auch Oevermann, Schweppenhäuser, Haller 2014) handeln. Es scheint gerade nicht – wie häufig angenommen und im medialen Diskurs verbreitet – die »kollektive Imagination« (Kauppert) der Erschießung Osama bin Ladens zu sein, auch wenn die Fotografie einen Moment größter Anspannung (vgl. hierzu auf Grundlage des SpiegelOnline-Textes 2011 die Analyse von Schweppenhäuser) beinhaltet, die, je nachdem, welchem Hintergrundwissen man Glauben schenken mag, »Härte und Genugtuung gegen den Feind oder Mitgefühl mit den eigenen Leuten« (Schweppenhäuser) suggeriert. Zieht man die acht anderen »an jenem Tag im Weißen Haus vom gleichen Fotografen, Pete Souza12, gemacht[en], als Fotoserie zusammengestellt[en] und gemeinsam mit dem zentralen Bild aus dem Conference Room auf Flickr und im White House Fotostream« (Breckner) herausgegebenen Reportagefotografien hinzu (siehe Abbildung 1 sowie die Analyse der ersten vier Fotos im Beitrag von Breckner, des vierten Fotos im Beitrag von Neuenfeldt sowie die der gesamten Serie in Pilarczyk 2014: 87-102), so verweist die Bildserie auf die aus der Perspektive Barack Obamas und den Mitglieder des Weißen Hauses erzählte Narration der »Schließung einer dramatischen Agenda« (Oevermann) im seit dem Amtsantritt Barack Obamas nicht mehr verbalisierten ›war on terror‹. Die Serie und insbesondere die prominent gewordene Fotografie aus dem Situation Room »zeigt die Dominanz des Politischen im Zustand einer seit 9/11 gegebenen, niemals aber explizit definierten Ausnahmesituation« (Bredekamp, vgl. auch Traue). Es präsentiert »die rächenden Täter als betroffene Zuschauer« (Schweppenhäuser, vgl. hierzu auch die Ausführungen von Oevermann, Neuenfeldt). Das »Gespenst der Erfahrung des Schreckens am 11. September 2001« (Schweppenhäuser, vgl. hierzu auch Ayaß, Breckner, Müller-Helle, Neuenfeldt, Raab, Traue) schwingt in der Fotografie mit. Das Bild markiert eine »Art domestizierter Kriegsfotografie«, eine »Kriegsfotografie ohne Krieg« (Ayaß)13, die
12 Ein historisch breit recherchiertes Hintergrundbild zum Stellenwert der Visualisierungsstrategien us-präsidentialer Fotopolitik und der bildpolitischen Öffentlichkeitsarbeit von Pete Souza liefert Günter Haller (2014: 11-23). 13 Vergleicht man das Bild aus dem Situation Room mit berühmt gewordenen Kriegsfotografien, wie »The Falling Soldier«, fotografiert von Robert Capa, 1936, »The Terror of War«, gefertigt von Huỳnh Công Út, 1972 oder »The Valley of the Shadow of
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ausgeweitet auf die Serie in Form einer sachlichen Berichterstattung aus dem Arbeitsalltag von Barack Obama das Ende des ›war on terrors‹ präsentieren will. Die Serie verweist auf einen starken, Hillary Clinton überlegenen Präsidenten, dessen Führungsanspruch »bekräftigt und auf die Zukunft hin erneuert« (Pilarzyk 2014: 98) wird. Er ist derjenige, der in der gesamten Serie eine prominente Position einnimmt, derjenige, der wie üblich in den Fotografien von Pete Souza als wegweisender, starker, mächtiger, nachdenklicher und repräsentierender Präsident dargestellt wird. Abbildung 1: May 1, 2011 – The White House
Quelle: https://www.flickr.com/photos/whitehouse/sets/72157626507626189/ [letzter Zugriff: 12.05.2014]
Nur warum ist gerade das Foto aus dem Situation Room und nicht die acht anderen, es rahmenden Fotos so berühmt geworden? Im Vergleich zur Darstellung auf den anderen Bildern der Serie wirkt Barack Obama im weit verbreiteten Bild aus dem Situation Room als »›aufnehmend‹« und »konzentriert« (Breckner). »Er sitzt auffällig zurückgezogen aus der Bildmitte in einer Ecke des Raumes und verfolgt konzentriert und ernst das Geschehen. Das Foto zeigt ihn als einen Beteiligten, der kontrastiv zum überragenden
Death«, von Roger Fenton 1855, fällt die Abwesenheit der üblichen Elemente von Kriegsfotografien verstärkt ins Auge (vgl. Ayaß).
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Status seines Amtes bescheiden und uneitel in der Mitte seiner Mitarbeiter sitzt.« (Oevermann) Im Gegensatz zu Obama ist Hillary Clinton in der Gestik »mitleidende[r] weißer Weiblichkeit« (Neuenfeldt) dargestellt, einer Gestik, die sie als Außenministerin – entsprechend ihres damaligen Amtes – mit der Erklärung, es habe sich um einen »Anfall von Heuschnupfen« (Bredekamp, vgl. auch Diers), eine Allergie (vgl. Kauppert, Schweppenhäuser) bzw. ein Gähnen gehandelt (vgl. Neuenfeldt, Schweppenhäuser), abwehrte. Drei Jahre später erklärt sie im Interview mit Günther Jauch, in Sorge um die SEALs gewesen zu sein, die »in eine schwierige Situation hinein gehen.« Der Auftrag sei nicht gewesen, Bin Laden zu töten, sondern ihn »gefangen zu nehmen, wenn möglich. Es war nicht möglich.« (Clinton 2014, vgl. hierzu auch Kauppert). Da für den Fall der Tötung Bin Ladens in der »Operation ›Neptune’s Spear‹« (Kauppert) »Geronimo-EKIA (Enemy Killed in Action)« als Codewort für die Tötung vereinbart wurde (vgl. Ayaß, Diers, Neuenfeldt), regt insbesondere der Hinweis des »Gähnens«, den Clinton in ihrer ersten Reaktion auf die Frage, was sie in dem Moment dachte, als Pete Souza den Auslöser drückte, äußerte, zu interessanten Spekulationen an. Führt man sich vor Augen, »dass Geronimos indigener Name Gokhalayeh ›Der Gähnende‹ bedeutet«, scheint »Geronimo Geronimo angegriffen zu haben und auch Geronimo Geronimo getötet« zu haben. Es zeigt sich eine »unheimlich anmutende Geste des Ethnic Drags«, in der, die weiteren Inhalte und Formelemente des Bildes beachtend, die »Verflechtung post/kolonialer, vergeschlechtlichter und rassistischer Strukturen« (Neuenfeldt) mitschwingen. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass das Bild einen »staatsrechtlich nicht legitimierten Tötungsakt« (Breckner) imaginiert, dessen »Legitimität […] aus völker- und menschenrechtlicher Perspektive durchaus infrage« steht (Diers), scheint das im medialen Raum zirkulierende Bild eine medienpolitisch geschickte Auswahl gewesen zu sein. Entsprechend kann es als »ein PR-, wenn nicht [gar] ein Propaganda-Foto« (Przyborski 2014: 114, vgl. hierzu auch Haller 2014: 16, 51, 55, Schuster 2014: 140, 146; Kauppert, Traue), als ein von den militärischen und politischen Protagonisten und der Pressestelle des Weißen Hauses kontrolliertes und auserlesenes Bild (vgl. Schuster 2014: 140), das der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht wurde und damit die unabhängigen Pressefotografien verdrängte (vgl. Haller 2014: 16f.) klassifiziert werden. »Offenbar geht es [in der Fotografie] darum, die Integrität eines demokratisch legitimierten Repräsentanten einer Weltmacht zu sichern, indem diese staatsrechtlich nicht gedeckte Handlung letztlich durch die damit verbundene Geste des Skrupels und der Zurückhaltung zumindest moralisch dennoch als legitim erscheint« (Breck-
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ner, vgl. auch Pilarczyk 2014: 100). Es zeigt den gesamten Führungsstab als »unhierarchisch, informell, gleichwohl aber entscheidungs- und tatkräftig und zudem ehrlich bewegt« (Bredekamp). Damit wartet die Fotografie mit einem entscheidenden Unterschied zur Kriegsberichterstattung der Vorgängerregierung auf (vgl. Ayaß, Przyborski 2014). Anders als z.B. George W. Bush »bei seinem Auftritt auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln vor der Küste San Diegos«, der ihn bei der Verkündung des »Ende des Irak-Kriegs« zeigt, präsentieren sich die Abgebildeten »ohne Pathos, ohne Pose« (Ayaß, Herv. im Orig.). Im Vergleich zur traditionellen Kriegsfotografie arbeitet die Fotografie aus dem Situation Room mit einer »grundlegenden Verschiebung einer wesentlichen ikonographischen Performanz […]. An die Stelle des nationalen Spektakels vom toten (und damit besiegten) Körper des Kriegsgegners, tritt der sublime Blick auf das Schauspiel der Betrachterfiguren, die auf den toten Körper des Gegners blicken, während der tote Körper selbst fotografisch nicht gezeigt wird.« (Neuenfeldt, vgl. Diers, MüllerHelle) Auch in der weiteren Berichterstattung werden die Bilder des toten Bin Ladens zurückgehalten. Das Ereignis der Tötung schrumpft – wie sich in der von Willem Popelier dargelegten Arbeit Osama Papers zeigt – auf eine kleine Anzahl immer gleicher Bildmotive – zumeist Portraits des »intakten Gesichts Bin Ladens« und »Barack Obamas als sein siegreicher Antagonist«: »Es geht um die Wiederholung der immer gleichen, limitierten Bildmotive – in stiller Einigkeit wird der Welt vor Augen geführt, dass sie nichts zu sehen bekommt.« (MüllerHelle) Das Foto aus dem Situation Room setzt auf die Vermeidung des »Medusa-Antlitz[es]« (Bredekamp). Anders als bei der »Festnahme und Hinrichtung Saddam Husseins (2006)«, der zur »Bild geworden[en] […] Leiche Pol Pots (1998)« oder der »Füsilierung Nicolae Ceaușescu und seiner Frau Elena (1989) vor laufender Kamera« (Diers), wird der tote Bin Laden nicht gezeigt. Das Bild setzt auf eine »indirekte Zeugenschaft« (Bredekamp) in Form einer »Lagebesprechung«, in der der Präsident »seine Macht […] an das technologische Kontrollzentrum und seinen Bediener delegiert« (Traue). Martialische und triumphierende Elemente, dämonisierende oder demütigende Gesten (vgl. Ayaß) bleiben außen vor. Das Bild präsentiert eine »Arbeitssituation der military and intelligence community« (Traue, Herv. im Orig.), die in Folge mit filmischen Nachlieferungen der nicht gezeigten Bilder angereichert wurden (vgl. insbesondere die Analyse von Traue, aber auch die Interpretationen von Diers, Kauppert und Oevermann). U.a. werden (zur Aufklärung der dahinter liegenden Verfolgungsgeschichte) im Film »Zero Dark Thirty« (2012, Regie: Kathryn Bigelow) Folterszenen gezeigt (vgl. Traue, Oevermann), die an die erschütternden Bilder des »Abu-Ghuraib-Skandals« erinnern. »Zero Dark Thirty« wie auch die anderen,
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den Tathergang der Verfolgung und letztendlichen Erschießung Bin Ladens bebildernden Filme, zeigen Formen »gouvernementaler Praxis« sowie »Gegenbilder« der Überwachung und Gewalt (Traue). Bilder, die im ›schönen Schrecken‹ des Fotos aus dem Situation Room, wenn überhaupt, nur als »a sort of delightful horror, a sort of tranquillity tinged with terror« (Burke 1887: 216)14 erscheinen.15
D RITTER S ATZ : M EME – M NEMOSYNE – M ASHUPS Das Foto aus dem Situation Room weist eine beeindruckende Rezeptionsgeschichte auf. »Die Relevanz dieses Bildobjekts im globalen medialen Diskurs ist unbestritten« (Breckner). Zahlreiche Zeitungen, Onlinemagazine, Blogs und Fernsehsendungen haben das Bild besprochen (vgl. Ayaß, Breckner, Diers, Kauppert, Müller-Helle, Traue). Das Foto sowie der Kontext, auf den das Bild verweist, ist Gegenstand künstlerischer Verarbeitungen geworden (vgl. MüllerHelle, Raab). William Popelier zeigt z.B. in brennglasverstärkender Form den Informationskonsens journalistischer Bildredaktionen auf. Alfredo Jaar macht in seiner Installation auf die ›Leerstelle‹ im Bild aufmerksam (vgl. Müller-Helle). Darüber hinaus beeindruckt das Bild aber auch durch seine »umfassende Resonanz […] bei Nutzerinnen und Nutzern der Social Media« (Traue), in denen das Bild in Form vielfältiger Neuanordnungen, Modulationen, Variationen und Verfremdungen (vgl. Raab) »nicht selten ironisch bis sarkastisch thematisiert« (Breckner) wurde. Im World Wide Web »entstand […] eine unüberschaubare Anzahl von Karikaturen zu diesem Foto. Mit ihnen werden die Blickregime, die im Foto bereits angelegt sind, betont, verschärft, konterkariert oder auch un-
14 Für Anregungen in diese Richtung sowie profunde Unterstützung bei der Bildbearbeitung im gesamten Buch danke ich Aljoscha Hofmann. 15 Barack Obama setzte sich, trotz öffentlicher Vehemenz, mit der Begründung, »die Aufnahmen eines Menschen mit einer klaffenden Schusswunde am Kopf« zu zeigen, sei »zu grauenerregend« und könnte »als ›Propaganda-Werkzeug‹ missbraucht werden« (Klüver 2011: 8), darüber hinweg, Bilder des toten Bin Ladens zu veröffentlichen. Die mediale Inszenierung steht also der vom 11. September 2001 diametral entgegen: »Während bei 9/11 die totale Sichtbarkeit ein Zeichen, eine Markierung setzen sollte, geht das Ende des Verantwortlichen in der Unsichtbarkeit vonstatten« (MüllerHelle). Nur die Geste des ›entzückenden Entsetzens‹ von Hillary Clinton, die Blickrichtung der im Bild Abgelichteten wie auch das auf dem Tisch liegende, für den Betrachter unkenntlich gemachte Bilddokument verweisen auf das Ende des Terrors durch den al-Qaida-Anführer Osama bin Laden.
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sichtbar gemacht. […] Die Karikaturen reagieren (wenn auch auf sehr unterschiedliche und komplexe Weise) auf das Blick-Tabu bzw. das Blick-Gebot, auf das, was zu sehen und nicht zu sehen gegeben wird.« (Neuenfeldt) Die Adaptionen zeigen Bilder, in denen aus religiösen Gründen die Frauen (vgl. Ayaß, Breckner, Diers) oder als Antwort auf das unausgewogene Geschlechterverhältnis die Männer (vgl. Ayaß, Breckner) aus dem Foto wegretuschiert werden. Sie zeigen Hillary Clinton in einer »Runde mächtiger Frauen« (Breckner), montieren ihre Handgeste (vgl. Traue) oder das Gesicht von Barack Obama auf die anderen Betrachterfiguren (vgl. Ayaß, Breckner, Neuenfeldt, Traue, Przyborski 2014: 132f.). Sie verlängern den Raum fiktiv und spiegeln damit quasi die sichtbare Hälfte des Raumes (vgl. Ayaß), retuschieren den nicht sichtbaren Osama bin Laden ins Bild (vgl. Diers, Breckner) oder fügen die Fotografie in das Gemälde »Las Meninas« (1656) von Diego Velázquez ein, um hierüber in Form des Malers den Fotografen zurück ins Bild zu holen (vgl. Traue). Die Meme und Mashups »zeigen Taktiken ironischer Brechungen und eine experimentelle Explikation visueller Wirkungen« (Traue). Sie sind eine Antwort auf das, was im Bild gezeigt, aber auch das, was im Bild nicht gezeigt wird und nehmen hierfür z.T. Anleihen an kunstgeschichtlichen Vorbildern. Auch die Fotografie aus dem Situation Room hat Vorbilder in der Literatur, Kunstgeschichte und Geschichte der politischen Ikonografie. In »Rückbindung an tradierte Bildformeln« (Warnke 2008: 29) weckt es Erinnerungen an bereits existierende Kulturgüter. Es regt zu assoziativen Vergleichen an Protagonisten der Weltliteratur an, in denen z.B. der zum Käfer gewordenen Gregor Samsa aus Franz Kafkas »Verwandlung« mit Bin Laden und der ihn entdeckende Prokurist, ein lautes »Oh!« ausstoßend, mit Hillary Clinton verglichen wird (vgl. Schweppenhäuser). Im mnemonischen Sinne lassen sich erstaunliche Parallelen zu Ikonographien der Vergangenheit (vgl. Warburg 2000) finden. Das Foto erinnert im Aufbau und Sujet an mehrere andere Bilder: an das Gruppenbildnis von Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp aus dem Jahr 1632 (vgl. Diers)16, an das berühmt gewordene Foto des »christusgleich aufgebahrten« Che Guevara vom 10. Oktober 1967, fotografiert von Freddy Alborta, sowie das aus dem Irakkrieg stammende Bild der Husseins-Söhne auf ihrem Totenbett, das von Stan Honda am 25. Juli 2003 fotografiert wurde (vgl. Diers, Müller-Helle). Alleinige Differenz
16 In Assoziation an Rembrandts De Staalmesters von 1662, weckt das Bild aus dem Situation Room die Suggestion der Einladung, selber am Tisch Platz nehmen oder sich im Hintergrund dazugesellen zu können (vgl. Traue).
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ist, dass der Leichnam, auf den das Foto aus dem Situation Room verweist, im Bild selbst nicht zu sehen ist.17 Vor dem Hintergrund der dadurch nur »scheinbare[n] Transparenz« glaubt manch einer der Fotografie nicht, so z.B. der chilenische Künstler Alfredo Jaar (vgl. Müller-Helle). Es ist möglich, dass der Nichtglaube an die dahinterliegende Geschichte karikierende Brechungen hervorbrachte, die sich am Einbringen pop(ulär)kultureller Wissensbestände orientieren (vgl. Raab). So werden die Betrachter im Bild u.a. als Fernsehzuschauer dargestellt (vgl. Diers, Breckner), »mehrere populäre Figuren aus der amerikanischen Kulturgeschichte hineincollagiert« (Breckner, vgl. auch Ayaß, Raab), das Bild zu einem Ego-ShooterSpiel (vgl. Ayaß, Przyborski 2014: 133f.) umgeformt, durch Playmobilfiguren nachgestellt (vgl. Ayaß, Raab), in Heldenfiguren aus populären Comics überführt (vgl. Breckner, Raab), den Abgebildeten »Trollfaces« aufgesetzt (vgl. Traue) oder das nicht Ausgesprochene mittels Einfügung von Denk- und Sprechblasen, bekannt aus der Comicsprache, ergänzt (vgl. Ayaß, Breckner, Traue). Die Mashups und Memes bieten Einblicke in die »Experimentierfelder visuellen Handelns« (Raab), in die »Inszenierungslogik […] zwischen Dokumentation und Modulation, Sensation und Skandal« (vgl. Raab, Hitzler 1989). Sie zu analysieren, liefert Antworten auf die »reflexive und performative Haltung« (Raab) der Web 2.0-Nutzerinnen und -Nutzer. Es gibt Hinweise darauf, welche Sehordnungen, Sehgewohnheiten und Seherwartungen der medialen Sehgemeinschaft innewohnen (vgl. Raab), Hinweise darauf, wie Fotografien in der digitalen Welt verarbeitet werden und was für einen Resonanzraum Fotografien aktivieren (vgl. Traue).
V IERTER S ATZ : F INALE Bildanalysen haben, wie der Sammelband zeigt, zwei grundsätzlich verschiedene Ausgangspunkte. Entweder wird ein Bild als eigenlogischer Gegenstand begriffen und davon ausgehend analysiert oder es wird von dem es einbindenden Kontext aus gelesen. Beide Herangehensweisen haben je nach Fragestellung und Forschungsfokus ihre Berechtigung. Bildimmanente Analysen finden ihren primären Bezugspunkt in der Deutung des im Foto Abgebildeten, des sozialen Milieus sowie in der (Re-)Konstruktion der im Bild sich widerspiegelnden deu-
17 Gezeigt wird nicht der Leichnam, sondern eine Situation, die an eine kriegerische Lagebesprechung erinnert, wie sie z.B. 1986 im alten Situation Room unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan stattfand (vgl. Traue).
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tungs- und handlungsgenerierenden Strukturen (vgl. Mruck/Mey 2005: 8). Kontextorientierte Bildanalysen fokussieren das soziale Handeln, sie beschreiben Prozesse, (re)konstruieren historisch und sozial bzw. kunst- und literaturwissenschaftlich vortypisierte Deutungsarbeiten und Diskurslogiken (vgl. Mey/Ruppel 2014: o.S.) oder untersuchen den Resonanzraum, das visuell-diskursive Dispositiv, das das Bild im sozialen Diskurs ermöglicht (vgl. Traue 2013). Für eine fundiert hermeneutische Bildanalyse ist es opportun das Bild zunächst aus seiner Eigenlogik heraus zu lesen, denn nur so wird deutlich, was das Bild als eigenlogischer Gegenstand verrät, inwieweit es sich gegen den von außen eingespeisten Kontext versperrt oder was es ohne Kontextwissen nicht verdeutlicht. Hierbei sollte nicht nur die Inhaltlichkeit analysiert werden, sondern auch der formale Bildaufbau sowie ergänzend und kontextualisierend die das Bild aufgreifende »ikonologische Sinndimension« (Imdahl 1980: 87), d.h. die auf das verwendete Genre und die Kompositionen verweisenden (kunst- oder literaturwissenschaftlichen) Sujets und Gattungen (vgl. Bourdieu 2006: 17), die im Bildaufbau zur Geltung kommen (vgl. Diers, Müller-Helle, Schweppenhäuser). Dadurch können die Perspektiven der Bildproduzenten und Abgebildeten, wie auch deren Weltanschauung und »handlungsleitenden Strukturen« (Mey/Ruppel 2014: o.S.) ergründet werden. Daran anschließend können mit den daraus gewonnenen Hypothesen die Kontextinformationen einfließen. Unbedingter Bestandteil der kontextuierten Analyse sollte – sofern vorhanden – der das Bild unmittelbar umgebende Kontext sein: d.h. der Bildtitel, die Bildunterschrift bzw. die Bildlegende. Hinzugezogen werden können die das Bild umlagernden Texte, Tabellen und Grafiken wie auch zur komparativ-kontrastiven Analyse Fotoserien bzw. Bildfolgen, aus denen das Bild stammt (vgl. Raab). Darüber hinaus ist es förderlich, die historische Situation, in der das Bild entstanden ist – z.B. mittels Untersuchung der journalistischen Berichterstattung (vgl. z.B. Kauppert, Haller 2014), filmischer Nachlieferungen (vgl. Traue) oder, insbesondere bei der Interpretation historischer Fotografien, der Analyse historischer Quellentexte (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005: 150) – zu rekonstruieren. Z.T. bietet es sich an, Fotointerviews mit dem Fotografen, den Auftraggebern, Agenturmitarbeitern, Bildredakteuren oder den auf dem Foto Abgebildeten durchzuführen, um hierdurch Informationen zu Stilen und Motiven, der Funktion und Verwendung der Fotografie, der Erinnerung an die damalige Situation (vgl. ebd.) oder weitergehende Kontextuierungen einzuholen. Auch ist es möglich, im seriell-ikonografischen oder im gattungsanalytischen Verfahren, Bilder zum Vergleich heranzuziehen, die sich entweder in der Indexikalität und Bildhaftigkeit ähneln (vgl. Pilarczyk 2014: 70, Diers, Müller-Helle) oder vom historischen Tatbestand her mit der Fotografie eng verwandt sind (vgl. Ayaß, Traue, Przyborski
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2014: 112f.). Darüber schälen sich die spezifisch im Bild verwendeten Zeichensysteme, die performativen Bildelemente wie auch die kommunikativen Handlungsstrukturen heraus (vgl. Knoblauch/Schnettler 2010: 291ff.). Im Zuge gesteigerter Mediatisierung bietet es sich darüber hinaus an, die Web 2.0-basierten Resonanzräume von Fotografien zu untersuchen. Blogger, Social Entrepreneurs, Netizens, Citizen Scientists, all die plebiszitären Mitglieder der Gesellschaft, für die die vernetzten Medien in Form von zahlreichen Plattformen wie Google, Wikipedia, Myspace, Facebook, Flickr, Instagram, YouTube, Skype und Twitter eine verstärkte Teilhabe am kulturellen und politischen Leben ermöglichen (vgl. Pentzold u.a. 2014: 28f.), vermehren die Möglichkeit der Untersuchung »öffentlicher Anschlusskommunikation« (a.a.O.: 34) bzw. »partizipativer Ko-Produktion«. Die Analyse ihrer »kommunikativen Rückkopplungsschleifen« liefern einen »Indikator für die öffentliche Meinung« (Traue) und den darin enthaltenen Kulturalisierungsprozess digitaler und interaktiver Kommunikationen (vgl. Raab). Führt man alle Schritte zusammen, wird deutlich, dass Bildinterpretationen, wenn man sie ernst nimmt, »ein sehr aufwändiges und zeitintensives Unterfangen« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 346) sind. Es zeigt sich aber auch, dass erst durch die gemeinsame Kommunikation über (einzelne) Bilder, deren bildimmanenten Eigenlogik und Kontextualisierung ein Bild an interpretatorischer Auslegung gewinnt. Dadurch, dass ein Bild unter Zuhilfenahme verschiedenster Erkenntnis-Werkzeuge immer wieder aus einem neuen Blickwinkel heraus interpretiert werden kann, gewinnt es an Gehalt. Die Kunst des Sehens besteht also nicht im ausschließlichen Registrieren eines Bildes, sondern in der aufmerksamen bildimmanenten Interpretation, der Verknüpfung von Gesehenem mit (angeeignetem bzw. recherchierten) (Kontext-)Wissen und dem Zusammenführen der Erkenntnisse verschiedener Interpret(inn)en sowie ihrer Mitinterpret(inn)en.
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Autorinnen und Autoren
Autorinnen und Autoren
Ayaß, Ruth, Professorin an der Universität Klagenfurt. Forschungsschwerpunkte: qualitative Methoden, Konversationsanalyse, Mediensoziologie, visuelle Soziologie, interpretative Theorie. Neuere Publikationen: »Mediale Strukturen der Lebenswelt«, in: Michael Staudigl (Hg.), Alfred Schütz und die Hermeneutik, Konstanz: UVK, 2010, S. 285-308. Zusammen mit Christian Meyer (Hg.), Sozialität in Slow Motion. Theoretische und empirische Perspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012. The appropriation of media in everyday life, hg. gem. mit Cornelia Gerhardt, Amsterdam: Benjamins, 2012. Breckner, Roswitha, Assoziierte Professorin an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Visuelle Soziologie, insbesondere Entwicklung der Visuellen Segmentanalyse als Methodologie und Methode der interpretativen Bildanalyse, Biographie- und Migrationsforschung. Neuere Publikation: »Bild und Biographie – ein Kaleidoskop von Selbstbildern?«, in: Carsten Heinze und Alfred Hornung (Hg.), Medialisierungsformen des (Auto-)Biographischen, Konstanz: UV, S. 159-180, 2013. Bredekamp, Horst, 1974 Promotion; 1974-1976 Museumstätigkeit am Liebieghaus (FfM); 1976 Assistent, 1982 Professur für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. 1993 Prof. für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Buchpublikationen u. a. zum Bildersturm, zur Skulptur des Mittelalters, zu Botticelli, zur Renaissance, zum Garten von Bomarzo, zur Kunstkammer, zum Florentiner Fußball, zur Baugeschichte von St. Peter in Rom sowie zu Galilei, Hobbes, Leibniz, Darwin und zur Theorie des »Bildakts«. Diers, Michael, Professor für Kunst- und Bildgeschichte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Kunst der Renaissance, der Moderne, des 20. Jahrhun-
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derts und der Gegenwart, Fotografie und neue Medien, politische Ikonographie, Kunst- und Medientheorie, Wissenschaftsgeschichte; Mitherausgeber der Studienausgabe der Gesammelten Schriften Aby Warburgs, Berlin, 1998 ff.; langjähriger Herausgeber der Taschenbuchreihe »kunststück« und der Reihe »FundusBücher«; zahlreiche Aufsatz- und Buchveröffentlichungen zu den genannten Themen, darunter: Warburg aus Briefen. Kommentare zu den Briefkopierbüchern der Jahre 1905-1918, Weinheim: VCH, 1991. (Hg.), Mo(nu)mente. Formen und Funktionen ephemerer Denkmäler, Weinheim: Akademie Verlag 1995. Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt/M.: Fischer, 1997. Zusammen mit Kasper König (Hg.), »Der Bevölkerung«. Aufsätze und Dokumente zur Debatte um das Reichstagsprojekt von Hans Haacke, Köln: Walther König, 2000. Fotografie Film Video. Beiträge zu einer kritischen Theorie des Bildes, Hamburg: Philo & Philo Fine Arts, 2006. Zusammen mit Monika Wagner (Hg.), Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform, Berlin: Philo & Philo Fine Arts, 2010. Zusammen mit Lars Blunck und Hans Ulrich Obrist (Hg.), Das Interview. Formen und Foren des Künstlergesprächs, Hamburg: Philo & Philo Fine Arts, 2013. Zusammen mit Bärbel Hedinger und Jürgen Müller (Hg.), Max Liebermann: Die Kunstsammlung. Von Rembrandt bis Manet, München: Hirmer, 2013. Kauppert, Michael, Juniorprofessor für Kultursoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Forschungsschwerpunkte: Methodologien materialer Kulturanalyse, frz. Ethnologie, historische Semantik des Kulturbegriffs. Jüngste Publikationen: Zusammen mit Michael Corsten (Hg.), Der Mensch – nach Rücksprache mit der Soziologie, Frankfurt am Main: Campus 2013. Negative Gesellschaft, in: Stephan Moebius/Joachim Fischer (Hg.), Kultursoziologie im 21. Jahrhundert, Wiesbaden, S. 125-137. Leser, Irene, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für sozial-, bildungs- und kulturwissenschaftliche Forschungsmethoden (kurz: Methodenbüro) am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim, Forschungsschwerpunkte: qualitative Methoden, Bildungs-, Migrations- und Kindheitsforschung, Neuere Publikation: »Tagungsbericht. Hillarys Hand. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Ein interdisziplinärer Workshop zur Bildanalyse an der Universität Hildesheim, 18.-19.11.2011«, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie (ÖZS), Themenheft: Visuelle Soziologie, 2012. Müller-Helle, Katja, Dr. des., Studium der Kunstgeschichte und Deutschen Philologie in Bonn, London (UCL) und Berlin; 2007-2010 Promotionsstipendium
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am Graduiertenkolleg »Sinne – Technik – Inszenierung« der Universität Wien; 2010-2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Peter Geimer; 2012 Promotion am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit Januar 2013 Postdoc-Mitarbeiterin der Kolleg-Forschergruppe »BildEvidenz« der Freien Universität Berlin und ab Dezember 2014 Fellow am Getty Research Institute in Los Angeles. Neueste Publikation: »The Past Future of Movement Photography«, in: The Getty Research Journal, University of Chicago Press, no 7, 2015 (in progress). Neuenfeldt, Susann, ist Berliner Kulturwissenschaftlerin und Regisseurin vom Künstlerkollektiv Panzerkreuzer.Rotkäppchen. Sie hat am Institut für Amerikanistik an der Humboldt Universität zu Berlin zum Zusammenhang von Blickregimen, Betrachterfiguren und weißer Weiblichkeit promoviert und arbeitet derzeit an einem Postdoc-Projekt zur politischen Bedeutung des Dentalen im Kalten Krieg mit dem Titel »Auf den Zahn fühlen«. Oevermann, Ulrich, Professor emeritus für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe Universität Frankfurt (Main). Forschungsgebiete: Sozialisationsund Familienforschung, Kultur- und Religionssoziologie, Professionalisierungstheorie, Methodologie und Wissenschaftstheorie. Letzte Veröffentlichungen: »Sozialisationsprozesse als Dynamik der Strukturgesetzlichkeit der ödipalen Triade und als Prozesse der Erzeugung des Neuen durch Krisenbewältigung« 2014 (im Druck). »›Compliance‹ und die Strukturlogik des Arbeitsbündnisses zwischen Arzt und Patient«, in: Dieter Nittel/Astrid Seltrecht (Hg.), Krankheit: Lernen im Ausnahmezustand? Brustkrebs und Herzinfarkt aus interdisziplinärer Perspektive. Berlin - Heidelberg: Springer Medizin, S. 501–521, 2013. »Soziale Konstellation des Exils am Ende des zweiten Weltkriegs und die Pragmatik der ›First Letters‹ - eine objektiv hermeneutische Struktur- und Sequenzanalyse«, in: Detlef Garz/David Kettler (Hg.), Nach dem Krieg – Nach dem Exil? Erste Briefe/First Letters. Fallbeispiele aus dem sozialwissenschaftlichen und philosophischen Exil. München: ed. Text + Kritik, 2012. Raab, Jürgen, Dr. rer. soc., Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Koblenz-Landau. Forschungsschwerpunkte: Wissens- und Kultursoziologie, Visuelle Soziologie, Politische Soziologie, Methoden der qualitativen Sozialund Medienforschung. Neuere Publikationen: Erving Goffman. Klassiker der Wissenssoziologie. Bd. 6. Zweite, erweiterte Auflage. Konstanz: UVK, 2014.
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Zusammen mit Michael R. Müller und Hans-Georg Soeffner (Hg.), Grenzen der Bildinterpretation. Wiesbaden: VS Verlag, 2014. Schweppenhäuser, Gerhard, ist Professor für Design-, Kommunikations- und Medientheorie an der Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg und Mitherausgeber der Zeitschrift für kritische Theorie. Er lehrte u.a. in Belo Horizonte, Bozen, Dresden, Durham (North Carolina), Kassel und Weimar. Forschungsschwerpunkte: Moralphilosophie, Kunst und populäre Kultur, Bild- und Kulturtheorie; sein aktuelles Forschungsprojekt über Kommunikationsdesign und Ethik wird gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung. Neuere Publikationen: Zusammen mit Christian Bauer und Gertrud Nolte (Hg.), Ethik und Moral in Kommunikation und Gestaltung, Würzburg: Königshausen & Neumann, im Erscheinen. Bildstörung und Reflexion. Studien zur kritischen Theorie der visuellen Kultur, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013. Kritische Theorie, Stuttgart: Reclam, 2010 (türkische Übersetzung: Istanbul: Avesta, 2014). Bildsemiotik. Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation (mit Thomas Friedrich), Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2009. Ästhetik. Philosophische Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Frankfurt am Main/New York: Campus 2007. Traue, Boris, Dr. phil, Dipl.-Soz., wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Soziologie der Technischen Universität Berlin und Leiter des Projekts »Audiovisuelle Kulturen der Selbstthematisierung« (DFG). Mit dem Digital Culture Research Lab (DCRL) der Leuphana Universität Lüneburg assoziiert. Studium der Soziologie an der FU Berlin, Post-Doc am Goldsmiths/University of London, Promotion TU Berlin. Forschungsgebiete: Wissenssoziologie und Sozialtheorie, visuelle Soziologie, media studies, politische Soziologie, Geschichte und Gegenwart der Sozial- und Selbsttechniken, Professionelle und Amateure, Qualitative Forschungsmethoden.
Kulturen der Gesellschaft Joachim Fischer, Dierk Spreen Soziologie der Weltraumfahrt November 2014, 208 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2775-6
Jonas Grauel Gesundheit, Genuss und gutes Gewissen Über Lebensmittelkonsum und Alltagsmoral 2013, 330 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2452-6
Franz Höllinger, Thomas Tripold Ganzheitliches Leben Das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur 2012, 302 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1895-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kulturen der Gesellschaft Takemitsu Morikawa (Hg.) Die Welt der Liebe Liebessemantiken zwischen Globalität und Lokalität Februar 2014, 386 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2052-8
Cornelia Schadler Vater, Mutter, Kind werden Eine posthumanistische Ethnographie der Schwangerschaft 2013, 342 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2275-1
Sylka Scholz, Karl Lenz, Sabine Dreßler (Hg.) In Liebe verbunden Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute 2013, 378 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2319-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kulturen der Gesellschaft Stefan Bauernschmidt Fahrzeuge auf Zelluloid Fernsehwerbung für Automobile in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders. Ein kultursoziologischer Versuch 2011, 270 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1706-1
Thomas Tripold Die Kontinuität romantischer Ideen Zu den Überzeugungen gegenkultureller Bewegungen. Eine Ideengeschichte 2012, 362 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1996-6
Thomas Lenz Konsum und Modernisierung Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne 2011, 224 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1382-7
Takemitsu Morikawa Liebessemantik und Sozialstruktur Transformationen in Japan von 1600 bis 1920 Dezember 2014, ca. 240 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2832-6
Max Jakob Orlich Situationistische Internationale Eintritt, Austritt, Ausschluss. Zur Dialektik interpersoneller Beziehungen und Theorieproduktion einer ästhetisch-politischen Avantgarde (1957-1972) 2011, 630 Seiten, kart., 42,80 €, ISBN 978-3-8376-1748-1
Robert Schäfer Tourismus und Authentizität Zur gesellschaftlichen Organisation von Außeralltäglichkeit Dezember 2014, 288 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2744-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de