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German Pages 306 Year 2015
Marcus Andreas Vom neuen guten Leben
Kultur und soziale Praxis
Marcus Andreas wurde am Institut für Ethnologie der Ludwig-MaximiliansUniversität München promoviert. Er ist Mitbegründer des Netzwerks Research in Community e.V. und Affiliate am Rachel Carson Center for Environment and Society. Er arbeitet in Berlin im Bereich kommunaler Klimaschutz.
Marcus Andreas
Vom neuen guten Leben Ethnographie eines Ökodorfes
Das vorliegende Werk stellt die aktualisierte Fassung der Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München dar (München, 04.04.2013). Der Druck der Dissertation wurde bezuschusst durch ein Oskar-Karl-Forster-Stipendium.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Prolog | 7 1. Welt im Wandel | 11
0. Guten Morgen! | 18 1. Anekdote | 26 2. Geschichte | 32 3. Wendejahre | 39 0. Vormittag I | 48 4. Fragen der Zeit | 54 2. Forschungslandschaft | 61 1. Gemeinschaften | 68 2. Ökodörfer | 76 3. Utopien | 82
0. Vormittag II | 89 4. Wirkweisen | 97 3. Eigener Ansatz | 105 1. Zugang | 112 2. Vorgehen | 121 3. Positionierung | 129
0. Vormittag III | 136 4. Kultivierung | 144 4. Wette auf Bedeutung | 151
0. Vormittag IV | 159 1. Modell? | 167 2. Essenzielles | 174 3. Raum für … | 182 0. Mittagessen! | 191 4. Entscheidungen | 199
5. Suchbewegung | 207
1. Inseln | 215 2. Lernreise | 223 3. Brücken | 231 0. Nachmittag (frei) | 239 4. Rückkehr | 248 6. Pioniere des Wandels | 255
0. TranszendierBar | 263 Epilog | 271 Dank | 275 Quellen | 277
0. Ökodorf | 295 0. Weitere | 301
Prolog Imagine yourself suddenly set down surrounded by all your gear, alone on a tropical beach close to a native village. BRONISLAW MALINOWSKI1
Meine Forschung steht in der Tradition jener Disziplin, die von Bronislaw Malinowski Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt wurde. Bevorzugte Reiseziele von Ethnologen2 fanden sich damals meist weit entfernt von ihren heimatlichen Gefilden. Es schien naheliegend, das kulturell Fremde in der Ferne zu suchen – gerne auch mit Zugang zum Strand. Doch anstatt in Neu-Guinea forschte ich in Sachsen-Anhalt, denn hier befindet sich das Ökodorf Sieben Linden. Nach eigenen Angaben handelt es sich dabei um ein zukunftsweisendes Gemeinschaftsprojekt, in dem nachhaltige Lebensstile gelebt werden. Statt Sandstrand warten hier weite Felder. Sprechen die Menschen im Ökodorf von den »Palmen am Horizont«3, so meinen sie die Kiefern, die im Wind schaukeln. Sachsen-Anhalt ist nicht Neu-Guinea, aber Fernweh gehört weiterhin dazu.
1
Malinowski, B. 1922: 4. Argonauts of the Western Pacific.
2
Zugunsten der Lesbarkeit habe ich mich gegen eine gendersensible Schreibweise entschieden und auch die Zitate anderer dementsprechend angepasst. Ich bitte Sie, die weibliche Form mit zu bedenken.
3
Würfel, M. 2002. Leben unter Palmen. Deutschland / 59 min.
8 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
»Bitte reisen Sie, wenn möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln an!« Wer der Empfehlung aus Sieben Linden folgt, kann beispielsweise von Wolfsburg aus den Regionalzug nach Oebisfelde nehmen, einem ehemaligen innerdeutschen Grenzübergang. Weiter geht es mit dem Bus über flaches Land und durch Ortschaften wie Buchhorst und Klötze. Während der Fahrt kann man zu einer geteilten Ansicht über die Region namens Altmark gelangen. Manche Besucher sehen ihre brandenburgische Vergangenheit als »Wiege Preußens«4, andere nur »fantasielose Felder«5. Das Dreieck zwischen Berlin, Hamburg und Hannover gilt als spärlichste besiedelte Region Deutschlands und wird von keiner Autobahn durchkreuzt. Sieben Linden wiederum liegt dort, »wo die ohnehin dünn besiedelte Altmark am dünnsten besiedelt ist. Ein guter Platz fürs Ökodorf.«6 Bei dem kleinen Ort Poppau wurde das Projekt einst willkommen geheißen – denn im Sinne Malinowskis handelt es sich nicht um ein native village. Poppau liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Wolfsburg und 30 Kilometer südlich von Salzwedel. Im Ort erwarten Kopfsteinpflaster, eine kleine Kirche und ein Denkmal für Gefallene des Zweiten Weltkrieges die Reisenden. Der Weg führt vorbei an einem Teich mit einem von Ketten gehaltenen Stein; ein zweiter stellt ersteren als »Mitt’n in de Welt« vor. Abbildung 1: ›Mitt’n in de Welt‹.
Quelle: Autor (Poppau, 2011).
4
Pape, K. 2011.
5
Grossarth, J. 2011b: 45.
6
Heß, M. 2011: 10.
P ROLOG | 9
Der Schriftsteller Stan Nadolny berichtet von der Legende, nach der dies zwar eigentlich »nur ein großer Stein [sei], aber an ihm hingen die starken Ketten, die die Erdteile zusammenhielten.«7 Der Weg nach Sieben Linden führt aus Poppau heraus. Fegt nicht gerade der Wind über das Land, wird es nun äußerst still. Trotz der Böschung voller Mirabellenbäume wandert der Blick weit über die Felder zu beiden Seiten. Nach einem guten halben Kilometer folgt eine Abzweigung. Zwei Schilder weisen nach rechts: Während ein Straßenschild ›Sieben Linden‹ anzeigt, verweist ein geschnitztes Schild auf das ›Ökodorf‹. Früher war der Schriftzug regenbogenfarben, seit 2010 ist er weiß – weniger bunt, besser lesbar. Rechts auf dem nun beginnenden Schotterweg sind sieben Linden in einem kleinen Hain auszumachen. Sie sind nicht die namensgebenden des Ökodorfes, aber ein Willkommensgeschenk der Gemeinde an die Neubürger von 1997. Bald darauf überschreitet man eine steinerne Doppelspirale, die halb verborgen im Kies liegt. Die Spirale stellt einen symbolischen gatekeeper dar, welcher die nach außen und innen fließenden Energien kanalisieren soll.8 »Wir suchen die Balance zwischen ›ganz für Sie da sein‹ und ›uns ganz auf unseren Alltag konzentrieren können‹«9 heißt es beispielswiese in Sieben Linden. In diesem Sinne werden Gäste auch gebeten, das Ökodorf nur nach Anmeldung zu besuchen. Die ersten Schritte in das Dorf führen am Parkplatz vorbei. Dieser bildet eine Art Grauzone, einen fließenden Übergang von außen nach innen. Hier führen Gäste gerne letzte Telefonate mit ihren Mobiltelefonen, denn nach den Regeln Sieben Lindens bleiben diese auf dem Gelände ausgeschaltet. Weiter geht es über den Bolzplatz zum großzügigen Innenhof vor dem ›Regiohaus‹. Hier werden Sie von einem »vergnüglichen Untier«10 begrüßt, einem mosaikgeschmückten Steindrachen, der sich durch den Hof schlängelt. Willkommen im Ökodorf!
7
Nadolny, S. 1994: 48.
8
Bewohner mussten dort keinen persönlichen Gegenstand als Aufnahmeritual
9
Freundeskreis Ökodorf 2011a.
10
Petersmann, L. 2007: 12.
vergraben, wie dargestellt in Grossarth, J. 2011b: 46.
10 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Ich selbst kam über Umwege nach Sieben Linden. 2001 besuchte ich den Rock Garden im indischen Chandigarh (geographisch hier noch ganz der Ethnologe alter Schule). Inmitten dieses vom Künstler Nek Chand gestalteten Skulpturenparks fand ich mich vor einer bemoosten Anhöhe wieder. Auf ihr befanden sich etwa 20 Zentimeter hohe Miniaturhäuser. Das Bild dieses moosgrün umfassten »model village«11 inspirierte mich damals. Angesichts von Besorgnis erregenden Entwicklungen wie dem Klimawandel stellte ich mir ein ›grünes‹ Vorzeige-Dorf im menschlichen Maßstab vor. Könnte ein solcher – gemeinsam gestalteter – Ort ein attraktives Beispiel für ein gutes, klimafreundliches Leben bieten? Der vorliegende Maßstab verführte mich dabei zur Annahme einer gewissen Übersichtlichkeit. Wie ich später erfuhr, teilten andere meine Einschätzung. So bemerkt der Nachhaltigkeitsjournalist und -autor Ulrich Grober, auch unter dem Eindruck von Ökodörfern: »In der Praxis dieser Projekte, so meine Arbeitshypothese, kristallisieren sich wie in einem Mikrokosmos die Überlebenstechniken, die großen Probleme, die ersten Erfolge und einige der Lösungen beim Aufbau von neuen, ›nachhaltigen‹ und zukunftsfähigen Strukturen heraus.«12
Eine Dekade nach dem Besuch im Rock Garden schreibe ich diesen Prolog über Sieben Linden als »sozial-ökologisches Modellprojekt«. Hier soll Nachhaltigkeit in einem »überschaubaren Rahmen«13 gelebt werden. Mittels der kleinen Welt des Ökodorfes will man den Herausforderungen der ungleich größeren ›Welt im Wandel‹ begegnen.
11
Bandyopadhyay, S. & Jackson, I. 2007: 18.
12
Grober, U 1998: 8.
13
Bott, G. 2007. Das Ökodorf Sieben Linden. Ein sozial-ökologisches Modellprojekt. In Forum Nachhaltigkeit, München, 19.07.2007.
1. Welt im Wandel Gerade auch hier über Sachsen-Anhalt […] Tornadowarnung. Die Temperatur sinkt hier teilweise auf nur 22, 23°. Es ist eine Tropennacht. WETTERBERICHT, 7. AUGUST 20501
Werden wir dank dem Klimawandel dereinst doch noch tropische Nächte in Sachsen-Anhalt erleben? 50 Jahre vor dem zitierten fiktiven Wetterbericht für die Vereinten Nationen wurde das Anthropozän als das erste Erdzeitalter ausgerufen, welches die deutliche Handschrift des Menschen trägt.2 Nach der kopernikanischen Wende können wir uns nun zumindest auf dem heimischen Planeten unseres Einflusses versichern. Allein, die Handschrift scheint uns zu entgleiten, wie der Klimawandel und der ein oder andere mögliche Tornado in Sachsen-Anhalt verdeutlichen. Aber selbst der Klimawandel stellt ›nur‹ eine Chiffre für gravierende Umwälzungen mit ökologischem Bezug dar. Die Problemlage insgesamt ist ungleich komplexer. So hieß es bereits 1987 im Brundtlandt-Bericht: »Dies sind keine separaten Krisen: eine Umweltkrise, eine Entwicklungskrise, eine Energiekrise. Sie sind eins.«3 Dennoch kommt dem Klima nach dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
1
Plöger, S. 2014 [Web].
2
Crutzen, P. J., & Stoermer, E. F. 2000.
3
UN 1987: x; vgl. Hauff, V. (Hg.) 1987.
12 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
(WBGU) eine Sonderstellung zu, denn »ohne wirksamen Klimaschutz entfallen absehbar essenzielle Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit.«4 Wie üblich verbleibt der Mensch auch bei solch umsichtigen Aussagen im Mittelpunkt seiner Betrachtungen, kopernikanische Wende hin oder her. Dabei leben mit uns auch andere Wesen im Anthropozän. Problematisch an unserer Gestaltungsmacht erscheint insofern generell, dass wir sie nicht für mehr Lebensqualität auf dieser Erde einsetzen – beziehungsweise einzusetzen wissen. Als ein Grund hierfür gilt unser Streben nach ewigen Wachstum, historisch eng mit der Entwicklung des Globalen Nordens verbunden.5 Ein Meilenstein der Wachstumskritik war anno 1972 Limits to Growth (Grenzen des Wachstums).6 Diese Zusammenschau einer umfangreicheren Studie wurde von Donella und Dennis Meadows und ihren Ko-Autoren dem Club of Rome vorgelegt. Die ›Grenzen‹ der Erde als Wirtschafts- und Lebensraum schockierten die Weltöffentlichkeit – dabei waren sie nur die logische Prämisse und nicht einmal das Ergebnis der Szenarien. Der 15 Jahre später erschienene Brundtlandt-Bericht Our Common Future (Unsere gemeinsame Zukunft) prägte nachhaltige Entwicklung als Lösung und Losung für die ›eine‹ Krise: eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne diese Möglichkeit für zukünftige Generationen einzuschränken. Insofern lässt sich Nachhaltigkeit auch als Selbstgenügsamkeit der Gegenwart verstehen.7 Aber zugleich galt selbst im Brundtlandt-Bericht weiteres Wachstum als unerlässlich; »the shift to sustainable development must be powered by a continuing flow of wealth from industry.«8 Wiederum fünf Jahre später und nach Ende des Kalten Krieges einigte sich die internationale Staatengemeinschaft 1992 in Rio de Janeiro auf das Paradox ›nachhaltiger Entwicklung‹ als gemeinsame Maxime.
4
WBGU 2011: 288.
5
Paul Crutzen legt den Beginn des Anthropozäns mit dem des Industriezeitalters Ende des 18. Jahrhunderts in Europa zusammen. Crutzen, P. J. 2002.
6
Meadows, D. H., Meadows, D. L., Randers, J. & Behrens III, W. W. 1972: 26.
7
Bei der Frage, »was der Norden bei sich selbst verändern muss«, wird laut Jörg Tremmel in den UN-Prozessen von Nachhaltigkeit statt nachhaltiger Entwicklung gesprochen. Tremmel, J. 2003: 15.
8
UN 1987: 22; vgl. ebda. 173.
1. W ELT IM W ANDEL | 13
Unter den Ergebnisdokumenten aus Rio stach insbesondere die Agenda 21 hervor. In diesem »Drehbuch«9 für die Verbreitung nachhaltiger Entwicklung bildete die zunehmende Einbeziehung ziviler Akteure eine Besonderheit.10 Dennoch verstanden sich die Staaten weiterhin als ›Regisseure‹: »Die Agenda 21 nimmt sich der drängendsten Probleme der heutigen Zeit an und ist zur gleichen Zeit bemüht, die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten. Sie ist Ausdruck eines globalen Konsenses und einer auf höchster Ebene eingegangenen politischen Verpflichtung zur Zusammenarbeit im Bereich von Entwicklung und Umwelt. Ihre erfolgreiche Umsetzung ist in erster Linie Aufgabe der Regierungen.«11
Im Nachklang von Rio entstand die Klimapolitik der Vereinten Nationen (UN), die bis »heute den wesentlichen normativen Rahmen für eine Transformation in eine klimaverträgliche Weltgesellschaft«12 bildet. In Deutschland wurde noch 1992 die Enquete-Kommission zum Schutz des Menschen und der Umwelt eingerichtet, ebenso wie der WBGU.13 Bezüglich der Operationalisierung von Nachhaltigkeit wird in deutschen Wissenschaftspublikationen laut Jörg Tremmel am häufigsten Bezug auf die ›drei Säulen‹ oder das ›Dreieck‹ der Nachhaltigkeit genommen: Ökologie, Ökonomie und Soziales.14 Auch ›schwache‹ und ›starke‹ Nachhaltigkeit werden mitunter unterschieden – bei starker Nachhaltigkeit wäre im Dreieck die ökologische Spitze den anderen übergeordnet. Politisch durchgesetzt wurde hierzulande nach Tremmel das Modell schwacher Nachhaltigkeit, in dem alle drei Dimensionen gleich gewichtet werden. Dies lenkt den Blick hin zur
9
Daschkeit, A. 2001: 84.
10
Feindt, P.H. & Newig, J. (Hg.) 2005: 10.
11
UN 1992: 1.
12
WBGU 2011: 329.
13
Vom Rat stammt unter anderem das Konzept ›planetarischer Leitplanken‹, unter der das Verhindern einer Erderwärmung von über 2°C verstanden wird. Ebda. 34. Welt im Wandel ist Titel und Prämisse der jeweiligen Hauptgutachten.
14
Tremmel, J. 2003: 116f; vgl. Oehme, I. 2007: 214f.
14 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Komplexität der Dreifaltigkeit – und fort vom ökologischen Fokus. Insgesamt sei das dreigliedrige Konzept eine »Monster-Abstraktion«15 – so Günther Bachmann, Generaldirektor des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Aber zumindest werden Handlungsfelder deutlich – auch wenn offen bleibt, ›wie‹ es in diesen zu einem Wandel kommen soll. Zunehmend gesellt sich heute zum Leitbild der Nachhaltigkeit jenes der Resilienz, im Sinne von Krisenfestigkeit. So sieht 40 Jahre nach den ›Grenzen‹ Dennis Meadows den Klimawandel in seiner Eigendynamik bereits als unaufhaltsam an. Insofern empfiehlt er Resilienz als Leitorientierung.16 Der WBGU wiederum betont den verbleibenden Gestaltungsspielraum für Nachhaltigkeit. Generalsekretärin Inge Paulini argumentiert: »Der Wandel kommt so oder so – wir aber möchten die Welt im Rahmen einer Großen Transformation mitgestalten.«17 2011 heißt es aus dem Rat: »Die historisch einmalige Herausforderung […] besteht darin, einen umfassenden Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht voranzutreiben.«18 Aber eben die Fähigkeit zur bedachten Vorgehensweise wird durch die Abhängigkeit vom Wachstum in Frage gestellt. So ist im Transition TownKontext von der gesellschaftlich-industriellen ›Sucht‹ nach Rohstoffen wie billigem Öl die Rede – mit dem nach dem Soziologen Harald Weltzer die »große Party«19 des Kapitalismus weiter befeuert wird; ein Feuerwerk, welches umso greller brennen wird, je knapper Rohstoffe werden (eine Debatte, die unter den Stichwörtern Peak Oil und Peak Everything geführt wird). Der christdemokratische (CDU) Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer wiederum spricht mit Jean Baudrillard von der ›Orgie‹ der Moderne: Freiheit, die im »Exzess«20 explodiert. »Wir befinden uns noch mitten im Rausch, im Rausch des Konsums, im Rausch der Möglichkeiten, in einem Rausch, der jede Grenzen sprengt – auch die Grenzen unserer Welt«21.
15
Bachmann, G., in Hildebrandt, A. & Schwiezer, H. 2012 [Web].
16
Zimmer, M. 2012a: 14.
17
WBGU 2011: 5.
18
Paulini, I. 2013. In Pioniere des Wandels, Berlin, 15.10.2013.
19
Weltzer, H. 2014. In Internationale Degrowth-Konferenz, Leipzig, 05.09.2014.
20
Zimmer, M. 2012b.
21
Zimmer, M. 2013. Vor welchen gesellschaftspolitischen Aufgaben stehen wir? Und welche Rolle kann Kultur zur Bearbeitung beitragen? Loccum, 23.02.2013.
1. W ELT IM W ANDEL | 15
Zumindest bezogen auf die erhoffte ›nachhaltige Entwicklung‹ seit dem ›Erdgipfel‹ von 1992 macht sich Ernüchterung breit. So traut 20 Jahre nach Rio auch der WBGU den Regierungen nicht mehr zu, »die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft in der gebotenen Geschwindigkeit und Verbindlichkeit voranzutreiben.«22 Trotz der Bedeutung die er den ›gestaltenden Staaten‹ zuspricht, ergeht sein Ruf nun in die weitere Gesellschaft: »Pioniere, bitte übernehmen!«23 Bereits zuvor hatte der WBGU argumentiert, dass die Transformation als »gesellschaftlicher Such- und Lernprozess«24 zu verstehen sei – und nimmt man die Aussage der Enquete-Kommission zum Schutz des Menschen und der Umwelt hinzu, auch ein »Entscheidungsprozess«25. Insofern mit diesem Prozess auch das ›Wie‹ der Umsetzung berührt wird, werden zumeist die Nachhaltigkeitsstrategien der Effizienz, Konsistenz und Suffizienz diskutiert. Diese sind unumgänglich – dennoch untersuche ich Transformation anders, nämlich durch die Frage nach Identität (im Wandel). Ich tue dies in der Annahme, dass die Entwicklung neuer Identitäten bereits ein gewichtiger Teil des transformativen ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozesses‹ ist.26 Auch der Klimawandel ließe sich als Symptom einer identitären Krise verstehen. Zimmer beispielsweise verortet das seiner Ansicht nach zu Grunde liegende Problem »in der normativen Orientierungslosigkeit, […] in
22
»Auf der Rio+20 Konferenz gab es zwei Parallelwelten. Während die Staatenlenker kein überzeugendes Signal für den zukunftsorientierten Umbau der Weltwirtschaft zu setzen vermochten, zeigte sich in vielen Veranstaltungen im Beiprogramm […], dass die Transformation zur Nachhaltigkeit bereits in vollem Gang ist.« WBGU 2012 [Web].
23
Ebda.
24
WBGU 2011: 23.
25
Enquete-Kommission ›Schutz des Menschen und der Umwelt‹ 1998: 22; vgl. WBGU 2011: 23; Wagner, F. 2013: 9.
26
Gegenüber Rollen, die Funktionen organisieren, sind nach Manuel Castells Identitäten Quellen von Sinn und Erfahrung und organisieren Bedeutung. Sie gelten ihm als mächtige Antriebskräfte in der Konstituierung von Gesellschaft; »[E]ach type of identity-building process leads to a different outcome in constituting society.« Castells, M. 1997: 8.
16 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
der Unfähigkeit, sich im Leben zu beheimaten.«27 Beheimatung scheint hier zu verstehen sein als die Fähigkeit (›sustainability?‹), sich lebensförderlich in der Mitwelt einzubringen. Die Politikwissenschaftlerin und Ökodorf-Forscherin Karen Litfin formuliert dies folgend: »›[S]ustainability‹ is just a dry word for our new story’s central plotline: coming home to our place within this larger community of life that sustains us. […]. There is only the age-old human problem […], how, then, shall we live?«28 Der transformative ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozess‹ stellt insofern die klassische Frage der Ethik im neuen Gewand: ›Wie leben?‹ Der Ethnologe Ulrich Demmer nimmt ihr etwas von ihrem Grandeur, indem er die Suche nach dem guten Leben und ethisch vertretbaren Positionen als allgemeinen und alltäglichen, aber bedeutenden Teil unserer Identität ausmacht.29 Mit dem Philosophen Charles Taylor sei die ›engagierte‹ praktische Vernunft schlicht ein elementarer menschlicher Wesenszug.30 Identität beinhaltet dabei immer auch politische Aushandlung, in Bezug zu anderen und sich selbst. Selten passen die wahrgenommenen Realitäten dabei zu den eigenen Vorstellungen – gleich, ob es sich um Individuen, Fußballvereine oder Ökodörfer handelt. Demzufolge geht man in der Ethnologie heutzutage davon aus, dass Identitäten stets reformiert und verhandelt werden. Stuart Hall aus den Cultural Studies spricht von der ›Wette auf Bedeutung‹, bei der verschiedene Akteure setzen. Einzelne Positionierungen sind dabei relational und in sich gewissermaßen ›leer‹ und essenzlos. Aber mit Zimmer und Litfin lassen sich Positionierungen auch als Versuch einer Beheimatung deuten, einen Bezugspunkt für die eigene Identität. Dementsprechend hoch ist der Wetteinsatz.
27
Zimmer, M.. 2013. Vor welchen gesellschaftspolitischen Aufgaben stehen wir? Und welche Rolle kann Kultur zur Bearbeitung beitragen? Loccum, 23.02.2013.
28
Litfin, K. 2014: 5.
29
Demmer, U. im Erscheinen.
30
»Definiert wird meine Identität durch die Bindungen und Identifikationen, die den Rahmen oder Horizont abgeben, innerhalb dessen ich […] zu bestimmen versuchen kann, was gut oder wertvoll ist oder was getan werden sollte beziehungsweise was ich zu billige oder ablehne. Mit anderen Worten, dies ist der Horizont, vor dem ich Stellung zu beziehen mag.« Taylor, C. 1996: 55.
1. W ELT IM W ANDEL | 17
Die alte Frage in dem noch jungen Forschungsgebiet zu Ökodörfern lautet, ob und inwiefern solche ›soziale Innovationen‹ als ›Pioniere‹ zu sehen sind.31 An die Stilisierung zum Vorbild, Vorreiter, oder – wie ich im Prolog meinte – Vorzeige-Dorf schließt sich die Frage nach einem möglichen Transfer vom Modell in die weitere Gesellschaft an, oder einer Skalierung. Zuletzt bleibt man in Gesprächen zumeist bei der Einschätzung stecken, dass man es doch mit einem Nischenphänomen zu tun habe, mit geringen Aussichten auf größere gesellschaftliche Wirkung. In der vorliegenden Forschungsarbeit, die auf einer 2013 abgeschlossenen Dissertation beruht, hinterfrage ich stattdessen die Wette auf Bedeutung als Pionier. Dabei setze ich an einem historischen Punkt an, in dem das Selbstverständnis klassischer Ökodörfer als nachahmenswerte Modelle einen Riss zu bekommen scheint. Von dort aus fokussiere ich auf den sich nun entspannenden ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozess‹ in Sieben Linden. Metaphorisch gesprochen begleite ich die Bewohner dabei einen ›Platz in der Welt‹ für das Ökodorf zu finden, im Sinne einer (temporären) Identität. Mit dem Begriff der ›Positionierung‹ verhandele ich dieses Ringen um Bedeutung und Beheimatung. Transformativ wirksam sein zu wollen ist dabei ein Bezugspunkt – für die Bewohner, aber auch für mich als Ethnographen. Die essenzielle ›Leere‹ einer Positionierung ermöglicht wiederum die Kultivierung bestimmter Qualitäten. Letztendlich argumentiere ich, dass die transformative Wirkung des Ökodorfes nicht in seiner Vorbildwirkung für neue Identitäten besteht – sondern in der Anregung, sich grundsätzlich auf dieses Abenteuer einzulassen und es noch ausstehe, sich dessen bewusst zu werden. Im Rahmen dieser Einleitung, Welt im Wandel (1.), wird im Weiteren die historische Entwicklung von Ökodörfern wie Sieben Linden beleuchtet, als auch die Positionierung des Forschungsprojekts. Die beiden folgenden Kapitel legen weitere Grundlagen aus, von der Forschungslandschaft (2.) bis zum Eigenen Ansatz (3.). Kapitel vier bis fünf bilden den Hauptteil, in dem die Identität des Ökodorfes in ausgewählten ethnographischen Episoden beleuchtet wird: im Versuch einer Wette auf Bedeutung (4.) als ›Modell‹, also auch in der Suchbewegung (5.) nach einem geeigneten Verhältnis zur Region und darüber hinaus. Pioniere des Wandels (6.) dient der Abschlussreflexion.
31
Julio Lambing differenziert beispielsweise in ›Zeit-, Sozial-, Ressourcen- und Raumpioniere‹. Lambing, J. 2014: 89f.
18 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Mehrere grau hinterlegte Passagen unterbrechen diese Anordnung. Sie sind als ein Angebot zu verstehen, sich parallel auf einen literarischen Spaziergang durch das Ökodorf zu begeben, in dem dieses zunehmend anschaulich wird (zum Stand 2012). Die Führung ist reich an Fakten und nährt zugleich die Fiktion der eigenen Anwesenheit – denn das eigene Erleben ist ein elementares Element der Transformation im Ökodorf. Hintergrund für diese Anordnung ist aber auch die nicht zuletzt in akademischen Kreisen oft erlebte Situation, dass man aufgrund der vielen Nachfragen zum Ökodorf immer erst eine Unmenge von Details zu erzählen hat, »bevor man zu den wirklich interessanten Themen kommen kann«32 (so ein Bewohner). Und da ich das Buch explizit auch als Brücke zwischen ›Transformateuren‹ und Lesern aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft konzipiert habe, möchte ich diese (wirklich interessanten) Details nicht vorenthalten. Sowohl die grauen Boxen als auch die sich jeweils im Anschluss fortsetzenden Kapitel können natürlich auch einzeln gelesen werden – aber wie nicht anders zu erwarten, wirken sie letztlich zusammen.
Guten Morgen! Sommer 2012, Montagmorgen, Viertel vor neun. Hinter Ihnen liegt Ihre erste Nacht im Ökodorf: sehr ruhig und mit sternenklarem Himmel. Beim Frühstück im Regiohaus haben Sie die Klötzer Volksstimme durchblättert, mit etwas Glück die taz. Sie sind wohlgenährt durch Müsli und Vollkornbrot mit fantastischen selbstgemachten Aufstrichen. Schlussendlich haben Sie den Hof betreten. Manche Leser blinzeln noch ein wenig, andere warten bereits munter auf den Beginn der Führung. Sie waren gerade dabei, einen zweiten Blick auf die Verschenke-Ecke zu werfen, als der Autor Sie begrüßt: »Willkommen zum Rundgang durch Sieben Linden!« Er trägt einige Papiere bei sich, darunter auch sein Skript für die Führung. Es wurde von den zwei Ökodörflern teils gegengelesen, die Sie auch auf dem Rundgang begleiten werden. Der Autor behauptet, sie seien bereits an ihrer Kleidung zu erkennen – diese weise eine gewisse
32
Würfel, M. 2012. Taugt ein Ökodorf als Vorbild? In Fachtag Soziale Innovation, Hochschule München, 23.05.2012.
1. W ELT IM W ANDEL | 19
Ähnlichkeit zu den Fundstücken aus der Verschenke-Ecke auf. »Jemand müsste das wieder erforschen…« Anscheinend ein alter Forscherwitz.33 Eine Sieben Lindenerin lässt den Seitenhieb nicht auf sich sitzen, und erwidert: »Du siehst [dafür] immer so witzig schick aus.«34 Sandra ist Mitte dreißig und ursprünglich aus Niedersachsen. Sie war als Agrarwissenschaftlerin und Permakultur-Designerin lange für die Siedlungsplanung in Sieben Linden zuständig. Der Autor versucht, seine missglückte Bemerkung über ihre Kleidung wieder gut zu machen und hebt nun ihre veganen Schuhe und Michas fantastische gelbe Jacke hervor, die er »in der freien Marktwirtschaft niemals gefunden« hätte. Micha ist Zimmerer und Filmemacher, Anfang 40 und stammt aus dem Allgäu. Er ist in der Kleingruppe Öffentlichkeitsarbeit tätig und veröffentlichte das Buch Die ganz große Führung durch das Ökodorf Sieben Linden. Auf Rückfrage des Autors geben viele Leser an, das Ökodorf bereits aus anderen Kontexten schon zu kennen: »Aus dem ARD Morgenmagazin.«35 »Nein, aus dem ZDF!«36 »Dem National Geographic.«37 »Dem Economist!«38 »Rolling Stone!«39 »Schrot & Korn!«40 »Eine Buchbesprechung
33
Vgl. Gose, D. 2002. Die Ästhetik im Wohn- und Kleidungsverhalten unter öko-
34
Ihre Angaben und Zitate während des fortgesetzten Rundgangs stammen aus
logischem Aspekt im Ökodorf ›Sieben Linden‹. den Feldforschungen, beziehungsweise Campe, S. 2008, und Würfel, M. 2012a. Die formellen Angaben und Zitate in diesem Teil stammen, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2011a, e, 2009a und 2008c. 35
ARD 2008.
36
ZDF 2011.
37
Heinken, S. 2012.
38
McBride, E. 2009.
39
Grossarth, J. 2011c.
40
Meyse, S. 2011.
20 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
der FAZ!«41 »Eurotopia«42 »Deutschlandfunk!«43 »Kino!«44 »Kennenlernwochenende!« »Marmeladenwochen!« Abbildung 2: Sieben Linden in den Medien.
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, 2011).
»Gut, anscheinend wissen einige schon etwas Bescheid.« Kein Wunder, gilt doch Sieben Linden manchen als der »PR-Gigant«45 der deutschen Ökodörfer und Gemeinschaften. Seit 2005 ist das Ökodorf ein Projekt der UN-Dekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung, bekam den Nach-
41
Grossarth, J. 2011b; vgl. 2011a.
42
Einfach Gut Leben (Hg.) 2010.
43
Pape, K. 2011.
44
Stiglmayer Film 2008.
45
Flieger, B. 2012: 1.
1. W ELT IM W ANDEL | 21
haltigkeitspreis der Brauerei Lammsbräu verliehen und wurde vom deutschen Nachhaltigkeitsrat ausgezeichnet.46 Dieser hob in seiner Preisbegründung die ›Ganzheitlichkeit‹ des Ökodorfes hervor: »Das entspricht unserem dreidimensionalen Verständnis von Nachhaltigkeit«47. Dabei leben in dem kleinen Ort nur etwa 140 Menschen, davon circa 100 Erwachsene und 40 Kinder. Neben den Bewohnern sind meist einige Dauergäste und Kurzbesucher vor Ort, die im Sommer oft auch zelten. Selbst wenn die Zielgröße von 250 bis 300 Bewohnern dereinst erreicht wird, hat das Ökodorf eher die Größe eines Weilers als eines Dorfes. Eine Neusiedlung wie diese stellt in Europa eine Besonderheit dar. Und »so’n großes umfassendes Projekt, wie wir das hier machen, das traue ich halt auch selber ganz vielen Leuten nicht zu«, meint Sandra. »Würd’ ich alleine auch nicht machen, glaub ich«. Jemand lacht. Die grundlegende Organisationsform ist die Genossenschaft. Nur Mitglieder der Siedlungsgenossenschaft Ökodorf e.G. (SiGe), derzeit etwa 65 Erwachsene, haben Stimmrecht auf der Vollversammlung (VV). Die Wohnungsgenossenschaft Ökodorf e.G. (WoGe) ist wiederum Bauherrin der meisten Häuser Sieben Lindens. Beim Dorfaufbau hat man sich laut Sandra weitgehend an eine sogenannte Zonierung gehalten, zum Beispiel in private und öffentliche Gebiete. So wurden im Bebauungsplan (B-Plan) Abstufungen entlang der Kriterien Öffentlichkeit und Lautstärke angelegt. Von West nach Ost wird es also ruhiger: Vom Parkplatz, Gewerbegebiet und Zeltplatz zu den Wohnhäusern. Zum Siedlungsbeginn vor 15 Jahren stand nur der ehemalige L-förmige Hof. Während das vorne liegende Regiohaus zumindest entkernt und teilsaniert war, war der anschließende Nordriegel komplett verfallen. Der gesamte Gebäudekomplex wurde renoviert und dieses Jahr (2012) am Eck um einen weiteren Seminarraum erweitert, das sogenannte Sonneneck.
46
Weitere Auszeichnungen waren der TatOrte Preis der DBU 1996 und 2000, ECoCo Sonderpreis 2008 (Dt. Preis für Energiekonzepte mit besonderem Bürgerengagement), Genossenschaftspreis 2010 des Bundesverbandes zur Förderung des Genossenschaftsgedankens, Aufnahme in die letzten zehn Projekte des World Habitat Awards 2007 der Building and Housing Foundation.
47
Kerbel, B. 2012: 2.
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»Alles was Sie heute zusätzlich auf dem Gelände sehen, ist seit 1997 hinzugekommen«. In drei Phasen war Land zugekauft worden. Ursprünglich gehörten zum Hof 22 Hektar Acker, heute sind es 81,5 Hektar. Ein Großteil davon besteht aus dem 45 Hektar Wald, welcher das Dorf von drei Seiten umschließt. Dahinter liegen 17 Hektar momentan verpachteter Acker, der aber später für die eigene Landwirtschaft genutzt werden soll. Seit der Gründung gab es stets ein reges Kommen und Gehen im Ökodorf, von Gästen als auch Bewohnern. Aus der Vorläufergruppe in Groß Chüden (ab 1993) sind heute nur noch fünf Personen vor Ort, von der Ursprungsgruppe in Heidelberg (bis 1993) niemand mehr. Einer der Hauptgründe für das Verlassen des Ökodorfes sei die Liebe, sagen viele. »Auf die Gründe für das Bleiben kommen wir noch zu sprechen«, meint der Autor. Geblieben sind auch manche der Ursprungsideen, während andere sich gewandelt haben. »Viele von Ihnen haben ja schon – oft über die Medien – vom Ökodorf gehört. Aber aus Bildern von Strohballenhäusern und Komposttoiletten erschließt sich natürlich noch nicht Sinn und Idee des Ganzen.« Der Verfasser zückt das Sieben Linden-interne Führungsdokument, welches zu diesem Punkt folgenden Hinweis gibt: »Es macht Sinn, dies frühzeitig während der Führung zu erklären. Man hält sich leicht an den Äußerlichkeiten fest, aber die Menschen verstehen oft nicht, warum wir das ganze eigentlich machen. Es ist wichtig, dass die Führende eine Antwort auf diese Frage hat, ohne rumzustottern.«
Erwartungsvoll blicken alle den Autor an. Das Dokument gibt hier Freiraum: Jeder solle sich mit der eigenen Antwort identifizieren können, demzufolge dürfe diese variieren. Im Folgenden also die Antwort des Verfassers, der sich für diese Führung kurz fasst: »Ich glaube, es geht um die Suche nach einem neuen guten Leben. Eines, in dem die Menschen sich wohlfühlen und welches zugleich ethisch und politisch engagiert ist. Mehr dann im Buch.« Niemand widerspricht, aber es dauert auch nicht lange, bis einige Bewohner selbst das Wort ergreifen. Sie verweisen auf klassische Sieben Linden-Slogans wie »Einheit in der Vielfalt« oder Schlagwörter wie Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Jemand zitiert den Spruch: »Es ist nicht wichtig wogegen wir sind, sondern wofür wir sind.«
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Zuletzt liest der Autor aus einem seiner Interviews mit einem Neuankömmling der letzten Jahre vor: »Ich glaube, es geht darum, dass die Idee der Umsetzbarkeit sich verbreitet, also dass es eben anders geht. Ich glaube, viele Menschen, die ganz normal in der Gesellschaft eingebunden sind, das gar nicht bewusst haben, die einfach sich in diesen Zwängen drin sehen, nach dem Motto ›Was soll ich denn machen?‹ Sieben Linden ist jetzt ein Projekt, was zeigt: Es geht anders.«48
Wie alle Sieben Lindener stimmte auch dieser Zuzügler der Vision eines ganzheitlichen Dorfes zu – so der offizielle Titel des Grundsatzpapiers. Die Vision ist wandlungsfähig und umfasst Leitsätze aus den späten 1980er-Jahren ebenso wie Neuentwicklungen. Laut Micha sei das Dokument »keinesfalls eine heilige Kuh, vor der wir auf die Knie fallen«. Es sei dann irgendwie » doch immer wichtiger, wie wir uns als Gemeinschaft fühlen und was aktuell ansteht, als dass wir uns gegenseitig das Grundsatzpapier unter die Nase halten würden.« Der Autor liest nur die erste Passage vor, das ganze Dokument umfasst über 2.000 Wörter. »Wir wollen eine sozial und ökologisch ausgerichtete Siedlung für bis zu 300 Menschen aufbauen. Im Mittelpunkt unseres Tun und Denkens steht die Verantwortung für die Welt, in der wir leben. Unser Ziel ist die Kooperation von Mensch und Natur. Überschaubare Strukturen, weitgehende Selbstversorgung und Selbstverantwortung sind die Grundlagen für dieses Vorhaben.«
Das Grundsatzpapier endet mit den Worten: »Solange wir über uns selbst und miteinander lachen können, sind wir auf dem Weg.« Anscheinend das passende Stichwort für den Autor: »Apropos, auf dem Weg bleiben!« Er liest eine der Regeln Sieben Lindens vor: »Da wir als Modellprojekt viele Gäste am Platz haben, brauchen wir geschützte Rückzugsbereiche. Wir bitten dich daher, nur […] die gekennzeichneten Wege zu benutzen.« Rauchen sei nur an ausgewiesenen Plätzen erlaubt und Autos gehören auf den Parkplatz. »Bitte auch weder Fleisch noch Fisch öffentlich verzehren, insbesondere nicht im Regiohaus.« Beides könne über den Laden bestellt
48
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 4.
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werden, aber für die private Küche, die für die Zubereitung nicht vegetarischer Mahlzeiten erlaubt, müsse man dann selbst im Dorf herumfragen. »Darüber hinaus bitte nur eigene oder die bereit gestellten ökologischen Waschmittel, Shampoos, Duschgels und Zahnpasten benutzen.« Manche Bewohner betonen, dass das Ökodorf »streng in den Regeln, aber weich in der Umsetzung« sei. Es gäbe kein Gesetzbuch, in dem alle Vorschriften nieder geschrieben seien und keinen Polizisten, der ihre Einhaltung überwache – obgleich sich ein mittlerweile verstorbener Bewohner zumindest als ›Hofhund‹ verstanden hat. Micha zeigt sich als erklärter Befürworter der Regeln, da diese von der Mehrheit getragen werden und »lebensnah und einleuchtend« seien. So verfügt Sieben Linden (Stand 2012) über einen geschlossenen Wasserkreislauf. Deswegen werde darauf geachtet, was im Grauwasser und in der Pflanzenkläranlage landet. »Würden wir Fett oder Chemie ins Abwasser kippen, würden wir unsere eigene Infrastruktur sabotieren.« Eine Regel sieht vor, dass Mobiltelefone ausgeschaltet gehören, aufgrund der Ungewissheit in Bezug auf ihre Strahlungswirkungen »und weil sich viele Menschen hier durch Handytelefonate gestört fühlen«. Micha meint, »dass die, wenn wir welche hätten, ständig klingeln und uns wahnsinnig machen würden. Wir würden uns ständig gegenseitig anrufen, weil wir was voneinander wollen.« Sandra nickt bedeutungsschwer. Der Autor wiederum verzieht das Gesicht und erzählt, dass ihn diese Regelung schwer beim Online-Banking treffe. »Ich muss aus dem Dorf rennen, mein Handy anschalten und auf meine TAN warten; dann schnell zurück, hoffend, dass mein Bankportal noch nicht geschlossen hat... und selbst wenn man versehentlich mal trotzdem das Handy im Dorf angelassen hat, hat man meistens kein Netz. … Zugegeben, es gibt Schlimmeres. Widmen wir uns lieber offen gebliebenen Fragen.« Benjamin hat einige davon auf Lager. Während seines Freiwilligen Ökologischen Jahres hat er jene Fragen zusammengetragen, die man als Gast vermeiden sollte, weil sie in Sieben Linden schon zu oft gehört wurden. In diesem Sinne also: »Ja, es gibt Strom und Fernseher. Tatort am Sonntagabend ist auch hier recht beliebt.« Auf die Frage: »Wie funktioniert das mit der freien Liebe (und wo muss ich mich da anmelden)?« antwortet der Autor kurzangebunden: »Organisatorisches bitte im Info-Büro klären! Nein, Scherz beiseite, wir werden noch darauf zu sprechen kommen.«
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Ein weiterer im Ökodorf altbekannter Hinweis auf Benjamins Liste lautet: »Bei euren Klos fehlt die Spülung.« Doch bevor es mit solchen Finessen und den dahinter stehenden Fragen weitergeht, fassen sich die Anwesenden im Hof an den Händen, um Tag und Woche mit einem Morgenkreis zu beginnen – so ist es üblich in Sieben Linden. »Am besten alle Daumen nach links, dann gibt’s kein Durcheinander«, meint Sandra. Sie bittet um Stille, dann wird gemeinsam ein Lied gesungen. Anschließend werden Sie gebeten, noch kurz bei einem Arbeitseinsatz zu helfen – die wöchentliche Lieferung vom Biogroßhändler Elkershausen aus Göttingen sei da. Da blickt die erste Leserin erschreckt auf: »Wie, Ihr ernährt Euch nicht völlig autark?!«49 Der Autor bittet die Frage nach hinten zu verschieben, es werde sich noch alles klären. Und so bildet sich eine Kette hinab in den Lagerkeller – Kiste um Kiste wird hinunter gereicht, bis nach 20 Minuten alles eingeräumt ist.
Zoom-out: Der Übergang von lokal zu global erfolgt heutzutage fließend. Das Ökodorf verkleinert sich vollends zu einem Miniaturdorf, bevor es mit der Altmark aus dem Sichtfeld verschwindet. Eben noch ›Mitt’n in de Welt‹, nun bereits weit über ihr. Der Blick auf die Erde aus dem Kosmos ist nur noch einen Klick entfernt. Doch zu diesem erhabenen Bild zu gelangen war nicht immer gleichermaßen einfach. Die ausführliche Geschichte führt über die kopernikanische Wende – die Abkürzung über eine Anekdote.
49
Dies gehörte zu den unumstößlichen Erwartungen einer Probeleserin.
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1.1 ANEKDOTE Steward Brand war in den 1960er-Jahren ein Vorläufer des Internetzeitalters gewesen.50 Von Kalifornien aus setzte er sich für den freien Zugang zu Informationen ein, ebenso wie für die Selbstermächtigung der Bevölkerung. In diesem Sinne forderte Brand ab 1966 die Freigabe des ersten Satellitenfotos der Erde. Während das Ringen der Supermächte um den Fortschritt bis in den Weltraum führte, vertraute er auf die vereinende Wirkung eines solchen Bildes: die Welt als Symbol für den gemeinsamen Lebensraum der Menschheit. Aber wie könnte Brand eine der Nationen davon überzeugen, ein solches Bild zu schießen und preiszugeben? Er entschied sich für ein überaus ziviles Vorgehen: »We could make a button!«51 Seine Anstecker à 25 Cent (»Why haven’t we seen a photograph of the whole Earth yet?«) verbreiteten sich rapide vom Campus der University of California Berkeley. Doch nicht nur die offiziellen Institutionen galten ihm in den 1960ern als Orte des Wandels und so bereiste Brand 1968 auch amerikanische Kommunen.52 Währenddessen gab die NASA tatsächlich ein Foto der Erde von der Apollo 8 als erster bemannter Mission zum Mond preis.53 Frisch zurückgekehrt veröffentlichte Brand dieses auf der Erstausgabe seines Whole Earth Catalog.54 Mit dessen Hilfe sollte man höchstens ein Telefon in die Hand nehmen müssen, um alles über ein Thema zu erfahren.55 Der Katalog wurde in der Gegenkultur des kommenden Jahrzehnts populär, Apple-Gründer Steve Jobs bezeichnete ihn später als eine der »Bibeln«56 seiner Generation und als Vorläufer der Internet-Suchmaschinen.
50
Brand gilt Kreye als eine »Schlüsselfigur der kalifonischen Hippiebewegung«, die heute zum »Hochadel im Silicon Valley« gehöre. Kreye, A. 2013: 15.
51
Brand, S. [KA, Web].
52
Kirk, A. 2007: 48.
53
»[L]egend has it that this accelerated NASA’s making good color photos of the Earth from distant space during the Apollo program and that the ecology movement took shape in 1968-1969 partially as a result of those photos.« Brand, S. in ebda. 41.
54
Vgl. Turner, F. 2006; Markoff, J. 2005.
55
Brand, S., in Eiermann, M. 2011 [Web].
56
Jobs, S. 2005 [Web].
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1970 fand bereits der erste Earth Day mit über 20 Millionen Teilnehmern statt. Im gleichen Jahr formulierte James Lovelock seine Gaia-Hypothese von der Erde als zusammenhängenden Organismus.57 Und 1972 wurde vom Flug der Apollo 17 das meist reproduzierte Foto der Welt veröffentlicht: Blue Marble. Brands Annahme von der vereinenden Wirkung eines solchen Bildes schien sich zu bewahrheiten: »Those riveting Earth photos reframed everything. For the first time humanity saw itself from outside […], all set like a delicate jewel in vast immensities of hard-vacuum space. Humanity’s habitat looked tiny, fragile and rare. Suddenly humans had a planet to tend to.«58
Damit ist auch die Ausgangsposition des Buches präsent: Mit dem Bild der Erde als Ganzes vor Augen beschäftigt es sich mit dem identitären ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozess‹, der zu einem dereinst positiv zu bewertenden Anthropozän führen soll (im Sinne der Nachhaltigkeit beziehungsweise nachhaltiger Entwicklung). Dabei spreche ich von Kultivierung als den Versuch, entsprechende Qualitäten zu verwirklichen, und Positionierung als Schrittfolge mit offenem Ende – dies jeweils im Gegensatz zur Idee einer arrivierten Kultur oder Position. Damals fand sich bald ein Motto: »Global denken – lokal handeln.« Doch von hier aus fragt Corinna Fischer mit Bezug zur Forschung im Band Orte nachhaltiger Entwicklung weiter: »Wo entsteht die Art von Wissen, das für nachhaltige Entwicklung gebraucht wird?«59 Eine Antwort wird ihr bereits ein paar Seiten später gegeben: Nachhaltigkeitsforschung sei in der menschlichen Lebenswelt zu verorten.60 Aber ›von wo‹ sieht man diese spezielle Welt wiederum am besten?
57
Lovelock, J. E. 1972.
58
Brand, S. [KA, Web].
59
Fischer, C. 2003: 2.
60
Vgl. Hayn, D., Nölting, B. & Voß, J. P. 2003: 4.
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Abbildung 3: Blue Marble.
Quelle: NASA (Apollo 17, 1972).
Gegebenenfalls mag der Eindruck entstanden sein, diese Frage sei bereits abschließend geklärt: Bietet nicht die objektiv anmutende Perspektive ›von oben‹ den einzig wahren Blickwinkel auf globale Probleme? Suggeriert dies nicht auch der Anblick von Blue Marble? Wie Wolfgang Sachs, ehemals federführender Autor beim Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), lakonisch bemerkt: »Höhe beschert Überblick.«61 Doch er weist auch darauf hin, dass sich seit der Veröffentlichung der ersten Bilder der Erde ein Diskurs aus Wissenschaft und Politik ihrer bemächtigte und den Planeten dabei zunehmend objektivierte. So beruft sich auch der Brundtlandt-Bericht einleitend auf das Bild der Erde: »From space, we see a small and fragile ball dominated not by human activity and edifice but by a pattern of clouds, oceans, greenery, and soils. Humanity’s inability to fit its activities into that pattern is changing planetary systems, fundamentally. […] This new reality, from which there is no escape, must be recognized – and managed.«62
61
Sachs, W. 2002: 123.
62
UN 1987: 1.
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Die Ethnologin Anna Tsing vergleicht den Erdball mit seinen Wolkenschlieren mit der Kugel einer Wahrsagerin, die den vollen Zugriff auf Globalität verspricht (»powerful stuff for experts, politicians, and policy makers.«63). Nicht jeder teilt aber die Meinung, dass der Planet solch einer ›ManagementPerspektive‹ überlassen werden sollte. Wie Sachs anmerkt: »Die Verkleinerung, die der Planet durch die Auskoppelung des menschlichen Maßes erfährt, bringt es dabei mit sich, dass Menschliches der Irrelevanz anheimfällt.«64 Ein Paradox: Während mit globalen Anstrengungen Optionen für den Menschen nachhaltig bewahrt werden sollen, scheint das Menschliche als Qualität zu kurz zu kommen.65 Der Ethnologe Arturo Escobar und der Historiker Arif Dirlik vertreten demgegenüber eine defense of place: ein Eintreten für eine Perspektive vom Lokalen auf das Lokale.66 Ihre Begründung für diesen Zug lautet, dass Orte angesichts globaler flows und scapes in Gefahr seien, ihr Eigenleben zu verlieren. Marc Augé spricht beispielsweise von ›Nicht-Orten‹ wie Flughäfen.67 Insofern betonen Escobar und Dirlik die Souveränität von Orten, indem sie lokale Perspektiven als relevant anerkennen und aufgreifen. Es ist eine Positionierung, aus der mit Taylor ihre engagierte praktische Vernunft spricht.68 Aber hatte der Blick aus dem Weltraum nicht auch zur Identifikation mit dem Planeten beigetragen, ganz im Sinne Brands? Ein Spiel um Deutungshoheiten entspannt sich um das Bild der Erde. Um darin zu einer Perspektive zu gelangen, bedarf es einer Position. Im Folgenden beleuchte ich drei miteinander verwobene Diskurse des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die zur Positionierung der Ethnologie beitrugen.
63
Tsing, A. 2000: 332.
64
Sachs, W. 2002: 122; vgl. Garb, Y. J. 1990.
65
»Our world, and our lives, are being shaped by the conflicting trends of global-
66
Vgl. Escobar, A. & Harcourt, W. (Hg.). 2005; Gibson-Graham 2006.
67
Augé, M. 1994; vgl. Kreff, F. 192f.
68
So äußerte sich auch der späte Michel Foucault: »Ich unternehme meine Ana-
ization and identity.« Castells, M. 1997: 1.
lysen nicht, um zu sagen: seht die Dinge stehen so und so, ihr sitzt in der Falle. Sondern weil ich meine, dass das, was ich sage, geeignet ist, die Dinge zu ändern. Ich sage alles, was ich sage, damit es nützt.« 2008: 1646.
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I. In postkolonialen Debatten war deutlich geworden, dass Ethnologen meist unter dem schützenden Mantel ihrer Kolonialmächte geforscht hatten – oder wie Malinowski: unter Hausarrest der britischen Kolonialmacht.69 Wenngleich oftmals sympathisierend, hatten sie dabei doch in asymmetrischen Machtverhältnissen agiert. Letztendlich waren sie gegenüber der lokalen Bevölkerung am längeren Hebel. Darüber hinaus brachten sie ihre eurozentrischen Vorannahmen oftmals unreflektiert mit ein. So gilt die idealisierende und paternalisierende Idee des edlen Wilden bis heute als ein Schreckgespenst der Disziplin.70 Doch nicht zuletzt durch das historische Aufbrechen kolonialer Verhältnisse öffnete sich ein Raum, um kritisch nach der Machtverteilung im Forschungsprozess und in den Repräsentationen zu fragen. II. Der Literaturwissenschaftler und -kritiker Edward Said hatte 1978 in der Orientalismus-Debatte ›dem Westen‹ Exotismus vorgeworfen. Das implizite Ziel hierbei sei es nach Said, durch den Entwurf eines exotischen Gegenbildes die eigene Identität zu festigen und die jeweils andere zu dominieren.71 Auch in diesem Sinne wurde der Akt der Darstellung anderer, ihre Repräsentation, zunehmend kritisch hinterfragt.72 Die posthume Veröffentlichung von Malinowskis Tagebüchern 1967 unterstrich diesen Punkt weiter.73 Seine Einträge strotzten nur so vor subjektiven Zu- und Abneigungen, die in der Forschung keine Erwähnung fanden – aber zugleich in deutlichem Kontrast zu seinem in der Forschung vertretenen Anspruch der Objektivität standen. Am prominentesten wurde die Frage der Repräsentation in der postmodernen Ethnologie im Zuge der Writing Culture-Debatte in den 1980ern gestellt.74 Danach galt es als ausgemacht, dass die Perspektive und Position von Autoren im Forschungsprozess und in den Repräsentationen relevant ist. Die eigene Position, inklusive ihrer Verhältnisse und Vorannahmen, prägt die eigene Perspektive. Die folgenden Repräsentationen wiederum beeinflussen
69
Vgl. Asad, T. (Hg.) 1974.
70
Barnard, A. 2000: 22f.
71
Said, E. W. 1978.
72
Ebda. 325.
73
Die Tagebucheinträge luden auch zur Kritik am Forschungsprozess ein: »Dann ging ich ins Dorf und sammelte Daten. Sehr intelligente Eingeboren. Sie verheimlichen mir nichts, keine Lügen.« Malinowski, B. 1967.
74
Clifford, J. & Marcus, G. 1985; vgl. Barnard, A. 2000: 168.
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Diskurse und andere Realitäten. In Konsequenz sollte die Position des autorisierenden Ethnologen kritisch reflektiert und dargelegt werden. III. Die feministische Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway führt wieder zurück zum Bild des Globus. Sie benennt als das Problem der »Astronautenperspektive«75, dass diese ohne nachvollziehbare Position auskommt und damit auch keine Verantwortung für sie übernimmt. Die vermeintlich objektive Perspektive vereinfache es, die Erde als distanziertes Objekt zu behandeln. Haraway beschreibt dieses Manöver als den »god-trick of seeing everything from nowhere«76 und als Versuchung, der es zu widerstehen gilt. »Feminist objectivity is about limited location and situated knowledge, not about transcendence and splitting of subject of object. In this way we might become answerable for what we learn how to see.«77 Dabei sehe man von diesen weniger privilegierten (und oft keineswegs gut situierten78) Plätzen nicht unbedingt ›besser‹. Solche Perspektiven seien auch keineswegs ›unschuldig‹ im Sinne von objektiv. Aber nach Haraway würde sich in ihrer deutlichen Situiertheit die Nachvollziehbarkeit der eigenen Position erhöhen – und dadurch die Gefahr des god-tricks verringern. Die Positionen von Ethnologen prägen ihre Ethnographien, der god-trick würde darin bestehen, das Gegenteil zu behaupten. Insofern gilt es, implizite wie explizite Vorannahmen und Verhältnisse weder zu verleugnen noch zu verstärken, sondern sie zu vergegenwärtigen und Verantwortung für sie zu übernehmen. Wie die Ethnologin Julia Bayer bemerkt: »Eine solche repräsentationskritische Haltung gehört zum Kern und zu den herausragenden Errungenschaften der Kulturwissenschaften«79. In den vorherigen Abschnitten wurden die Perspektiven von lokal und global plastisch mit dem Bild der Erde verwoben. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie abstrakte Polaritäten bleiben, die mit ihren Dualismus ebenfalls Diskurse prägen. Sie befinden sich auch in Resonanz zu anderen Dualitäten wie ›Graswurzel-‹ gegenüber ›Governance‹-Ansätzen,
75
Sachs, W. 2002: 123.
76
Haraway, D. 1991: 189.
77
Ebda. 190.
78
Studying up bezeichnet auch das Forschen in die Reihen der besser Situierten.
79
Bayer, J. 2012: 7.
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bottom up vs. top down. Es gilt, ihre jeweilige Konstruiertheit im Blick zu behalten und die Frage, inwiefern diese Gegensatzpaare das ›Sehen‹ des Eigentlichen auch behindern. So wird es später beispielsweise ethnographische Passagen im Zusammenhang mit Sieben Linden geben, in denen ›regional‹ zwischen lokal und global außer Sicht zu geraten droht. Letztendlich greifen Globalisierung, Regionalisierung und Lokalisierung ineinander. Autoren wie Dirlik sprechen von ›Glokalisierung‹ nicht mehr als Gegenüberstellung von lokal und global, sondern als Betrachtung ihrer mannigfaltigen Konfigurationen.80 Lewellen fragt beispielhaft aus Sicht der Ethnologie: »How do people experience and interpret this new world, and how do they accommodate or resist it? How do they make a place for themselves?«81 Ökodörfler zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich als Orte positionieren. Lokalitäten erlauben ihnen die Entwicklung ihrer Lebensweisen und -welten – und mir ihre Erforschung. Ich knüpfe an Desiderate der Nachhaltigkeitsforschung an, indem ich Lebensweisen in Lebenswelten untersuche. So habe auch ich mich als Autor positioniert, indem ich die lokale Sicht für relevant erkläre und meine Fragen von dort stelle. Angesichts dieses wunderbaren Graswurzel-Szenarios gilt es nur noch den Wunsch des Soziologen Fritz Reusswig zu berücksichtigen: »Bitte keine Lokalromantik!«82 Umso mehr bei einem Ökodorf.
1.2 G ESCHICHTE Wie kam es zur Entstehung von Ökodörfern? Als direkte Vorläufer gelten die ökologisch und sozial motivierten Kommunen der 1960er- und 70erJahre.83 Den hier nur angedeuteten weiteren Kontext der linksalternativen Alternativ-, beziehungsweise Gegenkultur beschrieb in den USA Theodore Roszak wie folgt:
80
»[T]he global and the local […], does not lend itself to theoretical resolutions. Dressing the problem in academic garb merely disguises the real nature of the problem and becomes a way of avoiding it.« Dirlik, A. 2001: 29.
81
Lewellen, T. C. 2002: 3.
82
Reusswig, F. 2013. Warum ist der Klimawandel ein Thema der Sozialwissenschaften? In Klima von unten, 31.01.2013, Hochschule München.
83
Meijering, L. 2006: 17; vgl. Lambing, J. 2014: 8f.
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»[H]ere was a dissenting movement that yearned for an entirely different quality of life. It was not simply calling the political superstructure into question; with precocious ecological insight, it was challenging the culture of the industrial cities on which that superstructure stood. And more troubling, there were those among the dissenters who questioned the very sanity of that culture.«84
Nach Sabine von Dirke fordere eine Gegenkultur die vorherrschende Gesellschaftsform »an allen Fronten«85 heraus. Die populärsten ›Fronten‹ dieser Gegenkultur wurden durch die Frauen-, Friedens- und Umweltbewegungen gebildet. Als neu galten diese Bewegungen im Gegensatz zur früheren Arbeiterbewegung: Statt des Aufstands der Klasse handele es sich nun um Protest aufgrund eines neuen Werteverständnisses, beziehungsweise der Suche danach. Nach dem Umwelthistoriker Frank Uekötter bedienten sich die Bewegungen in den 1970ern und 80ern für ihre Anliegen vor allem des aufkommenden Protest- und Kampagnenstils.86 Der Soziologe Helmut Willke wiederum vertritt die These, dass insbesondere die Kommunen als »Katalysator«87 der Bewegungen fungierten. »Kommunen setzen ihre Unzufriedenheit mit der sie umgebenden Gesellschaft nicht nur in den Versuch einer praktizierten Alternative um und erschweren es damit anderen, ihre latenten Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Lebens weiter latent zu halten; nein, Kommunen erkühnen sich auch noch, diesen Versuch innerhalb ihrer Muttergesellschaften zu realisieren.«88
84
Roszak, T. 1995: ix.
85
Von Dirke 1997: 4; vgl. Kirk, A. 2007:ix; Castells, M. 1997: 116; vgl. auch Sven Reichardt, der das linksalternative Milieu der der 1970er- und 80er-Jahre in Deutschland untersuchte und zu dem Schluß kommt: »Die neue Wertschätzung für kleine und überschaubare Strukturen, zivilgesellschaftlich-basisdemokratische Organisationen und besonders das Umweltschutzbewusstsein haben die Gesellschaft der Bundesrepublik geprägt.« (Reichardt, S. 2014: 20).
86
Uekötter, F. 2011: 17; vgl. 26.
87
Willke, H. 1983: 159.
88
Ebda. 156.
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Doch obgleich eine Kommune in den 1960er- und 70ern dem Soziologen Karl-Ludwig Schibel als politischer »Kampfbegriff«89 galt, war es ein »eigenartiger Stachel,«90 den diese laut Willke setzte. Die Kommunebewegung sei geradezu »auffallend desinteressiert an ihren gesellschaftlichen Wirkungen.«91 Er erklärt dies damit, dass die Andersartigkeit von Kommunen primär »nicht auf die mögliche Gesellschaft, sondern auf eine eigene Wirklichkeit«92 bezogen sei. So schien im Kommuneleben die Verbindung bislang getrennter Sphären möglich: Das Private wurde politisch und das Politische privat. Der Historiker Ulrich Linse merkt an: »Anders als auf der rein politischen Ebene schien hier ein Angelpunkt gefunden, der die Selbstveränderung, die individuelle Bewusstseins-Revolution also, mit der Gesellschaftsveränderung verknüpfte.«93 In Gemeinschaft sollten sich Individuum und Gesellschaft versöhnen, dem Patriarchat am Familientisch entgegen gewirkt und die Verbindung zur Natur im Garten hergestellt werden. Das Ergebnis war nach Willke im besten Falle eine Lebensqualität, »deren unmittelbare Evidenz dem Heraustreten aus der Rahmengesellschaft eine beinahe fröhliche Note gibt.«94 Nicht nur die erste Ölpreiskrise im Jahr 1973 gemahnte an mögliche Grenzen des Wachstums, sondern auch das gleichnamige Buch im Jahr zuvor. Das darin vorgestellte ›Weltmodell‹ beruhte auf einem Ansatz zur Modellierung komplexer Systeme, mit Berechnungen zur weiteren Entwicklung der Erde als Wirtschaftsraum. Der in manchen der Szenarien drohende Kollaps schockierte ebenso wie die Endlichkeit der Kapazitäten der Erde. 1972 hatten die Autoren dennoch Hoffnung: »It is possible to alter these growth trends and to establish a condition of ecological and economic stability that is sustainable far into the future.«95
89
Schibel, K.-L. 2008: 528.
90
Willke, H. 1983: 156.
91
Ebda. 164; vgl. von Dirke 1997: 7.
92
Ebda. 156.
93
Linse, U. 1986: 67.
94
Willke, H. 1983: 162.
95
Meadows, D. H., Meadows, D. L., Randers, J. & Behrens III, W. W. 1972: 26; »The concept of a society in a steady state of economic and ecological equilib-
1. W ELT IM W ANDEL | 35
Das Jahr 1972 stand auch bei den Vereinten Nationen (UN) im Zeichen der Umwelt. Auf der ersten großen Umweltkonferenz, der UN Conference on the Human Environment in Stockholm, wurde nachhaltige Entwicklung in die politischen Debatten eingeführt. Umwelt- und Entwicklungsdiskurs wurden dabei so miteinander verbunden, dass dem ökonomischen Wachstum nicht abgeschworen werden musste. Nun sollte es noch 20 Jahre dauern, bis auf der zweiten großen Umweltkonferenz in Rio nachhaltige Entwicklung von 172 Regierungen »als übergeordnete Zielsetzung für das 21. Jahrhundert formuliert und von der Weltgemeinschaft legitimiert«96 wurde. Laut Uekötter war es insbesondere die zweite Ölkrise 1979/80, welche den Durchbruch für die westdeutsche Umweltbewegung brachte.97 Der Protest gegen nukleare Energie hatte sich mittlerweile zu einer Massenbewegung ausgeweitet. Linse geht insgesamt von bis zu 4.000 Umweltinitiativen in der BRD gegen Ende der 1970er aus. Entsprechend furios begann das nächste Jahrzehnt: Schon am 13. Januar 1980 gründete sich aus einer Vielzahl von Initiativen und alternativen Listen die Bundespartei Die GRÜNEN. Im Parteiprogramm war die Rede von einer »Politik der aktiven Partnerschaft mit der Natur und dem Menschen«98. Diese würde am besten in dezentralisierten, autonomen Einheiten gelingen. Am 3. Mai gleichen Jahres musste die BRD bereits den Versuch einer solchen Gründung auf ihrem Gelände feststellen. Unweit der Grenze zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war die Freie Republik Wendland als ziviler und gewaltfreier Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk Gorleben ausgerufen worden. Der Soziologe Dieter Halbach, einer der späteren Gründer Sieben Lindens, erinnert sich mit seinem Ko-Autor Gerd Panzer an die Freie Republik als »geniales Chaotendorf«99. Der Protest
rium may appear easy to grasp, although the reality is so distant from our experience as to require a Copernican revolution of the mind.« Executive Committee of The Club of Rome, in Ebda. 194. 96
Tremmel, J. 2003: 27.
97
Uekötter, F. 2011: 17f.
98
Die GRÜNEN, in Wilharm, I. 1985: 226f.
99
Halbach, D. & Panzer, G. 1980: 7.
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wurde als konstruktiv verstanden, Menschen fanden in der gemeinsamen Aktion zueinander: »ein phantasievolles Dorf mit allen notwendigen kommunalen Einrichtungen. Willkommen in Utopia.«100 Abbildung 4: Freie Republik Wendland.
Quelle: Gorleben-Archiv (Gorleben, 1980).
Doch nach 33 Tagen ließ Bundeskanzler Helmut Schmidt das Hüttendorf durch die größte Polizeiaktion der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg räumen. Halbach und Panzer beschreiben die Vertreibung mit Pathos: »Wir haben in der Zukunft gewohnt. Tag für Tag. Unerbittliche Räderwerke drehen die Zeit zurück, zermalmen unsere Wirklichkeit. Unsere Häuser zerbersten, zerfallen in den Traum, aus dem sie entstanden sind. Aus dem sie wieder entstehen werden. Solange müssen wir emigrieren.«101
Karl-Heinz Mayer sprach von dem »Gefühl, nach der Räumung vom Hüttendorf an anderen Stellen etwas aufzubauen, das nicht mehr geräumt werden kann, das bleiben kann.«102 Der Widerstand in Gorleben gilt international als eine der drei Instanzen, in denen sich Ökodorf-Konzepte entwickelten (auch wenn der deutsche Begriff sich zuerst wohl 1978 bei Dieter Duhm fand).103
100 Gorleben-Archiv [Web]; vgl. Zint, G. & Fetscher, C. 1980. 101 Halbach, D. & Panzer, G. 1980: 7. 102 Mayer, K.-H., in von Lüpke, G. 1998: 6. Über Wandlungen ging das später von Sieben Linden aus entworfene Eurotopia hervor, welches in die KursKontakte, beziehungsweise die heutige Oya einfließt. 103 Vgl. Lambing, J. 2014: 15.
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Die zweite Instanz war ein 1975 durch die Zeitschrift Mother Earth News betiteltes ecovillage-Bildungszentrum in den USA, die dritte die Erweiterung der dänischen cohousing-Modelle gemeinsamen Wohnens bis zur Gründung des heutigen Ökodorfes Svanholm 1978.104 In Deutschland gründete Mayer mit dem Psychologen Jörg Sommer 1986 den Informationsdienst Ökodorf. Dieser stellte nach einer ehemaligen Mitarbeiterin eine Art »Selbsthilfegruppe für Suchende nach dem ›besseren Leben‹«105 dar. 1983 ziehen Die GRÜNEN in den Bundestag ein, Willy Brandt gratulierte Petra Kelly. Im ersten Wahlprogramm, den Sindelfinger Beschlüssen, findet sich auch die Forderung nach einem Ökodorf.106 Es war als »Pilotprojekt« für Großgemeinschaften gedacht. Deren Unabhängigkeit sollte durch völlige Selbstversorgung erreicht werden. Idealerweise sollten die Landkommunen dabei als Mittel gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau wirken – und einer Gesellschaft vorangehen, in der sich die Gegensätze von Theorie und Praxis, Kopf und Hand, Arbeit und Leben (wieder) vereinen ließen. Dies könne »letztlich nur in Gemeinschaften gelingen, in denen sich ganzheitliche Lebensbezüge herstellen lassen.«107 Laut Linse erfuhr die Kommunebewegung anfangs weitgehende ideologische Unterstützung durch die Partei.108 Insbesondere Rudolf Bahro, prominenter Dissident der DDR, setzte sich im Vorstand für den kommunitären Weg ein. 1984 wurde innerhalb der GRÜNEN eine Bundesarbeitsgemeinschaft Kommune-Bewegung gebildet. Doch noch im gleichen Jahr schied Bahro als »Prophet ohne Jünger«109 aus dem Bundesvorstand aus und 1985 aus der Partei. 1987 erschien der Brundtland-Bericht. Zugleich richtete das dänisch-kanadische Ehepaar Hildur und Ross Jackson die gemeinnützige Stiftung Gaia Trust ein.110 Sie waren überzeugt davon, dass der von ihnen als notwendig
104 Bates, A. 2003: 424; Jackson, H. 1998: 1; vgl. Lambing, J. 2014: 14. 105 Voß, E. 1996: 84. 106 Linse, U. 1986: 67. 107 Die GRÜNEN 1983: 24. 108 Linse, U. 1986: 67f. 109 Spörl, G., in Linse, U. 1986: 70. 110 »Choosing the word of Gaia was a clear indication of a new world view perceiving the planet as one interrelated whole«. Jackson, H. 1998: 1.
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erachtete Gesellschaftswandel nicht von think tanks oder der Politik ausgehen würde. Stattdessen gelte es selbst aktiv zu werden. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis das »System« zusammenbreche: »Either there would be a fundamental breakdown, in all likelihoods triggered by a financial collapse, or there would evolve an alternative culture from below.«111 »So how do you go about creating a proactive strategy for change under these circumstances? We were talking about major change, long term fundamental change—nothing less than a new culture with new values. How do you bring it about? Is it even possible, with so many forces opposed? Are we just dreaming?«112
Währenddessen publizierte das US-amerikanische Ehepaar Robert und Diane Gilman in ihrem Magazin In Context in den 1980er- und frühen 90erJahren Beiträge, in denen Ökodörfer als Strategie zur Entwicklung einer nachhaltigeren Kultur vorgestellt wurden. Gaia Trust beauftragte die Gilmans »to catalogue the disparate efforts underway around the world, and to describe the emerging philosophy and principles in greater detail.«113 Doch der 1991 erschienene Gilman’s report beinhaltete keine Projekte, die die Vision der Ehepaare gänzlich erfüllten. »But together, the existing projects made up a total vision of a different culture and lifestyle that had great potential.«114 Das geplante Vorgehen war einfach – und überaus optimistisch: »If the examples are good enough, they will be replicated. From then on, it is only a question of time until the strategy succeeds and ecovillages become the basis for a new culture based on a new holistic paradigm. The only uncertainty is the time it will take.«115
1993 wurde auf Initiative von Gaia Trust das dänische Netzwerk Landsforeningen for Økosamfund (LØS) gegründet, das bedeutendste seiner Art folgte 1994 zunächst informell. Die ersten Mitglieder des späteren Global Ecovillage Networks (GEN) waren unter anderem LØS, die Findhorn Foundation
111 Jackson, R. J. T. 2000: 61. 112 Ebda. 63. 113 Bates, A. 2003: 424. 114 Jackson, H. & Jackson, R. J. T. 2004: 2. 115 Jackson, R. J. T. 2000: 64.
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aus Schottland, The Farm aus Tennessee, USA, der deutsche Lebensgarten Steyerberg, Crystal Waters in Australien und The Ladakh Project aus Indien. Vom aufkommenden Internet profitierten auch Ökodörfer. Während die ersten Newsletter und Webseiten entstanden,116 dienten die physisch erfahrbaren Orte und Zusammenkünfte wiederum als analoge Knotenpunkte. So eröffnete 1994 The Farm ein Trainingszentrum, mit dem sich das Ökodorf als Bildungs- und Experimentalplattform für eine nachhaltige Kultur positionierte.117 1995 kam es dann in Findhorn zum »Durchbruch«.118 Die Konferenz Ecovillages and Sustainable Communities: Models for the 21st Century zog 400 Teilnehmer an, fast ebenso viele mussten abgelehnt werden. GEN wurde offiziell gegründet. In politischen Kreisen wurde das Netzwerk 1996 auf der UN Habitat II Konferenz in Istanbul eingeführt, mit dem irischdeutschstämmigen Declan Kennedy als erstem Präsidenten. Laut der Gaia Trust-eigenen Geschichtsschreibung bauten die anwesenden Ökodörfler die größte NGO-Präsenz der Konferenz auf, mit einer lehmverkleideten Strohballenwand, einer Windmühle, Solarpanels, Computern, Videos, Workshops und Kreistänzen. »Istanbul put GEN firmly on the global map.«119 Nur dem Antrag von Gaia Trust wurde nicht stattgegeben, 100 Millionen US-Dollar für die Errichtung von 50 Ökodörfern weltweit zu geben. Mit Hinblick auf die Agenda 21 hatte Jackson diese als geradezu ideale Modelle für regionale Entwicklung präsentiert: »I cannot imagine any single use of funds that would have more leverage in moving the planet toward sustainability.«120
1.3 W ENDEJAHRE Einen Beginn der Geschichte Sieben Lindens stellt der gewaltlose Widerstand gegen das Atomkraftwerk Gorleben dar. Die Freie Republik Wendland
116 »[…] a technology that hit the scene at just the right time for GEN. The Net is ideal for a thinly dispersed global network.« Jackson, R. J. T. 2000: 77. 117 Bates 2003: 424. 118 Jackson, H. 1998: 2; vgl. Dawson, J. 2006: 19. 119 Jackson, H. & Jackson, R. J. T. 2004: 6. 120 Jackson, R. J. T. 2000: 79.
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entzündete für Demonstranten wie Halbach 1980 den »Funken«121 ihrer Vision von einem Ökodorf. Um 1989 in Heidelberg wurde die Idee von einer Gruppe um den Psychologen Sommer konzeptuell vertieft. 1990 veröffentlichte die Gruppe ihr theoretisches Konzept eines Ökodorfes: Selbstversorgung als Selbstbestimmung. Angesichts der ökologischen Krise bemängelte dieses am industriell-kapitalistischen System die fehlende »Antwort auf die Frage nach dem Sinn«122 Das Gegenmodell der Gruppe sollte keinen Rückzug darstellen, sondern eine beispielhafte (gewaltfreie) politische Aktion. Geplant war die völlige Selbstversorgung. ›Öko‹ stand hier auch für Ökonomie, denn nach marxistischer Perspektive würde nur eine selbsttätig geführte Ökonomie zu einer neuen Kultur führen – und nicht andersherum. Das Ökodorf solle »Selbstversorgung als Fundament einer neuen Kultur«123 etablieren. Für Sommer und seine Mitstreiter sei die Politik einer solchen Kultur »nicht mehr Aufopferung für eine Idee, sondern deren lustvolles Ausleben.«124 Die Kultur sei ganzheitlich, »da alle Lebensbereiche in einem überschaubaren Rahmen involviert seien«.125 Da sich diese Form der Politik unmittelbar an die Zivilgesellschaft richte (anstatt über Repräsentanten wie Parteien) war von Anfang an Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit vorgesehen. Der Alltag werde politisch, »indem er öffentlich gemacht wird.«126 Die Gruppe wurde in ihren Überlegungen allerdings durch das politische Fanal der 1980er überholt: die Öffnungen der ungarischen und innerdeutschen Grenze am 11. September, beziehungsweise 09. November 1989 und der deutschen Wiedervereinigung. Doch noch bevor die DDR offiziell der BRD am 03. Oktober 1990 beitreten konnte, kam es auf Initiative von Bahro bereits zur Ost-West-Begegnung von Gemeinschaften und Kommunen. Als Begegnungsort für die rund 400 Beteiligten diente ein Gelände der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei Berlin. Laut Halbach wurden die Zusammenkünfte nicht nur durch prominente Mitglieder der GRÜNEN wie Kelly unterstützt, beteiligt war auch »der Untergrund, […] die Parallelgesellschaft im Osten und die West-Gemeinschaften und die
121 Felkl, C., in Andreas, M. 2011 [IT]b: 1. 122 Sommer, J. et al. 1990: 3. 123 Ebda. 16. 124 Ebda. 36. 125 Ebda. 16. 126 Ebda.
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Theoretiker, Rainer Langhans, also die ganze Kommune-Geschichte.«127 Die Organisatorin Elisabeth Voß erinnert sich: »Inspiriert durch Rudolf Bahro, der hoffte, dass im Gebiet der DDR ein anderes, neues Deutschland mit regionalökonomisch-ökologischen Strukturen entstehen könnte, als Alternative zum Mensch und Natur zerstörenden Kapitalismus, versuchten wir, die Erfahrungen selbstorganisierter Lebensgemeinschaften des Westens den Suchenden des Ostens näherzubringen.«128
Für Halbach schien sich in dieser »Lücke in der Geschichte« während der Wende ein »dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus«129 zu öffnen. Die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) als Nachfolgerin der SED spielte dabei eine wesentliche Rolle. Laut dem Kommunarden Uwe Kurzbein bot sie Grundstücke zur Besichtigung an, »die für zukünftige Gemeinschaftsgründungen mit einer Option belegt werden sollten«.130 Die PDS wollte ihm zufolge angesichts der bevorstehenden ersten Wahl Alternativen aufzuzeigen – und diese darüber hinaus erhalten. Stattdessen nahm sich das Bundesvermögensamt der Güter an, für die sich auch das Heidelberger Projekt interessiert hatte. Die kolonial anmutende Goldgräberstimmung provozierte allerdings auch Kritik in der Szene, wie jene von Kurzbein: »Die unklaren Grundstücksverhältnisse, die desolate Infrastruktur, die geringe Besiedlungsdichte und die ramponierten, heruntergekommenen Gebäude scheinen für Kommune- und Gemeinschaftsgründungen ideal zu sein. Was wirtschaftlich von der westdeutschen Industrie und den westdeutschen Hausbesitzern praktiziert wird, nämlich das Land unter sich aufzuteilen, wird politisch auf einer niederen Ebene offensichtlich von Gemeinschaften wiederholt.«131
Voß geht zurückschauend dennoch davon aus, »dass aus all dem immerhin Impulse gewachsen sind, die der Entstehung von Gemeinschaften im Osten
127 Halbach, D., in Andreas, M. 2011a: 1 [PK, Sieben Linden, 16.09.2012]. 128 Voß, E. 1996b: 74. 129 Ebda; vgl. Halbach, D., in Andreas, M. 2012 [BP, 03.04.2012]b: 5f. 130 Kurzbein, U. 1996: 64. 131 Ebda. 63.
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förderlich waren.«132 Währenddessen verpassten Bündnis 90/Die GRÜNEN 1990 den Einzug in das Parlament. Nach Kelly war dies vor allem der Selbstzerfleischung der eigenen Partei geschuldet.133 Demgegenüber gelangte Willke für die Kommunebewegung zu dem Schluss, dass ihre Abkoppelung vom politischen Geschehen doch wesentlich war: »Der zunächst eher befremdende apolitische Zug der Kommunebewegung erweist sich als notwendiger Selbstschutz gegen die ›Dramaturgie politischer Reformen.‹«134 Zumindest für das geplante Ökodorf der Heidelberger Gruppe schien die Annahme zuzutreffen. Laut Halbach galt es Anfang der 1990er als »das größte, utopischste Projekt«135 der Gegen- und Alternativkultur. Neben der konzeptuellen Entwicklung hatten sich ab 1988 Interessierte zu mehrwöchigen Gruppenerfahrungen getroffen, in denen miteinander leben und arbeiten erprobt wurde. Dabei wurden nach Halbach auch Grundsatzfragen verhandelt: Funktioniert die Idee völliger Selbstversorgung und entsteht daraus eine neue »Kultur des Umgangs«136 miteinander – oder folgt stattdessen aus einer neuen Kultur ein neues (auch ökonomisches) Handeln? Sommer stieg aus und anstatt strikter Selbstversorgung wurden nun soziokulturelle Komponenten der Gruppendynamik stärker betont. Die Idee des Ökodorfes als autarke ›Insel‹ wurde um Vorstellungen regionaler und globaler Vernetzung erweitert. Die Notwendigkeit von Kooperationen wurde deutlicher, aber auch das Selbstverständnis als politisches Projekt, mit dem »wesentlichen Punkt, anschauliche Beispiele zu schaffen.«137 In den kommenden Jahren schritt auch die Institutionalisierung voran, wie 1991 durch die Gründung des Freundeskreis ökologisches Dorf e.V., zum Zwecke der »Förderung des Landschafts- und Umweltschutzes durch eine Modelleinrichtung ›ökologisches Dorf‹«.138
132 Voß, E. 1996b: 74. 133 »[W]e fought our battles in the most aggressive and inhumane ways, often denouncing each other, quarreling, and pointing fingers at whatever faction was unwelcome at that particular moment.« Kelly, P. 1994: 123. 134 Willke, H. 1983: 159. 135 Halbach, D., in Andreas, M. 2011 [IT]a: 5. 136 Ebda. 3. 137 Anonymisiert, in Wagner, F. 2013: 104. 138 Freundeskreis ökologisches Dorf 1992: 7.
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Während 1992 auf dem Erdgipfel nachhaltige Entwicklung weltweit beschlossen wurde, machte sich die Gruppe aus Heidelberg auf, zunächst einmal einen Ort für sich zu finden.139 Aus dem Kreis von Unterstützern begann eine Kerngruppe, die Siedlung vorzubereiten.140 Nach dem Mauerfall ergaben sich Gelegenheiten in Brandenburg (Liebenberg), Sachsen (Pommritz) oder Sachsen-Anhalt (Stresow). Diese Optionen zerschlugen sich allerdings oder wurden von anderen genutzt. Doch nun wollte oder konnte man nicht zurück in die alten Strukturen. Gesucht wurde eine Zwischenlösung: »Einen Ort, an dem eine feste Gruppe von Menschen kontinuierlich gemeinsam lebt und an dem Projekt arbeitet; einen Ort, an dem alle Aktenordner des Projekts gesammelt stehen; einen Ort, an dem wir für die Menschen aus der Region ›anfassbar‹ sind; einen Ort, der Anlaufstelle für alle Projektinteressierten ist; ein Gästehaus für alle bundesweit verstreuten Vereinsmitglieder, einen Ort, wo wir schon Betriebe aufbauen, die dann ins Ökodorf mit umziehen können und so eine wirtschaftliche Basis für’s Projekt sein können. Von diesem Ort aus wollen wir dann die weitere Planung voranbringen und einen Ökodorf-Standort suchen und besiedeln.«141
1993 übersiedelten Mitglieder des Projekts in ein Projektzentrum im kleinen Ort Groß Chüden, in der Altmark in Sachsen-Anhalt. Stellenanzeigen in der taz wurden geschaltet, in denen man unter dem Motto »Essen, Feiern, zupacken«142 weitere Interessierte suchte und fand. Insgesamt 20 Erwachsene und Kinder zogen ein, die Zustände waren chaotisch. »Alles war existentiell.«143 Im Rückblick beschreibt die Bauingenieurin Corinna Felkl ihre Zweifel: Angesichts der alltäglichen Überforderung, musste da »der Wahnsinns-Konflikt jetzt auch noch’n Dorf zu bauen«144 nicht größenwahnsinnig sein? Gerade der Nachwuchs beschäftigte die Eltern, diese bereiteten die Gründung einer freien Schule mit Kindergarten vor. Demgegenüber strebten andere stattdessen die Realisierung des erstrebten Ökodorfes an. Letztendlich einigte man sich, aus einer Gruppe wurden zwei.
139 Vierhuff, T. 1999: 28. 140 Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 4. 141 Stützel, E. & Kommerell, J. 2007b: 10; vgl. Schaaff, A. 1999: 3f. 142 Paul, P., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 3. 143 Hagmeier, S., in ebda. 3. 144 Felkl, C., in Andreas, M. 2011 [IT]b: 2.
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Insgesamt galten die gemeinsamen Jahre in Groß Chüden als überaus anstrengende Zeit. Willke antizipierte dies gewissermaßen bereits: Der Verzicht auf Außenwirkung im Sinne klassischer Politik zwinge »zur Konkretheit und zur Frage, wie Ansprüche und Praxis zu vereinbaren seien.«145 Abbildung 5: Wegweiser in die Zukunft, ›Ökodorf 3 Jahre‹.
Quelle: Freundeskreis Ökodorf e.V. (Groß Chüden, 1996).
Es sollte bis 1997 dauern, bis Ökodorf-Pioniere im vom Groß Chüden unweit entfernten Poppau siedeln würden. Ironischerweise war es der ehemalige Gorleben-Beauftragte der Bundesregierung, der der Gruppe 1995 empfahl, sich auf die TAT-Orte-Ausschreibung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) zu bewerben.146 Der Preis richtete sich an kleine Gemeinden in den neuen Bundesländern unter dem Gesichtspunkt nachhaltiger Entwicklung. Um durch den Preis »gesellschaftliches Ansehen, aber auch so ‘nen Sog«147 zu gewinnen, sah sich die Ökodorf-Gruppe aufgefordert, ihre idealistischen Ideen in ein praktisches Konzept zu übersetzen. In diese Zeit fällt die Gründung des GEN, an der die Gruppe aus Groß Chüden beteiligt war, als auch die Entstehung des Ökodorf-Slogans, der bis 2012 auch die Website zierte: »Das Leben findet wieder im Dorf statt.« 1996 gewinnt das Konzept und wird als »herausragende ökologische Gemeindeinitiative«148 prämiert.
145 Willke, H. 1983: 163. 146 Vgl. DBU & DIFU (Hg.) 1996. 147 Halbach, D., in Andreas, M. 2011 [IT]a: 10. 148 DBU & DIFU (Hg.) 1996: 151.
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Das Projekt erhielt zugleich eine finanzielle Förderung im Rahmen eines Forschungsprojektes zu »ganzheitlicher, Bewohner-orientierter Siedlungsplanung«.149 Mit dem Aufwind durch den Preis im Rücken und entsprechender Öffentlichkeitsarbeit ging die Gruppe in Verhandlungen mit offiziellen Stellen.150 Unterstützung bekam sie auch durch Kontakte, die sich beispielsweise durch den gescheiterten Standort Stresow ergeben hatten. Das sich bald öffnende »Zeitfenster Rot-Grün«151 sollte sich ebenfalls als günstig erweisen. Angedacht war weiterhin der Neubau eines Dorfes, wie bereits im Konzept von 1990. Die Legitimation hierfür sah Halbach auch durch den Preis gegeben: »Wir sind das einzige Dorf was quasi die gesellschaftliche Genehmigung gekriegt hat eigenständig neu zu bauen.«152 Doch es »war und ist ein unerhörtes Vorhaben, in Deutschland ein neues Dorf aufzubauen«,153 denn eine Neugründung ist nach dem Bundesbaugesetz aus Sorge um Zersiedelung nicht vorgesehen. Rückblickend sprach Felkl auch hier von einem Zeitfenster, den Jahren »nach der Wende in denen sowas möglich war.«154 Poppau rückte in den Blick der Siedlergruppe. Bürgermeister und Gemeinderat äußern sich wohlwollend und das Gelände schien die als notwendig erachteten Komponenten aufzuweisen: die Nähe zu einem Bahnhof (dessen Betrieb später 2002 eingestellt wurde), sowie der dazugehörige Acker, Wald und die entsprechende Infrastruktur.155 »Das Gelände ist groß genug (für den Anfang) und liegt in Alleinlage weit genug von Poppau entfernt für eine eigenständige Entwicklung und doch nahe genug um die Erschließungskosten nicht zu hoch zu schrauben […]. Die Bewohner von Poppau sind interessierte, offene und tolerante Menschen. Kurz: Die richtigen Nachbarn für ein Ökodorf.«156
149 Halbach, D., in Andreas, M. 2011 [IT]a: 12. 150 Stützel, E. & Kommerell, J. 2007b: 11. 151 Felkl, C., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]b: 2; vgl. Stützel, E., in ebda. 152 Halbach, D., in Andreas, M. 2012 [BP, 03.04.2012]a: 6 153 Würfel, M. 2012a: 13. 154 Felkl, C., in Andreas, M. 2011 [IT]b: 3. 155 WoGe 1997 [KA]. 156 Ebda.
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Aber der ehemalige Hof war in bedauernswertem Zustand und ließ selbst manche Sympathisanten die Köpfe schütteln: »Damals kursierten hübsche Karten von möglichen Ökodorf-Gestaltungsideen, alles war rund, viele Bäume, Wasser; für mich war das zukünftige Dorf so realistisch wie eine Hobbitsiedlung.«157 Dennoch wurde das Grundstück für 380.000 DM gekauft.158 Noch im ersten Winter zogen 15 Siedler mit Kindern und Bauwägen auf das Gelände. Ein altes Foto fand sich, auf dem sieben Linden vor dem Hof standen – der Name des Ökodorfes war gefunden. Ein Raum diente damals als Küche und Badezimmer, der andere als Wohnzimmer und Büro. Eine »legendäre Badewanne«159 und ein Esstisch bildeten das Mobiliar und lassen die Siedlungszustände unter der Adresse Sieben Linden 1 erahnen. Doch viele Beteiligte betonen in der Rückschau auch die positiven Aspekte dieser Zeit, wie Naturnähe und sozialen Zusammenhalt.160 Die ersten Jahre waren vor allem der Renovierung zum Zentrum für Gemeinschaft und Besucher gewidmet. 1997 gelang es, das jährliche Treffen der freireisenden Wandergesellen für zwei Wochen nach Poppau zu bringen. Ihr tatkräftiger Einsatz für das Regiohaus war eine Art »Taufgeschenk«161. Ein weiter Förderantrag wurde bewilligt, Finanzpläne erstellt und ein Bebauungsplan (B-Plan) angestrebt, um auf dem Gelände bauen zu dürfen. Die zuständige Gemeinde Bandau stimmte dem B-Plan zu und beauftragte das Ökodorf-Projekt mit der Planung. Doch noch zuvor bahnten sich zwei Konflikte an. So wurde von der evangelischen Gemeinde 1997 ein Sektenvorwurf erhoben. Die Poppauer Bevölkerung ging auf Distanz, bis Hans-Jochen Tschiche als damaliger Fraktionsälteste von Bündnis 90/Die GRÜNEN (ein pensionierter Pfarrer) beim Bischof für das Ökodorf vorsprach. Nach der Prüfung und Entkräftung der Vorwürfe schickte die evangelische Kirche ihren obersten Sektenbeauftragten nach Poppau, wo »die erlösenden Worte fielen: Man muss keine Angst vor’m Ökodorf haben!«162 Tschiche äußerte sich auf der 10-Jahresfeier Sieben Lindens 2007 wie folgt:
157 Würfel, M. 2012a: 13. 158 Grober, U. 1998: 229. 159 Geiersbach, N. 2007: 32; vgl. Halbach, D. 2007: 22. 160 Steiner, E., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]b: 2. 161 Grober, U. 1998: 231. 162 Freundeskreis Ökodorf 2009a: 6.
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»Orte wie hier, die erinnern mich daran, dass ich nicht umsonst gelebt habe. Dass ich ein klein bisschen geholfen habe, nicht viel, das meiste habt Ihr selber gemacht. Aber, dass ich in der Öffentlichkeit gesagt habe: Leute, das sind keine Spinner, sondern das ist eine Alternative, über die wir nachdenken sollten.«163
Doch der B-Plan war noch nicht abgesegnet. Bei der Anhörung der Träger öffentlicher Belange legte ausgerechnet die Abteilung Regionalplanung des Landkreises ein Veto ein. Bevorzugt wurde hier die Variante eines verlassenen Dorfes für das Projekt, um einer Zersiedelung entgegen zu wirken. »Macht ja eigentlich auch Sinn«,164 wie es Felkl in der Rückschau ausdrückt. Das Ökodorf-Projekt genoss die Unterstützung der Umweltministerin – dennoch galt es laut der Mitgründerin Eva Stützel, mit Hilfe einer Stadtplanerin, »eine rechtlich und inhaltlich stichhaltige Argumentation [vorzulegen], warum unser Modellprojekt keine Splittersiedlung im Außenbereich bedeute«,165 sondern ein neues Dorf – quasi ein neuer Innenbereich. »Dann kam der 2. August 1998, der große Tag: Das Eröffnungsfest mit über 1000 Menschen und Initiativen aus der Region. Nur gab es keinen Bebauungsplan! Der Bürgermeister fragte uns, wie immer sehr direkt: ›Was feiert ihr eigentlich?‹ Die Antwort: ›Das Prinzip Hoffnung!‹ […] So viel Gäste, die neuen 7 Linden […], die Willkommensreden der Feuerwehr und des Bürgermeisters, die Überreichung der Dorfchronik an uns … und dann die Nachricht des Tages, uns zugeflüstert vom Planungsbüro und von dort direkt auf die Bühne: ›Der Bebauungsplan ist durch! Es gibt keine Bedenken mehr!‹«166
Am 28. Oktober 1998 wurde der B-Plan Sieben Lindens rechtsverbindlich.
163 Tschiche, H.-J., in Freundeskreis Ökodorf 2007: 24. 164 Felkl, C., in Andreas, M. 2011 [IT]b: 3. 165 Stützel, E. 2011 [PK, Notiz zur Rohfassung dieses Kapitels, 28.09.2011]. 166 Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a:13a; vgl. Schaaff, A. 1999: 4.
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Vormittag I »Sie haben sicher schon gemerkt, dass es viele verschiedene Toiletten im Ökodorf gibt – aber bislang kommen alle ohne Wasser aus.«167 Es sind Trockentrenn- oder Komposttoiletten. Der Wasserverbrauch Sieben Lindens liegt bei knapp zwei Drittel des Bundesverbrauchs, unter anderen aufgrund der wasserlosen Toiletten, so dass nur 70 anstatt 120 Liter pro Tag verbraucht werden (Stand 2012).168 Der Autor weist beispielhaft auf den Außenduschbereich vor den Besuchern hin. Inmitten des Ensembles thront der »Kacktempel«, gleichnamiger Nachfolger des ersten selbstgebauten Gebäudes im Ökodorf – laut Micha ein architektonisches Kleinod. Bei der Holzkonstruktion begibt man sich ein paar Stufen nach oben, schließt die Tür und erleichtert sich in eine der darunter befindlichen Schubkarren. Diese Anordnung erlaubt es Micha, die Fäkalien zur Weiterverarbeitung direkt in den Wald zu fahren. Die angesammelten Fäkalien werden dort in einer behördlich genehmigten Spezialkompostierungsanlage kompostiert. Die Haufen kompostieren mehrere Jahre, bevor die entstehende Erde als Dünger für Wald, Hecken, Obstbau und Zierpflanzen genutzt wird169 – wenn auch nicht für Pflanzungen, die direkt der Ernährung dienen. Damit das System einwandfrei funktioniert, müssen Urin und Kot weitgehend getrennt werden. Dies liegt einerseits am hohen Nitratgehalt der Flüssigkeit, den man nicht ungeklärt in den Waldboden geben will. Aber andererseits gelte es nach Micha auch eine schlichte Gesetzmäßigkeit zu beachten: »Suppe wird nicht zu Erde.« Als aktueller »KackKompost-Chef« zeigt er sich als Experte für die Materie; »ein großer Teil meiner Gemeinschaftsdienste liegt in diesem Bereich. Daher mein Enthusiasmus.« Manche Toiletten lösen ihre Trenn-Aufgabe mit Hilfe eines Abscheiders, der den Urin als Grauwasser in die Abwasserleitung zur Pflanzenkläranlage führt; bei anderen wird auf Hinweisschildern gebeten, die Geschäfte gleich getrennt zu verrichten. Bei größeren Geschäften gilt es
167 Vgl. Dyck, W. 2007b: 52. 168 Die formellen Angaben und Zitate stammen in diesem Teil stammen, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2011a, b, e, 2009a und 2000 [Web]. 169 Dyck, W. 2007b: 52.
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stets Sägespäne hinterher zu werfen. So trockne der Kot besser und der Geruch wird zum Teil gebunden. »Außerdem sieht es hübscher aus, falls doch jemand einen Blick riskiert«, meint der Autor. Die Toiletten in den Gebäuden arbeiten meist mit einer Lüftung, beispielsweise einem Ventilator. Deswegen entsteht normalerweise kein unangenehmer Geruch, außer jemand entleert gerade die Toiletten. Micha zufolge gibt es allerdings dennoch »genug Siebenlindener, die es eklig finden, sich [mit dem Prozess] zu beschäftigen, aber es bedeutet eine enorme Verkleinerung des Wasserkreislaufes. Ohne Kanalisation und Klärwerk bringen wir die Nährstoffe aus den menschlichen Ausscheidungen direkt zurück auf unser Land. Konventionell werden Fäkalien erst mit Unmengen besten Trinkwassers vermischt, dann aufwändig bearbeitet und am Ende als Klärschlamm auch wieder auf den Boden ausgebracht.«170
2011 heißt es im Ökodorf: »Das übergeordnete Ziel in Sieben Linden ist die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks in allen Lebensbereichen.« Nach eigenen Angaben wurde in diesem Jahr ein CO2-Äquivalent von 2.500 kg verbraucht, das ist etwa ein Drittel des Bundesdurchschnitts. Erreicht werden diese Werte vor allem durch weitgehend geschlossene Energie- und Materialkreisläufe. Besonders anschaulich ist ein solcher Kreislauf beim Wasserhaushalt Sieben Lindens, dessen sichtbarstes Zeichen die Komposttoiletten sind. Um die Toilettenfrage abschließend zu würdigen (und abzuschließen) kramt der Autor ein Zitat des Künstlers Friedensreich Hundertwasser hervor: »Natürlich ist es etwas Ungeheuerliches, wenn […] die Humustoilette auf dem schönsten Platz zum Ehrensitz wird. Das ist jedoch genau die Kehrtwendung, die unsere Gesellschaft, unsere Zivilisation jetzt nehmen muss, wenn sie überleben will.«171
170 Manche Gäste empfinden auch die vergleichsweise rudimentären Außentoiletten als unangenehm; vgl. Ziegelmüller, M. 2008. 171 Hundertwasser, F. 1979: 2.
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Abbildung 6: Nordriegel, Hof, Regiohaus, und Dorfplatz.
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, 2011).
Sie verlassen den Hof und schlendern um das Regiohaus herum, weiter über den leeren Dorfplatz »Wir wechseln die Umgebung, aber bleiben beim Wasser und den klassischen Anlagen des Ökodorfes.« In Sicht kommt ein kleines Amphitheater. Hinter der Bühne liegt ein Teich mit Schilf und Sandstrand, Kinder tummeln sich auf einem Floß.172 Die Geschichte des Teiches gilt dem Freundeskreis als Paradebeispiel für die Ökodorf-Prinzipien: »Als die ersten Siedler ankamen, standen sie vor der Auflage, einen Feuerlöschteich anzulegen – durchaus sinnvoll in der trockenen Altmark. Doch die Ökodörfler huben den Teich extra groß aus, denn sie wollten auch darin baden. Außerdem legten sie ein Biotop an, welches wiederum das Wasser sauber hält. Der Aushub des Teichs dient heute als Hügel des Amphitheaters.«
Das Schilf reinigt das Wasser und bietet Unterschlupf für Tiere wie Enten und Frösche. In der Mitte zeigt eine gespannte Leine an, wo der Nichtschwimmerbereich beginnt. Damit der Teich sauber bleibt, ist es obligatorisch sich vorher (kalt) abzuduschen. Theater und Teich bieten eine
172 »Aber ohne Seepferdchen bitte nicht unbeaufsichtigt«, warnt der Freundeskreis.
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Bühne für kulturelle Veranstaltungen: Konzerte, Aufführungen und Reden einerseits, Planschen, Schwimmen und Eislaufen andererseits. Der Aushub des Teiches wurde zum Hügel des Theaters. Insgesamt schafften es die Ökodörfler somit, einen Ort zu kreieren, an dem sich vielfältige Funktionen zugleich erfüllen: Für das eigene Vergnügen ist gesorgt, Ressourcen wurden sinnvoll verwendet und die Biodiversität erhöht. »Menschliche Ansiedlung und ökologische Qualität [müssen] kein Widerspruch sein«, heißt es dazu in Sieben Linden. Oder wie es Micha ausdrückt: »Gott sei Dank war der vorgeschrieben.« Micha führt die Gruppe nun weiter »zu was wirklich Existenziellem, zu unserem Garten«. Der Weg führt durch ein kleines Tor gen Süden. Zur Linken erstreckt sich dort der Alte Weiher. Das Biotop unter den Laubbäumen existierte bereits vor Ankunft der Ökodorf-Pioniere. Da der Weiher immer wieder austrocknete, wird er über eine Leitung vom Hof mit Regenwasser gespeist, ebenso wie der Feuerlöschteich. Der Autor geht behutsam vorbei, denn der Weiher zählt zu den besonderen Orten oder auch sogenannten Kraftplätzen des Ökodorfes. Eine Bewohnerin erklärt: »[D]as ist einer unserer heiligen Plätze, die wir hier haben in Sieben Linden ... das ist … der Platz der alten Weisheit, der ganz viel Ruhe ausstrahlt, der alte Weiher, ein Platz wo man herkommt um Jahreszeitenrituale […] zu feiern oder auch mal um sich zurückzuziehen.«173
Was beim Menschen Akupunkturpunkte seien, seien auf der Erde Kraftplätze; laut Micha »aber auch einfach schöne schattige Plätze, um sich im Sommer zu treffen«. Zur Rechten kommt nun eine langgestreckte Hecke in Sicht. Diese wurde vor 15 Jahren vorausschauend gepflanzt. Sie dient als Windschutz für die Pflanzungen und trennt das Grundstück von den konventionell bewirtschafteten Feldern des Nachbarn ab, was laut Sandra auch einen Emissionsschutz vor dessen Saat und Düngemitteln darstellt. Kleintiere ziehen sich ebenfalls gerne zwischen die Beerensträucher der Hecke zurück.
173 Bott, G., in Pape, K. 2011 [Web].
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Die Gärten linker Hand bieten einen fantastischen Anblick: Bäume, Sträucher und Gemüse stehen gemischt – aber nicht zufällig – nebeneinander. Sandra erläutert, dass ihre Anordnung dazu nutze, Schädlinge zu vermindern und vielmehr »Nützlinge« zu provozieren. Mit den Gärten beantwortet sich größtenteils die Frage nach der Selbstversorgung des Ökodorfes. Hier werden die Bewohner inklusive ihrer Gäste auf circa drei Hektar mit etwa 75 Prozent ihres Bedarfs an Obst, Gemüse und Kräutern versorgt. Obgleich die Bewohner Sieben Lindens lange den Anspruch einer größtmöglichen Selbstversorgung vertraten, ist das Ökodorf keinesfalls autark. Dennoch ist weitgehende Selbstversorgung eindeutig gewollt. So wird der genossenschaftliche Gartenbaubetrieb durch die Platzmiete der Bewohner subventioniert, »damit die Gärtner ein vernünftiges Gehalt beziehen können«. Daraus ergibt sich ein interner Preis für selbstangebautes Gemüse, der 2009 bei circa 150 Prozent des Bio-Großhandelspreises lag. Micha zeigt sich stolz, diese Entscheidung zu unterstützen.174 In Sieben Linden bewirtschaften mehrere Gruppen die Gärten. Neben selbständigen Gärtnern und einigen Kleingärtnern ist die Siedlungsgenossenschaft (SiGe) aktiv, deren Angestellte ausschließlich für die Selbstversorgung des Dorfes arbeiten. Unter ihren Feldern finden sich beispielsweise ein ›bio-veganer Handgarten‹, zwei Gewächshäuser und die großen SiGe-Felder, die per Hand und mit Pferden bewirtschaftet werden. Angebaut werden unter anderem Kartoffeln, Kohl, Sellerie, Salat und Zwiebeln. Feldfrüchte, Getreide und Hülsenfrüchte sollen folgen. Nach eigenen Angaben wird im Ökodorf insgesamt zu 100 Prozent biologisch angebaut, allerdings ohne eine Zertifizierung nach biologisch-ökologischen Kriterien. Die Erträge der Gartenarbeit werden auch fast vollständig intern verzehrt und die Bewohner kennen die Qualität ihres Anbaus. Die restlichen Lebensmittel werden extern vor allem vom Biogroßhändler bezogen. Die Feinabstimmung von Anbau, Lagerung und Zukauf regeln die Gärtner mit dem Naturwarenverein. Der Kauf von exotischen Früchten im Winter wird vermieden, solange die Lagerkeller noch gefüllt sind. Wir »Bewohner beziehen quasi ›Abokisten‹, wenn wir uns in unserem Lagerkeller bedienen«, erklärt Micha.
174 Vgl. Zimmermann, J. 2005.
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Auf die interessierte Frage einer Teilnehmerin, ob alle Menschen in Sieben Linden gerne im Garten arbeiten würden, winkt einer der Bewohner ab: »Mit Gartenarbeit kann ich immer noch nix anfangen.«175 Im südlichen, wilderen und weniger oft frequentierten Bereich des Gartens finden sich neben Sammelstellen für Wildkräuter weitere Kraftplätze und die Schwitzhütte. Irgendwo summen Bienen. Der Richtfunkmast, der das Ökodorf mit DSL versorgt, ist ganz im Westen zu finden. Vom Garten aus erfolgt die Verteilung per Kabel. Für diese, im Vergleich zu W-LAN etwas umständliche Lösung, entschieden sich die Bewohner, um das Ökodorf vor weiterer Strahlung zu bewahren. Ganz im Süden schließt sich die Fuhrhalterei Frühwach an. Die Haflinger Odin und Freya176 sowie Mani ziehen die Dämme, die im Anschluss per Hand gepflegt werden. Der Einsatz von Pferden statt schwerem Gerät bringt nicht zuletzt weniger Bodenverdichtung mit sich und wird soweit wie möglich auch bei Waldarbeiten bevorzugt. Die landwirtschaftlichen Flächen der SiGe werden momentan noch verpachtet, da bislang kein sinnvolles Nutzungskonzept vorliegt. Sandra weist allerdings darauf hin, dass unter anderem im Rahmen einer Bachelorarbeit an einem solchen gearbeitet wird. Die internen Beschlüsse des Ökodorfes bilden hier eine Erschwernis. So sollen mit Ausnahme der Pferde keine Nutztiere in Sieben Linden gehalten werden – aber zugleich finden sich keine Landwirte, die ohne Tierdung die Felder bewirtschaften wollen. »Auf das Thema Tierhaltung kommen wir noch zu sprechen«, meint der Verfasser.
175 Anonymisiert, in Wagner F. 2013: 196. 176 »[…] beheimatet im germanischen Götterhimmel gleich neben der Mitte der Welt«, heißt es in Anspielung auf Poppau im Artikel mit dem schönen Titel Lieber mit dem Pferdekarren durch die Altmark als mit Vollgas in den Abgrund. Hagmeier, S. 1999: 7.
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1.4 F RAGEN
DER
Z EIT
Der damalige Innenminister Niedersachsens hatte die Gorleben-Besetzer einst abwertend »Träumer und Pfadfinder«177 genannt. Die Demonstranten hatten Wert darauf gelegt, nicht nur »›nein‹ zu den Atomanlagen sagen […], sondern auch ›ja‹ zu einer besseren Zukunft.«178 Das »verbotene Traumland«179 entstand später tatsächlich, mit Unterstützung vieler Akteure. Mit der Ansiedlung bei Poppau konnte sich das Ökodorf-Projekt verwirklichen und verzeichnet heute etwa 5.000 bis 6.000 Gästeübernachtungen pro Jahr.180 Abbildung 7: Ausschnitt der ›Neustadt‹.
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, 2011).
Während die Agenda 21 vorsah, dass sich die ›höchste politische Ebene‹ auf internationalem Niveau ›der drängendsten Probleme der heutigen Zeit‹ annehmen würde, rückt man sich auch in der Altmark auf ›niedrigerer‹ Ebene die Regiestühle zurecht: »Klimawandel, Verstädterung, Wirtschaftskrisen – im Ökodorf Sieben Linden entwickeln und erproben die Bewohner Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit.«181
177 Möcklinghoff, E., in Halbach, D. & Panzer, G. 1980: 6. 178 Ebda. 27. 179 Ebda. 5. 180 Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 3. Abzüglich der besucherfreien Monate Januar und Februar ergibt dies 16 bis 20 Gäste täglich. Die Verteilung spitzt sich allerdings auf Veranstaltungen wie das Sommercamp zu. 181 Freundeskreis Ökodorf 2011f: 2.
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Oft in erklärter Gegnerschaft zum Wachstumsparadigma positionieren sich Bemühungen (environmental movement, beziehungsweise environmentalism182), die sich dem Schutz der Umwelt, beziehungsweise einem neuen Verhältnis zwischen Mensch und Natur verschrieben haben. Einen Zusammenhang zum Thema Identität lässt sich beispielsweise über Manuel Castells herstellen. Der Soziologe unterscheidet dominante legitimierende Identitäten von gegen diese in Widerstand befindliche Identitäten; darüber hinaus führt er allerdings auch Projektidentitäten auf, die eine Transformation des Gesamtsystems auf Basis ihres eigenen ›Projekts‹ anstreben: »They are the collective social actor through which individuals reach holistic meaning in their experience […], expanding towards the transformation of society as the prolongation of this project of identity.«183 Zu solchen Identität zählt Castells auch das weite Feld des environmentalism. Exemplarisch spricht die Umweltaktivistin Joanna Macy von einem ›Großen Wandel‹ (statt ›Transformation‹). Innerhalb dessen gelte es nicht nur, schädliche Auswirkungen von Entwicklungen wie dem Klimawandel zu verhindern und Alternativen wie Ökodörfer zu entwickeln, sondern auch »um einen Wandel in unserer Wahrnehmung, unserem Weltbild und unseren Werten.«184 Die Ethnologin Kay Milton versteht environmentalism ähnlich weit; »essentially, though not uniquely, a quest for a viable future«185. Durch diesen spezifischen ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozess‹ sieht der Ethnologe Peter Brosius ein äußerst fruchtbares diskursives Feld entstehen:186 »If ever there was a rich site of cultural production, it is in the domain of contemporary environmentalism: a whole new discursive regime is emerging and giving shape to
182 Lewellen, T. C. 2002: 11. 183 Castells, M. 1997: 10f. 184 Von Lüpke, G. 2008: 12. 185 Milton, K. (Hg.) 1993: 2. vgl. 1996: 104f. 186 Mit Diskurs sei nach Foucault die gesellschaftliche Kommunikation über Bedeutung verstanden, wobei er selbst besonders auf Machtgefüge achtete. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass Diskurse als identitätsprägend angesehen werden. Aber während in der Frühphase des Diskurses über Diskurse Sprechakte im Vordergrund standen, versteht Escobar einen Diskurs sehr weit als »the process through which social reality comes into being.« Escobar, A. 1995: 39.
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the relationships between and among nature, nations, movements, individuals, and institutions.«187
Nach Castells sei environmentalism »arguably the most comprehensive, influential movement of our time.«188 Escobar schließt sich an: »I would reiterate Brosius’s call for anthropological engagement with environmentalism as one of the most powerful and complex arenas for the production of culture in the late 20th century.«189 Nach den Worten des ehemaligen GENPräsidenten Jonathan Dawson entsprach die Ökodorf-Bewegung in den 1990ern diesem ›Zeitgeist‹190. Der Nachhaltigkeits-Diskurs entspannte sich nach dem ›Erdgipfel‹ in Rio, GEN-Sub-Netzwerke und Sekretariate wurden gebildet191 und diverse Projekte nachträglich als Ökodörfer identifiziert.192 In der Rückschau von Bates als ersten amerikanischen GEN-Sekretär waren Ökodörfer zum Millennium jedenfalls exzellent positioniert: »After the 1995 conference, the ecovillage movement experienced rapid growth. Kibbutzim that re-greened the deserts of Palestine in the twentieth century developed a new outlook with the formation of the Green Kibbutz Network. The Russian Ecovillage Network was inaugurated in 1997. In Australia, permaculture communities […] pioneered easy paths to more environmentally sensitive lifestyles. […]. By the beginning of the twenty-first century, GEN had more than 15,000 member communities on six continents and had obtained consultative status at the United Nations Economic and Social Council [ECOSOC].«193
187 Brosius, J. P. 1999: 277. 188 Castells, M. 1997: 69. 189 Escobar, A., 1999: 291f. 190 Dawson, J. 2006: 11. 191 Jackson, H. & Jackson, R. J. T. 2004: 5f. 192 Zugleich wurde die Frage der entsprechenden Kriterien immer wieder gestellt und zu beantworten gesucht, vgl. Jackson, H. 1998: 2. 193 Bates, A. 2003: 424. Die beeindruckende Mitgliederzahl speiste sich vor allem aus Netzwerken wie Sarvodaya aus Sri Lanka mit etwa 11.000 Dörfern.
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Doch trotz ihres vielversprechenden Beginnes galten die 1990er-Jahre auch als verlorenes Jahrzehnt der Umweltbewegung.194 Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren Märkte weiter liberalisiert worden, Kapital und Arbeitskräfte erlebten eine bislang unbekannte Mobilität. 1994 wurde die World Trade Organization gegründet. »Der Öffnung der Märkte galt nun die Priorität des Nordens und eben nicht der Armutsbekämpfung oder dem Umweltschutz.«195 Das Bild der Erde schien eine andere Bedeutung angenommen zu haben, als einst von Brand beschworen. Tsing rät zum Innehalten: »To invoke the global at the turn of the second millennium is to call attention to the speed and density of interconnections among people and places […]. It seems worth hesitating for a moment to consider the difference between this aggressive globe, hurtling through space, and an only slightly earlier fragile planet, floating gently in its cloud cover.«196
Im Gegensatz zu Bates einige Jahre zuvor nimmt Dawson anno 2006 bereits eine kritischere Perspektive ein: »Watching the footage of the various events in the mid-1990s where GEN was created and formally launched, one could not fail to be moved by the ebullient optimism of the Network’s founders. The ecovillage concept appeared in the words of GEN cocreator, Albert Bates, ›to have the winds of inevitability at its back‹: the first GEN Tshirt boldly declared ›Welcome To The Future!‹ Given the many achievements of the last decade, much progress has undoubtedly been made. Nonetheless, it is also true that ecovillages remain largely peripheral to the mainstream debate in today’s societies, which show little inclination to take serious strides towards sustainability.«197
Bezüglich der ethnologischen Forschung zu environmentalism empfiehlt Brosius, spezifische Entwicklungen in ihrer Dynamik zu beforschen. Insofern untersuche ich Ökodörfer in ihrem Versuch, ein neues gutes Leben zu
194 »In the Nineties we lost a great chance. After the great hope came the great delusions.« Brocchi, D. 2008: 54; vgl. Goodbody, A. (Hg.) 2002: x. 195 Höhn, B. 2003: 5f. 196 Tsing, A. 2000: 331. 197 Dawson, J. 2006: 67.
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kultivieren und sich dementsprechend gesellschaftlich zu positionieren. Dabei setze ich an einem Zeitpunkt an, in dem die Identität klassischer Ökodörfer als Nachhaltigkeitsmodelle in Frage gestellt wird. Von hier aus begleite ich den Such-, Lern- und Entscheidungsprozess Sieben Lindens. Im Juli 2008 herrschte gute Stimmung in Sieben Linden. Das europäische Netzwerk tagte mit seiner jährlichen General Assembly (GA) in der Altmark. Menschen aus 27 europäischen Mitgliederprojekten waren anwesend, insgesamt 95 Teilnehmer aus 28 Ländern und fünf Kontinenten.198 Laut der Berichterstatterin Julia Kommerell herrschte stets »familiäre Nähe«.199 Ein Bewohner notierte: »Das Ökodorf blüht! Gäste aus der ganzen Welt strahlen uns an und fühlen sich wohl und alle laufen barfuß.«200 Sieben Linden gewann zwar nicht den jährlichen Excellence Award, dafür wurde Kosha Anja Joubert Präsidentin von GEN Europe. Kommerell berichtete enthusiastisch: »Wir sind Präsident!«201 Nun sei Sieben Linden wahrhaft angekommen: »Das Ökodorf ist damit wirklich Teil dieser GEN-family geworden, mit einem Schlag ganz international.«202 Für mich bedeutete die GEN GA 2008 das Ende der Explorationsphase und die Einnahme meiner Fragestellung. Den Auslöser bot der scheidende Präsident Dawson, der auch kritische Töne anschlug. So benannte er die finanzielle Versorgung des Netzwerks als Problem, nachdem sowohl Gaia Trust als auch die Europäische Union (EU) ihre Zuschüsse reduziert hatten. Auch die Unterstützung der afrikanischen Ökodörfer verlaufe nicht zufriedenstellend. Doch Dawson ging noch einen entscheidenden Schritt weiter: Er riet davon ab, weitere Ökodörfer wie Sieben Linden zu gründen. Stattdessen betonte Dawson als noch amtierender Präsident seine Begeisterung für Transition Towns und städtische Ökodörfer wie das Los Angeles Ecovillage. Das dort im Februar des gleichen Jahres veröffentlichte GEN Manifesto des Gremiums lieferte ihm seine konzeptuelle Vorlage für die Kehrtwende: »We emerged from this meeting with a renewed clarity about the role of GEN and excitement about the relevance of ecovillages and GEN
198 GEN Europe 2008: 1. 199 Kommerell, J. 2008a [Web]. 200 Würfel, M. 2008 [Web]. 201 Kommerell, J. 2008a [Web]. 202 Ebda.
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to the world at this critical moment in its history.«203 Die Welt sei zunehmend durch Krisen wie Klimawandel und Peak Oil gezeichnet, während die Gründung von Ökodörfer schwieriger werde: aufgrund steigender Landpreise, restriktiverer Planungsvorgaben und individualisierter Gesellschaften. Bestehenden Ökodörfern wurde im Manifest empfohlen, sich als Modelle in Krisenzeiten anzubieten und bestehende Beratungs- und Bildungsangebote weiter auszubauen. Anstatt (weiterhin) eine singuläre Vorreiterschaft für Ökodörfer zu behaupten, wurden zunehmend Allianzen empfohlen: »Our greatest contribution to the Great Turning towards sustainability will be by way of building strong and active partnerships with sustainability initiatives in the world’s towns and villages – to see ourselves as the research, training and demonstration centres for sustainable communities in a more localised and bioregional world.«204
Im September gleichen Jahres wiederholte Kennedy als ehemals erster GENPräsident die Einschätzung Dawsons und des Gremiums. Auch er riet davon ab, weitere Ökodörfer zu gründen und verwies stattdessen auf Transition Towns. Der Gemeinschaftsveteran Achim Ecker, der das GEN GA 2008 in Sieben Linden eröffnet hatte, stellte im Jahr darauf fest: »Ökodörfer sind nicht mehr das progressive Ende der Nachhaltigkeitsbewegung.«205 Aber wenn sie dort nicht mehr zu verorten sind: Wo dann? Der Bogen meiner Fragestellung war gespannt. Machen sich Ökodörfer wie Sieben Linden die beschrieben Kehrtwende zu eigen, muss sich auch ihr Selbstverständnis ändern: Ihr Selbstbild kann dann nicht mehr das von Pionieren und Modelle auf einem Weg sein, den andere nach ihnen beschreiten sollen; ihre Bedeutung wäre eine andere, ja ihre Identität. So lauten meine Forschungsfragen: Wie positioniert sich Sieben Linden? Und zur Kultivierung welcher Qualitäten? Es hätte Dawsons Aussage als Auslöser nicht zwangsweise bedurft, aber sie schien geeignet, die Verhältnisse umzudeuten. Johanna Riegler aus dem Forschungsschwerpunkt Lokale Identitäten und überlokale Einflüsse bemerkt entsprechend: »Die Fragen ›Was bin ich?‹ und ›Wohin gehöre ich?‹
203 GEN 2008: 1. 204 Ebda. 2. 205 Ecker, A. 2009 [PK, Keuruun Ekokylä, 13.07.2009]
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[…] treten meist dann auf, wenn selbstverständliches Handeln und die vorhandenen Struktur- und Rahmenbedingungen dafür irritiert werden.«206 Ich nahm diese Irritation als Ausgangspunkt, um Prozesse der Identität in Sieben Linden zu begleiten. Doch wie ist die Verbindung zu den Nachhaltigkeitskonzepten? Nur bedingt lassen sich Fragen nach Identitäten mit Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzstrategien abbilden. Wie der Rat für Nachhaltige Entwicklung allerdings bemerkt, muss »eine Strategie für Nachhaltigkeit […] zuallererst die Fragen stellen ›Wie sollen wir leben?‹, ›Was ist ein gutes, gelungenes Leben?‹, also die Fragen nach Lebensqualität und Lebensgefühl. Diese Fragen sind ohne den Rückgriff auf den kulturellen und philosophischen Diskurs nicht zu beantworten.«207
Auch das Drei-Säulen-Modell erscheint ungeeignet, gleich ob bei schwacher oder starker Nachhaltigkeit. Um einen konzeptuellen Austausch zwischen den Diskursen zu ermöglichen, wäre eine prozessuale Erweiterung vonnöten, eine Betonung der Frage des ›Wie‹. Nach Ines Oehme werden ›querliegend‹ zu den drei Säulen üblicherweise vor allem politisch-institutionelle und kulturell-ästhetische Dimensionen diskutiert.208 Demmer verwendet für seine Behandlung von (ethischer) Identität ebenfalls ein zweigliedriges Konzept,209 ich selbst spreche von Positionierung und Kultivierung. Doch noch vor der Besprechung des eigenen Ansatzes folgt zunächst die Erkundung der Forschungslandschaft, in der sich Sieben Linden befindet.
206 »[W]o soziale Verortungen und die entsprechenden Bedeutungscodes nicht mehr greifen, bricht die Suche nach passender Neuverortung auf beziehungsweise ist bereits im Gange.« Riegler, J. (Hg.) 2004: 16. 207 Rat für nachhaltige Entwicklung 2002: 5. 208 Oehme, I. 2007: 214f. Eine solche Erweiterung findet sich beispielsweise auch aggregiert in der Zukunftscharta des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Windfuhr, M., in BMZ 2014: 1. 209 Demmer, U. im Erscheinen.
2. Forschungslandschaft ›But surely not everybody can live in ecovillages?‹ […] ›Of course they can. It is simply a question of definition.‹ ROSS J. T. JACKSON1
Das Ökodorf liegt nicht nur in der Altmark, sondern auch in einer Forschungslandschaft. Weder Bäume noch Sträucher prägen diese Landschaft, sondern Begriffe, Konzepte und Theorien. Vor ihrem Betreten findet sich eine Abgrenzung, quasi ein Zaun am Wegesrand – wie der Ethno-Historiker James Clifford treffend bemerkt: »Every focus excludes«2. So ist ein Ökodorf selten eine Kommune, weder als Verwaltungseinheit einer Gemeinde, noch als Lebensgemeinschaft. Als bestimmendes Kriterium der Kommune als Gemeinschaft wird heute die gemeinsame Ökonomie ihrer Mitglieder verstanden – meist auf Basis eines ausgeprägt linken Politikverständnisses.3 Auch Energiewende-Initiativen, beziehungsweise Transition Towns sind keine Ökodörfer. Ihre Gemeinschaft ist weniger neuartig und exklusiv, sie adressieren Menschen in bestehenden Lebenszusammenhängen und gründen
1
Der Dialog findet in einer durch diverse Ökodörfer belebten Zukunft statt. Jackson, R. J. T. 2000: 118.
2
Clifford, J. 1992: 97.
3
Vgl. Voß, E. 1996a: 19. Aus dem Kommuja-Netzwerk politischer Kommunen: »Da Privateigentum von Kapital, Immobilien und Produktionsmitteln zu Machtgefälle und Abhängigkeiten führt, beruhen unsere Kommunen auf Gemeineigentum.« Kruse, B. 2009.
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keine eigenen Siedlungen. Trotz Überschneidungen wie dem Ecovillage at Ithaca gelten auch Cohousing-Projekte nicht als Ökodörfer. Bei ihnen handelt es sich um Wohnensembles, in denen sich Privathäuser um ein gemeinsames Gebäude scharen. Dieses wird zumeist von den Bewohnern mitgeplant und bewirtschaftet. Cohousing ist nach seinem dänischen Erfinder Jan Gudmand-Høyer das Bindeglied zwischen Utopia und dem Einfamilienhaus.4 Doch der Anspruch von Ökodörfern führt noch darüber hinaus. Am überraschendsten mag sein, dass ein Ökodorf eigentlich kein Dorf ist. Mit Ausnahme von Auroville (Indien), Damanhur (Italien) und Findhorn (Schottland) erreichen die meisten Projekte schlicht die entsprechenden Bewohnerzahlen nicht. So sollte angesichts der 140 Menschen in Sieben Lindens treffender von einem Ökoweiler die Rede sein. Darüber hinaus finden sich auch in Städten Ökodörfer, wie das Los Angeles Ecovillage. Mit seinen rund 40 Bewohnern nimmt es dort etwa einen Straßenblock ein. Aber auch Aufbau und Ausrichtung von Ökodörfern sind verschieden von klassischen Dörfern. Nach Robert Gilman handelt es sich bei ihnen »eher um ein Netzwerk von Menschen und Gruppen, die eine Idee umsetzen möchten, als um Dörfer«.5 Dennoch ist die Präsenz des Dorfmotivs augenfällig (auch bei Transition Towns).6 Dawson schreibt über Ökodörfer: »[T]he initiatives […] feel, above all, like community-based research, training and demonstration centres rather than villages in any conventional sense. The choice to go to live in a Northern ecovillage tends to be based on the desire to align onself with specific values and in service of a broad course, or action research project.«7
In der Forschungslandschaft werden Ökodörfer, ebenso wie Kommunen als Lebensgemeinschaften, zumeist als ›intentionale Gemeinschaften‹ geführt.
4
Gudman-Høyer, J. 1968 [KA].
5
Gilman, R., in Kunze, I. 2009: 56.
6
»What is it about sustainable communities and this strange modern version of the village that seems to be so appealing? I think it is that somewhere in each of us is the knowledge that a better way of living on our earth exists, that enriches us personally yet does not deplete or diminish our natural world. Perhaps it is some archetype of The Garden or another image of a harmonious life«. Talbott, J. L. 1996: 8.
7
Dawson, J. 2006: 66.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 63
Als bedeutendste Forschungsorganisationen diesbezüglich gilt die amerikanische Communal Studies Association (CSA) und ihr internationaler Ableger ICSA – gegründet in Yad Tabenkin, dem israelischen Forschungs- und Dokumentationszentrum der Kibbutz-Bewegung. Im deutschsprachigen Raum sind die Arbeiten des Schwerpunkts Gemeinschaftsforschung am Institut für Soziologie (IFS) der Universität Münster hervorzuheben. Ebenfalls hierzulande gründeten der Psychologe Felix Wagner und ich 2008 den Forschungsverein Research in Community e.V. (RIC)8, zu dessen Kernanliegen die Forschung zu Ökodörfern gehört. Für die Orientierung in der Forschungslandschaft unterscheide ich, angelehnt an die Soziologin Ruth Levitas, zwischen Form und Funktion einer Gemeinschaft. Dazu ließe sich mit Levitas noch ihr Inhalts hinzufügen. Ich spreche allerdings stattdessen von ihrer vorliegenden oder angestrebten Qualität. Diesen Begriff entnehme ich dem Forschungsfeld, beziehungsweise dem ›Permakultur‹-Gestaltungsansatz.9 Hier wird bei der Gestaltung von Mensch-Mitwelt-Beziehungen versucht, nicht primär in Formen zu denken (›Was? Ein Teich‹), sondern in gewünschten Qualitäten (›Wie? Kühl im Sommer‹). Das Ziel solch einer Qualität vor Augen, weitet sich der Blick für die Vielfalt möglicher Formen, diese zu verwirklichen. Im Zusammenhang mit der Transformation gen Nachhaltigkeit scheint mir das Bemerkenswerte an Ökodörfern ihre Funktion, bestimmte Qualitäten zu verwirklichen – und die Frage, welche Formen sich dafür eignen. Form und Qualität fallen besonders deutlich im Begriff der Gemeinschaft zusammen. Während ›Gemeinschaft‹ in Ökodörfern eine bestimmte Form des regulierten Zusammenlebens bezeichnet, liegt darin auch das Ideal der Qualität von Gemeinschaftlichkeit geborgen. Der Ethnologe Victor Turner äußert sich dazu wie folgt: »Communitas hat eine existenzielle Qualität; sie betrifft den ganzen Menschen, der in Beziehung mit anderen ganzen Menschen steht.«10 Der Historiker Bill Metcalf schlägt gar vor, den Homo Sapiens in Homo Communitas umzubenennen. Der Wunsch des Menschen nach
8
www.researchincommunity.net
9
Ein in Ökodörfern und Transition Towns gebräuchlicher Ansatz für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, insbesondere Synergienutzung.
10
Turner, V. W. 1998: 260.
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gemeinschaftlicher Zugehörigkeit sei universeller als seine Weisheit.11 Metcalf und die Ökodörflerin Diana Leafe Christian verdeutlichen den Unterschied zwischen Form und Qualität durch den Verweis auf Nomen und Adjektiv. Während eine Kommune eine Form einer intentionalen Gemeinschaft darstellt, ist das Adjektiv auf mehrere Formen anwendbar: »Communal, as an adjective, often refers to intentional communities in which members share a relative high degree of emotional closeness and are one another’s primary emotional connection, regardless of economic arrangements.«12
Seit 2002 wird am IFS versucht, die Forschung zu Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum und vor allem in der deutschsprachigen Soziologie zu re-etablieren.13 Allerdings führte der Versuch laut Iris Kunze vor allem wegen dem grundlegenden Konzept der Gemeinschaft zu »heftigem Gegenwind«14 in der eigenen Disziplin. Beispielsweise mit Bezug auf Ferdinand Tönnies‘ Standardwerk Gemeinschaft und Gesellschaft von 1887 würde jegliche Form der Gemeinschaft meist als prä-moderne Vorgängerin von Gesellschaft verstanden und abgetan werden.15 In der Annahme einer linearen menschlichen Evolution von Gemeinschaft zu Gesellschaft kommt der Erstgenannten zwangsläufig eine vor-gesellschaftliche Bedeutung zu. Was sich wie eine Steilvorlage für einen Aufschrei aus der Ethnologie ausnimmt (wo man solche eine unilineare Perspektive mitsamt ihrer beleidigenden Zuschreibung von Rückständigkeit für überwunden wähnte), ließ sich in Münster auch mit den Mitteln der Soziologie lösen – unter Rückgriff auf den Klassiker Tönnies. So erinnert Thomas Dierschke daran, dass dieser weder Gemeinschaft noch Gesellschaft essenzialisierte. Tönnies war nicht an der Gleichsetzung von Qualität und Form gelegen (beispielsweise Sieben Linden als Gemeinschaft und Deutschland als Gesellschaft.). Stattdessen lag sein Fokus auf dem handlungsleitenden Prinzip, beziehungsweise Willen. Gemeinschaft konstituiert sich bei Tönnies durch den ›Wesenswillen‹. Für den Einzelnen bedeute dieser, authentisch zu handeln. Solchermaßen stehe
11
Metcalf, B. 2004: 5
12
Metcalf, B. & Christian, D. L. 2003: 671.
13
Grundmann, M., Dierschke, T., Drucks, S. & Kunze, I. (Hg.) 2006
14
Kunze, I. 2009 [PK, Freiburg, 04.03.2009].
15
Tönnies, F. 1972; vgl. Riedel, M. 1975.
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er mit seinem Wesen in Einklang. »Die Beziehungen, die auf der Grundlage des Wesenswillens bestehen, nämlich Gemeinschaften, sind demnach lebendige, organisch gewachsene Beziehungen«16. Demgegenüber steht in Tönnies‘ Dualismus der zielgerichtete, instrumentelle ›Kürwille‹. Die hieraus entstehenden Beziehungen »umfassen nicht das ganze Wesen der Beteiligten, sondern sind zweckrational auf ein Ziel ausgerichtet«17. Solchermaßen konstituiere sich Gesellschaft. Nach Dierschke lassen sich so idealtypisch »gemeinschaftliche Beziehungen auf eine Sinnvorstellung beziehen, die von allen Beteiligten geteilt wird und Gültigkeit für eine Vielzahl ihrer Handlungen hat. Es herrscht Einverständnis darüber, dass man sich gemeinsam im Handeln an diesem Sinn orientiert. Die Beteiligten sind also im Wesentlichen vereint. Gesellschaftliche Beziehungen beruhen dagegen auf dem Wunsch, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das jedoch mittels der eigenen Ressourcen nicht erreicht werden kann. Man ist also auf die Ressourcen anderer angewiesen, um das Ziel dennoch zu verwirklichen. Es bilden sich also Beziehungen zur Erfüllung bestimmter Zwecke […]. Individuen in gesellschaftlichen Beziehungen sind somit nur im Speziellen vereint, bleiben aber im Wesentlichen getrennt.«18
Eine intentionale Gemeinschaft lässt sich in diesem Sinne als Gruppe verstehen, deren Mitglieder im Wesentlichen vereint sein möchten. Um diesen Wunsch zu verwirklichen, gründen sie mittels des Kürwillens eine intentionale Gemeinschaft.19 Je nachdem welcher Wille vorherrscht, weist diese eher Züge von Gemeinschaft oder Gesellschaft auf. Die Qualität von Gemeinschaft bestünde darin, gemeinsam authentisch zu sein; die von Gesellschaft, in der Zielgerichtetheit. Es sind diese beiden idealtypischen Pole, zwischen denen sich in Tönnies , Worten »das wirkliche soziale Leben bewegt.«20
16
Dierschke, T. 2006: 77.
17
Ebda.
18
Ebda. 78.
19
Dierschke, T, Drucks, S. & Kunze, I. 2006: 103. In jedem Kürwillen drücke
20
Tönnies, F., in Dierschke, T. 2006: 79. Die Moderne unterteilte Tönnies in drei
sich prinzipiell auch Wesenswille aus. Drucks, S. 2006: 48 Zeitalter, die er nach der Geltungshoheit der jeweiligen Willen unterschied. Auf eines der Gemeinschaft, die Moderne im Mittelalter einläutend, würde zu seinen Lebzeiten das der Gesellschaft vorherrschen. Das kommende klassifizierte
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Nicht zuletzt seit Tönnies berühmter Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft wandte sich vor allem Ethnologen letzterer zu. Das Konzept intentionaler Gemeinschaften wurde dabei allerdings erst im Zuge der Kommunitarismus-Debatte fruchtbar gemacht, beispielsweise durch Susan Brown21 (Intentionale Gemeinschaften werden vor allem westlichen Ländern zugeschrieben, während sich die Ethnologie in ihrer Vergangenheit meist mit nicht-westlichen Gemeinschaften befasste). Insgesamt wird im Gegensatz zur Soziologie das Phänomen von Gemeinschaft in der Ethnologie eher überals unterbetont. Nach Brown habe dieser Fokus theoretische und methodische Gründe: Die Formen der Gemeinschaft waren einerseits empirisch vorhanden und andererseits durch ihre Übersichtlichkeit gut handhabbar.22 So wollte 1960 Robert Redfield unter einer Gemeinschaft eine Überschaubarkeit der sozialen Verhältnisse und einen gewissen Grad an Selbstversorgung verstanden wissen. Darüber hinaus betonte er das Zusammenspiel zwischen Abgrenzung von anderen und Hervorhebung des eigenen.23 Nach Nigel Rapport prägte insbesondere diese zweite Betonung lange das ethnologische Verständnis einer Gemeinschaft. Gemeinsamkeiten standen im Vordergrund: geteilte Interessen, Umgebung oder soziale Struktur. Nach Rapport zeichneten sich insofern auch in den Forschungsergebnissen Gemeinschaften wenig überraschend durch ihren hohen Grad an sozialer Kohärenz oder Gemeinschaftlichkeit aus.24 Die gedachte Einheit von Lokalität,
er als Zeitalter der ›höheren Gemeinschaft‹. Hier würde »Wesenswille zu neuem Recht kommen, und zwar in selbstorganisierten, genossenschaftlichen Vergesellschaftungsformen, die ›vor dem Rückfall in den Betrieb eines bloßen Geschäftes sich zu schützen‹ wissen. Diese würden ›von unten‹ gegen den rational-spekulativen Charakter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung wirken. Parallel würden staatliche und überstaatliche Regime lokale und globale Angelegenheiten rational, im Sinne des Gemeinwohls verhandeln.« Drucks, S. 2006: 45. Die Wiedergeburt von Gemeinschaft in Gesellschaft wäre nach Tönnies also voll- statt prä-modern (die Postmoderne deutete sich ihm noch nicht an). 21
Brown, S. L. (Hg.) 2002: 3.
22
Ebda. 2.
23
Redfield, R. 1960: 4f.
24
Rapport, N. 1996: 114f.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 67
Gemeinschaft und Kultur erscheint aus heutiger Sicht fraglich. Die community studies wurden im Rückblick auch dafür kritisiert, dass sie eine Perspektive auf Gemeinschaft als statische und einheitliche Einheit fördern würden. Mit symbolischen Ansätzen entwickelten sich innerhalb der Ethnologie sozial-konstruktivistische Gegenpositionen.25 Hier entsteht Gemeinschaft auf Basis gemeinsam geteilter Bedeutungen, die symbolisch konstruiert und kommuniziert werden. Anthony Cohen führt aus: »[Community] is a largely mental construct, whose ›objective‹ manifestations in locality or ethnicity give it credibility. It is highly symbolized, with the consequence that its members can invest with their selves.«26 Symbole ermöglichen Identifikation und engagierte Beteiligung, aber sind prinzipiell vieldeutig. Die interpretativen Spielräume erleichtern dabei mitunter das Miteinander, wie David Kertzer herausarbeitete:27 So kann die US-Flagge von vielen hochgehalten werden, ohne dass der damit verbundene amerikanischer Traum derselbe ist. Durch die ›unscharfen‹ Symbole kann eine Vielfalt an Positionen innerhalb eines Spektrums vertreten werden, ohne jeden potentiellen Konflikt auszutragen. »The key element of community, then, lies in how we demarcate the boundaries of the particular communities of which we speak.«28 Postmoderne Ansätze brachten in der Ethnologie wiederum Positionen hervor, die insbesondere Diskontinuitäten betonen. Die Selbstverständlichkeit der Einheit von Gemeinschaft, Kultur und Lokalität nahm weiter ab. Diese Entwicklung ist auch vor einer veränderten Weltsituation zu verstehen: Die postmoderne und postkoloniale Ethnologie befasst sich mit Globalisierungsphänomenen wie transnationalen Netzwerken, Diasporas und social media. Beispielhaft schlagen Karen Fog Olwig und Kirsten Hastrup darin folgenden Weg ein: »[…] instead of taking local cultural entities for granted, we want to explore the siting of culture as a dynamic process of self-understanding among the people we study«29. Ich folge diesem Ansatz in Ökodörfern als (intentionalen) Gemeinschaften.
25
Ebda. 115.
26
Cohen, A. P. 1985: 108.
27
Kertzer, D. I. 1988.
28
Brown, S. L. (Hg.) 2002: 3; vgl. Meijering, L. 2006: 17f.
29
Fog Olwig, K. & Hastrup, K., in Kreff, F. 2013: 188.
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2.1 G EMEINSCHAFTEN Ende des 20. Jahrhunderts kommt es zu Ansätzen zunehmender Kulturverflüssigung. Der Ethnologe Clifford Geertz stellt die alte ethnologische Frage angesichts einer Welt in Stücken neu: »Was ist eine Kultur, wenn sie kein Konsens ist?«30 Arjun Appadurai nutzt ausgedehnte räumliche Analogien, scapes und flows31, um diese Welt zu konzeptualisieren. Gemeinschaften werden ebenfalls anders wahrgenommen. Angesichts von cybercommunities schreibt ihnen beispielsweise Jan Fernback einen prozessualen und »elastischen Charakter«32 zu. Trotz konzeptueller Herausforderungen bleibt der Begriff der Gemeinschaft ein Grundstein der Disziplin. Nach Rapport untersuchen Ethnologen Gemeinschaften, »because this is what their subjects inform them that they live in and cherish.«33 Aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Ausrichtung werden Kommunen (im Sinne von Lebensgemeinschaften) als auch Ökodörfer meist als intentionale Gemeinschaften klassifiziert. Der Begriff kam Mitte des 20. Jahrhunderts auf, doch der spezifische »Hunger nach dem Experiment einer gemeinsamen Welt«34 weist eine längere Geschichte auf.35 Unter Historikern wird eine Reihe möglicher erster intentionaler Gemeinschaften diskutiert, bis hin zu Platos Republik. Dies ist bereits ein deutlicher Hinweis auf den utopischen Geist, der ihnen oftmals zugeschrieben wird. Metcalf wählt das von Pythagoras 525 vor Christus (v. Chr.) gegründete Homokoeion im Süden des heutigen Italiens als nachweisbar erste intentionale Gemeinschaft. Er blendet dabei die Ashrams Indiens ab 1500 v. Chr. ebenso wie die Klöster Europas aus; ihre institutionalisierte Basis widerspreche nach Metcalf dem liberalen und
30
Geertz, C. 1995: 25.
31
Appadurai 1995: 37.
32
Fernback, J. 1999: 205; vgl. Meijering, L. 2006: 18f.
33
Rapport, N. 1996: 117. »[C]ommunity comes to represent the social milieu to which people say they most belong; community, its members often believe, is the best arena for the nourishing of their whole selves.« Ebda. 115.
34
Ich entlehne die Phrase von Cordula Kropp, die sich damit auf die neue Gartenbewegung bezieht. Kropp, C. 2011: 85.
35
Kunze, I. 2009: 53; vgl. Wagner 2013: 56.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 69
egalitären Graswurzelgedanken intentionaler Gemeinschaften.36 Im europäischen Mittelalter sind es die Städte und Dörfer, die sich zunehmend als eigenständige Kommunen verstehen. Nach dem Historiker Karl-Ludwig Schibel begannen hier Ideen der (relativen) Gleichheit vorsichtig Fuß zu fassen, zusammen mit einem Verständnis der »Machbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse durch die Subjekte«37. Diese frühe Form eines autonomen Selbstverständnisses wurde allerdings zurückgedrängt. Auf heutigem deutschem Gebiet stellten die Bauernkriege von 1524 und 1525 eine empfindliche Niederlage der Stadt- und Dorfkommunen dar. Die christlichen intentionalen Gemeinschaften ab dem 16. Jahrhundert bilden einen Schwerpunkt der bisherigen historischen Forschung.38 Aus dem 19. Jahrhundert wiederum treten insbesondere die kommunalen Philosophen, utopischen Sozialisten und sozialistischen Gemeinschaften hervor.39 Neben den Franzosen Henri de Saint-Simon und Charles Fourier brachte es insbesondere der Waliser Robert Owen zu Berühmtheit.40 Wie Levitas zu de SaintSimon, Fourier und Owen bemerkt: »Both the nature of their criticisms and their solutions differed considerably, but all emphasized the importance of cooperation, association and harmony«41. Während auf John Humphrey Noyes als Gründer der Gemeinschaft Oneida das Konzept der komplexen Ehe unter mehreren Partnern zurückgeht, entwickelte Owen wiederum die Idee der Genossenschaften.42 1820 forderte Owen eine Reform der Gesellschaft, auf Basis selbstversorgender intentionaler Gemeinschaften, wie er sie in New Lanark (Schottland) und New Harmony (USA) zu etablieren
36
Metcalf, B. 2004: 27.
37
Schibel, K.-L. 2008: 530.
38
Meijering, L. 2006: 13. »One important lineage, apparently as old as the movement itself, is the ideal of self-reliance and spiritual enquiry kindled in the world’s religious communities.« Dawson, J. 2006: 15.
39
Meijering, L. 2006: 13.
40
Royle, E. 2004: 1050f; vgl. Harrison, J. F. C. 1969; Bestor, A. 1970.
41
Levitas, R. 1990: 36.
42
Vgl. Dawson, J. 2006: 16.
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suchte.43 Metcalf spricht von einem Höhepunkt in der Geschichte intentionaler Gemeinschaften Mitte des 19. Jahrhunderts, auf Basis neuer, revolutionär-utopischer Ideen: »Society, they believed, was neither an organic, natural ›thing‹, nor resulted from God’s will. Instead, society was seen as negotiable, the result of the interplay of political, social and ideological forces. To argue that people could create their own intentional community was a revolutionary concept. […] always at the base was the idea that an ideal society was possible to achieve here on earth, now.«44
Der 72 Tage währende Versuch der Pariser Kommune 1871, sozialistische Verhältnisse einzuführen45, hatte darüber hinaus Vorbildcharakter – bis hin zur Idee der Räterepublik oder -demokratie. In Deutschland waren nach der Revolution von 1848 Landkommunen entstanden, die sich als Gegenentwurf zum Gestalt annehmenden industriellen Kapitalismus verstanden. Schibel zufolge waren damit die meisten Themen heutiger Kommunarden bereits vorweggenommen:46 die Verbindung von Arbeit und Leben, ein angestrebter Bewusstseinswandel (mit seinen Auswirkungen auf beispielsweise Ernährung und Erziehung) und das Erleben möglichst egalitärer Gemeinschaft. Die Genossenschaftsbewegung gab ab Mitte des 19. Jahrhunderts (beeinflusst durch Owen und Fourier) einen fruchtbaren Boden für die Projekte ab, allerdings mit einem vorläufigen Ende durch die nationalsozialistische Diktatur. Ein ähnliches Schicksal erlitten die anarchistischen, bäuerlichen Kommunen Spaniens, die während des Bürgerkriegs ab 1936 entstanden waren. Hier lösten Marxisten die Kommunen noch vor der Machtübernahme der Faschisten 1939 gewaltsam auf. Mit der Gründung des Staates Israel Mitte des 20. Jahrhundert betrat die israelische Kibbutz-Bewegung prominent die Bühne intentionaler Gemeinschaften.
43
Bestimmte Reaktionen waren bereits damals ambivalent: »The term community has frightened three-fourths of the population out of their senses. We have therefore no particular reason to make use of this term«. Owen, R. 1833: 62.
44
Metcalf, B. 2004: 27; vgl. 22.
45
Schibel, K.-L. 2008: 531.
46
Vgl. Metcalf, B. 2004: 118.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 71
Die sozial und kulturell experimentierfreudigen 1960er und 1970er bildeten später den Nährboden für die Entwicklung von Ökodörfern,47 insbesondere in den 1990er-Jahren. Eine Reihe bestehender Projekte wurde im Nachhinein als Ökodörfer identifiziert und als Mitglieder des GEN angenommen.48 Der Ethnologe Joshua Lockyer führt in diesem Sinne etwa Yoff im Senegal als erstes Ökodorf an (Gründung um 1400).49 Die Bewegung insgesamt habe nach Metcalf Zulauf erhalten: »The past forty years have witnessed almost an epidemic of intentional community establishments across the world.«50 Zugleich seien insbesondere Ökodörfer so populär, dass sie oft fälschlich für die einzige Form intentionaler Gemeinschaften gehalten werden würden. Intentionale Gemeinschaften bezeichnen den bewussten Versuch, ein gemeinsames Leben zu führen – alternativ zu den gegebenen Verhältnissen. Der Begriff wurde 1948 von nordamerikanischen Gruppierungen jener Art entwickelt und dient als Kategorie für alle, die sich mit ihm identifizieren und positionieren wollen.51 So weisen nach Metcalf viele religiös-konservative Gruppen den Begriff aufgrund seiner liberalen Assoziationen von sich52 (aufgrund derer er selbst ihn nicht auf Klöster anlegte). Die Geographin Louise Meijering stellte die meistzitierten Kriterien einer intentionalen Gemeinschaft zusammen: • • • • • • •
Mitgliedschaft über verwandtschaftliche Beziehungen hinaus mindestens drei bis fünf Mitglieder freiwillige Mitgliedschaft geographisch und psychologisch von der Mehrheitsgesellschaft getrennt die Mitglieder teilen eine Ideologie die Mitglieder teilen (zu einem gewissen Grad) ihren Besitz das Interesse der Gruppe steht über dem des Individuums.53
47
Meijering, L. 2006: 75; vgl. 17; Bates 2003: 424; Lambing, J. 2014: 8f.
48
Dawson, J. 2006: 7.
49
Lockyer, J.P. 2007: 37.
50
Metcalf, B. 2004: 7.
51
Kunze, I. 2009: 53; vgl. Kozeny, G. 2000 [Web].
52
Metcalf, B. 2004: 31; vgl. Gering, M. 2008: III.
53
Meijering 2005: 19.
72 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Anhand Sieben Linden diskutiere ich im Folgenden die problematischeren Kriterien: So wird das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in diesem Ökodorf beispielsweise diffiziler ausbalanciert als diese es nahelegen. So richten sich zwar beispielsweise die gemeinsamen Entscheidungen im Ökodorf (idealerweise) auf das gemeinsame Wohl – allerdings kann jedes Genossenschaftsmitglied Veto einlegen. Dieses hat aufschiebende Wirkung, während die Person nun einen alternativen Vorschlag einbringen kann.54 Insofern werden im Entscheidungssystem Sieben Lindens zwar kollektive gegenüber individuellen Interessen bevorzugt, diesen aber dennoch potentielle politische Wirkung eingeräumt. Die Interessen der Gemeinschaft ›trumpfen‹ also nicht einfach die Interessen des Individuums. Wie Wagner differenziert: »Neben der Freiwilligkeit und der gemeinsamen Intention ist es […] vor allem eine neue Verortung der Individuum-Kollektiv-Balance, die als Charakteristikum hervortritt. Das Individuum muss als Teil einer Gruppe verstärkt das Gemeinwohl in die eigenen Handlungen und Einstellungen miteinbeziehen. Dies bedeutet nicht eine generelle Uniformität, sondern ist als eine Vielheit von Lebensformen in der Einheit einer bestimmten Intention der Gemeinschaft zu verstehen. Diese Aufgabe des Aushandelns einer guten Balance zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Belangen der Allgemeinheit, stellt eine ganz zentrale für Gemeinschaften dar.«55
Die Frage nach einer gemeinsamen Ideologie wird in Sieben Linden (vorsichtshalber) verneint: »Wir folgen keiner gemeinsamen Ideologie oder Glaubensrichtung und haben keine ideologischen Führer. Wir achten darauf, dass etwaige sektenartige Strukturen keinen Einzug ins Ökodorf halten können.«56 Hierfür lohnt es sich allerdings zu wissen, dass der Begriff der Ideologie in Sieben Linden negativ konnotiert wird. Wie viele andere intentionale Gemeinschaften erlebte auch dieses Projekt einen Sektenvorwurf (wenngleich sich dieser 1997 nur indirekt auf eine Ideologie bezog). So wird die Aussage eines Bewohners verständlich: »Eigentlich wollen wir nur vernünftig leben, es wäre schlimm, wenn man das Ideologie nennen müsste.«57 In
54
Dieser kann im zweiten Durchgang wie das Veto nun auch übergangen werden.
55
Wagner, F. 2013: 48.
56
Kommerell, J. 2007a: 69.
57
»Du rollst mit den Augen? Lass Dir das mal auf der Zunge zergehen: Hätten wir so eine Ideologie, dann wären wir effektiver.« Würfel, M. 2012a: 16.
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der Selbstbeschreibung wird allerdings dennoch eingeräumt, dass sich wohl ein »gemeinsamer Geist«58 ausmachen ließe. Die Bewohner Sieben Lindens positionieren sich wiederum oft in Differenz zur Mehrheitsgesellschaft, beispielsweise wenn diese als »Wegwerfkultur«59 charakterisiert wird. Wagner bezeichnet das »zumindest partielle ›Herauslösen‹ aus dem Hauptstrom der Gesellschaft« als ›charakteristisch‹ und im Sinne der Freiheit, »Dinge anders machen zu können und selbstdefinierte Lebensentwürfe zu verwirklichen.«60 Verortet man das Zentrum der Mehrheitsgesellschaft dabei mit Meijering nun im urbanen Raum, bildet das nun peripher gelegene Ökodorf auch geographisch einen Kontrast – selbst von Poppau trennt Sieben Linden gut ein Kilometer. Es sei aber nicht vergessen, dass intentionale Gemeinschaften und Ökodörfer auch in Städten siedeln. Die geographische Trennung als Kriterium müsste insofern subtiler gehandhabt werden. Mit den Worten Wagners braucht es »den ›Freiraum‹ einer geographischen und psychologischen Trennung […], ohne dass dies völlige Isolierung im räumlichen, sozialen und ideellen Sinne bedeuten muss.«61 Die von Meijering kompilierten Kriterien bieten eine Orientierung, die allerdings nicht unangefochten bleiben muss. So verzichtet Lockyer in seinen eigenen Kriterien auf die Dominanz des kollektiven Interesses und die psychologische Trennung; Metcalf und Christian wiederum betonen verbindende gegenüber trennenden Elementen (»groups of people [that] choose to live with or near enough to each other to carry out a shared lifestyle with a common purpose.«62). Die meisten Autoren aber sind sich einig, dass die Intention einer Gemeinschaft (beziehungsweise ihre Ideologie) maßgebend sei.
58
Kommerell, J. 2007a: 69.
59
Würfel, M. 2012a: 11.
60
Wagner, F. 2013: 47. Für das linksalternative Leben der 1970er- und frühen 1980er-Jahre gelangt der Historiker Sven Reichardt zu folgender Einschätzung: »Schließlich erfolgte die Gemeinschaftsbildung durch eine Abgrenzung zur bundesrepublikanischen Gesellschaft, die als kalt, entfremdet, durchherrscht und ausbeuterisch bezeichnet wurde. Vor dem Hintergrund dieser Folie entwickelte sich das Bild der eigenen Gruppe als wärmender Gemeinschaft«. Reichardt, S. 2014: 21.
61
Ebda.
62
Metcalf, B. & Christian, D. L. 2003: 670.
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»The intention, or reason, for living in community is paramount.«63 Die Intention ist allerdings nicht vordefiniert – einen Anhaltspunkt bietet bislang nur der Zusatz ›Gemeinschaft‹. Metcalf geht davon aus, dass die Motive von Gemeinschaftsmitgliedern sozialer Natur seien: »[People] who have voluntarily come together for the purpose of ameliorating perceived social problems and inadequacies. They seek to live beyond the bounds of mainstream society by adopting a consciously devised and usually well thought-out social and cultural alternative. […] Participants are characterised by a ›we-consciousness‹, seeing themselves as a continuing group, separate from and in many ways better than the society from which they have emerged.«64
Die Ethnologen Lockyer und Brown nehmen wiederum jeweils an, dass sich die Intention generell auf die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände richtet (natürlich aus der normativen Sicht der jeweiligen Gemeinschaft).65 Dies impliziert, dass intentionale Gemeinschaften nicht als abgeschlossene Einheiten, sondern in Bezug zum gesellschaftlichen Kontext zu verstehen sind. Oder wie Brown formuliert: »The members of these communities often see themselves at odds with or needing to withdraw from the larger society; however, that withdrawal occurs within the context of the larger society.«66 Eine Übersicht über die Verteilung intentionaler Gemeinschaften findet sich in Veröffentlichungen wie dem in Sieben Linden produzierten Eurotopia.67 Unter anderem aus diesen Daten erstellte Meijering von 2002 bis 2003 eine Datenbank mit 1.023 ländlichen intentionalen Gemeinschaften aus Europa, Nordamerika und Ozeanien. Ihre Kriterien betonten dabei die räumliche Trennung vom ›Hauptstrom‹ der Gesellschaft und die Konzentration auf einen Ort (die Autorin spricht in diesem Zusammenhang von ›Rückzug‹68).
63
Metcalf, B. 2004: 9.
64
Ebda. 8.
65
Lockyer, J. P. 2007: 4; Brown, S. L. (Hg.) 2002: 5.
66
Brown, S. L. (Hg.) 2002: 5f.
67
Vgl. Einfach Gut Leben (Hg.) 2010, sowie für Nordamerika das von der FIC herausgegebene Communities Directory und für UK Diggers & Dreamers.
68
Meijering, L. 2006: 33; vgl. Lambing, J. 2014.
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Nach Meijering weist Deutschland eine hohe Dichte intentionaler Gemeinschaften auf, vergleichbar mit den USA oder Israel.69 Insbesondere die neuen Bundesländer zeichnen sich nach Kunze und Metcalf durch kleine Projekte aus, die sich nach der Wende gründeten.70 Wie Sieben Linden war es ihnen auf diese Weise möglich gewesen, günstig Land und Gebäude zu erwerben. Insgesamt siedeln die untersuchten Projekte in Europa bevorzugt in den urbanen Peripherien im Nordwesten, nahe London, Berlin, Rom, dem Ruhrgebiet, Kopenhagen und Stockholm. »Apparently, members of intentional communities, while attempting to ›escape‹ from mainstream urban society, do not want to move too far away from the core regions.«71 Als eine mögliche Quelle der Datenverzerrung gibt Meijering die Dynamik des Phänomens zu bedenken: Viele Projekte existieren nicht mehr, haben sich verändert oder wurden neu gegründet. Auch Kunze weist auf die hohe Fluktuation (der ›turnover‹) intentionaler Gemeinschaften hin: Während über die Hälfte der Projekte der Eurotopia-Ausgabe von 1998 im Jahr 2000 nicht mehr aufgeführt waren, kamen etwa ebenso viele neue hinzu. Metcalf schätzt, dass sich die Hälfte aller intentionalen Gemeinschaften in den ersten drei Jahren wieder auflöst, nach fünfjährigen Bestehen noch einmal die Hälfte.72 Christian nimmt an, dass 90 Prozent aller Projekte die Gründungsphase nicht überstehen, vor allem aufgrund mangelnder Ressourcen und struktureller Konflikte.73 Eine sogenannte liability of newness betrifft allerdings auch andere Organisationsformen wie etwa Unternehmen. Wie deutlich wurde, haben selbst kleine Änderungen in den Kriterien und Definitionen massive Auswirkungen, sei es Metcalfs Vernachlässigung von Ashrams und Klöstern oder Meijerings Kriterium der geographischen Trennung von der Mehrheitsgesellschaft, die sie in den urbanen Raum verortet – und damit per se nur ländliche Gemeinschaften übrig lässt. Je nach eingenommener Perspektive entsteht die Forschungslandschaft in anderer Konstellation. Dennoch tragen die Ansätze dazu bei, das Phänomen intentionaler Gemeinschaften wie Ökodörfer zu kartieren und verstehen zu lernen.74
69
Komoch, A., Hagmeier, S. & Kirchner, M. 2003: 618.
70
Metcalf, B. 2004: 24f; ebda. 35.
71
Ebda. 48.
72
Metcalf, B. 2004: 48.
73
Christian, D. L. 2003: 2f.
74
Vgl. Lambing, J. 2014.
76 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
2.2 Ö KODÖRFER Anfang der 1990er-Jahre hatte Gaia Trust versucht, den noch jungen Begriff zu monopolisieren: »Make it our word.«75 Er blieb allerdings offen für eine Vielzahl von Interpretationen. So traf er Dawson zufolge zwar den Zeitgeist, aber büßte auch an Klarheit ein:76 »Ecovillages are heterogeneous to the extent that no one model covering all cases can be described.«77 Die populärste Definition stammt von Diane und Robert Gilman aus dem Jahr 1991: »There is […] no generally agreed-upon definition of an eco-village. […] we will define an eco-village as a human-scale, full-featured settlement, in which human activities are harmlessly integrated into the natural world, in a way that is supportive of healthy human development, and can be successfully continued into the indefinite future.«78
Das von den Gilmans angelegte ›menschlich erfassbare‹79 Maß sollen Gruppen von 500 bis 1.000 Menschen sein – mit einer Infrastruktur, die es ihnen erlaubt, ihr alltägliches Leben vor Ort zu führen. Hinzu kommt die Forderung, dass sich der Mensch schadlos in ökologische Kreisläufe einfügen möge: »This idea brings the ›eco‹ into the eco-village.«80 Darüber hinaus gehen die Gilmans davon aus, dass auch menschliche Gemeinschaften eines förderlichen Umfeldes bedürfen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit findet wiederum seinen Widerhall in der Schlussphrase. Aber wie lässt sich feststellen, ob sich ein Ökodorf beliebig in die Zukunft extrapolieren ließe? Nach Christian kann beispielsweise keinerlei Ausstoß an Treibhausgasen in Zeiten des Klimawandels als ›harmlos‹ gelten. Auch eine ›gesunde‹ menschliche Ent-
75
Jackson, R. J. T. 2000: 65.
76
Metcal hält den Begriff für ›übernutzt‹. Metcalf, B. 2004: 10.
77
Dawson, J. 2006: 21; vgl. 11.
78
Gilman, R. 1991: 10.
79
Wagner 2013: 52.
80
Ebda. »At the very heart of the rationale for creating ecovillages is the desire to construct human settlements that tread less heavily on the Earth and in which people are more healthily and sustainably integrated in the non-human world.« Dawson, J. 2006: 38.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 77
wicklung zu bestimmen muss als problematisch gelten, wie selbst (der Astrophysiker) Gilman zugibt.81 Weder eine Erfüllung der definierten Kriterien von Ökodörfern noch ihre Evaluation erscheint in diesem Sinne möglich. Obwohl Gilman die bestehenden Versuche anerkennt, konstatiert auch er: »[I]t should be no surprise that as far we have been able to discover, there are as yet no communities that fully express the eco-village ideal.«82 Dawson kommentiert die Gilman-Definition zusammenfassend wie folgt: »The Gilmans‘ guiding definition [...], is too imprecise to work as a tight definition and is, moreover more aspirational than descriptive: it points to the goal towards which ecovillages seek to move rather than a state which any has yet achieved.«83
Obgleich oder weil die Definition einen Anspruch an Qualitäten formuliert, die nicht eingelöst werden können, stellt Lockyer fest: »Despite the impossibly high standards set by this description, this is still the most commonly used definition of the term ecovillage.«84 Angesichts dessen ist auch von aspiring ecovillages oder ›Projekten‹ die Rede.85 Doch die Gilman-Definition skizziert nicht nur ein gemeinschaftliches Ideal, sie wurde auch vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Ideals formuliert. Sie wurde von den Gilmans so angelegt, dass eine Transformation hin zu einer Gesellschaft voller dezentraler Ökodörfer möglich erscheinen kann – aber wie Lockyer bemerkt: »The discrepancy between the dream and the reality of sustainability is an important ongoing topic for all ecovillage activists to explore«86. GEN hat sich seit seiner Gründung 1995 wiederholt mit möglichen Kriterien für Ökodörfer befasst.87 1998 einigte man sich vorläufig darauf, dass eine Gemeinschaft ein Ökodorf sei, solange sie verbindlich eine entsprechende
81
Gilman, R., in Christian, D. L. 2008 [Web].
82
Gilman, R. 1991: 10.
83
Dawson, J. 2006: 21.
84
Lockyer, J. P. 2007: 36.
85
Metcalf, B. & Christian, D. L. 2003: 671.
86
Lockyer, J. P. 2007: 38. »[R]elatively few of the initiatives under way have clearly and deliberately faced up the hardest changes that are most crucial if sustainable settlements are to be achieved.« Trainer, T. 1998: 79.
87
Vgl. Jackson, H. 1998: 4f; Trainer, T. 1998.
78 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Mission verfolge und in dieser Richtung Fortschritt erziele.88 Der Form des Ökodorfes soll also die Funktion zu Grunde liegen, bislang vermisste Qualitäten (im Sinne der Gilman-Definition) zu verwirklichen. Doch auch Gaia Trust und die GEN-Gründer richteten ihre Hoffnungen nicht allein auf die intentionalen Gemeinschaften im Globalen Norden; ergänzend verband man sich mit Initiativen im Globalen Süden, die als traditionelle oder indigene Gemeinschaften verstanden wurden.89 Die Formenvielfalt nahm weiter zu, was zu pragmatisch-deskriptiven Definitionen führte. So hält GEN in seiner Definition von 2012 die Form eines Ökodorfes weitgehend offen: »Ecovillages are urban or rural communities of people, who strive to integrate a supportive social environment with a low-impact way of life. To achieve this, they integrate various aspects of ecological design, permaculture, ecological building, green production, alternative energy, community building practices, and much more.«90
Eine weitere Vereinfachung des Definitionsproblems bietet die Zufluchtnahme zu anderen, bereits etablierten Konzepten. So stützt sich GEN Europe auf das Zusammenspiel der drei gängigen Dimensionen der Nachhaltigkeit, erweitert um eine kulturelle: »An ecovillage is a human-scale settlement consciously designed through participatory processes to secure long-term sustainability. All four dimensions (the economic, ecological, social and cultural) are seen as mutually reinforcing«91.
Die Frage der Definition kann auch durch Typologisierungen umgangen werden – zugleich ein geeignetes Vorgehen, um sich von gleichlautenden Immobilienprojekten anzugrenzen.92 Christian unterscheidet drei ÖkodorfVarianten: intentionale Gemeinschaften, die vor allem im Globalen Norden anzutreffen seien, ›traditionell-indigene‹ Ökodörfer im Globalen Süden und
88
Vgl. Joseph, L. & Bates, A. 2003: 2.
89
Ebda. 17.
90
GEN 2012 [Web].
91
GEN Europe 2011 [Web].
92
Developer-led ecovillages stellt Dawson als Cousins und Cousinen eigentl. Ökodörfer dar, wie auch Cohousing. und Transition Towns. Im Online-Bereich GEN Europes finden die Angehörigen in der ›family-area‹ wieder zusammen.
2. F ORSCHUNGSLANDSCHAFT | 79
Bildungszentren wie das Center for Alternative Technology in Wales, bei denen der »sense of community«93 nur nachgelagert sei. Indigene Gemeinschaften gelten dabei nicht nur Christian nicht als intentionale, sondern tradierte Gemeinschaften. Metcalf erklärt sich hierbei folgendermaßen: »Although tribal or indigenous groups generally live communally, I do not consider them to be intentional communities because they live according to their society’s norms and have no intention to do otherwise.«94 Abgesehen von der pauschalen Annahme, dass ›indigene Gemeinschaften‹ statisch an tradierten Lebensweisen festhalten und per se gemeinschaftlich leben würden, lässt sich im Gegenzug fragen: Ab wann gilt eine intentionale Gemeinschaft nicht mehr als intentional, sondern als tradiert? Lebt eine intentionale Gemeinschaft nicht auch nach ihren Normen? Unterscheiden sich diese wirklich so deutlich von der sie umgebenden Gesellschaft? So begreift Brown US-amerikanische intentionale Gemeinschaften gar als indigene Kritik, weil sie den Versuch der Revitalisierung der eigenen Gesellschaft unternehmen würden.95 Allerdings widerspricht sie sich meines Erachtens, wenn sie das Motiv der Indigenität für den Global Norden nutzt, aber jenes der Intentionalität nicht für den Globalen Süden preisgibt.96 Ich thematisiere diese Fragen, um zur Vorsicht bei der Abgrenzung aufzurufen. Gilman grenzte indigene Gemeinschaften 1991 bewusst aus, da ihm Ökodörfer als postindustrielle oder gar postlandwirtschaftliche Phänomene galten: »While they draw on lessons from all of human experience, they are not a return to any previous period or way of life.«97 Hier legt er wiederum eine linear-evolutionäre Sichtweise zu Grunde, die indigene oder traditionelle Gemeinschaften per se als prämodern versteht.98 Natürlich weisen diese keine postindustriellen Lebensweisen auf, allerdings wird ihnen damit zugleich der Gegenwartsbezug abgesprochen. Aus ethnologischer Perspektive
93
Christian, D. L. 2011: 1.
94
Metcalf, B. 2004: 8.
95
Brown, S. L. (Hg.) 2002: 12. Üblicherweise werden Indigene historisch verstanden; »peoples who were present in a given territory before the arrival of larger, usually European populations.« Barnard, A. & Spencer, J. 2004: 609.
96
Vgl. Brown, S. L. (Hg.) 2002: 153; Clifford, J. 2000.
97
Gilman, R. 1991:10. Er bietet insgesamt eine ausführlichere Argumentation, die er allerdings unter der Überschrift »Forward, not back« zusammenfasst.
98
Für eine entsprechende Kritik vgl. Clifford, J. 2004.
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gilt mir dies als unqualifizierte und ethisch unangemessene Einschätzung. Worauf Autoren wie Brown und Metcalf verweisen und worin ich ihnen folge, ist die gewünschte Alternativität intentionaler Gemeinschaften zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Diese Intention steht meinem Erachten nach allen Gemeinschaften offen, indigenen wie nicht-indigenen. Hildur Jackson und Karen Svensson schreiben in einem vergleichbaren Sinne: »Traditional villages (mostly in the Southern Hemisphere) have often kept a social and ecological structure, and may choose to become intentional ecovillages to maintain and strengthen their original sustainability.«99 Während bei Gilman indigene Gemeinschaften negativ diskriminiert werden, gibt es innerhalb der Ökodorf-Szene auch unzählige Beispiele positiver Diskriminierung, in denen diese zum engelsgleichen Abziehbild hochstilisiert werden. In jedem Falle stellen Gemeinschaften im Globalen Süden das Gros der GEN-Mitglieder. Die Revitalisierung bestehender Dörfer führt zu mehrtausendfachen Mitgliederzahlen, beispielsweise aus Sri Lanka. Im Bewusstsein dieser Entwicklung legt Dawson 2006 eine Ökodorf-Definition vor, die intentionale und indigene Gemeinschaften einbezieht: »Private citizens‘ initiatives in which the communitarian impulse is of central importance, that are seeking to win back some measure of control over community resources, that have a strong shared value base (often referred to as ›spirituality‹) and that act as centres of research, demonstration and (in most cases) training.«100
Dawson betont hierbei die gemeinschaftliche Qualität von Ökodörfern, ihre wertbasierte Selbstbestimmung und, mit Meijering gesprochen, ihr »didaktisches«101 Anliegen: »Ecovillages are always in service of a wider goal«102. Wie Dawson betont auch Wagner diesen Aspekt in seiner Zusammenschau. »Ökodörfer sollen Modelle für umfassende und nachhaltige Lebensweisen sein. Gerade hierin besteht ein gewichtiger Unterschied zu anderen Formen, Wandel in der
99
Jackson, H. & Svensson, K. 2001: 1.
100 Dawson, J. 2006: 36. 101 »Since [intentional communities] see their own lifestyle as superior alternative to the mainstream, some communities try to convert outsiders. In other words, they see themselves as having a didactic role.« Meijering, L. 2006: 26. 102 Dawson, J. 2006: 36.
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Gesellschaft hervorbringen zu wollen. Weite Teile von Protest- und Antiglobalisierungsbewegungen verharren aus Sicht der Ökodorfpioniere in dem ›Nein‹ gegen als falsch erkannte Zustände, ohne dem eine konkrete positive Vision entgegenstellen zu können.«103
Dawsons Definition weist normative als auch deskriptive Züge auf, schreibt aber keine inhaltliche Ausrichtung vor. Dies zollt der Vielfalt der GENMitglieder Tribut, aber öffnet die definitorischen Türen etwas zu weit. So könnte auch eine religiöse-fundamentale Kaderschmiede als Ökodorf gelten, solange es eine private Initiative mit gemeinschaftlichem Fokus ist. Insgesamt vereinfachen die pragmatisch-deskriptiven Definitionen die Zuordnung, allerdings bis hin zur Gefahr des Schubladendenkens. Sie geben aber auch Hinweise auf gängige in Ökodörfern vorkommende Formen wie partizipative Gestaltung oder ökologische Bauweisen; diese sind allerdings nicht bestimmend: »The only certainty about intentional communities is that while it is certain that people will continue to develop and live in them, there is very little certainty about which forms they will take.«104 Durch normative Definitionen wie die der Gilmans werden Ökodörfer wiederum als vereint in ihrem Anspruch begriffen, bestimmte Qualitäten zu verwirklichen – selbst wenn diese unerfüllbar bleiben (und gegebenenfalls als Modell zu wirken). »However, the ideal ecovillage does not exist. It is a work in process – a fundamental component of the new paradigm, where much is yet to be learned. What do exist are thousands of partial solutions in a myriad of variants on the same general theme, in different cultures, under different climatic conditions, and under different kinds of societies.«105
Es ist keinesfalls zwingend, Ökodörfer als intentionale Gemeinschaften zu verstehen. Es verbleiben auch konzeptuelle Konflikte, die ich thematisierte. Doch auch eine umgepflügte Gegend konstituiert eine Forschungslandschaft.
103 »[Ecovillagers] see ecovillages as models of how we must all live eventually, if the threat to our environment and our social structures posed by corporate led globalisation is to be taken seriously. It is a lifestyle possible for everybody on the planet.« Jackson, R.J.T., in Wagner, F. 2013: 53. 104 Metcalf, B. 2004: 118. 105 Jackson 2004: 26.
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Und da Sieben Linden die Kriterien einer intentionalen Gemeinschaft weitgehend erfüllt und die (zwar noch) junge Landschaft solchermaßen geprägt ist, verwende ich das Konzept weiter. Als Arbeitsdefinition schließe ich mich zuletzt dem Vorschlag von Metcalf und Christian an (mit der Ausnahme, dass Ökodörfer eher die Größe von Weilern als von Dörfern aufweisen): »Ecovillages are village-scale attempts to create ecologically based communities, often as models for mainstream society.«106 Ökodörfer wie Sieben Linden scheinen der aktuellen Entwicklung ethnologischer Perspektiven auf Gemeinschaft entgegen zu stehen. Ihre eindeutig an eine Lokalität gebundene Form erinnert an die Tradition Malinowskis. Angesichts von Geertz postmoderner Welt in Stücken wird versucht, diese im Sinne einer ›Einheit in der Vielfalt‹ zusammenzuhalten. ›Wesentlich‹ scheint mir mit Tönnies dabei der Versuch, die Qualität von Gemeinschaft zu kultivieren.107 Diese Intention mündet in einer gemeinsamen Lebensführung und der Form einer intentionalen Gemeinschaft beziehungsweise eines Ökodorfes. Diese sind in vielen der erwähnten Definitionen der Funktion verschrieben, modellhaft zu einer Transformation zu einer nachhaltigeren Welt beizutragen – eine Utopie erster Güte. »Indeed, the widely promoted concept of sustainability is ultimately utopian in nature; it is the good place that we must strive for but also a place that may not actually exist except in theory.«108
2.3 U TOPIEN Utopia lautet der Name eine der berühmtesten Inseln der Weltliteratur, 1516 von Thomas Morus in seinem gleichnamigen Roman erfunden. Ein Seemann
106 Metcalf, B. & Christian, D. L. 2003: 671. 107 »Gemeinschaften [unterlaufen] die weit verbreitete, gelegentlich auch politisch wirksame Vorstellung, dass sämtliche sozialen Beziehungen entweder solche sind, die auf Basis des wechselseitigen Vorteils […] beruhen, oder solche, die auf individuellen Gefühlen […] gründen.« Lambing, J. 2014: 91f. 108 Lockyer, J. P. 2010: 167.
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erzählt hierbei einem englischen Gentleman von seiner Reise zu diesem Eiland, wo er eine alternative (allerdings nicht perfekte109) Gesellschaft vorfand. Durch die literarische Fiktion war es Morus möglich gewesen, das rigide Gesellschaftssystem seiner Heimat England implizit zu kontrastieren und kritisieren, ohne explizit werden zu müssen. Heutzutage wird der Begriff der Utopie synonym mit der Suche nach einer Verbesserung gesellschaftlicher Zustände verwandt. Abwechselnd gilt dies als ein gefährliches oder völlig unrealistisches Vorhaben. Morus deutete diesen Umstand selbst bereits an, denn im Griechischen bezeichnet eu den guten und outopia den NichtOrt: Utopia.110 Doch während schon der Versuch ein eutopia zu realisieren als abwegig gilt, wird bereitwillig das ungleich größere Kunststück akzeptiert: die Produktion von outopias im großen Stil. So veröffentlichte der Ethnologe Marc Augé 1992 sein Werk Non-lieux. Ein Nicht-Ort sei »ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt.«111 Angesichts von Autobahnen, Einkaufshallen, Flughäfen, Hotelketten und Kreditkartenautomaten kommt Augé zu dem Schluss: »Der Nicht-Ort ist das Gegenteil der Utopie; er existiert, und er beherbergt keinerlei organische Gesellschaft.«112 Sollte angesichts dieser Entwicklungen nicht auch Utopismus wieder Anerkennung erfahren – als Versuch, Orte mit Identität zu kreieren, in der Hoffnung eutopia ein Stück weit näher zu kommen? Dem Konzept der Utopie kam lange eine Schlüsselrolle in der Charakterisierung und Analyse intentionaler Gemeinschaften zu.113 Aufgrund seines negativen Beigeschmacks wurden diese damit allerdings oft als realitätsferne Phänomene verstanden und vernachlässigt.114 So befasste sich die Forschung
109 So existieren weiterhin Strafen (bis hin zum Tod), Krankheiten (bis zur Seuche) und Kriege (mit den Menschen vom Festland). Morus, T. 2004 [1516]: 306. 110 Vgl. Cojocaru, M.-D. 2012: 46. 111 Augé, M. 1994: 92. 112 Ebda. 131. 113 Lockyer, J. P. 2007: 65. 114 Demgegenüber argumentiert Robert Schehr: »it is precisely this component that I argue is crucial to a successful social movement.« Schehr, R. C. 1997: 174; vgl. Lockyer, J. P. 2007: 42f; Poldervaart, S. 2001: 11f.
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zu intentionalen Gemeinschaften laut Lockyer bevorzugt mit den Gegebenheiten und Gründen des Scheiterns am utopischen Ideal. Levitas konstatiert: »[T]he very term utopia suggests to most people that this dream of the good life is an impossible dream – an escapist fantasy, at best a pleasant but pointless entertainment.«115 Auch Kunze grenzt intentionale Gemeinschaften und Ökodörfer vorsorglich von der »realitätsfernen Utopie einer besseren Welt«116 ab. Doch zugleich sucht sie einen Begriff für Bewegungen, die sich nicht allein über den Widerstand, »sondern auch über die Suche nach anderen sozialen Strukturen konstituieren«.117 Solch einer ist meines Erachtens der der Utopie. Er eignet sich, das Bemühen von intentionalen Gemeinschaften wie Sieben Linden um das gute Leben (eudaimonia) zu verständlichen. Denn nach Levitas besteht eine Utopie in der Überzeugung, dass die Verhältnisse auch anders sein können, sozusagen als Kontrapunkt zur Alternativlosigkeit. »Utopia is then not just a dream to be enjoyed, but a vision to be pursued.«118 Insbesondere Levitas trug zur Definition und Klärung des Konzepts bei.119 Sie analysiert Utopien nach Inhalt, Form und Funktion.120 Der Inhalt (bei mir in leichter Abwandlung der Begriff der Qualität) sei zumeist eine Variation des guten Lebens. Die Form könne die eines Romans wie bei Morus als auch einer intentionalen Gemeinschaft sein. Die Funktion einer Utopie bestehe üblicherweise in der Kompensation, Kritik und/oder Katalyse gesellschaftlichen Wandels.121 Interessant sei nach Levitas insbesondere das spezifische Zusammenspiel dieser Faktoren.122 Aber als Grundlage all dessen gilt ihr weiterhin die Intention: »Utopia is the expression of the desire for a
115 Levitas, R. 1990: 1. 116 Kunze, I. 2009: 16. 117 Ebda. 57. 118 Levitas, R. 1990: 1. 119 Den vorherigen Zustand beschreibt Levitas wie folgt: »no consensus within utopian studies about the meaning of the term utopia and therefore no agreement about the object of analysis.« Ebda. 178. 120 ›Form‹ und ›Inhalt‹ erinneren an eine schlichte Behälterbeziehung, die das konzeptuelle Wechselspiel zwischen ihnen allerdings nur ungenügend wiedergäbe. 121 Levitas, R. 1990: 8. Auch Willke legte für die Kommunebewegung bereits die Funktion der Katalyse nahe. 122 Ebda. 192.
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better way of being. […] It allows for this desire to be realistic or unrealistic. It allows for the form, function and content to change over time«.123 Während Morus seinen Lesern das Bild einer gut bestellten, aber zugleich isolierten Insel vermittelte, öffnete insbesondere der Philosoph Ernst Bloch das Konzept bis zum (utopischen) Horizont.124 In seinen Werken beschreibt er den Geist einer Utopie unter anderem als Das Prinzip Hoffnung, auf welches sich Sieben Linden in seiner Gründung berief.125 Allerdings kann mit Bloch auch eine liberale Steuerreform als utopisch betrachtet werden, denn in den Augen ihrer Befürworter soll auch sie zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse führen.126 Sowohl die Form als auch der normative Inhalt einer Utopie bleibt nach Bloch offen: Des einen eutopia mag dem anderen nur noch Hoffnung auf outopia lassen, wie Levitas bemerkt.127 Zum Vorwurf der Unrealisierbarkeit gesellt sich damit die Sorge vor ihrer Realisierbarkeit, insbesondere wenn »Blaupausen«128 mit absolutem Anspruch entworfen werden. Gegenüber diesen extremen Polen unternehme ich im Folgenden eine dreiteilige Befreiung des Konzepts. I. Saskia Poldervaart, ehemalige Präsidentin der ICSA, rekurriert auf die abendländische Geschichte des Utopismus, ausgehend von Platos Republik129. Dabei macht sie zwei bedeutende Wenden aus. So wurde ihr zufolge im utopischen Frühsozialismus von de Saint-Simon, Fourier und Owen bereits anerkannt, dass Utopien stets in Relation zu ihrem historischen Kontext und nicht als absolut zu verstehen sind; »but indirectly the utopians [still] saw their ideals as appropriate for everybody.«130 Ab Mitte der 1960er-Jahre habe dann die zweite Wende eingesetzt, wie Poldervaart mit Bezug auf die
123 Ebda. 8. 124 Vgl. Bloch, E. 1985: 14; Levitas, R. 1990: 100. 125 Bloch, E. 1981; vgl. 1985. 126 Der pointierte Hinweis stammt von Alexa Weik von Mossner. 127 Levitas, R. 1990: 21; vgl. Saunders, C. & Price, S. 2009. 128 Poldervaart, S. 2001: 14. Eine solch negative Utopie beschrieb Aldous Huxley beispielsweise in Brave New World, einen positiv gemeinten Versuch in Island. 129 Ebda. 12. 130 Ebda.
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Kommunebewegung ausführt: »[T]he commune is seen as just one of many alternatives and no longer as an example for the whole world.«131 Utopien sind also relational zu ihrem historischen Kontext zu verstehen. Nach Poldervaart setze sich diese Erkenntnis auch zunehmend in gegenwärtigen utopischen Projekten durch. Ihr zufolge sei die Aversion gegen Utopia nur zu begründen, wenn das Konzept ahistorisch als Anspruch verstanden werde, totalitäre Blaupausen für die perfekte Gesellschaft zu erschaffen. Nach der Politikwissenschaftlerin Lucy Sargisson, die zu intentionalen Gemeinschaften in Neuseeland forschte, bestehe diese Gefahr aber weiterhin: »Utopia can indeed be authoritarian, pertain to vertical politics, and intent can be will to power. This is the dark side of utopianism and it is ignored at peril.«132 Doch nach Levitas hieße dies, den Geist der Utopie missverstehen. Sie betont, dass sich dieser weder, mit Bloch gesprochen, auf die »Anmeldung von Wünschbarkeiten«133 richte, noch auf Machtmissbrauch. II. Gerade die marxistische Kritik an Utopien störte sich wiederum an deren mangelndem Einfluss auf die Realität.134 Demgegenüber führte der ebenfalls marxistisch inspirierte Bloch das Konzept der konkreten Utopie ein, oder vielmehr konkret werdenden Utopie.135 Damit verwehrt er sich gegen die Verwechslung von Utopien mit Wunschdenken – aber auch gegen Empiristen, die ihnen jeglichen »Bezug aufs Real-Mögliche«136 absprechen. Die Betrachtung des Empirischen könne nach Bloch immer nur rückwärts blicken: »Wonach Wesenheit schlechthin mit Ge-wesenheit zusammenfällt«.137 Demgegenüber betont Bloch den antizipierenden ›Richtungsakt‹ hin zur noch gestaltbaren Zukunft, denn »das Wesen der Welt liegt selber an der Front.«138 Bloch setzt sich in diesem Sinne für eine Theorie ein, die die »objektiv-reale
131 Ebda. 132 Sargisson, L. 2009: 94. 133 Bloch, E. 1985: 164. 134 Ebda. 35. 135 Vgl. Ebda. 160. 136 Ebda. 164. 137 Ebda. 7. 138 Ebda. 10; vgl. Lambing, J. 2014: 123.
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Möglichkeit innerhalb des Prozesses«139 anerkennt und »den unabgeschlossenen Entstehungsraum«140 erschließt. In der Ethnologie sprechen Escobar und Michal Osterweil in einer ähnlichen Weise von einer Politik der Absenzen, der Emergenz, der Potentialitäten oder des Virtuellen.141 Sie beziehen sich dabei auf soziale Bewegungen, die mit ihren kulturellen Experimenten aus diesen Möglichkeits- und Entstehungsräumen zu schöpfen suchen. III. Bloch öffnete Horizonte und Räume, aber es bleibt offen, was sich dort befindet. Nach Morus‘ Wortspiel kann es nicht eu topos sein, denn dieser Ort könne nur verfehlt werden – ein bleibendes konzeptuelles Ärgernis. Doch nach Levitas sei auch das Verharren auf der Unmöglichkeit ein Missverständnis. Der utopische Horizont sei schlicht ein Bestandteil der menschlichen Kultur: »Utopia is about how we would live and what kind of a world we would live in if we could just do that.«142 Oder wie es Brown ausdrückt: »[…] there is always a disparity between the real and the ideal when it comes to culture«143. Die Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit war auch in den normativen Ökodorf-Definitionen vorhanden. Lockyer betont dementsprechend: »Intentional community members recognize that what is significant about their endeavors is the fact that they are engaged in a process of utopian striving for a better world. They don’t expect to achieve utopia as such.«144 In diesem Sinne lässt sich der Titel einer Selbstbeschreibung Sieben Lindens lesen: Lebensentwurf und Realität.145 »Natürlich wird im Alltag die Diskrepanz zur Vision immer wieder erfahren und von vielen Menschen aus vielen Gründen beklagt. Doch immerhin sind wir hier. Die Fußsohlen der schönen Ideen werden schwarz beim Gehen. Aber was ist besser: Die reine Lehre oder die befleckte Wirklichkeit? Niemand kann uns mehr diesen Erfahrungsraum nehmen, jede Erfahrung hier gehört uns!«146
139 Ebda. 5. 140 Ebda. 6, vgl. Levitas, R. 1990: 89. 141 Escobar & Osterweil, M. 2010: 200f. 142 Levitas, R. 1990: 1. 143 Brown, S. L. (Hg.) 2002: 8. 144 Lockyer, J. P. 2007: 63 145 Freundeskreis Ökodorf (Hg.) 2007c. 146 Halbach, D. 2006: 19.
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In seiner Untersuchung der intentionalen Gemeinschaften Earthaven und Celo Community in North Carolina, USA, gelangt Lockyer zu einem ähnlich prozessualen Verständnis. Er gibt allerdings zu bedenken, dass der utopische Impuls intentionaler Gemeinschaften auch zunehmend verblasse. »U]utopian idealism becomes less urgent over time as the practicalities of daily life, the incorporation of new community members, interactions with the wider society in which broader historical changes are occurring and a variety of other emergent circumstances, challenges and opportunities compel or otherwise result in a moderation of the original utopian ideals.«147
Manche von Lockyers Interviewpartnern gingen davon aus, dass die Umsetzung ihrer utopischen Ideale dadurch erschwert werde, dass sie ihr »kulturelles Gepäck«148 aus der Gesellschaft mit in die Gemeinschaft bringen würden. Andererseits wiederum setzt Transformation stets beim Vorhandenen an. Lockyer konnte in seinen Feldforschungen auch nachweisen, wie Earthaven von den früheren Bemühungen Celos profitieren und diese fortführen konnte. Der ursprüngliche Impuls hatte zwar abgenommen, dennoch konnte quasi die utopische Flamme weitergereicht werden. »As the utopianism of older intentional communities fades, the results of their utopian endeavors become starting points for the utopian strivings and cultural critiques of newer communities.«149 Wie der Beitrag intentionaler Gemeinschaften zu einer umfassenderen gesellschaftlichen Transformation allerdings zu analysieren sei, bleibt auch bei ihm weitgehend offen. Konkrete Utopien mögen ihr Ziel nicht erreichen – aber ihre Funktion und ihr transformatives Potential erschöpfen sich auch nicht in diesem Versuch. Eine gesellschaftliche Transformation ohne utopische Intention weist Sargisson wiederum als unrealistisch ab. Der Erhalt einer Intention sei wesentlich für jede Verbesserung der Verhältnisse, wie sie mit einem Gedankenspiel darlegt: »Let us assume for a moment that […] a good society once existed without intent […]. Such a place would not be a utopia. It would be a happy accident.«150 Für Levitas ist die Intention einer Utopie deren Essenz.
147 Ebda. 80 148 Lockyer, J. P. 2007: 396 149 Lockyer, P. 2007: 15; vgl. 397. 150 Sargisson, L. 2009: 94; vgl. Poldervaaart, S. 2001: 11.
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Mit Bezug auf Autoren wie William Morris oder Herbert Marcuse tritt sie insofern für eine Bildung des utopischen desires ein. Um Utopien als konstruktive Quelle gesellschaftlicher Transformation zu verstehen, müsse die Transformation der Intention mitbedacht werden: »The rehabilitation of utopia as outlined above depends on the assumption that the education of desire and the consequent development of an alternative common sense are necessary to social transformation, and indeed an integral part of it.«151
Nach Kunze werde beispielsweise in Gemeinschaften »Suffizienz nicht als Verzicht, sondern als Bedürfnistransformation wirksam.« Zu verstehen sei diese als Kultivierung im Sinne einer »Bedürfnisverfeinerung, in der sich die gemeinsame Kultur in ihren Werten, Interaktionen und Kommunikationsstrukturen verfeinert«152.
Vormittag II Durch das Gatter haben Sie die Gärten verlassen. Ihre Blicke wenden sich nach Norden: Sie sind in der privaten Zone des Ökodorfes angekommen, acht der zehn Wohnareale Sieben Lindens (Stand 2012) befinden sich nun Ihnen. Mit einer klitzekleinen Ausnahme werden alle Häuser von mehreren Gruppen bewohnt als Gegenmodell zu Einzel- oder Familienhäusern. Dahinter steht die Idee des Ökodorfes, eine »Gemeinschaft aus Gemeinschaften« zu sein. So wurde schon 1992 der Wunsch formuliert, »Formen der Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe im dörflichen Zusammenhang miteinander [zu] verbinden.«153 Nachbarschaften sind Gruppen, die über familiäre Zusammenhänge hinaus ihren Alltag verbringen und gemeinsam bauen wollen – beziehungsweise sollen. Nach den Baukriterien
151 Levitas, R. 1990: 127; vgl. 129. 152 Kunze, I. 2009: 133f; vgl. 159f. 153 Die formellen Angaben und Zitate stammen in diesem Teil, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2012b, 2011a, e, f, 2010a, 2009a, 2008a [Web] und 1992.
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der SiGe musste jeder Wohnungsbau »in eine Nachbarschaftsgruppe eingebunden sein, die mehr als eine Kernfamilie umfasst und den betroffenen Siedlungsbereich gemeinsam plant.«154 Obgleich man auch nur zu dritt beginnen konnte, wurde Wachstum erwartet. Sandra erzählt, dass früher »Siedlungskerne« von etwa 50 Menschen angedacht waren, die Zielgröße aber über die Zeit auf 25 schrumpfte. Abbildung 8: Blick vom Gartenzaun nach Norden.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2012).
Die Nachbarschaften hatten vor allem die Aufgabe der sozialen Integration. Hintergrund waren die zu erwartenden Schwierigkeiten bei weiterem Wachstum, »sich wirklich gegenseitig zu kennen, aufeinander zu beziehen und füreinander zu sorgen«155. Zur Erläuterung zückt der Autor ein Interview der Soziologin Iris Kunze mit einer Bewohnerin: »Die Grundidee des Dorfgedanken war, […] dass niemand außen vor blieb, sich alle irgendwie für alle verantwortlich fühlten und man sich unterstützt hat, wenn es einem schlecht ging, niemand blieb allein, niemand fiel raus.«156
154 SiGe 2007: 48. 155 Kommerell, J. 2007b: 28. 156 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 1.
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Mit den Nachbarschaften wurde auch Vielfalt ins Dorf geladen, beispielsweise wenn diese sich um bestimmte Interessen oder ein »besonderes Lebenskonzept«157 herum gruppierten. Neben den sozialen werden ökologische und ökonomische Gründe für gemeinschaftliches Wohnen angeführt. So wird gemeinsam proportional weniger Land versiegelt als alleine. Da dem Ökodorf nur begrenzt Bauland zur Verfügung steht, drängen sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf. Früh haben die Sieben Lindener errechnet und bestimmt wie viel Quadratmeter pro Person versiegelt werden dürfen – bei dereinst 300 Menschen wären es 16,5.158 Bezieht man die Gemeinschaftsräumlichkeiten anteilig mit ein, ergibt sich eine durchschnittliche Gesamtfläche von 32 Quadratmeter pro Person (teils beeinflusst durch die Anzahl der Stockwerke im Wohnhaus). Rein nach ökologischer Argumentation würde nichts gegen den Einzug einer Großfamilie in ein solches Haus sprechen. Doch neben dem Wunsch nach sozialer Durchmischung verbleibt die Problematik des Eigentums, denn in Sieben Linden ist kein Privateigentum an Häusern gewünscht: »Hintergrund ist, dass wir langfristig denken und uns wünschen, dass das Hauseigentum stets in der Gemeinschaft bleibt«. In diesem Sinne bauen zwar Gruppen, beziehungsweise Nachbarschaften, aber immer fungiert eine Sieben Lindener Organisation als Bauträgerin, meist die WoGe. Zehn Jahre nach Gründung des Ökodorfes heißt es bezüglich der Nachbarschaften: »Die Erfahrungen haben dieses Konzept […] in Frage gestellt.«159 So machte es die hohe Fluktuation an Nachbarschaften und Nachbarn gerade den Neuankömmlingen schwer, denn ihre Zuordnung zu einer Nachbarschaft war damals vorgeschrieben. Die Notwendigkeit der Abstimmung, gepaart mit den ökonomischen Verbindlichkeiten, führte auch zu schwerfälligen Planungs- und Bauprozessen. Mitunter funktionierte das Nachbarschaftskonzept auch auf einer sozialen Ebene nicht. In einem weiteren Interview von Kunze hält eine Bewohnerin die Idee für »im Wesentlichen gescheitert.«160
157 Kommerell, J. 2007b: 28. 158 Strünke, C., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 15 159 Kommerell, J. 2007b: 28. 160 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 1.
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»Nachbarschaften waren in der Ursprungsvision der Garant für eine große Vielfalt. Im Moment ist das nicht mehr ganz klar. Es finden sich Menschen zu einer Nachbarschaft zusammen, weil sie in der gleichen Zeit Wohnraum brauchen und deswegen zusammen bauen werden und nicht unbedingt deswegen, weil sie ansonsten darüber hinaus gemeinsame Ansichten oder Aktivitäten haben.«161
Aus Interviews seines Kollegen Felix Wagner entnimmt der Autor, dass das nachbarschaftliche Ideal mitunter als »zu anspruchsvoll« und »hoch gehängt« bewertet wird; es übersteige nach Wagner die sozialen Kapazitäten, »da es nicht möglich sei, sich gleich intensiv auf die engsten Personen […] die Nachbarschaften und die Gesamtgemeinschaft einzulassen.«162 Dennoch ist es im Ökodorf weiterhin möglich, auf das Konzept zurückzugreifen. Es bleibt ein hehres Unterfangen, mit dem nach Micha immer noch »hohe Ansprüche« verbunden werden. Eine Nachbarschaft besitzt auch weiterhin Vorrang vor anderen Gruppierungen, die ein Gelände zur Bauung nutzen wollen. »Wir sehen uns ein paar Beispiele an.« In die ›Libelle‹ linkerhand zogen 2011 zehn Menschen ein, die auf den Status einer Nachbarschaft verzichteten. Ursprünglich war ein Passivhaus mit zwei runden Flügeln geplant. Diese »waren mit jeder neuen Kalkulation regelrecht zurechtgestutzt worden, bis aus der Libelle ein rechteckiger Kasten geworden war«, erzählt Micha. Dieser besteht vorrangig aus Stroh, Lehm und Holz. Für diese Bauweise ist Sieben Linden bekannt und berühmt: Das Dorf zeichnet sich durch die größte Dichte an Strohballenhäusern in Europa aus und hat diverse Techniken (weiter) entwickelt.163 Björn Meenen, der hier lange den Strohballenbau vorantrieb, betont die Vorteile: Gepresstes Stroh weise einen guten Dämmwert auf, weswegen die Häuser nahe an Passivhäusern verortet werden. Der geringe Heizverbrauch trage wiederum dazu bei, Kohlenstoffdioxid (CO2) und Brennholz zu sparen, der Anbau von Getreide absorbiere Kohlenstoffmonoxid (CO), und außerdem seien Stroh und Lehm regional verfügbare und günstige
161 Ebda. 162 Wagner, F. 2013: 110. 163 So wurden bei der Libelle die Strohballenwände unter einem überdachten Unterstand vorfabriziert und dann erst in die Horizontale gebracht.
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Ressourcen.164 Lehm biete darüber hinaus auch ein angenehmes Äußeres, sowie den Feuchtigkeitsausgleich mit der Umgebung, gewissermaßen atmende Wände.165 Und nicht zuletzt sei solch ein Haus am Ende seiner Nutzungsdauer kompostierbar.166 Die Libelle zeichnet sich durch den bisher niedrigsten Energieverbrauch eines Wohnhauses im Ökodorf aus (24 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr). Damit werde der bundesdeutsche Durchschnittwert von circa 250 um mehr als ein zehnfaches unterboten werden. Die 40 Quadratmeter Kollektorflächen werden durch einen Wasser-Erdspeicher (12.500 Liter), Dreifach-Südverglasung, geothermische Vorwärmung und automatische Dauerbelüftung mit Wärmerückgewinnung ergänzt. Nach einem Ökodörfler sei die Libelle damit eine »Luxusökokiste«.167 »Das Nutzungskonzept stellt allerdings auch Anforderungen an die Bewohner.« Die Fenster sollen geschlossen bleiben und das Klima elektronisch eingestellt werden. Der Autor erzählt dazu eine Anekdote: »Einmal funktionierte die Lüftung in der Libelle nicht, was aufgrund der Komposttoiletten tagelang zu einem entsetzlichen Gestank führte. Einer der Hausherren erboste sich fürchterlich und schimpfte auf die ›symbolische‹ Ökodorf-Politik, nur wasserlose Toiletten einzusetzen. Man ist ja stolz hier, dass ›seit 15 Jahren […] auf diesem Platz keine Fäkalie mit Wasser weggespült‹ wurde. Dabei herrscht dank des geschlossenen Wasserkreislaufs ja gar kein Mangel in Sieben Linden. Insofern schritt der Hausherr zur Tat: Er konstruierte eine Toilette, die mit sehr wenig Wasser auskommt – aber dafür den Geruch selbst beseitigt.«168
Mittlerweile gibt es also doch den Prototyp einer Toilette, welche auch ein wenig Wasser nutzt. Die Gruppe jedenfalls bewegt sich weiter, bis rechterhand das sogenannte »Haus wie eine Spirale« in Sicht kommt. Hier residiert seit 2007 die Nachbarschaft ›Brunnenwiese‹. Ihr Name leitet sich
164 Grasberger, L. 2011: 2. 165 Meenen, B., in Ebda. 166 Meenen schätzt circa 100 Jahre Nutzungsdauer, in Ebda. 167 Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 5. 168 Zu den Neuerungen gehören unter anderem ein Urinabscheider mit Geruchsverschluss, eine Mini-Nachspülung und ein Sägespäne-Spender.
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vom zweiten Dorfbrunnen auf dem Gelände ab. Momentan besteht die Nachbarschaft nur aus sieben Personen, mehrheitlich einer Familie. Die Brunnenwiese gehört zu den Nachbarschaften mit thematischem Zusammenhalt. Der Autor zitiert eine Bewohnerin wieder, nach der hier Menschen leben würden, »die sich mit ›innerem Wachstum‹ oder wie auch immer man das nennen will, beschäftigen.«169 Nach einem Seitenblick auf Micha erbarmt sich dieser, und holt etwas weiter aus: »Die Brunnenwiesengruppe hat sich einen Schwerpunkt gegeben, den ich vorsichtig mit ›Heilungsweg‹, ›Bewusstheit‹, ›Spiritualität‹ und ›Achtsamkeit‹ umreißen würde. Neben dem schulmedizinischen Wissen der beiden ÄrztInnen sind in der Brunnenwiese auch Tiefenökologie, Homöopathie, Meditation, Yoga, Familienaufstellung und verschiedene therapeutische Prozesse zu Hause.«
Ein Geomantie-Seminar hatte ergeben, dass auf diesem Teil des Geländes »organische«170 Hausformen passend seien. Die Idee stammt vom Architekten, aber eine Bewohnerin hatte die Spirale auch in ihren Tarotkarten entdeckt. Der innere Teil des Hauses wurde von der Nachbarschaft komplett eigenfinanziert. Die Anordnung als Spirale offenbart sich im Grundriss, innen sind auch die Wände rund. Die warme Mitte bildet ein Ofen im Keller, der vom Erdgeschoss aus beheizt wird. Die Wärme gelangt über Wände und Luft bis hoch in den Meditationsraum unter dem Dachfirst (dafür sollen allerdings die Türen offenstehen). »›Ein Haus wie eine Spirale‹, es soll ein Ausdruck sein von unserer Vision des Lebens und unseres Zusammenlebens: organische Form, eine klar definierte Mitte, natürliche Baustoffe, so wenig Technik wie nötig, eindrehend nach oben in die Privaträume und noch weiter in den Meditationsraum kommend, ausdrehend nach unten in die Gemeinschaftsräume und in die Öffentlichkeit gehend.«171
»Lassen sich mit solchen Häusern Architektenträume erfüllen?«, hatte der Autor einmal eine Bewohnerin gefragt. Die lachende Antwort lautete: »Ja
169 Anonymisiert, 2008 [PK, Sieben Linden, 14.05.2008]. 170 Maier-Wiegand, E & J. 2005: 16f 171 Bott, G. 2007: 31.
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und nein. Wir sind auch so’n bisschen anstrengender Haufen, wo alle mitreden wollen und immer die sozialen Prozesse furchtbar wichtig sind.«172 Gegenüber der Brunnenwiese bezog die Nachbarschaft ›Windrose‹ 2009 ein breites Haus. Die Windrose ist auch der Wohnort des autistisch und geistig behinderten Bruders einer Bewohnerin,173 sowie zwischenzeitlich Michas pflegebedürftiger Mutter. Der Name leitet sich von der Lage auf der »Nord-West-Ecke des Süd-Ost-Feldes«174 ab. Oftmals bezeichnete sich die Nachbarschaft auch als WG. Bei Führungen wird manchmal bemerkt, dass die Gastlichkeit die Gruppe vereine.175 Aber der eigene soziale Zusammenhalt funktionierte nicht wie geplant. So gab es ursprünglich eine große Küche und eine Ausweichküche, »wenn Menschen im privaten Rahmen essen wollen.« Mittlerweile existiert laut Micha eine dritte private Küche, eine vierte ist geplant. Im April 2012 wurde gar eine Trennwand durch Gemeinschaftsraum und -küche gezogen. »Die Trennung der Wohnküche verlief meines Wissens nach ohne Streit«, meint der Autor. Bei der Gründung der Nachbarschaft war sogar noch geplant gewesen, eine gemeinsame Kasse anzulegen. Micha erzählt: »Leider hat sich gezeigt, dass die Bewohner der Windrose nicht so ganz dieselben Vorstellungen vom WG-Leben haben. Die einen vermissen das Private, andere sind enttäuscht, dass keine richtige WG gelebt wird…« Christoph Strünke als einer der Bewohner bemerkt: Mit »diesen sozialen Raum, diesen sozialen Aspekt, da hatten wir schon mehr vor.«176 Nun finden sich die Menschen in kleineren Konstellationen wieder – als Paar, zu dritt, als Familie. Angesichts der Windrose erzählt Sandra, warum sie zur Siedlungsplanerin im Ökodorf wurde. »[Weil] ich immer mehr auf Leute gestoßen bin, die gesagt haben: ›Ich weiß gar nicht, wo ich hier hin muss, wenn ich hier ankomme und so. Und wieso stehen denn die Häuser so komisch?‹« Als bei der Planung der Windrose deutlich wurde, dass die Wünsche der
172 Anonymisiert, 2008 [PK, Sieben Linden, 14.05.2008]. 173 Vgl. Stützel, E. 2008. 174 Lüdemann, I. & Strünke, C. 2007: 33. 175 Gabert, I., in Andreas, M. 2010 [BP, 29.03.2010]b: 3 176 Strünke, C., in Andreas, M. 2011 [IT]c: 8.
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Nachbarschaft nicht mit denen anderer Sieben Lindener übereinstimmten,177 setzte sich Sandra für eine partizipative Siedlungsplanung ein. Sie versuchte einen »Planungsprozess zu unterstützen, der zu einem verständlichen, ansprechenden, zusammenhängenden, sinnvollen Dorfbild führt.« Position und Gestaltung der Windrose wurden durch eine repräsentative Gruppe erarbeitet. Zusätzlich wurden die Unterlagen des B-Plans, sowie Orientierungen aus Geomantie, ›Mustersprache‹ und Permakultur miteinbezogen. Der etwa einjährige Prozess zur Vorbereitung der Windrose war intensiv – aber auch wenn die späteren Schwierigkeiten nicht verhindert werden konnten, ist man heute zumindest mit der Einbettung des Hauses in das Ortsbild zufrieden. Bei der Windrose kreuzen sich die Wege: die Gärten im Süden, im Westen das Regiohaus, geradeaus im Norden weitere Häuser. Doch der Autor führt gen Osten. Rechterhand erstreckt sich hier das Gelände der Brunnenwiese, linkerhand eine Bauwagensiedlung. Hier residierten früher ›Die Unendlichen‹ und teils die ›Frauennachbarschaft‹. »Das Problem mit dem Bauprozess ist, dass es keinen gibt«, meint der Autor. Über das ganze Dorf verteilt wohnen insgesamt etwa 40 Menschen in Bauwägen. Eine Leserin meint, dass Sie deswegen immer an die Bewohner als »fahrendes Volk«178 denke. Die Bauwägen waren im Konzept nicht als langfristige Lösung vorgesehen, höchstens zehn Prozent der Bewohner sollten in ihnen wohnen. Neben ihrem proportional erhöhten Platz- und Energiebedarf sprächen vor allem soziale Gründe gegen die Bauwägen. Laut Sandra sei das »schlicht nicht die Idee des Ökodorfes. Wir suchen Leute mit Lust auf Gemeinschaft.« Dabei wohnen viele gerne in ihren Bauwägen – oder können sich keinen Hausbau leisten. Die Unendlichen verwiesen mit ihrem Namen auf den trotzigen Plan, bleiben zu wollen. Vertreter der SiGe arbeiteten wiederum gegen die Verstetigung des Bauwagenlebens – nach Ratsmitglied Halbach ein »geistiger Ringkampf«179. Bauamt und Schornsteinfeger zeigten sich entgegenkommend: Die Bauwägen sind geduldet und nur mit einigen Sonderregelungen belegt.
177 Vgl. Strünke, S. 2006. 178 Ebda. 5. 179 Halbach, D., in Andreas, M. 2012 [BP, 29.04.2012]b: 14.
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Inmitten der Bauwagensiedlung liegt auch das ›Palais Bellevue‹, eine klassische Ausnahmeregelung in Sieben Linden. Eine ältere Bewohnerin hatte es geschafft, von der Vollversammlung ein Einzelhaus genehmigt zu bekommen, obwohl dadurch überproportional viel Baufläche versiegelt wird. Im Gegenzug schrieb man ihr vor, dass im Zweifelsfall ohne ihr Einverständnis an ihrem Palais angebaut werden dürfe. Ein Grund für die generelle Erlaubnis mag gewesen sein, dass ein anstehendes Strohlehmbauseminar einer Aufgabe bedurfte. »Und Strohballenbau ist nun mal der Exportschlager des Ökodorfes«, bemerkt der Autor. Auch Micha kann sich einen Kommentar nicht verkneifen; »mit diesen Seminarbauten kriegt man offensichtlich alles durch.« Die Bewohnerin freut es: »Glücklich wer seine Träume leben kann«180, schrieb sie nach dem Einzug. Oder wie es bezogen auf das gesamte Dorf eine Bewohnerin einst formulierte: »Das ist schon Wahnsinn, dass sich irgendwelche Leute gedacht haben, wir entwerfen ein Dorf, und dann machen wir es einfach. Insofern ist es auf jeden Fall Utopia.«181
2.4 W IRKWEISEN Utopia »creates a space for otherness: for new imaginaries, new ways of being, for alternative practices«182. Utopien erweitern den Möglichkeitsraum und die politische Imagination.183 Selbst wenn sie unerreichbar bleiben, ermöglichen sie doch Einblicke in unsere Wünsche nach einem alternativen, besseren Leben.184 »[…] we learn a lot about the experience of living under any set of conditions by reflecting upon the desires which those conditions
180 [KA] 2010: 28. 181 Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 5. 182 Garforth, L. & Kraftl, P. 2009: 1. 183 Cojocaru, M.-D. 2012: 55. 184 Poldervaart 2001: 14.
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generate and yet leave unfulfilled. For this is the space which utopia occupies.«185 Utopia ist auch eine Chiffre für eudaimonia, das gute Leben. Dieser Horizont ist steter Bestandteil unserer Identitäten, unserer Beheimatung.186 ›Imaginationen‹ würden einen alternativen point of entry bieten, um sich Utopismus zu nähern: So verteidigt Escobar beispielsweise bei Graswurzelbewegungen in Südamerika den gemeinsamen utopischen Horizont von Aktivisten und Akademikern folgend: »[I]magining that aiming for worlds and knowledges otherwise is an eminently viable cultural-political project.«187 Arjun Appadurai wiederum legt dar: »[I]magination has now acquired a singular new power in social life. More persons in more parts of the world consider a wider set of possible lives than they ever did before.«188 Durch Imaginationen können sich Menschen nicht nur als zugehörig begreifen, sondern auch Selbstbestimmung erlangen und erleben (agency). Sie eröffnen den Möglichkeitsraum und die globalisierte Welt bietet wiederum erweiterte Umsetzungsmöglichkeiten und imaginativen Anschluss. Damit rückt Imagination in das Bedeutungsfeld von Identität, speziell im Sinne von Zugehörigkeit und Beheimatung. Auch Bloch sah solch einen Zusammenhang, wenn er eine Utopie als »homeland of identity« beschreibt.189 In dieser Hinsicht ist auch Taylor zu erwähnen, nach dem kollektive Imaginationen überhaupt erst den Rahmen konstituieren, in dem sich Vorstellungen des guten Lebens positionieren können.190 Appadurai spricht von imaginativen ›Landschaften‹ und ›Welten‹ – diese sind jeweils von der eigenen Position aus konstruiert, so dass keine der anderen völlig gleicht: »These landscapes thus are the building blocks of what (extending Benedict Anderson) I would like to call imagined worlds, that is, the multiple worlds that are constituted by the historically situated imaginations of persons and groups spread around
185 Levitas, R. 1990: 8. 186 Lockyer, J. P. 2007: 88; vgl. Cojocaru, M.-D. 2012:46f; Jameson, F. 2005: xiii. 187 Escobar, A. 2008: 311. 188 Appadurai, A. 1995: 53. Den Utopiebegriff verwendet Appadurai bewusst nicht, aufgrund des eskapistischen und fantastischen Beiklangs. Die dadurch gewonnene Nüchternheit lässt sich allerdings nutzen, um statt automatisch von Verbesserung mitunter auch ›nur‹ von Veränderung zu sprechen. 189 Bloch, E. in Levitas, R. 1990: 91; ebda. 95f. 190 Taylor, C. 1996: 38f.
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the globe. An important fact of the world we live in today is that many persons on the globe live in such imagined worlds […] and thus are able to contest and sometimes even subvert the imagined worlds of the official mind and of the entrepreneurial mentality that surrounds them.«191
Nach Appadurai bilden Imagination und Umsetzung eine selbstverständlichere Einheit als beim Begriff der Utopie. Dabei emergiert ein Verständnis von Imagination als kollektiver Praxis, die sich auch gegen bestehende politische Verhältnisse wenden kann. Lockyer betont ebenfalls die Macht von Bildern und das Potential für counterimages.192 Nach ihm und Autoren wie Meijering speisen sich solche Bilder dabei meist nicht originär aus Ökodörfern. Vielmehr bedienen sich diese bei ecotopian imaginations, die sie mit Bewegungen und Konzepten wie Bioregionalismus und Permakultur teilen: »All of these movements articulate a utopian vision of society defined by cultural values, political economies and technologies that situate people closer to the natural and material world that sustains them. They suggest that humans are an integral part of the natural world rather than separate, superior entities.« 193
Eine Utopie ist nach Lockyer als Kern oder konstruktive Fortführung einer kulturellen Gesellschaftskritik zu verstehen. Intentionale Gemeinschaften wie Ökodörfer würden sich dadurch auszeichnen, dass Kritik und Lösungsbemühungen eine Einheit bildeten.194 Lockyer bewertet die Gemeinschaften vor allem im Hinblick auf ihre utopische Funktion.195 Levitas hatte demgegenüber empfohlen, verstärkt auf das Zusammenspiel von Form, Inhalt und Funktion zu achten. Lockyers Position ist vor dem Hintergrund früherer Bewertungen intentionaler Gemeinschaften zu verstehen, in denen diese vor allem nach ihrer Langlebigkeit auf ihren Erfolg beziehungsweise Misserfolg bemessen wurden. Er verwehrt sich wiederum, intentionale Gemeinschaften anders als in ihrer (weit gefassten) transformativen Funktion zu verstehen.
191 Appadurai, A. 1995: 33. 192 Lockyer, J. P. 2007: 89. 193 Ebda. 395; vgl. Meijering, L., van Hoven, B. & Huigen, P. 2007: 357; de Geus, M. 2002: 198. 194 Ebda. 87; vgl. Kirby, A. 2003: 325. 195 Ebda. 81f.
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Poldervaart und Levitas sprechen sich dafür aus, intentionale Gemeinschaften gleich als utopische Gemeinschaften zu verstehen.196 Doch Autoren wie Lockyer, Meijering und der Historiker Donald Pitzer lehnen es ab, beide Begriffe völlig gleichzusetzen. Während eine intentionale Gemeinschaft eine Alternative schaffen wolle, suche eine utopische Gemeinschaft diese funktional zu nutzen, um eine bessere Gesellschaft zu erwirken (Mit Tönnies gesprochen wäre hier der Kürwille stärker ausgeprägt). Meijering sieht die Trennung von intentionaler und utopischer Gemeinschaft durch ihre Studie bestärkt. In den von ihr untersuchten Projekten sei nur selten ein ausdrücklicher Wunsch zur gesellschaftlichen Transformation deutlich geworden.197 Nach Pitzer sei der utopische Horizont (hier auf Gesellschaftstransformation verengt) nicht allen intentionalen Gemeinschaften eigen oder nur als ein Aspekt unter vielen. »[…] utopianism is a single facet of communalism. Not all communitarians are utopians nor are all utopians communitarians.«198 Der Begriff der utopischen Gemeinschaft bleibt selbst bei Ökodörfern mit Vorsicht zu genießen – vieles, aber nicht alles, handelt hier von Transformation. So wurde in den Vorläuferprojekten von Sieben Linden beispielsweise der Wunsch expliziert, das Private politisch werden zu lassen – aber es gilt nicht zu vergessen, dass dadurch auch das Politische privat wird. In Ökodörfern leben, wie anderswo, Menschen, die sich nicht ganztägig auf die Große Transformation ausrichten. Eine Utopie scheint gewissermaßen stets in der Ferne zu liegen, sei es Morus‘ unerreichbare Insel oder Blochs Horizont. Als ou topos gibt eine Utopie die Reiserichtung vor. Levitas definierte als ihr Wesen das leidenschaftliche Streben nach einem besseren, dem guten Leben – nicht als ahistorische Blaupause, sondern als Exploration und Realisierung von Möglichkeiten.199 Sargisson fasst zusammen:
196 Poldervaart, S. 2001: 11. 197 »[M]ost communities that were studied could hardly be seen as attempts to create a perfect world; they are rather practical in the way they are run and in their dealings with society at large.« Meijering, L. 2006: 21. 198 Pitzer, D. E. 2009: 16. Wie beim Begriff der intentionalen Gemeinschaft, müsse man mit der mitunter ungeliebten Utopie-Zuschreibung auch bedacht umgehen. 199 Poldervaart, S. 2001: 14f.
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»And utopians who try to realize their dreams in the now require drive, focus and sometimes discipline in order to continue. They will not succeed, they will not realize utopia, because life never turns out as according to plan, and utopia is, after all ›noplace‹, lying always over the horizon. The challenge for utopian studies then, is not to abandon intent but to explore, interrogate and better understand its limitations, implications and consequences.«200
Der Verweis auf Imagination erinnert daran, dass über Utopien auch eine identitäre Beheimatung stattfindet (der Horizont gehört zur Heimat dazu). Bloch zweifelt zuletzt an, dass das gute Leben stets weit entfernt sein muss und spricht von dem utopischen Willen, »wahrhaft gegenwärtig zu sein. […] Der Mensch will endlich als er selber in das Jetzt und Hier, will ohne Aufschub und Ferne in sein volles Leben. Der echte utopische Wille ist durchaus kein unendliches Streben, vielmehr: er will das bloß Unmittelbare und derart so Unbesessene des Sich-Befindens und Da-Seins als endlich vermittelt, erhellt und erfüllt, als glücklich-adäquat erfüllt.«201
Hatte die Ökodorf-Gruppe aus Heidelberg 1990 nicht auch ›lustvolles Ausleben‹202 als Wesensmerkmal ihrer politisch verstanden Kultur propagiert? Diese solle ganzheitlich sein und »alle Lebensbereiche in einem überschaubaren Rahmen«203 beinhalten. Es deutet sich ein Zusammenhang zwischen der Kultivierung eines zugleich verantwortungsvoll gemeinten und hedonistisch ausgelebten guten Lebens mit dem Prozess der Transformation an. Identität findet allerdings auch durch Positionierungen in der politischen Sphäre statt. Individuelle wie kollektive Akteure suchen hier ihre Agenden zu verwirklichen und sich ›Raum zu verschaffen‹, wie Demmer mit Verweis
200 Sargisson, L. 2009: 94. 201 Bloch, E. 1985: 15. Halbach zitiert Eckhart Tolle: »Es ist nichts falsch daran, sich Ziele zu setzen und Dinge erreichen zu wollen. Falsch ist es, wenn du einen Ersatz daraus machst für das Fühlen des Lebens, des Seins, denn zu dem findest du nur über das Jetzt Zugang.« 2006: 19. 202 Sommer, J. et al. 1990: 36. 203 Ebda. 16.
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auf Turner und Chantal Mouffe bemerkt.204 Nicht nur, dass Identitäten in Abgrenzung voneinander konstituiert werden, auch entsprechende Wertigkeiten werden angelegt: Was macht ein gutes, was ein schlechtes Leben aus? Identität ist nach Clifford selbst politischer Prozess und geht diesem nicht voran; »identity should not be seen as preceding political participation, but rather as being made and unmade, connected and disconnected in the interactive arenas of democratic, national and transnational social life.«205 Er argumentiert weiter: »Since the project of identity, whether individual or collective, is rooted in desires and aspirations that cannot be fulfilled, identity movements are open-ended, productive, and fraught with ambivalence.«206 Das Politische wird hier weniger bezogen auf klassische repräsentative Politik verstanden, sondern als grundlegende Verhandlung der Frage, wie sich Gesellschaft konstituiert. Demmer schlägt mit Michel Foucault, Gilles Deleuze und Félix Guattari eine Zweiteilung von Identität vor.207 So spricht er einerseits von der juridico-politischen Identität, die sich auf das Rechtssystem beruft. Hier ›besitzen‹ individuelle/kollektive Akteure Identitäten wie Staatsangehörigkeiten, mit denen Rechte und Pflichte verbunden sind. Zentraler Bezugspunkt ist dabei die gebündelt wahrgenommene Macht eines Souveräns. Mit Hall bespricht Demmer die juridico-politische Identität als auf Sein und Haben bezogen. Ihre Politik richtet sich beispielsweise auf die Anerkennung von Rechten durch die Staatsmacht. Demgegenüber bringt Demmer ethico-politische Ansätze in Stellung: Akteure nicht als ›Besitzer‹ von Rechten und Pflichten, sondern als Subjekte ethischer Selbst-Gestaltung (self-creation). Dies bringt eine Abkehr vorgegebener Identitäten mit sich, eine Betonung der Differenz, und fordert im Gegenzug dazu heraus, selbst Identität zu gestalten. In diesem Sinne betont der ethico-politische Ansatz nicht die gebündelte Macht eines Souveräns, sondern die Souveränität der Subjekte – und ihre Beziehungen.
204 Demmer, U. im Erscheinen. 205 Clifford, J. 2000: 96. 206 Ebda. 95. 207 Diese resoniert, ist aber nicht deckungsleich mit einer politisch-institutionellen und kulturell-ästhetischen Dimension von Nachhaltigkeit, sowie den in diesem Buch vorrangig verwendeten Begriffen Positionierung und Kultivierung.
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»As Foucault […] explicitly notes, ethical self-creation ›implies complex relationships with others […] Thus, the problem of relationships with others is present throughout the development of the care of the self.‹ Ethics is concerned not only with the ways subjects govern themselves, but also with an ethos: the manner of social behavior and action; it is, as Foucault notes, the freedom of the subject and its relationship to others which constitutes the very stuff [matière] of ethics.«208
Die ethico-politische Identität ist nicht mit einer angenommenen Essenz befasst, sondern mit der Transformation des Vorhandenen zum Gewünschten, der Hinwendung zum utopischen Horizont. Insbesondere Deleuze und Guattari haben diesen Ansatz auf Graswurzel-Netzwerke und Bewegungen angewandt. Ihr philosophischer Ansatz zeigt sich weniger interessiert an der Legitimation von und gegenüber Staatsgewalt als in den qualitativen Transformationen von Akteuren und deren Beziehungen. So stellen sie der hierarchischen ›Baum‹-Struktur der klassischen Politik das ›Rhizom‹ als Gedankenbild entgegen, mit seiner flachen und sich verzweigenden Verästelung.209 Transformation findet durch ›aktives Experimentieren‹ statt, beziehungsweise einen Such-, Lern-, und Entscheidungsprozess – nach Demmer eher Mikro- denn Makropolitik.210 Mara-Daria Cojocaru argumentiert auf dieser Linie, dass utopische Projekte mehr damit beschäftigt seien, eigene Modelle zu errichten, als ihre Ziele im bestehenden politischen System zu erreichen – der klassischen politischen Arena. Obgleich sie politisch wirksam sein wollen und können, geht sie ebenso wie Metcalf nicht davon aus, dass sie geeignet sind, wirkungsvolle politische Strategien zu entwickeln: »Eventually utopia, as a rule, dispenses with political and societal confrontations, since the declared goal is harmony—that is, the absence of precisely these threatening conflicts. Thus utopian projects frequently fail to suggest any good political strategy for realizing a collective identity, even when they may seem to offer convincing alternatives with respect to one’s private life.«211
208 Demmer, U. im Erscheinen. 209 Vgl. Castells der von einer vernetzt-dezentralen Struktur spricht. Castells, M. 1997: 362. 210 Ebda. 211 Cojocaru, M.-D. 2012: 50. »Nowhere within utopian ideology is there any strategy for dealing with critics«. Metcalf, B. 2004: 243.
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Der politisch-utopische Ansatz intentionaler Gemeinschaften versuche, die individuelle in eine harmonische Beziehung zur kollektiven Identität zu setzen – vorrangig in der eigenen Gemeinschaft. Ähnlich hatte bereits Willke in Bezug auf die Kommunebewegung argumentiert. Er hielt allerdings wie auch Dirlik die Möglichkeit offen, dass diese Strategie sich letztendlich als wirkungsvoll erweist.212 Willke zufolge würden intentionale Gemeinschaften wie Kommunen »einen Typus von Differenz zur Mehrheitsgesellschaft aufbauen, welcher diese in eigenartiger Weise destabilisieren könnte.«213 Dawson nutzt in Bezug auf Ökodörfer einen veranschaulichenden Vergleich: »Ecovillages can be likened to yoghurt culture: small, dense and rich concentrations of activity whose aim is to transform the nature of that which surrounds them.«214 Willke vermutete eine transformative Wirkung die vom Austreten zum Wieder-Eintreten führt und so die Gesellschaft beeinflusst – oder wie Julio Lambing für Projekte wie Sieben Linden formuliert: »Ökodörfer verstehen sich nicht als Aussteiger-Projekte, um jenseits der MainstreamGesellschaft eine eigenständige Welt aufzubauen, sondern als EinsteigerProjekte zur Umgestaltung der Industriegesellschaft.«215 Willke geht dabei davon aus, dass die intendierte Harmonie politisch gesehen gesellschaftlich im Sinne eines ›therapeutischen Katalysators‹ wirksam sein kann Als Erfolgsfaktoren gelten ihm dabei, wenn eine Kommune (beziehungsweise intentionale Gemeinschaften wie Ökodörfer) »ihre Alternativität selbstverständlich und gelassen praktiziert und damit die Machbarkeit von Veränderung belegt«, und diese »nicht offensiv gegen die Gesellschaft wendet und ihr damit den Ausweg der Abwehr verbaut.«216 Aktuell scheint sich niemand bedroht zu sehen – aber Großteile der Gesellschaft nehmen auch nicht in Sieben Linden auf der Couch Platz. Mein eigener Ansatz besteht darin, den Wandel der Ökodorf-Identität eingehend zu betrachten. Die Frage der Wirkweisen bleibt dabei zunächst offen.
212 »Escaping from society is not the best way of changing it. On the other hand, radical disassociation from society as it is may be inevitable as a first step before any meaningful reconstruction of society even appears on the horizon as a possibility.« Dirlik, A. 2001: 39; vgl. 36, 18 213 Willke, H. 1983: 161. 214 Dawson, J. 2006: 6; vgl. Meijering, L. 2006: 26. 215 Lambing, J. 2014: 10. 216 Willke, H. 1983: 164.
3. Eigener Ansatz […] bring the anthropologist’s own positioning into focus. VERED AMIT1
Was tun Ethnologen in einer sich wandelnden Welt? Mit Geertz ließe sich antworten: Sie schreiben – wie immer.2 Im Gegensatz zu Übersichten und Studien mit höherer Fallzahl trete ich in diesem Buch ›näher‹ an ein Projekt heran und begleite dieses. Aber eine Ethnographie bezeichnet nicht nur das Produkt des Schreibens sondern auch den Prozess des Forschens.3 Produkt und Prozess sind auf das Verständnis des kulturell Fremden, beziehungsweise einer fremden Ethnie gerichtet. Fremdheit ist relativ im Verhältnis zum Eigenen zu verstehen. Im folgenden Kapitel lege ich meinen spezifischen Zugang, von der Ausrichtung am Forschungsstand bis zum Feldzugang, der Feldforschung und den eigenen Konzepten dar. Um kulturell Fremdes zu verstehen, machen sich Ethnologen damit vertraut. Doch es geht nicht darum, die Fremdheit komplett aufzulösen. Denn wird das Fremde allzu vertraut, verliert der Ethnograph seine spezifische Perspektive. Insofern gilt es, sich das Vertraute immer wieder zu befremden, um es neu entdecken und erforschen zu können.4 Ethnologen begeben sich bewusst auf die Gratwanderung von Distanz und Nähe. Diese Dialektik drückt sich
1
Amit, V. 2000: 6.
2
Vgl. Geertz, C. 1990; Clifford, J. & Marcus, G. E. 1985: 267.
3
Sanjek, R. 2004: 193.
4
Ebda. 390f.
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oft auch geographisch durch das Verlassen von und dem Wiedereintreten in das Forschungsfeld aus. Clifford problematisiert beispielsweise Ethnographien insofern, als dass im Schreiben ihr räumlicher Entstehungsprozess oftmals zusammen mit ihren »sites and relations of translations«5 ausgeblendet oder minimiert werde. In der Analogie der Übersetzung wird durch eine Ethnographie Fremdes in Eigenes übersetzt.6 Viele Übersetzungsschritte sind dabei nötig, oftmals zeitlich und medial versetzt. So wird eine Szene in Sieben Linden zu meiner Erinnerung, die ich später kurz notiere, dann in einem Beobachtungsprotokoll ausführe, in die Dissertation und nun in dieses Buch überführe.7 Aber die ›Daten‹, an denen Ethnologen interessiert sind, lassen sich nicht ohne weiteres in das Hoheitsgebiet der Schrift überführen. Der lineare Textfluss sperrt sich gegen die Einbettung von Lebenswelten. Sprache ermöglicht auch nur einen Verweis auf Bedeutung, nicht deren Fixierung. Durch Definitionen und Kriterien lässt sich das eigene Bedeutungssystem vorläufig absichern, aber nicht grundsätzlich. Man bleibt auf literarische Mittel angewiesen, um Bedeutungen in Szene zu setzen. Der Ethnograph ist insofern auch ein Autor. So konstatiert der Ethnologe Frank Heidemann, dass Schreiben »selbstredend ein Ort der kulturellen Produktion ist und sich tiefer reflektieren lässt als die Interpretation eines Rituals.«8 Es gehört dabei zum heutigen ethnologischen Verständnis von Ethnographien (idealerweise auch die Kritik von Clifford berücksichtigend), dass man den Lesern weitgehende Transparenz über den Prozess zum Produkt verschafft.9 Gewissermaßen als Synthese von Übersetzer und Autor entwickelte Stuart Hall in Anlehnung an Salman Rushdie die Vorstellung einer Übersetzung als Brücke – wobei diese einen eigenen ›Ort‹ darstellt.10 Auch Stephan Wolff geht davon aus, dass sich zwischen Feld und Ethnograph ein gemeinsamer Raum bildet – ein »hybrides System«11 an den Randzonen von Ethnograph und Forschungsfeld. Clifford argumentiert ähnlich am Beispiel des ehemals in Melanesien forschenden Maurice Leenhardt: die Vertreter verschiedener
5
Clifford, J. 1992: 100; vgl. Geertz 1990: 127.
6
Vgl. Bachmann-Medick, D. 2010: 27.
7
Vgl. Lüders, C. 2007: 396.
8
Heidemann, F. 2011: 49.
9
Vgl. Geertz, C. 1990: 11f; Clifford, J. & Marcus, G. E. (Hg.) 1986.
10
Hall, S. 1994c: 184.
11
Wolff, S. 2007: 347.
3. E IGENER A NSATZ | 107
kultureller Kontexte hätten im Rahmen seiner Forschung quasi einen gemeinsamen Ort oder Raum eröffnetet; »some kind of interlocution concerning beliefs, a collaboration that builds on familarity, mutual interest, and trust. The collaboration must, to some degree, invent its own language«.12 Der Ethnograph trägt entscheidend zur Ko-Konstruktion dieses Raumes oder Ortes bei. Zumeist provoziert er eine Interaktion und eröffnet damit einen ethnographischen Zugang zum Verständnis des kulturell Fremden. Die gegenseitige Beteiligung an dieser Interaktion kann dabei auf ungleichen Machtverhältnissen beruhen, und diese gilt es auch zu beachten. Der Übersetzer beziehungsweise Autor, trägt die Verantwortung für das letzte Wort. Ich selbst habe im Laufe der vergangenen Jahre oft davon gesprochen, ein Ökodorf zu beforschen. Das vorliegende Buch als reines Produkt oder Übersetzung dieser Forschung zu verstehen, wäre ein Missverständnis. Eine Möglichkeit ist es, den Übergang vom Prozess zum Produkt als Transformation zu beschreiben – oder als Positionierung.13 Die Positionierung findet auch innerhalb der Forschungslandschaft statt, idealerweise aufbauend auf dem sogenannten Forschungsstand. Isaac Newton erklomm diesen einst sinnbildlich mit Hilfe seiner Vorgänger: »If I have seen further it is only by standing on the shoulder of giants.«14 Zum Bild der aufeinander aufbauenden Erkenntnis bemerkt die Historikerin Julia Herzberg treffend: »Selbst kleinwüchsige Epigonen können [auf diese Weise] mehr sehen als ihre großgewachsenen Vorgänger.«15 Beim Streben nach Erkenntnis muss die Hoffnung nur lauten, nicht jegliche Bodenhaftung zu verlieren. Die Fallhöhe im vorliegenden Forschungsfeld war bislang gering, hat aber in den letzten Jahren insbesondere durch die Arbeiten von Kunze, Lambing, Lockyer, Meijering und Wagner deutlich hinzugewonnen. Nach dem Boom von Ökodörfern in den 1990er-Jahren erschienen die ersten akademischen Arbeiten ab dem Jahr 2000.16 Die Forschung wurde bislang vor allem durch
12
Clifford, J. 1982: 141.
13
Lüders, C. 2007: 396.
14
Newton, I. 1676, in Westfall, R. 1996: 143. Angeblich bediente er sich der damals bereits bekannten Analogie zum Seitenhieb auf seinen kleineren Konkurrenten Robert Hooke.
15
Herzberg, J. 2013: 4.
16
Wagner, F. 2012b: 82.
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den wissenschaftlichen Nachwuchs vorangetrieben.17 Historische Tiefe beziehungsweise konzeptuelle Höhe wird unter anderem durch den Bezug auf die Forschung zu intentionalen Gemeinschaften gewonnen. 2012 veröffentlichte RIC mit dem Rachel Carson Center for Environment and Society zusammen den international ersten (inter- und transdisziplinären) Sammelband, Realizing Utopia, der sich allein Ökodörfern widmete. Das Werk beinhaltet ein Review zu den Forschungsarbeiten von 2000 bis 2011.18 Die Ökodorf-spezifische Forschung ist bis heute vor allem qualitativ geprägt. Beliebte Querschnittsthemen sind nach Wagner die Intention von Ökodörfern, deren Umsetzung und die Frage eines möglichen Transfers: »Von großer Relevanz sind Fragen nach dem Modellcharakter und der Übertragbarkeit von Ökodörfern auf andere gesellschaftliche Kontexte.«19 Quantitative Studien befassten sich bislang vor allem mit ökologischer Nachhaltigkeit.20 Als Maß für die ausgestoßene Menge an Treibhausgasemissionen diente dabei vorrangig der ›ökologische Fußabdruck‹. Nach Dawson ergaben Studien der Cornell University und des Massachusetts Institute of Technology jeweils einen um 40 Prozent niedrigeren Fußabdruck des Ecovillage at Ithaca im Vergleich zum US-nationalen Durchschnitt. Der Wert Findhorns lag gar bei 50 Prozent des Durchschnitt Großbritanniens.21 Ein weiteres Beispiel bietet die Studie eines transdisziplinären Forschungsclusters um KarlHeinz Simon von der Universität Kassel zu der Frage: »But what is the contribution of intentional communities to sustainability?«22 In der Studie von 2004 wurden die Emissionen von Treibhausgasen deutscher Gemeinschaften (Kommune Niederkaufungen, LebensGut Pommritz und Sieben Linden) gemessen und mit ökologisch orientierten Familien und dem Bundesdurchschnitt verglichen.23 Alle Gemeinschaften sowie die ökologisch orientierte Vergleichsfamilie lagen unter diesem Durchschnitt, das Ökodorf und die Kommune allen voran – Sieben Linden liegt gar bei weniger als einem Drittel
17
Seit Gründung 2008 erhielt RIC circa 80 studentische Anfragen zum Thema,
18
Wagner, F. 2012b: 82f; vgl. 2013: 60f.
19
Wagner, F. 2013: 68.
20
Vgl. Tinsley, S. & Gorge, H. 2006.
21
Dawson, J. 2007: 43; vgl. Tinsley, S. & Gorge, H. 2006.
22
Simon, K.-H. & Henning, H. 2003: 690.
23
Simon, K.-H. et al. 2004.
ähnliches berichtete Kunze vom IFS-Schwerpunkt Gemeinschaftsforschung.
3. E IGENER A NSATZ | 109
im Vergleich. Die größten Ersparnisse wurden dort im Bereich Wohnen erzielt, gefolgt von Ernährung. Insbesondere der Strohballen-Lehmbau und die weitgehende vegetarische und vegane Ernährung im Ökodorf wurden hervorgehoben. Demgegenüber unterscheidet sich der Bereich Mobilität nicht wesentlich von dem ökologisch orientierter Familien und wird gar unterboten von den beiden anderen intentionalen Gemeinschaften. Simon und Henning sehen zwei grundsätzliche »Experimentiervorteile«24 intentionaler Gemeinschaften: die Einstellungen ihrer Mitglieder und ihre Struktur.25 So würden Gemeinschaften mit expliziter Nachhaltigkeitsorientierung einerseits Menschen mit einer erhöhten Orientierung an Suffizienz im Sinne freiwillig verringerten Konsums anziehen.26 Darüber hinaus erlaube die gemeinsame Struktur durch Organisationsprinzipien und geteilte Ressourcen erhöhte Effizienz. »These benefits are partly a function of intentional design, partly a function of scale«27, schreibt Dawson. So ließen sich viele Funktionen aufgrund weitgehender Selbstversorgung und entsprechender Größe unter Vermeidung von Transport bereits lokal erfüllen. Simon et al. sehen in den Ergebnissen eine Bestärkung der These, dass gemeinschaftliches Leben zuträglich für Nachhaltigkeit sei. Allerdings bestehe auch in den Gemeinschaften weiterhin Handlungsbedarf – oder wie es aus der Eurotopia-Redaktion heißt: Von »wirklicher Nachhaltigkeit sind selbst Gemeinschaftsprojekte noch weit entfernt.«28 Von einer Pauschalisierung der Ergebnisse ist angesichts der konzeptuellen Weite und empirischen Diversität von intentionalen Gemeinschaften und Ökodörfern bislang generell abzusehen. Aus soziologischer Perspektive verfolgte Kunze einen Forschungsansatz, der sich auf den Zusammenhang zwischen Individuum und Struktur bezog. Sie fragte nach (möglichst) nachhaltigen sozialen Strukturen und arbeitete beispielhafte Praktiken und Prinzipien heraus. So verweist sie auf eine notwendige Balance zwischen Individuum und Kollektiv, flexibel-responsive
24
Vgl. Kunze, I. 2009: 57.
25
Simon, K.-H. & Herring, H. 2003: 690f.
26
Wenngleich der Zusammenhang zwischen der Entscheidung, in intentionaler Gemeinschaft zu leben und einem ökologisch verträglichen Lebensstil auch nicht zwingend sei. Ebda. 691.
27
Dawson, J. 2006: 43.
28
Dangelmeyer, P. 2004: 21.
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Organisationsprinzipien sowie sozialökologische Raumgestaltung und Siedlungsplanung. Als Praktiken erwähnt sie unter anderem Permakultur und das sogenannte Forum. Kunzes Ergebnisse legen nahe, dass weniger die Form der Strukturen von Bedeutung sei, »sondern dass sie lern- und entwicklungsfähig gehalten werden«29 (womit der Bogen zum transformativen ›Such-, Lern- und Entscheidungsprozess‹ geschlagen ist). Für die Interviews und ihre Feldbesuche wählte Kunze sieben Projekte, darunter Sieben Linden. Darüber hinaus führte sie Vorstudien in den großen intentionalen Gemeinschaften Auroville im indischen Tamil Nadu und im schottischen Findhorn durch. Im Nachklang der Voruntersuchung beschreibt sie bereits, dass die Form der sozialen Strukturen eine weit geringere Rolle gespielt habe als angenommen: »In Auroville und Findhorn wird weniger angestrebt, bestimmte Strukturen und Lebensformen umzusetzen, vielmehr werden sie als manifestierte Produkte im Kontext des jeweiligen Wissens-, Erkenntnis,- Forschungs- und Umsetzungsstandes der Intention und der jeweiligen inneren und äußeren Bedingungen begriffen.«30
Kunze folgert, dass der relevante Beitrag zur Nachhaltigkeit im Wesentlichen den Strukturen vorgängig sei und in den aufeinander bezogenen Prozessen von Kommunikation und Vergemeinschaftung bestehe. »Die bestehenden Strukturen sind nur momentaner Ausdruck, Instrument und Resonanzboden der Ziele.«31 Letztendlich seien diese flexibel. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit könne das sinnvolle Ziel eines sozialen Systems wie einer Gemeinschaft nicht sein, die einmal gefundenen Formen und Institutionen dauerhaft zu stabilisieren. Kunze verwendet vielmehr ein prozessuales Verständnis von sozialer Nachhaltigkeit, wie es auch der Agenda 21 zugrunde liegt, in der die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit eines sozialen Systems als entscheidend angesehen wird. Kunze spricht von einer »permanenten Organisation des Wandels«.32 Demgegenüber gelangt sie zu einem Verständnis einer (Ökodorf-)»Gemeinschaft als Lern- und Entwicklungsprozess sozialer Kompetenzen.«33
29
Kunze, I. 2009: 14f.; vgl. 162.
30
Ebda. 76.
31
Ebda.
32
Ebda. 22.
33
Ebda. 183.
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In Lockyers Forschung lautete die Selbsteinschätzung mancher Ökodorf-Bewohner, dass ihnen die eigene kulturelle Prägung die Umsetzung utopischer Ideale erschwere.34 Kunze wiederum präsentiert intentionale Gemeinschaften als geradezu ideale Lernfelder, da sich durch die individuellen Einflussmöglichkeiten erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten böten (solange demokratische Verhältnisse vorlägen). Der gemeinschaftliche Umgang mit überschaubaren Ressourcen sowie die »unmittelbare Erfahrung«35 von Ursache und Folge würden Verständnis und Verantwortungsübernahme fördern.36 Nach Kunze ›schulen‹ intentionale Gemeinschaften im besten Falle ein motiviertes und kommunikativ geübtes ›Personal‹.37 Kunzes Studie stellt unter anderem ein Plädoyer dafür dar, nicht die Stabilität der Form als bestimmendes Kriterium oder gar Vorbild für Nachhaltigkeit zu begreifen. Vielmehr vertritt sie wie Lockyer die These, dass der Erfolg intentionaler Gemeinschaften an ihrem Beitrag zu einer umfassenderen gesellschaftlichen Transformation zu messen sei (auch wenn sie auf den Begriff der Utopie verzichtet). Ihre Aufgabe erschöpfe sich nicht in dem Prozess der eigenen Formfindung – insofern gelte es, den Kontakt zu Problemlagen in der Gesellschaft zu halten, um dort konstruktiv wirken zu können. In seiner Forschung zu Ökodorf-Projekten betrachtete Wagner psychologische und soziale Aspekte des Versuches, eine ›Kultur der Nachhaltigkeit‹ zu etablieren. Darauf aufbauend hält er eine solche zwar nicht für »kausal herstellbar«38, aber durch Kontextfaktoren anregbar. Neben weiten Bereichen der Gestaltung einer solchen Kultur arbeitete Wagner, ähnlich wie Kunze, entsprechende Prinzipien heraus. Er gelangt zu der Ansicht, dass Ökodörfern »der Spagat zwischen den Anforderungen von Nachhaltigkeit und dem Bedürfnis nach Lebensqualität zu gelingen« scheint. »Gerade darin könnte eine besondere Modellwirkung von Ökodörfern bestehen, in der Botschaft, dass Nachhaltigkeit nicht nur Verzicht bedeuten muss, sondern auch einen individuellen Zugewinn darstellen kann.«39
34
Lockyer, J. P. 2007: 396
35
Kunze, I. 2009: 162f.
36
Ebda. 31; vgl. Simon, K.-H. & Herring, H. 2003: 692.
37
Kunze, I. 2009: 155.
38
Wagner, F. 2013: 229; vgl. 214.
39
Ebda. 228.
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Es ist insgesamt fraglich ob sich das Bild der aufeinander aufbauenden Erkenntnis auf die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften übertragen lässt, ist hier doch selten von einer unmittelbaren Addition von Erkenntnissen auszugehen. Die Vorgänger zeichnen sich durch die Vielfalt ihrer Wege und Perspektiven aus – aber im Interesse sind sie sich oftmals ähnlich. So kehrt Wagner in seinem Abschlusskommentar zurück zu der Frage, »inwiefern die Erfahrungen und Effekte, die im Rahmen der Ökodörfer gemacht wurden und werden, auf weitere gesellschaftliche Kontexte übertragbar sind. Dabei kann vermutlich ein Ökodorf niemals als völlig repräsentativ für die gesellschaftliche Gesamtpopulation angesehen werden. Aber durch ein vertieftes Verständnis der Kontextfaktoren, deren Wirkungszusammenhänge untereinander sowie der Transaktion mit den daran beteiligten Personen, kann Transformations- und damit Transferwissen gewonnen werden.«40
Letztlich scheint Newtons Betonung der Übersicht von oben ungeeignet, um das Leben am Boden zu verstehen – und auch der Blick in die Ferne führt hierbei nur bedingt weiter. Doch woher und wohin soll sich die Perspektive ausrichten? Es wird zunehmend offensichtlich, dass die Forschungslandschaft stets mit der eigenen Positionierung zu tun hat.
3.1 Z UGANG Sieben Linden besuchte ich insgesamt 15-mal. Meine Reise begann zumeist in München, führte auf ICE-Trassen über Poppauer Kopfsteinpflaster und endete auf dem Schotterweg zum Ökodorf. Doch während der geographische Raum noch vergleichsweise einfach zu betreten ist, verhält es sich anders mit dem sozialen. Dieser Raum bedarf eines spezifischen Zugangs. Wege ins Feld41 sind klassische ethnographische Erzählungen mit teils vergleichbaren Verläufen. In meiner Darstellung nehme ich Bezug auf solch eine Abstraktion, wie sie Wolff entwirft. Ein Feldzugang sagt ihm zufolge bereits viel
40
Wagner, F. 2013: 229.
41
Wolff, S. 2007: 334. Wege ins Feld und ihre Varianten.
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über das Feld als auch über den Zugang Suchenden aus; in jedem Falle werden durch den Prozess ethnographische Realitäten geschaffen.42 Die Bewertung des Feldzugangs ändert sich nach Wolff über die Zeit: Wird dieser zunächst als Problem des Forschers verstanden, folgt darauf meist ein Neuverständnis als »Beziehungsproblematik«43. Informanten und gatekeepern werden in diesem Prozess tragende Rollen zugeschrieben. Dabei ist jedes Forschungsfeld auch stets eine Konstruktion des Forschenden – welches noch dazu zu Beginn mit nur geringer Kenntnis konstruiert wird. Insofern gelte es nach Wolff zu bedenken, »dass man als Forscher in gewisser Weise Zugang zu seiner eigenen Fiktion sucht.«44 Wie im Prolog dargelegt, war es meine Fiktion eines Ökodorfes im Jahre 2001 im indischen Chandigarh gewesen, die mich zur Forschung gebracht hatte. Fünf Jahre später stattete ich im Herbst 2006 Findhorn einen Besuch ab. Hier wurde ich auf Dawsons Buch aufmerksam: Ecovillages. New frontiers for sustainability.45 Zusammen mit dem in Sieben Linden produzierten Eurotopia-Verzeichnis von Gemeinschaften und Ökodörfern bot es die Grundlage für meine Erstrecherche. Mein Ziel war es damals, eines oder mehrere Ökodörfer für meine Forschung zu gewinnen. Ich interessierte mich für sie zunächst als konstruktive Modelle in Zeiten des Klimawandels – ohne bislang mehr zu wissen. Zunächst begrenzte ich das Forschungsfeld auf stabile, relativ große Ökodörfer, die sich öffentlich wahrnehmbar für sozialökologische Nachhaltigkeit einsetzten. Eine wie auch immer geartete ökonomische Dimension spielte in meinem Denken zunächst keine Rolle. Folgende Kriterien legte ich an: • • • • • •
Selbstdefinition als Ökodorf, mindestens fünf Jahre alt (pauschal), mindestens 50 Bewohner umfassend (pauschal), demokratische Entscheidungsstrukturen, ein erklärtes Primat der sozial-ökologischen Dimension, öffentliches Auftreten (sichtbare Beteiligung in Netzwerken wie GEN).
42
Vgl. Lüders, C. 2007: 392.
43
Wolff, S. 2007: 337.
44
Wolff bezieht sich dabei auf Geertz; ebda. 338.
45
Dawson, J. 2006.
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Es war deutlich geworden, dass Ökodörfer in der Wissenschaft bislang weitgehend unbekannt waren. Insofern räumte ich deutschen und deutschsprachigen Projekten Vorrang ein, um die Forschung nicht zusätzlich durch sprachliche und kulturelle Hürden zu erschweren. Auch wenn mir der Begriff der Positionierung noch nicht vorlag, interessierte mich der potentielle Beitrag eines Ökodorfes zur gesellschaftlichen Transformation.46 In diesem Sinne vermied ich Ökodörfer mit starker religiös-spiritueller Prägung (beispielsweise Findhorn), da mir diese hierbei zu spezifisch ausgerichtet waren. Im Sommer 2007 rief ich das deutsche Büro von GEN Europe im Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG) an. Meine Annahme war, dass die Dachorganisation mir bei der Auswahl und Ansprache von geeigneten Ökodörfern helfen würde. Ja, ich ging sogar davon aus, dass meine Forschung hier Unterstützung finden würde. Doch die damalige GENSekretärin beschrieb die Organisation als klein, überfordert und momentan zu keiner Zusammenarbeit bereit. Solchermaßen ernüchtert brach ich kurzentschlossen zu einer Reise zu deutschen Ökodörfern auf. Drei Projekte hatten meine Kriterien erfüllt. Doch mein Anruf beim Lebensgarten Steyerberg ergab, dass man dort gerade auch nicht so genau wisse, ob man ein Ökodorf sei. Beim ZEGG meldete ich mich für eine offene Führung an. Sieben Linden erreichte ich zunächst nicht und machte mich dennoch auf den Weg. Abbildung 9: Steinspirale am Dorfeingang.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2008).
46
Marcus, G. E. & Fischer, M. J. 1986.
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Am Eingang des Ökodorfes fand sich die bereits im Prolog erwähnte Doppelspirale im Schotterweg. Sie soll die nach außen und innen fließenden Energien kanalisieren – inklusive der Gäste. Die Steinspirale ist mittlerweile nicht mehr gut sichtbar, und als ich anreiste, überfuhr ich sie wohl schlicht. Ich betrat Sieben Linden dennoch zurückhaltend, denn wegen meiner klimaunfreundlichen Anreise mit dem Auto machte ich mir Sorgen. Aber ich verblieb uneingedenk der Warnung: »Es ist uns sehr wichtig, dass ihr uns nur nach Anmeldung besucht!«47 Der erste Bewohner der mir begegnete, nahm sich meiner noch freundlich an und geleitet mich zum Abendessen. Doch davor traf ich die eigentlich Zuständige. Mit Kind auf dem Arm und mürrischer Miene teilte sie mir mit, dass sie »jetzt überhaupt keinen Bock«48 habe, mir entgegen zu kommen. Wie ich später erfuhr, ist das Planungs- und Abrechnungssystem für Essensgäste relativ kompliziert. Wolff gemahnt an die Zumutungen, die unwissende Forscher im Feld auslösen können. Wie Josten darlegt: »Wenn der Forscher zunächst nicht mit den Normen und Werten der untersuchten Gesellschaft vertraut ist, dann ist das nicht nur für ihn ein Problem.«49 Nichtsdestotrotz kam ich mir selten so unwillkommen in meinem Leben vor – und reiste am gleichen Abend wieder ab. Am Tag darauf empfing man mich freundlicher im ZEGG. Hier hatte ich mich erfolgreich angemeldet. Im Anschluss an die Führung über das Gelände wurde mir empfohlen, zur sogenannten Gemeinschaftswerkstatt wieder zu kommen, dort träfe ›die Szene‹ jährlich zusammen. Dort angekommen begegnete ich zunächst anderen Wissenschaftlern, wie der Politikwissenschaftlerin Karen Litfin, der Geographin und Soziologin Kunze und dem Soziologen Grundmann vom IFS in Münster. Aber ich lernte auch den Psychologen Wagner aus Freiburg kennen, mit dem ich später das Forschungsnetzwerk RIC gründen würde. In der Gemeinschaftswerkstatt war für mich der Beitrag von Steffen Andreae aus der Kommune Niederkaufungen und dem Kommuja-Netzwerk besonders interessant. Er erinnerte »nach all der Harmonie« der Gemeinschaftswerkstatt an den »alten Graben zwischen spiritueller Gemeinschaft und politischer Gemeinschaft«50, der sich durch die Szene ziehe. Es sei eine Besonderheit, dass er überhaupt einen Fuß in das ZEGG gesetzt
47
Freundeskreis Ökodorf 2011g.
48
Anonymisiert, in Andreas, M. 2007 [PK, Sieben Linden, 05.08.2007].
49
Josten, S. 1991: 4.
50
Andreae, S., in Andreas, M. 2007 [BP, 11.09.2007]: 3.
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habe. Auch die Anwesenden aus Sieben Linden wurden von Andreae den spirituellen Gemeinschaften zugeordnet. Diese waren von dieser Unterscheidung teils so überrascht wie ich. So schreibt der Bewohner Michael Würfel: »Und dann erfahre ich eines Tages von diesem Netzwerk politischer Kommunen. Und erfahre, dass es Gemeinschaften gibt (dort vor allem Kommunen genannt), die sich für politisch halten und andere Gemeinschaften nicht, unter anderem nämlich das Ökodorf Sieben Linden. Warum sind wir nicht politisch? Weil wir im Geist von Kommuja der anderen Fraktion angehören, den spirituellen Gemeinschaften.«51
Trotz umfangreicher ökologischer Bemühungen (insbesondere von Achim Ecker52) schien das ZEGG dem ökologischen Bereich keinen Vorrang einzuräumen. Insofern fokussierte sich mein Interesse auf Sieben Linden, gleichwohl ich noch keinen Zugang gefunden hatte. Über die Gemeinschaftswerkstatt begann ich zumindest in Gespräch mit Bewohnern Sieben Lindens, wie dem Soziologen Halbach. Sie vermittelten mich an den Geschäftsführer der Siedlungsgenossenschaft, Christoph Strünke, der bis heute im Ökodorf anfragende Forscher wie mich betreut. Er ermutigte mich zu meinem Forschungsvorhaben. Daher bat ich Strünke zu klären, ob eine Zusammenarbeit mit Sieben Linden möglich sei. Intern reagierte man zurückhaltend. Die an mich übermittelten Reaktionen reichten vom Wunsch, kein »Affe im Zoo«53 zu werden, bis zur generellen Ablehnung von Interviews als Methode. Meine Teilnahme an den Intensivzeiten Sieben Lindens wurde ebenfalls kritisch gesehen.54 So wollte jemand wissen »was genau die Forschungsfrage ist UND ob diese Forschungsfrage auch für uns von INTERESSE ist.«55 Meinen theoretischen und methodischen Ansatz sollte ich mit meinen »Ansichten zu sozialen und ökologischen Themen«56 darlegen. In der Summe ergab dies keine Absage, aber auch keine Zusage.
51
Würfel, M. 2012a: 103.
52
Ecker, A. [KA]. Nachhaltigkeit und Ökologie im ZEGG.
53
Strünke, C. 2007 [PK, E-Mail, 01.01.2008].
54
In Intensivzeiten gehen die Bewohner Sieben Lindens jährlich in Klausur und
55
Strünke, C. 2007 [PK, E-Mail, 01.01.2008].
56
Ebda.
besprechen, meist von externen Supervisoren begleitet, definierte Themen.
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»Für die Beantwortung der Frage, ob man (sich auf) den Fremden ›ein-lassen‹ sollte, ist es aber entscheidend, ob und wie seine Person und sein Anliegen als ›anschlussfähig‹ identifiziert oder ›anschlussfähig‹ gemacht werden kann. Im Zugangsprozess kommt es daher nicht nur zum Versuch einer kognitiven und sozialen Verortung von Forscher und Anliegen, sondern im gleichen Atemzug zur Erfahrung, Dramatisierung und Etablierung der Grenze«57.
Strünke wies mich darauf hin, dass unlängst ein Regisseur in Sieben Linden gewesen sei. Mit dem Prozess und dem Produkt seien die Bewohner unzufrieden gewesen, sie würden sich unangemessen repräsentiert wahrnehmen. Wolff weist auf »sensitive Phasen« nach kritischen Ereignissen hin.58 Aus einem langen Interview mit einem Paar hätte der Regisseur bevorzugt kritische Passagen zu ihren Ansichten zur Kindererziehung in Szene gesetzt. Dadurch würde sich ein unausgewogener Eindruck des Ökodorfes ergeben, wie Strünke die Sorge zusammenfasste. Deren Auswirkungen bekäme ich noch zu spüren. Es könne also sein, »dass Du Deine Doktorarbeit nicht über uns schreiben kannst, beziehungsweise an unserer Intensivzeit nicht teilnehmen wirst. Das hat dann mehr mit uns zu tun als mit Dir.«59 Nun ist Transparenz ebenso wie die Zustimmung der Untersuchten eine Grundlage ethnologischer Feldforschung.60 Eine letztendliche Forschungsfrage hatte ich noch nicht vorzuweisen, meinen theoretischen und methodischen Zwischenstand gab ich zum Besten.61 Ich beschrieb außerdem, dass mich vor dem Hintergrund der ökologisch-gesellschaftlichen Krise die Frage nach einem verträglichen und sinnvollen Leben in dieser Welt beschäftige. In Ökodörfern scheine mir (in schönster Ganzheitlichkeit) »alles zusammenzukommen«.62 Nach einigen E-Mails zeigte sich, dass ich an der nächsten Intensivzeit nicht teilnehmen würde, nach Strünke sei jemand »klar gegen eine Teilnahme von ›Fremden‹ bei ›persönlichen Themen‹ […] Und wenn
57
Wolff, S. 2007: 340.
58
Ebda. 342.
59
Strünke, C. 2007 [PK, E-Mail, 01.01.2008].
60
Vgl. Elixhauser, S. 2006: 26.
61
So stellte ich damals Fragen der Konstruiertheit von Kultur in Sieben Linden, beispielsweise »welches Kulturgut wird gesucht, geborgen und aktualisiert?« Andreas, M. 2008 [PK, E-Mail, 02.01.2008].
62
Ebda.
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bei solchen Situationen einer ein ›Nein‹ hat, dann gilt das.«63 Aufgrund des ernüchternden Verlaufs entschloss ich mich in Absprache mit meinen Kollegen und meinem Betreuer am Institut für Ethnologie für ein anderes Vorgehen. Ich ruderte gewissermaßen zurück und versuchte zunächst ein Kennenlernen in entspannter Atmosphäre zu möglichen und Transparenz über mein Vorhaben herzustellen. Mit Strünke entwarf ich einen offenen Aushang: »Marcus vom Ethnologie-Institut der Münchner Universität möchte gerne eine Doktorarbeit über Ökodörfer beziehungsweise speziell das Ökodorf 7 Linden anfertigen. […] Wir möchten Euch zu einer Gesprächsrunde einladen, um sich gegenseitig kennen zu lernen und die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten und abzuwägen.«
Durch den Fokus auf den persönlichen Charakter als auch der akademischen Institution im Hintergrund hoffte ich, mein Forschungsprojekt angemessen zu positionieren.64 Bei meinem Besuch in Sieben Linden begegnete ich dann acht Bewohnern, unter ihnen Strünke und meiner schroffen Bekanntschaft vom Sommer (wir sind heutzutage befreundet). Vertrauen wurde mir meines Erachtens dann entgegen gebracht, als ich von langanhaltender Feldforschung sprach. Damals ging ich von acht Monaten aus. Den Anwesenden galt es als positiv, dass ich mir Zeit nehmen wollte, mich einzulassen. Eine Teilnehmerin riet mir, in Zukunft weniger scheu vorzugehen. Angesichts des nicht einfachen Zugangs, entbehrte dies für mich nicht einer gewissen Ironie (Dennoch habe ich versucht, mich seitdem an ihren Rat zu halten). Zuletzt ermunterten mich die Anwesenden, mein Projekt der nächsten Vollversammlung (VV) vorzulegen. Solchermaßen motiviert sah ich in München den Kinofilm Menschen, Träume, Taten65, der mir in seinem Nachklang solche Schwierigkeiten mitbereitet hatte. Anwesend war auch Silke Hagmeier, frühe Siedlerin Sieben Lindens und Hauptprotagonistin im Film. Bei der anschließenden Diskussion beschrieb sie Ökodörfer als Kulturmodelle, in denen man verschiedener Meinung sein und sich trotzdem gut verstehen könne – oder als Katalysatoren für persönliche Entwicklung, weil man sich in ihnen
63
Strünke, C. 2007 [PK, E-Mail, 07.01.2008].
64
Vgl. Wolff, S. 2007: 345.
65
Stiglmayr Film 2008. Deutschland / 88 min. Nach den meist positiven Reaktionen auf den prämierten Film haben sich im Ökodorf die Reaktionen gemildert.
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schlecht auf gemütliche Positionen zurückziehen könne. Gemütlich war es auch in meinem Fall nicht gewesen. Aber ich war glücklich, als im April 2008 die Vollversammlung Sieben Lindens mit nur einer Enthaltung meinen Forschungsantrag annahm. Roger Sanjek beschreibt die frühe explorative Phase einer Ethnographie wie folgt: »The early period is wide, open, and nearly all-encompassing.«66 In diesem Sinne wollte ich zunächst einen Überblick gewinnen, eine Fragestellung generieren und viel versprechende Forschungsansätze ausmachen.67 Darüber hinaus galt es, eine Haltung gegenüber den Bewohnern zu entwickeln. Während ich nach Wegen suchte, das Ökodorf behutsam zu explorieren, wurde auch ich exploriert. So freundete ich mich mit dem Bewohner Würfel an. Er kannte Sieben Linden seit 2001, hatte damals einen (beliebten) Film über das Ökodorf gedreht, war 2007 hinzugezogen und befand sich nun in der Probezeit. Wie es für ethnographische ›Schlüsselinformanten‹ relativ typisch ist, bekleidete er damit damals auch eine unsichere Position im Feld, wenn auch eine andere als ich. Die Rolle solcher marginal men als Informanten wurde in der Ethnologie mehrfach diskutiert, im besten Falle wird ihnen »besondere Sensibilität und Beobachterkompetenz«68 attestiert. Während Würfel seine Einschätzung Sieben Lindens mit mir teilte, kam ich wiederum seinem Interesse an der Ethnologie nach. Insbesondere das Konzept des going native hatte es ihm angetan. Ich erklärte dies als eine für den Forschungsprozess problematische Entwicklung, deren Endpunkt das völlige Aufgehen des Forschers im Forschungsfeld bedeuten würde – der Moment in dem die Fremdheit sich auflöst; Subjekt und Objekt der Forschung fallen zusammen und in Konsequenz auch das ganze konstruierte Forschungsfeld.69 Unbeeindruckt davon schlug Würfel vor, einen Film zu
66
Sanjek, R. 2004: 196.
67
»While significant theories bring ethnographers to particular locations, actors
68
Wolff, S. 2007: 337.
69
»Teilnehmende Beobachtung bedeutet jedoch nicht die unreflektierte oder
and activities, once they arrive they begin to listen as well as watch.« Ebda.
möglichst vollständige Übernahme von Verhaltensformen und Wertvorstellungen der Gastgesellschaft. Ein solcher Prozess, auch als going native bezeichnet, würde der notwendigen Distanz bei der wissenschaftlichen Reflexion entgegenwirken.« Heidemann, F. 2011: 33.
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drehen über mein von ihm erwartetes going native. Er wollte mir also medienwirksam dabei zusehen, wie ich seiner Ansicht nach zunehmend zum ›Öko‹ werden würde. Obgleich mein Doktorvater zustimmte, kam das Projekt nicht zustande. Dennoch bietet die Episode eine Erinnerung an die dialogische Dynamik von Ethnographie, in der es zu Explorationen beiderseits und der Eröffnung gemeinsamer Räume kommt. Kunze führte im Mai 2008 eine Gruppe von Soziologiestudenten für eine Woche nach Sieben Linden. Meine lose Teilnahme an diesem Seminar verdeutlichte mir ein mögliches Verhältnis zwischen Wissenschaft und Ökodorf. Die Studenten wurden von Kunze angehalten, ad-hoc-Fragestellungen zu bilden und mit Interviews, Fragebögen oder teilnehmender Beobachtung zu beantworten. Zusammen mit einem Teilnehmer aus dem Grundstudium besuchte ich Bewohner, die sich für die Befragung zur Verfügung gestellt hatten. Der Student bezeichnete sie dabei als ›Avantgarde‹ – einen Begriff, den er später auch in seiner Seminararbeit verwendete, was zu Unmut führte. So äußerte sich eine der Interviewten im Rückblick: »Mit diesem Begriff steh ich ja auf Kriegsfuß«.70 Außerdem kritisierte sie, dass die Studenten Angaben falsch aufgeführt hätten und manche Forschungsfrage gar völlig abwegig gewesen sei – wie jene nach der Kontaktdichte zum Nachbarort: »Es gibt nichts in Poppau außer Wohnhäuser […] und so weiter und Feuerwehr. Das war’s aber. Insofern war der Untersuchungsansatz schon völlig Panne.«71 Meines Erachtens haben die Studenten in dieser Episode legitime Forschungsfragen und -thesen an das Feld herangetragen (wenn auch schnell gebildet und im Einzelfall starr vertreten). Aber der Begriff der Avantgarde lässt sich beispielsweise relativ einfach aus Theorie und Empirie ableiten:72 Intentionale Gemeinschaften wie Ökodörfer werden als Versuch verstanden, eine aus ihrer Sicht bessere Alternative zur Gesellschaft zu bilden. Sieben Linden beschrieb sich zu dieser Zeit als Modellprojekt, was einen Vorreiteranspruch nahelegt. Von dort ist es nicht mehr weit zur Avantgarde. Überrascht war ich aber von den vergleichsweise heftigen Reaktionen auf solch ein studentisches Forschungsprojekt.
70
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]b: 6.
71
Ebda.
72
»Sozialökologische Gemeinschaften verstehen sich als Avantgarden für ein gutes und gerechtes und auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Leben.« Lambing, J. 2014: 89; vgl. Meijering, L. 2006: 13.
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Die in der Einleitung vorgestellte Episode der GEN GA 2008 stellte den Höhepunkt meiner Explorationsphase und den Anlass für meine Fragestellung dar. Auslöser war der scheidende GEN Europe-Präsident Dawson gewesen, der öffentlich und explizit davon abriet, weitere klassische Ökodörfer zu gründen. Im Nachklang begann ich zu fragen, wie sich Sieben Linden als eines dieser Ökodörfer nun positionieren würde.
3.2 V ORGEHEN Malinowski setzte früh den Standard ethnologischer Feldforschung. Er empfahl anhand seines eigenen Beispiels eine langanhaltende und stationäre Begleitung einer Ethnie. Sein Vorgehen mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass er im ersten Weltkrieg auf den Trobriand-Inseln als damaliger österreichischer Staatsbürger unter großzügigem englischem Arrest stand. Er hatte Zeit, etwas zu bleiben. Sein Vorgehen resonierte allerdings auch mit einem Verständnis von Kultur als kontinuierlichem Phänomen in trauter Einheit von Gemeinschaft und Lokalität. Nach Malinowski galt es, ein möglichst holistisches Verständnis derselben zu gewinnen. Dabei betrachtete er einzelne Elemente unter der Perspektive der angenommenen ganzen Kultur und diese wiederum im Lichte ihrer angenommen Teile (der sogenannte Funktionalismus, in dem jedem ›Teil‹ seine Funktion in der Gesamtheit zukommt).73 Ungeachtet diesem nicht mehr verfolgtem Theoriestrang überzeugte Malinowskis Methode der teilnehmenden Beobachtung im Rahmen einer Feldforschung von etwa einem Jahr (um den gesamten Jahreszyklus zu erleben). Theoretisch überwiegt heute allerdings die Kritik an der Annahme der Ganzheit(lichkeit) einer Kultur. Geertz erinnert daran, dass die Forschungen von Malinowski und seiner Nachfolger oft auf Inseln oder in Reservaten durchgeführt wurden, »wo kulturelle Brüche und Grenzen leichter zu unterscheiden waren und wo die Auffassung, dass sich die Teile zu einem Ganzen fügen, plausibler schien.«74 Aber die postmoderne Ethnologie kann sich nicht mehr auf der liebgewonnenen Annahme ausruhen: »Culture sits in places«.75
73
Heidemann, F. 2011: 80f; vgl. Barnard, A. 2004: 66f.
74
Geertz, C. 1995: 72.
75
Escobar, A. 2001.
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Zumindest gilt das Verhältnis von Kultur und Ort nicht mehr als so uneindeutig wie einst angenommen. Nach Boris Nieswand habe die (lokalistische) Methode der Feldforschung selbst dazu beigetragen, ein weitgehend stationäres Bild von Kultur zu zeichnen. Aber der methodische Ansatz war für den Ethnologen gut zu handhaben. Clifford erklärt dies am Beispiel eines Dorfes: »›Villages,‹ inhabited by ›natives,‹ are bounded sites particularly suitable for intensive visiting by anthropologists. […] The village was a manageable unit. It offered a way to centralize a research practice, and at the same time it served as a synecdoche, as point of focus, or part, through which one could represent the ›cultural‹ whole.«76
Demgegenüber erweist sich Kultur als erstaunlich mobil.77 Selbst wenn Malinowski mit dem kula-Ring einen regen Austausch zwischen Inseln untersuchte, verblieb er tendenziell bei der Idee ganzheitlicher Einheiten. Theoretiker wie Ulf Hannerz oder Appadurai treten diesem »KeksausstecherKulturkonzept«78 mit Vorstellungen von »Kulturverflüssigung«79 entgegen: Sie beschwören cultural flows, die innerhalb von frames und scapes fließen.80 Die postmoderne Welt zerfällt mit Geertz gesprochen in Stücke, aber der Strom der Kultur fließt weiter.81 Geertz verwies auf Marshall McLuhans Bild des globalen Dorfes: »Ein armes Dorf, da es weder Solidarität noch Tradition kennt, weder Mittelpunkt noch Grenze hat und es ihm an jeglicher Ganzheit mangelt.«82 Zugleich mag dieses Dorf das einzige sein, welches in der Postmoderne noch erforscht wird. Clifford notiert: »Anthropologists, as Geertz has written, don’t study villages, they study in villages. And increasingly, I might add, they don’t study in villages either, but rather in hospitals, labs, urban neighborhoods, tourist hotels, the Getty Center.«83
76
Clifford, J. 1992: 98.
77
Nieswand, B. 2008:76; vgl. 2006.
78
Geertz, C. 1995: 76.
79
Kreff, F: 2003: 87.
80
Appadurai, A. 1995: 37.
81
Geertz, C. 1995. Welt in Stücken.
82
Ebda. 70.
83
Clifford, J. 1992: 98.
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Mit Sieben Linden scheint zunächst ein Rückgriff auf die Zeiten Malinowskis möglich: der Fall des bewussten Versuchs, eine Gemeinschaft und Kultur an eine Lokalität zu binden. Ganzheitliche Lebensweisen stehen ganz oben auf der Tagesordnung und »Das Leben findet wieder im Dorf statt«, wie bis 2012 der ökodörfliche Sinnspruch lautete. Aber Clifford erinnerte bereits daran, dass jeder Fokus auch exkludiert. Die versuchte Ganzheit wird über Begrenzung hergestellt. In Sieben Linden wird diese Trennlinie zwischen innen und außen gerne und häufig gezogen, symbolisch beispielswiese über die Steinspirale. Exemplarisch ist ›Außenarbeit‹ ein beliebtes Thema. Momentan sind etwa zehn Bewohner in einem Jugendclub, dem Krankenhaus oder der Schule tätig. Sie werden dann eingeladen, in Rundbrief-Beiträgen darüber zu reflektieren, wie es ist, ›draußen‹84 zu arbeiten. Die Zugehörigkeit zu Sieben Linden ist an die Lokalität gebunden. Der Status eines vollwertigen Bewohners verlangt nicht nur der Prozesse der Annäherung, Probezeit und Aufnahme als Siedlungsgenosse – auch der Wohnort muss vor Ort sein. So zog eine engagierte Bewohnerin auf Wunsch ihrer Tochter in die etwa 20 Kilometer entfernte Stadt Salzwedel. Daraufhin wurde ihr entgegen ihrem Willen vom Küchenteam der Status einer ›Grenzgängerin‹ verliehen.85 Wie das GEN GA 2008 verdeutlichte, ist das Ökodorf keinesfalls isoliert, sondern eingebunden in überregionale Strömungen, flows und scapes. Sieben Linden weist 5.000 bis 6.000 Besuchertage pro Jahr auf. Eines der beiden GEN Europe-Zwillingsbüros ist im Ökodorf angesiedelt und die 2008 gewählte Präsidentin Joubert lebte hier, bis sie nach Findhorn übersiedelte. Eurotopia wird von Sieben Linden aus produziert und aktuelle sowie ehemalige Bewohner unterhalten eine Rubrik in der Oya als einer der Hauszeitungen der alternativen Gemeinschaftsszene. Die öffentlichen Medienanstalten berichten86 und viele private wollen, werden aber abgewiesen. Sieben Linden ist auf seine Art ein globales Dorf. Wo genau ist hier das Forschungsfeld aufzuspannen? »Some strategy of localization is inevitable if significantly different ways of life are to be represented.«87 Ein Forschungsfeld ist allerdings nicht nur ein konkreter Ort, sondern auch ein methodologisches Ideal.88
84
Britsch, H. 2005: 25; vgl. Würfel, M. 2012a: 55.
85
Bis 2012 galt als eine Ausnahme der Poppauer Hof, der zum Ökodorf gehörte.
86
Beispielsweise ARD 2008; ZDF 2011.
87
Clifford, J. 1992: 97.
88
Ebda. 99.
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Nieswand bemerkt, »dass die Komplexität der Welt eine Pluralität von Vorgehensweisen und Perspektiven nicht nur faktisch erzeugt, sondern wohl sogar methodologisch und epistemologisch erfordert.«89 Um die Ethnologie an die postmodernen, globalen Gegebenheiten anzupassen, entwarf George Marcus das Konzept einer multi-sited ethnography; »to examine the circulation of cultural meanings, objects, and identities«.90 Seine tracking-Strategien sehen vor, Menschen, Objekten, Metaphern, Handlungsverläufen, Geschichten oder Konflikten zu folgen. Ziel könne es dabei nach Marcus nicht sein, durch dem Folgen einzelner Fäden das Webwerk einer komplexen Welt zu erfassen. Er verneint Malinowskis Anspruch der Ganzheitlichkeit, insofern diese als in sich geschlossene Vollständigkeit (miss-)verstanden werde. Doch seien die Fäden multipler sites dennoch Bestandteil des Musters einer (globalen) Ganzheit. Insofern ermöglicht die geschickte Positionierung an ausgewählten Knoten Marcus zufolge sinnvolle Perspektiven: »Multi-sited research is designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of the ethnography.«91
Im Gegensatz zu Malinowski und meiner ursprünglichen Annahme habe ich keine kontinuierliche Feldforschung über einen langen Zeitraum hinweg betrieben (Das Leben im Besucherstatus ist übrigens teuer in Sieben Linden). Stattdessen liegen dieser Arbeit 15 bis zu einen Monat lange Feldbesuche im Ökodorf zugrunde und fünf weitere zu weiteren Projekten, mit denen die Bewohner in Verbindung stehen. 2010 hielt ich mich für einen Monat im Los Angeles Ecovillage auf, dessen Erwähnung auf der GEN GA 2008 zur Entwicklung meiner Fragestellung mit beigetragen hatte. Dazu kam der Besuch von Netzwerkveranstaltungen wie die Gemeinschaftswerkstätten 2008 im ZEGG und 2009 im Lebensgarten Steyerberg, sowie die GEN GA 2009 im finnischen Keuruun Ekokylä und 2010 im italienischen Damanhur.
89
Nieswand, B. 2008: 93.
90
Marcus, G. E. 1995: 96; vgl. Marcus, G. E. & Fischer, M. M. J. 1986.
91
Ebda. 105; vgl. Weißköppel, C. 2005.
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Multi-sitedness sollte allerdings nicht mit geographischen Ortswechsel gleichgesetzt werden: vielmehr ist eine site als der metaphorische Ort zu verstehen, in dem die Fragestellung untersucht wird. Und so kann diese auf einem Treffen in Finnland ebenso entstehen wie im Seminarraum Sieben Lindens. Über die diversen Besuche hielt ich mir die Kontraste zu Sieben Linden gegenwärtig und konnte meine Perspektive immer wieder befremden. Dennoch ging ich vom Ökodorf in der Altmark stets als meine primäre strategic site aus. Die (ortsunabhängige) Auswertung von Dokumenten war ebenfalls ein Bestandteil des Forschungsprozesses: Periodika wie die papiernen Rundbriefe, Oya-Beiträge, E-Mail-Newsletter, Dokumente wie Broschüren, Flyer und Präsentationen, Veröffentlichungen einzelner Bewohner und die Website. Über die Bibliothek im Ökodorf nahm ich Einsicht in Archivmaterialien. Aber als primäre Methode wandte ich die teilnehmende Beobachtung an, mitunter ergänzt durch partizipative Methoden und später durch Interviews. In drei Schritten stelle ich folgend mein Forschungsvorgehen im Detail vor. I. Grundlage meiner Forschung waren stets ein Vertrautmachen mit den Gegebenheiten und ein Betrachten derselben im Lichte des Fremden. Vergleichbar zu Malinowski bemühte ich mich um ein Verständnis der Ganzheit – gleichwohl ich diese in Frage stelle. Ich nahm an Feierlichkeiten wie dem Osterfest teil, ebenso wie beim alltäglichen deep hanging out oder der Arbeit. Die Geschichte des Ökodorfes setzte ich aus Dokumenten zusammen, unterstützt durch Nachfragen. Darüber hinaus besuchte ich speziell Veranstaltungen, die Aufschluss über die Gesamtzusammenhänge versprachen, wie Führungen und die 15-Jahr-Feier im Herbst 2012. II. Darauf aufbauend identifizierte ich einzelne Veranstaltungen und Projekte als relevant für meine Fragestellungen nach Positionierung und Kultivierung. Bei der Teilnahme setzte ich auf teilnehmende Beobachtung und später im Forschungsprozess auf elf halb-standardisierte Interviews zur Verdichtung. III. Einen weiteren Strang erwähne ich gesondert: Nach meinem Zugangsprozess blieb ich irritiert von dem Begriff ›Modell- und Forschungsprojekt‹, wie Sieben Linden sich weiterhin bezeichnete. Zusammen mit meinem Forschungskollegen Wagner entschied ich mich nachzufragen, was diese Phrase bedeuten solle. Im Gegensatz zu Interviews, die ich bewusst erst sehr spät im Forschungsprozess einsetzte, suchten wir 2009 ein methodisches Format,
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welches den ›Affe-im-Zoo‹-Effekt vermeiden würde, aber auch ein möglichst kollektiv erarbeitetes Verständnis erbringen würde. Wir entschieden uns für eine Gruppendiskussion, in der sich die Teilnehmer untereinander verständigten, aber wir zugleich beteiligt waren.92 Die Ergebnisse spiegelten wir in einem Workshop im gleichen Jahr zurück, der methodisch noch weiter an die Ökodorf-üblichen Formate angelehnt war. Diese Interaktion transformierte das Verhältnis zwischen uns als Vertretern der Wissenschaften und Bewohnern Sieben Linden weiter. So wurden die bislang vor Ort tätig gewesenen Forscher 2010 auf Kosten Sieben Lindens zu einem »Tag der Wissenschaft«93 geladen. Wir stellten unsere Arbeiten vor, diskutierten und erarbeiteten Richtlinien für die zukünftige Forschung. Diese sollte beispielsweise stets eine Abschlussveranstaltung im Ökodorf beinhalten, bei der die Ergebnisse und der Prozess diskutiert werden. Mit dem ›Tag‹ rückten Wissenschaftler auch im Status auf. Wir gelten seither als Partner-, anstatt als Platzgäste und zahlen jetzt etwas weniger für ihren Aufenthalt. Seit dem setzt sich der Prozess fort. Die Einladung wurde im Jahr 2011 erwidert. Bewohner Sieben Lindens wirkten als Beitragende für den Workshop und die Veröffentlichung Realizing Utopia mit, initiiert von RIC und dem Rachel Carson Center for Environment and Society.94 Angesichts der Desiderate der Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung handelt es sich hierbei um den Versuch, inter- und transdisziplinäres Arbeiten zu explorieren, und den durch die Forschung gebildeten Raum konstruktiv zu nutzen. Zugleich ist die Stärke der Intervention offensichtlich. So unterzog im Jahr 2010 die Kleingruppe Öffentlichkeitsarbeit ihre Materialien einer Revision. Ihr Mitglied Kommerell sah zwar keine direkte Verbindung zu den erwähnten Veranstaltungen gegeben, aber ›Modell- und Forschungsprojekt‹ wurde dennoch als Leitbegriffe des Freundeskreises entfernt. Die Assoziation zu systematischer und zu einem gewissen Grad auch wissenschaftlicher Dokumentation und Transferierbarkeit würden nicht erfüllt werden – wenngleich die Bewohner weiterhin etwas Modellhaftes am Dorf sehen.95
92
Vgl. Andreas, M. & Wagner, F. 2012a.
93
Ebda. 145f.
94
Vgl. Würfel, M. 2012b.
95
Kommerell, J., in Andreas, M. & Wagner, F. 2012a: 147.
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Gerade vor dem Hintergrund des dritten Punktes gilt es, die eigene Haltung, Rolle und den Status im Feld – gewissermaßen die eigene Positionierung – zu reflektieren. Eine Haltung verstehe ich dabei als innere Orientierung, die ich stets zu bewahren versuchte. Ich orientierte mich an ethnologischen Idealen, wie dem Herstellen von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und der Berücksichtigung gesetzter Grenzen; Rollen wiederum dienen nach Castells der Organisation von Funktionen.96 Für einen Ethnographen im Feld sind diese zwangsläufig hybrid. So war die Grundlage meiner ethnographischen Tätigkeit stets die Rolle als Forschender. In dieser Rolle war ich in Sieben Linden legitimiert worden, auf sie bezog ich mich im Zweifelsfall; zugrunde lag ihr wiederum der Sieben Linden-Status eines sogenannten Platz-, mitunter auch Privat- und nach dem Tag der Wissenschaft zuletzt Partnergastes. Bisweilen wurde die Rolle des Forschers um andere in Sieben Linden angebotene Rollen und Stati wie Bau- oder Seminargast erweitert.97 Doch für mich gab es notwendigerweise auch ein Leben abseits der Rollen. Mitunter führte dies zu uneindeutigen Situationen: Ein Abend in der Sauna Sieben Lindens. Müde erhole ich mich nach einem Arbeitstag als Baugast, zusammen mit einigen Bewohnern. Da fragt jemand laut, ob ich die Gruppe jetzt gerade erforschen würde und was überhaupt meine Ergebnisse wären. Gespannte Stille; ich schwitze.
Spätestens die Frage positioniert mich wieder in meine Rolle im Feld als Forscher – unabhängig davon, dass ich mich selbst zu diesem Zeitpunkt als bloße Privatperson sah. Doch einerseits konnten die Bewohner nicht wissen, welche Rolle ich momentan verfolgte und andererseits tun sie gut daran, Vorsicht zu bewahren. Eben diese Anekdote aus der Sauna trage ich hiermit in das Produkt der Ethnographie. Wie Vered Amit kritisch bemerkt: »There is surely no other form of scholarly enquiry in which relationships of intimacy and familiarity between researcher and subject are envisioned as a fundamental medium of investigation rather than as an extraneous by-product or even an impediment.«98
96
Castells, M. 1997: 7.
97
Vgl. Josten, S. 1991: 7.
98
Amit, V. 2000: 2.
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Beispiele wie diese zeigen, wie die Nicht-Rolle der Privatperson mit der Rolle des Forschers einen Hybrid bildet. So meinte 2010 (zwei Jahre nach Genehmigung der Forschung) eine Bewohnerin zu mir, ich sei doch »eh schon Ehrenbürger.« Mitunter war im Dorf auch die von Wulff betonte Formulierung »unser Forscher«99 zu hören. Angesichts der anfänglichen Strapazen freute mich diese Eingemeindung und erleichterte mir teils auch den Forschungsprozess. Doch zugleich galt es einen Grad Fremdheit beizubehalten. Die zunehmende Vertrautheit durfte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mir weiterhin bestimmte soziale Räume verschlossen blieben. Ich habe nicht versucht, in diese zu dringen. So habe ich weder das interne Mitteilungsbuch gelesen, noch Zugang zum internen E-Mailverteiler gesucht. Weiterhin nahm ich auch nicht an den Intensivzeiten teil. Das nicht zuletzt gemeinsam konstituierte Forschungsfeld sagt bereits viel über das Feld aus. Wenn die Ethnie beschließt, den Forscher aus bestimmten Räumen heraus zu halten, ist dies legitim und vielsagend zugleich. Aber diese Grenze gilt es nicht zu dramatisieren. Wie Josten formuliert: »Der Forscher sollte sich selbst und seine Bedeutung in der Gemeinschaft der Untersuchten [auch] nicht zu hoch einschätzen.«100 Wolff gab zu bedenken, dass man auch Zugang zur eigenen Fiktion sucht.101 Mein Ansatz bestand darin, im Rahmen einer multi-sited ethnography, auf ausgewählte Ansatzpunkte zu setzen. Dieses Vorgehen leitete sich auch aus dem Prozess der Entwicklung meiner Fragestellung ab. So verstand ich Identität zunächst vorrangig als Akt der Positionierung relational zum durch Sieben Linden definierten ›Außenwelt‹. Keine Tiefenmetapher lag vor, bei der weiter ›hinten‹ oder ›tiefer‹ erst die eigentliche Identität läge. Auch aus diesem Grunde versuchte ich, nur jene Räume zu betreten, die mir bereitwillig und vertrauensvoll eröffnet wurden. Erst gegen Ende der Ethnographie räumte ich der Möglichkeit Raum ein, dass kulturelle Identität auch in zumindest geschützteren ›Innenräumen‹ kultiviert werden würde.
99
Wulff, S. 2007: 340.
100 Josten, S. 1991: 5. 101 Erving Goffman diskutierte diesen Punkt am Beispiel von Geheimnissen im Feld: »Wenn man sie in strategische Geheimnisse einweiht, nehmen das manche als Indikator dafür, jetzt wirklich ›drin‹ zu sein. Ich denke nicht, dass das ein wirklich gutes Zeichen ist.« Goffman, E., in Wolff, S. 2007: 345.
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Rückblickend betrachte ich meinen Ansatz einer (immer wieder) fokussierten Ethnographie im Rahmen einer Feldforschung in der eigenen Gesellschaft als sinnvoll. Zwar ergaben sich dadurch Brüche und Diskontinuitäten im Forschungsprozess, andererseits verhalf mir das wiederholte Zugangfinden und Verlassen des Feldes zu einem Spiel zwischen Distanz und Nähe, wie ich es in einer zeitgemäßen Ethnographie für sinnvoll und notwendig erachte.102 Ethnologische Feldforschung impliziert auch ein dialogisches Verhältnis unter Menschen. Ich halte das darin artikulierte Machtverhältnis zu unterschiedlichen Zeiten für asymmetrisch. Während es zunächst ich war, der auf den Zugang zum sozialen Raum des Ökodorfes angewiesen war, kommt mir beim Schreiben der Ethnographie die Repräsentationsmacht zu, Sieben Linden zu positionieren. Ein Prozess, der mit diesem Buch allerdings auch nicht abgeschlossen ist.
3.3 P OSITIONIERUNG Stuart Hall nähert sich dem Thema Identität über die Frage, welche politischen Möglichkeiten dem Lokalen in einer globalisierten Welt verbleiben.103 Er errichtete dabei kein statisches Gedankengebäude, sondern bewegte sich immer wieder theoretisch, ja positionierte sich neu. Ich berufe mich auf eine Lesart seines Begriffs der Positionierung, wie sie insbesondere Linda Supik herausarbeitete.104 Dabei verwehrt sich Hall gegen eine zentralistische Annahme von Identität und beschreibt diese vielmehr als politischen, dezentrierten Akt. Zusammen mit dem Konzept der Kultivierung stellt dies den zentralen Bezugspunkt für mein in diesem Forschungsprojekt artikuliertes Verständnis von Identität dar. »Wir alle haben einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit, von denen aus wir schreiben und sprechen. Was wir sagen, steht immer ›in einem Kontext‹ und ist positioniert. Ich wurde in Jamaika geboren und verbrachte dort meine Kindheit und Jugend in einer
102 Bachmann-Medick, D. 2010: 28f. 103 Ebda; vgl. Mehlem, U. et al. (Hg.) 1994: 12. 104 Der prozessuale Fokus sei vor allem dem ›späten‹ Hall zu Eigen. Supik, L. 2005: 69.
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Familie der unteren Mittelschicht. Als Erwachsener habe ich in England, im Schatten der schwarzen Diaspora – ›im Bauch der Bestie‹ – gelebt.«105
Hall untersuchte schwarze Bürgerrechtsbewegungen karibischer Diasporas im vom Margaret Thatcher geprägten Großbritannien der 1970er. Nach seinen Herausgebern um Ulrich Mehlem handelt es sich dabei »um hybride, kreolische Formen der Identitätsbildung, deren Voraussetzung gerade die Entwurzelung, die Diaspora, die Zerstreuung und Auflösung fester Zusammenhänge ist«.106 Vor dem Hintergrund der migrantischen Erfahrung gelte: »Ihr Paradigma ist die karibische Kultur, für die es noch nie essenzielle Einheit und Homogenität gab«.107 An dieser Konstellation wird für Hall deutlich, dass Identität auch »Verhandlungssache«108 ist. Der karibische Fall tritt insofern hervor, als dass sich hier Identitätspolitik besonders deutlich nicht auf die Annahme einer quasi natürlich vorhandenen Essenz berufen kann. Dennoch würdigt Hall den Versuch, »der Erfahrung von Zerstreutheit und Fragmentierung […] einen imaginären Zusammenhang zu verleihen.«109 Der Imagination einer »gemeinsamen Kultur, eines kollektiven ›einzig wahren Selbstes‹«110 zollt er nicht nur im karibischen Fall Respekt – dennoch dekonstruiert beziehungsweise dezentriert Hall ihren Essenzialismus. Anstatt in einer Art von Essenz verortet er Identität in der Anerkennung von Differenz. »Wir können nicht mehr länger exakt über ›eine Erfahrung, eine Identität‹ sprechen, ohne ihre andere Seite anzuerkennen: die Brüche und Diskontinuitäten, welche gerade die karibische ›Einzigartigkeit‹ ausmachen.«111 Hall geht davon, aus, dass sich auch und gerade westliche Identitäten in der Krise befinden. In seiner Erörterung setzt er zunächst beim Individuum an, dessen Erleben er in der Postmoderne wie Meijering als zunehmend fragmentiert beschreibt. Das identitäre Zentrum sei nicht mehr in sich selbst vorzufinden.
105 Hall, S. 1994d: 26. 106 In der Karibik durchdrängen sich »ein afrikanischer Ursprung, die europäische Kolonialherrschaft und die Verpflanzung auf ein amerikanisches, entvölkertes Territorium«. Mehlem, U. et al. (Hg.) 1994: 11. 107 Ebda. 108 Supik, L. 2005: 69. 109 Hall, S. 1994d: 27f. 110 Ebda. 27. 111 Ebda. 29.
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»Der Verlust einer stabilen Selbstwahrnehmung wird seit einiger Zeit die Zerstreuung (dis-location) oder De-Zentrierung des Subjekts genannt. Diese doppelte Verschiebung, welche die Individuen sowohl in Bezug auf ihren Ort in der sozialen und kulturellen Welt als auch in Bezug auf sich selbst de-zentriert, bildet für das Individuum die ›Krise der Identität‹.«112
Weder in sich noch der Welt fühlen sich nach Hall Individuen beheimatet.113 Er spricht dabei von einem historischen Prozess, ausgehend von René Descartes, der das bewusste Selbst in sich selbst zentrierte: Aus dem eigenen Denken folgere das eigene Sein. In späteren, insbesondere soziologischen Ansätzen, sei Identität nicht mehr allein im Individuum, sondern im Dialog zwischen diesem und der Gesellschaft verortet werden.114 Doch auch in diesen Ansätzen habe die Idee eines stabilen und bewussten Selbst fortgelebt, auch wenn es nicht mehr alleine als zuständig für die eigene Identität galt. Eine Fortführung dieser Idee sieht Hall in der Idee persönlicher Entwicklung vorliegen. Als Reaktion auf die Erfahrung der Fragmentierung werde hierbei die Suche nach Identität im eigenen Selbst intensiviert – in der Annahme, dass sich diese zunehmend entfalten werde: »Wir sind nie ganz am Ziel, aber immer auf unserem Weg dorthin, und wenn wir dort ankommen, werden wir endlich genau wissen, wer wir sind.«115 Diese Perspektive beinhalte nach Hall allerdings weiterhin »den Gedanken des wahren Ich, eines wirklichen Ich, das in uns vorhanden und in den Schalen all der zahlreichen falschen Ichs verborgen ist, die wir dem Rest der Welt präsentieren. Es ist ein Garant unserer Authentizität. Erst wenn wir ganz nach innen kehren und hören, was das wahre Ich zu sagen hat, werden wir wissen, was wir ›wirklich sagen‹. Diese Art der Logik oder des Diskurses über Identität hat etwas mit dem Wunsch nach Garantien zu tun. Sie gibt uns ein Bewusstsein von Tiefe, von einem Dort-Draußen und einem Hier-Drinnen. Sie ist räumlich organisiert.«116
112 Ebda. 113 Ob diese Ideengeschichte auf jedes Individuum wirkt, ist eine andere Frage. 114 Hall, S. 1994c: 181f. 115 Hall, S. 1994a: 67; vgl. mit Bezug auf Hegel: »Wir schreiten voran, um das zu finden, was wir schon immer waren.« Ebda. 72; vgl. Lambing, J. 2014: 106f. 116 Ebda.
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Doch entgegen der Verortung von Identität in den inneren Tiefen des Selbst führt Hall die Annahme der De-Zentrierung an. Dabei beruft er sich auf eine weite Ideengeschichte, die Identität zunehmend aus dem bewussten Selbst auslagerte.117 Hall erwähnt Karl Marx, Sigmund Freud, Ferdinand de Saussure, Michel Foucault und feministische Ansätze. So verortete Marx Identität als Teil historischer und sozialer Prozesse, Freud proklamierte, dass das bewusste Selbst nur einen Teil der eigenen Identität einnähme (und noch dazu einen fragwürdigen) und de Saussure verdeutlichte anhand von Sprache als System, dass Bedeutung sich nicht aus den Elementen selbst speise, sondern aus deren Unterschieden; und ebenso wie Sprechende dieses System nicht kontrollierten, könne es ihnen nach Hall auch nicht gelingen, Bedeutung zu fixieren. Was bleibt, ist gewissermaßen die Beteiligung und Artikulation innerhalb eines Gespräches, ohne Garantie auf ›Gelingen‹: »Du kannst nur dadurch etwas sagen, dass du dich selbst in einen Diskurs positionierst.«118 Foucault wies wiederum darauf hin, dass Identitäten die Vorgaben machtvoller Diskurse ausspielten und vor diesem Hintergrund zu verstehen seien. Insbesondere feministische Bewegungen trugen nach Hall zuletzt dazu bei, die Konstruktion von Identitäten breitenwirksam anzuzweifeln und zu politisieren. Die scheinbar naturgegebene Konstruktion von Geschlechtern wurde kritisiert und die Diskursarena erweitert. So stelle nach Hall der Feminismus »die klassische Trennung von ›Innen‹ und ›Außen‹, ›Privatem‹ und ›Öffentlichem‹ in Frage. ›Das Private ist politisch‹ war sein Slogan.«119 Halls Fazit des sich wandelnden Diskurses über Identität ist, dass diese nicht mehr im Zentrum des bewussten Selbst verortet werden könnten. In diesem Sinne wurde Identität de-zentriert: »Das Subjekt, das vorher so erfahren wurde, als ob es eine einheitliche und stabile Identität hätte, ist nun im Begriff, fragmentiert zu werden.«120 Dennoch sei es nach Hall weiterhin möglich und sinnvoll, von Identitäten zu sprechen: »Was sich geändert hat, ist jedoch ihr sozialer, historischer und epistemologischer Ort, den sie noch vor kurzem in unseren begrifflichen Vorstellungen eingenommen hatten.«121
117 Ebda; vgl. 1994c: 193f. 118 Ebda. 68; vgl. 1994c: 197f. 119 Ebda. 120 Ebda. 182. 121 Ebda. 70; vgl. 1994c: 193f.
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Mit Ernesto Laclau und dessen dis-location (oder Zerstreuung), geht Hall davon aus, dass sich Identität in der Postmoderne tendenziell auf eine Vielzahl von Zentren zerstreue. Obgleich verunsichernd, erlaube diese Situation auch neue Identitätskonstruktionen und ermögliche politische Veränderung, die von diesen kulturellen Knotenpunkten ausgehe.122 Hall bemerkt weiter, dass Identität nie vollendet oder vollkommen vorzufinden, sondern stets prozessual sei. Es gebe kein Ende dieses Prozesses, nur Zwischenergebnisse. Identität sei »ebenso eine Frage des ›Werdens‹ wie des ›Seins‹. Sie gehöre gleichsam zur Zukunft wie zur Vergangenheit.«123 Vergleichbar zu Bloch verortet auch Hall damit ihr Wesen an die ›Front‹: »Identität befindet sich immer in einem Prozess der Herausbildung.«124 »Statt von der Identität als einem abgeschlossenen Ding zu sprechen, sollten wir von Identifikation sprechen und dies als einen andauernden Prozess sehen. Identität besteht nicht bereits in der tiefen Fülle unseres Inneren, sondern entsteht aus dem Mangel an Ganzheit, der in den Formen, in denen wir uns vorstellen, wie wir von anderen gesehen werden, von Außen erfüllt wird.«125
Hall kritisiert die Annahme der Ganzheit und betont vielmehr den imaginativen Akt, mit dem das Vakuum bespielt wird. Da im wahrgenommenen Inneren des bewussten Selbst aus keiner Quelle zu schöpfen sei, finde ein Prozess der Identifikation mit der Imagination des Außen statt. Nach Supik sei dies »keine Negativdefinition, sondern gewissermaßen eine ganzheitliche, denn Identität und Differenz sind die zentrale Paarung.«126 Nicht immer gehe dieser Prozess allerdings freiwillig vonstatten, wie mit Hinblick auf Halls postkoloniale Erfahrung deutlich wird. Er geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die koloniale Traumatisierung vor allem darin bestand, durch Herrschaftsdiskurse sich letztlich als »anders«127 wahrzunehmen –
122 Hall, S. 1994c: 185.; vgl. Mehlem, U. et al. (Hg.) 1994: 12. Laclaus und Halls Sprache lässt an die Netzwerkgesellschaft denken. Castells, M. 1997: 11f. 123 Hall, S. 1994d: 29. 124 Hall, S. 1994a: 72; vgl. »Leben ist Werden.« Lambing, J. 2014: 123. 125 Hall, S. 1994c: 196. 126 Supik, L. 2005: 51. 127 Hall, S. 1994d: 29f.
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auch vor sich selbst.128 Doch gerade die politische Imagination von postkolonialen kulturellen Identitäten biete hier wiederum einen (mühsamen) Ausweg. So verdeutlichte die schwarze Bürgerrechtsbewegung Hall, dass die politische Einflussnahme auf Diskurse möglich ist, wie beispielsweise durch die bewusste Identifikation und Positionierung als Schwarzer.129 Doch damit beginnt erst das Spiel der Kräfte. »Sie schließen eine Wette ab, nicht auf die Wahrheit, sondern auf das was Sie sagen. Sie müssen irgendwo positioniert sein, um zu sprechen. Selbst wenn Sie sich nur positionieren, um später diese Position wieder aufzugeben, selbst wenn sie es später zurücknehmen wollen: Sie müssen in die Sprache eintreten, um aus ihr herauszukommen. Es geht nicht anders. Das ist das Paradox der Bedeutung.«130
Supik konkretisiert: »Der Einsatz bei dieser Wette ist die eigene kulturelle Identität.«131 Die klassische Frage, ob Identität der eigenen Kontrolle unterliegt, beantwortet Hall insofern mit sowohl als auch. Da Bedeutung auf einem dynamischen und relationalen System von Unterschieden beruht, können individuelle wie kollektive Akteure diese nicht allein für sich selbst bestimmen. Mit ihrem Einsatz bei der »Produktion von Identität«132 können sie allerdings die hegemoniale Diskurshoheit herausfordern. Damit sei »kulturelle Identität alles andere als ein fixiertes Wesen, das unveränderlich außerhalb von Geschichte und Kultur läge. […] Sie ist aber auch nicht nur ein bloßes Trugbild.
128 Aus Jamaika berichtet Hall, dass ›Schwarz‹ als Kategorie nie erwähnt wurde, aber den negativen Deckgrund aller politisch-kulturellen-Identitäten bildete. Er erzählt exemplarisch von seiner Mutter, »die als anständige farbige Frau der Mittelschicht selbstverständlich alle Schwarzen hasste« 1994a: 80. 129 Es verbleibt das Problem der Legitimation und Authentizität, da sich Halls postkoloniale Subjekte nicht auf vermeintlich stabile, quasi-authentische Elemente berufen können (wie Geschichte, Sprache oder Ort); vgl. Clifford, J. 2001. 130 Hall, S. 1994a: 76f.; vgl. Supik, L. 2005: 88. 131 Supik, L. 2005: 89. 132 Hall, S. 1994d: 28.
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Sie ist etwas Reales […]. Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung.«133
Hall gibt zu bedenken, dass sich jegliche Positionierung eines bestimmten und nicht beliebigen Möglichkeitsraums bediene: Jede eingenommene Position ermögliche aber begrenzt auch wiederum die zukünftigen Positionen. Sie werde auf Kosten anderer Möglichkeiten artikuliert: »[E]ach positionality has a certain cost. You invest in it, and by investing in it you’re not available for other identifications.«134 Mehlem et al. bemerken dazu: »Dennoch kann an die Stelle der Identität kein endloses Spiel der Differenzen treten, weil soziale Akteure, um Selbstbewusstsein zu erlangen, handeln und Widerstand leisten zu können, sich in den Auseinandersetzungen positionieren müssen.«135
Insofern ist es auch innerhalb Halls Theorie möglich und sinnvoll von Positionen und Identitäten auch in nicht-prozessualer Form zu sprechen.136 Ihm zufolge gebe es Zeitperioden, in denen bestimmte Positionen Bestand hätten, wie er mit dem Verweis auf Sprache darstellt: »Die Sprache ist Teil einer endlosen Semiosis der Bedeutung. Um etwas zu sagen, muss ich auch wieder aufhören zu sprechen. Ich muss einen einzigen Satz konstruieren. Ich weiß, dass der nächste Satz die endlose Semiosis der Sprache wieder öffnen
133 Ebda. 30. Bei einer Positionierung handele es sich »nicht um einen eindeutigen (quasi arithmetischen) Punkt, sondern um eine Verbindungsstelle, etwas Hergestelltes, und damit wieder Veränderbares oder Auflösbares«. Nach Supiks Lesart bestehe die Verbindung »zwischen Diskursen und Praktiken auf der einen und Subjektivierungsprozessen auf der anderen Seite.« Supik, L. 2005: 45f. 134 Hall, S., in Karvonen, E. 2000 [Web]; vgl. Supik, L. 2005: 89. 135 Mehlem, U. et al. (Hg.) 1994: 11f. 136 »I see the product of identification to be identities, and the outcome of identifying in any stable way is to take up a position, not necessarily forever, but take up a position stable enough to be able to say I own it.« Hall, S., in Karvonen, E. 2000 [Web].
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wird, also werde ich ihn zurückziehen. Daher ist nicht jeder Punkt eine natürlich Unterbrechung, […] Er ist eine Positionierung. […] Aber wir müssen mitspielen, sonst werden wir überhaupt nie etwas sagen.«137
Insbesondere mit Blick auf die karibische Diaspora betont Hall, dass sich im Rahmen einer Position auch Elemente überlagern und bestärken können, gar widersprechen138 – nicht jede Artikulation ist eindeutig, wie auch im Fall von Ökodörfern sichtbar wird.
Vormittag III Zurück auf der Kreuzung vor der Windrose wendet sich die Gruppe nun gen Norden. Rechterhand liegt der bereits besuchte Bauwagenplatz und linkerhand zwei große Häuser der »Altstadt«139 Sieben Lindens. Die beiden Gebäude der Nachbarschaft ›815‹ heißen schlicht Nord- und Südhaus. Pragmatismus scheint sich durch das gesamte Konzept der Nachbarschaft zu ziehen – so stammt ihr Name ursprünglich vom Holz-Rahmenmaß der Häuser. So viel Nüchternheit lädt zu Scherzen ein und so wurde sie auch schon 08/15 oder 08:15h benannt – das akademische Viertel als Seitenhieb auf ihre Unpünktlichkeit. Dabei war sie einst die pünktlichste von allen gewesen und hatte die ersten Wohnhäuser im Ökodorf errichtet. Den Mitgliedern der Nachbarschaft lag damals viel daran, »so schnell wie möglich in Sieben Linden ein richtig gedämmtes Dach über den Kopf zu haben.«140 Viele Familien mit kleinen Kindern waren beteiligt gewesen, insofern hatten die Kriterien gelautet: »Schnell, bezahlbar, keine Experimente, pragmatisch«141. 2000 war gebaut und eingezogen worden. 815 wird oftmals als Gegenpol zu radikaleren Varianten im Ökodorf dargestellt, bemerkt Micha – die Mitglieder bewohnen »nur« ihr Gelände
137 Hall, S. 1994a: 76. Halls bezieht sich Jaques Derrida und seine différance. 138 Hall, S., in Karvonen, E. 2000 [Web]. 139 Anonymisiert 2012 [PK, Sieben Linden, 16.09.2012]. 140 Stützel, E. 2007a: 29. 141 Die formellen Angaben und Zitate stammen in diesem Teil, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2010 und 2009a.
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und würden wenig ideologischen Zusammenhalt aufweisen. Außerdem befänden ihre Häuser an der Grenze des ökologisch Erträglichen, fügt Sandra hinzu. Das Südhaus besteht aus drei Reihenhäusern, während das Nordhaus durch flexible Möglichkeiten bei der Zimmerkombinationen etwas gemeinschaftlicher aufgebaut ist. Die Wände bestehen aus Lehmstein und Gipskarton. Die Baustoffe sind nicht aus der Region und das papierne Dämmmaterial Isoflock wurde mit Bohrsalz behandelt, welches schlussendlich auf einer Deponie entsorgt werden muss. Nach »konventionellen Kriterien« stellen Nord- und Südhaus allerdings durchaus Ökobauten dar. Abbildung 10: Fest auf der Betonplatte.
Quelle: Freundeskreis Ökodorf e.V. (Sieben Linden, 2000).
Die von der Nachbarschaft neu gegründete Wohnungsgenossenschaft (WoGe) übernahm damals die Finanzierung, so konnte die Eigenheimzulage für eine Reihe von Mitgliedern genutzt werden. Zusätzlich wurde die WoGe durch Eigenkapital, Privat- und Bankkredite, sowie Zuschüsse des Landes Sachsen-Anhalt gespeist. Der Autor blickt vorsichtig zu den Sieben Lindenern, denn zumindest in regionalen Führungen wird ungern über finanzielle Zuschüsse gesprochen – ist es doch ein populärer Vorwurf an das Ökodorf (und die Szene142), sich angeblich vor allem von Subventio-
142 Vgl. Lambing, J. 2014: 96.
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nen zu nähren. In diesem Fall förderte das Land jedenfalls tatsächlich mittels EU-Mitteln den Neubau von ökologischen und sozialen Modellen – eine Richtlinie, die teils durch die Ökodorf-Planungen inspiriert wurde. Im Führungsdokument ist von einem ›richtigen Geschenk‹ die Rede: »Das war eine optimale Anschubfinanzierung für den Wohnungsbau«. 2007 ist zu lesen, dass sich die Bewohner als Wahlfamilie wohl fühlen: »Wir sind gutnachbarlich miteinander verbunden, helfen uns bei vielen Dingen des Alltags und laden uns zum Klönen bei Kaffee und Kuchen oder zu Spieleabenden ein. Unsere Kinder sind sehr eng miteinander befreundet.«143 Auch Micha meint: »Als die 815-Häuser gebaut wurden, waren manche Bewohner nicht begeistert. Das waren Öko-Fertighäuser, schlicht, fast langweilig. Inzwischen sind sie schön eingewachsen und der Raum zwischen den Häusern ist gemütlich.« In Sieben Linden wurde nach dem Nord- und Südhaus nur noch mit Stroh und Lehm weitergebaut. Die berühmteste Nachbarschaft in Sieben Linden führte ihre Ansprüche allerdings noch weit über das Thema Bauen hinaus. Wie in einem Interview mit Kunze zu lesen ist, grenzte sich der sogenannte Club99 von Nachbarschaften wie 815 ab: »Der ökologische Rahmen […] übererfüllt eigentlich die Standards, die bundeseinheitlich für ökologisches Bauen gelten. […] Silikon und Hartfaserplatten aus Dänemark sind im ökologischen Bauen drin, teilweise auch in den 815-Häusern, aber für den Club ist das nicht nachhaltig genug. ›Wir bauen noch radikaler, wir machen ein Experiment.‹«144
Dem ehemaligen ›Experiment‹ nähert sich die Gruppe aus dem Süden. Vorbei an der schönen Villa Communia, dem neueren der beiden Häuser, betreten wir das dahinter liegende Gelände. Es wird an drei Seiten von Wald begrenzt – wie das Ökodorf, nur kleiner. Nach der Auflösung des Clubs fusionierten hier zwei Ex-Clubber mit einer Wagenkreisgruppe, zu der auch Sandra und Micha gehörten. Die junge Gruppe hat bisher keinen Nachbarschaftsstatus beantragt; wohl, weil sie sich auf keinen Namen ei-
143 Stützel, E. 2007a: 29. 144 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]a: 3.
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nigen können, mutmaßt der Autor. Er habe es aufgegeben, der Namensgebung hinterher zu forschen und nennt sie solange bei einem ihrer selbstgewählten Namen: Banditas. Auf dem kleinen Platz stehen zu beiden Seiten Bauwägen, darunter der ehemalige Zirkus-Bauwagen Michas, sowie große Anhäufungen von wiederverwendbaren Material. Geradeaus steht ein weiteres Haus, zwei kleine Kuppeln mit einem Bade- und einem Gästezimmer schließen sich an. Die Villa Strohbunt (angelehnt an die Villa Kunterbunt aus Pippi Langstrumpf) ist das erste Strohballenhaus Deutschlands und das wohl populärste Gebäude im Ökodorf. Abbildung 11: Villa Strohbunt.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2012).
Bei der Errichtung des Hauses und in den Gründungsjahren des Clubs stützten sich seine Mitglieder stark auf die damals viel beachtete Studie Zukunftsfähiges Deutschland. Diese wurde 1996 herausgegeben vom BUND und MISEREOR und war vom Wuppertal-Institut durchgeführt worden.145 Ihr zufolge müssten zum damaligen Zeitpunkt die Einwohner der Bundesrepublik ihren Konsum auf ein Zehntel des Verbrauchs senken, um eine nachhaltigen und gerechten Umgang mit den Erdressourcen zu
145 BUND & MISEREOR (Hg.) 1996.
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gewährleisten.146 Mit diesem Anspruch baute der Club die Villa Strohbunt und nutzte Stroh und Lehm als Ressourcen-sparende Baumaterialien. Der Bau kostete letztendlich DM 8.000, allerdings forderte die Bauweise Kraft: drei Jahre Arbeit und 15.000 Arbeitsstunden einer Vielzahl von Helfern, die mit Kost und Logis entlohnt wurden. Dafür wurden allerdings auch »nur zwei gelbe Säcke Müll produziert«, meint Sandra. Die weiteste Entfernung der benötigten Ressourcen betrug 25 Kilometer; dabei wurden inklusive der Fahrten zum Architekten nur 600 Liter Diesel verbraucht. Holz wurde vom regionalen Sägewerk gekauft oder selbst geschlagen, geschält und langwierig zersägt. Lehm wurde selber gestampft. Die Betonplatten stammen von einer ehemaligen Gaspumpstation, die Fenster von einer Hamburger Firma, für die die Lieferung günstiger war als die Entsorgung. Micha filmte damals sogar eine Helferin, die alte Nägel wieder gerade klopfte, um sie wieder zu verwenden.147 Rückblickend heißt es im Führungsdokument: »Manches war ein bisschen übertrieben.« (Die Sache mit den Nägeln, vermutet der Autor). Martin Stengel als einer der Gründer des Clubs meint, dass sie »schon sehr extrem hier«148 gewesen waren. Normalerweise würde er sich selbst unter Leuten, die sich ihr eigenes Haus bauen wollen, alte männliche Käuze vorstellen. Das gesetzte Ziel von zehn Prozent im Vergleich zum Bundesdurchschnitt wurde allerdings beeindruckend unterboten. Nach einer Studie der Technischen Universität Berlin, Fachbereich Energietechnik, betrug der CO2-Ausstoss beim Bau der Villa Strohbunt unter drei Prozent im Vergleich zum konventionellen Bau eines Einzelhauses gleicher Größe: 97 Prozent weniger. Aber Silke Hagmeier, eine weitere Gründerin des Clubs erzählt auch: »Wir hatten es wahnsinnig schwer, mussten mit unserem Haus das Eis für diese Bauweise brechen.«149 Von Sieben Linden aus gründeten die Autodidakten beispielsweise hierfür den Fachverband für Strohballenbau (FaSba) mit. Beim Bau des zweiten Hauses, der Villa Communia wurden die Prinzipien aufgeweicht und auch elektrische Handmaschinen integriert – »damit ist es auch replizierbarer, denn wer
146 Club99 [KA]: 1. 147 Würfel, M. 2002. Leben unter Palmen. Deutschland / 59 min. 148 Stengel, M., in Andreas, M. 2010 [BP, 01.04.2010]b: 5. 149 Hagmeier, S., in Grasberger, L. 2011 [Web].
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nimmt sich schon so viel Zeit, um ganz von Hand zu bauen.« Martin vermutet, dass das zweite Haus immer noch nur zehn Prozent der üblichen Ressourcenmenge verbraucht habe. Wenn alle so bauen würden, wäre »Nachhaltigkeit kein Thema mehr.«150 Wie es der Zusatz vermuten lässt, wurde der Club anno 1999 gegründet (am neunten September). Aufgelöst hat sich die Nachbarschaft Silvester 2010. »Wenn ich da eine Führung mache, ich weiß gar nicht was ich da sagen soll,«151 berichtet Strünke. Es war die berühmteste Nachbarschaft, doch auch das Konzept der Nachbarschaften generell ist aufgebrochen. An Mitgliedern war der Club nie stark, zwischen fünf und zehn zumeist. Dennoch hieß es: »Wir nehmen viel Raum ein, nicht nur in Diskussionen, auch auf dem Gelände.«152 Michas Meinung nach lag die Auflösung daran, dass der Club eine gemeinsame Ökonomie praktizierte, wodurch irgendwann der Vorwurf laut wurde, dass »manche viel, andere aber immer« arbeiten würden. Sandra meint wiederum, dass die Menschen zu unterschiedlich waren, und der Anspruch zu hoch. Silke spricht davon, dass ihr der Club letztendlich »nicht vom Herzen mehr Spaß gemacht« 153 habe und sie ihn deswegen mit aufgelöst habe. Wie sich in diesen Versionen andeutet, spielt sich die Geschichte (der Auflösung) des Clubs stark in persönlichen Bereichen und Beziehungen ab.154 Der Autor kann seinen Lesern nur berichten, dass er an dieser Intimität nicht teilgenommen hat. Nach seiner Ansicht lebten die Mitglieder die Philosophie »Weniger ist mehr!« Auf Basis von Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitsidealen wurde versucht, mit wenig materiellem Konsum auszukommen und Qualitäten zu entdecken, die das Leben unabhängig davon lebenswert machen. »Das Experiment des Club99 dient unter anderem der Beantwortung der Frage, ob wir bei einem so einfachen Leben glücklich und zufrieden sind«155, hieß es. In einem Interview mit Kunze wird weiter dargelegt:
150 Stengel, M., in Andreas, M. 2010 [BP, 01.04.2010]b: 5. 151 Strünke, C., in Andreas, M. 2011 [IT]c: 5. 152 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 5. 153 Hagmeier, S., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 3. 154 Vgl. Stengel, M. 2006: 8. 155 Ebda.
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»Konsumverzicht – dieses Wort ist schon schade, es geht uns nicht um Konsumverzicht. […] Unsere These ist, dass dieses einfache Leben andere Qualitäten hat, die es zu entwickeln gilt und die letztendlich eine viel tiefere Lebensqualität ausmachen und der Konsum irgendwann überflüssig wird, weil er in vielen Fällen … sagen wir mal ein Ersatz für was anderes ist, was man nicht hat.«156
Das Führungsdokument bezeichnet als die wichtigsten Ziele des Clubs Verantwortung und Selbstentfaltung für alle Lebewesen. Darüber hinaus wurde im Club mitunter freie Liebe und gemeinsame Ökonomie praktiziert, sowie im Sinne einer bewussten und verantwortungsvollen Lebensweise auf Drogen und tierische Produkte verzichtet. Als Ausnahmen galten allein Honig und die Haltung von Pferden.157 Hier wurde die Fürsorge der Pferdehalterin gegen die Arbeitskraft der Haflinger in den Gärten aufgewogen. Doch die größte Besonderheit des Clubs war, dass all die Regeln nur auf dem Gelände galten: »Der Club99 ist ein ›Spiel‹-Raum, innerhalb dessen wir besonders darauf achten, unser Leben entsprechend zu gestalten. Wir wollen den Club99 von Kompromissen möglichst frei halten, damit hier ein Ort entstehen kann, der spürbar durchdrungen ist von dieser Philosophie und damit uns allen als Erfahrungsraum dient.«158
Wollte ein Mitglied eine Currywurst essen, konnte es dieser Leidenschaft außerhalb des Club-Geländes frönen. In einem weiteren Interview Kunzes heißt es: »Uns gibt diese schizophrene Zweiteilung eine Möglichkeit, in etwas hinein zu wachsen, wo es nötig ist, dass wir alle uns anerzogenen Muster ein Stück weit verlassen.«159 Auch Micha verteidigt »diese Variante von Konsequenz, obwohl immer erst darüber gelacht wird: Nicht ich nehme mir vor, unter allen Umständen immer konsequent zu sein, sondern
156 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 3; vgl. Lambing, J. 2014: 13. 157 Club99 [KA]: 5. 158 Ebda: 8. 159 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 3.
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ich stelle meinen Wohnort unter diesen Stern.«160 Um diesen Raum zu markieren und ihre Grundsätze zu bekräftigen vergruben die Bewohner in einem symbolischen Akt alles unter dem Eingangstor, »was sie mit dem Einstieg in dieses gelebte Experiment hinter sich lassen wollten.«161 Jemand fragt, ob dazu auch jene gehören würden, die eine andere Position vertraten. Der Autor beruft sich bei der Beantwortung dieser Frage erneut auf eine Interviewsequenz aus den ersten Jahren des Clubs: »Unsere Beziehungen in die Gesamtgruppe sind gut, aber nicht immer. Es gibt auch Konflikte, die mit unserer ewigen Radikalposition zusammenhängen. […] Wir versuchen nicht, unsere Messlatte ›was gut und was nicht gut ist‹ […] im Ökodorf anzulegen. Aber wir versuchen wenigstens das einzufordern, was in diesem gemeinsamen Visionspapier steht, daran ab und an zu erinnern. Selbst das ist manchen schon zu viel… Wir sind auch eine Besonderheit, obwohl wir der Regelfall sein sollten.«162
Nicht alle schätzten die Umgangsformen und »soziale Kultur« im Club. Zur Gründung war den Mitgliedern unter anderem »Geduld für die eigenen Unzulänglichkeiten« und »Selbstironie (in Maßen)« gewünscht worden.163 Einer der Gründer fasst 2006 zusammen: »Im Club99 herrscht ein rauer Ton, sagen manche. Für andere ist es der Ort, an dem sie sich am tiefsten erkannt und wahrgenommen fühlen.«164 »Wir betrachten unser Experiment als sinnvollen Beitrag zu diesem größeren Ganzen und wissen gleichzeitig, dass das Ökodorf für uns eine gute Einbettung bedeutet. In der Bandbreite verschiedener Antworten auf die Frage nach einem nachhaltigen Lebensstil bilden wir einen radikalen Pol, auch im Ökodorf«165.
160 »Das ist eine Regelung, die viele Leute für vollkommen paradox und bescheuert halten«. Anonymisiert, in ebda. 161 Stengel, M. 2006: 6. 162 Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 5. 163 [KA] 1999: 5. 164 Stengel, M. 2006: 9. 165 Club99 [KA]: 7;
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Micha betont die Bedeutung der ehemaligen Nachbarschaft für Sieben Linden: »Der Club99 verfolgte die unbedingte Konsequenz eines Daseins, das alles Lebendige achtet, und war sozusagen die selbstversorgerische und ökologische Speerspitze des Ökodorfes.« Bettina, eine weitere Bandita, bemerkt: »Der Club99 war pionierisch. Seit es ihn nicht mehr gibt, sind wir es auch nicht mehr.«166
3.4 K ULTIVIERUNG Lockyer versteht Ökodörfer als Experimente mit der eigenen Lebensweise und damit mit Kultur. »[S]ustainability-oriented intentional communities and ecovillages, with all of their multifaceted approaches to sustainability […] are experimenting with cultural innovations for sustainability.«167 Sieben Linden weist ebenso wie GEN auf eine solche Dimension der eigenen Bemühungen hin, welche sie jeweils in die Nähe zu Spiritualität und Kunst verorten.168 Die Suche nach dem guten Leben lässt sich in diesem Sinne auch als Lebenskunst verstehen. Während ›Kultur‹ in der Agenda 21 noch eine untergeordnete Rolle spielte,169 nahm die Beachtung dieser Dimension seitdem zu. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung schreibt: »Mit der kulturellen Dimension wird Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Spannbreite formuliert.«170 Der WBGU fasst zusammen: »Die Umweltkrise ist eine Kulturkrise«171 Und dem ehemaligen GRÜNEN-Abgeordneten Hermann Ott zufolge, zusammen mit Zimmer Mitglied der Enquete-Kommission zu ›Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität‹, sei der »›Abschied‹ vom Wachstum eine kulturelle Aufgabe, vielleicht sogar spirituelle; die schwerste, aber auch fruchtbarste. Ohne neue Werte, die nicht materiell sind, wird es uns nicht gelingen.«172
166 Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 5. 167 Lockyer, J. P. 2007:16f; vgl. 78; Kunze, I. 2009: 181. 168 Freundeskreis Ökodorf 2000 [Web]; vgl. Jackson, H. & Svensson, K. (Hg.). 2002: 4. 169 Brocchi, D. 2008: 26. 170 Rat für nachhaltige Entwicklung 2002: 5. 171 WBGU 2011: 187; vgl. Jüdes, U. 2000: 77; Castells, M. 1997. 172 Ott, H. 2014. In International Degrowth Conference, Leipzig, 05.09.2014.
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Autoren wie Gingrich und Grossberg sprechen sich dafür aus, die skizzierte Dimension nicht allein im Sinne von Identität und Differenz zu betrachten, sondern, »Kulturelles (auch) als produktiven, gestalterischen Faktor mit einem entsprechenden Anteil von ›agency‹ zu erkunden.«173 Dieser Aspekt der selbstermächtigten Gestaltung verstehe ich unter dem von mir verwendeten Begriff der Kultivierung mit – und stelle ihn dem der Positionierung beiseite. Da die Gestaltung von Nachhaltigkeit eng mit Prozessen kultureller Umorientierung verbunden sein muss, wurde schon Mitte der 1990er-Jahre Kultur als querliegende Dimension in das Nachhaltigkeitsverständnis eingeführt,174 beispielsweise durch das Tutzinger Manifest für die Stärkung der kulturellästhetischen Dimension nachhaltiger Entwicklung. So heißt es im Manifest, welches der Vorbereitung des Weltgipfels 2002 diente: »Das Leitbild Nachhaltige Entwicklung beinhaltet eine kulturelle Herausforderung, da es grundlegende Revisionen überkommener Normen, Werte und Praktiken in allen Bereichen – von der Politik über die Wirtschaft bis zur Lebenswelt – erfordert.«175
Damit baut das Manifest auf der UNESCO-Konferenz 1998 in Stockholm auf, die als ihr erstes Prinzip anerkennt: »Nachhaltige Entwicklung und kulturelle Entfaltung sind wechselseitig voneinander abhängig.«176 Im Herausgeberwerk Realizing Utopia veröffentlichte Wagner eine Zusammenschau der Diskussion um eine ›Kultur der Nachhaltigkeit‹,177 deren Ausrichtung sich mit Ulrich Jüdes wie folgt zusammenfassen ließe: »Von der Nachhaltigkeit unserer quantifizierenden Kultur zur Qualität einer ›Culture of Sustainability.‹«178 Eine gängige Diskussionslinie richtet sich auf die Abkehr der Verzichtsrhetorik (vertreten von Akteuren wie der Stiftung FuturZwei oder dem Rat für Nachhaltige Entwicklung), hin zu ermutigenden Narrativen und attraktiven Lebensstilen. So schreibt Bachmann angesichts von Zweifeln, ob die Idee der Nachhaltigkeit »nicht doch eine Nummer zu groß sei«:
173 Gingrich, A. 2005: 29. 174 Oehme, I. 2007: 219. 175 Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft 2001: 1. 176 UNESCO 1998: 2. 177 Wagner, F. 2012a; vgl. Holz, V. & Stoltenberg, U. 2011; Parodi, O. Banser, G. & Schaffer, A. (Hg.) 2010. 178 Jüdes, U. 2000: 81.
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»Stattdessen kann man für die gleiche große Geschichte aber auch Erstaunen, Neugier und Mut auslösen. Die Idee der Nachhaltigkeit zielt auf lange Zeiträume und Generationengerechtigkeit ab, und das allein ist schon abenteuerlich. Aber noch mehr spricht sie die Wahrhaftigkeit der Motive des eigenen Handelns an. Ganzheitliche Ansätze (wie Nachhaltigkeitsideen, Lebensführung und Gesundheit) zusammenzubringen, ist spannend und wird erst in Anfängen […] angegangen.«179
In solch einem Sinne bespricht Lambing sozialökologische Gemeinschaften als »Erzähler und Gegenstand von Ermutigungsgeschichten«180. Ökodörfer wie Sieben Linden versuchen exemplarisch das Zusammenspiel der von Ihnen als bedeutsam erachteten Qualitäten zu kultivieren. Ihre Attraktivität und ›Ausstrahlungskraft‹ wirkt insbesondere in der sinnlich erleb- und gestaltbaren Alltagspraxis (so »dass Du sozusagen quasi verzaubert wirst und gar nicht groß überzeugt werden musst oder so, sondern einfach durch diesen Geschmack das aufnimmst.«181). Für das Zustandekommen solch eines ›Geschmacks‹ einer » Kultur der Nachhaltigkeit«182 betont Wagner spezielle die Kultivierung von Verbundenheit (innerhalb einer Reihe von Kontexten183). Im Zusammenhang mit dieser Qualität stehen auch Vertrauen und Vertrautheit – und wie Lambing betont, auch die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns.184 Zusammen genommen führt dies ihm zufolge zu einem ›voraussetzungsreichen‹ Lebensstil, dessen Gemengelage »das ganze Leben und nicht nur [beispielsweise] spezielle Formen des Konsums«185 umfasse.
179 Bachmann, G., in Hildebrandt, A. & Schwiezer, H. 2012. [Web.] 180 Lambing, J. 2014: 102. 181 Anonymisiert, in Wagner, F. 2013: 162; vgl. Lambing 2014. 182 Wagner, F. 2013: 174; ebda. 234; vgl. ›Interdependenz‹. Litfin, K. 2014: 4. 183 Wagner unterscheidet zwischen physischen, psychologischen, sozialen und transpersonalen Kontexten; ebda 220. 184 »Im Gegensatz zu Innovationen, die durch die Konkurrenz vielfältiger Marktakteure entstehen […], kultivieren sozialökologische Gemeinschaften ihre Innovationen nicht nur kooperativ, sondern auch so, dass sie deren ökologische und soziale Konsequenzen bewusst im Blick haben und sie gezielt für nachhaltige Lebensstile einsetzen.« Lambing, J. 2014: 115. 185 Ebda. 102.
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Laut Autoren wie Kunze und Wagner gelinge es Gemeinschaften durchaus, dessen Qualitäten zu demonstrieren. Nach Wagner sei dabei in Sieben Linden in den letzten Jahren die Idee einer Kultur entstanden, »der ein neues Bild von Gemeinschaft zugrunde liegt.« Dieses zeige »keine uniforme Gleichmachung, sondern ein individuelles Eingehen auf Stärken und Schwächen der Einzelnen, auch im Sinne einer ›Einheit in der Vielfalt‹.« Jeder solle seinen Platz im Ökodorf finden. Nun, als »neueste, sich derzeit gerade vollziehende Entwicklung, käme die Ebene einer sinnlichen Erfahrung eines alternativen Lebensmodells hinzu.«186 Der Bewohner Würfel präsentierte Sieben Linden beispielsweise als Kunstwerk mit politischer Konnotation: »Menschen, Holz, Lehm, Stroh, Plastikfolie, Metall, Papier, Glas, Tetrapak, versch. Mat. – im Besitz der Künstler.«187 Abbildung 12: Postkarte, ›Ökodorf (1997 – Gegenwart)‹188
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, 2009).
186 Wagner, F. 2013: 105. 187 Die Postkarte fand im Ökodorf zunächst wenig Anklang, der Laden wollte sie nicht vertreiben. 2011 berichtete mir eine Bewohnerin enthusiastisch von ihrer Einsicht, »dass das was wir machen Kunst ist!« Als ich an die Karten erinnere, entgegnete sie, dass den Zusammenhang mit Kunst und Kultur vermutlich damals noch niemand ›verstanden‹ habe. 188 Anonymisiert, in Andreas, M. 2011 [BP, 30.03.2011]b: 4. Der Wunsch eine ›andere Kultur› zu etablieren war bereits 1990 von der Heidelberger Projektgruppe expliziert worden, vgl. Sommer et al. 1990: 107.
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Mit Foucault spricht Demmer von der ästhetischen oder poetischen Leistung der ethico-politischen Identität: »the poetics of articulating, for example, ideas of a good life, a good person, or a proper community, constitute a fundamental procedure of ethical self-creation.«189 Das Ethische sei nach Foucault insofern politisch, als dass dessen Artikulation (und ich füge hinzu: Kultivierung) ein Akt der Freiheit ist. Zugleich sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass die Variable ›Kultur‹ schlicht alles in ein helles und farbenfrohes Licht färbt. Wie die Soziologin Christa Müller an Urban Gardening-Projekten herausarbeitet, bleibt das Spiel von Identität und Differenz erhalten und dient auch der Distinktion gegenüber anderen.190 Zuletzt sei mit Riegler nicht vergessen, dass (gerade) Kultur nicht nur Harmonie bedeutet: »Kultur ist – und dieser Widerspruch wird oft nicht reflektiert – zugleich Einheit und Differenz.«191 Zwar stellt sie eine ›imaginierte Einheit‹ dar, »Kultur ist aber auch ein politischer Ort um die Auseinandersetzung beziehungsweise Infragestellung von vorhandenen Ordnungssystemen, symbolischer Codes und Welthierarchien. Kulturelles bietet damit immer auch die Möglichkeit auch aus der Position des Verschiedenseins gegen das Gleichsein zu wehren oder es einzufordern.«192
Es ist dieses Wechselspiel zwischen Positionierungen und der versuchten Kultivierung von Qualitäten, welches ich als Prozess der Identität untersuche. Mir ist es dabei ein Anliegen, Kultur weder als statisch, noch völlig abgrenzbar darzustellen (hier ganz der Ethnologe neuer Schule) – das, was Geertz einst das Keksausstecher-Kulturprinzips193 nannte. In diesem Lichte betrachtet wäre die Phrase ›Kultur der Nachhaltigkeit‹ nicht ideal. ›Kultur‹ steht in ihr sehr stabil und singulär, die dazugehörige kulturelle Freiheit muss man sich gedanklich hinzu addieren. Auch der Verbund mit ›der Nachhaltigkeit‹ wirkt bemüht. In einem ethnologischen Sinne entsteht Kultur überall
189 Ebda. 190 Müller, C. (Hg.) 2011: 26f. 191 »Das Denken von kultureller Einheit und Differenz ist aber auch immer ein Reflektieren über Identität schlechthin. Denn Identität ist ebenfalls ein reflektiver Bewusstseins- und Imaginationsprozess«. Riegler, J. (Hg) 2004: 14. 192 Riegler, J. (Hg) 2004: 14; vgl. Clifford, J. 2000; Demmer im Erscheinen. 193 Geertz, C. 1995: 76; vgl. Andreas, M. 2012.
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dort, wo Menschen Bedeutungen entwickeln, ausmachen und kultivieren (Die Dimension der Kultur ist insofern nicht von Ressourcenarmut betroffen, was gegen die Verwendung der Phrase ›kulturelle Nachhaltigkeit‹ spricht);194 Kultur treibt viele und unerwartete Blüten. Instrumentalisiert man diese als allein im Besitz der Nachhaltigkeit, nimmt man ihr die Gestaltungsfreiheit, die es auch bei der Ausübung von Verantwortung bedarf. Dennoch tun wir natürlich gut daran, die Prämisse der Nachhaltigkeit als Grundlage unserer Beteiligung am kollektiven Leben zu wählen, wofür Ökodörfer beachtliche Beispiele bieten. Als ›regulative Metapher‹195 am utopischen Horizont halte ich insgesamt die Orientierung an der Idee einer Kultur der Nachhaltigkeit für vertretbar. Ich präferiere es allerdings, von einer kulturell(-ästhetischen) Dimension zu sprechen – inklusive, aber nicht ausschließlich bestimmt durch postmoderne Brüche, Verwerfungen und auch Zerwürfnisse.196 Mit Geertz lässt sich von »Spielarten der Beteiligung an einem kollektiven Leben«197 sprechen. Im besten Falle erleben wir durch das Bemühen um Nachhaltigkeit eine kulturelle Blüte. Zu bedenken ist nur mit dem Ethnologen Tim Ingold: »Culture is the name of a question, not the answer.«198
194 Heidemann, F. 2011: 11. »For me, I don’t know what I would study if I weren’t studying meaning.« Hall, S., in Karvonen, E. 2000 [Web]. 195 Mein Dank an Thomas Köhler für diese Phrase. 196 Vgl. Clifford, J. 2000; vgl. 2001: 473: f; Hall, S., in Karvonen, E. 2000 [Web]. 197 Ebda. 81. 198 Ingold, T. 2010: 85.
4. Wette auf Bedeutung Ökodörfer sind Modelle gelebter Nachhaltigkeit. GEN EUROPE1
Sieben Linden hatte Erfolg mit seiner utopischen Landnahme in der Realität. Über die Altmark hinaus ist das Ökodorf in einer Forschungslandschaft und der kollektiven Imagination eines Bemühens um Transformation verortet. In diesen Kontexten begleitete ich Sieben Lindens in ausgewählten ethnographischen Momenten und Positionierungen. Hall sprach von der ›Wette auf Bedeutung‹, bei der verschiedene Akteure setzen. Identitätsbildung findet ihm zufolge an der politischen ›Front‹ statt. Doch der Such-, Lern-, und Entscheidungsprozess des Ökodorfes zieht sich auch durch die ›Innenräume‹ Sieben Lindens. So betonte Levitas die Bedeutung der Bildung und Transformation einer utopischen Intention, beziehungsweise ihre Kultivierung. Der eigene Wetteinsatz wird gewissermaßen auch intern entwickelt und verhandelt. Zusammen genommen untersuche ich Kultivierung und Positionierung als Prozesse der Identität. Mein erster ethnographischer Ansatzpunkt war die unter Ökodörfern weit verbreitete Idee der Vorreiterschaft. Wie Lambing schreibt: »Die Pionierhaftigkeit der Gemeinschaften wird von ihnen selbst so gesehen, sowohl was
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GEN Europe 2014. Modelle gelebter Nachhaltigkeit, Berlin, 30.10.2014.
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den experimentellen Charakter vieler ihrer Aktivitäten betrifft als auch hinsichtlich der Rollenbeschreibung als Vorhut.«2 Sieben Lindens Selbstbeschreibung als ›Modellprojekt‹ (und Forschungsprojekt) war in diesem Zusammenhang eine auffällige Positionierung.3 Ein zweiter Ansatzpunkt in diesem Kapitel orientiert sich stärker am Konzept der Kultivierung. Auf welche Qualitäten wird im Ökodorf Wert gelegt und wie werden diese aus dem utopischen Möglichkeits- in den konkreten Erfahrungsraum überführt? Ich hatte hierfür speziell Veranstaltungen mit ökologischem Bezug besucht, wie zu Geländegestaltung, Permakultur und Tiefenökologie. Jede von ihnen war auf eigene Weise mit einer (alternativen) Kultivierung des Verhältnisses von Mensch und Mitwelt befasst gewesen. Aber berichten werde ich stattdessen von einer sozio-kulturell ausgerichteten Veranstaltung: dem Gemeinschaftskurs. Diese damals etwa zwei Wochen sind obligatorisch für alle potentiellen Zuzügler und gelten als ein Herzstück der Ökodorf-Veranstaltungen. Die in diesem Kapitel vorgestellten Episoden bieten allesamt Einblicke in den fortwährenden Such-, Lern-, und Entscheidungsprozesses Sieben Lindens, der damit natürlich nicht abgeschlossen ist. So fand beispielsweise im Herbst 2014 die interne Veranstaltung Ökodorf 2.0 statt (zum Auftakt der diesjährigen Intensivzeit): »Zeit für uns innezuhalten. Eine Bestandsaufnahme stand an, eine Überprüfung und Neuausrichtung unserer mentalen Konzepte, unserer kollektiven Glaubenssätze, unserer gemeinsamen Ziele.«4 Jahre zuvor hatte man sich in den Politischen Abenden 2008/2009 mit ähnlicher Ausrichtung auf die Suche nach dem gemacht, ›was hier essenziell‹ ist. Als eine Schlussfolgerung aus diesen Forschungsepisoden bezeichne ich das Motiv des Modells als missverständlich. Laut Lambing sei in »der Gemeinschaftsbewegung schon seit längeren eine gewisse Ernüchterung hinsichtlich der Frage eingetreten, wie weit die eigenen Möglichkeiten, als Modell zu wirken, reichen.«5 Dawson hatte 2008 auf die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Gründung von Ökodörfern verwiesen, wie sie auch das internationale GEN-Gremium artikuliert hatte.6
2
Hagmeier, S., Stengel, M. & Würfel, M., in Lambing, J. 2014: 102.
3
Vgl. auch die Begriffe Avantgarde, Leuchtturm, Pilotprojekt oder Pionier. Die
4
Stengel, M. 2014b [Web].
5
Lambing, J. 2014: 102
6
GEN 2008: 1.
Nuancen sind verschieden, allen gemein ist die Idee der Vorreiterschaft.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 153
Damit einher ging eine Absage an Ökodörfer als nachzuahmende Modelle. Dabei hatte gerade dieser Aspekt für die Einschätzung ihrer Relevanz eine bedeutende Rolle gespielt. Ross Jackson hatte 1996 noch 100 Millionen USDollar von der UN für die Errichtung von 50 Ökodörfern weltweit erbeten. Er könne sich keinen besseren ›Hebel‹ für eine nachhaltigere Welt vorstellen, als die Förderung von Ökodörfern als regionalen Modellen.7 Wagner kommentiert die damalige konstitutive Rolle des Modell-Motivs: »Der Anspruch, eine Lebensweise zu entwickeln, die für alle Menschen und Fragen der Nachhaltigkeit adäquat ist, war am Anfang der Ökodorfbewegung sehr präsent. […] Den Pionieren in Gemeinschaften wurde mit viel Pathos eine Rolle als Geburtshelfer der neuen Kultur und der neuen Menschen zugeschrieben.«8
Bezogen auf die ›Wette‹ argumentiere ich, dass die Positionierung als Modell für Sieben Linden insbesondere bei der Gründung von Bedeutung war: zur Bündelung und Mobilisierung der utopischen Imaginationen und um damit gesellschaftliche Relevanz anzuzeigen. So wurde 1995 Modellprojekt als Begriff für die TAT-Orte-Bewerbung gewählt, deren Erfolg die Gründung des Projekts maßgeblich unterstützte. Das Motiv wurde in der »angestrebten Integration aller Lebensbereiche (Wohnen, Arbeit, Versorgung, Kultur) im Rahmen einer ökologischen Kreislaufwirtschaft und sozialen Gemeinschaft«9 verortet. Die Wette ging auf. »Angesichts seiner Modellhaftigkeit und Übertragbarkeit wird das Vorhaben ausgezeichnet«,10 so die Jury. Aber bleibt die Positionierung als Modell weiterhin stimmig und sinnig? Jedes Selbstverständnis legt bestimmte Strategien nahe und neue Positionierungen gehen von vorherigen aus. Eine Vorstellung der Jacksons hatte darin bestanden, dass allein die Qualität der Ökodorf-Modelle ausschlaggebend für einen Kulturwandel sei11 – entlang der in GEN-Kreisen oft zitierten These Buckminster Fullers: »Es nutzt nichts, das Bestehende zu bekämpfen. Um
7
Jackson, R. J. T. 2000: 79.
8
Wagner, F. 2013: 53.
9
Felkl, C., Halbach, D. & Stützel, E., in Wagner, F. 2013: 105.
10
Ebda.
11
Jackson, R. J. T. 2000: 64.
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etwas zu verändern, schaffe ein Modell für das Neue und mache das Bestehende obsolet.«12 Beiseite gelassen werden hierbei die klassisch-politischen Antagonismen, es fehlen Strategien im Umgang mit diesen. Cojocaru hatte dementsprechend argumentiert, dass utopische Projekte vorrangig mit dem Aufbau ihrer eigenen Modelle beschäftigt seien, anstatt ihre Ziele in der klassischen politischen Arena verwirklichen zu wollen. Mit Levitas können Ökodörfer als bestimmte Form verstanden werden, mit der Funktion, bestimmte Inhalte oder Qualitäten zu verwirklichen. Mit dieser Utopie zeigen sie einen gewissen Erfolg auf. Aber gilt deswegen der Umkehrschluss, dass ihre Form als Modell dienen sollte? Lockyer betont, dass sich individuelle Orientierungen nicht selbstverständlich in entsprechende (modellhafte) Resultate übersetzen lassen, es sei denn, effektive Strukturen vermitteln den Übergang. 13 Im Bereich Ernährung scheint dies zu gelingen. So ist es in Sieben Linden einfach, sich regional, verpackungslos, vegetarisch und vegan in Bioqualität zu ernähren, denn nur solche Nahrung wird im öffentlichen Raum angeboten (Fleisch und Fisch können über den Laden bestellt und im privaten Rahmen verzehrt werden). Diese Struktur ermöglicht dem Individuum eine Ernährungsweise, beziehungsweise legt sie strukturell nahe, die zu einem geringeren CO2-Ausstoß führt als durch tierische Lebensmittel. Weniger klar umrissen ist der Bereich Mobilität. Markus Moos et al. stimmen überein, dass sich die Infrastruktur von Projekten wie dem Ecovillage at Ithaca zwar bereits »dramatisch«14 von der US-amerikanischen Norm unterscheide, aber dennoch die individuellen (Konsum-)Entscheidungen der Bewohner bedeutsam bleiben. Dies werde beispielhaft an ihren Flugreisen deutlich, die einen sehr hohen CO2-Ausstoss implizieren.15 In den von Simon et al. untersuchten deutschen intentionalen Gemeinschaften wie Sieben Linden liegen die zurückgelegten Kilometer pro Person gar höher als der Bundesdurchschnitt – dass die Menge an emittierten Treibhausgasen dennoch insgesamt niedriger ist, sei mit der Wahl der Verkehrsmittel, biologischen Energieträger und den Vorteilen gemeinschaftlicher Nutzung (wie weniger
12
Fuller, R. B., in GEN Europe 2014. In Modelle gelebter Nachhaltigkeit, Berlin,
13
Lockyer, J. P. 2007: 48.
14
Moos, M. et al. 2006: 196.
15
Vgl. die kritische Studie von Chitewhere, T. 2006.
30.10.2014.
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Fahrzeuge bei höherer Auslastung) zu begründen.16 Allerdings fordere die Pflege überregionaler Beziehungen und Netzwerke schlicht ihren Tribut. So kommt im schottischen Findhorn zu der nach Dawson und Metcalf marginalen sozialen und ökonomischen Einbindung in die Region eine kosmopolite Haltung und Herkunft der Mitglieder. Wie Simon et al. gelangt Dawson zu dem Schluss, dass die Verbindungen nach außen gepflegt werden wollen, was sich hier in hoher Flugnutzung niederschlägt.17 Generell ist zu bedenken, dass in den CO2-Berechnungen von intentionalen Gemeinschaften und Ökodörfern (wie auch anderen Orten) die Mobilität von Gästen nicht einbezogen wird, obwohl diese oftmals den Hauptpfeiler ihrer Ökonomien bilden. In Sieben Linden wird die Konsequenz auf die Besucher verlagert: »Die Frage, ob es wirklich nachhaltig ist, wenn Menschen landauf landab herumreisen, um sich in Seminaren weiterzubilden, beschäftigt uns immer wieder. Aus diesem Grund wünschen wir uns von allen Teilnehmern, dass sie, wenn möglich, mit der Bahn anreisen oder die Mitfahrbörse auf unserer Website nutzen. Ganz öko reist Mensch natürlich mit dem Fahrrad nach Sieben Linden!«18
In Ökodörfern finden sich verschiedenste Maßnahmen, die weitgehende ökologische Nachhaltigkeit und damit gegebenenfalls auch Modellhaftigkeit nahelegen. Neben Undeindeutigkeiten wie im Bereich Mobilität bleibt allerdings bei den ›sozial-ökologischen Gemeinschaften‹ oft auch ihre Ökonomie unbeachtet. Gewissermaßen als Gegenpol meiner folgenden Ausführungen führe ich vorab eine klassische Imagination eines Ökodorfes ein, wie sie Ross Jackson 2000 formulierte. Klassisch ist dabei meines Erachtens nach bereits, dass die ökonomische Dimension vernachlässigt wird: »What is special about the ideal ecovillage is that it is truly holistic, integrating all aspects of our lives in a single place, where social, environmental, and spiritual aspects
16
Die Mobilitätsrate wird auch mit den überproportional vertretenen »mobileren
17
»Findhorn residents typically fly around two and a half times the UK per capita
Altersklassen zwischen 20 und 50« begründet. Dangelmeyer, P. 2004: 21. air miles.« Dawson, J. 2007: 44f; vgl. 70f. 18
Freundeskreis Ökodorf 2013: 5.
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meet—in a vibrant local community that can continue forever in harmony with nature.«19
Das Attribut der Ganzheitlichkeit (holistic) überspitze ich im Folgenden zur Ganzheit. Wie Clifford bemerkte, schließt jeder Fokus zugleich aus. Durch eine autarke Ganzheit würde man sich willentlich der Verbindungen zur Umwelt berauben. Doch wären Ökodörfer so selbstgenügsam?20 Das Projekt welches zu Sieben Linden wurde, trug früher Selbstversorgung als Selbstbestimmung im Titel, der sich später als Untertitel der Rundbriefe fortsetzte.21 Doch die Erfahrung der ersten Experimente hatte gezeigt, dass ökonomische Autarkie unter Einhaltung gewisser Mindeststandards (wie Medikamente, Computer oder Glasfenster) unmöglich ist. Würfel kommentiert rückblickend: »Tja – hier hat sich dann aber doch eine andere Kultur herausgebildet als die Hardcore-Selbstversorgung mit Lumpen an den Füßen und jeden Tag Kartoffeln.«22 Dennoch bemühen sich die Ökodörfler um weitgehende Selbstversorgung. So beziehen die Bewohner Sieben Lindens und ihre Gäste ihre Lebensmittel zu etwa drei Vierteln aus den eigenen Gärten. Um dies zu gewährleisten, werden interne Preise an die Gärtner ausgezahlt, die 2009 bei etwa 150 Prozent des Bio-Großhandelspreises lagen.23 Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob die Abgrenzung von ökonomischen und sozialen Flüssen gewollt und in Übereinstimmung mit den Ansprüchen des Ökodorfes wäre. Schließlich ist die Vision der Nachhaltigkeit letztendlich nur als Transformation der Gesamtgesellschaft sinnvoll. Dies hat Konsequenzen: »Wir leben hier kein Selbstversorgerdasein, und es würde auch nicht gut damit zusammenpassen, dass wir den Menschen außerhalb Sieben Lindens zeigen wollen, dass wir das immer noch sehr ökologische Leben auch genießen. Wir wollen einen modernen Bildungsbetrieb, der die Menschen auch erreicht. Also Internet, Telefon, Flyer. […] Wir können siebenlinden.de nicht aus roher Fichte schnitzen.« 24
19
Jackson, R. J. T. 2000: ix.
20
Vgl. Willke, H. 1983: 163.
21
Vgl. Sommer, Jörg et al. 1990; Ökodorf-Projekt 1992.
22
Würfel, M. 2012a: 54.
23
Freundeskreis Ökodorf 2009a: 12; vgl. 2011e: 4.
24
Würfel, M. 2012a: 55. Eine Ausnahme war eine Zeitlang der ›Club99‹.
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In Findhorn und Sieben Linden war es eine bewusste Entscheidung gewesen, den Gästebetrieb zum »Kernbetrieb« auszubauen25 und die eigene ökonomische Stabilität einem Bildungs- und Seminarbetrieb anzuvertrauen – mit über 10.000 Besuchern in Findhorn beziehungsweise 5.000 bis 6.000 Übernachtungen im Jahr in Sieben Linden.26 Die von Jackson beschworene Ganzheitlichkeit eines idealen Ökodorfes ist in etablierten Projekten wie Findhorn und Sieben Linden angewiesen auf den ökonomischen Beitrag von außen. Zugleich wird über Gäste auch die selbstgewählte Funktion erfüllt, als gesellschaftliches Modell zu wirken, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit: »For the communities that have adopted the principle of sustainability (which includes most communities formed in the 1990s), that principle means not only sharing resources and the surplus of production, but also expanding their activities to include the inhabitants of the neighboring towns and villages«27.
Doch weder Findhorn noch Sieben Linden kommen dieser bioregionalen Vision insofern nach, als dass sie ökonomisch oder sozial eng verbunden mit den umliegenden Regionen wären. Das verbleibende Viertel der Nahrungsmittel Sieben Lindens wird beispielsweise größtenteils aus dem 180 Kilometer entfernten Göttingen angeliefert, nicht aus der Altmark.28 Metcalf berichtet wiederum von den Schwierigkeiten Findhorns sich sozial einzufinden: »In spite of their rhetoric of love and acceptance, there has always been a degree of tension between members of this utopian, new-age community and their conservative, Scottish neighbours.«29 Während sich Anfang der 1960erJahre die Kritik vor Ort vor allem auf die Erscheinung der Findhorner ›Hippies‹ bezogen hatte, richtete sich diese später auf das hohe Aufkommen an Gästen. Als 1992 eine geplante Expansion des Ökodorfes offenbar wurde, erreichte das Nachbarschaftsverhältnis einen Tiefpunkt. Während auf dem ›Weltgipfel‹ 1992 in Rio Nachhaltigkeit legitimiert wurde, galt in Findhorn:
25
On-site tourism gilt als typisch für ländliche Ökodörfer; Barton, H. 1998: 164.
26
Vgl. Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 12. Die seit Ende 2010 siedelnde Gemeinschaft Schloss Tempelhof wurde 2014 von etwa 7.000 Gästen besucht. Raysz, S. [PK, Fürstenberg an der Havel, 10.02.2015].
27
Komoch, A., Hagmeier, S. & Kirchner, M. 2003: 723.
28
Vgl. allerdings Centgraf, S. 2009.
29
Metcalf, B. 2001: 239.
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»The mass of criticism […] threatened their global image as the sustainable vanguard of the new-age movement, the success story everyone which likes to cite. It challenged their sustainability!«30 Die geringe soziale Eingebundenheit der genannten Ökodörfer in ihren Regionen unterstützt die Annahme, dass die hohe Mobilität dazu dient, den sozialen Austausch überregional zu suchen – oder gleich zu sich kommen zu lassen. Nicht nur neue Bewohner, Freunde und Liebespartner finden sich unter den Gästen; nach einer Bewohnerin Sieben Lindens tragen diese entscheidend dazu bei, die eigene Lebensqualität zu sichern: »Ohne Gästebetrieb würde ich in Sieben Linden nicht sein wollen.«31 Gäste sind das dorfeigene Rezept gegen den ›Inselkoller‹ und helfen ihr zufolge maßgeblich, »dieses Inselgefühl aufzuheben. Wenn wir einfach nur ohne Besuch hier wären und aus der Region kommt auch niemand und nur im eigenen Sumpf säßen, dann wäre es ja auch nicht gut und für mich auch nicht attraktiv. Und ökonomisch gar nicht machbar.«32
Die von Jackson imaginierte Selbstgenügsamkeit scheint sich nur bedingt auf den sozialen und ökonomischen Bereich zu beziehen. Insofern problematisiere ich auch das propagierte Ideal der Ganzheitlichkeit. Ökodörfer wie Sieben Linden und Findhorn vertrauten ihre soziale und ökonomische Nachhaltigkeit weitgehend dem Strom an Gästen an. Dies bedeutet nicht, dass nicht auch alternative Positionen möglich wären – fraglich wird die Positionierung nur, wenn sie als Modell verstanden werden will. Nachahmer müssten sich konsequenterweise ebenfalls als solches etablieren, um sich sozial und ökonomisch tragen zu können. Aber nicht nur für den Erhalt der Form, auch für die Erfüllung der Funktion als didaktisches Modell werden Gäste benötigt. Die gesellschaftliche Bedeutung eines Ökodorfes entsteht im Spiel von Identität und Differenz. Sie nähren sich und andere aus ihrer Erfahrbarkeit und erfüllen auf diese Weise ihren selbstgewählten Bildungsauftrag. Die vorgestellten Überlegungen bieten Hinweise auf die widersprüchliche Positionierung von Ökodörfern als Modell, durch die sich eine Art Riss zieht.
30
Ebda. 240.
31
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]x: 11.
32
Ebda.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 159
Die Annahme der Ganzheitlichkeit scheint geeignet, Abhängigkeiten in Bezug auf die ökonomische und soziale Dimension zu verdecken. Anstatt eines Modells scheint es sich bei Sieben Linden um ein sehr lokales Zentrum zu handeln – mit dem Anspruch, Antworten auf globale Fragen zu entwickelten. Doch wo bleibt in dieser Glokalität die Region?
Vormittag IV Vom ehemaligen Club99 wandern Sie am Waldrand entlang gen Westen. »Aus dem Streichholzforst, den wir hier geerbt haben […] gewinnen wir Bau- und vor allem Brennholz. Nach und nach versuchen wir, ihn zum Mischwald umzubauen«, bemerkt Micha: Im Winter werden die Kettensägen angeworfen und mit Hilfe von Pferden (und Baugästen) Holz geerntet. In Sieben Linden machen in absteigender Reihenfolge Heizen, Warmwasser und Strom den größten Energiebedarf aus.33 Strom wird sparsam eingesetzt. Elektrische Wärmequellen sollen soweit als möglich vermieden werden, bis hin zu Wasserkochern. Statt auf Elektroherde wird auf Bio-Propangas gesetzt.34 »Ab und an kriege ich Lamentos zu hören, wenn sich wieder irgendwo ein Toaster eingeschlichen hat«, meint der Autor schmunzelnd. Laut eigenen Angaben liegen die Bewohner bei einem sehr geringen Verbrauchswert pro Person von etwa 400kWh pro Jahr. Dazu kämen weitere 100kwH von den Betrieben. 70 Prozent des Stromes werde aus den eigenen Photovoltaikanlagen gewonnen, alle temporären Überschüsse flößen in das öffentliche Netz. Pro Bewohner am Netz liegen momentan (Stand 2012) mehr als vier Quadratmeter Photovoltaikfläche vor. Die aus Photovoltaik und Brennholz (per Stückholzofen und Heizvergaserkessel) gewonnene Wärmeenergie fließt in Heizwasserspeicher, die die Häuser beheizen.35 Im Durchschnitt werden drei Kubikmeter Holz pro Bewohner im Jahr verbraucht. Selbst gut gedämmte Bauwägen verbrauchen damit circa doppelt so viel wie die neu gebauten Wohnhäuser.
33
Vgl. Dyck, W. 2007a und b.
34
Die formellen Angaben und Zitate stammen in diesem Teil, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2011a, e, 2009a und 2008a [Web].
35
Dyck, W. 2007b: 52.
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In den neueren Häusern dienen als Dämmmaterial vor allem gepresste Strohballen, die eine Dicke von über 30 Zentimetern aufweisen. Bei den meisten Fenstern wird Wärmeschutzglas verwendet, selbst die Recyclingfenster der Villa Strohbunt wurden zuletzt entsprechend ausgetauscht. Wie sich an der Libelle sehen lässt, sind die Wohnhäuser kompakt und mit den Wohnräumen und großen Fensterflächen gen Süden ausgerichtet, so dass durch das Sonnenlicht passiv Energie gewonnen werden kann. Laut Sandra gibt es sogar noch eine kleine Winkelverschiebung gen Osten, damit die Häuser am Morgen schon »angewärmt« werden. Als Mindestanforderung dient beim Hausbau der Niedrigenergiehausstandard mit einem Verbrauch von weniger als 50kwH/Quadratmeter im Jahr.36 Für die Zukunft sind in Sieben Linden noch ausgefeiltere Standards geplant. »Wirtschaftlich rechnen sich die höheren Investitionskosten leider überhaupt nicht«, heißt es im Führungsdokument. Abbildung 13: Strohpolis.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2012).
Vor Ihnen kommt ein dreistöckiges Haus in Sicht. War die Villa Strohbunt das erste genehmigte Strohballenhaus Deutschlands, ist ›Strohpolis‹ das
36
Dyck, W. 2007b: 51f.
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europaweit erste Mehrfamilien-Strohballenhaus und nach Angaben Sieben Lindens weiterhin das größte. Hier finden gut 20 Personen in zwei großen WGs und sieben Privatzimmern Platz. Sieben Linden gelang es laut einem Bewohner mit diesem Haus »bautechnische Vorreiterschaft«37 im Strohballenbau zu erlangen und die »Behördenwahrnehmung« mit zu verändern. Die Behörden hatte die Sorge vor Brandgefahr umgetrieben, »gerade in der trockenen Altmark.« Aber wie es im Führungsdokument heißt, lasse sich ein festgepresster Strohballen ebenso wenig anzünden wie ein Telefonbuch – umso weniger, wenn dieses in Lehm eingepackt ist. In der Materialprüfungsanstalt Braunschweig wurden die entsprechenden TÜV-Tests durchgeführt, um die Feuerfestigkeit der Struktur unter Beweis zu stellen. Ziel war der sogenannte F-30: Hierfür muss eine Testwand 30 Minuten lang einem genormten Feuer von circa 1000 C° widerstehen, ohne zusammenzufallen. Nach 90 Minuten wurde abgebrochen, die Wand hatte gehalten. Da das 90er Zertifikat wesentlich teurer war, ist Strohpolis allerdings nur F-30 zertifiziert. Dennoch wird eine offizielle Zulassung weiterhin nur unter eingeschränkten Bedingungen vergeben (Bei Strohpolis musste auch weiterhin das Treppenhaus aus Stein gemauert werden). Anstatt des Lehmverputzes sind bislang nur Bauten mit Platten vor den Wänden zugelassen. Die Lehm-Variante ist bislang nur per Einzelgenehmigung möglich, die im Ökodorf jeweils beantragt und bewilligt wurde. Sieben Linden tritt mit dem Verband Fasba dafür ein, die Zulassung auch auf den Lehmputz auszudehnen. Im Gegensatz zu der Plattenvariante verbleibt dabei allerdings die Möglichkeit von Schimmelbildung, weswegen diese Art von Bau nicht ohne weiteres von Laien nachzuahmen ist. Strohballenbau wurde allerdings in einer Vielzahl von Seminaren an interessierte Besucher weiter gegeben, meist unter Leitung von Björn Meenen. Durch seinen Weggang sei dieses Seminarstrang laut Eva weitgehend versiegt: »Strohballenbau ist ja auch was, was wir weit in die Gesellschaft gebracht haben und wo´s schade ist, dass jetzt keiner gerade auf der inhaltlichen Ebene hier mehr arbeitet. Das war halt eigentlich nur der Björn.«38
37
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 10.
38
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 22.
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Strohpolis fällt auch aus der nachbarschaftlichen Idee heraus. Von 2004 bis 2005 hatte die WoGe dieses »Wohnhaus zum Ankommen errichtet. »Es sollte ein erstes Standbein für neue Menschen sein, die selbst eine Nachbarschaft gründen und bauen wollen.«39 »Haben sich die Menschen wirklich von dort aufgemacht, eigene Nachbarschaften zu gründen und Häuser zu bauen?«, fragt eine Leserin. Micha antwortet: »Falls das funktioniert, dann nur sehr langsam, in den ersten sieben Jahren seines Bestehens ist aus Strohpolis nur eine Frau wieder aus- und in ein neu gebautes Haus wieder eingezogen.«40 Und das nicht einmal in eine Nachbarschaft, sondern in eine eigene Wohnung in der Libelle. Es ist typisch für Führungen, dass die Teilnehmer irgendwann anfangen zu überlegen, wie es wäre, selbst im Ökodorf zu wohnen. Spätestens dann wendet sich das Gespräch dem Thema der Finanzierung zu. So fragt jemand schlussendlich: »Sagt mal, wie wird das hier eigentlich alles finanziert?« Die Gruppe macht es sich auf den Bänken hinter Strohpolis bequem, während der Autor ausholt. Der Löwenanteil der Finanzierung werde nach Angaben des Ökodorfes von den Bewohnern aus eigenen Mitteln (»und Kräften«) bewerkstelligt. In erster Linie würden in der SiGe Eigenkapital (circa 60 Prozent) und Privatkredite (circa 40 Prozent) genutzt.41 Bankkredite würden soweit als möglich vermieden werden, einen einflussreichen Sponsor gebe es nicht. Projektbezogene Fördermöglichkeiten durch EU, Bund und Länder würden soweit als möglich genutzt werden, aber sich auf höchstens zehn Prozent der Gesamtausgaben summieren. Im Führungsdokument heißt es dazu: »Unsere gesamte Basis ist von unserem Eigenkapital finanziert. Wir haben viele Dinge selber finanziert, die in einem normalen Dorf vom Staat finanziert werden, wie die Wege hier, die Strom- und Wasserversorgung. Wir sind aber fähig, Fördermittelrichtlinien zu lesen«. Im Gegensatz zu Gemeinschaften wie der Kommune Niederkaufungen in Hessen oder Twin Oaks in den USA gibt es in Sieben Linden keine gemeinsame Kasse, in die alle hineinwirtschaften und herausnehmen. Allein der Club99 praktizierte gemeinsame Ökonomie. Ansonsten kommen
39
Anonymisiert, in Kunze, I. 2007 [IT]: 2; vgl. [KA] 2002: 16.
40
Würfel, M. 2012a: 70.
41
Jungbluth, O. 2007: 62.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 163
in Sieben Linden alle Bewohner selbst für ihren Unterhalt auf: »Die individuelle Verantwortung innerhalb der großen Ökodorf-Gemeinschaft ist Teil unseres Konzepts«42, erklärt Micha. Allerdings gibt es Bereiche, wo Sieben Linden diese marktwirtschaftliche Logik wieder aushebelt, zum Beispiel bei der Bezahlung der Gärtner. Außerdem existiert durch die beiden Genossenschaften zumindest gemeinsames Eigentum. Der SiGe gehören Land und Gemeinschaftsgebäude, sie kümmert sich um die Grundversorgung und Infrastruktur.43 Die WoGe wiederum ist Bauträgerin der meisten Wohnhäuser im Ökodorf.44 Beitrag und Beitritt in die SiGe ist Voraussetzung für alle vollwertigen Mitglieder. Momentan sind es knapp über 60 Menschen, die sich so in die Genossenschaft einbringen. Dabei gilt es einen nicht rückzahlbaren Eintrittsbetrag von 1.500 Euro zu entrichten, darüber hinaus werden weitere Anteile à 1.025 Euro gezeichnet. Der sogenannte Sockelbetrag ist nach Selbsteinschätzung gestaffelt (›normal‹, ›Soli‹ und ›Kür‹) und beginnt bei elf Anteilen. Die Summe bekommt man bei Austritt aus der Genossenschaft mit etwas Verzögerung zurück. Sofern man einen Stellplatz in Sieben Linden bekommt, kann man im Bauwagen leben, ansonsten in eine Wohnung ziehen oder bauen. Dabei gilt, beziehungsweise galt, dass die Nachbarschaften »für sich jeweils eigene Lösungen finden müssen, wie sie den Bau ihrer Wohnhäuser organisieren und finanzieren«. Aufgrund der Regeln des Ökodorfes dürfen nur Organisationen bauen, zumeist ist es die WoGe. Ein Eintrittsgeld wie bei der SiGe fällt nicht an. Allerdings gilt es auch hier, nach dem Genossenschaftsprinzip rückzahlbare Anteile zu zeichnen. Vorgabe der WoGe ist es, jeden Bau mit mindestens 50 Prozent Eigenkapital zu stemmen. Bei den Häusern liegen die absoluten Herstellungskosten zwischen 1.200 Euro/Quadratmeter (Nord- und Südhaus) und 1.600 Euro/Quadratmeter (Windrose). Um einen Wohnraum zu finanzieren, sind im Schnitt 20.000 Euro nötig, selbst Palais Bellevue hatte 19.000 Euro gekostet.45
42
Würfel, M. 2012a: 52.
43
Strünke, C., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 14.
44
Lakas, P., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 15
45
Ebda.
164 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
»Der Hauptnachteil des Neubaus sind natürlich die Kosten«, meint Micha. Wer mit Vermögen anreist, würde es früher oder später zum Bauen ausgeben – aber damit auch der lokalen Wirtschaft nützen. »Es ist nicht die große solidarische Ökonomie mit einer gemeinsamen Kasse, aber durchs Bauen fließt Geld in die Gemeinschaft, und davon profitiert unser eigener kleiner Wirtschaftskreislauf.« Laut dem Freundeskreis sei es eine ›solidarische Privatökonomie.‹ In Sieben Linden fußt diese Marktwirtschaft vor allem auf der mehrmaligen, internen Geldrotation. »Der Euro geht ein paarmal rum«46, meint Christoph. Im Führungsdokument wird erläutert, dass Aufträge bewusst vor allem an Bewohner vergeben werden, »auch wenn es vielleicht etwas teurer ist, weil das dorf-ökonomisch sinnvoll ist, weil dann das Geld im Dorf bleibt.« Grundbedürfnisse wie Ernährung sollen weitgehend selbst gedeckt werden, weitern »vorrangig durch direkte, regionale Wirtschaftskontakte abgedeckt werden«47. Micha ist dennoch nicht glücklich über die Wohnungsbausituation, denn ihm sind finanziell die Hände gebunden: Er zahlt noch eine private Leihgabe für die SiGe-Anteile zurück. Die offizielle Linie des Ökodorfes bietet hier keine Hoffnung: »Neben dem Sockelbetrag braucht jeder Bewohner Geld für den Bau von Wohnraum. Wer dieses Geld nicht bereits mitbringt, kann es hier schwer verdienen, bestenfalls leihen.« Weniger begüterte Menschen wie Micha und Sandra ringen mit der Frage, wie sie jemals einen Hausbau finanzieren sollen – und ob man nicht auch einfacher bauen könnte? Ein Interviewpartner fasst zusammen: »Wenn Sieben Linden wachsen soll, muss frisches Geld irgendwo herkommen. Und ich tue mich manchmal ein bisschen schwer mit dieser wirklich gesetzten Zielsetzung, wir wollen ein Dorf aufbauen und das soll möglichst ökologischen Standards entsprechen und dann noch so ein bisschen Pionier-mäßig irgendwie sein. Sprich, wenn man hier dann ein Haus bauen will, dann ist das hier mehr oder weniger genauso teuer, als wenn man es irgendwo anders bauen will. […] ÖkoZiele super, aber geht mit ganz schönen ökonomischen Schwierigkeiten einher, das zu regeln.«48
46
Strünke, C. 2012 [PK, Sieben Linden, 30.03.2012].
47
Stützel, E. & Kommerell, J. 2007b: 65.
48
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 5.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 165
Gerade die großen Investitionen wie Bauwägen und Genossenschaftsanteile fallen schwer. Dem ließe sich durch die Einführung einer gemeinsamen Ökonomie entgegen wirken, gegebenenfalls ein kostenloses Grundeinkommen – aber dazu kam es bislang nicht.49 Früher ging man teils davon aus, dies später gemeinsam zu entwickeln.50 Bettina allerdings, die die Gruppe seit den Banditas begleitet, schüttelt den Kopf: »Sieben Linden wird nie eine gemeinsame Ökonomie haben. Wenn du gemeinsame Ökonomie nicht am Anfang gemeinsam entscheidest, wirst Du sie nie einführen.« 51 Der Verfasser nickt, zu deutlich seien die Erfahrungen anderer Ökodörfer.52 Aber in einer kleineren Gruppe will Micha dennoch eine gemeinsame Ökonomie erproben – er würde »zu gern mal erfahren, dass diese Art von Gruppenerlebnis möglich ist. Es würde mein Vertrauen über die ökonomische Ebene hinaus wachsen lassen«. An die SiGe gilt es noch eine monatliche Nutzungsgebühr für den Platz, beziehungsweise die Instandhaltung der Infrastruktur (inklusive der Bereitstellung von Brennholz), zu entrichten. »Hört sich an wie Camping«, meint jemand. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Organisationen, die nähren und genährt werden wollen. So kümmert sich der Naturwaren Sieben Linden e.V. (NaWaSiLi) um die Verpflegung aller Anwesenden und betreibt den Laden. Für die Kinder wird kein Beitrag fällig, den teilen die Erwachsenen unter sich auf. Im Kellersortiment finden sich alle Grundnahrungsmittel und auch Drogerieartikel zur freien Verfügung. Schokolade und andere Delikatessen erstehen die Sieben Lindener im Laden (nach Bestellung auch Fleisch oder Fisch). Der NaWaSiLi organisiert darüber hinaus den Sammeleinkauf für den Seminarbetrieb und die Bewohner, bis hin zu Schulsachen. Der Freundeskreis Ökodorf e.V. ist zuständig für den Seminarbetrieb, die Öffentlichkeitsarbeit und Kulturelles – er vertritt die öffentliche Seite des Projektes. Alle Bewohner sind im NaWaSiLi organisiert, die meisten auch im Freundeskreis.
49
»Und dann gabs dieses Basisökonomiemodell. Das war vollkommen ausgefeilt.
50
Kunze, I. 2002 [IT]a: 7.
51
Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 12.
52
Christian sieht die Entscheidung für oder gegen eine gemeinsame Ökonomie
Ist nur nicht umgesetzt worden.« Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 5.
ebenfalls als grundsätzlich und nicht revidierbar an. Christian, D. L., 2003: 7f.
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Der Autor rechnet vor, dass die Bewohner insgesamt 258 Euro pro Monat für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Drogerieartikeln ausgeben, sofern sie täglich im Ökodorf sind und mittags im Regiohaus essen. Nimmt man am öffentlichen Mittagessen teil (und kocht nicht selber), zahlt man den sogenannten ›Kocheuro‹ für die Köchin oder den Koch. Summa sumarum ergeben sich (Stand 2012) monatliche Fixkosten von 421 Euro bei eigenem Bauwagen, 456 Euro im Haus mit viel eingebrachtem Eigenkapital (ausgehend von einer 100 Euro-Miete), und 626 Euro bei keinerlei eingebrachten Eigenkapital (bei einer 220 Euro-Miete, plus 50 Euro). Zum Vergleich meint der Autor, er habe in seinem 16,5 Quadratmeter großen Münchner WG-Zimmer auch 450 Euro gezahlt, aber ihm würde das Haus auch nicht mitgehören und es gebe keine Sauna – dafür war die Isar näher. Micha relativiert: »Wir leben hier sicherlich günstiger als in Frankfurt oder München. Aber unsere Häuser sind teuer, unsere Gärtner subventionieren wir, unsere Sonnenblumenkerne sind nicht nur Bio, sondern aus Europa statt aus China – das alles kostet Geld.« Beim Thema Geld entbrennt ein Disput. Eine Bewohnerin gibt zu verstehen, sie finde es »ökonomisch überhaupt nicht innovativ hier. Wer heute nach Sieben Linden ziehen möchte, sollte am besten 20.000 Euro mitbringen.«53 Bettina verteidigt das Ökodorf, denn »es gibt zwei Dinge, wo ich Sieben Linden ökonomisch schon genial finde. Weil es zwei wesentliche Aspekte unserer Finanzwirtschaft ausgleicht.«54 Dies sei einerseits das Genossenschaftsprinzip: Unabhängig vom eingebrachten Geldanteil besitzen alle Genossen jeweils eine Stimme und damit gleich viel Wertigkeit; andererseits seien es die zinslosen Darlehen, die untereinander vergeben werden. »Die Entkopplung von Macht und Geld und die Zinswirtschaft sind für mich die wesentlichsten ökonomischen Fehlstellen dieser Gesellschaft. Und die unterlaufen wir tatsächlich.« Bettina sieht vor allem in den begüterten Vorläufern der Anwesenden den bisherigen Motor des Ökodorfes: »Wir kommen nun mal alle aus hübschen AkademikerVerhältnissen, wo unsere Elterngeneration […] noch diese Finanzkraft hatte.« Aber die gesellschaftliche ›ökonomische Teilhabe‹ sei heute nicht
53
Anonymisiert, in Andreas, M. 2010 [BP, 29.03.2010]b: 3.
54
Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 11.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 167
mehr die gleiche, wie etwa Mitte der 1980er. »Und jetzt ist sowohl die Gesamtwirtschaft, als auch die Sieben Linden-Wirtschaft an dem Punkt, wo dieser Wertschöpfungsmissstand offensichtlich wird.« 55 Damit bezieht sich Bettina auf die Schwierigkeiten, die besonders bei der WoGe sichtbar werden – denn für das weitere Wachstum ist Sieben Linden wieder auf fremdes Kapital angewiesen. Eva stimmt zu, dass der Aufbau des Dorfes momentan nicht vorangehe, da eine Patt- oder »Stausituation«56 entstanden sei. Aber sie möchte den Unterschied zwischen Wirtschaft und Finanzen betonen, denn die Dorfwirtschaft funktioniere gut. Außerdem sei sie stolz, dass Menschen hier in der Lage seien, sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Eva erinnert an die historische Dimension: »In dem Ursprungskonzept ist der Gedanke drin, wir brauchen überhaupt kein Geld, wir steigen hier aus, wir entziehen dem Kapitalismus den Boden...das ist in der Realität nicht so...Wir entziehen dem Gedanken den Boden es ist wichtig, viel Geld zu verdienen und sich darüber zu definieren.«57
Micha vermisst im Ökodorf etwas mehr ökonomische Initiative und vermutet dahinter »ein Vorurteil aus der Öko-Kultur, dass Geld verdienen etwas verwerfliches ist«. Aber wenigstens das plage ihn nicht: Er wäre »unheimlich gerne reich.« Mit diesen Worten und dem Klang des Gongs zum Mittagessen enden die Sitzung vor Strohpolis und der Vormittag.
4.1 M ODELL ? Der Modellanspruch von Ökodörfern steht in Verbindung zur Einschätzung ihrer Relevanz. Aus ihm leiten sich eine Reihe weiterer Fragen ab, wie die eines möglichen Transfers in die weitere Gesellschaft. Ich hatte darüber hinaus einen eigenen Grund, mich diesem Motiv zu widmen, beziehungsweise mich darüber zu wundern. So hatte sich mein Forschungszugang zum selbst-
55
Ebda.
56
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 5.
57
Stützel, E., in Pape, K. 2011 [Web].
168 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
ernannten ›Modell- und Forschungsprojekt‹ als überraschend schwierig erwiesen. Naiv hatte ich angenommen, dass entsprechendes Interesse aus den Wissenschaften gutgeheißen werden würde. Da dem nicht so war, stellte sich mir die Frage, inwiefern die Bewohner das Ökodorf als Modell verstehen beziehungsweise positionieren. Im März 2009 fragten der Psychologe Wagner und ich nach. Mit Hilfe von Strünke als Betreuer akademischer Arbeiten im Ökodorf und Joubert als damaliger GEN-Europe Präsidentin initiierten wir eine Gruppendiskussion.58 Diese moderierten wir entlang der Aussage von Geertz, nach der ein Modell stets ›von‹ und ›für‹ etwas sei: Was wird modelliert und wem, beziehungsweise welchem Zweck dient das Ökodorf als Modell? Zusätzlich fragten wir, ›wie‹ es wirke. Die 19 anwesenden Teilnehmenden (damals etwas über 20 Prozent der erwachsenen Bewohner) im Gemeinschaftsraum waren zumeist erfahrene Bewohner, die im Mittel acht Jahre in Sieben Linden lebten. Sie kamen zu sehr uneinheitlichen Einschätzungen darüber, ob und inwiefern es sich um ein Modell- und/oder Forschungsprojekt handele. Mehrmals wurde betont, dass zwischen beiden Ansprüchen ein Spannungsfeld bestehe. Manche gingen von einer gegenseitigen Verstärkung aus, andere von einer Behinderung, beispielsweise weil »wir hier gar nicht so frei sind wirklich zu forschen, weil wir doch sehr viel Rücksicht nehmen müssen auf die Region und so, weil wir eben auch Modellprojekt sind. Ich habe einfach das Gefühl, das wir Modellprojekt sind hindert uns auch daran Forschungsprojekt zu sein.«
Der Teilnehmer nannte beispielhaft eine offen gelebtere Sexualität und ein weniger getrimmtes Erscheinungsbild des Ökodorfes – beides sei aus Rücksichtnahme auf konservativ geprägte Besucher unmöglich, beziehungsweise zu vermeiden.59 Bezogen auf den Modellanspruch zweifelten mehrere Teilnehmer an, ob Sieben Linden diesem überhaupt gerecht werde. Er impliziere
58
Die folgenden Angaben und Zitate zu Sieben Linden als Modell- und Forschungsprojekt stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. & Wagner, F. 2012a. Zusätzlicher Dank an die dm-Märkte, deren Futuristen-Förderung die Veranstaltung unterstützte.
59
So wird in Sieben Linden darauf geachtet, während des Sonntagscafés nicht nackt im Teich zu baden. Freundeskreis Ökodorf 2009a: 14
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 169
ja, reproduzierbare Lösungen auf die Herausforderung nachhaltiger Lebensstile vorzuweisen. Im Lichte des Modellbegriffs sei es zwar Aufgabe des Ökodorfes, diese zu entwickeln und vorzuleben (»walk your talk«) – aber eine Transferierbarkeit sei eigentlich nicht zu gewährleisten: »Also wenn ich mich auf das Wort Modellprojekt beziehe, dann heißt es eigentlich, ich will eine gewisse Übertragbarkeit schaffen, und dafür sind die Konditionen denkbar schlecht, also […] die Ausgangsposition ist, dass wir hier eine unglaublich elitäre Gruppe sind [Lachen], mit unglaublich elitären Voraussetzungen. Ich find das gar nicht schlecht, ich leb hier gerne, ne – nur macht es die Möglichkeiten der Übertragbarkeit relativ gering.«
Dennoch wurden viele Beispiele von Komposttoiletten bis hin zur Kommunikationskultur genannt, bei denen Transfer stattgefunden habe oder zumindest möglich schien. Die erhofften oder vermuteten Zielgruppen blieben weitgehend undefiniert und reichten von den Gästen zu anderen Gemeinschaften, bis hin zur Region. Ein Teilnehmer bemerkte: »Für wen? Für die Zukunft!« Medienvertreter und Wissenschaftler wurden als mögliche Bindeglieder zur weiteren Gesellschaft diskutiert. Verschiedene Sinnbilder kamen auch auf: Sieben Linden gleiche einem ›Steinbruch‹, von dem sich jeder konkrete Bruchstücke mitnehmen könne; das Ökodorf sei eine ›ganzheitliche Inspirationsquelle‹; die Idee eines ›Musterdorfes‹ im Sinne einer ›Blaupause‹ fand keine Unterstützung; zuletzt wurde Sieben Linden auch als ›Modell für neue Muster‹ beschrieben. Dieses wirke subtil als »paradigmatische anstelle einer konkretistischen Übertragung«. In einem späteren Interview Wagners wird Sieben Linden als Inspiration beschrieben, die » zwar nicht als hundertprozentig zu übertragendes Modell detailgerecht nachgebildet werden soll, sondern zu eine Übertragung von ›inneren Prinzipien‹« anregen solle.60 Elemente wie Strohballenbau oder Komposttoiletten wirken auf den ersten Blick wie konkrete Elemente als Bestandteile des Steinbruchs, die auch gut anderswo existieren könnten. In diesem Sinne vermitteln diverse Kurse solche Techniken oder Elemente an Gäste. Aber diese Perspektive vernachlässigt beispielsweise die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die für den Betrieb einer Komposttoilette in einer großstädtischen Schrebergar-
60
Wagner, F. 2013: 104.
170 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
tenkolonie nötig wären. Die ›Kommunikationskultur‹ Sieben Lindens wiederum mag auf den ersten Blick wie eine diffuse Inspirationsquelle wirken. Allerdings werden in Sieben Linden hierzu sehr konkrete Elemente kultiviert, wie Gesprächsprinzipien und Formate wie das ›Forum‹. Generell gaben die Teilnehmer an, dass auch für sie schwer abschätzbar sei, was im Ökodorf genau geforscht werde und für was man Modell sei. Intention und Ergebnis seien selbst in der vermeintlich überschaubaren Komplexität Sieben Lindens selten eindeutig aufeinander zu beziehen. Eine Bewohnerin bediente sich zur Veranschaulichung einer Analogie zur Weltraumforschung: Man möchte eigentlich zum Mond, aber am Ende kommen Teflonpfannen für alle heraus. So könne man das Ökodorf mit seiner Altersdurchmischung auch als Gegenmaßnahme zum demographischen Wandel verstehen, auch wenn dies nicht intendiert war. Auf Nachfrage zerflossen die sinnstiftenden Begriffe Modell- und Forschungsprojekt gewissermaßen – manche Teilnehmer wollten sich mit ihnen identifizieren beziehungsweise positionieren, andere nur mit einem der beiden, wieder andere mit keinem. Trotz dieses fragmentierten Eindrucks wurde in der Runde betont, dass das Ökodorf durchaus ›etwas zu bieten‹ habe: »Ja, also mir gefällt weder das Wort Modell- noch das Wort Forschungsprojekt. Ich habe auch das Gefühl, dass wir beides nicht wirklich sind, weil wir sind kein Modell in dem Sinne, das ich mir wünschen würde, dass noch ganz viele andere solche Dörfer entstehen – das ist vollkommener Humbug, neue Dörfer zu bauen, wenn überall die Dörfer leer stehen z.B.. Und trotzdem find ich haben wir eine Berechtigung mit dem was wir hier tun, als ein inspirierendes Projekt, als ein Projekt, das [...] durch diese Ganzheitlichkeit [wirkt].«
Die Phrase Modell- und Forschungsprojekt begann 2010 von der Website und den Broschüren zu verschwinden. Verantwortlich war die Kleingruppe Öffentlichkeitsarbeit (KG Öff), deren interne Evaluation aus dem gleichen Jahr ergeben hatte, dass es die Erwartung systematischer und wissenschaftlicher Dokumentation und Übertragbarkeit wecke. Da Sieben Linden diese nicht erfülle, oder dies nicht belegen könne, wurde das Begriffspaar fallengelassen. Dennoch sei intern weiterhin ein Bewusstsein davon vorhanden, dass einzelne Aspekte des Ökodorfes übertragbar seien; ebenso wirke es ins-
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 171
gesamt als inspirierender Ort des Lebens und Lernens und weise einen Forschungscharakter auf – allen voran für die Bewohner (die hiermit nun selbst auch als Zielgruppe benannt wurden).61 Ich griff das Vorgehen der Nachfrage 2012 erneut auf. So hatte ich ab 2008 ein Inventar an Begriffen angelegt, die mir im Ökodorf begegnet waren und jeweils dazu gedient hatten, Sieben Linden gänzlich oder in Elementen zu beschreiben. 25 von ihnen legte ich einem Dutzend Interviewpartner vor, etwa einem Siebtel der damals erwachsenen Bewohner.62 Die Ergebnisse bieten Varianten zur Auseinandersetzung mit der Positionierung des Ökodorfes als kollektiven Akteur. So wurden manche Begriffe einhellig abgelehnt, wie ›Elfenbeinturm‹, ›Satellit‹ und ›Speerspitze‹, andere wiederum bestätigt: ›Gemeinschaft‹, ›Gewächshaus des Vertrauens‹, ›Oase‹, ›Ökodorf‹ und ›Projekt‹. Ein ambivalentes Bild ergab sich für die Gruppe der Turmanalogien. So bemerkte ein Bewohner: »Diese Türme, also da wo so Spitzen irgendwo sind […], die Krone der Schöpfung, das find ich sind wir überhaupt nicht. Das will ich auch überhaupt nicht, dass wir uns so fühlen.« Gegen den Elfenbeinturm verwehrt sich eine Bewohnerin wie folgt: »Dazu haben wir zu viel reales Leben; […] Also das passt für mich nicht wirklich auf uns. […] Wir mögen auf eine Art irgendwo in manchen Dingen ein bisschen abgehoben sein oder uns eine Wirklichkeit schaffen, die jenseits von […] der sonstigen ist, also was Handys angeht oder so was, aber ein Elfenbeinturm ist einfach immer abgehoben und ... und wir sind hier glaub ich doch recht handfest.«
61
»Since Sieben Linden does not fulfill this stringent requirement, or at least cannot demonstrate it, the decision was made to no longer use the term in promotional materials. Even so, internally there remains a certain awareness that specific aspects of ecovillage life are transferable and that, as an inspirational place for living and learning, the village as a whole has a research character, above all for the residents themselves.« Kommerell, J. in Andreas, M. & Wagner, F. 2012: 147.
62
Die Interviewten erhielten je eine zufällig verteilte Übersicht der Begriffe. Sie waren dabei frei auf einzelne einzugehen und andere zu vernachlässigen. Die folgenden Angaben und Zitate aus den Interviews stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [IT, 03.-14.04.2012].
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›Leuchtturm‹ wirke da bereits sympathischer. »Wir sind einfach ein Projekt wo man sagen kann, das ist so und da kann man sich dann orientieren, abarbeiten, Inspirationen holen.« Die symbolisch hervorgehobenen Türme stehen in konzeptueller Nähe zu Begriffen wie Avantgarde oder Pionier (»Speerspitze? Na ja, finde ich jetzt ein bisschen geprotzt.«). Diese betonen eine auf die Zukunft ausgerichtete Vorwärtsbewegung, die die ›Front‹ verschiebe und den Möglichkeitsraum erweitere. So verwendete die Bewohnerin Bettina Keller den Begriff der Avantgarde beispielsweise für WGs in den 1970ern, die von einer alternativen zu einer regulären Wohnform wurden. Oftmals lehnten die Interviewten aus normativen Gründen Begriffe ab, die sich mit Vorreiterschaft assoziieren ließen. Manche standen gar mit ihnen auf ›Kriegsfuß‹, wie eine Bewohnerin zur Avantgarde. Dies ist allerdings nicht mit einer ontologischen Einschätzung zu verwechseln. Wirklichkeit und Anspruch begegnen sich in den Motiven, sie stellen Positionierungen dar. So äußert sich ein Bewohner zum Pionierbegriff: »Diese lead-Funktion, die mag ich einfach nicht so. Wenn man das so in seinem Bewusstsein hat. Obwohl wir natürlich saumäßig elitär sind, das ist überhaupt keine Frage, also das ist klar.« Weitere Begriffe der Vorreiterschaft und -bildhaftigkeit sind Beispiel, Bildungszentrum und das bereits angesprochene Modell. Eine Bewohnerin lehnte Modell ab, weil es impliziere: »Wir leben es euch vor.« Stützel als Geschäftsführerin des Freundeskreises legte ihr Veto gegen Bildungszentrum ein: »Haben wir, aber sind wir nicht. Also, wir haben ein Bildungszentrum und wir sind als Ganzes ein Projekt der Bildung für nachhaltige Entwicklung«63 der UNESCO-Dekade. Aber auch hier stelle sich die Frage, ob die damit implizierte Aufgabe überhaupt erfüllt werden kann. Wie Modell klinge ihr Beispiel zu sehr nach 1:1-Übertragung. Sandra Campe stellt die Frage, die auch die KG Öff bewegte: »Wie kann das eigentlich ein Modell sein, wenn man das nicht wirklich wissenschaftlich begleitet, oder wenn es nicht wirklich so einen Transfer gibt, also macht der Modellbegriff dann Sinn?«64 Keller zeigt sich zuletzt aufgrund mangelnder Diversität dagegen: »Weil wir einfach so wenig die gesellschaftliche Zusammensetzung darstellen, dass wir nur sehr begrenzt Beispiel sein können.«65
63
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 15.
64
Campe, S., in Andreas, M. 2012 [IT]i: 8.
65
Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 5
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 173
Dennoch wurde das Motiv von manchen Bewohnern weiterhin unterstützt: »Also ich identifiziere mich nach wie vor noch mit dem Modell, das ist mir persönlich wichtig.« Oder: »Modellprojekt ist klar, das steht ja auch überall und das ist auch so.« Die als modellhaft angesehenen Elemente variierten weiterhin. Für manche ist es das Gemeinschaftsleben mit seinen Auseinandersetzungen, Reibungen und Lösungsversuchen, für andere der materielle Charakter Sieben Lindens mit den beindruckenden Strohballenhäusern; wieder anderen reicht die Tatsache des fortwährenden Bestehens, gewissermaßen der Beheimatung in der Realität: »Es ist ein Modellprojekt. Ich meine es funktioniert ja, es gibt es ja immerhin schon seit 15 Jahren, irgendwie scheint es zu funktionieren.« Generell bestand Einigkeit, dass Sieben Linden etwas ›nach außen‹ geben möchte.66 Dieser Aspekt ›funktioniere‹ ja auch weitgehend: »Man merkt, dass auch was, ja, was Modellhaftes hängen bleibt, das ist schön zu erfahren.« Interessant erscheint zuletzt die Verbindung von Modell und Anspruch, wie ihn eine Bewohnerin hervorhebt – definiert doch der Anspruch als utopischer Horizont die Identität des Ökodorfes mit: »Da müsste man erst mal reflektieren, was bedeutet das eigentlich, dass die KG Öff das rausgenommen hat, das Modell […]. Das wir vielleicht jetzt gar kein Modell mehr sind und es vielleicht auch keinen Anspruch mehr gibt. Und damit sind auch Tür und Tor gegeben für alle möglichen Aufweichungen der Standards. Oder das wir uns dann eben nicht mehr messen lassen müssen.«
Die Befürchtung der Bewohnerin lautet, dass mit einer Aufweichung des Modellanspruchs »das typische ganz normale bürgerliche Argument« der eigenen Bequemlichkeit einhergehe, sich doch wie alle anderen zu verhalten. Das sei die Kehrseite der Offenheit der Lebensentwürfe im Ökodorf. Allerdings könne man auch eben dank dieser Offenheit »hier sehr viel bewegen. Man kann hier auch relativ leicht eine wichtige Rolle einnehmen, wenn man das möchte, und sehr viel Einfluss nehmen auf die Entwicklung des Dorfes.« Supik erinnert daran, dass ein kollektiver Akteur und Kollektivität an sich »immer nur ein imaginäres Konstrukt ist«67. Mit Hall betont sie, wie die Zugehörigkeit zu diesem Konstrukt zustande kommt: Individuen »positionieren
66
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 14.
67
Supik, L. 2005: 94.
174 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
sich durch Zustimmung und Kritik.«68 Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Motiven ergab einen Einblick in solche Positionierungen. Als Kollektiv verbleibt der Eindruck einer uneindeutigen Positionierung durch das Motiv des Modells, welches nicht nur aus Sicht einiger Bewohner als missverständlich gelten muss. Gleichwohl ist man sich einig, dass im Ökodorf etwas vorhanden ist, was sich zu betrachten lohnt – ich spreche von Qualitäten, die kultiviert werden. Aber lässt sich sagen, welche von ihnen essenziell sind und somit die Identität Sieben Lindens auf den Punkt bringen?
4.2 E SSENZIELLES Zum Wetten gehört eine vorherige Selbstvergewisserung. Nach der GEN GA 2008 hielt ich nach solchen Momenten Ausschau und musste nicht lange warten. So fanden bereits im Winter 2008 die ›Politischen Abende‹ statt,69 die eine Antwort auf die Frage ergeben sollten: »Wie wollen wir in die Welt wirken?« Angekündigt wurde ein »vertieftes Gespräch und [eine] Auseinandersetzung in Sieben Linden über unser Engagement in der Welt«. Ökodörfer begreifen sich im Verhältnis zur Welt, ganz im Sinne von ›global denken – lokal handeln‹; oder in den Worten des Freundeskreises: »Die Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft auf dieser Erde hört nicht am Rand des Ökodorfes auf.«70 Durch die Abende erhoffte man sich Perspektiven und Projekte als Antworten, die den eigenen Blick weit über diesen Rand richten sollten: »Es fühlt sich so an, als müsste unsere jetzige Antwort effektiver und weitgreifender sein als alles, was wir bisher gemacht haben«71. Die Abende beruhten auf der Initiative einzelner, die Teilnahme für andere Bewohner war freiwillig und unverbindlich. Dementsprechend wechselte die Besetzung, von je einem Sechstel bis Viertel der damals gut 80 Erwachsenen. Die Organisatoren (unter ihnen die frisch zur GEN Europe-Präsidentin gekürte Joubert) zeigten sich getragen von dem »Vertrauen, dass die Weisheit
68
Ebda.
69
Abgesehen von den Intensivzeiten, stellten die Abende die einzige Veranstal-
70
Freundeskreis Ökodorf 2011f: 2.
71
Kommerell, J. 2009b: 1; vgl. Feisel, U., in Andreas, M. 2012 [IT]e: 3.
tung ihrer Art in Sieben Linden im Zeitraum von 2007 bis 2012 dar.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 175
der Gruppe und die Vielfalt der Erkenntniswege uns den Weg zeigen würden«72 Die Moderation der Abende wurde vom Freundeskreis honoriert, dem für die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit zuständigen Ökodorf-Verein. Als teilnehmender Beobachter führte ich Protokoll an zwei der vier Abende.73 Mir ist dabei noch die Erwartung anzumerken, der Entwicklung einer politischen Strategie beizuwohnen oder bereits einen Strategieplan vorzufinden. Es erging mir ähnlich wie einer zukünftigen Bewohnerin, die, nachdem ihr alle Informationen über Sieben Linden beigebracht wurden, den dringenden Wunsch verspürte, sich »gerne mal mit einem Strategen [zu] unterhalten.«74 Ein alteingesessener Bewohner des Ökodorfes bemerkte demgegenüber: »Strategie gibt’s nicht, aber Richtung.«75 Die Abende verdeutlichen den ›Lern- und Suchprozess‹ des Ökodorfes, hin zu einer wirkungsvollen Positionierung. Dabei werden die Schwierigkeiten offenbar, einen Bezug von lokal zu global herzustellen und festzustellen, ›wo‹ hierbei Sieben Linden zu verorten sei. Vom Ablauf her konfrontierten die Organisatoren die Teilnehmer zunächst mit der Krise der ›Weltsituation‹. Daraufhin wurde der Austausch der Bewohner untereinander hergestellt und ermutigende Leitsätze gestiftet. Im nächsten Schritt wurde individuelles Engagement im Ökodorf sichtbar gemacht und zugleich als kollektives Bemühen dargestellt. Mittels einer Traumreise begab man sich nun auf die Suche nach der ›Essenz‹ des Ortes – doch kein gemeinsamer Traum verband die Reisenden. Stattdessen wurde ›Herzöffnung‹ als zentrales Motiv hervorgehoben. Zuletzt befassten sich die Teilnehmer mit der Frage: »Wie können wir unser Herz öffnen, das Ökodorf aufbauen und in die Welt wirken?« Im Folgenden werden die ethnographische Momente eingehender beschrieben: I. Thema des ersten Abends im Dezember war die Situation der Welt. Diese wurde anhand von Karten und Filmausschnitten skizziert, in denen dem Klimawandel, dem Welthunger und der Rüstungsindustrie die negativ gefärbten Hauptrollen zukamen. Nach der bedrückenden Darstellung sollten sich die
72
Kommerell, J. 2009a: 6.
73
Ursprünglich sollte die Reihe sieben Abende umfassen. Meine Teilnahme am
74
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [BP]b: 8 (05.04.2012).
75
Halbach, D., in ebda. 9.
vierten Abend wurde durch eine Terminänderung im Ökodorf verhindert.
176 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Anwesenden auf ihre Eindrücke und Emotionen besinnen und austauschen.76 Kommerell fasste zusammen: »Da ist viel Ohnmacht, Angst, Hoffnungslosigkeit, Schmerz aber auch Hoffnung, Liebe, Träume, Freude.«77 So begrüßte eine Teilnehmerin die ›Antwort‹ des Dorfes auf die Weltsituation. Sie gab aber auch an, keine bessere zu wissen – es sei insgesamt »eine bescheidene Antwort«. Eine zweite Person strebte eine »gemeinsame Ausrichtung« des Ökodorfes an, eine dritte hoffte auf einen »Joker aus der Tiefe«.78 II. Im Januar 2009 folgte die »Identifikation und Wertschätzung«79 des bereits vorhandenen Engagements. Die Aufgabe bestand laut dem Aushang (geziert vom Bild eines Eisbergs) darin, »in Sieben Linden bestehende Antworten auf die Weltsituation sichtbar und hörbar machen.« Die Beiträge wurden auf kleinen Papierfischen visualisiert, die zusammen einen großen Schwarm bildeten. Dabei zeigten sich die Bewohner umweltpolitisch aktiv in der Regionalpolitik, bei der ›Feldbefreiung‹ von Gen-Pflanzen, auf Klimacamps und -gipfeln, beim BUND Naturschutz am ›Grünen Band‹ oder in der Anti-Atombewegung; sie waren engagiert beim Ausbau der Solartechnik, der nachhaltigen Forstwirtschaft oder ›nur‹ als Eltern; viele wirkten im Kommunikations- und Bildungsbereich, sei es als Teilnehmer am Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), als Beitragende auf Konferenzen oder in der Führung von studentischen und schulischen Gruppen durchs Ökodorf. Immer wieder fiel Vernetzung als Stichwort. So wollte Joubert GEN mit Ansätzen aus der Permakultur und Transition Towns vernetzen, den Dialog mit der Europäischen Union (EU) suchen und auch über Europa hinaus Verbin-
76
Der Ansatz ist im Transition-Kontext gebräuchlich. Nach Rob Hopkins sei es notwendig, sich die Folgen zu vergegenwärtigen, die sich durch Klimawandel und Peak Oil ergeben. Durch Filme dränge sich eindrucksvoll die intellektuelle Einsicht der Krisen auf, bringe aber emotionale und physische Folgen mit sich. Hopkins spricht mit (leichter) Ironie vom Post-petroleum stress disorder-Symptom. Angesichts dessen verweist er umso mehr auf die Notwendigkeit, ›innere‹ Ressourcen wie Hoffnung zu mobilisieren. Hopkins, R. 2008: 79f.; 131.
77
Kommerell, J. 2009a: 2.
78
Die Angaben und Zitate zum ersten Abend stammen, so nicht anders angegeben, aus Kommerell, J. 2008b.
79
Kommerell, J. 2009a: 7.
4. W ETTE AUF B EDEUTUNG | 177
dungen ausbauen. Andere wandten sich wiederum der Region zu und äußerten Hoffnung auf eine zukünftige ›Bioregion-Altmark‹. Zuletzt rief Stützel den Ort als Zentrum allen Engagements in Erinnerung: Menschen sollten nach Sieben Linden geführt werden, um »das Inspirierende, was wir hier haben, weiterzugeben«. Die Einmaligkeit des Ökodorfes sei es, Menschen zu ermutigen, »an ihre Träume zu glauben«.80 III. »Neue Wege« sollten am dritten Abend beschritten werden. Joubert verwendet in ihren Präsentationen für GEN oftmals ein Zitat, welches ich erläuternd voranstelle: »Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.«81 Die Fragen des Abends lauteten: »Und was braucht nun also die Welt von Sieben Linden? Was können wir tun, das der Welt gut tut?«82 Die Antwort sollte diesmal nicht aus den individuell-kollektiven Bemühungen kommen (der Fischschwarm hing noch sichtbar im Seminarraum), sondern aus dem Ort. Hierzu lud Joubert die Anwesenden zu einer geführten Meditation. Am Boden liegend bei abgedunkeltem Licht begann mit einem Klang eine ›Traumreise‹: In unserer Vorstellung soll es Nacht in Sieben Linden sein, über uns der Sternenhimmel. Laut der Moderatorin werden wir einen ›magischen Moment‹ im Ökodorf erleben, in dem wir auf ein anderes Wesen treffen. Die Begegnung werde uns darüber aufklären, was die Besonderheit dieses Ortes sei, ›was hier essenziell ist‹.
Einem Bewohner erschien das Wesen als schöne Frau, welche ihm küssend mitteilte: »Es gibt nichts zu tun.«83 In meiner eigenen Imagination bekam ich von einem Alien einen Plan überreicht, voller Pfeile und Anmerkungen. Eine Organisatorin berichtete anschließend von ihrem Traumbild, welches ihr allerdings etwas peinlich sei. So habe sie Sieben Linden als strahlenden Elfenbeinturm oder wegweisenden Leuchtturm imaginiert – in jedem Falle ein »Rettungsort in einer dunklen Welt«. Eine Zuhörerin fand dies praktisch:
80
Andreas, M. 2009b: 2.
81
Das Zitat wird dem Theologen Dom Helder Pessoa Camara zugeschrieben.
82
Ebda.
83
Die Angaben und Zitate zum dritten Abend stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2009 [BP]d.
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»Leuchtturm-Projekte werden gerade gefördert!« Eine weitere Bewohnerin hatte wiederum ihre Traumreise unterbrochen, als ihr Barack Obama erschienen war. Da sei es ihr »zu bunt« geworden. Joubert hätte gerne erfahren, was der damals frisch gekürte US-Präsident im Traum mitzuteilen gehabt hätte. Sie ermutigte an dieser Stelle dazu, »nicht nur aus dem Kopf [zu] kommen«. Die Südafrikanerin berichtete zuletzt selbst von ihrer Traumreise, auf der sie einem Afrikaner begegnet war. Dieser hatte Joubert gefragt: »Könnt Ihr wirklich Euer Herz aufmachen?« ›Herzöffnung‹ wurde im weiteren Verlauf der Abende von den Organisatoren zum zentralen Motiv gekürt. In Kommerells Rückschau stellte sich der zweite Abend insgesamt wie folgt dar: »Die Antworten konnten nicht mannigfaltiger sein, sie reichen von ›Es gibt nichts zu tun‹ bis zu einem ›Strategieplan für die Region‹. Zentrale Antwort war jedoch ›Herzöffnung‹ sowohl im Innern der Gemeinschaft, als auch nach draußen in die Mitwelt. ›Es braucht eine Stärkung der inneren Zufriedenheit, dann werden wir in die Welt hinausstrahlen‹«.84
IV. »Kannst du das Leid in der Welt sehen und dein Herz dabei offen halten?« Die Frage aus Jouberts Traumreise entwickelten die Teilnehmer am vierten Abend zum Dreiklang weiter: »Wie können wir unser Herz öffnen, das Ökodorf aufbauen und in der Welt wirken?« Manche betonten demgegenüber den Wunsch nach mehr Muße und Stille. Jemand bemerkte, dass die Anbindung an ein gemeinsames Ziel bedeutsam sei, jemand anderes, dass es doch bereits helfen möge, sich nicht nur der eigenen Gemeinschaft, sondern auch der Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Eine weitere These lautete: »Wir brauchen kein fertiges Konzept, um in die Welt zu treten.«85 Anstatt von Antworten sei doch vielmehr gemeinsames Fragen bedeutsam. Für eine solche Haltung bedürfe es allerdings mehr Selbstwertgefühl. Dafür müsse man wiederum mehr Wertschätzung für die eigene Diversität aufbringen: Manche Bewohner würden sich eben stärker für die Öffnung des Herzens engagieren, andere für den Aufbau des Ökodorfes und wieder andere im Wirken in die Außenwelt. Kommerell reflektierte im Nachklang:
84
Kommerell, J. 2009a: 8f.
85
Ebda.
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»Der Aufbau eines Ökodorfes braucht viel Aufmerksamkeit, Arbeit und Pflege. Es gibt viel zu tun und nicht immer sind wir dabei entspannt. […] Nun auch noch Herzöffnung? Ein Ergebnis […] war es auch, dass wir uns wirklich Wertschätzung dafür geben sollten, dass wir ein ökologisch ganzheitliches Dorf aufbauen und gemeinschaftliches Leben im Alltag umsetzen. Das macht man nicht so nebenbei.«86
Im Grundsatzpapier der Vision eines ganzheitlichen Dorfes heißt es: »Unser Projekt ist ein Beitrag zur Veränderung, aber es entbindet uns nicht der Verantwortung, auch darüber hinaus politisch Stellung zu beziehen.«87 Zu solch einer Stellungnahme kam es nicht durch die Abende. Dabei hatte beispielsweise Joubert als exponierte Vertreterin der Idee ›kollektiver Weisheit‹ das Feld durchaus entsprechend vorbereitet und kultiviert: Individuen waren in ihrer individuellen Motivation bestärkt, miteinander verbunden, auf die Weltsituation und (versuchsweise) auch auf die Essenz des Ortes eingestellt worden – doch ein Joker ›aus der Tiefe‹ blieb aus. Das Konzept kollektiver Weisheit (oder Intelligenz) geht vom systemischen Phänomen der Emergenz auch bei menschlichen Gruppen aus. Emergenz bezeichnet die Entstehung einer neuen, gewissermaßen übergeordneten Form aus dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente eines Systems. Die Idee legt nahe, dass das Ganze (die Gemeinschaft) weiser oder intelligenter sei als die Summe seiner Teile.88 Gemeinsam würden so Einsichten möglich, die Einzelnen nicht zugänglich wären. Joubert beschreibt: »The group starts to be creative as a whole. This synergetic phenomenon is called collective intelligence and we’ve probably all experienced it at some point or other. In Sieben Linden we have, but far too seldom.«89 Das Bildnis des Fischschwarms verweist auf diesen Wunsch. Die Traumreise ergab allerdings kein vereinendes Ergebnis, es entstand keine Reisegruppe auf einem gemeinsamen Weg. Der Rand des Ökodorfes wurde nicht überquert – ja, es blieb sogar undeutlich, ob man überhaupt vom gleichen Ort losging. Zwar wurden Herzöffnung und Dorfaufbau als relevante Elemente des kollektiven Engagements identifiziert, aber nicht als adäquate Antwort auf die Frage nach dem Wirken in die Welt verstanden. Stattdessen war die neue Frage entstanden, wie sich Herzöffnung, Dorfaufbau
86
Kommerell, J. 2009a: 8f.
87
Freundeskreis Ökodorf (Hg.) 2007c: 9.
88
Joubert, K. A. 2008: 44.
89
Ebd. 2007: 120.
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und das Engagement in der (Außen)welt vereinen ließen. So hieß es auch in Kommerells Bilanz: »Eigentlich hatten die Organisatorinnen sich von dem Prozess etwas anderes erwartet.«90 Sie hätten es begrüßt, wenn »die Winterabende eine Antwort beschert hätten.«91 Auch ich blieb überrascht zurück. So war ich von einer strategischen Neuverhandlung der Positionierung des Ökodorfes ausgegangen – entlang der Ausgangsfrage zum gesellschaftlichen Engagement. Stattdessen wurde auf die politisch verstandene Frage der quasi-spirituelle Weg der Traumreise begangen. Darüber hinaus hatte die Aufforderung während der Abende wiederholt gelautet, nicht nur intellektuell ›aus dem Kopf‹ zu kommen, sondern aus dem geöffneten Herzen. Allein, es folgten keine Handlungen. Die spezifische Gewichtung innerhalb des in der Szene oft erwähnten Dreiklangs von Kopf, Herz und Hand drückt meines Erachtens nach das Bemühen um eine alternative Rationalität aus – ein Ansinnen, welches sich auch in der weiteren Ökodorf-Geschichte findet. So waren die Gründer Gaia Trusts davon überzeugt gewesen, dass das notwendige Wissen (Kopf) für einen Kulturwandel längst vorhanden sei. Think tanks wurden als unnütz verworfen, es bedürfe keiner weiteren Intellektuellen oder Wissenschaftler. Stattdessen sollten Praktiker unterstützt werden (Hand); »ecovillagers […] are not writing papers for the next conference, or philosophizing over the back fence about what we ought to do about the global crisis. They ARE doing it«92 Bei der Frage, Permakultur oder Ökodörfer zu fördern entschieden sich die Jacksons für letztere, weil diese die spirituelle Dimension stärker mit einbeziehen würden (Herz).93 Doch während exemplarisch Joubert als Autorin die intellektuelle Rationalität immer wieder in Grenzen weist (»Der Stolz des Wissenden ist hier fehl am Platz«94), beruft sie sich wiederholt auf die Autorität der Wissenschaften.95 Eine Auflösung solcher Ambivalenzen gelingt nur, wenn das Verhältnis der Rationalitäten nicht als Entweder-oder verstanden wird, son-
90
Kommerell, J. 2009a: 9.
91
Ebda.
92
Jackson, R. J. T. 2000: ix.
93
Ebda 30.
94
Joubert, K. A. 2010: 105, vgl. 54.
95
Ebda. 55f; vgl. 189.
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dern als Ringen um Priorisierung und vor allem Anerkennung und Würdigung. So bemerkte Kommerell in ihrer Reflexion, dass Herzöffnung weder Kopf noch Handlung in den Hintergrund drängen solle: »Ein weites Herz heißt ja, eine tiefe Verbundenheit mit der Welt um uns herum zu fühlen. Es heißt, das Leiden in der Welt anschauen zu können, Mitgefühl zu haben und dennoch bei uns bleiben, nicht selber leiden, einen klaren Kopf behalten, handlungsfähig bleiben.«96
In den Abenden ist die Verbindung von Kopf, Herz und Hand scheinbar nicht gelungen.97 Eine der Organisatorinnen sah jedenfalls auch drei Jahre später noch keinen daraus entspringenden Wandel. Allerdings seien in Sieben Linden schlicht viele Kräfte im Aufbau und Erhalt des Dorfes, sowie der eigenen Versorgung gebunden. Ihr zufolge sei die Ergebnislosigkeit der Abende diesem alltäglichen ›Überlebenskampf‹ geschuldet. Ohne gemeinsame Ökonomie und bei hohen ökologischen Grundsätzen binde der Alltag zu viele Kapazitäten – noch dazu vor dem Hintergrund der freiwilligen Teilnahme und des bereits vielfach bestehenden Engagements, wie es sich am zweiten Abend äußerte. Sieben Linden ist ein ziviles Projekt, mit all seinen Möglichkeiten und Begrenzungen. So wird der mehrfach geäußerte Wunsch nach Wertschätzung nachvollziehbarer – als eine der wenigen Ressourcen, mit denen Engagement entlohnt werden kann. Insgesamt war die globale Weltsituation als offene Frage verstanden worden, die abstrakt blieb und zu keiner lokalen Antwort führte. Dennoch waren die Teilnehmer zumeist vereint in ihrer Annahme, dass Sieben Linden Antworten biete – wenn auch zugleich niemand die Suchbewegung nach eben diesen Antworten in Frage stellte. Hall unterschied zwei grundlegende Perspektiven auf Identität. In einer von ihnen liege diese in einem vermuteten Zentrum eines Selbst als ›Essenz‹ vor. Die Annahme, Identität solchermaßen im Inneren vorzufinden, »gibt uns ein Bewusstsein von Tiefe, von einem Dort-Draußen und einem Hier-Drinnen. Sie ist räumlich organisiert. Viele Bestandteile unseres Diskurses über das Innen und das Außen, das Ich und das Andere, das Individuum und die Gesellschaft, Subjekt
96
Kommerell, J. 2009a: 8.
97
Eine ausführlichere Darstellung findet sich in der ursprünglichen Doktorarbeit.
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und Objekt basieren auf dieser spezifischen Logik von Identität. Sie hilft uns nachts ruhiger zu schlafen.«98
Hall hatte die Suche nach identitärer Essenz nicht abgewertet, aber auf die innere Leere von Positionierungen hingewiesen, die Identität erst ermögliche. Er verstand die Ausbildung von Identität als relationalen Akt via Differenz und Verbindung. Im Falle der Abende wurden auch Verbindungen verschiedenster Art betont: intra-, inter- und trans-personell.99 Doch zugleich wurde erwartet, im Zentrum des Ortes vorzufinden, »was hier essenziell ist.«100 Letztlich kam es in den Abenden nicht zu einer deutlichen Positionierung. Gegebenenfalls ist dieser Umstand in Supiks leichter Verschiebung von einer passiv zu einer aktiv verstandenen Identität zu suchen, vom Werden zum Tun. Wie Ute Feisel als eine der Organisatorinnen im Nachklang bemerkt: »Und trotzdem, wenn man will, kann man auch ganz anders.«101 Das Bekenntnis zum gemeinsamen Engagement habe stets auch mit einer entsprechenden Willensbekundung zu tun. Levitas bemerkte zum Konzept der Utopie: »not just wishful, but will-full thinking.«102 In diesem Sinne ist eine transformativ wirksame Positionierung nicht nur ein Such- und Lern-, sondern auch ein Entscheidungsprozess.
4.3 R AUM
FÜR
…
»Wir sind ein Dorf, was erstens was Gemeinsames vorhat und zweitens sehr viel Wert auf die Beziehung und die Kommunikationskultur legt.«103 Solchermaßen stellt Stützel Sieben Linden vor. Feisel bemerkt zum gleichen Thema: »Natürlich könnte alles noch viel toller sein.« Aber dennoch habe
98
Hall, S. 1994a: 67.
99
Dementsprechend argumentiert Joubert an anderer Stelle mit ihrem Ko-Autor, dass sich die Bedeutung einer Vision über die Verbindungen zur Welt ergebe. Joubert, K. A. & Alfred, R. 2007: 20.
100 Andreas, M. 2009 [BP]d: 3. 101 Feisel, U., in Andreas, M. 2012 [IT]e: 4. 102 Levitas, R. 1990: 88. 103 Stützel, E. in Andreas, M. 2012 [IT]g: 17.
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man hier »wirklich eine Kultur, eine Kommunikationskultur, eine Gemeinschaftskultur entwickelt […], wo wir auch ein totales Modell sind mit diesen ganzen Kommunikationswerkzeugen.«104 Manche Bewohner verbleiben fragender, wie Keller: »Da habe ich eine große Art von Fragezeichen, ob unsere Art von Kommunikationskultur modellhaft ist.«105 Auf der 15-Jahr-Feier betonten Bewohner und Besucher aber zumeist, dass es zwar oft an Muße fehle im Ökodorf, aber es eine »unglaublich entwickelte Gesprächskultur« gebe; im Vergleich dazu sei es »unglaublich, wie andere Gruppen nicht reden können.«106 Beispielhaft empfand Johannes Dury, der Leiter der Holzwerkstatt, nach seinem Zuzug das Ökodorf zwar anfangs »unglaublich dilettantisch« bei der Arbeitsorganisation – »aber eine tolle Kommunikationskultur!«107 »Der Umgang miteinander. […] Das hat mich hierher gebracht, das find ich nach wie vor immer noch das Große an dem Dorf. Ist für mich tatsächlich ein gesellschaftliches Novum, dass wir uns sozusagen die Aufgabe gestellt haben, immer wieder neu anzufangen. Also dass jeder Tag ein neuer Tag ist und dass ein Mensch, der mich gestern genervt hat bis aufs Blut, dass er heute wieder neu vor mir steht […]. Im Grunde genommen haben wir eigentlich die Idee, dass es gar nicht passiert, dass wir Menschen abhaben, beziehungsweise in Schubladen stecken, aus denen wir sie nicht mehr raus lassen. Das ist für mich ganz wichtige gesellschaftliche Arbeit, die einfach einen ganz hohen Stellenwert auch haben wird. […] Dass das einfach hier einfach schlicht und ergreifend nicht erwünscht ist. Und, ich muss sagen, das gelingt enorm, gelingt im Dorf wirklich gut.«108
104 Feisel, U., in Andreas, M. 2012 [IT]e: 8f. 105 Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 5. 106 Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 3. 107 Dury, J., in Ebda. 108 »Es kracht hier natürlich auch oft, und trotzdem, die Zutraulichkeit untereinander leidet nicht so, wie ich das gewohnt bin. […] Ich kann gar nicht genau sagen, was unsere Methoden sind, um diese Dynamik immer wieder aufrecht zu erhalten. Aber […] ich glaub, dass das tatsächlich der Clue hier ist.« Ebda. 8.
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Laut Lambing beschreiben ›Gemeinschaftsbewegte‹ »eine spezielle Kommunikations- und Vertrauenskultur für das Gelingen einer intensiven Vergemeinschaftung als zentral.«109 Laut Wagners Interviewpartnern werde in Sieben Linden das Kriterium einer solchen Kultur dort auch erfüllt, es herrsche eine kooperative und »ehrliche Kommunikation«110 vor: »Die eigenen Bedürfnisse und Gefühle werden viel ausdrücklicher kommuniziert.«111 Folgend betrachte ich den ›Innenraum‹ Sieben Lindens im Sinne einer Kultivierung solch einer Kultur. Zugleich ermöglicht gerade die Ausdifferenzierung, ja Positionierung in verschiedene ›Räume‹, diesen Prozess. Gemeint sind hierbei soziale Erlebnisräume, die wiederum in Resonanz stehen mit geografischen Räumen wie der Kneipe. Die Kommunikationskultur lässt sich beispielsweise teils in den Seminar- und Gemeinschaftsraum verorten, beziehungsweise wird hier kultiviert. So ist der der zumeist hier stattfindende Gemeinschaftskurs nicht nur laut Dury ein Herzstück der Bemühungen um Kommunikationskultur und Gemeinschaft.: »Also da kriegt man das wirklich zwei Wochen lang ziemlich reingedrückt find ich, dass hier jede Meinung zählt und alle ihren Wert haben und es immer Sinn macht zuzuhören.«112 Der Kurs ist für alle zukünftigen Bewohner Pflicht und moderiert den Annäherungsprozess. In diesem Sinne bedeutete er auch für mich einen neuen Zugang, mitsamt einer Neuverhandlung meiner Rolle im Feld: 1. April 2012. Weder meiner Gesprächspartnerin noch mir ist zu scherzen zumute. Wir diskutieren meine Teilnahme am ersten Teil des Gemeinschaftskurses. Nach meiner Einschätzung sind die zwei Wochen das ›Flagschiff‹ der Kurse in Sieben Linden. Sie sollen an das Gemeinschaftsleben heranführen, gelten als persönlich und intensiv. Allerdings war mir zu Beginn meiner Forschung verdeutlicht worden, dass meine Teilnahme an Intensivzeiten nicht erwünscht sei und man befürchtete ›Affen im Zoo‹ zu werden. Deswegen hatte ich angefragt, ob ich nur an den unpersönlichen Einheiten des Kurses teilnehmen könne (wie Geschichte des Ökodorfes, Finanzen und Struktur). Daran entzündete sich die Diskussion. Während ich davon ausging, mich durch diesen Verzicht auf persönlichere Elemente respektvoll zurückzuhalten, verwehrte sich meine Gesprächspartnerin als eine der Kursleiterinnen gegen meine Teilnahme – sie
109 Lambing, J. 2014: 97. 110 Wagner, F. 2013: 25; vgl. 106. 111 Ebda. 202f. 112 Dury, J., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.09.2012]a: 9.
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sei quasi nicht ganzheitlich; zu sehr würden die einzelnen Elemente ineinander fließen und der Prozess die Gruppe zusammenschweißen. Ich dürfe teilnehmen, aber nur »ganz oder gar nicht!« Erst als ich zusage und zugleich verdeutliche auch als Forscher kein »wissenschaftliches Neutrum« zu sein, werde ich eingeladen teilzunehmen.113
Mir wurde quasi die Objektivierung durch die Forscherrolle erlaubt, als ich mich zur Subjektivität bekannte (Dabei betonte ich, dass ich trotz Kursteilnahme nicht beabsichtigte, Ökodörfler zu werden). Sinnbildlich durfte ich mit in den ›Zoo‹, weil ich mich selbst als Menschenaffe zeigte.114 Die Währung für Vertrauen ist allerdings die Übernahme von Verantwortung für die Repräsentation: gegenüber dem Anspruch wissenschaftlicher Praxis als auch dem Forschungsfeld. So trage ich, auf Basis vertrauensvoll gewährter Einblicke, zur Positionierung des Ökodorfes mit bei. Insofern verweise ich auch auf die Grenzen meiner Bemühungen und zeige den Raum in der Repräsentation auf, den ich mit der Forschung nicht beanspruche. Ich verstehe dies nicht als Schmälerung der Ergebnisse. Vielmehr ist es eine Erinnerung, dass die Forschungsarbeit als methodisch-positionierte Subjektivität zu werten ist – ja, durch diese überhaupt erst ermöglicht worden ist.
113 Andreas, M. 2012 [BP, 01.04.2012]b: 2. 114 Die Diskussion hatte noch einen ökonomischen Beziehungsaspekt. Bislang hatte ich alle Forschungsaufenthalte und Seminarbesuche selbst bezahlt. Bis 2008 hatte das Entgegenkommen des Ökodorfes gegenüber Forschern im Status des ›Privatgasts‹ bestanden. 2010 rückte dieser näher, bis zum ›Partnergast‹, inklusive geringerer Tagessätze. Gegen Ende meiner Feldforschung 2012 wurde mir bewusst, dass ich den Geschehnissen im ›Innenraum‹ Sieben Lindens noch nicht ausreichend begegnet war – teils auch, weil mir kein Zugang eröffnet worden war. Angesichts dessen setzte ich mich nun für meine Teilnahme am Kurs ein, inklusive der eigenen Bezahlung der Kosten für die Infrastruktur, aber exklusive der Zahlung von Honorarkosten. Ich erinnerte daran, dass die VV meiner Forschung 2008 zugestimmt hatte und ich auf ein Entgegenkommen des Ökodorfes angewiesen sei, um dieses repräsentieren zu können. Die Verhandlung um den gemeinsamen Raum der Forschung wurde von mir neu eröffnet und letztendlich willigten die Kursleiter ein. Ich bedanke mich!
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Die geschnitzte Tür im Seminarraum zeigt zwei Köpfe im Dialog. Innen findet sich die Struktur eines alternativ-modernen Bildungsbetriebs, vom Beamer bis zur Klangschale. Doch das Wichtigste an diesem Raum ist wohl, dass seine Mitte leer ist. Mitunter findet sich höchstens ein kleiner Teppich oder ein Blumengesteck, die ein ansonsten leeres Zentrum definieren. Ansonsten ist hier Raum für individuell-gemeinschaftliche Erfahrung. Gerade im Ökodorf wird dabei allerdings Persönliches vom Sachlichen getrennt. Das Private soll politisch und das Politische privat werden, hieß es einst beim Vorgängerprojekt.115 Die erwünschte Ganzheitlichkeit dieses Ansatzes wird in Sieben Linden durch die Trennung beider Sphären ermöglicht.116 Beiden soll Anerkennung widerfahren, aber in voneinander getrennten Formaten. Halbach konfrontiert uns mit einer grundlegenden Unterscheidung des sozialen Systems des Ökodorfes, die 1999 eingeführt wurde. Er bezeichnet diese als politischen und spirituellen Ansatz, oder auch als die Trennung von sachlich und persönlich.117 Die politische-sachliche Ebene sei nach Halbach durch das Entscheidungsmodell Sieben Lindens repräsentiert, das persönlich-spirituelle in Ansätzen wie dem ›Forum‹. In diesem Kapitel wird zunächst das Forum vorgestellt, im darauf folgenden das Entscheidungssystem. Noch am Abend des 1. Aprils stellten sich alle Beteiligten des Kurses vor.118 Die Leitung bestand aus den Bewohnern Gabi Bott, Keller und Halbach. Sie erklärten, dass es im Gemeinschaftskurs viel um Emotionen und auch den eigenen Platz in der Welt gehen würde. Bei ihrer Vorstellung griffen viele der 20 Teilnehmer dieses Motiv auf: Sie würden herausfinden wollen, ob Sieben Linden zu ihnen spreche, ob das Ökodorf ihr Ort sei oder sie die Richtigen für diesen Platz wären. Viele erwähnten, dass sie Gemeinschaft suchen würden. Nur eine Teilnehmerin sprach von dem Drang, in der Welt etwas verändern zu wollen. Im Anschluss wurden für das Ökodorf und den Kurs gewünschte Abmachungen besprochen. Als Priorität benannte Halbach Verbindlichkeit, die sich nicht zuletzt in Pünktlichkeit ausdrücke. Manche Teilnehmer lächelten und wirkten überrascht, aber Halbach erklärte unbeirrt, das
115 Sommer, J. et al. 1990: 3. 116 Vgl. Ecker, A. & Richter, D. 1994: 46. 117 Halbach, D., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 10f. 118 Die folgenden Angaben und Zitate zum Gemeinschaftskurs stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [BP, 02.04.2012]b: 2f.
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dies dem Respekt voreinander geschuldet sei. Außerdem signalisiere Pünktlichkeit die eigene Präsenz. Das Wort klinge spießig, aber nur so sei es möglich, gemeinsam eine »schöpferische Situation« entstehen zu lassen. Das Phänomen Gemeinschaft entstehe nach Halbach im Dialog, in dem jeder mit seiner eigenen Individualität präsent sei. Dann ließe sich gemeinsam ein ›Feld‹ gestalten. Ein Beispiel hierfür sei das Forum, welches nach Wagner »als die beste Methode angesehen [wird], den Raum und auch die Kultur zu schaffen, in denen menschliche Begegnung und gegenseitiges Verständnis, gerade auch beim Einbezug persönlicher Schwächen und Schattenseiten, passieren kann. In diesem Raum würde ganz besonders ausgeprägt ›Gemeinschaftsgefühl‹ entstehen. Dieses braucht, da waren sich alle untersuchten Gemeinschaften einig, eine bewusste Pflege und Aufmerksamkeit, sonst würde es im Geschehen des Alltags untergehen.«119
Halbach zufolge befördere das Forum die Entwicklung von Individuum und Gemeinschaft (bei mir als Kultivierung bezeichnet).120 Die Methode wurde im ZEGG entwickelt und von anderen Gemeinschaften angeeignet. Das Forum weist einen performativen Charakter mit der Betonung auf sich-artikulieren und gesehen-werden auf. Dafür brauche es nach Halbach und Keller vertrauensvolle Räume. Es gehe nach Halbach um die Fragen: »Wo ist dein Platz? Wo ist dein Kraftpunkt, wo du deine Fähigkeiten am besten in die Gesellschaft einbringen kannst?« Das sind in etwa die Fragen, die ich auch an Sieben Linden als kollektiven Akteur herantrage. Die Struktur des Forums ist ein Sitzkreis um eine zunächst leere Mitte. Eine feste Rolle ist die der Forumsleitung, mitunter auch die einer Ko-Leitung. Aufgabe der Menschen im Kreisrund ist es, ›Spiegel‹ abzugeben. In Sieben Linden beginnt ein Forum zumeist mit einer meditativen Einstimmung. Die Mitte kann anschließend betreten und für ›Auftritte‹ genutzt werden. Ziel soll dabei nicht die Unterhaltung der Anwesenden sein (wobei dies vorkommen kann), sondern ein authentischer Selbstausdruck – um, mit Tönnies gesprochen, im Wesentlichen miteinander vereint zu sein. Nach Halbach gäbe es bei manchen Auftretenden »den Druck, die Erwartungen des Kreises zu erfüllen. Genau das wollen wir nicht.«
119 Wagner, F. 2013: 160. 120 Die folgenden Angaben und Zitate zum Forum stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [BP; 09.04.2012]b: 12f.
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Vor jedem Auftritt wird zu Beginn geklatscht, ebenso am Ende. Dann heißt es erneut: »Die Mitte ist frei.« Als Faustregel gelte nach Bott: »Bei wem das Herz richtig dolle klopft, der gehe hinein.« Die Auftritte dabei können kurz oder lang dauern, von einer halben Minute bis Stunde. Die Darbietungsform ist offen, in meiner Teilnahme kam es zu Glücks- und Liebesbekundungen, Löwengebrüll, Kritik, Monologen, Nichtstun, Tanz und Tränenströmen. Mitunter bringt sich die Forumsleitung moderierend und motivierend ein. Die Foren beinhalten oftmals intime Einblicke in Personen. Um diesen Raum zu schützen, gilt die Regel, dass Forumsbeiträge innerhalb der Teilnehmer eines Forums verbleiben.121 Ein Bewohner gibt allerdings Eindrücke wieder: »Forum [ist] eine gute Unterstützung gerade für Gruppen, weil das der Raum ist, der eben in Gruppen normalerweise nicht so von alleine entsteht […] und das, was dann einer in der Mitte zeigt, das löst dann bei ein paar anderen im Raum auch ganz viele Erkenntnisprozesse aus. […] Und man lernt darüber über die eigenen Projektionen, die eigene Neigung, Sachen misszuverstehen, oder jemanden zu verurteilen. Sich selber zu verurteilen. Überall da kommt einfach frische Luft rein.«122
Abbildung 14: Forum im Seminarraum.
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, Datum unbekannt).
121 Aus diesem Grunde kann ich nur bedingt aus den Foren innerhalb des Gemeinschaftskurses berichten – allerdings bin ich selber auch in ein Forum getreten. 122 Wagner, F. 2013: 112f.
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Auf Wunsch des Auftretenden können im Anschluss die ›Spiegel‹ ihre Eindrücke wiedergegeben. Nach Halbach sei es essenziell, dass sich Forumsleitung und Spiegel bewusst halten, dass es sich um einen Dienst am anderen handeln sollte anstatt einer Selbstreferenz.123 Während eines Auftritts sollen laut Halbach die Spiegel präsent und wahrnehmend verbleiben, solchermaßen den Raum (beziehungsweise Kreis) definieren und »das Energiefeld halten.« Die Rückmeldung dürfe dann auch eigene Gefühle beinhalten, insofern diese als Reaktion auf den Auftritt zu verstehen sind. So soll insgesamt ein facettenreicheres Bild entstehen. Nach Keller sei das Forum als Experiment zu verstehen, auf Basis der Gemeinschaft einen Blick in die eigene Menschlichkeit zu werfen, eine »quasi-spirituelle Übung«. Deswegen gehe es darum für die Auftritte »Platz zu schaffen«. Keller betont, dass die Menschen weder seziert noch bewertet werden sollen, »nicht psychologisiert, nicht stigmatisiert«. Sie zitiert die Gemeinschaft Tamera (welche vom ZEGG abstammt), nach dem es Ziel des Forums wäre, »Vertrauen [zu] schaffen«. Dabei müsse es keine ›bierernste‹ Veranstaltung sein. Laut Keller habe das Forum die »wunderbare Qualität, die Menschen sichtbar zu machen und gesehen zu werden.« Daher rühre der Ruf des Forums, Transparenz zu schaffen.124 Keller weist allerdings auch auf einen Spruch aus dem ZEGG hin, nachdem das Forum nicht geeignet sei, »um Heimat zu schaffen«. Nach Halbach teile man sich energetisch mit und nach Keller ›sortiert‹ sich oft in einem Auftritt das Verhältnis zwischen Person und Gruppe, »das unsichtbare Netzwerk.« Es gehe unter anderem darum, »Räume zu schaffen für das was dahinterliegt«, für die menschlichen Themen, für die unbewussten und versteckten Motive, »sonst fliegt’s mir um die Ohren.« Dieser Prozess könne zu einer Art ›Heimat‹ führen, wenn auch nicht im Forum selbst. Halbach spricht von einer energetischen »Los-lösung«, auch wenn das Forum selbst »nicht lösungsorientiert« sei.
123 Die ›Spiegel‹ sollen in der ersten Person von sich und in der dritten über die auftretende sprechen, um durch diese Unpersönlichkeit die Annahme des Gesagten zu erleichtern und selbst zur Distanz zu finden. Vereinnahmung (»Genau wie bei mir.«), eigene Auftritte, fixierende Zuschreibungen (»Du bist …«) seien wie die Kategorie »Was ich dir schon immer sagen wollte« zu vermeiden 124 Keller betonte, dass kein ›gläserner Mensch‹ im Sinne lückenloser Aufklärung der Belange einer Person gemeint sei. Vielmehr sei es ihr als Forumsleitung beispielsweise wichtig, »dass das Mysterium Mensch erhalten bleibt.«
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Kritisch am Forum ist meines Erachtens nach unter anderem zu bemerken, dass der therapeutisch anmutende Charakter dazu verleiten kann, sich dem Prozess anzuvertrauen, ohne professionelle therapeutische Begleitung. Demgegenüber versuchte Keller zu verdeutlichen: »Das Forum ist keine Therapie.« Nach Halbach gelte: »Schwierige Situationen brauchen mitunter einen anderen Raum.« Ihm zufolge sei das Forum wie Forschung, »ein bisschen kühl, viel Beobachtung, wenig Kuscheln.« Laut Keller sei man aufgefordert, sich selbstverantwortend zu fragen: »Wieviel will ich heute geben?« Der Gruppenprozess müsse wiederum den vertrauensvollen Raum ermöglichen. Die Haltung sollte lauten: »Wir sind alle Menschen, die auf der Suche sind.« Mit nach eigenen Angaben leichter Ironie greift Halbach einen sozialwissenschaftlichen Titel auf und zitiert im Zusammenhang mit dem Forum die Tyrannei der Intimität.125 Aber immerhin führe diese zu mehr Transparenz! »Es wäre ja noch schlimmer, es würde alles im Nebulösen verschwinden.« Lambing regt dennoch zur Vorsicht an und bemerkt, dass »die Vertrauensund Kommunikationskultur sozialökologischer Gemeinschaften […] auch in ihrer normierenden Dimension betrachtet werden«126 müsse. Er bezieht sich insbesondere auf Sven Reichardts (an Foucault angelehnte) Analyse des Authentizitätszwangs im Alternativmilieu der 1970er und 80er-Jahre. Vor dem Hintergrund der Psychologisierung des Alltagslebens, insbesondere durch Einflüsse der Humanistischen Psychologie, entstand »eine implizite Pflicht authentisch zu sein«127 – was immer dies im spezifischen Kontext bedeutet. Sie kann allerdings eingefordert werden, im Sinne eines ›Normierungsmechanismus‹. Neben der Mächtigkeit dieses sozialen Zwangs verbirgt sich darin auch die bereits bei Hall aufgeworfene Annahme einer ›essenziellen‹ Identität. Demgegenüber bemerkt Lambing: »Das Bewusstsein, dass das was vermeintlich authentisch ist, selbst (zumindest zum Teil) sprachlich, begrifflich, habituell und damit also sozial, milieuspezifisch und (sub-)kulturell vermittelt ist, fehlt oft.«128 Zugleich formuliert Lambing eine ›Klarstellung‹:
125 Keller, B., in Andreas, M. [BP, 09.04.2012]b: 14, 18; vgl. Sennett, R. 1987. Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. 126 Lambing, J. 2014: 106. 127 »Aus inneren und zwischenmenschlichen Konflikten wurden ›Themen‹. Erlebnisse waren nicht mehr aufwühlend oder erschütternd, sondern wurden zu einer ›wichtigen Erfahrung.‹« Ebda. 107; vgl. Reichardt, S. 2014. 128 Ebda. 111.
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»Wer einmal die abwartende Gesprächskultur in heutigen gemeinschaftlichen Zusammenhängen erlebt hat und gesehen hat, wieviel Raum dort persönlichen Anliegen eingeräumt wird, sieht schnell, dass herkömmliche Kommunikationskulturen in Politik und Wirtschaft viel stärker von Herrschaftsstrukturen durchzogen sind.«129
Lambing empfiehlt abschließend Wilhelm von Humboldts Bildungsbegriff als ›Gegengift‹. zur skizzierten Gefahr. Dieser sei ebenfalls dem »abendländischen Ideal der Authentizität sehr verbunden«; Bildung meine hier allerdings die nicht-instrumentale »Kultivierung von geistiger Eigenständigkeit, Rationalität, Kritikfähigkeit und intellektueller Umsicht«130. Auf Nachhaltigkeit bezogen beinhaltet dies auch die Ausbildung eines kritisch-reflexiven ›Ethos‹, der zu einem guten Leben führe.
Mittagessen! Im Regiohaus heißt es Schuhe ausziehen. Wenige Stufen führen nach oben, wo die Neuankömmlinge gleich in den Kreis mit einbezogen werden, der sich im großen Essraum gebildet hat. Man hält sich an den Händen. Nach einem Moment der Stille erhebt jemand vom Kochteam das Wort und erklärt den Inhalt der Pfannen, Schüsseln und Töpfe. Kommt ein Lebensmittel aus den eigenen Gärten, wird dies ausdrücklich erwähnt. Kleine Hinweisschilder zeigen an, welches Gericht vegan und welches vegetarisch ist. »Guten Appetit!« Bewohner und Gäste beginnen sich in einer mehr oder weniger ordentlichen Schlange anzustellen, die sich danach auf diverse Räumlichkeiten zerstreut. Auch hier scheint eine Zonierung vorzuliegen, vom Kinderzimmer (laut) bis zur Bibliothek (leise). Insbesondere der Hof ist auch im Sommer sehr beliebt. Dort erläutert Sandra Grundsätzliches zum Thema Essen: »Wir haben vor vielen Jahren die Entscheidung getroffen, dass in sämtlichen gemeinschaftlich genutzten Bereichen zumindest vegetarisch (meist vegan) gekocht
129 Ebda. 112. 130 Ebda. 113f. vgl. 115.
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und gegessen wird, dies entspricht unserer Suche nach einem ›gemeinsamen Nenner‹. In der Gemeinschaftsküche im Regiohaus werden morgens und abends vegane und vegetarische Gerichte bereitgestellt […]. In den privaten Küchen kann jede/r zubereiten, kochen, essen, lagern etc. was er oder sie will.«131
Abbildung 15: Mittagessen in Sieben Linden.
Quelle: Michael Würfel (Sieben Linden, 2008).
Während Leser und Bewohner schmausen, nutzt der Autor die Gelegenheit für einen längeren Monolog. So könne man in guter ethnologischer Tradition nun Theorien der Communitas ansetzen, denn man verbindet sich im Ökodorf ja offensichtlich zum Essen.132 Aber andererseits trenne in Sieben Linden auch nichts so vortrefflich wie die Frage der adäquaten Ernährung.133 Dies gilt insbesondere für die Streitfragen der Tierhaltung,
131 Campe, S. 2007: 55. 132 Barnard, A. & Spencer, J. (Hg.) 2004: 598. 133 Nach Tokarev, S. A., sei »nicht zu vergessen, dass die Nahrung die Menschen nicht nur verbindet und vereinigt, sondern sie auch trennt. Neben der Funktion der sozialen Annäherung, spielt die Nahrung auch die entgegengesetzte Rolle – die der sozialen Segregation.« 1971: 299. Barlösius, E., davon aus, dass »es wahrscheinlich kein anderes Lebensgebiet gibt, auf dem die Frage nach richtiger oder falscher Gestaltungsweise so schnell und eindringlich gestellt wird.« 1993: 87. Gleichzeitig könne sich gerade »in dessen jeweils eigensinniger Gestaltung […] Gemeinsamkeitsbewusstsein ausdrücken«. Ebda. 85.
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-schlachtung und ihres Verzehrs.134 2005 wurde gar ein ›Friedensvertrag‹ geschlossen, für dessen Beschluss erstmalig ein Veto ignoriert wurde. Eine Bewohnerin am Tisch seufzt – dies sei nun wirklich kein geeignetes Themenfeld für den Ökodorf-Anspruch, »die Einheit hinter den Gegensätzen zu finden«135! 2006 wurden die damals im Ökodorf gängigsten Kategorien der Ernährung erhoben und veröffentlicht (unter dem Titel: Wer ißt was? Wo sind die Rohköstler versteckt und wer braucht außerhalb von Sieben Linden doch mal eine Bratwurst?). 61 Personen beantworteten den Fragebogen,136 davon 46 Erwachsene (damals etwa zwei Drittel). Den Antworten zufolge ernährten sich die Bewohner zu gut 26 Prozent inklusive Fleisch, 49 Prozent vegetarisch, 20 Prozent vegan und zu fünf Prozent durch Rohkost. Bei den Nachbarschaften siedelte sich der Club99 an einem Ende der Skala an (100 Prozent vegan) und 815 zum anderen (90 Prozent inklusive Fleisch, zehn Prozent vegetarisch). Es wurde hinzugefügt, dass ein erklärter Veganer dennoch gegebenenfalls mal eine Eierspeise zu sich nehmen würde. »Aber der Club hatte ja auch beispielsweise sein Gelände als vegan definiert, nicht seine Bewohner.« Nur zwei Personen bezeichneten sich damals als Rohköstler, diese Gruppe hat seitdem deutlich (an Mitgliedern) zugenommen. Mittlerweile gibt es gar einen Wildkräuter- und Rohkostversand in Sieben Linden. In der Praxis handelt es sich dabei um vegane Rohkost. So war es auch der vegane Club99 gewesen, der vor seiner Auflösung »die Rohkost zu sich ins Haus geholt und damit der Keimzelle ein neues Zuhause gegeben«137 hatte.
134 Vgl. Stützel, E. 2007b: 58; Kommerell, J. 2004; [KA] 1999: 28; Stengel, M. & Hagmeier, S. 1998; Ökodorf Rundbriefe 36 und 57-58. Die formellen Angaben und Zitate in diesem Teil stammen, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2007a, 2005a und 2005b. 135 Anonymisiert, zitiert in Wagner, F. 2013: 108. 136 [KA] 2006a: 22f. 137 [KA] 2006: 26. Micha berichtet von einer Ausnahme, einem »Club99-Aspiranten, der für kurze Zeit seine Probezeit im Club machte und eine ganz besondere Art von Rohköstler war: Er verzehrte auch Fleisch (roh), was er nach Club99Grundsätzen nicht dort auf dem Gelände lagern konnte. Also stand irgendwo außerhalb des Clubs ein Kühlschrank mit rohem Fleisch«.
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Die Diskussion über insbesondere vegane, vegetarische oder auf Fleisch basierende Ernährung hat in Sieben Linden den »Hang zum Streitthema«138 und war Element vieler ›Tischdiskussionen‹139. Gängige Argumentationslinien befassen sich unter anderem mit gesundheitlichen Aspekten: Brauchen Menschen tierisches Eiweiß und Fett oder schadet es ihnen gar? Könnte es nicht gesünder sein, auf das »weiße Blut«140 Milch zu verzichten? Wie steht es mit dem Vitamin B12 oder ›lebendiger‹ Rohkost? Nicht zu vergessen der unvermeidliche Hinweis auf den Ursprung von vegetare aus dem Lateinischen im Sinne von »erquicken, beleben«141. Spiritualität im Sinne persönlicher Transformation legt auch eine entsprechende Ernährung nahe (Der Körper »als Schlüssel zu unserem tiefsten Sein«142, wie es im Club99 hieß).143 Darüber hinaus bleibt Geschmack strittig – so zerkocht entgegen der Rohkostphilosophie das Kochteam beispielsweise gerne den Lauch für eben diesen. Anhand von Essen wird darüber hinaus auch (ethische) Identität verhandelt. So wird Vegetariern mitunter vorgeworfen, ihre Ernährung diene »hauptsächlich der Beruhigung ihres Gewissens.«144 Demgegenüber fragt sich jemand: »[…] bin ich wirklich ein Raubtier? Ich sehe mich nicht so!«145 Die argumentative Verbindung von Gesundheit und Spiritualität ist gängig im vegetarischen Milieu,146 ebenso der sogenannte ethische Vegetarismus. Allerdings findet der Streit um die Verantwortung für das eigene Handeln auch zwischen Vegetariern und Veganern statt. Von letzterer Position aus wird oft betont, dass man nur das dem Vegetarismus inhärente Argument am konsequentesten umsetzen würde. So würden die Veganer
138 [KA] 1999: 28. 139 Stützel, E. 2007b: 58. 140 Stengel, M. & Hagmaier, S. 1998: 48. 141 Ebda. 142 Club99 [KA]: 1. 143 Maurer, D. 1995: 144. 144 Stengel, M. & Hagmaier, S. 1998: 50; vgl. [KA] 1995: 30. 145 Anonymisiert, in Kommerell, J. 2004: 16. 146 MaurVgl. er, D. 1995: 147; Twigg, J. 1979: 20f.
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im Ökodorf 1998 zwar »die Milchtrinker und Käseesserinnen nicht anklagen und verurteilen«147 wollen, vermittelten aber eben diesen Eindruck. Eine sozial-politische Argumentationslinie bezieht sich auf die Zusammenhänge der eigenen Ernährung mit der Situation anderer Menschen, bevorzugt in ›der Dritten Welt‹. Dabei wurde der Flächenverlust durch Rinderherden adressiert, deren Fleisch gen Europa transportiert wird, ebenso wie das strittige Thema Sojaanbau. Ökologische Begründungen fanden sich 2008 unter anderem als CO2-Installation über dem Esstisch materialisiert. Über die Größe der Objekte ließ sich der relative Verbrauch der Lebensmittel erkennen. Gegenüber Argumenten, die eine Transformation der Ernährungs- (und damit Lebensweise) fordern, stehen Positionen, die sich verwehren, diese zu verändern oder überhaupt zu debattieren: »Ich will mich nicht erklären, nicht verteidigen, nicht rechtfertigen, sondern meine Ernährungsform leben.«148 Der Gärtner, dessen Veto übergangen wurde, schließt sich an: »Das übersteigt meinen Horizont, zu begreifen, dass andere Menschen bestimmen können, was jemand macht.«149 Aber Sieben Linden ist auch eine kollektive Positionierung. Die Frage der Ernährung berührt das Verständnis vom Ökodorf, seine Identität wird mitverhandelt. Soll die eigene Ernährungsweise beispielsweise auch als Vorbild dienen – als Modell? Nicht zuletzt mit dem Verweis auf das Grundsatzpapier werden hierbei Anspruch und Toleranzgrenzen diskutiert. Die konkreten Krisenherde liegen meist in der Vergangenheit, allerdings bleiben die grundlegenden Fragen präsent. So war von 2007 bis 2008 die Kleingruppe Haushaltskasse (HHK) zerstritten, sie die gemeinsame Ökonomie im Bereich Lebensmittelfremdversorgung verantwortete.150 Sie hatte von der VV den Auftrag bekommen, widerstreitende Ansichten zu versöhnen. Laut Sandra sind »Luxusgüter«151 wie Alkohol, Chips, Eis, Schokolade oder Kosmetikartikel in der HHK nicht enthalten, können aber im Laden erstanden werden. Zum Stand 2007 umfasste die HHK allerdings etwa »80 verschiedene […] Nahrungsmittel von Brot und
147 Stengel, M. & Hagmaier, S. 1998: 48. 148 [KA] 1999: 29. 149 Schönicke, M., in Britsch, S. 2005: 7. 150 Die Rede war vom »Eiertanz der HHK«. Freundeskreis Ökodorf 2006: 25. 151 Campe, S. 2007: 55.
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Getreide, Hülsenfrüchten, Gemüse und saisonalem Obst [...] bis hin zu Gewürzen und Backzutaten«152 sowie Drogerieartikel. Der Streit setzt(e) bei der spezifischen Zusammensetzung an. 2007 stiegen zwischenzeitlich 13 Erwachsene aus der gemeinsamen Ökonomie der Haushaltskasse aus.153 So gebe es beispielsweise »eine Menge Veganer, die natürlich sämtliche Milchprodukte [...] raus haben wollen, andere finden z.B. dass wir zu wenig Käsesorten haben.«154 Die intensivste Auseinandersetzung im Ökodorf fand allerdings zum Thema Tierhaltung und -schlachtung statt. Nach der Bewohnerin Julia Kommerell sei dies ja auch gewissermaßen »eine Menschheitsfrage. […] Der Größe des Themas entspricht auf jeden Fall eine ausführliche Behandlung.«155 Bereits 1993 in Groß Chüden war man sich einig gewesen, einen alternativen Umgang mit Tieren zu pflegen. Doch welchen? Nach veganer Ethik ist jegliche Nutzung von Tieren zu unterlassen, Ausnahmen machte der Club nur bei ›kooperativen‹ Pferden und Bienen. Andere wünschten sich gerade in einem Ökodorf ein Zusammenleben mit Tieren, die sie auch nutzen und mitunter verzehren würden. So wurde das Logo Sieben Lindens bis 2012 dezent von einer Kuh neben einem Windrad geziert (obgleich bis heute weder Kuh noch Windrad hier gesehen wurden). Bereits im Anfangsjahr Sieben Lindens, 1997, kam es zu einem Höhepunkt des Konflikts. Wandergesellen hatten das Regiohaus mitrenoviert und wollten zum Abschlussfest nicht auf einen Schweinebraten verzichten. Eine damalige Bewohnerin kommentierte: »[D]as arme Schwein wusste gottlob nicht, welch erregte Diskussionen es durch sein gewaltsames Ende ausgelöst hat.«156 Es folgten Auseinandersetzungen und Beschlüsse, unter anderem zur Katzen- und Hundehaltung (jeweils nicht gewünscht, aber Sonderregelungen möglich). Von 2003 bis 2005 wurde besonders intensiv an der Auflösung des Konflikts gearbeitet.157 In der
152 Ebda. 153 [KA] 2007: 22. 154 [KA] 2006: 24. 155 Kommerell, J. 2004: 16. 156 Rauwolf, R. 1997: 7. 157 Vgl. Kommerell, J. 2004.
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Veranstaltung Brennpunkte des Ökodorfes stellte sich der Konflikt letztlich als Frage des Zusammenlebens dar; »wie kann ich mit Menschen zusammenleben, die Tiere töten wollen?«, gegenüber »wie kann ich mit Menschen zusammenleben, die keine Tiere halten wollen?«158 Dabei standen die persönlichen Positionierungen zur umstrittenen Identität des Ökodorfes im Raum. Zuletzt wurde der Friedensvertrag, mit einem Gnadenhof-Modell im Sinne eines Verzichts auf Schlachtung vereinbart. Nur der Gärtner ließ sich nicht davon abbringen, Hühner zu halten. Die zentrale Passage des Vertrages lautet: »Beide Seiten verzichten hierbei aus Achtung gegenüber den Menschen mit einer anderen Weltsicht auf die Realisierung eines Teils ihrer Vision: Die Menschen, die tierliche Produkte konsumieren, werden sich mit diesen Produkten nicht in Sieben Linden selbst versorgen, obwohl sie dies gerne tun würden. Das Schlachten wird nicht ausgelagert um das Töten auszublenden, sondern aus Respekt gegenüber den Menschen mit anderen Weltbildern nicht nach Sieben Linden geholt. Die Menschen die jegliche Tierhaltung und den Konsum tierischer Produkte ablehnen, leben in Sieben Linden mit Menschen und Tieren zusammen und erkennen die Tatsache an, dass Sieben Linden kein veganes Projekt ist.«
Bis dahin hatte der Konflikt Eva zufolge »sehr viel Kraft gekostet und sehr viel ungute Stimmung produziert.«159 Zwischendurch waren die Befürchtungen auf beiden Seiten hochgeschlagen: zum einen die Sorge, dass das Töten von Tieren selbst in einem Ökodorf als legitim gilt; zum anderen, dass »ein Leben ohne Tierhaltung der einzig ethisch vertretbare, nachhaltige Weg«160 sein soll. Eva zufolge wäre dies »ein eklatanter Widerspruch zu unserer Grundphilosophie der Einheit in der Vielfalt und des Respekts vor unterschiedlichen Wegen gewesen.« 161 Nach dem Vertrag seien die Spannungen in Sieben Linden verringert, aber auch nicht grundsätzlich vom Tisch gewesen.162 Dennoch zeigt sich aus Sicht des Autors,
158 Kommerell, J. 2005a: 22. 159 Stützel, E. 2005: 16. 160 Stützel, E. 2007b: 58. 161 Ebda. 162 Vgl. Stützel, E. 2005: 16.
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dass das Ökodorf durchaus mit Konflikten umgehen, verschiedenen Positionen Raum und Stimme verleihen und Polaritäten aushalten kann. Der Friedensvertrag zum Thema Tierhaltung und -schlachtung befriedete den Konflikt auch durch räumliche Separation: Die Schlachtung wurde nach außerhalb des Ökodorf-Raumes und der Verzehr in die privaten Räume verbannt.163 Der Raum des damaligen Club99 blieb und bleibt auch heute noch frei vom Verzehr jeglicher Tierprodukte. Und nicht zuletzt stellt auch der Körper einen Raum dar. Die Verfügung, was die Schleusen dieses Raumes passieren darf – und was nicht – ist eine ausdrucksstarke Möglichkeit, Position zu beziehen. »Aber manchmal fehlt den Räumen auch etwas«, meint der Autor schmunzelnd weiter, während die Gruppe beginnt ihr Geschirr abzuräumen, »zum Beispiel Strom.« Ein Club-Bewohner entschied einst, veganer Rohköstler zu werden. Einerseits nahm er also wie die anderen Veganer nichts Tierisches zu sich (mit Ausnahme von Honig); andererseits aß er aber auch nichts, was über 42° erhitzt wurde – denn dadurch würden die ›lebendigen‹ Zellen der Nahrung absterben. Nun muss man wissen, dass (nicht nur) für Rohköstler nichts fantastischer ist als sogenannte Smoothies –leckere Getränke aus Obst oder Gemüse, die mit einem fähigen Mixer zubereitet werden sollten. Der Bewohner bestellte sich also für Hunderte Euro ein Gerät aus den USA mit 35.000 Umdrehungen. Nun hieß der Club die ökologisch wertvolle und zugleich wohlschmeckende Ernährungsweise ihres Mitglieds gut,164 doch Strom gab es damals nicht in der Villa Strohbunt. So kam es, das der Bewohner zu den Essenszeiten aus dem Club hinauspilgerte, um Smoothies anzufertigen, und wieder hinein, um sie dort zu trinken. Aber auch die anderen Clubber waren ja außerhalb ihres Geländes unterwegs, um das Eurotopia-Verzeichnis an PCs zu erstellen, oder im Licht einer Glühlampe abends zu lesen – und sie tranken auch gerne Smoothies. Schlussendlich wurde Strom eingeführt in der Villa Strohbunt. Ich behaupte gerne, dass es am Mixer lag.
163 Auf der Website des Ökodorfes fand sich 2008 ein Bild des Bio-Großhandelslieferwagens mit Werbung für Geflügelspezialitäten und dem meines Erachtens nach ironischen Kommentar: »Können die das nicht abkleben, bevor sie in Sieben Linden fotografiert werden?« 164 »Wir lieben es«. Stengel, M., in Andreas, M. 2010 [BP, 01.04.2010]b: 5.
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Auf der 15-Jahrfeier Sieben Lindens im September 2012 erzählt Hagmeier als Mit-Gründerin des ehemaligen Clubs99, wie sich zu ihrem eigenen Erstaunen ihr Leben mit der Geburt ihrer ersten Tochter wandelte: »Ich wollte immer stromfrei sein, jetzt bin ich voll verkabelt. Ich wollte immer vegan sein, jetzt ist meine Tochter eiersüchtig.«165 Das ist das passende Stichwort für die anfangs seufzende Bewohnerin, doch noch einen Punkt zu machen: Es sei eben die Stärke des Ökodorfes, solch eine Bandbreite an Erfahrungen zu ermöglichen und zu begleiten. Es lebe somit (doch) die »Einheit in der Vielfalt.«
4.4 E NTSCHEIDUNGEN Das Ökodorf hat viele Varianten eines Entscheidungssystems ausprobiert. Auch Subgruppen experimentieren munter, selbst einen ›König‹ hatte es in einer Nachbarschaft einst gegeben. Experimente sind möglich in Sieben Linden, auch mit dem Konsensprinzip.166 Immer wieder wurden die Strukturen angepasst und sei es nur an die wachsende Größe. Kunze hatte bereits auf die essenzielle Flexibilität von Gemeinschaftsstrukturen hingewiesen. In Sieben Linden hatte es zuletzt einen Visionsrat gegeben, der, begleitet durch externe Supervision, das ›Rätemodell‹ erfand. Dieses sei nach Halbach der Versuch »das Beste von beiden Welten« zu gewinnen. Der Visionsrat löste sich im Anschluss wieder auf, doch sein Erbe blieb. »Ich glaube, wir sind alle in Sieben Linden ziemlich stolz auf diese Erfindung.« Seitens des Freundeskreises heißt es: Das »System hat sich insgesamt bewährt.«167 Doch welche Welten müssen hier vereint werden und warum gilt der Versuch als bedeutsam? In Halbachs Modell sind es Basisdemokratie und Hierarchie, beziehungsweise der egalitäre Wunsch nach Konsens und die gemeinsame Ausrichtung auf eine übergeordnete Vision, die sich hier vereinen.
165 Hagmeier, S., in Andreas, M. 2012 [BP, 15.06.2012]a: 7. 166 Die folgenden Angaben und Zitate zum Entscheidungssystem stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 10f; vgl. Wagner, F. 2013: 113f. 167 Freundeskreis Ökodorf 2009a: 16; vgl. Wagner, F. 2013: 55f.
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Da sei ihm zufolge einerseits das (links)politische Milieu, aus dem das Ökodorf-Projekt stamme und welches sich über die Machtfrage definiere (Wie Keller bemerkt: »Auch wir kommen vom klassischen Konsens.«). In der Realität gebe es allerdings auch in diesem Milieu Grabenkämpfe und Reibungsverluste. Demgegenüber würden spirituelle Gemeinschaften nach Halbach Gegenmodelle bilden: Oftmals bilden sie hierarchische Anordnungen um eine Idee oder einen charismatischen Führer. In dieser Konzentration könnten sie »oft große Taten vollbringen«, wenngleich die Gefahr bestehe, fehlgeleitet zu werden. Halbachs Unterscheidung führt an den Beginn meiner Forschung zurück, an die Gemeinschaftswerkstatt 2007. Dort hatte Andreae den ›großen Graben‹ zwischen spirituellen und (links)politischen Gemeinschaften beschworen und an dessen Tiefe erinnert. Sieben Linden wurde von ihm den spirituellen Gemeinschaften zugeschrieben. Halbach wiederum stellt das Ökodorf als Synthese beider Ansätze dar. Sieben Linden sei keine gängige spirituelle Gemeinschaft, denn den Siedlungsgenossen gehöre nicht nur das Ökodorf gemeinsam, sie würden auch egalitär entscheiden. Die (in Sieben Linden beliebte) Form des Kreises stehe dabei symbolisch für den Konsens, da keiner seiner Punkte über den anderen stehe. Aber in der Dorfgeschichte habe es auch immer wieder Machtbündelungen gegeben, wenn es galt, fokussiert zu handeln. »Hierarchische Punkte haben oft den Durchbruch geschafft.« Solch eine Konzentration sei nach Halbach 1996 bei der Bewerbung auf den TATOrte Preis notwendig gewesen. Hierarchie erhöhe die eigene Handlungsfähigkeit kurzfristig – aber nur wenige Gemeinschaften würden es ihm zufolge schaffen, die Balance zwischen egalitärer »gemeinsamer Ausrichtung« und »Kraft der Umsetzung« zu halten. Das heutige Entscheidungssystem bestehe aus konsensualen Elementen wie der VV und sehr selbstbestimmten Bereichen, die von Räten oder Kleingruppen übersehen werden.168 »Machtmissbrauch«169 gilt als gravierender Vorwurf in Sieben Linden. In Führungen heißt es, die Idee sei, dass es nicht eine Leitung gäbe, sondern »jeder ist irgendwo Chef und woanders nicht.«170 Idealerweise übernehmen alle Bewohner entsprechend ihrer Interessen und
168 Die folgenden Angaben und Zitate zur VV stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 10f. 169 Würfel, M. [PK, Sieben Linden, 09.04.2008]. 170 Freundeskreis Ökodorf 2009a: 16.
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Kompetenzen Verantwortung. Jeder solle seinen Platz im Ökodorf finden. Hierarchische Strukturen sollen dabei genutzt werden, allerdings entschärft durch Rotation und Diversität. Die VV steht nach Halbach für den egalitären Aspekt: »Die Vollversammlung aller Genossen ist DAS Organ, basisdemokratischer geht es nicht.« Früher habe man sich bei der zeitaufwendigen Suche nach Konsens mitunter aufgerieben und gelangweilt. Das ›Langwierige‹ wollte man im Ökodorf nicht mehr, bestätigt Keller: »Ich will nicht mehr in einer VV sitzen, wo über Teekannen abgestimmt wird.« Stattdessen wünschte man sich mehr Effektivität. Entscheidungsprozesse sollten idealerweise dazu führen, dass »Menschen in ihrer Kraft und Schönheit« agieren können. Heute werde in Sieben Linden nur etwa ein halber Tag pro Monat mit einem vorgegebenen Zeitbudget für die VV reserviert. Anstehende Entscheidungen werden eine Woche vorher am Mitteilungsbrett angekündigt. Behandelt werden in der VV vor allem »unveränderliche Beschlüsse«171 wie der Kauf von neuem Siedlungsland. Aber auch über die Aufnahme von Genossen, Praktikanten und Zuzüglern (sowie Doktoranden) wird entschieden. Neben Entscheidungen bestehe eine zweite Funktion darin, die Vielfalt der Meinungen sichtbar zu machen, beispielsweise durch Probeabstimmungen. Die Wandlungen des Entscheidungssystems haben nach Keller jeweils auf vorherigen Erfahrungen beruht. Nach dem hundertprozentigen Konsens hätte es zur Beschlussfindung einen ›Konsens-1‹ gegeben, damit nicht einzelne den Prozess blockieren konnten. Aber auch ›lahme Kompromisse‹ wolle man heutzutage vermeiden. Entgegen einer rein quantitativen Herangehensweise sei die momentane differenzierte Konsenskultur qualitativer ausgerichtet: »Wir brauchen nicht 100 Leute die sagen ›Ja, können wir machen‹, sondern X Leute die ›YES!‹ sagen.« Es gehe um eine möglichst ausgeprägte ›Kraft‹ des Entschlusses. Dabei sind gegenüber einem klaren Ja die Möglichkeit des Vetos, der Enthaltung und des Neins gegeben. Durch die Ausdifferenzierung habe sich beispielsweise die Bedeutung des Neins verändert zu: »Ich kann mit dem Beschluss zwar leben, mag ihn aber nicht«. Im Ökodorf wird es als entlastend beschrieben, Entscheidungen nicht mittragen zu müssen und sie trotzdem nicht zu blockieren. Entscheidungen, die die kollektive Identität berühren, sind eben nicht nur sachlich.
171 Ebda.
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Erfolgreiche Entscheidungen benötigen zumeist eine Zweidrittel-Mehrheit an Jas, der Rest setzt sich aus Enthaltungen und Neins zusammen. Das Veto ist reserviert für Situationen, in denen Menschen »mit einer Entscheidung nicht leben können.«172 Es hat zunächst eine aufschiebende Wirkung. Früher wurde es oft angedroht, nun müsse seine Notwendigkeit existenziell sein. Nach Halbach habe es ein Veto seit drei bis vier Jahren nicht mehr gegeben und nur in der ›Hühnerfrage‹ war jemals eines übergangen worden. Den Individuen verbleibt in diesem Sinne die Macht den kollektiven Prozess temporär aufzuhalten, aber mit der Konsequenz eines »Arbeitspakets an meinem Bein«, wie es Bott ausdrückte. Das Veto verpflichtet, für das Finden einer neuen Lösung einzustehen. Die Räte Sieben Lindens dürfen und sollen entscheiden. Keller sieht die Einführung der Räte als Selbstermächtigungsprozess, denn diese erhalten eine definierte und vergleichsweise gut ausgestattete Entscheidungskompetenz. In Bezug auf monetäre Entscheidungen, beläuft sich ihre Befugnis auf 40.000 Euro. Aber auch diese kann revidiert werden, wenn mindestens 20 Prozent der Genossen die Entscheidung nicht mittragen.173 Die Ratsmitglieder sind auch angehalten, Meinungen aus der Gemeinschaft nachzufragen. Jeder Rat befasst sich mit einem Themengebiet, beziehungsweise einer Ökodorf-Organisation: Soziales, Lebensmittel, Bauen, Siedlungsgenossenschaft (Land und Infrastruktur), sowie Freundeskreis (Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsbetrieb). Räte werden mit jeweils etwa fünf Personen besetzt und sind nach Halbach »der einzige Ort, wo wir noch 100 Prozent im Konsens entscheiden.« Die Rätewahl dauert etwa einen Tag. Neben fachlichen und sozialen Kompetenzen wird auch auf mögliche Doppelbelegungen und Machtbündelungen, sowie das sich ergebende Beziehungsgefüge geachtet. »Schützt das kollektive Entscheidungssystem vor Missbrauch?« und »Wird es den Individuen gerecht?«, wurde im Gemeinschaftskurs gefragt. Keller wies darauf hin, dass die menschliche Komponente weiterhin bliebe. So wirke es unweigerlich, wer ein Anliegen vorbringe und wie: »Kraftvoll? Vorwurfsvoll? Unterwürfig?« Halbach möchte mit dem Entscheidungsmodell Sieben Lindens die »innere Arbeit« und die »eigene Verantwortung« gefördert wissen. Auch Kunze hatte den ›Lern- und Entwicklungsprozess‹
172 Freundeskreis Ökodorf 2009a: 16. 173 Die folgenden Angaben und Zitate zum Rätemodell stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 10f.
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sozialer Kompetenzen in Gemeinschaften betont. Keller bemerkte, dass es zu optimalen Nutzung dieses Systems »Unabhängigkeit im Geiste« bräuchte. Dies sei ein echter »Kulturpunkt«: »Jeder von uns muss gucken: Höre ich aufmerksam zu? Spreche ich klar? Vertraue ich meinen Genossinnen und Genossen? […] Wenn wir diese Fähigkeiten nicht beachten wird uns jedes noch so schöne System auf die Füße fallen.«174
Das ›Kommunikationsrad‹ Sieben Lindens soll das Entscheidungssystem unterstützen. Es wird über Medien wie das Mitteilungsbuch, Protokolle und Themenabende in Gang gehalten und durch zwei weitere ›Kreise‹ angeschoben wird. So hat der sogenannte Ökonomie-Kreis die Aufgabe, speziell die Gesamtökonomie des Dorfes in den Blick zu nehmen. Beteiligt sind dabei Menschen aus den Räten, die bereits mit ökonomischen Fragen belangt sind und Synergieeffekte identifizieren sollen. »Die Geburt des ›ImPulsKreises‹ war schwieriger«175, bemerkte Keller. Sein Vorgänger sollte dem erfolgreichen Visionskreis gleichen. Aber im Entscheidungsmodus Sieben Lindens bekam dieser »nicht so viel Kraft.« Im ImPulsKreis landen nun monatlich zufällig zehn bis zwölf Menschen, die den ›Puls‹ des Ökodorfes repräsentieren und zugleich »aufgerufen sind, einen Impuls zu setzen.«176 Durch das Zufallsprinzip wird die Durchsetzung gemischt und damit nicht stets auf Veteranen wie Halbach und Stützel gesetzt. Keller verbindet damit die »vage Hoffnung auf kollektive Weisheit.« Der Puls Sieben Lindens scheint bereits hoch, aber das Bedürfnis nach Vision bleibt ungebrochen. Insgesamt äußerte Halbach die Hoffnung, dass Sieben Linden mit seinem Entscheidungsmodell in die vorhandenen politischen Systeme hineinwirken könne. Das Ökodorf sei nur eine von mehreren Gemeinschaften, die sich mit solchen Modellen auseinandersetzen würde.177 Aber sie hätten natürlich auch Schwachpunkte. Wagner erwähnt beispielsweise die »Anbindung an die Entscheidungsfindung von Menschen, die nicht in Räten sind.«178 Es bleibt auch zu bemerken, dass manche Personen in diesem System eine größere Autorität
174 Keller, B., in Andreas, M. [BP, 09.04.2012]b: 14. 175 Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 12. 176 Freundeskreis Ökodorf 2012c: 5f. 177 Vgl. ›Soziokratie‹. 178 Wagner, F. 2013: 115.
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als andere ausüben. Zwar weisen Ökodörfer wie Sieben Linden Partizipationsmöglichkeiten (und -anforderungen) für alle Mitglieder auf, aber zugleich gilt: »Personen, die durchsetzungsfähig und ›Macher‹ sind, haben es hierbei einfacher«179. Insofern handelt es sich sinnbildlich um einen mehr oder weniger ausgebeulten Kreis. Andererseits besteht auch der bewusste Versuch des Ökodorfes darin, mit der Balance von Egalität und Hierarchie zu experimentieren und zugleich die Qualität von Gemeinschaftlichkeit zu kultivieren. Zuletzt ist zu bemerken, dass Kreise immer nur eine definierte Menge an Punkten aufweisen, so wie in der VV auch nur Siedlungsgenossen stimmberechtigt sind. Ein Kreis ist auch eine hierarchische Figur, die um eine Mitte herum gezogen ist. Im Ökodorf wird per Status notiert, wer wie zum Zentrum positioniert ist (Bewohner, Mit-Bewohner, FÖJler, Genosse, Grenzgänger, Bau-, Dauer-, Baudauer-, Partner-, Platz- und Privatgast, sowie Probezeitler und vielleicht noch Gemeinschaftsinteressierte). Am Ende des ersten Teils des Gemeinschaftskurses stellten sich die Teilnehmer im Rahmen einer Abschlussveranstaltung dem gesamten Ökodorf vor. Davor hatte es schon Gespräche und Gelegenheiten zum Kennenlernen von Bewohnern und potentiellen Bewohnern gegeben. Auf der Veranstaltung äußerte sich nun jeder Interessierte dazu, ob man zum zweiten Kursteil eingeladen werden möchte. Falls ja, gelangte man in die Sieben Linden-interne Auswahl und erhielt ein paar Wochen später die Zu- oder Absage für den zweiten Teil. Dieser befasst sich dann konkreter und individueller mit der Frage, wie der Zuzug zum Ökodorf stattfinden könne. Aber wenn es in Sieben Linden heißt ›Wir suchen Leute mit Lust auf Gemeinschaft‹, heißt dies nicht, dass die Gemeinschaft auch Lust auf jeden Suchenden hat – oder die Kapazitäten. So berichtete mir im Nachklang ein Teilnehmer, dass er sich gewünscht habe, eingeladen zu werden. Aber als es dazu nicht kam, blieben die entsprechenden Gründe für die Absage undeutlich. »Soviel zum Thema hochgepriesene Transparenz.«180 Er habe ›Lehrgeld‹ gezahlt, auch angesichts der Kurskosten. Gemeinschaften wählen berechtigterweise aus, wer zu ihnen passt – aber es lässt sich nicht leugnen, dass dabei zuletzt auch ein Machtgefälle zum Ausdruck kommt.181 Nicht jeder findet Zugang zum inneren Kreis.
179 Ebda. 197; vgl. 175. 180 Anonymisiert [PK, E-Mail, 02.06.2012]. 181 Nach dem zweiten Kurs hätte die zwölfmonatige Probezeit angestanden. Diese stellt weitere »soziale Forderungen« an die Beteiligten: »Es ist eine Zeit der
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In einer räumlichen Perspektive wird deutlich, dass in Sieben Linden verschiedene (soziale wie geographische) Räume für verschiedene Erfahrungen eröffnet werden. Das Forum diente als Beispiel für den Umgang mit persönlichen Themen und mag Individuen dabei helfen, immer wieder den eigenen Platz in Sieben Linden zu finden und sich intern zu positionieren. Darüber hinaus gibt es andere Kommunikationsformen wie Gesprächskreise, Großforen, Männer- und Frauengruppen und Themenabende. Allen Bewohnern wird nahegelegt, sich in mindestens einem Kommunikationszusammenhang regelmäßig zu beteiligen. Das Entscheidungssystem Sieben Lindens wiederum dient der Verhandlung sachlicher Themen. Es sind meines Erachtens eine Positionierung im Inneren und die Kultivierung bestimmter Qualitäten, die hier beobachtet werden können. Dies kann, wie Halbach bemerkte, auch als Tyrannei der Intimität verstanden werden182 – und auch in meiner Rolle als Ethnograph war mir die Beteiligung an einer Vielzahl solcher Veranstaltungen mitunter zu viel. Aber das Ökodorf wird auch als »Gewächshaus des Vertrauens«183 beschrieben. Stützel zufolge gelinge es tatsächlich sehr gut, diese spezielle Pflanze zu kultivieren: »Ich denk schon, dass wir hier zu einander deutlich mehr Vertrauen haben, als jedes andere Dorf in Deutschland [lacht]. Und dass wir das auch pflegen. Und dass es auch eine Qualität hat.«184 Keller bemerkt demgemäß: »Wenn es kein Vertrauen schafft, dann hat es keinen Sinn, was wir hier tun.«185 Halbach schloss das im Kurs erprobte Forum mit den Worten: »Es ist nur ein leerer Raum, soviel kann man über einen leeren Raum sprechen.« Eine Teilnehmerin entgegnete: »Danke, dass hier so viel Raum ist für all die Facetten des Lebens.« Beim Hinausgehen aus dem Seminarraum frage ich mich, wie sich der Zusammenhang zwischen diesem und dem weiteren, das Ökodorf umgebenden Raum sich weiter entwickeln wird. Wohin führt der Such, Lern- und Entscheidungsprozess Sieben Lindens?
Herausforderung zu Interaktionen, denn es wird bewusst dazu angeregt, ›in Kontakt zu gehen‹ und ›sich zu zeigen‹. Wagner, F. 2013: 169. 182 Vgl. »Architectures of Intimacy« Litfin, K. 2014: 127; Reichardt, S. 2014: 63. 183 Nolte, W., in Andreas, M. & Wagner, F. 2009 [GT]: 4. 184 Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 15. 185 Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 6.
5. Suchbewegung Was machen wir eigentlich ausgerechnet hier in der Altmark, wo niemand was damit anfangen kann, was wir tun? SANDRA CAMPE1
Dieses Kapitel beinhaltet ethnographische Momente der Forschung, die von Sieben Linden aus gewissermaßen ›nach außen‹, in die »›Außenwelt‹«2 führen sollen. Nachdem sich die Bewohner auf den Politischen Abenden schwergetan hatten, auf globale Fragen lokale Antworten zu finden, wird nun die gewissermaßen dazwischenliegende Frage der Region behandelt, wie sie im obigen Zitat von Campe formuliert wird. Obgleich die 1990er-Jahre durch das Phänomen der Globalisierung geprägt waren, erfuhren nach Daschkeit durch die Idee nachhaltiger Entwicklung auch die Regionen eine Aufwertung.3 Das Ökodorf-Projekt hatte durch die TAT-Orte-Preise noch dazu von deren Ausrichtung auf die Neuen Bundesländer profitiert. Heute liegt Sieben Linden im Nordwesten der Altmark, umgeben von Beetzendorf, Klötze und Poppau. Doch seine Imagination bestand nicht vorrangig in der Positionierung in einer bestimmten Region, sondern in der Positionierung als Ort. In der Altmark fühlen sich nur die wenigsten zu Hause. Bei der GEN GA 2008 war man froh gewesen, sich zumindest international heimisch wähnen zu
1
Campe, S., in Andreas, M. & Wagner, F. 2009 [GT]: 5.
2
Strünke, C. & Kommerell, J. 2007: 39.
3
Daschkeit, A. 2001: 88.
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dürfen. Auf den Politischen Abenden fand die Region als ›Bioregion Altmark‹4 am Rande Erwähnung. Bioregionalismus steht für die These, dass die Selbst-Organisation von Regionen das größte Potential für Nachhaltigkeit und Resilienz biete.5 Im Bioregionalismus wäre das ›gute Leben‹ in die Region eingebettet – eine Idee, die eigentlich mit dem Ökodorf-Gedanken resonieren sollte. Zumindest das GEN Manifesto rät zur (Wieder-)Anbindung: »If ecovillages are to be relevant to the needs of communities seeking to become more sustainable, they need to see themselves increasingly in partnership with their neighbouring towns and villages, helping to build the resilience and skills base of their own bioregions.«6
Im Ökodorf-Projekt sprach man bereits 1992 auch vom potentiellen Beitrag zur Region, wenn auch unter Vorbehalt: »[Es geht] uns um eine ausgeglichene Wechselwirkung zwischen dem Eigenleben der Siedlung und dem der Gemeinde und Region […]. Beide Seiten sollten dabei ihre Eigenständigkeit bewahren, Toleranz und Interesse füreinander entwickeln und auf dieser Grundlage zusammenkommen. So wie unser Vorhaben einen gewissen Freiraum und Schutz zu seiner Entwicklung bedarf, so wollen auch wir niemandem diese ›andere Lebensform‹ aufdrängen.«7
1995 entschied die Gruppe, in der Altmark zu bleiben. Man plante einen Siedlungsneubau, begrüßte aber auch den Austausch mit der Region: »Die sozial-ökologische Siedlung will ein Modell, aber keine abgeschlossene Insel sein.«8 Das entsprechende Konzept liest sich wie ein Bewerbungsschreiben: »Wir würden diesen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Regionalentwicklung gern in der Altmarkregion verwirklichen.«9 Spätestens seit der Aussicht auf Förderung durch den TAT-Orte Preis 1996 wurde von der Gruppe der
4
Vgl. Andreas, M. 2009 [BP]c: 3.
5
Vgl. Taylor, B. 2000. Bioregionalism. An ethics of loyalty to place.
6
GEN 2008: 2.
7
Freundeskreis ökologisches Dorf 1992 [KA].
8
WoGe 1995 [KA].
9
Ebda.
5. S UCHBEWEGUNG | 209
potentielle Beitrag zu einer regionalen Entwicklung hervorgehoben, besonders im Osten Deutschlands. Nach drei Jahren in Groß Chüden legte die Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft Ökodorf ein Siedlungs- und Regionalkonzept vor, in dem um den Rückhalt in der Region geworben wurde: Liebe Bürgerinnen und Bürger der Altmark! Liebe Interessierte aus Politik und Verwaltung! […] Obwohl und auch gerade weil wir keine alteingesessenen Altmärker sondern eine Initiative von Menschen aus allen Bundesländern sind, war es uns immer ein besonderes Anliegen, uns der regionalen Öffentlichkeit vorzustellen. […] Sicherlich ist das Ökodorfprojekt kein Großinvestor, der die Erwartung erfüllt, die örtlichen Probleme in einer strukturschwachen Region auf einen Schlag zu lösen. In erster Linie sind wir eine Initiative von engagierten Bürgern, die nach dem Motto ›Global denken – Lokal handeln‹ versucht, einen Beitrag zur allseits geforderten ›nachhaltigen Lebensweise‹ in ihrem eigenen Interesse zu leisten. Was wir suchen ist also eine gute Nachbarschaft in gegenseitigem Interesse. Denn wir glauben, dass solche ›Eigeninitiative von unten‹, wenn sie weitere Projekte anregen und miteinander verknüpfen kann, einen wichtigen Beitrag für dauerhafte und selbstbestimmte regionale Lösungen bietet. […] Wir wünschen uns die Welt in das Dorf zu bringen und somit das Dorf wieder interessant für die Welt zu machen.10
Der bis 2012 aktive Slogan Sieben Lindens wurde in dieser Zeit etabliert: »Das Leben findet wieder im Dorf statt.« Doch 1998 wurde dem Ökodorf im Streit um den Bebauungsplan (B-Plan) ausgerechnet aus der Abteilung Regionalplanung des Landkreises vorgeworfen, zu einer Zersiedelung der Landschaft beizutragen: gegeben sei »der Tatbestand der Entstehung und Verfestigung eines Siedlungssplitters.«11 Die Gemeinde Bandau argumentierte wiederum auf Basis der Vorlage des Ökodorfes, dass statt eines solchen ›Splitters‹ (im Sinne einer sich nicht selbsttragenden Siedlung am Rande eines Ortes) ein »vollwertiger Ortsteil« entstehen würde. Das Ökodorf sei als eigenständiger, »ganzheitlicher Lebensraum» angelegt. Die Abteilung Regionalplanung hielt erneut dagegen:
10
WoGe 1996 [KA].
11
Die folgenden Angaben und Zitate zum B-Plan stammen, so nicht anders angegeben, aus Gemeinde Bandau 1998: 12f.
210 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
»Im Altmarkkreis Salzwedel gibt es sehr viele Gemeinden mit einer vorhandenen Infrastruktur, die durch den Rückgang der Bevölkerung zum Aussterben verurteilt sind. Viele dieser Dörfer bieten die besten Voraussetzungen zur Durchführung eines derartigen Modellprojekts im Rahmen der vorhandenen Siedlungsstruktur. Es ist im B-Plan nicht hinreichend die Notwendigkeit begründet, alte Siedlungsstrukturen verfallen zu lassen, damit eine neue geschaffen wird.«
Demgegenüber lautete die Argumentation des Ökodorfes (wie von der Gemeinde vertreten), dass nur ein Neubau sinnvoll sei: »In der geplanten Siedlung sollen neue, zukunftsorientierte Formen des Wohnens und des Arbeitens entstehen. Die Voraussetzungen für ein solches Modellvorhaben sind innerhalb bestehender Dorfstrukturen nicht gegeben. […] Ein solches Projekt lässt sich nur als eigenständige Siedlung realisieren. In einer angemessenen räumlichen Distanz kann eine friedliche Koexistenz von Bestehendem und Neuem ermöglicht werden.«
Ein weitgehend autonomer Neubau mit genossenschaftlichen Eigentum und ebensolcher Entscheidungsgewalt sei essenziell. Die Genossenschaft müsse »auf Basis hoher Eigenmotivation und Übereinstimmung in den Zielen« aufgebaut sein. Die Projektvertreter setzten sich in diesem Sinne dafür ein, sich als intentionale Gemeinschaft zu positionieren. Außerdem bedürfe es eines eigenständigen Ver- und Entsorgungssystems sowie einer sensiblen ökologischen Einbettung der Siedlung. »Diese Ziele und Strukturen können und sollen einem bestehenden Dorf mit dort lebenden Menschen nicht aufgezwungen werden.« Einig waren sich die Kontrahenten darin, dass das Ökodorf zu einer ›Strukturbelebung‹ der Altmark führen und neue Arbeitsplätze schaffen wolle. So hieß es in der Abschlussbegründung des Projekts, dass »die neue Siedlung unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Region haben [wird]. Das entstehende Regionalzentrum im Ökodorf wird sich aktiv für die nachhaltige Entwicklung der Altmark einsetzen […]. Von der neuen ökologischen Siedlung kann und soll ein zukunftsorientierter Impuls auf die gesamte Region ausgehen.«12
12
Ebda. 13.
5. S UCHBEWEGUNG | 211
Dem B-Plan wurde letztlich stattgegeben. Zuvor hatten die Ökodörfler mit Unterstützung der Poppauer Gemeinde bereits den Sektenvorwurf des evangelischen Pfarrers überstanden. Auf Basis dieser gemeinsamen Geschichte mit der Gemeinde Bandau und dem Ort Poppau (heute beide Gemeinde Beetzendorf) heißt es heute bei Führungen: »Wir sind keine Insel und wollen auch keine Insel sein. Wir vernetzen uns hier mit der Region, wir sind hier überhaupt nur […], weil auch die Gemeinde uns auch hier haben wollte und uns hier willkommen geheißen hat.«13 Stützel und Kommerell gehen von einem Prozess zunehmender »Verwurzelung«14 in der Altmark aus: »Die ersten Jahre galten einem gegenseitigen Beschnuppern. […] ›Ihr könnt hier siedeln, aber ihr macht in Eurem Ökodorf Eures und lasst uns in Ruhe unser Leben führen.‹«15 Laut Helmut Fehse, Bürgermeister Poppaus, wurde der Dorfaufbau stets interessiert mitverfolgt16 und im Ökodorf nimmt man an, dass das gut sichtbare Wachstum der Häuser Sieben Lindens zur Akzeptanz des Ortes beigetragen hat.17 Laut Fehse ist das Verhältnis zum Ökodorf entspannt, die ›Chemie‹18 würde stimmen. Stützel betont wiederum seinen eigenen Beitrag: »Der Bürgermeister bezeichnete uns Ökodörfler mal als wahre Christenmenschen... ich finde, dass das besser auf ihn selbst zutrifft....«19 Fehse bemerkt darüber hinaus: »Die räumliche Trennung, diese 800m zwischen Sieben Linden und Poppau, erledigt auf ihre Art aber schon viel.«20 Stützel war mit Doris Leonhardt zusammen Mitglied des letzten Gemeinderats Poppaus gewesen. Damit stellten sie ein Viertel des Rates, entsprechend dem Bevölkerungsanteil. Anfangs seien manche Poppauer »geschockt«21 und sorgenvoll gewesen, dass Sieben Linden mehr Geld fordern oder einen Gegenkurs einschlagen würde. Doch Fehse lobte die Arbeit der beiden Neulinge im Rat. Sie hätten sich um Übersicht bemüht und praktische
13
Freundeskreis Ökodorf 2009a: 4.
14
Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a: 16.
15
Ebda.
16
Fehse, H. in [KA] 2006b: 23.
17
Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a: 16.
18
Fehse, H., in DBU & DIFU (Hg.) 2000: 100.
19
Stützel, E., in Roeder, S. 2005a: 26.
20
Fehse, H., in [KA] 2006b: 23.
21
Leonhardt, D., in Roeder, S. 2005a: 26.
212 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Lösungen angeboten.22 Vieles sei ihnen (noch) unbekannt gewesen, obwohl beide bereits zu den regional aktiveren Bewohnern Sieben Lindens zählten. So war Stützel bereits im Regionalverein Altmark23 und Leonhardt in der Gemeinde engagiert gewesen.24 Auch nach der Eingemeindung zu Beetzendorf herrsche nun »ein gutes Miteinander«.25 Allerdings sind nun keine Ökodörfler mehr im Gemeinderat (Stand 2012).26 Die regionale Presse berichtet gerne und häufig über Sieben Linden, insbesondere bei Gelegenheiten wie dem jährlich stattfindenden Tag der Regionen oder großen Feiern.27 Darüber hinaus ist das Osterfeuer in Poppau ein jährlicher Begegnungspunkt, ebenso wie das Volleyballturnier am 1. Mai, bei dem gemeinsam mit (Vollwert-)Kuchen, Bier und (veganen) Würstchen gefeiert wird. Mitunter singt auch der Sieben Linden-Chor zur Weihnachtsandacht. Darüber hinaus kann man sich im gemeinsamen Kindergarten- oder Schulbesuch einiger Kinder (bis hin zu Ausflügen ins Ökodorf), Musikgruppen, der Obstbaumschule, dem mit Sieben Linden assoziierten Poppauer Hof mit seinen »›ganz normalen‹ Familienverhältnissen«28, Tanz- und YogaKursen begegnen.29 Der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Freundeskreis konstatiert 2008 »eine starke wechselseitige Verbindung«30 zur Region. Als kontinuierlicher eigener Beitrag wird das monatliche Sonntagscafé als »niedrigschwelliges Angebot für die Region«31 hervorgehoben. Neben Kaffee und Kuchen wird jeweils eine Führung angeboten. Die 40 bis 140 Beteiligten aus der Region »wundern sich dann, dass hier ja gar nicht so viel anders ist, als sie es gewohnt sind. Und dass hier etwas geschafft wird.«32 Für die Sieben Lindener bedeutet das Sonntagscafé neben dem Imagegewinn allerdings
22
Fehse, H. in [KA] 2006b: 23.
23
Stützel, E., in Roeder, S. 2005a: 25.
24
Ebda.
25
Stützel, E., in Roeder, S. 2005a: 25.
26
Feisel sitzt allerdings für die GRÜNEN im Kreistag. Stützel wurde im Juli 2014
27
Vgl. Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a: 16; Kommerell, J. 2005: 22.
28
Kommerell, J. 2005: 22.
29
Strünke, C. 2012 [Web].
30
Freundeskreis Ökodorf 2008 [Web].
31
Freundeskreis Ökodorf 2012a: 5.
32
Ebda.
Mitglied des Beetzendorfer Gemeinderates.
5. S UCHBEWEGUNG | 213
auch Anpassung. Währenddessen wird davon abgesehen, nackt im Teich zu baden und idealerweise ist das Gelände weitgehend aufgeräumt. Ein Bewohner resümiert, dass »eigentlich das Sonntagscafé eine tolle Sache [sei]. Aber ich habe zum Beispiel keine Lust beim Sonntagscafé mitzumachen. […] Das ist dann richtig Tourismus […]. Einmal im Monat ist das so ein Zoofeeling hier. Das gehört dazu.«33 Bei Führungen außerhalb des Sonntagscafés wird als Richtwert ausgegeben, dass 90 Prozent der Nachbarn sehr entgegenkommend seien. Nur bei etwa zehn Prozent gäbe es »immer noch«34 Vorurteile und Vorbehalte. Demgegenüber wird eine möglichst gleichmütige Position bezogen: »Neue, die in eine ländliche Region kommen und etwas anders machen, werden immer skeptisch beäugt, und so ist es hier auch. Aber es gibt auch viel Unterstützung und Wohlwollen.«35 Mögliche Vorurteile und Vorbehalte seitens Sieben Lindens gegenüber der Region werden im Führungsdokument nicht aufgeführt. Laut dem Geschäftsführer der Siedlungsgenossenschaft (SiGe) seien seit der Ansiedlung des Projekts 1993 mehrere hundert Menschen in die Altmark gezogen, die heute eine »recht große Alternativszene« um das ehemalige Projektzentrum in Groß Chüden bilden würden. Die damals gegründete Freie Schule Altmark besuchen etwa 50 Schulkinder. Insbesondere durch die jungen Bewohner sieht er einen Beitrag zur Regionalentwicklung gegeben: »50 Prozent der Menschen im Ökodorf sind unter 35 Jahre alt, in ganz Sachsen-Anhalt sind 50 Prozent jünger als 47 Jahre. Also sind wir circa 12 Jahre jünger als der Durchschnitt in Sachsen-Anhalt. […] Im Vergleich zu der Altmark wird deutlich, dass es im Ökodorf deutlich mehr junge Menschen gibt (unter 19 Jahre) und deutlich weniger Menschen über 65 Jahre. Wir ziehen also junge Menschen in diese Region, deren großes Problem die Abwanderung junger Menschen ist. Ein wichtiger Faktor für die Regionalentwicklung!«36
Allerdings bleiben die jungen Bewohner weitgehend in Sieben Linden. Die Altmark profitiert von ihnen vor allem statistisch. Die Aufzählung entspricht
33
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 9.
34
Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a:16; vgl. Fröhlich, D. 2008: 9.
35
Ebda.
36
Strünke, C. 2012 [Web]. Median und arithmetisches Mittel wurden hier zusammen gezogen, können aber auch auseinander liegen.
214 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
damit nur bedingt der Vision des B-Plans, nach der sich mehr Bewohner im Umfeld niederlassen sollten, denn dies fördere »die Struktur in den Dörfern, die derzeit keine neuen Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommen und vom Verfall bedroht sind.«37 Auch mit neuen Betrieben außerhalb Sieben Lindens hält es sich in Grenzen, ebenso wie dem wirtschaftlichem Nutzen für die Region. Einem Nachbarn zufolge bringe Sieben Linden zwar keinen regionalen Nutzen, aber die Bewohner seien freundlich und entgegenkommend: »Wenn man was hat, reagieren sie eigentlich immer gleich.«38 Insbesondere die vermuteten ökonomischen Verhältnisse innerhalb des Ökodorfes bieten einen Angriffspunkt für Kritik aus der Region. So sei wiederholt zu hören, »dass das Ganze ausschließlich über Zuschüsse aufgebaut wird. Es werde dort kein Geld verdient, noch würden Steuern bezahlt. Der Allgemeinheit wird also nichts zurückgegeben.«39 Kommerell berichtet aus dem Bio-Regional-Projekt 2005 die Einschätzung: »Das Ökodorf interessiert sich doch sonst nicht für die Region und tue das nur, wenn es Fördermittel bekommt.«40 Es trage nur aus Eigennutz zur Entwicklung der Region bei, so der Vorwurf. Bei dem letztlich gescheiterten Bio-Regional-Projekt sollten Erzeuger und Händler von biologischen Lebensmitteln in der Altmark enger miteinander in Beziehung gesetzt werden. Aufgrund logistischer Schwierigkeiten kam es zu keiner Kooperation.41 Die Bewohner im Ökodorf bemerkten allerdings, dass viele andere Akteure besser regional vernetzt waren: »Wir müssen feststellen, dass wir in den letzten Jahren einiges versäumt haben.«42 Nur wenige pflegen den Kontakt nach außen, zum Beispiel durch den Besuch regionaler Veranstaltungen. »Außenarbeit«43 bleibt in Sieben Linden eine Besonderheit. Die etwa zehn Außenarbeiter reflektieren in Rundbrief-Beiträgen beispielsweise darüber, wie es ist, ›draußen‹ tätig zu sein. Oftmals beklagen sie, dass sie durch ihre Tätigkeit nicht genug Zeit in Sieben Linden verbringen können. Selbst
37
Gemeinde Bandau 1998: 13.
38
Ebda.
39
Anonymisiert, in Roeder, S. 2005b: 27.
40
Kommerell, J. 2005: 22.
41
Kommerell, J. 2012 [PK, E-Mail, 06.08.2012].
42
Kommerell, J. 2005: 22.
43
Freundeskreis Ökodorf 2012. Rundbrief Ökodorf 123.
5. S UCHBEWEGUNG | 215
der Bildungsbetrieb sei nach Stützel auf »Unseresgleichen aus der Alternativszene« ausgerichtet; sie finde, »dass das Ökodorf zu viel Nabelschau betreibt und dass die meisten Menschen hier zu sehr im eigenen Saft schmoren.«44 Laut Kommerell schlug dieses Credo dem Ökodorf auch beim BioRegional-Projekt entgegen: »Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt!«45 Stützel befürchtet, »dass wir so etwas elitäres, hochnäsiges ausstrahlen, eine Haltung, die unsere Wirkung auf die Region natürlich behindert.«46 Mit Kommerell stellt sie fest: »Leider tritt das Engagement für Regionalarbeit oft […] hinter den internen Aufbau des Ökodorfes zurück.«47 Dabei sei die Region »für die Entwicklung der Ökodorf-Idee von entscheidender Bedeutung.«48 So heißt es im Grundsatzpapier: »Wir streben [...] einen sozialen und ökonomischen Austausch mit der unmittelbaren Umgebung an. Wir möchten unseren Teil zu einer nachhaltigen Entwicklung von Gemeinde und Region beitragen. Wir suchen die Auseinandersetzung und Kooperation mit der bestehenden Gesellschaft.«49.
Bürgermeister Fehse hatte 2006 betont, dass der Interaktion zwischen Poppau und Sieben Linden prinzipiell keine Grenzen gesetzt seien. Es sei halt auch »immer eine Frage des Wollens.«50
5.1 I NSELN »Each ecovillage is an island«51, schreibt der erste GEN-Präsident Kennedy 2001. Dieses Motiv steht mit dem Anspruch als Modell zu wirken in Widerspruch.52 Insbesondere eine frühe große konzeptuelle Kehrtwende ist dabei
44
Stützel, E., in Roeder, S. 2005a: 26.
45
Kommerell, J. 2005: 22.
46
Stützel, E., in Roeder, S. 2005a: 26.
47
Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a:16; vgl. Kommerell, J. 2005: 22.
48
Ebda.
49
Freundeskreis Ökodorf 2008c.
50
Fehse, H. in [KA] 2006b: 23.
51
Kennedy, D. 2001: 248.
52
Vgl. Andreas, M. 2013.
216 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
bemerkenswert: Von der Anfangsgruppe in Heidelberg wurde 1989 noch hundertprozentige Selbstversorgung gefordert, »ohne Kooperation nach außen«53. Die Idee eines »selbstversorgten, ökologischen Dorfes«54 glich damals einer autarken Insel.55 Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die konzeptuelle Öffnung bereits eingesetzt. 1992 hieß es bereits, dass man »ein Modell, aber keine abgeschlossene Insel sein«56 wolle. Weitgehende Selbständigkeit bleibe zwar das Ziel, aber ebenso auch gesellschaftliche Interaktion. Diese solle unter anderem über die »Einbindung in die regionalen und nachbarschaftlichen Zusammenhänge«57 stattfinden; Einbindung ist dabei relativ zu verstehen, gemeint ist eine zentrale Position: »Die sozial-ökologische Siedlung will keine abgeschlossene Insel sein, sondern zu einem anregenden Beispiel und einem Zentrum für eine nachhaltige Entwicklung in der Altmark werden.«58 Man plante also weiterhin den Neubau einer Siedlung, begrüßte aber auch den Austausch mit der Region: »Es wäre dann rasch Abstand gewonnen worden zu der Vorstellung, eine Insel mit möglichst wenig Kontakt zu der Außenwelt zu sein, denn es wurde deutlich, dass ohne Kooperationen mit der Gesellschaft die Umsetzung des Projekts nicht möglich ist. Es hätte auch immer das Verständnis, ein politisches Projekt zu sein, gegeben, mit dem ›wesentlichen Punkt, anschauliche Beispiele zu schaffen‹«59.
Stützel äußerte sich 2012, dass sie heute nicht mehr wolle, »dass alle Leute wieder so ein Neubauprojekt machen. Also mir ist das mit dem Neubau teilweise richtig peinlich.«60 Das Gegenargument aus der Abteilung Regionalplanung hatte damals in der möglichen Zersiedelung der Landschaft bestanden. Der Vorwurf hatte gelautet, nicht an der bestehenden Substanz anzusetzen. Diese Problematik habe sich nach Stützel in den Jahren durch
53
Halbach, D. 2007a: 17.
54
Freundeskreis Ökodorf 2008b.
55
In Groß Chüden wurde bisweilen noch darüber diskutiert, »Überlebensinseln« zu errichten. Voß, E. 1996b: 90f.
56
WoGe 1995 [KA].
57
Ebda.
58
Ebd. 1996 [KA].
59
Wagner, F. 2013: 104.
60
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 15.
5. S UCHBEWEGUNG | 217
den demographischen Wandel und die sich weiter entleerende Altmark weiter zugespitzt: »Vor fünfzehn Jahren da war das noch nicht so ein Thema. […] Und jetzt ist einfach das Argument viel stärker, es steht viel leer. Es wird immer leerer. Die Infrastruktur kann schon für die bestehenden Dörfer nicht gehalten werden und da wird noch ein neues gebaut, was wieder an die Infrastruktur angeschlossen werden muss.«61
Zwar übernehme das Ökodorf einen Großteil seiner Infrastruktur selbst; dennoch sei es nach Stützel auch in diesem Sinne gewagt, von einem Modell zu sprechen.62 Aber wie dargelegt bleibt das Motiv in Sieben Linden wirksam. Ein Bewohner beschreibt, dass es für manche Ökodörfler einem Grundsatz gleichkäme, »dass man sich nicht als Insel begreift, sondern als Modell, das gesellschaftlich wirken will.«63 Als Geschäftsführerin des Freundeskreises betont Stützel dessen Bildungsarbeit und auch die KG Öff gebe ihr Bestes, gegenüber den wöchentlich eintreffenden Medienanfragen zu vermitteln, dass man hier keine »kleine Insel der Glückseligen schaffen«64 wolle. Sie verwehrt sich gegen den Eindruck der übermäßigen Selbstbezogenheit des Ökodorfes, das »ganz für sich«65 leben wolle. »Wir wollen nicht nur eine Insel sein und für uns schöner leben, Wir wollen unsere Ideen nach außen geben und teilen und weitergeben!«66 2000 zeigte man sich optimistisch: »Befürchtungen, dass die neue Siedlung zu einer ›Insel‹ oder gar einem Fremdkörper werden könnte, haben sich nicht bestätigt. Die Integration im Ort Poppau ist bereits heute geglückt.«67 Dennoch hält sich das Motiv hartnäckig und löste 2007 erneut die Frage aus: »Sind wir eine Insel?« »Die Frage kann mit Ja und Nein beantwortet werden. Das Ökodorf will auf keinen Fall eine Insel sein und dennoch lässt sich so ein Inselcharakter oft nicht vermeiden.
61
Ebda. 15f.
62
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [IT]g: 16.
63
Anonymisiert, in Kunze, I. 2002 [IT]c: 4.
64
Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 16.
65
Ebda. 14.
66
Ebda.
67
DBU & DIFU (Hg.) 2000: 100.
218 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Wenn die Alltagsereignisse einen Tag um Tag beschäftigen, der Kopf voll von Gemeinschaftsfragen ist, vergeht schon manchmal ein Weilchen, bis die Welt ›draußen‹ wieder relevant wird. Gerade deshalb wird der Bezug zur ›Außenwelt‹ besonders gepflegt.«68
In Sieben Linden werden einer Insel verschiedene Qualitäten zugeschrieben. So imaginiert ein Bewohner darunter einen isolierten Ort, an dem man »nur für sich lebt, und kein Austausch da ist.«69 Ein Probezeitler bemerkt hierzu wiederum: »Ich kann das so genießen, dieses Sackgassendasein.« Eine Insel helfe auch, den Überblick zu bewahren – oder, wie es im Grundsatzpapier heißt: »In den überschaubaren Strukturen eines Dorfes ist […] Ganzheitlichkeit möglich.«70 Auch paradiesische Zustände werden mit dem Motiv verbunden und Assoziationen einer »heilen Welt« und dem »schönen Leben«. So bedauerte eine Besucherin, nicht auf Sieben Linden als »Insel der Hoffnung« ziehen zu können. Sie müsse gleichsam das »Paradies loslassen«. Einige Bewohner schätzen zuletzt die ›Insel‹ als elitär ein. Wie bereits beim Modell kollidieren auch in diesem Motiv Realität und Anspruch. So wird von den Bewohnern mit seiner Hilfe abgeglichen, ob Sieben Linden den zugeschriebenen Qualitäten gleiche: »Es ist einfach so […], man ist frei von manchen Dingen, manche Dinge ›schwappen‹ hier nicht rüber.« Meist wird der Wunsch ausgedrückt, das Motiv möge nicht zutreffen. So wird für Führungen die Losung ausgegeben: »Wir sind keine Insel und wollen auch keine Insel sein.«71 Campe drückt sich noch deutlicher aus: »Insel, find ich total scheiße. Ich will keine sein.« Zugleich bestätigt sie, dass das Ökodorf einer solchen gleiche.72 Bott will die Nutzung des Motivs gar ganz unterbinden, denn es sei strategisch ungünstig. Der Weg des Ökodorfes führe in die gesellschaftliche ›Mitte‹, einen Insel hingegen vermittle »einen Ozean dazwischen«73, den Abstand und das eigene Außenseitertum. Dabei
68
Strünke, C. & Kommerell, J. 2007: 39.
69
Die folgenden Angaben und Zitate zum Motiv der Insel stammen, so nicht an-
70
Freundeskreis Ökodorf (Hg.) 2007c: 5.
71
Freundeskreis Ökodorf 2009a: 4.
72
Campe, S., in Andreas, M. 2012 [IT]i: 7.
73
Bott, G., in Andreas, M. 2011 [IT]d: 5.
ders angegeben, aus Andreas, M. [BP] 09-10.04.2012 und [IT] 2011- 2012.
5. S UCHBEWEGUNG | 219
sei man in Sieben Linden doch »ganz eng an der Innenseite des Lebens«74, wie Bott zu sagen pflege: »Einsteiger statt Aussteiger.«75 Strünke führt den (überregionalen) Besucherstrom gegen das Motiv der Insel an – allerdings mit einer Einschränkung: »Also wir haben hier 6.000 Gästetage im Jahr […]. An der Stelle ist es auf jeden Fall keine Insel. Unsere Vernetzung mit der direkten Umwelt, mit der direkten Umgebung, ist nicht so groß. An der Stelle kann dieses Bild aufkommen […], weil das, was wir hier leben, ist teilweise so komplett anders von dem, was direkt in eineinhalb Kilometern, fünf Kilometern, zehn Kilometern Umgebung gelebt wird.«76
Mit spitzer Feder lässt sich einwenden, dass auch Mauritius viele Gästetage aufweist und dennoch eine Insel bleibt. Der Wunsch, das Motiv mit seiner ihm zugeschriebenen Qualität der Isolation zu vermeiden, verweist im Umkehrschluss auf den Wunsch nach Anschluss und Verbundenheit. Der Strom an Besuchern und der populäre Seminarbetrieb sprechen für die Attraktivität des Ökodorfes – aber sie stehen nicht zwangsläufig im Kontrast zum Motiv. So bemerkt ein inspirierter Besucher aus der Altmark: »Jede Region kann da lernen« im Ökodorf. Es sei wie bei einer »Museumsinsel. Wo man hingehen kann, zum Tag der offenen Tür, zum Sonntagscafé, und sich Dinge angucken kann, sich amüsieren kann, aber auch natürlich ganz handfeste Anregungen mitnimmt.«77 Es lässt sich festhalten, dass Sieben Linden überregional gut vernetzt ist, viel Interesse auf sich zieht und Kontakt zu zahlreichen Menschen und Initiativen unterhält. Auch zur Region bestehen Verbindungen, aber von einer regionalen Eingebundenheit oder gar inniger Verbundenheit kann nur bedingt die Rede sein. Nach Campe sei das Ökodorf ein »Intellektuellen-Projekt«78 und damit in der Altmark zwangsläufig isoliert. Im Wendland oder in der Nähe einer Stadt wäre der Unterschied weniger »auffällig«.79
74
Ebda.
75
Bott, G. 2007. Das Ökodorf Sieben Linden. Ein sozial-ökologisches Modellprojekt. In Forum Nachhaltigkeit, München, 19.07.2007; vgl. Lambing, J. 2014: 10.
76
Strünke, C., in Andreas, M. 2011 [IT]c: 9.
77
Anonymisiert, in Centgraf, S. 2009: 90.
78
Campe, S., in Andreas, M. 2012 [IT]i: 7.
79
Ebda.
220 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Andere mutmaßen, dass der Grund darin zu finden sei, dass Sieben Linden ein tendenziell westdeutsches Projekt in ostdeutschen Gefilden sei. Eine Bewohnerin wiederum sieht in Poppau schlicht nicht die Infrastruktur gegeben, um für Sieben Lindener von Interesse zu sein: »Es gibt nichts […] außer Wohnhäusern […] und Feuerwehr.«80 Ein weiterer Ökodörfler betont, dass das Motiv der Insel sich eben nicht auf Sieben Linden beziehe, sondern auf »das Verhältnis zwischen uns und dem Umfeld, dass wir uns da nicht wirklich annähern können, dass wir da zu unterschiedlich sind.«81 Das bloße Vorhandensein von Unterschieden müsse nach Strünke (und beispielsweise Kunze und Meijering) allerdings nicht verwundern, schließlich sei das Ökodorf »eben auf der grünen Wiese, überhaupt nicht organisch gewachsen, einfach dahin gesetzt«82 worden. Diese Positionierung wählten Sieben Linden und andere Ökodörfer bewusst – im Gegensatz beispielsweise zu Transition Towns. Die Frage der Region bleibt jedenfalls die Herausforderung, wie sie der damalige GEN-Präsident Dawson bereits 2006 beschrieb: »One final challenge facing ecovillages is that of becoming less insular and more emeshed in the fabric of their own bioregions. Given the high levels of outreach and engagement with the world […] this may seem a puzzling assertion. Nonetheless, it remains true that many ecovillages are only marginally anchored within their own bioregions.«83
Ökodörfer wie Sieben Linden sind lose verankert in ihren Regionen, relativ autonom, aber keinesfalls autark. Gäste stellen die bedeutsamste Einnahmequelle da., 2011 verblieben durch sie rund 250.000 Euro im Ökodorf. Es war eine bewusste Entscheidung der Bewohner gewesen, den Gästebetrieb als einen »Kernbetrieb«84 auszubauen. Zuletzt aber sind Gäste auch das hauseigene Rezept gegen ›Inselkoller‹. Eine Bewohnerin von ihrer »Sehnsucht«85:
80
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]b: 7.
81
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 7.
82
Strünke, C., in Andreas, M. 2011 [IT]c: 9.
83
Dawson, J. 2006: 70.
84
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]x: 12.
85
Ebda. 4.
5. S UCHBEWEGUNG | 221
»Es wäre schön, wenn die Leute nicht alle nur hierher kämen, sondern sich hier in der Region ansiedeln […]. Das würde, glaube ich, sehr gut tun, so einen Speckgürtel zu bekommen. Ja, Austausch mit anderen Gemeinschaften.«86
In diesem Zitat werden bereits zwei Optionen, der Isolation der ›Insel‹ zu entrinnen, angesprochen: erstens durch Besuch, zweitens durch die Ansiedlung Gleichgesinnter, quasi als Archipel; eine dritte Option bestünde darin, die Region der eigenen Insel anzugleichen. In diesem Sinne stelle ich folgend den Versuch von Bewohnern Sieben Lindens dar, mit Hilfe des Transition Town-Konzeptes die umliegenden Dörfer von einem Wandel gen Nachhaltigkeit und Resilienz zu überzeugen. Die Bemühungen lassen sich durchaus auch vor dem Wunsch verstehen, selbst zu einer anderen Position in der Altmark zu gelangen: weniger Insel, mehr Verbundenheit. Transition Town-Initiativen versuchen, Menschen in ihrer jeweiligen Umgebung zu mobilisieren. Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Peak Oil ist das erklärte Ziel ein inklusiver lokaler Transformationsprozess gen Nachhaltigkeit und Resilienz. Auf Neugründungen von Siedlungen als auch Gemeinschaften wird verzichtet. Ausgangspunkt ist stets eine Initiativgruppe, deren Auflösung bereits zu Beginn vorgesehen ist: Im Rahmen eines ›Great Unleashing‹ soll sie in einer zu entstehenden größeren Gruppe aufgehen. Hopkins als Initiator des Transition-Konzepts,87 hatte 2004 im irischen Kinsale mit seinen Permakulturstudenten eine Bürgerstrategie entwickelt. Diese beinhaltete den Abbau von Abhängigkeiten insbesondere im Bereich Energie und stattdessen den Aufbau von sozialem Kapital, beziehungsweise Gemeinschaftlichkeit. Anschließend zog Hopkins nach England und trug 2006 zum Unleashing of Transition Town Totnes bei. Von Totnes aus verbreitete sich das Konzept über das Transition Network und das 2008 erschienene Handbuch rapide über die Landesgrenzen hinaus. Transition Towns haben mit Ökodörfern den Rückgriff auf Prinzipien wie aus der Permakultur gemein und Methoden wie ›Dragon Dreaming‹. Das Transition-Konzept verfügt darüber hinaus allerdings über eine Reihe aufeinander abgestimmter Konzepte und Strategien und damit eine »ideologische
86
Ebda. 9.
87
Es sind auch Transition Cities, Islands, Regions, Counties, Countries und Continents vorgesehen. Hopkins, R. 2011: 20f; vgl. 2008.
222 | V OM NEUEN GUTEN LEBEN
Klarheit«88, wie sie bei Ökodörfern selten aufzufinden ist. Martin Stengel aus Sieben Linden zeigte sich zumindest in diesem Sinne 2009 von seinem Besuch in Totnes beeindruckt: »Endlich wieder mal eine Idee, die mitreißend statt aufreibend wirkt und die aus der lähmenden Überfülle an Informationen zu Klimawandel, Peak-Oil und Wirtschaftskrise Anleitungen zu kreativen Antworten hat und diese detailliert darlegt.«89
Die Prägnanz der Idee beruht nicht zuletzt auf Hopkins‘ Einfluss, der das Transition-Konzept auf Basis bestehender Ansätze erschuf und weiterhin als Mentor und Inspiration für das Netzwerk auftritt. Als jemand der selbst in einem kleinen Ökodorf gelebt hat,90 bezieht er sich explizit auf Einsichten, Praktiken und Technologien der Szene: »Ecovillages have spent many years testing and refining the technologies, both social and physical, that a sustainable world will need. Yet it struck me that they are sometimes reluctant to engage deeply with the mainstream. So transition is a way of rapidly scaling up those insights.«91
In diesem Sinne wenden sich Transition Towns im Unterschied zu klassisch ländlichen Ökodörfern nicht nur Dörfern (und Inseln, Regionen, Ländern) sondern auch Städten zu – wie unter Ökodörfern ja beispielsweise auch das Los Angeles Ecovillage; hinzufügen ließe sich auch die Urban GardeningBewegung. So setzt sich Müller zufolge »der neue Garten bewusst ins Verhältnis zu Stadt, tritt in einen Dialog mit ihr und will wahrgenommen werden als ein genuiner Bestandteil von Urbanität, nicht als Alternative zu ihr«92. Ökodörfer wie Sieben Linden verblieben demgegenüber zurückhaltend. Folgend präsentiere ich das Transition-Konzept bewusst als eine historisch nicht gewählte Positionierung von Ökodörfern. Ebenso wie das Ökodorf-Projekt einst seinen Anspruch Poppau und den dort lebenden Menschen aufzwingen
88
Pepper, D. 1991: 60.
89
Stengel, M. 2009: 10.
90
Angeblich bis sein Lehmhaus abbrannte.
91
Hopkins, R., in Litfin, K. 2014: 195.
92
Müller, C. 2011: 23.
5. S UCHBEWEGUNG | 223
wollte, sieht dies das Transition-Konzept vor – stattdessen will es sie motivieren. Mit dem Aufkommen des Transition-Konzepts deutete sich auch für Sieben Linden eine Möglichkeit an, den eigenen Anspruch in der Region zu verwirklichen. Allerdings soll nicht das Ökodorf zu einer solchen werden, sondern die benachbarten Dörfer. So schrieb Kommerell im Sommer 2009, nur wenige Monate nach den Politischen Abenden: »Die Zeit des intensiven Projektaufbaus ist vorbei und wir sind gefragt, unsere Fähigkeiten direkt einzubringen in unserem Land, in unserer Region. […] Ein neuer Blickwinkel kommt hier von der ›Transition Town Bewegung‹«93.
5.2 L ERNREISE Nach dem Ethnologen Gerd Spittler wird durch Aneignung »das Fremde durch einen Prozess der Transformation und Umdeutung heimisch gemacht«94. Und so hieß es in der Altmark bald ›Energiewende-Initiative‹ statt Transition Town. Laut Stützel solle man darunter allerdings nicht verstehen, »wovon Frau Merkel gerade redet«95. Statt technischen Wandel handele es sich um eine »Änderung der direkten Lebensumstände«.96 Im Sommer 2007 hatte zum ersten Mal eine irische EDE-Teilnehmerin in Sieben Linden von Transition Towns berichtet;97 auf der Gemeinschaftswerkstatt im Herbst war von Andreae davon zu hören gewesen; Anfang 2008 erschien das wegweisende Transition Handbook von Hopkins, im GEN Manifest vom Februar wurden sie positiv hervorgehoben und Dawson unterstrich ihre Bedeutung im Juni; im März war der erste deutschsprachige Blog online gegangen, die erste Initiative gründete sich im August in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg; im September erschien die deutsche Übersetzung von Hopkins Buch, im gleichen Monat sprach sich auch Kennedy auf der Gemeinschaftswerkstatt 2008 gegen die Gründung neuer Ökodörfer, aber für Transition Towns aus.
93
Kommerell, J. 2009a: 9.
94
Spittler, G. 2002: 15.
95
Stützel, E., in Andreas, M. [BP, 13.05.2011]a: 2.
96
Ebda.
97
Stützel, E., in Andreas, M. 2010 [IT]: 5.
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Von hier aus verzweigt sich der Strom der Geschehnisse weiter, unter anderem in eine interkommunitäre Arbeitsgruppe um Andreae, Kommerell und Würfel. Gemeinsam suchte man die Frage zu beantworten, ob eine Transition Town »speziell für Gemeinschaften ein geeigneter Anhaltspunkt ist, um in die Welt zu wirken.«98 Mehrere Beteiligte ihres Explorationsworkshops konnten sich die Umsetzung des Konzepts eher in ihren Herkunftsregionen vorstellen als in den Wahlheimaten. Exemplarisch meinte Würfel, dass er zur Altmark keine Bande unterhalte und keine Verbindung wahrnehme. Andreae überlegte demgegenüber laut, wie das Transition-Konzept in den Gemeinschaften vermittelbar sei. »Wir meinen vielleicht, wir hätten es schon verstanden.«99 Eine Bewohnerin Sieben Lindens war jüngst auf dem Klimagipfel in Kopenhagen gewesen und befürchtete nun, dass der »Radius des Wirkens«100 zu klein angesetzt sei. Beetzendorf? Sie habe kein gutes Gefühl dabei, »sich nur in der eigenen Region einzusetzen und es in der Dritten Welt laufen zu lassen.«101 Parallel zu dieser Arbeitsgruppe war Andreas Schaaff in Groß Chüden auf die Bewegung aufmerksam geworden. Er war ein Mitglied der ehemaligen Ökodorf-Projektgruppe gewesen, bevor sie nach Sieben Linden umgesiedelt war, und stand in engem Kontakt mit der Altmärker Alternativszene. Begeistert von Hopkins Buch sorgte er dort für dessen Verbreitung. Verschiedene Ströme liefen wieder zusammen, als das von Schaaff mit dem Buch ausgestatte Ehepaar Frenzel ihre Bekannten aus Sieben Linden ansprach. Zuvor war Campe vor der Berliner Transition-Initiative eingeladen, dort wiederum Sieben Linden als mögliches Modell vorzustellen. Das Gespräch mit den Frenzels führte sie und andere Bewohner wieder zur eigenen Region: »Hey, und da werdet ihr [als Ökodorf] plötzlich zu ‘nem Ort, wo lauter Antworten vorgelebt werden für das, was vor uns steht«.102 Man einigte sich darauf, in Beetzendorf eine Energiewende-Initiative gründen zu wollen. Bedeutend war dabei, dass im Zentrum der Initiative explizit nicht das Ökodorf stehen sollte. Man hoffte solchermaßen der Sorge vorzubeugen, dass dieses die Region unterlaufen könnte. Sogar innerhalb
98
Kommerell, J., Würfel, M. & Andreae, S. 2009: 4.
99
Andreae, S., in ebda. 12.
100 Anonymisiert, in ebda. 101 Ebda. 102 Campe, S., in Andreas, M. & Wagner, F. 2009 [GT]: 5.
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Sieben Linden wurde eine Bekanntmachung veröffentlicht, nach der die Initiative kein explizites Ökodorf-Projekt sei. Die Auftaktveranstaltungen waren vielversprechend. In die katholische Gemeinde in Beetzendorf als »neutralen Ort«103 kamen 21 Gäste, jeweils etwa zu einem Drittel Bewohner Sieben Lindens, andere Zugezogene und Alteingesessene (›real‹ inhabitants sollte es später einmal heißen104). Man beschloss die Gründung einer eigenen Energiewende-Liste, mit vier Menschen aus der Region und zwei aus Sieben Linden.105 Bei der nächsten Veranstaltung erscheinen bereits über 80 Teilnehmern, nur etwas mehr als ein Dutzend davon aus dem Ökodorf.106 Zur Überraschung der Organisatoren gingen selbst interaktive Momente gut vonstatten.107 Bei Bio-Brot und selbstgemachten Aufstrichen wurde gemeinsam gefeiert. Allerdings berichtete Kommerell auch: »Die Menschen fragten alle nach konkreten Projekten. Es ist gar nicht so leicht, klarzumachen, dass die Projekte […] von den Bürgern selbst«108 kommen sollen. Dennoch wurden Arbeitsgruppen gebildet und Wahlkampf für die Energiewende-Liste Beetzendorf betrieben. Diese erhielt rund 300 Stimmen und damit zwei von 16 Sitzen im Gemeinderat. Parallel versammelten sich von 2009 bis 2011 mehrere Ökodorf-Projekte in einer durch die Europäische Union (EU) geförderten ›Lernpartnerschaft‹: The Transition Journey: Sustainability to Touch.109 Ziel war es hierbei, sich zu unterstützen, die jeweiligen Regionen zu einem Wandel zu mobilisieren: »Five well established organisations and ecovillages […] have joined forces to inspire a profound transformation in society, and will spread their knowledge in their surrounding regions.«110 An Bord waren das österreichische Keimblatt Ökodorf-Projekt (Koordination), Sieben Linden in teils wechseln-
103 Stützel, E., in Andreas, M. 2010 [IT]: 4. 104 Kommerell, J. 2010 [Dok.]. 105 Ebda. 7. 106 Stützel, E., in Andreas, M. 2010 [IT]: 7. 107 Allerdings sei es für die Altmärker » schockierend« gewesen, über ihre Gefühle sprechen zu sollen. Kommerell, J. in Andreas, M. 2010 [BP, 24.03.2010]c: 2. 108 Ebda. 109 Eine ausführlichere Darstellung findet sich in der ursprünglichen Doktorarbeit. 110 Marth et al. 2010 [Web]; vgl. Marth et al. 2011: 4.
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der Besetzung (Vize-Koordination) und drei Initiativen aus Deutschland, Italien und Ungarn (Mirabell e.V., Torri Superiore und Galgafarm Ökofalu). Dem Projektantrag zufolge würden sich ihre Regionen allesamt durch unzureichende Infrastruktur, Arbeitslosigkeit und Landflucht auszeichnen. Dem wolle die Transition Journey entgegen wirken. Gegenüber der EU beschrieben sich die Projekte als ›Leuchttürme‹ und ›Oasen‹ der Nachhaltigkeit. Wie sie zu einer ökonomischen Revitalisierung der Region beitragen würden, wurde nicht expliziert. Koordinatorin Sandra Marth ging davon aus, die Bildungstätigkeit von Ökodörfern mit der Lernpartnerschaft erfolgreich nach außen tragen zu können,111 gewissermaßen als Prototyp für regionale Entwicklung: »What we expect of our partnership is to give impulses on international scale for the revitalization of rural areas combining an exemplary small carbon footprint with a high quality of life.«112 Allerdings waren den Lernpartnern auch Schwierigkeiten bewusst: »Nach wie vor gibt es diesbezüglich wenig Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung, umso schwerer fällt der Brückenschlag zwischen innovativen Projekten und deren unmittelbarer Umgebung.«113 Das inklusive Transition-Konzept sollte die »Brücke«114 zur Region bilden, während die Lernpartner untereinander für Rückhalt sorgen würden. Alle beteiligten Projekte wurden je einmal besucht, bei den Treffen tauschte man sich kollegial aus.115 In den Zwischenzeiten galt es, jeweils in der eigenen Region zu handeln. Als Beobachter nahm ich ab dem dritten Treffen teil, ab dem vierten als wissenschaftlicher Beirat Im Folgenden hebe ich insbesondere das dritte Treffen hervor. Von den Ökodörfern fokussiere ich insbesondere auf Sieben Linden und zum Kontrast auf Torri. Dessen Bewohner gaben zu Beginn an, verstärkt die lokale Bevölkerung erreichen zu wollen, aber auch selbst lernen und Torri nachhaltiger gestalten zu wollen. Als Sammlung bemerkenswerter ethnographischer Momente dient folgend das dritte Treffen im österreichischen Riegersburg, unweit des Projektzentrums von Keimblatt Ökodorf. Hier fand ein ›Training for Transition‹ unter
111 Höflehner, T. 2009b: 3. 112 Marth, S. 2009: 15. 113 GLP Zusammenfassung 2010: 1 [Dok.]; vgl. Marth, S.2009: 15. 114 Marth et al. 2010 [Web] 115 Höflehner, T. 2009a: 1.
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Anleitung von Gerd Wessling und Ellen Bermann statt. Dabei wurden unter anderem »inneren Welten«116 beleuchtet. So gaben die Trainer zu verstehen, dass wir alle Bestandteil der industriell-gesellschaftlichen ›Sucht‹ nach Wachstum seien. Was seien angesichts der eigenen Involviertheit unsere Ansätze und Lösungsvorschläge für eine gesellschaftliche Transformation?. Die Partner reagierten mit teils bekannten Motiven.117 So begann ein Teilnehmer aus Sieben Linden mit der These, dass ein ›innerer Wandel‹ den äußeren bedingen würde: »Maybe the transition helps to do both at the same time!« Eine Bewohnerin Sieben Lindens sprach davon, trotz aller Zukunftsängste weiterhin Vertrauen zu schenken (Stichwort Herzöffnung). Jemand betonte die Bedeutung von Gemeinschaft(lichkeit) bei der Bildung von Vertrauen. Die ehemalige GEN-Präsidentin Lucilla Borio aus Torri wies auch auf Schwierigkeit hin: »Yeah, community, community, community. A powerful tool to overcome un-connectedness and the fear of not being seen, heard, loved. But it is also difficult to live in community!« Gemeinschaft sei kein Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme sei. Daraufhin kamen auch andere Teilnehmer auf ihre Schwierigkeiten zu sprechen. So berichteten Lernpartner, dass sie in ihren Regionen teils schmerzlich ihre eigene Alternativität wahrnehmen würden; das Gefühl, nicht zu ihrer Umgebung zu gehören. Eine Teilnehmerin berichtete, dass sie den sozialen Umgang und die Wertschätzung innerhalb der Lernpartnerschaft allerdings sehr schätze. Eine Besucherin bemerkte demgegenüber: »It’s pretty easy to be accepting in a group like this. We’re all pretty much on the same page.« Allerdings fanden auch im ›Innenraum‹ der Lernpartnerschaft Positionierungen statt. So endete das Training for Transition mit einer Präsentation Keimblatts.118 Vorab erklärte dessen Initiator Ronald Wytek, dass die Folien normalerweise an Bürgermeister gerichtet seien, von denen man sich Siedlungsland versprach. Dort würde man die Begriffe Ökodorf oder Gemeinschaft vermeiden, allzu leicht würden diese zu unliebsamen Assoziationen führen.119 Stattdessen
116 Andreas, M. 2010 [BP, 24.03.2010]c: 5f 117 Die folgenden Angaben und Zitate zum dritten Treffen stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2010 [BP, 24.03.2010]c: 6f 118 Andreas, M. 2010 [BP, 24.03.2010]c: 10f 119 Wytek bezog sich auf die ehemalige Friedrichsthal-Gemeinschaft unter Otto Mühl, deren Erwähnung auch Sieben Linden bereits in Bedrängnis gebracht hatte; vgl. Lambing, J. 2014: 94; 112.
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spreche man lieber von einer ›Siedlungsgenossenschaft.‹ Doch gegenüber der Lernpartnerschaft sollte weiterhin von Ökodörfern und Gemeinschaften die Rede sein. Wytek präsentierte gar eine Kategorisierung der größten Gemeinschaftsprojekte Europas: Damanhur und Findhorn galten ihm dabei als ›philosophisch-spirituell‹, Cohousing-Projekte wie Dyssekilde als ›wohnorientiert‹, wieder andere als ›karitativ‹. Keimblatt sei als einzige (geplante) Gemeinschaft ›breitenwirksam‹ ausgerichtet, während Sieben Linden als ›idealistisch‹ galt. Aus der entsprechenden Ecke der Zuhörerschaft ertönte vernehmliches Räuspern. Ich sprach das Thema am nächsten Tag bei einem Spaziergang an: Kommerell und Stützel bemerkten kritisch, dass Keimblatt seine Identität verleugnen und sich anpassen würde. Nach Stützel tue Sieben Linden dies nicht: »Wir sind, wie wir sind.«120 Sie selbst sei auf Breitenwirksamkeit aus, aber zugegebenermaßen gebe es mehr Menschen in Sieben Linden, »die nicht so sind oder dafür etwas machen.« Der Spaziergang endete im Projektzentrum Keimblatts, dessen Wohnzimmer mit Bildern aus Sieben Linden geschmückt war.121 Keimblatt orientierte sich nah an seinem Vorbild (zum Beispiel für den Aufbau eines Waldkindergartens). Aber im Gegensatz zu Sieben Linden sei Keimblatt nach Wytek keine Gemeinschaft, sondern ein ›Team‹, bestenfalls Freunde. Er wollte am Vorabend niemand beleidigt haben – aber es sei nicht zu leugnen, dass Sieben Linden durch sein Auftreten vor allem Menschen aus der eigenen ›Alternativszene‹ anziehen würde. Dabei seien diese doch mit gemeinschaftlich-ökologischen Impulsen »eh schon versorgt«122. Keimblatt richte sich Wytek zufolge demgegenüber lieber an die Gesellschaft. Der ethnographische Moment um diese Präsentation ist bemerkenswert: Ein Ökodorf-Projekt, welches sich explizit an Sieben Linden orientiert, versteht dessen Positionierung als zu selbstbezogen auf die eigene Alternativszene. Keimblatt wiederum betreibt Maßnahmen wie die situative Umbenennung in Siedlungsgenossenschaft, die den Sieben Lindenern als Ver-
120 Stützel, E. in Andreas, M. 2010 [BP, 25.03.2010]c: 11. Stützel erwähnte allerdings auch, dass ein VW-Mitarbeiter und ein ehemaliger Soldat ins Ökodorf ziehen wollten – als Beweis, nicht mehr nur in der ›Öko-Schublade‹ zu stecken. 121 Andreas, M. 2010 [BP, 25.03.2010]c: 12. 122 Wytek, R., in ebda. 13.
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stellung der eigenen Identität erscheinen. Nach Wytek trügen dieses Vorgehen aber dazu bei, breitenwirksam die Gesellschaft erreichen zu können.123 »Is this the we-them group?« Ja, richtig – die Arbeitsgruppe an der ich teilnahm, befasste sich mit Differenzen zwischen Ökodörfern und Regionen. Die Frage lautete: »How can Transition Towns support the relationships between eco-communities and the mainstream?«124 Ein Teilnehmer malte zwei überlappende Kreise auf, die für die beiden Parteien stehen sollten. Ihm zufolge gelte es, die Schnittmenge zu betonen, um zusammen zu finden. Eine Bewohnerin Sieben Lindens malte daraufhin zwei Kreise, die sich nicht berührten: »I don’t even know what to talk about with people from the Altmark.« Das Ökodorf liege in der Mitte von ›Nirgendwo‹ und würde gut als beinahe geschlossenes System funktionieren: »We don’t really need the region, it was like this from the beginning.« Es sei zwar wichtig, mit der Region in Kontakt zu treten – aber eben nicht das Allerwichtigste. Dem Transition-Konzept schrieb sie die bereits erwähnte Brückenfunktion zu; »[as] something in-between village and ecovillage.« Ein Bewohner Torris äußerte Verständnis für die Menschen in den jeweiligen Regionen, die die Neuankömmlinge als Angreifer auf ihre Identität verstehen müssten. Die Ökodörfler seien in einer weitaus bequemeren Position: »We are convinced that we are already on the right road. […] Our basic beliefs are not questioned, we are not under attack.« Ein externer Besucher hatte wiederum das letzte Wort in der Arbeitsgruppe und stellte die Überbetonung der Konstruktionen von ›we‹ and ›them‹ in Frage: Sei wirklich alles außerhalb normal und innerhalb alternativ – oder gar besser? Er wage es, dies zu bezweifeln. Während die Episode um die Präsentation Keimblatts die Ausrichtung und Authentizität der jeweils eigenen Ökodorf-Projekte zum Thema hatte, wurden nun das Verhältnis und die Haltung zur Region thematisiert. Ist die starke Grenzziehung zwischen den Identitäten sinnvoll? Gibt es Schnittmengen der Interessen und bedarf man sich überhaupt gegenseitig? Wie aus Sieben Linden berichtet wurde, hatte die Energiewende-Initiative während des Verlaufs der Lernpartnerschaft erfolgreich einen Markt initiiert.
123 Allerdings ging das Projekt Keimblatt später wiederum in ›Schönwasser‹ auf, bevor es erlosch. Aber dieser Prozess benötigte eine gesonderte Betrachtung. 124 Andreas, M. 2010 [BP, 24.03.2010]c: 7.
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Örtliche Firmen waren involviert gewesen und eine Arbeitsgruppe zu Energiekooperativen hatte sich gebildet. Im laufenden Jahr 2010 sollte noch der Bürgertreff in Beetzendorf initiiert und das Fahrradprogramm ausgebaut werden, ebenso wie die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen. Selbst Sieben Linden durfte nun als offizieller Kooperationspartner erwähnt werden. Dennoch würde sich einer Bewohnerin zufolge das Ökodorf gerne stärker im Gemeinderat einbringen, doch funktioniere dies nur im Rahmen der Energiewende-Initiative.125 Eine Person war sogar aus der Initiative ausgetreten, nachdem sie einen kritischen Artikel eines Ökodörflers zum Klimawandel gelesen hatte. Angesichts dessen frage sich die Bewohnerin, ob sich Sieben Linden verstecken müsse, um andere zu erreichen. Sie drückte ihre Hoffnung aus, dass die Initiative einmal Sieben Linden darin unterstützen könne, selbst »normal zu werden«. Der Beitrag der Region zur eigenen Beheimatung schien in Torri fortgeschrittener zu sein. »In general, people from Torri don’t want to be the ›big‹ information holders or experts towards the locals.« Jemand erzählte, dass die Vorurteile aus der Region abzuklingen begannen hatten, als man gemeinsam tätig geworden war: »Gardening, instead of talking about gardens, growing olive trees, instead of talking about it, etc. And of course parties, parties, parties – a lot.«126 Die Ökodörfler würden zumeist versuchen, sich den vorhandenen Aktionen anzuschließen, denn: »We are entering their landscape. They were first, we second.« Es sei zwar traurig, dass man sich nicht stärker mit seinen Kompetenzen einbringen könne, aber was helfe es: »You have a solar panel, but your neighbor can break it. It’s part of sustainability. Communication is not just a tool, it is about building a language to communicate.« Solch eine kommunikative Brücke zu bauen ist vergleichbar mit der ethnographischen Forschungssituation oder mit einem Lernprozesses, der Verständnis für und die Annäherung an bislang Fremdes zum Ziel hat. Das Treffen der Lernreise endete in diesem Sinne passend mit dem Aufspielen einer regionalen Band aus der Steiermark, spontan begleitet von Ökodörflern.
125 Andreas, M. 2010 [BP, 25.03.2010]c: 11f. 126 Hier hatte Keimblatt eine Praxis beizusteuern: Besonders beliebt sei ›Bauerngolf‹, eine Sportart, bei der Gummistiefel durch Reifen, in Badewannen etc. geworfen werden – und sich nicht nur Ökodörfler köstlich amüsieren würden.
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Abbildung 16: Gemeinsames Musizieren
Quelle: Eszter Gabor (Riegersburg, 2010).
5.3 B RÜCKEN Mit der Transition Journey begann sich die Ethnographie zunehmend zu mobilisieren. Ich folgte den Ereignissen, angelehnt an das Konzept der multisited ethnography. Dabei musste auch ich mich positionieren.127 So entschied ich mich, der Lernpartnerschaft zu folgen und nicht den Ereignissen vor Ort in der Altmark. Während der Treffen blieben die Lernpartner zwar größtenteils unter sich, quasi in ihrem eigenen Innenraum, aber wie Marcus schrieb: »The most important form of local knowledge in which the multi-sited ethnographer is interested is that which parallels the ethnographer’s own interest—in mapping itself.«128 Nach den Befürwortern einer multi-sited ethnography gilt es, sich kontext-sensitiv zu verhalten, ansprechende Perspektiven zu wählen und zu konstruieren.129 Um die GRUNDTVIG-Vorgaben zu erfüllen, war ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet worden. Ab dem vierten Treffen bekam ich das Rollenangebot, diesem beizutreten, welches ich annahm. Teilnehmende Beobachtung und beratende Teilnahme gingen von nun an Hand in Hand. Es galt,
127 Nieswand, B. 2008: 91. 128 Marcus, G. E. 1995: 112; vgl. Nieswand, B. 2008: 85. 129 Nieswand, B. 2006: 20.
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frühzeitig Schlüsse aus den Geschehnissen ziehen und anzubieten. Offensichtlich beeinflusste ich damit das Feld – wenngleich meine (spärlichen) Vorschläge auch mehr zur Kenntnis genommen, denn umgesetzt wurden. Marcus warnt, dass Rollendiffusion in einer multi-sited ethnography besonders leicht aufkommen könne: »[O]ne finds oneself with all sorts of cross-cutting and contradictory personal commitments.«130 Die Konflikte würden sich auch nicht durch zunehmenden Abstand befrieden lassen; »but in being a sort of ethnographer-activist, renegotiating identities in different sites as one learns more about a slice of the world system.« 131 Ich versuchte stets, möglichst nachvollziehbare Positionen und Haltungen einzunehmen. Angesprochen auf meine Rolle als Beirat ermunterte ich generell dazu, jegliche Überheblichkeit gegenüber der Region abzulegen und Konstruktionen von ›innen‹ und ›außen‹ zu reflektieren. Hintergrund war, dass es mir eingedenk der Politischen Abende bedenklich erschien, mit Antworten aufwarten zu wollen, ohne die Fragen der Region genau zu kennen.132 Abschließend wurde ich gebeten, einen Text für eine Broschüre zu verfassen und einen Vortrag auf der Abschlusskonferenz zu übernehmen. Doch mit meinen Vorschlägen befand ich mich selten in Übereinstimmung mit den Veranstaltern, sie wurden meiner Einschätzung nach nicht weiter beachtet; meine Ansätze seien »wissenschaftlicher«, wie es Kommerell ausdrückte (oder wie meine Broschürenvorschläge: »langweiliger«133). Für den Abschluss der Transition Journey schloss sich die Lernpartnerschaft der Internationalen Dorfkonferenz 2011 in Berlin an. Campe aus Sieben Lindens war bei den Vorbereitungstreffen im Jahr zuvor anwesend gewesen und hatte Sieben Lindens KG Öff informiert. Viele Besucher waren Bürgermeister aus Dörfern und Beteiligte der ›Dorfbewegungen‹, die insbesondere Skandinavien Momentum genoss. Die Präsentation der Ökodörfer sollte durch ›Lebendigkeit‹ und ›Lösungen‹ glänzen. Die Frage in der Vorbereitung lautete: »Wie können Ökodörfer als Insellösungen normale Dörfer
130 Marcus, G. E. 1995: 113. 131 Ebda. 132 Zweifelsfalls bot ich erlernte Permakultur-Weisheiten aus Sieben Linden feil: die Umgebung genau studieren, sich in diese behutsam einbringen, dabei von den eigenen Lieblingsformen frei machen und stattdessen in erwünschten Qualitäten zu denken. Außerdem seien insbesondere ›Zwischenbereiche‹ fruchtbar. 133 Kommerell, J. in Andreas, M. 2011 [BP, 30.03.2011]b: 6.
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unterstützen? Und wie können sie zusammenkommen?«134 Keimblatts Antón Nothegger amüsierte sich: »It always seems to be the question, how to get in contact with locals.« Im Workshop Transition Villages und Ökodörfer. Zwei Bewegungen, die auf unterschiedliche Weise lebendige Dorfkultur aufbauen135 präsentierten Kommerell und Stützel einen Rundumschlag von Sieben Linden zu GEN, und von Transition Towns (beziehungsweise Energiewende-Initiativen) zur Lernpartnerschaft. All diese Initiativen vereine unter anderem die Frage: »Welche Art von Kultur brauchen wir eigentlich?« Stützel zufolge sei es insbesondere Ökodörfern »ein ganz großes Anliegen, an der Umwandlung gesellschaftlicher Prozesse in Richtung Nachhaltigkeit mitzuwirken. […] Wie kann das, was wir hier entwickeln, als Modell dienen? […] Wir machen das ja nicht nur für uns.« In Sieben Linden hoffe man, die Altmark dabei »mitzunehmen, was zu verändern.« Durch die Lernpartnerschaft sei man zwar gut verbunden mit den eigenen Allianzpartnern, aber »immer große Exoten in der Region geblieben.« Ja, es sei geradezu eine allgemeine Schwäche von Ökodörfern, das man als »Zugezogene nicht so verwurzelt« sei. Es gäbe zwar »punktuelle Berührungspunkte«, aber »keine gemeinsame Bewegung.« Mit dem Transition-Konzept solle sich dies ändern. Mehrere Zuhörer äußerten nach dem Vortrag, dass ihnen unklar geblieben sei, was Transition Towns oder Ökodörfer eigentlich seien.136 Nur eine Handvoll der etwa 30 Menschen im Raum hatte bislang überhaupt von ähnlichen Projekten gehört gehabt. Aber die Anwesenden hatten dennoch den Workshop auf ihre Weise genutzt und sich über ihre Anliegen unterhalten. So wurde in den Gesprächen die Vielfalt der dörflichen Themenpalette deutlich, von der Einführung von DSL bis zum Aufbau lokaler Märkte, von den Hürden regionaler Logistik zur Frage des Anbaus von Bio-Nahrung, von dem Wunsch nach Unabhängigkeit von großen Betrieben zum Problem der Großflächenlandwirtschaft. Viele dieser Themen waren in den Treffen der Lernpartnerschaft zur Sprache gekommen, doch ergab sich im Workshop
134 Ebda. 5. 135 ERCA & Rosa Luxemburg Stiftung 2011: 12. 136 Dennoch stellten sie Ansprüche: Qualitätskriterien und mehr Zusammenarbeit mit den Wissenschaften wurden gefordert, eine Teilnehmerin wünschte sich mehr Transparenz: Ökodörfer kämen ihr wie abgeschlossene isolierte Inseln vor: »Das hört sich nicht so in meinem Sinne an, ich möchte auch das Offene.«
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keine Brücke. Zuletzt kamen die Teilnehmer wieder auf das Thema des Workshops zu sprechen: Ja, warum nicht Ökodörfer in ›sterbende Regionen‹ einladen? Jemand gab an, dass ihn ihr Beispiel ermutigen würde – aus ihren Bemühungen könne vielleicht eine Vision für die Zukunft entstehen. Beteiligte der Lernpartnerschaft ko-moderierten auch die Arbeitsgruppe zu nachhaltigen Dorfalternativen,137 deren Ankündigungstext diesmal vergleichsweise zurückhaltend und offen formuliert worden war: »Impulse für die nachhaltige Dorfentwicklung kommen oft von Neuzugezogenen. Die sogenannten ›Raumpioniere‹ kommen mit Ideen, Elan und Ressourcen. Sie stoßen auf gewachsene Dorfstrukturen und eine Annäherung und Akzeptanz brauchen oft Zeit. Wie können die Impulse in guter Zusammenarbeit mit den Alteingesessenen und in gegenseitiger Wertschätzung genutzt werden?«138
Auch ich trage über Intentionale Gemeinschaften und regionale Entwicklung vor.139 Dabei verorte ich das Potential der Zugezogenen vor allem in ihrer mobilisierenden Aufbruchsstimmung. Mit zunehmender Reife einer intentionalen Gemeinschaft stiegen darüber hinaus auch die Kompetenzen, die sie einbringen könne, wie in Sieben Linden zu sehen sei. Allerdings bestehe die Gefahr der (gegenseitigen) Abschottung und der Zentrierung auf die jeweils eigene ›Insel‹. Mir stand der Ausdruck der dezentrierten Positionierung 2011 noch nicht zur Verfügung, aber ich betonte, inwiefern die starke Fokussierung auf die eigene Gemeinschaft dazu beitrüge, die Verbindungen zur Region zu vernachlässigen. Für ein gelungenes Zusammenspiel zwischen intentionaler Gemeinschaft und Region empfahl ich nicht die Nivellierung von Unterschieden, aber den Respekt gegenüber der jeweiligen Andersartigkeit; oder, wie ein Hinweis aus den Politischen Abenden gelautet hatte: Es würde schon helfen, wenn man sich sowohl zur eigenen Gemeinschaft als auch Gesellschaft zugehörig fühlen würde.
137 Die folgenden Angaben und Zitate zur Dorfkonferenz stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2011 [BP, 14.05.2011]a: 4f. 138 ERCA & Rosa Luxemburg Stiftung 2011: 4. 139 Andreas, M. 2011. In Internationale Dorfkonferenz, Berlin, 14.05.2011.
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Demgemäß schlug ich gewissermaßen eine aktive Positionierung vor; nicht nur in, sondern als Bestandteil von Region und Gesellschaft. Als dezentriert begreife ich diese (heute), weil sie ihre Essenz nicht vorrangig im Inneren des Eigenen sucht, sondern in der bewussten Auseinandersetzung und Identifikation mit der Außenwelt. Für die Entwicklung einer Region wie der Altmark bedarf es meines Erachtens mehrerer Zentren – von denen Sieben Linden eines sein könnte. Nach meinem Vortrag vertrat ein Bürgermeister an meinem Tisch die These, dass man solange ein Fremdkörper bleibe, wie man sich als solcher sehe. Ökodörfler blieben Zugezogene, solange » sie sich selbst so verstehen« würden. Er selbst sei vor einem Jahrzehnt nach Brandenburg gekommen und heute Bürgermeister. Die anderen Dorfvorsteher am Tisch betonten insbesondere die integrative Bedeutung der Vereine oder der »Feuerwehr als Träger des Lebens«. Die Konferenz endete mit einem Plenum. Auf dem Podium saßen Politiker, die einen Dialog mit dem Publikum führten. Eine Bewohnerin Sieben Lindens erhob sich und sprach von dem großen zivilen Engagement, welches sich unter anderem in Ökodörfern und Transition Towns zeige. Demgegenüber stellte sie im Plenum die Frage, ob Politiker überhaupt nötig seien: »Brauchen, wollen wir die eigentlich?« Nach kurzem Klatschen setzte sie nach und wollte wissen, wie die Politiker vorhätten, ›Brücken‹ zu den Bürgern zu schlagen? Solchermaßen herausgefordert antwortete vom Podium die GRÜNEN-Politikerin Cornelia Behm, MdB. Sieben Linden sei ihr bekannt und sie erinnere daran, dass das Ökodorf von einer einmaligen politischen ›Erlaubniskultur‹ nach der Wende profitiert habe. Doch Behm blieb nicht bei dieser Replik, sondern versuchte tatsächlich einen Brückenschlag: Welche Unterstützung würden die zivilen Projekte wie Ökodörfer denn von der Politik brauchen? Campe war diese Frage bereits ein Jahr zuvor auf dem Vorbereitungstreffen gestellt worden.140 Sie hatte sie an die KG Öff weitergegeben gehabt. Doch die Schnittstelle zur klassischen Politik war für die Lernreise nicht bedacht, besprochen und vorbereitet worden. Die Vertreter Sieben Lindens und der Lernpartner waren in diesem Moment überfragt und ausnahmsweise ohne Antwort.
140 Gesprächskreis Ländlicher Raum 2010a: 2f; vgl. 2010b:1f.
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So verging die Chance zur Brücke zu den politischen Repräsentanten. Mit der Berliner Transition-Initiative wurde abends gemeinsam der Abschluss des Projekts gefeiert. Eine Bewohnerin Sieben Lindens bemerkte, dass zu einem »Verwurzeln in der Region« mehr Engagement notwendig sei, als es sich das Ökodorf momentan leiste. Generell seien die Projekte sehr mit sich und ihrem Aufbau beschäftigt. Die Öffentlichkeitsarbeit käme erst nach dem ›Überleben‹. In der Altmark habe man immer noch mehr mit anderen Zugezogenen Kontakt als den ›Alteingesessenen‹. »Es wäre viel besser, wenn wir zu ihnen gehen und an dem mitmachen, was die machen, aber das schaffen wir gar nicht.« Jemand warf von der Seite ein, dass dies ja auch »schrecklich langweilig« sei. 2012 blickte Stützel zurück auf die Transition Journey und den Versuch, mit dem Transition-Konzept die Region zu erreichen. Ihr zufolge habe die Lernpartnerschaft »nur sehr marginalen Einfluss auf unser tatsächliches Transition Town-Projekt gehabt.«141 Außerdem sei dieses »gerade fast eingeschlafen.« »Das war so, dass es einfach wenig tragende Akteure gab und die alle ihren eigenen Stiefel gefahren haben und es nicht wirklich gut zusammenging. Also jeder hatte so seine Projekte und es wurde […] sich zu wenig dabei aufeinander bezogen. Es war auch rückblickend ein Fehler, in den Gemeinderat zu gehen.«
Nun seien Kapazitäten im Gemeinderat gebunden, wo »wir als außerparlamentarische Gruppe eigentlich wahrscheinlich mehr verändern könnten.« Auch die Erfolge der Energiewende-Liste seien nach Stützel zum Teil die Leistung anderer. So habe die Bürgerinitiative gegen CO2-Verpressung in der Region eine Bürgerenergiegenossenschaft »für eine Photovoltaikanlage im Wert von immerhin 1.000.000 Euro mit 600 Kilowatt Peak« initiiert. »Aber de facto ist es nicht wirklich aus dem Projekt entstanden.« Und der Gemeinderat hatte ausgerechnet in einer der Sitzungen entschieden, Mitglied der Bürgerenergiegenossenschaft zu werden, in der die Energiewende-Vertreter nicht anwesend gewesen waren. »Und wenn du sonst eigentlich immer Gegenwind im Gemeinderat für Energiewende gespürt hast, waren wir vollkommen von den Socken, als wir dann aus der Zeitung
141 Die folgenden Angaben und Zitate stammen, so nicht anders angegeben, aus Stützel, E. in Andreas, M. 2012 [IT]g: 19.
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erfahren haben, dass der Bürgermeister vorgeschlagen hat, dass die Gemeinde doch da Mitglied werden sollte.«
Kommerell sah den größten Erfolg der Transition Journey in den Verbindungen unter den Initiativen und der persönlichen Weiterentwicklung. Das EUGRUNDTVIG-Programm dient auch vor allem der Erwachsenenbildung. Namensgeber Nikolai Grundtvig war ein dänischer Pastor, Poet und Politiker im 19. Jahrhundert. Er begründete die Volkshochschulen Dänemarks, in denen die Fragen der Schüler den Lehrplan bestimmen und ihre Verbundenheit bestärkt werden sollen.142 Bildung galt Grundtvig als lebenslanger Prozess, der Pflichten gegenüber der Gemeinschaft ausdrücke, aber auch kulturelle Entwicklung beinhalte. Die Lernpartnerschaften unter seinem Namen richten sich explizit an kleine Organisationen der Erwachsenenbildung, um bei ihnen »ein erweitertes europäisches Bewusstsein und ein besseres Verständnis für europäische Zusammenarbeit zu bewirken.«143 Dies ist in der Transition Journey gelungen. Doch einer der Schwerpunkte des Programms liegt auch auf den Menschen in »ländlichen oder strukturschwachen Gebieten, die aus sozioökonomischen Gründen benachteiligt sind«144. Im Projektantrag waren diese auch als Grund für das Entstehen der Partnerschaft angeführt worden. In diesem Zusammenhang ist eine persönliche Fortbildung allerdings nur ein ungenügendes Ergebnis einer Lernreise. Als Ethnologe dachte ich zuerst an Methoden aus der eigenen Disziplin, wie die teilnehmende Beobachtung, um die regionale Bevölkerung besser verstehen und kennen zu lernen. Woran sollten die Ökodörfler allerdings teilnehmen, wenn es doch nichts gibt in Poppau und der Region außer Wohnhäusern und der Feuerwehr, wie eine Bewohnerin einst meinte. Aber eben dieser Vorschlag fand sich in der Broschüre der Transition Journey auf der to-do-Liste als letzter Punkt: »Do what the locals do – […] join the firebrigade.«145 Doch der Einsatz des Ökodorfes ist höher als der eines Ethnologen, denn mit der Frage der eigenen Positionierung geht es nicht nur um (eine noch dazu zeitlich begrenzte) Teilnahme, sondern auch um die eigene Identität. Während
142 Vgl. Bradley, S. A. J. (Hg.). 2008. 143 Marquardt, M. (Hg.) 2008: 14. 144 Europäische Gemeinschaften 2008: 5. 145 Marth et al. 2011: 12.
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ein Ethnologe diese Position nachvollziehen möchte, gilt es für das Ökodorf, sie einzunehmen. Drei Bewohner Sieben Lindens traten 2012 der Feuerwehr Poppaus bei.146 Sie ist eine der wenigen Altmärker Wehren mit konstantem Bestand und solchermaßen quasi ein kleines Zentrum. »Für die Feuerwehrmänner aus Sieben Linden ist ihr Beitrag nur eine Konsequenz des gemeinschaftlichen Denkens. Sieben Linden ist ein Teil seiner Umgebung mit dem eigenen Anspruch eines Modellcharakters und dazu gehört auch das Mitwirken in regionalen Institutionen und Gremien.«147
Dem ist nichts hinzuzufügen – außer vielleicht Würfels Erfahrungen nach eineinhalb Jahren Dienst, inklusive den Grund-, Funker- und Atemschutzlehrgängen, den Versammlungen, dem Feuerwehrsport-Wettbewerb, Arbeits- und Übungseinsätzen sowie der Brauchtumspflege:148 »Der größte Brocken, den ich als Altmärker Feuerwehrmann zu schlucken habe, ist die Kulturkluft zwischen dem, was ich in Sieben Linden gefunden habe, mit erfinde und mag, und der lokalen Kultur unserer Region.« Hier sei »der größte Lerneffekt an meiner Feuerwehrzugehörigkeit zu finden. Aber ehrlich gesagt; angenehm finde ich das nicht.« Im Vergleich gelte in Sieben Linden: »Wie wir hier miteinander kommunizieren, das ist schon geprägt von dem Versuch, verständnisvoll zu sein und Bedürfnisse zu vermitteln.« Demgegenüber sei es in der Feuerwehr eher üblich, nichts Persönliches preiszugeben.149 Mit seinen Wortmeldungen schaffe es Würfel »mühelos, mich sofort als Exot zu outen.« Es sei insgesamt »noch ein weiter Weg bis zu einem
146 Würfel, M. 2014a: 30. 147 Büthke, R. 2013 [Web]. 148 Die folgenden Angaben und Zitate zur Feuerwehr stammen, so nicht anders angegeben, aus Würfel, M. 2014a: 31f. 149 Nach Lambing werde von ›Gemeinschaftsaktivisten‹ »nicht selten die besondere Bedeutung von Authentizität und sozialer wie emotionaler Reife herausgestrichen und dies mit dem zwischenmenschlichen Umgang in der Mainstream-Gesellschaft kontrastiert. Einer Kultur der Wärme, Bedürfnisartikulation und Ehrlichkeit steht dann der zwischenmenschliche Umgang in der Mehrheitsgesellschaft gegenüber, die von Scham, Unehrlichkeit, Kälte und einer Unbewusstheit über eigene Bedürfnisse und Motive geprägt sei«. Lambing, J. 2014: 98.
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guten Austausch […] – aber im Großen und Ganzen halte ich es ganz gut aus, bei der Feuerwehr zu sein. Trotz Kulturkluft oder Kommunikationsbarriere.« Es ist eine Brücke zwischen geografisch nah liegenden und sozial weit entfernen Identitäten. 2014 berichtete wiederum Stützel, dass die Energiewendeliste nun drei von 16 Sitzen im Beetzendorfer Gemeinderat einnehme – es gehe wieder voran.
Nachmittag (frei) Nach dem Mittagessen verteilt sich die Gruppe. Einige helfen Sandra spontan bei anstehenden Arbeiten. Andere, wie der Autor, schenken sich noch etwas Hafermilch in den Lupinenkaffee und machen es sich wieder auf den Bänken im Hof bequem. Der Rest erkundet das Gelände weiter, ausgestattet mit einigen Tipps. So halte der Wald laut dem Verfasser noch einige Überraschungen parat, wie Baumhäuser, Geländekunst, einen weiteren Kraftplatz sowie das geheime Dorf der Jugendlichen – mit Kirche, wie er mit einem Seitenhieb auf Michas Buch feststellt (Dorf ohne Kirche). Auch dem ersten Verstorbenen wird im Wald gedacht und zu Ostern werden Eier versteckt. Man treffe auch Jogger und Musikanten, Rehe und Zecken – »kaum zu glauben was eine ehemalige Monokultur alles hergibt.« Schön wäre auch das »erste Hotel am Platz«, in der nordwestlichen Ecke des Ökodorfes. Allerdings ist dieses nur für Insekten geöffnet. Unweit entfernt liegt der Waldkindergarten, ein großer, fantastischer Abenteuerspielplatz mit einem eigenen Bauwagen. Er ist halbtags geöffnet und wird von drei Sozialpädagogen betreut. Der Nachwuchs Sieben Lindens besteht fast gänzlich aus ›Waldkindern‹, aber auch fünf Kinder aus der Region besuchen den Kindergarten. »Die Kinder toben und klettern, bauen Hütten und Höhlen, beobachten Tiere, entdecken Zwergenhöhlen und Elfenspuren; sie schnitzen, sägen, malen basteln und nähen«150, beschreibt einer der Leiter. »
150 Britsch, S. Feisel, R. & Lohmüller, J. 2007: 36.
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Abbildung 17: Insektenhotel.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2009).
Das wichtigste Inventar ist natürlich der Wald«, meint Micha. Er vertritt die Meinung, dass »Sieben Linden ein überdurchschnittlich guter Platz nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern« sei. Kinder haben stets eine Vielzahl von Ansprechpartnern und es wird immer wieder positiv hervorgehoben, dass auch bei getrennten Elternpaaren die Betreuung weiterhin gut funktioniere.151 Es besteht auch wenig Gefahr, in Sieben Linden von einem Auto erfasst zu werden. Insofern seien die Kinder Micha zufolge die »eigentlichen Nutznießer unserer manchmal größenwahnsinnigen Selbstüberforderung.« Die meisten von ihnen besuchen die Freie Schule Altmark in Depekolk, die noch vor dem Ökodorf gegründet wurde und heute 24 Kilometer entfernt ist. Sandra berichtet, dass sie die Kinder regelmäßig morgens auf den Weg zur Arbeit mitnimmt, aber eine ideale (ökologische) Lösung sei das nicht. Andere besuchen die Regelschule in Apenburg (acht Kilometer), Beetzendorf (sechs Kilometer), wo es auch
151 Die formellen Angaben und Zitate in diesem Teil stammen, so nicht anders angegeben, aus Freundeskreis Ökodorf 2011h [Web] und 2009a.
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ein Gymnasium gibt, oder die integrierte Jeetze-Gesamtschule in Salzwedel. Die Kinder werden von Mitschülern manchmal als ›Öko‹152 betitelt, aber es halte sich in Grenzen. In Sieben Linden steht eine breite Auswahl an Freizeitangeboten zur Verfügung, von »ziemlich ambitionierten Kindertanz« bis hin zu Tanzkursen für Jugendliche wie Ballett und Hip Hop, sowie Musik und Theater, Kickboxen, Kinder- oder Jugenddisco. Die Jugendlichen scheinen es allerdings eine Spur schwerer zu haben. »Sieben Linden ist keine Insel, keine heile Welt. Auch hierher bahnen sich Fernseher, Computerspiele, Plastikspielzeug und Süßigkeiten ihren Weg,«153 heißt es in der Broschüre von 2007. Manchen Jugendlichen wiederum geht diese Entwicklung nicht schnell genug, mutmaßt der Autor. Heute sind die Ältesten 16 Jahre alt (Stand 2012) und haben sich mittlerweile ihren Weg bis in das Entscheidungssystem Sieben Lindens gebahnt. Bei der Intensivzeit 2012 setzten sich zwei von ihnen erfolgreich dafür ein, teilnehmen zu können. Eine Mutter beschreibt das Anliegen der beiden Mädchen: »Wir wollen hier von euch integriert werden mehr, reingenommen werden […], was es eigentlich alles soll, was ihr so tut, was ihr für Pläne habt.«154 Es gibt auch eine Gruppe ›junger Leute‹ (JuLe) in Sieben Linden. Nahe dem Parkplatz befindet sich ihr Lager mit eigenen Bauwägen und der selbstgebauten Strohlehmküche. Ihr Alter rangiert zwischen 16 und Ende 20 – Söhne und Töchter von Bewohnern, sowie das gute Dutzend Jugendliche, die im Ökodorf ein freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ), European Voluntary Service oder Bundesfreiwilligendienst absolvieren. In ihren 37,5h-Wochen sind sie für die SiGe, den Waldkindergarten, Eurotopia, die Fuhrhalterei, den Bildungsbetrieb oder das GEN-Büro tätig. Manche bleiben anschließend als sogenannte Lebensschüler. »Zwar hat Sieben Linden für alles einen Status, aber leider erst einen Ausbildungsplatz, in der Holzwerkstatt«, bemerkt der Verfasser. »Dennoch lernen die Jüngeren hier sicher eine Menge.« Sandra war auch einst FÖJlerin und mit Bettina maßgeblich daran beteiligt, dass die JuLe sich verstetigte.
152 Willert, S. 2012: 5. 153 Britsch, S. Feisel, R. & Lohmüller, J. 2007: 35. 154 Feisel, U., in Andreas, M. 2012 [IT]e: 14.
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Während die Gruppe im Wald sich als nächstes den Kompostanlagen widmet, unterhalten sich andere Leser und der Autor weiter im Hof. »Erinnern Sie sich noch an Benjamins Fragen? Wer hatte nach freier Liebe gefragt?« Der Club99 hatte sich beispielsweise vorgenommen, in verbindlichen Partnerschaften, aber sogenannter freier Liebe zu leben. Das Motto lautete: »Was ich liebe, lasse ich frei.«155 Micha meint dazu lakonisch: »Die Liebe ist sowieso frei. Dieser Ort ist gut für Menschen, die das mehr oder weniger einsehen.« Insgesamt sind im Ökodorf verschiedene Beziehungsformen gängig. Auch Hochzeiten gibt es, wenn auch eher selten. Ein Ehepaar beschrieb sich dem Autor gegenüber als ›Fossil‹: »Wir sind 15 Jahre verheiratet, wir […] gehören zu irgendwelchen Außerirdischen, die nicht ganz normal sind, weil sie irgendwie immer noch zusammen sind.«156 Vor zwei Jahren gab es allerdings gar eine Doppelhochzeit. Eine der Bräute hatte berichtet, dass es ihr manchmal schwer falle, die Zweisamkeit in Sieben Linden zu leben, allerdings würden die Vorteile einer »Beziehung in Gemeinschaft«157 überwiegen. Im Newsletter-Beitrag zur Doppelhochzeit wurde insofern nicht nur die Liebe zwischen den Partnern betont, sondern »auch die Liebe und Unterstützung und Zusammengehörigkeit von uns als Gemeinschaft.« Weitere Fragenklassiker lauten: »Wie verdient ihr hier Geld«, »Wovon lebt ihr hier« und »Was macht ihr den ganzen Tag«?158 Kurz, es geht um Arbeit und Muße im Ökodorf. Bei diesem Thema wird im Führungsdokuments frühzeitig relativiert und zu bedenken gegeben, dass die Verhältnisse in Sieben Linden anders geregelt seien als im restlichen Land. So gibt ein Ökodorfveteran zu verstehen, dass er den ökonomischen Bereich in Sieben Linden für am wenigsten gut ausgebildet hält, aber »Verbundenheit entsteht natürlich auch dadurch, dass wir die Genossenschaft haben, uns das Ganze gemeinsam gehört, dass es unsere Entscheidungen
155 Club99 [kA]: 4. 156 Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]b: 13. 157 Becker, S., in Mehlfeldt, J. 2010: 9. 158 Degenhardt, B. [KA, Dok.].
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sind, die das Ganze mitentstehen lassen und beständig neu formen, gestalten und umgestalten.«159 So müsse man in Sieben Linden nicht Eigentümer von vielen Gütern sein, um sie zu benutzen. Besonders bei großen Maschinen wie Autos und Waschmaschinen mache dies einen finanziellen Unterschied. Darüber hinaus gäbe es freie oder kostengünstige Angebote wie die Sauna. Auch in diesem Sinne betont der Freundeskreis den eigenen Suffizienzansatz; »unsere wichtigste Einnahmequelle ist, dass wir recht wenig brauchen. Wir können hier mit weniger als die Armutsgrenze aus, und das können wir hier gut verdienen.« Gleichwohl gibt es diverse Unternehmen im Ökodorf, allen voran der Bildungsbetrieb, der vom Freundeskreis organisiert wird. So wurde 2003 die Holzwerkstatt neben dem Parkplatz gebaut. Das Gebäude mit der Tischlerei, Drechslerei, sowie der Haustechnik- und Selbsthilfewerkstatt wird von der Sieben Linden GmbH betrieben. Ursprünglich waren nur Betriebe gewünscht, die der SiGe und damit allen Bewohnern gehören. Weiterhin gibt es zwar solche ›Töchter‹ (wie die GmbH, bei der die SiGe Hauptanteilseignerin ist), aber eben auch eigenständige Unternehmen, von Ugas Obstbaumschule bis zur Gemeinschaftsberatung Hand in Hand. Hier beraten erfahrene Ökodörfler vergleichbare Initiativen und begleiten sie dabei, »eine Kultur des Miteinanders aufzubauen und angepasste Arbeits- und Entscheidungsstrukturen zu entwickeln.«160 Hinzu kommen Selbständige wie Sandra, die Permakulturseminare anbietet. Micha wiederum hat unter anderem als Übersetzer gearbeitet. »Immer wenn ich erzähle, dass er von seinem Bauwagen aus die Untertitel von Desperate Housewives, Indiana Jones und South Park übersetzt hat, klingt das ähnlich abenteuerlich wie, dass Dr. Sommer aus der Bravo hier ein beliebter Gast war«, meint der Autor; »stimmt aber beides.«161 Andere Bewohner sind in der Region als Oberarzt, Sozialarbeiter oder Lehrerin angestellt. Laut Eva seien (Stand 2012) von den etwa 100 erwachsenen Bewohnern und Dauergästen 30 selbständig und etwa 25 intern angestellt: zwölf für den Freundeskreis als größten Betrieb, sechs für die SiGe. Dazu kamen 15 Rentner, elf extern Angestellte und weitere zehn FÖJs.
159 Anonymisiert, in Wagner, F. 2013: 100; vgl. Lambing, J. 2014: 7. 160 Ebda. 66. 161 M. Goldstein als ehemaliger Dr. Sommer war ein Wegbegleiter des Ökodorfes.
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Neun Menschen seien arbeitslos.162 Im Vergleich dazu haben 2009 von 84 Erwachsenen insgesamt acht Arbeitslosengeld I oder II bezogen – allerdings sei die Strukturschwäche der Gegend stets mit zu bedenken. Bemerkenswert sei, dass innerhalb dieser drei Jahre nun elf statt drei außerhalb, und 25 statt 15 Menschen innerhalb des Ökodorfes Anstellung fanden (Bei den Kategorien gäbe es allerdings Überlappungen). Generell scheint man sich im Ökodorf einig zu sein, dass mehr Betriebe gut täten. Unternehmensgründungen werden vielseitig unterstützt, aber Micha bemerkt: »Die meisten haben sich mit dem dünnen Geldstrom arrangiert. Es fehlt nicht mal an möglichen Geschäftsideen; eher daran, dass mal ein paar Leute alles stehen und liegen lassen, um eine davon umzusetzen.« »Alles stehen und liegen lassen ist allerdings auch nicht so einfach«, bemerkt der Autor. Neben Erwerbsarbeit wird Sieben Linden maßgeblich von ehrenamtlicher Arbeit getragen: Die obligatorischen Gemeinschaftsdienste reichen etwa von einer bis vier Stunden pro Woche, je nach Anwesenheit. Sie können Tätigkeiten in der Küche, Pflege und Wartung der Infrastruktur oder Verwaltungsaufgaben umfassen. Weiteres ehrenamtliches Engagement wird gewünscht: etwa fünf bis acht Stunden pro Woche, inklusive der Teilnahme in mindestens zwei Kleingruppen. Es ist dabei ein fortwährender Aushandelsprozess, welche Tätigkeiten als ehrenamtlich gelten und welche bezahlt werden. Dabei werden Gerechtigkeitsvorstellungen als auch die gewünschte Professionalität einzelner Bereichen verhandelt. So werden beispielsweise zunehmend Tätigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit und im Seminarbetrieb bezahlt. Sieben Linden sei ein »Arbeitsprojekt«163, meint die Bewohnerin Corinna Felkl. So nimmt es nicht Wunder, dass Zeit und Muße knappe Ressourcen zu sein scheinen. »Zeitknappheit ist ein altes Thema im Ökodorf«, meint auch der Autor kopfschüttelnd.164 Aber das würde bereits ein Kollege erforschen.165 Der habe auch die Geschichte auf Lager, wie beim Spruch »Jeder hat immer Zeit« gewaltig die Emotionen hochkochten. Micha lamentiert jedenfalls, dass es nun mal so viel zu tun gäbe im Ökodorf.
162 Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 15. 163 Felkl, C. 2012 [PK, Sieben Linden, 09.04.2012]. 164 Vgl. Kunze, I. 2002 [IT]: 4. 165 Schweighofer, M. in Vorb.
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»Zeit, würde ich sagen, ist unser Hauptproblem. Noch vor Geld.«166 Johannes Dury betont, für wie schwerwiegend er das Fehlen ausreichender Muße hält: »Also das ist wirklich eine große Enttäuschung für mich, weil hier unheimlich viel Energie verloren geht […]. Wir machen was Essenzielles falsch. Ich versteh nur nicht, was es ist, aber es ist überhaupt keine Frage, das ist zu viel; das ist überhaupt keine Frage, dass wir – so gut es uns geht – viel zu angestrengt sind.«167
Dabei gehe es ihm weniger um die Quantität der Arbeit als um die Reibungsverluste. Obgleich er die ›Kommunikationskultur‹ im Ökodorf sehr schätzte, erlebe er Schwierigkeiten, die eigene Konzentration im »Räderwerk Gemeinschaft«168 aufrecht zu erhalten. Bewundernd spricht Johannes von einem Kollegen, der jedes Mal die Arbeit sinken lasse, wenn er angesprochen wird, und sich nur einer Tätigkeit zugleich widme.169 Micha scheint das Problem zu kennen und stellt seinen Lösungsansatz vor: »Ich arbeite mit Stundenzetteln, Kalender, mit vielen ›nein‹, ›ich nicht‹, ›nicht jetzt‹, ›nicht mein Problem‹. Ich ignoriere Nachrichten, die mit ›wäre schön, wenn du…‹ oder ›möchtest du vielleicht…‹ formuliert sind. Ich lege den Telefonhörer daneben, ich schließe die Tür, ich esse nicht mit der Bande zu Abend.« »Entspannung gibt es hier auch«, meint der Autor, »aber vielleicht weniger als erwartet.« Da meldet sich Sandra zu Wort,. Auch sie habe stets viel zu tun, aber »will eben nicht, dass Sieben Linden so ein Projekt ist von ›Schöner leben auf dem Land‹. Es ist mir total wichtig, dass Leute, die hierher kommen, wissen, dass es hier darum geht, ein Projekt aufzubauen, nämlich ein Ökodorf, dass wir hier einfach was vorhaben.«170 Eva stimmt
166 Es ist übrigens ein logisch-literarischer Fauxpas dieser Führung, dass so viele Bewohner für sie mit so viel Zeit ausgestattet scheinen. 167 Dury, J., in Andreas, M. 2012 [IT]h: 10; vgl. Wagner, F. 2013: 185; 201f. 168 Ebda. 169 Die »hohe Rate an Unterbrechungen im Gespräch ist berüchtigt« in Ökodörfern. Wagner, F. 2013: 204. 170 Campe, S., in Andreas, M. 2012 [IT]i: 7.
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ein: »Wir wollen nicht nur eine Insel sein und für uns schöner leben – wir wollen unsere Ideen nach außen geben und teilen und weitergeben!«171 Gäste sind die offensichtlichsten Adressaten des Ökodorf-Modells: »Wesentlicher Bestandteil des Bildungskonzeptes von Sieben Linden ist das Erleben des Ökodorfes mit allen Sinnen.« Gäste sind auch ein wirtschaftlicher Faktor, der sich intern auszahlt, beziehungsweise ausgezahlt wird. Über die Hälfte der Bewohner beziehen jährlich Geld, weil sie in irgendeiner Form in den Gästebetrieb mit eingebunden sind. Der vom Freundeskreis geführte Gäste- und Seminarbetrieb ist Sieben Lindens größte und einträglichste Unternehmung. »Auch wir als Gruppe sind dessen Gäste«. Der begrenzende Faktor sei die Infrastruktur, weswegen momentan ein zweiter Seminarraum angelegt wird und ein Gästehaus geplant ist. Der Seminarkalender sei jedenfalls voll, berichtet Eva.172 Der Autor möchte Ihnen als Leser nun auch noch etwas Muße zugestehen. Insofern verabschiedet er sich für den Nachmittag, man würde sich ja am Abend wiedersehen. Er empfiehlt noch, das sogenannte Globolo zu besuchen, das habe er bei der Führung ausgelassen. Dort sei ihm zuerst aufgefallen, »dass Sieben Linden ein schöner Ort sein kann.« Der Weg dorthin führt über die ›Drachenwiese‹, in ein Rund von 50 Metern Durchmesser. Es gilt als Landschaftspark und Naturkunstwerk. Für ein Meditationsseminar hatte man im Jahr 2000 in der äußersten Ecke des Ökodorfes einen abgelegenen Ort gesucht und gefunden. Das Gelände wurde den Zwillingsbrüdern Müller anno 2003 zu deren 60. Geburtstag für fünf Jahre zugesprochen; Milan und DiDi (beziehungsweise Wolf) waren Architekten und berühmte und exzentrische Charaktere im Ökodorf gewesen, mittlerweile sind sie beide verstorben. Sie haben den Ort »der Stille, Heiterkeit und Gastfreundschaft gewidmet.«173 Außen schmiegen sich einige Bauwägen, ein Steinlabyrinth und ein kleiner Teich an. Innen finden sich ein Pizzaofen, eine Weidenkuppel und im Sommer drei Jurten. Laut Micha wurde das Globolo »nie richtig geplant, laut Bebauungsplan steht es sogar auf dem zweiten Parkplatz, den
171 Stützel, E., in Andreas, M. 2012 [BP, 09.04.2012]b: 14. 172 Ebda. 173 Müller, M. 2007.
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das vollbelegte Dorf einst brauchen wird. Aber es existiert und zieht manche Leute stark an. Es liegt auf der ›Drachenlinie‹, die sich laut diverser Geomanten durch Sieben Linden zieht«. Abbildung 18: Globolo mit Wandelgang.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2012).
Laut Micha ist das Globolo »ein Ort der Stille, der Musik, des Singens, der Verbindung mit »der Natur… Ein Ort ohne Strom oder Computer, nicht mal sein Fahrrad nimmt man mit in den Kreis.« Gut, um das Verhältnis zwischen Kultur und Natur zu reflektieren, Mensch und Mitwelt – oder auch nur der Farbe der eigenen Socken, nachdem man sie ausgezogen hat, um das Gras unter seinen Füßen zu spüren. »Das Globolo lädt ein, die Welt mit allen Sinnen zu erfassen.«174 Laut Milan verbinden dabei die Stangen im umgebenden Wandelgang »die Energien des weiten Himmels der Altmark mit den Erdenergien […]. Er begrenzt das Globolo und ist durchlässig zugleich.«175
174 Müller, M. 2007: 34. 175 Ebda. Vgl. Dirlik: »Place as a metaphor suggests groundedness from below, and a flexible and porous boundary around it, without closing out the extralocal, all the way to the global. [..T]he struggle of place in the concrete is a struggle against power and the hegemony of abstractions.« Dirlik, A. 2001: 22f.
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5.4 R ÜCKKEHR Sieben Linden war es gelungen, mit Transition-Ideen an die Region heranzutreten. Mit Hilfe seiner Allianzpartner konnte die regionale Öffentlichkeit rund um Beetzendorf erreicht und ein moderater Wahlerfolg erzielt werden. Eine Besonderheit blieb dabei, dass das Ökodorf explizit nicht das Zentrum dieser Unternehmung bilden sollte. Stattdessen ließe sich an eine dezentrierte Positionierung denken. Mit dem Begriff der Positionierung suchte ich nach Hall kulturelle Identität in der Herausbildung gegenüber einer ›Außenwelt‹, in Projekten, die den selbst konstruierten Rand des Ökodorfes überqueren sollten. Ich habe die im Feld vorhandene Grenzziehung von außen und innen bewusst auch geographisch verstanden (und damit verstärkt) und Bewohner Sieben Lindens bei ihrer Überquerung begleitet. Auch Clifford riet dazu, Kultur mobil zu verstehen – aber nicht ausschließlich; »why not focus on any culture’s farthest range of travel while also looking at its centers, its villages, its intensive field sites? How do groups negotiate themselves in external relationship, and how is a culture also a site of travel for others? How are spaces traversed from outside? How is one group’s core another’s periphery?«176
Die in den Bemühungen gegenüber der Region zum Ausdruck kommende Haltung seitens Ökodorfbewohner ist oftmals asymmetrisch. Ein Brückenbau muss hier in Schieflage geraten. Wenn Sieben Linden sich vorrangig in der Position als Zentrum für nachhaltige Entwicklung begreift, scheint der Region nur die Peripherie zu verbleiben. Es gibt viele imaginative Welten, in denen sich Ökodörfer wie Sieben Linden beheimaten können, aber aktuell ist ihr Platz in der Welt uneindeutig. Zumindest seien sie nicht mehr am ›progressiven Ende‹ der Nachhaltigkeitsfront zu verorten, wie manche Beobachter und Beteiligte bemerken. Für die eigene Nachhaltigkeit wird die Region nicht unbedingt benötigt, hier hilft der Gästestrom aus; dennoch existiert eine
176 Clifford, J. 1992: 101. »What components of identity are ›deep‹ and what ›superficial‹? What ›central‹ and what ›peripheral‹? What elements are good for traveling, what for dwelling? What will be articulated within ›the community‹? What in coalition work? How do these elements interact historically, in tension and dialogue? Questions like these do not lend themselves to systematic or definitive answers; they are what cultural politics is all about.« Ebda: 116.
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Ahnung davon, dass sie auch darüber hinaus wichtig sein könne. Hall hatte argumentiert, dass kulturelle Identität sich aus den Relationen zu einer wahrgenommenen Außenwelt ergebe, über Abgrenzung, aber auch Identifikation. Ich lege nahe, dass Sieben Linden die Region im Sinne einer dezentrierten Positionierung für seine identitäre Beheimatung braucht. Auf den Politischen Abenden fanden sich Anzeichen, dass die Stärke Sieben Lindens nicht in seiner Positionierung in den klassischen Arenen der ›Außenwelt ‹ liegen muss, sondern vielmehr in der Kultivierung von Qualitäten. Stützel betonte in diesem Sinne den Ort als Zentrum allen Engagements. Menschen sollen nach Sieben Linden geführt werden, um »das Inspirierende, was wir hier haben, weiterzugeben«177. Die Einmaligkeit des Ökodorfes sei es, Menschen zu ermutigen, ›an ihre Träume zu glauben‹. In Konsequenz ließen sich in Folge beispielsweise die Gäste Sieben Lindens untersuchen, die die offensichtlichsten Rezipienten des Ökodorf-Modells darstellen. Ich selbst habe als Gast an mehreren Kursangeboten teilgenommen, aber mich im Zuge der Ethnographie für einen anderen Fokus entschieden. John Gray rollt das Konzept von Identität noch einmal auf: Am Beispiel von Ethnologen wie Cohen, Gupta und Ferguson erinnert er daran, dass Identität meist als Zusammenspiel zwischen der Betonung der eigenen und der Abgrenzung von anderen verstanden wird.178 Letztendlich sprechen sich die genannten Autoren für die Grenzziehung als entscheidenden Akt aus, wie auch Hall die Relationalität jeder Positionierung betont. Demgegenüber verweist Gray auf ältere ethnologische Annahmen und darauf, dass Menschen in Gemeinschaft ihren sense of community selbst zumeist anders verstehen als ihre Analysten: »Instead, community-making may be founded on what they see as its core meaning, institution, occupation and/or activity.«179 Auch Castells gibt zu bedenken: »[T]hey are what they say they are. Their practices (and foremost their discursive practices) are their self-definition.«180
177 Stützel, E., in Andreas, M. 2009 [BP]b: 2. 178 Vgl. Cohen, A. P. 1985; Gupta, A. & Ferguson, J. (Hg.) 1997. 179 Gray, J. 2002: 40. Gray gelangt so zu einem Verständnis von Gemeinschaft als gemeinsam geschaffenen Ort: »I am proposing that community is both process and product of place-making in which the sense of being in a group […] and its place emerge simultaneously and are mutually constitutive.« Ebda. 39. 180 Castells, M. 1997: 70.
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›Gemeinschaft‹ wäre die gängigste Losung aus dem Ökodorf-Diskurs, es ließe sich aber auch mit ›überfordert‹ antworten (›they are what they say they are‹). Viel Kraft floss und fließt in den ›Dorfaufbau‹, mitsamt der Ideenfindung, Finanzierung und Abstimmung, bis beispielsweise wieder ein Wohnhaus gebaut wird. Viele zögerlich vorangehende Entwicklungen wie die Interaktion mit der Region werden mit dem Hinweis auf diesen Aufbau quittiert. Wagner berichtet »von Tendenzen der Überforderung.« Der Alltag in Ökodörfern stelle »eine Herausforderung an das Individuum dar, durch einen Aushandlungsprozess eine […] Balance zwischen Partizipation, Aktivität, Nichtbeteiligung und Erholung zu finden.«181 Dawson äußert Verständnis für die begrenzten Kapazitäten von Ökodörfern und ihrer Zerrissenheit zwischen ihren ideologischen und geographischen Nachbarn: They »often find themselves caught between the present requirement to cater to the needs of their consumer base or ideological allies (those, often living far away, paying for their educational courses and consultancy services) and those of their immediate neighbours. This problem becomes exacerbated where neighbouring communities are unsympathetic, perhaps even hostile, and unaware of the potential value of the ecovillages in their midst. This is a key challenge to ecovillages as we begin to make the transition to a more locally based world propelled by the coming energy famine.«182
Einen Umgang mit dieser Herausforderung stellt die zunehmende Arbeitsteilung beziehungsweise die Positionierungen innerhalb der Gemeinschaftsszene dar. Diese differenziert sich aktuell durch politisch-institutionelle Neugründungen wie das Baltic Sea Ecovillage Network, GEN Deutschland oder ECOLISE (European Network for Community-Led Initatives on Climate Change and Sustainability) als Graswurzel-Lobbyorganisation in Brüssel aus. ECOLISE-Mitgründer waren unter anderem GEN, die Permaculture Association UK und das Transition Network; seine Aufgabe sei der ›Brückenschlag‹ zwischen engagierter Zivilgesellschaft und Politik. Als im Juli 2014 GEN Deutschland gegründet wurde, hieß es:
181 Wagner, F. 2013: 203. 182 Dawson, J. 2006: 70.
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»Unsere Mitglieder – Ökodörfer, Kommunen sowie Wohn- und Lebensprojekte – verstehen sich […] als Forschungs- und Trainingsorte mit Modellcharakter für die Gesellschaft als Ganzes. Wir sind Teil einer Familie, Teil einer Bewegung mit gemeinsamer Entwicklungsrichtung. […] Wir wirken bewusst in die Gesellschaft, erheben öffentlich unsere Stimme, stellen unsere Erfahrungen zur Verfügung«183.
Auch andere Akteure tragen zu Positionierungen bei, wie beispielsweise das Umweltbundesamt (UBA). Mit dem Projekt Ökodörfer als Modelle gelebter Nachhaltigkeit stellte es mit den Initiativen zusammen die Frage, wie sich über soziale Innovationen wie Ökodörfer gesellschaftliche Hebeleffekte erreichen ließen. »Wir müssen lernen über Bande zu spielen«184, bemerkte dementsprechend Christian Löwe vom UBA. Die Förderung könne im Sinne intermediärer ›Trittsteine‹ eines umfassenderen gesellschaftlichen Prozesses wirksam sein (oder in meiner Formulierung als Positionierung im Wandel). Insbesonde die Entwicklung einer politisch wirksamen Sprache und dazugehöriger Imaginationen sei bedeutsam. Mit ›Gegenwind‹ aus der klassischpolitischen Sphäre sei dabei zu rechnen. Zugleich sei nach Löwe auch festzuhalten, dass Akteure wie Ökodörfer ja bereits längst auf ihre Weise politische Akteure seien – wie auch Demmers mit dem Verweis auf juridico- und ethico-politische Identitäten nahelegt. In seinen aus dem UBA-Projekt hervorgegangenen Empfehlungen warnt Lambing allerdings wiederum vor einer (zu) weit gehenden Instrumentalisierung. Demgegenüber betont er die Würdigung zivilen Engagements und Solidarität mit den Projekten: »Wer also die Ausstrahlungskraft der sozialökologischen Gemeinschaften zur Illustration nachhaltiger Lebensstile steigern will, tut also gut daran, die ehrenamtlichen Belastungen nicht noch zu erhöhen, sondern das allgegenwärtige gemeinnützige Engagement zu erleichtern – sei es durch finanzielle Förderung, durch personelle Hilfestellungen […] oder durch Ressourcen wie Treffpunkte, Gebäude, Land.«185
Die Positionierung Sieben Lindens als eines der prominentesten ÖkodorfProjekte weltweit bleibt weiter bemerkenswert. Ich hatte insbesondere die Frage der Region hervorgehoben, mitunter auch Schnittstellen zu Politikern
183 Ottmar, K. 2014 [Web]. 184 Löwe, C. (UBA) 2014. In Modelle gelebter Nachhaltigkeit, Berlin, 30.09.2014. 185 Lambing, J. 2014: 119f. Die Empfehlungen sind online verfügbar.
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und Wissenschaftlern. In Bezug auf das weitere Wachstum des Ökodorfes werden Grenzen neu verhandelt werden – nach ›außen‹ wie nach ›innen‹. Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang die Neugestaltung des Gästebereichs. 2013 wurde das ›Sonneneck‹ zwischen Regiohaus und Nordflügel im Herzen des Ökodorfes eingeweiht. Hier finden die Gäste eine auf sie abgestimmte Infrastruktur vor, sind aber dadurch geografisch und sozial getrennt von der Gemeinschaft – professioneller,186 aber weniger durchmischt. Innerhalb des Ortes zieht sich die Gemeinschaft gewissermaßen zurück und schafft den Gästen einen eigenen Raum. Manche bedauern die verringerte Interaktion, denn die Gäste mischen sich nun beim Essen nicht mehr zwangsläufig unter die Bewohner. »Insgesamt hat es aber eine Entspannung reingebracht, eine deutliche.«187 Es gäbe nun laut Stützel mehr »Luft zum Aufatmen.«188 Darüber hinaus sei es als auch als Professionalisierungsmaßnahme des Ökodorfes zu verstehen (inklusive gehobenen Gästepreisen).189 Die Trennung mag dazu führen, dass die Deckgleichheit von Gemeinschaft und Ökodorf abnimmt und stattdessen neue Konstellationen hervorruft. Die relative Abgeschlossenheit gegenüber der Region führt mich zu der These, dass das Gegensatzpaar von lokal zu global zu einseitig gesetzt ist. Ich schließe mich insofern Dawson und dem GEN-Gremium in ihrem Vorschlag an, verstärkt Allianzen zu bilden und auf die Region zuzugehen: Auf der GEN GA 2008 hatte Dawson sein Amt als Präsident von GEN Europe abgegeben, seine Nachfolgerin wurde Joubert aus Sieben Linden. In den
186 In dem Zusammenhang existiert eine wunderbare Anekdote von der Errettung eines Baumes vor der Erweiterung des Parkplatzes. Schweighofer, M., in Vorb. 187 Stützel [PK, Berlin, 15.10.2014]. 188 Ebda. 189 Laut Stützel gibt es seit 2014 eine ›selbstleitende‹ Führung durchs Ökodorf, mit laminierten Blättern, quasi ein »Audioguide ohne Audio – kommt total gut an.« Ebda. Würfel veröffentlichte auch eine Neuauflage seiner ›Führung‹ als Öko Dorf Welt: »Das Cover suggeriert ein Ökodorf, das in der Welt einen bedeutenden Platz einnimmt. Es steht für die Botschaft, dass in Gemeinschaften wie Sieben Linden an einer Kultur gearbeitet werden kann, die ein gutes Leben […] ermöglicht. Und dass dieser Versuch Chancen für alle Menschen bietet. Niemand muss sich fürs Ökodorf interessieren. Aber die Einladung, die dort praktizierte ›Forschung‹ für die eigene Entwicklung zu nutzen […] steht.« Würfel, M. 2014b.
5. S UCHBEWEGUNG | 253
1990er-Jahren habe ihr zufolge das Ziel noch im zügigen Aufbau von Alternativen bestanden. Heute gelte: »Die Identität der ›Außenseiterrolle‹ und der Gedanke, dass es um die Gründung von möglichst vielen weiteren Ökodörfern im klassischen Sinne geht, lösen sich gerade auf.«190 »Wir sind zu einem gewissen gesellschaftlichen Ansehen gelangt und haben eine erste Ebene der Träume verwirklicht. Als GEN aus der Wiege gehoben wurde, war noch klar, dass wir eine Alternative zum Mainstream aufbauen wollen: grüne Inseln, Rettungsboote, Orte der Hoffnung in einer Welt des destruktiven Kapitalismus.«191
Aber der Prozess der Positionierung und Kultivierung ist dennoch heute noch sehr uneindeutig. Meine größte Überraschung in diesem Zusammenhang war 2011 ein Interview mit Halbach, der das Ökodorf-Projekt seit seinen frühen Anfängen mitgeprägt hatte. Mitte der 1990er hatte Halbach den Slogan geprägt, der bis 2012 die Website schmückte: ›Das Leben findet wieder im Dorf statt‹. Damals hatte der Wunsch darin bestanden, »die Welt in das Dorf zu bringen und somit das Dorf wieder interessant für die Welt zu machen.«192 2011, Cappuccino im Hof trinkend, sprach Halbach von seiner Hoffnung auf eine kosmopolite, oder gar »urbane Qualität«193 im Ökodorf. Auch alte Gegensätze dürfen und können sich scheinbar wandeln. Sollten wir vor dem utopischen Horizont auf eine ›Kultur der Nachhaltigkeit‹ zu segeln wollen, scheint ihre Form noch offen, ja selbst manche ihrer Qualitäten. Im November fand in Sieben Linden die interne Veranstaltung Ökodorf 2.0 statt. Als ich davon höre (mittlerweile weit nach Abgabe meiner Dissertation und Vorstellung meiner Ethnographie im Sommer 2013 im Ökodorf), schreibe ich eine E-Mail und erkläre, »dass meines Erachtens auch Menschen von außerhalb zu Eurer Positionierung in der Gesellschaft beitragen – seien es Gäste, Förderer, Wissenschaftler etc.« In diesem Sinne wäre es schön, benachrichtigt zu werden, insbesondere wenn man sich mit dieser Positionierung befasst hätte. Man antwortete mir freundlich und erklärte (wohl an meine Rolle als Wissenschaftler gerichtet), »das Ganze lief an vielen Stellen wenig intellektuell ab, stattdessen wurden Intuition, spiritueller Zugang,
190 Joubert, K. A. 2009: 15. 191 Ebda. 192 WoGe 1996 [KA]. 193 Halbach, D., in Andreas, M. 2011 [IT]a: 18.
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Bewusstseinsfokus und ähnliches angesprochen.« Aber wie bei den Politischen Abenden sei wohl auch hier die Vielfalt sichtbar geworden: »Die Palette der ›Ergebnisse‹ ist so vielfältig wie die einzelnen Menschen und die Gruppen mit ihren unterschiedlichen Themen.« Kara Kay als eingeladene Supervisoren war auch zu einem ähnlichen Schluß gelangt. Sie »regte eine Ablösung des angestrengten Tuns der Ökodorf-Aufbaujahre an, welches die solide Basis unseres international bekannten Lebensmodells geschaffen habe. Jetzt stünde ein Feiern dieser Leistungen und eine größere Freiheit zu individueller Kreativität an […]. Offenheit für Interaktion mit der Gesellschaft würde mehr gegenseitige Unterstützung für einen Kulturwandel erlauben als eine Herangehensweise des Selbermachens.«
Der Such-, Lern und Entscheidungsprozess Sieben Lindens führt offensichtlich weiter – zum Pionier für eine Welt im Wandel?
6. Pioniere des Wandels Ausschlafen, Kaffee trinken, Welt retten. FREUNDESKREIS ÖKODORF E.V.1
2011 befinde ich mich mit meinen Kollegen vom Forschungsverein RIC auf der jährlichen Nachhaltigkeitskonferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das kommende Wissenschaftsjahr soll dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet werden. Eine gute Gelegenheit, sich vorzubereiten und Ergebnisse zu präsentieren: Stolz wird von der Bühne berichtet, dass Deutschland ein Klima-Forschungsschiff entwickelt und in die Arktis entsenden wird. Darauf folgend wird die Suche nach dem Kraftstoff des ›Autos der Zukunft‹ vorgestellt; der Vortragende erzählt von sich, derjenige sein zu wollen, von dem seine Enkel sagen, er habe das Auto gerettet, indem er einen neuen Treibstoff (er)fand. uletzt wird aus dem Bereich sozial-ökologische Forschung (SÖF) berichtet. Zu meiner Überraschung wird auf der Bühne unumwunden zugegeben, dass man zwar wisse, dass dieser Bereich bedeutsam sei – aber nicht recht, was damit anzufangen sei. Ähnlich lesen sich auch die Geldströme im Vergleich zu den anderen Forschungssträngen.2 Auf der Bühne ist die Rede von Konsumenten und Verbrauchern und angesichts von aktuellen Ereignissen wie Stuttgart21 scheint ab und an noch das Schreckgespenst des ›Wutbürgers‹ am Konferenzhimmel durch.
1
Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.) 2008. Rundbrief Ökodorf 107.
2
Im »BMBF-Programm der sozial-ökologischen Forschung fehlt zum Beispiel Begleitforschung für die Subpolitik oder zukunftsweisende gesellschaftliche Projekte bisher fast gänzlich.« Döppe, T. 2003:42.
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Bürger als konsumierende Verbraucher oder im wütenden Aufstand – das allein sind zu armselige Perspektiven auf die Gestaltungskraft der Zivilbevölkerung.3 Statt ihr Initiative zuzutrauen und zuzugestehen, schienen die Sprecher sich vielmehr vor der unangenehmen Situation zu sehen, »am Ende eines Prozesses ›auch noch‹ Akzeptanz zu beschaffen«4. Am Anschluss an den Vortrag eröffnete die Deutsche Telekom den Workshop zu zivilen Initiativen eröffnen, der sich auf die Abgabe gebrauchter Mobiltelefonen fokussierte. Aber wo sind in diesen Perspektiven die mündigen Bürger, die »mobilisierte Bürgerschaft«5? Wo die kulturelle Kreativität? Nach dem WBGU (und in Übereinstimmung mit Levitas‘ Bildung utopischer Impulse) bedingt die gemeinsame Willensbildung beziehungsweise ein Wertewandel die Große Transformation. »Von der Bürgergesellschaft wird keineswegs eine oberflächliche oder gar resignierte Akzeptanz nachgefragt: Sie wird vielmehr als Mitgestalterin für das Gelingen des Transformationsprozesses anerkannt und in Bewegung gesetzt und legitimiert den Prozess dadurch. Die Idee des gestaltenden Staates ist […] untrennbar verbunden mit der Anerkennung der Zivilgesellschaft und der innovativen Kräfte in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung.«6
Es brauche ein neues Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Akteure. Eine bedeutende Rolle komme dabei dem WBGU zufolge jenen zu, die bereits im Einklang mit alternativen, neuen Werten handeln: ›Pionieren des Wandels‹.7 Transformation sei nicht nur auf die materiellen Verhältnisse beschränkt (wie es der Begriff der Energiewende nahelegt), sondern beziehe sich auch auf eine veränderte Idee des guten Lebens. Die Pioniere aus allen Gesellschaftsbereichen würden »bezeugen, dass eine Transformation zur Nachhaltigkeit möglich ist und gesellschaftliche Spielräume für die Umsetzung der entsprechenden Werte und Positionen in konkrete Handlungen existieren.«8
3
Am Anschluss durfte die Deutsche Telekom den Workshop zu zivilen Initiativen eröffnen, der sich auf die Abgabe gebrauchter Mobiltelefonen fokussierte.
4
WBGU 2011:256.
5
Ebda.
6
Ebda. 8f; vgl. 71f.
7
Ebda. 84.
8
Ebda.
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Aufgabe des gestaltenden Staates sei es, sie zu fördern und ihnen Freiräume zu ermöglichen. Die Pioniere würden währenddessen »die Optionen für die Überwindung einer auf die Nutzung fossiler Ressourcen beruhenden Ökonomie testen und vorantreiben und so neue Leitbilder beziehungsweise Visionen entwickeln helfen, an denen sich der gesellschaftliche Wandel orientieren kann.«9
Dabei stellt der WBGU neben einem »gestaltenden Staat«, vor allem »zwei wichtige neue Akteure in Rechnung […]: die selbstorganisierte Zivilgesellschaft und die wissenschaftliche Expertengemeinschaft.«10 Seitens RIC aus wollen und wollten wir (in folgenden Fall nach Abschluss der Dissertation) diese Akteure näher aneinanderrücken. Mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Rachel Carson Center for Environment and Society veranstalteten wir 2013 in diesem Sinne das ›transformative‹ Symposium Pioniere des Wandels.11 Mit Teilnehmern aus Commons- und Gemeinwohlökonomie-Initiativen, Energiewendegenossenschaften, Ökodörfern und Transition Towns, den Wissenschaften, der BMBF-Wissenschaftsförderung und dem WBGU, sowie inspiriert durch Improvisationstheater, war die Veranstaltung nicht nur gut besucht, sondern auch ›lebendig‹. Abschließend wurde eine der zentralen Fragen besprochen: »Welche Bedingungen unterstützen Pioniere des Wandels darin, […] aus ihren gesellschaftlichen Nischen zu kommen und mehr Breitenwirkung zu erzielen?« Die deutlichste Antwort hierzu erfolgte aus Sieben Linden und forderte vorrangig mehr Geld – mit der Begründung: »Wir sind die Pioniere des Wandels!«
9
Ebda: 6f.
10
Ebda. 8.
11
Berlin, 15.-16.10.2013 – unter Beteiligung des Transformationsclusters der Böll-Stiftung, unter anderem gefördert von dm und Gaia Trust. »Mit dem Transformativen Symposium wurde erstmalig in Deutschland ein Veranstaltungsformat geschaffen, in dem sich Akteure aus den unterschiedlichsten Graswurzel-Bewegungen begegnen konnten und gemeinsam mit Wissenschaftlern über eine Forschung für Transformation diskutieren.« Maschkowski, G. 2013 [Web].
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Die Unverhältnismäßigkeit der Förderung von Forschungsschiffen und Zukunftsautos gegenüber sozialen Initiativen kritisiere ich. Der Geldfluss materialisiert grundlegende Positionen und drückt gesellschaftliche Wertschätzung aus. Der ebenfalls auf dem Symposium anwesende Verein Forschungswende setzt sich insofern beispielsweise für mehr Transparenz und eine andere Art der Forschungsförderung ein.12 Doch im Plenum sah ich mich mit der Situation konfrontiert, eine kommunikative ›Brücke‹ mit erschaffen zu haben – und diese mit der Forderung nach Geld nur äußerst eindimensional genutzt zu sehen. Die Kultivierung der in Sieben Linden bedeutsam erachteten Qualitäten fand nicht Eingang in ihre Positionierung. Was ich sah, war die Aneignung der Betitelung ›Pioniere des Wandels‹. Diese hatten wir bereits 2011 implizit mittels des WBGU-Gutachtens an Sieben Linden herangetragen gehabt. Für das Symposium hatten wir sie als Titel expliziert. Ich selbst hatte lange die Positionierung Sieben Lindens untersucht, zum Teil anhand von Begriffen und Motiven – nur um nach Abgabe der Dissertation festzustellen, wie mein eigener begrifflicher ›Wetteinsatz‹ zur Positionierung und Einforderung (in diesem Falle von mehr Geld) genutzt wird. Die Positionierungen von Akteuren bleibt eine gesellschaftliche Wette auf Bedeutung, an der man schnell Anteil trägt. Und der Erkenntnis der eigenen Beteiligung entkommt man im Anthropozän nicht. Abschließend schlage ich vor, Projekte wie Sieben Linden nicht als Modelle zur direkten Nachahmung zu verstehen, sondern als Beitrag zur eigenen Mobilisierung, individuell wie kollektiv; als Aufruf, die Wandelbarkeit (nicht Beliebigkeit) der eigenen Identität wahrzunehmen und sich in diesem Sinne bewusst zu positionieren. Dies beinhaltet die Kultivierung der Qualitäten, die wir als bedeutsam erachten und die uns im Such-, Lern, und Entscheidungsprozess unterstützen können. Sieben Linden zeigt in diesem Zusammenhang unter anderem auf, wie die Schaffung von ›Räumen‹ hilfreich sein kann. Grundlage ist dabei eine Identität, die sich zum utopischen Möglichkeitsraum am Horizont hin ausrichtet, und aus diesem Erfahrungsräume schöpft. Ein Bewohner sprach von der ›Idee der Umsetzbarkeit‹13, die sich durch das Ökodorf ziehe und verbreite.
12
Vgl. von Lüpke, G. 2012: 76; Lambing, J. 2014.
13
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]j: 4.
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Faszinierend ist insbesondere die spezifische Gestaltung sozialer und physikalischer Räume. So soll beispielsweise auf dem Gelände der ehemaligen Nachbarschaft Club99 durch eine vegane Lebensweise Verantwortungsübernahme in der Welt verwirklicht werden. Die Trennung in verschiedene ›Räume‹ im Kommunikations- und Entscheidungssystem wiederum zeigt die Anerkennung und Würdigung sowohl des Privaten als auch Politischen an. Die getrennten, aber aufeinander bezogenen Sphären erscheinen als ein Erfolgsfaktor des politisch-kulturellen Systems Sieben Lindens. Die Qualitäten, die hierbei kultiviert werden, wie Gemeinschaftlichkeit‹ beziehungsweise Vertrautheit, Vertrauen und Verbundenheit, tragen einen weitgehend effizient-suffizienten Lebensstil. Von Verbundenheit spricht Wagner gar als ›Nährboden‹, »dem das ›Kulturpflänzchen‹ des ›nachhaltigen Handelns‹ erwachsen kann.«14 Wie es ähnlich metaphorisch ein Bewohner ausdrückt: »Wie in einem Biotop ist der Sinn von Gemeinschaft gegenseitige Ergänzung und Koordination. Einheit und Vielfalt brauchen einander.«15 Sieben Linden bietet hierfür einige teils sehr konkrete Beispiele wie den Feuerlöschteich, der in wunderbarer Ergänzung von Mensch und Mitwelt zugleich Badeteich und Biotop ermöglicht. Gleichzeitig bedienen Ökodörfer den zeitgemäßen Wunsch oder »Bedarf nach Erlebnisräumen«16 und wissen sich damit (nicht zuletzt ökonomisch) zu positionieren. Wie Keller bemerkt, bleibt die Beispielhaftigkeit Sieben Lindens aufgrund mangelnder Diversität allerdings eingeschränkt. Dass die Gesellschaft eine weit größere Vielfalt aufweist als Ökodörfer abbilden können, legt aber auch einen größeren kulturellen Reichtum nahe. Diesen gilt es meines Erachtens nach zu kultivieren, Ökodörfer könnten dabei auf ihren Gemeinsamkeiten mit anderen Initiativen aufbauen. So schreibt Müller beispielhaft über die Neue Gartenbewegung: »Hier scheinen die ersten Konturen komplexer Lebensstile auf, die in der Lage sind, die Grundlagen der Existenz zu erkennen, wertzuschätzen und in einem kooperativen, lebensbejahenden Sinne zu ›bewirtschaften‹«.17 Sie
14
Wagner, F. 2013: 220. Gerade »in größeren Gemeinschaften bietet sich die Chance, […] einen Raum für die Imagination eines Guten Lebens und die Artikulation eigener Bedürfnisse und Vorstellungen zu öffnen.« Lambing, J. 2014: 103
15
Anonymisiert, in Wagner, F. 2013: 181.
16
Lambing, J. 2014: 103
17
Müller, C. 2011: 11; vgl. 29.
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würden »alltagspolitische Visionen und Lebensqualitäten […] auf einer globalen Folie entstehen [lassen], aber gleichwohl der Einsicht in die begrenzte Handlungsfähigkeit Rechnung tragen.«18 Auch Permakultur- oder Postwachstums-Ansätze bieten sich für unmittelbare Allianzen an. Ihr Such-, Lern- und Entscheidungsprozess zur Reduzierung der Abhängigkeit vom Wachstum findet auf Veranstaltungen wie der Degrowth 2014, oder im Konvivialistischen Manifest mit seiner Betonung auf Pluralität Ausdruck.19 Transformativ wirksam sein könnten allerdings insbesondere die ungewöhnliche Kooperationen und ›Komplizenschaften‹ als »Finden und vor allem intelligente Kombinieren verschiedener Elemente«20. Dabei muss nicht die Devise gelten, immer einer Meinung zu sein. »We agree to disagree!«, galt als Erfolgsrezept der Enquete-Kommission zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität.21 Wie es auch im Ökodorf heißt: »Was wir oft als mangelnde Einigkeit betrachten, ist auch unsere große Stärke: das Aushalten der Fragen und Anerkennen der Widersprüche unseres Menschseins.«22 Die klassisch-politische Arena wartet mit ihren Antagonismen. Eine Herausforderung in der Positionierung bestünde darin, tragfähige und inspirierende Vernetzungen in dieser Arena zu bilden. Generell plädiere ich zum Abschluss dafür, potentielle Allianzen stärker wahrzunehmen und bewusst zu verstärken. Litfin schreibt: »The goal isn’t autonomy anymore; it’s interdependence.«23 Ökodörfer wie Sieben Linden haben Zugriff auf eine Reihe nutzbarer Planungs- und Gestaltungswerkzeuge. Demgegenüber mag die Praxis und Vorstellung stehen, dass sie sich nur ›organisch‹ entwickeln sollen, nicht strategisch. Ich halte dies nicht für einen unbedingten Gegensatz. Mein Eindruck ist, dass das Ökodorf sich zunehmend verschiedene Ebenen erschließt. Die letzten Jahre waren geprägt von einer Wahrnehmung und Kultivierung der kulturell-ästhetischen Dimen-
18
Ebda. 31.
19
»Fortunately, ecovillages are but one facet of a vast decentralized sustainability
20
Ziemer, G. 2013: 70.
21
Ott, H. 2014. In International Degrowth Conference, Leipzig, 05.09.2014.
22
Freundeskreis Ökodorf, zitiert in Wagner, F. 2013: 109.
23
Litfin, K. 2014: 49.
movement«. Litfin, K. 2014: 203.
6. P IONIERE DES W ANDELS | 261
sion. Parallel schlage ich zusätzlich eine bewusste Positionierung in der politisch-institutionellen Dimension hervor, wie sie Oehme im Nachhaltigkeitsmodell ebenfalls ›querliegend‹ zu den drei Säulen besprach. Einen Hinweis auf eine mögliche zukünftige Positionierung mit regionalem Bezug bietet eine Erweiterung der Gilman-Definition von Ökodörfern. Robert und Diane Gilman gingen von etwa 500 bis 1.000 Bewohnern aus. Demgegenüber ist es auffällig, dass es sich bei den bestehenden Projekten im Sinne intentionaler Gemeinschaften zumeist nicht um eigentliche Dörfer handelt, sondern eher um Weiler. Nach Robert Gilman sei aber auch die Funktionsweise eines normalen Dorfes und eines Ökodorfes verschieden.24 Bestehende Ökodörfer würden zumeist eine größere Zentralität aufweisen, gebündelt in einem kollektiven Entscheidungskörper wie Sieben Lindens Vollversammlung. »But real villages […] have many different centers of initiative: the village governing body itself and the many autonomous enterprises, associations, and projects of its residents—which together comprise the physical, economic, and social fabric of village life.”25
1999 erweitert Gilman die ursprüngliche Definition um den Zusatz, dass Ökodörfer »multiple centers of initiative«26 aufweisen sollten, wie exemplarisch Findhorn oder The Farm. Die intentionale Gemeinschaft werde dabei zunehmend transzendiert und so zu einem ›echten‹ Dorf, mit verschiedenen Zentren. Daraus ergebe sich vor allem mehr Diversität.27 Mit dem Verweis
24
Christian, D. L. 2008 [Web]
25
Ebda.
26
Ebda.
27
Halbach verwies ebenfalls auf an solchen Orten gemachte Erfahrungen: »Es gibt viele von den älteren Gemeinschaftsgründern, die gerade raus gegangen, aber verbunden, heimatlich da sind. Wo richtig eine Qualität entsteht, dass man so den Bezugspunkt hat. Nicht nur einen. […] Und so ist es eben dann auch für Menschen der Anziehungspunkt, die nicht diese Art von Gemeinschaft wollen, aber Gemeinschaft wollen. Das halte ich für fast noch wichtiger als das Ökodorf selber dann. Wenn es diese Qualität irgendwann kriegt, weil die Region, denk ich mal, wird einfach eine sehr große Rolle spielen.« Halbach, D., in Andreas, M. 2011 [IT]a: 19.
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auf Gilmans Überlegungen weise ich erneut auf eine mögliche Entwicklung für Sieben Linden hin, die gegebenenfalls zu einer verstärkten Ansiedlung in der Region führen kann: eine dezentrierte Positionierung. Diese ist nicht im Sinne eines ›Speckgürtels‹ gemeint, sondern als Integration in die Region. Viele Bewohner Sieben Lindens setzen ihre Hoffnungen für das Verhältnis zur Region auf die Zukunft. Für ein gelungenes Verhältnis zueinander brauche es Zeit, heißt es oft. Lambing bemerkt dementsprechend, dass Gemeinschaften »oft nach einer Phase des zurückgezogenen Aufbaus vielfältige belebende Impulse in den umgebenden ländlichen Raum geben« können.28 Durch ein Leben in der Region sei es nach Halbach zukünftig idealerweise möglich, Gemeinschaft zu erleben, ohne in einer solchen wohnen zu müssen. Auch Keller glaubt an die Möglichkeit eines ›Ankommens‹: »Ich glaube, es kann gelingen. Wenn im Umfeld gewohnt wird. […]. Aber es braucht dafür eine Beheimatung. Glaube ich tatsächlich. Und die ist irgendwie auch örtlich gemeint. Was wir bisher hatten, war, dass sich die Leute zwangsläufig in die Umgebung angesiedelt hatten, da sich nicht beheimaten konnten und immer sich zerrissen gefühlt haben, zwischen ›ich sollte mehr in Sieben Linden sein‹ und ›zuhause komme ich nie ganz an‹.«29
Der ›Kreis‹, mit dem sich Sieben Linden mitunter symbolisiert sieht, verspricht Egalität, aber ist stark auf die eigene Mitte bezogen. Zugleich ermöglicht ein Kreis dadurch die Erfahrung seines Raumes. Mit Ingold ließe sich bemerken: »From this experiental centre, the attention of those who live there is drawn ever deeper into the world”30. In diesem Sinne lege ich nahe, die eigene Identität (des Ökodorfes) als Positionierung zu verstehen, deren ›Leere‹ dazu dient, den Zugang zur Welt zu kultivieren. Allerdings gilt es dabei nicht aus den Augen zu verlieren, dass Sieben Linden wie andere Ökodörfer auch eben durch die Interaktion mit der Gesellschaft lebt und atmet. Wie beim Wandelgang des Globolo wäre es gut, wenn seine Grenzen ausreichend durchlässig blieben.
28
Er bezieht sich allerdings unter anderem bereits auf Sieben Linden. Lambing,
29
Keller, B., in Andreas, M. 2012 [IT]f: 4.
30
Ingold, T. 1993:37.
J. 2014: 92.
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Abschließend und anknüpfend an dieses Bild möchte ich darauf hinweisen, was mit dieser Arbeit vor allem nicht gesehen wurde – mit Clifford gesprochen ist dies unter anderem »the power of place.«31 Der Fokus auf wandelnde diskursive Manöver und Positionierungen könne ihm zufolge dem Phänomen von Orten nicht gerecht und damit auch der Möglichkeit materieller Erdung nicht gerecht werden.32 Dabei sollte wer nach Dirlik eine Neujustierung des Verhältnisses von Mensch und Mitwelt anstrebt, stets vor Ort ansetzen.33 Die Imagination eines Ökodorfes sucht nach ihrer Positionierung als nicht zuletzt physischer Ort. Welche Qualitäten fließen dadurch mit ein? Nicht zuletzt diese Frage bleibt offen – andere wiederum erhalten noch eine Gelegenheit, beantwortet oder transzendiert zu werden.
TranszendierBar Die Kneipe Sieben Lindens mit dem anliegenden Tanzraum dient zur Entspannung nach der Sauna, für Feiern und Veranstaltungen aller Art. Einmal pro Woche ist Dorfdisko, oftmals unterlegt mit harten Electrobeats. Aber die kleine Bar ist vor allem auch dem Dialog gewidmet. Hier stellte der Autor auch 2013 seine Ethnographie den Bewohnern vor. Abbildung 19: Schild über der Dorfkneipe.
Quelle: Autor (Sieben Linden, 2012).
Leser und Autor lassen hier den Abend nach der Führung ausklingen, zusammen mit einigen Bewohnern. Zunächst dreht sich das Gespräch um
31
Clifford, J. 2001: 481.
32
Vgl. Dirlik, A. 2001: 37.
33
Dirlik, A. 2001: 37; ebda. 22.
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das Thema Wachstum. Neben der Finanzierbarkeit des weiteren Wohnungsbaus richtet sich die Sorge mancher Bewohner auf die Frage, ob sich die Qualität von Gemeinschaft bei zunehmender Quantität aufrechterhalten lässt. Das Kommunikationsgefüge Sieben Lindens basiert auf Verbundenheit, Vertrauen und Vertrautheit. Was passiert, wenn 250 oder 300 Menschen vor Ort leben, die durch den B-Plan vorgegebenen ›Grenzen des Wachstums‹ erreicht sind und die Dynamik des Aufbaus schwindet? Gibt es ein Leben außerhalb dieses Wandels für dieses Projekt? Eine Bewohnerin bemerkt: »Was mir wichtig ist, ist, dass wir es hinkriegen bei gewachsener Größe ein Gefühlt für den Zusammenhalt zu behalten oder vielleicht immer klarer zu finden, was ist das denn, was uns zusammen hält.«34 »Was ist mit Wohnen in der Region?«, fragen demgegenüber manche Leser und der Autor. Bislang gilt in Sieben Linden weiterhin die Einheit von (Wohn-)Ort und Identität als Bewohner. Nach den Leitern des Gemeinschaftskurses habe es sich als schwierig erwiesen, ›Pendler‹ in das soziale Gefüge des Ökodorfes einzubinden. Der Autor fragt, ob nicht auch eine Scheu gegenüber der Region mit hinein spiele? ›Die Anderen‹, die konventionellere Gesellschaft, die noch dazu konventionell-klimaunfreundlich lebt? Könnte es dabei hilfreich sein, sich als Teil der Gemeinschaft als auch der Gesellschaft zu begreifen, wie es jemand in den Politischen Abenden ausgedrückt hatte? Dies würde natürlich eine Identifikation mit der dringend als wandlungsbedürftig empfundenen Industriegesellschaft abverlangen, die transformiert werden soll; nicht zu vergessen die »Kulturkluft vor Ort«, wie der Autor zugibt. So hatte in der Transition Journey eine Teilnehmerin zwei sich überhaupt nicht überschneidende Kreise aufgemalt: Ökodorf und Region. Während der Autor angestrengt auf sein Öko-Bier einer bekannten Brauerei blickt (von der Sieben Linden auch schon mal einen Preis gewonnen hatte), ergreift einer der ›Außenarbeiter‹ Sieben Lindens das Wort. Er argumentiert für die Erkenntnis und darauf folgende Anerkennung der Überschneidungen zwischen den Kreisen: »Wir haben hier sehr viele Dinge, die sehr konventionell sind, und wir brauchen Geld, wir bauen Häuser und so weiter. Das ist recht konventionell alles. Wenn man
34
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]b: 12.
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aber sagt: Ok, das ist eine Spielart des Lebens, die hat ihre Konsequenzen, die bis zur Klimakatastrophe gehen, aber es ist nicht meine Verantwortung, oder es steht mir nicht an das moralisch zu bewerten, sondern ich kann nur für mich entscheiden, ›Ok, ich will so und so leben weil ich möchte die und die Konsequenzen vermeiden‹, dann kann man damit ganz anders umgehen […] Da kommen wir jetzt an einen Knackpunkt, ich glaub, man kann in so einem Ökodorf wirklich nur fruchtbar leben und im Kontakt mit der Umwelt sein, wenn man auch eine Wertschätzung für die konventionelle Welt hat, auf eine Art. Und das ist eine philosophische Frage oder eine Glaubensfrage. Wenn man so sagt, ›Ach, das ist alles scheiße, was da draußen passiert‹, dann wertet man das ab.«35
Die auftauchenden Bio-Chipstüten erinnern den Autor an seinen Besuch im L.A. Ecovillage, welches Dawson hervorgehoben hatte. Ebenso wie Sieben Linden wollten dessen Gründer ursprünglich eine Landkommune. Dann brachen 1992 die L.A. riots aus. Angesichts der Rassenunruhen entschloss man sich zu bleiben. Im sogenannten Korean Quarter findet sich heute eine intentionale Gemeinschaft mit etwa 40 Mitgliedern, verteilt über gut einen Block. Im Vergleich zu Sieben Linden gibt es keine Lehmhäuser und Komposttoiletten, es wird auch seltener gemeinsam gegessen und im Gemeinschaftsraum stehen eine Playstation und eine XBox.36 Doch die Gemeinschaft unterhält eine food-coop mit etwa 200 Menschen aus dem Viertel, veranstaltet gemeinsame Straßenfeste und work parties. Darüber hinaus gab es assoziierte Cafés und die Meditationsgruppe Dharma Punks. Doch entgegen anderen intentionalen Gemeinschaften in eher homogenen Vierteln sei im L.A. Ecovillage die ethnische Diversität laut einem Bewohner bemerkenswert. Gerade angesichts der zum Teil entlang ethnischer Segregationslinien verlaufenden Gewalt im Viertel sei dies ein Beitrag zu sozialer Nachhaltigkeit. Nach Erachten des Autors brenne das utopische Feuer der Bewohner allerdings vor allem für bicycle activism. »Ich galt selbst als harter Biker – aber nur weil ich die falsche Abzweigung genommen habe und auf dem Sunset Boulevard fuhr.« Es dauerte die lange Fahrt zum Getty und zurück,
35
Anonymisiert, in Andreas, M. 2012 [IT]b: 12.
36
Die folgenden Angaben und Zitate zum LAEV stammen, so nicht anders angegeben, aus Andreas, M. 2010 [BP]aa: 2f.
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bis ich verstand, dass L.A. nicht fahrradfreundlich ist – beispielsweise vermittelt durch die Autofahrer, die einen wie ein scheues Reh umkreisen oder Beschimpfungen zuwerfen. Hier kann Fahrradaktivismus noch zu einer Widerstandsidentität werden! Ich traf auf Bewohner mit Fahrradtattoos, folgte einer (ebenfalls tätowierten) Ethnologin auf den Spuren der Bike-Kultur und wurde von Dutzenden Shirts mit den Aufdrucken verschiedener Fahrradprojekte erschlagen, die aus dem Schrank meines Gastgebers Joe über mir zusammenbrachen. Jimmy wiederum hat die erste von heute mehreren bike-kitchens der Stadt eröffnet. Dort zeigen er und andere Ehrenamtliche den Besuchern, wie Fahrräder repariert werden. Ihre Aura gleicht der von Amnesty International-Veteranen. Joe zufolge hätte es vor ein paar Jahren nur etwa 20 [!] Biker in L.A. gegeben, 2010 seien es bereits 2.000. Ihr größter Erfolg war die temporäre Sperrung eines Highways und die Öffnung für Fahrräder. Nachts gebe es manchmal Fahrradmobs durch die Stadt. Fahrräder finden sich sogar in einer Skulptur wieder, die den Namen von Gilmans Konzept trägt. Abbildung 20: Tor ›multiple centers of initiative‹.
Quelle: Jenny Pickerill, (LAEV, 2010). »We call the gate ›multiple centers of initiative‹ which is a wordy title… but it’s one eco-village concept that we practice (sometimes well, sometimes imperfectly.) Basically multiple centers of initiative means that we’re not top-down, with all decisions bottlenecked into a single decision-maker or a small group of decision-
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makers. […] The gate is abstract – just a mash-up of bike frames, forks, locks, rims, etc. – but it has a few centers. Each of the centers is a little different.«37
Währenddessen diskutieren Ute und einige Leser den Zusammenhang zwischen Politik und Spiritualität. In ihrem Leben würden sich die Schwerpunkte zwischen beiden immer wieder verschieben, aber es sei »keine Frage, dass sich das gegenseitig ergänzt.« Ute hatte die Politischen Abende mit initiiert, da ihr das politische Profil des Ökodorfes zu undeutlich erschienen war.38 Ihre frühere Tätigkeit als Demonstrantin beschreibt sie als ein ständiges ›nach außen‹ gehen, als steten Tropfen, welcher hoffentlich den Stein höhle. Heute würde sie aber verstärkt auf »das Innere« beziehungsweise den Zusammenhang beider Sphären setzen. Durch Spiritualität als »eine Art von eigenem inneren Wachstum« habe Feisel das Gefühl gewonnen, »auch politisch viel größere Sachen« stemmen zu können. Ein Leser nickt, das sei ja quasi wie die Klausurtagung einer Partei. Nach Ute »passt das alles wunderbar zusammen: politisch und spirituell. Man muss nur immer mal wieder so vielleicht dosieren, wie viel gehe ich nach außen, wie viel gehe ich zu mir selbst. Und da immer mal wieder auch ein bisschen wechseln.«
Gabi wiederum erzählt einer anderen Lesergruppe von einer Übung aus der Tiefenökologie, sich mit der eigenen Imagination in den ›Großen Wandel‹ zu versetzen. »Quasi identitäre Beheimatung«, meint der Autor von der Seite. Es gilt in der Übung, sich in die Zukunft zu imaginieren und dann zu fragen, wie man dorthin gelangen konnte (›backcasting‹). So beginne man zwangsläufig, sich eine positive Zukunft überhaupt einmal vorzustellen und vorzufühlen, wie sich diese darstelle. Zugleich erscheint der Wandel bewältigbar, denn dies war ja die Grundprämisse der Zu-
37
Linton, J. 2011.
38
Feisels folgende Angaben und Zitate stammen aus Andreas, M. 2012 [IT]e.
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kunftsübung. Diese stelle nur eine Option aus einem »Strauß an Möglichkeiten«39 dar, wie Gabi meint. »Gerade dass du nicht weißt wie es weitergeht, lässt dich ja handeln.«40 Botts Mentorin Joanna Macy, von der das Konzept des ›Großen Wandels‹ stammt, ist eine gefragte Autorin, Rednerin und Workshop-Leiterin. Aber auch der WBGU beschwört ja eine Welt im Wandel und die Große Transformation. Doch nicht alle sind sich solchermaßen einig. So wirft Bettina ein: »Ich glaube nicht an den großen Wandel!«41 »Jetzt wird es spannend«, meint ein Leser und verschluckt sich fast an seiner Schorle. Bettina fordert eine Wahrnehmung der Welt jenseits von Weltbildern – und, am Beispiel von Meditation, Maßnahmen, die über spirituelle Praxis hinausgehen: »Ach, mich kotzt es an. Nichts, was ich auf dieser Welt sehe, zeigt an, dass wir in irgendeinem großen Wandel stecken. Ich kann dafür Beweise sehen, wenn ich es unbedingt will. Aber ich kann sie auch genauso gut nicht sehen. […]. Und noch dazu ist der Bewusstseinswandel für die ökologische Herausforderung, vor der wir stehen, absolut unzureichend. Es ist totaler Mumpitz42, dass man mit Meditieren irgendwie das Artensterben retten könnte. […] Heute ist es die [ökologische] Frage, die einfach geklärt werden muss. Und was dafür zu tun ist, ist klar: CO2Reduzierung, alle Maßnahmen die den Klimawandel stoppen und so weiter, sich auf Peak Oil einstellen. Das sind alles Dinge, die vollkommen klar sind und die mit Meditation relativ wenig zu tun haben. Meditation ist gut, um sich weiter auszurichten. So wie sich auch Bonhoeffer43 mit seinem Glauben ausgerichtet hat für den Widerstand, brauchen wir natürlich auch eine Meditation, um gut bei uns selber zu bleiben. Aber es hat nichts an sich mit der Aufgabe zu tun.«
Bettina schlägt vor, gesellschaftliche Räume gemeinsam zu transformieren und in den eigenen einzuladen.
39
Bott, G., in Andreas, M. 2012 [BP, 04.04.2012]b: 8.
40
Bott, G., in Andreas, M. 2012 [IT]d: 5.
41
Kellers folgende Angaben und Zitate stammen aus Andreas, M. 2012 [IT]f: 12.
42
›Eso-Mumpitz‹ lautete anno 2008 noch eine Kategorie der Ökodorf-Bibliothek,
43
Gemeint ist der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), der
wurde aber mittlerweile entfernt. durch seinen engagierten Widerstand gegen das NS-Regime den Tod fand.
6. P IONIERE DES W ANDELS | 269
»Es gibt noch ein paar Wünsche, die ich eigentlich gerne verwirklichen würde, wo ich persönlich das Gefühl hätte, wir wirken wirklich in die Gesellschaft. Das eine wäre eine Energieregion Altmark zu schaffen. Wenn wir das hinkriegen würden, wäre ich richtig stolz auf uns. […] Das Zweite wäre tatsächlich ein Planungsbüro zu entwickeln für neue Städtebau-Konzepte, was sowohl den partizipatorischen Ansatz als auch die ökologischen Ansprüche miteinander vereint. Und dann […], wenn wirklich die größeren Umweltschutz-Aktionäre und -Akteure, hier ihre Tagungen machen würden, das fände ich auch einen guten Rückkopplungsprozess. Also Greenpeace-Jahreskonferenz hier – würde Greenpeace gut tun und würde dem Ökodorf gut tun.«
Noch lange wird in der Bar diskutiert, über mögliche Verbindungen in die weitere Gesellschaft, ›kleine‹ und ›Große Transformationen‹. Letztendlich erbarmt sich jemand, dreht die Musikanlage auch an einem Montagabend auf und es wird getanzt.
Epilog Beide – die Stadt und ihre romantische Enklave – haben bei aller Gegensätzlichkeit vieles miteinander gemein. LORE DITZEN1
Der Abend in der TranszendierBar war lang gewesen. Dennoch brechen am nächsten Morgen früh die ersten Reisenden auf, während der Mond noch am hellen Firmament zu sehen ist. Über die Steinspirale geht es vorbei an den sieben Linden und kurz darauf in Poppau wieder an der ›Mitt’n in de Welt‹. Ein Besucher erzählt nebenbei, dass das altmärkische Dorf Baben ebenfalls solch eine Mitte für sich beansprucht. Ja, es gäbe gar eine ganze Reihe Weltzentren in der Region. Während er noch zu einem bissigen Kommentar ansetzen will2, entgegnet eine Leserin, wie schön es doch sei, wenn mehrere Orte ihren eigenen Mittelpunkt hätten – das sei ja geradezu ein verbindendes Element. Ich stimme ein: Man unterhalte sich gleich ganz anders von Weltdorf zu Weltdorf, das könne ich als ehemaliger Münchner bestätigen. Und die Altmark könne durchaus eine polyzentrische Dorflandschaft vertragen, mit dem Ökodorf als einem von mehreren Mitt’n. Auch die Teilnehmer und der Leiter eines Permakulturkurses aus dem Ökodorf reisen von der Bushaltestelle ab. Sie wollen sich die ›Prinzessinnengärten‹ in Berlin ansehen, als Beispiel für den »aktuellen urbanen Wandel«3. Als mich ein Leser auf der Busfahrt fragt, ob ich in ein Ökodorf ziehen wolle, verneine ich. Vor vielen Jahren in Chandigarh hatte ich mir das tatsächlich vorgestellt. Doch der »gemeinschaftliche Sog, der ständig auf dich wirkt«4 1
Ditzen, L. 1991: 7. Der Wundergarten des indischen Künstlers Nek Chand.
2
»In einer Region, in der sich diese Sage gleich an mehreren Orten bildete, musste eine tiefe Ahnung davon vorhanden sein, dass man am Ende der Welt lebte.« Grossarth, J. 2011b: 45.
3
Stengel, M. 2014a: 9.
4
Halbach, D., in Andreas, M. 2012 [BP]b: 10.
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ist mir zu viel und selbst an guten Seminartagen möchte ich nicht mehr als 20 Menschen umarmen. Dennoch bin ich froh, dass es Orte wie diesen gibt und dass ich sie besuchen kann. Sie inspirieren eine Ahnung eines neuen, guten Lebens und legen mir die ›Idee der Umsetzbarkeit‹ nahe, wie es ein Bewohner formulierte. Diese ist allerdings nach nicht allein an Ökodörfer gebunden. So möchte ich mich aus der Spirale wieder ausdrehen und auch andere Orte aufsuchen. So bin ich heute für das Vorhaben Klimaschutzdialog im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMUB) tätig. Hier besteht die Aufgabe darin, Akteure im kommunalen Klimaschutz miteinander zu versetzen und in ihrem Bemühen zu unterstützen. Es fiel mir anfangs nicht leicht, von ›Kommune‹ auf ›Kommune‹ umzuschalten – aber in diesem Falle sind die über 10.000 deutschen Gemeinden, Städte und Landkreise gemeint, keine intentionalen Gemeinschaften. Nach den Enttäuschungen der internationalen Klimadiplomatie gilt die subnationale Ebene und mit ihr die Kommunen als ›Hauptschauplätze‹5 des Diskurses um Nachhaltigkeit. Sogar ein gesundes Maß an Konkurrenz erscheint mir dabei förderlich, im Sinne eines freundlichen Klimaschutz-Wettstreits, wie er jährlich beispielsweise auf der Kommunalkonferenz prämiert wird. Ökodörfer wie Sieben Linden würden meines Erachtens zur Inspiration solcher Veranstaltungen beitragen und sich vielleicht auch selbst inspirieren lassen. Eine geeignete Grundlage im Sinne einer kommunikativen Brücke könnte eine erneuerte CO2-Fußabdruckmessung des Ökodorfes sein. Solche Daten beeindrucken. Die verbleibenden Schwierigkeiten wiederum bieten Ansatzpunkte für gemeinsame Lösungsversuche, wie etwa die auch in Sieben Linden nicht gelöste Mobilitätsfrage. Auch der durchschnittliche Bewohner eines Ökodorfes reist gerne und genießt den Luxus, die Welt kennen lernen zu können. Der Soziologe Peter Preisendörfer beispielsweise gibt eine Kritik an der Studie Zukunftsfähiges Deutschland wieder (auf die sich der Club99 in Sieben Linden stark bezogen hatte), nach der diese »viel zu stark dem ›Denkmodell des ganzheitlichen Lebensraumes‹ [folge], wonach es für die Menschen richtig und wünschenswert sei, auf einem lokal eng begrenzten Raum zu leben, lokale Produkte zu verzehren und ›Urlaub auf Balkonien‹ zu machen.« 6
5
Franz-Balsen, A. 2001: 73.
6
Preisendörfer, P. 2001:45.
E PILOG | 273
Auch ob Ökodörfler wirklich ›Zeitpioniere‹ oder Teil einer Entwicklung sind, in der »sich der allgemeine Lebensrhythmus eher be- als entschleunigt«7 gilt es weiter zu betrachten. Dennoch halte ich Orte wie Sieben Linden für ein konstruktives Beispiel des Versuches: »Gut leben statt viel haben«8, wie es schon 1996 in der Studie vorgeschlagen wurde. Die spezifische Form muss dabei nicht nachgeahmt werden. Aber es erscheint mir lohnenswert, ihren Beitrag als konstruktive Herausforderung an uns alle in der weiteren Gesellschaft aufzufassen – bezüglich der Frage der Treibhausgasemissionen, dem Thema Klimagerechtigkeit, aber wohlgemerkt auch der Identitätsfrage. Hier haben Menschen den Versuch unternommen mit ihrem Lebensstil eine ethische Positionierung vorzunehmen und Qualitäten zu kultivieren, die sie im Anthropozähn für bedeutend halten. Sie sind sehr weit gekommen, auch wenn ungewiss ist, wohin der Such-, Lern- und Entscheidungsprozess führt. So argumentiert Preisendörfer, dass selbst wenn man darin übereinstimmt, dass man »umweltorientiertes Handeln nicht als ›Verzicht‹, sondern als ›Gewinn an Lebensqualität‹ darstellen sollte, […] die breite Bevölkerung diese (trickreiche) Wendung nicht unbedingt mitvollziehen« werde.9 Wie die große gesellschaftliche ›Wette‹ verlaufen soll, ist ein offener Prozess, zu dem wir alle beitragen. Dawson verteilt abschließend die Rollen wie folgt: »This is a moment of opportunity for ecovillages. That opportunity is to dare to leave the safe niche of ›being alternative‹, and to enthusiastically embrace the challenge of helping mainstream society over the next several decades. For this to happen, ecovillages and local government alike need to offer the welcoming hand of friendship, the one to the other.«10
Der WBGU lässt das Positivszenario seines Gutachtens zur ›Großen Transformation‹ in der vorsichtigen Formulierung einer ›Nachhaltigkeitskultur?‹11 enden. Dies ist ein angemessen exotisches Reiseziel für Ethnologen, die auf Malinowskis Spuren und darüber hinaus wandeln wollen, andere Wissen-
7
Ebda; vgl. Lambing, J. 2014: 89f; Schweighofer, M. in Vorb.
8
BUND & MISEREOR (Hg.) 1996: 206f.
9
Preisendörfer, P. 2001: 45.
10
Dawson, J. 2006: 87.
11
Ebda. 354.
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schaftler und Transformateure aller Coleur. Mit Gegenwind ist vor dem utopischen Horizont zu rechnen, aber zumindest mit keiner Windstille. Wir sind gefordert, uns zu positionieren und zu kultivieren, was wir für bedeutsam erachten – im Sinne eines Anthropozäns, in dem dereinst Menschen und ihre Mitwesen gut und gerne leben können. Ökodörfer wie Sieben Linden bieten hierfür eine Inspiration, etwa für gemeinschaftliche Qualitäten. Vor allem aber stellen sie einen mutmachenden Aufruf zur Mobilisierung der eigenen Kreativität und Kräfte dar. Unsere Identitäten sind ein bedeutender Bestandteil der Transformation. Aber wenn sie der Einsatz der Wette auf Bedeutung sind – was könnte dann der Gewinn sein? Meinem Erachten nach ist es ein neues gutes Leben.
Dank
Dieses Buch ist die überarbeitete Veröffentlichung meiner Dissertation.1 Diese habe ich von 2008 bis 2013 am Institut für Ethnologe der LudwigMaximilians-Universität (LMU) München angefertigt, in dem neben Ökodörfern auch zu Stadtimkern, -gärten und vielen anderen Lebenswelten geforscht wird. Mein herzlicher Dank gilt meinen Doktorvätern Frank Heidemann und Ulrich Demmer, die mich motiviert und kompetent begleitet haben. Für die Liebe zur Ethnologie danke ich speziell Alexander Knorr. Bei der LMU bedanke ich mich besonders für das Abschlussstipendium und die Reise nach Berkeley. Mein größter Dank gilt den Bewohnern des Ökodorfes Sieben Lindens für ihre Unterstützung und ihren Einsatz für ein Neues gutes Leben. Stellvertretend bedanke ich mich insbesondere bei Sandra Campe und Michael Würfel (unter anderem für die Teilnahme als sidekicks), Julia Kommerell und Eva Stützel für die Projektzeit, Gabi Bott, Bettina Keller und Dieter Halbach für Einsichten rund um den Gemeinschaftskurs, sowie Ita Gabert, Christiane Oberdorf und natürlich Christoph Strünke für die Betreuung. Pardon, es fehlen noch viele! Ein besonderer Gruß gen Österreich, zu Sandra Marth und Antón Nothegger, sowie nach Torri und Mirabell. Dank an Steffen Andreae für die Persistenz, sowie Jonathan Dawson für klare Worte. Darüber hinaus gilt mein Dank den wunderbaren Anthrodoks-Kollegen wie Julia Bayer, Vanessa Marlog, Susanne Schmidt und Verena Zimmermann, sowie meinem Forschungskollegen Felix Wagner von Research in
1
Ursprünglich Positionierung im Wandel. Ethnographie eines Ökodorfes.
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Community. Auf die Fortschrittshose! Dank an Iris Kunze für die Kooperation und für die Erlaubnis zur Verwendung von Interviewsequenzen. Danke auch an Jennifer Niediek von transcript für die angenehme Zusammenarbeit und an Rudolf Inderst als letztem Korrekteur (alle verbleibenden und neu eingefügten Fehler fallen mir zu Lasten). Ein respektvoller Dank dem WBGU, der mit seinem Hauptgutachten 2011 eine ungewohnt deutliche Positionierung vornahm, sowie an Akteure wie dm und die Heinrich-Böll-Stiftung für ihr unterstützendes gesellschaftliches Engagement. Christof Mauch, Claudia Reusch, Helmuth Trischler und vielen ehemaligen Kollegen vom Rachel Carson Center for Environment and Society (RCC) danke ich für die großherzige Unterstützung während fast vier Jahren – insbesondere für die Projekte Realizing Utopia und Pioniere des Wandels. Das RCC war für mich ein sehr guter Ort, gesegnet mit Gästen wie Manuel Arias Maldonado und Anne Milne, sowie unserer Schreibgruppe um Andreas Grieger, Julia Herzberg, Hannah Maischein und Felix Mauch. Diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung meiner Familie, Freunde, Freundinnen, Komplizen, Mentoren und Paten (Danke, Eva und Stefan). Enge Begleiter in den Jahren waren unter anderem Andreas Herz, Florian Karger, Anna Richter, Eva-Maria Rupprecht, Bettina Tjan, sowie viele Menschen, bei denen ich mich für die Nichtnennung entschuldige. Dank auch an meine ehemalige WG, Ajahn Lao und die Baumpfleger-Tiger. Dem Team vom Klimaschutzdialog danke ich für die herzliche Aufnahme und die gute Zusammenarbeit. Besonderer Dank an meine Großeltern, meine Mutter für die Unterstützung, meinen Vater für den Champagner und meinen Geschwistern fürs Dasein.
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— 2012b. The ecovillage. A model for a more sustainable, future-oriented lifestyle. In Andreas, M. & Wagner, F. (Hg.): Realizing utopia. Ecovillage endeavours & aca-demic approaches, S. 11-16. München: RCC. — 2002. Leben unter Palmen. Das Ökodorf Sieben Linden. Deutschland / 59 min. Ziemer, G. 2013. Komplizenschaft: Neue Perspektiven auf Kollektivität. Bielefeld: transcript. Zimmer, M. 2012a, Das beschädigte Horn der Amalthea. Gedanken zur Verortung der Arbeit der Enquete-Kommission ›Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität‹ des Deutschen Bundestages. In ethikundgesellschaft 1/2012. www.ethik-und-gesellschaft.de/mm/EuG-1-2012_Zimmer.pdf — 2012b. Rede zum Zwischenstand der Enquete-Kommission ›Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität‹. http://www.epenportal.de/web/datapool/ storage/files100545/Zwischenstand_2012_Mai.pdf Zint, G. & Fetscher, C. 1980. Republik Freies Wendland. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. ZDF 2011. Rette sich wer kann. In Mona Lisa (20.08.2011). Ökodorf Britsch, H. 2005. Ein Ökodörfler arbeitet »draußen« im Jugendclub Klötze. In Rundbrief Ökodorf 92: 25-26. Britsch, S. 2005. Sieben Lindener Gesichter. Michael Schönicke. In Rundbrief Ökodorf [KA] .2 Britsch, S., Feisel, R. & Lohmüller, J. 2007. Kinder in Sieben Linden. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 35-36. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Bott, G. 2007 [KA]. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 31. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2004. Neues von der Lebensgemeinschaft Brunnenwiese. In Rundbrief Ökodorf 91: 10-11. Büthke, Rolf 2013. Stell Dir vor, es brennt und keiner kommt! (02.03.2013) www.siebenlinden.de/index.php?id=101&tx_ttnews[tt_news]=37&c Hash=a5e6abff6afdf33390c35c06b5991e7c
[KA]: Keine Angabe.
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Campe, S. 2008. Dokumentation. Zukunftsfähige Lebensstile. Permakultur im Ökodorf Sieben Linden. Ein virtueller und realer Rundgang [Dok.]. — 2007. Versorgung mit Lebensmitteln. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 55-56. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2006. Siedlungsplanung im Ökodorf Sieben Linden. Oder: Wie entsteht eigentlich ein zusammenhängendes Dorfbild? In Rundbrief Ökodorf 100: 18-23. Club99 [KA]. Experiment Club99 – für eine Seinsweise, die alle Wesen dieser Erde achtet [Dok.]. Degenhardt, B. 2007. 7L Phrasen [Dok.]. — [KA]. Guest welcome instructions for 7Linden [Dok.]. Dyck, Werner 2007a. Energy is it! In Rundbrief Ökodorf: 8-13. — 2007b. Wasser und Energie. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 51-54. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Freundeskreis Ökodorf e. V. 2012a Führung Sieben Linden [Dok.]. — 2012b. Neue Kompost-Toiletten. In Newsletter 02-2012: 4-5 [E-Mail], — 2012c. Neue »Kreise« in Sieben Linden. Newsletter 02-2012: 5-6 [EMail], — 2011a. Anmeldung und Wissenswertes [veralterer Link] — 2011b. Gästeinfo, Stand 04.2011 [Dok.]. — 2011e. Ökodorf Sieben Linden – Facts [Dok.]. — 2011f. Pressemappe [Dok.]. — 2011g. Programmübersicht Ökodorf Sieben Linden [Dok.]. — 2011h. Übernachten in Sieben Linden [Link veraltet]. — 2010. Doppel-Hochzeit in Sieben Linden. In Newsletter 02-2011. — 2010a. Nachbarschaften [Link veraltet]. — 2009a. Führung Sieben Linden [Dok.]. — 2008a. Finanzen und Arbeit [Link veraltet]. — 2008b. Geschichtliches. Der Weg nach Sieben Linden [Link veraltet]. — 2008c. Grundsatzpapier. Die Vision eines ganzheitlichen Dorfes. www.siebenlinden.de/index.php?id=54 — 2007a. Beschluss zum Zusammenleben mit Tieren im Ökodorf Sieben Linden. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Lebensentwurf und Realität, S. 57-58. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V.
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— 2007b. Das Zärtliche verschönt diese Welt. Rede von Hans-Jochen Tschiche auf der 10-Jahresfeier im Ökodorf Sieben Linden. In Rundbrief Ökodorf 105: 23-24. — (Hg.) 2007c. Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität. Visionen, Alltag, Gemeinschaft, Ökologie, Ökonomie und Spiritualität. Eine Textsammlung. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2006 [KA]. In Rundbrief Ökodorf 101: 25. — 2005a. Beschluss zum Zusammenleben mit Tieren im Ökodorf Sieben Linden. In Rundbrief Ökodorf 96: 16-17. — 2005b. Protokoll der Genossenschafts- und Vollversammlung vom 15. September 2005. Auszüge. In Rundbrief Ökodorf 96: 14-15. — 2000. Über uns [Link veraltet]. — 1992. Konzeption einer ökologischen Siedlung – sozialökologisches Modellprojekt zur Entwicklung von Siedlungs- und Wirtschaftsweisen im ländlichen Raum. Heidelberg: Freundeskreis ökologisches Dorf e.V. Fröhlich, D. 2008 [KA]. In Rundbrief Ökodorf 108: 9. Geiersbach, N. 2007. Theatrale Besiedlung von Sieben Linden, in Rundbrief Ökodorf 105: 30-31. Hagmeier, S. 1999. George W. Bush und der Landeplatz der Liebe. Oder: Lieber mit dem Pferdekarren durch die Altmark als mit Vollgas in den Abgrund [Link veraltet]. Hagmaier, S. & Stengel, M. 1995 [KA]. In Rundbrief Ökodorf 36: 30 Halbach, D. 2007a. Die Visionsentwicklung im Ökodorfprojekt. Ein Rückund Ausblick. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 17-19. Poppau: Freundeskreis Ökodorf. — 2007b. Ein Blick zurück nach vorn. Ein Festbericht, in Rundbrief Ökodorf 105: 22-23. — 2006. Die Visionsentwicklung im Ökodorf. Ein Rück- und Ausblick. In Rundbrief Ökodorf 98: 17-19. Jungbluth, O. 2007. Wie wird der Dorfaufbau finanziert? In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 62. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Kommerell, J. 2010. Energiewende Region Beetzendorf (25.03.2010, Riegersburg, A) [Dok.]. — 2009a. Weit über uns hinauswachsen. In Rundbrief Ökodorf 112: 6-9. — 2008a. GEN-Europe-Generalversammlung – Rückschau. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Geschichten aus Sieben Linden [Link veraltet].
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— 2007a. Gibt es eine Ideologie? In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 69. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2007b. Soziale Integration. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 28. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2005. Thema: Region und Ökodorf. In Rundbrief Ökodorf 96: 22. — 2004. Tiere halten – Tiere loslassen. In Rundbrief Ökodorf 91: 16-17. Lüdemann, I. & Strünke, C. 2007 [KA]. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 33. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Maier-Wiegand, E. & J. 2005. Ein Haus wie eine Spirale ….. In Rundbrief Ökodorf 94: 16-17. Mehlfeldt, J. 2010. Let’s talk about love. In Rundbrief Ökodorf 115: 7-9. Müller, M. 2007. Die Sinnlichkeit des Globolo – der Stille, Heiterkeit und Gastfreundschaft gewidmet. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebens-entwurf und Realität, S. 34. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Ökodorf Projekt (Redaktion: Halbach, D.) 1992. Selbstversorgung als Selbstbestimmung. Ziele und Wege. Heidelberg: Ökodorf Projekt. Petersmann, L. 2007. Schritte Richtung Gemeinschaft. In Rundbrief Ökodorf 105: 12-14. Rauwolf, R. 1997. Alles Chaos endet im Licht. Gesellentreffen in Poppau, im Rundbrief Ökodorf 50: 4-9. Roeder, S. 2005a. 1 Viertel Gemeinderat in Poppau. Ein Interview. In Rundbrief Ökodorf 96: 25-27. — 2005b. Interview mit Nachbarn. In Rundbrief Ökodorf 96: 27. Schaaff, A. 1999. Chronik zum 10-jährigen Bestehen des Rundbriefes. In Rundbrief Ökodorf 59: 3-4. SiGe 2012: 5. Zuzugs-Info, Stand vom 09.04.2012 [Dok.]. — 2007. Baukriterien der Siedlungsgenossenschaft Ökodorf e.G. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 48-50. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Sommer, J. 1990. Ökodorfprojekt »Selbstversorgung als Selbstbestimmung«. In E. Voß et al. (Vorbereitungsgruppe) (Hg.): Zur Vorbereitung der Ost-West-Begegnung Selbstorganisierte Lebensgemeinschaften, S. 120-121. Steyerberg: Informationsdienst Ökodorf e.V.
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Sommer, J. et al. 1990. Selbstversorgung als Selbstbestimmung. Wege zu einer ökologischen Lebensgemeinschaft. Heidelberg: Eigenverlag. Stengel, M 2014a. 72h Permakultur Design Kurs (PDK). »Permakultur in Gemeinschaft.« In Rundbrief Ökodorf 133: 7-9. — 2014b. »Symposium 2.0.« Impuls für eine Neuausrichtung des Ökodorfes. In Newsletter 04-2014 — 2009. Ein Besuch in der Transition Town Totnes. In Rundbrief Ökodorf 112: 10-13. — 2006. Achterbahn Gemeinschaft. Ein ganz unwissenschaftlicher Blick auf die Entwicklung der Nachbar-/Gemeinschaft Club 99. In Rundbrief Ökodorf 99: 6-9. Stengel, M. & Hagmaier, S. 1998. Warum Vegan? In Rundbrief Ökodorf 56: 48-51. Strünke, C. 2012. Das Ökodorf und die Region. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Newsletter 04-2012 [Link veraltet]. Strünke, C. & Kommerell, J. 2007. In der Öffentlichkeit stehen. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 39-40. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V Stützel, E. 2008. Familienzuwachs bei Stützels. In Rundbrief Ökodorf: 3233. — 2007a. Die Nachbarschaft 81,5. Nord- und Südhaus in der WoGe. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 29-30. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2007b. Tierhaltung in Sieben Linden. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 57-58. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2005. Es ist vollbracht: Ein Beschluss zur Tierhaltung. In Rundbrief Ökodorf 96: 16 Stützel, E. & Kommerell, J. 2007a. Der Weg nach Sieben Linden. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 10-11. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. — 2007b. Wirtschaften / Betriebe. In Freundeskreis Ökodorf e.V. (Hg.): Sieben Linden. Lebensentwurf und Realität, S. 65-68. Poppau: Freundeskreis Ökodorf e.V. Von Lüpke, G. 2008. Die ganze Welt ist meine Familie. Die Ökophilosophin und Friedensaktivistin Joanna Macy. In Rundbrief Ökodorf 107: 12-15.
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Willert, S. 2012. Jugendinterview: Wie ist das Außen für euch? In Rundbrief Ökodorf 123: 5-6. WoGe 1997 [KA]. — 1996. Siedlungs- und Regionalkonzept Ökodorf 2000. Groß Chüden: WoGe. — 1995 [KA]. Groß Chüden: WoGe. Würfel, M. 2014a. Feuerwehr. In Rundbrief Ökodorf 133: 30-32. — 2008a. Sieben Linden im Juli. siebenlinden.de /htmcon tent2139.html Ziegelmüller, M. 2008 [KA]. In Rundbrief Ökodorf 108: 7-8. Zimmermann, J. 2005. Zur ökonomischen Situation der GärtnerInnen in Sieben Linden. In Rundbrief Ökodorf 92: 24. [KA] 2007. Ein Versuch: Ausstieg aus der HHK für einen Monat. In Rundbrief Ökodorf 104:22. [KA] 2006. Asketischer Luxus oder was? In Rundbrief Ökodorf 101: 24. [KA] 2006. Das Märchen der drei Rohköstler unter den Sieben Linden. In Rundbrief Ökodorf 101: 25-26. [KA] 2006a. Wer ißt was? Wo sind die Rohköstler versteckt und wer braucht außerhalb von Sieben Linden doch mal eine Bratwurst? In Rundbrief Ökodorf 101: 22-23 [KA] 2006b. Wilma will’s wissen. In Rundbrief Ökodorf 102: 22-23. [KA] 2002. Wir planen ein neues Haus in Sieben Linden. »Strohpolis«. In Rundbrief Ökodorf 78: 16. [KA] 1999. Nach-lese zum Themenabend am 23.9.99: Fleischverzehr? Vegetarisch? Vegan? In Rundbrief Ökodorf 61: 28-29. [KA] 1999a. Club 99 Einweihung am 9.9.1999. In Rundbrief Ökodorf 61: 45. [KA] 1999b. Hochzeitsritual an der Hainbuche auf dem Sommercamp 1999. In Rundbrief Ökodorf 60: 10-11. [KA] 1995 [KA]. In Rundbrief Ökodorf 36: 30.
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Weitere3 Beobachtungsprotokolle — 2012 [BP, 04.2012, Sieben Linden]b. — 2012 [BP, 03.2012, Sieben Linden]c. — 2011 [BP, 05.2011, Berlin]a. — 2011 [BP, 03.2011, Mirabell e.V., Lassan]b. — 2010 [BP, 11.2010, Los Angeles Ecovillage, USA]aa. — 2010 [BP, 03.2010, Torri Superiore, IT]a. — 2010 [BP, 03-04.2011, Sieben Linden]b. — 2010 [BP, 03.2010, Keimblatt Ökodorf, Riegersburg, A]c. — 2009 [BP, 07.2009 Keuruun Ecovillage, FI]a. — 2009 [BP, 03.2009, Gastwerke, Escherode]b. — 2009 [BP, 02.2009, Sieben Linden]c — 2009 [BP, 01.2009, Sieben Linden]d. — 2008 [BP, 10.2008, Lebensgarten Steyerberg]a. — 2008 [BP, 07.2008, Sieben Linden]b. — 2008 [BP, 05.2008, Sieben Linden]c. — 2007 [BP, 11.2007, ZEGG, Bad Belzig]. Interviewtranskripte Andreas, Marcus 2012 [IT, 14.04.2012]a. — 2012 [IT, 14.04.2012]b. — 2012 [IT, 14.04.2012]c. — 2012 [IT, 13.04.2012]d. — 2012 [IT, 13.04.2012]e. — 2012 [IT, 13.04.2012]f. — 2012 [IT, 11.04.2012]g. — 2012 [IT, 10.04.2012]h. — 2012 [IT, 05.04.2012]i. — 2012 [IT, 03.04.2012]j. — 2012 [IT, 03.04.2012]k. — 2011 [IT, 29.09.2011]a. — 2011 [IT, 23.06.2011]b.
[BP]: Beobachtungsprotokoll. [IT]: Interviewtranskript.
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— 2011 [IT, 18.06.2011]c. — 2010 [IT, 20.08.2010]. Kunze, I. 2007 [IT, 16.05.2007]. — 2002 [IT, 29.06.2002]a. — 2002 [IT, 28.06.2002]b. — 2002 [IT, 25.06.2002]c. Gruppendiskussionstranskript4 Andreas, M. & Wagner, F. 2009 [GT, 23.03.2009]. Projektbeschreibungen und -protokolle Andreas, M. 2010. GRUNDTVIG Learning Partnership (GLP)-meeting [Protokoll, 25.-26.03.2010]. — 2009a. 3. Politischer Abend [Protokoll]. — 2009b. 2. Politischer Abend [Protokoll]. Höflehner, T. 2010. GLP-meeting [Protokoll, 01.07.2009] — 2009a. GLP-meeting [Protokoll, 03.11.2009] — 2009b. GLP-meeting [Protokoll, 16.09.2009] Kommerell, J. 2009b. Weit über uns hinauswachsen. Eine Gemeinschaft fragt sich: Wie wirken wir in die Welt? Wintervisionen im Ökodorf Sieben Linden [Dok.]. — 2008b. 1. Politischer Abend [Protokoll] Kommerell, J., Würfel, M. & Andreae, S. 2009. Seminar Transition Towns 6.-8. März 2009 [Dok.]. Marth, S. 2009. Programm für lebenslanges Lernen. Antragsformular 2009 für GLP [Dok.]. Marth, S. et al. 2011. Transition journey. Sustainability to touch [Dok.]. — 2010. GLP-Transition Journey Partnership [Link veraltet].
[GT]: Gruppendiskussionstranskript. [PK]: Persönliche Kommunikation.
Kultur und soziale Praxis Désirée Bender, Tina Hollstein, Lena Huber, Cornelia Schweppe Auf den Spuren transnationaler Lebenswelten Ein wissenschaftliches Lesebuch. Erzählungen – Analysen – Dialoge Januar 2015, 206 Seiten, kart., 26,99 €, ISBN 978-3-8376-2901-9
Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 Mai 2015, 332 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2364-2
Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Jugendbewegungen Städtischer Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt 2014, 400 Seiten, Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb. , 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2130-3
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Kultur und soziale Praxis Martina Kleinert Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung Januar 2015, 364 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2882-1
Marion Schulze Hardcore & Gender Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur Juli 2015, ca. 400 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2732-9
Nadja Thoma, Magdalena Knappik (Hg.) Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis April 2015, 352 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2707-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Jens Adam, Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen Anthropologie politischer Felder 2014, 392 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2263-8
Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.) Fußball. Macht. Politik. Interdisziplinäre Perspektiven auf Fußball und Gesellschaft
Wiebke Scharathow Risiken des Widerstandes Jugendliche und ihre Rassismuserfahrungen 2014, 478 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2795-4
Yasemin Shooman »... weil ihre Kultur so ist« Narrative des antimuslimischen Rassismus
2014, 192 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2558-5
2014, 260 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2866-1
Naime Cakir Islamfeindlichkeit Anatomie eines Feindbildes in Deutschland
Wolfgang Stark, David Vossebrecher, Christopher Dell, Holger Schmidhuber (Hg.) Improvisation und Organisation Muster zur Innovation sozialer Systeme
2014, 274 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2661-2
Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.) Kämpfe um Migrationspolitik Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung 2014, 304 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2402-1
Heidrun Friese Grenzen der Gastfreundschaft Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage 2014, 250 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2447-2
Christa Markom Rassismus aus der Mitte Die soziale Konstruktion der »Anderen« in Österreich 2014, 228 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2634-6
August 2015, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2611-7
Henrike Terhart Körper und Migration Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild 2014, 460 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2618-6
Tatjana Thelen Care/Sorge Konstruktion, Reproduktion und Auflösung bedeutsamer Bindungen 2014, 298 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2562-2
Yeliz Yildirim-Krannig Kultur zwischen Nationalstaatlichkeit und Migration Plädoyer für einen Paradigmenwechsel 2014, 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2726-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de