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German Pages 184 Year 2014
Eva-Maria Engelen Vom Leben zur Bedeutung
Ideen & Argumente
Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert
Eva-Maria Engelen
Vom Leben zur Bedeutung Philosophische Studien zum Verhältnis von Gefühl, Bewusstsein und Sprache
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-033331-2 e-ISBN 978-3-11-033334-3 ISSN 1862-1147 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen Umschlagkonzept: +malsy, Willich Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung I . . . . . . . . . . . . . . . . II . . .
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5 Das Gefühl des Lebendigseins 5 Einführung 7 Sich-Lebendig-Fühlen, Bewusstsein und Subjektivität Über das Gefühl des Lebendigseins als einfache Form phänomenalen Bewusstseins 7 Ist bewusstes Empfinden gleichzusetzen mit subjektivem 10 Empfinden? 11 Bewusstes Empfinden 11 Gewahrsein, Bewusstsein und phänomenales Erleben 11 Gewahrsein, dass etwas so ist, wie es ist Metakognitive Fähigkeiten und phänomenales Erleben 14 16 Phänomenales Empfinden und Theorien höherer Ordnung Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Be17 wusstsein: Ein Versuch Aristoteles zu interpretieren 17 Das sinnliche Wahrnehmen Tasten als Unterscheiden 19 Nimmt man etwas als das, was es ist, wahr, weil es eine Funktion 21 hat? 22 Synaisthêsis als Unterscheidungsvermögen Die vereinheitlichende Sinnlichkeit. Ein aristotelischer Begriff des 23 Bewusstseins Das Gefühl des Lebendigseins als einfache Form des phänomenalen 26 Bewusstseins: Weitere Interpretationen zu Aristoteles Der innere Sinn als Bewusstsein ohne Denken 26 30 Die aisthêsis-Tradition und die Reflexivität des Bewusstseins Weitere Voraussetzungen für das Gefühl des Lebendigseins 37 37 Sein in der Zeit 40 Einheit eines Organismus und Tätigsein 41 Lebendigsein und Nicht(-Lebendigsein) Sprache und Gefühl 43 43 Einführung Antonio Damasio 44 45 Repräsentation, Proto-Selbst und unbewusste Gefühle Kernbewusstsein, Emotionen und nicht-sprachliche Berichte 52 Schwierigkeiten eines sprachlosen Ansatzes
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VI
. . . . . . . . III . . . . . . . . . . IV . . .
Inhalt
Repräsentationstheorien und Emotionen 55 Repräsentationstheoretische Ansätze in der analytischen 56 Philosophie 61 Phänomenales Bewusstsein bei Tieren 65 Michael Tomasello 65 Die Bedeutung des Anderen Das trianguläre Modell des Spracherwerbs angewendet auf 69 Emotionen Semantisierung von Emotionen 70 70 Angst als Angst empfinden lernen 75 Die Empfindung als eigene und die Rolle der Sprache Der Andere als Spiegel der eigenen Emotionalität 78 80 Narrativer Ansatz 83 Semantisierung von Wahrnehmung Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele 85 85 Einführung Intentionalität 87 Intentionalität in der Philosophie des Geistes und der 87 Sprachphilosophie 88 Emotionale Intentionalität 91 Die logische Struktur von Intentionalität Emotionale Intentionalität und logische Struktur 95 101 Der intentionale, bedeutungshafte Bezug 104 Indexikalität 104 „Ich bin jetzt hier“: Indexikalität und phänomenales Empfinden 105 Der Weltbezug indexikaler Ausdrücke Der Weltbezug indexikaler Ausdrücke durch phänomenales Empfinden 114 und Wahrnehmung Subjektive Sättigung und logische Ursprünglichkeit indexikaler 116 Ausdrücke 121 Phänomenaler Gehalt und indexikaler Modus 129 Normativität und Bewusstsein 129 Einführung 130 Normativität und Geist 130 Emotionale Einschätzung und Normativität Bewusstsein und Normativität 131 Bewusst angestellte Reflexionen über emotionale Bewertungen 137 Reduktion und Teleosemantik
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Inhalt
. . . . . . . .
VII
Reduktion von Normativität in der Teleosemantik 137 140 Einwände gegen die Teleosemantik 146 Reduktion genuiner Normativität auf natürliche Normativität? 147 Normativität und Telos 147 Normativität und Erfüllungsbedingungen 149 Das Wohl als Norm 149 Das eigene Wohl als Norm Das Wohl eines Lebewesens als Grundlage natürlicher 151 Normativität Selbsterhalt kann etwas anderes sein als Weiterleben im Sinne der Selbstreproduktion: Zur Setzung des ergon durch das 156 Individuum
Abschließende Betrachtungen Literaturverzeichnis
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Personenregister Sachregister
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Einleitung Was der Gehalt und die Bedeutung unserer Erfahrungen ist, ist eine phänomenologische Frage, die nicht nur für die Philosophie des Geistes und der Sprache von besonderem Interesse ist, sondern auch für einige Forschungsfragen in der Biologie und der Psychologie. Je nachdem, wie man bestimmt, was den Gehalt und die Bedeutung einer Erfahrung ausmacht, wird man die Frage beantworten, wann menschliche Empfindungen einen solchen Gehalt oder eine solche Bedeutung haben und ob Empfindungen anderer, nicht-menschlicher Lebewesen gleichfalls einen solchen Gehalt haben. Auch hinsichtlich unserer Emotionen und Gefühle lässt sich fragen, ob Empfinden und Fühlen einen quasi natürlichen Bedeutungsgehalt haben. Für Forscher, die davon ausgehen, dass Empfinden und Fühlen einen quasi natürlichen Bedeutungsgehalt haben, liegt zudem die Annahme nahe, ein solches Fühlen als Ursprung des Bewusstseins anzusehen und einfachste Formen des Bewusstseins auf einen vitalen Tonus des Körpers zu reduzieren. Wir werden jedoch sehen, dass selbst einfache Formen des Bewusstseins, die Selbstbewusstsein nicht einschließen, bereits mit begrifflichen (und kategorialen) Voraussetzungen einhergehen, also mit einer Form des Logos.Will man klären, wie es dazu kommt, dass Organismen von der bloßen Empfindungsfähigkeit zu einfachen Formen des Bewusstseins gelangen, muss man zeigen können, dass etwas für sie Bedeutung haben kann und im Weiteren auch, dass sie Bedeutungen in einem gewissen Umfang verstehen können. Diese beiden Begriffe von Bedeutung sind auf der einen Seite streng zu trennen,weil es sich in dem ersten Fall (etwas hat Bedeutung) um eine allgemeine philosophische Frage handelt, die letztlich auch Grundlagenprobleme der Ethik einschließt, und in dem anderen Falle (Verstehen von Bedeutungen) um eine engere philosophische Fragestellung der Sprachphilosophie. Dennoch sind diese beiden Begriffe an manchen systematischen Scharnierstellen, wie etwa dem der Intentionalität, also der geistigen Bezogenheit auf das Engste miteinander verbunden. Welche begrifflichen Voraussetzungen bestimmte Formen des Fühlens haben, ist nicht unabhängig von dem Weltbezug, also davon wie sich das empfindende Lebewesen auf seine Umgebung bezieht. Denn wenn Spüren und Fühlen mit Bewusstsein einhergehen, muss dieses Spüren und Fühlen das Spüren und Fühlen von etwas sein. Das gilt nicht zuletzt auch bei den einfacheren Formen des Fühlens und Empfindens. Untersuchungen zu den Fragen, ob bloßes Fühlen schon Bewusstsein ist oder mit Bewusstsein einhergeht, sind Überlegungen nach dem Verhältnis von Körper und Geist. Sie lassen sich bis hin zu dem Fragekomplex erweitern, ob menschliche Werte, die zur Sphäre des Geistigen zu rechnen sind, auf grundlegende, körper-
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Einleitung
basierte Emotionen reduziert werden können. Zur Debatte steht also, ob sich Bewusstsein und moralische Werte letztlich auf Fühlen und Empfindungsfähigkeit reduzieren lassen und damit sowohl in der Philosophie des Geistes als auch in der Ethik eine vollständige Reduktion auf naturalistische Grundlagen gelingen kann. Zu Beginn der Überlegungen, die hier über vier Kapitel hinweg ausgeführt werden, stand die Frage, ob Emotionen ein guter Kandidat sein könnten, um Werte als genuine Formen von Evaluationen auf natürliche Grundlagen zu reduzieren. Zunächst sieht es so aus, als wären Emotionen ein guter Kandidat dafür, da Emotionen und Gefühle mit Einschätzungen und Bewertungen einhergehen. Zudem lassen sich unterschiedlichen Weisen der Einschätzung oder Evaluation mit unterschiedlichen Formen des Bewusstseins in Zusammenhang bringen. Einfache, hauptsächlich körperbasierte Emotionen gehen, wenn sie als solche wahrgenommen werden, mit anderen Formen des Bewusstseins einher als vornehmlich kulturell geformte Gefühle. Zudem sind unbewusste Evaluationen eines Organismus von höheren Formen der Evaluation, wie etwa bewusste Einschätzungen es sind, zu unterscheiden. So lässt sich zwischen intrinsischen Einschätzungen und genuinen Werten oder Normativität differenzieren. Intrinsische Evaluationen kommen im Verbund mit affektiv zu deutendem Verhalten auch bei Tieren vor, genuine Werte nicht. Es ist davon auszugehen, dass Kognition, Gefühl und Bewusstheit sich bei den einzelnen Arten und Lebewesen langsam, graduell ausdifferenzieren (Phylogenese). Für das Auftreten komplexerer Emotionen und Gefühlen ist es erforderlich, dass das betreffende Wesen über ein Bild von sich selbst, also über eine Form von Selbstbewusstsein verfügt,während dies für basale Emotionen wie Freude nicht erforderlich ist. Im Zusammenhang solcher Beobachtungen wird zu klären sein, wie sich eine Entwicklung von rein physisch- / biologischen Bewertungs- und Einschätzungsprozessen hin zu Emotionen und komplexeren Emotionsempfindungen erklären lässt, die als spezifisch empfunden werden. Dafür ist zu erläutern, wie der physische Prozess und die kulturelle Prägung aufeinander bezogen sind. Eine dafür maßgebliche Annahme ist, dass emotionale Prozesse durch Sprache geformt werden und ihren spezifischen Bedeutungsgehalt durch Sprache und sprachliche, kulturelle Praktiken erlangen. Wie das geschieht, wird mit Hilfe einer Theorie des Spracherwerbs erläutert, die sowohl in der Verhaltensforschung als auch in der Philosophie vertreten wird. Dabei lässt sich auch darlegen, inwiefern Emotionen sowie Empfindungen Bewusstsein im Ansatz mitkonstituieren und in einem intersubjektiven Austausch herausgebildet werden. Zu zeigen wie Sprache, emotionale physische Vorgänge und Bewusstsein beim Spracherwerb miteinander verwoben werden, stellt eine Etappe auf dem Weg dar, eine Verbindung zwischen
Einleitung
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Emotionen als physischen Bewertungsprozessen und Normen als kulturellen und sozialen Bewertungsprozessen aufzuzeigen. Im ersten Kapitel werden die begrifflichen und kategorialen Voraussetzungen für ein Gefühl des Lebendigseins herausgearbeitet. Das Gefühl des Lebendigseins steht dabei für eine unmittelbare Form des Bewusstseins, die noch kein Selbstbewusstsein ist und einem phänomenalen Gewahrsein des eigenen Organismus entspricht. Über welche Fähigkeiten muss ein Organismus verfügen, damit er eine solche einfache Form des Bewusstseins aufweisen kann und welche Rahmenbedingungen müssen für den Organismus gegeben sein, damit dies der Fall ist? Im ersten Kapitel werden die begrifflichen, metaphysischen und faktischen Voraussetzungen herausgearbeitet, die eine solche Form des Selbstgewahrseins hat. Es stellt die Stufe dar, die es ermöglicht, zwischen Empfindungen und bewusst erfahrenen Empfindungen, zwischen emotionalen Regungen und solchen, die als eine bestimmte Emotion erlebt werden, zu unterscheiden. Im zweiten Kapitel wird das Verhältnis von Sprache, Bewusstsein und Gefühl dann von einer anderen Perspektive her erörtert. Dort stehen Überlegungen im Vordergrund, die sich mit der Formung des phänomenalen Erlebens durch Sprache im Spracherwerb beschäftigen. Wie werden etwa Emotionen durch Sprache geformt, ist diese Formung eine kulturell invariante und welche Theorien des Spracherwerbs ermöglichen eine solche Fragestellung, während das bei anderen nicht der Fall ist? Indem diese Fragen beantwortet werden, wird dafür argumentiert, Emotionstheorie und Spracherwerbstheorie zu verbinden. In diesem Abschnitt wird zudem gezeigt, dass die sprachliche und kulturelle Formung von emotionalen Reaktionen im Verlaufe des Spracherwerbs (Semantisierung) sozial geteilte Situationen erfordert, während die Entstehung von Selbstbewusstsein davon abhängt, dass Situationen emotional geteilt werden. Ein weiteres Ergebnis dieser Überlegungen ist, dass wir sprachfähige Wesen sein müssen, um Emotionen so zu erleben, wie wir sie erleben. Konkrete Fälle der Unauflöslichkeit von Phänomenalität und Begrifflichkeit werden im dritten Kapitel anhand der Themenfelder „Intentionalität“ und „Indexikalität“ erörtert. Im Falle der genauen Untersuchung des Zusammenhangs von Sprache, Intentionalität und emotionaler Ausrichtung wird auch gezeigt, dass die Verbindung dieser drei Faktoren dazu beiträgt, dass Menschen sich unabhängig von möglichen natürlichen Anlagen emotional in individueller Weise auf etwas beziehen können, wodurch das Bezugsobjekt für sie zudem eine eigene Bedeutung erhalten kann. Es werden sprachphilosophische Überlegungen herangezogen, um zu erläutern, wie sich eine individuelle emotionale Bezugnahme
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Einleitung
beim Menschen erklären lässt, die von angeborenen Reaktionen entkoppelt ist. An dieser Stelle zeigen sich als Ergebnis von Habitualisierungen Ansätze zu Selbstbestimmung und Autonomie, weil Menschen zwar nur im sozialen Kontext habitualisiert werden, sich dann dazu aber durchaus auf individuelle Weise verhalten können. Die Möglichkeit, sich auf diese individuelle Weise zu verhalten ist daran gekoppelt, dass Sprache die logische Struktur von Erfüllungsbedingungen aufweist, die Menschen auch individuell für sich ausgestalten können. Diese sprachliche, logische Struktur liegt auch der emotionalen Intentionalität, also dem emotionalen Weltbezug zu Grunde und ermöglicht diesen. Während der emotionale Weltbezug eine logische Struktur voraussetzt, kann ein indexikaler Term wie „ich“ oder „hier“ nur dann einen Weltbezug erhalten, wenn er mit phänomenalem Empfinden versehen ist, der ihm erst einen Gehalt gibt. Einmal erworben, geht dieser Gehalt im Falle von „ich“ auch dann nicht mehr verloren, wenn das phänomenale Empfinden nicht unmittelbar bewusstseinsimmanent ist. Das erklärt, inwiefern man von einem logischen oder grammatischen Subjekt sprechen kann, das von der empirischen Erfahrung losgelöst und damit quasi ewig zu sein scheint, obgleich es für seinen Gehalt auf den Weltbezug in Form des phänomenalen Empfindens ursprünglich angewiesen ist. Ein Subjekt ist aber nicht allein aufgrund der Fähigkeit, die Indexikale „ich“ mit einem Gehalt zu versehen, ein Subjekt, sondern auch deshalb, weil es selbsttätig handelt und in diesem Handeln Normen folgt, die es für sich als richtig annimmt. Versuche, Normativität auf Emotionalität oder Formen natürlicher, das heißt: gespürter oder evolutionär herausgebildeter Normativität zu reduzieren, werden im vierten und letzten Kapitel auch hinsichtlich des Verhältnisses von Werten und Emotionen und dem dahinter stehenden aristotelischen Theorieansatz genauer untersucht. Der Gehalt dessen, was es heißt ein Mensch zu sein, erschöpft sich nicht in den natürlichen Anlagen einer Gattung, sondern bedarf, um eine Vorstellung davon zu erhalten, was er umfasst, stets auch einer genauen Analyse wie sich diese Anlagen mit kulturellen Praktiken und dem, was in der Philosophie einmal der Logos genannt wurde, verbinden.
I Das Gefühl des Lebendigseins Einführung Wie ist zu erklären, dass wir uns lebendig fühlen und nicht lediglich lebendig sind? In diesem Kapitel wird erörtert, welche Voraussetzungen erforderlich sind, damit sich ein Lebewesen lebendig fühlen kann. Denn fühlt es sich lebendig, verfügt es über eine rudimentäre, einfache Form des Bewusstseins, die die Schwelle zwischen Leben und Erleben darstellt, das so genannte präreflexive Selbstgewahrsein. Fühlt sich beispielsweise ein Maulwurf lebendig? Hat er ein präreflexives Selbstgewahrsein? Das präreflexive Selbstgewahrsein stellt die erste Stufe einer Genealogie des Bewusstseins dar. Überlegungen zu dieser Form des empfindenden Selbstgewahrseins erlauben es, zeitgenössische Versuche, Bewusstsein auf seine naturalistischen Grundlagen zu reduzieren, genauer einordnen zu können, und die Subjekt- und Reflexionsfixierung des modernen Denkens hinsichtlich des Bewusstseins aufzubrechen. Neben diesen systematischen Untersuchungen wird weiterhin gezeigt, dass die Überlegungen zur Rolle von Empfindungsfähigkeit für die Entwicklung von Subjektivität bereits eine antike und mittelalterliche Tradition haben, die auf Aristoteles zurückgeht. In dieser Tradition wird ein Modell diskutiert, das helfen soll, die Frage zu beantworten, wie ein Lebewesen Empfindungen und sensorische Erfahrungen in irgendeiner Form auf sich als Einheit beziehen kann, denn das muss es können, um sich lebendig fühlen zu können. Es ist die Frage nach einer empfindungsbasierten Bezugnahme und damit eine Frage danach, wie wir wahrnehmen, dass wir wahrnehmen. Das kognitive Bewusstsein eines selbstreflexiven Subjektes, mit dem sich die Philosophie sonst vornehmlich beschäftigt, ist dabei nicht im Fokus der Fragestellung. Die Fähigkeit zu empfindungsbasierter Bezugnahme firmiert in der Geschichte der Philosophie unter dem aristotelischen Stichwort „innerer Sinn“ oder „Gemeinsinn“ (koinae aisthêsis). Auch manche so genannten Theorien einer Erfahrung höherer Ordnung (higher order theories) in der analytischen Philosophie berufen sich auf Aristoteles. Mittels dieser Theorien wird versucht, phänomenales Bewusstsein zu erklären und ein Modell für die innere Wahrnehmung von mentalen Zuständen anzugeben. Diese Diskussionen werden in diesem Kapitel mit der aristotelischen Tradition in Verbindung gesetzt und diskutiert. Schließlich werden Schritt für Schritt die metaphysischen, begrifflichen und faktischen Voraussetzungen für diese einfachste Form des phänomenalen Bewusstseins erörtert, die den Unterschied zwischen Leben und Erleben ermöglicht. Gezeigt wird, dass ein Lebewesen wie der sich lebendig fühlende Maulwurf, wenn er über ein präreflexives Selbstgewahrsein verfügt, über folgende Fähigkeiten
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I Das Gefühl des Lebendigseins
verfügen muss: Er muss unterscheiden können, er muss Phänomene in nicht kognitiver Weise in ein Verhältnis zueinander setzen können und er muss intentional auf etwas hin strukturiert sein. Außerdem müsste es sich bei seinen mentalen Zuständen um intrinsische handeln. Ein besonderes Augenmerk wird der Frage gewidmet, inwiefern eine solche Form des Bewusstseins reflexiv ist, aber noch nicht selbst-reflexiv im Sinne eines Selbstbewusstseins. Wie kann sich also in dem fiktiven Beispiel des sich lebendig fühlenden Maulwurfs dieser auf sich selbst als lebendig beziehen, ohne im Sinne eines Selbstbewusstseins selbst-reflexiv zu sein? Alle diese Überlegungen werden in Auseinandersetzung mit entsprechenden Aristoteles-Interpretationen angestellt, die sich mit eben diesen Aspekten eines empfindenden oder wahrnehmenden Selbstgewahrseins befassen. Ergänzt werden die Ausführungen durch Überlegungen aus laufenden philosophischen Diskussionen, in denen den metaphysischen Voraussetzungen eines empfindenden Selbstgewahrseins auf den Grund gegangen wird. Um die tief greifende cartesische Dichotomie zwischen Bewusstsein und lebendigem Körper zu überwinden, werden Formen eines einfachen Bewusstseins derzeit in verschiedenen Zusammenhängen diskutiert. Manche Autoren wie die Neurowissenschaftler Antonio Damasio und Jack Pankseep sprechen von einem primitiven Gefühl des Selbst (feeling of self), andere wie der Philosoph Evan Thompson von einer Form präreflexiven Selbstgewahrseins des lebendigen Körpers oder von Meinigkeit wie Thomas Fuchs oder Thomas Metzinger, die ganz unterschiedliche philosophische Ansätze verfolgen.¹ Den meisten Herangehensweisen ist dabei gemein, Bewusstseinsphänomene in ihrer onto- und phylogenetischen Entwicklung in den Blick zu nehmen. Und wenn auch manche Bewusstsein fast schon mit bloßer Empfindungsfähigkeit von Lebewesen gleichzusetzen scheinen, weisen die Überlegungen einen gemeinsamen Nenner in der graduellen Ausdifferenzierung von Kognition, Gefühl und Bewusstheit bei den einzelnen Arten und Lebewesen auf. Kognition, Bewusstsein und Gefühl entwickeln sich in Abhängigkeit voneinander. Diese Annahme lässt sich aus einer philosophischen Perspektive heraus entwickeln, wenn etwa die Rolle der Sprache im Falle des Menschen berücksichtig
Vergleiche hierzu: Damasio (2000); Pankseep (1998); Thompson (2007); Fuchs (2012); Metzinger (2005); Martine Nida-Rümelin nennt es in ihrer Monographie Der Blick von innen. Zur transtemporalen Identität bewusstseinsfähiger Wesen (2006) schlicht einen „subjektiven Gesichtspunkt“ (point of view). Die onto- und phylogenetische Entwicklung von Bewusstseinsphänomenen nimmt bei ihren Überlegungen allerdings keine zentrale Stellung ein, weil das Kriterium der transtemporalen Identität als metaphysisches eingeführt wird.
1 Sich-Lebendig-Fühlen, Bewusstsein und Subjektivität
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wird. Dann lässt sich zeigen, wie rein physisch- / biologische Bewertungs- und Einschätzungsprozesse zu Emotionen werden, die als spezifisch empfunden werden, und schließlich zu Werten. Denn einige unserer Empfindungen und Gefühle erhalten über die Semantisierung durch Sprache einen Gehalt und damit eine Bedeutung, was dazu beiträgt, dass wir Wesen sind, für die etwas Bedeutung haben kann. Ein Lebewesen hat nicht schon allein aufgrund seiner Empfindungsfähigkeit Bewusstsein und aus dem Überlebenstrieb eines Lebewesens lässt sich auch nicht ableiten, dass ihm sein eigenes Leben (oder sonst irgendetwas) etwas bedeutet. Die Annahme, dass Empfindungsfähigkeit eine Rolle für die Entwicklung von Subjektivität und insbesondere von Bewusstsein spielt, hat gleichwohl eine aristotelische Tradition, die geeignet ist, ein Ausgangspunkt auf dem Weg vom Leben zur Bedeutung zu sein.
1 Sich-Lebendig-Fühlen, Bewusstsein und Subjektivität² 1.1 Über das Gefühl des Lebendigseins als einfache Form phänomenalen Bewusstseins Eine einfache Form des phänomenalen Bewusstseins ist das Sich-LebendigFühlen. Um sich lebendig zu fühlen, benötigt ein Lebewesen kein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Es fühlt sich aber auch nicht schon dadurch lebendig, dass es lebendig ist. Welche Voraussetzungen müssen also gegeben sein, damit ein empfindungsfähiges Lebewesen über bloße Empfindungsfähigkeit hinaus ein Gefühl des Lebendigseins haben kann? Im philosophischen Kontext ist diese Frage eine nach theoretischen Bedingungen. Da sie sich aber nicht auf ein erkenntnistheoretisches Konzept bezieht, sondern auf „Leben“ und damit auf eines, das Gegenstand einiger empirischer Wissenschaften ist, sind nicht nur die disziplinären Zuständigkeiten nicht eindeutig, sondern auch die wissenschaftliche Annäherung an die Problemstellung erläuterungsbedürftig. Wenn hier nach den Voraussetzungen des Gefühls des Lebendigseins und damit nach denen für die Wahrnehmung eines Organismus von sich als Einheit gefragt wird, dann betrifft das auch begriffliche³ Voraussetzungen, die bei einem Vergleiche hierzu und zu weiteren Teilkapiteln: Engelen 2012. Die vorliegenden Überlegungen stellen eine weiterführende Ausarbeitung dar. Was ist hier die Bestimmung von „begrifflich“? In der Stanford Encyclopedia for Philosophy heißt es dazu im Artikel „Concepts“, dass einige Vogelarten ihren Futtervorrat nach Verderb-
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I Das Gefühl des Lebendigseins
Lebewesen erfüllt sein müssen, damit es das Gefühl des Lebendigseins erfahren kann, nicht nur empirische. Dennoch kann die empirische Forschung schon deshalb nicht ganz außer Acht gelassen werden, weil dort gleichfalls theoretische Modelle entworfen und verwendet werden, für die ein basales Fühlen die Grundlage von Bewusstsein ist. Zwar muss ein Lebewesen, wenn es sich als lebendig erlebt, noch kein Bewusstsein von sich selbst im Sinne eines ausgeprägten Selbstbewusstseins haben, und sich als über eine längere Zeit hinweg als Einheit agierend, wahrnehmend, gar reflektierend verstehen. Ein solches Selbstgewahrsein, wie es mit dem Ausdruck „Gefühl des Lebendigseins“ angesprochen ist, könnte im (phylogenetischen) Entwicklungsprozess jedoch eine Vorstufe für Selbstbewusstsein sein. Die Empfindungs- und Gefühlsebene ist je nach Modell des Bewusstseins dann eine Vorstufe für Selbstbewusstsein (wie es etwa prominenter Weise Antonio Damasio annimmt), oder auch Ausgangspunkt, um über die Reduktion von Selbstbewusstsein auf Physiologie nachzudenken (wie es etwa Thomas Metzinger tut) und so zu einer naturalistischen Reduktion von Selbstbewusstsein auf Gefühl oder Empfindung zu gelangen. Wird ein solcher Reduktionsversuch unternommen, wird entgegen einer aristotelischen und phänomenologischen Tradition in der Philosophie allerdings auch angenommen, dass Empfinden und Fühlen maßgeblich Vorgänge des Gehirns seien – eine Annahme, die keineswegs selbstverständlich zu gelten hat. Das Gefühl des Lebendigseins, das mit dem phänomenalen Gewahrsein des eigenen Organismus einhergeht, ist eine einfache, empfindungsbasierte Form des phänomenalen Bewusstseins. Es liegt an der Schwelle zwischen Leben und Erleben,⁴ und erfordert anders als Selbstbewusstsein keine höheren kognitiven Fähigkeiten. Dennoch lässt sich klären, was es heißt, phänomenal gewahr zu sein, indem der Eindruck „etwas zu erfahren“ in ein Verhältnis zu Empfinden und Erleben gesetzt wird. So erfordert eine solch empfindungsbasierte Form des Bewusstseins sowohl bestimmte körperliche Gegebenheiten, als auch kognitive und lichkeit/Verfallsdatum fressen und das auch umstellen können, wenn sich die Verderblichkeit ändert; dies zeige manchem, dass die Tiere über so etwas wie Begriffe verfügten: „Experimental data of this kind provide evidence for particular concepts in birds (of food types, locations, and so on) as well as surprisingly sophisticated cognitive operations defined in terms of them.“ (Margolis und Laurence 2011) Dieses Argument wird nicht weiter ausgeführt, dahinter steht aber, dass die Tiere etwas als etwas identifizieren können, also einen schneller verfaulenden Wurm als schneller verfaulenden Wurm und nicht als weniger schnell verfaulenden Käfer. Hier soll nicht dafür argumentiert werden, dass das bereits ausreicht, um zu zeigen, dass Vögel Begriffe haben, aber es zeigt, wann man von Begriffsgebrauch spricht, nämlich wenn ein Lebewesen etwas als etwas erkennt. Fuchs 2012, 149-165.
1 Sich-Lebendig-Fühlen, Bewusstsein und Subjektivität
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begriffliche Fähigkeiten, die den Übergang vom Empfinden zum Sich-Empfinden, vom Bewegen zum Sich-Bewegen, vom Angezogensein zum Streben nach etwas, oder von der affektiven Reaktion zum Gefühl erst ermöglichen. Über welche Fähigkeiten und Voraussetzungen ein Organismus verfügen muss, um sich als lebendig wahrnehmen zu können, ist nicht allein eine Frage nach den natürlichen Grundlagen des Bewusstseins im Gefühl, sondern auch nach den begrifflichen Voraussetzungen im Verhältnis von Bewusstsein und Gefühl. Bewusstsein beginnt auf der Ebene eines Gewahrwerdens des Erlebens und der Lebendigkeit des Organismus und endet bei dem Selbstverständnis eines Menschen, der seine Werte für sich als Mensch unter Umständen sogar gegen seine biologische Natur beibehält. Wenn sich bei den einzelnen Arten und Lebewesen eine langsame, graduelle Ausdifferenzierung (Phylogenese) von Kognition, Gefühl und Bewusstheit vollzieht, ist letztlich von einer engen Koppelung dieser Bereiche auszugehen, und beim Menschen kommt hinzu, dass er über ein Bild von sich selbst verfügen muss, um komplexere Emotionen oder Gefühle empfinden zu können. Ein Anfangspunkt, um diese graduelle Ausdifferenzierung näher zu betrachten, ist das Gefühl des Lebendigseins, das seinen Ursprung zum einen im lebendigen Organismus⁵ hat, das aber zum anderen für ein phänomenales Gewahrsein steht, welches bewusstes Erleben erst ermöglicht. Damit Leben zu Leben wird, das sich erlebt, reicht es nicht aus, dass es einen empfindungsfähigen Organismus gibt.⁶ Empfinden ist nicht gleichzusetzen mit etwas als etwas empfinden, leben nicht mit etwas erleben, fühlen nicht mit etwas als etwas fühlen. Aber, um sagen zu können, was es bedeutet, etwas zu empfinden, sich als etwas zu empfinden, und nicht nur zu empfinden, müssen eine Reihe Fragen erörtert werden, die in den Bereich der Philosophie gehören.Wie da wären: Kann ein Organismus etwas erleben, ohne über einen rudimentären Begriff von „Nicht“ zu verfügen? Muss ein Organismus, der sich als seiend erlebt, über einen Begriff der Möglichkeit verfügen? Welche Rolle spielt zeitliche Kontinuität für Erleben? Und: Unterscheiden-Können ist nicht immer schon ein Indiz für Be-
Nach Thomas Fuchs haben die moderne Biologie und Psychologie den Begriff des Lebendigen, wie ihn die aristotelische Tradition kennt, zu Gunsten biochemischer Molekularprozesse aufgegeben. Vergleiche: Fuchs 2012, 150. Wie eine im Verständnis der Biologie formulierte Antwort auf die Frage, wie es zu bewusstem Erleben kommt, aussehen kann, skizziert etwa Thomas Fuchs (2012, 150f.), wenn er darauf hinweist, dass eine Voraussetzung in der Ausbildung getrennter sensorischer und motorischer Organe und der entsprechenden Sinnes- und Bewegungsvermögen besteht, sowie in der Entwicklung eines nervösen Zentralorgans, das die Rezeptor- und Effektorgane miteinander koppelt und die Einheit des Organismus noch einmal in gesonderter Form repräsentiert.
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I Das Gefühl des Lebendigseins
greifen, aber ist es vielleicht eine Voraussetzung dafür? Was hat Aristoteles von all dem schon gewusst? Und was macht man falsch, wenn man „das Tier“ überschätzt und menschliche Begriffsfähigkeit unterschätzt? Je nachdem, wie diese Fragen beantwortet werden, lässt sich entweder schlicht konstatieren, dass ein einfaches phänomenales Bewusstsein in erster Linie auf Gefühl und Empfindungsfähigkeit beruht, oder aber, dass diese Form des Bewusstseins außer Gefühl und Empfindungsfähigkeit auch noch begriffliche und kategoriale Fähigkeiten impliziert. Wäre Letzteres der Fall, kann eine vollständige Reduktion auf rein naturalistische, kausale Prozesse nicht gelingen, denn dann ist davon auszugehen, dass phänomenales Bewusstsein auch in seiner einfachsten Form immer schon ein intentionales Bewusstsein ist.
1.2 Ist bewusstes Empfinden gleichzusetzen mit subjektivem Empfinden? Warum kann bewusstes Empfinden oder Erleben nicht unmittelbar als solches empfunden werden? Muss man sich wirklich noch zusätzlich darauf beziehen, um es als solches zu erfahren? Sind bewusstes Empfinden, Fühlen oder Erleben etwa nicht unmittelbares subjektives Empfinden oder Erleben? Einfache Empfindungen und Gefühlszustände wie Schmerzempfinden, Hunger- oder Durstempfinden wird man zahlreichen Organismen zusprechen. Diese sensorischen Erfahrungen sind beim Menschen bewusst. „Bewusstsein“ ist allerdings ein Begriff für ein Phänomen, welches nicht nur in einer einzigen Form auftritt, sondern von Aufmerksamkeit (Wachsamkeit, Aktivierung des Zentralnervensystems), über subjektive Erfahrung (z. B. sensorische Erfahrung), bis hin zu reflexivem Bewusstsein (Gedanken zweiter Stufe über Gedanken erster Stufe) reicht. Die Frage ist nun, ob die genannten einfachen Empfindungen und Gefühlszustände nicht schlicht dadurch bewusst sein können, dass es sich um Empfindungen und Gefühlszustände handelt. Ein Lebewesen, das sich lebendig fühlt, und nicht nur einfach lebendig ist, muss jedoch Empfindungen und sensorische Erfahrungen in irgendeiner Form auf sich als eine Einheit beziehen, damit eine einfache Form des Bewusstseins wie Selbstgewahrsein oder Meinigkeit vorliegen kann. Das bewusste Empfinden seiner selbst – und sei es nur in der rudimentären Form des sich lebendig Fühlens – muss also bereits an dieser Stelle über bloßes Empfinden und Fühlen hinausgehen. Das bedeutet aber nicht, dass man es dadurch bereits mit einer primär kognitiven Form des Bewusstseins zu tun hat, weil die Weise der Bezugnahme, die erforderlich ist, damit ein Gefühl des Lebendigseins vorliegen kann, auch eine rein empfindungsbasierte Bezugnahme sein könnte.
2 Gewahrsein, Bewusstsein und phänomenales Erleben
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1.3 Bewusstes Empfinden Ein Beispiel für bewusstes Empfinden, das keine Bezugnahme, auch keine empfindungsbasierte erfordert, um bewusst zu sein, könnte beispielsweise ein Schmerz sein, den man empfindet, wenn man aus Versehen auf eine heiße Herdplatte fasst und die Hand daraufhin sofort zurückzieht. In einem solchen Fall wird die Empfindung einfach erlebt und es liegt anscheinend gerade keine explizite Bezugnahme auf die Empfindung vor, sondern eine Reaktion, die angeboren ist oder durch Konditionierung erworben ist. In der philosophischen Fachterminologie wird das phänomenale Moment, das mit diesen Empfindungen und Emotionen einhergeht, intrinsisch genannt, weil es nicht erst durch einen Bezug von höherer Ebene (oder höherer Ordnung) her bewusst wird. Es müssen keine Metakognitionen in Anspruch genommen werden, damit ein Organismus die Herdplatte als heiß, lau oder kalt empfindet, und er muss daher nicht einige Augenblicke später denken, dass die Herdplatte heiß ist, um ihre Temperatur zu empfinden. Nur was unterscheidet die bloße Temperaturmessung, wie sie auch ein Thermostat anzeigt, davon, etwas als heiß oder kalt zu empfinden? Ehe man vorschnell annimmt, dass in letzterem Fall Bewusstsein mit im Spiel ist, mag man darüber nachdenken, was es bedeutet, dass wir zwischen Hitze- und Kälteempfindlichkeit auf der einen Seite und Bewusstsein für Temperaturunterschiede auf der anderen unterscheiden können. Dieser Unterschied weist darauf hin, dass Empfinden nicht immer schon Bewusstsein in einem phänomenalen Sinne involviert. Es kann einem Lebewesen also heiß oder kalt sein, ohne dass ihm bewusst wäre, dass ihm heiß oder kalt ist. Aber muss sich ein Lebewesen zu seinen eigenen Zuständen in ein Metaverhältnis setzen können, damit es merkt, dass ihm heiß oder kalt ist?
2 Gewahrsein, Bewusstsein und phänomenales Erleben 2.1 Gewahrsein, dass etwas so ist, wie es ist Wenn man gewahr ist, etwas bemerkt zu haben, beziehungsweise gewahr ist, etwas zu wissen, wird das in der Philosophie des Geistes und der Tierphilosophie „Metakognition“ genannt und gelegentlich auch mit dem Gefühl umschrieben, etwas zu wissen. Zumindest aus philosophischer Sicht muss ein Lebewesen, dem Metakognitionen zugeschrieben werden, also in einem kognitiven Zustand sein können, der sich wiederum auf einen kognitiven Zustand (meist den des Wissens) bezieht. Auf das Beispiel des Heiß- und Kaltempfindens angewendet, bedeutet
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I Das Gefühl des Lebendigseins
das, dass ein Lebewesen gewahr sein muss, dass ihm kalt ist und dies irgendwie bemerkt. Es reicht also nicht, dass ihm kalt oder heiß ist, damit ihm eine Metakognition zugeschrieben werden kann. Wenn wir eine Balkontür öffnen, ohne gleichzeitig daran zu denken, dass wir nun gerade eine Türe aufmachen, ist das ein Beispiel für ein Tun, das nicht mit Metakognition einhergeht. Das ändert sich aber etwa dann, wenn sich die Türe nicht öffnen lässt. Dann stellen wir explizit fest, dass sich die Türe nicht aufmachen lässt und damit auch, dass wir gerade dabei waren die Balkontüre zu öffnen. Wir denken dann etwa: „Ach, die Türe lässt sich nicht öffnen. Wieso klemmt sie denn, hat sich das Holz verzogen? Steht etwas davor?“ Das bloße Tun wird zu einem gedanklich mitvollzogenem Tun. Das bedeutet nicht, dass das Öffnen der Türe, das kein gedanklich mitvollzogenes Tun ist, vollkommen unbewusst verläuft. Es kann aber unbewusst verlaufen, wenn wir etwa, wie man im Deutschen so treffend sagt, geistesabwesend sind und gar nicht mitbekommen, was wir gerade tun. Im Normalfall der routiniert vollzogenen Handlung handelt es sich eher um einen Zustand, welcher zwischen einem gedanklichen Mitvollzug und völlig unbewusstem Tun angesiedelt ist. Solche Zustände sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass wir, wenn wir einige Zeit später danach gefragt werden, was wir gerade getan haben, Auskunft darüber geben können, was wir gerade getan haben, – wir können dann also noch darauf Bezug nehmen, obgleich wir das zuvor nicht ausdrücklich getan haben.⁷ Für ein bewusstes Erfahren, so ist zu folgern, wäre dann also die Verfügbarkeit in der Zeit ein wesentliches Kriterium, um zu bestimmen, wann wir von bewusstem Erleben oder Empfinden ausgehen können.Wie lange die Zeitspanne sein sollte, in der wir uns auf ein Ereignis oder Erleben beziehen können müssen, um es mit Bewusstsein in Verbindung zu bringen, ist verhältnismäßig willkürlich. Um einer Alltagsvorstellung von bewusstem Erleben gerecht zu werden, dürfte sie nicht allzu kurz ausfallen. Sicherlich sollten wir uns noch mehr als ein paar Minuten danach darauf beziehen können. Die Annahme, dass so übliche Handhabungen
Ähnlich ist das Autofahrer-Beispiel von Michael Tye angelegt: „Bei längerem Fahren ertappe ich mich gelegentlich dabei, wie ich ganz in Gedanken verloren einige Kilometer zurückgelegt habe. Während dieser Zeit halte ich meinen Wagen auf der Straße (…), jedoch bin ich mir des Autofahrens nicht bewusst. Später ‚komme ich zu mir‘ und mir wird klar, dass ich einige Zeit gefahren bin, ohne ein klares Bewusstsein dieser Tätigkeit gehabt zu haben.“ Diesen Fall analysiert Tye (Tye, 2001, 104, 106) dahingehend, dass der Autofahrer kein Bewusstsein seiner visuellen Wahrnehmungen hat. Nur dadurch, dass er einen Gedanken höherer Ordnung erlangt, werde er sich des Zustandes der höheren Ordnung bewusst. Argumente gegen die Notwendigkeit der Höherstufigkeit legt hingegen Engelen 2007, 63 dar.
2 Gewahrsein, Bewusstsein und phänomenales Erleben
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wie Balkontüreöffnen über Tage verfügbar sein müssten, um von bewusstem Erfahren sprechen zu können, ist allerdings auch nicht plausibel. An dieser Stelle sei schon einmal auf einen Zusammenhang zwischen Bedeutsamkeit und Verfügbarkeit für bewusste Bezugnahme hingewiesen. So kann beispielsweise das Balkontüreöffnen über Jahre oder Jahrzehnte verfügbar sein, wenn die Situation für uns von besonderer Bedeutung war, etwa, weil wir in dem Zimmer erstickt wären, wenn wir die Türe nicht geöffnet hätten.⁸ Um Metakognitionen und Metakompetenzen allgemein nicht von vornherein mit Sprachfähigkeit zu verbinden, müsste man angeben können, wie eine solche Kompetenz auch dann nachweisbar wäre, wenn bei den Probanden nicht nachgefragt werden kann. Ein Vorschlag lautet, sie an funktionalen Kriterien festzumachen.⁹ Das bedeutet, dass man feststellen können müsste, inwiefern ein Lebewesen von seinen mentalen Zuständen, zu denen auch Gefühle gehören, Gebrauch machen kann, ohne darauf begrifflich identifizierend zuzugreifen. Ein solcher Gebrauch ließe sich wohl nur behavioristisch, also aufgrund des beobachtbaren Verhaltens nachweisen. Beobachtbares Verhalten ist allerdings weder ein hinlänglicher Anhaltspunkt für das Vorhandensein mentaler Zustände, noch für das Vorhandensein metakognitiver Zustände.
Das muss aber nicht zwangsläufig so sein. Vorstellbar wäre auch, dass eine Person, die so etwas erlebt hat, sich nachher im Schockzustand befindet und sich an gar nichts mehr erinnert. „Extensive progress has been made in identifying the functional properties and the neural substrates of nonhuman memory, (…). Most of this work has been done under the (probably correct) assumption that phenomenal consciousness is not a helpful construct in studies of nonhumans because it is not clear what evidence would indicate the presence of such consciousness in nonhumans. (…)“ „An objective study of cognitive processes must involve functional and mechanistic, rather than phenomenological, characterizations of the processes under study (…). A functional approach might begin by posing the question (…): What can an organism with memory awareness do that one without it cannot do? In answering this question we can arrive at operational definitions of memory access that capture important functional capacities while avoiding the pitfalls associated with attempts to study phenomenology in nonverbal species. Such an approach is also directly relevant to the functional features upon which evolution can act in selecting for specific characteristics of memory systems. For memory monitoring to have evolved by natural selection, it must have had benefits that improved the ability to survive and reproduce. Memory monitoring allows humans to discriminate between knowing and not knowing.“ Hampton 2011, 105-119 hier 106-107.
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2.2 Metakognitive Fähigkeiten und phänomenales Erleben Es gibt Forscher, die behaupten, dass das Erforschen eventuell vorhandener metakognitiver Fähigkeiten bei Tieren nützlich wäre, um das Verhältnis von (Selbst-)Bewusstsein und anderen Formen des Gewahrseins weiter zu erhellen. Dieselben Forscher verbinden ihre Erörterungen mit Überlegungen dazu, welche Formen des phänomenalen Erlebens mit diesen kognitiven Vorgängen einhergehen.¹⁰ Dass Metakognition allgemein als ein kognitiver Prozess verstanden wird, der sich wiederum auf kognitive Prozesse bezieht, ist geläufig, weniger häufig sind hingegen Überlegungen dazu zu lesen, inwiefern solch metakognitiven Prozesse mit einer spezifischen Phänomenalität einhergehen, also etwa dem Gefühl des Wissens oder dem Gefühl der Fortsetzbarkeit einer Tätigkeit oder eben der NichtFortsetzbarkeit. Der Weg von einem Gefühl des Wissens oder einem Gefühl der Fortsetzbarkeit zu einem Gefühl des Lebendigseins ist nicht weit, denn auch bei Letzterem handelt es sich insofern um eine Metabeziehung als es sich um ein Gefühl des Gefühls handelt. So wie wir Gedanken über Gedanken haben, wenn wir über unsere eigenen Gedanken, Gefühle oder Wünsche nachdenken, fühlen wir gelegentlich, dass wir lebendig sind und sind nicht nur einfach lebendig. Formen des Metabezuges mögen in den Fällen der Metakognition, in denen wir etwa über unsere Wünsche nachdenken und nicht nur Wünsche haben, nicht dieselben sein, wie wenn wir fühlen, dass wir lebendig sind und es nicht lediglich sind. Es liegt sogar nahe, anzunehmen, dass es verschieden Formen des Metabezuges gibt, die vielleicht auch in einer ähnlichen Rangfolge zueinander stehen, wie Formen des bloßen Gewahrseins zu Formen des ausdrücklichen Selbstbewusstseins. Das passt zu der Annahme, dass sich die Ausdifferenzierung von Kognition, Gefühl und Bewusstheit bei den einzelnen Arten und Lebewesen (Phylogenese) langsam und graduell vollzieht und die Entwicklung dieser Bereiche gekoppelt ist. Der Blick auf die Ausdifferenzierung von Kognition, Gefühl und Bewusstsein bei einem einzelnen Lebewesen ist allerdings eine verengte Sicht und so wurde die Frage nach den sozialen Voraussetzungen menschlicher Metakompetenzen in den vergangenen Jahren immer öfter und dringlicher gestellt. Inwiefern es erforderlich ist, dass wir uns Gedanken über die Gedanken,Wünsche und Gefühle von anderen machen können, um uns auch Gedanken über unsere eigenen Gedanken und Wünsche machen zu können, muss daher auch erörtert werden. Sie wird in der
Smith 2010, 401-413 hier 410; sowie: Allen 2011, Punkt 7.4 „Self-consciousness and metacognition“.
2 Gewahrsein, Bewusstsein und phänomenales Erleben
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vorliegenden Abhandlung unter anderem im Zusammenhang mit Michael Tomasellos Feststellung diskutiert werden, soziale Kompetenzen seien ein Schlüsselmoment, um Selbstbewusstsein und Sprache zu erwerben. Und eine weitere Beobachtung, die darauf hinweist, soziales Miteinander als Voraussetzung für die Fähigkeit eines Lebewesens zur Bezugnahme auf seine eigenen Empfindungen zu sehen, ist, dass man für das explizite Öffentlichmachen von Empfindungen darauf angewiesen ist, sie identifizieren zu können. Das soziale Miteinander, das auf Formen der Kommunikation angewiesen ist, zwingt zwar nicht unmittelbar zur Identifizierung dessen, was mitgeteilt werden soll, ohne ein solches Miteinander muss allerdings auch nichts mitgeteilt werden und das Erfordernis, das, was mitgeteilt werden soll, zu identifizieren, fehlt gänzlich. Ob auch das Entstehen der Fähigkeit, sich auf eigene Empfindungen zu beziehen, voraussetzt, dass wir in sozialen Verbänden leben, in denen wir dies Können erst erlernen, ist letztlich eine Frage, die sich auch empirisch untersuchen ließe. Denn, könnte man bei Lebewesen, die von Geburt an nicht in sozialen Verbänden oder mit anderen Artgenossen zusammen leben, die Bezugnahme auf Empfindungen nachweisen (und nicht nur, dass sie empfinden), hätte man einen empirischen Nachweis dafür erbracht, dass es möglich ist, auf eigene Empfindungen Bezug zu nehmen, ohne in einer Gemeinschaft groß geworden zu sein. Die Einbeziehung der sozialen Gemeinschaft könnte auch der Schlüssel zur Beantwortung der Frage sein, warum es evolutionär einen Vorteil darstellen könnte, dass ein Lebewesen fühlt, dass es fühlt. Denn eigentlich kümmert sich die Selektion in der evolutionären Entwicklung von Organismen nicht darum, wie sich ein Organismus fühlt, aber wenn dieses Fühlen für das Lebewesen eine Funktion für das Überleben hat, wäre das auch unter Selektionskriterien von Belang. Zu klären wäre dann insbesondere, welche Funktion und damit welchen evolutionären Vorteil der direkte Zugang zu den eigenen mentalen und phänomenalen Zuständen hat. Eine Funktion und damit ein Vorteil könnte es sein, dass man seine eigenen Zustände, zu denen man einen Zugang hat, in der Gemeinschaft öffentlich machen kann und sie so zu einer öffentlich verfügbaren Information werden. Allerdings ist es etwa bei Emotionen als Basisemotionen so, dass sie durch Mimik, Körperhaltung und Prosodie gleichsam automatisch öffentlich werden, ohne dass wir ein Bewusstsein von ihnen als solchen haben müssten. Daher bleibt die Frage bestehen, warum wir sie darüber hinaus auch spüren. Die Dimension des sozialen Miteinanders als Voraussetzung des Selbstbezugs wird noch ausführlich am Beispiel des Erkennens und Einordnens von Emotionen zu untersuchten sein, denn dass wir unsere Emotionen ausmachen können, ist eine Voraussetzung dafür, dass wir uns gemeinsam mit anderen auf sie beziehen können. Andererseits können wir Emotionen als solche noch nicht allein dadurch
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als spezifische bestimmen, dass wir emotionale Erregungszustände haben. Vielmehr müssen wir mit Anderen gemeinsam lernen, uns sprachlich auf sie und die mit ihnen einhergehenden prototypischen Situationen zu beziehen. Dadurch lernen wir als Kleinkind mit Hilfe von Bezugspersonen die Erregungszustände von Angst oder Freude als Angst oder Freude zu erleben und nicht nur furchtsam oder freudig erregt zu sein. Dadurch erfährt das Kleinkind aber auch, dass die Aufmerksamkeit der Bezugsperson auf es selbst als Individuum gerichtete ist. Es lernt sich so nach und nach als Individuum zu verstehen, das emotionale Prozesse als seine, also ihm zughörige Prozesse erlebt.¹¹
2.3 Phänomenales Empfinden und Theorien höherer Ordnung Um phänomenales Bewusstsein zu erklären, gehen so genannte Theorien höherer Ordnung (higher order theories) davon aus, dass mentale Zustände auf andere mentale Zustände Bezug nehmen müssen, damit es zu phänomenalem Bewusstsein kommt, das mit Erleben einhergeht und mehr ist als sensorische Reizbarkeit.¹² Zumindest die nicht kognitiv ausgerichteten Ansätze berufen sich dabei nicht zu Unrecht auf eine aristotelische Tradition. Die Ausgestaltung dieser Theorieansätze höherer Ordnung fällt im Einzelnen jedoch durchaus unterschiedlich aus. Die am stärksten kognitiv ausgerichtete dieser Theorien ist die von Peter Carruthers. Er vertritt die Ansicht, dass Lebewesen, um phänomenales Bewusstsein haben zu können, sogar über Gedanken höherer Ordnung – also nicht nur Begriffs- oder Wahrnehmungsvermögen – verfügen müssen und zudem über eine Theorie des Geistes (was bei Menschen erst ab etwa dem vierten Lebensjahr der Fall ist).¹³ Nur dasjenige Lebewesen, das in der Lage ist, sich gedanklich auf mentale Zustände zu richten, hat demnach phänomenales Bewusstsein.¹⁴ Folgte man diesem Ansatz, wäre phänomenales Bewusstsein nicht nur bei fast allen Lebewesen außer dem Menschen ausgeschlossen, sondern auch bei Menschen unter vier Jahren, die noch nicht über eine Theorie des Geistes verfügen. Da insbesondere Letzteres unplausibel ist, steht Carruthers Position in der Debattenlandschaft einigermaßen vereinzelt dar.
Siehe dazu ausführlich: zweites Kapitel dieses Buches, in dem Tomasellos Theorie der gemeinsamen Referenz auf Emotionen angewendet wird. Siehe für einen Überblick: Allen 2011, Punkt 4.5 „Higher-order theories“. Über eine Theorie des Geistes verfügt ein Lebewesen, wenn es Vermutungen darüber anstellen kann, in welchen mentalen Zuständen (Gefühle, Wünsche, Absichten, Gedanken et cetera) sich andere befinden. Carruthers 1998b, 203–222; Carruthers 1998a; sowie Carruthers 2000, insbesondere 210-266.
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein
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Um solch starke Annahmen zu vermeiden, die es lediglich erlauben, Menschen nach dem vierten Lebensjahr phänomenales Bewusstsein zuzuschreiben, haben andere Theoretiker wie etwa David Armstrong und William G. Lycan,¹⁵ die Theorie einer Erfahrung höherer Ordnung verfolgt. Demnach haben Lebewesen ein phänomenales Empfinden oder Bewusstsein, wenn sie über eine Art der inneren Wahrnehmung in Bezug auf mentale Zustände verfügen. Dieser Ansatz gestattet es, Bewusstseins nicht nur als kognitive Instanz zu verstehen, sondern stärker auf die Empfindungsebene abzustellen. Er lässt sich zudem mit dem in Verbindung bringen, was in Anschluss an Aristoteles der sensus communis genannt wird und in der abendländischen Tradition fest verankert ist. Bei Aristoteles kommt der Begriff des Bewusstseins allerdings nicht vor, weshalb unter anderem von so etwas wie mentalen Zuständen und einer inneren Wahrnehmung derselben nicht so ohne weiteres gesprochen werden kann. Aristoteles kennt aber so etwas wie eine „innere Wahrnehmung“¹⁶ die sich auf die Wahrnehmungen der Sinnesorgane bezieht.¹⁷
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein: Ein Versuch Aristoteles zu interpretieren 3.1 Das sinnliche Wahrnehmen Was man unter dem „inneren Sinn“ bis weit ins 19. Jahrhundert hinein verstanden hat, hat in jüngster Zeit Daniel Heller-Roazen mit seiner Aristoteles-Interpretation zum koinae aisthêsis in seinem Buch The Inner Touch zu zeigen versucht.¹⁸ Die Stossrichtung dieser Interpretation ist es, bei Aristoteles eine Instanz auszumachen, die als eine Art der Sinneswahrnehmung den geläufigen Sinneswahrnehmungen gewahr wird. Auf diese Weise nimmt man beispielsweise wahr, dass man sieht. Bei einer solchen Metainstanz soll es sich also nicht, wie es in bewusstseinsphilosophischer Tradition angenommen wird, um eine kognitive Instanz handeln, wenn es um Instanzen des Bewusstseins geht, sondern um eine sinnlich wahrnehmende. Heller-Roazen treibt damit eine Interpretation voran, die W. F. R.
Armstrong 1980 ist eine der frühesten Arbeiten dazu; vergleiche aber auch: Lycan 1996. Vergleiche dazu Martine Nida-Rümelins Konzeption einer Innenperspektive, welche allerdings schon sehr viel voraussetzungsreicher ist als der hier angeführte „innere Sinn“. Aristoteles, De anima, Buch III, Kap. 2, 425b. Heller-Roazen 2007; deutsch: Der innere Sinn. Archäologie eines Gefühls, 2012.
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Hardie¹⁹ in seiner schon als klassisch zu bezeichnenden Interpretation der aristotelischen Bewusstseinskonzepte begonnen hat und im deutschsprachigen Raum etwa von Arbogast Schmitt weitergeführt worden ist.²⁰ Aristoteles hat keinen Begriff für Bewusstsein im modernen Sinne. Die Teilung zwischen mental und physisch, wie wir sie kennen, ist ihm fremd. Wenn also von Bewusstseinsbegriffen bei Aristoteles die Rede ist, wird zumeist auf seinen aisthêsis-Begriff Bezug genommen, der im Deutschen mit „Wahrnehmung“ übersetzt wird, und zudem gerne auf seine Bemerkungen über Emotionen. Ansonsten werden die beiden Themen auch oft gemeinsam behandelt.Wenn etwa der Aristotelesforscher Charles Kahn zeigt, dass der antike aisthêsis-Begriff dem modernen Begriff des Bewusstsein am Nächsten kommt, tut er dies mit dem Hinweis darauf, dass aisthêsis sowohl Lust und Schmerz mit umfasst, als auch Wahrnehmung.²¹ Bei Aristoteles findet sich allerdings nicht nur der Begriff der aisthêsis, sondern auch derjenige der psyche. Letzterer ist auch ein viel versprechender Kandidat, um angeben zu können, was man bei Aristoteles mit dem Begriff des Bewusstseins bezeichnet. Man sollte daher versuchen, die beiden Konzepte miteinander in Beziehung zu setzen. Was Aristoteles als Seele (psyche) bezeichnet, ist dasjenige, was empfindungsfähig oder wahrnehmungsfähig ist. Ein Körper, der durch Angst, Furcht oder Wut in Erregung gesetzt ist, ist also bereits beseelt, weshalb es sich bei diesen Zuständen nicht um rein materielle Vorgänge handeln kann.²² Am Körper beobachtbare Vorgänge, die entweder als emotionale beschrieben werden oder als Wahrnehmungsprozesse, sind in einer Tradition, die Platon folgt, aber immer auch solche der aisthêsis. Und nur solche Körper werden bei Aristoteles dann beseelt genannt, die wenigstens empfindende oder fühlende sind. Der entscheidenden Frage, ob es sich bei dem reflexiven Akt, der hier bisher mit dem Begriff der Bezugnahme oder der Metakompetenz bezeichnet wurde, bei Aristoteles um einen rationalen Akt handelt oder einen sinnlichen, wird gerne ausgewichen.²³
Hardie 1976, 388-411. Schmitt 2001, 109-147. Kahn 1966, 43-81. Hardie 1976, 394f. Vergleiche zu dieser Problematik: Hardie 1976, 408f.
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein
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3.2 Tasten als Unterscheiden Die Tastempfindung des Menschen als Teil des menschlichen Bewusstseins zu untersuchen und dafür auch verstärkt in den Schriften des Aristoteles nachzulesen, bezeichnet Arbogast Schmitt als eine Suche nach präsemiotischer Erfahrung. Diese Form der Erfahrung wird als eine charakterisiert, die von jeder subjektiven Deutung frei ist,²⁴ was dafür spricht, sie für einen idealen allgemeinverbindlichen Grund des Bewusstseins zu halten. Um die Subjekt- und Reflexionsfixierung des modernen Denkens seit Descartes endgültig aufzubrechen, ohne sich philosophischer Überlegungen und Traditionen zu entledigen, besinnt man sich in der letzten Zeit wieder des aristotelischen Bewusstseinsbegriffs in der Hoffnung, eine intersubjektive Grundlage des Bewusstseins anbieten zu können.²⁵ Da auch das findende, beurteilende oder bewertende Spüren immer schon durch gedankliche und begriffliche Vorprägungen geleitet und bestimmt ist,²⁶ ist Schmitt in philosophischer Hinsicht allerdings skeptisch, ob ein Spüren tatsächlich um so viel unmittelbarer genannt werden kann, als reflexives, begriffliches Denken. Dennoch ist es sinnvoll, sich seine Überlegungen zum Tastsinn genauer anzusehen, um das fundamentale Selbstgewahrsein präziser bestimmen zu können. Schmitts Skepsis verdient gleichwohl eine Vorabklärung. Kann es ein rein unterscheidendes Spüren geben, das noch nicht zugleich ein beurteilendes oder bewertendes ist? Ein solches Spüren würde, damit es ein Spüren von etwas wäre, voraussetzen, dass beispielsweise Unterschiede zwischen einer rauen Oberfläche und einer nicht so rauen Oberfläche, oder zwischen Wärme und Kälte, und zwischen Nässe und Trockenheit als Unterschiede wahrgenommen werden können.
Schmitt 2001, 109. „Wenn auch die Wahrnehmung noch als eine Form subjektiv-intersubjektiver Erfahrung gelten muß, dann muß das Präsemiotische in etwas gesucht werden, das auch ihr noch voraus liegt. Schon früh gibt es Tendenzen (…) im Bereich der Wahrnehmungen selbst (…) auf den basalen, gemeinsamsten Sinn, auf das Gefühl oder den Tastsinn zurückzugehen und ihm eine größere Erkenntnisleistung zuzubilligen als den früher sogenannten höheren Sinnen, v.a. dem Auge und dem Ohr.“ Schmitt selbst spricht dem Versuch, dadurch die der traditionellen Bewusstseinsphilosophie zu Grunde liegende typische Dichotomie zwischen Rezeptivität und Spontaneität überwinden zu können, allerdings wenig Erfolgschancen zu, weil sie die Rezeptivität lediglich ein wenig tiefer ansetze. Schmitt 2001, 113. Schmitt 2001, 122. Vergleiche zur Bedeutung, die dem Tastsinn neuerdings wieder zuteil wird etwa: Ratcliffe 2008, 299-322. Ratcliffe macht geltend, dass der Tastsinn es erlaubt, dass der spürende Körper zugleich sich selbst als auch das Objekt, das getastet wird, spürt und man dadurch in der Wahrnehmung der genannten Dualität entgeht.
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Und damit sie als Unterschiede zueinander wahrgenommen werden könnten, müssten dafür Wärme und Kälte, Nässe und Trockenheit et cetera aufeinander bezogen werden können. Es ist in der Tat nicht ersichtlich, wie das ohne ein bewertendes Unterscheiden möglich sein sollte. Das mindeste, was man daher annehmen muss, ist also, dass ein Lebewesen, das zu solchen Unterscheidungen in der Lage ist, angenehme und unangenehme Empfindungen haben kann oder über kognitive Fähigkeiten verfügt. Genau um diese Dichotomie zwischen Empfindung und Kognition zu überwinden, versucht man Aristoteles differenzierte Gliederung von Vermögen, bei denen der Akt des Unterscheidens zentral ist, gewinnbringend heranzuziehen. Im Weiteren soll dann ein Bewusstseinsbegriff formuliert werden, welcher noch kein kognitiv reflexives Subjekt in der Ausprägung eines cartesischen Cogitos oder eines kantischen logischen Ichs erfordert. Wenn man beispielsweise in der Lage ist, zwischen dem Umstand, dass man sich bewegen kann und demjenigen, dass man sich nicht bewegen kann, zu unterscheiden, oder zwischen dem, dass man etwas Raues ertastet und dem, dass man etwas Glattes ertastet, muss das nicht von einem voll ausgebildeten Bewusstsein begleitet werden. Vielmehr können solche Unterscheidungen empfindend oder wahrnehmend gemacht werden. Ganz ohne kognitive Fähigkeiten ist das gleichwohl nicht möglich, weil etwa „Können“ und „Nicht-Können“, „rau“ und „glatt“ in Bezug zueinander gesetzt werden müssen, um auch wirklich von einer Unterscheidung und nicht nur von einer Veränderung sprechen zu können. Man befindet sich damit jedoch noch nicht auf der Ebene des Urteilens. Wenn Lebewesen also nicht ohne jegliches kognitive Vermögen unterscheiden können, mag man daraus bereits schließen, dass die Suche nach empfindungsbasierten Formen des Bewusstseins eine vergebliche ist. Das Ergebnis lässt sich jedoch auch anders interpretieren, nämlich als Hinweis darauf, dass die angenommene Dichotomie zwischen Kognition und Empfindung auf dieser Ebene eine künstliche ist. Eine Empfindung, die immer wieder auftritt und mit bestimmten Aktivitäten einhergeht, an denen sie sich „festmachen“ lässt,²⁷ wird einem Lebewesen nach einer gewissen Zeit vertraut und in diesem Sinne bekannt sein. Diese Vertrautheit ist eine Voraussetzung dafür, unterscheiden zu können, weil sie eine Art des Festhaltens ist und beim Vergleich muss man das eine festhalten, um das andere dagegenhalten zu können. Ein solches Gefühl der Vertrautheit setzt nota bene aber nicht voraus, dass etwas bereits als etwas Bestimmtes identifiziert wird, denn dafür benötigte man bereits Kriterien der Identifikation. Der gedankliche Mit-
Dass dies erforderlich ist, zeigt unter anderem Wittgensteins Privatsprachenargument.
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein
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vollzug ist für das nicht identifizierende Unterschieden nicht erforderlich, wohl aber die Fähigkeit, sich auf irgendeine Weise auf die Unterscheidung beziehen zu können, was nach Aristoteles durch Wahrnehmung geschieht.
3.3 Nimmt man etwas als das, was es ist, wahr, weil es eine Funktion hat? Auf der Suche nach einem Modell für phänomenales Selbstgewahrsein haben Aristoteles-Interpretationen noch mehr zu bieten. So lässt sich der funktionale Ansatz auf Selbstwahrnehmung übertragen. Ein Gegenstand wird demnach von einem Lebewesen aufgrund der Funktion, die er für das Lebewesen hat, als solcher erfasst: Gras für eine Kuh also etwa dadurch als Nahrungsmittel, dass es die Funktion hat, die Kuh zu sättigen. Übertragen auf die Selbstwahrnehmung von Lebewesen bedeutete das, dass diese sich durch das, was sie können, selbst wahrnehmen. Die Bewegung eines Lebewesens wird von dem Lebewesen dann als Bewegung seiner selbst wahrgenommen, wenn sie die Funktion hat, dass sich das Lebewesen annähern oder entfernen kann. Riechen, Hören, Sehen werden von einem Lebewesen als Wahrnehmungen begriffen, wenn sie die Funktion haben, die Umgebung für das betreffende Lebewesen zu erfassen und nicht einfach nur die Umgebung zu erfassen. Das gilt für einen Roboter, für den nichts per se eine besondere Relevanz oder Wichtigkeit hat, nicht. Das bedeutet, dass die Eigenwahrnehmung eines Lebewesens insofern nichts grundsätzlich anderes wäre als das Wahrnehmen von Gegenständen und deren Umgebung, denn ein Lebewesen erführe sich selbst, andere und anderes dadurch, was es für sich kann oder nicht kann und was die Anderen können oder nicht können, beziehungsweise durch die Funktionen dieses Könnens für das Lebewesen, das wahrnimmt. Anders ist sie aber doch insofern, als das „Für-Sich“ einen präreflexiven Meinhaftigkeitsbezug (auf sich selbst) erzeugt. In der Weise wie Aristoteles das Unterscheiden als ersten Schritt zum Identifizieren einführt, verschwimmt die Grenze zwischen Empfinden, Wahrnehmen und begrifflichem Denken.²⁸ Nimmt man hinzu, dass das Etwas-als-etwas-Erfas-
Vergleiche dazu: Aristoteles, De anima II11, 424a5f; III2, 426b8ff; III3, 427a20f. und Schmitt, 2001, 125f. Schmitt sieht das Gemeinsame zwischen Wahrnehmen und Denken darin, dass beide Formen des Unterscheidens sind und damit auch beide Formen des Denkens. Dazu sei angemerkt, dass Unterscheiden keine bloße Form des Denkens sein muss. Schmitt betont zu Recht, dass für Aristoteles der Graben zwischen Verstand und Sinnen, mit dem wir uns heute auseinanderzusetzen haben, in dieser Form nicht existiert, weil auch die Sinne Unterscheidungen vornehmen, auch wenn sie das nicht in reflektierter oder bewusster Weise tun: „Denken in der
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sen aufgrund der Funktion erfolgt, die das Erfasste für das Lebewesen hat und sich dieses Modell auch auf das Erfassen seiner selbst als Lebewesen anwenden lässt, wenn sich die Funktion als Funktion für das Lebewesen erweist, zeigt sich, dass dieser Ansatz eine Erklärung für eine basale empfindungsbasierte Form von Selbstgewahrsein zu liefern vermag.
3.4 Synaisthêsis als Unterscheidungsvermögen Das Unterscheiden beginnt bereits beim Bemerken der Änderung von Zuständen: sich bewegen können, sich nicht bewegen können, graben, nicht weiter graben können. Diese Unterscheidungen setzen noch nicht voraus, dass der Organismus auch in der Lage ist, solche Aktivitäten gedanklich mit vollziehen zu können oder sich auf die Unterscheidungen beziehen zu können. Sie werden lediglich erfahren (wenn sie erfahren werden, denn das muss ja nicht der Fall sein), was damit einhergeht, dass die jeweiligen Zustände unterschiedlich erlebt werden. Dadurch begibt sich ein Lebewesen freilich noch nicht in ein Metaverhältnis zu der Unterscheidung, sie wird für den Organismus vielmehr erfahrbar und wahrnehmbar. Diese Form des Unterscheidens geht noch nicht damit einher, dass Kriterien für die Unterschiede, die gemacht werden, herangezogen werden. Sie ist allerdings eine Voraussetzung dafür, dass von einem Lebewesen, das über begriffliche Fähigkeiten verfügt, darauf dann auch begrifflich Bezug genommen werden kann. Eine wichtige weiterführende Frage wird sein, ob die begriffliche Bezugnahme wiederum eine Voraussetzung dafür ist, dass solche Unterscheidungen bewusst mit vollzogen werden können und in einem weiteren Schritt dann auch Unterscheidungskriterien erkannt werden können, oder ob das nicht erforderlich ist. Bei einfachen Wahrnehmungen hält Aristoteles das Erfahren von Unterschieden immer schon für gegeben.²⁹ Die Instanz, die diese Erfahrungen macht, erfährt sich damit jedoch noch nicht unmittelbar als Wahrnehmende und damit auch noch nicht als eine Art Selbst. Hingegen vermerkt der Philosoph Thomas Fuchs, der die grundsätzliche Kontinuität zwischen Leben und Erleben, zwischen Empfinden, Bewusstsein und dem Entstehen von Selbstbewusstsein betont: „Erst ab einem bestimmten Intensitätsgrad wird Erleben bewusst; und dennoch war es
platonisch-aristotelischen Philosophie (wird) nicht von seinen Bewusstseinsakten, sondern von seinen Unterscheidungsakten her ausgelegt (…). Gleichgültig, ob jemand wahrnimmt, fühlt, vorstellt, meint, will usw., er könnte nichts von all dem ausführen, wenn er dabei überhaupt keine Unterschiede bemerken könnte (…).“ Schmitt, 2001, 140. Vergleiche dazu: Schmitt 2001, 129.
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein
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schon mein Erleben.“³⁰ Er spricht den unbewusst bleibenden homöostatischen Körperzuständen von Lebewesen wie sie sich in Trieben, Bewegung, Lust und Unlust zeigen, eine elementare „Meinhaftigkeit“ zu, die die Grundlage für Selbsterleben ist. Damit verweist er darauf, dass der Körper nicht erst dadurch zu meinem Leib wird, dass ich mich bewusst reflektierend auf ihn beziehen kann, sondern weil die Reflexion sich auf einen empfindenden Organismus beziehen kann, der „die präreflexive Meinhaftigkeit des Lebensgefühls“ aufnimmt, oder anders ausgedrückt, der ein derart empfindender ist, dass er sich als eine empfindende Einheit begreift. Dass ein solches Lebensgefühl noch kein als solches bewusst wahrgenommenes ist, ergibt sich daraus, dass auf die Momente des Erlebten als solche nicht Bezug genommen werden kann. Erst die Bezugnahme auf Erlebtes als Erlebtes wäre ein Akt der bewussten Bezugnahme. Einem solchen Akt müsste außer dem Bemerken von Unterschieden zusätzlich vorausgehen, dass etwa ein Sich-Bewegen als solches erlebt würde und auch ein Nicht-Bewegen als solches. Erst dann können wir von bewusstem Erleben sprechen. Bewusstem Erleben geht allerdings einiges an Wahrnehmen, Empfinden, Fühlen voraus, bei dem man davon ausgehen muss, dass zahlreiche lebendige Organismen „davon berührt“ sind (diese Metapher im Deutschen kommt dem aristotelischen sensus communis als umfassenden Tastsinn sehr nahe) und es nicht nur registrieren wie es bei einem Automaten der Fall wäre. Es ist nun klar geworden, dass dieses „Berührtwerden“ noch kein Fall des bewussten Erlebens ist, ergänzend können wir hinzufügen, dass es sich theoretisch fassen lässt, indem wir uns klar machen, dass es nur dann zustande kommt, wenn die Wahrnehmungen die Funktion haben, die Umgebung für den betreffenden Organismus zu erfassen und nicht einfach nur die Umgebung zu erfassen.
3.5 Die vereinheitlichende Sinnlichkeit. Ein aristotelischer Begriff des Bewusstseins Die bisherigen Überlegungen sollen zum einen weiter geführt werden, um das Gefühl des Lebendigseins als eine phänomenale Forme des Bewusstseins zu bestimmen, und zum anderen, um genauer zu explizieren, was unter Aristoteles’ Bemerkungen zur Wahrnehmung der Wahrnehmungsvorgänge zu verstehen ist.
Fuchs, Vortrag „Leben und Selbsterleben. Organische Grundlagen des Bewusstseins“, gehalten am 18. Mai 2010 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Vortrag ist auf Englisch erschienen, vgl. Fuchs 2012.
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Aristoteles unterscheidet zwischen Lebewesen, die empsychon sind, und solchen, die apsychon sind. Diejenigen, die empsychon sind, bewegen sich, haben Empfindungsvermögen und Wahrnehmungen; zudem wird in Aristoteles Werk De anima der Körper, der durch Wut und Angst/Furcht affiziert wird, als ein lebender bezeichnet.Vor geraumer Zeit wurde in der Forschung bereits darauf hingewiesen, dass bei Aristoteles die Unterscheidung in Lebewesen zentral ist, die ein Bewusstsein in Form des Empfindens oder Fühlens haben, und solche, die keines haben. Hinzukommt, dass körperliche Vorgänge, die mit angenehmen oder schmerzhaften Empfindungen verbunden sind, solche sind, die mit Sinneswahrnehmung (aisthêsis) einhergehen. So nimmt der unbelebte Körper nicht wahr, dass er von Veränderungen betroffen ist, während der belebte es wahrnimmt. Aristoteles hat wie bereits festgestellt keinen expliziten Begriff des Bewusstseins, doch findet man bei ihm einen Ansatzpunkt, um über das Verhältnis von Leben, Empfindung und dem, was wir unter Bewusstsein verstehen, weiter nachzudenken.³¹ Hardies Überlegungen zum Begriff des Bewusstseins bei Aristoteles sind auch als genuin philosophische, nicht nur als philosophiehistorische Ausführungen von einigem Interesse, so erinnert er an Folgendes: Bewusstsein, wie es ausdrücklich von Descartes oder implizit von Aristoteles begriffen wird, ist nicht das Ganze, wenn auch notwendiger Weise ein Teil dessen, was gemeinhin mit der Aufmerksamkeit eines Menschen gemeint ist, die er auf sein Gehen oder Theoretisieren richtet. Wenn das Bewusstsein, nach dem gefragt ist, ein Selbstgewahrsein einschließt, das untrennbar von „Erkenntnisvermögen“ ist‚ schließt das auch eine Neigung ein, auf Erreichtes zurückzusehen und vorauszusehen, wohin die Reise führen wird. (Übers. EME)³²
Das bloße Gefühl des Lebendigseins steht in diesem Zitat offensichtlich nicht im Vordergrund der Überlegungen. Doch es verweist darauf, dass das, was wir Bewusstsein nennen, nicht nur auf das unmittelbar Empfundene, Gedachte oder Erlebte bezogen ist, sondern von vornherein einen weiteren Horizont hat, der nicht für etwas so Basales wie ein Gefühl des Lebendigseins heranzuziehen ist. Siehe dazu: Hardie 1976, 394ff. Bei Hardie heißt es auf Seite 397: „(…) Aristotle’s lack of a term corresponding to our ‘conscious’ or ‘mental’. (…) An obvious interpretation of the gap to be filled made the missing concept of ‘consciousness’ the very ‘broad’ one of ‘whatever it is about a state which makes it mental’, in a sense of ‘mental’ which is exemplified at its lowest in mere dim vague feeling.“ Übersetzung von: „Consciousness, as conceived by Descartes or implicitly by Aristotle, is not the whole, even if necessarily a part, of what is ordinarily meant by a man’s awareness of what he is doing when he walks or theorizes. The consciousness required, if it includes a selfawareness inseparable from ‘cognition’, includes also a readiness to look back over ground covered and anticipate where to go from here.“ Hardie 1976, 408.
3 Wahrnehmung von Wahrnehmung, Unterscheidungsvermögen und Bewusstsein
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Hardie begründet nicht weiter, warum ein vollumfängliches Bewusstsein (also eines, das über ein Gefühl des Lebendigseins hinausgeht) für ihn mit Antizipation und Rückbesinnung einhergeht. Es ist aber nahe liegend, davon auszugehen, dass Rückschau und Vorausschau, welche die Dimension der Zeitlichkeit und die der Möglichkeit betreffen, über die Unmittelbarkeit des momentanen Empfindens hinausreichen, und daher mit einem voll entwickelten Bewusstsein einhergehen müssen. Aber, anders als Hardie annimmt, ist es bereits für ein Gefühl des Lebendigseins sowie für ein bloßes Gewahrsein seiner Wahrnehmungen erforderlich, über rudimentäre Formen eines solchen Zeit- und Möglichkeitssinn zu verfügen. Denn um zu bemerken, dass man lebendig ist, muss man bereits der Unmittelbarkeit des Erlebens enthoben sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Metainstanz wie der Verstand dafür vorausgesetzt wäre. Es muss lediglich ein Zustand sein, der das Lebewesen dem bloßen Empfinden „enthebt“. So lassen sich Rückschau und Vorausschau auch als Fähigkeiten verstehen, sich im Handeln auf Vergangenes oder Zukünftiges zu beziehen. In der Tierwelt kennen wir etwa den Nestbau als Beispiel dafür oder Vorratshaltung, und Ortswechsel bei Kälteeinbruch. Allerdings sollte das Tun, anders als beim Nestbau, der Vorratshaltung oder dem Ortswechsel, tatsächlich ein Erlebtes sein und nicht lediglich einem angeborenen Programm entspringen. Auf der Stufe des Selbstgewahrseins muss es sich bei der Rückschau und der Vorausschau also um eine Art der empfindenden Bezugnahme handeln. Bleiben wir erst noch einmal beim Gewahrsein, dass man sich bewegt. Auch dieses Gewahrsein setzt die erwähnte empfindende Bezugnahme voraus, die der Unmittelbarkeit enthebt, indem auf den zurückgelegten Weg geschaut wird und auf den, der noch zurück zu legen ist. Ein Organismus kann wie gesehen nicht allein aufgrund des Umstandes, dass er sich bewegt, bemerken, dass er sich bewegt. Vorausgesetzt ist, dass er in der Lage ist, diese Bewegung in ein Verhältnis zur Nicht-Bewegung zu setzen. Dabei muss ein solches Verhältnis nicht mittels Verstandestätigkeit festgestellt werden, sondern es kann auch auf der Sinnesebene wahrgenommen werden. Ein historisches Modell dafür ist der so genannte innere Sinn oder Gemeinsinn, der koinae aisthêsis. Er lässt sich als der Sinn interpretieren, der die übrigen Formen der Wahrnehmung in ein Verhältnis zueinander setzt und zwar in Bezug auf ein Wahrnehmungserlebnis.³³ Damit ist eine Instanz angesprochen, die über die unmittelbare Sinneswahrnehmung eines einzelnen Sinnes hinausgeht. Die zeitliche, räumliche oder gar intentionale
Eine Jahrhunderte übergreifende Studie dazu lieferte jüngst Daniel Heller-Roazen 2007, bzw. deutsch 2012.
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Struktur, die es darüber hinaus ermöglicht, einen Erwartungs- und Geschehenshorizont auszubilden, ist damit nicht mitgedacht. Da die aisthêsis nur im „Jetzt“ vorkommt, könnte man meinen, dass sie in der Unmittelbarkeit des Empfindens verbleibt, der sie eigentlich enthoben sein müsste, um ein Gefühl des Lebendigseins zu entfalten. Doch selbst um eine empfindende Wahrnehmung der einzelnen Wahrnehmungen im Jetzt zu haben, muss eine Ordnung der Wahrnehmungen erfolgen, und diese ist nach Aristoteles eine zeitliche. Aristoteles geht dabei weniger von der Möglichkeit des Zurück- und Vorausschauens aus, als vielmehr von der vereinheitlichenden Funktion der koinae aisthêsis für die einzelnen Sinneswahrnehmungen, welche sich auf einen Gegenstand beziehen. Damit diese Vereinheitlichung als eine solche funktionieren kann, muss es sich um die Vereinheitlichung zu einem bestimmten Zeitpunkt, also dem Jetzt, handeln. Eine zeitliche Einordnung leistet der innere Sinn (auch Gemeinsinn genannt) daher insofern, als die aisthêsis eine einheitliche Wahrnehmung ist, die im Jetzt als zeitlich zusammengehörend wahrgenommen wird.
4 Das Gefühl des Lebendigseins als einfache Form des phänomenalen Bewusstseins: Weitere Interpretationen zu Aristoteles 4.1 Der innere Sinn als Bewusstsein ohne Denken Wenn nach den Voraussetzungen des Gefühls des Lebendigseins gefragt wird und damit nach der Wahrnehmung eines Organismus von sich als einer Einheit, sind bereits einige begriffliche³⁴ und kognitive Voraussetzungen für ein Gefühl des Lebendigseins analysiert worden. Eine solche empfindungsbasierte Form des Bewusstseins erfordert bestimmte körperliche Gegebenheiten, kognitive und sogar rudimentäre begriffliche Fähigkeiten, die den Übergang vom Empfinden zum Sich-Empfinden, vom Bewegen zum Sich-Bewegen, vom Angezogensein zum Streben nach etwas, von der affektiven Reaktion zum Gefühl erst ermöglichen. Die Philosophiegeschichte birgt Antworten und Denkmöglichkeiten für diese Fragestellungen, die uns der Cartesianismus verstellt hat. Diese aufzudecken, erlaubt es, sowohl darüber nachzudenken, was Empfindungsfähigkeit bewirkt, als auch darüber, was unter einem empfindenden Bewusstsein zu verstehen ist. Begreift man „Bewusstsein“ als eine Fähigkeit, durch welche wir uns unsere Ge-
Mit „begrifflichen Voraussetzungen“ ist hier eine ganz rudimentäre Form gemeint, nämlich diejenige, etwas als etwas einzuordnen; beispielsweise alle roten Gegenstände als rot.
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danken und Empfindungen als eigene zuschreiben, setzt das voraus, dass dazu nur Lebewesen in der Lage sind,welche über begriffliche Fähigkeiten verfügen, die es ihnen ermöglichen, sich und ihre Gedanken und ihre Empfindungen als solche zu identifizieren. Denn schon die Bezugnahme auf einen Schmerz setzt voraus, dass man die Empfindung als Schmerz wahrnimmt und nicht lediglich Schmerzen hat. Die Bezugnahme auf „Freude“ als Freude setzt voraus, dass man sich nicht nur freut, sondern sich auch auf diese Freude als Freude beziehen kann. Und so verhält es sich dann auch mit Gedanken. Es reicht nicht, dass man denkt, sondern man muss auch bemerken können, dass man denkt. Dabei ist noch nicht einmal zu unterstellen, dass Denken mit Sprachfähigkeit einhergehen muss. Die Zuordnung von Gedanken als den meinen setzt jedoch voraus, dass man die Begriffe „Gedanken“ und „ich“ zur Verfügung hat. Nun wird niemand, der eine gewisse Ahnung von den geistigen Leistungen der griechischen und römischen Antike hat, annehmen, dass deren Philosophen und Naturkundler diese Fähigkeiten nicht besessen haben. Dennoch haben sie nicht über den Begriff des Bewusstseins verfügt, wie er in der Philosophie seit der Neuzeit erörtert wird. Das macht die Beschäftigung mit antiken Konzepten des Bewusstseins, des Empfindens und der Bezugnahme auf die Empfindungen daher umso reizvoller.³⁵ So versucht etwa Daniel Heller-Roazen mit Hilfe antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Autoren herauszufinden, was es heißen könnte, dass ein Lebewesen sich lebendig fühlt, und damit denjenigen Sinn zu beschreiben, der es uns erlaubt zu spüren, dass wir empfinden. Dabei ist bereits unterstellt, dass auch andere Lebewesen als Menschen sich in der Weise lebendig fühlen wie es Menschen tun und dass sie über die Fähigkeit verfügen zu spüren, dass sie empfinden. Zwar wurde auch schon daran gezweifelt, dass sich aus Heller-Roazens historischer Aufarbeitung für die zeitgenössische Philosophie und Naturwissenschaft, systematischen Einsichten ziehen lassen, die für gegenwärtig diskutierte Theorien anschlussfähig sind, weil Empfindungsfähigkeit eben nicht Klugheit, Vernunft
„It is remarkable that the classical authors who discussed the nature of awareness and selfawareness were not especially inclined to speak in terms of knowledge – or ignorance, for that matter – and they seem to have done without any general conviction that the phenomena in question were particularly cognitive in nature.“ Heller-Roazen 2007, 21; „Bemerkenswert ist jedoch, dass die klassischen Autoren, welche die Natur des Gewahrens und Selbstgewahrens [awareness and self-awareness] erörtert haben, nicht besonders dazu neigten, von diesem Gewahren als einem Wissen – oder eigentlich Unwissen – zu sprechen, und sie waren dabei offenbar nicht generell davon überzeugt, dass die fraglichen Phänomene ihrem spezifischen Wesen nach kognitive seien.“ Heller-Roazen 2012, 21f.
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und noch nicht einmal Repräsentation voraussetzt.³⁶ Das trifft aber auch nicht den zentralen Punkt einer Theorie des inneren Sinns, deren Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, zu erklären wie es kommt, dass wir unsere Wahrnehmungen als solche wahrnehmen. Diese Formulierung macht denn auch die Verwandtschaft dieser Fragestellung zu der nach dem Gefühl des Lebendigseins kenntlich: Wie ist zu erklären, dass wir uns lebendig fühlen und nicht lediglich lebendig sind? Wie ist es zu erklären, dass wir bemerken, dass wir sehen und nicht lediglich sehen? Philosophie- und wissenschaftshistorische Arbeiten können helfen, über die Beantwortung dieser Fragen nachzudenken.³⁷ Der Begriff des „inneren Berührens“ – des inneren Sinns, wie es in Übersetzung des mittelalterlichen Terminus sensus communis die längste Zeit im Deutschen geheißen hat – erhält im Laufe der Geschichte, die Heller-Roazen erzählt, zahlreiche Varianten. Eine die nicht vorkommt, aber den Sinn dessen, was verhandelt wird, trifft, ist die des Gefühls des Lebendigseins. Das Gefühl des Lebendigseins wird in den zahlreichen Gegenwartsdiskussionen zur Philosophie des Bewusstseins zwar auch diskutiert, dort ist jedoch häufig anderes zentral für die Debatten: Repräsentationen, das Ich, das Bewusstsein, das Selbstbewusstsein, das Protoselbst oder das Kernselbst. Allen diesen Überlegungen ist gemeinsam, dass sie vom Bewusstsein als der zu rekonstruierenden oder zu reduzierenden Instanz ausgehen. Ein empfindendes Selbstgewahrsein als Weise des Selbstbezugs eines Organismus, das prinzipiell nicht nur dem Menschen zukommen muss, spielt dabei zumeist keine Rolle. Dabei hat es eine eindrückliche, in die Antike zurückreichende Geschichte. Heller-Roazen geht zunächst nur kurz auf die Wortgeschichte des lateinischen conscientia für Bewusstsein ein. Dabei fällt auf, dass er sich nicht über die wortgeschichtlich gemeinsamen Wurzeln von conscientia (Latein) im Sinne von Bewusstsein/Mitwisserschaft/Gewissen und conscience (Englisch) für Gewissen äußert. Diese Wortgeschichte ist jedoch aufschlussreich, weil das Gewissen
So etwa wie Sandis (2007, 25): „The key to this lies in the fact that sentience need not involve sapience, or even representation.“. Es geht also nicht darum, historische Erklärungsansätze eins-zu-eins in heutige wissenschaftliche oder philosophische Debatten zu übernehmen, wie Sandis anzunehmen scheint und damit den Sinn philosophie- oder wissenschaftshistorischen Arbeitens grundsätzlich verfehlt: „Could Aristotle have really had in mind an inner touch in the literal sense? And if he did should we not simply reject his account as nonsense? (…) we are never quite told what lessons modern philosophy and/or science of perception can learn from Aristotle and the schools that followed him.“ Sandis, 2007, 25.
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ebenso wie das Bewusstsein eine Instanz ist, die es uns erlaubt, unsere Gedanken und Handlungen zu reflektieren und gedanklich auf sie Bezug zu nehmen. Ein Gewissen haben, setzt voraus, dass man seine Gedanken, Empfindungen und Handlungen bis zu einem bestimmten Grad quasi von außen mit den Augen eines Anderen betrachten kann. In diesem Sinne nimmt man gleichsam die Position eines Mitwissers ein und diese Position ist auch die des reflektierenden Bewusstseins. Die Vorstellung, dass man zu seinem eigenen Gewissen und seinem eigenen Bewusstsein einen exklusiven Zugang hat, der mit dem Konzept der Wahrheit verbunden ist, ist dabei nicht enthalten. „Wahrheit“, „Exklusivität“ und „Ich-Perspektive“ sind also neben dem des Wissens und der Klugheit weitere Konzepte, die die Geschichte des Begriffs „Bewusstsein“ nicht durchgängig bestimmt und beherrscht haben. Dass diese Begriffsgeschichte auch noch bei Descartes, der damit insbesondere auf Augustinus und Thomas von Aquin zurückgreift, Spuren hinterlässt, hat die jüngste Forschung gezeigt. Bei Descartes wird allerdings nicht nur die Bedeutung des Wissensbegriff für den der conscientia unterstrichen, sondern er erfährt auch insofern eine Bedeutungsverschiebung, als conscientia bei Descartes nicht mehr in erster Linie das Wissen um den moralischen Wert einer Handlung ist, sondern um den eines Gedankens, der mit einem idealen Anderen (Gott) „gemeinsam gewusst“ wird.³⁸ Das, was bei Descartes der privilegierte Zugang zu den Inhalten des eigenen Bewusstseins ist, nennt er hingegen res cogitans (denkendes Wesen), mens (Geist), animus (Seele/Bewusstsein), intellectus (Verstand) oder ratio (Vernunft). Und dieses kann in seiner Unbeirrbarkeit, die von keinem Zweifel zu erschüttern ist, auch auf ein inneres Empfinden, ein sento bezogen sein.³⁹ Der privilegierte Zugang zum eigenen Bewusstsein ist wie dieser flüchtige Blick auf die Begriffsgeschichte zeigt also in der cartesischen Tradition auch dann mit dem Denken verbunden, wenn er sich auf das sento, das „ich empfinde“ bezieht, weil es das Konzept des Ich voraussetzt und dieses wiederum Begriffsvermögen. Damit steht Descartes in einer augustinischen Tradition. So heißt es im zweiten Buch der Soliloquia etwa auf die Frage, ob die Seele (animus) oder der Körper (corpus) zu empfinden (sentire) scheinen, dass es die Seele sei.⁴⁰ Bereits bei Augustin wird die Wahrnehmung des Hörens, Sehens, Riechens und Empfindens, kurz des Phänomenalen also nicht beim Körper angesiedelt, sondern beim Geist. Daneben gibt es über die Jahrhunderte hinweg allerdings eine griechische Tradition, in der das, was wir heute
Vergleiche: Hennig 2006, 11 u. 25. Vergleiche hierzu: Engelen 2003, 89. Aurelius Augustinus, Selbstgespräche, 78.
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zum Teil mit dem Begriff des Bewusstseins meinen, anders verortet wurde, nämlich bei der Wahrnehmung oder beim Empfinden.⁴¹
4.2 Die aisthêsis-Tradition und die Reflexivität des Bewusstseins In der aisthêsis-Tradition der griechischen Philosophie gehört der bewusste Zustand zum Empfinden und Wahrnehmen und nicht zum Denken wie etwa bei Augustin und Descartes. Denn nach Aristoteles ist das, was wir Bewusstwerden nennen, einem Wahrnehmungsvermögen zu verdanken, das eine Art Zentralsensorium⁴² für die fünf Sinne (Riechen, Tasten, Hören, Sehen, Schmecken) ist. Dieses Sensorium ist ein die Sinne begleitendes Vermögen, mittels dessen man wahrnimmt, dass man schmeckt oder sieht. Durch dieses Sensorium wird mit anderen Worten erklärt, warum man merkt, dass man tastet. Die Instanz, die dafür steht, dass wir nicht nur tasten oder schmecken, sondern auch wahrnehmen, dass wir tasten oder schmecken, – es mithin bewusst tun – wird also dem Empfindungsapparat zugerechnet. Während aisthêsis bei Aristoteles ein vergleichbar fest umrissenes Konzept darstellt, ist es das bei den ionischen und vor-sokratischen Denkern nicht. Aber selbst bei Platon finden sich Stellen, in denen mit aisthêsis nicht nur Sinneswahrnehmung, sondern auch Empfindungen von Freude, Schmerz, Angst und Begehren bezeichnet werden,⁴³ Textpassagen also, in denen aisthêsis nicht nur auf Sinneswahrnehmung bezogen wird, sondern auf alle physischen Zustände, die phänomenal wahrgenommen werden. Der Begriff der aisthêsis ist mithin sehr viel mehr als nur eine Form der Sinneswahrnehmung, er hat einen weiteren Bedeutungshorizont.⁴⁴ Wir hatten schon gesehen, dass der antike aisthêsis-Begriff nach Charles Kahn dem modernen Begriff des Bewusstsein am nächsten kommt, und er aisthêsis
Heller-Roazen 2007, 22. Diesen passenden Begriff verwendet etwa Hubertus Busche 2005, 11. Theaitetos 156 b-c: „Die Wahrnehmungen nun führen uns Namen wie diese: Gesicht, Gehör, Geruch, Erwärmung und Erkaltung, auch Lust und Unlust werden sie genannt, Begierde und Abscheu, und andere gibt es noch, unbenannte unzählbare, sehr viele auch noch benannte.“ Übersetzung von Friedrich Schleiermacher. Siehe dazu: Heller-Roazen 2007, 23. Michael Frede (1987, 3-8 hier etwa 3-5) arbeitet in seinem Aufsatz „Observations on Perception in Plato’s Later Dialogues“ heraus, dass das enge Verständnis von aisthesis als Sinneswahrnehmung erst von Platon eingeführt und durchgesetzt wird. Daniel Heller-Roazen geht sogar soweit zu sagen, dass Aristoteles Lehre von der „Seele“ vor allem eine Lehre der aisthêsis sei. Als Beleg für diese Behauptung führt er unter anderem an, dass Aristoteles in De anima zehn Kapitel der Sinneswahrnehmung und Wahrnehmung widmet.
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dabei sowohl mit Lust und Schmerz in Verbindung bringt, als auch mit Wahrnehmung;⁴⁵ und dass auch ein Körper, der durch Angst, Furcht oder Wut in Erregung gesetzt ist, bereits beseelt (psyche) ist.⁴⁶ Am Körper beobachtbare Vorgänge, die entweder als emotionale beschrieben werden oder als Wahrnehmungsprozesse, sind in einer Tradition, die Platon folgt, generell solche der aisthêsis. Dass die Ausführungen des Aristoteles sich durchaus gewinnbringend heranziehen lassen, um zu erklären, inwiefern ein Lebewesen sich lebendig fühlen kann, und wir unser Empfinden phänomenal als solches wahrnehmen, ohne bereits über einen Begriff des Selbst zu verfügen, zeigt sich auch darin, dass einige Vertreter der so genannten Theorien höherer Ordnung (higher order theories) in der analytischen Philosophie sich auf Aristoteles berufen, wenn sie erklären, inwiefern mentale Zustände auf andere mentale Zustände Bezug nehmen müssen, damit es zu phänomenalem Bewusstsein kommt, das mit Erleben einhergeht.⁴⁷ Demnach haben Lebewesen ein phänomenales Empfinden oder Bewusstsein, wenn sie über eine Art der Wahrnehmung in Bezug auf mentale Zustände verfügen, die aus einer wahrnehmenden Tätigkeit resultiert. Es müsste ein intentionales Verhältnis sein, aber dennoch als phänomenales Selbstgewahrsein den Wahrnehmungsvorgängen intrinsisch sein, weshalb diese nicht erst dadurch gewahr werden würden, dass sich ein Zustand höherer Ordnung auf sie richtet. Dieser Ansatz erlaubte es, manche Formen des Bewusstseins nicht ausschließlich als kognitive Instanzen zu verstehen, sondern stärker auf die Empfindungsebene abzustellen. Obgleich auch versucht wurde, die zentralen Passagen bei Aristoteles damit in Verbindung zu bringen, was im Anschluss an Aristoteles der sensus communis genannt wurde, wurde früh festgestellt, dass sie sich nur dann theoretisch gewinnbringend heranziehen lassen, wenn sie gerade nicht so gelesen werden als handele es sich um einen inneren Sinn, der das Sehen, Hören, Tasten, Fühlen wahrnehmen würde, weil daraus ein infiniter Regress folgte. Der innere Sinn, der das Sehen, Hören, Fühlen wahrnähme und dadurch bewusst machte, müsste seinerseits wiederum von einer Instanz wahrgenommen werden, et cetera. Wie aber lässt sich die entsprechende Stelle bei Aristoteles so lesen, dass daraus ein annehmbares theoretisches Angebot wird? Damit es zu den hier angestellten Überlegungen passt, muss Bewusstsein intentional sein, es muss von Kahn 1966, 43–81 hier 71. Hardie 1976, 394f. Caston 2002, 751-815. Auch Armstrong (1980), and Lycan (1996) haben etwa einen Ansatz einer Erfahrung höherer Ordnung verfolgt.
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etwas handeln, nämlich von Erregungen oder vom Hören oder Sehen und Riechen. Zudem muss phänomenales Bewusstsein den mentalen Zuständen intrinsisch zugehören, wenn sie nicht erst durch den Bezug von einer höheren Ebene her bewusst werden und der infinite Regresse, der damit verbunden ist, vermieden werden soll. Für die Kombination dieser Anforderungen eine theoretische Lösung zu finden, mag fast unmöglich sein, und bereits Aristoteles scheint der Schwierigkeitsgrad bewusst gewesen zu sein, denn das Problem des infiniten Regresses für eine Theorie höherer Ordnung hat er bereits gesehen. Sieht man sich die entsprechende Passage in De anima nicht in einer Standardübersetzung,⁴⁸ sondern in einer an Franz von Brentano und Victor Caston angelehnten Übersetzung an, in der aisthêsis nicht als Vermögen verstanden wird, sondern als wahrnehmende Tätigkeit, dann liest sich die schwer zu deutende Passage aus dem dritten Buch, Kapitel 2 (245b12-15) wie folgt: Da wir wahrnehmen, dass wir sehen und hören, müssen wir entweder durch das Sehen wahrnehmen, dass man sieht oder durch eine andere [Wahrnehmung]. Aber dieselbe [Wahrnehmung] wird sowohl [eine] vom Sehen sein als auch von der Farbe, die dem Sehen zu Grunde liegt⁴⁹, so dass entweder zwei [Wahrnehmungen] von derselben Sache sind, oder sie [die Wahrnehmung] wird sich auf sich selbst richten; so dass man das bei der ersten ansetzen sollte.⁵⁰ (Übers. EME)
Nun ist es gerade nicht so, dass wir, wenn wir wahrnehmen, dass wir spüren, hören oder sehen, diese Vorgänge stets nochmals durch eine weitere Sinneswahrnehmung wahrnehmen. Wir reflektieren auch nicht ständig auf unsere Wahrnehmungen. Und auch Angst als Angst zu empfinden, Lebendigkeit als Lebendigkeit bedeutet nicht, die Empfindung von einer Empfindung zu haben oder die Erfahrung beziehungsweise Wahrnehmung von einer Empfindung oder Emotion zu haben. Wie also soll uns Aristoteles mit seinen Äußerungen zum Wahrnehmen zu
Eine Standardübersetzung wäre etwa die von Willy Theiler: „Da wir wahrnehmen, daß wir sehen und hören, müssen wir entweder mit dem Gesichtssinn wahrnehmen, daß er sieht, oder mit einem anderen. Aber [dann] wird derselbe Sinn sich auf das Sehen und auf die gegenständliche Farbe richten, so daß sich entweder zwei Sinne auf denselben Gegenstand richten oder der eine auf sich selbst. Ferner, wenn auch die Wahrnehmung vom Sehen eine andere wäre, so würde dies entweder ins Unendliche gehen, oder eine würde sich auf sich selbst richten. Daher kann man dies [sogleich] bei der ersten [Wahrnehmung] ansetzen.“ Wörtlich steht dort: „die zugrunde liegende Farbe“, also die Farbe, die dem Sehen zu Grunde liegt. Caston 2002, 769. Caston 2002 äußert sich auf den im Folgenden angegebenen Seiten zu den in Klammern notierten Begriffen: 776f. und 780 (Theorien höherer Ordnung und Intentionalität), 778, 781 und 787 (reflexives Bewusstsein), 782 und 793 (Selbst-Bewusstsein), 789 und 791 (Phänomenalität und Bewusstsein).
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einem schlüssigen Ansatz verhelfen können? Wie könnte ein Modell aussehen, wenn bewusstes Wahrnehmen und Empfinden keine zu den Wahrnehmungs- und Empfindungsvorgängen extrinsische Angelegenheit ist, sondern das phänomenale Bewusstsein intrinsisch, also nicht von außen herangetragen, dazugehört, so dass Bewusstsein, insofern intentional und damit relational ist, als wir zwar wahrnehmen, dass wir wahrnehmen oder empfinden, wie es auch die Theorien höherer Ordnung des Bewusstseins annehmen, wir es aber dennoch mit einem intrinsischen Phänomen zu tun haben, das nicht dadurch zustande kommt, dass ein System höherer Ordnung auf eines niederer Ordnung gerichtet ist? Damit dies möglich ist, müssen bewusste Zustände oder Vorgänge in einer reflexiven Relation zu sich selbst stehen: Nur dasjenige kann durch einen mentalen Vorgang bewusst gemacht werden, das dieser Vorgang auch selbst ist,⁵¹ daher ist er auch unmittelbar, intrinsisch bewusst und nicht vermittelt durch kausale Prozesse, Inferenzen oder Repräsentationen. Zu zeigen, dass phänomenales Bewusstsein als eine Form der Meinigkeit oder des Selbstgewahrseins dem Selbstbewusstsein vorausgeht, kann daher auch nicht als eine erfolgreiche Reduktion von Bewusstsein auf kausale Prozesse angesehen werden, weil phänomenales Bewusstsein immer schon intentional auf sich selbst gerichtet ist. Seine Phänomenalität besteht gerade darin, dass das Geschehen ein bewusstes ist und es durch die damit einhergehende Reflexivität, die eine Reflexivität des Wahrnehmungsvorgangs selbst ist, bestimmt ist. Dass etwas eine reflexive Relation ist, heißt nichts weiter, als dass x mit x in Beziehung steht. Und das ist intuitiv einleuchtend, aber keineswegs trivial und lässt sich am Besten durch ein Beispiel erläutern: Zwei Schüler stehen in einer reflexiven Relation zueinander, wenn sie in dieselbe Klasse gehen. Dann steht selbstverständlich auch Paul, der in die Klasse 6b geht, in dieser Relation zu Paul, also zu sich selbst (transitive, reflexive Relation). In Analogie dazu lässt sich sagen, dass ein Lebewesen Lebendigsein als Lebendigsein oder Angst als Angst empfindet und dies unmittelbar als solches erlebt, wenn eine reflexive Relation besteht. Besteht diese reflexive Relation nicht, hat ein Lebewesen unter Umständen Angst, es erlebt diese Angst aber nicht als Angst. In Bezug auf die reflexive Relation „in dieselbe Klasse gehen“ hieße das, dass Paul zwar in die Schule geht, es aber keine Klassenverbände gibt. Geht er aber in eine Klasse, besteht die Relation „in dieselbe Klasse gehen wie“ auch für ihn. Die Reflexivität des Wahrnehmungsvorgangs führt zum Erleben und es ist davon auszugehen, dass sie nicht ganz ohne begriffliche Fähigkeiten (die keine Sprachkompetenz erreichen müssen) entsteht. Dafür muss das Lebewesen Vor-
Caston 2002, 780.
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gänge unterscheiden können, aber auch den eigenen Organismus im Tätigsein erfahren lernen – was dem Entstehen der Wahrnehmungs-Reflexivität gleichkommt. Unabdingbar ist allerdings auch, dass die Wahrnehmungen Funktionen für das Lebewesen sind, das wahrnimmt und so eine präreflexive Meinhaftigkeit erzeugt wird. So hat Aristoteles auch schon gesehen, dass das phänomenale Empfinden (die aisthêsis in dem erklärten Sinne) nur im „Jetzt“ vorkommt und zu den bereits erörterten Voraussetzungen hinzukommend eine rudimentäre Einordnung in den Zeitablauf vorhanden sein muss. Denn selbst wenn sich eine phänomenale Empfindung auf ein Ereignis in der Vergangenheit oder in der Zukunft bezieht, findet sie nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft statt, sondern in der Gegenwart, im Jetzt. Die Ordnung der Wahrnehmungen ist für Aristoteles dann auch insofern eine zeitliche, als die aisthêsis eine einheitliche Wahrnehmung ist, die im Jetzt zeitlich zusammengehörend wahrgenommen wird. Heller-Roazen geht in seiner Analyse der entsprechenden Stellen von De anima soweit, festzuhalten: An dieser Stelle nämlich legt Aristoteles ein Prinzip offen, das andernorts in seiner Behandlung der Seele unausgesprochen bleibt, obwohl es die gesamte Doktrin der aisthêsis bestimmt. Es ist das Prinzip, dass alle Wahrnehmung sich in der Zeit ereignet und, genauer gesagt, zu einer ganz besonderen Zeit – nämlich „jetzt“. (…) Dieses „Jetzt“ ist das einzige Element, in dem die verschiedenen, von der Seele wahrgenommenen Sinnesqualitäten zusammentreffen können. (…) Was die Einheit und Differenz der Wahrnehmungsformen fundiert, wäre demnach nicht mehr und nicht weniger als dasjenige Sein, das einzig durch seine ungeteilte Gegenwart zu definieren ist – das „Jetzt“.⁵²
Der entscheidende Gesichtspunkt, der das Gefühl des Lebendigseins mit Überlegungen zum Jetzt verbindet, ist die Distanz von der Unmittelbarkeit, die es erlaubt, die Unmittelbarkeit als Unmittelbarkeit zu erleben und zwar sowohl in gefühlsmäßiger als auch zeitlicher Hinsicht. Um das Jetzt als Jetzt zu empfinden, reicht es nicht aus, im Jetzt zu sein. Beide Male handelt es sich um Formen der Unmittelbarkeit, die nur dann als solche zu identifizieren sind, wenn man sich auf sie beziehen kann, und das, obgleich sich die Unmittelbarkeit nicht ihrerseits aus einem Bezug auf sie ergibt, sondern aufgrund intrinsischer Reflexivität. Meine jetzige Empfindung muss ich als solche wahrnehmen und das Jetzt als Jetzt. Bei dem Jetzt lässt sich eine Schwierigkeit erläutern, die bei der Empfindung vielleicht weniger leicht zu erkennen ist. Das Jetzt ist nicht nur deshalb schwer als Jetzt wahrzunehmen, weil ich mich über die Unmittelbarkeit „erheben“ muss, um es wahrzunehmen. Das Jetzt ist auch deshalb schwer als solches zu identifizieren, Heller-Roazen 2012, 61f.
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weil es keinen Zeitpunkt „Jetzt“ gibt, auf den man sich beziehen kann. Das Jetzt, auf das wir uns beziehen, ist immer schon gewesen oder wird erst sein. Die Koinzidenz von Identifikation als Jetzt und tatsächlichem Zeitpunkt gibt es praktisch gesehen nicht. Das Jetzt ist eine Verortung in der Wirklichkeit als Zeitlosigkeit, die selbst immer schon zeitlich strukturiert ist.Wenn ich mich „jetzt“ wohl fühle, dann nicht nur in einer Millisekunde, sondern in einem Zeitraum, der vielleicht mehrere Minuten umfasst, die ihrerseits zeitlich in Vergangenheit und Zukunft strukturiert sind. Daraus lassen sich zwei völlig widersprechende Schlüsse ziehen. Der eine besagt, dass das Wahrnehmen des Jetzt eben kein kognitiver Akt sein kann, sondern nur eine Wahrnehmung, weil das Jetzt sich eben gerade nicht mittels Zeitpunkten identifizieren lässt. Der andere besagt, dass das Jetzt dann eben nur ein kognitiver Akt sein kann, weil es sich um ein Konzept handelt, das zu der ohnehin schon abstrakten Konstruktion von Zeitpunkten in einem abstrakten Verhältnis besteht. Aber ist es nicht so, dass das Jetzt sich aus dem Verhältnis zur Möglichkeit von Handlungen ergibt? Dass wir spüren, dass wir etwas, das wir getan haben, nicht rückgängig machen können, dass wir jetzt handeln können und es Handlungen gibt, die wir noch nicht vollzogen haben, wohl aber noch vollziehen können? Dem ist sicherlich so, aber selbst wenn man auf den Aspekt der Handlungsmöglichkeiten abhebt, um das Verhältnis zum Jetzt zu analysieren, ist das Verhältnis ein kognitives. Denn auch eine Einordnung zu nicht tatsächlichen, aber möglichen Handlungen gelingt nur mittels kognitiver Fähigkeiten, die es erlauben, ein Tun als mögliches oder nicht mögliches zu kategorisieren. Wir wissen schlicht nicht, wie wir eine solche Einordnung als nicht kognitive beschreiben sollten.Wenn man das Jetzt mit der aisthêsis gleichsetzt, bleibt also unklar, inwiefern es sich dabei nicht um eine kognitiv geartete Wahrnehmung handeln sollte. Das Gleich gilt für die Beobachtung, dass die aisthêsis eng an Sprache gebunden ist, – auch das besagt letztlich nichts anderes, als dass diese Form der Wahrnehmung kognitiv geprägt ist. Aristoteles verbindet die Wahrnehmung von Zeit in der beschriebenen Form mit der Fähigkeit zu sprechen. Das wiederum verweist auf die so eben angestellten Überlegungen hinsichtlich der Voraussetzungen zur Bestimmung von Zeit und insbesondere eines Zeitkonzepts wie dem Jetzt. Dafür benötigt ein Wesen kognitive Fähigkeiten, die eine Bezugnahme auf etwas erlauben, auf das man nicht direkt mit dem Finger hinweisen kann. Für Aristoteles ist diese Fähigkeit mit Sprachfähigkeit verbunden, die es ermöglicht, auf etwas mit Worten hinzuweisen, das nicht gegenständlich ist, wie etwa auf das „Jetzt“, welches die einzelnen Wahrnehmungen zu einem gegenwärtigen Eindruck vereint: „Eine ‚gewisse Zeit‘, aber keine, die strikt ‚jetzt‘ sein könnte, insofern das ‚Jetzt‘ das Ergebnis des Prozesses
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des ‚jetzt-Sagens‘ in der Seele darstellt und ihn daher nicht seinerseits determinieren kann.“⁵³ Da die aisthêsis nicht ohne das vereinheitlichende Konzept des „Jetzt“ vorstellbar ist und Letzteres nicht ohne kognitive Leistungen zu vollbringen, muss man zu dem Schluss kommen, dass es sich bei der aisthêsis des Aristoteles nicht um einen bloßen Empfindungsvorgang handelt. Nehmen Lebewesen nun aufgrund der aisthêsis auch wahr, dass sie existieren? Aus Aristoteles Bemerkung in De sensu meint man das ableiten zu können: Dementsprechend könnte man auch gleich sagen, daß wir deshalb glauben, zugleich zu sehen und zu hören, weil wir den Zeitabstand nicht merken. Das stimmt wohl nicht, und es ist wohl unmöglich, daß es eine Zeit gibt, die nicht wahrgenommen werden kann und die wir nicht merken. Vielmehr kann man wohl jeden Moment wahrnehmen. Denn einerseits ist es unmöglich, daß man in einer kontinuierlich ablaufenden⁵⁴ Zeit sich selbst oder etwas anderes wahrnimmt, ohne sich zugleich darüber im klaren zu sein, daß man existiert.⁵⁵
Für Heller-Roazen belegt dieses Zitat, dass nach Aristoteles die aisthêsis eines Organismus damit einhergeht, dass er bemerkt, dass er existiert. Doch eigentlich steht dort, wenn man sich selbst oder etwas anderes wahrnimmt, sei es unmöglich, nicht auch wahrzunehmen, dass man existiert. Und es hängt viel davon ab, wie „wahrnehmen“ in diesem Satz zu verstehen ist. Im Griechischen verwendet Aristoteles dafür die Vokabel aisthanomai, bei der man mit der Schwierigkeit zu kämpfen hat, dass sie sowohl mit „wahrnehmen“, „beobachten, „spüren“ übersetzt werden kann, als auch durch „mit dem Geiste wahrnehmen“, „empfinden“, „spüren“. Dann wäre der entscheidende Satz so zu interpretieren, dass man weiß, dass man existiert, wenn man bewusste Wahrnehmungen hat. Es gilt allerdings noch etwas anderes zu beachten: Der notwendige Schluss von der Wahrnehmung auf die Existenz wird von Aristoteles nur für den Fall angenommen, dass sich ein Wesen als in der Zeit kontinuierlich seiend wahrnimmt („Denn einerseits ist es unmöglich, daß man in einer kontinuierlich ablaufenden Zeit sich selbst oder etwas anderes wahrnimmt, ohne sich zugleich darüber im klaren zu sein, daß man existiert“). Wenn die Wahrnehmung über das bloß unmittelbare Empfinden (bereits) hinausreicht, dann ist es unmöglich, dass man nicht bemerkt, dass man existiert. Der Abschnitt wäre dann so zu lesen, dass man, wenn man wahrnimmt, dass man selbst oder etwas anderes in der Zeit ist, auch wahrnehmen muss, dass man existiert. Das Augenmerk wäre bei dieser
Heller-Roazen 2012, 65f. Von syneches „zusammenhängend“. Aristoteles, Über die Wahrnehmung, 82; Aristoteles, De sensu 7.448a 25-31.
5 Weitere Voraussetzungen für das Gefühl des Lebendigseins
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Lesart nicht auf den Empfindungsaspekt gelegt, sondern auf den Wahrnehmungsaspekt der zeitlichen Kontinuität von Wesen und Dingen, also ihr (temporäres) Fortbestehen in einer Vergangenheit, einer Gegenwart und einer Zukunft. In der zweiten Lesart ergibt sich aus der Wahrnehmung der Zeit, dass man etwas als in der Zeit gleich bleibend wahrnimmt, und dass man auch wahrnimmt, dass etwas existiert, dass es ist, beziehungsweise, dass es ein Dasein hat. Der Umstand, dass etwas als Daseiend wahrgenommen wird, verdankt sich jedoch nicht nur den Empfindungen, sondern auch dem Faktor, dass man es in der Zeit wahrnimmt. Ein nicht-menschliches Wesen, das wahrnimmt, dass es existiert, müsste daher nicht nur über phänomenales Empfinden verfügen (also empfinden, dass es empfindet), sondern auch über ein Verständnis der Existenz in der Zeit, das sich nicht schon aus dem bloßen Empfinden ergibt.
5 Weitere Voraussetzungen für das Gefühl des Lebendigseins 5.1 Sein in der Zeit Die Philosophin Martine Nida-Rümelin hebt gleichfalls die Bedeutung des Kriteriums der Identität über die Zeit hinweg hervor, wenn es darum geht, einem Lebewesen Bewusstsein zuzuschreiben, das noch kein Selbstbewusstsein ist. Auch sie schreibt Bewusstseinsfähigkeit schon dann zu, wenn noch kein Selbstbewusstsein nachweisbar ist: Bewusstseinsfähigkeit im hier gemeinten Sinne setzt kein Selbstbewusstsein voraus. Die Fähigkeit sich seiner eigenen Existenz bewusst zu werden oder über eigene Eigenschaften zu reflektieren, kann völlig fehlen. Bewusstseinsfähig in diesem weiten Sinne ist eine Wesen schon dann, wenn es nur irgendetwas empfinden kann, auch wenn diese Empfindung noch sehr undeutlich und wenig differenziert ist, wie etwa ein vages Gefühl des Wohligseins, das vielleicht eine Qualle empfinden mag, die zufällig aus kaltem Wasser in eine wärmere Strömung gerät. Ein Wesen ist genau dann, wenn es „irgendwie ist, dieses Wesen zu sein“ (…), oder wenn – wie man auch manchmal sagt – eine „subjektive Perspektive“ vorliegt, oder anders gesagt, wenn es sich bei dem fraglichen Wesen um ein Subjekt von Erfahrung handelt.⁵⁶
Man sollte an dieser Stelle schon einmal den Ausdruck „Gefühl des Wohligseins“ beachten, weil damit ein phänomenales Empfinden angesprochen ist. Bedeutet doch das Etwas-als-etwas-Empfinden, nämlich beispielsweise als wohlig, dass sich dieser Zustand phänomenal in einer ganz bestimmten Weise anfühlt. Zudem Nida-Rümelin 2006, 17.
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handelt es sich um eine Einschätzung für den Organismus, der die ihn umgebende Umwelt als angenehm einschätzt oder bewertet. Genau so sind auch affektive Prozesse oder Emotionen in der Psychologie definiert, nämlich als Mechanismen, die eine Situation für das Wohlergehen des jeweiligen Individuums oder Organismus einschätzen oder bewerten. Letztlich bringt Martine Nida-Rümelin, indem sie dieses Beispiel für das Entstehen phänomenalen Empfindens verwendet, phänomenales Empfinden also mit Einschätzungsprozessen, die sich in einer bestimmten Weise anfühlen, in Verbindung.⁵⁷ Dass sie dann mit dem Verweis darauf fortfährt, dass es irgendwie ist, dieses Wesen zu sein, passt insofern dazu, als dieses „Irgendwie Sein, dieses Wesen zu sein“ mit dem Gefühl des Wohligseins bereits als phänomenale Empfindung eingeführt wurde. Impliziert wird, dass es sich bei einem Lebewesen, dem es so ergeht, um ein Subjekt handelt, das Erfahrungen macht. Mit Letzterem muss allerdings mehr gemeint sein, als dass das Lebewesen, das die Erfahrungen macht, lernfähig ist, denn Erfahrungen machen geht zwar damit einher, lernfähig zu sein, aber nicht darin auf. Lernen kann nämlich auch unbewusst von statten gehen, während wir davon ausgehen, dass Erfahrungen machen, in einem emphatischen Sinne verstanden, nicht unbewusst bleibt und dann auch mit Bewusstseinsfähigkeit einhergehen muss. Martine Nida-Rümelin erläutert ihr Vorhaben nun wie folgt: Ich verstehe die Arbeit über transtemporale Identität als Teil einer solchen Bemühung um den Begriff der Bewusstseinsfähigkeit im angedeuteten weiten Sinne. In gewisser Weise wird deutlich, was man eigentlich glaubt, wenn man ein Wesen für bewusstseinsfähig hält, wenn man sich klar macht, welche Konsequenz diese Annahme für das Verständnis der transtemporalen Identität des fraglichen Individuums hat. Aber dazu muss man gesehen haben, worin sich Urteile transtemporaler Identität bezüglich solcher Individuen unterscheiden, die wir bezüglich gewöhnlicher Dinge fällen, bei denen wir keinerlei Erlebnisfähigkeit vermuten. (…) Es (geht) mir vor allem um ein tiefer gehendes Verständnis unseres Begriffs der Bewusstseinsfähigkeit und des Subjekts von Erfahrung durch genauere Reflexion unseres Verständnisses der Existenz bewusstseinsfähiger Wesen über die Zeit hinweg. Die begrifflichen Wurzeln unseres besonderen Verständnisses transtemporaler Identität bewusstseinsfähiger Wesen liegen nach meiner Auffassung in den Besonderheiten unseres Verständnisses unserer jeweils eigenen Identität über die Zeit hinweg, und unser Verständnis der
Thomas Fuchs (2012) setzt hier insofern etwas „tiefer“ an, als er das Entstehen von affektiven Zuständen, die mit Begehren, Lust und Vermeidung einhergehen, mit der Dynamik des Mangels in Verbindung bringt, dessen Ausgangspunkt die Selbsterhaltung ist. Aber auch er verbindet mit den affektiven oder emotiven Prozessen das Entstehen einer Innen-Außen-Differenz und einer „subjektiven Seite“. Er weist aber zugleich zu recht darauf hin, dass man daraus noch kein reflektierendes Bewusstsein ableiten kann, weil etwa Hungern etwas anderes ist als das Bewusstsein des Hunger-Habens.
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eigenen Identität wurzelt in begrifflichen Besonderheiten der Selbstzuschreibung künftiger und vergangener Eigenschaften.⁵⁸
Sie kommt in ihrer Analyse der Selbstzuschreibung zukünftiger und vergangener Eigenschaften zu dem Ergebnis, dass bewusstseinsfähige Wesen diejenigen sind, die über eine Innenperspektive verfügen und für die es sich daher auf bestimmte Weise anfühlt, lebendig zu sein. Dazu gehört eben auch zeitliche Kontinuität im Erleben, denn nur darin zeige sich eine numerische Identität⁵⁹ und damit der Umstand, dass wir es mit einem Subjekt zu tun haben. Artefakte haben demnach weder einen Subjektstatus noch (in einem anderen Sinne als dem der Zuschreibung durch unsere Praxis) eine numerische Identität. Für ein Gefühl des Lebendigseins lässt sich allerdings feststellen, dass diese Kontinuität des Erlebens zumindest nicht in demselben Maße gefordert ist wie für die von Nida-Rümelin beschriebene Innenperspektive, die eine Identitätsbildung des Lebewesens über die Lebensspanne hinweg erklären soll. Bei dem Gefühl des Lebendigseins kann vielmehr eine zeitliche Kontinuität von geringerer Dauer vorliegen, die lediglich so lange ausreichen muss, um Empfindungen als eigene erfahrbar werden zu lassen. Die Exklusivität, mit der die Autorin auf das transtemporale Erleben des Lebewesens abstellt, und die Rolle der Kommunikationsfähigkeit der Empfindungen gegenüber anderen Lebewesen dabei außen vorlässt, ist schon von anderer Seite kritisiert worden.⁶⁰ Da sie eine in weiten Teilen metaphysische Konzeption vorlegt, ist zu überlegen, inwiefern sie eine solche Kritik, die auf faktische Voraussetzungen zur Entwicklung phylo- und ontogenetischer Anlagen für eine subjektive Innenperspektive verweist, zu treffen vermag. Dabei ist auch zu erörtern, inwiefern sich metaphysische und faktische Voraussetzungen im Falle eines Gefühls des Lebendigseins im Speziellen ebenso wie beim phänomenalen Empfinden im Allgemeinen bedingen. Für Martine Nida-Rümelin ist das Wohlfühlen ein paradigmatisches Beispiel für einen Blick von innen. Für den Blick von außen ist es von Bedeutung, unter welchen Umständen wir wissen, ob ein anderes Lebewesen sich wohl fühlt. Um dies zu erfahren, sind wir darauf angewiesen, dass es uns seine Befindlichkeit auf
Nida-Rümelin 2006, 17f. Nida-Rümelin 2006, 15f. Martin Seel (2007, 41) hat in seiner Rezension des Buches von Martine Nida-Rümelin darauf hingewiesen, dass wir Lebewesen auch deshalb als bewusstseinsfähig identifizieren, weil wir somatische Reaktionen einschließlich Mimik, Gestik und allen anderen Formen der Kommunikation dafür heranziehen und uns ihnen aufgrund solcher Kommunikation auch teilnehmend nähern.
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irgendeine Weise signalisiert, sei es durch Körperhaltung, Mimik, Laute oder sprachliche Äußerungen. Für den Blick von innen, also dafür, dass sich ein Lebewesen im Zustand des Wohlfühlens (oder des sich lebendig Fühlens) befindet, lassen sich metaphysische Voraussetzungen angeben, aber auch faktische unsere natürliche Welt betreffende sowie begriffliche. Wenden wir uns zunächst dem Gefühl des Lebendigseins als basaler Form phänomenalen Selbstgewahrseins zu. Es wurde gezeigt, dass eine besondere Form der Reflexivität, die noch keine Selbstreflexivität im Sinne eines Selbstbewusstseins ist, vorhanden sein muss, sowie Möglichkeiten der zeitlichen Einordnung gegeben sein müssen, damit sich ein Lebewesen lebendig fühlen kann. Daneben muss das Lebewesen allerdings auch ein lebendiges sein und das heißt in diesem Fall, dass es empfindungsfähig sein muss. Bei dieser Voraussetzung handelt es sich selbstverständlich nicht um eine metaphysische, sondern um eine faktische Voraussetzung. Gleiches gilt für das Beispiel des Wohlfühlens. Martine Nida-Rümelin arbeitet die metaphysischen Bedingungen dafür heraus, dass sich ein Lebewesen wohl fühlen kann. Aber auch in diesem Fall liegen immer schon faktische Voraussetzungen vor, da es sich um ein Spüren und damit um Empfindungsfähigkeit handelt. Neben den metaphysischen und den faktischen Voraussetzungen müssen für den Blick von innen, und das gilt für die Zuschreibung von außen und von innen, auch begriffliche Fähigkeiten vorliegen. Denn woher wissen wir, ob eine Qualle sich wohl fühlt, dass sie mit anderen Worten über eine Innenperspektive beziehungsweise über phänomenales Bewusstsein verfügt? Muss sie dafür nicht, wie wir es beim aristotelischen Begriff des Unterscheidens gesehen haben,Wohlfühlen von Nicht-Wohlfühlen unterscheiden können, und/oder eine Einheit sein, für die eine Wahrnehmung die Funktion hat, die Umgebung für sie zu erfassen?⁶¹ Um sich wohl zu fühlen oder sich lebendig zu fühlen, muss ein Lebewesen allerdings noch einiges andere können oder über einiges andere verfügen.
5.2 Einheit eines Organismus und Tätigsein Damit ein Lebewesen sich lebendig fühlen und sich damit auch als Einheit wahrnehmen kann – worauf das „sich“ ja verweist –, muss es die Begrenzungen seines Organismus wahrnehmen können. Diese erfährt es, wenn es etwas sowohl
Für weitere Voraussetzungen eines Gefühls des Lebendigseins lassen sich auch die Erörterungen Edmund Husserls in seinem zweiten Band der Ideen zu einer reinen Phänomenologie (1952, XIV) heranziehen.
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ausführen kann, als auch nicht ausführen kann.⁶² Die Fähigkeit, Können oder Nicht-Können wahrzunehmen, ermöglicht es zudem, sich auf ein kontrafaktisches Dasein hin auszurichten, was denjenigen, die das können, Planung und Abschätzungen erlaubt. Es reicht also nicht, dass bei einem Lebewesen, wenn es sich bewegt, registriert wird, dass es nicht mehr weiter geht und daraufhin ein Umweg gemacht wird, sondern es muss das erleben. Das „Ja“ und das „Nein“, das Können und NichtKönnen wird also nicht lediglich als 1 und 0 abgespeichert oder verzeichnet, sondern als Gangbarkeit oder Nicht-Gangbarkeit erlebt. Nun mag man einwenden, dass eigentlich nichts erklärt ist, wenn Lebendigkeit mit Hilfe von Erleben erläutert wird. Aber Erleben und Lebendigkeit sind nicht dasselbe, gemeinsam ist ihnen allerdings, dass sie mit Spüren, Empfinden, Gefühl, also mit einer wahrnehmenden Tätigkeit einhergehen, was nicht dem Bemerken von Sachverhalten (dass etwas der Fall ist) gleichkommt. Zur Illustration mag man sich vorstellen, dass etwa ein Maulwurf an einer Stelle den gefrorenen Boden aufgraben kann, an einer anderen Stelle nicht. Er erlebt,⁶³ dass es an der einen Stelle geht, an der anderen nicht. Damit nimmt er aber noch nicht die Tatsache wahr, dass er an der einen Stelle den Boden aufgraben kann und an der anderen nicht, sondern er erlebt in dem einen Fall, dass er etwas tun kann und in dem anderen, dass er etwas nicht kann. Er nimmt mit andere Worten nicht wahr: Hier kann man den Boden aufgraben, dort kann man den Boden nicht aufgraben. Vielmehr erlebt er die Tätigkeit, oder auch, dass sich die Tätigkeit nicht fortsetzen lässt. Dadurch, dass etwas manchmal geht und manchmal nicht, erfährt er es als die Tätigkeit eines lebendigen Organismus.
5.3 Lebendigsein und Nicht(-Lebendigsein) Sich als sich erleben setzt nicht nur einen Austausch mit der Welt voraus, sondern auch, dass es so etwas wie eine Erfahrung gibt, dass man sich in manchen Momenten weniger oder gar nicht als lebendig erfährt. Dass man sich als sehend
Thomas Fuchs (2012) spricht nicht von einem Nicht, sondern von dem Mangel, der als Erleben leiblicher Spannung, das Erleben einer unspezifischen Negativität bedeutet, aus der sich Triebziele ergeben, weil Organismus beziehungsweise das Lebewesen danach strebt, den Mangel aufzuheben. Auch Fuchs verbindet das Moment des Nicht-Anwesenden, Fehlenden, Nicht-Vorhandenen mit dem der Möglichkeit, wenn er bemerkt, dass mit der triebhaften Gerichtetheit auf das Ermangelte auch eine Ausrichtung auf mögliche Erfüllung entsteht. Selbstverständlich wissen wir nicht, ob Maulwürfe etwas erleben oder nicht. Zum phänomenalen Erleben von Maulwürfen ist soweit nichts bekannt.
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erlebt, geht damit einher, dass man die Augen zumachen kann und nichts mehr sieht, sich als hörend zu erleben, geht damit einher, dass Stille herrscht und man nichts mehr hört et cetera Um das Gefühl des Lebendigseins entwickeln zu können, muss ein Lebewesen mithin auch erfahren, dass es zumindest Intensitätsunterschiede im Empfinden gibt, bis hin zu dem Extrem, dass fast nichts empfunden oder erlebt wird. Dafür muss keine begriffliche Unterscheidung in sich lebendig fühlen und sich nicht lebendig fühlen gemacht werden können, sondern es reicht aus, wenn man empfindend Intensitätsgrade unterscheiden kann.
II Sprache und Gefühl Einführung Das Zusammenspiel von Gefühl, phänomenalem Erleben, Begriffsvermögen und Bewusstsein spielt nicht nur in philosophischen, sondern desgleichen in einigen naturwissenschaftlichen Debatten eine wichtige Rolle. Sieht man sich diese genauer an, kann man an entscheidenden Punkten sehen, was man aus geisteswissenschaftlicher Perspektive von naturwissenschaftlicher Theoriebildung lernen kann und – umgekehrt auch –, wo philosophische Reflexionen in den experimental arbeitenden Wissenschaften von Nutzen sind. Während bisher gezeigt wurde, welche Voraussetzungen das Gefühl des Lebendigseins als eine einfache Form phänomenalen Bewusstseins hat, wird im Verlauf dieses Kapitels das Verhältnis von Emotionen, Gefühl, Sprache und Bewusstsein genauer betrachtet. Zum einen aus der Perspektive derer, die versuchen, einen repräsentationstheoretischen Ansatz mit Sprache zu verbinden. Exemplarisch werden hier der neurowissenschaftlichen Ansatz von Antonio Damasio betrachtet, sowie der sprachanalytische wie er etwa von Michael Tye oder Fred Dretske vertreten wird. Das Zusammenspiel von Empfindung, Gefühl und Bewusstsein wird dabei jeweils ganz unterschiedlich konzipiert, und es wird deutlich, wieso die Klärung des Zusammenwirkens dieser Aspekte zentral ist, um phänomenales Bewusstsein besser zu verstehen. Erkennbar wird allerdings auch, dass die Rolle von Handlungszusammenhängen und die des Anderen in repräsentationstheoretischen Theorien keine Berücksichtigung finden, wenn es darum geht zu erklären, wie ein Kleinkind langsam Selbstbewusstsein erwirbt oder lernt, seine Erregungen als bestimmte Emotionen zu identifizieren, beispielsweise Freude als Freude. Um Letzteres leisten zu können, wird in dieser Arbeit zum anderen exemplarisch auf das Triangulationsmodell des Spracherwerbs zurückgegriffen. Auch hier werden die gleichlaufend argumentierenden Ansätze aus den empirisch arbeitenden Wissenschaften und der Philosophie gemeinsam vorgestellt. Der Anthropologe Michael Tomasello verwendet das Triangulationsmodell in seinen Arbeiten in ähnlicher Weise wie es bereits von dem Philosophen Donald Davidson konzipiert wurde. Es wird in der vorliegenden Arbeit speziell für Emotionen modifiziert, um zu erläutern wie es kommt, dass wir zwar einerseits Sprache benötigen, um Emotionen in spezifischer phänomenaler Weise zu erfahren, dass wir andererseits aber etwas spüren müssen, worauf wir Sprache anwenden können. Es wird erläutert, dass das Triangulationsmodell im Falle von Emotionen nur anwendbar ist, weil es so etwas wie einen universal zugänglichen Emotionsausdruck gibt, der eine Voraussetzung dafür ist, dass wir subjektiv spezifische Emotionen erleben. Hierin unterscheidet sich dieser Ansatz auch von rein nar-
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rativen Emotionstheorien, mit denen es ansonsten Übereinstimmungen gibt. Es ist wichtig zu sehen, dass basale Emotionen nur deshalb eine spezifische Bedeutung für uns erhalten können, weil wir uns aufgrund des universalen Ausdrucks gemeinsam auf sie beziehen können. Da das Moment der Empfindung Teil der Referenzbeziehung ist, wird es auch Teil der Bedeutung des Begriffes für die jeweilige Emotion. Das Triangulationsmodell wird nicht nur herangezogen, um das Verhältnis von Sprache, Emotion und phänomenalem Erleben zu klären, sondern auch, weil es geeignet ist, das Zusammenspiel der Genese subjektiv erlebter Emotionen und der Genese der Selbstbewusstwerdung darzulegen. Abschließend wird erörtert, ob sich das trianguläre Modell des Spracherwerbs außer auf Emotionen auch auf Wahrnehmungsvorgänge wie Sehen, Hören, Riechen oder Tasten anwenden lässt.
1 Antonio Damasio Dass Emotionen, Fühlen und Empfinden mit Bewusstsein einhergehen, hat eine erste Plausibilität für sich. Wie könnte es anders sein? Wenn wir uns freuen, wenn wir ärgerlich oder wütend sind, ist das jedenfalls kein unbewusst ablaufender Prozess. Aber benötigt man dafür sprachliche Ausdrucksfähigkeiten? Freuen sich Tiere und Säuglinge nicht, sind sie nicht ängstlich, ärgerlich oder zornig? Das führt direkt zu der weiteren Frage, ob Zorn, Freude oder Wut bei Affen, Säuglingen, Hunden und erwachsenen Menschen dasselbe sind, beziehungsweise zu der damit zusammenhängenden Frage, wie stark die affektiven Phänomene durch Erziehung, Kultur und Sprache geprägt sind. Dieser Fragenkomplex lässt sich nicht einfach beantworten. Allein die Überlegungen aus der Philosophie dazu sind vielfältig, und die Ergebnisse aus den Neurowissenschaften und andere Zweige der Biologie sind ebenso zu berücksichtigen. Eine eingehende Beschäftigung zeigt rasch, welche Bedeutung der Sprache für das Zusammenspiel von Empfindung, Gefühl und Bewusstsein zukommt. Dafür eignen sich die Ausführungen von Antonio Damasio als Ausgangpunkt. Er geht explizit auf das Verhältnis von Bewusstsein, Gefühl und Sprache ein, und vertritt zudem ein repräsentationstheoretisches Modell des Bewusstseins. Dadurch lassen sich Parallelen zu einigen Theorien aus der Philosophie des Geistes herstellen, die gleichfalls davon ausgehen, dass mentale Zustände sowie Emotionen interne Repräsentationen sind. Hinsichtlich der repräsentationstheoretischen Ansätze in den Neurowissenschaften ist die Rolle der Sprache genauso zu erörtern, wie in der Philosophie des Geistes.
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1.1 Repräsentation, Proto-Selbst und unbewusste Gefühle Antonio Damasio geht in seinen Überlegungen von den Gehirnen einzelner Lebewesen aus. Er versucht zu zeigen, inwiefern es für ein Lebewesen, um sich als solches zu begreifen, erforderlich ist, sich als einen Organismus zu empfinden, der Repräsentationen der Außenwelt auf sich beziehen kann. Diese Repräsentationen seien dafür in einer ihnen inhärenten Logik gleichsam wie in einer filmischen Erzählung aufeinander abgestimmt. Seine These⁶⁴ lautet: Emotionen und Empfindungen sind für das Entstehen von Bewusstsein erforderlich. Für Emotionstheoretiker ist das ein attraktiver Ansatz, denn dieser Ansatz setzt die Theorie des Geistes mit der Theorie der Emotionen in Verbindung, erlaubt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Neurowissenschaften und wird nicht zuletzt durch Damasio selbst prominent und allgemeinverständlich vertreten. Spüren, Empfinden und Fühlen sollen dazu führen, dass sich der Organismus, der spürt, auch als eine Instanz begreifen kann. Damasio geht von einem ProtoSelbst aus, das als empfindende Instanz eine Voraussetzung für Selbstbewusstsein ist: (…) Auf eine merkwürdige Weise beginnt Bewusstsein als das Fühlen dessen, was geschieht, wenn wir sehen, hören oder tasten. (…) Im richtigen Kontext macht dieses Gefühl die Vorstellung kenntlich, dass ich (…) sehe oder höre oder taste.⁶⁵
Damasio möchte zeigen, welche Bedeutung Gefühle und Emotionen für uns Menschen haben, wie Gefühle und Emotionen entstehen, was Bewusstsein ist, wie es sich unterteilt und was Bewusstsein nicht ist. Dabei zielt er letztendlich auf ein entwickeltes Selbst, ein Ich ab: „Im richtigen Kontext macht dieses Gefühl die Vorstellung kenntlich, dass ich (…) sehe oder höre oder taste.“ Konsequent fragt Damasio zunächst danach, wie das Gehirn im Akt des Erkennens den Selbst-Sinn erzeugt. Diesen Selbst-Sinn beschreibt er als Präsenz unserer selbst, der erforderlich ist, damit unsere Gedanken von uns als unsere Gedanken wahrgenommen werden können⁶⁶ und nicht etwa wie in Fällen von Schizophrenie als Gedanken eines anderen. Die einfachste Form einer solchen Präsenz ist für Damasio ein Gefühl: „So gesehen ist Ihre Präsenz das Fühlen dessen, was geschieht, wenn Ihr Sein durch einen Wahrnehmungsakt verändert wird.“ Dieses Fühlen oder Gefühl ist keine Emotion, denn es ist uns nicht als
Die er in Damasio 2000 in einer umfangreichen Monographie darlegt. Damasio 2000, 40. Damasio 2000, 21.
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solches bewusst. Wir nehmen dieses Gefühl nicht bewusst wahr, während Bewusstsein und Emotion nicht nur für Damasio nicht zu trennen sind.⁶⁷ Bewusste, also wahrgenommene Emotionen setzen Bewusstsein nämlich bereits voraus und dieses das unbewusste Gefühl, weshalb Emotionen für eine Erklärung des Zustandekommens von Bewusstseins keine geeigneten Kandidaten sind. Das Gesuchte darf daher noch nicht mit Bewusstsein einhergehen und muss dennoch bereits die vereinheitlichende Funktion haben, die wir im vorangegangenen Kapitel mit dem Gefühl des Lebendigeins verbunden haben: „(…) irgendeine Form des Selbst-Sinns ist erforderlich, um die Signale, die das Empfinden einer Emotion konstituieren, dem Organismus, der die Emotion hat, zur Kenntnis zu bringen.“⁶⁸ Es muss für Damasio also eine Art des unbewussten Gefühls geben, damit seine Definition von Bewusstsein nicht zirkulär wird. Unbewusst ist nach Damasio (und hier schließt er sich der Theorie von William James und Carl Lange an⁶⁹) die ständige Repräsentation unseres lebendigen Körpers in seinen vielen Dimensionen in unserem Gehirn. Diesen Repräsentationszustand bezeichnet er als ProtoSelbst. Es soll ein unbewusster Vorläufer jener Stufe des Selbst sein, die als Bewusstsein in Erscheinung tritt⁷⁰ und ist lediglich eine Ansammlung neuronaler Muster, die den Zustand des Organismus von Augenblick zu Augenblick im Gehirn repräsentieren.⁷¹
1.2 Kernbewusstsein, Emotionen und nicht-sprachliche Berichte Das Kernbewusstsein, das eine Veränderung, eine Re-Repräsentation dieses unbewussten Proto-Selbst darstellt, ist hingegen bewusst. Damasios These, nach welcher die Geburt des Bewusstseins mit der Entstehung des Kernbewusstseins zusammenfällt, ist davon abhängig, dass es eine Möglichkeit der nicht-sprachlichen Repräsentation gibt. Denn das Kernbewusstsein liegt nach Damasio nur vor, „wenn Repräsentationsmechanismen des Gehirns einen vorgestellten, nicht sprachlichen Bericht erzeugen, in dem niedergelegt ist, wie der eigene Zustand des Organismus davon beeinflusst wird, dass er ein Objekt verarbeitet (…).“⁷² Die Repräsentation muss also eine nicht-sprachliche sein, soll sie nicht mit Be-
Damasio 2000, 28. Damasio 2000, 19. Emotionen sind nach dieser Theorie Repräsentationen von physischen Vorgängen, die das Gehirn als Emotionen repräsentiert. Damasio 2000, 29. Damasio 2000, 211. Damasio 2000, 205.
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wusstsein einhergehen, was nach einem gängigen Verständnis von Sprache der Fall wäre. Damasio vertritt damit die – philosophisch gesehen – problematische These, dass es eine Möglichkeit gibt, Vorstellungen ohne Sprache zu haben und Geschichten ohne Spracherwerb und Sprachverwendung zu erzählen: „Der Bericht ist eine einfache Erzählung ohne Worte.“⁷³ Er widerspricht damit unter anderem explizit der verbreiteten Auffassung, nach welcher Bewusstsein durch Sprache hervorgerufen wird. Sein Vorgehen ist insofern konsistent, als für ihn Sprache eine Übersetzung von nicht-sprachlichen Vorstellungen in Sprache ist. Dementsprechend gibt Sprache den Dingen Namen, weshalb es Damasio zufolge erst ein Bewusstsein geben muss, dem man dann einen Namen geben kann. Der Satz „Ich sehe ein Auto herankommen“ ist nach Damasio auch in einer nicht-sprachlichen Vorstellungserzählung gegeben. In einer solchen Erzählung steht das Wort „ich“ für einen nicht-sprachlichen Begriff des Organismus, also dem Kernselbst, das die Veränderungen repräsentiert, die sich durch die Wahrnehmung des Objekts „Auto“ für den Organismus ergeben:⁷⁴ „Sprache – das heißt, Wörter und Sätze – ist eine Übersetzung von etwas anderem, eine Umwandlung nicht-sprachlicher Vorstellungen, die für Objekte, Ereignisse, Beziehungen und Schlussfolgerungen stehen.“⁷⁵ Dass dieses Sprachmodell für Damasio eine zentrale Bedeutung hat, wird durch einen weiteren Punkt verdeutlicht: Bewusstsein ist für Damasio das Gefühl, welches das Entstehen der Repräsentation eines Organismus begleitet, der mit der Welt interagiert. Weil sowohl der Organismus, als auch die Objekte der Welt ursprünglich neuronal, unbewusst woanders repräsentiert werden (im ProtoSelbst), sind die Repräsentationen, die das Kernselbst ausmachen Repräsentationen zweiter Ordnung. Bewusst zu sein bedeutet also ursprüngliche, nicht-bewusste Bilder oder Vorstellungen zu re-repräsentieren. Das bewusste Selbst entsteht dann, wenn das Gehirn diese nicht-sprachliche Geschichte erzählt und damit repräsentiert. Denn in diesem Vorgang wird evident, welchem Organismus sie zustößt und welcher Organismus sie erzählt, – er wird sich unter anderem dadurch seiner selbst bewusst. Damasio vertritt eine Theorie der universalen Sprache. Jeder Gegenstand hat eine Bedeutung, die nur noch mit einem Wort zu belegen ist. Letztlich scheinen auch ein Wille oder Wünsche, und damit eine besondere Form der Artikulation und des Denkens, schon unabhängig von einem ersten Spracherwerb vorhanden zu sein. Damasio 2000, 204. Damasio 2000, 225. Damasio (2011, 82 f) wiederholt diese Ausführungen auch in einem seiner neueren Bücher. Damasio 2000, 134.
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Damasio stellt sich einen nicht-sprachlichen Bericht als nicht-sprachliche Karten von logisch aufeinander bezogenen Ereignissen vor.⁷⁶ Damit muss er zugleich die These vertreten, dass die Logik der Sprache bereits in der Welt und in den Dingen steckt und nicht erst eine Angelegenheit unserer Begrifflichkeit ist. Die Sprache bildet die Logik der Welt und der Dinge dann nur noch ab. Was könnten aber die Gründe sein, die für oder gegen eine solche These sprechen? Zunächst ist logisches Schlussfolgern einfach begriffliches Schlussfolgern. Schon Gottlob Frege hat klar gestellt, dass über einen Begriff zu verfügen, bedeutet Schlussfolgerungen ziehen zu können. Logische Folgerungsbeziehungen lassen sich in einem sprachphilosophischen Verständnis also gar nicht von Begriffen trennen. Das bedeutet noch nicht, dass Lebewesen, die über Begriffsvermögen verfügen, auch schon über Sprache verfügen, aber es legt die Vermutung nahe, dass sich Damasio das Verhältnis von Begriff, Sprache, Repräsentation und Bewusstsein zu einfach vorstellt. Ein guter Grund für die Annahme, die Sprache bilde die Logik der Welt und der Dinge nur ab, ist nicht schon in Damasios Film-Analogie zu sehen, nach welcher Filme eine große Ähnlichkeit mit dem wortlosen Geschichtenerzählen haben.⁷⁷ Schließlich beruht selbst das Verständnis von Stummfilmen zu guter Letzt darauf, dass wir in die Bedeutung der Handlungen und der sie begleitenden Dialoge bereits sprachlich eingeführt sind, wenn wir die Filme sehen. (Auch Taubstumme werden in unsere sprachlich geprägte Praxis eingewiesen.) Als Argument für diese Theorie, es gäbe eine Sprache ohne Worte, führt Damasio wie viele andere auch Aphasie-Patienten an, die nicht mehr sprechen, wohl aber denken können. Ihre Sprachfähigkeit haben sie durch eine Verletzung der Sprachregion im Gehirn meist durch einen Schlaganfall oder Unfall verloren. Da Aphasie-Patienten allerdings einmal eine Sprache erlernt haben, sind sie kein wirklich überzeugendes Beispiel für ein Denken, das auf keine sprachliche Praxis angewiesen ist. Emotionen sind bei Damasio konsequenter Weise auch nur neurologische Repräsentationen. Diese speziellen Repräsentationen sollen zwar untrennbar von
Wörtlich heißt es im Original: „logically“ (!); siehe hierzu: Damasio 2000, 224 und Damasio 2011, 82 f. Damasio 2000, 228. Es ist nahe liegend, dass Damasio hier von den Hypothesen Wilder Penfields beeinflusst ist, der die Auffassung vertreten hat, dass Erinnerungen im Gehirn wie bei einem Film aufgezeichnet werden. Penfield hat in den USA eine große Forschungstradition begründet. Damasio zitiert Penfield gelegentlich, so etwa in Damasio 1997, 91 und 186 sowie in Damasio 2011, 19. Siehe zu den wissenschaftshistorischen Hintergründen der Filmanalogie in den Neurowissenschaften und insbesondere auch zur Kritik daran: Winter 2012, die den Einfluss Penfields insbesondere auf die amerikanische Forschungstradition darlegt.
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phänomenalem Empfinden sein, phänomenales Empfinden allerdings ganz unabhängig von Sprache entstehen, weil es sich bei den phänomenal empfundenen Emotionen lediglich um biologisch determinierte Prozesse handelt, die für das Überleben des Organismus vorteilhaft sind. Da Emotionen eine phänomenale Qualität haben und dem Körper als ihm zugehörige Phänomene angezeigt werden, setzen sie allerdings ein Kernbewusstsein voraus. Damasios Ausgangspunkt besteht in der Annahme, dass das Spüren, Empfinden und Fühlen eines Organismus dazu führt, dass sich die Instanz, die spürt, auch als einheitliche Instanz begreifen kann, auf die sich Empfindung und Spüren beziehen. Organismen, die nicht spüren und empfinden können, so die für die Philosophie des Geistes nicht unerhebliche Erweiterung dieser These, würden sich demnach nie als einheitliche Instanz begreifen lernen und hätten dementsprechend auch keinen Ansatz, um so etwas wie ein erweitertes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Zunächst dürfen wir uns einen solchen Organismus aber nicht als einen vorstellen, der über ein voll entwickeltes Selbstbewusstsein verfügt, das in Bezug auf sich selbst planen kann, Absichten oder Wünsche hat. Das rudimentäre Instanzbewusstsein bezeichnet Damasio daher auch nicht als Selbstbewusstsein, sondern wie erwähnt als Proto-Selbst, also als eine Art der Vorstufe eines Selbst. Dieses Proto-Selbst als spürende Instanz ist lediglich eine Voraussetzung für ein voll entwickeltes Selbstbewusstsein und mag daher auch Organismen zukommen, die unserem Verständnis nach nicht über Selbstbewusstsein verfügen. Damasio bleibt freilich nicht bei dem Proto-Selbst stehen, sondern fragt, wenn er der Frage nach dem Verhältnis von Gefühl und Bewusstsein nachgeht, letztlich nach einem voll ausgebildeten Selbstbewusstsein, denn anders lassen sich Zitate wie das folgende nicht verstehen: (…) Auf eine merkwürdige Weise beginnt Bewusstsein als das Fühlen dessen, was geschieht, wenn wir sehen, hören oder tasten. (…) Im richtigen Kontext macht dieses Gefühl die Vorstellung kenntlich, dass ich (…) sehe oder höre oder taste.⁷⁸
Hier wird durch die Verwendung des Begriffs „ich“ deutlich, dass es Damasio um mehr als die Klärung der Frage geht, wie es kommt, dass ein Organismus sich als einheitliche Instanz begreift, auf die sich die Empfindungen und emotionalen Prozesse beziehen. Er möchte zudem zeigen, welche Bedeutung Gefühle und Emotionen für uns Menschen haben, wie Gefühle und Emotionen entstehen, was Bewusstsein ist, wie es sich in der Phylogenese entwickelt hat und wie es unterteilt werden kann. Damasio interessiert sich letztlich für die Frage, wie das Gehirn im Damasio 2000, 40.
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Akt des Erkennens einen Selbst-Sinn erzeugt. Einen Sinn dafür also, dass wir es selbst sind, die sprechen, handeln, empfinden und nicht etwa eine andere Person oder etwa niemand. Anders ausgedrückt: Wir sind keine Zombies oder Maschinen, die alles tun, was wir tun, dabei jedoch über keinen Sinn für ihr Selbst und ihre Empfindungen verfügen. Denn zumindest Menschen verfügen über einen solchen Selbst-Sinn. Damasio beschreibt diesen Selbst-Sinn auch als Präsenz unserer selbst. Eine solche Präsenz unseres Selbst ist unter anderem auch deshalb erforderlich, damit unsere Gedanken von uns als unsere eigenen Gedanken wahrgenommen werden können und nicht etwa wie in Fällen von Schizophrenie als Gedanken einer anderen Person oder wie im Falle des Zombies gar nicht wahrgenommen werden.⁷⁹ Die grundlegendste und einfachste Form einer solchen Präsenz ist für Damasio ein Gefühl: „So gesehen ist Ihre Präsenz das Fühlen dessen, was geschieht, wenn Ihr Sein durch einen Wahrnehmungsakt verändert wird.“ Wie wir schon gesehen haben, ist dieses Fühlen oder Gefühl keine Emotion, weil es in einem bereits erläuterten und noch weiter zu erläuternden Sinne unbewusst bleibt, obgleich wir Fühlen zumeist als einen bewussten mentalen Akt auffassen. Um für die Entstehung eines voll ausgebildeten Selbstbewusstseins herangezogen werden zu können, muss Damasios Kernbewusstsein mehr als Re-Repräsentationen sein. Die nicht-sprachlichen Repräsentationen der internen Körpervorgänge werden bei Emotionen etwa durch Herzklopfen, Schweißausbruch, Muskelanspannung der Laufmuskulatur und dergleichen manifestiert. Wahrgenommen werden sie dann schließlich phänomenal als Angst. Die Re-repräsentation des Proto-Selbst wird im Kernbewusstsein hingegen als eine Art des Selbstbewusstseins wahrgenommen und die Repräsentation des vorbeilaufenden Hasen in der Wahrnehmung dieses Hasen. Die Frage, wann diese Repräsentationen oder Re-Repräsentationen bewusst werden und wann nicht, bleibt in vielen Theorien unbeantwortet. Damasios beantwortet sie mit dem Hinweis auf das Fühlen und Empfinden, das eine Voraussetzung für bewusste Prozesse ist. Wir sehen hieran erneut,wie schwierig es ist, eine solche Erklärung zirkelfrei zu geben. Empfinden und Fühlen können nicht schon bewusst sein, wenn sie erklären sollen, wie es zu bewusstem Erleben kommt. Nach einer der Standardtheorien zur Entstehung des Bewusstseins ist das Aufkommen der Sprache eine wenn nicht die wesentliche Voraussetzung dafür gewesen. Der Anfang des Bewusstseins und speziell des Selbstbewusstseins wäre dann an das Auftauchen von Sprache beziehungsweise von sprachlichen Fähigkeiten geknüpft. Damasio lehnt diese Theorie allerdings ab. Er nimmt nicht nur
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an, dass Repräsentationen nicht sprachlich sind, sondern geht sogar davon aus, dass wir die Dinge mit Hilfe der Sprache lediglich bezeichnen und dass es diese Dinge (also auch das Bewusstsein, wenn es als solches bezeichnet wird) daher bereits geben muss, damit wir sie bezeichnen können. Das Bewusstseins wäre durch nicht-sprachliche, neuronale Repräsentationen gegeben. Es ist nun zu klären, wie zentral die Annahme der nicht-sprachlichen Repräsentationen im Rahmen von Damasios Theoriebildung ist. Wäre seine Theorie nicht mit einem anderen Modell nicht-sprachlicher und sprachlicher Repräsentationen überzeugender, auch wenn das ein anderes Verständnis von Sprache voraussetzen würde als er es vertritt? Die nicht-sprachliche Repräsentation ist nach Damasio untrennbar mit dem Kernbewusstsein verbunden: „wenn Repräsentationsmechanismen des Gehirns einen vorgestellten, nicht sprachlichen Bericht erzeugen, in dem niedergelegt ist, wie der eigene Zustand des Organismus davon beeinflusst wird, dass er ein Objekt verarbeitet (…),“ liegt Kernbewusstsein vor.⁸⁰ An dem Beispiel des Satzes „Ich sehe ein Auto herankommen“ haben wir gesehen, was das heißt, denn nach Damasio kann dieser auch nicht sprachlich repräsentiert sein. „Ich“ soll in einer solch nicht-sprachlichen Repräsentation für einen nicht-sprachlichen Begriff des Organismus stehen. Das Kernselbst repräsentiert die Veränderungen, die sich für den Organismus durch die Wahrnehmung des Objektes „Auto“ ergeben. Das dahinter stehende Sprachmodell ist für Damasio aber auch deshalb von so großer Bedeutung, weil Bewusstsein für ihn das Gefühl ist, welches das Entstehen der Repräsentation eines Organismus begleitet, der mit der Welt interagiert. Weil sowohl der Organismus, als auch die Objekte der Welt ursprünglich neuronal unbewusst woanders, nämlich im Proto-Selbst repräsentiert werden, sind die Repräsentationen, die das Kernselbst ausmachen, Repräsentationen zweiter Ordnung. Bewusst zu sein bedeutet also ursprünglich nicht-bewusste Bilder oder Vorstellungen zu re-repräsentieren. Das bewusste Selbst entsteht, wenn dem Gehirn diese nicht-sprachliche Geschichte widerfährt und es damit erfährt, welchem Organismus sie zustößt, beziehungsweise in welchem sie erzählt wird. Damasio vertritt damit (wie auch einige Repräsentationstheorien des Bewusstseins) eine Theorie der universalen Sprache. Nach dieser hat jeder Gegenstand eine Bedeutung, die nur noch mit einem Wort zu belegen ist. Diese Sprachauffassung ist eine sehr alte; Ludwig Wittgenstein hat sie im ersten Paragraph seiner Philosophischen Untersuchungen mit Hilfe eines Zitats aus Augustinus Confessiones charakterisiert:
Damasio 2000, 205.
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Da kam ich zu Urteil durch Erinnerung: wenn die Menschen eine Sache nannten, und wenn sie entsprechend diesem Wort ihren Körper auf etwas hin bewegten, so sah ich und behielt ich, daß durch diese ihre Laute jene Sache von ihnen bezeichnet werde, auf die sich mich hinweisen wollten. Daß sie dies aber wollten, wurde offenbar aus der Bewegung ihres Körpers, jener natürlichen Sprache aller Völker, die durch Miene und Augenwink zustandekommt, durch die Gebärden der übrigen Glieder und den Ton der Stimme, der die Regung der Geistseele erkennen läßt, ob sie nach etwas verlange, es besitze, es abweise oder fliehe. So lernte ich allmählich, für welche Sachen die Wörter, die ich in allerlei Sätzen an ihrer bestimmten Stelle immer wieder hörte, die Bezeichnungen waren, und als mein Mund an diese Bezeichnungen sich gewöhnt hatte, begann ich mein Willensleben (Wünsche) durch sie auszudrücken. So tauschte ich mit denen, unter denen ich lebte, gemeinschaftliche Zeichen, in denen das Willensleben (Wünsche) nach Ausdruck verlangt, und tiefer geriet ich in den Sturmbereich der menschlichen Gesellschaft, noch abhängend von der Eltern Gewalt, von der Weisung erwachsener Leute.⁸¹
Das Bild, das Augustinus hier zeichnet, ist das eines Menschen, der einen inneren Monolog führt, ohne bereits über die Sprache seiner Umwelt zu verfügen. Er übersetzt quasi seine Sprache in die der anderen, um die der anderen zu erlernen. Dass diese Annahme nicht haltbar ist, lässt sich mittels eines einfachen Beispiels zeigen. Wenn es bei uns klingelt und ein guter Bekannter freudig lächelnd mit einem Strauss Blumen in der Hand vor der Tür steht, gehen wir mit unserem kulturellen Wissen davon aus, dass er uns eine Geschenk machen möchte, uns gratulieren möchte, uns trösten möchte et cetera. Die Repräsentation des Bildes „Mann mit Blumen“ ist in einer solchen Situation von der Annahme, dass jemand uns mittels der Blumen eine Freude machen möchte, nicht zu trennen. Geschenke sind aber keine Gegenstände, die benannt werden. Es gibt den Gegenstand „Geschenk“ nicht, es gibt nur Dinge oder Handlungen, die uns zum Geschenk gemacht werden. Wie bereits festgestellt, reicht Damasios Film-Analogie, nach welcher Filme eine große Ähnlichkeit mit dem wortlosen Geschichtenerzählen haben, unter anderem deshalb nicht aus, um die wortlose Repräsentation als theoretisches Modell einer Sprache tragfähig erscheinen zu lassen.
1.3 Schwierigkeiten eines sprachlosen Ansatzes Drei Schwierigkeiten, mit denen Damasios Ansatz konfrontiert ist, sollen noch gründlicher diskutiert werden:
Augustinus, Confessiones, I, 8,13 – 9, 14, S. 31– 35.
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(1) Muss es für das Kernbewusstsein als Re-Repräsentation des Proto-Selbst die Möglichkeit des nicht sprachlichen Berichtens geben? Ist dies eine conditio sine qua non für den Damasioschen Ansatz oder kommt er auch ohne die Fiktion eines nicht sprachlichen Berichts aus? (2) Damasios Anliegen ist es, zu zeigen, dass die Entstehung von Selbstbewusstsein phylogenetisch, also stammesgeschichtlich gesehen, die Fähigkeit fühlen zu können voraussetzt. Dabei verwendet er einen repräsentationstheoretischen Ansatz, der auf William James und Carl Lange zurückgeht. Wir sollten uns diesen also genauer ansehen. (3) Gegen Damasios Theorie zur Entstehung von Selbstbewusstsein lässt sich einwenden, dass er die Bedeutung des Anderen für diesen Prozess vernachlässigt. Die Ich-Instanz, die über Selbstbewusstsein verfügt, begreift sich nicht nur deshalb als Einheit, weil sie emotionale Empfindungen auf diese Einheit beziehen kann, sondern auch, weil sie durch andere lernt, sich als Ich-Instanz zu begreifen. Diesen sozialen Prozess, der für die emotionale Entwicklung einer Person von enormer Bedeutung ist, wird in neurowissenschaftlichen Untersuchungen meist ausgeblendet. In den Neurowissenschaften werden Emotionen eben meist nur als biologische, nicht aber auch als kulturelle und soziale Phänomene verstanden. Die erste Frage betreffend, ob es für das Entstehen des Kernbewusstseins erforderlich ist, dass der Organismus über einen nicht sprachlichen Bericht verfügt, ist Damasios Antwort die folgende: Sie wissen, dass Sie bewusst sind, Sie fühlen, dass Sie beim Akt des Erkennens sind, weil der unauffällige, in Vorstellungen gefasste Bericht, der jetzt im Gedankenstrom Ihres Organismus fließt, die Erkenntnis präsentiert, dass Ihr Proto-Selbst durch ein Objekt verändert worden ist, das in Ihrem Geist gerade hervorgehoben wurde. Sie wissen, dass Sie existieren, weil die Erzählung Sie als Protagonisten im Erkenntnisakt darstellt. Sie erheben sich über den Meeresspiegel des Erkennens, flüchtig aber unablässig, als ein gefühltes Kernselbst, immer und immer wieder erneuert, dank allem, was von außen in die sensorische Maschinerie des Gehirns gerät, oder allem, was aus dem Speicher des Gedächtnisses sensorisch, motorisch oder autonom abgerufen wird. Sie wissen, dass Sie es sind, der sieht, weil die Geschichte eine Person schildert, die sieht – das sind Sie. Die erste Grundlage des bewussten Sie ist ein Gefühl, das erwächst aus der Re-Repräsentation des nichtbewussten Proto-Selbst, das innerhalb eines Berichts über die Ursachen der Veränderung im Begriff ist, verändert zu werden. Der erste Trick, der dem Bewusstsein zu Grund liegt, ist die Herstellung dieses Berichts, und das erste Ergebnis ist das Gefühl des Erkennens. Das Erkennen erwacht in der Geschichte zum Leben, es wohnt dem gerade angelegten neuronalen Muster inne, das den nichtsprachlichen Bericht konstituiert.Vom Geschichtenerzählen bekommen Sie kaum etwas mit, weil die Vorstellungen (…) jene sind, deren Sie sich in diesem Augenblick bewusst sind – die Objekte, die Sie sehen oder hören-, und nicht jene, die flüchtig Ihr Selbst-Gefühl im Akt des Erkennens wachrufen. Manchmal ist alles, was Sie bemerken, das Geflüster einer nachfol-
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genden sprachlichen Übersetzung, einer Schlussfolgerung, die sich aus dem Bericht ergibt: Ja, ich bin es, der sieht oder hört oder berührt.⁸²
Warum reicht es nicht aus, neuronale Muster analog zu einzelnen Bildern zu verstehen, damit ein Kernbewusstsein entsteht? Warum macht Damasio die philosophisch nicht haltbare Voraussetzung eines nicht-sprachlichen Berichts? Die Antwort ist in der Formulierung „weil die Geschichte eine Person schildert, die sieht – das sind Sie“ enthalten. Um zu einem Bewusstsein seiner selbst zu gelangen, genügt es nicht, dass einzelne, nicht in Verbindung gesetzte Bilder in Bezug zu einer Instanz gebracht werden. Vielmehr muss, wie Damasio richtig bemerkt, die Geschichte auf die Instanz in der Weise bezogen werden, dass diese Instanz als diejenige erscheint, die „Protagonist“, also Akteur der Geschichte ist. Um ein solches Selbstbild zu erzeugen, reichen einzelne Bilder in ihrer Mannigfaltigkeit nicht aus. Sie sind als einzelne, logisch und begrifflich unverbundene Bilder zu unabhängig voneinander, als dass die Einheit oder Instanz, die sie wahrnimmt, für sich selbst als wahrnehmende Instanz bemerkbar oder erkennbar würde. Sowohl der Organismus als auch die Objekte der Welt sind für Damasio ursprünglich neuronal und damit zunächst unbewusst im Proto-Selbst repräsentiert. Daher sind diejenigen Repräsentationen, die das Kernselbst ausmachen, Repräsentationen zweiter Ordnung. Bewusst zu sein bedeutet also ursprüngliche, nicht bewusste Bilder oder Vorstellungen zu re-repräsentieren. Das bewusste Selbst entsteht, wenn das Gehirn diese nicht sprachliche Geschichte erzählt und damit implizit auch, welchem Organismus sie zustößt und in welchem sie erzählt wird. In Damasios Theorieansatz kann das Lebewesen sich nicht dadurch als Akteur erfahren lernen, dass es mit der Welt und den anderen Lebewesen interagiert und sich dabei in Abgrenzung davon als anders zu empfinden lernt. Diese Art der Erfahrung würde bereits mit bewusstem Empfindungsvermögen einhergehen müssen, was das bewusste Empfinden schon einschließt, das erst erklärt werden soll. Daher Damasio benötigt den nicht sprachlichen und nicht bewussten Bericht, aus dem das Kernselbst, indem es repräsentiert wird hervorgehen kann und dann als Akteur in der Repräsentation identifiziert wird. Einer sprachphilosophischen Kritik hält der Ansatz, wie wir bereits gesehen haben, nicht stand. Weitere Schwierigkeiten handelt sich Damasio ein, indem er auf der repräsentationstheoretischen Theorie der Emotionen von James und Lange aufbaut. Ein Baustein dieses Ansatzes ist, dass Körperveränderungen durch Ereignisse in der
Damasio 2000, 208 f.
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Umwelt verursacht werden, was wiederum die Emotion und damit das phänomenale Erleben verursacht. Da dieses Modell die Rolle der Sprache beim emotionalen Empfinden nicht berücksichtigt, ist es letztlich zu simpel, um das phänomenale Emotionserleben beim Menschen umfassend erklären zu können. Während an einer zentralen Stelle in Damasios Theorie eine nicht haltbare Sprachauffassung zum Einsatz kommt, wird die Bedeutung der Sprache für das emotionale Empfinden und die Formung von Emotionen an anderer Stelle überhaupt nicht berücksichtigt. Damit ist Damasio insofern im Einklang mit anderen repräsentationstheoretischen Ansätzen als diese gleichfalls behaupten, dass das phänomenale Moment sich ausschließlich aus den repräsentationalen Fakten ergibt.⁸³ Diese Annahme wird nun eingehend diskutiert, während die erwähnte dritte Problematik vorerst ausgeklammert bleibt und erst unter II.3.1. „Die Bedeutung des Anderen“ erörtert wird.
2 Repräsentationstheorien und Emotionen Die Wirk- und Rückkopplungseffekte zwischen physiologischen Veränderungen und bewusstem Erleben sind beim Menschen weitaus komplexer als es Repräsentationstheorien nahe legen. So wissen wir etwa, dass wir Lampenfieber haben, weil wir eine bestimmte Schluckbewegung nicht unterdrücken können, die immer auftritt,wenn kurz danach das Lampenfieber als eine Form der Angst fühlbar wird. Hier verweisen bewusste Reflexionen also bereits auf etwa, was noch gar nicht bewusst empfunden wird. Und wir lernen auch zu verstehen, dass der Schmerz nach einem tiefen Schnitt in den Finger nur deshalb nicht spürbar ist, weil wir unter Schock stehen, aber der Schmerz wird kommen, sobald der Schock nachlässt. In gewisser Weise haben wir es also mit einer Doppelung der als rein neurologische Repräsentationsprozesse angesehenen Phänomene zu tun.Wir können die mentalen Prozesse von den rein physiologischen Prozessen in der geschilderten Weise entkoppeln, indem wir gedanklich vorwegnehmen, was die neurologischen Prozesse vermittels der phänomenalen Qualitäten des Erlebens erst ergeben werden. Das mag kein prinzipieller Einwand gegen repräsentationalisitsche Theorien sein, er verweist aber bereits darauf, dass wir mit einfachen Kausalverhältnissen unter Umständen nicht weit kommen.
„On this view, once all the representational facts fixed, the phenomenal facts are automatically fixed too.“ Tye 2009, 253 – 267 hier 264.
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Die Grenzen repräsentationalistischer Ansätze zeigen sich also dort, wo natürliche emotionale Reaktionen, ihre Formung durch Sprache (Semantisierung) erfahren, und die damit einhergehende Intentionalität sowie das emotionale Empfinden unauflöslich miteinander verbunden sind. Da Repräsentationstheorien außerdem häufig mit dem Versuch der Naturalisierung von phänomenalem Bewusstsein einhergehen, lassen sich damit zusammenhängend auch die Grenzen solcher Naturalisierungsversuche zeigen. Durch die unauflösliche Verwobenheit natürlicher emotionaler körperlicher Reaktionen, ihre Formung durch Sprache, die damit einhergehende Intentionalität sowie das emotionale Empfinden werden selbst vermeintlich leicht zu lösende Probleme der Philosophie des Geistes im Lichte streng reduktionistischer Theorien des Geistes zu schwerwiegenden. Denn die natürliche Intentionalität biologischer Organismen erfährt beim Menschen im Verlauf des Spracherwerbs eine logische Struktur, was Einfluss auf das phänomenale Empfinden und Erleben hat. Als leicht zu lösende gelten Probleme gelten in der Philosophie des Geistes diejenigen, welche sich mit der Frage beschäftigen, wie das Gehirn Stimulationen aus der Umwelt verarbeitet, oder wie es Informationen integriert und wie wir Berichte über interne Zustände zustande bringen. Als schwer zu lösen gilt die Frage, warum diese Gehirnvorgänge mit innerem Erleben einhergehen.⁸⁴ Auf Emotionen und emotionales Erleben angewendet, stellt sich jedoch heraus, dass beide Probleme schwer zu lösen sind, da bei Emotionen sowohl Stimulationsverarbeitung, Informationsintegration und Ausdruck innerer Zustände involviert sind als auch die Frage betroffen ist, wie es sein kann, dass Gehirnvorgänge mit innerem Erleben einhergehen.⁸⁵
2.1 Repräsentationstheoretische Ansätze in der analytischen Philosophie⁸⁶ Erforderlich ist der Begriff der Repräsentation, wenn es um die Funktion von Emotionen geht. Ein Standardbeispiel ist auch hierfür die Angst. Sie repräsentiert die Gefahr, die für das Lebewesen in einer Situation besteht. Dabei handelt es sich allerdings nicht um den Begriff der Repräsentation, der gerade diskutiert wurde, denn der Repräsentationsbegriff wird in emotionstheoretischen Diskussionen in
Chalmers 1996, XI-XII. Vergleiche auch Peter Goldie: „This inextricable linkage between phenomenology and intentionality in emotion will, I suspect, make the so-called ‘easy problem’ hard, and not the socalled ‘hard problem’ easy.“ Goldie 2002a, 235 – 254 hier 250. Vergleiche hierzu und zu weiteren Teilkapiteln: Engelen 2009, 387– 397. Die vorliegenden Überlegungen stellen eine weiterführende Ausarbeitung dar.
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zwei verschiedenen Verwendungen gebraucht. Einmal, um zu sagen, dass der emotionale Prozess selbst eine Repräsentation von Körperveränderungen sei (James-Lange-Theorie), die wiederum eine Reaktion auf eintretende Veränderungen der Umwelt sind. Und zum anderen, um zu sagen, dass Emotionen etwas aus der Umwelt repräsentieren wie etwa Ekel oder Angst Gefahr und Bedrohung für den Organismus repräsentieren. Daneben spielt der Begriff der Repräsentation eine bedeutende Rolle in der Philosophie des Geistes. Dort wird er herangezogen, um die Intentionalität und Phänomenalität mentaler Zustände, also auch von Emotionen, zu erklären oder um sie auf kausale Prozesse zu reduzieren. Diesem Punkt werden wir uns nun zuwenden. Es lässt sich nämlich zeigen, dass der Versuch, die Phänomenalität von Emotionen auf Repräsentationen zu reduzieren, Emotionen als Phänomene nicht vollständig zu erfassen vermag. Zunächst ist zu überlegen, inwiefern Intentionalität und Repräsentation zusammen zu denken sind, und ob alle Empfindungen, Stimmungen, Gefühle und Emotionen intentional, das heißt auf etwas gerichtet sind. Michael Tye vertritt in seinem Buch Ten Problems of Consciousness. A Representational Theory of the Phenomenal Mind die Auffassung, dass alle phänomenalen Erfahrungen wie Emotionen, Empfindungen und Gefühle, Repräsentationen von etwas sind, und als solche auch intentional sind. Auch Schmerzen und Stimmungen hätten also einen intentionalen Gehalt und seien auf etwas gerichtet. Am deutlichsten wird der zuletzt genannte Zusammenhang vielleicht durch ein Zitat, gegen welches sich Tye richtet: Körperbezogene Empfindungen haben nicht in der Weise ein intentionales Objekt wie es Wahrnehmungserfahrungen haben. Wir unterscheiden zwischen einer Wahrnehmungserfahrung und wovon sie eine Erfahrung ist; aber wir machen diese Unterscheidung nicht hinsichtlich Schmerzen. Oder anders ausgedrückt, visuelle Erfahrungen repräsentieren die Welt als in einem bestimmten Zustand seiende, aber Schmerzen haben diesen repräsentationalen Gehalt nicht.⁸⁷
Der Zusammenhang von Repräsentation, Intentionalität und Phänomenalität besteht,wenn man sich ein solches Zitat genau ansieht, also darin, dass es sich um einen bewussten Vorgang handelt, der sowohl auf etwas gerichtet ist, als auch darin, dass die Information über das, worauf der Akt gerichtet ist, bewusst
Siehe dazu Colin McGinn: „Bodily sensations do not have an intentional object in the way that perceptual experiences do. We distinguish between a visual experience and what it is an experience of; but we do not make this distinction in respect of pains. Or again, visual experiences represent the world as being a certain way, but pains have no such representational content.“ McGinn 1982, 8.
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wahrgenommen wird. Diese bewusste Wahrnehmung, die sowohl intentional gerichtet ist, als auch das Wahrgenommene in einer bestimmten Weise repräsentiert, geht mit Phänomenalität einher, weil es sich für uns in einer bestimmten Weise anfühlt, etwa bewusst wahrzunehmen und uns bewusst auf etwas zu richten. Tye hält diese Differenzierung für falsch, weil er die Ansicht vertritt, dass alle Zustände, die phänomenal bewusst sind, auch einen intentionalen Gehalt haben und Repräsentationen sind. Damit wird jedoch eine wichtige Unterscheidung eingeebnet. Wenn meine Angst intentional ist, ist sie auf etwas gerichtet, nämlich auf das Objekt meiner Angst.⁸⁸ Wenn ich Schmerzen habe, sind diese zwar lokalisierbar und werden auch phänomenal wahrgenommen, sind aber auf nichts gerichtet; sie sind nicht „vor etwas“ wie die Angst oder „über etwas“ wie die Freude, sondern zeigen ähnlich wie Hunger, Durst oder Müdigkeit einen Zustand des Körpers an. Im Falle körperbezogener Empfindungen werden also Zustände des Organismus angezeigt und im Falle von Wahrnehmungen des Organismus werden Zustände angezeigt, die etwas anderes als Körperzustände an sich sind. Aufgrund dieser Unterscheidung lässt sich auch deutlich machen, dass es gerichtete und ungerichtete Angst gibt, die in dem einen Fall einen repräsentationalen Gehalt von etwas anderem als dem empfindenden Organismus hat und in dem anderen Fall nicht. Angst die sich auf etwa bezieht, ist eine gerichtete Angst. Diese kann sich auf den Lärm im Treppenhaus beziehen, aber auch auf den Tumor im eigenen Körper. Eine Angst, die ungerichtet auftritt und sich auf nichts bezieht, mag körperliche Ursachen haben und so auch den Zustand des Organismus, der die Angst empfindet, anzeigen, aber sie repräsentiert keine Gefahr vor etwas Bestimmtem. Würde ich durch künstliche Aktivierung der Amygdala in einen Angstzustand versetzt, wäre meine Angst auf nichts gerichtet, sondern lediglich verursacht. In beiden Fällen, dem der gerichteten und der ungerichteten Angst, geht sie mit phänomenalem Empfinden einher, aber einmal mit Gerichtetheit und Repräsentation und einmal nicht – das eine Mal repräsentiert sie etwas für den Organismus außerhalb seiner selbst (oder innerhalb, wie beim Tumor) und ist quasi objektbezogen, das andere Mal ist sie eine Repräsentation für etwas innerhalb seiner selbst und ist nicht objektbezogen. Da Empfindungen wie Schmerzen Repräsentationen der Veränderung von Körperzuständen sind, sind manche Repräsentationstheoretiker der Ansicht, sie
Sowohl in der Umgangssprache als auch in der psychiatrischen Terminologie lassen sich zwei unterschiedliche Verwendungen des Begriffes der Angst ausmachen. Angst, die mit Intentionalität einhergeht, ist gerichtet wie etwa bei der Spinnenphobie; Angst, die nicht mit Intentionalität einhergeht, ist nicht gerichtet wie etwa eine allgemeine Weltangst oder eine frei flottierende Panik.
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wären auch gerichtet.⁸⁹ Den Unterschied zwischen gerichtetem phänomenalem Zustand und ungerichtetem phänomenalem Zustand müssen Tye und einige andere Autoren dementsprechend leugnen. Da es intuitiv zunächst gar nicht einleuchtend ist, diesen Unterschied zu leugnen, ist es wichtig zu verstehen, warum Repräsentationstheoretiker sich diese systematische Bürde aufladen. Für Tye ist es wichtig, dass Phänomenalität und Repräsentation dasselbe sind, denn Repräsentationen lassen sich ihm zufolge rein kausal hervorrufen und wenn man dann auch noch unterstellt, dass Repräsentation und Phänomenalität dasselbe sind, lässt sich auch Phänomenalität auf Kausalität reduzieren.⁹⁰ Er macht das an dem Beispiel von Baumringen deutlich, die das Alter des Baumes bereits repräsentierten, als sie noch kein Mensch gesehen hat.⁹¹ Die Frage, was eine Repräsentation ist, die für nichts und niemanden etwas repräsentiert, wäre hier angebracht und dürfte erste Zweifel an der Argumentation aufkommen lassen. Das Beispiel ist jedoch schon deshalb nicht geeignet in Analogie zu Emotionen angeführt zu werden, weil die Baumringe für den Baum keine Funktion als Repräsentation haben, während das mit der (gerichteten) Angst, die sehr wohl eine Funktion für den sich ängstigenden Organismus hat, anders ist. Nicht nur sind dem Baum die Baumringe gleichgültig, sondern wir können nicht einmal den Satz, dass die Ringe dem Baum gleichgültig sind, als verständlich bezeichnen. Ein Baum müsste schlicht etwas anderes als ein Baum sein, damit ihm die Baumringe gleichgültig sein könnten oder eine Funktion für ihn hätten, die mit einem phänomenalem Empfinden einherginge. Tye besteht hingegen darauf, dass Repräsentation eine Angelegenheit kausaler Kovariation oder Korrelation ist,⁹² denn visuelle Empfindungen seien durch externe Stimuli mechanisch hervorgerufen⁹³ und auch andere Empfindungen seien normaler Weise mechanisch durch externe Stimuli hervorgerufen. Eine gewisse Plausibilität hat dieses Beispiel, wenn man in Betracht zieht, dass hohe äußere Temperaturen Hitzeempfindung hervorrufen, niedere äußere Temperaturen hingegen Kälteempfindung. Soll daraus nach Ansicht reduktionistisch ver Diese Ansicht vertritt etwa Tim Crane 2001, 78 – 83. Kritik daran üben auch Shaun Gallagher und Dan Zahavi 2008, 118: „By proposing an intentionalisitc or representationalistic interpretation of phenomenality (Tye and Dretske) hope to avoid the hard problem (of consciousness) altogether. Why? Because if phenomenality is basically a question of intentionality, and if intentionality can be explained reductively in terms of functional or causal relations, one can accept the existence of phenomenality (…) and still remain a physicalist.“ Siehe etwa: „Before any human ever noticed any rings inside trees, the number of rings represented the age of the tree, just as it does now.“ Tye 1995, 100. Tye 1995, 101. Tye 1995, 102.
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fahrender Repräsentationstheoretiker der Schluss gezogen werden, dass Phänomenalität eine Angelegenheit kausaler Korrelation ist? Die Frage, die in diesem Zusammenhang nicht mehr gestellt wird, lautet: Warum geht ein Vorgang, der mechanisch hervorgerufen ist, mit Phänomenalität einher? Warum wird dadurch etwa eine Empfindung von Wärme, oder in anderen visuellen Fällen, eine Empfindung von Bläue, von Helligkeit oder Düsternis hervorgerufen und nicht ein weiterer einfacher mechanischer Vorgang angestoßen, der ohne phänomenale Eindrücke auskommt? Die Frage, die nicht beantwortet wird, lautet mit anderen Worten: Warum ist eine Repräsentation in einigen Fällen ein phänomenaler Ausdruck (oder geht zumindest mit ihm einher) und in anderen Fällen nicht? Rein physiologisch ablaufende Mechanismen, die phänomenal nicht bewusst werden, sind aus der Emotionsforschung nämlich durchaus bekannt. So werden Probanden etwa in so kurzen Zeitabschnitten Bilder von Haifischen oder Schlangen gezeigt, dass weder das gezeigte Bild bewusst wird, noch die damit einhergehende Angstreaktion, die sich jedoch aufgrund der Körperreaktionen nachweisen lässt, und dennoch unbewusst bleibt und eben nicht phänomenal bewusst wird.⁹⁴ Tye erklärt seinen Ansatz wie folgt: „Mein Schmerz repräsentiert einen Schaden in meinem Bein, und ich klassifiziere diesen Schaden dann in kognitiver Weise als schmerzhaft (indem der Begriff schmerzhaft in einer Introspektion angewendet wird).“⁹⁵ Der Schmerz steht mit anderen Worten für etwas anderes, nämlich für einen Schaden, der eine Veränderung des Körpers ist und damit, zumindest für Tye, einen repräsentationalen Gehalt hat, welcher auf kognitive Weise (!) als schmerzhaft klassifiziert wird. So wie Schmerzen einen repräsentationalen und damit informativen Gehalt hätten, so sei etwa Jucken eine sensorische Repräsentation für körperliche Störungen und die Durstempfindung eine sensorische Repräsentation für Trockenheit in Hals und Mund.⁹⁶ Ob sensorische Repräsentationen immer auch schon phänomenale wahrgenommene Repräsentationen sind oder ob sie erst durch eine kognitive, das heißt in diesem Fall, begriffliche Klassifikation zu phänomenalen werden, bei denen ein sensorischer Zustand als ein bestimmter Zustand wahrgenommen wird (also Angst etwa als Angst), wird noch zu erörtern sein. Eines der Probleme der repräsentationstheoretischen Ansätze zeigt sich schon hier: Warum repräsentiert Trockenheit in Hals und Mund Durstempfindung und Siehe etwa: Ledoux 2001, 65 ff. „My pain represents damage in my leg, and I then cognitively classify that damage as painful (via the application of the concept painful in introspection).“ Tye 1995, 116. Tye 1995, 117.
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nicht etwa Aufregung, bei der man auch oft einen trockenen Mund hat, ohne durstig zu sein? Wer oder was legt fest, wann Trockenheit mit welcher Empfindung einher? Außerdem drängt sich die Frage auf, wieso nicht Durstempfindung oder Aufregung Trockenheit in Hals und Mund repräsentieren, denn was hier was repräsentiert, ist keineswegs eindeutig. Mit dieser Schwierigkeit ist auch die bereits erwähnte James-Lange-Theorie der Emotionen konfrontiert, von der repräsentationstheoretische Ansätze ausgehen. Aber nicht nur Phänomenalität und Kausalität fallen bei Tye zusammen, sondern auch Repräsentation und Intentionalität. Phänomenal empfundene Phänomene wie Emotionen und Gefühlen werden deshalb nicht als ein Gerichtetsein im Sinne einer geistigen Bezugnahme verstanden. Angst, die rein mechanisch, „hardwired“ durch eine Situation ausgelöst wird und damit die Gefährlichkeit der Situation für den Organismus repräsentiert, bezieht sich auf nichts, sie ist lediglich eine mechanische Reaktion auf eine Situation. Das phänomenale Empfinden, mit dem diese Repräsentation einhergeht, stellt sogar einen merkwürdigen „Umweg“ dar, denn eigentlich könnte die evolutionär erforderliche Reaktion ausgelöst werden, ohne dass eine phänomenale Empfindung dazwischengeschaltet wäre, wie es bei jedem beliebigen Reiz-Reaktions-Mechanismus der Fall ist. Das Moment des Phänomenalen ist jedoch gerade deshalb von Bedeutung, weil keine fest verdrahtete, festgelegte Reaktion ausgelöst wird, sondern Handlungsoptionen eröffnet werden. Die Angstempfindung als intentional auf ein Objekt der Angst gerichtetes Phänomen, ermöglicht ein Innehalten, das dazu führen kann, dass ich mich verstecke, fliehe oder zum Angriff übergehe.⁹⁷ Ist allerdings im Umkehrschluss daraus schon ableitbar, dass Tiere, die ein nicht rein mechanisch hervorgerufenes Verhalten zeigen, phänomenal empfinden?
2.2 Phänomenales Bewusstsein bei Tieren Tye deutet das nicht mechanische Verhalten von Tieren, also auch das von Fischen oder Bienen, das zu Verhaltensänderungen führt und auf Erfahrung oder Lernen beruht, als Zeichen für phänomenales Empfinden und Bewusstsein bei diesen Tieren. Dahinter steckt die Annahme, dass ein Tier, das etwas lernt, auch ein Ziel hat (zum Beispiel einen anderen Fisch zu fangen, ein Verhalten, das von Tye als intentional verstanden wird) und es über ein gewisses Einschätzungsvermögen
Der Schmerz ist hingegen auf nichts gerichtet, er ist vielmehr ein Signal, dass dazu führt, dass der schmerzende Körperteil geschont wird oder Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird. Mit Emotionen geht allerdings auch eine Lenkung der Aufmerksamkeit einher.
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auf Grundlage der Sinneswahrnehmungen verfügt (zum Beispiel werden nicht die grünen Fische, wohl aber die roten gefangen). Die Einschätzung und damit das Einschätzungsvermögen sowie die kognitive Leistung und die Zielsetzung sollen sich im Verhalten der Fische zeigen, das Lernvermögen hingegen in der Verhaltensänderung. Lernvermögen und Verhaltensänderung sind nun ihrerseits Indizien dafür, dass man es nicht mit einem reinen Reiz-Reaktionsmechanismus zu tun hat. Daraus schließt Tye, dass auch bei Fischen phänomenales Bewusstsein vorliegt. Dafür zieht er einen sehr anspruchsvollen Begriff des Lernens heran, ohne zu erwähnen, dass es durchaus Formen des Lernens gibt, die keine Zielsetzung voraussetzen wie etwa akzidentelles oder spielerisch assoziatives Lernen sowie solches aufgrund von Konditionierung. Zudem fassen Vertreter repräsentationstheoretischer Ansätze Sinnesqualitäten eben nicht als intrinsische, sondern als repräsentierte Eigenschaften auf. Das phänomenale Moment dieser Empfindungen und Emotionen wäre dann ein nicht intrinsisches. Für Tye reicht es, dass Fische und Bienen über interne Repräsentationen ihrer Umwelt verfügen, die das Verhalten dieser Tiere bestimmen. Verhaltensänderungen, die nicht auf einem Reiz-Reaktionsmechanismus basieren, zeigen für ihn dann eine Veränderung interner Repräsentationen an und damit, dass phänomenales Bewusstsein vorliegt. Da wir außer der durch Lernen hervorgerufenen Verhaltensänderung keine weiteren Anzeichen für phänomenales Bewusstsein haben, ist es natürlich gewagt, den Schluss zu ziehen, es läge phänomenales Bewusstsein vor, wenn Verhaltensänderungen nachweisbar sind. Denn die Funktion, von der man auf das Vorhandensein phänomenalen Bewusstseins schließt, kann auch auf andere Weise als durch phänomenales Empfinden ausgefüllt werden. So könnte Fischen beispielsweise, außer durch phänomenales Bewusstsein (anhaltender Hunger, Druckempfinden) auch auf andere Weise vermittelt werden, dass sie ihr Ziel, den anderen Fisch zu fressen, erreicht haben (außer durch nachlassendes Hungergefühl, oder nachlassendes Druckempfinden). Es könnte sich um interne Abläufe handeln, die nicht mit phänomenalem Empfinden einhergehen und die ganz automatisch einsetzen. So könnte ein gefüllter Magen automatisch dazu führen, dass die Jagd nach Nahrung eingestellt wird, ohne dass das mit Hunger- und Sättigungsgefühlen einhergehen muss. Es ließen sich also leicht Modelle denken, die keine phänomenalen Empfindungen voraussetzen. Da es leicht ist, Verhaltensänderungen aufgrund eines Lernerfolges auf Mechanismen zurückzuführen, die nicht notwendiger Weise mit phänomenalem Empfinden einhergehen, lässt sich aufgrund von Verhaltensänderungen durch Lernerfolg auch nicht auf phänomenales Bewusstsein schließen. Tye müsste für das Vorhandensein phänomenalen Erlebens also zusätzliche Kriterien anführen.
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Repräsentationalistische Ansätze vermögen es überdies nicht zu klären, weshalb wir Angst als Angst erleben und nicht nur als Fluchtreaktion oder als Erstarrung, Unruhe, Schweißausbruch oder dergleichen. Es wurde bereits bemerkt, dass Repräsentationstheorien des Geistes zufolge das phänomenale Moment bei Empfindungen und Emotionen nicht intrinsisch enthalten ist. Darüber hinaus, hat die erlebte Angst,wenn wir Angst als Angst erleben, selbst eine Bedeutung für uns, und dasjenige, auf das sich unsere Angst richtet, hat auch eine. Unsere Angst ist für uns nicht lediglich eine Reaktion, die ausgelöst wird, sondern sie richtet sich auf etwas und ist nicht nur durch externe Stimuli mechanisch verursacht. Wenn der phänomenale Gehalt nicht in intrinsischer Weise zu Emotionen und Empfindungen beim Menschen dazu gehört, muss er in Repräsentationstheorien der Emotionen zusätzlich zur Repräsentation hinzutreten. Daher weisen sowohl Tye, als auch Fred Dretske den phänomenalen Gehalt noch nicht der sensorischen Repräsentation zu, sondern erst der kognitiven Verarbeitung: Phänomenaler Gehalt, ist meiner Ansicht nach kein Merkmal der Repräsentationen die innerhalb der sensorischen Module auftreten. (…) Erfahrung und Empfindung tauchen auf der Ebene des Outputs sensorischer Module auf und auf dem der Inputs zu einem kognitiven System. Dort findet man den phänomenalen Gehalt.⁹⁸
Für Tye ist das Phänomenale also etwas, das aus den sensorischen Repräsentationen entsteht und dem kognitive System als nicht-begrifflicher Gehalt bereitgestellt wird.⁹⁹ Daher sind phänomenal bewusste Zustände auch für Repräsentationstheoretiker ganz besondere Zustände, die sich eigentlich nicht auf interne Repräsentationen reduzieren lassen sollten, weil sie mehr sind als sensorische Repräsentationen. Das Phänomenale, das als nicht-begrifflicher Gehalt bestimmt wird, soll dann, um als etwas erfahren zu werden, unter einen Begriff fallen. So muss eine emotionale Reaktion, um als eine bestimmte Emotion empfunden zu werden, unter einen dementsprechenden emotionalen Begriff gebracht werden. Um also Angst als Angst zu erleben, muss man einen Begriff von Angst haben. Dagegen scheint nichts einzuwenden zu sein.
„Phenomenal content, in my view, is not a feature of the representations occurring within the sensory modules. (…) Experience and feeling arise at the level of the output from sensory modules and the inputs to a cognitive system. It is there that phenomenal content is found.“ Tye 1995, 137. Tye (1995, 137) selbst nennt diesen Gehalt abstrakt, weil er auf nichts Konkretes bezogen ist und zudem unbegrifflich.
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Sowohl Dretske als auch Tye greifen auf das Moment des sensorischen Inputs zurück, um das Phänomenale auf Repräsentationen zu reduzieren. Damit diese sensorischen, nicht-begrifflichen Inputs¹⁰⁰ phänomenal bewusst werden, müssen sie laut Dretske begrifflich kategorisiert sein und laut Tye dem kognitiven System bereit gestellt werden. Nun wird man sich mit guten Gründen fragen, warum diese Zustände durch kognitive Verarbeitung phänomenal bewusst werden. Bei Tye lautet die Antwort mehr oder weniger lapidar, dass der phänomenale Charakter eines Zustandes sich aus dem nicht begrifflichen intentionalen Gehalt ergibt¹⁰¹ und für alle, also sowohl für Säuglinge, Kinder, als auch für Erwachsene denselben phänomenalen Gehalt hat. Die Verschiedenheiten beim phänomenalen Empfinden kämen erst durch höherstufige repräsentationale Unterschiede zustande.¹⁰² Ähnlich gestaltet sich dieser wichtige Punkt bei Dretske, der ihn allerdings sehr viel detaillierter ausführt. Auch er geht davon aus, dass die phänomenalen Zustände zunächst in gleicher Weise vorliegen, fügt aber hinzu, dass man ihrer zunächst nicht gewahr ist und ihrer erst durch die begriffliche Kategorisierung gewahr wird.¹⁰³ Man könnte diesem Ansatz vielleicht in gewisser Weise folgen, wäre er nicht zugleich mit dem Anspruch verbunden, phänomenales Bewusstsein auf Repräsentation zu reduzieren. Die Ersetzung von Phänomenalität durch Intentionalität beziehungsweise Repräsentation reicht aber nicht aus, um das Moment des Phänomenalen plausibel zu reduzieren. Es könnte ausreichen, um Bewusstsein zu erklären, nicht aber, um phänomenales Bewusstsein zu erklären.¹⁰⁴ Es lassen sich noch einige weitere kritische Überlegungen anfügen. Wenn es um die Reduktion des Phänomenalen geht, ist ein Standardbeispiel für repräsentationalistische Theorien die Wärmeempfindung als Repräsentation von Hitze. Nehmen wir als ein Beispiel die Hitze, die von einem Kaminfeuer verursacht wird. Wenn wir uns vorstellen, an einem kalten und feuchten Tag von draußen in ein Zimmer zu treten, in dem ein Kaminfeuer lodert, wird die Wärmeempfindung bei
Sie sollen zudem auch „abstakt“ sein, also nicht Konkretes enthalten und vom kognitiven System bereit gestellt werden (poised). Tye 1995, 137. Tye 1995, 137. Tye 2008. Dretske 1998, 149. Auf eine ganz andere Schwierigkeit mentaler Repräsentation soll noch am Rande hingewiesen werden: Tye und Dretske sind hinsichtlich des Mentalen und auch des Phänomenalen Externalisten. Sie gehen davon aus, dass die Umwelt den Gehalt der mentalen Repräsentationen determiniert. Unklar ist dann aber, wie eine solche mentale Repräsentation, deren Gehalt von extrinsischen Faktoren bestimmt wird, auch die kausalen Kräfte der mentalen Repräsentationen bestimmen kann, die unbestrittener Weise intrinsisch sein müssen. Siehe für weitere Diskussion dieses Punktes: Pitt, 2008.
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den meisten von uns allerdings nicht nur eine Wärmeempfindung sein, welche die Hitze des Feuers repräsentiert, sondern mit einem Wohlgefühl einhergehen. Die Wärmeempfindung geht in diesem Szenario also mit einer „Bewertung“ der Hitze als wohltuend einher. Dieses Bewertungsmoment und die Wärmeempfindung lassen sich phänomenal nicht auseinanderdividieren. Nun könnte man in weiteren naturalistischen Reduktionsbemühungen fortfahren und darauf hinweisen, dass das Wohlgefühl die Funktion hat, dem ausgekühlten Körper anzuzeigen, dass er ausgekühlt ist. Nimmt man hinzu, dass das Ausbilden solcher Funktionen sich vorteilhaft auf das Überleben der Art ausgewirkt hat, die solche Funktionen ausgebildet hat, könnte das als Erweiterung einer naturalistischen Reduktion hinzugenommen werden. Wir werden aber im letzten Abschnitt dieses Buches sehen, dass man für solche Reduktionsversuche nicht umhin kommt, vom Wohl eines Organismus auszugehen, dem eine solche Funktion dient und dass dieses Wohl sich letztlich nicht vollständig naturalistisch reduzieren lässt. Das gerade gefallene Stichwort „unter einen Begriff fallen“ lädt nun allerdings erst einmal dazu ein, die Rolle der Sprache beim emotionalen Empfinden näher zu betrachten und damit auch die Rolle des Spracherwerbs sowie derer, mit deren Hilfe wir Worte und ihre Bedeutung erwerben. Die bisher zum Verhältnis von Sprache, Emotion und Bedeutung vorgebrachten Annahmen von Damasio wurden kritisiert, und Dretske und Tye führen ihre Vorstellungen von „unter einen Begriff fallen“ nicht wirklich weiter aus. Ein Grund dafür, das nicht zu tun, könnte sein, dass sich der Bereich des sozialen Zusammenlebens und der der kulturellen Prägung, die sich einfachen Reduktionsversuchen des Bewusstseins notorisch entziehen, dabei nicht mehr ausgeklammert werden können.
3 Michael Tomasello 3.1 Die Bedeutung des Anderen Um klären zu können, inwiefern Emotionen semantisiert sind, welche Bedeutung der Andere bei dem Semantisierungsprozess hat und inwiefern dies zur Entwicklung eines entwickelten Selbstbewusstseins beiträgt, wird zunächst die Spracherwerbstheorie von Michael Tomasello eingeführt, die einige Überschneidungen mit den Überlegungen Donald Davidsons’¹⁰⁵ aufweist. Dieser Ansatz lässt sich verwenden, um eine Theorie für die Semantisierung von Emotionen zu entwickeln, die zeigt, inwiefern Emotionen nicht lediglich Körperreaktionen eines
Vergleiche: Davidson 2004, 186 – 210 hier 205 f. und 208 f., sowie 211– 229 hier 220 f.
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Organismus sind, die bewusst werden. Vielmehr sind die gemeinsame Verständigung über Emotionen (Intentionalität) und das damit gleichfalls zusammenhängende Aufkommen der Beziehung zum Anderen Elemente, welche zur Entstehung des Selbstbewusstseins beitragen. In diesem Zusammenhang lässt sich ferner zeigen, dass das Entstehen von ausgeprägter Phänomenalität, aufgrund derer wir etwas als etwas empfinden, soziale Verfasstheit und Begriffserwerb voraussetzt. Dass der Andere für das Entstehen des Selbstbewusstseins von konstitutiver Bedeutung ist, hat schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel festgestellt. In anderem Gewand wird diese Annahme heute auch von empirisch arbeitenden Forschern wie Michael Tomasello vertreten, der damit allerdings nicht unmittelbar an Hegel anknüpft, sondern an die Sprachphilosophie des späten Wittgenstein.¹⁰⁶ Tomasello geht davon aus, dass sich das Selbstverständnis von Kindern als planende, wollende, wünschende und beabsichtigende Wesen in Abhängigkeit zu dem Verstehen der Anderen als solch intentionale Wesen entwickelt. Wenn das Kind ihm Alter von neun Monaten in der Lage ist, zu begreifen, dass „es mit einem intentionalen Akteur interagiert, der es wahrnimmt und der ihm gegenüber bestimmte Absichten hat“,¹⁰⁷ kann es die intentionale Beziehung des Erwachsenen zur Welt und zu ihm selbst beobachten. Damit kann es aber auch erstmals die emotionalen Einstellungen des Erwachsenen ihm gegenüber wahrnehmen, die eben mehr sind als nur ein kausal wirkendes Signal, welches mitteilt, dass der anderer wütend, zornig oder freudig gestimmt ist, sondern Teil einer immer komplexer werdenden Kommunikation ist, in der das Verstehen der Absichten, Anliegen und Bedürfnisse des Anderen einen größer werdenden Raum einnimmt. Das ermöglicht es dem Kind auch, sich zunächst als ein Selbst verstehen zu lernen, das mehr ist als ein phänomenales Selbstgewahrsein, auch wenn es noch nicht über ein vollständiges Selbstkonzept verfügt. Anders als bei Damasio ist das Entstehen des Selbst bei Tomasello also wesentlich von der Interaktion mit anderen bewusstseinsfähigen Wesen abhängig. Um die Absichten des Anderen als solche verstehen zu können, ist es erforderlich, den Intentionen des Anderen – etwa, worauf er gerade gerichtet ist – folgen zu können. So muss seine Körperbewegung als eine Bewegung auf etwas hin verstanden werden, das der Andere eventuell aufheben, wegnehmen oder aufrichten möchte. Aber auch sprachliche Referenz ist laut Tomasello immer als ein sozialer Akt zu verstehen:
Tomasello 2006. Tomasello stellt dreien der sieben Kapitel dieses Buches ein Motto von Wittgenstein voran und verweist auch ansonsten an mehreren Stellen auf dessen Denken. Tomasello 2006, 119.
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Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit sind soziale Interaktionen, bei denen das Kind und der Erwachsene während einer bestimmten Zeit ihre Aufmerksamkeit auf einen dritten Gegenstand konzentrieren und außerdem jeweils gegenseitig auf die Aufmerksamkeit des anderen hinsichtlich dieses dritten Gegenstands achten. (…) Der entscheidende Punkt ist, daß Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit intentional definiert sind.¹⁰⁸
Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit stellen also zunächst den intersubjektiven Kontext bereit,¹⁰⁹ in dem Szenen der sprachlichen Referenz als solche verstanden werden können. Eine sprachliche Referenz, die keinen Adressaten hat, ist keine sprachliche Referenz, daher ist der intersubjektive oder öffentliche Kontext erforderlich, der durch die erfolgreiche Referenz zugleich geschaffen wird. Er wird über das gemeinsame Ausrichten auf etwas anderes, das benannt wird, zu einem Verständigungskontext, in dem sich Verstehen für den lernenden Part nach und nach entwickelt. Das Zeigen und die gemeinsame Ausrichtung wird dadurch zu einem Teil der Sprachhandlung und die dabei geäußerten Laute zu einem Wort, das etwas benennt. Letzteres setzt voraus, dass das Zeigen und die gemeinsame Ausrichtung schon als Teil einer Sprachhandlung zu begreifen sind, die dann durch das Benennen fortgeführt wird. Zumeist richtet sich die gemeinsame Aufmerksamkeit auf einen dritten Gegenstand. Der „Gegenstand“ der geteilten Aufmerksamkeit kann aber auch, und das wird im Folgenden von Bedeutung sein, wenn das Modell auf Emotionen angewandt wird, das Kind selbst sein: „Das Kind beginnt (dann), die Aufmerksamkeit des Erwachsenen ihm gegenüber zu beobachten und sich somit gewissermaßen selbst von außen zu sehen.“¹¹⁰ Indem das Kind mit Hilfe des Anderen lernt, sich von außen zu sehen, lernt es damit auch, sich als ein eigenständiges Wesen zu verstehen, das von anderen als solches wahrgenommen wird und erwirbt so Selbstbewusstsein.Wie aber lernt das Kind, dass es von anderen als selbstständiges Wesen wahrgenommen wird? Die Antwort hierauf ist mit Sicherheit komplex und erforderte die Hinzunahme von mehr als einer entwicklungspsychologischen Studie, wenn sie als eine umfassende gegeben werden sollte. Hier konzentrieren wir uns jedoch auf einige Aspekte einer solchen Antwort, die wir bereits kennen gelernt haben: Das Kind muss sich als eine Einheit verstehen lernen, die agiert, Möglichkeiten hat oder nicht hat, und es muss über ein rudimentäres Zeitverständnis verfügen. Ohne Empfindungsfä-
Tomasello 2006, 128 f. Reinhard Brand (2009, 40 f.) nennt diesen Kontext den öffentlichen, weil sich auch manche Interaktionen zwischen Tieren als intersubjektiv bezeichnen ließen, bei denen aber nicht das Merkmal der geteilten Welt enthalten sei. Tomasello 2006, 131.
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higkeit ist es allerdings, wie dargelegt wurde, nicht möglich, sich als eine solch agierende Einheit verstehen zu lernen und sein eigenes Begehren als Wunsch oder Absicht mit Hilfe des Anderen identifizieren zu lernen und ihn dadurch allererst zu einem solchen zu machen. In diesem Ansatz nimmt der Andere diejenige systematische Funktion ein, die bei Damasio die Geschichte, der nicht sprachliche Bericht hat. Denn das Kind muss sich gewissermaßen auch von außen betrachten lernen, um sich als Akteur zu verstehen und dadurch ein entwickeltes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das tut es aber nicht, weil es sich als Akteur einer Geschichte erkennt wie in Damasios repräsentationalistischem Modell, sondern weil es sich als „Mitspieler“ des Anderen verstehen lernt, indem dieser es wiederum als Anderen, als ein Gegenüber anerkennt. Sowohl die Rolle der Sprache für das Entstehen des Selbstbewusstseins, als auch die Bedeutung der sozialen Interaktionen für die Entwicklung des Selbstbewusstseins werden mithin vollkommen anders gesehen. Denn die Anerkennung erfolgt auch dadurch, dass der Andere mit dem Kind in anderer Weise umgeht als mit einem Gegenstand der gemeinsamen Aufmerksamkeit, auf den sich beide gemeinsam beziehen. Ein wichtiger Aspekt in diesem Anerkennungsprozess ist, dass die damit einhergehende Kommunikation zwar auch eine verbale, aber keine rein verbale ist. Berühren, Lachen, Weinen und die gerichtete Aufmerksamkeit auf diese Empfindungen, gehören dazu, da sie es ermöglichen, diese nicht nur zu spüren, sondern auch als solche zu erfassen, weil der Andere es tut, indem er sich mit seiner Aufmerksamkeit darauf richtet: Um (diese) Geräusche und Handbewegungen als kommunikativ bedeutsam anzusehen und als etwas, das man selbst lernen und verwenden könnte, muß das Kind verstehen, daß sie von einer besonderen Absicht motiviert sind, nämlich einer kommunikativen Absicht. Das Verstehen einer kommunikativen Absicht kann jedoch nur vor dem Hintergrund gemeinsamer Aufmerksamkeit stattfinden, die seine sozio-kognitive Grundlage darstellt.¹¹¹
Erforderlich ist mit anderen Worten, dass das Kind selbst feststellt, dass es eine Mitspielerrolle hat und selbst seine kommunikative Absicht ausdrücken kann. Nur dadurch, dass dies gelingt, kann eine Person die Aufmerksamkeit einer anderen auf etwas in der Welt lenken und sie eine Perspektive in Bezug auf dieses etwas lehren. Sprachliche Referenz ist eben, wie bereits festgestellt, immer ein sozialer Akt.
Tomasello 2006, 126.
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3.2 Das trianguläre Modell des Spracherwerbs angewendet auf Emotionen Außer von Tomasello wird ein solch trianguläres Model auch von Sprachphilosophen wie etwa Donald Davidson¹¹² vertreten. In diesem triangularischen Ansatz ist die gemeinsame Referenz auf einen dritten Gegenstand grundlegend dafür, dass das gesprochene Wort nicht nur ein verlautetes Signal ist, das bei dem anderen eine Reaktion auslöst, und auch grundlegend dafür, dass eine gemeinsame Verständigung über die Dinge in der Welt, sich selbst und den Anderen möglich ist. Er lässt sich auch heranziehen, um verständlich zu machen, inwiefern Emotionen semantisiert sind. Damit ist bereits deutlich, dass sie der hier vertretenen Auffassung nach keine rein biologisch ablaufenden Vorgänge sind (auch nicht im Falle so genannter Basisemotionen), sondern durch die Bedeutung in der jeweiligen Kultur geformt sind. „Geformt sein“, heißt in diesem Fall, dass auch das Empfinden davon nicht unbeeinflusst bleibt. Angewendet auf physiologische emotionale Reaktionen heißt das: Das Kind lernt, dass die Aufmerksamkeit und die Wortgeräusche, auf die sich die Aufmerksamkeit des Erwachsenen bezieht, die emotionalen Reaktionen des Kindes sind, die kein dritter Gegenstand im Sinne der Referenz für das Kind sind, sondern Veränderungen des kindlichen Organismus, die dieses spüren kann. Das Kind kann sich mithin nicht wie in anderen Fällen gegebenenfalls auch mittels Referenz auf den Gegenstand beziehen, sondern muss verstehen lernen, dass das worauf der Erwachsene sich bezieht, in diesem Falle das ist, was es selbst spürt. Die Aufmerksamkeit des Erwachsenen ist in solchen Fällen auf Empfindungen bezogen und diese sind es, die mit bestimmten Worten, aber auch Gesten und Handlungen versehen werden. Die Worte, die in Bezug auf die emotionalen Prozesse des kindlichen Organismus von den Erwachsenen verwendet werden, ermöglichen damit eine intersubjektive Bezugnahme auf sensu-motorische Prozesse. Diese Prozesse werden so mit sprachlichen Ausdrücken und Bedeutungen verbunden. Am Ende dieses Lernprozesses gehört die Bedeutung zum sensu-motorischen Prozess dazu. Wie lässt sich das auf die Ausbildung von Emotionen, konkret so genannter Basisemotionen anwenden? Obgleich die Unterscheidung in basale und nichtbasale¹¹³ Emotionen hinsichtlich ihrer theoretischen Tragfähigkeit diskutabel ist, gibt es auch gute Gründe, an ihr festzuhalten. Einwände gegen die Annahme basaler emotionaler Prozesse bestehen etwa darin, dass eine Emotion bei einem
Davidson 2004, 186 – 210 hier 205 f. und 208 f., sowie 211– 229 hier 220 f. Nicht-basale Emotionen sind diejenigen, bei denen der dazugehörige Einschätzungsprozess nicht angeboren, sondern kulturell bedingt erworben ist.
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gesunden, erwachsenen Menschen in der Komplexität des alltäglichen Lebens sehr selten in basaler Form auftritt, weil sie kulturspezifisch ist. Denn selbst so genannte basale Emotionen wie Freude oder Angst, die allgemein allen Menschen universal zugeschrieben werden, sind kulturell und damit auch sprachlich geformt und gehen, sobald sie sprachlich geformt sind, mit höheren kognitiven Prozessen einher. Dennoch lassen sich basale emotionale Fähigkeiten ausmachen. Sie lassen sich als diejenigen emotionalen Prozesse bestimmen, die bis zu einem bestimmten Grad angeboren sind und sehr früh in der Phylogenese in allen uns bekannten Kulturen sowie bei einigen höheren Säugetieren/Primaten auftreten. Ausgelöst werden diese Emotionen durch angeborene Einschätzungsprozesse, die dann aber im Verlauf des Spracherwerbs semantisiert werden; denn wenn die bewusste Einschätzung mit einer bloßen Emotionsempfindung (sensational experience of an emotional state) einhergeht, ist sie (noch) nicht kulturell konzeptualisiert oder semantisiert.
4 Semantisierung von Emotionen 4.1 Angst als Angst empfinden lernen Ein Säugling ist noch nicht in der Lage, eine Angstreaktion als Angst beziehungsweise Furcht auszumachen. Um dazu in der Lage zu sein, muss er zuvor den Begriff der Angst lernen. Begriffe und Sprache erlernt man allerdings nicht für sich, sondern in der Gemeinschaft mit anderen, meistens den Eltern, Geschwistern, Onkeln, Tanten und Großeltern. Um einen Begriff für einen phänomenalen Vorgang zu erlernen, muss dieser zunächst als solcher identifiziert werden. Das gemeinsame Identifizieren ist bei phänomenalen Vorgängen allerdings in anderer Weise gegeben als bei Gegenständen, auf die sich Lernender und Lehrende in vergleichbarer Weise gemeinsam beziehen können. Wie die bloße Emotionsempfindung semantisiert wird, lässt sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen. Die Schreckreaktion eines Säuglings wird von den Bezugspersonen mit dem Begriff der Angst belegt: Ein Wort wird wiederholt geäußert, wenn eine bestimmte Empfindung auftritt; damit dieses Wort für das heranwachsende Kind zu einem Begriff werden kann, reicht es nicht, dass es eine Vokabel lernt, sondern es muss mit der Gebrauchsweise der Vokabel auch einige Verhaltensformen seiner Bezugspersonen und von sich selbst verbinden, um die Bedeutung des Wortes und damit des Begriffs ganz zu erfassen. So wird es etwa lernen, wann ihm die Emotionsempfindung zugestanden wird und wann nicht. Manchmal, wenn das Gesicht das Kindes schon ankündigt, dass es gleich weinen
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wird, wird die Bezugsperson etwa sagen: „Du musst doch keine Angst vor dem Eichhörnchen haben“. Bei Anwesenheit eines großen Hundes mag die Bezugsperson hingegen, je nachdem welches Verhältnis sie selbst zu Hunden hat, anders reagieren. In einem solchen Falle wird unter Umständen nicht nur dem Kind eine ausgeprägte Angstreaktion zugestanden, sondern der Erwachsene drückt sie mit Körperhaltung, Mimik und Prosodie vielleicht selbst aus. Das Kind wird dabei einen ganz bestimmten, spezifischen expressiven Gesichtsausdruck bei dem Anderen wahrnehmen und es wird nach den jeweils herrschenden kulturellen Gepflogenheiten getröstet und beschützt werden. Die Weisen der Emotionsregulation, die zum Erwerb des Begriffs einer Emotion dazu gehören, werden mit eingeübt. Das Wort „Angst“ wird so in Handlungs- und Situationszusammenhänge eingebettet und mit einer bestimmten Emotionsempfindung einhergehen. Das Kind erwirbt auf diese Weise den Begriff der Angst, zu dem eine spezifische Empfindung dazu gehört, und erst wenn das Wort „Angst“ auf diese Art und Weise eingeführt worden ist, lässt sich sagen, dass das Kind mit dem Begriff „Angst“ vertraut gemacht wurde und es die Bedeutung dieses Begriffes ganz versteht. Emotionsempfindung und Begriff lassen sich dann nicht mehr voneinander trennen; es gibt für das Kind, das den Begriff erworben hat, keine nicht semantisierte Körpersensation mehr. Das Kleinkind spürt den phänomenalen Vorgang, es empfindet ihn, während die Bezugspersonen die Erregung des Säuglings nicht spüren. Sie sehen und hören allerdings, dass sich der Säugling in einem solchen Zustand befindet, denn das Kleinkind hat einen dementsprechenden Gesichtsausdruck, eine entsprechende Körperhaltung, und gibt spezifische Geräusche von sich. Das ermöglicht es den Bezugspersonen auf den phänomenalen Vorgang, den sie nicht spüren, von dem sie wohl aber Anzeichen sehen und hören können, Bezug zu nehmen, obgleich sie das phänomenale Erleben des Säuglings nicht teilen. Das phänomenale Empfinden ist in diesem Fall eine Voraussetzung dafür, dass beispielsweise das Konzept der Angst überhaupt erlernt werden kann. Denn nur dadurch, dass es dieses Empfinden und den damit einhergehenden Ausdruck gibt, lässt sich etwas ausmachen, worauf sich Kleinkind und Bezugspersonen gemeinsam beziehen können. Da das Kind seine ängstliche Mimik oder seine eigene ängstliche Körperhaltung nicht sieht, muss es die Angstreaktion empfinden, um seine Aufmerksamkeit darauf richten zu können. Denn es hört höchstens sein eigenes ängstliches Schreien, was bei ihm wiederum noch mehr Angst hervorzurufen vermag, weil es etwa das Schreien noch gar nicht als eigenes identifizieren kann. Wären Emotionen und Empfindungen unbewusst und man hätte keinerlei Empfindung, könnte man auch nicht gemeinsam auf sie Bezug nehmen, um sie als jeweils spezifische zu identifizieren. Schon deshalb könnte ein Zombie, der le-
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diglich über unbewusst bleibende Angstrepräsentationen verfügte, die nicht empfunden werden, Angst als Konzept nicht vollständig erlernen. Es kann also nicht sein, dass Angst erst dadurch phänomenal bewusst wird, dass wir einen Begriff erwerben, der uns die emotionale Repräsentation erst (phänomenal bewusst) erfahren lässt, wie Dretske meint. Vielmehr ist ein bewusstes Empfinden eine Voraussetzung dafür, dass wir uns begrifflich darauf beziehen können; wodurch sich das Erleben selbst allerdings verändert. Um emotionale Zustände als solche identifizieren zu können (beispielsweise Angst als Angst), benötigt man jedoch Kriterien der Identifikation, die ein Lebewesen für sich allein nicht aufstellen kann. Dafür und für den damit verbundenen Begriffserwerb¹¹⁴ bedarf das Individuum anderer Individuen. Es muss aber daneben die Möglichkeit der Bezugnahme auf das geben, worauf die Kriterien der Identifikation angewendet werden. Diese Möglichkeit muss es sowohl für das Individuum, das lernt, seine emotionale Regung als Angst zu identifizieren als auch für diejenigen, die dies vermitteln, geben. Damit Angst als Angst empfunden werden kann, muss daher die Erregung von dem lernenden Individuum auch empfunden werden, sie kann kein unbewusster Vorgang sein, weil der Lernende ansonsten keine Möglichkeit der Bezugnahme auf diesen Zustand oder Prozess hätte. Um die Erregung aber als eine bestimmte einordnen zu können – unter einen Begriff bringen zu können – , muss auch der entsprechende Begriff erlernt werden. Dazu benötigt man zumindest zwei Individuen. Denn um einen Begriff für emotionale und andere phänomenale Vorgänge zu erwerben, müssen beide Individuen in der Lage sein, einen internen Vorgang, auf den sie sich beziehen, als ein und dasselbe „Objekt“ zu verstehen, auf das sie sich beziehen. Das Kind kann seine Angst also nicht allein dadurch als Angst identifizieren, weil es sie spürt, sondern auch, weil die Reaktionen der Bezugsperson eine gemeinsame Ausrichtung und damit eine Identifikation der Empfindung als Angst ermöglicht. Der so identifizierte Prozess erlangt seine Bedeutung somit in zahlreichen Situationen, die zum Erwerb eines Begriffs dazugehören und nicht allein aufgrund der physiologischen Reaktion. Wohlgemerkt aber auch aufgrund der physiologischen Reaktion, die die Bezugnahme/Referenz sogar erst ermöglicht. Die Triangulation betrifft im Falle von Emotionen keinen Gegenstand, auf den sich Bezugsperson und Kind gemeinsam beziehen, sondern Empfindungen im Falle des Kindes und Empfindungsausdrücke wie Mimik, Körperhaltung und
An dem folgenden Beispiel sollte deutlich werden, dass es hier darum geht, den Gebrauch eines Begriffs in Handlungs- und Situationszusammenhängen zu erlernen.
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Prosodie im Falle der Bezugsperson. Da das Kind sich selbst nicht sieht, benötigt es seine Empfindung, um ausmachen zu können, worauf die Bezugsperson sich bezieht. Und die Bezugsperson, die die Empfindungen des Kindes nicht spürt, benötigt den Empfindungsausdruck, um auf den emotionalen Zustand des Kindes schließen zu können. Diese nonverbalen Gegebenheiten sind also eine Voraussetzung dafür, dass Emotionen als etwas bezeichnet werden können, dass sie sich klar identifizieren lassen und ein Bedeutungszusammenhang entstehen kann. Es bedarf des Spürens auf der einen Seite und des Hören und Sehens auf der anderen, damit bei Empfindungen eine gemeinsame Referenz auf sie möglich ist. Dadurch wird der intersubjektive, öffentliche Kontext geschaffen, den die gemeinsame Referenz benötigt. Das bewusste Empfinden einer Angstreaktion ist etwas anderes als das bewusste Empfinden einer Angstreaktion als Angst, weil letzteres erfordert, dass man ein Konzept von Angst erworben hat. Ein solches Konzept ist sowohl kulturell geprägt als auch durch die jeweiligen, individuell unterschiedlichen Situationen, in denen es erworben wurde, womit dann auch individuell verschiedene Assoziationen und Bedeutungen verbunden sind. Dabei gilt es zu beachten, dass ein Begriff wie der der Angst, wenn er erworben wurde, in seiner erlernten Bedeutung nicht mehr von den Körpervorgängen zu trennen ist, in Bezug auf welche er erworben wurde. Das Empfinden oder Fühlen lässt sich nach dem Begriffserwerb von den Aspekten der Bedeutung, die mit dem Begriff einhergehen, nicht mehr trennen und ist damit nicht nur in phänomenaler Hinsicht sehr viel mehr als eine Repräsentation. Zu der Bedeutung des Begriffs gehören auch Handlungen, soziale Interaktionen, kulturelle Gewohnheiten et cetera. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung, nach welcher Bedeutung nicht durch die Sache, die bezeichnet wird, festgelegt wird, sondern durch den Gebrauch der Worte, hat sich weitgehend durchgesetzt und kann in vorliegendem Zusammenhang helfen, die Mängel einer Repräsentationstheorie der Emotionen aufzuzeigen. Denn phänomenales Erleben geht nicht lediglich mit sensorischen Reaktionen einher und es ist auch nicht nur ein Input für kognitive Systeme, die aufgrund der Information Handlungsalternativen auswählen können, vielmehr ist das phänomenale Erleben seinerseits durch die Konzepte, mit Hilfe derer es identifiziert wird, geprägt. Emotionen können also nur deshalb eine spezifische Bedeutung für uns erhalten, weil wir uns gemeinsam auf sie beziehen können. Da das Moment der Empfindung jedoch Teil der Referenzbeziehung ist, wird es auch Teil der Bedeutung des Begriffes für die jeweilige Emotion. Die bloße spezifische Empfindung gibt die Bedeutung der Empfindung jedenfalls noch nicht vor, ebenso wenig wie ein Haus oder Baum die Bedeutung der Begriffe „Haus“ oder „Baum“ schon
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vorgeben. Eine Auffassung, die Letzteres annimmt, hatten wir am Beispiel von Damasios Sprachvorstellung bereits kritisiert. Es ist schon kurz darauf hingewiesen worden, dass die immer komplexer werdende Kommunikation über die emotionalen Befindlichkeiten des Kindes, die dazu führt, dass das Kind seine eigenen Empfindungen nicht nur zu benennen, sondern allererst zu identifizieren lernt und damit ihre Bedeutung erfährt, entscheidend dazu beiträgt, dass es nicht nur den Anderen als einen intentionalen Akteur begreifen lernt, sondern auch sich selbst. Zur Selbstbewusstwerdung gehören mithin sowohl die eigene Emotionalität als auch die der Bezugspersonen ebenso wie die Identifizierung und Konzeptualisierung der Emotionen, an der die Einbettung in Handlungszusammenhänge und das Erkennen der den emotionalen Prozessen inhärenten Absichten beteiligt sind. Dabei sei schon jetzt darauf hingewiesen, was erst im folgenden Kapitel ausführlich erörtert wird, nämlich dass Fragen der Semantisierung nicht von denen der Intentionalität von Emotionen zu trennen sind. Das Kleinkind wird durch die Bezugnahme der anderen nicht nur lernen, seine emotionalen Reaktionen mit Hilfe der Anderen als solche zu identifizieren, sondern auch, dass die Anderen ihre Aufmerksamkeit auf es als Individuum beziehen, so lernt das Kleinkind sich so nach und nach selbst als Individuum verstehen lernen, das emotionale Prozesse als seine, also ihm zughörige Prozesse erlebt. Das Erleben als eigenes kommt also nicht nur dadurch zustande, dass ein System von Repräsentationen Metarepräsentationen vornimmt, die dann mit Phänomenalität einhergehen und deshalb als eigen erlebt werden, sondern setzt voraus, dass das Erleben als Individuum in einem sozialen Verband erlernt wird. Nun mag man zu bedenken geben, dass auch die begriffliche Bezugnahme eine Form der Repräsentation ist und diese Ausführungen daher in eine Repräsentationstheorie möglicher Weise integrierbar wären. Mit einem solchen Hinweis wird allerdings zum einen deutlich, dass der Repräsentationsbegriff in den jeweiligen Fällen in der Fachliteratur nicht näher bestimmt ist. Zum anderen aber, und das wiegt im vorliegenden Fall schwerer, soll eine Emotion im Sinne der Repräsentationstheorie selbst eine sensorische Repräsentation sein, während sie auf der begrifflichen Ebene, wenn sie „unter einen Begriff fällt“ Teil einer MetaRepräsentation ist. Auf der phänomenologischen Ebene ist es hingegen so, dass die Emotion all diese Aspekte in einem emotionalen Vorgang vereint. Sie ist als qualitativer Vorgang zugleich Information, Einschätzung und Bezugnahme, die für denjenigen, der sie empfindet, etwas bedeutet.¹¹⁵ Christof Koch bezieht diesen
Vergleiche: Koch 2004, 242. Dass man auch Emotionen, sowohl die eigenen als auch die fremden, selbst wenn sie universalen biologischen Mechanismen entsprechen, in einem ge-
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einheitlichen Erlebnischarakter nicht nur auf Emotionen, sondern auf Qualia insgesamt. Für ihn vereinigen Qualia und Emotionen verborgene Informationen zu einem verdichteten Phänomen und machen es so möglich, mit komplexen Informationen und Situationen umzugehen und auf sie in einer beschränkten Zeitspanne zu reagieren. Da die sensorischen, biologischen Vorgänge in phänomenaler Hinsicht nicht von dem Bedeutungskontext, der sie mitbestimmt, zu trennen sind, haben wir auf das „ursprüngliche“, nicht semantisierte sensorische Empfinden eines Säuglings bei einer Angstreaktion keinen phänomenalen Zugang mehr; uns ist stets das gesamte semantisierte Phänomen zugegen und nicht nur das physiologische Geschehen. Intentionale Zustände und damit auch Emotionen sind also wesentlich begrifflich bestimmt. Dass wir auf viele nicht begrifflich bestimmte Intentionen keinen Zugriff mehr haben, bedeutet aber nicht, dass es diese nicht gibt. Denn auch die gerichtete Aufmerksamkeit von Säuglingen ist ein intentionaler Zustand. Es handelt sich bei diesen Formen der Intentionalität, um eine rudimentäre, biologische (Vor‐)Form von Intentionalität. Bei ihr ist die Richtung nicht durch Erfüllungsbedingungen und interne Relationen charakterisiert, vielmehr handelt sich hier um eine verhaltensbedingte Form der Intentionalität, die entweder durch ein äußeres Ereignis in der Welt verursacht ist oder von einem Artgenossen im Umgang miteinander hervorgerufen wird. Diese Form der Intentionalität ist diejenige, welche die Repräsentationstheorien in erster Linie berücksichtigen. Dass diese Beschränkung hinsichtlich phänomenaler, qualitativer Vorgänge wie menschlichen Emotionen nicht aufrecht zu erhalten ist, mag bereits nach den bisherigen Überlegungen überzeugen, wird aber auch im folgenden Kapitel weiter vertieft werden.
4.2 Die Empfindung als eigene und die Rolle der Sprache Nun wurde in den Erörterungen zur Intentionalität von Emotionen schon deutlich, in welcher Weise sprachliche Strukturen auch zum phänomenalen emotionalen Erleben beitragen. Und es wurde auch dargelegt, dass es zur Identifikation von Empfindungen durch das empfindende Individuum nicht ausreicht, dass dieses
wissen Umfang zu identifizieren lernen muss und damit auch ein Stück weit lernen muss, sie zu verstehen, sieht Koch nicht. Der Appellations- und Informationsgehalt von emotionalen Ausdrücken ist daher auch bei universal angelegten Emotionen kulturell unterschiedlich geprägt.
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Empfindungen hat, sondern dass diese auch geäußert werden müssen.¹¹⁶ Aber auch wenn die Empfindungsäußerung vorliegt und die Empfindung selbst auch, weist Ludwig Wittgenstein zu recht darauf hin, dass man für diese Empfindung dann nicht einfach nur ein Wort angibt; denn: Wenn man sagt „Er hat der Empfindung einen Namen gegeben“, vergißt man, daß schon viel in der Sprache vorbereitet sein muß, damit das bloße Benennen einen Sinn hat. Und wenn wir davon reden, daß Einer dem Schmerz einen Namen gibt, so ist die Grammatik des Wortes „Schmerz“ hier das Vorbereitete; sie zeigt den Posten an, an den das neue Wort gestellt wird.¹¹⁷
Zu erläutern, was es heißen kann, dass phänomenales Empfinden oder Erleben „unter einen Begriff fällt“, setzt also einige grundlegende sprachphilosophische Überlegungen voraus. Abschließend soll noch die Frage erörtert werden, ob sich emotionale Regungen ohne eine sprachliche Formung oder Semantisierung überhaupt als eigene, das heißt als die jeweils meinigen Emotionen ausmachen lassen, oder ob sie nur objektiv über Beobachtung und Messungen zugänglich sind, nicht aber subjektiv, weil ohne Sprache das Ich, das ich jetzt bin, nicht vorhanden wäre. Bisher ist nur gezeigt worden, dass das phänomenale Empfinden eine Voraussetzung dafür ist, dass ein Lebewesen sich gemeinsam mit anderen auf eine Emotion als etwas Identifizierbares beziehen kann. Es wurde noch nicht ausgeführt, dass diese so identifizierte Angst oder Freude als eigene Angst oder Freude beziehungsweise als meine Angst oder Freude empfunden würde. Zwar scheint es nahe liegend zu sein, dass ein Lebewesen, das etwas sensoriell wahrnimmt, dies auch auf sich selbst bezieht, – denn auf wen oder was sollte es dies sonst beziehen? –, aber das setzt wiederum voraus, dass diese Instanz als Selbst identifiziert wurde und dass damit einhergehend eine Form des Selbstgewahrseins beziehungsweise ein Form des phänomenalen Selbstbewusstseins vorliegt. Um ein phänomenales Fühlen oder Empfinden als eigenes wahrzunehmen, ist es also auch eine Voraussetzung, dass das Lebewesen sich auf sich selbst beziehen kann. Es reicht nicht aus, dass der Organismus sich als Einheit wahrnimmt, um eine Empfindung oder Emotion als die seine wahrzunehmen, dies ist vielmehr nur eine der Voraussetzungen dafür. Demnach müssen zwei Vor-
Auch dazu schon Wittgenstein: „Wie wäre es, wenn die Menschen ihre Schmerzen nicht äußerten (nicht stöhnten, das Gesicht nicht verzögen, et cetera)? Dann könnte man einem Kind nicht den Gebrauch des Wortes ‚Zahnschmerzen‘ beibringen.“ Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 257, S. 144. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 257, S. 144.
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aussetzungen gegeben sein, damit ein Lebewesen nicht nur Empfindung hat, sondern diese als seine eigene Empfindung erlebt und damit sich selbst als in einem bestimmten qualitativen Zustand befindlich: Es muss zum einen gelernt haben, qualitative Zustände mit Hilfe von anderen als solche zu identifizieren und es muss zum anderen über Selbstgewahrsein beziehungsweise phänomenales Selbstbewusstsein verfügen. Nun lassen sich einige gute Gründe dafür anführen, dass diese beiden Erfordernisse (Identifikation der phänomenalen Empfindungen und Selbstgewahrsein) nicht unabhängig voneinander sind. So wurde bereits angedeutet, dass man lernen muss, sich auf sich selbst mit Hilfe anderer zu beziehen, um phänomenales Selbstbewusstsein zu entwickeln. Da man sich aber nicht als einen Gegenstand wahrnimmt, auf den man sich mit anderen bezieht, wie man sich auf einen Stuhl oder einen Tisch bezieht, muss man sich spüren, damit etwas da ist, auf das man sich gemeinsam mit anderen beziehen kann. Dieses Spüren oder Empfinden ist eine der Voraussetzungen für die Entwicklung von phänomenalem Selbstbewusstsein, welches bei Damasio Kernselbst genannt wird. Nun wurde das Modell für das Entstehen dieses Kernselbst bei Damasio bereits ausführlich kritisiert. Zudem wurde erläutert, warum auch der Säugling, dessen Emotionen in triangularischen Situationen semantisiert werden, seine Empfindungen und Emotionen als die seines lebendigen Körpers erfahren haben muss, was nichts anderes heißt, als dass er ein rudimentäres phänomenales Bewusstsein haben muss. Für ein solches rudimentäres phänomenales Bewusstsein ist im vorangegangenen Kapitel ein aristotelisches Modell vorgestellt worden, das es nicht nur nicht erforderlich macht, auf nicht haltbare Sprachkonzeptionen zurückzugreifen, sondern es darüber hinaus ermöglicht, dass einzelne Wahrnehmungen auf eine Einheit bezogen werden. Diese Einheit schält sich heraus, wenn sich etwa die Funktion von Wahrnehmungen als Funktion für das Lebewesen erweist.Wir haben sie als eine basale empfindungsbasierte Form von Selbstgewahrsein ausgemacht, die es ermöglicht, dass man sich als empfindend wahrnimmt und nicht nur empfindet. Dieses Modell erlaubt es auch zu verstehen, inwiefern Bewusstsein auf etwas gerichtet sein kann und dennoch in qualitativer Weise den jeweiligen mentalen Zuständen, also auch Emotionen, intrinsisch zugehört. Denn diese Zustände werden nicht erst dadurch bewusst, dass ein Zustand höherer Ordnung sich auf sie richtet oder sie „unter einen Begriff fallen“ – sie sind insofern schon vorher bewusst, als es sich um Empfindungen handelt. Dafür, dass wir sie als etwas ganz Bestimmtes erleben, müssen wir allerdings mit Hilfe Anderer Begriffe für sie erwerben, was es uns ermöglicht, uns selbst als Erlebende und damit bewusst zu erleben und die Emotionen mit spezifischen Bedeutungen zu verbinden. Das re-
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flexive Bewusstsein als eine rudimentäre Form des phänomenalen Bewusstseins ist die Grundlage, um durch Spracherwerb, welcher soziale Interaktionen und gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit voraussetzt, zu einer weiter entwickelten Form des phänomenalen Selbstbewusstseins zu gelangen.¹¹⁸
4.3 Der Andere als Spiegel der eigenen Emotionalität Die Frage nach dem Wesen des menschlichen Bewusstseins beziehungsweise nach seiner Natur stellt auch Wolfgang Prinz. Er erörtert eine konstruktivistische Sicht des Bewusstseins, nach welcher das menschliche Bewusstsein ein Artefakt ist, das der Mensch selbst hervorbringt. Prinz versucht die Vorstellung eines konstruierten Selbst mit dem Instrumentarium der Kognitionswissenschaften zu verbinden, die auf der einen Seite vom Individuum und auf der anderen von repräsentationstheoretischen Annahmen ausgehen. Dass das Selbst quasi wie ein Organ des Körpers unabhängig von Sozialisation, Spracherwerb und Kulturalisation zur naturgegebenen Ausstattung des Menschen gehören könnte, – eine Position, die er „Selbst-Naturalismus“ nennt – verwirft er dabei von Beginn an.¹¹⁹ Von einer solchen Organ-Annahme geht er überzeugender Weise gar nicht erst aus, sondern entfaltet ein Szenario der Selbst-Werdung vor dem Hintergrund der Frage, wie das mentale Ich in sozialen Lernprozessen zustande kommt: Diese Frage führt zu kollektiven Diskursen und Praktiken im Dienste der Konstitution von Subjektivität. Darunter verstehe ich zum einen kulturell genormte Diskurse über Subjektivität und Bewusstsein, welche die Sozialisation von Individuen steuern und ihnen eine mentale Struktur zuschreiben, in deren Zentrum ein autonom gedachtes mentales Ich oder Selbst steht. Zum andren verstehe ich darunter Praktiken der wechselseitigen Spiegelung von Handlungen und Emotionen, die zum Aufbau des mentalen Ich beitragen. Attributionsdiskurse setzen natürliche Sprache voraus, Spiegelpraktiken dagegen nicht.¹²⁰
Dieses Zitat ist in vorliegendem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil in ihm zwei unterschiedliche Konstitutionsquellen für Bewusstsein oder Subjektivität ausgemacht werden, die hier zunächst in ein „genetisches“ Abhängigkeitsverhältnis gesetzt worden sind: auf der einen Seite eine natürliche Quelle, nämlich
Vorsichtshalber sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man damit noch nicht auf der Stufe eines autonomen Subjektes angekommen ist, das bei Philosophen wie Immanuel Kant oder Gottfried Wilhelm Hegel, also den Vätern der Philosophie des Bewusstseins, systematisch analysiert wird. Vergleiche hierzu: Prinz 2008, 63 – 82 hier 72. Prinz 2008, 76.
4 Semantisierung von Emotionen
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die der Spiegelungen und auf der anderen eine soziale und damit kulturell geprägte. Diese beiden Konstitutionsquellen für Subjektivität oder Bewusstsein sind auch die beiden Formierungsquellen für ausgeprägte emotionale Prozesse beim Menschen. Und letztere sind wiederum für die Konstitution von Bewusstsein erforderlich. Bei den Spiegelpraktiken führt Prinz auch explizit Emotionen an, welche dadurch wie selbstverständlich in einem sozialen Kontext zu verstehen sind. Zwar gehen zumindest einige der Spiegelpraktiken auf angeborene Mechanismen des Ausdrucks, der Kommunikation und des Verstehens zurück, aber es handelt sich hier noch nicht in einem vollumfänglichen Sinne um Verstehen und Kommunikation. Denn führt man sich etwa einen Säugling vor Augen, der mit seinen Bezugspersonen durch Lächeln und Weinen kommuniziert und auch auf das Lächeln und Drohen seiner Bezugspersonen reagiert, liegt die Frage nahe, ob diese Reaktion bereits ein Verstehen einschließt. Zunächst stellen emotionale Reaktionen bei Neugeborenen nämlich nur sehr undifferenzierte negative oder positive Reaktionen dar, die nicht auf ein spezielles Objekt gerichtet sind. So ist es vielmehr Aufgabe der Bezugspersonen das Ausdrucksverhalten zu deuten, zu interpretieren und zu verstehen und die Quellen des Unbehagens zu beseitigen oder die der Freude zu prolongieren.¹²¹ Bei den Positiv- Negativreaktionen auf das Verhalten der umgebenen Bezugspersonen handelt es sich daher nicht um Verstehen, sondern um bewertende Reaktionen durch den Organismus. Das Spiegelszenario wird auch in einem Zitat von Adam Smith herausgestellt, in dem es so klingt, als reiche das Spiegeln der Emotionen in Anderen auch dafür aus, Emotionen als eigene identifizieren zu lernen: All das sind Gegenstände, die er nicht ohne Umstände sehen kann, die er normalerweise nicht anschaut, und für die er keinen Spiegel hat. Dieser Spiegel ist im Gesichtsausdruck und dem Verhalten derer enthalten, mit denen er lebt, (…); und hier erblickt er zum ersten Mal die Angemessenheit und Unangemessenheit seiner eigenen Leidenschaften, die Schönheit und Missgestalt seines eigenen Geistes.¹²²
Wir haben im Zusammenhang mit der Semantisierung von Emotionen bereits festgestellt, dass das Kleinkind seinen eigenen emotionalen Ausdruck nicht sieht,
Holodynski und Friedlmeier 2006, 102. Übersetzung von: „All these are objects which he cannot easily see, which naturally he does not look at, and with regard to which he is not provided with (a) mirror. (That mirror) is placed in the countenance and behaviour of those he lives with (…); and it is here he first views the propriety and impropriety of his own passions, the beauty and deformity of his own mind.“ Adam Smith, The Theory of Moral Sentiment, in: Raphael und Macfie 1976, 110.
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II Sprache und Gefühl
sondern nur sein Gegenüber ihn sehen kann. Es wurde herausgearbeitet, dass dennoch beide gemeinsam darauf Bezug nehmen können, weil das Kleinkind die Emotion spürt, und dass es auf diese Weise lernt, seine Emotionen als solche zu identifizieren und als eigene zu erleben. Aber insofern es sich um einen angeborenen Reaktionsmechanismus handelt, spürt es die Emotion als eine Reaktion auf eine Situation auch in unspezifischerer Weise, bevor es den Identifizierungsprozess durchlaufen hat, der im wesentlichen ein sprachlicher ist. Mit dem Zitat von Adam Smith wird auf eine nicht-sprachliche Form des Identifizierens und Deutens der eigenen Emotionen hingewiesen: Der Säugling sieht seinen eigenen Emotionsausdruck nicht, lernt ihn aber durch den Ausdruck des Anderen kennen (oder verstehen), der diesen quasi widerspiegelt. Man muss hinzufügen, dass der Säugling auf diese Weise auch lernt, seine eigenen Emotionen zu identifizieren und mit Hilfe des Anderen auch lernt, diese zu regulieren. Dazu ist zweierlei anzumerken. Zum einen gehen emotionale Situationen, die sich zwischen Bezugsperson und Säugling abspielen, so gut wie immer mit sprachlichen Äußerungen der Bezugsperson einher. Und zum anderen sind der Gesichtsausdruck und die Gestik der Bezugsperson nicht unbedingt ein Spiegelbild des kindlichen Ausdrucks. Auf einen Angstausdruck des Säuglings mag die Bezugsperson mit einem der Sorge reagieren, auf einen der Freude mit dem der Erleichterung oder gegebenenfalls eben auch mit einem der Freude. Im Falle von Emotionen kann man daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass man es mit einem reinen Spiegelprozess zu tun hat, welcher daher auch nicht die natürliche Quelle für das Entstehen des Selbstbewusstseins sein kann. Es ist aber wahrscheinlich, dass er an dem Entstehungsprozess einen Anteil hat.
4.4 Narrativer Ansatz Das bis hierher vorgestellte Modell einer Semantisierung von Emotionen weist in einigen Punkten eine große Nähe zu den so genannten narrativen Emotionstheorien auf. Wie bei diesen wird auch bei der Semantisierung der Emotionen davon ausgegangen, dass Sprachlernsituationen eine maßgebliche Rolle dabei spielen, wie emotionale Situationen bewertet werden, was welche Emotion auslöst, et cetera.¹²³ Zudem spielen auch bei narrativen Ansätzen intersubjektive oder
„(…) That someone so brought up has a complete grasp of both sorts of concept: of the emotion-invoking determinable property—dangerousness; and of the emotion—fear.“ Goldie 2002b, 31.
4 Semantisierung von Emotionen
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öffentliche Situationen, in denen ganz kleine Kinder bereits als emotionale und kognitive Wesen sozialisiert werden, eine zentrale Rolle.¹²⁴ Ein Narrativ wird dabei als etwas bestimmt, was zumindest zwei Ereignisse so darstellt, dass sie durch eine mehr oder weniger lose, nicht-logische oder kausale Relation verbunden sind und eine zeitliche Dimension involviert ist.¹²⁵ Als exemplarische Narrative werden dabei in der jüngsten Zeit gerne solche aus Märchen angeführt, mit Hilfe derer Kindern etwa beigebracht wird, was gefährlich werden könnte und auch wie sie Gefahr erkennen können. Mit dem Rückgriff auf Märchen soll dreierlei erreicht werden. Zum einen wird damit auf Lernsituationen Bezug genommen,¹²⁶ zum anderen werden damit Narrative verwendet, die keine logischen oder kausal verursachten Relationen herstellen oder unterstellen, und drittens wird damit dem Einwand entgangen, dass der narrative Ansatz vornehmlich einer wäre, der den Roman als Großnarrativ der education sentimental verabsolutieren würde, womit man übersähe, dass es lange vor solchen literarischen Auffächerungen des Gefühlsleben im 18. und 19. Jahrhundert bereits ein solches gab. Märchen sind ja sehr viel älter als der europäische Roman und kommen in allen Kulturen vor, so dass man, indem man auf sie zurückgreift, diese Entgegnung entkräftet. Der maßgebliche Unterschied zu dem hier vertretenen Ansatz ist darin zu sehen, dass Emotionen von den Anhängern narrativer Konzeptionen ausschließlich oder zumindest vorwiegend als narrative Konzepte verstanden werden. Ein wie auch immer gearteter Bezug auf Basisemotionen wird in einem narrativen Theorieansatz daher abgelehnt. Peter Goldie, der die elaborierteste narrative Theorie der Emotionen vorgelegt hat, nennt solche Emotionstheorien, die das aus der Biologe stammende Konzept der Basisemotionen akzeptieren, um dann zu erläutern, inwiefern diese kulturell geformt werden, eine Avocado-SteinKonzeption (avocado pear conception). Diese ist ihm suspekt, weil er die Vorstellung, dass es einen biologisch „fest verdrahteten“ Mechanismus gibt, der den natürlichen Kern von Emotionen bildet, um den herum dann kulturelle, „weiche“ So nehmen etwa auch Gallagher und Hutto (2008) auf Situationen geteilter Aufmerksamkeit Bezug, um zu erläutern wie es dazu kommt, dass wir andere in ihrem Tun und Empfinden verstehen, auch wenn wir uns nicht kognitiv in sie hineinversetzen und noch keine als-obSzenarien entwerfen. Lamarque 2004, 393 – 408 hier 394. Vielfach wird der Anwendungsbereich dafür, was Narrative leisten sehr weit ausgedehnt: „An education in narratives (…) provides knowledge of what actions are acceptable and in what circumstances, what sort of events are important and noteworthy, what accounts can account for action, and what kind of explanation constitute the giving of good reasons. (…) Through them we learn the norms associated with social roles that pervade our everyday environments – shops, restaurants, homes and theatres.“ Gallagher und Hutto (2008).
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II Sprache und Gefühl
Ablagerungen haften, vehement ablehnt.¹²⁷ Emotionale Erfahrungen werden vielmehr als narrative Strukturen verstanden, die Gedanken, Empfindungen, Körperveränderungen und Körperausdruck als Teile einer strukturierten Episode zu einer emotionalen Erfahrung verbinden.¹²⁸ Basisemotionen oder, allgemeiner ausgedrückt, biologische Grundlagen von emotionalem Empfinden und Ausdruck so rundherum abzulehnen, hat den Nachteil, Ergebnisse einer gut etablierte Forschungstradition, die auf die Universalität in Emotionsausdruck, Emotionsempfinden und Emotionsverstehen abhebt, ignorieren oder negieren zu müssen. Gemeint ist hier die an Charles Darwins Werk Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und den Tieren anschließende Arbeit von Paul Ekman und seinen Schülern. Die Resultate dieser Forschung legen es nahe, dass gewisse Verdrahtungen von Emotionsausdruck, Emotionsempfinden und Emotionsverstehen tatsächlich angeboren sind, auch wenn man es hier mit nur ganz groben Mustern des Ausdrucks in einer Handvoll Fällen zu tun hat, von der man nicht unbedingt auf die Universalität des genau gleichen Empfindens schließen kann. Robert Levenson ein Schüler aus der Gruppe um Paul Ekman, der im Sinne Darwins weitergeforscht hat, hat in dieser Tradition Experimente angestellt, die testen, ob wir uns freudiger fühlen, wenn wir willkürlich lächeln, und er hat diese These bestätigt gefunden. Demnach fühlen wir uns also besser, wenn wir ein Lächelgesicht nur aufsetzen, oder wir lächeln unwillkürlich, wenn wir gegenüber einer Person am Telefon, die uns gar nicht sieht, freundlich im Tonfall erscheinen wollen. Bei Darwin heißt es dazu: Die meisten unserer Gemütsbewegungen sind so innig mit ihren Ausdrucksformen verbunden, daß sie kaum existieren, wenn der Körper passiv bleibt – es hängt nämlich die Natur der Ausdrucksform zum hauptsächlichsten Teile von der Natur der Handlungen ab, welche unter diesen besonderen Seelenzuständen gewohnheitsmäßig ausgeführt worden sind.¹²⁹
Auch wenn man diese Forschungstradition aus Gründen, die nun hinlänglich erläutert sein dürften, auch nicht als eine umfassende Erklärung dessen, was Emotionen sind und als Nachweis dessen, dass es angeboren ist, was wir fühlen, ansehen kann, ist es doch auch schwerverständlich,wenn man diese Ergebnisse in weiter gefasste Emotionstheorien, die die kulturellen und sozialen Aspekte aufgreifen, nicht aufnehmen können soll. Umkehrt erlauben es rein biologische Theorien nicht, in den Blick zu bekommen, dass Menschen ein Gefühlsleben haben, das nicht aus der Addition einzelner emotionaler Episoden besteht, und sie
Goldie 2002b, 6 – 7. Goldie 2002b, 4– 5. Darwin, Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und den Tieren, 263.
5 Semantisierung von Wahrnehmung
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erlauben es auch nicht, die Semantisierung und damit die kulturelle Formung von Emotionen zu verstehen.
5 Semantisierung von Wahrnehmung Lässt sich das trianguläre Modell des Spracherwerbs außer auf Emotionen auch auf Wahrnehmungsvorgänge wie Sehen, Hören, Riechen oder Tasten anwenden, um verstehen zu lernen, dass wir es sind, die etwas hören, sehen, riechen und nicht nur hören, sehen, riechen, sondern uns auch als hörend, sehend, riechend erleben? Die Schwierigkeit für einen solchen Ansatz ist, dass Sehen, Hören, Riechen et cetera nicht schon an sich phänomenal gespürt werden, sondern lediglich das, was gesehen, gehört oder gerochen wird, phänomenal wahrgenommen wird. Den Seh- oder Hörvorgang selbst spüren wir nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass es für die Wahrnehmungsvorgänge keine so offensichtlichen Ausdrücke des Sehens, Hörens oder Riechens gibt, wie es etwa Weinen oder Lachen als Zeichen der Trauer oder der Freude sind. Diese beiden Faktoren machen es schwer, das Triangulationsmodell, das hier herangezogen wurde, um zu erklären, wie es dazu kommt, dass Emotionen bewusst erlebt werden, auch als Modell für das Bewusstsein unseres Wahrnehmens zu verwenden. Denn um das zu tun, müssten wir uns gemeinsam mit anderen auf diese Vorgänge ausrichten können. Auf der Suche nach einer theoretischen Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, scheint es, anders als im Fall der so genannten Basisemotionen, so zu sein, als ließe sich das Ausrichten der Bezugsperson auf den zu identifizierenden Vorgang leichter erklären, als die Ausrichtung derjenigen, die wahrnehmen und auf deren Wahrnehmungsvorgänge man sich gemeinsam ausrichten soll. Denn Wahrnehmungsvorgänge zeigen sich sowohl im Verhalten als auch zumindest in undeutlicher Form im Ausdruck. Auf das Naserümpfen eines Anderen, das Ohren-Zuhalten oder das Schließen der Augen lässt sich Bezug nehmen. Dem lässt sich zumindest entnehmen, dass der Andere, der die Nase rümpft, etwas Auffälliges riecht – also dabei ist zu riechen –etwas hört, was er nicht hören möchte – also dabei war zu hören –, oder nichts mehr sehen möchte – also dabei war zu sehen. Für denjenigen, der beispielsweise lernen soll, dass das was er gerade tut, Riechen ist, ist es schwieriger. Wie im Falle des Emotionsausdrucks kann der Lernende sich auch hier nicht sehen. Er kann also nicht von Außen beobachten, dass er die Nase rümpft, sich die Ohren zuhält, oder die Augen schließt.Wohl aber kann er spüren, dass er die Nase rümpft, sich die Ohren zuhält, oder die Augen schließt. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass er spürt, dass er riecht, hört oder sieht.Wie kommt es dann aber dazu, dass man eine Frage wie „Riechst Du das
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II Sprache und Gefühl
auch?“ als eine versteht, die sich auf den Wahrnehmungsvorgang des Riechens bezieht, obgleich man den Vorgang des Riechens nicht spürt und weder das Riechen, noch der Geruch ein Gegenstand sind? Im Deutschen sagt man etwa: „Hier im Zimmer riecht es schlecht.“ Oder auch: „Es ist der Käse, der so riecht. Riechst Du ihn auch?“ Von Bedeutung ist also, wie sich an solchen Beispielen zeigt, dass es einen Ort für die Ursache des Wahrnehmungsvorganges gibt, auf die man die Aufmerksamkeit richten kann. Der Wahrnehmungsvorgang selbst, der bewusst oder unbewusst vonstatten gehen kann, kann hingegen eine wahrnehmende Tätigkeit sein oder nicht und je nachdem, ob es sich um eine wahrnehmende Tätigkeit handelt oder nicht, ist es ein bewusster oder ein unbewusster Vorgang. Dieser Ansatz ist als eine aristotelische Lösung der Problemstellung bereits im vorangegangenen Kapitel vorgestellt worden. Nun geht es darum, zu klären, wie es dazu kommt, dass wir etwas als wahrnehmende Tätigkeit begreifen lernen. Um Wahrnehmungsvorgänge als solche bemerken zu können, ist es von Vorteil, dass wir unsere Augen schließen, unsere Ohren oder Nase zuhalten und unsere Hand wegziehen können. Indem wir damit beispielsweise spielend, also versuchsweise umgehen, erfahren wir, dass etwa Sehen nicht nur ein verursachter Vorgang oder eine Reaktion auf eine Ursache ist, sondern etwas, mittels dessen wir tätig sein können, weil wir es etwa tun oder unterlassen können (indem wir die Augen schließen) und uns so in ein aktives Verhältnis dazu begeben können. Versuchen wir nun Wahrnehmungsvorgänge in ein Triangulationsverhältnis einzuordnen, um zu erklären, wie wir Wahrnehmungsvorgänge als wahrnehmende Tätigkeiten begreifen lernen und sie dadurch auch bewusst erleben können. Die Personen, von denen wir lernen, Wahrnehmungsvorgänge als solche zu benennen und sie dadurch auch als solche zu identifizieren, können sich auf diese beziehen, weil sie in unserem Verhalten oder in leisen Andeutungen auch in unserer Mimik ablesen, dass wir etwas riechen, sehen oder hören. Sie beziehen sich mit anderen Worten auf unseren Ausdruck und unser Verhalten, wenn sie sich auf unsere Wahrnehmungsvorgänge beziehen. Diejenigen, die wahrnehmen, können sich, da sie sich nicht von außen betrachten, hingegen nicht auf diesen Ausdruck von außen beziehen. Sie sind auf eine Form der Innenperspektive angewiesen, die in diesem Fall keine direkt phänomenale sein kann, weil wir das Sehen, Hören, Riechen et cetera nicht spüren. Wohl aber bemerken wir, dass wir die Augen zumachen, uns die Ohren oder die Nase zuhalten und dadurch ein Vorgang unterbrochen wird. Dadurch und dadurch, dass sich von außen jemand darauf bezieht (zum Beispiel mit den Worten: „Jetzt mach doch nicht die Augen zu, Du siehst doch sonst gar nicht mehr, wohin Du läufst!“), lernen wir ihn als einen Vorgang zu begreifen, weil wir uns in ein tätiges Verhältnis zu ihm setzen können.
III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele Einführung Worte wie „ich“, „jetzt“ oder „hier“ sind in der Sprachphilosophie und der Linguistik seit jeher von besonderem Interesse. Sie begleiten uns, wo und wann immer wir sind, solange wir der Sprache mächtig sind.Wie aber können wir solche Begriffe erlernen, da es doch nichts in der Welt gibt, was ein „hier“ oder gar „jetzt“ ist? Diese Frage berührt das Zusammenspiel von sprachlichen Strukturen und phänomenalem Empfinden und geht mithin über Fragen der Sprachphilosophie hinaus. Das Verhältnis von sprachlichen Strukturen und phänomenalem Empfinden ist aber nicht nur beim Erlernen von sogenannten Indexikalen wie „ich“ oder „hier“ relevant, sondern auch bei einer Form von Gerichtetheit, die mit dem Stichwort der emotionalen Intentionalität beschrieben wird. Beide Debatten zeigen, dass Fragestellungen und Theorieansätze der Philosophie des Geistes und der Sprache zusammen gedacht werden müssen. Es werden in diesem Kapitel also die in Kapitel zwei bereits begonnenen Überlegungen weiter verfolgt, für deren Beantwortung sprachphilosophische Theorieansätze und solche aus der Philosophie des Geistes gleichermaßen zu berücksichtigen sind. Diesmal werden allerdings ausschließlich genuin philosophische Fragestellungen und Antworten erörtert. Die Verbindung sprachlogischer Strukturen mit Formen natürlicher Gerichtetheit ermöglicht es erst, das evaluative Moment von Emotionen im Kontext von Bedeutung oder Bedeutsamkeit zu verstehen. Es geht mithin auch darum zu erklären, inwiefern Emotionen beim Menschen etwas anderes sein können als kausal verursachte automatisch ablaufende Reaktionen. Wieso ist Angst beziehungsweise Furcht beim Menschen nicht einfach eine Reaktion auf eine gefährliche Situation, sondern zugleich eine Bewertung der Situation als gefährlich? Die Antwort ist eine sprachphilosophische. Sie nimmt auf das Konzept der internen Relationen und Erfüllungsbedingungen Bezug und wird mit vergleichbaren Ansätzen wie denen von Ronald de Sousa und Peter Goldie verglichen. In dem ersten Teil des Kapitels wird mithin erörtert, inwiefern emotionale Intentionalität, die sich zunächst auch beim Menschen lediglich als eine angeborene natürliche Gerichtetheit verstehen lässt, schließlich eine erlebte, geistige Gerichtetheit wird, bei der sich die Momente der natürlichen körperlichen Reaktionen und der Bedeutung nur noch analytisch erklärend, aber nicht mehr im Erleben trennen lassen. In der Genese haben wir es also mit Phänomenen zu tun, die anfangs angeborene Reaktionen sind und dann durch grammatische Strukturen semantisiert werden. Im zweiten in diesem Kapitel diskutierten Fall ist das Zusammenspiel von Phänomenalität und sprachlichen Strukturen in gewisser Weise ein umgekehrtes.
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III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele
Es wird in Auseinandersetzung mit der Literatur gezeigt, dass phänomenales Empfinden erforderlich ist, um den Gebrauch und die Bedeutung sprachlicher Indexikale wie etwa „ich“ oder „hier“ zu erwerben, denn im Falle von Indexikalen kann nicht auf Gegenstände in der Welt hingewiesen werden, um zu verdeutlichen, worauf man sich bezieht, sie werden stets auf wechselnde Orte, Zeiten und Personen angewandt. Nur in einer konkreten Erfahrung, in einer konkreten Situation erhalten „dies“, „ich“, „hier“ und „jetzt“ Bedeutung. Das heißt, dass die Sättigung von Indexikalen mit phänomenalen Erfahrungen erforderlich ist, damit ein Kleinkind die Grammatik und Bedeutung von Indexikalen erlernen kann. Im Falle des Spracherwerbs von „ich“ mag es besonders schnell einleuchten, dass das phänomenales Empfinden verlangt. Desweiteren muss es einen intersubjektiven sprachlichen Raum geben, der den Bedeutungshorizont der geteilten Erfahrung darstellt. Inwiefern in diesem intersubjektiven sprachlichen Raum erst eine jeweilige indexikalische Perspektive, nämlich die jeweils meinige, entsteht, wurde am Beispiel von Emotionen bereits in Kaptitel II gezeigt. Das Ergebnis des Lernens mündet bei Indexikalen darin, die grammatisch, logische Funktion eines Begriffs erworben zu haben. Denn ist die Bedeutung einer Indexikale wie „ich“ einmal angeeignet, ist sie immer schon gesättigt und bedarf im Einzelfall keiner konkreten phänomenalen Sättigung mehr. Die zu konstatierende Stufenfolge des Bedeutungserwerbes der Indexikale „ich“ nimmt auch auf die Ausführungen von Hector-Neri Castañeda Bezug, der das indexikalische Bewusstsein als eine subjektiv-phänomenale Struktur analysiert, die am Fuße einer aufstufenden Hierarchie des Bewusstseins eines Selbst steht. Nachdem beschrieben wurde, inwiefern indexikale Bezugnahme eine phänomenale Sättigung erfordert, wird in vorliegendem Kapitel auch die gegenteilige Annahme zum Verhältnis von phänomenalem Gehalt und indexikalem Modus erörtert. Diese besagt, dass phänomenale Begriffe sich auf indexikale reduzieren lassen. Eine solche Position hat in den vergangenen Jahren insbesondere John Perry stark gemacht. Bei seiner Auffassung handelt sich um eine reduktionistische Theorie des Geistes, nach welcher sich phänomenale Zustände mittels so genannter indexikaler Begriffe analysieren lassen. Perry hat seine Thesen in Auseinandersetzung mit dem berühmten Mary-Gedankenexperiment von Frank Jackson entwickelt. Aber auch diese Form einer reduktionistischen Theorie des Geistes ist nicht haltbar.
1 Intentionalität
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1 Intentionalität 1.1 Intentionalität in der Philosophie des Geistes und der Sprachphilosophie Der Begriff der Intentionalität hat in den vergangenen Jahren verstärkte Aufmerksamkeit in der analytisch geprägten Philosophie des Geistes erhalten, obgleich die Überlegungen hierzu ursprünglich aus der phänomenologischen Tradition stammen. Maßgeblich für die Aufnahme dieser Thematik in die analytische Philosophie dürfte unter anderem John R. Searles Monographie Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes gewesen sein, in welcher er darlegt, inwiefern Intentionalität eine intrinsische Eigenschaft von Geisteszuständen ist. Dieses Buch ist Teil von Searles Projekt, mit dem er zeigen möchte, dass die Sprachphilosophie Teil der Philosophie des Geistes ist. Dem lässt sich, ohne der darin inhärenten Hierarchisierung philosophischer Themengebiete zu folgen, insofern zustimmen, als die Philosophie des Geistes und der Sprache zusammen gehören, was nach den Ausführungen des vorangegangenen Kapitels im Großen und Ganzen auch nicht mehr erklärungsbedürftig sein dürfte. In den folgenden beiden Abschnitten wird nun an zwei für das Verhältnis von Bewusstsein, Sprache und Gefühl besonders aufschlussreichen Beispielen im Detail gezeigt, inwiefern phänomenales Empfinden mit logischen Strukturen einhergeht. Der erste Fall betrifft den Zusammenhang von Intentionalität und Emotionen und der zweite den von Indexikalität und phänomenalem Empfinden. Fragen nach der Intentionalität betreffen zentrale Fragen der Philosophie des Geistes, mit sprachphilosophischen Erörterungen werden sie hingegen seltener in Verbindung gebracht. Dabei berühren sie sowohl Überlegungen zu den natürlichen Grundlagen des Bewusstseins, als auch solche zur Repräsentation von Bedeutung und der bewussten Ausrichtung des Organismus auf etwas. Letzteres, das Ausrichten oder Ausgerichtetsein hat zum Teil auch etwas mit absichtsvollem Handeln zu tun. Überlegungen dazu sollen hier zwar nicht im Mittelpunkt stehen, werden bei der Beantwortung der Frage, wie intentionale Zustände, Sprache und Bewusstsein verbunden sind, aber auch erörtert werden. Denn was unterscheidet das automatische Heben meines Armes von dem Heben meines Armes aufgrund meines Wunsches oder meiner Absicht, meinen Arm zu heben? Worin besteht mit anderen Worten die Verschiedenheit von automatischem Verhalten und bewusstem Tun? Zudem sollen Fragen wie: „Was unterscheidet die Angst einer Maus vor einer Katze von meiner Angst vor einem Wolf?“ mittels eines Ansatzes beantwortet werden, der die Wirkung logischer, sprachlicher Strukturen auf Formen natürlicher Gerichtetheit in den Blick nimmt. Hintergrund dazu ist die Überlegung, dass
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III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele
der Wolf für den Menschen eine Bedeutung als Objekt der Angst hat und die Angstreaktion nicht lediglich auslöst. Wie aber kommt es, dass der Wolf für den Menschen eine Bedeutung hat und die Katze für die Maus vermutlich nicht?
1.2 Emotionale Intentionalität¹³⁰ Die Frage, inwiefern die beim Menschen und anderen biologischen Organismen zu beobachtende natürliche emotionale Intentionalität im Spracherwerb semantisiert wird, schließt an die aus dem vorangegangenen Kapitel an, in dem die nach der Semantisierung von Emotionen untersucht wurde. Neben dieser Semantisierung wird nun auch zu erörtern sein, inwiefern die emotionale Intentionalität beim Menschen mit einer grammatischen beziehungsweise sprachlogischen Struktur einhergeht, welche dem Menschen auch eine individuelle emotionale Bezugnahme oder Reaktion erlaubt. Da für viele Philosophen des Geistes Intentionalität den Kern und das Fundament alles Geistigen ausmacht, werden Theorien des Geistes auch daran gemessen, inwiefern sie den Gesichtspunkt der Intentionalität gut in ihren Ansatz integrieren können. So wird der Vorteil von Repräsentationstheorien beispielsweise darin gesehen, dass es ihnen anscheinend gelingt, den phänomenalen und intentionalen Charakter des Geistes miteinander zu verbinden.¹³¹ Es lassen sich allerdings mehrere Formen der Intentionalität voneinander unterscheiden, die nicht alle die gleiche Bedeutung für eine Theorie des Bewusstseins oder des Geistes haben. Intentionalität als Ausrichtung auf einen biologisch festgelegten Zweck, die als solche nicht bewusst sein muss, ist hier im Vergleich mit Formen der Intentionalität, die auch oder vor allem in einer bewussten Ausrichtung auf ein Objekt oder eine Situation bestehen, von marginalem Interesse. Dieses letztere Verständnis von Intentionalität entspricht dem Franz von Brentanos, auf den diese Debatte in der Philosophie des Geistes letztlich zurückgeht. Dieser hat den Begriff 1874 in seiner Schrift Psychologie vom empirischen
Vergleiche hierzu und zu weiteren Teilkapiteln: Engelen 2009, 397– 411. Die vorliegenden Überlegungen stellen eine weiterführende Ausarbeitung dar. Siehe: Schröder 2004, 261. Nun scheint sich aber genau an diesem Punkt ein Problem für die Repräsentationstheorie aufzutun, da diejenige Form der Intentionalität, die hinsichtlich einer Theorie des Bewusstseins besonders interessant ist, von den Repräsentationstheorien der Emotionen gerade nicht erfasst wird, weil sich Phänomenalität nicht restlos auf Intentionalität reduzieren lässt. Intentionalität ist ja nicht nur ein Merkmal von phänomenaler Bezugnahme, sondern auch von kognitiver.
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Standpunkt in die philosophische Debatte eingebracht, um zwischen physischen und psychischen Zuständen unterscheiden zu können: Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (wohl auch mentale) Inexistenz¹³² eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter wir nicht eine Realität verstehen), oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden.¹³³
Seit Franz von Brentanos Bestimmung mentaler oder psychischer Zustände als intentional gilt Intentionalität in vielen Debatten als Merkmal des Geistigen. Es herrscht vielfach Einigkeit darüber, dass Intentionalität im Sinne absichtlichen Handelns oder im Sinne von Absichten hegen dem Bereich des Mentalen, das heißt dem Geistigen zuzurechnen ist. Zudem ist Intentionalität als diejenige Eigenschaft eines mentalen, bewussten Zustandes bestimmt, auf die zurückzuführen ist, dass der Zustand auf etwas gerichtet ist, von etwas handelt oder etwas anderes als sich selbst repräsentiert. Auf der Bestimmung von Intentionalität als Eigenschaft eines Zustandes, der etwas anderes als sich selbst repräsentiert, beruht auch die Annahme, man könne die Begriffe der Intentionalität und der Repräsentation weitgehend gleichsetzen. Ob dies eine gerechtfertigte Erwartung ist, gilt es schon deshalb zu erörtern, weil das Verhältnis von Repräsentation und mentalem Gehalt damit weiter untersucht werden kann. In dem Fall, in dem etwas als etwas wahrgenommen, gewünscht oder gefürchtet wird und eine Erinnerung sich auf etwas Vergangenes bezieht, ist die Form der Bezugnahme keine rein physische oder verursachte. Denn wenn etwas als etwas wahrgenommen wird, hat es eine Bedeutung für den Wahrnehmenden, den Wünschenden, den Angst Empfindenden, et cetera. Damit geht einher, dass intentionale Zustände uns über etwas in der Welt oder über uns selbst informieren und dass es sich irgendwie anfühlt, beziehungsweise für uns irgendwie ist,¹³⁴ die Welt und uns selbst in dieser Weise zu repräsentieren.¹³⁵ Die Klärung dieser Zusammenhänge hilft letztlich auch dabei, die Frage mit zu beantworten, inwiefern der Wolf, vor dem der Mensch Angst hat, für diesen als Objekt seiner Angst eine Bedeutung hat und sie nicht lediglich auslöst, während
Brentano übersetzt diesen unglücklich gewählten Begriff selbst mit „immanenter Gegenständlichkeit“. Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, 124 f. Die berühmt gewordene Wendung von Thomas Nagel lautet nach dem gleichnamigen Aufsatztitel: What Is it Like to Be a Bat? (Nagel, 1974). Siehe etwa: Graham, Horgan und Tienson 2007, 468 – 484 hier 468.
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III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele
die Katze bei der Maus zwar etwas auslöst, in ihrem phänomenalen Erleben jedoch vermutlich keine Bedeutung hat.¹³⁶ Anzumerken ist an dieser Stelle schon einmal, dass der Begriff der Bedeutung in emotionstheoretischen Diskussionen typischer Weise in mehreren Verwendungsweisen auftaucht. Zum einen in sprachphilosophischer Hinsicht, wenn es darum geht zu erklären, was es bedeutet, ein Konzept oder einen Begriff von einer Emotion zu haben und sie dementsprechend identifizieren zu können. Zum anderen im Sinne einer Evaluation eines Ereignisses oder einer Situation für die Befindlichkeit oder das Überleben des Individuums beziehungsweise des Organismus. Und schließlich kann damit auch noch die Bedeutung gemeint sein, die eine bestimmte Emotion in meinem Leben für mich hat, weil sie als Emotion für mich einen besonderen positiven oder negativen Wert hat. In emotionstheoretischen Überlegungen ist häufig die zweite Verwendungsweise gemeint, die es auch ermöglicht zu erklären, inwiefern einem Menschen, vermittelt durch Emotionen und Gefühle, bestimmte Ereignisse, Situationen oder andere Individuen etwas bedeuten. In vorliegendem Kontext sind allerdings letztlich alle drei Gebrauchsweisen relevant. Mit intentionalen Zuständen, seien es Absichten, seien es Wünsche, Emotionen oder Hoffnungen, kommt etwas zu dem beschreibbaren physischen Geschehen hinzu, das auf der Ebene des Geistigen und der Bedeutung angesiedelt ist und nicht in den physikalisch beschreibbaren Abläufen aufgeht. Wie lässt sich das erklären? Kann man mehr dazu sagen, als dass wir an uns selbst feststellen, wenn wir uns auf ein bestimmtes Ereignis richten, wenn wir jemanden erwarten oder Angst vor etwas haben? Lässt sich der Hinweis auf ein Bezugnehmen lediglich als eine körperliche Ausrichtung beschreiben, die wir beobachten und von der aus wir auf die dazugehörigen inneren, geistigen Abläufe schließen? Oder lässt es sich weiter analysieren? Zunächst ist die Redeweise von einem „sich beziehen auf“ nichts weiter als eine Metapher. Zwar meinen wir zu spüren, dass es mehr als unser Körper ist, der sich auf etwas bezieht, wenn wir Angst vor etwas haben, aber aufgefordert, zu erläutern, worin dieses Mehr besteht, nennen wir zumeist Beispiele, aufgrund derer sich letztlich eigentlich doch nur eine körperliche Bezogenheit feststellen lässt. Dies zu illustrieren reicht ein einfaches Beispiel: „Weil ich Angst vor Hunden
Auf den Zusammenhang von Emotionen und Bedeutung beziehungsweise Bedeutsamkeit geht auch Bennett W. Helm (2011, 72– 99 hier 73 f. und 78 f) ausführlich ein. Helm legt dar, dass für den Menschen meist nur das durch Emotionen bewertet wird, was für ihn bedeutsam ist, deutet aber nur an, dass das Auftreten von Emotionen mir unter Umständen erst anzeigt, dass etwas für jemanden bedeutsam ist. Siehe zu letzterem: Engelen 2006, 19 – 34 hier 23 f.
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habe, meide ich das Laufen im Park, in dem zu allen Tages- und Nachtzeiten Hunde ausgeführt werden.“ Diese Angstreaktion lässt sich ganz behavioristisch als Vermeidungsverhalten beschreiben, eine diese Körperbewegungen begleitende, intentionale Bezugnahme auf Hunde, die gefürchtet werden und die es letztlich zu vermeiden gilt, muss nicht unterstellt werden. Wie aber, wenn wir diesen Unterschied machen wollen? Wenn wir zwischen einer Körperbewegung, die rein mechanisch verläuft, ohne dass Formen des Bewusstseins beteiligt sind, und intentionaler Bezogenheit, die mit einer Körperbewegung einhergeht, unterscheiden wollen? In dem ersten Fall liegt gerade keine bewusste Ausrichtung vor und sie ist auch mit keiner Bedeutung hinsichtlich des Bezugsobjektes verbunden. In dem zweiten Fall haben wir es mit einem bewussten Ausrichten zu tun und das Objekt, dem wir uns zuwenden, hat eine Bedeutung für das sich hinwendende Lebewesen. Mit der Frage, wie sich eine Unterscheidung zwischen einer intentionalen Bezogenheit, die mit einer Körperbewegung einhergeht, und einer Körperbewegung treffen lässt, die reflexartig, beziehungsweise automatisch verläuft und somit gerade keiner bewussten Ausrichtung, Kontrolle oder Absicht unterliegt, ist der Übergang von der Physik zur Semantik beziehungsweise von der Mechanik zur Bedeutung angesprochen. Um sie zu beantworten, muss noch etwas weiter ausgeholt werden. Denn das,was als intentionale Zustände bezeichnet wird, ist bisher nur benannt, aber noch nicht weiter bestimmt oder analysiert worden.
1.3 Die logische Struktur von Intentionalität Nach John Searle, der darin teilweise Ludwig Wittgensteins Überlegungen zu intentionalen Zuständen in dessen Philosophischen Untersuchungen folgt,¹³⁷ unterscheiden sich intentionale Zustände von (anderen) biologischen Phänomenen dadurch, dass sie eine logische Struktur haben.¹³⁸ Dieser Hinweis auf die logische Struktur weist den Weg vom physisch Beschreibbaren in das Gebiet der Bedeutung (das auch dem Reich der Gründe um einiges zugänglicher ist als es physikalische oder biologische Vorgänge sind). Denn mit Hilfe der (logischen) Struktur inten-
„Der Wunsch scheint schon zu wissen, was ihn erfüllen wird, oder würde; der Satz, der Gedanke, was ihn wahr macht, auch wenn es gar nicht da ist! Woher dieses Bestimmen, dessen, was noch nicht da ist? Dieses despotische Fordern? (‚Die Härte des logischen Muß‘.) Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 437, S. 203. Searle 1987, 203; bei Wittgenstein: „Was ist der natürliche Ausdruck einer Absicht? – Sieh eine Katze an, wenn sie sich an einen Vogel heranschleicht; oder ein Tier, wenn es fliehen will.“ Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 647, S. 261.
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tionaler Zustände lässt sich erläutern, inwiefern der Hund als Objekt meiner Angst für mich eine Bedeutung hat und inwiefern das Heben eines Armes mehr ist als eine unbewusst oder zufällig vorgenommene Bewegung. Wenden wir uns zunächst dem letzteren Fall zu. Die Absicht, meinen Arm zu heben, legt nämlich bereits fest, was als Erfüllung meiner Absicht zu gelten hat. Nur wenn ich meinen Arm tatsächlich gehoben habe, ist meine Absicht ausgeführt beziehungsweise erfüllt, meinen Arm zu heben. Und so legen auch der Wunsch, die Erwartung, die Hoffnung bereits fest, was sie erfüllen werden. Wenn ich mir zum Geburtstag wünsche, dass das Frühstück für mich gemacht wird, erfüllt das für mich zu meinem Geburtstag zubereitete Frühstück diesen Wunsch. Es gibt für meinen Wunsch mit anderen Worten Erfüllungsbedingungen, die bereits in meinem Wunsch, in meiner Hoffnung oder Erwartung oder in meiner Absicht enthalten sind und den Bezug herstellen. Um zu erklären, was „Intentionalität“ ist, ist das Konzept der Erfüllungsbedingungen nun bereits eingeführt. Diese Erfüllungsbedingungen erläutern jedoch nicht nur in begrifflicher Hinsicht, was wir unter Intentionalität zu verstehen haben, sie ermöglichen es auch, die begriffliche Strukturierung bewusster intentionaler Zustände zu fassen. Um dies weiter auszuführen, ist es erforderlich, zusätzlich das Konzept der internen Relation einzuführen. Erfüllungsbedingungen stehen nämlich in einer internen Relation zu meiner absichtsvollen Handlung oder zu meinem Wunsch, meiner Erwartung sowie zu anderen intentionalen Zuständen. Mit internen Relationen werden gewöhnlich diejenigen Relationen bezeichnet, die für relationale Eigenschaften stehen, ohne die bestimmte Gegenstände, Zustände oder Vorgänge nicht existieren können. Interner Relation konstituieren also ihre gegenständlichen Relata mit. Tatsächliche, kontingent bestehende Relationen werden in der Literatur hingegen im Unterschied zu den notwendig bestehenden, internen Relationen externe Relationen genannt und bestimmen ihr Relata gerade nicht mit. Um diese Unterscheidung in vorliegendem Problemzusammenhang gewinnbringend heranziehen zu können, sei sie an folgendem Beispiel Wittgensteins aus den Philosophischen Bemerkungen erläutert: Also, wie wenn ich sagte: „Ich habe Hunger und weiß aus Erfahrung, daß ihn der Genuß einer bestimmten Speise stillen wird, oder würde.“ So ist es nun aber mit der Erwartung nicht! Die Erwartung ist nicht extern durch die Angabe des Erwarteten beschrieben, wie der Hunger durch die Angabe der ihn stillenden Speise (…). Sondern die Beschreibung der Erwartung durch das, was sie erwartet, ist eine interne Beschreibung.¹³⁹
Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, Nr. 29, S. 68. Dieses Beispiel ist einfacher zu verstehen, wenn man „Hunger haben“ als „Hunger haben auf“ liest.
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Wittgenstein hat mit der Unterscheidung in interne und externe Relationen also bereits darauf hingewiesen, dass wir es hier mit einem begrifflichen Problemzusammenhang zu tun haben und nicht mit einem (rein) empirischen, deskriptiven oder kausalen. Das bedeutet auch, dass die Wirklichkeit allein nicht zeigen kann, dass eine Absicht oder ein Wunsch erfüllt wurden. Der Wunsch samt der mit ihm einhergehenden Kenntnis der Erfüllungsbedingungen ist dazu ebenso erforderlich. Wie lassen sich die Überlegungen zu internen Relationen, die ihre Relata mitbestimmen, nun auf intentionale Zustände und die damit einhergehende Bezogenheit anwenden?¹⁴⁰ Wie können sie helfen, eine bloß physische Ausrichtung eines Organismus, wie die der Sonnenblume nach dem Stand der Sonne, von einer intentionalen, bedeutungsvollen Ausrichtung zu unterscheiden? Wie wird ein zu beobachtendes äußeres Verhalten von einem inneren Vorgang, des „sich Richtens auf“ und des Beabsichtigens unterschieden? Wenn ich nach langem Sitzen einfach meine Arme nach oben strecke, weil dies einem körperlichen Bedürfnis nach Dehnung entspringt, muss diese Körperbewegung nicht mit einer Absicht verbunden gewesen sein, sie kann absichtslos und unwillkürlich sein. Sie kann aber auch ganz bewusst ausgeführt worden sein. Ob wir es mit einem Verhalten oder einer Handlung zu tun haben, lässt sich nur dadurch entscheiden, ob die Körperbewegung mit der Absicht, sich zu strecken, verbunden gewesen ist. In diesem Fall bestünde die Absicht darin, zu sich selbst zu sagen, ich will mich jetzt einmal strecken. Erfüllt wäre diese Absicht, wenn ich die Arme nach oben geführt hätte, um mich zu strecken. Von außen betrachtet unterscheiden sich Körperbewegungen, die mit einer Absicht einhergehen, nicht unbedingt von solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Daher noch einmal die Frage: Wie lassen sich Absichten im Besonderen und Intentionen im Allgemeinen charakterisieren, wenn wir sie nicht von außen beobachten können und wir nicht auf die Ich-Perspektive allein Bezug nehmen wollen? Intentionen lassen sich bestimmen: (1) durch ihre Erfüllungsbedingungen, durch welche sich auch das Merkmal der Gerichtetheit fassen lässt und (2) durch das Fassen eines Entschlusses. Entschlüsse fassen zu können, setzt sicherlich
Als interne Relation bezeichnen auch Gallagher und Zahavi das Verhältnis zwischen bewussten Akten und intentionalen Objekten, spezifizieren diese allerdings nicht: „Neither the intentional object nor the mental act that intents it can be understood apart from the other. Acts of consciousness and objects of consciousness are essentially interdependent: the relation between them is an internal rather than an external one (…) Rather, one can identify each item in the relation only by reference to the other item to which it is related.“ Gallagher und Zahavi 2008, 113.
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voraus, dass man sich in dem oben beschriebenen Sinne ausrichten kann und damit weiß, wann eine beabsichtigte Handlung erfolgt ist und wann nicht. Nehmen wir noch einmal das schon erwähne Beispiel zu Hilfe: Ein Mensch streckt sich. Um diese Körperbewegung als einen intentionalen Akt zu verstehen, muss dieser Mensch die Absicht gehabt haben, sich zu strecken. Er könnte sich gesagt haben: „Ich muss mich nach dem langen Sitzen auch wieder einmal strecken, sonst bekomme ich Rückenprobleme.“ Wenn er sich gestreckt hat, hat er nicht nur seine Absicht ausgeführt, sondern auch eine Handlung. Er hat dann kein bloßes Verhalten gezeigt, obgleich die Körperbewegung ohne die sie initiierende Absicht reines Verhalten gewesen wäre. Kehren wir nun noch einmal zum Begriff der internen Relation zurück. Sie bestimmt ihre Relata mit. Was heißt es, dass intentionale Zustände als interne Relationen zu verstehen sind, die ihre Relata mitbestimmen? Der intentionale Zustand „sich strecken zu wollen“ enthält seine Erfüllungsbedingungen. Denn wenn ich mich doch nicht strecke, obgleich ich die Absicht habe, etwa weil ich schnell zum läutenden Telefon eile, sind mein Wunsch oder meine Absicht, mich zu strecken, nicht erfüllt. Ich hatte zwar den Wunsch oder die Absicht, dies zu tun, diese wurden allerdings nicht von der entsprechenden Körperbewegung gefolgt. Was leistet die Erläuterung durch Erfüllungsbedingungen nun für das Verständnis von Intentionen, außer, dass sie den Wunsch oder die Absicht charakterisieren, der wiederum in interner Relation mit den Erfüllungsbedingungen steht? Die Erfüllungsbedingungen, die den Wunsch oder die Absicht charakterisieren, geben an, worauf ich mich mit meinem Wunsch oder meiner Absicht beziehe, verbinden auf diese Weise Wunsch oder Absicht und das Objekt des Wunsches und machen die Körperbewegung für den Intendierenden damit zu einer bedeutungsvollen.¹⁴¹ Ich strecke mich nicht einfach unwillkürlich, sondern weil ich das tun möchte, um nicht wieder Rückenprobleme zu bekommen. Die Ausrichtung des Körpers wird zu einer, die nicht lediglich geschieht, sondern zu einer, die für mich etwas bedeutet, – in diesem Beispiel, weil sie für mich den bestimmten Zweck der Schmerzvermeidung erfüllen soll. Wir haben gesehen, dass zwischen Wunsch, Erwartung, Hoffnung et cetera und Erfüllungsbedingungen eine interne Relation besteht. Intentionale Zustände sind demnach durch interne Relationen zu ihren Erfüllungsbedingungen charakteri-
Vergleiche auch Searle (1987, 40 f.), der betont, dass die Erfüllungsbedingungen dem intentionalen Zustand intern sind, also nichts, was sich vom intentionalen Zustand trennen ließe. Er stellt keine Verbindung zwischen Wegfall der Erfüllungsbedingungen und Wegfall des intentionalen Zustandes her.
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siert. Das bedeutet, dass der intentionale Zustand wesentlich begrifflich bestimmt ist. Wenn intentionale Zustände in dieser Analyse wesentlich begrifflich bestimmt werden, muss natürlich auch die Frage beantwortet werden, ob es dann keine unbegrifflichen intentionalen Zustände gibt. Ist die gerichtete Aufmerksamkeit von Säuglingen kein intentionaler Zustand? Das Attribut „gerichtet“ deutet bereits an, dass es sich hierbei durchaus um eine Form der Intentionalität handelt, gewissermaßen um eine rudimentäre, biologische (Vor‐)Form der Intentionalität. Bei ihr ist die Richtung nicht in der eben dargestellten Weise durch Erfüllungsbedingungen und interne Relationen charakterisiert. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine verhaltensbedingte (Vor‐)Form der Intentionalität, die durch zum Lebewesen äußere oder innere Ereignisse verursacht ist. In der Nachfolge von Wittgensteins Überlegungen zu intentionalen Zuständen, lassen sich intentionale Zustände von (anderen) biologischen Phänomenen also dadurch unterscheiden, dass sie durch die Erfüllungsbedingungen eine logische Struktur haben. Die Ausführungen zur logischen Struktur zeigen, inwiefern wir mit einer Bezugnahme in das Gebiet der Bedeutung gelangen können und damit darüber hinaus, was wir an physischen Vorgängen beschreiben können. Denn mit Hilfe des Verweises auf die (logische) Struktur intentionaler Zustände lässt sich erläutern, inwiefern bedeutungsvolle Bezugnahme erfolgt, ohne auf das Moment der Phänomenalität von Erfahrungen zu verweisen, was aber selbstverständlich noch zusätzlich geschehen kann.
1.4 Emotionale Intentionalität und logische Struktur Intentionale Zustände wie Wünschen, Erwarten, Absichten hegen, emotionale Zustände et cetera werden dadurch charakterisiert, dass die Erfüllungsbedingungen eines intentionalen Zustandes für die Erläuterung dessen, was ein intentionaler Zustand ist, herangezogen werden. Der Wunsch, die Erwartung, die Hoffnung legen bereits fest, welche Bedingungen sie erfüllen werden. Die Erfüllungsbedingungen stehen in einer internen Relation zu meiner absichtvollen Handlung oder zu meinem Wunsch, oder zu anderen intentionalen Zuständen. Übertragen wir diesen Ansatz daher nun auf emotionale Zustände, die intentionale Zustände sind. Nehmen wir an, dass ein Mensch einem Hund ausweicht. Um diese Körperbewegung als eine Angstreaktion zu verstehen, die keine bloße, vom Hund verursachte Körperbewegung ist, muss sie mit einer Bezugnahme einhergehen, die sich mittels der Erfüllungsbedingungen für Angst analysieren lässt. Die intentionalen Zustände „Angst haben vor einem Hund“ oder „Angst haben vor den Herausforderungen der kommenden Woche“ enthalten ihre
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Erfüllungsbedingungen bereits. Zunächst werden die an die Person gestellten Anforderungen von ihr als nicht zu bewältigend wahrgenommen und da sie zudem an sich den Anspruch stellt, an sie gerichtete Anforderungen zu meistern, oder ihr eventuell der Verlust des Arbeitsplatzes droht, wenn sie die Aufgaben nicht erledigen kann, sind die Anforderungen für sie bedrohlich. Hat man entsprechend diesem Szenario Angst vor den Aufgaben der kommenden Woche und wird krank, mag die Angst vor den Aufgaben bestanden haben, da man sie aber nicht mehr erfüllen kann, weil man krank wurde und im Bett bleiben muss, sind die Umstände, auf die sich die Angst bezogen hat, nicht mehr gegeben, weshalb die Angst (zumindest temporär) verschwinden sollte. Die Erfüllungsbedingungen einer Angst sind die Bedingungen, die gegeben sind, wenn das Befürchtete eintritt; in diesem Fall also, dass die Anforderungen nicht gemeistert werden können. Kann das Befürchtete aber nicht mehr eintreten, weil die Anforderungen nicht mehr bestehen, verschwindet die Angst, weil der Gegenstand der Angst wegfällt. Denn da die Erfüllungsbedingungen und der mentale Zustand in einer internen Relation zueinander stehen und interne Relationen ihre Relata mitbestimmen, wird auch der mentale Zustand durch sie mitbestimmt. Entfallen die Erfüllungsbedingungen, bleibt der mentale Zustand davon nicht unbeeinflusst. Dadurch dass an dem einen Ende der Relation die Möglichkeit des eintretenden Ereignisses entfällt, entfällt auch die Relation als solche und damit das durch sie bestimmte Relatum. Da das Relatum durch die Relation charakterisiert wird, erhält es durch die interne Relation und die Erfüllungsbedingungen auch seine Bedeutung.¹⁴² Damit wird auch klar, inwiefern die Relation und die Erfüllungsbedingungen an der Ausrichtung des emotionalen Vorgangs beteiligt sind, denn wie bereits mehrfach festgestellt: Die Angst ist auf etwas gerichtet, sie wird nicht nur durch ein Ereignis ausgelöst oder verursacht, das dann samt der Einschätzung dieses Ereignisses durch die Angst als bedrohlich repräsentiert wird. Die Intentionalität einer Emotion bestimmt mithin auch die phänomenalen Momente des mentalen Zustandes. Gegen diese Auffassung ist verschiedentlich eingewandt worden, dass sie nicht zutreffend sein könne, weil Angst in manchen Fällen auch dann nicht verschwindet, wenn die Erfüllungsbedingungen für sie wegfallen, also im besprochenen Fall die Angst auch dann fortbesteht, wenn die Anforderungen wegfallen. Dann handelte es sich aber entweder um eine ungerichtete Angst, weil der Gegenstand, auf den sie gerichtet ist, fortgefallen ist oder aber um eine, die sich auf Dennoch mag es einen „Nachhall“ dieses emotionalen Geschehens geben. Es verschwindet gewissermaßen nicht spurlos. Zu dem Verhältnis von emotionalen Prozessen, Erinnerung und emotionaler Bedeutung müsste also noch sehr viel mehr ausgeführt werden, als es an dieser Stelle möglich ist.
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mögliche, imaginierte Situationen bezieht und nicht auf wirklich bestehende. Hinzukommt, dass dieser Fall eben nicht nur bei Emotionen vorkommt, sondern auch bei Gedanken.¹⁴³ Es verschwindet also unter Umständen nicht nur die Angst vor dem Hund nicht, wenn mir gesagt wird, dass er keine Zähne mehr hat, sondern auch ein Gedanke, von dem klar wird, dass er irrational ist. Wenn Emotionen oder Gedanken nicht verschwinden, obgleich im Falle von Emotionen Erfüllungsbedingungen nicht vorliegen, liegt das daher nicht am Moment des rein Emotionalen, sondern an dem der Rationalität beziehungsweise der Irrationalität, die Teil der menschlichen Emotionalität sind. Aufschlussreich ist hier die Analyse des Falles, in dem man glaubt, der geliebte verstorbene Partner werde eines Tages zurückkommen. Peter Goldie analysiert ihn als einen sehnlichen Wunsch, der kognitiv undurchdringbar ist, weil die Emotion uns fest im Griff hat und unser Verstand nicht dagegen ankommt.¹⁴⁴ Etwas anders beschreibt das hingegen die Schriftstellerin Joan Didion, die eine solche Situation nach dem Tod ihres Mannes erleben musste: „Ich konnte seine restlichen Schuhe nicht weggeben. Ich stand dort eine Weile, bevor ich begriff, warum: Er würde Schuhe brauchen, wenn er zurückkam. Daß ich diesen Gedanken begriff, löschte ihn keineswegs aus.“¹⁴⁵ Didion weiß, dass ihr Mann nicht zurückkommen kann, weil er tot ist, kann jedoch seine Schuhe nicht weggeben, weil er sie brauchen wird, wenn er zurückkommt. Der Gedanke, dass er Schuhe brauchen wird, wenn er zurückkommt, verschwindet nicht, auch wenn man weiß, dass eine Rückkehr unmöglich ist. Didion analysiert diesen paradoxen Zustand als einen der Irrationalität und der Verrücktheit des Denkens: „Aber wir rechnen nicht damit, daß wir wortwörtlich verrückt sind, Leute die – hart im Nehmen – glauben, daß ihr Ehemann zurückkommt und dann seine Schuhe braucht.“ Bei Didion ist es der Gedanke, der nicht verschwindet, nicht allein ein sehnlicher Wunsch, sondern ein irrationaler Gedanke. Im Beispiel der Angst vor dem zahnlosen Hund ist es hingegen die Emotion, die nicht verschwindet, wenn die Erfüllungsbedingungen nicht gegeben sind. Das liegt daran, dass die imaginierten Erfüllungsbedingungen sich als stärker erweisen, als die tatsächlich gegebenen. Ausschlaggebend für letzteres ist die emotionale Situation, was aber nicht gegen die Analyse emotionaler Intentionalität durch Erfüllungsbedingungen spricht.
Joan Didion (2008, 43 und 209) beschreibt das in ihrem Buch Das Jahr magischen Denkens. Goldie 2011, 49 – 71 hier 64. Didion 2008, 43.
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Bei dem hier vertretenen Ansatz zur emotionalen Intentionalität handelt es sich nicht um einen kognitivistischen, nach welchem Intentionalität als abhängig von der Intentionalität der konstitutiven Überzeugungen und Wünsche angesehen wird und der affektive oder emotionale Aspekt quasi nachträglich zu den Wünschen und Überzeugungen hinzutritt. Vielmehr wird das Verhältnis von Emotion und kognitiven Aspekten gerade in umgekehrter Weise analysiert. Auf der ontogenetischen Ebene kommt die kognitive, logische Struktur zum affektiven oder emotionalen Moment hinzu und erst dadurch entsteht emotionale Intentionalität.¹⁴⁶ In einem anderen Theorieansatz wird Intentionalität von Emotionen näher mittels der Konstruktion eines formalen Objekts analysiert. So führt etwa Ronald de Sousa in Anschluss an Anthony Kenny das Konzept des formalen Objekts in die Diskussion um die bewertenden, einschätzenden Komponenten von Emotionen ein, und damit in die Debatte um das, was Emotionen sind und was sie leisten. Demnach hat jede Emotion eine eigene Art der Richtigkeit und damit ein jeweils eigenes Erfolgs- oder Angemessenheitskriterium, das als das formale Objekt einer Emotion bezeichnet wird. Im Falle der Angst wäre das formale Objekt etwa die Gefährlichkeit einer Situation oder eines Gegenstandes. Darüber, ob das formale Objekt tatsächlich vorliegt, ob die Situation also tatsächlich gefährlich ist, kann man im einzelnen Fall unterschiedlicher Ansicht sein. Darüber, ob es ein solches Objekt für eine Emotion geben muss oder nicht, allerdings nicht. Nun legt das formale Objekt aber in erster Linie die Angemessenheitsbedingungen fest und weniger die Ausrichtung: Formalobjekt. Für jedes Gefühl gibt es eine Eigenschaft zweiter Ordnung, die implizit dem motivierenden Aspekt zugeschrieben werden muß, wenn das Gefühl verständlich sein soll. Dieses wesentliche Element in der Struktur jeden Gefühls ist sein Formalobjekt. ¹⁴⁷
Die Bedingungen der Verstehbarkeit eines Gefühls oder einer Emotion wird mittels derjenigen Eigenschaften erfasst, die implizit zugeschrieben werden, also zum Beispiel die Eigenschaft der Gefährlichkeit oder Gefahr im Falle der Angst. Mit Hilfe des formalen Objekts wird damit auch bestimmt, ob eine Emotion oder ein Gefühl angemessen ist oder nicht. Es ist demzufolge die Ebene der Rationalität einer Emotion angesprochen sowie die damit einhergehende Normativität.¹⁴⁸ Anders sieht das Peter Goldie (2011, 57), für den ein gerichtetes Gefühl eine unreflektierte emotionale Weise ist mit der Welt verbunden zu sein, weshalb auch Hunde oder Säuglinge für ihn gerichtete Gefühle haben können. Nach hier vertretener Ansicht können sie das nicht, diese Emotionen sind lediglich verursachte und nicht gerichtet. De Sousa 1997, 205. „Finally, while different emotions may or may not have these various sorts of objects, every emotion has a formal object if it has any object. A formal object is a property implicitly ascribed
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Die einzelne Emotion wird mit Hilfe des zu ihr gehörenden formalen Objektes bestimmt: Die Angst mittels ihres formalen Objektes Gefahr, der Ekel mittels seines formales Objektes des Widerwärtigen et cetera. Damit verbleibt man allerdings auf der kognitiven und rationalen Ebene des Geistes, auf der die Frage der Angemessenheit von Emotionen die zentrale Rolle innehat. Um dieses für das Phänomen der Emotionen unbefriedigende Ergebnis zu vermeiden, versucht etwa Peter Goldie, den Ansatz, Intentionalität mit Hilfe des formalen Objektes zu erklären, mit der Intentionalität der Empfindung zu verbinden. Die daraus entstandene Position zur Intentionalität von Emotionen weist trotz ihres Rekurses auf das Konzept des formalen Objekts dann wiederum einige Gemeinsamkeiten mit der hier vorgelegten auf. Natürliche Intentionalität und geistige Bezugnahme sind bei emotionaler Intentionalität unauflöslich miteinander verwoben, außerdem sind Emotionen natürliche Reaktionen, die durch Sprache und Kultur semantisiert und damit geformt sind. Daher betont Goldie zu Recht den natürlichen phänomenalen Aspekt von Intentionalität, der im Falle von Emotionen in der Empfindungskomponente besteht. Auch für ihn ist das maßgebliche Kriterium für Intentionalität die Gerichtetheit von Gedanken und Empfindungen auf ein Objekt, eine Person, eine Situation oder Handlung.¹⁴⁹ Emotionale Intentionalität ist dementsprechend für Goldie eine auf ein Objekt gerichtete Empfindung, eine Empfindung für etwas (feeling towards). Es handelt sich um ein Denken an etwas, das mit Empfindung einhergeht: „Gerichtetes Fühlen ist Denken an etwas (oder jemanden) mit Gefühl, sodass Ihre emotionalen Gefühle auf das Objekt Ihres Gedankens gerichtet sind. (…) Gerichtetes Fühlen ist, da es ein Denken mit Gefühl ist, eine Form des Denkens an.“¹⁵⁰
by the emotion to its target, focus or propositional object, in virtue of which the emotion can be seen as intelligible. My fear of a dog, for example, construes a number of the dog’s features (its salivating maw, its ferocious bark) as being frightening, and it is my perception of the dog as frightening that makes my emotion fear, rather than some other emotion. The formal object associated with a given emotion is essential to the definition of that particular emotion. This explains the appearance of tautology in the specification any formal object (I am disgusted because it is disgusting); but it is also, in part, what allows us to speak of emotions being appropriate or inappropriate. If the dog obstructing my path is a shitzu, my fear is mistaken: the target of my fear fails to fit fear’s formal object. (…) Appropriateness (…) makes the emotion intelligible even when it is abhorrent.“ De Sousa 2008. Goldie 2002b, 16. Übersetzung von: „Feeling towards is thinking of with feeling, so that your emotional feelings are directed towards the object of your thought. (…) Feeling towards, as it is thinking with feeling, is a sort of thinking of.“ Goldie 2002b, 19. Vergleiche auch Goldie 2002b, 235 – 54
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Goldie richtet sich damit gegen eine einflussreiche Tradition in der Philosophie, die Intentionalität von Emotionen ausschließlich mittels kognitiver Zustände wie Glauben, Annahmen oder Wünsche erklärt. Annahmen und Wünsche erlauben es gerade nicht, die Empfindungskomponente gerichteter Emotionen mit zu erfassen. Daher bündelt Goldie seine Kritik an solch kognitivistischen Ansätzen in der Warnung vor einer Überintellektualisierung von Emotionen. Tatsächlich vernachlässigen diese Ansätze, die auch als kognitivistische Emotionstheorien bezeichnet werden, das Empfindungsmoment von Emotionen und vermögen es so nicht, Emotionen als Gesamtphänomene zu erklären. Um emotionale Intentionalität jedoch nicht nur als intentionale Empfindung zu fassen, nimmt Goldie Ausführungen zur Erziehung emotionaler Reaktionen hinzu, die zeigen sollen, inwiefern Emotionen anerzogen sind beziehungsweise anerzogen werden können und nicht unbedingt rein natürliche Reaktionen sind.¹⁵¹ Am Beispiel der Angst führt er aus, dass es mehr oder weniger dasselbe ist, einem Kind beizubringen, etwas als gefährlich zu identifizieren und ihm beizubringen, wann Angst berechtigt ist.¹⁵² Damit wird auch hier ein kognitives Element bei der Bewertung des Gegenstandes, Lebewesens oder der Situation eingeführt. Da die Frage der Berechtigung letztlich auch eine der Angemessenheit ist, handelt es sich bei dieser Konstruktion letztlich um eine abgewandelte Version der Konzeption mittels des formalen Objekts. Zwar verwendet Goldie nicht den Begriff der Angemessenheit, sondern den der Berechtigung beziehungsweise des Verdienstes, doch lassen sich diese beiden Begriffe nicht vollständig voneinander trennen.¹⁵³ Auch für andere Philosophen ist es das Moment der Intentionalität, das Emotionen oder Gefühle Bedeutung erlangen lässt. So geht auch de Sousa davon aus, dass reine Empfindungen, die über keine logische Struktur verfügen, keine Bedeutung haben können¹⁵⁴ und daher auch keine Gefühle sind.¹⁵⁵ Reine Empfindungen, wie etwa Zahnschmerzen, haben für uns beispielsweise keine Be-
hier 235: „there is what I will call feeling towards, the feeling one has towards the object of one’s emotion. For example, in fear I feel the dangerousness of the lion.“ Goldie 2002b, 28 ff. „The process of teaching a child how to identify things which are dangerous is typically one and the same process as teaching that child when fear is merited.“ Goldie 2002b, 30. Goldie 2002b, 30 und 37. De Sousa 1997, 134– 135. „Jedes Gefühl muß in dem eigentümlichen Charakter seines Schlüsselszenarios (aufwühlend, packend, düster, beschämend und so weiter) sein eigenes spezifisches formales Objekt finden. (…) (Es gibt Reaktionen), bevor es intentionale Zustände gibt, doch gibt es keine Szenarien und deshalb keine Gefühle, bevor jene Reaktionen in eine intentionale Struktur integriert werden können.“ De Sousa 1997, 304– 305.
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deutung, sondern ausschließlich eine kausale Erklärung. Dagegen geht voll entwickelte (geistige) Intentionalität sogar mit einer singulären Bezugnahme einher,¹⁵⁶ die es uns ermöglicht, uns speziell auf diejenigen Individuen zu beziehen, an denen uns in besonderer Weise gelegen ist, die uns mit anderen Worten etwas bedeuten. Eben diese Form der Intentionalität lässt sich mit Hilfe des theoretischen Zugangs der internen Relation besser erklären als mit dem des formalen Objekts.
1.5 Der intentionale, bedeutungshafte Bezug Inwiefern ist der intentionale Bezug, der mittels interner Relation und Erfüllungsbedingungen erklärt wird, aufschlussreich dafür, dass der Mensch sich individuell und bedeutungshaft auf etwas oder jemanden beziehen kann? Inwiefern ist die Hinwendung keine rein kausal hervorgerufene, sondern eine, die für den sich Beziehenden mit Bedeutung einhergeht?¹⁵⁷ Wir haben bisher intentionale Bezugnahme als eine Form der internen Relation erörtert und damit bereits gezeigt, woher die logische Struktur und damit auch die Bedeutung einer solchen Bezugnahme kommen. Über die Rolle und Bedeutung des intentionalen Objektes für das intendierende Subjekt wurde hingegen noch nicht sehr viel gesagt. Die folgenden vier Beispiele von Bezugnahme sollen mit Hilfe der bisher angestellten Erläuterungen dahingehend analysiert werden, ob sie sich als intentionale Bezugnahmen im Sinne einer geistigen Intentionalität ausweisen lassen und inwiefern es sich dabei um individuelle Bezugnahmen und letztlich auch um individuelle Bedeutungszuschreibungen handelt: ‒ Ein Frosch wendet sich einem sich bewegenden schwarzen Punkt zu und versucht, ihn mit der Zunge zu fangen. ‒ Eine Krähe beobachtet einen Menschen beim Aussähen von Samen, wartet bis er weg ist und fängt an, Samen zu picken. ‒ Ein Tiger-Dompteur trifft im Urwald auf einen Tiger und wendet sich ruhig ab. ‒ Eine Frau sitzt auf dem Balkon eines Hotels in der Sonne und schreibt einen Brief aus dem Urlaub an ihren Mann. Die Hinwendung des Frosches zu dem schwarzen Punkt erfolgt aufgrund eines angeborenen Reiz-Reaktions-Mechanismus. Gleichgültig, ob es sich um eine
De Sousa 1997, 172. Siehe hier nochmals Helm (2011, 79), der ebenfalls die Relevanz von Emotionen für die Konstitution von Bedeutsamkeit hervorhebt.
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Fliege handelt, die der Nahrungsaufnahme dient oder tatsächlich nur um einen schwarzen Punkt, der Frosch wird darauf mit demselben Verhalten reagieren. Das Objekt, dem er sich zuwendet, hat für den Frosch keinerlei Bedeutung. Die Krähe wendet sich der Nahrung zu und wartet auf die Gelegenheit, sie ungestört aufpicken zu können. Ob die mögliche Störung von einer anderen Krähe ausgeht oder von einer anderen Störquelle scheint dabei einerlei zu sein. Obgleich die Krähe den möglichen Störer also genau beobachtet und auf die sich ihr bietende Chance wartet zu fressen, ist die Ausrichtung in erster Linie eine auf die Quelle der Störung und die Nahrung hin und geht nicht mit einer Kategorisierung oder gar Individualisierung des Störers einher. Der Tiger-Dompteur müsste nun nach Neurowissenschaftlern wie Joseph LeDoux bereits aufgrund eines automatischen, unbewusst ablaufenden Einschätzungsmechanismus mit einer Angstreaktion auf den Tiger reagieren. Das wäre dann ein typisches Beispiel von physiologischer Reaktion, die unausweichlich ist, ein physiologischer Zwang sozusagen. Dem ist aber nicht so. Der Tiger-Dompteur nimmt den Tiger als Tiger wahr, er ist für ihn als Tiger-Dompteur jedoch nicht gefährlich. Die Erfüllungsbedingungen einer Angst vor Tigern treffen auf den Tiger-Dompteur nicht zu. Da Erfüllungsbedingungen und mentaler Zustand wie dargelegt in einer internen Relation zueinander stehen, hat der TigerDompteur keine Angst. Interne Relationen bestimmen ihre Relata, also auch den mentalen Zustand mit. Die an ihren Mann schreibende Frau bezieht sich auf ein ganz bestimmtes Individuum mit den ihm eigenen Eigenschaften und Charaktermerkmalen. Der Mensch hat also neben generischen, die Gattung betreffenden Erfüllungsbedingungen auch individuelle Erfüllungsbedingungen für intentionale Zustände und das in einem doppelten Sinne. Zum einen kann er für sich als Individuum festlegen, was für ihn etwa ein Objekt der Angst ist, selbst wenn angeborene Mechanismen für ein anderweitiges Verhalten vorhanden sind; zum anderen kann er sich aber auch auf ein bestimmtes Individuum als Individuum beziehen. Dass es für ihn überhaupt Erfüllungsbedingungen gibt, erklärt wie es kommt, dass für ihn Objekte Bedeutung haben können; dass sie individuelle Bedeutung für ihn haben können, erklärt sich dadurch, dass die Erfüllungsbedingungen für ihn als Individuum gegeben sein können. Das ist anders als beim Frosch, aber auch anders als bei der Krähe. Daher ist die Angst eines Menschen vor dem Wolf, wenn er sie hat, auch eine andere, als die der Maus vor der Katze, denn beim Menschen geht sie mit den Erfüllungsbedingungen einer Angst vor Wölfen einher, die darin bestehen, dass der Wolf für den Menschen in freier Wildbahn gefährlich ist. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die individuellen Erfüllungsbedingungen zu den sozialen, interindividuellen derivativ sind.
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Formen der Intentionalität, die nicht mit Erfüllungsbedingungen einhergehen, stellen natürliche Formen der Intentionalität dar. Michael Tomasello nimmt in seiner Spracherwerbstheorie beispielsweise auf solche natürliche Formen der Intentionalität Bezug. Wir haben uns in Kapitel zwei bereits ausführlich damit beschäftigt. Tomasello geht davon aus, dass das Selbstverständnis von Kindern sich in Abhängigkeit des Verstehens von Anderen als intentionale Wesen entwickelt. Um ein intentionales Wesen mit dem dazugehörigen Selbstverständnis zu werden, das Absichten ausbildet, muss ein Säugling erst lernen, dass es Andere gibt, dass er selbst ein Wesen ist, das sich von den Anderen unterscheidet, dass diese Anderen intentionale Wesen sind und dass er selbst ein solches intentionales Wesen ist. Dafür ist der Erwerb von Sprache beziehungsweise von begrifflichem Denken erforderlich sowie gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit auf ein Objekt, das benannt wird. Sprachliche Referenz ist insofern immer auch ein sozialer Akt und Spracherwerb setzt voraus, dass sich der Lernende und der Lehrende gemeinsam auf etwas beziehen können. Diese Formen der Intentionalität sind also erforderlich für den Spracherwerb oder den Erwerb von begrifflichem Denken, das eine Voraussetzung dafür ist, dass wir von Erfüllungsbedingungen sprechen können. Darüber hinaus sind diese Formen der Intentionalität und des Spracherwerbs erforderlich, um ein Selbstkonzept zu entwickeln. Wir haben nun gesehen, inwiefern wir von der Physiologie zur Bedeutung gelangen, wenn es um Fragen der Intentionalität geht. Darüber hinaus ist gezeigt worden, inwiefern der intentionale bedeutungshafte Bezug, der mittels interner Relation und Erfüllungsbedingungen erklärt wird, aufschlussreich dafür ist, dass der Mensch nicht nur zu individuellem Verhalten in der Lage ist, sondern darüber hinaus auch, inwiefern wir unsere eigene Sprache sprechen können, obgleich wir immer die Sprache der Anderen dafür verwenden müssen. Die Antwort darauf ist, dass der Mensch individuelle Erfüllungsbedingungen für intentionale Zustände haben kann. Diese Tatsache ist von beträchtlichem Belang für unser Selbstverständnis, denn dass es für den Menschen überhaupt Erfüllungsbedingungen gibt, erklärt, wie es kommt, dass für ihn Objekte eine Bedeutung haben können und somit etwas für ihn darstellen. Aber dass Erfüllungsbedingungen eine individuelle Bedeutung für ihn haben können, erklärt sich dadurch, dass die Erfüllungsbedingungen auf Grundlage einer sozial vermittelten Sprache nur für ihn gegeben sein können und damit zu seiner Konstitution als Individuum beitragen. Letzteres gilt ganz allgemein für intentionale Bezugnahme, im Falle emotionaler Intentionalität kommt allerdings noch hinzu, dass sie für das Individuum zusätzlich eine Beziehung darstellt, die ihm anzeigt, was für es relevant ist, was ihm wichtig und bedeutsam ist. Diese Frage der Bedeutung ist noch einmal eine ganz andere als die
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der sprachlichen Bedeutung und hängt doch aufs engste mit ihr zusammen. Beide gemeinsam ermöglichen es dem Menschen, ein Innenleben zu haben, eine eigene Perspektive auf die Welt zu entwickeln und ein eigenes Gefühlsleben zu haben. Die gemeinsame sprachliche Referenz ist eine Voraussetzung dafür, dass Empfindungen und Emotionen als solche benannt und phänomenal erlebt werden können. Die Logik beziehungsweise Grammatik der Sprache ermöglicht dann eine individuelle Bezugnahme und damit auch eine individuelle emotionale Bezogenheit oder Intentionalität, die zu einer individuellen Perspektive auf die Welt und einem individuellen Empfinden führen. Wir wenden uns nun dem Zusammenhang von Phänomenalität, Verstehen und Indexikalität zu, der es erlaubt, den Gesichtspunkt der individuellen Perspektive noch weiter zu analysieren.
2 Indexikalität 2.1 „Ich bin jetzt hier“: Indexikalität und phänomenales Empfinden Indexikale Ausdrücke waren und sind ein theoretisch interessantes und anspruchsvolles Thema sowohl in der Theoretischen Linguistik als auch in der Philosophie. Die Faszination die sie aus philosophischer Perspektive haben, ergibt sich vor allen Dingen daraus, dass indexikale Ausdrücke sich nicht auf objektive Beschreibungen reduzieren lassen. Es handelt sich also um ganz besondere Begriffe, deren Bezug oder Referenz sich von Kontext zu Kontext ändert. Sieht man sich die paradigmatischen Beispiele dafür an, als da wären: „ich“, „hier“, „jetzt“, „heute“, ist das bei den Beispielen „hier“ und „jetzt“ vielleicht am deutlichsten. Es gibt kein Hier und Jetzt, auf das man hinweisen könnte, um es als Jetzt oder Hier zu bezeichnen, und so gibt es auch kein Ich, bei dem das der Fall wäre. Wir alle können uns mit „ich“ bezeichnen, obgleich wir für die anderen Hans, Greta oder Paul sind. Daher stellt sich die Frage, was in diesen Fällen den Kontextbezug für die Sprechenden herstellt. Sind es die Verweise auf Paul, Greta oder Hans, wenn sie „ich“ sagen durch Paul, Greta und Hans selbst? Und meint dementsprechend auch ein Automat, der so programmiert wird, dass er auf sich selbst verweisen kann und dabei das Wort „ich“ verwendet, sich selbst? Selten wird unter dem Kontextbezug, der den Indexikalen „ich“, „hier“ und „jetzt“ intentionalen Welt- beziehungsweise Objektbezug verleiht, auch das Moment des phänomenalen oder subjektiven Empfindens mitgemeint.¹⁵⁸ Inwiefern
Diesen Zusammenhang von Indexikalität und Subjektivität beziehungsweise Phänomena-
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dies allerdings mitgemeint werden muss, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. Bereits Edmund Husserl hat seine Überlegungen zu Indexikalität, die er unter seinen Ausführungen zu okkasionellen Begriffen zusammenfasst, mit denen zur Intentionalität verbunden.¹⁵⁹ Husserl nennt indexikale Ausdrücke, die eine von Fall zu Fall wechselnde Bedeutung haben, „die wesentlich okkasionellen Ausdrücke“. Er geht davon aus, dass sich die Bedeutung hinweisender Gesten und des mit ihnen verbundenen Meinens, die mit Indexikalen wie „dies“ begleitet werden, aus der konkreten Wahrnehmung ergibt, welche mit dem Dies-Meinen verbunden ist. Das Dies-Meinen enthält die Intention, mittels derer die Wahrnehmung auf etwas gerichtet ist, daher ist die damit verbundene indexikalische Struktur der Wahrnehmung bereits intentional. In Husserls allgemeiner Theorie der Intentionalität ist jeder Bewusstseinsakt auf ein Objekt gerichtet, entweder durch eine partikulare Bedeutung, die das Objekt semantisch „vor-beschreibt“ oder er ist durch das Objekt „erfüllt“. Bedeutungen sind für Husserl ideale Gehalte eines intentionalen Akt des Denkens, der Wahrnehmung et cetera. Er folgt insofern einem kantischen Weg, nach welchem Wahrnehmung stets Begrifflichkeit und Sinnlichkeit beinhaltet,¹⁶⁰ und eben da wollen wir ein Stück folgen.
2.2 Der Weltbezug indexikaler Ausdrücke Die indexikale Bedeutung von „dies“, die in einem Zusammenhang (oder in einer Situation) mit einer visuellen Erfahrung einhergeht, gilt bei Husserl als durch ein Objekt in diesem Zusammenhang vorbeschrieben oder erfüllt, wenn und nur dann wenn das Objekt angemessen vor dem Subjekt der Erfahrung in der gegebenen
lität haben mit Bezug auf Husserl etwa Evan Thompson und Dan Zahavi hervorgehoben. Vergleiche etwa: Thompson 2007, 248. Abgestellt wird hier allerdings mehr auf den wahrnehmenden, denn den fühlenden Organismus. Die Bedeutung der Wahrnehmung für die Bedeutung von Indexikalen arbeitet auch Anton Friedrich Koch (2002, 179 – 195) heraus. Maßgeblich ist HectorNeri Castañedas Analyse des indexikalischen Bewusstseins als einer subjektiv-phänomenalen Struktur. Auf Castañedas Grundidee einer sich aufstufenden Hierarchie von Bewusstsein eines Selbst, die sich mit Damasios Ideen in Einklang bringen lässt, greifen etwa auch Harald Pilot oder Katja Crone zurück. Husserl, Logische Untersuchungen, 553 f. Dazu: Bermes (1997, 109 Fn. 91): „Hier im Falle der okkasionellen Ausdrücke berühren sich die zwei parallel laufenden Stränge der Bedeutungsproblematik, die rein semantische und die intentionalitätsanalytische Ausführung der phänomenalen Untersuchung.“; sowie Rizzoli 2008, 169 ff. Woodruff Smith 2010, 1– 26 hier 9 – 12.
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Situation sichtbar ist: Der Inhalt meiner visuellen Erfahrung „diese rote, runde Tomate“ ist demnach durch ein bestimmtes Objekt in dem Falle semantisch vorbeschrieben oder erfüllt, in dem das Objekt rot, rund und eine Tomate ist und sichtbar vor mir liegt, wenn ich mich wahrnehmend darauf beziehe. Ein wichtiger Gesichtspunkt, der hier angesprochen ist, betrifft die intentionale Kraft des Weltbezugs indexikaler Ausdrücke, denn die Bedeutung indexikaler Ausdrücke wie „ich“, „hier“, „jetzt“, „dies“ ist ideal oder abstrakt, aber die intentionale Kraft nicht. Den Weltbezug erhalten indexikale Ausdrücke erst durch den konkreten Zusammenhang der Erfahrung. Nur in einer konkreten Erfahrung, in einer konkreten Situation haben „dies“, „ich“, „hier“, „jetzt“ überhaupt intentionale Kraft und dadurch eine Bedeutung. Dass der Weltbezug beziehungsweise die intentionale Kraft die wesentliche Voraussetzung für Spracherwerb ist, haben wir in den vorangegangenen Erörterungen bereits gesehen. Sie erfolgt durch die gemeinsame Ausrichtung auf ein bestimmtes Objekt, einen bestimmten Gegenstand. In einem geteilten Kontext erhalten die Dinge, wie erläutert, eine Bedeutung aus der jeweiligen Wahrnehmungsperspektive heraus, und alle, die sich in der Situation auf das Objekt beziehen, beziehen sich auf dieses Objekt gemeinsam. So kann Bedeutung, die nicht privat sein kann, zu allererst entstehen. Obgleich wir den Bedeutungshorizont der geteilten Erfahrung benötigen, um die Bedeutung des Wortes zu erwerben, mittels dessen man sich in einer Gemeinschaft auf ein Objekt bezieht, sind die jeweiligen Perspektiven auf ein Objekt unterschiedlich, weil es eine jeweilige indexikalische Perspektive, nämlich die jeweils meinige gibt. Diese Meinigkeit und die abstrakte Bedeutung indexikaler Ausdrücke kann jedoch erst im Verlauf des Spracherwerbs erfasst werden, denn der Spracherwerb beginnt nicht mit indexikalen Worten wie „ich“. Es ist sogar so, dass bereits einiges an sprachlichen Strukturen vorbereitet sein muss, damit die abstrakte Bedeutung solcher Indexikale richtig verstanden werden kann und sie richtig gebraucht werden können. Der intersubjektive sprachliche Raum ist eine Voraussetzung dafür, die Grammatik und Bedeutung von Indexikalen erwerben zu können, und erst wenn dieser Spracherwerb abgeschlossen ist, können auch die Indexikale wiederum eine jeweilige Sättigung mit Erfahrung erhalten.Wir haben es hier also, ebenso wie beim Erwerb des vollen Bewusstseins eines Selbst mit einer Stufenfolge des Bedeutungserwerbes zu tun, welcher sowohl abhängig ist von intersubjektiven Verhältnissen zwischen den Sprachteilnehmern als auch von den subjektiven und phänomenalen Erfahrungen des einzelnen Sprechers. Hector-Neri Castañeda war vielleicht der erste, der das indexikalische Bewusstsein als eine subjektiv-phänomenale Struktur analysiert hat und dabei von
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einer sich aufstufenden Hierarchie des Bewusstseins eines Selbst ausgeht.¹⁶¹ Damit gelingt es ihm, die Frage zu beantworten, wie ich erfolgreich auf mich selbst Bezug nehmen kann. Denn daran, dass das nicht immer erfolgreich geschieht, vermag man zu sehen, dass subjektiv-phänomenales Empfinden dazu erforderlich ist. So kann man auch auf sich selbst Bezug nehmen, ohne zu wissen, dass man es selbst ist. Dann nämlich etwa, wenn man sich in einem Schaufenster gespiegelt sieht, sich gedanklich auf diese Person bezieht, aber nicht bemerkt, das man es selbst ist, auf den man sich damit bezieht, weil der Gedanke, mit dem man sich auf die Person im Schaufenster bezieht nicht mit Selbstbewusstsein einhergeht. Harald Pilot hat an Castañeda anschließend herausgearbeitet, dass in Fällen wie diesen eine Einheit des Bewusstseins fehlt, die ein Sich-selbst-Fühlen und ein Selbstbewusstsein umfasst. Beides wäre erforderlich, damit die Identifikation mit mir selbst in dem angeführten Beispiel gelingt. Ein reines Sich-selbst-Fühlen reicht dafür ebenso wenig aus, wie eine abstrakte Selbstpräsentation, die keinen „Weltbezug“ hat, sich mit anderen Worten auf nichts Konkretes bezieht. Die Konkretisierung, die Indexikale gewöhnlich im Welt- beziehungsweise Objektbezug erfahren, kann im Falle der Indexikale „ich“ nicht durch den Hinweis auf einen Gegenstand in der Welt erfolgen, da es diesen Gegenstand für mich nicht gibt, auch nicht im Spiegelbild, wie das Beispiel der Schaufensterspiegelung zeigt. (Wir hatten die Problematik der Spiegelung als Identifizierungsmöglichkeit bereits im Falle der Semantisierung von Gefühlen erörtert.) Wichtig ist hier eine Beobachtung, die auf Aristoteles zurückgeht und von vielen Autoren seither immer wieder herangezogen wurde, um zu erläutern, warum dem Spüren beim Erkennen des eigenen Ich eine wichtigere Bedeutung zukommt als dem Sehen. Sehen und Tasten unterscheiden sich in dem wichtigen Punkt, dass wir jeden Körperteil von uns ertasten können, aber nicht jeden sehen. So können wir unser Gesicht, unseren Hinterkopf oder Rücken ohne die Zuhilfenahme von ein beziehungsweise zwei Spiegeln nicht sehen, all diese Körperregionen aber selbst ertasten, erspüren, fühlen. Pilot weist zudem darauf hin, dass es sich beim Sehen und Fühlen mit Bezug auf Andere genau umgekehrt verhält. Denn wir können den gesamten Körper der Anderen sehen und auch abtasten, aber dabei spüren wir nicht, was der andere empfindet, während ich ihn abtaste, wohingegen dem so ist, wenn ich mich selbst abtaste. Das bedeutet, dass ich mich in einem ganz anderen Sinne selbst erfahre, wenn ich mich selbst abtaste, als ich
Letztlich erinnert dieser aufstufende Aufbau des phänomenalen Selbst an Antonio Damasios Ansatz, weil er es ermöglicht von einem Spüren des eigenen Organismus (Selbstempfinden) auszugehen und nicht bereits von einem voll entwickelten Status des Selbstbewusstseins.
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den anderen erfahre, wenn ich ihn abtaste. In ersterem Fall erfahre ich mich als meinen Körper, im zweiten nicht.¹⁶² Die unvollständige visuelle Eigenwahrnehmung können wir nach Pilot nur deshalb vervollständigen, weil wir eine vollständige Tasterfahrung von uns selbst haben, so dass wir das Gesicht im Spiegel nur deshalb als unseres identifizieren können, weil wir es ertasten können. Die Übertragung von möglicher Tasterfahrung auf das nicht selbst gesehene Gesicht, erfordert, dass man das sich selbst zugeschriebene oder gedachte Gesicht als zum eigenen Ich gehörig zuschreibt. Ist das der Fall, sind wir in der Lage unser Spiegelbild als das unsere zu erfahren. Ist das, wie im Beispiel der nicht identifizierten Schaufensterspiegelung, nicht der Fall, sind wir dazu nicht fähig. Pilot leitet daraus ab, dass das Selbstbewusstsein seiner selbst nicht auf dem Fühlen seiner Selbst beruht, das von Sinneseindrücken abhängt, sondern auf dem Fühlen seiner selbst als eines aktiven Denkers: [Weil] das Selbstgefühl ohne Ich-Bewußtsein (…) nicht in der aktiven denkenden Bezugnahme auf sich selbst gründet, sondern durch das eigene Denken erzeugt wird, beruht das Selbstbewußtsein auf einem Fühlen seiner selbst als eines aktiven Denkers und nicht auf einem Selbstgefühl, das unmittelbar von Sinneseindrücken abhängt.¹⁶³
Hier hängt vieles an dem verwendeten Begriff des Selbstbewusstseins, das sehr viel mehr ist als Bewusstsein und auch sehr viel mehr als das Gefühl des Lebendigseins. Die Hierarchisierung der Selbstbezüge fängt bei einem phänomenalen Gefühl, das Pilot als private Gefühlsqualität bezeichnet an und hört bei einem reflektierenden Selbstbewusstsein auf: Wie wird sich eine Person mit Gegenwartsbewußtsein dessen bewußt, ein Ich zu sein? (…) (dafür muß der) Zustand des Denkens eines ichlosen Gehalts mit einem Zustand des Selbstbewußtseins verknüpft (werden). (…) Wenn ein Denker auf sich als ein Ich Bezug nimmt, erzeugt er aus dem Denken eines ichlosen Gehalts seine Ichheit, die er fühlt, aber nicht selbst als begrifflich denkt. Deshalb ist die Ichheit eines Denkers ein nur ihm selbst zugänglicher, privater Sinn (…).¹⁶⁴
Mit diesen Worten könnte man auch beschreiben, dass die gehaltlose Indexikale „ich“ durch das Selbstgefühl beziehungsweise durch das phänomenale Empfinden einen Gehalt erhält und die Indexikale damit eine Bedeutung. Der sinnliche Gehalt dieses Selbstgefühls, der der Indexikale „ich“ einen Gehalt gibt, ist nicht
Siehe: Pilot 2002, 57– 90 hier 96 f. Pilot 2002, 90. Pilot 2002, 72– 73.
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intersubjektiv zugänglich. Der Gebrauch der Indexikalen lässt sich hingegen nur intersubjektiv beim Spracherwerb erlernen: „Dieses Fühlen seiner selbst wird (…) nicht durch externe Affektion erzeugt,“¹⁶⁵ sondern durch das Fühlen – Gefühl seines Daseins.¹⁶⁶ Die entscheidende Frage ist nun, welchen systematischen Stellenwert dieses Sich-selbst-Fühlen für das Selbstbewusstsein oder dessen Entstehen hat. Wie unterscheidet sich die Selbstbezugnahme durch Selbstzuschreibung mittels des indexikalischen Begriffs „ich“ von der Selbstbezugnahme in der dritten Person, wenn etwa ein Kind von sich redet? Mit Hilfe von Castañedas Analyse einer aufstufenden Hierarchie des Bewusstseins eines Selbst hat Pilot die Rolle des subjektiv-phänomenalen Empfindens genauer bestimmt. Er versucht damit eine Antwort auf die Frage zu finden, was es in Immanuel Kants Anthropologie heißen kann, dass das Kind sich selbst zwar schon fühlen kann, insofern es Empfindungen hat, aber noch keinen Begriff vom Ich hat. Was kann es heißen, dass man sich selbst als Wesen spürt, wenn man Hunger hat, Kälte und Wärme empfindet und sich selbst sogar bereits von den Anderen unterscheiden kann, aber noch nicht weiß, dass dieses Selbst ein Ich ist? Inwiefern unterscheidet sich das ich-lose Selbstgefühl von Selbstbewusstsein? Kinder lernen, wenn sie sprechen lernen, zunächst nicht „ich“ zu sagen, wenn sie von sich sprechen, sondern reden von sich in der dritten Person. Sie sagen etwa: „Paul geht zur Oma!“ Das Kind, das sich derart äußert, beherrscht den Gebrauch der Indexikale „ich“ noch nicht und daher gelingt ihm der damit einhergehende kontextfreie Bezug auf sich selbst noch nicht. Zwar kann es das Tun, Wünschen,Wollen als das eigene spüren und sich dazu auch äußern, aber es kann sich darauf nur als ein unmittelbares Empfinden und Erleben oder Wahrnehmen beziehen und noch nicht auf eines, das als Bezug auf sich selbst unabhängig von dieser Unmittelbarkeit eine logische oder grammatische Abstraktheit hat, die auch dann noch all unser Denken begleiten können muss, wie Kant sich ausdrückt, wenn wir gerade nicht unmittelbar etwas fühlen, empfinden, spüren, wollen. In diesem Sinne ist auch Pilots Antwort zu verstehen, mit der auf die Rolle des Subjekt-Begriffes beim Denken abhebt und an Kant anschließt:
Pilot 2002, 82. Kant, Anthropologie, BA 3, 4: „Es ist aber merkwürdig: daß das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (…) allererst anfängt vom Ich zu reden, so lange aber von der dritten Person sprach (…) und daß ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu sein scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen (…). Vorher fühlte es bloß sich selbst.“ Siehe auch: Kant, Prolegomena, 334.
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Das Kind fühlt zwar ebenfalls seine eigene Tätigkeit, aber es kann zu dieser Tätigkeit nicht deren Subjekt denken, weil die gefühlte Tätigkeit nicht das eigene Denken, sondern nur die durch Propriozeption repräsentierte Bewegung des eigenen Körpers ist. In gewisser Weise ist das Selbst für das kleine Kind nur der eigene empfindungsfähige Körper ohne ein selbstgedachtes Ich als Subjekt des eigenen Denkens. Das zeigt sich auch daran, daß Kinder bereits vor dem Erwerb der Ich-Kompetenz über den Indikator „hier“ verfügen. Denn der hiesige Ort wird durch die Porpriozeption determiniert. Der entscheidende Entwicklungsschritt beim Erwerb der Ich-Kompetenz scheint darin zu liegen, die eigene Denkaktivität von der der anderen unterscheiden zu lernen.¹⁶⁷
Ob der entscheidende Schritt zum Erwerb der Indexikale „ich“ die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen eigenem Denken und dem von anderen ist, ist eine Frage, die sich auch entwicklungspsychologisch und damit empirisch untersuchen lassen müsste. Es würde jedenfalls bedeuten, dass der Erwerb dieser Indexikale ganz andere Voraussetzungen hätte als der anderer Indexikalen wie etwa „hier“, „dort“, jetzt“, et cetera. Fraglich ist dann auch, ob sich noch sagen lässt, dass der Gehalt der Indexikale „ich“ das phänomenale-subjektive Empfinden ist oder ob dabei nicht noch ein Moment des Metabezuges hinzukommen muss, der es ermöglicht nicht nur in ganz konkreten Situationen auf sich Bezug zu nehmen, sondern sich als eine generell bestehende Instanz zu begreifen.¹⁶⁸ Wie also muss man sich die Einheit des Bewusstseins, die sich-selbst-fühlen und Selbstbewusstsein umfasst, vorstellen? Ist ein Metabezug auf uns selbst notwendig, um zu einer Einheit von bewusstem Empfinden unserer selbst und zu Selbstbewusstsein zu gelangen? Pilot verneint das, er mag dies mit den falschen Gründen tun,¹⁶⁹ aber da wir bereits gesehen haben, dass Theorien der Metapräsentation gern gewählte Modelle sind, die allerdings auch nicht immer das zu erklären vermögen, was sie vorgeben, lohnt es sich, sich diesen anderen Ansatz mit Hinblick auf das Konzept des Selbstbewusstseins noch einmal genauer anzusehen.
Pilot 2002, 85. Haben wir diese Perspektive der Generalität einmal in Bezug auf uns selbst eingenommen, fällt es uns schwer sie wieder zu verlassen und sie letztlich doch als eine durch den Tod zeitlich eingeschränkte verstehen zu lernen. Pilot (2002, 65) wendet gegen Roderick Chisholms Ansatz der Metarepräsentation zur Erklärung der Einheit des Bewusstseins ein, dass Tiere dann etwa keine Schmerzen haben könnten, weil dies die Fähigkeit zur Selbstrepräsentation voraussetzten würde, weshalb auch bei diesen Lebewesen von einem nicht-begrifflichen Selbstgefühl auszugehen sei. Dazu ist zu bemerken, dass Tieren ein Schmerzgefühl zuzugestehen ist, dass das jedoch nicht mit einem Selbstgefühl einhergehen muss. Denn Tiere haben zwar Schmerzen, aber es ist ihnen nicht bewusst, dass sie Schmerzen haben, da sie sich nicht des Schmerzgefühls als Schmerzgefühl bewusst sind. Sie sind keine sich erlebenden Einheiten, wohl aber empfindende Wesen.
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Muss ich mich, um den Gebrauch der Indexikale „ich“ zu erlernen, in ein Metaverhältnis zu mir selbst begeben? Oder reicht es, begreifen zu lernen, dass wir generell, und das meint unabhängig vom konkreten Spüren unseres Selbst, als Instanz bestehen? Ist Letzteres eine Form des Metabezuges, das Ergebnis eines Tun oder die Beherrschung einer besonderen grammatischen Form? Pilots Antwort ist, dass wir unser Selbstbewusstsein im Bemerken unseres Denkens als unserem erwerben, ohne dass der Metabezug erforderlich wäre. Das stellt eine durchaus ernst zu nehmende, gewitzte Lösung dar, denn sie lenkt die Aufmerksamkeit auf ein sich in einer Tätigkeit als etwas begreifen Lernen, was wir bereits als aristotelische Lösung für ein Gefühl des Lebendigseins kennen gelernt haben. Ob es das Denken ist, das man sich als eigenes zuschreiben lernen muss, um den Gebrauch der Indexikale „ich“ zu erwerben, könnte, wie angemerkt, sogar eine empirische Frage sein. Zweifellos ist es jedoch letztendlich ein Ergebnis des Denkens, dass man sich als eine generell bestehende Instanz begreifen lernt. Das Ergebnis des Lernens mündet darin, eine grammatisch, logische Funktion eines Begriffs erworben zu haben, der seinen Gehalt nur aus einem Welt- beziehungsweise Objektbezug erhalten kann. Bei der Indexikalen „ich“ wird der Weltbezug durch ein Selbstgefühl hergestellt, was ungleich schwerer zu erfassen und zu rekonstruieren ist, als bei anderen Indexikalen, bei denen man auf etwas in der Welt hinweisen kann, um den Weltbezug herzustellen, wie etwa beim „dort“; aber ähnlich schwierig wie beim „jetzt“. Wir sehen uns selbst nicht, sondern können uns in unserer körperlichen Gesamtheit nur ertasten und wenn wir das Jetzt benennen, ist es immer schon vorbei. Da Indexikale grundsätzlich Abstrakta sind,¹⁷⁰ muss die Kontextabhängigkeit von „ich“, aber auch von „jetzt“ und „hier“ (oder anders ausgedrückt, der konkrete Bezug zu einer Situation oder einem Objekt) jeweils hergestellt werden. Das geschieht durch das Moment des Phänomenalen, ohne den kein Indexikal eine semantische Kraft entfalten kann. Eine besondere Frage ist, wie Indikatoren, die als Indikatoren im strengen Sinn bezeichnet werden, Bedeutung erlangen. Indikatoren im strengen Sinn sind „ich“, „hier“ und „jetzt“, weil sich ihre Referenz weder durch hinweisende Gesten herstellen lässt, wie bei „dort“, noch qualitativ identifizieren lässt, wie bei „heute“, wo der Ablauf von Tag- und Nachtzeiten herangezogen werden kann, um
Das ist ein wesentlicher Unterschied von Indexikalen und „gewöhnlichen“ Sortalen wie Tomate. Auch das, was wir Tomate nennen, ist immer wieder ein anderer Gegenstand, aber damit wir etwas als Tomate bezeichnen können, wenn wir „Tomate“ meinen, muss das, was wir als Tomate bezeichnen in irgendeinem Punkt ähnlich oder gleich sein, mit dem, was wir ansonsten Tomate nennen. Das ist bei „hier“ und „jetzt“ grundsätzlich anders. Und auch bei „ich“ kann man nicht sagen, dass die Bedeutung sich darin erschöpft, dass es sich auf einen Menschen bezieht, wie im Falle des Wortes Tomate, das sich auf eine Tomate beziehen muss.
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den Begriff zu bestimmen. Solche Bestimmungen sind bei „ich“, „hier“ und „jetzt“ nicht möglich, weshalb eine echte Bezugnahme oder Identifikation mittels dieser Worte anders erfolgen muss, als durch Referieren mittels unmittelbarer Gesten oder durch qualitative Identifikation. Sie muss vermittels phänomenalen Empfinden und Wahrnehmen gesättigt werden. Das ist eben im Falle von „ich“ möglich, weil man sich, ehe man den Begriff „ich“ erlernt hat, immer schon selbst gefühlt hat, wie Kant es in seiner „Anthropologie“ beschreibt. Dieses Fühlen ist die Sättigung des Begriffs „ich“, ohne welches der Begriff nicht erworben werden kann. Sind die Begriff „ich“, „hier“ und „jetzt“ allerdings einmal erworben worden, dann sind sie immer schon gesättigt und bedürfen keiner konkreten phänomenalen Sättigung mehr im Einzelfall. Sie haben dann eine besondere grammatische Funktion eingenommen, die es erlaubt, etwas zu benennen, was es als Entität in der Welt nicht gibt, wohl aber als eine Beschaffenheit, in der Phänomenalität und Sprache unhintergehbar miteinander verbunden sind. Müssen Begriffe wie „dort“ oder „gestern“ dagegen immer erst aufs Neue gesättigt werden? „Ich bin jetzt hier“ ist in einem bestimmten Sinne immer schon gesättigt, insofern diesem Satz auch dann eine verständliche Bedeutung zukommt, wenn wir entführt worden sind und uns im dunklen Kofferraum eines Autos befinden, von dem wir nicht wissen, wohin es fährt und wo es sich gerade befindet. Anders verhält es sich hingegen bei Indexikalen wie „dort“ und „gestern“. Diese erhalten zwar eine abstrakte Bedeutung, die sich relativ zu einem „hier“ oder „heute“ ergibt, aber keine Sättigung wie sie bei einem „hier“, „jetzt“ und „ich“ durch die ursprünglich erforderliche phänomenale Sättigung immer gegeben ist, sobald die Begriffe erlernt worden sind und zwar auch in Momenten, in denen das Ich meine Gedanken nur begleiten kann und sie gar nicht konkret begleitet. Diese Zusammenhänge lassen sich auch nochmals von einer anderen Perspektive her betrachten, wenn man darauf abstellt, dass die Grammatik oder Logik der Sprache mittels der Indexikale einen transparenten, intersubjektiven Raum herstellt, für den nicht allein der genaue oder gar vollständige Kontextbezug ausschlaggebend ist, sondern für den vielmehr eine ungefähre situative Einordnung ausreicht, welche die je konkrete Sättigung ersetzen kann. So hat Helmut Pape in überzeugender Weise herausgearbeitet, dass die Verwendung indexikalischer Ausdrücke in unserem normalen Sprachbewusstsein gegenüber den durch sie dargestellten Objekten (Dingen, Ereignissen, Überzeu-
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gungen et cetera) funktional transparent ist.¹⁷¹ Das bedeutet, dass wir die Dinge oder Ereignisse, auf die wir mit Hilfe der Worte „dort“, „hier“ oder „damals“ Bezug nehmen, beschreiben können, während wir „dort“, „hier“ oder „jetzt“ nicht beschreiben können und sie auch nicht als etwas Beschreibbares im Satz und unserem Verständnis des Satzes auftauchen. Auf Indexikale sei daher auch keine besondere Aufmerksamkeit gerichtet, sie könne gewissermaßen gar nicht auf sie gerichtet sein, weil es nichts Beschreibbares gibt, worauf man sie richten kann. Pape schließt daraus, dass die Verwendung der indexikalischen Worte ihre Bedeutung ist. Dieser Bemerkung kann hier allerdings nur eingeschränkt zugestimmt werde, denn zum vollständigen Erlernen der Bedeutung der Indexikale wie „hier“ oder „ich“ ist eine phänomenale Sättigung erforderlich, die sich nicht aus der bloßen Wortverwendung ergibt, weshalb man auch nicht davon ausgehen kann, dass ein Computerprogramm, das die in unserem Verständnis richtigen Verwendungen von „ich“ und „du“ beherrscht, über die vollständige Bedeutung der Indexikale „ich“ verfügt. Zum völligen Verständnis kommt das phänomenale Bewusstsein dazu. Das Verhältnis von Wissen über die Welt und Indexikalen, mit denen auf etwas hingewiesen wird, beleuchtet Pape noch weiter wie folgt: Daß das Indexikalische einfach ist, bedeutet also für die Sprecher, daß seine Zuverläßigkeit nicht vom Wissen über die Welt abhängig ist. Allein die Erfahrung situativer Zusammenhänge reicht hin, um den richtigen Index verwenden zu können. Gleichgültig, wie wenig oder wieviel ich über mich weiß: „ich“ bezeichnet mich als Sprecher des Satzes, in dem „ich“ vorkommt. Der Sprecher und Denker, der, im Kofferraum eines fahrenden Autos eingeschlossen, den Satz „Hier ist es jetzt ganz still“ denkt, weiß im objektiven Sinne nicht, wo sich das Auto befindet – und trotzdem gelingt es ihm, sich auf den Ort zu beziehen, an dem er sich befindet.¹⁷²
Die indexikal hergestellte Transparenz und Intersubjektivität wird also auf Grundlage eines minimalen Situationsbezuges erreicht, der nicht vollständig physikalistisch objektivierbar und beschreibbar sein muss, wohl aber mit subjektivem Weltbezug gesättigt ist, und der insofern ein zunächst geteilter ist, als er ausschließlich im intersubjektiven Spracherwerb die Funktion als subjektive Sättigung und damit als subjektiver Weltbezug erhalten kann.
In einem Vortrag, gehalten an der FU Berlin. Der Vortragstext wurde mir freundlicherweise von Helmut Pape zur Verfügung gestellt. H. Pape, „Die wichtigsten Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen.“ Über einige Schwierigkeiten mit dem theoretischen Verstehen des indexikalischen Aspekts der Sprache des Wissens und der Moral. Pape, Vortragsmanuskript.
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Es ist kein umfassendes Wissen über die Welt erforderlich, um zu verstehen, auf welche Personen, Zeiten, Orte sich indexikale Ausdrücke beziehen, sondern lediglich eines mit minimalem Weltbezug. Infolge der nicht erforderlichen Präzision, lassen sich Indexikale mit beliebigem Wissen, Stellungnahmen, emotionalen Wertungen und Interpretationen verknüpfen. Da die Sättigung im intersubjektiven Spracherwerbe ihre Funktion erhält, ist es zudem möglich, aus jeder beliebigen Perspektive die flüchtigen indexikalen Äußerungen einer anderen Person zu verstehen.
2.3 Der Weltbezug indexikaler Ausdrücke durch phänomenales Empfinden und Wahrnehmung Das erforderliche Zusammenspiel von Indexikalen und phänomenalem Erleben ermöglicht dem Menschen eine besondere Form der Orientierung in Raum und Zeit sowie einen besonderer Bezug auf sich selbst. Indexikale benötigen einen Welt- beziehungsweise Objektbezug, um verstehbar zu sein und eine Bedeutung zu erlangen. Dass dieser Weltbezug bei Indexikalen wie „ich“ und „hier“ und „jetzt“ durch phänomenales Empfinden und durch Wahrnehmung geleistet wird, soll nun an weiteren Beispielen noch anschaulicher und plausibler gemacht werden. Wieso benötigt man für das Verstehen der Bedeutung von Indexikalen einen Welt- oder Objektbezug durch phänomenale „Sättigung“? Um etwa zeitliche Abfolgen, also Zeitrelationen als solche wahrnehmen zu können, ist eine indexikalische Bezugnahme eine Voraussetzung, denn dafür muss ein Punkt ausgezeichnet sein und das lässt sich nicht objektiv bewerkstelligen. Pape und Kettner stellen etwa die Frage: Warum verstehen wir, daß der Satz „In diesem Augenblick beginnt der Rest meines Lebens“ sich auf eine bestimmte Zeit bezieht und zwar immer wieder auf eine andere, je nach dem, wann wir diesen Satz sprechen oder lesen? Es sind die „indexikalischen“ Komponenten dieses Satzes, die bei jeder Verwendung des Satzes die Zeit unserer Erfahrung mit der Zeit des Lesens, Sprechens oder Denkens des Satzes und so mit der intersubjektiven Zeit verknüpfen. Mit „Indexikalität“ ist diese Anwesenheit der Welt in der Sprache und des Bezugs auf Teile der Welt – Personen, Objekte, Ereignisse – im Sprechen gemeint.
Aber ist tatsächlich die Anwesenheit der Welt in der Sprache der entscheidende Gesichtspunkt in dem hier diskutierten Zusammenhang oder ist nicht vielmehr die Verknüpfung der Erfahrung mit bestimmten Koordinaten in der Welt in Verbindung mit bestimmten grammatischen Kompetenzen ausschlaggebend für das Verständnis von Indexikalen? Denn das Moment der Anwesenheit der Welt ist
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nicht von dem der Erfahrung zu trennen und damit auch nicht von der subjektiven beziehungsweise der phänomenalen Perspektive. Der Behauptung, dass ein phänomenaler Bezug erforderlich ist, um die Bedeutung von Indexikalen jeweils ganz erfassen zu können, scheint zu widersprechen, dass sie anders als konkrete Beschreibungen, die für eine bestimmte Erscheinung zu einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verwendet werden, stets auf wechselnde Orte, Zeiten und Personen angewandt werden. Da sie sich jedoch auf wechselnde Orte, Zeiten und Personen anwenden lassen, muss der jeweils gemeinte Bezug in subjektiver Perspektive erfolgen, denn objektiv kann er nicht erfolgen. Der Satz „Hast Du mir den Anzug mitgebracht, den ich Dir gestern mitgegeben habe, damit Du ihn in die neu eröffnete Reinigung bringst?“ kann von vielen Menschen bei ähnlicher Gelegenheit heute, morgen oder in zehn Jahren so verwendet werden. Der Satz „Adam K. hat seine Frau Ariane S. am 25. August 2010 um 19.15 Uhr gefragt, ob sie ihm den Anzug aus der Reinigung mitgebracht hat, von der er ihr am 21. August 2010 um 20.10 Uhr erzählt hat“, lässt sich nur auf ein Ereignis beziehen und kann nur für dieses verwendet werden. Der große Vorzug einer Aussage wie der letzten ist, dass sie vollkommen eindeutig ist und insofern kaum Spielraum für Interpretationen zulässt. Dadurch ist sie, weil ihre Bedeutung immer dieselbe ist, in einer Weise objektiv, wie es bei Sätzen mit indexikalischen Ausdrücken nicht der Fall ist. Nun sieht es zunächst so aus, als ließen sich alle Sätze, in denen indexikalische Ausdrücke vorkommen, in solche übersetzen, die derart objektiv sind, dass kein Kontextwissen erforderlich ist, um zu verstehen, was mit „hier“, „jetzt“ oder „ich“ gemeint ist. Doch zahlreiche Überlegungen zeigen, warum nicht alle Sätze, die indexikalische Ausdrücke enthalten, in solche übersetzt werden können, bei denen das nicht der Fall ist. So ist schon häufig bemerkt worden, dass auch objektive Aussagen nur verständlich sind, wenn sie mit einer indexikalen Verortung in Verbindung gebracht werden können, weil sonst keine Orientierung in Raum und Zeit möglich ist. Im Falle einer objektiven Einordnung wie im Satz „Adam K. hat seine Frau Ariane S. am 25. August 2010 um 19.15 Uhr gefragt, …“ ist die Aussage beispielsweise nur dann auch für Adam K. ganz zu verstehen,wenn er weiß, dass er selbst Adam K. ist. In diesem Fall handelt es sich bei dem Wissen über die Welt – nämlich dem, wer wer ist und wann und wo – zugleich um eines über sich selbst, das erforderlich ist, um Aussagen vollständig verstehen und einordnen zu können. Und auch die Zeitangabe 2010 ist nur dann der Orientierung dienlich und als eine Information einzuordnen und zu verwenden, wenn man weiß, in welchem Jahr man sich selbst befindet, ob im Jahr 2010 oder gar erst im Jahr 1963. Das bedeutet, dass eine vollständig indexfreie Information keinen vollständigen Informationsgehalt haben kann, weil nicht klar ist, worauf die Information bezogen ist. Wir sind mithin
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für das Verstehen und Weitergeben von Informationen sowohl auf indexikale Äußerungsformen angewiesen, als auch auf die Möglichkeit zur eigenen Orientierung in Raum und Zeit. Wird, wie hier, zudem die Auffassung vertreten, das Erlernen der Verwendung von Indexikalen setze phänomenales Erleben und Bewusstsein voraus, kommt man im weiteren zu dem Schluss, dass letztlich auch das Verstehen und Weitergeben von Informationen auf phänomenales Erleben und Bewusstsein angewiesen ist. Dem ist so, weil eine objektive Beschreibung nur dann den ganzen informativen Gehalt weitergeben kann, wenn feststellbar ist, worauf sie bezogen ist und in welchem Verhältnis derjenige, der die Information erhält oder erhalten soll, zu diesem (Zeit‐)Punkt steht. Denn man muss wissen, ob man selbst, das jeweilige Hier oder Jetzt und damit dieser Bezugpunkt ist oder ob sich diese unterscheiden und dass sie sich unterscheiden. Ist das nicht klar, kann die objektive Information keinen zutreffenden Informationsgehalt vermitteln. Welches Wissen fehlt etwa Adam K., wenn er nicht weiß, dass er Adam K. ist und wozu braucht er dieses fehlende Wissen? Es fehlen Erinnerungen. Das aber ist eigentlich ein Normalzustand, denn wir können uns an das wenigste, das wir erlebt haben, tatsächlich erinnern. Darüber hinaus fehlt ihm auch die Möglichkeit, Behauptungen und Aussagen zu überprüfen, sich auf diese zu beziehen et cetera, weil die Einordnung oder Zuordnung in Raum und Zeit oder in Bezug auf sich selbst nicht möglich ist. Diese Zuordnung ist von elementarer Bedeutung, wenn es um praktisches Handeln geht. So muss man etwa wissen, ob Herbst oder Sommer ist, wenn man eine gute Ernte einfahren möchte. Oder man muss wissen, welches Jahr ist, wenn man weiß, dass 2013 gewählt wird und man von seinem Wahlrecht Gebrauch machen möchte. Dazu kommt, dass ich, wenn ich nicht weiß, wer ich bin, welcher Zeitpunkt ist und wo ich bin, et cetera, nicht nur nicht in der Lage bin, den Wahrheitswert einer Aussage zu bestimmen, ich kann nicht einmal wissen, ob sie überhaupt einen hat. So hat der Satz in dem Beispiel „Adam K. hat seine Frau Ariane S. am 25. August 2010 um 19.15 Uhr gefragt, …“, wenn er 1963 geäußert wird, (noch) gar keinen Wahrheitswert. Das bedeutet, dass ich ohne eine solche Einordnung nicht bestimmten kann, ob etwas eine Tatsache, ein Sachverhalt beziehungsweise ein Ereignis in dieser Welt ist oder war.
2.4 Subjektive Sättigung und logische Ursprünglichkeit indexikaler Ausdrücke In einem aufschlussreichen Sinn kann nur ich mich wirklich welt-zeitlich einordnen, das bedeutet, dass es einer subjektiven Zuordnung bedarf, die von einem objektiven Beobachtertandpunkt aus nicht zu leisten ist: „Am Ausgangspunkt
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eines jeden Wahrnehmungsfeldes finden wir demzufolge ein selbstlokalisierendes Denken, welches Unterschiede setzt, wo objektiv keine vorhanden sind.“¹⁷³ Ausgeführt wird diese Betrachtung von Anton Friedrich Koch mittels eines Doppelgängerszenarios, in dem eine Expansions- und eine Kontraktionsphase des Universums spiegelbildlich zueinander verlaufen und meine Doppelgängerin, sich, in einem der Universen befindlich, für einen objektiven Beobachter nicht von mir unterscheiden ließe, auch nicht durch meine Gedanken und den Satz, „das bin jetzt ich, ich bin hier“.¹⁷⁴ Wohl aber wäre diese Doppelgängerin für mich von mir unterschieden, weil sich mein „Ich“ für mich auf mich bezöge und ihres für sie auf sie. Ein unbeteiligter Betrachter könnte sich also nicht auf diese Doppelgängerin als etwas Individuierbares beziehen und nicht auf mich als ein solches, da wir uns für ihn grundsätzlich nicht unterscheiden würden – auch nicht durch unsere Gedanken. Dennoch könnten sich die Doppelgängerin und ich uns durchaus jeweils auf uns selbst oder die andere als das für uns je so Seiende beziehen, weil jede von beiden jeweils denken kann, dass das jetzt ihre Umgebung ist und sie das zumindest phänomenal für sich auszeichnen kann, was dem objektiven Beobachter nicht gelingt. „Das ist meine Umgebung, in der ich bin“, kann sich jede sagen und es so empfinden, obgleich die beiden Umgebungen und die beiden Individuen sich objektiv nicht unterscheiden lassen, und zwar weder in Raum noch Zeit. Das zeigt, dass die Indexikalität von „mein“, „ich“, „hier“ und „jetzt“ unter bestimmten Umständen nicht durch eine objektive Beschreibung gesättigt werden kann, sondern ausschließlich von einem subjektiven Standpunkt aus gesättigt wird. Geht dieser subjektive Standpunkt nur mit der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Umgebung im Sinne visueller Wahrnehmung einher oder auch mit phänomenalem Empfinden, das grundsätzlich nicht vollständig objektivierbar ist, weil sich der subjektive Anteil daran nicht objektivieren lässt? Sättigt bereits Wahrnehmung einen rein indexikalisch Bezug nehmenden, selbst lokalisierenden Gedanken oder muss phänomenales Empfinden dazu kommen? Dazu ist bereits einiges gesagt worden, aber vielleicht noch nicht ausreichend argumentiert worden. Auch wenn wir die gleichen phänomenalen Empfindungen haben, habe doch ich immer die meinen und du immer die deinen. Dieser subjektive „Standpunkt“, der mit meinen Empfindungen und Wahrnehmungen einhergeht, ermöglicht eine Orientierung in Raum und Zeit, weil sie erst die Kontextabhängigkeit schafft, in der indexikalische Ausdrücke wie „ich“, „jetzt“,
Koch 2002, 179 – 195 hier 187. Die Bedeutung der Wahrnehmung für die Sättigung arbeitet Anton Friedrich Koch (2002, 185) heraus.
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„hier“ oder „mein“ „gesättigt“ werden, das heißt verstehbar werden. Dennoch ist dieser subjektive Standpunkt nicht nur im Falle starker Empfindungen gegeben, sondern auch wenn man gelernt hat, sich als eine generell bestehende Instanz zu begreifen, die unabhängig von einem unmittelbaren Kontextbezug existiert. Um diesen Schritt vollziehen zu können, ist der phänomenale Bezug, der den Kontextoder Weltbezug herstellt, derjenige, der die grammatische Position mit Bedeutung erfüllt, und daher ursprünglich erforderlich. Diese Orientierungsmöglichkeit wird zudem von niederschwelligem Empfinden begleitet und bisweilen durch emotionales Erleben noch verstärkt. Damit wird eine Orientierung in Raum und Zeit ermöglicht, die auf objektiven Zeit- und Raumkoordinaten so nicht möglich ist. Kochs Feststellung: Ich lokalisiere mich denkend in demselben Raum-Zeit-System, das ich zugleich, jedenfalls Ausschnittsweise, wahrnehme; und so reichert sich meine ursprüngliche Selbstlokalisation alsbald an zu einer qualitativ vermittelten, objektiven und irrtumsanfälligen Selbstlokalisation.¹⁷⁵
ist also dadurch zu ergänzen, dass ich mich empfindend und denkend in demselben Raum-Zeit-System lokalisiere, das ich zugleich wahrnehme; und so reichert sich meine ursprüngliche Selbstlokalisation zu einer qualitativ vermittelten, objektiven und irrtumsanfälligen Selbstlokalisation an. Was ist meine ursprüngliche Selbstlokalisation? Das Äußern des Satzes: „Ich bin jetzt hier“? ist der sprachliche Ausdruck für eine ursprüngliche Selbstlokalisation in Raum und Zeit. Dass sie „ursprünglich“ genannt wird, ist irreführend, denn ursprünglich mag sie nur in dem Sinne sein, dass sie als indexikalienlogische Wahrheit irrtumsimmun ist. Ursprünglich ist sie aber nicht in dem Sinne, dass man über sie verfügt, ehe man wahrgenommen oder empfunden hat. Letzteres bezeichnet auch Koch als Sättigung der indexikalienlogischen Wahrheit,weil das „ich“, „hier“ und „jetzt“ jeweils eine Einordnung benötigt, um eine orientierende Funktion einnehmen zu können. Die indexikalische Lokalisation kann also nur eine logische Ursprünglichkeit sein, die in rein logischer Form nicht auftreten kann, sondern nur phänomenal und wahrnehmungsgesättigt. Dann wäre es aber fraglich, ob man einen Indikator immer als einen Nominator definieren kann, dessen Referenz vom Kontext der Äußerung, in der er vorkommt, abhängt.¹⁷⁶ Denn in dem Fall, den Koch mit dem DoppelgängerSzenario beschreibt, kann der Nominator „ich“, „mein“ nur im Äußerungskontext eines einzigen Individuums, nämlich desjenigen, das auf sich selbst referiert, be-
Koch 2002, 185. Lorenz 1995, 224– 225 hier 224.
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stimmt werden, obgleich das auf sich referierende Ich nicht von vornherein in einer solipsistischen, monologischen Situation zu denken ist. Das Universum, in dem es den Begriff des Ich erlernt hat, mit Hilfe dessen es auf sich selbst referiert, muss zunächst bevölkert sein, um den Begriff allererst erwerben zu können. Daher muss auch auf das Bedeutungsgerüst indexikaler Ausdrücke verwiesen werden, das sich nicht aus einem ursprünglichen Selbstbezug ergibt, sondern aus der Abhängigkeit der Verwendungsweise indexikaler Begriffe zueinander. Ein Beispiel dafür wurde bereits angeführt. Es handelt sich um die Verwendungsweisen von „ich“ und „du“, die jeweils nur dann vollständig verstanden sind, wenn sie im Verhältnis zueinander richtig gebraucht werden. Deutlich wird das aber auch bei der Begriffs- und damit Bedeutungsbestimmung der Begriffe „hier“, „dort“ und „woanders als“.¹⁷⁷ „Hier“ bezeichnet demnach alle Orte und Positionen, die sich in der Nähe des Sprechenden befinden und „dort“ alle Örtlichkeiten, die nicht hier sind. Es liegt demnach ein als logisch zu verstehendes (Ausschluss‐) Verhältnis vor. Und so ist es auch bei dem Begriff „woanders als“, der eben einen Ort bezeichnet, der weder hier bei Person x noch dort bei Person y ist, sondern eben woanders. Die Bedeutung dieser indexikalen Ausdrücke ergibt sich also auch aus der Verwendungsweise solcher Ausdrücke wie „ich“ und „du“ oder „hier“, „dort“ und „woanders als“ im Verhältnis zueinander. Das erklärt sich aus der Einfachheit, Alltäglichkeit und aus der schon erwähnten funktionalen Transparenz indexikalischer Begriffe. Man sollte aber darüber hinaus darauf hinweisen, dass eben diese Einfachheit und Transparenz allen logischen beziehungsweise grammatischen Beziehungen von Begriffen zu eigen ist. Indem man die Begriffslogik indexikalischer Begriffe hervorhebt, macht man auch deutlich, dass die Erfahrung situativer Zusammenhänge nicht reicht, um den richtigen Index verwenden zu können, sondern auch die Beherrschung der begriffslogischen Zusammenhänge erforderlich ist. Die philosophische Reichweite dieser Überlegungen zeigt sich aber erst vollends dadurch, dass man zeigen kann, dass die grammatischen Strukturen, die indexikalischen Begriffen zu Grunde liegen, es auch ermöglichen, Aussagen über subjektive Perspektiven in intersubjektive zu übersetzen. Auch Helmut Pape verweist darauf, dass indexikalische Äußerungen in ineinander überführbaren grammatischen Strukturen zueinander stehen, die es erlauben, auf der indexikalischen Darstellungsebene eine Form der Intersubjektivität und der gemeinsamen Referenz auf dasselbe von unterschiedlichen (subjektiven) Perspektiven und Standorten aus zu ermöglichen. Dafür liefert nach ihm
Auch das führt Helmut Pape in seinem bereits zitierten Vortrag aus.
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III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele
die Strukturlogik des „Woanders als“ ein besonders klares Beispiel.Versuchen wir, das zu verstehen. Ein fiktiver Dialog, in dem es um eine Verabredung dreier Personen zu einer bestimmten Zeit, an einem noch unbestimmten Ort geht, könnte beispielsweise so lauten: „Wir können uns hier bei mir, oder bei Michael, dort ist ein Garten, oder auch woanders treffen.“ „Woanders“ ist also weder hier noch dort, hier ist nicht dort und dort auch nicht hier. Die drei bezeichneten Örtlichkeiten, von denen einer sogar, außer durch den Ausschluss von „hier“ und „dort“, unbestimmt ist, stehen in einem räumlichen Verhältnis zueinander und die drei Indexikale, mittels derer sie bezeichnet werden, stehen in einem grammatischen Verhältnis zueinander, denn wenn jemand sagt, dass er hier bei mir sei, schließt er in dem angeführten Beispiel aus, dass etwa der Satz, er sei dort im Garten bei Michael, richtig sein kann. Damit die raum-zeitliche Orientierung durch einen solchen Dialog gelingen kann, ist ein gewisses Kontextwissen erforderlich,weil die Indexikale „hier“, „dort“ und „woanders“ sonst nicht verständlich sind, sie sind eben in allen möglichen Kontexten auf spezifische Situationen anwendbar. Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass für ein solches Kontextwissen auch phänomenales Empfinden und Wahrnehmungen von Bedeutung sind. Der Punkt, auf den es nun aber ankommt, ist, dass die Ermöglichung intersubjektiver Bezugnahme darüber hinaus die logische Struktur der Indexikale benötigt. Die feststehende Logik, in der die Begriffe zueinander stehen, ermöglicht es den Gesprächsteilnehmern zusammen mit einem gewissen Kontextwissen (– etwa dem Wissen darüber, wo ich und Michael wohnen), sich auf einen Ort zu einigen, selbst wenn sie ihn gar nicht sehen. Das Zeigen auf einen Ort kann das allein ebenso wenig leisten, wie das Aufzeigen von Koordinaten auf einer Maßstabzeichnung. Die spezifische Verortung (das Kontextwissen) ist für die Verständigung ebenso erforderlich, wie die Kenntnis der Bedeutung „hier, „dort“ und „woanders“, die sich auch dadurch ausdrückt, dass wer weiß, wie „hier“ zu verwenden ist, auch weiß, wie „dort“ zu verwenden ist. Wie verhalten sich spezifische Kenntnis, Grammatik und Intersubjektivität nun bei den Indexikalen „ich“ und „du“? Wer das Indexikal „ich“ richtig verwenden kann, kann auch das Indexikal „du“ richtig verwenden und umgekehrt. Um zu verstehen, wer ich ist, ist es erforderlich, dass man sich spüren kann, was, wie dargelegt im Falle des Tastsinns besonders einleuchtend ist. Es ist noch einsichtiger, als wenn nur darauf abgehoben wird, dass man den eigenen Körper zum Teil auch sehen kann. Für die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen ich und du ist das wesentlich. Das Erlernen und Verwenden indexikalischer Ausdrücke ist ohne diese Sättigung und implizite Aufmerksamkeit, Zugewandtheit, Wertzuweisung, die mit phänomenalem Empfinden einhergeht, nicht möglich, weil die Zuweisung in einem Koordinatensystem nicht ausreicht. Nun setzt die Möglichkeit, das Indexikale „ich“ richtig zu lernen und verwenden zu können, zwar das
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beschriebene phänomenale Moment voraus, es setzt aber auch voraus, dass die Grammatik der Begriffe „ich“ und „du“ in ihrer gegenseitigen sprachlichen unumstößlichen Bezogenheit erworben worden ist. In diesem Sinne reicht das phänomenale Moment also nicht aus, der über den subjektiven Standpunkt hinausreichende Verweis auf ein „du“ ist gleichfalls immer schon erforderlich. Ist damit auch schon eine intersubjektive Ebene erreicht und wenn ja, in welchem Sinne? Zunächst in dem einfachen Sinne, dass niemand alleine eine Sprache erlernen kann, sondern nur im Sprechen, Handeln, Leben mit anderen. Das gilt eben auch für die Indexikale „ich“ und „du“.
2.5 Phänomenaler Gehalt und indexikaler Modus Nachdem gezeigt wurde, dass indexikale Bezugnahme eine phänomenale „Sättigung“ erfordert, soll nun die gegenteilige Annahme erörtert werden. Diese besagt, dass phänomenale Begriffe ebenso wie indexikalische funktionieren und sich der phänomenale Gehalt, den wir zu verspüren meinen, entgegen anders lautender Ansichten sehr wohl reduzieren und damit eliminieren lässt, indem gezeigt wird, dass der indexikale Modus bei Begriffen, die wir gewöhnlich mit einem phänomenalem Gehalt verbinden, die Funktion des phänomenalen übernimmt. Eine solche Position hat in den vergangenen Jahren John Perry stark gemacht. Bei seiner Auffassung handelt sich um eine reduktionistische Theorie des Geistes, nach welcher phänomenale Zustände, also auch Emotionen, mittels so genannter indexikaler Begriffe zu verstehen seien. Perry beschreibt phänomenale Begriffe als eine Klasse indexikaler Begriffe, die ähnlich wie indexikale Begriffe wie „ich“, „hier“ und „jetzt“ ihre Referenten unter einem indexikalen Modus herausgreifen.¹⁷⁸ Vertreter einer solchen Argumentationsstrategie argumentieren dafür, dass so genannte phänomenale Begriffe, welche sich auf unsere bewussten Zustände beziehen, ganz besondere Begriffe sind und in ganz besonderer Weise funktionieren. Diese besondere Funktionsweise soll auch helfen zu zeigen, dass die Erklärungslücke zwischen physikalischen und chemischen Prozessen, die mittels physikalischer und chemischer Begriffe und Gesetze beschreibbar sind, und bewussten Zuständen, die nur mittels phänomenaler Begriffe beschreibbar sind, weniger dramatisch ist, als vielfach angenommen wird, weil sich mittels physikalischer Begriffe erklären ließe, wie wir diese phänomenalen Begriffe beherrschen (possession of these concepts).
Phänomenale Begriffe referieren dann nach Perry unter einem indexikalen Modus der Präsentation auf Gehirnzustände. Vergleiche auch: Braun 2010.
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III Bedeutung und Phänomenalität: Zwei Beispiele
Das zu verstehen ist schwierig und bedarf noch einiger zusätzlicher Erläuterungen. So werden phänomenale Begriffe als Wiedererkennungsbegriffe (recognitional concepts) bezeichnet. Man versteht darunter einen Begriff, der zumindest teilweise dadurch definiert oder individuiert wird, dass ein Subjekt aufgrund seiner Sensitivität dazu in der Lage ist, Vorkommnisses dieses Begriffs zu erkennen.¹⁷⁹ Ein Begriff wäre demnach dann als ein Wiedererkennungsbegriff zu bezeichnen, wenn er aufgrund von Wahrnehmungen hinsichtlich seiner Vorkommnisse gebraucht und verwendet werden kann. Phänomenale Begriffe sollen nun auch solche Wiedererkennungsbegriffe sein, die es gestatten, etwas als etwas zu erkennen. Der subjektive Charakter der phänomenalen Empfindungen soll aber seinerseits nur eine physikalische Eigenschaft von Prozessen sein, die zur phänomenalen Wahrnehmung führen. Der springende Punkt, der die weitere Argumentation mit trägt, ist, dass wir unterschiedliche Begriffe für den subjektiven Charakter der Wahrnehmungsempfindung haben, einmal einen phänomenalen und einmal einen neurophysiologischen; woraus sich die bereits angesprochene Erklärungslücke zwischen objektiver Beschreibung eines Zustands und dem damit einhergehenden subjektiven Empfinden ergeben soll. Da phänomenale Begriffe indexikale und demonstrative Wiedererkennungsbegriffe des subjektiven Charakters phänomenaler Empfindungen seien, hätten phänomenale und physikalische Begriffe lediglich unterschiedliche begriffliche Rollen. Das Moment des Indexikalen helfe dabei, den subjektiven Charakter einer Empfindung zu erklären, ohne dabei auf nicht physikalische, also mentale Eigenschaften Bezug nehmen zu müssen. Perry¹⁸⁰ gibt ein Beispiel, um das verständlich zu machen: Aus einer Tüte in John Perrys Einkaufswagen wird Zucker auf den Boden verschüttet. Perry schaut sich nach der Person um, welche die Schweinerei verursacht und stellt schließlich fest, dass er selbst diese Person ist. Daraus leitet er die folgende Schlussfolgerung ab: (1) Ich verursache eine Schweinerei. (2) Die Person, die Zucker auf den Boden verschüttet, verursacht eine Schweinerei. (3) Der einzige Bart tragende Philosoph in einem Safeway Supermarkt westlich von Mississippi macht eine Schweinerei. (4) John Perry macht eine Schweinerei.
Vergleiche etwa: Balog 2009, 292– 312 hier 303 – 309. Der ganze Ansatz ist sehr umstritten, was uns für die hiesige Argumentation aber zunächst nicht interessieren muss. Perry 1979, 3 – 21; sowie Perry 1994, 167– 183.
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Die Feststellung aus Satz eins ist mit keiner der Feststellungen aus den Sätzen zwei bis vier bedeutungsgleich. Daraus lässt sich zum einen schließen, dass sich indexikales Wissen nicht auf nicht-indexikales Wissen reduzieren lässt, zum anderen aber auch, dass sich indexikales Wissen nicht mittels nicht-indexikaler Begriffe definieren lässt. Diese Beobachtung ist nicht wirklich neu. Interessant wird sie durch die Behauptung, phänomenales Wissen sei nichts anderes als indexikales Wissen und die Nicht-Reduzierbarkeit phänomenalen Wissens sei letztlich der Nicht-Reduzierbarkeit von Indexikalität geschuldet, auf das sich phänomenales Wissen reduzieren lasse, wodurch die Nicht-Reduzierbarkeit des Geistigen allerdings verschwinde. Perry hat seine Thesen in Auseinandersetzung mit dem berühmten MaryGedankenexperiment entwickelt. Dieses Gedankenexperiment ist von Frank Jackson in die gegenwärtige Debatte um das Leib-Seele-Problem eingebracht worden, um zu zeigen, dass Beispiele denkbar sind, mit deren Hilfe sich zeigen lässt, dass mentale Vorgänge sich nicht auf rein objektives Wissen und Beschreibungen zurückführen lassen. Perrys Argumentationsstrategie läuft nun darauf hinaus darzulegen, dass mit solchen Beispielen nicht die Nicht-Reduzierbarkeit von Geistigem, sondern von Indexikalität gezeigt werde. Daher seine Behauptung, Mary erwerbe indexikales Wissen, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben Rot sieht und nicht phänomenales.¹⁸¹ Der Clou dieser Behauptung ist, dass Perry zugesteht, Mary lerne etwas Neues, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben Rot sieht und dass dies Neue in dem Erlebnis bestehe, wonach rote Gegenstände und Flächen eine bestimmte Erfahrung verursachen und somit einen phänomenalen Begriff beinhalten, weil sich das in einer bestimmten Art und Weise anfühlt. Der phänomenale Begriff soll als ein demonstrativer analysiert werden und damit als ein indexikaler („dieses Rotsehen“), der ebenso funktioniert wie andere
Das berühmteste Gedankenexperiment zur Widerlegung des Physikalismus in der Philosophie des Geistes stammt von Frank Jackson (1986, 291– 295). Laut dem Physikalismus sind alle Tatsachen, also alles, was der Fall ist, physikalische Tatsachen. Mentale Tatsachen oder Zustände wie Fühlen, Denken, Begründen wären dann lediglich physikalische Tatsachen. Um diese Annahme zu widerlegen, hat Jackson das folgende Gedankenexperiment formuliert: Eine hervorragende Physikerin namens Mary lebt seit ihrer Geburt in einer Umgebung, in der sie nur schwarz-weiße visuelle Erfahrungen macht. Allerdings lernt sie als Wissenschaftlerin alles, was man über die Physik der Farben wissen kann. Was lernt Mary nun aber, wenn sie zum ersten Mal in eine farbige Umgebung kommt? Lernt sie etwas, was sie bisher noch nicht wusste, obwohl sie als Wissenschaftlerin alles über die Theorie der Farben gelernt hat? Nach Jackson erfährt sie etwas Neues, wenn sie zum ersten Mal Farben über die Sinne wahrnimmt – etwas, was mit Phänomenalität, dem Sich-in-einer-bestimmten-Weise-Anfühlen zu tun hat und das sie aufgrund ihres physikalischen Wissens allein nicht lernen konnte.
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demonstrative Begriffe, mit Hilfe derer auf eine bestimmte Erfahrung hingewiesen wird, die gerade gemacht wird.¹⁸² Die analoge Funktionsweise zwischen phänomenalen Begriffen und klar erkennbaren indexikalen Begriffen lässt sich dann nach Perry wie folgt verdeutlichen: Auch unter der Voraussetzung, dass eine Person über das vollständige objektive Wissen verfügt, ist diese möglicherweise nicht in der Lage, zu deduzieren, welche Zeit jetzt gerade ist oder wo sie auf der vollständigen Landkarte, die ihr zur Verfügung steht, lokalisiert ist. So gelingt ihr unter Umständen trotz ihres vollständigen Wissens über das Konzept „Zeit“ die Einordnung in das objektive Zeitschema nicht, weil sie ihr eigenes Dasein nicht mit dem Zeitschema in Verbindung setzen kann. Was dieser Person dann trotz ihres vollständigen Wissens nicht gelingt, ist dass sie ihren eigenen Zustand und den der objektiven Welt in Deckung zu bringen vermag. Diese Situation sieht Perry in analoger Weise gegeben, wenn es um die Frage geht, ob man ein vollständiges Wissen von phänomenalen Erscheinungen haben kann, ohne sie gesehen, gehört, gerochen oder ertastet zu haben: Kann man vollständiges Wissen haben, ohne zu wissen, wo man ist? Kann man vollständiges Wissen haben, ohne zu wissen, wie es sich anfühlt, Rot zu sehen? Ist also vollständiges kognitives Wissen auch ohne phänomenale Wahrnehmungen über die Welt komplett, und könnte man dennoch mit Fug und Recht sagen, dass es sich um ein vollständiges Wissen handelt? Der so genannten Strategie phänomenaler Begriff zufolge soll eine Person, die sich mit einem Begriff wie Rot introspektiv auf den phänomenalen Zustand der Rotwahrnehmung bezieht, einen Zustand herausgreifen, der mit einem neuronalen Zustand des Gehirns identisch ist. Diese Gehirnzustände seien uns in der Erfahrung direkt gegeben und die phänomenalen Begriffe, bezögen sich direkt auf diese Erfahrung und damit auf die Gehirnzustände. Da dem so ist, räumt der Vertreter einer solchen Strategie durchaus ein, dass man über einen phänomenalen Begriff nur dann verfügt, wenn man die entsprechende Erfahrung gemacht hat. Der Trick der Strategie besteht also darin, dass man sagt, ja es gibt phänomenale Begriffe und ja, sie sind etwas Besonderes, aber in Wirklichkeit beziehen sie sich direkt auf gewisse Gehirnzustände und mithin auf physikalische Eigenschaften, nämlich auf neuronale Prozesse. „Wenn Mary ihren berühmten schwarz-weißen Raum verlässt, erwirbt sie somit neue Begriffe, die sich auf phänomenale Aspekte beziehen, die ihr bislang unbekannt waren. Aber es handelt sich extensional gesehen eben nicht um neues Faktenwissen, sondern um physikalische Zustände , die auf
Vergleiche auch: Tewes 2009, 121– 152 hier 145 – 148.
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Grund der phänomenalen Gegebenheitsweise intensional von ihr repräsentiert werden“,¹⁸³ die sie in der theoretischen Sprache der Physik aber bereits vorher kannte. Neu sei nun lediglich, dass sie sie auch in der Sprache phänomenaler Begriffe kennt, die sich aber dementsprechend auf physikalische Zustände reduzieren lassen. Es gibt verschiedene Varianten der Strategie phänomenaler Begriffe, die indexikale ist eine davon. Versuchen wir nun eine Kritik zu skizzieren, die sich auf die gesamte Strategie bezieht. Der Strategie der phänomenalen Begriffe kann es nur dann gelingen, der Intuition, dass Mary etwas Neues lernt, den Boden zu entziehen, wenn sie zeigen kann, dass das, was Mary lernt sich letztlich doch nur auf neurologische und damit physikalische Eigenschaften bezieht, die sie eigentlich schon kennt, aber eben noch nicht in dem neuen phänomenalen Gewand. Das bedeutet, dass das Moment des Phänomenalen als nebensächlich wegerklärt werden soll. Dabei gibt es aber einige nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Eine davon ist eine sehr nahe liegende. Phänomenale Begriffe nehmen auf phänomenale Eigenschaften Bezug, die unmittelbar im Erleben gegeben sind. Das ist es ja genau, was sie zu phänomenalen Eigenschaften macht. Das bedeutet, dass die Eigenschaft, rot zu sein, eine phänomenale Eigenschaft ist, welche im Erfahren und Erleben gegeben ist. Aber auch die Eigenschaft, etwas als rot wahrzunehmen, ist eine phänomenale Eigenschaft, denn auch sie ist nur im Erleben gegeben. Nun ist es aber so, dass phänomenale Eigenschaften keine Eigenschaften derjenigen neuronalen Gehirnzustände sind, von denen sie nur eine andere Form sein sollen. Die Gehirnzustände sollen uns im phänomenalen direkt gegeben sein. Aber wie und wieso? Wieso sind uns andere Gehirnzustände nicht direkt in dieser Weise gegeben? Weil sie nicht phänomenal sind? Und vor allem: Erleben sich Gehirnzustände dann selbst? Und was sollte es heißen, dass sich Gehirnzustände selbst erleben? Denn wenn angenommen wird, dass Qualia letztlich nichts anderes als Gehirnzustände sind, muss erklärt werden, wie es dazu kommt, dass wir diese bewusst phänomenal wahrnehmen, und genau das ist nicht erklärt.¹⁸⁴ Dass diese Argumentationsstrategie nicht funktionieren kann, lässt schon der einfache Hinweis vermuten, dass eine qualitative Erfahrung und die Verwendung eines qualitativen Begriffs von der Verwendung eines demonstrativen und damit indexikalen Begriffs zu unterscheiden sind und Mary eben mehr lernt, als: „Ach das ist also Roterfahrung!“ Darüber hinaus lässt sich aber auch zeigen, dass die Strategie gegen das Mary-Argument nicht haltbar ist.
Tewes 2009, 136. Vergleiche: Putnam 1999, 30.
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Die Argumentationsstrategie gegen das Argument des unvollständigen Wissens beruht darauf, dass phänomenale Begriffe und physikalische Begriffe voneinander kognitiv unabhängig sind, dass man also, wenn man über die physikalischen Begriffe verfügt, nicht auch schon a priori über die phänomenalen verfügt. Um über letztere zu verfügen, muss man das, worauf der Begriff sich bezieht, daher erfahren haben. Der Kniff der Argumentationsstrategie beruht darauf, zu sagen, dass sie sich aber dennoch auf dieselben physikalischen Zustände beziehen und daher in dieser Hinsicht nichts Neues gelernt würde. Dass das nicht funktioniert, zeigt die folgende Überlegung: Es gibt eine Eigenschaft E, die mit Hilfe von zwei unterschiedlichen Begriffen erfasst wird, einmal durch einen physikalischen Begriff und einmal durch einen phänomenalen Begriff. Wenn dem so ist, und diese beiden Begriffe dieselbe Eigenschaft erfassen, müssen auch dieselben Vorkommnisse unter ihren Begriff fallen, sie müssen denselben Begriffsumfang haben, im Fachjargon: sie müssen koextensional sein. Das muss man zwar nicht immer gleich wissen oder erkennen, aber unter idealen Umständen muss man es erkennen können. Die Proponenten einer phänomenalen Begriffsstrategie können aber nicht zeigen, dass ein phänomenaler Begriff und ein physikalischer, die sich auf dieselbe Eigenschaft beziehen, koextensional sein müssen. Dafür gibt es bislang keine Beschreibungen oder Erklärungen, die dies leisten würden. Bei dem Abendstern – Morgenstern – Beispiel kann man jedem, der nicht weiß, dass sich beide Namen auf Venus beziehen, erklären, dass sich beide Begriffe auf den Planeten Venus beziehen, wenn er es noch nicht wusste. Das ist im Falle phänomenaler Begriffe, die den Referenten im applizierten Begriff quasi selbst enthalten, sich also auf die Qualität des eigenen Bewusstseinserlebens beziehen, nicht der Fall. Hier kann man nicht zeigen, dass sich sowohl der phänomenale Begriff, als auch die physikalische Beschreibung der Gehirnzustände beide auf die Gehirnzustände beziehen, weil die phänomenalen Begriffe den Referenten im Begriff ja selbst enthalten und das ist nicht der Gehirnzustand und es ist auch keine phänomenale Eigenschaft des Gehirnzustandes. Ein Vertreter der Standardstrategie muss zusätzlich postulieren, dass er sich auf eine neurophysiologische Eigenschaft bezieht, welche die Anwendung des phänomenalen Begriffs stets hervorruft. Nach Perry soll es so sein, dass eine Person zwar über das vollständige Wissen über Wahrnehmungen, Gehirnzustände, physikalische und chemische Gegebenheiten verfügen kann, wenn sie alles über eine rote Rose weiß, aber dennoch die phänomenalen Zustände nicht mit den objektiv beschreibbaren Zuständen in Deckung bringen kann. David Chalmers ist auf Perrys Reduktionsversuch phänomenaler Begriffe eingegangen und hat herausgestellt, dass Marys neues Wissen eben nicht nur ein indexikales Wissen sei, das sich aus der Verwendung indexikaler Begriffe ergäbe.
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Zwar gewinne Mary in der beschriebenen Situation auch indexikales Wissen, dieses sei aber nicht das entscheidende Moment. Wichtiger sei vielmehr, dass sie in substantieller Weise qualitatives (phänomenales) Wissen gewinne, für das sie auch einige nicht-indexikale, nämlich qualitative (also phänomenale) Begriffe verwende. Denn bei der ersten Farbwahrnehmung lerne man trotz vollständigen physikalischen und chemischen Wissens über Farben nicht nur, dass das, was man beim ersten Farben Sehen erfährt, eine „das ist Farbensehen“-Erfahrung ist, sondern in dem angesprochenen, in der Literatur viel diskutierten Beispiel auch, dass es sich um eine Rotsehen-Erfahrung handelt und nicht um eine GrünsehenErfahrung. Die qualitative Erfahrung und die Verwendung eines qualitativen Begriffs ist etwas anderes, als die Verwendung eines demonstrativen und damit indexikalen Begriffs.¹⁸⁵ Deshalb lassen sich phänomenale Begriffe eben nicht auf indexikale zurückführen. Das Unwissen um den Weltbezug des Indexikals in Perrys Beispiel rührt auch nicht von einer besonderen Funktionsweise von Indexikalen her und ließe sich aufklären, wenn man die dritte Person Perspektive einnähme. Das funktioniert im Falle qualitativer oder phänomenaler Erlebnisse gerade nicht. Nur ich spüre, was ich spüre, nur für mich hat der Satz „das bin jetzt ich“ eine Differenzfunktion, die sie für niemanden sonst hat, auch wenn die andere Person, dasselbe sagt und der Unterschied für keinen objektiven Beobachter erkennbar ist. Trifft man als Beobachter auf den bärtigen Philosophen im Supermarkt, der sich fragt, wer die Schweinerei verursacht hat, lässt sich hingegen leicht feststellen, dass es John Perry war und kann das diesem auch erläutern. Anders verhält es sich hingegen im Fall qualitativer Erfahrungen. Wenn ich nicht weiß, wie es sich anfühlt schwerelos zu sein, lässt sich dieser Erfahrungsoder Erlebnismangel auch nicht dadurch vollständig beheben, dass dieses Erlebnis aus einer dritten Person Perspektive beschrieben wird. Auch wenn die Beschreibung sehr illustrativ ist und Assoziationen etwa mit Flugerfahrungen weckt, führt sie doch nicht dazu, dass ich mich schwerelos fühle. Während eine Person, die sich anschaut, wie John Perry die Schweinerei verursacht, kein Unwissen mehr über Verursacher und Selbstbezug des Verursachers hat, sobald ihr alle nicht indexikalen Bezüge erläutert wurden. Da rein indexikalisch Bezug nehmende, selbst lokalisierende Gedanken durch phänomenales Erleben, also durch Wahrnehmung, Empfinden und Erleben ge-
„Why does Chalmers think that there is this concept R distinct from this_i? It seems that Mary could have had different thoughts of the form ‘this_I is G’ had she been exposed to a different sort of experience, such as an experience of green. So it seems that the qualitative concept of the experiential type is quite different from the demonstrative concept.“ Braun 2010.
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sättigt sind,¹⁸⁶ ist phänomenales Erleben eine Voraussetzung dafür, dass wir Indexikale richtig gebrauchen lernen können. Dafür ist auch der Weltbezug, welcher eine subjektive Perspektive benötigt, erforderlich, um die Bedeutung von Indexikalen erfassen zu können. Erst wenn der Gebrauch dieser Indexikalen erlernt ist, ist der endgültige Schritt vom vorpropositionalen Bewusstsein zum Selbstbewusstsein möglich.¹⁸⁷
Koch 2002, 185. Vergleiche: Tugendhat 2006, 13 – 29 hier 28.
IV Normativität und Bewusstsein Einführung Wenn ich mich über etwas freue, bewerte ich das, worüber ich mich freue implizit als gut. Emotionen sind mithin erlebte Bewertungen und als solche auch eine Form von Normativität. Diese Form der Normativität ist im Spüren enthalten und wird mithin weder explizit gefolgert noch ist sie propositional gefasst. Stellen Emotionen also letztlich sogar eine natürliche Grundlage für moralische oder genuine Normativität dar? Lassen sich moralische und genuine Normativität dadurch auf biologisch angelegte Formen von Normativität reduzieren? Das wird in diesem Kapitel geprüft. Diese Diskussion weist insofern Überschneidungen mit den in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Fragen auf, als die verschiedenen Formen der Bewertung mit verschiedenen Bewusstseinsstufen in Verbindung gebracht werden und verschiedene Formen des Selbstverhältnisses erfordern. Zudem lässt sich die Diskussion um die natürliche Normativität von Emotionen mit ausgearbeiteten Versuchen verbinden, semantischen Gehalt mentaler Zustände auf natürliche Grundlagen zu reduzieren. Bekannt geworden sind diese Ansätze unter dem Stichwort „Teleosemantik“. Ob die Teleosemantik eine tragfähige Theorie ist, um den semantischen Gehalt mentaler Zustände zu naturalisieren, wird in Auseinandersetzung mit ihren Kritikern diskutiert. Meist wird übersehen, dass man sich an lebensweltlichen Praktiken der wechselseitigen Zuschreibung von Bedeutung und Gedanken orientieren muss, um die normativen Eigenschaften des Geistigen richtig zu verstehen. Denn die Normativität mentaler Gehalte ist relativ zu einer intersubjektiven, sprachlich verfassten Zuschreibungspraxis zu verstehen, die historisch gewachsen ist und sich somit nicht restlos auf rein natürliche Grundlagen reduzieren lässt. Dennoch wird ein weiterer Versuch der Naturalisierung von Geistigem untersucht. Hätten Lebewesen nämlich einen bestimmten natürlichen Zweck beziehungsweise ein natürliches Telos und damit natürliche Interessen und ein natürliches Wohl, dann könnte es die Funktion des phänomenalen Bewusstseins sein, also etwa auch die Funktion von Emotionen, ein solches Wohl zu befördern. Ob dem so ist, wird diskutiert. Dabei stoßen wir ein weiteres Mal im Verlauf dieses Buches auf die Renaissance aristotelischer Theoriebildung, weil die Frage, was es heißt, dass ein Lebewesen ein Wohl hat, mit Verweis auf den aristotelischen Begriff des ergons zu beantworten versucht wird. Wie steht es mit dem ergon als dem Wohl eines Lebewesens? Wie damit, die Selbsterhaltung oder Selbstproduktion als charakteristische Tätigkeit eines Lebewesens anzusehen? Und wie mit naturgegebenen Notwendigkeiten als Naturalisierungsgrundlage? Diese Reduktionsversuche kommen nicht umhin, wiederum normative Begriffe wie Wohl oder
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IV Normativität und Bewusstsein
Interesse zu verwenden, obgleich es ihr Ziel ist, Normativität zu reduzieren. Zum anderen können sich Menschen aufgrund selbst anerkannter genuiner Normen und Werte gegen eine natürliche Norm wie die der Selbsterhaltung entscheiden.
1 Normativität und Geist 1.1 Emotionale Einschätzung und Normativität Emotionen als phänomenal-bewusste mentale Zustände gehen mit Normativität einher. Sie sind intrinsische Evaluationen einer Situation oder eines Gegenstandes, weil sie erlebte Bewertungen sind. So wird durch den Ekel vor einer Speise, diese vom Organismus als unbekömmlich oder gesundheitsgefährdend für ihn selbst eingeschätzt. Ekel ist also eine Form der gespürten Bewertung. Die Bewertung ist gewissermaßen intrinsisch in dem Spüren enthalten, sie wird nicht explizit aufgrund eines eventuell vorhandenen Wissens über die Zusammensetzung der Speise gefolgert und ist auch nicht propositional gefasst. Daher beruht sie auch nicht auf Gründen oder Begründungen, aus denen sich Bewertung oder Urteil ergeben. In der abendländischen Philosophietradition werden insbesondere diejenigen Beurteilungen als normativ bezeichnet, die mit dem Anspruch versehen sind, moralisch gerechtfertigt werden zu können. Wenn daher auf die phänomenal bewusst erlebte Form der Normativität von Emotionen und Gefühlen abgehoben wird, geschieht dies letztlich vielfach in der Hoffnung, dort auf eine natürliche Quelle und Grundlage für moralische Normativität zu stoßen. Genuine Normativität, mit der wir es bei Werten wie Menschenrechten oder Schutz für Schwächere zu tun haben, soll so auf biologisch angelegte Formen von Normativität reduziert werden.¹⁸⁸ Inwiefern dieser Ansatz die in ihn gesteckten Erwartungen einer Reduktion von Moral auf Natur überhaupt erfüllen kann, muss erörtert werden. Weil verschiedene Formen der Beurteilung mit verschiedenen Formen des Bewusstseins einhergehen, setzt die Untersuchung von emotionalen und rein kognitiven Einschätzungsvorgängen auch voraus, dass das Verhältnis von Emotionen, Gefühlen und Bewusstsein weiter untersucht wird. Denn für die unterschiedlichen Weisen der Evaluation, die im Zusammenhang mit Gefühlen oder Emotionen relevant sind, lassen sich unterschiedliche Formen und Funktionen von Bewusstsein bestimmen. Unbewusste Evaluationen, deren abschließendes Bewertungsergebnis Einschränkend muss hier jedoch angemerkt werden, dass dieses Kapitel dem Thema der Naturalisierung von Normativität unter dem einschränkenden Fokus auf Emotionen und dem Bereich des Affektiven gewidmet ist und daher nicht die gesamte Debatte zur Normativität in der Ethik im Auge hat.
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mit der Emotion bewusst wird, und höhere Formen der Evaluation, deren Wertung gedanklich gefolgert wird, gehen mit unterschiedlichen Formen des Bewusstseins einher. So gibt es intrinsische Evaluationen wie Emotionen, deren Bewertungsvorgang unbewusst verläuft und von dem erst das Ergebnis des Bewertungsprozesses als Empfindung bewusst wird. Und es gibt genuine Werte wie Menschenrechte, die ohne höhere Formen des Bewusstseins nicht vorstellbar sind. Während intrinsische Evaluationen im Verbund mit affektiv zu deutendem Verhalten beispielsweise auch bei Tieren vorkommen, ist das bei genuinen Werten wie Menschenrechten nicht der Fall. Sowohl Emotionen als auch Werten wird nicht zuletzt deshalb eine besondere Bedeutung für den Menschen zugeschrieben, weil sie eine besondere Signifikanz für den Organismus anzeigen oder eine besondere Bedeutung in den Lebenszusammenhängen des Menschen haben. Während es das Ziel einiger Theorieansätze ist,Werte als eine Form dessen, was für Menschen Bedeutung hat, auf organische, biologische Anlagen zu reduzieren, ist es das Ziel einer Theorie wie der auf Ruth Millikan zurückgehenden so genannten Teleosemantik, semantische Gehalte auf natürliche Repräsentationen zu reduzieren. Da auch Emotionen vielfach als natürliche Repräsentationen verstanden werden, zeigt das letztlich wie man eine Reduktion des semantischen Gehalts mentaler (also geistiger) Zustände erreichen will. In dem ersten Fall haben wir es mit einem Reduktionsversuch von Bedeutung in einem weiten Sinn zu tun. Bei der Teleosemantik haben wir es hingegen mit einem Reduktionsversuch zu tun, der sowohl den spezifischen Bedeutungsbegriff der Semantik (und darüber hinaus den Gehalt mentaler Zustände) zum Ziel hat, als auch die Reduktion von Normativität auf natürliche Grundlagen.
1.2 Bewusstsein und Normativität Man muss davon ausgehen, dass es nicht nur auf der Bewusstseinsebene eine Kontinuität vom Tier zum Mensch gibt, sondern auch auf der affektiven Ebene und damit verbunden auf der von Einschätzungen und Evaluationen. Daher ist zu vermuten, dass die beiden Ebenen des Bewusstseins und der Affektivität korreliert sind. Sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der affektiven Ebene und der angeborener Evaluationsvermögen müsste man es also mit unterschiedlichen Graduierungen derselben natürlichen Mechanismen und biologischen Grundlagen zu tun haben. Um die Entstehung „genuiner“ Normativität wie etwa die von Werten zu erklären (rechtliche oder moralische Normativität), könnte es ein wichtiger Schritt in der Evolution gewesen sein, dass Evaluationen und Bewertungen in Form erlebter Triebzustände und Emotionen (natürliche Normativität) bewusst zugänglich
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sind.¹⁸⁹ Denn emotionale oder affektive Prozesse gehen generell mit einem Bewertungs- oder Einschätzungsmoment einher, bei dem es sich nicht um bewusst gefällte, kognitiv geschlussfolgerte Urteile handelt, sondern um nicht bewusst gesteuerte Einschätzungen wie es empfundene Emotionen sind. Empfindet man einen Geruch beispielsweise als eklig, mag damit die implizite Einschätzung des Gerichts, von dem er ausgeht, verbunden sein. Dieser Einschätzungs- oder Bewertungsprozess ist das kognitive Element in emotionalen Prozessen, er umfasst die kognitive Funktion von Emotionen und setzt eine Norm oder Regel voraus, aufgrund derer die Einschätzung erfolgt, welche gleichfalls nicht bewusst ist und sowohl in einem angeborenen als auch in einem erworbenen Mechanismus bestehen kann. Diese Form der Kognition ist nicht als Form höherer Kognition wie sie etwa bei Schlussfolgern, Planen, Entscheiden oder Werten beteiligt ist, zu verstehen, sondern kommt lediglich auf der Ebene der Reizverarbeitung oder Wahrnehmung vor. Während der Prozess der Einschätzung oder Bewertung bei affektiven Prozessen oder Zuständen nicht immer schon ein bewusster Prozess sein muss, handelt es sich bei einem Urteil im herkömmlichen Sinne um einen bewusst vollzogenen kognitiven Akt. Fällt man etwa ein Urteil darüber, ob Schulaufgaben sorgfältig und gut ausgeführt sind, sind sie bewusst Schritt für Schritt nachzuprüfen, um das Urteil fällen zu können. Hingegen kann bei Emotionen der gesamte Bewertungs- und Einschätzungsprozess unbewusst verlaufen. Das ist sogar häufig der Fall. Dann verläuft der in Emotionen oder Intuitionen mündende Einschätzungsprozess unbewusst oder er ist das Ergebnis eines vorangegangenen Lernprozesses, der erst als eine Form der Einsicht bewusst wird. Das Ergebnis eines Einschätzungsprozesses kann in unterschiedlichen Graden und Formen bewusst werden. Ein Grund für diese unterschiedlichen Bewusstseinsgrade könnte darin liegen, dass bereits die dazugehörigen Einschätzungsprozesse unterschiedliche Formen aufweisen. Die mit den Bewertungs- und Evaluationsprozessen einhergehende Normativität wäre dann auch eine jeweils andere. Um die Unterschiede herausarbeiten zu können, ist es hilfreich, sich die unterschiedlichen Mechanismen zu verdeutlichen, die beispielsweise Intuitionen
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es die Funktion dieser Bewusstwerdung wäre, genuine Werte zu ermöglichen. Der evolutionäre Vorteil einer solchen Bewusstwerdung ist vielmehr in der Weitergabe von Informationen über eine Situation zu sehen, die dann nicht nur über die unbewusst bleibende körperliche Expression stattfinden kann, sondern auch zeitlich und räumlich unabhängig von dem direkten körperlichen Emotionsausdruck, weil der einer Situation ausgesetzte Organismus auf das Ergebnis des Bewertungsprozesses nur als erlebtes Zugriff hat und der Organismus aufgrund des Erlebten sozial relevante Handlungszusammenhänge beeinflussen kann. Vergleiche hierzu: Detel, 2007, 143 – 150, hier 146 f.
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und emotionalen Prozessen zu Grunde liegen. Denn während Emotionen mit Einschätzungen einhergehen, deren Ergebnis gefühlt wird, ist das bei Intuitionen nicht der Fall. Der Vergleich der beiden Phänomene kann daher dazu dienen, etwas über die jeweils zu Grunde liegende Form der Normativität auszusagen. Fälschlicher Weise werden Intuitionen häufig zusammen mit Emotionen demselben Phänomenbereich zugeordnet. Emotionen sind allerdings in ihrem Ergebnis phänomenal bewusste affektive Prozesse, während Intuitionen zumeist das Ergebnis eines unbewusst ablaufenden Lernprozesses sind. In diesem Sinne sind Intuitionen Ergebnisse rein kognitiver Prozesse. Emotionen als phänomenal empfundene Prozesse gehen hingegen mit Einschätzungen und Evaluationen einher, die nicht rein kognitiv sind, sondern lediglich kognitive Aspekte aufweisen. Dennoch können beide Prozesse zu einem ähnlichen Ergebnis in der Praxis führen, welchem unbewusste Mechanismen vorausgehen. Die häufig angenommene Verwandtschaft von Emotionen und Intuitionen lässt sich mit Alltagssituationen wie der folgenden näher analysieren: Ferdinand sitzt am Schreibtisch und hat plötzlich den Gedanken, dass sein guter Freund Karl in ernsten Schwierigkeiten ist. Für das Aufkommen dieses plötzlichen Gedankens lassen sich Gründe rekonstruieren. Karl hatte gesagt, dass er eine gewisse Summe Geldes benötige und Ferdinand hatte ihm zugesagt, ihm eine höhere, aber noch unbestimmte Summe zukommen zu lassen. Ferdinand überweist Karl daher Geld, aber Karl meldet sich nicht bei diesem, um zu fragen, ob und welchen Betrag Ferdinand denn nun überwiesen habe. Letzteres findet Ferdinand sehr ungewöhnlich und lässt für ihn darauf schließen, dass die Situation um Karl ernster ist als zunächst angenommen. – Diese Geschichte könnte auch damit beginnen, dass Ferdinand am Schreibtisch sitzt und plötzlich Angst um Karl hat. Diese Angst ließe sich in ihrem Entstehen genauso rekonstruieren wie die zuvor geschilderte Einsicht oder Intuition, die sich einem Lernprozess in Bezug auf soziale Zusammenhänge und auf das individuelle Verhalten von Karl verdankt. Die Umgangsformen, mit denen Ferdinand aufgewachsen ist, sehen vor, dass man sich meldet, wenn der andere etwas für einen tut. Karl war schon öfter in Schwierigkeiten und hat, als Ferdinand im geholfen hat, stets sofort und dann auch mehrmals telefoniert, um sich nach Einzelheiten die Hilfe betreffend zu erkundigen und sich auch zu bedanken, et cetera. Wenn es sich bei dieser kleinen Geschichte um die Geschichte einer Intuition handelt, geht sie nicht mit der implizit nachempfundenen Bewertung der Situation einher, in der Karl sich befindet. Es wird einfach festgestellt, dass es Karl wohl gerade nicht gut geht, weil die Geldsorgen schwer auf ihm lasten. Hat man allerdings Angst um Karl sowie um sein Wohl und befürchtet, dass es ihm nicht gut geht, ist das mit gefühlter Bewertung und damit gefühlter Normativität verbunden. Wir spüren, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte, ohne dass wir über explizite Kriterien verfügten, die uns angeben, wie es
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sein sollte. Diese Art der Normativität ist also eine implizite, eine empfundene. In dem anderen Fall, dem intuitiven, haben wir plötzlich einen Gedanken, der das Resultat eines unbewussten, rein kognitiven Prozesses ist, der aber gleichfalls nicht das Ergebnis explizit angestellter Überlegungen ist. Bewusst vorgenommene Einschätzungen oder Bewertungen setzen kognitive Reflexionsfähigkeit voraus, während unbewusste Einschätzungen quasi automatisch von statten gehen. Das bedeutet nicht, dass sie keine kognitiven Fähigkeiten voraussetzen, wohl aber, dass sie keine kognitive Reflexionsfähigkeit voraussetzen. Dabei ist es zweifelsohne so, dass eine bewusst vorgenommene Einschätzung keine Emotion auslösen muss und ein unbewusst von statten gehender Lernprozess ein kognitiver Vorgang sein kann, der gleichfalls nicht in einer erlebten Emotion endet.
1.3 Bewusst angestellte Reflexionen über emotionale Bewertungen Wie komplex das Verhältnis von Bewusstsein, Emotion und Einschätzung oder Bewertung ist, zeigen auch Situationen, in denen wir beispielsweise wahrnehmen Freude zu empfinden, obgleich wir es nicht erwartet haben, um dann anzufangen, bewusst darüber nachzudenken, wie wir das freudige Empfinden in dieser Situation einzuschätzen haben und was es uns über unsere Wünsche, Hoffnungen und Ängste sagt. An die Wahrnehmung der Emotion schließt sich eine bewusst vorgenommene, reflektierte Bewertung an. Solch bewusst bewertenden Gedanken über das Wahrgenommene oder das Bewertete (oder andere Inhalte unseres Bewusstseins) werden in Verbindung mit seiner Bedeutung für das Selbst angestellt. Diese Überlegungen setzen mithin voraus, dass das betreffende Wesen, das solche Reflexionen anstellt, über einen Begriff des Selbst verfügt. Dagegen beziehen sich intrinsische Einschätzungen einer Situation oder eines Gegenstandes durch den Organismus wie etwa im Falle des Ekels auf ein fühlendes Wesen, das keine bewusst vorgenommenen kognitiven Überlegungen zu der Bedeutung der Situation für den eigenen Organismus vornimmt. Vielmehr ist die Bewertung unmittelbar in der Emotion enthalten und wird durch das Gefühl beziehungsweise die Empfindung vermittelt. Denn das, was „Einschätzung“ genannt wird, kann auch der kognitive Lernerfolg aus unangenehmen oder angenehmen Erfahrungen sein und das Erlernte muss sich nicht unbedingt aus der bewussten Reflexion auf diese Erfahrungen ergeben, sondern kann unbewussten Abläufen entspringen. Die Formen der Normativität sind in den beiden ausgeführten Fällen auch noch zu unterscheiden. Die Normativität von Emotionen und Gefühlen ist eine andere als die, die bei urteilsähnlichen Einsichten wie Intuitionen beteiligt sind. Normativität soll zu-
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nächst in den beiden angeführten Fällen nichts anderes heißen, als dass Normen am Werke sind beziehungsweise für das Zustandekommen der jeweiligen Prozesse erforderlich sind. Im Falle von Emotionen wären es diejenigen, die zu einer gefühlten Einschätzung einer Situation führen, im Falle von Intuitionen wären es die kognitiven Normen oder Regeln, aufgrund derer ein Schluss erfolgt. Während Emotionen und Gefühle mit einer Normativität einhergehen, die phänomenal und damit bewusst erlebt wird, weil etwas durch das Gefühl als angenehm (lustvoll) oder unangenehm (von Unlust oder Abwehr begleitet) erlebt wird und damit die Normen für das Wohlbefinden oder Unbehagen eines Organismus ebenso umfasst wie das einschätzende Moment, das eine Situation oder einen anderen Organismus als gefährlich oder erfreulich bewertet und damit implizit „beurteilt“, ist das bei urteilsähnliche Einsichten wie Intuitionen anders. Sie sind vornehmlich das Ergebnis eines unbewussten Lernvorgangs, dem das Begreifen einer Regelmäßigkeit zu Grunde liegt. In letzterem Fall spielt zudem die Richtigkeit oder Unzutreffendheit einer Intuition eine Rolle, die mittels eines implizit vorhandenen Maßstabs festgestellt werden muss, während man insbesondere bei Emotionen eher von Angemessenheit oder Unangemessenheit spricht, was aber wiederum voraussetzt, dass es ein Maß beziehungsweise eine Regel oder Norm für diese Angemessenheit oder Unangemessenheit geben muss. Letztlich haben also beide Formen der Normativität auch wieder mit dem Verhältnis zur Rationalität zu tun. Die Annahme, dass Intuitionen und Emotionen richtig oder angemessen beziehungsweise falsch oder unangemessen sind, hat nur vor dem Hintergrund Sinn, dass es ein Maß oder eine Norm für die Richtigkeit oder Angemessenheit gibt und dass das eine richtig oder angemessen und das andere falsch oder unangemessen ist und damit eine bessere oder schlechtere Reaktion in einer Situation ist. Es lässt sich daher feststellen: In beiden Fällen liegen zwei verschiedene Formen der Normativität vor; diejenige Form, die das Maß der Einschätzung oder des Urteils ist und diejenige, die es erlaubt, die Einschätzung oder das Urteil als angenehm oder zutreffend zu qualifizieren. Das Fühlen wird nun gerne als Hinweis auf einen natürlichen Vorgang verstanden, während der intuitive Schluss erworbenen Normen folgt und daher keine Grundlage für eine Naturalisierung von Normativität im Sinne genuiner Normativität, wie Werte sie darstellen, sein kann.¹⁹⁰ Für die Naturalisierungsfrage entscheidend ist vielmehr, ob wir es mit
Die Tatsache, dass Prozesse unbewusst verlaufen, sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob wir es mit höheren Formen des Bewusstseins zu tun haben, denn bei Prozessen, die in Intuitionen münden, mögen durchaus höhere Formen des Bewusstseins beteiligt sein.
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angeborenen und in ihrem Verlauf weitgehend unveränderlichen Abläufen zu tun haben oder nicht. Warum die Chancen für eine Reduktion beziehungsweise Naturalisierung von Normativität der Werte auf natürliche Grundlagen im Falle von Emotionen viel versprechend sein könnte, mag die folgende Überlegung zeigen: Emotionen sind Bewertungen/Evaluationen: Unlust zeigt an, dass etwas nicht so sein soll, Lust zeigt an, dass etwas so sein soll (empfundene Form der Normativität). Dies setzt voraus, dass es Regeln oder Normen gibt, aufgrund derer festgestellt wird, dass etwas gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm ist. Handelte es sich bei den Fällen der Lust oder Unlust allerdings nur um subjektive Befindlichkeiten, ließe sich Normativität nicht auf diese Grundlage hin naturalisieren. Für eine erfolgreiche Naturalisierung oder Reduktion sind vielmehr Grundlagen erforderlich, die objektivierbar sind. Eine objektivierbare Grundlage wäre gegeben, wenn wir auf eine funktionale Form der Normativität rekurrieren könnten. Dabei ist der zentrale Gedanke der folgende: Im Verhältnis von Repräsentation und Repräsentiertem soll das Repräsentierende das Repräsentierte wiedergeben, also etwa die Angst die Gefährlichkeit einer Situation. Anders ausgedrückt ist es die Funktion einer Emotion wie der Angst, auf Gefahren hinzuweisen und so die Überlebenswahrscheinlichkeit des Organismus zu erhöhen. Der Grundgedanke der Naturalisierung durch Funktionszuschreibung (kausale Erklärung) ist, dass etwas (ein Organ oder ein phänomenaler Zustand) das tun soll (funktionale Form der Normativität), wozu er selektiert worden ist. Die natürliche Auslese wäre also eine objektivierbare Grundlage von Normativität, welche funktionalistische Reduktionsversuche benötigen. Eine große Schwierigkeit für dieses Vorgehen stellt der Zweck-Mittel-Regress dar, der nur mit Verweis auf das Wohl eines Organismus zu unterbrechen ist. „Wohl“ ist aber wiederum ein normativer Begriff, denn das Wohl eines Lebewesens gibt an, was passieren soll, damit es diesem gut geht.Wenn dem so wäre, wäre es aber gerade nicht gelungen, eine rein kausale Reduktion vorzunehmen. Dem Reduktionsversuch der Teleosemantik liegt ebenso eine funktionale Form der Normativität zu Grunde wie dem Versuch, Bewusstsein auf das ergon oder Wohl eines Lebewesens zu reduzieren. Im Falle der Teleosemantik lautet die Frage, ob sich mentaler Gehalt auf die grundlegendste Form von Normativität reduzieren lässt. Und was ist unter biologischer und semantischer Normativität zu verstehen? Beim Versuch einer Reduktion auf das ergon oder Wohl eines Lebewesens geht es dem fühlenden Wesen um sich selbst, das heißt um sein eigenes Wohlergehen, das damit zugleich als Norm für natürliche Funktionen des Lebewesens herangezogen wird.
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2 Reduktion und Teleosemantik 2.1 Reduktion von Normativität in der Teleosemantik Die wichtige Frage, ob phänomenal bewusste Einschätzungen (wie sie mit Emotionen und Gefühlen vorliegen) eine mögliche Grundlage für eine Naturalisierung von Normativität sind (wie wir sie in moralischen Urteilen vorfinden) und damit einhergehend eventuell zudem eine Grundlage dafür, was in der Philosophie mit dem Selbst bezeichnet wird, muss unter anderem in kritischer Auseinandersetzung mit der so genannten Teleosemantik geführt werden. Denn da Emotionen und Gefühle als die elementarste Form einer genuinen, echten Normativität angesehen werden können, bei der es dem fühlenden Wesen um sich selbst und damit auch um seine eigenen Interessen geht, wäre es möglich, dass affektive Zustände eine natürliche Grundlage für das Selbst sind. Diese zeigen ihm an, was sein Wohlergehen fördert und was nicht, und sie bilden einen Ausgangspunkt, damit es bei biologischen Organismen überhaupt zur Entwicklung eines Selbst kommen kann. Emotionen und Empfindungen könnten so auch eine Grundlage für das Entstehen von Interessen von lebenden Organismen an ihrem eigenen Wohlergehen sein, und damit auch dafür, dass das Interesse sich auf etwas richtet, nämlich auf das eigene Wohlergehen. Sie wären mithin letztlich auch ein Ausgangspunkt dafür, dass sich so etwas wie ein Selbst entwickeln kann. Der Versuch, das Selbst auf Emotionen und Gefühl als naturalistische Grundlagen zu reduzieren, setzt beim einzelnen Organismus als Ursprung des Selbstbezugs an. Er kommt ohne einen intersubjektiven, öffentlichen Kontext der Referenz aus, wie er bei der Semantisierung von Emotionen geschaffen wird, um die Identifizierung und Formung der Emotionen für ein Wesen zu ermöglichen, das über einen rudimentären phänomenalen Selbstbezug verfügt. Vielmehr wird für die Naturalisierung von Normativität mit dem Wohl oder Interesse eines Organismus eine evolutionäre Reduktionsstrategie verfolgt. Ausgangspunkt ist hier also, ob etwas als gut oder schlecht für das Wohl oder die Interessen eines Organismus eingeschätzt wird.¹⁹¹ Folgt man nun dem Ansatz, dass Emotionen etwas in einer Situation repräsentieren (wie zum Beispiel die Emotion Angst die Gefahr, die für einen Orga-
Die Einschätzung eines Wohls für den Organismus ist der zweite Sinn von Normativität, der bei Peter McLaughlins Aufsatz auf Seite 31 vorkommt. Wenn etwas als gut oder schlecht für das Wohl (beziehungsweise die Interessen des Organismus) eingeschätzt wird, ist dieser Vorgang ein normativer. Der erste Sinn von Normativität bezieht sich auf die Norm, die einer Unterscheidung wie der in Repräsentation und Missrepräsentation zu Grunde liegt. Vergleiche hierzu: McLaughlin 2008, 21– 38.
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nismus in einer Situation besteht, repräsentiert), wären Emotionen zudem im Zusammenhang mit der Norm für gelungene Repräsentation und für unzutreffende Repräsentation als Grundlage für Normativität zu erörtern. Denn, wenn beurteilt werden soll, ob etwas eine Repräsentation oder eine Missrepräsentation ist, muss das an Hand einer Norm entschieden werden, nach welcher die Repräsentation eines Gehaltes vorliegt oder eben, im Falle der Missrepräsentation, nicht vorliegt. Irgendein Kriterium muss es also geben, mit Hilfe dessen darüber entschieden werden kann, ob eine Repräsentation etwas repräsentiert und ob sie das repräsentiert, was sie repräsentieren soll. Denn nur an Hand der Richtschnur dieses Sollens lässt sich entscheiden, ob ein Gehalt repräsentiert wird, ob er nicht repräsentiert wird oder ob er unter Umständen in unzulänglicher oder falscher Weise repräsentiert wird. Damit ist ein entscheidender Punkt des Teleofunktionalismus beziehungsweise der Teleosemantik angesprochen, die versucht semantische Gehalte mentaler Zustände – wie es auch Emotionen dieser Theorie nach sind – naturalistisch zu erklären und damit letztlich auch versucht, sie auf naturalistische Grundlagen zu reduzieren. Die Teleosemantik scheint zunächst eine tragfähige Theorie zu sein, um den semantischen Gehalt mentaler Zustände zu naturalisieren. Denn es ist beispielsweise ihr Anliegen zu zeigen, inwiefern der mentale Zustand „Angst“ mit dem Gehalt „Gefahr“ die Repräsentation einer gefährlichen Situation ist. Die dahinter stehende Annahme ist, dass es die eigentliche Funktion des mentalen Zustandes Angst ist, Gefahr anzuzeigen und damit einen Gehalt wieder zu geben. Insofern es sich bei der angenommenen Funktion von Angst um eine biologische Funktion handelt, die sich im Laufe der Evolution als zweckvoll für das Überleben von Organismen herausgebildet hat, werden der mentale Zustand und der mit ihm einhergehende Gehalt auf eine biologische Funktion zurückgeführt. Angst würde demnach Gefahr repräsentieren, wobei es sich um eine Form der subsprachlichen Repräsentation handelte, nicht um eine Form der sprachlichen Repräsentation. Dennoch soll man auch in solchen Fällen von Gehalten sprechen können, weil mit ihnen angemessene und unangemessene Repräsentationen gemäß ihrer natürlichen Funktion korreliert sein sollen. Dieser Ansatz ist mit dem Konzept der Normativität also auch insofern eng verbunden, als die Unterscheidung in Repräsentation und Missrepräsentation einer Norm (oder eines Kriteriums) bedarf, aufgrund derer wir feststellen können, ob wir es mit einer gelungenen Repräsentation oder einer Missrepräsentation zu tun haben. Wenn in einer Situation Angst in angemessener beziehungsweise zutreffender Weise eine Gefahr repräsentiert, verfügt das Wesen, das Angst verspürt, über die Information, der zufolge in dieser Situation Gefahr droht. Im Falle einer unangemessenen Repräsentation, in dem ein Wesen zwar Angst empfindet, die Situation, auf die sich die Angst bezieht, aber gar nicht gefährlich ist, handelt es sich
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bei dieser verspürten Angst um eine unangemessene Repräsentation – der Gehalt der Angst wäre aber in beiden Fällen, dass Gefahr droht, nur in dem einen Fall handelte es sich bei der empfundenen Angst um eine richtige oder angemessene Reaktion oder Repräsentation, weil von der Situation wirklich eine Gefahr für den Organismus ausgeht, und in dem anderen um eine falsche oder unangemessene Reaktion, weil für den betreffenden Organismus von der Situation keine Gefahr ausgeht. Dieser Ansatz ist hier schon deshalb von großem Interesse, weil man auch die emotionalen Reaktionen von Tieren als Repräsentationen verstehen könnte und dann eventuell sogar als so genannte mentale Repräsentationen, je nachdem, ob man auch bei Tieren von Repräsentation und Missrepräsentation durch die emotionale Reaktion sprechen kann oder nicht. Die große Frage, die in diesem Zusammenhang zu diskutieren ist, lautet dann, wer oder was festlegt, ob eine Repräsentation angemessen oder unangemessen ist und wer oder was damit letztlich bestimmt, was der Fall sein sollte. Genau an diesem Punkt setzt auch der Teleofunktionalismus beziehungsweise die Teleosemantik an, um den Gehalt subsprachlicher Repräsentationen anzugeben und Semantik auf diese Weise zu naturalisieren. Für das vorliegende Vorhaben ist das von Bedeutung, weil, auch nicht-semantisierte Emotionen einen Gehalt haben könnten und damit eine Bedeutung, wenn die Reduktion gelänge. Darüber hinaus ist es auch von Bedeutung für das Verhältnis von Normativität, Bewusstsein und Gefühlen. Denn wenn Emotionen einen natürlichen Gehalt haben, handelt es sich auch um eine Form des bewussten (weil gefühlten) Gehalts, über den dann auch Tiere verfügten. Um festzustellen, ob eine Repräsentation oder eine Missrepräsentation vorliegt, müsste es dann aber auch ein Telos geben, an dem als Messlatte das „Miss“, das Nichtzutreffen beziehungsweise das Zutreffen festgestellt werden kann. Das Telos wäre quasi das Kriterium, mit Hilfe dessen festgestellt werden könnte, ob eine angemessene Repräsentation vorliegt oder nicht. Da eine Situation nicht „per se“ gefährlich ist, d. h. nicht für alle lebenden Organismen in gleichem Maße (es sein denn, es handelte sich um den so genannten Weltuntergang), muss auf den Telos des jeweiligen Organismus oder der jeweiligen Gattung abgehoben werden. Eine Situation mag für einen Nicht-Schwimmer gefährlich sein, nicht aber für einen Schwimmer; oder sie ist für einen Hund gefährlich, nicht aber für einen Bären. Wenn der Gehalt (in dem genannten Beispiel wäre das „Gefahr“) das sein soll, worauf sich Repräsentation und Missrepräsentation beziehen, kann dieser Gehalt nicht für sich stehen, sondern muss durch eine andere Instanz als ein solcher (nämlich in diesem Fall als gefährlich) bestimmt werden. Der Teleofunktionalismus/die Teleosemantik wählt als Instanz dafür den evolutionären Erfolg. Dafür
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wird der Begriff einer echten oder eigentlichen, biologischen Funktion eines Organs oder eines Merkmals eingeführt. Diese eigentliche oder echte Funktion hat dazu beigetragen, dass die Vorfahren dieser Organismen sich in der Evolutionsgeschichte durchgesetzt haben, was nichts anderes heißt als dass ihre Reproduktionswahrscheinlichkeit dadurch, dass sie über die fraglichen Funktionen verfügten, gestiegen ist. Um dies zu veranschaulichen, sei auch hierfür auf das genannte Beispiel zurückgegriffen: Indem bei den Vorfahren einiger Organismen das Merkmal aufgetaucht ist, Angst zu empfinden, das die Funktion hat, Gefahr zu repräsentieren, ist das Überleben und damit die Reproduktionswahrscheinlichkeit dieser Lebewesen und ihrer Nachkommen gestiegen. Auch der mentale Gehalt einer Repräsentation wie der Angst wird dann dadurch bestimmt, dass er das anzeigt, was er anzeigen soll, nämlich Gefahr. Echte, eigentliche Funktionen sollen aber nicht nur Merkmale, Organe und schließlich die Lebewesen oder Organismen selbst haben, sondern eben auch mentale Repräsentationen wie die empfundene Angst eine ist. Das Merkmal, das Organ oder die mentale Repräsentation erfüllen dann einen Zweck, der dem Überleben und damit der Reproduktionswahrscheinlichkeit dienlich ist; er hat sich als solcher erst in der Evolutionsgeschichte ergeben. Wie lassen sich Funktion und Gehalt bestimmen? Reicht das Vorliegen einer Reaktion des Organismus oder das Funktionieren eines Organs aus, um weitergehend auch auf den mentalen Gehalt schließen zu können? Als mentaler Gehalt wird in der Philosophie des Geistes der Gehalt geistiger Zustände bezeichnet; er ist das,was eine angemessene und eine unangemessene Repräsentation teilen. In der Teleosemantik werden dann, wie es scheint, Funktion und mentaler, geistiger Gehalt quasi schon von vornherein zusammengenommen, weil die angemessene Repräsentation eine Funktion für das Lebewesen beziehungsweise den Organismus hat – wie die Teleosemantiker sagen – beziehungsweise haben soll – wie ihre Kritiker sagen. Dieser letzte Punkt wird also zu diskutieren sein.
2.2 Einwände gegen die Teleosemantik Gegen den Ansatz der Telosemantik, Gehalte auf biologische Funktionen zu reduzieren, hat es eine Reihe von Einwänden gegeben. Zwei davon sind für die vorliegenden Überlegungen von besonderem Interesse.¹⁹² Die eine dieser beiden kritischen Positionen zielt auf die gerade geäußerte Vermutung, dass sich von der
Für eine Literaturübersicht die gesamte Debatte betreffend, siehe: Detel 2001, 601– 626; sowie: Neander 2012.
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Funktion nicht umstandslos auf den Gehalt schließen lässt. Diskutiert wird der Einwand unter dem Stichwort der Unterdeterminiertheit von Teleogehalten. Dabei wird die Unterdeterminiertheit in zweierlei Hinsicht kritisiert. Einmal in Bezug darauf, dass sich (a) hinsichtlich eines in der Natur vorgefundenen Mechanismus oft mehrere mögliche Funktionen für den Mechanismus angegeben lassen. Und zum anderen, dass (b) von Funktionen fälschlicher Weise auf Gehalte geschlossen wird. Jerry Fodors Überlegungen¹⁹³ dazu lassen sich an einleuchtenden Beispielen exemplifizieren. So legt der Schnapp-Mechanismus des Frosches (nach kleinen schwarzen Punkten schnappen, die in das Gesichtsfeld eines Frosches gelangen) nicht eindeutig fest, was die Funktion dieses Mechanismus ist. Ist es die Funktion dieses Mechanismus, dass der Frosch nach kleinen schwarzen Punkten schnappt oder ist es seine Funktion nach kleinen schwarzen Fliegen zu schnappen? Worauf Schnappmechanismen von Fröschen, d. h. Frösche reagieren sollen, ist mit anderen Worten durch das Vorhandensein des Mechanismus selbst nicht festgelegt. Es lassen sich Gründe dafür angeben, dass der Mechanismus auf das Schnappen von Fliegen ausgerichtet ist, weil diese Nahrung für den Frosch liefern, die überlebenswichtig ist, während das bei kleinen schwarzen Punkten nicht der Fall ist. Es lassen sich aber auch Gründe dafür angeben, dass der Schnapp-Mechanismus auf kleine schwarze Punkte ausgelegt ist, weil die Reaktion auf alle kleinen schwarzen Punkte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Fliege geschnappt wird, die Nahrung darstellt.¹⁹⁴ In der Literatur wird versucht, diesem Problem wie folgt zu begegnen. Der Schnappmechanismus legt durchaus fest, was seine Funktion ist, das heißt, wofür er selektiert wurde. So sei der Schnappmechanismus bei Fröschen selektiert worden, weil Fliegen kleine schwarze Punkte sind und weil sie für Frösche geeignete Nahrung sind. Fügt man noch hinzu, dass Fliegen für Frösche nicht gefährlich sein dürfen, ergibt sich, dass der Teleogehalt für den Zustand des Frosches, der zwischen Wahrnehmen und Schnappen von Fliegen vermittelt, der folgende ist: ungefährliche kleine schwarze Punkte, die eine Nahrungsquelle sind.¹⁹⁵ Stimmte man dieser Analyse zu, wären also auch Gehalte im Verhältnis zu den angenommenen Funktionen nicht mehr unterbestimmt.
Siehe: Fodor 1990; sowie Fodor 1991, 293 – 296. Wolfgang Detel weist zu Recht darauf hin, dass die meisten möglichen Beschreibungen und Erklärungen von Biologen zwar nicht ernst genommen werden würden, dass sie aber als Möglichkeiten in zahlreichen Fällen nur auszuschließen wären, wenn man auf ein intentionales Vokabular zurückgriffe, was in biologischen Beschreibungen und Erklärungen aber nicht erlaubt ist, weil Evolution kein intentional gerichteter Prozess ist. Vergleiche: Detel 2001, 612. So nachzulesen bei Agar 1993, 1– 12.
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Wolfgang Detel hält Jerry Fodors Einwände damit im Wesentlichen zu Gunsten der Teleosemantik für widerlegt. Dieser Einschätzung kann hier jedoch nicht so einfach gefolgt werden, denn letztlich wäre nach wie vor denkbar, dass der Teleogehalt in dem diskutierten Fall darin besteht, dass ungefährliche kleine schwarze bewegliche Nahrung öfter erhascht wird als es ohne diese Form des Schnappmechanismus der Fall wäre. Wie sollte eine solche Möglichkeit auszuschließen sein? Sie ist es nicht. Zwar wäre das,wie Detel schon mit Hinblick auf die von Fodor geäußerte Kritik bemerkt hat, wohl keine Beschreibung oder Erklärung, die ein Biologe ernstlich vertreten würde, aber auszuschließen ist sie eben nicht, weil biologische Selektion auf die Organismen selbst wirkt und nicht auf die auf sie angewandten Beschreibungen. Letztere lassen sich eben nur gedanklich beziehungsweise logisch ausschließen, nicht aber in biologischer Hinsicht.¹⁹⁶ Das Gegenbeispiel zeigt jedenfalls, wie interpretationsbedürftig das Verhältnis von Mechanismus, Funktion und Gehalt ist und damit auch wie interpretationsbedürftig das Verhältnis von jeweiligem Zustand und Gehalt ist. Es ist nicht ersichtlich, wie sich dieser Interpretationsspielraum, den man auch mit dem Stichwort der Unterdeterminiertheit bezeichnen kann, aufheben lässt. In einem etwas anders gelagerten Diskussionszusammenhang hat auch Daniel Dennett eingewandt, dass sich die Teleosemantik dieses Interpretationsspielraums und damit der Unterbestimmtheit der Teleogehalte nicht entledigen kann. Er knüpft mit seiner Kritik interessanter Weise bei der Intentionalität der Interpretierenden an. Dennett führt aus, dass es bei biologischen Mechanismen keine intrinsischen Fehler bei einer Repräsentation gibt und damit auch keine eindeutigen Teleogehalte. Für die Teleosemantik ist es ist jedoch zentral, dass es Fehler gibt, weil das, was Repräsentation und Missrepräsentation (also dem Fehler) gemeinsam ist, den Gehalt ausmacht; folglich kann es ohne die Möglichkeit von Missrepräsentation und Fehler auch keinen Gehalt geben. Ob wir einen Fehler oder eine erfolgreiche Repräsentation zuschreiben, hänge, so Dennett, allerdings vom Kontext und der Wahl der Beschreibung ab,¹⁹⁷ denn die Beschreibung der natürlichen oder biologischen Selektion erfolgt ihrerseits immer von unserem intentionalen Standpunkt (der Interpretation) aus. Beschreiben wir nämlich den Zustand des Frosches zwischen Wahrnehmen und Schnappen so, dass es einer ist, der sich auf Fliegen bezieht, reagiert der Frosch falsch, wenn er nach schwarzen Punkten schnappt, die keine Fliegen sind. Beschreiben wir diesen Zustand aber als einen, der sich auf kleine schwarze Punkte bezieht, macht der Frosch keinen Fehler. Es sind mithin wir, die festlegen, ob eine Repräsentation
Detel 2001, 612. Dennett 1987, 287– 322.
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oder Missrepräsentation vorliegt, je nachdem wie wir die Beschreibung wählen und demnach sind auch wir es, die den Teleogehalt festlegen. Es gibt also keine eindeutige, richtige Funktionsbeschreibung und damit keinen eindeutigen objektiven Teleogehalt.¹⁹⁸ Für den vorliegenden Diskussionszusammenhang bedeutet das allerdings, dass wir es gar nicht mit einer biologischen Form der Normativität zu tun haben, weil wir die Interpreten sind, die festlegen, ob ein Fehler vorliegt oder nicht und damit, ob eine Repräsentation oder eine Missrepräsentation gegeben ist und was der Gehalt ist, an dem sich erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Repräsentationen festmachen lässt. Die Frage, ob sich genuine Normativität auf eine Form der natürlichen Normativität zurückführen lässt, ließe sich dann gar nicht mehr stellen, weil nicht mehr klar ist, was die natürliche Form der Normativität ist. Es gilt allerdings zu bedenken, dass jede Funktionszuweisung mit einer schwachen Form der Normativität einhergeht, denn wenn ein Biologe sagt, dass ein Organ oder ein Mechanismus eine bestimmte Funktion hat, geht er auch davon aus, dass es so etwas wie eine Fehlfunktion gibt. Mit einer solchen Feststellung ist man allerdings weit davon entfernt, semantische Normativität zuschreiben zu können. Inwiefern handelt es sich bei Dennetts Kritik an der Teleosemantik überhaupt um eine andere Kritik als die, die mit dem Schlagwort der Unterdeterminiertheit bereits angesprochen wurde? Das Problem der Unterdeterminiertheit des Gehalts besteht darin, dass es für die Erklärung der Funktion eines Mechanismus mehrere Beschreibungen geben kann, weshalb man teleologisch zeigen kann, warum Frösche Detektoren haben, mit Hilfe derer sie nach Fliegen schnappen, aber auch, warum sie Detektoren haben, mit Hilfe derer sie nach kleinen schwarzen Punkten schnappen. Wolfgang Detel hat das mit dem eingängigen Satz auf den Punkt gebracht: „Darwin [sorgt] sich darum, ob Frösche genug Fliegen schnappen – nicht darum, unter welcher Beschreibung sie das tun.“¹⁹⁹ Funktion und Gehalt fallen also insofern auseinander, als es die Funktion des Schnappmechanismus bei Fröschen ist, Nahrung aufzuschnappen. In einer Welt, in der in Bezug auf
Wolfgang Detel hält die Position Dennetts für uneindeutig, weil dieser auf der einen Seite annimmt, dass es so etwas wie eine fundamentale Funktionalität gibt, die in den Genen über Selektion und Evolution enthalten sei und auf der anderen Seite sei es erst der Mensch, der die Funktionen entdecken und durch Interpretation eindeutig „machen“ und Missrepräsentation und Fehler zuschreiben könne. Diese Uneindeutigkeit in Dennetts Kritik entkräftet nicht die Stosskraft der Kritik, weil diese so oder so darlegt, dass der Teleogehalt nicht eindeutig gegeben ist. Detel 2001, 611.
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Frösche die meisten schwarzen, sich bewegenden Punkte Fliegen sind, werden Frösche auch satt. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass der Gehalt des Schnappens nach Punkten Nahrungsaufnahme ist, vielmehr ist der Gehalt das Schnappen nach schwarzen, sich bewegenden Punkten. Gehalt und Funktion sind also nicht gleich, vielmehr wird fälschlich von Funktionen auf Gehalte geschlossen. Diese Kritik unterscheidet sich insofern von der Kritik Dennetts an der Teleosemantik, als wir, selbst wenn wir eine eindeutige Funktionsbeschreibung festlegen, noch nicht sagen können, dass sich daraus auch ein eindeutiger Gehalt ergibt. Seine Kritik ist mithin als eine noch fundamentalere zu verstehen, weil sie klar stellt, dass wir den Standpunkt des Interpreten gar nicht verlassen können, der letztlich bestimmt, was die Gehalte sind. Damit läuft diese Diskussion auch darauf hinaus, dass wir den genauen Gehalt von Emotionen und Wünschen nicht naturalisieren können. Versuchen wir uns das im Falle eines Verhaltens zu verdeutlichen, das wir als ein affektives einordnen. Ein zwölf Monate altes Kind sieht, dass seine Bezugsperson das Zimmer verlässt und fängt an zu weinen. Wir können das als reine Stress- oder auch, was schon etwas anderes wäre, als eine Angstreaktion des Kindes bezeichnen. Die Funktion der kindlichen Reaktion, die man bei den meisten Kleinkindern dieses Alters beobachten kann, wenn keine Bindungsstörung vorliegt, könnte die sein, dass das Kind nicht ohne Schutz zurückbleibt. Nun könnte man hier bereits einwenden, dass auch diese Funktion nicht eindeutig durch das Verhalten determiniert wird. Wenn die Funktion durch das Vorhandensein eines Mechanismus unterdeterminiert ist, ist es auch der Schluss von der Funktion auf einen Gehalt. Aber selbst wenn man hierbei einen Konsens in Bezug auf die Funktion fände, die zu einem Verhalten dazugehört, bliebe uneindeutig,was der Gehalt sein sollte. Ist das Verhalten des Kindes darauf gerichtet, an den Abwesenden dahingehend zu appellieren zurückzukehren? Oder ist es an die in der Nähe Befindlichen gerichtet, seine Stressreaktion zu beenden, indem sie den Abwesenden herbeiholen? Handelt es sich vielleicht sogar lediglich um eine Form der Emotionsregulation? Wir sehen schon an diesem sehr einfach konstruierten Beispiel, wie schwierig es ist, eindeutig festzustellen, was Funktion und erst recht, was Gehalt eines bestimmter angeborener Verhaltensweisen ist. Evolution und Selektion sind zu grobe Mechanismen, um bestimmte Gehalte zu individuieren.²⁰⁰
So fasst Wolfgang Detel (2001, 61) die Stossrichtung von Jerry Fodors Kritik kurz und bündig zusammen.
2 Reduktion und Teleosemantik
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Warum haben wir uns dann überhaupt so ausführlich mit einer Theorie wie der Teleosemantik befasst? Der Grund liegt darin, dass Wolfgang Detel in seinem Résumée der Einwände gegen die Teleosemantik einen Vorschlag unterbreitet, wie eine schwache Naturalisierung von Normativität aussehen könnte, zu dem eine Theorie der Emotionen viel beitragen würde. Zunächst geht er davon aus, dass Teleogehalte und propositionale Gehalte sich zumindest zum Teil überlappen, weil einige propositionale Gehalte auch Teleogehalte seien. Diese Äußerung ist so zunächst unklar, so dass sie weder zu kritisieren noch zu verteidigen ist, oder bereits auf die Kritik an der Teleosemantik bezogen werden kann. Sie muss zunächst weiter ausgeführt werden. Wir erinnern uns, dass Gehalte das sind, was eine angemessene und eine unangemessene Repräsentation teilen. Wichtig ist es hierbei hinzuzunehmen, dass es sich bei einem Gehalt mithin um eine Tatsache handelt, mit der sie gemäß der natürlichen Funktion korreliert sein soll. So sind die Teleogehalte der Wahrnehmungsvorgänge bei Fröschen die Fliegen. Aber auch ein Furcht- oder Angstzustand kann einen Gehalt haben. Dieser Gehalt kann etwa bei Tieren oder Säuglingen nicht propositional sein, er kann aber bei sprachfähigen Wesen propositional gefasst sein. Die Katze ist ein nicht-propositionaler Gehalt des Furchtzustands der Maus, – sie hat Angst vor der Katze. Die Angst des Studenten davor, dass er bei der anstehenden Prüfung versagen wird, ist ein propositionaler Gehalt des Furcht- oder Angstzustandes, – er hat Angst, dass er bei der Prüfung durchfällt. Aufgrund des Nebeneinanderstellens von Beispielen nicht-propositionalen Gehalts und propositionalen Gehalts wird schon deutlich, dass man überhaupt nur dann von einem Überlappen von Teleogehalten und propositionalen Gehalten ausgehen kann, wenn es sich bei der dem Gehalt korrelierenden Funktion um eine biologische Funktion handelt, die sich herausgebildet hat, um dem Überleben der Spezies dienlich zu sein. Davon kann im Falle der Prüfungsangst nicht ernsthaft die Rede sein. Das bedeutet, dass eigentlich nur dann davon auszugehen ist, dass so etwas wie Überlappen dieser beiden Formen des Gehalts gegeben ist, wenn wir es mit einem Zustand zu tun haben, der eine echte biologische Funktion erfüllt und dieser Zustand mit einem Gedanken einhergeht, der genau das wiedergibt. Nehmen Sie also, an, dass Sie beim Wandern auf einen Bären treffen. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen hat sich so etwas wie eine Angst- oder Furchtreaktion auf große Tiere herausgebildet, die die Funktion hat, ein Verhalten herbeizuführen, das die Überlebenschancen des Menschen erhöht. Der Gehalt dieses nicht-propositionalen Zustandes wäre also der große gefährliche Bär und dieser Zustand könnte von dem Gedanken begleitet werden, dass man Angst vor dem Bären hat. (Wir haben zwar bereits gesehen, dass eine solche Aufspaltung der Zustände bei Menschen, die in Sprachgemeinschaften aufgewachsen sind, nicht
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IV Normativität und Bewusstsein
sinnvoll vorgenommen werden kann, aber als hypothetische Annahme ist sie hier dennoch sinnvoll, denn es lässt sich zeigen, dass der Gehalt in beiden Fällen, dem des propositionalen Gehalts und dem des nicht-propositionalen Gehalts, der Bär als Gefahr ist.)
2.3 Reduktion genuiner Normativität auf natürliche Normativität? Was bedeutet diese kurze Darlegung nun für das große Thema der Normativität und den Versuch genuine oder semantische Normativität auf eine Form der natürlichen Normativität zu reduzieren? Nun, es könnte sich lohnen, der Vermutung nachzugehen, nach welcher Normativität in verschiedenen Graden oder Etappen in der Naturgeschichte des Menschen erscheint und zu untersuchen, wie diese verschiedenen Formen verbunden sind. Emotionen würde hier eine Schlüsselrolle zukommen, weil sie nicht nur eine Signalfunktion für den sie bewusst empfindenden Organismus haben, sondern auch eine kommunikative Funktion; so etwa, wenn sie mit mimischen Reaktionen oder anderen körperbezogenen Ausdrucksformen einhergehen, die ein Signal für die Artgenossen darstellen. Diese Form der Kommunikation ist natürlich eine ganz andere als die gesprochene Sprache, in der die Zeichen und Signale für „Sender und Empfänger“ mit einer anderen Form der Bedeutung einhergehen als es bei nicht-propositionalen Gehalten der Fall ist. Das ergibt sich schon daraus, dass sprachliche Bedeutungen inferentiell, das heißt logisch miteinander verbunden sind. Wenn ich das Wort „Bär“ für einen Baum gebrauche und zugleich vehement abstreite, dass Bären Säugetiere sind, zeigt dies, dass mir die Bedeutung des Begriffs „Bär“ und damit verbunden der Gehalt des Begriffs nicht bekannt ist und dass ich den Begriff „Bär“ daher falsch gebraucht habe (semantische Normativität). Subsprachliche Gehalte, wie sie von der Teleosemantik angenommen werden, gehen nicht mit dieser semantischen Normativität und solchen Inferenzen einher. So fügt auch Detel kritisch an, dass propositionale Gehalte eine kommunikative Rolle haben, welche die Teleosemantik nicht erfassen kann.²⁰¹ Selbst wenn man also annimmt, dass es einen Zusammenhang zwischen einer biologischen Normativität und einer semantischen Normativität gibt, stellt die Normativität einen nicht reduzierbareren Sprung hinsichtlich der kommunikativen Rolle oder der Funktion propositionaler Gehalte dar. Die kommunikative Rolle von Emotionen, wie sie sich beim Weinen, Lachen oder bei einem Angstschrei manifestiert, könnte jedoch geeignet sein, eben diese Lücke zu füllen.
Detel 2001, 618.
2 Reduktion und Teleosemantik
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2.4 Normativität und Telos Die systematisch bedeutsame Frage, ob sich („nicht-biologische“) Normativität vollständig auf biologische Normativität reduzieren lässt, muss noch in einem weiteren Zusammenhang untersucht werden. Haben Lebewesen einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Telos, woraus sich ergibt, dass sie auch bestimmte Interessen und ein Wohl haben? Hinter diesem Problemzusammenhang verbirgt sich gleichfalls die Frage, ob sich Normativität auf biologische Normativität reduzieren lässt. Allerdings wird hier die Frage der Normativität auf der Ebene des Individuums diskutiert und nicht auf der der Population. Erstere ist für den Zusammenhang von Normativität und Emotionen allerdings die interessantere, denn bei Emotionen geht es um die Einschätzung einer Situation durch den einzelnen Organismus. Hinsichtlich biologischer Normativität wird davon ausgegangen, dass evolutionäre Selektionsmechanismen auch Evaluationsmechanismen sind, weil sie zur Auswahl besser angepasster Organismen führen. Das Wort „besser“ weist bereits darauf hin, dass mit dieser Annahme eine Beurteilung einhergeht und damit Normativität unterstellt werden muss. Diese Form der Normativität ist eine, die dem Evaluationsmechanismus in Bezug auf die Reproduktionswahrscheinlichkeit einer Population zugesprochen wird und keine, die – wie im Falle der Emotion oder des Gefühls – der Organismus selbst vornimmt. In dem einen Fall wird ein historischer Wirkmechanismus unterstellt, den man auch rein deskriptiv beschreiben kann, indem man konstatiert, dass die Mitglieder der einen Gruppe sich zahlreicher fortgepflanzt haben als die der anderen. Und in dem anderen Fall wird davon ausgegangen, dass ein Organismus eine konkrete Situation oder einen anderen Organismus hinsichtlich des eigenen Wohlergehens bewertet. Diese Bewertung ist allerdings nicht rein deskriptiv beschreibbar. Denn wenn man eine rein behavoristische Beschreibung vornimmt, dürfen phänomenale Elemente bei Freude, Hunger, Angst oder Ekel in der Beschreibung nicht vorkommen, weil solche Zuschreibungen über das rein behavioristisch beschreibbare Verhalten hinausgehen. Denn selbst wenn wir meinen, ein Tier lachen zu sehen, können wir nicht wissen, ob es auch Freude empfindet. Dadurch können in einem behavioristischen Theorieansatz allerdings auch keine Erklärungen für Verhalten, das in Folge von emotionalen Empfindungen auftritt, gegeben werden.
2.5 Normativität und Erfüllungsbedingungen Sowohl für das, was hier semantische Normativität genannt wird, als auch für die Klärung affektiver Intentionalität ist das Konzept der Erfüllungsbedingungen von
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IV Normativität und Bewusstsein
zentraler Bedeutung. Wenn man von den Erfüllungsbedingungen eines Satzes oder eines Gedankens spricht, unterstellt man, dass diese erfüllt sind, wenn sie sich als zutreffend herausstellen. Der Gedanke, dass Peter gleich zur Türe hereinkommen wird, hat zur Erfüllungsbedingung, dass Peter gleich zur Türe hereinkommt. Diese Bedingung besteht auch dann, wenn Peter nicht zur Türe hereinkommt, denn der konkrete Sinn des Gedankens oder Satzes ergibt sich aus den Erfüllungsbedingungen und zwar auch dann, wenn das Erwartete, Beschriebene, Gewünschte oder Erhoffte nicht eintritt. Damit ist nur eine Form der semantischen Normativität angesprochen, aber eine, die für die hier zu untersuchenden Fragen zentral ist und auf die im Rahmen der Intentionalitätsdebatte bereits im Detail eingegangen wurde. Diese Form der Normativität ist die Normativität einer Sprach- und Lebensform und nicht einzelner Beurteilungen oder Bewertungen. Auch diese Form der Normativität hat also, wie das, was als so genannte biologische Normativität bezeichnet wurde, einen historischen Horizont, weil sie ohne einen historischen Entstehungsbezug nicht verständlich ist. Während in dem einen Fall die Erfüllung der Funktion, die sich naturhistorisch herausgebildet hat, als Norm genommen wird, ist es in dem anderen der Gehalt des Satzes oder Gedankens und im Falle der affektiven Intentionalität ist es der emotionale Gehalt. Dass sprachliche Bedeutungen, Gedanken, oder ganz allgemein, mentale Gehalte, wie sie auch semantisierte Emotionen haben, normative Eigenschaften haben, ist sowohl in der Sprachphilosophie als auch in der Philosophie des Geistes heute vielfach anerkannt. Mit dieser Einsicht geht einher, dass diese mentalen Gehalte, da sie normativ sind, auch nicht auf naturalistische Grundlagen zu reduzieren sind. Wir haben gesehen, wie der derzeit am meisten Ernst zu nehmende Versuch, die Teleosemantik, damit scheitert. Um die normativen Eigenschaften des Geistigen richtig zu verstehen, gilt es vielmehr, sich an lebensweltlichen Praktiken der wechselseitigen Zuschreibung von Bedeutungen und Gedanken zu orientieren. Denn die Normativität mentaler Gehalte ist relativ zu einer intersubjektiven, sprachlich verfassten Zuschreibungspraxis zu verstehen und da niemand für sich alleine eine Sprache generieren kann, entstehen die Erfüllungsbedingungen und damit die Gehalte in historisch gewachsenen Sprachgemeinschaften.²⁰² Es ist klar, dass sich diese intersubjektiven Zusammenhänge nicht auf kausale Abläufe reduzieren lassen.
In Robert Brandoms Werk Making it Explicit wird ein sehr voraussetzungsreiches Normativitätskonzept vertreten, das Normativität als intrinsische Eigenschaft von Bedeutungen und Gedanken auffasst. Sie etwa: Brandom 2000, 867– 874.
3 Das Wohl als Norm
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3 Das Wohl als Norm 3.1 Das eigene Wohl als Norm Nun könnte ein weiterer Reduktionsversuch von mentalen Gehalten auf rein natürliche, kausale Abläufe darin bestehen, die Normativität aus der intersubjektiven Sphäre doch wieder in das Subjekt „zurück zu verlegen“ und sie auf die angeborenen und damit kausal verstehbaren emotionalen Reaktionen zu reduzieren. Dabei ist zu beachten, dass wir es bei einem Lebewesen, wenn es ihm um sein eigenes Wohlergehen oder das seiner Nächsten geht, mit einer Form der Normativität oder des Wertbezuges zu tun haben, bei der es um Bewertungen im konkret handlungs- oder verhaltensleitenden Sinne geht. Diese Bewertung wird in der jeweiligen Emotion, im jeweiligen Gefühl selbst erfahren. Als problematisch für den angestrebten Naturalisierungsversuch erweist sich nun die Frage, inwieweit die phänomenale Bewertung des eigenen Zustands durch ein Wesen daran gebunden ist, dass es sich um einen lebenden und damit biologischen Organismus handelt. Denn wenn dem so wäre,wenn nur lebende Wesen zur phänomenalen Bewertung ihres eigenen Zustandes in der Lage wären, hätte man damit auch dafür argumentiert, dass nur lebende Wesen diese Form der Phänomenalität und die damit einhergehende echte Normativität empfinden können. Für das so genannte harte Problem in der Naturalisierungsdebatte des Bewusstseins wäre damit freilich noch keine Lösung unterbreitet. Die Frage, warum Gehirnvorgänge wie solche, die mit emotionalen Prozessen korrelieren, mit innerem Erleben einhergehen, gilt gemeinhin als schwer zu lösen und wäre auch mittels einer solchen Darlegung nicht enträtselt.²⁰³ Denn man könnte dann zwar eine, unter vielen möglichen Antworten auf die Frage geben, welche Funktion ein derartig phänomenales Bewusstsein für den Gesamtorganismus hat, aber nicht auf die Frage, wie es kommt, dass bestimmte neuronale Aktivitäten mit phänomenalem Bewusstsein einhergehen. Es gibt einen viel versprechenden Versuch, die echte oder genuine Normativität, die der phänomenalen Bewertung durch den Organismus zu Grunde liegt, zu naturalisieren, indem sie durch Funktionen bestimmt wird. Wenn es sich um Naturalisierungsansätze handelt, die an biologischen Erklärungen orientiert sind, handelt es sich zumeist um teleologische Ansätze. Einen davon haben wir bereits kennen gelernt.
Chalmers 1996, XI-XII.
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IV Normativität und Bewusstsein
Da die Erklärung der Funktion eines Organs oder eines Mechanismus für Naturalisierungsbemühungen zentral ist, lässt sich dieses Vorgehen auch auf die Frage beziehen, was die Funktion des phänomenalen Bewusstseins ist und ob sich dieses dadurch naturalisieren lässt, dass man seine Funktion angibt. Das phänomenale Bewusstsein kann eine bestimmte biologisch relevante Funktion ausüben, nämlich in der Regel diejenige, die Fortpflanzungschancen und damit einhergehend den Erfolg des Überlebens zu erhöhen. Sie muss dabei nicht auf die Art oder Population bezogen sein, sondern kann auf den einzelnen Organismen bezogen sein. Denn wenn es sich um eine Funktion handelt, welche die Wahrscheinlichkeit des Überlebens erhöht, dann gilt das zunächst für den Organismus und indem es einen Vorteil für diesen Organismus hat, hat es diesen dann indirekt auch für die Population oder Art. So wie Gene, die Kooperation fördern, in vielen Tierarten (nicht in allen) zu Vorteilen für ihre Träger führen, weil diese sich dann gegenseitig fördern, untereinander paaren und ihre Überlebenschancen steigen, könnte auch das phänomenale Bewusstsein einen solchen Kooperationseffekt haben, der die indirekt Überlebenschancen erhöht. Dieser weitere Naturalisierungsversuch von Bewusstsein besteht darin, darauf abzustellen, dass bewusste mentale Vorgänge Funktionen haben. Von Naturalisierung wird in diesem Fall gesprochen, weil sich grundsätzlich denken ließe, dass solche Funktionen auch auf andere Weise als mittels phänomenaler Empfindungen wahrgenommen oder erfüllt werden könnten. In diesem Sinne wäre Bewusstsein dann grundsätzlich reduzierbar, wenn die Funktionen bestimmt wären und in anderer Weise als durch phänomenales Bewusstsein umgesetzt würden. Dabei zeigen sich allerdings zusätzliche grundsätzliche Schwierigkeiten für eine solche Naturalisierungsstrategie. Zum einen ist für Biologen schon der Begriff der Funktion in bestimmten Kontexten ein problematischer, denn der Begriff der Funktion lässt sich sinnvoller Weise nur in der Physiologie verwenden, nicht aber in evolutionärer Perspektive, weil es dort einen Konflikt mit der Nicht-Gerichtetheit von Mutationen gibt. Zum anderen werden in solchen Erklärungsversuchen normative Begriffe wie der des Sollens verwendet, welche jedoch für ein nach-darwinistisches biologisches Denken inakzeptabel sind. Von Schmerzen kann man beispielsweise sagen, dass es ihre natürliche Funktion ist, auf einen Gewebeschaden oder einen anderen Körperschaden hinzuweisen. Manchmal haben Menschen allerdings auch Schmerzen in einem Bein, obgleich sie gar kein Bein mehr haben, weil ihnen dieses amputiert wurde (so genannter Phantomschmerz). Dann muss man sagen, dass es die Funktion von Schmerzen eigentlich sein sollte, auf einen Schaden an einem Körperteil hinzuweisen, auch wenn das im Falle der Phantomschmerzen nicht der Fall ist. An diesem „sollte“ wird deutlich, dass wir es hier wieder mit Normativität zu tun
3 Das Wohl als Norm
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haben. Anders ausgedrückt: „Normaler Weise weisen Schmerzen auf einen Schaden hin“ oder auch: „es ist die Funktion von Schmerzen einen Schaden, anzuzeigen“, „Schmerzen sollen auf einen Schaden hinweisen“.
3.2 Das Wohl eines Lebewesens als Grundlage natürlicher Normativität Der dahinter stehende Naturalisierungsversuch des phänomenalen Bewusstseins setzt bei der Reduktion bewusster, mentaler Zustände auf biologische Funktionen an. In diesem Zusammenhang hat Peter McLaughlin eine für vorliegende Argumentationszusammenhänge interessante Beobachtung gemacht: Wir (…) schreiben, wenn wir Organen bzw. Merkmalen Funktionen zuschreiben, auch Organismen Interessen zu. Sollte es sich (…) erweisen, dass Funktionen wirklich Voraussetzungen von Bewusstsein sind, dann muss das System, dessen Teile Funktionen haben, Interessen haben, bevor es seiner selbst bewusst werden kann.Wir konzeptualisieren dann den Organismus als etwas, das ein Wohl hat, das gedeihen kann oder dem geschadet werden kann.²⁰⁴
Die Überlegung, dass einem Organismus in bestimmten Erklärungszusammenhängen ein Wohl oder Interesse zugeschrieben werden muss, steht in Einklang mit den Funktionen, die man Emotionen prima facie zuschreiben kann, weil diese gleichfalls dem Wohl oder Interesse eines Organismus dienen, indem sie zur Bewertung einer Situation für den Organismus beitragen. Die Beobachtung Peter McLaughlins bezieht sich allerdings schon auf ein Konzept des Selbstbewusstseins, denn es ist davon die Rede, dass sich der Organismus „seiner selbst bewusst wird“ oder dass „der Rechner (…) nur dann (…) seiner selbst gewahr werden (kann), wenn er ein Selbst ist oder wenn er durch diesen Rückbezug auf sich selbst als Subjekt oder Objekt sich als Selbst konstituiert“.²⁰⁵ Wir haben es hier also nicht mehr „nur“ mit der Einschätzung oder Bewertung einer Situation durch den Organismus in seiner Bedeutung für den Organismus beziehungsweise das Selbst zu tun, wie es bei Emotionen der Fall ist, sondern mit der Frage, was die Voraussetzungen dafür sind, dass sich ein Organismus seiner selbst bewusst wird. Damit sind wir wieder bei dem Thema angelangt, das bereits zu Beginn des Buches ausführlich erörtert wurde. Die Frage, wie Selbstbewusstsein konstituiert ist und was damit die Entstehungsvoraussetzungen sind, lässt sich bekannter Maßen nicht nur mit Blick auf
McLaughlin 2008, 22 f. McLaughlin 2008, 22 f.
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IV Normativität und Bewusstsein
Automaten oder Computer als Geist-Maschine-Problem diskutieren, sondern auch als Körper-Geist-Problem. Um diesen Naturalisierungsansatz der Reduktion bewusster, mentaler Zustände auf biologische Funktionen verstehen zu können, bleibt zu erläutern, inwiefern die Zuschreibung einer Funktion zur Zuschreibung von Selbstbewusstsein führen kann.²⁰⁶ Die Zuschreibung einer Funktion wie die der Angstreaktion wäre eine Beschreibung des Beitrages der Angstreaktion zu den üblichen Leistungen des Organismus. Für die Leistungen eines Gesamtorganismus (also nicht nur einer Teilfunktion) ist es allerdings schwierig zu sagen, was das sein könnte: Denn was ist etwa als die übliche Leistung einer Maus zu bezeichnen? Wählt man hingegen den Reduktionsansatz, dass die Funktion als Erklärung zur Entstehung oder Verbreitung einer solchen Reaktion herangezogen wird, taucht eine andere Schwierigkeit auf, die mit der zuerst genannten zusammenhängt. Denn wäre es beispielsweise die Funktion von Angstempfinden, auf Gefahr hinzuweisen, könnte das in einem gewissen Sinne als Erklärung für die Entstehung dieser Empfindung herangezogen werden, wenn man hinzufügte, dass das im Prozess der natürlichen Auslese die biologische Fitness erhöht. Damit wäre diese funktionale Erklärung auch eine kausale, naturhistorische Erklärung der Entstehung dieser phänomenalen Reaktion: „Die Funktion einer Eigenschaft ist das, wofür diese Eigenschaft selektiert wurde und dass der Begriff der Selektion für ein kausaler Begriff ist.“²⁰⁷ Die Funktion einer Angstreaktion könnte dann in evolutionärer Hinsicht etwa die Erhöhung von Reaktionsmöglichkeiten des Organismus sein (die da wären: fliehen, verstecken, ausharren, angreifen, sich groß machen et cetera) Die größte Schwierigkeit mit einer solchen Erklärungsstrategie besteht aber darin, dass am Ende der Erklärungskette, die angibt, wozu etwas gut ist, ein Organismus zu nennen ist, für den etwas gut ist.²⁰⁸ Dieses „gut“, das am Ende der Erklärung steht, ist allerdings erneut ein normativer Begriff, ebenso wie der des Sollens, der Angemessenheit und auch der der Zielgerichtetheit des Überlebens sowie der des Wohl oder Wohlergehens, der im Folgenden noch eine Rolle spielt. Denn um zu klären, wer oder was überhaupt ein Wohl haben kann, zitiert McLaughlin die Ausführungen Georg Henryk von Wrights ausführlich: Ein Wesen, bei dem es Sinn hat, von einem Wohl zu sprechen, ist eines, bei dem man sinnvoller Weise sagen kann, dass es ihm gut geht oder dass es krank ist, dass es gedeiht, sich
Siehe hierzu auch: McLaughlin 2008, 25. Übersetzung von: „The function of a trait is what that type of trait was selected for and that the notion of selection for is a causal notion.“ Siehe: Neander 2012; sowie McLaughlin 2008, 30. McLaughlin 2008, 33.
3 Das Wohl als Norm
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gut entwickelt, dass es glücklich oder armselig ist. Das wird ohne Zweifel auch manchmal von Artefakten und leblosen Gegenständen gesagt. (…) Aber das ist klarer Weise eine metaphorische Redeweise. Die Attribute, die mit einem sinnvollen Gebrauch der Wendung „das Wohl von Y“ einhergehen, könnte man in einem weiten Sinne als biologisch bezeichnen. (…) Was ich damit meine, wenn ich Begriffe biologisch nenne, ist, dass sie als Attribute von Wesen verwendet werden, von denen es sinnvoll ist zu sagen, dass sie ein Leben haben. Die Frage, „welche Arten oder Spezies haben ein Wohl?“ ist also im weitesten Sinne gleichbedeutend mit der Frage „Welche Arten oder Spezies haben ein Leben?“²⁰⁹
Die Frage, was es heißt, dass ein Lebewesen ein Wohl hat, beantwortet McLaughlin mit Hilfe des aristotelischen Begriffs des ergon. In der Naturphilosophie des Aristoteles nimmt der ergon-Begriff eine Schlüsselrolle ein. Da in der Naturvorstellung von Aristoteles alles einen bestimmten Zweck und damit auch eine bestimmte Funktion hat, wird auch alles um einer bestimmten Leistung willen hervorgebracht: „Alles,was eine Leistung hat, ist um dieser Leistung willen da“,²¹⁰ was von J. L. Stocks wie folgt ins Englische übersetzt ist: „Everything that has a function exists for its function.“²¹¹ Auch artspezifische Fähigkeiten haben dann eine Funktion im Naturganzen, Organe eine Funktion für den Organismus und Lebewesen einen Zweck im Ganzen der Natur. Aristoteles verbindet seine Überlegungen zu einem Naturalismus also selbst mit funktionalistischen Vorstellungen. Auf die oben gestellte Frage, was die gewöhnliche Leistung einer Maus wohl sei, könnte eine aristotelische Antwort daher lauten, dass es der Zweck oder die übliche Leistung einer Maus sei, eine Maus zu sein, was zu der essentialistischen Frage nach dem Wesen der Maus verleiten könnte, also danach, welche Eigenschaften eine Maus haben muss, um eine Maus zu sein. Angestrebt wird aber nicht etwa einen Beitrag zu einem neuen aristotelischen Essentialismus zu geben, sondern ein mögliche Antwort für Naturalisierungsansätze. Fragen der Art „was ist das Wesen von“ zeigen in Naturalisierungskontexten jedoch stets eine Sackgasse an und nicht etwa einen Weg zu einer tragfähigen Theorie.
Übersetzung von: „A being, of whose good it is meaningful to talk, is one who can meaningfully be said to be well or ill, to thrive, to flourish, be happy or miserable. These things, no doubt, are sometimes said of artefacts and inanimate objects too. (…) But this is clearly a metaphorical way of speaking. The attributes which go along with meaningful use of the phrase ‘the good of Y’, may be called biological in a broad sense. (…) What I mean by calling terms ‘biological’ is that they are used as attributes of beings, of whom it is meaningful to say they have a life. The question ‘What kinds or species of things have a good?’ is therefore broadly identical to the question ‘What kinds or species of being have a life?’ „ Von Wright 1963, 50 – 51. Aristoteles, De caelo, II 3, 286a8 – 9. Aristotle, De caelo, übersetzt von Stocks 1922, II 3, 286a8 – 9.
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IV Normativität und Bewusstsein
Die Antwort, welche McLaughlin gibt, lautet im Sinne eines Naturalisierungsversuches wie folgt: Der aristotelische Begriff des ergon zielt auf das,was ein Ding tut, das es zu dem macht,was es ist. (…) die Selbsterhaltung oder Selbstproduktion des Organismus ist seine charakteristische Tätigkeit. „Gut“ für den Organismus und „gut“ für die Tätigkeit, die zu dessen Erhaltung beiträgt, sind fast dasselbe. Durch Stoffwechsel und Regeneration produziert ein Organismus seine eigenen Teile wieder. Der Beitrag eines Teils (seine Funktion) zu dieser Leistung des Systems führt zur Wiederherstellung der Zellen, aus denen der Teil besteht – und kann so erklären, warum der Teil da ist und warum das System ein Wohl hat. (…) Wer ein Wohl hat, dessen charakteristische Tätigkeit ist die Selbsterhaltung bzw. Selbstproduktion.²¹²
Nun spricht McLaughlin in dieser Passage von Organen und deren Bestandteilen und nicht etwa von Prozessen wie es etwa Emotionen sind. Wie ließe sich in diesem Kontext dann überhaupt von den Funktionen sprechen, welche phänomenale Zustände, wie es Emotionen sind, für einen Organismus haben? Der Begriff des Wohls ist der Maßstab mittels dessen festgestellt wird, ob eine Reaktion beziehungsweise Respondenz richtig, angemessen, nützlich oder erfolgreich ist; er enthält die Norm oder den Maßstab für die natürlichen Funktionen. Gleichzeitig hat das Wohl selbst eine Funktion, nämlich diejenige, dem Lebewesen anzuzeigen, ob etwas seinem Weiterleben dienlich ist, schädlich et cetera. Zieht man nun in Betracht, dass dieses Wohl eine Quelle der Normativität sein könnte und zudem sowohl Geistiges einen normativen Zug hat, als auch, dass Normativität auf Geistigkeit verweist, mag noch verständlicher werden, warum die Frage der Naturalisierung von Normativität mit der Frage der Naturalisierung von Bewusstsein und Geist in Verbindung gebracht wird. Gleichwohl bedeutet das nicht notwendiger Weise, dass alles, was einen normativen Zug hat, auch bewusst ist und auch nicht, dass der Geist sich in Normativität erschöpft. Der Hinweis mag dennoch dienlich sein, um zu verstehen, inwiefern Bewusstsein und Normativität zusammenhängen. Normativität beinhaltet ein Sollen, das über das Sein nach klassischer philosophischer Ansicht hinaus weist und daher auch nicht auf ein solches Sein reduzierbar ist. Aber stimmt das? Lässt sich das Wohl eines Lebewesens, auf dessen Maßstab hin bestimmte Funktionen ausgerichtet sind, um es zu erhalten, als natürliche Grundlage des Geistigen, des Bewusstseins ausmachen, so dass eine letztgültige Naturalisierung auf diesem Weg gelingt? Wie steht es also mit dem ergon als dem Wohl eines Lebewesens und damit als Naturalisierungsgrundlage? Ein solcher Begriff des ergon lässt sich mit dem Konzept der natürlichen Normativität in Verbindung bringen, das die Philosophin Philippa Foot entwickelt McLaughlin 2008, 36 f.
3 Das Wohl als Norm
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hat, die in ihrem Buch von animal goods spricht, welche sie mit den moralischen Evaluationen des Menschen vergleicht.²¹³ Das Wohl eines Tieres wird hier zunächst moralischen Einschätzungen des Menschen gegenübergestellt, dabei wird von ihr aber nicht an das aristotelische ergon erinnert, sondern an das, was im aristotelische Sinne Notwendigkeit genannt wird. Diese Form der Notwendigkeit ist insofern artspezifisch, als sie das angibt, was die Lebewesen einer Art benötigen, um das zu sein,was sie sein sollen und das zu tun, was sie tun sollen. Das klingt vertraut, denn damit sind die natürlichen Funktionen angesprochen, die als Grundlage für Normativität herangezogen werden sollen. Man kann auch sagen, dass diese Notwendigkeit ein Maßstab ist, der sich aus der Lebensform einer Spezies ergibt. Er muss eingehalten werden, damit sich die Spezies und damit die Lebensform erhält, Abweichungen von diesen Maßstäben führen zu Tod, Deprivation oder zum Auftreten von Krankheiten. Die Evaluation besteht in der Bewertung von Situationen und Vorkommnisse in Bezug auf die Maßstäbe, die für diese Lebewesen von Natur aus gelten. Diese natürlichen Maßstäbe zeigen der Idee nach für die Spezies ein Sollen auf, das für die Mitglieder dieser Spezies im einzelnen und für die Spezies als Ganzer überlebenswichtig ist. Nun lassen sich diese aristotelische Ansätze der Naturalisierung des Normativen und Guten in Bezug auf das, was beim Menschen unter Normativität und dem Guten bezeichnet wird, sowohl hinsichtlich des ergon, als auch der naturgegebenen Notwendigkeiten kritisieren. In Bezug auf die Letzteren hat das Lutz Wingert mit dem treffenden Satz auf den Punkt gebracht: „Die Anhänger der natürlichen Normativität klammern den Umstand aus, dass mit Blick auf eine menschentypische Lebensform Maßstäbe Standards mit Anfechtbarkeit sind.“²¹⁴ Standards mit Anfechtbarkeit lassen sich selbstredend grundsätzlich hinterfragen und kritisieren. Das Distanzieren und Hinterfragen solcher Notwendigkeiten scheint dem Menschen grundsätzlich möglich zu sein, was der Idee der naturgebundenen Notwendigkeit gerade widerspricht. Wenn dem so ist, ist es leicht, an ihrer Verbindlichkeit und dem harten natürlichen Sollen zu zweifeln. Damit ist grundsätzlich in Frage zu stellen, inwiefern moralische und ethische Normativität sich auf natürliche Formen der Normativität gründen lassen, denn in Bezug auf eine echte natürliche Normativität, ein echtes natürliches Sollen können wir uns ge-
Foot 2001, 15 f. und 116. Aus dem Vortrag „Genealogie der Normativität“ von Lutz Wingert, gehalten bei der 10. Internationalen Tagung der Spinoza-Gesellschaft 26.-28.9. 2008 in Marburg sowie am 25. Juni 2010 in Mainz auf der Tagung „Moderne Theorien praktischer Normativität“.
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IV Normativität und Bewusstsein
rade nicht in ein kritisches Verhältnis setzen. Die Art der Notwendigkeit ist offensichtlich eine andere. Greift man den Gedanken der Anfechtbarkeit weiter auf und verfolgt ihn bis ans Ende, gelangt man zu einem Punkt, an dem wir feststellen, dass wir einen Maßstab selbst dann noch hinterfragen können, wenn das unter Umständen bedeutet, unser eigenes Überleben zu riskieren. Anders ausgedrückt:Wir können uns etwas zum Maßstab nehmen, das uns wichtiger ist, als das eigene Überleben. Damit werden natürliche Notwendigkeiten beiseite geschoben. Aus der Vergangenheit bekannte Beispiele dafür wären Selbstverbrennungen oder tödlich verlaufende Hungerstreiks, um politische Unterdrückung oder grundlegende Verletzungen von Gerechtigkeit oder Rechtsnormen öffentlich zu machen. Solche Beispiele weisen bereits darauf hin, dass das ergon eines Menschen nicht nur etwas Artspezifisches meint, sondern sehr individuell zu verstehen sein kann. Im Falle des Menschen kann es sogar sein, dass das, was den Menschen durch charakteristische Tätigkeit zum Menschen im Sinne seines ergon macht, unter Umständen gerade nicht darauf ausgerichtet ist, zu seiner Selbsterhaltung und Selbstproduktion beizutragen. „Gut“ für den Organismus und „gut“ für die Tätigkeit, die einen Menschen zum Menschen im Sinne seines ergon macht, sind dann unter Umständen gerade nicht dasselbe. Dieses Wohl besteht dann nicht in Wiederherstellung der Zellen und Stoffwechsel und das Weiterleben mag diesem Wohl sogar geopfert werden.
3.3 Selbsterhalt kann etwas anderes sein als Weiterleben im Sinne der Selbstreproduktion: Zur Setzung des ergon durch das Individuum Das ergon eines Lebewesens ist mit der Frage der Selbstreproduktion in Verbindung gebracht worden. Die Maßstäbe, die heranzuziehen sind, damit die Selbstreproduktion oder des Selbsterhalts erfolgen kann, sind die Maßstäbe, die für das Wohl eines Lebewesens maßgeblich sind. Nun kann die Frage des Selbsterhalts beim Menschen allerdings eine andere sein als die des reinen physischen Überlebens. Eines der treffendsten Exempel für die Manifestation von Freiheit und Bewusstsein, in denen diese Begriffe veranschaulicht werden, ist ein literarisches²¹⁵ und schildert ein Festhalten an verinnerlichten Wertvorstellungen, die biologischen und sozialen Notwendigkeiten entgegenstehen. Damit dient es der Veran-
Literarische Beispiele, lassen sich in philosophischen Debatten ebenso gut einsetzen wie Gedankenexperimente; naturgemäß sind erstere allerdings meist besser formuliert.
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schaulichung eines durchaus auch philosophisch reflektierten Freiheitsbegriffs, und einer Antwort auf die Frage, was es kosten kann, ein Mensch zu bleiben.²¹⁶ Imre Kertészs’ „Herr Lehrer“²¹⁷ will sich in einem ganz anderen Sinn als dem biologischen Selbst erhalten. Diese Form der Selbsterhaltung, die das eigene Sterben in Kauf nimmt, verweist auf eine weitere Form der Normativität, hinter der sowohl eine Vorstellung dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, steht, womit das ergon des Menschen formuliert ist, als auch die Vorstellung einer genuinen Normativität, die auf das Geistige angewiesen ist, das in der Abweichung von der Norm, im Moment der Freiheit steckt. Der Herr Lehrer tut das, was er tut, das sagt Kertész ausdrücklich, um zu überleben, auch wenn er dabei stirbt. Er will der sein, der er sein möchte, nämlich solidarisch mit Anderen und frei. Das Wesen des Menschseins ist für ihn damit verbunden, für den Anderen, auch den Fremden einzustehen und erschöpft sich nicht darin, ein rein biologisches Wesen zu sein. Die geschilderte Episode ist ein Beispiel für die Freiheit des Menschen die Bedeutung von Selbsterhalt mit eigenem Inhalt zu füllen, um den eigenen Werten zu genügen: (…) gebt jetzt gut acht, denn das wirklich Irrationale und tatsächlich Unerklärbare ist nicht das Böse, im Gegenteil: es ist das Gute. (…). Ich will mich kurz fassen, (…) und sage nur soviel wie: Lager und Winter und Krankentransport und Viehwagons und nur eine einzige kalte Verpflegungsration, (…) und ich, auf einem zur Tragbahre ernannten Holzgerüst liegend, wende meine Hundeaugen nicht von einem Mann, besser gesagt, einem Gerippe, der, keine Ahnung warum, nur „der Lehrer“ genannt wurde, an den meine Ration geraten war, und dann das Verladenwerden in die Waggons, und der Abzählstand stimmt natürlich wieder und wieder nicht, und Gebrüll und Durcheinander und ein Tritt, dann spüre ich, wie man mich hochreißt und vor dem nächsten Wagon abstellt, und ich sehe den „Herrn Lehrer“ und meine Ration schon lange nicht mehr (…) es gibt immer eine Chance am Leben zu bleiben. Das schien jetzt, ohne meine Ration, auf einmal überaus fraglich geworden zu sein, andererseits wurden die Überlebenschancen des „Herrn Lehrers“, und das klärte ich kühl mit mir, durch meine Ration genau verdoppelt (…). Wen aber sehe ich wenige Minuten später? Rufend und mit seinem Blick rastlos suchend, schwankt der „Herr Lehrer“ auf mich zu, in seiner Hand hält er meine kalte Verpflegungsration, und als er mich auf meiner Tragbahre erblickt, legt er sie mir rasch auf den Bauch; ich will etwas sagen (…) obwohl er bereits dabei ist zurückzujagen – wird er nicht an seinem Platz angetroffen, schlägt man ihn einfach tot (…) der „Herr Lehrer (…) tat, was er tat, damit ich am Leben bleibe, jedoch (…) er wurde offensichtlich von etwas anderem geleitet, er tat es offensichtlich vor allem, um selbst am Leben zu bleiben, was er für mein Überleben tat. Und das ist hier die Frage, und dafür gebt mir eine Erklärung, wenn ihr könnt, warum er es getan hat. (…) Weil der „Herr Lehrer“ nicht das tat, was er hätte tun müssen, das heißt, was er nach vernünftigem Kalkül von Hunger, Selbsterhaltungstrieb und
Vergleiche: Földényi 2009 Artikel „Güte“, 137– 139 hier 139. Földényi (2009, 138) weist darauf hin, dass im ungarischen Original das Wort, das für Lehrer gebraucht wird, den Sinn von Erzieher mit sich führt.
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Wahnsinn und der mit Hunger, Selbsterhaltungstrieb und Wahnsinn in Blutbrüderschaft verbundenen Herrschaft hätte tun müssen, er tat vielmehr, alles widerlegend, etwas anderes, etwas, das er nicht hätte tun müssen, etwas, das niemand vernünftigerweise von einem erwartet.²¹⁸
Diese von der Frau des Erzählers kurz darauf so genannte natürliche und menschliche Geste ist eben nicht natürlich, denn der Natur folgend hätte der „Herr Lehrer“ für das Überleben und gegen den schier unüberwindlichen Hunger die zusätzliche Ration essen müssen, um für sein eigenes leibliches, organisches Wohl zu sorgen und um am Leben zu bleiben. Manche Überlebende meint, dass es ausschließlich ein solch natürliches Verhalten gegeben habe.²¹⁹ Das Handeln des Lehrers wird aber auch menschlich genannt, was uns auf die noch unbeantwortete Frage zurückbringt, was das ergon des Menschseins für den Herrn Lehrer ist. Das Am-Leben-Bleiben hat hier offensichtlich einen anderen Sinn als das Überleben. Es besteht im Befolgen für richtig erachteter Normen und Werten im Umgang mit Anderen. Der Handlungsspielraum, der dafür benötigt wird, besteht in dem zitierten Beispiel nicht mehr, er wird von der Gesellschaft weder vorgegeben, noch mitgetragen, vielmehr muss der Handelnde mit sich selbst einen Anfang machen, wie Hannah Arendt es ausgedrückt hat.²²⁰ Der Handelnde muss in diesem Fall das, was er als richtig erachtet, alleine tun und somit die als richtig befundenen Normen und Werte alleine befolgen, um zu einem Handeln zu gelangen, das sich zwischen den Menschen abspielt. Die Initiative im Handeln für den Anderen ergreifen ist nicht nur ein Akt der Freiheit, der natürlichen Zwängen und Notwendigkeiten entgegen steht, sondern auch eine Antwort auf die Frage, wer wir sind, während das Konstatieren natürlicher Zwänge eine Antwort auf die Frage, was wir sind, ist.²²¹ „Was sind wir?“ ist eine Frage nach dem ergon des Menschen als Gattungswesen, während die Frage wer wir sind, eine nach dem Handeln des Einzelnen ist und damit danach, was für eine Person er ist. Wird die Frage nach dem Menschen nicht als eine der Biologie und dem natürlichen ergon gestellt, sondern als eine nach dem Selbstverständnis und dem ethischen ergon, muss die Antwort einschließen, dass der Mensch sein Handeln wählen kann.
Kertész, Kaddisch für ein nicht geborenes Kind, 56 – 60 und 63. Vergleiche auch die Analysen dazu in: Engelen 2007, 100 – 10; sowie Engelen 2008, 41– 73 hier 66 – 73, an die die vorliegenden Überlegungen anknüpfen. „Seele, Gefühle, das gibt’s nicht im Lager. Vergessen Sie’s.“ Anita Lasker-Wallfisch, zitiert in: Thöming 2010, 27. Arendt, Vita activa, 17. Arendt, Vita activa, 21.
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Die moralischen Standards werden durch das eigene Beispiel, das eigene Zeugnis gegeben.²²² Im konkreten literarischen Beispiel bedeutet das, dass die Freiheit anders zu handeln und dadurch einen Werte-Standard zu verkörpern, sich weder logisch ableiten lässt, noch in ihrer biologischen Funktionalität belegen oder messen lässt, sondern lediglich in dem, was der tut, der ein Beispiel gibt, manifestiert und dadurch Bedeutung erhält. In dem Zitat wird mit der Form des Beispiel-Gebens auf mehreren Ebenen gearbeitet. Es soll nicht für ein tatsächliches Geschehen gebürgt werden, sondern mit einer Geschichte eine Möglichkeit aufgezeigt werden. Zudem zeigt es, dass sich sowohl die Begriffe „Freiheit“, „Menschsein“, als auch der des Guten nicht abschließend definieren lassen, sondern ihre Bedeutung auch in Beispielen erhalten. Und schließlich handelt es sich um ein Exempel zu Vermittlung moralischer Werte, zu denen man durch den Anderen erzogen werden muss. Für uns, die wir den Ausdruck „Zeuge“ eigentlich nur noch aus einem juristischen Kontext heraus verstehen, in dem es darum geht, das Tatsächliche, Beweisbare, Nachprüfbare zu belegen und zu eruieren, ist der Zusammenhang zwischen Zeugnis- und Beispiel-Geben im Sinne der über das Tatsächliche hinausgehenden Bedeutung schon kaum mehr verständlich. Dabei hat das BeispielGeben als theoretische Herangehensweise an die Konstitution von Werten in der Ethik zumindest eine gewisse Renaissance erfahren. Entstanden ist diese als eine Alternative zur Pflicht-Ethik, welche sich auf das Einhalten von Pflichten, Gesetzen und Regeln stützt. Sie versucht also Normativität nicht in erster Linie an Normen als Sollens-Vorschriften festzumachen und diese eventuell durch deren Naturalisierung zu begründen, sondern setzt auf den in der antiken Ethik verbreiteten Ansatz des Erziehens durch Beispiel-Geben. Gerade Aristoteles könnte hier wieder in einem ganz andern theoretischen Zusammenhang als dem der Begründung natürlichen Normativität herangezogen werden. Bei den durch Erziehung erworbenen Wertestandards handelt es sich um Verhaltensmodelle, also nicht um abstrakte Regeln oder Vorschriften. Solche Modelle sollen letztlich dazu dienen, das eigene Verhalten und die damit verbundenen Handlungen nach dem Vorbild auszurichten.²²³ Ein maßgeblicher
Vergleiche: Földényi, Artikel „Zeugnis (Zeugnis geben)“, 358 – 361 hier 360. Deigh 2002, 181– 198 hier 193: „(…) moral ideals, however (…) one can take as models of conduct. Accordingly, they belong to a different category of standards from rules. Models of conduct are standards one lives up to or realizes. (…) Where precepts take the form of an imperative, models are presented in images, pictures, and portraits. Where precepts guide by explicit direction, models guide by inviting emulation or imitation. (…) As my observation from learning suggests, we get our ideals from examples that people whom we look up to or admire set.“ Vergleiche hierzu auch: Engelen 2007, 97– 104.
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Unterschied zu anderen überlieferten Ethikkonzeptionen ist dabei, dass modellhafte moralisch relevante Beispiele nicht in restriktiver Weise Verhalten und Handlungen beeinflussen, sondern indem sie attraktiv wirken.²²⁴ In dem vorliegenden Beispiel von Kertész wird diese Attraktivität sicherlich auch durch ästhetische Mittel hervorgerufen, etwa durch die Form des Gleichnisses, das an biblische Gleichnisse erinnert sowie durch die Pardoxie, die heraufbeschworen wird, wenn von Auschwitz gesagt wird, das Erstaunliche, das es hervorgebracht habe, sei das Gute. Die Weise des Erzählens kann uns jedoch allein nicht von der Richtigkeit des Gesagten überzeugen. Was also veranlasst uns, das, was dargelegt wird als überzeugend zu betrachten und in einem solchermaßen geschilderten Verhalten ein Vorbild zu sehen, wenn es doch, was im Text gleichfalls herausgearbeitet wird, so ganz gegen die Rationalität des Überlebens und des logischen Schlussfolgerns spricht? Außer der Attraktivität, die eine Idee wie das Gute, die sich in dieser Geschichte manifestiert, ausübt, ist es das Selbstbild, das wir von uns selbst als eines Wesens entwerfen, dessen Wohl nicht auf das leibliche Wohl und das Überleben eingeschränkt ist. Dieser Begriff eines Selbst umfasst das Moment der Autonomie, das über das natürliche und logische Sollen, auf die es sich nicht lückenlos reduzieren lässt, hinausweist und damit auf das Erreichen und dann auch das Festhalten an dem, was wir als unser Persönlichstes, das für uns Bedeutsamste betrachten, das sich dem biologischen und sozialen Sollen widersetzt. Da ein solcher Standpunkt ohne Bewusstsein nicht einzunehmen wäre, sei der abschließende Sprung zurück zum Verhältnis von Normativität und Bewusstsein gestattet. Was bedeutet das Vorhandensein von Normativität für die Naturalisierung von Bewusstsein? Normativität, das wurde bereits festgestellt, gehört zum Geistigen. Das kann man so pauschal sagen, weil es einen Sprung von physikalischen und chemischen Tatsachen hin zu Formen der Subjektivität markiert. Dabei können Formen des Normativen zunächst art- oder gattungsspezifisch sein, beim Menschen hingegen In einer Arbeit, die sich dem Thema der Naturalisierung von Normativität in vollem Umfang widmete, und es nicht ausschließlich mit dem Fokus auf Emotionen und den Bereich des Affektiven betrachtet, wäre zu überlegen, ob sich dieser Ansatz nicht mit dem Naturalisierungsversuch von Peter Stemmer verbinden lassen könnte. Stemmer hat den Versuch unternommen zu zeigen, wie es in der physikalischen Welt eine normative Wirklichkeit geben kann. Ihm zufolge kommt das Normative durch faktisches Wollen und das Müssen der notwendigen Bedingung, das Wollen zu erreichen in die Welt. Die Kritik, die daran geübt wurde, fragt nach den Normen, aufgrund derer wir unser Wollen formen sollen. Vergleiche dazu: Stemmer 2008. Kritisch dazu u. a.: Esfeld 2010, 145 – 148 hier 147. Esfeld rät Stemmer zu einer Auseinandersetzung mit funktionalistischen Naturalisierungsstrategien – ein Vorschlag, dem nach den hier vorgestellten Erörterungen nicht ohne weiteres zuzustimmen ist.
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auch vom einzelnen Individuum ausgehen. Mit dem Aspekt der Normativität und dem Wohlbefinden des einzelnen biologischen Wesens tritt eine Form des Interesses auf den Plan, das Moleküle, Planeten, Atome und Steine nicht haben, – das Interesse an sich selbst. Ein solches Interesse an sich selbst schließt nicht nur das Interesse an sich als einem Wesen ein, das über sich selbst nachdenkt, sondern auch ein Interesse daran jemand zu sein und das bedeutet auch, soziale, ethische und kulturelle Maßstäbe zu verkörpern und unter Umständen sogar zu setzen. Die dargelegten Erörterungen zeigen, dass Naturalisierungsstrategien bereits auf der art- oder gattungsspezifischen Ebene Vorsicht walten lassen müssen, denn worin sollte biologisch gesehen etwa das Interesse eines Hasen bestehen? Und wäre statt von Interesse nicht besser von Lust und Unlust die Rede, die erst beim Menschen über das soziale Lernen und sprachliche Kommunikation zum Interesse wird? Die Konzepte „Wohl eines Organismus“ oder „Interesse eines Organismus“ sollten daher versuchsweise durch den Begriff des ergons eines Organismus einer naturalistischen Betrachtungsweise zugänglich gemacht werden, denn unzweifelhaft ist es so, dass weder „Wohl“ noch „Interesse“ Begriffe biologischer Theoriebildung sind. So wurde der Begriff des Interesses, nach welchem das Interesse eines Organismus anzeigt, was für diesen von Wichtigkeit oder Bedeutung ist, zuerst im Zusammenhang mit ökonomischen und juristischen Sachverhalten geprägt und später vor allem in utilitaristischen Ethiken und der kantischen Ethik weiterentwickelt. Geht man aber von der gebräuchlichen Grundbedeutung aus, nach welcher „Interesse“ das ist, was für ein Wesen eine gewisse Bedeutung oder Wichtigkeit hat, sieht man, dass es Parallelen zur Bestimmung von Emotionen gibt, zu deren Funktion es gehört, eine Situation für einen Organismus einzuschätzen. Sowohl der emotionale Prozess als auch das Interesse gehen also mit einer Einschätzung oder Bewertung für den Organismus einher. Traditionellerweise wird der Begriff des Interesses dabei aber mit dem der Vernunft oder dem Verstand in Verbindung gebracht, der dem menschlichen Individuum nicht nur hilft, seine Interessen zu artikulieren, sondern auch davon ausgeht, dass Vernunft interessegeleitet ist. Sieht man einmal von diesen philosophie- und begriffsgeschichtlichen Entwicklungen ab, bleibt dennoch die Schwierigkeit offenkundig, Interesse als einen, im naturwissenschaftlichen Vokabular zu formulierenden Begriff zu verstehen.²²⁵
So schreibt Jürgen Habermas in seinem Buch Erkenntnis und Interesse über den Begriff des (Erkenntnis‐)Interesses sogar: „Der Begriff des ‚Interesses’ soll eine naturalistische Zurückführung von transzendentallogischen Bestimmungen auf empirische nicht nahe legen, sondern einer solchen Reduktion gerade vorbeugen. Erkenntnisleitende Interessen vermitteln (…) die Naturgeschichte der Menschengattung mit der Logik ihres Bildungsprozesses; aber sie können
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„Interesse“ ist kein Begriff, der sich in biologischen Abhandlungen finden lässt. Legt man eine Graduierung von Gefühl und Bewusstsein an, die bei Lustund Unlustempfindung beginnt und von Emotion bis zu Interesse reicht, sieht man, dass wir erst auf der Ebene des Interesses in den Bereich einer ethisch relevanten Normativität gelangen. Dieser Bereich lässt sich ohne Spracherwerb und soziales Miteinander, durch dessen geregeltes Funktionieren Interessen erst durchsetzbar werden, nicht denken. Selbstbewusstsein und ein Selbstverständnis von sich als Mensch, ein Wesen zu sein, das Interessen haben kann, hat mithin zahlreiche natürliche Grundlagen, darüber hinaus aber auch soziale, kulturelle und sprachliche Voraussetzungen. Auf keine dieser Grundlagen alleine lässt sich das, was wir mit Selbstbewusstsein des Menschen in einem vollumfänglichen Sinne meinen, restlos reduzieren. Das bedeutet nicht, dass man auf diese Grundlagen jeweils verzichten könnte, wohl aber, dass eine vollständige Reduktion nicht gelingt, weil wir, wenn wir von Selbstbewusstsein, phänomenalem Empfinden, Interesse und Wohl sprechen immer auch Begriffe verwenden müssen, die keine der Biologie oder der Mechanik sind.
nicht in Anspruch genommen werden, um Logik auf irgendeine Naturbasis zurückzuführen.“ Habermas 2008, 236.
Abschließende Betrachtungen Das Gefühl des Lebendigseins als Form eines minimalen phänomenalen Selbstbezugs setzt keine höheren kognitiven, emotiven oder sprachlichen Fähigkeiten voraus. Ein Lebewesen, das sich lebendig fühlt, muss nicht auch in der Lage sein, zu handeln, mit anderen zu sprechen oder sich in anderer Weise intentional mitzuteilen. Dennoch können die begrifflichen Fähigkeiten sowie Bewegungsfähigkeit und ein Tätigsein in der Wahrnehmung, die für ein Gefühl des Lebendigseins erforderlich sind, auch als Vorstufen für Handeln und Sprechen betrachtet werden. Ein Lebewesen, das sich lebendig fühlt, ist noch keines, auf das die Frage „wer ist es?“ passte, und die Frage, „was es ist“, trifft den Phänomenbereich, um den es geht, auch nicht genau, weil sich für das phänomenale Empfinden mit einer „Wasist-Frage“ keine umfassende Antwort finden lässt. Der Reduktion, die eine Zuspitzung zu einer „Was-ist-Frage“ erlaubte, widersetzen sich nicht zuletzt die Verbindungen von Begriffs- beziehungsweise Sprachfähigkeit und Fühlen. Gegenwärtige Bemühungen in den Lebenswissenschaften, Sprache auf verschiedene Weisen zu „naturalisieren“, sind daher auch im Zusammenhang der Versuche zu verstehen, Phänomenalität auf natürliche Grundlagen zu reduzieren. Wir haben einen solchen Versuch in Damasios Überlegungen erörtert, das Erleben der Autorschaft auf Bilder und Bildfolgen ohne Sprache zu reduzieren, um die Position des Akteurs oder Autors nicht wiederum auf ein Gefühl zurückführen zu müssen (nämlich das Gefühl Autor einer Erzählung oder Akteur in ihr zu sein), sondern auf eine Form des nicht-phänomenalen Sehens als Grundlage für Erzählung. Die Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes sind evident, denn wir sehen Blumen nicht nur als Blumen, sondern je nach Situation auch als Geschenk, als Schmuck, als Ehrerbietung oder Bekräftigung eines Glückwunsches.Vor ähnliche Probleme sind auch neurowissenschaftliche Experimente gestellt, bestimmte Worte an bestimmten Stellen im Gehirn nachzuweisen: Was sieht jemand, wenn er ein Auto sieht, was denkt er, wenn er an ein Auto denkt und wie ist das Auto „ins Gehirn gekommen“. Die Stelle im Gehirn sagt nichts darüber aus, welche Bedeutung mit einem Bild oder Wort verbunden ist und auch nichts über das phänomenale Empfinden. Das Etwas-als-etwas-Sehen und das Fühlen von etwas als etwas lassen sich nicht in einer Eins-zu-eins-Relation von Wort und Bild erfassen. Zudem muss nicht nur Sprache in intersubjektiven, sozialen Zusammenhängen erworben werden, sondern auch das phänomenale Empfinden einer bestimmten Emotion als eine solche ist nicht angeboren. Es unterliegt vielmehr einem Lernprozess in einer sozialen Gemeinschaft. Menschen haben nicht einfach emotionale Reaktionen auf ein bestimmtes Ereignis, sondern sie lernen diese Reaktion in
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Handlungs- und Sprachzusammenhängen als etwas Bestimmtes zu benennen und zu fühlen. Die Bedeutung, die fühlendes Empfinden sowie Sprach- oder Begriffsfähigkeit für die Entstehung von Phänomenalität und damit für Subjektivität haben, lässt sich an den strukturellen Möglichkeiten der Sprache darlegen, den zeigenden Hinweis auf etwas Dingliches durch grammatische Leitfäden zu ergänzen, die es sowohl ermöglichen, auf Nicht-Vorhandenes Bezug zu nehmen, als auch eine Intentionalität zu generieren, die nicht lediglich durch einen Gegenstand ausgelöst wird, sondern gerichtet ist. Dass dieses Bezugnehmen auch ein Fühlendes sein kann, dem über bloße Reaktionsverläufe hinaus eine intentionale Richtung inhärent ist, lässt sich eben nicht nur durch das Fühlen oder den das Fühlen auslösenden Gegenstand oder die sie auslösende Situation erklären, sondern es bedarf darüber hinaus einer sprachlichen, grammatischen Struktur. Dieses strukturelle Element ist allerdings kein starres Gerüst neben dem prozessualen Moment des Fühlens, sondern gestaltet das Fühlen selbst und macht das Empfinden damit allererst zu einem phänomenalen Erleben. Das phänomenale Erleben, das ein subjektives Empfinden ist, wird zu dem, was es ist, nicht lediglich dadurch, dass ein Wesen etwas empfindet, sondern es gibt bestimmte begriffliche und metaphysische Voraussetzungen dafür. Zudem kann sich ein sprachfähiges Wesen eigene Erfüllungsbedingungen setzen, die nicht artspezifisch vorgegeben sind. Das Moment des Subjektiven enthält hier mit anderen Worten bereits das der Autonomie, eine Autonomie, die in der Grammatik einen Ausgangspunkt hat und in der selbst gesetzten Gefühlsregulation und dem daraus resultierendem Handeln fortgeführt wird. Vorgestellt wird eine solche Autonomie aber nicht als eine des Entschlusses, nun autonom zu handeln, sondern in einem aristotelischen Sinn als eine, die im Einüben von Tätigkeiten besteht, was auf die Kontrolle und das Entstehen von Fühlen Einfluss hat, indem Erfüllungsbedingungen habitualisiert werden. Am augenfälligsten wird die unauflösliche Verbindung von Sprache, Gefühl und Subjektivität wohl am Beispiel der Indexikalität und da insbesondere an der Indexikale „ich“. Der kontextfreie Bezug auf sich selbst wird dadurch möglich, dass man fähig ist, „ich“ zu sagen. Der Erwerb dieser Fähigkeit setzt voraus, dass die Indexikale einen Weltbezug erfährt. Der Weltbezug ist allerdings erst im phänomenalen Empfinden seiner selbst, also einem basalen Gefühl des Lebendigseins gegeben. Dieser Weltbezug kann, wenn er einmal hergestellt wurde, aufgrund der Verabsolutierung des grammatischen Ichs dann auch wieder entfallen. Die Nicht-Reduzierbarkeit von Normativität auf naturalistische Grundlagen, auf Funktionen, Emotionen oder das Wohl eines Lebewesens zeigt die Bedeutung der Sprache schließlich noch einmal aus einer Metaposition. Hier geht es nicht
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darum, dass die subjektive Perspektive eines Lebewesens sprachliche- oder begriffliche Fähigkeiten voraussetzt, sondern darum, dass die Bestimmung einer Funktion und damit der Grundlage der Normativität nicht ohne Interpretationen möglich ist. Nicht die Bedeutung der Sprache für das Fühlen ist hier ausschlaggebend, sondern die Bedeutung der Sprache für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess, der der Perspektivität der Sprache und geltenden Theorien nicht enthoben werden kann, so dass der göttliche Standpunkt absoluter Objektivität, der keinen Interpretationsraum mehr beinhaltet, unerreichbar ist. Ein Gegenstück zur Unerreichbarkeit der absoluten Objektivität ist die Unhintergehbarkeit des phänomenalen Empfindens und dessen Ausdruck, wenn es um die Bestimmung des Wohls eines Lebewesens geht. Die Nicht-Reduzierbarkeit von Normativität auf Funktionen zeigt einen weiteren Aspekt der Nicht-Reduzierbarkeit von Normativität auf natürliche Grundlagen. In diese Richtung gehen schließlich auch die weiteren Überlegungen, die, anknüpfend an eine beispielhafte Schilderung darlegen, dass der Mensch als Subjekt in der Lage sein kann, alleine, seinen eigenen Normen zu folgen, auch wenn diese den natürlichen Anforderungen seines lebendigen Organismus entgegenstehen. Er mag sein ergon als Mensch genau darin sehen – und nicht im Erhalt seiner Physis. Da Menschen als Subjekte ihrem natürlichen Selbsterhaltungstrieb widersprechend handeln können, ist auch das ein Einwand gegen die vollständige Reduktion des Normativen auf natürliche Grundlagen, die doch allererst eine der Voraussetzungen dafür sind, dass so etwas wie Subjektivität entstehen kann.
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Personenregister Agar, Nicholas 141 Allen, Colin 14, 16, 28 Arendt, Hannah 158 Aristoteles 5 f., 10, 17 – 24, 26, 30 – 32, 34 – 36, 107, 153, 159 Armstrong, David M. 17, 31 Augustin 29 f. Balog, Katalin 122 Bermes, Christian 105 Brand, Reinhard 67 Brandom, Robert 148 Braun, David 121, 127 Brentano v., Franz 32, 88 f. Busche, Hubertus 30 Carruthers Peter 16 Castañeda, Hector-Neri 86, 105 – 107, 109 Caston, Victor 31 – 33 Chalmers, David 56, 126 f., 149 Chisholm, Roderick 110 Crane, Tim 59 Crone, Katja 105 Damasio, Anton 6, 8, 43 – 55, 65 f., 68, 74, 77, 105, 107, 163 Darwin, Charles 82, 143 Davidson, Donald 43, 65, 69 De Sousa, Ronald 98 – 101 Deigh, John 159 Dennett, Daniel 142 – 144 Descartes, René 19, 24, 29 f. Detel, Wolfgang 132, 140 – 146 Didion, Joan 97 Dretske, Fred 43, 59, 63 – 65, 72 Ekman, Paul 82 Engelen, Eva-Maria 7, 12, 29, 56, 88, 90, 158 f. Esfeld, Michael 160 Fodor, Jerry 141 f., 144 Földényi, Laszlo F. 157, 159 Foot, Philippa 154 f.
Frede, Michael 30 Frege, Gottlob 48 Friedlmeier, Wolfgang 79 Fuchs, Thomas 6, 8 f., 22 f., 38, 41 Gallagher, Shaun 59, 81, 93 Goldie, Peter 56, 80 – 82, 85, 97 – 100 Graham, George 89 Habermas, Jürgen 161 f. Hampton, Robert R. 13 Hardie, William F. R. 18, 24 f., 31 Hegel, Gottfried Wilhelm 66, 78 Heller-Roazen, Daniel 17, 25, 27 f., 30, 34, 36 Helm, Bennett W. 90, 101 Hennig, Boris 29 Holodynski, Manfred 79 Horgan, Terence E. 89 Husserl, Edmund 40, 105 Hutto, Daniel D. 81 Jackson, Frank James, William
86, 123 46, 53 f.
Kahn, Charles 18, 30 f. Kant, Immanuel 78, 109, 112 Kenny, Anthony 98 Kertész, Imre 157 f., 160 Koch, Anton Friedrich 105, 117 f., 128 Koch, Christof 74 f. Lamarque, Peter 81 Lange, Carl 46, 53 f. Lasker-Wallfisch, Anita 158 Ledoux, Joseph 60 Levenson, Robert 82 Lorenz, Kuno 118 Lycan, William G. 17, 31 McGinn, Colin 57 McLaughlin, Peter 137, 151 – 154 Metzinger, Thomas 6, 8 Millikan, Ruth 131
172
Personenregister
Nagel, Thomas 89 Neander, Karen 140, 152 Nida-Rümelin, Martine 6, 17, 37 – 40 Pankseep, Jack 6 Pape, Helmut 112 – 114, 119 Perry, John 86, 121 – 124, 126 f. Pilot, Harald 105, 107 – 111 Pitt, David 64 Platon 18, 30 f. Prinz, Wolfgang 78 f. Putnam, Hilary 125 Ratcliffe, Matthew Rizzoli, Lina 105
19
Sandis, Constantine 28 Schmitt, Arbogast 18 f., 21 f. Schröder, Jürgen 88 Searle, John R. 87, 91, 94
Seel, Martin 39 Smith, Adam 79 f. Smith, J. David 14 Stemmer, Peter 160 Tewes, Christian 124 f. Thompson, Evan 6, 105 Tienson, John L. 89 Tomasello, Michael 15 f., 43, 65 – 69, 103 Tugendhat, Ernst 128 Tye, Michael 12, 43, 55, 57 – 65 Wingert, Lutz 155 Winter, Alison 48 Wittgenstein, Ludwig 20, 51, 66, 76, 91 – 93, 95 Woodruff Smith, David 105 Wright von, Georg Henryk 152 f. Zahavi, Dan
59, 93, 105
Sachregister Absicht 16, 49, 66, 68, 74, 87, 89 – 95, 103 aisthêsis 18, 24, 26, 30 – 32, 34 – 36 Amygdala 58 Angst (resp. ‚Furcht’) 16, 18, 24, 30 – 33, 50, 55 – 61, 63, 70 – 73, 76, 85, 87 – 90, 92, 95 – 100, 102, 133, 136 – 140, 145, 147 Anthropologie 109, 112 Aphasie 48 aristotelisch 4 f., 7 – 9, 16, 18 f., 22 f., 40, 77, 84, 111, 129, 153 – 155, 164 Art 2, 6, 9, 14, 17, 20, 22, 25, 30 f., 46, 49 f., 54, 65, 71, 98, 123, 134, 150, 153, 155 f., 160 f. Aufmerksamkeit 16, 67 f., 71, 84, 95, 120 Aufmerksamkeit, gemeinsame 10, 16, 24, 61, 67 – 69, 71, 74 f., 78, 81, 103 Ausdruck 8, 37, 44, 52, 56, 60, 71, 79 f., 82 – 84, 91, 118, 159, 165 Autonomie 4, 160, 164 Basisemotion (vgl. ‚Emotion’) 15, 69, 81 – 83 Bedeutung 1, 3, 7, 13, 19, 29, 37, 39, 44 f., 47 – 49, 51, 53, 55, 61, 63, 65 – 74, 77, 84 – 92, 95 f., 100 – 108, 111 – 120, 128 f., 131, 134, 139, 146, 148, 151, 157, 159, 161, 163 – 165 Bedeutungsgehalt 1 f. Begriff 1, 8 – 10, 17 f., 23 f., 27 – 32, 38, 40, 44, 47 – 49, 51, 53, 56 – 58, 60, 62 f., 65, 70 – 74, 76 f., 85 – 90, 94, 97, 100, 104 f., 108 f., 111 f., 119 – 127, 129, 134, 136, 140, 146, 150, 152 – 154, 156, 159 – 163 Begriff, phänomenaler 86, 121 – 127 begrifflich 1, 3, 5, 7, 9 f., 13, 19, 21 f., 26 f., 33, 38 – 40, 42, 48, 54, 60, 63 f., 72, 74 f., 92 f., 95, 103, 108, 110, 122, 163 – 165 Begriffserwerb 66, 72 f. Begriffsvermögen 29, 43, 48 Bewerten, Bewertung 38 bewusst (vgl. ‚unbewusst’) 2 f., 9 – 13, 21 – 23, 30 – 33, 36 f., 46 f., 50 f., 53 – 55, 57 f., 60, 63 f., 66, 70, 72 f., 77, 83 f., 87 – 89,
91 – 93, 110, 121, 125, 130 – 135, 137, 139, 146, 150 – 152, 154 Bewusstsein (vgl. auch ‚Selbstbewusstsein’) 1 – 3, 5 – 12, 14 – 20, 22 – 33, 37 f., 43 – 51, 53 f., 56, 61 f., 64 f., 77 – 79, 83, 86 – 88, 91, 105 – 110, 113, 116, 128 – 131, 134 – 136, 139, 149 – 151, 154, 156, 160, 162 Bewusstsein, phänomenales 7 f., 10 f., 16 f., 26, 31 – 33, 40, 43, 56, 61 f., 64, 76 – 78, 113, 116, 129, 149 – 151 bewusstseinsfähig 6, 37 – 39, 66 Bewusstseinsgrad 132 Bezugnahme 3, 5, 10 f., 13, 15, 18, 22 f., 25, 27, 35, 61, 69, 72, 74, 86, 88 f., 91, 95, 99, 101, 103 f., 108, 112, 114, 120 f. Bild 2, 9, 47 f., 51 f., 54, 60, 137, 163 cartesisch 6, 20, 29 cogito 20 conscientia 28 f. Denken 5, 11 f., 19, 21, 26 f., 29 f., 47 f., 57, 62, 66, 97, 99, 103, 105, 108 – 111, 114, 117, 119, 123, 150, 162 Einschätzung 2, 38, 62, 70, 74, 96, 130 – 135, 137, 142, 147, 151, 155, 161 Ekel 57, 99, 130, 134, 147 Emotion (vgl. ‚Basisemotion’) 1 – 4, 7, 9, 11, 15 f., 18, 32, 38, 43 – 46, 48 – 50, 53 – 57, 59, 61 – 63, 65 – 67, 69 – 83, 85 – 88, 90, 96 – 101, 104, 121, 129 – 139, 144 – 149, 151, 154, 160 – 164 Emotionstheorie 3, 44, 80 – 82, 100 Empfinden 1, 4, 8 – 12, 15 – 17, 21 – 27, 29 – 34, 36 – 39, 41 f., 44 – 46, 49 f., 54 – 56, 58 f., 61 f., 64 – 66, 69 – 73, 75 – 77, 81 f., 85 – 87, 104, 107 – 110, 112, 114, 117 f., 120, 122, 127, 134, 140, 149, 162 – 165 Empfindung 1 – 3, 5, 7 f., 10 f., 15, 20, 24, 27, 29 f., 32, 34, 37 – 39, 43 – 45, 49 f., 53, 57 – 63, 68 – 77, 82, 99 f., 104, 109, 117 f., 122, 131, 134, 137, 147, 150, 152
174
Sachregister
Empfindungsfähigkeit 1 f., 5 – 7, 10, 26 f., 40, 68 Entwicklung 2, 5 – 7, 9, 14 f., 39, 53, 65, 68, 77, 137, 161 Erfahren 3, 8, 10, 12 f., 22, 34, 39, 42 f., 54, 56, 63, 72, 77, 84, 107 f., 125 f., 149, 159 Erfahrung 1, 4 f., 10, 17, 19, 22, 31 f., 37 f., 41, 54, 57, 61, 63, 82, 86, 92, 95, 105 f., 113 – 115, 119, 123 – 125, 127, 134 Erfüllungsbedingung 4, 75, 85, 92 – 97, 101 – 103, 147 f., 164 ergon 129, 136, 153 – 158, 161, 165 Erleben 3, 5, 8 – 12, 14, 16, 22 f., 25, 31, 33 f., 39, 41 – 44, 50, 55 f., 62 f., 71 – 77, 80, 83 – 85, 90, 97, 109, 114, 116, 118, 125, 127 f., 149, 163 f. Erregung 18, 31 f., 43, 71 f. Erwartung 26, 89, 92, 94 f., 130 Erzählung (vgl. ‚Narration’) 45, 47, 53, 163 Ethik 1 f., 130, 159, 161 Evaluation 2, 90, 130 f., 133, 136, 155 Evolution 13, 131, 138, 141, 143 f. evolutionär 4, 15, 61, 132, 137, 139, 147, 150, 152 extrinsisch 33, 64 Freude 2, 16, 27, 30, 43 f., 52, 58, 70, 76, 79 f., 83, 134, 147 Fühlen 1 f., 5, 7 – 10, 14 f., 23 f., 27 f., 31, 40, 42, 44 f., 49 f., 53, 73, 76, 82, 99, 107 – 110, 112, 123, 135, 163 – 165 Funktion 15, 21 – 23, 26, 34, 40, 46, 56, 59, 62, 65, 68, 77, 86, 111 – 114, 118, 121, 129 f., 132, 136, 138, 140 – 146, 148 – 155, 161, 164 f. funktional 13, 21, 113, 119, 136, 152 Gedanke 10, 12, 14, 16, 27, 29, 45, 50, 82, 91, 97, 99, 107, 112, 117, 127, 129, 133 f., 136, 145, 148, 156 Gedankenexperiment 123, 156 Gefühl 1 – 3, 5 – 11, 13 f., 16 f., 19 f., 23 – 26, 28, 34, 37 – 47, 49 – 51, 53, 57, 61, 87, 90, 98 – 100, 107 – 109, 111, 130, 134 f., 137, 139, 147, 149, 158, 162 – 164
Gehalt 1, 4, 7, 23, 57 f., 60, 63 f., 86, 89, 105, 108, 110 f., 113, 116, 121, 129, 131, 136, 138 – 146, 148 f., 155 Gehirn 8, 45 – 49, 51, 53 f., 56, 124, 163 Geist 1 f., 11, 29, 36, 44, 49, 53, 56 f., 63, 79, 85, 87 f., 99, 123, 130, 140, 148, 152, 154 Gemeinsinn (vgl. koinae aisthesis) 5, 25 f. Gerichtetheit 41, 58, 85, 87, 93, 99, 150 Handlung 12, 29, 35, 48, 52, 69, 71 – 73, 78, 82, 92 – 95, 99, 149, 159 f., 164 Hunger 10, 38, 58, 62, 92, 109, 147, 157 f. Ich
4, 12, 20, 23, 27 – 29, 34 f., 38, 45, 47, 49, 51 – 54, 58, 60 f., 76, 78, 85 f., 90 – 94, 97, 104, 106 – 122, 127, 129, 146, 153, 157, 164 Identifikation 20, 35, 72, 75, 77, 107, 112 Identifizierung 15, 74, 137 Identität 6, 37 – 39 indexikal 4, 85 f., 104 – 116, 119 – 128, 164 Indexikalität 3, 87, 104 f., 114, 117, 123, 164 Innerer Sinn 5 intentional 6, 10, 25, 31, 33, 57 f., 61, 64, 66 f., 74 f., 87 – 95, 100 – 106, 141 f., 163 f. Intentionalität 1, 3 f., 32, 56 – 58, 61, 64, 66, 74 f., 85, 87 – 89, 91 f., 95 – 101, 103 – 105, 142, 147 f., 164 Interesse 1, 24, 78, 85, 88, 129 f., 137, 139 f., 147, 151, 161 f. intersubjektiv 2, 19, 67, 69, 73, 80, 86, 106, 109, 112 – 114, 119 – 121, 129, 137, 148 f., 163 intrinsisch 2, 6, 11, 31 – 34, 62 – 64, 77, 87, 130 f., 134, 142, 148 Intuition 125, 132 – 135 James-Lange-Theorie 57, 61 Jetzt 26, 34 – 36, 53, 74, 76, 84 – 86, 93, 104, 106, 110 – 118, 121, 124, 127, 157 kantisch 20, 105, 161 kausal 10, 33, 57, 59 f., 64, 66, 81, 85, 93, 101, 136, 148 f., 152 Kausalität 59, 61 Kernbewusstsein 46, 49 – 51, 53 f.
Sachregister
Kernselbst 28, 47, 51, 53 f., 77 Kind 8, 64, 66 – 74, 76, 81, 100, 109 f., 144, 153, 158 Kognition 2, 6, 9, 14, 20, 132 kognitiv 5 f., 8, 10 f., 14, 16 f., 20, 26 f., 31, 35 f., 60, 62 – 64, 68, 70, 73, 81, 88, 97 – 100, 124, 126, 130, 132 – 135, 163 koinae aisthêsis 5, 17, 25 f. Konditionierung 11, 62 Kontext 4, 7, 45, 49, 67, 73, 79, 85, 90, 104, 106, 118, 120, 137, 142, 150, 154, 159 kontrafaktisch 41 Körper 1, 6, 18 f., 23 f., 29, 31, 46, 49, 52, 58, 60, 65, 77 f., 82, 90, 94, 107 f., 110, 120, 152 Korrelation 59 f. Leben 5, 7 – 9, 15, 22 – 24, 53, 70, 90, 114, 121, 123, 153, 157 f. Lebewesen 1 f., 5 – 17, 20 – 25, 27, 31, 33 f., 36 – 42, 45, 48, 54, 56, 72, 76 f., 91, 95, 100, 110, 129, 136, 140, 147, 149, 151, 153 – 156, 163 – 165 Leib-Seele-Problem 123 Lernen 16, 34, 38, 43, 49, 54 f., 61 f., 66 – 70, 74 f., 77, 79, 83 f., 86, 103, 109 – 111, 120, 123, 128, 161, 163 Lernvermögen 62 Logik 45, 48, 104, 112, 120, 161 f. Logos 1, 4 Mary-Gedankenexperiment 86, 123 mechanisch 59 – 61, 63, 91 meinig 76, 86, 106 Meinigkeit/Meinhaftigkeit 6, 10, 21, 33 f., 106 mental 5 f., 13, 15 – 18, 24, 31 – 33, 44, 50, 55, 57, 64, 77 f., 89, 93, 96, 102, 122 f., 129 – 131, 136, 138 – 140, 148 – 152 Metakognition 11 – 14 Metakompetenz 13 f., 18 metaphysisch 3, 5 f., 39 f., 164 Metarepräsentation (vgl. ‚Repräsentation’) 74, 110 Metaverhältnis 11, 22, 111 Mimik 15, 39 f., 71 f., 84
175
Mitvollzug 12, 21 Möglichkeit 4, 9, 25 f., 35, 40 f., 46 f., 53, 67, 72, 83, 96, 116, 120, 141 f., 159, 164 Narration (vgl. ‚Erzählung’) 80 – 82 Naturalisierung 56, 129 f., 135 – 137, 145, 150, 154 f., 159 f. Naturalismus 78, 153 naturalistisch 2, 5, 8, 10, 65, 137 f., 148, 161, 164 Naturgeschichte/naturhistorisch 146, 148, 152, 161 Neugeborenes (vgl. ‚Säugling’) 79 neuronal 46 – 48, 51, 53 – 55, 124 f., 149 Neurowissenschaft 44 f., 48, 53 normativ 129 f., 136 f., 148, 150, 152, 154 f., 160, 165 Normativität 2, 4, 98, 129 – 139, 143, 145 – 151, 154 f., 157, 159 – 162, 164 f. Objekt, formales 99 f. Objekt, intentionales 57, 93, 101, 104 öffentlich 15, 67, 73, 81, 137, 156 ontogenetisch 39, 98 Organismus 2 f., 7 – 9, 11, 15, 22 f., 25 f., 28, 34, 36, 38, 40 f., 45 – 47, 49, 51, 53 f., 57 – 59, 61, 65 f., 69, 76, 79, 87, 90, 93, 105, 107, 130 – 132, 134 – 140, 146 f., 149 – 154, 156, 161, 165 Phylogenese 2, 9, 14, 49, 70 Physikalismus 123 Physiologie 8, 103, 150 Propriozeption 110 Proto-Selbst 45 – 47, 49 – 51, 53 f. Psyche 18, 31 Qualia
75, 125
rational/irrational 18, 97 – 99, 135, 157, 160 Reduktion 2, 8, 10, 33, 64 f., 130 f., 136 f., 139, 146, 151 f., 161 – 163, 165 Referenz 16, 66 – 69, 72 f., 103 f., 111, 118 f., 137 reflexiv 5 f., 10, 18 – 21, 23, 32 – 34, 78 Regel 132, 135 f., 150, 159 Reiz-Reaktions-Mechanismus 61, 101
176
Sachregister
Relation, externe 92 f. Relation, interne 75, 85, 92 – 96, 101 – 103 repräsentationalistisch / repräsentationstheoretisch 43 f., 50, 53 – 58, 60 – 62, 64, 68, 78 Repräsentationstheorie 51, 55 f., 63, 73 – 75, 88 Repräsentation (vgl. ‚Metarepräsentation’) 28, 33, 44 – 48, 50 – 54, 56 – 64, 72 – 74, 87, 89, 131, 136 – 140, 142 f., 145 Sättigung, phänomenale 86, 106, 112 – 114, 116 – 118, 120 f. Säugling (vgl. ‚Neugeborenes’) 44, 64, 70 f., 75, 77, 79 f., 95, 98, 103, 145 Schlussfolgerung 47 f., 54, 122 Schmerz 11, 18, 27, 30 f., 55, 57 f., 60 f., 76, 110, 150 f. Seele 18, 29 f., 34, 36, 158 Selbstbewusstsein (vgl. auch ‚Bewusstsein’) 1 – 3, 6 – 8, 14 f., 22, 28, 33, 37, 40, 43, 45, 49 f., 53, 65 – 68, 76 – 78, 80, 107 – 111, 128, 151 f., 162 Selbstbezug 15, 28, 119, 127, 137, 163 Selbstgefühl 108 – 111 Selbstgewahrsein 3, 5 f., 8, 10, 19, 21 f., 24 f., 28, 31, 33, 40, 66, 76 f. Selbst-Sinn 45 f., 50 Selektion 15, 142 – 144, 152 Semantik 91, 131, 139 Semantisierung 3, 7, 56, 65, 70, 74, 76, 79 f., 83, 88, 107, 137 sensorisch 5, 9 f., 16, 53, 60, 63 f., 73 – 75 sensus communis 17, 23, 28, 31 sozial 3 f., 14 f., 53, 65 – 68, 73 f., 78 f., 82, 102 f., 132 f., 156, 160 – 163 Sprache 1 – 4, 6 f., 15, 35, 43 f., 47 – 52, 55 f., 65, 68, 70, 75 f., 78, 85, 87, 99, 103 f., 112 – 114, 121, 125, 146, 148, 163 – 165 Spracherwerb 2 f., 43 f., 47, 56, 65, 69 f., 78, 83, 86, 88, 103, 106, 109, 113 f., 162 Sprachphilosophie 1, 66, 85, 87, 148 Stimmung 57 subjektiv 6, 10, 19, 37 – 39, 43 f., 76, 86, 104 – 107, 109 f., 113, 115 – 119, 121 f., 128, 136, 164 f.
Subjektivität
5, 7, 78 f., 104, 160, 164 f.
Tasten 19, 30 f., 44 f., 49, 83, 107 Tätigkeit 12, 14, 31 f., 41, 84, 110 f., 129, 154, 156, 164 Tätigsein 34, 40, 163 Teleosemantik 129, 131, 136 – 140, 142 – 146, 148 Temperatur 11, 59 Theorie des Geistes 16, 45, 56, 86, 88, 121 Theorie, höhere Ordnung 2 f., 5, 16 f., 27 f., 31 – 33, 43 – 48, 50 f., 53 – 55, 64 f., 81 f., 88, 105, 110, 123, 129, 131, 138, 145, 153, 155, 165 Tier (nicht-menschliches Wesen) 2, 8, 10, 14, 44, 61 f., 67, 82, 91, 110, 131, 139, 145, 147, 155 Triangulation 72 unbewusst (vgl. ‚bewusst’) 2, 12, 23, 38, 44 – 47, 50 f., 54, 60, 71 f., 84, 92, 102, 130 – 135 Unterscheiden 2 f., 6, 9, 11, 19 – 22, 34, 38, 40, 42, 57, 88 f., 91, 93, 95, 107, 109 f., 116 f., 125, 134 Verhalten 2, 4, 13, 61 f., 79, 83 f., 87, 93 f., 102 f., 120, 131, 133, 144 f., 147, 158 – 160 Vorstellung 4, 29, 45, 47, 49, 51, 53 f., 65, 78, 81, 153, 157 Wahrnehmung 5, 7, 12, 17 – 19, 21 – 26, 28 – 37, 40, 47, 50 f., 58, 77, 83, 105, 114, 117, 120, 122, 124, 126 f., 132, 134, 163 Weltbezug 1, 4, 105 – 107, 111, 113 f., 118, 127 f., 164 Wert 1 f., 4, 7, 9, 29, 90, 130 – 132, 135 f., 157 – 159 Wunsch 68, 87, 91 – 95, 97 Wut 18, 24, 31, 44 Zeit
8, 12, 17, 19 f., 24 f., 28, 34 – 38, 67, 81, 86, 114 – 118, 120, 124 Zorn 44