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German Pages 154 [160] Year 1914
Walter Kinkel
Vom Sein und von der Seele Dieses vom Text des Buches frei, also gewissermaßen übrig gebliebene Blatt weiß der Verleger nicht besser zu benutzen, als es mit Urteilen über die in mehreren Tausend Exemplaren verbreitete erste Auslage dieses Buches zu bedecken. Er verzichtet darauf die lobenden Äußerungen, welche z. B. M. v. Ebner-Eschenbach u. 91. brieflich und privatim über das Buch getan haben, hier anzufügen und begnügt sich damit, aus der Zahl der gedruckten Besprechungen folgende anzuführen. Im Türmer, 9lprilheft 1913, sagt Herr vr. H. Renner in einer seitenlangen Besprechung u. a.: . . . Wer sich in diese platonische Stimmung versetzt hat, der wird so recht empfänglich sein für dieses wunderbare Buch. Der Verfasser sagt selbst von seinem Werk: „Dies Buch ist bestimmt für kämpfende, suchende Menschen, die entbehren und verlangen, nicht für dogmatische Philister, die besitzen und genießen. Unter denen möchte ich mir Freunde werben, welche die Wahrheit nicht als einen fertigen endlichen Besitz, sondern als das unendlich ferne Ziel der Kultur an sehen; welche mit mir suchen wollen. Ich spreche nicht zu denen, welchen das Schicksal freundlich alle Güter des Lebens in den Schoß geworfen hat; sondern wer Schmerzen kennt und Entsagung, der wird mich verstehen. Aber die Modekrankheit des Pessimismus kann ich nicht mitmachen; sie entspringt doch zumeist einem mehr oder weniger versteckten Egoismus, durch Leiden sollen wir lernen.* . . . Das Werk schließt mit einer wahrhaft freundschaftlichen Apostrophe an den Leser: „Eine Sehnsucht, wie nach der verlorenen Heimat, muß uns der Schönheit zuführen. Es ist aber dann auch wie ein lieb liches Wunder, wenn die Schätze der Kunst in uns zum Leben erwachen: Als ob sich uns eine jugendliche reine Menschenseele freiwillig erschlösse und ihre tiefsten Tiefen enthüllte. Da sehen wir, daß der Alltag nicht recht hat, welcher uns das Bild der Menschheit verzerrt; Menschen, welche alle Arbeit nach ihrem Nutzen für den Augenblick bewerten, stehen der Kunst meist völlig ratlos gegenüber, die ein reines., inter esseloses Gefühl der. Humanität verlangt. Der Künstler leiht seine Sehnsucht zum Ewigen der Natur, und die erzählt sie nun in seinen Werken weiter. So sehen tyir, wie diese Idee der Leitstern unseres Lebens werden muß in Wissenschaft, Sittlichkeit und Kunst. Alles setzen
wir zu ihr in Beziehung; überall rufen wir nach ihr, suchen wir sie. Daher latzt uns Jdeenfteunde werden!" . . . Habe ich auch versucht, Kinkel selbst reden zu lassen, so kann der Inhalt in keiner Weise den Eindruck wiedergeben, den das Buch macht, daS den Menschen zum wahren Glück erziehen will. Nur wenn wir uns auf unser wahres Sein besinnen, erringen wir unser wahres Glück. Natur, Kunst und Wissenschaft werden uns in unserem Streben helfen, aber ein wahrer Freund wird unser wahres Sein beleben, und Kinkels Buch ist ein wahrer Freund. Wer Leid und Trauer hat, wer miß gestimmt und verzagt ist, wer mit sich zerfallen ist und sein Ziel nicht mehr erkennt, wir- in dem Buch einen Tröster und Führer finden.
Münchner Allgemeine Zeitung: . . . Ein Büchlein für das Leben im umfassenden Sinne des Wortes, voll innigen Idealismus. ' All die intimsten Fragen, die das menschliche Gemüt quälen können, werden aufgeworfen und mit be geisternder, hinreißender und poetischer Sprachgewält dargestellt. Das Buch enthalt viele allerpersönlichste Erlebnisse; und wir bekommen einen Einblick in die reiche Innenwelt, in das Seelenleben einer leidenden, tief angelegten Natur, die über das Schmerzliche, das Schöne, Wahre und Gute der Welt nachgedacht, die gelitten und sich durchgerungen hat. Alle die, denen die Probleme des Lebens am Herzen liegen, können in dem schönen Buche einen Führer finden.
W. Schwaner in seinem Bolkserzieher: ... Ein Buch, das uns bei aller philosophischen Abgeklärtheit und Ruhe nicht einschlafen und selbstgenügen läßt, sondern das uns unwiderstehlich den höchsten und allerhöchsten Zielen zustteben läßt. Ein Wegweiser, ein göttlicher Mentor der Menschen- unb Weltweisheit. ... Alles so packend, so erhebend und beseligend, daß es keinem der Unsrigen verloren gehen sollte. ... Es gibt eben Bücher, in denen wir Bein von unserem Bein, Seele von unserer Seele, Geist von unserem Geiste wiederfinden I Bücher, in denen wir mit Erstaunen unser klares Spiegelbild sehen. Kinkels Buch „Vom Sein und von der Seele" ist so eins. Ein Predigtbuch für Familie, Schule und — Kirche, wo sie nicht mehr absolut jüdisch und christlich-konfessionell lehrt. Ein Predigtbuch vor allem für unsere Volkserzieher - Abende und -Sonntage! Denn Professor Matter Kinkel ist der berufene Prediger der Vokkserzieher-Gemeinde! Monatshefte der Comenius * Gesellschaft: Ein Zeugnis feiner und gediegener Kultur! Schon in formaler Hinsicht: eine jeden Scheu: von Gelehrsamkeit verschmähende Sprache, reich an Bilden: und pointierten Gedanken, die sich auch als Aphorismen sehe:: lassen könnten. Nur der Äcimer wird gewahr, wieviel Arbeit hinter der scheinbar mühelosen Prosa verborgen ist. ... ... Hier hätten wir wirklich einmal Derstandesklarheit imb Gemütstiefe als Verbündete und nicht als Gegner. Das Büchlein setzt keinerlei Borkenntnisse — nur Herzensvorkenntnisse — voraus und wird auch emstdenkenden Frauen ein lieber Freund werde::.
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da kann es nicht ohne Wunder abgehen. Unsere mangel hafte Wett grenzt doch überall ans Chaos, ans Nichtsein, an die noch nicht besiegte Unvernunft: sie birgt unendlich viel Probleme, die der Lösung harren. Noch wird auf Erden die Tugend nicht immer belohnt, das Laster nicht immer in seiner Nichtigkeit erkannt. Das Dasein ist lückenhaft, aber der Märchendichter verhüllt die Lücken mit dem Schleier des Wunders. Das Märchen ist das Land der Erfüllung. Der Hirtensohn freit die Königstochter, der Königssohn die Schäferin; das tapfere Schneiderlein tötet Sieben auf einen Schlag, und jeder tugendhafte Märchenprinz findet seine Prinzessin. Wer will nicht gerne einmal träumen wie die Kinder! Cs ist aber noch eines, was das Märchen auszeichnet. Wir hängen uns alle an die vergänglichen Güter der Welt, der eine mehr, der andere weniger. Das ist der ewige Konflitt unseres Lebens, daß wir das Vergängliche vom Beständigen, das Endliche vom Unendlichen nicht zu sondern wissen. Und ob wir auch weise geworden sind und erkennen, daß die individuelle Lust und Unlust nicht der letzte Ausdruck der Menschheit und Sittlichkeit sind, so leiden wir doch, wenn uns ein irdisches Glück ge nommen wird. Das Märchen aber adelt recht eigentlich das individuelle Glück. Was in der Wirklichkeit vergäng lich ist, das wird hier ewig. Der Königssohn heiratet seine Prinzessin: und sie leben glücklich, und wenn sie nicht gestorben find, so leben fie heute noch. Was sollte das Märchen noch von ihnen erzählen? Daß fich das Ewige in Menschen ost, ja fast immer nur im Kampf, im Leiden und in der Entsagung offenbart — davon weiß das Märchen nichts und braucht es nicht zu wissen. Das Vergängliche (die Jugend, die Schönheit, das Liebesglück usw.) wird so an das Ewige gefesselt, daß es gleichsam der Zeit entrissen und selbst unsterblich wird. Auch hierin ist das Märchen das Land der Erfüllung. Kinkel, Vom Sein und von der Seele.
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Über das Märchen
Das Märchen steht dem Mythos noch viel näher als jede andere Dichtungsgattung. Die Feen, Zauberer, guten und bösen Geister, das find die Dämonen des Mythos. Cs find die verkörperten und verfinnlichten Wünsche und Befürchtungen des menschlichen Herzens. Wer nur ein mal recht tief im Unglück gesteckt hat, der wird, wenn er ehrlich ist, zugeben, daß es ihm vorgekommen ist wie den Kindern, daß er zu fich selbst sprach: möchte doch dies oder jenes jetzt geschehen — etwas ganz Unmögliches, Wunderbares, wie ihm seine eigene Vernunft sagte — und doch, der Wunsch drängte fich auf die Lippen! Das Märchen ergreift den Wunsch und bildet daraus seine gütige Fee. Mit dem Dämonenglauben des ursprünglichen, mythenbildenden Bewußtseins hängt überhaupt der Geister- und Gespensterglaube des Volkes zusammen. Cs ist die Form, wie fich auch heute noch die mythische Apperzeption vollzieht. Noch bei Homer finden fich sprachliche Spuren dafür, daß man das belebende Prinzip im Orga nismus selbst wieder finnlich-dinghaft gedacht hat. Die Seele ist der Dämon, welcher den Leib beseelt. Der Leib zerfällt im Tode, der Dämon bleibt bestehen, wie er ja auch schon bei Lebzeiten z. B. im Traum oder in der Ohnmacht seinen Wohnfitz, den Körper, zeitweilig verlaffen kann. Unsere Wünsche, Hoffnungen, Gefühle, Emp findungen, alle, sofern fie das rein Subjektive, das Ver gängliche und rein Individuelle ausdrücken, find im Seelendämon personifiziert. Wenn die Sage viel zu er zählen weiß von unruhigen Seelen der Gestorbenen, die solange spuken gehen, bis fie ein im Leben begangenes Unrecht gebüßt haben, so spricht fich dann ferner hierin der naive Glaube an eine bereits völlig verwirklichte Weltgerechtigkeit aus. Diese wirkliche Welt muß schon durchaus sittlich regiert sein, es darf nichts Böses unge rächt, nichts Gutes unbelohnt bleiben. Die Sage ist hier
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über das Märchen
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dem Märchen verschwistert. Sage und Märchen aber beide nur der Ausdruck des naiven Kinderglaubens des Volkes. Wo fich der Dramatiker, wo sich überhaupt der Dichter der wunderbaren Geistererscheinung bedient, muß er diesem Glauben huldigen. Man denke an die Erschei nungen des Königs im Hamlet und des Geistes des er schlagenen Vanquo im Macbeth. (Horatio zum Geist: „Und hast du aufgehäuft in deinem Leben erpreßte Schätze in der Erde Schoß, wofür ihr Geister, sagt mein, oft im Tode umhergeht: sprich davon! . .") Es ist ja auch ein tiefer und wahrer Sinn in diesem Glauben an die Welt gerechtigkeit, nur darf man sie nicht in die Gegenwart ver legen, sondern in die Zukunst, und muß sie dem Bewußt sein und der Tat der Menschheit selbst anvertrauen. Man steht aus allem, wie das Märchen dem Kinder traum der Menschheit entspricht. Was das Volksbewußt sein der jugendlichen Menschheit im Mythos erschuf, das erschafft der dichterische Genius im Märchen noch heute. Rur daß das Märchen gütiger und menschenfreundlicher ist als der Viythos. Dem primitiven Bewußtsein der Menschheit war es aber, wie schon gesagt, mit seinen mythischen Träumen bitterer Ernst. Das wache Bewußt sein des gereisten Dichtergenius, wie es fich im Märchen ausspricht, spielt mit seinen Gestalten. Die Dämonen und Geister der Urzeit lasten auf dem Gemüt der Men schen zuweilen wie ein Alp, wie ein böser Traum, aus dem es kein Erwachen gibt. Die Helden des Märchens erwachen immer zur Freude und zum Glück. Das Märchen ist das Land der Erfüllung.
Über das Schaffen des künstlerischen Genies
Wirklichkeit des Individuums, welche immer nur ein Teil und Ausschnitt aus der Gesamtwirklichkeit der Kultur ist, besteht aus dem Ganzen seiner Begriffe, Vorstellungen, Willensbestrebungen und Gefühle. Diese find aber nicht alle von gleicher Bedeutung für die Reali tät seines „Ich", und ich nenne den Teil derselben, welcher am tiefsten in seinem Gemüt wurzelt und am engsten mit seiner Existenz verknüpft ist, sein Lebenszentrum. Das Lebenszentrum wird also gebildet aus denjenigen fittlichen Ideen, theoretischen Begriffen und Gefühlen, welche gewiffermaßen den Grund und Boden des individuellen Daseins bilden und mit denen zugleich der Einzelne fich selbst aufgeben würde. Sehr verschieden bei den einzelnen Individuen ist es nach ihrer Naturanlage, Charakterbil dung und Erziehung, wohin fie diesen Schwerpunkt ihres Lebens verlegen. Der Phantast, der Schwärmer, aber auch der rechte Künstler haben ihr Lebenszentrum meist vorwiegend im Gefühl. Mer der Phantast und Schwärmer unterscheidet fich vom rechten Künstler dadurch, daß seine Gefühle nicht von klaren Begriffen begleitet find, während die Wirk lichkeit des schaffenden Künstlers durchaus einer Summe von 'Hellen und wahrhaften Begriffen, sowohl Natur-
Über das Schaffen des künstlerischen Genies
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begriffen wie sittlicher Ideen, bedarf. Dazu kommt, daß im Künstler das Gefühl der Idee mächtig und vorwaltend ist; denn die Kunst bedient sich der Natur und der Sitt lichkeit, um mit ihrer Hilfe, indem sie diese in die Einheit harmonischen Gefühls verwebt, die Ahnung der Idee der Einheit der Menschheit bei uns wachzurufen. Das reine Gefühl des Ewigen und Unendlichen jener Idee muß die Betrachtung jedes rechten Kunstwerkes begleiten. So bildet nun das Gefühl des Ewigen den innersten und tiefsten Halt im Leben des Künstlers. Das künstle rische Genie schafft von hier aus, von ihm, dem Anend lichkeitsgefühl der Idee belebt und in seinem Dienste seine Werke. Indem so das Genie aus den tiefsten Tiefen seines Gemütes heraus schafft, so ist jede seiner Leistun gen zugleich eine Konfession und eine Verttefung seiner individuellen Wirklichkeit. Freilich bleibt keinem Men schen, sofern er nicht aller Humanität bar ist, das Gefühl des Anendlichen völlig fremd; aber was den Künstler auszeichnet, ist, daß er Werke zu schaffen vermag, die uns dieses Gefühl gleichsam aufzwingen. So trägt die wahr hafte Kunst zur Verbrüderung der Menschheit bei, denn vor ihren Erzeugnissen schweigen Feindschaft und Haß, und die Gewißheit der Einheit der Menschheit spricht laut zur Seele der Genießenden. Das Genie, kann man sagen, schafft aus dem Lebens zentrum heraus, das bloße Talent von der Peripherie seiner Wirklichkeit her. Daher leidet das Genie an seinen Werken, indem es sich doch zugleich in der Arbeit von seiner Not befreit. Die größten Meisterwerke aller Kunst find unter Schmerzen geboren: das reine Gefühl der Hu manität drängte zum Ausdruck, weil das Lebenszentrum des schaffenden Künstlers im tiefsten Innern erschüttert und aufgewühlt war, sei es durch ein äußeres Ereignis oder ein seelisches Erlebnis, so daß das Gleichgewicht seines Gemütes nicht anders wieder hergestellt werden
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