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German Pages 279 [284] Year 1995
Vom guten Leben Glücksvorstellungen in Hochkulturen
Vom guten Leben Glücksvorstellungen in Hochkulturen Herausgegeben von Alfred Bellebaum
Akademie Verlag
Titelbild: HAP Grieshaber, „Affe als Pan" (Holzschnitt, 1962) © VG Bild-Kunst, Bonn 1994
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Vom guten Leben : Glücksvorstellungen in Hochkulturen / hrsg. von Alfred Bellebaum. - Berlin : Akad. Verl., 1994 ISBN 3-05-002589-1 NE: Bellebaum, Alfred [Hrsg.]
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1994 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Einbandgestaltung: Ralf Michaelis Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt Alfred Bellebaum Einleitung
Jan Assmann Glück und Weisheit im Alten Ägypten Diskussion: Klaus Barheier Bernhard Lang Religion und menschliche Glückserfahrung: Zur alttestamentlichen Theorie des Glücks Diskussion: Gerhard Schmied
Giuseppe Veltri Konzepte des "Glücks" im antiken Judentum Diskussion: Gerhard Schmied Heinrich von Stietencron Das Glück und die Schatten der Vergänglichkeit. Religiös-philosophische Konzeptualisierungen von Glück im alten Indien Diskussion: Alfred Bellebaum
Wolfgang Bauer Utopismus und Wirklichkeitssinn im alten und im neuen China
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Diskussion: Gerhard Vowinckel
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Klaus Antoni Fuku und sachi - die religiöse Konzeption des Glücks in der japanischen Kultur
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Diskussion: Rainer Waßner
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Personenregister
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Sachregister
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Die Mitwirkenden
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Einleitung1 1. Für die erste wissenschaftliche Tagung des gemeinnützigen Instituts für Glücksforschung e.V. Ende Februar 19922 war ursprünglich ein Vortrag über das Alte Ägypten vorgesehen, um von vorneherein einer möglichen ethnozentristisch bedingten Einseitigkeit zu entgehen. Der angefragte Referent riet mit dem Hinweis ab, daß ein solcher Einzelbericht nicht so recht zum Tagungsthema passen würde und es stattdessen sinnvoll wäre, eine eigene Tagung dem Thema Hochkulturen zu widmen. Diese dritte wissenschaftliche Tagung des Instituts für Glücksforschung fand vom 26. - 28.5.1994 in Vallendar statt. Sie wurde dankenswerterweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt3.
2. Ein gegen Glücksforschung4 oft erhobener Einwand lautet, daß Glück kein Forschungsgegenstand sein könne, weil Glücksvorstellungen und Glückserlebnisse höchst private Phänomene seien. Das ist kein guter Einwand, wenn man an einschlägige Untersuchungen beispielsweise von Gehirnforschern, Psychologen, Philosophen, Theologen, Soziologen u.a.m. denkt - die ja wohl nicht allesamt einem Gespenst nachjagen. Glückserlebnisse/Glücksempfindungen werden zwar dies versteht sich von selbst - subjektiv wahrgenommen, das
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aber schließt gemeinsame und intersubjektiv austauschbare Empfindungen bei mehreren Menschen nicht aus5. Und was Glücksvorstellungen angeht, so gibt es nachweislich zeit-, kultur- und gruppenspezifische Ansichten, die eben von jeweils vielen geteilt werden. Das gilt beispielsweise für die in der hellenistischen Philosophie entwickelte Lehre vom glücklichen Leben im Zusammenhang mit der Entstehung der Staatsgesellschaften. Ein neuzeitlicher Philosoph erklärt lapidar: "Glücksvorstellungen sind aufs engste mit dem Zeitgeist verwoben und aufs nachhaltigste von ihm beeinflußt". Und der Herausgeber einer Anthologie des Glücks notiert: "Jede Zeit hat ihre Glücksvorstellung, Kulturen sind nichts anderes als Entwürfe von Glückseligkeit; Religionen sind Erinnerungszeichen dafür, daß keine Glücksvorstellung, die der Mensch selber entwerfen kann, genügt. Die Biographie des einzelnen wird zur Einheit durch seine Interpretation des Glücks, die Einheit einer Epoche läßt sich ausmachen an der Übereinstimmung in der Glückssuche"6. Diese Auffassung ist kürzlich mit dem Hinweis auf unterschiedliche Glücksmodelle vertieft worden. Die Grundthese: "Ganze Gesellschaften sind von der Art und Weise geprägt, wie sich die Menschen das Glück vorstellen". Der Autor unterscheidet: Theozentrische Glücksmodelle: der Mensch begreift sich als Teil einer Ordnung, die nicht von dieser Welt ist; Soziozentrische Glücksmodelle: der Mensch begreift sich als Teil einer diesseitig- und kollektivorientierten Welt; Egozentrische Glücksmodelle: außenorientiert = die Denkwelt des Habens und innenorientiert = die Denkwelt des Seins. Im letzteren Falle geht es um das, was der Autor: "Die Erlebnisgesellschaft" nennt, über die er unter anderem ausführt: "Erlebnisorientierung ist die unmittelbarste Form
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der Suche nach Glück"7. Bei uns versuchen sehr viele Menschen, auf diese Weise glücklich zu werden.
3. Glücksvorstellungen in Hochkulturen - dieser Ausdruck beinhaltet keinerlei Wertung. Er ist im Rahmen gesellschaftstypologischer Betrachtung weit verbreitet, speziell dort, wo zwischen den Gesellschaftstypen Einfache Gesellschaft, Hochkultur und Moderne Gesellschaft unterschieden wird. Bei dieser Gesellschaftstypologie dient als Vergleichsgesichtspunkt in der Regel der Grad sozialer Differenzierung. Es wird unterstellt, daß Gesellschaften sich durch Art und Ausmaß ihrer Aufgliederung in Teile/Elemente voneinander unterscheiden, daß diese Unterschiede sozial folgenreich sind und das Zusammenleben der Menschen nachhaltig beeinflussen. Einfache Gesellschaften sind intern wenig, Hochkulturen demgegenüber schon stärker und Moderne Gesellschaften hochgradig differenziert, weshalb letztere oft auch komplexe Gesellschaften genannt werden8. Hier brauchen die Strukturmerkmale dieser drei Typen sozialer Organisation nicht im einzelnen aufgezeigt zu werden. Es genügt der Hinweis, daß es in den Hochkulturen zusammen mit überlokaler Verflechtung und indirekter Kommunikation - zur "Ausbildung jener kulturellen Objektivationen (kommt), die man zu Recht als charakteristische Schöpfungen der Hochkulturen ansieht, also zu einer im Grundsatz mitteilbaren, lehrbaren, systematischen und begründbaren Darstellung beispielsweise von Religion, Recht, Lebensweisheit wie auch des sonstigen Wissens"9.Wie es sich diesbezüglich mit Ansichten über Glück - und dann ja
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auch über Unglück - verhält und wo diese Vorstellungen verortet sind, wäre sicherlich untersuchungswürdig.
4. Der Hinweis auf Lebensweisheit und Wissenssysteme ist wichtig. Unter Wissen verstehen manche Wissenssoziologen alles, "was in einer Gesellschaft als 'Wissen' gilt, ohne Ansehen seiner absoluten Gültigkeit und Ungültigkeit"10. Zum begrifflich so weit gefaßten Wissen rechnen gleichfalls Vorstellungen über Glück im Diesseits und/oder Jenseits. In diesem Zusammenhang könnte interessieren: • Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Glücksvorstellungen sowie zeit- /kultur- /gruppenspezifischen Lebenslagen? • Wie verteilt sich das Wissen über Glück in einer bestimmten Gesellschaft? • Welche Querverbindungen bestehen zwischen Ansichten über Glück und anderen Wissenssystemen wie etwa der Religion? • Wie werden Meinungen über Glück vermittelt? • Gibt es eine eher optimistische oder pessimistische Lebenseinstellung? Vorstellungen über Glück haben ja sehr viel mit Einstellungen zum und Erwartungen an das Leben zu tun, wobei hier jetzt weniger eventuell vererbte Persönlichkeitsmerkmale als vielmehr tradierte gesellschaftliche Vorgaben interessieren. Über Kultursoziologie ist früher einmal ausgeführt worden: Ihr "Objekt... ist das gesellige Leben als Szene des Kulturgeschehens. Wie verhalten sich die gesellig lebenden Menschen gegenüber dem Geistesgut? Was machen sie mit ihm?" 11 Man könnte ergänzen: Was macht das Geistesgut
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mit den Menschen, d.h. wie werden Menschen von ihren eigenen Geistesprodukten einstellungs- und handlungsmäßig beeinflußt? A u f Glück angewandt: Wie wirkt sich welches Wissen über Glück auf die menschliche Lebensführung aus?
5. Auf einer zeitlich begrenzten Tagung können nicht alle Hochkulturen berücksichtigt werden. Der hier getroffenen Auswahl liegen keine sonderlich systematischen Überlegungen zugrunde: Der weitreichende und tiefgreifende Einfluß griechischer Antike auf das Abendland ist bekannt, griechisches Denken ist jedoch seinerseits multikulturell geprägt. Bedeutende Persönlichkeiten wie etwa Pythagoras lebten längere Zeit in Ägypten. Und viele jüdische Auffassungen, ohne die christliches Denken gar nicht vorstellbar ist, haben ihrerseits Vorläufer. Altes Ägypten, Altes Testament, Antikes Judentum es könnte interessieren, welche Unterschiede und Übereinstimmungen es beim Wissen über Glück und welche möglicherweise nachwirkenden Traditionen es bei uns gibt 12 . Bei Indien, China und Japan haben wir es mit fernen Welten zu tun, zwischen denen und uns eine tiefgreifende sozialkulturelle Distanz besteht und ins Gewicht fallende Einflüsse auf abendländisches Denken (wohl) nicht anstehen. Ob es deswegen in diesen Gesellschaften nur kulturspezifische Glücksvorstellungen gibt, die sich von unseren Ansichten unterscheiden, wäre wissenswert. Vermutlich gibt es auch kulturübergreifende Glücksvorstellungen, beispielsweise im Umkreis von persönlichen Beziehungen, Krank-
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heit/Gesundheit sowie Sterben/Tod. Solche Ansichten wären für jede Anthropologie des Glücks sehr interessant13.
Anmerkungen 1 Die meisten der folgenden Hinweise waren Bestandteil des Antrages an die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf finanzielle Förderung der dritten wissenschaftlichen Tagung des gemeinnützigen Instituts für Glücksforschung e.V./ Vallendar. 2 Vgl. dazu den Tagungsbericht A. Bellebaum, Hrsg.: Glück und Zufriedenheit. Ein Symposion. Opladen, 1992. 3 Die mit 50 Teilnehmern gut besuchte Tagung durfte im neu gegründeten "Bildungshaus Vinzenz Pallotti" der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner/Vallendar stattfinden. Dank gebührt dem Rektor der Hochschule Prof. Dr. Franz Courth SAC; Prof. Dr. Karl Heinen SAC, Provinzial der norddeutschen Pallottiner Provinz/Limburg, der die Tagungsteilnehmer begrüßt hat; Prof. Dr. Hubert Lenz SAC, Leiter des Bildungshauses; Gudrun Schäfer, Sekretärin daselbst und zuständig für die dort hausinterne Organisation einschließlich Übernachtung; Hildegard Berreswill, Bewirtung. Ein besonderer Dank gilt den Referenten, die sich auf Anfrage spontan zur Mitarbeit bereiterklärten. Dank natürlich auch den Diskussionsleitern. Für vielfaltige Hilfen vor, während und nach der Tagung ist zu danken: Der Universität Koblenz-Landau, Abt. Koblenz, wo ich einen Forschungsschwerpunkt "Glück und Zufriedenheit" habe; Margret Bellebaum; Petra Burgard-Kaiphas; dem Akademischen Mitarbeiter und stellvertretenden Tagungsleiter Klaus Barheier für weitreichende Hilfen sowie den studentischen Mitarbeitern Boris Gareise und Achim Meis (alle Institut fur Soziologie Koblenz); Marlis Werner vom Sekretariat des Institutes fur Soziologie; Diplom-Pädagoge Peter Hilger;. Boris Gareise und Achim Meis für die in inhaltlicher und formaler Hinsicht aufwendigen Arbeiten zur Erstellung der Laserdruckvorlage; Lektor Thomas Egel vom Akademie Verlag/ Berlin und dem Verlag fur die Publikation. Dr. Jochen Briegleb, in der DFG zuständig fur Altertumswissenschaften, danke ich für seine Bemühungen im Zusammenhang mit der Begutachtung des Antrages.
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4 Das Institut für Glücksforschung hat seine Institutsbezeichnung nicht selbst erfunden. Verwiesen sei beispielsweise auf H. Weinrich: Welcher Hans in welchem Glück? Plädoyer für die Glücksforschung, in: Süddeutsche Zeitung, 4.1.1975; Philipp Mayring: Glücksforschung, in: Ders.: Psychologie des Glücks, Stuttgart, 1991; E. Gehmacher: Glücksforschung - Ein Plädoyer, in: Sozialwissenschaftliche Rundschau, 2/1987; J. Thiele: Plädoyer fur die Glücksforschung, in: Ders., Hrsg.:Glück. Das Buch der schönen Augenblicke, Stuttgart, 1987. Auch ohne Verwendung des Wortes "Glücksforschung" gibt es Glücksforschung seit eh und je und zur Zeit wieder verstärkt. Vgl. zum Beispiel Glück/Glückseligkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel-Stuttgart, 1974; W. Tartakiewiecz: Über das Glück, dt. Stuttgart 1984; P. Engelhardt, Hrsg.: Glück und geglücktes Leben. Philosophische und theologische Untersuchungen zur Bestimmung des Lebensziels, Mainz, 1985: M.C. Nussbaum: The fragility of goodness. Luck and ethics in Greek tragedy and philosophy, Cambridge, 1986; M. Forschner: Über das Glück des Menschen: Aristoteles, Epikur, Thomas von Aquin, Kant, Darmstadt, 1993; J. Riemen: Die Suche nach dem Glück als Bildungsaufgabe: Zur Rehabilitierung einer verschwundenen pädagogischen Kategorie. Mit einer Auswahlbibliographie 'Glück1, 'Glückseligkeit1, Essen, 1991; R. Veenhoven: Conditions of Happiness, Dordrecht usw. 1989; Ders.: World Database of Happiness: Happiness in Nations. Subjective Applications of Life in 56 Nations 1946 - 1992, Rotterdam, 1993; B. Grom u.a.: Glück. Auf der Suche nach dem 'guten Leben', Frankfurt, 1987. Ganz abgesehen von fast unübersehbar vielen Arbeiten, die nicht expressis verbis unter dem Stichwort Glück, sondern unter angrenzenden Bezeichnungen wie insbesondere Wohlbefinden und Lebensqualität laufen. Vgl. dazu u.a. A. Abele/P. Becker, Hrsg.: Wohlbefinden. Theorie - Empirie - Diagnostik, Weinheim/München, 1991; W. Glatzer: Lebensqualität und subjektives Wohlbefinden, in: A. Bellebaum, Hrsg.:Glück und Zufriedenheit. Ein Symposion, Opladen, 1992; A. Bellebaum, K. Barheier, Hrsg.: Lebensqualität. Ein Konzept für Praxis und Forschung, Opladen, 1994. 5 Vgl dazu beispielsweise M. und I.S. Csikszentmihalyi: Die außergewöhnliche Erfahrung. Die Psychologie des Flow-Erlebnisses, dt. Stuttgart, 1991; D. Blothner: Der glückliche Augenblick. Eine tiefenpsychologische Erkundung, Bonn, 1993. 6 Hellenistische Philosophie, siehe M. Hossenfelder: Philosophie als Lehre vom glücklichen Leben. Antiker und neuzeitlicher Glücksbe-
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griff, in: Α. Bellebaum, Hrsg.: Glück und Zufriedenheit. Ein Symposion, Opladen, 1992; Glückseligkeitslehre siehe G. Vowinckel: Die Glückseligkeitslehre und die Entstehung der Staatsgesellschaften, in: a.a.O; erstes Zitat siehe N. Hinske: Lebenserfahrungen und Philosophie, München, 1986: 49; zweites Zitat siehe G. Honnefelder, Hrsg.: Vom Glück. Erkundigungen, Frankfurt, 1986: 365. Glücksmodelle vgl. G. Schulze: Das Projekt des schönen Lebens. Zur soziologischen Diagnose der modernen Gesellschaft, in: A. Bellebaum, K. Barheier, Hrsg.: Lebensqualität. Ein Konzept für Praxis und Forschung, Opladen, 1994. Zitat, ders.: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/New York, 1992: 35. Das Konzept der sozialen Differenzierung hat innerhalb der Soziologie eine lange Tradition. Erwähnt seien hier ältere Arbeiten von H. Spencer (The Principles of Sociology, 3 Bde., 1882), F. Tönnies (Gemeinschaft und Gesellschaft, 1887), E. Durkheim (De la division du travail social, 1893), G. Simmel (Über sociale Differenzierung, 1890). Eine kurze systematische Übersicht gibt es von F.H. Tenbruck: Gesellschaft und Gesellschaften: Gesellschaftstypen, in: Die moderne Gesellschaft, Freiburg, 1972; ausführlicher Ders.: Gesellschaften, in: Ders.: Geschichte und Gesellschaft, Berlin, 1986. Vgl neuerdings auch B. Giesen: Drei Typen der Gesellschaft, in: Ders.: Makrosoziologie. Eine evolutionstheoretische Einführung, Hamburg, 1980; N. Luhmanns Unterscheidung zwischen segmentar differenzierten, schichtenmäßig differenzierten und funktional differenzierten Gesellschaften, in: Ders.: Funktion und Religion, Frankfurt, 1977. Zitat: F.H. Tenbruck, 1972: 64. P.L. Berger, Th. Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, dt. Frankfurt, 1969: 3. Th. Geiger: Bemerkungen zur Soziologie des Denkens, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP), Bd. XLV (1959), S. 36. Im Zusammenhang mit "Hochkulturen" kann man sicherlich nicht so obenhin von "Altem Testament" und "Antikem Judentum" sprechen, wie das selbstverständlich ist hinsichtlich Altes Ägypten, China, Sumerer, Maya... Ab und an muß man die Dinge jedoch nicht so eng sehen. Die Begründung des Tagungsthemas anläßlich des Antrages an die DFG (Anm. 1) ist den Referenten kenntlich gemacht worden. Dieser Tagungsband hätte mit einem abschließenden Beitrag enden können: Wie werden in den Referaten die in obigem Text genannten Punkte
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berücksichtigt? Ist der Antragstext ggf. defizitär? Einen solchen resümierenden Beitrag gibt es in diesem Band nicht. Was in ihm zu leisten wäre, gehörte in eine von wem auch immer zu schreibende Monographie, die weitere Hochkulturen (etwa mittelamerikanische) einbezöge und einschlägige Vorstellungen systematisch untersuchte. Arbeitstitel: Glücksvorstellungen im interkulturellen Vergleich.
JAN ASSMANN
Glück und Weisheit im Alten Ägypten 1. Das Glück und das Fest - die Aporien des Glücks Der übliche Weg zur Ermittlung eines Glücksbegriffs ist der sprachliche. Man fragt nach Wörtern für "Glück". Die großen Artikel von Robert Spaemann in Ritters Historischem Wörterbuch der Philosophie1 und von R. Holte im Reallexikon fiir Antike und Christentum2 beginnen beide mit etymologischen und begrifflichen Analysen des griechischen Worts ευδαιμονία. Für das Ägyptische verbietet sich dieser Weg. Es gibt kein Wort, das man eindeutig mit "Glück" übersetzen könnte, und im Lexikon der Ägyptologie fehlt ein entsprechendes Stichwort. Wir müssen also in Ermangelung eines ägyptischen Lexems von einem Begriff von Glück ausgehen, den wir im Sinne einer anthropologischen Universalie als interkulturell gültig voraussetzen dürfen. Ich möchte das in zwei Anläufen versuchen. In einem ersten Anlauf gehe ich von der Empfindung des Glücks aus, also vom Glücklichsein als einem subjektiven Zustand, im zweiten von der Vorstellung des Glücks als dem Inbegriff dessen, was man sich in Ägypten von den Göttern wünscht und von der Zukunft erhofft. Unter Glück verstehen wir einen subjektiven Zustand. Viel entscheidender als die äußeren· Umstände, die konventionellerweise als glücklich eingestuft werden, ist die Frage, ob der Betroffene selbst in ihnen und durch sie glücklich ist. Glück ist daher weniger ein Zustand als vielmehr eine
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Empfindung: die Empfindung eines Befindens. Darin liegt das zweite Paradox des Glücks. Es gibt keine dauerhaften Empfindungen. Empfindungen sind keine Zustände. Sie kommen und gehen. Das Glück hat, wenn man es denn als Zustand verstehen will, den Charakter eines Ausnahmezustands. Der Gedanke eines unablässigen Genießens läuft der menschlichen Konstitution zuwider und drängt schon aus seiner inneren Logik heraus ins Jenseitige. Nur Götter sind dazu imstande, und in Ägypten auch die Toten. In dieser Hinsicht ähneln sich das Glück und das Fest. Man kann ebensowenig in einem unaufhörlichen Fest leben wie in einem andauernden Glück. Weder Glück noch Fest sind den Menschen als Dauerzustand erlebbar. Daher tendiert die Hoffnung auf Glück, wie Wolfgang Bauer in seinem schönen Buch das für China gezeigt hat, dazu, das Glück in einen utopischen Raum zu verlegen.3 Viele Völker stellten sich die Götter als dauerhaft glücklich und in einem ständigen Fest begriffen vor, oder sie malten sich das Leben nach dem Tode als dauerhaft festlich aus, wie etwa die Etrusker und auch die Ägypter, die sich von einer bestimmten Zeit an in ihren Gräbern in festlicher Kleidung, erkenntlich an dem auf dem Kopf getragenen Salbkegel, darstellen ließen. Nun ist aber das Fest etwas, das auch im Diesseits gefeiert werden muß, ganz unabhängig davon, wie man sich das Jenseits vorstellt. Unabhängig von der Hoffnung auf ein Dauerfest nach dem Tode muß die Aufmerksamkeit der Lebenden sich auf die Festzeiten dieser Welt richten. Dasselbe gilt auch für das Glück: es ist nicht nur eine Sache der Hoffnung auf Dauer, sondern auch der Aufmerksamkeit auf den flüchtigen Augenblick. Diese Aufmerksamkeit will gelernt sein. Es liegt eine hohe Weisheit darin, das Glück aus dem
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Bereich des Utopischen in den des Festlichen, d.h. des "heterotopischen" zu übersetzen. Die altorientalischen Kulturen haben diese Weisheit praktiziert, und damit möchte ich beginnen. Alle Texte, die hierher gehören, grundieren die Mahnung zur Aufmerksamkeit und die Warnung vor dem Verschlafen des Glücks mit dem Hinweis auf den Tod, die Vergänglichkeit alles Irdischen, und sind, obwohl sie doch zum Glück und zum Fest auffordern, auf einen elegischen Ton gestimmt. Manche von ihnen beziehen sich geradezu auf eine Situation äußerster Verzweiflung und Depression. So erzählt zum Beispiel - um mit einem mesopotamischen Text zu beginnen und damit deutlich zu machen, daß sich die hier referierten Glücksvorstellungen keineswegs exklusiv auf das alte Ägypten beziehen - das babylonische Gilgamesch-Epos, wie Gilgamesch durch den Tod seines Freundes Enkidu in eine Schwermut verfallt, die an Wahnsinn grenzt. Mein Freund, den ich liebe, der mit mir alle Gefahren bestand, Enkidu, den ich liebe, der mit mir alle Gefahren bestand, ist dahingegangen zum Geschick der Menschen. Tag und Nacht weinte ich über ihm, ich wollte ihn nicht freigeben zur Bestattung, - "vielleicht steht ja mein Freund fur mich auf bei meinem Schreien" Sieben Tage und sieben Nächte, bis mir ein Wurm aus seiner Nase herausfiel.
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Rastlos und klagend durchstreift er die Erde auf der Suche nach dem Leben, womit wohl das ewige Leben, also das eigentliche und nie zu erreichende Glück gemeint ist. Am Ende der Welt begegnet er einer Göttin, der anmutigen Schankwirtin Siduri. Sie sagt zu ihm: "Gilgamesch, wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschen erschufen, teilten den Tod sie der Menschheit zu und nahmen das Leben für sich in die Hand. Du, Gilgamesch - dein Bauch sei voll, ergötzen magst du dich Tag und Nacht! Feiere täglich ein Freudenfest! Tanz und spiel bei Tag und bei Nacht! Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt, mit Wasser sollst du gebadet sein! Schau den Kleinen an deiner Hand, die Gattin freu sich auf deinem Schoß! Solcherart ist, was den Menschen zu tun bleibt!"4 Gilgamesch sucht das Leben, wir könnten auch sagen: das Glück, im Nirgendwo und macht sich dadurch unglücklich. Er stellt sich unter Glück einen todenthobenen unvergänglichen Dauerzustand vor, und das ist etwas, das die Götter sich vorbehalten und den Menschen vorenthalten haben. Siduri rät ihm, die rastlose Suche nach etwas aufzugeben, das auf Erden keinen Ort hat und daher utopisch ist, und seine Aufmerksamkeit vielmehr auf das zu richten, was im Rahmen des Irdischen zu verwirklichen ist. Dem Menschen ist das Glück nur in der Form des Festes zugänglich. Der Mensch ist der Zeit unterworfen, und er kann das Glück nur
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erfahren, wenn er sie bewußt und festlich begeht, im vollen Bewußtsein ihrer Vergänglichkeit. Aber der Rat der Siduri scheint auf ein Dauerfest hinauszulaufen, und das ist ein Paradox. Das Fest ist nur als Ausnahmezustand denkbar, auf dem Hintergrund des Alltags, den es unterbricht. Ebenso ist den Menschen das Glück nur als vorübergehender Ausnahmezustand zugänglich, und zwar typischerweise in der Form des Festes. Hier geht es aber nicht um den Unterschied zwischen Fest und Alltag, sondern um den zwischen zeitenthobener Unsterblichkeit und zeitunterworfener Vergänglichkeit. Wer das Glück mit Unsterblichkeit gleichsetzt, macht sich unglücklich und verfallt in Melancholie. Gegen die Melancholie hilft nur das Fest, und zum Feiern ist nur imstande, wer sich auf die Zeitlichkeit der irdischen Existenz mit der Aufmerksamkeit aller Sinne einläßt. Aus dem alten Ägypten ist uns ein Text überliefert, in dem es ebenfalls um die Verarbeitung von Verzweiflung geht: das berühmte Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba. Darin hält der Ba dem lebensmüden Ich eine ähnliche Predigt: ... wenn du an das Begräbnis denkst, so bedeutet das eine Herzaufwühlung, ein Tränen-Hervorlocken, indem man einen Menschen traurig macht; einen Menschen fortholen bedeutet es aus seinem Hause, um ihn in die Wüste zu werfen. Du wirst nicht herauskommen nach oben, daß du die Sonnen siehst. Die da bauten in Granit, die schöne Pyramiden bauten in vollendeter Arbeit,
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Jan Assmann sobald die Bauherren zu Göttern geworden sind, blieben die Opfersteine leer, nicht anders als bei den "Müden", die am Ufer gestorben sind, weil ein Hinterbliebener fehlte. Die Flut hat sich ihr Teil genommen, die Sonne desgleichen. Die Fische am Uferrand sprechen mit ihnen. Hör du auf mich! Hören tut den Menschen gut. Folge dem schönen Tag! Vergiß die Sorgeis
Den gleichen Ton stimmen Lieder an, die in Ägypten ein Harfenspieler zum Festmahl sang.6 Das Lied, das im Hause (König) Antefs, des Seligen, steht, vor dem (Bilde des) Sängers zur Harfe. Glücklich ist dieser gute Fürst, nachdem das gute Geschick eingetreten ist! Geschlechter vergehen, andere bestehen (/kommen7) seit der Zeit der Vorfahren. Die Götter, die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden. Die Edlen und Verklärten desgleichen sind begraben in ihren Pyramiden. Die da Häuser bauten - ihre Stätte ist nicht mehr was ist mit ihnen geschehen? Ich habe die Worte gehört des Imhotep und Hordedef, deren Sprüche in aller Munde sind. Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauer sind verfallen, sie haben keinen Ort mehr als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, von ihrem Ergehen zu
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berichten, ihren Bedürfnissen zu erzählen, unser Herz zu beruhigen bis auch wir gelangen, wohin sie gegangen sind. Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran! Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. Tu Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in weißes Leinen, salbe dich mit echtem Öl des Gotteskults, vermehre deine Schönheit, laß dein Herz dessen nicht müde werden! Folge deinem Herzen in Gemeinschaft deiner Schönen, tu deine Dinge auf Erden, kränke dein Herz nicht, bis jener Tag der Totenklage zu dir kommt. Der 'Müdherzige' hört ihr Schreien nicht und ihre Klagen holen das Herz eines Mannes nicht aus der Unterwelt zurück. Refrain: Feiere den Schönen Tag, werde dessen nicht müde! Bedenke: niemand nimmt mit sich, woran er gehangen, niemand kehrt wieder, der einmal gegangen8. Hier wird ein Stück ägyptischer "Weisheit" zitiert, und zwar eine Maxime aus der "Lehre des Ptahhotep": Folge deinem Herzen in der Zeit deines Daseins und vermehre nicht die Geschäfte. Vermindere nicht die Zeit des Dem-Herzen-Folgens: Der Abscheu des 'Ka' ist, wenn man seinen Augenblick verkürzt. Beeinträchtige nicht die Bedürfnisse eines jeden Tages über das Bestellen deines Hauses hinaus.
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Jan Assmann Die Sache dessen, der seinem Herzen folgt, gelingt, aber nichts wird vollendet, wenn es (das Herz) beleidigt wird9.
Wer über den Geschäften die Muße vergißt, den Schönen Tag, da man an der Seite der Geliebten seinem Herzen folgt, versäumt das Glück. Ein anderer Text bringt diese Einsicht auf die knappe Formel: "Der Habgierige hat keinen 'Schönen Tag" 10 Rund tausend Jahre später als die Lehre des Ptahhotep datiert die Inschrift auf der Würfelstatue des Priesters Nebneteru 11 , die zeigt, wie lebendig diese Lehren geblieben sind: Ich machte festlich meine Tage mit Wein und Myrrhe, ich merzte die Müdigkeit in meinem Herzen aus. Denn ich wußte, daß Finsternis im Tal herrscht Nicht ist daher töricht, wer seinem Herzen folgt. (...) Sei nicht knauserig mit dem was du hast, handle nicht geizig mit deinem Vermögen! Sitze nicht im Zelt der Trübsal12 den morgigen Tag vorhersagend bevor er gekommen ist. Verweigere dem Auge nicht seine Träne, damit sie nicht dreifach kommt. Schlafe nicht, wenn die Sonne im Osten steht, leide keinen Durst zu Seiten des Biers! Der Westen fordert: Gib Belohnung dem, der seinem Herzen folgt. Das Herz ist ein Gott,
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der Magen ist seine Kapelle. Es freut sich, wenn die Glieder im Fest sind. Der jüngste dieser Texte, aus dem l.Jh.v.Chr., ist eine Grabstele, in deren Inschrift sich die Verstorbene an ihren hinterbliebenen Ehemann wendet: O mein Liebster, mein Gatte und Freund, Hoherpriester, ermüde nicht, zu trinken und zu essen, trunken zu sein und zu lieben. Feiere den Schönen Tag, folge deinem Herzen Tag für Tag! Gib keine Sorge in dein Herz. Was sind Jahre, die man nicht auf Erden verbringt! Der Westen ist ein Land des Schlafs, dichter Finsternis, ... die dort sind, erwachen nicht, ihre Geschwister zu sehen, sie sehen Vater und Mutter nicht. Ihre Herzen vergessen ihre Frauen und Kinder. 13 Ein Fest, das nicht im Angesicht des Todes gefeiert, ein Glück, das nicht im Bewußtsein der Vergänglichkeit empfunden wird, ist illusionär und erweist sich alsbald als schal. Umgekehrt verfehlt ein Sorgen im Angesicht des Todes, ein Streben nach Unmöglichem oder ein Verzweifeln über solchem Streben die Möglichkeiten der menschlichen Existenz. Daher wird ein und dasselbe Lied den Feiernden und den Verzweifelnden gesungen. Dasselbe Lied kommt auch im biblischen Buch Qohelet vor, auch dies ein von Melancholie grundierter Text. Dort lautet es:
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Jan Assmann So geh denn hin und iß dein Brot mit Freuden und trink deinen Wein mit gutem Mut... Laß deine Kleider immer weiß sein und deinem Haupte das Salböl nicht mangeln. Genieße das Leben mit deinem geliebten Weibe ...solange dein eitel Leben währt, denn das ist dein Teil... unter der Sonne. Alles, was dir vor Händen kommt zu tun, das tu frisch denn bei den Toten, dahin du fahrst, ist weder Schaffen und Planen noch Erkenntnis und Weisheit mehr.14
Mehr als anderthalb Jahrtausende nach dem altbabylonischen Gilgamesch stimmt hier ein Weiser dieselbe Weise an wie die Schankwirtin Siduri. Das Leben, nach dem sich die Menschen sehnen, werden sie nicht finden, solange sie nicht einsehen, daß ihr Teil der Tod ist. Nur vom Tod her aber und nur unter den Bedingungen der Zeit und der Sterblichkeit ist das Fest möglich, in Gestalt dessen dem Menschen das Glück bzw. das Leben möglich ist. Glück ist daher eine Frage der Weisheit, wobei unter Weisheit so etwas wie das Wissen um die Grenzen oder "Selbstbegrenzungswissen" verstanden werden soll.!5 Daher ist auch die beste ägyptische Übersetzung für "Glück" vermutlich ω"τ ντ ovX "Weg des Lebens".16 Darunter versteht der Ägypter nicht den Lebensweg, wie ihn jeder auf seine Weise geht, sondern den richtigen Weg, der zum guten Leben fuhrt, und den jeder auf seine Weise suchen und finden muß. Dazu verhilft ihm die Weisheit. Weisheit ist das Geheimnis der spontanen Koinzidenz von Wohlverhalten und Wohlbefinden, richtigem Handeln und gutem Leben.
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2. Der Horizont der Wünsche Ich möchte nun einen zweiten Anlauf nehmen und eine ganz andere Art von Texten auf die in ihnen greifbaren Glücksvorstellungen hin befragen: die Wünsche. Im bekannten Märchenmotiv von den drei freien Wünschen muß der dritte Wunsch meist dazu verwendet werden, die unsinnigen Folgen der ersten beiden Wünsche wieder rückgängig zu machen. Das verweist auf eine weitere dem Glück zugrundeliegende Paradoxie. Glück bezeichnet einerseits die Erfüllung aller Wünsche und ist doch andererseits über die Erfüllung von Wünschen nicht zu erreichen. Der Weg der Wunscherfiillung, des Nachgehens und Nachgebens gegenüber allen attraktiven Reizen, führt nicht zum Glück und meist sogar ins Unglück. Glück ist das Ziel, das am Ende des Wünschens steht, und ist doch auf dem Weg der Wunscherfüllung nicht zu erreichen. Wir wollen im Folgenden den Horizont dieser Wünsche in den Blick zu fassen versuchen. Zunächst muß man sagen, daß das Wünschen zu den produktivsten und beliebtesten Textsorten der altägyptischen Literatur gehört. Wenn man alle einschlägigen Texte sammeln wollte, käme man gewiß in einen fünfstelligen Bereich. Alle Gebete, Opferformeln, Hymnen, Anrufungen enthalten Wünsche, die ein Einzelner für sich selbst an die Götter richtet. Aber darüberhinaus gibt es auch Gattungen mit Wünschen für andere. Briefe enthalten Glückwünsche für den Adressaten. Die sog. Anrufungen an die Lebenden bzw. die Grabbesucher enthalten Glücksverheißungen für die, die ein Totengebet sprechen. Das Wünschen ist im alten Ägypten einer der häufigst bezeugten Sprechakte oder Sprachverwendungsformen und der Optativ gehört zu den häufigsten Verbformen.
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Was waren das nun für Wünsche, mit denen der Ägypter den Göttern gegenübertrat oder mit denen er anderen Glück wünschte? Ich möchte das eingangs anhand eines literarischen Briefes illustrieren, der ein besonders reiches und kunstvolles Modell für den epistolarischen Glückwunsch bieten möchte und dabei alles zusammenträgt, woraus sich ein Briefschreiber des 13Jhs.v.Chr. einen schönen Einleitungsparagraphen zusammenstellen kann: Mögest du leben, heil und gesund sein, mein guter Bruder, mögest du versorgt sein und dauern ohne Mangel, möge dein Bedarf an Leben und Versorgung erfüllt sein, mögen Herzensweite und Jubel deinem Wege vereint sein, mögen [sie] dir daherkommen in deiner Lebenszeit, ohne daß du sie entbehren müßtest.. möge dein Tor überschwemmt sein täglich mit dem Ertrag von Fisch- und Vogelfang. Meschenet und Renenet mögen bleiben und dauern, die Krankheitsdämonen sollen dich nicht anfallen im Augenblick deines Schicksals. Mögest du die Strahlen der Sonne sehen und dich an ihr sättigen, mögest du deine Lebenszeit verbringen [in Herzenslust], möge sie (die Sonne) deine Augen leuchten lassen beim Anblick ihres Lichts. mögest du vereint sein mit der Gunst des Königs Tag für Tag. (...) Mögen deine Götter mit dir zufrieden sein, ohne daß sie dir zürnen,
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sodaß du versorgt bist nach dem Alter. Mögest du gesalbt werden mit Spitzenöl wie die Gerechten, indem du behandelt wirst im Balsamierungshaus bis zum Ende deiner Frist (= der 70 Tage), mögest du eintreten in dein Grab des Heiligen Bezirks, mögest du dich zu den vortrefflichen Bas gesellen und mit ihnen gerichtet werden. Mögest du gerechtfertigt werden in Busiris bei Osiris indem du dauerst in Abydos vor Schu und Onuris (?), mögest du übersetzen nach U-Poqe im Gottesgefolge (-), mögest du den Gotteshügel umwandeln im Gefolge des Sokar, mögest du dich mit der Mannschaft der Neschmet-Barke vereinen ohne abgewiesen zu werden, mögest du die Sonne sehen am Himmel, wenn sie das Jahr eröffnet, möge Anubis dir deinen Kopf an deine Knochen knüpfen, mögest du herauskommen aus der verborgenen Kammer ohne Vernichtung, mögest du den Sonnenglanz sehen in der Unterwelt, wenn er an dir vorüberzieht, möge der Nun überfließen in deiner Kapelle und deinen Weg überschwemmen, möge er 7 Ellen hoch stehen neben deinem Grab, mögest du am Ufer des Flusses sitzen an der Stätte deines Ausruhens, mögest du dir Gesicht und Hände waschen, wenn du Opfer empfängst, möge deine Nase Luft einziehen und deine Kehle atmen,
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Jan Assmann mögen die Gewänder der Webgöttin [dich kleiden], Möge der Korngott dir Brot geben und Hathor Bier, mögest du saugen an der Brust der Milchgöttin, mögest du (das Haus) der Herzen öffnen, mögest du eintreten [in] es, [dir das deine nehmen] und es an seine Stelle geben, möge deine Uschebti-Figuren dich annehmen, mögen sie (fur dich) den Sand von Osten nach Westen tragen, mögest du [...] deiner Sykomorengöttin packen, möge sie dir deine Kehle benetzen, mögest du [...] abwehren, [mögest du stark sein] in der Erde, mögest du verklärt sein [in der Unterwelt], mögest du gerechtfertigt sein im Himmel, die Sterne (...), mögest du dich nach Wunsch verwandeln wie der Phönix, indem jede deiner Gestalten ein Gott ist gemäß deinem [Wunsch]. 17
An dieser langen Liste von Wünschen springt eines sofort ins Auge: sie hören nicht mit dem Tod auf, sondern greifen in die Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode über, ja werden hier sogar ganz besonders explizit und differenziert. Entsprechendes gibt es gewiß in allen Kulturen, die ein Leben nach dem Tode kennen, und uns ist ja die Vorstellung durchaus vertraut, daß das höchste oder wahre Glück in der ewigen Seligkeit besteht. Dabei kommt es freilich oft zu einem Gegensatz von "Glück" und "Seligkeit". Glück bezieht sich aufs Diesseits, Seligkeit aufs Jenseits, und das eine, Seligkeit, wird hoch übers andere, Glück, gestellt. Davon kann
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in Ägypten keine Rede sein. Der Ägypter will beides, Glück und Seligkeit. Der Text faßt beides, den Inbegriff vortodlichen 'Glücks' und den Inbegriff nachtodlicher 'Seligkeit', in knappen Formeln zusammen, die ihn eröffnen und beschließen. Den Anfang machen die Begriffe "Leben, Heil, Gesundheit" als Inbegriffe irdischen Glücks, den Abschluß bildet die Dreiheit "Macht, Rechtfertigung und Verklärtheit" als Inbegriffe jenseitiger Seligkeit. Die erste Dreiheit bezieht sich auf einen Bereich, den der Ägypter τπ τ" nennt, das "auf-Erden", also das "Diesseits", die zweite Dreiheit bezieht sich auf drei Bereiche, die als μ πτ, μ τ und μ δω τ unterschieden werden, "im Himmel", "in der Erde" und "in der Unterwelt", also ein dreigeteiltes Jenseits. Der Ägypter wünscht sich also Glück (in Form von Leben, Heil und Gesundheit) "hier" und Seligkeit (in Form von Macht, Verklärtheit und Rechtfertigung) "dort", und am besten in einer Form, die das eine zur Garantie des anderen macht, also eine Form von Glück, die sich bruchlos als Seligkeit fortsetzt. Diese Kontinuität wird gewährt durch die Götter: wenn die Götter mit einem Menschen im Leben zufrieden sind, dann ist auch die Versorgung nach dem Alter, die Jenseitsversorgung gesichert. Ohne Jenseitsversorgung ist Glück für den Ägypter nicht vorstellbar. Aber diese Jenseitsversorgung ist nicht etwas von allem "irdischen Glück" Unterschiedenes, sondern eine Konsequenz des irdischen Glücks. Jenseitsversorgung ist, ebenso wie irdisches Glück, die Sache einer gelungenen Beziehung, nämlich zu den Göttern. Wer so lebt, daß er ihren Beifall (äg. Ησωτ, "Lob") findet und mit ihnen in Einklang steht, wird im Leben von Übeln verschont und im Jenseits versorgt. Auf diesen Gedanken, seine Herkunft und seine Wandlungen in der ägyptischen Welt, möchte ich im Folgenden näher eingehen.
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Glück, so lautet die These, ist für den Ägypter eine Sache gelungener Beziehungen, also eine Frage der Sozialisation. Der Einsame kann nicht glücklich sein. Glücklich ist nur derjenige, dem jemand Beifall spendet. Das muß gar nicht unbedingt und in erster Linie ein Gott sein. Der soziale Raum dieser Beziehungen gliedert sich in drei Bereiche, drei "Sphären der Konnektivität", die sich kennzeichnen lassen als die Sphären der Mitmenschen, des Königtums und der Götterwelt. Diese drei Sphären hängen für den Ägypter aufs engste zusammen, es gibt kein Glück oder kein Gelingen in der einen Sphäre ohne Gelingen in der anderen, sie spiegeln und repräsentieren sich gegenseitig, aber es gibt erhebliche Verschiebungen in der Gewichtung. Die Konnektivität, um die es hier geht, hat auch eine zeitliche Dimension. Gelingen und scheitern, glücken und verunglücken findet in der Zeit statt. Für diese Dimension hat sich in der alttestamentlichen Wissenschaft der Begriff des Tun-Ergehen-Zusammenhangs herausgebildet, der sich inzwischen auch in anderen Bereichen wie Ägyptologie und Orientalistik eingebürgert hat. Die Basis-Maxime des Tun-Ergehen-Zusammenhangs lautet: das Gute gelingt, das Böse scheitert. Gute Taten führen zu gutem, böse Taten zu schlechtem Ergehen. Glück ist eine Frage der Zeit. Das besondere des ägyptischen Denkens ist nun, daß die soziale und die zeitliche Konnektivität in eins gesetzt werden. Das heißt, daß in einer intakten Gesellschaft oder vielmehr Gemeinschaft, und nur in einer solchen, der Sinnzusammenhang von Taten und Folgen gewährleistet ist und daß in dem Maße, wie sich eine Gemeinschaft desintegriert, auch dieser Sinnzusammenhang sich auflöst, gutes Tun also nicht mehr gelingt und böses Tun nicht mehr scheitert. Sinn, d.h. der Zusammenhang von Tun und Ergehen, ist eine
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Funktion der sozialen Kohärenz, Konnektivität oder auch Solidarität, also dessen, was der Ägypter Maat nennt. Zweitens wird dieser Komplex aus Konnektivität und Sinn hoch, ja höchstbewertet. Das ägyptische Denken kennt nicht den Begriff einer negativen Konnektivität, wie er griechisch als anagkh (=lat. necessitas, d. Notwendigkeit) bezeichnet wird. Im Horizont eines negativen Konnektivitätsbegriffs werden Glücksbegriffe immer Konnotationen des Kontingenten, Wunderbaren, Unerwartbaren einschließen, die den Rahmen der Notwendigkeit sprengen und etwas Befreiendes, ja Erlösendes haben. So etwas gibt es im Ägyptischen nicht. Glück ist immer nur im Rahmen der konnektiven Ordnung denkbar. Glück ist niemals zufallig, sondern immer nur als sinnvolle Entwicklung denkbar und daher mit Begriffen wie Gelingen und Erfolg gleichzusetzen. Glück ist also nicht nur eine Frage der Zeit, sondern auch des Sinns, der in ihr waltet. Die Verbindung von Sinn und Zusammenhang oder Konnektivität impliziert im Ägyptischen Denken immer auch die Vorstellung der Zuständigkeit und Verantwortung. Diese Konnektivität funktioniert nicht automatisch bzw. naturgesetzlich. Auch das unterscheidet sie von der griechischen Idee der anagkh. Der einzelne ist verantwortlich für seinen Anteil am Ganzen, und die Gemeinschaft als Ganzes, bzw. der König, bzw. die Götterwelt oder ein Gott, ist zuständig fur das Ganze. Was diese Zuständigkeit für das Ganze angeht, zeichnen sich nun innerhalb der ägyptischen Welt gewisse Wandlungen ab, von denen ich hier berichten möchte. Ich unterscheide dabei drei Konzeptionen: 1. Die gemeinschaftliche Zuständigkeit fur den Tun-Ergehen-Zusammenhang oder: es gibt kein Glück ohne den anderen.
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2. Die königliche Zuständigkeit für den Tun-Ergehen-Zusammenhang oder: es gibt kein Glück ohne den König. 3. Die göttliche Zuständigkeit für den Tun-Ergehen-Zusammenhang oder: es gibt kein Glück ohne Gott.
3. Das konnektive Glück. 3.1 Kein Glück ohne den anderen (vae soli) Da ist einer einsam, steht ganz allein, hat weder Sohn noch Bruder, und macht sich doch Mühe ohne Ende und kann des Geldes nicht genug sehen... Auch das ist nichtig und eine leidige Plage. Zweie sind besser daran als nur einer, sie haben doch einen guten Lohn für ihre Mühe. Denn fallen sie, so hilft einer dem anderen auf. Doch wehe dem Einzelnen, wenn er fallt und kein anderer da ist, ihm aufzuhelfen! Und liegen zweie beieinander, so haben sie warm; wie aber könnte einer allein erwarmen? Und mag einer auch den Einzelnen überwältigen, so halten ihm doch die Zweie stand; und gar die dreifache Schnur ist nicht so bald zu zerreißen. 18 Diese Verse aus dem Prediger Salomonis könnten ägyptisch sein, so genau treffen sie die ägyptische Mentalität. Das ägyptische Sprichwort bringt denselben Gedanken auf die bündige Formel: Einer lebt, wenn ein Anderer ihn leitet. 19 Nichts wäre dem ägyptischen Denken wohl als so abwegig
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erschienen wie der stoische und epikureische Gedanke, daß wahres Glück gerade in der Autarkie, der Unabhängigkeit von anderen oder in der diskonnektiven Verborgenheit bestehen könnte. In der ägyptischen Welt gilt Autarkie als Inbegriff des Bösen. So heißt es von dem Gott Seth, dem großen Gegen-Gott des ägyptischen Pantheons: Der über Trennung zufrieden ist und Verbrüderung haßt, der sich (nur) auf sein (eigenes) Herz stützt unter den Göttern20 Das ramessidische Traumbuch des Pap. Chester Beatty III diagnostiziert den Einsamen, d.h. autarken, unabhängigen und ungeselligen Menschen so: "Der Gott, der in ihm ist, ist Seth".21 Der Böse aber kann nicht glücklich sein. Er kann bestenfalls für eine gewisse Zeit Erfolg haben, so wie der Geld ansammelnde Einsame des Predigers, aber er kann nicht glücklich sein. Glück ist mehr als Erfolg: es ist Erfolg auf lange Sicht, und dessen subjektive Gewißheit. Zum Glück gehört Gelassenheit, Vertrauen und Zuversicht. Das geht dem Einzelnen ab. So lehrt ein Weisheitstext des Mittleren Reichs: Der Herr einer Menge schläft bis zum Morgen, aber der Einzelne kennt keinen Schlaf.22 Glück besteht also dieser Anschauung zufolge darin, sich möglichst eng in die Ordnung des Zusammenlebens, der Konvivenz, zu integrieren, und zwar dadurch, daß man den anderen das Zusammenleben mit sich ermöglicht und ihren Beifall findet, durch Bescheidenheit, Selbstzurücknahme, Diskretion, Höflichkeit, Takt, Selbstkontrolle, Freundlich-
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keit, Wohltätigkeit, Gehorsam, Aufmerksamkeit, Geduld, Verständnis, Verantwortung - alles Tugenden der Konnektivität, konnektive Tugenden, die den Einzelnen einbinden und den Zusammenhang stärken, Gemeinschaft und Eintracht fördern. Der Ägypter faßt das alles unter dem Begriff der Maat zusammen, der Ordnung des Zusammenlebens, der "konnektiven Gerechtigkeit". Der Einzelne ist gehalten, diese Ordnung zu befördern, indem er die Maat tut und sagt, d.h. indem er sich in seinem Tun und Sprechen konnektiv verhält. Das konnektive Glück, wenn ich dieses Konzept einmal so ausdrücken darf, bedeutet Eingebundenheit in die Gemeinschaft, wie sie sich zu Lebzeiten als Beliebtheit, Geehrtheit und Gunst bei Mitmenschen und beim König äußert, und nach dem Tod als Unvergessenheit bei den Mitmenschen und Versorgtheit bei den Göttern. Zum vollen Glück gehört also von Anfang an und bis zuletzt der Besitz eines "schönen Begräbnisses", äg. qrst nfrt und griechisch ταφη αγαθή. In der Lehre des Ptahhotep, der ältesten und bedeutendsten ägyptischen Weisheitslehre, wird klargestellt, daß es kein Glück und keinen Erfolg außerhalb der Maat und ihrer "Gesetze" gibt. 23 Auch hier wird bereits eingeräumt, daß der Böse, d.h. der Habgierige, der Egoist, der unsolidarisch bzw. diskonnektiv Handelnde zwar durchaus Erfolg haben, d.h. "Schätze zusammenraffen" kann, daß ihm aber beim Tod nichts davon bleibt. Er hat keinen Erben, keine Angehörigen, die für seine Fortdauer nach dem Tode sorgen könnten. Wenn du ein Mann in leitender Stellung bist, der Vielen Befehle gibt, dann strebe fortwährend nach richtigem Handeln,
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bis dein Verhalten ohne Fehl ist. Groß ist die Ma'at, dauernd und wirksam24, sie wurde nicht gestört seit der Zeit des Osiris.25 Man bestraft den, der ihre26 Gesetze übertritt, aber dem Habgierigen erscheint das als etwas Fernes. Die Gemeinheit rafft zwar Schätze zusammen, aber niemals ist das Unrecht gelandet und hat überdauert. Wenn das Ende da ist, dauert (allein) die Ma'at, so daß ein Mann sagen kann: 'das ist die Habe meines Vaters'.27 Und selbst wenn es Angehörige gäbe, so würden sie nichts erben, weil unrecht erworbenes Gut nicht vererbt werden kann. Die Schätze des Rechtsbrechers (jzftj) vermögen nicht zu überdauern, seine Kinder finden keinen Vorrat. Wer unrechtmäßig vorgeht, am Ende seines Lebens werden keine Kinder von ihm da sein mit 'Herzensbindung' (tkn-jb). Wer sich zu beherrschen versteht, besitzt Angehörige, aber der Haltlose ( t f f h ì t j "dessen Herz herausgerissen ist") hat keinen Erben.28 Das höchste Glück besteht darin, nicht nur auf Erden ein langes Leben in Gesundheit, Unversehrtheit, Reichtum, Gemeinschaft und Erfolg zu verbringen, sondern nach dem Tod im Grabe fortzudauern. Dieses Glück wird nur dem zuteil, der Angehörige mit "Herzensbindung" besitzt. Solches Glück kann sich nur derjenige erwerben, der sich konnektiv
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verhält, äg. "der Maat entspricht". Von ihm heißt es daher bei Ptahhotep: Es dauert aber der Mann, der der Ma'at entspricht und der fortgeht (stirbt) gemäß seiner Vorgehensweise.29 Er allein ist imstande, der darüber ein Testament erlassen kann, aber der Habgierige hat kein Grab. 30 Der Habgierige hat kein Grab und ist daher trotz möglicherweise noch so vieler aufgehäufter Schätze nicht glücklich zu preisen. Die Instanz, die über Glück oder Unglück entscheidet, ist demzufolge die Maat, d.h. der Inbegriff aller verborgenen Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen der Konnektivität, des menschlichen Zusammenlebens und zugleich des Sinns, des Zusammenhangs von Tun und Ergehen. Diesem Gesamtzusammenhang und Ordnungsgefüge gilt es sich einzupassen. Der Diskonnektive hat kein Grab.
3.2 Gunst Kein Glück ohne den König Im Mittleren Reich entwickelt sich eine Lehre, die an die Stelle der Maat den Willen und die Gunst (äg. Hswt) des Königs setzt. Jetzt kommt es in allererster Linie auf Gehorsam und Loyalität an. Um das in aller Deutlichkeit herauszustellen, entwickelt die weisheitliche Lehrrede eine Stilform, die sich in antithetischen Formulierungen ergeht und das Glück des Loyalen dem Unglück des Rebellen entgegenstellt.
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Bastet ist er, der die beiden Länder schützt, wer ihn anbetet, wird von seinem Arm beschirmt werden. Sachmet ist er gegen den, der seine Weisung übertritt. Wer bei ihm in Ungnade fallt, wird zum Nomaden werden.31 Wer in seiner Gunst steht, wird ein Besitzer von Lebensmitteln sein, wer sich ihm widersetzt, wird ein Habenichts sein.32 Wer dem König treu ist, wird ein Grabherr sein, aber kein Grab gibt es für den, der sich gegen Seine Majestät widersetzt.33 Und in der "Lehre eines Mannes für seinen Sohn" lesen wir: Wer sich ihm nicht widersetzt, wird "landen", wer ihn nicht schmäht, wird in einer Pyramide ruhen.34 Den Loyalen dagegen wird eine glückliche "Landung", eine Fortdauer im Grab und in der "Liebe" ihrer Nachkommen verheißen: Tretet ein in die Erde, die der König gibt, ruht an der Stätte der Unvergänglichkeit, vereint euch der Höhle in Ewigkeit. Die Wohnungen eurer Kinder werden voll der Liebe zu euch sein und eure Erben werden dauern auf euren Plätzen.35 Im Horizont dieser Lehre verfügt der König über die Glücksgüter der Menschen und insbesondere über deren
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höchstes, das "schöne Begräbnis". Damit polarisiert sich zugleich das Problem des Glücks. In Bezug auf den König gibt es kein mehr oder weniger an Einsicht und Gelingen, sondern ein Entweder-Oder. Loyalität - und damit Glück - ist keine Frage der Weisheit und Einsicht, sondern der Entscheidung. Die Rhetorik der Entscheidung findet ihren adäquaten Ausdruck in jenen antithetischen Formulierungsverfahren, von denen die Rede war.
3.3 Segen: Kein Glück ohne Gott Glück als Lohn der Frömmigkeit In der Ramessidenzeit ändert sich der Weg zum Glück, die ars bene vivendi wandelt sich in pietas, die fromme Unterwerfung unter den Willen Gottes. Das Modell für diese Frömmigkeit ist die Loyalität, die die Könige des Mittleren Reichs von ihren Untertanen, und vor ihnen die Gaufursten und Magnaten der Ersten Zwischenzeit von ihren Klienten gefordert hatten. Was sich wandelt, ist also die Vorstellung von der Konnektivität, der sich der Einzelne einzufügen hat um das Glück zu finden. Sie nimmt immer stärker die Züge eines persönlichen Willens an, des Willens Gottes, der Entscheidung und Gehorsam fordert. Ein Opfergebet an Sobek von Schedet, Horns zu Gast in Schedet, den Sohn der Isis, süß an Beliebtheit, Osiris den Herrscher inmitten des Fayum. Ich will Lob spenden deinem schönen Angesicht, und deinen Ka zufriedenstellen Tag fur Tag, denn ich habe mich auf dein Wasser gesetzt und mein Herz mit dir erfüllt.
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Du bist ein Gott, zu dem man rufen kann, freundlichen Herzens gegenüber den Menschen. Wie freut sich, wer dich in sein Herz gesetzt hat! Wehe dem der dich angreift! Weil dein Zorn so gewaltig ist, weil deine Pläne so wirkungsvoll sind, weil deine Gnade so schnell ist. Mögest du geben Leben, Heil und Gesundheit, Rechtfertigung sowie Gunst und Liebe, eine lange Lebenszeit in Gesundheit und Leben, verbunden mit einem guten Alter. Ein schönes Begräbnis im Westen seiner Stadt wie (es entspricht) einem Gelobten seines Herrn für den einzig Tüchtigen, Geliebten seines Herrn, dessen Tüchtigkeit seine Stellung geschaffen hat, den der König von Oberägypten groß gemacht und der König von Unterägypten befördert hat, dessen Beliebtheit der Herr beider Länder geschaffen hat in Entsprechung zu seiner Tüchtigkeit, der kgl. Schreiber, Rekrutenschreiber, Gebildet in der Arbeit des Thot, geduldigen Herzens sein Charakter ist der eines wahren Schweigers, ein Mann, dessen man sich rühmen kann, der Leib ist zufrieden beim Hören seines Ausspruchs (?) Gemacht von dem Kgl. Schreiber und Tempelschreiber im Tempel Thutmosis IV. Ramose, der von neuem lebt, Sohn des Schreibers Hatiai der von neuem lebt, seine Mutter ist die Amunsängerin Mijjt-Ptah, die von neuem lebt.36 Dieser Text macht zweierlei deutlich. Erstens zählt nach wie vor ein "schönes Begräbnis" zu den wichtigsten Glücks-
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gütern, die man sich von einem Gott wünscht. Und zweitens ist der antithetische Stil nun auch in die Gebete eingedrungen. Es handelt sich in der Tat um eine Transformation der loyalistischen Doktrin und eine "Umbuchung", wie ich das nennen möchte37, von der Mensch-König-Beziehung auf die Gott-Mensch-Beziehung. Aus dem loyalen Untertan wird der Fromme, aus der Loyalität wird Frömmigkeit. Diese neuartige Beziehung eines Menschen zu seinem Gott wird mit Wendungen ausgedrückt wie "sich auf Gottes Wasser setzen" und "sich Gott ins Herz setzen". Das sind typische Formulierungen für loyale Ergebenheit. In diesem Rahmen wird auch die Gottesbeziehung zu einer Frage der Entscheidung. Man entscheidet sich für einen persönlichen Gott, so wie man sich im Mittleren Reich für den König entschieden hat und vorher für einen Patron. Denn der Loyalismus des Mittleren Reichs geht auf eine ältere Ideologie zurück, die sich nach dem Zusammenbruch der Ersten Zwischenzeit entwickelt hatte. Damals, als es ein zentrales Königtum nicht mehr gab, von dem alle Direktiven und alle Versorgungsleistungen ausgingen, mußten Einzelne die Dinge in die Hand nehmen. Sie scharten einen Kreis von Anhängern um sich, denen sie als Gegenleistung für ihren Gehorsam Schutz und Versorgung anboten, bis hin zur Jenseitsversorgung. Die Könige des Mittleren Reichs, die selbst aus den Kreisen solcher Patrone hervorgegangen sind, haben sich diese Ideologie zu eigen gemacht und die PatronKlient-Beziehung zum Modell der König-Untertan-Beziehung erhoben. Im Neuen Reich wird sie zum Modell der Gott-Mensch-Beziehung. War Glück im Alten Reich eine Frage der Weisheit und Gerechtigkeit, im Mittleren eine solche der Loyalität und
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der Königsgunst, so wird sie jetzt, in der Ramessidenzeit zu einer Frage der Frömmigkeit und des Segens. In der Tat gilt jetzt der Stadtgott, wie es eine späte Weisheitslehre formuliert, als derjenige, von dem Tod und Leben seiner Bürger abhängen.38
An die Stelle des Königsdienstes und der Königsloyalität treten Gottesdienst und Gottesloyalität. In diesem Zusammenhang stoßen wir nun auch in Bezug auf die Gottheit auf antithetische Formulierungen. Amun wird z.B. in einem der frühesten Texte dieser Tradition genannt: Vater und Mutter für den, der ihn in sein Herz gibt, der sich abkehrt von dem, der an seiner Stadt achtlos vorübergeht Nicht kann in die Irre gehen, den er führt.39 In einem großen theologischen Hymnus der späteren Ramessidenzeit heißt es von Amun: Der den dauern läßt, der seinen Ka anbetet und seine beiden Sonnenscheiben erhöht, der den vernichtet, der an ihm vorübergeht und seine Macht verkennt.40 Der Lohn der Frömmigkeit ist wiederum in erster Linie ein schönes Begräbnis, das nun ganz in die Hand Gottes gelegt wird.41 In einem ramessidischen Hymnus heißt es von Amun-Re:
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Jan Assmann Sein Lohn ist ein schönes Begräbnis für ein Herz, das mit der Maat zufrieden ist. 42
Jetzt sagt man mit Bezug auf den Gott: Wer ihm folgt, wird ein Grabherr sein. der Tod erreicht ihn nicht. Es stirbt lebenssatt und erreicht das Begräbnis, wer auf seinem Wasser wandelt. Man erkennt den Gelobten an seinem großen Namen, sein Lohn ist der eines untadeligen V e r k l ä r t e n " 4 3 Wie konkret diese Umbuchung von der menschlichen in die göttliche Sphäre zu verstehen ist, lehrt der Fall des Z3mwtKiki, der sein gesamtes Vermögen der Göttin Mut Übermacht und sie damit zum Schutzpatron zu Lebzeiten und besonders für Bestattung und Totenkult eingesetzt hat. 44 Kiki berichtet darüber in seinem Grab, das er sich in ThebenWest angelegt hat: Es war einmal ein Mann aus den südlichen Heliopolis, ein wahrer Schreiber in Theben; Zimut war sein Name von seiner Mutter her, genannt Kiki, gerechtfertigt. Den hatte aber sein Gott unterwiesen und ihn verständig gemacht in seiner Lehre, er hat ihn auf den Weg des Lebens gesetzt um seine Glieder zu bewahren. Der Gott hatte ihn schon als Kind erkannt. Nahrung und Kostbarkeiten wurden ihm zugewiesen. Da bedachte er nun bei sich, daß er sich einen Patron fände;
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und er fand Mut an der Spitze der Götter, Schicksal und Gelingen in ihrer Hand, Lebenszeit und Lufthauch stehen ihr zu Gebote. Alles, was sich ereignet, geschieht auf ihren Befehl. Er sagte: ich will ihr mein Vermögen und alle meine Einkünfte geben, denn ich erkenne ihre Macht mit meinen Augen, ihre einzigartige Wirksamkeit, daß sie mir die Angst verschwinden und böse Augenblicke ausbleiben lassen wird. Sie ist gekommen, Nordwind ihr voraus, da ich sie rief bei ihrem Namen. Ich bin ein Schwacher ihres Ortes, ein Armer und ein Pilger ihrer Stadt; daß ich über mein Vermögen verfüge, ist, damit sie reich wird und ich dafür den Lebensodem eintausche. Kein Einziger meines Hauses soll daran Anteil haben, sondern ihrem Ka soll es in Frieden gehören. (...) Ich habe mir keinen Schützer unter den Menschen genommen, Ich habe mir keinen [Patron] unter den Großen (gesucht). Kein Sohn von mir ist es, den ich gefunden habe, um [mir] das Begräbnis zu [veranstalten]. Das Begräbnis liegt in deiner Hand allein. Du bist auch die Geburtsgöttin, die für mich sorgt mit einer untadeligen Mumie, wenn es ans Sterben geht. (...) Ich freue mich über deine Stärke, weil du soviel größer bist als jeder andere Gott. Mein Herz ist erfüllt mit meiner Herrin
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Jan Assmann und ich fürchte mich vor keinem Menschen. Ich verbringe die Nacht ruhig schlafend, denn ich habe einen Schützer. Wer sich Mut zum Schützer macht, den kann kein Gott angreifen; der steht in der Gunst des Königs seiner Zeit, bis er die Jenseitsversorgtheit erlangt. Wer sich Mut zum Schützer macht, den befallt kein Übel; der ist alle Tage wohlbehütet, bis er sich der Nekropole vereint. Wer sich Mut zum Schützer macht, wie schön ist seine Lebenszeit! Die Gunst des Königs durchdringt seine Glieder dem, der sie in sein Herz gegeben hat. Wer sich Mut zum Schützer macht, der kommt schon als Gelobter aus dem Mutterleib; dem ist Gutes bestimmt auf dem Geburtsziegel, der wird ein Grabherr sein. Wer sich Mut zum Schützer macht, wohl dem, der sich nach ihr sehnt! Kein Gott wird ihn niederwerfen als einen, der den Tod nicht kennt. 45
Was sich ändert, ist die Struktur der Konnektivität. Die Konnektivität hat sich zum Willen Gottes verdichtet. Seinem Willen entströmt die Zeit, die alles verbindet, in der sich die Taten abspielen und in der sie zum Täter zurückkehren. Damit erscheint das Glück, das dem Frommen zuteil wird, als Segensgabe, äg. hswt und der Glückliche wird zum Gesegneten, Ησρρ, ein Begriff, der noch im Koptischen hasie mit der Bedeutung "Glückseliger", beatus, weiterlebt.
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In dem Maße, wie die Konnektivität sich zu einem personalen Willen verdichtet, wandelt sich die Einsicht in die Zusammenhänge bzw. die "konnektive Intelligenz" zur Frömmigkeit im Sinne von Gehorsam und Unterwerfung unter den Willen Gottes. Der ägyptische Ausdruck für diese gehorsame Unterwerfung gegenüber Gottes Willen ist die Wendung "sich Gott ins Herz setzen". Mit solcher "Gottesbeherzigung" ist die Einstimmung in bzw. die Unterwerfung unter Gottes Willen gemeint. Damit wandelt sich der Weg zum Glück, aber nicht die Glücksvorstellungen selbst. Ein Text aus dem Grab des Petosiris aus dem späten 4Jh.v.Chr. faßt die ägyptischen Glücksvorstellungen nochmals unter dem Zeichen der Frömmigkeit und des Segens zusammen: "Glücklich, wer auf dem Wege Gottes wandelt! Großes (Glück) wird dem zuteil (wr.w Xpr.w m dj sw m jb-f), der ihn in sein Herz setzt. Sein Denkmal ist das auf Erden, sich seinen Weg ins Herz zu setzen. Wer auf dem Weg Gottes 'entsteht', der (verbringt?) seine Lebenszeit in Herzessüße, reicher als seinesgleichen. Der wird alt in seiner Stadt, indem er ein Grabherr ist in seinem Gau. Alle seine Glieder verjüngen sich zu einem Kinde, während seine Kinder zahlreich sind vor ihm als Notable ihrer Stadt, indem Sohn auf Sohn folgt. Sein Anblick erscheint wie die Sonne, wenn sie sich zeigt. Die Ehrfurcht vor ihm ist in den Herzen der Männer,
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Jan Assmann die Liebe zu ihm in den Herzen der Frauen. Er erreicht den Heiligen Bezirk in Herzenssüße in der guten Behandlung (Einbalsamierung) von der Arbeit des Anubis. Die Kinder seiner Kinder sind an seinem Platz, und die Bewohner seiner Stadt sagen über ihn, wenn er zu Grabe getragen wird: Das ist ein Gefolgsmann des Chontamenti; kein Vorwurf eines Gottes ist an ihm." Du wandeltest auf dem Wege deines Herrn, Thot; er gab daß dies dir zuteil wurde auf Erden. Er wird dir Gleiches geben nach dem Tode."
In Zeugnissen der Spätzeit46 und der griechisch-römischen Zeit 47 wird eine Lehre greifbar, die vier Personifikationen der höchsten Glücksgüter kennt. Sie treten als Hypostasen des Schöpfergottes Ptah bzw. Ptah-Tatenen auf, gehören also zur Theologie von Memphis. Es sind Schu (Luft), Nedjem-Anch ("Lebens-Süße"), Ih-remjjt ("Der die Tränen abwischt") und Hetep-iad (Der mit friedlichem Tau"?). Ihre Gaben sind: langes Leben, Nahrungsfulle (Reichtum), gute Nachkommenschaft und gutes Begräbnis. Ich war ein Trefflicher seines Vaters, der die Rechnung seines Gottes nicht verließ der überall das Gute tat. Dafür wurde ich belohnt mit dem Ka der Lebenszeit und des Endes Denn du bist ja Schu, der Herr des Lebens. Weil ich keine Unreinheit beging in der Nähe Ich war einer mit offenem Sinn (?), der ... was in seinem
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Herzen umging (?) indem er den Spruch der "Machterweise des Gottes" genau kannte. Dafür wurde ich belohnt mit dem Ka der in Herzensweite dauernden Dinge. Denn du bist ja der Gott "Süß an Leben". Weil ich mich in keinem Moment vom Tempel entfernte. Ich war ein Starker für den Schwachen, der die Hand ausstreckte, freundlich gegenüber dem Toren. Dafür wurde ich belohnt mit dem Ka der Angehörigen, Sohn und Tochter, nichts Böses war an ihnen; weil ich keinen bösen Gedanken gab in das Herz der Lebenden und nicht... Ich war einer, der den Toten opferte zu ihren Zeiten, ich wußte genau jede Festtrauer. Dafür wurde ich belohnt mit dem Ka des guten Begräbnisses nach dem Alter, indem meine Nachkommenschaft deinem Tempel verbunden ist Denn ich habe mir keinen Fehler zuschulden kommen lassen in meiner ganzen Lebenszeit.48 Es sind genau die Gaben, die auch in den Texten der persönlichen Frömmigkeit bis hin zu Petosiris sich als höchste Glücksgüter herauskristallisiert haben. Es fällt auf, daß sie zwar über die Lebenszeit hinausgreifen, aber nicht über das Diesseits, das "auf Erden". Grab und Nachkommenschaft sind dieseitige Aspekte einer Fortdauer nach dem Tode. Von der traditionellen, geradezu klassischen Dreizahl der höchsten Wünsche, nämlich "Macht in der Erde, Verklärtheit am
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Himmel und Rechtfertigung im Totenreich" ist eigentlich nichts übrig geblieben. Das Glück findet auf der Erde statt, nicht in der Erde, nicht im Himmel, nicht im Totenreich. Mit der Lehre von den vier Glücksgütern hat sich der Glücksbegriff der persönlichen Frömmigkeit durchgesetzt. Er bedeutet eine Verdiesseitigung des Glücks im Kontext einer Verdiesseitigung der Gott-Mensch-Beziehung. Weil der Mensch sich Gott in seinem diesseitigen Leben nahe und verantwortlich weiß, kann er auch den göttlichen Segen in diesem Leben erwarten. Je eindeutiger er die Gottheit zuständig weiß für die Widerfahrnisse des Lebens, desto intensiver erfleht er den Segen für dieses und nicht für das andere Leben.
Anmerkungen 1 2 3 4
HWbPh 3, 1974,679-91. RAC 11,1981,246-70. W. Bauer, China und die Hoffnung auf Glück, München 1980. Das Gilgamesch-Epos, übers.v.A.Schott, Stuttgart 41970, S.75. Vgl. "Gilgamesh's Request and Siduri's Denial. Part II: An Analysis and Interpretation of an Old Babylonian Fragment about Mourning and Celebration", in: Comparative Studies in Honor of Yochanan Muffs (JANES 22, 1993), 3-17, S.3-4. 5 Pap. Berlin 3024, 55-68, vgl. W.Barta, Das Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba (Papyrus Berlin 3024), Berlin 1969. 6 Die grundlegende Untersuchung zur Gattung der ägyptischen Harfherlieder stammt von Miriam Lichtheim: "The Songs of the Harpers", in Journal of Near Eastern Studies 4, 1945, S. 178-212, mit Ergänzungen durch E.F.Wente, "The Egyptian Make-merry-songsReconsidered", in JNES 21, 1962, S.l 18-127; vgl. dazu Verf. ,in Fragen an die ägyptische Literatur (Gs.Otto, Wiesbaden 1977), S.55ff.; Ders., in Lexikon der Ägyptologie II Wiesbaden 1977, S.972982; Ders., in Journal of Egyptian Archaeology 65, 1979, S.54-77;
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M.V.Fox, "A Study of Antef', in Orientalia 46 , 1977, 393-423! Ders., "The 'Entertainment Song' genre in Egyptian Literature", in Scripta Hierosolymitana 28, 1982, S.268-316; J. Osing, "Les chants du harpiste au Nouvel Empire", in: ders., Aspects de la culture pharaonique (Mém. de l'Académie des inscriptions et Belles-Lettres N.s. XII), Paris 1992, 11-24. Spätere Lieder wie Paser, Z.6-7; Neferhotep 1, Z.5-6; Theben, Grab Nr. 359, 3-4 haben anstelle von "bleiben" "kommen", was zweifellos besser ist; vgl. auch Urk IV 2114. Pap. Harris 500 (19.Dyn.), sowie Grab des Paitenemheb (Zeit des Haremhab?); vgl. Verf., Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im Alten Ägypten, 215f.; Osing, Chants du Harpiste, 1 If. Den gereimten Schluß, zugleich eine wörtliche Übersetzung, übernehme ich von der poetisch anspruchsvollen Übertragung dieses Harfnerlieds von R.Jacobi, bei E.Brunner-Traut, "Altägyptische Literatur", in W.Röllig (Hrsg.), Altorientalische Literaturen (Neues Hb. der Lit.wiss. Bd.l, Wiesbaden 1978, 92f. Ptahhotep 186-193, pPrisse 7.9-10. F.Vogelsang, Die Klagen des Bauern (Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Ägyptens VI, Leipzig 1913), S. 225: pBerlin 3o25 (B2), 11 Of. K.Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien der 22. und 23.Dyn. (Ägypten und Altes Testament 8, Wiesbaden 1985), S.122. Wörtlich: des Herzen-Fischens. Der Ausdruck ist sonst nicht bekannt. (es folgen viele weitere Strophen bitterster Klage über das Schicksal der Toten), vgl. Schott, Altägyptische Liebeslieder, 1952, 144f. Nr. 114. Qoh 9.8-10, vgl. zu der Gegenüberstellung dieser Passage mit ägyptischen Harfnerliedern meinen Beitrag "Fest des Augenblicks..." in Gs.Otto, bes. die Tabelle auf S.72. Ich beschränke das Zitat auf die einschlägigen Passagen und lasse die eindeutig israelitischen Akkomodationen des Topos weg. Auf die altorientalischen Parallelen hat insbesondere B. Lang hingewiesen in Ist der Mensch hilflos? Zum Buch Kohelet, Theologische Meditationen 53, 1979,18-24. Zu Begriff und Geschichte der Weisheit vgl. allgemein Aleida Assmann, (Hrsg.), Weisheit. Archäologie der literarischen Kommunikation III, München 1991. Zur ägyptischen Weisheit als "Begrenzungswissen" vgl. meinen Beitrag "Weisheit, Schrift und Literatur im alten Ägypten", ibd., 475-500, insbes. 494-98. S. dazu D. Devauchelle, "La voi de vie dans l'Egypte ancienne", in: Sagesses de l'Orient ancien et chrétien. La voie de vie et la conduite
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Jan Assmann spirituelle chez les peuples et dans les littératures de l'orient chrétien, Paris 1993,91-122. 17 Pap. Anastasi I s. H.W.Fischer-Elfert, Die literarische Streitschrift des Papyrus Anastasi I, 1: Textzusammenstellung. Wiesbaden 1983 (Kleine Ägyptische Texte); Teil 2: Übersetzung und Kommentar, Ägyptol. Abh. 44, Wiesbaden 1986. 18 Qoh 4:8-12, vgl. N. Lohfink, Kohelet (Die Neue Echter-Bibel, Lfg.l), Würzburg 41993, 37f. 19 Metternichstele M 50, C.E.Sander-Hansen, Die Texte der Metternichstele, Analecta Aegyptiaca VII, Kopenhagen 1956, 35f., 41; A.Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden N.R. XXXIII, Leiden 1952, 10, 52; H. Sternberg, "Die Metternichstele", in: O.Kaiser (Hrsg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) Bd.II.3, Rituale und Beschwörungen II, Gütersloh 1988, 376. 20 Urk VI, 7.15-16 21 P.Chester Beatty III rto., 11,2-3. 22 Enseignement Loyaliste 10,4-5 ed. Posener (1976), 38f. 23 Für die Wendung "Gesetze der Maat" (ηπω νω Μ"οτ) cf. A.B. Lloyd, Historia 31, 43. 24 Ich lese mit Fecht w3h spd.t. 25 S. hierzu W. Westendorf, "Eine auf die Ma'at anspielende Form"; der Gedanke ist wohl, daß in der Zeit des Osiris die Ma'at tatsächlich gestört wurde (durch die Ermordung des Gottes von der Hand seines Bruders Seth); vgl. dazu CT VI 278d, wo es von den Feinden des Osiris heißt: "Sie haben gesagt, daß sie die Ma'at stören werden." 26 Ich lese mit Fecht (Anm.4):... hpw.s w3tpw. 27 Ptahhotep Dév.84-98; Z.Zaba, Les maximes de Ptahhotep, 24; G. Fecht, Der Habgierige und die Ma'at. Fecht hält den letzten Vers fur deplaziert (aus der 6. Max.). 28 Enseignement Loyaliste ed. G. Posener, §12. Der Abschnitt beginnt mit einer Warnung vor übermäßiger Besteuerung: Setze die Abgaben fest in Entsprechung zur oberägyptischen Gerste, denn das hält Gott für [Ma'at], 29 r nmtt.f vgl. Haremhab-Dekret ed. Helck, ZAS 80, 1955, 127 ("gemäß seiner Bestimmung"). 30 Z. Zaba, Les maximes de Ptahhotep, 39f., 85f., 141f.; Fecht, a.a.O., 34-47; Seibert, Die Charakteristik, 72-77. 31 §5.11-14.
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32 § 3.9-10, Papyrusfassung. 33 G. Posener, Enseignement Loyaliste, §6, 3-4. Vgl. auch pTurin, Pleyte u.Rossi 89.8-9 ed. V. Condon, MAS 37, 21 bzw. KRI VI, 394.10-11: "Sie (die Bösen) werden herausgerissen aus ihren Gräbern und verstreut in alle Winde." In diesen Zusammenhang gehören die "Bestrafung des Namens" (damnatio memoriae) s. Nauri-Dekret Sethos'L, Zeile 113f. (KRII, 58: r sswn rn.f, r shtm b3.f r tm djt htp hit.f m hrt ntr "um seinen Namen zu bestrafen, um seinen Ba zu vernichten, um zu verhindern, daß sein Leichnam in seinem Grabe ruht") bzw. die "Auslöschung des Namens im ganzen Lande" (Henut-tawi Dekret Zeile 20 s. Gardiner, JEA 48, 1962, 61). 34 VIII 5 ed. Helck, Die Lehre des Djedeftior und die Lehre eines Vaters an seinen Sohn, KÄT, Wiesbaden 1984. 35 Enseignement Loyaliste ed.Posener, § 7. 36 Würfelhocker des Ramose, Kunsthandel, nach F.R.Herbin, Histoire du Fayum de la xviii.e à la xxx.e dynastie (thèse du III.e cycle, Sorbonne Paris 1980), 187 doc. 189. Ich verdanke die Kenntnis dieses Textes Pascal Vernus. 37 Vgl. zu diesem Begriff meine Schrift Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, Schriften der C.F.v.Siemens-Stiftung, Reihe THEMEN Bd. 52, München 1992. 38 plnsinger 28,4; M.Lichtheim, AELIII (1980), 207; dies., Egyptian Wisdom Literature in the International Context. A Study of Demotic Instructions (OBO 52, 1983), 162f. 39 ÄHG 75.23-24 = STG Nr.165, TT 164. 40 pBerlin 3049 ÄHG Nr.l27B, 49-50. 41 Vgl. hierzu auch die dem. Weisheitslehre des Pap. Insinger 2.10-11 : Das Begräbnis ist es, das in der Hand Gottes liegt; der Weise ist es, der dafür Sorge trägt. Die Gnade Gottes für den Menschen ist sein Begräbnis und seine Stätte der Ruhe. (übers. H.J.Thissen, Die Lehre des P. Insinger, in: O.Kaiser, TUAT III.2, Weisheitstexte II, Gütersloh 1991, 282.) 42 ρω των.φ μ θρστ νφρτ ν ρβ Ητπ Hp μ"οτ pCh.Beatty IV rto 8,6-7. Vgl. ibd., 7,4: μτν.κ μ θρστ νφρτ ν Ησρρ ρδ^ω Ησ ν.κ πρρ.φ τπ τ" μ β" νφρ ρ νβ νΤρω "dein Lohn ist ein schönes Begräbnis für den Sänger, der dich preist, auf daß er heraustrete ins Diesseits als vollendeter Ba, um den Herrn der Götter zu preisen". 43 CGC 42 231. Κ. Jansen Winkeln, Ägyptische Biographien der 22. und 23.Dynastie Bd.I S.194ff., Bd. II S. 543. 44 S. hierzu Vernus, in: RdE 30, 1978, 115-146.
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Jan Assmann 45 ÄHG Nr. 173. TUAT 46 Statue des Hor-Nefer in Lausanne: H.Wild, "Statue de Hor-Nefer au Musée des Beaux-Arts de Lausanne", in: ΒIF AO 54, 1954, 173-222, bes. 201-6. 47 S.Sauneron, "La conception égyptienne du bonheur à propos des »quatre Ka«, in: BIFAO 57, 1958, 163f. Allgemein: D.Meeks, "Les »quatre Ka« du démiruge memphite, in RdE 15, 1963, 35 - 47. 48 Stele aus Achmim in Berlin ed. Scharff ZÄS 62
Diskussion Die zahlreichen Diskussionsbeiträge kreisten fast ausnahmslos um zwei Schwerpunkte des Referates. Zum einen knüpften sie an den Gedanken, daß Glück für den Ägypter eine Frage gelungener Beziehungen und des Angenommenseins durch andere sei, an. Der Referent hatte dargelegt, daß die Beziehungen geschichtlich unterschiedliche Ausprägungen angenommen hätten und von der Welt des Mitmenschen über das Königtum zur Götterwelt verlaufen seien. In Erinnerung an einen Vortrag des Referenten im Rahmen einer vor etwa zwei Jahren von der Siemens-Stiftung durchgeführten Veranstaltung warf ein Teilnehmer die Frage auf, inwieweit die nunmehrige Darlegung dieses Umbuchungsprozesses noch mit der damaligen Sichtweise, derzufolge in diesem Vorgang deutliche Unterschiede zwischen Israel und Ägypten auszumachen seien, übereinstimme. Unmittelbar daran schloß sich die weitergehende Frage an, ob angesichts der transzendenter werdenden Glücksfalle die Achsenzeit-Schematik sich noch anwenden ließe. Der Referent räumte ein, daß die jetzige Fassung der Umbuchung sich vordergründig mit seinem früheren Referat
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zu widersprechen scheine. Bei genauerer Analyse lasse sich aber der vermeintliche Widerspruch auflösen. Zwar läge ein gemeinsamer Nenner - die Theologisierung einer eigentlich intern sozialen Beziehung - vor, doch bestünden zwischen Ägypten und Israel unterschiedliche Ausgestaltungen des Beziehungsgeflechtes. Während in Ägypten die König-Untertan-Beziehung zum Modell der Gottesbeziehung werde, sei in Israel das Souverän-Vasallenstaat-Verhältnis der Ausgangspunkt. Nicht der einzelne entscheide sich hier für seinen Gott, sondern ein kleiner Staat schließe einen Vertrag und unterwerfe sich dem Oberherr. Dies führe in Israel zu einem stabileren Muster. Während in Israel die Umbuchung gleichsam in "Reinkultur" vorzufinden sei, befinde sie sich in Ägypten eher in Vorbereitung. Wenn man die skizzierten Prozesse näher betrachte, werde auch erkennbar, daß eine Fülle quasi-achsenzeitlicher Vorgänge sich aufzeigen ließen. Der Durchbruch zu Transzendenz und Innerlichkeit sei ein langer Prozeß. Hier setzte er sich von einer allzu engen Deutung im Sinne Jaspers ab. Eine weitere Frage gab sodann Gelegenheit, den auffallenden und vorgängig bereits kurz angerissenen Trend zum Glück des Individuums eingehender zu beleuchten. Ergänzend erläuterte der Referent, daß im Gegensatz zu den Israeliten der Ägypter über kein Wort für Volk, schon gar nicht über Begriffe für Gemeinschaft und Gesellschaft verfüge. Der Ägypter habe sich auch nie als Ägypter gefühlt, sondern stets als ein Zugehöriger zu einer Stadt. Die Stadt sei der Focus kollektiver Identität. Der auffallige, oben im anderen Zusammenhang bereits angesprochene zunehmende Transzendenzbezug in den Beziehungen führte schließlich auf Wunsch einer Teilnehmerin zur Thematisierung der Rolle des Priesters. Der
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Referent zeichnete die Entwicklung des Priestertums unter dem Vorzeichen einer fortschreitenden Professionalisierung nach. Träger der Frömmigkeit seien ursprünglich mittlere Verwaltungsbeamte im Umkreis der Tempel gewesen. Erst die späteren ägyptischen Texte legten Zeugnis vom Berufspriestertum ab, das ausgehend von der Wohnsituation im Tempel zunehmend einen insulareren Charakter angenommen hätte. Anfang des letzten Jahrtausends schlage es "protoklösterliche" Wege ein. Mit der Professionalisierung gehe die Amtserblichkeit einher. Herodot beschreibe das Priesterwesen als Kastenwesen. Zum anderen konzentrierte sich das Interesse und Augenmerk der an der Aussprache beteiligten Tagungsteilnehmer auf die ägyptischen Glücksgüter ("Langes Leben", "Reichtum", "Gute Nachkommenschaft", "Gutes Begräbnis"). In Weiterung dieses Ansatzes wurden die Fragen aufgeworfen, ob der Ägypter ein "Glück im Jenseits", das "Glück der Wunschlosigkeit" sowie "göttliches Glück" reflektiere. Bezüglich des jenseitigen Glücks knüpfte der Referent an bildlichen Darstellungen an, die zeigen würden, wie der Grabherr sich nach dem Tode vergnüge. In Anlehnung an Vehlens "Theorie der feinen Leute" deutete der Referent es als eine Form der Mußekultur. Das "Glück im Jenseits" erfülle sich eben in der Fähigkeit zur Mußekultur, die in Festgewändern und Festtrachten sinnenfällig ihren Ausdruck finde. Auf das "Glück der Wunschlosigkeit" konnte der Referent alsdann nicht so dezidiert eingehen, da es in etwa 5000 Texten nur einmal erwähnt werde. Einstweilen fehle die Möglichkeit abzuschätzen, wohin dieser Text gehöre. Textkritische Fragestellungen, wie: Handle es sich um eine besondere Gruppe, die solche Anschauungen entwickelte
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oder um ein Gegenmodell oder sei der Gedanke nur in einer bestimmten Phase zu lokalisieren und danach wieder verlorengegangen - seien noch nicht in der Forschung geklärt und weiterzuverfolgen. Das "göttliche Glück" entfaltete der Referent letztlich am Gegenbild der griechischen Götter. Während von den griechischen Göttern vielfach Affaren überliefert würden, seien die ägyptischen Götter voll damit ausgelastet, die Welt in Gang zu halten. Das Glück der Götter bestehe darin, daß ihnen dieses Werk gelingen würde. Beredtes Zeugnis von den damit einhergehenden Empfindungen legten die Hymnen ab, so werde in ihnen vielfach von der Herzensweite der Götter gesprochen. Einige Teilnehmer erinnerten in puncto "Glücksgüter" an vergleichbare Einsichten in ganz anderen kulturellen Kontexten. So zog ein Diskutant die Linie zur Nikomachischen Ethik, ein anderer Diskussionsteilnehmer zeigte die gedankliche Nähe zwischen Philon von Alexandrien und der griechischen Stoa auf. Ungeachtet der Möglichkeit, daß Kontakte über griechische Ägyptenreisende gut möglich gewesen seien, wies der Referent grundsätzlich auf die interkulturelle Tradition der Weisheitstexte hin. Israeliter, Ägypter, Babylonier seien seit Jahrhunderten sich sehr nahe gewesen. Man könne nach heutigem Wissen davon ausgehen, daß sich in diesem Raum eine Grundanschauung durchgesetzt habe. Die auf diesem Hintergrund einsetzende Theoretisierung müsse als Produkt späterer Entwicklungsphasen angesehen werden. Klaus Barheier
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Religion und menschliche Glückserfahrung : Zur alttestamentlichen Theorie des Glücks Mit Recht wird dem Alten Testament eine gewisse "Diesseitigkeit" und "Weltlichkeit" nachgesagt, die sich mit einer optimistischen Weltsicht verbindet: das Glück des Menschen ist allein im irdischen Leben erfahrbar; alles, was nach dem Leben noch kommen mag, wird zumeist nicht als sehr erstrebenswert geschildert. Wenn es auch Fromme gegeben haben mag, die sich eine lebenswerte Existenz im Jenseits erhofften, so stehen diese eher am Rande der Überlieferung. Die dem Menschen zugänglichen Glücksgüter sind rasch aufgezählt: Besitz an Land und Herden, an Sklaven und Kindern; Ansehen in der Gesellschaft; Gesundheit. Der biblische Mensch führt diese, sein Lebensglück ausmachende Güter auf Gott zurück: ihm sind sie zu verdanken; er schenkt sie; ohne seinen Willen und ohne seinen Segen gehen sie dem Menschen verlustig. Hiob (Ijob) hat dies alles einmal verloren und dann, nach einer langen, klagenden Auseinandersetzung mit Freunden, aber auch mit Gott selbst, alles wiederbekommen. Am Schluß des Buches Hiob wird sein wiederhergestelltes Glück wie folgt beschrieben: "Jahwe aber segnete die spätere Lebenszeit Ijobs mehr als seine frühere. Er besaß vierzehntausend Schafe, sechstausend Kamele, tausend Joch
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Rinder und tausend Esel. Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter.... Ijob lebte danach noch hundertvierzig Jahre; er sah seine Kinder und Kindeskinder, vier Geschlechter. Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen." (Ijob 42,12-13.16-17) Diesem Text lassen sich vier grundlegende Einsichten in die hebräische Auffassung des Glücks entnehmen. Die erste wurde schon genannt: das Glück ist eine diesseitige Angelegenheit. Zweitens: Glück läßt sich in Zahlen erfassen -14.000 Schafe, 1000 Esel, 7 Söhne, usw. Drittens: ein besonderes Wort für Hiobs Zustand, ein Ausdruck, der etwa dem deutschen "Glück" oder der griechischen eudaimonia entspräche, fallt in diesem Zusammenhang nicht. Solche Ausdrücke fehlen der Sprache des Alten Testaments zwar keineswegs - das alte Geseniussche Lexikon zählt dreizehn Wörter auf -, aber es geht auch ohne Einsatz des Glücks Vokabulars. Unsere vierte und letzte Einsicht ist die Wichtigste: das Glück hängt von Gott ab. Er "segnet" Hiob mit Glücksgütern. Auf die zuletzt genannte Beobachtung kommt es uns hier vor allem an: Wenn der hebräische Mensch von menschlichem Glück redet, dann redet er stets von Gott als dessen Geber. Wie aber ist das zu verstehen? Adolf Guttmacher und Leo Gorssen gehören zu den wenigen Autoren, die den Zusammenhang zu erfassen und zu präzisieren gesucht haben. In Guttmachers 1904 erschienenem Lexikonartikel heißt es: "Überall im Alten Testament wird die frohe und harmonische Seite des Lebens betont. Leben ist gleichbedeutend mit Glück und Segen. Zweifellos muß man den starken Akzent, der auf dem Glück liegt, als Ergebnis des Glaubens an Gott als Schöpfer aller Dinge verstehen. Von Gott hängt alles ab und alles Vertrauen wird auf ihn gesetzt. Glück wird in der persönlichen Beziehung zwischen dem
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Menschen und seinem Schöpfer erlebt - und je enger die Beziehung, um so größer das Glück."2 Man hat fast den Eindruck, als sei die Gottesbeziehung wichtiger als äußere Glücksgüter (und auf dieses Thema ist zurückzukommen). Eine etwas genauere Auskunft bekommen wir von Leo Gorssen, der sein Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen äußeren Glücksgütern und religiöser Erfahrung richtet. "Die antike Religiosität [Israels]... reduziert niemals das menschliche Glücksstreben auf irdische Befriedigungen als solche. Sie fuhrt diese vielmehr auf die Gemeinschaft mit Jahwe zurück, die sich in den Gütern der menschlichen Gemeinschaft ausdrückt und dort erlebt wird. Es ist also niemals das irdische Glück an sich, das befriedigt, sondern die Begegnung mit Jahwe, der seine Liebe und Treue im irdischen Glück manifestiert. Die liebende Anwesenheit Jahwes im Glück befreit dieses von seiner radikalen Begrenztheit und verleiht ihm ein Moment der Transzendenz, wodurch die Struktur des Glücks vollständig verwandelt wird."3 Was könnte Gorssen gemeint haben, wenn er sagt, die Struktur des Glücks werde durch die Nähe Jahwes "vollständig verwandelt" (qui change totalement la structure de ce bonheur)? Wenn wir zwischen den Glücksgütern und der Theorie des Glücks unterscheiden, dann wird deutlich, was Gorssen auszudrücken versucht: sobald mit der Erfahrung von Gottesnähe eine bestimmte Glückstheorie ins Spiel kommt, erscheinen die Glücksgüter in einem anderen Licht. Wir könnten auch sagen: erst die Entdeckung der Gottesnähe als Voraussetzung und Hintergrund von Zufriedenheit verwandelt letztere in Glück. Es kommt zu einer Umstrukturierung der Erfahrung. Der schwedische Religionspsychologe Hjalmar Sundén kann uns helfen, die Tatsache der von Gorssen ange-
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sprochenen "Umstrukturierung" genauer zu erfassen.4 Sundén versucht den Nachweis, daß es zu allen Zeiten eine zweifache Möglichkeit der Welterfahrung gibt: eine alltägliche und eine "festliche", religiöse. Die alltägliche Welterfahrung hat pragmatischen Charakter; sie ist vom menschlichen Handeln bestimmt. Die religiöse Welterfahrung dagegen versteht alles, was geschieht, als von geheimen, im Hintergrund agierenden transzendenten Mächten oder Göttern veranstaltet. Dabei greifen die Menschen einmal zur einen und einmal zur anderen Deutung, ohne daß ein Widerspruch zwischen ihnen empfunden wird.5 So erscheint ein in einer Stadt ausbrechendes Feuer einmal als von "natürlicher" Ursache (z.B. kindliches Spiel oder fehlende Vorsicht) herrührend und ein anderes Mal als Strafe fur sündhaftes Verhalten. Den Wechsel von der einen zur anderen Auffassung bezeichnet Sundén als "Phasenwechsel". Wenden wir Sundéns Einsicht auf die Glückserfahrung an, so können wir sagen: alltäglich erfahren, erscheinen dem Hebräer etwa Reichtum und Gesundheit als selbstverständliche Folge von Tun und Lassen; religiös erfahren, erscheinen sie ihm als Gottesgeschenk. Wir spüren deutlich, daß in dem Augenblick, wo die "festliche" Auffassung in den Vordergrund tritt, sich die Welterfahrung umstrukturiert. Mit der Religion kommt eine andere Wirklichkeitsauffassung ins Spiel: eine andere Emotionalität, eine andere Theorie der Wirklichkeit, ein anderes Erleben und ein neues Denken, das stärker als die pragmatische Weltsicht von kulturellen Prägungen bestimmt ist. In diesem Sinne soll es uns hier nicht um die Glücksgüter und deren alltägliche Erfahrung, sondern um die kultur- und mentalitätsspezifische Theorie des Glücks gehen, wie wir sie im Alten Testament finden.
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In seiner Theologie des Alten Testaments schrieb Ludwig Köhler: "Vom Gefühlsleben ist wenig zu sagen, weil es sich in den [bei] allen Menschen üblichen Bahnen hält."6 Von Bahnen zu sprechen, die bei allen Menschen üblich und also universal sein sollen, ist allerdings nicht ganz einsichtig. Denn kommt es nicht gerade immer wieder auf feine Unterschiede an, die kulturspezifisch sind? In Amerika hat die "culture and personality"-Schule auf die Prägung der Person und ihrer Erlebenswelt durch das "Ethos" einer Kultur hingewiesen.7 Mit diesem Ansatz trifft sich die mentalitätsgeschichtliche Forschung. Diese zeigt, daß auch elementar und allgemein menschlich scheinende Gefühlsregungen wie Kinderliebe, Trauer um einen Toten, Liebe und Angst eine gewöhnlich unterschätzte kultur- und milieuspezifische Ausprägung aufweisen. Das gilt auch für das Glück, und vielleicht sogar noch in höherem Maße als für andere Begriffe. Denn Glück ist, zumindest in der abendländischen, unter dem Bann griechischer Philosophie stehenden Kultur, ein hochreflektierter Begriff. Als solcher ist er mit einer mehr oder weniger ausgearbeiteten Theorie des Glücks verbunden. Wenn wir daher nach der kulturspezifischen hebräischen Auffassung vom Glück suchen, dann ist diese am ehesten in jenen biblischen Quellen zu suchen, die sich ausdrücklich über die Erfahrung der Gottesnähe äußern. Die erste Frage, die sich hier stellt, ist demnach die nach dem alttestamentlichen Gott. Der Gott des Alten Testaments hat einen Eigennamen: Jahwe, den die gängigen Bibelübersetzungen vermeiden und auf ein traditionelles Ersatzwort zurückgreifen: "der Herr". Der Eigenname Jahwe erinnert uns daran, daß Israel aus einer polytheistischen Welt kommt, in der ein Gott einen Namen besitzen muß, um von
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anderen Göttern unterschieden zu werden. Die religionsgeschichtliche Forschung neigt heute zur Annahme, daß sich die Alleinverehrung eines einzigen Gottes erst im Laufe der israelitisch-judäischen Königszeit herausgebildet hat, also dem achten bis sechsten Jahrhundert v.Chr. zugehört und nicht etwa in eine ältere Zeit der staatlichen Anfange zurückgeht. Stimmt diese Annahme, dann ist zu erwarten, daß sich in den Zeugnissen der Frömmigkeit noch etwas vom alten hebräischen Polytheismus spiegelt. Tatsächlich sind solche Spuren vorhanden. Sie lassen erkennen, daß die hebräische Religion, darin anderen altvorderorientalischen Religionen ähnlich, verschiedene Bereiche der Frömmigkeit und des Kultes unterschied. Die persönliche Frömmigkeit z.B. hat wenig mit der Staatsreligion zu tun, und davon ist noch einmal der ins Universale ausgreifende Glaube an einen Schöpfergott abzugrenzen. Insgesamt erscheint es als angemessen, vier verschiedene Ebenen oder "Niveaus" zu unterscheiden, auf denen sich jeweils verschiedene Frömmigkeitsformen und Gotteserfahrungen kristallisierten. Wir bezeichnen sie als: persönliche Frömmigkeit, Ortsfrömmigkeit, Staatsreligion, Schöpferglaube.8 Jedem dieser Bereiche waren im hebräischen Polytheismus eigene Götter und Göttinnen zugeordnet, der persönlichen Frömmigkeit der persönliche Gott, der Ortsfrömmigkeit der Ortsgott usw. Schematisch: persönliche Frömmigkeit Ortsfrömmigkeit Staatsreligion Schöpfungsglaube
- persönlicher Gott (Schaddaj) - Ortsgott - Jahwe - Schöpfergott.
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Als alle diese Gottheiten des Polytheismus mit dem Gott der Staatsreligion - mit Jahwe - gleichgesetzt worden waren, blieben die verschiedenen Ebenen gleichwohl noch erkennbar. Die verschiedenen Götter leben als "Rollen" weiter, die von dem einen, monotheistischen Gott gespielt werden können. Von diesem religionsgeschichtlichen Ansatz her wollen wir nun vier verschiedene Gotteserfahrungen in den alttestamentlichen Quellen nachweisen. Dabei wird sich zeigen, daß jeder Rolle Gottes eine besondere, spezifische und unverwechselbare Glückserfahrung entspricht.
1. Persönliche Frömmigkeit Nach semitischer Vorstellung besitzt jeder Mensch einen "persönlichen Gott."9 Dieser in der Forschung geläufige Ausdruck soll nicht besagen, daß es sich um einen Gott oder eine Göttin handelt, der eine Persönlichkeit zugeschrieben wird (das trifft fìir alle Götter zu, so vage diese Persönlichkeit auch sein mag). Vielmehr handelt es sich um einen Gott, der den einzelnen im Mutterleib bildet, bei der Geburt das Kind schützt und ihn während seines ganzen Lebens begleitet. Vor allem bringt er Glück und Erfolg. Die Menschen des alten Zweistromlandes, schreibt Leo Oppenheim, fuhren ihr Gefühl von Stärke und Sicherheit auf die Anwesenheit göttlicher Mächte zurück. "Wer sich in Hochform fühlt, bei voller Kraft, in wirtschaftlicher Prosperität und seelischem Frieden, der fuhrt diesen beneidenswerten Zustand von Leib und Seele auf die Gegenwart übernatürlicher Wesen zurück, die seinen Leib erfüllen oder ihn beschützen. ... Wenn jemand Glück hat, einer Gefahr entkommt oder ohne Mühe den Gipfel des Erfolgs erreicht, von dem sagt man in akkadischer Sprache, er habe einen Geist",
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d.h. einen persönlichen Gott.10 Aber dieser steht seinem Schützling nicht immer zur Verfügung. Bisweilen "verläßt" der persönliche Gott den Menschen, um ihn schutzlos dem Zugriff anderer Mächte zu überlassen. Diese Situation ist uns beispielsweise im 22. Psalm geschildert: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Der biblische Beter findet auf seine bange Frage weder im 22. noch in einem anderen Psalm eine Antwort. Die Präsenz des persönlichen Gottes ist fragil, seine Abwesenheit rätselhaft. Der 22. Psalm zeigt uns, daß sich der persönliche Gott stets in unmittelbarer Nähe aufhält oder jedenfalls aufhalten sollte; er lehrt uns auch, wie der einzelne seinen Gott bezeichnet: er spricht nämlich - ohne Namensnennung - von "seinem Gott". Im polytheistischen System der älteren Zeit Israels ist der persönliche Gott nicht mit Jahwe identisch; später, im monotheistischen Glauben, muß Jahwe auch die Funktionen (die "Rolle") des persönlichen Gottes übernehmen. Interessanterweise wird dann mit dem gesamten Vorstellungskomplex des persönlichen Gottes auch seine alte Bezeichnung übernommen: Schaddaj.n Natürlich konnte schon in älterer Zeit auch Jahwe als persönlicher Gott gelten, z.B. für die Könige der davidischen Dynastie legte sich eine solche Wahl nahe. Der Staatsgott ist dann persönlicher Gott des Herrschers. Aber in der Regel war der persönliche Gott eine vom Nationalgott zu unterscheidende Gestalt. Die Beamten und Schreiber z.B. hatten ihre eigene persönliche Göttin: die Hokhmah ("Weisheit"). Nach dem Hiobbuch ist die Nähe des persönlichen Gottes tatsächlich das erste, an das der Leidende bei seiner Beschreibung des (verlorenen) Glückszustandes denkt:
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2. Daß ich doch wäre, wie in längst vergangenen Monden, wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte, 3. als seine Leuchte über meinem Haupt erstrahlte, in seinem Licht ich durch das Dunkel ging. 4. So, wie ich in den Tagen meiner Frühzeit war, als Gottes Freundschaft über meinem Zelte stand, 5. als Schaddaj noch mit mir war, meine Kinder [oder: Sklaven] mich umgaben, 6. als meine Schritte sich in Milch gebadet, Bäche von Öl der Fels mir ergoß. (Ijob 29,2-6) Will der Hebräer von seinem Verhältnis zum persönlichen Gott reden, dann muß er auf Ausdrücke frühkindlicher Geborgenheit zurückgreifen. Schaddaj ist ein mütterlicher Gott; vielleicht kann man überhaupt sagen, daß er in gewisser Weise die Mutter verkörpert, da er ja schon vor der Geburt des Menschen im Mutterleib wirkt (Ijob 31,15). Wenn von "Licht" die Rede ist, dann haben wir es mit einem in der Bibel geläufigen Bild fur Glück und Wohlergehen zu tun. 12 Aber vielleicht dürfen wir eine konkrete, wenngleich uns fremde Bedeutung nicht ausschließen. Das Licht, das über dem Haupt des Menschen erstrahlt, ist nicht die ferne Sonne; vielmehr handelt es sich möglicherweise um ein geheimnisvolles, eigentlich unsichtbares Licht, das über dem Haupt des Menschen schwebt, vielleicht einer Aureole vergleichbar. Entsprechend nennt Paulus, für den Christus die Rolle des persönlichen Gottes ausfüllt, Christus das "Haupt des Mannes" (1 Kor 11,3); in den frühchristlichen Oden Salomos ist Christus der Kranz oder die Krone des G l ä u b i g e n . 13 Als mütterliche Gottheit läßt Schaddaj sein Angesicht über dem seines Schützlings leuchten, wie eine
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Mutter ihr Gesicht über ihrem Säugling strahlen läßt. Die bildliche Rede von Milch und Öl bestätigt unseren Eindruck: der persönliche Gott nährt und pflegt den Menschen wie eine Mutter ihren Säugling versorgt und pflegt (und beispielsweise badet). Die Zuwendung des persönlichen Gottes zum einzelnen ruft Urerfahrungen frühkindlicher Geborgenheit wach. Die "Frühzeit" oder "frühere Zeit", von der Hiob spricht, ist natürlich die Zeit seines in der Gegenwart verlorenen Glücks; aber dahinter erkennt man unschwer die Verhältnisse der frühen Kindheit. Vielleicht ist auch nicht von den "Kindern" die Rede, die Hiob während seines Glücks umgaben (so die Einheitsübersetzung), sondern von "Sklaven" oder "Knechten", die ihn bedienten. Auch hier stoßen wir wieder auf das Umsorgtwerden, wie es das Kleinkind erlebt. Den kürzlich erfolgten wissenschaftlichen Versuch, Schaddaj als den "Gott mit Brüsten" zu verstehen, darf man wohl nicht ernst nehmen.14 Jedoch mag die Bezeichnung Schaddaj den Hebräer an shad, die Mutterbrust, erinnert haben, so daß wir uns wiederum im Bereich derselben frühkindlichen Erfahrung befinden. Zumindest ein Beleg bringt den persönlichen Gott und die Mutterbrust zusammen. Im 22. Psalm wird er als Hebamme gezeichnet, die den Säugling aus dem Mutterleib zieht und dann an die Brust der Mutter legt: "Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, mich barg an der Brust meiner Mutter" (Ps 22,10, Einheitsübersetzung). Die Lutherrevision von 1964 sagt treffend: "du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter", wörtlich: an den beiden Brüsten meiner Mutter. In einer der Hymnen von Qumran heißt es entsprechend:
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Von meinem Vater her hast Du mich erwählt und vom Mutterschoß her mich geweiht. Vom Mutterleib an hast Du mir Gutes getan und von der Mutterbrust her gilt mir Dein Erbarmen. Am Schoß meiner Amme [..., beschädigt] Bis auf den heutigen Tag leitet mich [Deine Hand] Denn mein Vater kennt mich nicht, meine Mutter überließ mich Dir. Ja, Du bist ein Vater all den Söhnen Deiner Wahrheit, Du freust Dich ihrer, wie eine liebende Mutter über ihr Kind und wie ein Pfleger hegst Du am Busen alle Deine Geschöpfe. 15 Will der Hebräer von der Geborgenheit reden, die ihm sein persönlicher Gott vermittelt, dann greift er immer wieder zu Ausdrücken, die in den Bereich der mütterlichen Fürsorge verweisen. Die auf die Säuglingszeit und das sich in dieser bildende "Urvertrauen" eines Menschen zurückgreifende Frömmigkeit kennt auch der Ägypter; und auch dem Abendland ist sie nicht fremd. Offenbar haben wir es hier mit einem tief in der Psyche des Menschen verwurzelten, in den Kulturen der Welt weit verbreiteten, "archetypischen" Erfahrungsschatz zu tun. 16 Auch im 63. Psalm, dessen Stichwort "mein Gott" wiederum in den Kreis der mit dem persönlichen Gott verbundenen Vorstellungen führt, erscheint der Beter in der Rolle des Kindes. "Wie an Fett und Mark wird satt meine Kehle [von dir]... ich denke an dich auf nächtlichem Lager und sinne über dich nach, wenn ich wache. Ja, du wurdest meine
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Hilfe; jubeln kann ich im Schatten deiner Flügel. Meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich fest" (Ps 63,6-9). Die völlige Abhängigkeit des Beters vom persönlichen Gott ist offenbar nach der Abhängigkeit eines kleinen Kindes vorgestellt. Auch die Abfolge von "Nahrung erhalten, im Bett liegen, sich sicher fühlen, an der Hand gehalten werden" läßt sich am besten so verstehen. Sollten jene Ausleger recht haben, die von einer Übernachtung des Beters in einem Tempel sprechen, so erscheint uns der Tempel als eine Art Wiege oder Mutterschoß: nur dort kann sich das Kind geborgen fühlen. Auf den Zusammenhang von mütterlicher Zuwendung des persönlichen Gottes und Tempel fuhrt uns eine Beobachtung, die jüngst von Fredrick Lindström gemacht worden ist.17 In den sog. "individuellen Klagepsalmen" beklagt der Beter die Abwesenheit seines persönlichen Gottes, die ihn in Unglück und Bedrängnis bringt. Entgegen einer oft von modernen Kommentatoren geäußerten Ansicht fuhrt der biblische Beter die Abwesenheit Gottes nicht auf eine Verfehlung zurück. Es ist nicht so, daß der einzelne sündigt und ihn sein Gott durch Entzug seines Schutzes bestraft. Vielmehr bleibt rätselhaft, warum der Schutzgott ferne ist. Wichtiger als einen Grund für dessen Abwesenheit zu finden, ist es, den Gott zurückzurufen und seine Hilfe zurückzugewinnen. Daher neigt der Beter eher dazu, Gott Vorwürfe zu machen als etwa bei sich selbst die Schuld zu suchen. Zu recht bemerkt auch Albertz: "Schutz und Segen Gottes für den einzelnen waren letztlich in dessen Erschaffung begründet und hingen nicht primär von seinem Verhalten ab."18 Vom rechten Verhalten kann die mütterliche Zuwendung des persönlichen Gottes auch gar nicht abhängen; wie alle Menschen, so weiß auch der Hebräer, daß
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Kinder den Unterschied zwischen Gut und Böse noch nicht kennen. 19 Lindström bringt die von der Ethik unberührt bleibende Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen mit dem Tempel in Beziehung: im Tempel erfahrt der Beter die beschützende und rettende Gegenwart Gottes. Wir können die Beobachtung Lindströms leicht mit unserer These von Gottes Mutterrolle verbinden: als natürliches, der Mutter-Kind-Beziehung vergleichbares Verhältnis ist die zwischen Mensch und persönlichem Gott bestehende Verbindung keinen moralischen Regeln unterworfen. Ein kleines Kind verfügt noch nicht über moralische Begriffe; und selbst, wenn solche vorliegen, berührt eine Verletzung der Regeln nicht die Mutter-Kind-Beziehung als solche. Eine Mutter kündigt ihre Mutterschaft dem unartigen Kind nicht auf.20 Auch der persönliche Gott kündigt dem einer Übertretung schuldig gewordenen Beter nicht den Schutz. Und ist nicht auch der Tempel selbst als Ort der Gottesnähe ein mütterliches Symbol? Die Bedeutung der mütterlichen Nähe des persönlichen Gottes für die Glückserfahrung ergibt sich auch aus einem mythologischen Text des Buches Ezechiel. Dort wird uns im 28. Kapitel das Glück und dann die Entthronung eines Königs geschildert. (Es handelt sich wohl zunächst um den judäischen König, in einer Uminterpretation um den König von Tyrus.) Gott sagt zum König: "Im Garten Gottes, in Eden, bist du gewesen... Einem Kerub mit ausgebreiteten schützenden Flügeln gesellte ich dich bei. Auf dem heiligen Berg der Götter bist du gewesen..." (Ez 28,13-14). Der schützende Kerub ist natürlich kein anderer als der persönliche Gott des Königs, sein Schutzgeist. Wie im 63. Psalm ist auch hier von schützenden Flügeln die Rede. Man
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mag an die Flügel einer Henne denken, unter welchen die Küken Zuflucht und Schutz suchen. Die Nähe des persönlichen Gottes scheint mir für die hebräische Theorie des Glücks besonders wichtig zu sein. Denn eine Glückserfahrung, die sich etwa nur in der Aufzählung materieller und sozialer Güter ausdrückte, wäre noch keine Theorie des Glücks. Glück stellt sich, wie ich meine, erst ein, wenn eine Reflexion über das Glück stattfindet und so ein Begriff des Glücks gebildet wird. Natürlich ist der persönliche Gott nicht nur ein die Glückserfahrung verklärendes Interpretament. Vielmehr erwartet der Hebräer von seinem persönlichen Gott ganz konkrete Hilfe. Das 5. Kapitel des Hiobbuches gibt uns darüber hinreichend Aufschluß: 5,17. Ja, wohl dem Mann, den Gott zurechtweist. Die Zucht Schaddajs verschmähe nicht! 18. Denn er verwundet, und er verbindet, er schlägt, doch seine Hände heilen auch. 19. In sechs Drangsalen wird er dich retten, in sieben rührt kein Leid dich an. 20. In Hungerzeiten rettet er dich vom Tod, im Krieg aus der Gewalt des Schwertes. 21. Du bist geborgen vor der Geißel der Zunge, brauchst nicht zu bangen, daß Verwüstung kommt. 22. Über Verwüstung und Hunger kannst du lachen, von wilden Tieren hast du nichts zu fürchten. 23. Mit den Steinen des Feldes bist du verbündet, die Tiere des Feldes werden Frieden mit dir halten. 24. Du wirst erfahren, daß dein Zelt in Frieden (shalom) bleibt; prüfst du dein Herz, so fehlt dir nichts.
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25. Du wirst erfahren, daß deine Nachkommen zahlreich sind, deine Sprößlinge wie das Gras der Erde. 26. Bei voller Kraft steigst du ins Grab, wie man Garben einbringt zu ihrer Zeit. (Ijob 5,17-26) Bemerkenswert ist hier nicht eigentlich, daß trotz aller Wechselfalle des Lebens - es ist von Züchtigung durch Schaddaj die Rede, auch von Kriegsgefahren, Hungersnot usw. - eine letzte Geborgenheit und Sicherheit (shalom) besteht; bemerkenswert ist vielmehr, daß dies alles als Werk des persönlichen Gottes erlebt wird. Gewöhnlich wird der persönliche Gott mit irdischem, materiellem Glück in Verbindung gebracht. Als "Grenzaussage" kann allerdings auch gesagt werden, daß die Nähe Gottes selbst das eigentliche Glück ausmache. So sagt der Beter: "Du legst mir größere Freude ins Herz als andere haben bei Korn und Wein in Fülle", d.h. bei der Kornernte im Frühjahr und der Traubenernte im Herbst (Ps 4,8). Noch deutlicher ist ein zweiter Beleg: "Neben dir freut mich nichts auf der Erde. Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig. ... Gott nahe zu sein ist mein Glück {tov)." (Ps 73,25f.28) Und ein dritter: "Ich sage zu Jahwe: Du bist mein Herr; mein ganzes Glück {tov, verbal) bist du allein" (Ps 16,2). Sagt nicht auch die spanische Mystikerin Teresa von Avila, vielleicht inspiriert von solchen Psalmversen: Sólo Dios basta - Gott allein genügt? Die an die Mystik erinnernde Innerlichkeit ist zweifellos in Kreisen der Priester und Tempelbediensteten beheimatet, die sich stets in der Nähe Gottes befindend l Wir haben es offenbar mit einer besonderen Tempelfrömmigkeit zu tun, die uns in den Psal-
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men immer wieder begegnet. "Ein einziger Tag in den Vorhöfen deines Heiligtums ist besser als tausend andere", ist nur ein Beispiel fur diese Spiritualität (Ps 84,11). Gerhard von Rad hat gezeigt, daß sich derartige Aussagen nicht mehr in den Rahmen der traditionellen Kultsprache einfügen. Die Klischees stereotypischer Klischeesprache verlassend, weisen sie einen persönlichen, individuellen Klang auf. Man könnte sagen, die Priester bedienten sich des auf Individualität und Differenzierung bedachten "elaborierten Sprachcodes", um auszudrücken, wie die äußere, durch den Tempeldienst gegebene kultische Intimität eine wahrhaft spirituelle Intimität zur Folge hat. Freilich stellt er auch die Frage, ob solche spirituelle Intimität nicht doch von bestimmten rituellen Handlungen getragen war. Haben wir mit der Existenz eines auf Priester beschränkten, nur ihnen zugänglichen Eigenkults zu rechnen? Von Rad glaubt in der Tat zu erkennen, "daß es da im Tempel noch einen inneren Kreis von Weihen und Erlebnissen gab, zu dem wohl mancher zugelassen werden wünschte".22 Es müßte sich um mysterienartige, theurgische Riten handeln, in denen eine besondere Gottesbegegnung stattfand - eine Theophanie, ein Schauen des göttlichen "Lichtes" oder der göttlichen "Herrlichkeit" (Ps 36, 10; 63, 3). Über solche Riten können wir freilich nichts Konkretes in Erfahrung bringen, so daß ihre Existenz fraglich bleibt. Deutlich ist nur eines: die Tempelfrömmigkeit der Priester ist keineswegs auf die Priester beschränkt geblieben, sondern konnte die Gefühlswelt auch von Laien bestimmen, die den Tempel frequentierten.23 Die Bedeutung des persönlichen Gottes für den einzelnen ist vielleicht nirgendwo besser zusammengefaßt als in einem Frauennamen, dessen uns geläufige griechische Form Elisabeth lautet und dessen hebräische Form in der Bibel als
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Name der Gattin des Priesters Aaron begegnet: Elischeba (Ex 6,23). Das heißt übersetzt: "Mein Gott ist (mein) Glück. "24
2. Ortsfrömmigkeit Die Verehrung des Ortsgottes hat im Alten Testament nur wenige Spuren hinterlassen, ist aber dennoch erkennbar.25 Wir erfahren einmal, daß eine Ortschaft auf der in der Nähe gelegenen Kulthöhe ein Opferfest feiert (1 Sam 9,11-13), und Jeremía kann sagen: "So zahlreich wie deine Städte, Juda, sind auch deine Götter" (Jer 2,28). Jede Stadt, jeder Ort hatte eben seinen eigenen Gott, dessen Aufgabe es war, diese mit Glücksgütern zu überschütten, für innere Harmonie der Bürger zu sorgen und sie vor äußeren Feinden zu schützen. Galt es, einen Schwur zu leisten, so rief man den Gott von Dan an oder einen anderen Ortsgott (Am 8,14). "Wenn nicht Jahwe die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst", heißt es in einem Psalm (Ps 127,1). Der Satz gilt natürlich besonders fur Jerusalem, dessen Ortsgott Jahwe war; von Jahwe kann als "Gott von Jerusalem"26 gesprochen werden. Die Liebe des Ortsgottes zu seiner Stadt kommt in keinem Text besser zum Ausdruck als in Psalm 132. "Jahwe hat den Zion erwählt, ihn zu seinem Wohnsitz erkoren", heißt es dort (Ps 132,13). Dann teilt uns der Sänger ein vermutlich im Kult gesprochenes Gotteswort mit: 132,14. Das ist für immer der Ort meiner Ruhe; hier will ich wohnen, ich hab' ihn erkoren. 15. Seine [Zions] Nahrung will ich reichlich segnen, mit Brot seine Armen sättigen.
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Bernhard Lang 16. Seine Priester will ich bekleiden mit Heil (Jäsha), seine Frommen sollen jauchzen und jubeln. 17. Dort lasse ich für David ein Horn sprießen, und stelle für meinen Gesalbten ein Licht auf. 18. Ich bedecke seine Feinde mit Schande; doch auf ihm erglänzt seine Krone. (Ps 132, 14-18)
Sobald der Ortsgott in der Stadt residiert, kann das nur reichen Segen bringen: Nahrung für alle, auch für die Armen; Freude für Priesterschaft und Fromme, zweifellos bei festlichen Kulthandlungen im Tempel; Macht für den König, und das heißt vor allem: Sieg über seine Feinde, die auch die Feinde der Stadt sind. Horn und Licht mögen konkrete, die Königsmacht symbolisierende Paraphernalien des Hofzeremoniells sein. Wenn wir auch nicht alle Einzelheiten durchschauen, so ist doch deutlich, daß Jahwe als Ortsgott Jerusalems Quelle des Lebens ist: des Lebens von Bevölkerung, Priesterschaft und König. Der Ortsgott hat seine Stadt natürlich auch mit Wasser zu versorgen. Ein Psalm parallelisiert die Präsenz von Gott und Wasser und läßt erkennen, daß beides in einer Beziehung zueinander steht: "Die Wasser eines Stromes erquicken die Gottesstadt, des Höchsten heilige Wohnung. Gott ist in ihrer Mitte, darum wird sie niemals wanken" (Ps 46,5f).27 Dem Ortsgott verdanken die Hebräer also den Rahmen eines glücklichen Lebens: Wasser, Nahrung, Kult, Königtum. Darin erschöpft sich jedoch die Funktion des Ortsgottes nicht. Die alltägliche Beziehung zwischen Ortsgott und Bewohnern des Ortes können wir im Buch der Sprüche (Sprichwörter) besonders gut beobachten. Ziel des Buches ist es, seine Leser zum rechten Verhalten anzuleiten. In den ersten Kapiteln des Buches tritt Frau Weisheit
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persönlich auf; wir können sie uns als eine Göttin oder eine poetische Personifikation denken, die im Namen des Ortsgottes am Stadttor als Lehrerin auftritt. Wer in der Stadt leben will, muß sich an die Lebenslehre dieser Göttin halten. Greifen wir einige Sprüche heraus! Sie zeigen uns, wie der (als Jahwe identifizierte) Ortsgott in das alltägliche Leben eingreift: 1. "Falsche Waage ist Jahwe ein Greuel, richtige (Gewichts)steine sein Wohlgefallen." (Spr 11,1) - Der Ortsgott wacht über Ehrlichkeit im lokalen Handel. 2. "Wer sich des Armen erbarmt, leiht Jahwe, seine Wohltat wird er zurückwenden [auf den Wohltäter]." (Spr 19,17) - Der Ortsgott wird die Wohltat dem Wohltäter anrechnen und belohnen. Auf diese Weise sorgt er dafür, daß gegenseitige Hilfeleistung die Harmonie der Ortsgemeinde befördert. 3. "Verschiebe nicht die alte Grenze, dring nicht in die Felder der Waisen vor! Denn ihr [göttlicher] Anwalt ist mächtig, er wird ihre Sache gegen dich führen." (Spr 23, lOf) - Der Ortsgott beschützt die Armen und ihren (geringen) Besitz. 4. "Wolltest du sagen: Er [der Ortsgott] weiß von uns nichts - hat er, der die Herzen prüft, keine Kenntnis? Hat er, der über dich wacht, kein Wissen? Ja, er wendet auf den Menschen zurück die Entsprechung seiner Tat." (Spr 24,12) - Der Ortsgott trägt Sorge dafür, daß es jedem Mitglied der Ortsgemeinde so ergeht, wie es seinem Tun entspricht; daß es ein Schicksal gibt, das dem guten Menschen Lohn, dem bösen Strafe bringt.
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Der Hamburger Alttestamentler Klaus Koch hat anhand von Wortstudien die hebräische Konzeption von Tun und Ergehen aufgedeckt, die für den hier verhandelten Gegenstand wichtig ist.28 Glückliches Leben gilt als Folge von richtigem, der Lebenslehre entsprechendem Tun. Koch zeigt, daß der Hebräer sich diesen Zusammenhang - anders als in den angegebenen Textbeispielen - oft "immanent" denkt, also keinen Gott einbezieht, der jedes Handeln durch einen von außen kommenden Eingriff eigens belohnt oder bestraft. Vielmehr bringt das Handeln selbst eine geheimnisvolle Art von Stoff hervor, der den Handelnden als Aura unsichtbar umhüllt. Als Unglücksstoff zerstört er das Leben des handelnden Menschen. "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend immer Böses muß gebären. "29 Aber es gilt natürlich auch: als Glücksstoff erhält und fördert jener geheimnisvolle Stoff das Leben. Die stofflich-räumliche oder analog eines Kraftfeldes vorgestellte Qualität des "Segens" oder "Fluches", den das Handeln nach sich zieht, findet Koch nicht unmittelbar in den biblischen Texten; er führt sie als Modell ein. Sein Modell einer von der Person ausgehenden wirksamen Emanation oder Aura dient dazu, uns eine verborgene Eigenart des hebräischen Denkens Koch spricht von einer "anthropologischen Grundkategorie"30- plastisch vor Augen zu führen.31 Wenn nach dem Zusammenhang von Tun und Ergehen jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, dann ist das eine ganz weltliche, innerweltliche Angelegenheit. Eigentlich wird kein Gott benötigt, denn die Verknüpfung von Tat und Tatfolge läuft ja "immanent" ab. Als Vollbringer einer guten Tat schaffe ich einen "Glücksstoff', der vielleicht nicht sofort, aber über kurz oder lang doch mein Schicksal positiv beeinflußt. Daß "eigentlich kein Gott benötigt werde", ist
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freilich eine Bemerkung, die wir sofort wieder zurücknehmen müssen, denn ein wirklich nur "immanentes", auf die Wirklichkeit und Wirksamkeit der Götter verzichtendes Denken ist der biblischen Welt fremd. Aufgabe des Ortsgottes ist, die von menschlicher Tat ausgehenden Kräfte so zu lenken, daß sie für die jeweils Handelnden Glück oder Unglück erzeugen. Koch selbst räumt ein, daß der TunErgehen-Zusammenhang "eine vordergründige Sichtweise" darstellt; wer genauer hinsieht, erkennt, daß der immanent scheinende Zusammenhang von göttlicher Wirksamkeit umgriffen wird. 32 Gewiß: es geht um Glück oder Unglück, wird man einwenden; aber wo ist das entsprechende Vokabular? Die bis jetzt aus dem Buch der Sprüche (Sprichwörter) angeführten Belege weisen eher allgemein auf den Zusammenhang von Tun und Ergehen, Tat und Folge, als daß sie von Glück reden. Daher müssen wir noch eine zweite Reihe von Sprüchen anfuhren, in denen das hebräische Wort tov jeweils mit "Glück" wiedergegeben werden kann: 5. "Wer auf das Wort [der Weisheit oder Jahwes] achtet, findet Glück; wohl dem, der auf Jahwe vertraut." (Spr 16,20) 6. "Unglück verfolgt die Sünder, den Gerechten [oder: Ordentlichen] wird mit Glück vergolten." (Spr 13,21) 7. "Wer ein unaufrichtiges Herz hat, findet kein Glück; wer sich beim Reden verstellt, stürzt ins Unheil." (Spr 17,20) Mustern wir das Buch der Sprüche nach solchen Aussagen durch, dann stellen wir fest, daß "Glück" durchweg an das gesellschaftliche Handeln nach bestimmten Maßstäben ge-
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bunden ist. Während die persönliche Frömmigkeit ohne moralische Handlungsanweisungen auskommt, ist das im Bereich der Ortsfrömmigkeit nicht der Fall. Man muß sich am "Wort Jahwes" (d.h. der Weisheitslehre) orientieren, ein "ordentlicher Mensch" sein, sich beim Reden nicht verstellen usw. Gott wird in solchen Sprüchen allerdings nur selten genannt, so daß der innere Zusammenhang von Tun und Ergehen scharf hervortritt. Aus den angeführten Sprüchen erkennen wir deutlich, daß das Glück des Menschen nicht einfach feststeht, sondern durch Handeln ständig neu errungen werden muß. Ständig gilt es, das Wohlwollen des Ortsgottes zu gewinnen. Gelingt dem einzelnen dies nicht, dann steht es schlecht um ihn. Das schlimmste fur den Ort ist jedoch, wenn es der gesamten Bewohnerschaft nicht mehr gelingt, sich des göttlichen Wohlwollens zu versichern. Dann wendet sich nämlich der Ortsgott gegen seine Stadt und verläßt sie; er wird zu ihrem Feind. Die Bibel hat uns Texte aufbewahrt, die auf Klagefeiern zurückgehen, die in den Trümmern des 586 v. Chr. von den Babyloniern zerstörten Jerusalem abgehalten wurden. Vom Glück ist nur noch in der Zeitform der Vergangenheit die Rede: "Kinder betteln um Brot; keiner bricht es ihnen. Die einst Leckerbissen schmausten, verschmachten auf den Straßen. Die einst auf Purpur lagen, wälzen sich jetzt im Unrat" (Klgl 4,4f). "Jerusalem denkt ... an all die Kostbarkeiten, die sie einst besessen" (Klgl 1,7), als der Ortsgott ihr noch nicht zürnte!
3. Offizielle Staatsreligion Die alte Geschichtsschreibung, in der sich Geschichte und Sage noch mischen, teilt mit, daß das Volk unter der Herr-
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schaft des weisen Salomo glücklich war. "Das Volk ... hatte zu essen und zu trinken und war fröhlich" - so nach Luther; "... und war glücklich (smehim)", nach der Einheitsübersetzung (1 Kön 4,20). "Er (Salomo) hatte Frieden ringsum nach allen Seiten. Juda und Israel lebten in Sicherheit von Dan bis Beerscheba; ein jeder saß unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum, solange Salomo lebte." (1 Kön 5,4f) Sitzen unter Weinstock und Feigenbaum ist eine traditionelle Wendung; in Varianten mehrfach belegt, verweist sie auf allgemeine Zufriedenheit. Der ausfuhrlichste Beleg steht in einer politischen Propagandarede und ist einem assyrischen Unterhändler in den Mund gelegt. Dieser wendet sich während einer Belagerung an die eingeschlossenen Jerusalemer Bürger. Seiner Aufforderung, sich den Assyrern zu ergeben, fügt er eine Beschreibung allgemeinen Glücks bei: "So spricht der König von Assur: Trefft mit mir ein Abkommen und ergebt euch! Dann kann jeder von euch von seinem Weinstock und seinem Feigenbaum essen und Wasser aus seiner Zisterne trinken, bis ich komme und euch in ein Land bringe, das eurem Land gleicht: in ein Land voll Getreide und Most, ein Land voll Brot und Wein, ein Land mit Ölbäumen und Honig" (2 Kön 18,31f).33 Der assyrische König Sanherib würde demnach - so lautet die Propaganda als neuer Salomo auftreten, als ein König, der seinen bäuerlichen Untertanen eine reichhaltige Lebensgrundlage gewährleistet. Anläßlich der Einweihung des neuerbauten Jerusalemer Tempels ließ Salomo ein großes Volksfest feiern. In diesem Zusammenhang wird noch einmal das Glück aller betont: "Salomo feierte damals mit ganz Israel, das von LeboHamat bis zum Grenzbach Ägyptens zu einer großen Versammlung vor Jahwe, unserem Gott, erschienen war... Am
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achten Tag entließ er das Volk. Sie priesen den König und gingen [heim] zu ihren Zelten, frohen Muts (smehim) und voll Freude über all das Gute, das Jahwe an seinem Knecht David und seinem Volk Israel getan hatte." (1 Kön 8,65f). Die Revised English Bible (1989) läßt an dieser Stelle das Volk "happy" sein: "and they blessed the king, and went home happy and glad at heart". Daß das Fest mit reichlichen Tieropfern begangen wurde, hält der Text eigens fest; nicht gesagt zu werden braucht, daß alle mit dem Opferfleisch reichlich bewirtet werden, denn dies versteht sich von selbst. So gehen wir nicht fehl, wenn wir einen impliziten Anklang an jene andere Wendung vermuten: "Das Volk ... hatte zu essen und zu trinken und war glücklich." Unter Rückgriff auf Ludwig Köhlers Schrift Der hebräische Mensch können wir das Profil des salomonischen Glücks ohne weiteres erfassen. Es ist das Glück des orientalischen Bauern, der in Frieden lebt, genug zu essen hat und im übrigen möglichst lange den Müßiggang pflegt. Der hebräische Mensch kennt den Hunger und daher auch das Glück, reichlich zu essen zu haben. "Fülle und Mangel, Übersättigung und Hunger haben bei der kleinen Möglichkeit, Vorräte auf längere Zeit zu sammeln und sie genießbar zu erhalten, gewiß stets rasch und stark gewechselt."34 Für das wörtlich zu verstehende "Sitzen unter Weinstock und Feigenbaum" hat Köhler eine besonders einprägsame Erklärung: "Das schönste am Leben ist das, was der heutige Araber das kêf nennt, das uns gänzlich fehlt, das aber dem hebräischen Menschen sicher vertraut und geläufig ist; das stille, untätige, nicht einmal an Gedanken, geschweige denn an Sorgen oder Planen hingegebene Dasitzen in Stellungen, deren Lässigkeit und Bequemlichkeit uns selbst bei angestrengtem Bemühen kaum erreichbar ist."35
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Es kommt noch etwas anderes hinzu: Das Glück wird unter Hinweis auf Weinstock und Feigenbaum beschrieben, nicht unter Hinweis auf reichen Feldertrag. Der Feigenbaum blüht in Palästina sehr früh und trägt zweimal Früchte: im Juni und Ende August. Ein solches fast ununterbrochenes Fruchttragen erinnert an das Paradies - in der Paradieserzählung wird der Feigenbaum ja erwähnt (Gen 3,7). Überhaupt gehören fruchttragende Pflanzen zum Bild der Länder am Mittelmeer: Feigenbaum, Weinstock und Ölbaum; in ihrer Nähe fühlt sich der Hebräer wohl. Feldarbeit liegt ihm weniger: sie ist ein Zeichen, daß er außerhalb des Gartens Eden lebt. Die Kornkammern der alten Welt sind Ägypten (wie wir aus der Josefsgeschichte wissen) und das Zweistromland (das steht bei Herodot), wo es die auch im Neuen Testament anklingende "hundert- bis dreihundertfache" Getreideernte geben mag. 36 Herodot weist ausdrücklich darauf hin, daß Feigenbaum, Weinstock und Ölbaum für die Wirtschaft des Zweistromlandes keine Rolle spielen. Unserem Ansatz gemäß dürfen wir nicht dabei stehenbleiben zu fragen, worin das Glück besteht. Wir interessieren uns für die Theorie des Glücks. Diese kommt allein in jenem Hinweis auf Jahwe zum Ausdruck: "... das Gute, das Jahwe an seinem Knecht David und seinem Volk Israel getan hatte". Daß David, nicht Salomo, genannt ist, braucht uns nicht zu irritieren: das ganze Kapitel 1 Kön 8 unterstreicht den davidischen Charakter des Tempels: Salomos Vater David hat den Tempelbau geplant, David besaß göttliche Segensverheißung usw. Für uns einschlägig ist nur dies: das Glück wird auf Jahwe zurückgeführt, den Staatsund Königsgott. Das Glück des Bauern ist durch Gottes Tun ermöglicht und gesichert: und unter dem "Tun" wird man den Tempelbau verstehen. Wie dem auch sei: Glück hat
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auch hier, wie sonst beim Hebräer, mit Gott zu tun! Ein Orakel bringt Tempel und glücksichernde Anwesenheit Jahwes in unmittelbaren Zusammenhang: "Ich werde inmitten der Israeliten wohnen und mein Volk Israel nicht verlassen" (1 Kön 6,13). In der Geschichte Salomos sind hier und dort Spuren einer sakralen Konzeption des Königtums zu erkennen. Salomo wurde durch Priester und Prophet gesalbt und steht in persönlichem Kontakt zu Jahwe, der ihm die Königsbitte um Weisheit gewährt (1 Kön 1,39; 3,9ff). Die sakrale Stellung des Königtums wird aber nur außerhalb der in diesem Punkt verhalten bleibenden Geschichte Salomos auch auf Natur und Agrarwesen bezogen. Nur nach dem 72. Psalm gibt es während der segensreichen Regierung Salomos reichlich Regen und Korn in Fülle, so daß man sich an die Odyssee erinnert fühlt: "... ein untadeliger König, welcher die Götter/ fürchtet und über viele und kräftige Männer gebietet/ und Gerechtigkeit übt; und es trägt die Erde, die schwarze, / Weizen und Gerste, von Frucht sind schwer belastet die Bäume, / ständig gebären die Schafe, das Meer gibt Fische in Fülle/ bei so trefflicher Herrschaft, und unter ihm blühen die Völker." 37 Wenn wir sagten, die segensreiche Regierung des Königs sichere den Regen, dann steht das in Ps 72 nur indirekt. Dem Wortlaut nach heißt es: "Er [der König] ströme wie Regen herab auf die Felder, wie Regenschauer, die die Erde benetzen" (Ps 7,6, Einheitsübersetzung); oder: "May he be like rain that falls on the mown grass...", wie es die New Revised Standard Version wiedergibt. Andernorts heißt es vom gerechten König, er sei "wie das Licht am Morgen..., der nach dem Regen grünes Gras aus der Erde hervorsprießen läßt" (2 Sam 23,4). Solchem "Metapherngestöber" darf man entnehmen, daß es um eine
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Harmonie von Natur und Herrschaft geht, die durch den König gesichert oder jedenfalls mitbestimmt und mitgetragen wird. Nach einer ansprechenden Vermutung von Robert Murray war der König an Tempelritualen beteiligt, die den Regen sichern.38 Unsere Erwägungen über die offizielle Staatsreligion abschließend führen wir noch einen weiteren Psalm an, der gleichsam die Summe dessen beschreibt, was das Volk von Jahwe als seinem Gott erwartet: 9. Ein neues Lied will ich, o Elohim, dir singen,... 10. der du den Königen den Sieg verleihst und David, deinen Knecht, errettest. 12. Unsere Söhne seien wie junge Bäume, hochgewachsen in ihrer Jugend, 13. unsere Töchter wie schlanke Säulen, die geschnitzt sind für den Tempel. Unsere Speicher seien gefüllt, überquellend von Vorrat; unsere Herden mögen sich tausendfach mehren, vieltausendfach auf unseren Fluren. 14. Unsere Kühe mögen tragen, ohne zu verwerfen und ohne Unfall, kein Wehgeschrei werde laut auf unseren Straßen. 15. Wohl dem Volk, dem es so ergeht, glücklich (ashrej) das Volk, dessen Gott Jahwe ist! (Ps 144, 9f. 10-15) Hier sind alle Glücksgüter noch einmal ausgebreitet: der König siegt über seine Feinde, Menschen und Tiere sind fruchtbar, die Jugend blüht, die Vorratskammern sind gefüllt
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- und das alles ist Jahwe zu verdanken, oder, in der Sprache der Bibel: seinem Segen!39 Und dieser Segen wird durch den König vermittelt: sehr ansprechend hat Hans Schmidt vermutet, daß Ps 144 zum jährlichen Festtag der Thronbesteigung des Königs gehört, einem Tag, an dem man sich des göttlichen Segens versichert.40
4. Schöpftmgsglaube Nach Auffassung des Alten Testaments lassen sich Glück und Unglück nicht voneinander trennen; sie koexistieren ständig und bestimmen die gesamte, vom Schöpfergott geordnete und beherrschte Welt. Das Buch Hiob verdeutlicht Koexistenz und Antagonismus von Glück und Unglück, von Gut und Böse, von Kosmos und Chaos in den Gottesreden der Kapitel 38-42. Dem unvorbereiteten Leser begegnet in diesen Reden ein buntes Gewirr mythischer Fragmente, die sich erst bei näherem Zusehen zu drei klar erkennbaren Mythen ordnen. In deren Zentrum steht nicht mehr der persönliche Gott Hiobs, sondern der Schöpfergott. Zwar mögen fur das monotheistische Hiobbuch die beiden Götter identisch sein; aber die beiden Rollen bleiben doch getrennt. Wir glauben, drei Mythen zu erkennen: einen Schöpfungsmythos; einen Mythos von Gott als Herrn der Natur; einen antagonistischen Mythos, der Gott im Kampf mit einem Chaoswesen sieht.41 Nach dem Schöpfungsmythos bekämpft der Schöpfergott seit der urzeitlichen Welterschaffung ständig die Chaosmächte, die mit der Dunkelheit der Nacht immer wieder in den Bereich der geordneten Schöpfung hereindrängen. Gottes Welterschaffung ist nicht auf die Stunde der ersten Einrichtung einer Ordnung von Land und Meer, von Tag
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und Nacht usw. beschränkt, sondern ist ein ständiges Tun, denn das etwa als Meeresungeheuer vorgestellte Chaos ist nicht tot, sondern besitzt eigene Vitalität. Dabei ist Gottes Verhältnis zur Meeresschlange ambivalent: Er pflegt die junge Meeresschlange wie einen Säugling mit großer Sorgfalt und hüllt sie in weiche Windeln. Andererseits ist die Meeresschlange aber ein wildes Wesen, das hinter Schloß und Riegel gebracht werden muß. Vielleicht dient schon das Wickeln als Einschnüren der Bändigung des wilden Säuglings.42 Gott vertreibt zwar jeden Morgen die Bösen, Verbrecher wie Dämonen, von der Erde, so daß ihnen nur Schlupfwinkel bleiben; aber er läßt ihnen doch einen Spielund Lebensraum. Gott ist Herr des Bösen; er bekämpft es, ohne es ein für allemal zu beseitigen. Denselben Sachverhalt beleuchtet von einer anderen Seite der Mythos von Gott als "Herr der Tiere" und "Besitzer der Natur" (in der englischen Fachsprache: "Lord of the animals" und "owner of nature"). Als Herr der Tiere und der außermenschlichen Natur sorgt Gott auch für die wilden, z.T. menschenfeindlichen Tiere wie Löwe, Wildstier und (Kriegs-)Pferd. Diese Tiere gehören nicht zum Bereich der geordneten, gebändigten Welt, die dem Menschen als Lebensraum zugewiesen ist. Als Tiere der Wildnis sind sie Chaoswesen, doch der Mythos vom "Besitzer der Natur" besagt, daß sie Gottes Herrschaft unterstellt und seiner Fürsorge anvertraut sind. Diese Vorstellung vom Herrn der Tiere entspricht derjenigen, "die besonders im eurasiatischen Bereich, aber auch in Nord- und Südamerika weit verbreitet ist" .43 Während im Mythos vom "Besitzer der Natur" Gottes positive Fürsorge für die im außermenschlichen Bereich lebenden Wesen deutlich hervorgehoben wird, betont der
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dritte Mythos wiederum Gottes Überlegenheit über das von ihm eingedämmte und in Schach gehaltene Chaos. Dabei trägt Gott die Züge des ägyptischen Gottes Horns, während das Chaos an Seth erinnert. Horns und Seth sind die göttlichen Gegner im ägyptischen Mythos, wobei Horns der königlich überlegene Sieger über den bösen, krokodil- oder flußpferdgestaltigen 44 Seth ist. Indem der hebräische Dichter Behemot und Leviatan als "sethische" Tiere einführt, bedient er sich des ägyptischen Mythos. Übrigens weist auch eine bemerkenswerte Einzelheit auf Seth (Ijob 40,18): Die mit "Eisenstangen" verglichenen Knochen des Behemot erinnern an die ägyptische Bezeichnung von Erz als "Knochen des Seth".45 Aber auch an den phönizischen Mythos kann man denken, zumindest bei Leviatan: dieser verkörpert das Meeresungeheuer, das im ugaritischen Mythos unter dem Namen Jamm ("Meer") als Gegner des siegreichen Baal auftritt.46 Was immer der genaue Hintergrund des Mythos ist, es handelt sich um eine Kampfgeschichte, bei der ein Himmelsgott einen Meeresdrachen besiegt. Will man den Inhalt aller drei Mythen auf einen Nenner bringen, dann ist zu sagen: Sie umschreiben das Verhältnis von Gott und dem Bösen in der Weise, daß Gott dem Bösen in der Schöpfung einen gewissen Spielraum läßt, obwohl er allen finsteren Mächten weit überlegen ist. Das Fremde, Irreguläre, Unheimliche - für den Ägypter durch den Gott Seth repräsentiert - gehört bleibend zur Welt! Vielleicht darf man sagen, daß der glückliche und den Armen und Waisen zu ihrem Recht verhelfende Hiob (Ijob 29,12ff) sich am Kampf des Schöpfergottes gegen die Mächte des Chaos beteiligt. Wir wollen diesen Gedanken präzisieren, indem wir ihn dem Weltbild der am weitesten
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verbreiteten, "traditionellen" Religion der alten Kulturen zuordnen.47 Nach dem Weltbild der traditionellen Religion hat ein Gott (oder haben Götter) die Welt in einen geordneten Zustand gebracht. Die einmal etablierte Weltordnung ist ihrem Wesen nach unveränderlich. Gleichwohl wird die Welt ständig von Unglück heimgesucht. Eindrucksvoll sind am Schluß der Sintfluterzählung beide Momente nebeneinandergestellt. "Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." Aber innerhalb dieser festen Ordnung steht der Mensch, dessen Tun und Trachten böse ist von Jugend an (Gen 8,2 lf). Der traditionellen Religion gelten Natur, menschliches Leben, Gesellschaft und Staat als zerbrechliche, instabile Größen. Durch Erdbeben, Überschwemmung und Dürre, Hungersnot und Pest, feindlichen Überfall, Unterliegen im militärisch ausgetragenen Konflikt, Unterdrückung der Armen usw. bedrohen sowohl dämonische Mächte als auch die Menschen selbst die geordnete Welt. "Das dämmerhafte Wissen um die kosmische Unsicherheit bildet die Grundlage des hebräischen Weltgefuhls," schreibt Ludwig Köhler.48 Der grundlegende Mythos handelt von einem kosmischen Kampf und erklärt, wie ein göttlicher Krieger die Chaosmächte in Schach hält und dadurch das Überleben der Welt ermöglicht. Die Welt muß ständig wieder der uranfanglich etablierten Ordnung angeglichen werden. Natürlich hat dieser Kampf kein Ende, denn nach jeder Niederlage erholen sich die Mächte der Finsternis, um von neuem anzugreifen. Dem Antagonismus zwischen göttlicher Ordnungsmacht und widergöttlichem Chaos entspricht auch gesellschaftlicher Antagonismus. Das Böse begegnet uns in vielen Verkleidungen in Gesellschaft, Geschichte und per-
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sönlichem Leben. Um die Gesellschaft am Überleben zu halten, bedarf es stets eines regelnden und helfenden Eingreifens seitens göttlicher und menschlicher Akteure; auch mögen beide, Gott und Mensch, zusammenwirken. Die diesem Weltbild entsprechende Religion läßt sich als Religion der Heiligung und Heilung verstehen. Ihr Ziel ist, alles aus der Ordnung geratene wieder in Ordnung zu bringen. Korrektur, Reinigung und Heilung stellen den idealen, uranfanglichen Zustand der Dinge wieder her, so daß an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Land ein gesunder sozialer und politischer Körper entstehen kann (oder ein menschlicher Körper wieder gesundet). "Die uns erhaltenen Überlieferungen vom Chaoskampf zeigen eine Denkstruktur, die über Jahrtausende Geltung gehabt hat. Sie muß in einer kaum noch vorstellbaren Intensität Denken, Fühlen und Vorstellung des Alten Orients geprägt haben."49 Vielleicht können wir die Tragweite dieser Weltauffassung erst recht verstehen, wenn wir sie als "traditionelles Weltbild" dem davon unterschiedenen, ja entgegengesetzten "utopischen Weltbild" gegenüberstellen. Auf den ersten Blick mögen sich die beiden Weltbilder recht ähnlich sehen, denn es besteht ja ein historischer Zusammenhang zwischen beiden; das utopische Weltbild ist aus dem traditionellen hervorgegangen, ist gewissermaßen dessen Entartung. Beide Weltbilder sehen die Welt in kosmische Konflikte verwickelt. Aber wie anders werden die Konflikte gedeutet! In der utopischen Religion verliert der kosmische Konflikt seinen festen, dauerhaften Rahmen. Für sie ist die Welt alles andere als stabil und unveränderlich. Sie ist ständig in Bewegung, und zwar auf ein letztes Ziel hin, so daß schließlich, nach vielen Konflikten, ein endgültiger, konfliktfreier
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Zustand erreicht wird: Kosmos ohne Chaos. Der wichtigste Mythos, der diesem Weltbild entspricht, erzählt von einer künftigen Zeit. Der höchste Gott, der schon jetzt mit den Mächten des Chaos im Streit liegt, wird dereinst die Finsternis und dessen menschliche Verbündete in einem gewaltigen Endkampf besiegen. Da es dabei zur endgültigen Vernichtung aller gottwidrigen Mächte kommt, kann nun die vollständig gute und niemals mehr gefährdete Ordnung errichtet werden. Das Reich des Bösen wird "endgültig ausgetilgt und vernichtet" und durch ein "ewiges Reich" ersetzt (Dan 7, 26f). Damit erreicht die Welt ihren bleibenden Endzustand. Wie die griechische Bezeichnung "utopisch" andeutet, ist der konkrete Ort des Geschehens von keiner besonderen Bedeutung. Während die traditionelle Religion einer lokalen Beschränkung unterliegt, ist das utopische Weltbild universal ausgerichtet. Es geht nicht mehr um örtlich begrenzte Korrektur, Reinigung und Heilung. Vielmehr erwartet man einen weltumspannenden Zusammenbruch, aus dem sich eine neue Ordnung erhebt, die überall und immer Bestand haben wird: im Himmel oder auf Erden oder in beiden Bereichen gleichermaßen. In der Bibel finden wir neben der traditionellen auch die utopische Weltauffassung. Das Buch Hiob ist noch ganz der traditionellen Weltsicht verpflichtet; demzufolge muß der Kampf zwischen Glück und Unglück ewig sein. Von Zarathustra zwischen 1500 und 1200 v.Chr. erstmals verkündet, hat die utopische Sicht auch im Judentum Eingang gefunden. Sie findet sich besonders in der danielischen Apokalyptik und, im Neuen Testament, bei Paulus und im Buch der Offenbarung. Daß mit dem utopischen Weltbild natürlich eine ganz andere Sicht des Glücks verbunden ist, leuchtet ohne weiteres ein. Man erwartet ein ungefährdetes,
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endgültiges Glück in einem Himmel oder einem wiederhergestellten Paradies.
5. Eine Alternative: Kohelets skeptische Theorie des Glücks Unsere Ausführungen haben die verbreitetste, von den gebildeten Hebräern allgemein zugestandene Theorie des Glücks vorgeführt. Allerdings gibt es im Alten Testament auch einen "Querdenker", der eine eigene und von der traditionellen Auffassung abweichende Glückstheorie vertritt. Sie findet sich im Buch Kohelet. Kohelet, dessen Name vielleicht mit "Versammlungsredner" oder auch mit "Skeptiker" zu übersetzen ist, gibt sich als der sagenhaft reiche König Salomo aus. Zur Zeit Kohelets erzählt man von diesem israelitischen König märchenhafte Geschichten, die an Tausendundeine Nacht erinnern. In den Tagen Salomos, so stand es in den alten Büchern, waren alle Bauern Israels glücklich. Was sagt Kohelet zu dieser agrarischen Form des Glücks? Zunächst ist zu sagen, daß er nicht über das Glück des Volkes spricht, sondern die Frage stellt, ob Salomo in seinem Reichtum eigentlich selbst glücklich war. KoheletSalomo greift zur autobiographischen Gattung und berichtet uns vom Experiment seines Lebens. Ein erster Versuch scheitert: die Suche nach Wissen und Weisheit befriedigt nicht; "viel Wissen, viel Ärger" ist die Summe (Koh 1,18). Ein zweiter Versuch bezieht sich auf das Genießen; Kohelet-Salomo ersetzt seine philosophische Existenz durch eine solche des Genießers. In der Einheitsübersetzung: "Ich dachte mir: Auf, versuch es mit der Freude, genieß das
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Glück (tov)!" (Koh 2,1) Er will "beobachten, wo es vielleicht für die einzelnen Menschen möglich ist, sich unter dem Himmel Glück (tov) zu verschaffen während der wenigen Tage ihres Lebens" (2,3). Aber die Anlage von Lustgärten, Häusern, der Erwerb großer Herden, das Horten von Silber und Gold, die Gründung eines großen Harems all das befriedigt nicht, da hinter allem doch Vergänglichkeit und Tod lauern. Das heißt jedoch nicht, daß es kein Glück gäbe. Kohelet bekennt sich trotz allem zum Genuß, wobei sich Feststellung von Erfahrung und Ratschlag abwechseln: "Iß freudig dein Brot, und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider, und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt. Mit einer Frau, die du liebst, genieß das Leben..." (9,7-9) "Da pries ich die Freude; denn es gibt fur den Menschen kein Glück (tov) unter der Sonne, es sei denn, er ißt und trinkt und freut sich (daran). Das soll ihn begleiten als Lohn für seine Mühe während der Lebenstage, die Gott ihm unter der Sonne geschenkt hat." (8,15; Einheitsübersetzung, korrigiert) "Nicht im Menschen selbst gründet das Glück {tov), daß er essen und trinken und als Lohn fur seine Mühe das Glück {tov) selbst kennenlernen kann. Ich habe vielmehr beobachtet, daß dies von Gottes Verfügung kommt." (2,24; Einheitsübersetzung, korrigiert) "Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück (tov), es sei denn, ein jeder freut sich, und so verschafft er sich Glück (tov), während er noch lebt, wobei zugleich immer, wenn ein Mensch ißt und trinkt und als Lohn für seine Mühe
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Arbeitswelt und Festwelt werden einander gegenübergestellt. Erstere verbreitet Melancholie und Trübsinn, letztere vertreibt beides: man fühlt sich an die Überlegungen zum Thema "Fest als Therapie" erinnert, wie sie Aleida Assmann vorgetragen hat. Im 17. Jahrhundert hat die Anatomy of Melancholy von Robert Burton die auch bei Kohelet gegebene Empfehlung von Wein, Weib und Gesang gegeben^ 1 Aber Arbeitswelt und Festwelt verhalten sich nicht nur wie Krankheit und Therapie, sondern auch wie Arbeit und Lohn: das eine ist gleichsam der Einsatz, das andere der Gewinn. Wir werden allerdings gleich sehen, daß nach Kohelet der Gewinn sich nicht "machen", nicht erzwingen läßt. Der von Kohelet erwartete Gewinn funktioniert nach unserem Sprichwort: Wer wagt, gewinnt, d.h. kann gewinnen, muß es aber nicht. Es gibt keine strenge Gesetzmäßigkeit. Kohelets Lösung ist überraschend: er kommt schließlich auf das alte bäuerliche Ideal von "Essen und Trinken" zurück; selbst die göttliche Gewährung des Glücks beim Essen und Trinken fehlt nicht. Doch wie anders ist beides geworden! Lesen wir Kohelets Aufforderung zur Lebensfreude auf dem Hintergrund der in Ägypten, im Zweistromland, in der Bibel und nicht zuletzt in Griechenland bekannten Festkultur und deren Motto - "Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!" (Jes 22,13) -, dann ist ohne weiteres klar, daß wir hier die alte bäuerliche Lebenswelt verlassen haben. Wir befinden uns in einer Stadtkultur, die Feste kennt, genauer: ausgelassene Zechereien. Solche empfiehlt Kohelet! Dementsprechend weicht seine Theorie
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des Glücks von der Auffassung der Alten erheblich ab. Glück wird zwar von Gott gewährt (oder verwehrt), aber es ist nicht mehr der nahe, wohlwollende Gott der persönlichen Frömmigkeit wie bei Hiob. Es ist auch nicht mehr der Staatsgott wie in der Sage von Salomo. Der Gott Kohelets, als dessen Spielball er sich sieht, bleibt dem Menschen fern und fremd. "Man sieht also ohne weiteres," schreibt Gorssen, "die Abwesenheit der typisch biblischen Vorstellung jener vom Gott des Bundes und der Heilsgeschichte. Daß Gott alles bewirkt und daß sein Tun unbegreiflich ist, hat nichts Beunruhigendes an sich, solange der Mensch das unerschütterliche Bewußtsein hat, daß Gott ein Gott des Heils ist. Von einem solchen Gott kann sich der Mensch einmal bedroht fühlen, aber die Bedrohtheit ist niemals das letzte Wort. Es gibt nämlich dann immer noch einen [persönlichen] Gott, an den er sich wenden kann, auch wenn die Lage aussichtslos erscheint. Darin besteht ja die religiöse Größe der Vertrauenslieder, der Danklieder und Bittpsalmen, aber Hiobs... Die Ansicht Kohelets steht in der Bibel ganz für sich. Bei ihm gibt es keine Möglichkeit zu einer persönlichen und heilvollen Begegnung mit Gott."52 Kohelets Philosophie ist also zurückhaltend und bescheiden. Ihm bleibt nur, das Schlechte sowie das Gute, Glück wie Unglück, vom fernen, unpersönlich bleibenden Gott anzunehmen. So entsteht eine minimalistische Glückstheorie; von der alten semitischen Theorie des Hiobbuches ist sie durch Welten getrennt. Bei Hiob läßt das Glück selbst die Nähe des persönlichen Gottes erkennen. Bei Kohelet ist das Glück zwar gottgegeben, aber gottleer. Gott hat sich aus seiner Gabe zurückgezogen. Die "Gottleere" der Festfreude läßt sich gut charakterisieren, wenn wir sie mit einer anderen antiken Konzeption vergleichen. Nach einer altägyp-
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tischen Festtheorie, die Jan Assmann beschrieben hat, kann die Festfreude selbst als Emanation des als präsent erfahrenen Gottes gelten.53 Bei Kohelet ist die Festfreude keine solche Emanation eines präsenten Gottes, sondern eine Gabe der abwesenden Gottheit.
6. Schlußüberlegung Zum Abschluß wollen wir uns über den zurückgelegten Weg Rechenschaft geben, denn unser Vorgehen mag auf den ersten Blick kompliziert und verwirrend wirken. Aber es findet, glauben wir, sowohl in der Sprachphilosophie als auch in allgemeinen Überlegungen ausreichenden Rückhalt. Die Sprachphilosophie hilft uns, den eminent "theoretischen" Charakter des Glücksbegriffs zu verstehen. Allgemeine Erwägungen bestätigen uns darüber hinaus, daß Glück aber dennoch eine konkret erlebte, erfahrbare Wirklichkeit sein muß. Entsprechend ihrem Charakter als Abstraktbegriffe haben Wörter wie "Glück" das Kriterium für ihre Anwendung nicht primär in der außersprachlichen Wirklichkeit, sondern in einer sprachlichen Deutung der Welt, die bestimmte Erscheinungen bzw. Erfahrungen deutend zusammenfaßt und damit auch hervorruft. Mit dem Sprachphilosophen Leo Weisgerber kann man sagen, daß Begriffe wie Glück eine "sprachliche Anverwandlung von Welt" oder besser: von Welterfahrung bilden.54 "Der Mensch denkt, fühlt und lebt allein in der Sprache."55 Wilhelm von Humboldt, der Begründer der preußischen Universität, hat dieses sprachphilosophische Axiom aufgestellt. Der Mensch lebt in einer Sprachwelt. Aufgabe der Sprache ist, "das allen gemeinschaftlich vor-
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liegende Gebiet in das Eigentum des Geistes umzuschaffen."56 Nach Humboldt sind Begriffe sowohl Bestandteil als auch Ergebnis des Umschaffiingsprozesses. "Um zu reflektieren," erklärt Humboldt, "muß der Geist in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick still stehn, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst entgegenstellen."57 Eine solche "Einheit" des reflektierenden Denkens stellt unser Begriff "Glück" dar. Hören wir noch einmal Humboldt: "Das Wesen des Denkens besteht also darin, Abschnitte in seinem eignen Gange zu machen; dadurch aus gewissen Portionen seiner Tätigkeit Ganze zu bilden; und diese Bildungen einzeln sich selbst untereinander, alle zusammen aber, dem denkenden Subjekte entgegenzusetzen."58 Humboldt skizziert also die Begriffsbildung, wie sie sich ihm als fast willkürlich erscheinendes Innehalten im Denkprozeß darbietet. Darüber hinaus erscheint ihm Begriffsbildung aber auch als das Herstellen von Ganzheiten, die wir als Oberbegriffe oder Abstrakta charakterisieren können. Greifen wir auf Humboldts Ansatz bei unserem Versuch zurück, die Kultur des alten Israel zu verstehen, dann zeigt sich deutlich, daß die Begriffsbildung nur eine Möglichkeit unter anderen ist, "das allen gemeinschaftlich vorliegende Gebiet in das Eigentum des Geistes umzuschaffen". Nicht nur die Sprache mit ihren Begriffen, sondern auch der Mythos und religiöse Vorstellungszusammenhänge dienen der Aneignung und Deutung von Wirklichkeit. Erst wenn uns die Vielfalt der von einer bestimmten Kultur ausgeschöpften Möglichkeiten zur Erfassung der Welt bewußt ist, können wir es wagen, die kulturspezifische Theorie einer bestimmten Welterfahrung zu skizzieren.
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Wenn wir von einer kulturspezifischen Theorie sprechen, so soll damit jedoch nicht gesagt werden, daß Glück eine ausschließlich abstrakte Bestimmung und ein bloßer Denkakt sei. Nichts wäre irreführender. Wer nach Glück fragt, muß beim einzelnen, beim Individuum, beim "Ich" und seiner persönlichen (wenngleich kulturell geprägten) Erfahrung ansetzen. Sprechen wir also von Glück, so wird ein Zustand besonders qualifiziert, emotional bewertet und gleichsam "verklärt". Indem ein Mensch eine Situation als "glücklich" qualifiziert, erfahrt er Glück; denn nur eine solchermaßen verklärte Situation kann als Glück bezeichnet werden. Nur in einer verklärten Situation erscheint dem Hebräer ein Gott oder erscheinen Götter. Dazu muß es nicht der Ekstase australischer Tanzfeste bedürfen, in denen Émile Durkheim die Geburt des Gottesbegriffes zu beobachten glaubte; dazu genügt vielleicht auch die Glückserfahrung des einzelnen, die in ihm das Erlebnis frühkindlicher Geborgenheit wachruft. Wie dem auch sei: ohne den persönlichen Gott kann es keine hebräische Theorie des Glücks geben; vielmehr bildet er dessen Kern.
7. Zusammenfassung Fassen wir zusammen! Wir haben nach der kulturspezifischen Glücksauffassung des Alten Testaments gefragt. Da uns im Alten Testament weder eine prägnante Begrifflichkeit noch eine Reflexion über das Thema begegnet, mußte die Beschreibung eines Glückszustandes unseren Ausgangspunkt bilden. Gewiß hat Ludwig Köhler recht, wenn er schreibt: "Vom Gefühlsleben [des hebräischen Menschen] ist wenig zu sagen, weil es sich in den [bei] allen
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Menschen üblichen Bahnen hält."59 Daher konnte es uns nicht um eine Analyse von Glücksgütern wie Ansehen und Reichtum gehen, sondern um eine zweite Deutung, nämlich die einer bereits gedeuteten Wirklichkeit in Richtung auf das, was wir als Glück bezeichnen können. Erst diese zweite Deutung fuhrt in den begrifflichen Bereich des Glücks und macht dessen Theorie aus. An Texten des Alten Testaments konnten wir folgende vier Beobachtungen machen: 1. Im Bereich der persönlichen Frömmigkeit wird das Glücksgefuhl als Nähe des sog. persönlichen Gottes erfahren. Diese Nähe wird mit Ausdrücken beschrieben, die in den Umkreis der mütterlichen Zuwendung zum Kleinkind verweisen. 2. Im Bereich der Ortsfrömmigkeit gilt der Ortsgott als Quelle des Wohlstandes; er schafft und sichert die Voraussetzungen für Glück. Aber er greift auch in den Alltag ein. Glück wird als Folge von gutem, an Sitte und Weisheit orientiertem menschlichen Handeln aufgefaßt, wie umgekehrt Unglück als Folge von Zuwiderhandeln erscheint. Der Ortsgott sorgt dafür, daß sich menschliches Handeln in diesem zweifachen Sinne auswirkt. 3. Im Bereich der nationalen, offiziellen Religion (oder politischen Ideologie) Israels vermittelt der vom Staatsgott legitimierte König dem Volk einen heilvollen, glücklichen Zustand. Dieser wird uns als Bauernglück geschildert: jeder hat genug zu essen und kann unter Weinstock und Feigenbaum sitzen. 4. Zuletzt der Bereich der mythischen Weltanschauung! Der überall wahrgenommene Antagonismus und der Wechsel von Glück und Unglück werden durch ein mythisches Geschehen gedeutet. Dieses sieht die Mächte des Kosmos in einen ewigen Kampf gegen die Mächte des Chaos verwickelt. Zwar ist der Kosmos überlegen, jedoch gibt es kein Ende dieses Kampfes.
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Diese Beobachtungen vermitteln uns einen Einblick in die traditionelle hebräische und vielleicht allgemein semitische Theorie des Glücks. Wir können uns diese auch auf folgende Weise verdeutlichen: auf allen Ebenen der Selbstund Welterfahrung (eigene Person, Ort, Volk, Kosmos) verwandelt sich das Gefühl der Zufriedenheit in dem Maße in ein Gefühl des Glücks, in dem der Mensch eine andere, höhere, göttliche Macht erfahrt. Die Zufriedenheit bedarf, wie es scheint, eines höhren Sinns, einer Überhöhung, in der sie sich erfüllt. Jede Ebene wird gleichsam verdoppelt: das Individuum durch den persönlichen Gott, der Ort durch den Ortsgott, das Volk durch den Staatsgott und der Kosmos durch den Schöpfergott. Glückserfahrung beruht also auf einer Art "Verdoppelung" der Welt, wie wir sie aus der modernen Religionstheorie (Feuerbach, Durkheim) kennen. Wir konnten sehen, daß das Glück für den Hebräer niemals selbstverständlich und schon gar nicht beständig ist. Immer ist es durch Unglück bedroht. Interessanterweise hängt das Unglück nur bei der Ortsfrömmigkeit und Staatsreligion mit menschlicher Verfehlung und den darauf reagierenden göttlichen Zorn zusammen. In den beiden anderen Bereichen - der persönlichen Frömmigkeit und dem Schöpfungsglauben - gibt es einen solchen Zusammenhang nicht. Auch dort bleibt das Glück fragil und bedroht; auch dort gibt es den zornigen Gott;60 aber der Mensch ist hier nicht "schuld" am Unglück und gilt nicht als Verursacher göttlichen Zorns. Unglück bleibt vielmehr rätselhaft und allenfalls mythisch durch eine fast dualistische Weltsicht deutbar. Der auf eine Verfehlung reagierende, strafende göttliche Zorn ist der Zorn des politischen Gottes (Ortsgott, Staatsgott), nicht des persönlichen Schutzgeistes und des Schöpfers!61
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Ein Blick in das Koheletbuch belehrte uns, daß die traditionelle Theorie nicht die einzige gewesen ist. Bei Kohelet fanden wir eine ganz andere, minimalistische Theorie des Glücks. Nach wie vor ist Glück eine Gabe Gottes. Aber der Geber ist in die Ferne gerückt und seine Gabe schmeckt nicht mehr nach ihm. Er hat seine Gabe gleichsam verlassen. So bietet uns das Alte Testament einen reichen und vielfaltigen und wohl auch heute noch anregenden Schatz von Gedanken über menschliches Glück.
Anmerkungen 1 Der deutsch-hebräische Anhang des Geseniusschen Wörterbuchs von 1915 gibt dreizehn verschiedene Wörter fur "Glück" an, darunter 'orah "Licht", tov(ah) "Gutes", shalom "Heil, Friede", tom "Vollständigkeit, Heil"; dasselbe Wörterbuch führt noch ein weiteres Wort an: berakhah "Segen", verstanden als "glückspendende Kraft." In der Aufzählung fehlend, aber heute allgemein anerkannt, ist ein weiterer Ausdruck: hayyim "Leben", verstanden als reiches, glückliches Leben (Baudissin, 1915). Darüber hinaus kann das Hebräische auf ein reiches Repertoire von Metaphern zurückgreifen: "Einen breiten Raum nimmt das Licht als Bild für Glück und Wohlergehen ein. ... Manchmal wird 'Licht' durch die Lampe ersetzt, die ebenfalls ein Bild für Glück und Heil ist" (Aalen 1973, 174). Was wir als Glück bezeichnen, läßt sich also mit einem reichhaltigen Vokabular mühelos ausdrücken. Dennoch fehlt ein eindeutiger, hervorstechender Begriff von der Art der griechischen eudaimonia oder der lateinischen beatitudo. Während eine zeitlang in der biblischen Forschung Wortstudien en vogue waren, weiß man heute, daß diesen nur begrenzter Wert zukommt; eine die Belege erörternde Wortstudie ist zwar oft unerlässlich, aber sie kann nur selten tief genug in eine kulturspezifische Denkweise vorstoßen. Dazu bedarf es der Lektüre ganzer Texte und einer Erörterung von deren Welt- und Menschenbild.
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Guttmacher (1904). Gorssen (1970, 321). Sundén (1982, 33-49). Man pflegt im Anschluß an Henri Frankfort von einer "Vielfalt der Erklärungen" (multiplicity of approaches) zu sprechen, die der traditionellen, nicht auf eine einheitliche Welterklärung zielenden Denkweise eigen ist. Frankfort (1949,25). Köhler (1936,132 = §46). Ethos wird dabei mit Gregory Bateson verstanden als die kulturell standardisierte Organisation der Instinkte und Emotionen des einzelnen. Vgl. Lang (1991). Vorländer (1975). Eine Übersicht über das babylonisch-assyrische Material zur persönlichen Frömmigkeit gibt auch Boström (1990,193196). - Wenn wir sagen, "jeder Mensch" habe nach Auffassung der alten Semiten einen "persönlichen Gott" gehabt, ist freilich einzuschränken. Offenbar haben nicht alle Frauen einen solchen Gott. Stamm (1939, 309) meint, "daß Sklavinnen als freizügige Individuen einen eigenen Schutzgott besitzen können, während freie Frauen, solange sie im Hause ihres Vaters wohnen, sich dessen Gott, später dem Schutzgott ihres Gatten unterstellen". Oppenheim (1977,199f). Koch (1988, 118-152). Ijob 17,12; 18,5f;22,28. OdSal 2. Biale (1981/82). 1QH 9,29-36 in Maier/Schubert (1973,221). Zwei ägyptische Beispiele mögen genügen: "Der [Gott Aton, der] den Samen sich entwickeln läßt in den Frauen..., der den Sohn am Leben erhält im Leib seiner Mutter und ihn beruhigt, indem er seine Truanen stillt; Amme im Mutterleib... Wenn das Kind herabkommt aus dem Leib, um zu atmen am Tag seiner Geburt, dann öffnest du seinen Mund zum Sprechen und sorgst für seinen Bedarf.... Deine [Sonnen]Strahlen säugen alle Wesen." Großer Hymnus des Echnaton, ca. 1340 v.Chr.: J. Assmann (1988, 850f). - "Es war einmal ein Mann aus dem südlichen Heliopolis... der Gott hat ihn schon als Kind erkannt; Nahrung und Kostbarkeiten wurden ihm zugewiesen. ... du bist die Geburtsgöttin. [Die Göttin] Mut, die mich schuf... Wer sich Mut zum Schützer macht, der kommt schon als Gelobter aus dem Mutterleib; dem ist Gutes [Glück!] bestimmt auf dem Geburtsziegel." Bekenntnis des Schreibers Simut, genannt Kiki, ca. 1250 v. Chr.: J. Assmann
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(1988, 879-882). - Als abendländische Beispiele für Frömmigkeitssprache, die in den Bereich mütterliche Säuglingspflege führt, kann man Augustinus (vgl. Brändle et al., 1984) und Franz von Sales nennen. Die Geborgenheit des Säuglings an der Mutterbrust wird von Franz von Sales genannt, wenn er von der mystischen Geborgenheit der Seele in Gott redet. Dem Heiligen und Seelenfuhrer des 17. Jahrhunderts bedarf es dabei nur eines indirekten Hinweises auf die Bibel; er braucht nur auf die Erfahrung aller Menschen zu verweisen. Franz von Sales spricht in seinem Traité de l'Amour de Dieu (Kap. VI,8) vom "enfant ... qui, attaché au tétin de sa mère, allaite en dormant et dort en allaitant" [Säugling, der, an der Mutterbrust liegend, schlummernd trinkt und trinkend schlummert]. So fühlt sich auch auch der Fromme "près des mammelles de la douceur éternelle" - den Brüsten der ewigen Wonne nahe. Die Brüste entstammen der erotischen Sprache des Hohenliedes, aber der Bischof verwandelt sie mit psychologischer Berechtigung - in die nährenden Mutterbrüste. François de Sales (1894, 333 und 332). Zur "oralen Religiosität" vgl. Lüthi (1991) und Fauteux (1994). Das Verlassensein vom persönlichen Gott in den Psalmen untersucht Lindström (1994). Er weist daraufhin, daß das Verlassensein nur in Gebeten der Gemeinde, nicht aber in Gebeten der einzelnen mit einer Selbstanklage oder einem Schuldbekenntnis verbunden sind. "Enemy complaint and complaint against God replace self-accusation" (Lindström 1994, 446). Albertz (1992, 331). Vgl. Dtn 1,39; Jes 7,15f. Es handelt sich hier keineswegs nur um eine aus heutiger, psychologisch geschulter Sicht gemachte Interpretation. Schon Deuterojesaja, der die Beziehung Individuum/ persönlicher Gott auf die Beziehung Israel/Jahwe überträgt (Vorländer 1975, 293ff), trägt diese Sicht vor: Wie eine Mutter ihr Kind nicht verläßt, so läßt auch Jahwe sein Volk nicht im Stich (Jes 49,15)! Die Beziehung zum Tempel ist bes. im Falle von Ps 16,5f; 73,17.26 deutlich, wo der Ausdruck "Anteil" auf die Leviten hinweist (Num 18,20). Von Rad (1971,239f). Veyne (1989) gibt einen vorzüglichen Einblick in die Tempelfrömmigkeit der alten Welt. Nicht nur das Darbringen von Opfern, sondern der bloße Besuch des Tempels und der Aufenthalt(/reg«entare templa) sind als Frömmigkeitsübungen beliebt.
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24 Diese Deutung schlägt Stamm (1967, 312f = 1980, 1080 vor; ähnlich Fowler (1988), 79: "El is good fortune". - Die Namen Gad, Ascher und Benjamin lassen sich als "Glückskind" deuten, Gen 30,11.13; 35,18; vgl. Eißfeldt(1968). 25 Über dieses Thema gibt es bisher nur zwei Arbeiten: Lang (1983), Spieckermann (1992). Vgl. noch Albertz (1992, 41-43). 26 2 Chron 32,19; vgl. Esra 1,3; 7,19. Zu diesem nachexilischen Beleg (4. Jh.) kommt ein älterer aus einer Grabinschrift, in der es heißt: "Die Berge Judas [gehören] dem Gott von Jerusalem" (Hirbet Bet Lay, ca. 700 v. Chr.). Als Ortsgott begegnet Jahwe auch in einer der Inschriften von Kuntilet Adschrud (ca. 800 v. Chr.): "Jahwe von Schomron [Samaria]". Smelik(1987, 149.144). 27 Zur Tempelquelle vgl. noch Ez 47,1-12. 28 Koch (1991, 65-103.107-127). 29 Friedrich Schiller, Die Piccolomini V,l. 30 Koch (1988, 133 Anm. 29). 31 Nebenbei sei bemerkt, daß die Begrifflichkeit, die Koch zur Ausarbeitung seines Modells verwendet, anthroposophischen Kategorien nahesteht. Die mit dem menschlichen Ich verbundene Tatfolge und die Beschreibung der den Menschen als Aura umgebenden "Hüllen" spielen bei Rudolf Steiner (1961) eine große Rolle. Nur der Begriff des Karma für das vom Menschen selbst geschaffene Schicksal fehlt bei Koch; sachlich freilich ist auch er präsent. 32 Koch (1980, 96). Zur Diskussion um Kochs These, der man gewöhnlich nachsagt, sie beachte göttliches Eingreifen zu wenig, vgl. Kuntz (1977); Krüger (1989, 86-96). Das Neben- und Miteinander von eher immanentistischen und religiösen Konzepten der Weltdeutung in der Bibel läßt sich natürlich auch mit Hilfe der oben angedeuteten Sundénschen Theorie vom "Phasenwechsel" in der Welterfahrung und auf der Grundlage des Prinzips der "Vielfalt der Erklärungen" (multiplicity of approaches) verstehen (s. oben, Anm. 4 und der Text bei Anm. 3). Treffend spricht Boström (1990, 140) von einer "complementarity of approaches", d.h. der Ergänzung der profanen, immanenten Ausdrucksweise durch die religiöse. 33 Eine ähnliche Aufzählung von materiellen Glücksgütern findet sich Ps 4,8, wo von Korn und Wein die Rede ist, wobei in der griechischen und lateinischen Fassung (Septuaginta, Vulgata) noch "Öl" hinzugefügt wird. "A fructu frumenti, vini, et olei sui multiplicati sunt. - Von der Frucht ihres Getreides, ihres Weines und Öls sind sie fett geworden." Tatsächlich sind Öl und Weizen (und Wein) die
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traditionellen Grundnahrungsmittel der Mittelmeerländer; das ist jahrhundertelang so gewesen und wurde erst durch die neuzeitliche Einführung von Mais- und Kartoffelanbau verändert; vgl. die Hinweise von Mirko Grmek und André Nouschi in Braudel (1986, 73 -81). 34 Köhler (1953, 58f). 35 Köhler (1953, 87); gemeint ist arab. kaff "das Ablassen, das Sichenthalten". 36 Herodot, Historien I, 193; vgl. Mt 13,8. Im palästinischen Kernland wächst das Getreide schlecht; etwas besser steht es mit dem Küstengebiet am Mittelmeer; so heißt es von Isaak, der in der Nähe der Philister Ackerbau betreibt: "Isaak säte in diesem Land, und er erntete in diesem Jahr hundertfaltig ... so daß ihn die Philister beneideten" (Gen 26,12). 37 Homer, Odyssee 19,109-114 (übers. Roland Hampe). 38 Murray (1992, 83); Barker (1991, 82-89). 39 Um genau zu sein, müssen wir sagen, daß Ps 144 zwei Arten von göttlicher Zuwendung kennt, die sich begrifflich unterscheiden lassen: die aktuelle, dramatische Intervention zugunsten des Köngs im Krieg und die leise, Prosperität spendende göttliche Gegenwart-, nur die letztere sollte man als "Segen" bezeichnen. Westermann (1968, 9-22). 40 Schmidt (1934, 250f). 41 Wir orientieren uns an Keel (1978). 42 Jahwe packt den wilden Säugling und wickelt ihn in Windeln (Ijob 38,9) - und "Wickeln" bedeutet im Orient, ein Kleinkind so einzuwickeln, das es weder Hände noch Beine bewegen kann. Das harte und steife Bündel sieht aus wie eine Mumie: so noch im 19. Jahrhundert von Mary Rogers (1869, 28.62) beobachtet. Vgl. auch das von Fuchs (1993, 197-199) angeführte Material. 43 Josef Henninger in einem Hinweis in Anthropos 74 (1979), 934. 44 Herrmann (1992) meint, die Bezeichnung "Nilpferd" sei zoologisch weniger exakt als das "Flußpferd". 45 Lang (1980). 46 Caquot (1992) verweist gegenüber Keels (1978) ägyptischer Deutung auf den ugaritischen Mythos. 47 Die folgenden Ausführungen greifen auf Anregungen von Smith (1990, 121-143) und Cohn (1993) zurück. Für das neuerdings vielverhandelte Thema "Chaoskampf' vgl. noch Mettinger (1985), Batto (1992), Podella (1993), Fuchs (1993, 29-64). 48 Köhler (1953, 114). 49 Fuchs (1993,62).
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50 In Texten wie Koh 2,24; 3,13; 8,15 wird die Wendung "als Lohn fur seine Mühe" zumeist falsch wiedergegeben, da das hebräische bet pretii verkannt wird. 51 A. Assmann (1991,232f). 52 Gorssen (1970,314). 53 J. Assmann (1991,211). 54 Vgl. die Überlegungen, die Michel (1991, 795) zum Begriff "Gerechtigkeit" im Anschluß an Weisgerber (1962) anstellt. 55 Humboldt (1963/81, III, 77). 56 Humboldt (1963/81, III, 64). 57 Humboldt (1963/81, V, 97). 58 Humboldt (1963/81, V, 97). 59 Köhler (1936, 132). 60 Etwa Ps 30,6 ist vom Zorn des persönlichen Gott die Rede, aber der Zorn wird nicht motiviert! Den Sachverhalt erörtert Lindström (1994, 129-238). 61 Für eine politische Deutung göttlichen Zorns kann man sich auf den Kirchenvater Laktanz (um 300 n.Chr.) berufen. Hätte der göttliche Richter nicht die Affekte Zorn, Liebe und Erbarmen, "dann geriete das Menschenleben in Verwirrung und der Zustand der Welt käme in solche Unordnung, daß die Gesetze verachtet und übergangen würden und allein die Frechheit herrschte und daß letzten Endes sich niemand sicher fühlen könnte als allein der Stärkere. So würde, wie durch eine allgemeine Räuberbande, die ganze Erde verwüstet. Nun aber können die Bösen mit Strafe, die Guten mit Gnade und die Unglücklichen mit Hilfe rechnen" (De ira Dei 16,8). Vgl. dazu die anregende Analyse göttlichen Zorns als politischer Größe durch J. Assmann (1992, 8399).
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Diskussion Der Diskussionsleiter wies in seinem einleitenden Statement auf aktuelle Dimensionen der Rede vom mütterlichen Gott in Bernhard Langs Referat hin. Ausgangspunkt der ersten Frage aus dem Auditorium war die Betonung des individuellen Glücks in dem zur Diskussion stehenden Vortrag. Der Fragesteller wollte wissen, ob sich aus der Vorstellung eines Gottes, der einen Vertrag mit seinem Volk geschlossen hatte, kollektive Glückskonzepte ableiten ließen. Der Referent verneinte dies und verwies darauf, daß Vorstellungen von und Begrifflichkeiten zu Kollektiven bei den Israeliten - entgegen der
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gängigen Meinung - erst spät entwickelt worden seien. Am ehesten kämen kollektive Glücksvorstellungen in den ersten elf Kapiteln des Ersten Königsbuches zum Ausdruck. Der Referent zitierte lKön 4,20 ("Das Volk von Juda und Israel war zahlreich wie der Sand am Meer. Es hatte zu essen und zu trinken und war glücklich") und lKön 5,4f. ("Er hatte Frieden ringsum nach allen Seiten. Juda und Israel lebten in Sicherheit von Dan bis Beerscheba; ein jeder saß unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum, solange Salomon lebte"). Im Zusammenhang mit dieser Feststellung zur zeitlichen Differenzierung legte Bernhard Lang auch dar, daß die Anfange der israelitischen Gottesvorstellungen polytheistisch bestimmt gewesen seien. Zwar sei ein Gott kultisch bevorzugt worden, aber neben ihm hätten andere gestanden, die für bestimmte Sektoren wie Wetter oder Fruchtbarkeit zuständig gewesen seien. Darin seien Übereinstimmungen zwischen frühen Formen der israelitischen Religion und anderen vorderorientalischen Religionen festzustellen. Erst über einen langen Zeitraum hinweg sei es zu dem uns geläufigen, eindeutigen Monotheismus gekommen. Dieser Entwicklungszug gewann in der Antwort auf eine Frage Bedeutung, in der die Funktion Gottes als "Herr der Tiere und der außermenschlichen Natur" ins Spiel gebracht wurde. Besondere Bedeutung gewann dieses Entwicklungskonzept aber in der Antwort auf eine Frage, die sich auf Langs Prämisse 2 ("Das Glücksgefühl wird als Nähe des sog. persönlichen Gottes erfahren") bezog. Gut belegbar sei doch, daß auch im Unglück, das als Züchtigung durch Gott gedeutet werde, Gottes Nähe erfahren wurde. Lang stimmte hier praktisch der Auffassung der Diskutantin zu. Die Spannung zwischen persönlichem und strafenden Gott sah er im
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unterschiedlichen Rollenrepertoire des einen Gottes begründet. Eine solche Spannung sei normal, wenn sie auch der heute dominierenden Vorstellung eines, wie Lang formulierte, "primitiven Monotheismus" widerspreche, aus der alle mythischen und von der polytheistischen Tradition herkommenden Elemente getilgt seien. Ein weiterer Diskutant sah einen Widerspruch zwischen Prämisse 1 bei Lang ("Glück gilt als Folge menschlichen Handelns") und seiner Prämisse 3 ("Antagonismus und Wechsel von Glück und Unglück werden durch mythisches Geschehen gedeutet"). Die Formulierung von Prämisse 1 lasse einen Einbezug des Mythischen nicht zu. Lang konzedierte hier eine gewisse Spannung, die er schon im Buch Hiob angelegt sah, auf das er zurückgegriffen hatte. Eine grundsätzliche Fragestellung, die wohl auf fast alle Referate anwendbar ist, war die nach dem Verhältnis von Glück und dessen sprachlicher Erfassung. Der Diskutant wandte ein, daß eine Konzentration auf sprachlich geprägte Glücksvorstellungen, wie sie bei Lang erkennbar sei, zunächst beinhalte, daß Glück jeweils erst "post festum" feststellbar sei. Weiterhin könne bei dieser Art der Bearbeitung das Glück des Kindes, auf das im Referat so viel Nachdruck gelegt worden sei, nicht berücksichtigt werden. Der Referent unterschied zwischen Glück als Gefühl und Produkt der Reflexion, als das es sprachlich faßbar ist, und gestand zu, daß Glück, wie es im Rahmen der Tagung behandelt würde, lediglich reflexiv feststellbar sei. Ziel sei bei ihm letztlich gewesen, eine kulturspezifische Theorie des Glücks zu ermitteln. Die Zeit zur Diskussion des Referats von Prof. Lang war eng begrenzt. Mehrere Fragen wurden in seinem zusammenfassenden Statement nicht direkt beantwortet. So konnte auf
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die Bedeutung des Glücks in der Biographie eines Menschen, wie sie aus den von Lang herangezogenen Texten deutlich geworden sei, nicht mehr eingegangen werden. Gerhard Schmied
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Konzepte des "Glücks" im antiken Judentum Jede Begriffsforschung1, die von dem heutigen Gebrauch der Wörter ausgeht und bestrebt ist, in der Antike ihr Vorstadium bzw. ihren kulturellen Hintergrund auszumachen, wird der Komplexität und Vielfalt der menschlichen Erkenntnis und des Erfahrens kaum gerecht, wenn sie nur phänomenologisch und nicht auch systembezogen verfahrt. Für das Konzept "Glück" gilt diese Überlegung im besonderen Maß. Denn es ist ein Begriff, der schwer in eindeutige, für alle geltende Kategorien einzuordnen ist und der je nach Kultur und, innerhalb derselben, je nach Individuum und Gruppe ganz unterschiedlich bewertet wurde und wird. Bei der Untersuchung des "Glücks" werden darüber hinaus drei Dimensionen des Begriffs implizit angesprochen: das Empfinden des Menschen, seine kulturbezogenen Erwartungen sowie seine theoretischen Überlegungen und schriftlich formulierten Vorstellungen. Was das Empfinden des Menschen betrifft, so ist der heutige Forscher kaum in der Lage, etwas über die Gefühle einer weit zurückliegenden Epoche wie die der Antike zu erfahren, weil es im Bereich des menschlichen Empfindens keine Tradierbarkeit und Übersetzbarkeit, Voraussetzungen für das heutige Verständnis des Phänomens, gibt. Es ist uns nicht möglich, zu überprüfen, ob in der Antike Frauen und Männer - auch unter "unmenschlichen" und unwürdigen Umständen - "glücklich" waren oder nicht. Was für die heutige Kultur als Voraussetzung zum Glück (Freiheit,
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Autonomie, Selbstbehauptung) gilt, bildete im (zumindest jüdischen) Altertum nicht den Angelpunkt des Lebens. Sofern sich also die Untersuchung von Glücksvorstellungen das Empfinden des Menschen zum Gegenstand setzt, ist sie konsequenterweise zum Scheitern verurteilt. "Glück" ist ein Wort, das die eigenen Erwartungen und Anschauungen praktisch und theoretisch qualifiziert. Der eine Aspekt betrifft das alltägliche Leben, der andere die daraus resultierenden Vorstellungen. "Glücklich leben", "Glück haben" sind Termini, die jeder als Bestandteil seines eigenen Lebens, als Hoffnung, Begehren oder Realität, kennt. Diese Form des Glücks, die man als soziologisches, vorphilosophisches Phänomen zu betrachten hat2» ist vielen Kulturen gemeinsam. Die Tatsache, daß sich jeder das Glück - wie es auch immer definiert und objektiviert wird wünscht, ist aus der Sicht der Philosophie und Geistesgeschichte nicht von Belang. Denn dies unterscheidet sich nicht von unserer heutigen Mentalität. Von Bedeutung ist hingegen die Theoretisierung des Glücks, also die jeweilige Glücksvorstellung - und dies bildet den dritten Aspekt der Glücksforschung - unter der Voraussetzung, daß eine solche "Vorstellung" übersetzbar ist. Unter "Übersetzen" verstehe ich vor allem die reflektierte Vermittlung und die Versuche jeglicher Generation, die die Überlieferung antiker Texte und Dokumente erst möglich gemacht haben. Wir könnten über Glück in der Antike nicht reden, wenn die antike Welt selbst keine Brücke zwischen den Hochkulturen geschlagen hätte. Da unsere Forschung vor allem auf Texte (und Wörter) angewiesen ist, ist Vorsicht angebracht. Denn aus rein sprachlichen Gegebenheiten kann man nicht auf Unterschiede in der Weltanschauung oder auf "Völkerideologien"
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schließen^, das heißt ausschließlich aufgrund des Vorkommens eines Wortes kann man keine Vorstellungen untersuchen, sondern lediglich komparatistische Philologie oder vergleichende Linguistik betreiben. Die Untersuchung einer Vorstellung hingegen impliziert die ganze semantische Welt ad extra et ad intra, gegenseitige Abhängigkeiten, Tradierungsprobleme, und zwingt darüber hinaus den Forscher, bei seiner Herangehensweise an die Texte die eigene Methodologie zu hinterfragen. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß in dem vorliegenden Beitrag weder das "Glück" als Empfindung des Menschen thematisiert noch das Judentum als einheitliches kulturgeschichtliches Phänomen betrachtet wird, dessen spezifische Vorstellung(en) vom Glück erläutert werden könnte(n). Meine Bedenken gegen die Vereinheitlichung und Aktualisierung antiker Glücksvorstellungen4 sind durch die Diskussion über die von der Tagung besprochenen Hochkulturen bestätigt worden. Es wäre irrig zu denken, daß das heute vertretene Menschenideal bereits in der Antike existiert haben müsse. Die Geschichte einer Kultur deckt sich nie vollständig mit unserem aktuellen Verständnis von ihr, sondern besteht aus allen Konkretisierungen und Theoretisierungen, die sie im Laufe der Zeit erfahren hat. Die Reduzierung einer Hochkultur auf die Erscheinungen, die wir festzustellen glauben, ist ein gefahrlicher konsequenzträchtiger methodischer Irrtum, die - was das Judentum betrifft - den Antisemitismus teilweise begründet, auf jeden Fall gefördert hat. Hier sollen also nur einzelne Konzeptualisierungen, Anschauungen vom Glück im Judentum untersucht werden: Am Anfang der Wissenschaft steht zunächst die Kenntnis der Vielfalt.
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Das Wort "Glück" bedeutet im Deutschen zweierlei: (1) den Zustand, den man zufallig, also infolge eines nicht vom Willen abhängigen freudigen Ereignisses erfahrt; (2) den Zustand, den man kraft seines Willens, seiner Tüchtigkeit und des ethischen Begehrens erreicht und als die eigene Erfüllung und Vervollkommnung betrachtet5. Die erste Bedeutung ist im Griechischen durch das Wort eutyche, die zweite hingegen meist durch eudaimonia ausgedrückt, wobei - wie im übrigen auch im Deutschen - eine genauere Nuancenunterscheidung kaum möglich ist, weil dabei die Frage nach der Herkunft und Mitwirkung des menschlichen Willens eine Rolle spielt6. Als dritter Terminus, der einen glücklichen Zustand bezeichnet, ist makariotes zu erwähnen, der gewöhnlich auch als Synonym für eudaimonia gilt?. Während die ersten beiden Begriffe vor allem in der hellenistischen Philosophie aristotelischer und stoischer Prägung zur Kennzeichnung eines göttlichen und menschlichen Glückszustandes eine große Rolle spielen8, wurden der Terminus makariotes bzw. Termini um die Wurzel makar vor allem in der griechischen Übersetzung der Tora, der Septuaginta, und im Neuen Testament (Mt 5,3-12) verwendet und fanden von daher auch in die Literatur der Kirchenväter Aufnahme9. In diesen Zusammenhang gehört auch der Terminus tychè, der sowohl das Schicksal (oft auch den "glücklichen Zufall")10 beinhaltet als auch seine Personifizierung (Schicksalsgöttin) bezeichnet, was im biblischen Sprachgebrauch am ehesten dem Wort gad entsprechen würde11. Nicht ohne Grund rekurriert die philologisch-philosophische Analyse der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Konzepte des Glücks auf die griechische Terminologie. Denn die antiken Glücksvorstellungen sind zweifelsohne
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von der Spekulation der griechischen Philosophie geprägt worden. Griechische Denker haben sich gerade die Untersuchung desjenigen ethischen Ziels angelegen sein lassen, um das alle Elemente des menschlichen Lebens kreisen, von dem sich das menschliche Wesen angezogen fühlt und in dem es seine Ruhe findet. In der griechischen aristotelischen Ethik ist das eudaimonistische Leben das höchste Ziel, das erreicht werden muß. Diese Anschauung blieb nicht ohne Widerspruch. Ihr stellte sich nicht zuletzt die jüdischhellenistische und dann später die von den Christen übernommene Weltanschauung entgegen, indem sie, z.T. unter dem Einfluß stoischer Gedanken, eine rein asketische bzw. eschatologisch geprägte Ethik entwickelte. Außerhalb der jüdisch-hellenistischen Literatur gibt es im antiken Judentum keine ausgiebige Diskussion über das, was die Griechen unter "Glück" verstanden haben. Denn die griechischen Philosophen gehen von der Individualität des Menschen und der Autonomie des Urteils aus 12 . Im rabbinischen Judentum wird dieser Aspekt - auf philosophischer Ebene - erst im Mittelalter thematisiert. Dennoch läßt sich bereits für die jüdische Antike ein Spannungsfeld zwischen Glück und Schicksal, dem Ziel des Menschen als autonomen Wesen und dem Unabwendbaren, dem teilweise auch die Gottheit unterworfen ist, ausmachen. Diese Problemstellung ist der griechischen Philosophie, der jüdisch-hellenistischen und der rabbinischen Literatur gemeinsam. Von dieser Spannung ist z.B. das weisheitliche Buch Qohelet mit seinen pessimistischen Reflexionen über das Glück durchdrungen. Das Glück ist hier einerseits Ziel der Bestrebungen, andererseits der vom Gott oder daimon vorhergesehene, unabwendbare Verlauf des Lebens 13 .
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1. Das hellenistische Judentum Die Tatsache, daß die griechische Übersetzung der Tora, die Septuaginta, weder den Begriff eudaimonia noch eutychia, sondern nur Termini um die Wurzel makar als Übersetzung von ashre verwendet14, ist bemerkenswert, zumal da die eudaimonia auch eine religiöse Bedeutung hatte. Möglicherweise vermieden die Übersetzer deshalb den Gebrauch, weil die Wortzusammensetzungen eu-daimon und eu-tyche (polytheistische) Elemente wie "Dämon" (auch "Gott") und "Tyche" (Göttin des Glücks) mit der Vorsilbe eu ("gut", "schön") verbinden. Dennoch ist dieses Fehlen kein zwingender Grund zu der Annahme, daß die Septuaginta den Terminus makarios, den sie zum Ausdruck des Glückes verwendet, bewußt gegen die griechische Philosophie stellt. Denn bei den Griechen waren makarios und eudaimört Synonyme15. Man kann lediglich vermuten, daß es sich um eine vorbeugende Maßnahme gehandelt haben mag. Auch was den Inhalt der Vorstellung vom menschlichen Glück betrifft, so setzt sich die Septuaginta kaum mit dem Hellenismus auseinander. Ihre Übersetzer betonen vielmehr die alttestamentliche Weisheits- und Frömmigkeitslehre, in der das Glück als Gottesgabe und Voraussetzung aller Seligkeit gilt16. Erst in IV Makk 17,18^ und 18,191» gewinnt makarios auch eine eschatologische Dimension. Die Auseinandersetzung mit dem griechischen Konzept des Glücks und der darin ausgedrückten griechischen Anthropologie und Ethik findet fast ausschließlich bei Philo von Alexandrien und, in geringerem Maße, bei Josephus Flavius statt19. Dabei fallt auf, daß beide Autoren entgegen dem Sprachgebrauch der Septuaginta dieselbe Vorliebe für
Konzepte des "Glücks" im antiken Judentum eudaimonia/eutychia gegenüber zeigen.
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dem bedeutungsgleichen makariotes
1.1 Philo Zwischen eudaimonia und eutychia wußte Philo genau zu unterscheiden. Obwohl er auch eine positive Einstellung zur eutychia als Gottesgabe erkennen läßt20 und sie sich sogar als zukünftigen Zustand Israels wünscht21, wird sie von ihm vor allem als negativer Begriff verwendet, der der Tugend gegenübergestellt wird. Manche (Gesetzgeber) haben die Besetzung der Ämter durch Los eingeführt - nicht zum Vorteil für die Völker; denn das Los zeigt wohl, daß jemand Glück hat, nicht aber daß er Tugend {arete) besitzt (SpecLeg IV,151)22. So bekräftigt er in bezug auf die Therapeuten: Zwar sind sie (die Therapeuten) Bürger des Himmels und der Welt, doch wurden sie in echter Weise auf die Seite des Vaters und Schöpfers des Alls gestellt durch ihre Tüchtigkeit {hyp'aretes), welche ihnen (Gottes)freundschafit gewährte und als passendstes Geschenk sittliche Vortrefflichkeit {oikeiotaton geras kalokagathias) verlieh, die besser ist als alle Glücksgüter, da sie bis zum Gipfel der Glückseligkeit selbst gelangt (VitCont 90)23. Die Essäer seien die einzigen von allen Menschen, die nicht aus Mangel an Glücksgütern, sondern vielmehr mit Absicht weder
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Geld noch Land besitzen und dabei doch für sehr reich gehalten werden, weil sie es als ein Übermaß an Reichtum (endeiai eutychias plousibtatoi) - was es ja auch ist betrachten, wenig zu bedürfen und genügsam zu sein (Prob 77)24. Sein negatives Urteil über die eutychia basiert einerseits auf seiner Überzeugung, daß die Wohlhabenheit das Verderben25 und die Gottlosigkeit2^ zur Folge hat und verdankt sich seiner stoischen Quelle, nach der das Glück unbeständig sei: Denn es gibt nichts Unbeständigeres als das Glück, das die menschlichen Geschicke wie im Brettspiel hinaufund hinabzieht, das oft an einem Tage den Hohen stürzt und den Niedrigen hoch emporhebt27. Ganz anders sein Gebrauch der Termini um die Wurzel eudaimon. Die Glückseligkeit ist für Philo das Wesen des göttlichen Zustandes, der dem Menschen vermittelt wurde. Seine Theodizee begründet demnach seine Ethik. Die "Glückseligkeit" gehört ausschließlich (und unvergleichlich) Gott an: Gott allein feiert in Wahrheit Feste, denn er allein darf sich freuen, er allein darf froh und heiter sein, er allein hat Frieden ohne jeden Kampf; er ist ohne Trauer und ohne Furcht und vollkommen frei von Übeln, keinem nachgebend, ohne Schmerzen, ohne Müdigkeit, voll reiner Glückseligkeit (autos akra kai telos hai horos eudaimonias ho theos); sein Wesen ist ganz vollkommen, mehr noch, Gott ist selbst der Gipfel, der Endpunkt und
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die Grenze der Glückseligkeit (eudaimonias akratou), er braucht keinen andren zu ihrer Steigerung, gewährt vielmehr allen Einzelgeschöpfen Anteil an der Quelle des Schönen, an sich selbst.(Cher 86) 28 Nur Gott kann als der allein Glückliche (Gleichung von eudaimones und makarios)29 gepriesen werden. Was den Menschen anbelangt, so wurde das ursprünglich glückliche Leben von der Sünde des ersten Menschen zunichte gemacht: ... ihre Handlungsweise verdiente (Gottes) Zorn, da sie an dem Baume des unsterblichen Lebens, der Vollendung der Tugend, durch die sie ein langes und glückliches Leben gewinnen konnten (hyph' hes makraiona kai eudhaimona bion edynanto karpousthai), vorübergegangen waren und sich das flüchtige und sterbliche Leben, das eigentlich nicht ein 'Leben', sondern nur eine 'Zeit' ist voll von Mißgeschick, erwählt hatten {ton ephemeron kai thne ton ou bion alla chronon kakodaimonias)^. Das Ziel der Glückseligkeit des Menschen (telos tes eudaimonias) ist es konsequenterweise, diese Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen bzw. wiederzuerlangen, oder - wie sich Philo ausdrückt - sich Gott als Aufseher und Beobachter zu wünschen 3 !. Hier entwickelt der Alexandriner einen Gedanken aus der Stoa, demzufolge jedem Menschen ein epitropos (in Philo episkopos und ephoros) zugeteilt worden ist32. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß es sich dabei um eine Exegese des Begriffs eu-daimön handelt: Glücklich ist, wer "einen guten Dämon zum Führer hat"33.
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Um das menschliche Glück (anthròpine eudaimonia) zu erlangen, muß man Philo zufolge die Maxime gnothi sauton beherzigen (Som I,57)34. Die menschliche eudaimonia besteht darüber hinaus aus guten Worten, Entschließungen und Taten (Exegese von Dtn 30,12-14)35, wie die Unselig-keit {kakodaimoniä) aus dem Gegenteil (Mut 237). Der Weg zur Glückseligkeit ist seinem Volk von Gott selbst durch seine Offenbarung gebahnt worden, durch die er zu tugendhaftem Leben anleitet (VitMos 11,189). Zur Vollkom-menheit der Glückseligkeit fuhrt die Harmonie der Seele mit dem Kosmos, mit der Ordnung des Weltalls (Her 86ff. vgl. auch Som 11,27). So verwundert es nicht, daß Philo in diesem Zusammenhang die Gestirne als "göttliche, glückliche Wesen" bezeichnet {tas ekei [en toi ouranoi] theias hai eudaimonas physei)36. Im Menschen weilt andererseits ein "unabtrennbares Stück der göttlichen, seligen Seele"3?. Gott ist es, "der den Samen der Glückseligkeit {sperma ... eudaimonias) für das sterbliche Geschlecht in die gute und jungfräuliche Erde versenkt" (Cher 49) 38 . Die Glückseligkeit hängt nicht von der unendlichen, unermüdlichen Beschäftigung mit den Wortklaubereien der Sophisten ab, sondern von der Verbesserung des ethos (Lebensführung) durch das Verjagen der Laster und das "Hereinlassen" der Tugenden (Congr 53). Dies kommt in VitMos 11,212 zum Ausdruck. Die Muße des Shabbat diene der Beschäftigung mit der Philosophie: Nicht jedoch mit einer Philosophie, wie sie von Wortjägern und Sophisten betrieben wird, die Lehrsätze und Reden wie andere Ware auf dem Markte feilbieten, die nicht erröten, immerfort Philosophie gegen Philosophie o Erde und Sonne! - ins Feld zu führen, sondern mit der
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echten Philosophie, die aus dreierlei, aus Entwürfen, Worten und Handlungen (bouleumatbn kai logon kai praxeön)39} in ein einheitliches Wesen wohl zusammengefugt ist, zur Erwerbung und zum Genuß der Glückseligkeit (pros ktesin kai apolausin eudaimonias)^. Den biblischen Begriff der Seligkeit, des Glückes, der im Griechischen der Septuaginta durch makarios/makaribtes ausgedrückt wird, betrachtet Philo als Synonym für eudaimbn/eudaimonia^. Hier nur einige Beispiele: (All 1,4) Die Schrift (sei. Gen 2,2) will nun zeigen, daß einerseits die sterblichen und andererseits die unvergänglichen Arten nach den ihnen zukommenden Zahlen entstanden sind, und gibt daher, wie ich sagte, den sterblichen die Sechs, den glücklichen und seligen aber die Sieben zur Maßzahl" (ta de makaria kai eudaimona (gene parametrbn) hebdomadi)42. (Abr 87) Nur Abraham war offenbar anders geartet, er hielt das Leben ohne die Gesellschaft der großen Massen fur das angenehmste. Und das ist ganz natürlich. Denn die, die Gott suchen und ihn finden wollen, lieben das von ihm geliebte Alleinsein und sind bemüht, eben darin zuerst dem seligsten und glücklichsten Wesen ähnlich zu werden43. Philos stoische Ethik fuhrt ihn zu einer dialektischen Glücksvorstellung, wie sie in Quod deterius 7 und 60 formuliert wird. Was das pragmatische Leben betrifft 44 , das Philo in Joseph symbolisiert sieht, so bestehe es aus der Zusammensetzung von drei Arten von Gütern, den äußeren, den körperlichen und den seelischen (ta te ektos kai peri so
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ma hai psyches). Nur die Zusammensetzung aller drei Aspekte sei das richtige, vollkommene Gut (to ... artion kai ρlères agathbri), während jedes einzelne von ihnen nur stoicheia agathbn sei. Er fahrt fort: Wie nämlich weder Feuer noch Erde noch eins der vier (Elemente), aus denen das All geschaffen wurde, eine Welt ausmache, wohl aber die Vereinigung und Mischung der Elemente in eins, so sei auch das Glück weder in den äußeren Gütern für sich, noch in den einzelnen körperlichen und seelischen zu finden - denn von den genannten habe jedes nur die Bedeutung von Teilen und Elementen - sondern in der Vereinigung aus ihnen allen. Die erwähnte Meinung ist ohne Zweifel die des Aristoteles (Eth. Nie. 1,1098 b 12; Polit. VII 1323 a 24), der bei der Aufzählung der drei Klassen von Gütern auch das körperliche für das vollkommene Gut als erforderlich betrachtet (Eth. Nie 1,1099 a 31; VII 1153 b 17)45. Der Ethik des Aristoteles stellt Philo seine eigene Position entgegen, die typisch stoisch ist: nur das kalon ist agathon^. Darunter versteht er die tätige Liebe für die Tugend. Im Rahmen der Allegorisierung der Figur Isaaks schreibt Philo (Det 59-60): Der Gebrauch nämlich und Genuß der Tugend ist das Glück, nicht der bloße Besitz47. Gebrauchen aber könnte ich sie nicht, wenn du nicht vom Himmel herab die Samen gesandt und sie fruchtbar gemacht hättest, sie aber das Geschöpf der Glückseligkeit gebären würde, den Isaak - als Glückseligkeit aber habe ich den Gebrauch der Tugend in einem vollkommenen Leben erkannt48.
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Die Gegenüberstellung der landläufigen Auffassung des Glücks mit der seinen findet ihren Ausdruck in De Praemiis 11, wo sie als Hoffnung auf Erfolg versus Erlangung der Glückseligkeit durch die Philosophie erscheint: Der erste Schößling (der Saat, die Gott in die vernunftbegabte Seele gepflanzt hat) ist die Hoffnung, die Quelle der verschiedenen Lebensrichtungen: In der Hoffnung auf Gewinn stürzt sich der Geschäftsmann auf die mannigfachen Arten des Erwerbs; in der Hoffnung auf glückliche Fahrt durchsegelt der Schiffsreeder die weite Fläche des Meeres; in der Hoffnung auf Ruhm ergreift der Ehrgeizige den Beruf des Staatsmannes und Verwalters der öffentlichen Angelegenheiten; in der Hoffnung auf Kampfpreise und Kränze kämpfen die in der Athletenkunst Geübten in den gymnastischen Wettspielen; in der Hoffnung auf Glückseligkeit (elpis eudaimonias) fuhrt die Anhänger der Tugend zur Philosophie, um durch sie imstande zu sein, das Wesen der Dinge zu schauen und ihr Handeln so einzurichten, daß er der Vollkommenheit der besten Lebensrichtungen, der theoretischen und der praktischen, entspricht - ein Ziel, das, wenn es erreicht wird, die Glückseligkeit verbürgt49. Hier setzt sich Philo wiederum mit Aristoteles auseinander^, der gerade die Zusammensetzung von vergänglichen und unvergänglichen Mitteln als ethisches Ziel betrachtet. Philo zufolge ist es allein die Philosophie, die dem Menschen Richtlinien für sein Handeln liefert. Der eigentliche telos ist jenseits der Philosophie. Durch die Philosophie ist der Mensch imstande, die verschiedenen Konkretisierungen (Lebensrichtungen) seines Daseins zu vervollkommnen.
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1.2 Josephus Die von Philo betonte negative Konnotation des Wortes eutychia wird bei Flavius Josephus teilweise differenzierter bewertet. Wie andere Historiker der Antike51 interpretiert auch Josephus diesen Begriff als Macht des Schicksals, die sich vor allem in der Geschichte der Nationen bzw. ihrer Könige offenbart. Eutychia ist fur ihn ein politischer Terminus und kennzeichnet einen persönlichen oder nationalen Erfolg52, z.B. die Karriere eines Staatsmannes, wie die des Hyrkanos (Ant 13,300) oder des Herodes (Ant 15,361). Allerdings ist dies ein rein profaner Zustand, der sogar die Beziehung zu Gott verschlechtern kann. Der Essäer Manaemos (hebr. Menahem) weissagte Herodes folgendes: Du wirst durch den Erfolg ausgesondert werden wie kein anderer Mensch (eutychiai men gar hoson ouk alios dioiseis); du wirst ewige Ehre genießen {teuxei doxes aiöniou), jedoch wirst du Frömmigkeit und Gerechtigkeit vernachlässigen (lethen d' eusebeias hexeis kai tou dikaiou)53. Sein Erfolg, sein Glück sei zwar ein göttliches Geschenk gewesen, das aber nur fur sein äußeres Wirken gelte (pleista men kai par' elpidas ton exöthen eis eutychian autoi to daimonion posetithei), in seinem Privatleben sei er hingegen unglücklich gewesen (Ant 16,76-77). Die eutychia bei Josephus ist grundsätzlich ein positiver Begriff. Sie reicht aber - und darin stimmt er mit Philo überein - zur Vervollkommnung des Lebens allein nicht aus, wie er in bezug auf die Geschichte des Gaius mit Nachdruck betont:
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Ich möchte diejenigen trösten, die sich in unglücklichen Umständen befinden (tois en tychais keimenois) und eine Lehre denjenigen erteilen, die glauben, daß Glück ewig sei, während es im Unglück endet, wenn es nicht mit Tugend verbunden wird (kai söphronismon tois oiomenois aidion ten eutychian, alla me epimetapherein kakbs aretes autei me paragenomenes). Der Mensch ist der Macht der Fortuna/Tyche unterworfen 54 . Bei dieser Verwendung des Wortes ist Josephus von der zeitgenössischen Historiographie abhängig, die sowohl das Walten der Tyche über Städten, Völkern und ihren Königen und Staatmännern als auch die Unberechenbarkeit des Schicksals hervorhebt. Der Historiker mißt den Wert der Führenden und der Gruppen / Völker nach ihrer Haltung, ihrer arete, angesichts der Wechselfalle des Schicksals55. Auch das Wort eudaimonia erscheint in Bellum ausschließlich im politischen und ökonomischen Sinn. Insofern ist es Synonym für eutychia. Josephus bezeichnet damit die prosperitas, den früheren56 oder den aktuellen57 Wohlstand einer Nation; den früheren 58 Wohlstand eines Herrschers59 oder das Wohlbefinden einer Stadio. In Liber Antiquitatum verwendet Josephus den Begriff im Sinn eines gegenwärtigen bzw. in Aussicht gestellten Wohlstandes einer Nation 61 bzw. eines Individuums62. Im Unterschied zur eutychia ist eudaimonia ein ganz und gar positiver Begriff. Sie ist der Inhalt des Segens Noahs (Ant 1,142: tois men allois paisin eudaimonian euchetai). Die Elemente, die zur menschlichen eudaimonia beitragen, sind ausschließlich unter Gottes Herrschaft (Ant 1,155).
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Schon bei der Schöpfung hat Gott die Glückseligkeit für den Menschen vorgesehen. Das Glück oder der Wohlstand war vor der ersten Sünde die Folge seines Gehorsams, symphora ist hingegen die Folge des menschlichen Ungehorsams. Das Gesetz ist die Quelle/Ursache des Wohlstandes (Ant 4,211: manthanetösan de kai hoipaides protön tous nomous, mathè ma kalliston kai tes eudaimonias aition)63. Die Verneinung des göttlichen Ursprungs des Wohlstandes ist Gotteslästerung64. Auch bei Josephus sind makarios und eudaimones bedeutungsgleich65. Bei der Erwähnung von Solon apud Herodotus 1,32 bekräftigt Josephus, daß niemand vor seinem Tod makarios (also "selig" oder "glücklich") genannt werden solle (oudena ehre legein pro thanatou makarious)66. Das ist auch ein für die Theologie des Ben Sirach (Sir 11,28) typischer Gedanke, der in seiner griechischen Form lautet: pro teleutes me makarize medena, kai en teknois autou gnbsthesetai (Hebr.: lifne mawet 3al tec ashsher gaver ki be-0 aharito yinnakher °ish): "Preise keinen vor dem Tod als glücklich: denn an seinem Ende erkennt m a n d e n Menschen"67.
1.3 Jüdisch-hellenistische Auseinandersetzung Der Überblick über die Glücksvorstellugen bei Philo und Josephus hat die Abhängigkeit beider Autoren von griechischem Gedankengut erwiesen. Sowohl Philo als auch Josephus verwenden die von der griechischen Philosophie geprägten termini technici für das Glück: eudaimonia und eutychia. Während aber der Alexandriner mit Nachdruck auf die göttliche Herkunft der Glückseligkeit in der menschlichen Seele verweist und dabei meint, daß sie ausschließ-
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lieh durch die Philosophie erreichbar sei, fehlt dieses Moment bei Josephus ganz und gar. Philo ist ohne Zweifel von der Ideologie der Therapeuten/Essäer geprägt68. Im Unterschied zum Philosophen Philo hebt der Historiograph Josephus die Macht der tyché hervor, des Schicksals, der man die Tugend entgegensetzen kann. Ihre Einstellung zum Schicksal dient Josephus zur Charakterisierung und Unterscheidung zweier jüdischer Gruppen seiner Zeit, der Pharisäer und der Essäer. Die einen hielten, so Josephus, am Fatum als der unabwendbaren Kraft der Geschichte fest. Jene hingegen betonten eher den persönlichen Willen. Was die irdischen Güter betrifft, so zeigt Philo hier eine möglicherweise stoisch geprägte Distanz, während Josephus an der biblischen Hervorhebung der irdischen Güter als Gabe Gottes festhält. Dies richtet sich bei ihm wohl vor allem gegen die apokalyptischen Bewegungen seiner Zeit, die jede Glückseligkeit ins Jenseits verbannen wollten.
2. Die rabbinische Literatur Dem griechischen Konzept der eutychia kommt - wie bereits erwähnt - das hebräische gad oder, in seiner späteren Verwendung das Wort mazal am nächsten, das auch die rabbinische Literatur im Sinne von "Glück" verwendet, und zwar zur Bezeichnung des unabhängig von Willen und Können unabsehbaren und unergründbaren Ereignisses69. Dem gegenüber steht die Lobpreisung des Menschen, der die Gebote erfüllt, was als Voraussetzung zur Vervollkommnung betrachtet wird. Eine solche Lobpreisung wird im Hebräischen von der Formel ashere haish (zu deutsch etwa "Glücklich der Mensch...") eingeleitet. Sie ist am ehesten als genuin jüdisches Konzept von "Glückseligkeit"
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anzusprechen, da sie biblisch-weisheitlichem Gedankengut angehört (bekanntestes Beispiel: Psalm 1), das wir z.B. auch in den Makarismen des Neuen Testamentes, vor allem in der Bergpredigt (Mt 5, 3-12), finden. Das mit den Begriffen gad oder mazal verbundene Konzept hat hingegen auch einen astrologischen Hintergrund70.
2.1 Zeichen des Glückes Die Vorstellung vom menschlichen Glück hängt ohne Zweifel mit der Frage zusammen, ob der Wille zur Gestaltung des eigenen Lebens überhaupt eine Rolle spielt oder ob alles von vornherein vorherbestimmt ist. Diese Problematik, die in der Antike vor allem um die Wirkung und den Einflußbereich des Schicksals {Fatum) kreiste, findet auch im rabbinischen Judentum Widerhall. Sie böte genug Stoff für einen gesonderten Beitrag 71 . An dieser Stelle sei auf denjenigen Aspekt verwiesen, der im besonderen das Thema Glück betrifft: der Einfluß der Sterne auf das menschliche Leben. Hier gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen der stoischen "Populärphilosophie" - wie sie Bergmann 72 genannt hat - und der rabbinischen Literatur. Die Unabwendbarkeit des menschlichen Schicksals wird nach in der Antike allgemein verbreiteter Überzeugung auch auf den Einfluß der Gestirne zurückgeführt. Philo von Alexandrien, der in seinen Ausführungen über Gott streng monotheistisch argumentiert, zeigt dennoch Vertrautheit mit der Vorstellung von der "Macht der Gestirne"73, die er "göttliche, glückliche Wesen" (tas theias hai eudaimonas physei) nennt. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Überzeugung, daß zwischen dem Menschen und dem All eine Art Harmonie bestehen muß, wie zwischen den Saiten
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eines Instruments, um mit Plotin zu sprechen74. Die philonische Idee vom Glück der Gestirne, oder genauer gesagt, von den Gestirnen des Glücks, steht dem rabbinischen Ausdruck mazal tov ("Glück") oder mazal rac ("Unglück") nahe. Bedeutungsverwandt ist das biblische gad, das auch in der Tora als Glückwunsch verwendet wird (Gen 30,11 : watomer /e3 a ba-gad wa-tiqra 3et shemo gad, LXX: en tychèi)75. Die Rabbinen sind bezüglich der Bedeutung der Gestirne für das Schicksal der Menschen geteilter Meinung. Den Hauptstreitpunkt bildet die Frage, ob die Gestirne eine Macht über Israel hätten. Diese Diskussion hielt über das Mittelalter hinweg an76. I n der Bibel finden sich hierzu widersprüchliche Aussagen: Die Sterne sind nach Dtn 4,19 nur "den anderen Völkern zugewiesen". Nach Dtn 17,3 hingegen verneint Gott, daß er die Himmelskörper den Götzendienern zur Anbetung gegeben hätte. Der relativ späte Midrash Aggada (MAg wa-3ethannan zu 4,19) geht sogar so weit, den Bibeltext zu ändern: Gott habe die Sterne nur zur Beleuchtung eingesetzt: Mose sagte zu ihnen: "Ihr werdet die Sonne und den Mond sehen. Denkt nicht, daß sie Gottheiten sind, sondern Gott hat sie erschaffen, damit sie die Erde beleuchten, wie es geschrieben ist: "(da der Herr dein Gott), sie doch allen Völkern unter dem ganzen Himmel zur Beleuchtung zugeteilt hat" (Dtn 4,19). Eine ähnlich antiastrologische Tendenz kommt auch in der rabbinischen Auslegung von Gen 30,11 (BerR 71,9 [Wilna]) zum Ausdruck, wo die Bibel den Begriff gad verwendet:
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Es kommt das Glück des Hauses; es kommt das Glück der Welt, derjenige, der die Begründung der Sternendiener einst zerschneiden wird. Der Midrash spielt mit den Wörtern gad und le-gadded ("eingreifen", "abschneiden"). Die Verwendung des Ausrufs gad, die wir aus den Talmudim als götzendienerischen Akt kennen, wird hier deutlich bekämpft 77 . Dennoch ist die Überzeugung von der Macht der Gestirne in der antiken Welt zu fest verwurzelt und - wie wir sagen würden - wissenschaftlich begründet gewesen, als daß sich ihr irgendeine Religion oder philosophische Bewegung völlig hätte entziehen können, zumal - nach den Worten Lukians - die Gestirne keine lokalen Gottheiten waren 78 . Der Tierkreis spielt auch im Leben Israels eine Rolle, wie der Midrash zeigt, demzufolge sich der Makrokosmos im Mikrokosmos spiegelt (ShemR 15,6 [Wilnius]): ... du findest, daß es zwölf Tierkreiszeichen auf der Feste gibt. Ebenso, wie der Himmel nicht bestehen kann außer [auf] den zwölf Tierkreiszeichen, so kann auch die Welt nicht bestehen außer [auf] den zwölf Stämmen." 79 Hier findet eine Art Domestizierung der Astrologie statt, indem die zwölf Zeichen des Zodiakus auf die zwölf Stämme Israels bezogen werden; gleichzeitig wird damit die Harmonie von Menschheit und Kosmos zum Ausdruck gebracht. Der Einfluß der Gestirne auf den Menschen erstreckt sich von seiner Geburt bis hin zu jeglicher Tätigkeit des Lebens. Alles steht in der Macht der mazalot (vgl. Targum zu Qoh 27,1-2: kwl3 bmzl3 tly3 mit3). "Rabba sagte: Leben, Kinder
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und Nahrung hängen nicht vom menschlichen Verdienst ab, sondern vom Glücksstern" (MQ 28a: 3 mr rb 3 hyy bny wmzwny Ρ w bzkwt 3 tliy 3 3 / 3 bmzl 3). Der mazal ist allerdings von begrenztem Weitblick: "Er sieht nicht auf das, was vor ihm ist und auf das, was über ihm ist, sondern auf das, was unter ihm ist. Das ist wie jener Mann, der nach rückwärts gewandt auf einer Leiter steht"80. Die rabbinischen Stellen, die von Glück und Unglück infolge der Macht der Gestirne handeln, ließen sich endlos vermehren. Dennoch wäre der Eindruck falsch, daß die Rabbinen über die Astrologie einer Meinung waren. Vielmehr lassen die talmudischen Texte bei der Bewertung dieser "Wissenschaft" oft Ironie und feine Kritik durchklingen: Rabbi Ashi sagte: "Dimia und ich wurden an einem Sonntag geboren; er wurde Räuberhauptmann und ich Schuloberhaupt. Alles kann zum Glück bzw. zum Unglück fuhren" (bShab 156).
2.2 Glückseligkeit der Tora-Einhaltung Auch wenn das Fatum das menschliche Leben unwiderruflich bestimmt, bleibt zumindest eine Seite des jüdischen Daseins ganz dem menschlichen Willen überlassen: die Einhaltung der Tora. Eine Vielzahl von Stellen bestätigt, daß dies nach rabbinischer Auffassung die wahre Bestimmung des Menschen ist, der somit den Schlüssel zu seiner "Glückseligkeit" selbst in der Hand hält: Derjenige, der lernt, um zu tun, ist würdig, den heiligen Geist zu empfangen. Was ist der Grund? Damit du es hältst, indem du es alles tust, was hierin geschrieben ist
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(Jos 1,8). Erst dann wird dein Weg Erfolg haben und du wirst verstehen81. Glücklich ist auch, wer (durch die Torakenntnis) in der Lage ist, der Sünde Herr zu werden. In bezug auf David bekräftigt der Midrash: "Wohl dem Menschen, der größer als seine Sünde ist und nicht seine Sünde größer als er" 82. Die berufsmäßige Beschäftigung mit der Tora übertrifft jede andere Tätigkeit: Der Mensch wurde lediglich zur mühevollen Arbeit geschaffen. Wenn er nicht zur Mühe der Tora geeignet ist, wird er zu jener der Erde [bestimmt]. Wohl dem Menschen, dessen Mühe die Tora ist83. Wie jedoch ergeht es dem, der sich das Torastudium zum Lebensinhalt erwählt, im weltlichen Leben? Die Rabbinen stimmen mit der klassischen biblischen Glücksvorstellung überein, daß Gesundheit, Kinder und Güter den Wohlstand des Menschen ausmachen und die Zeichen des göttlichen Wohlwollens darstellen. Dementsprechend hätten die Rabbinen sich über Mangel wohl kaum beklagen dürfen, wie der folgende Midrash zu bestätigen scheint (Tan ki tissa 29 [162b]): Eine andere Auslegung: Der Segen des Herren macht reich(Prov 10,22). Das ist der Segen des Mose, da ihm der Heilige, er sei gepriesen, sagte: Haue dir zwei Tafeln aus Stein zu (Ex 34,1) und der Heilige, er sei gepriesen, zeigte ihm einen Saphirbruch84 in seinem Zelt und er haute davon zu. Und er sagte: Haue dir [die Tafeln] zu, der Steinstaub ist dein. Und er wurde dadurch [reich wie]
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ein König85. Von hier lernst du, daß jeder, der sich mit der Tora beschäftigt, von der Tora seinen Lebensunterhalt bekommt, und er wird reich werden und Erfolg haben. Mose ist also aufgrund seiner Beschäftigung mit der Tora reich geworden, woraus offensichtlich der Schluß gezogen werden soll, daß die Rabbi-Laufbahn besser sei als jede andere. Tatsächlich müssen wir uns fragen, ob eine solche Werbung fur mehr Gottvertrauen nicht vielleicht eher darauf hinweist, daß die Beschäftigung mit der Tora viele in die Armut getrieben hatte, weshalb der Nachwuchs ausblieb86. In den zitierten Texten zeigt sich deutlich die Haupttendenz der rabbinischen Literatur: das Judentum ist torabezogen, d.h. jede Spekulation und Exegese beginnt und endet mit der Tora, von der die Welt der Rabbinen geformt, geprägt und begrenzt ist. Daher wird die Beschäftigung mit der Tora als die höchste Befriedigung des Menschen betrachtet. Alles andere ist ihr untergeordnet. Die Beschäftigung mit dem Gesetz ist Selbstzweck, dient also nicht pragmatischen Ü b e r l e g u n g e n 8 7 . Darin unterscheidet sich auch die kommende Welt nicht von dieser. Nach bPes 50a kam R. Yosef b. R. Yehoshuac aus dem Koma und erzählte seinem Vater, daß die andere Welt eine verkehrte Welt sei (colam hqfukh). Dieser erwiderte ihm: Mein Sohn, du hast die wahre Welt gesehen. Wir stehen dort, ebenso wie wir hier stehen. Was hast du gehört, daß sie dort sprechen? Er sagte: Ich hörte, daß sie sagten: "Heil dem Menschen, der hierher mit dem Studium in der Hand gelangt".
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Die Tora könnte ohne weiteres mit dem philonischen Begriff der Philosophie gleichgesetzt werden. Die Glückseligkeit Israels besteht fur die Rabbinen zweifelsohne in der Einhaltung und Beschäftigung mit der Tora. Diese ToraSeligkeit ist keine eschatologische, sondern sie vollzieht sich auf der Erde; Gott gibt seine Belohnung schon in dieser Welt, wie dies in MTeh 1,17 betont wird: {Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen) [...], sondern hat Lust an der Tora des Herrn (Ps 1,1-2): Wer sich mit der Tora beschäftigt, dessen Begehr wird der Heilige, gepriesen sei er, erfüllen). Zur Beleuchtung dieser Einstellung sei abschließend auf MTeh 1,11 verwiesen: Und er ist wie ein Baum, gepflanzt (Ps 1,3): natura ("gepflanzt") heißt es hier nicht, sondern shatul ("eingesetzt"). Das will dich lehren, daß selbst alle Stürme, wenn sie kommen und ihn anblasen, ihn nicht von seinem Orte zu rücken vermögen. Und alles, was er macht, gedeiht (Ps 1,3). An anderer Stelle steht geschrieben: Das Buch dieser Tora soll nicht aus deinem Munde weichen (Jos 1,8); wenn du so tust dann wirst du erfolgreich deinen Weg hinausfiihren und wirst verstehen. D.h. du wirst glücklich sein in dieser Welt und Einsicht haben in jener Welt.
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2.3 Rabbinische Vorstellung vom "Glück" Das rabbinische Judentum zeigt im Unterschied zur jüdischhellenistischen Literatur eine stärkere biblische Kontinuität. Daß von der Beschäftigung mit der Tora die Glückseligkeit erwartet wird, hat auch praktische Konsequenzen. Die Beschäftigung mit der Tora ist nicht genug. Man muß - in den Kategorien Philos gesprochen - eine praktische Liebe zur arete besitzen. Auch hier ist die Ähnlichkeit mit der Stoa verblüffend. Für die Stoa aber war der Weg, also die Tugendhaftigkeit des Lebens, das Ziel, die Glückseligkeit. Für die Rabbinen hingegen belohnt Gott die tätige Beschäftigung mit der Tora in dieser und in der kommenden Welt mit Glückseligkeit. Dieses Konzept vom Glück ist offensichtlich unvereinbar mit den oben erwähnten Vorstellungen von der Macht der Gestirne. Wie erklärt sich diese Aporie? Die rabbinische Literatur stellt in ihrer Gesamtheit kein philosophisches System dar, das wir aufgrund von Prämissen und Folgerungen analysieren könnten. Sie ist das Produkt langwieriger exegetischer Arbeit von Schulhäuptern und deren Schülern, das darüber hinaus im Laufe der Tradierung durch Redaktoren bzw. Schreibern auch ständig korrigiert, dabei auch korrumpiert, geändert und adaptiert wurde. Dieser Tradierungsprozeß folgt bestimmten Methoden, die die Grenze der Zeit mit Hilfe der Hermeneutik zu überwinden suchen. Altes und Neues wird verschmolzen und das eine durch das andere erklärt. Was uns als rabbinische Literatur vorliegt, ist also ein kompliziertes Bild des Lebens und der Ideologie eines Volkes von Auslegern. Sie ist keineswegs, auch wenn es auf den ersten Blick manchmal so scheinen mag, ein völlig unÜbersicht-
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licher Wirrwarr, in dem Aussagen beliebig nebeneinanderstehen. Die Untersuchungsmethoden müssen jedoch den besonderen Gegebenheiten der Traditionsliteratur Rechnung tragen. Einzelne Traditionen können nicht, wie bei der Autorenliteratur, in Bezug zu einem mehr oder weniger geschlossenen System gesetzt, sondern müssen vielmehr im Rahmen der real- und kulturgeschichtlichen Umstände ihrer Entstehung einerseits und der hermeneutischen Methoden ihrer Überlieferung andererseits interpretiert werden. Bei den hier vorgestellten Glücksvorstellungen der Rabbinen handelt es sich um eine erste Bestandsaufnahme. Ich habe sie bewußt so schroff nebeneinander gestellt, da harmonisierende Gesamtdarstellungen dieser Literatur nicht gerecht werden. Wir empfinden einen deutlichen Widerspruch zwischen dem Glauben an ein unabwendbares, vorherbestimmtes Schicksal einerseits und der Forderung eines tätigen Gehorsams den göttlichen Geboten gegenüber. Die Tatsache, daß dieser Widerspruch in der rabbinischen Literatur nirgends aufgelöst zu werden scheint, kann jedoch und dies ist als erster vorsichtiger Schluß zu verstehen dahin interpretiert werden, daß den Rabbinen - im Gegensatz zu den hellenistischen Autoren - die Beschäftigung mit einer subjektiven Glücksempfindung eher fern lag.
Anmerkungen 1
Die Abkürzungen der Zeitschriften, Serien und Enzyklopädien, der kanonischen biblischen Bücher, Apokryphen und Pseudepigraphen, der Schriften von Philo und Josephus und der Schriften von Qumran folgen S. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 1976. Soweit dort nicht vorhanden, wird der Titel vollständig wiedergegeben. Die Abkürzungen der rabbi-
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nischen Schriften, wie auch die Umschrift des Hebräischen folgen in der Regel den Vorschlägen von FJB 2 (1974), 64-73. Das Aramäische wird bei der Transkription nicht vokalisiert. J. Ritter, Glück, Glückseligkeit, HWP 3 ( 1974) 680. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, auf die Problematik des monumentalen Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament zu verweisen, das gerade die frühchristliche Umwelt im Verhältnis zum Griechentum, Hellenismus und Judentum mit sehr fraglichen Methoden untersucht hat. Über die Methode und das Ziel des ThWNT s. James Barr, The Semantics of Biblical Language, 2. Aufl. Oxford 1962, 206-262. Dagegen s. Thorleif Boman, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, 4. Aufl. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1965. Vgl. z.B. Maximilian Forschner, Über das Glück des Menschen. Aristoteles, Epikur, Thomas von Aquin, Kant, Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1993, 3: "Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der abendländischen Geistesgeschichte, daß der langwierige und vielschichtige Säkularisierungsprozeß, der mit philosophischer Hilfe die allgemeine Geltung des christlichen Weltbildes ablöst, bislang nur der Vorstellung handfester empirischer Wohlfahrt zur Herrschaft verhalf und die Erinnerung an das klassische philosophische Glücksverständnis belächelten Außenseitern überließ. Inzwischen reichen die noch verbliebenen Restbestände christlicher Überzeugungen nicht mehr, die zerstörerische Dynamik eines allgemeinen Verlangens nach sich steigernder irdischer Wohlfahrt zu bremsen. Wenn ich recht sehe, können nur die jedermann bedrängenden unheilvollen Folgen und Absurditäten einer massenhaften gelebten Interpretation von Glück als endloses Rennen von Bedürfnisbefriedigung zu Bedürfnisbefriedigung einer vernünftigen Reflexion auf menschliches Glück wieder Gehör verschaffen. Vgl. Maximilian Forschner, Über das Glück des Menschen, Iff. Als Beispiel fur die landläufige Verwendung sei die Definition in Wahrig (Auflage 1986) zitiert: "Günstige Fügung als Schicksal; der daraus erwachsende Erfolg; Gemütszustand innerer Befriedigung und Hochstimmung besonders nach Erfüllung ersehnter Wünsche". Zum Thema der Willensfreiheit s. Albrecht Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1985. S. dazu Friedrich Hauck, makarios, in: ThWNT 4 (1942, Nachdruck 1966) 365. Einige Texte zum Thema wurden ins Deutsche übertragen, s. Epiktet, Teles, Musonius, Wege zum Glück, auf der Grundlage der
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Giuseppe Veltri Übertragung von Wilhelm Capelle neu übersetzt, mit Anmerkungen versehen und eingeleitet von Rainer Nickel, Artemis Verlag: Zürich/München 1987. Ein weiterer Terminus olbos/olbios ("Reichtum, Glück und Wohlstand"), der im Hellenismus als poetischer Ausdruck des Glücks vorkommt, findet in der jüdisch-hellenistischen Literatur kaum Gebrauch. S. aber Josephus, Bell 1,201; 3,443; Ant 18,200; 296. Leisegang (s.unten) erwähnt keine Form des Wortes in Philo. S. auch Sir 30,15 (hapax legomenon in der LXX). S. dazu Karl Preisendanz, Tyche, in: PW 7 A,2 (1948, Nachdruck München 1979) 1645. Tychë übersetzt in der Septuaginta gad (Gen 30,11) und meni (Is 65,11), vgl. II Makk 7,37. Zu gad s. K.-D. Schunk, gad, in: ThWAT 1 (1973) 920-921. Zur Glücksvorstellung des AT fuhrt der Autor folgendes aus: "Unabhängig von der Vokabel gad liegt der Begriff 'Glück' sinngemäß überall dort im AT vor, wo Wohlergehen und Erfolg als Folge des Eingreifens JHWHs erkannt werden. In nachexilischer Zeit wird der Inhalt des Glücks - so wie das Wort hayyim immer mehr die Bedeutung 'Glück' gewinnt - über das bloße physische Dasein und seine Güter hinaus vor allem in der inneren Befriedigung des Herzens durch ein von der Gottesgemeinschaft bestimmtes Leben gesehen". Hier ist nicht der Ort, dem Problem nachzugehen, inwiefern diese Begriffe mit den uns gebräuchlichen zu vergleichen oder gar gleichzusetzen sind. Dies ist in der Forschung eine Streitfrage, deren Echo auch in der Geschichtswissenschaft zu hören ist. S. z.B. den Begriff "Demokratie", sein heutiger Gebrauch und sein Ursprung in der griechischen Antike, vgl. Paul Veyne, Kannten die Griechen die Demokratie?, Wagenbach Verlag: Berlin 1989. S. dazu Martin Hengel, Judentum und Hellenismus. Studien zur ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., [WUNT 10], 3. Aufl. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1988,225f. Der Terminus kommt vor allem in der weisheitlichen Literatur vor: makarizein; makarios; makariotes (nur in IV Makk 4,12 und 18,19); makaristos (nur in Prv 14,21; 16,20; 29,18; II Makk 7,24). S. Edwin Hatch und Henry A. Redpath (Hrsg.), A Concordance to the Septuagint, Clarendom Press: 1897 (Nachdruck, Akademische Druckund Verlagsanstalt: Graz 1954). S. dazu Georg Bertram, makarios in LXX und im Judentum, in: ThWNT 4 (1942, Nachdruck 1966), 367-369.
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16 Georg Bertram, in: ThWNT 4 (1942) 368. 17 "(Die Märtyrer) leben das selige Zeitalter" (ton makarion biousin aibnä). 18 Die Mutter der sieben Märtyrer sagt: "Das ist euer Leben und Glückseligkeit (eurer) Tage" (mit dem Kodex Alexandrinus): haute he zôë kai hê makariotës tön hëmerôn. 19 In Philos Werk werden nach dem Index Leisegangs (Ioannes Leisegang, Philonis Alexandrini opera quae supersunt, Bd. 7/1-2, Berlin 1930 [Nachdr. 1963]) folgende Termini verwendet: eutychein, eutychema, eutych.es, eutychia von der Wurzel eu-tyche; eudaimonein, eudaitnonia, eudaimonizein, eudaimonikos, eudaimonismos und eudaimön von der Wurzel eu-daimon; makarizesthai, makarios, makariotës und makarismos von der Wurzel makar. Im Wortschatz des Josephus (A Complete Concordance to Flavius Josephus, hrsg. von K.H. Rengstorf, Bd. 1-4, Leiden 1973-1983) erscheinen als Termini zur Kennzeichnung des Glücks: eutychein, eutychéma, eutyches von der Wurzel eu-tyche; eudaimonein, eudaimonia, eudaimonizein und eudaimöon von der Wurzel eu-daimon·, schließlich makar, makarizein, makarios, makarismos, makaristes und makaris tos. 20 Jos 244; s. auch Jos 92; 76; 137; 163; Op 17; Abr 246. Das Werk Philos wird zitiert nach Leopold Cohn (Hrsg.), Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, Bd. 1-6, Berlin 1896-1915 (Nachdr. 1962); vgl. auch R. Arnaldez, J. Pouilloux und C. Mondésert (Hrsg.), Les oeuvres de Philon d'Alexandrie, Paris 196Iff. Die deutsche Übersetzung folgt in der Regel Leopold Cohn et alii (Hrsg.), Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 1-7, 2. Aufl. Berlin 1962-1964. Aus dieser Übersetzung werde ich im folgenden nur Übersetzer, Band und Seite zitieren. 21 VitMos 11,44: "Denn mit dem Glücke des Volkes (sei. Israels) werden gleichzeitig seine Gesetze durch ihren Glanz die andern, wie die Sonne bei ihrem Aufgange die Sterne, verdunkeln" (B. Badt, Bd. 1, 307-308). 22 Isaak Heinemann, Bd. 2, 290. 23 Karl Bormann, Bd. 7, 70. Dasselbe wiederholt er in VitMos 11,53: Zum äußeren Glück (ta alla ektos eutychias) gehörten reiche Gaben, leibliche Gesundheit, Reichtum und Ruhm und dies im Gegensatz zu aretë. 24 Karl Bormann, Bd. 7,24. 25 LegGai 105: hoi despotai tes eutychias heneka kakodaimonountos.
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26 Congr 159: "Denn da ihnen die Gaben des Glückes {dia gar ten leios hreousan eutychiari) glatt zufließen, halten sie sich selber nach der Art einer verfälschten Münze für versilberte und vergoldete Götter und vergessen den wahren und seienden Gott" (Hans Lewy, Bd. 2,45). 27 VitMos 1,30: tyches gar astathmetoteron oudert ano kai katb ta anthre peia petteuouses, he miai pollakis hemeraiton men hypselon kathairei, ton de tapeinon meteòron exairei\ B. Badt, Bd. 1, 228-229. Philo spielt auf Epikur Fr. 420 an; s. auch Som 1,154. 28 Leopold Cohn, Bd. 3, 193-194. 29 Sacr 40. 30 Op 156; J. Cohn, Bd. 1,83. 31 Mut 216f. Dazu s. Willy Theiler, Bd. 6,152 und Anm. Für Aristoteles gibt es kein Ziel der Glückseligkeit, weil sie gerade das Ziel ist, sogar ton teleion telos, "das abschließende und vollständige Ziel". Dazu s. Forschner, Über das Glück des Menschen, 6. 32 S. Seneca, Epist., 41,2; Epiktet, 1,14,12ff. Zur Verbindung dieser Vorstellung mit der eudaimonia s. Plato, Tim., 90c; Xenokrates, fr. 81 H. Liste aus Willy Theiler, Bd. 6, 152 und Anm. 2. Die Vorstellung, daß die Präsenz Gottes summum bonum ist, kommt auch in Orígenes vor, der sie aber nicht als telos tes eudaimonias betrachtet, sondern to gar zen enantion kyriou makariön esti kai tön hagiön monön, Orígenes, Comment, in Gen., 36 nach Cohn (Hrsg.), Philonis Alexandrini Opera, Bd. 3, 194. Man beachte hier die "Übersetzung" von eudaimön mit makairos. 33 S. dazu J. Ritter, in: HWP 3 (1974) 680. In der rabbinischen Literatur wird Gott mit dem Gutem identifiziert: s. Men 53b (cfr. Mat 19,17). Dazu Ben Zion Bokser, The Thread of Blue, in: PAAJR 31 (1963) 16, Anm. 17. 34 Plato, Apol. 28Eff. S. dazu H.D. Betz, The Delphic Maxim gnöthi sauton in Hermetic Interpretation, in: HThR 63 (1970) 465-484. 35 Dazu s. Boaz Cohen, Jewish and Roman Law. A Comparative Study, The Jewish Theological Seminary of America: New York 1966, 76. 36 All 11,10; vgl. Cher 41. 37 Det 90: tes theias kai eudaimonos psyches ekeines apospasma). Die Seele als Sitz der Glückseligkeit findet sich schon bei Demokrit, VS Β 171 : psyche oikêtêrion daimonos. 38 Leopold Cohn, Bd. 3, 184-185. 39 Ein ähnlicher Gedanke begegnet bei Seneca: Epist. 20,2: "facere docet philosophia, non dicere". Epist. 16,3: "(philosophia) non in verbis, sed in rebus est". Vgl. mit mAv 1,17: lo 3 ha-midrash ha- c iqqar 2ella ha-
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mac ase. Dazu s. Armand Kaminka, Les rapports entre le rabbinisme et la philosophie stoïcienne, in: REJ 82 (1926) 238. B. Badt, Bd. 1, 347. Vgl. aber Jacques Cazeaux, La trame et la Chaîne ou les Structures littéraires et l'Exégèse dans cinq des Traités de Philon d'Alexandrie, E.J. Brill: Leiden 1983, 253. Der Autor legt Her 111 (eudaimoni kai makariòi biòi chrêsetai) als "synthèse des bonheurs, mondain et céleste" aus; er sieht also eine Unterscheidung zwischen beiden Worten. Eudaimonia ist aber nach den gesamten oben dargelegten Texten schwerlich mit weltlichem Glück gleichzusetzen. Viel eher gebraucht Philo hier eine Tautologie zum Ausdruck der vollkommenen Seligkeit. Isaak Heinemann, Bd. 3,17. kat' auto touto speudontes proton exomoiousthai tei makariai kai eudaimoniphysei; vgl. Praem 30. Philo nennt sie politeia, politisches Leben. Dazu s. die interessante Erklärung von Irène Feuer (Hrsg.), Philo, Quod deterius potiori insidiari soleat, [Les oeuvres de Philon d'Alexandrie,5], Éditions du Cerf: Paris 1965, 26, Anm. 1. H. Leisegang, Bd. 3, 278, Anm. 2. Für Aristoteles hingegen müssen kalon (das Sittliche), agathon (das Gute) und das Angenehme (hêdy) koinzidieren. Dazu s. Maximilian Forschner, Über das Glück des Menschen, 42. Über die drei Lebensarten bei Aristoteles s. Philip Merlan, Kleine Philosophische Schriften, hrsg. von Franciszka Merlan, Olms: Hildesheim/New York 1976, 279-281. Chresis gar kai apolausis aretes to eudaimon, ou psiïé monon ktêsis. Das ist die Meinung auch von Aristoteles, Eth. Nie. I, 6, 1097b 27; so H. Leisegang, Bd. 3,296, Anm. 1. H. Leisegang, Bd. 3, 296. Herausgeber, Bd. 2, 386. Vgl. aber Harry A. Wolfson, Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity and Islam, Bd. 2, 3. Aufl. Harvard University Press: Cambridge (Massachusetts) 1962, 166-167. Preisendanz, in: PW 7 A,2 (1948), 1662-1665. Ant 2,277; des Josephus: Ant 12,184.186; des Juda Makkabäus: Ant 12, 339; des Kostobarus: Ant 15,255; des Herodes: Ant 15,361; Ant 16,64: Agrippas; Ant 16, 338: des Nikolas; Ant 18,363: des Anilaeus. Ant 15,376. S. Vit 17, wo er zwischen militärischem Geschick und eutychia unterscheidet.
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55 S. Diodor, XI 11,2 (Die Tapferkeit der Thermopylenkämpfer und ihr Mißerfolg). Dazu Preisendanz, in: PW 7 A,2 (1948) 1663-1664. Bibliographie und Anmerkungen zu dem Begriff Tyche in Josephus finden sich in Louis H. Feldman, Josephus and Modern Scholarship (1937-1980), De Gruyter: Berlin/New York 1984, 431-434. 56 Bell 2,86: die Juden vor dem Exil, anti de tes palathas eudaimonias kai tön patriön nomön; Bell 1,11 : die Juden vor dem Krieg. 57 Bell 2,372: Gallien. 58 Bell 7,237: Antiochos König von Kommagene. 59 Bell 1,68-69: Johannes Hyrkanos; Bell 1,400: Herodes; Bell 2,250: Neros (hyperbolen eudaimonias te kai ploutou ("Glück" und Reichtum sind schon bei Homer synonym). 60 Bell 2,258: Jerusalem; Bell 3,29: Antiochia; Bell 4,615: Der Hafen von Alexandrien bringt alles, was sonst dem Wohlbefinden Alexandriens gefehlt hätte; Bell 7,74: nach der Ankunft Vespasians schreitet Rom zu größererprosperitas fort (vgl. Bell 7,157). 61 Ant 2,201: prosperitas Israels in Ägypten; Ant 2,271 und Ant 4,44: eudaimonia Ägyptens (vgl. Ant 1,161); Ant 3,296: versprochener Wohlstand als Ursache des Aufstandes gegen Moses (vgl. Ant 3,308 und Ant 3,313); Wohlstand des Landes Israel und seiner Einwohner: Ant 6,56.93.130; 7,380; 8,110; 8,126; 8,132; Ant 11,2; 11,81. 62 Ant 8,171; 8,211: Wohlbefinden Salomons; Ant 1,224: aktueller Wohlstand Abrahams; Ant 2,7-8: Gedeihen Jakobs; Ant 2,10; 2,15; 2,17: Josephs Träume vom Wohlstand und Realisierung seiner Träume (vgl. 2,94; und2,164 und 2,170; 2,198); Ant 2,214.217: Gottesgarantie für das Wohlergehen des Mose; Ant 4,27: eigener Profit bei der Anschuldigung Moses durch Korah; Ant 9,215: Wohlstand Jeroboams; Ant 4,163: Folge der eudaimonia ist abrodiaita "Luxus". 63 Vgl. Ap 2,204 und Ant 8,296 in bezug auf den Kultus. 64 Vgl. Ant 1,113 : Nimrod behauptet, ihr Wohlstand sei nicht auf Gott zurückzuführen (me toi theòi didonai to di' ekeinon eudaimonein), sondern auf ihre eigene Kraft. 65 Bell 1,490. 66 Bell 5,461. 67 Dieser Gedanke wird auch von Saadia Gaon übernommen: "Die Dinge werden erst am Ende, die Gerechtigkeit erst zur Weile des Todes erkannt". Bibliographische Hinweise sowie weitere Parallelen aus der griechischen Literatur finden sich in Moshe Sevi Segai, Ben Sira hashalem, Mosad Bialik: Jerusalem 1972, 73.
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68 Ein Thema für sich ist die jüdische Glücksvorstellung, wie sie sich aus den Qumran-Schiften ergibt. 1QH V16-VI18; 4Q Béat (veröffentlicht von E. Puech, in: RQ 13 [1988] 59-88) und 4Q525 (veröffentlicht von E. Puech, in: RB 98 [1991] 80-106) sind weisheitlich geprägt. 69 Die einzige mir bekannte Abhandlung über das Thema ist J. Hamburger, Glück und Unglück, in: idem, Real-Encyclopädie des Judentums, Abteilung III, Supplement IV, Im Selbstverlag des Verfassers: Strelitz 1897,27-33. 70 Vgl. auch Ludwig Wächter, Rabbinischer Vorsehungs- und Schicksalsglaube, Diss. Jena 1958; idem, Astrologie und Schicksalsglaube im rabbinichen Judentum, in: Kairos 11 (1969) 181-200. 71 S. dazu die Ausführungen von Ephraim E. Urbach, The Sages. Their Concepts and Beliefs, Magnes Press/The Hebrew University: Jerusalem 1975,254-285. 72 Juda Bergmann, Die stoische Philosophie und die jüdische Frömmigkeit, in: Judaica, FS Hermann Cohen, Berlin 1912, 145-166; jetzt in: Henry A. Fischel (Hrsg.), Essay in Greco-Roman and Related Talmudic Literature, Ktav: New York 1977, 1-22. Er schreibt in bezug auf das rabbinische Judentum: "Die griechische Art des Denkens und der Begriffsbildung und die ethischen Definitionen der Stoa bleiben dem palästinensischen Judentum fremd." Diese Äußerung ist aber angesichts der Fatumsspekulationen kaum zu halten. 73 W. Gundel/H.G. Gundel, Astrologumena: die astrologische Literatur in der Antike und ihre Geschichte, [Sudhoffs Archiv; Vierteljahrsschrift für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, der Pharmazie und der Mathematik, 6], Wiesbaden 1966, 180-183. S. Migr 178: "Die Chaldäer scheinen sich mehr als andere Menschen mit Astronomie und Horoskopstellung befaßt zu haben, indem sie das Irdische mit dem Überirdischen und das Himmlische mit dem Erdgeschehen in Verbindung brachten und, wie durch Musik Worte (verbunden werden), einen ganz harmonischen Einklang des Alls aufzeigten durch die gegenseitige Verbindung und Beziehung aller Teile für- und zueinander, die zwar räumlich getrennt, aber ihrer Verwandtschaft wegen nicht geschieden sind". Dazu s. E. Bréhier, La cosmologie stoïcienne à la fin du paganisme, in: idem, Etudes de philosophie antique, [Publications de la Faculté des Lettres des Paris], Paris 1955, 145-150. 74 "Die Wirkung des Gebetes ist eine Tatsache, weil ein Teil [des Weltalls] mit einem [anderen] Teil durch Sympathie verbunden ist, wie bei einer richtig gestimmten Saite." (Plotin, Enneaden, 4.4.40ff.,
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Giuseppe Veltri deutsche Übersetzung von G. Luck, Magie und andere Geheimlehren in der Antike, Stuttgart 1990, 135). S. auch EstR 7,10 (Wilnius). QohR 7,1 [15] (Wilnius); QohR 11,1 [9] (Wilna); QohR 11,1 (9); Rashi zu bSan 105a; vgl. auch Samuel, Krauss, Aegyptische und syrische Götternamen im Talmud, in: Semitic Studies in Memory of Rev. Dr. Alexander Kohut, Berlin 1897 (Nachdruck Jerusalem 1972), 351-352. S. dazu Alexander Marx, The Correspondence Between the Rabbis of Southern France and Maimonides about Astrology, in: HUCA 3 (1956)311-358. S. dazu bShab 67b: "Derjenige, der sagt: GD GDY WSNWQ L3 3&KY WBWSKY. Das ist wegen der Amoritenbräuche (verboten). R. Yehuda sagt: GD ist nichts anderes als ein Ausdruck des Götzendienstes wie es heißt: und (die) dem Gad einen Tisch zurichten (Is 65,11). Lukianos, De Dea Syria, 34. S. dazu S. Schroer, In Israel gab es Bilder, Fribourg/Gôttingen 1987,258, Anm. 6. Vgl. auch TanB wa-yeshev 8; TanB wa-yehi 16; PesK 16; PesR 4 (Friedmann). BamR 12,9 (Wilnius). So mit einigen (auch bedeutenden) Varianten in DevR 5,12 (Wilnius); DevR 1,12 shofetim (Lieberman); ShirR 3,1 (Wilnius); PesQ 1,3 (Mandelbaum); yRhSh 2 (58a). WaR 35,7 (Wilna); s. auch MTeh 1,15. S. die Interrelation zwischen Tora und Erfolg in EkhaR petihta 8,12. BerR 22,6 (Wilnius); vgl. BerR 22,7. BerR 13. snpyrynwn bzw. smpyrynwn ist ein griechisches Lehnwort: samppheirinon (M. Jastrow, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, London 1886-1903, 1003): "sapphir-like, sapphir, lapislázuli". Vgl. die Parallele ySheq 5,3(2) (49a); bNed 38a; yBik 3,3 (65c). Vgl. aber Martin Hengel, 'Berufung' und 'Bekehrung' zur Philosophie bzw. zur Torah im Griechentum bzw. bei den Rabbinen, Nachfolge und Charisma, Bd. 2/5, Töpelman: Berlin 1968, 31-38. S. bBer 17a und bSuk 49b. S. dazu Emero Stiegman, Rabbinic Anthropology, in: ANRW II/19.2 (1979), 544-545.
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Literatur Bisher existiert keine umfassende Studie zu den Glücksvorstellungen im antiken Judentum. Teilaspekte der Thematik sind jedoch in verschiedenen Zusammenhängen behandelt worden. Im folgenden soll nur auf einige grundlegende Studien verwiesen werden, in denen auch weitere bibliographische Angaben zu finden sind. Jüdisch-hellenistisches Judentum: Bertram, G., makarios in LXX und im Judentum, in: ThWNT 4 (1942, Nachdruck 1966), 367-369 Delling, G., Die Begegnung zwischen Hellenismus und Judentum, in: ANRW 11.20/1 (1987), 3-39. Hengel, M., Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh. v. Chr., 3. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1988 [Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 10]. Kasher, Α., The Jews in Hellenistic and Roman Egypt. The Struggle of Equal Rights, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1985 [Texte und Studien zum Antiken Judentum, 7]. Momigliano, Α., Alien Wisdom. The Limits of Hellenization, Cambridge 1975. Veltri, G., Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, [Texte und Studien zum Antiken Judentum, 41], J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1994. Philo von Alexandrien: Amir, Y., Die Umformung des eudaimön in den theophilês bei Philon, in: idem: Die hellenistische Gestalt des Judentums bei Philon von Alexandrien, Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 1983,206-219. Otte, Κ., Das Sprachverständnis bei Philo von Alexandrien, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1968. Radice, R./Runia, D.T., Philo of Alexandria. An Annoted Bibliography 1937-1986, E.J. Brill: Leiden [u.a.] 1988.
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Wolfsohn, H.A., Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity, and Islam, Bd. 1-2, 3. Auflage, Harvard University Press: Cambridge (Mass.) 1962. •Tosephus: Feldman, L.H., Josephus and Modern Scholarship (1937-1980), Walter de Gruyter: Berlin/New York 1984. Schreckenberg, H., Rezeptionsgeschichtliche und textkritische Untersuchungen zu Flavius Josephus, E.J. Brill: Leiden 1977. Villalba i Varneda, P., The Historical Method of Flavius Josephus, E.J. Brill: Leiden 1986. Rabhinisches Judentum: Bergmann, J., Die stoische Philosophie und die jüdische Frömmigkeit, in: Judaica, FS Hermann Cohen, Berlin 1912, 145-166; jetzt in: Henry A. Fischel (Hrsg.), Essay in Greco-Roman and Related Talmudic Literature, Ktav: New York 1977,1-22. Hamburger, J., Glück und Unglück, in: idem, Real-Encyclopädie des Judentums, Abteilung III, Supplement IV, Im Selbstverlag des Verfassers: Strelitz 1897, 27-33. Hengel, M., 'Berufung' und 'Bekehrung' zur Philosophie bzw. zur Torah im Griechentum bzw. bei den Rabbinen, Nachfolge und Charisma, Bd. 2/5, Töpelman: Berlin 1968,31-38. Schäfer, P., Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, E.J. Brill: Leiden 1978. Urbach, E.E., The Sages. Their Concepts and Beliefs, Magnes: Jerusalem 1975. Wächter L., Astrologie und Schicksalsglaube im rabbinichen Judentum, in: Kairos 11 (1969) 181-200.
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Diskussion Nach einer Verständnisfrage (Umfang der Tora) wurde zunächst mit Blick auf das Referat von Jan Assmann über das Alte Ägypten thematisiert, inwieweit der Begriff "Eudaimonia", wie er im hellenistischen Judentum Verwendung fand, orientalische Momente wie die Empfindung der Nähe des persönlichen Gottes enthalte. Der Referent bejahte diese Annahme. Wieder vor dem Hintergrund der Ausführungen über Altägypten wurde gefragt, ob nicht nur das Studium der Tora, sondern auch ihre Feier im Zusammenhang mit Glück stünde. Hier differenzierte der Referent, daß solche Feste die Freude über das Erfaßthaben der Tora zum Inhalt hätten. Derartige Feste seien schon Philon von Alexandrien bekannt gewesen. Es wurde nach der Reaktion von Menschen gefragt, die trotz Studium und Einhaltung der Tora Unglück erlitten. Wenn im Leid noch Glück vorhanden sei, müsse dies auf Vertrauen basieren. Eine solche Frage wurde im Laufe der Diskussion als "unsere Frage" qualifiziert, die sich fur die Menschen, auf die sich der Vortrag bezog, wahrscheinlich so nicht gestellt habe. Eine solche Antwort stand auch am Ende der Debatte einer Reihe von Fragen zum Zusammenhang: Tora - Frau; so war u.a. gefolgert worden, daß, da Frauen vom Torastudium ausgeschlossen gewesen seien, ihnen auch das damit verbundene Glück verwehrt worden sei. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Position wurde von Giuseppe Veltri herausgestellt, daß Frauen Torakenntnisse besaßen und besitzen mußten, da manche Vorschriften nur Frauen betrafen (z.B. Speise- und Reinheitsgebote). Im modernen Judentum sei auch Torastudium fur
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Frauen möglich, während zuvor informelle Unterrichtung angenommen werden müsse. Ein Teilnehmer entwickelte ein Konzept der Entwicklung der Glücksbegriffs vom Ästhetischen (z.B. Betonung der Festfeier als Ausdruck des Glücks in Altägypten) hin zum Ethischen (hier seien Kants Überlegungen zum Glück paradigmatisch). Der Referent wollte bei den von ihm behandelten Autoren keine dieser beiden Dimensionen als bestimmend fur Glück ansehen. Philon von Alexandrien etwa gehe es weniger um das Ästhetische wie das Ethische, sondern primär um das Angenehme. Gerhard Schmied
HEINRICH VON STIETENCRON
Das Glück und die Schatten der Vergänglichkeit Religiös-philosophische Konzeptualisierungen von Glück im alten Indien In Zeiten allgemeiner Depression erregt die Frage nach dem Glück Aufsehen und Interesse. Man wird aber vor allem am individuellen Glücksempfinden interessiert sein, denn dies ist es ja, was ein jeder sucht. Solche Glückserfahrung ist allerdings an einen innerpsychischen Kontext gebunden, an eine Disposition des Bewußtseins oder der Seele, welche nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden ist, sondern auch bei jedem einzelnen Menschen von Tag zu Tag, manchmal sogar von Moment zu Moment wechseln kann. Daher ruft die gleiche Situation keineswegs immer die gleiche Glückserfahrung hervor. Das erschwert nicht nur die Suche nach Glück in der Außenwelt, es verhindert auch allgemeingültige Aussagen über die individuelle Glücksempfindung. Es ist daher sinnvoll, bei der Betrachtung des Glücks zwischen Erlebnis und Reflexion zu unterscheiden, das heißt die individuelle Empfindung von Glück zu trennen vom Nachdenken über das Glück. Ersteres ist ein Bereich, der den Psychoanalytiker angeht, letzteres ist die Aufgabe des Philosophen, Theologen und Kulturhistorikers, welche einer Theorie des Glücks und charakteristischen Glücksvorstellungen nachspüren können. Es ist jedoch von vornherein deutlich, daß die Theorie nicht ohne den Rückgriff auf die
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Erfahrung auskommen kann. Wenn ich mich daher jetzt der Frage nach den Konzeptualisierungen von Glück im alten Indien zuwende, so geht es vor allem um kulturspezifische Reaktionen des denkenden Geistes auf das natürliche Glücksstreben des Menschen. Er kann es fördern oder zu unterdrücken suchen; er kann es in bestimmte Richtungen lenken; er wird auch abzuwägen haben, wie sich individuelles Glück und kollektives Wohlergehen zueinander verhalten und wann das Glücksstreben des Einzelnen hinter dem Wohl der Gemeinschaft zurücktreten muß. Nun gibt es in Indien eine ganze Reihe von ausgefeilten Theorien, die sich mit der Mehrung und Sicherung von Wohlbefinden und Glück befassen. Da gibt es zum Beispiel die Lehre von einer Staatsführung (nitisastra), die allgemeines wirtschaftliches und psychisches Wohlergehen des Volkes bewirken soll. Es gibt auch ein Lehrbuch der Liebeslust (kämasästra), welches die physiologischen und psychologischen Vorbedingungen für eine passende Partnerwahl und für ein Glück in der Liebe aufzeigt und zusätzlich Formen der Zärtlichkeit und Sexualtechniken schildert, welche dieses Glück noch steigern können. Die Astrologie {jyotisa) befaßt sich mit den makrokosmischen Bedingungen für den Erfolg und das Glück des Individuums - insbesondere mit der Wahl des glückverheißenden Augenblicks für den Beginn einer geplanten Handlung und mit der Vermeidung aller unglückverheißenden Unternehmungen. Die Rechtswissenschaft (