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German Pages 276 Year 2016
Robert Krajnik Vom Theater zum Cyberspace
Pädagogik
Robert Krajnik (Dr. phil.), geb. 1973, studierte Pädagogik, Psychologie und Theaterwissenschaft. Er forscht aus anthropologischer Perspektive zur Theatralität des Lebens und den in diesem Kontext wirkenden körperlichen, sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen. Die Konsequenzen der digitalen Gesellschaftstransformation, verstanden als Aspekt einer Inszenierung, sind zentraler Bestandteil seiner Arbeit. Hierzu promovierte er an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Robert Krajnik
Vom Theater zum Cyberspace Körperinszenierungen zwischen Selbst und Algorithmus
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2015 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
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Inhalt
Einleitung | 9
Erziehungswissenschaftliches Interesse | 11 Inhaltliche Gliederung | 16
1. Alles Theater – Dionysos im Binärcode | 21
Versuch einer Theateranthropologie | 23 Das Pendel zwischen Selbst und Anderem | 29 Theater der Präsenz innerhalb der Struktur der Repräsentation | 33 Der Körper als Zeichen | 39 Vom Körper zum Ritus zum Theater – über den Mythos zur Ordnung | 47 Körper im Ritus | 49 Antikes Theater als Bedeutungsort | 52 Cyberspace als digitales Theater | 57
2. Der Körper im Diskurs – der Körper als Bezug zur Gesellschaft | 71
Körper als Schauplatz der Postmoderne und Ort der Diskurse | 72 Der Körper als materielle Basis der Subjektkonstitution | 76 Körper als diskursive Verformung – Begegnung und Beziehung | 81 Hinter den Kulissen der Selbstinszenierung | 86 Der Körper in Foucaults Matrix der Macht | 89 Körper als Formungsmaterial auf Grundlage sprachlicher Signifikation | 92 Körperlenkung über Schmerz und Lust | 97 Cyberspace und Macht | 103 Von der Biopolitik zur Psychopolitik | 107 Arbeit als Körperfeld der Disziplin, Kontrolle und Steuerung | 110
Sexualität als biopolitisches Machtmittel | 119 Körper als Signifikant sozialer Ordnung | 127
3. Der Körper als Erscheinung in der Welt | 135
Wahrnehmungsphilosophische Annäherungen | 136 Beziehungen zwischen Körper und Geist | 137 Descartes und die Maschine | 138 Theoretische Folgen cartesianischen Denkens | 144 Phänomenologie als Wendung zum Körper | 151 Intentionalität | 152 Husserl und die Wahrnehmung | 154 Merleau-Ponty und der Leib | 160 Der Blick als Grundlage der Repräsentation | 163 Körper und Bewegung | 165 Konsequenzen für die Bedeutungsprozesse | 168 Die an das Fleisch geheftete Repräsentation | 174
4. Der Körper als Teil der technischen Expansion | 177
Der Körper im Übergang zum virtuellen Raum | 184 Der Blick als Folge installierter Affektketten | 190 Das überblähte, aber eingeschlossene Auge in der Virtuellen Realität | 193 Der zum Datensatz optimierte Körper | 200 Digitale Ästhetik als designter Imperativ | 208
5. Cyberspace – Theater aus der Maschine | 211
Das Unbewusste und die Apparate | 216
6. Die zwei Arten des Posthumanismus | 221 Posthumanismus auf Grundlage des Geistes | 221 Posthumanismus auf Grundlage der Körper | 223 Die Akteur-Netzwerk-Theorie als sozial-phänomenale Materialität | 226
7. Erziehungswissenschaftliche Konsequenzen | 231
Bildung am Schmelz von Körper und Maschine | 233 Die Bildung als Sujet in Habitaten | 238
Die Beharrlichkeit des Subjekts | 241 Medienpädagogische Tragweite digitaler Selbstinszenierung | 245
8. Schlussüberlegungen | 249
Literatur- und Quellenverzeichnis | 261
Internetquellen | 269
Zusammenfassung | 271
Einleitung
Gegenstand der vorliegenden Abhandlung sind die am Körper orientierten medialen Selbstinszenierungsprozesse im Cyberspace auf Grundlage unterstellter anthropologischer Theatralität menschlicher Existenz. Theatralität, Anthropologie und Cyberspace erzeugen eine Ebene, die bereits auf komplexe Verhältnisse von Körper und Körperlichkeit deuten. Dabei drängt sich aus meiner Sicht der verbindende Verweis zur Anthropologie und Medialität auf, der die Entwicklung und Verwendung der Kollektivsingulare Sprache und Kultur beinhaltet, welche Zeugnis eines Vermögens sind, das im Gegenstand überdauernde und durch Ereignisse transitorische Inszenierungstechniken, -medien, und -praktiken erzeugt. Das Theater des Alltags, also die angewandte Dimension eines in unterschiedlichen Praktiken der Performativität aufgehenden Verhaltens, das in die Inszenierung eines konstruierten Selbst mündet, ist daher als ein elementarer Aspekt einer grundsätzlichen Bedingung der Bewältigung des Lebens in seinen facettenreichen Variablen zu verstehen. Daraus entwickelt sich eine je eigene, an der Körperlichkeit orientierte Materialität. Dies möchte ich vor allem für jenen Fall weiter bedenken, dass die Potentialität der digitalen Dimension im Cyberspace die Möglichkeiten einer Selbstinszenierung ins scheinbar Körperlose erweitert sieht. Mit diesen Ausführungen ist der zu behandelnde Kern der Dissertation bereits in groben Zügen umrissen, es ist der Frage nachzugehen, wie und unter welchen Bedingungen der Körper als medialer Ausgangspunkt im Theater des Lebens und des Cyberspace zur Geltung kommt. Es werden hierbei, neben dem Körper, die jeweiligen medialen Bedingungen des Theaters und des Cyberspace zu untersuchen sein. Jedoch wird es im Bezug auf das Theater eine Differenzierung hinsichtlich der Kunstform und dem anthropologisch unterstellten Alltagstheater geben müssen, wobei ich in dem zu behandelnden Kontext der Kunstform Theater nur periphere Bedeutung zukommen lassen möchte. Der Cyberspace ist dabei eine Sphäre, die, von technischen Bedingungen begründet, symbolische Handlungsräume außerhalb subjektiv empfundener Kör-
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perlichkeit für die Motive der Selbstinszenierung zu eröffnen verspricht. Der Begriff Cyberspace selbst wurde zunächst in William Gibsons Roman „Neuromancer“ verwendet. Dort fasst ihn Gibson schon früh als komplex angelegtes Mischfeld einer kommunikativen Räumlichkeit, die sich als Korrespondenz zwischen Mensch und Maschine schiebt: „Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern. […] Eine grafische Wiedergabe von Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen im Nicht-Raum des Verstands, Datencluster und -konstellationen. Wie die zurückweichenden Lichter einer Stadt […]“1
Vieles was heute selbstverständlich ist, also der permanent mögliche Datenaustausch, die komplexe und dauerhafte Vernetzung von Maschinen und Menschen und die daraus hervorgehenden Umwälzungen auf gesellschaftlicher und individueller Ebene, sind dort bereits vorweg gegriffen. Cyberspace ist daher als Oberbegriff eines technologisch computerisierten Komplexes verstanden, darin ist das Internet als verbindendes Kommunikationselement definiert, das als medialer Weg die Datenströme in Geschwindigkeit und Menge vor dem Hintergrund unterschiedlichster Interessen und Motive garantiert. Im Verlauf dieser Arbeit verwende ich daher den Cyberspace als Oberbegriff für die digitale Technisierung der Lebenswelten, worin als ein wirkmächtiger Aspekt das Internet als niemals geschlossene Bühne der unterstellten anthropologischen Selbstinszenierung enthalten liegt. Verhältnisse und Bedingungen dieses Kontextes sind bestimmt von Differenz, Ähnlichkeit und Wiederholung. Termini, die Medientheorie und postmoderne Philosophie aus meiner Sicht wesentlich beeinflusst haben und bestimmen. Meine methodische Vorgehensweise orientiert sich daher in der Zusammenführung theateranthropologischer und -wissenschaftlicher, philosophischer, phänomenologischer und medientheoretischer Texte, die ich in einer schrittweisen Verknüpfung den Effekten der Selbstinszenierungen im Cyberspace anlege. Gerade diese breite Grundlegung, die die Körperlichkeit als Ausgangspunkt jedweder Persönlichkeitsbildung und Identität mitdenkt, bildet meinen Anknüpfungspunkt für damit in Verbindung stehende bildungstheoretische Überlegungen. Mit der an der Körperlichkeit orientierten Formung von individuellen und gesellschaftlich beeinflussten oder gesteuerten Selbstinszenierungen deute ich auf für die Erziehungswissenschaft relevante Wirkungsfelder hin.
1
Gibson, William: Die Neuromancer-Trilogie. München, 2009, S. 70. f.
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E RZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHES I NTERESSE Im Zuge der Digitalisierung finden Körperumformungen und -darstellungen im Kontext einer neu gestalteten und übereinander gelagerten Wirklichkeit statt. Dies schließt auch die Interessen der Erziehungswissenschaft ein, die es mit den Konsequenzen der im Wandel begriffenen Körper- und Gesellschaftstransformation auf der konkreten Handlungsebene zu tun bekommt. Selbst die vermeintlichen Grundkoordinaten des Lebens, „[…] Geburt und Sterben sind längst durchzogen von technischen Eingriffen, so daß die Rede von der Natürlichkeit unserer Existenz zunehmend rätselhaft wird.“2 Die Interpretation von Natur und Körper ist demnach geöffnet und definiert sich nicht klar, sondern agiert an Grenzgebieten, die einen erkenntnisbezogenen Verschluss auf hinsichtlich individuellen und gesellschaftlichen Sinnerlebens erzeugen. Die einzelnen Bereiche der Erziehungswissenschaft sind direkt berührt von den aktuellen Dimensionen gesellschaftlicher Umformung, die als Folge digitaler und technologischer Expansion in und um den Körper zu verstehen ist. Mein Anspruch im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es daher, eine grundlegende Orientierungsfläche anzubieten, die den Körper als Ausgangspunkt von individuellen, biographischen, kollektiven, historischen sowie gesellschaftlichen Umformungen als genuine Bildungsdimension betrachtet, die momentan mit einer grundlegenden Transformation gesellschaftlicher, körperlicher und psychologischer Bedingungen umgehen muss. Diese Umwälzungen möchte ich am sich durch die Digitalisierung wandelnden und gewandelten Phänomen der Selbstinszenierung darstellen. Die mediale Selbstinszenierung ist dabei Teil der Subjektkonstitution, exakt an diesem Punkt ist, fernab von theater- oder medienästhetischer Anschauung, die Erziehungswissenschaft aus ihrem Selbstverständnis heraus dazu aufgefordert, die weitreichenden Entwicklungen der Digitalisierung in ihr Denken aufzunehmen. Dies impliziert, dass sich medienpädagogische Auseinandersetzung jenen Dingen zuwendet, die sich um den Körper herum als Medium darstellen, also jenen Elementen, die die Funktion kommunikativer Vermittlung von Inhalten übernehmen. Dieter Sinhart-Pallin sieht den zentralen Gegenstand der Medienpädagogik in den Instrumenten, die die Zeichen und Symbole übermitteln. „Eigentlicher Gegenstand sind die Instrumente bzw. technischen Geräte (hardware), mit deren Hilfe eine Information in bildhafter oder/und symbolischer Form gespeichert und
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Meyer-Drawe, Käte: Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. München, 1996, S. 14.
12 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE übermittelt bzw. in Programmen (software) verarbeitet werden soll. Man kann sie einteilen in auditive […], visuelle […] und informationsverarbeitende Maschinen.“3
Die mediale Selbstinszenierung vollzieht sich sinngemäß im Kontakt, also der materiellen Begegnung mit oder Aneignung der Maschinen. Wenn diese Annäherung von Maschine und Mensch auf der Ebene der Selbstkonstitution die Masse der Konsumenten erreicht, der Mediengebrauch selbstverständlich wird, „[…] tragen sie zum Zusammenhalt und zur Vergesellschaftung der Menschen wesentlich bei.“4 Die Schwelle vom Selbstbezug zum Schritt in die Gesellschaft wird medial beeinflusst, der Umgang und die Begegnung, also das Verhältnis der Materialitäten von Körper und Medium sind aus meiner Sicht in einer ständigen Wechselseitigkeit zu begreifen. Mein Anliegen ist daher nicht, eine weitere Abhandlung über Möglichkeiten ästhetischer Bildung aus dem medialen Kontext auszuarbeiten, vielmehr möchte ich mithilfe theaterwissenschaftlicher Theorien, poststrukturalistischer Diskurstheorien und wahrnehmungsphilosophischer sowie phänomenologischer Denkansätze den Körper in seiner Zeichenhaftigkeit als Zentrum der Kommunikation und Bedeutung für Individuum, Gesellschaft und Sprache aus dem jeweiligen Blickwinkel in seiner Wandlung beschreiben. Damit lege ich ein breites Feld der Subjektkonstitution an, über welches sich die Erziehungswissenschaft nicht nur aus medienpädagogischer Sicht im Sinne eines an aktuellen Entwicklungen orientierten grundsätzlichen Umfangs erweitern kann. Denn der Hauptgegenstand jeglicher Erziehungswissenschaft ist und bleibt der Mensch, der selbst zwangsläufig an seinen Körper und dessen wahrgenommene Konstitution und Inszenierung gebunden ist. Um den jeweils in den Kapiteln diskutierten Theoriebereichen ihre argumentative Tiefe und Eigenständigkeit zu lassen, werde ich in den jeweiligen Kapiteln weitestgehend die erziehungswissenschaftliche Bedeutung und Tragweite nur andeuten. Die erziehungswissenschaftliche Verarbeitung werde ich im Anschluss unter „Erziehungswissenschaftliche Konsequenzen“ herstellen, um darin den Bildungsdiskurs im Kontext der Selbstinszenierung unter dem Eindruck der phänomenologischen Verbindung der Körper und der Apparate aufzubereiten. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive gilt es generell, den Menschen als ein in Umwelten und Sozialitäten befindliches, offenes und entwicklungsfähiges Lebewesen zu betrachten. Im speziellen medienpädagogischen Kontext ist
3
Sinhart-Pallin, Dieter: Medienpädagogik. In: Bernhard, Armin und Rothermel, Lutz: Handbuch Kritische Pädagogik. Weinheim und Basel, 1997, S. 386.
4
Ebd.
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dieser entwicklungsfähigen Offenheit insofern nachzugehen, als dass die Effekte zu begreifen sind, unter welchen Einflüssen der Mensch sich in Verbindung mit digitalisierter Computertechnik verändert. Stefan Aufenanger argumentiert dahingehend, „[…] wie wir diese Entwicklungen sehen und beurteilen. Dabei sollte die erwähnte Offenheit des Menschen eine Leitlinie sein […]“.5 Daher sind die unterschiedlichen Perspektiven, den Menschen in seinen medialen, gesellschaftlichen, körperlichen wie subjektiven Verknüpfungen zu beurteilen und zu berücksichtigen, relevant. Aufenanger plädiert demgemäß für eine transdisziplinäre Herangehensweise der Medienpädagogik: „Zum anderen muss die Medienpädagogik sich verstärkt in einen transdisziplinären Diskurs einbringen, der philosophische Überlegungen und empirische Studien berücksichtigt. Nur in diesem Wechselverhältnis von Theorie und Empirie können wir kritisch verfolgen, ob die Medienentwicklungen uns an die Grenzen des Menschseins – was immer dies auch sei – bringen.“6
Die vorliegende Arbeit geht darum von einem breit angelegten theoretischen Rahmen aus, um nachverfolgen zu können, wie sich die Selbstinszenierung in Bezug auf ihre Körperlichkeit im Kontext einer sich wandelnden Medialität verändert. Zentraler Aspekt dieser Arbeit ist der Körper in seinen Bedeutungen für die eigene Subjektivität, Objektivität und Sozialität. Der Körper ist dabei als erster Bezugspunkt einer Räumlichkeit im Raum zu verstehen, der daraus einen Ort der Bedeutung kontrastiert, den wir im Sinne eines multidimensional gestalteten Selbst als „Hier“ und „Jetzt“ begreifen. Der Körper dient dabei als ein Orientierungs- und Verwertungspunkt eines Selbst und eines Anderen. Die digitale Sphäre des Cyberspace, also jener Welt der Displays und der binärlogisch-algorithmischen Taktung innerhalb der Maschine, eröffnet einen virtuell und symbolisch aufgeladenen Zusatzraum, der den Körper darstellt und mit dem Körper in Verbindung steht. Gerade in der Verschmelzung des Körpers mit der Maschine liegt nicht nur ein Phantasma, sondern ein konkreter Gegenstand und Bezugsrahmen von Wirklichkeit. Die bildungsrelevante Dimension berührt deshalb unbedingt die auf die technische Weise erzeugte Mehrdimensionalität von Raum und Körper. Auf die Grundsätzlichkeit von Raum und Körper, verstanden als er-
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Aufenanger, Stefan: Invasion aus unserer Mitte. In: medien praktisch. Zeitschrift für Medienpädagogik. Heft 4/2001. Frankfurt am Main, 2001, S. 10.
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ziehungswissenschaftliche Relevanz, weist Kristin Westphal hin, wenn sie feststellt: „Dieses Verständnis eines differenzierten Handlungsraumes führt im Kontext der Pädagogik aus einem engen Verständnis von primär kognitiv bestimmten Handeln oder ‚Verhalten‘ hinaus. Denken an leibliches Tun anzubinden ermöglicht Sinnlichkeiten in eine Sprache des Raumes zu überführen, die einen Reichtum an Raumqualitäten und den Lernenden eine Vielzahl an Horizonten eröffnet – jenseits kognitiver Verengungen.“7
Körperliche Räumlichkeit als genuiner Innenraum materialer Subjektgewissheit ist für jegliche Selbstkonstitution als Orientierungsquelle heranzuziehen. Dabei greifen die Prozesse der Selbstinszenierung mit den Konsequenzen der digitalisierten Gesellschaftsumformung ineinander. Der innere Körperraum wird im äußeren, als zusätzlicher Konstitutionsraum verstanden, abgeglichen. Die körperlichen Selbstinszenierungen pendeln im Raum des Cyberspace zwischen virtuellen und realen Räumen. Zum Verständnis des virtuellen Raumes hat Vilém Flusser diesen als „[…] Noch-nicht-Raum, in welchem Noch-nicht-Wirklichkeiten ihre Noch-nicht-Zeit verbringen […]“8 definiert. Der Cyberspace, der die in ihm enthaltenen Bildflächen im virtuellen Raum des Digitalen aufbewahrt, agiert demnach mit Unfertigkeiten, die Unbestimmtheiten in Wahrnehmung und Wirklichkeit hervorrufen. Der Reiz des Virtuellen besteht darin, den Körper in eine scheinbare leichte bis schwerelose Materialität übersetzten zu können. Dies geschieht in erster Linie über die massenhafte Produktion von auf Monitoren produzierten Bildflächen, daraus ergibt sich, nach Paul Virilio, ein Verlust „[…] der physischen Präsenz zugunsten einer immateriellen bzw. Scheinpräsenz.“9 Trotz oder gerade weil eine immaterielle Scheinpräsenz als Erlösungsraum im Virtuellen des Cyberspace als Option möglich erscheint, werden im Prozess der virtuell angelegten Selbstinszenierung in der Selbstkonstitution Wirksamkeiten des Realen erzeugt, indem das Virtuelle über Affektsetzungen auf der Verhaltensebene wirksam wird. Die Effekte des Phantastischen im Virtuellen ergreifen
7
Westphal, Kristin: Erschließungen und Verortungen. In: Westphal, Kristin (Hrsg.), Orte des Lernens. Beiträge zu einer Pädagogik des Raumes. Weinheim und München, 2007, S. 9. f.
8
Flusser, Vilém: Räume. In: Dünne, Jörg und Günzel, Stephan (Hrsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main, 2006, S. 277.
9
Virilio, Paul: Cyberwelt, die wissentlich schlimmste Politik. Ein Gespräch mit Philippe Petit. Berlin, 2010, S. 50.
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das Reale im Körperlichen, Psychologischen und Sozialen. Gerade aus diesem, die menschliche Existenz ergreifenden, Potential ist die mediale Selbstinszenierung im Cyberspace von Interesse für die Erziehungswissenschaften, da inzwischen nahezu alle Lebensbereiche und Lebensphasen vom Digitalen beeinflusst sind und Bildungsprozesse nicht nur davon begleitet, sondern inzwischen davon angeleitet (z. B. durch algorithmisierte Automatismen in der Kommunikation) sind. Arnd-Michael Nohl und Christoph Wulf verweisen dabei auf den performativen Charakter der Körperlichkeit, die gerade im Hinblick auf die medialen Umwälzungen mit den digitalisierten Umgebungen und den darin verankerten Dingen zum Vorschein kommt. Die Körperlichkeit in ihrer Materialität ist als wesentlicher Faktor von Pädagogik und der Inszenierung eines Selbst zu würdigen, gerade wenn den Erziehungs- und Bildungsprozessen im Kontext einer sozialen und kulturellen Prägung dadurch eine phänomenologische Dimension zugestanden wird. In diesem Zusammenhang stellen sie fest, dass Erziehung und Bildung sich an der hohen Bedeutung von nichtsprachlichen, also körperlichdinghaften Faktoren von materialisierender Wirklichkeitskonstruktion orientieren muss.10 Aus phänomenologischer Perspektive sind in dieser Denkfigur nicht minder enthalten die Spur und das Spüren: enggeführt die Ausgangs- und Ankunftspunkte nicht nur des Körperdenkens, auch der Körpererfahrung. Der Raum, in welchem diese ausgreift hat viele Dimensionen, die Anthropologie ist eine grundsätzliche und gleichsam offene Dimension, die eine prinzipielle Inszenierung menschlicher Existenz aufgreift. Kristin Westphal betrachtet diese um das Phänomenologische erweiterte Perspektive als stabile und wiederkehrende Dimension im medialen Umgang. Dieser Umstand verweist ihrerseits auf eine besondere Berücksichtigung seitens der Erziehungswissenschaft: „Eine phänomenologische pädagogisch-anthropologische Theorie der medialen Erfahrung und Bildung hat – mit Blick auf weitere Forschung – ihre Relevanz in den Paradigmen wie Umlernen, Fremdheit, der Verschränktheit von Künstlichkeit und Natürlichkeit, Ferne und Nähe, reflexive Leiblichkeit und Responsivität. Sie kann aus diesem Blickwinkel den Me-
10 Vgl. Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph: Die Materialität pädagogischer Prozesse zwischen Mensch und Ding. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 3. f.
16 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE diendiskurs in der Erziehungswissenschaft bereichern, indem sie Fragen der medialen Erfahrung und Bildung bearbeitet, die andere Theorien nicht berücksichtigen.“11
Dies gilt, wie betont, im Umgang mit medialen Bildkonzepten im Allgemeinen und im Virtuellen des Cyberspace im Besonderen. Daher ergibt sich eine Kategorisierung der Selbstinszenierung, die ich als argumentativen Faden entlang der materialen Körperlichkeit entwickeln möchte.
I NHALTLICHE G LIEDERUNG Im ersten Teil der Untersuchung (1.) möchte ich auf die performativ theatralen Prozesse der körperlichen Selbstinszenierung eingehen, die sich aus der anthropologisch unterstellten Notwendigkeit eines Zeigens und Sehens als Ich und Anderer ergeben. Dabei werde ich darauf eingehen müssen, wie der Prozess des Ausdrucks kommunikativer Darstellungen als Selbstgewissheiten sozialen Anschluss oder Ausschluss erzeugen. Meine theoretischen Grundlagen beziehen in diesem Teil zunächst zentral die Überlegungen von Goffman ein, der die Prozessualität innerer und äußerer Rahmenbedingungen, die zu identitätsstiftenden Rollenstabilitäten führen, herausgearbeitet hat. Allerdings möchte ich im weiteren Schritt darauf hinweisen, dass diese Prozessualität einer Konzeption von Rollen stark mit der inneren Auseinandersetzung eines Selbst als Selbst und eines Selbst als Anderer zu tun hat, also der Punkt, wo das eigene Subjekt zum Objekt der Reflexion wird. An diesem Punkt der Introspektion werde ich mit Schechner und Turner die anthropologische Seite theatraler Handlungen der Selbstinszenierung aufschlüsseln. Aus der Argumentation für eine Grundsätzlichkeit theatraler Inszenierungen des Lebens begründe ich dies inhaltlich dahingehend weiter, indem ich das Gefüge aufzeigen möchte, innerhalb dessen der Körper als Zeichen konstituiert wird. Dabei werde ich mich in meiner Annäherung in das Spannungsfeld von Repräsentation und Präsenz begeben. Entscheidend an dieser inhaltlichen Auseinandersetzung wird sein, dass eine Grundlage geschaffen wird über die der Körper als Zeichen verstanden werden kann. Dies werde ich anhand der Auseinandersetzung mit Artaud und seinem „Theater der Grausamkeit“, Fischer-Lichte und ihrem Verständnis von Performativität sowie der Ergänzung mit Victor Turners „sozialem Drama“ vollziehen. Dass diese Prozesse als weitläufige Wirkung
11 Westphal, Kristin: Mediale Erfahrungen: Stimmen aus dem OFF hören. In: In: Jörissen, Benjamin und Meyer, Torsten (Hrsg.): Subjekt Medium Bildung. Medienbildung und Gesellschaft. Wiesbaden, 2015, S. 135.
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innerhalb der Selbst- und Fremdkonstitution ablaufen, werde ich in der Zusammenführung von Foucaults „Technologien des Selbst“ und Deleuzes Gefügebegriff vertiefen. Insgesamt werden die bis dahin unternommenen Überlegungen unterfüttert, indem ich anschließend exemplarisch die Prozesse der Signifizierung des Körpers im Prozess der Selbstinszenierung im Rahmen der von van Gennep ausgearbeiteten Bedeutungen des Körpers im Ritus nachzeichne. Wie aus einer religiös motivierten Ritualität eine für die die Gesellschaft relevante und gleichsam institutionalisierte Bedeutung eines organisierten Theaters hervorgeht, werde ich im historisch-theaterwissenschaftlichen Zusammenhang aufzeigen. Diese grundlegenden Überlegungen zur theatral-performativen Prozessualität der Selbstinszenierung mit Hilfe des als Zeichen verwendeten Körpers, werde ich auf die Bedingungen des Cyberspace übertragen und die Parallelen von Ritualität, Performativität, Repräsentation und Mythos in der digitalen Sphäre des Cyberspace beleuchten. Insgesamt bilden die bis dahin diskutierten Inhalte die Grundlage einer Überführung der körperlichen Selbstinszenierung in gesellschaftliche Diskurse, die sich aus der Gegenüberstellung eines konstruierten Selbst im Verhältnis zur Gesellschaft und ihren Bedingungen ergeben. Daher werde ich im Weiteren die um den Begriff der Kontingenz kreisenden Bedingungen postmoderner Diskurse (ab 2.) in den Vordergrund stellen. Hierbei gehe ich der Spur nach, wie aus dem inneren Selbstverhältnis eines aus der Selbstinszenierung hervorgehenden Subjektes, die Kontur eines Machtverhältnissen und -bedingungen ausgelieferten Objektes geschaffen wird. Die den Körper als Zeichen verstehenden Mechanismen der Repräsentation werde ich in Anlehnung an Foucault weiter ausbauen. Diese Mechanismen möchte ich mit Judith Butler und Jacques Derrida auf die Funktion von Sprache übertragen, um damit die Materialität von sprachlichen Prozessen zu bestätigen. Dies ist relevant, da ich darin der Materialität von Zeichen im Übergang von Körper zu Sprache nachspüre. Den Übertrag auf die Bedingungen des Cyberspace werde ich während dieser Kapitel permanent herstellen, gerade wenn ich diskutiere, wie sich die am Körper orientierte Selbstinszenierung in einer verdichteten, überlagerten Bild- und Sprachlichkeit darstellt. Den Begriff der Biopolitik, der als Ausdruck von Kontrolle, Disziplin und Steuerung von Körpern verwendet wird, möchte ich anhand der Identität stiftenden Felder der Arbeit und Sexualität in seiner Anwendung darlegen. Dabei stelle ich die an der Körperlichkeit orientierte Machtstruktur dar, und vor allem, wie sich diese im Cyberspace weitergehend verdichtet. Den Körper als Formungsgegenstand materieller, technologischer und machtmotivierter Bedingungen fasse ich als Signifikant sozialer Ordnung zusammen.
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In der anschließenden Vertiefung in Richtung der Phänomenalität des Körpers werde ich den Körper als Erscheinung in der Welt (ab 3.) beschreiben, um davon ausgehend die wahrnehmungsphilosophischen Überlegungen von Descartes als Abgrenzung zur Phänomenologie formulieren zu können. Darin werde ich die Grundlagen der Phänomenologie mit Husserl und Merleau-Ponty beschreiben müssen, um ein grundlegendes Verständnis herstellen zu können, wie und warum sich die Technik fast selbstverständlich um den Körper schmiegen kann. Dies werde ich gerade in den weiteren Ausführungen präzisieren, wenn mit Hilfe der Vertiefung der Phänomenologie deutlich wird, dass die Technik in ihrer Potentialität der Miniaturisierung und Digitalisierung um den Körper herum eine neue Schrift- und Sprachlichkeit etabliert, die das körperlich-materiale Selbstverständnis der Menschen gravierend beeinflusst. Die Dynamik von Blick, Körper und daraus entstehender Sprache und Schrift werde ich unter Berücksichtung von Derrida nachverfolgen. In diesem Abschnitt werde ich allerdings auch dahingehend argumentieren, dass die Repräsentation als beharrliche Konstruktion in die Prozesse der Selbstinszenierung auf der materiellen Ebene eingreift. Wie der Körper in Verbindung mit der Technik insgesamt in ein neues symbiotisches Ökosystem übergeht, werde ich auf Grundlage der festgestellten phänomenologischen Erkenntnisse beschreiben (ab 4.) Die Folgen der Schaffung eines virtuellen Raumes, werde ich in diesem Abschnitt einerseits als Überbetonung der Visualität beschreiben. Andererseits möchte ich hierin auch auf die Verschiebung des Körpers zum Datensatz, verstanden als kalkulierbaren Rechenprozess (z.B. Quantified Self), hinweisen. Insgesamt schließt dies die Beschreibung einer neu konzipierten Ästhetik, die auf kalkulierenden Computerprozessen beruht, ein. Dass der Cyberspace den Repräsentationsmechanismen des Theaters im Sinne einer stabilen Struktur von Macht in Verbindung mit Technik unterliegt, werde ich anhand der Rolle des Körpers als Darstellung im Bild und den Verschränkungen des Körpers mit digital algorithmisierten Dingen (digitalbasierte Artefakte, die zu Biofakten werden) begründen (ab 5.) Wie daraus insgesamt nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der unbewussten Ebene eine Verschmelzung mit digitalen Apparaten stattfindet, deutet auf eine umfassende Umformung menschlicher Existenz hin. Wie sich die Idee einer subjektbasierten Selbstinszenierung halten lässt, werde ich an diesem Übergang diskutieren. Auf Grund der gravierenden Veränderungen, die sich aus einer technisierten Umgebung auf die eigene Körperlichkeit ergeben, werde ich den Begriff des Posthumanismus aus zwei Perspektiven beleuchten. Einerseits als Idee, den Geist, dank technischer Unterstützung, vom Körper zu entkoppeln (ab 6.), andererseits als Konzept einer materiellen Verschränkung des Körpers mit den Din-
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gen. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie werde ich eine mögliche theoretische Rahmung einführen, anhand derer sich ein erziehungswissenschaftlicher Umgang mit den durch die digitale Umwälzung in Gang gebrachten Verschiebungen auf der Ebene der körperlichen Selbstinszenierungen anbietet. Die für die Erziehungswissenschaft möglichen Konsequenzen all dieser materiellen und medialen Veränderungsprozesse werde ich vor allem dahingehend abschließend diskutieren, wie innerhalb dieses dynamischen Gefüges mit einem sich wandelnden Subjektbegriff umgegangen werden kann (ab 7.) Zusammenfassend lässt sich das Interesse für die vorliegende Arbeit dahingehend formulieren: Wie gestaltet sich die anthropologisch unterstellte, theatral gestützte Selbstinszenierung des Körpers im Zuge einer digital veränderten technischen Umgebung, die gleichsam geprägt ist von der Verschmelzung des Körpers mit den Dingen?
1. Alles Theater – Dionysos im Binärcode
Versteht man das Theater als anthropologischen Akt die psychosoziale und soziokulturelle Existenz des Lebens in einer Struktur sozialer Interaktion zu verankern, erscheint es nachvollziehbar Theater weiter als bloß unter dem Aspekt der Kunst zu betrachten. Im Fokus steht daher zunächst die Funktion und Materialität des Körpers im Theater des Lebens, also die anthropologische Dimension inszenatorischer Vorgänge sozialer Interaktion und Kommunikation. Dies sind zweifelsfrei Prozesse, die auch unabhängig von einer Theaterbühne ablaufen und als Alltagsaufführung zu verstehen sind. Wie und unter welchen Bedingungen diese Bühne des Lebenstheaters, im Cyberspace als seine technische Erweiterung verstanden, zur Anwendung gelangt, möchte ich beleuchten, indem die Grundsätzlichkeit theatraler Bedingungen und Entwicklungen des Lebens einbezogen und gedacht werden. Von diesem Ausgangpunkt herausdenkend entfalte ich eine Entwicklungslinie, aus der hervorgeht, wie sich aus einer Theatralität des Lebens eine Zweckinszenierung im Ritus über eine daran gebundene Narration als zusätzliche Dimension von Theatralität aufspannt. Von der Entwicklung des Ritus ausgehend markiere ich im Folgenden die Bedeutungsebene des Theaters als Repräsentationsort von Mythos und Gesellschaft anhand der Tragödienentwicklung in der Antike. Hierbei wird der Spur nachgegangen, wie sich der Körper in seinen Inszenierungsebnen von sich aus, übergehend zum Ritus bis auf die als Kunstform produzierte Theaterbühne, im Sinne einer gesellschaftlichen Repräsentation, hin verschiebt. Der Begriff der Repräsentation ist im Zusammenhang mit Theater ein zentraler Begriff, daneben wird er auch grundsätzlich eine wiederkehrende Rolle im Rahmen dieser Arbeit einnehmen. Daher möchte ich mich der treffenden Zusammenfassung der unterschiedlichen Bedeutungsebenen dieses Begriffes von Martin Schulz anschließen, für den die Repräsentation drei Merkmale und zugleich drei Geltungsräume umschließt.
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Repräsentation als Bedeutung von Vorstellung, als psychologischer Effekt einer Vergegenwärtigung mentaler Bilder. Repräsentation als Darstellung von etwas, das in Korrelation zur Vorstellung zu verstehen ist. Darin ist materialisierte, codierte und symbolische Referenz im Sinne einer Bedeutung von oder für etwas enthalten. Hiermit ist unbedingt die Zeichenhaftigkeit von Sprache, Schrift und Bildern im medialen Gebrauch gemeint. Repräsentation als juristische Funktion, die sich aus der Stellvertretung ontologischer, absolutistischer und demokratischer Auffassung ergibt.1 Die Repräsentation unter Punkt zwei betrachte ich für die Ebene eines inszenierten Selbst als zentralen Punkt. Denn hier wird über die Verknüpfung von Vorstellung und Handlung eine Bedeutung auf der direkten kommunikativen Ebene der Begegnung vollzogen. Die Punkte eins und drei werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit ebenso zu Geltung kommen, dies gilt insbesondere für den Bereich der Wahrnehmungsphilosophie. Daher ist das Theater, verstanden als Prinzip menschlicher Anschauung von sich selbst und einem Gegenüber, gerade nur dann wirksam, wenn es über die Repräsentation als Sinngefüge mit Bedeutungsräumen ausgefüllt wird. Dies ist als ein wirksames Element der Selbstinszenierung zunächst generell unterstellt. Wie hartnäckig sich die Repräsentationen nach wie vor im Sinne eines Bedeutungsregimes trotz oder auf Grund der technologischen Entwicklungen behaupten, werde ich im Prozess der körperlichen Inszenierung eines Selbst im Verlauf der gesamten Arbeit nachzeichnen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Begriff des Mythos klären, denn Mythos und Repräsentation wirken auf der Bedeutungsebene ineinander und konstituieren narrative Setzungen in Sinnräumen, innerhalb derer die körperlich-materielle Selbstinszenierung stattfindet. Die Wirkung von Mythen denke ich dabei als generelles Prinzip, das vom Theater bis hin zum Cyberspace übertragbar ist. Zur Erläuterung des Begriffes greife ich auf Gunter Gebauers Anschauung zurück. Für ihn sind die Mythen deshalb so wirkungsvoll, da über die Erinnerung der erzählte Inhalt als gültige soziale Bedeutung in die Zukunft projiziert wird. „Die Perspektive der mythischen Erzählung ist die des nichtwissenden Erzählers. Sein Nichtwissen bezieht sich auf die Zukunft: Er berichtet über alles, was in der jeweiligen Gegenwart geschieht, aber weiß nichts über die Zukunft. Wiedererinnerung in der mythi-
1
Vgl. Schulz, Martin: Körper sehen – Körper haben. Fragen der bildlichen Repräsentation. Eine Einleitung. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 2. f.
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schen Erzählung ist Anamnesis der Zukunft. Sie springt von Bild zu Bild vorwärts und weiß nicht, was das nächste Bild ist. In einer futuristischen Perspektive selegiert die mythische Erzählung, was in der Zukunft von der Aktualität bleiben wird. Die Gegenwart wird als Vorzeitigkeit der Zukunft aufgefaßt; grammatisch drückt sich diese Einstellung im Futur II aus.“2
Am Beispiel des antiken Theaters sind die Mythen als wanderndes Bedeutungsarrangement zu verstehen, dieses Wandern werde ich bis in den Cyberspace nachverfolgen. In Abgrenzung zu Repräsentation und Mythos werde ich im Verlauf auf das entstehende Spannungsfeld mit der Präsenz eingehen, um zu diskutieren, ob es einen repräsentationsfreien Raum im Kontext körperlicher Inszenierung geben kann. Insgesamt werde ich den Körper zu entschlüsseln versuchen, wie dieser den Bewegungen von Zeichen und Bedeutung unterworfen ist. Dies ist insofern notwendig, da ich zu unterstreichen versuche, dass die Repräsentationen unabhängig vom technologisch-medialen Wandel stets als ein Einflussfaktor der Wirklichkeitskonstitution zu berücksichtigen sind. Wie sich die Verschiebung des Körpers anhand der vielfältigen medialen Inszenierungspotentiale im Cyberspace im Spannungsfeld von Präsenz und Repräsentation darstellt, wird in der Übertragung von einem Medium zum anderen (von der Theaterbühne zum Monitor) als grundsätzlich angenommen und folgt in dieser Darstellung insgesamt dem Prozess der Selbstinszenierung.
V ERSUCH EINER T HEATERANTHROPOLOGIE Dass wir alle Theater spielen ist eine Annahme, die Erving Goffman in seinen Beobachtungen und Ausarbeitungen aufgegriffen hat. In unterschiedlichen Situationen und Bedingungen sich selbst zu inszenieren, beschreibt er als grundlegende Verhaltensweise, die im Rahmen sozialer Aktion Orientierung und Sicherheit in den Ungewissheiten des Alltags und des Lebens versprechen soll. Hierbei spielt der Ausdruck der Person in seiner Ganzheit eine elementare Rolle:
2
Gebauer, Günter: Unbeschäftigte Körper. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 199.
24 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE „Die Ausdrucksmöglichkeit des Einzelnen (und damit in seiner Fähigkeit, Eindrücke hervorzurufen) scheint zwei grundlegend verschiedene Arten von Zeichengebung in sich zu schließen: der Ausdruck, den er sich selbst gibt und der Ausdruck, den er ausstrahlt.“3
Dass der Ausdruck des Körpers als Grundlage gegenseitiger Kommunikation in Form von Darstellung, also Inszenierung eines Selbst als Person, abläuft, setzt eine gewisse Wechselseitigkeit von symbolischer Codierung voraus. Goffman benennt in diesem Kontext die Wortsymbole und ihre Substitute als Verknüpfungsgegenstand mit anderen Symbolen (Körper, Mimik und Gestik), die im Wechselspiel als Informationsträger im Sinne der Kommunikation fungieren. Kommunikation umschließt allerdings auch Handlungen, die als Ausgangspunkt gegenseitigen Verständnisses herangezogen werden können. Eine Beurteilung des Verhaltens und der angeschlossenen Handlungen ergibt sich erst aus der sinngemäßen Integration des Verhaltens. Daher ist in gegenseitiger sozialer Interaktion stets die Beurteilung der symbolischen Codierung von Verhalten und Handlung ein Objektivierungsgegenstand, der einen Grad an Sicherheit für die eigene Person ermöglicht.4 Hierbei ist grundlegend zu bedenken, dass jegliche Symbolik und Codierung als Abstraktion körperlicher Phänomene und Wirkungen zu verstehen sind. Auf Basis dieser körperlich-symbolischen Wirkungen beinhaltet für Goffman dieses Alltagstheater der Selbstinszenierung einen Zweck, nämlich die entstehenden Situationen des Alltags und des Lebens soweit wie möglich unter Kontrolle zu bringen. Dieses Bestreben, einen Grad an Berechenbarkeit und Kontrolle zu erlangen, konzipiert sich in der Erstellung einer Dramaturgie. Im Sinne einer Dramaturgie resultiert daraus eine komplexe Ausgestaltung des sozialen wie des kulturellen Lebensraums. In diesem Kontext konstituiert sich eine Rolle, die mit Erwartungen und Handlungsräumen ausgestattet ist und selbst in Augenblicken sozialer wie psychologischer Abweichung Orientierung gewährt. „So spezialisiert und einmalig eine Rolle auch sein mag: von wenigen Ausnahmen abgesehen besitzt die soziale Fassade doch immer die Tendenz, Fakten festzulegen, die ebenso gut für eine andere, von ihr leicht abweichende Rolle beansprucht und behauptet werden können.“5
3
Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München, 1983, S. 6.
4
Vgl. ebd., S. 6-7.
5
Ebd., S. 27.
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Das dahinter liegende Motiv dieser dramaturgischen Konstruktion eines Selbst ist offensichtlich die Schaffung von Identität, die sich als klare Kontur im Sinne einer Gewissheit im sich verändernden Leben zeigen und bewähren soll. Das komplexe Zusammenspiel von äußeren Erwartungen, inneren Rollenkonstruktionen sowie die Struktur einer Gesellschaft lösen das wechselseitige Wirken von Bild und Blick aus. Das Selbst erzeugt ein Bild, das von anderen, also einem Publikum, gesehen und bewertet wird. Auf dieser Grundlage entwickelt sich tagtäglich eine Szene mit unterschiedlichen Momenten und Situationen, die immer wieder aufs Neue einen Abgleich von Erwartungen sowie auf die Rollenkonzeption bezogenen Motiven verlangt. Das identitätsstiftende Selbst wird auf diese Weise zur angelegten Rolle, die funktional als Aspekt eigener Subjektivierung wirkt. Die Art und Weise der Selbstdarstellung hat demnach immer etwas damit zu tun, Sicherheit innerhalb sozialer Interaktionen zu erzeugen. Nach Laux et al. ist die Persönlichkeitsentwicklung grundlegend mit dem Vorgang der Selbstdarstellung zu verknüpfen: „Selbstdarstellung meint damit sowohl die Vermittlung faktischer Selbstbilder, durch die sich eine Person gekennzeichnet sieht, als auch potenzieller Selbstbilder, die eine Person anstrebt oder fürchtet. Faktische und potenzielle Selbstbilder werden zumeist durch konkretes Verhalten in sozialen Interaktionen vermittelt […]“6
Die Selbstdarstellung entfaltet ihre Wirkung auf der Ebene entstehender Sozialität, die sich grundlegend aus der situativen Interaktion heraus definiert. Dabei ist ausschlaggebend, dass das Selbstbild nach außen wie innen bestätigt sein soll. Hierbei soll ein konstruiertes Bild des Selbst, nach außen, im Sinne einer Reaktionskontrolle der Interaktionspartner, sowie ein gewisses Bild des Selbst nach innen, im Sinne einer reflexiven Selbstbestätigung, erzeugt werden.7 Der Selbstdarstellungsprozess ist als eine mehr oder weniger bewusste oder intentionale Verhaltensweise zu verstehen, die sich in den komplexen Lebenssituationen als verhaltensabhängiges Zeigen und Vergewissern einer Identität zeigt. Nach Goffman hängt der Erfolg oder Misserfolg einer Rolle im Sinne der Selbstdarstellung davon ab, ob sie glaubwürdig oder unglaubwürdig wirkt. Trotz
6
Laux, Lothar; Spielhagen, Caroline; Renner, Karl-Heinz: Persönlichkeitseigenschaften als Selbstdarstellungsprodukte. In: Fischer-Lichte, Horn, Umathum Warstat (Hrsg.), Performativität und Ereignis. Tübingen, 2003, S. 245.
7
Vgl. Laux et al., S. 245.
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aller erzeugten Sicherheit ist innerhalb einer Identität dennoch ein erhebliches Maß an nicht greifbaren Eventualitäten enthalten. Diese Eventualitäten hängen unmittelbar mit der Beurteilung seitens des Publikums, also der sozialen Umwelt, zusammen. Die Beurteilung entscheidet darüber, ob der Rolle aus der geschaffenen Szene eine soziale Anschlussfähigkeit zugestanden wird oder nicht. Daher ist auch mit der Konstitution der Rolle eines Selbst noch lange nicht gesichert, dass diese in der wechselnden Dramaturgie einer Szene besteht, es wird der Rolle eine stetige Anpassung abverlangt.8 Der performative Charakter der Selbstdarstellung definiert sich nach Laux et al. darin, dass stets konkrete verbale, non- und paraverbale Verhaltensweisen von Menschen in die Situationen einfließen. Die Qualität eines performativen Aktes der Selbstdarstellung, der in seiner Eigenschaft einzigartig und emergent ist, hängt vom Zusammenspiel dieser verbalen, non- und paraverbalen Elemente ab. Diese Performativität begründet sich in der Bereitschaft des Zeigens sowie in dem gemeinsamen Erleben der Teilnahme an einer Situation. Dabei ist auch immer der mehr oder weniger zu bewältigende Umgang mit der Unfassbarkeit und Nicht-Wiederholbarkeit der Situationen inkludiert.9 Mithilfe der bisherigen Überlegungen möchte ich einen generellen Rahmen schaffen, von dem ausgehend es möglich sein wird, einen tieferen Blick in die Prozesse theatraler Konstruktion des Lebens zu vollziehen. Bis hierher habe ich beschrieben, und dies soll im Weiteren auch bestätigt werden, dass es sich bei den theatral angelegten Verhaltensweisen und Handlungsformen des Menschen um ein weit verzweigtes Kommunikationsprinzip individuellen und gesellschaftlichen Agierens handelt. Dieses Geschehen und Verhalten findet zunächst im Grundsatz unabhängig vom Medium statt. Jedoch ist die Dichte der Kommunikationsprozesse mit der Entwicklung neuer Technologien stets angewachsen, wodurch sich diese prinzipielle Äußerung des Selbst im Sinne der Selbstdarstellung in Art und Weise gewandelt hat. Eine weitergehende Präzisierung dieses Prinzips der lebendigen Theatralität erfolgt im Hinblick auf den Körper, den ich als Ausgangspunkt dieser Prozesse voraus setze. Dabei beziehe ich im Verlauf ein, wie und in welchem Umfang der Körper im Kontext mit seiner Umwelt korrespondiert. Die grundsätzliche Übertragbarkeit theaterspezifischer Aspekte auf das Leben hebt Victor Turner anthropologisch argumentierend hervor, indem er dies wie folgt festhält:
8
Vgl. Goffman, S. 231.
9
Vgl. Laux et al., S. 246.
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„Mittels solcher Kunstformen wie dem Theater – Puppentheater und Schattenspiel, Tanztheater und professionelles Geschichtenerzählen eingeschlossen – werden Darbietungen geboten, die die Schwächen einer Gemeinschaft ergründen, ihre Führer zur Rechenschaft ziehen, ihre heiligsten Werte und Glaubensvorstellungen entweihen, ihre typischen Konflikte darstellen und Lösungen vorschlagen und ganz allgemein ihre aktuelle Situation in der bekannten ‚Welt‘ beurteilen.“10
Weltbeurteilung verweist auch in diesem Gedanken auf ein Kommunikationssystem, in diesem System spielt der Körper eine elementare Rolle, der Körper als solcher wird zu einem Zeichen – einem Symbol. Die Symbolik und die daraus entstehende Zeichenhaftigkeit einer Bezeichnung verweist auf den wandelbaren Einsatz des Körpers im Kontext der Selbstinszenierung. Dieser Kontext schließt dabei unbedingt die Wirkung einer konkreten Körperlichkeit ein, die verbunden ist mit einer Erfahrungsfähigkeit aller Beteiligten eines arrangierten Gefüges, das sich als Lebenstheater darstellt. Daraus ergeben sich Prozesse und stets neue Handlungsoptionen des Selbst. Die weitläufigen Erfahrungswerte individuell erlebter Biographie und kollektiv situierter Historizität ergeben einen performativen Rahmen des Lebens, der insgesamt theatralen Inszenierungsdimensionen folgt. Die Eigenschaften und Beschaffenheiten kollektiv wie individuell erlebter Selbstverortung sind bildungsrelevantes Agieren in verschiedenen Rollen des Alltags und des Lebens selbst. Ulrike Hentschel bezieht aus theaterpädagogischer Sicht Stellung zu dieser ambigen Beschaffenheit des Ichs im Theater, das ohne weiteres auf die Dynamiken des Alltags und ein generell im Leben verortetes Selbst übertragbar ist. „Die Fähigkeit, sich mit einem Teil des Ichs auf das Erleben des Augenblicks einzulassen und gleichzeitig die Erfahrungen des Vorausgegangenen und das Wissen um die zukünftige Entwicklung zu bewahren. […] Theaterspielen stellt also zum einen Anforderungen an ein synthesefähiges Ich, zum anderen fordert es die spielerische Naivität dieses Ichs heraus, beruht auf seiner Offenheit für neue Erfahrungen.“11
Die angedeutete Ambivalenz, bestehend aus verschiedenen Rollen und einem Ich sowie der zeitlichen Dimension von Vergangenheit und Zukunft und der daraus hervorgehenden Wirklichkeit, sind als grundlegende Bewältigungsdimensionen des Lebens zu begreifen und nicht nur auf Spielsituationen beschränkt. Das
10 Turner, Victor: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt, 1989, S. 14. 11 Hentschel, 2000, S. 248.
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„synthesefähige Ich“, ist als eine Kompetenzressource zu begreifen, das einerseits für neue Erfahrungen offen ist, andererseits stets in der Lage sein muss, vergangene oder überstandene Erfahrungen mit neuen Lebenssituationen zu koordinieren. Diese Offenheit und gleichzeitige Abrufbarkeit von Erfahrungs- und Lebenswissen herzustellen, ist bildungsrelevanter Gegenstand einer Subjektkonstitution auf Basis der vollzogenen Selbstinszenierung. Hentschel argumentiert aus theaterpädagogischer Perspektive mit dem Begriff des Spiels, diesen übernehme ich nicht generell, denke aber, dass Leben auch als Spiel zu begreifen, eine hilfreiche Haltung zur Bewältigung von Aufgaben, Hindernissen und Herausforderungen im Leben ist. Insgesamt betrachtet ist die theatrale Inszenierung eines Selbst stets Folge anthropologischer Bildungsprozesse, die über Symbole, Zeichen und Handlungen Wiederholungen von Praktiken erzeugen. Mimetische Prozesse sind ein elementarer Bestandteil einer wie auch immer gestalteten Selbstinszenierung, die als Differenzerfahrung aufgeht. Christoph Wulf beurteilt dieses Ineinandergreifen unterschiedlicher Wirkungen wie folgt: „Nicht nur soziale Lebens- und Handlungsformen, sondern auch der Umgang mit Gegenständen und Objekten werden in mimetischen Prozessen gelernt. Auf Grund der unterschiedlichen Voraussetzungen junger Menschen entstehen keine bloßen Kopien unterschiedlicher Vorbilder, der mimetische Prozess führt zu einer Differenz, die die Eigenständigkeit und den kreativen Charakter seiner Ergebnisse ausmacht.“12
Daraus folgt, dass die Selbstinszenierung zunächst eine Folge körperlicher Bedingungen ist, die die Verwendung kultureller Symbole permanent einschließt. Aus der Wiederholung von Handlungen ergibt sich eine jeweilige Abwandlung auf der subjektiven Ebene, die in ihrer Ausprägung eine individualisierte Differenz erzeugt. Die Lern- und Bildungsprozesse unterliegen dabei dem durchdringenden Einfluss kommunikativer Wirksamkeit mimetischer Handlungen, die stets im Körper zusammenlaufen. Dies ist als bildungsrelevante innere Struktur einer Selbstinszenierung zu betrachten, die sich nie losgelöst von Körper, Kultur und Sozialität begreifen lässt, sondern stets im Gegenüber einer Prozessualität einer auf Kommunikation beruhenden Wirklichkeitskonstitution zu begreifen ist.
12 Wulf, Christoph: Die mimetische Aneignung der Welt. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 17.
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D AS P ENDEL
ZWISCHEN
S ELBST
UND
ANDEREM
Der Einsatz und gleichsam die kommunikative Wirksamkeit des Körpers ist daher als zentraler Ausgangspunkt existenzieller Wechselbeziehungen zur Welt zu verstehen. Innerhalb dieses auf Wechselseitigkeit beruhenden Prozesses ist die theatrale Situation der Selbstinszenierung als eine direkte, unmittelbar gegenseitige und grundsätzlich von Apparaten unabhängige zu gestalten. Sie ist in erster Linie körperlich. Jerzy Grotowski beschreibt diese körperliche Grundsätzlichkeit für die Praxis des Schauspielers im Theater. „Der Schauspieler gibt sich selbst als absolutes Geschenk hin. Dies ist eine Technik der ‚Trance‘ und der Einbeziehung aller psychischen und körperlichen Kräfte des Schauspielers, die aus den intimsten Schichten seines Seins und seiner Instinkte hervorgehen und in einer Art ‚Durchstrahlen‘ hervorsprudeln. […] Das Ergebnis ist ein Befreitsein vom Zeitsprung zwischen innerem Impuls und äußerer Reaktion, so daß der Impuls schon eine äußere Reaktion ist. Impuls und Aktion fallen zusammen: Der Körper verschwindet, verbrennt, und der Zuschauer sieht nur eine Reihe sichtbarer Impulse. Unser Weg ist mithin eine via negativa – keine Ansammlung von Fertigkeiten, sondern die Zerstörung von Blockierungen. “13
Was hier für den Schauspieler auf der Bühne gilt, gilt auch für den Menschen im Alltag, das „Befreitsein vom Zeitsprung“ eines äußeren und inneren Impulses. So wie es Grotowski beschreibt, folgt diese „Befreiung des Zeitsprungs“ der Abfolge des Alltags, der an sich auch geschieht, ohne dass dazwischen die Ebenen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stets bedacht werden. Aus der Beschreibung geht ebenso hervor, dass der Körper im Theater (also auch im Leben) eine Doppelfunktion einnimmt, nämlich des Spielenden und des Gespielten oder Sehenden und Gesehenen. Das Analoge als Grundcharakter geht hier nicht verloren, es ist stets der betastete und betastende Körper in Aktion und Reaktion zu sehen. Walter Benjamin beschreibt im Kontext des künstlerischen Bühnengeschehens den von ihm verwendeten Begriffes der Aura: „Die Aura, die auf der Bühne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelöst werden, die für das lebendige Publikum der Schauspieler ist, welcher ihn spielt.“14
13 Grotowski , Jerzy: Für ein armes Theater. Berlin, 2006, S. 14. 14 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit. Berlin, 2010, S. 40.
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Die benjaminsche Aura findet sich ebenso in jenen Situationen des Lebens und des Alltags wieder, die wir als Ereignisse der Expression im Kontext unserer Selbstinszenierung markieren.15 Mit dem Körper zu spielen, um daraus Situationen zu schaffen, deutet auf eine Gestaltungsfreiheit der Handlung hin, die in der Expression das Leben als Ereignis begreifbar macht. Basis hierfür ist die Grundsätzlichkeit des Empfindens und Verarbeitens von Eindrücken und Absichten, die sich in einer theatralen Situation bündeln lassen. Derrida hat diesen allgemeinen Ereignischarakter theatral anmutender Lebenssituationen wie folgt gekennzeichnet: „Die theatralische Repräsentation ist endlich, sie hinterläßt nach ihrer Verwirklichung keine Spur, keinen hinwegtragbaren Gegenstand. Sie ist weder ein Buch noch ein Werk, sondern eine Energie, und deshalb ist sie die einzige Kunst des Lebens.“16
Die Flüchtigkeit eines solchen von wandelnden Situationen abhängigen Ereignisses, das Derrida hier beschreibt, knüpft an die benjaminsche Aura an, die denselben Zustand erfasst, nämlich die Unwiederholbarkeit des vergangenen, sowie die Ungewissheit des nächsten Augenblickes. Das durch die körperliche Präsenz dargestellte und gleichzeitig entstandene Material der Interaktion, welches sich aus Körpern und ihren Konstellationen mit anderen zusammensetzt, ist daher gegenständlich und wirkungsvoll. Andererseits verfließt die klare Gegenständlichkeit im Bezug auf die eigene Empfindung eines phänomenalen Körpermoments, das als solches in der Aufmerksamkeit des Augenblicks eine Besonderheit subjektiven Erlebens markiert. Die Erfahrung der Ungewissheit des nächsten Augenblicks erfordert einen flexiblen Umgang mit den auf sich bezogenen Haltungen und dem Leben. Es handelt sich hierbei um jene Aspekte, die als Bedingungen und Herausforderungen einer Inszenierung des Selbst zur Geltung kommen. Kurzum, es geht um Transformation, die es ermöglicht von einem Augenblick zum nächsten eine gewisse Handlungskraft zu entfalten, zu erhalten und auszuweiten. Wenn es um Handlungen und Transformation im Sinne eines Zeigens und Sehens geht, um in der Folge ein Verständnis zu erzeugen, offenbaren sich weitere Ähnlichkeiten zwischen Bühne und Leben. Die Transformationen
15 Solche auratischen Marker der Expression des Alltags können bewältigte Etappen des Lebens sein. 16 Derrida, Jacques: Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation. In: ders., Die Schrift und die Differenz. Frankfurt/Main, 1976, S. 375.
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im Zuge menschlichen Lebens sind die Vorlage für die Ausgestaltung der Rollen und Figuren auf der Bühne: Das Eine bezeichnet – das Andere wird bezeichnet. Die Grundlage aller unterstellten Theateranthropologie ist demnach die Sicht auf sich selbst und das Andere, das als Folge des Blicks auf sich selbst entsteht. Dies hat (wenn auch nicht unter einem theateranthropologischen Blickwinkel, aber dennoch treffend) der Theaterdramatiker und Schriftsteller Thomas Bernhard auf den Punkt gebracht: „Wenn wir uns selbst beobachten, beobachten wir ja immer niemals uns selbst, sondern immer einen andern. Wir können also niemals von Selbstbeobachtung sprechen, oder wir sprechen davon, daß wir uns selbst beobachten als der, der wir sind, wenn wir uns selbst beobachten, der wir aber niemals sind, wenn wir uns nicht selbst beobachten und also beobachten wir, wenn wir uns selbst beobachten, niemals den, welchen wir zu beobachten beabsichtigt haben, sondern einen Anderen.“17
Bernhard beschreibt hier den Vorgang der Introspektion, die auf der Grundlage einer Reflexion vollzogen wird. Bevor dies jedoch möglich ist, muss ein Blick auf ein entstandenes, vielmehr inszeniertes Bild von einem eigenen Selbst unterschieden werden. Dies wird vorausgesetzt, dies stößt auf einer Motivebene den Blick auf das erwartete Selbstbild an. Das, was wir von uns dann sehen, müssen wir erst vor uns auf eine sichtbare Bühne gebracht haben. In diesem Augenblick verschwindet allerdings das eigentliche Selbst, denn das gesehene Andere ist schon im Blickfeld und stellt das Veränderte dar, das im Prozess des Sehens verändert wurde. Im Resultat erzeugen wir im Zuge der introspektivischen Reflexion eines unterstellten Selbst eine Form von Wirklichkeit und Wirksamkeit. Die entstehenden Realitäten und Bezugspunkte sind aus diesem Gedanken heraus als Prozessualität einer Beobachtung zu verstehen. Am Ende dieses Prozesses steht das vorläufige „Urteil“, das eine gültige Realität zu versprechen vermag. Hier öffnet sich der Blick zu sich selbst und zur Welt, ohne diesen Blick sind wir blind. Richard Schechner erkennt dies wiederum aus einer anthropologischen Perspektive, indem er Realität auf der Bühne von der Realität des Lebens nicht trennt, sondern gemeinsam denkt: „Die Transformation des Seins, aus der sich die Realität einer Aufführung zusammensetzt, manifestiert sich in allen möglichen Anachronismen und in seltsamen, scheinbar unver-
17 Bernhard, Thomas: Gehen. Frankfurt am Main, 1971, S. 87.
32 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE einbaren Zusammenstellungen, die auf die Grenzbereiche dieser Aufführungen zur Theatervorstellung verweisen.“18
Diese gemeinsame Verstrickung von Theatralität und Leben vollzieht sich pausenlos. Gerade die Fähigkeit zur Reflexion und darüber hinaus zur Selbstreflexion sind als ein Bewegungsmotiv einer Transformativität eigenen Lebens zu verstehen. Andererseits spiegelt diese Transformativität die Fähigkeit wider, von der reinen Existenz des Lebens eine Kunst der Darstellung entwickeln zu können, wobei diese Kunst eigentlich als ein Nebenprodukt einer prinzipiellen Grundbedingung zu betrachten ist. Schechner ergänzt daher weiter: „Ist es ein Axiom, daß soziales Leben dem theatralen Leben vorausgeht? So jedenfalls die platonisch-aristotelische Idee: Kunst ahmt Leben nach. Vielleicht aber ist die Sicht des Hindu-Sanskrit, wie sie im Ntyasastra formuliert wurde, den reflexiven postmodernen Zeiten angemessener. Theater und Leben sind wie ein Möbius-Strip; jedes verkehrt sich in das andere.“19
In der Konsequenz sind das Theater und das menschliche Leben Teil eines einzigen Beobachtungsgegenstands, nämlich die Bedingungen und Phänomene transformativer Existenz anzuerkennen. Hieraus entfaltet Schechner seine Begründung für eine Theateranthropologie. „So wie das Theater sich anthropologisiert, wird die Anthropologie theatralisiert. Diese Art des Aufeinanderzugehens ist die historische Möglichkeit jedweden Austausches. Die Annäherung von Anthropologie und Theater ist Teil einer größeren intellektuellen Bewegung, in der sich der Schwerpunkt verschiebt, was die Beurteilung menschlichen Verhaltens angeht. Quantifizierbare Unterschiede zwischen Ursache und Wirkung, Vergangenheit und Zukunft, Form und Inhalt […] werden zunehmend ersetzt durch die Betonung der Dekonstruktion/Rekonstruktion von Aktualitäten: der Suche nach den verschiedenen Rahmen, des Collagierens, Zusammenschneidens und Erprobens […] Wir akzeptieren unsere eigene Spezies als sapiens und als Fabrikanten: als diejenigen, die denken und handeln. Wir sind im Begriff zu lernen, daß Menschen auch ludentes sind: diejenigen, die spielen und aufführen.“20
18 Schechner, Richard: Theater-Anthropologie. Spiel und Theater im Kulturvergleich. Hamburg, 1990, S. 13. 19 Ebd., S. 23. 20 Ebd., S. 45.
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Schechners Nachweis einer Theateranthropologie unter Einbezug grundsätzlicher Bedingungen des Lebens verweist auf die bereits benannten Unsicherheiten und Ungewissheiten, die sich aus dem transformativen Charakter einer Weltkonstruktion ergeben. Der Theaterschaffende und Philosoph Roberto Ciulli verarbeitet diesen dynamischen Gedanken der Ungewissheit und Unwiederholbarkeit der Ereignisse, indem er die entstehenden Kompetenzen der Lebensbewältigung in den Momenten angewandter Improvisation einbezieht: „[…] weil Improvisieren heißt, sich in einen Zustand zu versetzen, in dem ich ständige Entscheidungen treffe. Das ist auch das Prinzip des Lebens. Ein Leben ohne Improvisation, ein Leben, in dem ich keine Entscheidungen treffe, weil diese schon vorgetroffen sind, ist ein totes Leben. […] Erst dann lebt ein Mensch, wenn er ständig, in jedem Moment, bewußte Entscheidungen vornimmt und sich zu diesen bekennt. […] Und Theaterspielen, Improvisation hat für mich diese Funktion.“21
Dies sind in der Summe tief greifende Begründungen dafür, das Leben als eine Bühne zu betrachten, auf der wir uns stets neu wieder finden sowie erfinden und bestehen müssen. Das Leben, in Form von Wirklichkeitskonstruktionen, wird durch den Körper im Raum veranschaulicht und umgesetzt.
T HEATER DER P RÄSENZ INNERHALB R EPRÄSENTATION
DER
S TRUKTUR DER
Versteht man das Theater demnach als Lebensmodus, kann dies nicht bloß als ein Ort musischer Unterhaltung oder Erholung gedacht werden. Diese weiter fassende Konzeption des Theaters aufgreifend, möchte ich das Theater des Lebens als Dimension der Handlung und Ort der Sensibilisierung und Erweiterung verstehen. Dies geschieht nach Artaud nur über Irritation oder Entgrenzung: „[…] das Theater benutzt Gebärden und treibt sie bis zum äußersten: wie die Pest stellt es die Kette wieder her zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist, zwischen der dem Möglichen innewohnenden Kraft und dem, was in der verwirklichten Natur existiert. Es findet wieder zu der Vorstellung von Figuren und Typen-Symbolen, die wie plötzlich eintretende Stille, wie Orgelpunkte, Blutstockungen, Säftereizungen, entzündliche Ausbrüche von Bildern in unseren unverhofft erwachten Köpfen wirken; es stellt alle in uns schlum-
21 Bartula Malgorzata und Schroer Stefan: Über Improvisation. Neun Gespräche mit Roberto Ciulli. Duisburg, 2001, S. 57.
34 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE mernden Konflikte mitsamt den ihnen innewohnenden Kräften wieder her und verleiht diesen Kräften Namen, die wir als Symbole begrüßen: und hier nun spielt sich vor unseren Augen ein Kampf von Symbolen ab, die übereinander hergefallen sind in einem unmöglichen Getrampel; denn Theater kann es nur von dem Augenblick an geben, in dem tatsächlich das Unmögliche beginnt und in dem die Poesie, die sich auf der Bühne ereignet, verwirklichte Symbole speist und überhitzt.“22
Artauds Beschreibung folgt einer radikal subjektiven Erfahrungs- und Deutungsebene für die Welt, die im Theater sowie im Leben für alle Beteiligten entsteht. Das Theater des Lebens erzwingt also eine zentral subjektbezogene Wirkung, die eine Korrespondenz zwischen der Subjekt- und Alltagsrealität anstößt. Bewegungsabläufe, Ausdruckformen und innere Haltungen werden auf eine subjektive Art in der Situation des Spiels und des Rezipierens einer Überprüfung oder vielmehr einer Irritation ausgesetzt. In der Folge werden Automatismen, Blockaden oder Tabus spürbar und unter Umständen veränderbar. Die Lebensbühne des Körpers schafft somit eine evidente Inszenierungsfläche subjektiver Gültigkeit. Artaud begreift als Angelpunkt dieser Gültigkeitsprozesse die je eigene Wirksamkeit und Wandelbarkeit von Symbolen, die für ihn aus den Vorstellungen jenseits aller Bildkraft heraus Leitlinien einer Gewissheit im Leben darstellen. Theater entfaltet sich hier als innerer Prozess der Expansion auf der Ebene einer mit der Welt verknüpften Körperlichkeit, die sich über mehr oder weniger dynamische Konstruktion und Dekonstruktion von Symbolen vollzieht. Für Artaud ist der Körper der einzig gültige Ausgangspunkt für ein Verständnis von Theater und Leben. Denn der Körper liefert das grundsätzliche Gemenge, das im erzeugten Miteinander mit der Umwelt erst ein grundsätzliches Verständnis im Prozess sozialer Interaktion entstehen lässt. „Der eigentliche Bereich des Theaters […] ist nicht psychologisch, sondern plastisch, körperlich. Und es geht nicht um die Frage, ob die körperliche Sprache des Theaters imstande ist, dieselben psychologischen Lösungen zu erreichen wie die Sprache der Wörter, ob sie Gefühle und Leidenschaften ebenso gut auszudrücken vermag wie die Wörter, sondern ob es nicht im Bereich des Denkens, des Verstandes Haltungen gibt, die einzunehmen die Wörter nicht imstande sind und die die Gebärden und alles, was an der Sprache im Raum teilhat, mit größerer Treffsicherheit erreichen als sie.“23
22 Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double. Frankfurt am Main, 1969, S. 32. 23 Artaud, S. 76.
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Die reglementierte und reglementierende Sprache der Wörter ist für ihn eine Ebene, die als solche nicht in der Lage ist die Konsequenzen des Lebens auf das Theater zu übertragen, daher sein Plädoyer für den Körper, der als solcher sehr viel konkreter, konsequenter und eindeutiger in seiner Wirkung im Rahmen einer sozialen Situation ist. Dieser Gedanke verweist auf die grundsätzliche Existenz des Körpers, der als solcher erst einmal als „bloß“ zu betrachten ist. Dieses anwesende Körpersein beinhaltet in der Konsequenz das Vergehen des Körpers, das als transformativer Prozess nie zu leugnen ist. In diesem Zusammenhang hat Artaud den Begriff des „Theaters der Grausamkeit“ geprägt. Hinter diesem Begriff der Grausamkeit steckt nicht die sadomasochistische Freude an grausamen Akten gegenseitiger Vernichtung, sondern die Konsequenzialität des Lebens schlechthin, dieses in seiner sich transformierenden Vergänglichkeit darstellende Leben beinhaltet die zwingende Tatsache des Todes: „Alles, was handelt, ist eine Grausamkeit. Nach dieser bis zum äußersten getriebenen, extremen Vorstellung von Handlung muß sich das Theater erneuern. […] Dort, im Schauspiel einer Versuchung, bei der das Leben alles zu verlieren und der Geist alles zu gewinnen hat, muß das Theater seine ureigentliche Bedeutung wiederfinden.“24
Artauds Theaterentwurf enthält daher ein tiefer greifendes Verständnis als die im unterhalterischen Sinne wirksamen Theater der Kunst, vielmehr deutet er auf jene Sphäre der Wirksamkeit hin, die sich der zweckrationalistischen Repräsentation entzieht. Die Unterhaltung in der Kunst ist Bestätigung der Repräsentation einer Ordnung, was Artaud hier vorschlägt ragt darüber hinaus. Unter diesem Aspekt gewinnt das zuvor verwendete Bild der Pest einen metaphorischen Sinn im Kontext des grausamen Theaters, denn die Pest, wie das grausame Theater, schafft eine Zustandsebene, die sich als epidemische Ausbreitung offenbart und sich in der Folge diagnostisch auf einer reflexiven Ebene weiterentwickelt. Die Diagnose lautet: Grausamkeit der Pest und des Lebens. Die Repräsentationen zerstäuben in der Anerkennung der Wirksamkeit einer die Ordnung zersetzenden Pest. Bezogen auf die soziale Wirkung solcher Bilder und Zustände, die damit durch dieses Theater freigesetzt werden, kann über eine reflexive Distanzierung zu diesem Prozess erst eine Befreiung vom Entsetzen folgen. Diese Befreiung kann nur gelingen, wenn die Szene nicht einer vorgefertigten Repräsentation und deren Festlegungen folgt, sondern die Verknüpfungen auf einer körperlichen Ebene die Grausamkeit gestatten. Die Repräsentationen vergehen mit der Grau-
24 Ebd., S. 92.
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samkeit des Todes, der Körper wird im Denken dieser Konsequenz erst befreit. Derrida hat diese Ebene herausgearbeitet, indem er feststellt: „Das Theater der Grausamkeit ist keine Repräsentation. Es ist das Leben selbst in dem, was an ihm nicht darstellbar ist. Das Leben ist der nicht darstellbare Ursprung der Repräsentation. […] Dieses Leben trägt den Menschen, es ist aber nicht in erster Linie das Leben des Menschen. Dieser ist nur eine Repräsentation des Lebens, und das ist die – humanistische – Grenze der Metaphysik des klassischen Theaters.“25
Gegenstand eines solchen Theaters ist das Leben, in seiner eigenen Präsenz als Leben selbst. Die übergezogenen Repräsentationen einer Ordnung bedienen sich zwar auch einer theatralen Methodik, sind allerdings Repräsentanten eines indirekten, künstlichen oder übergestreiften Programms, das Ziele der Steuerung und Funktion beinhaltet. Hierzu Artaud: „Das Theater hat sich dem Leben an die Seite zu stellen, nicht dem individuellen Leben, jenem individuellen Aspekt des Lebens, bei dem die CHARAKTERE triumphieren, sondern einer Art von befreitem Leben, das die menschliche Individualität beiseite fegt und in dem der Mensch nur noch ein Widerschein ist.“26
Daher kann es in diesem Sinne nur um die Konzeption der Präsenz an sich gehen, und diese Präsenz ist als Effekt des Lebens an sich zu betrachten. Diese Präsenz ist nur gültig im Augenblick des möglichen, des angenommenen nicht verleugneten Todes. Dass sich neben dieser grundsätzlichen Wirkung der Präsenz des Lebens eine funktionale Repräsentation auf der Ebene der Abstraktion, also in Form von Zeichen- und Symbolwerten als Sprachausdruck mit entwickelt hat, ist als Folge einer medialen Weiterentwicklung sozialer Interaktion und Kommunikation zu betrachten. Das Begriffspaar Präsenz und Repräsentation diskutiert auch Erika Fischer-Lichte im Kontext der Ästhetik: „Präsenz wurde dabei als Unmittelbarkeit verstanden, als Erfahrung von Fülle und Ganzheit als Authentizität. Repräsentation dagegen wurde auf die grands récits bezogen, die als Macht- und Kontrollinstanzen galten; sie wurde als festgelegt in ihrer Bedeutung und als starr begriffen und erschien vor allem deshalb problematisch, weil sie in ihrer Zeichenhaftigkeit immer nur einen vermittelten Zugang zur Welt eröffnet.“27
25 Derrida, 1976, S. 353. 26 Artaud, S. 125. 27 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main, 2004, S. 255.
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Präsenz wird hier als Zustand der Ganzheit verstanden, der über die Bedeutungen hinaus eine Verbundenheit mit der Welt zu offenbaren scheint. Der Begriff der Präsenz, der in diesem Kontext als Art und Effekt einer Gegenständlichkeit des Lebens an sich eingeführt ist, präzisiert Fischer-Lichte, indem sie das Ereignis als Erlebensmodus daneben stellt. Ereignis wird als solches zur Voraussetzung für Präsenz, es muss sich zuerst etwas ereignen, um präsent zu sein, es muss erscheinen, um sich zu zeigen. Erika Fischer-Lichte beschreibt ihrer Denkfigur folgend das Ereignis sinngemäß: „Daß etwas geschieht und das, was geschieht, beides affiziert alle am Ereignis Beteiligten, wenn auch durchaus auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße. In seinem Verlauf werden Energien ausgetauscht, Kräfte entbunden und übertragen, Aktivitäten in Gang gesetzt und Transformationen durchlebt. […] Es erschöpft sich in seinem Vollzug. Daher ist es auch einmalig und unwiederholbar.“28
Ereignis ist also als Augenblick der Expression, des Ausdrucks und der Flüchtigkeit zu verstehen, das sich in der Affizierung der Person offenbart, also einen besonderen phänomenalen Zustand markiert. Dies gilt zwar auch für Theateraufführungen, im Sinne einer Theaterinstitution als Ort der Kunst mit abgegrenzter Bühne und Zuschauerraum, aber es gilt umso mehr auch für die Theatralität des Lebens, denn im Ereignis der Begegnung und der daraus hervorgehenden Beziehung zum Anderen bündelt sich die gegenseitige Wahrnehmung sozialer Interaktion auf körperlicher Ebene. Fischer-Lichte weiter: „[…] so daß der Körper des Darstellers nicht mehr zu allererst als Zeichen für die dramatis persona der Rolle begriffen oder repräsentiert wird, sondern als phänomenaler Leib in seinem besonderen So-Sein; oder der Körper des Darstellers wird – wie in der Performance Kunst – überhaupt nicht mehr als Zeichen für eine dramatis persona verwendet, sondern erscheint zuallererst als phänomenaler Leib.“29
Präsenz benötigt demnach das Ereignis und den Körper, um Ebenen einer Wirklichkeit wirksamer zu entfalten. Diese Entfaltung lässt sich im Begriff oder vielmehr im Prozess der Performativität zusammenbringen. Merkmale einer solchen sind:
28 Fischer-Lichte, Erika: Performativität und Ereignis. In: Fischer-Lichte, Horn, Umathum Warstat (Hrsg.), Performativität und Ereignis. Tübingen, 2003, S. 17. 29 Fischer-Lichte, 2004, S. 20.
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„[…] (1) eine durch den Vollzug spezifischer Prozesse hervorgebrachte und fokussierte Materialität, (2) eine durch die gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Akteuren und Zuschauer ermöglichte Aushandlung von den Beziehungen zwischen beiden Gruppen sowie (3) von den jeweiligen materiellen (sinnlichen) Qualitäten der verwendeten Elemente und von der Art sowie dem Kontext ihrer Verwendung abhängige und daher prinzipiell offene und unabschließbare semiotische Prozesse […]“30
Das Ereignis ist daher im Sinne der Performativität zu denken, denn die Wirkweise der Performativität ist an sich, also aus der Handlung resultierend, zu betrachten. Die Handlung umschließt das Ereignis und konstruiert eine Eigenschaft, die in ihrer Selbstreferenzialtiät performativ ist. Nach Fischer-Lichte ist der Begriff des Performativen mit den Begriffen der Präsenz und des Ereignisses zu verknüpfen, um das Prinzip des Theaters als Modus des Lebens zu bestätigen. „Der Begriff bezeichnet bestimmte symbolische Handlungen, die nicht etwas Vorgegebenes ausdrücken oder repräsentieren, sondern diejenige Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erst hervorbringen. Sie entsteht, indem die Handlung vollzogen wird. Ein performativer Akt ist ausschließlich als ein verkörperter zu denken.“31
Zwei Ebenen lassen sich daher festhalten, einerseits die Präsenz des Körpers, die als solche das Ereignis einer Handlung auf der Ebene einer effektiven Performativität ausdrückt. Andererseits steht dieser Präsenz die Bedeutungsrepräsentation gegenüber und beinhaltet die Strukturen und Bedeutungen kultureller Ordnung, die sich über festgelegte Assoziationsketten codieren32. Die bloße Präsenz zeigt sich scheinbar als direkter Austausch ohne abstrakte Zeichengebung und -deutung, außer jener des Körpers, als phänomenales Ereignis. Die Bedeutungsrepräsentation zeigt sich indirekter auf der Ebene der Abstraktion, also auf der medialen Ebene von Sprache, Schrift und Symbolik. Beides, Präsenz und Repräsentation, sind in Zeichensysteme eingebunden, welche von Körperlichkeit und Leben ausgehen. Die Zeichensysteme folgen dem Grundmotiv der Abbildung und des Ausdrucks. Für den Entwurf einer theatralen Anthropologie des Lebens möchte ich an diesem Punkt die Unterscheidung von Präsenz und Repräsentation insofern anzeigen, als dass die Präsenz die somatische Ebene der Pest (im Sinne Artauds) markiert und die Kunstform des Theaters jene Ebene funktionaler Ordnung im
30 Ebd., S. 16. 31 Fischer-Lichte, Erika: Performativität. Eine Einführung. Bielefeld, 2012, S. 44. 32 Hierzu mehr im Kapitel über die Macht und den Einfluss auf den Körper.
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Sinne der bedeutungsmäßigen Repräsentation darstellt. Artauds Pest geht dabei nicht vom Bild des Körpers, sondern von dessen Verschwinden aus. Bei FischerLichte geht allerdings beides (Präsenz/Repräsentation) vom Bild des Körpers aus. Ebenso folgen beide Formen dem Prinzip der Inszenierung, die als solche einem jeweiligen Motiv unterliegen. Die metaphysisch behaftete Präsenz folgt dem Leben, die Bedeutung folgt der interessegeleiteten Wandelbarkeit von Ordnung und deren Symbolen im Sinne der Repräsentation. Diese Differenz von Präsenz und Bedeutung beschreibt Fischer-Lichte: „Wenn Bedeutung und Wirkung, Repräsentation und Präsenz – wie dies opinio communis zu sein scheint – als Gegensätze verstanden werden, dann sind Performativität und Ereignis als Begriffe zu fassen, die eher bei ‚Wirkung‘ und ‚Präsenz‘ anzusiedeln sind denn bei ‚Bedeutung‘ und ‚Repräsentation‘.“33
Der Cyberspace mit all seinen Formen des Austauschs ist momentan technischer Höhepunkt einer medialen Entwicklung sowie der daraus hervorgehenden Kommunikationstransfers auf der Grundlage von Zeichen und Symbolen, die als solche weit reichende Narrative kulturellen Inhalts, also auch Repräsentationen, transportieren. Dies entspricht dem beschriebenen Prinzip einer grundsätzlich unterstellten theatralen Selbstinszenierung innerhalb von Kontexten. Am späteren Beispiel der Entwicklung des antiken Theaters wird sich der Übergang zeigen, wie sich aus der Präsenz des Lebens eine Bedeutungsrepräsentation der Kultur entwickelt hat. Vor allem ist der Behauptung nachzugehen, ob die Präsenz sich tatsächlich von der Repräsentation lösen kann.
D ER K ÖRPER
ALS
Z EICHEN
Doch möchte ich präzisierend der Frage oder vielmehr der Tatsache nachgehen, wie der Körper als Zeichen im Sinne der Vermittlung von Inhalt einer Theatralität des Lebens einzuordnen ist. Im Rahmen der beschriebenen theatralen, beziehungsweise performativen Inszenierungen der Welt durch den Körper gewinnt die grundsätzlich tätige Zeichenhaftigkeit des Körpers eine komplexe Wirksamkeit. Aus dieser Perspektive betrachtet wird der Körper zum gelesenen und lesenden Zeichen, der Körper stellt eine semantische Dimension dar, die in Bewegung immer neue Verknüpfungen erlaubt.
33 Fischer-Lichte, 2003, S. 27.
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Diese komplexe Bewegung der Zeichenverknüpfungen beschreibt Deleuze: „Alles ist aktiv, bewirkt und reagiert im System, alles wird gebraucht und funktioniert. So daß, wird die territoriale Repräsentation in ihrer Gesamtheit betrachtet, die Komplexität der Netze, mit denen sie den Sozius überspannt, beeindruckt: unaufhörlich springt die Kette der Zeichen von einem Element zum anderen, erstreckt sich in alle Richtungen, trennt überall dort ab, wo Ströme zu entnehmen sind, schließt Disjunktionen ein, konsumiert Reste, zieht Mehrwert heraus, koppelt Worte, Körper und Schmerzen, Formulierungen, Dinge und Affekte – konnotiert Stimmen, Schriften (graphies), Augen in einem immer polyvoken Gebrauch.“34
Aus dieser Betrachtung wird der Körper zu einem Trichter, der verschiedene Zeichensysteme sammelt, filtert, interpretiert und neu produziert und gleichsam selbst ein veränderndes und verändertes Zeichen ist. Die Bewegung dieser Zeichen stellt gleichfalls eine Beziehung zwischen den Zeichen und Symbolen dar. Diese Beziehung zwischen Zeichen und Symbolen, die durch den Körper inszeniert werden, bündeln sich und wirken in Form der Repräsentationen, die Deleuze als territoriale Dimension körperlicher Verortung im Sinne der Bedeutung betrachtet. Symbole, die sich über die Repräsentation zum Bedeutungsfeld körperlicher Interaktion auffächern, interessierten auch Turner, der sich in seiner anthropologischen Forschung auf die Bewegung der Symbole, also ihrer Zeichenhaftigkeit, bezieht und dabei auf seine Methode der Symbologie verweist: „Sie interessiert sich jedoch für die Beziehungen zwischen Symbolen und den ihnen von Benutzern, Interpreten oder Exegeten zugeordneten Begriffe, Gefühlen, Werten, Vorstellungen usw.: kurz, sie hat semantische Dimensionen, sie untersucht Bedeutung in der Sprache und im Kontext. Ihre Daten entstammen kulturellen Gattungen oder Subsystemen der Ausdruckskultur, die sowohl orale als auch schriftliche Formen einschließen und zu denen man sowohl Aktivitäten, die verbale und nichtverbale symbolische Handlungen kombinieren wie Rituale und Dramen, als auch narrative Formen wie Mythen, Epen, Balladen, Romane und ideologische Systeme rechnen kann. Ebenfalls dazu gehören nichtverbale Ausdrucksformen wie mimische Darstellung, Skulptur, Malerei, Musik, Ballet und Architektur.“35
34 Deleuze, Gilles und Guattari, Félix: Anti-Ödipus. Schizophrenie und Kapitalismus I. Frankfurt am Main, 1977, S. 262. 35 Turner, S. 29.
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So gesehen wird der Körper nicht nur zum Zeichen, sondern vielmehr zu Zeichenapparat, Zeichenbehälter und Zeichenbedeutung in einem. Die Tragweite der unterstellten anthropologischen Lebenstheatralität erstreckt sich dabei tief hinein in das Gewebe sozialer Interaktion und individueller Präsenz des Körpers. Symbole sind demnach nichts Statisches, vielmehr werden Symbole zu Ereignissen und gleichsam zu Prozessen, die Wandelbarkeiten beschreiben und auslösen. Turner hat dies in seinen Feldforschungen sinngemäß festhalten können: „[…] denn Symbole haben ganz wesentlich etwas mit sozialen Prozessen (und, wie ich heute hinzufügen würde, mit psychischen Prozessen) zu tun. Ich begann zu erkennen, daß Rituale besondere Phasen in sozialen Prozessen markieren, in denen Gruppen sich inneren Veränderungen […] und ihrer äußeren Umwelt anpassen. Aus dieser Perspektive wird das rituelle Symbol zu einem Faktor im sozialen Handeln, zu einer positiven Kraft in einem Handlungsfeld.“36
Symbole, Körper und Zeichen entfalten aus dem so beschriebenen Verständnis heraus ein dynamisches Gefüge, das temporäre Gewissheiten der Orientierung herzustellen vermag. Wir sind nicht in der Lage unsere Bühne des Lebens von unseren Rollen des Lebens abzuschütteln, wir sind verankert in einem sich bewegenden Gefüge, das stets aufs Neue Improvisation, Inspiration und Bewegung in Form von Ereignissen modelliert, dabei aber nicht frei ist von Bedeutungsebenen, die auf verschiedenartigen Schichten eine Ordnung herstellen. Um dieses in sich bewegliche Gefüge des Lebens, in dem wir uns als Selbst inszenieren, genauer definieren zu können, ist es hilfreich, sich der von Deleuze ausgehenden Verwendung und Interpretation des Gefügebegriffs37 zu bedienen. Er verknüpft das Gefüge mit dem Raum des Territoriums, das als Aktions- und Handlungsebene des Lebens begriffen wird. „Jedes Gefüge ist vor allem territorial. Die erste konkrete Regel der Gefüge besagt, daß man die Territorialität, die sie umschließen, entdecken muß, denn es gibt immer eine: die Personen von Beckett bilden in ihrer Mülltonne oder auf ihrer Bank ein Territorium. Man muß die territorialen Gefüge von jemandem entdecken, von Mensch oder Tier: ‚sein Zuhause‘. Ein Territorium besteht aus decodierten Fragmenten aller Art, die den Milieus entnommen werden, die dadurch den Wert von ‚Eigenheiten‘ bekommen […] Ein Territorium bildet ein Gefüge. Ein Territorium ist mehr als ein Organismus und ein Milieu; es ist
36 Turner, S. 30. 37 Auf Grundlage dieser Definition möchte ich im Weiteren den Begriff des Gefüges verwenden.
42 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE auch mehr als das Verhältnis dieser beiden; deshalb geht das Gefüge auch über das schlichte ‚Verhalten‘ hinaus […]“38
Unter Berücksichtigung eines solchen Verständnisses über das „Gefüge“, realisiert sich eine umfassende Kontextualisierung der Lebenswirklichkeit, die sich als aktiver Prozess des Körpers im Raum eines Territoriums darstellt. Daher muss sich die Orientierung innerhalb eines solchen Zusammenhangs als aktive Entdeckung von Codes gestalten, denn das Entdecken, also das Offenlegen eines Territoriums als Teil eines Gefüges, ermöglicht erst die Ausbildung einer übergeordneten Perspektive, die im Sinne von Reflexion erst Erkenntnis von Begründbarkeiten garantiert. Dass die damit einhergehende Selbstinszenierung einer weitreichenden Beeinflussung durch Symbole, Codes und Zeichen vollzogen wird, ist nachvollziehbar. Der eigene Körper in seiner Leiblichkeit dient dabei als Sammelbecken, aus welchem erst Bedeutung für Symbole, Codes und Zeichen entstehen kann. Jürgen Hasse zeichnet diesen Vorgang der Bedeutungsentstehung im eigenen Leib als Stimmung nach: „In Korrespondenzen von Sinn und Sinnlichkeit verfugen sich Kultur und Natur. Die Dinge im geosphärischen (mathematischen) Raum werden im sozialen Raum der Gesellschaft symbolisch aufgeladen, können emotional im Medium des Landschaftlichen aber erst dann miterlebt werden, wenn die kulturellen Chiffren am eigenen Leib als Stimmung auch aufgehen.“39
Der eigene Leib ist im Zuge der Selbstinszenierung in einer Prozessualität von Bedeutung aus dem räumlich Äußeren verschränkt, woraus sich die Ränder eines eigenen Gefüges definieren. Verständnis, Handlungskompetenz und Wissen erschließen sich im tatsächlichen Begreifen des jeweils entstehenden und gleichsam umschließenden Gefüges, in dem sich das Wesen eines Selbst konstituiert. Das ist faktisch um einiges mehr als eine bloße Sammlung von Verhaltensketten als Folge von Kausalitäten verstanden, eher ist es permanente Forschungsarbeit am eigenen Moment des Lebens. Indem ein solches in sich bewegliches und nach außen zu den Rändern hin veränderliches Gefüge mit dem Raum des Territoriums verknüpft und gedacht wird, ergibt sich eine konkrete und tief greifende
38 Deleuze, Gilles und Guattari, Félix : Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin, 1992, S. 698. 39 Hasse, Jürgen: In und aus Räumen lernen. In: Westphal, Kristin (Hrsg.), Orte des Lernens. Beiträge zu einer Pädagogik des Raumes. Weinheim und München, 2007, S. 27.
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Konsequenz im Hinblick auf die Verortung des Körpers im Raum und seiner Interaktionen mit anderen Körpern, sowie im Zusammenspiel mit den immanenten Zeichensystemen sprachlicher und nicht-sprachlicher Kommunikation. Einen Raum mit Hilfe des Territoriums in die Interaktionsebenen einzuführen, offenbart und verdeutlicht die dahinter liegende Konsequenz, eine immerwährende Körperlichkeit als interaktionale Basis vorauszusetzen. Konsequenterweise erzeugt dies gleichzeitig die Abhängigkeit eines jeden Körpers von seiner ihn umgebenden Räumlichkeit. Beides – Räumlichkeit und Körperlichkeit – schaffen eine eigene Materialität. Interaktion ist demnach das Zusammenwirken von Körper, Raum und Zeichen in der beweglichen Konstruktion eines jeweils gültigen Gefüges, das eine Verortung eines Selbst und gleichsam eine temporäre Sicherheit für dieses Selbst garantiert. Das ist Theater des Lebens in erster und allerwirksamster Konsequenz, denn es beschreibt die Gestaltung einer grundlegenden Kommunikation des Lebens im Zusammenspiel materieller und symbolischer Faktoren. Deleuze präzisiert den Gefügebegriff noch feiner, indem er die bereits angedeutete Semiotik der Zeichensysteme als wandelbares Gerüst der Bedeutung mitdenkt. „In jedem Gefüge muß man den Inhalt und den Ausdruck finden, ihren tatsächlichen Unterschied ermessen, ihre wechselseitige Voraussetzung, ihre stückweise gegenseitige Verschachtelung. Aber daß ein Gefüge sich nicht auf Schichten reduzieren läßt, liegt daran, daß der Ausdruck hier zu einem semiotischen System wird, zu einem Zeichenregime, und daß der Inhalt hier zu einem pragmatischen System wird, zu Handlungen und Leidenschaften oder Passionen. Das ist zweifache Gliederung Gesicht-Hand, Gebärde-Sprechen, und die wechselseitige Voraussetzung von beiden.“40
Der Körper vollzieht sich im Spiel der Zeichen als Ausgangs- und Endpunkt eines Verständnisses dieser Zeichen, die selbst nichts weiter sind als vollzogene Anwendung von Abstraktionen des Körpers. Zeichen sind Ausdruck einer Körpersemiotik, die sich als feiner Aspekt der Expression des so ausgedrückten Gefüges darstellen. Hierbei schafft die aktive Gliederung in Körper (Gesicht-Hand) und Zeichen (Gebärde-Sprechen) eine sprachliche und kommunikative Basis, ohne die es keine sinnvolle Entwicklung von Interaktion gäbe. Ausdruck und Inhalt treten in eine Beziehung, die sich als entäußernde Handlung darstellt, sich eben in Form und Aktion des Körpers inszeniert. Die Narration des Lebens als Bühne menschlicher, am Körper vollzogener Theatralität entfaltet sich über
40 Deleuze/Guattari, 1992, S. 698.
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Wahrnehmung und Verständnis des Körpers als einem Zeichensystem im Raum eines territorial konzeptionierten Gefüges. Im Rahmen dieses Gefüges, in dem das Territorium, der Raum und der Körper permanent bezeichnet werden, kann die bloße Präsenz des Körpers als freier Punkt ohne Repräsentation aus meiner Sicht nicht mehr gedacht werden. Fischer-Lichte hat im oben beschriebenen Zusammenhang mit der Performativität den Versuch unternommen, die Präsenz von der Repräsentation zu emanzipieren, indem ihr das Ereignis als Authentizitätsdimension zugespielt wird. Doch reicht ihre Argumentation nur bedingt über die Kunstform des Theaters hinaus. Derrida muss sich, wie oben beschrieben, ebenfalls mit einer argumentativen Verschachtelung sehr abmühen, um die Präsenz von der Repräsentation abzugrenzen. An dem Punkt, an dem die Präsenz das Leben repräsentiert, ist sie keine reine Präsenz mehr, sie wird zur Bedeutung, die signifiziert und dies wird am Körper vollzogen. Präsenz ist demnach, wenn überhaupt, nur ein Moment eines blinden Flecks körperlicher Eigenwahrnehmung, der sich als frei von zeichenhafter Besetzung darstellt. Selbst dieser kurze Augenblick erlebter Präsenz ist auch nur deshalb möglich, weil die Illusion einer auratischen Alleinstellung eines in Bewegung befindlichen Körpers entsteht. Die Bewegung tilgt die Reflexionsfähigkeit und überführt den Körper in die Wahrnehmungslücke eines blinden Flecks. Diese Lücke entsteht im Augenblick der oben beschriebenen Affizierung oder Expression, die als auratische Präsenz verstanden wird. Einen bedeutungslosen Raum der Präsenz kann es jedoch nicht geben, da der Körper nicht in einem Vakuum einer Entkörperlichung schwebt, sondern ins Material seiner Umgebung eingebettet ist. Die Verknüpfung des Körpers mit seiner Umwelt ist stets Anlass gegenseitiger Bezeichnung. Der Eingriff von Bedeutungen, die sich ins Somatische eingraviert zu haben scheinen, ist im eigentlichen Sinne gegenwärtig. Selbst in der Präsenz der Gegenwart steht der Körper nie alleine, vielmehr ist der Körper stets umgeben von einem ihn formenden Zeichengeflecht der Umwelt. Im aus Zeichen bestehenden Habitat wird der Körper stets geformt und zu Bedeutungen überführt. Die Anthropologie eines Lebenstheaters ist aus dieser Sicht ein Arrangement aus Bedeutungen und Bezeichnungen, das je nach sozialer Konstellation, Beziehung und Arrangement ein mehr oder weniger ausgeprägtes Gefühl von Freiheit oder Zwang vermittelt. Der Körper ist mediales Zentrum und Ausgangspunkt eines Gefüges. Hinnerk Peitmann unterstreicht dieses Ineinandergreifen des Körpers mit dem ihn umgebenden Gefüge im Kontext der Bewegung. „Der Körper selbst kann nicht ‚bewußt‘ sein, nur meine Sinne und mein Wille können die Geste des Körpers bewußt machen. Die Geste für sich allein gibt noch keinen Sinn, bedeu-
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tet noch nichts. Erst dann, wenn sie in einem Spiel verlängert mit anderen Zeichen steht, wenn sie in Bewegung ist. Bewegung dann, wenn die Geste gegen etwas anderes steht, z. B. gegen den Widerstand des eigenen oder des fremden Körpers.“41
Es ist also die kontextualisierte Bewegung des Körpers, der auf diese Weise eine Begegnung mit einem Gegenüber – einem anderen Körper – provoziert. Die Begegnung bedingt erst die Wirkung des Köpers in einem Zeichenfeld der Bedeutungen, das sich als permanent veränderliches Bezugs- und Orientierungsmerkmal darstellt – eben ein Gefüge ist. Begegnung in der Bewegung, daraus ergibt sich allein schon auf der Ebene der physikalischen Präsenz der beteiligten Körper ein gegenseitig rezipierbares Gefüge, das auf der Ebene eines verarbeitenden Bewusstseins aus dem Wechselspiel symbolischer Bedeutungsverweise Interpretationsfläche und -motiv in einem ist. Das von Deleuze konzeptionalisierte Gefüge einer „beweglichen Begegnung“ lässt sich im Sinne der anthropologischen Theatralität des Lebens einer weiteren Konkretisierung unterziehen. Hierzu greife ich auf die von Foucault aufgestellten Überlegungen der „Technologien des Selbst“ zurück. Demnach bedienen wir uns als Menschen spezieller Techniken, um ein Verständnis von uns und unseren Wirkungen in verschiedenen Zusammenhängen zu erlangen. „Den Kontext dafür bilden vier Typen solcher ‚Technologien‘, deren jeder eine Matrix praktischer Vernunft bildet. 1. Technologien der Produktion, die es uns ermöglichen, Dinge zu produzieren, zu verändern oder auf sonstige Weise zu manipulieren; 2. Technologien von Zeichensystemen, die uns gestatten, mit Zeichen, Bedeutungen, Symbolen oder Sinn umzugehen; 3. Technologien der Macht, die das Verhalten von Individuen prägen und sie bestimmten Zwecken oder einer Herrschaft unterwerfen, die das Subjekt zum Objekt machen; 4. Technologien des Selbst, die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sie so zu verändern, dass er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt.“42
Das Gefüge, in welchem wir uns als Selbst im Rahmen des Lebens inszenieren oder inszeniert werden, wird hier durch die Begrifflichkeit der „Technologien“
41 Peitmann, Hinnerk: Der inszenierte Körper. In: Kamper, Dietmar und Christoph Wulf (Hrsg.), Der andere Körper. Berlin, 1984, S. 19. 42 Foucault, Michel: Technologien des Selbst, In: Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst. Frankfurt am Main, 2007, S. 289.
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als Handlungsebene definiert und dadurch gleichzeitig erweitert. Solchermaßen liefert dieser Begriff auch den Bezug zu einer vollzogenen und vollziehenden Praxis, welche Realität formt und in Bewegung hält. Die von Foucault beschriebenen Technologieebenen sind eine verfeinerte Bühne der Lebenskonstitution, auf der wir uns als Menschen permanent bewegen. Insbesondere die vierte Technologie, die Technologie des Selbst, die den Körper als konkret spürbare Aktionsebene innerhalb der Interaktionsprozesse mit den anderen Technologien begreift, ist als jene angewandte Technologie zu verstehen, die wirksam wird, wenn wir uns als Individuum vor uns selbst und vor anderen als Körperbild zu inszenieren versuchen. Allerdings sollten diese technologischen Ebenen in Verknüpfung gedacht werden. In besonderer Weise relevant für die unterstellte Anthropologie des Theaters ist die Verknüpfung der Technologien der Zeichensysteme mit der Technologie des Selbst, denn in dieser Verbindung erhält der Körper als solcher erst einen semiotischen Sinn. Die Beschriftung des präsenten Körpers greift auf einer elementaren Ebene ein. Der Eingriff ist fundamental und weist jeglicher Selbstinszenierung innerhalb so konstituierter Lebenswirklichkeit Bedeutungen zu. Foucault bezeichnet diese „Technologien“ grundsätzlich als Teil einer „praktischen Vernunft“, diese als „Technologien“ bezeichnete „praktische Vernunft“ unterstreicht den dynamischen Charakter einer lebendigen, sich ständig in Verknüpfung befindlichen Konstitution von Zusammenhängen, die im Sinne der Wirklichkeitskonstruktion ein wandelndes Theater des Lebens schafft. Das ineinander greifende Gefüge der Technologien liefert Orientierung für jenen Vorgang, den Foucault als „zum Objekt werdendes Subjekt“ bezeichnet. Das zu einem Objekt werdende Subjekt drückt die optimistische Sicht einer Reflexion des Selbst aus. Die Reflexion des Selbst eröffnet erst die Dimension, sich selbst als aktiven Teil im Gefüge der so beschriebenen Technologien zu begreifen. Diese Reflexion ist erst möglich, wenn sich das Subjekt in eine Distanz zu sich selbst begibt, sich also in die Lage versetzt, sich als Objekt zu betrachten. Dies beschreibt nichts weiteres, als das Leben, Identität und Identitäten in einem Kontext von Bühne und Bühnengeschehen innerhalb einer Situation begreifen zu können. Autor, Darsteller, Regisseur und Publikum in einem Körper, das ist in der Konsequenz die praktische Vernunft der foucault’schen Technologien, die sich auf diese Weise in Form von Veränderung und Anpassung als Prozess verwirklicht. Dieses Gefüge ist komplex und teilweise von unterschiedlichen Diskursen und Motiven durchdrungen. Bedenkt man die narrativen Aktionsräume des Körpers in seinen Wirksamkeitsprozessen im Kontext der Metaphysik, des Ritus, des Theaters, der Politik, der Kunst, der Kultur sowie der Anthropologie, entfaltet sich daraus nicht nur eine Technologie des Selbst, sondern in nachhaltiger
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Weise eine Technologie der Kultur. Hierin oszilliert der Körper mit seiner vielstimmigen Zeichen- und Symbolkraft. Der Körper agiert hierbei gleichermaßen als Ausgangspunkt, Interpretationslinie, Aktionsfeld, Speicher und Gedächtnis in einem. Deleuze fasst dies wie folgt: „[…] der Mensch, der durch ein aktives Vermögen zum Vergessen, zur Verdrängung des biologischen Gedächtnisses erschaffen, das kollektiv ist – ein Gedächtnis von Worten/Reden (paroles) und keines der Sachen mehr ein Gedächtnis von Zeichen und keines von Wirkungen mehr. Diese Organisation, die das Zeichen direkt in den Körper eingraviert, ist das System der Grausamkeit [...] Sie ist die Bewegung der Kultur selbst, die an den Körpern sich vollzieht, sich in sie einschreibt und sie bearbeitet.“43
Ritus und Theater sind in dieser Denkfigur als weiter führende Praxis der Zeichen im Sinne der Kulturkonstitution zu verstehen. Demnach kann zwischen einer scheinbar absichtslos stattfindenden Ebene des Körpers in Präsenz des Ereignisses und der bewussten Praxis des Körpers im Rahmen einer ziel- und interessegerichteten Selbstinszenierung einer codierenden und codierten Bedeutung kaum unterschieden werden. Setzt man voraus, dass die Symbolkontextualisierung Ergebnis soziokultureller Ereignisse und Entwicklungen ist, kann die beobachtbare und bewusste Praxis des Körpers als Ergebnis dieser betrachtet werden, wobei diese Praxis nicht immer vor dem Hintergrund der historischen Symbolik reflektiert und angewendet wird, dafür erscheint diese allzu komplex, um stets voll mitbedacht zu sein. Dennoch schwingen Historizität und Mythos in der alltäglichen Praxis in Form von Ritus und Theater stets als geformte Biographie mit und bestätigen als Exempel jenes Gefüge, in welchem sich die Technologien des Selbst in ihrer Anwendbarkeit als „praktische Vernunft“ operationalisieren.
V OM K ÖRPER ZUM R ITUS M YTHOS ZUR O RDNUNG
ZUM
T HEATER
– ÜBER DEN
Aus meiner bisherigen Beschreibung einer Anthropologie des Theaters im Leben geht hervor, dass der Körper in einem komplexen Umfeld aus Bedeutungen eingebettet ist und dabei selbst zu einem Zeichen wird, das sich im beweglichen Gefüge einer sich verändernden Lebendigkeit in eine Bedeutung überführt sieht. Präsenz des Körpers ist demnach kein Zustand einer geringen Beschriftung und Zeichenhaftigkeit des Körpers sondern, wie bereits angedeutet, jener Augenblick
43 Deleuze/Guattari, 1977, S. 184.
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eigener gehemmter Selbstwahrnehmung, der gerne als Affekt, Aura oder Affizierung verstanden wird, indem die Zeichen als solche im blinden Fleck nicht komplett lesbar sind. Daher möchte ich an diesem Punkt jenen Übergang markieren, an dem aus einer losen Präsenz des Körpers eine weiter geführte Bedeutungsrepräsentation wird. Der Körper als Phänomen (Theater des Lebens) entwickelt sich im Übergang zum Ritus weiter, daraus geht als konstruiertes Gesellschaftskonzept bedeutungsvoll das Theater als Funktion von Gesellschaft unter dem Aspekt einer Kunstform hervor. Die Technologien des Selbst agieren in einen Austausch von Konstellationen des Sozialen und Kulturellen hinein. In der Weiterführung ist die griechische Tragödie des antiken Theater exemplarisch hilfreich, um einen differenzierenden Wendepunkt vom Körper über den Ritus zum Theater als Gesellschaftsfunktion festzuhalten. Cyberspace und antikes Theater erscheinen auf den ersten Blick auf Grund historischer Distanz als unvereinbare Dimensionen, doch in der genaueren Betrachtung wird sich herauskristallisieren, dass es beide Räume sind, in denen Szenen und Bilder des Lebens nicht nur dargestellt werden, sondern auch Wirksamkeiten und Bedingungen für eine Welt- bzw. Wirklichkeitskonstruktion auf der Ebene der Bedeutungsrepräsentation hervorgebracht werden, indem der Körper als symbolisches Kommunikat eine narrative Ebene durch die Produktion von Bildlichkeit evoziert. Vilém Flusser hat diese generelle Bildmacht wie folgt mit diesem Gedanken in Verbindung gebracht: „Wer sich mit der Welt durch Bilder verbindet, wer sie als Szene erlebt, wer auf der magischen Bewusstseinsebene steht, kurz wer imaginativ lebt, für den ist Welt zugleich richtig und entsetzlich. Sie ist ‚heilig‘. Und da wir alle uns sehr oft auf dieser Ebene befinden (sei es, weil wir in ihr verankert sind, sei es, weil wir sie ‚heraufbeschwören‘ oder andere Bewusstseinsebenen ‚ausklammern‘ können), da wir alle über Imagination verfügen, können wir diese ‚Heiligkeit‘ der Welt und des Lebens darin empfinden.“44
Es sind die in Bildform dargestellten Szenen von Körpern, die sowohl im Cyberspace, im Ritual als auch im antiken Theater wirksam sind, um Bedeutung einer Struktur herzustellen. Nichts anderes geschieht im Cyberspace, stellt sich dieser doch als eine expansive Konstruktions- und Dekonstruktionsfläche von Symbolen dar. Auf diesen Flächen vollziehen sich Inszenierungen des Körpers als gesampelt übermedialisierte Wirklichkeit, die soziale, politische und individuelle Relevanz und Konsequenzen hervorbringen. Der Cyberspace ist in dieser Funktion ein techni-
44 Flusser, Vilém: Kommunikologie. Frankfurt am Main, 2007, S. 121.
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siert verlängerter Aspekt des Körpers und seiner in ihm wirksamen Zeichen. Diese Verlängerung des Körpers findet in den Riten und im Theater als Inszenierungsfläche grundlegend nicht anders statt. Der Alltag ist rituell angelegt, der Cyberspace als Teil modernen Lebens ist in der Anwendung nicht minder ritualisiert. Vom Körper ausgehend ist der Ritus als der erste komplex verwirklichte Übergang des Körpers in ein zweckgerichtetes gesellschaftliches Narrationssystem zu verstehen, das, von Zeichen und Symbolen getragen, Bedeutungen der Repräsentation entwickelt. Wie sich dies als Verfeinerung über das Theater der Antike bis in die Gegenwart als Expansion von Bedeutungen fortführt werde ich auf Grundlage meiner bisherigen Überlegungen nachvollziehen.
K ÖRPER IM R ITUS Dass Riten von einer Theatralität und einer Regieanordnung getragen werden, lässt sich anhand von van Gennep vorgelegten Forschungsansätzen nachweisen. Van Gennep vollzieht in seinen ethnologischen Beobachtungen eine strukturelle Trennlinie in den Riten, die in ihrer Wirkung eine Ordnung in der gesellschaftlichen Dimension herstellen. Denn van Gennep löst mit seinen auf empirischer Basis festgestellten Aussagen und Betrachtungen den Begriff des Ritus aus dem rein magisch-religiösen Zusammenhang, indem er eine Trennung in profan und sakral einführt, die Übergänge von profan und sakral sind mit Zwischenstufen gekennzeichnet. Profanes und Sakrales sind nach van Gennep keine sich ausschließenden Realitäten des Lebens, sondern befinden sich in einer Wechsel- oder Übergangsbeziehung. Profan und sakral sind lediglich in ihrer Bedeutung unterschiedlich, beides ist in sich ein gültiges Repräsentationssystem. Riten dienen jenem Zweck, die aus der Gemeinschaft entstehenden Veränderungen als Übergänge des sozialen Lebens zu verstehen und diese in eine gültige Ordnung oder Struktur zu versetzen. Die Gewichtung in profane und sakrale Riten variiert laut van Gennep abhängig vom Entwicklungs- oder Bildungsstand einer Gesellschaft: Ist eine Gesellschaft gering entwickelt (im Sinne von zivilisiert) ist eine höhere Verlagerung der Riten in Richtung des Sakralen zu bemerken. Der Bereich profaner Riten ist laut van Gennep stärker betont in Gesellschaften, die ein höheres Maß an allgemeiner Entwicklung oder Bildung errungen haben. Beide Gesellschaftsformen sind allerdings von Ritualisierungen durchzogen, die eine gewisse Struktur oder Ordnung von Realität organisieren. Hierbei dient ebenfalls als erster Ausgangspunkt der Körper, denn dieser ist biologischen Entwicklungsprozessen unterworfen, die von rituellen Handlungen in die nächsten Entwicklungsstufen begleitet wer-
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den. Altersstufen sind beispielsweise Markierungen von Übergängen, die eine soziale Funktion beinhalten.45 Van Gennep dazu: „Das Leben ist somit Ausgangspunkt einer Folge von Etappen, deren End- und Anfangsphasen einander ähnlich sind: Geburt, soziale Pubertät, Elternschaft, Aufstieg in eine höhere Klasse, Tätigkeitsspezialisierung. Zu jedem der Ereignisse gehören Zeremonien, deren Ziel identisch ist: Das Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genaue definierte hinüberzuführen.“46
Es sind also Kennzeichnungen von Übergängen, die van Gennep als Grundlage für seine Auslegungen heranzieht. Er geht dabei von der körperlichen Ebene als Ausgangpunkt aus, die an sich schon von Übergängen gekennzeichnet ist. Diese körperlich-biologischen Entwicklungsübergänge werden eingeflochten in das gesellschaftliche Miteinander in Form von Riten, der Charakter von Riten beinhaltet hierbei individuell und kollektiv stiftenden Sinn in Form einer strukturierten und strukturierenden Inszenierung. Hier tauchen zwar jene auratischen Ebenen im Alltag auf, die bei Benjamin eine Expression markieren, doch werden diese Übergänge als biologische und körperimmanente Repräsentation aufgenommen. Veränderungen, die phasische Übergänge der körperlichen und kulturellen Entwicklung einer Person beschreiben, dienen als ursächliches Motiv, den Körper zu beschriften. Riten sind demnach als inszenierte Übergänge zu verstehen, die Markierungspunkte einer definierbaren Entwicklung von Gesellschaften und deren Mitgliedern sind. Van Gennep kennzeichnet in seiner Theorie drei grundlegende rituelle Phasen, die sich als Übergang kennzeichnen lassen: Trennungsriten, Schwellen-Umwandlungsriten und Angliederungsriten. Mit Trennungsriten meint van Gennep die Trennung von der alten Welt, also das Ende eines Entwicklungszyklus. Schwellen- bzw. Umwandlungsriten sind jene Riten, die eine Art Zwischenphase beschreiben, die zwar auf die Trennung folgt, aber vor der Angliederung verortet werden muss. Die Schwellenriten sind demnach als Phasen der Vorbereitung zu betrachten. Diese Abfolgeordnung wird geschlossen mit der Dimension der Angliederungsriten. Diese Riten dienen der Anknüpfung und Verbindung in einen neuen Entwicklungszyklus.47
45 Vgl. Van Gennep, Arnold: Übergangsriten. Les rites de passage. Frankfurt/New York, 3. Aufl. 2005, S. 27-29. 46 Ebd., S. 15. 47 Vgl. ebd., S. 27-29.
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Alleine diese Beschreibung legt die Dramaturgie der Riten als Konstitutionsbasis jeglicher Sozialität im Sinne einer repräsentierenden Bedeutung offen. Riten sind als dramatisches Phänomen sozialer Begegnung und Ordnung zu verstehen, die kulturell gewachsen einer Inszenierungsdramaturgie folgen und den grundsätzlichen Charakter menschlicher Sozialkonstitution nie verlieren. Daher ist es nachvollziehbar, wenn Turner von „sozialen Dramen“ spricht und diese wie folgt beschreibt. „Obwohl man sagen könnte, das soziale Drama sei eine ‚Geschichte‘ […], da es unterscheidbare Eröffnungs-, Übergangs- und Endmotive bzw. kulturelle Markierungen aufweist, es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat, bin ich auf Grund meiner Beobachtungen zu der Überzeugung gelangt, daß es sich tatsächlich um eine spontane Einheit des sozialen Prozesses und ein universelles Phänomen handelt.“48
Soziale Interaktion und Begegnung folgen demnach einem Zyklus, der, von der Eröffnung einer Situation ausgehend, einen Übergang und einen Endzustand herbeiführt. Die Interaktion innerhalb dieses Zyklus ist das „soziale Drama“. Die Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Gruppe folgt bestimmten Phasen, die Turner wie folgt definiert: „[…] daß soziale Dramen […] vier Phasen aufweisen, die ich Bruch, Krise, Bewältigung und entweder Reintegration oder Annerkennung der Spaltung nenne. Soziale Dramen entstehen in Gruppen, deren Mitglieder die gleichen Werte und Interessen sowie eine – tatsächliche oder angeblich – gemeinsame Geschichte haben.“49
Im Bezug auf das Spannungsfeld Individuum und Gruppe, demnach dienen die als soziales Drama inszenierten Riten, die als bedrohliche Wucht erlebten Entwicklungszyklen des menschlichen Körpers zu kanalisieren und für alle Beteiligten als Gemeinschaftserlebnis zu generieren, mit dem Ziel die stabilisierenden Strukturen der Gemeinschaft erhalten zu können. Auf der Basis des sozialen Dramas entstehende Riten dienen darüber hinaus auch als Kohäsionsfaktor zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern, beispielsweise wenn die Gruppe von außen einer Bedrohung ausgesetzt wird. Die Übergänge, die van Gennep beschreibt sind als rituelles Drama zu bezeichnen, das auf den Spannungsebenen des Profanen und Sakralen inszeniert wird.
48 Turner, S. 108. 49 Ebd.
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Das Spannungsfeld des Sakralen und Profanen beschreibt hierbei die Polarität von Geburt und Tod als die umschließenden Grenzen des Lebens, beides sind Übergänge, die mit Zeremonien auf entweder magisch-religiöser oder weltlichrationaler Ebene besiegelt werden. Wenn also diese Andeutung auf die existentielle Polarität von Leben und Tod verweist, ist die Ritualisierung als ein Versuch anzusehen, diese existenzielle Konsequenz in einer versöhnlichen Inszenierung des Lebens zu bündeln. Im Kontext der Riten wird der Körper aus seiner reinen Präsenz in die Bedeutung einer kulturellen Funktion überführt, hierbei dienen die entwicklungsspezifischen Stadien des Körpers als Initial eines jeweiligen Rituals. Der Körper in seinem biologischen Entwicklungsverlauf generiert ein berechenbares Zeichenspiel, das in einem ihn umgebenden Gefüge eingeordnet und aufgenommen wird. Um eine sinngemäße Überleitung der Bedeutungen des biologischen Körpers, im Sinne des Rituals zum institutionalisierten Theater der gesellschaftlichen Bedeutungsrepräsentanz vollziehen zu können, werde ich im Weiteren einen Blick auf die Entwicklung des Theaters der Antike entwerfen. Hierbei werde ich dem Prozess nachgehen, der offen zu legen vermag, wie der Körper aus seiner Präsenz, die sich, wie bisher gezeigt, nur schwierig als nackte Präsenz begreifen lässt, darstellt. Vielmehr möchte ich die Ausweitung und gleichsame Zersplitterung eines Gefüges offen legen, das zweckmäßig im Sinne einer Repräsentation und Bedeutung den Körper funktionalisiert. Diese ausgeweitete Zuweisung von Bedeutung enthält wiederum Setzungen von Struktur und Verhalten, welche hierdurch über eine körperlich-biologisch bedingte Präsenz hinausragen und eine Verfestigung erweiterter Bedeutungsordnung hervorbringen. Dies wird auch im Hinblick auf einen Vergleich zwischen Cyberspace und Theater hilfreich sein, denn die kulturellen Setzungen von Bedeutung herrschen innerhalb des Cyberspace ähnlich, wie sie im antiken Theater wirksam gewesen sind. Denn beides, so die momentane Vermutung, sind Orte der Repräsentation von Bedeutung.
ANTIKES T HEATER
ALS
B EDEUTUNGSORT
Ritualität habe ich als eine elementare Narrationsschicht von Bedeutung und Repräsentation eingeführt, die, sich an biologischen Entwicklungsstadien des Körpers orientierend, eine erste Ordnung des Sozialen geschaffen hat. Wie aus dieser zunächst losen Schicht von Bedeutungssedimenten sich ein festgetretener und kulturell gültiger Ort der Bedeutung als Theater im Sinne einer Gesell-
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schaftsfunktion herauskristallisiert hat, möchte ich in den nächsten Überlegungen nachvollziehen. Das antike Theater ist jener Ort, an dem die Tragödie aufgeführt wurde. Dabei ist dieses antike Theater als Form gebendes Gefäß zu verstehen, die Tragödie als dessen mythologisch begründende Basis, die narrativen Inhalt in Form von Erzählung transportiert. Als Keimzelle der Tragödie ist offenbar ein durch Weinrausch verursachtes, rituell motiviertes Dionysoslied zu sehen, das in Begeisterung und Wirkung von Einzelnen, aus einer Improvisation ausgehend, auf die schauende Menge überspringt.50 Der Übergang, den die Verehrung des Gottes Dionysos im antiken Griechenland markiert, ist jener vom Winter zum Frühling. Diese Übergangsordnung gelingt und wirkt nur, indem der Blick auf Körper, Natur sowie Mythos/Gesellschaft durchgeführt, mitgedacht und reflektiert wird. Der als soziales Drama inszenierte Ritus des jahreszeitlichen Wechsels wird mit der mythologischen Gestalt des Dionysos verknüpft, die Prozesse der so entstehenden Dramaturgie orientieren sich zunächst an den Übergängen natürlicher Phänomene in der Umwelt. Erzählort dieser phänomenalen Prozesse ist primär der Körper mit seiner Sprachlichkeit und Symbolkraft im Kontext seiner eigenen Entwicklungsfähigkeit im Zusammenspiel von Gesellschaft und Natur. Das Wort als rationales Element der Sprache und deren Bedeutung erscheint zunächst sekundär. Im sozialen Kontext betrachtet, erzeugt und bestätigt die symbolische Körperdarstellung auf der Bedeutungsebene ein soziokulturelles Bezugssystem in Form eines Ritus. Die Verehrung des Dionysosgottes, der der Gott des Rausches, der Fruchtbarkeit und der Ekstase im antiken Griechenland ist, besaß im Leben der griechischen Antike einen hohen Stellewert. Die rituellen Handlungen zu Ehren des Dionysos basieren auf den Urelementen dramatischer Formen wie Tanz, Gesang, Opfergaben und Masken.51 Solche rituell-religiös motivierten Handlungen, die erweitert werden durch mediale Elemente der Verwandlung und Reflexion, sind darüber hinaus als Entwicklung von sakraler Ritualität zur Kunst zu markieren. Dieser Übergang ist als Wandlung von Sakralem zu Profanem zu verstehen, denn die bloße Religiosität wird erweitert durch ein erzählendes Element der Kunst, die sich als Ableitung gesellschaftlicher Bedingung zu verstehen gab. Aus der reinen Verehrung eines Gottes entfaltet sich durch die Medialität des Körpers und seiner Bilder ein au-
50 Vgl. Latacz, Joachim: Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen, 2003, S. 61. 51 Vgl. Kuch, Heinrich: Die Griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion. Berlin, 1983, S. 11.
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genfälliger Ausgangspunkt von Geschichte und Leben, der als strukturale Entwicklung des Theaters hin zur Kunstform dient. Die Entwicklung von der sakralen zur profanen Ebene ist im antiken Theater unterfüttert durch den Einsatz des Chores, der neben dem Körper und den rituellen Motiven ein weiteres narratives Element der Tragödienentwicklung darstellt. Der Chor bezieht nach Latacz nicht mehr nur mythologische oder rituelle Ebenen ein, sondern nimmt kommentierend Bezug zu konkret gesellschaftlichen Ereignissen und Themen, die in der Inszenierung aufgearbeitet werden.52 Am Beispiel der Antike vollzieht sich eine an Körperbildern orientierte, irrational-affektiv schimmernde Ebene, die eine Festigung des Gemeinschaftsgefüges bewirkt. Die Entstehung des Chores ist als erweitert mediale Einführung einer reflexiven Ebene zu verstehen, die in der Logik von van Gennep als Übergangselement vom Sakralen zum Profanen zu deuten ist. Die religiös geleitete Verehrung einer Gottheit wird überführt in eine konkrete Bezugnahme auf gesellschaftliche, nicht primär religiöse Vorgänge. Die Profanisierung ritueller Handlungen, also die Loslösung von rein religiös motivierten Funktionen, ist kennzeichnend für die Beweglichkeit und Veränderlichkeit symbolischer Körperlichkeit, die nicht stehen bleibt, sondern sich ständig neu verortet und in Beziehung gesetzt wird mit den sich verändernden Bedingungen individueller sowie kollektiver Wirklichkeiten. Daher ist aus der Logik einer unterstellten Anthropologie des Theaters jener Wendepunkt umschrieben, an dem aus einem Ritus das institutionelle Theater als Verknüpfungsmedium zwischen Metaphysik und gesellschaftlicher Realität hervorgegangen ist. An jenem Punkt war es noch keine Kunst im Sinne der Unterhaltung, sondern vielmehr ästhetisches Bildungsprogramm, das im Sinne einer Struktur gebenden Wirksamkeit mit den Mitteln der Kunst im Kontext soziokultureller Prozesse stattfinden konnte. Diese mehrdimensionale Relevanz anthropologisch nachvollzogener Theatralität menschlicher Existenz lässt sich an jener Schnittstelle nachzeichnen, an der sich aus rituellen Handlungen die Kunstform des Theaters in der griechischen Antike entwickelt hat. Der Rückblick auf die rituell-kultischen Entstehungszusammenhänge dieses Theaters verdeutlicht eine Grundsätzlichkeit des Körpers als gültiges Bild im Kontext von Bedeutungszusammenhängen. Daraus ergibt sich geradezu die Notwendigkeit eines Inszenierungsmotivs, das in der Folge für die Bildung eines sozialen Gefüges sowie zur Verortung eigener Identität in diesem als funktional zu werten ist. Die Tragödie im Kontext des antiken Theaters ist als Resultat dieser Profanisierungsbewegung zu interpretieren. Hannes Böhringer sieht die Basis der Tragödie im Kontext von Handlung und Ohnmacht:
52 Vgl. Latacz, S. 61.
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„In der verspäteten Erkenntnis erkennt der Handelnde seine Ohnmacht gegenüber der Unumkehrbarkeit der Zeit und des Geschehens. Nur künstlich kann, was geschehen ist, rückgängig gemacht, wiederholt und wiederhergestellt werden: als mimesis. Die Macht der Tragödie beruht auf der Ohnmacht des Handelns. Die Theatermaschine transformiert die Aporie der Praxis zur Poiesis.“53
Im unübersichtlichen Kreisel der Handlung, in dem der Blick versperrt ist auf die Wirkung der Handlung, schafft die Tragödie eine erweiterte Ebene, die ihrer Funktion nach die Nachahmung der ohnmächtig handelnden Figuren bereitstellt. Im übertragenen Sinne beschreibt Böhringer hier jene blinden Flecke der Wahrnehmung, die als Präsenz gedeutet werden können. Die Kraft der Tragödie verwirklicht sich im erneuten Zeigen einer Handlung, die in der Ohnmacht des Augenblicks verschüttet war. Über die Tragödie wird im Wieder-Zeigen die Konsequenz vergangener Handlung in der Rezeption als Reflexionsleistung überbrückt. In diesem Augenblick wird der als präsent erlebte Körper aus dem die Repräsentationen schaffenden Blick in eine Ordnung eingeschleust. Daher ist der Körper nie nur präsent, da er von außen einer auf Repräsentationen beruhenden Bedeutung zugeführt wird, dies geschieht unabhängig vom eigenen Erleben. Das Äußere ist bereits da und wirkt. Das fundamentale Bedürfnis nach Gemeinschaft bündelt sich in einem strukturalen Konzept als Ritus, der sich zum Theater weiterentwickelt. Der Rekurs auf die griechische Tragödie – als ein dynamisches Gefüge verstanden – verdeutlicht, wie sich in einer Gleichzeitigkeit die Komplexitäten der unterschiedlichsten Wirkebenen gesellschaftlicher und individueller Lebenswirklichkeit verschränken und in ein ästhetisches, psychologisches, politisches und soziokulturelles System der Interaktion entwickeln und etablieren. Für Kuch ist das literarische Wiederbeleben und gleichzeitige Collagieren von Mythen mit der aktuellen Gesellschaftsrealität Grundlage zur Schaffung einer übergeordneten Bedeutungsebene, auf die sich alle Beteiligten der griechischen Antike beziehen konnten. Die Einbettung eigener Biografie in die gesellschaftliche Polisrealität ist durch die ästhetische Aneignung des Mythos gewährleistet. Daraus konnte eine permanente Wechselwirkung zwischen Kunst und Realität entstehen. Kunst und Realität korrespondieren als Akzente einer überlieferbaren ästhetischen Bildung miteinander, die als Errungenschaft einer Dialog-
53 Böhringer, Hannes: Das hölzerne Pferd: In: Ars Electronica (Hrsg.), Philosophien der neuen Technologien. Berlin, 1989, S. 15.
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kultur zu deuten ist. Der Mythos bildet in diesem Zusammenspiel die Projektionsfläche für die jeweils aktuellen Ereignisse gesellschaftlicher Realität.54 Allgemeine Tragweite für die Gesellschaft und gültige Bedeutung für die Individuen zu entfalten, ist primäre Aufgabe dieses Theaters. Der daraus hervorgehende Effekt der Katharsis folgt der Macht der angelegten Sinnsetzungen. Dem psychologischen Wirkungsziel der Tragödie nähert sich Aristoteles in seinem Werk über die Poetik. Er spricht dort von einer „tragödienspezifischen Lust“. Dabei geht es um ein charakteristisches Gereinigtwerden, das er mit dem Begriff der Katharsis umschreibt. Die Reinigung bezieht sich hierbei auf Lösung von zuvor als ergreifend empfundenen Affekten, an deren Spitze, seiner Meinung nach, die Grund-Affekte Mitleid (im Sinne von gequältem Mit-Leiden) und Furcht (im Sinne von Entsetzen) stehen.55 Demzufolge geht aus der Katharsis die Fähigkeit hervor, das Übermaß emotionaler Befindlichkeiten zu relativieren, um einen Zustand der Harmonie möglich zu machen. Das Abnorme oder das Extreme wird gezügelt, um aus einer Distanzierung heraus den Verstand dazu zu bemächtigen, eine Korrektur der Leidenschaften hin zur Mäßigung zu vollziehen. Die Art und Weise der Reinigung wird in der Kombination der beiden Komplexe physiologisch-psychologischer sowie intellektuell-philosophischer Beeinflussung durchgeführt.56 Die Katharsis zielt darauf ab, den Kern der Wahrheit von falschen Widersprüchen zu lösen.57 Latacz dazu: „Aristoteles hat wohl tatsächlich die tiefste […] Wirkung der attischen Tragödie herausgespürt: durch bewusste Steigerung und Übersteigerung der Affekte auf der Ebene der ästhetischen Distanz über den Identifikations-Effekt eine lustvolle Entladung dieser Affekte zu erzielen […] also lustvoll eine empfundene höhere Stufe rationaler Problemreflexion zu ermöglichen.“58
Das antike Theater zeigt sich als wirkmächtiges Instrument, Bedeutungen für individuelle und kollektive Wirklichkeitskonstruktionen zu schaffen und zu etablieren. Wie beschrieben, folgt die erzeugte Wirkung dem Prinzip der Bildmacht.
54 Vgl. Kuch, S. 32-33. 55 Vgl. Latacz, S. 65 -66. 56 Vgl. Krajnik, Robert: Theaterpädagogik im Kontext ästhetischer Bildung. Magisterarbeit. Mainz, 2010, S. 39. 57 Vgl. Nachov, Isaj: Katharsis und Consolatio. Ein Beitrag zum Wesen der Katharsis. In: Kuch, Heinrich (Hrsg.), Die Griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion. Berlin, 1983, S. 194-197. 58 Latacz, 2003, S. 66.
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In diesen Bildern ist der Körper als Ausgangspunkt vollzogener Handlungen zu betrachten, die in Form überlieferter Mythen die Grundbausteine einer Narration bereitstellen Deleuze und Guattari haben in diesem Zusammenhang die Verknüpfung der Mythen mit den Repräsentationen als Codierung des Körpers innerhalb eines Systems verstanden: „Denn Mythos und Tragödie bilden symbolische Repräsentationssysteme, die den Wunsch noch auf bestimmte äußere Bedingungen wie besondere objektive Codes zurückführen – der Körper der Erde, der despotische Körper – und die auf solche Weise der Aufdeckung des abstrakten oder subjektiven Wesens entgegenwirken.“59
Auf diese Weise wird eine strukturale Ordnung der Gesellschaft auf Grundlage einer verkörperlichten Bedeutung arrangiert. Gleichzeitig ist der Körper der Ort der Rezeption und Verarbeitung dieser bereitgestellten Körperbilder. Die Verzahnung von Individualität und Kollektivität wird auf diese Weise gesichert. Hierbei verdeutlicht sich der Wandel, durch welchen sich aus rituellen Handlungen eine gesellschaftliche Struktur einerseits und andererseits eine individuelle Identität auf Basis von Symbolen und Zeichen in Form des Theaters als allgemeinem Ort von Signifikanz und als Medium ausbilden konnten. Entscheidend an diesem Vorgang der Signifizierung des Körpers ist allerdings die Entwicklung des Körpers weg vom Ort seiner bloß biologischen Präsenz zu einem voll gepackten und beschrifteten Objekt symbolisch repräsentativer Bedeutung im Kontext eines gesellschaftlichen Interesses.
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ALS DIGITALES
T HEATER
Übertrage ich diesen am antiken Theater beschriebenen Signifizierungsprozess des Körpers auf den Cyberspace, wird deutlich, dass auf der Wirksamkeitsebene der Bilder der Körper primärer Bedeutungsträger geblieben ist. Die anthropologische Spur des Leibes klingt bis in die Displays des Cyberspace nach. Denn jegliche Bedeutung entfaltet sich, wie dargelegt, am Körper, der als Leib erlebt wird. Jürgen Hasse unterstreicht diese anthropologische Kategorie des Leibes: „Der leibliche Raum ist eine anthropologische Kategorie und daher unhintergehbare Bedingung unserer Existenz. Die Natur der Sinne verbindet den Menschen mit der Welt. Sie
59 Deleuze/Guattari, 1977, S. 387.
58 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE verbindet ihn leiblich – sich selbst spürend – mit einem Geschehen im Schmerz, in der Sexualität, der Krankheit, im Hören, Riechen etc.“60
Diese Unhintergehbarkeit des Körpers ist im Kontext der Selbstinszenierung auf der Ebene des Rituals, des Theaters und des Lebens belegt. Der Körper ist zumindest als Bild immer ein tragender Pfeiler gesehener und gezeigter Selbstinszenierung. Darin unterscheiden sich Theater und Cyberspace im Grundsatz kaum voneinander. Beides, das Theater sowie der Cyberspace, erzeugt eine Bedeutungsebene über die vollzogenen Bildakte des Zeigens und des Sehens. Die Wirkung einer Inszenierung folgt stets der Macht eines erzeugten Bildes und des in seinen Bezügen sichtbaren Körpers. Der Cyberspace ist allerdings kein unmittelbar zugänglicher Raum, sondern bedarf einer dinglichen und materialisierten Ausstattung, also digitaler Apparate, um als Raum seine Entfaltungsebene wirksam zu machen. Der Cyberspace ist das materialisierte Resultat kultureller und sozialer Prozesse, die „[…] von Menschen geschaffen worden sind, also anthropologische Voraussetzungen haben.“61 In dieser anthropologischen Wurzel des Cyberspace, der als materialisiertes Phänomen sozial-kultureller Gesellschaftsbildung zu verstehen ist, entfaltet sich dieser aus seiner Gegenständlichkeit in einen Gesamtkontext einer Aufführung und Inszenierung. Wulf sieht die Dinge daher stets eingebettet in menschliches Handeln: „Gegenstände und Dinge dürfen nicht isoliert gesehen werden. Sie müssen im Zusammenhang mit menschlichem Handeln, mit sozialen und kulturellen Inszenierungen und Aufführungen sowie mit kulturellen Praktiken und praktischem Wissen gesehen werden. In mimetischen Prozessen werden die in Gegenständen und Dingen materialisierten kulturellen Prozesse erfahrbar.“62
Die als Räumlichkeit erzeugte Virtualität im Cyberspace ist daher als Resultat verknüpfter kultureller Mimesis zu betrachten. Technisierung ist daher nicht als Opposition zum Menschen zu betrachten, sondern als Folge seiner Handlungen, die stets eingebettet sind in den Körperlichkeiten der Dinge und des Menschen, die als Inszenierungspraxis eines Selbst zu Geltung kommen. Im Bild des Theaters sind dies die symbolisch aufgeladenen und den Sinn unterstützenden Requi-
60 Hasse, 2007, S. 29. 61 Wulf, Christoph: Die mimetische Aneignung der Welt. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 16. 62 Ebd., S. 16.
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siten einer Aufführung. Der Cyberspace ist demnach als neuartige Agora zu verstehen, auf der sich die Codes der Symbole bündeln, erweitern, konstruieren und dekonstruieren. Im Cyberspace wirkt der kommunikative Austausch in Foren und sozialen Netzwerken nicht anders, dort ist es der dargestellte, durch seine Bildlichkeit anwesende Körper, der Gemeinschaft auf Grundlage eines gegenseitig getragenen Interesses der Akteure erzeugt. Nicht nur sind gezeigte und gesehene Körperbilder in einer Dauerschleife eingeflochten, sondern gleichzeitig das Instrument eines Mythen transportierenden Prinzips, das auf diese Weise jeweilige Repräsentationen festigt. Dennoch bleibt bei aller unterstellten digitalen Leichtigkeit der Körper Basis sämtlicher Inszenierungen imaginärer und virtueller Bildung. Jegliche Narrative, auch die seiner selbst, gehen von ihm aus und fallen auf ihn zurück. Dabei könnte der Chiasmus gelten: Das Virtuelle ist imaginär und das Imaginäre virtuell. Anwesenheit und Abwesenheit der Körper, verstanden als mediale Grundbedingung. Im Theater vollzieht sich die Inszenierung des Imaginären analog und im Cyberspace digital. Die Differenz zwischen analog und digital ist als erstes Unterscheidungsmerkmal beider Inszenierungsräume zu betrachten. Helga Finter dazu: „Analoge Medien tragen noch den Eindruck ihres Gegenstandes, als Index wahren sie Spuren einer Präsenz, Spuren von Körperlichkeit, von Materialität. Ihre Theatralität emphatisierte diese Spuren, indem sie diese als das ausstellt, was den Code der Repräsentation übersteigt, ihn sprengt, das Dargestellte in einer Dialektik von An- und Abwesenheit ambiguisiert. 63
Das Analoge ist demnach gekennzeichnet durch eine Dialektik der An- und Abwesenheit des Körpers. Finter unterscheidet das Digitale vom Analogen wie folgt: „Selbstinszenierung und Exploration der physischen Grenzen sind auch von Anfang an Gegenstand der digitalen Medien, doch unter neuen Bedingungen: Befreit vom Kontext und vom Kontakt mit dem Objekt – keine Licht- oder Tonwellen garantieren mehr die Verbindung zu irgendeinem Körper, zu irgendeiner Materialität, scheint das digitale Medium zugleich die Fesseln des Imaginären abgeworfen zu haben.“64
63 Finter, Helga: Cyberraum versus Theaterraum. Zur Dramatisierung abwesender Körper. In: Christoph Bieber, Claus Leggewie (Hrsg.), Interaktivität. Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt am Main, 2004, S. 312. 64 Ebd., S. 313.
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Finter unterstellt dem digitalen Medium einen fehlenden Kontakt zum Gegenstand, also zum Objekt. Für den Körper bedeutete dies im Umkehrschluss, dass das Digitale den Körper als abgebildete Spur im Cyberspace inszeniert, da die Kontakte zur Materie scheinbar verloren gegangen sind. Die funktional-theatralen Parallelen, die sich ebenfalls im Cyberspace nachbilden, sind dahingehend spürbar, wie die Übertragung auf den Cyberspace als Inszenierungsraum auf Grundlage desselben anthropologischen Motivs, nämlich der symbolischen und semantischen Konstruktion des Lebens, vollzogen wird. Theater und Cyberspace sind als mediale Inszenierungsräume zu verstehen, die auf Grundlage eines jeweils relevanten Körperbildes interaktionale Symbolprozesse in Gang bringen und halten. Diesen Parallelen werde ich im weiteren Verlauf nachspüren. Versteht man vor diesen Hintergründen das Theater als anthropologische Lebensaufführung und -inszenierung, ist vor dieser Perspektive die Entwicklung vom Ritus zum Theater nachvollziehbar. Im Hinblick auf die sich als selbstverständlich entwickelnde Nutzung des Cyberspace als Bühne einer vielstimmigen und vielbildlichen Inszenierungsfläche von Zeichen ist der Annahme nachzugehen, inwiefern sich ein ritueller wie ästhetischer Raum im Sinne einer Wirklichkeitskonstruktion als Theater im Sinne einer Erweiterung neu erfindet, dies ist generell voraus zu setzen und im Speziellen bezüglich des Cyberspace weiter zu entwickeln. Wenn der Cyberspace sich als neuer ritueller Raum sozialer Interaktion fundamental in der Wirklichkeitskonstruktion etabliert, sind die bisherigen Erkenntnisse Bestätigung einer Anthropologie des Theaters, das sich auf der flirrenden Grundlage eines auf Zeichen basierenden Gefüges zu einem Codierungssystem von Bedeutungen etabliert. Insgesamt wirken auch hier die Repräsentationen, die als Bild und Stellvertretung ihre Wirkung entfalten. Martin Schulz hierzu: „Das telepräsente Gesicht ist ein in Szene gesetztes, medialisiertes und also übertragenes Gesicht, nichts als die Maske einer Repräsentation, ein animiertes, doch nur sichtbares und eigentlich totes Bild; und mehr noch: Es ist ein Bild eines Bildes, welches wiederum einen inszenierten Körper zeigt, der sich auf andere und nächste Bilder bezieht, die ihrerseits schon nachgeahmt wurden und in unserem Blick, ob vertraut oder fremd anziehend abstoßend, ohnehin bereits als Bild erscheinen. Jede Repräsentation zieht eine endlose Verkettung von Vorgaben nach sich, so daß eine übergeordnete Frage etwa nach einer ursprüng-
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lichen Einheit oder der Entzweiung von realer Präsenz und medialisierter Repräsenz eines Körpers sich im Strudel eines grundlosen Zirkels zu verfangen scheint.“65
Dies umschreibt sehr passend, wie auf der display- und bildbasierten Fläche die umherwandernden Bilder ein Bedeutungskonvolut auf der Ebene eines inszenierten Selbst zur Geltung bringen. Dramatische, erzählende, darstellende Aussagen und Entwürfe von Personenkonzepten finden sich im Cyberspace, im Ritus, in der Antike und im Alltag in Bildform wieder, indem Tanz, Gesang, oder Text in Form von Masken als narrative Inszenierung eine Ekstase oder Information zur Schau stellen. Auch sind die Handlungen im Cyberspace von Riten durchdrungen. Die Errichtung eines Accounts beispielsweise, ist gekennzeichnet von der Schwelle, vom Übergang und von einem Entwicklungszyklus. Ist es bei van Gennep die Beschreibung eines Lebensalters und der damit einhergehenden Körperveränderung, die diese Übergänge markieren, sind es im Cyberspace die Komponenten der Ausstattung, also die Konsum- und Bedienfähigkeit eines Computers und die Möglichkeit einer Onlinenutzung, die Übergänge zu Zugängen initiieren. Mit dem Erwerb einer Ausstattung ist die Optionalität von Gemeinschaft im Cyberspace, also die gegenseitige Bühne der Inszenierung, gewährleistet. Der Blick, sowie das Bild der zur Schau gestellten Inszenierung folgen einer apparativen Zwischenebene, die als solche in der Nutzung allerdings unsichtbar bleibt oder exakter: sich in ihrer technischen Funktionalität nicht in der Tiefe offenbart, sich also lediglich in Form von Bildern zeigt, die Rechenprozesse des Computers bleiben als technische Kausalität unreflektiert abstrakt. Die entstehende Dramatik der Inszenierung wird in der Betonung stärker fokussiert als der vollzogene Apparatekonsum, der als notwendige Praxis mehr oder weniger selbstverständlich vorausgesetzt stattfindet. Wenn wir nun die Wirkweisen eines anthropologischen Theaters auf die technisch gestützte Gegenwart übertragen, indem der Ritus und das antike Theater als Modell für den Cyberspace dienen, bedeutet dies, dass die darin vollzogenen Inszenierungen zwar keinem religiösen Hintergrund folgen, dafür aber jenen Sinn bestätigen, Sozialität durch technisch ermöglichte Interaktion hervor zu bringen. Das entstehende Wissen einer hervorgebrachten Interaktion oder der bloßen Interaktionsvermutung mythisiert sich durch die nicht wahrgenommene Apparatisierung der im Cyberspace vollzogenen Inszenierung. Dieses in sich geschlossene Bedeutungsgefüge, bestehend aus funktionierenden Einzelmaschinen und dazwischen dem
65 Schulz, Martin: Körper sehen – Körper haben. Fragen der bildlichen Repräsentation. Eine Einleitung. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 1.
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Menschen, hat Flusser bereits sehr früh auch ohne weltumspannendes Internet beschreiben können: „Es gibt nichts jenseits des Apparates, und jede über ihn hinausgehende, jede ontologische oder ethische Spekulation, das heißt jede Infragestellung der Funktion und des Funktionierens ist ‚metaphysisch‘ geworden und hat ihren Sinn verloren. […] Der Apparat kann alles machen, und alles was der Mensch außerhalb des Apparates machen kann, kann der Apparat besser.“66
Die durch die permanente Nutzung entstandene Selbstverständlichkeit der Apparate erzeugt eine Art Unsichtbarkeit der Apparate und ihrer inneren Logik. Diese nicht erlebte Lücke im Verständnis technischer Prozesse erzeugt allerdings eine Art Grundbedingung sozialer Interaktion und der für sie notwendigen Selbstinszenierungen. Ähnlich wie der blinde Fleck der nicht wahrgenommenen eigenen Handlung, die sich als auratische Präsenz auflädt, wird die Apparatur der Maschinen zu einem metaphysischen Bestandteil erhoben. Die zwischengeschalteten Apparate, von deren Menge und Ausmaß niemand eine Ahnung hat, transportieren dabei ein ganz eigenes bedeutungsschweres Eigenleben, das fernab der dargestellten Bilder eine eigene Schrift und Sprache auf Basis der Informatik als repräsentative Ordnungsdimension mitliefert. Dieses technisch unterfütterte Gefüge dient den Akteuren einerseits als Vehikel einer wandelbaren Selbstinszenierung auf der Bühne des Cyberspace, andererseits dient dies der Inszenierung sozialen Anschlusses innerhalb entstehender Konventionen einer Gemeinschaft auf Grundlage digitaler Technik. Die Bilder der Antike bedienen sich ritueller Handlungen und werden anhand eines Mythos weitergedacht. Die Mischung aus Ritus und Mythos schafft jene Handlungsebene der Verbindlichkeit und Gewissheit. Die Parallele zur Bühne des Cyberspace eröffnet sich darin, dass sich beide Räume der Imaginationskraft des Virtuellen bedienen. Hartmut Böhme verknüpft Cyberspace und das Lebenstheater in seiner Argumentation sinngemäß. „Gewiss ist Cyberspace in einem exoterischen Sinn auch und zuerst ein ubiquitäres Archiv, ein Verkehrsmittel von Zeichen aller Art, ein Kommunikationsmedium, eine Wissensmaschine, ein Entertainment- und Sex-Tummelplatz, ein ideales Theater für multiple Persönlichkeiten und ein optimales Instrument szientifischer Globalisierung. In einem hermetischen Sinn aber ist Cyberspace eine religiöse Sphäre, die allerdings, bezogen auf
66 Flusser, Vilém: Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Frankfurt am Main, 1994, S. 28.
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die Religionen der Welt, ganz unspezifisch und ohne jede theologische oder institutionelle Bindung ist, gleichsam eine anarchische Fluktuation von religiösen Energien.“67
Der Verweis auf eine religiöse Dimension ohne theologische Begründung offenbart den szientistischen Bezug, der eine eklatante Aufwertung des Technischen als Voraussetzung des Cyberspace mit sich bringt. Da die technische Dimension in ihrer Übersetzung als Bildlichkeit hintergründig agiert, verstärkt sich die Wirksamkeit der Imaginationen im Virtuellen und mündet in einen mythologisch interpretierbaren Raum. In Dauerschleife umherwandernde Bilder, die als Repräsentation fungieren, umkreisen und codieren die Ebenen der Selbstkonstitution. Ist jene oben beschriebene Präsenz des Körpers schon nur indirekt, wirkt diese Präsenz der Selbstinszenierung durchkreuzt von zwischengelagerten Mythen, Imperativen, Logiken und Bedeutungen. Die quasireligiöse Dimension, die sich aus der technischen Selbstverständlichkeit und scheinbaren Unmöglichkeit ergibt, lässt die Wünsche innerhalb des Cyberspace zirkulieren. Auf dieser Grundlage lässt sich Böhme in seiner weiteren Argumentation über den Cyberspace als Theater folgen. „Ein Raum, der magisch durchwirkt wird, worin die Modalitäten von lebendig und unlebendig diffus oder vertauscht werden, worin der Gegensatz von Materie und NichtMaterie aufgehoben ist, und worin der Nutzer ein extremes Mass von zugleich manipulativer Freiheit und unpersönlicher Abhängigkeit erfährt.“68
Das magische Moment entsteht im Augenblick, in dem das Gegensatzpaar lebendig-unlebendig in einer Art Immaterialiät aufgehoben zu sein scheint. Die Befreiung vom Unlebendigen und gleichzeitige Beherrschung der Inhalte macht den Cyberspace zu einem Raum, in dem sich eine Freiheit der Selbstinszenierung aufzutun scheint. Gerade an diesem Punkt ist der Verweis untermauert, einen Bezug zum Mythos im Cyberspace in Richtung antiker Mythologie weiterzudenken. Denn die Wirkweisen des Cyberspace sind jenen in der griechischen Tragödie des antiken Theaters nur zu ähnlich. Böhme weiter: „Unabweisbar indes ist, dass Entwickler, Theoretiker und Nutzer des Cyberspace diesen als eine technische Realisierung magischer und fetischistischer Praktiken phantasieren, erleben, einrichten oder benutzen. Cyberspace ist sodann eine mythische Form, das Medium
67 Böhme, Hartmut: http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/ge schwindigkeit.html (letzter Zugriff: 07.01.2013 12.00 MESZ) 68 Ebd.
64 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE nämlich von komprehensiven und dichten, obligatorischen und kommunitären, naturanalogen und rituellen, polymorphen und polysemischen symbolischen Ordnungen. Diese Attribute kennzeichnen die Hybriditäts-Struktur des Mythischen in antiken Gesellschaften im Übergang von archaischen zu profanen Kulturformen. Es scheint, dass nach dem (symbolischen) „Tod Gottes“ der Cyberspace zu einem Medium einer Re-Mythisierung werden könnte, welche ähnliche Hybriditätsformen hervorbringt wie der antike Mythos.“69
Dieser Schluss legt zwar eine je spezifische Codierungslogik des Mythos, des Cyberspace und/oder des Jenseits nahe, darüber hinaus konzipiert Böhme hier allerdings den weit reichenden Gedanken, dass es eine gültige gemeinsame Basis der narrativen Wirksamkeit für alle drei Konstruktionen gäbe. Offensichtlich schwingen die metaphysischen Erwartungen einer Verbundenheit mit dem Totalen als jene Basis mit, die auf der Folie eines Theaters eine im jeweiligen Kontext kultureller Praxis anschlussfähige Inszenierung erlauben. Mythos und Jenseits als Sehnsuchtsort auf der einen und der Cyberspace als Versprechensort auf der anderen Seite bilden demnach ein jeweils gültiges Kommunikat, um Welt im Bewusstsein eigenen Vergehens versöhnlich im Individuellen sowie Sozialen auf der Bühne des von Repräsentationen durchquerten Lebenstheaters gestalten zu können. Die Konstruktion des Jenseits als Ort der Sehnsucht, an dem die Grausamkeit des vergänglichen Lebens überwunden werden kann, fällt mit Flussers Gedanken zu diesem Thema zusammen. Er fasst diesen sozialen, als Kommunikat konstruierten Umgang mit dem Tod wie folgt zusammen. „Er weiß, daß er sterben wird, und dieses Wissen um seinen Tod stellt eine Verfremdung dar. Die kodifizierte Welt, die ihn mit der ‚wirklichen‘ verbinden soll, gibt dieser ‚wirklichen‘ Welt einen Sinn, indem sie sie ‚bedeutet‘. Dieser Sinn der kodifizierten Welt ist eine Vereinbarung zwischen Menschen. Der Mensch ist einsam in seinem Wissen um den Tod und um die Sinnlosigkeit des Lebens; aber indem er der Welt und dem Leben Sinn verleiht und den Tod damit verneint, kommuniziert er mit anderen. Auf diese Weise wird die kodifizierte künstliche Welt, die der ‚wirklichen‘ einen Sinn gibt, zu einer Welt des Mitseins mit anderen, und der Mensch selbst wird durch die anderen ‚unsterblich‘.“70
In der Konsequenz bedeutet dies, dass die inszenatorischen Vorgänge eines Selbst im Cyberspace und im Theater des Lebens das Bild einer Identität ausmachen, um nicht vergessen zu werden. Die Inszenierung dient als Erinnerung für
69 Ebd. 70 Flusser, 2007, S. 209.
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sich und das Gegenüber. Die Speicherkapazitäten der Erinnerung haben sich von den Höhlenwänden ins Unermessliche der digitalen Datenmengen übersteigert. Niemand kann mehr vergessen werden, alle können aus ihrer jeweiligen Selbstinszenierung heraus im Cyberspace ins Unendliche hinein unvergessen gemacht werden. Das ist das Versprechen des Cyberspace als technisch-relgiöser Erlösungsraum. Dabei ist dieser Raum durchsetzt von vorgefertigten Mustern und Codierungen, die in ihrer Summe die Repräsentation einer Ordnung widerspiegeln. Diese Ordnung wird aufrechterhalten, indem immer wieder jeweils gültige Mythen durch Nacherzählung am Leben erhalten bleiben. Mit jedem neuen eingespeisten und rezipierten Bild wird das Schwungrad der Wünsche in Bewegung gehalten. Das „Ich-Zeige-Mich-Sieh-Mich-An“ rollt als heißgelaufene Theatralität einer mythisch aufgeladenen Technik in die Körperlichkeit der Akteure. Diese Ordnung von Blick und Repräsentation möchte ich mit Virilio begründen: „Nur ist unsere heutige Weltanschauung nicht mehr objektiv sondern teleobjektiv. Wir erleben die Welt vermittels einer Repräsentation, die – so wie mit dem Teleobjektiv aufgenommene Fotos – die entfernten und nahen Ebenen zusammenschmilzt und aus unserem Verhältnis zur Welt ein Verhältnis macht, in dem das Ferne und das Nahe ineinander verstülpt werden.“71
Die Welt wird zur Repräsentation eines Bildes von einem Körper, das Foto überbrückt die größten Distanzen zwischen den Räumen und erzeugt die Gleichzeitigkeit einer postulierten Echtzeit. Die sozialen Interaktionen, als Folge einer Selbstinszenierung, bringen den Raum zum Schmelzen und beschleunigen das Zeitempfinden. Diese Auslegung von Virilios Gedanken findet in Überseinstimmung mit Hartmut Rosas Konzeption der Beschleunigung statt, in der sich die veränderte Wahrnehmung von Raum durch die veränderte Taktung der Zeit in einer transformativen Auswirkung im Verhältnis zur sozialen Welt darstellt: „Diese Form der Schrumpfung oder Vernichtung des Raumes durch die Zeit, oder besser: durch Beschleunigung, […] ist ein konstitutives Merkmal der Moderne per se, […] die, insbesondere infolge der Einführung neuer Transport- und Kommunikationstechnologien, zu einer schrittweisen Transformation des sozialen Raum-Zeit-Regimes führen, d.h. zu einer veränderten Beziehung zum Raum, zu den Dingen und zu den Mitmenschen sowie
71 Virilio, Paul, 2011, S. 93.
66 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE zu einer sich wandelnden Selbstbeziehung der Subjekte, mithin also eine Transformation der objektiven, der subjektiven und der sozialen Welt bewirken.“72
Innerhalb der Selbstinszenierungen im Cyberspace vollziehen sich eklatante Auswirkungen auf der Ebene erlebter Raum-Zeit-Empfindung. Die beschleunigte Zeit tilgt den Raum, macht ihn zu einer Dimension, in der der Körper eine umgestaltete Relevanz durch die vollzogene Raum-Zeit-Veränderung erhält. Die Zeit verbiegt den Raum und in der Folge die darin stattfindende Interaktion und Selbstkonstitution der handelnden Akteure. Mit Deleuze gesprochen entsteht ein neu arrangiertes und gleichsam ausgeweitetes Gefüge, das die Territorien neu formiert und den Kreislauf von De- und Reterritorialisierung in Gang hält. Das wird teilweise als Befreiung oder Expansion des Selbst verstanden, die Inszenierung bläht sich auf zu einem unsterblich wirkenden Bildermeer, in dem nichts unmöglich ist. Trotz dieser fundamentalen Verschiebung der Weltbeziehung bleibt eines stabil: Der Mythos, der die Repräsentationen transportiert. Deleuze dazu: „In Wahrheit wird die gesellschaftliche Produktion in den als autonom unterstellten Glaubensüberzeugungen ihrer selbst entfremdet und wird zugleich der Wunschproduktion in der als unbewusst unterstellten Repräsentation eine andere Bestimmung vorgegeben. […] Unter diesen Umständen muß die Repräsentation mit aller Macht von Mythos und Tragödie sich aufblähen, […] auf daß sie wirksam auf die Produktionsbereiche übergreifen kann.“73
Die Repräsentation erscheint im Kontext der dauerhaft nacherzählten Mythen als freie Äußerung eines Selbst, ist aber hiernach eine glatte Täuschung, die sich aus der Überblähung von Mythos und Tragödie in der wiederholten Übertreibung am Leben hält. Überträgt man diesen Gedanken von Deleuze auf den Cyberspace, charakterisiert sich dieser als jener Ort, an dem ein scheinbar autonomer Raum der Selbstinszenierung entsteht und eine freie Präsenz vorgaukelt. Im Kern dieser Konstitution vollzieht sich allerdings über die Narration von Mythen und Tragödien eine Endlosschleife, die im Sinne der Produktion ein kaleidoskopisches Arsenal an Wünschen bereitstellt, die als Erfüllung versprochen werden – allein durch die gesetzten Bilder. Vor allem werden die repräsentativen Mythen
72 Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Berlin, 2005, S. 342. 73 Deleuze/Guattari, 1977, S. 382.
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einer Gesellschaft als Geschichten in wiederkehrenden Plots von Filmen, Clips, Fotos, und Typen warm gehalten. Der im Bild transportierte Mythos wird in der Beschreibung der wirksamen Bildwirkung von Wulf und Zirfas deutlich: „Bilder repräsentieren als Anwesende etwas Abwesendes, und stellen als Abwesende etwas Anwesendes dar. Dieses Verhältnis kommt etwa noch im griechischen Wort für Bild, Ikon, zum Ausdruck, das nicht nur das Bild, sondern auch den Vergleich, der sich auf das in Wahrheit gemeinte bezieht ausdrückt. Und diese Charakterisitk trifft auf alle Bilder zu, seien es ‚äußere‘ Bilder, die der magischen Präsenz des Heiligen, der mimetischen Repräsentation des anderen und der technischen Simulation des Lebendigen dienen, oder seien es ‚innere‘ Bilder, die als Verhaltensregulierer, Orientierungen, Wunschvorstellungen, Willensbilder, Erinnerungen, mimetische oder archaische Bilder dienen.“74
Mit Hilfe der Bilder und ihrer Wirkungen werden Sinn- und Symbolketten zur Erscheinung gebracht, die als Reiz über den Mythos Verhalten umfänglich beeinflussen. Dieser Einfluss gilt vor allem auch für die Selbstinszenierung. Unter den hier dargestellten Bedingungen einer Selbstinszenierung unter anthropologischen Vorzeichen ist von einer Präsenz im Sinne von gegenwärtiger zeichenloser Anwesenheit des Körpers nur noch schwer zu sprechen. Denn als Konsequenz der von mir dargelegten Wirkweisen von Repräsentation, Mythos, Bezeichnung und Bedeutung ergibt sich die Tatsache, dass selbst die Präsenz des Körpers als Zeichen verwendet wird, und dies bis in die letzte denkbare Ebene, in der die Präsenz das Leben an sich repräsentiert. Wie sich in diesem Gefüge der Mythos als repräsentativer Denkfall in Form von Bild- und Bedeutungsketten im medialen Rezeptionsprozess manifestiert, beschreibt Gunter Gebauer: „Man wird nicht die Fülle der mythischen Erzählungen in der Gegenwart erkennen können, wenn man nicht aufmerksam für die Art und Weise ist, wie die epische Welt rezipiert wird. Wenn die Darstellungs- und Rezeptionsweise der epischen Erzählung zu einer zweiten Natur geworden ist, so daß sie die gewöhnlichen Wahrnehmungen von Handlungen beeinflusst entfaltet sie ihre Wirkungen, auch ohne daß sie jede einzelne dieser Taten in Worte zu kleiden hätte. Wenn das Subjekt die Struktur der mythischen Erzählung erst einmal ausgebildet hat, kann es diese auch weit entfernt vom ‚großen Sport‘ einsetzen. Es reicht dafür aus, daß es sich selbst in die Perspektive der heroisierenden Erinnerung stellt
74 Wulf, Christoph und Jörg Zirfas: Bild, Wahrnehmung und Phantasie. Performative Zusammenhänge. In: Wulf, Christoph und Jörg Zirfas (Hrsg.), Ikonologie des Performativen. München, 2005, S. 18.
68 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE und seine Taten in Erzählungen kleidet, deren Zeit ausschließlich um ihn herum organisiert ist.“75
Die konstruierte mediale Rezeption im Cyberspace generiert über die Bildüberflutung die Wirksamkeit und Übertragbarkeit der jeweils gültigen Mythen für und in die Subjekte hinein. Über die beschriebenen Wirkebenen der Repräsentation wird der bezeichnete Körper zum Zeichenträger einer symbolischen Codierung und erzeugt darüber hinaus selbst eine virale Vervielfältigung von Repräsentationen und deren Bedeutung. Der Körper selbst wird zum Repräsentanten einer Ordnung. Die Selbstinszenierung, die sich als freie Äußerung einer Ästhetik im Leben äußert, verliert sich dabei im vorgefertigten Bedeutungssystem eines Zeichenregimes. Das, was als Präsenz erscheint, ist unter dem beschriebenen Einfluss allenfalls als vorgefertigte, in der Wirkung gesetzte nur scheinbare Präsenz zu verstehen. Der Körper ist einer grundlegenden Materialität, nämlich der Einbettung in die Welt unterworfen, das ist jene Bedingung, die sich als Blick auf den Körper vollzieht und ihn in das Bedeutungsregime überführt. Im apparatisierten Cyberspace sind die Intervalle des Sendens und Empfangens zu Bruchteilen einer Zeiterfahrung geworden. Das Leben als Bühne wird im Cyberspace auf Grundlage technologisch-mythischer Rezeption der Repräsentation bestätigt, eine Befreiung vom Zeichenregime ist demnach Utopie. Gerade im Zusammenhang mit den beschriebenen Konsequenzen der Körperinszenierung im Cyberspace ergibt sich eine noch straffere Lenkung und Korsettierung der Körper. Denn einerseits wird ein in Modellen verschiebbares Körperbild konstruiert und idealisiert, andererseits wird der Körper zum Bedienelement einer permanent laufenden Maschine. Hier ist jene am Anfang benannte Verwandtschaft zwischen Körper in seiner Anthropologie des Theaters sowie dem Cyberspace als technisch erweiterter Option der Inszenierung auf Grundlage einer Bedeutung bestätigt. Die Erzählung des Todes, der in unterschiedlichen Prozessen oder Tragödien seine Erfüllung findet, ist als die gemeinsame Basis jeglicher Inszenierung des Lebens zu verstehen. Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit erzeugt den Schwung, sich zu inszenieren, mit den im Cyberspace ins Uferlose ausgeweiteten Möglichkeiten wird diese Angst vor der Grausamkeit der Bedeutungslosigkeit in einer Art heißlaufendem Kreisel gehemmt. Die eigentliche Präsenz, die Artaud gemeint hat, nämlich jene des Sterbens, wird medial zu vereiteln versucht.
75 Gebauer, Günter: Unbeschäftigte Körper. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 201.
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Diese Grundbedingungen des Inszenierens und Rezipierens von individuellen, gesellschaftlichen und virtuellen Räumen ist einerseits als theatertypische Ästhetik aufzufassen und lässt sich anderseits als existenztypische Ästhetik auf das Leben übertragen. Dabei wird deutlich, dass nicht das Theater als Ort das Medium ist, sondern der Körper. Die Inszenierung im Cyberspace ist ebenso theatral im Sinne des Zeigens und Sehens. Wenn ich im Bezug auf die Selbstinszenierung zu einer vorläufigen Zusammenfassung komme, stellt sich aus meiner Sicht ein gewisses Gefüge der Bedeutung dar. Es hat sich herausgestellt, dass die Selbstinszenierung als theatralperformatives Prinzip des Lebens zu verstehen ist, das sich unabhängig von der medialen Entwicklung als vom Körper ausgehende anthropologische Methode offenbart. Dieses Prinzip wird durch die Systematik einer Gegenüberstellung von Selbst und Anderem unterstützt. Die Abgrenzung des eigenen Subjektes, durch den objektivierenden Blick des Anderen, wird markiert in der Dynamik von Bild und Bedeutung. Daraus erschließt sich ein weiterer Aspekt, der den Mechanismus der Bedeutungsproduktion im Spannungsfeld von Präsenz und Repräsentation erfasst. Symbole, Zeichen, Schrift und Codes sind ein performativ-materieller Bestandteil von sich wandelnder Bedeutungsproduktion, die als Folge jeweiliger individuell-körperlicher und kollektiv-kultureller Entwicklungsund Veränderungsprozesse ist. Wie sich der inszenierte Körper und zwar insbesondere im Zusammenspiel mit der Repräsentation im gesellschaftlichen Diskurs darstellt, möchte ich im nächsten Kapitel diskutierten.
2. Der Körper im Diskurs – der Körper als Bezug zur Gesellschaft
Um zunächst eine Verstehensgrundlage zu schaffen, unter welchen Bedingungen sich der Körper als postmodernes Element des Lebens behaupten muss, werde ich im ersten Schritt skizzenhaft die Aspekte beschreiben, die ein postmodernes Setting ausmachen. Die der Postmoderne zugeschriebene Komplexität, die sich aus einer postulierten Kontingenz ableitet, möchte ich im Kontext einer kurzen gesellschaftlichen Einbettung beschreiben. Im weiteren Verlauf gehe ich dazu über, eine Linie aufzuzeigen, aus der hervorgeht, wie der Körper aus einem Bezugsfeld seiner eigenen Materialität sich über die Konstitution eines Subjektes zu einem objektiven Teil in der Gesellschaft verorten lässt. Daher wird es in diesem Kontext primär darum gehen, die Subjektkonstitution aus der eigenen Körperlichkeit im Kontext gesellschaftlicher Diskurse darzulegen. Vor allem möchte ich dabei zunächst eine Basis für die zentralen Überlegungen von Foucault legen, der in der Schaffung eines Subjektes den Ausgangspunkt für die Machtbeziehungen in der Gesellschaft sieht. Das daraus hervorgehende Gefüge aus Körper, Sprache, Repräsentation, Beziehungen und Macht werde ich anschließend den aktuellen Entwicklungen der digitalen computerbasierten Gesellschaftsveränderungen gegenüberstellen. Wie sich auf Ebene von Sprache und Schrift ein Regelwerk der Repräsentation entfaltet, werde ich im Rekurs auf Butler und Derrida unterstreichen. Wie sich die Macht auf dieser Grundlage zu einem materialisierenden Charakter entwickelt, werde ich auffächern, indem Schmerz und Lust als imaginierte Wunschräume des Körpers eingeführt werden. Dass diese Zusammenführung von Sprache, Körper, Repräsentation, Gesellschaft und Beziehungen insgesamt ein Gefüge beschreibt, das im Kontext des Cyberspace als Machtraum verstanden wird, soll unter dem Begriff der Biopolitik (von Foucault zu Hardt/Negri) verdeutlicht werden. Dass der Körper dabei ein grundlegender und nicht weg zu denkender Faktor einer Ökonomisierung des Lebens ist, wird sich in dieser Darstellung belegen lassen. Zur
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Unterstreichung des biopolitischen Gedankens im Sinne einer Ökonomisierung sollen die Lebensbereiche der Arbeit und Sexualität als elementare Felder der Verschränkung von Macht und computerisierter Technik herangezogen werden. Zur Beschreibung dieser Felder werde ich zentral die Überlegungen von Foucault und Baudrillard verwenden und mit den Analysen von Dietmar Kamper und Byung-Chul Han untermauern. Bei all diesen Überlegungen wird stets die Wirkung auf den Körper eingedacht und auf aktuelle Entwicklungen übertragen.
K ÖRPER ALS S CHAUPLATZ DER P OSTMODERNE UND O RT DER D ISKURSE Das technologische Feld des Cyberspace ist im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess als momentaner Gipfel einer umfassenden Einflusssphäre auf die in der Gesellschaft handelnden Akteure zu betrachten. Die stattfindenden Verwerfungen und Umwälzungen der Postmoderne in Kombination mit einer technologisch-szientistischen Ausrichtung sozialer Interaktion sind in ihrer Tragweite und Konsequenz heute noch nicht umrissen. Eines ist jedoch heute schon spürbar, die postmodernen Umbrüche sind nicht ohne Wirkung auf den Körper und die Auffassung von diesem geblieben. Die Postmoderne wird gemeinhin als Epoche verstanden, in der es keine homogenen Einheiten mehr zu geben scheint. Die Erzählungen fasern aus und Pluralität und Kontingenz sind als der Modus wahrgenommener Realität zu betrachten. Identitätsfindung innerhalb der postmodernen Informationsgesellschaft muss sich an den vorherrschenden schnellen, digitalen Interaktionsmustern definieren, dabei verändern sich diese auf Grund des permanenten Technologiedrucks ebenso permanent, wie die damit verknüpften raum-zeitlichen Strukturen, die als Bezugspunkte für die Persönlichkeitsentwicklung relevant sind. Kommunikationsmuster des sinnlichen Gegenübers treten auf Grund der dominierenden Technologieorientierung stark zurück. Der Blick ist vermehrt auf das Bild, nicht auf das zurückblickende Auge eines Gegenübers gerichtet. Die Effekte dieser interaktionalen Verschiebung (oder zugespitzt formuliert – dieser sozialen Entfremdung) sind zusammenzufassen in den allseits diskutierten Begriffen: Desintegration, Unsicherheit, Sozialneid, Ausgrenzung und Aggression.1 Das Bild von Körpern ist jedoch nach wie vor als jener Bezugspunkt einer gesuchten Gewissheit oder Versicherung in der Interaktionalität zu verstehen.
1
Vgl. Weintz, Jürgen: Theaterpädagogik und Schauspielkunst. Ästhetische und psychosoziale Erfahrung durch Rollenarbeit. Uckerland, 2008, S. 25-27.
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Dies hat sich seit der rituellen Verwendung von Tierfellen bis zum DataOverload in Facebook, NSA oder Google nicht verändert. Was sich verändert hat, sind die aufgebrochenen und kaum zu verknüpfenden Bildermengen und die Bildermanegen, die sich als Überflutung der Gegenwart darstellen. Die Unübersichtlichkeit und rapide Taktung von Information und Konsumption verspricht keinen nachhaltigen Boden, auf dem sich eine verlässliche Bejahung von Umständen und Bedingungen auf der individuellen oder gesellschaftlichen Ebene formulieren ließe. Vielmehr ist es das Prinzip der Kontingenz, die als Modalität moderner Bedingungen als wiederkehrendes Phänomen erscheint und in den postmodernen Überlegungen als gedankliche Basis zum Zuge gekommen ist. In der Lesart Luhmanns ist hingegen die Kontingenz als logisches systemimmanentes und nicht tilgbares Element von Leben zu bewerten. Daher fällt bei ihm die Interpretation des Kontingenzbegriffes weitgehend neutral im Sinne einer Gegebenheit aus. „Komplexität […] heißt Selektionszwang, Selektionszwang heißt Kontingenz, und Kontingenz heißt Risiko. Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion der Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu konstituieren und zu erhalten. Die Selektion placiert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. Dieses ‚auch anders möglich sein‘ bezeichnen wir mit dem traditionsreichen Terminus Kontingenz. Er gibt zugleich den Hinweis auf die Möglichkeit des Verfehlens der günstigsten Formung.“2
Aus der von Luhmann formulierten Bedeutung der Kontingenz lässt sich ableiten, dass die auf Komplexitäten beruhende Beziehungsstruktur von Zwängen zur Entscheidung geprägt ist. Dabei fallen die Entscheidungen im Kontext sie umgebender und bedingender Verhältnisse aus einer Kontingenzbewältigung heraus. Für Zirfas zeigt sich die Kontingenz, die an sich eine doppelte Verneinung ausdrückt, als Risiko und Scheitern in einem. Kontingenz ist für ihn neben den anderen Schlüsselbegriffen der Postmoderne wie Pluralität, Komplexität, Offenheit, Unvorhersehbarkeit und Flexibilität Kern eines gesellschaftlichen Erlebens.3
2
Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main, 1984, S. 47.
3
Vgl. Zirfas, Jörg: Kontingenz und Tragik. Eine moderne Figur und ihre ästhetischen Konsequenzen. Eckart Liebau, Jörg Zirfas (Hrsg.), Dramen der Moderne. Kontingenz und Tragik im Zeitalter der Freiheit. Bielefeld, 2010, S. 9-10.
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Von diesem sinnstiftenden Versuch, die Kontingenz als Spiel der Möglichkeiten zu etablieren, ist allerdings im Erleben der Kontingenz ein Aspekt sich selbst abnutzender Beliebigkeit hinzugekommen. Denn gerade im Erleben der Überforderung und des Verlorenseins im postmodern-digitalen Zeitalter löst sich der Begriff zunehmend zu Gunsten einer generellen positivistischen, alles erklärenden Technisierung auf. Das, was sich heutzutage unter dem Begriff der Postmoderne tummelt, ist als eine Mischung aus Technologisierung und Liberalisierung zu verstehen, die auf Grund der beschriebenen Phänomene kaum als erlebte Freiheit, sondern eher als Auslieferung an die Verhältnisse aufgefasst werden kann. Daher möchte ich in diesem Zusammenhang die Darstellung von Hartmut Rosa berücksichtigen, der die Wirkungen der Kontingenz als Resultat einer Gesellschaftsumwandlung auf Grund einer generellen Beschleunigung versteht: „Die beschleunigte Umwandlung von Verhältnissen, Institutionen und Beziehungen, d.h. die Beschleunigung sozialen Wandels, stellt die Individuen dabei vor das Problem, ihr Leben langfristig planen zu müssen, um ihm eine gewisse zeitresistente Stabilität zu verleihen, ohne dies angesichts der wachsenden Kontingenz der sozialen Verhältnisse jedoch rational tun zu können. Diese sich in der Spätmoderne zuspitzende Schwierigkeit stellt sich […] nicht nur den individuellen Akteuren, sondern auch als gesamtgesellschaftliches und subsystemisches Steuerungs- bzw. Kontingenzbewältigungsproblem – es erweist sich als grundlegendes Problem unserer Zeit.“4
Die Bedingungen der Postmoderne kreisen um den inflationär verwendeten Begriff der Kontingenz, der wie dargelegt eine Bewältigungsdimension darstellt, aus der heraus eine Selbstkonstitution mit vorausgesetzten Unsicherheiten umgehen können muss. Die zunehmenden Komplexisierungsprozesse des Zugangs zur Welt sind aus der Wirkweise technischer Erweiterung als logisches Resultat dieser Entwicklung zu betrachten, die in eine generelle Umwälzung der Verhältnisse übergeht. Was das jenseits der Selbstinszenierung im vollen Umfang für Erleben, Wahrnehmen und die Bedeutung des Körpers als Konsequenz hervorbringt, wird meinerseits im Rahmen dieser Arbeit letztlich nicht zu beantworten sein. Daher werde ich mich darauf beschränken, den Versuch zu unternehmen, eine am Körper orientierte phänomenale Skizze dazu zu entwerfen. Der Körper ist als Bezugspunkt, als jene Quelle einer, wenn auch nur temporären, Selbstvergewisserung nach wie vor mit einer Kausalität des Lebens verschlungen, die allen Technologien zum Trotz, stets herangezogen wird, wenn es um die Konstitution von
4
Rosa Hartmut, S. 43.
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Wahrheit oder Realität geht. Dennoch oder gerade deshalb ist diese Bedingung mit den Wirkungen kapitalistischer oder generell ausgedrückt ökonomischer Entwicklungen zu verknüpfen. Deleuze hat dies in seiner kapitalismuskritischen Kulturanalyse auf den Punkt gebracht: „Die Territorialmaschine codiert die Ströme, besetzt die Organe, kennzeichnet die Körper. Inwieweit zirkuliert und getauscht wird, bleibt zweitrangig gegenüber der Aufgabe, die alle anderen umfasst: die Körper, die solche der Erde sind, zu kennzeichnen. Die Essenz des Sozius als Aufzeichner und Beschrifter besteht, insoweit er sich die Produktivkräfte aneignet und Produktionsagenten aufteilt, in Folgendem: zu tätowieren, auszuschneiden, einzuschneiden, abzutrennen, zu sakrifizieren, zu verstümmeln, zu umzingeln, einzuweihen.“5
Hieraus leite ich ab, dass das Verständnis von Subjekt und Körper ein insgesamt unüberschaubares und daher problematisches wird. Der Körper als Bezugspunkt des Lebens wird zu einer verhandelbaren Größe, in der es das Eigene einer Identität nur noch in Umrissen zu geben scheint. Bezogen auf den Cyberspace dynamisiert sich eine überbordende Bewegung in Richtung Virtualisierung. Yvonne Spielmann umschließt diesen Vorgang treffend: „Mit ihren dynamisch wechselnden Koordinaten sind die virtuellen Lokalisationen, seien sie transkulturell oder im Cyberspace verortet, nicht stabil, sondern vielmehr wandernd und nichtfixiert. Weiterhin müssen Orte, Situationen und Zonen, die mit einer virtuellen Lokalisation zusammenhängen, als außerzeitlich und extraterritorial begriffen werden. Erst dank der technischen Voraussetzungen der Computersimulation und -steuerung können simultan verschiedene Prozesse ohne Rücksicht auf physische Grenzen „tatsächlich“ an verschiedenen Orten virtualisiert werden.“6
Daraus ergibt sich nicht bloß eine Verschiebung interaktionaler Kommunikationsprozesse, sondern auch eine eklatante Verschiebung eigener Körperkonzepte. Postmoderne Bedingungen beeinflussen maßgeblich den Körper, seine Bildungen und Bilder. Inwiefern der Körper im Kontext dieser technologiebasierten Bedingungen einen Ort der Repräsentationsfähigkeit darstellt, wird gerade im Hinblick auf die aufgekommene Idee des Transhumanismus neu zu diskutieren sein.
5
Deleuze/Guattari, 1977, S. 183.
6
Spielmann, Yvonne: Hybridkultur. Berlin, 2010, S. 146.
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D ER K ÖRPER ALS MATERIELLE B ASIS S UBJEKTKONSTITUTION
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Das Leben ist an den Körper gebunden, bei aller Technik ist es bisher nicht gelungen, den Körper und das Leben voneinander so zu trennen, dass das Leben und das Verständnis von diesem, also Geist oder Bewusstsein, auf einen anderen Stoff als den Körper zu übertragen wäre. Das einzige Behältnis des Geistes und des daraus hervorgehenden Bewusstseins ist der Körper, dieser besteht aus (grob gefasst): Fleisch und Blut. Das Vergehen, also der Tod des Körpers, ist die letzte Tatsache des Lebens. Auf dieses unumstößliche Faktum verweist Albert Camus, wenn er feststellt: „Das Urteil des Körpers gilt allemal so viel wie das des Geistes, und der Körper scheut die Vernichtung. Wir gewöhnen uns ans Leben, ehe wir uns ans Denken gewöhnen. Bei dem Wettlauf, der uns dem Tode täglich etwas näher bringt, hat der Körper unwiderruflich den Vorsprung.“7
Hier wird jenes Chiasma umrissen, das sich aus der erlebten Gegensätzlichkeit von Geist und Körper definiert. Der Geist meint frei zu sein, da er doch in anderen Bereichen außerhalb des Körpers zu existieren scheint. Diesen Irrtum hebt der Körper allerdings mit aller ihn ausmachenden Materialität in Form seiner unumgänglichen Endlichkeit auf. Diesen Zwang, sich vom Leben verabschieden zu müssen, begreifen wir erst, wenn der Körper uns dies im Vorgang seines Vergehens zu begreifen gestattet. Wie ein dichtes Geflecht offenbart sich der Körper, wenn er im Augenblick des Todes unserem Geist oder Bewusstsein die eigene Vergänglichkeit als Erkenntnis bereitstellt. Der als frei schwebend empfundene Geist fällt zurück auf den Körper. Der Geist stellt sich als körperlicher Prozess heraus, der ohne Körper nicht möglich ist. Dieser Zustand ergänzt die Grausamkeit Artauds, und ist gleichsam jene einzige und letzte Präsenz, die sich im Leben als Gewissheit herausstellt. Dieses ineinander greifende Bild aus Körper und Leben heranziehend, entwickeln wir auf Grundlage einer sich konstituierenden Vernunft vor unserer inneren Bühne selbstreflexiv ein Bewusstsein von uns als Mensch. Diesen Prozess modellieren wir stets aufs Neue und passen uns diesen wandelbaren Bedingungen der uns umgebenden Wirklichkeit an. Im bisherigen Verlauf ist viel vom Theater des Menschen gesagt worden, innerhalb dieser Prozessualität ist die symbolische Bedeutung und Funktion des
7
Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos. Hamburg, 2000, S. 20.
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Körpers in der Rahmung der Repräsentation bereits beschrieben worden: Der Körper als Bildquelle, als symbolischer Raum der Interaktion, als Speicher und Kanal kultureller Kommunikation und als Voraussetzung einer Darstellbarkeit von Identität und Interaktion, die auf dieser Grundlage beruhend in Gesellschaft mündet. Dies alles verweist auf den Gegenstand „Körper“, der aus sich heraus Teil, Basis, Voraussetzung und Konsequenz aller erlebbaren Materialität markiert und beschreibt. Diese Konsequenzen sind als jene Bedingungen einer Inszenierung zu betrachten, die weit über die ästhetischen Aspekte einer bloßen Kunst und Kultur hinausreichen. In seinen Überlegungen über den Körper folgt Jean-Luc Nancy dieser weit reichenden materiellen Basis der Körper: „Der Körper ist materiell. Er ist dicht. Er ist undurchdringbar. Wenn man in ihn eindringt zerlegt man ihn, löchert ihn, zerreißt ihn. […] Er ist abseits. Von den anderen Körpern verschieden. Ein Körper beginnt und endet gegen einen anderen Körper. Selbst die Leere ist eine subtile Art Körper.“8
Der Körper ist demnach als jenes Material zu begreifen, das ein Innen und Außen beschreibt und gleichsam auf beiden Ebenen Kontakt im Sinne einer Selbstvergewisserung herstellt. Kontakt und Austausch mit der Außen- und Innenwelt auf Basis einer Wahrnehmung des Körpers an sich, beschreibt gleichzeitig eine vorauszusetzende Verbundenheit zwischen diesen einander beeinflussenden Ebenen. Eine auf diese Weise erlebte Körperlichkeit erzeugt jene Gewissheit der Begegnung, die eine Gegenseitigkeit der Körper einfädelt. Die daraus hervorgehende Interaktionalität, die durch die Differenz der sich wahrnehmenden Körper zur kommunikativen Tatsache wird, ist als materiell-körperlicher Kern von Sozialität zu verstehen. Andere Körper, die im Gegenüber als Wahrgenommenes auf diese Weise eine Bezüglichkeit zum Körper des „Selbst“ herstellen, sind vorausgesetzt in der Auffassung von Interaktionalität eines Miteinanders. Die bloße Anwesenheit wahrgenommener Körper löst Bewegungen eines Abstoßens oder Annehmens aus. Michael Wolf definiert diese interaktionale Tatsache als Konsequenz einer materiellen Basis der Körper: „Schon hier ein materialer Rekurs auf Anthropologisches: zwei Akteure, zwei Körper müssen miteinander interagieren, auch wenn die Realität der Interaktion virtualisiert wird,
8
Nancy, Jean-Luc: Ausdehnung der Seele. Zürich-Berlin, 2010, S. 7.
78 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE monologisch kann Bedeutung nicht entstehen, soziales Handeln (Interaktion) ist Voraussetzung.“9
Begegnung beginnt auf der ganz konkreten materiellen, eben physischen Ebene, dies ist der Ausgangpunkt und Bedingung von Interaktion der bloßen Körper. Die Körper sind daher an sich und aus sich heraus bereits als Orte des Schauens zu verstehen. Dieses Schauen beginnt zunächst am eigenen Körper und wandert als Blick auf die anderen Körper. Am Reflexionspunkt der Selbstwahrnehmung entwickeln Körper auf der geistigen Ebene über konstruierte Bedeutungsebenen der Kommunikation Sprachbegriffe, die ein Verständnis von sich als materiell soziales Wesen hervorbringen. Darüber hinaus wird ein Körper auch zu einem Körper des Gegenübers, wenn dieser als Gegenüber wahrgenommen oder verstanden wird, dies schließt gleichzeitig das Verständnis des eigenen Körpers als mögliches Gegenüber ein. Dabei ist die allgemeine Vergänglichkeit als naturphänomenologisches Element der Körper Anlass sowie Kern seiner Tragik und Hoffnung zugleich. Die Fähigkeit, eigenes Körpervergehen als Tragik oder Verlust zu begreifen, erzeugt die reflexive Überleitung, den Körper als Abstraktion zu denken. Diese gedankliche Abstraktion setzt sich aus den Aspekten von Differenz und Wunsch zusammen, die in der Summe eigene Existenz und Sozialität markieren. Vom Körper ausgehend, konnten sich von der Ebene der Empfindung ausgehend Sprache, Schrift und Sinn konstruieren, die in eine übergeordnete Vorstellung des Menschen mündeten. Die Konstruktion „Mensch“ ist demnach als das bisherige Endprodukt einer Gattung zu verstehen, die sich, sofern man der Evolutionstheorie folgt, auf Basis eines reproduzierbaren Körpers permanent mittels Mutation irgendwohin entwickelt. Daraus entwickelt sich die Vorstellung eines festen Wesenskerns, der je nach theoretischer Ausrichtung als „Subjekt“ oder „Person“ zusammengefasst wird. Unabhängig von den Begriffen „Subjekt“ und „Person“ sagt der Körper zu sich selbst zunächst „Ich“. Dieses „Ich“ ist Resultat seiner Eigenwahrnehmung. Der Körper konstituiert ein inneres Anderes, das ihn schaut, und in der Folge dieses Körperschauens „Ich“ sagt. Das heißt: Vom bloßen Körper wandert der Blick von sich zum anderen Körper und entfaltet daraus aus der Reflexion ein „Ich“. Walter Seitter sieht dieses auf sich und andere bezogene „Ich“ des Körpers als Verknüpfungsraum zur Innen- und Außenwelt.
9
Wolf, Michael: Der Körper – die Körper. In: Kamper, Dietmar und Christoph Wulf (Hrsg.), Der andere Körper. Berlin, 1984, S. 50.
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„Wenn es wahr ist, daß der Mensch etwas zu sein hat, das ‚ich‘ sagt, wenn es wahr ist, daß er von Geländen umgeben ist, die größer sind als er, so ist es nicht minder wahr, daß er hierhin und dorthin zu existieren hat. Seine Position ist eine exzentrische, selbst im Innersten des Selbst.“10
Die in der Eigenwahrnehmung erzeugte Exzentrik von innen und außen des Körpers ist als jene Pendelbewegung einer Eigendeutung zu verstehen, die als genuiner Prozess des Lebens eine Bewegung in Richtung materieller Selbstvergewisserung in Gang hält. Die Tatsache, dass diese Bewegung sowohl nach außen als auch nach innen verläuft, macht deutlich, welche Komplexität dahinter steckt, wenn vom Körper und seiner Inszenierung die Rede ist. Diese Komplexität des Körpers in seinen Innen- und Außenverknüpfungen offenbart sich in seiner Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit, bezogen auf wechselnde Bedingungen. Seitter beschreibt diese Fähigkeit des Körpers: „Er hat angesichts anderer Körper zu agieren, zu denen auch sein eigener gehört. Er hat angesichts anderer Masken zu agieren, unter denen auch sein eigenes Gesicht sein mag, sein muß. Er hat neue Körper zu exhibieren, unter denen auch sein alter sein mag, sein muß. Er hat neue Masken zu exhibieren, zu denen auch sein altes Gesicht gehört.“11
Auf diese Weise ist der Körper in ständiger Beschäftigung, sich mit unterschiedlichsten Reizen und Bedingungen auseinander zu setzen. Der Körper wird zum Schauplatz eigener und gegenseitiger Konstitution von Materialität. Er ist sich selbst Bühne und Publikum noch bevor eine Art von Identität oder Bewusstheit entsteht. Dies bedeutet der Körper ist sich selbst Körper, bevor irgendeine Zuschreibung, Funktion oder übergeordneter Sinn entsteht. Erst im Nachgang, als Resultat eigener und gesellschaftlicher Reflexion, entfaltet sich jene geistige Sinnebene, die Sprache und Bezeichnung auf Grundlage einer Selbstbezüglichkeit und sozialer Bedeutung hervorbringt. Das Körpergefäß, das uns materielle Lebensbasis bietet, ist von außen betrachtet in einer Vereinfachung zusammen zu fassen aus: Bauch, Kopf und Extremitäten, das ist die Basis. Diese körperliche Basis wird mit einem geistigen oder mentalen Konzept verknüpft, das als interpretative Bedeutung und Zusammenfassung herangezogen werden kann. Abstrakt betrachtet wird aus dem bloßen Körper über die Reflexion ein ins Bewusstsein übertragenes Konzept. Dieser
10 Seitter, Walter: Körperrichtungen. In: Der andere Körper. Kamper, Dietmar und Christoph Wulf (Hrsg.). Berlin, 1984, S. 24. 11 Ebd., S. 24.
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reflexive Bewusstseinsprozess mündet in die Idee „Mensch“, die als innerer Prozess zu diesem Körpermaterial zu verstehen ist. Erst die entstandene Idee von „Mensch“ macht den Körper, von dem wir als „Ich“ ausgehen, zum Menschen. Der bloße Körper mit seinen Funktionen ist etwas biologisch-organisch Aktives, das an sich noch nicht einen Begriff von „Menschkörper“ entstehen lässt. Erst die kulturelle Konstruktion des Konzeptes „Mensch“ macht diesen Körper, von dem wir sprechen, zu dem Körper, den wir sehen und interpretieren, also zu dem, von dem wir glauben das oder jenes zu sein. Hier verwandelt und bestätigt sich der bloße Körper zu Mensch, doch selbst diese konzeptionelle Menschwerdung ist als Leistung des Körpers zu betrachten, resultiert diese doch aus seinen körpereigenen Prozessen, die in der Folge die reflexive Arbeit der Abstraktion in Sprache und Symbolen hervorbringt. Der Mensch wird über den Begriff Mensch zum Mensch durch seine körpereigene innere Konzeptionsleistung, die als Folge evolutionärer Prozesse zu betrachten ist. Wohin oder in welches Konzept sich dieser Prozess künftig entwickelt, ist offen. Mit den Mitteln der Technologie faltet sich der Körper, nicht erst seit heute, in unterschiedlichste Richtungen auf und ab, indem er sich selbst Masken gibt oder Masken aufgesetzt bekommt. Diese Masken sind in ihrer Funktion sozial begründet. Doch glaubt man den Enthusiasten der Digitalität, soll und muss es künftig möglich sein, dieses Bewusstseinskonzept „Mensch“ aus dem biologischen Fleischkörper in den technologischen Digitalkörper zu übertragen. Ob das Resultat dieser Bewegung dann auch „Mensch“ ist oder sein kann, weiß heute niemand und vor allem ob das geschieht, weiß auch niemand, aber geglaubt und propagiert wird es. Verfechter dieser Idee eines neuen Menschen in einem neuen unsterblichen Körper gibt es zur Genüge. Ray Kurzweil, die Galionsfigur der posthumanistischen Singularität, ist zumindest folgender Auffassung: „Sein Erlösungsszenario besagt, dass die Menschen schon im Jahre 2024 dank der Segnungen avancierter Biotechnologie ihre Gene reparieren und optimieren können. Später werden Nanobots, also winzige Roboter, in unseren Körpern unterwegs sein und alte oder defekte Zellen austauschen. Dann sei das Altern endgültig erledigt, der Mensch werde unsterblich, erzählt Kurzweil.“12
Der unsterbliche Körper, das ist jener Traum oder Wunsch, der sich nicht erst seit dem Altertum bis in die Gegenwart durch unterschiedlichste Diskurse schlängelt. Die Befreiung des Geistes vom Körper, das ist die dahinter liegende Hoffnung. Waren es bis dato die Religionen, die aus dieser Hoffnung ihre Macht
12 http://www.zeit.de/2013/14/utopien-ray-kurzweil-singularity-bewegung/seite-2
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begründen konnten, ist es heute eine religiös anmutende Technik, die uns das Unsterblichkeitsversprechen in Aussicht stellt. Dazwischen das Fleisch und das Blut des Körpers, der mithilfe unseres körperlichen Gehirns ein Bewusstsein des Menschen hervorbringt.
K ÖRPER ALS DISKURSIVE V ERFORMUNG – B EGEGNUNG UND B EZIEHUNG Doch von all diesen Erlösungsvermutungen abgesetzt, gilt es in diesem Kontext primär den jetzigen, den gegenwärtigen Körper zu betrachten, also jenen, der noch nicht ins Digitale entschwunden ist. Welchen Diskursen ist dieser Körper auf Grund seiner bereits beschriebenen Sozialität ausgesetzt und welches historische Archiv transportiert er wirkungsvoll in die Gegenwart? Körperdiskurse entwickeln sich in einem Gegenüber von Körpern, die eine bestimmte Beziehung zueinander eingehen. Ein Körper steht für sich nicht beziehungslos im Raum, er nimmt wahr, phantasiert in Gedanken und Bildern und befindet sich auf diese Weise auf der Suche nach einem Gegenüber. Die Dimensionen des Gegenübers nimmt Jean-Luc Nancy in seinen Überlegungen über den Körper auf: „Der Körper kann nicht dimensionslos gesagt werden. Aber seine Dimensionen, all seine Dimensionen bilden ebenso viele Distanznahmen: Die anderen Körper müssen auf Abstand gehen. Dieser Abstand eröffnet die Grundlage ihrer Beziehungen – ihrer Kontakte, ihrer Konfrontationen, ihrer Blicke, ihres Zuhörens, ihrer Geschmäcker und Reize.“13
Um eine Beziehung zu einem anderen Körper überhaupt erst eingehen zu können, muss, wie bereits oben festgestellt, ein Blick auf diesen anderen Körper vorausgesetzt werden. Den Blick aus der Distanz zu vollziehen, macht erst eine Beurteilung und Beschreibung der entstehenden Beziehung möglich. Neben den grundsätzlichen Begegnungsebenen entfalten sich daraus die Beurteilungsebenen, die ein Beziehungsarrangement sich gegenüberstehender Körper einfädeln. Diese Beziehungen formen vielfältig Begegnungs- und Beurteilungsdimensionen aus, die Ausgangspunkte sozialer Ordnung sind. Der von Nancy ausgeführte Gedanke unterstreicht, wie unverzichtbar der Körper in der Entstehung von Sozialität ist. Das Gegenüber entsteht hierbei ebenso wirkungsvoll über das Bild, das
13 Nancy, S. 46.
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die Kette von Empfindungen vom eigenen Körper auf den anderen, in der vorgestellten oder gesehenen Bilderwelt auf die Bedeutungsebene überträgt. Ausgehend von diesem prinzipiellen Gegenüber der Körper entfaltet sich auf dieser Grundlage das sehr viel komplexere Feld der Gesellschaft und der in ihr arrangierten Körper. Einen Blick auf die im historisch-gesellschaftlichen Hintergrund wirksamen Verhältnisse ermöglicht Dietmar Kamper, wenn er den Körper in seinen sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen durchquert. Kamper schafft damit zunächst einen groben Überblick darüber, wie und auf welche Weise sich gesellschaftliche Begegnungen und Beziehungen darstellen: „Dem einen ist er Garant menschlicher Selbstgegebenheit, Expressivität und Authentizität, dem anderen ist er Objekt gesellschaftlicher Kontrolle, Disziplinierung und Unterdrückung. Das Körperverständnis ist voller Widersprüche und Paradoxa und Antinomien. In Arbeit und Lust, in Glück und Leid wird der Körper verschieden erfahren.“14
Hieraus erschließt sich, in einem zunächst weit gefassten Ansatz, in welche Strukturen und Funktionen der Körper auf Grund seiner Beziehungsvielfältigkeit überführt wird. Innerhalb einer übergeordneten Ordnung offenbart sich die Konstitution des Sozialen, indem sie als Erlebnisbasis individueller sowie sozialgesellschaftlicher Realität verstanden wird. Dabei ist Realität als flexible Interpretationsfläche zu verstehen, die permanenten Verformungen und Einflüssen unterliegt. In diesem Gefüge wird der Körper in jenem Augenblick zum Objekt, wenn er als Träger von Inhalten einer Idee dient, die ihn zu Begegnungen und Bewegungen veranlasst. Die sozial-gesellschaftliche Objektivität des Körpers konstituiert sich demnach aus den Spuren vergangener und erwartbarer Sozialität im Kontext einer sich wandelnden Realität. Diese Realität dagegen folgt einem wiederkehrenden Repräsentationsmuster, in das die Körper zweck- und funktionsgerichtet eingefügt werden. Auf Basis dieser Repräsentationen von Funktionen und Ideen werden hierdurch wiederkehrende Aspekte der Realität in ein vorgeprägtes Feld von Motiven eingeführt. Die Repräsentationen stehen für etwas, sie sind Platz- und Sinnhalter einer bestimmten und einer konkreten Idee sowie eines Interesses, sie zielen darauf ab, eine Erfüllung von Bedeutung zu gewährleisten. Je unauffälliger die Repräsentationen ihre Bedeutungen in Handlungen durch Akteure verwandeln, desto effektiver sind sie in ihren Konsequen-
14 Kamper, Dietmar und Christoph Wulf: Lektüre einer Narbenschrift. Der menschliche Körper als Gegenstand und Gedächtnis von historischer Gewalt. In: Kamper, Dietmar und Christoph Wulf (Hrsg.), Transfigurationen des Körpers. Spuren der Gewalt in der Geschichte. Berlin, 1989, S. 2.
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zen. So betrachtet sind Repräsentationen Transportvehikel von Diskursen, die aus einer inhaltlichen Setzung heraus in Form eines bestimmten Bedeutungsmodells Einfluss auf Beziehungen, Begegnungen und Körper nehmen. Dies ist die innere Logik und äußere Methode eines sich ständig wiederholenden Mythos, der Gesellschaft über die signifizierende Repräsentation steuert. Mit Deleuze lässt sich in die Innenlogik der Repräsentationen blicken, indem er sie als Teil einer Struktur denkt: „Wie die Struktur daraus hervortritt, gemäß Konsistenz- oder Strukturierungsanordnungen, Selektionslinien, die den großen Einheiten oder Formationen entsprechen, die wiederum die Beziehungen bestimmen und die Produktion der Repräsentation auftragen: darin werden die Disjunktionen exklusiv (und die Konnexionen global und die Konjunktionen bijektiv), wird im selben Akt der Träger unter einer strukturalen Einheit spezifiziert und werden die Zeichen selbst unter der Aktion eines despotischen Symbols signifikant, der sie im Namen seiner eigenen Abwesenheit oder Zurückgezogenheit totalisiert.“15
Hieraus ergibt sich, dass über den Einsatz von Repräsentationslinien eine klare Ordnung von Sozialität über die Zeichen und Symbole gesellschaftlicher Begegnung organisiert wird. Diese Ordnung ist im Anspruch total und verästelt sich mit dem Körper zu einer Einheit. Wie sich auf dieser Grundlage der Repräsentation eine Realität im Sinne von Zwecken und Interessen als Gesellschaft arrangiert, wird im Weiteren im Rekurs auf Foucault weitergedacht. Diese Weiterführung in Bezug auf Foucault ist erforderlich, da hierin eine sehr präzise Analyse über Entstehung und Ausgestaltung der Körperordnungen ausgearbeitet vorliegt. Die gesellschaftlichen Diskurse und ihre Einflüsse auf die Akteure der Gesellschaft gehen sehr deutlich daraus hervor und ermöglichen eine Nachverfolgung über die Verhältnisse von Begegnung und Beziehung von Menschen. In „Überwachen und Strafen“ hat Foucault die Einflüsse historischtechnologischer Entwicklungen auf den Körper nachdrücklich beschreiben können: „Der historische Augenblick der Disziplinen ist der Augenblick, in dem die Kunst des menschlichen Körpers das Licht Welt erblickt, […]die Schaffung eines Verhältnisses, das in einem einzigen Mechanismus den Körper um so gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt. So formiert sich eine Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweisen kalkulieren und manipulieren. Der
15 Deleuze/Guattari, 1977, S. 400.
84 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert, und wieder zusammensetzt.“16
Foucault zufolge wird der Körper politisch besetzt und einer nach Disziplin verlangenden Macht untergeordnet, er nennt dies „politische Anatomie“.17 Mit Foucault wird deutlich, dass der Körper sich in aus gesellschaftlichen Diskursen ergebenden Wechselbeziehungen wieder findet. Der Körper wird besetzt, diese Besetzung ist als eine Regieanweisung zu verstehen, die den funktionalen Körper in eine Tätigkeitsrichtung schiebt. Die Regie ist in der je gültigen Organisation von Zeichen und Symbolen als Repräsentation von Macht zu verstehen. So vollzogene Lenkung des Körpers wird zum Mittel der Macht. Grundlage dieser Macht ist die Objektivierung des Körpers, die sich ihm zufolge dadurch vollzieht, dass der Körper in eine Kontur der Interessen überführt wird. Diese Entwicklung zur Körperobjektivierung skizziert Foucault anhand historischer Betrachtungen, die er an jenen Augenblick koppelt, indem die Technik als dominanter Faktor gesellschaftlicher Formung Einfluss nimmt. Die in diesem Kontext verankerte Absicht, sich des Körpers zu bedienen beschreibt er so: „Die Aufmerksamkeit galt dem Körper, den man manipuliert, formiert und dressiert, der gehorcht, antwortet, gewandt wird und dessen Kräfte sich mehren. Das große Buch vom Menschen als Maschine wurde gleichzeitig auf zwei Registern geschrieben: auf dem anatomisch-metaphysischen Register […] und auf dem technisch-politischen Register, das sich aus einer Masse von Militär-, Schul- und Spitalreglements sowie aus empirischen und rationalen Prozeduren zur Kontrolle oder Korrektur der Körpertätigkeiten angehäuft hat.“18
Den Körper so zu denken, bedeutet sich seiner Funktionalität von etwas für etwas zu bedienen. Die Frage ist zu stellen: Wie soll und kann ein Körper eingesetzt werden? In der Antwort auf diese Frage verbirgt sich ein Motiv, das die Körper in einer jeweiligen Funktion bestätigt sehen will. Funktion, Organisation, Konstellation und Territorialisierung von Körpern über die soziale Begegnungsund Beziehungsebene beschreiben jenes Feld, aus dem ein konkretisierbares Motiv des Zugriffs auf den Körper hervorgeht. Jedes Motiv und Gedankenkonstrukt bringt eine Konsequenzen auslösende Handlung hervor. So konstituiert sich hin-
16 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt,1976, S. 176. 17 Ebd., S. 176. 18 Ebd., S. 174.
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ter den gelenkten Körperprozeduren ein Feld von Manipulationen des Körpers. Foucaults Folgerungen nach soll der Körper in eine Tätigkeit überführt werden, die dem dahinter liegenden Motiv zu Folge, Kontrolle über den Körper ermöglichen soll. Der Körper wird zum Schauplatz der Unterwerfung. Die Regieanweisung für den Körper liegt außerhalb seiner eigenen als Einheit betrachteten Modalität. Vielmehr liegt das Interesse auf den Köperzugriff darin, ihn zu einem ökonomischen Faktor umzuformen. Foucault hierzu: „Diese politische Besetzung des Körpers ist mittels komplexer und wechselseitiger Beziehungen an seine ökonomische Nutzung gebunden; zu einem Gutteil ist der Körper als Produktionskraft von Macht- und Herrschaftsbeziehungen besetzt; auf der anderen Seite ist seine Konstitutionierung als Arbeitskraft nur innerhalb eines Unterwerfungssystems möglich […] zu einer ausnutzbaren Kraft wird der Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist.“19
Die politische Dimension des Körpers ist demnach immer als ökonomische zu betrachten. Das ist im Kontext von Gesellschaft ein grundlegender Gedanke, wenn vom Zugriff auf den Körper gesprochen wird. Die Produktion durch Körper erzeugt die Macht über die Körper. Dabei geht es um die Nutzung und Steuerung körperlicher Anwesenheit und Kraft. Insgesamt konstituiert sich auf der Grundlage des Einsatzes und des Wissens über den Körper eine „politische Ökonomie des Körpers“.20 Die gegenwärtig gültigen Repräsentationen der heutigen Gesellschaft basieren in ihrer Bedeutung auf einem ökonomisierten Interesse am Menschen. Der ökonomische Gedanke ist als Kern und ideologischer Imperativ des den Körper umschließenden Diskurses zu betrachten. Martin Schulz liefert in diesem Kontext eine pointierte Verortung der Repräsentation, indem er ihre Wirkweise als Prinzip eines medial inszenierten Kapitalismus herausstellt: „[…] daß sich nicht viel und vielleicht nichts geändert hat und daß die massenmedial kommunizierenden Repräsentationen nur unverfrorener denn je zur Schau stellen, was sie eigentlich sind: nichts als Lug und Trug der nimmersatten Ökonomie eines entfesselten, global operierenden Kapitalismus, nichts als irreale, betäubende und manipulative Bilderwelten der Medienkonzerne, die mit ihren eigenen Bildern attackiert wurden, nichts als
19 Ebd., S. 37. 20 Ebd., S. 37.
86 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE Scheinkörper einer unsichtbaren Politik; eine immer schon unmögliche Repräsentation und ein ewig unmöglicher Tausch […]“21
In der Konsequenz heißt dies, dass in Kombination mit den Betrachtungen von Foucault über den Körper eine Perspektive zu entwerfen ist, innerhalb derer der Körper als steuerbare Einheit erscheint, die mit Bewusstsein ausgestattet das Leben als materielle Herausforderung im Sinne der Ökonomie meistern muss. Aus diesen Überlegungen heraus unternehme ich im Weiteren den Versuch, den dahinter liegenden Begriff der Macht einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Gerade im Hinblick auf die Kombination von Macht und der Funktion der repräsentativen Bedeutung von Imperativen und Technik des Cyberspace wird sich dies für den weiteren Verlauf als weiterführend erweisen.
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Um den Begriff der Macht eindeutig verwenden zu können, ist eine Klärung dieses Begriffes notwendig. Wie bisher angedeutet ist Macht unmittelbar an den Körper gebunden, da sich die Macht über den Körper in seinem ihn umgebenden Gefüge spürbar macht und zeigt. Als Voraussetzung für eine Machtausübung über jemanden oder etwas ist zunächst die Schaffung eines Objektes, auf das zugegriffen werden kann, notwendig. Dieser Prozess der Objektwerdung, der sich aus dem Subjekt heraus vollzieht, indem durch die Einführung von Differenzierungslinien zwischen den Menschen eine Kategorisierung des Richtigen und Falschen am Körper und am Geist von Menschen vorgenommen wird (z.B. Irre/Nicht-Irre).22 Aus dieser Differenzierung heraus ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis und den Gebrauch des Begriffes „Subjekt“. Subjekt wird hiernach als das individualisierte und isolierte Einzelne verstanden, das erst in dieser Situation der Exponierung behandelt und geformt werden kann. Diese Isolierung ist Voraussetzung, denn erst so wird Subjekt zum Objekt, da hierdurch ein Außen als Zugriffsfläche des Subjektes konstruiert wird. Im Eigenerleben hebt eine solche Objektivierung nicht das Subjekt als solches auf, vielmehr entwickelt sich aus der Machtlogik heraus für das auf diese Weise konturierte Subjekt eine doppelte Bedeutung. Foucault dazu:
21 Schulz, S. 5. 22 Vgl. Foucault. Michel: Ästhetik der Existenz. Schriften zu Lebenskunst. Frankfurt am Main, 2007, S. 81.
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„Es bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. In beiden Fällen suggeriert das Wort eine Form von Macht, die unterjocht und unterwirft.“23
Aus diesem Gedanken heraus lässt sich der Machtbegriff anhand der in Beziehungen handelnden Akteure ableiten. Es liegt demnach immer eine von Handlungen begleitete Begegnung zugrunde, die ein Verhältnis und eine Beziehung beschreibt. Im Inneren ist es die Begegnung des Subjektes mit der Identität und im Äußeren ist es die Begegnung des zum Objekt gewordenen Subjekts mit der Gesellschaft. Nur auf diese Weise kann zunächst einerseits eine Objektivierung des Subjektes erfolgen und andererseits die beschriebene doppelte Bedeutung des Subjektes entstehen. Diese doppelte Bedeutung des Subjektes hat unbedingt etwas damit zu tun, wie wir uns hinsichtlich der Trennung von Geist und Köper in einer jeweiligen Selbstwahrnehmung positionieren. Hierbei ist die Vorstellung eines einheitlichen Körpers im Sinne einer Repräsentationslinie als für diese dienlich zu verstehen. Jenes als geistiges „Ich“ produzierte, das als Impuls eigenen Weltverständnisses fungiert, ist an die Einheit des Körpers und eines ihm innewohnenden Geistes gebunden. Folgt man Alois Hahn, steckt hinter dieser Teilung in Geist und Körper auch ein evolutionärer Schritt, der in die Konstitution des Sozialen überführt. „Die Vorstellung vom Körper als einem einheitlichen System ist selbst Resultat von Evolution. Die konzeptionelle Entwicklung, die zur Binarisierung des Leib-BewusstseinsVerhältnisses geführt hat, entspringt nicht zuletzt gesteigerten sozialen Bedürfnissen nach größerer Berechenbarkeit der Körper und ihrer sozialen Kontrolle.“24
Die Argumentation von Hahn legt offen, dass wir im inneren Erleben selbst eine Teilung und Distanz zu uns selbst, also zum Körper, erzeugen. Auf dieser Grundlage der Selbstbeziehung ermöglichen wir erst die weiterführenden Konzepte von Beziehungen im Außen. Beziehung zu sich selbst ist demnach als Ausgangspunkt für die Beziehungen zu einem Außen zu verstehen. Soziales resultiert nach Hahn aus der Beziehung zu sich selbst und ist als eigentliche Voraussetzung in Form eines Prinzips zu verstehen, dessen Kern darin besteht, auf
23 Ebd., S. 86. 24 Hahn, Alois: Kann der Körper ehrlich sein?. In: Materialität der Kommunikation. Hans-Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Frankfurt am Main, 1995, S. 668.
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den Körper zugreifen zu können. Der erlebte und als Selbstkonstitution vollzogene Zugriff auf den eigenen Körper dient demnach als Modell dafür, auf andere Körper zugreifen zu können. Die Beziehungsfähigkeit zu sich selbst ist als Ausgangspunkt für die Beziehungsfähigkeit nach außen zu betrachten. Denn, wenn ich von mir als Subjekt denke, befinde ich mich bereits in der Distanz zu mir als Objekt (dies bestätigt die oben vollzogenen Objektivierungsprozesse des Subjektes). Erst diese Entwicklung von Bewusstsein zu sich selbst und die Ausweitung dieses Selbstes in eine Sozialität erzeugen auf dieser Grundlage beginnend jene Bedingungen, die aus übergeordneter Sicht gesellschaftliche Funktion in Form von Kontrolle über den Körper ermöglichen. Das Andere, das Außen wird über ein Selbst im Innen produziert, das Spiel von Alter und Ego vollzieht sich demnach zunächst innerhalb jenes Raumes den wir als „Ich“ bezeichnen. Wie sich dieses Prinzip von Innen in seiner Wirksamkeit nach Außen entfaltet, beschreibt Byung-Chul Han: „Ego erobert Alter, indem er sein eigenes Bild Alter aufprägt oder aufzwingt. Hier verhält sich Alter wie ein passiver Stoff, der den Willen Egos nur erleidet. Die Machtausübung, als Aufzwängung eigner Formen erzwingt eine Kontinuität des Ego in Alter. Dadurch erblickt Ego in Alter sein eigenes Bild, d.h. sich selbst. Da Alter Ego widerspiegelt, kehrt Ego in Alter zu sich selbst zurück. Kraft seiner Macht ist Ego trotz der Präsenz von Alter frei, d. h. bei sich selbst.“25
Das bedeutet also, dass die Struktur der Macht, von außen beherrscht werden zu können, sich paradoxerweise zunächst in der eigenen Beziehung des Menschen zu sich selbst erzeugt, indem das für die Macht vorausgesetzte Prinzip eines Körperzugriffs zunächst an sich selbst angewandt und dann nach außen getragen wird. Die Macht über das eigene „Ich“ ist demnach die modellhafte Grundlage der Macht über das fremde Andere. Soziale Kontrolle ist daher zunächst Resultat innerer Objektivierung des eigenen Subjektes. Dies ist als Grundlage für die Innen- und Außenlenkung der Körper auf Grundlage eines als Subjekt konstituierten Bewusstseins über sich selbst zu verstehen. Das Bewusstsein und seine hervorgehenden Erkenntnisse über sich selbst als objektiviertes Subjekt lenken den Körper an Orte, in Situationen und Begegnungen. Diese Bewusstseinserkenntnisse eines emanzipierten Selbst entlarven sich allerdings, dem Prinzip der Repräsentation folgend, selbst als Resultat einer gesetzten Steuerung, da in dem Augenblick der empfundenen Verwirklichung der Identität die Integration ins Bedeutungsregime vollzogen
25 Han, Byung-Chul: Was ist Macht?. Stuttgart, 2005, S. 69.
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wird. Die Zeichen umzingeln den Körper und das Bewusstsein in Gestalt von Bildern, Schrift und Sprache. So anmutende individuelle Entscheidungen enthüllen sich daher als Folge gesetzter Diskurse. Hier konstituiert sich Körper und Bewusstsein als gesteuerte Einheit, da beides gleichsam einer Lenkung unterworfen wird. Diese Tatsache erzeugt allerdings noch sehr tiefer greifendere Konsequenzen für die Bestimmung von Identität und Körper, da die Risse in der körperlichen und geistigen Selbstwahrnehmung dadurch erst tiefer und schärfer werden. Zusammengefasst bedeutet dies, dass in unserer Selbstkonstitution als Subjekt die Bedingungen für die Ausführung von Macht angelegt sind. Hieraus ergibt sich für die soziale Existenz eine Fülle von Konsequenzen, die – vom Beziehungsgedanken ausgehend – eine Beschreibung zulassen, auf welche Weise, also „wie“, Macht ausführbar wird. Die Beziehung zu sich selbst und das Wissen über sich als Ausgangspunkt für die Beziehungen zu anderen und der Welt beschreiben den Kern der Macht, der sich auf Grundlage der Objektivierung des Subjektes vollzieht. Dies deutet auf eine aus der anthropologischen Selbstinszenierung heraus begründete Systematik, nämlich die Etablierung eines für die Inszenierung notwendigen Blicks auf sich als Selbst und Anderer. Damit ist der Teil des Gefüges umschrieben, der systematisch Subjekt und Objekt als Teil performativer Prozesse des Sehens und Gesehen-Werdens umschreibt. Dies ist unbedingt zu berücksichtigen, wenn der Körper, vom Kontext der Grundfrage ausgehend, in den medial erweiterten Bedingungen als Teil einer Inszenierung in einer technologisch-digitalen Welt verstanden werden soll.
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Von den bisherigen Gedanken ausgehend lässt sich, im Weiteren auf Foucault verweisend, die gesellschaftliche Bedingung beschreiben, auf Grund derer die Macht zur Macht wird. Hierbei ist die Gebundenheit der Macht an Handlungen hervor zu heben, die die Anwendung von Gewalt zwar einschließt aber nicht notwendig macht. Diese Gewalt ist nicht gebunden an direkte körperliche Versehrung, sondern kann sich auf den Ebenen eines vielfältigen psychosozialen, in Gesten, Habitus und Apparate übergegangenen Regelwerkes bedienen, das nur in Form von einer Regierung umgesetzt werden kann. Regierung ist in diesem Kontext sowohl als staatliche oder nicht-staatliche Organisation zu verstehen. Entscheidend hierbei ist die übergeordnete Lenkungsgewalt, die von Regierung ausgeht, dies können heutzutage global operierende Konzerne sein, die in der Lage sind, sich von Staaten und Nationen nahezu unabhängig aufzustellen. Das
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Prinzip der Regierung unterliegt einer Struktur der Macht, die sich auf folgenden Ebenen offenbart: 1. Differenzierungssystem, verstanden als Unterscheidungsprozess auf den Ebenen des Status, der Produktion, der Kultur, des Wissens und der Fähigkeiten. 2. Zielsetzungen der Handlungen, also der Privilegienschutz, Profitakkumulation, Autoritätsausübung und Beruf. 3. Machtinstrumente, die sich aus Gewaltandrohung, Worten, ökonomischer Ungleichheit, Kontroll- oder Überwachungssystemen, Archiven und Regeln modulieren lassen. 4. Institutionalisierung, als rechtliche und räumliche Ebene zur Schaffung einer strukturellen Eingriffssphäre, die mit einem stützenden Regelapparat die Kontrolle und Regulation der Teilnehmer organisiert. Diese Orte dienen als örtliche Repräsentanten übergeordneter Regierung (Kliniken, Heime, Schulen etc.) 5. Rationalisierung der Machtbeziehungen auf der Ebene des Verständnisses. Erst dies sichert die Annahme dieses Systems der Macht durch die in Beziehungen stehenden Handelnden. Es ist die innere Gewährleistung der Macht, indem die Akteure dieses Prinzip anerkennen und durch Handlung weiter tragen und vervielfältigen.26 Das in diesem Umfang von Foucault beschriebene Geflecht der Macht erzeugt körperliche und mentale Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind Kern und Gegenstand eines Großteils daraus hervorgehender Beziehungen, Begegnungen und Empfindungen aller gesellschaftlichen Akteure. Beziehungen werden in einem solchem Kontext zum Ausdruck von Macht und bilden gleichzeitig die Basis des Sozialen. Beziehungen und Verhältnisse erscheinen aus dieser Logik nicht zufällig, sondern sind zwangsläufiges Resultat eines auf diese Weise erzeugten Ein- und Ausschlusses von Menschen. Aus diesem die Macht ermöglichenden Beziehungsgeflecht entsteht in ein und demselben Körper jedoch ein Riss, der sich einerseits darin äußert, einen eigenen Körper auf der Grundlage eines individuell empfundenen Bewusstseins zu besitzen, sowie andererseits an jenem Körper beteiligt zu sein, der auf der gesellschaftlichen, institutionalisierten Ebene sich mit einer auf den Körper bezo-
26 Vgl. Foucault, 2007, S. 96-100.
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gen Zugriffsmacht auseinanderzusetzen zu hat. Kurzum: der gelenkte zum Objekt geformte Körper im Widerspruch zur propagierten körperlich-individuellen Freiheit des Subjektes. Doch genau an diesem, am als Selbst konstruierten Objekt wird ein Riss erzeugt. Darin greift die vorgefertigte Repräsentation gesellschaftlicher Zuweisungen ein. Denn mit dem Riss zwischen Objekt und Subjekt entsteht jene postmoderne Ungewissheit, die als unversöhnliche Lücke in der Realität erlebt wird. Die Repräsentationen, die aus der gesellschaftlichen Ordnung von Zweck und Funktion hervorgehen, besänftigten die Ungewissheit, indem eine Zuordnung auf der Bedeutungs- und Sinnebene geschaffen wird. Der innerhalb der Identität erlebte Riss zwischen Objekt und Subjekt soll durch die Repräsentation geschlossen werden, indem sie doch als solche ein geschlossenes Konstrukt von Erwartungen, Vorstellungen und Handlungen liefert. Die aus der Ungewissheit und Unsicherheit erlebter Realität hervorgehende Ohnmacht wird einerseits durch den ökonomisierten Imperativ erzeugt, gleichzeitig bietet dieser Imperativ mit seinen als Repräsentation fungierenden Bedeutungen einen auf Sinnfolgen der Wahrheit basierenden Trost, der sich im Prozess der Warenproduktion und -konsumption als schimmerndes Glück und Erlösung darstellt. Ein Sinn wird eingeführt, der als Wahrheitslieferant zur Beruhigung und zur Schließung dieses Risses herangezogen wird. Byung-Chul Han erfasst dies in seiner Feststellung über den Sinn: „Der Sinn ist also ein Phänomen der Beziehung und des Beziehens. Etwas wird erst dann bedeutsam oder sinnvoll, wenn es über sich hinaus in ein Beziehungsnetz, in ein Sinnkontinuum oder in einen Sinnhorizont gestellt wird, der der verstehenden Zuwendung zu einem Gegenstand oder Ereignis vorausgeht, ohne jedoch als solcher in den Blick zu kommen.“27
Daher ist die Lücke zwischen Subjekt und Objekt als für die Macht notwendiger Mangelzustand zu verstehen, nur durch diese Konstruktion von Subjekt/Objekt kann sich die Repräsentation als Wahrheitsstiftung immanent wirksam konstituieren. Dieses Arrangement aus erzeugter Ungewissheit zwischen erlebtem Subjekt und Objekt sowie der auf der Sinnebene als Rettung vor der Ungewissheit erscheinenden Repräsentation, ist als Resultat eines konzipierten Machtgefüges auf Basis eines formulierten Sinnes zu verstehen. Das so ausgebildete Arrangement erzeugt ein geschlossenes Bedeutungsfeld, indem die gesellschaftlichen Akteure eingeschlossen – eben integriert sind. Nur durch dieses sinnstiftende Arrangement aus Regeln und Bedeutungen ist eine Dynamik für den in Schwung
27 Han, 2005, S. 37.
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gehaltenen Kreislauf von Anerkennung und Anschluss auf Basis ökonomisierter Wertschöpfung im Sozialen erst möglich. Aus diesem Gefüge, bestehend aus Konstellationen von Verhältnis und Repräsentation, kann sich erst die Macht über die Körper konstituieren. Auf Grund der komplex und diffus ablaufenden Alltagsprozesse wird diese in sich verschlüsselte Steuerung unsichtbar. Die Idee und Funktion der Repräsentation ist daher unmittelbar an die Struktur der Macht gekoppelt.
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Von dem beschriebenen Begriff der Macht ausgehend lässt sich nun sehr viel leichter jenes gesellschaftliche Gefüge nachzeichnen, das sich aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interaktionskontexten ergibt, in welchen der Körper steckt. Die Interaktionskontexte sind durchquert und bestimmt von den Bedeutungsebenen der Repräsentation. Hierbei entstehen unmittelbare und mittelbare Konsequenzen, die sich auf den Körper und seine Sozialität auswirken. Dabei ist der Körper auf abwechselnden Stufen seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung von Einflüssen geprägt, die ihn in ein einer Matrix gleichendes Zusammenspiel aus Flächen und Spuren überführen. Mit Entwicklung der digitalen Computertechniken, also dem Cyberspace im Allgemeinen und dem Internet im Speziellen, ist auf der virtuellen Ebene eine unüberschaubare Anzahl zusätzlicher Einflusssphären neu entstanden, die diese Matrix aus Fläche und Spur zu einem dicht geknüpften Gewebe aus Beziehung, Macht, Wunsch und Begegnung gemacht haben. Ein Aspekt, aus dem sich solche Flächen und Spuren konstituieren, sind die Beziehungsebenen, die aus einer zugrunde liegenden Körperlichkeit hervortreten, diese sind: die Beziehung zu sich selbst, die Beziehung zu einem Gegenüber und die Beziehung zur Gesellschaft. Das so entstehende Arrangement von Gesellschaft, Körper und Geist scheint einem subjektiven Einheitskonzept vom Körper eklatant zu widersprechen, da eine Vereinigung dieser Ebenen zu komplex erscheint. Dennoch beginnt die Formung des Körpers bereits als angelegte Eigenleistung des Selbst, da dieses den Repräsentationsprinzipien der Macht folgt. Dass diese gelenkten Abläufe und Inszenierungen von Körpern keinem materiellen Zufall, sondern vielmehr signifikanten Setzungen untergeordnet sind, formuliert Judith Butler in „Körper von Gewicht“, indem sie auf Foucault rekurrierend die Seele als materialisierenden Machtfaktor benennt.
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„Dort wird Seele als ein Machtinstrument aufgefaßt, mit dem der Körper kultiviert und geformt wird. In gewisser Hinsicht fungiert sie als ein machtgeladenes Schema, das den Körper selbst produziert und aktualisiert.“28
Hiernach läuft eine Materialisierung von Körpern nicht einfach nach biologischen Reproduktionsmustern ab, sondern es handelt sich um eine Körpermodulation, die sich durch Diskurse manifestiert und materialisiert. Zweckdienlich in diesem Prozess ist die Sprache, die als Ausdruck des Geistes Imperative formuliert und als Zeichenfeld Bedeutungen herstellt. Körper wird erst durch Sprache zum Formungsgegenstand im materiell greifbaren Sinne. „Wenn der aus der Signifikation vorgängig bezeichnete Körper ein Effekt der Signifikation ist, dann ist der mimetische oder darstellende Status der Sprache, demzufolge die Zeichen als zwangläufige Spiegelungen auf die Körper folgen, überhaupt nicht mimetisch. Der Status der Sprache ist dann vielmehr produktiv, konstitutiv, man könnte sogar sagen performativ, insoweit dieser signifizierende Akt den Körper abgrenzt und konturiert, von dem er dann behauptet, er fände ihn vor aller und jeder Signifikation vor.“29
Der performative Eingriffscharakter der Sprache löst den Mythos auf, der Körper sei ein aus sich heraus geformter, von Bedeutungen freier materieller Zustand. Nach Butler ist das genaue Gegenteil der Fall, erst durch die sprachliche Signifizierung des Körpers wird jene sprachabhängige Konstruktion des Geistes oder der Seele zum materialisierenden Lenkungsfaktor, der über Körperlichkeit die Bedingungen von Machtbeziehungen erst konstituiert und etabliert. Hierbei wird offensichtlich, wie die Begriffe der Seele oder des Geistes materialisierenden und formenden Charakter entwickeln. Diese Wirkung ergibt sich in erster Linie über Sprache, die selbst operationalisierenden Codes folgt und darüber auf der Handlungsebene erst Zugriff auf die Körper erhält. So ist Sprache Teil eines gesamtmateriellen Prozesses, der durch Körperformung lesbare Spuren hinterlässt. Bewusstsein, das auf dieser Basis eine Beziehung zu sich selbst ermöglicht, entpuppt sich in dieser Denkfigur als eine vorgefertigte Konstruktion, die über unterschiedliche Codierungen eine konkrete Lenkung von außen ermöglicht. Butler sieht den Körper daher immer in Sprachbezogenheit, dies verdeutlicht sie wie folgt:
28 Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt am Main, 1997, S. 60. 29 Ebd., S. 56.
94 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE „Er steht mit der Sprache in ständigem Zusammenhang. Die Materialität der Sprache, im Grunde des Zeichens, das versucht ‚Materialität‘ zu bezeichnen, verdeutlicht, daß es nicht der Fall ist, daß alles, einschließlich der Materialität, immer schon Sprache ist. Die Materialität des Signifikanten […] impliziert vielmehr, daß es keine Bezugnahme auf eine reine Materialität geben kann, außer auf dem Weg über Materialität.“30
Materialität von Körpern ist demnach die Grundlage von Konstitutionsprozessen der Signifikation und nicht Sprache an sich, denn Sprache kann sich nur über materielle Träger äußern, sie kann sich ihrer materiellen Wurzel nie entledigen. Dennoch ist auf Grund dieser Kopplung von Sprache und Material erst die Setzung von Imperativen möglich. Sprache ist somit stets an einen greifbaren und vermittelnden Untergrund gebunden und von diesem abhängig. Mit anderen Worten, Sprache benötigt stets ein materielles Medium, das ist in letzter Instanz unausweichlich der Körper. Signifikationsprozesse ergeben erst Sinn, wenn sie in ihrer Körperbezogenheit eine spürbare Materialität bestätigen. Auf diese Weise münden die Zeichen des Körpers in Sprache und kehren als materielles Echo in der Phänomenalität ihrer Medialität in den Körper zurück. Das ist die Spur einer konstruierten Ordnung. Man denke an dieser Stelle an die Gesetzgebung, Politik, Erziehung, und Religion. Dies sind jene Bereiche, in denen Sprache elementare Funktion bei der Konstruktion von Wahrheit übernimmt, um Inhalt und Sinn zu transportieren. Der Sinn ergibt sich dabei erst, wenn die Körper in vorgegebene Zusammenhänge überführt und dienlich gemacht werden. Aus diesem Grunde ist erlebte Körperlichkeit kein bloßer biologischer Zufall, sondern abhängig vom performativen Effekt eines Sprachvorgangs, der mit seinen allumfassenden Eingriffen den Körper als primäres Besetzungsfeld von Bedeutungen auf der Grundlage einer Materialität markiert und bestätigt. Dieser auf Grundlage der Sprache, des Wortes und der Schrift vollzogene Prozess von Bedeutung ist als Werkzeug der Körperformung im Sinne der Repräsentation zu verstehen. Handlungen werden in und durch Bedingungen der Umwelt veranlasst, die auf den Körper einwirken und ihn verformen, die Inhalte der Formung werden über die Sprachsetzungen transportiert und manifestiert. Die Signifizierung des Körpers ist vorauszusetzender Aspekt der Macht, sie zeigt und offenbart sich in der Bedeutung der Repräsentation. Die Schrift und die daraus abgeleitete Sprache ermöglichen es, Befehle und Ordnungen ohne die leibliche Präsenz des Mächtigen am Bemächtigten zu verwirklichen. Die Machtmittel verstärken sich wie oben beschrieben über die Codierung von Repräsentationen, die den Kontext von Bedeutung und Lenkung festigen. Die Sprache macht sich zum Signifikanten
30 Ebd., S. 104.
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ihrer selbst, indem sie sich über die Schrift verselbständigt und darüber eine eigene verschriftlicht geschlossene Signifikation von Bedeutungen innerhalb der Verhältnisse entwickelt. Diesen Zusammenhang beschreibt Derrida in seiner Grammatologie, wenn er von der Machtstruktur innerhalb der Schrift, der Sprache und deren Bedeutung ausgehend im Umkehrschluss Bezüge und Wirkungen zum Körper nachverfolgt. Derrida entwirft hierbei die Kontexte der Macht, indem er geschriebene Zeichen in ihrem Zusammenspiel mit der politischen Macht verknüpft. Die Schrift ist das Instrument, mithilfe dessen sich die Herrschaft über Aussagen in verschiedenen Disziplinen (Ballistik, Diplomatie, Agrikultur, Strafrecht und Steuerwesen etc.) permanent als Mythos der Wahrheit vervielfältigen und etablieren konnte. Die Kapitalisierung der Gesellschaft sowie politisch-administrative Organisation ist stets über die Schrift vollzogen worden. Ganz elementar an diesem Prozess ist die Tatsache, dass über die Schrift Differenzierungslinien im Außen und Innen der gesellschaftlichen Akteure vollzogen werden konnten und können. Dabei betrachtet Derrida die Schrift nicht bloß als Kommunikationsmittel, sondern begreift sie im Kontext der herrschaftlichen Macht als Instrument der „symbolischen Gewalt“, indem die Inhalte über die Repräsentation des Signifikanten als Garant der Wahrheit eingeführt und vervielfältigt werden. 31 Um im Bild des Theaters zu bleiben, wird mittels Sprache der Körper in Inszenierungen überführt, die ihn zum Schauplatz der Machtausübung machen. Diese Rollenkonstruktion entfaltet sich noch bevor der Körper von sich selbst eine Ahnung von Subjektivität oder Individualität entwickelt. Diese Regieanweisung greift von außen auf den Körper zu und ist in der übertragbaren Repräsentationsstruktur der Bedeutungen enthalten. Die Repräsentation bewegt insgesamt einen Mechanismus, der die Symbole, Zeichen, Sprache, Schrift und deren Codierung um den Körper als Bewusstsein legt. Werden diese Überlegungen von Butler und Derrida auf heutige Gesellschaftsprozesse übertragen, ergeben sich daraus feine Codierungslinien einer tiefwirksamen Steuerung gesellschaftlicher Akteure. Gesellschaftliche Begegnungsräume entstehen innerhalb und außerhalb des Cyberspace auf Grundlage bestimmter Muster und Codierungen, die dem Prinzip des Ein- und Ausschlusses folgen. Daher sind Beziehungsfunktionen vorgeprägt und schaffen unterschiedliche Begegnungsräume. Innerhalb dieser gesellschaftlichen Räume wird erst eine Objektivität des Körpers auf Grundlage körperlicher Empfindung eines Gegenübers zur Quelle einer geschaffenen Ordnung von Beziehungen. Wie beschrieben definiert sich diese Ordnung in und aus bestehenden Diskursen, die sich
31 Vgl. Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt am Main, 1974, S. 168.
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wiederum durch Gesellschaft und ein jeweils gültiges dahinter liegendes Interesse entwickeln. Es steckt demnach eine Menge von repräsentativen Signifikationen hinter einem funktionalen Interesse des Ein- oder Ausschlusses von Körpern. Diese hinter den sprachlichen Symbolen mittransportierten Bezüge der Repräsentation münden je nach kultureller Gewichtung einer Gesellschaft in: juristischen, ökonomischen, psychologischen, religiösen, pädagogischen, technischen oder biologischen Begründungen und erzeugen codierte Masken, denen je nach Position und Beziehung gefolgt wird. Entscheidend an dieser jeweils gültigen Gewichtung ist die arrangierte und mögliche Ressourcenausschöpfung bestimmter Motivlagen für den Einzelnen. Denn aus diesem Arrangement an Motiven hervorgehend, können Menschen ein bestimmtes Repertoire an Begegnungen eingehen und die Bindung innerhalb von Beziehungen erfahren. Einen in diesem Kontext weiterführenden Blick auf dieses Geflecht von Beziehung und Motiv und der sich daraus konstituierenden Macht entwirft Bourdieu, wenn er feststellt: „Die verschiedenen Kapitalarten (‚Geburt‘, ‚Erfolg‘ und ‚Talente‘ früher, ökonomisches und Bildungskapital heute), deren Besitz über die Klassenzugehörigkeit, und deren Verteilung über die Position in dem das Feld der Machtausübung konstituierenden Kräftespiel entscheidet, […] sind gleichzeitig Machtinstrumente und Objekte der Auseinandersetzung der Macht […]“32
Machtausübung und Handlung innerhalb von Beziehungen ist demnach grundlegender Art. Die Verknüpfung mit dem Vorgang der Verteilung von Ressourcen und Rängen lässt erst eine Errichtung von hervorgehenden Machtinstrumenten zu. Diese Instrumente bringen einen grundlegenden Charakter der Differenzierung gesellschaftlich Handelnder hervor und führen gleichsam eine gültige Hierarchisierung der Beziehungen ein. Daraus ergibt sich eine konstituierte Macht, die sich aus Hierarchie und Beziehung sowie gleichzeitig der inneren Annahme dieser Verhältnisse definiert. Erfolgt die innere Annahme nicht, werden die Beziehungen über die Mittel des Zwangs und der Gewalt flankiert. Die Verhältnisse sind der Abdruck, der den Inhalt von Repräsentation als Muster vorgibt. Insgesamt schafft die Repräsentation von Bedeutungen und Inhalten auf der inneren, der geistigen, der mentalen oder psychischen Ebene eine Vereinheitlichung der Denk- und Sinnstrukturen, im Äußeren werden diese Strukturen über das Verhalten und die Gestaltung der Umwelt zu einem unausweichlichen Wahr-
32 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main, 1987, S. 497.
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heitsfeld, das sich vom Eingriffsfeld der Macht umrahmt wieder findet. Dieses Wahrheitsfeld der Bedeutungen und Repräsentationen wird im Kontext des Cyberspace verdichtet, da eine Fülle von signifizierenden Bedeutungssedimenten über die Folie des Alltags gelegt wird. Information überschlägt sich mit Bildern und Kurznachrichten. Die Sedimente lagern sich übereinander und erzeugen einen überquellenden Raum an glatten Oberflächen, die als immatierelles Versprechen von Freiheit und Leichtigkeit eingesetzt werden. Der Körper, als vermeintlich ursprüngliches Signifikat, ist überschüttet mit objektivierenden Signifikanten, die als jeweils eigene Wahrheit und Wirklichkeit das Prinzip permanent wachsender Ökonomie repräsentieren.
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Wenn, wie beschrieben, Sprache und Körper eine materielle Konsequenz über ihre gegenseitige Verbindung eingehen, ist natürlich von dieser Grundlage her nach den Inhalten zu fragen, die die Sprache transportiert. Denn vom Grundsatz dieser Zeichensymbiose abgesehen, sind die Inhalte variabel und veränderlich. Der einzelne Körper wird Teil eines gesamten Körpers, der auf Grund von sprachlichen oder symbolischen Imperativen eine gesteuerte Tätigkeitsrichtung generiert. Körper wird zum Bestandteil biopolitischer Strategien: Wer braucht wie viele Körper an welchem Ort zu welchem Zweck? Das sind die Lenkungsmotive, die die Körper im Kontext so entstehender Konstellationen funktional aufstellen. Dass es hierbei primär um Machtausübung über die Körper geht, ist als logische Folge von verortbarer, also steuerbarer und beobachtbarer Körperlichkeit zu betrachten. Dies mündet eindeutig in eine Kontrolle, die als eine biopolitische Absicht spürbar wird. „Die Kontrolle der Gesellschaft über die Individuen vollzieht sich nicht nur durch das Bewusstsein oder die Ideologie, sondern auch durch den Körper und mit dem Körper: Für die kapitalistische Gesellschaft ist es die Biopolitik, die vor allem zählt, das Biologische, Somatische, Körperliche.“33
Kontrolle und Überwachung sind als konsequente Folge eines solchen ins Somatische greifenden Zugriffs zu betrachten. Damit dieser Prozess der Überwachung und Kontrolle gelingt, braucht der Körper ein Signal, das ihm aus dieser Logik
33 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main, 1977, S. 210.
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der Steuerung heraus eine Richtung des Richtigen zuweist. Richtiges und Falsches zeigt sich je nach dem, ob eine Handlung eine anschlussfähige Rückkopplung erzeugt oder abgelehnt wird. Dieses Signal des Richtigen oder Falschen zeigt sich auf der Ebene des Körperlichen. Ob eine Handlung falsch oder schädlich ist, offenbart sich in und am Körper im Signal des Schmerzes, der als Grenze hin zur Wahrheit der drohenden Vergänglichkeit erscheint. Der Schmerz wird sprachlich als Androhung im gedanklichen Vorstellungsraum phantasiert. Der Schmerz ist allerdings nicht nur sprachlich angedeutet, sondern beschreibt eine eigene Sprache, indem der Körper über den Schmerz seine eigene Begrenzung signalisiert bekommt. Schmerz kann und wird daher als Mittel der Sanktion verwendet, hierin ist die physische Spur gelegt, über die Körper in Bewegung gebracht werden. Hierzu Hahn: „Um derart die Wahrheit der Gesellschaft im Körper zu verankern, pflegt es bei bloßem Drill nicht zu bleiben. Die Schrift, mit der sich die meisten Gesellschaften in die Körper ihrer Mitglieder eingraben, ist der Schmerz. Er ist zumindest im historischen und ethnographischen Vergleich der verbreitetste Griffel zu diesem Behufe gewesen.“34
Weshalb der Schmerz als Instrument der Macht fungiert, ist nachvollziehbar, beschreibt er doch jene Körpergrenze, die Gefahr für den Fortbestand des Organismus markiert. Dieser elementare Schmerz zeigt sich physisch, psychisch und sozial als Stressreaktion. Kontrolle der Körper spielt sich über die Setzung eines möglichen und tatsächlichen Schmerzes auf diesen Ebenen ab. Die Setzung ist symbolisch über Sprache und Schrift, über das Spiel der sich zur Repräsentation verdichtenden Zeichen gesichert. Wer wie welchen Schmerz bei wem zu setzen vermag, drückt auf diese Weise die Macht über die Körper aus. Körper lassen sich über den Schmerz lenken. Schmerz bestätigt als Zustand jene Ebene der Körpererfahrung, die als solche ein direktes Signal einer Bedrohung begreifbar macht. Auf der rein körperlichen Ebene entsteht über den Schmerz ein Wissen über eine Gefahr, die sich als Mündung einer sich anbahnenden Zersetzung des Körpers offenbart. Schmerz ist mit Gefahr gleichzusetzen, wird als solche wahrgenommen und erzeugt Wahrheit, indem er einen Bereich des Körpers markiert, der im Dunkeln bleiben soll. Zum Charakter des Schmerzes hat Elaine Scarry in „Der Körper im Schmerz“ herausgestellt, dass er ohne Sprache sei.
34 Hahn, S. 676.
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„So präsentiert der Schmerz sich uns als etwas Nichtkommunizierbares, das einerseits nicht zu leugnen, andererseits nicht zu beweisen ist. […] Der Schmerz ist nicht nur resistent gegen Sprache, er zerstört sie; er versetzt uns in einen Zustand zurück, in dem Laute und Schreie vorherrschen, deren wir uns bedienen, bevor wir sprechen lernten.“35
Indem der Schmerz über seine Unaussprechlichkeit jenen Punkt des Körperverfalls aufleuchten lässt, der im Verborgenen schlummert, offenbart er gleichzeitig den Charakter einer sprachlichen Grenze. Sprache kann sich nur über Beschreibungen an den Schmerz annähern. Über diese Annäherung in der Sprache wird diese durch Androhung zum Agenten der Macht. Die Voraussetzung, um Schmerz als solchen zu erleiden, ist eine innere Auseinandersetzung mit ihm und ein inneres Wissen über ihn. Denn der Schmerz charakterisiert sich in erster Linie über seine subjektive Wahrnehmbarkeit. Auf dieser Ebene ist er unverfälscht existent. Schmerz ist ein körperliches Phänomen, ja der Körper ist der Grund, auf dem er existiert. Er äußert sich materiell und entzieht sich einem allgemein sprachlichen Ausdruck. Für denjenigen, der den Schmerz erleidet, der von ihm ergriffen wird, existiert er zweifellos. Auch wenn der Schmerz subjektiv erfahren wird, ist das Wissen vom Schmerz als Bedrohung universell, über die Androhung kann die Sprache zu Machtzwecken den Schmerz imaginieren. In Zeiten der Körperoptimierung, die einen schmerzfreien Körper idealisiert, indem die Hülle fixiert und das Innere auszublenden versucht wird, gemahnt der Schmerz den Körper stets aufs Neue an seine Verletzlichkeit. Er macht den Körper bewusst und zeigt ihm als unliebsamer Gast seine Grenzen auf. Schmerz will und soll vermieden werden. Schmerz ist als eine Richtung einer Pendelbewegung der Körper zu betrachten. Die andere Richtung dieser Bewegung ist die Lust der Körper. Der Schmerz sowie die Lust sind über die sprachliche Imagination innerlich setzbar. Beide Körperempfindungen, die Lust, wie der Schmerz, erzeugen eine entsprechende Ausrichtung des Ausdrucks. Jean-Luc Nancy dazu: „Der Lustkörper ist hingegen nur auf sich selbst ausgerichtet. Beim Schmerzkörper ist es genauso, jedoch derart, dass er sich selbst ablehnt und zurückstößt, während die Lust sich unendlich ruft und wieder nach sich verlangt. Was der Schmerzkörper verweigert und der Lustkörper beansprucht ist dasselbe: ein neu zusammengesetzter […] Körper, dessen Zusammensetzungen sich von all den Zusammensetzungen unterscheidet, zu denen ihn seine Handlungen gemeinhin veranlassen mögen.“36
35 Scarry, Elaine: Der Körper im Schmerz. Frankfurt am Main, 1992, S. 13. 36 Nancy, S. 25.
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Schmerz und Lust lösen Handlungen aus, die über eine körperliche Stimulation Bewegungen in bestimmte Richtungen zulassen. Es ist nicht übertrieben, im Kontext von Disziplin und Kontrolle von Steuerung der Körper mit den Zuständen von Lust und Schmerz zu sprechen. Dieser Code aus Schmerz/Lust erzeugt konsequenterweise stets einen Wunsch: entweder nach Erlösung vom Schmerz oder Erfüllung der Lust. Die Ausrichtung des Wunsches ist an den Körper selbst gekoppelt, auf diese Weise wird sich der Körper seiner selbst bewusst. Schmerz und Lust werden zum Leitmotiv einer Körperbewegung. Dies wird umso deutlicher, wenn ein Mangel auf der Ebene der Empfindung erzeugt wird. Ohne Mangel kann kein Wunsch entstehen. Mangel an Erlösung oder Mangel an Erfüllung, beides erzeugt einen Wunsch, der als Triebfeder oder Motiv von Handlung zu verstehen ist. Der Gegenstand des Wunsches ist hierbei phantastisch, da die Verwirklichung, also die Erfüllung des Wunsches nicht in der Gegenwart, sondern in einer vorgestellten anderen, den Wunsch erfüllenden Zeit stattfindet. Die Phantasie imaginiert quasi das Feld des Wunsches, das auf der Ebene des Körpers verwirklicht werden soll. Gerade dieses phantastische Feld des Wunsches ist Materialisierungsgrund von sprachlicher Körperlichkeit. Dietmar Kamper hat die Bedeutung der Phantasie im Kontext der Lust/Schmerz-Konstitution so beschrieben: „Sie spielt auf der Ebene des menschlichen Körpers, genauer auf der Ebene der Lust und des Schmerzes, noch genauer auf der Ebene des Stoffwechsels zwischen Körper und Welt, zwischen Welt und Körper. […] Der Körper ist in der Welt wie die Welt im Körper. Die Passage des Ineinandergreifens ist die Einbildung ins Bild, das sich auftut.“37
In diese imaginierte Zeit und an diesen phantasierten Ort bewegen sich die Körper, indem ein Bild entsteht, das Erfüllung oder Erlösung verspricht. Welt und Körper fallen in eine gemeinsame Bedeutung, sind als solche nicht mehr eindeutig zu trennen, da sich diese auf der Ebene der Imagination und Phantasie gegenseitig manipulieren. Die Bedeutungsebenen werden am Körper über Lust und Schmerz manifestiert. Dass hier zu Grunde liegende Geflecht von Wunsch und Erfüllung ergänzen Deleuze und Guattari: „In gewisser Weise verfehlt die Logik des Wunsches ihren Gegenstand schon vom ersten Schritt an: demjenigen der platonischen Trennung, die uns zwischen Produktion und Erwerbung wählen läßt. Sobald wir den Wunsch der Seite der Erwerbung zuschlagen, ma-
37 Kamper, Dietmar: Ästhetik der Abwesenheit. Die Entfernung der Körper. München, 2008, S. 88.
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chen wir uns von ihm eine idealistische (dialektische, nihilistische) Konzeption, die ihn primär als Mangel, Mangel an einem Objekt, einem realen Objekt, bestimmt.“38
Operationsfeld des Wunsches ist trotz der in der Zukunft erhofften Erfüllung desselben stets der Körper in der Gegenwart. In diesem Körper laufen die Begegnungen, die Interaktionen und Mangelempfindungen zusammen. In einem solchen Körper entfaltet sich die konkrete materielle Wirkung der Gesellschaft, denn „[…] es gibt nur den Wunsch und das Gesellschaftliche, nichts sonst.“39 Für Dietmar Kamper ist der Körper das eigentliche Element, das Gesellschaft erst ermöglicht und zwar genau an den beschriebenen Ebenen von Lust und Schmerz. „Ohne den Körper im Schmerz, ohne den Körper in der Lust läßt sich die fundamentale Verknüpfung von Bahnung und Spur nicht erörtern. Die Menschen sind körperlich verwandt, nicht geistig, nicht aufgrund einer symbolischen Ordnung und nicht aufgrund eines kollektiven Imaginären.“40
An exakt diesen Ebenen bemisst Kamper eine Archivierungsgrundlage gegenseitiger Interaktion. Er kommt auf Grundlage dieser materiellen Ausgangsauffassung von der Bedeutung der Körper zum Schluss, dass es eine „[…] Einschreibung erdgeschichtlicher, sozialhistorischer und biographischer Erfahrungen gibt, die Wunden aufgerissen Narbenbildungen zugelassen, Mnemotechniken provoziert hat […].41 Auf dieser Grundlage begründet er Aspekte einer die Gesellschaft bedingenden „Historischen Anthropologie“. Dieser von Kamper komplettierte Gedanke bestätigt Nietzsches Ausführungen über den Körper als mnemotisches Areal, das über Schmerz abgesicherter Bestandteil der Macht ist: „Es gieng niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nöthig hielt, sich ein Gedächtniss zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder, […] die grausamsten Ritualformen aller religiösen Culte […] alles Das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hülfsmittel der Mnemonik errieth.“42
38 Deleuze/Guattari, 1974, S. 34. 39 Ebd., S. 39. 40 Kamper, 2008, S. 114. 41 Ebd., S. 115. 42 Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Stuttgart, 1988, S. 50.
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Mit dem Schmerz wird jene Spur gelegt, die sich über die Bedeutungsebenen der Sprache als Erinnerung und Mythos über Kulturpraktiken in die einzelnen sowie gesellschaftlichen Körper, als materieller Imperativ über die signifizierte Repräsentation eingraviert. Mangel und Wunsch sind in diesem Kontext als motivationales Schwungrad für die Bewegungen der Körper zu verstehen, dieses Schwungrad lässt die Körper untereinander zirkulieren. Wunsch und Technik sind als ineinander verästelter Kern einer Warenproduktion zu markieren. Die Gesellschaft und die Körper definieren anhand dieser Produktion die Ebene des „Wie“, nämlich auf welche Weise Gesellschaft und Körper sich selbst über Imagination beschriften. Technik, Ware, Wunsch, Mangel und Körper beschreiben ein modernisiertes und aktuelles Ensemble, das in Ausstattung und Wirksamkeit hochkomplex bedient werden muss. Die Bedienung und die Konstellation dieses Ensembles ist in letzter Konsequenz Ausdruck der Macht. Der Wunsch ist in diesem Geflecht einerseits konkret, indem er Lust erfüllen oder Schmerz beheben soll, andererseits ist er in Bezug auf den Warencharakter eine kaum noch entschlüsselbare sprachliche Abstraktion eingegangen. Im Effekt findet auf dieser Grundlage eine Ausweitung des Wunschfeldes statt, die im Resultat den Zugriff auf den Körper erleichtert. Dies zeigt sich besonders darin, wenn die Prozesse der Technisierung auf die Körper übergreifen und diesen zu einer erfassbaren Datengröße im Sinne der Kontrolle werden lassen. Dies zeigt sich aktuell in den verschiedensten Trackingverfahren, die in Applikationsformaten nahezu auf jedem mobilen internettauglichen Endgerät zum Einsatz kommen können. Die Geräte erfüllen auf technische Weise den Wunsch nach Verbundenheit und liefern durch dieselbe Technik über eine Hintertür den Schmerz der Kontrolle.43 Kontrolle ist immer auch das Wissen darüber, wer sich von woher wohin als ein Körper im Raum bewegt. Dieses Wissen ist Voraussetzung für den Zugriff auf den Körper. Dieses Wissen zu organisieren und einzusetzen, beschreibt eine eklatante Ebene der Macht und ist im Zuge einer global wirksamen und vernetzten Technisierung gleichsam als Instrument einer vor Nationalstaaten nicht Halt machenden Einflusssphäre zu betrachten. Dass diese Art der Biopolitik, also der Zugriff auf die Produktion und Verwaltung von Körpern, eine grundsätzliche Komponente der Machtsphäre darstellt, verdeutlicht sich nicht zuletzt in einer sich verfeinernden Verknüpfung von Körper und Technik. Diese Körperkontrolle ist nichts Neues, diese Körperverwaltung wurde nicht erst seit der Entwicklung technischer Errungenschaften versucht. Kontrolle über Körper
43 Kontrolle in einer neuen Dimension bieten die Enthüllungen zu den Aktivitäten der NSA.
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auszuüben, findet unabhängig von der Entwicklung von Technologien statt. Allerdings ist mit einer sich rapide entwickelnden Technik die Zugriffspotentialität auf die Körper enorm gewachsen.
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Betrachtet man in diesem Kontext den Cyberspace, der mit all seinen internetbasierten Verbindungen ein Warenmeer von Soft- und Hardware hervorbringt und damit gleichzeitig auf Monitoren Bildübergänge der Wirklichkeit auf Grundlage einer vorgefertigten Repräsentation erzeugt, liegt es nahe, diesen Raum als einen sehr effektiven Ort der Machtausübung zu betrachten. Wenn durch die Internetexpansion das Bedürfnis nach Konnektivität geweckt und gestillt wird, sind die daraus hervorgehenden Wirkungen für entstehende Begegnungen auf die Logik einer Beziehungskonstitution zu übertragen, die sich mittels der oben beschriebenen Matrix der Macht nun verdichtet und auf der Fläche des Cyberspace verwirklicht. Übertragen wir nun die oben zusammengefasste, von Foucault vorgeschlagene Machtmatrix Begriff für Begriff auf die im Cyberspace erzeugten Bedingungen. Differenzierung und Ziel Der Cyberspace ist unbedingter Ort der Differenzierung, denn die Inszenierung einer Individualität, beispielsweise in sozialen Netzwerken, erfüllt sich erst, indem das sich so zeigende Subjekt zum digitalen Gegenstand eines Objektes wird. Diese über digitale Medien zum Objekt werdenden Subjekte sind erst in ihrer Darstellung als Bild und/oder Spur eines Selbst im Cyberspace differenzierbar. Der Cyberspace fordert geradezu mithilfe des nimmermüden Internets dazu auf, sich ununterbrochen zu zeigen und zu inszenieren. Dass damit erst ein Zugriff auf ein sich darstellendes Subjekt im Sinne einer panoptischen Macht vollzogen wird und wurde, ist in aller Konsequenz erst mit den Enthüllungen zum NSA-Komplex offen zu Tage getreten. Die Spuren im Cyberspace sind individuell und bleiben haften. Die informationelle Nachverfolgung und Archivierung objektivierbarer Daten über Subjekte bildet Schichten einer Wahrheit, die jede Macht braucht, um erst effektiv zur Ausführung zu kommen. Überträgt man den aus Foucaults Machtmatrix verwendeten Begriff der Zielsetzung auf den Cyberspace, ergibt sich daraus eine weitere Kontur angewandter Macht. Die im Internet zusammenlaufenden Ziele bündeln sich in den Bereichen: Arbeit, Öko-
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nomisierung und Wertakkumulation. In Echtzeit werden Geld- und Informationsströme auf Basis ökonomischer Wertschöpfung global durch die Datenwege hin und her gejagt. Das Internet ist hierbei als effektives Mittel zur Durchsetzung eines rein ökonomischen Zweckes und Zieles zu verstehen. Ein weiteres, sich allmählich entschleierndes Ziel des Internets sind die sich verwirklichenden Linien einer zensierenden Autorität, wenn z.B. innerhalb bestimmter Staatsgebiete der Welt im Interesse der Macht durch die Autorität des staatlichen Administrators Kanäle des sonst freien Internets kurzerhand geschlossen werden. Das Machtgefüge greift zu, indem die Informationskanäle, dem Ziel des Machterhalts folgend, modelliert und arrangiert werden. Mit dem Cyberspace sind Machtinstrumente entstanden, die dank der technischen Verfeinerung der Geräte einen Fortschritt ins Mikroskopische erlauben und sich so in der Wahrnehmung der Nutzer unsichtbar machen. Gleichzeitig tasten diese Geräte nahezu jeden Raum des Sozialen ab und sind dadurch in der Lage, gesellschaftliche Akteure zu überwachen und zu steuern. Die Klaviatur der Machtanwendungen ist im Internet durch die Expansion der Möglichkeiten des Ausschlusses oder Einschlusses von Akteuren um weitere Potentiale angewachsen. Die Machtanwendung ist psychologisch wie physisch apparatisiert. Hier sei daran zu erinnern, wie Drohnen per Joystick gesteuert tausende Kilometer vom Henker entfernt zur Exekution von Feinden verwendet werden. Die Hinrichtung verwandelt sich zum Bild, das Blut bleibt ein trockener, aus Pixeln gezeichneter Fleck am Monitor. In Form des Cyberspace sind vergessenslose Archivräume entstanden, die jederzeit und jederorts von Computerprogrammen, je nach Algorithmus, Erinnerungen hervorholen, um Zugriff auf Delinquenten zu vollziehen. Das Prinzip der Ungleichheit, also der Differenzierung, hat sich im Cyberspace durchgesetzt und verschärft. Institutionalisierung als Machtinstrument In Foucaults Machtmatrix ist die Errichtung einer Institution ein starker Aspekt der Machtanwendung. Der Cyberspace stellt mit seinen internetbasierten Verknüpfungen und den interessegeleiteten Anwendungen von Akteuren ein ideales Feld der Institutionalisierung bereit. Dieses ist verwirklicht in den verschiedenen institutionalisierten Verhaltens- und Gebrauchsweisen, die mit dem Konsum des Cyberspace und seiner Instrumente einhergehen. Hier sind es nicht zuletzt die weltweit operierenden Riesenkonzerne des Internets, die über ihre Marktmacht global zur Institution geworden sind. Selbst auf der sprachlichen Ebene offenbart sich die vollzogene Institutionalisierung, hier seien nur zwei Beispiele genannt: „googeln“ und „bloggen“. Indem die Worte sich an die zugrunde liegende Insti-
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tution binden, entstehen angeschlossene Handlungen, die aus einem bloßen Wort einen repräsentativen Begriff formen, der in seiner Bedeutung mit der institutionalisierten Marke eine Symbiose eingeht, in diesem Falle: Google. Die Institution verlangt eine Kaskade von Verhaltensweisen, die unmittelbar an die Konstitution der Wahrheit gebunden ist. Die Frage nach der Wahrheit ist zur Frage an Google, eben zu einer konsequenten Bindung an eine Institution geworden. Google ist zur Institution der Wahrheit geworden, die Wahrheitssuche hat sich vermählt mit einem Konzern. Facebook ist durch die Nutzung und Verbreitung zur Institution der Sozialität geworden und Apple institutionalisiert sich auf der Ebene der Ästhetik. Wahrheit, Soziales und Ästhetik sind erst im Konsum der bereitgestellten Produkte der Konzerne durch die Nutzer an die Konzerne gebunden und somit institutionalisiert worden. Zu bisherigen Institutionen besteht allerdings der Unterschied, dass diese neuen Institutionen nicht von Staaten, Behörden oder anderen übergeordneten Einflüssen ihre Legitimation als Institution erhalten. Stattdessen akkumulieren diese Konzerne ihre Macht über Körper und deren Verhalten sowie der daraus ableitbaren Dynamik von Datentransfers und Datenmonopolen. Die Machtinstrumente sind definiert in der Option, die Daten im Sinne eines Ein- oder Ausschluss im Kontext sozialer Prozesse im Cyberspace zu verwenden. Die Einbindung in diese Prozesse der Wahrheit, Sozialität oder Ästhetik ist abhängig von der Fähigkeit, die technische Ausstattung als Ware konsumieren zu können. Die Apparate sind hierbei als selbstverständliche Voraussetzung, als Artefakt einer Medialität an den Körper gebunden und werden mit fortschreitender Entwicklung immer unauffälliger. Die Institutionen und ihre im Hintergrund herrschenden Interessen überspannen die Apparate mit einer schmeichelnden Benutzerfreundlichkeit. Rationalisierung Auf der Ebene der Rationalisierung ist der Cyberspace als Mittel der Macht ebenso angekommen, indem die innere Akzeptanz für den Cyberspace bei den Akteuren erzeugt und etabliert wird. Dieser Schritt vollzieht sich in der allgemeinen Nutzung des Cyberspace als fast natürliche Ebene des Austauschs untereinander sowie als Voraussetzung der Kommunikation schlechthin. Die selbstverständliche Konsumption, der für den Anschluss an das Internet notwendigen Apparaturen ist als Bedürfnis klar konturiert. Die Nutzung und Verwendung des Cyberspace als medialen Mittelpunkt eigener Persönlichkeit stützt diese Rationalisierung. Insgesamt ist der Cyberspace als Raum etabliert, in dem sich Verhaltensweisen sozialen Anschlusses bestätigen und/oder widerlegen. Die daraus entstehen-
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den Beziehungen sind (wie aus der Übertragung der foucault’schen Machtmatrix auf den Cyberspace hervorgeht) einem Machtkomplex unterworfen, der sich nach und nach in seinem Ausmaß zeigt. Byung-Chul Han beschreibt diesen neuen Ausdruck der Macht, der sich staatlich oder verfassungsgemäß nicht mehr klar differenzieren lässt, da sich die Trennlinien zwischen Staat und Markt nicht mehr markieren lassen. Stattdessen institutionalisieren sich Konzerne zu dominanten Einflussfaktoren. „Der Überwachungsmarkt im demokratischen Staat hat eine gefährliche Nähe zum digitalen Überwachungsstaat. In der heutigen Informationsgesellschaft, in der der Staat und der Markt immer mehr verschmelzen, nähert sich die Tätigkeit von Acxiom, Google, oder Facebook der eines Geheimdienstes. Die bedienen sich oft desselben Personals. Und Facebook-, Börsen- und Geheimdienst-Algorithmen führen ähnliche Operationen durch. Angestrebt wird überall eine maximale Ausbeute an Information.“44
Begleitet wird diese Verschmelzung von Staat und Markt von einer die gesellschaftlichen Akteure umschließenden Unwissenheit oder Naivität gegenüber den auf sie zugreifenden Kontrollmechanismen. So offenbart sich die Ohnmacht der Akteure gegenüber der Macht. Denn trotz im Wissen darüber, dass über das Cyberspaceelement des Internets Geheimdienste an nationalstaatlichen Gesetzen und Verfassungen vorbei eine globale Überwachung umsetzen, gehen aus dieser Tatsache keine nachhaltigen, auf gesellschaftlicher Breite getragenen Diskurse der Veränderung hervor, die diesen Umstand als Anlass zu einer Kritik heranziehen würden. Die Politik steht dieser Tatsache weitestgehend wie gelähmt gegenüber, denn die global wirkende Ökonomie ist viel zu sehr mit der Digitalität des Cyberspace verzahnt, als dass eine Regulation oder Entflechtung in diesem Gefüge vollzogen werden könnte. Die Entwicklung geht vielmehr in diese Richtung: Überall dort, wo die Apparatisierung des Lebens und der es umgebenden Umwelt vollzogen ist, breitet sich die Macht als Gegenstand der Wahrheit über die digitale Folie des Cyberspace umfänglich in nahezu allen Bereichen des Sozialen und somit auch des Körperlichen aus. Diese vollumfängliche Machtausübung ist in ihren Potentialen noch verstärkt, indem über die digitale Medialisierung eine fortlaufende, unermüdliche Repräsentationsmaschine geschaffen wurde, die über dem Schein erzeugter Individualität ein dichtes Feld von Setzungen vermittelt, die dahingehend agieren, Kontrolle, Disziplin und Überwachung zu verwirklichen.
44 Han, Byung-Chul: Im Schwarm. Ansichten des Digitalen. Berlin, 2013, S. 95.
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Mit der Entwicklung des Cyberspace und den internettauglichen Informationsund Kommunikationstechnologien hat sich diese ohnehin komplexe Struktur von Beziehungsmotiven und -mustern in der Summe im Kern nicht vervielfältigt, vielmehr hat sich die Intensität des Austauschs auf Basis oben genannter technischer Bedingungen verdichtet. Die sozialen An- und Ausschlussoptionen sind mit der technisch-medialen Verdichtung des Sozialen gestiegen. Die technische Seite ist nur ein Aspekt unter vielen, mit Hilfe derer sich die Sozialität arrangiert. Angesichts der bildgesteuerten Übermacht des Technischen wird gerne übersehen, dass sehr viel mehr Motive und deren Bedeutungen im Hintergrund über das Mittel gesetzter Repräsentation wirken.
V ON DER B IOPOLITIK ZUR P SYCHOPOLITIK Zusammengefasst bedeutet die Übertragung der foucault’schen Machtmatrix auf die Digitalität des Cyberspace eine erhebliche Ausweitung der Kontrolle über die gesellschaftlichen Akteure und demnach über ihre Körper. Wie beschrieben, generiert sich die Lenkung der Körper über die repräsentative Setzung von Körperempfindungen mittels Sprache und codierter Bedeutungen. Wenn sich dieser Vorgang aufgrund technischer Vernetzung potentiell dahingehend ausbreitet, indem eine Verkopplung von Körper und Technik vollzogen wird, verwirklicht sich ein totales Feld der Kontrolle. Diese Entwicklung greifen Michael Hardt und Antonio Negri in ihrer Argumentation präzisierend auf, wenn sie sich mit dem Zusammenhang beschäftigen, der Macht in einem solchen Zusammenspiel von Körpern und Technik konstituiert. „Machtausübung findet durch maschinische Systeme statt, die direkt auf die Köpfe wirken (Kommunikationssysteme, Informationsnetzwerke etc.) die Körper organisieren (Sozialsysteme, kontrollierte Aktivitäten etc.) und einen Zustand autonomer Entfremdung (vom Sinn des Lebens, vom Wunsch nach Kreativität) herbeiführen.“45
Machtausübung, also das Arrangement und die Ausführung von Körperkonstellationen, verwirklicht sich über die Organisation von Kommunikation und Information. Auf Grundlage dieser kommunikativen Körperpraxis wird die sonst als unsichtbar empfundene Macht konkret und zeigt sich als vollzogene Ordnung der Interaktionsproduktion. Gleichzeitig erzeugt sie Sinn und Kollektivität, die
45 Hardt, Michael und Negri, Antonio: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt am Main, 2003, S. 38.
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sich aus der technisch erzeugten Konnektivität ergeben. Diese Konnektivität ist allerdings mehr Form als tatsächlicher Inhalt von Begegnung, denn es erwächst daraus nicht die erwünschte und suggerierte individuelle Freiheit, sondern wie beschrieben ein Zustand autonomer Entfremdung. Der Objektivierungsprozess des Subjektes ist innerer Kern dieser autonomen Entfremdung. Diese Entfremdung ist auf direkte Weise mit den Komponenten der Macht verknüpft, indem sie geradezu Resultat dieser ist. Das dahinter liegende Motiv der Entfremdung zeigt sich in einer gesetzt erzeugten Individualität. Wobei erst diese den Zugriff auf einen fassbaren und berechenbaren „Individualkörper“ schafft. Dazu Kamper: „Ziel ist die Reduktion der vielgestaltigen Teilkörper auf einen möglichst eindeutigen und gesellschaftlich nützlichen Individualkörper; ähnlich vollzieht sich die Konstruktion des Sozialkörpers. Menschen zu beherrschen bedeutet stets auch, ihre Körper zu beherrschen.“46
Mit dem ökonomisch begründeten Individualitätsgebot ist die Ursache für die vollzogene Vereinzelung der Körper begründet. Die als Freiheit vermarktete Individualität schafft erst die Grundlagen für einen permanenten Zugriff auf die Vereinzelten. Hinter diesem Zugriff stehen konkrete Interessen einer ins Abstrakte übersetzten Macht, die sich hinter den technologisch überschäumenden Bildern der Monitore als Sprache einer Signifikanz verbirgt. Der Zugriff entpuppt sich dank der beschriebenen Konsumption und Vernetzung von Geräten als raum- und zeitunabhängig. Wider dieses Wissen, dass sich über Technisierung der Gesellschaft eine feingliedrige Disziplinierung der Körper durch Kontrolle und Überwachung erreichen lässt, gravieren sich die Akteure die Macht gegenseitig über Zeichen ungehindert in die Ebenen der Sozialität ein, indem die global vernetzte Nutzercommunity sich mehr oder weniger freiwillig dieser digitalen Kontrolle aussetzt. Es ist die Disziplin zum Konsum, die dies möglich macht. Um die Praxis der Produktion und Kommunikation aufrechterhalten zu können, bedarf es einer Zustimmung, sonst ist diese Praxis unmöglich. Dass diese Zustimmung eigentlich Teil der Disziplinierung durch Konsum ist, wird weitestgehend nicht reflektiert. Biopolitik ist daher als eindeutige Sphäre der Körperkontrolle zu verstehen. Nach Hardt und Negri, die diesen Gedanken über die Disziplin von Foucault weiter entwickeln, ist die Disziplinierung der Körper Grundvoraussetzung dafür, dass sich Körper auf diese Weise organisieren und bewegen lassen. In dieser Lo-
46 Kamper/Wulf, 1989, S. 2.
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gik folgt auf die vielfältige Disziplinierung der Körper die vielfältige Kontrolle über die Körper. Hardt und Negri hierzu: „Die Kontrollgesellschaft könnte man also durch die Intensivierung und Verallgemeinerung der normalisierenden Disziplinarmechanismen charakterisiert sehen, die, nunmehr verinnerlicht, unsere gewöhnlichen und alltäglichen Praktiken regeln, doch im Gegensatz zur Disziplin dehnt sich die Kontrolle über die strukturellen Orte sozialer Institutionen hinaus durch flexible und modulierende Netzwerke aus.“47
Die Disziplinierung schafft erst die Voraussetzung für die Kontrolle über die Körper. Der Netzwerkgedanke spielt als Voraussetzung der Kontrolle eine erhebliche Rolle, denn soziale Institutionen, die einer überschaubaren Regulierung unterworfen waren, sind plötzlich offen und flexibel und expandieren bis in den hintersten Winkel sozialer Praxis. Byung-Chul Han geht über den Begriff der Biopolitik hinaus, für ihn dringt die im Zuge der Digitalisierung vollzogene Machtausübung noch tiefer in die Persönlichkeit hinein. Er sieht die Ebene der Psyche als Eingriffs- und Wirkungsfeld der Macht, in den darin vollzogenen Kontexten „[…] nimmt die Macht zunehmend eine permessive Form an. In ihrer Permessivität, ja in ihrer Freundlichkeit legt sie ihre Negativität ab und gibt sich als Freiheit.“48 Die ins Unsichtbare driftende Macht braucht nicht mehr ausschließlich den Körper, sondern verlagert sich schmeichelnd in die Denkstrukturen. Dies gelingt umso besser, wie oben beschrieben, durch Setzungen von Bedeutungen über die Repräsentationskanäle, die über Sprache, Zeichen und Schrift Symbole von Bedeutung, also Steuerung, installieren. Allerdings wird nicht mit Verboten oder Weisungen operiert, sondern mit Angeboten. Dadurch entsteht der Eindruck, im Rahmen einer Freiheit zu agieren und nicht auf einem Feld von Verboten. Für Han kommt die Macht in einer Art „freien Wahl“ daher: „Diese freundliche Macht ist gleichsam mächtiger als die repressive Macht. Die entzieht sich jeder Sichtbarkeit. Die heutige Krise der Freiheit besteht darin, dass wir es mit Machttechniken zu tun haben, die die Freiheit nicht negiert oder unterdrückt, sondern sie ausbeutet. Die freie Wahl wird vernichtet zugunsten freier Auswahl zwischen Angeboten.“49
47 Hardt/Negri, S. 38. 48 Han, Byung-Chul: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main, 2014, S. 26. 49 Ebd., S. 27.
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Die Macht braucht auf diese Weise keinerlei Widerstände zu überwinden, da sie sich über den Körper hinaus in die Denkstrukturen als Handlungsimperativ innerhalb einer neoliberalen Gesellschaftsordnung einnistet. Der Körper wird über die in die Gedanken eingeschleusten Verhaltens- und Denkcodes effektiv und sanft gesteuert. Wie sehr die Psyche auch ein starker Faktor der Macht sei, diese findet im Körper statt.
ARBEIT ALS K ÖRPERFELD DER D ISZIPLIN , K ONTROLLE UND S TEUERUNG Das von allen Gesellschaftsmitgliedern getragene und gleichsam als Wahrheitsfeld konstruierte Identifikationsfeld sozialer Praxis, das Konnektivität, Begegnung und individuelle Freiheit für gesellschaftliche Akteure aller Art bereit zu stellen verspricht, ist: Arbeit. Am Beispiel der Arbeit wird im Folgenden versucht zu verdeutlichen, wie sich auf der konkreten Ebene sozialer Gegenseitigkeit die Technik als Bestandteil der Macht zu einem dominanten Faktor gesellschaftlicher Gestaltung im Sinne der Biopolitik entwickelt hat. Körper und Arbeit sind miteinander verknüpft. Arbeitskraft ist Körperkraft oder zumindest ist es stets der Körper, der Handlungen, die als Arbeit interpretiert werden, vollzieht. Auf Cantillon rekurrierend verdeutlicht Foucault dies anhand des Zusammenhangs von Arbeit und Bedürfnissen: „Die Arbeit des Menschen war der Nahrungsmenge gleich, die notwendig war, ihn und seine Familie während der Zeit zu unterhalten, die das Werk beanspruchte.³ Infolgedessen definierte in letzter Instanz das Bedürfnis – Nahrung, Kleidung Wohnung – das absolute Maß des Marktpreises.“50
Der Mensch setzt seinen Körper in Form von Arbeit ein, um ein Äquivalent für die Erhaltung des Körpers zu erhalten. Es ist dies ein paradoxer Zustand: Die Arbeit, die erschöpft und dadurch Bedürfnisse des Erhaltes verstärkt, stellt im Augenblick der Leistungserfüllung durch Auszahlung eines Tauschwertes jene Garantie her, die Bedürfnisse des Lebenserhalts zu erfüllen. Durch diese Linie des Widerspruchs bewegt sich stets der Körper, wenn er mit Arbeit in Verbindung steht. Voraussetzung ist freilich die Bereitschaft, Arbeiten auszuführen, anders ausgedrückt, arbeitswillig zu sein. Dass dahinter ein eklatanter Zwang be-
50 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main, 1971, S. 275.
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steht, hat Max Weber in seinen „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“ im Rahmen seines Werkes „Wirtschaft und Gesellschaft“ beschrieben. „Arbeitswilligkeit ist aber stets entweder durch starkes eigenes Interesse am Erfolg oder durch unmittelbaren oder mittelbaren Zwang bedingt gewesen; in besonders hohem Maß Arbeit im Sinn der Ausführung der Disposition anderer. Der Zwang kann bestehen entweder 1. in unmittelbarer Androhung physischer Gewaltsamkeit oder anderen Nachteilen, oder 2. in der Chance der Erwerbslosigkeit im Fall ungenügender Leistung.“51
Der Erhalt des Körpers ist somit unmittelbar und konsequent an Arbeit gekoppelt. Wer arbeitet, begibt sich in ein Gefüge gegenseitiger Abhängigkeit, wobei der Grad der Abhängigkeit mit zunehmender Macht des einen zu Ungunsten des anderen steigt. Der Zwang besteht in der Tatsache, dass es jemanden gibt, der einem anderen physische Gewalt androhen kann und/oder die Leistung nach eigenen festgelegten Maßstäben beurteilen kann. Mit der Entwicklung der digitalen Technologien hat sich an diesem Grundsatz nichts verändert. Etwas abgeschwächt, zuweilen abstrakt, stellt sich dieser Grundsatz in Teilen der Arbeitswelt in den reichen Industrienationen dar. Der Körper ist juristisch im Feld der Arbeitswelt weitestgehend durch Arbeitsschutzverordnungen vor Gefährdungen aller Art gesichert. Nichtsdestotrotz wird vom Körper eine direkte oder indirekte Leistung erwartet, die ihm in Form von Entlohnung als Gegenwert der körperlichen Abnutzung oder Anwesenheit, seine Bedürfnisse sichern soll. Auf irgendeine Weise wird körperliche Anwesenheit und Bedienung von Artefakten und Werkzeugen erwartet und gefordert. Aus den reichen Industrienationen ist die brutale Ausbeutungsarbeit – zumindest was die öffentliche Wahrnehmung betrifft – verbannt worden. Ausbeutungsarbeit ist im Zuge der Vernetzung der Daten- und Warenströme dorthin gewandert, wo noch immer die tägliche Arbeit ohne Arbeitsschutz die tägliche Nahrung und nichts darüber hinaus beschafft. Trotz aller gegenwärtig verfügbaren und das Leben in vielen Bereichen erleichternden Technik, ist die körperliche Arbeit nach wie vor ein kalkulierbares und kalkuliertes Mittel, um Druck und Konkurrenz im sozialen Gestaltungsbereich anzuwenden. Das Ausmaß dieser Gestaltung ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufgrund digitaler Netzströme in die globale Dimension entwachsen. Arbeit ist daher nach wie vor als das Mittel schlechthin einsetzbar, um Kontrolle und Disziplin über Körper zu vollziehen. Gleichzeitig laufen auf diesem
51 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Neu-Isenburg, 2005, S. 112.
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Feld die Fäden der Macht über den Körper zusammen. In der Alltagsgestaltung ist Arbeit als das primäre Feld körperlicher Kontrolle und Disziplin zu betrachten. Diese Kontrolle wird garantiert, indem die zeitlich-räumliche Anwesenheit von Körpern bis ins Detail organisiert und verwaltet wird. Diese raum-zeitliche Steuerung von Menschen ist erst mit der Erfindung der Uhr möglich geworden. Die Erfindung der Uhr hat Zeit in ein abstraktes Zahlenschema übersetzt. Zeit war bis zur Erfindung der Uhr an körpereigene oder in der Natur stattfindende Ereignisse gekoppelt. Hierzu Joseph Weizenbaum: „Die Tageszeiten waren durch Ereignisse gekennzeichnet, etwa wenn die Sonne über einem bestimmten Berg stand oder […] durch Arbeiten, die begonnen oder beendet wurden, wie das Einspannen (Morgen) und das Ausspannen (Abend) der Ochsen. Eine Zeitdauer wurde dadurch ausgedrückt, daß man sie zu allgemein bekannten Verrichtungen in Beziehung setzte […]“52
Die Periodizität von Prozessen und Ereignissen des eigenen Körpers und der Natur waren Gradmesser und Qualitäten eigener Wirklichkeit. Mit der Übersetzung der Zeit in die abstrakte Systematik und Rhythmik der Uhr ist dem Erlebnis der Zeit die Tiefe der Ereignisse abhanden gekommen, dies gilt in besonders hohem Maße hinsichtlich der menschlichen Eigenwahrnehmung. In dem Augenblick, in dem die Uhr den Rhythmus vorzugeben beginnt, verliert der eigene Rhythmus des Körpers an Bedeutung. Die Verbindung von Körperereignis und Zeit wurde mit Erfindung der Uhr aufgehoben. Die Uhr, die ein Modell von Zuständen und dazugehörigen Zahlenwerten darstellt, hat eine weitgreifende Veränderung der menschlichen Welt ausgelöst. Weizenbaum weiter: „Von jetzt an mußte der Mensch neue Sinne entwickeln, um sich zurecht zu finden. Die Uhr hatte buchstäblich eine neue Wirklichkeit geschaffen; und das hatte ich damit gemeint, als ich schrieb, daß der Trick, der die Menschheit verändert […] hat, in nichts weniger bestand als in der Transformation der Natur und menschlichen Wahrnehmung der Realität.“53
Der Körper und seine Wahrnehmung wurden in ein neues Schema der raumzeitlichen Verarbeitung der Welt ummoduliert. Die neue Wirklichkeit hat eine
52 Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt am Main, 1977, S. 41. 53 Ebd., S. 45.
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andere Signifikanz erhalten, diese „[…] beruht auf einer Verwerfung jener direkten Erfahrungen, die die alte Wirklichkeit im Grunde konstituierten und deren Basis ausmachten.“54 Diese Verwerfungen waren so tief greifend, dass sie zur weitestgehenden Aufgabe, beziehungsweise zu einer Entfremdung oder Verunsicherung des eigenen Körpergefühls führten. Die angeborenen körperimmanenten Signale für Essen, Schlaf und Erwachen wurden nicht mehr vom Körper oder der Umwelt erteilt, sondern dann, „[…] wenn ein abstraktes Modell einen bestimmten Zustand erreicht hatte, d.h., wenn die Zeiger einer Uhr auf bestimmte Marken auf dem Ziffernblatt wiesen.“55 Die Erfindung der Uhr ist als ein technischer Vorgang definierbar, der eine schwerwiegende Umwälzung eigener Bedeutungen von Körperprozessen zur Folge hatte. Im Sinne effizienter Arbeitsausbeutung war die Uhr zur Disziplinierung und Verwaltung von Arbeitskörpern natürlich zweckdienlich. Eine genau abgestimmte Abfolge von Körpertätigkeiten im Sinne der Warenproduktion führte „zur Anpassung des Körpers an zeitliche Imperative.“56 Auf diese Weise wird ein Ensemble aus Gesten, Körpern und Objekten geschaffen. Dabei wird dieses Ensemble im Hintergrund durch ein wirtschaftliches Interesse gesteuert und manipuliert. Die entstehende Einheit erfüllt Funktionalitätsvorgaben und geht insgesamt als Kalkulationsgröße in die Produktionsprozesse über. Wie hieraus ein Schmelz zwischen diesen Elementen entsteht, beschreibt wiederum Foucault sehr treffend: „Die gesamte Berührungsfläche zwischen dem Körper und dem manipulierten Objekt wird von der Macht besetzt: die Macht bindet den Körper und das manipulierte Objekt fest aneinander und bildet den Komplex Körper/Waffe, Körper/Instrument, Körper/Maschine.“57
Tätigkeit und Anwesenheit wird im Zusammenspiel von Zeit und Raum so arrangiert, dass sich die Macht mit leichtem Zugriff der Körper bedienen kann. Die Macht als solche ist nicht unsichtbar, sie zeigt sich in der Wirkung ihres „Wie“, sie ist ohne eigene Gestalt und offenbart sich in den Arrangements vom Körper und seinen Tätigkeiten. Die innere Konstruktion einer auf diese Weise operierenden Macht definiert Foucault wie folgt:
54 Ebd., S. 45. 55 Ebd., S. 45. 56 Foucault, 1976, S. 195. 57 Ebd., S. 197.
114 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE „Und so wird der Charakter dieser Disziplinarmacht sichtbar: es geht ihr weniger um Ausbeutung als um Synthese, weniger um Entwindung des Produktes als um Zwangsbindung an den Produktionsapparat.“58
Die Ausweitung der Macht über die Körper hat sich demnach im Kontext von Arbeit erst durch eine technische Abstraktion der Lebenswahrnehmung verwirklichen können. Erst die Verknüpfung der Uhr mit den Produktionsketten und der Verfügbarkeit über Körper konnte jene Macht über Massen von Körpern ausüben, die notwendig ist, um eine Disziplin zu erzeugen, die sich als verselbständigte Steuerung in das Bewusstsein der Arbeitstätigen eingravieren konnte. Die Subjekte wurden planbar, ersetzbar, berechenbar in einem umfassenden Gefüge aus Effizienz und Produktion. Wer seinem Körper die Arbeit nicht zumutet, also sich der Formung widersetzt oder nicht in der Lage ist, sich der Formung anzubieten, wird aufgrund dieser Abweichung streng sanktioniert. Die Sanktion besteht darin, von den Ressourcen abgeschnitten zu sein. Das Bedingungsfeld von Arbeit/Macht und Körper haben Adorno und Horkheimer ausführlich beschrieben. In diesem Kontext verweisen sie auf die gegenseitigen Wirkungen dieser Verhältnisse zum Körper und formulieren die Konsequenzen, die sich aus den Produktionsprozessen für die Akteure ergeben. „Von der Verstümmelung betroffen ist vor allem das Verhältnis zum Körper. Die Arbeitsteilung, bei der die Nutznießung auf die eine und die Arbeit auf die andere Seite kam, belegte die rohe Kraft mit einem Bann. Je weniger die Herren auf die Arbeit der anderen entbehren konnten, als desto niedriger wurde sie verklärt.“59
Die Machtausübenden, also diejenigen, die sich des arbeitenden Körpers bedienen, bestimmen den Imperativ der Interaktion. Einerseits wird Arbeit zum Identifikationsfeld von Persönlichkeit erhoben, da sie die Produktionskraft eigener Fähigkeiten zu beschreiben und zu festigen scheint, andererseits wird die Arbeit abgewertet, indem die „Herren“ die ausgeführte Arbeit als etwas Niederes betrachten, da diese von ihnen nicht ausgeführt wird. Die Arbeit soll von jenen verrichtet werden, die auf jener angemessenen Stufe stehen, diese Arbeit auszuführen. Somit entsteht ein machtvoller, auf die Körper wirksamer Mythos: Wer arbeitet ist wertloser als jener, der Arbeit erteilt. Auf diese Weise entsteht ein
58 Ebd., S. 197. 59 Horkheimer, Max und Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main, 2004, S. 246.
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psychologisches Abhängigkeitsverhältnis, das sich darin äußert, dass jene, die ihren Körper der Arbeit zum Abrieb ausliefern auf das Lob und die Anerkennung der Arbeiterteiler angewiesen sind. Die Stiftung einer Identität ist an die Arbeitswilligkeit und -fähigkeit eines einzelnen und an die Anerkennung eines Mächtigen gebunden. Das ist Kontrolle und Disziplin in vollzogener Praxis am Körper. Die Konstruktion der Macht über den Körper durch Arbeit vollzieht sich über und durch solche Verhältnisse noch feiner: „Der ausgebeutete Körper sollte den Unteren als das Schlechte und der Geist, zu dem die anderen Muße hatten, als das Höchste gelten. Durch diesen Hergang ist Europa zu seinen sublimsten kulturellen Leistungen befähigt worden, aber die Ahnung des Betrugs, der von Beginn an ruchbar war, hat mit der Kontrolle über den Körper zugleich die unflätige Bosheit, die Haßliebe gegen den Körper verstärkt.“60
Hiermit manifestiert sich auf der Ebene der Machtausübung über die Körper eine Auffassung von Körper, die über das Mittel der Ausbeutung eine Herrschaft erzeugt, welche darauf fußt, sich einerseits des Körpers zu bedienen und zu bereichern, gleichzeitig wird jedoch eine Abwertung dieses Körpers erzeugt, indem der arbeitende Körper in Vergleich zu Geistigkeit gesetzt wird. Dabei wird diese Geistigkeit als Maßstab und Grundlage einer Hierarchie von Oben und Unten definiert. Körper vs. Geist, wobei der Geist und die Geisttätigen bestimmen, wer den Körper oder den Geist als Tätigkeitsfeld betreten darf. Auf der Grundlage von Arbeit wird der Körper „[…] als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt.“61 Jean Baudrillard geht im Zusammenhang von Körper, Arbeit, Macht und Kontrolle in seinen Überlegungen dahingehend einen Schritt weiter, indem Arbeit bei ihm als symbolischer Einsatz über Leben und Tod fungiert. Diese Konsequenz basiert auf einer Codierung, die er wie folgt entschlüsselt: „Die Arbeitskraft gründet sich auf den Tod. Ein Mensch muss sterben, um Arbeitskraft zu werden. Diesen Tod münzt er im Lohn aus. Aber die ökonomische Gewalt, die das Kapital ihm mit der Nichtäquivalenz von Lohn und Arbeitskraft antut, ist nichts gegenüber der symbolischen Gewalt, die ihm mit seiner Definition als Produktivkraft selbst angetan wird.“62
60 Ebd., S. 247. 61 Ebd., S. 247. 62 Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. Berlin, 2011, S. 83.
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Hier zeigt sich, wie ungleich die Gewichtung und Bewertung von Arbeitskraft im Kontext einer symbolischen Gewalt anzusiedeln ist, denn erst der Zugriff auf den Körper als Arbeitskraft öffnet den Raum, in dem der Körper in eine Bewertungscodierung als Element von Leben und Tod eingeschleust und verwertet wird. Die Symbolik vollzieht sich hierbei auf Grundlage und im Zusammenspiel einer politischen Ökonomie, die all jene beschriebenen Bedingungen der Macht benötigt, die sich durch Kontrolle und Disziplin als symbolisches Regelwerk unsichtbar aber wirksam in den Begegnungen im Kontext der Arbeit verfestigen. Damit diese Symbolik funktionieren kann, muss der Körper verfügbar und lebendig sein, Baudrillard spricht daher auch in seiner Begründung der von ihm beschriebenen Symbolik vom „aufgeschobenen Tod“63, der als Voraussetzung auf den Körperzugriff erscheint. Diesen „aufgeschobenen Tod“ belegt Baudrillard anhand der Genealogie der Sklaven, die, als Beute militärischer Siege hervorgegangen, zunächst als Prestigeobjekte in den Luxushaushalt der Sieger eingegangen sind. Sie wurden nicht getötet, sie wurden zu Arbeitssklaven gemacht, indem sie vom direkten Tod verschont und ihnen stattdessen ein langsamer Tod eingeräumt wurde. Dennoch war der Tod als Mittel der Macht in dieser Beziehung zwischen Sklave und Herr stets präsent, denn der Herr verfügte aus seiner Willkür heraus über das Leben des Sklaven. Erst mit Entwicklung der Leibeigenschaft wurden die Bemächtigten von der Bedrohung des Todes befreit. Befreit zugunsten eines neuen Machtverhältnisses: der Arbeit.64 Auf dieser Grundlage entsteht eine symbolische Ordnung der Macht über die Körper mit dem Instrument der Arbeit. Die Macht definiert sich darin, den Bemächtigten im Sinne einer Codierung am Leben zu lassen. Die Codierung ist ökonomisch reguliert und organisiert. Baudrillard dazu: „Indem er ihn dem Tod entzieht, entzieht der Herr den Knecht der Zirkulation der symbolischen Güter: Das ist die Gewalt, die er ihm antut und die den anderen zur Arbeitskraft macht. Darauf beruht das Geheimnis der Macht. […] Arbeit, Produktion, Ausbeutung sind nur einige der möglichen Verwandlungen dieser Machtstruktur, die eine Todesstruktur ist.“65
Die Macht definiert und verfestigt sich demnach auf Basis einer Umwandlung der Todesform. Die Transformation der Beziehungen in Abhängigkeit und Ausbeutung verfeinert sich hierdurch und wird indirekt. Der Tod als sichtbare Kon-
63 Ebd., S. 83. 64 Vgl. ebd., S. 84. 65 Ebd., S. 85.
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sequenz der Machtausführung verschwindet, die Übersetzung ins Unsichtbare vollzieht sich durch die komplexe Codierung ins Ökonomische. Der Körper vergeht langsamer, indem technische Hilfsmittel herangezogen und entwickelt werden, um ihn zu schonen – ihn langsamer sterben zu lassen. Diese Schonung erzeugt allerdings den einzigen Sinn darin, länger Zugriff auf den Körper zu entfalten. Die Technisierung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen, die in diesem Kontext als Erleichterung der Arbeit gefeiert werden, verdeutlichen eigentlich nichts weiter als die weitere Verlangsamung des Todes. Mit dieser Verlangsamung werden die Akteure über das Feld der Arbeit lediglich weiter in ein Korsett der Kontrolle und Macht eingeschnürt, dies ist die Verwirklichung der Macht in ihrem ursprünglichen Sinne. Der Effekt des Todes verschwindet immer weiter hinter einer Verschlüsselung und Abstraktion der Daten- und Kapitalströme, die eine unendliche Warenproduktion versprechen. In diesem Feld der Macht agieren im Grunde keine Personen mehr, es herrscht eine Ordnung des dynamisierten Kapitals. Denn der Arbeitende erhält für seinen „aufgeschobenen Tod“ einen Lohn, der an anderer Stelle durch Veräußerung und Konsumption das identische Feld der Macht in Bewegung hält. „Der Lohn kompensiert symbolisch die Herrschaft, die das Kapital über die Gabe der Arbeit ausübt. Zugleich ermöglicht er dem Kapital, den Vorgang in der Dimension des Vertrags zu beschreiben und die Konfrontation im Ökonomischen auszubalancieren. Darüber hinaus macht der Lohn aus dem Lohnarbeiter einen Abnehmer von Gütern, was seinen Status des Arbeitnehmers verdoppelt und sein symbolisches Defizit noch verstärkt.“66
Auf diese Weise entsteht eine Dauerzirkulation der Machtbeziehungen, die angetrieben wird durch die Schaffung und Häufung von Kapital, das sich in der Lesart Baudrillards als eigentliches symbolisches Schwungrad der Macht enthüllt. Dies ist der Kern der Macht, der sich als verkapselter und wirksamer Faktor als Antrieb auf dem Feld der Arbeit in Gestalt der kalkulierten und kalkulierbaren Körper darstellt. Vergleicht man die Industrialisierung des 19. Jhd. mit den gegenwärtigen Produktionsprozessen, die aus dem Feld der Arbeit hervorgehen, hat sich im Kern der Macht nichts verändert. Lediglich die Oberfläche, also die wahrnehmbare Fläche der Organisation von Arbeit, hat sich mithilfe der Technisierung dahingehend verändert, als dass der Eindruck einer Körperentlastung oder -schonung entsteht. Dieser Eindruck wird mit dem Charakter der produzierten Waren noch verstärkt. Nahezu jede Ware ist durch Werbung mit einer ausufernden pop-
66 Ebd., S. 88.
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kulturellen Buntheit ausgestattet, die sich als neo-barocke Übertreibung bildlicher Verfügbarkeit im Alltag der Monitore spürbar aufdrängt und zeigt. Die Bildlichkeit und Verfügbarkeit der materiell durch Arbeit produzierten Waren ist zudem gewährleistet, indem eine Vielzahl der Waren untereinander digital vernetzt ist.67 Verfügbarkeit und Sichtbarkeit garantiert einander, indem über Displays und Monitore pausenlos eine Glattheit der Dinge in die wahrzunehmende Lebenswelt flackert. Im Zuge dieser überladenen Warendarstellung ist selbst Lebensmitteln nicht mehr anzusehen, dass hinter ihrer Produktion nach wie vor Prozesse einer materiellen Umwälzung stattfinden. Die materielle Umformung, die aus einer rohen Erdverbundenheit hervorgeht und konkret mit Arbeit oder Transformation verbunden ist, verschwindet hinter einer schimmernden Oberfläche der immer glimmenden Bilderflächen. Der Schein der Immaterialität überzieht mit Hilfe einer überschwemmenden Bilderflut das Feld der Arbeit, die Produktionsprozesse und die daraus hervorgehenden Produkte. Dieser sich auf den Oberflächen abspielende Eindruck einer Immaterialität ist in seinem Ausmaß so immens, dass selbst das allgemeine und verfügbare Wissen über die ausgebeuteten Körper im Kontext der Rohstoffgewinnung ausgeblendet werden und sich nichts an den Umständen der Ausbeutung durch Arbeit verändert.68 Die Technik ist gleichzeitig Ursache und Rechtfertigung für die Ausbeutung, indem die Produktion von Waren angetrieben wird und gleichzeitig die Notwendigkeit dieser Waren als unausweichliche Bedingung propagiert wird. Es entstehen zwei Welten, die bereits digitalisierte und noch nicht digitalisierte. In der digitalisierten Welt hat sich die Arbeit dahingehend verändert, dass es keine Abgrenzung mehr zwischen Arbeit und Privatem zu geben scheint, die gesamten Lebensbereiche sind unter einem generellen Leistungsparadigma vereint. Byung-Chul Han spitzt dies wie folgt zu „Das digitale Zeitalter ist kein Zeitalter der Muße, sondern das der Leistung. […] Der neoliberale Imperativ der Leistung verwandelt die Zeit in Arbeitszeit. Er totalisiert die
67 Hier spricht das Smartphone zum Kühlschrank, zum Auto, zum Drucker schließlich zum RFID-Chip unter der Haut. 68 Beispielhaft hierfür ist die Tatsache, dass der Kampf um Rohstoffe (Coltan und seltene Erden), die zur Produktion von Computern, Smartphones oder Tablets notwendig sind, mit aller Macht auf dem afrikanischen Kontinent ausgefochten wird. Opfer dieses Kampfes sind jene, die für einige Cents pro Tag unter lebensgefährlichen Umständen dafür ausgebeutet werden, um die Bilder- und Warenzirkulation technikaffiner popkultureller Unterhaltungskonsumenten zu sichern. Dies ist bekannt, doch der Bilderflimmer lässt dies vergessen.
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Arbeitszeit. […] Die Erholung ist nicht das Andere der Arbeit, sondern deren Produkt. Auch die sogenannte Entschleunigung kann keine andere Zeit generieren. […] Die Freiheit der Mobilität schlägt in den fatalen Zwang um, überall arbeiten zu müssen. […] Der digitale Apparat macht die Arbeit selbst mobil. Jeder trägt den Arbeitsplatz mit sich herum wie ein Arbeitslager. So können wir der Arbeit nicht mehr entkommen.“69
Auf diese Weise wird offensichtlich, wie Arbeit als Instrument mithilfe der Technisierung soziale Praxis lenkt und dominiert. Hieraus entstehen Paradoxien, die sich einerseits in Form einer versprochenen Freiheit zeigen, indem eine vermeintliche Entlastung für den Körper bei gleichzeitiger Belastung der Psyche entsteht und der ausgezahlte Lohn eine Freiheit im Konsum gewährt. Andererseits wird die mit der Technik verknüpfte Arbeit erst zum totalen Kontrollgremium über die Körper, da Arbeit nicht mehr an schwere immobile Maschinen gebunden ist, sondern mit mobilen Geräten gestreut werden kann. Über diese Steuerung und gesellschaftliche Aufstellung entscheiden sich Lebensläufe, Herkunft und Begegnungen.
S EXUALITÄT
ALS BIOPOLITISCHES
M ACHTMITTEL
Ein weiterer biopolitischer Bereich, auf dem sich die Macht über die Körper legt, ist die Sexualität. Ähnlich der Arbeit ist auch die Sexualität ein Feld der Identitätsstiftung und unterliegt vielfältigen Veränderungen und Steuerungen im Sinne der Disziplin und Kontrolle. Sexualität ist jedoch auf einer sehr viel tieferen Ebene an die Prozesse der Biopolitik gebunden als Arbeit, denn sie ist der Produktionskern oder vielmehr der praktische Entstehungsort der Körper schlechthin. Ohne Sexualität keine neuen Körper, keine Übertragung der Repräsentationen von einer Generation zur nächsten und keine Ausübung von Macht. Sie ist das Schwungrad der einzelnen Körper und des Gesellschaftskörpers, daher ist sie als Machtbereich umso stärker einem Gestaltungseinfluss unterzogen. Sexualität ist als der innerste Bereich von Schmerz, Wunsch, Lust, Sozialität, Anschluss und Ausschluss des Lebens überhaupt konstruiert. Dass auf Grund dieser, der Sexualität inhärenten Elementarität für das Leben, die Machtbeziehungen und deren Gestaltungen konsequenter und radikaler als in jedem anderen Bereich vollzogen werden, liegt auf der Hand oder besser in und auf dem Körper. Dass in diesem Bereich des Lebens die Technik in Form des digitalisierenden Cyberspace im Sinne der Macht Einzug gehalten hat, soll im Weiteren nachgewiesen
69 Han, 2013, S. 48. f.
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werden. Pornographie ist durch das Internet ein visueller Codierungswert der Sexualität geworden, der durch Dauerverfügbarkeit alle Wünsche zu erfüllen vermag. Sexaffären sind in ihrer Anbahnung durch die rasche Verbindung des Internets nicht mehr an Hindernisse sprachlicher oder räumlicher Distanz gebunden – in Szene gesetzte Bilder und Kommentare sprechen als Annäherung genug. Die Auslebung besonderer sexueller Präferenzen ermöglicht das Internet ebenso, da sich je nach Ausrichtung Gleichgesinnte nahezu barrierefrei in eigens eingehegten Territorien treffen können. Der Sex ist mit Hilfe des Internets in eine nahezu grenzenlose Verfügbarkeit überführt worden. Zur sexuellen Praxis gehört heute nicht nur die Überschüttung mit möglichen Praktiken, sondern auch die Verbindung technischer Anwendungen mit der Sexualität. Einerseits ist durch die Technik auf pharmazeutischer Ebene eine Verbindungssphäre zum Körper geschaffen worden, hierdurch lassen sich Geburten kontrollieren oder die Potenz erhöhen. Andererseits ist auf der Ebene der Körperreproduktion die Technik als künstlicher Phallus in das Ei der Frau eingedrungen. Ist auf Grund verlangsamter und müder Spermien das Innere des Phallus also einer Lethargie ausgesetzt, nähert sich eben die Pipette als Samenbeschleuniger dem Ei. Das Produkt wird im Anschluss mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik einer Qualitätsprüfung unterzogen und im Resultat als Wert oder Unwert nach ökonomischen Maßstäben klassifiziert. Angesichts solcher Praktiken und Möglichkeiten könnte angenommen werden, dass mit dem Internet und der Technik die Befreiung der Sexualität auf wundervolle Weise vollzogen wurde. Bedeutet dies, dass die Macht in diesem Bereich an Einfluss verloren hat? Antwort auf diese Frage kann Foucault mit seinen Forschungen über die Sexualität liefern. Das Erleben der Sexualität wird gegenwärtig als Praxis freier Handlung im Spiel freier Lüste dargestellt und verkauft. Überall Sex in Wort und Schrift, der Diskurs über die Sexualität ist flächendeckend medialisiert und kommuniziert. Nichtsdestotrotz ist die Sexualität in ihrem Verständnis noch immer von einer paarmäßigen Begegnung dominiert, die den Ernst der Fortpflanzung und damit eine Reproduktionslogik in sich trägt. Diese Paarlogik basiert nach wie vor auf der Konstruktion bürgerlicher Ordnung im Sinne vorgefertigter Rollenmuster, die die Sexualität als Praxis eingeschlossen hat. Foucault dazu: „Das legitime, sich fortpflanzende Paar macht das Gesetz. Es setzt sich als Modell durch, es stellt die Norm auf und verfügt über die Wahrheit, es bewahrt das Recht zu sprechen, indem es sich das Prinzip des Geheimnisses vorbehält.“70
70 Foucault, 1977, S. 11.
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Der hieraus hervorgehende Raum der Sexualität ist gesellschaftlich geschlossen und architektonisch in Form des „Schlafzimmers“ manifestiert. Mit dem bewohnten Haus, der Wohnung wurden diese Orte als Orte des Paares definiert, worin nach wie vor hinter Türen und unter Decken der gattungsmäßige Reproduktionsort eingerahmt ist. Natürlich ist allen gesellschaftlichen Akteuren klar, dass neben diesem Ort des Einschlusses die Sexualität gerade gegenwärtig in vielfältigen Variationen existiert. Die Räume der unproduktiven Sexualität oder anders gesagt der Lifestyle-Sexualität sind toleriert und vorhanden. Jeder Neigung ihren Ort, das Bordell, das Internet, der Swingerclub und für den Fall einer definierten Grenzüberschreitung bleibt nach wie vor die Klinik oder das Gefängnis. Mit diesen konstruierten Räumen der Sexualität sind auf adäquate Weise Formen des Gespräches über die Sexualität entstanden. Bei den Orten und der Sprache über den Sex bildet sich ein Diskurs über den Sex aus. Foucaults Spur folgend liegt das Interesse darin, „[…] daß man davon spricht, wer davon spricht, interessieren uns die Orte und Gesichtspunkte, von denen aus man spricht, die Institutionen, die zum Sprechen anreizen und das Gesagte speichern und verbreiten, kurz die globale ‚diskursive Tatsache‘, die Diskursivierung des Sexes.“71
Der Sex ist über die Sprache an einen Ort und eine Präferenz der Lust gekoppelt, er bildet über seine Praxis ein ganz eigenes Gefüge aus. Die Kommunikation über den Sex leitet sich aus der Konstruktion dieses Gefüges ab. Die Kommunikationsräume des Sexes sind nach wie vor von Zensur und Tabu umrahmt, der Alltag ist in seiner äußeren Ordnung noch immer getrennt in einen Raum des Sexes und des Nicht-Sexes. Das Gebot der Institution erlaubt die Sprache über den Sex. Dass die Institution und die Sprache mit ihren Signifizierungslinien Kernaspekte der Macht sind, verdeutlicht sich uneingeschränkt am Gegenstand der Sexualität. Die Institutionen haben sich vervielfältigt, genauso wie die Praktiken des Sexes. An diesem Punkt, einer sich herauskristallisierenden Institutionalisierung der Sexualität und ihrer Phänomene greift die Biopolitik als Regulativ der Macht ein. Das Gefüge sexueller Organisation ist definiert durch Räume, Praktiken, Sprache und Institutionen, die innerhalb dieser Absteckung agierenden Akteure werden aus ihrer subjektiven Individualität zu Objekten gesteuerter und steuerbarer Biopolitik – und Macht.72
71 Ebd., S. 21. 72 Ein Beispiel für die an den Körpern vollzogene Biopolitik im Bereich der Sexualität ist die Ein-Kind-Politik in China. Aktuellere Praxis der Biopolitik ist die Idee des
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Die Entwicklung zur Objektivierung der Sexualität markiert Foucault in dem Augenblick, da sich, je nach sexueller Praxis, eine eigene Institution und Sprache entwickelt. Dazu definiert er vier Anknüpfungspunkte. 1. Die Hysterisierung des weiblichen Körpers, der als sexueller Körper analysiert, qualifiziert und disqualifiziert wird. Die aus diesen Möglichkeiten hervortretenden Pathologien werden in die Medizin überführt. Dies ist für den Gesellschaftskörper von Interesse gewesen, da der weibliche Körper in seiner biologisch-moralischen Verantwortung geschützt sein muss. 2. Die Pädagogisierung des kindlichen Sexes bezieht ihre Quelle daraus, die Gefahren kindlicher Sexualität (Onanie und Frühreife) mit pädagogischen Mitteln zu regulieren 3. Die Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens beruht auf dem Interesse, die Fruchtbarkeit zu kanalisieren. Die politisch-ökonomische Steuerung wird gewährleistet über die medizinische Sozialisierung und die Geburtenkontrolle. 4. Die Psychiatrisierung der perversen Lust, hierbei soll der autonome sexuelle Instinkt biologisch-psychologisch definiert werden, um im Umkehrschluss alle Anomalien über therapeutische Verfahren tilgen zu können.73 Aus diesen vier Bereichen sind jene Institutionen entstanden, die für die Regulierung der sexuellen Diskurse verantwortlich waren und sind. Die Sozialisierung, Medizinisierung, Pädagogisierung und Psychiatrisierung der Sexualität sind bis heute institutionalisierte Segmente sexueller Ordnung. Die Bereiche haben sich lediglich ausgeweitet und durch quer verbundene Verästelungen in Räumen sexueller Praxis verfeinert. Die Hysterie spielt in der psychiatrischen Begutachtung keine Rolle mehr, dafür gibt es in diesem Bereich nun den Borderlinetypus, der überwiegend der Frau als pathologischer Zustand zugesprochen wird. Ob Hysterie oder Borderline, es war und ist stets der weibliche Körper, der als Ort der Zuschreibung von Pathologien dazu instrumentalisiert wird, um Zeugung und Ge-
„Social Freezings“, hier soll die Fruchtbarkeit der Frau eingefroren werden, um die Leistungsfähigkeit des Jugendalters der Arbeitsproduktivität zur Verfügung zu stellen. 73 Vgl. Foucault, 1977, S. 126. f.
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burt mit Regulierungspraktiken versehen zu können. Die Disziplinen der Kontrolle und Überwachung, die Foucault mit der Medizin, Psychologie, Pädagogik und Justiz definiert, geben die Leitlinien der Diskurse zur Sexualität und ihrer Regulierung aus. Diese Regulierungsräume werden über sexuelle Praktiken und Handlungen immer wieder aufs Neue arrangiert und bestätigen über die Dispositive zur Sexualität die aus den Beziehungen hervorgehende Macht. Foucault unterscheidet zwei Dispositive, die sexuelle Handlungen und Beziehungen beeinflussen. Zum einen ist es der Allianzdispositiv, der ein System von Verwandtschaften und engen Beziehungen hervorbringt. Das auf diese Weise entwickelte Bündnis grenzt über Zwangsmechanismen der Begegnungen die Zuflüsse und Abflüsse der Ökonomie ab. Es entstehen Allianzen im Sinne der Ökonomie, die über die Sexualität eine Einhegung und Weitergabe von Besitz hervorbringen sollen. Die Art und Weise der Beziehungen soll auf diese Weise garantiert werden. Das zweite Dispositiv, das Foucault anführt, nennt er das Sexualitätsdispositiv. Hierbei ist der Körper in seiner sexuellen Empfindsamkeit als Konsumptionsort sexueller Praxis erweitert, indem die feinste Regung und der schwächste Eindruck in eine sexuelle Funktion überführt werden.74 Entscheidend an diesem Zusammenspiel aus Allianz- und Sexualitätsdispositiv ist die Tatsache, dass auf der Beziehungs- und Handlungsebene ein vielfach verdichtetes Netz der Kontrolle über die Sexualität gelegt wird. Der Kern dieser Dispositive liegt demnach darin, „daß es die Körper immer detaillierter vermehrt, erneuert, zusammenschließt, erfindet, durchdringt und daß es die Gesellschaft immer globaler kontrolliert.“75 Körper und Sexualität sind auf diese Weise in einem Zyklus eingebunden, der über Bezeichnung, Information und Modellierung eine Mythologie der Wahrheit konstruiert, die sich in Form einer medialen Dauerschleife stets in ihrer Struktur wiederholt. Der Körper wird als Gattungskanal eines Lifestyles entworfen, der sich den Nimbus individueller Freiheit umhängt. Baudrillard argumentiert die Sexualität als Machtfaktor, in dem die signifikante, von Diskursen durchdrungene körperliche Modellierungsfläche als individuell erlebte Subjektivität wirkt: „Von der kollektiven Funktion als Reproduktion der Gattung geht sie über zu den individuellen Funktionen als physiologisches Gleichgewicht (Teil einer allgemeinen Hygiene), als seelisches Gleichgewicht, als ‚Ausdruck der Subjektivität‘ […] Auf jeden Fall wird die
74 Vgl. ebd., S. 128. f. 75 Ebd., S. 129.
124 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE Sexualität ein Element der Ökonomie des Subjektes, sie wird eine objektive Finalität des Subjektes und gehorcht ihrerseits einer Ordnung von Finalitäten, ganz gleich welcher.“76
Die Signifizierung der Körper als Zeichen einer jeweils konkurrierenden Ware eines Marktes, auf die zugegriffen werden kann, um einen Geldwert im Gegenzug zu erzeugen, bestätigt sich in dieser Konzeption der Subjektivität. Auch hier die Hygiene, die sich als Mittel medizinischer Konzeption einer gesellschaftlichen Reinheit darstellt. Die Oberflächen, über die der sexuelle Körper gezeigt und gesehen wird, sind klinisch glänzend und gleichzeitig steril trocken – eben technologisch. Technologisch verarbeiteter und in Bildern verbreiteter Sex mutiert im Zuge einer solchen Idealisierung zum Gebot einer Wahrheit. In dieser total angelegten Konstruktion formuliert sich eine Befreiung von Zwang und Moral mit jedem Blick und jeder Handlung eines solchen Sexes stets aufs Neue. Nach Baudrillard liegt der Kern einer solchen Befreiung allerdings hierin: „Die gegenwärtige ‚Revolution‘, die Überschätzung des Sexuellen im Rahmen einer allgemeinen Liberalisierung demonstriert nur, dass der Körper und die Sexualität das Stadium der politischen Ökonomie erreicht haben, dass sie in das Gesetz des Wertes und des allgemeinen Äquivalents integriert werden.“77
In der Konsequenz bedeutet dies für das auf der sexuellen Ebene zum Objekt gewordene Subjekt, dass im Zuge einer empfundenen Liberalisierung sich der Körper als Ware bestätigt sieht. Aber eben nicht einfach als Ware, sondern in einer durchorchestrierten Inszenierung als Gegenwert im Sinne einer Ökonomie. Dieser Klang geht quer durch die Intimität körperlicher Empfindung, die als eigene verstanden wird. Dabei ist diese Empfindung schon längst gesetzt und woanders als eine unter vielen zu einem, wenn auch anderen Preis, erhältlich. Dies bedeutet, dass im Hintergrund eine enggeführte Leine jeden sexuellen Verhaltensaspekt in geradezu unausweichlicher Weise ökonomisiert und darüber eine Moral der sexuellen Totalverwertung installiert. Wie weit die Sexualität von Technik und Wissenschaft zu ökonomischen Zwecken instrumentalisiert wird, offenbart sich eindrucksvoll am Beispiel der hormonellen Verhütung, diese fungiert über die Pharmazie als im Körper der Frau wirkender innerer Arm der Biopolitik im Sinne einer ausgeweiteten Verhaltenskontrolle, die wiederum einer Geburtenregelung dient. Das sexuelle Verhalten zwischen den Geschlechtern wird über diesen auf molekular-hormoneller
76 Baudrillard, 2011, S. 210. 77 Ebd., S. 211.
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Ebene vollzogenen Eingriff erweitert und verwirklicht. In diesem Paket wird und wurde die Befreiung der Frau aus tradierten Geschlechterrollen propagiert. Mehr Lustempfindung sowie die individuelle Freiheit in der Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft, der lustvolle Körper ohne Angst vor gesellschaftlicher Ächtung als Belohnung. Die Geschlechtsrollen wurden aufgebrochen. Der weibliche Körper, bisher gehemmt durch ungewollte oder gewollte Schwangerschaften, konnte mit samt seiner physisch verwertbaren Kapazität in die scheinbar freie Arbeitswelt der Männer überführt werden. Arbeitskapazitäten der Frauen konnten nun zusätzlich genutzt werden. Mit Hilfe der auf diese Weise installierten Hormonsteuerung konnte die Frau von ihrer bisherigen Begrenzung in das Freiheit und Autonomie versprechende Feld der Arbeit übergehen. Mit Sicherheit konnte mit Hilfe der Verhütungspille die Frau von festgelegten unausweichlichen Gebärfunktionen etwas befreit werden, doch ist zu fragen, ob dadurch das Verhältnis zwischen Mann und Frau ein gleichwertigeres geworden ist. Biopolitischer Effekt dieser technisch-pharmazeutischen Manipulation des weiblichen Körpers ist einzig die berechenbare Schaffung neuer Arbeitskraft. Der ökonomische Zwang der Arbeit hat sich durch diese punktgenaue Geburtenkontrolle auf bisher ungenutzte Körper ausgeweitet. Arbeit und Sexualität gehen hier funktional als Aspekte einer Biopolitik ein Bündnis im Interesse der Macht ein. Auf diesen Gedanken verweist Baudrillard, wenn er das Verhältnis der Geschlechter, des Sex und der Arbeit in Bezug zur Mode als Stil der Macht stellt: „Gleichzeitig gibt es die ‚Emanzipation‘ der Frau und eine radikale Form von Mode, da die Mode es mit dem Weiblichen zu tun hat und nicht mit den Frauen. […] So hat sich das ‚auf eigenen Füßen stehen‘ – ein Ausdruck weiblichen Genusses – heute verallgemeinert, also zu der Zeit, wo es nichts mehr bedeutet. Denn man muss begreifen, dass die Frau nur als ‚Lustobjekt‘ und als ‚Objekt der Mode‘ ‚befreit‘ und ‚emanzipiert‘ werden kann, genauso wie der Proletarier immer nur als Arbeitskraft befreit worden ist.“78
Das Verhältnis der Geschlechter ist auf diese Weise abstrakt geworden, indem die körperlichen Zeichen der Geschlechter die Konsequenz der Reproduktion verloren haben. Vielmehr hat sich das Geschlechterverhältnis mit Hilfe der Technik zu einem sich abwechselnden Trend der Mode entwickelt. Lust ist überführt in einen Lifestyle, der sich über Hochglanzflächen permanent selbst repräsentiert. Den offenbar größeren Nutzen hat der Mann, er muss sich nicht hüten, da er nicht verhüten muss. Zudem nimmt er die hormonelle Manipulation des eigenen Körpers nicht in Kauf. Hieraus kann sich die medizinische Sicht der rei-
78 Baudrillard, 2011, S. 177.
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nen und berechenbaren Reproduktion entwickeln. Ein Kind ist Ausnahme und nicht Regel, die Regel ist medizinisch-pharmazeutisch und auf technologische Weise als Lifestyle konstruiert. Die Regulierung der Geburten wird auf diese Weise als verwaltbares Element nach Maßstäben der Zahl vollzogen. Wann ist das Gehalt günstig, wann ist die Wohnung groß genug, wie viele Kilometer sind es zur Arbeit oder zur nächsten Kita, wie lange kann ich noch arbeiten um das Kind zu erziehen? All diesen Fragen folgen ökonomische Zahlenwerte als Antwort, die die Berechtigung der Reproduktion herstellen. Gegenstand ist der manipulierte Körper, dem durch Einnahme oder Nicht-Einnahme pharmazeutischer Produkte befohlen wird: befruchte oder nicht – Befruchtungscode. Das erlahmte Arrangement aus Sperma und Ei bekommt bei Bedarf Hilfe durch die In-vitroFertilisation. Da ist nicht einmal mehr der Akt notwendig. Der Befruchtungsakt wird zum Medizinalphänomen, der Akt selbst purer Lifestyle als sportlich pornografische Betätigung. Sexualität als von der Reproduktion entledigter Alltagskonsum. Willkommen in Huxleys schöner neuer Welt. Mit neuester Sensorik entsteht eine ausgeweitete Symbiose von Körper und Computer. Dazwischen wird ein unsichtbarer Text von maschinellen Zeichen zwischen die Körper gelegt, der diese in Form eines Sexualitätsdispositivs ins letzte Detail zu lenken in der Lage ist. Die eigene sexuelle Köperwahrnehmung wird durch Berechnungen abgelöst, Lust wird zum steuerbaren Feld einer Pille (für die Frau als Verhütung und für den Mann als Potenzmittel), die unter dem heilsamen Vorwand der Medizin legitimiert wird. Diese so entstandene sexuelle Praxis ist als Resultat der vielfältigen gesellschaftlichen Beziehungsgeflechte zu verstehen, die als Machtausdruck nicht über ein Verbot wirkt. Vielmehr erscheint die Macht hier als „Anreiz-Vermehrungsmechanismus“79 der die sexuellen Praktiken als Dispositiv der Vielheit hervorbringt. Die Macht ist hier als produktiver Ausdruck zu verstehen, der nicht begrenzt, sondern eine scheinbare Freiheit produziert. Macht hat auf der Ebene der Sexualität eine enthemmende Wirkung, da sie ein Mehr an Handlungen hervorbringt: „Sie setzt der Sexualität keine Grenzen, sondern dehnt ihre verschiedenen Formen aus, indem sie sie auf unbegrenzten Durchdringungslinien verfolgt. Sie schließt nicht aus, sondern schließt sie als Spezifizierungsmerkmal der Individuen in den Körper ein. Sie sucht ihr nicht auszuweichen, sondern zieht mit Hilfe von Spiralen, in denen Macht und Lust sich verstärken, ihre Varietäten ans Licht; sie errichtet keine Blockade, sondern schafft Orte maximaler Sättigung. Sie produziert und fixiert die sexuelle Disparität. Die moderne
79 Foucault, 1977, S. 62.
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Gesellschaft ist pervers, aber nicht trotz ihres Puritanismus oder als Folge ihrer Heuchelei; sie ist wirklich und pervers.“80
Die totale Erzeugung, Erfassung und Vervielfältigung sexueller Praktiken ist im Cyberspace erst die Grundlage für die Schaffung einer scheinbaren Befreiung. Der Zugriff auf eigene und fremde Wünsche und Lüste durchzieht den Dschungel der Möglichkeiten über Clips, Bilder und Foren. Alles ist allen jederzeit möglich. Die modernen Möglichkeiten der Sexualität drücken sich in der Paradoxie aus: Das Intime ist immer möglich, doch nie nah und persönlich. Der sexuelle Körper wird mit Bedeutungen der Macht übersät, die sich als Verhaltensweisen nach und nach verselbständigen und die Komponente der Macht auf diese Weise unsichtbar machen.
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Soziale Praxis ist Interaktion von zwei oder mehreren Akteuren, die sich auf eine bestimmte Weise inszenieren und verzweigte Rückkopplungen auslösen – so könnte man auf Basis des Lebenstheaters allgemein Kommunikation fassen. Dabei unterliegen jeweilige Identitätsinszenierungen der Materialität des Körpers in seinen jeweils gültigen Zusammenhängen. Zwei relevante Bereiche, in denen diese Inszenierungen einem starken äußeren Einfluss unterliegen sind die Felder: Arbeit und Sexualität. In Verbindung mit der Digitalisierung formuliert sich in diesen Bereichen eine von Machtverhältnissen inszenierte Sozialpraxis. Wie sich hinter dieser Kommunikation ein grundlegendes Muster von Zeichen und Bedeutungen im Sinne einer arbiträren Steuerung von Körpern bewegt, werden abschließend die folgenden Überlegungen aufzuzeigen versuchen. Damit die Logik von Zeichen und Bedeutung als Erfüllung von Erwartung gelingt, müssen die Körper ein bestimmtes Verhalten bereitstellen. Hierhinter agiert die eine einfache Codierung, basierend auf der Grundlage: richtig/falsch. Diese Codierung, die über Sprache und Sinn angelegt ist, bestätigt und arrangiert eine umfassend vollzogene Disziplinierung, die sich zugespitzt formuliert als Dressur äußert. Hahn dazu: „Man könnte den Körper zu Ehrlichkeit >dressieren< im Sinne einer Programmierung durch Konditionierung. Der Körper wird dann als Folge solcher Prozesse zu einem auto-
80 Ebd., S. 63.
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So entsteht umfassend eine gegenseitige Inszenierung der Sozialität in einem komplexen Kontrollgefüge, das auf diese Weise einen hohen Druck der Anpassung mit sich bringt. Über einen derart gesetzten Anpassungsdruck kann die Kontrolle über die beteiligten Akteure ausgeübt werden. Wie angedeutet greifen hier folgende Zusammenhänge: Je höher die Technisierung, desto höher die Möglichkeiten der Anwendung eines Anpassungsdrucks auf den Einzelnen, je höher dieser Anpassungsdruck ist, desto höher die Kontrolle. Wer sich der Anpassung widersetzt, macht sich verdächtig und gerät in die Wahrnehmungslogik der Abweichung. Die untereinander erzeugten Beziehungen definieren sich nach diesem Muster. Wobei sich dieses Muster aus den gegenseitig stattfindenden Handlungen als innerer Kern von Begegnung stets zu bestätigen suchen. Die Rolle der Repräsentation im Kontext der Macht stellt Hans Belting heraus: „Der gesellschaftliche Körper wiederum wird unter dem Aspekt der politischen Repräsentation diskutiert, in dem es darum geht, von wem und wie die Öffentlichkeit vertreten wird oder sich vertreten lässt. Repräsentation ist symbolische Präsenz und also eine Frage der Rechtsausübung, die rasch in Machtausübung durch öffentliche Medien mündet.“82
Der Zugriff auf die objektivierten Subjekte vollzieht sich über das codierte Verhalten, das sich über die sichtbaren Apparate auf der Beziehungsebene installiert. Anhand dieses Arrangements manifestiert sich die Grundlage umherwandelnder Repräsentation als gesellschaftliches Regulativ. Darin ist die Disziplin, Kontrolle und Dressur der Körper. Als einfaches Beispiel einer heutigen Abweichung im Kontext der technologischen Dressur der Körper dient die Entscheidung einer Ablehnung und Nicht-Nutzung eines Facebook-Accounts. Evgeny Morozov handelt dieses moderne Phänomen der Abweichung in seiner Arbeit ab, indem er feststellt: „Wurden solche Menschen vor wenigen Jahren noch als Technikfeinde oder sogar zutiefst spirituelle Einzelgänger betrachtet […] werden sie inzwischen als zwielichtige Subjekte dargestellt, die entweder kein soziales Leben haben […] oder irgendeine dunkle Vergan-
81 Hahn, S. 676. 82 Belting, S. 29.
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genheit vor dem Auge der Öffentlichkeit verbergen. Dieser Verdacht gegenüber Facebook-Verweigerern durchdringt unsere gesamte öffentliche Kultur.“83
Von diesem Beispiel lässt sich leicht ableiten, wie sehr die Technisierung und deren Nutzung als Ware, als Instrument der sozialen Disziplin und Kontrolle, körperliche Interaktionsprozesse auf der Ebene der Handlungs- und Verhaltensweisen steuert oder mindestens manipuliert. Verhalten und Bewegungen des Körpers werden über die Konsumption technologiegestützter sozialer Netzwerke beeinflusst. Wer sich diesem imperativistischen Code widersetzt, also nicht technologiegestützt oder -unterstützt seine Selbstinszenierung veröffentlicht, fällt zwar zunächst aus der Kontrolle heraus, um im Umkehrschluss umso verdächtiger und kontrollwürdiger zu erscheinen. Die verweigerte Konsumption wird als Gradmesser der Abweichung herangezogen. Der Körper entwickelt sich also auf der Ebene des Technischen nach und nach zu einem Material, auf das zugegriffen werden kann und soll. Dieser Zugriff ist konkret materiell, indem bestimmte Habitualisierungsmuster über Disziplin und Kontrolle installiert werden. Dieser Imperativ stellt den Kern der Biopolitik der Gegenwart dar. Disziplin, Kontrolle, Lenkung und Verhalten sind die Parameter eingesetzter Macht auf den und die Körper. Mit diesen Mitteln werden Ordnungen hergestellt, die sich in der Körperlichkeit manifestieren und reproduzieren. Pierre Bourdieu hat in diesem Kontext die Bedeutung des Körpers zu definieren versucht: „Die gesellschaftliche Vorstellung des eigenen Körpers, die bei jedem Individuum von Anbeginn in dessen sich entwickelndes subjektives Bild vom je eigenen Körper und der je eigenen körperlichen Hexis konstitutiv eingeht, wird demzufolge durch die Anwendung eines sozialen Klassifikationssystems erreicht, dessen Prinzip sich in nichts von dem der gesellschaftlichen Produkte unterscheidet, auf die es angewendet wird.“84
Der Körper wird mit seinen Verhaltensweisen auf die Stufe von Produkten und Waren gestellt. Das eine ist des jeweils anderen Original und Kopie in einem. Auf diese Weise entstehen Klassen von Körpern und Waren, die jeweilige Zuordnungen fabrizieren und ein klar definierbares Verhaltensmuster herstellen. Über dieses so entstehende Muster leitet sich die Codierung eines Richtig/Falsch
83 Morozov, Evgeny: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. München, 2013, S. 399. 84 Bourdieu, S. 311.
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ab. Beides stellt die Klammer des Schmerzes für den Fall eines Grenzüberschritts dar, der Schmerz fungiert hier als virtuell phantastisierte Vorstellung, die im Kontext des Ausschlusses gedacht werden soll. Das Credo lautet: Sozialität über alles. Der Körper ordnet sich so als Element und Widerhall eigener Inszenierungs- und Warenproduktionsprozesse ein. Die Waren sind heutzutage nicht mehr bloße Artefakte, die an und um den Körper positioniert werden, vielmehr sind die Waren computerisiert und erzeugen einen gegenseitigen körperlichen Symbolcharakter, der auf der psychoaffektiven Ebene eine totemistische, ins Fetischisierende deutende Bindung mit dem Körperwirt eingeht. Dahinter steckt ein kompliziertes Affektbild, das sich anhand von überlagernden Deutungsmustern in das Verhalten als habituelles Feld offenbart. Das dicht gespannte Netz aus Zeichen, Schrift, Sprache und den daraus hervorgehenden Bedeutungen in Form von Repräsentation wirkt sich plastizierend auf die Materialität des Körpers aus. Dieser Prozess des Körperformens wird durch eine widerspruchslose Gesetzmäßigkeit der Technik verstärkt, indem technische Verfahren und Apparaturen aus ihrer Allgegenwart und Verfeinerung apparativ als Unterstützung dem codierten Imperativ zur Seite stehen. Diese aus diesen Beschreibungen hervorgehende Logik eines technischen Imperativs ist Grundlage der Formbarkeit der Körper. Dies greift auch Dietmar Kamper in seinem Verständnis über den Körper auf, indem er sich auf dessen Physikalität bezieht: „Mit anderen Worten: es gibt nur Physisches, das sich in einer Logik des Nichtganzen manifestiert. Wer diese Voraussetzungen leugnet und sie hinter sich, unter sich lassen will, indem er die alte Theologie metaphysischer Prägung nun technologisch-wissenschaftlich fortsetzt, gerät notwendigerweise in die Sphäre des Monströsen, in der es gespenstisch und ungeheuerlich zugeht.“85
Gleichsam verweist Kamper aber auch darauf, dass mit den technologischwissenschaftlichen Mitteln ein neuer Duktus für den Körper einsetzbar wird. Da im Augenblick, in dem alles erklärbar wird, die metaphysische Welt keine religiöse Schwere mehr benötigt, tritt an die Stelle des Paradieses im Jenseits die Maschine im Diesseits. Die Befreiung vom einen macht Platz für die Einkerkerung durch das andere. Das Heil und die Erlösung liegen nun in der neu definierten Funktionalität des Körpers im Kontext der technologischen Verwertung. Das ist die neue Regieanweisung für den Körper, wenn er als Bedieneinheit für eine bedeutungsvolle Technik neu definiert und eingesetzt wird. Dies ist im Zuge der
85 Kamper, 1999, S. 46.
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Industrialisierung auf übergeordneter Ebene begonnen und bis heute weiterentwickelt worden. Ungeachtet aus welcher Position argumentiert wird, der Körper ist materieller Verknüpfungspunkt der Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit kann über die Gestaltungsebenen der Funktionalitäten geformt und gebogen werden. Damit die Körper einer Funktion entsprechen, müssen sie im Sinne dieser Logik diszipliniert werden. In diese Denkrichtung bewegt sich auch Judith Butler, die in „Körper von Gewicht“ die Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht ihrerseits als kulturell konstruierte Ideologie auffasst. Für den Körper bedeutet dies, dass die scheinbar klare Kategorie Körper zur Disposition steht. „Den Körper als konstruierten Körper zu denken verlangt, die Bedeutung von Konstruktion selbst neu zu denken. Und wenn bestimmte Konstruktionen anscheinend konstitutiv sind, das heißt, wenn sie dadurch gekennzeichnet sind, das zu sein, „ohne das“ wir gar nicht denken können, können wir vielleicht deutlich machen, daß Körper nur unter den produktiven Zwängen bestimmter hochgradig geschlechtlich differenzierter regulierender Schemata auftreten, Bestand haben und leben.“86
Der Einfluss auf den Körper und seine Funktion und Gestalt nimmt mit der beschriebenen Verästelung mit der Technik weiter zu, indem er diesen formt, reglementiert, seine Erscheinung vorgibt und verändert. Diese Verformung und Offenheit, ja Plastizität des Körpers verwirklicht sich in den modulierbaren Potentialen des Cyberspace, wenn dieser auf der Nanoebene in Form von Nanoapparaten eine Symbiose mit der Neuronalität des Körpers eingeht. Der Körper wird darin zu einem nicht nur aus Bildern, sondern auch Organen komponierten Mosaik, das sich in immer neuen Gestalten und Wirkungen ausdrückt. Das ist Körpermodellierung auf der feinsten Ebene und offenbart sich als Kulturpraxis. Ohne die Tragweiten der Technisierung abgesehen zu haben, hat Bourdieu mit seiner präzisen Analyse kultureller Akte darauf bereits hingewiesen, welchen kulturellen Wirkungen der Körper ausgeliefert ist. Der Körper wird Gegenstand jener Formung, die sich konkret über den Habitus einzuschreiben und auszudrücken vermag: „Die körperliche Hexis, eine Grunddimension des sozialen Orientierungssinns, stellt eine praktische Weise der Erfahrung und Äußerung des eigenen gesellschaftlichen Stellenwerts dar: Das eigene Verhältnis zur sozialen Welt und der Stellenwert […] kommt niemals klarer zur Darstellung als darüber, in welchem Ausmaß man sich berechtigt fühlt, Raum und
86 Butler, S. 13.
132 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE Zeit des anderen zu okkupieren – genauer den Raum, den man durch den eigenen Körper in Beschlag nimmt […].“87
Unter Einbeziehung von Bourdieus Kulturanalyse wird deutlich, dass die neue Medialität des Cyberspace kein aus einem Spieltrieb stammender Zufall ist, sondern konkrete Konsequenz eines Materialismus, der sich aus Bedingungen und Konstellationen übergeordneter Gesellschaftsentwicklungen ableiten lässt und in Folge dessen kultureller Habitus der Macht mit all ihren Zugriffsdimensionen ist. Yvonne Spielmann präzisiert diesen Gedanken folgendermaßen: „Denn der digitale Raum ist bei weitem kein freier, sondern lediglich ein weiterer Ort, der am Medien- und Kulturkanon partizipiert und diesen in seinen herrschenden Strukturen verfestigt. Wie geschildert, muss im Anschluss an eine kulturkritische Systemanalyse dieses Mediensetting in der Weise verstanden werden, daß in ihm hybride Verhältnisse im kulturindustriellen Sektor die heterogenen Komponenten eher ausschließen beziehungsweise in homogenisierender Weise umschließen.“88
Daher ist die Cyberisierung als aktueller gesellschaftsrelevanter Prozess zu begreifen, der konkrete Auswirkungen kulturell bedingter Verformungen des Körpers und des Denkens auf Grundlage sozioökonomischer Interessen und damit verbundener Verwerfungen auslöst. Dies ist im Kern alles andere als die suggerierte Erlebnis- und Freiheitswelt der sich überschlagenden Bilderfluten, die sich durch die ineinander verschlungenen Kanäle der Waren und Informationen winden. Gleichsam öffnen sich vermeintlich vollziehbare Ebenen der Beobachtung und Nachverfolgung innerhalb dieses Wandlungsprozesses, anschaulichstes Beispiel hierfür ist die sich wandelnde Kommunikation, die sich mehr und mehr vom Blick eines Gegenübers löst und in eine blicklose Indirektheit der Interfaces verschiebt. Bei alledem wirkt sich die Machtebene, dank der Technik, als unsichtbarer Faktor im Hintergrund aus. Dass sich die Macht aus ökonomischen Beweggründen formiert, ist veranschaulicht. Sie umschlingt und durchdringt als verselbständigte Regieanweisung die in Szene gesetzten Körper, ohne die das Arrangement aus Produktion, Verwertung und Konsumption unmöglich wäre. Wirkungsvoll ist die Macht zudem, da sie paradoxerweise eine Art erlebter Freiheit hervorbringt. Wir können alles haben, indem wir uns medialisiert der Welt zeigen können. Das Sich-Der-Welt-Zeigen und Welt-In-Sich-Aufnehmen als
87 Bourdieu, S. 739. 88 Spielmann, S. 60.
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permanenter Austausch eigener Selbstvergewisserung ist als habitualisierter Ausdruck der Macht zu verstehen. Hierzu abschließend Byung-Chul Han: „Die Macht ist vielmehr da am mächtigsten, am stabilsten, wo sie das Gefühl der Freiheit erzeugt, wo sie keiner Gewalt bedarf. Die Freiheit mag ein Faktum oder ein Schein sein. Aber sie wirkt stabilisierend auf die Macht, ist konstitutiv für diese.“89
Von dieser gesellschaftstheoretischen, die Macht einbeziehenden Perspektive ausgehend, werde ich im Weiteren die Wahrnehmungsebene des Körpers als eine zusätzliche und gleichsam tiefere Betrachtungsschiene nutzen, um folgend in die Materialität der Körper, also des menschlichen wie des technischen, einzudringen um die Wechselwirkungen zwischen beiden zu verdeutlichen.
89 Han, 2005, S. 57.
3. Der Körper als Erscheinung in der Welt
Im bisherigen Verlauf habe ich die Spur, Gestalt, Formung und Präsenz des Körpers von den vorantiken und antiken Bewegungen der Kultur heraus über den Ritus zur Bühne des Theaters, des Lebens und in die Diskurse der Gesellschaft im Kontext der Macht nachvollzogen. Dabei sind die unterschiedlichsten Arten von konstitutiver Selbstinszenierung beschrieben worden. Teilweise gibt sich eine solche Inszenierung des Selbst als freie Entscheidung eines mündigen Willens im Spiel persönlicher und gesellschaftlicher Möglichkeiten aus. In anderen Aspekten ist das, was als subjektives Selbst verkörpert ist, eingebunden in gesteuerte Funktionskontexte, die eine eigene Entscheidung der Gestaltung des Selbst aufgrund von Macht und institutioneller Steuerung zu verunmöglichen scheinen. Eines hat sich dabei herausgestellt: Über all den Inszenierungen des Körpers liegt die kulturelle und sprachsymbolische Verknüpfung mit der Repräsentation, die in sich eine komplex und ständig im Wechsel befindliche Signifikanz beinhaltet. Dieses Zusammenspiel von Symbolik, Sprache, Repräsentation, Beziehungen, Bedingungen und schließlich Bedeutung ist als wirksames Signifizierungsinstrumentarium zu verstehen, das dem Körper eine einflussreiche Prägung im Geltungsbereich seiner eigenen Präsenz aufzudrücken scheint. Wenn ich im Weiteren auf der Ebene der körperlichen Wahrnehmung eine Betrachtung vornehme, die den Versuch unternimmt, auf der Ebene des bloßen Körpers die Bedeutungslinien aufzudecken, muss ich auch hier diskutieren, auf welche Weise oder ob die Repräsentationen für das Verständnis des Körpers und seiner Korrespondenz mit seiner ihn umgebenden Umwelt eine Rolle spielen. Insbesondere gehe ich der Grundbehauptung nach, dass es Inszenierungen des Körpers gibt, die den Menschen als Mensch definieren. Darin ist mitzudenken, ob und wie eine Richtung der Handlung, eine Gewissheit in Raum und Zeit sowie Beziehungen zu sich selbst, einem Gegenüber und der Welt auf der Ebene eigener Körperwahrnehmung gültig sein können. Dies ist vor allem dann relevant, wenn ich voraussetze, dass in Szene gesetztes Leben sich im Körper als
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Geschichte, Mythos und Biographie niederschlägt und in gleichem Maße als Bedingung der Existenz hervortritt. Welchen Punkt im Körper gibt es, der frei ist von den Regieanweisungen der Repräsentation und gibt es überhaupt eine Situation, die frei davon zu denken ist? Um sich einer möglichen Antwort anzunähern, möchte ich den Körper in seiner materiellen Innerlichkeit auf der Ebene seiner Wahrnehmungsprozesse betrachten.
W AHRNEHMUNGSPHILOSOPHISCHE ANNÄHERUNGEN Aus der Perspektive der Wahrnehmungsphilosophie ist es möglich, eine Position einzunehmen, die den Körper auf einer primären Stufe seiner materialen Zusammenhänge innerhalb seiner Verknüpfung mit der Welt untersucht. Am bloßen Körper, dort, wo noch keine nach außen tretende Handlung stattfindet außer der Wahrnehmung an sich, soll nachvollzogen werden, ob und wie sich durch einen kulturellen Einfluss vorgegebene Repräsentationen als Formung bereits in diesen fundamentalen Kontexten körperlich eingravieren. Die Bezugsebenen und Begründungstiefen körperlicher Wahrnehmung und Erfahrung sind daher im Kontext der sich im Vollzug befindlichen Inszenierungen eines Selbst und der Kultur mitzudenken. Auch hier wird der kontextuelle Einfluss des Cyberspace einbezogen, also jenes Gemenge, worin sich der Körper in Fusion mit digitalbasierten Artefakten zu befinden scheint. Die Markierungen einer wechselseitigen Körper-Maschine-Korrespondenz, verschlüsseln sich über die unterschiedlich begründeten Zustände des Körpers innerhalb stattfindender technologischer Transformationen in die Leiblichkeit hinein. Um die für den Körper auf der Ebene der Machtdiskurse bereits angedeuteten Konsequenzen einer digitaltechnologischen Entwicklung durch den Cyberspace anknüpfend beschreiben zu können, sollen unter anderem die sich anbahnenden Verschmelzungen zwischen Körper und Maschine aus wahrnehmungsphilosophischer Sicht betrachtet werden. Den bereits im Vollzug befindlichen Bestrebungen, den Körper in Verknüpfung mit Technik zu einem Anderen zu erschaffen, wird daher im wahrnehmungsphilosophischen Kontext nachzugehen sein. Der in die Haut eingelassene RFID-Chip ist keine Utopie, sondern bereits angewandte Körperwandlung. Die Ebenen der Interfaces, also die Verknüpfungen von Technik und Körper, werden immer feiner und erreichen die Nanoebene. Innerhalb dieser für das Auge unsichtbaren Schicht des Körpers nistet sich ein mit einer Aufgabe und Funktion – kurz: einer Absicht – ausgestattetes Instrument auf der neuronalen Ebene des Körpers ein. Das Gehirn ist jener Ort des
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Körpers, in welchem dieser auf der Empfindungsebene keine Eigenwahrnehmung von sich selbst als Körper hat, so spürt das Hirn als Organ keinen Schmerz, wenn es verletzt wird. Die Aufgaben eines dort implantierten Chips platzieren auf der neuronalen Ebene eine von außen eingeführte und konstruierte Repräsentation, die, aus vorformulierten Eigenschaften bestehend, sich an die jeweils zugeschriebenen Hirnareale und deren Aktivität und Aktivierung adaptiert. Der auf diese Weise umgeformte Mensch hat für diese an ihm wirksamen Implantate keine Wahrnehmung, die vollzogenen Verknüpfungen laufen als vor der Eigenwahrnehmung unsichtbare Reizung oder Hemmung der Nervenzellen ab. Das Erleben wirkt natürlich, trotz des Wissens ein neuronales Implantat zu tragen. Auf der Verhaltensebene arrangiert sich ein scheinbar natürliches „Wie“ und „Was“ zur Welt. Die Phänomenologie, als wahrnehmungsphilosophisches Konzept des Körpers in seiner Einbettung in Raum und Zeit, ist daher in Kombination mit den digital vollzogenen Interaktionen und Verschmelzungen im Rahmen maschinisierter Kommunikation zu betrachten. Dies soll Gegenstand der am Ende stehenden Überlegungen sein.
B EZIEHUNGEN
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Um zu einem Verständnis der Strömungen innerhalb der Wahrnehmungsphilosophie zu gelangen, möchte ich einen Abriss der zu dieser Denkweise hinführenden Entwicklungen vornehmen. Dieser Schritt ist wesentlich, denn innerhalb dieses Feldes ist jene Diskussion um folgende Überlegung aktueller denn je: Ist der Leib oder der Geist der Ort, der den primären Zugang zum Leben vorgibt. Diese Differenz in der Auslegung zum Zugang zur Welt pointiert Heinz von Foerster geschickt in folgender Gegenüberstellung: „Bin ich vom Universum getrennt, (das heißt, ich sehe wie durch ein Guckloch auf das vor mir sich entfaltende Universum) oder bin ich ein Teil des Universums? (das heißt, wenn immer ich vom Universum spreche, spreche ich auch von mir).“1
Das Universum wird aufgefasst als Erscheinendes im Äußeren, das von einem als „mir“ bezeichneten Selbst in der Wahrnehmung wie aus der eingeschnürten Perspektive eines Gucklochs betrachtet wird. Das Universum als Bestandteil meines Selbst entsteht im Kontext einer Bezüglichkeit zu mir selbst, der Entwurf
1
Foerster von, Heinz: Wahrnehmen: In: Ars Electronica (Hrsg.), Philosophien der neuen Technologien. Berlin, 1989, S. 30.
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eines Äußeren also, hängt daher stark von der Blickrichtung einer Selbstbezüglichkeit ab. Inneres und Äußeres entsteht im Nachgang dieses Blickes, darin suchen wir nach haltbarer Legitimität und Gültigkeit, um eine Vergewisserung und Begründung von Wirklichkeit zu erschaffen.
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Die nachhaltigste Prägung, im Sinne einer breiten und dominanten Anerkennung, hat sich aus neuzeitlicher Perspektive zu dieser Diskussion aus dem Denken Descartes’ herausgebildet. John Haugeland beurteilt das Vermächtnis Descartes’ demnach als: „[…] das Verständnis des Geistigen als eines unabhängigen ontologischen Bereichs. Weil Descartes den Geist als Substanz fasste und kognitive Akte als dessen Modi, verlieh er diesen einen unabhängigen und eigenständigen Status ohne wesentlichen Bezug auf andere Dinge.“2
Hieraus ergibt sich die Schlussfolgerung eines den Körper bewohnenden Geistes, der als solcher über die Geschicke des Körpers aus übergeordneter Position heraus wacht. Das Erleben eines solchen Geistes festigt sich in der Annahme eines im Inneren des Körpers schwebenden Selbst, das als imperatives Lenkungsmodul für die grobe Masse eines materiellen Körpers fungiert. Die Spaltung zwischen Geist und Körper in Form einer Hierarchie ist auf diese Weise vollzogen. Der Geist ist mit dem situierenden Blick ausgestattet, der die Welt als solche für uns als Repräsentation formt. Lambert Wiesing beschreibt die cartesianische Logik mit dem oft verwendeten Modell der Camera obscura: „So wie man im Inneren einer Camera obscura auch nicht direkt die Außenwelt sieht, so nimmt diesem Modell zufolge der Wahrnehmende nicht eine materielle Welt, sondern nur ein Bild von dieser wahr. Man schaut nicht in die Welt, sondern in sich selbst. Denn die Wahrnehmung ist ein Repräsentationsvorgang, bei dem sich die Entstehung der Repräsen-
2
Haugeland, John: Der verkörperte und eingebettete Geist. In: Joerg Fingerhut/ Rebbeka Hufendick/Markus Wild (Hrsg.), Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Berlin, 2013, S. 105.
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tation im wahrnehmenden Subjekt kausal – sei es physikalisch oder neurophysiologisch – beschreiben läßt […]“3
Die von uns als Realität wahrgenommene Welt ist nicht die Welt als solche, der Geist ist das Übersetzungsorgan, das uns die Welt mit Hilfe der Repräsentationen als plausibles gefertigtes Habitat auf Grundlage der Bilder bereitstellt. Wir sehen demnach nicht die Dinge, sondern die vom Geist in Bilder übersetzten Phänomene. Das Ding, das sich als solches vor uns befindet, kann in dieser Logik durchaus etwas anderes sein, als das von uns als Bild Wahrgenommene. Das entstehende Bild ist daher vielmehr als Resultat von repräsentativen Kopplungen des Geistes zu verstehen. Dass der Körper als solcher in dieser Logik lediglich als untergeordnetes Vehikel des Lebens verstanden wird, ist als konsequente Folge dieser Denktradition nachvollziehbar. Der Körper wird aus dieser Sicht zum Ort gesammelter Informationen, die aus der Umwelt als grobes, undurchsichtiges Material bezogen werden und erst durch den Geist zum Gegenstand einer handhabbaren Vernunft und Wahrheit werden. Der Körper ist zwar auf das Engste mit dem Geist oder der Seele verbunden, dennoch wird er als untergeordnetes, keine Ordnung schaffendes Element verstanden. Descartes selbst beschreibt die aus seiner Sicht gültigen Abstufungen zwischen Seele und Körper auf diese Weise: „Man weiß bereits zur Genüge, daß es die Seele ist, die empfindet, und nicht der Körper. […] Um uns von dieser anerkannten Lehre so wenig wie möglich zu entfernen, ziehen wir es vor anzunehmen, daß die Gegenstände, die wir wahrnehmen, tatsächlich ihre Bilder ins Gehirn senden.“4
Der Körper ist hiernach nicht einmal in der Lage zu empfinden, das, was wahrgenommen wird, ist nichts weiter als die Leistung der Seele, nämlich, ins Hirn gesendete Bilder zu verarbeiten. Der Körper ist aus einer solchen Perspektive ein rein physikalischer Apparat, der über keine nennenswerten oder hinausreichenden Fähigkeiten der Erkenntnis verfügt, sondern darauf reduziert wird, Reize zu sammeln und zweckdienlich dem übersetzenden Geist zur Verfügung zu stellen.
3
Wiesing, Lambert: Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen. Frankfurt am Main, 2002, S. 24.
4
Descartes, Rene: Die Camera obscura als Modell der Wahrnehmung. In: Wiesing, Lambert (Hrsg.), Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen. Frankfurt am Main, 2002, S. 66.
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Mit diesen grundlegenden Überlegungen zum Zusammenspiel von Körper, Geist und Bedeutung wurde eine Basis zum Repräsentationalismus gelegt, der mit den in diesem Sinne aufgestellten Ansichten von John Locke weitergeführt und radikalisiert wurde. Bei Locke wird alles, was empfunden, wahrgenommen oder gefühlt wird, als bloße Idee oder Vorstellung verstanden. Das Bewusstsein selbst ist gleichzeitig Teil und Resultat einer solchen Wahrnehmungsauffassung von der Welt. Lockes Philosophie der Repräsentation bringt Wiesing folgendermaßen auf den Punkt: „Wenn die Wahrnehmung sich auf Bilder […] richtet, dann ist die Funktionsweise der Wahrnehmung ein Vorbild für die innere Struktur des Bewußtseins überhaupt. Das Bewußtsein ist für Locke nicht nur im Fall der Wahrnehmung, sondern in der gesamten Funktionsweise auch dem Modell des Betrachters in einer Camera obscura zu beschreiben. […] Für Locke ist jeder Bewusstseinsinhalt – nicht nur Wahrnehmungen, sondern auch Gedanken, Gefühle, Phantasien, Überzeugungen, Wünsche, Absichten – eine Idee oder Vorstellung, welche bewußt ist, weil sie als eine solche Idee im Bewußtsein wahrgenommen wird.“5
Alles ist Idee, der Körper ist dieser Auffassung nach innerhalb von Erkenntnisprozessen abwesend – nicht vorhanden und für die komplexe Entstehung von Bedeutung nebensächlich. Hieraus schöpft sich ein abgeschotteter Geist, der im Inneren des Menschen als innewohnendes Zentralorgan mehr oder weniger autonom vom Körper unabhängig für den Erkenntnisprozess auf geistig begründete Repräsentationen zurückgreift und diese in Bedeutung überführt. Der Geist ist Schöpfung aller Sinne, Empfindungen und Wahrnehmung einerseits und andererseits zusätzlich logischer Konstrukteur eben jener geistigen Vorgänge, die Sinn, Sprache und Bedeutungen darstellen, um ein geschlossenes, aus jeweils gültigen Repräsentationen bestehendes System zu kreieren. Nach dieser Auslegung stürzt alles ins Bild der Repräsentation, nichts - außer dem Geist - ist mehr als immanent zu betrachten, da stets ein protokollierendes Inneres das Äußere interpretiert und wahrheitsgemäß zu Recht ins Wirkliche rückt. Bild folgt auf Bild, denn in sich genommen nehmen wir hiernach nichts weiter wahr, als in sich geschlossene, auf Bildern begründete Konzepte, die uns der Geist als scheinbar unerschöpflicher Grenzöffner auch in das Unmögliche hinein als Bild offenbart. Die Kamera läuft, steht niemals still und erzeugt unentwegt Sinn, der unbeugsam vor unserem inneren Auge als Wirklichkeit sich selbst konkretisiert.
5
Wiesing, S. 25.
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Hier ist das Unmögliche, nämlich die Geburt aus sich selbst heraus durch den Geist als Idee, vollzogen. Wenn die Welt auf diese Weise schlüssig wahrgenommen werden soll, muss überlegt werden, wie Bilder als Konstruktion zu einem Konzept werden können. Sobald von Bildern gesprochen wird, muss die Entstehung des Bildes mit bedacht werden. Bilder entstehen durch die Abbildung von Etwas auf Etwas. Heinz von Foerster dazu: „Durch die Metapher, die Abbildung für Wahrnehmung setzt, wird die Verwunderung über das ursprüngliche Phänomen abgestumpft: ‚So wie der Gegenstandsraum auf den Bildraum abgebildet wird, so wird die (vom Abbildungsprozeß unberührte) Wirklichkeit auf den Bildschirm (Netzhaut, Hirnrinde usw.) des Bewusstseins eines erkennenden Subjektes projiziert.‘“6
Wenn auf diese Weise wahrgenommen oder vielmehr abgebildet wird, schwingt bereits eine erkennbare Distanz zum Wirklichen eines äußeren Gegenstandes mit. Die Abbilder, die zu wirksamen, den Sinn erzeugenden Bildern des Geistes einer vorgestellten Wirklichkeit werden, sind in dieser Hinsicht als Kompression des wahrgenommenen Äußeren zu verstehen. Dietmar Kamper hat in diesem Kontext eindrücklich beschreiben können, wie diese Konstruktion von Weltwarhnehmung und -verständnis Konsequenzen für den Umgang mit dem äußeren Anderen, also der Welt an sich, hervorbringt. Von der cartesianischen und von Locke noch radikaler untermauerten Behauptung ausgehend, nämlich im wahrnehmenden Sehen nicht die Dinge, sondern die Bilder von den Dingen zu sehen, kommt Kamper zu folgendem Schluss: „Der Satz meint zunächst zweierlei: ‚Ich sehe das Grundmuster meines Sehens.‘ Er meint die Selbstbezüglichkeit des Sehens beziehungsweise des Denkens. ‚Doch die Grundmuster verstellen das, was sie zeigen sollen, die Dinge, das Andere.‘ Der Satz meint die Substituierung der Wahrnehmung durch Denken, aber bedacht. Darüberhinaus meint der Satz nach beiden Richtungen noch einmal zweierlei: Das was schon lange, vielleicht immer so war, kommt jetzt heraus. ‚Ich sehe die Muster, mit denen ich sehe, mit denen ich gesehen habe.‘“7
6 7
Foerster von, S. 32. Kamper, Dietmar: Unmögliche Gegenwart. Zur Theorie der Phantasie. München, 1995, S. 10.
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Aus der hier beschriebenen Wirkweise des Denkens (in Gestalt von Bildern), das sich zwischen Wahrnehmung und Gegenstand, Ding und dem Anderen als Abbildung positioniert, reduziert sich die Wahrnehmung auf eine pure Spiegelung von vorgeprägten Mustern. Diese Muster äußern sich ihrer Art nach als tief eingeschriebene Bedeutung, die auf der Ebene der Wahrnehmung zwischen Körper und Ding als definiertem Bild eine festgelegte Richtung einer Darstellung vorgibt. Die Muster, von denen Kamper spricht, sind die vorgesetzten und wirksamen Repräsentationsinhalte, die, einer Funktion von Bedeutung folgend, sich in der Wahrnehmung manifestiert haben. Die Konsequenzen einer solchen Wahrnehmung der Welt beschreibt Kamper mit folgender Feststellung: „In Rücksicht auf die Dinge, auf die Fülle der Erscheinungen ist das Mustersehen eine Regression, eine Blendung, zumindest eine Trübung des Blicks. ‚Ich sehe das Seh-Raster statt das Gesehene, wie wenn die Linse des Auges sich anders organisiert.‘ Das Andere in Bildform verliert dabei die Realität. – Weil einem die Sinne vergangen sind beim Lebenmüssen in einer abstrakten Welt, ist die Wahrnehmung selbst geworden.“8
Wahrnehmung ist, nach diesem auf dem Geist beruhenden Prinzip der Wirklichkeitskonstitution, als Abstraktion der den Körper berührenden Dinge zu verstehen. Die Abstraktion muss daher unbedingt als Reduktion verstanden werden. Die eigentliche in sinnlichem Kontakt entstehende Realität der Dinge weicht einem festgelegten und verkürzenden Blickmuster auf die Dinge, dieser Prozess folgt mustergültigen Vorgaben, die eine Verfremdung gesehener oder wahrgenommener Dinge vornehmen. Die Sinne sind verschleiert, weil eine repräsentative bildliche Deutungsebene zwischen die Dinge der Welt und den Körper eingeschoben wird. Fingerhut, Hufendick und Wild kommen zu folgender grundsätzlichen Ansicht, wenn sie das cartesianische Körper-Geist-Verhältnis als Beziehung zwischen Subjekt und kognitiven Zuständen (Seele, Selbst, Bewusstsein oder Geist) betrachten: „Diese kognitiven Zustände erhalten in der neuzeitlichen Philosophie ganz unterschiedliche Namen wie >IdeeVorstellung< oder >Repräsentationpraxiseinschließende Disjunktion< sozusagen. […] Das je gegenwärtige Sehen erhält an seinem Horizont das einen Augenblick vorher unter einem anderen Blickwinkel Gesehene. Und es antizipiert zugleich das Sehen des nächsten Augenblicks.“13
Der ins Bild übersetzte Körper wird zu einem Gegenstand als solchem, der im Außen des blickenden Auges betrachtet wird. Die Antizipation des bewegten Blickes unterscheidet nicht zwischen eigenem und fremdem Körper, sondern nimmt das an, was gerade im nächsten Augenblick als sinnvolle Konstruktion angeboten wird. Mit Lyotards Gedanken sind die Wanderungseffekte des Bewusstseins in Bezug auf die Körperempfindung mit der phänomenologischen Protention begründbar. Diese Produktion erscheint als mentaler Vorgang, ist aber dennoch leiblich. Wo anders wird gedacht, also mental gehandelt, wenn nicht im Körper oder wer/was denkt, wenn wir denken? Das Denken ist Teil des Körpers, da ein Resultat seiner Prozesse. Die Vorstellung, außerhalb des Körpers zu denken, ist Simulakrum, Folge eines auf Visualität gestützten simulierten Scheines. Die Scheinproduktion ist aber leiblich begründet, da das Auge als Teil des Köpers das eigene Körperbild als Bild auf ein Äußeres überträgt. Die Täuschung gelingt, weil die Abschattung der anderen Wahrnehmungsebenen hier in Form einer Überschreibung durch den affektbeladenen Blick stattfindet. So betrachtet entfernt sich der Körper nicht großartig von sich selbst, da die durch
13 Lyotard, Jean-François: Ob man ohne Körper denken kann. In: Materialität der Kommunikation. Hans-Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Frankfurt am Main, 1995, S. 822.
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Bilder ausgelöste Bewegung innerhalb des Körpers als Denkvorgang stattfindet. Die entstehende Vorstellung eines wandernden Bewusstseins ist als Folge eines arrangierten Settings, das sich an eine durch die Umgebung beeinflusste Denkidee anschließt, zu betrachten. Denken entsteht hierbei nicht aus dem Denken, sondern ist Teil von Körperprozessen, die gekoppelt sind an Bedingungen und die Beschaffenheit einer Umgebung. Das Denken in Vorstellungen und Bildern ist daher immer materiell an den Körper gebunden, welcher mit der Umwelt interagierend in Abhängigkeit steht. Die Effekte eines aus dem Körper wandernden Ichs sind daher Effekte, die als Phänomen eine Bewegung des Körperbildes im Mentalen beschreiben. Daher entspricht Metzingers Entwurf einem weitergeführten Repräsentationalismus, da er das Bewusstsein als elementaren Kern eines konstruierten „Selbst“ betrachtet. Das auf einen außerkörperlichen Gegenstand wandernde Bewusstsein vollzieht sich meiner Auffassung nach in erster Linie auf einer konstruierten Überbetonung des eigenen Körperbildes. Die Gestaltung und Wertigkeit des Körperbildes hängen sehr stark mit kultureller und reflexiver Formung zusammen. Dabei ist das Körperbild vom Körperschema zu unterscheiden, darauf weisen auch Shaun Gallagher und Jonathan Cole hin: „Das Körperbild besteht aus einer komplexen Menge an intentionalen Zuständen – Wahrnehmungen, mentalen Repräsentationen, Überzeugungen und Einstellungen –, deren intentionales Objekt jeweils der eigene Körper ist. Das Körperbild beinhaltet also eine reflexive Form der Intentionalität.“14
Dabei sind drei Modalitäten der reflexiven Intentionalität zu unterscheiden: „(a) die Wahrnehmungserfahrung des Subjektes von seinem eigenen Körper, (b) das begriffliche Verständnis des Subjektes (inklusive mythologischen und/oder wissenschaftliches Wissens) vom Körper im Allgemeinen und (c) die emotionale Einstellung des Subjekts zu seinem eigenen Körper.“15
Das Körperbild wirkt also auf der bewussten Ebene, die beeinflusst ist von mentalen und äußeren Faktoren, welche als Repräsentation zur Geltung kommen
14 Gallagher, Shaun und Cole, Jonathan: Körperbild und Körperschema bei einem deafferenten Patienten. In: Fingerhut, Jörg; Hufendick, Rebekka und Markus Wild (Hrsg.). Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Berlin, 2013, S. 177. 15 Ebd.
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können. Genau an diesem Punkt wandert das Bewusstsein auf festegelegten Bahnen der Bedeutung an den Repräsentationen zum Schein aus dem Körper in ein Äußeres. Im Gegensatz hierzu ist das Körperschema nicht auf einer reflexiven Ebene wirksam, sondern eher auf einer subpersonalen Stufe. Gallagher und Cole hierzu: „Das Körperschema ist keine Wahrnehmung, Überzeugung oder Einstellung. Vielmehr handelt es sich um ein System von Haltungs- und Bewegungsfunktionen, die unterhalb der Ebene der selbstreferentiellen Intentionalität operieren […]Obwohl das KörperschemaSystem spezifische Auswirkungen auf die kognitive Erfahrung haben kann, hat es selbst nicht den Status einer bewussten Repräsentation oder Überzeugung. […] Tatsächlich tendiert der Körper bei den meisten zielgerichteten Handlungen dazu, sich selbst aus dem Gewahrsein auszulöschen. Diese funktionale Auslöschung des Körpers ist möglich, da unter normalen Umständen das Körperschema seine Haltungs- und Bewegungsfunktionen auch ohne bewusste Kontrolle weiter ausführt.“16
Wenn ich diese Unterscheidung zwischen Körperbild und -schema auf das wandernde „Selbst“ übertrage, komme ich zur Auffassung, dass bei dieser Wanderung das kulturell-reflexive Körperbild in eine Überbewertung eingegliedert wird. Das im subpersonalen Bereich aktive Körperschema ist unabhängig von den Körperbildern und befähigt den Körper insgesamt, in der ihn umgebenden Wirklichkeit zu bestehen. Die Umformung des Geistes erfolgt aufgrund einer Umformung des Körperbildes in einer technisch wandelbaren Umgebung. Dies gilt insbesondere bei der Verschiebung der Wahrnehmung in virtuelle Umgebungen. Das Territorium des Körpergefüges erweitert sich vom eigenen Körper auf außerkörperliche Gegenstände, da sie nach Metzinger auf Grundlage einer mentalen Vereinnahmung oder Überschriftung in das eigene Körperkonzept durch ihre Bildhaftigkeit mittels konstruierter Körperbilder übernommen werden. Die in Metzingers Experimenten wirksamen Effekte sind aus meiner Sicht Folge einer kulturell und technisch konzipierten Visualität, die selbst eine konstruierte Fortsetzung aus experimentell gesetzten Reizen ist, die sich von ineinander wirksamen Bedingungen ableiten. Die Effekte gelingen, weil der Körper auf der Wahrnehmungsebene bereits aus der Korrespondenz mit einer technologisch veränderten Umwelt in eine bestimmte Richtung der Deutung angebahnt ist. Denn die Priorisierung des erblickten Bildes ist Folge habitualisierter Sehge-
16 Ebd., S. 177. f.
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wohnheiten, die als Folge einer vorgeprägten Wirklichkeitskonstitution zu betrachten sind. Dies ist als Resultat gesellschaftlicher Veränderungen und Beeinflussung insgesamt zu betrachten, denn wie beschrieben, verschiebt sich das Körperbild aufgrund von jeweils gültigen Entwicklungen über die bewusste Reflexion einer Repräsentationen hervorbringenden Umgebung. Nach Virilio wurde mit Entstehung optischer Apparate eine Wahrnehmungsverschiebung ausgelöst: „Seit ihrem Auftauchen haben die ersten optischen Apparate […] die topographischen Kontexte der Aufnahme und Rekonstruktion von mentalen Bildern beträchtlich verändert. […] Das Modell aller optischen Prothesen und Sehhilfen, das Teleskop, projiziert das Bild einer Welt, die außerhalb unserer Reichweite liegt, und somit eine andere Art und Weise, uns in der Welt zu bewegen; die Logistik der Wahrnehmung führt zu einem ungeahnten Transfer des Blickes, sie schafft einen Zusammenstoß von Nahem und Fernem, ein Phänomen der Beschleunigung, das unser Bewußtsein von Entfernungen und Dimensionen vernichtet.“17
Der bewusstseinsmäßige Übergang auf ein außen liegendes Ding ist als Folge dieser Verschiebung von beschleunigten Räumen und Distanzen, durch die der Blick geführt wird, zu verstehen. Die optischen Apparate sind als Zeichen kumulierende Instrumente zu verstehen, die eine Kollision und Verschränkung von Bildern verursachen. Die Übertragung des Ichgefühls auf ein außerkörperliches Ding ist aus meiner Sicht Resultat eines arrangierten Ensembles, das den visuellen Blick zur Überschriftung der anderen Sinne führt. Die auf Displays und Monitore eingeschliffene Wirklichkeit basiert auf einer veränderten oder an die Umwelt angepassten Wahrnehmung, die sich als neues Territorium darstellt. Die so erwirkte priorisierte Gewöhnung des überblähten Auges und seines Blickes, ist als wirksame Bedingung und beeinflussender Faktor in diesen Experimenten zu beachten.
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Der auf diese Weise veräußerte und überspannte Blick nimmt dabei einen maßgeblichen Aspekt ein, denn die beschriebenen Phänomene eines wandernden „Selbst“ sind angelegt im Bild, dies wird in der Annahme des Anderen als
17 Virilio, Paul: Die Sehmaschine. Berlin, 1989, S. 19. f.
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Gegenüber arrangiert. Das eigene Bild des Körpers wird in Gestalt des Körperbildes als das eines Anderen angenommen. Zum Beispiel auch durch die Anwesenheit eines aufnehmenden Mediums: Beim Filmen von Menschen werden diese aufgezeichnet, da teilt sich der Andere und geht anteilig auf das Medium über. Er braucht keinen Körper und keinen Blick, um zu sein ist der Körper im Bild weder der eine noch der andere. Dennoch erzeugt er beide: Körper und Blick, als Phantasma. Der Bezug zum Leib verwischt sich, d.h. die wahrnehmbare Reaktion. Der Andere ist soweit abstrahiert, dass man sich seiner nicht mehr versichern kann, das Verhältnis zu ihm ist abgetrennt, der Effekt des Blickes ist wesentlich narzisstischer, da keine Wechselseitigkeit besteht, die durch den Filter des Fremden, des Anderen gehen kann. Insofern wird der Andere zum Ort, von dem aus sich nur eine Selbstbezüglichkeit des eigenen Körpermediums organisieren kann. Hier wird durch das Medium die Repräsentation des Eigenen im abwesenden Anderen verwirklicht. Die Repräsentationen und Territorien erfolgen im Cyberspace primär als Bild von Etwas für Etwas, die Schnittstelle vom Bild zum Betrachter ist der Übergang, der die theatralisierte Inszenierung eines Selbst im Kontext einer technologisch veranlassten Territorialisierung bestimmt. Im Rekurs auf Roland Barthes’ Überlegungen zur Fotografie möchte ich an dieser Stelle auf das von ihm beschriebene Phänomen des „punctums“ eingehen, denn in Verbindung von Körper, Körperbildern, Repräsentationen und gleichzeitiger Disposition des Körpers auf Grund der Bewusstseinswanderung auf Artefakte entstehen neue Affektdimensionen. Das „punctum“ wird zu dem, wie Barthes es bezeichnet, „was ich dem Foto hinzufüge und was dennoch schon da ist“18. Die wachgerufene Erinnerung oder Assoziation wird durch das „punctum“ zwar angestoßen, ist aber nicht das „punctum“ selbst, sondern liegt im Betrachter verborgen. Es kann aus dem Trüben des Unsagbaren hinaufsteigen und „von alleine ins affektive Bewusstsein“19 vordringen. Das „punctum“ bildet so eine Schnittstelle von äußerer Wahrnehmung und innerem Bild und ist somit in der Lage, aufgrund einer körperlichen Evokation Phantasien und Erinnerungen hervorzubringen. Demnach handelt es sich um die Beseelung und Belebung der Körper in den Bildern, diese kann nur in der Imagination des Betrachters gestaltet werden. Damit gestaltet er einen Ort der Lebendigkeit, an dem sinnliches Erleben im Reich der Phantasie stattfindet und der damit den Betrachter selbst verlebendigt. Als erstes zwingt ihn das Wahrgenommene zu einer affektiven, spürbaren Kör-
18 Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Aus dem Franz. übers. von Dietrich Leube. Frankfurt/Main, 1989, S. 65. 19 Ebd., S. 65.
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perwahrnehmung, die ihn dadurch in einem zweiten Schritt zu einem Handelnden werden lässt, da die Animation auf dem aktiven Spielfeld der Phantasie und Imagination waltet. Beleg hierfür ist das nahezu bizarre Phänomen der wandernden Meinigkeit, das sich in den von Metzinger beschriebenen Zusammenhängen einstellt, indem das Gefühl der physischen Zugehörigkeit auf maschinell erzeugte Bilder und/oder Gegenstände übertragen wird. Demnach sind in diesem gesamten Prozess die Affekte von besonderer Bedeutung, da sie einer assoziativen Bahnung folgen. Im digitalisierten und berechenbaren Cyberspace sind die Affekt- und Bedeutungsketten in einer Kommunikation der Vorprägung inbegriffen. Byung-Chul Han sieht die Affekte daher als typische Folge digitalisierter Medien: „Im Gegensatz zum Gefühl sucht der Affekt keinen Raum. Er sucht sich eine lineare Bahn, um sich zu entladen. Auch das digitale Medium ist ein Affektmedium. Die digitale Kommunikation begünstigt eine sofortige Affektabfuhr. Schon aufgrund ihrer Zeitlichkeit transportiert die digitale Kommunikation mehr Affekte als Gefühle. Shitstorms sind Affektströme.“20
Die Relevanz für den Cyberspace als theatrale Inszenierungswelt definiert sich demnach an folgenden Begriffen: Performativität, Territorialisierung, Expression, Bewegung, Affekt, Technisierung, Automatisierung, Hybridisierung, Manipulation und Körper als Bild (abwesend/anwesend). Im Zuge der digitalen Technologisierung ist das Sehen zum primären Sinn erhoben, denn die Informationen der Kommunikation sind in die Displays eingelassen und habitualisieren die Wahrnehmung. Metzingers „Selbst“ wandert daher auf Grund der herrschenden technologisch beeinflussten Wahrnehmungsbedingungen aus der technologisch auf das Bild abgerichteten Umgebung. Der Körper befindet sich jedoch insgesamt mit der Umgebung in phänomenologischer Wechselwirkung, diese ist nicht nur auf das Auge beschränkt. Allerdings ist das Auge überrepräsentiert, da die Bedeutungskanäle auf das Auge ausgerichtet sind. Wahr ist nur das, was gesehen wird. Die Formung des Blicks ist demnach gesellschaftlich-kulturell bedingt. Wir sind allerdings nicht nur Auge, aber das Auge ist als Wahrnehmungsorgan auf Grund der kulturell-technologischen Priorisierung der Visualität als Wirklichkeitsüberformung im Rahmen einer hiernach ausgerichteten Weltbezüglichkeit zum Imperativ erhoben. Mit dem überformten Blick im Cyberspace gewinnt auch das Bild an Überbedeu-
20 Han, Byung-Chul: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main, 2014, S. 60.
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tung. Bernhard Vief hat diese Verschiebung der Sinne als Aufblähung des Auges beschrieben: „Andere, überflüssige Sinne verkümmern zugunsten eines aufgeblähten Auges. Inzwischen ist eine Stufe erreicht, wo das Sehen selbst verkümmert. Der Explosion der Körperteile folgt die Implosion der Sinne, deren Druckwelle sich auf den Körper zubewegt. In dem Maße, wie die Technik das Sehen übernimmt, verliert der Mensch sein Augenlicht.“21
Laut Vief erfolgt nach der Überblähung des Auges die Implosion desselben, da die gesamte Realität in der weitergeführten Technisierung der Umgebung und des Körpers ein Überflüssig-Werden des eigentlichen Sinnes, also aller im Wechselspiel stehenden Sinne, hervorruft. Das Auge wird gerade durch seine Überbewertung ersetzt, da die technisierte Umgebung eine vorgeformte Realität erschafft, die den Körper mit seinen Sinnen in eine geschlossene Systematik überführt, innerhalb derer sich der Körper als solcher zu einem Bild virtualisiert.
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Durch die Überblähung und Priorisierung des Auges, also des gesehenen und konstruierten Körperbildes, entsteht eine wirkungsvolle Täuschung, die als sehr konkret und real wahrgenommen wird. Dabei wandert ein Teil des Bewusstseins scheinbar nach außen und erzeugt eine erlebte Bewegung. Die erlebten Körperräume verschieben sich quer durch das Gesamtgefüge. Wenn also das Territorium des Leibes zu wandern beginnt, gewinnt der von Deleuze und Guattari verwendete Begriff der Territorialisierung in diesem Kontext eine gänzlich neue Bedeutung, denn die territoriale Expansion im virtuellen Raum des Cyberspace erzeugt gerade im Rekurs auf Metzingers phänomenale Denkfigur des Selbst eine vermeintliche Ausweitung körperlicher Macht- und Handlungssphären, die in erster Linie auf Grundlage einer technisch produzierten Überblähung der Sehgewohnheiten operiert. Denn die Übertragung körperlicher Empfindung auf ein gesehenes oder virtuell erzeugtes Ding ist nichts anderes, als die Verwirklichung eines empfundenen Phantasmas in einem zusätzlichen Raum. Auf dieser Grundlage wird die Territorialisierung, also die Vereinnahmung von Sphären der Gel-
21 Vief, Bernhard: Vom Bild zum Bit. Das technische Auge und sein Körper. In: Kamper, Dietmar und Christoph Wulf (Hrsg.), Transfigurationen des Körpers. Spuren der Gewalt in der Geschichte. Berlin, 1989, S. 265.
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tung und Handlung im Kontext technischer Erweiterung, als Zugewinn einer weiteren identitätsstiftenden Dimension im Bewusstsein konnotiert. Dass der Cyberspace ein Territorium im Sinne von Deleuze darstellt, lässt sich anhand folgender Aussage bekräftigen: „Ein Territorium bedient sich bei allen Milieus, es fällt über sie her, es umschlingt sie (auch wenn es anfällig für fremde Einflüsse bleibt). Es wird aus Aspekten oder Teilen von Milieus gebildet. […] Genau genommen gibt es dann ein Territorium, wenn die Bestandteile der Milieus nicht mehr gerichtet sind und stattdessen zu Dimensionen werden, wenn sie nicht mehr funktionell sind, sondern expressiv werden. Territorien gibt es, sobald es eine Expressivität des Rhythmus gibt.“22
Der Cyberspace ist ein Raum der Expressivität, es wird dabei nichts anderes als eine Prozessexpression bezweckt, wenn sich Menschen beispielsweise in sozialen Netzwerken zeigen, entblößen, verstärken, anbieten, verschleiern, verbinden etc., entstehen und verschieben sich die Milieus auf Grund verschmolzener, veränderbarer und territorialer Ränder. Der Cyberspace, als Territorium im digital uferlosen Umfang des Virtuellen, schafft unterschiedliche Praktiken einer erlebten Machtsphäre, die sich scheinbar unabhängig von materiellen Zwängen in der Virtualität entfalten kann. Es findet, um den nächsten deleuz’schen Begriff zu verwenden, eine Deterritorialisierung aus dem organisch-leiblichen in das technisch-maschinell-virtuelle Milieu statt. Die Cyberspaceterritorien sind überladen kontingent, denn die Bewegungen in neue virtuell erschaffene Territorien, in weitere neue oder gleichzeitig parallel existierende ältere Territorien oszillieren pausenlos in Form vorgestellter und produzierter Bilder. Diese Territorialisierungen gelingen allerdings nur deshalb, da den virtuellen Bildwelten eine über Repräsentationen zugestandene Bedeutung eingeräumt wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Körperlichkeit des biologischen Körpers innerhalb der Medialität des Cyberspace abgespalten wird. Die Materialität und die Wahrnehmung des Körpers, als Objekt verstanden, verändert sich aus diesem Gedanken heraus grundlegend, das Dazwischen des Sozialen ist technisch, nicht mehr metaphysisch. Das „Dazwischen“ ist also als Folge einer überschrifteten, mental und technisch beeinflussten Repräsentation zu verstehen, die sich aus der Bewegung der Territorialisierung darstellt und das Körperkonzept biofaktisiert und aufbricht. Die virtuelle Realität im Cyberspace ist angesichts der beschleunigten Prozessorleistung insofern verfeinert entwickelt, als dass der beschriebene Wande-
22 Deleuze/Guattari, 1992, S. 429.
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rungseffekt des Körperempfindens möglicher denn je wird, und dies nicht nur beschränkt auf eine Hand, wie in der Gummihandillusion. Mit Datenbrillen der virtuellen Realität ist die Bildmaschine an den Körper herangerückt, die übermächtige Visualität des Realitätsempfindens verschränkt sich mit den weiteren Sinnen, nimmt diese quasi an die Hand. Der Körper geht den Schmelz mit der Maschine ein. Das virtuell Wahrgenommene ist nicht mehr Resultat eines Austauschs mit einer vertrauten Umwelt. Vielmehr überschriftet das Mehr an Visualität den sensomotorischen Rest des wahrnehmenden Körpers. Komplettiert wird der virtuelle Realitätskanal, indem insgesamt die Körperbewegungen in die virtuell-visuelle Täuschung eingebaut werden. Dies geschieht, indem mit weiteren sensorischen, den Körper wie eine zweite Haut umschließenden, Apparaturen eine Kopplung mit dem virtuell-visuellen Kanal der Datenbrille vollzogen wird. So ist das tatsächliche Gehen des Körpers auf einer einem Laufband ähnelnden Sensorfläche kombiniert mit dem virtuell erzeugten Bild der Datenbrille. Die echten Bewegungen des Körpers sind über die am Körper angebrachte Sensorik in die virtuelle Realität eingerechnet. Der auf der Stelle laufende Körper wird so in ein Arrangement eingehegt, das im Effekt die tatsächliche Bewegungsfreiheit des Körpers reduziert, jedoch auf der virtuellen Ebene des Avatars eklatant erweitert. Bewegungen des Körpers werden in die Erzählung der virtuellen Realität eines im Cyberspace befindlichen Avatars integriert. Dadurch entstehen zwei Umwelten, die auf der Wahrnehmungsebene verknüpft werden müssen. Die Simulation verschmilzt mit der Materialität des Körpers zu einer phänomenal verschränkten Realität. Jegliches in einem solchen Gefüge inszenierte Selbst gerät zwischen die Bedeutungen des algorithmisierten virtuellen und des tatsächlichen Körpers – die virtuelle Imagination somatisiert sich. Paul Virilio hat diesen Anpassungsprozess von Körper und Maschine im Zusammenspiel mit der erzeugten virtuellen Realität, verstanden als inneres Bild einer Maschine, bereits verhältnismäßig früh beschrieben. Der „Datenanzug“ wird heute real: „In diesem ‚tragbaren Simulator‘ […] bildet man dank der Informatik eine vollständige virtuelle Umwelt nach […], in der der Träger augenblicklich mit Hilfe von Sensoren, die an […] seinem ganzen Körper (Datenanzug) angebracht sind, agieren kann. So kann der Mensch […] virtuelle Gegenstände in die Hand nehmen oder verstellen, und dies mit Hilfe seiner sehr wohl realen Hände.“23
23 Virilio, Paul: Rasender Stillstand. Frankfurt am Main, 1997, S. 119.
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Zugunsten des Zutritts in die virtuelle Realität wird die Anwesenheit in der eigentlichen Realität des Körpers in einen an der Haut anliegenden Sensorikanzug gepackt. Die ins Bild übersetzten Bewegungen des eigentlichen Körpers dienen lediglich noch zur Erzeugung einer unausweichlich geschlossenen Bildwelt. Der Körper bewegt sich mit Hilfe eines technischen Arrangements auf einer komplett virtualisierten Ebene. Das überblähte Auge formt dem Körper auf der Wahrnehmungsebene eine Realität vor, die dieser mit all den phänomenologischen Konsequenzen als Wirklichkeit innerhalb einer digital erfassten Körperbewegung aufnimmt. Die Immersion wird über die schmeichelnde Benutzerfreundlichkeit zum Totaleffekt im Bildaffekt. Norbert Bolz beschreibt die Immersion in diesem Sinne: „Das ist das große Thema, das sich hinter dem biederen und spröden Wort der „Benutzerfreundlichkeit“ verbirgt. So zielt das Interface-Design der digitalen Welt darauf die Benutzeroberflächen verschwinden zu lassen, oder doch zumindest: sie vergessen zu machen. Damit wäre im Verhältnis des Menschen zur Technik der Gegenpol zur Kontemplation erreicht – die Immersion.“24
Die Maschine soll unsichtbare Begleitung im Hintergrund werden, während sie durch die überblähte Visualität eine totale Simulation der Wirklichkeit erlebbar macht. Die Hersteller der Apparaturen versprechen die Immersion als Resultat der dort angepriesenen Gagdets. Diese Gadgets dienen der reinen Steigerung der Spielfreude, je mehr der Körper in die Virtualität eingebunden ist, desto höher und immersiver der Spielgenuss. Der Körper wird dabei mit Hilfe von an ihm platzierten Sensoren so dicht wie möglich in die virtuelle Spielwelt übersetzt. Die Bewegungen des Körpers auf der Rutschfläche im Außen werden zu Effekten eines Inneren im Rahmen des virtuellen Spiels. Der Körper wird eingerechnet in eine vorgegebne Erzählung, die sich aus nimmermüden Algorithmen ergibt. Die als Plot eines Spiels vermittelten Mythen werden so zum virtualisiert begehbaren Spielparcours. Dasselbe Prinzip von visueller Vorgabe und sensorischer Reizung und Erfassung wird auf der sexuellen Ebene angeboten, so werden inzwischen „Koitusapparate“ angeboten, die via Internet Bewegungen und Stimuli auf einen Vibrator und eine künstliche Masturbationstube übertragen. Die sexuelle Befriedigung wird vollzogen, indem der oder die jeweils Verbundene den Apparat entsprechend entweder über den Penis stülpt oder in die Vagina einführt. Am jeweils anderen Ende der Verbindung bearbeitet der entsprechend drahtlos verknüpfte
24 Bolz, Norbert: Das Gestell. München, 2012, S. 109.
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Apparat durch die je notwendige Stimulation den angeschlossenen Geschlechtskörper. Die Reize werden an den in Verbindung zum Geschlechtsorgan stehenden Apparat übertragen, die sexuelle Stimulation wandert als Datensatz zum Endgerät, das dort als Orgasmusmaschine funktioniert. Das ganze Ensemble wird durch die pornografische Verwendung einer Datenbrille auf der visuellen Ebene ergänzt. Der Sex wird zum indirekten, da durch Apparate unterbrochenen, hygienisch aber unbedenklichen Technoerlebnis. Die Berührungen sind gekoppelt und arrangiert aus ineinander greifenden Datenströmen, die sich im Kern als eine mediale Fläche darstellen, auf der der Körper als erweiterbarer Aspekt einer Funktion neben bewegten Bildern fungiert. Gegenseitige Bewegungen aus einer solchen indirekten Begegnung basieren hierbei auf Grundlage von übermittelten Datenströmen, die in Echtzeit durch das Internet rauschen.25 Im Sinne Foucaults wird ein neuer Sexualdispositiv etabliert. Donna Haraway beschreibt passend den daraus entstehenden biotechnologischen Imperativ einer solchen Praktik: „Im Zusammenhang mit Objekten wie biotischen Komponenten und Kodes sollte man weniger an Wachstumsgrenzen und essentielle Eigenschaften als an Designstrategien, Constraints, Durchsatzraten, Systemlogiken oder Kostenverminderung denken. Sexuelle Fortpflanzung wird zu einer möglichen Strategie unter vielen, deren Kosten und Nutzen als Funktion der Systemumwelt begriffen werden.“26
Haraway entlarvt die zwischen den Gadgets liegenden Diskurse als Design einer auf den Körper angewendeten biopolitischen Neuausrichtung als Teil einer gelenkten Apparatur. Die verfeinerte Entwicklung eines den Körper umwickelnden Datenanzugs à la Virilio, der einer zweiten Haut gleich sämtliche Sinneseindrücke vortäuschend (Temperatur, Druck und Feuchtigkeitsgehalt) simuliert, passt als Fortführung einer kontrollambitionierten Verwertungspraktik über den Körper. Die Bewegung und Konsistenz des Körpers wird mit dieser die Umgebung an das Virtuelle anpassenden Anschmiegung mehr und mehr einander angepasst. Die durch Datenübertrag ins Virtuelle übersetzten Bewegungen, erzeugen eine Art computerisierte Traumebene, die scheinbar ohne Konsequenzen für den eigentlichen Körper bleiben.
25 Tatsächlich gibt es Anbieter auf dem Erotikmarkt, die genau solche Produkte anbieten. 26 Haraway, Donna: Die Biopolitik postmoderner Körper. Konstitutionen des Selbst im Diskurs des Immunsystems. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel (Hrsg.), Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Donna Haraway. Frankfurt am Main/New York, 1995, S. 174.
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Die Begegnung körpergebundener Avatare, die als sensomotorische Verschränkung im Cybersozialen eine nicht mehr nur bildliche, sondern auch biologische und somatische Hyperrealisierung einer parallelen Gesellschaft konstruieren, ist keine Illusion mehr, sondern technisch planbar. Doch hierbei wird lediglich das idealisierte Selbst seinem virtualisierten Selbst gegenübergestellt. Der andere ist nicht in der Interaktion mit mir, sondern beide Gegenüber interagieren eigentlich bloß mit sich selbst. Baudrillard beschreibt dies Ende der 80er Jahre fast prophetisch, wenn er die Beziehungen zwischen Apparaten und Menschen in der sexuellen Praxis beschreibt. „Der Andere als sexueller oder kognitiver Partner ist nie wirklich gemeint, als ob es ein Durchschreiten des Bildschirmes geben möchte, wie das Durchschreiten des Spiegels. […] Die Maschine (der interaktive Bildschirm) verwandelt den Prozeß der Kommunikation, die Beziehung zu einem anderen, in einen Prozeß der Komutation, das heißt in einen Prozeß der Wechselwirkung des Selben auf das Selbe. Es ist der Trick des Interface, daß der Andere praktisch zum Selben wird.“27
Das Interface stellt eine Beziehung zwischen Mensch und Maschine her, aber keine Beziehung zwischen Menschen. Wenn wir über die Maschinen miteinander in Kontakt treten, sind wir in erster Linie mit der Maschine in Verbindung getreten. Das ist der große Irrtum, dass nämlich angenommen wird, Menschen seien mithilfe der neuen Technologien mit Menschen verbunden, es findet vielmehr eine Vernetzung der Menschen mit Maschinen, Maschinen mit Maschinen und der Maschinen wieder mit Menschen statt. Dies wird unterstützt mit maschinendefinierten und -produzierten Bildern, die als Leitfaden der Realität herhalten. Über eine Dauertäuschung wird der Sturz ins Bild komplettiert, indem der Körper den vorgegebenen Realitäten des Bildes in einer Art eingeschmolzenen Architektur einem gerahmten Habitat folgt. Die Wirksamkeit der überblähten Bildräume wird gestützt, „[…] in dem sich die Vitalisierung des Technischen und die Technisierung des Vitalen als unauflösliche Symbiose vollziehen.“28 Die Überwindung und Schrumpfung des Raumes beeinflusst das ans Bild gefesselte Körperempfinden. Dass dabei keine tatsächliche Überbrückung der Berührung stattfindet, erfasst Bernhard Vief bereits lange bevor sich Hersteller am virtuellen Erotikmarkt positionierten:
27 Baudrillard, Jean: Baudrillard, Jean: Videowelt und fraktales Subjekt. In: Ars Electronica (Hrsg.), Philosophien der neuen Technologien. Berlin, 1989, S. 129. 28 Mayer-Drawe, 1996, S. 17.
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„Sie tut dies nicht im physischen Sinn, d.h. sie überwindet die Entfernung nicht physisch, sondern durch Repräsentation: indem sie als Zeichen fungiert. Zwar wird auch eine räumliche oder zeitliche Entfernung überwunden, aber es sind nicht unsere Körper, die sie überwinden, es sind Daten. Wir treffen uns an Datenschnittstellen, an medialen Orten. Diese Orte liegen außerhalb von Raum und Zeit, aber sie strukturieren diese und ersetzen sie durch Zeichen: Kommunikation ersetzt Berührung. Es berühren sich nur die Abbilder von uns.“29
Die Repräsentation kehrt in Form von Datenzeichen zurück, sie liefert auf der Grundlage der computerisierten Binärlogik eine Kommunikation ohne Berührung, die sich als Zeichenbeschleunigung herausstellt. Die Verwandlung des Körpers in eine Datei ist eine neu komponierte Repräsentation, die sich auszeichnet durch eine algorithmisierte Berechenbarkeit, welche die Gesetzmäßigkeiten von wahrgenommenen oder interpretierten, vielmehr vorgegebenen Wirklichkeiten neu determiniert. Die vorgeprägten mentalen Repräsentationen erzeugen über ihre immanent wirksame Bildlichkeit in Kombination mit technisch produzierten Bildrepräsentationen einen überkonstruierten Mythos, der gleichzeitig ein unendlich und unsterblich erscheinendes Territorium als Inszenierungsfeld anbietet. Die Wirklichkeit wird an jener Schnittstelle erzeugt, an der sich die Abbilder berühren, überlagern, verfremden oder auflösen. Der Pixelwert wird zum Qualitätsmerkmal der Begegnung. Der Charakter der Bilder ist ein technischer, die Bilder bestehen aus Pixeln und sind Ergebnis von Kombinationen aus 0 und 1. Das wird im Erleben der Immersion gerne vergessen. Flusser hat den Charakter der technischen Bilder umfassend analysiert, indem er sie als Streuung von Strahlen definiert: „Die technischen Bilder werden ausgestrahlt, und an der Spitze eines jeden Strahls sitzt, einsam in die Enge getrieben, ein Empfänger. Auf diese Weise zerstreuen die technischen Bilder die Gesellschaft zu Körnern. […] Diese Strahlen (die Kanäle, die Medien) strukturieren die Gesellschaft, etwa wie ein Magnet um sich herum Eisenspäne strukturiert. […] Die Medien bilden von den Zentren, den Sendern, ausgestrahlte Bündel. ‚Bündel‘ heißen lateinisch ‚fasces‘. Die Struktur der von technischen Bildern beherrschten Gesellschaft ist demnach fascitisch, und zwar fascitisch nicht aus irgendwelchen ideologischen, sondern aus ‚technischen‘ Gründen.“30
29 Vief, S. 272. 30 Flusser, 2003, S. 156.
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Die Zeichensätze werden als technisch gebündelter Strahl in ein Bild übersetzt, der innenliegende Charakter der Bilder schafft auf diese Weise eine nach außen gewölbte Struktur, die die Mitglieder der Gesellschaft zu Körnern macht. Die Vereinzelung im gebündelten Strahl, der als Bild der Wirklichkeit daherkommt, ist zur Dominanten in der Wahrnehmung geworden. Die Technik schafft eine Ordnung der reinen Bilder, die durch Vervielfältigungsschleifen ersetzbar werden, das macht sie zum Gegenstand einer wiederholbaren Repräsentation, die zweifellos die technische Logik zum geschlossenen System der Wirklichkeitskonstitution erhebt. Ganz nebenbei entsteht aus all dieser technologischen Gesetzmäßigkeit, die den Körper zum Bild im Rahmen seiner neu eingerichteten sensomotorischen Sphäre transformiert, ein Territorium, aus dem ebenso neu definierte Habitualisierungen hervorgehen. Diese Umformung des Habitats basiert laut Manfred Faßler auf der Verschiebung der Relevanz hin zur informationellen Wertigkeit: „Als biologisch-ökologischer oder stadt-architektonischer Begriff ist Habitat eingeführt. Mit der Politik der Habitate spreche ich an, das die Daten-, Informations-, Arbeits-, und Kooperationsräume nicht mehr territorial, sondern informationell sind. Habitat nimmt virtuelle Realitäten, Cyberspace, Netzwerke, Online Communities auf. […] Die globale Wolke, aus der wir jeweils mit anderen zu tun haben, ist Komplexität, eine sinnlich völlig entrückte Welt mit enormer praktischer Macht.“31
Die Habitate sind entkoppelt vom territorialen Raum einer Welt der Dinge, stattdessen haben sie sich als Datei in die Information deterritorialisiert. Wie sich diese Deterritorialisieung des Körpers im Cyberspace in Gestalt berechneter Datensätze ausdrückt, möchte ich im Folgenden beschreiben.
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Der Körper wird als Zeichensatz im Kontext einer Berechnung beschleunigt. Die innerhalb der berechneten Virtualität konstruierten Bilder des Körpers passen sich in die vorgefertigte Mythologie einer positivistischen Totalität eines virtuellen Territoriums ein. Der Körper wird als Datensatz in eine Simulation übersetzt und wird auf diese Weise deterritorialisiert. Diese als beschleunigter Datensatz erscheinende Verwandlung des Körpers beschreibt wiederum Bernhard Vief:
31 Faßler, Manfred: Kampf der Habitate. Neuerfindungen des Lebens im 21. Jahrhundert. Wien, 2012, S. 144.
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„Es ist dies eine Metamorphose ganz anderer Art. Statt in Energie, müssen wir uns in Information verwandeln. Und das können wir nur, indem unsere Mobilität ihren physischen Charakter verliert – indem wir sie ersetzen und selber zu elektronischen Zeichen werden. Wir bringen so physische und elektronische Mobilität nicht zur Deckung, sondern entkoppeln sie. Damit erzeugen wir urbane Risse, die unseren Körper erfassen und ihn zerteilen – in Körper und Zeichen.“32
Das Zeichen des Körpers ist auf eine radikale Weise umgewandelt, nicht mehr zählt, was als primäre Berührung eine Begegnung und Bedeutung hervorbringen könnte, sondern der Inhalt eines Datensatzes, der die Beschaffenheit und Eigenart eines Körpers definiert. Der Körper folgt der binarisierten Schrift in die Materialität der Halbleiterprozessorik, indem 0-und-1-Zustände einen jeweiligen Datensatz hervorbringen. Diese als Datensätze angelegte gegenseitige Mitteilung über den Körper äußert sich auf ganz umfassende Methode in der QuantifiedSelf-Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, alles was den Körper betrifft in gemessene Daten zu verwandeln. Der Körper wird zur Quelle eines nicht versiegenden Datenkreislaufes. Evgeny Morozov fasst auf Grundlage eines der Gründer der Bewegung (Gary Wolf) die Erfolgsfaktoren der Bewegung in vier Punkten zusammen. 1. Miniaturisierung der elektronischen Sensoren 2. Allgegenwärtigkeit der internettauglichen Endgeräte 3. Nutzung der sozialen Medien (Facebook und Twitter) 4. Upload in die Cloud Alle vier Punkte zusammen bilden somit die technische Infrastruktur, alle möglichen Daten über den eigenen Körper als Vergleichswert im Zuge einer generellen Optimierung zur Verfügung zu stellen.33 Damit ist der Vollzug einer Vollspeicherung des eigenen Körpers als Datei vorbereitet. Die Übersetzung des Fleisches in eine je individuelle Folge von 0 und 1 ist verwirklicht in der online gestellten Selbstvermessung. Das so vom Körper entstehende Bild lässt sich als binärästhetische Optimierungsrepräsentation bezeichnen, die es ermöglicht, auf Abruf die jeweils erreichte Stufe einer vorgezeichneten Optimierung darzustellen. Morozov hierzu:
32 Vief, S. 272. 33 Vgl. Morozov, S. 384. f.
202 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE „Man klickt mit der Maus oder berührt den iPad-Screen, und ohne einen Gedanken verschwenden zu müssen, erhält man eine komplette digitale Visualisierung von einem selbst.“34
Das Bild des Körpers ist nicht mehr angelehnt an die Darstellung von Körper an sich, sondern zeigt sich als statistischer Satz von Zahlenwerten, die mit Zahlenwerten anderer im Wettbewerb stehen. Dass dies so hervorragend funktioniert, ist nachvollziehbar, denn der im digitalisierten Milieu definierte Mensch muss sich „[…] im Kontext des modernen narzisstischen Strebens nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit […]“35 positionieren. Die Einzigartigkeit ist nirgends besser definiert als in einem exakt mathematischen Darstellungsfeld, der Datensatz wird zur Wahrheitsvergewisserung über den eigenen Körper. Was die Zahl aussagt, nicht was der Körper spürt, entscheidet über sozialen, monetären und psychischen Anschluss oder Ausschluss. Auf diese Weise zirkulieren Daten über Daten unentwegt durch die stets bereiten Kanäle, der Körper ist in diesem Kreislauf als Datensatz individualisiert greifbar und jederzeit verfügbar für jederlei Abruf. Der Zahlenwert im Kontext einer festgelegten Skala bestimmt Rang und Eigenschaft, sowie die noch erforderliche Leistungsspanne zum Erreichen eines jeweils als Optimum formulierten Ziels. Diese Daten sind in erster Linie verwertbar im ökonomischen Sinne, denn „[…] Daten sind ein perfektes Hortungsobjekt für unsere hyperkapitalistische Ära.“36 Die über den Menschenkörper entstehenden Daten werden gesammelt, verwaltet und objektiviert, das Gefüge der Macht ist in dieser Darstellung dank der Digitalisierung des Körpers verfeinert und im wahrsten Sinne kapillarisiert, denn die Daten werden auf der biofaktischen Ebene erhoben. Der Anlass, seine Daten umfänglicher denn je erfassen zu lassen, konstituiert sich beispielsweise über einem als Aspekt der Gesundheit propagierten Ideal, dem sich niemand so recht entziehen kann. Yvonne Hofstetter begreift die Übersetzung des Menschen in einen Datensatz daher als Folge eines „sanften Drucks“, der sich auf diese Weise auswirkt: „Das Gesundheitsarmband hat ihn programmiert und determiniert sein Tun und Handeln. Ein schlechtes Gewissen, Schuldgefühle – hier treten sie wieder auf, die Folgen der Überwachung. Abgelegt hat der Anhänger der Quantified-Self-Bewegung seine Entscheidungs-
34 Ebd., S. 388. 35 Ebd., S. 388. f. 36 Ebd., S. 386.
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freiheit bereits in jenem Augenblick, als er sich für die physische Überwachung durch die mobile Intensivstation entschieden hat.“37
Das Bündnis mit der Maschine wird auf Grund dieser gesteuerten Setzung unumkehrbar, da auf der sozialen, der ökonomischen, der ökologischen, der psychischen, der ästhetischen, der bedeutungsmäßigen und der mythischen Ebene ein Druck zur Anpassung entsteht. Hinter diesem Anpassungsdruck ist die wirkmächtige Repräsentation einer mathematischen Wahrheit in Gestalt einer universal gültigen Übersetzungsarithmetik positioniert, die algorithmisch kalkulierend Datenströme aus Nullen und Einsen verwaltet und fusioniert. Wenn der Körper in seiner Bedeutung zu einem Datensatz umformuliert wird, möchte ich hier darauf eingehen, was ein Algorithmus eigentlich macht. Dazu Yvonne Hofstetter: „Ein Algorithmus ist ein Computerprogramm, […]eine klar definierte Abfolge von Berechnungsschritten, die von einem Prozessor ausgeführt werden. Dabei können wir es belassen, wenngleich sich hinter dem Begriff doch etwas mehr verbirgt, denn eigentlich basiert jedes Berechnungsverfahren auf einer mathematischen Grundannahme, einer abstrakten Aussage oder Theorie, und verkörpert nicht nur immer neu das wiederholt richtige Ergebnis eines Rechenwegs.“38
Die Algorithmen sind quasi die rechnenden Verwertungsprogramme für die im Cyberspace umherschwirrenden Datensätze über den Körper und seine Bewegungen. Wie die Daten zu welchem Zweck in wessen Interesse und in welchem Zusammenhang verwertet werden, ist als das im Hintergrund wirkende Motiv eines Algorithmus zu verstehen. Nora S. Stampfl betrachtet die Algorithmen in ihrer den Alltag formenden Wirkung: „Algorithmen, jene eindeutigen und schrittweise in einer bestimmten Reihenfolge ausführbaren Anweisungen zur Lösung von (mathematischen) Problemen, sind heute derart verbreitet, dass sie gut und gern als Herrscher des modernen Lebens bezeichnet werden können. Sie regeln die Stromversorgung und den Verkehr, sie ersetzen Börsenmakler und entscheiden über unsere Kreditwürdigkeit, sie schlagen uns vor welche Bücher wir lesen,
37 Hofstetter, Yvonne: Sie wissen alles. Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen. München, 2014, S. 248. 38 Ebd., S. 104.
204 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE welche Musik wir hören und welche Menschen wir treffen könnten, sie steuern Produktionsprozesse und suchen uns einen Lebenspartner.“39
Algorithmen können all dies nur aus einem Grunde: Wir liefern Daten über uns, also über unseren Körper, die von Algorithmen fusioniert und in einen ökonomisch programmierten Zusammenhang überführt werden. Der Körper wird anhand klar definierter Datensätze und deren Auswertung zu einem kalkulierbaren Gegenstand biopolitischer Interessen. Die Spuren, die wir im Cyberspace als Datenschatten im Sinne einer ästhetisierten Selbstinszenierung hinterlassen, ergeben ein klar nachvollziehbares Abbild eigener psychosozialer Realität. Algorithmen fassen die Daten aus „[…] Bewegungs-, Beziehungs-, Verhaltens-, und Persönlichkeitsprofilen zusammen, die das digitale Abbild eines Menschen sind.“40 Der als Freiheit empfundene Individualisierungscharakter im Rahmen der über Bilder vollzogenen Selbstinszenierung kehrt sich in eine vorgefertigte Eingrenzung durch ökonomische Interessen um. Die unfreiwillige oder nichtwissentliche Speicherung des eigenen Lebens läuft vollautomatisiert ab, indem durch feine, in Apparate und Maschinen verbaute Sensorik die menschliche Umgebung als dauerberechnete Techno-Ökologie mit allen Bewegungen voll erfasst wird. Diese ökologisch umgeformte Lebenswelt sammelt automatisiert Daten. Stefan Selke verwendet für diesen Prozess der maschinengestützten Erfassung der Lebenswelt den Begriff des „Lifeloggings“, dessen Ziele er umgeben sieht zwischen Inhalt und Rahmenbedingungen: „Oberstes Ziel von Lifelogging-Systemen ist die möglichst automatische und universelle Erfassung von Lebensdaten einer Person. Grundsätzlich können beim Lifelogging mehrere Datengruppen unterschieden werden […]: passive, audiovisuelle Daten, Desktop-Dokumente, Daten aus mobilen Applikationen, biometrische Daten (sog. ‚Vitaldaten‘), Web 2.0-Daten sowie Kontextdaten (z.B. GPS-Koordinaten).“41
Dass aus der Fusionierung dieser Daten ein exaktes digitales Double als Abbild skizziert werden kann, woraus sich biografische, psychosoziale und biologische
39 Stampfl, Nora S.: Die berechnete Welt. Leben unter dem Einfluss von Algorithmen. Hannover, 2013, S. 5. 40 Ebd., S. 36. 41 Selke, Stefan: Vom Mythos digitalisierter Totalerinnerung durch Lifelogging-Systeme. In: Selke, Stefan und Ditller, Ullrich (Hrsg.), Postmediale Wirklichkeiten aus interdisziplinärer Perspektive. Weitere Beiträge zur Zukunft der Medien. Hannover, 2010, S. 109.
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Schlüsse ableiten lassen, liegt nicht mehr auf der Hand, sondern in der Cloud. Die Inszenierung eines Selbst geht auf diese Weise über in eine berechenbare Prozessorleistung, die an anderer Stelle von algorithmisierten Ketten ausgewertet wird. Im positiven Sinne kann das daraus entstehende Abbild des Menschen eine zweckmäßige digitale Visitenkarte sein, im negativen Sinne kann das entstandene Abbild sich als verzerrte Kopie quasi verselbständigen und außerhalb der eigenen Kontrolle zu einem, wie es Yvonne Hofstetter nennt, „virtuellen Zombie“42 werden. Diese Daten werden zu einem unübersichtlichen, nicht mehr selbst kontrollierbaren Datensatz, Hofstetter dazu: „Das führt dazu, dass Big Data eine private Person öffentlich macht oder die öffentliche Person gleich zum virtuellen Zombie zusammenrechnet. Das Resultat der Big-DataFusion: Für das Subjekt persönlicher Daten wird sein virtueller Zombie zum blinden Fleck. Der Mensch weiß nicht mehr, was andere über ihn wissen. Seine Kommunikation ist kompromittiert; obwohl er nicht aktiv kommuniziert, ist ungewollt eine öffentliche Person entstanden.“43
Auf diese Weise entfaltet sich eine technologische Umgebung, die eigentlich installiert wurde, um das Leben zu vereinfachen, in der Entwicklung allerdings Zustände der Abhängigkeit und Unwissenheit hervor ruft, die nach neuen Techniken verlangen. Technik soll also die von Technik erzeugten Probleme wiederum lösen. Hieraus entsteht ein immerwährender Kreislauf aus vermeintlicher Optimierung und Innovation. Zwischen diesen Innovationszyklen werden Daten über Daten generiert, die permanent neue Zerrbilder der Techniknutzer produzieren. Dass die virtuelle Realität des Cyberspace überhaupt einen solchen Einfluss entfalten kann, liegt an der unterstellten Inszenierungslust der Nutzergemeinde, die trotz des Wissens der kommerziellen Nutzung der Daten weiter über sich Daten absondern. Nora S. Stampfl sieht diese Paradoxie im Verhalten im Darstellungsdrang der Individuen begründet: „Die Geschäftsmodelle der sozialen Netzwerke und der vielen anderen Datensammler stehen und fallen mit der veränderten Einstellung gegenüber Privatheit, Offenbarung und Persönlichem und schierem Darstellungsdrang. Es ist ganz einfach: Der Fluss der Daten darf nicht versiegen, fressen sich die Algorithmen in immer weitere Bereiche unseres Le-
42 Hofstetter, S. 263. 43 Ebd.
206 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE bens vor. Dabei kommen den Datensammlern der Darstellungsdrang und die Identitätssuche des Menschen im Internet gerade zu pass.“44
Neue Computerspiele oder sexuelle Praktiken, die den Körper als Teil einer virtuellen Realität, als Aspekt einer Maschinenlogik verstehen und in die vorgefertigten und programmierten Wirklichkeiten einfügen, sind auf der Wahrnehmungsebene bereits sehr immersiv. Diese Wirkung wird sich mit der weiteren Miniaturisierung der Maschinen noch verstärken, denn wenn zur Erzeugung von virtueller Realität Kontaktlinsen ausreichen, wird das kleine Stück Technik vom Körper leichter denn je angenommen. Die Maschinen werden durch den alltäglichen Gebrauch und ihre gleichzeitige Nützlichkeit mehr und mehr unsichtbar, sie werden selbstverständlich. Allerdings wird dabei auch die Funktionsweise der digitalen Maschinen noch weiter ins Abstrakte gerückt. Diese zwei Seiten des technischen Gebrauchs skizziert Bolz: „Die Gadgets sind leicht zu bedienen, aber schwer zu verstehen. Die Technik verbirgt sich gleichsam im Vertrauen der Nutzer. Wir könnten deshalb die Technik des Black Boxing als Verschwinden der Technik in der Benutzerfreundlichkeit definieren. Jedes Interface ist eine Zwei-Seiten-Oberfläche, die zwei Black Boxes gleichzeitig verbirgt: das psychische System und die komplizierte Technik. Deshalb kann man mit den Gadgets operieren, ohne ihren theoretischen Hintergrund zu verstehen. Technizität heißt kontextfreie Übertragbarkeit.“45
Die Motivation des Gebrauchs und die komplexe Installation der algorithmisierten Maschinen vermischen sich zu einem ineinander verwobenen Komplex, der sich in der gegenseitigen Beeinflussung als kaum noch reflektierbar darstellt. Der Aspekt des „Kontextfreien“ wiegt dabei besonders, denn im Unwissen über die in der Maschine herrschende Schrift und Logik wird ein neues Mysterium aufgetan, das über die „Benutzerfreundlichkeit“ eine intime Beziehungsdimension mit dem Gadget ausbildet, die in ihrem Effekt verschränkt und gleichzeitig unscharf ist. Meines Erachtens zeigt sich an dieser Stelle eindrucksvoll der im Rahmen der Phänomenologie beschriebene „blinde Fleck“, denn die vom Körper vollzogene Verbindung mit der ihn umgebenden technischen Apparatur durchdringt primär und zunächst unreflektiert eine gegenseitig erzeugte Materialität. Der mit der Technik in Verbindung gebrachte Körper folgt einer Inszenierungskette an deren Ende der menschliche Körper im Schmelz mit den Dingen liegt.
44 Stampfl, S. 24. 45 Bolz, S. 99.
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Christoph Wulf legt den darin liegenden performativen Charakter der Dinge offen, indem er hinter der Benutzerfreundlichkeit eine motivierte Inszenierung offen legt: „Viele Produkte werden so hergestellt und arrangiert, dass sie Menschen ansprechen und auffordern, in einer bestimmten Weise mit ihnen umzugehen. Häufig liegt der Art und Weise, wie diese Produkte in Erscheinung treten, eine Inszenierung zugrunde, deren Voraussetzung die Materialität der Gegenstände ist. Entsprechendes gilt auch für die Erzeugnisse der Technik und die elektronischen Medien.“46
Die Dinge stehen nicht absichtslos im Raum, sie folgen einem dahinter liegenden Imperativ, der sich als marktlogische Dimension offenbart. Dass der Körper auf der phänomenologischen Ebene sich an die Welt und die Dinge anschmiegt, liefert ihn in diesem Augenblick dieser Absicht aus. Das praktische Handlungswissen im Umgang mit den absichtsgeladenen Dingen, die mit dem Körper eine Einheit eingehen, erzeugt aus der Anwendung heraus eine stabilisierende Ritualisierung, diese Prozesskette „[…] ist nur in begrenztem Maße theoretisierbar.“47 Anders gesagt ist es teilweise nicht reflektierbar, die Fakten werden im blinden Fleck bereits vom Körper unumkehrbar geschaffen. Medienpädagogische Beurteilungen müssen mit dieser theoretischen Lücke, die sich als semantische darstellt, umgehen und gleichzeitig, die Hintergründe, also in den Dingen enthaltene Diskurse, als Tiefe innerhalb einer Materialität zwischen Artefakten und Körpern markieren können. Das Eindringen der Technik in den Körper in Form von Implantaten ist als weitere Entwicklungsstufe hin zur Verschmelzung von Körper und Technik zu betrachten. Wie die FAZ berichtet, sind in Schweden Büroangestellte freiwillig dazu bereit, sich einen RFID-Chip implantieren zu lassen.48
46 Wulf, Christoph: Die mimetische Aneignung der Welt. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 21. 47 Ebd., S. 22. 48 http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/rfid-chip-bueroangestellte-schwe den-13438675.html
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D IGITALE ÄSTHETIK
ALS DESIGNTER I MPERATIV
Dass diese Praktiken sich als Habitualisierung einer durch Technik vermittelten und vorgefertigten Ästhetik darstellen, heftet sich an die Idee der Selbstinszenierung an, wobei es sich hier eigentlich um die Inszenierung von Selbsten handelt. Denn ein verlässlich genuines Selbst wird in einer derart manipulierbaren Umgebung nicht mehr geschaffen, sondern vielmehr eine Reihe von Möglichkeiten, Daten im Sinne eines Interesses in diese oder in jene Richtung zu interpretieren. Jean Baudrillard spricht daher auch vom fraktalen Subjekt. „Ein fraktales Objekt zeichnet sich dadurch aus, daß sämtliche Informationen, die dieses Objekt bezeichnen, im kleinsten Einzeldetail einbeschlossen sind. In demselben Sinn können wir heute von einem fraktalen Subjekt sprechen, das in eine Vielzahl von winzigen gleichartigen Egos zerfällt, die sich auf gleichsam embryonaler Ebene vermehren und durch fortdauernde Teilung ihre Umgebung besetzen.“49
Die Fraktalisierung eines Subjektes in verschiedene, aber dennoch gleiche Kopien ist erst durch die Nutzung und Annäherung von Körper und Maschine möglich. Diese Zusammenhänge von Maschine und Mensch sind als Handlungspraktiken mit einem ästhetischen Gehalt zu begreifen, daher möchte ich in diesem Kontext kurz auf die Überlegungen zur Ästhetik von Bazon Brock zurückgreifen, um damit das technisch-körperliche Gefüge als konstitutives Bedingungsfeld temporärer Identitäten als Folge ästhetischer Entscheidungen beschreiben zu können. Für Brock ist Ästhetik als Lehre einer Verortung in der Welt zu verstehen. Dies setzt für ästhetische Urteile rekapitulierbare ästhetische Begründungen voraus. Zwischen Urteil und Begründung besteht ein Unterschied. Dieser Unterschied definiert sich über die Lebenspraxis des Urteilenden und dessen Handeln und Verhalten. Ästhetische Urteilsbegründungen werden anerkannt, wenn Haltungen und Handlungen des Urteilenden aus einer Bedingtheit des Wahrnehmens und Urteilens heraus in den Urteilsbegründungen enthalten sind. Dann ist Ästhetik als Vermittlung zwischen Ich und Welt zu verstehen, denn Urteilsbegründungen beruhen auf eigenem Handeln und Verhalten im Kontext von Umgebung und Begegnung. So verstandene Ästhetik eröffnet Möglichkeiten, eigenes Handeln und Verhalten auf einer Beurteilungsebene zu bestätigen oder zu verwerfen. Das bedeutet, dass Ästhetik eine Praxis der Vermittlung äußerer Umstände und eigener Aneignung ist. Dies ist im Sinne einer Konstituierung des Handelns und
49 Baudrillard, 198, S. 113.
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Verhaltens verstanden. Entscheidend ist hierbei der Objektbereich einer solchen Ästhetik, dadurch lassen sich abstrakte Aussagen durch Handlung, Umformung und Materialisierung vergegenständlichen. Diese Ebenen sind angesprochen in Kunst, Sprache und Technik, die jeweils durch rezipierende Subjekte aus der Reflexionsebene heraus repräsentierte Gesamtzusammenhänge in Erfahrung und Handeln überführen. Ästhetik ist also ein Kommunikationsmodus, der in der Objektwelt Äquivalente gegenseitigen Verständnisses schafft.50 Bazon Brock beschreibt sehr eindeutig, dass die Ästhetik als eine Form der Differenzierung und Orientierung im Austausch mit der Umwelt zu verstehen ist. Dies gilt insbesondere auf Grund der wirksamen gegenseitigen Verschränkung von Körper und Umgebung. Ästhetik ist daher in Verbindung mit der Phänomenologie zu denken, denn die Urteile und gegenseitigen Querverweise von Bedeutungen, die aus der gegenseitigen Beeinflussung von Körper und Umgebung entstehen, resultieren aus einer vorhandenen Dynamik, die zwischen konstruierten Bedeutungen Ausdruck findet. Anders ausgedrückt beschreibt die Ästhetik die Unterschiedlichkeiten der Art und Weise des Zugangs zur und die Kommunikation mit der Welt. Kurz: das Wie. Übertragen auf den Cyberspace und seine Durchdringung des Lebensraumes ist die Ästhetik als eine verhaltensbedingte Umformungsdimension zu betrachten, die, von einer gesamtgesellschaftlichen Dynamik getrieben, eine Wirklichkeit konstituiert, die als ästhetisch-technologisierter Imperativ die Verhaltensund Wahrnehmungsebenen gravierend einschließt. Auf die darin wirksamen Verhältnisse hindeutend, ergänzt Norbert Bolz die von Baudrillard beschriebene Fraktalisierung des Selbst als Ausweitung desselben. Er beschreibt die Konsequenzen einer solchen Ästhetik als Lebensdesign, dort sind die Geräte, die die Fraktalisierung ermöglichen, als selbstverständliche Teile einer Praktik, die sich alltagstauglich wie Kleidung zeigt: „Wie Kleider tragbare Computer, die als Informationsassistenten funktionieren, zeigen sehr schön den Paradigmenwechsel an, der die fortschreitende Digitalisierung unserer Lebensverhältnisse bestimmt. Der Computer wird von der Black Box zum Kleidungsstück und schließlich zum Implantat.“51
Beurteilungen über die komplex entstehenden Verbindungen werden nicht mehr von einer auf ein Selbst bezogenen Vernunft geleistet, sondern von den in den
50 Vgl. http://www.bazonbrock.de/werke/werkansicht_text.php?wid=54&cid=318 (letzter Zugriff: 26.05.2013. 12.00 MESZ) 51 Bolz, S. 105.
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Computern wirksamen Algorithmen. Eine solche Ästhetik verschiebt sich insgesamt in eine geschlossene Systematik einer computationalen Berechnung und Beurteilung. Dies läuft als unsichtbares Regelwerk im Hintergrund, im Vordergrund auf der Erlebensebene wird das Subjekt in Einzelteilen als fraktales Gebilde konstituiert. Inwieweit allerdings aufgrund der Wucht und Beschleunigung der Entwicklung noch eine reflexive Ebene der Beurteilung im Rahmen einer mit der Maschine verknüpften Persönlichkeit möglich sein kann, ist zumindest gerade dann in Frage zu stellen, wenn die Reflexion und Beurteilung von gesellschaftlichen und individuellen Zusammenhängen von Algorithmen übernommen wird. Das besondere am Cyberspace ist die mehrdeutige ästhetisch aufgeladene Medialität, die sich einerseits als offenes Arrangement darstellt, indem Information und Darstellung ununterbrochen verfügbar sind. Andererseits ist der Cyberspace ein geschlossener Funktionsraum, der lediglich auf mathematischen Bezeichnungen basiert und daraus auf seine beschränkt immanente Logik verweist. Die Ästhetik des Cyberspace ist eine rein positivistische und geschlossene. Die Gestalt und Wirkung dieser Ästhetik ist unbedingt an den technischen Beschleunigungsgrad gekoppelt. Hartmut Rosa fasst diese Beziehung treffend zusammen: „Weil der Prozess der technischen Beschleunigung unablässig dazu tendiert, das jeweils etablierte Raum-Zeit-Regime und mit ihm die sozialen, die dinglichen und die SelbstBeziehungen der Subjekte zu transformieren, treibt er auch den logisch und analytisch unabhängigen Prozess des sozialen Wandels an. Die Verbreitung des Automobils oder die Etablierung des Internet haben so beispielsweise gravierende Folgen für die sozialen Bewegungs- und Transaktionsformen und Freizeitpraktiken, ja sogar die Art der Assoziationsstrukturen und die Identitätsmuster gezeitigt. Technische Innovationen stellen deshalb eine mächtige Triebfeder des sozialen Wandels dar.“52
Die technologische Innovation beeinflusst das „Wie“ der Begegnungen und Verhältnisse in gravierendem Umfang, die Technik ist daher als eine ästhetische Dimension zu betrachten, die erheblichen Einfluss auf die Inszenierungen eines biographischen, gesellschaftlichen oder historischen Selbst hat.
52 Rosa, S. 471.
5. Cyberspace – Theater aus der Maschine
Der Cyberspace und die neuen Medien sind nach dem bisher Beschriebenen quasi eine Theaterbühne. Der Körper ist im Cyberspace als Medium ebenso Ausgangspunkt einer Interaktion, jedoch sind es hier stets Körperbilder in Apparaten, die als Rezeptionspunkt dienen. Der Computer ist hierbei als Trägermedium des virtuellen Cyberraums zu kennzeichnen. Es findet eine Umkehrung des Sehens statt, das zu Sehende ist die eigene inszenierte Virtualität im Netz (Onlinegames, Avatare, soziale Netzwerke und Chatrooms). Neben der vom Blick abhängigen Überblähung des Auges ins Bild habe ich heraus gestellt, dass der Körper aus phänomenlogischer Sicht eine irrationale bis unbewusste Verbindung mit den ihn umgebenden Dingen eingeht. Die technologischen Artefakte rücken, wie beschrieben, mikroskopisch nah an und in den Körper und transportieren die in den digitalen Artefakten enthaltenen Inhalte als Botschaft auf der Handlungsebene in die konstruierte Materialität der Habitate. Dabei möchte ich im Weiteren einen Blick auf die hinter den Bildern und Artefakten liegenden Zusammenhänge richten, die sich aus der Inszenierungsarchitektur eines wie auch immer gearteten Selbst im Digitalen ergeben. Eines ist bisher spürbar geworden, die auf der Erlebnisebene erzeugten Konsequenzen des digitalen Settings lassen gewaltige Effekte wie Zeitlosigkeit und Raumformung hervortreten. Was hier in seinen Wirkungen beschrieben vorliegt, ist eine umfängliche Neuordnung aller Lebensbereiche, die aus meiner Sicht einer langen Tradition der Macht folgt. Denn die Verknüpfungen von Macht und technologischer Entwicklung legen eine Ordnung von territorialen Habitaten fest, die auf der Ebene der Selbstkonstitution einer strikten Dramaturgie und Geschlossenheit folgen, die trotz der Beschleunigung und scheinbaren Entmaterialisierung des Körpers einem gar nicht so neuartigen Prinzip folgen. Die Wurzel zur theatralen Inszenierung von Gesellschaftsverhältnissen und ihrer dahinter liegenden Struktur ist, wie dargelegt, von Riten zur Antike bis heute als Prinzip wirksam. Diese Gesellschaftsformung ist, für die heutige Zeit relevant, in der Renaissance mit
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höchster Raffinesse eine Einheit mit Technik und Macht eingegangen und hat sich von der Theaterbühne als Exempel ausgehend auf die gesellschaftliche Ebene übergreifend als Prinzip einer totalen Repräsentation etabliert. Diesen Zusammenhang beschreibt Baudrillard folgendermaßen: „Die gesamte Technologie und Technokratie sind hier schon angelegt: die Anmaßung einer idealen Imitation der Welt, die sich in der Erfindung einer universellen Substanz und einer universellen Kombinatorik der Substanzen ausdrückt. Die (durch die Reformation) entzweite Welt durch eine homogene Doktrin wieder zu vereinen, sie durch eine einzige Sprache zu universalisieren, […] eine politische Staatselite mit einer zentralisierten Strategie zu bilden: […] Der Organisationsapparat ist ein effektives Simulakrum, genauso wie der Prunk und das Theater […]“1
Was wir heute erleben ist die Wiederholung eines machtstrategischen Dogmas, nämlich über technologisch angelegte Kanäle das Schauen als Mittel einer normativen Ordnung zu etablieren. Die Organisation einer auf technologische Parameter abgestimmten Ordnung zielt darauf ab, die Imitation der Lebensräume, via virtueller Simulation, insofern auf die Spitze zu treiben, als dass die von Bildern und Daten überladene Wirklichkeit zur totalen Wahrheit transformiert wird. Die Szenerien innerhalb der auf diese Weise umfassend eingeschlossenen Inszenierung des Lebens folgen technischen Sprach- und Zählcodes und bilden nach und nach eine unausweichliche Zentralisierung des Denkens und des Handelns aus. Die sich ergebende Homogenisierung der Erfahrungen durchkreuzt sämtliche Lebensbereiche und dringt hiernach tief in die körperliche, materialisierende Struktur ein. Diese Strategien sind politisch, ökonomisch und repräsentativ evident. Die Visualisierungen in der virtuell konzipierten Realität vermischen nicht nur das Empfinden und Verstehen von Wirklichkeit und eigenem Körper, sondern verabsolutisieren das Bild im Display zur Totalität einer geschlossenen Systematik, in der der lebendige, also nicht-virtuelle Körper unsichtbar und distanziert wird. Dietmar Kamper stellt dies eindrücklich heraus: „Was nicht sichtbar ist, ist nicht wirklich. Nur das, von dem es ein Bild gibt, hat Realität. Aber die ist tot, wie das Bild. Alles Andere, alles Lebendige: das Hörbare, Riechbare, Schmeckbare wird an den Rand und darüber hinaus gedrängt. In Betracht einer solchen
1
Baudrillard, 2011, S. 96.
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Gewalt kann man für den lebendigen Körper nur Unsichtbarkeit reklamieren. Der lebendige Körper ist heute der unsichtbare Körper.“2
Dabei spielen die eingesetzten Bilder für die Wirksamkeit der Virtualität eine besonders tragende Rolle, da das Sich-Selbst-Darstellen im Cyberspace dank der installierten Apparateketten problemlos über die ästhetisch bedachte Inszenierung produzierter Bilder gelingt. Das Sich-Selbst-Darstellen folgt der Maxime der Homogenisierung innerhalb einer technisch-ökologisch umgeformten Wirklichkeit. Digitale Bildproduktion verspricht Entlastung von der Realität, indem über die Dauerbebilderung eine Distanz zum Körper geschaffen wird. Das überblähte Auge erzeugt den überblähten Blick und schiebt die weiteren Sinne der Wahrnehmung an den Rand. Das Schwere und Verwundbare des Körpers soll sich im Schmelz mit und in der Darstellung in der Maschine in eine neue Sphäre materieller Konsequenzlosigkeit hinein übersetzen. Byung Chul Han weist auf diese Verschiebung hin: „Heute erfasst der Optimierungswahn auch die Bildproduktion. Wir flüchten uns in die Bilder angesichts der als unvollkommen empfundenen Realität. Es sind nicht Religionen, sondern Optimierungstechniken, mit deren Hilfe wir uns der Faktizität wie Körper, Zeit, Tod etc. entgegenstellen. Das digitale Medium ist defaktizierend. Das digitale Medium ist ohne Alter, Schicksal und Tod. In ihm ist die Zeit selbst eingefroren. Es ist ein zeitloses Medium.“3
Die erlebte Zeit und der beschrittene Raum werden durch die digitale Bilddominanz zu kontingenten, nicht mehr nur relativen Dimensionen. Dass damit insgesamt eine Verschiebung der Wirklichkeitskonstitution beschlossen wird, habe ich in der Verschmelzung der Technik mit dem Körper aufgrund seiner phänomenologischen Formbarkeit belegen können. Die Bildsprache dringt in die Körpersprache ein und dominiert in der Folge die Grenzen und Räume der Wahrnehmung sowie deren Gültigkeit. Dabei sind die im kontingenten Bildraum inszenierten Subjekte fraktal, also als Konstruktionen einer Zersplitterung begriffen. Die Bedeutungen für die Verhältnisse sozialer Begegnung und der Vergewisserung einer Identität werden auf Basis der Fraktalisierung unüberschaubar für die Subjekte. Für die Ordnung der
2
Kamper, Dietmar: Der Körper, das Wissen und die Spur. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 169.
3
Han, 2013, S. 43.
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technischen Umgebung wird dadurch allerdings eine Repräsentation erzeugt. Baudrillard hierzu: „Wie das fraktale Objekt bis ins kleinste seinen elementaren Teilchen entspricht, trachtet auch das fraktale Subjekt danach, sich selber in seinen Bruchstücken anzugleichen. Diesseits jeder Repräsentation fällt es zurück zum winzigen molekularen Bruchteil seiner selbst. Ein eigentümlicher Narziß: es sehnt sich nicht mehr nach seinem vollkommenen Idealbild, sondern nach der Formel einer endlosen genetischen Reproduktion.“4
Die Repräsentation rückt als ästhetischer Fluchtpunkt in eine sich in sich selbst bespiegelnde Subjektivität ein, die selbst keine Anhaltspunkte eines Äußeren aufzuweisen scheint, da alles, was zur Konstitution benötigt wird, in sich selbst enthalten scheint. Dieses Selbst wird als Bild auf Grundlage technischer Sprachund Schriftlichkeit zum zersplitterten Ideal, das immerzu kopiert werden kann. Die technische Sprache wird zum ins Bild übersetzten Zentralorgan einer auf Flüchtigkeit und Warenwert ausgerichteten Information in Dateiform. Dieses Arrangement ist aus meiner Sicht die neue Superrepräsentation, die zur Bestätigung keine sichtbaren Repräsentanten mehr benötigt außer der totalen Verbindung aller mit allem, also auch den Dingen. Die zwischen den Maschinen und den sie bedienenden Körpern erzeugten Datenströme sind als erlebter Effekt von Wirklichkeit eine Art Wissensschöpfung, die den Anspruch auf Totalität erhebt. Wissen wird eingeschlossen, da es innerhalb dieses Arrangements von Daten, Maschine und Körper nur auf diese Weise gültig ist. Die Konsequenz für die Wissensvermittlung oder für das Wissensverständnis ist weitreichend, denn die Wissenszirkulation ist aufbewahrt in einen Kreislauf aus Daten, die von Ort zu Ort scheinbar immateriell transferiert werden. Thomas Metten sieht diese Wissensrepräsentation vor dem Hintergrund einer Immaterialisierung als Körperabwertung: „Gerade ein solches Verständnis symbolischer Wissensrepräsentationen setzt voraus, dass das Medium lediglich der Übertragung und Speicherung in Sprache, Schrift, Bild etc. dient. Die Konstitution des Wissens ist unabhängig vom Medium, dass als ein bloß Äußeres gleich einem Container eine Hülle bildet. Eine solche Abwertung des Körpers ist mit den Tendenzen zur Immaterialisierung verbunden.“5
4 5
Baudrillard, 1989, S. 113. Metten, Thomas: Von der virtuellen Realität zum symbolischen Handeln. Das Internet als Lernort zwischen medialer Vermittlung und ästhetischer Erfahrung. In: Westphal,
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Die Distanz zum Körper wird größer, indem das Wissen als Aspekt eines Selbst der zwischengeschalteten Größe einer übergeordneten Repräsentation von Konnektivität dient. Die Verbindung mit dem Maschinennetz ist repräsentativ für die neu definierten Qualitäten des Lebens. Je dichter und vielfältiger die Verbundenheit, desto qualitativer, desto leistungsfähiger, desto potenter, desto höher der Grad an Anerkennung und Integration innerhalb der zähl- und messbaren Ordnung. Die Oberfläche der Bilder erscheint im globalen Ausmaß glatt und einschlägig und wird bis in den letzten Winkel als Gültigkeit einer nicht in Frage stehenden Realität transportiert.6 Die totale Information ist überall zu empfangen und rezipierbar, da alles zur Information gemacht wird. Der Cyberspace wird so zur totalen Theaterbühne, die keine Zweifel mehr zulässt, alles ist immer und überall möglich. Mittendrin der Körper in einer kaum abgrenzbaren Doppelrolle als Imaginationsobjekt und Transformationsmaterial. Die Ausgestaltung und Dynamik dieser Theaterbühne haben wir Menschen allerdings der Logik des Computers überlassen, denn die verselbständigten Programme schaffen im Cyberspace selbst und um uns herum eine Wirklichkeit, die sich aus der Logik der Maschine heraus begründet. Dabei sind wir zu passiven Beobachtern sich selbst steuernder Maschinenprozesse, also zum passiven Publikum eines binär berechneten Theaters geworden, das über die Installation einer automatisierten Technik in die völlige Repräsentationsmaschine der vernetzten Ordnung übergeht. Mit der Digitalisierung hat sich dieser Prozess der sich selbst organisierenden Maschinensysteme beschleunigt, diesen Umstand nimmt Mercedes Bunz auf: „Digitalisierung geschieht, und es war nicht an uns Menschen zu entscheiden, ob das Wissen automatisiert werden soll oder nicht. Die Logik der Technologie […] entzieht sich unserem Zugriff. Wir müssen akzeptieren, dass die Technologie, auch wenn sie unsere Erfindung ist ein Eigenleben führt.“7
Dazwischen der von onlinefähigen Dingen umschlossene Körper, der unablässig von Sensoren gescannte Daten liefert. Die Körper sind durch diesen neu konzipierten Technoökologismus im globalen Netz online geschaltet, indem der Kör-
Kristin (Hrsg.), Orte des Lernens. Beiträge zu einer Pädagogik des Raumes. Weinheim und München, 2007, S. 240. 6
Das Netz der in der Stratosphäre hängenden Onlineballons von Google verschont keinen Flecken. Niemand kann sagen: Ich war nicht online. Die totale Information ist überall zu empfangen und rezipierbar.
7
Bunz, Mercedes: Die stille Revolution. Berlin, 2012, S. 63.
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per selbst Teil eines weit verzweigten adaptiven Apparatenetzes wird. Niemand kann mehr sagen, nicht dabei zu sein, die totale Integration von den Bildern, den Blicken, den Schaltkreisen und den Nervenbahnen. Das Internet der Dinge ist der Oberbegriff, der dieser neuen Technoökologie als habitualisierter Gegenstand in Form eines territorialen Gefüges entspricht. Auf diesen Umstand verweist Manfred Faßler: „In digitalen Netzwerken werden körperlich-gegenständliche Erfahrungen reduziert und ins Grenzenlose erweitert. Sie werden auf die Ökonomie informationeller Aufmerksamkeiten bezogen. Technologisch echtzeitige ungegenständliche Zusammenhänge entstehen, deren Programme zugleich mit „dinglicher Macht“ agieren (Internet der Dinge). Sie fordern den menschlichen Körper in voller sinnlicher Aufmerksamkeit.“8
Jedes Ding ist mit jedem anderen verknüpft und taktet pausenlos Daten in den algorithmischen Gesamttext ein, der sich als Gestalt einer neuen Natur zeigt. Die Umgestaltung körperlicher Tatsachen, die als Resultat einer Neudefinition der Ökologie greifbar hervortritt, ist die Konsequenz der auf diese Weise verschobenen Habitate. Auf phänomenologischer Ebene kooperieren die Körperlichkeiten miteinander, also das Material des Menschen mit dem Material der Maschine. Fleisch und Blut des Menschen kooperiert mit Metall und Plastik der Maschine. Zwischen dieser körperlich-dinglichen Verbindung erzeugen sprachliche wie technologische Bedeutungsfelder ihre Wirksamkeiten innerhalb der habitualisierten Umgebung als neue Ökologie. Der Ausdruck dieses Milieus äußert sich in der gewandelten Organisation von Verhältnissen, des Austauschs und der Bedingungen der unterschiedlichen Körper zueinander.
D AS U NBEWUSSTE
UND DIE
APPARATE
Die Schmelzpunkte und -flächen der biologischen und technologischen Körper erzeugen einen für die körperliche Wahrnehmung nicht mehr gänzlich fassbaren Raum. Zwischen den Objekten, den Dingen und Körpern tritt eine Verbindungsebene auf, die nicht sichtbar ist, da sie aus ihrer Bewegung und Dynamik die Wahrnehmung des Körpers überfordert. Dies deutet auf eine nicht sichtbare Sphäre, die offensichtlich parallel neben, über oder unter uns stets aktiv ist. Mit Deleuze und Guattari wird diese Sphäre als zirkulärer Prozess verstanden, der das oppositionelle Muster von Natur und Mensch auflöst:
8
Faßler, S. 15.
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„[…] Mensch und Natur stehen sich nicht wie zwei distinkte Begriffe gegenüber, auch nicht in einem Kausalverhältnis oder einer Beziehung der Erkenntnis oder des Ausdrucks (Ursache-Wirkung, Subjekt-Objekt, usw.), vielmehr bilden sie die gemeinsame Realität von Produzent und Produkt. Die Produktion als Prozeß übersteigt alle idealen Kategorien und stellt derart einen Kreis dar, dem der Wunsch immanentes Prinzip ist.“9
Der Prozess als solcher ist unsichtbar, allerdings deuten die Wirkungen des Prozesses auf den Prozess. Das beschreibt jenen Schmelz des Körpers mit seiner Umwelt und den darin befindlichen Dingen. Die Trennung in Mensch und Natur ist ein konstruiertes Gefälle, das dem phänomenlogischen Prinzip der Verschränkung der Dinge zuwiderläuft. Auf der phänomenologischen Ebene sind Objekte und Subjekte unschlüssig und weit geöffnet, das daraus Hervorgehende lässt sich im Kontext der digitalen Technologisierung der Verhältnisse nicht mehr mit den Mitteln einer als Bewusstsein regulierenden Kategorie greifen oder steuern. Dies deutet auf die oben beschriebene Neukonstruktion der Natur, die nicht mehr trennt zwischen Mensch/Technik/Natur, sondern dies als Eines versteht. Dies ist als Prozess verstanden, der zunächst aus der Dynamik begründet entsteht und abläuft. Die Konstitution eines solchen Theaters ist eigentlich nicht in der Hand eines regulativen, über den Dingen stehenden Geistes. Wenn es um Verständnis oder Erkenntnis individueller Gewissheiten geht, kann dies daher lediglich ein Arrangieren von Kompromissen sein. Wir sind mit unserer leiblichen Ausstattung nicht mehr in der Lage, die technisierte Umgebung zu begreifen, vielmehr ist auf dieser Ebene der aus der Bewegung hervorgehende und durch technische Abläufe algorithmisierte blinde Fleck umrissen. Frédéric Neyrat nähert sich dieser Begebenheit, indem er dieses Arrangement des Nichtwissens als Unbewusstes klassifiziert: „[…] ingeniöse Machination. All diese synthetischen Identifikationen scheinen tatsächlich von einem beständigen erfinderischen Prozess durchzogen zu sein, der dem Geist keine Zeit lässt, zu atmen und kurz innezuhalten, um die heilsame Übung der Definition und Klassifizierung zu vollziehen.“10
9
Deleuze/ Guattari, 1977, S. 10. f.
10 Neyrat, Frédéric: Das technologische Unbewusste. Elemente für eine Deprogrammierung. In: Hörl, Erich (Hrsg.), Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Berlin, 2011, S. 147.
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Eine gegenseitige Adaption von Körper und Maschine, die als gemeinsam vollbrachte „ingeniöse Machination“ in kraft tritt, ist als gemeinsamer Körper auf einer rhizomatischen Schicht einem über den Dingen schwebenden Geist oder Bewusstsein immer einen Schritt voraus. Geist und Bewusstsein sind angewiesen auf verlässliche Identität und Begrenzung von Körpern, genau dies ist jedoch mehr und mehr in Frage gestellt, wenn sich die Dinge in einem Schmelz befinden. Die Lücke, das Fehl oder der Riss, also die Ungewissheit zwischen Körper und Bewusstsein, zeigt sich im technologisch überfrachteten Gemenge als erkenntnisfreie Dimension. An diesem entstehenden Punkt der Ungewissheit tritt erneut die auf Vorstellungen und Gedanken konstruierte Repräsentation auf die Bühne, um den Zustand eines Signifikats herauf zu beschwören, anhand dessen sich willkürliche Bedeutungsketten der Signifizierung als Kontexte der Macht definieren lassen. Das Prinzip einer Bedeutungskonstitution kehrt wieder, im vom Geist als Bewältigungsstrategie konstruierten Arrangement von Lücke, Signifikat und respräsentativer Signifizierung durch Sprache und Schrift, diesmal verfeinert und erweitert durch die binärlogische Schrift des Computers. Dadurch lassen sich mehr denn je die unerklärlichen Bedingungen eines Unbewussten zu Recht bedeuten. Jedoch sollte die Aufmerksamkeit in dieser Entwicklung darauf gerichtet werden, dass die Bedeutungen im digitalisierten Kontext, tief verankert in den algorithmischen Berechnungen eines ökonomisch geschlossenen Interesses, beschrieben werden, das heißt der Geist ist in diese Richtung logisch eingeschlossen, die Vorstellungen, die Zuweisungen, die Interpretationen und die Handlungen folgen dieser im Voraus berechneten Denkrichtung. Daher sind die Entscheidungen von Richtung und Verschmelzung des Körpers mit den technischen Artefakten in einer algorithmischen Vorprägung zu begreifen. Der Prozess der Verschmelzung ist unsichtbar und läuft als Ereignis ab, dahinter rattert aber die mathematische Schrift, die die Apparateketten samt Körper einer einprogrammierten Logik überführt. Die Inszenierung eines Selbst ist in einem solchen Kontext lediglich als Bruchstück einer Gesamtbewegung zu betrachten. Daraus ergeben sich zweierlei Prozessflächen, einerseits ist jene aus einer phänomenologischen Sichtweise auf die Körper zu markieren, dies zeigt sich im Schmelz des Körpers mit der Umwelt und den darin befindlichen Dingen, dabei ist es unerheblich, wie diese Umwelt sich gerade ökologisch darstellt. Andererseits ist diese Umwelt inzwischen in einem solch gravierenden Umfang technologisch vorgeprägt und darin geschlossen konstruiert, dass die gegenseitige Einbettung offensichtlich ein neues Unbewusstes konstruiert. Dieses Unbewusste ist für den Menschen auf undurchdringliche Weise mathematisch dominiert und hat gleichzeitig in bestimmten Prozessen unüberschaubare Autonomien entwickelt. Unabhängig davon wird das Erlebte als materielle Einheit eines Körpers gedeu-
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tet und verstanden. Dies wird zementiert durch die im Gebrauch vergewisserte Einheit von Mensch und Maschine. Deleuze und Guattari sehen diesen Prozess umrahmt von Rekursion und Kommunikation: „[…] wie der Mensch mit der Maschine, oder wie er mit anderen Dingen zu einem Stück (einer Einheit) wird, um so eine Maschine zu konstruieren. […] Nicht vom metaphorischen Gebrauch des Wortes Maschine gehen wir aus, sondern von einer (unklaren) Hypothese über ihre Entstehung: der Art und Weise, wie beliebige Elemente durch Rekursion und Kommunikation dazu gebracht werden, Maschine zu sein; der Existenz des ‚Maschinenphylums‘.“11
Das Ineinandergreifen aus unterschiedlichen Elementen von Körpern und Dingen, als Biofaktisierung des Lebens zu begreifen, hat sich zum Gegenstand von Kommunikation und Begegnung etabliert. Die Dinge zwischen uns gestalten die Welt zwischen uns, diese ist virtuell im Anblick und apparatisiert in der Haptik. Die Verschiebung und Sortierung einzelner Komponenten sind variabel und austauschbar, sie geben sich offen in der Verbindung mit dem Körper. Sie bilden eine neue Materialität mit dem Körper aus, daraus formt sich eine sich wandelnde Funktionalität in stetig veränderbaren Umwelten. Organisches und Technisches werden zu einem Gegenstand, der jeweils formulierten Codierungen einer gerade gültigen Sprache folgt. Donna Haraway hat diese Entwicklung bereits lange vor dem Internet der Dinge als biotechnologische Dimension begriffen: „Jede beliebige Komponente kann mit jeder anderen verschaltet werden, wenn eine passende Norm oder ein passender Kode konstruiert werden können, um Signale in einer gemeinsamen Sprache auszutauschen. Vor allem besteht kein Grund für eine ontologische Entgegensetzung des Organischen, des Technischen und des Textuellen. Ebensowenig gibt es keinen Grund dafür, einen Gegensatz zwischen dem Mythischen und dem Organischen, Textuellen und Technologischen zu konstruieren.“12
Der Text ist demnach immer von jeweils vorherrschenden Schrift- und Sprachsätzen dominiert. Das Organische ist folglich immer den daraus hervorgehenden Codes ausgesetzt, die Abstraktion der Schrift graviert sich in das Material der
11 Deleuze/Guattari, 1977, S. 498. 12 Haraway, Donna: Die Biopolitik postmoderner Körper. Konstitutionen des Selbst im Diskurs des Immunsystems. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel (Hrsg.), Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Donna Haraway. Frankfurt am Main/New York, 1995, S. 175.
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Körper ein. Der Einschluss in die Codes ist nach Haraway gegebener Austausch zwischen Körpern und Bedeutung. Vor allem ist zentral an der von ihr unterstrichenen Verschränkung, dass es keine Unterscheidung zwischen den Dimensionen zu geben scheint, da alles ineinander verwoben ein Ganzes ergibt, das im Prozess der Gegenseitigkeit gemeinsam Veränderungen und Phänomene hervorbringt. Die als Abstraktion phänomenologischer Prozesse konstruierten Zeichenordnungen sind als Narrative von Kultur medialisiert und überliefern jeweils gültige Sinn- und Struktursätze, die als mit einem Mythos aufgeladenen Repräsentationsmechanismen auf die Materialität der Körper eingreifen. Gunnar Schmidt hat die Verschränkung von Körper und Zeichen als zwar Unterschiedenes, aber voneinander Abhängiges treffend formuliert: „Zeichen und Körper sind getrennte Ordnungen, die dennoch ununterscheidbar ineinander diffundieren.“13
13 Schmidt, Gunnar: Anamorphotische Körper. Medizinische Bilder vom Menschen im 19. Jahrhundert. Köln, 2001, S. 243.
6. Die zwei Arten des Posthumanismus
Wenn nach dem bisher Festgestellten der Körper in einer digital konstruierten Ökologie ein Habitat mit den an, um und in ihm verschränkten Maschinen ausformt, scheint sich der Mensch als solcher in Auflösung zu befinden und der Posthumanismus als neue Formel des Lebens zu bestätigen. Wie oben beschrieben, wird der Posthumanismus zunächst als die Loslösung vom sterblichen Körper verstanden. Das Ziel ist die Wandelbarkeit, der Erhalt und die Übertragbarkeit des menschlichen Geistes, seiner Intelligenz und seiner Kognition. Kurzum: die Bestätigung der cartesianischen Maschine.
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Mit Hilfe der Technik wird die Idee entwickelt und verfolgt, vom Körper losgelöst in der posthumanen Unsterblichkeit aufzugehen. Stefan Selke fasst den Posthumanismus daher wie folgt zusammen: „Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist verständlicherweise so alt wie die Menschheit selbst. Posthumanisten sind davon überzeugt, dass sich die (sozialdarwinistische) Evolution dem Ende zuneigt und durch eine biokybernetische Evolution abgelöst wird, die auf die Grenzen der Biologie keine Rücksicht mehr nehmen muss. Diese Nachevolution beseitigt dann alles, was den Menschen als ‚Mängelwesen‘ (Arnold Gehlen) ausmacht. […] Der größte Mangel des Menschen ist sein eigener Tod, der gemäß dem entropischen Prinzip scheibchenweise eintritt. Posthumanismus ist also auf den Mensch angewandte Negentropie.“1
1
Selke Stefan: Die Spur zum Menschen wird blasser: Individuum und Gesellschaft im Zeitalter der Postmedien. In: Stefan Selke/Ullrich Dittler (Hrsg.), Postmediale Wirklichkeiten. Wie Zukunftsmedien die Gesellschaft verändern. Hannover, 2009, S. 28.
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Die Überwindung des Mangels, der Lücke, des Fehls, eben der Sterblichkeit des konstruierten Subjektes, das als Objekt in den Diskursen funktionalisiert wird, soll im Sinne dieses Posthumanismus in die Technik abwandern, um dort als Leitinstanz die Idee des Menschen im neuen technologischen Körper weiterzuführen. Der Posthumanismus, der das Subjekt immaterialisiert zu immortalisieren wünscht unterstreicht die Zweiteilung des Menschen in Körper und Geist. Die Technik ersetzt an diesem Punkt die Allmacht einer Gottheit, indem ihr die Macht zur Überwindung des Todes zugestanden wird. Bernhard Irrgang legt die dahinter liegende Motivation auf: „Dahinter steht das Konzept der Information als einer entleiblichten Seinsform. Der posthumane Blick privilegiert Informationsstrukturen vor Materialstrukturen, so dass die Einbettung in ein biologisches Substrat angesehen wird als historische Sache. Das posthumane Subjekt ist eine Sammlung von sehr heterogenen Elementen. Diese Wesen haben keinen eigenen Willen, der von dem Willen eines anderen unterschieden ist.“2
Die Idee des im Computer hochgeladenen unsterblich agierenden Geistes verfestigt jene Logik der machtbasierten Verwertung des Menschen als Datei. Das Jenseits wird abgeschafft mit dem bizarren Versprechen, im digitalen Diesseits eine Freiheit vor dem Tod zu erlangen. Das Subjekt, das als Konstruktion der Macht die Kontur zur Objektivation liefert, wird nach dieser Idee zum biologisch irrelevanten aber informationstechnologisch relevanten totalen Datensatz transformiert. Meyer-Drawe bringt das Ziel dieses Posthumanismus auf den Punkt: „Die optimale Anpassung ist erreicht, wenn schließlich der Körper auch noch als gedachter verschwindet. Übrig bleibt cogitans.“ 3 Dies ist allerdings in Frage zu stellen, denn es wird unterstellt, dass der unsterbliche Wesenskern des Menschen ein festes Ewiges in einer auf allen Dimensionen kontingenten Welt sei. Das widerspricht komplett der Phänomenologie und entlarvt die dahinter wirkende Repräsentationskonstruktion, die als Bewältigungsstrategie den Tod mit Hilfe mathematischer Glaubenssätze zu überwinden versucht. Der Körper, in seiner Verschränkung mit der Welt, wird so zum Nebenschauplatz, dass dies gerade nicht so ist habe ich bisher nachgewiesen. Dennoch ist in der Verschmelzung mit den Apparaten der Spur nachzugehen,
2
Irrgang, Bernhard: Postmedialität als Weg zum posthumanen Menschen? In: Stefan Selke/Ullrich Dittler (Hrsg.), Postmediale Wirklichkeiten. Wie Zukunftsmedien die Gesellschaft verändern. Hannover, 2009, S. 57.
3
Meyer-Drawe, 1996, S. 190.
6. D IE ZWEI A RTEN
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wohin sich der Mensch im Schmelz mit der Maschine unter dem Begriff des Posthumanismus entwickelt. Demnach stehen sich zwei Arten des Posthumanismus gegenüber, einerseits jener, der den Geist vom Körper entkoppeln will und somit das Subjekt samt herrschendem geistgestützten Bewusstsein zur wandernden Unsterblichkeit überführt.
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DER
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Auf der anderen Seite ein Posthumanismus, der vom Körper und seiner phänomenologischen Verschränkung mit der Welt ausgeht und auf diese Weise den Menschen von seiner Last des Subjektes befreit, indem er als mit den Dingen in Verbindung stehendes Element in einer Einbettung in der Welt aufgeht. Karen Barad definiert einen solchen Posthumanismus wie folgt: „Der Posthumanismus setzt nicht voraus, daß der Mensch das Maß aller Dinge ist. Er ist kein Gefangener des Größenmaßstabs des Menschlichen, sondern schenkt den Praktiken Aufmerksamkeit, durch die Maßstäbe produziert werden. Der Posthumanismus hat nichts übrig für prinzipielle Behauptungen, die die Abschaffung oder den Tod der Metaphysik annehmen, besonders wenn solche hochmütigen Behauptungen sich als Lockmittel für die heimliche Wiedererrichtung des Menschen als des unausgesprochenen Maßes dessen erweisen, was beobachtbar oder verstehbar ist oder nicht.“4
Barads Standpunkt setzt sich eindeutig von einem über den Dingen schwebenden Geist ab, dies impliziert einen körperlich-phänomenologischen Einfluss auf die Ausgestaltung der Verhältnisse zwischen den Dingen und den menschlichen Körpern. Sie sieht die ohnehin bestehenden Verbindungen der Körper als Öffnung zur Überwindung von Subjektkonstruktionen. Daher ist ihr Posthumanismus entschieden gegen „[…] humanistische als auch strukturalistische Darstellungen des Subjektes, die das Menschliche als entweder bloße Ursache oder bloße Wirkung betrachten, und des Körpers als der natürlichen und festen Trennlinie zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit.“5
4
Barad, Karen: Agentieller Realismus. Berlin, 2012., S. 14.
5
Ebd.
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Barad öffnet die Dimension des Menschlichen dahingehend, als dass der Körper sich nicht in einer Trennung von der Welt befindet. Sie bestätigt das „Fleisch“ Merleau-Pontys, das als Gegenstand der Welt verstanden die Körper im Schmelz betrachtet. Die Trennlinie zwischen Mensch und Welt wird überwunden, indem sich das Subjekt in dieser Denkfigur nicht über eine Geistigkeit zum allwissenden Organ aufbläht. Wenn Donna Haraway ihre Neupositionierung des Menschen unter Bezugnahme der Biologie vollzieht, gelingt dies Karen Barad, indem sie auf die quantenphysikalischen Phänomene und Gedanken von Niels Bohr rekurriert. Im Vordergrund ihrer Begründung stehen die Phänomene, die sich durch „[…] die ontologische Unzertrennlichkeit/Verschränkung intraagierender „Agentien“ (agencies) […]“6 auszeichnen. Sie unterstreicht damit die Relationalität von Phänomenen. Mit dem Begriff der „Intraaktion“ begründet sie die Basis einer „Äußerlichkeit-innerhalb-von-Phänomenen“, das heißt, dass die Unterscheidung nicht zwischen Subjekt und Objekt vollzogenen wird, sondern innerhalb von Phänomenen, die aus der verschränkten Beziehung von Körpern hervorgehen. Aus dieser Relationalität erschließt sie im Weiteren eine Kausalität, die sich aus der Wirkung an einem gemessenen Objekt zeigt.7 Nach Barad sind Körper und Dinge also stets in Verbindung, die Trennung in Subjekt/Objekt oder das Werten von Falsch/Richtig sind reine Konstruktionen. Die Innerlichkeit der Phänomene ist mit dem Begriff der Intraaktion, als Beschreibung von Wirkungen und Handlungen, zu verstehen. Sie verwendet aus dieser Logik heraus auch ein anderes Verständnis des Begriffs von Apparaten. Apparate sind bei ihr Praktiken, die ohne Mensch stattfinden, vielmehr sind es „[…] grenzziehende Praktiken – spezifische materielle (Re-) Konfigurationen der Welt –, die sich materialisieren und Relevanz erlangen.“8 Dies bringt ganz spezifische Konsequenzen für jegliche Körperlichkeit hervor, denn die für die Körper relevanten Prozesse der Materialisierung ergeben sich auf Grund „[…] bestimmter kausaler Strukturen mit bestimmten Grenzen, Eigenschaften, Bedeutungen und Mustern von Markierungen auf Körpern.“9 Hieraus ergibt sich aus meiner Sicht eine im phänomenologischen Sinn weiterentwickelte Sichtweise, wie Körper als Phänomene eine Materialität nicht nur im Sinne einer Inter- sondern Intraaktion verstanden werden können. Die Diskurse sind beweglich fließend und äußern sich hiernach als geöffnete Dynamik.
6
Ebd., S. 19.
7
Vgl. ebd., S. 20.
8
Ebd., S. 21.
9
Ebd.
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Die Apparate sind innerhalb dieses Gefüges nicht passiv, sondern als relationaler Beweggrund von Phänomenen zu betrachten. Der Mensch ist in diesem Sinne wirklich kein Mensch mehr, sondern ist durch seine körperliche Offenheit überwunden in ein Feld von Relationalität und Verschränkung. In diesem Feld sind die semantischen Zeichen, also Sprache, „[…] materiell-diskursive Praktiken, durch die (ontische und semantische) Grenzen konstituiert werden.“10 Insgesamt ähnelt Karen Barad mit ihrer Auslegung des Posthumanismus den Eigenschaften des Rhizoms nach Deleuze/Guattari. Dort ist der Repräsentationalismus, der Subjekt und Objekt hervorbringt, ebenso als zu überwindende Konstruktion betrachtet. Sie plädiert im übergeordneten Sinne für ein an den Phänomenen orientiertes Tätigsein, dies impliziert: „[…] die Möglichkeiten der schrittweisen Rekonfiguration der Materialität von menschlichen, nicht-menschlichen, cyborgartigen und anderen solchen Formen. Wenn wir die Kategorie ‚menschlich‘ (‚nicht-menschlich‘) konstant halten (oder zumindest annehmen, daß wir das könnten), wird eine Reihe von Möglichkeiten im voraus ausgeschlossen, wodurch wichtige Dimensionen der Funktionsweise des Tätigseins ausgelassen werden.“11
Dadurch ist der Körper mehr als Körper und die Dinge um ihn herum sind auf keinen Fall passive Artefakte, sondern tätige und materiell verknüpfte Biofakte, die ein ganz eigenes Gefüge von Wirksamkeit auf der Ebene der Materialität entfalten. Die Bemühungen, diese Komplexität in Form von Repräsentation und Steuerung via Abstraktion zu bündeln, entpuppen sich als Einschränkung, da eines nicht bedacht wird: nämlich die grundlegende Verbindung in sich verschränkter Zusammenhänge auf Basis einer Materialität. Die Besonderheit dieses Gedankens liegt offenbar darin, dass wir ohne eine letzte Begründung oder Markierung durch eine Grenze des Körpers das Leben im Kontext mit der Umgebung bewältigen, das bedeutet „[…] dass wir Kognition weder als Auffinden noch als Projektion verstehen, sondern als verkörperte Tätigkeit.“12 Ähnlich wie Barad argumentieren Varela, Thompson und Rosch dahingehend, dass der Mensch als Lebewesen „[…] wie eine Betrachterin ihre Tätigkeiten in einer be-
10 Ebd., S. 22. 11 Ebd., S. 87. 12 Varela, Francesco; Thompson, Evan; Rosch Eleanor: Enaktivismus – verkörperte Kognition. In: Fingerhut, Jörg; Hufendick, Rebekka und Markus Wild (Hrsg.), Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Berlin, 2013, S. 318.
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stimmten Situation steuern kann.“13 Die Sicht auf die Welt und ihre Verschränkung mit den Körpern ist dahin gehend tatsächlich dadurch geprägt, „[…] inwiefern die Betrachterin tätig sein und durch Ereignisse in ihrer Umwelt beeinflusst werden kann, und nicht eine vorgegebene Welt […]“14 passiv vorfindet. Die gegenseitige und tätige Verschränkung des menschlichen Körpers mit der Umwelt und der darin befindlichen Dinge artikuliert wirksame Phänomene, mit einer jeweils eigenen inneren Logik und Motivation. Ein besonderer Aspekt daran ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass es problemlos an die phänomenologische Konsequenz von Merleau-Ponty anschließt, wonach Dinge und der Mensch sich in einem „Fleisch“ wieder finden. Wenn ich die beiden Posthumanismen vergleiche, erscheint mir jener Posthumanismus, der das Wesen des Menschen in Gestalt eines Geistes repräsentiert sieht und diesen mittels Übersetzung in den Computer übergehen lassen möchte, als verlängerter Arm einer steuernden Macht, die daran interessiert ist, über eine repräsentationalistische Subjekt-Objekt-Konstitution ein Feld von Kontrolle und Überwachung über die Körper mit Hilfe der Technik zu installieren. Auch wenn Barads Posthumanismus auf einer philosophischen Ebene ein reizvolles Gedankenmodell zur Überwindung herrschender Verhältnisse liefert, bleibt eine gewisse Skepsis, wann und wie diese Erkenntnisse körperlich-materieller Verschränkung positiv im Sinne einer angewandten Praxis zur Geltung kommen können. Daher erscheint es mir wichtig, eine in diesem Zusammenspiel notwendige theoretische Verdichtung mit der Akteur-Netzwerk-Theorie zu vollziehen.
D IE AKTEUR -N ETZWERK -T HEORIE ALS SOZIAL - PHÄNOMENALE M ATERIALITÄT Mit Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie lässt sich als Erweiterung an die von Barad formulierten Thesen auf der sozialen Ebene anknüpfen. Latours Ansatz nimmt in erweiterter Weise die Phänomene der Dinge und der Menschen in ihrer wechselweisen Wirkung auf. Die Interpretation der Akteur-Netzwerk-Theorie nach Ingo Schulz-Schaeffer greift die entstehenden Tätigkeiten der Phänomene als eigene Dimension der Veränderung auf, woraus sich die Bedeutungen und Inhalte beweglich halten und anpassen. Der Begriff des Netzwerks wird bei Latour als perspektivischer Umbruch gedacht, hierbei bilden modifizierte Relationalitäten eine phänomenale
13 Ebd., S. 319. 14 Ebd.
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Dimension aus, die in ihrer Wirkung Menschen, Dinge und Verhaltensweisen zu Akteuren macht. Akteure sind dabei als Einheiten zu verstehen, die Wechselbeziehungen, Identität und eine Narration enthalten und gleichzeitig Relationen hervorbringen.15 Zum körperlichen Schmelz kommt über die Relationalisierung zusätzlich der narrative Schmelz mit den Dingen zu Stande, denn Dinge sind nicht passiv, sie agieren mit ihrer Anwesenheit und der gemeinsam getätigten Bewegung. In dieser Bewegung ist eine verschriftlichte Komponente innerhalb der Dinge enthalten. Schulz-Schaeffer beschreibt dies als gegenseitige Skription durch das Verhalten, wenn er feststellt: „Die Festlegung eines Aktanten auf ein Skript, eine Rolle bzw. eine Verhaltensweise (Inskritption) kann bestimmte Voraussetzungen für das Verhalten anderer Aktanten erzeugen (Präskription) und umgekehrt. Die wechselseitigen Verhaltenszuschreibungen und erwartungen werden dadurch in einer Weise zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten ausgetauscht, die es verbietet, fein säuberlich zwischen sozialen und technischen Faktoren zu unterscheiden.“16
Die aktive, gegenseitig wirksame Tätigkeit von Menschen und Dingen, also Aktanten, bringt über die In- oder Präskription eine über die Phänomene geäußerte Bedeutung, die sich als Folge relationaler Verständigung offenbart. Innerhalb der Akteur-Netzwerk-Theorie ergeben sich flüssige Bedeutungsebenen, die aus der Wirksamkeit hervorgehender Phänomene eine Semiotik hervorbringen, die die „[...] Beschreibung sozialer, technischer, oder natürlicher Ereignisse [...]“17 einschließt. Die Unterscheidung in Mensch und Nicht-Mensch wird mit dem Begriff des Aktanten überflüssig, mit der auf die Phänomene von Tätigkeiten ausgerichteten Semiotik entsteht eine auf die erzeugten Wirkungen deutende Relevanz. Latour selbst spricht daher auch von Assoziationen, die als Folge eines tätigen Austauschs erscheinen:
15 Vgl. Schulz-Schaeffer, Ingo: Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik. In: Weyer, Johannes (Hrsg.), Soziale Netzwerke, Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München, 2000, S. 188. f. 16 Ebd., S. 192. 17 Ebd., S. 194.
228 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE „Für Soziologen der Assoziationen ist die Regel Performanz, und zu Erklärende, die erstaunlichen Ausnahmen, besteht in jeglicher Art von Stabilität über einen längeren Zeitraum hinweg und in einem größeren Maßstab. […] Wenn Trägheit, Dauer, Reichweite, Festigkeit, Verpflichtung, Loyalität, Zusammenhalt etc. zu erklären sind, so muß man nach Trägern, Werkzeugen, Instrumenten und Materialien Ausschau halten, die eine solche Stabilität gewährleisten […]“18
Der Fokus verschiebt sich dadurch mehr auf die Qualität und Eigenschaft der Verknüpfungsebene zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten. Die Verbindung wiederum hängt stark von den Phänomenen und ihren Wirkungen ab, dadurch sind verkürzende Festlegungen einer auf isolierte Subjekte bezogenen Perspektive ausschließbar. Vielmehr wird auf diese Weise sehr konsequent das Soziale als Folge verschränkter Phänomene im Kontext des Materiellen betrachtet. Dieser gesamte Prozess von Wechselseitigkeit ist geleitet von einer zirkulären Prozessualität, die die Eigenschaften der Umgebung, der Beteiligten sowie der phänomenalen Tätigkeit in gemeinsamer Wirkung würdigt. Der Kern der Akteur-Netzwerk-Theorie liegt demnach darin, „[...] daß ANT zunächst einmal ein negatives Argument ist. Sie sagt nicht irgend etwas Positives über irgendeine Angelegenheit aus.“19 Darin steckt die Aussage einer prinzipiellen Offenheit, wie sich Phänomene als Folge ineinander verschränkter Akteure zeigen. Diese Offenheit der Prozesse schließt an eine Offenheit des Menschen als Vorstellung sowie als Körper an. Im Kontext der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass die Performativität der Selbstinszenierung schon immer materiell beeinflusst ist. Diese Beeinflussung ist, von den bloßen rituellen Handlungen ausgehend, über das Theater über Machtdiskurse bis in den Cyberspace nach zu verfolgen. Die Technik, verstanden als Akteur, ist demnach ein hochkomplex aufgeladener Aspekt einer körperlichen, materiellen, sozialen und sprachlichen Wirkung. Stets ist der als medialer Ausgangspunkt zu betrachtende Körper eingewoben in ein Arrangement aus inhaltsgeladenen Dingen aus der Umgebung, die mit ihm phänomenale Wirkungen erzeugen. Die Konstruktion eines Selbst folgt dabei einem jeweils gültigen Gefüge, das Bedeutungen als Teil einer Wirklichkeit konstituiert. Die übereinander, zwischen- und untergelagerten Akteure erzeugen permanent Beziehungen und Verhältnisse, auf deren Grundlage sich eine temporär gültige, auf beschreibbaren Phänomenen basierende Realität ausbildet. Latour spricht in diesem Zusammen-
18 Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Frankfurt am Main, 2010, S. 63. 19 Ebd., S. 245.
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hang folgerichtig davon, dass Dinge und Phänomene „[…] aus Schichten aufgebaut sind […]“20. Dieses Prinzip von ineinander wirksamen Schichten, die eine temporäre Einheit darstellen, ist übertragbar auf die Aussage: „Ihr Körper, Ihre Sprache, Ihre Sorgen.“21 Die Wirkungen bündeln sich stets in einer phänomenalen Sammlung als Erscheinung. Entscheidend dabei ist die Tatsache, dass die Akteure eine aktive Tätigkeit hervorbringen, „ […] dann müssen sie Dinge tun, nicht Platzhalter sein; wenn sie etwas tun, dann müssen sie einen Unterschied machen.“ 22 Die Akteure im Kontext des Cyberspace sind demnach die gesamte apparative Schichtung von Technik, Umwelt, Mensch und Sprache inklusive der jeweils gültigen Repräsentationsmuster. All diese Komponenten sind verwoben und aktiv und erzeugen Differenzierungsebenen, die sich über die Phänomenalität einer ausgedehnten Phänomenologie beschreiben lassen. Daraus entstehen Ketten, die aus apparativen und bedeutungsmäßigen Verbindungen eine für die Akteure gültige Übersetzung des Prozesses bereitstellen. Dies ist in Form einer Information gewährt, Latour zu Zusammenhang und Information: „Eine Form ist einfach etwas, das es erlaubt, etwas anderes von einem Ort zu einem anderen zu transportieren. Form wird somit zu einem der wichtigsten Typen von Übersetzungen. Eine solche Verlagerung vom Ideellen zum Materiellen läßt sich auf den heutzutage so wichtig gewordenen Begriff der Information erweitern.“23
Information wird so zu einem materiellen und tatsächlichen Prozess, der nicht für sich im Vakuum schwebt, sondern das Resultat performativer Austauschprozesse unterschiedlicher Akteure in Form einer Übersetzung darstellt. Dass Information ein genuin materieller Prozess ist, belegt Vilém Flusser am Beispiel der Kreide, die im Verlauf des Schreibens mit der Tafel in materiellen Austausch gerät. Dabei zeigt sich das Phänomen, „[…] die Kreide sei de-formiert, die Tafel sei in-formiert worden.“24 Auf die symbolische Ebene übertragen ist Information nichts anderes als ein medialer Kopplungsprozess zweier oder mehrerer Systeme, die dabei ihre Form verändern. Auf Menschen übertragen bedeutet dies nach Flusser, die Veränderung des Gedächtnisses.25
20 Ebd., S. 250. 21 Ebd. 22 Ebd., S. 266. 23 Ebd., S. 386. 24 Flusser, 2007, S. 251. 25 Vgl. ebd.
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An diesem Beispiel lässt sich leicht nachverfolgen, wie die Tafel, die Kreide, die Schrift und das Gedächtnis unterschiedliche Aktanten sind, die einen gemeinsamen phänomenal materiellen Prozess in Gang bringen, der an der Situation definiert eine temporäre Gültigkeit, durch materielle Verformung von Körpern erzeugt. Die Konstruktion eines selbstinszenierten Subjektes ist auf dieser Ebene eigentlich nicht haltbar. Dennoch gibt es die Konstruktion des Subjektes, da wie verschiedentlich in der bisherigen Diskussion dargelegt, ein nicht unerhebliches Interesse daran besteht, einen greifbaren subjektivierbaren Kern zu erzeugen, der zur Objektivation herangezogen werden kann. Dies ist unter dem Bewältigungsdruck von Unbestimmtheit und Kontingenz eine Begründungsdimension, Repräsentationen auf unterschiedlichste Sachverhalte und Kontexte als Subjektkonstruktion anzuwenden. Wie mit den bisherigen Spannungsfeldern Selbstinszenierung vs. Gesellschaftszwang, Selbstkonstitution vs. Machtdiskurse und Phänomenologie vs. Geist und Körper vs. Technik die Erziehungswissenschaft auf medialer Ebene umzugehen versucht möchte ich im nächsten Abschnitt abschließend beschreiben.
7. Erziehungswissenschaftliche Konsequenzen
Was bedeuten die bisher ausgearbeiteten Ergebnisse auf der Bildungsebene? Sind Einflussnahmen auf der Bildungsebene überhaupt möglich oder erwünscht? Eines ist aus dem Herausgearbeiteten gewiss nachvollziehbar, die generelle Unterstellung eines sich als Subjekt konstituierenden Selbst ist lediglich auf der Ebene der Repräsentationen möglich, und genau auf dieser Ebene sind die Inszenierungen eines Selbst einer generellen Scheinbarkeit von Freiheit und ihrer Gestaltung unterworfen. Dies habe ich vom Versuch einer Anthropologie des Theaters über die Machtdiskurse bis hin zur Erörterung der Inszenierungsfläche im Cyberspace nachzuweisen versucht. Der Körper ist auf all diesen Ebenen ein ständiger Ausgangspunkt von Bedingungen, Verhältnissen, Bewegungen, Dynamiken und Bewertungen, die insgesamt eine Kette von Bedeutungen und Bezeichnungen hervorbringen. Theatralität habe ich im gesamten Verlauf nicht lediglich als theaterwissenschaftliche Dimension betrachtet, sondern als grundlegend anthropologische, die auf Grund dieser Weitung eine Konsequenz für Bildungsfragen entfalten kann und muss. Die entfalteten Konsequenzen für die Bildung eines inszenierten Selbst sind über die Semantik der in den Körper wirksam eingelassen symbolischen Codes nachgewiesen und erzeugen über relationale Phänomene eine jeweils aufkommende Performativität. Diese Prozessualität relational verquickter Phänomene ist an die Wirksamkeit von Körpern – anwesenden und abwesenden – gebunden. Das menschliche Handeln ist daher, anthropologisch betrachtet, stets eingebunden in eine als Aufführung oder Inszenierung konzipierte Darstellung eines jeweils situativ gültigen Selbst. Performativität befindet sich, mit Christoph Wulf gesprochen, „[…] auf der Welt konstituie-
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renden Seite des Körpers.“1 Die grundsätzliche Performativität des Lebens hängt daher unbedingt von den sozialen Handlungen und deren Konsequenzen ab. Lernen, als soziale Praktik, ist in diesem Zusammenhang nichts anderes als ein körperlich gebundenes Phänomen sozialen Austauschs. Der Alltag ist durchzogen von unterschiedlichen Situationen, die einen Aufführungscharakter beinhalten. Die Grundbedingungen der Verhaltensweisen „[…] sind körperlich, szenisch und expressiv. Sie haben ludische Elemente und erfordern inkorporiertes praktisches Wissen […]“.2 Die darauf beruhende Grundaussage eines anthropologisch motivierten Selbstinszenierungsakts habe ich im Kontext der digital-technisierten Umwelt als einen zusätzlichen Faktor beschrieben, der weit mehr als nur eine passive Dingwelt umschreibt. Die Machtdiskurse und -verhältnisse arrangieren sich auf Grund dieser Verschiebungen von der äußeren körperlichen Biopolitik in das Innere der Menschen als angewandte Psychopolitik. Die Performativität der Selbstinszenierung wird erweitert, durch die um und im Körper befindlichen Dinge. Dies gilt im Besonderen in der MenschMaschine-Beziehung, die, wie dargelegt, tief ins Somatische hinein angeknüpft ist. Die Relevanz dieser Beziehung ist für Bildungsprozesse daher als hoch einzustufen. Dieter Sinhart-Pallin weist darauf hin: „Der technische Aspekt berührt die Mensch-Maschine-Beziehung. Mit der Digitalisierung überhaupt und mit dem Computer speziell ist die Medienpädagogik in den Raum der maschinalen Wirklichkeiten vorgestoßen. Der Rechner ist kein bloßes Vermittlungsinstrument mehr, sondern eine Maschine der Informationsverarbeitung und -erzeugung. Und sie steuert andere Maschinen, wenn die mit ihr verknüpft werden. Maschinal wird in die kommunikative Beziehung der Menschen eingegriffen und damit eine Sozialbeziehung von Mensch und Maschine hergestellt.“3
Es entsteht eine Kette von zwischengeschalteten Elementen, die insgesamt eine funktionale Einheit im Sinne gesellschaftlicher Verortung, sozialer Identität und Wirklichkeit darstellen. Die gegenseitigen Einflussnahmen und Verschränkungen werden körperlich und phänomenologisch mit der an den Akteuren hängenden phänomenalen Prozessualität vollzogen. Mit den phänomenologisch begrün-
1
Wulf, Christoph: Der performative Körper. Sprache-Macht-Handlung. In: Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin (Hrsg.), Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München, 2002, S. 207.
2
Ebd., S. 208.
3
Sinhart-Pallin, S. 394.
7. E RZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE K ONSEQUENZEN | 233
deten Bedingungen zwischen menschlichem Körper und den diesen umgebenden Dingen aus der Umwelt habe ich auf der materiellen Ebene die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine als grundlegende Dimension technologischer Entwicklungen beschrieben. Die von einer eigenen Logik getragenen Maschinen werden zum relationalen Aspekt der Selbstinszenierung, die in Gestalt weiterer Phänomene zusätzliche Effekte der Komplexität auf der Handlungsebene erzeugen. Zwischen diesem materiellen Aspekt von Mensch und Maschine ist allerdings eine Interessenebene verborgen, die im Zusammenhang mit der medialen Bildung als nicht wertneutraler Einfluss einzustufen ist. Die marktspezifischen Interessen bedingen maßgeblich die Konsumption und Gestaltung der digitaltechnologisch beeinflussten Begegnungen. Wie dargelegt, algorithmisieren sich die Sozialitäten der gegenseitigen Selbstkonstitution. „Medien (als Technik) sind dann nicht mehr wertneutral zu betrachten. Wertsetzungen fordern aber Stellungnahmen und insofern Kritik heraus.“ 4
B ILDUNG
AM
S CHMELZ
VON
K ÖRPER
UND
M ASCHINE
Die für die Bildung relevanten Dimensionen der Selbstinszenierung sind im Cyberspace maßgeblich an die eigene Bildproduktion gebunden. Das „Selfie“ ist zum dokumentarischen Ausdruck überlieferbarer Selbst- und Fremdgewissheit geworden. Die via Smartphone gesicherte Produktion und Veröffentlichung eines je nach Situation ästhetisch definierten Bildes von sich selbst ist zum Ausdruck von Erinnerung und Kontakt geworden. Dabei wird das Smartphone zum apparativen Agenten der Bildproduktion, der den inneren virtuellen Raum der Vorstellung mit dem äußeren virtuellen Raum des Cyberspace auf der Folie der mitteilenden Selbstinszenierung vollzieht. Diese Bildproduktion eines Selbst ist phänomenologisch begründet, da die maschinalen Dinge im Schmelz mit dem Körper liegen. Ulrike Mietzner sieht in einer auf diese Weise vollzogenen Überschneidung von Apparat und Körper einen gravierend materialisierten Faktor der Selbstinszenierung: „Die fotografische Bewegung ist eine sensomotorische Handlung: Mit den Perspektivwechseln ändert sich die Verortung des Selbst. Es kann nicht als Ganzes erfasst werden, es schwindet oder verschwimmt, in dem Moment, in dem man es erfasst. Zur sensomotori-
4
Ebd.
234 | VOM THEATER ZUM C YBERSPACE schen Bewegung gehört auch die auffällige Präsenz des Körpers, selbst noch auf den immateriellen digitalen Fotografien, wenn auch manchmal nur noch als Spur.“5
Das bildungsrelevante Selbst erfindet und findet sich wieder in einer Sphäre der maschinell erzeugten und aufbewahrten Bilder. Die Inszenierungen des Selbst folgen einer von Körper und Maschine gemeinsam erzeugten Bewegung. Dabei sind die apparativen Maschinen als an den Körper gebundene Dinge selbstverständlich akzeptiert, da sie als das gültige Mittel den Zweck anschlussfähiger Kommunikation im Sinne einer biografisch motivierten Bildung in Gestalt der Selbstinszenierung darstellen. Die maschinalen Dinge enthalten auf binärlogischer Programmbasis implizite Botschaften, die das Verhalten der Menschen im Kontext ihrer auf und durch die Dinge konzipierten Selbstinszenierung maßgeblich beeinflussen. Zirfas und Klepacki heben diesen Einfluss der digitalen Dinge hervor. „Die future things beginnen den Menschen zu performen und zu inszenieren […]“.6 Die Passivität der Dinge ist offensichtlich nicht vorhanden, gerade wenn sie konstruierten inneren Programmen der Informatik folgen, werden Dinge zu Leitplanken einer dieser Programmlogik ausgelieferten Selbstinszenierung. Die digitalen Dinge sind daher in hohem Maße mit mehrdimensionalen Botschaften ausgerüstet, die sich nachhaltig auf Individuen und Kollektive auswirken. Zirfas und Klepacki fragen zu Recht vor dem Hintergrund, dass Dinge und Menschen sich gegenseitig designen, nach der Bildungsdimension. „Gilt dann nicht nur Bildung durch Design, sondern auch Bildung als Design?“7 Insbesondere ist hierbei die Frage noch dahingehend auszuweiten, wenn der Körper selbst zum Gegenstand eines Designs wird. Designt werden hierbei zwei Elemente, einerseits die Bilder, die als Idealisierungsfolie und Inszenierungsmedium dienen. Andererseits der Körper selbst, der, im Design begriffen, selbst zum Umformungsmaterial wird und sich in seiner der Selbstinszenierung geschuldeten Umformung den zur Glätte manipulierten und am Computer produzierten Bildnarrativen unterwirft. Dieses Design, das sich zwischen technischem Ding und Körper als Phänomen einer Ästhetik offenbart, zeigt sich als Freiheits-
5
Mietzner, Ulrike: Inszenierungen des Selbst. In: Wulf, Christoph und Zirfas, Jörg (Hrsg.), Ikonologie des Performativen. München, 2005, S. 230.
6
Zirfas, Jörg und Klepacki, Leopold: Die Performativität der Dinge. Reflexionen über Bildung und Design. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 50.
7
Ebd., S. 51.
7. E RZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE K ONSEQUENZEN | 235
zuwachs, an dem sich das Subjekt im Sinne eines ökonomischen Wachstums umzuwandeln scheint. Byung-Chul Han beobachtet dabei eher kritisch einen Wechsel des Selbst hin zum Projekt: „Dieser Übergang vom Subjekt zum Projekt wird vom Gefühl der Freiheit begleitet. Nun erweist sich dieses Projekt selbst als eine Zwangsfigur, sogar als eine effizientere Form der Subjektivierung und Unterwerfung. Das Ich als Projekt, das sich von äußeren Zwängen und Fremdzwängen befreit zu haben glaubt, unterwirft sich nun inneren Zwängen und Selbstzwängen in Form von Leistungs- und Optimierungszwang.“8
Aus bildungstheoretischer Sicht nimmt Torsten Meyer zu diesen sich wandelnden Bedingungen, unter welchen sich das Subjekt zum Projekt entwickelt, Stellung. Er betrachtet das Subjekt als Konstruktion, die innerhalb der sich wandelnden Verhältnisse insgesamt die Kontrolle zu verlieren droht, da es durch die Wandlung der Umgebung über den Souveränitätsverlust der Sprache die Kontrolle über das Symbolische verliert.9 Wie ich es oben dargelegt habe, entsteht die Sprache sowie die symbolischen Zeichen und deren Bedeutung aus dem phänomenologischen Wechselspiel zwischen Körper und Umwelt. Wenn die Dinge, also die digitalisierten Artefakte, die sich zu Biofakten und Agenten gewandelt haben, eine bereits in Algorithmen vorformulierte Sprache mitbringen, dann verliert das auf Symbole und Zeichen rekurrierende Subjekt seinen Bezugspunkt, da die dominierende Sprache der Maschinen nicht mehr die seine ist. Für Meyer entsteht als Konsequenz einer solchen Entwicklung die Kontrolle über das Subjekt, da die erlebte Ohnmacht über die verlorene Autorität über die Symbolizität der Sprache in eine Psychose umschlägt: „Die Bildung eines Subjekts ist nur möglich durch Einschreibung ins Symbolische. Das gelingt dem Psychotiker nicht. Er kann keinerlei Kontrolle über das Symbolische herstellen. Er wird kontrolliert. Aktuell von der NSA, von Facebook, von Google, von den Datenbanken, den Algorithmen usw.; er kann nicht kontrollieren, wie die Daten und die Dinge miteinander interagieren […]“10
8 9
Han, 2014. S. 9. Vgl. Meyer, Torsten: Ein neues Sujet. In: Jörissen, Benjamin und Meyer, Torsten (Hrsg.), Subjekt Medium Bildung. Medienbildung und Gesellschaft. Wiesbaden, 2015, S. 110.
10 Ebd., S. 111.
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Dies stellt im Kern den von Han beschriebenen Menschen dar, der unter Zwang stehend zum „Projekt“ wird. Um eine bildungsrelevante Dimension als Ausweg entwerfen zu können, geht Meyer weiter und versucht aus dem vorgefertigten Zustand des „Projektes“ Ressourcen für eine bildungsrelevante Entwicklung abzuleiten. Eine als Ausweg mögliche Veränderung im Kontext des Projektbegriffs vollzieht er, indem wieder eine Sicherheit in den sich wandelnden Symbolwelten entwickelt wird. Dies ist durch die Abkehr von einem auf Wettbewerb abgerichteten Subjekt zu denken, das in einen Verbund eines Kollektivprojekts übersetzt an einem gemeinsam formulierten Ziel zu arbeiten versteht. Der Projektinhalt wäre dann als gemeinsames Ziel ausgegeben und würde einen eigenen symbolischen Raum im Sinne einer kollektiven, auf das Projekt bezogenen Intelligenz entwickeln. Dieser gemeinsam gültige Symbolraum wäre auf die Zeit des Projektes begrenzt.11 Den in diesem Kontext verwendeten Begriff des Projektes verarbeitet Faßler ebenso. Als Reaktion auf die Unumkehrbarkeit der gerade stattfindenden digitalen Medialisierung wird „[…] ein mediales Selbst das in der Lage ist, sich auf die Anonymität der Projekte so einzulassen, dass daraus Habitate-Intelligenz […]“12 resultiert, gefordert. Dies ist deshalb relevant, da die rasanten Veränderungen der Technik eine permanente Anpassung eben jene Veränderungen erfordert. Die technikgestützte Selbstinszenierung wird von dieser Anpassung ständig beeinflusst. Es besteht ein eklatanter Zusammenhang zwischen technischen Neuerungen und den „[…] Vorstellungen davon, wie andere einen sehen.“13 Denn die Sicht auf sich selbst und die anderen wird durch den Blick durch die Technik vollzogen. Für die Erziehungswissenschaft ist es daher mit entscheidend, wie sie mit dem von technischem Wandel getriebenen und deshalb stetig ausfasernden Subjekt umzugehen versucht. Die im Kontext der Medienbildung häufig zitierte Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour ist in den beschriebenen Zusammenhängen als vieldiskutierte Möglichkeit zur erziehungswissenschaftlichen Neuausrichtung derzeitiger Umwälzungen denkbar. Die Adaption der AkteurNetzwerk-Theorie in medial-erziehungswissenschaftliche Prozesse ist aus meiner Sicht als eine theoretische Anpassung an die Prozessphänomene der Verschmelzung von Technik und Körper im Kontext sozialer Prozesse zu verstehen.
11 Ebd., S. 113. 12 Faßler, Manfred: Mediales Selbst. Bildung fürs Ungewisse. In: Jörissen, Benjamin und Meyer, Torsten (Hrsg.): Subjekt Medium Bildung. Medienbildung und Gesellschaft. Wiesbaden, 2015, S. 29. 13 Ebd.
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Die Realität hat sich definitiv in eine von technischen Netzen dominierte Umwelt transformiert, medienpädagogisch sollte dieser Tatsache mit einer theoretischen Offenheit begegnet werden. Dabei stehen bei Latour, ähnlich wie bei Karen Barads agentiellem Realismus, die Phänomene mit ihren inneren Dynamiken im Fokus der Betrachtung. Es ist daher wichtig, die materielle Wandlung mit einer Wandlung der Symbolräume zu verknüpfen, anders gesagt geht es um die sprachliche Angleichung von generell ablaufenden Transformationsprozessen, denen sich die Erziehungswissenschaft mit ihren Teilbereichen ausgesetzt sieht. Latour spricht in seinen Überlegungen von „Akteuren“, die auf die Lebenspraxis bezogene Verweise im Sozialen herstellen: „Den Akteuren muß die Fähigkeit zurückgegeben werden, ihre eigenen Theorien darüber aufzustellen, woraus das Soziale besteht. Die Aufgabe besteht nicht länger darin, Ordnung zu schaffen, das Spektrum akzeptierbarer Entitäten zu beschränken, den Akteuren beizubringen wer sie sind, oder in ihre blinde Praxis ein wenig Reflexivität hineinzubringen. Mit einem Slogan der ANT könnte man sagen, daß man ‚den Akteuren folgen‘ muß, […] welche Methoden sie entwickelt haben, um diese Existenz aufrechtzuhalten, und schließlich welche Darstellungen (accounts) die neuen Assoziationen am besten definieren könnten […]“14
Darin schwingt mit, dass die Symbolräume sich hin zur Handlung orientieren und die Bedeutungen sich auf die jeweils hervorgehenden Assoziationen richten, die aus den Wechselseitigkeiten der ineinander verwobenen Akteure resultieren. Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist gerade deshalb zu den im Kontext dieser Arbeit ausgearbeiteten Ergebnisse passend, da sie auf „[…] die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Technik […]“15 verzichtet und stattdessen, die materielle Grundbedingung von Austausch und Wechselseitigkeit dieser Ebenen fokussiert und bestätigt. Aus meiner Sicht geht es daher darum, der Erziehungswissenschaft eine prozessorientierte Sprachlichkeit zu verleihen, über welche sie den Überblick über die Reflexivität zu den Phänomenen der damit verknüpften Handlungen und ihrer Motive erzeugt. In diesem Zusammenspiel ist der Körper in seiner eigenen Räumlichkeit eine tragende Größe, denn daraus entfalten sich die Wechselwirkungen mit den die Körper umschließenden Räumen. Beide Räume bilden Bedeutungsebenen aus, die materiell konstituiert und symbolisch durchkreuzt sind.
14 Latour, S. 28. 15 Schulz-Schaeffer, S. 187.
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Alexander Unger bezieht diese Räumlichkeit in das Bildungsverständnis ein, wenn er festhält: „Besonders die struktural-symbolische Dimension und die Bedeutungsdimension verdeutlichen, wie eng Raum bzw. Raumerschließung an Sozialisations-, Lern-, und Bildungsprozesse gebunden ist. Dabei liegt insbesondere der Bedeutungsdimension eine Doppeldeutigkeit inne, da es einerseits um individuell produzierte Bedeutungen und den vom Subjekt aufgespannten „Um-Raum“ geht sowie andererseits um die [sic] Orten bereits eingeschriebene intersubjektive oder gesellschaftliche Bedeutung, die mit erschlossen werden.“16
Der Cyberspace ist eben ein solcher Symbolraum, in dem sich verschiedene Räume auf der kommunikativen Vermittlungsebene territorialisieren. Daraus ergeben sich aktive Tätigkeiten, die nicht nur körperlich sondern auch als Spur im Raum eingeschrieben sind. Derridas Verständnis der Schrift kehrt an diesem Punkt als bildungsrelevante Konzeption zurück, indem die Symbolräume als aktives, körperliches und räumliches Kommunikationsfeld verstanden werden, in welchem prozessorientierte Prä- oder Inskriptionen als Übersetzungen der Vermittlung wirken.
D IE B ILDUNG
ALS
S UJET
IN
H ABITATEN
Will dieser Symbolraum nicht nur Utopie sein, muss aus meiner Sicht in genau diese Richtung weitergedacht werden. Denn wie oben beschrieben, finden die Verschmelzungen des Körpers mit der Technik auf zwei Ebenen statt. Einerseits auf der körperlichen und anderseits auf der bedeutungsmäßigen. Die Ebene der Bedeutung ist überlagert von im Hintergrund laufenden Setzungen, die eine unüberschaubare Eigenlogik entwickelt haben. Dennoch wäre es an dieser Stelle falsch, eine andere Utopie aufzuschlagen, die in einer totalen Umkehr, also in etwas wie dem „Maschinensturm“ münden sollte. Dies würde weder die technologische Entwicklung und vor allem nicht ihre Logik stoppen. Der Raum zwischen Mensch und Technik ist ein Zwischenraum, der gleichzeitig als Gestaltungsraum zu betrachten ist. Gerade im Hinblick auf die von Karen Barad beschriebenen Effekte, die zwischen den Dingen, also in den Phänomenen liegen,
16 Unger, Alexander: Raum und Raumerschließung aus pädagogischer Perspektive. In: Westphal, Kristin und Jörissen, Benjamin (Hrsg.), Vom Straßenkind zum Medienkind. Raum- und Medienforschung im 21. Jahrhundert. Weinheim und Basel, 2013, S. 213.
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ist auf das Diskurspotential innerhalb der Phänomene Bezug zu nehmen. Denn der Raum dazwischen ist nicht leer. Um diesen Symbolraum in seiner prozessualen Beweglichkeit entsprechend erfassen zu können, müssen die Effekte, also die Phänomene, die aus diesem Raum heraus wirksam werden, erfasst werden und im Umgang mit einer wie auch immer gestalteten Subjektkonstitution umgehen. Meyer nimmt daher auch den Raum dazwischen wahr und würdigt ihn als bildungsrelevante Gestaltungsdimension, indem er davon ausgehend die Subjektbildung anhand der Idee des Sujets entfaltet. „Bildung könnte in diesem Sinne verstanden werden als Resultat der Verknüpfungen heterogener Komponenten zu Netzwerken. Solche Bildungsprozesse wären in dem Maß erfolgreich, in dem die beteiligten Komponenten – z. B. Lerner, Lehrer, Lehrpläne, Gegenstände, Themen, Motive, Räume […] – sich in aufeinander abgestimmter Weise verhalten. […] Das wäre eine […] abstrakte Neufassung der Definition von Bildung als Transformation von Weltverhältnissen.“17
Das „Sujet“ eröffnet eine Bedeutungsebene, die sich im Sinne Barads als „Intraaktion“ äußert. Darin sind Bildungsprozesse im Sinne des Netzwerks enthalten, die quasi die Bildungsebene eines am Phänomenologischen orientierten Posthumanismus entwirft, der in der Folge eine Ebene der Emanzipation vom Subjekt ermöglichen könnte. Latours Akteur-Netzwerk-Theorie passt sich diesem Denken als erweiternde Perspektivierung erziehungswissenschaftlicher Handlungsräume an, denn im Begriff des Sujets ist das Phänomen der Begegnung und der Verhältnisse im Konzept einer Vergewisserung in der Welt enthalten. Ob diese Emanzipation, also die methodische Abkehr oder Umformulierung vom Subjekt, letztlich möglich ist, kann ich nicht abschließend beantworten. Die Bedingungen sind aus meiner Sicht zwar theoretisch, aber machtpolitisch und kulturell nicht hergestellt, eine solche Emanzipation vom Subjekt institutionell umsetzen zu können. Gerade wenn den Wirkungen nachgegangen wird, die sich im Umgang mit den in den digitalen Gadgets enthaltenen Interessen eines neoliberalen Marktes ergeben, muss eingestanden werden, dass eine objektivierende Konzeption des Subjektes nach wie vor ein Modell der Macht darstellt, auch wenn dieses unsichtbar erscheint. Eines zeigt sich ziemlich offensichtlich, die Anforderungen an die gesellschaftlichen Akteure zeigen sich einerseits als an Projekte formulierte Anforderungen. Andererseits zeigen sich die in den Phänomenen der gesellschaftlichen Teilnahme gemachten Ordnungen als Effekte eines Versprechens des Anschlusses, der über die Verwirklichung inszenatorischer
17 Meyer, S. 114.
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Selbstvergewisserung explizit an Subjekte adressiert ist. Projekt als Anforderung und Subjekt als Versprechung ergibt in aller Konsequenz einen Riss quer durch die jeweils ausgestaltete Persönlichkeit, die mit Idealisierungen einerseits und Unbestimmtheit andererseits umgehen muss. Die Orientierung im Umgang mit technischen Dingen ist gebunden an Transaktionen, die sich zwischen Menschen und Dingen ergeben, insbesondere ist dies Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Intervention, die sich am Widerspruch zwischen Projekt und Subjekt erklärt. Arnd-Michael Nohl greift die Notwendigkeit einer Orientierung innerhalb dieses entstehenden Widerspruchs auf, wenn er einen Transaktionsraum mit Milieus und Erfahrung begründet und dabei den konjunktiven Charakter als Ausdruck einer Gestaltung von Sozialisation begreift, der wiederum Einfluss auf Geschlecht, Schicht und Generation ausübt. Die aus den Dingen (inklusive Computer und Medien) und ihrem verselbständigten Umgang hervorgehende gültige Institutionalisierung leitet eine gesellschaftliche Ordnung ab, die insgesamt „institutionalisierte habits“ mit sanktionierbarer Relevanz ausformt.18 Anders gesagt, die Dinge repräsentieren Inhalte, die über Verhalten und Umgang mit Dingen über die Gültigkeit von Sozialisation mit entscheiden. Die erziehungswissenschaftliche Berücksichtigung der Verschränktheit von Dingen und Menschen ist gerade in der permanent phänomenologischen Wechselseitigkeit als Verweis auf eine gebundene Transaktion von Codierungen aufzufassen. Die Habitualisierung ist aus meiner Sicht als das resultierende Phänomen in diesem Kontext zu verstehen. Die Begründung von subjektiven Inszenierungspraktiken folgt demnach eingeschliffenen, aber dennoch veränderlichen Habitualisierungsmustern, die die Interaktion mit den technischen Dingen als mediales Ereignis umgrenzen. Die Dechiffrierung der Codierungen zwischen Maschine und Mensch ist Aufgabe einer medienpädagogisch orientierten Erziehungswissenschaft.
18 Vgl. Nohl, Arnd-Michael: Sozialisation in konjunktiven, organisierten und institutionalisierten Transaktionsräumen: Zum Aufwachsen mit materiellen Artefakten. In: Nohl, Arnd-Michael und Wulf, Christoph (Hrsg.), Mensch und Ding. Die Materialität pädagogischer Prozesse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 25/2013. Wiesbaden, 2013, S. 196. f.
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D IE B EHARRLICHKEIT
DES
S UBJEKTS
Die Erziehungswissenschaft ist meines Erachtens gebunden an eine wie auch immer gestaltete Konzeption des Subjektes. Bei aller beschriebenen Anpassung an die technologisch-digitalen Verhältnisse ist das konstruierte Subjekt ein beharrlicher Begleitfaktor im Sinne einer wie auch immer konzipierten Selbstinszenierung und Wirklichkeitskonstitution. Dies gilt unbedingt auch in den virtuell vollzogenen Darstellungen von Selbsten. Die mehrgestaltige Ausdehnung eines Selbst ins Virtuelle operiert insgesamt mit subjektbezogenen Inszenierungsmustern. Der konzipierte Avatar innerhalb der Virtualität, sei er auch nur ein dargestellter Genklumpen, wird als fraktale, imaginative und temporäre Einheit gedacht und produziert. Solange auch nur für einen Augenblick eine denkbare Einheit, egal in welcher Gestalt, inszeniert wird, laufen die Repräsentationsmuster und -regeln ab, die das fraktale Subjekt zu einem Objekt machen. Da ist es unerheblich in welcher Gestalt, Figur oder Szene selbst absurde Inszenierungen ablaufen, sie reiben sich alle am Repräsentationsrahmen, der neben aller dargestellten, wahrgenommenen und unterstellten Unbestimmtheit eine kollektive Begleitbedingung bleibt. Die Repräsentation habe ich als konstruierte Dimension der Wirklichkeitskonstitution beschrieben, die sich trotz gehäuft erzeugter Unbestimmtheit beharrlich in unterschiedlichsten Sprach- und Schriftsystemen auf der symbolischen Bedeutungsebene hält. Der Cyberspace erscheint als ein mediales Möglichkeitsformat, worin eine praktische Dekonstruktionsfläche vorgegebener Repräsentationsinhalte und deren Bedeutungen vorgetäuscht werden. Dies drückt sich vor allem in der propagierten Grenzenlosigkeit von Datenaustausch, sowie der damit einhergehenden Dauerkonnektivität aus. Der Schein verstärkt sich gerade durch die als Freiheit verstandene Offenheit der Datentransfers. Diese Freiheit wäre allerdings nur denkbar, wenn der Cyberspace nicht selbst in seinem diskursiven Rahmen zeichenhaften, symbolischen, codierten oder schriftlichen Setzungen unterworfen wäre. Dies ist er definitiv, vielmehr ist der Cyberspace ein weiterer Raum, in welchem sich Machtverhältnisse wiederholen, die unbedingt auf den Körper einwirken, allerdings zeigen sich die Verhältnisse im Cyberspace unbestimmt und kaum nach vollziehbar, da sie in binärlogischen Verfahren einer maschinalen Schrift definiert und erfasst sind. Die im Hintergrund laufende Bedeutungsebene der maschinalen Schrift ist Teil eines nicht offen ausagierten Textes, der als Subtext sein inneres Eigenleben nach einprogrammierten Prinzipien führt.
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Der Subtext kann „[…] auf den bewussten und/oder unbewussten Wahrnehmungsprozess einwirken.“19 Die nicht wahrgenommenen, aber wirksamen, Subtexte innerhalb des als Folie der Selbstinszenierung verwendeten Cyberspace erzeugen eine indirekte Konsequenz der Wirklichkeit, die als Phänomen der Unbestimmtheit als Aspekt der Kontingenz auftaucht. Die Kontingenz wird durch die digitale Gesellschaftsumformung nicht verringert, sondern eklatant erhöht. Die Bewältigung von daraus hervorgehender Unbestimmtheit entfaltet sich aus meiner Sicht zu einer Kernaufgabe einer in Medienkontexten agierenden Erziehungswissenschaft. Für Röll ist eine mögliche Bewältigung dieser Phänomene der Unbestimmtheit die konsequente Vermittlung von Kompetenzen, die „[…] die textualen, subtextualen und symbolischen Botschaften dieser Erfahrungsräume decodieren können […]“.20 Die Kompetenz auszubilden und „[…] innerhalb der unterschiedlichen Wirklichkeitswelten zu agieren ist ebenso bedeutsam – diese Fähigkeit nenne ich „vireale Imagination“.“21 Im Umgang mit dem Cyberspace entstehen wie mehrfach beschrieben räumliche, körperliche, bedeutungsmäßige und gesellschaftliche Verschränkungen, die je nach Ausprägung mehr oder weniger zu bewältigende Unbestimmtheiten auslösen. Jörissen und Marotzki beziehen daher den Umgang mit Unbestimmtheit in ihren Bildungsdiskurs ein, indem sie Unbestimmtheiten als Ausgangspunkt eines Denkens begreifen, von dem ausgehend kreative und innovative Kategorien von Erfahrungswerten entstehen können. Mit einem solchen Denken wird die Grenze des Subjektes umrissen, da die Unbestimmtheit als Grenzerfahrung erlebt wird. Indem die Grenze des eigenen Möglichen deutlich wird, kann sich an dem Rand dieser Möglichkeitsgrenze eine Klarheit eigener Fähigkeit zeigen und etablieren. Der erziehungswissenschaftlich offene Umgang mit Unbestimmtheit schafft sozusagen erst einen produktiven Gestaltungsraum für die medial inszenierte Subjektivität. Dies ist aus deren Sicht auch deshalb eine prospektive und produktive Denkweise, da blockierendes und auf Faktenwissen beruhendes Bildungshandeln vermieden werden kann. Vielmehr wird eine Ver-
19 Röll, Franz Joseph: Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld zwischen realen und virtuellen Lebenswelten. In: Westphal, Kristin und Jörissen, Benjamin (Hrsg.), Vom Straßenkind zum Medienkind. Raum- und Medienforschung im 21. Jahrhundert. Weinheim und Basel, 2013, S. 60. 20 Ebd., S. 64. 21 Ebd.
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deutlichung von Umständen erreicht, die nicht mit einem die Prozesse überschattendem Wahrheitswissen agiert.22 Unbestimmtheit und Subjektivität sind ein paradoxes und chiatisches Tandem kontingenter Zusammenhänge, die sich aus einer insgesamt unübersichtlichen und überkomplexen medialen Gesellschaftsrahmung ergeben. Dies zeigt sich insbesondere in den oben beschriebenen Verschmelzungsdimensionen von Körper und Technik auf der leiblichen Ebene, die flankiert ist durch die unsichtbar und unbemerkbar in den Maschinen ablaufenden Programme. Die Verbindung im Virtuellen wird dennoch vollzogen, indem die vorgestellte Subjektkonstruktion auf den scheinbar immateriellen und in Bildern konzipierten Grund des digital Virtuellen als Spiel und Freiheit übertragen wird. Marotzki hat in diesem Kontext den Begriff der Virtualitätslagerung eingeführt, die virtuelle Ebene des Cyberspace dient dabei als „[…] Erweiterung des Möglichkeitsraums […]“23, in dem Menschen „[…] ihre Identität entwerfen und damit ihr Offline-Leben erweitern.“24 Die Inszenierungen im digital-virtuellen Raum wirken in die daneben stehenden Räume hinein und beeinflussen aufgrund der Vernetzung die in der Summe konzipierte Gesamtinszenierung der Identität. Auf diese Weise entstehen sich ständig de- und reterritorialisierende Gefüge, die in Bewegung verschiedene Räume als Habitat erschließbar machen, indem Symbolgültigkeiten auf phänomenaler Grundlage in Tätigkeiten übersetzt werden. Die gegenseitigen Überlagerungen der Räume sind dabei begründet durch die phänomenlogischen Verknüpfungen des Körpers mit den technologisch und digital aufgeladenen Artefakten. Dabei weisen Jörissen und Marotzki auf die daraus hervorgehenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen, die sie folgend beschreiben: „Die Kategorien des Realen und des Virtuellen lassen sich nicht in der Weise sauber trennen, dass sich mit ihnen die Behauptung vollkommen voneinander getrennter Erfahrungsbereiche (online vs. Offline) belegen ließe. Im Gegenteil, unsere Offline-Erfahrung erscheint aus philosophischer Sicht bereits als von Virtualität durchzogen, so wie das Reich des Virtuellen durchaus auch einen legitimen Teil unserer Realität ausmacht.“25
22 Vgl. Jörissen, Benjamin und Marotzki, Winfried: Medienbildung – eine Einführung. Bad Heilbrunn, 2009, S. 21. 23 Ebd., S. 201. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 205.
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Die Realitätsempfindung und -konstitution weitet sich in die produzierten Bildflächen des Virtuellen aus, die perzeptive Überlagerung von real und virtuell wird als Tatsächlichkeit von Wirklichkeit empfunden und wird damit zum Aspekt der Erkenntnis. Die Situationen einer jeweils unterschiedlich gestaltbaren Inszenierung des Selbst variieren und oszillieren zwischen real und virtuell. Die Gestaltung von Avataren in die Virtualität des Cyberspace ist dabei ein Mittel und Ausdruck von ästhetischer Formung eines Selbst. Die Situationen der Spielund Präsentationswelten entsprechen dabei den Codierungen repräsentativer Kulturinhalte. Der Cyberspace bestätigt demnach mit den in ihm produzierten und gestalteten Situationen die repräsentativen Setzungen der Realität. Die als Variabilität und Vielfältigkeit von Situation und Gestalt erscheinende Inszenierung darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um keine Befreiung von Machtverhältnissen und gesellschaftlicher Ordnung handelt. Vielmehr sind viele narrativ gestützte Plots im Virtuellen als Kopien kulturell überlieferter Mythen der als Industrie für die Massen agierenden Medienindustrie zu verstehen, die im Cyberspace eine Dauerkopie der prinzipiell herrschenden Ordnungs- und Machtverhältnisse erzeugt. Die Agora im Virtuellen dient daher einer unendlichen Dauerbespiegelung eines repräsentativ situierten Gesellschaftsgefüges, das sich auf diese Weise zusätzlich stabilisiert und erhält. Bildungstheoretisch relevant dabei ist vor allem die Tatsache, dass in virtuellen Lebenswelten, die gleichen Regeln herrschen wie in realen Lebenswelten, denn um sich eine virtuelle Identität schaffen zu können müssen Voraussetzungen geschaffen werden. Jörissen und Marotzki erfassen dies wie folgt: „In der Regel […] werden diese Avatare eher konventionell verwendet, indem bestimmte jugend- und subkulturelle Zugehörigkeiten durch entsprechende Auswahl typisierender Haar- und Kleidungsformen angezeigt werden. Die Option des monetären Erwerbs von Avatar-Grundformen und Zubehör bringt zudem einen Distinktionsaspekt mit sich.“26
Für die medienpädagogische und erziehungswissenschaftliche Positionierung bedeutet dies, dass die Konzeptionen eines Selbst im Umgang mit Medien nicht den Begriff des Subjektes aufgeben können. Allerdings sollte die grundlegend durch Technik veränderte Bedingung und die sich daher in unterschiedlichen Formen und Spielarten zeigende Subjektivierung in ihrer Tiefe erfasst und gewürdigt werden.
26 Ebd., S. 214.
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M EDIENPÄDAGOGISCHE T RAGWEITE S ELBSTINSZENIERUNG
DIGITALER
Will Medienpädagogik nicht nur den technischen Entwicklungen hinterherhinken, muss sie Stellung beziehen und den medialen Umgang im Sinne einer an Diskursen orientierten Handlungsdimension erweitern. Den Diskurs mitzubestimmen und ein wirksames auf die Medien abgestimmtes Dispositiv zu entwickeln, ist aus meiner Sicht ein genuin bildungsrelevantes Thema. Wenn ich auf der Ebene der Bildung eine Bewertung der herausgearbeiteten Konsequenzen vornehme komme ich nicht umhin, die phänomenologische Dimension zu beachten. Damit meine ich die Hinwendung zum Körper, wie und unter welchen Bedingungen er als Wissensreservoir Erkenntnis und Bedeutungen für eine Reflexionsebene ausbilden kann. Aus meiner Sicht ist es die genuine Aufgabe der Bildungs- und Erziehungswissenschaften, Strategien zu entwickeln, die eine Reflexionsebene, als Diskurspraxis verstanden, eröffnen kann. Daraus kann sich eine bildungsrelevante Einflussnahme auf herrschende Praktiken der Digitalisierung und dem darin ausgesetzten als Mensch konstruierten Subjekt entfalten. Eines ist vor allem aus medienpädagogischer Sicht zu berücksichtigen, nämlich die Wechselwirkungen zwischen den Apparaten und den wie auch immer ausgestalteten Subjekten im gesellschaftlichen Gefüge kritisch zu kontextualisieren. „Es entsteht ein autonomer Apparat […] Sollte es nicht gelingen, diesem viziösen Zirkel Knüppel zwischen die Beine zu werfen, dann rollt die Kommunikationssituation der Errichtung einer totalitären Massengesellschaft entgegen. Und das ist „höllisch“, weil in einer solchen Lage die Kommunikation in ihr Gegenteil umschlägt: anstatt mit anderen zu verbinden, um dem Leben einen Sinn zu geben, wird sie zur totalen Vereinsamung und Sinnlosigkeit des Lebens führen.“27
Die im Cyberspace entstehenden Paradoxien des Sozialen, also die über Apparate erzeugte Verbundenheit und die ihr gegenüberstehende Isolation, müssen auf einer übergeordneten Ebene reflektiert werden. Über das Massenmedium Internet sind zwar viele Menschen miteinander verknüpft, ohne zeitgleich in „körperlicher Ko-Präsenz“28 miteinander im Raum zu sein. Die Schaffung einer virtuellen Sozialität im Cyberspace als Resultat einer Übersetzung des realen Körpers
27 Flusser, 2007, S. 225. 28 Der Begriff entstammt von Fischer-Lichte kann aber hier zur Verdeutlichung verwendet werden.
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in einen Avatar via Datenanzug und Datenbrille bestätigt zwar die Wirksamkeit der Verschränkung von Körper und Maschine, sollte aber aus generell erziehungswissenschaftlicher Sicht nur Nebenraum medienpädagogischer Intervention sein. Vielmehr muss neben der Spielerei, die Information über das Medium, also die dahinter liegende Logik der Maschine Inhalt der Vermittlung sein. Das ist der medienkundliche Zweig der Medienpädagogik, der sich „[…] auf den technischen, ökonomischen, juristischen und politischen Bereich […]“29 erziehungswissenschaftlicher Interessen ausweiten muss. Es muss um die Vermittlung des Hintergrundes der Maschine gehen, nicht nur um den Umgang mit der auf Displays und Monitoren wiedergegebenen Oberfläche. Im Zuge der Digitalisierung und Technisierung werden Inszenierungen und Selbstinszenierungen eigener und fremder Körper ohne große Kunstfertigkeit möglich. Die menschliche Reflexionsfähigkeit, sich selbst als Anderen sehen zu können, setzt sich mit den Mitteln der Theatralisierung im Cyberspace fort. Die Medialität des Cyberspace unterliegt einer eigenen Ästhetik, also einem eigenen Modus der Kommunikationsvermittlung, die direkt auf den Körper und seine Wahrnehmung Einfluss nehmen. Heitjohann und Popp haben dazu festgestellt: „Den Cyberspace , als vernetztes digitales Areal, verstehen wir zunächst als unbekannten Ort sozialer Interaktion, an dem bestimmte Strategien und Mechanismen angewandt werden, die in diesem spezifischen Medium besonders effektiv und komfortabel einzusetzen sind. Die zentrale Frage für uns ist, ob es sich beim Cyberspace lediglich um eine neue Bühne für das dekonstruierte und dezentralisierte Subjekt handelt, welches in seiner Integrität unangetastet bleibt, oder ob der Cyberspace in der Lage ist das Subjekt und damit Gesellschaften substanziell zu gefährden oder zu erweitern.“30
Es zeigt sich, dass die Verhältnisse durch den Cyberspace verschachtelt, unübersichtlich und technologisch automatisiert gestaltet sind. Die Körper sind im Kontext des Cyberspace über technisch vermittelte Bilder dargestellt und rezipiert, was einerseits eine Distanzierung zum Körper auslöst, da der Körper als Bildphänomen als Abwesendes definiert und inszeniert wird. Diese Bilderflut und macht hat Dietmar Kamper in seinen Forschungen als „Ästhetik der Abwesenheit“ bezeichnet. Der Körper ist sichtbar aber abwesend und gleichzeitig faszinierend:
29 Sinhart-Pallin, S. 389. 30 Heitjohann, Jens/Popp, Steffen: Redirecting the Net. In: Christoph Bieber, Claus Leggewie (Hrsg.), Interaktivität. Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt am Main, 2004, S. 318.
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„Um in die Differenz von Körper und Bild eintreten zu können, bedarf es der Zuspitzung: Der Unterschied, der zieht, spannt sich auf zwischen bildlosen Körpern und körperlosen Bildern. Die intermediären Zustände verdecken eher das Problem, insbesondere wenn man von Körpern immer nur wie von Körperbildern spricht, ohne die Abstraktion zu ahnen, die historisch über Etappen bereits investiert ist. Die Körper, die aus der sprachlichen Unterdrückung freikamen, scheinen als Bilder von Körpern ein nie gekanntes Maß an Freiheit zu demonstrieren. Das ist faszinierend.“31
Die als Faszinosum wirkenden Bilder werden über die maschinisiert-computerisierten Dinge produziert, vervielfältigt, gesichert und vermittelt. Die faszinierende und affektiv aufgeladene Bilderwelt ist an die Apparatur der Dingwelten gekoppelt. Die Affektketten sind als unsichtbares Band in den Algorithmen als kalkulierende Berechnung des Verhaltens um den Körper gelegt. Das ist ein ganz spezifisches und ineinander abgestimmtes Design der Dinge, die als mediale Wirklichkeitsstiftung in die Bildungsprozesse eingreifen. Die Bildungsprozesse sind daher an eine relationale und materielle Wissensarchitektur gebunden, die unbedingt mit den Dingen in Verbindung steht. Aus bildungstheoretischer Sicht plädiert Jörissen daher dafür: „[…] Dinge als epistemische Akteure zu verstehen, die nicht isoliert, sondern nur vor dem Hintergrund modernisierungstheoretischer Dynamiken verstanden werden können, der über den Diskurs des Designs Alltagspraktiken, Ökonomie und Technologie eng aneinander koppelt. Der den Dingen immanente Entwurfscharakter, das von ihnen verkörperte strukturimmanente Wissen betrifft nicht nur ihre „Gebrauchsmöglichkeiten“, sondern auf einer theoretisch tieferliegenden Ebene, ihre Relationalisierungspotenziale im Hinblick auf andere (dingliche oder menschliche) Akteure.“32
Die Hintergründe und die an den Verhältnissen der Akteure orientierten Konsequenzen einer Diskurspraktik ergeben ein weithin relevantes Feld medienpädagogischer Intervention, wenn sich in diesem Gefüge ein als wie auch immer gültiges Subjekt auf der Selbstinszenierungsfolie artikuliert. Die designte Dingwelt
31 Kamper, Dietmar: Ästhetik der Abwesenheit. Die Entfernung der Körper. München, 2008, S. 23. 32 Jörissen, Benjamin: Bildung der Dinge: Design und Subjektivation. In: Jörissen, Benjamin und Meyer, Torsten (Hrsg.), Subjekt Medium Bildung. Medienbildung und Gesellschaft. Wiesbaden, 2015, S. 216.
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stellt in ihrer relationalen Wirksamkeit „[…] Problemdefinitionen, Handlungs-, Orientierungs- und auch Identifizierungsangebote […]“33 bereit. Für die Erziehungswissenschaften ist es daher bedeutsam eine relationale Perspektive im Hinblick auf die Bedingungen einer im Cyberspace vollzogenen Selbstinszenierung zu entwickeln. Der Begriff des Subjektes ist dabei nach wie vor von zentraler Relevanz. Die Konstruktionen eines Subjektes orientieren sich allerdings an unterschiedlichen Möglichkeiten und Ausprägungen, dies gilt insbesondere im Zusammenspiel mit der medialen Digitalisierung. Die darin enthaltenen Bedingungen legen einen Umgang mit dem Subjekt nahe, der sich nicht mehr an einer stabilen Konstruktion desselben orientiert, sondern sich auf die wechselseitig verschränkten phänomenalen Wirkungen von Akteuren bezieht. Dies erfordert für die medienpädagogische Erziehungswissenschaft die Schaffung einer erweiterten Perspektivierung, die sich an der verwobenen Materialität von Körpern, Dingen und Umwelt orientiert.
33 Ebd., S. 228.
8. Schlussüberlegungen
Demnach wurden folgende Überlegungen im Rahmen der Dissertation behandelt: Ob und wie auf Grundlage sich wandelnder theatraler Inszenierungen eines Selbst im Cyberspace der Körper als ästhetische Repräsentation vollzogen wird. Angesichts der Mannigfaltigkeit der virtuellen Inszenierungsebenen sind die Produktionsprozesse der Repräsentationen im Wechselspiel von Körper und Apparatur untersucht worden, das heißt, es wurde die Frage gestellt: Wer oder was bedient wen oder was und wo ist die Grenze zu ziehen zwischen Subjekt und Artefakt und umgekehrt? Auf Basis der phänomenologischen Materialität konnte die Frage dahingehend beantwortet werden, dass die Verschränkung von Ding und Körper als eine elementare Bedingung einer variablen Selbstinszenierung zu beurteilen ist. Der Cyberspace dient als unbegrenzter Spiegel, in dem sich die Repräsentationen von sich als Selbst und dem gegenüberliegenden Anderen vervielfältigen. Das erscheinende Bild wandelt sich in eine narzisstische Projektion, doch nicht des materiellen Körpers, sondern desjenigen Körpers, der nur Gewebe aus Beschreibung und Beschriftung ist, das heißt die Einschreibung bestätigt sich symbolisch, wird evident, der Körper selbst verschwindet im Komplex medialisierter Bildflächen, die an den Körper gebunden via Datentransfer ins Virtuelle über die Immersion eine Körperlichkeit vorgeben. Im Kontext, beispielsweise eines Onlinerollenspiels vermischen sich die Bilder nicht nur auf der Ebene des Visuellen, sondern gehen darüber hinaus auch ein Bündnis mit der vermeintlichen Körperlichkeit des auf diese Weise belebten Avatars ein. Die affektive Besetzung des Avatars macht die Verunsicherung maßlos, da sie keine Bezugsgröße mehr in Form eines konkreten Körpers, also eines anderen hat. Der den Körper umschlingende Datenanzug, der Bewegungen des Virtuellen und Realen miteinander abgleicht, lässt das Virtuelle und Reale zu einer Wirklichkeit werden. Die durch die digitale Technik geschaffenen neuen virtuellen Räume sind als Bewegung einer territorialen Transformation des Körpers, der Bedeutungen und
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Beziehungen bzw. der Verhältnisse zu verstehen. Indem die Virtualität im Cyberspace eine mögliche Verschmelzung mit den Körperbewegungen und -empfindungen eingeht, ist die potentielle Erweiterung des Wirkungskreises eigener Selbstinszenierung technikgestützt vollbracht. Die Selbstinszenierung braucht dabei dennoch den Bezug zum Körper, sei es auf der bildlichen Ebene als Abbild oder auf der leiblichen als Körper. Beide Darstellungen sind materiell, die bildgestützte ist von technischen Geräten unterstützt, die körperliche hängt von der leiblichen Formbarkeit und Anpassung ab. Die den Körper umgebende Umwelt verändert sich in der Folge der digitalen Technisierung rasant. Sensorik, Miniaturisierung und drahtlose Vernetzung sind angewandte Methoden, die sich um den Körper als Ausdruck eines neu gestalteten, in Transformation befindlichen Habitats äußern. Diese Transformation wird durch die verselbständigte Kommunikation der Dinge untereinander zusätzlich verstärkt. Mit dem technisch angelegten Gefüge des „Internet der Dinge“ ist ein technisch selbständiges Milieu im Entstehen, das ein für sich gültiges technisches Habitat entwickelt, innerhalb dessen der Mensch die Prozesse nicht mehr überblicken kann. Ein mögliches Szenario sich selbst steuernder Technik wäre, wenn Maschinen selbständig ihre Umgebung nach Energiebedürfnissen und notwendigen Produktionsketten auf Grund sich selbst verändernder Algorithmen ausrichteten. Die Steuerung von Produktion und Verwertung geht auf diese Weise in die automatisierte Sphäre der binär-algorithmischen Berechnung ein. Die algorithmisierten Automatismen müssen nur noch auf alle anderen möglichen Gegenstände übertragbar sein, um eine vom Menschen unabhängig designte Ökologie zu schaffen. Dies scheint sich mit der Umstellung auf die Internet Protokoll Version 6 (IPv6) zu verwirklichen. Dies bedeutet, dass es möglich ist „[…] die Welt mit einem digitalen Feinstgewebe zu durchdringen, das mit 340 Sextillionen (d.h. 2 hoch 128) Adressen ausgestattet sein könnte.“1 Dann können alle Dinge mit allen Dingen im Sinne von sensorisch gefütterten Datentransfers als globale Apparatur in Verbindung gebracht werden, die Dinge können auf diese Weise ihre eigenen Habitate ausformen. Neben der Kommunikation der Menschen entsteht eine zwar durch Menschen erzeugte maschinale automatisierte Kommunikation der Dinge, die jedoch unabhängig vom Menschen abläuft, aber den Menschen in seiner Konstitution beeinflusst. Die Apparate gestalten ein Unbewusstes, auf das wir als Mensch nur noch reagieren können. Die als Selbstinszenierung empfundene Darstellung einer Persönlichkeit oder Subjektivität erscheint auf den Displays nur noch als Nebenprodukt.
1
Faßler, S. 126.
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Der Mensch ist in dieser neuen Ökologie gefangen, da sein Leben, beziehungsweise sein momentan konstruierter Lebensstil, daran hängt. Das Internet der Dinge wird sich selbst eine neue Ökologie der Dinge schaffen, denn die Räume sind in einem nach technischen Maßgaben rhythmisierten Kontext auf die technischen Möglichkeiten hin ausgerichtet. Die so auf das Technische konzentrierten Habitate richten sich automatisiert an die Bedingungen der Apparate, die keinen menschlichen Operator mehr benötigen. Welche Bedeutung der Mensch, also auch sein ihn beheimatender Körper, bei einer weiteren Entwicklung dahingehend noch haben wird, ist offen. Eines erscheint allerdings gewiss: Die Körper werden in einer technischen Umgebung, einer neuen Natur der Dinge, auch ein anderes Bewusstsein entwickeln. Bewusstsein und Bewussthaben ist aus phänomenologischer Sicht gebunden an den Körper, die ihn umgebenden Dinge und seine Tätigkeiten in einer ihn umschließenden Umwelt. Die Maschine, die als Trägerobjekt den auf der virtuellen Folie überwundenen Körper des Menschen als programmierte Erzählung aufnimmt, produziert auf dieser Grundlage eine technisch-sensorische Datenkette, die als kommunikative Einheit im Sinne von Verwertung und Erhalt des technischen Kreislaufs agiert. Diese Überführung der Lebens- und Handlungsverhältnisse in die Technizität ist verwirklicht worden in jenem Augenblick, als der mathematische Schriftcode der Binarität alle anderen Schrifttypen universalisiert in sich vereinnahmt hat. Im Augenblick, in dem alles durch die binärlogische Schrift aus „0“ und „1“ erklär-, erfass- und übersetzbar wurde, sind die anderen Schriftsätze wie wir sie kennen zum Nebenprodukt geworden. Wenn ich auf der Tastatur ein „a“ eingebe, sind im Hintergrund um dieses „a“ darzustellen völlig andere Zeichen und Prozesse aktiv. Um es mit Flusser auf den Punkt zu bringen: „Hinter der Tastatur, auf deren Tasten sie drücken, befindet sich ein Schwarm von Teilchen, und dieser Schwarm ist ein Feld von zu verwirklichenden Möglichkeiten. Dank jedem Tastendruck kann in das absurde Chaos dieses ‚1-0‘-Zufalls eine Form hineingedrückt werden, es kann informiert werden. Die derart herausgeholte Information kann gespeichert und dialogisch uminformiert werden. Das alles geschieht mit großer Geschwindigkeit, sodass die Menge der erzeugten Informationen sehr groß ist, und einige darunter sind völlig unerwartet.“2
Mit dem Binärcode, werden alle gerade gültigen Schriften und deren Erzählungen beeinflusst und erfasst. Die Krise der Erzählungen ist daher im Eigentlichen
2
Flusser, 2003, S. 83.
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die Krise der Schrift. Die Schriften sind im Sinne der Rechenprozesse syntaktisch geworden und nicht mehr semiotisch. Daraus entstehen zum Teil die erlebten Sinnrisse, die wir als Kontingenz und Ungewissheit erleben, denn unsere Wahrnehmung von Schrift und Sprache ist nicht digital, sondern bewegt sich analog, der auf Körperlichkeit ausgerichtete Umgang mit den Zeichen ist nicht im Rhythmus und im Takt der binärlogischen Maschinenverarbeitung. Der Mensch befindet sich daher im Zeitalter einer kontingenten Schriftlichkeit, die eine automatisierte Transformationsformel für den Körper enthält. Die Schrift hat sich vom Bild, zum Buchstaben, zur Zahl gewandelt. Die Zahl selbst verwandelt nun als Maschinensprache über die Displays alles wieder zu Bildern, die selbst zur total virtuellen Abstraktion geworden sind. Flusser sieht dies daher als „[…] neue Art der Einbildung […]“.3 Die Bilder bilden eine Kalkulation ab, nicht mehr den Gegenstand, „[…] und es ist ein Modell für mögliche, nicht tatsächliche, Gegenstände.“4 Flusser formuliert auf diese Weise eine in einen Bildkreis umformulierte Schriftlichkeit, die sich als berechnete Abstraktion vom Gegenständlichen total entfernt hat. Sein Schluss lautet daher: „Die erste Einbildungskraft macht Abbilder, welche als Vorbilder dienen sollen, und die zweite macht Vorbilder, welche Kalkulationen abbilden sollen.“5 Die zweite Einbildungskraft ist als von der Maschine übernommene Ebene der Sinnverarbeitung und -produktion zu betrachten. Diese Ebene ist als zwischengeschalteter Wahrnehmungsprozess zu verstehen, der auf Grund der Nähe der Körper zur Maschine die oben erwähnten Prozesse der Protention und Retention im Wahrnehmungsprozess stark beeinflusst. Die zur Selbstinszenierung verwendeten Bilder der Körper sind also zu fragmentarischen Abstraktionsketten einer mehrfachen Sedimentierung von Schriften geworden. Aus diesen Aspekten definiert sich ein Gefüge, das sich zusammensetzt aus dem anthropologischen Prinzip der Selbstinszenierung, das umrahmt ist von der konstruierten oppositionellen Systematik aus Subjekt und Objekt und dem spannungsgeladenen Mechanismus, bestehend aus Repräsentation und Präsenz, der über die zeichenabhängigen Signifizierungsprozesse Bedeutungen erzeugt. Im Kontext mit der Technisierung wird dieses Gefüge allerdings stark dynamisiert, da aus der Verschränkung der Körper eine Biotechnologisierung der Semiotik auf Grundlage binärlogischer Verschriftlichung der Lebenswelt durchgeführt wird. Die in Bildern vollzogene Selbstinszenierung ist demnach das Resultat einer Kalkulation und nicht das Bild einer auf Vermittlung von Entscheidungen beruhenden Ästhetik
3
Ebd., S. 78.
4
Ebd., S. 79.
5
Ebd.
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eines bewussten Selbst. Vor der Totaldigitalisierung des Lebens waren die Schriften in einer Art Gegenüberstellung und bewegten je eigene Inhalte. Da allerdings nun alles in die kalkulierende Universalität der Maschinenzeichen aufgesogen ist, folgt daraus: „Das Reale ist nur noch der asymptotische Horizont des Virtuellen.“6 Die Abstraktion der Realität in eine Zahlencodierung verändert zwangsläufig das Denken, die Wahrnehmung und die Sozialräume. Die Botschaften expandieren in weitläufige Datenkanäle und verselbständigen sich, indem sie sich von Stimme, Körper und Berührung distanzieren. Die Differenzen zur Umwelt werden auf diese Weise zum Ausdruck einer Stimmlosigkeit, die sich in der Unfähigkeit zur Bestimmung eigener Sprachlichkeit äußert. Die Differenz verliert sich, indem jenes Andere außerhalb der Maschinenlogik ausgeschlossen wird. In Derridas Worten: „Der Mensch kann sich Mensch nur nennen, indem er Grenzen zieht, die sein Anderes: die Reinheit der Natur, der Animalität, der Ursprünglichkeit, der Kindheit, des Wahnsinns, der Göttlichkeit aus dem Spiel der Supplementarität ausschließen. Die Annäherung an die Grenzen wird als eine tödliche Bedrohung gefürchtet und zugleich als Zugang zum Leben ohne Aufschub (*Differenz) begehrt.“7
Die technische Computersprache sammelt diese Grenzen ein und verwaltet sie, indem aus einem systemimmanenten Verteidigungsreflex die eigene mathematische Ordnung der Sprache und Schrift erhalten bleibt. Der Computer verträgt keinen Wahnsinn, keine Animalität, keine Ursprünglichkeit oder Kindheit, daher schließt er diese Ordnungsbedrohung über seine abstrakte universalisierende Schriftlichkeit als Ausschlusskriterium aus. Mit anderen Worten: Die Maschine verachtet das „Theater der Grausamkeit“. In dieser Verachtung wird auf diese Weise die Kommunikation supplementarisiert, indem eine Wahrheit als einzige Möglichkeitsform formuliert und dargestellt wird. Daher ist das Senden und Empfangen von Informationen an die Maschine delegiert, denn dort kann jeglicher Zweifel an Transfer, Inhalt und Verständnis ausgeschlossen werden, da es auf Grund des gültigen totalen Positivismus keinen sprachlichen oder schriftlichen Zwischenton gibt. In der Wahrnehmung außerhalb der Maschine, also am Fleisch des Körpers, entsteht die phänomenale Unzulänglichkeit der Vermittlung, denn wer Nachrichten oder In-
6
Baudrillard, Jean: Die Intelligenz des Bösen. Wien, 2006, S. 108.
7
Derrida, 1974, S. 420.
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formationen sendet und empfängt, wird für die Menschen undeutlich. Übrig bleiben auf technischer Projektbasis erzeugte Phänomene. Die Visualität eines zweidimensionalen Bildes, als eine bloße Repräsentation der Realität hat sich durch den Cyberspace und die Computertechnologie gewandelt zur Simulation von Belebtheit, da das Bild nicht mehr nur Bild ist, sondern als gespeicherte Möglichkeit potentieller Veränderung zu betrachten ist.8 Das Gegenüber im Computerspiel erscheint nicht materiell, sondern schwebt virtuell ohne Rückkopplung und mündet in eine übersignifizierte Kommunikation. Paul Virilio hat diesen Vorgang der Entmaterialisierung wie folgt erfasst: „Am Anfang des dritten Jahrtausends, nach dem bitteren Scheitern des „historischen Materialismus“ der Revolutionäre des letzten Jahrhunderts, kündigt sich daher die Elimination des Materialismus selbst an. Jetzt, nach der Kernspaltung, besteht das nächste Projekt darin, die Entmaterialisierung voranzutreiben und vom Begriff der physischen Materialität zur digitalen Abstraktion zu gelangen.“9
Diese Abstraktionen sind allerdings unbedingt materiell, denn jegliche Medialität benötigt zum Transfer ein Trägerobjekt, das ist im Cyberspace die gesamte elektronische auf Halbleitertechnik basierende Apparatur für Datenspeicherung und -verarbeitung/-prozessierung. Diese im Hintergrund laufende infrastrukturelle Apparatur ist weitestgehend unsichtbar. Die Bediener sitzen am Ende der Kette am so genannten „Endgerät“. Der Gesamtprozess der Medialität, also der weit verzweigte und ins binärlogische System übersetzte Vorgang der Übermittlung der Kommunikation verschwindet aus der Wahrnehmung, ist als solcher nicht mehr eingrenzbar und löst sich geradezu im Begriff des Postmedialen auf. Stefan Selke greift dieses Phänomen auf: „Medien verändern unser Bewusstsein. Sie verändern unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit, aber vor allem auch die Wahrnehmung von uns selbst. Genau dieser Aspekt wird bei Postmedien immer wichtiger werden. Postmedien lösen Dualismen auf, die bisher die Selbstwahrnehmung begründet haben. Die Auflösung von selbstwertdienlichen Grenzen funktioniert dabei in zwei Richtungen: Einerseits verhalten sich Menschen immer „maschinenhafter“. Andererseits werden Maschinen immer „menschlicher“. Der Technisierung des Menschen steht die Anthropomorphisierung der Technik gegenüber.“10
8
Vgl., Weibel, S. 5.
9
Virilio, Paul: Die Verblendung der Kunst. Wien, 2008, S. 64.
10 Selke, Stefan, 2009, S. 21.
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Die Angleichung von Mensch und Maschine ergibt sich aus der körperlichen Annäherung der beiden. Mit Anthropomorphisierung der Technik ist gleichzeitig die Psychologisierung der Technik gemeint, im Augenblick der räumlichen Annäherung gewinnt der Kommunikationsapparat eine Beziehungsdimension, die sich technosozial äußert. Wie schnell eine Bindung zu einer Maschine entstehen kann, hat Joseph Weizenbaum mit seinem einfachen Sprachanalyseprogramm ELIZA nachgewiesen. Sobald eine anschlussfähige Kommunikation ermöglicht ist, spielt es keine Rolle mehr ob das Gegenüber Mensch oder Maschine ist. Weizenbaums Probanden haben den mit dem Sprachprogramm ausgestatten Computer zur Person gemacht, „[…] der man sich in geeigneter Weise über Privatangelegenheiten mitteilen konnte.“11 Zur Personifizierung des Computers zu einem vertrauten Gegenüber reicht, laut Weizenbaum, „[…] ein extrem kurzer Kontakt mit einem relativ einfachen Computerprogramm […]“ um „[…] das Denken ganz normaler Leute in eine ernstzunehmende Wahnvorstellung […]“12 zu verwandeln. Das war in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, heute sind Smartphones und Wearables in jeder Lebenssituation dabei, und hören, antworten und begleiten uns pausenlos – die emotionale Bindung zum Ding ist enorm. Dies ist als technoemotionale Dynamik der Computerisierung zu betrachten, die die Motive der Symbiose aus Mensch und Technik auf eine irrationale Ebene transportiert. Das Interesse daran, wer oder was hinter der Struktur steckt, ständig neue Daten- und Informationsfluten zu erzeugen, gerät in den Hintergrund. Die Beziehung zu Mensch und Computer ist getragen von einer positivistischen Rationalisierung des Lebens, die in der Folge den als Datensatz generierbaren Geist als totale Idealisierung von Wahrheit und Wirklichkeit aufwertet. MeyerDrawe sieht die gegenseitige Morphisierung von Mensch und Computer im Doppelgängermotiv verborgen, indem vom Computer eine Suggestionskraft ausgeht: „Er suggeriert, daß der Mensch sein eigenes Denken nach dessen Vorbild verstehen kann. Er ist in dem Maße anthropomorph, in dem sich der Mensch technomorph versteht. In diesem Sinne fungieren Maschinen als Spiegel der Menschen. Sie sind Doppelgänger, materialisierte Selbstauffassungen, die einen gleichgültig lassen, die anderen begeistern oder beunruhigen.“13
11 Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt am Main. 1977, S. 19. 12 Ebd., S. 20. f. 13 Meyer-Drawe, 1996, S. 28.
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Es sind die anthropomorphisierten Geräte, die als Ganzes einen permanenten Doppelgänger auf der Ebene der Selbstinszenierung produzieren. Unsere Aufmerksamkeit wandert vom Original zum Double und umgekehrt. Mit der Frage nach der Macht bin ich diesem hinter den Apparateketten wirkenden Motiven und Interessen auf die Spur gekommen. Der marktgesteuerte Imperativ hat den Cyberspace komplett eingenommen, die Anfang der 2000er Jahre propagierte Demokratisierung durch das Internet hat sich als Illusion herausgestellt.14 Das Internet offenbart sich primär als angelegter Kanal von Macht- und Marktinteressen. Die „sozialen Netzwerke“ sind eigentlich maschinale Apparatenetze, an deren Ende von Algorithmen beeinflusste User überwiegend unwissend oder in Kauf nehmend ihre Daten zur geheimdienstlichen oder ökonomischen Verwertung preisgeben. Han hat diese Entwicklung im Effekt als inneres Panoptikum beschrieben: „Das selbstausbeutende Subjekt führt ein Arbeitslager mit sich, in dem es gleichzeitig Opfer und Täter ist. Als selbstausbeutendes, selbstüberwachendes Subjekt führt es ein Panoptikum mit sich, in dem es Insasse und Aufseher zugleich ist. Das digitalisierte, vernetzte Subjekt ist ein Panoptikum seiner selbst. So wird die Überwachung an jeden Einzelnen delegiert.“15
Auf diese Weise entsteht ein gemeinsam getragener Imperativ, der sich auf der Verhaltensebene zu einem für alle und jeden gültigen Code verschärft. Die im
14 Vielmehr entwickeln sich viele Staaten, auch innerhalb Europas, hin zu einer Renaissance autoritär organisierter Staatlichkeit. Paranoia ist hierbei die gesetzte Erzählung, diese setzt auf Affekte, die sich am besten durch verflachte Diskurse im Internet tragen lassen. Inhaltlich wird eine auf Affektstotterei ausgerichtete Informationskette gesendet, die keine diskursive Tiefe, sondern parolenhafte Überschriften statt diskussionsreife Argumente enthält. Ein symptomatisches Beispiel hierfür: die Affekt geladene Auseinandersetzung via Twitter und Facebook zur Situation nach Europa geflohener Menschen. Ohne wirklichen Kontakt zur Realität der Geflohenen werden affektgeladene paranoide Botschaften gesendet, die sich vermehren, verstärken und verheeren. Unterfüttert werden diese Kurzmitteilungen mit als passend zur Parole empfundenen Videoschnipseln. Das Bild trägt den effektvollen Affekt, dieser verhärtet sich zum somatisierten Gesamtausdruck. Aus der schieren Menge solcher Art gesendeter Botschaften erhebt sich eine aus gesetzten Affekten scheinbar ausweglose Krisenwirklichkeit. 15 Han, 2014, S. 84.
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Rahmen der digitalen Medien geäußerte Selbstinszenierung in Gestalt eines Datenschattens ist als Ausdruck eines auf diese Weise im Hintergrund definierten Bedeutungsregimes zu verstehen. Die Macht wird unsichtbar und braucht sich nicht mehr um die Disziplinierung des Körpers zu kümmern. Meyer-Drawe fasst zugespitzt die Konsequenz für die Pädagogik folgendermaßen zusammen: „Eine pädagogische Maschine, die als anonyme Machtstrategie fungiert, kann auf Prügelstrafe verzichten.“16 Die Subjekte agieren als Repräsentanten einer im Hintergrund wirksamen Macht, die auf diese Weise pausenlos bildbasierte Idealisierungen als nimmermüden Mythos als Narrativ in die Verhältnisse hineindiktieren und gegenseitiges Verhalten als Ausdruck von Wirklichkeit vermittelt. Die Machtfülle dieser Machtmechanik, die sich über das Psychische ins Somatische hinein übersetzt, ist allerdings mehr als fragil und sehr empfindlich. Die totale Abhängigkeit von der Technik, in der wir uns befinden ist mit einer möglichen totalen Katastrophe verbunden. Paul Virilio, der mit jeder weiteren Entwicklungsstufe der Technologien die Potentialität möglicher damit in Verbindung stehender Unfälle mit denkt betrachtet das Internet als Möglichkeit eines totalen Unfalls: „Aber der Unfall des Internets oder der Unfall ähnlicher Technologien, bedeutet dann auch das Auftreten eines totalen, um nicht zu sagen allumfassenden Unfalls. Und diese Situation kennt nicht ihresgleichen. Bisher haben wir noch nie einen allumfassenden Unfall erlebt – in Ansätzen vielleicht der Börsenkrach – einen Unfall, der der ganzen Welt im selben Moment zustößt.“17
Wie ein solcher Unfall in Verbindung mit dem Internet aussehen könnte, haben wir im Jahre 2012 um exakt zwei Wochen verpasst. Ein Sonnensturm hat damals die Erde um exakt dieses Zeitfenster nicht getroffen. Hätte er die Erde getroffen, wäre ein Großteil der smarten Computertechnik im globalen Ausmaß auf Grund von erheblichen Schwankungen im Stromnetz betroffen gewesen.18 Damit ist nicht gesagt, dass die gesamte Internetstruktur lahm gelegt worden wäre, allerdings legt es die Empfindlichkeit einer Technik offen, die wir mit pseudoreligiösen Eigenschaften aufladen. Die Abhängigkeit urbaner Infrastruktur von Strom und Computertechnik macht sich in der Konsequenz einer offensichtlichen Vulnerabilität bei ihrem Ausfall bemerkbar. Je dichter der Schmelz zwischen den Geräten, den Dingen und den Apparaten und dem Körper ist, desto höher die
16 Meyer-Drawe, 1996, S. 123. 17 Virilio, 2011, S. 15. 18 http://www.spektrum.de/news/warnschuss-vor-dem-naechsten-supersturm/1308926
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mögliche Abhängigkeit. Denn die Symbiose ist nicht nur körperlich, sondern auch psychologisch, sozial und gesellschaftlich. Zurückdrehen wird sich diese Entwicklung nicht, aber der Umgang damit ist veränderbar. Derartige Verschränkung auf allen Sinnebenen erhöht die Technik zum Göttlichen. MeyerDrawe hierzu: „Projizierte der Mensch ehemals seine Vollkommenheitsentwürfe in einen Gott, der unendlich und unsterblich war, so imaginiert er sich heute in informationsverabeitenden Systemen, die seine Vorzüglichkeiten übernehmen, ohne unter seinen Mängeln zu leiden. Es sind vor allem die Visionen einer postbiologischen Gesellschaft, die auf ihre Weise an der Verwirklichung des Traums von der Unsterblichkeit der Seele und der Diskriminierung unseres Leibes arbeiten.“19
Mit dem Cyberspace sind die Unbestimmtheiten der Lebenswirklichkeit auf Grund der Vervielfältigung von Möglichkeiten der dramatischen Selbstinszenierung immens angewachsen. Die Selbstinszenierung auf der Grundlage eines als Subjekt gedachten Lebens hat sich daher komplexisiert. Die Subjektivität ist geformt durch „[…] Unbestimmtheit, die Unruhe im Rahmen eines offenen Horizonts, der durch Formationen des Ich strukturiert wird […]“.20 Diesem empfundenen Riss durch die Persönlichkeit bin ich im Begründungshorizont sich härtnäckig haltender Repräsentationsmuster nachgegangen. Dieses Muster, als Riss der Subjektivität betrachtet, ist geprägt von der „[…] Versagung einer sicheren Einheit, aber gleichzeitig auch Ort der Veränderung.“21 Die Veränderungen sind an den sich wandelnden Phänomenen sozialer, technischer, gesellschaftlicher und subjektiver Entwicklungen als permanentes Symptom einer lebendigen Performativität zu verstehen. Vielmehr bricht die Dualität aus Natur und Technik auf. „Es zeigen sich drei Räume, die sich an den Rändern überschneiden: Mensch, Maschine, Menschmaschinen.“22 Dies im Zusammenschluss zu denken, öffnet erst die kritikfähige Dimension einer aktiven Handlungsmacht. Aus meiner Sicht gilt es den wechselwirksamen Phänomenen nachzuspüren, die sich aus dem Gefüge prinzipieller Selbstinszenierung, systematischer Subjekt- und Objektkonstruktion sowie zeichenabhängiger Repräsentation ergeben. Diese Phänomene liegen zwischen diesen Ebenen, mit einer eigenen Dynamik und Diskur-
19 Meyer-Drawe, 1996, S. 31. 20 Meyer-Drawe, Käte: Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. München. 1990, S. 151. 21 Ebd. S. 155. 22 Meyer-Drawe, 1996, S. 90.
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sivität ausgestattet, in Gestalt von Wirksamkeiten und Eigenschaften körperlicher Verschränkungen und Konstellation vor. Zusammengefasst sind dies die sichtbaren und reflektierbaren Phänomene einer technosozialen kommunikativen Materialität auf die die Erziehungswissenschaft mit einer kritischen an den Strukturen der Medien intervenierenden Strategie umgehen muss. Eine auf der Oberfläche der Benutzerfreundlichkeit ausgerichtete Medienpädagogik, die sich lediglich darauf beschränkt unter dem Label „Medienkompetenz“ Kurse und Seminare für jeweils neueste technische Möglichkeiten trendiger Gadgets anzubieten, greift daher zu kurz, da sie keine eigene theoretisch-kritische Ausgangsbasis neben dem Technischen verkörpert. Daher ist aus meiner Sicht im Sinne einer Medienkunde eine entscheidende Forderung an die Erziehungswissenschaft zu formulieren: Die Vermittlung eines Verständnisses über die Maschinenprozesse, also die Vermittlung von Wissen, wie, warum, wozu und für wen Maschinen, also Computer, und von diesem beeinflusste Apparateketten, funktionieren. Wenn die computerisierten Prozesse Bedingungen, Verhältnisse und Macht beeinflussen, dann müssen diejenigen, die in diesem Gefüge leben, gestalterischen Einfluss behalten oder zurückgewinnen. Die Computertechnik werden wir höchstwahrscheinlich nicht mehr los, daher sollten so viele Menschen wie möglich lernen, wie diese Technik programmiert, manipuliert oder zur Not gehackt werden kann. Nur daraus kann sich ein auf das Gefüge abgestimmtes Tätigsein ergeben, das mit aktiver Gestaltungskraft ausgestattet ist. Anders formuliert: Es geht um die Schaffung einer beeinflussenden Gestaltungskraft über die Phänomene. Nur auf diese Weise kann die Medienpädagogik im digitalen Zeitalter die gesamte Kette der phänomenologischen Verschränkung aus Mensch und Maschine samt der hervorgehenden Phänomene (Unbestimmtheit, Isolation, Desintegration, digitale Idolatrie und Fraktalisierung) im Sinne einer produktiven Aktivität beeinflussen. Diese Bedingungen sind als Anlass für eine konzeptionell getragene und kritisch-reflexive Intervention der Erziehungswissenschaft heranzuziehen, die sich mit den koevolutionären Prozessen sich wandelnder Lebensumstände beschäftigen muss.
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