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German Pages 610 [644] Year 2009
Florian Gauß Völkerwanderungszeitliche „Blechfibeln“
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 67
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Florian Gauß
Völkerwanderungszeitliche „Blechfibeln“ Typologie, Chronologie, Interpretation
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
ISSN 1866-7678 ISBN 978-3-11-020700-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
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Inhaltsverzeichnis I
Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II
Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“: Die Entwicklung der Interpretationsgrundlagen und Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil bis zu den Arbeiten von Nils Åberg und Eduard Beninger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Erweiterung der Interpretationsbasis: Die Begründung des Trachtenparadigmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 „Blechfibeln“ in der archäologischen Frühgeschichtsforschung der letzten 50 Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Regionale und überregionale Materialvorlagen . . . . . 4.2 Archäologische Grundlagen der ethnischen Interpretationen im Zusammenhang mit „Blechfibeln“: Klassifikation, Feinchronologie, archäologische Kulturkonstrukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 „Alternative“ Interpretationsansätze und deren methodische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen . . . . . 1 „Blechfibeln“ und Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. . . . . . . . . . . . . 1.2 „Blechfibeln“ und die „mode danubienne“ – Der Donauraum als kulturelles Zentrum der Völkerwanderungszeit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 3 „Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit: Ereignisgeschichte und archäologischer Befund . . . .
1
7
9 22 25 28 28
31 35 39 39 40 56 65 93
VI
Inhaltsverzeichnis
3.1
IV
Exkurs: Die Völkerwanderungszeit als Periodengrenze – Periodisierung als Forschungsproblem der Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Kontinuität oder Katastrophe . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Periodisierungsvorschläge als Ergebnis subjektiver Bewertungen historischer Faktoren. . . . . . . . . . 3.1.3 Archäologische Periodisierung und der Nachweis von Kontinuität und Bruch . . . . . . . . 3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. . . . . 3.3 „Blechfibeln“, die Stufe C3, der sogenannte Hunnensturm und das Ende der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Konstruktion der Stufe C3 . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das Kulturkonstrukt „Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov“ . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die Chronologie der Sântana-de-Mure¸s-CˇernjachovKultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 „Blechfibeln“ und die Konstruktion der Stufen C3 und D1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Westgoten in Spanien. . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Westgoten, Romanen und Akkulturation . . . . . . . 3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Kontinuität oder Neuanfang? Die Gräberfelder vom Typ Simancas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien: Archäologisches „Miraculum“ oder Resultat eines chronologischen Konstrukts? . . . . . . . . . . . . . 3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum . . . . . . . . . . . . . 4 Zur Notwendigkeit einer methodischen Neuorientierung in der Chronologieforschung der Völkerwanderungszeit . .
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Methode und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definition der Untersuchungseinheit „Blechfibeln“ 2.2 Quellenlage und geographische Verbreitung . . . . 2.3 Stichprobe und Materialaufnahme . . . . . . . . . 2.4 Terminologie der Fibelbestandteile . . . . . . . . .
199 199 202 202 207 214 217
. . . . . . .
100 102 103 106 112 117 119 130 133 139 147 151 158 171
177 184
Inhaltsverzeichnis
VII
Merkmalsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . Metrische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . Formale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . Ornamental-funktionale Merkmale. . . . . . . . . Merkmalsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der metrischen Merkmale . . . . . . . . . Analyse der formalen Merkmale . . . . . . . . . . Korrelationen der formal-metrischen Merkmale . . Gesamtlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiralplatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hakenplatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstruktion der formal-metrischen Merkmalskombinationsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Absolute Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Geographische Verbreitung . . . . . . . . . . . . 2.10 Nachweismöglichkeiten von Produktionsmustern und Verbreitungsmechanismen der „Blechfibeln“ . 2.11 Analyse der technischen Merkmale . . . . . . . . . 2.11.1 Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2 Konstruktionsvarianten. . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2.1 Fibelkonstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2.2 Spiralkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2.3 Nadelhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 Analyse der ornamental-funktionalen Merkmale . . 2.12.1 Appliken der Spiralplatte . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1.1 Seitenleisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1.2 Seitliche Knöpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1.3 Mittelknopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1.4 Appliken des Mittelknopfes . . . . . . . . . . . . 2.12.1.5 Verzierungen des Bügelendes . . . . . . . . . . . 2.12.2 Mechanische Verzierungen . . . . . . . . . . . . . 3 Erweiterung der Definition der formal-metrischen Merkmalskombinationsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 4 Nachweisbare Produktionsmuster und Verbreitungsmechanismen anhand der Analyse von „Blechfibeln“ . . . .
220 220 222 226 228 231 232 243 257 257 260 263
2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.3.1 2.6.3.2 2.6.3.3 2.7
V
267 272 280 282 285 286 287 287 291 300 304 305 305 312 316 320 329 341 348 350
Befundanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1.1 „Blechfibeln“ als Kleidungsbestandteil: Lagebefunde und Kombinationsuntersuchungen . 357 1.1.1 Lagebefunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
VIII
Inhaltsverzeichnis
1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3
Kombinationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Blechfibeln“ als Anzeiger sozialer Identitäten . . Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Blechfibeln“ als Anzeiger persönlicher Mobilität .
377 386 389 390 392
Völkerwanderungszeitliche „Blechfibeln“ – Typologie, Chronologie, Interpretation (Zusammenfassung). .
397
VII Listen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
411
VIII Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Funde mit Herkunftsangabe . . . . . 2 Nicht lokalisierbare Fundorte . . . . 3 Funde ohne exakte Herkunftsangabe 4 Liste der nicht erfaßten Funde . . . .
. . . . .
445 447 516 519 540
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
597 597 598
Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603
Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
605 616
VI
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Fragestellung
1
I Fragestellung1* In der Phase des tiefgreifenden, politischen und sozialen Wandels am Ende der Antike kommt jenen Personengruppen eine beträchtliche Bedeutung zu, die sich auf dem Gebiet des sich desintegrierenden Römischen Reiches niederließen. Sowohl im Dienste Roms, aber auch auf der Gegenseite haben diese die Transformationsprozesse am Übergang zwischen Antike und frühem Mittelalter entscheidend mitgeprägt. Die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts interpretierte diese als „Völker“ und sah sie als geschlossene, homogene, geradezu wesenhafte Einheiten an, die sich aufgrund ihres „Volkstums“ in allen Lebensäußerungen voneinander unterschieden. Dieses „ethnische Paradigma“ prägte die Frühgeschichtsforschung seit ihren Anfängen. Da unter Geschichte zuallererst die politische Geschichte von Völkern, Staaten und Stämmen verstanden wurde, war auch die archäologische Forschung bemüht, die verschiedenen aus den Schriftquellen bekannten Gruppen in ihrem Fundmaterial zu identifizieren und so die historische Forschung mit Hilfe der Sachkultur zu bereichern und zu ergänzen. In diesem Zusammenhang stützt sich die archäologische Frühgeschichtsforschung bereits seit vielen Jahrzehnten vor allem auf die Funde von Klei*1 Die Fertigstellung dieser Arbeit profitierte entscheidend von der großen Unterstützung meiner Freunde sowie einiger Kommilitonen am Freiburger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters. All diesen sei hierfür an dieser Stelle herzlichst gedankt. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Heiko Steuer, der diese Dissertation angenommen und betreut hat. Für die Gewährung eines zweieinhalbjährigen Promotionsstipendiums sowie eines großzügigen Reisekostenbudgets, ohne die diese Arbeit niemals hätte geschrieben werden können, bin ich der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf zu besonderem Dank verpflichtet. Herr Michael Kinsky, Freiburg fertigte die Verbreitungskarten und Tafeln an, weshalb ihm hier ebenfalls ausdrücklich gedankt sei. Dr. Eszter Istvánovits, Dr. Antonel Jepure, Dr. Michel Kazanski, Dr. Sergiu Mustea¸ta sowie PD Dr. Barbara Sasse-Kunst sei herzlichst für Ihre Hilfe bei der Organisation der Auslandsreisen gedankt. Gleichermaßen danke ich den Herausgebern für die Aufnahme meiner Studie in die Reihe der Ergänzungsbände des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde. Meiner Frau Marion danke ich für ihre jederzeit vorbehaltlose Unterstützung, v. a. jedoch für ihr großes Verständnis. Meine Eltern Fridbert und Grete Gauß haben mir das gesamte Studium ermöglicht. Ihnen gebührt größter Dank und Respekt, weshalb ihnen diese Arbeit auch gewidmet sei.
2
Fragestellung
dungsbestandteilen, besonders Gürtelteile und Gewandnadeln, die sogenannten Fibeln. Gerade innerhalb der Sachkultur am Übergang zwischen Antike und Mittelalter spielen die sogenannten „Blechfibeln“,1 die Gegenstand dieser Untersuchung sind, eine entscheidende Rolle. Tatsächlich besitzt Kleidung als Medium par excellence zum Ausdruck unterschiedlicher Identitäten und Distinktionen ein großes Erkenntnispotential, das von zahlreichen Kulturwissenschaften genutzt wird,2 doch wurden in der Frühgeschichtlichen Archäologie diese Möglichkeiten bislang nur selten ausgeschöpft. „Blechfibeln“ waren daher meist Gegenstand einer eindimensionalen Diskussion: Aufgrund ihrer auffälligen Gestaltung zogen sie bereits früh das Interesse der Forschung auf sich und wurden, wie andere Fibelgruppen auch, als Bestandteile vermeintlich ethnisch spezifischer „Trachten“ bestimmten Völkern zugewiesen. Bald glaubte sich die archäologische Forschung dann sicher, welchem „Volk“ diese Fundgattung zuzuschreiben sei: Sie wurde als Niederschlag der Wanderung der Goten interpretiert. Dieser ersten grundlegenden ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ sind daneben bis heute die unterschiedlichsten Vorschläge von schriftlich überlieferten gentes der Völkerwanderungszeit hinzugefügt worden. In der Tat scheinen sich die genannten Interpretationen auch zunächst anzubieten: Chronologisch entspricht der Herstellungszeitraum der „Blechfibeln“ vom 4. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. der Epoche der schriftlich überlieferten großen Wanderungen. Neben Ähnlichkeiten bei der Gestaltung und Machart der „Blechfibeln“ weisen auch die Fundumstände sowie die Fundlage in den Gräbern Übereinstimmungen auf. Zudem stimmt die geographische Verbreitung der „Blechfibeln“ in groben Zügen mit den historischen Wanderwegen einiger völkerwanderungszeitlicher gentes überein, wie etwa dem der Ostgoten von Südrußland nach Italien oder dem der Westgoten nach Spanien. Zugunsten der ethnischen Identifikation der „Blechfibeln“ ist die Frühgeschichtsforschung auch heute noch bereit, schon seit längerer Zeit bekannte Unstimmigkeiten zwischen der historisch bekannten gotischen Wanderung, der geographischen Verbreitung sowie der Chronologie dieser Fibeln in Kauf zu nehmen.3 So fehlen etwa Gräber mit „Blechfibeln“ ausgerechnet im Hauptansiedlungsgebiet der Westgoten in Aquitanien (418–507 n. Chr.), wohingegen sie in Nordfrankreich, das zu keiner Zeit zum Herrschaftsgebiet der Westgoten gehörte, in bemerkenswerter Zahl vorhanden sind. Ebenfalls nicht erklärbar ist, weshalb die 1
2 3
Eine Begründung dieser in der gesamten Arbeit gewählten Schreibweise in Anführungszeichen erfolgt in Kap. IV.2.1 Definition der Untersuchungseinheit „Blechfibeln“. Bovenschen, Kleidung. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 153–155.
Fragestellung
3
„Blechfibeln“ auf der Iberischen Halbinsel, die annähernd identische formale Ähnlichkeiten mit jenen im Donauraum aufweisen – und deshalb aus chronologischer Sicht gleichzeitig sein müssten – um mehrere Jahrzehnte jünger sein sollen. Die interdisziplinäre Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte hat die Vorstellungen der älteren Forschung in Bezug auf kollektive Identitäten – insbesondere die Struktur ethnischer Gruppen – während der Völkerwanderungszeit grundlegend korrigiert. Die archäologische Frühgeschichtsforschung ist jedoch in manchen Bereichen noch weit davon entfernt, ihre traditionellen Interpretationen vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen.4 Gerade für die „Blechfibeln“ gilt dies in besonderem Maße. Sind sie also tatsächlich ein Leitfossil der gotischen Wanderung? Welche Interpretationen sind anhand einer Analyse der archäologischen Quellen überhaupt möglich? Im Zuge der allmählichen Dekonstruktion des ethnischen Paradigmas in der Frühgeschichtlichen Archäologie mehrten sich im letzten Jahrzehnt auch die Hinweise darauf, dass es sich bei den „Blechfibeln“ nicht zwangsläufig um Bestandteile einer gotischen „Volkstracht“ handeln muss. Zunehmend wurden deshalb alternative Deutungsansätze formuliert. So interpretierte man diese Art der Kleidung etwa als Modeerscheinung („mode danubienne“) unter sozial höhergestellten Personen, deren Angehörige im spätrömischen Heer wichtige Funktionen innehatten.5 Auch die methodische Vorgehensweise bei der chronologischen Gliederung und der davon abhängigen historischen Deutung ist gegenwärtig Ziel grundlegender Kritik, und führte beispielsweise zu einer heftigen Kontroverse um die Frage, ob anhand archäologischer Quellen die Einwanderung der Westgoten nach Spanien tatsächlich nachzuweisen ist.6 Grundsätzlich problematisch beim gegenwärtigen Forschungsstand ist, dass bereits die klassifikatorische Gliederung, die chronologische Einordnung und somit auch die Interpretationen der „Blechfibeln“ von ethnischereignisgeschichtlichen Zuordnungen beeinflusst sind. Einerseits werden die Merkmale für die typologische Gliederung bereits im Hinblick auf die geographische Verbreitung gezielt ausgewählt, während andererseits die ereignisgeschichtlichen Daten der überlieferten Wanderungsbewegungen der unterschiedlichen gentes als Eckpunkte der Chronologie der „Blechfibeln“ 4 5 6
Brather, Ethnische Identitäten. Kazanski, Mode danubienne. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 36–41. Bierbrauer, Wisigoths 175–176.
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Fragestellung
zugrunde gelegt werden. Dabei gelten die „Blechfibeln“ häufig als Bestandteil eines „nationalen gotischen Frauenkostüms“7 und werden somit zu untrüglichen „Markern“ gotischer Präsenz. Die zugrunde liegende historische Deutung wird dabei stets übernommen und gilt heute vielfach als Handbuchwissen.8 Die Richtigkeit der vorgenommenen Klassifikationen und zeitlichen Einordnungen der „Blechfibeln“ scheint durch die Bestätigung der historischen Überlieferung gegeben. Klassifikation, Chronologie und räumliche Verbreitung der „Blechfibeln“ sind für jegliche Interpretation von entscheidender Bedeutung. Eine nachvollziehbare, systematische Klassifikation dieser Fundgattung – grundlegend für alle weiterführenden Studien – stellt ein dringendes Desiderat dar,9 da derlei Untersuchungen bisher nicht vorgenommen wurden. Im Rahmen der hier vorgelegten Studie wird daher versucht, eine nachvollziehbare und unabhängig von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen aufgebaute Klassifikation der „Blechfibeln“ vorzunehmen, die auf einer strukturellen Analyse unterschiedlicher Merkmalskategorien aufbaut. Auf dieser Grundlage werden sodann weitere Untersuchungen zu unterschiedlichsten Fragestellungen durchgeführt. Im Mittelpunkt aller Untersuchungen und Interpretationen stehen dabei ausnahmslos die archäologischen Quellen. Diese in der archäologischen Völkerwanderungszeitforschung unübliche Vorgehensweise resultiert aus der im Verlauf der Bearbeitung dieser Fundgattung überaus deutlich gewordenen, letztlich jedoch keineswegs neuen Erkenntnis, dass sich die Einbeziehung von historischen Quellen bei der Analyse archäologischen Materials methodisch als hochgradig problematisch darstellt und nur allzu leicht Zirkelschlüsse in der sich anschließenden Interpretation produziert. Dies wird durch den Umstand verschärft, dass für die Verbindung zwischen historischen und archäologischen Quellen keine quellenkritischen Regeln existieren.10 Vor Synthesen der Ergebnisse aus den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen sollten daher die jeweiligen methodischen (Quellen-) Grundlagen intensiv untersucht werden. Leider war und ist dies aber nur
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10
Werner, Archäologische Zeugnisse 129. Martin, Späte Völkerwanderungszeit. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 36–41. Bierbrauer, Wisigoths 175–176. Steuer, Sozialstrukturen 595–597. Andrén, Artifacts and texts 171–172. Gegen eine analytische Trennung von historischen und archäologischen Quellen äußert sich: Wenskus, Historie und Archäologie 637–638; Anm. 3.
Fragestellung
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selten der Fall und wird sogar bewusst nicht immer angestrebt. Der archäologische Beitrag im interdisziplinären Diskurs um die Transformationsprozesse der Spätantike beschränkt sich daher oft nur auf die interpretative Ebene, diskutiert die verwendeten Begrifflichkeiten oder hat lediglich illustrierenden Charakter. Die durchaus problematischen quellenspezifischen sowie methodischen Interpretationsgrundlagen spielen dabei häufig keine Rolle mehr. Da sich dieses methodische Dilemma und die hieraus resultierende Problematik in ihrem gesamten Ausmaß anhand der „Blechfibeln“ trefflich darstellen lässt, ist der eigentlichen Analyse dieser Fundgattung eine kritische Betrachtung der damit im Zusammenhang stehenden Methoden sowie der weiteren Interpretationsgrundlagen vorangestellt, weshalb sich die vorliegende Arbeit in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil der Arbeit findet zunächst die systematische Herausarbeitung der Entwicklung der methodischen Grundlagen bisheriger Interpretationen von „Blechfibeln“ statt, mit der eine Darstellung des gesamten Interpretationsspektrums einhergeht. Die herausgearbeiteten Methoden und Konzepte, die den unterschiedlichen Interpretationen von „Blechfibeln“ unterliegen oder anhand dieser Fibeln konstruiert werden, sind sodann Gegenstand einer methodischen sowie quellenkritischen Betrachtung, denen theoretische Exkurse vorangestellt sind. Diese Untersuchung hat die Darlegung der problematischen Methoden und Prämissen sowie der zugrunde liegenden teilweise axiomatisch vertretenen Konzepte der bisherigen Bearbeitungen und Interpretationen von „Blechfibeln“ zum Ziel. Diese besitzen darüber hinaus jedoch für weite Bereiche der Frühgeschichtlichen Archäologie allgemeine Gültigkeit. Gleichzeitig dient diese grundlegende Kritik auch der theoretisch-methodischen Fundamentierung der sich im zweiten Teil der Arbeit anschließenden Artefaktanalyse11 der „Blechfibeln“. Der zweite Teil hat zunächst eine Klassifikation der „Blechfibeln“ auf der Grundlage einer systematischen Merkmalsanalyse zum Gegenstand, in deren Zuge eine quantitative Untersuchung bezüglich struktureller Regelhaftigkeiten sowie Korrelationen der unterschiedlichen Merkmalskategorien erfolgt, die sich aus formalen, metrischen, technischen sowie ornamentalfunktionalen Merkmalen der Fibelexemplare zusammensetzen. Die mate11
Zu den umfangreichen Erkenntnismöglichkeiten und Grenzen der Artefaktanalyse als Methode in der qualitativ orientierten Sozialforschung: Lueger, Feldforschung 141–186. Froschauer, Artefaktanalyse 361–395.
6
Fragestellung
rielle Basis für diese Analysen bildet eine umfangreiche Stichprobe von „Blechfibeln“, die vom Verfasser im Original makroskopisch untersucht werden konnten. Die Erfassung und Auswahl der Merkmale ist dabei nachvollziehbar dokumentiert. Die Ergebnisse der vorgenommenen Klassifikation bilden die Grundlage für die sich anschließenden Untersuchungen zur Chronologie und zur geographischen Verbreitung der „Blechfibeln“. Gerade das weiträumige Vorkommen dieser Fibeln über den nahezu gesamten europäischen Kontinent hinweg bietet die Möglichkeit, Erkenntnisse zu Produktions- und Verbreitungsmechanismen dieser Fundgattung zu gewinnen, die für die Interpretation letztlich entscheidend sind. Damit einhergehend wird die Frage nach der handwerklichen Technik der Fibeln behandelt. Die Analyse des Befundkontextes der „Blechfibeln“, welcher bislang häufig nicht in ausreichendem Maß in die Untersuchungen einbezogen wurde, kann darüber hinaus weitere wertvolle Informationen bezüglich unterschiedlicher Identitätsebenen der mit diesen Fibeln bestatteten Individuen sowie weiterer Fragestellungen bieten. Daher wird in dieser Arbeit neben der Einzelbetrachtung der Fibeln u. a. ihre Lage im Grab mitberücksichtigt. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist somit neben einer ausführlichen kritischen Betrachtung einiger Methoden und Konzepte der archäologischen Völkerwanderungszeitforschung die systematische Neugliederung der „Blechfibeln“, die eine der wichtigsten Fundgattungen dieser Epoche darstellt. Auf dieser Grundlage wird sodann versucht, anhand der archäologischen Quellen ein möglichst umfassendes Spektrum von methodisch und quellenkundlich vertretbaren Aussagen zu dieser Fundgattung zu erarbeiten.
Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
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II Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“: Die Entwicklung der Interpretationsgrundlagen und Interpretationen Die nun folgende forschungs- bzw. deutungsgeschichtliche Aufarbeitung der „Blechfibeln“ gibt einen Überblick über die bisherigen Interpretationen und Interpretationsansätze sowie den Bedeutungs- bzw. Funktionswandel dieser innerhalb der archäologischen Frühgeschichtsforschung so wichtigen Fundgattung. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Darstellung der methodischen Grundzüge, den grundlegenden Prämissen sowie den konstruierten Konzepten, die im Zusammenhang mit dieser Fundgattung stehen bzw. erarbeitet wurden. Hieran schließt sich eine kritische Betrachtung dieser archäologischen Interpretationsgrundlagen an, welche letztlich zur theoretischen Begründung der gewählten Methodik des in dieser Arbeit neu vorgelegten Klassifikationsvorschlages dienen. Seit ihrem ersten archäologischen Nachweis stehen „Blechfibeln“ vor allem mit der Frage nach der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation archäologischer Hinterlassenschaften der Völkerwanderungszeit in Zusammenhang.1 Dabei nimmt diese Fundgattung im Verlauf der Forschungsgeschichte mehrere, sich wandelnde Funktionen auf unterschiedlichen Argumentationsebenen ein, die teilweise zu regelrechten Axiomen der archäologischen Frühgeschichtsforschung ausgebaut wurden. Dieser Funktionswandel der „Blechfibeln“ vom direkten ethnischen Anzeiger zu einem der wichtigsten Bestandteile einzelner Konzepte für den archäologischen Nachweis ethnischer Gruppen und deren schriftlich überlieferten 1
Die den „Blechfibeln“ in unterschiedlichsten Bereichen der archäologischen Völkerwanderungszeitforschung zugeschriebene immense Bedeutung ist wohl auf das dieser Fundgattung seit Beginn ihrer Erforschung beigemessene große Potential zur Beantwortung ereignisgeschichtlicher und ethnischer Fragestellungen – im Rahmen des „ethnischen Paradigmas“ als zentral angesehen – zurückzuführen: Nicht zuletzt haben auch das große geographische Verbreitungsgebiet und die vermeintlich immense chronologische Aussagekraft hierzu beigetragen. Dennoch muß die „Fixierung“ auf die „Blechfibeln“ angesichts der Fülle anderer Fundgattungen dieser Periode letztlich erstaunlich bleiben.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
Wanderungen der Völkerwanderungszeit sowie die damit verknüpften archäologischen Merkmale und theoretischen Konzepte werden in der Folge untersucht. Letztere stellen einerseits die archäologischen Interpretationsgrundlagen für die „Blechfibeln“ dar, werden andererseits aber auch durch diese konstruiert. In der Darstellung der Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“ stehen diese methodischen und archäologischen Grundlagen im Vordergrund. Ihre Entwicklung lässt sich grob in vier Phasen einteilen, die auch dem Bedeutungswandel der „Blechfibeln“ und dem Wandel der archäologischen Merkmalsentwicklung entsprechen. Um die methodischen Probleme zu verstehen, die sich aus den an ethnischereignisgeschichtlichen Fragestellungen orientierenden Klassifikationen und chronologischen Einordnungen dieser Fundgattung ergeben, ist eine ausführliche Darstellung dieser notwendig. Bevor jedoch auf die archäologischen Interpretationsgrundlagen eingegangen wird und die darauf basierenden unterschiedlichen, v. a. ethnischen Interpretationen der „Blechfibeln“ seit Beginn ihrer Erforschung dargestellt werden, sei kurz auf ein diesem Interpretationsmuster zugrunde liegendes methodisches Problem eingegangen: Wie noch zu zeigen sein wird, spielt die Frage nach der Möglichkeit der ethnischen Zuweisung archäologischer Hinterlassenschaften – allem voran die der „Blechfibeln“ – zu schriftlich überlieferten gentes bis heute eine entscheidende Rolle. Sie hat zudem auch weitreichende Konsequenzen auf die teilweise problematischen methodischen Bearbeitungen und Interpretationen dieser Fundgattung. Ethnischen Interpretationen archäologischen Materials liegt die bereits seit den Anfängen der archäologischen Frühgeschichtsforschung bestehende problematische Prämisse zugrunde, schriftlich überlieferte gentes seien distinkte und homogene Gruppen mit einheitlicher Sprache und spezifischer Kultur gewesen und somit auch durch ihre Sachkultur jederzeit archäologisch zu erfassen und scharf voneinander abgrenzbar. Dies muss jedoch v. a. vor dem Hintergrund jüngerer historischer Forschungen in Bezug auf den Konstruktcharakter kollektiver Identitäten weitaus differenzierter betrachtet werden.2 Auch heute kann das Zustandekommen, die Zusammensetzung und die Struktur der schriftlich überlieferten ethnischen Gruppen der Völkerwanderungszeit nicht als geklärt gelten. Dies zeigt sich u. a. sehr deutlich darin, dass die historische Forschung hierüber keineswegs einheitlich urteilt. Diese eigentlich unbefriedigende Situation kommt den komplexen historischen Abläufen der Völkerwanderungszeit jedoch wohl auch am 2
Amory, People and identity 336–337. Zusammenfassend und mit weiterführender Literatur: Pohl, Germanen 50.
Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil
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nächsten. Es bleibt daher zu bezweifeln, ob aufgrund der Quellenlage und des methodischen Rüstzeugs der Altertumswissenschaften überhaupt eine Antwort auf ethnische Fragestellungen erwartet werden kann, zumal das weiterführende Erkenntnispotential letzterer ohnehin nur als gering einzuschätzen ist.3 Bei der Bearbeitung und Auswertung archäologischer Funde und Befunde sollten zunächst historisch überlieferte Ereignisse ausgeblendet werden, was bei den „Blechfibeln“ bislang nur selten der Fall war.
1 Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil bis zu den Arbeiten von Nils Åberg und Eduard Beninger „Blechfibeln“ galten seit den Anfängen der Völkerwanderungszeitforschung als wichtige, weil geographisch weit verbreitete Fundgattung. Dienlich hierfür war deren häufig gute handwerkliche Qualität und ihr Materialwert. Die Anfangsphase der Erforschung der „Blechfibeln“ ist durch die schlechte Quellenlage geprägt. Zunächst war man überwiegend um eine chronologische Einordnung der Funde bemüht. Dabei bediente sich die Archäologie der typologischen Methode und „Blechfibeln“ wurden immer im Zusammenhang mit der dominierenden Frage nach ihrer Herkunft und Entwicklung sowie der Ethnizität ihrer Träger betrachtet. Die Mittlerrolle der „Blechfibeln“ als typologische Vorform der bekannten merowingerzeitlichen Bügelfibeln und ihr forschungsgeschichtlich bedingter geographischer Verbreitungsschwerpunkt auf der Krim bzw. in Südrußland schienen in nahezu idealer Weise die Informationen aus den Schriftquellen bezüglich der überlieferten Wanderungen zu ergänzen. Vor dem Hintergrund des sogenannten „ethnischen Paradigmas“4 in der archäologischen Frühgeschichtsforschung gewannen die „Blechfibeln“ im Lauf der Zeit somit immer mehr Bedeutung für die archäologische Erforschung sowohl der ethnischen Verhältnisse als auch der historischen Vorgänge der Völkerwanderungszeit. Die erste Publikation einer „Blechfibel“ erfolgte im Jahr 1860 durch Joseph von Arneth. Bei der Besprechung des Grabbefundes von Dunaupataj-Bödpuszta („Bakodpuszta“), Bács-Kiskun Megye, beschränkte er sich lediglich auf eine Beschreibung und Abbildung der Fibel und auf den Versuch einer chronologischen Einordnung anhand der Beschreibung historischer Vor-
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Hierzu grundlegend: Brather, Ethnische Interpretationen. Brather, Ethnische Interpretationen 24.
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gänge der Völkerwanderungszeit im Donauraum, ohne explizit eine ethnische Interpretation vorzunehmen.5 Doch bereits in den Jahren 1872–1873 erschien die forschungsgeschichtlich maßgebende Arbeit „Bidrag till spännets Historia“ von Hans Hildebrand. Streng nach der typologischen Methode arbeitend, beschrieb Hildebrand hier allgemein die Entwicklungsgeschichte der Fibel. Dabei wies er ein von der Krim (Kerˇc) stammendes Exemplar, die Fibeln von Dunaupataj-Bödpuszta und Arcy-Sainte-Restitue, Dép. Aisne, Grab 1094 sowie weitere skandinavische Parallelen seiner Gruppe A mit halbrunder Spiralplatte und einem bis drei Knöpfen zu („Halfrund öfverskifva utan knapp eller med på sin höjd tre knappar; enkel båge; nedere stycket platt, utan ändknapp“). Auf den Hinweis der Ähnlichkeiten zwischen den Fibeln aus dem Norden und dem Süden Europas folgte seine ethnische Interpretation, die er allgemein auf das Attribut germanisch („germanska spännen“) beschränkte.6 Eine weitaus spezifischere ethnische Interpretation von Bügelfibeln wurde im Jahr 1876 von dem ungarischen Forscher Imre Henszlmann publiziert. Die europaweite geographische Verbreitung typologisch ähnlicher Exemplare, darunter wiederum die von ihm ins 4. Jahrhundert n. Chr. datierte „Blechfibel“ von Dunaupataj-Bödpuszta („Bakodpuszta“), veranlasste ihn in Verbindung mit den Schriftquellen dazu, die Goten als Erfinder und Verbreiter der Bügelfibeln zu sehen. Bügelfibeln wurden von ihm allgemein als „fibules à forme d’arquebuse“ bezeichnet, die sich aus römischen Vorbildern abgeleitet hätten. Seine ethnische Interpretation der Bügelfibeln beschließt er folgendermaßen: Il est donc clair que la même pensée a présidé à la fabrication de ces fibules et, si elles ne proviennent pas de la même fabrique, c’est au moins la même nation, savoir les Goths, ou si l’on veut, c’est la même école gothique qui les a produites en se servant du modèle de la broche romaine à forme d’arquebuse.7
Henszlmann stand bei der Formulierung seiner Interpretation der Bügelfibeln wohl bereits unter dem Eindruck der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgearbeiteten und für lange Zeit äußerst erfolgreichen These vom gotischen Ursprung der völkerwanderungszeitlichen Kunst. In mehreren Publikationen hatte der französische Gelehrte Baron Joseph de Baye die bereits bestehenden archäologischen Grundlagen zu der Theorie ausgebaut, dass die frühmittelalterlichen Funde der französischen Reihengräber im Zuge der durch den Hunneneinfall ausgelösten Völkerwanderung durch die Goten dorthin vermittelt wurden. Die maßgeblichen archäologischen 5 6 7
von Arneth, Puszta-Bákod. Hildebrand, Spännets historia 211–218, Fig. 190–234. Henszlmann, L’art gothique 520–524.
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Argumentationsstützen für diese These waren wiederum die geographische Verbreitung und die typologische Entwicklung des Materials. Stets wurden dabei die Rolle der Krim und Südrußland als vermeintliche Ursprungsgebiete und die formalen sowie technischen Ähnlichkeiten mit den Funden in Mittel- und Westeuropa betont. Die ethnische Interpretation erfolgte durch die Verbindung mit den Schriftquellen.8 Diese Theorie der Herkunft und Verbreitung der materiellen Hinterlassenschaften der Völkerwanderungszeit in Südrußland durch die Goten hatte in der Folge auch großen Einfluss auf nahezu alle Interpretationen und Bearbeitungen, die im Zusammenhang mit „Blechfibeln“ standen. Allerdings hielt Ludwig Lindenschmit (der Ältere) in seinem „Handbuch der deutschen Alterthumskunde“ über die merowingerzeitlichen Funde in Deutschland die hier abgebildete „Blechfibel“ aus Strasbourg, Dép. Bas-Rhin aufgrund seiner chronologischen Einordnung für ein römisches Schmuckstück.9 Zugleich machte er auf die große Bedeutung der Fibeln für die archäologische Forschung aufmerksam: Die Gewandnadeln (fibulae) bilden mit den Gürtelschnallen die werthvollsten Zierden der allgemeinen Volkstracht und erscheinen deshalb auch als die wichtigsten Fundstücke der Gräber für die Beurteilung des herrschenden Geschmacks und der Kunstfertigkeit der Zeitperiode.10
Er sah in den „Blechfibeln“ „aus der letzten Zeit römischer Herrschaft an Rhein und Donau“ das Vorbild für die als „spangenförmige Gewandnadeln“ bezeichneten merowingerzeitlichen Bügelfibeln.11 Der typologisch arbeitende schwedische Archäologe Oscar Almgren sprach in seiner im Jahr 1897 erschienenen Arbeit über die Gliederung der kaiserzeitlichen Fibelformen den „Blechfibeln“ (Almgren 182) ebenfalls eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Interpretation der Bügelfibeln zu, indem er konstatierte: […] die wichtigste spätgermanische Fibelgruppe, die am weitesten verbreitet ist, die verschiedene Varianten aufweist und vor allem die schöne spätgermanische Thierornamentik in reicher Fülle zur Schau trägt, hat sich dagegen aus den Formen Fig. 182, 184 entwickelt.12
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de Baye, Industrie Longobarde 39. de Baye, L’Art des Barbares. de Baye, Bijouterie des Goths. de Baye, Tombeaux des Goths. Eine ausführliche Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses über den polychromen Stil bietet: Stark, Szilágysomlyó 14–32. Hierzu auch: Rummel, Habitus barbarus 20–34. Lindenschmit, Handbuch 427; Fig. 441. Lindenschmit, Handbuch 421. Lindenschmit, Handbuch 425–428. Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 87.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
Die „Blechfibeln“ selbst hätten sich in Südrußland aus den Fibeln mit umgeschlagenem Fuß (Almgren Gruppe VI, hier v. a. Almgren 162) entwickelt, die dort von Germanen aus dem Norden, wahrscheinlich unter Einflüssen der Latène-Kultur stehend, entwickelt worden seien: „[…] alle späteren germanischen wie römischen Fibelformen, insofern sie nicht zur Klasse der Scheibenfibeln gehören, aus den Fibeln mit umgeschlagenem Fuß herzuleiten sind.“ Almgren nennt als ein dieser Fibelgruppe gemeinsames Merkmal, dass „der Nadelfalz mit dem Fuß zusammenwächst wobei verschiedene Formen des Nadelhalters entstehen […]“.13 Diese Entwicklungen hätten sich mittels eines neuen „Kulturstroms“ ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. vom Südosten (Südrußland) nach Westen und Norden verbreitet. Über die Ethnizität der Träger der beschriebenen Kennzeichen dieser Kultur machte Almgren folgende Bemerkung: Dass aber diese von den in Südrussland, Ungarn usw., angesiedelten Germanen, Goten u. a., ausgeht, darüber dürfte nur eine Meinung herrschen; und wollte man für den durch sie charakterisierten Zeitabschnitt einen besonderen Namen wählen, so würde es wohl am nächsten liegen, ihn ‚gotisch‘ zu nennen.14
Jedoch wies er, in Anlehnung auf die bereits im Jahr 1885 von Joseph Hampel gemachten Ausführungen, einschränkend darauf hin, dass die unterschiedlichen Kulturströmungen der Völkerwanderungszeit keineswegs ausschließlich mit den Goten zu verbinden seien.15 Von größtem Interesse bezüglich der Erforschung der „Blechfibeln“ ist auch das im Jahr 1904 erschienene Hauptwerk von Carl Bernhard Salin über die „altgermanische Thierornamentik“. Der ebenfalls mit der typologischen Methode arbeitende Salin nahm eine Entwicklung der „Blechfibeln“ aus zwei Vorformen an. Im Gegensatz zu Almgren sah Salin aus den Fibeln mit umgeschlagenem Fuß lediglich die rhombische Hakenplatte entwickelt, die halbkreisförmige Spiralplatte jedoch leitete er von römischen Kniefibeln mit halbrunder Spiralplatte ab. Die in Südrußland bzw. der Krim gefundenen „Blechfibeln“ galten Salin als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der Bügelfibel in Europa, wofür in erster Linie evolutionistisch begründete Ähnlichkeiten und die geographische Verbreitung der Fibeln herangezogen wurden.16 Salin schloss schließlich auf eine durch den Einfall der Hunnen ausgelöste, sich von Südrußland und der Krim in den Westen bis Mitteleuropa erstreckende „südgermanische Kulturströmung“, die im
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Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 85. Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 125–126. Hampel, Nagy-Szent-Miklós 148–151. Salin, Thierornamentik 4–40.
Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil
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Wesentlichen mit den historischen Ereignissen der Völkerwanderungszeit übereinstimmen sollte: Dass die obengeschilderte südgermanische Kulturströmung im grossen und ganzen der in der Geschichte bekannten germanischen Völkerwanderung entspricht, welche die römische Macht untergrub und schliesslich ihren Fall herbei führte, dürfte ausser Zweifel sein und wohl auch von niemand abgeleugnet werden, andererseits aber muss es aufs schärfste betont werden, dass die historischen Nachrichten sich nicht mit den archäologischen Erscheinungen decken. Das Verbreitungsgebiet der älteren Objecte innerhalb der südgermanischen Strömung, z.B. der Metallblechfibeln mit doppelter Spirale entspricht keiner der von der Geschichte erwähnten Völkerbewegungen. Wenn wir dieselben in der Gegend von Strasburg, westlich des Rheines finden und im Dép. Saône et Loire und weiter in der Normandie, und nur sehr degenerirte Exemplare im südlichen Frankreich, so scheint hieraus hervorzugehen, dass sich eine Strömung geltend gemacht hat, die sich nördlich der Alpen fortbewegte. Diese Entscheidung zwingt uns gewissermassen, wo es sich um die gewaltigen Wanderzüge handelt, Völkerbewegungen zweifacher Art anzunehmen. Für die eine Art sind die grossen Völkerverbände characteristisch und die ungeheuren Heerscharen, welche so organisirt sind einen organisirten Widerstand brechen zu können; für die andere sind allmälig sich vollziehende Völkerbewegungen bezeichnend, von kleinen Scharen und in solcher Stille von statten gehend, dass die ganze Erscheinung dem Auge der Geschichte völlig entgeht. Nur so vermag ich diesen archäologischen Sachverhalt zu klären. Nun könnte sich mancher zu dem Einwand geneigt finden, dass die fraglichen durch den Handel in die genannten Länder eingeführt seien. Dagegen sprechen indessen mehrere Gründe. Zunächst der hier oben verfolgte von Osten kommende Kulturstrom, dessen schliessliche Begrenzung ungefähr zusammenfällt mit dem Gebiet, welches die Germanen heute noch innehaben; denn er offenbart sich in allem, als eine ethnographische Erscheinung und wird gerade durch die hier zuletzt erwähnten Fibeln eingeleitet.17
Im Jahr 1905 publizierte Joseph Hampel eine umfangreiche Darstellung der völkerwanderungszeitlichen und frühmittelalterlichen Funde Ungarns. Die Trennung des Materials erfolgte in vier auch chronologisch zu verstehende „ethnisch-historische Hauptgruppen“. Er wies dabei seiner ersten Gruppe Befunde mit „Blechfibeln“ zu und sah in diesen die „für die ganze Gruppe am meisten bezeichnende Fibel“.18 Auch Hampel setzte die „Blechfibeln“ in typologischen Zusammenhang mit der Entwicklung der Bügelfibeln und charakterisierte diese folgendermaßen: Viel allgemeiner als der vorhergehende Typus war bei den Germanen ein anderer, mit halbscheibenförmigen Kopfgliede, der im merovingischen Style in allen germanischen Ländern sich verbreitete und zum Lieblingskleinod wurde […].
Insgesamt konnte Hampel drei Phasen der Bügelfibelentwicklung herausarbeiten, die er in erster Linie anhand eines typologisch-chronologischen Merkmales gliederte. Entscheidend war für ihn dabei, dass in der ersten 17 18
Salin, Thierornamentik 139–140. Hampel, Ungarn 12–32; 773.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
Phase die Knöpfe der Spiralplatte der „Blechfibeln“ in funktionalem Zusammenhang mit der Spiralkonstruktion stehen, während die späteren Entwicklungen von Bügelfibeln nur noch Knöpfe aufweisen, die als typologisches Rudiment zu verstehen seien. Die der ersten Phase zugeteilten „Blechfibeln“ wurden von Hampel chronologisch zwischen dem Ende des 4. und dem 5. Jahrhundert eingeordnet. Die Fundgattung der „Blechfibeln“ sah er durch die Fibel von Ilok (Cuccium) (Úljak), Vukovarsko-Srijemska Zupanija in idealster Weise vertreten.19 Neue Unterstützung für die Anhänger der gotischen Interpretation von „Blechfibeln“ erbrachten in der Folge einige Publikationen wichtiger Gräberfelder. So stellte im Jahr 1906 Paul Reinecke in einer deutschsprachigen Übersicht neue Ausgrabungsergebnisse aus Rußland vor, wobei er insbesondere auf die Ausgrabungen der Gräberfelder Cˇernjachov und Romaski einging, wo auch Fibeln „mit Fußplatte in Gestalt eines unregelmäßigen Vierecks und mit halbrunder Kopfplatte“ gefunden wurden. Reinecke hob die Bedeutung der Befunde für die archäologische Forschung hervor, indem er den erstmaligen Nachweis geschlossener Funde und den damit verbundenen Quellenzuwachs in diesem Gebiet betonte. Die chronologisch als jüngerkaiserzeitlich angesprochenen Gräberfelder brachte er durch Ähnlichkeiten im Fundmaterial mit den nordwestlich davon gelegenen Gräberfeldern des Weichselgebietes und Galiziens in Verbindung und hielt es für wahrscheinlich, dass diese Grabbefunde dem entsprächen, „was wir von dem Vorrücken der Gothen wissen.“ Bezüglich der ethnischen Interpretation und Herkunft der Funde gab er jedoch folgendes zu bedenken: Wenn wir also auch in diesen südrussischen Gräbern die Hinterlassenschaft germanischer Stämme zu erkennen haben, so folgt daraus jedoch noch nicht, daß die aus diesen Nekropolen vorliegenden Erscheinungen, soweit sie als einheimisches Fabrikat gelten können und nicht überhaupt provinzialrömischen Werkstätten entstammen, nun als Leitformen für germanische, speziell ostgermanische oder gar gothische Siedelung angesprochen werden dürfen. Denn eine nicht wesentlich verschiedene Ausstattung kann überall in den den römischen Reichsgrenzen vorgelagerten Barbarenländern Europas wiederkehren […]. Zu ethnologischen Schlüssen sind die Einzelheiten, die sich zunächst immer nur als Übertragungen fremden Formengutes verraten, nicht ohne weiteres verwertbar. Wir vermögen also bei diesen südrussischen Germanengräbern zunächst nur wieder eine starke Abhängigkeit des Inhaltes von der reichsrömischen Kunstindustrie zu erblicken.20
Die im gleichen Jahr von Nikolaj Ivanoviˇc R˙epnikov’ publizierten Grabbefunde des Gräberfeldes von Suuk-Su (Jalta) stellten die ersten systematisch 19 20
Hampel, Ungarn 313–317. Reinecke, Russische archäologische Literatur 47.
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dokumentierten Ausgrabungen auf der Krim überhaupt dar und blieben dies auch für lange Zeit.21 Die Ergebnisse dieser Ausgrabungen galten im Jahr 1907 Baron Joseph de Baye quasi als finale Bestätigung seiner früher verbreiteten These der Ausbreitung der völkerwanderungszeitlichen Kunst durch die Goten. Die Ähnlichkeiten der dort gefundenen „Blechfibeln“ mit Stücken aus Ungarn und Westeuropa veranlassten de Baye – trotz vorher geäußerten erheblichen Zweifeln an der Zuverlässigkeit der publizierten Grabinventare von Suuk-Su –22 zu einer Aussage, die an der ethnischen Interpretation der Funde keinen Zweifel ließ: À quel autre peuble que les Goths serait-il possible d’attribuer les sépultures explorées par M. Répnikoff sur la côte méridionale de la Crimée, c’est-à-dire dans un pays désigné sous le nom de Gothie durant les siècles mêmes qui embrassent la période à laquelle peuvent être rapportées les tombeaux dont nous nous occupons? Si l’exode des Goths vers l’Occident a répandu à travers l’Europe le style de bijouterie dont je viens de parler, ceux qui demeurèrent en Crimée continuèrent à faire usage de ces parures de même qu’ils conservèrent leurs caractères ethniques et leur langue nationale.23
Von Bedeutung für die Interpretation der „Blechfibeln“ war auch die im Jahr 1912 erschienene Publikation des Gräberfeldes von Sântana de Mure¸s (Marosszentanna) von István Kovács.24 Den hier gefundenen „Blechfibeln“ widmete sich Eduard Brenner in seiner im gleichen Jahr erschienenen Bestandsaufnahme des Forschungsstandes zur Merowingerzeit im Rahmen des von ihm als „südrussisch-donauländische Germanenkultur“ bezeichneten Kulturkonstrukts. Brenner sah die Fibeln „mit erbreiteter Fussplatte und halbrunder Kopfplatte“ als typologische Weiterbildungen der Armbrustfibeln mit umgeschlagenem Fuß (Almgren 162) an. Die (Weiter-) Entwicklung der einschlägigen Fibelformen auf der Krim und in Südrußland (hier v. a. die polychromverzierten Fibeln) führte er – beeinflusst von der Arbeit Alois Riegls zur spätrömischen Kunstindustrie –25 auf pontische (griechische) Handwerker zurück. Ihre Ausbreitung erfolgte für ihn aber auch durch die Goten. Ein Vergleich der Funde aus Cˇernjachov und Romaski mit den bekannten Funden aus Kerˇc erlaubte es ihm, hier verwandte Formen anzunehmen. In der Folge hätte sich jedoch „auf ungarischem und österreichischen Boden“ (Untersiebenbrunn) die gedrungene Form allmählich in eine „größere schlankere Form, mit schmalen gestrecktem Fuß, dünnem, meist kantig profiliertem Bügel und großer Kopfplatte
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Re˙ pnikov’, Gotov’. de Baye, Tombeaux des Goths 94–95. de Baye, Tombeaux des Goths 113. Kovács, Marosszentanna. Riegl, Kunstindustrie.
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mit einer oder zwei Rollen“ entwickelt. Dieser Fibelform maß er auch in der Folge große Bedeutung zu: Diese Fibelform ist es, die auch den Weg nach Westen eingeschlagen hat; sie scheint in Ungarn schon häufiger zu sein als in Südrussland und wir werden daher von Ungarn aus ihre Weiterentwicklung zu verfolgen haben.
In der Beschreibung der Weiterentwicklung schloss er sich den oben bereits beschriebenen typologischen Argumenten Joseph Hampels an. Chronologisch stellte er die Fibelentwicklung etwa ins 5. Jahrhundert n. Chr. Die Ausbreitung und Entwicklung der „Blechfibeln“ brachte er mit den historischen Vorgängen um die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern im Jahr 451 n. Chr. in Verbindung, denn „die auf sie folgende Niederwerfung des Hunnenreiches und Erstarkung der donauländischen Germanenstämme“ sei „auch für das germanische Kunstgewerbe und seine Ausbreitung“ das entscheidende Ereignis für deren Entwicklung gewesen. Brenner betonte bei der weiteren Beschreibung der allgemeinen Entwicklung der gegossenen Bügelfibeln, „dass sie zunächst wohl als eine von der Metallblechfibel unabhängige Bildung anzusehen ist“ sowie das für ihn nach wie vor drängende Desiderat einer klaren chronologischen Gliederung.26 Grundlegende Bedeutung in der Forschungsgeschichte der „Blechfibeln“ hat das im Jahr 1922 erschienene Werk des schwedischen Archäologen Nils Åberg über die materiellen Hinterlassenschaften der Franken und Westgoten. Seine Ergebnisse sollten auf lange Zeit Gültigkeit besitzen und die weiteren Bearbeitungen und ethnischen Interpretationen dieser Materialgruppe stark beeinflussen. Hier finden sich bereits alle methodischen und interpretativen Grundlagen, die heute noch bezüglich der „Blechfibeln“ verwendet werden. Erstmals bezog diese Arbeit auch die damals bekannten Fibelfunde aus Spanien mit ein und erfasste somit das gesamte geographische Verbreitungsgebiet dieser Fundgattung. Åberg ging in seiner Arbeit von zwei zeitlich aufeinander folgenden gotischen Kulturexpansionen aus, deren jüngere er in die Völkerwanderungszeit datierte. Diese wurde von ihm mit der Ausbreitung kultureller Hinterlassenschaften von Südrußland in westliche Richtung verbunden.27 Alle Bügelfibeln „die über das ganze gotische Kulturgebiet hin, vom Schwarzen Meer im Osten bis nach Gallien und Spanien im Westen, zur Entwicklung kamen“ hätten sich gemäß dem typologisch arbeitenden Åberg in Südruß-
26 27
Brenner, Stand der Forschung 262–277. Åberg, Franken und Westgoten 18.
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land aus der Fibel mit umgeschlagenem Fuß entwickelt.28 Während er den Ursprung der Fibelgruppe in Südrußland für ausreichend erforscht hielt und für seine Fragestellung als nicht relevant erachtete, belegte er die jüngere Entwicklung dieser Fundgattung mit folgendem Prädikat: Die Silberblechfibeln bilden eine der charakteristischsten Gruppen von Altertümern innerhalb der westgotischen Kultur und werden daher im folgenden einer eingehenderen typologischen Prüfung unterzogen.29
Bei der typologischen Gliederung der „Blechfibeln“ nahm er zunächst eine grundlegende Unterscheidung vor. Anhand des chronologischen Merkmals der größten Breite unterhalb und oberhalb der Mitte der Hakenplatte gliederte er die Fibeln in eine ältere und jüngere Gruppe, wobei er die absolutchronologische Grenze um 400 n. Chr. ansetzte, ohne hierfür Gründe anzuführen. Die ihn interessierende Entwicklung der jüngeren Gruppe schien ihm nochmals in drei (auch chronologisch zu verstehende) Phasen teilbar zu sein. Er unterschied zunächst die „glatten Silberblechfibeln, wo nur die aufgenieteten Bleche eingestanzte oder getriebene Ornamente erhalten haben, die Silberblechfibeln oder die gegossenen Fibeln mit Kerbschnitt und die gegossenen Typen mit Rankenornamentik.“30 Seiner Ansicht nach waren die glatten Silberblechfibeln chronologisch als bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. hinein einzuordnen.31 Åberg kommt neben der umfassenden Materialvorlage und der sehr feinen typologischen Gliederung der „Blechfibeln“ noch das Verdienst zu, in seiner Arbeit als erster auf den heute noch bestehenden Widerspruch zwischen der ethnischen Interpretation als gotisch und der geographischen Verbreitung dieser Fibelgattung in Nordfrankreich, für das die Schriftquellen keine Goten überliefern, aufmerksam gemacht zu haben. Er betonte aber dennoch, dass Funde wie der von Airan (Moult), Dép. Calvados, den er um 400 n. Chr. datierte, „unzweifelhaft von Volkselementen herrühren, die dem gotischen Kulturkreise angehörten.“ Er erklärte dies damit, dass dieser Fund „auf eine von der Geschichtsschreibung unbemerkt gebliebene Weise in Nordgallien“ zustande kam.32 Als Möglichkeiten für das Zustandekommen dieses Befundes erwog er deshalb allgemein gewaltsames Eindringen fremder Gruppen oder politische Gründe der Römer. Diese frühen Kontakte hätten aber auf jeden Fall dazu beigetragen, dass das fränkische und gotische Material kaum voneinander zu unterscheiden sei. Die merowingi28 29 30 31 32
Åberg, Franken und Westgoten 27. Åberg, Franken und Westgoten 45. Åberg, Franken und Westgoten 41–62, bes. 55. Åberg, Franken und Westgoten 56. Åberg, Franken und Westgoten 57–58.
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schen Altertümer seien zu großen Teilen im 5. Jahrhundert nach Gallien eingeführt worden. Bei der Besprechung der archäologischen Hinterlassenschaften der Goten in Spanien legte Åberg sein Hauptaugenmerk zunächst wieder auf die dortigen „Blechfibeln“. Der typologische Vergleich einiger Fibeln veranlasste ihn aufgrund der Ähnlichkeiten zu folgender Feststellung: „Fibeln der aus Gallien und Ungarn wohlbekannten gotischen Typen kommen in verhältnismäßig vielen Funden aus Spanien vor.“33 Nach der Beschreibung der Entwicklung der spanischen „Blechfibeln“ kam er zu dem Schluss, dass „sich also die spanischen Silberblechfibeln in ungefähr der gleichen Weise wie die gallischen“ entwickeln und legte diesen somit auch seine relativ- und absolutchronologischen Vorstellungen zu den mitteleuropäischen „Blechfibeln“ zugrunde. Von den spanischen Stücken stand er nur den gegossenen und mit in Kerbschnitttechnik ausgeführten Spiralrankenmustern verzierten Fibeln eine Laufzeit bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. hinein zu.34 Aus diesen chronologischen Vorstellungen Åbergs resultierten jedoch Schwierigkeiten bezüglich der ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ als westgotisch. Anhand seiner allgemeinen Datierung der „Blechfibeln“ und deren Entwicklung in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr., waren die spanischen Exemplare chronologisch nicht mit der aus den Schriftquellen bekannten Einwanderung der Westgoten in Einklang zu bringen.35 Doch wurde dies von Åberg wohl bemerkt: Vor seinen Ausführungen zum spanischen Material ließ er daher die in der Folge bis heute häufig nicht berücksichtigte, wichtige Einschränkung verlauten, dass es ihm anhand der archäologischen Hinterlassenschaften nicht möglich sei, „die verschiedenen Germanenvölker von einander zu scheiden, die während längerer oder kürzerer Zeit ihren Wohnsitz in Spanien gehabt haben“, weshalb er auf die für ihn neutral bzw. allgemein zu verstehende Bezeichnung gotisch zurückgriff. An der germanischen Interpretation dieser Funde hegte er allerdings keine Zweifel.36 Trotzdem soll an dieser Stelle nochmals ausdrücklich festgehalten werden, dass Åberg seine chronologische Einordnung der spanischen Funde aufgrund der typochronologischen Ordnung des archäologischen Materials vornahm, ohne diese der schriftlichen Überlieferung anzupassen. Gleichzeitig verzichtete er damit auf eine spezifisch ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation, was seither in fast keiner chronologischen Arbeit zum völkerwanderungszeitlichen Material Spaniens der Fall gewesen ist. 33 34 35 36
Åberg, Franken und Westgoten 208. Åberg, Franken und Westgoten 212. Siehe Kap. III.3.4 Die Westgoten in Spanien. Åberg, Franken und Westgoten 206.
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Doch nicht nur deshalb sind Åbergs Untersuchungen für die Erforschung der „Blechfibeln“ von großer Bedeutung. Auf seiner (auf typologischem Wege ermittelten) relativchronologischen Einordnung der „Blechfibeln“ und deren Entwicklung basieren die heutigen Chronologiesysteme der Völkerwanderungszeit, ohne dass dies bislang ausdrücklich betont bzw. ausreichend gewürdigt worden ist.37 Viel folgenreicher war jedoch die häufig unsaubere Rezeption Åbergs hinsichtlich der ethnischen Interpretation der spanischen „Blechfibeln“. Diese sollte zukünftig sowohl bei der allgemeinen ethnischen Interpretation der westgotenzeitlichen Gräberfelder Spaniens als auch bei den chronologischen Einordnungen der „Blechfibeln“ eine wichtige Rolle spielen.38 Wohl nicht zuletzt aufgrund des Titels galten die „Blechfibeln“ seit der Publikation der Arbeit Åbergs als ethnischer Anzeiger westgotischer bzw. gotischer Anwesenheit par excellence. Zum ersten Mal war archäologisches Material (v.a. „Blechfibeln“) aus allen Gebieten vorgelegt worden, in denen Goten gemäß den Schriftquellen gesiedelt haben sollten, was die einschlägigen Interpretationsmuster zu bestätigen schien. So stützte sich dann auch Gustaf Kossinna gemäß seinem methodischen Grundsatz „scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen decken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen“39 in einem Aufsatz über die „Herrschaft des Gotenstils“ im Wesentlichen auf den schwedischen Gelehrten. Mit seiner ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ ging er jedoch über dessen Aussagen hinaus: Die Hinterlassenschaft dieser Westgoten auf ihrem Zuge über Oberitalien nach Frankreich und besonders in ihrer neuen Heimat Südwestfrankreich selbst wird nun aufs trefflichste erläutert und umschrieben durch die Verbreitung der ganz unverzierten glatten Silberblechfibeln, die naturgemäß auch bei den Gepiden in Ungarn und den Ostgoten in Südrußland zahlreich erscheinen, niemals aber in Mitteleuropa.40
Auf ähnliche Weise charakterisierte Herbert Kühn im Jahr 1928 die „Blechfibeln“, indem er anmerkte, dass „[…] der eigentliche Typus der gotischen Fibel, die zumeist auf Silberblech gearbeitet ist und deshalb, auch wenn sie gegossen ist, am besten als gotische Silberblechfibel bezeichnet wird.“41 In einem Artikel aus dem Jahr 1930, der sich mit den bis dato üblichen Methoden der ethnischen Interpretation der frühmittelalterlichen Funde
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Siehe Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum. Hierzu: Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 34. Siehe auch: Kap. III.3.4 Die Westgoten in Spanien. Kossinna, Siedlungsarchäologie 3. Kossinna, Herrschaft des Gotenstils 33. Kühn, Kunstgewerbe 78.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
kritisch auseinandersetzte, zeigte Hans Zeiss Skepsis gegenüber den kursierenden ethnischen Interpretationen der „Blechfibeln“, die v. a. gegen Kossinna und dessen Methode gerichtet war. Als Hauptargument führte Zeiss die geographische Verbreitung der „Blechfibeln“ an. Der Verbreitungsschwerpunkt in Nordgallien und die Fundleere in Aquitanien (Tolosanisches Reich) trotz langer schriftlich überlieferter Siedlungsaktivität widersprächen einer ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ als westgotisch. Vielmehr, so Zeiss, hätte Kossinna bei Betrachtung des geographischen Verbreitungsbildes der „Blechfibeln“ allein eine ahistorische westgotische Einwanderung nach Nordfrankreich annehmen müssen. Er schloss daraus, dass „die ‚ethnographische Methode‘ ohne Korrektur durch Geschichtsquellen zu bedenklichen Trugschlüssen führen kann (Eine befriedigende Erklärung der eigenartigen Verbreitung der Silberblechfibeln in Gallien ist übrigens noch nicht gegeben worden […].“42 Den so kritisierten Kossinna hielt dies jedoch nicht davon ab, aufgrund der Chronologie und ihrer geographischen Verbreitung in Verbindung mit den Schriftquellen, die „Blechfibeln“ weiterhin mit der Ausbreitung der Goten zu verbinden: „[…] dieser Gebietsentwicklung entsprechend finden wir die nackte Silberblechfibel außer in der Krim, Rumänien, Siebenbürgen, Ungarn, auch in Slawonien, Kroatien, Oberitalien (spärlich), Südwestfrankreich und Spanien.“ Den Verbreitungsschwerpunkt in Nordfrankreich und die nicht zu leugnende Fundleere in Südwestfrankreich klammerte Kossinna nach wie vor aus. Vielmehr postulierte er sogar, sich alleine auf die Funde des Friedhofs von Herpes (Courbillac), Dép. Charente mit vermeintlichen „Blechfibeln“ stützend,43. einen Verbreitungsschwerpunkt in Südwestfrankreich. Die für ihn chronologisch jüngeren „Blechfibeln“ in Nordfrankreich brachte Kossinna dazu noch mit den Taifalen in Verbindung.44 Eduard Beninger folgte in seiner 1931 publizierten Arbeit über die von ihm als „3. pontisch-germanische Denkmälergruppe“ bezeichnete ost-westliche Kulturströmung,45 die er ausnahmslos den Westgoten der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zuwies, im Wesentlichen den Ansichten Åbergs. Die hier in drei Fällen belegte Vergesellschaftung ähnlicher Silberblechfibeln mit vermeintlich spezifischen Keramiktypen ließ ihn schließen, „daß die Silberblechfibel in Mitteleuropa als westgotisch angesprochen werden darf.“46 Im Gegensatz zu Åberg ging jedoch Beninger von einer leicht unterschiedlichen 42 43 44 45 46
Zeiss, Ethnische Deutung 12. Delamain, Herpes 12–13; Taf. VI, 20; 21; 25. Kossinna, Germanische Kultur 104–110. Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 7. Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 14–15.
Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil
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Entwicklung der „Blechfibeln“ im 5. Jahrhundert aus, indem er annahm, „daß die 2. und 3. Stufe Åbergs zum Teil gleichzeitig gewesen sein müssen“. Für ihn bewies dieser Befund, „daß die typologische Reihe keine zeitliche Aneinanderreihung bedeutet.“47 Beninger wies dieser gleichzeitigen typologischen Entwicklung der „Blechfibeln“ und der bereits kerbschnittverzierten Bügelfibeln absolutchronologisch den Zeitraum zwischen 395 und 435 n. Chr. zu, allerdings ohne dies näher zu begründen. Beninger kommt jedoch das Verdienst zu, sich als erster auch skeptisch gegenüber der gemeinhin angenommenen feinen typochronologischen Entwicklung der gegossenen Bügelfibeln aus den „Blechfibeln“ geäußert zu haben.48 Die maßgeblichen methodischen bzw. argumentativen Grundlagen aller Interpretationen von „Blechfibeln“ waren zunächst deren typochronologische Ordnung und deren geographische Verbreitung, welche die Schriftquellen einwandfrei zu bestätigen schienen. Im Rahmen der einflussreichen Theorie der angenommenen Ausbreitung der völkerwanderungszeitlichen Kunst von Ost nach West durch die Goten und dem vorherrschenden ethnischen Paradigma nahmen sie deshalb schon früh eine wichtige Rolle als Anzeiger v.a. gotischer Ethnien und deren schriftlich überlieferten Wanderungen ein. Die groben chronologischen Einordnungen dieser Fundgattung an das Ende des 4. und ins 5. Jahrhundert n. Chr. boten hierfür genug Spielraum. Nach der umfassenden und erstmalig auch die spanischen Funde berücksichtigenden Publikation Åbergs, die bereits alle wesentlichen bis heute gültigen klassifikatorischen Grundlagen lieferte, gerieten die „Blechfibeln“ endgültig in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. In Verkennung der eigentlichen Aussagen Åbergs erlangte die Fundgattung der „Blechfibeln“ fortan maßgebliche Bedeutung bezüglich einiger Kernfragen der Frühgeschichtsforschung. Trotz der bekannten Widersprüche zwischen der geographischen Verbreitung und der schriftlichen Überlieferung, die sich zudem chronologisch nicht mit dem Befund in Spanien vereinbaren ließ, galten „Blechfibeln“ nun als unmittelbares Leitfossil für den archäologischen Nachweis der Goten bzw. Westgoten.49 47 48 49
Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 25. Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 25–31. Auf die Darstellung bezüglich der Chronologie und Interpretation der „Blechfibeln“ von Freidank Kuchenbuch in einem posthum veröffentlichten Manuskript seiner Habilitationsschrift wurde hier bewusst verzichtet. Vom Verfasser dieser Arbeit kann nicht ausgemacht werden, in welchem Ausmaß dessen Vorstellungen bezüglich Klassifikation, Chronologie, Herkunft und Interpretation der „Blechfibeln“ tatsächlich unverändert wiedergegeben wurden. Kuchenbuch, Fibel mit umgeschlagenem Fuß 19–23.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens Hatte sich Hans Zeiss noch wenige Jahre zuvor ob des Widerspruchs zwischen der schriftlichen Überlieferung und der geographischen Verbreitung der „Blechfibeln“ in Frankreich skeptisch gegenüber der Möglichkeit einer spezifischen Zuweisung der „Blechfibeln“ zu einem schriftlich überlieferten Ethnos geäußert, so änderte sich dies mit seiner im Jahr 1934 erschienenen Dissertation über die Grabfunde des spanischen Westgotenreiches.50 Diese Arbeit ist von grundlegender Bedeutung für alle weiteren Bearbeitungen und Interpretationen im Zusammenhang mit „Blechfibeln“, da mit den hier dargelegten chronologischen Vorstellungen bezüglich der spanischen „Blechfibeln“ ein neuer Trend in der Methodik der Erforschung dieser Fibelgattung einher ging. Die Zeisssche Arbeit machte den Anfang damit, die Ereignisgeschichte bei der chronologischen Ordnung der „Blechfibeln“ in den Vordergrund zu stellen. Darauf basieren die ethnischen Interpretationen auch heute noch. Zeiss gab in seiner Arbeit eine umfassende Übersicht über die „bis 1930 bekannten Grabfunde aus dem Gebiet des spanischen Westgotenreiches.“51 Seine Meinung über die ethnische Zuordnung der dortigen archäologischen Hinterlassenschaften nahm er zu Beginn bereits vorweg: Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die westgotischen Grabfelder der Pyrenäenhalbinsel. Ihre Eigenart ist so ausgeprägt, und Beziehungen zu germanischen Grabfeldern anderer Länder sind so eng, daß über ihre Zuweisung kein Zweifel besteht.52
Bereits hier wird deutlich, dass Zeiss die Gräberfelder Spaniens aufgrund vermeintlich spezifischer Merkmale, die in Beziehung zu den Reihengräbern Frankreichs stehen sollten, für den sicheren archäologischen Niederschlag germanischer bzw. westgotischer Ethnien hielt.53 Zunächst verwies Zeiss jedoch vor der typologischen Ordnung der Fibeln des westgotenzeitlichen Spaniens darauf, dass die auf technische Eigenheiten bei der Herstellung zurückzuführende Bezeichnung „Silberblechfibeln“ nicht immer für die gesamte Fibelgruppe in Spanien zutreffe, jedoch aus Gründen des besseren Verständnisses in seiner Arbeit beibehalten werde. Er teilte die Fibeln in drei Gruppen (A–C) ein, die auf technischen Merkmalen beruhten und sich nur geringfügig von der bereits von 50 51 52 53
Zeiss, Westgotenreich. Zeiss, Westgotenreich 1. Zeiss, Westgotenreich 2. Eine kritische Besprechung dieser archäologischen Identifikationsmerkmale erfolgt in Kap. III.3.4 Die Westgoten in Spanien.
Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens
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Åberg beschriebenen Entwicklung unterschieden. Der Gruppe A wies er „Blechfibeln“ mit aufgenieteten Zierblechen zu, während die Gruppen B und C gegossene Weiterentwicklungen der „Blechfibeln“ umfassten, die sich lediglich anhand des Merkmales der Kerbschnittverzierung unterschieden. Allerdings bemerkte Zeiss selbst, dass die Gruppen B und C recht heterogen wirkten und sich jederzeit auch anders gliedern lassen könnten.54 Folgte die typologische Gliederung der „Blechfibeln“ von Zeiss noch im Wesentlichen der von Åberg, so wichen seine Vorstellungen bezüglich der absolutchronologischen Einordnung und der ethnischen Interpretation dieser Fundgattung erheblich von den Ergebnissen Åbergs ab. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der promovierte Historiker Zeiss in einer Rezension der Publikation Beningers bezüglich der Interpretation archäologischer Funde darauf hingewiesen, dass „sobald die Prähistorie mit historischen Stammesnamen arbeitet […] sie ihre Ergebnisse mit jenen der Geschichtswissenschaft in Einklang zu bringen suchen“ muss.55 Diese programmatisch zu verstehende Aussage von Zeiss ist ein deutlicher Hinweis auf den großen Stellenwert, den er der schriftlichen Überlieferung bei seinen Untersuchungen beimaß und könnte seine Motivation für die vorgenommene chronologische Einordnung der „Blechfibeln“ erklären. Für Zeiss war die Konstruktion einer chronologisch späten Datierung der „Blechfibeln“ sowie der gesamten archäologischen Hinterlassenschaften der Iberischen Halbinsel enorm wichtig, denn „die spanischen Fibeln könnten dann nicht mit der endgültigen Reichsgründung und Niederlassung der Westgoten in Spanien in Verbindung gebracht werden“, wenn Åbergs Chronologievorschläge, die eine Datierung dieses Materials in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts vertraten, nicht verändert werden würden.56 So stellte Zeiss die „Blechfibeln“ und die gesamten westgotenzeitlichen Gräberfelder Spaniens (El Carpio de Tajo, Prov. Toledo) aufgrund mehrerer archäologischer Indizien, die er als bewiesen ansah, an das Ende des 5. und in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts.57 Ein Ergebnis, das der allgemeinen Interpretation der schriftlichen Überlieferung entsprach und ihm die einwandfreie archäologische Identifikation der Westgoten in Spanien zu ermöglichen schien. Trotz der einschränkenden Bemerkung, dass „Blechfibeln“ im östlichen Europa auch bei anderen, „nichtgermanischen Stämmen“ vorkämen, schloss er mit der folgenden resümierenden Aussage: 54 55 56 57
Zeiss, Westgotenreich 12–17. Zeiss, Rezension Beninger 249. Zeiss, Westgotenreich 99. Zur Beschreibung und Kritik der Chronologie von Zeiss: Siehe Kap. III.3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“ Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß der Blechfibeltyp auf der Pyrenäenhalbinsel mit Sicherheit erst für die Zeit der westgotischen Landnahme um 500 zu belegen ist.58 Für Zeiss stand also fest, dass „ein charakteristischer Fibeltyp wie die sogenannte Blechfibel von den Westgoten auf langer Wanderung vom Osten bis nach dem Westen Europas gebracht wurde […].59
Zeiss hielt in der Folge alle „Blechfibeln“ für westgotisch, was ein Beispiel aus dem Jahr 1941 eindrücklich illustriert. Die zwei „Blechfibeln“ aus Cholet, „Couvent Saint – François“, Dép. Maine-et-Loire interpretierte Hans Zeiss als Fund einer „unzweifelhaft gotischen Fibelform“. Darüber hinaus bezeichnete Zeiss diesen schlecht dokumentierten Altfund als einzigen archäologischen Nachweis der Westgoten während ihres Aufenthaltes im Tolosanischen Reich.60 Die Methodik, mit der Zeiss die ethnische Interpretation der spanischen „Blechfibeln“ begründete, war insofern neu, als dass die „Blechfibeln“ jetzt nicht mehr nur per se als ethnischer Anzeiger dienten, sondern erst im Rahmen eines Bündels archäologischer Merkmale diese Funktion übernehmen konnten. Von entscheidender Bedeutung war hierbei die sich an der Ereignisgeschichte orientierende chronologische Einordnung dieser Fundgattung, die dazu beitrug, einen klassischen Zirkelschluss zu begründen. „Blechfibeln“ bewiesen durch ihre Datierung einerseits das Westgotentum der einschlägigen spanischen Gräberfelder mit ihren vermeintlich spezifischen Merkmalen, wobei „Blechfibeln“ andererseits aufgrund des durch sie bewiesenen Westgotentums dieser Gräberfelder als westgotische Fundgattung angesehen wurden und deshalb auch erst um 500 n. Chr. datieren konnten. Der sich aus der Datierung der spanischen „Blechfibeln“ ergebende chronologisch-typologische Widerspruch zu ähnlichen, nach wie vor in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts datierten „Blechfibeln“ im Donauraum (Schriftquellen!), wurde von Zeiss ausgeblendet bzw. nicht diskutiert. Betont sei hier noch einmal die Methodik von Zeiss, die für die weiteren Bearbeitungen und Interpretationen von „Blechfibeln“ entscheidend war. Mit der Arbeit von Zeiss scheint ein Prozess in der archäologischen Völkerwanderungszeitforschung zu beginnen, der sich so stark an ethnisch -ereignisgeschichtlichen Fragestellungen orientiert, dass dafür sogar offensichtliche Widersprüche im archäologischen Befund in Kauf genommen wurden.
58 59 60
Zeiss, Westgotenreich 100. Zeiss, Westgotenreich 126. Zeiss, Seine und Loiremündung 33.
Die Begründung des Trachtenparadigmas
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3 Die Erweiterung der Interpretationsbasis: Die Begründung des Trachtenparadigmas In der Folge begnügte man sich nicht mehr damit, ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretationen von „Blechfibeln“ allein aufgrund der ihnen zugeschriebenen Chronologie und des geographischen Verbreitungsbildes in Verbindung mit den Schriftquellen vorzunehmen. Vielmehr wurden jetzt mit Hilfe der „Blechfibeln“ regelrechte Kulturmodelle konstruiert. Diese sollten dazu dienen, gotische oder allgemein ostgermanische gentes während ihrer gesamten schriftlich überlieferten Wanderung archäologisch anhand vermeintlich spezifischer Merkmale nachzuweisen. Im gleichen Maße, wie „Blechfibeln“ zur Konstruktion dieser teilweise bis heute axiomatisch verwendeten Merkmale beitrugen, zementierten letztere die ethnisch-ereignisgeschichtliche Aussagekraft der „Blechfibeln“. Nicht sicher zu beurteilen ist, ob bzw. in welchem Ausmaß Joachim Werner den von Zeiss konstruierten typologisch-chronologischen Widerpruch zwischen dem spanischen und dem mittel- und osteuropäischen Material vor Augen hatte, als er in einem im Jahr 1956 erschienenen Artikel den Merkmalskatalog zum archäologischen Nachweis der Goten erweiterte. Wahrscheinlich folgte er zunächst einer von seinem Mentor Hans Zeiss im Jahr 1934 formulierten Aufforderung zur überregionalen Betrachtung archäologischer Phänomene, um deren kulturhistorische Bedeutung umfassend erschließen zu können. Zeiss hatte dies bei seiner Interpretation des spanischen Materials, v. a. der „Blechfibeln“ gefordert, da […] die Deutung der westgotischen Funde nicht ohne Heranziehung von Vergleichsmaterial aus anderen germanischen Reichen des frühen Mittelalters geschehen kann. Archäologische Forschungen werden erst dann fruchtbar, wenn der Blick sich nicht auf das engere Untersuchungsgebiet beschränkt; nur so kann die Herleitung der einzelnen Typen und ihre Einreihung in größere geschichtliche und kulturgeschichtliche Zusammenhänge erkannt und ihre Bedeutung in vollem Umfange erschlossen werden.61
Durch eine solche überregionale Betrachtung schien Werner folgendes konstatieren zu können: Beigabensitten und Trachteigentümlichkeiten geben heute der archäologischen Forschung die Möglichkeit, das Kunstgewerbe der gotischen Stämme vom 4. bis zum 6. Jahrhundert zwischen der Krim und der Pyrenäenhalbinsel mit einiger Sichereit zu überblicken.62 61 62
Zeiss, Westgotenreich 97. Werner, Archäologische Zeugnisse 127.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
Nach der Beschreibung der Quellenlage hatte Werner „sicher gotische Grabfunde“ auf der Krim, in Spanien, Italien und Dalmatien identifiziert. Letztere v. a. unter Verweis auf die Ereignisgeschichte zwischen 490 und 550 n. Chr. und deren Unterschiedlichkeit zum langobardenzeitlichen Material Italiens. Diese verglich er mit Funden des 5. Jahrhunderts aus dem Donauraum. Die dortigen Funde, „die teils in die Zeit des Attila-Reiches, gehören, teils jünger sind und die vielfach eng mit den gotischen Funden der Krim, Italiens und Spaniens zusammenhängen“ seien – ohne hierfür Gründe anzuführen – „von den Materialien des 6. Jh. her zu beurteilen […]“.63 Obwohl Werner keine nachvollziehbaren Angaben bezüglich seiner Chronologievorstellungen der Funde machte, sah er zwischen den Grabbefunden dieser Regionen deutliche Gemeinsamkeiten: Neben west-östlich ausgerichteten Körperbestattungen (ab 480 n. Chr.) nannte Werner die den Goten vermeintlich seit der Römischen Kaiserzeit eigene Bestattungsweise, den Männergräbern keine Waffen beizugeben. Insbesondere verwies Werner jedoch auf das „Trachtzubehör der Frau (an den Schultern getragene grosse Bügelfibelpaare aus Silber oder Bronze und ein entsprechendes grosses Gürtelschloss für den Leibgurt)“, das „zwischen der Krim und Spanien von erstaunlicher Einheitlichkeit“ sei. Diese „Regelhaftigkeit“ veranlasste ihn dazu, die Existenz eines „nationalen gotischen Frauenkostüms“ zu postulieren. Zudem verwies Werner auf die von ihm konstruierte zeitliche Koinzidenz der Fibelentwicklung mit der schriftlich überlieferten Wanderung der Ostgoten. Die in Kerbschnitttechnik ausgeführte Spiralornamentik auf Fibeln, welche zuerst nach der Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. im Donauraum und dann in Italien nachweisbar sei, gehe mit dieser Wanderung einher und biete somit eine hervorragende Möglichkeit zur ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation des archäologischen Materials.64 Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, schien Werner das Postulat einer ethnisch spezifischen Kleidung v. a. auf „Blechfibeln“ und ihre Position in den Grabbefunden der unterschiedlichen geographischen Regionen zu stützen. Werner gewann den einschlägigen Grabbefunden mit „Blechfibeln“ und deren Weiterentwicklungen somit eine neue Facette ab, die in zweierlei Hinsicht bezüglich der ethnischen Interpetation fruchtbar erschien: Einerseits konnte die Interpretation der Grabbefunde als gotisch durch das Merkmal der Lage von Fibeln im Grabbefund weiter abgesichert 63 64
Werner, Archäologische Zeugnisse 127–128. Werner, Archäologische Zeugnisse 128–130. Zur Kerbschnittornamentik und Spiralrankendekor siehe Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum.
Die Begründung des Trachtenparadigmas
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werden, andererseits wurde im Umkehrschluss auch die eigentliche Beweiskraft der „Blechfibeln“ bezüglich deren ethnischer Aussagekraft als Bestandteil dieses archäologischen Merkmales sowie deren chronologische Einordnung weiter verstärkt.65 Wie sehr von nun an dieser Fibeltyp und die damit rekonstruierte Tracht ein in sich geschlossenes und sich gegenseitig bedingendes Merkmalsgefüge bildeten, zeigen die Präambeln Werners in seiner im Jahr 1961 erschienen Vorlage von Fibeln aus der berühmten Sammlung Diergardt des Römisch-Germanischen Museums in Köln. Hier formulierte er zunächst nochmals deutlich das von ihm begründete „Trachtenparadigma“ und ließ keine Zweifel an dessen Aussagekraft bezüglich der ethnischen Interpretation erkennen: In dem krimgotischen Gräberfeld von Suuk-Su wurden im 6. und frühen 7. Jahrhundert die Frauen nach den Beobachtungen N. I. Repnikovs in voller Tracht bestattet. Die Bügelfibelpaare lagen, mit der Kopfplatte nach unten, auf den Schultern, beiderseits der Halskette, die große Gürtelschließe lag im Becken, die Armringe an den Unterarmknochen. Gleiches gilt für die westgotischen Gräberfelder des 6. Jahrhunderts in Spanien. Auch hier wurden die Bügelfibelpaare stets an den Schultern, mit der Kopfplatte nach unten, und die große Metallschnalle des breiten Leibgurts im Becken angetroffen. Die übereinstimmenden Befunde auf der Krim und in Spanien lassen den sicheren Schluß zu, daß bei den Krimgoten und den Westgoten die Frauen in voller Tracht beigesetzt wurden und daß zu dieser Tracht große, an den Schultern mit der Kopfplatte nach unten getragene Bügelfibelpaare und ein breiter Leibgurt mit großer rechteckiger Schnalle gehörten. Für entsprechende Fundkombinationen aus den Donauländern und dem ostgotischen Italien (große Fibelpaare und ‚gotische Schnallen‘) ist dieselbe Tracht, Tragweise der Fibeln und Bestattungsart mit angelegter Kleidung anzunehmen, die man als allen Goten gemeinsam bezeichnen muß.66
Dass damit auch die in den Grabbefunden vertretenen einschlägigen Fibeltypen, wie etwa „Blechfibeln“, als ethnische Marker benutzt werden konnten, erklärte er anschließend: Es erscheint sogar möglich, gewisse Formen und Entwicklungen bestimmten germanischen Stammesgebieten zuzuweisen, weil die Fibeln der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit nicht nur Schmuckstücke, sondern auch Zubehör der jeweiligen Volkstracht waren. Spezifisch gotische Typen heben sich ab, von der Krim über Ungarn und das ostgotische Italien bis nach dem westgotischen Spanien […]67
Die Aussagen Werners über eine ethnisch spezifische Tracht der Goten wurden in der Folge von Volker Bierbrauer in mehreren Publikationen weiter vertieft und teilweise modifiziert.68 „Blechfibeln“ und ihre Lage an den 65
66 67 68
Eine ausführliche Kritik dieses Merkmals erfolgt in Kap. III.1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. Werner, Diergardt 5. Werner, Diergardt 9. Bierbrauer, Raetia II. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
Schultern bzw. der Brust bestatteter Individuen im Grabbefund gelten daher bis heute teilweise als unmittelbarer Indikator ostgermanischer gentes.69
4 „Blechfibeln“ in der archäologischen Frühgeschichtsforschung der letzten 50 Jahre Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die wichtigsten Aspekte der Erforschung der „Blechfibeln“ in den letzten fünf Jahrzehnten. Das Hauptaugenmerk liegt neben einer allgemeinen Darstellung der Forschungsentwicklung dabei weiterhin auf den methodischen Grundlagen der ethnischereignisgeschichtlichen Interpretationen. Nahezu alle Bearbeitungen dieser Fibeln haben eine ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation zum Ziel. Erreicht wird dies nach wie vor durch die typochronologische Ordnung der „Blechfibeln“, deren geographische Verbreitung und deren vermeintliche Funktion bei der Konstruktion einer ethnisch spezifischen Kleidung. Diese sich teilweise gegenseitig bedingenden archäologischen Merkmale werden mit den Schriftquellen in Verbindung gebracht und auf einschlägige Weise interpretiert. Trotz der zur Verfügung stehenden methodischen Mittel bleiben aber die nach wie vor bestehenden Widersprüche ungelöst. So steht etwa die Fundleere im Südwesten Frankreichs immer noch im Gegensatz zu den auf der schriftlichen Überlieferung basierenden ethnischen Interpretationen. Ferner ist sowohl die Chronologie als auch die Interpretation der Grabbefunde mit „Blechfibeln“ in Nordfrankreich umstritten und wird keineswegs einheitlich beurteilt. 4.1 Regionale und überregionale Materialvorlagen Joachim Werners Katalog der Fibeln aus der Sammlung Diergardt des Römisch-Germanischen Museums in Köln, in dem er eine beträchtliche Anzahl von ihm als „südrussisch-donaulandische Bügelfibeln“ bezeichnete, überwiegend aus Einzelfunden stammende „Blechfibeln“ publizierte,70 machte den Auftakt zu einer Reihe umfangreicher Materialvorlagen von „Blechfibeln“. Diese hatten naturgemäß eine beträchtliche Erweiterung der Materialbasis zur Folge, sodass im Lauf der Zeit eine umfassende Übersicht 69
70
Beispielsweise Koenig, Archäologische Zeugnisse 226. Bierbrauer, Wandalen 214–215. Hierzu auch Kap. III.1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. Werner, Diergardt.
„Blechfibeln“ in der archäologischen Frühgeschichtsforschung
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über diese Fundgattung erreicht wurde, auch wenn bis heute die Zahl der geschlossenen Funde keineswegs als üppig bezeichnet werden kann.71 Nach Werner war es Anatolij Konstantinoviˇc Ambroz, der die kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Fibelfunde des südlichen Teiles des Gebiets der ehemaligen Sowjetunion vorlegte.72 Diese Arbeit ist v. a. deshalb von großer Bedeutung, weil Ambroz neben der Materialvorlage eine wichtige und teilweise bis heute verwendete Klassifikation der „Blechfibeln“ vornahm.73 Ambroz ging bei seiner Interpretation zudem davon aus, dass „Blechfibeln“ („dvuplastinˇcatye fibuly“ = „Zweiplattenfibeln“)74 im Südwesten der Sowjetunion oder im Gebiet Rumäniens bzw. im Donauraum entstanden seien, von wo sie sich dann nach Westen und Osten verbreitet hätten. Ambroz unterstrich daneben die Bedeutung der provinzialrömischen Fibeln bei der Entstehung und Entwicklung der Fibeln.75 Damit widersprach er der weit verbreiteten These des nordpontischen bzw. südrussischen Ursprungs dieser Fibeln. Nachhaltig hat auch die im Jahr 1971 erschienene Vorlage der Ergebnisse der Ausgrabungen großer westgotenzeitlicher Gräberfelder Spaniens die Erforschung der „Blechfibeln“ beeinflusst. Antonio Molinero Pérez legte hier die Inventare der Grabbefunde, die zwischen 1941 und 1959 in Duratón und Madrona, Prov. Segovia dokumentiert wurden, vor und kam damit einem dringenden Forschungsdesiderat nach. Die Inventare dieser großen Gräberfelder, darunter auch viele mit „Blechfibeln“, sollten fortan v. a. zu chronologischen Zwecken verwendet werden, stellten aber auch für kleidungsgeschichtliche Fragestellungen und den damit verbundenen ethnischen Interpretationen eine häufig benutzte Quellensammlung dar. Von Bedeutung ist die Arbeit von Molinero Pérez jedoch hauptsächlich aufgrund der problematischen Dokumentation und Publikation dieser Grabbefunde, die heute erhebliche Zweifel an ihrer Geschlossenheit haben aufkommen lassen und somit die Aussagekraft der darauf basierenden Untersuchungen erheblich mindern.76 Die bis heute umfangreichste Materialvorlage von Bügelfibeln erschien im Jahr 1974. In deren Rahmen publizierte Herbert Kühn auch die bisher umfassendste Zusammenschau von „Blechfibeln“ über das gesamte geo71 72 73 74 75 76
Siehe Kap. IV.2.2 Quellenlage und geographische Verbreitung. Ambroz, Fibuly. Ambroz, Fibuly 76–91. Zur Klassifikation von Ambroz siehe Kap. III.2. Ambroz, Fibuly 76. Ambroz, Fibuly 81–82. So auch: Diaconu, Fibel mit halbkreisförmiger Kopfplatte. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales. Zur problematischen Quellenund Publikationslage siehe Kap. III.3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
graphische Verbreitungsgebiet.77 Kühn hielt die „Blechfibeln“ für die Vorbilder aller Bügelfibeln, aufgrund ihrer Verbreitung und der von ihm vorgenommenen chronologischen Einordnung für gotisch und als im südrußischen Gebiet entstanden. Kühn nahm eine sehr großzügige Klassifikation vor, die lediglich den „Typ von Untersiebenbrunn (‚gotische Fibeln mit Almandin- und Filigranauflage‘)“ und die „glatte gotische Silberblechfibel Typ Suuk-Su“ unterschied. Letztere datierte Kühn allgemein in die Zeit zwischen 375–450 n. Chr., späteren Formen auf der Krim sprach er eine Laufzeit bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts n. Chr. zu.78 Nach der Arbeit Kühns wurden „Blechfibeln“ nur noch in loser Reihenfolge im Zusammenhang mit regionalen Aufarbeitungen völkerwanderungszeitlichen Materials,79 durch die Publikation von Gräberfeldern80 sowie durch antiquarische Darstellungen bereits publizierten Materials auf regionaler Ebene vorgelegt.81 Eine eher illustrierende Funktion kam den „Blechfibeln“ bei größeren Ausstellungsprojekten über die Goten und im allgemeinen Zusammenhang mit sogenannten ostgermanischen Ethnien oder Kulturkonstrukten der späten Kaiser- und Völkerwanderungszeit zu.82 Zusammenfassende, überregionale Darstellungen dieser Fundgattung erschienen seit Kühns Arbeit jedoch nicht mehr.83 Die Entwicklung des Forschungsstandes auf der Krim und der Taman-Halbinsel gestaltete sich anders. Nach der Ausgrabung und Publikation des Gräberfeldes von Suuk-Su und den bekannten Gräbern von Kerˇc zu Beginn des 20. Jahrhunderts84 erfolgten Ausgrabungen größerer Gräberfelder mit „Blechfibeln“ 77
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81 82
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84
Der Katalog Kühns umfasst insgesamt 217 glatte „Blechfibeln“ und 45 polychromverzierte Prunkvarianten dieser Fundgattung. Kühn, Süddeutschland 511–565. Bulgarien: Haralambieva, Goten südlich der unteren Donau. Rumänien: Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien. Ungarn (Theiß-Gebiet): Istvánovits, Upper Tisza Region. Ehem. Jugoslavien: Dimitrijevic´ / Kovacˇ evic´ / Vinski, Seoba naroda. Spanien: Ebel-Zepezauer, Westgoten. Frankreich: Kazanski, Fibules ansées. Siehe u. a. für den Bereich der sogenannten Sântana de Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur: Mitrea/ Preda, Necropole în Muntenia. Neuerdings auch: Palade, A¸sezarea s¸i necropola. S¸ovan, Necropola. Donauraum: Istvánovits, Tiszadob-Sziget. Spanien: Ripoll, El Carpio de Tajo. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder. Frankreich: Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay. So etwa: Koch, Bügelfibeln 413–449. Hierzu: Brather, Rezension Koch. Z. B. Bierbrauer, I Goti. Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren. wieczorek/ Périn, Gold der Barbarenfürsten. Mamalauca˘ , Obiceiuri de port. Erwähnt sei an dieser Stelle noch die im Jahr 2002 erschienene Materialvorlage von Gavrithukin, Double-Plate fibulas, der jedoch lediglich die „Blechfibeln“ der ersten Untergruppe nach der Klassifikation von Ambroz, Fibuly vorlegte. Suuk-Su: Re˙ pnikov’, Gotov’. Kerˇc: Zaseckaya, Bosporos. Damm, Goldschmiedearbeiten.
„Blechfibeln“ in der archäologischen Frühgeschichtsforschung
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erst wieder ab der Mitte des Jahrhunderts, wobei deren vollständige Publikation entweder erst in den letzten zehn Jahren erfolgte oder teilweise noch heute auf sich warten lässt.85 Daneben sind nur kleinere Gräberfeldausschnitte bzw. einzelne Grabkomplexe ausgegraben oder publiziert.86 4.2 Archäologische Grundlagen der ethnischen Interpretationen im Zusammenhang mit „Blechfibeln“: Klassifikation, Feinchronologie, archäologische Kulturkonstrukte Die Erweiterung der archäologischen Merkmalsbasis bzw. der methodischen Gundlagen gab den Rahmen für die ethnischen Interpretationen im Zusammenhang mit „Blechfibeln“ vor. Die nach wie vor bestehenden Widersprüche zwischen archäologischem Befund und schriftlicher Überlieferung haben die Frühgeschichtsforschung nicht davon abgehalten, bis zum heutigen Tag zahlreiche Vorschläge zur ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ vorzunehmen. Anhand des methodischen Instrumentariums wurden Befunde mit „Blechfibeln“ als gotisch,87 ostgotisch,88 westgotisch,89 ostgermanisch,90 gepidisch,91 sarmatisch,92 alano-sarmatisch,93 alanisch,94 vandalisch,95 skirisch96 und hunnisch97 angesprochen. Die angebotenen ethnischen Interpretationen umfassen somit nahezu alle bedeutenden schriftlich überlieferten gentes der Völkerwanderungszeit. Auffällig ist hier, 85
86
87
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
So etwa beim Gräberfeld von Skalistoe auf der Krim: Vejmarn, Aibabin, Skalistoe. von der Lohe, Skalistoje. Annähernd vollständig publiziert ist auch das Gräberfeld Abrau-Djurso (Dyurso) (Noworossijsk), Krasnodarskij Kray auf der Taman-Halbinsel: Dmitriev, Djurso. Hierzu: Ionit,a˘, Krimgoten 375–376. Zur Quellenlage siehe Kap. IV.2.2 Quellenlage und geographische Verbreitung. Ebel-Zepezauer, Blechfibeln. Die in den folgenden Fußnoten angeführten Zitate haben nur beispielhaften Charakter. Die Auswahl ist willkürlich und nicht vollständig. Vielmehr war ein Überblick über das ethnische Interpretationsspektrum beabsichtigt. Daher wurde hier auf eine umfassende Übersicht über alle bisherigen Vorschläge zur ethnischen Interpretation der „Blechfibeln“ verzichtet. Diaconu/ Dörner, Ostgotische Fibeln. Ebel-Zepezauer, Blechfibeln. Koenig, Archäologische Zeugnisse. Bóna/ Nagy, Theissgebiet. Kovrig, Tiszal˝ok 117–118. Kazanski, Alano-Sarmates. Sulimirski, Sarmatians 185–188. Kazanski, Alano-Sarmates. Abramova, Alany. Leeds, Visigoth or Vandal? 195–212. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 97–122. Csallány, Mitteldonaubecken 337–338.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
dass v. a. die west- und mitteleuropäische Forschung „Blechfibeln“ überwiegend mit eingewanderten germanischen Stämmen in Verbindung gebracht hat, während osteuropäische Forscher immer wieder auch die iranisch-reiternomadische Komponente im völkerwanderungszeitlichen Fundstoff betonen.98 Maßgeblich bei der ethnischen Ansprache von Befunden waren aber nicht nur die „Blechfibeln“ allein, sondern bisweilen auch die mit ihnen vergesellschafteten Gegenstände.99 Ebenso wurden bei der ethnischen Interpretation nicht immer alle bisher erarbeiteten archäologischen Merkmale, die einen Teil des Interpretationsmusters bilden, in Betracht gezogen. Oft reichte beispielsweise der Sachverhalt aus, dass zwei an der Schulter bzw. der Brust gelegene, wie auch immer geartete Fibeln an einer ethnischen Interpretation keinen Zweifel aufkommen ließen.100 In Ermangelung gut dokumentierter Befunde genügte beispielsweise lediglich der Nachweis einer „Blechfibel“ in einem Befund, um diesen ethnisch zu kategorisieren bzw. mit der Ereignisgeschichte in Verbindung zu bringen.101 Methodisch wurde und wird dies durch die einfache Verbindung der chronologischen Einordnung des Fundstückes mit der die jeweilige Region betreffenden schriftlichen Überlieferung konstruiert.102 Eine weitere, ähnlich gelagerte methodische Variante der ethnischen Interpretation von „Blechfibeln“ stellt diese Fundgattung in engen Zusammenhang mit archäologischen Kulturkonstrukten. Ein Beispiel hierfür ist die Sântana-de Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Solche Kulturkonstrukte, die aufgrund der Verbindung ihrer Datierung mit der schriftlichen Überlieferung als „im Kern ostgermanisch-gotisch“ angesehen werden,103 sollten auch die ethnische Interpretation der „Blechfibeln“ aus ihren Grabbefun98
99 100 101
102
103
So etwa: Harhoiu, Chronologische Fragen 169. Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien 149. Istvánovits, Tiszadob-Sziget 140. So etwa Bóna, Hunnenreich. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 56. Wie automatisiert „Blechfibeln“ heute immer noch als ethnischer Anzeiger verwendet werden, zeigt u. a. das Beispiel von Horst Wolfgang Böhme, der den Schatzfund von Traprain Law aufgrund der dort vergesellschafteten und als „Blechfibel“ angesprochenen Fibel als Hinterlassenschaft einer Frau eines gotischen bzw. ostgermanischen Söldners in der spätrömischen Armee ansieht: Böhme, Angelsächsische Besiedlung Großbritanniens 490–491; 503. Zum Schatzfund von Traprain Law: Curle, Traprain. Mit dieser Methode wurden innerhalb eines Ausstellungskataloges „Blechfibeln“ von unterschiedlichen Autoren verschiedensten gentes zugewiesen: Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 108.
„Blechfibeln“ in der archäologischen Frühgeschichtsforschung
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den beeinflussen bzw. bestätigen. Dass sich dabei allerdings die Datierung der vermeintlichen Existenz dieses archäologischen Kulturkonstrukts und die chronologische Einordnung der „Blechfibeln“ gegenseitig bedingen, war bisher nur selten Gegenstand der Diskussion.104 Die ethnischen Interpretationen, die im Zusammenhang mit „Blechfibeln“ in den letzten Jahrzehnten vorgenommen wurden, basieren jedoch hauptsächlich auf der Verbindung der chronologischen Einordnung mit der schriftlichen Überlieferung in den jeweiligen Regionen. Die Datierung von „Blechfibeln“ hat daher in so großem Maße an Bedeutung gewonnen, dass in den letzten Jahren ein Wandel der Funktion der „Blechfibeln“ vom unmittelbaren ethnischen zum mittelbaren und chronologischen Leitfossil festzustellen ist und erst durch einen zweiten Schritt bzw. auf einer zweiten Ebene – in Verbindung mit den Schriftquellen – wieder zum ethnischen Indikator wird. Die weite geographische Verbreitung und die ihnen vermeintlich zugrunde liegende chronologische Aussagekraft machen diese Fundgattung so wichtig für die in der Völkerwanderungszeitforschung nach wie vor vorherrschende Fragestellung nach der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation des archäologischen Materials. Die geographischen Verbreitungsbilder, deren Zustandekommen nahezu ausnahmslos durch Migration ethnischer Gruppen bzw. persönliche Mobilität von Fremden erklärt werden, sollen das damit konstruierte historische Bild in räumlicher Hinsicht absichern, obwohl die Verbreitungsbilder letztlich durch die typochronologische Einordnung konstruiert werden. Diese neue Funktion der „Blechfibeln“ wird durch ihren Stellenwert bei der Konstruktion von den in den letzten Jahrzehnten (weiter-)entwickelten, heute überregional für gültig gehaltenen, feinchronologisch gliedernden Chronologiesystemen trefflich verdeutlicht. Die Chronologiesysteme der Völkerwanderungszeit basieren teilweise ausschließlich auf der klassifikatorisch-chronologischen Ordnung dieser Fundgattung, die sich jedoch nur unwesentlich bzw. nur in der absolutchronologischen Einteilung von den von Salin und Åberg entwickelten typologischen Vorstellungen unterscheiden.105 Einige ebenfalls feingliedernde Chronologiemodelle berücksichti-
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Tejral, Fremde Einflüße 223; Karte 2. Hierzu siehe auch Kap. III.3.3 „Blechfibeln“, die Stufe C3, der sogenannte Hunnensturm und das Ende der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur. Donauraum: Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff. Bierbrauer, Castelbolognese. Frankreich: Kazanski/ Périn, Barbares „orientaux“.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
gen neben der Klassifikation der „Blechfibeln“ auch die in den entsprechenden Befunden vergesellschafteten Gegenstände.106 Die den Chronologiesystemen zugrunde liegende klassifikatorische Ordnung der „Blechfibeln“ hat dazu geführt, dass bis heute eine nahezu unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Typen und -bezeichnungen dieser Fundgattung konstruiert wurden, die oftmals willkürlich und kaum nachvollziehbar sind und nahezu ausschließlich eine chronologische Abfolge zum Ziel hatten.107 Doch ist die chronologische Einordnung der „Blechfibeln“ methodisch keineswegs unproblematisch und die Gültigkeit der damit konstruierten Chronologiesysteme ist aufgrund der schematischen und bereits mit ethnisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen behafteten Klassifikationen häufig fraglich. Die von Hans Zeiss erstmals vorgenommene, sich an den ereignisgeschichtlichen Vorgängen orientierende, klassifikatorisch-chronologische Ordnung ist bis heute tief in der völkerwanderungszeitlichen Chronologieforschung und somit auch in der Klassifikation der „Blechfibeln“ verwurzelt. Die relativ- und absolutchronologische Datierung ähnlicher „Blechfibeln“ aus Spanien und dem Donauraum divergiert bis zum heutigen Tag um nahezu ein halbes Jahrhundert, was nur darin begründet liegt, dass die Westgoten in Spanien archäologisch nachgewiesen werden sollen, während die „Blechfibeln“ im Donauraum anhand derselben einschlägigen ethnischen Interpretation zeitlich deutlich früher angesetzt werden. Mit dem Problem der Datierung dieser Fundgattung in Spanien und dem Donauraum geht auch der Diskurs um die ethnische Interpretation der Befunde mit „Blechfibeln“ in Nordfrankreich einher. Ethnisch-ereignisgeschichtlich motiviert ist auch die Datierung des Endes der Sântana-de Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur, das mit dem Jahr 375 n. Chr., dem Datum des Einfalls der Hunnen, in Verbindung gebracht wird und aufgrund der geographischen Verbreitung und klassifikatorisch-chronologischen Einordnung von „Blechfibeln“ auch archäologisch nachweisbar zu sein scheint.108
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Für den Donauraum mit überregionalem Gültigkeitsanspruch: Tejral, Mähren im 5. Jahrhundert. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Tejral, Mittlerer Donauraum. Exemplarisch für Spanien: Ebel-Zepezauer, Westgoten. Siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Siehe Kap. III.3 „Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit: Ereignisgeschichte und archäologischer Befund.
„Alternative“ Interpretationsansätze und deren methodische Grundlagen
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5 „Alternative“ Interpretationsansätze und deren methodische Grundlagen „Blechfibeln“ wurden im Verlauf der Forschungsgeschichte nicht nur als Hinterlassenschaften eingewanderter germanischer bzw. iranisch-reiternomadischer gentes angesehen. Wie bereits geschildert, wurde die Fundgattung auch vereinzelt mit römischen Einflüssen in Verbindung gebracht.109 Die Besprechung formaler Merkmale einer Variante der römischen Kniefibeln mit halbrunder Spiralplatte aus dem Kastell Zugmantel veranlasste Klaus Raddatz im Jahr 1954 dazu, die Enstehung der halbrunden Spiralplatte und der rautenförmigen Hakenplatte im provinzialrömischem Milieu zu suchen und die Entstehung der „Blechfibeln“ im Bereich des „sogen. ‚pontisch-germanischen‘ oder ‚gotischen‘ Kulturstromes“ grundsätzlich in Frage zu stellen.110 Dennoch hielt Raddatz, anders als bisweilen angenommen,111 diese Fundgattung letztlich doch für germanisch: „Es kann nur die merkwürdige Tatsache festgestellt werden, daß eine ganz seltene römische Form übernommen und zu einer spezifisch germanisch wirkenden umgebildet wurde“.112 Michel Kazanski siedelte im Jahr 1984 die Herkunft der von ihm als „typ Cholet“ bezeichneten „Blechfibeln“ aufgrund ihres geographischen Verbreitungschwerpunktes in Nordeuropa an.113 Dabei berief er sich auf eine von A. K. Ambroz publizierte Verbreitungskarte.114 Allerdings hatte Ambroz hier Fibeln mit triangulärer Hakenplatte kartiert, während die eponyme Fibel von Cholet, „Couvent Saint – François“, Dép. Maine-etLoire115 eine deltoide Hakenplattenform aufweist und somit nicht mit den von Ambroz kartierten Fibeln vergleichbar ist. Fünf Jahre später legte Michel Kazanski erneut ein alternatives bzw. vermittelndes Erklärungsmodell für archäologische Fundgattungen des 4. und 5. Jahrhunderts mit geographischem Verbreitungsmuster am Rand des sich desintegrierenden Römischen Reiches vor. Kazanski erklärte den Fundnie109
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Lindenschmit, Handbuch. Salin, Thierornamentik 10. Reinecke, Russische archäologische Literatur. Hierzu siehe Kap. II.1 Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil bis zu den Arbeiten von Nils Åberg. Raddatz, Zugmantel 57. Ähnlich: Ambroz, Fibuly 77–82. Diaconu, Fibel mit halbkreisförmiger Kopfplatte 273. Rummel, Habitus barbarus 297–298. Raddatz, Zugmantel 54–57. Zur problematischen typologischen Ansprache von Raddatz siehe Kap. IV.2.1 Definition der Untersuchungseinheit „Blechfibeln“. Kazanski, Fibules ansées 7; Anm. 5. Ambroz, Fibuly 25, 3. Pissot, Cholet 65, Anm. 2. Zeiss, Seine und Loiremündung 95–97; Abb. 21. Kazanski, Les Germains de l’Elbe-Oder-Vistule 117; Fig. 7, 4.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
derschlag von als spezifisch erachteten archäologischen Merkmalen – darunter v. a. auch die paarige Schulterlage von „Blechfibeln“ – mit der Ausbreitung einer sogenannten „mode danubienne“, die sich durch Angehörige von Söldnern im Dienste des spätrömischen Heeres verbreitet hätte.116 Gegen eine zu spezifische ethnische Interpretation der „Blechfibeln“ in Spanien als westgotisch wandte sich Barbara Sasse. Sasse wies darauf hin, dass diese Fundgattung weitaus differenzierter betrachtet werden sollte und zunächst eine von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen unabhängige, rein auf den archäologischen Quellen beruhende chronologische Einordnung der „Blechfibeln“ erarbeitet werden müsse.117 Zuletzt veranlasste eine detaillierte Untersuchung technischer Herstellungsmerkmale Robert Stark dazu, zumindest die Produktion der Prunkvarianten der „Blechfibeln“ in römischen Werkstätten anzunehmen.118 Zusammenfassend lässt sich auch für diese Interpretationsansätze – mit Ausnahme der beiden zuletzt dargestellten – festhalten, dass sie letztlich auf dieselben Prämissen und methodischen Vorgehensweisen zurückgreifen, wie die in den vorherigen Kapiteln dargestellten. Sie sind ebenfalls bereits von vornherein auf ihre Endaussagen festgelegt, ohne dass die Grenzen der Aussagemöglichkeiten der archäologischen Quellen in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Methodisch gründen die Modelle ebenfalls häufig auf nicht nachvollziehbaren klassifikatorisch-chronologischen Ordnungen und überregionalen Vergleichen einer nicht näher begründeten Auswahl von Merkmalen der „Blechfibeln“. Die geographischen Verbreitungsmuster der konstruierten „Blechfibeltypen“ werden dann wiederum in Verbindung mit der schriftlichen Überlieferung ethnisch interpretiert. Die Darstellung der Forschungs- bzw. Deutungsgeschichte hat gezeigt, wie sehr ethnisch-ereignisgeschichtliche Fragestellungen die Bearbeitung dieser Fundgattung und die daraus hervorgegangenen übergeordneten Konzepte von Beginn an dominiert haben. Eine lediglich auf archäologischen Quellen basierende und frei von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen durchgeführte klassifikatorisch-chronologische oder anders geartete Bearbeitung dieser Fundgattung ist bis heute nicht vorgelegt worden. 116
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Kazanski, Mode danubienne. Hierzu siehe Kap. III.1.2 „Blechfibeln“ und die „mode danubienne“ – Der Donauraum als kulturelles Zentrum der Völkerwanderungszeit? Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 43. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 144–163. Stark, Szilágysomlyó.
„Alternative“ Interpretationsansätze und deren methodische Grundlagen
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Tatsächlich waren „Blechfibeln“ nur in wenigen Fällen Gegenstand von Untersuchungen, die unabhängig von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Fragestellungen vorgenommen wurden. Die äußerst komplexe Herstellungstechnik einer „Blechfibel“ wurde von María Rosario Lucas de Viñas und Vicente Viñas beschrieben, welche die Viel- bzw. Kleinteiligkeit dieser Stücke eindrucksvoll dokumentiert.119 Dieser methodische Ansatz veranlasste Barbara Sasse dazu, einen Vergleich der Verzierungsappliken zwischen den „Blechfibeln“ Spaniens, Nordfrankreichs und dem Donauraum vorzunehmen. Die teilweise Ähnlichkeit der Verzierungen ließ sie generell längere chronologische Laufzeiten der ähnlichen „Blechfibeln“ aus diesen Gebieten annehmen.120 Metallanalysen einiger „Blechfibeln“ des Gräberfeldes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo führten Salvador Rovira Lloréns und María S. Sanz Nájera auf Initiative von Gisela Ripoll durch. Hier konnte bei einigen spanischen Exemplaren neben einer heterogenen und von Fibel zu Fibel erheblich variierenden metallurgisch-chemischen Zusammensetzung unter anderem auch die lange Zeit nicht belegbare Silberblechauflage nachgewiesen werden.121
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Lucas/ Viñas, Tecnología 393–402. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 38–40. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 152–157. Rovira Lloréns/ Sanz Nájera, Analisis metalurgico 229–254, v. a. 236.
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Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“
„Blechfibeln“ und Kleidung
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III Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen Im Folgenden wird eine kritische Durchsicht der in der Deutungsgeschichte herausgearbeiteten archäologischen Grundlagen und Faktoren, auf denen die einschlägigen Interpretationen der „Blechfibeln“ bisher basieren, vorgenommen. Die drei grundlegenden, sich teilweise gegenseitig bedingenden Stützen der Interpretationen, namentlich das Konzept der Kleidung bzw. „Tracht“, die Klassifikation und die Chronologie der „Blechfibeln“, werden dabei in Bezug auf die zugrunde liegenden methodischen Konzepte und deren theoretische sowie historische Prämissen untersucht. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Umgang mit der problematischen Quellenlage. Neben der Offenlegung der methodischen Probleme, die teilweise weitreichende Konsequenzen für die archäologische Völkerwanderungszeitforschung mit sich bringen, sollen die folgenden Kapitel auch dazu dienen, den in dieser Arbeit gewählten methodischen Ansatz bei der Analyse der „Blechfibeln“ zu begründen.
1 „Blechfibeln“ und Kleidung Die unterschiedlichen Interpretationsmuster im Zusammenhang mit „Blechfibeln“ gründen neben der klassifikatorisch-chronologischen Ordnung dieser Fundgattung auf einem weiteren konstruierten archäologischen Merkmal, das zu einem Konzept mit geradezu axiomatischem Charakter entwickelt wurde. Ausschlaggebend für die Definition dieses archäologischen Merkmals ist die Funktion der „Blechfibeln“ als Bestandteil einer vermeintlich ethnisch spezifischen Kleidung. Dies wird einerseits häufig allein zur ethnischen Interpretation archäologischer Hinterlassenschaften herangezogen, dient aber andererseits teilweise auch dazu, die ethnische Aussagekraft der „Blechfibeln“ als Bestandteil des damit konstruierten Merkmals an sich zu untermauern.1 Damit scheint das methodische Rüstzeug bzw. der archäologische Merkmalskatalog zum archäologischen 1
Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Nachweis schriftlich überlieferter Ethnien entscheidend erweitert, stehen doch nunmehr nicht ausschließlich die durch eine feinchronologische Einordnung konstruierten geographischen Verbreitungen von Fibeltypen zu deren Identifikation zur Verfügung. Der Definition dieses archäologischen Merkmals liegen jedoch einige Prämissen sowie große methodische Schwierigkeiten und Unschärfen zugrunde, die im folgenden den Gegenstand der Darstellung bilden. 1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“ Ein entscheidendes archäologisches Merkmal für die ethnische (gotische) Interpretation von „Blechfibeln“ ist deren Funktion als Bestandteil der Kleidung. Über die Position dieses metallenen Kleidungsbestandteils im Grabbefund wird üblicherweise auf das Aussehen und die Art der Kleidung des dort bestatteten Individuums geschlossen. Anhand von vermeintlichen Regelhaftigkeiten der Lage von „Blechfibeln“ im Grabbefund erfolgt sodann die Konstruktion einer „ostgermanischen Beigabensitte“2, an die im Anschluss daran teilweise sogar die Existenz einer ethnisch spezifischen „national-gotischen Tracht“3 postuliert wird. So gelten „an den Schultern getragene grosse Bügelfibelpaare aus Silber oder Bronze und ein entspre2 3
Bierbrauer, Goten 419. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 93. Das Konzept einer vermeintlich ethnisch spezifischen Tracht in der archäologischen Frühgeschichtsforschung wurde aus der volkskundlichen Forschung entlehnt. Während der Begriff Tracht in dieser Wissenschaftsdisziplin anfangs noch die allgemeine Beschreibung der Kleidung anhand von Schrift- und Bildquellen sowie Textilfunden umfasste, änderte sich dies im Lauf der Zeit und wurde in der Folge von Teilen der archäologischen Frühgeschichtsforschung konsequent auf die metallenen Kleidungsbestandteile übertragen. Zur Entwicklung und Verwendung dieses Konzeptes siehe: Fehr, Germanen und Romanen 265–274, 659–669. Ebenso: Rummel, Habitus barbarus 34–36. Die Hans Zeiss hier zugeschriebene entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieses Trachtenparadigmas konnte vom Verfasser dieser Arbeit nicht nachvollzogen werden. Bei der Lektüre von Zeiss, Westgotenreich fand Verfasser keine ausreichenden Belege für die geäußerten Thesen. Zur Problematik eines ausschließlich auf die ethnische Identität beschränkten Trachtbegriffes in Frühgeschichte und Volkskunde und den Wandel der Fragestellungen in Bezug auf Kleidung hin zu einer facettenreichen historischen Forschungsdisziplin: Spiong, Fibeln und Gewandnadeln 11–15. Zum Zeichencharakter und den unterschiedlichen Funktionen von Kleidung, die den Trachtbegriff mittlerweile obsolet erscheinen lassen siehe: Gerndt, Volkskunde 96. In dieser Arbeit wird daher auf die Verwendung des Begriffs Tracht verzichtet und der neutrale Begriff Kleidung benutzt.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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chendes grosses Gürtelschloss für den Leibgurt“4 in Frauengräbern bis heute häufig als wichtiges und untrügliches ethnisches Kennzeichen für den archäologischen Nachweis von Goten bzw. Ostgermanen.5 Die Definition dieses Merkmals gründet neben der postulierten Einheitlichkeit der Lage dieser Kleidungsbestandteile in einschlägigen Grabbefunden auch auf deren geographischer Verbreitung. Die Verknüpfung dieser beiden Faktoren mit der historischen Überlieferung lassen für große Teile der archäologischen Frühgeschichtsforschung eine ethnische Interpretation als gotisch bzw. ostgermanisch des einheitlich erscheinenden archäologischen Merkmals berechtigt erscheinen.6 Doch erfolgt die ethnische Interpretation dieses archäologischen Merkmals nicht allein auf der Basis dieser konstruierten, vermeintlich zeitlich und kulturell spezifischen Tracht. Gleichzeitig wird dieses auch über die Exklusivität und Fremdheit im Vergleich zu anderen, kontemporär existierenden Kleidungsvarianten im völkerwanderungszeitlichen Europa definiert. Somit übernimmt dieses Merkmal die Funktion als sicherer Anzeiger für den Ethnos der auf diese Weise bestatteten Personen bzw. Personengruppen in einem fremden Umfeld und dient wiederum zur Bekräftigung der vorgenommenen ethnischen Interpretation.7 Dies birgt zwangsläufig die Gefahr, dass sich die Definition und die hierfür angeführten Beispiele dieses archäologischen Merkmals gegenseitig bestätigen. Als Beleg der von Joachim Werner im Jahr 1956 erstmals ausdrücklich formulierten und im Jahr 1960 wiederholten These einer spezifischen ‚national-gotischen Tracht‘ wurden von Volker Bierbrauer in mehreren Arbeiten insgesamt 19 überwiegend mit beigegebenen „Blechfibeln“ ausgestattete Grabbefunde von der Krim,8 aus der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur,9 4
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9
Hierzu siehe Kap. II.3 Die Erweiterung der Interpretationsbasis: Die Begründung des Trachtenparadigmas. Zuletzt: Quast, Hippo Regius 253; Anm. 62. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 93: „Für die ethnische Beurteilung dieser Gräber ist nun wesentlich, dass die angesprochenen Grabausstattungen, die regelhafte Kombination aus Fibelpaar und grossem Gürtelschloss und die beschriebene Lage im Grab überall dort nachweisbar sind, wo Goten auch sicher historisch bezeugt sind.“ Dies findet u. a. auch bei der Konstruktion der von weiten Teilen der Frühgeschichtsforschung angenommenen, strengen Dichotomie einer romanischen Frauentracht und einer germanischen Zweifibeltracht während der Völkerwanderungszeit Anwendung. Hierzu: Rummel, Habitus barbarus 276–294. Suuk-Su (Jalta), Respublika Krym Gruft 56: Re˙pnikov’, Gotov’ 15–17, Abb. 6. Grab 77: Re˙ pnikov’, Gotov’ 23, Abb. 10. Târg¸soru Vechi (Tîrg¸sor), Jud. Prahova Grab 107: Diaconu, Tîrg¸sor 59; Taf. XCIII, 3. 4. Alexandru Odobescu, Jud. C˘al˘ara¸si Grab 11: Mitrea/ Preda, Necropole în Muntenia 99; Abb. 238, 1.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
dem mittleren und unteren Donauraum10, dem Balkan11, Italien12, Frankreich13 sowie Spanien14 angeführt, in denen sich die oben beschriebene Lage der Kleidungsbestandteile gut beobachten ließe – also in all jenen Regionen, in denen sich gemäß der schriftlichen Überlieferung Goten im Verlauf ihrer Wanderung aufgehalten haben sollen.15 Als weiteres Merkmal für ostgermanische bzw. „gentil-gotisch[e]“ Bestattungsformen16 wird neben der geschilderten Befundlage der Kleidungsbestandteile in Frauengräbern, die auch als „Peplostracht“17 bezeichnet wird, immer die ebenfalls als spezifisch erachtete Waffenlosigkeit der Männergräber18 genannt, die schon für die als gotisch angesehene Wielbark-Kultur der Römischen Kaiserzeit postuliert wird.19 Beide Merkmale der Bestattungsform werden als „hochrangiger Bestandteil des gotischen Kulturmodells“ bezeichnet und somit als spezifisch für diese Ethnie angesehen. So sind beispielsweise für Volker Bierbrauer Grabbefunde mit diesen spezifischen Merkmalen im romani10
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Tiszal˝ok-Árpád út 17, Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye: Kovrig, Tiszal˝ok 113. Levice-„Alsórétek“, Nitriansky kraj Grab 5: Budinsky´-Kricˇ ka/ Martin, Levice. Laa a. d. Thaya, Niederösterreich: Beninger, Laa a. d. Thaya 145–146. Lom (Almus), Reg. Montana: Welkow, Völkerwanderungszeit 48–50; Taf. 10A, 1–2. Makó (Arad), Csongrád Megye: Hampel, Ungarn II 687. Csongrád-Kaserne, Csongrád Megye Grab 133: Párducz, Ethnische Probleme 51; Abb. 9. Szekszárd-Palánk, Tolna Megye Grab 217: Kiss, Pannonien 168. Zsibót-Domolospuszta, Baranya Megye: Dombay, Domolospuszta 104–107. Ötvöspuszta, Veszprém Megye: Károly, Ötvöspuszta 81–85; Abb. 3, 3. Han Potoci, Hercegovaˇcko-neretvanski kanton: Vinski, Herzegowina. Rifnik, Region Savinjska Grab 9: Bolta, Rifnik 402; Taf. 3. Castel Bolognese, Prov. Ravenna Grab 1: Bierbrauer, Castelbolognese 541–544, 588; Abb. 1–3. Hochfelden, Dép. Bas-Rhin: Hatt, Hochfelden. Als beispielhaft wird hier das Grab 192 aus dem Gräberfeld von Duratón, Prov. Segovia angeführt: Molinero-Pérez, Duratón 60–61; Taf. 20. Ferner noch Grab 6 aus Deza, Prov. Soria: Taracena Aguirre, Soria y Logroño 27–28. Allgemein werden noch Befunde aus dem Gräberfeld von Herrera de Pisuerga, Prov. Palencia angeführt: Martínez Santa Olalla, Tragweise. In mehreren Aufsätzen wurde dieses von Joachim Werner eingeführte Axiom anhand der geschilderten Befunde von Bierbrauer näher beschrieben: Bierbrauer, Raetia II 134–147. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 71–83. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 92–93. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 159. Bierbrauer, Wisigoths 167–169. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54. Unter dem Begriff Bestattungsform werden hier alle am Grabbefund archäologisch beobachtbaren Erscheinungen wie Grabbau, Grabart, Ausrichtung und Lage des Skelettes, Fundlage usw. verstanden. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 55. Siehe Kap. III.3.4.1 Westgoten, Romanen und Akkulturation. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 55.
„Blechfibeln“ und Kleidung
43
schen Umfeld Spaniens und Italiens sowie im fränkischen Umfeld in Nordfrankreich fremd und als westgotisch zu interpretieren: Da diese Peplostracht wie in Italien und in der übrigen Romania so auch in Spanien der romanischen Frauentracht fremd ist und in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom Ende des 5. Jahrhunderts bis zum ersten Viertel des 6. Jahrhunderts sonst nur noch in gotischen und nicht mehr in anderen kontinental-germanischen Siedelgebieten getragen wurde, so müssen die so bestatteten Damen in den Gräberfeldern vom Typ Duratón Westgoten gewesen sein.20
Auf ähnliche Weise begründet Bierbrauer auch die von ihm vorgenommene ethnische Interpretation des völkerwanderungszeitlichen Fundstoffes in Italien: Vor allem das Fibelpaar an den Schultern unterscheidet ihre Trägerinnen ab dem späten 5. Jahrhundert wiederum von der Tracht anderer Germanen, auch im Donauraum, verbindet sie aber mit den Befunden auf der Krim und Spanien, weswegen diese Tracht im 6. Jahrhundert als kennzeichnend gotisch bezeichnet werden darf. Mit ihr ist ihre Trägerin als solche somit in anderen germanischen Stammesgebieten (z. B. Exogamie) gut als Fremde zu erkennen, aber auch in Italien, wo die romanische Frauentracht durch die Einfibeltragweise gekennzeichnet ist (zum Verschluß eines mantelartigen Umhanges auf der Brust). Auch das große Gürtelschloß mit rechteckiger Beschlagplatte ist in Italien weiterhin ein ethnisch aussagekräftiges Merkmal.21
In seiner formulierten Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit scheint das Merkmal der Peplostracht somit als Indikator für die Anwesenheit von Ostgermanen22 bzw. Goten oder Westgoten klar definiert und stets gültig zu sein. Eine nähere Betrachtung der beispielhaft angeführten Grabbefunde zwischen der Krim und Spanien zeigt jedoch bereits, dass der Befund nicht so eindeutig ausfällt und weitaus differenzierter betrachtet werden muss.23 Bereits aufgrund der Quellen- und Publikationslage müssen Einschränkungen in der Aussagekraft dieser Grabbefunde in Betracht gezogen werden. Insgesamt sind sieben der 19 angeführten Befunde nicht geschlossen bzw. nicht ausreichend dokumentiert. Ferner ist bei dem Grabbefund Tiszal˝okÁrpád út 17, Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye (Ungarn) die Geschlossenheit der Befunde unsicher bzw. es existieren widersprüchliche Angaben zum
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Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 55. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 144–147. Bierbrauer, Wandalen 214: „Als entscheidendes Kriterium für eine ethnische Interpretation bleibt somit, außer Inschriften […], nur die Peplostracht. Es ist völlig unstrittig, daß diese seit der Römischen Kaiserzeit in der Germania die Frauentracht kennzeichnete, so auch in der Przeworsk-Kultur, auch wenn hier wegen der Brandgrabsitte keine Lagebefunde bekannt sind. Die Peplostracht blieb auch danach bei den ostergemanischen gentes üblich.“ Siehe Tab. 1.
44
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Befund.24 Zu den Zweifeln an der Geschlossenheit dieser Befunde und der Zuverlässigkeit der Lageangaben tragen auch die publizierten Grabzeichnungen bei, die stark schematisiert wirken. Bei den Grabbefunden von Lom (Almus), Reg. Montana (Bulgarien) und Ötvöspuszta, Veszprém Megye (Ungarn) sind darüber hinaus keine genauen Lageangaben der Fibeln publiziert (dokumentiert?) worden. Die oben geschilderte klassische Kombination der Peplostracht mit zwei Fibeln an der Brust bzw. Schulter und einer Gürtelschnalle im Beckenbereich ist bei den angeführten Grabbefunden ebenfalls nicht immer vorhanden. So sind bei den Befunden von Han Potoci, Hercegovaˇcko-neretvanski kanton (Bosnien-Herzegowina), Rifnik, Region Savinjska Grab 9 (Republik Slowenien), Târg¸soru Vechi (Tîrg¸sor), Jud. Prahova Grab 107 (Rumänien), Hochfelden, Dép. Bas-Rhin (Frankreich), Castel Bolognese, Prov. Ravenna (Italien), Levice-„Alsórétek“, Nitriansky kraj Grab 5 (Tschechische Republik), Lom (Almus), Reg. Montana (Bulgarien) und Makó (Arad), Csongrád Megye (Ungarn) keine Gürtelschnallen belegt. Die Lage paariger Fibeln an den Schultern ist, wie oben dargestellt, grundlegender Bestandteil der Konstruktion der Peplostracht. Häufig wird aber bereits bei der Beschreibung der Fundlage und bei der Rekonstruktion dieser Kleidung nicht unterschieden, ob die Fibeln nun an der Schulter, an der Brust oder anderen Körperpartien gefunden worden sind. Allein das bloße Vorhandensein zweier Fibeln in einem Grabbefund scheint oftmals auszureichen, um ein peplosartiges Gewand einer gotischen Frau zu postulieren. So erfolgt beispielsweise die „Kennzeichnung des ostgotischen Fundstoffes in Italien“ neben anderen „hochrangigen Merkmalen“ über den Verweis auf die Schulterlage der Fibeln und die Beckenlage der Gürtelschnalle in den dortigen Grabbefunden.25 Hier ist jedoch von keinem (!) der entsprechenden Fundorte die Fundlage überliefert und der Verweis auf die zwei Grabbefunde aus Rifnik und Han Potoci ist für die Rekonstruktion eines peplosartigen Kleidungsstücks ebenfalls wenig ergiebig,26 da die Grabbefunde auf dem zum Ostgotenreich gehörenden Teil des Balkans keineswegs aussagekräftig bzw. spezifisch sind: Im Grabbefund von Rifnik ist lediglich eine (!) an der Brust liegende Fibel geborgen bzw. dokumentiert worden. Eine Gürtelschnalle wurde hier ebenfalls nicht gefunden. Aus dem Befund von Han Potoci ist ebenfalls keine Gürtelschnalle überliefert und der im Jahr 1890 gegrabene Befund ist zudem nicht geschlossen, was die Zuverlässigkeit der Lageangaben weiter mindert. 24
25 26
Teilweise wird davon ausgegangen, dass es sich hier um einen ungestörten Grabbefund handelt: Bierbrauer, Tiszalök 1. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 144. Bierbrauer, Raetia II 134–136.
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„Blechfibeln“ und Kleidung
Tab. 1: Übersicht über die Fibellage in den als beispielhaft für die Peploskleidung angeführten Grabbefunden (nach: Bierbrauer, Raetia II 134–147. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 71–83. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 92–93. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 159) nach den Originalpublikationen. Fundort
Lage Brust
Anzahl Fibeln
”
2
2
Rifnik
1
1
Duratón 192
2
2
Castelbolognese
2
2
Târg¸soru Vechi 107
2
2
Alexandru Odobescu 11
2
2
Han Potoci
Ötvöspuszta
”
Hochfelden Tiszal˝okÁrpád út 17
2
Keine Lageangabe
Lage Schulter
Störung
”
2 (Arm)
2
Levice„Alsórétek“ 5
2
Szekszárd-Palánk
2
Lom (Almus)
2
Makó (Arad)
”
2
CsongrádKaserne 133
”
2
”
”
”
2 ”
Gürtel
2
”
2 2
”
”
2 2
”
Laa a. d. Thaya
2
Deza
2
2
”
2
”
Suuk-Su 56
”
2
Suuk-Su 77
”
2
ZsibótDomolospuszta
”
2
2
2 2
”
” ”
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein wird, kann eine genaue Differenzierung der Fibellage und -ausrichtung im Hinblick auf die Funktion von Fibeln, die Trageweise und das Aussehen der Kleidung entscheidend sein.27 Aus diesem Grund werden die Lagen der Fibeln in den Bierbrauer als Beispiel dienenden Grabbefunden nach dem im Jahr 1992 von Ernst-Günter Strauß benutzten Schema unterschiedlicher Fundbereiche am Körper eingeteilt.28 Durch die vorgenommene Differenzierung ergibt sich für alle angeführten Befunde unter Missachtung ihrer Geschlossenheit, dass in immerhin neun Grabbefunden paarige Schulterlage überliefert ist. Jedoch liegen in insgesamt sieben Grabbefunden die paarigen Fibeln im Brustbereich. Die Kombination von paarigen Schulterfibeln mit Gürtelschnalle ist bei sieben Grabbefunden nachgewiesen, während paarige Fibeln in Brustlage in lediglich drei der Beispiele Bierbrauers mit Gürtelschnallen kombiniert sind. Reduziert man jedoch die Befundauswahl um die nicht geschlossenen Grabbefunde, so ist die Kombination von zwei Schulterfibeln mit einer Gürtelschnalle in nur fünf Befunden und die Vergesellschaftung paariger Brustfibeln mit einer Gürtelschnalle in zwei Fällen belegt. Auf eine unterschiedliche Verwendung und Funktion scheint zudem der Grabbefund von Hochfelden hinzuweisen, da hier die „Bechfibeln“ sehr tief und sehr weit außen im Brust- bzw. eigentlich im Armbereich lagen und eine Gürtelschnalle ebenfalls nicht nachgewiesen ist. Aufgrund der Lage der „Blechfibeln“ in diesem Grabbefund schlug Volker Bierbrauer selbst keine Funktion an einem peplosartigen Gewand vor, sondern eine Verwendung dieser zur Befestigung eines mantel- oder umhangartigen Obergewandes an einem sich darunter befindlichen Kleidungsstück.29 Die unbefriedigende Quellensituation, die häufig mangelhafte Befunddokumentation und eine unzureichende Differenzierung bei der Verortung der Fibeln in den angeführten Grabbefunden zeigen die quellenkundlichen und methodischen Unzulänglichkeiten bei der Konstruktion der vermeintlich ethnisch spezifischen Peplostracht auf. Eine einheitliche Lage der metallenen Kleidungsbestandteile in den angeführten Grabbefunden ist quan27
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Zu den Problemen bei der Rekonstruktion von Kleidung anhand metallener Kleidungsbestandteile siehe Kap. V.1.1 „Blechfibeln“ als Kleidungsbestandteil: Lagebefunde und Kombinationsuntersuchungen. Strauss, Fibeltracht Abb. 54. Bei Überschneidungen der Fibel über zwei Bereiche war für die Kategorisierung der Fibellage die Position der Spiralplatte ausschlaggebend. Zur weiteren Differenzierung bzw. Erweiterung der Merkmale dieses Schemas siehe Kap. V.1.1.1 Lagebefunde. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 75–76. Reto Marti hingegen rekonstruierte aus diesem Befund ein Untergewand, welches unter einem Peplos getragen wurde, der von den beiden „Blechfibeln“ gehalten wurde: Marti, Saint-Sulpice 30.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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titativ nicht ausreichend belegt, um hieraus allgemein gültige Regelhaftigkeiten ableiten zu können. Diese wenigen Lagebefunde lassen also nicht unbedingt auf eine einheitliche Kleidung schließen, sondern weisen vielmehr eine inkonsistente und individuelle Verwendung sowie Überlieferung der Lage von Kleidungsbestandteilen auf, deren unterschiedliche Funktionen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Art und das Aussehen der jeweiligen Kleidung nicht nur schwer zu rekonstruieren sondern auch abzuschätzen sind. Eine Rekonstruktion eines peplosartigen Gewandes wird durch die hier angestellten Beobachtungen zwar nicht ausgeschlossen, jedoch muss aufgrund der ausgewählten und als Beispiele herangezogenen Grabbefunde die formulierte Einheitlichkeit und der spezifische Charakter des archäologischen Merkmals einer donauländisch-ostgermanischen Peplostracht relativiert werden. Dafür zeichnen die archäologischen Quellen ein zu uneinheitliches Bild.30 Zur inneren Heterogenität dieses archäologischen Merkmals ist noch ein weiterer kritischer Aspekt hinzuzufügen: Bereits die Anzahl der Fibeln in den Grabbefunden der einzelnen Regionen in denen sich Ostgermanen bzw. Goten im Verlauf ihrer Wanderung aufgehalten haben sollen, ist – unabhängig von ihrer Lage betrachtet – nicht einheitlich. Der Konstruktion einer einheitlichen Tracht mit zwei Fibeln an den Schultern stehen in den einschlägigen Gräberfeldern und Grabgruppen eine hohe Zahl an Befunden mit einer variierenden Anzahl und unterschiedlichen Kombinationen von Fibeln entgegen. Beispielsweise sind in Grabbefunden der Gräberfelder der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur neben der paarigen Schulterlage alle Quantitäten und Kombinationsmöglichkeiten zwischen keiner und vier Fibeln belegt.31 Wie unspezifisch das Merkmal im Bereich der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur ausfällt, sei hier anhand der Körpergräber einiger Gräberfelder dieses Kulturkonstrukts dargestellt. Im Gräberfeld von Mihala¸seni, Jud. Boto¸sani ist in den insgesamt 429 dokumentierten Körpergräbern nur 41 Mal paarige Schulterlage der Fibeln belegt, die darüber hinaus nur in neun Fällen mit Schnallen kombiniert sind. Demgegenüber steht die nachgewiesene Fundlage nur einer Fibel an der 30
31
Dies bestätigen auch die in dieser Arbeit vorgenommenen Lageanalysen der „Blechfibeln“. Siehe Kap. V.1.1 „Blechfibeln“ als Kleidungsbestandteil: Lagebefunde und Kombinationsuntersuchungen. Tempelmann-Ma˛czyn´ ska, Frauentrachtzubehör 77–84. Diverse Beispiele von Grabbefunden mit einer oder drei Fibeln aus dem Bereich der sogenannten Sântanade-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur finden sich bei Kazanski, Epoque hunnique 131.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
rechten Schulter in 17 und an der linken Schulter in 19 Fällen. Ferner sind zudem in sechs Grabbefunden Fibeln im Becken- bzw. Brustbereich nachgewiesen worden.32 In der Nekropole von Bârlad-Valea Seac˘a, Jud. Vaslui in Rumänien sind in den hier insgesamt 252 ausgegrabenen Körpergräbern zwei Fibeln an der Schulter in 18 Grabbefunden belegt.33 Diesen stehen jedoch insgesamt 21 Befunde mit nur einer Fibel in unterschiedlicher Fundlage gegenüber.34 Im Gräberfeld von Târg¸soru Vechi (Tîrg¸sor), Jud. Prahova zeigt sich dieser Befund noch deutlicher: In 24 von insgesamt 157 Körpergräbern ist die Beigabe von nur einer Fibel belegt, während lediglich elf Grabbefunde mit zwei Fibeln in Schulterlage ausgegraben wurden. Fünf weitere Grabbefunde dieses Gräberfeldes enthielten ebenfalls zwei Fibeln, doch ist bei diesen keine paarige Schulterlage der Fibeln nachgewiesen.35 Auch im Gräberfeld von Spant,ov, Jud. C˘al˘ara¸si sind ähnliche Verhältnisse bei den 59 Körpergräbern zu beobachten. Hier sind insgesamt sechs Grabbefunde mit einer Fibel nachgewiesen, während zwei Fibeln an der Schulter in nur drei Grabbefunden vorkommen.36 In 32 ausgegrabenen Körpergräbern des Gräberfeldes von Izvorul, Jud. Giurgiu sind in jeweils vier Grabbefunden eine bzw. zwei Fibeln im Schulterbereich der bestatteten Individuen gefunden worden, was auch hier auf ein ausgeglichenes Verhältnis hinweist. Im gestörten Grab 9 dieses Gräberfeldes sind zudem neben einer Fibel mit umgeschlagenem Fuß zwei „Blechfibeln“ in Kinnlage belegt.37 Lediglich ein Grabbefund mit einer Fibel und zwei Grabbefunde mit zwei Fibeln an der Schulter von insgesamt 27 dokumentierten Körpergräbern des nicht komplett erfassten Gräberfeldes von Independent,a, Jud. C˘al˘ara¸si bestätigt das keineswegs einheitliche Bild.38 Im Gräberfeld von Bude¸sti, 32 33
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Hierzu siehe: S¸ovan, Necropola 206–209; Tab. 2. Grabbefundnummern: 44; 86; 104; 114; 121; 216; 278; 279; 295; 319; 322; 361; 381; 386; 390; 472; 482; 513: Palade, A¸sezarea s¸i necropola. Grabbefundnummern: 24; 72; 84; 88; 96; 208; 247; 259; 284; 286; 292; 306; 387; 417; 473; 494; 502; 511; 527; 529; 546: Palade, A¸sezarea s¸i necropola. Grabbefundnummern mit einer Fibel: 3; 19; 42; 59; 69; 91; 92; 96; 131; 143; 150; 153; 179; 180; 181; 190; 199; 237; 256; 265; 275; 276; 277; 285. Grabbefundnummern mit zwei Fibeln an der Schulter: 5; 75; 107; 133; 136; 140; 149; 195; 201; 239; 240. Grabbefundnummern mit zwei Fibeln ohne paarige Schulterlage: 1; 58; 99; 182; 183; 193: Diaconu, Tîrg¸sor. Grabbefundnummern mit einer Fibel: 14; 17; 32; 53; 63; 65. Grabbefundnummern mit zwei Fibeln an der Schulter: 4; 37; 40: Mitrea/ Preda, Necropole în Muntenia 13–42. Grabbefundnummern mit einer Fibel: 11; 16; 21; 22. Grabbefundnummern mit zwei Fibeln an der Schulter: 8; 23; 30; 32: Mitrea/ Preda, Necropole în Muntenia 67–79. Grabbefundnummer mit einer Fibel: 33. Grabbefundnummern mit zwei Fibeln an der Schulter: 3; 19: Mitrea/ Preda, Necropole în Muntenia 43–57.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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Mun. Chi¸sin˘au ist in den insgesamt elf geschlossenen Körpergräbern die Beigabe von einer Fibel häufiger als die von zwei Fibeln an den Schultern.39 In Gräberfeldern dieses Kulturkonstruktes auf dem Gebiet der heutigen Ukraine ist ebenfalls sowohl die Beigabe von einer als auch von zwei Fibeln belegt40 und auch in Gräberfeldern des Donau-Theiß-Gebietes wurde dieser Befund festgestellt.41 Wie diese überregional ausgewählten Beispiele zeigen, kann dieses so definierte archäologische Merkmal im Bereich der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur bestenfalls als häufig vorkommend beschrieben werden, doch erlaubt es der Befund nicht, hieraus Regelhaftigkeiten bzw. eine Ausschließlichkeit des Merkmales herzuleiten. Eigentlich müsste im Bereich dieses Kulturkonstruktes aufgrund der Häufigkeit des Auftretens sogar eher das Merkmal der Nicht-Beigabe von Fibeln als spezifisch gelten.42 Auch von einschlägig interpretierten Gräberfeldern auf der Krim sind neben der häufig nachgewiesenen Schulterlage paariger Fibeln auch Grabbefunde mit nur einer „Blechfibel“ überliefert, wie die geschlossenen Befunde von Inkerman Grab 29,43 die Gräber 5 und 67 von Suuk-Su,44 die Bestattung 7 aus Grab 145/ 1904 von Kerˇc45 sowie die Grabkammer 58 und die Bestattung 12 des Kammergrabes 100 aus dem Gräberfeld von Luˇcistoe46 beispielhaft zeigen. Im nordkaukasischen Gräberfeld von Abrau-Djurso, das ebenfalls mit Goten bzw. Ostgermanen in Verbindung gebracht wird, sind ebenfalls Befunde mit nur einer „Blechfibel“ dokumentiert.47 Mit den geschlossenen Grabbefunden Tiszakarád, Grab 19,48 Tápé-Maljadok „A“, Grab 41,49 Kiszombor, Grab 131,50 Csongrád-Kenderföldek, Grab 11151 39 40
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Vornic, Bude¸sti 179–180. Für das Gräberfeld von Kosanovo, Winnyzka Oblast: Petrauskas, Kosanovo und Gavrilovka 267. Istvánovits, Tiszadob-Sziget 114–116. Ionit,a˘, Contribut, ii 234. Vejmarn, Inkerman 22–23; Abb. 10, 2. Grab 5: Re˙pnikov’, Gotov’ 5–6; Taf. VII, 5. Grab 67: Re˙pnikov’, Gotov’ 20; Taf. VII, 4. Zaseckaya, Bosporos 76–77, Nr. 236–237; Taf. 49, 237. Grabkammer 58: Ajbabin/ Chajredinova, Luˇcistoe v Krymu 281; Abb. 8, 17–25, 9, 10, 1–2. Grabkammer 100, Bestattung 12: Chajredinova, Kostjum barbarov 103; Abb. 9. Die Gräber 291 und 516: Dmitriev, Fibuly 87; Abb. 7. Lovász, Tiszakarád 12; Abb. 2. Párducz/ Korek, Maros-Tisza-Körös 295–296; Taf. LVIII, 1–4. Török, Kiszombor 109–110; Taf. LXI. Párducz, Hunnenzeit 317; Taf. XV, 8 a.-b.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
und Tápé-Leb˝o, Grab 252 ist die Beigabe von lediglich einer „Blechfibel“ auch im Donau-Theiß-Gebiet ausreichend belegt. Aufgrund der unsicheren Quellen- und Publikationslage sind die spanischen Grabbefunde nur eingeschränkt aussagekräftig.53 Doch auch hier sind einzeln vorkommende „Blechfibeln“ in Grabbefunden von Duratón, Prov. Segovia54 und in Grab 63 von Tinto Juan de la Cruz-Pinto, Prov. Madrid überliefert.55 In allen Regionen, für die eine spezifische Kleidung mit zwei Fibeln im Schulterbereich postuliert wird, sind somit durchweg auch davon abweichende Fundkombinationen, Fundlagen und zahlenmäßige Vorkommen von Fibeln in Grabbefunden überliefert. Auch für die in dieser Arbeit untersuchten Grabbefunde mit „Blechfibeln“ ist die Beigabe zweier Exemplare zwar häufig nachgewiesen, jedoch liegen Befunde mit nur einer Fibel ebenfalls in großer Zahl vor, sodass nicht von einer irgendwie gearteten Uniformität der Kleidung gesprochen werden kann.56 Diese Befunde widersprechen nicht nur der formulierten Ausschließlichkeit, das dem Konzept einer ‚national-gotischen Tracht‘ zugrunde liegt, sondern zeigen vielmehr, dass der archäologische Befund keineswegs homogen ausfällt, was bislang bei der Definition und der Anwendung dieses Merkmales häufig ausgeblendet wurde. Die Definition des archäologischen Merkmals der sogenannten Peplostracht mit paariger Fibellage an der Schulter bzw. Brust erscheint aber nicht nur aufgrund der mangelnden Differenzierung, der inneren Heterogenität in der Merkmalsausprägung der Fibellage und der unzureichenden archäologischen Quellenlage als unhaltbar. Auch eine auf vermeintlich ostgermanische Ethnien beschränkte Exklusivität dieses Merkmals ist im zeitlichen, geographischen und kulturellen Hinblick nicht gegeben. Eine kurze Betrachtung von Grabbefunden, in denen zwei Fibeln bzw. metallene Kleidungsbestandteile an den Schultern oder der Brust eines bestatteten Individuums nachgewiesen sind, kann illustrieren, dass diese Fundlage generell 52 53
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Párducz, Hunnenzeit 328–329; Taf. 18, 1–9, 16. Zur Quellenlage im westgotenzeitlichen Spanien siehe: III.3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme. Siehe die Auflistung bei: Bierbrauer, Raetia II 140; Anm. 32. Die vom definierten Merkmal abweichenden Befunde werden hier durch Auflösungserscheinungen der Frauentracht erklärt. Barroso Cabrera/ Jaque Ovejero/ Major González/ Morín de Pablos/ Penedo Cobo/ Oñate Baztán/ Sanguino Vázquez, Tinto Juan de la Cruz 127. Siehe Kap. V.1.1 „Blechfibeln“ als Kleidungsbestandteil: Lagebefunde und Kombinationsuntersuchungen.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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als diachron häufig verwendete Variante gelten kann.57 So sind beispielsweise zwei Nadeln im Schulter- bzw. Brustbereich bestatteter Individuen bereits in früh- und mittelbronzezeitlichen Gräbern Italiens,58 aber auch in Grabbefunden aus Mittel- und Süddeutschland nachgewiesen.59 Aus dem Gebiet des heutigen Griechenlands sind paarige Schulterfibeln bzw. -nadeln seit der submykenischen bzw. protogeometrischen Zeit in Grabbefunden belegt.60 In Skandinavien ist die Lage von Fibeln an den Schultern in Grabbefunden seit der vorrömischen Eisenzeit dokumentiert.61 Trotz der im Barbaricum während der Römischen Kaiserzeit überwiegend ausgeübten Brandbestattung ist die Existenz von zwei an den Schultern getragenen Fibeln in Körperbestattungen ebenfalls belegt.62 Die Masse der Grabbefunde enthält zwar keine metallenen Kleidungsbestandteile,63 jedoch zeigen Verbreitungskarten, dass die Beigabe zweier Fibeln in Grabbefunden durchaus überregional verbreitet und üblich war.64 Einschränkend ist hierbei darauf hinzuweisen, dass aufgrund der spezifischen Bestattungsform die Fundlage nicht immer überliefert ist. Die Aussagekraft solcher Kartierungen ist daher deutlich beeinträchtigt. Dennoch kann auch während der Römischen Kaiserzeit von einer teilweisen Verwendung der Fibeln an den Schultern ausgegangen werden.65 Der Bestattungform ist auch die schlechte Überlieferung der älterkaiserzeitlichen Grabbefunde in den römischen Provinzen nördlich der Alpen geschuldet. Die hier ebenfalls bis in das 4. Jahrhundert n. Chr. hinein überwiegend ausgeübte Brandbestattung lässt keine direkten Schlüsse auf die 57
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Die folgende Darstellung beansprucht keineswegs Vollständigkeit, eine diachrone Zusammenstellung aller Befunde mit Lageangaben wäre jedoch ein lohnender Gegenstand künftiger Untersuchungen. Beispielhaft sei hier auf die Grabbefunde 112, 145, 154, 172, 388 und 411 des Gräberfeldes von Olmo di Nogara, Prov. Verona hingewiesen: Salzani, Olmo di Nogara. Piggott, Ancient Europe 105, Abb. 58. Zusammenfassend mit Beispielen: Hägg, Peplos-Type Dress 102–104. Jacobsthal, Greek pins 93–95. Hägg, Peplos-Type Dress. Vierck, Trachtenkunde 240. Anhand von Textilfunden wurde jedoch teilweise von einer Verwendung der Peploskleidung bereits seit der Bronzezeit ausgegangen: Hald, Olddanske tekstiler 369–392. Hägg, Peplos-Type Dress 82–85. Für die Gräber der Lübsow-Gruppe konstatiert dies: Eggers, Lübsow 105. Weitere kaiserzeitliche Beispiele bei: Laux, Kopfputz 215–217; Abb. 1–3, 5–6. Gut dokumentiert sind ferner auch die Grabbefunde 77, 84 und 467 aus dem Gräberfeld von Cecele, woj. podlaskie: Jaskanis, Cecele. Gebühr, Trachtschmuck 54. Tempelmann-Ma˛czyn´ ska, Frauentrachtzubehör Karte 3. Gebühr, Trachtschmuck 55–57.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Lage der metallenen Kleidungsbestandteile zu. Dennoch geben bildliche Darstellungen auf Grabsteinen des Mittelrheins und im norisch-pannonischen Bereich Hinweise auf die Schulterlage von Fibelpaaren. Hinzu kommt das Vorhandensein von Fibelpaaren in den Brandgräbern dieser Regionen, die den teilweise äußerst detailgenauen Abbildungen der Fibeltypen auf den Grabsteinen, v. a. im norisch-pannonischen Bereich, entsprechen.66 Zeitgleich zur postulierten national-gotischen Frauentracht existierende, spätkaiserzeitliche und völkerwanderungszeitliche Beispiele von Grabbefunden mit zwei Fibeln im Schulter- bzw. Brustbereich des bestatteten Individuums sind nicht nur im Bereich des gotischen Wanderweges belegt, sondern für das 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. auch in Süddeutschland und Mitteldeutschland nachgewiesen.67 Die Armbrust- und Bügelknopffibeln sind im römischen Reichsgebiet, sofern ihre Lage dokumentiert ist, im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. ebenfalls häufig paarweise an den Schultern liegend anzutreffen.68 Bereits im Jahr 1974 publizierte HorstWolfgang Böhme eine Übersicht über die in Grabbefunden Nordgalliens nachgewiesenen Fundlagen von Kleidungsbestandteilen des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr., die nicht nur ein äußerst variantenreiches Bild zeigen, sondern auch die in dieser Region häufig belegte Schulterlage paariger Fibeln.69 Eine solche Fundlage ist auch für den ins 5. Jahrhundert n. Chr. zu datierenden, gut untersuchten Grabbefund 86 aus dem niederländischen Zweelo überliefert.70 Im angelsächsischen Bereich des 5. bis 6. Jahrhunderts sind ebenfalls Grabbefunde mit paarigen Fibeln an den Schultern überliefert.71 Durch die in den letzten Jahrzehnten immer häufiger erfolgte Aufdeckung von Körpergräbern des 5. und 6. Jahrhunderts n. Chr. im Elbe-Weser-Drei66
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Zur sogenannten „Menimane-Kleidung“ am Mittelrhein siehe: Böhme, Tracht- und Beigabensitten 426–429. Wild, North-West Provinces 199–208. Wild, Clothing 393–399; Fig. 40. Böhme-Schönberger, Kleidung 31–33. Zur norisch-pannonischen Frauentracht siehe: Garbsch, Norisch-pannonische Frauentracht 3–23. Böhme-Schönberger, Kleidung 36–39. Die Grabbefunde der spätkaiserzeitlich- und völkerwanderungszeitlichen Gruppen 1a, 1b und 2 bei: Martin, Tradition und Wandel 663; Abb. 36. Schulze-Dörlamm, Romanisch oder germanisch? 688–689; Anm. 302, 304. Den hier angeführten Grabbefunden aus Viminacium mit zwei Fibeln an den Schultern können noch die Grabbefunde 34 und 97 hinzugefügt werden: Ivanisˇevic´ / Kazanski/ Mastykova, Viminacium. Böhme, Germanische Grabfunde 161; Abb. 53. Ähnlich variantenreich sind die Rekonstruktionsvorschläge aufgrund der Fundlage von Fibeln, die S¸ovan, Necropola Pl. 389 für die Kleidung der Toten des Gräberfeldes von Mih˘al˘as¸eni, Jud. Boto¸sani der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur vorschlägt. Vons-Comis, Zweelo 183; Fig. 15. Vierck, Trachtenkunde 240. Owen-Crocker, Dress 28.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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eck, einem Gebiet aus dem früher nahezu ausschließlich Urnenbestattungen bekannt waren,72 ist auch hier eine Vielzahl von Grabbefunden mit paarigen Fibeln unterschiedlichster Typen in Schulter- bzw. Brustlage dokumentiert worden.73 Zudem ist auch im skandinavischen Bereich ab der völkerwanderungszeitlichen Periode und dem Frühmittelalter bis in die Wikingerzeit hinein ebenfalls Schulterlage unterschiedlicher Fibeltypen nachgewiesen, mit denen die Auflistung der Beispiele hier enden soll.74 Diese Beispiele zeigen, dass die Lage von metallenen Kleidungsbestandteilen an den Schultern keineswegs ein zeitspezifisches Phänomen darstellt, sondern sich diachron in geographisch unterschiedlichen Regionen immer wieder nachweisen lässt. Der Exklusivität des Merkmals steht zudem entgegen, dass sich die Paarigkeit von Schulterfibeln gerade auch während der Völkerwanderungszeit neben der postulierten ‚national-gotischen Volkstracht‘ in geographisch unterschiedlichen Bereichen Mitteleuropas fassen lässt. Angesichts dessen ist es nicht nachzuvollziehen, warum vor allem die Existenz einer spezifisch donauländisch-ostgermanischen Peplostracht betont wird.75 Die diesem traditionellen Trachtkonzept zugrunde liegende Ausschließlichkeit ist nicht gegeben. Ferner ist festzustellen, dass die Schulterlage von Fibeln keineswegs nur auf einen oder wenige vermeintlich spezifische Typen beschränkt ist, wie Lageanalysen anderer konstruierter Fibeltypen zeigen.76 Dem Postulat einer ethnisch spezifischen Peplostracht haften neben der oben geschilderten Problematik der Definition des archäologischen Merkmals weitere Probleme und Prämissen grundlegender Natur an. Zunächst stellt sich die grundsätzliche, hier jedoch nicht weiter diskutierte Frage, ob es anhand von Grabbeigaben tatsächlich möglich ist, auf eine wie auch immer geartete Kleidung des Alltags, auf Regelhaftigkeiten in der Kleidung 72
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Zur Entwicklung der Ausgrabung von Körpergräbern in dieser Region siehe: Hässler, Issendorf 1–6. Beispielhaft seien hier die Grabbefunde 1957, 3514, 3517, 3533, 3541, 3547, 3573, 3580 des Gräberfeldes von Issendorf, Lkr Stade genannt: Hässler, Issendorf 47–363. Mit zahlreichen Beispielen und Rekonstruktionen: Hinz, Frauentracht. Ferner: Hägg, Birka 24, Abb. 10. Vierck, Trachtenkunde 240. Vierck, Trachtenkunde 242. Marti, Saint-Sulpice 30. Martin, Späte Völkerwanderungszeit 542–549. Vielitz, Granatscheibenfibeln 112–113. Thörle, Gleicharmige Bügelfibeln 255; Tab. 46.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
oder gar auf eine Tracht zurückzuschließen.77 Daran anschließend ist aufgrund der schlechten Quellenlage und den nahezu völlig fehlenden textilen Resten zu konstatieren, dass die Rekonstruktion eines peplosartigen Kleidungsstückes in den völkerwanderungszeitlichen Grabbefunden nur durch die Lage der metallenen Kleidungsbestandteile, der „Blechfibeln“, erfolgt. Zeitgenössische Schriftquellen geben keine Auskunft über die Existenz eines peplosartigen Kleidungsstückes, das mit paarigen Fibeln an den Schultern verschlossen wurde und auch Bilddarstellungen dieser Zeit lassen aufgrund ihres überwiegend mythischen Charakters keine allgemein gültigen Schlüsse zu.78 Keineswegs vollständig geklärt ist zudem, ob den im Grabbefund dokumentierten metallenen Kleidungsbestandteilen in der Kleidung tatsächlich eine Funktion beim Verschluss zukommt, und wenn ja welche.79 Bei einem peplosartigen Kleid handelt es sich zunächst lediglich um ein textiles Gewebe mit rechteckiger Grundform, das seitlich zusammengenäht oder rund gewoben wurde, um ein zylinderförmiges Tuch zu erhalten, dessen oberer Teil übergeschlagen werden konnte. Dieses schlauchartige Gebilde wurde in der Folge durch die Verbindung von Vorder- und Rückseite im Schulterbereich geschlossen, sodass Öffnungen für den Kopf und die Arme vorhanden waren. Die Verbindung von Vorderund Rückseite konnte auf mannigfaltige Art erfolgen, wofür nicht immer Fibeln oder andere metallene Kleidungbestandteile nötig waren. Denkbar sind hier zum einen Schließmechanismen aus organischen Materialien wie Holz bzw. Knochen,80 zum anderen eine Verbindung durch Zusammennähen an den Schultern.81 Befestigungen dieser Art haben aufgrund ihrer schlechten archäologischen Nachweisbarkeit kaum zu unterschätzende Auswirkungen auf das archäologische Fundbild. Diese Art der Kleidung kann somit durchaus auch in Regionen angenommen werden, aus denen bisher keine oder nur wenige Nachweise bekannt sind. Zudem können Fibeln auch funktionslos an einer solchen Kleidung angebracht worden sein. Der Lagebefund von Fibeln kann daher zunächst nur wenig über das tatsächliche Aussehen der Kleidung aussagen, was zur Folge hat, dass immer zwischen rekonstruierter bzw. postulierter Kleidung und Fibelbefund unterschieden werden muss. Pauschal auf eine Kleidungsvariante oder das 77
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Brather, Ethnische Interpretationen 391. Grundlegend hierzu: Härke, Diskussion. Härke, Intentionale und funktionale Daten. Härke, Data Types. Härke, Burial data. Rummel, Habitus barbarus 249–256. Vierck, Trachtenkunde 242. Die Verwendung eines Dornes zum Verschluss der Kleidung ist überliefert bei: Tac. Germ. 17. Hierzu: Capelle, Fibeltracht 3–5. Gebühr, Trachtschmuck 55.
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Vorhandensein mehrerer Kleidungsstücke, beispielsweise ein Peploskleid mit einem Mantel, anhand der Lage und der Anzahl von Fibeln im Grabbefund zu schließen, ist ohne eingehende Untersuchungen an textilen Resten generell problematisch, weil vielerlei Varianten der Kleidung und Funktionen der Kleidungsbestandteile anzunehmen sind.82 In Anbetracht des Umstandes, dass keine oder nur wenige Textilfunde zur Verfügung stehen, mit denen auf die Art und das Aussehen der Kleidung geschlossen werden könnte, ist bei der momentanen Quellenlage und den zahlreichen möglichen Kleidungsvarianten zudem Vorsicht bei einer verallgemeinernden Rekonstruktion bzw. Benennung der Kleidung angebracht. Die Definition des archäologischen Merkmals einer „national-gotischen“ bzw. ostgermanischen Tracht mit zwei Fibeln an den Schultern und einer Gürtelsschnalle im Beckenbereich fällt bei einer diachronen und überregionalen Betrachtung wenig spezifisch aus. Zum einen ist das Merkmal in sich nicht genau definiert bzw. zu wenig differenziert, zum anderen ist aber auch die Abgrenzung dieses Merkmals nach außen in zeitlicher und geographischer Hinsicht nicht aufrecht zu erhalten. Die Exklusivität des archäologischen Merkmals ist anhand der archäologischen Quellen nicht nachzuvollziehen. Dies entzieht dem Postulat der Existenz einer vermeintlich einheitlichen, ethnisch spezifischen Tracht die archäologische Grundlage. Vielmehr vermitteln die archäologischen Grabbefunde ein anderes Bild. Die unterschiedlichen Lagepositionen und Fibelkombinationen deuten auf vielfältige Kleidungsvarianten hin. Der hohe Grad an Individualität in den Grabbefunden kann einerseits unterschiedliche soziale Hintergründe widerspiegeln, denkbar sind jedoch ebenso persönliche Präferenzen bei der Wahl und dem gewünschten Aussehen der Kleidung.83
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Siehe auch die Zusammenstellung einiger möglicher Kleidungsvarianten mit unterschiedlichen Fibelzahlen bei: Gebühr, Trachtschmuck 57. Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf die Verschiedenartigkeit der Kleidung an sich. Peplos ist nicht gleich Peplos und teilweise auch nur schwer gegenüber anderen Kleidungsvarianten klassifikatorisch abzugrenzen. Wie aus antiken Bilddarstellungen bekannt, gibt es beispielweise zwischen den beiden Haupttypen der Kleidung, dem Peplos und dem Chiton mannigfache Varianten mit Elementen aus beiden Kleidern. Zudem ist der Verschluss von Gewändern an der Schulter keineswegs auf den Peplos alleine beschränkt, von antiken Bilddarstellungen sind unterschiedliche Gewänder mit unterschiedlichen Verschlussarten überliefert: Filges, Schlauchkleid – Peronatris – Stola 260–261; Abb. 1. Siehe Kap. V.1.1 „Blechfibeln“ als Kleidungsbestandteil: Lagebefunde und Kombinationsuntersuchungen.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
1.2 „Blechfibeln“ und die „mode danubienne“ – Der Donauraum als kulturelles Zentrum der Völkerwanderungszeit? Das archäologische Merkmal der in Grabbefunden nachgewiesenen Lage von „Blechfibeln“ an der Schulter bestatteter Individuen ist nicht nur die Grundlage des im vorigen Kapitel beschriebenen Konzeptes einer vermeintlich ethnisch spezifischen Tracht, sondern auch archäologisches Merkmal eines alternativen Interpretationsmodells, der sogenannten „mode danubienne“.84 Dieses im Jahr 1989 von Michel Kazanski vorgelegte Modell versucht, die Verbreitung bestimmter archäologischer Merkmale – hier v.a. wiederum Kleidungsbestandteile – und Fundgattungen, deren eigentlicher Verbreitungsschwerpunkt im mittleren Donauraum angenommen wird, im völkerwanderungszeitlichen Gallien zu erklären. Während traditionelle Forschungsansätze, wie etwa das Trachtkonzept, nahezu ausschließlich von persönlicher Mobilität ausgehen und die Diffusion der einschlägigen Befunde und Funde als Niederschlag von eingewanderten fremden Personen aus dem östlichen Europa und dem mittleren Donauraum ausgehen oder zumindest als direkten Kontakt mit diesen interpretieren, geht das Konzept der mode danubienne von anderen Verbreitungsmechanismen aus. Die Ausbreitung der mode danubienne, die aus der Summe unterschiedlichster Einflüsse im mittleren Donauraum entstand, sei am Ende des 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. durch in der militärischen Hierarchie hochstehende Angehörige des spätrömischen Heeres und deren Familienmitglieder in das weströmischen Reich erfolgt und in der Folge von den dort ansässigen lokalen Eliten übernommen worden. Eine vermittelnde Stellung soll dabei wiederum das spätrömische Heer eingenommen haben, das sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen zusammensetzte.85 Die sich so verbreitende und verselbstständigende Mode, die auch eine teilweise lokale Produktion der Objekte zur Folge gehabt habe, äußere sich am Ende des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts n. Chr. auch durch den heterogenen Charakter der Prunkgräber im Merowingerreich. Neben der schriftlich überlieferten Anwesenheit von östlichen Barbaren im spätrömischen Heer Galliens, wird auch die zunächst fremdartige Wirkung der Funde im gallorömischen Milieu sowie die Verbreitung der unten besprochenen archäologischen Merkmale und Fundgattungen als Grund für eine solche Interpretation angeführt.86 84 85
86
Kazanski, Mode danubienne. Eine Migration bestimmter ethnischer Gruppen oder Personen als Grund für die Verbreitung einiger überwiegend einfacher Sachgüter wird jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen: Kazanski, Mode danubienne 66. Kazanski, Mode danubienne 60–67.
„Blechfibeln“ und Kleidung
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Ein entscheidender Vorteil dieses Erklärungsmodells gegenüber den traditionellen migratorischen Thesen liegt in dessen Flexibilität: Die Beschränkung auf einen schriftlich überlieferten Ethnos und die daran geknüpfte Ausschließlichkeit der damit verbundenen Aussagen entfällt hier, da diverse Verbreitungsmöglichkeiten berücksichtigt werden können, die nicht nur mit persönlicher Mobilität zusammenhängen müssen. Hinzu kommt, dass durch den Modebegriff auch das Konzept einer vermeintlich ethnisch spezifischen Tracht mit all seinen Schwierigkeiten und Prämissen umgangen wird. Vielmehr werden der mode danubienne „origines multiples: germaniques, alano-sarmates, hunnique et gréco-romaines“ zugrunde gelegt, die ein „ensemble homogène“ im mittleren Donauraum gebildet haben sollen.87 Vordergründig spielt bei diesem Modell auch die chronologische Einordnung der archäologischen Fundgüter eine eher untergeordnete Rolle, sodass feinchronologische Gliederungen des Materials nicht zum Tragen kommen müssen. Diese sind normalerweise für den archäologischen Nachweis schriftlich überlieferter Migrationen völkerwanderungszeitlicher gentes die Grundvoraussetzung, da über die Feinchronologie häufig eine „Dynamik“ im Fundbild erreicht werden soll. Dennoch gehen mit dem Konzept der sogenannten mode danubienne einige methodische Probleme und Prämissen einher, die von der Definition archäologischer Merkmale, der Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit bei der Typendefinition sowie der Datierung und Verbreitung des archäologischen Materials herrühren. Zunächst sei jedoch darauf hingewiesen, dass es sich bei den meisten der hier beispielhaft angeführten Grabbefunde des 5. Jahrhunderts wie Airan, Dép. Calvados,88 Pouan, Dép. Aube89 oder Hochfelden, Dép. Bas-Rhin90 um sogenannte Prunkgräber ihrer Zeit handelt. Eine von Georg Kossack durchgeführte diachrone Betrachtung dieses sozialen Phänomens hat gezeigt, dass diesen Bestattungen regelhaft Ausstattungen mit teilweise exotischen bzw. exklusiven Funden beigegeben sind, was auch dem von Kazanski betonten heterogenen Charakter der entsprechenden Grabbefunde des 6. Jahrhunderts keineswegs außergewöhnlich erscheinen lässt.91 Ob hierbei also von einer sich ausbreitenden Mode ausgegangen werden kann oder zunächst lediglich ein bewusst vorgenommenes soziales Distinktionsverhalten einer miteinander in Kontakt stehenden Elite gefasst wird, kann nicht einwandfrei entschieden werden. 87 88 89 90 91
Kazanski, Mode danubienne 59. Salin/ France-Lanord, Airan. Salin/ France-Lanord, Pouan. Kazanski, Riches tombes 25–29. Hatt, Hochfelden. Kossack, Prunkgräber 22.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Als weitaus problematischer für das Konzept der mode danubienne erweist sich eine geradezu axiomatisch vertretene Prämisse, die auch vielen traditionellen Modellen und archäologischen Arbeiten der Völkerwanderungszeit zugrunde liegt: Der mittlere Donauraum gilt gemeinhin als Zentrum der Ausbreitung zahlreicher archäologischer Sachgüter oder nimmt dabei zumindest eine entscheidende vermittelnde Funktion ein. Dabei wird besonders in der Völkerwanderungszeitforschung immer eine entsprechende Ausbreitungsrichtung der Sachgüter von Ost nach West angenommen, die nicht zuletzt durch die schriftlich überlieferten Wanderzüge vorgegeben zu sein scheint.92 Doch lässt sich dies anhand der von Kazanski zur Definition herangezogenen archäologischen Merkmale und Fundgattungen auch tatsächlich nachweisen? Das methodische Instrumentarium für den archäologischen Nachweis einer Verbreitung von Sachgütern von einem Zentrum in eine bestimmte Richtung ist begrenzt: Meist wird durch Kartierung unterschiedlicher archäologischer Sachgüter anhand eines Verbreitungsschwerpunktes ein wahrscheinliches Herstellungs- oder Herkunftszentrum ermittelt, von dem aus diese sich verbreitet haben sollen. Dabei sind die Ausbreitungsmechanismen aber nur wenig bekannt und deren Nachweis stellt sich bislang ebenfalls schwierig dar.93 Auch die teilweise als Argumentationshilfe hinzugezogene Chronologie der Funde ist nicht aussagekräftig, denn die Kartierung ähnlicher Objekte setzt gewissermaßen deren Gleichzeitigkeit voraus, was zunächst keine Aussagen bezüglich einer Ausbreitungsrichtung erlaubt.94 In diesem Zusammenhang stellt sich hier auch die Typkonstruktion als problematisch dar, von deren Nachvollziehbarkeit und Genauigkeit das Verbreitungsbild entscheidend abhängt.95 Neben dem archäologischen Merkmal paariger Schulterfibeln werden unten die archäologischen Fundgattungen, mit denen die mode danubienne definiert wird, näher auf diese methodischen Vorgehensweisen hin untersucht. Die Fundgattungen sind die folgenden: Mit einzeln angebrachten Cabochoneinlagen verzierte, polychrome Objekte der Gruppe Zaseckaja II,96 metallene Halsketten mit konischen Anhängern, wie sie im Grab von Hochfelden, Dép. Bas-Rhin gefunden wurden, die sogenannten Zikadenfibeln mit Polychromverzierung, große Fibeln mit umgeschlagenem Fuß, 92 93 94 95
96
Kazanski, Mode danubienne 59. Brather, Ethnische Interpretationen 554–555. Steuer, Herkunft und Entstehung 293–294. Steuer, Verbreitungskarte 149. Zur Typdefinition siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Zaseckaja, Gunnskoj epochi 16–18, 27–28; Abb. 3.
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Ohrringe mit massivem Polyederkopf, die sogenannten beil- oder axtförmigen Anhänger, wie sie aus dem Grabbefund von Balleure, Dép. Saône-et-Loire überliefert sind,97 Gürtelschnallen mit floraler Ritzverzierung ähnlich denen aus dem Grabbefund von Airan, Dép. Calvados, herzförmige Schwertknäufe, wie sie aus dem Grabbefund von Pouan, Dép. Aube bekannt sind sowie schließlich vogelförmige Verzierungen auf Schwertscheiden.98 Das Merkmal paariger „Blechfibeln“ und anderer Fibeltypen an der Schulter in der Völkerwanderungszeit ist, wie im letzten Kapitel ausgeführt, ohne spezifische Verbreitungsschwerpunkte überregional anzutreffen, was auch für den mittleren Donauraum gilt. Zudem sind in dieser Region zahlreiche weitere Lagevarianten und Zahlenverhältnisse von Fibeln unterschiedlichster Typen belegt. Auch die mangelnde innere Homogenität dieses Merkmales zeigt sich im mittleren Donauraum. Eine Verbreitung dieses archäologischen Merkmales von dieser Region aus ist daher nicht schlüssig zu begründen.99 Die Fundorte von mit einzeln angebrachten Cabochoneinlagen verzierten, polychromen Objekte der Gruppe II nach Zaseckaya streuen über ein enorm weites geographisches Verbreitungsgebiet von Zentral- und Westeuropa bis auf die Krim.100 In Ermangelung präziser Datierungsmöglichkeiten kann dieser Fundstoff nicht genauer als zwischen dem Ende des 4. und der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. chronologisch eingeordnet werden.101 Ein ausschließlich auf den mittleren Donauraum beschränkter Verbreitungsschwerpunkt kann bei dieser Fundgattung nicht postuliert werden, doch zeigt sich eine Massierung der Fundorte im östlichen Europa. Ein annähernd europaweites Verbreitungsbild zeigen die metallenen Halsketten mit konischen Anhängern, ohne dass ein Verbreitungsschwerpunkt ausgemacht werden könnte. Zudem lassen sich die wenigen bekannten Stücke chronologisch ebenfalls nicht genauer als jüngerkaiserzeitlich bis völkerwanderungszeitlich einordnen. Auch hier können deshalb auf ar97 98
99
100 101
Arcelin, Balleure 82–83; Taf. III, 3B. Kazanski, Mode danubienne 59–60. Hier finden sich auch weitere archäologische Merkmale und Fundgattungen unklarer Herkunft bzw. nicht eindeutigem Verbreitungsschwerpunkt im Donauraum. Siehe Kap. III.1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. Zaseckaja, Gunnskoj epochi 18. Stark, Szilágysomlyó 154–156. Hier wird eine ähnliche die Verbreitung polychromverzierter Gegenstände beschrieben. Zudem geht Stark von deren Produktion in spätrömischen Werkstätten aus.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
chäologischem Wege keine Schlüsse auf eine spezifische Verbreitungsrichtung gezogen werden.102 Zikadenfibeln mit Polychromverzierung sind so selten nachgewiesen, dass es aufgrund der kleinen Zahl von Funden ebenfalls methodisch problematisch erscheint, überhaupt Aussagen zur Verbreitung und den zugrunde liegenden Ausbreitungsmechanismen zu treffen: Der Verbreitungsschwerpunkt liegt mit lediglich drei ( ! ) Fundorten auf der Krim, jeweils eine polychromverzierte Zikadenfibel ist aus der Nordkaukasus-Region, aus Ungarn sowie aus Frankreich bekannt.103 Auch der Befund, dass Zikadenfibeln zuerst auf dem provinzialrömischem Gebiet Pannoniens im 2. Jahrhundert n. Chr. nachgewiesen sind,104 ist an dieser Stelle unerheblich. Diese bis heute nicht umfassend bearbeitete Fundgattung kann nicht für eine besondere Funktion des mittleren Donauraumes herangezogen werden, da die Zikadenfibeln hier allgemein wohl älter und überwiegend nicht polychromverziert sind. Als charakteristisch für die mode danubienne gelten auch große Fibeln mit umgeschlagenem Fuß des Typs Almgren 158. Die typologische Ansprache dieser Fundgattung erscheint konstruiert und wenig differenziert, denn der von Almgren definierte Typ ist nicht durch Größenangaben definiert.105 Chronologisch nimmt diese Fibelform zudem eine lange Laufzeit zwischen der Stufe C1 der jüngeren Römischen Kaiserzeit und der völkerwanderungszeitlichen Stufe D ein.106 Neben Frankreich107 sind die Fibeln auch in Südrußland, Polen, Mähren, der Slowakei,108 dem Donauraum109 sowie dem ostkarpatischen Teil der Ukraine belegt.110 Auch diese Fibeln können somit keinen spezifischen Verbreitungsschwerpunkt im mittleren Donauraum belegen. Die von Kazanski angeführten Ohrringe mit massivem Polyederkopf sind nicht nur im Donauraum, sondern auch darüber hinaus geographisch nahezu in ganz Europa häufig nachgewiesen und kommen sowohl im 4. als auch im 5. Jahrhundert n. Chr. über einen langen Zeitraum hinweg vor. Auf102
103 104 105 106 107 108 109 110
Zur Datierung und Verbreitung dieser Fundgattung in Mittel- und Osteuropa siehe: Werner, Danˇceny und Brangstrup 262; Anm. 56. Ein Exemplar aus Portugal sowie weitere Parallelen nennt: Rigaud de Sousa, Beiral 297–300. Kazanski/ Périn, Fibules mouches 17. Tomka, Relazione 32–33. Fitz, Zikadenfibeln 46–49. Mit Angaben zur Verbreitung: Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 74–75. Vakulenko, Transcarpathian Ukraine 241. Lerat, Alesia 30–31. Vallet, Implantation 252; Fig. 3. Kolník, K typológii a chronológii niektor´ych spôn 233. Istvánovits, Upper Tisza Region 90–92. Vakulenko, Transcarpathian Ukraine 241–246.
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grund ihres häufigen Vorkommens in den römischen Provinzen und in Italien wird zudem eine teilweise Produktion in römischen Werkstätten angenommen.111 Eine entscheidende Funktion des mittleren Donauraumes bei der Verbreitung anhand des archäologischen Fundbildes ist daher nicht zwangsläufig wahrscheinlich zu machen. Beil- bzw. axtförmige Anhänger sind von der jüngeren Römischen Kaiserzeit bis in die Völkerwanderungszeit nachzuweisen. Ihre Verbreitung zeigt zwei Schwerpunkte im mittleren Donauraum und Mitteldeutschland, ohne dass hier ein spezifisches Verbreitungszentrum ausgemacht werden kann.112 Die wenigen überlieferten Gürtelschnallen mit floraler Ritzverzierung – es handelt sich um lediglich fünf Gürtelschnallen aus nicht geschlossenen Funden – stellen insgesamt eine recht uneinheitliche Gruppe dar,113 sodass das Verbreitungsbild dieser Fundgattung zwar einen Schwerpunkt im Donauraum suggeriert, der aufgrund der eingeschränkten Vergleichbarkeit der Stücke jedoch nur wenig aussagekräftig ist. Ähnlich verhält es sich mit den herzförmigen Spatha- bzw. Saxknäufen. Sie sind lediglich aus den Befunden Pouan, Dép. Aube und Oros, Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye114 bekannt, sodass auch bei dieser Fundgattung keine eindeutige Verbreitungsrichtung festgestellt werden kann. Die ebenfalls als Bestandteil der mode danubienne angeführte, äußerst uneinheitlich wirkende Fundgruppe – kein Fund gleicht dem anderen – der Riemendurchzüge mit Vogelkopfverzierung auf Spathascheiden zeigt eher einen Verbreitungsschwerpunkt in West- und Mitteleuropa.115 Weitere Stücke sind aus der Nordkaukasus-Region überliefert.116 Das einzig bekannte Stück aus dem mittleren Donauraum stellt der Fund von Szirmabesenyö, Borsod-Abaúj-Zemplén Megye dar.117 Das beschriebene Verbreitungsbild erlaubt es daher ebenfalls nicht, zwangsläufig ein Zentrum im mittleren Donauraum anzunehmen.
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117
Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 162–169; Abb. 14. Gebers/ Hinz/ Drenhaus, Bosau 30–32; Abb. 13. Mit Funden aus der Sântana-deMure¸s-Cˇernjachov-Kultur: Werner, Danˇceny und Brangstrup 262; Anm. 54–55. Siehe Anm. Kap. III.3.2. Die Frauengräber des 5. Jh n. Chr. Anm. 287 Bóna, Hunnenreich 289–290; Abb. 108. Zunächst wurde dieser Fundort aufgrund falscher Angaben unter dem Namen Némétker, Tolna Megye publiziert. Heege, Heidenheim-Großkuchen 87–89; Abb. 38. Vallet, Tombes à epées d’apparat 47; Anm. 11. An dieser Stelle sei auf das Grab 300 von Abrau-Djurso (Dyurso) (Noworossijsk), Krasnodarskij Kray hingewiesen. In dem üppig ausgestatteten Grab eines interessanterweise männlichen ( ! ) Individuums fanden sich neben einer Spathascheide mit vogelkopfverzierten Riemendurchzügen auch zwei „Blechfibeln“: Dmitriev, Fibuly 84–86; Abb. 1, 1–2. Werner, Attila-Reich 108; Taf. 42, 3.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Somit kann festgehalten werden, dass die große Bedeutung des Donauraumes als Zentrum der Ausbreitung archäologischer Sachgüter und Merkmale der mode danubienne meist nicht überzeugend nachzuvollziehen ist. Neben der schlechten Quellenlage bzw. Befundüberlieferung lassen dies sowohl die Verbreitungsmuster der Fundgattungen als auch die häufig unpräzise und willkürlich anmutende Typkonstruktion und -auswahl nicht zu. Für die meisten Fundgattungen zeichnen sich vielmehr unspezifische überregionale Verbreitungsbilder von Südrußland bis nach Westeuropa ab. Sie schließen auch den mittleren Donauraum mit ein, eine zentrale Rolle dieses Gebietes kann jedoch nicht abgeleitet werden. Anhand der Verbreitungsmuster des archäologischen Materials können zunächst lediglich irgendwie geartete Verbindungen zwischen unterschiedlichen geographischen Gebieten gefolgert werden, eine auschließliche Ausbreitungsrichtung von Osten nach Westen jedoch nicht. Aufgrund der durchaus unterschiedlichen Verbreitungsmuster der einzelnen Fundgattungen, deren Zustandekommen unterschiedlichsten Filtern unterliegt, ist es nicht vorstellbar, dass diese nur mit einer Ausbreitung in eine Richtung zu erklären sind, denn hier können unterschiedlichste Faktoren zum Tragen kommen.118 Auch wenn dem mittleren Donauraum während der Völkerwanderungszeit eine gewisse Rolle bei der Güterverteilung zukommen mag, so ist er nur einer unter vielen Verkehrsräumen bzw. Kontaktzonen.119 Das Modell der mode danubienne scheint aufgrund der Berücksichtigung des spätrömischen Heeres zunächst einen alternativen Ansatz zur Erklärung des Zustandekommens von Verbreitungsbildern völkerwanderungszeitlicher archäologischer Sachgüter zu liefern. Allerdings ist die Hervorhebung der Bedeutung des mittleren Donauraums und die postulierte Ausbreitung unterschiedlicher Fundgattungen von Ost nach West archäologisch ebenfalls mit großen methodischen Schwierigkeiten behaftet und zudem nicht nachzuvollziehen. Die vorher erläuterten problematischen Methoden und Prämissen gelten aber nicht nur für das Modell der mode danubienne, sondern auch für die traditionellen Deutungsmuster, welche anhand der Verbreitung archäologischer Funde und Merkmale die schriftlich überlieferte Migration ethnischer Gruppen nachzuweisen versuchen. Diese Interpretationen beruhen ebenfalls auf der archäologisch nur schwer zu beweisenden Prämisse, dass die Verbreitung bestimmter archäologischer Funde und Merkmale der Völkerwanderungszeit – allen voran sind hier die „Blechfibeln“ zu nennen – von 118 119
Steuer, Verbreitungskarte 149–150. Siehe die Karte bei: Brather, Ethnische Interpretationen 553; Abb. 88.
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Ost nach West verläuft. Vermeintliche Verbreitungsschwerpunkte von Fundtypen oder archäologischen Merkmalen im mittleren Donauraum und deren häufig chronologisch später eingeordnete Verbreitung in Westeuropa, dienen hier zum Nachweis der schriftlich überlieferten Wanderungen bestimmter Ethnien. Dabei sind die Verbreitungsmechanismen und die damit verbundenen Ausbreitungsrichtungen archäologischer Hinterlassenschaften bislang keineswegs befriedigend zu erklären. Die Fixierung auf den mittleren Donauraum als Ausgangspunkt einer angenommenen Ost-West Ausbreitung archäologischer Sachgüter erfolgte bereits früh. In seiner im Jahr 1912 publizierten Bestandsaufnahme der Frühmittelalterforschung konstatierte Eduard Brenner: „Der südrussisch-donauländische Kulturkreis umfasst in der Hauptsache Südrussland, Ungarn, die Nordbalkanländer und während der Gotenzeit Italien; auch im westgotischen Südfrankreich macht sich italisch-gotischer Einfluss bemerkbar“.120
Im Jahr 1922 sah Nils Åberg den mittleren Donauraum ebenfalls als Zentrum der Ausbreitung von „gotischen Silberblechfibeln“ nach Westen an.121 Nur wenig später, im Jahr 1934, unterstrich Hans Zeiss bei der kulturellen Einordnung der Fundstücke aus Spanien nochmals die Rolle des Donauraumes: Die spanischen ‚Blechfibeln‘ sind die westlichsten Vertreter einer weit verbreiteten Gruppe, deren Heimat nördlich der unteren Donau und des Schwarzen Meeres zu suchen ist […].122
Im Jahr 1956 betonte Joachim Werner ebenfalls die Verbindungen des mittleren Donauraums mit anderen Gebieten bei der Ausbreitung der einschlägigen, vermeintlich spezifisch gotischen kulturellen Merkmale: Aus dem Donauraum, vom östlichen Österreich bis nach Bulgarien, sind Einzelgräber und kleine Friedhöfe des 5. Jh. in größerer Zahl bekannt, die teils in die Zeit des Attila-Reiches gehören, teils jünger sind und die vielfach eng mit den gotischen Funden der Krim, Italiens und Spaniens zusammenhängen […].123
So wird auch heute noch der völkerwanderungszeitliche Donauraum als Zentrum eines Kulturkomplexes mit enormer Ausstrahlung verstanden. Volker Bierbrauer schrieb im Jahr 1994:
120 121 122 123
Brenner, Stand der Forschung 254. Åberg, Franken und Westgoten 41–44. Zeiss, Westgotenreich 97–98. Werner, Archäologische Zeugnisse 128.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen Mit der Diffusion des ostgermanisch und teilweise auch noch stark reiternomadisch geprägten Fundstoffes in bzw. ab. D1 von der Schwarzmeerküste (und vom Nordkaukasus-Vorland) aus über weite Teile des Donauraumes als Folge der hunnischen Westexpansion entsteht für die ostgermanischen Oberschichten ein erstaunlich einheitliches Bild, das ich als Koine bezeichnen möchte oder die man im Sinne von Jaroslav Tejral auch als ‚donauländisch-ostgermanischen Kulturkomplex‘ bezeichnen kann.124
Der hier von Bierbrauer zitierte Gewährsmann ist es auch, der den eigentlichen Grund für die Betonung der Rolle des mittleren Donauraumes beschreibt. Für Jaroslav Tejral hat der mittlere Donauraum deswegen eine so große Bedeutung, weil aufgrund dessen geographischer Lage hier „verhältnismäßig früh die ersten großen Völkerbewegungen vom Osten spürbar wurden.“125 Die historische Überlieferung gibt hier den Rahmen der Interpretation und die Ausbreitungsrichtung des archäologischen Fundmaterials vor. Dies hat zur Folge, dass den archäologischen Sachgütern nahezu ausschließlich eine – oft mit dem historisch überlieferten, sogenannten „Hunnensturm“ in Verbindung gebrachte – Ausbreitung von Ost nach West zugrunde gelegt wird, obwohl es archäologisch zunächst keinen zwingenden Grund für eine solche Interpretation gibt. Wie tief verankert – trotz aller methodischen Schwierigkeiten – die vermeintlich große Bedeutung des mittleren Donauraumes in der Frühgeschichtsforschung ist, illustriert auch folgendes Beispiel: Barbara Sasse konnte im Jahr 1997 überzeugend darstellen, dass die Verbreitungsbilder einzelner Merkmale wie die Peploskleidung oder die „Blechfibeln“ keine spezifische geographische Verbreitung aufweisen und konstatierte zurecht, dass vor einer ethnischen Interpretation die einzelnen Merkmale zunächst Gegenstand einer differenzierten und europaweiten Betrachtung sein sollten. Nach dieser richtigen Feststellung muss es umso mehr verwundern, dass diese Merkmale von ihr trotz ausdrücklichem Verzicht auf eine historische Konnotation dieses Begriffes immer noch mit dem Prädikat „Donauprovinzkriterien“ versehen wurden.126 Erst eine, wie von Sasse gefordert, komplette Lösung von der oben beschrieben Prämisse bei der Bearbeitung der in Frage kommenden archäologischen Fundgattungen kann hier Klarheit bringen, weil die angenommene Ausbreitungsrichtung, die auf der schriftlichen Überlieferung basiert, jede Interpretation und klassifikatorisch-chronologische Ordnung archäologischer Funde von vornherein beeinflusst, obwohl weder deren klassifikatorische Ansprache noch das Verbreitungsmuster dies zur Zeit erlauben, 124
125 126
Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 138. Eine Ausbreitung unterschiedlicher archäologischer Fundgegenstände von West nach Ost, bzw. vom Donauraum auf die Krim postulierte u. a.: Ambroz, Dunajskie elementy. Tejral, Mittlerer Donauraum 223. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 36–43.
„Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation
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wie es am Beispiel der „Blechfibeln“ noch dargestellt wird.127 Zuerst muss geklärt werden, ob überhaupt bzw. welche Verbindungen im Material zwischen den Gebieten bestehen.
2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf der kritischen Durchsicht der methodischen Ansätze, auf der Auswahl als diagnostisch erachteter Merkmale sowie auf den jeweiligen Zweck bisher vorgelegter Klassifikationsvorschläge von „Blechfibeln“. Die Basis hierfür bilden die folgenden Erörterungen methodischer Probleme und Richtlinien, die der Verfasser für die Klassifikation archäologischer Hinterlassenschaften als unerläßlich ansieht. Diese dienen ebenfalls dazu, die in der Analyse gewählte methodische Vorgehensweise theoretisch zu begründen. Klassifikation als heuristisches Hilfsmittel zur Gliederung oder Einteilung eines ungeordneten, chaotischen Gegenstandsbereiches in Klassen wird nicht nur in der ur- und frühgeschichtlichen Forschung angewandt. Der systematische „Vergleich von Gegenständen gleichen Zwecks und gleichen Materials“128 und die damit einhergehende Auswertung ist innerhalb unseres Faches ein wichtiger methodischer Bestandteil zur Beantwortung weitergehender kulturhistorischer Fragestellungen.129 Die Ordnung von materiellen Hinterlassenschaften wird in der Archäologie als Typologie bezeichnet130 und als wissenschaftliche Beschreibung und Einteilung dieser nach Gruppen von einheitlichen Merkmalskomplexen verstanden. Die auf diesem Wege entwickelten sogenannten Typen können als Konstrukte der jeweiligen Bearbeiter betrachtet werden, deren Ziel vorrangig eine zeitlich-räumliche Ordnung ist, jedoch auch eine sozioökonomische oder ideologische Gliederung des archäologischen Materials sein kann.131 Im Gegensatz zur – 127
128 129 130
131
Siehe die Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis und Kap. III.3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien: Archäologisches „Miraculum“ oder Resultat eines chronologischen Konstrukts? Sangmeister, Methoden 201–202. Eggert, Prähistorische Archäologie 122–123; 199. Zur unterschiedlichen Verwendung und zu verschiedenen Definitionen der Begriffe „Klassifikation“ und „Typologie“ sowie deren Inhalte: Hayden, Emic Types 79–80. Klejn, Archaeological Typology. Kunst, Information 2–3. Korbel, Typologische Methode 608.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
in ihren theoretischen Grundzügen nicht mehr haltbaren – klassischen „typologischen Methode“132 werden heute zur Klassifikation des Fundguts verschiedene, teilweise auch statistische Verfahren angewandt, mit deren Hilfe Gruppierungen generiert werden, über deren realen, bzw. historischen Bedeutungsinhalt jedoch Uneinigkeit herrscht.133 Zahlreiche Probleme ergeben sich darüber hinaus auch aus der mangelnden theoretischen Reflexion über das methodische Vorgehen bei der Klassifikation, was sich sowohl bei der praktischen Umsetzung als auch bei der Anwendung der heute verwendeten Klassifikationen niederschlägt. Trotz bzw. wegen dieser enormen methodischen Bandbreite sind vergleichbare, „objektive“ und nachvollziehbare Klassifikationen kaum zu finden, was umso schwerer wiegt, da diese eigentlich die Grundlagen für alle weiteren archäologischen Untersuchungen darstellen sollten.134 Allgemein erfolgt in der mitteleuropäischen Forschung die Einteilung der archäologischen Hinterlassenschaften zumeist auf einer nur schwer nachvollziehbaren, deskriptiven Weise. Typen werden anhand von mehr oder weniger spezifischen Merkmalen bzw. Merkmalskombinationen gebildet, die oftmals beliebig ausgewählt erscheinen. Man konzentriert sich bei der Ordnung des Materials in erster Linie auf als wichtig betrachtete formale und dekorative, teilweise auch funktionale Elemente. Dabei werden ganze Arbeitsschritte – bewusst oder unbewusst – nicht explizit gemacht bzw. in nicht ausreichendem Maße ausgeführt und begründet. Die Wahl der Methode und der Prämissen für das Vorgehen auf den verschiedenen Ebenen sind aber entscheidend für das Ergebnis. Deshalb ist hier die oft geforderte Nachvollziehbarkeit und Kritisierbarkeit von Typologien nicht gewährleistet.135 Durch subjektives und zielorientiertes Arbeiten ist die Grundlage für eine methodisch nachvollziehbare und objektivierte Gliederung der archäologischen Hinterlassen132
133
134 135
Die ‚typologische Methode‘ wurde zuerst von Hildebrand, Svenska folket 18 angewandt. Zuerst formuliert wurde diese von: Montelius, Die Methode. Teilweise wird auch Christian Jürgensen Thomsen die erstmalige Anwendung der Typologie bei der Erstellung seines Dreiperiodensystems zugeschrieben: Hayden, Emic Types 80–81. Die Entwicklung der „typologischen Methode“ zusammenfassend: Åberg, Typologie sowie v. a. Gräslund, Prehistoric Chronology 91–112. Zur Kritik: Almgren, Typologie. Almgren, Entwicklungsprinzip. Dagegen u. a. Schwantes, Typologie. Malmer, Jungneolithische Studien 47–60. Mit der Zusammenfassung der Hauptkritikpunkte Korbel, Typologische Methode 608 und Kunst, Information. Sowie Eggert, Prähistorische Archäologie 181–200. Siehe u. a. die kritischen Anmerkungen zu den Ergebnissen von Korrespondenzanalysen: Axboe, Gold bracteates 340–341. Hierzu ebenfalls: Bernbeck, Theorien 206–207. Chang, Rethinking Archaeology 4–5. Beispielhaft hierfür: Theune, Möglichkeiten und Grenzen 325.
„Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation
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schaften oft schon von vornherein nicht gegeben. Teilweise drängt sich sogar der Eindruck auf, dass Ergebnisse bereits vor der Analyse feststehen und die Klassifikation diesen vorgegebenen Rahmen nur noch bestätigen soll. Als Ziel von Klassifikationen erhofft man sich letztendlich, funktionierende, in erster Linie relativchronologische Konstruktionen zu erarbeiten, die sich in weiterführenden Untersuchungen als praktikabel erweisen. Ist dies der Fall, werden diese ohne jedes weitere Hinterfragen nach ihrem Zustandekommen oder ihres Bedeutungsinhaltes akzeptiert und benutzt. Vielen heutigen Gliederungsversuchen von einzelnen Fundgattungen werden daher häufig absolute Gültigkeit bzw. reale kulturhistorische Aussagekraft unterstellt, die durch den alltäglichen Umgang mit dem Fundmaterial und etwas Routine erschlossen werden könnten.136 Zudem werden Ergebnisse von Klassifikationen archäologischen Materials, die nicht den Erwartungen entsprechen, oftmals als inkompetent erarbeitet angesehen, da Ergebnisse doch solange „explorativ“ verändert werden könnten, bis eine gewünschte Gliederung erfolgt.137 Eine theoretische Auseinandersetzung mit Problemen der Klassifikation fand bislang kaum statt und die Debatte in der anglophonen Forschung wurde nur selten zur Kenntnis genommen. Gemäß dieser sollte sich in der heutigen Praxis die Klassifikation von materiellen Hinterlassenschaften auf verschiedenen Ebenen bzw. Arbeitseinheiten, die aufeinander folgen und eng miteinander verknüpft sind, vollziehen.138 Jede einzelne Ebene dieser modellhaften Verfahrensweise beinhaltet aber große Problemfelder, die auch in der anglo-amerikanischen Forschung keineswegs einheitlich beurteilt worden sind. Die Probleme auf den unterschiedlichen Arbeitsebenen der Klassifikation sind in Abbildung 2 nochmals ausführlicher dargestellt und werden nachfolgend kurz erläutert. Ausgangspunkt einer jeden archäologischen Klassifikation bildet die ungeordnete Gesamtheit der archäologischen Quellen, welche ursprünglich nicht dazu bestimmt waren, „eine irgendwie historisch gedachte Aussage zu machen“.139 Keine der archäologischen Quellengattungen ist an sich objektiv auf uns gekommen, noch beinhalten diese eine objektive Auswahl an
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Kritisch und treffend bemerkt dies: Bernbeck, Theorien 206. Deutlich wird dies bei: Müller, Struktur 5. „Erweisen sich z. B. die Typdefinitionen als ungeeignet, um Strukturunterschiede aufzudecken, sind diese explorativ zu verändern“. Bereits 1944 bei: Krieger, Typological Concept 277–287. Offensichtlich ohne die Kenntnis von Montelius „typologischer Methode“ wird die klassifikatorische Verfahrensweise hier „the typological method“ genannt. Siehe Abb. 1. Sangmeister, Methoden 200.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Abb. 1: Schema der Vorgehensweise bei der Klassifikation (aus: Krieger, Typological Concept 279; Fig. 25).
Funden.140 Die eingeschränkte Objektivität, die den archäologischen Quellen somit immanent ist, muss im Zusammenhang mit der Quellenkritik bei der kulturhistorischen Interpretation im Verlauf des Verfahrens der Klassifikation stets berücksichtigt werden. Die Selektion der Untersuchungseinheit141 aus dem gesamten Material bildet dann zunächst die Hauptaufgabe einer Typologie. Allerdings wird dabei nur selten hinterfragt, anhand welcher Kriterien diese Vorauswahl getroffen werden soll und ob diese Auswahl objektiv nachvollziehbar stattfinden kann. Eine einheitliche methodische Grundlage auf dieser Arbeitsebene existiert nicht, sondern wird nur auf intuitivem, von Bearbeiter zu Bearbeiter unterschiedlichem Wege erreicht. Die Bearbeitung einer Fundgattung setzt allerdings eine klare Abgrenzungsmöglichkeit dieser von an140
141
Grundsätzlich zur Objektivität und zur Aussagekraft und Kritik der archäologischen Quellen immer noch: Eggers, Vorgeschichte 255–268. Zum Informationsgehalt von Grabbefunden und -funden: Härke, Intentionale und funktionale Daten. Härke, Data Types. Härke, Burial data. Objekte an denen Untersuchungen vorgenommen werden, heißen Untersuchungseinheit: Hartung, Statistik 15–16.
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deren, eventuell ähnlichen Materialgruppen voraus. Die Auswahl der archäologischen Hinterlassenschaften, die den Gegenstand der Untersuchung bilden, muss daher unbedingt auf einer nachvollziehbaren Grundlage erfolgen und plausibel machen, warum bestimmte Sachgüter in die Untersuchung einfließen oder nicht. Bereits hier können die Fragestellungen des Bearbeiters zu weitreichenden Konsequenzen im Hinblick auf das Ergebnis führen, da die subjektive Einbeziehung oder Ausklammerung von Gegenständen durch den Bearbeiter die Größe und den Inhalt der Untersuchungseinheit stark beeinflusst und somit eine intuitive „Vor-“ Ordnung des Materials stattfindet. Der Versuch, diese Vorgehensweise zu objektivieren, sollte auf einer deskriptiven bzw. argumentativen Ebene stattfinden, welche die Auswahlkriterien deutlich macht. Der Umfang der späteren Untersuchungseinheit entspricht somit der Fragestellung: Diese kann, der Fülle des Materials entsprechend, räumlich, zeitlich, formal oder funktional sowie durch spezifische Befunde eingegrenzt werden. Die Untersuchungseinheit sollte jedoch möglichst einen kompletten bzw. geschlossenen Bestand an verfügbaren Denkmälern umfassen, stellt diese vermeintliche Grundgesamtheit doch nur einen Ausschnitt aus dem ehemals Vorhandenen – im eigentlichen Sinne also eine Stichprobe – dar,142 die darüber hinaus im statistischen Sinne nicht als repräsentativ angesehen werden kann,143 da der Vergleichsparameter des tatsächlichen Bestandes fehlt. Grundlegender Bestandteil einer Klassifikation ist die sogenannte Merkmalsanalyse.144 Diese Arbeitsebene der Auswahl und Bestimmung von Kriterien für die spätere Unterscheidung archäologischer Sachgüter zwischen gleich und ungleich bzw. ähnlich und unähnlich entscheidet wesentlich über das Ergebnis einer Klassifikation, da die letztendliche Gliederung der Dinge nur auf den dafür in Betracht gezogenen Merkmalen gründet. Das Grundproblem stellt hierbei die unüberwindbare Differenz zwischen der Betrachtungsweise und Bewertung eines Fundobjektes durch einen Archäologen und den Faktoren, die dessen Entstehung und Auffindung tatsächlich beeinflusst haben, dar. Auch wenn dies als das Ziel vieler Untersuchungen angesehen wird und deren Ergebnisse als kulturhistorisch gültig betrachtet werden, kann prinzipiell festgestellt werden, dass den beobachtbaren Merkmalen eines Bearbeiters Grenzen gesetzt sind.145
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143 144 145
Zur Definition von Stichproben und deren Aussagekraft im Vergleich zu Voll- oder Totalerhebungen: Hartung, Statistik 18–19. Doran/ Hodson, Mathematics and Computers 96. Eggert, Prähistorische Archäologie 129. Siehe Abb. 3. Doran/ Hodson, Mathematics and Computers 99.
Abb. 2: Schema der Vorgehensweise und Probleme bei der analytischen Klassifikation auf den vom Verfasser unterschiedenen Arbeitsebenen.
70 Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
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In der kontroversen Debatte um das richtige methodische Vorgehen bei der Merkmalsanalyse existieren zudem verschiedene Meinungen darüber, ob und in welchem Umfang eine Auswahl der Merkmale und Gewichtung der Schwerpunkte einer Untersuchung oder der Fragestellungen bei der Merkmalsanalyse einfließen sollen.146 Während die eine Seite alle Merkmale zur „objektiven“ Unterscheidung von Typen heranzieht,147 sieht die andere kein Problem darin, nur die anscheinend für die jeweilige Fragestellung geeigneten, sogenannten „diagnostischen Merkmale“,148 teilweise mittels verschiedener quantitativer Verfahren ermittelt,149 zu verwenden. Eine auf – in erster Linie relativchronologische – Ergebnisse ausgerichtete Forschung150 hat aus diesem Grund bisher kaum eine sachgerechte Ordnung des Materials angestrebt.151
Abb. 3: Schematische Übersicht über den Unterschied zwischen den Faktoren, die das Zustandekommen eines Objekts beeinflussen und der möglichen Merkmalsauswahl eines Bearbeiters (aus: Doran/ Hodson, Mathematics and Computers 100; Abb. 5. 1).
Die Gegensätzlichkeit der verschiedenen methodischen Ansätze der Merkmalsanalyse, zum einen die intuitive Auswahl der Merkmale im Rahmen einer Fragestellung, zum anderen die vermeintlich objektive, induktive Aufnahme aller Merkmale scheint unüberwindbar. Beide Ansätze sind von unterschiedlichen Prämissen geleitet, die bereits vor der Klassifikation gesetzt werden 146
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Allgemeine Zusammenfassungen in deutscher Sprache der anglo-amerikanischen Diskussionen um die Klassifikation bei: Vossen, Klassifikationsprobleme. Bernbeck, Theorien. Eggert, Prähistorische Archäologie. Hodson, Archaeological Classification 27. Swartz, Archaeological Objectives 491. Deshayes, Typologie 18–19. Doran/ Hodson, Mathematics and Computers 99–103. „diagnostic features“: Ritchie/ MacNeish, Pre-Iroquoian Pottery 98. Spaulding, Statistical Techniques. Clarke, Analytical Archaeology 134–144. Hill/ Evans, Model 235 und 250–251. Sackett, Quantitative Analysis 365. Watson/ LeBlanc/ Redman, Explanation in Archaeology 127. Adams/ Adams, Archaeological Typology 8. Pape, Chronologie 4. Hierzu: Bernbeck, Theorien 206–207.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
müssen. Erfolgt die Merkmalsauswahl nach einer spezifischen Fragestellung (chronologisch, chorologisch, funktional, sozial, usw.), werden bei einer grundlegenden Neubearbeitung von archäologischem Material bereits subjektive Prämissen im Hinblick auf das Ergebnis gesetzt und eine objektive Merkmalsauswahl ist, auch wenn diese transparent gemacht wurde, somit nicht mehr gewährleistet. Das Hauptproblem ist hierbei stets der äußerst subjektive Charakter dieser Vorgehensweise. Ob die ausgewählten Merkmale tatsächlich auch für die jeweiligen Fragestellungen relevant sind, oder ob die persönliche Entscheidung, ein Merkmal wegzulassen oder hinzuzunehmen das gewünschte Ergebnis verändern würde, lässt sich aufgrund der theoretisch möglichen unendlichen Merkmalszahl nicht lösen und beinhaltet auch die dieser Vorgehensweise innewohnende Beliebigkeit: Die Anzahl der möglichen Merkmale, die für eine bestimmte Fragestellung relevant erscheinen, ist streng genommen auch theoretisch unendlich.152 So werden bereits bei dieser Arbeitseinheit immer – bewusst oder unbewusst – dem Einfluss von ergebnisorientierten bzw. -fördernden Taxa Tür und Tor geöffnet. Die leider oftmals mangelnde Nachvollziehbarkeit solcher, von Fragestellungen geleiteten Klassifikationen, wird durch die vorausgesetzte heuristische Relevanz der auf diese Weise erzielten Ergebnisse relativiert. Zum einen impliziert dieses Vorgehen die Prämisse, dass man für die historische Fragestellung wichtigen Merkmale erkennen kann, zum anderen wird übersehen, dass das Material zuerst einmal nicht dazu hergestellt wurde, um eine historische Aussage zu machen. Der Haupteinwand gegen den vermeintlich objektiven Versuch, ähnlich und unähnlich in den archäologischen Hinterlassenschaften mittels der Aufnahme möglichst aller Merkmale zu bestimmen, kann aufgrund der theoretisch unbegrenzten Anzahl von Merkmalen an einem Objekt nicht vollständig entkräftet werden. Dies gilt theoretisch jedoch auch für den Ansatz einer von Fragestellungen geleiteten Auswahl von Merkmalen. Die letzte Arbeitseinheit der analytischen Klassifikation stellt die Konstruktion von Typen oder Klassen aus der zuvor in einzelne Merkmale aufgegliederten archäologischen Untersuchungseinheit dar. Somit fließen hier alle bereits vorher erläuterten Prämissen und Probleme mit ein, wobei diese Arbeitseinheit wiederum selbst äußerst problembehaftet ist. Dies äußert sich nicht nur in der teilweise unreflektierten Verwendung des Begriffes,153 sondern vor allem auch in der undifferenzierten Konstruktion von Typen.154 152 153 154
Clarke, Analytical Archaeology 15; 136. Ebenso Dunnell, Sabloff and Smith 117. Eggert, Rezension 278. Löbert, Hatzum 18–19. Zitiert aus: Ziegert, „Kombinationsstatistik“ 25: „Eine einfachere, forschungsgeschichtlich ältere Methode der Klassifikation von prähistorischer Keramik besteht in dem Ausbreiten der Gefäße/ Scherben und der Sortierung
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Unterschiedliche Ansätze hierzu zeigen, dass diese auf mehr oder weniger spezifischen Merkmalskombinationen beruhen.155 Eindeutige Aussagen über die Anzahl und die variable Zuordnung der diagnostischen Merkmale und deren Kombinationen werden jedoch nur in den wenigsten Fällen gemacht. Die Definition eines Typs variiert somit von Fall zu Fall. Der Bereich, in dem ein Typ konstruiert werden kann, ist daher weit gesteckt und – abhängig von der Fragestellung des jeweiligen Bearbeiters – nahezu beliebig wählbar. Eingeschränkt wird dieser Vorgang lediglich von den in der Arbeitsebene der Merkmalsanalyse erfassten Merkmalen.156 Die dem archäologischen Material innewohnende Variabilität, welche unter den einzelnen Typen subsumiert werden soll, ist eng verbunden mit der Frage nach der engen oder weiten Definition von Typen. Genaue Angaben oder Richtlinien, wie viele ähnliche oder unähnliche Merkmalskombinationen oder diagnostische Merkmale ein Objekt dementsprechend haben muss, um einem bestimmten Typ zugeordnet werden zu können, sind kaum zu finden und erscheinen relativ beliebig. Dies ist auch bei Typen der Fall, die durch statistische Verfahren bzw. anhand regelhafter Verteilungen von Merkmalskombinationen konstruiert wurden.157 Unerheblich bleibt in letzter Konsequenz auch, ob die Zuordnung eines Objektes zu einem bestimmten Typ oder die Typkonstruktion auf polythetischem oder monothetischem Weg erfolgt,158 denn die Auswahl von als diagnostisch erachteten Merkmalen setzt immer ein polythetisch arbeitendes Verfahren voraus, da diese Merkmale bereits aus einer polythetischen Grundgesamtheit – oftmals intuitiv – vorab selektiert werden.159
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159
nach ihrer bewußt und unbewußt wahrgenommenen Ähnlichkeit. Die Gruppierung erfolgt in besonders „typische“ Exemplare; diese sind meist selten oder existieren nur in der Vorstellung des Forschers („Idealtyp“). Die Beschreibung der „typischen“ Gefäße liefert die Charakterisierung der Klasse des Typs […]. Ein wesentlicher Nachteil ist die unscharfe Grenzziehung zwischen benachbarten, ähnlichen Typen, denn es wird nur das „Zentrum“ des Typs beschrieben, nicht sein Streuungsbereich, seine Variationsbreite definiert. Bei einem großen Teil der „untypischen“ Exemplare (Varianten) bleibt die Zuweisung zu diesem oder jenem Typ der subjektiven Entscheidung überlassen.“ Ziegert, „Kombinationsstatistik“ 26. Rouse, Introduction 300. Vossen, Klassifikationsprobleme 32. Kunst, Information 2. „non-random clusters of attributes“: Siehe Anm. 149 sowie Hill/ Evans, Model 261. Eine kurze Beschreibung des monothetischen und des polythetischen Vorgehens bei: Eggert, Prähistorische Archäologie 135–139. Eggert bezweifelt hier zudem die methodische Grundlage des polythetischen Modells für die Typkonstruktion. Das polythetische Modell in seiner Anwendbarkeit bei der Definition archäologischer Kulturen kritisiert Brather, Kultur 450. Auch dem statistischen Verfahren von Robert Whallon, mit dem anhand von hierarchisch strukturierten Merkmalen nachvollziehbar monothetische Typen konstruiert
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Handelt es sich nun bei Typen um vom jeweiligen Bearbeiter konstruierte methodische Instrumente, die bewusst seiner Fragestellung angepasst wurden um diese gezielt zu beantworten,160 oder – abgesehen von der oft unreflektierten Verwendung von Typen in der Praxis –161 kann tatsächlich kulturhistorisch relevanter Gehalt hinter diesen angenommen und entdeckt werden?162 Die Meinungen darüber, was ein Typ darstellt und welche heuristischen Möglichkeiten er bietet, gehen weit auseinander und entscheiden oft über das weitere methodische Vorgehen. Der Grad des Einflusses der Fragestellung bei der Merkmalsanalyse hängt ganz entscheidend von der Prämisse ab, ob die konstruierten Typen tatsächlich in irgendeiner Weise aussagekräftig sind und ob die für die jeweiligen Fragestellungen wichtigen Merkmale auch erkannt werden können. Diese diagnostischen Merkmale können vom Bearbeiter jederzeit entsprechend formuliert werden. Das Ergebnis einer Klassifikation sind somit Typen, die als subjektiv zustande gekommene Konstrukte zu betrachten sind, denen großer heuristischer Wert unterstellt wird.163 Ein
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werden sollen, liegt eine subjektive Vorauswahl an Merkmalen zugrunde: Whallon, New Approach. Whallon, Formal Methods. Zu Typen als Konstrukte grundlegend: Brew, Alkali Ridge 46: „The [typological] system is ‚made‘ by the student, the diagnostic criteria are defined by him, and objects or cultures are placed in a particular class or type according to his designation […]. Cultures are not ‚discovered‘, types are not ‚found‘. The student does not ‚recognize‘ a type, he makes it and puts the object in it. Objects do not ‚belong‘ or ‚fall into‘ types, they are placed in types by the student.“ Ford, Concept of Types 51 „The type is abstracted by the observer at a point in time“. Zur Einteilung und Benennung von Typen gemäß der Fragestellung: Steward, Types of Types. Hier wird zwischen „morphological“, „historical-index“, „functional“ und „cultural“ Typen unterschieden. Für eine unsystematische, unreflektierte Verwendung und Bearbeitung von Klassifikationen und deren Begrifflichkeiten, wie sie in der mitteleuropäischen Ur- und Frühgeschichte leider häufig ist, hier beispielhaft: Koch, Bügelfibeln. Treffend charakterisiert wird diese Arbeit von: Brather, Rezension Koch 127–129. In diesem Zusammenhang ist auch eine in jüngerer Zeit erschienene Arbeit zu nennen, die weder systematisch (anhand verschiedenster Merkmale und auf verschiedensten Ebenen werden hier willkürlich Trennungen vorgenommen) noch nachvollziehbar zu klassifizieren versucht: Vielitz, Granatscheibenfibeln 27–29. Rouse, Prehistory 20–22: „Types and modes […] are assumed to be intellectual ideas, like styles, fashions, and conventions in our own culture“. Krieger, Typological Concept 272: „a type in archaeology […] will enable the investigator to group specimens into bodies which have demonstrable historical meaning in terms of behavior patterns“. Spaulding, Statistical Techniques 305: „[…] classification into types is a process of discovery of combinations of attributes favored by the makers of the artifacts not an arbitrary procedure of the classifier“. Hill/ Evans, Model 261: „Types are indeed real […]. There ‚are‘ non-random clusters of attributes that can be discovered and called types“. Steward, Types of Types 54–57.
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auf welche Weise auch immer zustande gekommener Typ stellt also ein hochgradig subjektives Konstrukt dar. Typen werden – wie archäologische Kulturen – „geschaffen“ und nicht „vorgefunden“. Sie sagen oftmals „mehr über ‚innere geistig-kulturelle Zusammenhänge‘ ihrer Bearbeiter als über eine wie auch immer geartete einstige Realität“164 aus, was in methodischer Hinsicht nur vorsichtige Interpretationen zulässt.165 Die bloße Feststellung dieser Tatsache und die damit verbundene Forderung nach Offenlegung der einzelnen Vorgehensweisen kann aber nicht befriedigen. Das Grundproblem stellt oft die hinter den Klassifikationen beabsichtigte, meist chronologische Fragestellung oder historische Aussage dar, die entscheidend dazu beiträgt, dass bei der Analyse subjektive und teilweise nicht mehr nachvollziehbare Elemente einfließen. Das Ergebnis kann daher eine willkürliche und bereits im Voraus feststehende Gliederung sein. Da Typen aber eigentlich konstruierte wissenschaftliche Hilfsmittel sind, die in der Archäologie als Ausgangspunkt oder „Werkzeug“ für weitere zeitlich-räumlich angelegte Konstrukte verwendet werden,166 sollten diese nach Möglichkeit auf einer sicheren, unabhängig von Fragestellungen erarbeiteten Grundlage stehen und der Materialvielfalt gerecht werden. Ein gangbarer Weg scheint, archäologische Klassifikationen stringent aus dem Material heraus vorzunehmen und dabei möglichst viele Merkmale unterschiedlichster Kategorien bei der Analyse zu berücksichtigen, ohne dass bereits Einschränkungen, die aus einer Fragestellung resultieren, einfließen. Der Schwerpunkt der Analyse sollte auf die Aufdeckung von Merkmalsstrukturen und auf die Korrelation von Merkmalen gelegt werden. Dabei sollten alle Entscheidungen und Vereinfachungen, die zwangsläufig im Laufe der verschiedenen Verfahren auf den einzelnen Arbeitsebenen getroffen werden müssen, transparent gemacht werden. Der Nachvollziehbarkeit und Falsifizierbarkeit ist bei der strukturellen Merkmalsanalyse jederzeit größtes Gewicht einzuräumen. Die nun folgende Kritik der bisherigen Klassifikationen orientiert sich allein an diesen methodischen Richtlinien.
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Wotzka, Kulturbegriff 41 formulierte dies bereits für den archäologischen Kulturbegiff. Diese Aussage gilt jedoch für alle archäologischen Merkmalskomplexe: Wotzka, Kultur 72. Auch Brather, Kultur 448–449 versteht archäologische Kulturen zurecht als künstliche Klassifikationen für die Ordnung des vorhandenen Materials. Chang, Rethinking Archaeology 90: „A type […] is both a model consisting of elements and itself an element participating in the building of other models at higher levels of contrast“.
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Aufgrund der dieser Fundgattung zugeschriebenen großen Bedeutung hinsichtlich ihrer chronologischen und ethnischen Auswertbarkeit wurde seit Beginn ihrer Erforschung eine verwirrend anmutende Vielfalt von Klassifikationsvorschlägen vorgelegt, die zu einer noch unübersichtlicheren Anzahl unterschiedlichster Bezeichnungen der damit konstruierten Typen, Gruppen und Varianten führten.167 Die Anzahl der vorgeschlagenen Klassifikationen bzw. Typbeschreibungen beläuft sich heute auf 40 ( ! ), die der konstruierten Typen und Varianten auf insgesamt 113 ( ! ).168 Die ersten, bereits oben ausführlich besprochenen Klassifikationsvorschläge von „Blechfibeln“, die im Zuge einer Beschreibung der allgemeinen Entwicklung der Bügelfibeln von Hans Hildebrand, Oskar Almgren, Carl Bernhard Salin, Eduard Brenner, Nils Åberg und Eduard Beninger konstruiert wurden, lassen die Anwendung einer einheitlichen Methode erkennen. Sie stehen nahezu ausnahmslos unter dem Einfluss der typologischen Methode mit der eine chronologische Abfolge erarbeitet werden sollte. Es soll hier nochmals angemerkt werden, dass die in diesen Arbeiten erzielten Ergebnisse, Gliederungen und erarbeiteten Merkmale (z.B. die Lage der größten Breite der Hakenplatte, die schnelle Ablösung von unverzierten und kerbschnittverzierten Fibeln) teilweise bis heute Bestand haben.169 Neben der starken Dominanz der typologischen Methode bei diesen Klassifikationen ist bei diesen Arbeiten zudem festzustellen, dass die Auswahl der Unterscheidungskriterien hier zwar beschrieben, jedoch nicht immer nachvollziehbar begründet wird. Ziel war dabei allgemein die chronologische Einordnung der „Blechfibeln“. Eine gewisse Ausnahme innerhalb der frühen Klassifikationen dieser Fundgattung bildet in methodischer Hinsicht die im Jahr 1928 von Aleksandr Petroviˇc Kalitinskij vorgelegte Darstellung der Entwicklung der Bügelfibeln Rußlands. Zwar ebenfalls unter dem Einfluß der der typologischen Methode stehend, klassifizierte Kalitinskij alle Bügelfibeln, darunter auch die von ihm als „Zweiplattenfibeln“ bezeichneten „Blechfibeln“ in schematischer und nachvollziehbarer Weise anhand hierarchisch gegliederter Merkmale. 167 168
169
Siehe Tab. 2. Erfasst wurden nur die Klassifikationen von „Blechfibeln“, die der Definition der Untersuchungseinheit dieser Arbeit entsprechen. Hierzu siehe: Kap. IV.2.1 Definition der Untersuchungseinheit „Blechfibeln“. Nicht berücksichtigt wurden ferner die folgenden, im Wesentlichen auf der Gliederung von Ambroz, Fibuly basierenden Klassifikationen: Ajbabin, Chronologija. Ajbabin, Etniˇceskaja istorija. Gavrithukin, Double-Plate fibulas. Aus den in Anm. Kap. II.1 Anm. 49 bereits erwähnten Gründen wurde auch der Gliederungsvorschlag von Kuchenbuch, Fibel mit umgeschlagenem Fuß nicht besprochen. Siehe Kap. II.1 Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil bis zu den Arbeiten von Nils Åberg und Eduard Beninger.
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Tab. 2: Chronologische Übersicht über die konstruierten Typeinteilungen von „Blechfibeln“. Typ (-bezeichnung/-beschreibung/-abbildung)
Literatur
A. Halfrund öfverskifva utan knapp eller med på sin höjd tre knappar; enkel båge; nedere stycket platt, utan ändknapp
Hildebrand, Spännets historia 215–218; Abb. 190–192
Almgren Gruppe VI 182
Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 79–89; Taf. VII, 182, 184.
Fig. 13a-36; (93–101)
Salin, Thierornamentik 5–52; Fig. 13a-36, 93–101.
Silberblechfibeln
Brenner, Stand der Forschung 262–282.
Gotische Silberblechfibeln
Åberg, Franken und Westgoten 41–62, 208–216.
I Gruppa, Tip 1, 2, 3, 4
Kalitinskij, Dvuplastinˇcatjach fibul’ 284–289.
Westgotischer Fibeltypus
Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 15–31.
Blechfibelgruppe: Gruppe A: Fibeln mit aufgenieteten Zierblechen
Zeiss, Westgotenreich 12–18.
Ejemplares arcaicos
Martínez Santa Olalla, Ensayo de sistematización 165–171
Typ I (el alveolado) Typ II (alveolado y de pie de lámina)
Supiot, Fibulas visigodas 103–109.
Gotische Silberblech- und Granatfibeln
Kuchenbuch, Fibel mit umgeschlagenem Fuß 15–19.
Typ IV
Párducz, Hunnenzeit 375–376.
Donauländische Silberblechfibeln
Werner, Studien zu Grabfunden 423–424.
Varianten IAA, IAB, IBA, IIBB, IIAA, IIAB, IIAC
Ambroz, Fibuly 86–91.
Varianten I, IA, II, IIA, III, IIIA
Horedt, Probleme 578–591.
Typ Villafontana
Bierbrauer, Villafontana 73–80.
Typ Tiszal˝ok Typ Villafontana
Bierbrauer, Raetia II 145.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Typ (-bezeichnung/-beschreibung/-abbildung)
Literatur
Grupo II: Fibulas de arco laminiformes o fundidas, conservando las palmetas (en la dos enna de las placas) de las laminiformes (Blechfibeln oder gegossene Fibeln mit Palmettenzierblechen): A: Sin apéndices en las placas del resorte y del sujetador B: Con cuatro o cinco apéndices en la placa del resorte y sin ellos en la del sujetador C: Incompleta: en la placa del resorte acaso cuatro apéndices, más otro aparente pero no real
Molinero-Peréz, Excavaciones y hallazgos casuales 129–133.
Variante Ambroz I AA Typ Surjan-Untersiebenbrunn Typus Kaˇcin-Siˇnavka Typ Untersiebenbrunn-Rábabordány Typ Smolín
Tejral, Mähren im 5. Jahrhundert 26–29.
Fibeln mit halbkreisförmiger Kopfplatte und rautenförmigem Fuß: Gruppe I: Fibeln mit umgeschlagenem Fuß (Variante I: Fibel mit schmalem Fuß, Variante II: Fibel mit breitem Fuß) Gruppe II: Fibeln mit Nadelhalter (Variante I: Fibeln mit länglichem Fuß, Variante II: Fibeln mit kurzem Fuß, Variante III: Miniaturfibeln mit halbkreisförmiger Platte, schmalem Fuß und einfacher Feder)
Diaconu, Fibel mit halbkreisförmiger Kopfplatte 258–263; Taf. III.
Typ Suuk-Su
Kühn, Süddeutschland 510–565.
Bügelfibeltyp 5
Koenig, Archäologie Hispaniens 38–42.
Typ Villafontana Typ Cholet-Nijmwegen/ mit (unregelmäßig) gestreckt rautemförmigen Fuß Typ Badajoz/ Merida/ Sevilla I Typ Badajoz/ Merida/ Sevilla II Typ Gyulavári (Castiltierra) Typ Monségur
Koenig, Archäologische Zeugnisse 228–240.
Typ Villafontana Typ Untersiebenbrunn/ Laa a. d. Thaya Typ Domoloszpuszta/ Bacsordas
Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff.
Fibeln mit halbrunder Kopfplatte und rhombischem Fuß
Horedt, Siebenbürgen in spätrömischer Zeit 131–133.
„Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation Typ (-bezeichnung/-beschreibung/-abbildung)
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Literatur
Silberblechfibeln: Variante Ambroz IAA/ Typ Surjan-Untersiebenbrunn Typ Villafontana/ Kaˇcin-Siˇnavka Typ Smolín und die jüngere Variante Tiszal˝ok
Kaltofen, Völkerwanderungszeit 46–50.
Petites fibules ansées à tête semi-circulaire et pied rhomboïdal Petites fibules ansées à tête semi-circulaire et long pied triangulaire
Kazanski, Fibules ansées 7–15.
Fibulas de arco y placas de tecnica trilaminar Fibulas de arco I
Ripoll, El Carpio de Tajo 51–56.
Petites fibules ansées à tête semi-circulaire et pied losangé dont la partie inférieure se termine par un angle obtus, du type „Ambroz I AB“ Petites fibules ansées à tête semi-circulaire et pied losangé dont la partie inférieure se termine par un angle obtus, du type „Ambroz I AA“ Fibules à tête semi-circulaire et à pied losangé du type „Ambroz I BA, BB“ Fibules à tête semi-circulaire et à pied losangé du type „Ambroz I AA et I AB“, dont la partie inférieure du pied se termine par un angle aigu Les fibules ansées du type „Izvorul“ Les fibules ansées avec deux plaques losangées Les fibules du type „Ambroz II AA“
Kazanski/ Legoux, témoignages archéologiques 16–36.
161 (56, 57, 58, 59)
Ciezar, Sériation 112–114.
Tipo I
Ripoll López, Occupación visigoda 119.
Fibelgruppen: Castelbolognese-Bakodpuszta Phasen: Villafontana Untersiebenbrunn/Hochfelden Laa/ Pusztabakod Tiszal˝ok/ Kiskunfélegyháza Domolospuszta/ Bacsordas
Bierbrauer, Castelbolognese Abb. 4.
Typ A: Lange Fibeln (ab 16,5 cm) Typ B: Kürzere Fibeln (bis 14,0 cm)
Ebel-Zepezauer, Blechfibeln 384; Abb. 2.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Typ (-bezeichnung/-beschreibung/-abbildung)
Literatur
Grupa A (Wariant A-1) Grupa B Grupa C (Wariant C1, C2, C3, Wzór „Spant, ov“, Wzór „Kerˇc“) Grupa D (Wariant D-1, Wzór „Ranzevoe“) Grupa E (Wariant E-1, E-2, Wzór „Miorcani“, Wzór „H˘arman“, Wzor E-5) Grupa F Grupa G
Kokowski, O tak zwanych blaszanych fibulach 155–156.
Fibel mit halbkreisförmiger Kopf- und rautenförmiger Fußplatte Unverzierte Blechfibeln mit halbkreisförmiger Kopf- und rautenförmiger Fußplatte
Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien 93–100.
Blechfibeln mit trapezoider oder rautenförmiger Fußplatte, deren größte Breite unterhalb der Mitte liegt Blechfibeln vom Typ Smolín und deren Weiterbildungen (Gruppe A/ Gruppe B)
Koch, Bügelfibeln 413–449.
„Echte, mehrteilige Blechfibeln (Abb. 28, Reihe 1)“
Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 71–74.
Typ Aguilafuente Typ Vicq Typ El Carpio 123 Typ Villel de Mesa (technische Untervariante: Herrera de Pisuerga)
Ebel-Zepezauer, Westgoten 17–21.
Gruppe 1 (mit polychromen Fibeln mit halbrunder Kopfplatte und rautenförmigem Fuß; zwei Werkstattgruppen) Gruppe 2
Stark, Szilágysomlyó.
262: Fibule ansée de type danubien (Smolin A) 263: Fibule ansée de type wisigothique (Smolin B)
Legoux/ Périn/ Vallet, Manche et Lorraine 37.
Kalitinskij wies die „Blechfibeln“ aufgrund ihrer Form der Hakenplatte (rhombisch oder länglich), der Anzahl der Knöpfe sowie der Konstruktion der Spiralplatte seiner Gruppe I zu und unterteilte diese anhand ornamentaler Merkmale nochmals in vier Typen.170
170
Kalitinskij, Dvuplastinˇcatjach fibul’ 284–289.
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Die Fibelexemplare der Iberischen Halbinsel stellten in der Folge die materielle Grundlage einiger Klassifikationsversuche dar. Hans Zeiss beschrieb im Jahr 1934 innerhalb der von ihm als „Blechfibelgruppe“ bezeichneten Bügelfibeln drei Gruppen (A–C), die zunächst aufgrund des bloßen Vorhandenseins (Gruppe A) oder des Fehlens aufgenieteter Zierbleche (Gruppen B und C) unterschieden wurden. Zeiss verwies auf Schwierigkeiten bei der Unterscheidung der Gruppen B und C und nannte als entscheidendes Merkmal lediglich das Merkmal der Kerbschnittverzierung.171 Zeiss’ Einteilung in Gruppen basiert letztlich auf einer beschreibenden Darstellung der Unterschiede, die Auswahl der Merkmale wird jedoch nicht durch eine strukturelle Analyse der Merkmale nachvollziehbar begründet.172 Im selben Jahr erschien ein Klassifikationvorschlag der spanischen Fibeln von Julio Martínez Santa Olalla, die sich weder methodisch noch in der Auswahl der Distinktionskriterien wesentlich von der in der Zeissschen Arbeit vorgenommenen Gliederung des Fundmaterials unterscheidet.173 Einen allgemein gehaltenen, ebenfalls lediglich in deskriptiver und vergleichender Weise erstellten Klassifikationsversuch des spanischen Fibelmaterials nahm Jaime Supiot im Jahr 1936 vor. Durch den Vergleich mit Exemplaren aus dem Donauraum beschrieb er eine Gruppe von „Blechfibeln“, die sich wiederum hauptsächlich durch das Merkmal sekundär angebrachter Zierbleche von den anderen Bügelfibeln unterschied. Die Auswahl der als diagnostisch erachteten Merkmale wird allerdings auch bei diesem Klassifikationsversuch nicht stringent begründet.174 Zweck aller Klassifikationsvorschläge der spanischen Fibelexemplare war neben der ethnischen auch deren nähere zeitliche Bestimmung. Im Zuge der Vorlage der hunnenzeitlichen Funde Ungarns im Jahre 1959 nahm auch Mihály Párducz eine typochronologische Bestimmung des Fibelmaterials vor, wobei „Blechfibeln“ – ohne hierfür Gründe zu nennen – zunächst als Typ IV ausgesondert wurden. Das Fibelexemplar aus Grab 111 von Csongrád-Kenderföldek, Csongrád Megye datierte er aufgrund des Merkmales der größten Breite der Hakenplatte oberhalb der Mitte und dem damit möglichen Vergleich mit anderen „Blechfibeln“ in das erste Viertel des 5. Jahrhunderts n. Chr. Mit dem vermeintlich chronologisch als entscheidend zu wertenden Merkmal der Lage der größten Breite der Haken171 172
173
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Zeiss, Westgotenreich 12–18. Zur chronologischen Einordnung der Fibeln siehe Kap. II.2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens. Martínez Santa Olalla, Ensayo de sistematización 165–171. Martínez Santa Olalla, Chronologische Gliederung 46. Supiot, Fibulas visigodas 103–109.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
platte benutzte Párducz somit nur ein Merkmal, auf das bereits Salin und Åberg in ihren Arbeiten verwiesen hatten, dessen chronologische Aussagekraft jedoch bis dahin nicht nachvollziehbar begründet wurde bzw. werden konnte.175 In keinster Weise nachvollziehbar ist auch die typochronologische Gliederung der „Blechfibeln“, die Joachim Werner im selben Jahr in seinen Studien zu Grabfunden des 5. Jahrhunderts aus dem Donauraum vorlegte. Da diese Gliederung jedoch als Paradebeispiel der hier als deskriptiv kategorisierten Methodik gelten kann und auch die damit konstruierten typochronologischen Vorstellungen weitreichende Wirkungen bezüglich der ethnischereignisgeschichtlichen Interpretation erlangten, soll sie hier ausführlich zitiert werden: In der Entwicklung der donauländischen Silberblechfibeln, die von Marosszentanna und dem Depotfund von Teker˝opatak in Siebenbürgen (zweite Hälfte des IV. Jahrhunderts) über Untersiebenbrunn und Laa a. d. Thaya (erste Hälfte des V. Jh.) zu Gyulavári und Kiskunfélegyháza führt, sind die Fibel von Kosino und das mit ihr werkstattgleiche Paar von Tiszalök im nahen Komitat Borsod Vertreter des jüngsten Stadiums, d. h. sie sind in die zweite Hälfte des V. Jahrhunderts zu stellen.176
Aufgrund der teilweise vorhandenen Kerbschnittverzierung auf den Fibeln sowie auf weiteren, in diesen (teilweise gestörten) Grabbefunden vergesellschafteten Funde wies Werner auf Ähnlichkeiten mit dem Fundstoff aus der „Frühzeit des italienischen Ostgotenreiches (nach 489)“ hin und begründete damit seine Datierung „in die Zeit kurz vor Abwanderung der Ostgoten nach Italien, also in die Jahrzehnte zwischen 450 und 489“. Damit begründete Werner ein typochronologisches Axiom, dass letztlich jedoch auf ethnisch-ereignisgeschichtliche Prämissen zurückgeht.177 Zu Werners Methodik ist ferner noch anzumerken, dass hier eine typochronologische Abfolge lediglich beschrieben wird. Anstatt nachvollziehbare diagnostische Merkmale zu nennen, wird lediglich pauschal auf die Abbildungen der Fibeln in den jeweiligen Publikationen verwiesen. Eine nachvollziehbare Begründung der konstruierten Abfolge wird zudem außer bei seinen Vorstellungen zur Einordnung der in Kerbschnitttechnik verzierten Gegenstände in keinem Falle gegeben. Die absolutchronologische Einordnung der postulierten Entwicklung wird ebenfalls nicht näher erläutert.
175 176 177
Párducz, Hunnenzeit 375–376. Werner, Studien zu Grabfunden 423–424. Zu den daraus resultierenden chronologischen Widersprüchen, die zugunsten der Möglichkeit der ethnischen Interpretation bis heute nicht aufgelöst werden, siehe Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum.
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Im Jahr 1966 publizierte Anatolij Konstantinoviˇc Ambroz eine Systematik der „Blechfibeln“, die bis heute benutzt wird und immer noch die Grundlage vieler Untersuchungen bildet.178 Ambroz teilte die Fibelexemplare im Wesentlichen in vier Gruppen ein, wobei er mit der Länge der Fibeln und der größten Breite der Hakenplatte zwei Merkmale als ausschlaggebend anführte, die bereits seit Beginn der Erforschung dieser Fibelgattung als maßgebend für die chronologische Gliederung angesehen wurden. Fibeln mit einer Länge (Maß ohne Knöpfe) bis acht Zentimeter wurden der Ambrozschen Untergruppe I zugewiesen, während Exemplare ab zehn Zentimetern Länge der Untergruppe II zuzuordnen seien. Für die weitere Untergliederung der Untergruppe I galt Ambroz die Position der größten Breite der Hakenplatte als entscheidendes Merkmal. Damit konstruierte er die Gruppe IA mit größter Breite unterhalb der Mitte und die Gruppe IB mit größter Breite in der Mitte der Hakenplatte. Ausschlaggebend für die weitere Unterteilung in Varianten war für Ambroz der optische Eindruck der Hakenplatte. Die Varianten IAB und IBB besitzen insgesamt eine gestreckte Hakenplatte, während die Varianten IAA und IBA eine eher gedrungene Hakenplatte aufweisen. Bei allen Exemplaren der Ambrozschen Untergruppe II liegt die größte Breite der Hakenplatte über deren Mitte. Diese Untergruppe wurde von Ambroz nochmals anhand des prozentualen Anteils der Strecke vom Bügelende bis zur größten Breite der Hakenplatte in Bezug auf die Gesamtlänge der Hakenplatte in drei Varianten (IIA-C) unterteilt.179 Hier wurden aufgrund der zunehmenden Länge der Fibelexemplare zudem die Varianten IIAA, IIAB, IIAC konstruiert. Die Klassifikation von Ambroz ist nachvollziehbar und systematisch. Alle diagnostischen Merkmale werden genannt, doch die Auswahl der als entscheidend angeführten wird letztlich nicht begründet. Die starre Klassifikation der Merkmale, die ausschließlich auf der Gesamtlänge sowie der formalen sowie metrischen Verhältnisse der Hakenplatte beruht, wird der Heterogenität des Fundstoffes nicht gerecht, zumal Ambroz den beschriebenen Merkmalen auch chronologische Relevanz unterstellt. Die Besprechung des Fibelpaares von Villafontana, Prov. Verona nahm Volker Bierbrauer zum Anlass, seine Vorstellungen bezüglich der Entwicklung und Chronologie der „Blechfibeln“ darzustellen.180 Zunächst schloss Bierbrauer der Beschreibung der Fibeln von Villafontana, Prov. Verona
178 179
180
Ambroz, Fibuly 76–91. Hierzu nochmals und mit genaueren absolutchronologischen Angaben: Ambroz, Dvuplastinˇcatjach fibulach 108–112. Bierbrauer, Villafontana 75–77.
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einen Vergleich ähnlicher „Blechfibeln“ aus dem Donauraum und Südrußland an und konstatierte pauschal: Bei einem Vergleich formenkundlicher Kriterien sowie einer vergleichenden Betrachtung […] scheint sich eine weitgehende Gleichzeitigkeit der Fibeln […] zu ergeben, was die Zusammenfassung zu einer Gruppe rechtfertigt.
Danach erfolgte eine chronologische Einordnung dieser Gruppe durch typologische Vergleiche zu vermeintlich chronologisch früheren bzw. späteren „Blechfibeln“, wobei die Unterscheidungen nur teilweise nachvollziehbar ausfielen und die chronologische Abfolge letztlich nur aufgrund von absolutchronologischen Anhaltspunkten aus wenigen geschlossenen Grabbefunden konstruiert wurde: Typologisch muß die Blechfibelgruppe von Villafontana zwischen die ersten sogenannten gotischen Blechfibeln der ausgehenden Cˇernjachov-Sintana de Mures-Kultur in Südrussland und Rumänien und der zahlenmäßig großen Gruppe von Silberblechfibeln mit Palmetten um die Bügelenden […] gesetzt werden.
Einzig die Ausprägungen der Verzierungen an den Bügelenden werden hier konkret als (chronologisches) Unterscheidungskriterium genannt. Eine nachvollziehbare, auf strukturelle Untersuchungen weiterer Merkmale begründete Klassifikation nahm Bierbrauer zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht vor. Eine nähere Beschreibung der „Blechfibeln“ mit Palmettenverzierung an den Bügelenden erfolgte im Jahr 1971, wobei hier ebenfalls in unspezifischer Weise die sogenannten „großen Blechfibeln vom Typ Tiszalök“ von den Fibeln des Typs Villafontana unterschieden wurden und dafür ein nicht näher bestimmbares metrisches Merkmal der Gesamtlänge zur Definition dieses Typkonstruktes verwendet wurde.181 Die in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vorgelegten Bearbeitungen des spanischen Fibelmaterials orientierten sich überwiegend an der von Hans Zeiss vorgeschlagenen Klassifikation.182 Lediglich in der Arbeit von Antonio Molinero-Peréz aus dem Jahr 1971 wurde nochmals ein Versuch zur beschreibenden Gliederung des Fibelmateriales aufgrund formaler Merkmale aus den großen westgotenzeitlichen Gräberfeldern unternommen, der lediglich eine Ordnung des Materials bezweckte. Die Bügelfibeln wurden dabei in „Blechfibeln“ und gegossene Fibeln mit Palmettenzier am Bügelende eingeteilt, wobei anhand der Anzahl der Knöpfe und Appliken nochmals zwei Untergruppen unterschieden wurden, zudem
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Bierbrauer, Raetia II 145. Hübener, Chronologie 199–200; Abb.5. Mit Verweis auf die Notwendigkeit einer ausführlichen Merkmalsanalyse und Kombinationsstatistik Koenig, Archäologie Hispaniens 38–42; Abb. 12.
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noch eine Gruppe als unvollständig angesprochener Fibeln.183 Die Auswahl der Unterscheidungsmerkmale wird von Molinero-Peréz zwar beschrieben, eine Begründung hierfür wird jedoch nicht gegeben. Im Rahmen der Besprechung der „Blechfibeln“ aus Grab XXXII von Smolín, Jihormoravsk´y Kraj stellte Jaroslav Tejral im Jahr 1973 erstmalig seine Sicht der chronologischen Entwicklung dieser Fibelgattung dar. Ausschlaggebend für die in erster Linie zeitliche Gliederung waren hier erneut die Merkmale der Gesamtlänge, die Lage der größten Breite auf der Hakenplatte sowie die Verzierungen an den Bügelenden der Fibelexemplare. Dabei bezog sich Tejral teilweise auf die Ambrozsche Klassifikation (Variante IAA) und postulierte zunächst anhand der einschlägigen Merkmale eine als Typ Surjan-Untersiebenbrunn bezeichnete Übergangsvariante zwischen den für ihn ältesten Formen und den Fibeln des Typs Smolín mit Palmetten an den Bügelenden. Aufgrund der Größe und nicht näher benannten typologischen Weiterentwicklungen unterschied Tejral hier jedoch zudem – ähnlich Bierbrauers Typ Villafontana – den Typ Kaˇcin-Siˇnavka und den zeitlich darauffolgenden Typ Untersiebenbrunn-Rábabordány. Den Typ Smolín hielt Tejral für eine räumlich auf den Donauraum beschränkte Variante des gleichzeitigen Typs Untersiebenbrunn-Rábabordány, der geraume Zeit zusammen mit in Kerbschnitttechnik verzierten Fibeln auftrete, bevor eine Ablösung durch diesen erfolge.184 Tejrals typochronologische Ausführungen werden nachvollziehbar beschrieben, doch wird weder die Auswahl der Merkmale noch deren chronologische Relevanz ausreichend und strukturell begründet, auch wenn teilweise Fundvergesellschaftungen zur absolutchronologischen Einordnung hinzugezogen werden. Die im gleichen Jahr durch Gheorghe Diaconu publizierte, nicht primär auf chronologische Ordnung abzielende Klassifikation von „Blechfibeln“ aus der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur auf dem Gebiet des heutigen Rumänien erfolgte anhand einer nur teilweise nachvollziehbaren Merkmalsauswahl. Diaconu unterschied die „Blechfibeln“ zunächst aufgrund der Konstruktion des Nadelhalters in zwei Gruppen, die er dann wiederum anhand der Form der Hakenplatte in mehrere Varianten einteilte, wobei zudem eine „Miniaturvariante“ ausgeschieden 183 184
Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 129. Tejral, Mähren im 5. Jahrhundert 26–29. Dieses Entwicklungsschema wurde von Tejral in weiteren Arbeiten noch ausführlicher dargestellt. Anhand dieser Klassifikation und der Analyse der mit den entsprechenden Fibeln vergesellschafteten Gegenstände wurde von Tejral ein fein gliederndes, überregional gültiges Chronologiesystem für das 5. Jahrhundert n. Chr. erstellt, das bis heute Bestand hat: Tejral, Beginn der Völkerwanderungszeit. Tejral, Fremde Einflüße. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Tejral, Mittlerer Donauraum.
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wurde.185 Die Verwendung der Konstruktion der Nadelhalterform als ausschlaggebendes Distinktionskriterium ist bei Diaconu auf typologische Überlegungen zurückzuführen, da er „Blechfibeln“ als aus der Fibel mit umgeschlagenem Fuß heraus entwickelt ansah. Das Merkmal der Gestalt der Hakenplatte übernahm er aus früheren Arbeiten. In seinem im Jahr 1974 publizierten Katalog völkerwanderungszeitlicher Bügelfibeln lehnte Herbert Kühn alle bisher als chronologisch erachteten Merkmale ab und nahm lediglich eine sehr grobe Unterscheidung vor, indem er die „Blechfibeln“ aufgrund ihrer glatten, unverzierten Oberfläche von anderen Bügelfibeln sowie den steinverzierten Prunkvarianten der „Blechfibeln“ trennte. Weitere Unterscheidungen nahm Kühn nicht vor, er beschrieb lediglich allgemeine Charakteristika dieser Fibelgruppe.186 Die kritische Befragung des spanischen Fibelmaterials auf dessen ethnische und chronologische Aussagekraft veranlasste Gerd Koenig im Jahr 1980 dazu, die ihm bekannten spanischen Exemplare mit denen aus anderen europäischen Gebieten zu vergleichen und teilweise neu zu klassifizieren. Dabei orientierte sich Koenig überwiegend an den Merkmalen bereits bestehender Klassifkationen ohne weitere grundsätzliche, auf einer Merkmalsanalyse basierende Untergliederungen vorzunehmen.187 Im selben Jahr legte Volker Bierbrauer einen umfassenden Gliederungsvorschlag für die chronologische Entwicklung der „Blechfibeln“ vor, der gleichzeitig die Grundlage für die Konstruktion eines überregional gültigen Chronologieschemas war, welches er später noch verfeinerte. Die von Bierbrauer als diagnostisch erachteten Merkmale waren jedoch im Wesentlichen dieselben, die er bereits in seinen bereits zuvor erschienen Aufsätzen zur Unterscheidung seiner Typkonstrukte „Villafontana“ und „Tiszalök“ benutzt hatte: Neben der Lage der größten Breite der Hakenplatte waren für Bierbrauer die Gesamtlänge der Fibelexemplare sowie die unterschiedlichen Ausprägungen der Verzierungen an den Bügelenden entscheidend für die damit konstruierte zeitliche Abfolge. Bis auf den sogenannten „Typ Tiszalök“, der in „Typ Untersiebenbrunn/ Laa a.d. Thaya“ umbenannt wurde und der postulierten schnellen Ablösung der „Blechfibeln“ durch den gegossenen und mit Kerbschnittverzierung versehenen „Typ Domolospuszta/ Bácsordas“ änderte sich in der schematischen und kaum begründeten Merkmalsauswahl und -unterscheidung nichts.188 185 186
187 188
Diaconu, Fibel mit halbkreisförmiger Kopfplatte 259–263. Kühn, Süddeutschland 520. Siehe hierzu auch Kap. II.4.1 Regionale und überregionale Materialvorlagen. Koenig, Archäologische Zeugnisse 228–242. Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 135–138.
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Anhand der Untersuchung von „Blechfibeln“ aus dem Gebiet Transsylvaniens kam Kurt Horedt im Jahr 1982 zu dem Ergebnis, dass die Fibelexemplare typologisch beträchtliche Unterschiede aufweisen würden.189 Die Analyse der Lage der größten Hakenplattenbreite, des Materials, der Anzahl der Spiralen sowie der Perldrahtverzierung an den Bügelenden schien es ihm trotz Betonung der Heterogenität des Fibelmaterials dennoch möglich, drei Varianten zu unterscheiden, wobei zwei davon sich nur unzureichend voneinander trennen lassen würden. Als Begründung für die Auswahl des für ihn ebenfalls chronologisch zu wertenden Merkmals der Lage der größten Hakenplattenbreite verwies er auf die Arbeiten Åbergs und Werners.190 In ihren im Jahr 1984 vorgelegten Studien zur Chronologie der Völkerwanderunsgzeit im südöstlichen Mitteleuropa versuchte Andrea Kaltofen die unterschiedlichen Klassifikationen von „Blechfibeln“ zusammenzufassen. Dabei nahm Kaltofen selbst keine neue Klassifikation vor, sondern übernahm lediglich die unterschiedlichen Klassifikationsvorschläge von Ambroz, Tejral und Bierbrauer, wobei sie auch die Bezeichnungen der unterschiedlichen Typen aus den bisher verwendeten Begriffen zusammensetzte.191 Die Vorlage des Gräberfeldes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo nahm Gisela Ripoll im Jahr 1985 zum Anlass, das Fibelmaterial dieses Gräberfeldes neu zu ordnen. Dabei nahm sie aufgrund metallurgischer und technischer Unterschiede (Silberblechauflage oder Bronzeguss) sowie metrischer (Gesamtlänge) und ornamentaler Kriterien (Anzahl der Knöpfe, Punzverzierung) eine beschreibende Einteilung der Bügelfibeln in vier Typen vor, wobei „Blechfibeln“ mit Silberauflage („Fibulas de arco y placas de tecnica trilaminar“) von formal annähernd identischen Fibeln aus Bronze („Fibulas de arco tipo I“) getrennt wurden.192 Eine Seriation von Grabbefunden, die eine präzisere chronologische Einteilung der jüngeren Phase der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur zum Ziel hatte, nahmen Michel Kazanski und René Legoux im Jahr 1988 vor, was neben der Gliederung aller vertretenen Fundgattungen 189 190
191 192
Horedt, Siebenbürgen in spätrömischer Zeit 131–133. Bereits im Jahr 1967 hatte Horedt eine Klassifikation von „Blechfibeln“ vorgelegt, die sich wesentlich an dem von Joachim Werner im Jahr 1959 vorgelegten Schema orientierte. Horedt unterschied hier für jeden Typ noch jeweils eine weitere mit Cabochoneinlagen verzierte Variante an: Horedt, Probleme 578–581. Kaltofen, Völkerwanderungszeit 46–50. Ripoll, El Carpio de Tajo 51–56. Ripoll legte im Jahr 1991 nochmals eine ähnliche, auf Beschreibungen der unterschiedenen Typen beruhende Klassifikation der spanischen Fibelexemplare vor, wobei die Klassifikation der Blechfibeln im Wesentlichen dieselbe bleibt: Ripoll López, Occupación visigoda 119.
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auch eine Ordnung der „Blechfibeln“ nötig machte.193 Kazanski und Legoux griffen dabei hauptsächlich auf bereits vorgelegte Materialklassifikationen zurück, im Falle der „Blechfibeln“ nahezu ausschließlich auf die Ambrozsche Klassifikation. Lediglich die beiden Fibelexemplare aus Grab 9 von Izvorul, Jud. Giurgiu wurden aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit und mit Verweis auf die Verzierung mit Steineinlagen nochmals als eigener Typ ausgewiesen.194 Pablo G. Ciezar nahm im Jahr 1990 eine Seriation der Gräber von Duratón, Prov. Segovia vor. Dabei unterschied er insgesamt sieben Großgruppen von Bügelfibeln, innerhalb derer nochmals 24 Varianten differenziert wurden. Die Gruppe der „Blechfibeln“ unterteilte Ciezar in vier Varianten. Diese Unterteilung wurde nicht näher erläutert, sondern lediglich mit einem pauschalen Hinweis auf die Arbeit von Molinero-Peréz begründet.195 Die vorgenommene Klassifikation entspricht jedoch nicht in allen Belangen der Gliederung von Molinero-Peréz und ist daher nicht nachvollziehbar. Im Jahr 1991 legte Volker Bierbrauer ein – im Vergleich zu seinen im Jahr 1980 publizierten chronologischen Vorstellungen wiederum stark verfeinertes – Chronologieschema für das 5. Jahrhundert n. Chr. vor. Es stützt sich nahezu ausschließlich auf die typologische Entwicklung bzw. chronologisch zu verstehende Klassifikation von „Blechfibeln“, wobei die beschriebene Abfolge im Wesentlichen der im Jahre 1980 vorgelegten ähnelt.196 Anhand von zehn explizit genannten Merkmalen (darunter die Merkmale „Blechfibel“ und „gegossene Fibel“), deren Auswahl jedoch nicht näher begründet wird, werden die Fibeln schematisch in fünf aufeinander folgende Phasen mit einer angenommenen zeitlichen Dauer zwischen zwanzig und vierzig Jahren eingeteilt.197 Eine strukturelle Analyse des Fibelmaterials bzw. der Merkmale wird nicht vorgenommen, vielmehr scheinen die anhand der Merkmalsauswahl konstruierte chronologische Abfolge und die daran geknüpften historischen Aussagen die Richtigkeit der feinchronolo193 194
195 196
197
Kazanski, Legoux, témoignages archéologiques 16–36 Bereits im Jahr 1984 wurden von Michel Kazanski die „Blechfibeln“ aus Gallien zum Zwecke der Bestimmung der ethnischen Herkunft ihrer Träger. Zur Ordnung der Fibeln benutzte Kazanski das Klassifikationsschema von Ambroz, wobei er sich durch Vergleiche mit vermeintlich gut datierbarem Material um präzisere Datierungen der Typen bemühte: Kazanski, Fibules ansées 7–15. Ciezar, Sériation 112–114, Fig. 3. Teilweise werden auch Vergesellschaftungen mit anderen Gegenständen aus Grabbefunden zur Ordnung herangezogen. Zur Kritik an der Auswahl der Grabbefunde siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Bierbrauer, Castelbolognese Abb. 4.
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gischen Gliederung zu bestätigen. Vermeintlich chronologisch relevante, aber eigentlich konstruktionsbedingte Merkmale wie beispielsweise „drei seitl.[iche] Knöpfe“ werden zur Unterscheidung angeführt, die diachron vorkommende Anbringung von einem oder zwei seitlichen Knöpfen hingegen nicht.198 Die schematische und nicht nachvollziehbar begründete Auswahl der Merkmale soll somit eine, wenn auch ohnehin in der abgebildeten Kontingenztafel nicht eindeutig erkennbare, feinchronologische Abfolge suggerieren, die bei dieser Fundgattung jedoch ohnehin nicht gegeben ist. Andrzej Kokowski nahm im Jahr 1996 die Besprechung von vier Funden von „Blechfibeln“ aus der sogenannten Masłomêcz-Gruppe199 zum Anlass, eine neue Klassifikation der für ihn spätkaiserzeitlichen und frühvölkerwanderungszeitlichen Fibelexemplare vorzulegen, die zugleich eine chronologische Einordnung der von ihm unterschiedenen Gruppen und Varianten beabsichtigte.200 Aufgrund der Form der Spiral- und der Hakenplatte sowie der Proportionen zwischen Spiralplatte, Bügel und Hakenplatte beschrieb er zunächst sieben Fibelgruppen. Anhand bestimmter Konstruktionsmerkmale (u. a. Anzahl der Spiralen) sowie unterschiedlicher Verzierungsmuster unterschied er ferner nochmals 13 Varianten. Die Auswahl der hierarchisch gegliederten Merkmale ist ausführlich dargelegt, jedoch wird diese von Kokowski nicht näher begründet, da dem Gliederungsversuch ebenfalls keine strukturelle Analyse der Merkmale zugrunde liegt. Radu Harhoiu unterschied in seiner im Jahr 1997 erschienen Vorlage des frühvölkerwanderungszeitlichen Fundstoffes aus Rumänien die „Blechfibeln“ aufgrund der Form der Haken- und Spiralplatte sowie der unverzierten Oberfläche von anderen zeitgleichen Fibeln. Die im Anschluss vorgenommene typologisch-beschreibende, chronologische Gliederung und kulturelle Einordnung der rumänischen Funde folgt im Wesentlichen den von Ambroz und Bierbrauer vorgelegten Klassifikationen.201 Auf der Übernahme der Klassifikationsschemata von Ambroz, Tejral und Bierbrauer beruht auch die typochronologische Ordnung der „Blech198
199 200 201
Das Merkmal dreier seitlicher Knöpfe ist aufgrund des häufig fragmentarischen Erhaltungszustandes der Fibelexemplare ohnehin nur schwer nachweisbar. Zudem werden diesem Merkmal „Blechfibeln“ wie etwa die Exemplare aus Grab 1 von Castelbolognese, Prov. Ravenna zugeschrieben, die nachweislich keine drei seitlichen Knöpfe aufweisen, wie Verfasser bei makroskopischer Betrachtung und durch den Vergleich mit den identischen Exemplaren von Lezoux, „Saint-Jean de Lezoux“, Dép. Puy-de-Dôme Grab F 30 belegen kann. Hierzu siehe Kap. III.3.3.1 Die Konstruktion der Stufe C3. Kokowski, O tak zwanych blaszanych fibulach 155–156. Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien 97–100.
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fibeln“, die Alexander Koch im Jahr 1998 im Rahmen der antiquarischen Zusammenstellung der Bügelfibeln im westlichen Frankenreich vollzog.202 Daher sind die – ohnehin nicht anhand einer strukturell begründeten Merkmalsanalyse vorgenommenen – ausnahmslos beschreibenden Unterscheidungen auch nicht nachvollziehbar. Die Auswahl der Merkmale wird zudem nicht einheitlich verwendet und begründet. Barbara Sasse legte in ihrer im Jahr 2000 vorgelegten Publikation des Gräberfeldes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo aufgrund der geringen Anzahl von Exemplaren keine eigene Klassifikation der „Blechfibeln“ vor. Sasse wies jedoch darauf hin, dass die von ihr abgebildeten Fibeln aufgrund der Form der Spiral- und Hakenplatte sowie der Verzierungen einer typologischen Reihe entsprechen würden und nahm anhand dieser Merkmale und unter Verweis auf die unterschiedliche Gesamtlänge sowie der Fertigungstechnik eine beschreibende Gliederung der „Blechfibeln“ vor. Sasse verwies darauf, dass diese vorläufige und nicht strukturell begründete Gliederung in einer später folgenden Untersuchung noch nachvollziehbar gestaltet werde.203 Im selben Jahr erfolgte eine weitere Typengliederung der „Blechfibeln“ aus den westgotenzeitlichen Gräberfeldern der Iberischen Halbinsel, bei der Wolfgang Ebel-Zepezauer insgesamt drei Typen und eine Variante unterschied. Ebel-Zepezauer nahm seine Gliederung überwiegend anhand der Gesamtlänge der Fibeln,204 einigen Konstruktionsmerkmalen sowie Details in der Spiralplattengestaltung vor.205 Eine strukturelle Analyse der Merkmale wurde nicht vorgenommen, die Auswahl nicht begründet, die Typen lediglich beschrieben. Robert Stark teilte ebenfalls im Jahr 2000 die „Blechfibeln“ aus dem östlichen Mitteleuropa in zwei Hauptgruppen ein.206 Dabei beschrieb er zwei auch chronologisch aufeinander folgende Fibelgruppen von denen sich Gruppe 1 durch einfache Seitenleisten, die durch einen schmalen Blechstreifen gebildet werden, keine Palmetten an den Bügelenden und einer halbrunden Spiralplatte auszeichnen würde. Fibeln der Gruppe 2 sind demgegenüber durch eine halbrunde Kopfplatte mit abgeschnittenen Seiten, 202 203 204
205 206
Koch, Bügelfibeln 413–449. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 71–74. Bereits in einer im Jahr 1994 vorgelegten chronologischen Untersuchung der „Blechfibeln“ Spaniens hatte Wolfgang Ebel-Zepezauer eine Gliederung der Fibeln in zwei Gruppen vorgelegt, die im Wesentlichen auf der Gesamtlänge der Exemplare beruhte, z. T. jedoch auch einige spezifische Konstruktionsdetails beschrieb: Ebel-Zepezauer, Blechfibeln 384; Abb. 2. Ebel-Zepezauer, Westgoten 16–21 Stark, Szilágysomlyó 157–162.
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L-förmig profilierte Seitenleisten und durch Verzierung mit Palmetten bzw. anderen Appliken an den Bügelenden sowie einem mittleren Zierknopf zu unterscheiden. Stark beschrieb die zur Unterscheidung der Gruppen verwendeten Merkmale zwar nachvollziehbar, doch fehlt auch hier eine strukturelle Begründung für die Auswahl dieser. René Legoux, Patrick Périn und Françoise Vallet gliederten im Jahr 2004 in einer systematischen Übersicht über die chronologische Einordnung verschiedener merowingerzeitlicher Sachgüter die „Blechfibeln“ in zwei Typen.207 Allerdings blieb es hier nur bei einer unkommentierten Liste unterschiedlicher Typen, deren Zustandekommen nicht näher erläutert wird. Die Vielfalt der Klassifikationsvorschläge und Typkonstrukte von „Blechfibeln“ liegt einerseits in der großen Zahl der vorgelegten regionalen Aufarbeitungen des Materials begründet, andererseits ist hierfür jedoch neben den unterschiedlichen methodischen Ansätzen v. a. das Bestreben nach einer zunehmend feiner gliedernden typochronologischen Einordnung der „Blechfibeln“, um deren vermeintliches Aussagepotential bezüglich ethnisch-ereignisgeschichtlicher Interpretationen des archäologischen Fundmaterials auszuschöpfen, verantwortlich. Aller Vielfalt zum Trotz lassen sich die unterschiedlichen Klassifikationen der „Blechfibeln“ nach ihren wesentlichen theoretisch-methodischen Konzepten und Vorgehensweisen grob in Kategorien einteilen: Neben den auf der typologischen Methode basierenden Ansätzen sind überwiegend konstatierende Unterscheidungen der Fibeln in deskriptiver Weise vorgenommen worden. Nur in wenigen Fällen wurden Klassifikationen anhand der Analyse von explizit als diagnostisch erachteten Merkmalen, denen ebenfalls eine meist chronologische Aussagekraft zugeschrieben wird, vorgeschlagen. Ferner können noch Übernahmen älterer Klassifikationsvorschläge im Zuge von neuen und lokalen Materialvorlagen ausgegliedert werden, die keine oder nur geringfügige Ergänzungen bzw. Veränderungen von Merkmalen und Typkonstrukten vornahmen. Die Verwendung der unterschiedlichen Methoden lassen keine strikte zeitliche Abfolge erkennen, vielmehr zeigt sich überwiegend eine gewisse Beliebigkeit in der Auswahl sowie teilweise auch eine Vermischung der unterschiedlichen methodischen Ansätze. Die bisherigen Klassifikationen von „Blechfibeln“ haben nahezu ausnahmslos eine möglichst feine chronologische Gliederung dieser Fundgattung zum Ziel. Die Auswahl der hierzu herangezogenen, vermeintlich chro-
207
Legoux/ Périn/ Vallet, Manche et Lorraine 37.
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nologisch relevanten Merkmale wird zwar beschrieben, jedoch nie begründet. Oftmals erfolgt nur ein Verweis auf ältere, häufig an den Beginn der Erforschung dieser Fundgattung zu stellende Arbeiten, die jedoch ebenfalls keine nachvollziehbaren Begründungen für die Merkmalsauswahl liefern. Einheitliche Regeln für die Merkmalsauswahl sind nicht auszumachen. Unterschiedlichste Merkmale aus unterschiedlichen Merkmalskategorien kommen bei der Typkonstruktion zum Einsatz und werden je nach der beabsichtigten chronologischen Einordnung ausgewählt. Dabei ist es anhand der großen Zahl der an „Blechfibeln“ vorhandenen und äußerst individuell ausgeprägten Merkmale nicht nachzuvollziehen, warum einmal die Position der größten Breite der Hakenplatte, ein andermal die Gesamtlänge oder etwa die Anzahl der seitlichen Knöpfe chronologisch ausschlaggebend sein soll. Die gesamten Gliederungsversuche scheinen lediglich eine beliebige Auswahl der zur Verfügung stehenden Merkmale zu treffen, um die „Blechfibeln“ nach der beabsichtigten historischen Aussage chronologisch zu klassifizieren. Eine unabhängige, nachvollziehbare strukturelle Auswertung von Merkmalen dieser Fundgattung, die eine chronologische Abfolge nachvollziehbar machen bzw. beweisen würde, ist bisher nicht vorgelegt worden. Vielmehr erfolgt dies durch vergesellschaftetes Material aus den wenigen geschlossenen Befunden oder anhand des Vergleichs von Details mit ähnlichen „Blechfibeln“ aus vermeintlich zur Datierung geeigneten Befunden, deren Auswahl jedoch häufig nicht oder nur unzureichend begründet wird. Als Beweis für die Richtigkeit der auf diese Weise vorgenommenen chronologischen Ordnungen scheint letztlich die (teilweise auch durch die geographische Verbreitung der konstruierten Typen untermauerte) Korrelation mit ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen zu gelten, die jedoch teilweise bereits bei der Konstruktion der Ordnungen einfließen. Wie problematisch die schematische Auswahl vermeintlich chronologisch zu wertender Merkmale ist und in welch hohem Maß bei der Konstruktion der chronologischen Klassifikationen der „Blechfibeln“ und den darauf basierenden konstruierten Chronologiesystemen ethnisch-ereignisgeschichtliche Prämissen und Interpretationen einfließen, wird in den folgenden Kapiteln beschrieben.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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3 „Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit: Ereignisgeschichte und archäologischer Befund „Blechfibeln“ und ihre klassifikatorische Ansprache bilden die Grundlage verschiedener Chronologiemodelle der Völkerwanderungszeit mit regionalem bzw. überregionalem Gültigkeitsanspruch. Letztere sind das Ergebnis von Versuchen einer zeitlichen Ordnung des archäologischen Materials dieser Periode und zielen auf eine relativ- und absolutchronologische Gliederung. Nur auf diese Weise ist es dem Archäologen möglich, anhand der ihm zur Verfügung stehenden Quellen zu Aussagen historischer Art zu kommen.208 Daher nimmt diese Fundgattung auch bei vielen weitergehenden historischen Interpretationen der archäologischen Forschung eine wichtige Funktion ein. Chronologiemodelle für die sogenannte Stufe D, welche ursprünglich von Otto Tischler209 für das völkerwanderungszeitliche Material definiert wurde, sind während der letzten ca. 120 Jahre stark modifiziert und verfeinert worden210 und umfassen das Sachgut zwischen dem Ende der jüngeren Römischen Kaiserzeit und den frühmittelalterlichen Funden. Die Stufe D wird heute in mehrere, aufeinander folgende, auch als „Stufen“, „Phasen“ oder „Horizonte“ bezeichnete zeitliche Einheiten aufgegliedert, deren relativ- und absolutchronologische Ober- und Untergrenzen sich stark überschneiden. Gleichzeitig gibt es Bemühungen, die keineswegs einheitlichen und auf verschiedenen Ansätzen aufbauenden Chronologiemodelle211 für die einzelnen europäischen Regionen zu korrelieren, um Vergleiche mittels dem „ähnlichen“ und europaweit verbreiteten Fundmaterial zu ermöglichen,212 das sich auch auf die provinzialrömischen Gebiete, die für diese 208 209 210
211
212
Steuer, Datierungsprobleme 129. Tischler, Gräberfeld. Tischler, Könisgsberg 399–401. Tischler, Oberhof. Zur Übersicht über einige wichtige Chronologievorschläge: Abb. 4 a-b. Einen Überblick über die Forschungsgeschichte für den Donauraum findet sich bei: Tejral, Mittlerer Donauraum 223–224. Während die Chronologie der Völkerwanderungszeit auf dem Kontinent in erster Linie auf den weiter unten beschriebenen Mitteln (Beigabenkombinationen, Klassifikation verschiedener Fundgattungen, usw.) gründet, wird die Völkerwanderungszeit in Skandinavien unter anderem auch in verschiedene, zeitlich nicht immer deutlich voneinander zu trennende, stilgeschichtliche Phasen gegliedert. Hierzu: Bemmann/ Hahne, Waffenführende Grabinventare 290–291. Menke, Frühvölkerwanderungszeitliche Fibeln 55. Zur überregionalen Vergleichbarkeit der verschiedenen regionalen Chronologien: Bitner-wróblewska, Scania
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Fragen von großem Interesse sind, erstreckt.213 Die Chronologiesysteme, denen eine überregionale Gültigkeit für Mitteleuropa zugeschrieben wird und die auf Klassifikationsversuchen von „Blechfibeln“ beruhen, wurden auf der Grundlage des Materials aus dem mittleren und unteren Donauraum und Südosteuropa von Volker Bierbrauer214 und Jaroslav Tejral215 erarbeitet.216 Methodisch basiert die relative Chronologie der Völkerwanderungszeit dem Vergleich von Sachgütern und deren Kombinationen aus einzelnen, z. T. räumlich weit voneinander entfernten, geschlossenen Inventaren aus häufig reich ausgestatteten Gräbern und Schatzfunden. Spezifische Sachgüter aus Befunden – hier sind v. a. die „Blechfibeln“ zu nennen – werden zuvor in verschiedene, subjektiv konstruierte Typen klassifiziert,217 die als Leittypen218 oder Leitfunde angesehen werden und einzelne Phasen definieren. Durch die vorhandenen Kombinationen mit bereits als chronologisch aussagekräftig verstandenen Typen, werden vermeintlich spezifische Fundkombinationen ermittelt, die eine relative Abfolge erkennen lassen sollen. Mit diesen methodischen Ansätzen werden die chronologischen Gliederungsvorschläge für die Völkerwanderungszeit konstruiert.219 Zur Untermauerung der relativen Chronologie, wie beispielsweise am Übergang der Stufe C3 zu D1, zieht man zudem Belegungsabfolgen bzw. -abbrüche von Gräberfeldern zur Phaseneinteilung hinzu,220 deren Ende aber auch nur wieder über die Typen im Inventar der Gräber definiert wird. Da-
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218 219
220
and Samland 225–226; Fig. 1. Lund Hansen, Skandinavien und der Kontinent. Kritisch zur überregionalen Gültigkeit von lokal ermittelten Chronologiemodellen: Narr, Hienheim, Schernau, Kehlheim 7–8. Tejral, Neue Aspekte 321. Knorr, Chronologie der Römischen Kaiserzeit 18–19. Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff. Bierbrauer, Castelbolognese. Bierbrauer, Ostgermanische Einwanderer. Tejral, Fremde Einflüße. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Tejral, Mittlerer Donauraum. Tejral, Späte römische Kaiserzeit. Tejral, Neue Aspekte. Tejral, Archäologisch-kulturelle Entwicklung. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Chronologievorschläge findet sich bei: Schmauder, Oberschichtgräber 33–41. Schmauder hält diese Chronologievorschläge für „fast übereinstimmend“. Siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Tejral, Mittlerer Donauraum 225. Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff Abb. 14. Bierbrauer, Castelbolognese Abb. 4. So etwa die Gräberfelder der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur von Independent, a, Kosanowo, Târg¸sor, Gavrilovka und Sântana de Mure¸s (Marosszentanna): Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 132–136.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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neben erfolgten auch Versuche, über Stilvergleiche die Stufen relativchronologisch überregional zu korrelieren.221 Mit diesem methodischen Rüstzeug haben die gängigen Chronologiemodelle für die Völkerwanderungszeit scheinbar einen hohen Grad an Präzision erreicht: Das Material der verschiedenen, aufeinander folgenden Phasen, Stufen oder Horizonte kann mittlerweile auf eine Dauer von zwanzig bis vierzig Jahren feinchronologisch eingeordnet werden. Die archäologische Forschung scheint somit teilweise in der Lage zu sein, die ihr zur Verfügung stehenden Funde und Befunde auch ungewöhnlich genau mit historischen Ereignissen verbinden zu können.222 Prinzipielle methodische Bedenken hinsichtlich einer allzu fein gliedernden relativ- und absolutchronologischen Phaseneinteilung von weniger als 50 Jahren wurden von Heiko Steuer geäußert,223 die gleichermaßen Gültigkeit für die hier zu besprechenden Chronologievorschläge der völkerwanderungszeitlichen Stufe D besitzen. Auffallend sind hierbei zunächst die starken zeitlichen Überlagerungen der einzelnen Phasen.224 Zudem sind die Laufzeiten der verschiedenen Sachgüter, deren Kombinationen und der definierten Leitformen nicht so einheitlich, um daraus klar abgrenzbare Stufen definieren zu können, da die unterschiedlich langen Laufzeiten der einzelnen Typen oder Leitfunde klare Grenzziehungen nicht erlauben. Angemerkt wird dies auch von Jaroslav Tejral, einem der Autoren der geläufigsten Chronologiemodelle:
221
222
223
224
Als Beispiel sei hier der Untersiebenbrunn-Sösdala-Co¸soveni de jos-Stil genannt: Zeiss, Co¸soveni. Forssander, Provinzialrömisches und Germanisches. Lund Hansen, Kvarmløsefundet. Menke, Frühvölkerwanderungszeitliche Fibeln. Bitnerwróblewska, Sotheastern Baltic Zone 257–258. Dies merkt Stark, Szilágysomlyó 167 kritisch an und nennt als Beispiel für ein solches Vorgehen: Bierbrauer, Castelbolognese 588. Hier wird anhand der Beigaben des Grabes 1 von Castelbolognese überlegt, ob das dort bestattete Individuum mit Odoaker nach Italien eingewandert sein könnte. Gegen eine zu feine Stufengliederung des archäologischen Fundstoffes anhand der Methode der Kombinationsstatistik wendet sich aufgrund der verschieden langen und nicht parallelen Laufzeiten der einzelnen Typen (Mittelwertbildung) innerhalb einer Stufe allgemein und grundlegend für alle frühgeschichtlichen Epochen: Steuer, Chronologie. Steuer, Rezension zu: Transalpine Verbindungen. Steuer, Datierungsprobleme. Die enge Datierung über Leittypenhorizonte wird aus den gleichen Gründen abgelehnt. Gegen Steuers Kritik und für die theoretische und praktische Möglichkeit einer sehr viel feineren chronologischen Einteilung des archäologischen Materials: Beinhauer, Novilara 211–238. Spezifische Probleme der Chronologie der Völkerwanderungszeit werden angesprochen bei: Menke, Frühvölkerwanderungszeitliche Fibeln. In neuester Zeit: Stark, Szilágysomlyó 157–167. Siehe Abb. 4 a-b.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen Diese [relativchronologischen Horizonte, Anm. des Verf.] dürfen nicht als ausgeprägte, eindeutig aufeinander folgende Stufen interpretiert werden, sondern sie überlappen einander wegen der verschieden langen Umlaufzeit der meisten Fundobjekte und anderer Faktoren formenkundlich sowie zeitlich.225
Aufgrund der „erwartungsgemäß kontinuierliche[n] Entwicklung und Wandlung“ der verschiedenen Formen wurde zudem das „Künstliche der Einteilung“ der Grenzen zwischen den einzelnen Stufen für den Übergang der Römischen Kaiserzeit zur Völkerwanderungszeit angemerkt.226 Für Robert Stark scheinen diese Chronologiemodelle daher auch einen „Schematismus zu verbergen, der im wesentlichen eine Typologie der Blechfibeln zur Grundlage einer Stufeneinteilung macht, ohne im ausreichenden Maße unabhängige Argumente für die Absicherung dieser Stufen bieten zu können“.227 Neben diesen schwerwiegenden Problemen bei der Erstellung einer relativen Chronologie für das Material der Völkerwanderungszeit stellt die absolute Datierung der Stufengrenzen den Archäologen vor ein weiteres methodisches Hindernis: Die Quellenlage dieser Zeit erlaubt es lediglich, mit einem terminus post quem von Münzen in geschlossenen Funden zu datieren, deren problematische Ansprache hinlänglich bekannt ist.228 Warum aber werden – trotz großer methodischer Schwierigkeiten – in den Chronologiesystemen absolutchronologisch eng begrenzte Phasen gebildet und deren zeitliche Festsetzung, wie beispielsweise der Übergang der kaiserzeitlichen Stufe C3 zur völkerwanderungszeitlichen Stufe D1 um das Jahr 375 n. Chr., dem „übliche[n] „offizelle[n]“ Datum“229 des Beginns der Völkerwanderungszeit, um historische Daten herum gestrickt? 225 226 227 228
229
Tejral, Mittlerer Donauraum 224. Steuer, Datierungsprobleme 134. Stark, Szilágysomlyó 158. Zur problematischen Verwendung von Münzdatierungen bereits grundlegend: Reinecke, Denkmäler des frühen Mittelalters 40: „Vornehmlich dienten die römischen Münzen aus diesen Gräbern [hier: Gräber der sog. Keszthely-Kultur] in den Augen vieler Autoren als untrüglicher Anhalt. Nichts verkehrter als das! Wie römische Münzen in diese viel späteren Gräber kommen können, dafür gibt es ja mehr als eine Möglichkeit, sei es, dass sie noch cursirendes Geld waren, sei es dass sie was ja auf ehemals römischen Boden erklärlich, in römischen Ruinen oder auf dem Felde gefunden, als Fundstücke durchlocht und der Perlenhalskette hinzugefügt wurden. […] Münzen gewähren uns zumeist nur einen mässigen Anhalt (als terminus post quem).“ Auf die Möglichkeit einer zeitlich genaueren Datierung anhand von Münzen bei häufiger Vergesellschaftung mit dem gleichen Material in einem geschlossenen Fund verweist: M ONTELIUS, Die Methode 155–156. Mit Verweis auf Montelius nochmals: Eggers, Absolute Chronologie 15–18. So formulierte dies bereits 1912: Brenner, Stand der Forschung 253.
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Die Vorschläge zur absolutchronologischen Trennung der verschiedenen Phasen orientieren sich, wenn auch häufig nicht explizit formuliert, an Daten der Ereignisgeschichte. Die Betrachtung der Chronologievorschläge230 zeigt neben der Fixierung auf ereignisgeschichtliche Daten auch das Streben der Archäologie, Ereignisgeschichte schreiben zu wollen. Dies führt teilweise „zu ‚abstrakten‘ Ergebnissen, die keinen Sinn haben“231. Das archäologische Material wird in möglichst kurze Phasen gepresst, um damit historisch überlieferte Vorgänge nachvollziehbar zu machen, deren epochemachende historische Bedeutung unbedingt auf archäologischem Wege nachvollzogen werden muss, obwohl ein großer Teil der Geschichtswissenschaft die unterschiedlichen Vorschläge zu Periodengrenzen bereits als Konstrukte ansieht.232 Der Fundstoff des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. – allem voran die „Blechfibeln“ – wird aus den oben kurz angerissenen Gründen zurecht als „in seiner chronologischen Aussagekraft […] bei weitem überstrapaziert“233 angesehen. Als Grund hierfür wurde bereits die starke Orientierung an ereignisgeschichtlichen Daten und ethnischer Fragestellungen bei der Erstellung von chronologischen Systemen genannt. Doch ist die zeitliche Gliederung des archäologischen Materials noch aus weiteren Gründen problematisch: Wie auf der Ebene der Klassifikation dargelegt, sind bereits die Grundlagen für die Chronologiemodelle Konstrukte der Archäologen. Bei der chronologischen Einteilung des Fundstoffes fließen voneinander abhängige, methodisch wenig reflektierte und keineswegs einheitlich gehandhabte problematische Konzepte mit ein, deren Auswirkung auf die Aussagekraft der Modelle kritisch eingeschätzt werden muss: Diese zentralen Konzepte hinter den verschiedenen Chronologieschemata sind archäologische Kultur, Kontinuität und Diskontinuität, Entwicklung und Bruch, Klassifikation oder Typologie sowie räumliche Aspekte. All diesen Konzepten haften neben den fachspezifischen methodischen Problemen auch grundlegende methodische Schwierigkeiten aus den historischen Nachbarwissenschaften an: Die Ergebnisse der historischen Periodisierung, die damit verbundene Frage nach Kontinuität zwischen Spätantike und Frühmittelalter und die dahinter stehenden ideologischen Interpretationsmuster sind ausschlaggebende Faktoren, die bei der Konstruktion von archäologischen Chronologiemodellen der Völkerwanderungszeit mit ein230 231 232
233
Siehe Abb. 4 a-b. Steuer, Rezension zu: Transalpine Verbindungen 498. Siehe Kap. III.3.1 Exkurs: Die Völkerwanderungszeit als Periodengrenze – Periodisierung als Forschungsproblem der Geschichtswissenschaft. Stark, Szilágysomlyó 158.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Abb. 4a: Übersicht über wichtigere Chronologiesysteme der Völkerwanderungszeit bis 1974.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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Abb. 4b: Übersicht über wichtigere Chronologiesysteme der Völkerwanderungszeit von 1974 bis heute.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
fließen und daher ebenfalls betrachtet werden müssen.234 Denn wie bereits betont, stehen hinter archäologischen Chronologieschemata häufig feste Geschichtsbilder, deren Inhalt vor dem heutigen Forschungsstand der Geschichtswissenschaft kritisch hinterfragt werden muss und gerade deshalb hinsichtlich der Übertragbarkeit und methodischen Umsetzung bei der Bearbeitung archäologischer Quellen bedenklich erscheinen. 3.1 Exkurs: Die Völkerwanderungszeit als Periodengrenze – Periodisierung als Forschungsproblem der Geschichtswissenschaft Die humanistische Dreiteilung der Geschichte in die Perioden Altertum, Mittelalter und Neuzeit setzt einen Umbruch in die Zeit zwischen (Spät-) Antike und (Früh-) Mittelalter und gilt als klassisches Beispiel für das methodologische Problem von Perioden- oder Epochengrenzen.235 Inhalt und Definition dieses Epochenwechsels, welcher die verschiedenen Vorgänge der Völkerwanderungszeit einschließt oder selbst zum entscheidenden Gegenstand macht, sind umstritten. Die Gründe dafür sind in den methodischtheoretischen Schwierigkeiten bei der Periodenbildung der Geschichtswissenschaft zu suchen und sollen hier in aller Kürze dargestellt werden. Periodisierung bezeichnet die kürzeste Einteilung der Geschichte in Perioden oder Epochen236 und versucht damit die Quintessenz der historischen Ereignisse sinnvoll darzustellen. Allerdings herrscht ein breit gefächerter methodischer Streit in der Geschichtswissenschaft um den tatsächlichen heuristischen Wert von Periodisierungen, der vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach historischer Kontinuität zu sehen ist: So werden Perioden teilweise als tatsächlich objektiv gegebene, wesenhafte und jederzeit auffindbare Einheiten angesehen, während demgegenüber aber auch die Auffassung vertreten wird, es handle sich um subjektive Konstrukte, die lediglich eine künstliche Kategorisierung der im Grunde genommen kontinuierlichen Geschichte vornehmen. Da jedoch davon ausgegangen werden kann, dass selbst eine angenommene historische Kontinuität sich nicht geradlinig entwickelt, gliedern Periodisierungsversuche 234
235
236
Siehe Kap. III.3.1 Exkurs: Die Völkerwanderungszeit als Periodengrenze – Periodisierung als Forschungsproblem der Geschichtswissenschaft. Zur Forschungsgeschichte von Geschichtsperiodisierungen allgemein: van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung. Zu diesem Thema in Bezug auf den Übergang zwischen Altertum und Mittelalter in dem Sammelband: Hübinger, Spätantike und frühes Mittelalter. Zur Begriffsdefinition und -geschichte: van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung 51–52.
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von Historikern letztlich den (objektiv) gegebenen „Verlauf“ der Geschichte nach bestimmten Facetten, Faktoren oder Strukturen in möglichst gut zu begründende und nachvollziehbar zu machende, jedoch stets subjektive Einheiten.237 Die historische Forschung bezieht sich bei der Abgrenzung von Epochen in erster Linie auf die Unterscheidung von historischen Strukturen, Entwicklungen oder Merkmalen. Keinesfalls geklärt ist hierbei jedoch, welche politischen, ökonomischen oder soziokulturellen Merkmale zu welchem Zeitpunkt es dann legitimieren, eine Grenze zu setzen, da es hierfür keine allgemein gültigen Regeln gibt.238 Aus diesem Grund sollte erläutert werden, warum und wann eine Epochengrenze gesetzt wird bzw. man diese übernimmt, um die Entscheidung nachvollziehbar zu machen. Die Geschichtswissenschaft bedient sich also Klassifikationen ihres Quellenmaterials (den historischen „Fakten“), um zu Periodisierungen zu gelangen. Diese Konstrukte stellen, wenn überhaupt, eine stark vereinfachte historische Realität dar, da sie nie alle Aspekte zum Inhalt haben können.239 Scharfe Grenzziehungen bei Periodisierungen sind darüber hinaus generell nicht möglich. In der Geschichtswissenschaft kommt man zudem immer mehr davon ab, Periodisierungen aufgrund von nur einem Merkmal oder Ereignis aufzustellen. Man ist vielmehr darum bemüht, mehrere Faktoren („Faktorenbündel“) für einen graduellen Epochenwechsel zu finden, um diesem mehr Sinngehalt zu verleihen. Dies hat zur Folge, dass in gleichem Maße wie die Zahl der berücksichtigten Faktoren steigt, jahrgenaue Datierungen für Epochengrenzen aus Gründen der Ungleichzeitigkeit der Ereignisse in den Hintergrund treten.240 Ergebnisse von Periodisierungen (Klassifikationen) der Geschichtswissenschaft direkt auf die Stufengliederungen der archäologischen Chronologiesysteme zu übertragen, erscheint daher äußerst problematisch, da nicht zu klären ist, ob und welche als epochemachend angesehenen Faktoren der Historiker Auswirkungen auf die archäologische Überlieferung gehabt 237
238 239
240
Die verschiedenen Ansätze zusammenfassend: van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung 52–60. Zur Frage der absoluten Datierungen und der Begründung von Periodengrenzen zwischen Altertum und Mittelalter: Kap. III.3.1.2 Periodisierungsvorschläge als Ergebnis subjektiver Bewertungen historischer Faktoren. Demandt, Fall Roms 226–229. Für die noch fragmentarischer vorliegenden archäologischen Quellen stellt dies auch Brather, Ethnische Interpretationen 332 fest. Vogler, Periodisierung der Geschichte 204–205. Formale methodische Bedingungen zur Erstellung von historischen Periodisierungen erstellte: Lutz, Reformation und Gegenreformation 111.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
haben. Prinzipiell sollte eine zeitliche Ordnung des archäologischen Materiales also unabhängig von der Geschichtswissenschaft vorgenommen werden. 3.1.1 Kontinuität oder Katastrophe Periodisierungsversuche der Geschichtswissenschaft stehen in engem Zusammenhang mit der Frage nach historischer Kontinuität. Die subjektive Auswahl von Faktorenbündeln und Bewertungen der historischen Ereignisse wirken sich entscheidend auf die Beurteilung aus, ob historische Prozesse kontinuierlich oder diskontinuierlich abgelaufen sind. Zwei gegensätzliche, ideologisch stark belastete, historische Theorieentwürfe sind es, welche den Diskurs über das eigentlich unlösbare Problem des Epochenwechsels von der Spätantike zum Frühmittelalter lange Zeit bestimmten. Die hier zuerst genannte scheint sich immer noch in den archäologischen Chronologiemodellen der Völkerwanderungszeit niederzuschlagen: Die Katastrophentheorie und die Kontinuitätstheorie.241 Die Katastrophentheorie stellte verstärkt die militärisch-politischen Faktoren und Ereignisse – durchaus als schwerwiegend einzuschätzende Vorgänge – in den Vordergrund. Sie ging davon aus, dass es durch die sogenannte Völkerwanderung zu einem kompletten Zusammenbruch der Strukturen des Römischen Reiches gekommen sei und in der Folge auf dessen Territorium durch die germanischen Nachfolgestaaten fast ausnahmslos Neues geschaffen wurde.242 Die von dieser Grundannahme ausgehenden Periodisierungen unterstützten zudem das dahinterstehende ideologische Modell eines Dualismus von römisch geprägter Antike und germanischem Mittelalter. Die Kontinuitätstheorie hingegen basierte auf der Betonung der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Strukturen oder Merkmale, welche das Ende des Römischen Reiches nahezu unbeschadet überstanden hätten. Keineswegs seien die römischen Strukturen komplett zusammengebrochen, sondern wurden vielmehr von den germanischen Nachfolgern weitergeführt und -entwickelt.243 241
242 243
Der stark polarisierende Begriff „Katastrophentheorie“ geht letztlich zurück auf: Dopsch, Grundlagen II 1. Die „Kontinuitätstheorie“ wurde als Gegenpart zu Dopschs zweibändigem Werk entworfen. Zur Forschungsgeschichte des „Kontinuitätsproblems“ im Allgemeinen: Demandt, Fall Roms 233–241. Demandt, Kontinuitätsprobleme 205–210. Die ideologischen Wurzeln der Debatte vor dem Hintergrund des Germanen-Romanen-Diskurses betont: Fehr, Germanen und Romanen 34–38. Dopsch, Grundlagen II 1. Hierzu zusammenfassend: Fehr, Germanen und Romanen 27 mit Anm. 1 sowie 34–38.
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103
Der vermeintlich nicht zu überbrückende Gegensatz zwischen den Konzepten Kontinuität und Katastrophe (Bruch) wird heute in der Geschichtswissenschaft differenzierter betrachtet und der Verlauf der geschichtlichen Entwicklungen als Transformation der Römischen Welt bezeichnet. Zu Gunsten der Kontinuitätstheorie werden die langfristigen Umwandlungsprozesse in allen gesellschaftlichen Bereichen untersucht, ohne jedoch dabei die feststellbaren Veränderungen zu vernachlässigen.244 Bei der individuellen Bewertung und Übernahme von Kontinuitätspostulaten ist daher generell darauf zu achten, welche strukturellen Merkmale zur Beschreibung von Kontinuität oder Diskontinuität benutzt werden. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit eines archäologischen Nachweises von historisch konstruierten Diskontinuitäten fraglich. 3.1.2 Periodisierungsvorschläge als Ergebnis subjektiver Bewertungen historischer Faktoren Die zeitliche Spannweite der vorgeschlagenen Epochendaten von Historikern macht die oben erläuterte Problematik der Periodisierung deutlich: Zwar sind die Teilung des Römischen Reiches 395 n. Chr. und das Ende des weströmischen Reiches 476 n. Chr. die am häufigsten verwendeten Jahreszahlen, doch streuen die präzisen Angaben für einen Epochenwechsel insgesamt etwa über ein halbes Jahrtausend.245 Die nahezu unüberschaubare Anzahl an Vorschlägen von als epochemachend angesehenen Ereignissen der Geschichtswissenschaftler sind aber keinesfalls nur Postulate, werden sie doch in der Regel alle argumentativ untermauert. Die Auswahl eines gewissen Ereignisses für eine Periodengrenze hängt immer von der Zusammenstellung und Bewertung der als historisch relevant angesehenen Faktoren, der Fragestellung und dem betrachteten Zeitraum ab.246 Historische Faktoren, mit denen Epochengrenzen definiert werden sollen, sind nicht zu vereinheitlichen, da sie sich vielfach zeitlich überlagern. Die Ungleichzeitigkeit der verschiedenen Ereignisse und Prozesse lassen einheitliche Periodisierungen nahezu unmöglich erscheinen, dennoch wird in- und außerhalb der Geschichtswissenschaft immer noch häufig zu einer bestimmten Jahreszahl gegriffen oder eine Übergangszeit definiert.247 Die Feststellung, dass die meisten Vorschläge „schon auf den ersten Blick erkennen [lassen], 244 245 246 247
Pohl, Integration of barbarians 1–2. Siehe Tab. 3. So auch: van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung 319. Hübinger, Spätantike und frühes Mittelalter 165. Werner, Begriff und Sinn 326–327. Vogler, Periodisierung der Geschichte 208.
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daß sie eng begrenzten Bereichen entnommen wurden, zumeist an der Machtgeschichte orientiert sind und vielfach die Katastrophentheorie zur Mutter haben“248 ist – trotz der oben angesprochenen „Neuorientierung“ der Geschichtswissenschaft – überraschend, gibt aber durchaus die allgemeine Situation, hauptsächlich in der archäologischen Forschung, relativ gut wider. Dieses zunächst recht willkürlich anmutende methodische Vorgehen der Geschichtswissenschaft ist insofern aber sinnvoll, als dass die Quellen unter verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet werden können und somit auch eine Fülle von neuen historischen Erkenntnissen ermittelt werden kann. Allerdings bleiben Periodisierungen subjektive Konstrukte mit relativ unsicherer historischer Aussagekraft und sind daher nur unter Vorbehalt in andere Wissenschaften übertragbar und von diesen sorgfältig zu prüfen.249 Die verschiedenen Vorschläge an Jahreszahlen für den Epochenwechsel zwischen Antike und Mittelalter in der Geschichtswissenschaft zeigen in Bezug auf die Anwendbarkeit und Übertragbarkeit für Archäologie und deren absolute Datierung ihrer Chronologiemodelle, dass – bis auf das Datum 375 n. Chr. (der sogenannte „Hunnensturm“) – sich im Grunde keine von den Historikern angeführten Ereignisse im klassischen geographischen Forschungsbereich der mitteleuropäischen frühgeschichtlichen Archäologie fassen lassen. Somit scheint den an der Ereignisgeschichte orientierten archäologischen Chronologievorschlägen beinahe keine andere Möglichkeit gegeben, als sich auf dieses konstruierte Epochendatum, dem vermeintlichen Beginn der Völkerwanderungszeit, zu konzentrieren.250 Dies setzt von archäologischer Seite allerdings voraus, dass sich historische Ereignisse, Kontinuitäten und Diskontinuitäten auch tatsächlich unmittelbar im archäologischen Material nachweisen lassen.
248 249
250
Hübinger, Spätantike und frühes Mittelalter 165. Vogler, Periodisierung der Geschichte 208–209. Ähnlich gelagert sind die Probleme bei Ergebnissen der Klassifikation in der Archäologie: Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Siehe Abb. 4 a–b.
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„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
Tab. 3: Übersicht über einige Vorschläge zum Epochenwechsel zwischen Antike und Mittelalter unterschiedlicher Autoren (nach: Demandt, Fall Roms 216–224). Die Auswahl ist keinesfalls vollständig, gibt aber einen repräsentativen Überblick. Es wurden zeitgenössische und „mittelalterliche“ Vorschläge, Kongresse und größere Geschichtswerke berücksichtigt. Bei mehreren Publikationen und gleichen Vorschlägen wurde jeder Autor nur einmal gezählt. Epochendatum (Ereignis)
Anzahl der Nennungen
306 (Herrschaftsantritt Constantin d. Gr.)
10
312 (Milvische Brücke)
3
317 (Constitutum Constantini)
1
324/ 325 (Constantins Sieg über Licinius/ Konzil von Nicaea)
3
330 (Gründung/ Einweihung Konstantinopels)
2
375/ 376 (Hunnenangriff/ Ansiedlung Westgoten)
2
378 (Schlacht von Adrianopel)
8
382 (Siedlungsvertrag mit Westgoten)
1
395 (Tod Theodosius/ Reichsteilung)
13; dagegen: 5
406 (Rheinübergang)
1
410 (Einnahme Roms durch Alarich)
3
454 (Ermordung des Aetius) 476 (Absetzung Romulus Augustulus/ Ende Westrom)
5 102, dagegen: 1
480 (Tod Nepos)
2
488 (Zenon schickt Theoderich nach Italien)
1
497 (Chlodwig besiegt die Alamannen)
2
529 (Schließung der platonischen Akademie in Athen)
1
um 530 (politisch-kulturelle Faktoren häufen sich)
1
554 (Ende Ostgotenreich)
1
578 (Justin II/ Tiberius II)
2
um 600 (Stabilisierung Papsttum/ Gregor d. Gr.)
1
568 (Langobarden in Italien)
8
605 („Letzte Nennung des Senats“)
1
622/632 („Stiftung Islam“)
7
640/ 641 (Tod d. Heraclius/ Beginn mittelalterliches Byzanz)
2
um 800 (Kaiserkrönung Karl d. Gr.)
6
bis 1945 (versch. Vorschläge zusammengefaßt)
3 (?)
106
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
3.1.3 Archäologische Periodisierung und der Nachweis von Kontinuität und Bruch Kontinuität, Diskontinuität, Entwicklung, Wandel und Bruch sind die Konzepte, die hinter archäologischen Periodisierungsversuchen stehen. Zunächst wollen und können diese lediglich Ähnlichkeiten und Veränderungen des Materials im Zeitablauf beschreiben. Daneben werden diese Konzepte in der Archäologie jedoch auch dazu benutzt, verschiedenste wirtschaftliche, religiöse, soziale und ethnische Strukturen, welche aus den Quellen herausgearbeitet wurden, auf deren Konstanz und Wandel hin zu untersuchen.251 In der Archäologie versteht man unter Periodisierung die chronologische Ordnung der zur Verfügung stehenden Funde und Befunde in Epochen, Phasen oder Stufen. Periodisierungen des archäologischen Materials sind – wie in der Geschichtswissenschaft – Konstrukte, die mittels Konventionen erreicht werden.252 Der Konstruktcharakter archäologischer Chronologiemodelle liegt nicht zuletzt darin begründet, dass diese unabhängig beschreiben sollen, was der eigentliche Grund ihrer Entwicklung ist: Sie sollen den ihnen zugrunde liegenden Kulturwandel und die vom Archäologen damit verbundenen historischen Prozesse und Modelle klären, bzw. diesen einen bestimmten zeitlichen Rahmen geben.253 Stellen archäologische Kulturen räumliche bzw. geographische Klassifikationen der Sachgüter dar, gliedern die Chronologiemodelle diese in der zeitlichen Dimension auf. Einheitliche (ähnliche) und somit als gleichzeitig angesehene Funde aus Fundvergesellschaftungen werden zur Bildung von einzelnen relativ aufeinander folgenden Stufen, Phasen oder Horizonten benutzt, deren Trennung durch konstruierte Diskontinuitäten im Material erreicht wird. Diese sogenannten Brüche werden aber oftmals selbst über die konstruierten Stufen beschrieben, was zu Zirkelschlüssen führen kann.254 Grundsätzliches Problem bei der archäologischen Periodisierung ist der unauflösbare Wi251
252
253 254
Eine allgemeine Forschungsgeschichte zum Begriff und Gebrauch von Kontinuität bei: Knopf, Kontinuität und Diskontinuität 16–28. Zum Nachweis von Diskontinuität durch Gräberarchäologie und Kontinuität durch Siedlungsarchäologie und deren argumentative Verwendung sowie den ideologischen Hintergrund in der Geschichtswissenschaft: Fehr, Germanen und Romanen 39–40 sowie Knopf, Kontinuität und Diskontinuität 20–23. Beispielhaft hierfür der Chronologievorschlag von: Ament, Periodisierung 135–140; Abb. 1. Stöllner, Kulturwandel 196–197. Chang, Rethinking Archaeology 28.
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107
derspruch zwischen der angenommenen kontinuierlichen Entwicklung der Sachgüter und dem ständigen Versuch des Nachweises eines Bruches und somit eines zeitlichen Markers.255 Dem Wissen um eine überlieferungsbedingte Lückenhaftigkeit der archäologischen Quellen in allen Zeiten setzt die Archäologie stets die „Anwendung eines gradualistisch orientierten und geprägten „Entwicklungsdenkens“ entgegen, obwohl ein Wandel bei besserer Quellenlage eventuell feststellbar wäre.256 Trotz dieser Grundannahme einer Kontinuität des Materials werden anhand von Veränderungen im archäologischen Fundstoff Stufen- oder Epochengrenzen gesetzt bzw. für auffindbar gehalten. Aus diesem Grund handelt es sich bei Chronologiesystemen um subjektiv vorgenommene zeitliche Ordnungen der auszuwertenden archäologischen Quellen, von denen jedoch stets angenommen wird, dass sie einem theoretisch kontinuierlichen Wandel unterliegen. Die Konstruktion einer zeitlichen Ordnung des archäologischen Materials geschieht in der Regel wiederum mittels zweier problembehafteter Konstruktkategorien: Den sogenannten Leittypen und der archäologischen Kultur. Die unterschiedlich langen Laufzeiten der konstruierten Typen innerhalb des gesamten archäologischen Untersuchungsgegenstandes sind kaum zu einer exakt übereinstimmenden Ober- oder Untergrenze zu bringen, mit denen eine Phase oder Stufe schlüssig definiert werden könnte. Zudem macht es die spezifische Beschaffenheit der archäologischen Quellen oftmals unmöglich, immer die gleichen Materialgattungen zur Entwicklung eines Chronologiemodelles zu nutzen. Daher werden, dies gilt besonders für die Chronologie der Völkerwanderungszeit, auf typologisch-klassifikatorischem Wege einzelne, als chronologisch relevant angesehene Leittypen (z. B. „Blechfibeln“) oder Typkombinationen257 ausgesondert, deren Laufzeit als definierend für eine Stufe angesehen wird. Dass formale Ähnlichkeit des Materials hierbei immer zeitliche Nähe bedeutet, ist eine stets verwandte, jedoch keineswegs bewiesene Prämisse.258 Nur mittels einer bewussten Selektion von bereits vorher konstruierten Merkmalsträgern gelangt man auf diese Weise zu einer Periodisierung.259
255 256 257
258 259
Stöllner, Kulturwandel 195. Narr, Hienheim, Schernau, Kehlheim 1–2. Kritisch zur Aussagekraft von Fund- und Typkombinationen: Anm. 223. Zu den Einflussfaktoren und dem allgemeinen Erkenntniswert ebenfalls kritisch: Brestrich, Singen 139–142. Narr, Typologie 22–23. Knorr, Nachprüfbarkeit chronologischer Aussagen 189.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Archäologische Kulturen sind ebenfalls klassifikatorische Konstrukte, mit deren Hilfe Funde und Befunde räumlich geordnet werden sollen.260 Diese stellen zunächst nichts anderes dar als durch wenige kulturelle Merkmale (verschiedene, sich teilweise überlagernde Formenkreise) definierte, keineswegs zeitlich und räumlich einheitliche Gruppen archäologischen Materials, das im besten Falle noch in Befunden häufig miteinander vergesellschaftet sein sollte. Teilweise wird archäologischen Kulturen eine räumliche (und inhaltliche) Kontinuität über mehrere chronologische Stufen oder Phasen bei teilweise veränderter Verbreitung und einer Veränderung des Materials unterstellt. Einerseits wird bei einem solchen Vorgehen eine Kontinuität der – eine archäologische Kultur definierenden – Merkmale unterstellt, zum anderen aber muss ein feststellbarer Wandel der Formen in der Zeit konstruiert werden, damit sich überhaupt eine Kontinuität über längere Zeit verfolgen lassen kann. Dieser Wandel (zeitlich gegliedert in einzelne Stufen oder Phasen) wird nur anhand ausgewählter Merkmale beschrieben, da sich nicht alle oder nur die wenigsten als kulturdefinierend angesehenen Merkmale gleichzeitig verändern.261 Methodisch gilt somit für die Erstellung von Chronologievorschlägen anhand archäologischer Kulturen oder Leittypen dasselbe, zumal der Wandel der Ersteren oft anhand des Wandels letzterer definiert wird. Streng genommen stellen daher alle, auf welche Weise auch immer zustande gekommenen Chronologiemodelle Konstrukte dar, die ihrerseits bereits auf typologisch-evolutionistischen, im besten Falle nachvollziehbar gestalteten klassifikatorischen Konstrukten basieren.262 Den somit postulierten zeitlichen und räumlichen Kontinuitäten und Diskontinuitäten liegen die gleichen methodischen Prämissen und Probleme zugrunde, da diese Konzepte und Annahmen in gegenseitiger Abhängigkeit zu den Chronologiemodellen stehen. Was aber diese chronologischen Konstrukte nun tatsächlich aussagen und wie mit den archäologischen Quellen verfahren werden soll, ist äußerst problematisch zu interpretieren. Periodisierungen des archäologischen Materials sind keineswegs gegebene, auffindbare einstige Realitäten, sondern starke Vereinfachungen der Vielschichtigkeit des Materials.263 Kontinuitäten und Brüche können nur durch die Setzung eines Schwerpunktes bei der
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Grundsätzlich zum archäologischen Kulturkonzept: Wotzka, Kulturbegriff. Wotzka, Kultur. Gräslund, Relativ datering 69–86. Gräslund, Relative Chronology 80–83. Brather, Ethnische Interpretationen 72–76. Siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Brather, Ethnische Interpretationen 331–332.
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Merkmals- und Typenauswahl postuliert werden. Allerdings muss auch dieses Vorgehen begründet werden. Die zeitliche Abfolge der konstruierten archäologischen Phasen und Stufen beruht zunächst nur auf dem „formalen Wandel von Sachgütern und nicht primär am historischen Geschehen“.264 Periodisierungen – im eigentlichen Sinne ebenfalls Klassifikationen, die aufgrund der Beurteilung historischer Quellen vorgenommen wurden – können sich somit im Material, wenn überhaupt, nur mittelbar abzeichnen. Es kann möglich sein, irgendwie geartete Kontinuitäten (wirtschaftlich, sozial, räumlich, etc.) auf archäologischem Wege festzustellen, doch übergreifende weiträumige Strukturwechsel als Resultat epochemachender Ereignisse, wie sie die Chronologiemodelle der Völkerwanderungszeit teilweise darstellen wollen, werden nur mit Hilfe von höchst selektiven, klassifikatorischen Vereinfachungen erreicht, die wegen ihrer Lückenhaftigkeit und ihrer tendenziösen Natur häufig nicht mehr quellengerecht sind. Aus Gründen der Glaubwürdigkeit dürfen diese zudem nicht allzu fein gegliedert ausfallen. Außerdem sind Feinchronologien mit den Vorgängen, die sie klären sollen, argumentativ verquickt und setzen diese oftmals voraus.265 Sie können daher eine vom jeweiligen Verfasser erarbeitete Interpretation der archäologischen Quellen widerspiegeln, die häufig bereits im Vorfeld durch die beabsichtigte historische Interpretation oder Aussage geprägt sind. Nicht wünschenswert ist auch die leider weit verbreitete Einstellung, dass Chronologiemodelle nach persönlichem Gutdünken interpretiert und angewandt werden könnten.266 Archäologische Periodisierungen sollten aus diesen Gründen zunächst unabhängig von historischen betrachtet und erstellt werden, d. h. Grenzen und Brüche sollten rein aus den zur Verfügung stehenden archäologischen Quellen heraus konstruiert werden, ohne sich schon im Vorfeld auf die ebenfalls subjektiv gesetzten Periodengrenzen der Historiker zu stützen, deren Sinngehalt zwar manchmal erfasst, mit den archäologischen Mitteln jedoch nur in Ausnahmefällen nachvollzogen werden kann. Welche historische Bedeutung den konstruierten Epochen, Stufen, Phasen oder Horizonten zuzuschreiben ist bzw. ob diese überhaupt eine über die bloße Möglichkeit zu einer relativ genauen Datierung archäologischer Funde
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Knopf, Kontinuität und Diskontinuität 34. Narr, Hienheim, Schernau, Kehlheim 7–8. Dies bemerkt zurecht Knorr, Nachprüfbarkeit chronologischer Aussagen. 187 Anm. 3. Hierbei wird exemplarisch Stöllner, Kulturwandel 196 zitiert: „Schließlich braucht kaum eigens betont zu werden, daß die subjektive Wertung und Beurteilung, oft ein persönliches Gefühl, maßgeblichen Anteil am Verständnis und Gebrauch eines Zeitschemas haben.“
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hinausgehende historische Bedeutung haben, ist aufgrund ihres Konstruktcharakters eigentlich nicht zu klären. Die Stufen werden anhand des ausgewählten Materiales definiert, sind jedoch so nicht gegeben und werden deshalb auch nicht vorgefunden. Ein an ereignisgeschichtliche Daten und somit absolute Jahreszahlen gekoppelter Bruch und dessen Nachweis im archäologischen Befund als primäres Ziel und Grundlage vieler chronologischer Studien ist methodisch nicht begründbar und birgt stets die Gefahr von Zirkelschlüssen.267 Ebensowenig nachvollziehbar ist die methodische Variante, konstruierte Brüche im archäologischen Material direkt mit historischen Ereignissen in Verbindung bringen zu wollen: So ist es beispielsweise problematisch, wenn von Jan Bemmann und Güde Hahne ereignisgeschichtliche Gründe wie z. B. die Markomannenkriege für eine entdeckte Abfolge von Kombinationsgruppen eines chronologischen Schemas im zudem räumlich von diesen Ereignissen weit entfernten Skandinavien268 angeführt werden, zuvor jedoch ausdrücklich ein allmählicher (kontinuierlicher) Formenwandel festgestellt wurde.269 Solche Verknüpfungen von historischen und archäologischen Argumenten liegen häufig auch den gängigen Chronologiemodellen der Völkerwanderungszeit zugrunde, die später noch punktuell angesprochen werden sollen.270 Chronologievorschläge müssen zudem ständig hinterfragt und stets anhand neuer Ergebnisse – Befunde mit verlässlicher chronologischer Aussagekraft – überprüft werden. Eine Offenlegung der methodischen Vorgehensweise und der benutzten Quellen ist obligat. Forderungen nach Transparenz sowohl bei der Anwendung als auch bei der Festlegung sogenannter primärer chronologischer Aussagen, von der die Erstellung von Chronologieregeln für die Römische Kaiserzeit abhängen sollten, wurden von Hartmann Knorr formuliert. Grosso modo können diese auch für die Chronologie der Völkerwanderungszeit gelten. Die Datierung von archäologischen Befunden erfolgt mangels direkter Datierungsmöglichkeiten in der Regel durch die Übernahme von durch Chronologieregeln bereits vermeintlich gut datierten ähnlichen Typen ohne weitere kritische Überprüfung. Doch gerade hierbei müssen für die einzelnen Typen nachvollziehbare und somit prüfbare, primäre chronologische Aussagen aufgestellt werden, die hier im Folgenden kurz wiedergegeben werden: Zur Begrün267 268
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Steuer, Rezension zu: Transalpine Verbindungen 489–499. Zur regionalen Gültigkeit von Chronologiemodellen Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Bemmann/ Hahne, Waffenführende Grabinventare 354–355. Siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. bis Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3.
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dung und Nachprüfung von Chronologieregeln und letztlich eines Chronologieschemas könnten, so Knorr, Befunde mit stratigraphisch sicher getrennten Objekten herangezogen werden, die Typen vertreten, die bereits in Chronologieregeln vorkommen. Daneben könnten Befunde verwendet werden, die direkte Datierungen (Dendrodatum, Münzdatierung und historisch datiertes Ereignis an einem Fundplatz mit Objekttypen die bereits Chronologieregeln unterliegen) liefern. Wenn darüber hinaus mehrere geschlossene Funde mit Kombinationen von Objekttypen verfügbar sind, kann mit diesen eine Kombinationsstatistik erarbeitet werden. Weiter könnte ein geschlossener Fund eines Fundplatzes zur Ergänzung einer regional sortierten Matrix dienen. Knorr nennt ferner noch eine als Belegungsabfolge interpretierbare Horizontalstratigraphie und die Möglichkeit, dass mit der Anwendung der zuvor genannten primären chronologischen Aussagen ein Widerspruch zu bisher bestehenden Chronologieregeln aufgedeckt werden könnte.271 Zum Versuch von Knorr, allgemein gültige Regeln für primäre chronologische Aussagen aufzustellen, die zur Erstellung eines Chronologiemodells dienen sollen, ist an dieser Stelle nochmals auf z. T. bereits angesprochene Probleme hinzuweisen: Knorr räumt den bei der Aufstellung seiner Regeln den methodischen Schwierigkeiten bei der Konstruktion von Objekttypen zu wenig Platz ein, da die Auswirkungen dieses Prozesses sich auf alle weiteren Ergebnisse der verschiedenen Konzepte für Untersuchungen auswirken, v. a. aber bei der Anwendung von Typkombinationen für den Aufbau eines Chronologieschemas. Daneben kann die Untersuchung von Typkombinationen aus verschiedenen geschlossenen Funden eigentlich nur Mittelwerte der verschiedenen Laufzeiten der einzelnen darin enthaltenen Typen zum Ergebnis haben, was die chronologische Aussage der sortierten Kombinationsmatrix stark beeinträchtigt.272 Inwieweit nur ein geschlossener Fund für die Ergänzung einer regionalen Kombinationsstatistik dienen kann, ist aus diesem Grund ebenfalls nur schwer abzuschätzen. Nicht nur hierbei kommt zudem noch das Problem der räumlichen Gültigkeitsgrenzen von regional bzw. lokal erstellten Chronologien hinzu.273 Hinsichtlich primärer chronologischer Aussagen anhand eines neuen Fundplatzes, der direkte Datierungshinweise liefert, ist bereits angemerkt worden, dass diese, seien es nun Dendrodaten oder Münzfunde, jeweils nur einen teminus post quem angeben. Somit tragen diese, wenn überhaupt, nur 271
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Knorr, Chronologie der Römischen Kaiserzeit 10–11. Knorr, Nachprüfbarkeit chronologischer Aussagen 185–186. Siehe Anm. 257. Hierzu: Narr, Hienheim, Schernau, Kehlheim 7–8.
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annähernd genau zu einer absoluten Datierung bei. Nur in den seltenen Ausnahmefällen historisch fest datierter Plätze kann ein terminus ad quem zur Datierung des Materials herangezogen werden, was allerdings lediglich den Niederlegungszeitpunkt der an diesem Ort gefundenen Gegenstände angibt.274 Ebenfalls als kritisch anzusehen und teilweise auch zu chronologischen Zirkelschlüssen verleitend ist die von Knorr angeführte Methode der Horizontalstratigraphie. Diese spiegelt letztlich nur die Datierungen wider, die vorher bereits auf andere Weise konstruiert wurden.275 Die von Knorr angegebenen Möglichkeiten zur Erstellung von Chronologieregeln für Typen, mit denen ein Chronologieschema konstruiert werden kann, stellen dennoch eine wichtige methodische Grundlage dar. Die Forderung, dass stets unter der Maxime der Nachvollziehbarkeit gearbeitet werden muss, ist dabei von entscheidender Bedeutung und keineswegs als selbstverständlich anzusehen. Chronologieschemata sollten gemäß Knorr durch die Synthese von drei nachvollziehbar gestalteten und nacheinander erfolgenden Schritten ermittelt werden: Den relativen Zusammenhängen der verschiedenen Laufzeiten von einzelnen Typen, der Definition und Konstruktion von Stufen durch Bezug auf diese Laufzeiten und schließlich der absoluten Datierung von Stufengrenzen anhand direkter Datierungen.276 Nachfolgend werden gängige völkerwanderungszeitliche Chronologiemodelle auf ihre Grundlagen in Bezug auf Quellenauswahl, Nachvollziehbarkeit, Verlässlichkeit ihrer chronologischen Angaben sowie auf Unabhängigkeit von historischen Ereignissen hin untersucht. Diese Betrachtung konzentriert sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, überwiegend auf Chronologiemodelle, in denen „Blechfibeln“ oder Befunde mit „Blechfibeln“ eine Rolle spielen. 3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Bei der Konstruktion der geläufigen, überregionalen völkerwanderungszeitlichen Chronologiemodelle mit „Blechfibeln“ spielt in erster Linie eine Befundgattung eine große Rolle: Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Diese Frauengräber werden von Bierbrauer als „die für den ostgermanischen Fundstoff des 5. Jahrhunderts sowohl quantitativ als auch qua274 275
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Siehe Anm. 228. Siehe Kap. III.3 „Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit: Ereignisgeschichte und archäologischer Befund. Knorr, Chronologie der Römischen Kaiserzeit 11–13.
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litativ aussagekräftigste Fundgruppe“ angesehen.277 Als Gründe für die Auswahl dieser Befundgattung werden zum einen die „formenkundlichstilistischen Merkmale des Trachtzubehörs“ und zum anderen die „Vergesellschaftungen mit anderen relevanten Grabbeigaben“ in diesen Grabbefunden angeführt. Besonders betont wird ihre Relevanz und Repräsentativität in Bezug auf die Möglichkeit der Konstruktion eines feingliedernden Chronologiesystems. Für das Modell einer „ostgermanischen“ Frauengräberchronologie werden in der Folge Grabbefunde mit „Blechfibeln und entsprechenden Prunkfibeln mit mindestens zwei formenkundlich-stilistischen Merkmalen und darüber hinaus meist noch mit bestimmten antiquarisch-chronologisch und/oder auch kulturgeschichtlich relevanten Vergesellschaftungskriterien“ ausgewählt.278 Die Zahl der nach diesen Kriterien erfassten Grabbefunde, die als chronologisch auswertbar und aussagekräftig gelten, beläuft sich insgesamt auf 57.279 Zu dieser Auswahl ist zunächst anzumerken, dass über die Hälfte der betreffenden Grabbefunde im strengen Sinne keine geschlossenen Befunde darstellen oder gestört sind (30 von 57).280 Die Zahl der Grabbefunde mit 277 278 279 280
Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 135. Bierbrauer, Castelbolognese 554–555. Bierbrauer, Castelbolognese 545; Abb. 4. Nicht geschlossene bzw. gestörte Befunde: Kertsch (Kerch; Kerˇc), „Gospital’naja ulica“ („Mithridatesberg“) Respublika Krym: Zwei Grüfte/ Kammergräber des 24. Juni 1904 (Damm, Goldschmiedearbeiten 75); Cˇaˇna, Kosick´y kraj (Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 413); Maklár, Heves Megye (Hampel, Ungarn 686; Taf. 441. Kiss, Szabadbattyán 115); Villafontana, Veneto (Verona) (Bierbrauer, Villafontana); Szabadbattyán, Fejér Megye (Kiss, Szabadbattyán); Untersiebenbrunn, Gde. Gänserndorf, Niederösterreich: „Frauen- und Kindergrab“ (Kubitschek, Untersiebenbrunn); Regöly-Pénzesdomb, Tolna Megye (Mészáros, Regöly); Airan, Dép. Calvados (Salin/ France-Lanord, Airan); Balleure, Commune d’Etrigny, Dép. Saône-et-Loire (Arcelin, Balleure); „Esztergom“ (Gran), Komárom-Esztergom Megye (Hampel, Ungarn 4–5); Dunaupataj-Bödpuszta (Bakodpuszta), BácsKiskun Megye: Grab 3 (Kiss, Skiren im Karpatenbecken 101–104); Balsa, SzalbocsSzatmár-Bereg Megye (Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 17); Ménf˝ocsanak (Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 192); Chiojdu, Jud. Buz˘au: „Körpergrab von 1934“ (Giurescu, Chiojdu); Nagy Várad (Oradea Mare/ Grosswardein), Jud. Bihor (Hampel, Ungarn 692–694); Tatabánya-Sárberek (Pannonia Valeria) (Pömer, Severin 480–481); Stetten, „Teiritzberg“, Niederösterreich (Kriegler, Teiritzberg 59–62); Mez˝okászony (Barabás)-Homokbánya (Kosino), Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye (Hampel, Ungarn 53–55; Taf. 44); Kiskunfélegyháza (Kecskemét), Bács-Kiskun Megye (Kiss, Skiren im Karpatenbecken 114–119); Székely, SzalbocsSzatmár-Bereg Megye (Hampel, Ungarn 11; Taf. 11); Zemun (Taurunum), Srem, Belgrad (Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 230–231); Dombóvár-Téglagyar, Tolna Megye (Darnay, Dombóvár); Zalkod, Borsod-Abaúj-Zemblén Megye (Hampel, Ungarn 10–11; Taf. 11); Ötvöspuszta, Veszprém Megye (Bierbrauer, I Goti
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fehlender oder nicht ausreichend nachprüfbarer Dokumentation ist noch höher (32 von 57).281 Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Grabbefunde vor oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgegraben wurden (36 von 57).282 Diese Auswahl der Grabbefunde ist erstaunlich, denn für eine chronologische Auswertung ist eine Geschlossenheit der auszuwertenden Befunde im Sinne einer Gleichzeitigkeit der Niederlegung283 unbedingt erforderlich. Die Anzahl der geschlossenen und damit auch chronologisch auswertbaren Frauengräber ist nach der Reduzierung um die nicht geschlossenen Grabbefunde kaum als ausreichend zu bezeichnen, was die Aussagekraft des auf diesen Befunden basierenden Chronologiemodells bereits deutlich schmälert. Noch deutlicher werden die Probleme bei einer Vergegenwärtigung der geographischen Verhältnisse. Obwohl die Gräber anhand von nicht näher erläuterten, sogenannten „donauländisch-ostgermanischen“ Kriterien ausgewählt wurden und die meisten Gräber, die für die Chronologie verwendet werden, tatsächlich auch im Donauraum zu verorten sind (40 von 57), verteilen sich die ausgewählten Fundorte geographisch nahezu über das gesamte europäische Gebiet zwischen der Normandie, die den westlichsten und nördlichsten Fundpunkt darstellt, der Krimhalbinsel im Osten und der Emilia-Romagna im Süden.284 Grob überschlagen nimmt ein mit diesen Koordinaten gebildetes Viereck (ca. 2800 km lang in der West-Ost-Ausdehnung und 600 km breit in der Süd-Nord-Ausdehnung) insgesamt eine Fläche von 1 680 000 km2 ein. Bleibt man bei dieser zugegebenermaßen etwas
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169); Karavukovo (Bácsordas) – Rochus-Tal (Kiss, Skiren im Karpatenbecken 112–114); Kosice, Kosick´y kraj (Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 415); „Siebenbürgen“ (Hampel, Ungarn 64–65; Taf. 54, 1. Bóna, Anbruch des Mittelalters 118, Taf. 1); „Bereg“ (Beregszász, Beregovo) (Csallány, Mitteldonaubecken 220; Taf. CCIV); Belgrad-Cˇukarica (Tatic´ -Djuric´ , Ostruznica); Zsibót-Domolospuszta, Baranya Megye (Dombay, Domolospuszta 104–107). Zum Grab von Tiszaroffkatholischer Friedhof, Hajdú-Bihar Megye konnten keine weiteren Informationen gefunden werden. Zu den Gräbern aus Anm. 280 kommt noch der Befund von Lom (Almus), Montana (Welkow, Völkerwanderungszeit) hinzu. Nach 1950 ausgegrabene Befunde: Cˇaˇna, Kosick´y kraj (Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 413); Hochfelden, Dép. Bas-Rhin (Hatt, Hochfelden); Regöly-Pénzesdomb, Tolna Megye (Mészáros, Regöly); Smolín, Jihormoravsk´y Kraj (Tejral, Mähren im 5. Jahrhundert 25–53); Castelbolognese, Emilia Romagna (Prov. Ravenna) (Bierbrauer, Castelbolognese 541); Dinde¸sti (Erdengeleg) „Gr˘adina lui Negreanu“, Gem. Andrid, Jud. Satu Mare (Németi, Carei); Dabronc-Ötvöspuszta, Veszprém Megye (Bierbrauer, I Goti 169); Szekszárd-Palánk (Bierbrauer, I Goti 168); Belgrad-Cˇukarica (Tatic´ -Djuric´ , Ostruznica). Montelius, Die Methode 3–11. Bierbrauer, Castelbolognese Abb. 4.
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generalisierenden Rechnung, so wird von einem Grab etwa ein Gebiet von 29473 km2 (ein Quadrat von 170 Kilometer Seitenlänge) abgedeckt. Diese Zahlen machen dennoch deutlich, dass die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. für ein weites geographisches Gebiet als repäsentativ gelten müssen, was aber zugleich das Problem der chronologischen Verwendbarkeit in Bezug auf die allgemeine überregionale Gültigkeit und Synchronisierbarkeit dieser Quellengattung aufwirft. Inwieweit nämlich anhand von Leittypen, Gräberfeldern oder Kulturen erstellte chronologische Abfolgen von einem regionalen Bezugsgebiet auf andere Gebiete übertragen werden können, ist nur schwer zu beurteilen. Zudem unterliegt einem solchen Vorgehen die Prämisse, dass ähnliche Befunde und Funde sowohl kleinräumig als auch überregional gleichzeitig sind oder sich zumindest zeitlich sehr nahe stehen. Mit einer Verzögerung bei der überregionalen Verbreitung archäologisch fassbarer Phänomene ist immer zu rechnen,285 zumal die komplexen Mechanismen der Güter- und Ideendistribution archäologisch nur modellhaft geklärt sind und schon seit geraumer Zeit den Gegenstand heftiger Diskussionen darstellen.286 Durch die sehr weite geographische Fundstreuung sind die Frauengräber und der Vergleich von Teilen ihres Fundgutes somit nur bedingt aussagekräftig und mit Vorsicht zu verwenden. Neben den grundsätzlichen Einschränkungen der Aussagekraft und der Zuverlässigkeit des archäologischen Chronologiemodelles ist ein weiterer Faktor hinzuzufügen, welcher die eigentliche Analyse der Frauengräber betrifft: Die Auswahl und die spätere chronologische Auswertung der Frauengräber berücksichtigt nicht die gesamten Beigabenausstattungen der Befunde, sondern erfolgt nahezu ausschließlich über das Merkmal der Beigabe von „Blechfibeln“. Dies hat zur Konsequenz, dass nur die typologische Ansprache und Auswertung der „Blechfibeln“ die Chronologie bestimmt und nicht der gesamte Grabbefund. Beigabenvergesellschaftungen oder Teile von ihnen werden lediglich als Argumentationsstütze und nicht als -grundlage hinzugezogen, was letztlich dazu führt, dass alle vergesellschafteten Fundgegenstände über die „Blechfibeln“ datiert werden. Nur selten werden die kompletten Fundvergesellschaftungen miteinander verglichen, vielmehr werden lediglich einzelne Merkmale von wenigen Funden miteinander verbunden, um damit eine vorher konstruierte, einheitliche chro285
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Stöllner, Kulturwandel 200–201. Auch Kossack, Prähistorische Archäologie 104–106 widerspricht einer zu engen Datierung aufgrund der schwierigen Übertragbarkeit von Chronologieregeln in andere Regionen. Beispielhaft für die Merowingerzeit die verschiedenen Ansichten zusammenfassend: Drauschke, Handel und Geschenk 276, 341–345.
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nologische Gruppe zu umschreiben: Neben den konstruierten typologischen Unterschieden oder postulierten Weiterentwicklungen von „Blechfibeln“ wird die Phase D2b anhand von Ähnlichkeiten der Dornformen und der Steineinlage von drei Gürtelschnallen sowie deren floraler Verzierung, mit der auch eine vermutlich zeitgleiche Fibel versehen ist, relativchronologisch abgegrenzt. Dies ist angesichts des hohen Fragmentierungsgrades und der keineswegs so deutlich ausfallenden Ähnlichkeit der Stücke stark anzuzweifeln.287 Das Verfahren des Vergleiches unterschiedlichster archäologischer Materialien aus unterschiedlichsten Regionen ist in der völkerwanderungszeitlichen (Chronologie-)Forschung leider weit verbreitet. Dabei reichen häufig lediglich Ähnlichkeiten im Detail für die Erstellung von Chronologiemodellen bzw. dem Postulat historischer Aussagen aus. Dieses Verfahren zeugt zwar von großer Materialkenntnis, ist aber Gegenstand berechtigter Kritik. Hermann Parzinger urteilt über die methodischen Probleme der überregionalen Korrelation von Schichtfolgen und die davon abhängige zeitliche Entwicklung – durchaus vergleichbar mit der Methode des Vergleichs einzelner Merkmale an Fundstücken mit überregionaler Verbreitung – dass es aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungsabläufe schlichtweg methodisch nicht möglich sei, verschiedene Merkmale an verschiedenen Plätzen feinchronologisch miteinander zu verbinden.288 Das Potential der einschlägigen Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. für die Konstruktion einer Feinchronologie der Völkerwanderungszeit ist somit als relativ gering einzuschätzen, da viele Befunde in strengem Sinne nicht als geschlossen bezeichnet werden können. Zudem ist die Anzahl der 287
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Dies gilt vor allem für die Schnalle von Laa a. d. Thaya, Niederösterreich Grab 1 (Beninger, Laa a. d. Thaya Taf. 17). Auch die Fibel aus Zmajevo (O-kér) (Beninger, Westgotisch-alanischer Zug Abb. 10) ist stark fragmentiert. Beide Fibeln sind lediglich durch Rekonstruktionsvorschläge vollständig widergegeben. Die postulierte „sehr einheitliche“ Gürtelschnallengruppe ist nur bedingt als solche anzusehen, da nur zwei von drei Schnallen nachweisbar cabochonverziert sind und der florale Dekor in der gestalterischen Ausführung ebenfalls keine einheitlichen Motive zeigt. Auch die Dornformen der drei Stücke sind nicht unterschiedslos ausgeführt und stimmen jeweils nur in wenigen Merkmalen überein. Dies gilt auch für die hier ebenfalls angeführte Schnalle von Szabadbattyán (1927). Diese ist zudem mit einer anderen, flächigeren Punzierung versehen: Kiss, Szabadbattyán Taf. IX. Parzinger, Chronologie 13: „Es ist nicht möglich, Siedlung x durch Keramik mit y, y durch eine Kupferaxt mit z und z durch bestimmte Silexgeräte und Idolformen mit a zu verbinden, weil erst noch zu prüfen wäre, inwieweit alle diese Fundgruppen einem vergleichbaren Entwicklungsablauf folgen“. Direkt zu Merkmalen an Objekten: Knorr, Chronologie der Römischen Kaiserzeit 59–60.
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Grabbefunde in Relation zum überregionalen Gültigkeitsanspruch des Chronologiemodelles, der ein viel zu großes Gebiet umfasst, ebenfalls nicht aussagekräftig. Aber auch bei der Analyse dieser Frauengräber (eigentlich: „Blechfibeln“ aus diesen Frauengräbern) werden viele Facetten dieser Befunde ausgeblendet. Die Gliederung des Fundstoffes des 5. Jahrhunderts n. Chr. basiert letztlich nur auf wenigen und willkürlich herausgegriffenen Merkmalen der „Blechfibeln“, da andere Fundgattungen hierfür noch weniger geeignet zu sein scheinen. Diese schematische und nur auf wenigen Merkmalen beruhende Gliederung des Fundmaterials der Völkerwanderungszeit in feinchronologische Stufen scheint aus den oben genannten Gründen weit überzogen. 3.3 „Blechfibeln“, die Stufe C3, der sogenannte Hunnensturm und das Ende der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur Der Übergang von der letzten Phase C3 der jüngeren Römischen Kaiserzeit zur Phase der frühen Völkerwanderungszeit D1 wird absolutchronologisch üblicherweise um das historische Datum 375/ 376 n. Chr. angesetzt. Dieses Datum des schriftlich überlieferten, sogenannten Hunnensturms in die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres gilt gleichzeitig als Anfang der Völkerwanderungszeit.289 Der Großteil der verschiedenen Chronologiemodelle für Mittel- und Südosteuropa variiert absolutchronologisch nur circa zehn bis zwanzig Jahre um diese Zeitmarke.290 Doch sind Anfang, Ende sowie der gesamte Inhalt der Stufe C3 der jüngeren Römischen Kaiserzeit sowie die Abgrenzung zur völkerwanderungszeitlichen Stufe D1 im Barbaricum relativ- und absolutchronologisch größtenteils nur unzureichend definiert.291 Hans Jürgen Eggers postulierte lediglich eine Stufe C3, ohne diese mit archäologischen Leitfunden versehen zu können. Seine Definition erfolgte lediglich auf negative Art und Weise: In dieser Stufe kämen keine Hemmoorer Eimer (Eggers 52–66) und flachbodige Kellen mit Sieb (Eggers 161) mehr vor, wie in den vorhergehenden Stufen C1 und C2 noch üblich gewesen sind. Weitere Unterschiede oder Veränderungen, die eine chronologische Abgrenzung des Materials erkennen lassen würden, konn-
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Zu den Gründen hierfür: Kap. III.3.1.2 Periodisierungsvorschläge als Ergebnis subjektiver Bewertungen historischer Faktoren. Martin, Spätantike und Völkerwanderung 35. Siehe Abb. 4 a-b. Tejral, Fremde Einflüße 176–179.
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ten von Eggers nicht angeführt werden.292 Der Mangel an aussagekräftigen Befunden und Funden für eine gut begründete Abgrenzung der Stufe C 3 in Bezug auf die vorhergehenden und nachfolgenden Stufen ist bis heute in den verschiedenen archäologischen Kulturkonstrukten Europas nahezu unverändert geblieben.293 Dies hat dazu geführt, dass die Fülle an verschiedenen Vorschlägen und Diskussionen zur chronologischen Gliederung der spätesten Phase der Römischen Kaiserzeit und der Übergang zur frühen Völkerwanderungszeit in Europa kaum mehr zu überblicken ist. Die Meinungen darüber, wie fein das archäologische Material in vermeintlich klar abgrenzbare chronologische Stufen gegliedert werden kann, gehen in den einzelnen Regionen und von Bearbeiter zu Bearbeiter z. T. weit auseinander. Zudem unterliegen einigen Chronologiemodellen mit lediglich regionalem Gültigkeitsanspruch grundlegende methodische Probleme. Diese Faktoren führen dazu, dass die unterschiedlichen Chronologiemodelle sowohl in ihrem archäologischen als auch historischen Inhalt weit voneinander abweichen.294 Trotzdem kann bei den meisten Chronologiemodellen für die hier zu behandelnde Stufe C3 eine Gemeinsamkeit beobachtet werden: Die absolutchronologische Fixierung des Endes dieser Stufe um das epochemachende Datum 375 n. Chr. ist in fast allen chronologischen Gliederungsversuchen tief verankert. Der mit diesem klassischen Datum des Beginns der Völkerwanderungszeit verbundene sogenannte Hunnensturm, in dessen Folge die gotischen Herrschaftsbildungen am Schwarzen Meer und der unteren Donau zerstört wurden,295 ist fester Bestandteil nahezu aller archäologischen Chronologiemodelle Europas. Hierin äußert sich der deutliche Drang danach, die Ereignisgeschichte archäologisch zu bestätigen. Die Dominanz ethnisch-ereignisgeschichtlicher Fragestellungen beeinträchtigt somit bereits die Konstruktion der meisten archäologischen Chronologiemodelle. Besonders deutlich wird dies bei der Diskussion um das Ende der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur, das genau an diesem Übergang von der spätkaiserzeitlichen Stufe C3 zur frühvölkerwanderungszeitlichen Stufe D1 konstruiert und mit diesen historischen Ereignissen in Verbindung gebracht wird. Hauptsächlich geschieht dies anhand der
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Der Fund von Nyrup auf Seeland wurde von Eggers lediglich aufgrund der darin gefundenen Münzen in die Stufe C3 datiert: Eggers, Methodik 185. Eggers, Absolute Chronologie 37. Godłowski, Chronology 96–100. Tejral, Späte römische Kaiserzeit 227–233. Kritisch zum Datum 375 n. Chr.: Krautschick, Hunnensturm und Germanenflut. Krautschick, Entstehung eines Datums.
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klassifikatorisch-chronologischen Ordnung von „Blechfibeln“ und der Auswertung deren geographischer Verbreitungsmuster innerhalb und außerhalb der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Diese methodische Vorgehensweise hat sowohl für die ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation dieses Kulturkonstruktes als auch für die der „Blechfibeln“ weitreichende Konsequenzen. Dieser scheinbar klare und mit der schriftlichen Überlieferung konform gehende bzw. auf dieser basierende archäologische Sachverhalt liefert auch für die ethnische Interpretation der „Blechfibeln“ als Anzeiger gotischer bzw. ostgermanischer gentes weitere unterstützende Argumente und unterstreicht zudem das vermeintlich gotische Ethnikum der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Somit bestätigen einerseits die einschlägigen archäologischen Chronologiemodelle die ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation des archäologischen Materials, andererseits basiert aber bereits die Konstruktion der Chronologiemodelle auf der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Überlieferung. Auf diesem methodisch bedenklichen Zirkelschluss basiert das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen der Datierung bzw. feinchronologischen Klassifikation von „Blechfibeln“ und der Konstruktion des Endes der Stufe C3 in der Chronologie der sogenannten Sântana-deMure¸s-Cˇernjachov-Kultur sowie deren ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation. Dies kann geradezu als Paradebeispiel für die Verflechtung von Archäologie und Ereignisgeschichte gelten. Um die methodischen Schwierigkeiten und den Konstruktcharakter feinchronologisch gliedernder Chronologiesysteme zu verdeutlichen, werden zunächst einige gängige Chronologievorschläge und Synchronisationsversuche für das archäologische Material West-, Nord- und Mitteleuropas in Bezug auf ihre chronologische Aussagekraft kurz besprochen. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei vor allem auf der Konstruktion der Stufe C3.296 3.3.1 Die Konstruktion der Stufe C3 Nach Eggers unternahm nur noch Kazimierz Godłowski 1970 den Versuch einer überregionalen Synchronisation der großen archäologischen „Kulturgruppen“ der späten Römischen Kaiserzeit und frühen Völkerwan296
Es sei an dieser Stelle betont, dass es sich hier lediglich um eine Auswahl von Chronologiemodellen handelt, die keineswegs Vollständigkeit beansprucht. Vielmehr wurden bewusst solche Vorschläge ausgesucht, an denen die methodische Problematik verdeutlicht werden kann.
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derungszeit im mitteleuropäischen Barbaricum. Regelmäßige und typische Vergesellschaftungen definierter Typen (die Klassifikationen der berücksichtigten Objekte wurde in den meisten Fällen aus älteren Arbeiten übernommen) in geschlossenen Funden der einzelnen „Kulturgebiete“ bildeten die Grundlage dieser Untersuchung. Zur Korrelation wurden überwiegend häufig vorkommende Typen von Metallobjekten mit einer großen Verbreitung berücksichtigt. Abgesichert wurden die aufgestellten, lokal gültigen relativchronologischen Stufen anhand horizontalstratigraphischer Untersuchungen von Gräberfeldern.297 Godłowski gelang es, das System von Eggers chronologisch weiter zu differenzieren. Allerdings konnte er die Stufe C3 sowohl regional als auch überregional nur mit wenig und unsicher zu datierendem Material beschreiben und charakterisierte die Übergangsstufe der späten Römischen Kaiserzeit als durch archäologisches Material „most weakly marked“. Eine klare Definition dieser Zeitstufe konnte von Godłowski ausdrücklich nicht deutlich herausgearbeitet werden.298 Für das west- und mitteleuropäische Material legte 1974 Horst Wolfgang Böhme eine regionale Studie über die sogenannten „germanischen“ Grabfunde des 4. und 5. Jahrhunderts zwischen der unteren Elbe und der Loire vor, in der die chronologische Gliederung des archäologischen Fundguts einen großen Platz einnimmt.299 Die Klassifikation verschiedener Fibeln aus Frauengräbern und Gürtelbeschlägen aus Männergräbern bildete die Grundlage für die chronologische Einteilung des archäologischen Materials aus Gräbern beider Geschlechter in drei Stufen. Daran schloss sich der Versuch Böhmes an, diese Stufeneinteilungen miteinander zu korrelieren um ein komplettes Spektrum von Leitformen pro Stufe zu erhalten. Da die bereits geäußerte und grundlegende Kritik an den chronologischen Methoden und Aussagen sowie zur Motivation der Arbeit Böhmes300 hier nicht wiederholt werden muss, soll an dieser Stelle nur ein Punkt angesprochen werden: Die von Böhme herausgearbeitete Stufe II fällt relativ- und absolutchronologisch jeweils zur Hälfte in die Stufen I und III.301 Die Stufe II, deren Inhalt sich zeitlich sowohl früher als auch später mit dem der anderen Stufen vollständig überlagert, zeigt zudem, dass auch die Stufen I und III 297 298
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Godłowski, Chronology 7–8. Godłowski, Chronology 96–97. Es werden lediglich Bügelknopffibeln und ovale und halbkreisförmige eiserne Schnallen mit verdicktem Rahmenbügel genannt. Böhme, Germanische Grabfunde. Mildenberger, Rezension Böhme. Böhme, Germanische Grabfunde 155–157: Zeitstufe I (ca. 330–400 n. Chr.), Zeitstufe II (ca 380–420 n. Chr.), Zeitstufe III (400–450 n. Chr. bzw. Ende 5. Jahrhundert n. Chr.).
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nicht deutlich voneinander zu trennen sind und es viele zeitliche Überschneidungspunkte im Fundmaterial gibt: So finden sich beispielsweise Gürtelschnallen des Typs Liebenau, die als typisch für die Zeitstufe III erachtet werden, ebenfalls in einem der Zeitstufe I zugewiesenen und durch eine Zwiebelknopfibel des Typs Keller 4302 datierten Grab.303 Insgesamt zeigt sich, dass auch in diesem geographischen Bereich keine überzeugende chronologische Trennung des Fundmaterials der Völkerwanderungszeit vorgenommen werden kann. Ebenfalls 1974 gliederte Erwin Keller den jung- bis spätkaiserzeitlichen Fundstoff aus fibelführenden Gräbern in Südwestdeutschland und Nordbayern. Seine Schlüsse weitete er auf das Material des Gebietes von Ostholstein und Mecklenburg über Mitteldeutschland bis nach Böhmen hin aus.304 Anhand einer ausschließlich auf formalen Ähnlichkeiten beruhenden typologischen Gliederung – nähere Angaben hierzu werden von ihm nicht gemacht – unterschiedlicher (Fibel-)Formen versuchte Keller mittels einer Kombinationstabelle der verschiedenen Fibeltypen und einer Analyse der Kombinationshäufigkeit von Fibeln mit anderen Gegenständen die Stufen C1 bis C3 zu definieren. Keller kam zu dem Schluss, dass eine Stufe C3 alleine durch die Kombination verschiedener Fibeltypen nicht befriedigend zu bestimmen sei, da einerseits die Quellenlage nicht ausreiche und andererseits die Sachformen längere Laufzeiten aufweisen würden. Schließlich nannte er als einzige Leitformen der Stufe C3, ähnlich wie Godłowski,305 die Bügelknopffibeln und die etwas früher anzusetzenden, mit ihnen häufig kombinierten Schildfibeln mit Fuß-, Bügel- und Kopfschild.306 Mittels der Kombinationshäufigkeit von Fibeln und verschiedenen anderen Objekttypen versuchte Keller weiteres, der Stufe C3 zugehörendes Material zu ermitteln und nannte insgesamt acht Formen.307 Allerdings stellte auch Keller heraus, dass es zahlreiche Überschneidungen mit den vorhergehenden Stufen gebe und keine wirklich scharfen Stufengrenzen bestehen würden. Die absolute Datierung des Beginns der Stufe C3 setzte Keller anhand von durch Münzen und provinzialrömischem Gürtelzubehör datierten Grabbefunden in die konstantinische Zeit, das Ende der Stufe C3 in die zweite
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Keller, Spätrömische Grabfunde 38–41. So etwa das von Böhme angeführte Grab 3 von Furfooz, Prov. Namur, Belgien: Böhme, Germanische Grabfunde 82. Keller, Jüngerkaiserzeitliche Grabfunde. Siehe Anm. 430. Keller, Jüngerkaiserzeitliche Grabfunde 255–262. Siehe die Auflistung bei: Keller, Jüngerkaiserzeitliche Grabfunde 263.
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Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr., ohne genauere Angaben zu machen. Zudem bemerkte Keller auch hier, dass mit dem Fortleben vieler Formen bis ins 5. Jahrhundert n. Chr. gerechnet werden müsse. Gleichzeitig nannte er an dieser Stelle ebenfalls frühvölkerwanderungszeitliches Material. Die offenkundigen relativ- und absolutchronologischen Schwierigkeiten bei der Definition der Stufe C3 wurden von Keller deutlich herausgearbeitet und teilweise auch berücksichtigt.308 Die Aussagen und Ergebnisse Kellers unterstreichen den Eindruck einer nur vage festlegbaren und nicht klar abgrenzbaren Stufe C3, auch wenn Keller die Stufe C3 letztlich doch für ausreichend definiert hielt.309 Für Skandinavien und Norddeutschland hat 1993 Jan Bemmann310 eine Änderung der Bezeichnung für die Stufe C3 in Nydamfibelphase vorgeschlagen und insgesamt sechs Varianten von Fibeln dieses Typs als Leitform zur chronologischen Synchronisation benutzt. Ob diese Fibeln bzw. diese Phase, die von Bemmann absolutchronologisch zwischen 350/ 360 bis um 400 n. Chr. datiert wurde, nun als spätkaiserzeitlich (Dänemark) oder frühvölkerwanderungszeitlich (Kontinent) angesprochen werden sollte, wurde als nebensächlich angesehen. Er betrachtete nur die klare Definition und die genaue Datierung der Stufe als wichtig.311 Die nachvollziehbar gestaltete klassifikatorische Ansprache erfolgte jedoch uneinheitlich auf verschiedenen Ebenen: Die Nydamfibeln wurden primär anhand formaler Merkmale (Bügelquerschnitt und Hakenplattenform: Varianten 1–5) klassifiziert, in einem Fall war jedoch die Herstellungstechnik (Knopf auf Bügel ist mitgegossen: Variante 6) entscheidend. Im weiteren synchronisierte Bemmann die Nydamfibeln der Gräber auf dem Kontinent mit der Stufe I nach Böhme312 relativ- und absolutchronologisch. Doch konnte dies nur in wenigen Fällen durch Fundkombinationen von als gut datierbar erachtetem Material (Armbrustfibeln mit Trapezfuß der Variante B und C nach 308 309 310
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Keller, Jüngerkaiserzeitliche Grabfunde 264–273. Keller, Möglichkeiten der Synchronisierung 15–16. Bemmann, Nydamfibeln. Hier wird auch ein Überblick über die verschiedenen Vorschläge zur chronologischen Gliederung des spätkaiserzeit- und frühvölkerwanderungszeitlichen Materials in Skandinavien gegeben. Einen Überblick über die Forschungsgeschichte bietet zudem: Lund Hansen, Römischer Import 29–36. Bemmann, Nydamfibeln 166–167. Der praktische Nutzen einer nur anhand von einer Leitform definierten Stufe ist nur schwer nachvollziehbar, da das übrige Material nicht datiert werden kann, wenn die Leitform im Befund nicht vorhanden ist. Zudem ist eine unabhängige und zusätzliche chronologische Absicherung für die vorgenommene Gliederung nicht gewährleistet. Böhme, Germanische Grabfunde 156–157.
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Böhme313 und Tierkopfschnallen provinzialrömischer Machart, deren genaue Ansprache nicht angeführt wird) mit Nydamfibeln erfolgen. Deshalb wurden teilweise auch kritisch zu betrachtende314 horizontalstratigraphische Argumente zur Parallelisierung herangezogen. In Ermangelung vergleichbarer Funde und anwendbarer Chronologiesysteme für den Bereich von Dänemark wurde eine Kombinationsstatistik von lediglich 25 Gräbern vorgestellt. Diese sind nach den Kriterien der Geschlossenheit, der allgemeinen Datierung der Befunde in die in Frage kommende Zeit und der Ausstattung mit mindestens zwei verschiedenen klassifizierbaren Metallbeigaben ausgewählt worden. Aus der Kombinationstabelle wurden in der Folge die Gruppen I–III konstruiert, die als chronologische Abfolgen zu verstehen seien. Für die Gruppe I betonte Bemmann, dass diese eine „Übergangsphase zum Nydamfibelhorizont darstelle“, während sich die Gruppe II seiner Meinung nach „deutlich durch das erstmalige Auftreten vieler Typen von Gruppe I“ absetzen würde. Gruppe III sei dann wiederum mit Gruppe II „durch einige Gräber verbunden, die Sachformen aus beiden Zeitstufen enthalten“, doch werden auch hier wieder Leitformen genannt, welche den Beginn der Völkerwanderungszeit in Skandinavien charakterisieren.315 Die chronologischen Schlüsse und Definitionen für die Nydamfibelphase (=C3) in Dänemark, die Bemmann aus der Kombinationstabelle herleitet, können aber auch anders interpretiert werden: Aus der Betrachtung der Kombinationstabelle geht keine klare Trennung der drei Gruppen hervor. Die Gruppe II (Nydamfibelphase) konstituiert sich in lediglich drei von elf angeführten Merkmalen. Die Tabelle zeigt fließende Übergänge ohne größere Brüche im ausgewählten Material. Zudem können die Nydamfibeln in Dänemark nicht ausnahmslos als Leitform der Stufe C3 gelten, da die in einem Fall belegte Vergesellschaftung einer Nydamfibel mit einer älteren Schildfibel aus dem Grab von Ørsted, Grab 2316 und die Kombination mit den als frühvölkerwanderungszeitlich angesprochenen, sogenannten kreuzförmigen Fibeln in den Gräbern von Lille Bjerggård, Sønderholm und Enderupskov, Grab 390 – in letzterem allerdings in stark fragmentiertem Zustand – auf längere Laufzeiten hindeuten.317 Die kon-
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Böhme, Germanische Grabfunde 8. Zur Kritik an der Horizontalstratigraphie siehe Kap. III.3.1.3 Archäologische Periodisierung und der Nachweis von Kontinuität und Bruch. Bemmann, Nydamfibeln 151–167; hier vor allem Tabelle Abb. 12. Ørsted: Grab 2 (Norling-Christensen, Haraldstedgravpladsen 129, Abb. 31). Lille Bjerggård, Sønderholm: (Brinch Madsen, Nordjysk kvindegrav 124–129; Fig. 5c); Enderupskov, Grab 390: (Ethelberg, Hjemsted 70; Abb. 49).
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struierte Nydamfibelphase stellt sich somit nur mit Einschränkungen einheitlich dar, klare Grenzen sind auch hier nicht auszumachen. Die Klassifikation der sogenannten Niemberger Fibeln, die im Jahr 2003 ebenfalls von Jan Bemmann vorgelegt wurde,318 bildet das Rückgrat für den Versuch einer inhaltlichen Bestimmung der Stufe C3 in Mitteldeutschland.319 Hier werden die Niemberger Fibeln in drei Varianten (A-C) klassifiziert, wobei zunächst nur Bügelform und -höhe entscheidend sind. Ein wesentlicher Definitionsunterschied besteht ferner noch zwischen der Hakenplattenform der Variante A zu Variante B und C.320 Mangels einer fehlenden zeitlichen Ordnung der materiellen Hinterlassenschaften dieses Gebiets, wird bei der relativ- und absolutchronologischen Analyse dieses Fibeltyps und seiner Varianten auf „Frauenbestattungen mit Niemberger Fibeln und wahrscheinlich zeitgleiche Inventare aus Mitteldeutschland und dem Havel-Spree-Gebiet“, dargestellt in einer Kombinationstabelle, zurückgegriffen. Insgesamt werden 76 Gräber mit insgesamt 30 Sachtypen (Fundgattungen) aufgenommen. Da aufgrund der wenigen „chronologisch verwertbaren Beigaben und relativ gleichförmigen Ausstattung mit Trachtbestandteilen“ sich kaum Anhaltspunkte für eine chronologische Unterteilung bieten, wird bei der Analyse ein Schwerpunkt auf die teilweise reichlich vorhandenen Perlen (-ketten) gelegt.321 Bemmann teilt diese in drei Perlenkettentypen ein, deren Zustandekommen bzw. Klassifikation nicht näher erläutert wird.322 Der mit der Stufe C3 gleichgesetzte Anfang der Kombinationstabelle, die Bemmann insgesamt in drei chronologisch aufeinander folgende Kombinationsgruppen einteilt, ist durch folgende Formen definiert: Bronzene, gegossene Armbrustfibeln mit gleichbreitem Bügel und Hakenplatte, Armbrustfibeln mit einem bandförmigen Bügel und Hakenplatte und kurzem, offenen Nadelhalter, große eingliedrige Fibeln der Form A 158, Drehscheibengefäße mit kanneliertem Oberteil, Drehscheibengefäße vom Typ Riedebeck mit drei Pseudohenkeln und kanneliertem Oberteil, der Perlenkettentyp 1 (mit Ösenperlen vom Typ Tempelmann-
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Bemmann, Niemberger Fibeln. Bemmann, Brooches. Bereits vorher gab es Versuche, das archäologische Fundgut in diesem Gebiet chronologisch zu gliedern. Mit einer ausführlichen Forschungsgeschichte sowie eigenem Vorschlag: Schmidt, Frühgeschichtsforschung 153–166; Abb. 1, 2. Schmidt, Hermunduren – Warnen – Thüringer 210–213. Bemmann, Niemberger Fibeln 61–69. Bemmann, Niemberger Fibeln 73–74. Die im Text erwähnten Tabellen, welche als Grundlage für die Einteilung dienen, werden nicht dargestellt.
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M˛aczy´nska 84b)323 sowie Niemberger Fibeln der Variante A.324 Die Richtigkeit der von Hand erstellten Kombinationsmatrix wird von Bemmann mittels der üblichen Korrespondenzanalyse überprüft. Hierbei werden allerdings 13 von 30 Fundgattungen nicht berücksichtigt, da diese ein eindeutiges Ergebnis beeinträchtigt hätten. Die Überprüfung des Ergebnisses der Korrespondenzanalyse führt Bemmann aufgrund der parabelähnlichen Verteilung325 zu der Aussage, dass die bereits in der Kombinationsmatrix angestrebte Gruppengliederung den Wechsel im Sachgut zwischen den drei Gruppen bestätigt und damit ein kontinuierlicher Kulturwandel einhergeht. Durch Verbindungen des Materials mit Funden aus Nord- und Süddeutschland wird im weiteren Verlauf versucht, die für Mitteldeutschland konstruierte Stufe C3 überregional zu verbinden und diese näher zu definieren, ohne allerdings genauere absolutchronologische Angaben machen zu können.326 Allerdings zeigt die Kombinationsmatrix wiederum kein klares, deutlich zu gliederndes Bild: So sind von den für die Stufe C3 angeführten Formen aus den ausgewerteten Gräbern lediglich die kannelierten Drehscheibengefäße und die Ösenperlen vom Typ TempelmannM˛aczy´nska 84b nicht mit späteren oder durchlaufenden Objekttypen vergesellschaftet. Alle anderen Merkmale, beispielhaft seien hier die als typisch erachteten Niemberger Fibeln der Variante A erwähnt,327 sind auch mit Fundgegenständen aus späteren Kombinationsgruppen vergesellschaftet. Zudem wird die Klassifikation der verschiedenen Perlenkettentypen nicht offengelegt und kann, weil nicht nachvollziehbar, zunächst nicht als überzeugendes chronologisches Argument im Sinne eines Leitfundes für eine Kombinationsgruppe dienen. Die Überprüfung der Kombinationsmatrix mittels der Korrespondenzanalyse bestätigt zwar zunächst Bemmanns Annahmen, doch werden hier die bereits oben angesprochenen Probleme dieses Verfahrens328 einmal mehr deutlich: Durch Mittelwertbildung werden die eigentlichen Laufzeiten der verschiedenen vergesellschafteten Fundgegenstände vernachlässigt. Die Ausgliederung und Abgrenzung einer Stufe C3 ist daher auch in Mitteldeutschland immer noch nicht überzeugend gelungen und deren Definition weiterhin mit einigen Problemen behaftet. 323 324 325 326 327
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Tempelmann-Ma˛czyn´ ska, Perlen 19; Taf. 2. Bemmann, Niemberger Fibeln 77; Abb. 9, 12. Bemmann, Niemberger Fibeln Abb. 19. Bemmann, Niemberger Fibeln 87–90. So ist im Grab von Gohlis, Lkr. Riesa-Großenhain eine Niemberger Fibel der Variante A (erste Kombinationsgruppe) zusammen mit einem Exemplar der Variante B (zweite Kombinationsgruppe) vergesellschaftet: Meyer, Germanische Bodenfunde 68–70; Abb. 38. Siehe Anm. 223.
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Eng mit der Chronologiediskussion um das Ende der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur und einer Ausgliederung der Stufe C3 verbunden sind die zeitlichen Gliederungsversuche von Andrzej Kokowski für das archäologische Fundmaterial Osteuropas.329 Dieser schließt an die Konstruktion der sogenannten Masłomêcz-Gruppe in Südostpolen – vermittelnd zwischen den beiden Kulturkonstrukten Wielbark und Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov –330 ein relativchronologisches Chronologieschema für diese „südöstlichen Kulturen des ‚Gotenkreises‘“ an. Neben einer bereits vorweggenommenen ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation der Kulturkonstrukte Wielbark, Masłomêcz und Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov als gotisch ist das Ziel dieser Untersuchung eine umfassende Chronologie für diese Kulturkonstrukte „vom Ende der Markomannenkriege im Jahre 180 bis zum Hunneneinfall im Jahre 376 präzise festzulegen“.331 Methodisch gründet Kokowski seinen chronologischen Gliederungsvorschlag für ein Gebiet mit so großem Gültigkeitsbereich auf dokumentierte stratigraphische Beobachtungen, kombinationsstatistische Gruppierungen und horizontalstratigraphische Belegungsabläufe im Bereich der von ihm konstruierten MasłomêczGruppe.332 Kokowski teilt auf dieser Grundlage das archäologische Material der jüngeren Römischen Kaiserzeit bis zur frühen Völkerwanderungszeit in insgesamt acht (!) relativchronologische Phasen (A-MG bis H-MG) ein, die mit den üblichen Stufenbezeichnungen der verschiedenen Chronologiesysteme des Barbaricums synchronisiert werden.333 Diesem Versuch, eine chronologisch feine Phasengliederung zu erstellen, liegen schwerwiegende methodische Probleme zugrunde. Diese zeigen sich zunächst bei dem Versuch das Chronologieschema anhand der Überschneidungen von Gräbern stratigraphisch abzusichern. Kokowski führt 14 stratigraphische Komplexe an, mit denen sechs sogenannte „stratigraphisch-chronologische Horizonte“ er-
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Hierzu grundsätzlich: Kokowski, Masłomêcz-Gruppe. Zur problematischen Konstruktion dieser Kulturgruppen siehe: Gauss, Eisen und Bronze. Kokowski, Relative Chronologie 180–181. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Methoden werden bei Kokowski, MasłomêczGruppe 662–695 erläutert. Die für die unterschiedlichen relativchronologischen Stufen angefertigten Verbreitungskarten, die eine Dynamik im Fundbild suggerieren, sollen den Vorgang der „gotischen Wanderung“ widerspiegeln: Kokowski, Relative Chronologie 185–193; Abb. 1 – Abb. 9. Dies basiert jedoch nur auf der postulierten Möglichkeit einer feinchronologischen Gliederung des Fundbestandes, der eine scheinbare Dynamik im eigentlich statischen Quellenbestand erkennen lassen soll. Für die in diesem Kapitel untersuchte Frage sind lediglich die Stufen F-MG = C3, G-MG = C3/D1 sowie H-MG = D1 von Bedeutung: Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 699–703.
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arbeitet wurden.334: Welche chronologische Aussagekraft diesen Horizonten zukommt, muss jedoch zunächst vorläufiger Natur bleiben, da von Kokowski acht (!) weitere stratigraphische Komplexe erwähnt werden, welche „die […] dargestellten Ergebnisse zukünftig stark verändern könnten“, in der Untersuchung jedoch keine Berücksichtigung fanden.335 Darüber hinaus sind auch bereits publizierte stratigraphische Komplexe anzuführen, deren stratigraphische Einordnungen sich nicht mit den bisher publizierten Gräberfeldplänen decken bzw. anhand derer nicht nachvollzogen werden können. Gemäß Kokowski schneidet im stratigraphischen Komplex III des Gräberfeldes von Gródek am Bug, Fundstelle 1C das Grab 36 sowohl Grab 39 als auch Grab 40.336 Der publizierte Gräberfeldplan zeigt jedoch, dass Grab 36 wohl Grab 40 schneidet, jedoch von Grab 39 gestört wird.337 Ferner ist bei dem stratigraphischen Komplex VI338 eine Störung von Grab 52 durch das Grab 100 im Gräberfeld von Masłomêcz, Fundstelle 15 anhand des Gräberfeldplanes nicht zu beobachten. Das Grab 48, welches Grab 49 in diesem Komplex schneidet, wird in der Auswertung zudem nicht erwähnt.339 Anhand des Gräberfeldplanes ist der stratigraphische Komplex VIII zudem nicht klar zu beurteilen. Kokowski stellt hier eine Überlagerung von Grab 50 durch Grab 16 im Friedhof von Masłomêcz, Fundstelle 15 fest.340 Auf dem Gräberfeldplan ist jedoch keine deutlich sichtbare Überlagerung zu erkennen.341 Auch die kombinationsstatistische Untersuchung von Kokowski ist problematisch.342 Neben den generellen methodischen Problemen, welche
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Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 662–680. Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 662. Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 662–665; Abb. 10. Kokowski, Schätze der Ostgoten 94–95; Abb. 62. Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 662–665; Abb. 10. Hierzu: Kokowski, Schätze der Ostgoten 58–59; Abb. 35. Ebenfalls: Kokowski, Hrubieszów 336. Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 670–671; Abb. 15. Kokowski, Schätze der Ostgoten 58–59; Abb. 35. Die auswertende Kombinationstabelle berücksichtigt 97 Gräber mit insgesamt 106 Objekttypen: Kokowski, Grupa masłomêcka Abb. 20. Kokowski gliedert das darin berücksichtigte Material in drei chronologisch zu verstehende Hauptgruppen (I, II, III) auf, die nochmals in zwei bis vier Untergruppen eingeteilt werden: Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 680–688. Zur scheinbar so deutlichen Möglichkeit einer Gliederung der Kombinationstabelle müssen aber an dieser ebenfalls einige einschränkende Bemerkungen gemacht werden. So finden sich in der Kombinationstabelle neun Objektypen, die nur einmal in einem der aufgeführten Befunde vertreten sind, ein angeführter Objekttyp ist in keinem ( ! ) der Befunde zu finden. Darüber hinaus finden sich hier 15 weitere Objekttypen (die „Ausreißer“ sind nur schwach markiert und fallen kaum ins Auge), die sich über alle drei konstruierten Hauptgruppen verteilen. Auch bei
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horizontalstratigraphische Analysen unterliegen, sind bei Kokowskis Untersuchungen weitere Einschränkungen in Bezug auf deren chronologische Aussagekraft zu machen.343 Insgesamt zeigt sich hier, dass der Wunsch des Nachweises eines ereignisgeschichtlichen Vorganges – nämlich der gotischen Wanderung – durch eine nicht mögliche feinchronologische Stufengliederung der archäologischen Hinterlassenschaften erreicht werden soll, die jedoch bis auf Weiteres als nicht haltbar anzusehen ist. Bereits die wenigen, hier exemplarisch besprochenen Chronologiemodelle West-, Mittel- und Nordeuropas welche die Stufe C3 relativ- und absolutchronologisch fein zu gliedern versuchen, veranschaulichen die methodologischen Schwierigkeiten einer allzu feinen chronologischen Abgrenzung des spätkaiserzeitlichen Fundmaterials im Barbaricum. Eine überzeugende Aussonderung der Stufe C3 gelingt keinem dieser Modelle. Ständige Überschneidungen von älterem und jüngerem Material sowie von absolutchronologischen Datierungsspannen an Stufengrenzen deuten darauf hin, dass am archäologischen Material kein Bruch in der kulturellen Entwicklung zu konstruieren ist. Die feinen Stufeneinteilungen sind daher nicht nachvollziehbar und erscheinen wenig sinnvoll. Die Chronologiemodelle überschreiten die vom archäologischen Material gesetzten Grenzen und lassen die Tendenz zu einer Orientierung an historischen Ereignissen bei ihrer absolutchronologischen Einordnung erkennen: Eine vermeintliche Dynamik im Fundbild, mit deren Hilfe ereignisgeschichtliche Vorgänge im archäologischen Befund deutlich gemacht werden sollen, wäre ohne eine solche überaus feine chronologische Gliederung schließlich nicht zu erreichen. Wie am Beispiel der Masłomêcz-Gruppe gezeigt wurde, hat die Konstruktion der feinchronologischen Systeme aber bereits die Ereignisgeschichte zum Vorbild. Die regional stark unterschiedliche, jedoch stets unbefriedigende Befund- und Fundsituation lässt zudem das Unterfangen, die einzelnen Modelle auch überregional synchronisieren zu können, noch schwieriger erscheinen.344 Doch ist die absolutchronologische Fixierung auf die Ereignisse der Jahre um 375 n. Chr. in nahezu allen regionalen Chronolo-
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der Betrachtung der Grabbefunde zeigt sich, dass insgesamt 18 Grabinventare aus den Hauptgruppen II und III mit Material aus der Hauptgruppe I vergesellschaftet sind. Das Gräberfeld von Masłomêcz, Fundstelle 15 – als einziges zur horizontalstratigraphischen Absicherung hinzugezogen – wird als „nahezu vollständig untersucht“ bezeichnet: Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 688. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass anhand der Betrachtung des Gräberfeldplanes angenommen werden muss, dass lediglich im südöstlichen und -westlichen Teil die Grenzen des Gräberfeldes erreicht worden sind: Kokowski, Schätze der Ostgoten 58–59; Abb. 35. Godłowski, Chronology 96–97.
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giemodellen Europas zu finden. Diese müssen sich, wie auch der Befund der oben durchgeführten Untersuchung gezeigt hat, aber nicht zwangsläufig in allen Regionen Europas direkt im archäologisch fassbaren Sachgut niedergeschlagen haben. Viele Chronologiemodelle scheinen sich daher stark an die im ostmitteleuropäischen Fundmaterial konstruierten Stufengliederungen und deren absolutchronologischen Einordnungen anzulehnen, die überwiegend auf der klassifikatorisch-chronologischen Gliederung der „Blechfibeln“ beruhen. Die Ergebnisse dieser chronologischen Untersuchungen spielen bei der Erstellung der verschiedenen (über-)regionalen Chronologiesysteme deshalb eine so gewichtige Rolle, da die als epochemachend angesehenen historischen Ereignisse hier ihren Anfang nahmen. Eine Stufe C3 wurde jedoch auch dort in einigen Regionen aufgrund der schlechten Quellenlage und der unbefriedigend langen Laufzeiten des Materials lange Zeit für nicht definierbar gehalten,345 bis Jaroslav Tejral in mehreren Aufsätzen seine Vorstellungen zur Gliederung des archäologischen Materials im östlichen Mitteleuropa darlegte.346 Da Tejral ebenfalls in weiten Teilen des mitteleuropäischen Barbaricums relativ- und absolutchronologisch lediglich die Möglichkeit zu einer negativen Definition der Stufe C3 feststellen konnte,347 gründete er seine überregionalen Chronologiemodelle auf dem Fundament von Befunden und Funden aus dem Gebiet des Kulturkonstruktes Sântanade-Mure¸s-Cˇernjachov. Die sogenannte Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur wird im Allgemeinen wegen ihrer relativ guten Quellenlage und der weiten, überregionalen Verbreitung des Materials als grundlegend für weite Bereiche dieses Zeitabschnitts der Stufe C3 und der völkerwanderungszeitlichen Stufe D1 angesehen.348 Bei den Bemühungen um eine überregional verwendbare Aussonderung der Stufe C3 bzw. eine Abgrenzung der Stufe D1 und den damit anscheinend verknüpfbaren kulturhistorischen Vorgängen wird daher der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur
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So etwa in der Przeworsk-Kultur, in der lediglich eine Stufe C3/ D1 ausgesondert wurde, die allerdings wiederum nur ungenügend von der vorhergehenden Stufe C2 zu trennen ist: Godłowski, Chronology 24–25. Godłowski, Przeworsk-Kultur 42–43. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Tejral, Mittlerer Donauraum. Tejral, Späte römische Kaiserzeit. Tejral, Neue Aspekte. Die Methode von Tejral zur Erstellung seiner Chronologiemodelle ist häufig nur sehr schwer nachvollziehbar. Weder der Vergleich von Sachgütern – teilweise werden Fundstücke oder Details derer aus sehr weit voneinander entfernt gelegenen, jedoch stets geschlossenen Funden (!) miteinander verglichen – noch die angeführten typologischen Entwicklungen (=zeitliche Abfolgen) werden auf einheitlichen Ebenen vollzogen, sodass die Auswahl der Kriterien und des Materials nicht immer zu überblicken ist. Tejral, Fremde Einflüße 178–179. Zuletzt: Kazanski/ Koch, Chronologie 84–85.
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große Relevanz zugesprochen. Aber nicht nur die vermeintlich sehr gute Quellenlage im Bereich dieses Kulturkonstruktes und dessen Bedeutung für die Chronologie der spätesten Römischen Kaiser- und Völkerwanderungszeit macht es nötig, sich an dieser Stelle mit der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur zu befassen. An ihrem Beispiel und der Periodisierung der Sachgüter aus Befunden dieses Bereiches – allen voran die „Blechfibeln“ – lässt sich demonstrieren, wie sehr ereignisgeschichtliche Vorgänge und damit einhergehende ethnische Interpretationen in die Konstruktion von archäologischen Kulturen, Materialklassifikationen und Chronologieschemata mit einfließen und damit weit über die Grenze einer quellengerechten Bearbeitung des archäologischen Fundguts hinausgehen. 3.3.2 Das Kulturkonstrukt „Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov“ Die sogenannte Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur wird heute349 üblicherweise anhand der folgenden Merkmale konstruiert, die nicht nur auf den ersten Blick recht unspezifisch ausfallen: Als kennzeichnend werden birituelle Gräberfelder mit unterschiedlich hohen Anteilen an Brand- und Körperbestattungen angeführt, die uneinheitlich ausgerichtet sind.350 In den Männergräbern seien überwiegend keine Waffen beigegeben worden, auch wenn dies so nicht immer zutrifft.351 Frauengräber seien zudem mit Kleidungsbestandteilen sowie Schmuck bestattet worden – ein Merkmal, das im überregionalen Vergleich nicht charakteristisch ist. Neben spezifischer Keramik „vom Wielbark-Typ oder in dessen Tradition“ wird auch die Siedlungs- und Wirtschaftweise als definierend angesehen.352 Das Verbrei349
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Zum Namen und zur Forschungs- und Deutungsgeschichte der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur bis 1975: Scˇ ukin, Problem der Cˇernjachov-Kultur. Einen kurzen Überblick gibt zudem: Ionit,a˘, Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur 447–448. Mit neuester Literatur: Sarov, Frühe Phase der Cˇernjachov-Kultur 364–365. Siehe beispielhaft die Gräberfeldpläne von Mih˘al˘as¸eni, Jud. Boto¸sani (S¸ovan, Necropola) und Bârlad-Valea Seac˘a, Jud. Vaslui (Palade, A¸sezarea s¸i necropola). Ein Überblick bietet: Marinescu/ Gaiu, Fîntînele 143; Anm. 76. Eine Auflistung von 53 ( ! ) Gräbern mit Waffenbeigabe im Verbreitungsgebiet der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur findet sich bei: Kokowski, L’art militaire 342–344. Pfeilspitzenbeigabe: Kokowski, Masłomêcz-Gruppe 731, Abb. 57 mit Listen 17a-b. Eine kurze Zusammenstellung der kulturdefinierenden Merkmale findet sich bei: Brather, Ethnische Interpretationen 259, Tab. 4. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 108–111 mit Anm. 141–153 gibt eine ausführliche Beschreibung. Allerdings zeigen die Kartierungen der hier angeführten kulturdefinierenden Schmuck- und Kleidungsbestandteile in der von Bierbrauer zitierten Literatur in den meisten Fällen keineswegs eine ausnahmlose Verbreitung auf dem Gebiet der Sântana-de-Mure¸s-
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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tungsgebiet der anhand dieser vermeintlich spezifischen Merkmale konstruierten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur erstreckt sich von Wolhynien zur Küste des Schwarzen Meeres und zur unteren Donau und vom nördlichen Donez bis nach Siebenbürgen.353 Aufgrund der schriftlichen Überlieferung wurde die Sântana-de-Mure¸sˇ Cernjachov-Kultur von historischer und archäologischer Seite hauptsächlich als ost- bzw. westgotisch angesehen. Doch werden auch immer wieder römische, sarmatische sowie thrakische Einflüsse genannt und der polyethnische Charakter dieses Kulturkonstruktes betont.354 Dennoch wird in jüngster Zeit die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur hauptsächlich als „im Kern ostgermanisch-gotisch“ interpretiert.355 Wie bereits erwähnt, ist die Definition dieses Kulturkonstruktes aufgrund der als kulturdefinierend erachteten, unspezifischen Merkmale problematisch. Hinzu tritt noch der vielfach unbefriedigende Forschungs- und Publikationsstand. Keineswegs klar beurteilt wird zudem bis heute, ob dieses Kulturkonstrukt ein geschlossenes Gefüge darstellt oder ob nicht vielmehr zahlreiche kleinere Gruppen für diesen Bereich ausgesondert werden sollten. Die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur stellt sich keineswegs so einheitlich dar, wie oft angenommen wird. Dies zeigen u. a. auch die zahlreichen Versuche einer Aussonderung von lokalen archäologischen Gruppen und Unklarheiten über die verschiedenen kulturellen Einflüsse bei der Enstehung (eigentlich: Konstruktion) dieser archäologischen Kultur.356
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Cˇernjachov-Kultur, sie sind vielmehr unspezifisch verbreitet. Dass es sich bei einigen Formen um diachrone, überregional verbreitete Phänomene handeln kann, zeigt beispielsweise die Fundliste der kegelförmigen und prismatischen Knochenanhänger bei Werner, Herkuleskeule und Donar-Amulett 183–187. Zur Siedlungsweise: Popa, Architecture. Aber auch die Siedlungs- und Wirtschaftsweise ist nicht ausschließlich auf die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur beschränkt, sondern ebenfalls im gesamten Barbaricum verbreitet: Donat, Probleme der Erforschung 2, Abb. 2. Generell sind Siedlungsstrukturen und -formen abhängig von spezifischen klimatischen, topographischen und ökonomischen Verhältnissen: Brather, Ethnische Interpretationen 462–471 mit Anm. 563. Ionit,a˘, Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur 445. Siehe Abb. 5. Hierzu mit einer kurzen Zusammenfassung der verschiedenen Ansichten: Baran, Problem. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 108. Die kontroverse Diskussion um die Einheitlichkeit dieses Kulturkonstrukts, die überwiegend in der russischsprachigen Literatur stattfand, umreißt in wesentlichen Punkten bis zum Beginn der 80er Jahre: Häusler, Sozialökonomische Verhältnisse 23. Beispielhaft sei hier auch das von Godłowski, Przeworsk-Kultur 43 angeführte C3/D1-zeitliche Gräberfeld von Soloncy in der Karpato-Ukraine erwähnt, welches eine für die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur außergewöhnliche Bestattungsweise zeigt und deutliche Verbindungen zu Gräberfeldern der sogenannten Dobrod-
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Abb. 5: Verbreitungskarte der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur (aus: Gej, Istorija isluˇcenija 126; Karte 23).
Zugunsten der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation werden jedoch die oben beschriebenen Schwierigkeiten bei der Definition dieses Kulturkonstruktes häufig ausgeblendet. Archäologisch betrachtet lässt sich somit zunächst lediglich feststellen, dass es sich bei der Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur um ein sowohl in räumlicher und – wie unten noch zu zeigen sein wird – zeitlicher Hinsicht durch ethnisch-ereignisgeschichtliche zie´n-Gruppe der Przeworsk-Kultur erkennen lässt, die in Oberschlesien und angrenzenden Gebieten lokalisiert wird. Die Frage nach den verschiedenen Einflüssen, vor allem der sogenannten Przeworsk- und Wielbark-Kultur, bei der Herausbildung (eigentlich: Konstruktion) dieser Kultur wird ebenfalls nicht einheitlich beurteilt: Scˇ ukin, Zabytki wielbarskie a kultura czerniachowska. Hierzu auch: Sarov, Frühe Phase der Cˇernjachov-Kultur 364–386.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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Daten bestimmtes, in seiner materiellen Ausprägung jedoch uneinheitliches archäologisches Konstrukt handelt.357 3.3.3 Die Chronologie der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur Die jeweilig favorisierten ethnischen bzw. ereignisgeschichtlichen Interpretationen der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur wirken sich auf alle Versuche aus, das archäologische Material auf dem angenommenen geographischen Verbreitungsgebiet dieses Kulturkonstruktes chronologisch entsprechend zu gliedern. Vice versa werden diese Chronologieschemata häufig dazu benutzt, die jeweilig favorisierte ethnische Interpretation zu untermauern. Auch wenn eine innere Chronologie noch immer fehlt,358 wird ständig betont, dass zumindest das Anfangs- und Enddatum dieses Kulturkonstruktes mit dem in den Schriftquellen überlieferten Auftreten der Goten und deren Vertreibung durch die Hunnen in diesem Verbreitungsgebiet in Verbindung zu bringen ist: Die schriftlich überlieferte Einwanderung der Goten in Wolhynien im Verlauf ihres Zuges zum Schwarzen Meer fällt deshalb auch mit der Frühphase der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur, die relativchronologisch in die Stufe C1b (absolutchronologisch: 220/230 – 260/270 n. Chr.) gesetzt wird, zusammen.359 Das Ende dieses archäologischen Kulturkonstrukts wird wiederum meist mit einem ereignisgeschichtlichen Datum – dem Hunneneinfall von 375 n. Chr. – verbunden, was in den meisten Chronologiemodellen mit dem Ende der relativchronologischen Stufe C3 gleichgesetzt wird.360 Beispielhaft kann hier Bierbrauer angeführt werden, der „von einigen Ausnahmen abgesehen“ den Abbruch der Nekropolen „im Sinne der ‚klassischen‘“ Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur am Ende der Stufe C3 feststellt.361 Ferner nennt dieser noch den Befund, dass sich bei einigen Siedlungen „kompakte Brandschichten“
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Ionit,a˘, Sântana-de Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur 449–450 formuliert, dass der Beginn dieser Kultur „nach der Besiedlung der Goten in Wolhynien“ bestimmt wurde und deren obere zeitliche Grenze „in einen Zusammenhang mit dem Hunneneinfall“ zu stellen ist. Ionit,a˘, Chronologie 295. Kokowski, Relative Chronologie 180. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 104. Ebenso: Wolfram, Goten 52–53, Anm. 4. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 117–121 mit weiterer Literatur. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 118–119 nennt insgesamt acht in die Stufe D1 datierende Fundorte innerhalb des Gebietes der sogenannten Sântana-de-Mure¸sCˇernjachov-Kultur.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
im gesamten Areal nachweisen lassen.362 Jaroslav Tejral sieht hingegen in einigen Befunden und Funden einen Fortbestand der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr., bezeichnet diese jedoch auch chronologisch als „nachˇcernjachover Zwischenschicht“363 oder „Schlußhorizont“364. Der Horizont Villafontana (D1) von Bierbrauer ist aufgrund des Materials mit dieser beschriebenen Stufe Tejrals gleichzusetzen. Diesen, die Schriftquellen bestätigenden Modellen stehen aber auch durchaus andere Modelle gegenüber: So geht beispielsweise Michel Kazanski von einer kontinuierlichen und ohne große Veränderungen sich vollziehenden Fortdauer der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. hinein aus.365 Auch Manfred Menke kommt zu einer völlig unterschiedlichen Einteilung des Fundstoffes des 5. Jahrhunderts n. Chr.366 Gehen die archäologischen Quellen nun tatsächlich mit den Schriftquellen konform, bzw. zeigen die Bodenfunde wirklich die vermutete deutliche Diskontinuität im Verbreitungsgebiet der Sântana-de-Mure¸s-CˇernjachovKultur oder lässt sich eine Unterbrechung nicht feststellen? Zweifel an einer zwangsläufigen Übereinstimmung von ereignisgeschichtlichen Vorgängen und deren unmittelbaren Niederschlag im Sachgut der Sântana-deMure¸s-Cˇernjachov-Kultur äußerte Mark B. Scˇukin.367 Trotz der oben bereits geschilderten, vorherrschenden Forschungsmeinung wurde an der Datierung des Endes der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur immer wieder Kritik geübt. Die Ansichten darüber, zu welchem Zeitpunkt dieses Kulturkonstrukt nicht mehr „existiere“, streuen somit nunmehr über einen 362 363 364 365
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Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 117. Tejral, Fremde Einflüße 196. Tejral, Neue Aspekte 334. Kazanski/ Legoux, Témoignages archéologiques. Kazanski, Les Goths et les Huns. Anhand dieser im Inhalt kontroversen Chronologieschemata wird das gesamte Problemfeld der Chronologie der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur sichtbar. Weitere Versuche zu einer relativ- und absolutchronologischen Gliederung des Materials der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur werden kurz und kritisch dargestellt bei: Scˇ ukin/ Cˇarov, Fin de la civilisation 327–340. Menke, Frühvölkerwanderungszeitliche Fibeln. Menke konstruiert, trotz des Hinweises auf die Möglichkeit einer feineren zeitlichen Gliederung des Materials, ein weitaus gröberes Chronologieschema. Allerdings fließen auch hier ereignisgeschichtliche Prämissen mit ein. Scˇukin, Nekotorye problemy 90–105. Bereits vorher sprach sich Scˇukin für den Fortbestand der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. hinein aus: Scˇ ukin, Chronologii cˇ ernjachovskich pamjatnikov 104–113. Siehe auch: Kap. III.3.1.3 Archäologische Periodisierung und der Nachweis von Kontinuität und Bruch.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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Zeitraum von deutlich mehr als 50 Jahren. Dabei benutzen die verschiedenen Autoren mehr oder weniger die gleichen Befunde zur Erstellung ihrer Chronologiemodelle.368 Die relativchronologisch fein gliedernden Stufeneinteilungen von Jaroslav Tejral und Volker Bierbrauer haben letztlich ein ähnliches Formenspektrum zur Grundlage, auch die absoluten Datierungen der einzelnen Stufen sind trotz der unterschiedlichen Benennungen sehr ähnlich.369 Absolutchronologisch werden die termini post quem von Münzen verwendet sowie vermeintlich gut zur Datierung benutzbare Glasbeigaben.370 Vor dem Hintergrund der ebenfalls nahezu gleichen Befundauswahl kommt es aber erstaunlicherweise zu stark abweichenden Ergebnissen: So ist von einem Abbruch der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur sowie einer nachˇcernjachovzeitlichen Zwischenphase bei den Untersuchungen von Michel Kazanski keine Rede. Anhand einer Seriation geschlossener Funde teilte dieser zusammen mit René Legoux das Material in fünf relativchronologische Phasen ein, deren jüngste (Phase III-IV-V) absolutchronologisch in die Jahre 376–455 n. Chr. gesetzt wurde.371 Kazanski sieht – im Gegensatz zu Bierbrauer und Tejral – zudem keine großen Unterschiede zwischen Bierbrauers Horizont Villafontana, Tejrals Stufe D1 und dem bei ihnen als chronologisch nachfolgend interpretierten Horizont Untersiebenbrunn, der auch als relativchronologische Stufe D2(a) bezeichnet wird. Kazanski hält somit die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur auch während der Zeit der Hunnenherrschaft für sich kontinuierlich fortentwickelnd.372 Scharfe Brüche im Sachgut könnten nicht nachgewiesen werden, worauf aber ohnehin alle oben erwähnten Autoren hinweisen.373 368
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Dies verdeutlicht beispielhaft die Übersichtstabelle bei Harhoiu, Frühe Völkerwanderungszeit 36, Abb. 1. Siehe Kap. III.3.3.4 „Blechfibeln“ und die Konstruktion der Stufen C3 und D1. Tejral, Fremde Einflüße 189–190. Eine weitere kurze, nicht vollständige Übersicht über die einschlägigen Leitformen und Befunde mit Münzen findet sich bei Schmauder, Oberschichtgräber 33–41. Kazanski/ Legoux, Témoignages archéologiques 37. Bei der Analyse wurden weitaus mehr Befunde zur Definition der Stufen verwendet. Zur Kritik an der Methode, vor allem in Bezug auf die Auswahl einiger Formen aus Befunden für die Seriation (lediglich einmal vorkommende Funde): Scˇukin/ Cˇarov, Fin de la civilisation 327–329. Kazanski, Les Goths et les Huns 192–199. Kazanski argumentiert – ähnlich wie Tejral – mit weiträumigen typologischen Vergleichen einiger Fundgattungen aus den einschlägigen Befunden. Erkennt man dies als methodisch korrekt an, so erscheint sogar eine Gleichzeitigkeit der von Bierbrauer und Tejral postulierten Stufe D1 mit dem sogenannten Horizont Untersiebenbrunn plausibel. Siehe Kap. III.3 „Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit: Ereignisgeschichte und archäologischer Befund
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Dieser Befund der geschilderten Extrempositionen macht deutlich, dass – aufgrund der nahezu identischen Auswahl der archäologischen Quellen – bei der Festlegung des Enddatums der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur wohl andere Faktoren eine entscheidende Rolle spielen müssen. Alle archäologischen Hinweise auf eine Datierung des Abbruchs dieses Kulturkonstrukts basieren letztlich auf ähnlichen methodischen Bearbeitungen der Befunde und Funde. Hierbei sind jedoch die unterschiedlichen Einschätzungen der archäologischen Quellen in Bezug auf ihre chronologische Aussagekraft (Typologie bzw. Klassifikation der Funde), deren Vergesellschaftung im Befund sowie die Bewertung der spärlich vorhandenen Münzbeigaben von entscheidender Bedeutung. Diese sich teilweise bedingenden Faktoren sind jedoch durch die unterschiedliche Bewertung der historischen Quellen bzw. der beabsichtigten ereignisgeschichtlichen Interpretation bestimmt und wirken sich auf das jeweilig konstruierte Chronologieschema aus. Somit bestimmt nur die ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation deren Bearbeitung. Die als entscheidend für die Stufenkonstruktion der Chronologie der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur angesehenen Sachgüter werden chronologisch keineswegs einheitlich angesprochen. Man orientiert sich überwiegend an Klassifikationen, die auf älterem Forschungsstand beruhen und übernimmt deren Ergebnisse ungeprüft bzw. nicht im ursprünglichen Sinne.374 Daneben sind wichtige Fundgattungen, wie etwa Gürtelschnallen nicht in ausreichendem Maße aufgearbeitet, lassen sich zeitlich nur ungenau einordnen oder haben für eine Feinchronologie nicht benutzbare lange Laufzeiten.375 Dies gilt auch für weitere, als wichtig erachtete Leitfunde wie Kämme376 und Gläser377 sowie besonders für die im nächsten Kapitel zu 374
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So etwa die Klassifikation der „Blechfibeln“ von Ambroz, Fibuly, die sowohl von Tejral und Kazanski in ihren Aufsätzen verwendet wird. Die einzige umfassende Bearbeitung von Gürtelschnallen dieser Zeitstellung zeigt das Problem deutlich auf: Viele Schnallen der Gruppe H werden hier relativchronologisch ohne nähere Einschränkung in die Stufe D eingeordnet (ohne dass eine Stufe C3 postuliert wird). Verwunderlich ist allerdings, dass für Schnallen mit ovalem oder rundem Rahmen aus dieser Gruppe eine Laufzeit von der späten Römischen Kaiserzeit (Stufe C2) bis in die frühe Völkerwanderungszeit (Stufe D) hinein festgestellt wird, diese aber erst für die frühe Völkerwanderungszeit charakteristisch sein sollen: Madyda-Legutko, Schnallen Tab. 7; 88–89. Die Dreilagenkämme mit glockenförmiger und abgesetzter Griffplatte (Typ Thomas III, Varianten 1 und 2) können aufgrund ihrer langen Laufzeit (ca. 100 Jahre) keinesfalls nur einer der Stufen zugewiesen werden: Kazanski, Peigne en os 257–269. Beispielhaft können hier die Gläser vom Typ Kowalk genannt werden. Diese treten ebenfalls über einen sehr langen Zeitraum auf (vom Anfang bzw. der Mitte des 4. Jahrhundert bis in das 5. Jahrhundert n. Chr. hinein): Rau, Glasbeigaben 129–134.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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behandelnden „Blechfibeln“.378 Den Fundgattungen oder ihren einzelnen Merkmalen wird oft eine generelle, im Detail häufig nicht näher ausgeführte Entwicklung unterstellt, die überwiegend zeitlich interpretiert wird.379 Die archäologischen Funde und Befunde werden durch unterschiedliche Ansprachen desselben Materials somit häufig zum Spielball für die jeweilig erwünschten historisierenden relativchronologischen Konstrukte, deren Zustandekommen aufgrund unterschiedlicher persönlicher Wertungen oftmals nicht mehr nachvollziehbar ist. Angesichts dieser Situation stellen unabhängige, nachvollziehbare und umfassende Aufarbeitungen des Fundmaterials der späten Kaiser- und frühen Völkerwanderungszeit auf einer soliden archäologischen Basis ein dringendes Desiderat dar. Daneben wird die regelhafte Vergesellschaftung von charakteristischen Leitfunden in einem Befund in den unterschiedlichen Chronologiemodellen für die Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur als beweisführend für die Richtigkeit der verschiedenen relativchronologischen Stufen erachtet und es werden Befunde mit Leitinventaren für einzelne Stufen angeführt.380 Aus diesen Leitinventaren werden jedoch häufig stellvertretend nur wenige, bereits vorher als charakteristisch definierte Funde genannt, während der übrige Teil keineswegs spezifisch oder der Befund im strengen Sinne nicht als geschlossen betrachtet werden kann.381 Die Zuordnung der weiteren Funde zu diesen Leitfunden erfolgt zudem meist auf ähnlich großzügige und nicht nachvollziehbare Weise wie deren Konstruktion. Zudem gelten für die sogenannten Leitinventare generell die bereits an anderer Stelle geschilderten Probleme.382 Ein weiterer auffallender Befund ist, dass die chronologische Einordnung der „Blechfibeln“ in allen Chronologiemodellen, die auf Material aus dem Kulturkonstrukt Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov beruhen, nur ungenau ausfallen. Die konkreten Datierungen dieser Leitfundgattung wer-
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Siehe Kap. III.3.3.4 „Blechfibeln“ und die Konstruktion der Stufen C3 und D1. So etwa eine allgemeine Vergrößerung oder eine Verlängerung des Dornes bei runden oder ovalen Gürtelschnallen: Tejral, Fremde Einflüße 199. Meist genanntes Leitinventar an der Grenzscheide bzw. am Ende der Stufe C3 in der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur ist nach Tejral, Fremde Einflüße 199: Valea Strâmb˘a (Teker˝opatak), Jud. Harghita (Székely, Teker˝opatak). Für die Stufe D1 („nachˇcernjachover Zwischenphase“) werden v. a. Fundkomplexe im pontischen Gebiet sowie in Siebenbürgen angeführt: Tejral, Fremde Einflüße 196–198. Dies gilt beispielsweise für den für die Stufe D1 eponymen Fundort Villafontana: Bierbrauer, Villafontana; Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 135. Die Fibeln gelten ohnehin als Leitfunde. Eigentlich handelt es sich hier jedoch um einen Einzelfund zweier „Blechfibeln“. Eine Befunddokumentation dieses Leitinventars liegt nicht vor. Siehe Anm. 257.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
den nicht transparent dargestellt. Vielmehr basieren sie auf den jeweilig angenommenen ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen. Der absolutchronologischen Einordnung der Befunde geht ferner eine relativ willkürliche und uneinheitliche Verwendung der termini post quem von Münzen aus Befunden unterschiedlichster Qualität voraus: Den meisten Münzen aus den einschlägigen Befunden werden je nach Abnutzungsgrad verschieden lange Laufzeiten zwischen 30 und 50 Jahren zuerkannt. Daher ist es umso erstaunlicher, dass dem Befund (Depotfund) von Valea Strâmb˘a („Teker˝opatak“), Jud. Harghita mit dem Hinweis auf die geringe Abnutzung der dort gefundenen Schlussmünzen des Kaisers Gratian (terminus post quem: 383 n. Chr.) eine Bedeutung als genauer Anhaltspunkt und quasi absolutes Schlussdatum der Stufe C3 zugeschrieben wird. Dies ist zunächst deshalb als kritisch anzusehen, weil die Abnutzung von Münzen nicht allein von der Benutzungsdauer abhängt, sondern auch von der Intensität des Gebrauchs.383 Die empirische Wahrscheinlichkeit für ein Ende der Stufe C3 um 375/380 n. Chr., die immer wieder anhand der hier gefundenen Münzreihe postuliert wird, ist letztlich ebenfalls nicht unbedingt überzeugend, weil sie quantitativ nicht ausreicht. Die Münzreihe ist chronologisch nicht durchgängig, sondern nur lückenhaft belegt. Darüber hinaus sind die wenigen publizierten bzw. erhaltenen Fundstücke des erwähnten Fundortes auch in Befunden der darauf folgenden Zeitstufen zu finden,384 weshalb für diesen Befund neuerdings auch eine auf der Fundvergesellschaftung basierende Datierung in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. vorgeschlagen wurde.385 Allgemein ist zudem eine Niederlegung von Münzen in archäologischen Befunden in dieser Region und Zeit seltener nachweisbar. Dies kann jedoch ebenfalls verschiedenartige Gründe haben (Wechsel der Beigabenform; Quellenlage; Münzreformen) und muss nicht zwangsläufig auf die historisch überlieferten Vorgänge dieser Zeit zurückzuführen sein. Wie sehr sich aber der spätkaiserzeitlich-frühvölkerwanderungszeitliche Fundstoff der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur allgemein einer allzu systematischen, fein gliedernden, klassifikatorisch-chrono383
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von Richthofen, Gebrauchte Fibeln 69 berücksichtigt diesen Faktor in seinen Untersuchungen aufgrund der schwierigen Nachweisbarkeit nicht, schließt seine Bedeutung jedoch nicht kategorisch aus. Gerade für chronologische Überlegungen ist dies jedoch von erheblicher Bedeutung und sollte stets bedacht werden. Hierzu ausführlich Kap.V1.2.2 Alter Anm. 119. So findet sich beispielsweise eine Auflistung ähnlicher Gürtelschnallen aus vermeintlich verschiedenen Zeitstufen bei: Kazanski, Les Goths et les Huns 194. Gáll, Néhány gondolat 156.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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logischen Ordnung entzieht, wird im nächsten Kapitel am Beispiel der „Blechfibeln“, dem eigentlichen Rückgrat der einschlägigen chronologischen Modelle, dargestellt. 3.3.4 „Blechfibeln“ und die Konstruktion der Stufen C3 und D1 Vielen Chronologiemodellen, die den Übergang bzw. den Bruch zwischen den relativchronologischen Stufen C3 und D1 in der sogenannten Sântanade-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur absolutchronologisch mit dem Datum 375 n. Chr. ansetzen, liegt vorwiegend eine sehr feine, schematische Klassifikation von „Blechfibeln“ zugrunde. Jaroslav Tejral386 und Volker Bierbrauer387 gehen von der Möglichkeit aus, „Blechfibeln“ aus Befunden der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur anhand nur weniger, chronologisch zu wertender Merkmale innerhalb der spätkaiserzeitlichen Stufe C3 in mehrere kürzere Entwicklungsphasen einteilen und diese deutlich von dem Fundstoff der frühvölkerwanderungszeitlichen Stufe D1 trennen zu können. Diese angenommene typologische Entwicklung der „Blechfibeln“ bildet zugleich die Grundlage für die relativchronologische Einteilung der weiteren, mit dieser Fundgattung vergesellschafteten, archäologischen Funde. Gemäß Jaroslav Tejral weisen „Blechfibeln“ der „früheren“ Stufe C3 unterschiedlichste (!) Hakenplattenformen der Ambrozschen Varianten auf, sind überwiegend aus Silber- bzw. Kupferlegierungen hergestellt und – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht länger als vier bis fünf Zentimeter.388 Die Spätphase der Stufe C3 in der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur ist 386
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Tejral, Fremde Einflüße. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Tejral, Mittlerer Donauraum. Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 132–138. Bierbrauer, Castelbolognese 564–572. Tejral, Fremde Einflüße 183–185. Tejral, Südöstliche Kulturelemente 12. Ferner charakterisieren diese frühe Stufe C3 noch die folgenden Merkmale: Armbrustfibeln mit umgeschlagenem Fuß, Fibeln mit festem Nadelhalter und bandförmigem oder trapezoidem Fuß (Schulze, Armbrustfibeln: Typen 15, 48, 51, 144, 161); Bügelknopffibeln; Schnallen mit ovalem oder rundem, häufig verdicktem Bügel; Schnallen mit Taschenbeschlag oder kleinem rechteckigen Beschlag; Schildbuckel mit kegelförmiger oder konischer Kappe und breitem Rand, kurze einfache Schildfesseln mit trapezoiden Nietplatten; Facettenschliffbecher Typ Kowalk; vereinzelt ältere Formen von Zwiebelknopffibeln und Schnallen mit zwei zur Mitte beißenden Tierköpfen; enghalsige Amphoren Selov Typ F. Absolutchronologisch wird diese frühe Phase der Stufe C3 in das zweite Drittel des 4. Jahrhunderts n. Chr. datiert.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
nach Tejral durch „Blechfibeln“ mit ebenfalls spezifischen Merkmalen gekennzeichnet. Neben „altertümlichen Formen“ haben diese nun eine Länge zwischen sechs und neun Zentimetern und sind mit einem einfachen bzw. gekerbten Draht an den Bügelenden versehen. Zudem besteht die Spiralkonstruktion nun aus zwei Spiralrollen. Die Fibeln sind gemäß Tejral aus Silber- bzw. Kupferlegierungen hergestellt. Daneben kämen jedoch auch einfachere Gebrauchsformen mit nur einer Spiralrolle vor. Als weiteres Merkmal wird – in Anlehnung an die Klassifikation von Ambroz –389 die Form der Hakenplatte genannt, die entweder im unteren Drittel liegt oder eine langgezogene Form aufweist, mit der größten Breite im mittleren Bereich.390 Die von Tejral als „nachˇcernjachovzeitliche“ Zwischenstufe angesprochene, relativchronologische Stufe ist durch „Blechfibeln“ unterschiedlicher Dimensionen, vereinzelt bis zu zwölf Zentimetern gekennzeichnet. Gemäß Tejral dominieren nun Exemplare aus Kupfer- und Silberlegierungen der Ambrozschen Varianten I AB und IBB mit größter Breite in der Mitte und im unteren Drittel. Daneben träten aber auch die Ambrozschen Varianten IAA und IAB mit einer Länge von acht bis neun Zentimetern auf, die aus Silberlegierungen gefertigt sind.391 Tejral datiert die Grenze zwischen der Stufe C3 und dieser für ihn bereits frühvölkerwanderungszeitlichen Phase anhand des münzdatierten Fundes von Valea Strâmb˘a (Teker˝opatak), Jud. Harghita392 um 375 n. Chr. und ihre Dauer bis zum Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. Gleichzeitig betont Tejral jedoch immer wieder seine Schwierigkeiten bei der Trennung der einzelnen Phasen. So lassen sich bei Tejral dann im Formengut der als Stufe D1 bezeichneten relativchronologischen Stufe bei 389 390
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Ambroz, Fibuly 77–83. Tejral, Fremde Einflüße 185–188. Tejral, Südöstliche Kulturelemente 16–20. Als deutliche Merkmale der Spätphase der Stufe C3 gelten für Tejral ferner: Armbrustfibeln mit umgeschlagenem Fuß der dritten Ambrozschen Variante in unterschiedlichsten Ausprägungen und Materialien; ovale und runde Schnallen mit und ohne Beschlag mit verdicktem Rahmen; Kämme mit abgesetzter halbkreisförmiger Griffplatte sowie glockenförmigem Griff; Glasbecher hoher konischer Form sowie starkwandige Facettschliffbecher mit abgesetztem Fuß. Tejral, Fremde Einflüße 197–202. Tejral, Südöstliche Kulturelemente 20–21. Tejral, Mittlerer Donauraum 224. In diese nachˇcernjachovzeitliche Zwischenstufe ordnet Tejral noch die folgenden Altertümer: „Fortgeschrittene Formen“ der Armbrustfibeln mit umgeschlagenem Fuß oder festem Nadelhalter; bei den Schnallen sieht er ältere neben neueren Formen laufend, wobei eine Tendenz zur Vergrößerung feststellbar sei; Kämme mit ausgewölbter scharf abgesetzter Griffplatte; Glasbecher mit konischer Form, spitzkonische Becher ohne Verzierung oder mit feinen horizontalen Schliffmustern sowie starkwandige Glasbecher mit Waben, spitzovalen oder Rinnenfacetten. Székely, Teker˝opatak.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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den „Blechfibeln“ auch keine Veränderungen zur vorhergehenden Phase feststellen.393 Auch bei der absolutchronologischen Einordnung der Stufe D1 gibt es bei Tejral keinen Unterschied zur vorher beschriebenen Stufe. Volker Bierbrauer schließt sich in großen Teilen den chronologischen Ansichten Tejrals an und verwendet bei der Konstruktion seines Chronologiemodelles394 nur partiell andere Fundorte. Bierbrauer legt aber fast ausnahmslos den Schwerpunkt auf eine „Klassifikation“ der „Blechfibeln“ sowie auf Ergebnisse horizontalstratigraphischer Untersuchungen von Gräberfeldern.395 Er nennt als charakteristische Merkmale der „Blechfibeln“ der Spätphase („C3 jung“) der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur die größte Breite der Hakenplatte im unteren Drittel, ferner ist für ihn die Länge der „Blechfibeln“ zwischen fünfeinhalb und acht Zentimetern charakteristisch. In der darauffolgenden Stufe D1 (Phase Villafontana), die für Bierbrauer einen „eindeutig nachˇcerniachover Materialhorizont“ außerhalb dieses Kulturkonstruktes darstellt, nennt Bierbrauer als Merkmale zum einen die langgezogene bzw. länglich-rhombische Form der Hakenplatte mit der größten Breite in deren mittleren bzw. oberen Drittel. Die „Blechfibeln“ kennzeichnet Bierbrauer zufolge nun auch eine Gesamtlänge zwischen sieben und neuneinhalb Zentimetern.396 Die absolutchronologische Einordnung dieser Phasen mit dem Beginn der Stufe D1 um 370/ 380 n. Chr. ist bei Bierbrauer nahezu identisch mit der von Tejral. Die gesamte relativ- und absolutchronologische Einteilung des Fundstoffes des beschriebenen Zeitraumes beruht alleine auf der Annahme, dass innerhalb der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur gefundene „Blechfibeln“ chronologisch früher datieren als die außerhalb dieses Kulturkonstruktes gefundenen Exemplare. Dies suggeriert auch eine von Tejral vorgenommene Kartierung von „Blechfibeln“ und Schnallen, die genau derselben 393
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Tejral, Fremde Einflüße 197–202. Tejral, Mittlerer Donauraum 225–237. Tejral nennt hier noch: Schnallen mit ovalem, meist jedoch quadratischen, zwei oder viernietigem Beschlag (Länge 4–5 cm), jedoch sind ovale oder runde Schnallen mit stark verdicktem Schnallenbügel, teilweise auch ohne Beschläge ebenfalls häufig; glockenförmige Kämme oder Kämme mit abgesetzt halbkreisförmiger Griffplatte; zungenförmige Riemenenden; eiserne Schildbuckel mit kurzem Rand und hoher kegelförmifger Kappe (oft facettiert oder geriefelt; ein- und zweigliedrige Fibeln aus Eisen mit umgeschlagenem Fuß und festem Nadelhalter, sowie teilweise ungewöhnlich breitem Bügel (Länge bis 10 cm). Zur Kritik an der Quellenauswahl und der Methode Bierbrauers: Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts. Bierbrauer, Ostgermanischer Fundstoff 132–134; Abb. 1–10. Bierbrauer, Castelbolognese 564–572. Bierbrauer, Castelbolognese 565–566.
142
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Ambrozschen Variante bzw. genau dem selben Typ zugewiesen werden (!),397 jedoch in den geographisch unterschiedlichen Regionen vermeintlich chronologisch nacheinander aufteten.398 Damit wird deutlich, dass der schriftlich überlieferte Hunnensturm und die damit verbundene Zerstörung des ost- und westgotischen Reiches in dieser Region archäologisch konstruiert werden sollen. Doch unterliegen diesem scheinbar klaren archäologischen Sachverhalt einige schwerwiegende Probleme. Das konstruierte geographische Verbreitungsbild, das auch als „Sprengungsphänomen der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur“399 bezeichnet wird, ist nämlich von mehreren miteinander verwobenen Faktoren abhängig.400 Wie oben beschrieben, ist bereits das Ende der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur stark von dessen ethnischer Interpretation als gotisch beeinflusst.401 Dieser auf der schriftlichen Überlieferung basierende Interpretationsansatz gibt das Ende des Kulturkonstruktes zu diesem Zeitpunkt vor. Es wird aber zudem davon ausgegangen, dass dies auch aufgrund der Betrachtung nur weniger Merkmale von „Blechfibeln“ und deren geographischer Verbreitung archäologisch unabhängig nachvollzogen werden kann. Doch orientiert sich die Konstruktion der Klassifikation der „Blechfibeln“ an der durch die Schriftquellen vorgegebenen Chronologie der Sântana-deMure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Somit ist die chronologisch-klassifikatorische Ordnung der „Blechfibeln“ abhängig von der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Jedoch dient gerade die feinchronologische Ordnung der „Blechfibeln“, deren Klassifikation mehrere chronologische Stufen innerhalb der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur konstituiert, im Umkehrschluss gleichzeitig dazu, das Ende dieses Kulturkonstruktes zu bestätigen. Somit sind sowohl die Klassifikationen der „Blechfibeln“ als auch die damit konstruierten Chronologiesysteme und archäologischen Kulturen bereits im Vorfeld von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen diktiert und bauen in einem engen Beziehungsgeflecht aufeinander auf, obwohl die einzelnen Faktoren methodisch korrekt zunächst unabhängig voneinander untersucht werden sollten. 397
398
399 400 401
Zur Klassifikation von Ambroz siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Tejral, Fremde Einflüße 223; Karte 2. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 118; Fig. 24. Harhoiu, Frühe Völkerwanderungszeit 37; Abb. 2, 2. Siehe Abb. 6. Siehe Kap. III.3.3.1 Das Kulturkonstrukt „Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov“. Hierzu auch: III.3.3.3 Die Chronologie der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
143
Abb. 6: Kartierung von „Blechfibeln“ und Gürtelschnallen innerhalb und außerhalb der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur, mit der eine Dynamik im Fundbild konstruiert werden soll. (aus: Tejral, Fremde Einflüße 223; Karte 2). Die Erklärung der Signaturen im Originaltext lautet wie folgt: „Cˇern˘achover“ Blechfibeln der I. Ambrozschen Untergruppe (A) und grosse Schnallen mit Zwei- oder Viernietenbeschläg (B) in den spätkaiserzeitlichen Fundzusammenhängen der Stufe C3. „Cˇern˘achover“ Blechfibeln der I. Ambrozschen Untergruppe (C) und grosse Schnallen mit Zwei- oder Viernietenbeschläg (B) in frühvölkerwanderungszeitlichen Fundzusammenhängen der Stufe D1.“
Wie sehr sich jedoch allein die „Blechfibeln“ einer feinchronologischen, schematischen Unterteilung entziehen, ist nun Gegenstand der Darstellung. Die Betrachtung der angeführten, vermeintlich chronologischen Merkmale von „Blechfibeln“ aus den konstruierten Stufen C3 und D1 kann zeigen, dass diese keine bzw. weitaus weniger chronologische Relevanz besitzen, sondern vielmehr über einen langen Zeitraum hinweg gemeinsam, in unterschiedlichsten Variationen kombiniert vorkommen und quasi austauschbar erscheinen. Das chronologische Merkmal der größten Breite der Hakenplatte im unteren Drittel, das für „Blechfibeln“ innerhalb des Verbreitungsgebietes der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur für Stufe C3 gültig sein soll, findet sich auch an Fundorten, die sich geographisch außerhalb dieses Kulturkonstruktes befinden. Dieses Merkmal weisen z. B. die „Blechfibeln“
144
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
aus Kerˇc, Gospital’naja ulica (Mithridatesberg), Kammergrab 145/1904,402 und aus dem Kammergrab vom 24. Juni 1904 auf, wobei letztere eine polychromverzierte Prunkvariante der „Blechfibeln“ darstellt.403 Ebenfalls auf der Krim findet sich noch eine solche Fibelform in Grab 421 des Gäberfeldes von Skalistoe.404 Als Beispiel aus dem Donauraum kann die Fibel aus der spätrömischen Kleinfestung Pilismarót-Malompatak, Komárom-Esztergom Megye angeführt werden,405 ferner sei noch der in der Vojvodina gefundene Einzelfund einer Blechfibel mit diesem Merkmal von Staraja (Banatska) Palanka erwähnt.406 Von besonderem Interesse sind auch Funde von „Blechfibeln“ aus den Gräbern 134, 155, 156 und 159 aus dem Gräberfeld von Angers „Gare St. Laud d’Angers“, Dép. Maine-et-Loire.407 sowie der leider nicht ausreichend dokumentierte Fund zweier „Blechfibeln“ mit dieser Hakenplattenform von Cholet, „Couvent Saint – François“, Dép. Maine-et-Loire in Frankreich.408 Außergewöhnlich und der schematischen Einteilung von Tejral und Bierbrauer ebenfalls widersprechend ist zudem die Länge der Exemplare von Cholet.409 Fibeln mit größter Breite im unteren Drittel der Hakenplatte sind gemäß den typochronologischen Vorstellungen der beiden Forscher normalerweise nicht länger als neun Zentimeter. Diese beiden Merkmale sind auch bei der „Blechfibel“ aus dem Einzelfund von Kózminek (Kalisch), woj. wielkopolskie kombiniert, wobei hier die Länge von annähernd zwölf Zentimetern bemerkenswert ist.410 Das Merkmal der Gesamtlänge der „Blechfibeln“ ist in seiner vermeintlich chronologischen und somit auch kulturspezifischen Relevanz aber nicht nur aufgrund der oben genannten Beispiele zu relativieren. Dies zeigen „Blechfibeln“ in der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kul402
403
404 405 406 407 408
409
410
Ambroz, Fibuly 83; 4, Nr. 4. Tejral, Südöstliche Kulturelemente 34; Abb. 16, 4. Damm, Goldschmiedearbeiten 195–196. Zaseckaya, Bosporos 43, Nr. 25; Taf. 12, 25. Kühn, Süddeutschland 552; Taf. 233 52, 5. Damm, Goldschmiedearbeiten 75. Aibabin, I Goti in Crimea 116–124; Abb. II.9, k. Zaseckaya, Bosporos 54, Nr. 90–91; Taf. 23, 90–91. Ambroz, Fibuly 83; 2, Nr. 5. Vejmarn/ Aibabin, Skalistoe 101; Abb. 70; 73, 5–6; 74. Soproni, Spätrömischer Limes 43–44; Taf. 33, 3–4. Pömer, Severin 553; Taf. 26. Dimitrijevic´/ Kovacˇevic´ / Vinski, Seoba naroda 28; Abb. 2. Brodeur/ Mortreau/ Yvinec, Angers 9–12. Zeiss, Seine und Loiremündung 95–97; Abb. 21. Koenig, Archäologische Zeugnisse 230; Abb. 2a. Bei dem besser erhaltenen, jedoch ebenfalls fragmentierten Exemplar von Cholet konnte immerhin noch eine Gesamtlänge von 8,9 cm gemessen werden. Aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes dieses Stückes kann sogar bei vorsichtiger Schätzung somit von einer Länge über neun Zentimeter ausgegangen werden. Salin, Thierornamentik Abb. 21. Kühn, Süddeutschland 539; Taf. 228 51, 150.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
145
tur aus einem Grab von Nikolaevka, Rayon Flore¸sti411 mit einer Länge von über neun Zentimetern (9,8 cm), die zudem eine größte Breite der Hakenplatte in deren mittleren Drittel aufweisen. Nach Bierbrauer und Tejral stellen jedoch beide chronologische Merkmale der Stufe D1 dar. Eine Länge von nur vier Zentimetern weist hingegen die „Blechfibel“ aus Grab 8 des Gräberfeldes von Mogo¸sani, Jud. Dîmbovit,a auf, obwohl sich auch bei diesem Exemplar die größte Hakenplattenbreite im mittleren Drittel befindet,412 was zeigt, dass auch dieses Merkmal nicht chronologisch aussagekräftig ist. Dies bestätigen weitere Funde von „Blechfibeln“ mit größter Breite der Hakenplatte im mittleren Drittel innerhalb der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur. Aus Rumänien kann ein Exemplar aus Alexandru Odobescu, Jud. C˘al˘ara¸si413 sowie die „Blechfibeln“ aus den Gräbern 340 und 493 des Gräberfeldes von Mih˘al˘as¸eni, Jud. Boto¸sani genannt werden, wobei das Exemplar aus Grab 493 fragmentiert ist.414 Die „Blechfibel“ aus Grab 28 von Lazo (Slobozia Chi¸sc˘areni), Rayon Anenii Noi Grab 28 in Moldavien weist ebenfalls dieses Merkmal auf.415 Auf dem Gebiet der Ukraine sind aus Grab 88 des Gräberfeldes von Gavrilovka, Chersonska Oblast416 und den Gräbern 5 und 14 von Zuravka, Cˇerkasska Oblast ebenfalls „Blechfibeln“ mit diesen Merkmalen bekannt.417 Die Hakenplatte der „Blechfibel“ aus Grab 5 des letztgenannten Gräberfeldes hat zudem eine länglich-rhombische Form, die gemäß den feingliedernden Chronologievorschlägen eigentlich erst in der Stufe D1 auftritt. Neben dieser sind noch weitere Befunde aus dem Gebiet der sogenannten Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur zu nennen, die eine solche Hakenplattenform aufweisen, wie eine leicht beschädigte „Blechfibel“ aus einem Siedlungsfund bei Sfântu Gheorghe („Eprestet˝o“), Jud. Covasna zeigt.418 Aus dem Gebiet des heutigen Rumäniens kommt zudem eine Fibel mit rhombisch-länglicher Hakenplattenform aus Grab 1 des Gäberfeldes 1b von Pietroasele (Pietroasa) „Gräberfeld 1b“, Jud. Buz˘au.419 Im Bereich der heutigen Ukraine sind zu-
411 412 413 414 415 416 417
418
419
Rikman/ Rafalovicˇ / Chynku/ Moldavii 36, Abb. 4, 4. Diaconu, Mogo¸sani 397; Abb. 12, 5. Mamalauca˘ , Obiceiuri de port 116; V.105. S¸ovan, Necropola 106; Taf. 187–188. S¸ovan, Necropola 139; Taf. 262–263. Levinschi, Lazo 145–146; Abb. 26–27, 38. Symonovic, Gavrilovka 215; Abb. 13, 2; 21; Taf. XIII, 12–13. Barceva/ Voznesenskaja/ Cˇernych, Metall 96, Nr. 2553; Abb. 13, 3. Rutkovskaja, Kremenˇcug 329; Abb. 12. Diaconu, Fibel mit halbkreisförmiger Kopfplatte 274 (Beilage 1, Nr. 20). Székely, Goten und Gepiden 304–305. Diaconu, Pietroasele 177–179; Abb. 2, 2a-c.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
dem noch das Grab 131 aus Belen’koe, Odeska Oblast420 sowie Grab 14 von Ranzevoe, Odeska Oblast mit „Blechfibeln“ dieser Hakenplattenform zu nennen.421 Den hohen Grad der Variabilität in der Zusammensetzung von als chronologisch relevant erachteten Merkmalen illustriert auch ein Fibelexemplar aus leider unsicheren Fundverhältnissen. Die Fibel, die mit der apokryphen Fundortbezeichnung „Kerˇc“ versehen ist, weist mit einer geringen Länge von unter sechs Zentimetern, gekerbtem Draht an den Bügelenden, einer rhombisch-länglichen Hakenplattenform und der größten Hakenplattenbreite im unteren Drittel alle als chronologisch relevant betrachteten Merkmale aus allen konstruierten chronologischen Stufen zugleich auf.422 Alle diese Beispiele zeigen, dass anhand der „Blechfibeln“ keine fein gliedernde Chronologie konstruiert werden kann, sondern vielmehr von einer stark variierenden Verwendung der unterschiedlichsten Merkmale wie etwa Längenmaße und Hakenplattenformen über einen langen Zeitraum hinweg ausgegangen werden muss.423 Dies hat nicht nur weitreichende Konsequenzen für die damit konstruierten Chronologiemodelle, sondern auch für die Interpretation des ohnehin problematisch definierten Kulturkonstruktes Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov. Wie stark voneinander abhängig all diese klassifikatorisch-chronologischen und kulturellen Konstrukte sind, konnte oben gezeigt werden. Hinter den verschiedenen Ansätzen, die Funde aus dem Kulturkonstrukt Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur chronologisch zunehmend feiner zu gliedern, steht nach wie vor das Bemühen, die archäologischen Quellen in die historischen Vorgänge dieser Zeit einzubinden. Letzlich muss aber fraglich bleiben, warum eine methodisch kaum oder nur unzureichend zu begründende Stufe wie die chronologische Stufe C3 im – quellenmäßig ohnehin unergiebigen – archäologischen Fundgut des kaiserzeitlichen Mitteleuropa überhaupt definiert wird. Wozu ein solches Konstrukt, das methodisch auf tönernen Füßen steht? Es drängt sich schließlich der Eindruck auf, dass hinter den Bemühungen, diese Stufe zu definieren sowie das gesamte völkerwanderungszeitliche Material anhand weniger 420 421 422
423
Rosochacˇ kij, Budzakskoj stepi. Symonovicˇ, Ranzevskij Mogil’niki 90; Abb. 21, 1–4. Die bisher unpublizierte Fibel aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, Berlin (Inv.-Nr.: IIId 6661) ist im Katalog unter 8.3 Funde ohne exakte Herkunftsangabe unter der Nummer 98 verzeichnet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Stark, Szilágysomlyó. Stark geht ebenfalls von einer gleichzeitigen Benutzung verschiedener Fußformen sowie verschiedener Längen aus, jedoch ohne dies näher zu begründen bzw. Beispiele hierfür anzuführen.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
147
Merkmale in Phasen von teilweise nur noch 20 Jahren Dauer zu gliedern der eingangs bereits beschriebene „Zwang“ steht, mit archäologischen Mitteln die Ereignisgeschichte nachvollziehen zu wollen. Die bei vielen Chronologiemodellen feststellbare „Fixierung“ auf das Jahr 375 n. Chr. scheint tatsächlich daher zu rühren, dass der Archäologie ein ereignisgeschichtliches Datum gegeben scheint, welches sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Quellen verknüpfen lässt. Ohnehin stellt sich die grundsätzliche Frage, welcher Erkenntnisgehalt der archäologische Nachweis eines ereignisgeschichtlichen Datums überhaupt mit sich bringt. Der von der jeweiligen Fragestellung abhängige Konstruktcharakter historischer Epochengrenzen wurde bereits an anderer Stelle dargestellt.424 Das archäologische Material des ausgehenden 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. lässt sich, wie am Beispiel der „Blechfibeln“ gezeigt wurde, aus den oben genannten Gründen jedenfalls nicht mit diesen in Einklang bringen. Zur Beantwortung kulturgeschichtlich relevanter archäologischer Fragestellungen ist dies jedoch auch nicht unbedingt notwendig.425 3.4 Die Westgoten in Spanien Für die Möglichkeit der archäologischen Nachweisbarkeit der Westgoten in, bzw. deren Einwanderung nach Spanien ist die chronologische Einordnung der dortigen Funde und Befunde von entscheidender Bedeutung. Bereits seit der ersten umfassenden Aufarbeitung des spanischen Materials, welche die bis heute überwiegend gültigen chronologischen Grundlagen legte, gibt es für Teile der archäologischen Frühgeschichtsforschung keinen Zweifel daran, dass bestimmte beigabenführende Gräber mit spezifischen archäologischen Merkmalen auf der Iberischen Halbinsel (Kastilien) ab dem Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. materielle Hinterlassenschaften der Westgoten darstellen. Diese Interpretation und deren chronologische Grundlagen wurde jedoch jüngst einer grundlegenden Kritik unterzogen.426 Den bisherigen chronologischen Gliederungsversuchen unterliegen nämlich zahlreiche Widersprüche und Probleme, bei denen die sich gegenseitig bedingenden chronologisch-klassifikatorischen sowie ethnischen An424
425 426
Siehe Kap. III.3.1 Exkurs: Die Völkerwanderungszeit als Periodengrenze – Periodisierung als Forschungsproblem der Geschichtswissenschaft. Ähnlich für den Beginn der Wikingerzeit: Brather, Lindisfarne 60. Diese formulierte: Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien. Ebenso: Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 144–163. Eine Entgegnung findet sich bei: Bierbrauer, Wisigoths 175–176. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 53–57.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
sprachen der „Blechfibeln“ wiederum eine Schlüsselposition einnehmen. Anhand der Problematik der Chronologie und dem damit verbundenen archäologischen Nachweis der Einwanderung der Westgoten nach Spanien kann in den folgenden Kapiteln das gesamte Ausmaß der Prämissen und Konzepte deutlich gemacht werden, die der Klassifikation und der Chronologie der „Blechfibeln“ bzw. dem Fundmaterial der Völkerwanderungszeit in ganz Europa unterliegen. Die chronologische Ordnung des archäologischen Materials aus dem spätantiken und völkerwanderungszeitlichen Spanien orientiert sich ebenfalls größtenteils an dem Diktat, das die Ereignisgeschichte und die ethnische Interpretation vorgeben. In gleichem Maße beeinflusst aber auch die Datierung der „Blechfibeln“ jene der westgotenzeitlichen Gräberfelder deren historisch-ethnische Interpretation. Die Schriftquellen zeichnen für den Beginn und das Ende des sogenannten Tolosanischen Reiches, der ersten Reichsgründung der Westgoten auf dem Gebiet des Römischen Reiches, ein relativ einheitliches Bild: Der Anfang des westgotischen Reiches von Toulouse wird von der historischen Forschung mit dem Foedus des Jahres 418 n. Chr. gleichgesetzt.427 Die Ansiedlung der Westgoten erfolgte in der Provinz Aquitania II und einzelnen Civitates der angrenzenden Provinzen Novempopulana und Narbonensis I. In den folgenden Jahren kam es zu verschiedenen militärischen Aktivitäten in Gallien und Spanien durch westgotische Verbände des Tolosanischen Reiches, die nur teilweise mit den römischen Interessen konform gingen. In diesem Zusammenhang sei exemplarisch auf die Teilnahme an der sogenannten Schlacht auf den katalaunischen Feldern im Jahr 451 n. Chr. gemeinsam mit dem römischen Feldherr Aetius gegen die Hunnen Attilas hingewiesen.428 Erst nach diesem Ereignis nahmen die expansiven Bemühungen der Westgoten in Südwestfrankreich und Spanien zu, was bis 506 n. Chr. zur Besetzung der gesamten Provinz Narbonensis I und Teilen Spaniens führte. Als Enddatum des tolosanischen Reiches gilt das Jahr 507 n. Chr. nach der Niederlage der Westgoten in der Schlacht bei Vouillé gegen die Franken. Danach ging nahezu das gesamte bisherige Herrschaftsgebiet, bis auf die Städte an der Mittelmeerküste, verloren. Mittelpunkt des neuen westgotischen Reiches in Spanien wurde in der Folge zunächst Barcelona, 427
428
Hierzu und generell zur Geschichte und Struktur des Tolosanischen Reiches: Claude, Westgoten 28–53. Wolfram, Goten 178–248. Heather, Goths 181–215. Für eine Datierung der Ansiedlung der Westgoten in Aquitanien in das Jahr 419 n. Chr. plädiert: Schwarcz, Visigothic Settlement 15–18. Einen sicheren schriftlichen Nachweis für die Anwesenheit von Westgoten in Städten gibt es nur für Mérida: Claude, Westgoten 29.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
149
ab der Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. Toledo.429 Aus den Schriftquellen sind für die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. einige militärische Aktionen und eine städtische Herrschaft der Westgoten in Spanien überliefert.430 Als sicherer schriftlicher Beleg für den Zeitpunkt und den Vorgang der Einwanderung der Westgoten nach Spanien galten lange Zeit zwei Nachrichten aus der Chronik von Zaragoza. Hier heißt es zum Jahr 494 n. Chr. „Gotthi in Hispanias ingressi sunt“. Für das Jahr 497 n. Chr. wird berichtet: „Gotthi intra Hispanias sedes acceperunt […]“.431 Aufgrund dieser beiden Nachrichten aus der Chronik von Zaragoza wurde im Allgemeinen davon ausgegangen, dass in der Mitte der neunziger Jahre des 5. Jahrhunderts n. Chr. eine umfassende Einwanderung der Westgoten nach Spanien einsetzt.432 Allerdings ist bei dieser Quelle keineswegs geklärt, inwieweit sie sich nur auf relativ kleinräumige militärische Vorgänge in der Tarraconensis bezieht oder tatsächlich einen Hinweis darauf gibt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt von einer flächendeckenden Besetzung Spaniens durch die Westgoten ausgegangen werden kann.433 Zudem sei hier noch auf die enorme Spannweite der Übersetzungsmöglichkeiten dieser Quellenzitate hingewiesen, wodurch sich je nach Auslegung die Abläufe der überlieferten Vorgänge in ihrem Inhalt stark ändern können.434 Aus den Informationen der Schriftquellen kann daher lediglich ein nüchternes Fazit gezogen werden: Hinweise auf den genauen Beginn und Ablauf der Einwanderung der Westgoten, auf die Zahl und Zusammensetzung der einwandernden westgotischen Gruppen sowie die geographische Ausdehnung und Lage des Niederlassungsgebietes sind von historischer Seite allein aufgrund der schriftlich überlieferten Nachrichten nicht zu beantworten. Diese Umstände veranlassten Barbara Sasse zurecht zu der folgenden Aussage mit weitreichenden Konsequenzen für die archäologische Interpretation: „Zusammenfassend gesehen haben wir also keinen historischen Grund, ein ge429 430 431 432
433 434
Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 29–30. Claude, Westgoten 59. Jiménez Garnica, Settlement 108–109. Chron. min. II 222 94, 97. Claude, Westgoten 59–60 geht von einer Einwanderung in mehreren Wellen bis ins Jahr 531 aus, deren Beginn hauptsächlich durch fränkischen Druck verursacht worden sein soll. Ebenso: Wolfram, Goten 196. Collins, Visigothic Spain 33. Abengochea/ García Moreno, Romanismo y Germanismo 275–277. Eine Alternative zur „herkömmlichen“ Übersetung lieferte jüngst: Kulikowski, Late Roman Spain 207–208. Hier wird aufgrund dieser Quelle eine flächendeckende „Einwanderung“ der Westgoten abgelehnt und stattdessen eine militärische Inbesitznahme bzw. Eroberung eines unbestimmten Gebietes durch ein gotisches Heer vorgeschlagen.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
schlossenes westgotisches Siedlungsgebiet am Ende des 5. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Kastilien anzunehmen […].“435 Trotz dieses Sachverhaltes haben sich die verschiedenen Versuche einer chronologischen Einordnung der einschlägigen archäologischen Funde in Spanien und ihre Interpretation als westgotisch schon seit der ersten Aufarbeitung durch Hans Zeiss im Jahre 1934 überwiegend an der Chronik von Zaragoza orientiert.436 Diese sind bis in die heutige Zeit hinein – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – unkritisch übernommen worden. Deutlich machen diesen Befund die absolutchronologischen Einordnungen der Anfangsphasen der gängigen relativchronologischen Stufengliederungen des Materiales der als westgotisch oder westgotenzeitlich bezeichneten Gräberfelder: Alle oszillieren um das Jahr 500 n. Chr. So beginnt etwa der von Gisela Ripoll in Anlehnung an die relativchronologische Stufengliederung von Kurt Böhner437 konstruierte „Nivel II“ in den Jahren 480/490–525 n. Chr.438 Bierbrauer datiert seine „Stufe I“ mit einem Verweis auf den Chronologievorschlag von Zeiss in „die Zeit um 500“,439 während Wolfgang Ebel-Zepezauers „Phase A“ absolutchronologisch in die Jahre 490–520 n. Chr. gesetzt wird. In seiner Seriation der Grabinventare des Gräberfeldes von Duratón, Prov. Segovia verzichtet Pablo G. Ciezar auf eine genaue Datierung seiner Phasen a und b, sieht aber enge Zusammenhänge mit dem Nivel II Ripolls.440 Allein Sasse datiert die Phase 1 des Gräberfeldes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo „weit vor 500“ n. Chr.441 Bis auf die Ausnahme des Chronologievorschlages von Sasse scheinen somit alle anderen Autoren darum bemüht, den Zeitpunkt der Einwanderung der Westgoten und somit die Chronik von Zaragoza im archäologischen Material bestätigen zu können. Als gleichermaßen gesichert gilt bis zum heutigen Tag auch die von der Chronologie unabhängige Möglichkeit einer archäologischen Identifikation der westgotischen Gräberfelder in Spanien. Diese gründet ebenfalls bereits seit den Anfängen der Erforschung der Westgotenzeit in Spanien auf den 435
436 437 438
439 440 441
Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 30. Ebenfalls kritisch hierzu: Arce, Bárbaros y romanos 147–149. Zeiss, Westgotenreich 134–135. Böhner, Fränkische Altertümer. Ripoll López, Materiales funerarios 113. Ein älteres Nivel I wird von Ripoll aufgrund vieler beigabenloser Gräber für möglich gehalten. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 165. Ebel-Zepezauer, Westgoten 116. Ciezar, Sériation 140. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 130.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
151
gleichen archäologischen Merkmalen.442 Aufgrund der als westgotisch ausgewiesenen Gräberfelder, die im Jahr 1945 von Wilhelm Reinhart kartiert wurden, wird die kastilische Meseta als das zentrale Siedlungsgebiet der Westgoten angesehen443. Trotz aller Prämissen, chronologischen Unstimmigkeiten und quellenbedingten Unsicherheiten, die dieser Interpretation des archäologischen Materials auf der Iberischen Halbinsel zugrunde liegen, scheint für große Teile der archäologischen Frühgeschichtsforschung das „Faktum westgotischen Trachtzubehörs und germanischer Grab- und Beigabensitten ab 480/ 90 in den bereits genannten Regionen [gemeint sind die großen Gräberfelder Zentralkastiliens; Anm. des Verf.] ohne daß sich hierfür Gründe oder Ursprungsgebiete benennen lassen“ festzustehen.444 Die diesem als klar erachteten archäologischen Sachverhalt unterliegenden zahlreichen historisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen und die methodologisch-quellenbedingten Probleme, die sich aus den sich gegenseitig bedingenden Chronologiesystemen und ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen der archäologischen Merkmale ergeben, sind im folgenden Gegenstand der weiteren Betrachtungen. Auch hier kommt den „Blechfibeln“ eine entscheidende Rolle zu. 3.4.1 Westgoten, Romanen und Akkulturation Die archäologische Identifikation des westgotischen Materials erfolgt nach wie vor unter der Prämisse, dass dieses sich archäologisch erkennbar vom als romanisch bezeichneten Fundstoff der Iberischen Halbinsel unterscheidet.445 Definiert werden die westgotischen Friedhöfe durch das Merkmal 442
443
444 445
Eine ausführliche, kritische, die wichtigsten Facetten berücksichtigende Forschungsgeschichte mit dem Hauptaugenmerk auf der Interpretationsgeschichte zur Archäologie der Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel findet sich bei: Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 131–144. Verkürzt dargestellt in. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 31–34. Eine kurze Übersicht mit Schwerpunkt auf der Quellenproblematik des westgotenzeitlichen Spanien bietet: Ebel-Zepezauer, Westgoten 1–5 Diese Meinung geht grundlegend zurück auf die Karte von Reinhart, Asentiamiento Abb. 10. Exemplarisch für die heutige Zeit: Ripoll López, Arrival of the Visigoths 162–163. Ebel-Zepezauer, Westgoten 164–165. Grundlegend und kritisch zum Dualismus germanisch – romanisch: Fehr, Germanen und Romanen. Zu den grundsätzlichen methodischen Problemen der ethnischen Interpretation archäologischer Hinterlassenschaften, mit denen der Verfasser in jeder Hinsicht konform geht: Brather, Ethnische Identitäten; Brather, Ethnische Interpretationen.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
der sogenannten Reihengräber,446 jedoch in erster Linie durch die darin gefundenen metallenen Kleidungsbestandteile. Letztere sind ausschlaggebend für zwei weitere Unterscheidungsmerkmale: Zum einen für die Rekonstruktion und das Postulat einer ethnisch spezifischen westgotischen „Tracht“.447 Zum anderen werden auch einzelne charakteristische „Typen des Trachtzubehörs“ – hier vor allem die „Blechfibeln“ an sich und ihre ereignisgeschichtlich motivierte klassifikatorisch-chronologische Ansprache –448 aus diesen Gräbern als ethnisch-spezifisches Merkmal angesehen. Als weiteres Merkmal gilt zudem die Waffenlosigkeit der Männergräber.449 Im Gegensatz dazu wird die Bevölkerungsgruppe der Romanen „hauptsächlich durch das Fehlen der typisch westgotischen Trachtelemente“,450 also _einer regelhaften Beigabenlosigkeit bzw. reduzierten Beigabenausstattung (Krüge, Flaschen, Kannen, Kleidungsbestandteile sowie Schmuck) und fehlender Waffenbeigaben auf negative Weise definiert.451 Diese als spezifisch erachteten Merkmale werden nun vor dem Hintergrund des scheinbar archäologisch deutlich erfassbaren Gegensatzes zwischen Germanen (Westgoten) und Romanen betrachtet, da dieser allen chronologischen Modellen und ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen zugrunde liegt, teilweise jedoch auch durch diese bestätigt wird. Bei den als Merkmal für die Anwesenheit von Westgoten in Spanien angeführten Reihengräbern handelt es sich um Gräberfelder mit bis zu mehreren hundert Bestattungen, die in ihrer Anlage gewisse Ähnlichkeiten mit den völkerwanderungs- bzw. merowingerzeitlichen Reihengräberfeldern 446
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449
450 451
Zeiss, Westgotenreich 2: „Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die westgotischen Gräberfelder der Pyrenäenhalbinsel. Ihre Eigenheit ist so ausgeprägt, und ihre Beziehungen zu germanischen Grabfeldern anderer Länder sind so eng, dass über ihre Zuweisung kein Zweifel besteht.“ Hierzu auch Kap. II.2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens. Noch heute werden diese Auffassungen vertreten: Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 159. Ebel-Zepezauer, Westgoten 136. Das Merkmal einer ethnisch spezifischen Tracht westgotischer, gotischer bzw. allgemein ostgermanischer Frauen wird in dieser Arbeit an einer gesonderten Stelle diskutiert: Siehe Kap. III.1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. Hierzu siehe Kap. III.3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien: Archäologisches „Miraculum“ oder Resultat eines chronologischen Konstrukts?. Bis in jüngste Zeit wird dies so formuliert: Bierbrauer, Wisigoths. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54–57. Flörchinger, Romanische Gräber 5. Bierbrauer, Romanen 229.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
153
Mitteleuropas aufweisen sollen.452 Definiert werden diese Reihengräberfelder in idealtypischer Weise durch Körperbestattung, west-östliche Ausrichtung der Gräber und deren teilweise Ausstattung mit Beigaben.453 Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel mit diesen Merkmalen werden auch als „Nekropolen vom Typ Duratón“ bezeichnet.454 Bei näherer Betrachtung der als germanisch-westgotisch sowie romanisch angesehenen Gräberfelder fällt jedoch auf, dass diese in Hinsicht auf Lage,455 Struktur, Anordnung sowie in der Ausrichtung der Toten mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen. Die als charakteristisch geltende Reihung der Gräber ist lediglich für die wenigen, in einem größeren Ausschnitt erfassten Friedhöfe gut nachzuvollziehen.456 Eine Anordnung in lockeren Reihen ist aber auch bei kleineren Gräberfeldern zu beobachten.457 Schwerwiegende strukturelle Unterschiede, die eine deutliche Unterscheidung zwischen germanisch-westgotischen und romanischen Gräberfeldern erlauben würden, sind bei diesen Gräberfeldern nicht zu erkennen, es lassen sich vielmehr auffällige Ähnlichkeiten feststellen.458 Der Großteil der Gräber in nahezu allen Gräberfeldern (auch in den großen Friedhöfen) ist in West-Ost-Richtung ausgerichtet und die meisten Individuen sind in gestreckter Rückenlage bestattet. Unterschiede im Grabbau und in den Grabformen459 lassen sich nur insofern erkennen, als dass kleinräumig stark variierende Anteile unterschiedlicher Grabformen zu beobachten sind, die jedoch keineswegs spezifisch ausfallen und daher als Unterscheidungsmerkmal nicht benutzt werden können. Besonders deutlich
452 453 454
455
456
457
458 459
Siehe Anm. 446. Fehr, Germanen und Romanen 626–627. Ament, Reihengräberfriedhöfe 362. So bereits Hübener, Chronologie 207. Heute werden diese teilweise immer noch so bezeichnet: Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54. Eine nähere Definition dieses „Typs“ von Gräberfeldern erfolgt hier allerdings nicht. Ebel-Zepezauer, Westgoten 133–137. Das Postulat spezifisch romanischer Kirchennekropolen ist wegen des Ausschnittscharakters der ausgegrabenen und publizierten Grabungspläne nur schwer vergleichbar bzw. nachzuvollziehen. Als Beispiele hierfür können die bekannten Gräberfelder von Duratón, Prov. Segovia und El Carpio de Tajo, Prov. Toledo gelten. Exemplarisch seien hier die als westgotisch angesehene Nekropole von Daganzo de Arriba; Prov. Madrid (Fernández Godín/ Pérez de Barradas, Daganzo de Arriba Taf. I) und das vermeintlich romanische Gräberfeld von Pedrera, Prov. Sevilla (Fernández Gómez/ Oliva Alonso/ Puya García de Leaniz, Pedrera 278; Abb. 4) genannt. Siehe Abb. 7a-b. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Varianten des Grabbaues und der Grabformen findet sich bei: de Mergelina, El Carpio de Tajo 146; Abb. 1. Ripoll, El Carpio de Tajo 22–23, Abb. 4. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 9–12; Abb. 1, 2.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
wird dies auch bei zwei jüngst erschienenen, dualistisch in germanischwestgotisch und romanisch trennenden Darstellungen der jeweiligen Bestattungsformen der Iberischen Halbinsel, die beide ein im Grunde genommen ähnliches Phänomen beschreiben.460 Generell fällt es sowohl in den als romanisch als auch in den als westgotisch angesprochenen Gräberfeldern schwer, deutliche Regelhaftigkeiten in den Befunden, wie etwa bei der Beigabenquantität, zu erkennen.461 Zudem kommt es zu regional kleinräumig variierenden Beigabenausstattungen.462 Ein umfassender Vergleich dieser Parameter wird daneben noch durch die unten zu erläuternde schlechte Quellenlage der Archäologie erschwert. Als weiteres spezifisches Merkmal zur archäologischen Identifikation gotischer gentes gilt gemeinhin die Waffenlosigkeit der Männergräber. Dieses Merkmal wird bereits zum archäologischen Nachweis gotischer gentes der Römischen Kaiserzeit benutzt,463 ist aber keineswegs spezifisch. Das Merkmal ist zum einen negativ definiert, was eine regelhafte und deutliche Abgrenzung zu anderen archäologischen Befunden impliziert. So definiert, müsste aber jeder Befund eines Männergrabes ohne Waffenbeigabe als gotisch erachtet werden. Eine Kartierung dieser Befunde ergäbe eine europaweite dichte Verbreitung und ist daher aussagelos und als unspezifisch zu erachten. Hinzu kommt, dass Waffenlosigkeit auch in spätrömischen Grabbefunden der römischen Provinzen bis auf wenige Ausnahmen immer die Regel ist und üblicherweise auch zur archäologischen Definition der Romanen herangezogen wird.464
460
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462
463
464
Ebel-Zepezauer, Westgoten 137–139. Flörchinger, Romanische Gräber 68–77; Textabb. 2. Ebel-Zepezauer, Westgoten 141–144; Abb. 57–58. Die beiden Abbildungen zeigen dennoch voneinander unterschiedliche prozentuale Verteilungen. Auch wenn die Beigabenhäfigkeit hier nicht nach Bestattungen pro Grab aufgeschlüsselt wurden, ist die Beigabenhäufigkeit in den romanischen Gräbern nicht einheitlich hoch. Zudem handelt es sich bei einigen angeführten Gräberfeldern, wie etwa bei Deza, Prov. Soria nur um ausschnitthaft ausgegrabene Gräberfelder. Auch die als typisch für romanische Gräberfelder geltende Krugbeigabe ist nicht in allen Gräberfeldern in gleich hohem Maße nachgewiesen. So zeigen das Gräberfeld von San Pedro de Alcántara, Prov. Málaga mit 13,51 % (20 Gefäße in 148 Bestattungen) und das Gräberfeld von Piña de Esgueva, Prov. Valladolid mit 47,90 % (80 Gefäße in 167 Bestattungen) deutliche Unterschiede in den relativen Anteilen der Keramikbeigabe der Gräber: Hübener, San Pedro de Alcántara 198. Werner, Archäologische Zeugnisse 128. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 68. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 92. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 159. So auch: Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 150. Siehe auch Anm. 451.
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a: Pedrera, Prov. Sevilla
b: Daganzo de Arriba, Prov. Madrid Abb. 7a–b: Gräberfeldpläne der als westgotisch bzw. romanisch angesprochenen Friedhöfe von Pedrera, Prov. Sevilla (a) und Daganzo de Arriba, Prov. Madrid (b).
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Im Zuge der Dekonstruktion des Paradigmas eines strengen Dualismus zwischen Romanen und Germanen kommt es zudem in letzter Zeit zu einer alternativen Sicht auf die sogenannten Reihengräberfelder der Merowingerzeit und deren germanischen Charakter. Diese werden nunmehr als Niederschlag eines kulturellen Wandlungsprozesses in den „Grenzregionen“ des sich desintegrierenden Römischen Reiches angesehen, an dem keineswegs ausschließlich allochthone Einflüsse beteiligt waren.465 Was die Struktur der Friedhöfe und die Grabformen betrifft, so können die Reihengräberfelder der Iberischen Halbinsel treffender und neutraler im zeitlich-kulturellen Sinne als allgemein spätantike bzw. westgotenzeitliche Bestattungsplätze beschrieben werden, die jedoch kleinräumige Unterschiede aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Konzept der Akkulturation als gleichermaßen problematisch anzusehen, da dieses ebenfalls von einem strengen Dualismus zwischen Germanen und Romanen ausgeht. Akkulturation dient häufig als Erklärungsmodell für eine Veränderung bzw. Annäherung des archäologischen Sachgutes von westgotisch zu romanisch in den Gräberfeldern der Iberischen Halbinsel.466 Somit hat das Konzept der Akkulturation teilweise auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss bei der Konstruktion der archäologischen Chronologiemodelle. Häufig wird der Befund der Akkulturation auf den sogenannten Westgotenfriedhöfen dadurch beschrieben, indem eine Tendenz von einer als typisch germanisch angesehenen hin zu einer romanisch gedeuteten Bestattungsform und Beigabenausstattung – hier in erster Linie die „Tracht“ – festgestellt wird. Diese graduell verlaufenden Veränderungen im Befund sowie im Fundmaterial werden dann zunächst als relativchronologisches Argument zur Stufenbildung genutzt. Als Gründe für diese im archäologischen Material feststellbare Akkulturation werden schriftlich überlieferte Ereignisse herangezogen,467 welche weitreichende Auswirkungen in allen Lebensbereichen gehabt haben sollen: So zählen zum einen die Aufhebung des im Codex Theodosianus überlieferten, strikten Eheverbotes zwischen Westgoten und Romanen durch Leovigild,468 zum anderen die offizielle Konversion der Westgoten vom Arianismus zum Katholizismus unter Reccared im Jahre 589 n. Chr. auf dem III. Konzil von Toledo zu wichtigen ereignisgeschichtlichen Vorgängen in Bezug auf die Akkulturation. Diese Ereignisse werden 465 466
467 468
Whittaker, Frontiers 237. Fehr, Germanen und Romanen 616–623. Ausdrücklich beziehen sich auf das Akkulturationskonzept: Bierbrauer, Akkulturationsprozesse. Siehe ebenfalls Ripoll López, Arrival of the Visigoths. Ripoll López, Toréutica. Bierbrauer, Ethnische Interpretation 56. Ripoll López, Toréutica 53–54. Zum Eheverbot: Cod. Theod. 3, 14, 1.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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dann in der Folge auch zur absolutchronologischen Einordnung der relativchronologischen Stufen benutzt.469 Keineswegs geklärt ist hierbei jedoch, ob die schriftlich überlieferten Vorgänge tatsächlich direkten Niederschlag durch Veränderungen im Bestattungs- oder Beigabenverhalten gefunden haben und inwieweit sie sich überhaupt im Allgemeinen ausgewirkt haben. So wird das überlieferte Eheverbot zwischen Westgoten und Romanen und dessen Aufhebung üblicherweise als ein entscheidender Umstand zu einem „weiteren, schnelleren Zusammenwachsen beider Volksgruppen“ angesehen.470 Doch heute beurteilen Historiker dies anders: Das Heiratsverbot zielte wohl nicht auf die Aufrechterhaltung ethnischer Grenzen ab, vielmehr sollten Eheschließungen über gesellschaftlich-soziale bzw. gefolgschaftliche Grenzen hinweg erschwert bzw. verhindert werden.471 Grundsätzliche Kritik am Akkulturationskonzept sowie dessen Anwendung in den archäologischen Disziplinen wurde daneben auch aus theoretischen Erwägungen heraus geübt. Der Historiker Ulrich Gotter wies auf zwei neuralgische Punkte hin, die diesem Konzept zugrunde liegen: Zum einen gehe dies von zwei „hermetischen Einheiten“ aus, die immer klar voneinander zu trennen seien. Akkulturation finde erst nach ihrem ersten gemeinsamen Kontakt statt. Doch, so Gotter, sei dies in realiter wohl nie der Fall gewesen, da eine vorausgesetzte Homogenität antiker Entitäten eigentlich nie aufrecht zu erhalten ist, sobald ein gewisser Grad an Informationsdichte über diese vorliegt. Darüber hinaus seien die Vorgänge, die zu einer Akkulturation führen, bei ständigem Kontakt nicht einwandfrei nachzuvollziehen.472 Für den hier interessierenden Fall der Westgoten und Romanen trifft diese grundlegende Kritik Gotters am Akkulturationskonzept ebenfalls zu, denn weder sind distinkte, homogene Sachkulturgruppen archäologisch nachvollziehbar (s. o.), noch sind die einzelnen Vorgänge historisch – seit dem Jahr 376 n. Chr. ist der Aufenthalt der Westgoten auf reichsrömischem Gebiet schriftlich überliefert – tatsächlich transparent zu machen. Ob die Veränderungen im archäologischen Sachgut der Iberischen Halbinsel auf diese Ereignisse zurückgehen und ursächlich mit Akkulturation bzw. Romanisierung der Westgoten verbunden werden können, muss daher fraglich erscheinen.
469 470 471 472
Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 95–96. Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 96. Sivan, Why not marry a barbarian? 136–145. Gotter, Akkulturation 386–389.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme Die äußerst problematische Quellenlage der Archäologie der Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel hat weitreichende Auswirkungen auf alle chronologischen Fragestellungen. Aufgrund des schlechten Publikationsstandes und der größtenteils mangelhaften Dokumentation der Gräberfelder ist bei einem generellen Vergleich der Gräberfelder Spaniens mit denen anderer Regionen Vorsicht geboten. Kein Gräberfeld ist komplett erfasst. Als einzige Ausnahme gilt immer noch der Friedhof von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo,473 doch auch hier muss davon ausgegangen werden, dass das Gräberfeld nicht vollständig ausgegraben worden ist.474 Als noch schwerwiegender für die hier zu diskutierende Problematik müssen jedoch die häufig nicht berücksichtigten Unsicherheiten bezüglich der Geschlossenheit der publizierten Grabbefunde aufgrund zahlreicher Mehrfachbestattungen an einer Grabstelle angesehen werden. Streng genommen dürfen die meisten dieser Inventare nicht als geschlossen betrachtet werden. Beim jetzigen Stand der Dinge sind lediglich die publizierten Bestattungen aus Herrera de Pisuerga, Prov. Palencia,475 die der Grabungskampagnen 1942 und 1943 von Duratón, Prov. Segovia476 sowie von Cacera de las Ranas, Prov. Madrid477 als zuverlässig zu erachten, jedoch nicht die Grabinventare aus El Carpio de Tajo, Prov. Toledo.478 In der Publikation des Gräberfeldes von Duratón, Prov. Segovia sind zudem nicht die Fundzeichnungen, sondern die Grabbeschreibungen ausschlaggebend für die Trennung zwischen Vor- und Nachbestattungen: Daher dürfen die von Antonio Molinero Pérez479 1971 publizierten Fundensembles keineswegs als Darstellungen geschlossener Funde interpretiert werden. Dies gilt auch für das ebenfalls dort publizierte Gräberfeld von Madrona, Prov. Segovia.480 Erst nach der im Moment noch laufenden erneuten Aufarbeitung des Materiales aus den Altgrabungen anhand der originalen Grabungsdoku473
474 475
476 477 478
479 480
Ebel-Zepezauer, Westgoten 5. Sasse, Horizontalstratigraphie 323. Flörchinger, Romanische Gräber 3–5. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 6–9. Martínez Santa Olalla, Herrera de Pisuerga. Die Angaben zu den Inventaren werden aber ebenfalls als unzuverlässig eingeschätzt: Jepure, Espirdo-Veladiez 108. Molinero-Pérez, Duratón. Ardanaz Arranz, Cacera de las Ranas. Als zuverlässig gelten darüber hinaus noch drei weitere Bestattungsplätze: Jepure, Espirdo-Veladiez 108; Anm. 108. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales. Jepure, Espirdo-Veladiez 107–111.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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mentation ist eine Verbesserung dieser äußerst schlechten Quellenlage zu erwarten.481 Als kaum besser sind die Voraussetzungen für die absolute Chronologie der Gräber der Iberischen Halbinsel zu bezeichnen. Insgesamt sind nur vier Gräber mit Münzbeigabe aus den Gräberfeldern von Madrona und Duratón, beide Prov. Segovia bekannt. Die Angaben zum Nominal und zum Prägezeitraum der einzelnen Münzen variieren bei den verschiedenen Autoren jedoch teilweise erheblich. Im Grab 294 von Duratón fand sich gemäß des Ausgräbers und ersten Bearbeiters des Materials Molinero Pérez ein Solidus des Theoderich oder Thrasamund.482 Gerd G. Koenig spricht den Münzfund als „stempelfrischen Solidus des Anastasius“ an und datiert diesen in die erste Prägeperiode ab dem 11. 4. 491–492 n. Chr.483 Bierbrauer übernimmt diese Angaben, während Ebel-Zepezauer die Münze – wie alle anderen Münzen aus Gräbern der Iberischen Halbinsel – als westgotischen Tremissis des Anastasius I. (491–518 n. Chr.) anspricht und dem genaueren Datierungsvorschlag Koenigs aufgrund fehlender Münzreihen jedoch keinen Wert beimisst.484 Lediglich Molinero-Pérez führt im Grab 438 von Duratón ein Tremissis des Anastasius auf, der sonst unberücksichtigt bleibt.485 Für das Grab 526 des Gräberfeldes von Duratón wird von Molinero Pérez ein Solidus des Anastasius I. (491–518 n. Chr.) angeführt.486 Koenig spricht den Münzfund dieses Grabes als Solidus nach Anastasius an, der unter Theoderich geprägt wurde und setzt ihn in das erste Viertel des 6. Jahrhunderts n. Chr.487 Der vierte münzführende Befund ist Grab 321 des Gräberfeldes von Madrona, in dem sich gemäß Molinero Pérez ein Tremissis des Anastasius I. (491–518 n. Chr.) fand, der unter Athanagild I. (551–567 n. Chr.) oder Liuva I. (567–572 n. Chr.) geprägt wurde.488 Mangels weiteren Angaben wird zur absolutchronologischen Einordnung
481
482 483 484
485
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488
Die Aufarbeitung des Gräberfeldes von Espirdo-Veladiez ist abgeschlossen: Jepure, Espirdo-Veladiez. Momentan wird das Gräberfeld von Madrona neu aufgearbeitet: Mündl. Mitteilung A. Jepure, Madrid. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 36. Koenig, Duratón 289. Koenig, Duratón 289. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 164. Ebel-Zepezauer, Westgoten 110 mit Anm. 53. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 39. Dieses münzführende Grab findet nur noch bei Ebel-Zepezauer, Westgoten 172, Anm. 39 Erwähnung. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 41. Koenig, Duratón 289. So auch Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 164 und Ebel-Zepezauer, Westgoten 110. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 62.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
der Funde der Iberischen Halbinsel immer auf das Hilfsmittel der sogenannten Außendatierungen zurückgegriffen. Diese Außendatierungen erfolgen zum einen durch den Vergleich von Grabinventaren aus Regionen außerhalb der Iberischen Halbinsel mit vermeintlich chronologisch besser einzuordnendem Fundgut, welches mit als westgotisch angesehenen archäologischen Hinterlassenschaften vergesellschaftet ist. Zum anderen werden auch als westgotisch angesehene Grabinventare der Iberischen Halbinsel, die „chronologisch besser fixiertes“ Material aus Regionen außerhalb Spaniens beinhalten, zur näheren absolutchronologischen Einordnung verwendet.489 Angesichts dieser Quellenlage sind vor einer umfassenden neuen Aufarbeitung der einschlägigen Gräberfelder vom „Typ Duratón“ Aussagen zur relativen und absoluten Chronologie nur in sehr geringem Umfang möglich. Um das Ausmaß der Dominanz der schriftlichen Überlieferung bei der Erstellung der Chronologievorschläge begreifbar zu machen, ist es aufschlussreich, in welchem Umfang die bisherigen relativchronologischen Gliederungsversuche und deren absolutchronologische Einordnung diese Problematik berücksichtigt haben und welche methodischen Mittel zur Erstellung der chronologischen Systeme angewandt wurden. Die Grundlage für die chronologischen Aussagen zum Beginn der Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel von Hans Zeiss im Jahr 1934 stützten sich auf Erkenntnisse, die er aus vorläufigen Betrachtungen des für ihn sicher als westgotisch zu erachtenden, damals jedoch noch unpublizierten Gräberfeldes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo gewonnen hatte.490 „Blechfibeln“ wurden aus jenen Gräbern geborgen, die Zeiss als älteste Bereiche des Friedhofs ansah und waren mit „gotischen Gürtelschließen vom Typ I“ vergesellschaftet, die er für chronologisch aussagekräftig hielt.491 Die absolutchronologische Einordnung dieser „großen Schnallen mit rechteckigen Beschlägplatten“ erfolgte bei Zeiss über den Vergleich mit den von Alfred Götze vorgelegten „gotischen Schnallen“492 aus dem ‚ostgotischen‘ Italien unter dem Verweis, dass die Datierung „seither keinen Widerspruch gefunden“ hätte. Die methodische Problematik der Datierungen Götzes muss Zeiss aber durchaus bewusst gewesen sein, denn er wies darauf hin, dass diese Fundgattung in Italien lediglich durch chronologisch 489
490 491 492
Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 164–165. Ebel-Zepezauer, Westgoten 110–116. Bierbrauer, Wisigoths 170–172. Zeiss, Westgotenreich 74–75. Zeiss, Westgotenreich 75. Götze, Gotische Schnallen.
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nicht verwertbare Einzelfunde belegt sei und allein über die schriftlich überlieferte Anwesenheit der Ostgoten in Italien (493–552 n. Chr.) erfolgte.493 Neben dieser rein auf der schriftlichen Überlieferung basierenden Datierung schien für Zeiss die im Gräberfeld von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo in drei Fällen belegte Vergesellschaftung von „Blechfibeln“ der Gruppe A mit Schilddornschnallen für eine Datierung des Belegungsbeginns sowie der „Blechfibeln“ in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. zu sprechen. Allerdings spiegeln auch die hier erläuterten Gräber 96, 123 und 136 die bereits oben angeführte problematische Quellenlage und die in vieler Hinsicht zweifelhafte Dokumentation. Denn die Vergesellschaftung von „Blechfibeln“ und Schilddornschnallen ist in den Grabbefunden (eigentlich: Grabstellen) 96 und 123 keineswegs belegt. Bei diesen nicht geschlossenen Befunden handelt es sich um gemischte Inventare. Sie stammen aus bei der Ausgrabung nicht erkannten Mehrfachbestattungen und können heute nicht mehr getrennt werden.494 Im Fall des Grabbefundes 136 ist die Vergesellschaftung einer „Blechfibel“ mit einer Schilddornschnalle sogar komplett auszuschließen, da aus diesem Befund keine Schilddornschnalle bekannt ist.495 Ferner verlängerte Zeiss die Laufzeiten von Prunkvarianten der „Blechfibeln“ (Untersiebenbrunn) bis weit in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. hinein. Um dies zu beweisen, führte er den Fund einer mit Gold überzogenen Fibel, die heute der sogenannten Gruppe Niederflorstadt zugeordnet wird,496 aus dem gestörten (!) Grabbefund von Izenave, Dép. Ain an.497 Dieser durch einen Denar des Maiorian (457–461 n. Chr.) münzdatierte Grabbefund galt ihm als Beweis für eine wesentlich längere Laufzeit dieser Form der „Blechfibeln“, als vorher noch von Åberg angenommen.498 Unter der Prämisse, dass „einfachere Zweckformen […] erfahrungsgemäß eine längere Lebensdauer“ hätten verwies er auf die späte Münzdatierung und die Form der „Blechfibeln“ aus den einschlägigen und als nicht geschlossen anzusehenden Befunden von Suuk-Su auf der Krimhalbinsel. Die exponierte geographische Lage der Gräberfelder auf der Krim und Spanien hätten deshalb die „Blechfibeln“ auf längere Zeit unverändert bleiben lassen:
493 494 495 496 497 498
Zeiss, Westgotenreich 74–76. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 206–207; 213–215. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 219–222; Taf. 15–16. Quast, Einzelgrab 173; Abb. 175. Chanel, Izenave. Zu den chronologischen Vorstellungen Åbergs und dessen Interpretation siehe Kap. II.1 Die Entwicklung der „Blechfibeln“ zum ethnischen Leitfossil bis zu den Arbeiten von Nils Åberg.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Das Grabfeld von Suuk-Su liegt am östlichen, Carpio de Tajo am westlichen Rand des gotischen Wandergebietes. Die ‚Blechfibeln‘ gehören zu den Besonderheiten, welche diese beiden Außenposten des Gotentums gemeinsam haben. Es handelt sich in der Tat um eine Fibelgattung, die nach unseren heutigen Kenntnissen bei den Goten und den ihnen nahe stehenden Stämmen besonders beliebt gewesen ist.499
Zur historischen Begründung des Zeitpunktes der „westgotischen Siedlung“ auf der Pyrenäenhalbinsel bezog sich Zeiss vor allem auf die Nachrichten aus der Chronik von Zaragoza. Mit historischen und archäologischen Mitteln sei somit eine „frühere westgotische Landnahme in Spanien nicht festzustellen“.500 Im gleichen Jahr kam Julio Martínez Santa-Olalla zu einer ähnlichen Einschätzung bezüglich des westgotenzeitlichen Materials der Gräberfelder von Herrera de Pisuerga, Prov. Palencia und Castiltierra, Prov. Segovia: Er gliederte das archäologische Fundgut aus geschlossenen Funden in drei Perioden, die er als „gotisch“, „westgotisch“ und „byzantinisch“ oder entsprechend als „grupos I, II y III“ bezeichnete und deren absolute Datierungen er mit der dreiteiligen politischen Periodisierung der Historiker weitgehend gleichsetzte.501 Martínez Santa-Olalla gebrauchte für sein chronologisches Schema die gleiche Methode wie Zeiss, indem er das Material durch Vergleiche mit den Donauländern und Mitteleuropa als westgotisch interpretierte und ferner die Schnallen mit rechteckigem Beschlag anhand der Exemplare aus dem ostgotischen Italien datierte. Bereits zwei Jahre zuvor war er in der Publikation des Gräberfeldes von Herrera de Pisuerga zu den gleichen Ergebnissen gekommen und datierte seine westgotische Periode zwischen 485 (Alarich II.) und 620 n. Chr (Swinthila).502 Untersuchungen zur relativen Chronologie anhand der von ihm ausdrücklich als westgotenzeitlich benannten Funde des Friedhofes von Duratón, Prov. Segovia wurden von Wolfgang Hübener durchgeführt. Dieser kartierte auf dem leider nicht vollständigen Grabungsplan diverse Fundtypen, um eventuell spezifische Fundkonzentrationen bzw. -kombinationen ermitteln zu können und mittels der Horizontalstratigraphie zu chronologischen Aussagen zu gelangen.503 Indem er die Quellen vorsichtig auswertete und die Methode sorgfältig anwendete, kam er zu keinem ein499 500
501 502 503
Zeiss, Westgotenreich 99–100. Zeiss, Westgotenreich 75; 81; 134–135. Hierzu auch Kap. II.2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens. Martínez Santa Olalla, Chronologische Gliederung 44–45; Anm. 3. Martínez Santa Olalla, Herrera de Pisuerga 28–31. Die Ergebnisse seiner Studien präsentierte Hübener in mehreren Aufsätzen: Hübener, Schildförmige Gürtelhaften. Hübener, Chronologie. Hübener, Westgotenzeitliche Nekropolen.
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deutigen relativ- und absolutchronologischen Ergebnis und beschloss seine Ansichten zur Chronologie der westgotenzeitlichen Grabfunde in Spanien mit dem Hinweis, dass diese Bestattungsform „im späteren 5. und in der ersten Hälfte des 6. Jh. auf der Iberischen Halbinsel und auch Teilen West- und Mitteleuropas“ gebräuchlich war ohne sie einem spezifischen Ethnos zuzuschreiben.504 Koenig versuchte 1977 das komplette Gräberfeld von Duratón, Prov. Segovia einer horizontalstratigraphischen Untersuchung zu unterziehen. Er unterschied anhand der Kartierung verschiedener konstruierter Typen auf dem Gräberfeldplan die Belegungsphasen B bis E. Einschränkungen der relativchronologischen Abfolge ergaben sich jedoch durch die wiederholte, für Koenig aufgrund mangelnder Dokumentation nicht nachvollziehbare Belegung älterer Bestattungen durch jüngere im Bereich der nicht nach Inventaren pro Bestattung publizierten Gräber 292 bis 666.505 Gleichermaßen problematisch erscheint, dass Koenig die von ihm konstruierten Typen dazu benutzte, eine Horizontalstratigraphie für das Gräberfeld zu erstellen. Generell zurückhaltend bei der absolutchronologischen Datierung seiner Phasen, machte er – bis auf den vorsichtigen Verweis auf den terminus post quem von 491 n. Chr. der Münze des Grabes 526 – keine genaueren Angaben zur Anfangsphase des Friedhofes sowie überhaupt zur Chronologie dieser Gräberfelder und verwies auf spätere Arbeiten.506 Hier rekonstruierte Koenig 1986 an der gleichen Fundstelle eine spätantike Doppelapsidenanlage aufgrund einer bei den Ausgrabungen 1942 dokumentierten in SüdwestNordost-Richtung verlaufenden Mauer mit Apsis und postulierte eine Kontinuität des Platzes vom 4. bis mindestens ins 8. Jahrhundert n. Chr.: Vom Kirchenbau aus sei der Friedhof nach Nordosten und -westen zunächst von der altansässigen und dann im Norden der Grabungsfläche von der eingewanderten westgotischen Bevölkerung, „an Hand der Tracht – Fibelpaar, große Schnalle mit Rechteckbeschlag – als ethnische Gruppe erkennbar“, in Koexistenz weiter belegt worden. Die horizontalstratigraphische Untersuchung zeige eine „zwiebelschalenförmige Entwicklung“ des westgotischen Gräberfeldes. Als terminus post quem für den Beginn der „westgotischen Nekropole“ sah er die Münzfunde aus den bereits erwähnten Gräbern 526 und 294 aus dem Zentrum an und legte den Beginn dieses Teils des Gräberfeldes an das Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. Zudem zog er die Nachrichten aus der Chronik von Zaragoza als Bestätigung heran.507 504 505 506 507
Hübener, Chronologie 211. Koenig, Archäologie Hispaniens 66. Koenig, Archäologie Hispaniens 242–244. Koenig, Duratón 286–293.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Das Gräberfeld von Duratón, Prov. Segovia war ebenfalls Grundlage der 1980 erschienenen horizontalstratigraphischen Untersuchung von Bierbrauer, der trotz des Wissens um die eigentlich weitaus höhere (doppelte) Anzahl der Gräber auf diesem Friedhof seine Kartierungen und Schlüsse ausschließlich auf den Stand der Grabungen von 1942 und 1943 stützte, was die Aussagekraft deutlich schmälert. Dieser erste Versuch Bierbrauers zur Chronologie der westgotischen Grabfunde auf der Iberischen Halbinsel gründet hauptsächlich auf den Zeissschen Chronologievorstellungen sowie auf der Prämisse, dass „grosse Bügelfibelpaare an den Schultern und grosse schwere, meist polychrom verzierte Gürtelschliessen im Beckenbereich […] sicher in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts datieren.“ Gräber mit diesen von ihm als „national-gotische Tracht“ bezeichneten Inventaren („Blechfibeln“) lägen im ältesten Teil des Gräberfeldes und er kam nach der keineswegs überzeugenden Kartierung zu folgendem Schluss: „In ihnen sind somit auch Angehörige jener Gotengeneration bestattet, die vor und nach 507 von Aquitanien nach Spanien übersiedelte.“ Die weitere Belegung um diesen ältesten Bereich des Gräberfeldes erfolgte gemäß Bierbrauer durch Gräber, deren Inventar „mediterrane Fibeln“ in gotischer Trageweise aufwiesen, die aber nur noch unregelmäßig mit einer „grosse[n] gotische[n]“ Gürtelschnalle vergesellschaftet waren. Im Anschluss an diese Gräber sah Bierbrauer in der Peripherie des Grabungsausschnittes überwiegend beigabenlose Gräber bzw. Gräber mit romanischen Bestattungsformen. Diesen von ihm konstruierten und belegungschronologisch gedeuteten Befund brachte er mit dem „Romanisierungsprozess der Westgoten“ in Verbindung und sah diesen auch in den Schriftquellen bestätigt: Die jüngste Belegungsphase sei das Produkt der „unter Leowigild noch vor 580 verfügte[n] Aufhebung des Eheverbotes zwischen Westgoten und Romanen“ sowie des im Jahr 587 n. Chr. erfolgten Übertritts „der arianischen Westgoten zum orthodoxen Bekenntnis der Romanen“.508 Einen anderen Weg zur zeitlichen Ordnung der westgotenzeitlichen Grabfunde beschritt 1990 Pablo G. Ciezar. Wiederum anhand des Materials des Gräberfeldes von Duratón, Prov. Segovia versuchte er – allerdings in Ermangelung der Dokumentation und somit ohne Mehrfachbelegungen zu berücksichtigen – mittels einer Korrespondenzanalyse eine relativchronologische Ordnung der Grabinventare. Er kam dabei zu einer Einteilung des Fundstoffes in fünf aufeinander folgende, sich teilweise überschneidende Phasen, die er mit den Buchstaben a bis e kennzeichnete. Auf eine absolutchronologische Einordnung verzichtete Ciezar aufgrund zu weniger Anhaltspunkte und dem vorläufigen Charakter seiner relativen Chronologie.509 508 509
Bierbrauer, Akkulturationsprozesse 92–96. Ciezar, Sériation.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
165
Die schlechte Quellenlage veranlasste Gisela Ripoll-López 1991 zu einer ähnlichen Vorgehensweise. Sie untersuchte Kombinationen von 18 Gürtelschnallentypen mit 20 Fibeltypen aus als geschlossen erachteten Befunden verschiedener Nekropolen. Beabsichtigtes Ergebnis dieser Studie ist eine vorläufige relativchronologische Einteilung des westgotenzeitlichen Fundgutes der Iberischen Halbinsel in vier „Niveles“, um die Vergleichbarkeit mit den Stufen der einschlägigen merowingerzeitlichen Chronologiesystemen zu ermöglichen. Doch sind sowohl die von Ripoll-López definierten Typen als auch die Auswahl, Anzahl und genaue Angabe der von ihr ausgewählten Befunde nicht nachvollziehbar. In der Kombinationstabelle für die Niveles II und III kommen zudem vier Fibel- und Gürtelschnallentypen in nur einmaliger Kombination vor. Darüber hinaus überschneiden sich – wie Ripoll-López selbst anmerkt – die Niveles in einem Großteil der Fundtypenkombinationen und können daher nicht deutlich voneinander getrennt werden.510 Dennoch hält sie eine Abgrenzung des Nivel III aufgrund des Auftretens einiger für romanisch gehaltener Fundtypen im Gegensatz zum westgotischen Material des Nivel II für möglich, was für sie auch ihre horizontalstratigraphischen Studien am Gräberfeld von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo zu bestätigen scheinen. Obwohl Ripoll-López eine strenge Dichotomie zwischen Germanen und Romanen ablehnt und die einschlägigen Grabinventare eher als Identitätsanzeiger bestimmter sozialer Gruppen innerhalb einer gemischten Gesellschaft ansieht,511 werden über die scheinbar im Fundstoff als erkennbare fortschreitende Romanisierung bzw. Akkulturation auch die Niveles IV bis V konstruiert. In Bezug auf den Beginn der Belegung der westgotenzeitlichen Gräberfelder vor dem Nivel II postuliert Ripoll López aufgrund der vielen beigabenlosen Gräber ein nicht näher definiertes Nivel I. Ohne nähere Angaben zu machen, setzt sie dann den Beginn des Nivel II in die Jahre zwischen 480–490 n. Chr. und dessen Ende um 525 n. Chr. Das Nivel III dauert bei Ripoll-López bis in die Jahre 560–580 n. Chr. Von den letzten Jahrzehnten des 6. bis in die ersten des 7. Jahrhunderts datiert das Nivel IV, während das Nivel V am Anfang des 8. Jahrhunderts n. Chr. aufhören soll.512 510 511 512
Ripoll López, Materiales funerarios 123; Abb. 4. Ripoll López, Symbolic Life 408–409. Ripoll López, Toréutica 54. Ripoll López, Materiales funerarios. Seit 1991 wurde dieses vorläufige Chronologieschema mehrfach publiziert und auch angewandt. Mit einer horizontalstratigraphischen Untersuchung (zwiebelschalenförmige Entwicklung) des Friedhofes von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo: Ripoll López, Adornos personales 196–197. Ripoll López, Arrival of the Visigoths 171–175. Nochmals allgemein für das westgotenzeitliche Material: Ripoll López, Symbolic Life Abb. 11, 1–2. Ripoll López, Toréutica 45–54.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Größtenteils auf den Chronologievorschlag von Ripoll-López in Verbindung mit den Ergebnissen Ciezars scheinen sich auch mehrere seit 1994 von Bierbrauer vorgelegte Versuche zu stützen, die chronologischen Verhältnisse der Westgotenzeit darzustellen. Doch sind die von ihm an dem Chronologieschema von Ripoll-López vorgenommenen Veränderungen nicht nachvollziehbar. Auch eine angekündigte ausführliche Studie zur Erläuterung dieser Veränderungen, die auf einer kombinationstatistischen Untersuchung von „mehreren hundert geschlossenen Grabfunden“ gründen soll, ist bis heute nicht erschienen.513 Es bleibt, wenn auch die Materialgrundlage zur Erstellung dieser Relativchronologie nicht angegeben wird, somit weitestgehend bei den Aussagen, die bereits 1980 von Bierbrauer getroffen wurden.514 Diese gründen nach wie vor auf den nahezu schon als klassisch zu bezeichnenden, ganz in der Tradition von Zeiss stehenden ethnischen und historisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen. Seine Stufe I ist für ihn nun sogar „eindeutig die älteste, und mit diesen Gräbern setzt auch die Belegung in den westgotischen Nekropolen ein.“515 Allein die Begründung der absolutchronologischen Einordnung seiner Stufen 1 bis 5 wird von Bierbrauer offengelegt. Aufgrund der von ihm bezüglich der absolutchronologischen Aussagekraft ebenfalls als schlecht angesehenen Quellenlage der einschlägigen Gräberfelder der Iberischen Halbinsel weicht Bierbrauer auf die Methode der „Außendatierung“ aus, mit deren Hilfe er dieses „Defizit“ beheben will.516 Diese Außendatierung ist jedoch wiederum an Prämissen gebunden. Denn hierzu werden vermeintlich gut datierbare Gräber aus dem merowingerzeitlichen Reihengräberkreis herangezogen, in deren Inventar sich als spezifisch westgotisch angesprochene Fundtypen als Bestandteil einer „zu Lebzeiten getragenen Tracht“517 finden und die daher als Gräber von aus Spanien eingewanderten Westgotinnen angesehen werden.518 Ne513
514
515 516 517 518
Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 158–159 mit Anm. 371. Bierbrauer, Wisigoths. Bierbrauer scheint sich hier ebenfalls auf die Ergebnisse der erst im Jahr 2000 erschienen Habilitationsschrift von Ebel-Zepezauer, Westgoten zu stützen. Diese war jedoch zum Zeitpunkt der Drucklegung seiner beiden Artikel noch nicht publiziert. Eine Besprechung der chronologischen Methode in dieser Arbeit erfolgt unten. Bierbrauer, Wisigoths 170. Nach den Untersuchungen von Sasse, Horizontalstratigraphie und Ripoll López, Adornos personales geht Bierbrauer davon aus, dass das Bild des Ablaufes der Belegung der Friedhöfe von Duratón, Prov. Segovia und El Carpio de Tajo, Prov. Toledo keine chronologischen, sondern mehr familiäre Gruppen zeigt. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 163. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 164. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54. Eine Auflistung aller der von ihm als westgotisch interpretierten Funde außerhalb Spaniens und Septimaniens findet sich bei: Bierbrauer, Wisigoths 179–200.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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ben der problematischen ethnischen Ansprache werden diese oft als Gründergräber angesehenen Befunde darüber hinaus wiederum über ein ereignisgeschichtliches Argument datiert,519 denn „Neufunde wie Altstücke stammen meist aus Gräberfeldern westlich der Somme aus dem Gebiet des ehemaligen Syagrius-Reiches, gehören also meistens nicht vor die Zeit Chlodwigs“. Somit fallen sie in die Zeit um 500 n. Chr. und den Beginn des 6. Jahrhunderts (terminus post quem für die fränkische Expansion in das Syagrius-Reich: 486 n. Chr.), also genau den Zeitraum, der auch dem der Einwanderung der Westgoten auf die Iberische Halbinsel entspricht. Diese Außendatierung scheint für Bierbrauer auch die dazu passenden termini post quem der Münzen aus den einschlägigen spanischen Gräbern zu bestätigen.520 Doch unterliegen dieser Aussage zahlreiche Probleme, die einerseits von der praktischen Umsetzung herrühren, andererseits jedoch auch von den Prämissen, die mit dieser Methode einhergehen. Letztere liegen zunächst in der problematischen ethnischen Ansprache der verschiedenen, als westgotisch deklarierten Typen. So ist man heute etwa bei der Ansprache der großen Schnallen mit Rechteckbeschlag als typisch westgotisches Kleidungsbestandteil eher skeptisch und geht von der Möglichkeit aus, dass diese durchaus als allgemein spätrömische Kleidungsbestandteile anzusehen sind.521 Gleiches gilt es auch für die in dieser Arbeit zu behandelnden „Blechfibeln“ zu prüfen. Hinzu kommt die chronologische Absicherung dieses Befundes, der nur auf einen ereignisgeschichtlichen Vorgang aufbaut. Denn auch archäologisch muss der Befund relativiert werden, da die insgesamt 60 angeführten Fundplätze mit vermeintlich westgotischem Material deutliche Zweifel hinsichtlich der Qualität ihrer chronologischen Aussagekraft aufkommen lassen. Mehr als die Hälfte (34 von 60 Fundstellen) sind Einzelfunde oder im strengen Sinne nicht als geschlossen zu werten und damit auch chronologisch nicht verwertbar. Lediglich 23 Grabbefunde sind ungestört und gut dokumentiert.522 Doch auch bei diesen werden teilweise Zweifel im Hinblick auf die Zusammensetzung des Inventars deutlich. Widersprüchliche Angaben finden sich bei den Befunden von
519
520 521 522
Bierbrauer, Wisigoths 171. Das Grab 472 von Rödingen, wenn auch geographisch nicht im Syagrius-Reich gelegen – wird hier als der „époque de la génération fondatrice du cimetière“ zugehörig beschrieben. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 164–165. Martin, Gürteltracht 63–79. Zu der Liste mit 60 Fundstellen siehe: Anm. 518. Die drei hier fehlenden Gräber von Ableiges, Dép. Val d’Oise, Frankreich, Rhenen, Prov. Utrecht, Niederlande und Cugny, Dép. Aisne, Frankreich konnten nicht auf ihre Geschlossenheit hin nachgepüft werden.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Maule, Grab 274 und Brény, Grab 167.523 Darüber hinaus liefern die Befunde selbst keine direkten Anhaltspunkte, also primäre chronologische Aussagen, bezüglich ihrer absolutchronologischen Einordnung.524 Lediglich Vergleiche von Teilen der Inventare mit mehr oder weniger überzeugenden Analogien aus vermeintlich präzise datierten Gräbern dienen daher zur chronologischen Fixierung: So wird etwa das Vogelfibelpaar aus dem Grab 756 von Vicq trotz mangelnder exakter Parallelen lediglich aufgrund des naturalistischen Stils in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts gesetzt.525 Ferner lassen sich die angeführten, datierenden Stücke wegen ihrer langen und unterschiedlich eingeschätzten Laufzeiten im besten Falle nur auf ein halbes Jahrhundert genau datieren, was einen enormen Spielraum zulässt.526 Weitere Befunde mit als westgotisch erachteten Kleidungsbestandteilen außerhalb des Westgotenreiches werden über die horizontalstratigraphische Belegungschronologie datiert. Doch ist bei den angeführten Gräbern des Friedhofes von Saint-Martin-de-Fontenay „La Coite“, Dép. Calvados und Lavoye, Dép. Meuse aufgrund der komplizierten Belegungsstrukturen keine klare Abfolge zu erkennen.527 Letztlich wird somit auch bei diesem Chronologiesystem die Orientierung an den vermeintlich sicheren ereignisgeschichtlichen Daten deutlich erkennbar. Ein neuer Versuch zur Chronologie westgotenzeitlicher Funde von Ebel-Zepezauer erschien im Jahr 2000. Eine Neudefinition der „Typen des Trachtzubehörs“ sollte als materielle Grundlage einer „kombinatorischen 523
524
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527
Eine eindeutige Grabnummernzuweisung ist im Falle von Maule nicht möglich, da einmal der Befund als Grab 274 und einmal als Grab 275 angesprochen wird: Sirat, Maule 107. Bei Brény gibt es Zweifel hinsichtlich der typologischen Ansprache der Vogelfibel: Kazanski, Brény 94; Taf. 2. Die Ausnahme bildet das Grab 125 von Basel-Kleinhüningen, in dem sich eine Münze fand, die wahrscheinlich eine Prägung des Antoninius oder Tetricus (terminus post quem 270–273 n. Chr.) darstellt: Giesler-Müller, Basel-Kleinhüningen 113–114. Der Fund ist jedoch als Altfund anzusehen. Bierbrauer, Wisigoths 171. Generell zu den methodischen Schwierigkeiten eines überregionalen Vergleichs von Artefakttypen siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts. So etwa die S-Fibel vom sogenannten Typ Kipfenberg-Anhausen aus Grab 140 von Nouvion-en-Ponthieu, Dép. Somme, Frankreich: Piton, Nouvion-en-Ponthieu 74–75. Von Werner, Langobarden 44 nicht näher als in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. zu setzen. Lange Laufzeiten liegen auch bei der Miniaturperlenkette und des Almandinscheibenfibelpaares im Grab 139 von Fridingen, Lkr. Tuttlingen vor. Zudem werden diese keineswegs einheitlich beurteilt und müssen daher auch nicht zwangsläufig um 500 angesetzt werden: von Schnurbein, Fridingen 90 datiert das Grab in das erste Viertel des 6. Jahrhundert n. Chr., Quast, Fridingen 805 hingegen vor dem Jahr 500 n. Chr. Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay Fig. 18. Joffroy, Lavoye 93–100.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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Analyse aller geschlossenen westgotischen Grabfunde“ dienen, mit der eine relativchronologische Ordnung erstellt werden sollte. Durch eine erneut vorgenommene horizontalstratigraphische Untersuchung des Gräberfeldes von Duratón, Prov. Segovia sollten weitere Aufschlüsse für eventuell noch feinere relativchronologische Gliederungsmöglichkeiten gewonnen werden. Zur absolutchronologischen Einordnung sollten „neben dem historischen Rahmen und den wenigen Münzfunden verstärkt auch Außendatierungen“ hinzugezogen werden. Ziel war es, mit diesem methodischen Instrumentarium ein „korrektes Chronologiesystem der Westgotenzeit“ zu entwerfen.528 Nach der kombinatorischen Auswertung von 102 als geschlossen angesehenen Grabinventaren kam er zu einer relativchronologischen Gliederung des Materials in fünf Phasen (A bis E), die absolutchronologisch weitgehend den bisher vorgetragenen Chronologievorschlägen entsprechen.529 Wiederum ist diese Arbeit zunächst von der Prämisse abhängig, dass die einschlägigen Friedhöfe auf der kastilischen Meseta archäologisch klar als westgotisch anzusprechen sind und eine Trennung von den romanischen Gräberfeldern möglich ist. Darüber hinaus ist bald nach dem Erscheinen dieser Arbeit deutliche Kritik an der typologischen Neuordnung sowie der Zuordnung des Fundmaterials zu den neugenerierten Typen geübt worden, die weitreichende Konsequenzen für die Aussagekraft des Chronologiemodells Ebel-Zepezauers hat.530 Einschränkend kommt hinzu, dass die Auswahl der Grabfunde für die kombinatorische Analyse keineswegs nur auf geschlossenen Funden basiert. Entfernt man aus der Kombinationstabelle die in Bezug auf ihre Geschlossenheit unsicheren Gräber von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo, Madrona und Duratón, beide Prov. Segovia, so reduziert sich die Zahl der geschlossenen Gräber auf 48, was die chronologische Aussagekraft in einem beträchtlichen Maß einschränkt. Für den von Ebel-Zepezauer beschrittenen methodischen Weg der absolutchronologischen Einordnung der Funde der Iberischen Halbinsel gelten somit im Wesentlichen die gleichen Kritikpunkte, die für den vorigen Chronologievorschlag Bierbrauers angeführt wurden. Grundlage für die im Jahr 2000 publizierten chronologischen Untersuchungen von Sasse bildet das Gräberfeld von El Carpio de Tajo, Prov. Toledo. Als Basis dient die auf einer hierarchischen Merkmalsgliederung beruhende Klassifikation des Fundmaterials. Sasse konstruiert im An528 529 530
Ebel-Zepezauer, Westgoten 94. Ebel-Zepezauer, Westgoten 116. Kleemann, Rezension Ebel-Zepezauer 440–458. Aufgrund der nicht gegebenen Nachvollziehbarkeit sei auf dessen Chronologievorschlag an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
schluss daran – trotz der bedenklichen und unsicheren Quellenlage des Friedhofes – in Anlehnung an die mitteleuropäischen relativen Chronologiesysteme eine Abfolge von Fundtypen, die jedoch nicht in Stufen gruppiert wird, sondern lediglich die relativen Laufzeiten der Typen angibt.531 Diese Abfolge basiert auf einer Untersuchung von Vergesellschaftungen der als wichtig erachteten Fundtypen. Ergebnis ist eine relativchronologische Gliederung des Materials in fünf Phasen, deren absolute Datierungen durch den Vergleich mit mitteleuropäischen Chronologiesystemen, hier in erster Linie derjenigen Südwestdeutschlands,532 erfolgt.533 Sasses Studien bergen großes Potential hinsichtlich neuer, alternativer Ansätze zu Chronologie und ethnischer Interpretation. Bereits die absolute Datierung des Beginns ihrer Phase 1 an den Beginn der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts hat weitreichende Konsequenzen in Bezug auf die seit Zeiss übliche ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation der als westgotisch bezeichneten Funde und Befunde der Iberischen Halbinsel sowie dem gesamten weiteren Problemfeld, welches es unten noch zu erläutern gilt.534 Doch bedürfen die chronologischen Schlüsse Sasses wegen der problematischen Quellenlage, die in erster Linie auf den häufig mehrfach belegten Grabstellen El Carpio de Tajos basiert und aufgrund der problematischen Gleichsetzung der geographisch weit voneinander entfernten Chronologiesysteme, weiterer Bestätigung. Fast alle hier besprochenen Chronologievorschläge für die Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel sind durch die ausgesprochen schlechte Quellenlage in ihrer chronologischen Aussagekraft deutlich eingeschränkt. Die Versuche zur Konstruktion einer relativen Chronologie und die Gliederung des Materials in Stufen, die hauptsächlich durch Horizontalstratigraphie und Korrespondenzanalyse erreicht werden, sind durch die unzureichende Qualität der Befunde in Bezug auf ihre Geschlossenheit, eventueller Mehrfachbelegungen sowie der Ausschnitthaftigkeit der erfassten Gräberfelder nur unter größten Vorbehalten als glaubhaft anzusehen. Bis auf die Arbeit Sasses ist die relativchronologische Ordnung durch ethnisch-ereignisgeschichtliche Prämissen beeinträchtigt und lässt bisher kaum Platz für eine wertfreie Betrachtung des Materials. Eine noch größere Rolle spielen diese 531 532
533 534
Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 59–90. Roth/ Theune, Chronologie. Eine Übersicht und Kritik hierzu bietet: Steuer, Rezension Transalpine Verbindungen 498–503. Steuer, Datierungsprobleme 130–140. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 91–126. Siehe Kap. III.3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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bei der absoluten Chronologie, da nur wenige, teilweise unzuverlässige termini post quem von Münzen zur Verfügung stehen. Hinzu kommen noch die durch das Hilfsmittel der Außendatierung gewonnenen Anhaltspunkte, deren chronologische Einordnung ebenfalls an ereignisgeschichtliche Prämissen gebunden ist. Auch hier ist die deutliche Orientierung der archäologischen Chronologiemodelle an den von den Schriftquellen überlieferten historischen Ereignissen zu erkennen. 3.4.3 Kontinuität oder Neuanfang? Die Gräberfelder vom Typ Simancas Wie sehr die archäologischen Chronologiemodelle für das westgotenzeitliche Spanien zudem von Diskontinuitätsgedanken beeinflusst sind, kann an dieser Stelle eine Betrachtung der historischen und archäologischen Verhältnisse des 5. Jahrhunderts demonstrieren. Während das 4. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel von der historischen Forschung gemeinhin als Blütezeit angesehen wird,535 wird für das darauf folgende Jahrhundert üblicherweise ein düsteres Bild gezeichnet: Nach den Einfällen von Alanen, Sueben und Vandalen im Jahr 409 n. Chr. komme es hier in der Folge zu beträchtlichen Auflösungserscheinungen in allen Lebensbereichen, einhergehend mit tiefgreifenden Veränderungen der spätantiken städtischen, ländlichen, wirtschaftlichen und administrativen Strukturen. Diese von großen Unsicherheiten geprägte Zeit ende erst mit einer Konsolidierung der Verhältnisse durch die Errichtung des Westgotenreiches.536 Die Vorstellung eines Bruches im 5. Jahrhundert findet ebenfalls Eingang in die archäologische Chronologieforschung. Denn die strikte, auf der historischen Überlieferung basierende ethnische und chronologische Trennung zwischen den spätrömischen und den vermeintlich westgotischen Gräberfeldern trägt entscheidend zur Konstruktion dieser Fundlücke im 5. Jahrhundert n. Chr. bei. Damit leistet diese Diskontinuität zugleich einen zusätzlichen Beitrag bei der Formulierung der sogenannten „Westgotenthese“.537 Die postulierte Neuanlage der einschlägigen Gräberfelder mit spezifisch germanisch-westgotischen Merkmalen auf der Meseta wird aufgrund der Schriftquellen klassischerweise an das Ende des 5. und den Anfang des 6. Jahrhunderts n. Chr. datiert und immer mit der Einwanderung der Westgoten verbunden. Durch diese axiomatisch vertretenen histori535 536 537
Fernández Galiano, Arqueología Teodosiana 318–321. Witschel, Rezension Kulikowski 1. Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien. 31–34. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 149–152.
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schen „Eckpfeiler“ scheinbar abgesichert, werden andere Hintergründe für das „Phänomen einer unvermittelt einsetzenden ostgermanischen Bestattungssitte im kastilischen Zentralgebiet, deren Herkunft sich archäologisch nicht unmittelbar nachweisen läßt“, von der Betrachtung ausgeschlossen.538 Der Bruch im 5. Jahrhundert wird somit durch den vermeintlichen Neuanfang der westgotischen Gräberfelder zu Beginn des 6. Jahrhunderts bestätigt und zementiert gleichzeitig die These der Einwanderung der Westgoten sowie deren Nachweisbarkeit im archäologischen Material. Ein chronologisch früherer Beginn der kastilischen Gräberfelder scheint aus diesen Gründen oftmals unvorstellbar. Untermauert wird dieses Geschichtsbild durch die These eines Niedergangs der Entwicklung zwischen der Spätantike und dem Frühmittelalter in den wirtschaftlichen und administrativen Sektoren.539 Dem traditionellen Befund eines tiefgreifenden Bruches stehen nun neben neuen Erkenntnissen der historischen Forschung vor allem archäologische Befunde entgegen, die – obwohl teilweise bereits seit der Aufarbeitung des spanischen Materials von Hans Zeiss bekannt – bis vor kurzem nur wenig Beachtung fanden. Neue Ausgrabungen und die zunehmende Aufarbeitung des Materials werfen ein neues Licht auf die spätantiken Verhältnisse der Iberischen Halbinsel, die durchaus Züge einer kontinuierlichen Entwicklung erkennen lassen. Eine neue Sicht auf die wirtschaftlichen und administrativen Verhältnisse des 5. Jahrhunderts legte zuletzt Michael Kulikowski einerseits von historischer, andererseits vor allem aber auch von archäologischer Seite dar: Ihm zufolge haben die überlieferten Einfälle der Alanen, Sueben und Vandalen keineswegs das Ende des römischen Hispaniens bewirkt. Von römischer Seite war man offensichtlich noch bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts hinein bemüht, entscheidenden Einfluss auf die Iberische Halbinsel auszuüben, zumindest ist die Einsetzung römischer Verwaltungsbeamter bis ins Jahr 461 n. Chr. in Hispanien schriftlich nachgewiesen. Die Rolle der Städte scheint ebenfalls bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. hinein nicht zu unterschätzen zu sein. Hier wurden die zentralen administrativen Funktionseinheiten und Institutionen der Spätantike im Laufe des 5. Jahrhunderts n. Chr. trotz kleinräumiger werdenden politischen Strukturen bis weit ins 6. Jahrhundert n. Chr. weitergeführt.540 Ferner lassen sich archäologisch im gesamten 4. Jahrhundert rege Neu- und Ausbautätigkeiten im Bereich 538 539
540
Flörchinger, Romanische Gräber 87. Zur Fundlücke auf der Meseta: Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 271. Zu einer Diskontinuität: de Palol Salellas, Monumentos 168. Kulikowski, Late Roman Spain 82–84.
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der Stadtmauern vieler Städte auf der Iberischen Halbinsel nachweisen.541 Teilweise scheinen diese, wie etwa im Falle von Barcelona (Barcino) durch entsprechende Münzfunde angezeigt, auch im 5. Jahrhundert n. Chr. ausgebaut und verstärkt worden zu sein.542 Weiteres Indiz für wirtschaftliche Prosperität in dieser Zeit ist auch der Anstieg der Siedlungsdichte im ländlichen Raum.543 Außerdem lässt sich – trotz Datierungsproblemen – auch eine wirtschaftliche Prosperität und Kontinuität der Villen vom ausgehenden 4. Jahrhundert bis in das 6. Jahrhundert n. Chr. hinein feststellen,544 sodass keineswegs von einem generellen Bruch in diesen Bereichen gesprochen werden kann. Vielmehr ist auch hier von kleinräumig unterschiedlichen, jedoch kontinuierlichen Entwicklungen auszugehen. Nach wie vor entscheidend ist jedoch die Quellengattung der Gräber und Gräberfelder der Iberischen Halbinsel. Da gemäß dem Diktat der Schriftquellen die sogenannten westgotischen Gräberfelder in Kastilien chronologisch nur am Ende des 5. und zu Anfang des 6. Jahrhunderts n. Chr. beginnen können, werden die Grabfunde aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. im Gegensatz zu den neu angelegten, sogenannten Westgotenfriedhöfen üblicherweise als Bestattungsplätze der indigenen Bevölkerung angesehen. Die Grundlage hierfür bildet wiederum die 1934 erschienene Dissertation von Hans Zeiss. Trotz einer denkbar schlechten Quellenlage legte er eine klassifizierende Zusammenstellung verschiedener Funde des 5. Jahrhunderts vor, die er ethnisch interpretierte. So wurde der Grabfund von Beja, Portugal aufgrund einer Schnalle mit runden steinverzierten Beschlagplatten mit Parallelen auf der Krim als germanisch angesprochen, jedoch im Gegensatz zu den westgotischen Gräberfeldern des 6. Jahrhunderts n. Chr. nicht näher spezifiziert. Weiter benannte er eine Gruppe sogenannter „spätrömischer Grabfelder“, die nochmals in ältere „spätrömische Skelettgräber“ und nicht näher einzuordnende „verschiedene Grabfelder“ sowie „beigabenlose Bestattungen“ unterteilt wurden. Neben diesen, für Zeiss eindeutig in spätrömischer Tradition stehenden Gräberfeldern, die aber ebenfalls Kontinuität durch das 5. und teilweise bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. hinein aufweisen sollten, führte er weitere Friedhöfe an. Diese bezeichnete er als „Grabfelder der Übergangszeit“ und teilte diese wiederum in zwei Untergruppen ein: Die sogenannte „Andalusische Gruppe“ und die „Altkastilische Gruppe“. Als Gemeinsamkeit beider Gruppen führte Zeiss die Gefäßbeigaben an, während einige charakteristische Merkmale diese Gruppen unterscheiden 541 542 543 544
Hauschild, Stadtbefestigungen 224–231. Járrega Domínguez, Murallas tardorromanas de Barcelona 327–333. Kulikowski, Late Roman Spain 149. Fernández Galiano, Arqueología Teodosiana 319–321.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
sollten. Den Gräbern der Andalusischen Gruppe wurden keine Waffen beigegeben, in den Befunden der Altkastilischen Gruppe fehlten hingegen die Ohrringe und Nadeln. Diese Gräberfeldgruppen sollten sich von den westgotischen Gräberfeldern des 6. Jahrhunderts n. Chr. deutlich durch das überwiegend spätrömische Inventar mit nur wenigen westgotischen Stücken auszeichnen, aber auch noch in westgotischer Zeit belegt sein. Zeiss wies die beiden Gräberfeldgruppen der einheimischen Bevölkerung zu, die für ihn westgotischen Funde sollten aus den chronologisch jüngeren Gräbern stammen.545 Die vorgenommene Datierung ins 4. und 5. Jahrhundert machte eine Zuweisung dieser Gräberfelder an die Westgoten aufgrund des feststehenden Datums aus der Chronik von Zaragoza undenkbar. Seit den Ausführungen von Zeiss, die ein regional sehr heterogenes Bild der archäologischen Befunde des 5. Jahrhunderts n. Chr. auf der Iberischen Halbinsel zeichneten, ist die von ihm vorgenommene Ordnung der Gräberfelder bis heute nahezu unverändert übernommen worden. So wurden den bereits von Zeiss aufgrund ihrer ostgermanisch-hunnischen Parallelen als germanisch oder sogar ostgermanisch betrachteten Funde der Iberischen Halbinsel noch weitere hinzugefügt.546 Neben den stets als romanisch angesehenen Kirchenfriedhöfen Südspaniens und ländlichen Friedhöfen der Andalusischen Gruppe im Süden und Nordwesten der Iberischen Halbinsel,547 war vor allem eine Gruppe der Grabfelder der Übergangszeit immer wieder Gegenstand verschiedener Untersuchungen und Erklärungsversuche: Aufgrund der Beigabe von Waffen wurden für die sogenannte Altkastilische Gruppe verschiedene Interpretationen vorgenommen. So betrachtete Pedro de Palol Salellas diese Gruppe als archäologischen Niederschlag von Laeten bzw. Limitanei an einer von ihm als „limes hispanicus“ bezeichneten Grenze entlang des Duero-Flusses.548 In seiner Besprechung der 545 546
547
548
Zeiss, Westgotenreich 82–91. Koenig, Archäologische Zeugnisse 226–247. Koenig, Wandalische Grabfunde 346–359. Quiroga, Beiral 317–320 konstruiert mit derselben problematischen Methode anhand weniger Gräber sogar ein relativchronologisches Nivel I mit germanischen Gräbern, welches von Ripoll nicht mit Material belegt worden ist. Flörchinger, Romanische Gräber 1–6 nennt neben der Untersuchung der Kirchennekropolen Südspaniens als eines der Ziele ihrer Arbeit, die Frage ob sich die Definition der Andalusischen Gruppe von Hans Zeiss auch mit dem heutigen Forschungsstand vereinbaren lässt und erhofft sich dadurch, dass „weitere Kriterien zur Bestimmung romanischer Grabfunde zu ermitteln sind“. Angemerkt sei hier noch die methodologisch äußerst bedenkliche Ansprache der Gräberfelder Südspaniens. Diese werden von Flörchinger unter anderem deshalb als romanisch angesehen, weil „somit der von der Forschung immer wieder als zentrales Siedlungsgebiet der Westgoten angesehene, sich nordwestlich anschließende Raum ausgegrenzt werden konnte“. de Palol Salellas, San Miguel de Arroyo 216.
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Friedhöfe von Taniñe und Suellacabras bezeichnete Klaus Raddatz die archäologischen Hinterlassenschaften auf diesen Friedhöfen als die von Franken oder Laeten.549 Allen unterschiedlichen Versuchen der ethnischen Zuweisung liegt jedoch eine isolierte Betrachtung dieser Gräberfelder als Phänomen des 5. oder des 6. Jahrunderts n. Chr. zugrunde, die aus dem postulierten Bruch der Entwicklung im 5. Jahrhundert n. Chr. entspringt. Erst eine umfassende Analyse des Materials dieser nun als Duerotalkultur, Nekropolen vom Duerotal oder Nekropolen vom Typ Simancas bezeichneten Friedhöfe erbrachte interessante Aspekte in Bezug auf die Kontinuität zwischen Spätantike und Westgotenzeit. So konnte Angel Fuentes Dominguez bei der Untersuchung des Friedhofes von Albalate de las Nogueras, Prov. Cuenca aufzeigen, dass diese Gräberfelder nicht unbedingt ein eigenständiges Phänomen im Grabritual des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. darstellen müssen, die durch den Niederschlag einer bestimmten germanischen Ethnie zustande gekommen sind. Die Gräberfelder vom Typ Simancas scheinen vielmehr die postulierte Fundlücke des 5. Jahrhunderts n. Chr. auf der Meseta schließen zu können.550 Gleichwohl lassen sich durchaus einige Gemeinsamkeiten zwischen den Gräberfeldern vom Typ Simancas und den sogenannten Westgotenfriedhöfen feststellen. Neben der annähernden geographischen Deckungsgleichheit ihrer Verbreitung finden sich ebenfalls Parallelen in den Befunden und Funden.551 Relativ einheitlich ist die überwiegende Ost-West-Ausrichtung der Gräber, und auch die Grab- und Bestattungsformen zeigen ähnliche Körpergräber mit der üblichen Bandbreite der Spätantike auf der Iberischen Halbinsel.552 Eine mögliche Kontinuität zeigen vor allem die Grabbeigaben an. Auch wenn aufgrund der problematischen Inventarzusammensetzungen der sogenannten westgotischen Gräberfelder enorme Vorsicht hinsichtlich ihrer chronologischen Verwendbarkeit angebracht ist, gibt es dennoch Hinweise auf ähnliches Sachgut. So ist beiden Gräberfeldtypen trotz abweichender Formen auch die Werkzeug- und Waffenbeigabe gemein.553 Es finden sich daneben mehrere Exemplare von Omegafibeln sowohl im Corpus der Funde der Grä549 550 551
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Raddatz, Taniñe 133–140 Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 271–273. Verbreitungskarten finden sich bei: Caballero Zoreda, Fuentespreadas 201–202; Fig. 46, 51. Eine überblickshafte Zusammenstellung der Ausrichtung und Bestattungsformen der Gräberfelder vom ‚Typ Simancas‘ findet sich bei: Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 123–147, 249–253. Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 187–198. Ebel-Zepezauer, Westgoten 87–90; Listen 18A-D.
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berfelder von Duratón und Madrona, Prov. Segovia als auch in den Gräberfeldern vom Typ Simancas.554 Letzteren schließen sich darüber hinaus auch Funde spätantiker Sigillataformen in den westgotenzeitlichen Nekropolen an.555 An dieser Stelle sei zudem angemerkt, dass die herkömmliche, chronologisch späte Einordnung der großen Zahl von beigabenlosen Gräbern der Iberischen Halbinsel und die damit einhergehende ethnische Interpretation als Gräber romanisierter Westgoten oder als romanische Gräber methodisch sehr problematisch erscheint.556 Beigabenlose Gräber scheinen auf diese Weise immer mehr zum Spielball für chronologische und ethnische Interpretationen zu werden, stützen aber solche Aussagen keineswegs. So könnten beigabenlose Gräber ebenfalls zur Konstruktion einer Kontinuität verwendet werden, doch wird hier freilich davon abgesehen, denn ihr Erklärungsgehalt für Fragen chronologischer und ethnischer Natur ist gering. Der oben geschilderte Befund gibt Hinweise auf eine kontinuierliche Entwicklung der Gräberfelder auf der Meseta. Auch wenn die langen Laufzeiten der hier angeführten Objekte keine genaueren chronologischen Einordnungen ermöglichen, scheint sich ein Bruch in der Entwicklung des 5. Jahrhunderts n. Chr. nicht zwangsläufig zu erschließen. Vielmehr lassen einige Grabbefunde der klassischen westgotischen Gräberfelder erkennen, dass diese Weiterentwicklungen der Nekropolen vom Typ Simancas darstellen, was auch dem Bild kleinräumig variierender Besiedlungsmuster entsprechen würde. Die Gräberfelder vom Typ Simancas können somit nicht nur die postulierte Fundlücke des 5. Jahrhunderts n. Chr. füllen, sondern weisen darüber hinaus auf einen weiteren bemerkenswerten Aspekt hin, der weitreichende Folgen für die Chronologie und Interpretation der traditionell als westgotisch bezeichneten Gräberfelder haben kann. Aufgrund der angeführten Belege ist auf den westgotischen Gräberfeldern von chronologisch früheren Befunden auszugehen, die dem herkömmlichen Postulat ihrer Entstehung als Ergebnis der Einwanderung der Westgoten widersprechen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch der Rekonstruktionsversuch einer Belegungskontinuität vom 4. bis ins 8. Jahrhundert n. Chr. für das
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Die Omegafibeln der Gräberfelder Duratón und Madrona sind auf folgenden Tafeln abgebildet: Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales Taf. XXIII, XXIV, XXXI, XXXIV, XXXVIII, XLV, LV, LXV, LXIX, LXXXVI, LXXXVII, XC, XCIII. Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 271. So etwa Grab 40 des Gräberfeldes von Piña de Esgueva, Prov. Valladolid: Fuentes Dominguez, Albalate de las Nogueras 272 mit Anm. 696. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 170.
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Gräberfeld von Duratón, Prov. Segovia plausibel.557 Zudem gewinnen auch neuere chronologische Ansätze, die einen Beginn der sogenannten westgotischen Gräberfelder in die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. setzen, an Wahrscheinlichkeit.558 Die Chronologie der sogenannten Westgotenfriedhöfe und das Postulat einer Fundlücke im 5. Jahrhundert n. Chr. in Spanien machte bisher eine kontinuierliche Betrachtung der archäologischen Befunde unmöglich. Die starke Fixierung auf die historische Überlieferung bei der Erstellung der archäologischen Chronologiesysteme der Westgotenzeit verstellt daher seit geraumer Zeit den Blick auf kontinuierliche Entwicklungen. Eventuell vorhandene frühe Phasen in den ‚westgotischen‘ Gräberfeldern können so nicht erkannt werden und verstärken den Eindruck eines Bruches in der Entwicklung. Doch zeigen gerade die Friedhöfe vom Typ Simancas ein variables und regional sehr unterschiedliches Bild einer im Grunde genommen kontinuierlichen Entwicklung der Bestattungsformen auf der Iberischen Halbinsel. Die westgotenzeitlichen Friedhöfe in Kastilien könnten somit bei einer von historischen Prämissen und ethnischen Kategorisierungen gelösten Betrachtung ebenfalls als Weiterentwicklung solcher kleinräumigen Phänomene betrachtet werden. Eine kontinuierliche Entwicklung und ein früheres Einsetzen der einschlägigen Gräberfelder Kastiliens könnte zudem zur Lösung eines großen Widerspruches im archäologischen Befund beitragen, bei dem „Blechfibeln“ die entscheidende Rolle spielen und den Gegenstand der Betrachtung im nächsten Kapitel bilden. 3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien: Archäologisches „Miraculum“ oder Resultat eines chronologischen Konstrukts? Die Probleme, die sich aus der Orientierung an der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Überlieferung für die Chronologiesysteme der Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel ergeben, wurden bereits oben dargestellt. Trotz dieser beträchtlichen Schwierigkeiten wird überwiegend an der archäologischen Identifikation der kastilischen Gräberfelder als Hinterlassenschaften der Westgoten aufgrund der vermeintlich spezifischen Bestattungs- und Beigabenformen und deren chronologischer Einordnung festgehalten. Die sich aus der gewollten historischen Interpretation ergebende zeitliche Gliederung des archäologischen Materials in Spanien bildet vor dem Hinter557 558
Koenig, Duratón 286–287. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 130
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grund einer diachronen und überregionalen Betrachtung der archäologischen Funde und Befunde der Völkerwanderungszeit den Bestandteil eines Widerspruches, der nach wie vor nicht befriedigend erklärt werden kann. Für diesen scheint wiederum die Orientierung der archäologischen Chronologiemodelle an der Ereignisgeschichte verantwortlich zu sein. Festzumachen ist dies in erster Linie an der Klassifikation, der Chronologie, der geographischen Verbreitung und der Interpretation der „Blechfibeln“. Wie bereits erwähnt, gilt die Möglichkeit der archäologischen Identifikation der Westgoten auf der Iberischen Halbinsel ab dem ausgehenden 5. und dem Beginn des 6. Jahrhunderts n. Chr. in großen Teilen der Frühgeschichtsforschung nach wie vor als gesichert.559 Dies scheint jedoch aufgrund eines weiteren Umstandes sehr verwunderlich, da selbst die Befürworter einer ethnischen Interpretation sich nicht in der Lage sehen, die Westgoten zwischen dem Jahr 376 n. Chr. und dem angenommenen Datum ihrer Einwanderung nach Spanien 494 bzw. 497 n. Chr archäologisch nachzuweisen. Üblicherweise wird der fehlende archäologische Nachweis westgotischen Materials vor dem Jahr 418/ 419 n. Chr. noch mit einer archäologisch nur schwer nachvollziehbaren großen Mobilität und damit einhergehenden, kurzen Siedlungsaufenthalten sowie „der Internationalität des ostgermanischen Fundstoffs“ dieser Zeit erklärt.560 Doch für die annähernd hundertjährige archäologische Überlieferungslücke im historisch ausreichend belegten Tolosanischen Reich der Westgoten zwischen 418/419 und 507 n. Chr. bleibt nur der Verweis auf ein archäologisches „Miraculum“.561 Allgemein erfolgt die Identifikation westgotischen Fundmaterials in diesem Gebiet über die Suche nach ähnlichen Funden, also einzelnen Formen mit vermeintlich westgotischer Herkunft aus Mittel- und Osteuropa, dem Donauraum oder aus der als gotisch angesehenen Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur.562 Doch ist allen Bemühungen zum Trotz 559
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Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 153–171. Jüngst: Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 55. Eger, Probleme 179. Zur Methode und den Identifikationsmerkmalen der Westgoten: Kap. III.3.4.1 Westgoten, Romanen und Akkulturation. Einzig für den Einzelfund des Fibelpaares aus Villafontana, Prov. Verona wird aufgrund der chronologisch-typologischen Ansprache in die Stufe D1 und der vermeintlichen Zugehörigkeit der Fibeln als Bestandteil einer „ostgemanische[n] Tracht“ mit Verweis auf die Schriftquellen die Möglichkeit in Betracht gezogen, im Zusammenhang mit den Alarich-Goten in Italien zu stehen: Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 153. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 152–155. Kazanski, Les Goths 92–94. Kazanski/ Lapart, Wisigoths découverts en Aquitaine 197–198. Zum Konstruktcharakter der Sântana de Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur und zur problematischen ethnischen Ansprache derselben als ‚gotisch‘: Kap. III.3.3 „Blechfibeln“, die Stufe C3, der sogenannte Hunnensturm und das Ende der Sântana-de-Mure¸s-Cˇernjachov-Kultur.
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bisher nur eine äußerst dürftige Menge an scheinbar westgotisch anzusprechendem Material des 5. Jahrhunderts n. Chr. im ehemaligen Tolosanischen Reich nachgewiesen worden. Insgesamt sind bisher nur vier Kämme (vom sogenannten Typ Thomas III)563 als Einzelfunde bei Ausgrabungen römischer Villen in Beaucaire-sur-Baïse (La Turraque), Dép. Gers, Montréalsur-Gers (Séviac), Dép. Gers, Moncrabeau (Bapteste), Dép. Lot-et-Garonne zum Vorschein gekommen.564 Darüber hinaus sind lediglich neun Fibeln – ebenfalls alle ohne Befundzusammenhang – in Herpes, Dép. Charente, Monségur, Dép. Lot-et-Garonne, Maguelonne, Dép. Hérault, Montmaurin, Dép. Haute Garonne, Valentine, Dép. Haute Garonne, Cholet, Dép. Maine-et-Loire, Canet, Dép. Dordogne gefunden worden.565 Abgesehen von den grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten dieser Vorgehensweise sind nur sehr dürftige archäologische Belege für eine historisch bezeugte Siedlungstätigkeit der Westgoten von knapp hundert Jahren in Südwestfrankreich vorhanden. Bereits 1991 charakterisierte Edward James diesen Befund auf treffliche Weise: „Si aucun témoignage écrit n’avait subsisté, que penserait-on de l’Aquitaine ou de la Septimanie à l’époque mérovingienne?“566 Vor diesem Hintergrund erscheint die Möglichkeit der archäologischen Identifikation der Westgoten in Spanien ab dem Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. äußerst fragwürdig. Trotzdem scheint man „archäologisch die Einwanderergeneration in Spanien mit einer spezifischen Grab- und Beigabensitte, nicht jedoch dieselbe Generation, die aus dem westgotischen Gallien auswanderte“ zu kennen.567 Neben dem oben geschilderten Befund stehen der archäologischen Nachweisbarkeit der Einwanderung der Westgoten nach Spanien aber noch weitere Widersprüche entgegen, die in engem Zusammenhang mit der willkürlichen, sich an der Ereignisgeschichte orientierenden klassifikatorischchronologischen Ordnung und Interpretation der „Blechfibeln“ stehen. Die folgende Darstellung macht nochmals die methodischen Probleme der völkerwanderungszeitlichen Chronologie deutlich und unterstreicht die Notwendigkeit einer neuen und umfassenden Analyse der „Blechfibeln“.
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Thomas, Germanische Kämme 104–114. Kazanski, Peigne en os 257–269. Kazanski, Les Goths 89–103. Kazanski/ Lapart, Wisigoths découverts en Aquitaine 197–198. Schulze-Dörlamm, Romanisch oder germanisch? 643–650. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 151. James, Wisigoths et Francs 149. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 155.
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Die archäologische Identifikation der Westgoten in Spanien erfolgt in erster Linie über das Axiom einer spezifischen ‚national-gotischen‘ Frauentracht.568 Die Bestätigung des schriftlich überlieferten Zeitpunkts ihrer Einwanderung und somit auch der ethnischen Interpretation der kastilischen Gräberfelder als westgotisch wird hingegen durch die Datierung von Grabinventaren mit „Blechfibeln“, die als fester Bestandteil dieser Tracht angesehen werden, erreicht. Somit erfüllt diese Fundgattung gleichzeitig die Funktion eines chronologischen und ethnischen Indikators ersten Ranges. Die Exemplare aus den bekannten Gräberfeldern der Meseta werden üblicherweise in die ältesten Phasen der gängigen Chronologiemodelle für das westgotenzeitliche Spanien gestellt, die sich alle an der Ereignisgeschichte orientieren.569 Diese „Bronzeblechfibeln der sog. donauländischen Form, also mit Palmettenblechen um die Bügelenden, Seitenleisten und vogelkopfförmigen Appliken auf der Kopfplatte“ werden durch die einschlägigen, methodisch bedenklichen Münzdatierungen und die Methode der ‚Außendatierung‘ in „die Zeit um 500 oder ins frühe 6. Jahrhundert datiert“.570 Diese Datierung der „Blechfibeln“ bestätigt somit die historische Überlieferung und stützt zudem die davon abhängigen archäologischen Chronologiesysteme und letztlich auch die ethnische Interpretation des archäologischen Materials. Dieser seit der Arbeit von Hans Zeiss gültigen chronologischen Einordnung der „Blechfibeln“ aus den kastilischen Gräberfeldern stehen weitere deutliche Widersprüche entgegen, die zugunsten der ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretation der archäologischen Hinterlassenschaften in Kauf genommen werden. Die „Blechfibeln“ in Spanien weisen auffällige formale, funktionale und ornamentale Ähnlichkeiten mit Stücken im Donauraum und Nordfrankreich auf.571 Da jedoch gemäß der üblichen Metho568
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Zu den Identifikationsmerkmalen siehe Kap. III.3.4.1 Westgoten, Romanen und Akkulturation. Zum Axiom einer ethnisch spezifischen ‚Tracht‘: Kap. III.1.1 „Blechfibeln“ als Bestandteil einer „national-gotischen, ostgermanischen Frauentracht“. Beispielhaft seien an dieser Stelle folgende Chronologiemodelle genannt: Zeiss, Westgotenreich 81. Ripoll López, Materiales funerarios 120. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 162–163; Fig. 36. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 163–165. Bierbrauer, Goten 423. Zu den als kritisch zu betrachtenden Münzdatierungen und zur Methode der ‚Außendatierung‘, die ebenfalls stark an ereignisgeschichtliche Daten gebunden ist, siehe Kap. III.3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme. Zur Konstruktion der Chronologie im westgotenzeitlichen Spanien siehe Kap. II.2 Hans Zeiss und die Chronologie der „Blechfibeln“ Spaniens. So bereits: Åberg, Franken und Westgoten 41–62. Zeiss, Westgotenreich 97–102. Stellvertretend für heute sei genannt: Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 165. Deutlich die Parallelen der „Blechfibeln“ zwischen Spanien und dem Donauraum herausarbeitend und mit deutlicher Kritik an der Datierung: Sasse, Westgoten in Süd-
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dik der völkerwanderungszeitlichen Chronologie von wie auch immer gearteten Ähnlichkeiten im Material stets auf chronologische Gleichzeitigkeit geschlossen wird,572 ist die Datierung der „Blechfibeln“ in Spanien nicht nachzuvollziehen. Die typologisch ähnlichen Stücke im Donauraum werden anhand den dort geläufigen, äußerst feingliedernden Chronologiesystemen nämlich in die relativchronologische Stufe D2b und somit absolutchronologisch etwa fünfzig Jahre früher datiert.573 Dieser Widerspruch wird noch deutlicher, wenn im gleichen Zuge typologisch ähnliche „Blechfibeln“ in Nordfrankreich aufgrund nur weniger technischer Gemeinsamkeiten als gleichzeitig mit den spanischen Exemplaren angesehen werden und deshalb als archäologischer Niederschlag einer „Migration spanischer Westgoten aus ihrer neuen patria in Spanien (und Septimanien) in weiter entfernt gelegene Gebiete“ gewertet werden.574 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die einschlägigen Befunde und Funde in Nordfrankreich die archäologische Datierungsgrundlage darstellen, um durch die Methode der Außendatierung die spanischen Befunde chronologisch abzusichern. Dies führt letztendlich dazu, dass sich die ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation und die Chronologie in beiden Gebieten gegenseitig bestätigen, jedoch keine eigenständigen archäologischen Aussagen liefern. Woher rührt dieses chronologische Konstrukt, das typochronologisch einen deutlichen Widerspruch in sich birgt bzw. generiert? Hier ist wiederum die offensichtliche Fixierung auf die Ereignisgeschichte bei der Konstruktion der archäologischen Chronologiesysteme anzuführen: Der Widerspruch, der aus der Chronologie und ethnischen Interpretation des spanischen und nordfranzösischen Fundmaterials entsteht, resultiert aus der sich ebenfalls an ethnisch-ereignisgeschichtlichen Vorgängen orientierenden chronologischen Gliederung der archäologischen Hinterlassenschaften aus dem Donauraum, die lediglich auf der Klassifikation der „Blechfibeln“ beruht. Problematisch ist hierbei die äußerst feine relativund absolutchronologische Gliederung, die hauptsächlich auf einer strikten Trennung und schnellen Ablösung der „Blechfibeln“ durch kerbschnittverzierte Fibeln im Donauraum ab den Jahren 450/460 n. Chr. basiert. Nur
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frankreich und Spanien 35–36; Abb. 2. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 152–158. Vorher bereits: Koenig, Archäologische Zeugnisse 238–239. Hierzu siehe auch Kap. IV.2.12.1.5 Verzierungen des Bügelendes. Siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts. Bierbrauer, Castelbolognese 545–564; Abb. 4. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 165; Anm. 387: Bierbrauer führt hier an, dass die Stücke in Spanien und Frankreich aus Bronzeblech mit Silberauflage gefertigt sein sollen, während die Fibeln im Donauraum aus Silber gefertigt seien. Bierbrauer, Frühgeschichtliche Archäologie 54–57.
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aufgrund dieser angenommenen Trennung der „Blechfibeln“ der Phase Laa/ Pusztabakod und der kerbschnittverzierten Fibeln der Phase Domolospuszta/ Bácsordas mit jeweils kurzen Laufzeiten von nur 20 bis 30 Jahren ist es für die Befürworter dieser ethnischen Interpretation möglich, die archäologische Identifikation der Ostgoten bzw. Ostgermanen auf dem Balkan und in Italien auch chronologisch zu begründen.575 Dies führt jedoch in der Folge zu dem deutlichen chronologischen Widerspruch von 50 Jahren zwischen den ähnlichen „Blechfibeln“ im Donauraum, Spanien und Nordfrankreich. Neben dem geschilderten Modell von Volker Bierbrauer versuchen verschiedene Ansätze, die Beziehungen zwischen dem Donauraum, Nordfrankreich und Spanien alternativ zu erklären. Diese werten die Übereinstimmungen im Fundmaterial außerhalb des Donauraums gleichermaßen als archäologischen Niederschlag von fremden Gruppen. Doch spielen hier die aufgrund der Parallelen mit dem Donauraum vorgenommenen, chronologisch früheren Ansprachen der „Blechfibeln“ bei der Interpretation eine entscheidende Rolle. So werden von Michel Kazanski und Christian Pilet im Rahmen des Modells einer mode danubienne die „Blechfibeln“ in Nordfrankreich als archäologischer Niederschlag von überwiegend in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. aus dem Donauraum eingewanderten Angehörigen der spätrömischen Militäraristokratie erklärt.576 Eine ebenfalls aufgrund der Parallelen mit dem Donauraum vorgenommene frühere Datierung der „Blechfibeln“ Spaniens in die ersten Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. veranlasste Patrick Périn dazu, die Gräberfelder in Kastilien in Verbindung mit historischen Quellen nicht als west- sondern als ostgotisch anzusprechen.577 Eine Mittlerstellung in chronologisch-ethnischer Hinsicht nimmt das Modell von Alfred Wieczorek ein, der die Befunde und Funde Nordfrankreichs noch ins späte 5. Jahrhundert datiert und diese als Hinterlassenschaften von Westgoten in Diensten der spätrömischen Heere der Statthalter Aegidius, Paulus oder Syagrius vor dem Jahr 507 n. Chr. anspricht.578 Zur Auflösung des chronologischen Widerspruchs und somit für längere Laufzeiten der „Blechfibeln“ im Donauraum sowie eine frühere Datierung dieser Fibelgattung in Spanien plädierte zuletzt Barbara Sasse, die auf eine spezifische ethnische Zuweisung verzich575
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Zu dieser äußerst problematischen strikten Trennung von Fibeln im Blech- und Kerbschnittstil siehe Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3. Kazanski, Mode danubienne. Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay 96–111. Périn, Vidimer 412–413. Wieczorek, Identität und Integration 351–352.
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tete und lediglich die Parallelen im Fundmaterial Spaniens und Nordfrankreichs mit dem Donauraum hervorhob.579 Fast allen Vorschlägen zu einer historischen Lösung dieses Problems ist gemein, dass eine ethnisch-ereignisgeschichtliche Interpretation des archäologischen Fundmaterials bei allen chronologischen Untersuchungen im Vordergrund steht und diese stark beeinflusst. Den verlockenden ethnischen und historischen Interpretationen steht ein viel zu komplexes Bild im archäologischen Befund gegenüber, das vereinfachende Aussagen schlichtweg nicht zulässt. Es liegt bis heute in allen betroffenen Gebieten keine umfassende, unabhängige und quellengerechte Analyse des Fundmaterials vor.580 Die Auswahl der Analogien zur Erstellung der zeitlichen Verbindungen, hier vor allem bei den „Blechfibeln“, erscheint daher aufgrund der großen chronologischen Unstimmigkeiten, die nicht nur aus dem Mangel einer Vergleichschronologie in den betreffenden Regionen resultieren, sondern vor allem von der Verknüpfung mit der Ereignisgeschichte herrühren, problematisch.581 Nur eine unabhängig von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen konstruierte Chronologie der archäologischen Hinterlassenschaften in allen Gebieten kann hier Klarheit schaffen. Auf diese Weise könnten weiterführende Analysen auf eine methodisch saubere Basis gestellt werden. Daraus eventuell entstehende Konsequenzen im Sinne einer deutlichen Relativierung der bisher konstruierten, feinchronologischen Gliederungen des 5. Jahrhunderts könnten darüber hinaus weitreichende 579
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Sasse, Westgoten in Südfrankreich und Spanien 35–36. Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 152–158. Die bisher vorgenommenen, stark voneinander abweichenden klassifikatorischen und chronologischen Vorschläge beruhen nicht auf umfangreichen Materialanalysen. Auch einer bereits formulierten Forderung nach einem unabhängigen, überregionalen Vergleich ist bisher noch nicht nachgekommen worden: Bierbrauer, Wisigoths 176. Eigentümlich erscheint darüber hinaus, daß im Falle der „Blechfibeln“ ereignisgeschichtliche Vorgänge der Völkerwanderungszeit – etwa Migrationen von Kriegerverbänden – anhand von Bestandteilen der weiblichen Kleidung archäologisch nachgewiesen werden. Auch wenn dies argumentativ indirekt über den Umweg „weiblicher Angehöriger fremder Söldner im spätrömischen Bewegungsheer“ geschieht, ist dies methodisch nicht vertretbar nachzuweisen. Das Geschlecht gilt als wichtige historische Kategorie (elementare Trennung innerhalb einer Gesellschaft), weshalb hier nicht zwangsläufig Verbindungen bestehen müssen: Goetz, Frauen 24. Untersuchungen und Aussagen zu sozialen Identitäten und Mobilität von Männern und Frauen sollten daher zunächst analytisch getrennt werden: Steuer, Sozialstrukturen 472. Brather, Kleidung und Identität 1–58, bes. 11–13. Dies wird seit geraumer Zeit auch für chronologische Untersuchungen von Grabinventaren auf Friedhöfen gefordert bzw. praktiziert. Beispielhaft hierfür: Christlein, Marktoberdorf 67. Roth/ Theune, Chronologie 11.
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Folgen auf die historischen Interpretationen haben und zu neuen Fragestellungen in Bezug auf das archäologische Material Spaniens, des Donauraums und Nordfrankreichs und dessen Auswertung zwingen. 3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum Allen Chronologiesystemen der Völkerwanderungszeit im Donauraum, für die eine überregionale Gültigkeit in Anspruch genommen wird, ist eine äußerst schlechte Quellenlage bezüglich der Geschlossenheit und der Dokumentation der Befunde gemein.582 Diese denkbar schlechten Voraussetzungen haben zur Folge, dass sich die gängigen Chronologiesysteme überwiegend an der Klassifikation bzw. Typologie von „Blechfibeln“ orientieren. Nur in wenigen Ausnahmefällen können auch Befundvergesellschaftungen herangezogen werden. Dennoch sind mit diesen methodischen Mitteln in den letzten Jahren von Volker Bierbrauer und Jaroslav Tejral Chronologiemodelle konstruiert worden, die trotz der Quellenlage die Möglichkeit einer äußerst feinen chronologischen Gliederung des archäologischen Fundmaterials im 5. Jahrhunderts n. Chr. in dieser Region suggerieren.583 Diese extrem feinen typologisch-chronologischen Ansprachen der „Blechfibeln“ im Donauraum sind aber gleichzeitig entscheidender Bestandteil des im vorigen Kapitel geschilderten formalen und chronologischen Widerspruchs mit der Datierung der „Blechfibeln“ sowie dem gesamten archäologischen Befund in den westgotenzeitlichen Gräberfeldern auf der Iberischen Halbinsel. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Konstruktion des Übergangs zwischen den relativchronologischen Stufen D2 und D3 der Chronologiesysteme im Donauraum von Bedeutung, da hier einer der entscheidenden Brüche in der Entwicklung des archäologischen Materials konstruiert wird, der zu dem geschilderten chronologischen Widerspruch beiträgt. Ein Chronologiemodell mit einer Phasengliederung, deren absolute Zeitdauer teilweise unter einer Generation beträgt, wurde von Volker Bierbrauer vorgelegt.584 Die Phase D2 wird hier nochmals in die Phasen D2a (Untersiebenbrunn/Hochfelden) und D2b (Laa/Pusztabakod) aufgeteilt, 582 583
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Siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Bierbrauer, Castelbolognese 545–564; Abb. 4. Tejral, Südöstliche Kulturelemente. Mit einigen, teilweise deutlichen Veränderungen seiner chronologisch-klassifikatorischen Gliederung: Tejral, Mittlerer Donauraum. Bierbrauer, Castelbolognese.
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die absolutchronologisch den Zeitrahmen zwischen 400/410 bis 420/430 n. Chr. bzw. 420/430 bis 440/450 n. Chr. umfassen. Relativchronologisch gründet Bierbrauer die Trennung der Stufe D2 auf vermeintlich chronologisch zu verstehende, überwiegend ornamentale Merkmale einer Gruppe von „Blechfibeln“. Diese sollen als kennzeichnend für die Phase D2b gelten, jedoch wird die Auswahl der Merkmale für keine Phase nachvollziehbar begründet, sodass die Kombinationstabelle stark konstruiert und äußerst selektiv wirkt. So gelten für die Phase D2b neben dem Vorhandensein von gepressten Bügelappliken, drei seitlichen Knöpfen sowie Knospenknöpfen, Vogelappliken und ein Mittelsteg auf der Spiralplatte von „Blechfibeln“ noch die bereits besprochenen und in nur drei Fällen mit diesen vergesellschafteten floralverzierten Gürtelschnallen als klare Anzeiger, die diese Chronologiestufe zur Stufe D2a abgrenzbar machen sollen.585 Der so definierten Phase D2b folgt gemäß Bierbrauer die äußerst kurze, jedoch nicht näher absolutchronologisch fixierte Übergangsphase D2/ D3 (Kiskunfélegyháza/ Tiszal˝ok), in der sich entweder chronologisch jüngere „Blechfibeln“ mit in Kerbschnitttechnik verzierten Fundgegenständen vergesellschaftet finden oder „Blechfibeln“ kerbschnittverzierte Appliken aufweisen. Eine absolutchronologische Angabe für diese Phase erfolgt nicht. Die eigentliche relativchronologische Zäsur zwischen der Phase D2(b) und der Phase D3 (Domolospuszta/Bácsordas) gründet Bierbrauer hauptsächlich auf das Merkmal der Kerbschnittverzierung auf den nun gegossenen Fundgegenständen, die scheinbar deutlich von den vorhergehenden Phasen mit „Blechfibeln“ zu trennen sind.586 Absolutchronologisch setzt Bierbrauer diese Phase in die Jahre zwischen 450/ 460 bis 480/ 490 n. Chr. Eine weitere chronologische Aufgliederung der kerbschnittverzierten Funde im Donauraum scheint Bierbrauer zunächst nicht mehr möglich.587 Von einem vermeintlich deutlichen chronologischen Einschnitt zwischen Blech- und Kerbschnittarbeiten wurde und wird allgemein ausgegangen, ohne dass hierbei jemals erwähnt worden wäre, dass diese Einteilung bereits im Jahr 1922 von Nils Åberg vorgenommen worden ist.588 Trotz mancher Abweichungen zum eben vorgestellten Modell gingen auch Jaroslav Tejral und Manfred Menke bei der Konstruktion ihrer Chronologievorschläge für den
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Eine deutliche Kritik erfolgte bereits an anderer Stelle dieser Arbeit. Siehe Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Laut Bierbrauer, Castelbolognese 572 „[…] kann kein Zweifel sein, daß diese vornehmlich durch kerbschnittverzierte Gußarbeiten geprägte Phase relativchronologisch auf die Phase Laa/ Bakodpuszta (=Zeitstufe D2b) folgt […]“. Bierbrauer, Castelbolognese 572–579. Åberg, Franken und Westgoten 55.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Donauraum von der Möglichkeit einer solchen Trennung am Beginn der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. aus.589 Diese schematische Einteilung des archäologischen Fundmaterials des 5. Jahrhunderts n. Chr. im Donauraum hat jedoch in letzter Zeit deutliche Kritik erfahren.590 Eine Übersicht über die in den gängigen Chronologiesystemen des Donauraums als typisch angesehenen Funde und Befunde zeigt, dass die strikte chronologische Trennung zwischen Blech- und Kerbschnittarbeiten keineswegs so eindeutig ist, wie dies – trotz den Hinweisen auf Verbindungen zwischen den einzelnen Phasen – suggeriert wird, sondern eher von einer längeren gleichzeitigen Verwendung der unterschiedlichen Fundgattungen ausgegangen werden muss, die den bisherigen klaren Gliederungsvorschlägen des Materials entgegenstehen.591 Am Beispiel von 20 Fundorten, in denen sich unterschiedliche Kombinationen von Blechund Kerbschnittarbeiten nachweisen lassen, kann dies aufgezeigt werden. In den Fundorten von Ötvöspuszta, Veszprém Megye Grab 3,592 Soponya, Fejer Megye, Grab 2,593 Miszla, Tolna Megye594, Zemun (Taurunum), Srem, Belgrad595 und Mˇecholupy u Zatce, Západoˇcesk´y Kraj596 waren Blechschnallen und kerbschnittverzierte Fibeln vergesellschaftet. Auch in Székely, Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye,597 Hódmez˝ovásárhely-Sóshalom, Csongrád Megye,598 Mez˝okászony (Barabás)-Homokbánya (Kosino), Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye599, Tiszal˝ok-Árpád út 17, Szalbocs-Szatmár589
590
591 592 593 594 595 596
597 598
599
Tejral, Südöstliche Kulturelemente 11–12. Tejral, Mittlerer Donauraum 286. Einen sonst in vielen Punkten abweichenden, alternativen Vorschlag zur chronologischen Gliederung des archäologischen Fundmaterials im 5. Jahrhundert n. Chr. verfasste: Menke, Frühvölkerwanderungszeitliche Fibeln 55–71, besonders 67. Stellvertretend für eine Arbeit jüngeren Datums sei an dieser Stelle genannt: Schmauder, Oberschichtgräber 32. Stark, Szilágysomlyó 157–162. Auch Jaroslav Tejral kommt in neueren Arbeiten zu einer anderen Gliederung des Fundmaterials: Tejral, Neue Aspekte 344–351. Siehe Tab. 4. Bierbrauer, I Goti 169. Stark, Szilágysomlyó 165. Szendrey, Miszla 222–225; Taf. VII. Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 230–231. Larese, Arte e cultura 180. Preidel, Michelob 108–111; Taf. 53–54. Svoboda, Cˇechy v dob˘e st˘ehování národ˚u Taf. XXIX. Das Grab ist durch einen Solidus des Constantin III. (terminus post quem 407–411 n. Chr.) münzdatiert. Die Verzierung der Riemenzunge in diesem Grabfund zeigt auffällige Ähnlichkeiten mit den kerbschnittverzierten Appliken auf der Spiralplatte der Fibeln von Kiskunfélegyháza (Kecskemét), Bács-Kiskun Megye. Hampel, Ungarn 11; Taf. 11. Kovrig, Nouvelles trouvailles 221. Mesterhazy, Beziehungen 197, Abb. 6. Nagy, Hódmez˝ovásárhely-Sóshalom 82–89. Hampel, Ungarn 53–55; Taf. 44.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
187
Bereg Megye,600 Kiskunfélegyháza (Kecskemét), Bács-Kiskun Megye601 sowie Rödingen, Gde. Titz, Lkr. Düren602 waren „Blechfibeln“ und kerbschnittverzierte Schnallen miteinander vergesellschaftet. Bei den drei letztgenannten Fundorten sind die „Blechfibeln“ darüber hinaus auch mit kerbschnittverzierten Appliken (Seitenleisten und Appliken um den Mittelknopf) auf der Spiralplatte versehen. Eine in Kerbschnitttechnik verzierte Seitenleiste einer Blechfibel fand sich zudem in dem leider nicht ausreichend dokumentierten und daher nicht als geschlossen zu betrachtenden Schatzfund von Radostowo, woj. pomorskie zusammen mit einem verbogenen goldenen Armring und 22 Goldsolidi mit einem terminus post quem von 475 n. Chr.603 Die ebenfalls mit Kerbschnittappliken verzierte „Blechfibel“ des Fundorts Gyulavári, Békés Megye ist darüber hinaus zusammen mit einer Blechschnalle gefunden worden.604 Auch die Fibelexemplare von Oradea (Nagy Várad /Oradea Mare/ Grosswardein), Jud. Bihor und Turda (Potaissa), Jud. Cluj sind mit kerbschnittverzierten Appliken versehen. Letztere war zudem noch mit einer Gürtelschnalle mit Kerbschnittverzierung auf dem Dorn vergesellschaftet.605 Daneben ist bei den kerbschnittverzierten Fibeln von Zsibót-Domolospuszta, Baranya Megye606 und Repcélak, Vas Megye607 eine gegossene Imitation von Blechfibelappliken (Palmetten an Bügelenden) belegt. In Guss nachgeahmte Seitenleisten von „Blechfibeln“ sind bei dem kerbschnittverzierten Fibelpaar von Sadovsko Kale, Pleven belegt.608 In Grab 3 von Dunaupataj-Bödpuszta (Bakodpuszta), Bács-Kiskun Megye ist eine „Blechfibel“ mit zwei gegossenen kerbschnittverzierten Fibeln vergesellschaftet.609 Zudem weist der Grab600 601 602
603
604 605
606 607 608 609
Kovrig, Tiszal˝ok 113; Taf. XLII–XLIV. Kiss, Szabadbattyán 117. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 114–119; Abb. 11–12. Janssen, Rödingen 304–305; Taf. 97, 5, 187, 2. Die geometrische Verzierung in der Mitte des gepressten Blechs der Schnalle ist in Kerbschnitttechnik ausgeführt. Der in den Schriften der Naturforschenden Gesellschaft Danzig N. F. 5, 1881 31–33 (Sitzungsbericht der anthropologischen Section 27. Dezember 1878) und in der Folge von Petersen, Kraftfeld 36; Abb. 44 publizierte Fund wurde zuerst von Werner, Studien zu Grabfunden 427; Abb. 3 als kerbschnittverzierte Seitenleiste einer „Blechfibel“ identifiziert. Fettich, Gyula 64–71. Kiss, Szabadbattyán 116. Oradea: Hampel, Ungarn II 692–694. Kühn, Süddeutschland 536; Taf. 225 51, 118/ 119. Turda: Ba˘rbulescu, Turda 241. Dombay, Domolospuszta 104–107. Dombay, Domolospuszta 123. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 124. Uenze, Kleinfunde 160; Taf. 127–129. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 101–104; Abb. 7. In der Kombinationstabelle von Bierbrauer werden diese Fibeln nicht aufgeführt: Bierbrauer, Castelbolognese 545; Abb. 4.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
befund von Baˇcki Monostor (Bodrogh-Monostorszeg, Bácsmonostor), Vojvodina, Grab 9 (1902/1) die Vergesellschaftung einer „Blechfibel“ sowohl mit einer Schnalle als auch einer Fibel in Kerbschnitttechnik auf.610 Neben diesen Indizien für längere, gleichzeitige Laufzeiten, die dem Postulat einer deutlichen chronologischen Ablösung von Blech- und Kerbschnittarbeiten entgegenstehen, sind darüber hinaus noch methodologische Schwierigkeiten anzuführen. Teilweise werden zur Erstellung der Chronologiesysteme Befunde verwendet, die für die überwiegend auf Fundkombinationen beruhenden chronologischen Untersuchungen als wertlos zu betrachten sind. Die chronologischen Gliederungsversuche bestätigen sich durch die Auswahl der Fundorte sowie der spezifischen Merkmale häufig selber. Nur ein angeblich chronologisches Merkmal, nämlich mit Spiralranken kerbschnittverzierte Schnallen, beinhalten beispielsweise die von Bierbrauer angeführten, nicht geschlossenen Befunde von Zalkod, BorsodAbaúj-Zemblén Megye,611 Karavukovo (Bácsordas) – Rochus-Tal612 und Kosice („Kassa“), Kosick´y kraj613. Bedenklich erscheint zudem, dass oftmals Merkmale als vorhanden angesehen werden, die bei der Autopsie im Original nicht nachgewiesen werden können, wie dies etwa bei den drei seitlichen Knöpfen am Fibelpaar von Castelbolognese, Prov. Ravenna der Fall ist.614 Die eingeschränkten chronologischen Gliederungsmöglichkeiten des archäologischen Materials im Donauraum des 5. Jahrhunderts gründen neben der schlechten Quellenlage und den Verknüpfungen im Material auch in terminologischen und klassifikatorischen Ungenauigkeiten. Häufig liegen Typkonstruktionen vor, die eine große Varianz sowohl in formenkundlicher als auch ornamentaler Hinsicht aufweisen und denen zudem keine oder nur problematische primäre chronologische Aussagen zugewiesen werden können.615 Auch in Bezug auf den Begriff Kerbschnitt herrscht kei610 611 612 613
614 615
Siehe Anm. 619. Hampel, Ungarn 10–11; Taf. 11. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 112–114. Beninger, Slowakei 57; Taf. 28. Menghin, Germanen, Hunnen und Awaren 415; Taf. 66. Bierbrauer, Castelbolognese 541. An dieser Stelle seien beispielhaft die Fibeln vom sogenannten Typ „Vyskov“ und „Bratei“ angeführt: Bierbrauer, Bronzene Bügelfibeln 141–151. Auf den hier zu Typen zusammengefassten Fibeln finden sich von Tremolierstich über Punz- bis Kerbschnittverzierung alle Arten der Verzierung bis hin zu glatten Exemplaren im Blechstil. Auch formal sind die Typen nicht einheitlich. Darüber hinaus lassen die Fundumstände eine präzisere absolutchronologische Einordnung als in das gesamte 5. Jahrhundert nicht zu. Lediglich der Befund einer Fibel vom Typ Vyskov in Stinkenbrunn in einem spätantiken Baubefund liefert einen ungefähren terminus post quem um 400 n. Chr.: Pittioni, Burgenland 510. Mitscha-Märheim, Steinbrunn 110.
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„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
Tab. 4: Fundorte mit Blech- und Kerbschnittarbeiten (nach Stark, Szilágysomlyó 164–165 und Kiss, Skiren im Karpatenbecken 124; Tab. 4 mit Ergänzungen). Störung: gestörte Befunde oder keine exakten Angaben zum Befund; Kombination 1: Blechschnallen und Kerbschnittfibeln; Kombination 2: „Blechfibeln“ mit Kerbschnittschnallen; Kombination 3: „Blechfibeln“ mit Kerbschnittappliken; Kombination 4: Kerbschnittfibeln mit gegossenen Blechfibelimitationen; Kombination 5: „Blechfibeln“ und Kerbschnittfibeln. Fundort Bakodpuzsta (Dunapataj-B˝odpuszta)
Störung
Kombi- Kombi- Kombi- Kombi- Kombination 1 nation 2 nation 3 nation 4 nation 5 ”
”
Baˇcki Monostor Ötvöspuszta, Grab 3
”
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Soponya
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”
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Domolospuszta
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Sadovsko Kale
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Radostowo
”
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Rödingen
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Turda
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
neswegs Klarheit. Kerbschnittverzierung dient einerseits als chronologisch relevantes Stilmerkmal, andererseits wird es lediglich als technisches Merkmal betrachtet. Generell liegen für kerbschnittverzierte Objekte nur wenig absolutchronologische Anhaltspunkte vor, die eine Datierung ab der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts erlauben. Vielmehr ist auch im Donauraum von einer durchgängigen Verwendung der Kerbschnitttechnik seit dem Aufkommen des sogenannten spätrömischen Militärstils auf Gürtelgarnituren am Ende des 4. und während des gesamten 5. Jahrhunderts n. Chr. auszugehen.616 Einen konkreten Hinweis hierauf liefern Teile einer kerbschnittverzierten Gürtelgarnitur, die bei Ausgrabungen in der spätantiken Befestigungsanlage von Sucidava (heute: Celei), Jud. Olt in einer Schicht zusammmen mit zwei Münzschätzen gefunden wurden, deren Münzspektrum von Constantius II. (337/350–361 n. Chr.) bis Theodosius II. (408–450 n. Chr.) reicht.617 Auch die Laufzeit des kerbschnittverzierten Fibeltyps „Prsa-Levice“ kann letztlich nicht näher als allgemein ins gesamte 5. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden,618 denn dieser Fibeltyp ist im Befund von Baˇcki Monostor (Bodrogh-Monostorszeg, Bácsmonostor), Vojvodina, Grab 9 (1902/1) zusammen mit einer „Blechfibel“ und einer Kerbschnittschnalle vergesellschaftet gefunden worden, worauf eine durchlochte Applik eines Mittelknopfes hinweist, die bisher als eine entwickelte Form einer Zikadenfibel angesprochen wurde.619 Einen weiteren Hinweis auf die langen zeitlichen Überschneidungen unterschiedlicher Fundgattungen im 5. Jahrhundert könnte auch ein Werkzeugdepot, das auf dem Buschberg in der Nähe des Oberleiserberges in Niederösterreich gefunden wurde, geben. Der Fund stammt leider aus dem Fundus eines Flohmarkthändlers und ist nicht fachmännisch geborgen worden. Dennoch sind durch sorgfältige Nachforschungen am wahrschein616
617 618
619
Stark, Szilágysomlyó 165. Zum Begriff, Datierung und Verbreitung des ‚spätrömischen Militärstils‘: Böhme, Spätrömischer Militärstil 25–34; Abb. 8. Tudor, Spätrömische Gürtelbeschläge 513–519. Nach Werner, Studien zu Grabfunden 427–431, v. a. 429 „[…] lässt sich dieser Fibeltyp in die Jahrzehnte vor und nach der Mitte des V. Jahrhunderts datieren“. Holl, Burgenland 46–84. Gubitza, Bodrogh-Monostorszeg 339, Nr. 4. Kiss, Skiren im Karpatenbecken 101; Abb. 3, 4. Eine ähnliche gelochte Applik in Zikadenform ohne weitere funktionale Elemente (Nadelhalter bzw. Achslager), die auf eine „Blechfibel“ hinweisen könnten, stammt von einem Einzelfund, der in den Jahren zwischen 1883 und 1891 in Drnovo (Neviodunum) bei Krsko, Obˇcina Benedikt in Slowenien gemacht wurde: Petru/ Petru, Neviodunum 65; Taf. 15, 29. Knific, Unni 64; Taf. 2:1, 15. Eine weitere zikadenförmige Applik ist auch aus Bad Deutsch Altenburg (Carnuntum), Niederösterreich bekannt: Cencic, Zikadenbeschlag 36c. Die beiden zuletzt genannten finden jedoch keine Berücksichtigung bei der Analyse.
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
191
lichen Fundort sowie aufgrund identischer Erdspuren und des einheitlichen Korrosionsgrades der Fundgegenstände Indizien gegeben, die auf eine gleichzeitige Niederlegung schließen lassen.620 Zweifel an der Geschlossenheit des Befundes sind aber nicht auszuräumen. Der Fund umfasst diverse Eisenwerkzeuge zur Metall- und Holzbearbeitung, eine Pflugschar sowie Kleinfunde aus Silber, Bronze, Eisen, Blei und Knochen. Letztere zeigen eine große Bandbreite von Formen des gesamten 5. Jahrhunderts auf. Hier waren wohl zusammen mit der Applik eines Mittelknopfes einer „Blechfibel“ unter anderem die Halbfabrikate einer Zikadenfibel, einer kerbschnittverzierten Fibel vom sogenannten Typ „Sindelfingen“,621 dreier Fibeln vom sogenannten Typ „Bratei“,622 vier teilweise beschädigte, eiserne Armbrustfibeln der Typkonstrukte „Miltenberg“, „Prag“ und „Rathewitz“,623 einer Tierfibel in Löwengestalt, vier Polyederkopfohrringen, dem Fragment einer Tierkopfschnalle sowie mehreren kerbschnittverzierten Objekten ohne näher bestimmbare Funktion vergesellschaftet.624 Auch wenn die Fundumstände und somit die Geschlossenheit unsicher sind, kann dieser Befund ein zeitliches Nebeneinander verschiedenster Formen des gesamten 5. Jahrhunderts n. Chr. illustrieren und macht die Probleme der archäologischen Chronologiemodelle nochmals deutlich. Die Möglichkeit einer feinchronologischen Phasengliederung des Materials im Donauraum ist aufgrund der Quellenlage, der Vielfältigkeit sowie dem Variantenreichtum des Fundmaterials nicht gegeben. Die lediglich auf der klassifikatorischen Gliederung von „Blechfibeln“ basierenden Chronologiemodelle erscheinen daher viel zu schablonenhaft und werden dem archäologischen Material nicht gerecht. Die konstruierte scharfe Ablösung von Blech- und Kerbschnittarbeiten in den relativchronologischen Phasen D2a, D2b bzw. D2/D3 und D3 scheint aufgrund längerer, sich zeitlich stark überlappender Laufzeiten von verschiedensten Einzelmerkmalen so nicht zu bestehen. Daneben lassen sich diese Stufen in Ermangelung der Möglichkeit einer absolutchronologischen Einordnung anhand von Münzen oder anderen unabhängigen Datierungsmöglichkeiten ohnehin ebenfalls nicht trennen.625 Die Konstruktion der strikten chronologischen Abfolge von sogenannten Blech- und Kerbschnittarbeiten scheint wiederum auf ethnisch-ereig620 621 622 623 624 625
Szameit, Werkzeugdepot 234–237. Kühn, Süddeutschland 784–789; Taf. 267 69, 1–20. Siehe Anm. 615. Schulze-Dörlamm, Romanisch oder germanisch? 600–617. Szameit, Werkzeugdepot 239–243; Taf. 5, 1–21. Zu diesem Ergebnis kommt auch: Stark, Szilágysomlyó 167.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
nisgeschichtliche Prämissen bzw. Fragestellungen zurückzugehen. Die rigide Trennung des archäologischen Fundmaterials im Donauraum zwischen Blech und Kerbschnitt ist die klassifikatorisch-chronologische Voraussetzung sowohl für die archäologische Identifikation der Gepiden im Donauraum,626 als auch der Ostgermanen, Goten oder Ostgoten in Pannonien, dem Balkan sowie in Italien, wobei dort ohnehin nur sehr spärliches archäologisches Quellenmaterial zur Verfügung steht. Gerade hier wird eine ethnische Interpretation wiederum zum einen durch das Merkmal einer als spezifisch angesehenen Kleidung (Peplos),627 zum anderen durch die an die historische Überlieferung gebundene chronologische Einordnung kerbschnittverzierter Fibel- und Schnallentypen vorgenommen. So dient das als chronologisch relevant gewertete Merkmal Kerbschnittverzierung dazu, die sogenannten ostgotischen Bügelfibeln Italiens mit Spiralrankenornamentik in Kerbschnitttechnik mit ihren vermeintlichen Vorläufern im Donauraum chronologisch zu verbinden, die ebenfalls auf dieselbe Weise verziert sind.628 Als fixer absolutchronologischer Anhaltspunkt für die Datierung und somit auch für die ethnische Interpretation des einschlägigen archäologischen Materials gilt hierbei die historische Überlieferung: Die Datierung ist an die schriftlich überlieferte Einwanderung ostgotischer Personenverbände unter Theoderich dem Großen nach Italien im Jahr 488 n. Chr. gekoppelt. Diese bereits von Ulf Näsman im Jahr 1984 kritisch als „Ostgotentheorie“ bezeichnete Lehrmeinung „[…] geht axiomatisch davon aus, daß alles, was in Kerbschnittechnik ornamentiert ist und in Italien gefunden wurde, von Ostgoten dorthin gebracht oder dort hergestellt worden ist […]“.629 Dieses Axiom wurde von Joachim Werner bereits 1961 formuliert und in der Folge von Volker Bierbrauer weiter verfestigt.630 Mit der Hilfe dieser klassifikato626
627 628
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Zur von Kovrig, Tiszal˝ok 117–118 erstmals aufgestellten Gepidentheorie: Bóna, Barabás-Bagolyvár 20 sowie Prohászka, A perjámosi sír 86. Ebenfall skeptisch gegenüber der Möglichkeit einer strikten Trennung zwischen Kerbschnitt und Blech äußert sich: Nagy, Gyulavári 66–67. Die Autorin nimmt eine Laufzeit der „Blechfibeln“ auch in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. an. In einem weiteren Aufsatz spricht sich die Autorin zudem für eine sehr lange Laufzeit der Kerbschnitttechnik aus: Nagy, Hódmez˝ovásárhely-Sóshalom 82–89. Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 144–147. Auf das einer Interpretation als ostgotisch entgegenstehende, heutige geographische Verbreitungsbild dieses Typkonstruktes wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Siehe hierzu: Brather, Kleidung und Identität 40–46; Karte 17. Näsman, Relieffibeln 67. Werner, Ostgotische Bügelfibeln 70: „Versucht man die Fibelentwicklung bei den Ostgoten zu skizzieren, so bieten die großen, mit qualitätvollem Spiralrankendekor versehenen Bügelfibelpaare von Domolospuszta (Kom. Baranya) und von Gáva (Kom. Szábolcs) das ungarische Ausgangsstudium vor Abwanderung der Goten nach
„Blechfibeln“ und die Chronologie der Völkerwanderungszeit
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risch-chronologischen Brückenkonstruktion schien man in der Lage zu sein, die kerbschnittverzierten Gegenstände in Pannonien, dem Balkan und in Italien auf archäologischem Wege ethnisch zuweisen zu können. Auch wenn heute bedauernd eingeräumt wird, dass die schlechte Quellenlage, die „Unmöglichkeit einer jahrzehntgenauen archäologischen Chronologie“ sowie „die fehlende ethnisch-stammesbezogene Differenzierung ostgermanischer Grabfunde“ im Donauraum eine exakte ethnisch-ereignisgeschichtliche Zuweisung der archäologischen Funde auch in Italien nicht mehr zulassen, wird dennoch bei den Befürwortern der ethnischen Interpretation archäologischen Fundmaterials die ostgotische Variante favorisiert.631 Die strikte chronologische Trennung zwischen Kerbschnitt- und Blecharbeiten scheint somit auch heute noch für Teile der archäologischen Forschung die durchgängige ethnische Identifikation der Ostgoten zwischen der Auflösung des Hunnenreiches in den Jahren 453/454 n. Chr. bis zum Nachweis ihrer Einwanderung nach Italien zu ermöglichen. Neben der starren chronologischen Ablösung von Blech durch Kerbschnitt im Donauraum, die für die verbreiteten Datierungsansätze und damit einhergehend auch für die historischen Interpretationen weitgehende Konsequenzen haben, wurde weitere Kritik an den Methoden der Chronologie, der Klassifikation sowie der ethnischen Zuweisung der in Kerbschnitttechnik verzierten Fundgegenstände in Italien geübt. Vergleiche der Stile und des Ornaments ergaben Übereinstimmungen von in Kerbschnitttechnik verzierten Fibeln in Skandinavien, Pannonien und Italien. Diese können in Skandinavien noch in die erste Hälfte bzw. die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden, was zuletzt auch durch die Vergesellschaftung jener im Stil I verzierten Gegenstände mit kreuzförmigen Fibeln in Skandinavien bestätigt worden ist.632 Obwohl bei den Anhängern der Ostgotentheorie diese als Nachbildungen der ostgotisch-italischen Fibeln an-
631 632
Italien im Jahre 489“. Im Jahr 1963 präzisierte Joachim Werner im Zusammenhang mit den Grabfunden von Aquasanta seine Vorstellung: „Was Acquasanta aber eine besondere Bedeutung verleiht, sind die engen Beziehungen zu den zu den gotischen Grabfiunden an der mittleren Donau […]“. Die Analogien aus Donauraum datiert Werner in die Zeit „zwischen dem Zusammenbruch des Attila-Reiches (453) und der Abwanderung der Goten nach Italien (488)“ Werner/ Annibaldi, Acquasanta 365–370. Bierbrauer, Ostgotische Grab- und Schatzfunde 108–114 stellte ebenfalls die Verbindungen der kerbschnittverzierten Objekte zwischen dem Donauraum und Italien heraus und stellte für die absolutchronologische Datierung fest: „Durch die ostgotische Einwanderung 489/90 ist ein festes Datum gegeben“. Siehe hierzu auch Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Beispielhaft hierfür: Bierbrauer, Archäologie und Geschichte 141–144. Bode, Schmalstede 57–58.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
gesehen und in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden, ist eine frühere Datierung des archäologischen Materials in Italien ebenfalls nicht auszuschließen. Die Gründe hierfür liegen im unterschiedlichen Umgang mit den in Italien vorhandenen münzdatierten Befunden und der damit zusammenhängenden Unterscheidung zwischen der Datierung des Niederlegungszeitraumes und der Datierung der eigentlichen Umlaufzeit, die nicht immer analytisch auseinandergehalten werden.633 Zudem sei auch auf die den vermeintlich italisch-ostgotischen Bügelfibeln eigene Heterogenität und ihre weite geographische Verbreitung hingewiesen, die eine ethnische Interpretation als ostgotisch nicht zulassen. Ferner ist auch die Spiralrankenverzierung in Kerbschnitttechnik keineswegs nur auf diesen Fibeltyp beschränkt, sondern sehr weit verbreitet und auch auf vielen anderen Fibeltypen zu finden, was dieses Merkmal nicht nur im chronologischen Sinne unspezifisch erscheinen lässt.634 Wiederum ist es also die Absicht, ethnisch-ereignisgeschichtliche Fragen archäologisch nachvollziehen zu wollen, die zu den feinchronologischen Phasengliederungen anhand der Klassifikation der „Blechfibeln“ des 5. Jahrhunderts n. Chr. im Donauraum führen und gleichzeitig deren Konstruktion beeinflussen. Somit bilden diese den anderen Bestandteil der bereits oben beschriebenen Diskrepanzen und Widersprüche, die sich aus einem überregionalen Vergleich der gängigen völkerwanderungszeitlichen Chronologiesysteme ergeben.635 Um die Befunde im Donauraum (Gepiden) und Italien (Ostgoten) ethnisch-ereignisgeschichtlich interpretieren 633 634
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Näsman, Relieffibeln 60–69. Ebenso: Kiss, Ostgoten in Pannonien 330, Anm. 4. Beispielhaft sei hier auf die Typkonstrukte Wehden, Dösemoor und Nesse der sogenannten kerbschnittverzierten gleicharmigen Fibeln im Elbe-Weser-Dreieck hingewiesen: Böhme, Germanische Grabfunde 14–19; Karte 5. Kühn, Mitteldeutschland 39–41. Ferner findet sich in Kerbschnitttechnik ausgeführte Spiralrankenornamentik auch auf einer äußerst heterogenen und bisher nicht befriedigend klassifizierten (es handelt sich um Unikate), überwiegend in Südosteuropa verbreiteten Gruppe von Bügelfibeln. Diese teilweise starke Ähnlichkeiten mit den sogenannten ostgotischen Bügelfibeln aufweisenden Fibeln wurden mit unterschiedlichsten ethnischen Attributen versehen: Werner, Slawische Bügelfibeln 150–172. Die Forschungsgeschichte bis 1960 zusammenfassend: Werner, Bügelfibeln 114–120. Teodor, Fibule „digitate“ Fig. 4, 7–8. Teodor, Fibules byzantines Fig. 7–10. Zudem findet sich in Kerbschnitttechnik ausgeführter Spiralrankendekor auf immerhin 31 von insgesamt 102 der bei Kühn, Süddeutschland, Kühn, Mitteldeutschland und Kühn, Rheinprovinz unterschiedenen Bügelfibeltypen. Siehe Kap. III.3.5 Der Donauraum, das Tolosanische Reich und die Einwanderung der Westgoten in Spanien: Archäologisches „Miraculum“ oder Resultat eines chronologischen Konstrukts?
Methodische Neuorientierung
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zu können, wird das archäologische Material im Donauraum in einer Weise gegliedert, die diesem nicht mehr gerecht wird. Aufgrund der schwerwiegenden chronologischen und methodischen Unstimmigkeiten, die sich hieraus ergeben, sind die ethnischen Interpretationen des archäologischen Fundstoffes in diesen Gebieten auch viel zu weitgreifend. Ohne eine von diesen Prämissen unabhängige Untersuchung lässt sich nicht klären, ob und welches chronologische Modell überhaupt eine solche Interpretation für die unterschiedlichen Gebiete zulässt. Das auch heute noch latente, sogenannte „ethnische Paradigma“636 verhinderte bisher die Auflösung dieses chronologischen und methodologischen Problems zugunsten der ethnischereignisgeschichtlichen Interpretation des archäologischen Fundmaterials in allen betreffenden Gebieten.
4 Zur Notwendigkeit einer methodischen Neuorientierung in der Chronologieforschung der Völkerwanderungszeit Die umfassende Darstellung der Prämissen und methodischen Probleme, die den völkerwanderungszeitlichen Chronologiesystemen und der eng damit verknüpften Klassifikation der archäologischen Hinterlassenschaften zugrunde liegen, zeigt deutlich die Notwendigkeit einer methodischen Neuorientierung der völkerwanderungszeitlichen Chronologieforschung auf. Anhand der „Blechfibeln“ konnte dargestellt werden, in welchem Ausmaß die Ordnung dieser Fundgattung zugunsten ethnisch-ereignisgeschichtlicher Interpretationen und Aussagen zu methodisch äußerst problematischen Vorgehensweisen und Ergebnissen führt. Dennoch wird aufgrund der scheinbar möglichen archäologischen Bestätigung der Schriftquellen allgemein davon ausgegangen, dass die Konstruktion der feinchronologischen Gliederung von „Blechfibeln“ letztlich Gültigkeit besitzt. Dies führt aber dazu, dass sich Feinchronologie und gewünschte historische Interpretation, die eigentlich primär unabhängig voneinander erstellt werden sollten, gegenseitig bestätigen. Diese Konstruktionen zielen häufig nur darauf ab, schriftlich überlieferte Wanderungen völkerwanderungszeitlicher gentes im archäologischen Material nachzuvollziehen. Neben der Gefahr eines Zirkelschlusses bei dieser Vorgehensweise reduzieren diese ethnisch-ereignisgeschichtlichen Interpretationen archäologischen Materials zudem letztlich eines der Kardinalprobleme der archäo636
Fehr, Germanen und Romanen 124–126.
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Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
logischen Frühgeschichtsforschung auf einen stark vereinfachenden, interpretativen Automatismus: Die Frage nach dem Zustandekommen der geographischen Verbreitungsmuster der (auf welche Art auch immer klassifizierten) Artefakte wird bei vielen Fundgattungen der Völkerwanderungszeit nahezu ausschließlich mit migratorischen Vorgängen erklärt. Gerade hier sind jedoch zahlreiche alternative Möglichkeiten vorstellbar. Diese werden aber nur selten in Betracht gezogen. So wird der Interpretationsund Bearbeitungsrahmen der entsprechenden Fundgattungen sehr stark eingeschränkt und wertvolle Informationen gehen verloren. Doch scheinen es die auf Feinchronologie abzielenden Klassifikationen und daran geknüpften Interpretationen der geographischen Verbreitungsmuster von „Blechfibeln“ bisher nicht zu erlauben, andere Untersuchungsansätze und Erklärungsmodelle hierfür in Betracht zu ziehen. Die monokausalen Ansätze werden allerdings weder dem äußerst heterogenen Charakter archäologischer Quellen noch den komplexen historischen Vorgängen dieser Epoche gerecht. Aus der bisherigen Methodik, die vermeintlich große historische Synthesen anhand der archäologischen Quellen zu unterstützen versucht, resultieren jedoch letztlich Verzerrungen des archäologischen Fundbildes. Dabei wird häufig nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass archäologische Phänomene Entwicklungen unterliegen können, die unabhängig von den vermeintlich epochemachenden historisch überlieferten Vorgängen sind. Weiterführende Fragestellungen, die mittels archäologischer Quellen beantwortet werden könnten, werden deshalb oft zugunsten der Bestätigung eines scheinbar klaren historischen Bildes ausgeblendet, das dann in der Folge den Hauptgegenstand des (interdisziplinären) Diskurses darstellt. Dies hat zur Konsequenz, dass sich ein Großteil der Debatte lediglich auf der theoretischen Ebene der den historischen Interpretationen zugrunde liegenden Prämissen abspielt. Die archäologischen Quellen und deren methodisch korrekte Bearbeitung geraten dabei jedoch immer mehr ins Hintertreffen. Zu konstatieren ist ferner, dass aufgrund der zentralen Bedeutung der „Blechfibeln“ für die Chronologie der Völkerwanderungszeit aus den oben geschilderten Gründen kaum eine Fundgattung des völkerwanderungszeitlichen Mitteleuropa als methodisch befriedigend und unabhängig aufbereitet bezeichnet werden kann. Darüber hinaus ist die Konstruktion von allgemeingültigen, überregionalen und feinchronologisch gliedernden Chronologiesystemen auch aufgrund der teilweise sehr schlechten Quellenlage zu überdenken. Die einzelnen Materialgruppen zeigen große relativund absolutchronologische Überlagerungen und sind daher kaum nachvollziehbar in Stufen zu gliedern. Statt kompletter und umfassender Chronologieschemata, in die Brüche und Kontinuitätsvorstellungen sowie von
Methodische Neuorientierung
197
der Ereignisgeschichte beeinflusste Vorstellungen einfließen, sollten für die zu klassifizierenden Fundgattungen zunächst unabhängig die jeweiligen Laufzeiten ermittelt werden, um in der Folge mit diesen quellengerecht datieren zu können. In jedem Fall ist darauf zu achten, ob der Herstellungszeitraum oder der Niederlegungszeitraum datiert wird. Auf jeder Ebene sollte eine Klassifkation nachvollziehbar und von ethnisch-ereignisgeschichtlichen Prämissen unabhängig sein. Sowohl dem Bearbeiter als auch dem Benutzer sollte dabei immer bewusst sein, dass es sich bei jedem Klassifikationsversuch um eine Möglichkeit unter vielen handelt. Das Material sollte auf Regelhaftigkeiten und Merkmalsstrukturen in unterschiedlichsten Bereichen und auf unterschiedlichste Fragestellungen hin analysiert werden, um einen möglichst großen Gehalt an Informationen zu erfassen. Die Grenzen der Aussagefähigkeit der zur Verfügung stehenden archäologischen Quellen dürfen hierbei nicht überschritten werden. Eine solche methodische Vorgehensweise bringt es zwangsläufig mit sich, dass eine Klassifikation nicht ausschließlich auf feinchronologische Gliederungsmöglichkeiten ausgelegt sein kann. Von dem immer noch weit verbreiteten Verständnis einer rein evolutionistischen Betrachtungsweise der archäologischen Funde, welche dem Material eine quasi „lebendige Natur“ unterstellt, ist ebenfalls Abstand zu nehmen, da dies anhand der archäologischen Quellen nicht objektiv nachvollzogen werden kann und nur eine äußerst subjektive Konstruktion des jeweiligen Bearbeiters darstellt. Das Hauptaugenmerk sollte bei der Klassifikation auf die Aussagekraft der archäologischen Quelle sowie auf die Praktikabilität und die Offenheit des klassifikatorischen Systems gelegt werden, damit auch zukünftig Funde und Befunde nachvollziehbar eingeordnet werden können. Die absolutchronologische Einordnung der Laufzeiten sollte nur anhand archäologischer Quellen, die primäre chronologische Aussagen liefern, vollzogen werden. Die auf diese Weise ermittelten Datierungsspannen können gegebenenfalls zukünftig weiter verfeinert werden. Erst nach einer unabhängigen und umfassenden Merkmalsanalyse der archäologischen Fundgattungen und deren chorologischer Auswertung kann versucht werden, die daraus resultierenden Ergebnisse mit der schriftlichen Überlieferung in Einklang zu bringen, wobei hierfür bislang keine einheitlichen Regeln existieren.637
637
Zu Möglichkeiten und Grenzen der Synthese zwischen archäologischen und historischen Quellen: Andrén, Artifacts and texts 145–183.
198
Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen
Methode
199
IV Methode und Analyse 1 Methode Die bisherigen Klassifikationen von „Blechfibeln“ beschränken sich meist auf den Vergleich weniger selektiv ausgewählter Merkmale, mit denen eine feinchronologische Gliederung erreicht werden soll, um damit ein bereits vorher festgelegtes historisches Modell archäologisch nachzuvollziehen. Wie die Kritik der methodischen Vorgehensweisen gezeigt hat, entziehen sich aber gerade die „Blechfibeln“ einer klassifikatorisch-chronologischen Feingliederung. Bei diesen Fundobjekten ist vielmehr der hohe Grad der Individualität sowie die extreme Variabilität und Austauschbarkeit vieler als chronologisch relevant erachteter Merkmale so auffällig, dass jedes Exemplar bzw. Paar eigentlich als Unikat angesehen werden kann.1 Anders als gegossene Bügelfibeln, die teilweise in großer Zahl in wiederholt verwendeten Gussformen hergestellt wurden, sind „Blechfibeln“ auf unterschiedlichste Weise konstruiert worden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Filter der archäologischen Überlieferung nur einen Bruchteil der ehemalig vorhandenen Vielfalt auf uns kommen lässt. Wie detailreich einzelne Konstruktionsvarianten von „Blechfibeln“ ausfallen können, illustriert die Rekonstruktionszeichnung einer „Blechfibel“ aus dem Grabbefund H 3/1 von Aguilafuente, Prov. Segovia auf eindrucksvolle Weise.2 Die hier sichtbar werdende immense Kleinteiligkeit und Individualität der „Blechfibeln“ wird durch den Umstand verschärft, dass bei der Vielzahl (eigentlich: theoretisch unendlichen Anzahl) an zu beobachtenden Merkmalen auch Unterschiede in der jeweiligen Ausführung (Merkmalsausprägung) bestehen. Dabei ist bei Einzelstücken oder paarweise hergestellten Objekten immer der Umstand zu berücksichtigen, dass zahlreiche individuelle Faktoren zum Tragen kommen können, die Einfluss auf die Gestalt vor und während der Herstellung nehmen.3 Außer der Funktion als primä1
2 3
Für völkerwanderungszeitliche Fibeln in Skandinavien konstatiert dies ebenfalls: Näsman, Danish Archaeology 170. Siehe Abb. 8. Siehe Abb. 9.
200
Methode und Analyse
rer formbestimmender Faktor spielen dabei regional, sozial und zeitlich gebundene Faktoren und die technischen Fähigkeiten des Produzenten oder der produzierenden Gemeinschaft (Werkstatt) eine Rolle. Daneben sind der persönliche Geschmack und die finanziellen Möglichkeiten des „Auftraggebers“ für die Gestaltung eines Objektes von wesentlicher Bedeutung. All diese Faktoren wirken sich in unterschiedlichem Ausmaß auf die Ausführung der unterschiedlichen Merkmalskategorien (Form, Größe, Material, Verzierung, Konstruktion) einer „Blechfibel“ aus.4 Die große Individualität der „Blechfibeln“ lässt eine Konstruktion von rigiden und anhand von nur wenigen Merkmalen definierten Fibeltypen wenig sinnvoll erscheinen und ist zudem nur schwer möglich. Daher wird das in der Stichprobe erfasste Fibelmaterial auf strukturelle Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Merkmalen und deren Ausprägungen untersucht. Aufgrund der spezifischen materialimmanenten Voraussetzungen wird bei der Untersuchung der „Blechfibeln“ davon ausgegangen, dass diese das Ergebnis eines nach einer Art „Baukastenprinzip“ erfolgten Produktionsvorganges und somit aus variablen Elementen zusammengesetzt sind.5 Zunächst werden die metrischen und formalen Merkmalsausprägungen analysiert, um danach eventuelle Korrelationen dieser beiden Merkmalskategorien herausarbeiten zu können. Diese beiden Faktoren werden somit als ausschlaggebend für die Gesamterscheinung einer „Blechfibel“ angesehen. Diese Merkmalskategorien sind darüber hinaus aufgrund ihrer meist vollständigen Überlieferung für eine quantitative Analyse besser geeignet als die technischen und ornamental-funktionalen Merkmale. Zu den auf diese induktive Weise ermittelten Merkmalskombinationen bzw. -gruppen, die naturgemäß eine variable Anzahl unterschiedlichster Merkmalsausprägungen sowie -kombinationen auszeichnet, können nachfolgend die heterogen zusammengesetzten „Blechfibeln“ zugeordnet werden. Dieses methodische Vorgehen bietet die Möglichkeit, ein offenes und jederzeit ausbaufähiges Kategorisierungssystem zu erstellen, das auch zukünftig Spielraum für weitere Aufgliederungen bzw. Verfeinerungen lässt. Die Merkmalsanalyse zielt daher nicht von vornherein auf chronologische oder ethnisch-ereignisgeschichtliche Zusammenhänge ab, sondern auf eine möglichst materialgerechte Bearbeitung und die Aufdeckung von strukturellen Zusammenhängen im Fibelmaterial. Diese Methode bietet zudem 4 5
Schwenzer, Vollgriffdolche 23–26. Zum „Baukastenprinzip“: Näsman, Danish Archaeology 170–171. Bode, Schmalstede 24–25. Axboe, Positive and negative versions 38 geht davon aus, dass auch Wachsmodelle für gegossene Fibeln teilweise aus mehreren separaten Teilen zusammengesetzt wurden.
Methode
201
Abb. 8: Technische Zeichnung einer Blechfibel aus dem Grabbefund H 3/1 von Aguilafuente, Prov. Segovia (aus: Lucas/ Viñas, Tecnología Fig. 4).
Abb. 9: Individuelle Einflussfaktoren auf die Objektgestaltung (nach: Schwenzer, Vollgriffdolche 25; Abb. 11 mit Ergänzungen).
202
Methode und Analyse
den Vorteil, dass durch die Offenheit des Systems zukünftig auch stark fragmentierte Fibelexemplare zugeordnet werden können, die bei Zugehörigkeit zu geschlossenen Befunden weitere Informationen liefern. Die absolutchronologische Einordnung der ermittelten Merkmalskombinationsgruppen orientiert sich ausnahmslos an „unabhängigen“ Datierungshinweisen. Darunter werden in dieser Arbeit „primäre chronologische Aussagen“ (naturwissenschaftliche Datierungsmethoden, Münzdatierungen) aus geschlossenen Funden verstanden.6 Die aus der Analyse der formalen und metrischen Merkmale resultierenden Gliederungen bzw. Merkmalskombinationen bilden die Grundlage für weitere Untersuchungen der technischen und ornamentalen Merkmale. Wiederum steht hier die Aufdeckung quantitativer Regelhaftigkeiten der Merkmalsausprägungen im Vordergrund. Die vorher geschilderte Kleinteiligkeit der „Blechfibeln“ stellt hierbei nicht nur ein Problem für die Klassifikation dar, sondern bietet gleichzeitig auch Möglichkeiten zu weiteren Untersuchungen in Bezug auf mögliche Produktionsmuster und Verbreitungsmechanismen. Gerade in Anbetracht der noch stärker ausgeprägten Individualität dieser Merkmalskategorien der „Blechfibeln“ können somit Fragen beantwortet werden, die für die Interpretation dieser Fundgattung eine enorme Bedeutung besitzen. Die Autopsie der „Blechfibeln“ ergab häufig deutliche Abweichungen zu den Angaben in der Literatur. Technische Details lassen sich auf Fotos oder Abbildungen ebenfalls nicht oder nur ungenau erkennen. Somit steht bei allen Untersuchungen die Auswertung der im Original untersuchten „Blechfibeln“ der Stichprobe im Vordergrund. Die Analyse bemüht sich um Nachvollziehbarkeit, größtmögliche Transparenz und die Anwendung begründeter, falsifizierbarer Richtlinien.7
2 Analyse 2.1 Definition der Untersuchungseinheit „Blechfibeln“ Eine stringente und nachvollziehbare Definition, die für die gesamte Fundgattung der „Blechfibeln“ Gültigkeit besitzt, liegt nicht vor und stellt ein schwieriges Unterfangen dar. Dies ist zunächst darin begründet, dass bei den bisherigen Klassifikationsversuchen die Auswahl des Untersuchungs6 7
Siehe Kap. IV.2.8 Absolute Chronologie. Hierzu: Popper, Logik 21; 47–59.
Analyse
203
gegenstandes „Blechfibel“ relativ willkürlich gehandhabt wurde.8 Dies trägt entscheidend zu dem Umstand bei, dass bis heute keineswegs einheitlich beurteilt wird, was genau unter „Blechfibeln“ zu verstehen ist.9 Ohne eine allgemeingültige Definition erfolgt die Ansprache eines Fibelexemplares als „Blechfibel“ einerseits teilweise über dessen technische Machart, andererseits aber auch häufig nur über formale Ähnlichkeiten zu seit den Anfängen der Erforschung dieser Fundgattung so bezeichneten Exemplaren, über die Beschreibung metrischer Verhältnisse oder auch nur aufgrund ornamentaler Details. Ihrer Grundform wegen sind „Blechfibeln“ jedoch generell zunächst den Bügelfibeln zuzuschreiben und auch anhand technischer Eigenschaften ist eine überzeugende Abgrenzung bzw. Ausgliederung der „Blechfibeln“ innerhalb der Bügelfibeln nicht immer möglich.10 Viele der als „Blechfibeln“ angesprochenen Exemplare sind einteilig, d. h. aus einem Stück gegossen. Ferner kann zudem bei makroskopischer Betrachtung oft8
9
10
Zu den grundlegenden theoretischen Problemen auf dieser Ebene der Klassifikation siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Generell liegen nur wenige Versuche einer umfassenden Definition dieser Fundgattung vor. Die allgemein herrschende terminologisch-definitorische Verwirrung wird bei einer Betrachtung zweier ausgewählter Definitionsversuche dieser Fundgattung jüngeren Datums deutlich. Alexander Koch stellt in seiner antiquarischen Analyse der merowingerzeitlichen Bügelfibeln im westlichen Frankenreich für die „Blechfibeln“ zunächst folgendes fest: „Kennzeichnend für derartige Fibeln, unabhängig von ihrer Zeitstellung, sind zwei Platten aus meist gehämmertem Blech, die über einen schmalen Bügel miteinander verbunden sind.“ Nach den dieser Bemerkung folgenden Anmerkungen zu Verbreitung und Ethnos der „Blechfibeln“ fährt Koch mit dem Versuch einer näheren Umschreibung dieser Fundgattung fort: „Was die irreführende und unkorrekte Bezeichnung ‚gotische Silberblechfibeln‘ anbelangt, so muß man zweifelsfrei feststellen, daß diese Fibeln weder ausschließlich gotischen Bevölkerungsgruppen zugeschrieben werden können, noch stets aus Silberblech gefertigt wurden. Vielmehr finden sich hin und wieder auch aus Bronze gearbeitete, mit einer eisernen Unterlage versehene oder anderweitig, beispielsweise mit Goldblech, belegte Exemplare. In besonderem Maße zeichnet die Blechfibeln ihre gegenüber den übrigen im Arbeitsgebiet vorkommenden Bügelfibeltypen außergewöhnliche Größe aus. Sie liegt in der Regel zwischen ca. 8 und 18 cm; einzelne Exemplare besaßen gar eine Länge vom 20 cm oder mehr, doch es gab auch Stücke von nur etwa 6 cm Länge“: Koch, Bügelfibeln 413–414 mit Anm. 7. Ähnlich unspezifisch fällt auch der Versuch einer Charakterisierung dieser Fundgattung von Max Martin aus: „[…] die sogenannten Blech-Fibeln der ostgermanischen Tracht […], deren jüngere (aus einem bzw. drei Teilen bestehende) Exemplare meist aus Silber (zuletzt oft aus versilbertem Buntmetall, […] gefertigt sind, wurden gegossen (und danach oft partiell ausgehämmert)“: Martin, Späte Völkerwanderungszeit 542. Zu „Blechfibeln“ als Vorformen der Bügelfibeln bereits: Almgren, Nordeuropäische Fibelformen 87.
204
Methode und Analyse
mals nicht entschieden werden, welche Technik (Guss/ Guss-Treiben/ Treiben/ Löten) bei der Herstellung einer Fibel angewandt wurde.11 Auch die heute übliche Kategorisierung von Blechen zeigt eine große Bandbreite an Merkmalsausprägungen, die allerdings unter normierten technischen Aspekten der Herstellung, der Dicke der Bleche sowie deren Oberflächenbeschaffenheit zusammengefasst werden.12 Ein weiterer Grund für die Definitionsprobleme der Fundgattung „Blechfibeln“ ist in der formalen, metrischen, technischen und ornamentalen Heterogenität des üblicherweise so angesprochenen Fibelmaterials zu suchen. Das große Spektrum unterschiedlichster Ausprägungen in allen Merkmalskategorien der als „Blechfibeln“ bezeichneten Fibelexemplare ist nicht zuletzt auf das oft willkürliche und nicht nachvollziehbare Vorgehen bei der Auswahl bzw. der Ansprache der „Blechfibeln“ zurückzuführen. Alle Definitionsversuche der Fundgattung „Blechfibeln“ über formale, technische, metrische oder ornamentale Merkmale fallen daher unspezifisch aus, da die Spannweite der Definition so breit angelegt werden muss, dass eine deutliche Abgrenzung zu anderen Fundgattungen nicht möglich ist. Klarheit bezüglich der Definition dieser Fundgattung scheint nur in einem Punkt zu bestehen. Offensichtlich werden „Blechfibeln“ üblicherweise durch implizit vorgenommene und daher kaum nachvollziehbare, hochgradig subjektive stilistische Kriterien als solche angesprochen, die diese Fundgattung in der Regel allein zu gegossenen, kerbschnittverzierten Fibeln abgrenzen.13 Dieser Art der negativen Definition unterliegen gleichzeitig chronologische, geographische und ethnisch-ereignisgeschichtliche Prämissen, die in unterschiedlichem Ausmaß mit einfließen und letztlich die Auswahl bestimmen. Damit bleibt festzuhalten, dass sowohl der Begriff als auch die bisherigen Definitionen von „Blechfibeln“ denkbar ungeeignet für eine stringente Abgrenzung dieser Fundgattung sind. Will man den entscheidenden Fragekomplexen, die eine Bearbeitung dieser Fundgattung mit sich bringt und die den Gegenstand der in den vorigen Kapiteln gemachten kritischen Erläuterungen bildeten, bei der Analyse in ausreichendem Maße Rechnung tragen, so müssen zunächst alle in der Literatur so bezeichneten und daher relevanten Fibelexemplare in die Unter11
12 13
Hammer/ Voss, Feinschmiedetechnik 292–293. Hierzu auch Kap. IV.2.11.2.1 Fibelkonstruktion. Braun/ Fischer, Fachkunde Metall 276; Tab. 1–2. Ähnlich: Stark, Fibeln 139; Anm. 3. Dieser stilistischen Abgrenzung wird gemeinhin auch ein chronologisches Nacheinander unterstellt.
Analyse
205
suchungseinheit miteinbezogen werden. Deshalb sind alle als „Blechfibeln“ bezeichneten Fibeln in der Untersuchungseinheit erfasst. Diese charakterisieren im Wesentlichen die folgenden, bewusst sehr allgemein gehaltenen Merkmale: Trotz der Vielgestaltigkeit in ihren formalen Ausprägungen, entspricht deren Grundform allgemein derjenigen von Bügelfibeln. Die Spiral- und Hakenplatten sind über einem Bügel miteinander verbunden, wobei unterschiedliche technische Anfertigungs- und Fixierungstechniken für die einzelnen Fibelbestandteile zum Einsatz kamen. Hinzu tritt die Kleinteiligkeit der Verzierungselemente, die meist sekundär nach der Konstruktion des Fibelkörpers angebracht wurden. Hauptsächlich zeichnen sich die als „Blechfibeln“ angesprochenen Fibelexemplare jedoch für gewöhnlich durch eine glatte, überwiegend unverzierte Oberfläche aus.14 Aus mehreren Gründen werden einige, häufig im Zusammenhang mit „Blechfibeln“ genannte oder als solche bezeichnete Fibeln nicht in die Untersuchungseinheit aufgenommen. Zunächst sind hier die formal eng mit den „Blechfibeln“ in Zusammenhang stehenden sogenannten „polychromverzierten Fibeln“ zu nennen.15 Diese „Prunkvarianten“ der „Blechfibeln“ waren in den letzten Jahren bereits Gegenstand umfangreicher klassifikatorischer und chronologischer Untersuchungen, sodass diese nicht in die Analyse miteinbezogen werden müssen.16 Die Gruppe der sogenannten „Blechfibeln“ („Blikfibler“) aus Skandinavien wird – trotz auffallender technischer und formaler Ähnlichkeiten – ebenfalls nicht in die Untersuchungseinheit aufgenommen, da diese Fibeln häufig flächige Verzierungen auf der Oberfläche, v. a. im Sösdala-Co¸soveni de jos-Stil aufweisen.17 Die teilweise als „Blechfibeln“ bezeichnete Gruppe gegossener Fibeln mit halbrunder Spiralplatte und ovaler oder rhombischer Hakenplatte aus dem Gebiet zwischen Elbe und Oder wird in dieser Arbeit ebenfalls nicht berück-
14
15
16
17
Kühn, Süddeutschland 520: „Alle Stücke dieses Typs, so, wie er hier geordnet wird, sind glatt und ohne jede Verzierung.“ Kühn, Süddeutschland 547–565. Harhoiu, Steinverzierte Fibeln 185; Anm. 7. Koch, Bügelfibeln 422–425. Harhoiu, Steinverzierte Fibeln. Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien 93–97. Stark, Fibeln. Stark, Szilágysomlyó. Zur Klassifikation, geographischen Verbreitung sowie der chronologischen und kulturellen Einordnung dieser Fibeln siehe: Mackeprang, Kulturbeziehungen 19–20. Jensen, Kronologi. Nielsen/ Jørgensen/ Fabech/ Munksgaard, Sejlflod 116–120. Ethelberg, Hjemsted 25–29. Bitner-Wróblewska, Samland to Rogaland 95–99.
206
Methode und Analyse
sichtigt.18 Ausgeschlossen werden zudem v. a. in Spanien vorkommende Fibelexemplare, die zwar aufgrund einiger formaler und ornamentaler Charakteristika durchaus „Blechfibeln“ zugeschrieben werden könnten, doch deren Merkmale durchweg im Guss kopieren.19 Die Fibeln vom sogenannten Typ Mainz-Bretzenheim finden ebenso keinen Eingang in die Analyse. Diese Fibeln sind ohne Ausnahme massiv gegossen und mit einem folienartigen Silberblechüberzug versehen, der Kerbschnitttechnik imitiert. Aufgrund dieser spezifischen Eigenschaften und ihrer relativ kleinräumigen geographischen Verbreitung werden diese Fibeln wohl als archäologischer Niederschlag eines Werkstattkreises in Nordfrankreich und im Mittelrheingebiet anzusehen sein.20 Die aufgrund der Machart und Form der Hakenplatte häufig als „Blechfibeln“ bezeichneten Fibeln vom sogenannten Typ Wiesbaden sind ebenfalls nicht Gegenstand der Betrachtung, da sie keine Spiralplatte aufweisen.21 Als „billige Imitationen bestimmter Silberblechfibeltypen“ werden Fibeln der sogenannten Typen Vyskov und Bratei22 angesprochen. Diese beiden äußerst heterogenen und im Grunde genommen aus nicht vergleichbaren Unikaten bestehenden Fibelgruppen werden trotz der (wenigen) bestehenden Ähnlichkeiten nicht in der Untersuchungseinheit berücksichtigt,23 da deren Spiral- und Hakenplatten überwiegend rundelartige Auslappungen aufweisen, die bei den gemeinhin als „Blechfibeln“ bezeichneten Exemplaren nicht vorkommt. Eine gleichermaßen willkürlich zusammengefasste Gruppe von Bügelfibeln stellen die Exemplare mit flächiger Cloisonnierung auf beiden Fibelplatten dar, die eine zentrale Rolle in der archäologischen Debatte um die ethnische Interpretation einschlägiger spätantiker Bügelfibeln in Nordafrika spielen. Diese werden oft in nicht nachvollziehbarer Weise aufgrund von nur wenigen Merkmalen, die zudem jeweils nach beabsichtigter historischer Aussage ausgewählt werden, in Zu18 19
20
21
22 23
Hierzu: Schuldt, Serrahn 100–117. Schach-Dörges, Bodenfunde 71–73. Die „gegossenen, einteiligen und kleineren Fibeln vom Blechfibeltyp“: Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 71–74. Kühn, Rheinprovinz 100–106. Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay 100–101; Fig. 42. Koch, Bügelfibeln 438–445. Bernhard, Merowingerzeit in der Pfalz 39–42; Abb. 20, 1. Zu einigen Fälschungen von Fibelexemplaren dieser Fundgattung: Neumayer, Mittelrheingebiet 30. Von Werner und Hachmann werden diese Fibeln als „Blechfibeln“ angesprochen: Werner, Gaukönigshofen. Hachmann, Germanen 196. In neuerer Zeit auch: Haberstroh, Reisberg 242–244. Fundlisten der sog. Fibeln vom Typ Wiesbaden bei: Werner, Gaukönigshofen 229–233. Schöneburg, Dallgow-Döberitz 172–174. von Rauchhaupt, Röcken. Haberstroh, Reisberg 259–260; Liste 3. Bierbrauer, Bronzene Bügelfibeln 141; 151–152 (Fundliste 1), 147–149 (Fundliste 2). Hierzu auch Kap. III.3.6 Kerbschnittverzierung als chronologisches Merkmal der Stufe D3 im Donauraum Anm. 615.
Analyse
207
sammenhang mit „Blechfibeln“ gesetzt.24 Doch sind diese Fibeln untereinander nicht vergleichbar. Es handelt sich hier ausschließlich um Unikate, die überwiegend aus nicht geschlossenen Befunden stammen. Nicht nur aus diesen Gründen, sondern v. a. aufgrund ihrer Cloisonnéverzierung und ihrer technischen Ausführung sind diese Fibeln von der Untersuchungseinheit ausgeschlossen. Spiralplattenfibeln vom sogenannten Typ „Tac-Gorsium“25 wurden ebenfalls mit „Blechfibeln“ in Verbindung gebracht.26 Die Hakenplattenform, die oft flächige Verzierung der Oberfläche mit unterschiedlichsten Motiven und die überwiegende Anfertigung im Gussverfahren sind jedoch so unterschiedlich, dass dies zu deren Ausschluss aus der Untersuchungseinheit führte. Obwohl häufig als „Blechfibeln“ bezeichnet,27 finden aufgrund der dreieckigen Hakenplattenform, der äußerst kleinen Länge und der überwiegenden Ausführung im Guss auch die Fibeln mit halbrunder Spiralplatte und triangulärer Hakenplatte in der Untersuchungseinheit keine Berücksichtigung.28 Die Fibeln der so definierten Untersuchungseinheit sollen weiterhin als „Blechfibeln“ bezeichnet werden. Der Begriff wird aber aufgrund der oben dargelegten terminologischen und definitorischen Probleme in dieser Arbeit stets in Anführungszeichen gesetzt. 2.2 Quellenlage und geographische Verbreitung Ausgehend von der oben geschilderten Definition konnten in der Untersuchungseinheit aus der Literatur und den besuchten Museen insgesamt 875 „Blechfibeln“ aus 636 Befunden erfasst werden. Von diesen konnten 23 Fundortangaben von insgesamt 24 in der Literatur genannten „Blechfibeln“ nicht verortet werden.29 Bei 134 Fundorten mit insgesamt 159 „Blechfibeln“ ist eine exakte Fundortbestimmung nicht bzw. nicht mehr möglich.30 24
25 26 27
28 29 30
Koch, Donautal um Regensburg 26–27. Koenig, Wandalische Grabfunde 22. Kazanski, Fibules ansées 14. Koch, Bügelfibeln 446–449. Eger, Karthago 353–361. Zuletzt: Rummel, Habitus barbarus 296–299. Schulze-Dörlamm, Spiralplattenfibeln 606–608 mit Anm. 41. Salamon/ Barkóczi, Pannonien Abb. 13. Hierzu siehe Kap. II.5 „Alternative“ Interpretationsansätze und deren methodische Grundlagen. Raddatz, Zugmantel 53; Abb. 1. Siehe VIII.2 Nicht lokalisierbare Fundorte. Siehe VIII.3 Funde ohne exakte Herkunftsangabe.
208
Methode und Analyse
Die in der Untersuchungseinheit erfassten 636 Befunde mit „Blechfibeln“ verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Befundkategorien:31 Mit insgesamt 337 Einzelfunden entfällt auf diese Befundkategorie über die Hälfte (53,0 %) aller erfassten Befunde mit „Blechfibeln“. Den zweitgrößten Anteil (43,6 %) bilden Grabbefunde, die in 277 Fällen vorliegen. „Blechfibeln“ aus Siedlungskontexten sind in nur 19 Fällen (3,0 %) vertreten. Noch geringer ist der Anteil der insgesamt drei Deponierungen mit „Blechfibeln“ (0,5 %) in der Untersuchungseinheit.32 333435 Tab. 5: Quellenlage. Übersicht über die absolute und relative Verteilung (im Vergleich zur Gesamtheit der Untersuchungseinheit) der Befundgattungen mit „Blechfibeln“. Befundgattung
Anzahl absolut
Anteil relativ
Einzelfunde33
337
53,0 %
Grabbefunde34
277
43,6 %
19
3,0 %
Deponierungen
3
0,5 %
Befunde gesamt
636
100,0 %
Siedlungsbefunde35
Nur geringfügig anders verteilt sich die Anzahl der insgesamt 875 „Blechfibeln“ auf die einzelnen Befundkategorien. Mit 426 Fibeln aus Einzelfunden (48,7 %) und 424 Exemplaren aus Grabbefunden (48,5 %) bilden diese Befundgattungen wiederum den Hauptanteil in der Untersuchungseinheit. 22 „Blechfibeln“ stammen aus Siedlungsbefunden (2,5 %), drei Exemplare sind aus Deponierungen (0,3 %) überliefert.36
31
32 33
34
35
36
Abweichungen der relativen Anteile, fehlende bzw. überzählige Prozentpunkte zu 100,0 % im Text und in den Tabellen resultieren aus Rundungsfehlern. Siehe Tab. 5. Waren keine nachvollziehbaren Angaben zu einem Befund mit „Blechfibeln“ zu erhalten bzw. vorhanden, wurde dieser als Einzelfund angesprochen. Komplett hinzugerechnet wurden hier die im Katalog unter VIII.2 Nicht lokalisierbare Fundorte aufgeführten Fundstellen. Alle Grabbauvarianten wie etwa Kurgane, Kammergräber und Katakombengräber sind hier unter der Kategorie „Grabbefund“ zusammengefasst. Bei einigen Funden von „Blechfibeln“ ließ sich nicht mit Sicherheit beurteilen, ob diese nun als Siedlungsbefunde oder als Einzelfunde kategorisiert werden sollten. Bei Zweifeln wurden die „Blechfibeln“ als Einzelfund eingestuft. Siehe Tab. 6.
209
Analyse
Tab. 6: Quellenlage. Absolute Anzahl und relative Verteilung von „Blechfibeln“ auf die Befundgattungen. Befundgattung
Anzahl absolut
Anteil relativ
Einzelfunde
426
48,7 %
Grabbefunde
424
48,5 %
22
2,5 %
3
0,3 %
875
100,0 %
Siedlungsbefunde Deponierungen „Blechfibeln“ gesamt
Aufgrund des hohen Anteils der Einzelfunde in der Untersuchungseinheit ist die Quellenlage bereits als problematisch zu bezeichnen. Die geringe Anzahl der als geschlossen anzusprechenden Befunde verschärft diesen Umstand jedoch nochmals um ein beträchtliches Maß.37 So sind von den 636 Befunden der Untersuchungseinheit lediglich 102 Grabbefunde mit „Blechfibeln“ (16,0 %) tatsächlich als geschlossen anzusehen. Bei den Deponierungen sind aufgrund der Umstände während der Bergung erhebliche Zweifel an ihrer Geschlossenheit und Vollständigkeit angebracht. Alle übrigen Befundgattungen liefern keine geschlossenen Befunde.38 Tab. 7: Quellenlage. Absolute Anzahl und relative Verteilung (im Vergleich zur Gesamtheit der Untersuchungseinheit) der geschlossenen und nicht geschlossenen Befunde mit „Blechfibeln“. Zur geographischen Verbreitung der einzelnen Befundkategorien mit „Blechfibeln“ siehe Karten 8–11). Befundgattung
Einzelfunde Grabbefunde
Anzahl absolut geschlossene Befunde – 102
Anteil relativ geschlossene Befunde
Anzahl absolut nicht geschlossene Befunde
Anteil relativ nicht geschlossene Befunde
–
337
53,0 %
16,0 %
175
27,5 %
Siedlungsbefunde
–
–
19
3,0 %
Deponierungen
–
–
3
0,5 %
Befunde gesamt
102
534
84,0 %
37
38
16,0 %
Die Ansprache eines Befundes als geschlossen erfolgte nach den Kriterien von Montelius, Die Methode 3–11 und Eggers, Vorgeschichte 91–93. Ferner wurden durch Beraubung gestörte, nicht fachmännisch ausgegrabene oder ausreichend dokumentierte Befunde als nicht geschlossen angesprochen. Siehe Tab. 7.
210
Methode und Analyse
Diese ernüchternde Bilanz wirkt sich zwangsläufig auch in erheblichem Maße auf die Anzahl der „Blechfibeln“ aus geschlossenen Befunden aus. Lediglich 155 Fibeln (17,7 %) sind aus geschlossenen Grabbefunden überliefert.39 Die Gründe für die schlechte Quellenlage sind vielgestaltig. Zunächst ist hierfür die Struktur der Gräberfelder anzuführen. Diese bestehen häufig nur aus einzelnen Grabbefunden oder kleineren Grabgruppen, die sich einer Entdeckung durch systematische Prospektionen weitestgehend entziehen und damit planmäßige, umfangreiche Ausgrabungen etwa im Vorfeld von Bauvorhaben nahezu unmöglich machen. Die Entdeckung von Befunden mit „Blechfibeln“ ist daher sehr häufig vom Zufall abhängig. Aus diesem Grund gelangten viele Funde erst nach der Bergung durch Laien in die entsprechenden Institutionen oder blieben gänzlich unbekannt. Nachgrabungen oder Ergänzungen der ohnehin spärlichen Angaben zur Dokumentation waren häufig nicht mehr möglich. Dies führt gleichzeitig zu dem problematischen Umstand, dass sehr viel Material aus Altgrabungen ohne ausreichender Dokumentation stammt, was häufig Zweifel an der Geschlossenheit und Überlieferung der publizierten Grabinventare aufkommen lässt.40 Tab. 8: Quellenlage. Absolute Anzahl und relative Verteilung (im Vergleich zur Gesamtheit der in der Untersuchungseinheit erfassten Exemplare; n=875) von „Blechfibeln“ auf die geschlossenen und nicht geschlossenen Befunde der Befundgattungen. Anzahl absolut geschlossene Befunde
Anteil relativ geschlossene Befunde
Anzahl absolut nicht geschlossene Befunde
Anteil relativ nicht geschlossene Befunde
Einzelfunde
–
–
426
48,7 %
Grabbefunde
155
17,7 %
269
30,7 %
Siedlungsbefunde
–
–
22
2,5 %
Deponierungen
–
–
3
0,3 %
Befunde gesamt
155
17,7 %
720
82,3 %
Befundgattung
39 40
Siehe Tab. 8. Beispielhaft hierfür: Kap. III.3.2 Die Frauengräber des 5. Jahrhunderts n. Chr. Zur Quellen- bzw. Publikationslage in Spanien siehe Kap. III.3.4.2 Die Quellenlage und die Konstruktion der Chronologiesysteme.
Analyse
211
Ein weiteres Problem hinsichtlich der Quellensituation bildet der unterschiedliche Forschungsstand in den einzelnen Ländern im Verbreitungsgebiet, der dort nochmals regional stark variieren kann: Dies ist nicht zuletzt auf verschiedenartige Interessens- bzw. Forschungsschwerpunkte der jeweils zuständigen Behörden zurückzuführen. Daneben sind pekuniäre Probleme anzuführen, die teilweise zu einer unbefriedigenden Publikationslage führten. Oftmals gründen die regionalen Schwankungen des Quellen- bzw. Forschungsstandes in unterschiedlichen Forschungstraditionen sowie in ideologischen Barrieren einzelner Länder, in denen erst seit wenigen Jahrzehnten wieder eine Beschäftigung mit dem archäologischen Material der Völkerwanderungszeit möglich ist.41 Unter Berücksichtigung dieser Faktoren bleibt somit zunächst festzuhalten, dass die Quellenlage als äußerst schlecht bezeichnet werden muss, die Auswahl bzw. Überlieferung der Befunde mit „Blechfibeln“ regional stark variieren kann und daher häufig eher zufälligen Charakter besitzt. Somit darf keineswegs davon ausgegangen werden, dass überall eine repräsentative Fundüberlieferung vorliegt. Die obigen Ausführungen zeigen das grundlegende Problem, welches mit dieser Fundgattung zusammenhängt, deutlich auf: Das Erkenntnispotential der „Blechfibeln“ ist durch die schlechte Quellenlage in jeglicher, jedoch v.a. in chronologischer und interpretativer Hinsicht erheblich eingeschränkt und wurde bisher bei weitem überschätzt. Vor dem Hintergrund der weiträumigen geographischen Verbreitung dieser Fundgattung werden die oben geschilderten problematischen Faktoren noch verschärft. Aufgrund der Erläuterungen zur Quellenlage darf und muss die geographische Verbreitung der Befunde mit „Blechfibeln“ keineswegs zwangsläufig als Abbild der ehemaligen Verhältnisse gewertet werden. Zur Interpretation eines geographischen Verbreitungsbildes sollten die Verbreitungs- bzw. Verteilungsmechanismen bekannt sein, um Aussagen bezüglich dessen Zustandekommens treffen zu können. Da dies aufgrund der den archäologischen Quellen unterliegenden zahlreichen Filtern nicht oder nur selten bekannt ist, muss begründet werden warum Funde und Befunde andernorts nicht vorliegen, ob sie tatsächlich dort nicht vorgekommen sind oder ob sie z. B. nur nicht erhalten geblieben, nicht in die Erde gekommen sind, nicht entdeckt werden konnten oder nicht gesucht worden sind. Die Punktstreuung auf einer Karte ist nur eine Stichprobe des einst vorhandenen Materials, des überlieferbaren Materials, des überlieferten, des aufgefundenen und in Museen aufbewahrten, des bisher publizierten Materials.42
41
42
Kazanski, Ukraine 375, 384. Hierzu auch Kap. II.4.1 Regionale und überregionale Materialvorlagen. Steuer, Verbreitungskarte 147.
212
Methode und Analyse
Für jede Auswertung von Verbreitungskarten gilt zudem die von Berta Stjernquist beschriebene methodische Einschränkung: Weisse Gebiete bedeuten nicht, daß dort diese Waren nicht vorkamen, sondern nur, dass man sie dort nicht aufgefunden hat. Es kann sich dabei um 0-Gebiete handeln, aber es muß faktisch auf andere Weise gezeigt werden, dass es sich wirklich so verhält.43
Angesichts dessen und aufgrund der oben beschriebenen, schlechten Quellensituation ist es daher nicht angebracht, anhand der geographischen Verbreitung von Befunden mit „Blechfibeln“ unmittelbare Schlüsse auf irgendwie geartete historische Vorgänge zu ziehen, zumal Untersuchungen zu Produktionsmustern und Verbreitungsmechanismen bisher nicht vorgenommen wurden, sondern die Ausbreitung dieser Fundgattung ausschließlich durch Migration von Personen erklärt wurde. Daher liegt in der Folge der Schwerpunkt zunächst auf der Beschreibung des geographischen Verbreitungsbildes der Befunde mit „Blechfibeln“, ohne bereits eine weitreichende Interpretation vorzunehmen. Die Befunde mit „Blechfibeln“ der oben definierten Untersuchungseinheit zeigen eine geographische Verbreitung zwischen dem Nordkaukasus bzw. Kaspischen Meer als östlichste und Zentralspanien (Kastilien) als westlichste Fundregion.44 Diese Region stellt gleichzeitig auch das südlichste Vorkommen von Befunden mit „Blechfibeln“ dar, während der am nördlichsten gelegene Fundpunkt am Mittellauf der Wolga zu verorten ist. Damit weisen die Befunde mit „Blechfibeln“ eine geographische Verbreitung auf, die sich quasi über das gesamte europäische Festland und somit über ein geographisches Gebiet enormen Umfangs erstreckt. Ein großer Unsicherheitsfaktor bei der Auswertung des Verbreitungsbildes stellt die große Zahl an „Blechfibeln“ dar, die nicht oder nicht mehr genau zu verorten sind. Hier ist von einer nochmaligen Verschiebung bzw. Verdichtung des Verbreitungsbildes im Gebiet der heutigen Ukraine und im Süden Rußlands auszugehen.45 Die dichteste Verbreitung weisen Befunde mit „Blechfibeln“ im Gebiet der mittleren Donau und nördlich der unteren Donau,46 der Ungarischen 43 44
45
46
Stjernquist, Verbreitungskarten 105. Die geographische Verbreitung der Untersuchungseinheit ist natürlich mit dem Arbeitsgebiet gleichzusetzten Siehe Karten 1–7. Nicht kartiert sind die im Katalog unter VIII.2, VIII.3 sowie VIII.4 aufgeführten „Blechfibeln“. Die Konkordanz zwischen den Nummern und den Fundorten findet sich in der sechsten Spalte (FO-Nr.) des Kataloges (VIII.1). Zur Definition der geographischen Begriffe mittlerer und unterer Donauraum: Jäger, Donau 7.
Analyse
213
Tiefebene, dem Karpatenbecken, in Muntenien (Walachei) sowie in der Moldau bis zum Dnjestr (Bessarabien) auf. Im Gebiet der heutigen Ukraine ist eine Häufung von Befunden im mittleren Dnjepr-Gebiet rund um den Kremenˇcug-Stausee zu erkennen. Insgesamt ist in dieser Region nördlich des Schwarzen Meeres keine so dichte Verbreitung festzustellen, wie in den Regionen nördlich der mittleren und unteren Donau. Die dichte Verbreitung der Fundorte mit „Blechfibeln“ nimmt in nördliche Richtung der beschriebenen Gebiete jedoch überall ab, eine kleine Massierung von Fundorten ist noch am Oberlauf des Bug zu beobachten. Eine weitere Konzentration von Befunden mit „Blechfibeln“ ist im südlichen Bereich der Halbinsel Krim, sowie südlich des Krimgebirges bis nach Kerˇc, dem Fundort mit der insgesamt höchsten Befunddichte mit „Blechfibeln“ auszumachen. Desweiteren finden sich Befunde mit „Blechfibeln“ auch in der Region auf der gegenüberliegenden Seite der Straße von Kerˇc (dem antiken kimmerischen Bosporus), der Taman-Halbinsel, im Kubangebiet sowie in lockerer Streuung auch im Nordkaukasusvorland bis zum Kaspischen Meer. Auf dem Balkan südlich der Donau ist nur eine geringe Zahl an Befunden mit „Blechfibeln“ überliefert. In Italien sind Befunde mit „Blechfibeln“ ebenfalls nur spärlich dokumentiert. Sie beschränken sich lediglich auf die Poebene und die Emilia-Romagna. Auch nördlich der Alpen in Süddeutschland sind Befunde mit „Blechfibeln“ rar, nur in der Pfalz und am Mittel- und Niederrhein sind wenige Funde bekannt. In Frankreich sind Befunde mit „Blechfibeln“ v. a. im Norden, der Champagne, der Île de France, der Picardie, der Normandie, sowie im Elsaß, im Burgund, der Auvergne und an der Loire verbreitet. An der äußerst spärlichen Fundlage in Aquitanien hat sich hingegen bis heute nach wie vor nichts geändert. Der bereits oben beschriebene Verbreitungsschwerpunkt in Spanien auf der kastilischen Meseta hat ebenfalls nach wie vor Bestand. Die beschriebenen Verbreitungszentren an der mittleren und unteren Donau, im nordpontischen Bereich und auf der Krim spielen nach wie vor aufgrund der Quantität und Qualität der dortigen Funde bei der (ethnischen) Interpretation der quantitativ insgesamt spärlicher vorhandenen Funde „Blechfibeln“ in Westeuropa häufig die entscheidende Rolle.47 Übersehen wird dabei jedoch, dass Befunde mit „Blechfibeln“ – trotz der einschlägi47
Siehe Kap. II Die Forschungs- und Deutungsgeschichte der „Blechfibeln“: Die Entwicklung der Interpretationsgrundlagen und Interpretationen sowie Kap. III Kritik der archäologischen Interpretationsgrundlagen, zuletzt: Müller-Wille, Prunkgräber 132.
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Methode und Analyse
gen Verbreitungsschwerpunkte – eine Gesamtverbreitung an der nördlichen Peripherie des Mittelmeerraumes und des Schwarzen Meeres aufweisen.48 Inwieweit für dieses Verbreitungsbild Faktoren wie unterschiedliches Beigabenverhalten bzw. ein Verzicht auf Beigabenausstattung verantwortlich gemacht werden können oder ob dies tatsächlich auf unterschiedliche Kulturmodelle – deren Unterschiedlichkeit dann zudem noch plausibel erklärt werden müsste, zurückzuführen ist – muss aufgrund der speziellen Quellenlage und den methodischen Einschränkungen, die sich aus den archäologischen Quellen ergeben, Gegenstand der Spekulation bleiben. 2.3 Stichprobe und Materialaufnahme Für eine materialgerechte Beurteilung und Analyse der „Blechfibeln“ ist eine Untersuchung im Original unerlässlich.49 Beeinflusst durch zahlreiche Faktoren, konnten jedoch nicht alle in der Untersuchungseinheit erfassten Fibelexemplare im Original untersucht werden. Die weite geographische Verbreitung dieser Fundgattung brachte hier einige Einschränkungen mit sich. Aufgrund großer Probleme bei der Kontaktaufnahme mit und nicht immer in gewünschtem Ausmaß vorhandener Kooperation einiger konservatorischer Einrichtungen konnten zahlreiche Fibelexemplare nicht untersucht werden.50 Dies hatte in erster Linie Auswirkungen auf die geographische Zusammensetzung der „Blechfibeln“ in der Stichprobe. So konnten beispielsweise nur jene russischen und ukrainischen Exemplare untersucht werden, die sich im Fundus von Museen außerhalb dieser Länder befinden. Deren Fundort bzw. Fundumstände kann heute aber nicht mehr genau ermittelt werden. Zudem sind zeitliche und pekuniäre Gründe dafür anzuführen, dass nicht alle Fibelexemplare im Original untersucht werden konnten. Gleichermaßen beschränkte die Zahl der untersuchten „Blechfibeln“ auch der Umstand, dass einige publizierte Fibelexemplare in mehreren Museen als im Krieg verschollen oder nicht mehr auffindbar verzeichnet sind. Deren Anzahl beträgt nach Informationen aus der Literatur und der besuchten Museen 59 Exemplare, die insgesamt 41 Befunden zuzuordnen sind.
48
49 50
So auch Sasse, „Westgotische“ Gräberfelder 161–162. Brather, Ethnische Interpretationen 265–268. Siehe Kap. IV.1 Methode. An dieser Stelle sei nochmals allen Institutionen, die eine Untersuchung der Fibelexemplare zuließen, mein herzlichster Dank ausgesprochen.
Analyse
215
Trotz dieser einschränkenden Faktoren konnten für die Analyse insgesamt 260 Fibelexemplare einer makroskopischen Untersuchung im Original unterzogen werden.51 Damit liegt für die sich anschließende Analyse keine Vollerhebung einer Grundgesamtheit, sondern eine Stichprobenerhebung vor.52 Dies stellt jedoch vor dem Hintergrund der ohnehin oft stark gefiltert überlieferten archäologischen Quellen, die quasi ebenfalls eine mehr oder weniger zufällig zustande gekommene Stichprobe darstellen, kein allzu großes Problem dar. Die Untersuchungen und Aussagen dieser Arbeit stützen sich darüber hinaus auch überwiegend auf die in der Stichprobe vertretenen Fibelexemplare. Die „Blechfibeln“ der Stichprobe verteilen sich folgendermaßen auf die unterschiedlichen Befundkategorien: 133 Exemplare stammen aus 86 als Gräber klassifizierten Befunden. Dabei sind 43 Fibelexemplare 29 geschlossenen Grabbefunden und 90 Fibeln 57 nicht geschlossenen Grabbefunden zuzuschreiben. Den zweitgrößten Anteil an der Stichprobe bilden aus Einzelfunden stammende „Blechfibeln“. Insgesamt sind 124 Fibelexemplare aus 97 derart kategorisierten Fundorten vertreten. Drei „Blechfibeln“ aus drei unterschiedlichen Siedlungszusammenhängen fanden ebenfalls Eingang in die Stichprobe. Von den drei als Deponierungen angesprochenen Befunde konnte keine „Blechfibel“ untersucht werden. Aus insgesamt 14 Befunden mit paarig vorkommenden Fibeln konnte eine Fibel erfasst werden.53 Die Stichprobe umfasst somit annähernd ein Drittel aller als „Blechfibeln“ definierten und in der Untersuchungseinheit erfassten Exemplare. Annähernd alle Befundkategorien sind zu gleichen Teilen abgedeckt.54 Da-
51 52 53
54
Zum Nachweis der Fibeln siehe VII Liste 1 Grundsätzlich zu Stichprobenerhebungen: Hartung, Statistik 18–19, 270–272. Duratón, Prov. Segovia Gräber 166, 179, 190, 486 (Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales); Mih˘al˘as¸eni, Jud. Boto¸sani Gräber 123, 297, 347 (S¸ovan, Necropola); Dinde¸sti (Erdengeleg) „Gr˘adina lui Negreanu“, Gem. Andrid, Jud. Satu Mare (Németi, Carei. Harhoiu, Völkerwanderungszeit in Rumänien 173); Mogo¸sani, Jud. Dîmbovit, a Grab 6 (Diaconu, Mogo¸sani 396–397; Abb. 12, 13.14); Sântana de Mure¸s (Marosszentana), Jud. Mure¸s Grab 55 (Kovács, Marosszentanna 303–304; Fig. 74 2a-b, 3a-b); Ilok (Cuccium) (Úljak), Vukovarsko-Srijemska Zupanija (Dimitrijevic´/ Kovacˇ evic´ / Vinski, Seoba naroda 76–77; Abb. 1, Taf. II, 2); Balsa, Szalbocs-Szatmár-Bereg Megye (Beninger, Westgotisch-alanischer Zug 17; Abb. 3); Kerˇc, Respublika Krym (Kühn, Süddeutschland 525; Taf. 220 51, 30); Fundort unbekannt: „Ungarn“ (Werner, Diergardt 28–29, Nr. 102; Taf 24.). Ferner wurden in einem Fall drei „Blechfibeln“ unbekannten Fundorts unter einer Befundnummer als Einzelfund zusammengefasst (Katalog-Nr. 529). Siehe Abb. 10.
216
Methode und Analyse
Abb. 10: Relativer Anteil (in Prozent) der nach Befundgattungen aufgeschlüsselten „Blechfibeln“ der Stichprobe in Bezug zu den Exemplaren aus den unterschiedlichen Befundgattungen in der Untersuchungseinheit.
her kann die Stichprobe als quantitativ ausreichend bzw. statistisch relevant angesehen werden. Die geographische Verbreitung der Befunde mit „Blechfibeln“ der Stichprobe umfasst nahezu das gesamte Verbreitungsgebiet dieser Fundgattung.55 Diese verteilen sich in Westeuropa von der Iberischen Halbinsel bis Frankreich. Der Fibelbestand in Italien ist komplett erfasst. Der mittlere Donauraum und die Ungarische Tiefebene sind in der Stichprobe ebenfalls ausreichend vertreten, ebenso Transsylvanien, die Moldau und Bessarabien. In der Fundregion Muntenien konnten hingegen nur wenige Exemplare erfasst werden. In der Stichprobe nicht vertreten sind Befunde mit „Blechfibeln“ südlich der unteren Donau. Nicht einbezogen werden konnten ferner Fibelexemplare aus den nördlich der Hauptverbreitungsgebiete gelegenen Regionen. Wenn auch überwiegend mit Einzelfunden ohne exakt nachzuvollziehender Provenienz sind in der Stichprobe „Blechfibeln“ aus dem Nordkaukasusvorland, der Ukraine und Rußland in ausreichendem
55
Siehe Karte 12. Aufgeschlüsselt nach Befundgattungen. Insgesamt konnten die Fundorte von 190 Fibelexemplaren der Stichprobe exakt verortet werden. Nicht kartiert sind die im Katalog unter VIII.2, VIII.3 und VIII.4 aufgeführten „Blechfibeln“.
Analyse
217
Maße vertreten. Somit ist neben der quantitativen auch die geographische Repräsentativität der Stichprobe gewährleistet. 2.4 Terminologie der Fibelbestandteile Vor der Merkmalsanalyse erfolgt an dieser Stelle eine kurze Erläuterung der für einzelne Fibelbestandteile zugrunde liegenden Terminologie.56 Nicht alle der hier beschriebenen Elemente müssen aber immer zwangsläufig zusammen an einer „Blechfibel“ vorkommen, was in der Individualität bzw. Heterogenität dieser Fibeln begründet liegt. Daher beschränkt sich diese Darstellung auf wesentliche Grundelemente. Sie soll v. a. der Übersicht sowie dem Verständnis über den allgemeinen Aufbau, der technischen Konstruktion sowie dem Aussehen einer „Blechfibel“ dienen. Grundsätzlich ist der Aufbau und das Aussehen einer „Blechfibel“ mit dem einer Bügelfibel zu vergleichen. Der Fibelkörper einer „Blechfibel“ besteht aus einer in der Regel planen Spiralplatte, die über einen Bügel mit der Hakenplatte auf unterschiedlichste Weise verbunden ist.57 Diese funktionalen Begriffe werden deshalb den üblicherweise verwandten Bezeichnungen „Kopf(-platte)“ bzw. „Fuß(-platte)“ vorgezogen, weil damit keine Hinweise auf eine vermeintlich spezifische Trageweise impliziert werden, die bei geschlossenen Befunden mit „Blechfibeln“ ohnehin nicht gegeben ist.58 Auf der Oberseite59 einer „Blechfibel“ können mehrere Elemente angebracht sein, die einerseits der Verzierung dienen und andererseits funktionale Bedeutung haben. Palmetten, Appliken, Blech oder Draht am Bügelende sind individuell angefertigte Verzierungen, die äußerst variabel an den Bügelenden und/oder auf der Spiral- und Hakenplatte angebracht sind. Teilweise übernehmen diese eine stabilisierende Funktion bei der Verbindung zwischen Bügel und der Spiral- und Hakenplatte. Gleichermaßen 56
57
58
59
Eine ausführliche Erläuterung der Merkmale und deren Ausprägungen wird im nächsten Kapitel gegeben. Siehe Abb. 11. Eine detaillierte Beschreibung der unterschiedlichen technischen Lösungen erfolgt in Kap. IV.2.11.2 Konstruktionsvarianten sowie bei der Analyse der ornamentalen und technischen Merkmale. Siehe Kap. V.1.1.1 Lagebefunde. Stark, Fibeln 139 hält die übliche Terminologie ebenfalls für ungeeignet. Allerdings verweist er auf die für ihn vermeintlich spezifische Ausrichtung der „Blechfibeln“ im Grabbefund mit der Spiralplatte nach unten und der Hakenplatte nach oben. Die Verwendung der Begriffe „Oberseite“ und „Rückseite“ entspricht der von Abb. 11.
218
Methode und Analyse
individuell und nicht immer vorhanden ist die Ausführung und Anbringung unterschiedlicher Appliken auf der Spiralplatte. Die Mittelleisten und die Appliken am Mittelknopf können sowohl der Verzierung als auch der Fixierung funktionaler Bestandteile wie der Spiralkonstruktion als auch zur Befestigung des allerdings nicht immer zwangsläufig vorhandenen Mittelknopfes dienen. Der stets mittig am obersten60 Punkt des Randes der Spiralplatte platzierte Mittelknopf kann ebenfalls mehrere Funktionen übernehmen. Er stellt nicht nur ein Verzierungselement dar, sondern wird bei manchen Konstruktionsvarianten von „Blechfibeln“ auch zur Verbindung von Spiralkonstruktion und Spiralplatte eingesetzt. Auch die nicht immer zwangsläufig notwendige bzw. vorhandene, randlich an der Spiralplatte angebrachte Seitenleiste dient nicht nur zur Verzierung der Spiralplatte, sondern kann auch – neben der Achshalterung – eine Funktion als Abstandhalter bei doppelt vorhandenen Spiralachsen sowie zur Fixierung der Spiralkonstruktion einnehmen. Befinden sich an einer „Blechfibel“ seitlich an den Rändern der Spiralplatte angebrachte Knöpfe, sind diese häufig auf die Enden der Spiralachse gesteckt und können so einerseits der Verzierung und andererseits auch der Stabilisierung der Seitenleisten dienen. Die allen „Blechfibeln“ eigene, verdeckte Spiralkonstruktion auf der Rückseite der Spiralplatte setzt sich ebenfalls aus mehreren Bestandteilen zusammen. Diese können wiederum auf unterschiedlichste Weise konstruiert sein. Im Wesentlichen sind es jedoch vier Elemente, aus denen die Spiralkonstruktion besteht. Das nahezu ausschließlich mittelständig angebrachte Achslager bzw. die Achshalterung, durch variierende technische Lösungen an der Spiralplatte fixiert, kann ein- oder mehrfach durchlocht sein und bildet die Führung für die Spiralachse. Um letztere ist die Spirale mehrfach gewickelt bzw. bereits gewickelt sekundär auf diese gesteckt. Die Spirale befindet sich an beiden Seiten des Achslagers, und sorgt damit für eine feste Position der sich aus der Spirale verlängernden Nadel. Diese Konstruktion macht für die Spirale häufig eine Sehne zur Überbrückung des dazwischenliegenden Achslagers obligat. Als Gegenstück zum Nadelhalter sorgt die Sehne zudem durch Druck gegen die Spiralplatte oder durch Fixierung am Achslager für den für die Federung notwendigen Widerstand. Die Nadel als Bestandteil der Spirale verläuft, von der um die Spiralachse gewundenen Spirale ausgehend, mittig unter dem Bügel entlang und wird vom Nadelhalter aufgenommen. Der auf der Rückseite der Hakenplatte angebrachte Na60
Die auch bei der Beschreibung der Merkmale verwandten Richtungsangaben wie „oben“ oder „unten“ folgen dem Schema von Abb. 12: Metrische Merkmale.
Analyse
Abb. 11: Schematische Darstellung einer „Blechfibel“.
219
220
Methode und Analyse
delhalter dient zur Fixierung des losen Endes der federnden Nadel und sorgt somit für den zweiten notwendigen Druckpunkt und die notwendige Spannung. Für dieses beschriebene Grundprinzip der Spiralkonstruktion gibt es zahlreiche unterschiedliche technische Lösungen.61 2.5 Merkmalsdefinition Die Auflistung und kurze Beschreibung der unterschiedlichen Fibelmerkmale sowie deren Ausprägungen folgt keinerlei chronologisch zu verstehendem Prinzip. Zur Verbesserung der Übersichtlichkeit und aufgrund der später vorgenommenen analytischen Trennung in diese Merkmalskategorien erfolgt die Darstellung der aufgenommenen Merkmale nach metrischen, formalen, technischen und ornamental-funktionalen Merkmalen getrennt. 2.5.1 Metrische Merkmale Der Schwerpunkt bei der Erfassung der metrischen Merkmale liegt bei der Erfassung der Länge und Breite der Spiralplatte, des Bügels sowie der Hakenplatte. Damit sind die grundlegenden Bestandteile einer „Blechfibel“ in den entscheidenden metrischen Parametern erfasst. Die Genauigkeit der gemessenen Werte ist teilweise durch den hohen Fragmentierungsgrad der Fibelexemplare beeinträchtigt. Einige metrische Merkmale ergänzen die formalen Merkmalsausprägungen. Dies gilt v. a. für die nähere Ansprache der deltoiden Hakenplattenform, die äußerst variabel ausfällt. Hier erfolgt eine nähere Spezifizierung auf der Grundlage der Abstandsmessung zwischen Hakenplattenansatz bzw. -spitze (LHakenplattenansatz-Mitte, LHakenplattenspitzeMitte) und der größten Breite der Hakenplatte (Bmax), um dieses Merkmal in der Vielfalt seiner Ausprägungen erfassen zu können. Zur Vergleichbarkeit werden ferner alle Hakenplattenformen, die ihre größte Breite nicht am Bügelende haben, erfasst. Daneben wird ebenfalls die Gesamtlänge der Fibelexemplare gemessen.
61
Hierzu siehe Kap. IV.2.11.2.2 Spiralkonstruktion.
Analyse
Abb. 12: Metrische Merkmale.
221
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Methode und Analyse
Gesamtlänge62 Lmax: Maß der gesamten Fibellänge einschließlich aller Appliken. Spiralplatte Lmax: Maß des größten Abstandes zwischen unterem (Bügel) und oberem Ende. Mittelknopf oder Dorn wurden bei diesem Maß nicht berücksichtigt. Bmax: Maß des größten Abstandes zwischen den seitlichen Enden. Seitliche Knöpfe und andere Appliken (Seitenleisten o. ä.) wurden bei diesem Maß nicht berücksichtigt. Bügel Lmax: Maß der maximalen Länge von Bügelende zu Bügelende auf der Fibeloberseite. Bmax: Maß der Breite in der Bügelmitte (am höchsten Punkt). Hakenplatte Lmax: Maß des größten Abstandes zwischen unterem und oberem Ende (Bügel). Bmax: Maß der größten Breite (ohne Rundeln). LHakenplattenansatz-Mitte: Maß vom Hakenplattenansatz (Bügel) zur größten Breite der Hakenplatte. LHakenplattenspitze-Mitte: Maß vom Hakenplattenende zur größten Breite der Hakenplatte. 2.5.2 Formale Merkmale Zum Zwecke der Analyse werden aufgrund der äußerst großen Variabilität der Merkmalsausprägungen der formalen Merkmale Grundformen festgelegt. Mit dieser notwendigen Vereinfachung geht ein beträchtlicher Informationsverlust einher, der jedoch allen Klassifikationen eigen ist. Diese bis zu einem gewissen Grad stets subjektive Ebene dieser Klassifikation stellt jedoch kein schwerwiegendes Problem dar, da dies auf nachvollziehbare Weise erfolgt.63 Zudem können die vorgenommenen Vereinfachungen durch die Erfassung der oben beschriebenen metrischen Merkmale näher beschrieben werden. Die Einteilung der unterschiede-
62 63
Siehe Abb. 12. Die Abkürzungen gelten für die Beschriftungen auf der Abbildung. Siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis. Kubler, Form der Zeit 75.
Analyse
223
nen formalen Merkmalsausprägungen erfolgt nach einer ausgearbeiteten Liste von Grundformen.64 Spiralplatte halbrund: Die Spiralplatte hat eine halbrunde Grundform. Die Ecken an den unteren Seiten können gerundet sein. halbrund/ Dorn: Wie vorherige Form, aber mit ausgearbeitetem (mitgegossen/ ausgetrieben) Dorn am obersten, mittigen Punkt der Spiralplatte (Fixierung des Mittelknopfes oder des mittelständigen Achslagers). dreieckig/ gekappte Ecken: Die Form der sechseckigen Spiralplatte entspricht der eines gleichschenkligen Dreiecks mit gerade abgeschnittenen Ecken. viereckig: Die Spiralplatte hat eine viereckige Grundform. fünfeckig/ spitz: Die Spiralplatte ist unregelmäßig fünfeckig. Die im unteren Bereich viereckige Spiralplatte läuft im oberen Bereich mittig spitz (giebelförmig) zu. fünfeckig/ spitz/ Dorn: Wie vorherige Form, aber mit Dorn. halbrund/ abgeschrägte Seiten: Die Form der Spiralplatte entspricht einem Halbkreis, der seitlich schräg abgeschnitten wurde. Die Spiralplatte verbreitert sich von oben nach unten. halbrund/ abgeschrägte Seiten/ Dorn: Wie vorherige Form, aber mit Dorn (in der Stichprobe nicht vorhanden). gerundet: Die Spiralplatte hat eine rundliche, langovale Form und weist keine Ecken auf. dreieckig: Die Spiralplatte hat eine dreieckige Grundform. halbrund/ gerade Seiten: Die Form der Spiralplatte entspricht einem Halbkreis, der seitlich gleichmäßig gerade abgeschnitten wurde. halbrund/ gerade Seiten/ Dorn: Wie vorherige Form, aber mit Dorn (in der Stichprobe nicht vorhanden). 64
Siehe Abb. 13.
224
Methode und Analyse
Bügel Die formalen Merkmalsausprägungen des Bügels (n=5) wurden nach der von Göldner, Bügelfibeln 322; Taf. 1 vorgeschlagenen Klassifikation eingeteilt. Die Kategorisierung einer Bügelform wurde aufgrund der Maße der Werte der größten Breite an den Bügelenden der Spiral- und Hakenplatte sowie am höchsten Punkt des Bügels vorgenommen. Hakenplatte deltoid: Die Hakenplatte hat eine deltoide Grundform. Die variierende Position der größten Breite wird durch metrische Merkmale näher definiert. rautenförmig: Die Hakenplatte ist rautenförmig. länglich-rhombisch: Die Hakenplatte hat eine länglich-ovale Grundform. Die variierende Position der größten Breite wird durch metrische Merkmale näher definiert. rechteckig: Die Hakenplatte hat eine langrechteckige Grundform. Das untere Ende ist gerundet oder gerade abgeschnitten (in der Stichprobe nicht vorhanden). länglich: Die Hakenplatte ist trapezförmig. Die größte Breite befindet sich am oberen Bügelende und verjüngt sich geradlinig zum unteren gerundeten oder gerade abgeschnittenen Ende. länglich/ nach außen geschwungen: Die Hakenplatte hat eine längliche Grundform. Die Seiten verbreitern sich von oben (Bügelende) bis zum mittleren Bereich leicht nach außen und laufen dort gegen das untere Ende wieder konisch zusammen. Der Verlauf ist leicht geschwungen oder geradlinig, das untere Ende der Hakenplatte ist gerundet oder gerade. länglich/ nach innen geschwungen: Die Hakenplatte hat eine längliche Grundform. Ihre Seiten verlaufen von oben (Bügelende) bis zum mittleren Bereich geradlinig und verjüngen sich zum unteren Ende hin. Der Verlauf ist leicht geschwungen oder geradlinig. Das untere Ende der Hakenplatte ist gerundet oder flach.
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225
Abb. 13: Schema der unterschiedenen formalen Merkmalsausprägungen der Spiralplatte, des Bügels und der Hakenplatte.
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2.5.3 Technische Merkmale Neben der formenkundlichen Analyse der metrischen und formalen Merkmale liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Untersuchung technischer und ornamentaler Merkmale. Die unterschiedlichen technischen Lösungen bestimmen zu einem gewissen Teil das Aussehen der Fibeln. Durch die Analyse dieser Merkmalskategorien ist es daher möglich, Zusammenhänge zwischen Werkstattkreisen und Verbreitungsmechanismen von „Blechfibeln“ zu erkennen. Diese zwei Faktoren sind für die Interpretation dieser Fundgattung wesentlich, wurden bislang aber oft nicht ausreichend berücksichtigt.65 Die technischen und ornamentalen Merkmale sind häufig so individuell ausgeführt, dass eine Kategorisierung erschwert ist und Übereinstimmungen zwischen Fibelexemplaren folglich separat beschrieben werden müssen. Zudem waren durch den hohen Fragmentierungsgrad mancher Fibelexemplare Aussagen zu diesen Merkmalskategorien nicht immer möglich, was einen erheblichen Informationsverlust bedeutet. Die Erfassung bzw. Aufnahme aller Merkmale erfolgt (auch bei paarig vorliegenden Fibelexemplaren) nur aufgrund der tatsächlich vorhandenen bzw. makroskopisch beobachtbaren Merkmale. Grund hierfür ist die auch bei paarigen Fibeln mehrfach vorliegende unterschiedliche Konstruktionsweise. Bei starker Fragmentierung oder dem Fehlen v. a. technischer und ornamentaler Merkmale kann nicht auf eine spezifische Konstruktion oder das Vorhandensein eines Merkmales geschlossen werden. Fibel- und Spiralkonstruktion: Die Varianten der unterschiedlichen Fibel- und Spiralkonstruktionen in der Stichprobe werden aufgrund ihrer Vielfalt in separaten Kapiteln beschrieben.66 Nadelhalter:67 Die Aufnahme der Ausprägungen des Nadelhalters folgt der Einteilung von Göldner, Bügelfibeln 322; Taf. 1. Ergänzt wird diese durch weitere, in der Stichprobe beobachtete Varianten. Unter dem Begriff „Tülle“ werden Nadelhalter subsumiert, die aus einem spitz zulaufendem Röhrchen (Tülle) bestehen.68 Nadelhalter mit gewindeartig geformter Tülle werden getrennt 65
66 67 68
Zur Definition von Werkstattkreisen siehe Kap. IV.4 Nachweisbare Produktionsmuster und Verbreitungsmechanismen anhand der Analyse von „Blechfibeln“. Siehe Abb. 14 sowie Kap. IV.2.11.2 Konstruktionsvarianten. Siehe Abb. 14. Lucas/ Viñas, Tecnología 398; Fig 4.
Analyse
227
Abb. 14: Schema der unterschiedenen technischen Merkmalsausprägungen.
erfasst. Ist die Rückseite der Hakenplatte tüllenartig aufgebogen, wird diese Nadelhalterkonstruktion ebenfalls separat aufgenommen. In der Stichprobe ebenfalls vertreten sind sowohl die üblicherweise als „hohe Nadelhalter“ bezeichneten Varianten als auch die nach dem Prinzip des „umgeschlagenen Fußes“ angefertigten Nadelhalter.69 69
Beispielhaft hierfür: Almgren, Nordeuropäische Fibelformen Taf. IX sowie Taf. VII, Nr. 182.
228
Methode und Analyse
Eine weitere Differenzierung wird aufgrund der Fixierung des Nadelhalters vorgenommen. Es kann jedoch bei der makroskopischen Betrachtung nicht immer klar entschieden werden, auf welche Weise die Nadelhalter an der Hakenplatte angebracht ist. Zur Lagebestimmung des Nadelhalters auf der Hakenplatte ist diese in drei gleich große Teile bzw. Abschnitte (oberer Bereich = erstes Drittel ab Bügelende/ mittlerer Bereich = mittleres Drittel/ unterer Bereich = unteres Drittel bis Hakenplattenende) eingeteilt.70 2.5.4 Ornamental-funktionale Merkmale Für die Analyse der ornamental-funktionalen Merkmale gelten ebenfalls die im vorigen Kapitel gemachten Erläuterungen und Einschränkungen. Mittelknopf/ Seitliche Knöpfe:71 Die Merkmalsausprägungen des Mittelknopfes und der seitlichen Knöpfe werden nach dem Schema von Göldner, Bügelfibeln 322; Taf. 1 klassifiziert, zudem aber um einzelne Ausprägungen erweitert. Als „vollplastisch“ wird die mit Abstand am häufigsten beobachtete, pilzartige Form der Knöpfe bezeichnet. Als „knospenartig“ werden Knöpfe einer geschlossenen, überwiegend dreigliedrigen (-blättrigen) Form angesprochen. „Tierkopfartige“ Knöpfe haben die Gestalt eines nicht näher zu identifizierenden Tierkopfes. Die Gesichtszüge sind dabei nicht immer näher bestimmbar bzw. ausgearbeitet. Daneben sind noch „dornartige“ Knöpfe langovaler Form zu unterscheiden, die häufig zu einem spitzen Ende zulaufen. Die ergänzten Ausprägungen der Knöpfe werden aufgrund ihres Motivs für die strukturelle Analyse vereinfacht zusammengefasst.72 Die Knöpfe sind nicht einheitlich ausgeführt. Deshalb werden in den entsprechenden Kapiteln bei vorliegenden auffälligen Ähnlichkeiten diese Kategorien nochmals näher beschrieben, weiter differenziert, bzw. zusammengefasst.
70
71 72
Lag die Hakenplatte zwischen zwei Bereichen, wurde die Lage dem Bereich zugeschrieben, den der größere Teil des Nadelhalters abdeckte. Bei mittiger Lage wurden beide Bereiche genannt. Siehe Abb. 15. Mit der terminologischen Ansprache der unterschiedenen formalen Knopfausprägungen ist keine Interpretation beabsichtigt. Zudem hängt eine Unterscheidung der Knopfausprägungen stets vom Grad der Abstraktion ab.
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Appliken Spiralplatte: Aufgrund der formalen, technischen und ornamentalen Vielfalt erfolgt die Beschreibung der Appliken der Spiralplatte im entsprechenden Analysekapitel.73 Die Auswahl folgt überwiegend dem in der Stichprobe vertretenen Material und ist daher nicht vollständig. Seitenleisten: Aufgrund der formalen, technischen und ornamentalen Vielfalt erfolgt die Beschreibung der Seitenleisten im entsprechenden Analysekapitel.74 Die dortige Beschreibung ist überwiegend auf dem in der Stichprobe vertretenen Material beschränkt und daher nicht vollständig. Verzierung Bügelende:75 Aufgrund der formalen, technischen und ornamentalen Vielfalt erfolgt die Beschreibung der Appliken separat. Die dortige Beschreibung ist überwiegend auf dem in der Stichprobe vertretenen Material beschränkt und daher nicht vollständig. Einzig die Ausprägungen der Drähte am Bügelende erfolgten nach dem Schema von Wolters, Filigran 1067–1071; Abb. 1.76 Mechanische Verzierungen: Hierunter werden die durch Ziselieren77 auf der Oberfläche des Fibelkörpers angebrachten Verzierungen verstanden. Obwohl alle mechanischen Verzierungen mittels dieser Technik auf der Fibeloberfläche angebracht wurden, kann hier zwischen mehreren Verzierungsmustern und -strukturen unterschieden werden. Differenziert werden die mechanischen Verzierungen einerseits nach dem Bereich ihrer Anbringung auf dem Fibelkörper (Spiral- und/ oder Hakenplatte), andererseits nach ihrem Verlauf (flächig/ randlich/ Verzierung verläuft speichen- bzw. strahlenförmig vom Bügelende zum Rand der Fibel). Punzen:78 Die Ausprägungen der durch Ziselieren mit Musterpunzen angebrachten Verzierungen folgen der von Göldner, Bügelfibeln 328; Taf. 7 vorgeschlagenen Kategorisierung. In der Stichprobe sind die Formen a, b und g ver73 74 75 76 77
78
Siehe Kap. IV.2.12.1.4 Appliken. Siehe Kap. IV.2.12.1.1 Seitenleisten. Siehe Abb. 15. Siehe auch: Frick, Scheibenfibeln Abb. 7. Technische Erläuterungen zu den das Ziselieren umfassenden Begriffen bzw. Techniken: Brepohl, Theorie und Praxis 425–429. Hammer/ Voss, Glossar 330. Siehe Abb. 15.
230
Methode und Analyse
Abb. 15: Schema der unterschiedenen ornamentalen Merkmalsausprägungen.
Analyse
231
teten. Ergänzt wurden kleine, nadelstichartige und länglich verlaufende Strichpunzen, die in doppelten, linear verlaufenden Reihen gesetzt sind. Ferner Punktpunzen, die einen halbrund eingetieften Abdruck auf der Fibeloberfläche hinterlassen. Von der Fibelrückseite gepunzte, sich auf der Oberseite wölbende mechanische Verzierungen werden ebenso wie durch die Spiral- und Hakenplatte durchgestanzte, halbmondförmige Verzierungen unterschieden. Lineare Verzierung: Mit einer Schrotpunze angebrachte, randlich verlaufende und somit auch der Form der Spiral- und/ oder Hakenplatte folgende, lineare Verzierung. Motiv: Mit einer Schrotpunze angebrachtes, geritztes Motiv. Das nur einmal in der Stichprobe vertretene Motiv ist sonnenähnlich. Tremolierstich:79 Als „Tremolierstich“ (Wolfzahnmuster) wurde eine zickzackförmige, häufig randlich auf der Oberseite der Spiral- und Hakenplatte umlaufende Verzierung bezeichnet, die ebenfalls durch Ziselieren angebracht wurde.80 2.6 Merkmalsanalyse Im Folgenden wird eine Merkmalsanalyse auf der Grundlage der in der Stichprobe vertretenen Fibelexemplare unternommen. Die Analyse erfolgt zunächst nach den oben beschriebenen Merkmalskategorien getrennt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Beschreibung der Merkmalsentwicklung sowie auf der Aufdeckung von strukturellen Regelhaftigkeiten der unterschiedenen Merkmale und deren Ausprägungen im Fibelmaterial der Stichprobe. Hieran schließt sich eine Untersuchung bezüglich Korrelationen von Merkmalen der unterschiedlichen Kategorien an. Die Analysen konzentrieren sich zunächst auf die strukturelle Untersuchung der metrischen und formalen Merkmale. Die Ergebnisse dieser Analysen bilden in der Folge das Grundgerüst für die anschließenden strukturellen Untersuchungen der technischen und ornamental-funktionalen Merkmale. Eine Gewichtung bzw. Hierarchisierung der Merkmalskategorien wird dadurch 79 80
Siehe Abb. 15. Technische Ausführungen zum „Tremolierstich“ bei: Lowery/ Savage/ Wilkins, Bronzeworking 179; Taf. XII, e.
232
Methode und Analyse
nicht beabsichtigt. Die analytische Trennung bietet sich aufgrund des noch stärker ausgeprägten Grades der individuellen Ausprägungen der technischen und ornamental-funktionalen Merkmale an. Ziel der Merkmalsanalyse ist eine auf Korrelationen von strukturellen Merkmalsanalysen gründende, nachvollziehbare Ordnung der „Blechfibeln“. Alle Untersuchungen werden nur anhand des Fibelmaterials der Stichprobe vorgenommen, das einer makroskopischen Untersuchung unterzogen wurde.81 Die häufig vorliegende fragmentarische Erhaltung der Fibelexemplare führte dazu, dass nicht immer alle Merkmale an einer „Blechfibel“ erfasst werden konnten, weshalb die Anzahl der in der Analyse berücksichtigten Objekte von Merkmal zu Merkmal variiert. 2.6.1 Analyse der metrischen Merkmale Die Analyse der metrischen Merkmale der „Blechfibeln“ der Stichprobe gliedert sich in die Betrachtung der Gesamtlänge der Fibelexemplare, der sich eine Beschreibung der Längen und Breiten der Spiral- und Hakenplatte sowie des Bügels anschließt. Darauf folgt eine Untersuchung der Verhältnisse zwischen Länge und Breite der einzelnen Fibelbestandteile. Nach dieser Untersuchung werden diese in der Relation zur Gesamtlänge analysiert. Die Betrachtung der metrischen Merkmale ist stets nach zunehmenden Werten geordnet. Bei dem Vergleich der Längen- und Breitenwerte ist die Gruppierung nach der Länge ausschlaggebend. Die anschließende Untersuchung dieser Werte in Relation zur Gesamtlänge wird nach deren aufsteigenden Werten vorgenommen. Die Analyse der metrischen Merkmale erfolgt ohne eine weitere, vorab vorgenommene Gliederung der „Blechfibeln“ der Stichprobe. Insgesamt konnte die Gesamtlänge bei 177 Fibelexemplaren komplett erfasst werden. Das Diagramm zeigt,82 dass die Werte kontinuierlich ansteigen, ohne dass signifikante Abweichungen ausgemacht werden können, was auch der hohe Bestimmungskoeffizient (R2) bestätigt.83 Die überwiegende Anzahl 81 82 83
Ausnahmen werden vom Verfasser stets explizit gemacht. Siehe Abb. 16. Bestimmungskoeffizient (R2): Die dargestellte lineare Trendlinie ist eine optimierte gerade Linie, die für einfache lineare Datenmengen verwendet wird. Daten sind linear, wenn das Muster der Datenpunkte einer Linie ähnelt. Eine lineare Trendlinie zeigt die gleichmäßige Zunahme oder Abnahme von Werten an. Das Bestimmtheitsmaß bzw. der Bestimmungskoeffizient R2 ist eine Zahl, deren Wert zwischen 0 und 1 betragen kann und die den Grad der Übereinstimmung zwischen den geschätzten Werten für eine Trendlinie und deren tatsächlichen Daten anzeigt. Die Verlässlichkeit
Analyse
233
der „Blechfibeln“ der Stichprobe hat eine Länge zwischen fünf und 18 Zentimetern. Lediglich die großen Exemplare mit einer Länge ab etwa 21 Zentimetern heben sich hiervon ab, was zum einen mit dem begrenzten Stichprobenumfang in Zusammenhang stehen kann, zum anderen handelt es sich hier aber auch um exzeptionelle Exemplare, wie die Fibeln von TatabányaSárberek, Komárom-Esztergom Megye84 oder zwei Exemplare unbekannter Provenienz aus dem Museu d’Arqueologia de Catalunya in Barcelona.85 Die Anzahl der Fibeln der Stichprobe mit nachvollziehbarer Länge der Spiralplatte beläuft sich auf 210 Exemplare. Auch hier ist ein kontinuierlicher Anstieg der Kurve zu beobachten, der keine signifikanten Abweichungen erkennen lässt. Die bereits bei der Gesamtlänge erwähnten Fibelexemplare mit den „Extremwerten“ bilden wiederum Ausnahmen.86 Ein nahezu identisches Bild wie bei der Untersuchung der Gesamtlänge ergibt sich bei der Betrachtung der Breite der Spiralplatte. Die 210 Exemplare, bei denen die Breite der Spiralplatte vollständig nachvollzogen werden kann, zeigen nach der Größensortierung einen kontinuierlich ansteigenden Verlauf ohne signifikante Abweichungen.87 Bei dem Hauptanteil der Fibeln streuen die Werte der Spiralplattenbreite etwa zwischen zwei und acht Zentimetern. Werte über zehn Zentimeter erreicht das Fibelpaar aus Grab 575 von Duratón, Prov. Segovia.88 Die Exemplare von Tatabánya-Sárberek, Komárom-Esztergom Megye weisen mit 10,7 bzw. elf Zentimetern hier wiederum die Spitzenwerte auf. Bei 188 Exemplaren der Stichprobe ist die Länge der Hakenplatte vollständig erfasst worden. Der kontinuierliche Anstieg der Werte zwischen zwei und etwa 11,5 Zentimetern, in den der größte Teil der Fibeln fällt, wird hier wiederum nur durch die Werte der bereits vorher genannten Fibeln unterbrochen.89 Auch bei der Betrachtung der Werte der maximalen Breite der Hakenplatte, die bei 188 Exemplaren der Stichprobe gemessen werden konnte, zeigt das Diagramm ebenfalls einen flachen und kontinuierlich ansteigenden Kurvenverlauf ohne signifikante Abweichungen bei den Werten zwischen 1,3 und drei Zentimetern. Auch hier weisen wiederum die einschlägigen „Blechfibeln“ die höchsten Werte von bis zu 4,1 Zentimetern auf.90
84 85 86 87 88 89 90
einer Trendlinie ist am größten, je näher sich der Betrag des Bestimmtheitsmaßes dem Wert 1 nähert: Hartung/ Elpelt, Multivariate Statistik 144–151. Szatmári, Tatabánya 37–42; Taf. XII–XV, XX. Almagro Basch, Barcelona 36; Taf. VII, 8. Koenig, Westgotische Kunst Taf. 55. Siehe Abb. 17. Siehe Abb. 18. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 43; Taf. LIV, 1. Siehe Abb. 19. Siehe Abb. 20.
234
Methode und Analyse
Abb. 16: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Gesamtlänge
Abb. 17: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Länge der Spiralplatte
Auch die bei 233 Exemplaren gemessenen Werte der Länge des Bügels zeigen einen flachen und kontinuierlichen Anstieg der Kurve zwischen zwei und fünf Zentimetern.91 Die Höchstwerte mit 5,8 Zentimetern Länge weisen hier ein Fibelpaar aus Grab 590 des Gräberfeldes von Duratón, Prov. Segovia92 und die zwei bereits oben beschriebenen Fibeln unbekannten Fundorts aus dem Museum in Barcelona auf. Die bei 233 Exemplaren erfassten 91 92
Siehe Abb. 21. Molinero-Pérez, Excavaciones y hallazgos casuales 43; Taf. LVI, 1.
Analyse
235
Abb. 18: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Breite der Spiralplatte
Abb. 19: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Länge der Hakenplatte
Werte der Breite des Bügels steigen ebenfalls zwischen 0,3 und 1,8 Zentimetern kontinuierlich an.93 Die größten Breitenwerte weisen hier die Exemplare von Beire-le-Châtel, Dép. Côte-d’Or auf.94 Bei der Betrachtung der metrischen Merkmale können keine signifikanten Abweichungen im kontinuierlichen Kurvenverlauf erkannt werden. Eine Gruppenbildung anhand des einen oder anderen metrischen Merk93 94
Siehe Abb. 22. Vallet/ Kazanski, Éléments étrangers 121–122; Fig. 5, 6–7.
236
Methode und Analyse
Abb. 20: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Breite der Hakenplatte
mals vorzunehmen, ist somit nicht möglich. Hieraus ist zu schließen, dass mit der allgemeinen Vergrößerung der Fibelexemplare eine annähernd als proportional zu bezeichnende Größenzunahme der untersuchten metrischen Merkmale einhergeht. Das Verhältnis zwischen der Länge und der Breite der Spiralplatte ist an insgesamt 210 „Blechfibeln“ zu erfassen. Feststellbar ist hier, dass sich mit der Zunahme der Werte der Breiten auch die der Längen der Fibelexemplare vergrößern. Eine proportionale Zunahme zwischen der Länge und der Breite der Spiralplatte ist bei den Exemplaren der Stichprobe jedoch nicht auszumachen, da erhebliche Varianzen von bis zu fünf Zentimetern bei den Längenwerten und bis zu drei Zentimetern bei den Werten der Breite im Vergleich zu beobachten sind.95 An 188 Fibelexemplaren konnte das Verhältnis der Werte zwischen der Länge und der Breite der Hakenplatte untersucht werden. Insgesamt kann ein leichter Anstieg beider Werte beobachtet werden, der allerdings nicht als proportional zu bezeichnen ist. Vielmehr streuen die Breitenwerte (zwischen einem und ca. vier Zentimetern) über große Längenbereiche, d. h. die jeweiligen Längen der Hakenplatten weisen sehr variable Breitenwerte auf. Besonders auffällig ist dies im Längenbereich bis sechs und ab neun Zentimetern, wobei aber auch die Werte dazwischen nicht einheitlich sind.96 95 96
Siehe Abb. 23. Siehe Abb. 24.
Analyse
237
Abb. 21: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Länge des Bügels
Abb. 22: Sortierung der „Blechfibeln“ nach aufsteigender Breite des Bügels
Das Verhältnis zwischen der Länge und der Breite des Bügels, das an 233 „Blechfibeln“ metrisch nachvollzogen werden konnte, zeigt keine oder nur eine geringe Korrelation zwischen dem Anstieg der Bügellänge und den Werten der Bügelbreite. Die Werte der Breite nehmen zwar geringfügig zu, variieren jedoch über den gesamten erfassten Längenbereich teilweise in erheblichem Ausmaß.97
97
Siehe Abb. 25.
238
Methode und Analyse
Abb. 23: Längen-Breitenverhältnis der Spiralplatten, sortiert nach aufsteigender Länge
Abb. 24: Längen-Breitenverhältnis der Hakenplatten, sortiert nach aufsteigender Länge
Die Analyse der metrischen Längen-Breiten-Verhältnisse der drei Fibelbestandteile offenbart sowohl bei den Längen- als auch bei den Breitenwerten z. T. deutliche Varianzen. Bei zunehmender Größe der Werte kann bei allen Fibelbestandteilen zwar eine Zunahme des jeweilig anderen beobachtet werden, doch fällt diese oftmals nur geringfügig aus. Hierbei ist die Variabilität bei den einzelnen Werten enorm hoch und keineswegs als proportional zunehmend zu bezeichnen. Sinnvolle Gruppierungen sind aufgrund der
Analyse
239
Abb. 25: Längen-Breitenverhältnis der Bügel, sortiert nach aufsteigender Länge
großen Varianz der Merkmalsausprägungen nicht möglich und können deshalb nicht vorgenommen werden. Die Untersuchung der Werte der Länge und Breite der Spiralplatte in Relation zur Gesamtlänge konnte bei 172 „Blechfibeln“ aus der Stichprobe durchgeführt werden. Zu beobachten ist hier, dass die Werte der Länge und der Breite der Spiralplatte nicht in dem Maße zunehmen, wie die der Gesamtlänge. Auffällig ist hier weiterhin, dass die Werte der Länge der Spiralplatte kontinuierlicher und einheitlicher ansteigen als die der Spiralplatte. Letztere zeigen darüber hinaus durchweg große Abweichungen mit Schwerpunkten im niedrigen und höheren Wertebereich.98 Mit der allgemeinen Vergrößerung des Fibelkörpers scheint somit eine – wenn auch geringe – Vergrößerung der Spiralplatte einherzugehen. Hierbei ist mit einer kontinuierlicheren Zunahme der Länge der Spiralplatte zu rechnen, während die Breite der Spiralplatte durchaus erheblich variieren kann. Insgesamt konnten 176 Fibelexemplare für die Analyse des Verhältnisses der Länge und Breite der Hakenplatte in Bezug zur Gesamtlänge berücksichtigt werden. Dabei zeigt sich eine Korrelation zwischen der zunehmenden Gesamtlänge und der Länge der Hakenplatte. Die Werte der Länge der Hakenplatte nehmen einen etwas flacheren Verlauf. Zudem variieren diese im niedrigeren (zwischen 2,5 und fünf Zentimeter) und höheren (ab acht Zen-
98
Siehe Abb. 26.
240
Methode und Analyse
Abb. 26: Verhältnis der Längen- und Breitenwerte der Spiralplatten in Relation zur aufsteigend geordneten Gesamtlänge
timeter) Wertebereich. Nur eine geringfügige Zunahme ist bei den Breitenwerten der Hakenplatte bei zunehmender Gesamtlänge zu beobachten. Diese streuen aber in weitaus erheblicherem Ausmaß in den selben Wertebereichen, in denen die Längenwerte Varianzen aufweisen.99 Die Werte der Länge und Breite des Bügels in Bezug zur Gesamtlänge korrelieren nicht miteinander. Bei den insgesamt 176 erfassten Fibelexemplaren lässt sich nur ein leichter Anstieg der Breite des Bügels erkennen, die Werte variieren hier stark. Auch die Längenwerte steigen nur in sehr geringem Ausmaß an und sind sehr variabel.100 Gesondert sei an dieser Stelle noch auf ein weiteres Merkmal der Hakenplatte eingegangen. Die unterschiedlichen Bereiche, an denen die Hakenplatten der „Blechfibeln“ ihre größte Breite erreichen, werden häufig als Merkmal zur (chronologischen) Gliederung benutzt.101 Dieses Merkmal der Lage der größten Breite in Bezug auf die Länge der Hakenplatte konnte an 188 Fibelexemplaren der Stichprobe metrisch nachvollzogen werden. Auffällig ist hierbei zunächst, dass die Exemplare mit der größten Breite der Hakenplatte unterhalb deren Mitte eine Gesamtlänge von sechs Zentimetern nicht überschreiten. Doch der Übergang zu den Exemplaren mit der 99 100 101
Siehe Abb. 27. Siehe Abb. 28. Hierzu siehe Kap. III.2 „Blechfibeln“ als Objekte der archäologischen Klassifikation: Zwischen Theorie und Praxis.
Analyse
241
Abb. 27: Verhältnis der Längen- und Breitenwerte der Hakenplatten in Relation zur aufsteigend geordneten Gesamtlänge
Abb. 28: Verhältnis der Längen- und Breitenwerte des Bügels in Relation zur aufsteigend geordneten Gesamtlänge
242
Methode und Analyse
größten Hakenplattenbreite oberhalb deren Mitte mit einer Gesamtlänge der Hakenplatte von sechs Zentimetern ist fließend. Die Längenwerte variieren mit den Breitenverhältnissen jeweils beträchtlich. Auch Fibeln mit größter Breite am Hakenplattenansatz weisen Hakenplattenlängen zwischen drei und 13 Zentimetern auf und streuen somit über einen enormen metrischen Bereich. Regelhaftigkeiten lassen sich für den Bereich bis sechs Zentimeter somit nicht ableiten. Auch bei den Exemplaren mit einer Hakenplattenlänge von über sechs Zentimetern sind ebenfalls unterschiedlichste Maßverhältnisse oder Kombinationen auszumachen, die letztlich nur auf unterschiedliche Hakenplattenformen in unterschiedlichen Dimensionen schließen lassen.102 Diese müssen jedoch nicht unbedingt abhängig von der Gesamtlänge der Hakenplatte sein, sondern sind variabel über alle Größen verteilt. Die Analyse der metrischen Merkmalsverhältnisse von Fibelbestandteilen in Bezug auf die Gesamtlänge erbrachte folgende Ergebnisse: Mit der allgemeinen Vergrößerung der Fibel geht grosso modo eine Vergrößerung aller Fibelbestandteile einher, was mit einem gewissen Bemühen um die Einhaltung der Proportionen erklärt werden kann. Dies gilt besonders für die Werte der Länge der Haken- und der Spiralplatte. Die Vergrößerung fällt bei den sonstigen Fibelbestandteilen äußerst unterschiedlich aus. So sind die Breitenwerte der Hakenplatte und der Spiralplatte trotz insgesamt leicht ansteigender Werte sehr variabel und auch die untersuchten metrischen Merkmale des Bügels variieren sehr stark in ihren jeweiligen Ausprägungen. Dies wird durch die Untersuchung der Lage der größten Breite der Hakenplatte in Bezug auf deren Länge bestätigt. Hier wird der hohe Grad der Variabilität über alle Größen hinweg besonders deutlich. Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass die Formgestaltung bzw. -gebung der Spiral- und Hakenplatte sowie des Bügels zwar einer gewissen „Grundidee“, jedoch keinen genormten Regeln folgt. Vielmehr erscheinen diese individuell, im für die Proportionen vertretbaren Rahmen, ausgewählt und angefertigt zu sein und lassen auf eine große formale Bandbreite schließen. Strukturell begründbare Grenzziehungen sind nicht möglich. Mehr als diese allgemeinen Regelhaftigkeiten lassen sich aufgrund der Analyse der metrischen Merkmale nicht erkennen. Gruppierungen können nicht vorgenommen werden.
102
Siehe Abb. 29.
Analyse
243
Abb. 29: Lage der größten Breite der Hakenplatte in Bezug auf deren Länge.
2.6.2 Analyse der formalen Merkmale Der zuvor gewonnene Eindruck des hohen Grades an Individualität der „Blechfibeln“ wird durch die Ergebnisse der Analyse der metrischen Merkmale nochmals bestätigt. Bei der hier vorgenommenen Analyse der formalen Merkmale wird daher davon ausgegangen, dass die Gestalt der „Blechfibeln“ im Wesentlichen auf die formalen Ausprägungen dreier Fibelbestandteile zurückgeht, die in einer Art „Baukastenprinzip“ variabel zusammengesetzt werden konnten.103 Die formalen Ausprägungen der Spiralplatte, des Bügels und der Hakenplatte der Fibeln aus der Stichprobe werden auf ihre Kombinationen hin untersucht. Zu diesem Zweck wurden nach der Durchsicht der in der Literatur abgebildeten „Blechfibeln“ zunächst die vorhandenen, optisch sichtbaren (sowie theoretisch möglichen)104 103 104
Hierzu siehe Kap. IV.1 Methode. Steuer, Elisenhof 10–17.
244
Methode und Analyse
Merkmalsausprägungen auf eine Grundform reduziert und somit vereinfacht erfasst. Im Verlauf der makroskopischen Untersuchungen der Originalstücke wurde das formale Spektrum ergänzt bzw. minimiert.105 Dieses induktive Vorgehen führte zu einem Satz von insgesamt zwölf unterschiedlichen Merkmalsausprägungen für die Form der Spiralplatte, wobei zwei Formen („halbrund/ abgeschrägte Seiten/ Dorn“; „halbrund/ gerade Seiten/ Dorn“) nicht in der Stichprobe vertreten sind. Eine der sieben Ausprägungen der Hakenplattenformen („rechteckig“) konnte ebenfalls nicht in der Stichprobe nachgewiesen werden. Die Bügelformen wurden in fünf unterschiedlichen Varianten erfasst.106 Diese festgelegten Merkmalsausprägungen der Formen der Spiralplatte, des Bügels und der Hakenplatte ergeben somit theoretisch 420 Kombinationsmöglichkeiten. Exklusiv der drei in der Stichprobe nicht belegten formalen Merkmalsausprägungen ergeben sich anhand der tatsächlich nachgewiesenen Merkmalsausprägungen immerhin noch 300 theoretisch mögliche Kombinationen. Der Umfang und somit auch die Untersuchung der Stichprobe auf Merkmalskombinationen ist durch die unterschiedliche Erhaltung bzw. teilweise Fragmentierung der Fibelexemplare eingeschränkt. Sechs Exemplare der Stichprobe waren in derart schlechtem Zustand, dass kein formales Merkmal genau bestimmt werden konnte. Die Anzahl der „Blechfibeln“ der Stichprobe mit nur einem Formmerkmal beläuft sich auf insgesamt neun Exemplare. In jeweils vier Fällen war nur noch die Spiralplatte bzw. der Bügel erhalten, während in einem Fall nur noch die Form der Hakenplatte bestimmt werden konnte. Lediglich zwei formale Merkmale waren an 27 Fibelexemplaren nachzuweisen, wobei in jeweils zwölf Fällen die Kombination Spiralplatte und Bügel und die Kombination Hakenplatte und Bügel noch vorhanden war. Drei Fibelexemplare wiesen keinen Bügel mehr auf.107 Dieser Umstand führt dazu, dass die Anzahl der Exemplare der Stichprobe, 105
106
107
Der mit dieser Methode einhergehenden Vereinfachung der tatsächlichen Formvielfalt und der Verlust an Information ist sich der Verfasser bewusst. Dieses Problem ist jedoch jeder Klassifikation immanent: Siehe Kap. III.3.1.3 Archäologische Periodisierung und der Nachweis von Kontinuität und Bruch. Teilweise konnte jedoch der Informationsverlust durch die Erfassung der metrischen Merkmale kompensiert werden. Zur näheren Beschreibung der formalen Merkmale siehe Kap. IV.2.5.2 Formale Merkmale mit Abb. 13. Die grau unterlegten Merkmalsausprägungen sind in der Stichprobe nicht belegt. Ergänzend sei hier erwähnt, dass die Anzahl der bestimmbaren Spiralplattenformen sich insgesamt auf 237, die des Bügels auf 246 und die der Hakenplattenformen auf 234 beläuft.
Analyse
245
bei denen alle drei Formmerkmale in ihren Ausprägungen bestimmbar bzw. nachweisbar sind, sich insgesamt auf 218 „Blechfibeln“ beläuft, die im Folgenden den Gegenstand der Analyse darstellen. Die Analyse fällt daher hauptsächlich deskriptiv aus, weil diese zunächst die Basis für die weiteren Untersuchungen und die später noch folgenden Gliederungsversuche darstellt. Die Analyse der 218 „Blechfibeln“ der Stichprobe ergibt insgesamt 49 unterschiedliche Kombinationen der formalen Merkmalsausprägungen der Spiralplatte, des Bügels und der Hakenplatte, die in der Stichprobe in unterschiedlichsten Quantitäten vorliegen.108 Die festgelegten formalen Merkmalsausprägungen für die Spiralplatte verteilen sich in der Stichprobe quantitativ durchaus unterschiedlich. Mit 95 Exemplaren am häufigsten in der Stichprobe vertreten sind die halbrunden Spiralplatten mit geraden Seiten, gefolgt von den halbrunden Spiralplatten (n=48) und den halbrunden mit einem Dorn versehenen Spiralplatten (n=38). Immerhin 14 Fibelexemplare besitzen eine fünfeckige, mit einem spitzen Ende versehene Spiralplatte, in elf Fällen ist eine dreieckige Form mit gekappten Ecken vorhanden. Halbrunde Spiralplatten mit abgeschrägten Seiten finden sich in der Stichprobe in sechs Fällen, bei lediglich zwei Exemplaren fanden sich dreieckige und fünfeckig-spitze, mit einem Dorn versehene Spiralplatten. Jeweils nur an einer Fibel ist eine gerundete bzw. eine viereckige Hakenplatte belegt. Die Merkmalsausprägungen des Bügels in der Stichprobe zeigen quantitative Unterschiede. Mit Abstand am häufigsten (n=146) ist die Form Göldner U belegt. Bei 41 Fibeln liegt die Form Göldner R vor, 24 Fibelexemplare weisen einen Bügel der Form Gölder S auf. Die Form Göldner V ist lediglich an vier Exemplaren, die Form Göldner T letztlich nur an drei Exemplaren der Stichprobe beobachtet worden. Durchaus unterschiedlich verteilt sind auch die Quantitäten der formalen Ausprägungen der Hakenplatte. Die in der Stichprobe bei 65 Fibeln nachgewiesene und quantitativ am häufigsten vertretene Ausprägung der Hakenplattenform ist länglich nach innen geschwungen. An 61 Fibelexemplaren ist eine deltoide Hakenplattenform nachgewiesen. Eine längliche Hakenplattenform weisen 42 Fibeln auf. Bei 31 Exemplaren hat die Hakenplatte eine länglich nach außen geschwungene Form. Insgesamt 18 „Blechfibeln“ der Stichprobe haben eine länglich-rhombische Hakenplatte. Bei nur einem Fibelexemplar ist die Hakenplattenform als rautenförmig ansprechbar.
108
Siehe Tab. 9 sowie VII Liste 2.
246
Methode und Analyse
Die quantitative Verteilung der „Blechfibeln“ der Stichprobe auf die Merkmalskombinationen ist nicht gleichmäßig. Mehr als zehn Exemplare sind in den Merkmalskombinationen 4 (n=34), 5 (n=13), 6 (n=22), 16 (n=17) und 30 (n=17) vertreten. Auf fünf bis zehn Exemplare belaufen sich die Merkmalskombinationen 10 (n=5), 12 (n=7), 14 (n=5), 32 (n=8), 36 (n=7) und 41 (n=5), während auf die Merkmalskombinationen 7 (n=3), 8 (n=2), 9 (n=4), 11 (n=2), 15 (n=2), 17 (n=3), 19 (n=4), 20 (n=2), 21 (n=4), 22 (n=2), 25 (n=2), 26 (n=2), 27 (n=3), 28 (n=4), 34 (n=2), 35 (n=2), 38 (n=2), 39 (n=4), 40, (n=3), 42 (n=2), 45 (n=3), 46 (n=2), 48 (n=3), 49 (n=2) zwischen zwei und vier „Blechfibeln“ der Stichprobe entfallen. Jeweils nur mit einem Exemplar in der Stichprobe belegt sind die Merkmalskombinationen 1, 2, 3, 13, 18, 23, 24, 29, 31, 33, 37, 43, 44, 47.109 61 Fibelpaare der Stichprobe sind formal identisch zusammengesetzt. Dies reduziert die absolute Anzahl der tatsächlich zu unterscheidenden „Blechfibeln“ in der Stichprobe somit auf 157. Einhergehend mit dieser Verminderung des Stichprobenumfangs durch „Paarbereinigung“ verringert sich auch die absolute Anzahl der potentiell unterschiedlichen „Blechfibeln“ in den einzelnen Merkmalskombinationen. So gerechnet, enthalten die Merkmalskombinationen 4 (n=21), 6 (n=15), 16 (n=14) und 30 (n=12) mehr als zehn Exemplare. Die Merkmalskombinationen 5 (n= 8), 12 (n= 6), 32 (n=7), 36 (n=6) weisen zwischen fünf und zehn Fibelexemplare auf. Zwischen zwei und vier Exemplare sind auf die Merkmalskombinationen 7 (n=2), 9 (n=2), 10 (n=4), 14 (n=3), 15 (n=2), 17 (n=3), 19 (n=3), 21 (n=4), 27 (n=2), 28 (n=2), 34 (n=2), 35 (n=2), 39 (n=3), 40 (n=2), 41 (n=3), 45 (n=3) und 48 (n=2) verteilt. Nur mit einem Fibelexemplar der Stichprobe belegt sind die Merkmalskombinationen 1, 2, 3, 8, 11, 13, 18, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 29, 31, 33, 37, 38, 42, 43, 44, 46, 47, 49.110 Die Analyse der Merkmalskombinationen weist einige Regelhaftigkeiten in ihrer Zusammensetzung auf.111 Zunächst lässt sich feststellen, dass zumindest die quantitativ häufig vertretenen formalen Ausprägungen des Bügels (Formen Göldner R, S, U) über nahezu alle Merkmalskombinationen verteilt sind und daher für eventuelle Gruppierungen als unspezifisch anzusehen sind. Die in der Stichprobe nachweisbare Form Göldner V liegt mit 109 110 111
Siehe Tab. 9 sowie Abb. 30. Siehe Tab. 9 sowie Abb. 31. Die Analyse ist nicht paarbereinigt vorgenommen worden, weil sich die relativen Werte nur geringfügig von den paarbereinigten unterscheiden und damit auch die quantitative Basis vergrößert wird. Sie bezieht also alle 218 Fibelexemplare der Untersuchung mit ein.
Abb. 30: Quantitative Verteilung der „Blechfibeln“ auf die formalen Merkmalskombinationen
Analyse
247
248
Methode und Analyse
Tab. 9: Übersicht über die Kombinationen der Ausprägungen der formalen Merkmale in der Stichprobe (Zum Nachweis der Fibeln siehe VII Liste 2). Merkmalskombination
Spiralplatte
Bügel
Hakenplatte
n
n bereinigt
1
viereckig
U
länglich nach außen
1
1
2
halbrund/ gerade Seiten
V
länglich
1
1
3
halbrund/ gerade Seiten
V
deltoid
1
1
4
halbrund/ gerade Seiten
U
länglich nach innen
34
21
5
halbrund/ gerade Seiten
U
länglich nach außen
13
8
6
halbrund/ gerade Seiten
U
länglich
22
15
7
halbrund/ gerade Seiten
T
länglich nach innen
3
2
8
halbrund/ gerade Seiten
S
länglich-rhombisch
2
1
9
halbrund/ gerade Seiten
S
länglich nach innen
4
2
10
halbrund/ gerade Seiten
R
länglich nach innen
5
4
11
halbrund/ gerade Seiten
R
länglich nach außen
2
1
12
halbrund/ gerade Seiten
R
länglich
7
6
13
halbrund/ gerade Seiten
R
deltoid
1
1
14
halbrund/ Dorn
U
länglich-rhombisch
5
3
15
halbrund/ Dorn
U
länglich nach außen
2
2
16
halbrund/ Dorn
U
deltoid
17
14
17
halbrund/ Dorn
S
deltoid
3
3
18
halbrund/ Dorn
R
länglich
1
1
19
halbrund/ Dorn
R
länglich-rhombisch
4
3
20
halbrund/ Dorn
R
länglich nach außen
2
1
21
halbrund/ Dorn
R
deltoid
4
4
22
halbrund/ abgeschrägte Seiten
U
länglich nach außen
2
1
23
halbrund/ abgeschrägte Seiten
U
länglich
1
1
24
halbrund/ abgeschrägte Seiten
S
länglich-rhombisch
1
1
25
halbrund/ abgeschrägte Seiten
S
länglich nach außen
2
1
26
halbrund
V
länglich
2
1
249
Analyse
Merkmalskombination
Spiralplatte
Bügel
Hakenplatte
n
n bereinigt
27
halbrund
U
länglich-rhombisch
3
2
28
halbrund
U
länglich nach innen
4
2
29
halbrund
U
länglich
1
1
30
halbrund
U
deltoid
17
12
31
halbrund
S
länglich
1
1
32
halbrund
S
deltoid
8
7
33
halbrund
R
rautenförmig
1
1
34
halbrund
R
länglich-rhombisch
2
2
35
halbrund
R
länglich nach innen
2
2
36
halbrund
R
deltoid
7
6
37
gerundet
U
deltoid
1
1
38
fünfeckig/ spitz/ Dorn
U
länglich nach außen
2
1
39
fünfeckig/ spitz
U
länglich nach innen
4
3
40
fünfeckig/ spitz
U
länglich nach außen
3
2
41
fünfeckig/ spitz
U
länglich
5
3
42
fünfeckig/ spitz
S
länglich nach innen
2
1
43
dreieckig/ gekappte Ecken
U
länglich
1
1
44
dreieckig/ gekappte Ecken
U
länglich-rhombisch
1
1
45
dreieckig/ gekappte Ecken
U
länglich nach innen
3
3
46
dreieckig/ gekappte Ecken
U
länglich nach außen
2
1
47
dreieckig/ gekappte Ecken
S
länglich nach innen
1
1
48
dreieckig/ gekappte Ecken
R
länglich nach innen
3
2
49
dreieckig
U
deltoid
2
1
218
157
gesamt
250
Methode und Analyse
insgesamt nur vier Exemplaren aus drei Merkmalskombinationen (2, 3, 26) vor. Dabei ist sie zweimal mit einer halbrunden Spiralplatte mit geraden Seiten kombiniert, wobei diese Exemplare jeweils eine deltoide und eine längliche Hakenplattenform aufweisen. Die Bügelform Göldner T ist sogar nur in einer Merkmalskombination verteten, die aus drei Exemplaren mit einer halbrunden Spiralplatte und geraden Seiten sowie einer länglich geschwungenen Hakenplatte bestehen.112 Ob letztere Bügelformen für die entsprechenden Merkmalskombinationen der „Blechfibeln“ tatsächlich spezifisch sind oder dies nur aufgrund ihres ohnehin quantitativ geringen Anteils an der Stichprobe zu erklären ist, kann nicht entschieden werden. Die Analyse der Kombinationen zwischen formalen Ausprägungen der Spiral- und Hakenplatten zeigt ein anderes Bild. Hier sind deutliche Unterschiede in den Quantitäten der Kombinationen der unterschiedlichen formalen Merkmalsausprägungen auszumachen. Insgesamt 46 Fibelexemplare kombinieren halbrunde Spiralplatten mit geraden Seiten113 und Hakenplatten, die eine länglich nach innen geschwungene Form aufweisen.114 Desweiteren ist diese Spiralplattenform bei 30 „Blechfibeln“ mit einer länglichen Hakenplatte zusammen an einem Objekt vereinigt.115 Immerhin 15 Fibeln der Stichprobe weisen noch die Kombination zwischen einer halbrunden Spiralplatte mit geraden Seiten auf,116 während in jeweils zwei Fällen diese Spiralplattenform mit einer deltoiden bzw. einer länglichrhombischen Hakenplatte kombiniert ist.117 Sechs Fibeln mit Spiralplatten fünfeckig-spitzer Form118 sind mit einer länglich nach innen geschwungenen Hakenplatte versehen.119 Diese Spiralplattenform kommt zudem fünfmal mit einer länglichen Hakenplatte an einer „Blechfibel“ vor,120 während drei Fibeln mit dieser Spiralplattenform eine länglich nach außen geschwungene Hakenplatte aufweisen.121 Dreieckige Spiralplatten mit gekappten Ecken122 kommen in der Stichprobe bei sieben Fibelexemplaren mit einer länglich nach innen geschwun-
112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Siehe Tab. 9. Siehe Abb. 32. Merkmalskombination 4, 7, 9, 10. Merkmalskombination 2, 6, 12. Merkmalskombination 5, 11. Merkmalskombination 3, 13 bzw. 8. Siehe Abb. 33. Merkmalskombination 39, 42. Merkmalskombination 41. Merkmalskombination 40. Siehe Abb. 34.
Abb. 31: Paarbereinigte, quantitative Verteilung der „Blechfibeln“ auf die formalen Merkmalskombinationen
Analyse
251
252
Methode und Analyse
genen Hakenplattenform vor.123 Zweimal weist diese Spiralplattenform eine Kombination mit einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte auf.124 Jeweils einmal ist diese mit einer länglichen125 und einer länglich-rhombischen Hakenplattenform kombiniert126. Die nur in wenigen Fällen nachgewiesene halbrunde Spiralplattenform mit abgeschrägten Seiten127 kommt in vier Fällen mit einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte128 und nur jeweils einmal mit einer länglichen bzw. länglich-rhombischen Hakenplattenform an einer Fibel vor.129 Halbrunde Spiralplatten130 sind in der Stichprobe in insgesamt 32 Fällen mit deltoid gestalteten Hakenplatten kombiniert.131 Sechs Fibeln weisen eine Kombination dieser Spiralplattenform mit einer länglich nach innen geschwungenen Hakenplatte auf.132 Eine länglich-rhombische Hakenplattenform ist bei fünf Fibeln mit dieser Spiralplattenform kombiniert.133 Vier Fibeln mit dieser Spiralplattenform kommen in Kombination mit Hakenplatten länglicher Form vor.134 Eine Fibel mit halbrunder Spiralplatte und rautenförmiger Hakenplatte ist in der Stichprobe nur einmal belegt.135 Insgesamt 24 Fibeln mit einer halbrunden Spiralplatte, die mit einem Dorn versehen ist,136 weisen eine Kombination mit einer deltoiden Hakenplatte auf.137 Diese Spiralplattenform kommt bei neun Fibelexemplaren zusammen mit einer länglich-rhombischen Hakenplatte vor.138 Nur vier Fibeln kombinieren diese Spiralplattenform mit einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte und in einem Fall wurde eine längliche Hakenplatte mit dieser Spiralplattenform zusammen kombiniert vorgefunden.139 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139
Merkmalskombination 45, 47, 48. Merkmalskombination 46. Merkmalskombination 43. Merkmalskombination 44. Siehe Abb. 35. Merkmalskombination 22, 25. Merkmalskombination 23 bzw. 24. Siehe Abb. 36. Merkmalskombination 30, 32, 36. Merkmalskombination 28, 35. Merkmalskombination 27, 34. Merkmalskombination 26, 29, 31. Merkmalskombination 33. Siehe Abb. 37. Merkmalskombination 16, 17, 21. Merkmalskombination 14, 19. Merkmalskombination 15, 20 bzw. 18.
Analyse
253
Abb. 32: Quantitative Verteilung der Kombinationen von halbrunden Spiralplatten mit geraden Seiten mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
Abb. 33: Quantitative Verteilung der Kombinationen von fünfeckig-spitzen Spiralplatten mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
254
Methode und Analyse
Abb. 34: Quantitative Verteilung der Kombinationen von dreieckigen Spiralplatten mit gekappten Ecken mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
Abb. 35: Quantitative Verteilung der Kombinationen von halbrunden Spiralplatten mit abgeschrägten Seiten mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
Analyse
255
Abb. 36: Quantitative Verteilung der Kombinationen von halbrunden Spiralplatten mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
Abb. 37: Quantitative Verteilung der Kombinationen von halbrunden Spiralplatten mit Dorn mit Hakenplattenformen in der Stichprobe.
256
Methode und Analyse
Eine Spiralplatte dreieckiger Form ist bei zwei (paarigen) Fibeln mit einer deltoiden Hakenplatte kombiniert.140 Zwei (paarige) Fibeln weisen die Kombination einer fünfeckigen, spitzen Spiralplatte mit Dorn und einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte auf.141 Jeweils eine „Blechfibel“ der Stichprobe ist mit einer gerundeten bzw. viereckigen Spiralplatte versehen, die mit einer deltoiden bzw. einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte kombiniert ist.142 Aufgrund ihrer geringen Anzahl in der Stichprobe können aus den letzten vier beschriebenen Kombinationen jedoch keine Regelhaftigkeiten abgeleitet werden. Von den 300 theoretisch möglichen Merkmalskombinationen sind bei insgesamt 218 auswertbaren „Blechfibeln“ der Stichprobe, die alle formalen Merkmale aufweisen, 49 unterschiedliche Merkmalskombinationen vorhanden. Diese Zahl verdeutlicht die bereits vorab angesprochene große Variabilität in der formalen Zusammensetzung der „Blechfibeln“. Noch deutlicher wird dies unter Berücksichtigung des Umstandes, dass letztlich nur 157 tatsächlich unterscheidbare Fibeln vorliegen, da insgesamt 61 Exemplare Fibelpaaren zuzuordnen sind, welche eine identische formale Zusammensetzung aufweisen. Trotz der auffälligen Variabilität lassen sich hieraus doch gewisse Regelhaftigkeiten in den Kombinationen ableiten. Zunächst ist festzustellen, dass alle häufig vertretenen formalen Bügelausprägungen mit nahezu allen formalen Ausprägungen und Kombinationen der Spiralund Hakenplatte kombiniert sind. Dagegen zeigen einige Kombinationen von Merkmalsausprägungen der Spiral- und Hakenplatte trotz gewisser Überschneidungen einige quantitative Häufungen. Trotz der teilweise über mehrere Formausprägungen verteilten Kombinationen scheinen einige der formalen Merkmalsausprägungen der Spiral- und Hakenplatte in der Stichprobe häufiger miteinander zu korrelieren. Bei der Untersuchung der Kombinationen zwischen Spiral- und Hakenplatte ist auffällig, dass Spiralplatten mit halbrunder bzw. halbrunder und mit Dorn versehener Form quantitativ weitaus häufiger mit Hakenplatten deltoider und länglich-rhombischer Form sowie in einem Fall mit rautenförmiger Form kombiniert sind. Diese Kombinationen finden sich bei insgesamt 74 Fibeln aus 13 Merkmalskombinationen der Stichprobe.143 Hingegen zeigen halbrunde Spiralplatten mit ge140 141 142 143
Merkmalskombination 49. Merkmalskombination 38. Merkmalskombination 37 bzw. 1. Merkmalskombination 14, 16, 17, 19, 21, 27, 30, 32, 33, 34, 36, 37, 49. Die beiden letztgenannten Merkmalskombinationen sowie die Merkmalskombinationn 33 sind nur mit einem Fibelexemplar vertreten.
Analyse
257
raden Seiten, halbrunde Spiralplatten mit abgeschrägten Seiten, fünfeckigespitze Spiralplatten und dreieckige Spiralplatten mit gekappten Ecken quantitativ einen deutlichen Bezug zu länglichen und länglich nach außen bzw. länglich nach innen geschwungenen Hakenplatten. Diese unterschiedlichen Kombinationen weisen insgesamt 123 Fibelexemplare der Stichprobe auf, die auf 23 Merkmalskombinationen verteilt sind.144 „Blechfibeln“ mit quasi „gemischten“ Kombinationen der formalen Merkmalsausprägungen sind in der Stichprobe nur mit 21 Fibelexemplaren aus 13 Merkmalskombinationen vertreten, die jedoch quantitativ weit hinter den vorher beschriebenen Kombinationen zurückbleiben.145 Somit liegen nach der Analyse der unterschiedenen formalen Merkmale und deren Ausprägungen Hinweise auf Regelhaftigkeiten im insgesamt heterogen zusammengesetzten Fibelmaterial vor. Diese werden in der Folge nochmals auf mögliche Korrelationen mit metrischen Merkmalen untersucht. 2.6.3 Korrelationen der formal-metrischen Merkmale Die quantitativen Korrelationen spezifischer formaler Merkmalsausprägungen sollen nun auf Zusammenhänge mit metrischen Merkmalsausprägungen analysiert werden. Von Interesse sind hier die Maße der Gesamtlänge, das Längen-Breiten-Verhältnis der Spiralplatte und die Lage der größten Breite der Hakenplatte. Die in der Stichprobe mit nur einem Fibelexemplar vertretenen Merkmalskombinationen werden in der Analyse mitberücksichtigt, da die Variabilität des Materiales nach wie vor nicht ausgeklammert werden soll. Zudem werden auch hier wiederum alle 218 Fibelexemplare der formalen Merkmalskombinationsanalyse berücksichtigt. 2.6.3.1 Gesamtlänge Für die Analyse konnten insgesamt 177 „Blechfibeln“ herangezogen werden, bei denen die Gesamtlänge in vollständigem Ausmaß erfasst werden konnte. Die formalen Merkmalskombinationen zeigen hinsichtlich ihrer metrischen Ausprägungen ein heterogenes Bild.146 144
145 146
Merkmalskombination 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 22, 23, 25, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48. Die Merkmalskombinationen 1 und 38 sind mit nur einem Fibelexemplar vertreten. Merkmalskombination 3, 8, 13, 15, 18, 20, 24, 26, 28, 29, 31, 35, 44. Siehe Abb. 38.
Abb. 38: Formale Merkmalskombinationen und ihre metrischen Ausprägungen
258 Methode und Analyse
Analyse
259
Einige Merkmalskombinationen streuen in den Extremwerten über größere Maßbereiche von bis zu insgesamt 15 Zentimetern Abweichung vom Stichprobenmittel.147 Hierunter fallen überwiegend die Merkmalskombinationen, unter denen auch die größte Anzahl an Fibelexemplaren der Stichprobe vereinigt sind,148 was auf die bereits zu Beginn der Analyse angenommene, individuelle Ausführung gleicher bzw. ähnlicher Formelemente zurückzuführen ist. Die im vorigen Kapitel festgestellten quantitativen Korrelationen der formalen Merkmalsausprägungen scheinen auch bei Berücksichtigung der Gesamtlänge der sie umfassenden Fibelexemplare bestätigt zu werden. Die Fibeln der Merkmalskombinationen mit halbrunder Spiralplatte und geraden Seiten, mit halbrunder Spiralplatte und abgeschrägten Seiten, fünfeckig-spitzer Spiralplatte und dreieckiger Spiralplatte mit gekappten Ecken, die mit länglichen, länglich nach außen und länglich nach innen geschwungenen Hakenplattenformen einhergehen, weisen bis auf eine Ausnahme149 alle eine Gesamtlänge von mindestens zehn Zentimetern auf. Dabei streuen, wie bereits erwähnt, diese Werte teilweise enorm. In der Stichprobe ist bei den Fibelexemplaren der Merkmalskombinationen mit halbrunder Spiralplatte und mit einem Dorn versehenen, halbrunden Spiralplatte, die mit einer deltoiden, länglich-rhombischen oder rautenförmigen Hakenplattenform kombiniert sind, hingegen zu beobachten, dass in keinem Fall eine Gesamtlänge von über zehn Zentimetern vorliegt. Die Fibeln dieser Merkmalskombinationen streuen in ihren Extremwerten ebenfalls teilweise mit Abweichungen von annähernd fünf Zentimetern vom Stichprobenmittel. Die „gemischte“ formale Merkmalskombinationen aufweisenden „Blechfibeln“ haben keine einheitlichen Längenwerte und streuen zwischen 6,8 und 19,6 Zentimetern Gesamtlänge. Sie lassen keine Regelhaftigkeiten erkennen, ob die Haken- oder Spiralplattenform für die Gesamtlänge ausschlaggebend ist. Bei den fünf entsprechenden Merkmalskombinationen mit „Blechfibeln“, die kleiner als zehn Zentimeter sind,150 kommen zwei Kombinationen einer halbrunden Spiralplatte mit Dorn und länglicher bzw. 147
148
149 150
Stichprobenmittel: Der Mittelwert wurde aus allen Werten der Gesamtlänge der unter einer Merkmalskombination fallenden Fibeln der Stichprobe berechnet. Der ermittelte Wert stellt somit nicht unbedingt einen real an einer Fibel der Stichprobe gemessenen Größenwert dar. Im Diagramm werden zudem die jeweiligen Extremwerte dargestellt. Merkmalskombinationen 4, 5, 6, 9, 10, 12, 16, 19, 30, 32, 41. Eine Ausnahme bildet die Merkmalskombination 15, mit nur zwei Exemplaren. Merkmalskombination 22. Merkmalskombination 3, 18, 20, 24, 44.
260
Methode und Analyse
länglich nach außen geschwungener Hakenplatte am Fibelobjekt zusammen vor. Ferner ist noch jeweils einmal die Kombination einer halbrunden Spiralplatte mit geraden Seiten und einer deltoiden Hakenplatte, einer halbrunden Spiralplatte mit abgeschrägten Seiten und einer länglich-rhombischen Hakenplatte sowie einer dreieckigen Spiralplatte mit gekappten Ecken und einer ebenfalls länglich-rhombischen Hakenplatte belegt. Die acht „gemischten“ Merkmalskombinationen mit einer Länge der Fibelexemplare über zehn Zentimeter vermitteln ein etwas anderes Bild.151 Hier sind fünf Merkmalskombinationen vertreten, die eine halbrunde Spiralplatte aufweisen und in drei Fällen mit einer länglichen, in zwei Fällen mit einer länglich nach innen geschwungenen Hakenplattenform kombiniert sind. Zudem ist hier eine Merkmalskombination mit einer halbrunden Spiralplatte mit Dorn und einer länglich nach außen geschwungenen Hakenplatte vertreten. Dem stehen lediglich zwei Merkmalskombinationen einer halbrunden Spiralplatte mit geraden Seiten mit jeweils deltoiden und länglich-rhombischen Hakenplattenformen entgegen. Somit wäre hier aufgrund der quantitativen Verteilung eventuell die Hakenplattenform als ausschlaggebend für den größeren Wert der Gesamtlänge heranzuziehen, doch ist die Zahl der „gemischte“ Merkmalskombinationen aufweisenden Fibelexemplare der Stichprobe insgesamt zu gering, um hieraus Regelhaftigkeiten ableiten bzw. ausreichend belegen zu können. Die Analyse der Merkmalskombinationen in Bezug zur Gesamtlänge bestätigt das Ergebnis der quantitativen Auswertung der Kombinationen der formalen Ausprägungen. Diese Kombinationen korrelieren regelhaft zur Gesamtlänge und lassen sich ebenfalls schwerpunktmäßig in zwei Gruppen zusammenfassen. Die Analyse ergibt hier eine große metrische Variabilität des Fibelmaterials innerhalb der formalen Merkmalskorrelationen. Wie die gemischten Merkmalskombinationen aufzeigen, sind scharfe Grenzziehungen nicht möglich. 2.6.3.2 Spiralplatte Die Zahl der Fibeln für die Analyse der formalen Merkmalskombinationen in Bezug auf die metrischen Ausprägungen der Länge und Breite der Spiralplatte beläuft sich auf 189. Alle Merkmalskombinationen sind hierbei vertreten.152 Die Untersuchung der formalen Merkmalskombinationen (Signatur) 151 152
Merkmalskombination 8, 13, 15, 26, 28, 29, 31, 35. Die formalen Merkmalskombinationen 1, 37, 38 und 49 sind nur mit einem Exemplar vertreten.
Analyse
261
auf die möglichen Regelhaftigkeiten der quantitativen Korrelationen der Merkmalsausprägungen der Spiralplattenformen (Farbe) erfolgt hier in Bezug auf die metrischen Ausprägungen der Spiralplatte. Dabei wird deutlich, dass auch das Verhältnis der Längen- und Breitenwerte die Strukturen der formalen Analyse und der Gesamtlänge bestätigen.153 Die Merkmalskombinationen der Fibelexemplare der Stichprobe, die halbrunde Spiralplatten mit geraden Seiten, halbrunde Spiralplatten mit abgeschrägten Seiten, fünfeckig-spitze Spiralplatten und dreieckige Spiralplatten mit gekappten Ecken aufweisen, streuen teilweise erheblich über einen großen metrischen Bereich.154 Doch heben sich diese Merkmalskombinationen, trotz eines gewissen Überschneidungshorizontes, deutlich und nur mit wenigen „extremen“ Ausnahmen von den Merkmalskombinationen ab, die eine halbrunde Spiralplatte oder eine halbrunde, mit einem Dorn versehene Spiralplatte aufweisen.155 Auffällig ist hierbei der Umstand, dass überwiegend jene Fibelexemplare, die „gemischten“ Merkmalskombinationen zugehören, diese metrischen Ausnahmen bilden: Vier Fibelexemplare aus zwei Merkmalskombinationen mit halbrunder Spiralplatte sind mit jeweils zwei länglichen und länglich nach innen geschwungenen Hakenplattenformen kombiniert und weichen metrisch deutlich in größere Wertebereiche ab.156 Ebenfalls zu „gemischten“ Merkmalskombinationen gehörige Fibelexemplare mit dreieckigen Spiralplatten und gekappten Ecken, halbrunden Spiralplatten mit abgeschrägten Seiten und mit halbrunden Spiralplatten mit geraden Seiten sind jeweils einmal mit einer länglich-rhombischen, letztere mit einer deltoiden Hakenplatte kombiniert.157 Die Merkmalskombinationen mit diesen Spiralplattenformen bilden zusammen mit zwei „Blechfibeln“ der Merkmalskombination 22 mit halbrunder Spiralplatte und länglich nach außen geschwunger Hakenplatte metrisch die Ausnahmen im niedrigen Wertebreich der Spiralplattenformen. Damit spiegeln auch die Längen-Breiten Verhältnisse der Spiralplattenformen die Strukturen wider, die anhand der quantitativen Analyse der formalen Merkmalskombinationen und durch die Analyse in Bezug auf die Gesamtlänge bestätigt werden.
153 154
155
156 157
Siehe Abb. 39. Merkmalskombination 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 22, 23, 24, 25, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48. Merkmalskombination 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36. Merkmalskombination 26, 28. Merkmalskombination 3, 24, 44.
Abb. 39: Metrische Verhältnisse der Spiralplatten nach den formalen Merkmalskombinationen
262 Methode und Analyse
Analyse
263
2.6.3.3 Hakenplatte Die absolute Anzahl der Fibeln für die Analyse der Merkmalskombinationen in Bezug auf die Werte der Länge und Breite der Hakenplatte beläuft sich auf 181 Exemplare, die zunächst den Gegenstand der Untersuchung bilden. Die Merkmalskombinationen 8 und 33 entfallen, weil die für die Untersuchung notwendigen Maße der Hakenplatten aufgrund der Fragmentierung der Exemplare nicht vollständig erfasst werden konnten. Die Untersuchung der formalen Merkmalskombinationen (Signatur) auf die möglichen Regelhaftigkeiten der quantitativen Korrelationen der Merkmalsausprägungen der Hakenplattenformen (Farbe) erfolgt hier in Bezug auf die metrischen Ausprägungen der Hakenplatte. Noch deutlicher als bei den Längen- und Breitenwerten der Merkmalskombinationen der Spiralplattenformen der Stichprobe zeigen sich – trotz eines Übergangsbereiches bei diesen Parametern – bei den Hakenplattenformen Korrelationen, die auf Regelhaftigkeiten im Fibelmaterial hindeuten.158 Die Hakenplatten der Merkmalskombinationen, die längliche, länglich nach innen geschwungene und länglich nach außen geschwungene Formen aufweisen, unterscheiden sich in den untersuchten metrischen Dimensionen mit nur wenigen Ausnahmen deutlich von den Hakenplatten der Merkmalskombinationen mit deltoiden, rautenförmigen oder länglichrhombischen Formen. Dabei variieren die Werte der Hakenplatten der erstgenannten Merkmalskombinationen zwischen 2,5 und 14,4 Zentimetern in der Länge und zwischen 1,2 und 4,1 Zentimeter in der Breite teilweise erheblich.159 Die Werte der Hakenplatten der Merkmalskombinationen mit deltoiden, rautenförmigen und länglich-rhombischen Hakenplattenformen streuen immerhin zwischen zwei und 5,6 Zentimetern in der Länge sowie zwischen einem und 3,2 Zentimetern in der Breite.160 Die Ausnahmen beschränken sich auf vier Fibelexemplare aus vier „gemischt“ zusammengesetzten Merkmalskombinationen.161 In zwei Fällen weisen diese Exemplare eine länglich nach außen geschwungene Hakenplattenform auf, die mit einer halbrunden und einer halbrunden mit Dorn versehenen Spiralplatte kombiniert sind. Eine halb-
158 159
160
161
Siehe Abb. 40. Merkmalskombination 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 15, 18, 20, 22, 23, 25, 26, 28, 29, 31, 35, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48. Merkmalskombination 3, 13, 14, 16, 17, 19, 21, 24, 27, 30, 32, 33, 34, 36, 37, 44, 49. Die Merkmalskombination 33 mit einer rautenförmigen Hakenplatte ist nur mit einem Fibelexemplar vertreten. Merkmalskombination 15, 18, 20, 35.
Abb. 40: Metrische Verhältnisse der Hakenplatten nach den formalen Merkmalskombinationen
264 Methode und Analyse
Analyse
265
runde Spiralplattenform mit Dorn tritt in Kombination mit einer länglichen Hakenplatte auf und eine halbrunde Spiralplatte kommt zusammen mit einer nach innen geschwungenen Hakenplatte an einer Fibel vor. Trotz teilweise erheblicher Varianzen v. a. bei den Werten der Breite zeigen auch diese metrischen Merkmale, trotz eines gewissen Überschneidungsbereiches, wieder deutliche Korrelationen mit den Kombinationen der formalen Merkmalsausprägungen. Die Analyse der Merkmalskombinationen in Bezug auf die Lage der größten Breite der Hakenplatte bezieht sich nur auf die nach außen geschwungenen, länglich-rhombischen und deltoiden Hakenplattenformen.162 Nur bei diesen Formen lässt sich dieses Merkmal näher spezifizieren. Die Zahl der „Blechfibeln“ für die Analyse beschränkt sich auf insgesamt 87 Exemplare.163 Die Merkmalskombinationen (Signatur) und Hakenplattenformen (Farbe) zeigen auffällige Korrelationen mit spezifischen metrischen Verhältnissen.164 Die insgesamt 25 länglich nach außen gestreckten Hakenplattenformen haben bis auf eine Ausnahme alle die größte Breite oberhalb der Mitte und stellen insgesamt auch die längsten Hakenplattenformen. Die Ausnahme bildet lediglich ein Fibelexemplar, das die größte Breite unterhalb der Mitte aufweist, doch gehört die Fibel einer „gemischten“ Merkmalskombination an und hat eine halbrunde, mit einem Dorn versehene Spiralplatte.165 Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren „Blechfibel“ aus der ebenfalls gemischten Merkmalskombination mit nach außen geschwungener Hakenplattenform, die in ihrer metrischen Ausprägung einigen länglich-rhombischen Hakenplattenformen nahe steht166 – weitere Beispiele dafür, dass keine allzu scharfen Grenzziehungen zwischen den Merkmalskombinationen möglich sind. 162
163
164 165 166
Länglich nach außen geschwungene Hakenplatte: Merkmalskombination 1, 5, 11, 15, 20, 22, 25, 38, 40, 46; länglich-rhombische Hakenplatte: Merkmalskombination 8, 14, 19, 24, 27, 34, 44; deltoide Hakenplatte: Merkmalskombination 3, 13, 16, 17, 21, 30, 32, 36, 37, 49. Die Merkmalskombination 8 und 33 entfallen für die Untersuchung, weil die Maße aufgrund der Fragmentierung der Exemplare nicht vollständig erfasst werden konnten. Generell ist die Zahl der Funde für die Analyse durch Fragmentierung stark eingeschränkt. Siehe Abb. 41. Das Exemplar gehört zur Merkmalskombination 15. Die Hakenplatte der Fibel der Merkmalskombination 20 zeigt sehr ähnliche metrische Verhältnisse mit den länglich-rhombischen Hakenplatten einer Fibel der ebenfalls „gemischten“ Merkmalskombination 44 sowie einer Fibel der Merkmalskombination 19.
266
Methode und Analyse
Abb. 41: Formale Merkmalskombinationen und die Lage der größten Breite der Hakenplatte.
Analyse
267
Die Merkmalskombinationen mit länglich-rhombischen Hakenplattenformen, die insgesamt nur mit zehn Fibelexemplaren vertreten sind, weisen häufiger die größte Breite oberhalb der Mitte auf. Die Hakenplattenlänge übersteigt dabei in keinem Fall den Wert von sechs Zentimetern. Lediglich drei Fibelexemplare aus verschiedenen Merkmalskombinationen der Stichprobe haben die größte Breite unterhalb der Mitte der Hakenplatte und weisen ähnliche metrische Dimensionen wie Fibeln mit deltoider Hakenplatte auf.167 Die größte Breite unterhalb der Mitte weisen überwiegend die Merkmalskombinationen mit deltoiden Hakenplattenformen auf. Sie bilden mit 52 Fibelexemplaren nicht nur insgesamt die größte, sondern auch eine relativ geschlossene Gruppe von Fibeln. Die Hakenplatten dieser Fibeln übersteigen die Länge von sechs Zentimetern nicht. Lediglich eine Fibel einer „gemischten“ Merkmalskombination hat die größte Breite oberhalb der Mitte und weist ähnliche metrische Verhältnisse wie länglich-rhombische Hakenplattenformen der Merkmalskombination 14 auf.168 Somit kann hier festgehalten werden, dass auch die Untersuchung der Lage der größten Breite der Hakenplatte die Ergebnisse der bereits festgestellten quantitativen Korrelationen zwischen den formalen Merkmalsausprägungen metrisch bestätigt. Die länglich-rhombischen Hakenplattenformen nehmen somit eine vermittelnde Stellung zwischen den beiden anderen, hier untersuchten Hakenplattenformen ein. 2.7 Konstruktion der formal-metrischen Merkmalskombinationsgruppen Die Strukturanalyse der metrischen Merkmale ergab bei der Betrachtung der Längenwerte für Spiralplatte, Bügel und Hakenplatte einen kontinuierlichen Anstieg der Längen- und Breitenwerte ohne signifikante Abweichungen bzw. Hinweise auf Gliederungsmöglichkeiten. Die Untersuchung der Verhältnisse zwischen den Längen- und Breitenwerten der drei Fibelbestandteile offenbarte hingegen vielmehr die große metrische Variabilität innerhalb der Fibelexemplare der Stichprobe, die jedoch ebenfalls keine Regelhaftigkeiten bzw. Gruppierungsmöglichkeiten erkennen ließ. Die Analyse der metrischen Verhältnisse in Bezug zur Gesamtlänge der Fibelexemplare ergab im Wesentlichen eine Zunahme aller Werte bei allgemeiner Vergrößerung der Fibeln, doch variierten die Werte für die einzelnen Fibelbestandteile teilweise in so erheblichem Ausmaß, dass letztlich auch hier 167 168
Merkmalskombination 19, 27, 34. Das Exemplar der Merkmalskombination 3.
268
Methode und Analyse
keine Gruppierungen plausibel unterschieden werden konnten. Somit konnte aufgrund der erkennbaren Variabilität keine ausschließlich auf metrischen Merkmalen basierende Gliederung der „Blechfibeln“ vorgenommen werden. Der Befund war vor allem auf die große formale Vielfalt der Fibelexemplare zurückzuführen. Die hohe materialimmanente Variabilität in der formalen Zusammensetzung der „Blechfibeln“ wurde zunächst auch durch die Untersuchung der Kombinationen der formalen Merkmale bestätigt. Dennoch konnten hier quantitative Häufungen von Kombinationen bestimmter unterschiedener formaler Merkmalsausprägungen der Spiralund Hakenplatte festgestellt werden. Diese Korrelationen der formalen Merkmalsausprägungen wiesen wiederum eine große metrische Variationsbreite auf. Doch konnten hier Regelhaftigkeiten zwischen den bereits vorher festgestellten Korrelationen der formalen Merkmalskombinationen und spezifischen metrischen Verhältnissen ausgemacht werden, die eine Aufgliederung der „Blechfibeln“ methodisch vertretbar erscheinen ließen. Die Korrelationen zwischen quantitativ häufig vorkommenden Kombinationen diverser formaler Merkmalsausprägungen mit spezifischen metrischen Verhältnissen bildet somit die Grundlage für die vorgenommene Gliederung der „Blechfibeln“. Die Fibelexemplare der Stichprobe zeigten in den untersuchten Merkmalsausprägungen jedoch ein äußerst heterogenes, nur sehr schwer zu gliederndes Bild, welches sich bei einer quantitativen Zunahme der Fibelexemplare in der Stichprobe noch deutlicher dargestellt hätte. Aufgrund der metrischen und formalen Vielfalt im Fibelmaterial wurde daher auch auf eine Definition von „Typen“ verzichtet, da dies eine Möglichkeit zu einer vermeintlich klaren bzw. schematischen Trennung evozieren würde, die so im Material jedoch nicht gegeben ist. Nach der umfassenden Analyse der formalen und metrischen Merkmale sowie deren Korrelationen lassen sich anhand der in der Stichprobe vertretenen Fibelexemplare zwei sowohl in der formalen als auch metrischen Zusammensetzung zunächst sehr variabel und äußerst inhomogen erscheinende Merkmalskombinationsgruppen unterscheiden, deren Merkmalszusammensetzung in Tab. 10 aufgeführt wird.169
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Die quantitativ nur gering in der Stichprobe vertretenen Spiral- und Hakenplattenformen sind in Tab. 10 in Klammern gesetzt. Dennoch werden diese anhand ihrer Kombination mit der jeweilig kombinierten formalen Merkmalsausprägung und den metrischen Dimensionen den jeweiligen Merkmalskombinationsgruppen zugeordnet. Zur Absicherung sind zukünftige Untersuchungen mit einer größeren Materialbasis nötig.
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Analyse
Tab. 10: Merkmalskombinationsgruppen aufgrund formaler und metrischer Merkmalsausprägungen. Die in Klammer gesetzten Merkmalsausprägungen sind in der Stichprobe quantitativ nur selten vertreten. Merkmalskombinationsgruppe I Gesamtlänge