Vielfalt plus Zusammenhalt: Eine ethnologische Perspektive auf die Praxis Berliner Integrationspolitik [1. Aufl.] 9783839425787

Much is spoken of integration - seldom does anyone ask who is involved in political interventions for integration and in

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German Pages 304 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Aussichtspunkt: Das Berliner Aktionsprogramm
2.1 Das integrationspolitische Sonderprogramm als politische Intervention
2.2 Chronologie des Aktionsprogramms
2.3 Feldzugänge
2.4 Akteure und Akteurinnen
2.5 Interaktionsräume
2.6 Chancen und Grenzen Teilnehmender Beobachtung
3. Politiken, Assemblagen, Übersetzungen
3.1 Anthropology of policy
3.2 Politik als Assemblage
3.3 Übersetzungen, Repräsentationspraktiken
4. „Integration“ – Wandlungen eines Konzeptes
4.1 Klassische Assimilationstheorien
4.2 Return to Assimilation
4.3 Kultur, Ethnizität und das Differenzparadigma
4.4 Homogenität versus Diversität
4.5 Der transnational turn
4.6 Kritische Migrationsforschung
4.7 Jenseits von „Integration“?
5. Facetten Berliner Integrationspolitik
5.1 Teilhabe
5.2 Politische Partizipation
5.3 Ergänzungen: Aktivierung und Interkulturelle Öffnung
5.4 „Neue Wege“
6. Übersetzung I: Die Verwaltung
6.1 Verwaltung oder Gestaltung von „Integration“
6.2 „Böse Onkel“ und „gute Seelen“ in der Verwaltung
6.3 Kennenlernen
6.4 Kontrolle und Empathie
6.5 Der Ermessensspielraum
6.6 Kommunikationslücken
7. Übersetzung II: Interkulturelle Öffnung
7.1. Das „Tandem“ als Regierungstechnik
7.2 Tandempartnerschaften im Aktionsprogramm
7.3 Zuschreibungen
7.4 Ressourcen
7.5 Macht, Ermächtigung und Herrschaftswissen
8. Übersetzung III: Respekt
8.1 „Gleiche Augenhöhe“: Respekt als politisches Programm
8.2 Respekt als kulturalisierter Verhaltenskodex
8.3 Vorbilder – Respektspersonen
8.4 „Respekt zeigen“ als zentraler Wert des Hip Hop
8.5 Respekt aus einer geschlechterdemokratischen Perspektive
8.6 Respekt als „gesellschaftliches Schmiermittel“?
9. Übersetzung IV: Praktiken des Ausschlusses
9.1 „Vom Knast auf den Catwalk“: Das Projekt Neustart
9.2 Rap: Über Ausgrenzung sprechen
9.3 Aktivierung versus (Selbst-)Viktimisierung
9.4 Männer als Opfer
9.5 Zwei Seiten des Ghettobildes
9.6 Zugehörigkeiten
10. Repräsentationspraktiken
10.1 Repräsentation als sozialer Tatbestand
10.2 Aporien der Bemächtigung
10.3 Das Paradox der Übersetzung
10.4 Prozesse des Dis-Assembling und Re-Assembling
10.5 Leerstellen der Repräsentation
11. Ausblick – Lernstellen statt Leerstellen der Repräsentation
12. Literaturverzeichnis
13. Abbildungsverzeichnis
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Vielfalt plus Zusammenhalt: Eine ethnologische Perspektive auf die Praxis Berliner Integrationspolitik [1. Aufl.]
 9783839425787

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Barbara Kiepenheuer-Drechsler Vielfalt plus Zusammenhalt

Kultur und soziale Praxis

Barbara Kiepenheuer-Drechsler (Dr. phil.) ist Ethnologin und promovierte am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.

Barbara Kiepenheuer-Drechsler

Vielfalt plus Zusammenhalt Eine ethnologische Perspektive auf die Praxis Berliner Integrationspolitik

Zugleich Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Europäische Ethnologie, Januar 2013. Der Druck dieses Buches wurde durch einen Druckkostenzuschuss aus dem Frauenförderfonds der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2578-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt 1. Einleitung | 9 2. Aussichtspunkt: Das Berliner Aktionsprogramm | 17

2.1 Das integrationspolitische Sonderprogramm als politische Intervention | 19 2.2 Chronologie des Aktionsprogramms | 21 2.3 Feldzugänge | 24 2.4 Akteure und Akteurinnen | 27 2.5 Interaktionsräume | 39 2.6 Chancen und Grenzen Teilnehmender Beobachtung | 46 3. Politiken, Assemblagen, Übersetzungen | 49 3.1 Anthropology of policy | 49 3.2 Politik als Assemblage | 51 3.3 Übersetzungen, Repräsentationspraktiken | 62 4. „Integration“ – Wandlungen eines Konzeptes | 69 4.1 Klassische Assimilationstheorien | 70 4.2 Return to Assimilation | 73 4.3 Kultur, Ethnizität und das Differenzparadigma | 75 4.4 Homogenität versus Diversität | 79 4.5 Der transnational turn | 82 4.6 Kritische Migrationsforschung | 85 4.7 Jenseits von „Integration“? | 87 5. Facetten Berliner Integrationspolitik | 89 5.1 Teilhabe | 91 5.2 Politische Partizipation | 93

5.3 Ergänzungen: Aktivierung und Interkulturelle Öffnung | 94 5.4 „Neue Wege“ | 99 6. Übersetzung I: Die Verwaltung | 107

6.1 Verwaltung oder Gestaltung von „Integration“ | 109 6.2 „Böse Onkel“ und „gute Seelen“ in der Verwaltung | 112 6.3 Kennenlernen | 115 6.4 Kontrolle und Empathie | 116

6.5 Der Ermessensspielraum | 120 6.6 Kommunikationslücken | 124 7. Übersetzung II: Interkulturelle Öffnung | 131 7.1. Das „Tandem“ als Regierungstechnik | 131 7.2 Tandempartnerschaften im Aktionsprogramm | 134 7.3 Zuschreibungen | 143 7.4 Ressourcen | 148 7.5 Macht, Ermächtigung und Herrschaftswissen | 158 8. Übersetzung III: Respekt | 163

8.1 „Gleiche Augenhöhe“: Respekt als politisches Programm | 169 8.2 Respekt als kulturalisierter Verhaltenskodex | 171 8.3 Vorbilder – Respektspersonen | 179 8.4 „Respekt zeigen“ als zentraler Wert des Hip Hop | 186 8.5 Respekt aus einer geschlechterdemokratischen Perspektive | 190 8.6 Respekt als „gesellschaftliches Schmiermittel“? | 197 9. Übersetzung IV: Praktiken des Ausschlusses | 199 9.1 „Vom Knast auf den Catwalk“: Das Projekt Neustart | 200 9.2 Rap: Über Ausgrenzung sprechen | 209 9.3 Aktivierung versus (Selbst-)Viktimisierung | 216 9.4 Männer als Opfer | 220 9.5 Zwei Seiten des Ghettobildes | 222 9.6 Zugehörigkeiten | 232 10. Repräsentationspraktiken | 237

10.1 Repräsentation als sozialer Tatbestand | 237 10.2 Aporien der Bemächtigung | 258 10.3 Das Paradox der Übersetzung | 262 10.4 Prozesse des Dis-Assembling und Re-Assembling | 269 10.5 Leerstellen der Repräsentation | 271 11. Ausblick – Lernstellen statt Leerstellen der Repräsentation | 277 12. Literaturverzeichnis | 283 13. Abbildungsverzeichnis | 299

Dank

Diese Studie beruht auf einer Übersetzungsleistung, die spezifische Auslassungen mit sich bringt. Nicht alle Akteure und Akteurinnen, die ich im Rahmen meiner Feldforschung besucht habe, haben daher Eingang in diese Studie gefunden und nicht bei allen kann ich mich an dieser Stelle bedanken. Danken möchte ich Beate Binder und Barbara John für die engagierte Betreuung meiner Doktorarbeit. Beate Binder danke ich insbesondere für die fortwährende Ermutigung, meine eigenen Gedanken immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Barbara John hat als ehemalige Ausländerbeauftragte Berlins meine Auseinandersetzung mit der Berliner Integrationspolitik mit großem Interesse und neuen Impulsen begleitet. Neben ihren vielfältigen anderen Aufgaben hat sie immer wieder Zeit für ein nachdenkliches Gespräch und eine kritische Nachfrage gefunden, was ich sehr zu schätzen wusste. Die Diskussionen zu einer anthropology of policy im Rahmen der Doktorandengruppe am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität haben mir immer wieder neue Anregungen sowohl für die Gestaltung meiner Feldforschung als auch für die theoretische Ausrichtung dieser Studie gegeben. Darüber hinaus bot das Labor Migration die Gelegenheit, sich kritisch mit den aktuellen Kontroversen zu „Integration“ und „Migration“ auseinander zu setzen. Dafür, dass sie diese interdisziplinäre Diskussionsplattform ins Leben gerufen haben danke ich Regina Römhild und Manuela Bojadžijev. Meine Feldforschung im Rahmen des Berliner Aktionsprogramms wäre ohne das Entgegenkommen des Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening nicht möglich gewesen. Allen Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten und des Evaluationsbüros möchte ich für die große Offenheit danken, die sie meiner Forschung entgegenbrachten und mit der sie alle meine Fragen beantworteten. Für die vielfältigen Erfahrungen, die ich durch meine Mitarbeit in den Tandem-Projekten sammeln durfte, die vielen aufschlussreichen Gespräche mit den Vereinsmitarbeiter/innen und Projektleiter/innen, sowie den teilnehmenden

Jugendlichen bin ich ausgesprochen dankbar. Mein Dank geht insbesondere an Dursun, Yusuf, Olaf, Erol, Witness und Can, die mir, auch als vollkommen „Unwissende“, immer Respekt entgegengebracht haben. Der Kommission für Frauenförderung der Humboldt-Universität zu Berlin danke ich für die finanzielle Förderung durch ein Abschlussstipendium und die Förderung der Druckkosten für dieses Buch. Schließlich möchte ich meinem Mann für die fortwährende Ermunterung, aber auch Kritik danken. Mit Deinen Nachfragen hast Du einen entscheidenden Beitrag zur Fertigstellung dieser Studie geleistet und mir gleichzeitig immer wieder gezeigt, dass es noch ein Leben jenseits der Doktorarbeit gibt. Dir und unserer Tochter möchte ich dieses Buch widmen. Berlin, im Juli 2013

1. Einleitung

Unter der Leitfrage, ob Integrationspolitik neue Wege gehen kann und muss, um den gegenwärtigen gesellschaftlichen Anforderungen Genüge zu tun, wurde durch den Berliner Senat in den vergangenen Jahren ein neues „Integrationskonzept“ entwickelt. Unter dem Motto des 2007 vorgestellten Integrationskonzeptes1 „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ sollte ein Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik eingeleitet werden. Interkulturelle Öffnung und das Empowerment von Migrantenorganisationen für eine aktive Teilhabe in der städtischen Gesellschaft bildeten darin zwei wesentliche Aspekte. Durch den Berliner Senat bereitgestellte Sondermittel für integrationspolitische Vorhaben ermöglichten es in diesem Zusammenhang, eine Serie von mittlerweile drei „Aktionsprogrammen“ ins Leben zu rufen, durch die Kooperationen zwischen sogenannten „etablierten Institutionen“ und „Migrantenorganisationen“ gezielt gefördert werden sollten. 2 Die Analyse der Umsetzung von Aspekten dieses politischen Konzeptes in die Praxis und die dabei zu erfassenden mehrfachen Übersetzungsvorgänge stehen im Zentrum dieses Buches. Die hier diskutierten Forschungsergebnisse beruhen auf ethnographischem Material, das zwischen Juni 2008 und Dezember 2009 in einer ethnologischen Feldforschung im zweiten dieser integrationspolitischen Aktionsprogramme erhoben

1

Das Berliner Integrationskonzept zitiere ich im Folgenden als (Abgeordnetenhaus

2

Das 1. Berliner Aktionsprogramm befasste sich mit der Förderung sozialer Teilhabe

2007a). von Migrant/innen in ihren Quartieren. Es hatte eine Laufzeit von April bis Dezember 2006 und wurde als integrationspolitische Berliner „Erfolgsgeschichte“ gefeiert. Das 2. Aktionsprogramm hatte eine Laufzeit von Juni 2008 bis Dezember 2009 und ist Gegenstand dieser Untersuchung. Mittlerweile wurde auch ein drittes Aktionsprogramm durchgeführt, das die „Integration“ von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Dieses wurde in der Forschung nicht berücksichtigt.

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wurde. Dieses zweite Aktionsprogramm richtete sich an Institutionen aus dem Bereich der Sozialen Jugendarbeit und sollte als Zielgruppe männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund ansprechen. Über eine Laufzeit von 18 Monaten wurde im Rahmen dieses Aktionsprogramms die Arbeit von 17 Projekten mit einer Gesamtsumme von ca. 950.000 € gefördert (IntMig 2010a:11).3 Im Integrationskonzept des Berliner Senats und im gleichnamigen Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ werden zwei „Pole“ der augenblicklichen Integrationsdebatte miteinander verbunden: Diversity einerseits und Zusammenhalt/ gemeinsame Werte andererseits. Diese häufig als gegensätzlich wahrgenommenen Auslegungen von „Integration“ sollten nach dem Willen des ehemaligen Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening in der neuen Integrationspolitik Berlins vereint werden. Wenn es um die zukünftige Gestaltung unserer Gesellschaft geht ist „Integration“ seit einigen Jahren zu einem Schlüsselkonzept des politischen Diskurses avanciert. Als dieses Buch entstand erhitze die sogenannte „Integrationsdebatte“ die Gemüter und wurde durch die Publikationen von Thilo Sarrazin (Berberich/ Sarrazin 2009 sowie Sarrazin 2010) weiter angefacht. Das gegen Ende meiner Feldforschung im September 2009 im „lettre international“ veröffentlichte Interview von Sarrazin bildete den Auftakt einer aufgeregten und pauschalisierenden Kontroverse. Im August 2010 – und damit acht Monate nach der Beendigung meiner Feldforschung – erschienen Sarrazins provokante Thesen in Buchform unter dem Titel „Deutschland schafft sich ab“. Selbstbewusst antworteten die Teilnehmer eines von mir erforschten Projekts auf Sarrazins Buch mit folgendem Rap: Sarra-Zynismus Witness Deutschland schafft sich ab, dank so Menschen wie dir nicht wegen Menschen andrer Länder, die die Grenzen passier‫ތ‬n. Junge, fusionier‫ތ‬n heißt nicht assimilier‫ތ‬n auch wenn die Populismen immer noch die Masse regier‫ތ‬n. Was ist deutsch? Gib mir mal ‫ތ‬ne Definition aber wahrscheinlich heißt es was and‫ތ‬res für jede Person. Deutsch wird man nicht auf Kosten seiner Identität Deutschland lebt vom Sauerstoff der Diversität. […] 3

Die finanzielle Förderung der einzelnen Projekte fällt dabei sehr unterschiedlich aus und beträgt zwischen 13.000 € und 81.000 € (siehe IntMig 2010a:76).

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Komm mal wieder auf den Boden, lass mal differenzier‫ތ‬n die Geschichte studier‫ތ‬n, damit wir ‫ތ‬nen bisschen kapier‫ތ‬n. Immigration half sogar so Leuten wie dir denn wär‫ތ‬n die Grenzen zu gewesen, wärst du heute nicht hier. Oh Yeah – das hier war nie ein Kulturproblem sondern die fehlende Chancengleichheit im Schulsystem! So bleibt die Karriere von so vielen Kindern begrenzt denn das Geld vererbt sich, nicht die Intelligenz. […] Hookline: Thilo Sarrazin warum denn so plakativ? Der pure Hass befällt dein Wesen wie ein Parasit. Wir brechen das Schweigen, die Lügen und die Apathie, und laden die Wörter wie Waffen voll mit Magazin. Yusuf:

Deutschland schafft sich ab durch das gleichnamige Buch es gibt tausend Debatten über die zweifelhaften Studien und die breite Masse flucht, weil einer was versucht und es ist ihm fast gelungen – jeder zweite findet‫ތ‬s gut. Auch der Ex-Finanzsenator4 ist dabei, das Land zu spalten eigentlich müsste er nur noch die Hand aufhalten. Aber nein, er versucht etwas Angst zu verbreiten und stößt auf Hass von der angepissten anderen Seite. Wir rebellieren gegen die Hetzpolitik dieses Mannes den die Rechten jetzt lieben am schlimmsten sind die, die diesen Dreck tolerieren und ich finde es mies, wie indirekt alles geschieht. Seine Anhänger wagen sich nur langsam ans Licht sie geben sich erst zu erkennen, wenn noch ein anderer spricht. Es ist traurig, aber wahr, dieses Land spielt verrückt seit dem 30. August wird der Verstand unterdrückt. Man kann nicht 4 Millionen über einen Kamm scheren aber man kann 4 Millionen fast überall gut anlernen. Jeder ist integrationsfähig – 100 pro (%) doch es fehlen die Mittel, jeder kämpft mit seinem Hungerlohn. Statt zu verurteilen: Präsentier‫ ތ‬die Lösung! Jeder kann viel reden, doch am Ende zählt der Höhepunkt.

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Thilo Sarrazin war von 2002 bis 2009 Finanzsenator des Berliner Senats.

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12 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Die Veränderung ist das Ziel, das musst du akzeptieren und wenn du bei Verstand bist, lass mich daran appellieren!5

Es liegt jenseits der Zielstellung dieses Buches, die vielfältigen auf die Thesen Sarrazins erfolgten Reaktionen und Gegenreaktionen zu erfassen oder zu analysieren. Jedoch auch schon vor der durch Sarrazins plakative Thesen angestoßenen Debatte um „Integration“ war das, was unter diesem Begriff verstanden wird vielgestaltig und widersprüchlich. Eine kritische wissenschaftliche Aufarbeitung der Ideengeschichte des Konzeptes „Integration“ erfolgte durch die Arbeiten von Manuela Bojadžijev (2006), Sabine Hess und Johannes Moser (2009), Mark Terkessidis (2010), sowie durch die diskursanalytischen Arbeiten von Stephan Lanz (2007/ 2009). Eine Auseinandersetzung mit den in diesem Begriff implizit eingeschlossenen Konzepten wurde dabei wiederholt angemahnt. In Folge der Sarrazin-Debatte unterstreichen Serhat Karakayal und Manuela Bojadžijev die strikte Position, „dass der Begriff nicht mehr zu halten ist“ (Karakayal/ Bojadžijev 2010b). Urmila Goel verweist gleichfalls auf eine diesem Begriff zugrundeliegende Machtasymmetrie, kommt aber zu dem Schluss, dass der „Gewalttätigkeit des ‚I.‘-Diskurses nicht durch die Wahl eines alternativen Begriffes entgegengewirkt [werden kann]. Weniger das Wort ‚I.‘ ist problematisch, sondern die dem Diskurs zugrundeliegenden rassistischen Ausgrenzungen, die mit jeder unkritischen Rede von ‚I.‘ reproduziert werden“ (Böcker/ Goel/ Heft 2010:309f). Diese Debatte zeigt, dass es auch bei einer kritischen Reflexion der diesem Begriff innewohnenden Machtstrukturen schwer fällt, zu einem alternativen, „unschuldigen“ Begriff zu kommen, durch den bestehende Differenzen nicht weiter reproduziert werden. Dieses Dilemma lässt sich gleichfalls in den integrationspolitischen Überlegungen des Berliner Senats aufzeigen, die den Ausgangspunkt dieser Studie bilden. Mit dem Ziel, „verkrustete Strukturen“ aufzubrechen wird auch hier – wie sich am Beispiel des Berliner Aktionsprogramms aufzeigen lässt – auf die Logiken eines Integrationsbegriffes zurückgegriffen, der unweigerlich Differenzen zwischen einer Mehrheitsgesellschaft und Migranten aufrecht erhält, welche er vordergründig überwinden will. Auch in dieser Studie wird das Konzept von „Integration“ kritisch hinterfragt. Dabei werde ich jedoch eine neue, weniger diskursanalytisch ausgerichtete Perspektive einnehmen, sondern mich vielmehr mit den Formen und Praktiken des Organisierens, durch die eine sogenannte „Integrationspolitik“ gestaltet wird, 5

Ich danke an dieser Stelle dem Berliner Rapper und Sozialarbeiter Witness für die Bereitstellung und Transkription des Textes, der hier in Auszügen zitiert wird. Das gerappte Original und das dazugehörige Video findet sich unter: http://www.youtube.com/watch?v=ag6A5qNH3oI. Zuletzt aufgerufen am 25.10.2012.

E INLEITUNG

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auseinandersetzen. Diese Studie soll damit einen Beitrag zur Erforschung einer „Politik der Integration“ aus der Perspektive einer anthropology of policy leisten. Ich werde in erster Linie nach der politischen Praxis von „Integration“ und danach fragen, wie sich dieser Begriff und die damit verbundenen Konzepte in der politischen Praxis eines spezifischen, in Berlin durchgeführten „Integrationsprogramms“ manifestieren. Haupttext und Subtexte Ziel der Forschung sollte es ausdrücklich nicht sein, eine Evaluation des beobachteten Integrationsprogramms durchzuführen. Dafür hatte die Behörde eigens ein externes Evaluationsbüro beauftragt. Meine weder finanziell noch durch andere Vorgaben von der Behörde abhängige Forschung befasst sich vielmehr mit der Umsetzung der genannten integrationspolitischen Konzepte. Sie fragt danach, wie sich eine „Politik der Integration“ im Arbeitsalltag der Mitarbeiter/innen der Verwaltung und der damit beauftragten Berliner Vereine manifestiert und bei den Teilnehmer/innen eines solchen Programms ankommt. Im Verlauf der Forschung wurde schnell offenbar, dass dabei einem CodeSwitching zwischen einem Haupttext, welcher die Repräsentation des Aktionsprogramms prägt, und verschiedenen Subtexten, die im Verlauf der Forschung durch diverse Akteur/innen auf allen Ebenen der Forschung an mich herangetragen werden, eine bedeutsame Rolle zukommt.6 Bei welcher Gelegenheit dabei auf welche Sprechweise zurückgegriffen wird, ist sehr stark von der jeweiligen Situation abhängig. Durch die Vermittlung dieser „Subtexte“ gelange ich zu besonderen Einblicken in das Feld der Integrationspolitik. Gleichzeitig bringen sie jedoch auch Schwierigkeiten mit sich. Einerseits will ich das in mich gesetzte Vertrauen, welches auch auf der Zusicherung der Anonymisierung gegenüber meinen Interaktionspartner/innen beruht, nicht missbrauchen. Andererseits verstehe ich es als meine Aufgabe, auch die an mich übermittelten (Sub)Texte offen zu legen, um die Komplexität des sozialen Lebens des Berliner Aktionsprogramms verdeutlichen zu können. Die Strategie, die ich als Ausweg aus diesem ethischen Dilemma gewählt habe, liegt in einer abermaligen Übersetzung und damit einhergehenden Abstrahierung dieser (Sub)Texte im Rahmen dieser Studie. Anstatt die Arbeit einzelner Projekte darzustellen habe ich mich dazu entschieden, einzelne, durch die unter6

Die Idee des Code-Switching stammt ursprünglich aus der Sprachwissenschaft. Die Anwendung dieses Begriffes auf den Bereich der Sozialwissenschaften entlehne ich Rottenburg 2005.

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schiedlichen Akteur/innen thematisierten Themenfelder (wie „Respekt“ oder „Interkulturalität“) aufzugreifen und diese innerhalb der Interaktionen des Aktionsprogramms zu diskutieren. Alle Namen, auch die der geförderten Vereine wurden dabei anonymisiert.7 Ich habe mich jedoch gegen eine totale Fiktionalisierung entschieden, da der (integrations-)politische Kontext, in dem dieses Programm angesiedelt ist, von entscheidender Bedeutung ist. Das „Projekt Integration“, das in diesem Aktionsprogramm auf „neue Wege“ gelenkt werden soll (siehe Kapitel 5.4.) charakterisiert sich in meinen Augen durch viele Brüche, eigenwillige Logiken, Aushandlungen und Re-Präsentationen aller Beteiligten. Die von den sehr unterschiedlichen Partnern und Partnerinnen verfolgten Ziele und eingesetzten bzw. entwickelten Strategien werde ich versuchen, in dieser Studie aufzuzeigen. Das Zusammenspiel zwischen Politik und Praxis, zwischen am Schreibtisch entwickelten Konzepten und ihrer Umsetzung wird dabei im Zentrum der Betrachtungen stehen. Inhaltlicher Überblick Den im Rahmen des Berliner Aktionsprogramms auftretenden Übersetzungen näherte ich mich über eine mehrmonatige ethnologische Feldforschung an. In Kapitel 2 dieser Studie werde ich dem Leser zunächst einen Überblick über dieses Forschungsfeld geben und den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen des untersuchten Aktionsprogramms darlegen. Dabei werde ich auch auf meine Feldzugänge (2.3) und die für die Erforschung dieses Feldes bedeutsamen methodologischen Überlegungen näher eingehen und sowohl die Akteure und Akteurinnen in diesem Feld (2.4) als auch die für das Aktionsprogramm wesentlichen Interaktionsräume (2.5) charakterisieren. Der spezifisch ethnologische Beitrag zur Erforschung einer „Politik der Integration“ wird im darauf folgenden Kapitel 3 dargelegt, in welchem ich die Studie theoretisch in einer anthropology of policy (3.1) verorte. Die für diese Studie wesentlichen theoretischen Überlegungen zum Konzept der Assemblage und zu Fragen der Übersetzung entwickele ich ebenfalls in diesem Kapitel. Kapitel 4 bildet den forschungsgeschichtlichen Hinter7

Lediglich bei Debatten, die in der (medialen) Öffentlichkeit geführt werden und an denen Personen des öffentlichen Lebens beteiligt sind, verzichte ich auf den Einsatz von Anonymisierungen. Dies ist an zwei Stellen dieser Arbeit der Fall. In den einführenden Anmerkungen zu Kapitel 9, in denen ich den Mittschnitt der Talkshow von Anne Will zitiere und in Kapitel 9.2 in dem ich auf die Fachvorträge der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak und Hakan Aslan eingehe. Darüber hinaus nenne ich den ehemaligen Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening sowie die damalige Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Heidi Knake-Werner bei ihrem Namen.

E INLEITUNG

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grund ab, vor dem die Berliner integrationspolitischen Konzepte zu interpretieren sind und diskutiert die enge Verknüpfung von wissenschaftlichen Überlegungen zu Konzepten der „Integration“ und deren politischer Aktivierung. In Kapitel 5 wird vor diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund die spezifische Ausrichtung der aktuellen Berliner Integrationspolitik und die hier bedeutsamen integrationspolitischen Konzepte diskutiert und kontextualisiert. Die darauf folgenden Kapitel wenden sich den unterschiedlichen Bestandteilen der Assemblage „Aktionsprogramm“ im Einzelnen zu. In Kapitel 6 stehen die Übersetzungsleistungen im Fokus der Überlegungen, welche durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Beauftragten für Integration und Migration vorgenommen werden. Eine zentrale Bedeutung kommt hier den für das Projekt zuständigen Sachbearbeiterinnen zu. Diese stehen an der Schnittstelle von Bürokratie und Projekten vor der schwierigen Aufgabe, den Anspruch der integrationspolitischen Projektziele in Alltagspraktiken zu übersetzen. Mit Empathie und gleichzeitiger Kontrolle sowie der Erkenntnis, dass sie es hier mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun hat füllen die Sachbearbeiterinnen diesen Zwischenraum (6.4 / 6.5). Das daran anschließende Kapitel 7 befasst sich mit dem zentralen Ziel der integrationspolitischen Intervention: der interkulturellen Öffnung. Es beleuchtet die Umsetzung dieses Zieles aus der Perspektive der daran beteiligten Akteur/innen auf der Ebene der Vereine. Die konflikthaften Auseinandersetzungen, die in den als Instrument der interkulturelle Öffnung eingesetzten sogenannten „Tandem-Partnerschaften“ auftreten, werden anhand der empirischen Beobachtungen dargestellt und gleichzeitig die diesen Tandem-Partnerschaften zugrundeliegenden Machtasymmetrien aufgezeigt. Überlegungen zu dem in vielen Interaktionen des Aktionsprogramms wichtigen Thema „Respekt“ werden in Kapitel 8 dieser Studie aufgegriffen. Dabei sollen an dieser Stelle insbesondere die vielfältigen Facetten und die Bedeutung von Respekt als gesellschaftlicher Wert diskutiert und danach gefragt werden, auf welche Weise die einzelnen Akteur/innen die Bedeutung(en) von Respekt für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen aktivieren beziehungsweise einfordern. Nach der Diskussion von Respekt als Mittel des gesellschaftlichen Zusammenhalts befasst sich Kapitel 9 mit Praktiken des Ausschlusses, der Stigmatisierung und der Diskriminierung, sowie den Strategien der Akteur/innen, diesen Exklusionspraktiken zu begegnen. In allen empirischen Kapiteln (Kapitel 6, 7, 8 und 9) werden anhand von Beispielen aus den einzelnen Projekten Übersetzungsprozesse herausgearbeitet, unterschiedliche Auslegungen dargelegt und die Verknüpfungen, Überschneidungen aber auch Widersprüchlichkeiten in diesen Interaktionen verdeutlicht. In meiner Forschung nähere ich mich dabei diesen Aushandlungen von verschiedenen Standpunkten aus. Damit wird ein methodologischer Ansatz verfolgt, wel-

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cher in die anthropology of policy als „studying through“ Eingang gefunden hat und es ermöglicht, nicht nur die politische Intervention an sich, sondern die damit in Verbindung stehenden komplexen Interaktionen zwischen den einzelnen Komponenten der Assemblage in ihrer Prozesshaftigkeit und Widersprüchlichkeit zu erfassen. Die ethnologische Herangehensweise der Teilnehmenden Beobachtung spielt dabei bei der Erfassung des sozialen Lebens einer Politik eine wesentliche Rolle, beziehungsweise ermöglicht diese erst. Im zusammenfassenden Kapitel zu Repräsentationspraktiken (Kapitel 10) wird der Frage nachgegangen, was die einzelnen Komponenten der Assemblage Aktionsprogramm zusammenhält. Die in den vorangegangenen Kapiteln dargelegten komplexen Bezüge und sich teilweise widersprechenden Auslegungen von Interkulturalität und Respekt, sowie die unterschiedlichen Praktiken, Zugehörigkeit(en) abzusprechen, zuzuweisen oder einzufordern, lassen sich als Facetten oder Knotenpunkte einer Assemblage begreifen. Wie ich aufzeigen werde, stellen die spezifischen Logiken der Repräsentation dabei einen geglätteten „Haupttext“ (s.o.) dar, welcher die Interaktionen der einzelnen Akteur/innen und damit auch den in diesem Programm geführten Diskurs zu „Integration“ in der öffentlichen Repräsentation bestimmen. Mit einem Plädoyer für einen differenzierten und kritischen Blick auf die Umsetzungsprozesse von Integrationspolitik werde ich diese Studie abschließen.

2. Aussichtspunkt: Das Berliner Aktionsprogramm

Die ethnologische Feldforschung, die die Grundlage der vorliegenden Studie bildet, wurde von Juni 2008 bis Dezember 2009 in verschiedenen Berliner Quartieren durchgeführt. Von den 17 Projektes des Berliner Aktionsprogramms begleitete ich vier Projekte in allen Projektphasen, nahm an den alltäglichen Veranstaltungen der Projekte teil, dokumentierte Projektinhalte und -verlauf und führte unzählige Gespräche sowie über 40 halbstrukturierte Interviews mit den Teilnehmer/innen, Projektkoordinator/innen und anderen an den Projekten beteiligten Akteur/innen. Diese Teilnehmende Beobachtung in den Vereinen der Berliner Jugend- und Bildungsarbeit wurde ergänzt durch die Teilnahme an allen Netzwerktreffen des Aktionsprogramms, dem Besuch von ausgewählten Sitzungen des Berliner Abgeordnetenhauses, sowie durch Interviews im Haus des Berliner Beauftragten für Integration und Migration und mit Mitarbeiter/innen des verantwortlichen Evaluationsbüros. Feldforschung begreife ich als eine Form der sozialen Interaktion. Ich beziehe mich dabei auf Überlegungen von Martin Sökefeld, in welchen er den dialogischen Charakter des „Unternehmens Feldforschung“ herausstellt und Feldforschung als einen interaktiven Prozess bzw. als eine soziale Interaktion zwischen dem Ethnologen oder der Ethnologin und seinen/ ihren Interaktionspartner/innen im Feld beschreibt (Sökefeld 2006:10). Bei dieser sozialen Interaktion geht es immer wieder auch darum, Zugänge zu schaffen und soziale Distanzen zu meistern. Wesentliches Merkmal der Teilnehmenden Beobachtung ist dabei das doppelte Spiel von Empathie einerseits und kritischer Beobachtung andererseits. James Clifford beschreibt Teilnehmende Beobachtung „als Kürzel für ein ständiges Hin- und Herlavieren zwischen dem ‚Inneren‘ und dem ‚Äußeren‘ von Ereignissen. Einerseits greift sie mit Entschiedenheit nach dem Sinn spezifischer Vorkommnisse und Gesten, andererseits tut sie einen Schritt zurück, um diese

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Beobachtungen zu situieren. Besondere Ereignisse erwerben damit tiefere und allgemeinere Bedeutung, Strukturregeln und so fort.“ (Clifford 1993:127) Der Herausforderung, sich emphatisch an den Projekten zu beteiligen, ohne eine kritische Beobachtung der Geschehnisse zu vernachlässigen, habe ich mich während der Feldforschung gestellt. Der Fokus richtete sich dabei auf das soziale Leben der beobachteten Integrationsprojekte und auf die Organisation von Integrationspolitik. Damit verfolge ich eine Herangehensweise, die durch Georg Elwerts Überlegungen zu einer Ethnologie der Entwicklung (Bierschenk/ Elwert 1993) und Cris Shores Ausführungen einer anthropology of policy (Shore/ Wright 1997a) inspiriert ist, auf die ich in Kapitel 3.1 näher eingehen werde. Die Erforschung der „Praktiken des Organisierens“ (Rottenburg 2003:4), beziehungsweise die Frage danach, wie integrationspolitische Vorhaben umgesetzt und in die jeweiligen Praxen der Akteur/innen übersetzt werden, steht dabei im Zentrum der Forschung. Ähnlich wie Richard Rottenburg in seiner Erforschung der Organisation von entwicklungspolitischen Vorhaben (Rottenburg 2002) siedelte ich die Teilnehmende Beobachtung zeitgleich in mehreren Interaktionsräumen an und konnte so diverse Perspektiven auf die Umsetzung integrationspolitischer Zielsetzungen zu erfassen. Die durch Wright und Reinhold (Wright/ Reinhold 2011) dargelegte Methodologie des studying through bietet sich in diesem Rahmen an, um Politik(en) in Gestalt von umstrittenen Narrativen auf ihrer Wanderung durch unterschiedliche Kontexte und die diversen Handlungsrahmen des Aktionsprogramms zu verfolgen. Ausgehend von der Diskussion um ein studying up und ein studying down (siehe Nader 1969; Bowman 2009) verstehen Wright und Reinhold unter studying through eine an mehreren Orten angesiedelte Ethnografie, welche den Verbindungen einer Policy zwischen unterschiedlichen Organisations- und Alltagswelten nachspürt (Shore/ Wright 1997:11). Mit der Methodik des studying through lässt sich darüber hinaus die Prozesshaftigkeit und Widersprüchlichkeit einer Policy erfassen: „‚Studying through‘ offers a strategy which enables researchers to follow a process of contestation as it tracks back and forth across different sites in a policy field and over time […]“ (Wright/ Reinhold 2011:87f).

Durch eine Teilnehmende Beobachtung innerhalb des Aktionsprogramms, welche sich im Sinne des studying through quer zu allen Handlungsfeldern orientiert, lassen sich Widersprüchlichkeiten innerhalb von Interaktionen erfassen, welche normalerweise in der Logik (oder unter dem Druck) der Repräsentation geglättet werden und daher in der allgemeinen Wahrnehmung selten Beachtung

AUSSICHTSPUNKT : D AS B ERLINER A KTIONSPROGRAMM

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finden. Weiterhin kann eine Hierarchisierung der verschiedenen Akteur/innen und Handlungsfelder durch die mit dem studying through verbundene Herangehensweise des „back and forth and back again between protagonists, and up and down and up again between a range of local and national sites[…]“ (Wright/ Reinhold 2011:101) vermieden werden. Diese De-Hierarchisierung im Prozess der Erforschung betrachte ich als wichtiges Korrektiv der im Feld der Integrationspolitik stark ausgeprägten Machthierarchien, die häufig unbewusst von allen Beteiligten weiter fortgeschrieben werden. Das Berliner Aktionsprogramm dient mir in dieser Forschung als eine Art Aussichtspunkt: es ermöglicht, sich näher mit der Organisation von Integrationspolitik und den dabei notwendigen Übersetzungsvorgängen zu befassen und dabei den Blick für in anderen (integrations-)politischen Bereichen auftretende Vorgänge, Repräsentationsstrategien und Machtstrukturen zu schärfen.

2.1 D AS INTEGRATIONSPOLITISCHE S ONDERPROGRAMM ALS POLITISCHE I NTERVENTION Zwischen der Entwicklung und der praktischen Realisierung politischer Konzepte können Jahre vergehen. Um diesen Prozess zu Beschleunigen und die für die Verantwortungsträger in der Berliner Senatsverwaltung wichtigen politischen Erfolge zeitnah vorweisen zu können, wird durch das Berliner Abgeordnetenhaus im Oktober 2007 ein integrationspolitisches Sonderprogramm verabschiedet (Abgeordnetenhaus 2007d). Mit dem in der vorliegenden Studie erforschten „Aktionsprogramm II: Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“, verfolgt der Berliner Senat das Ziel, einzelne Aspekte des 2007 durch den Senat vorgelegten Berliner Integrationskonzeptes (Abgeordnetenhaus 2007a) umzusetzen und somit öffentlich sichtbar zu machen. Eine enge Beziehung zwischen dem spezifischen integrationspolitischen Sonderprogramm und der allgemeinen Ausrichtung der Berliner Integrationspolitik zeigt sich auch daran, dass das Aktionsprogramm mit seinem Titel „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ das zentrale Motto des Integrationskonzeptes übernimmt. Durch das Aktionsprogramm soll u.a. der partizipative Charakter der Berliner Integrationspolitik durch neue Formen der Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen unterstrichen werden. Von der Senatsverwaltung wird das Aktionsprogramm als „Plattform“ verstanden, um „innovative Verfahren zu testen und so best-practice Beispiele für ganz Berlin aufzuzeigen“ (www.berlin.de/lb/intmig/themen/aktion, zuletzt aufgerufen am 29.10.2012).

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In diesem integrationspolitischen Sonderprogramm werden ausschließlich Kooperationen zwischen einer „Migrantenselbstorganisation und einer im Bezirk tätigen Jugendeinrichtung, einem sozialen oder kulturellem Zentrum oder einem Sportverein“ (Pressemitteilung 08.01.2008) gefördert, welche als „Tandemkooperationen“ bezeichnet werden. Diese Vorgabe bezieht sich auf die im Berliner Integrationskonzept als „Leitprojekt 4E“ verankerte Komponente einer neuen Integrationspolitik. Das Integrationskonzept sieht hierzu vor, dass die „Stärkung der interkulturellen Kompetenz von Institutionen im Stadtteil“ durch die „Förderung von Tandemprojekten“ vorangetrieben werden soll (Abgeordnetenhaus 2007a:53). Als Zielgruppe des Aktionsprogramms werden „männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund“ in den verschiedenen Berliner Bezirken angesprochen. Die Koordination des Programms wird beim Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration angesiedelt. Regelmäßige Netzwerktreffen, die durch die Mitarbeiter/innen der Behörde und ein externes Evaluationsbüro organisiert werden, bilden den offiziellen Rahmen der Projektarbeit. Die Projektarbeit der sogenannten „Tandempartner“ mit den als Zielgruppe definierten „männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ findet auf die verschiedenen Stadtbezirke verteilt in den beteiligten Vereinen statt. Durch den Fokus des Programms auf männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund wird der Charakter des Aktionsprogramms als Regierungsintervention verdeutlicht, welche als Antwort auf spezifische Probleme initialisiert wurde. Gefragt nach der Entscheidung, warum diese Zielgruppe in den Fokus einer Förderpolitik gestellt werden soll, verweist der Beauftragte für Integration und Migration auf den Entstehungskontext des Aktionsprogramms: Zum Startzeitpunkt des Programms ist in Berlin die Debatte um die Rütli-Schule das vorherrschende Thema. Medienberichte über sogenannte Parallelwelten, Ghettos und migrantische Jugendkriminalität werden in dieser Debatte untermalt mit Bildern der zum Problemfall erklärten Rütli-Schule im Berliner Bezirk Neukölln (siehe Hess/ Moser 2009:12). Männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund werden in diesem Zusammenhang zum generellen Problem erklärt. Dass sie als politische Reaktion auf öffentliche Debatten, in denen Bildungsfernheit, Jugendkriminalität und Machogehabe im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, zur Zielgruppe des neuen Aktionsprogramms gewählt werden, ist in den Augen des Beauftragten für Integration und Migration „selbsterschließend“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter). Die Politik sieht sich in der Verantwortung, neue Formen der Ansprache für von dieser Problematik betroffene Jugendliche zu entwickeln. Als Folge solcher Debatten wird bei den in der Senatsverwaltung zuständigen Referenten die Entwicklung einer Senatsvorlage zur Prävention und Bekämpfung von Jugendkriminalität in Auftrag gegeben (Interview Herr Müller,

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Behördenmitarbeiter). Die Konzeptualisierung und politische Abstimmung eines Maßnahmenpakets benötigt erfahrungsgemäß viel Zeit. Die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses drängen hingegen auf eine schnelle, öffentlichkeitswirksame Umsetzung. Hierfür bietet das Aktionsprogramm eine gute Möglichkeit, in dem es einerseits das innovative Verfahren der Tandemkooperationen in die Jugendarbeit mit männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund einführt und gleichzeitig den politisch Verantwortlichen eine zeitnahe Reaktion auf anstehende Probleme bescheinigt.

2.2 C HRONOLOGIE

DES

A KTIONSPROGRAMMS

Im Folgenden werde ich eine chronologische Übersicht über den Ablauf des Aktionsprogramms geben. Dies ist insofern von Bedeutung, als in den späteren Ausführungen nicht mehr chronologisch vorgegangen wird, sondern die einzelnen Komponenten, Übersetzungen und Repräsentationen diskutiert werden, ohne ihre zeitliche Abfolge weiter hervorzuheben. Dem in dieser Studie im Zentrum stehenden Aktionsprogramm II „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ geht ein erstes Aktionsprogramm voraus, welches im Jahr 2006 stattfindet und ähnliche Rahmenbedingungen bietet, aber eine andere inhaltliche Ausrichtung verfolgt. Nach den positiven Erfahrungen aus diesem ersten Aktionsprogramm trifft der Berliner Senat bereits in seinem Integrationskonzept 2007 die Festlegung, dass 2008 und 2009 ein zweites Aktionsprogramm aufgelegt werden soll (Abgeordnetenhaus 2007a:95). Der inhaltliche Entwurf des Aktionsprogramms II wird in der Sitzung des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 26. September 2007 durch den Integrationsbeauftragten vorgelegt (Abgeordnetenhaus 2007b). Am 04. Oktober 2007 werden in der Sitzung des Fachausschusses für Integration, Arbeit und Soziales die beantragten Mittel (1 Million Euro) für das Aktionsprogramm II genehmigt (Abgeordnetenhaus 2007d). Damit ist der Weg frei für die konkrete Umsetzung der in dieser Vorlage avisierten politischen Ziele. Bis diese auch außerhalb des parlamentarischen Raumes sichtbar werden, vergehen allerdings noch mehr als drei Monate. Erst in einer offiziellen Ausschreibung des Beauftragten für Integration und Migration, welche am 08. Januar 2008 an die Presse geht, erfährt die breitere Öffentlichkeit von diesem integrationspolitischen Vorhaben. Bis zum 15. Februar 2008 können sich interessierte Vereine als Tandemkooperation mit einer Interessenbekundung um die Teilnahme an diesem Aktionsprogramm bewerben.

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Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 08.01.2008: „Der Senat startet ein neues Aktionsprogramm, das die Vielfalt in den Kiezen und das Miteinander von Berlinerinnen und Berlinern unterschiedlicher Nationalität stärken soll. Projekte können sich ab sofort bis 15. Februar 2008 bewerben. Das Land unterstützt von April 2008 bis Dezember 2009 so genannte ‚TandemProjekte‘ zwischen einer Migrantenorganisation und einer im Bezirk tätigen Jugendeinrichtung, einem sozialen oder kulturellen Zentrum oder einem Sportverein. Der Senat will mit der befristeten finanziellen Unterstützung Anstöße geben und erreichen, dass sich die Projekte in den Bezirken kulturell weiter öffnen, sich vernetzen und langfristig zusammenarbeiten. Beispielhafte Initiativen haben die größten Chancen. In dieser zweiten Auflage soll sich das Programm auf die Arbeit mit männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen konzentrieren. Gefördert werden etwa Sport- und Bildungsangebote oder Trainings für Konflikt- und Integrationslotsen. […]“

Das Interesse ist trotz einer recht kurzen Bewerbungsfrist überwältigend, es gehen über 160 Interessenbekundungen ein. Die Bewerbungen werden daraufhin durch die Mitarbeiter/innen der Behörde gesichtet, sortiert und nach einem internen Kriterienkatalog in eine Rangfolge gebracht. Die vorsortierten Bewerbungen werden dann einer Jury zur Auswahl vorgelegt, die in einer Sitzung im April 2008 entscheidet, welche 17 Projekte zur Teilnahme am Aktionsprogramm ausgewählt werden.8 Nachdem die so gewählten Projekte über die Entscheidung der Jury informiert sind, werden alle am Aktionsprogramm teilnehmenden Tandemkooperationen durch die für das Programm zuständigen Sachbearbeiterinnen zu projektbezogenen Kennenlerngesprächen in die Behörde eingeladen. Nach diesen Gesprächen stellen die Sachbearbeiterinnen vorläufige Feststellungsbescheide aus, denen zumeist ein längerer Briefverkehr über die Nachreichung von fehlenden Unterlagen, Zeugnissen, Mietverträgen oder Vereinssatzungen voraus-

8

Innerhalb der 17 Projekte sind insgesamt 37 Vereine aus dem Wedding, Moabit, Neukölln, Schöneberg, Lichtenberg, Marzahn und Spandau an diesem Aktionsprogramm beteiligt.

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geht. Der Feststellungsbescheid regelt die Auszahlung von Finanzmitteln und ermöglicht es den Vereinen mit den geplanten Projekten zu starten. Die Pressekonferenz, auf der durch die Senatorin die erneute Auflage eines integrationspolitischen Aktionsprogramms verkündet wird, findet am 5. Mai 2008 in den Räumen der Senatsverwaltung statt (Pressemitteilung vom 30.04. 2008). Erst am 25. Juni 2008, nach einem neunmonatigen Vorlauf durch die verschiedenen Instanzen der Berliner Senatsverwaltung, wird das Aktionsprogramm II „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ mit einer Veranstaltung in der „Werkstatt der Kulturen“ offiziell eröffnet. Nach etwas mehr als einem halben Jahr lädt die Senatsverwaltung am 18. und 19. November 2008 alle beteiligten Vereine zu einer Zwischenbilanzveranstaltung ein, welche wiederum in den Räumen der „Werkstatt der Kulturen“ stattfindet. Ein auf dieser Veranstaltung durch die Projektmitarbeiter/innen angeregter Fachtag zum Thema „Jugendsozialarbeit mit männlichen Jugendlichen“ findet daraufhin am 17. März 2009 statt. In der Endphase des Aktionsprogramms kommt es im Oktober 2009 nochmals zu zwei Netzwerktreffen in den Räumen des Integrationsbeauftragten: einem Erfahrungsaustausch der Migranten(selbst)organisationen und einer 2. Zwischenbilanzveranstaltung. Offiziell abgeschlossen wird das Aktionsprogramm mit einer Bilanzveranstaltung in der „Werkstatt der Kulturen“ am 08. Dezember 2009. In den folgenden Monaten werden in der Verwaltung die Projektdokumentationen gesichtet und die Mittelabrechnungen geprüft. Die Sachbearbeiterinnen erstellen für jedes Projekt einen „Vermerk“, welcher einer Akte beigefügt wird. Ein Evaluationsbericht des gesamten Programms (IntMig 2010a) wird durch das unabhängige Evaluationsbüro erstellt und im Oktober 2010 dem Berliner Abgeordnetenhaus zur Verfügung gestellt. In der 93.Sitzung des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses findet am 1. Dezember 2010 eine Debatte dazu statt, in der die Opposition aus CDU, GRÜNEN und FDP den vorliegenden Evaluationsbericht als „selbstverliebte Spiegelguckerei“ bezeichnet und scharfe Kritik an der Evaluation des Aktionsprogramms und der inhaltlichen Ausrichtung einzelner Projekte geäußert wird (Abgeordnetenhaus 2010a). In dieser Debatte wird deutlich, dass der von der SPD als „wichtigste Säule“ bezeichnete Tandemgedanke in der politischen Diskussion nicht als zentral wahrgenommen wird. Weitere Debatten in dem für „Integration“ zuständigen Fachausschuss werden hingegen fortwährend vertagt.

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2.3 F ELDZUGÄNGE Die Erforschung des sozialen Lebens eines Integrationsprojekts erfordert eine spezifische Herangehensweise, welche im Sinne von George Marcus als multisited fieldwork verstanden werden kann. „Multi-sited research is designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of the ethnography.“ (Marcus 1995:105) Marcus verweist explizit darauf, dass multi-sited fieldwork dabei nicht zwingend transnational bzw. translokal angelegt sein muss. Auch ohne translokale Bezüge kann ethnologische Feldforschung – wie im Fall des Aktionsprogramms – in einem „multi-sited context“ verortet sein (Marcus 1995:110). Die Entscheidung, nicht ausschließlich einen Verein und dessen Einbeziehung in die integrationspolitischen Vorgänge zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen, sondern vielmehr die Praktiken des Organisierens von Integrationspolitik in diesem Aktionsprogramm zum Gegenstand der Untersuchung zu wählen, ermöglichte es synchron ablaufende Prozesse unterschiedlicher Interaktionspartner zu erfassen und sie im größeren Kontext des integrationspolitischen Sonderprogramms zu betrachten. Meine ethnologische Feldforschung war zwar auf eine Stadt und deren lokale Strukturen begrenzt, dennoch umfasste sie verschiedene Orte. Neben der Diversität der lokalen Verortung über ganz Berlin war die Diversität der Projektinhalte, Projekthintergründe und der Akteur/innen eine weitere Besonderheit der Feldforschung. Die Heterogenität des Aktionsprogramms war von den Entwicklern des Aktionsprogramms gewollt und spiegelte sich daher zu Recht auch in der Forschung wieder. Der Zugang zu meinem zukünftigen Forschungsfeld gestaltete sich für mich ähnlich wie für die am Aktionsprogramm beteiligten Projekte: auch ich erfuhr über die Pressemeldung des Berliner Senats im Januar 2008 von diesem Vorhaben. Die Entscheidung, diesem spezifischen integrationspolitischen Sonderprogramm eine Forschungsarbeit zu widmen, gründete in erster Linie darauf, dass hier eine Kooperation von „Migrantenorganisationen“ mit sogenannten „institutionalisierten Trägern“ forciert werden sollte. Ich interessierte mich dafür, was in einem solchen „Integrationsprogramm“ vor sich geht. Der Berliner Beauftragte für Integration und Migration und der für das Aktionsprogramm zuständige Referatsleiter zeigten sich gegenüber einer solchen ethnologischen Begleitforschung aufgeschlossen und stellten keine weiteren Bedingungen für die Durchführung meiner Studie.

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Der erste Weg während der Feldforschung führte damit zunächst zu der für das Aktionsprogramm zuständigen Behörde, wo ich mich und mein Anliegen informell den zuständigen Mitarbeiter/innen vorstellte und gleichzeitig einen ersten Einblick in den Ablauf der Projektauswahl bekam. Nicht ganz einfach war es, den Mitarbeiter/innen mein Interesse am Prozess der Projektumsetzung und aller darin vorkommenden Etappen und Interaktionen zu vermitteln. Für die Sachbearbeiterinnen war ich zunächst nur an „den Rezipienten“, also den Teilnehmer/innen der Projekte interessiert. Termine, die andere Aspekte des Programms betrafen wurden mir daher nicht immer mitgeteilt. So war es eher ein glücklicher Zufall, dass ich von den mit den Projekten vereinbarten „Kennenlerngesprächen“ in der Behörde erfuhr. Meine Teilnahme an einigen dieser Gespräche ermöglichte erste Kontakte zu den Projektleiter/innen aus zwei der vier später von mir begleiteten Projekten. In der offiziellen Auftaktveranstaltung des Aktionsprogramms einige Wochen später konnte ich schließlich mich selbst und mein Forschungsvorhaben allen beteiligten Projekten vorstellen. Dieser Feldzugang brachte es mit sich, dass ich von den Projekten zunächst als Vertreterin der Verwaltung angesehen wurde. In den ersten Monaten der Feldforschung legte ich daher Wert darauf, bei jeder Gelegenheit klarzustellen, dass ich nicht im Auftrag des Beauftragten für Integration und Migration das Innenleben der Projekte erforschte oder der Verwaltung Berichte über Teilnehmerzahlen und Projekterfolge ablieferte. Dennoch wurde ich insbesondere in einem Projekt noch längere Zeit als eine Art „Aufsichtspersonal“ wahrgenommen, was sich darin äußerte, dass offizielle Projekttreffen zu einer idealtypischen Inszenierung genutzt wurden, ich von anderen Terminen hingegen nichts erfuhr. Diese Rollenzuschreibung führte dazu, dass ich mich bewusst dazu entschied, den Kontakt zu der Behörde in der ersten Zeit der Feldforschung auf ein Minimum zu begrenzen. Vielmehr stand der Zugang zu den einzelnen Mitarbeiter/innen und den Teilnehmer/innen der Projekte im Vordergrund. Damit wurde ich wiederum in den Augen der Verwaltungsmitarbeiter/innen und der Mitarbeiter/innen des Evaluationsbüros zu einer Expertin mit einem vermeintlich weitaus größeren „Innenwissen“ über die Projekte, als die zuständigen Mitarbeiter/innen selber. Insbesondere die Leiterin des Evaluationsbüros sah in mir daher zunächst eine „Konkurrenz“ mit besseren internen Einsichten. Die beste Möglichkeit, nicht in den Kampf um Wissen, Ressourcenvergaben und Erfolgsskripte hineingezogen zu werden und um die meinen Interaktionspartnern in den Projekten zugesicherte Anonymität zu wahren sah ich in dem Rückbezug auf eine Rolle als „wissenschaftliche Beobachterin“. Diese Rolle war aus Sicht der Projektbeteiligten gepaart mit einer gewissen Bedeutungslosigkeit, brachte aber den Vorteil mit sich, dass ich für die konkrete Evaluation des Pro-

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gramms nicht mehr als mögliche Informantin oder als Gefahr bzw. Konkurrenz wahrgenommen wurde. Für die Projekte konnte ich damit glaubhaft versichern, dass ich keine „Interna“ an die geldgebende Behörde weitergab, da bald offensichtlich wurde, dass ich dort keinen besonderen Status innehatte. Viele Schwierigkeiten und Handlungsabläufe in den Projekten mussten so nicht vor mir verborgen werden, sondern konnten in meinem Beisein und auch mit mir diskutiert werden. Auch die häufig selbstkritische Offenheit in Gesprächen mit Mitarbeiter/innen der Behörde erkläre ich mit dieser Rollenzuschreibung. Die Gespräche mit mir bildeten, gerade durch meine scheinbare Bedeutungslosigkeit, ein Ventil für viele Akteur/innen und erlaubten es, Frustrationen aus der alltäglichen Arbeit abzulassen. Allerdings brachte die Einnahme der Rolle als wissenschaftliche, am integrationspolitischen Tagesgeschäft jedoch unbeteiligte Beobachterin auch Nachteile mit sich. So wurde die Bedeutungslosigkeit der über die Feldforschung gewonnenen Erkenntnisse für das tagesaktuelle Geschäft der Integrationspolitik im Interview zum Ausdruck gebracht („ach, mit Ergebnissen aus ihrer Arbeit ist ja eh nicht in Kürze zu rechnen…“). Auch das Beharren auf der den Projekten zugesicherten Anonymität machte mich uninteressant für die direkte Bewertung des Programms. Von Seiten der Projektleiter/innen wurde ich immer wieder in einer Mittlerrolle verortet, die ich zwischen der Verwaltung einerseits und dem Projektalltag andererseits einnehmen sollte. Indirekte Beschwerden über einzelne Verfahrensweisen, komplizierte Abrechnungsverfahren oder fehlende bzw. fehlgeleitete Kommunikation wurden an mich herangetragen, teilweise mit der expliziten Bitte um Weitergabe an die Behörde. Somit schienen die Projektleiter/innen das größte Interesse an meiner Studie zu haben. Sie verbanden damit die Hoffnung, dass auf dem Umweg über eine wissenschaftliche Publikation Projektrealitäten mit all ihren Schwierigkeiten, Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten öffentlich gemacht werden können, ohne dass mit direkten Konsequenzen für die einzelnen Projekte zu rechnen ist. Eine aufschlussreiche Begegnung nach der Hälfte der Feldforschung verdeutlichte mir jedoch auch, dass nicht allen Projektleiter/innen bewusst war, dass mit der Einwilligung in die Erforschung „ihres“ Projektes auch unweigerlich sie selber zum Bestandteil der Forschung wurden. Feldtagebuch, November 2008 Ich habe mich mit den Projektleiterinnen verabredet, um über den aktuellen Stand des Projekts zu sprechen. Bis zu diesem Zeitpunkt schienen sie sehr an meiner Forschung interessiert zu sein und betonten mehrfach, dass sie sehr

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glücklich sind, dass ich „ihr Projekt“ für meine Forschung ausgewählt habe. Nach einem sehr offenen und vertrauensvollen Gespräch über die Schwierigkeiten der Projektumsetzung kommt es vollkommen unerwartet zu einem emotionalen Ausbruch meiner Interaktionspartnerin: „Ich will nicht ethnologisch erforscht werden! Das geht zu weit“ schleudert mir Susanne entgegen. Erklärend fügt sie hinzu: Sie würden mich ja sehr schätzen als Kollegin und Freundin. Sie seien mir gegenüber immer sehr offen und vertrauensvoll gewesen und hätten eben nicht immer überlegt, was sie mir sagen. Aber dann sei es eben schwer, wenn ich mit kritischen Fragen käme und dies auf Tonband aufnehmen wolle. An dieser Begegnung wurde mir einerseits die implizite Annahme der Projektleiter/innen deutlich: „erforscht werden die anderen“. Andererseits unterstreicht ihre Aussage auch die Bedeutung, die dem Vertrauen der Interaktionspartner/innen in einen verantwortungsvollen Umgang mit dem so gesammelten Material zukommt. Die an den Projekten teilnehmenden Jugendlichen hingegen hatten kaum Interesse an „meinem Buch“. Für sie nahm ich die Rolle einer der vielen Sozialarbeiter/innen ein, auf die sie in den unterschiedlichen Projektzusammenhängen trafen. Allerdings war ich eine „Sozialarbeiterin“ ohne konkrete Kompetenzen. Zwar erklärten sich einige Jugendliche bereit, mir Interviews zu geben, dies allerdings eher aus Solidarität mit mir persönlich und weniger aus Interesse an einer wissenschaftlichen Publikation zu diesem Thema. Anders als ursprünglich erwartet wurde meine Anwesenheit als Frau in den sich explizit an männliche Jugendliche richtenden Projekten nicht als außergewöhnlich oder gar störend wahrgenommen. Zumindest in denjenigen Projekten an denen ich teilnahm betrat ich keine reine Männersphäre: Entweder wurden die Veranstaltungen selber von einer Frau angeleitet, oder es waren Frauen als Sozialarbeiterinnen oder Teilnehmerinnen an den Projekten beteiligt.

2.4 A KTEURE

UND

A KTEURINNEN

Wie sich schon an der Skizze des chronologischen Ablaufes des Aktionsprogramms zeigt, sind in die Umsetzung des Programms sehr viele unterschiedliche Akteur/innen involviert, die an wechselnden Orten und in wechselnder Besetzung im Verlauf des Programms miteinander in Interaktion treten. An dieser Stelle soll herausgestellt werden, dass sich meine Interaktionen im Verlauf der Feldforschung notgedrungen auf einige Akteur/innen konzentrieren, andere lediglich am Rande wahrgenommen werden. Bei insgesamt neun bestimmenden

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Akteursgruppen werde ich den Mitarbeiter/innen der Behörde, den Leiter/innen der Projekte und den männlichen jugendlichen Teilnehmern in der folgenden Darstellung einen größeren Raum geben, da sie meine hauptsächlichen Interaktionspartner bzw. Interaktionspartnerinnen waren. 1. Der Senat von Berlin Die politische Verantwortung für die Entwicklung und Umsetzung der Berliner Integrationspolitik liegt bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Der zuständigen Senatorin ist dabei eine Staatssekretärin für Integration und Arbeit zugeordnet. Im Rahmen des Aktionsprogramms tritt die Senatorin beziehungsweise ihre Staatssekretärin an den Schnittstellen von Öffentlichkeit und Aktionsprogramm in Erscheinung. So stellt sie das Aktionsprogramm auf der Pressekonferenz vor und eröffnet die Auftakt- und die Bilanzveranstaltung des Programms. Darüber hinaus äußert die Senatorin den Wunsch, ausgewählte Projekte des Programms vor Ort zu besuchen, was auch in die Tat umgesetzt wird (siehe Kapitel 10.1). Das Aktionsprogramm bietet ihr die Möglichkeit, sich einen besseren Überblick über die Praxis zu verschaffen und gleichzeitig für ihre Politik zu werben, da die Projektbesuche in Begleitung der Presse stattfinden. Darüber hinaus sitzt die Senatorin dem Fachausschuss für Integration, Arbeit und Soziales im Berliner Abgeordnetenhaus vor und steht – auch mit Bezug auf das Aktionsprogramm – den Abgeordneten Rede und Antwort. 2. Der Fachausschuss für Integration, Arbeit und Soziales Die Mitglieder des Fachausschusses selbst treten im Aktionsprogramm zu keinem Zeitpunkt in Erscheinung. Dennoch sind sie wichtige Akteur/innen, da sie die Gelder für die Durchführung des Programes bewilligen und ihnen der abschließende Evaluationsbericht vorgelegt wird. Sie bilden somit die oberste politische Kontrollinstanz. Die inhaltliche und konzeptuelle Ausrichtung des Aktionsprogramms und die Art und Weise der Durchführung wird im Abgeordnetenhaus über einen längeren Zeitraum immer wieder kontrovers debattiert. Zu den Aussprachen werden sowohl der zuständige Behördenleiter als auch seine Referenten um Stellungnahmen gebeten. Als geladene Expertin kommt darüber hinaus die bestellte Evaluatorin im Fachausschuss zu Wort.

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3. Das Haus des Beauftragten für Integration und Migration Den Referent/innen und Sachbearbeiter/innen des Berliner Integrationsbeauftragten obliegt sowohl die inhaltliche Entwicklung des Konzeptes, als auch die praktische Umsetzung des Programms. Darüber hinaus arbeitet sie als Verwaltung der Senatorin zu. Sprechzettel und Pressetexte werden hier erstellt und weitergeleitet. Das Haus des Beauftragten für Integration und Migration stellt damit eine Schnittstelle zwischen der Senatorin, den Abgeordneten und den für die Projekte verantwortlichen Vereinen dar und hat damit Überschneidungen zu fast allen Akteuren innerhalb des Aktionsprogramms. Die Behörde ist intern hierarchisch organisiert und weist sehr starke Differenzierungen auf. Dies betrifft sowohl die Zuständigkeiten (politische Repräsentation, konzeptuelle Arbeit, Kontrolle der Finanzen, alltägliche Beratung und Kund/innenkontakt) als auch die inhaltliche Orientierung der Mitarbeiter/innen, welche als Beamte und Beamtinnen teilweise seit vielen Jahren in der Behörde tätig sind und ihre Arbeit noch unter der ehemaligen Ausländerbeauftragten aufgenommen haben. Eine daraus erwachsene, teilweise Autarkie der Mitarbeiter/innen zeigt sich mehrfach in Interviewsituationen, in denen ich explizit darauf hingewiesen werde, wann man die „Meinung des Hauses“ wiedergibt, bzw. wann „nicht die Meinung des Hauses“, sondern eine davon abweichende, persönliche Ansicht vertreten wird. 4. Die Jury Die Auswahl der Projekte erfolgt durch eine Jury unter dem Vorsitz des Beauftragten für Integration und Migration. Die Jury setzt sich zusammen aus Vertreter/innen der verschiedenen Senatsverwaltungen sowie Verantwortungsträger/innen aus den einzelnen Berliner Bezirken. Dies wird verwaltungsintern damit begründet, dass die Bezirke so intensiver in die Umsetzung des neuen Integrationskonzeptes eingebunden und mit dem politischen Instrument der Tandempartnerschaften vertraut gemacht werden sollen. Die Einbindung der Jurymitglieder wird als innovatives politisches Instrument bei der Umsetzung der Integrationspolitik eingeschätzt. Das Juryverfahren an sich ist allerdings nicht öffentlich und kann auch von mir nicht besucht werden. Die durch die Jury getroffene Projektauswahl wird in der Folge von den mit der Projektumsetzung betrauten Mitarbeiter/innen der Verwaltung stark kritisiert. Als offensichtliche Folge aus dieser allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Juryverfahren wird im nachfolgenden Aktionsprogramm III auf ein Juryverfahren verzichtet.

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5. Das Evaluationsbüro Begleitende Evaluation ist ein weiteres, als innovativ angesehenes politisches Instrument, welches im Aktionsprogramm eingesetzt wird. Mit der größtenteils qualitativ ausgerichteten Evaluierung wird ein externes Evaluationsbüro beauftragt, das der Behörde allerdings aus einer früheren Zusammenarbeit schon bekannt ist. Das Ziel der begleitenden Evaluierung ist es, schon im Verlauf des Programms und nicht erst nach einem Abschluss der Projekte auf Schwierigkeiten hinzuweisen und Lösungsstrategien in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteur/innen zu entwickeln. Durch persönliche Projektbesuche, viele Gespräche und sogenannte Projektsteckbriefe soll ein besseres Verständnis für die Umsetzung des Aktionsprogramms in der Praxis gewonnen und für den internen Gebrauch an die zuständige Behörde vermittelt werden. Der abschließende Evaluationsbericht wendet sich dagegen in erster Linie an die Politiker/innen des Berliner Abgeordnetenhauses und fasst die offizielle Sicht auf das Aktionsprogramm zusammen. Darüber hinaus ist das Evaluationsbüro für die Organisation und inhaltliche Ausgestaltung der Rahmenveranstaltungen des Aktionsprogramms zuständig, die durch die Leiterin des Evaluationsbüros moderiert werden. Die Evaluatorin Frau Scheel nimmt damit eine ambivalente Rolle innerhalb des Aktionsprogramms ein. Einerseits ist es ihre Aufgabe den „Erfolg“ des Programms zu beurteilen und durch eine positive Bilanz die Relevanz eines solchen Vorhabens zu legitimieren. Andererseits gibt sie dem Verlauf des Aktionsprogramms durch eine kritische Betrachtungsweise neue Impulse, indem sie die Selbstverständlichkeit von defizitorientierten Zuschreibungen und die Selbstgefälligkeit der Verwaltung hinterfragt. 6. Die Vereine Sowohl thematisch als auch von der Organisationsform, den Vereinsmitgliedern und im Zugang zu Ressourcen stellen die Vereine die heterogenste Akteursgruppe dar. In der Programmausschreibung wird durch das Instrument der „Tandemkooperationen“ suggeriert, dass es sich hier in erster Linie um zwei große Gruppen handelt: die institutionalisierten deutschen Träger der Jugendhilfe einerseits und Migranten(selbst)organisationen andererseits. Schon zu Beginn der Forschung zeigt sich jedoch, dass eine simple Binarität von Institutionen der Mehrheitsgesellschaft und Institutionen der Minderheitsgesellschaft so nicht aufrechterhalten werden kann. Da die Bewilligung der Fördermittel jedoch davon abhängig gemacht wird, dass eine sogenannte Migrantenorganisation in Kooperation mit einer deutschen Organisation trat, kommt der zugeschriebenen binären Rol-

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lenverteilung im Rahmen der Antragstellung eine Bedeutung zu, die sich empirisch nicht in dieser Eindeutigkeit wiederfindet. In der folgenden Darstellung verfolge ich bei der Analyse daher eine Strategie der Entmigrantisierung und hinterfrage die scheinbar selbsterklärenden Zuschreibungen als „migrantischer“ oder „deutscher“ Verein. Betrachtet man aus dieser Perspektive die Gesamtheit derjenigen Vereine, die von der Jury ausgewählt wurden auf ihre größten Gemeinsamkeiten und stärksten Unterschiede, so ergibt sich ein Bild, in dem sich vier Gruppen von Vereinen herauskristallisieren lassen. Die erste Gruppe besteht aus mehreren größeren Trägern der Jugendhilfe. Sie zeichnen sich durch eine hohe Institutionalisierung und sowohl administrative als auch inhaltliche Professionalisierung aus und sind seit etlichen Jahren fest im Arbeitsbereich der Jugendhilfe verankert. Solche Träger entsenden ausschließlich Mitarbeiter/innen ohne Migrationshintergrund mit einer hohen beruflichen Qualifizierung, beispielsweise als Diplomsozialarbeiter, in ihre Projekte des Aktionsprogramms. Finanziell sind sie nicht direkt auf die Sonderförderungen aus dem Aktionsprogramm angewiesen. Ihr Interesse am Aktionsprogramm bezieht sich daher eher darauf, grundsätzlich ihre Bereitschaft zu einer interkulturellen Öffnung zu bekunden. Darüber hinaus äußern sie die Hoffnung, über eine Kooperation mit „Migrantenorganisationen“ die gewünschte Zielgruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zukünftig besser für ihre Arbeit erreichen zu können. Ein Mitarbeiter des Integrationsbeauftragten charakterisiert in einem Interview diese gemeinnützigen Verbände als „träge Dampfer“ und verdeutlicht, dass insbesondere solche Träger über das politische Instrument des Aktionsprogramm angeregt werden sollten, „neue Wege“ in ihrer Arbeit einzuschlagen und sich für eine interkulturelle Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zu öffnen. Zu einer zweiten Gruppe lassen sich etliche, meist sehr kleine Vereine zusammenfassen, welche ausnahmslos von Migrant/innen gegründet und ehrenamtlich geführt werden. Ursprünglich häufig als Selbsthilfegruppen oder Kulturvereine gegründet, beziehen sich die Vereine in ihrer Arbeit in erster Linie auf die eigene ethnische Community. Bei diesen Vereinen ist der Anteil der Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund am höchsten. Gemeinsamkeiten weisen die Vereine auch in der relativ geringen formalen Professionalisierung der Sozialarbeit, sowie einer zumeist großen Unsicherheit bei der Beantragung von Fördermitteln und im dazu notwendigen Umgang mit administrativen Vorgängen auf. Da die Mitarbeiter/innen dieser Vereine nicht in festen Strukturen arbeiten, d.h. nicht über feste Stellen im Rahmen der Vereinsarbeit verfügen, sind sie in hohem Maße von der finanziellen Förderung aus Sondermitteln abhängig. Auch

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daraus kann ihre hohe Motivation, zu einem Gelingen des Aktionsprogramms beizutragen, erklärt werden. Sie sehen durch das Instrument der Tandemkooperationen die Chance gegeben, Zugriff auf einen Teil der vorhandenen Ressourcen innerhalb der Förderlandschaft zu erhalten. Ihr Potential sehen sie dabei in ihrem Zugang zur Zielgruppe, den sie per se aus der ethnischen Zugehörigkeit und den dadurch bestehenden Netzwerken und nicht aus ihrer professionellen Qualifizierung im Umgang mit Jugendlichen erklären. Auffällig viele Tandemkooperationen werden zwischen diesen zwei sehr unterschiedlichen Gruppen geschlossen. Ein Mitarbeiter der Verwaltung beschreibt diese Form der Tandemkooperation mit dem Bild von „Walfisch und Scholle“ und verweist damit gleichzeitig auch auf die den Tandemkooperationen innewohnende problematische Machtasymmetrie, auf die ich in Kapitel 7 näher eingehen werde. Jenseits der zwei dargestellten Extreme lassen sich jedoch noch zwei weitere Gruppen herausarbeiten. So zeichnen sich die in Gruppe 3 subsummierten Organisationen durch eine einerseits hohe formale Qualifizierung ihrer Mitarbeiter/innen, relativ hohe Professionalität in der Zusammenarbeit mit Verwaltung und Politik bei gleichzeitiger großer interkultureller Offenheit aus. In diesen Projekten arbeiten Sozialarbeiter/innen mit und ohne Migrationshintergrund zusammen. Die Organisationen sehen sich – anders als die zuvor charakterisierten kleinen Vereine – nicht als Stellvertreter einer ethnischen Gruppierung, sondern arbeiten jenseits von ethnischen Zugehörigkeiten mit der Zielgruppe der aus unterschiedlichen Gründen benachteiligten Jugendlichen. Auch wenn in den meisten Fällen keine direkte Abhängigkeit von der Finanzierung durch das Aktionsprogramm besteht, sind diese Institutionen generell von zeitlich begrenzten Projektförderungen im Bereich „Integration und Soziales“ abhängig. Auffällig ist, dass keine der Organisationen weder mit Institutionen der Gruppe 1 noch mit Vereinen der Gruppe 2 eine Tandemkooperation eingegangen ist, sondern sich zumeist selbst aufgrund der hohen Interkulturalität der Mitarbeiter/innen als „Tandem in sich“ versteht oder mit institutionalisierten Migrantenorganisationen, auf die ich im Folgenden kommen werde, eine Zusammenarbeit vereinbaren. Gruppe 4 der institutionalisierten Migrantenorganisationen umfasst mehrere Interessenvertretungen oder Dachverbände ethnischer Gruppen in Berlin. Sie zeichnen sich durch eine gute politische Vernetzung sowie durch administrative Erfahrung mit der für ihre Projekte relevanten Förderlandschaft aus. Die Mitarbeiter/innen dieser Verbände haben alle einen Migrationshintergrund und sind größtenteils formal für die Jugendsozialarbeit qualifiziert. Anders als die Vereine der Gruppe 3 beziehen sie sich jedoch auf eine spezifische ethnische Gruppe und

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betrachten sich als Türöffner oder Brückenbauer zwischen einer Mehrheitsgesellschaft und denen durch sie vertretenen „ethnischen Communities“. Ohne direkt auf die Fördermittel des Aktionsprogramms angewiesen zu sein, ist es für diese Organisationen von großem Interesse, ihr Engagement in der Integrationspolitik herauszuheben und bestehende Netzwerke zu Politik und anderen Verbänden durch Kooperationen zu pflegen. Daraus erklärt sich auch, dass die im Rahmen des Aktionsprogramms vereinbarten Kooperationen mit den in Gruppe 1 zusammengefassten großen Verbänden der Mehrheitsgesellschaft bzw. mit den professionell agierenden Vereinen der Gruppe 3 geschlossen werden. Neben den genannten vier Gruppen fallen zwei Vereine besonders auf, da sie sich in keine der genannten Gruppen zuordnen lassen. Beide Vereine sind sehr klein und bestehen erst seit einigen Jahren. Sie haben gemein, dass sie aus einer als unbefriedigend wahrgenommenen Situation im direkten Wohnumfeld der Vereinsgründer/innen heraus gegründet wurden, sich in ihren Namen auf ihr Kiez 9 beziehen und vom hohen persönlichen Engagement der Vereinsgründer/innen leben. Die Begründer des ersten Vereines sind zwei junge Berliner, welche sich als Migranten der zweiten Generation nun für die dritte Generation der Migrant/innen im Kiez engagieren wollen. Vergleichbar mit einigen Vereinen der Gruppe 2 verfügen sie weder über eine solide, dauerhafte Finanzierung ihrer Vereinsarbeit, noch haben sie viel Erfahrung im Umgang mit Fördergeldern. Sie verfügen über keine professionelle Ausbildung als Sozialarbeiter, sondern bringen ihre eigene Lebenserfahrung in ihre Vereinsarbeit ein. Ihre Authentizität und der dadurch bedingte direkte Zugang zu den männlichen Jugendlichen der Nachbarschaft ist ihr Potential. Trotz der bestehenden Übereinstimmungen erweist sich eine Zuordnung des Vereins zu Gruppe 2 jedoch als schwierig. So handelt es sich bei diesem Verein nicht um einen klassischen Selbsthilfe- bzw. Kulturverein der ersten Generation von Migrant/innen. Folglich beziehen sich die Vereinsgründer nicht ausschließlich auf eine ethnische Gruppe sondern vielmehr auf die Jugendlichen der Nachbarschaft und heben so im Gegensatz zu den Vereinen der Gruppe 2 eine sehr starke Kiezbezogenheit hervor. Auch sehen sie sich in ihrem Selbstverständnis nicht als Migrantenorganisation, sondern als Berliner Verein. Demzufolge gehen sie auch keine Kooperation mit einer der großen institu9

Als „Kiez“ wird vor allem in Berlin ein häufig nur wenige Straßen umfassender Wohnbereich bezeichnet, der mit einem positiven Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner zu „ihrem“ Kiez einhergeht und häufig nach der Haupteinkaufsstraße bzw. nach einem sozialen Treffpunkt der Gegend (beispielsweise „Helmholtzkiez“, „Wrangelkiez“ etc.) benannt wird.

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tionalisierten Organisationen aus Gruppe 1 oder 3 ein, sondern bieten als „deutscher Verein“ einem kleineren migrantischen Sportverein als „Migrantenorganisation“ eine Kooperation an. Der zweite Verein wurde von deutschen Bewohner/innen des gleichen Kiezes gegründet und lässt sich ebenso keiner der genannten Kategorien zuweisen. Zwar verfügt der Verein nur über geringe finanzielle Mittel und ist damit in seiner Arbeit direkt abhängig von einer zeitlich befristeten und projektbezogenen finanziellen Förderung. Andererseits verfügen die Vereinsgründerinnen für einen kleinen Verein über eine verhältnismäßig gute Vernetzung zu Entscheidungsträgern aus der Politik. Die Gründerinnen sind Quereinsteigerinnen im Bereich der Berliner Jugend- und Sozialarbeit, erarbeiten sich jedoch das notwendige Wissen über Förderstrukturen und Verwaltungsvorgänge dank ihrer hohen allgemeinen Qualifizierung schnell. Aufgrund ihrer durch ihr Studium erworbenen interkulturellen Kompetenz sind sie überzeugt davon, die Zielgruppe auch ohne eine Zusammenarbeit mit einer Migrantenorganisation als Tandempartner gewinnen zu können. Mehr noch, sie wehren sich gegen die in den Förderkriterien vorgesehene Einteilung in „migrantische“ und „deutsche“ Vereine. Indem sie behaupten: „[…]wir sind doch eigentlich auch ein total migrantischer Verein und haben folglich einen Anspruch auf Förderung“ (Susanne, Juni 2008)

wählen sie eine Strategie des „Migrantisierens“, um die Förderlogik des Senats ad absurdum zu führen.10 Für das beantragte Projekt haben sie keine/n Mitarbeiter/in mit Migrationshintergrund vorgesehen. Von der Zusammenarbeit im Aktionsprogramm erwarten sie eine weitere administrative Professionalisierung im Umgang mit Förderstrukturen und erhoffen sich durch Kontakte zu anderen Projekten einen inhaltlichen Austausch. Die große Heterogenität der an dem Sonderprogramm beteiligten Vereine gibt einen Ausblick auf die Vielfalt der möglichen Positionen und Interpretationen, mit der Integrationspolitik in Berlin betrieben wird. Dabei sollte bedacht werden, dass es sich hier um eine äußerst unvollständige Auswahl handelt, die den Vereinsstatus zum Aufnahmekriterium für eine Förderung und damit auch zu einer Voraussetzung für einen Dialog mit Regierungsinstitutionen erklärt. Sie schließt

10 Zur Strategie des „Migrantisierens“ verweise ich auf meine Ausführungen zur Kritischen Migrationsforschung in Kapitel 4.6.

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daher insbesondere diejenigen Gruppen nicht ein, die aufgrund ihres rechtlichen Status nicht im Stande sind, eine staatliche Förderung zu beantragen.11 Im Vergleich der Vereine ist auffällig, dass die kleinen Migrantenselbstorganisationen (Gruppe 2, s.o.) in den seltensten Fällen Projektleiter/innen oder Mitarbeiter/innen in verantwortungsvollen Positionen im Rahmen des Projekts stellen. Mitglieder dieser Vereine werden dagegen bevorzugt als Honorarkräfte mit eher unspezifischen Aufgaben, wie zum Beispiel der Akquise von Jugendlichen oder der Betreuung von Eltern beauftragt. Hier zeigt sich, dass bestehende Machtstrukturen trotz des gewählten „innovativen“ politischen Instrumentes der Tandemkooperation größtenteils weiter Bestand hatten. 7. Die Projektleiter und Projektleiterinnen Die geförderten Projekte werden in den meisten Fällen von Sozialarbeiter/innen geleitet, die teilweise ausschließlich für die Projektlaufzeit aus Projektmitteln angestellt werden. Sie sind in erster Linie zuständig für die Arbeit mit den Jugendlichen, übernehmen jedoch größtenteils auch die Kommunikation zur Verwaltung und die Repräsentation der Projekte auf den Netzwerktreffen. Abhängig von der Größe der beteiligten Vereine erhalten sie mehr oder weniger Unterstützung bei administrativen Fragen und der zeitintensiven Kostenabrechnung. Aufgrund der Organisationsform als Tandemkooperation übernehmen die Projektleiter/innen zudem zeitweise noch die Vermittlung zwischen den verschiedenen Anliegen der Tandempartner/innen. Dies bedeutet eine hohe Arbeitsbelastung bei größtenteils prekärer Anstellung. Dennoch zeigen sich die meisten Mitarbeiter/innen hoch motiviert für die Arbeit mit den Jugendlichen, während die bürokratische Projektverwaltung als große Belastung wahrgenommen wird. Unterstützt werden die Projektleiter/innen in den meisten Projekten durch qualifizierte externe Honorarkräfte für besondere pädagogische Aufgaben, die Durchführung von Workshops, Schulungen o.ä. Nasir Kurt, als Sozialarbeiter und Projektmanager einer meiner Hauptinteraktionspartner, setzt sich in seiner Arbeit im Projekt und als Mitglied einer politischen Partei aktiv für ein Umdenken in der Gesellschaft ein und sieht die teilnehmenden jungen Männer in „seinem“ Projekt als gleichwertige Partner. In seinen Augen haben die jungen Männer etwas mitzuteilen, was alle angeht und 11 Die Gründung eines Vereins wurde mir sowohl von einer Sachbearbeiterin der Verwaltung als auch von der Leiterin einer Migrantenselbstorganisation als „typisch deutsche Institution“ beschrieben. Sie kann somit auch als Strategie gedeutet werden, um staatliche Förderung beantragen zu können. Gruppierungen ohne Vereinssatzung bleiben hingegen automatisch aus dieser Förderlandschaft ausgeschlossen.

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nicht nur die Akteur/innen, die sich von Berufs wegen mit Migrationshintergründen befassen. Nasir Kurt nutzt seine Netzwerke, vermittelt Medienauftritte und Gespräche und macht es sich so zum Ziel, den Jugendlichen eine Brücke zu bauen in die Mehrheitsgesellschaft und hinaus aus einer Stigmatisierung als „sozial schwach“, „bildungsfern“, oder „mit Migrationshintergrund“. Damit arbeitet er dagegen an, dass „Migranten immer nur dann auftauchen, wenn‫ތ‬s um Probleme geht“. Er selber hat es sich angewöhnt Zuschreibungen wie ‚bei euch‘ oder ‚bei uns‘ mit einem ironischen Lächeln zu beantworten und auf die Frage einer Journalistin, was er denn nun sei, Deutschtürke oder Turkodeutscher antwortet er: „So können mich ja andere nennen. Ich bin Berliner“. Der Rahmen des Aktionsprogramms bietet ihm in erster Linie die Möglichkeit, die von ihm für als notwendig erachtete Arbeit mit den Jugendlichen fortzusetzen. Das politische Instrument der Tandempartnerschaft betrachtet er dagegen überaus kritisch: „Weil dahinter ja auch eine Haltung steht, wie man den oder die Migranten sieht. Mal salopp gesagt: ‚Bildungsfern, schwierig erreichbar und für sich selber tickend, möglicherweise als Zeitbombe als Belastung für sämtliche Kassen im demografischen Wandel und vielleicht auch gefährlich für die Innenstädte, wenn man da nicht aktiv wird. Wir erreichen sie eigentlich gar nicht mit der klassischen Jugendhilfe also probieren wir mal aus, die Migrantenorganisationen mit ins Boot zu nehmen, Tandempartnerschaften herzustellen und zu evaluieren und dann zu schauen ob diese ihre ‚eigenen Leute‘ besser erreichen und Brücken bauen in die Hilfesysteme usw.‘ Und das halte ich für Blödsinn und Schwachsinn!“ (Interview Nasir Kurt, Projektleiter)

Die ablehnende Haltung gegenüber den politischen Instrumenten des Aktionsprogramms führt jedoch nicht dazu, dass er sich aus der Arbeit zurückzieht. Im Gegenteil nutzt er die Bühne, die sich durch das Aktionsprogramm bietet, um seine Perspektive auf die jugendlichen Teilnehmer/innen zu verdeutlichen und diese selber zu Wort kommen zu lassen. 8. Die jugendlichen Teilnehmer Männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund sind die Zielgruppe der im Aktionsprogramm geförderten Projekte. 12 Die Jugendlichen werden entweder über Projekte zu Sport, Berufsorientierung, Nachbarschaftshilfe oder durch Rap und Hip Hop angesprochen. Einige Projekte kooperieren mit Berliner Schulen und veranstalten dort Projekttage und Workshops. Während die Teilnahme an 12 Die ebenfalls in einigen Projekten des Aktionsprogramms angesprochene Gruppe der Eltern dieser Jugendlichen steht nicht im Fokus der vorliegenden Studie.

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den erstgenannten Projekten freiwillig ist und hier zumeist mit relativ wenigen Jugendlichen über einen längeren Zeitraum zusammengearbeitet wird, erreichen die Schulprojekte im Rahmen des (verpflichtenden) Schulprojektunterrichts viele Jugendliche, allerdings in der Regel nur für eine sehr kurze Zeitspanne. Im Projektalltag erweist sich die doppelte Einschränkung auf männliche Jugendliche und auf Jugendliche mit Migrationshintergrund als problematisch. Häufig äußern auch weibliche Jugendliche Interesse an einer Teilnahme und der Ausschluss von „deutschen“ Freund/innen der Jugendlichen aus den Projekten wird von den Projektverantwortlichen als kontraproduktiv angesehen. Im Schulkontext ist diese Einschränkung der Zielgruppe per se hinfällig. Dies bedeutet, dass ausschließlich in den Sportprojekten von reinen Männergruppen ausgegangen werden kann, während an allen anderen Projekten auch Frauen teilnehmen. Bedingt durch das breite inhaltliche Angebot, die verschiedenen Vereine und die unterschiedlichen beteiligten Bezirke war die Gruppe der teilnehmenden Jugendlichen in mehrfacher Hinsicht überaus heterogen. In den von mir intensiv begleiteten Projekten nehmen sowohl Gymnasiast/innen mit und ohne Migrationshintergrund als auch Schulverweigerer und ehemalige sogenannte Intensivstraftäter teil. Im Folgenden werde ich einen meiner Hauptinteraktionspartner charakterisieren, auch weil diesem im Rahmen des Programms zunehmend eine Rolle als Repräsentant „der“ männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zugewiesen wird. Yusuf Liebermann sagt von sich selbst, er sei „23 Jahre jung“ und Rapper. Er wuchs in Ostberlin auf. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater kam als Vertragsarbeiter aus Kuba in die DDR. Seine Freunde spielten jedoch schon früh eine wichtigere Rolle für ihn als seine Familie. Seine Crew war seine Familie, seine Freunde Brüder. Yusuf redet nicht viel, stattdessen rappt er seine Gedanken und Gefühle. Früher, sagt er, konnte er das nicht, er war aggressiv, hat mit Drogen gedealt. Während seiner Zeit in der Jugendstrafanstalt gründet er zusammen mit drei weiteren Freunden eine Rapcrew. Mit Hilfe der gerappten Worte versuchen sie Kontakt nach draußen, jenseits der Gefängniswelt aufzunehmen. „Draußen“ ist Yusuf wieder seit Beginn des Aktionsprogramms. Die Teilnahme im Projekt ist jedoch keine Bewährungsauflage, er macht es freiwillig. Seitdem gibt er in Workshops an Berliner Schüler/innen weiter, was er zur Geschichte des Hip Hop weiß. Er will den Schüler/innen zeigen, dass Raptexte auch ohne gewaltverherrlichende Sprache und sexistische Texte cool sein können und durchkreuzt damit selber das Bild von Gangsterrap, Ghetto und Gewalttätigkeit. Gleichzeitig versucht er sich mit Unterstützung der Sozialarbeiterin sein Leben neu aufzubauen. Das ist mühsam, auch weil er mehr als zwei Jahre in der Jugendhaftanstalt war und nur einen Hauptschulabschluss hat. Als einzige Ausbildungsoption stand

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ihm in der Jugendhaft die Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter offen, welche er auch erfolgreich abschloss. Allerdings sieht er diesen Beruf für sich nicht als Perspektive an.13 Schwer ist es für ihn auch, sich wieder an Termine und Absprachen zu gewöhnen, die freiwillig und nicht durch die Gefängnisleitung verordnet sind. Trotz dieser Schwierigkeiten nimmt Yusuf über die gesamten Laufzeit (und darüber hinaus) aktiv am Projekt teil. Das Projekt des Aktionsprogramms und der Verein mit seinen Mitarbeiter/innen werden für ihn zu einer Art neuen Heimat. 9. Die Medien Obgleich im Aktionsprogramm eine große Bandbreite an Themen abgedeckt wird und Jugendliche mit sehr diversen (Migrations-)Hintergründen beteiligt sind, interessieren sich die Medien ausschließlich für diejenigen Projekte, die das Klischee des (gewalttätigen) männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund am ehesten bedienen. Besonders hoch ist das Interesse der Medien an dem Projekt, das mit aus der Jugendhaft entlassenen jungen Männern arbeitet. Jugendliche aus dem Projekt werden als „Experten“ für Jugendgewalt Gäste der ARD (Anne Will: „Die Kindergangster“, 05.04.2009) und des WDR (west.art am Sonntag: „Jugendknast oder Kuschelpädagogik“, 09.10.2009). Über ihr Projekt und die Projektteilnehmer wird mehrfach im Berliner Tagesspiegel, der taz und der Berliner Morgenpost berichtet. Fernsehbeiträge sendet der rbb sowie TV Berlin.14 Ebenso groß ist das Interesse an einem Verein, der von jungen Männern mit Migrationshintergrund selber geleitet wird und Weddinger Jugendliche über Kampfsport und Hip Hop erreichen will, sowie für ein Projekt, das über nächtliche Sportangebote eine Alternative zu Vandalismus und Jugendgruppengewalt bietet.15 13 In der Berliner Jugendstrafanstalt (JSA) richtet sich die Wahl der während der Jugendhaft absolvierten Ausbildung an der Zeit, die dafür zur Verfügung steht. In 2 ½ Jahren Haftdauer kommt somit nur die Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter oder zum Bauten- und Objektbeschichter in Frage, andere Ausbildungen (Zweiradmechaniker, Maurer, Tischler etc.) benötigen mehr Zeit. Die Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss [MSA] war damals nur in der JVA Tegel möglich. (Gesprächsprotokoll mit der Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit der Jugendstrafanstalt [JSA)]). 14 Siehe Tagesspiegel vom 17.02.2009, 24.06.2009 und 30.11.2009, die taz vom 28.10.2009 und die Berliner Morgenpost vom 02.07.2009. Sendungen in Berlin TV vom 16.2.2009 und dem rbb im Februar 2009. 15 Siehe Artikel in der Berliner Morgenpost, dem Berliner Kurier, Weltonline, im Neuen Deutschland vom 29.7.2008 und dem Tagesspiegel vom 07.07.2008.

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Diejenigen Jugendlichen, die sich für nachbarschaftliches Engagement einsetzen, für ältere Nachbaren einkaufen gehen oder Rasen mähen, werden ebenso wenig beachtet wie der Debattierclub Weddinger Jugendlicher, die sich hier mit Themen wie „Heimat“, oder „Wer bin ich“ auseinandersetzen. Dies ist an sich keine überraschende Erkenntnis. Es macht jedoch deutlich, wie schwierig es ist, einmal entstandene Zuschreibungen und in den Medien gefestigte Bilder zu durchbrechen.

2.5 I NTERAKTIONSRÄUME Im Verlauf der Feldforschung wurde deutlich, dass vier unterschiedliche Kategorien von Orten für die Interaktionen im Rahmen des Aktionsprogramms von größerer Bedeutung sind. Einerseits ist dies die Behörde (1) mit den dort angesiedelten Verfahrensabläufen sowie die Netzwerktreffen (2), auf denen Vertreter/innen der Behörde und Vertreter/innen aus den Projekten zusammentreffen um in einem offiziellen Rahmen den Fortgang des Programms zu besprechen. Andererseits nehmen die Vereine (3) selbst eine bedeutende Rolle als Ort der Interaktion ein. Schließlich dient der städtische Raum (4) mit öffentlichen Veranstaltungen oder Festen als wichtige Bühne der Repräsentation des Aktionsprogramms und seiner jeweiligen Projekte. Exemplarisch möchte ich meinen Zugang zu vier Interaktionsräumen anhand von ausgewählten Beispielen schildern. 1. Die Behörde Feldtagebuch, November 2008 Bei meinem Besuch in der für die Durchführung des Aktionsprogramms zuständigen Behörde stehe ich zunächst vor verschlossenen Türen. Etwas irritiert stelle ich fest, dass sich erst über zwei kleine Klingelknöpfe mit den Verweisen „Rezeption“ und „Sekretariat“ ein Türöffner betätigen lässt. Nach dieser ersten, noch indirekten Kontaktaufnahme erreiche ich über ein in Orangetönen (der Farbe des Integrationsbeauftragten) gestrichenes Treppenhaus die erste Etage. Durch eine neuerliche Glastür betrete ich den eigentlichen Empfangsbereich der Behörde. Zeitschriftenständer mit den Publikationen des Hauses stehen bereit, einige Menschen warten schweigend auf den bereitgestellten Stühlen. In einer Wandvitrine wirbt ein Plakat der Kampagne „Passt uns! Der deutsche Pass hat viele Gesichter“ für die Einbürgerung.

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Der Empfang ist mit einer älteren Dame besetzt, welche Deutsch mit starkem Akzent spricht. Sie sucht länger nach einer Telefon- und Raumnummer, um mich dann bei meinem Gesprächspartner anmelden zu können. Ich ertappe mich dabei, wie ich denke: „Was für ein Empfang“ und nehme den Eindruck mit: Auf eine professionelle Begrüßung der Gäste oder Klienten wird in dieser Behörde wenig Wert gelegt. Doch dann muss ich mir eingestehen: Dieser Empfang passte einfach nicht zu meinen eigenen normativen Vorstellungen, wie ich sie mir wohl von einer jungen, freundlichen und smarten „Empfangsdame“ gemacht hatte. Ich nehme an, dass es wohl von Seiten der Behörde in Kauf genommen wird, dass die Verhaltensweise der Mitarbeiterin an der Pforte zu Irritationen und Verwirrung bei manch einem Besucher führt. Unklar bleibt allerdings, ob eine Wertschätzung der Besucher/innen für nicht so wichtig angesehen wird, oder ob hier ganz bewusst bestehende Bilder gebrochen werden sollen. Irritationen standen somit am Beginn der persönlichen Kontaktaufnahme mit der Behörde. An der Interaktion wird jedoch auch deutlich, dass es der Behörde nicht in erster Linie darum geht, Besucher/innen zu empfangen, sondern der Schwerpunkt der Arbeit bewusst auf die Gestaltung von Integrationspolitiken und deren Durchsetzung gelegt wird. Diese Annahme wird durch die Selbstdarstellung des Beauftragten im Internet bestätigt: „Die Hauptaufgabe des Integrationsbeauftragten liegt darin, die Grundsatzfragen der Ausländer- und Integrationspolitik des Senats von Berlin zu gestalten und diese mit anderen Verwaltungen im Land Berlin abzustimmen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Analyse und die Konzeption von Maßnahmen zum Abbau von Integrationshemmnissen im rechtlichen, administrativen und sozialen Bereich. Zu den Schwerpunkten gehören die interkulturelle Öffnung und Ausrichtung der Verwaltung und der Abbau von Diskriminierungen.“ (http://www.berlin.de/lb/intmig/aufgaben/ abgerufen am 24.5.2011)

Erst an dritter Stelle wird auf der Homepage der Behörde auch die Beratung von Ratsuchenden genannt: „Das Büro des Integrations- und Migrationsbeauftragten ist auch eine direkte Anlaufstelle für Ratsuchende in integrations- und ausländerpolitischen sowie rechtlichen und sozialen Fragen. Die Beratungstätigkeit dient zum einen der unmittelbaren Klärung von Zweifelsfällen oder der Hilfe in Problem- und Notsituationen. Besonders schwierige Einzelfälle können der Berliner Härtefallkommission vorgetragen werden, der der Beauftragte angehört.“ (http://www.berlin.de/lb/intmig/aufgaben/ abgerufen am 24.5.2011)

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Diese Prioritätenverteilung erklärt auch, warum die Räumlichkeiten der Behörde selbst bei der Interaktion zwischen Behörde und den weiteren Akteur/innen des Aktionsprogramms eine eher untergeordnete Rolle spielten. Anders als beispielsweise bei Interaktionen mit einer Ausländerbehörde, dem Bürgeramt oder dem Jobcenter sind die Projektleiter/innen und Teilnehmer/innen des Aktionsprogramms nicht ausschließlich auf einen „vor Ort Austausch“ mit der zuständigen Sachbearbeiterin beschränkt. Vielmehr umfasst der Austausch verschiedene Orte, die auch außerhalb der Behörde liegen können. So finden sowohl durch die Sachbearbeiterinnen als auch durch das Evaluationsbüro und die Senatorin Projektbesuche „vor Ort“ statt. Darüber hinaus treffen sich alle Projektverantwortlichen mit den Vertreter/innen der Behörde regelmäßig auf Netzwerktreffen. 2. Netzwerktreffen Netzwerktreffen bilden einen weiteren Raum, in dem Vertreter/innen der Behörde und Vertreter/innen der Vereine in einem offiziellen Kontext aufeinandertreffen. Eingeladen wird zu diesen Veranstaltungen durch das externe Evaluationsbüro in enger Absprache mit der Behörde. Die Treffen selber haben zumeist einen halböffentlichen Charakter, das bedeutet, es sind – mit der Ausnahme der abschließenden Bilanzveranstaltung – keine Presse und keine Vertreter/innen des Berliner Abgeordnetenhauses dazu eingeladen. Als Interaktionsort für die Auftakt- und die Bilanzveranstaltung wird die Werkstatt der Kulturen gewählt.16 Alle weiteren Netzwerktreffen finden, mit einer organisationsbedingten Ausnahme, im Konferenzraum der Behörde selber statt und sind als Arbeitstreffen konzipiert.17 Die Intention der Treffen ist es einerseits, den zwangsläufigen Abstand zwischen Behörde und Vereinen zu verringern und andererseits den Vereinen die 16 Die Werkstatt der Kulturen ist ein in einer ehemaligen Brauerei am Rand des Stadtteils Neukölln angesiedeltes Forum der Begegnung und des transkulturellen Dialogs. 1993 eröffnet, ist sie mittlerweile eine feste Institution innerhalb der Berliner interkulturellen Szene und als Veranstalterin des Karnevals der Kulturen auch weit über Berlin hinaus bekannt. Aus dem Etat des Beauftragten für Integration und Migration finanziert, bildet sie gewissermaßen eine „Außenstelle“ der Behörde, die in der (trans-) kulturellen Szene Berlins fest verankert ist und neben künstlerischen Veranstaltungen und Ausstellungen auch häufig für Diskussionsveranstaltungen genutzt wird. 17 Die ersten Workshops des Aktionsprogramms mussten aufgrund von Umbaumaßnahmen in der Behörde abermals in der Werkstatt der Kulturen stattfinden, allerdings wurde mehrfach betont, dass dies kein adäquater Ort dafür sei und man bald wieder auf den Veranstaltungsort in der Behörde selber zugreifen könne.

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Möglichkeit zu einem gegenseitigen Austausch zu bieten. Trotz dieser Intention wird auf den Treffen eine bestehende Hierarchie zwischen den staatlichen Geldgebern, die die Aufgabe einer Kontrollinstanz ausfüllen, und den „Nutznießern“ staatlicher Fördermaßnahmen deutlich. Die Stimmung, die die Kommunikation zwischen Behörde und den Vereinsvertreter/innen auf diesen Treffen charakterisiert möchte, ich durch folgendes Feldprotokoll verdeutlichen: Feldtagebuch,18.11.2008 „Zu Beginn des Treffens äußert sich ein Vertreter der Behörde zum augenblicklichen Stand des Aktionsprogramms. Es ist das dritte derartige Treffen innerhalb des Programms, welches sechs Monate nach Beginn der Förderung stattfindet. Sein einleitendes Statement bezeichnet der Behördenvertreter als ‚seine Rückmeldung‘ an die Projekte und macht keinen Hehl daraus, dass er eine sehr kritische Sicht auf den augenblicklichen Stand der Projekte hat. Seine dezidiert formulierte Kritik richtet sich u.a. darauf, dass die Projekte die geforderten Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht hätten. Diesen Zustand bezeichnet er als ‚etwas Neues‘ für die Behörde. Er dringt darauf, die fehlenden Unterlagen nachzureichen und spricht von mangelhafter Kooperation, die eine weitere Förderung in Frage stellen kann. Er betont an dieser Stelle, dass es sich bei den vergebenen Geldern um Steuergelder handelt und weist die Projekte darauf hin, dass es gerade bei der Umsetzung neuer Ideen ‚finanztechnisch problemlos laufen‘ müsse. Ein korrekter Finanzierungsplan sei die notwendige gesetzliche Voraussetzung, um Projekte fördern zu können. Nach diesen einleitenden Worten kommt er auf einige inhaltliche Punkte zu sprechen. Zwar gäbe es einige sehr positive Projekte. Erwartet werden vom Aktionsprogramm jedoch neue Akzente in der Berliner Jugendarbeit. Er betont, dass bisher jedoch in seinen Augen nur wenige Impulse von den Projekten gekommen seien. ‚Von dem was sie machen, kommt herzlich wenig an.‘ Er sieht darin, wie es bisher gelaufen ist, eine ‚vertane Chance‘. Abschließend spricht er nahezu beschwörend auf die Projekte ein: ‚Bitte nutzen Sie die Chance, die sich ihnen durch das Aktionsprogramm bietet!‘ und verweist auf die Möglichkeiten, die mit einem Projektbesuch der Senatorin verbundene medienwirksame Öffentlichkeit auf das eigene Projekt zu lenken. […] Insbesondere diese einleitenden Worte durch den Vertreter der Verwaltung prägen die gesamte weitere Atmosphäre des Treffens. Seine Art und Weise zu sprechen ruft zumindest bei mir sofort eine ablehnende Haltung hervor. Seine Aussagen stellen einen klare Abhängigkeitshierarchie in den Raum, in der die Projekte getroffen, beleidigt oder frustriert sich entweder zurückziehen oder versuchen, sich und ihre Handlungsweisen zu rechtfertigen.“

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Die Aufzeichnungen verdeutlichen exemplarisch die an diesen Treffen herrschende Spannung in der Interaktion von Behörde und Projekten. Es wird deutlich, dass die Behörde ihre Stärke in der konzeptionellen Entwicklung von Integrationspolitiken sieht. Die Umsetzung der Politiken im Aktionsprogramm hingegen möchte sie den einzelnen Vereinen weitgehend selbst überlassen. Die aus diesem Vorgehen resultierende Unzufriedenheit mit den Ergebnissen aus der Praxis zeigt sich regelmäßig auf den Netzwerktreffen. Obwohl man auf den Netzwerktreffen „unter sich“ ist, werden die Veranstaltungen sowohl von den Projekten als auch von der Behörde zu Repräsentationszwecken genutzt. Obwohl die Mitarbeiter/innen der Behörde mit der Art und Weise der konkreten Umsetzung des Integrationsprogramms offensichtlich unzufrieden sind, wird gleichzeitig eine Wertschätzung für die in den Vereinen geleistete Arbeit und das Interesse der Behörde an der Umsetzung der von ihnen geförderten Projekte in diesen Veranstaltungen betont. Das Interesse der Projektmitarbeiter/innen an diesen Treffen ist größtenteils verhalten. So beklagt sich eine Sachbearbeiterin mehrfach bei mir, dass sie den Anmeldungen für die Treffen immer „hinterherlaufen müsse“. Damit verstärkt sich der Eindruck, dass die Netzwerktreffen als reine Pflichtübung angesehen werden, deren Teilnahme nur notwendig ist, um die weitere Finanzierung des eigenen Projekts nicht zu gefährden. Insbesondere bei den Migrantenselbstorganisationen ergibt sich zudem das Problem, dass die zumeist ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeiter/innen keine Zeit für die in der regulären Arbeitszeit stattfindenden Treffen aufbringen können, beziehungsweise ihre Anwesenheit nur selten vergütet bekommen. Dies führt dazu, dass die Vertreter/innen der institutionalisierten Träger, die das Treffen im Rahmen ihrer regulären (und bezahlten) Arbeitszeit als Sozialarbeiter/innen oder Koordinator/innen wahrnehmen können, auf den Veranstaltungen dominieren. 3. Vereinsräume Während der Feldforschung treffe ich auf sehr unterschiedlichen Ausprägungen des sozialen Lebens der Projekte. Abhängig sind sie vom Institutionalisierungsgrad der Vereine, in deren Räumen diese Projekte angesiedelt sind, von der Verankerung im Kiez, dem Zeitpunkt der Anwesenheit (vormittags, nachmittags oder abends) und der jeweiligen Situation (sind gerade Schulferien oder ist Ramadan?). Die Heterogenität und die unterschiedliche Verortung der am Aktionsprogramm beteiligten Vereine macht es schwer, ein einheitliches Bild der Vereinsräume zu zeichnen. Im Folgenden werde ich daher exemplarisch zwei erlebte Situationen beschreiben.

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Feldtagebuch, November 2008 Alles ist dunkel. Verlassen liegt der Vereinsraum in einem ehemaligen Ladengeschäft da. Auf mein Klopfen hin wird mir irgendwann geöffnet. Nein, heute sei kein Treffen. Die jungen Männer wissen auch nicht warum. Aber ich kann gerne hereinkommen. Im spärlich beleuchteten Trainingsraum sind sie gerade dabei zu Boxen, haben aber nichts dagegen, dass ich mich zu ihnen setze. Da immer nur einer gegen den Sandsack boxt redet der andere mit mir. Irgendwann kommt der Projektleiter, macht das Licht im Raum an und setzt sich dazu. Ich habe den Eindruck, dass er sich mir gegenüber verpflichtet fühlt, ein bisschen über das Projekt zu erzählen. Dann fragt er mich nach einer weiteren Finanzierungsmöglichkeit durch den Senat, die über die bewilligte Laufzeit hinausgehen könnte. Ich versuche zu erklären, wie die Gelder vergeben werden. Viel mehr reden wir nicht. Irgendwann wird er gerufen und muss gehen. Nach ca. 20 Minuten hören auch die Jungs auf zu trainieren und es ergibt sich unverhofft ein Gespräch zu ‚Heimat‘. Halb im Spaß halb im Ernst wird zwischen den beiden hin- und her geflachst: ‚Was, Du bist Kurde? Was redest du da! Wenn du in ein Reisebüro gehst und in den Urlaub fliegst, dann fliegst du doch in die Türkei und nicht nach Kurdistan! Deine Heimat ist doch die Türkei!‘ ‚Quatsch, meine Heimat ist Deutschland, ich bin nicht Türke!‘ ‚Aber was steht auf Deinem Pass: Du hast doch einen türkischen Pass!‘ ‚Ja und du, du hast einen deutschen Pass – bist du deshalb Deutscher? Das hat doch nichts zu sagen‘ Diese kurze Passage zeigt jedoch nur eine von vielen möglichen Varianten, wie sich das soziale Leben der Projekte in ihrem jeweiligen Umfeld darstellt. Eine alternative Sicht auf Vereinsräume im Kiez bot sich wenige Monate früher im Rahmen eines Sommerfestes: Feldtagebuch, Juli 2008 Es ist warm. Laut tönt das fröhliche Kindergeschrei vom benachbarten Spielplatz herüber und auch hier sind jede Menge Kinder im und vor dem Ladengeschäft unterwegs. Alles ist mit Luftballons geschmückt, Seifenblasen werden gepustet und die Kinder malen mit Kreide ‚Wedding 65‘ auf den Gehweg. Der Präventionsbeauftragte der Polizei ist gerade angekommen, er unterhält sich angeregt mit dem ebenfalls anwesenden Bezirksbürgermeister und den Projektverantwortlichen. Die Männer aus dem Spielsalon an der Ecke schauen neugierig dem bunten Treiben zu. Frauen mit und ohne Kopftuch bringen Kuchen und richten das Obst an. An den Wänden hängen Fotografien vom letzten Ausflug der Frauengruppe in den Bundestag und auf einen Bauernhof im Umland von Berlin. Ich werde fröhlich willkommen geheißen und mit Kuchen versorgt.

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Gleichzeitig bekomme ich einen Flyer mit den nächsten Projektterminen in die Hand gedrückt und werde den anderen Anwesenden vorgestellt. Hier feiert ein Projekt Sommerfest, präsentiert sich selbstbewusst den Nachbarn im Kiez und pflegt seine Kontakte. Beide Situationen – und noch unzählige andere Sichtweisen – begegnen mir in der Interaktion mit den Vereinen während der Feldforschung. Vereinsräume bilden diejenigen Lokalitäten mit der größten Variabilität und der geringsten Standardisierung in meiner Forschung. Sie sind der lebendige Kern des Aktionsprogramms und decken die volle Bandbreite der möglichen sozialen Interaktionen ab. 4. Der städtische Raum als Bühne Feldtagebuch, 03.07.2009 Zu Gast auf dem Metropolenkongress der SPD. 18 Als besonders eingeladene Gruppe und ausgestattet mit Namensschildchen dürfen wir den Seiteneingang der Veranstaltungsräume des Radialsystem V in Berlin nutzen. Doch zunächst wird einer der männlichen Projektteilnehmer durch das Sicherheitspersonal zum Gespräch zur Seite gebeten. Yusuf, der relativ schweigsam zurückkommt, meint dazu: ‚Die haben Angst, dass ich da drin was mache‘. Auf der Bühne sind neben den rotgeschriebenen Wörtern HEIMAT METROPOLE u.a. die Schlagwörter KIEZ, TOLERANZ, GESELLSCHAFT, MITEINANDER, ANERKENNUNG, VIELFALT zu finden. Die vorderen Plätze sind für das Projekt des Aktionsprogramms reserviert. Auf der anderen Seite sitzen Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der SPD-Spitzenkandidat FrankWalter Steinmeier und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering in der ersten Reihe. Die Jungs des Projekts wurden eingeladen, um mit ihren Hip-Hop Beiträgen für musikalische Begleitung zu sorgen und der Veranstaltung ein authentisches Großstadtflair zu verleihen. Dann führt die Moderatorin folgendermaßen in das Projekt ein: „Es gibt nicht nur Potentiale, sondern auch Herausforderungen. Es gibt Angst und Ausgren18 Der Metropolenkongress der SPD fand am 03. Juli 2009 in den Räumen des Radialsystem V in Berlin statt. Dieser Kongress war Teil des Bundestagswahlkampfes 2009. Die SPD stellt hier unter Anwesenheit von Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering und Klaus Wowereit ihr Konzept zur „Heimat Metropole“ und der stadtplanerischen Visionen der SPD vor, bei der der Kreativbranche große Bedeutung beigemessen wird. Siehe auch: http://archiv.spd-berlin.de/archiv/news/news-2009/juli-2009/ die-metropole-als-heimat/ Zuletzt aufgerufen am 26.10.2012.

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zung. Denken Sie an die Banlieues in Paris, als es dort brannte. Diese Jugendlichen dort haben alles hingeschmissen, sie hatten keine Perspektive mehr. So etwas gibt es auch bei uns… Es kann aber auch sein, dass dann ein kreativer Funke entsteht… Es entstehen viele Projekte. Und eines dieser Projekte wollen wir heute ein bisschen unter die Lupe nehmen. Sie sind in Berlins Straßen unterwegs um ja, Jugendliche über Hip Hop zu erreichen, mit Jugendlichen über ihr Leben zu sprechen, das ist ihr Inhalt. Meine Damen und Herren, herzlich willkommen! Es performen Witness, GS und Erol[…]“ Witness, die Rapcrew GS und Erol „performen“ nicht nur auf dem Metropolenkongress der SPD, sie repräsentieren sich, ihre Geschichte und ihre Anliegen auch auf anderen Bühnen des städtischen Raumes und werben dabei gleichzeitig auch immer für „ihr“ Projekt. Auch aus diesem Grund werden sie von einer Sachbearbeiterin der Verwaltung als das „Sternchenprojekt“ des Aktionsprogramms bezeichnet. Nicht alle Projekte des Aktionsprogramms beherrschen die öffentlichkeitswirksame Repräsentation so gut. Dennoch bilden auch in anderen Projekten Sommerfeste im Kiez, das Fastenbrechen im Ramadan oder Diskussionsveranstaltungen einen Raum, der für die soziale Interaktion und Repräsentation im Rahmen des Aktionsprogramms bedeutsam werden kann. Schon bald stellt sich heraus, dass ich während der Feldforschung nicht nur mit sehr unterschiedlichen Akteur/innen und an unterschiedlichen Orten interagiere, sondern sich auch sehr verschiedene Verortungen im Stadtraum Berlin erfassen lassen. Die „Sites“ umfassen damit nicht nur verschiedene räumliche, sondern auch unterschiedliche soziale, (gesellschafts-)politische und religiöse Verortungen.

2.6 C HANCEN UND G RENZEN T EILNEHMENDER B EOBACHTUNG Meine Feldforschung zu den Praktiken der Umsetzung einer Politik bringt es mit sich, dass ich meine Aufmerksamkeit auf ganz verschiedene Interaktionsfelder richtet. Meine Beobachtungen aus der Alltagswelt der Projekte werden ergänzt durch Beobachtungen in der Senatsverwaltung und auf öffentlichen Veranstaltungen. Insbesondere in einem Forschungsfeld, in dem das „Sprechen über“ bestimmte Themen ganz spezifischen Logiken unterworfen ist, sehe ich es als eine große Chance an, durch Teilnehmende Beobachtung die gelebte Praxis mit den Selbstdarstellungen im Interview in Zusammenhang setzen zu können. Das in der spezifischen, da bewussten Situation des Interviews Gesagte lässt sich durch

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Teilnehmende Beobachtung durch eigene Anschauung überprüfen und einordnen. Erst durch meine längere Anwesenheit „im Feld“ war ich in der Lage, die einzelnen Verhaltensweisen und Handlungsstrategien in ihren jeweiligen Handlungskontext einzuordnen. Teilnehmende Beobachtung ermöglichte es darüber hinaus, die vielfältigen Übersetzungen zwischen den Sprech- und Verhaltensweisen der einzelnen Akteur/innen offen zu legen. Die ethnologische Feldforschung mit der vorrangigen Herangehensweise der teilnehmenden Beobachtung stellte sich somit als überaus geeignetes Mittel dar, um das heterogene soziale Leben einer Policy zu erfassen und danach zu fragen, wie eine soziale Praxis – in diesem Fall die Umsetzung spezifischer integrationspolitischer Vorhaben – „funktioniert“. Bewusst entschied ich mich daher dafür, der Teilnahme und Beobachtung zu Beginn der Feldforschung einen besonderen Stellenwert einzuräumen, um die Praxis der einzelnen Akteur/innen nicht durch übermächtige Diskurse von „Integration“ überlagern zu lassen. Interviews mit einzelnen Interaktionspartner/ innen waren dem deutlich nachgeordnet. Erst in der zweiten Hälfte der Feldforschung führte ich offene Interviews mit Projektleiter/innen und Projektteilnehmer/innen durch. In der für die Implementierung des politischen Sonderprogramms zuständigen Behörde beschränkte ich die Datenaufnahme dagegen auf offene Interviews mit und ohne Tonbandaufnahme und auf die Einsicht der Akten, die zu den einzelnen Vorgängen angelegt wurden. Die Grenzen der so durchgeführten Teilnehmenden Beobachtung wurden durch den Projektcharakter des „Feldes“ recht bald offensichtlich. Die Herausforderung, Teilnehmende Beobachtung synchron in vier miteinander zwar durch das Aktionsprogramm vernetzten, dennoch autonom agierenden Projekten in verschiedenen Berliner Bezirken durchzuführen, hatte ich anfangs unterschätzt. Die Entscheidung, ethnologische Feldforschung in einem städtischen integrationspolitischen Projektzusammenhang durchzuführen, brachte es mit sich, dass ich in hohem Maße darauf angewiesen war, von meinen Interaktionspartnern über Termine oder Veranstaltungen informiert zu werden. Das Teilnehmen und Beobachten ergab sich nur zu einem geringen Ausmaß „von selber“, sondern war an einen engen Terminplan gebunden. Der Zugang zu den Projekten war nicht zu jeder Zeit gegeben, Vereinsräume nicht zu jeder Uhrzeit geöffnet, die Jugendlichen nur zu bestimmten Zeiten in den Vereinsräumen anzutreffen. Man sah sich nur selten „einfach so“. Der Zeitdruck, unter dem ich zwischen den einzelnen Projekten, Veranstaltungen und Interaktionspartner/innen zu wechseln versuchte, war ebenso charakteristisch für meine Erforschung des Aktionsprogramms wie die gähnende Leere zwischen einzelnen Treffen. Veranstaltungen fanden über-

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wiegend am Nachmittag statt und häuften sich des Öfteren auf die gleichen Tage. Somit war die Phase im Feld geprägt von einem „zu spät kommen“ und „zu früh gehen“ ebenso wie von Warten, Ausharren und Hinterherlaufen. Paul Rabinow erwähnt diesen Zustand in seinen ‚Reflections of fieldwork in Marocco‘ jedoch als einen Normalzustand ethnologischer Feldforschung: „Most of the anthropologist‫ތ‬s time is spend sitting around, waiting for informants, doing errands, drinking tea, taking genealogies, mediating fights, being pestered for rides and vainly attempting small talk […] “ (Rabinow 1977:154). Wartezeiten ermöglichten mir viele ungeplante Gespräche mit zufällig ebenfalls anwesenden Akteur/innen und erweiterten mein Verständnis für mein Feld weitaus mehr, als dies auf den ersten Blick den Anschein hatte. Mit meiner zunehmenden Eingebundenheit in die einzelnen Projekte verringerte sich die Abhängigkeit davon, dass meine Interaktionspartner an mich dachten und mir Treffen und relevante Veranstaltungen mitteilten. Dennoch kam es häufig vor, dass ich von Treffen erst im Nachhinein erfuhr, da sie für mich als „nicht interessant“ eingestuft wurden oder meine Anwesenheit nicht immer erwünscht war. Die starke externe Strukturiertheit prägte daher in einem hohen Maß die Feldforschung und formte meine dadurch eingenommene, in mehrfacher Hinsicht subjektive Sichtweise auf das soziale Leben des Aktionsprogramms. Die durch Teilnehmende Beobachtung gewonnene Kontextualisierung der Abläufe erscheint mir insbesondere in einem formal sehr strukturierten Forschungsfeld von großer Bedeutung. Die Komplexität und Widersprüchlichkeiten, die bei der Umsetzung integrationspolitischer Vorhaben auftreten, lassen sich nur aufgrund der Teilnehmenden Beobachtung ansatzweise erfassen und ermöglichen es damit, ein vollkommen anderes Bild dieses Aktionsprogramms zu zeichnen. Das Ziel der Forschung war es, eine politische Intervention in ihrer Komplexität sichtbar zu machen und aufzuzeigen, was sich im Verlauf eines solchen Prozesses ereignet. Nach diesen methodologischen Überlegungen stellt sich damit die Frage, welche Theorien brauchbar erscheinen, um das so erschlossene komplexe Feld analytisch zu durchdringen. Meine theoretischen Überlegungen zu einer anthropology of policy, der Bedeutung von Übersetzungsvorgängen und den theoretischen Zugewinn durch das Konzept der Assemblage werde ich daher im folgenden Kapitel diskutieren.

3. Politiken, Assemblagen, Übersetzungen

3.1 A NTHROPOLOGY

OF POLICY

Die Analyse von Integrationspolitik als politische Intervention bildet den Rahmen dieser Studie. Dabei stehen nicht die Auswirkungen von Integrationspolitik im Sinne einer Evaluation im Zentrum des Interesses, sondern es geht vielmehr darum, mittels einer anthropology of policy den Prozess zu erfassen, der diese integrationspolitischen Interventionen ausmacht und der durch sie angestoßen wird. Ich beziehe mich hier auf Georg Elwerts Überlegungen zu einer Ethnologie der Entwicklung (Bierschenk/ Elwert 1993) sowie auf die von Cris Shore, Susan Wright und Davide Peró mit ihren Publikationen „Anthropology of Policy“ (1997a) und „Policy Worlds“ (2011) angeregte Auseinandersetzung mit Politik als anthropologischem Phänomen. Die Ethnologie der Entwicklung umfasst die Analyse aller in der Entwicklungszusammenarbeit beteiligten Akteur/innen – und nicht nur ausschließlich der Zielgruppen. Verschiedene Akteursebenen müssen somit in die Untersuchung einbezogen werden: Entwicklungsorganisationen, Vermittler, beteiligten Regierungen (Geber und Empfänger) und die an den Projekten teilnehmende Bevölkerung. Van Ufford (1993) verfolgt diesen Gedanken weiter und fordert explizit eine ethnologische Erforschung der Organisationsstrukturen, die einer Entwicklungszusammenarbeit zugrunde liegen.19 Shore und Wright eröff-

19 Interessanterweise findet sich der formale Organisationsablauf von Projekten und Programmen der Entwicklungszusammenarbeit in vergleichbarer Form und unter Verwendung eines fast identischen Vokabulars auch bei der Umsetzung von integrationspolitischen Vorhaben wieder. Man spricht hier wie dort von Zielvorgaben und Konzepten, es geht um die Förderung durch sogenannte Projektträger in Projektarbeit, um das Empowerment von Zielgruppen und begleitende oder abschließende Evaluation und Monitoring. Beide politischen Felder sind geprägt durch eine mehr oder weni-

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nen 1997 durch ihre spezifische Herangehensweise ebenfalls eine neue Perspektive auf das Studium der Politik(en) 20: „We see policies as windows onto political processes in which actors, agents, concepts and technologies interact in different sites, creating or consolidating new rationalities of governance and regimes of knowledge and power.“ (Shore/ Wright 2011:2)

Politik bezeichnen sie als fundamentales Organisationsprinzip unserer Gesellschaft und setzen es sich zum Ziel, die klassifikatorische Logik und regulative Macht von Politik(en) mit Hilfe einer anthropology of policy aufzeigen. In Anlehnung an die Arbeiten von Appadurai (1986) verweisen Shore und Wright auf das „soziale Leben“ von Politiken: „We see policies as having complex ‚social lives‘ as people interact with them and as they in turn enter into relations with institutions and other artifacts“ (Shore/ Wright 2011:3).

Mit diesem Verständnis werden Politiken per se zum Untersuchungsgegenstand und können als „Aktanten“ im Sinne Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie verstanden werden. Shore und Wright unterstreichen, dass insbesondere die Art und Weise wie Politik(en) Beziehungen zwischen Akteur/innen, Institutionen, Technologien und Diskursen erschaffen im Zentrum einer anthropology of policy stehen. Um diese Prozesse zu erforschen, ist allerdings die Identifizierung einer geeigneten Herangehensweise von grundlegender Bedeutung. Zudem muss eine klare Eingrenzung des Forschungsfeldes erfolgen. Die von Shore und Wright angesprochenen „Fenster“ (s.o.), die Einblicke in das soziale Leben einer Politik eröffnen, müssen klein genug sein, um eine Bearbeitung zu gewährleisten und dennoch einen guten Ausblick auf die Komplexität der Abläufe gewähren:

ger implizite Machtasymmetrie und normative Vorstellungen, in welche Richtung die gewünschte Entwicklung ablaufen und welche Ziele über diese Vorhaben erreicht werden sollen. Dabei ist beiden Feldern gemein, dass gerade diese Zielvorstellungen, was „Entwicklung“ bedeutet und was man unter „Integration“ zu verstehen hat, äußerst vage und umstritten sind. 20 Anders als im Deutschen wird im englischen Sprachgebrauch zwischen „policy“ und „politics“ unterschieden. Während „politics“ die Kunst des Regierens beschreibt wird unter „policy“ die inhaltliche Dimension von Politik gefasst. Hier geht es um die konkreten Handlungsweisen und Prozesse der Umsetzung. Shore und Wright verwenden in ihren Ausführungen ausschließlich den Begriff „policy“.

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„The trick is to find a vantage point from which to observe how the elements of the dispositif articulate with each other“ (Shore/ Wright 2011:14).

Das Berliner Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ bildet den „vantage point“ (Ausgangspunkt) für die hier vorliegende Studie über die Berliner Integrationspolitik. Im Sinne einer anthropology of policy verfolge ich anhand dieses Programms den politischen Prozess der Umsetzung von und der Auseinandersetzung mit integrationspolitischen Vorgaben in möglichst vielen, unterschiedlichen Verflechtungen. Aus der Warte dieses Aussichtspunktes lassen sich die verschiedenen Komponenten, die im „sozialen Leben“ der von mir beobachteten Politik eine Rolle spielen, erfassen. Gleichzeitig wird der Blick geschärft für das Zusammen- und Wechselspiel der zentralen Akteur/innen und Komponenten. Die Besonderheit und Herausforderung dieser neuen Art und Weise, ethnologisch Politik zu erforschen, liegt darin, dass Prozesshaftigkeit und alltägliche Praxis als entscheidende Parameter in den Blick genommen werden. Daraus ergibt sich jedoch die Notwendigkeit für ein erweitertes Konzept von „Politik“. Shore und Wright verweisen auf diese neue Dimension eines ethnologischen Politikverständnisses, indem sie herausstreichen: “The challenge is to study policies as they develop and as they are enacted in everyday practice. That, in turn, requires a concept of policy very different from that of conventional political science; to use the terminology of Science and Technology Studies, it calls for an idea of policies as ‚assemblages‘ rather than as discrete ‚things‘.“ (Shore/ Wright 2011:20)

Diese Anregung von Shore und Wright, Politik als Assemblage zu begreifen, soll in dieser Studie aufgegriffen werden. Dafür ist zunächst eine Klärung des Assemblage-Konzeptes und seiner wissenschaftstheoretischen Hintergründe angebracht.

3.2 P OLITIK

ALS

A SSEMBLAGE

Ursprünglich entwickelt wurde das Konzept der Assemblage durch die Philosophen Felix Guattari und Gilles Deleuze in ihrem Werk „A Thousand Plateaus“

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(Deleuze/ Guattari 1980).21 Aufgrund der hohen Komplexität des ursprünglichen Textes beschäftigten sich Wissenschaftler/innen aus verschiedenen Fachbereichen mit einer weiteren Ausarbeitung und Übertragung der durch Deleuze und Guattari geäußerten Ideen, die in einen jeweils eigenständigen Zugang zu den Gedanken von Deleuze und Guattari mündeten (Rabinow 2004 [1997], Ong/ Collier 2005, de Landa 2006, Li 2007, Newman/ Clarke 2009). Übereinstimmung besteht darin, dass der Charakter einer Assemblage eher einem netzförmigen Gebilde oder Gefüge gleicht und als „heterogeneous, contingent, unstable, partial and situated“ beschrieben werden kann (Ong/ Collier 2005:12, ähnlich bei de Landa 2006:3 und 11). „Assemblages“ werden als mehrdimensionale Gebilde oder Geflechte visualisiert, die sich aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzen und welche, je nach Perspektive, Kontext oder Zeitlichkeit, andere, in sich heterogene Gestalten annehmen und dennoch eine gewisse Struktur innehaben. Assemblagen sind dabei weder feste Strukturen, noch reiner Prozess, sondern zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie als Analyseeinheit sowohl Struktur als auch Flüchtigkeit erfassen (Marcus/ Saka 2006:101). Als konzeptuelles Werkzeug bringt Assemblage „akteursorientierte, prozessuale Perspektiven und strukturale Anspielungen mit ausreichend Klarheit und Komplexität zusammen.“ (Marcus 2013:311) Der Ethnologe Paul Rabinow regt als einer der Ersten in seiner Anthropologie des Zeitgenössischen die Verwendung des Assemblage-Konzeptes für die ethnologische Forschung an (Caduff/ Rees 2004). In seiner Anthropologie des Zeitgenössischen geht es Rabinow darum, „sich ereignende Formen“ oder noch nicht abgeschlossene Prozesse zu erfassen. Der Grundgedanke besteht demnach in dem Versuch, sich der Geschichte solcher in Bewegung befindender Formen anzunähern und ihre vorübergehenden Manifestationen als „Assemblages“ zu erforschen und zu begreifen. Die Temporalität ist daher ein entscheidendes Merkmal des Untersuchungsgegenstandes. Für Rabinow geht es in seiner Forschung um das „nicht mehr und noch nicht“ (Caduff/ Rees 2004:25). Im Konzept der Assemblage von Deleuze und Guattari sieht Rabinow dafür das geeignete Forschungswerkzeug. Als eine Assemblage betrachtet Rabinow Formen, die

21 Im französischen Original verwenden Deleuze und Guattari allerdings nicht den Begriff „assemblage“ sondern sprechen von „agencement“. Die Ableitung des Begriffes von „agence“ bzw. lat. „agere“ verweist auf die zentrale Bedeutung des „Aushandelns“ bzw. der „Interaktion“ im Assemblage-Konzept. Zur Problematik der Übersetzung des Begriffes verweise ich auf Philipps Ausführungen zu Agencement (Philipps 2006:108-109).

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„[…] bereits vorhandene Akteure, Dinge und Institutionen in einen neuen Existenzmodus hebt, sie in ein neues Gefüge (Assemblage) einspannt; ein Gefüge, das die Dinge in einer anderen Weise geschehen lässt.“ (Rabinow 2004:115)

Umfassender in der ethnologischen Forschung diskutiert wird das AssemblageKonzept seit dem von Aihwa Ong und Stephen J. Collier herausgegebenen Sammelband „Global Assemblages“ (Ong/ Collier 2005)22 Assemblagen bilden den Ausgangspunkt ihrer Forschung, da in Assemblagen Formen und Werte individueller und kollektiver Existenz problematisiert und technologischen, politischen und ethischen Interventionen und Reflexionen unterworfen werden (Ong/ Collier 2005:4). Auch hier wird im Sinne Rabinows der Charakter von Assemblagen als Aushandlungsorten verdeutlicht. In den Augen von Ong und Collier eignet sich das Konzept der Assemblage insbesondere dafür, die „globale Qualität“ sozialer Phänomene besser zu erfassen, welche sich durch Mobilität, eine hohe Dynamik und die Reformulierung von Konzepten wie Gesellschaft und Kultur auszeichnet (Ong/ Collier 2005:4). Das Konzept der Assemblage wird in diesem Sinne auch Forderungen aus der neueren Migrationsforschung gerecht. Glick Schiller, Ça÷lar und Guldbrandsen (2006) mahnen in diesem Zusammenhang ein theoretisches Konzept jenseits von ethnischen und nationalen Containern an, welches die transnationalen bzw. globalen Verflechtungen heutiger Gesellschaften besser abbilden muss, ohne dabei das Lokale aus dem Blick zu verlieren. Während sowohl Rabinow als auch Ong und Collier ihren Schwerpunkt auf das Gefüge bzw. das Ensemble und somit mehr auf die Entstehungsprozesse und Zusammenfügungen von Assemblagen legen, verweist der Politologe Manuel de Landa in seinen Ausführungen insbesondere auf die Analyse der einzelnen Bestandteile, die sogenannten Komponenten der Assemblage. Diese Komponenten interagieren miteinander und konstituieren erst durch die Interaktion der einzelnen Teile die Assemblage (de Landa 2006:5). Da eine Assemblage durch fortwährende komplexe Interaktionen zwischen ihren einzelnen Bestandteilen besteht, wird die Assemblage permanent neu formiert. Die einzelnen Komponenten sind dabei nicht ausschließlich Bestandteil einer einzigen Assemblage, sondern können auch in anderen Assemblagen eine Rolle spielen und dort in vollkommen anders geartete Interaktionen eintreten (de Landa 2006:10). In Übereinstimmung mit anderen Wissenschaftlern verweist de Landa darauf, dass es sich bei den 22 Dieser Sammelband geht auf den Workshop „Oikos and Anthropos. Rationality, Technology and Infrastructure“ zurück, welcher 2002 im New York University's Global Education Office in Prag stattfand.

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Komponenten einer Assemblage sowohl um Diskurse und Wissensbestände, verschiedene Formen der Machtausübung oder (Regierungs-)Techniken, soziale Akteur/innen, als auch um materielle Objekte und Ressourcen handeln kann (de Landa 2006:2, Ong 2005:338, Li 2007:263, Newman/ Clarke 2009:71). Die Sozialwissenschaftler Janet Newman und John Clarke veranschaulichen die Brauchbarkeit des Assemblage-Konzeptes in ihrer Forschung zur Mikropolitik des öffentlichen Dienstes und verwenden es, um die Komplexität der Interaktionen, die sie im Sektor der staatlichen Dienstleistungen beobachten, besser zu erfassen. So sehen sie ihren Forschungsgegenstand „[…] as a complex assemblage in which different forces, forms of power, technologies, resources and actors were entangled“ (Newman/ Clarke 2009:71). Dabei geht es ihnen insbesondere darum, die Verschränkung der einzelnen Komponenten hervorzuheben. „We view policy instruments and other governing technologies as part of assemblages rather that as temporally separated elements of a cycle of actions and effect.“ (Newman/ Clarke 2009:68)

Den großen Vorteil der Assemblage-Theorie für die Erforschung ihrer mikropolitischen Fragestellungen sehen auch sie darin, dass Politik hiermit als Prozess erfasst werden kann. Mit Blick auf die verschiedenen Komponenten innerhalb einer Assemblage analysieren sie somit den Prozess des Zusammenfügens (assembling) der verschiedenen Komponenten. Darüber hinaus erfassen sie damit auch die Konflikte und Verletzlichkeiten innerhalb der Assemblagen. Assemblagen betrachten sie in diesem Sinne als „sites of contestation“ (Orte der Auseinandersetzung), welche immer wieder neu gebildet bzw. neu zusammengesetzt (re-assembled) werden können (Newman/ Clarke 2009:68). Auch Tania Murray Li, welche die Praktiken eines „community forest managements“ in Südost-Asien ethnographisch untersucht (Li 2007), bezieht sich in ihrer Analyse auf das Konzept der Assemblage. Sie argumentiert, dass es zu kurz greift, nur die staatlichen Interventionen innerhalb des „community forest managments“ an sich zu betrachten und zeigt auf, dass sich diverse Diskurse, Institutionen, Wissensbestände und Soziale Akteur/innen in diesen Interventionen zu einer Assemblage zusammenfügen, die in ihrer Gesamtheit analysiert werden muss. Die Analyse der Praktiken der Assemblage und die damit verbundenen Interaktionen stehen daher im Zentrum ihrer Forschung. Durch diese Herangehensweise gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität staatlicher Interventionen zu verdeutlichen.

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Vor dem Hintergrund der hier ausgeführten Überlegungen zu Assemblage für die Erforschung politischer Formationen bietet sich das Konzept der Assemblage an, um die komplexe Umsetzungspraxis eines integrationspolitischen Vorhabens in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Ziel dieser Studie ist es, anhand der Praxis des Berliner Aktionsprogramms sowohl die verschiedenen involvierten Akteur/innen, als auch die hierin wirkmächtigen Diskurse, Politiken und Ressourcenflüsse in ihrer wechselseitigen Verwobenheit abzubilden und zu analysieren. Das Berliner Aktionsprogramm betrachte ich im Sinne Rabinows als ein Gefüge/ eine Assemblage, in dem diverse Akteur/innen, Organisationen, Diskurse, Wissensbestände, Ressourcen und Dinge durch eine integrationspolitischen Intervention miteinander in Beziehung gesetzt werden und durch dieses in Beziehung setzen eine neue Qualität erhalten. Die in der Integrationspolitik zwar schon immer existierenden, jedoch nicht unbedingt miteinander interagierenden Akteure, Diskurse, Ressourcen, Dinge etc. werden durch das politische Ziel der interkulturellen Öffnung im Berliner Aktionsprogramm miteinander neu verbunden und in einen neuen Existenzmodus erhoben. Innerhalb der „Assemblage Aktionsprogramm“ laufen dementsprechend permanent Prozesse der Aushandlung ab, welche häufig konfliktreich sind. Das politische Ziel ist es, durch diese integrationspolitische Intervention „neue Wege“ der Kooperation zu beschreiten, neue Koalitionen anzuregen, Wissen zu teilen und die Distribution der Ressourcen auf eine neue Diskussionsgrundlage zu stellen. In Anlehnung an Rabinow geht es mir in dieser Studie in erster Linie darum, den Charakter des noch nicht Abgeschlossenen zu dokumentieren und die Polyphonie der in dieser Assemblage auftretenden Stimmen als inhärentes Merkmal des Forschungsgegenstandes erfassen zu können. Dafür bietet sich das Konzept der Assemblage an. Widersprüchlichkeiten in der politischen Praxis erweisen sich aus dem Blickwinkel der Assemblage nicht als Störfaktor, sondern als konstituierendes Element. In Übereinstimmung mit Ong und Collier verweise ich darauf, dass Assemblagen die Polyphonie der Situationen abbilden und sich mit dem Konzept der Assemblage eben gerade auch widersprüchliche Logiken erfassen lassen. (Ong/ Collier 2005:12). Ich verwende das Konzept der Assemblage als „mehr oder weniger präzises, konzeptuelles Werkzeug“ (Marcus 2013:311), welches mir zunächst ermöglicht, nach den einzelnen, in diesem Gefüge wirkmächtigen Komponenten zu fragen und in einem zweiten Schritt deren Interaktion zu analysieren. Die Wahl des Konzepts der Assemblage für die Repräsentation meiner Daten ermöglicht somit einen neuen Zugang: es wird deutlich, dass die in politischen Diskursen wirkmächtigen politischen Konzepte von „Integration“ oder „Interkulturalität“ nur

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einen Teil dieser Assemblage ausmachen. Vielmehr treffen in dieser Assemblage zeitgleich verschiedene Logiken, politische Strategien, Ressourcen, Wissensbestände, Akteur/innen sowie strukturelle Rahmenbedingungen aufeinander und interagieren miteinander. Im Prozess dieser Aushandlungen können neue Diskurse integriert werden, spezifische Akteur/innen eine zunehmende oder abnehmende Bedeutung erhalten, neue Gesetzeslagen, Förderrichtlinien, politische Debatten oder Konzepte Einfluss auf die jeweiligen Interaktionen nehmen. Diese fortlaufenden Prozesse können sowohl eine verstärkte oder auch neuartige Interaktion, als auch eine zunehmende Entkoppelung spezifischer Komponenten mit sich bringen. Bleibt man im Bild der Assemblage, lassen sich diese Vorgänge als Prozesse des „Assembling“, „Dis-assembling“ und „Re-assembling“ beschreiben, durch welche sich die Komplexität der in der Praxis stattfindenden Vorgänge annähernd nachvollziehen lässt. Die Verwendung der Assemblage als konzeptuellem Werkzeug erlaubt es mir, die diesem von Aushandlungen geprägtem „sozialen Leben“ von (Integrations-)Politiken (Shore/ Wright/ Peró 2011:3) innewohnende Heterogenität, Widersprüchlichkeit und Multiperspektivität zu erfassen und dieses „soziale Leben“ überhaupt in seiner Komplexität wahrzunehmen. Komponenten der Assemblage Aktionsprogramm Betrachtet man das Berliner Aktionsprogramm in seiner Gesamtheit als Assemblage, kann neben den schon vorgestellten Akteur/innen und Interaktionsräumen auch der Bedeutung der unbelebten Komponenten wie Techniken, Normen oder Ressourcen nachgegangen werden, die sich als sehr heterogen und widersprüchlich darstellen. Mit Bezug auf die Arbeiten von de Landa (2006), und die Forschungen von Newmann/ Clarke (2009) und Li (2007) werde ich diese Komponenten im Folgenden weiter herausarbeiten und Sinneinheiten zuordnen. So bilden neben Institutionen und Normen auch Formen und Techniken der Machtausübung Teile einer Assemblage, in der verschiedene Akteur/innen in Interaktion miteinander treten können. Darüber hinaus werden auch Objekte und Ressourcen als Komponenten in die Analyse mit einbezogen (de Landa 2006:2, Newman/ Clarke 2009:71, Li 2007:264). Zunächst analysiere ich diejenigen (Regierungs-)Techniken, die in der Assemblage zur Anwendung kommen und frage danach, welche Bedeutung Normen im Zusammenhang mit Integrationspolitiken haben. Ergänzend dazu betrachte ich Ressourcen und Dinge, die in den beobachteten Interaktionen eine Rolle spielen.

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Die Regierungstechniken die innerhalb der Assemblage Aktionsprogramm zum Tragen kommen, können in erster Linie als politische Interventionen gefasst werden. Das Ziel dieser Interventionen ist der Wille, durch staatliche Regulation zu regieren und etwas zu verbessern oder wie Li schreibt: „[…] the attempt to direct conduct and intervene in social processes to produce desired outcomes and avert undesired ones“ (Li 2007:264).

Übertragen auf die Berliner Integrationspolitiken bedeutet dies, dass es der Integrationsverwaltung darum geht, „Integration“ zu verbessern, sie dabei allerdings eine neue Blickrichtung einnimmt. In einer partizipativen Integrationspolitik wird nicht mehr den Migrant/innen eine Bringschuld attestiert. Vielmehr wird das Desinteresse der großen Träger der sozialen Fürsorge an einer gleichberechtigten Kooperation mit Migranten(selbst)organisationen in das Zentrum der Kritik gestellt. Diese fehlende Kooperationsbereitschaft der großen Träger wird als verbesserungswürdiger Zustand für den sozialen Zusammenhalt der Stadt Berlin definiert und soll mithilfe des politischen Instrument der Tandempartnerschaften behoben werden. Das Aktionsprogramm dient der Institutionalisierung von Tandempartnerschaften, durch welche das Potential von gesellschaftlicher Vielfalt betont und mit welchen gesellschaftlicher Zusammenhalt gestärkt werden soll. An der Frage nach den Normen und Vorstellungen, die unter dem jeweiligen Verständnis von Integrationspolitik subsummiert werden, zeigt sich, dass „Integration“ nicht gedacht werden kann, ohne auf Kategorisierungen zurückzugreifen. Mehr noch, der Begriff „Integration“ bietet sich geradezu dafür an, verschiedene Normvorstellungen von Gesellschaft zu subsummieren. Diese zumeist unausgesprochenen Normen prägen auch das Berliner Aktionsprogramm zutiefst. Auf der Mikroebene lassen sich hier allgemeine Normen und Wertvorstellungen, die mit dem Begriff „Integration“ in Verbindung gebracht werden, fassen. So steht hinter der Konzeption der Tandempartnerschaft eine bestimmte Vorstellung, die davon ausgeht, dass es „migrantische“ und „deutsche“ Vereine gibt, die in der Berliner Vereinswelt bislang eher getrennt voneinander existieren. Ebenso birgt die Zuschreibung „Migrationshintergrund“ einerseits eine bleibende Festlegung auf das Herkunftsland der Eltern und wirkt damit als potentieller Exklusionsmechanismus, andererseits verteidigt der Integrationsbeauftragte von Berlin die statistische Erhebung und die Verwendung der Kategorie „Migrationshintergrund“ auch als Chance, da in seinen Augen Teilhabeforderungen ohne den Begriff des Migrationshintergrundes nur schwer umgesetzt werden können und „der gesamte gesellschaftliche Prozess diesen Begriff, diese Kategorie

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braucht“ (Günther Piening auf der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms, 09.12.2009). An diesen Beispielen zeigt sich, dass eine der Schwierigkeiten des Integrationsbegriffes darin liegt, dass mit ihm auf Kategorien zurückgegriffen wird, die durch „Integration“ eigentlich überwunden werden sollen. Die Notwendigkeit, Gruppen, Unterschiede, spezifische Potentiale oder Schwierigkeiten zu benennen, um zu einer Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu gelangen, führt dazu, dass gleichzeitig etwas Trennendes zwischen einem WIR und den ANDEREN aufrechterhalten wird. Dies gilt, obwohl Integrationspolitiken es sich zum Ziel setzen, genau dieses Trennende aufzuheben, sei es durch einseitige Angleichung an die Normen der Mehrheitsgesellschaft oder durch gleiche Chancen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die konflikthaften Aushandlungen von gesellschaftlichen Normen und der Bezug auf diverse soziale Ordnungen stellen einen wesentlichen Aspekt der hier analysierten Assemblage dar, welche ich in Kapitel 8 zu Respekt und Kapitel 9 zu Praktiken des Ausschlusses ausführlicher darstellen werde. Um die Ziele der verbesserten Teilhabe von Migrantenorganisationen im Bereich der sozialen Jugendarbeit zu erreichen werden durch die Förderpolitik des Berliner Integrationsbeauftragten im Rahmen des Aktionsprogramms finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt. Ressourcen ermöglichen einerseits eine Interaktion der verschiedenen Akteur/innen. Andererseits lassen sich an den Verteilungskämpfen um Ressourcen auch die Grenzen der Interaktion besonders anschaulich verdeutlichen. So ist offensichtlich, dass nicht jeder Akteur und jede Akteurin innerhalb der Assemblage Aktionsprogramm über die gleichen Ressourcen verfügt, bzw. einen gleichartigen Zugang zu Ressourcen hat. Dabei sollte zwischen verschiedenen Formen von Ressourcen unterschieden werden: Einerseits spielt der Zugang zu und die Zuweisung von finanziellen Mitteln eine zentrale Rolle für die beteiligten Projekte. Andererseits kommt neben dem allgemeinen sozialen Kapital auch dem spezifischen Wissen über administrative Vorgänge sowie dem Wissen über den Zugang zur Zielgruppe der migrantischen Jugendlichen und dem professionellen Wissen der Sozialarbeiter eine wichtige Bedeutung als Ressource zu. Im Verlauf des Aktionsprogramms wird deutlich, dass die Behörde zwar über die Vergabe der finanziellen Ressourcen bestimmt und damit einerseits eine große Macht innehat, der Zugang zu anderen Ressourcen jedoch nicht durch sie kontrolliert werden kann, sondern von der Interaktionen der Akteur/innen untereinander abhängig ist. Die Aushandlungen, welche um die verschiedenen Ressourcen innerhalb des Aktionsprogramms geführt werden, greife ich in Kapitel 7 am Beispiel einer be-

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sonders konfliktreich verlaufenden Tandempartnerschaft auf. Veranschaulicht werden können an dem empirischen Beispiel auch die Verschiebungen, zu denen es aufgrund der Kämpfe um Ressourcen innerhalb der Assemblage kommen kann. Der prozesshafte Charakter der „sich ereignenden Formen“ sensu Rabinow (Caduff/ Rees 2004:25) wird dadurch abermals verdeutlicht. Die Interaktion von Dingen mit sozialen Akteur/innen steht, anders als in Arbeiten der Actor-Network-Theory, in dieser Studie zwar nicht im Vordergrund, dennoch sollte die Bedeutung, die Dingen in einer Assemblage zukommt, nicht ignoriert werden. An erster Stelle stehen hier rechtliche Verordnungen wie das Zuwendungsrecht oder das deutsche Vereinsrecht, welche die Handlungen der Akteur innen innerhalb der Assemblage mitbestimmen. Eine Übersetzung der relevanten rechtlichen Paragrafen auf die jeweils konkrete Situation findet durch die jeweils zuständige Sachbearbeiterin statt. Diese Übersetzungen können situativ sehr unterschiedlich ausfallen. Ebenso nimmt die Akte, welche von jedem Projekt in der Verwaltung angelegt wird, in der Interaktion mit der Sachbearbeiterin einen wichtigen Stellenwert ein. Die Akte stellt dabei einen, durch mehrfache Vorgänge gefilterten Niederschlag dessen dar, was aus den Projekten in Interaktionen an die Senatsverwaltung herangetragen und schriftlich dokumentiert wird. Sie wird, nach der abschließenden Bearbeitung durch die Sachbearbeiterin, an eine Rechnungsprüfstelle weitergeleitet und nach erfolgter Prüfung zurück an die Behörde überstellt und dort archiviert. Das, was sich über ein Projekt in der Akte niederschlägt, ist damit nicht gleichzusetzen mit „dem Projekt“, sondern ist ein spezifisches, durch mehrfache Übersetzungs- und Codierungsprozesse entstandenes Produkt. Innerhalb der Assemblage nimmt „die Akte“ damit sowohl die Aufgabe des Kontrollinstrumentes als auch eines Machtinstrument ein, wenn sie dazu eingesetzt wird, um von der Verwaltungsnorm abweichende Handlungen der Projektpartner zu verhindern. Durch die Herausarbeitung der einzelnen Komponenten kann die Heterogenität und Komplexität der einzelnen an der Ausgestaltung der Assemblage beteiligten Facetten verdeutlicht werden. Die Erfassung der einzelnen Komponenten ist daher ein wichtiger Vorgang in der Analyse einer Assemblage. In einem zweiten Schritt wende ich mich danach wieder dem Zusammenspiel der Komponenten zu. Das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Komponenten und die Frage nach den Übersetzungsleistungen, die die Assemblage prägen, soll im Zentrum dieser Studie stehen.

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Entkopplungen und Rückkopplungen Schon zu Beginn meiner Feldforschung irritierte, dass politische Papiere mit Bezugnahme auf diverse öffentliche, lokale, nationale oder auf internationaler Ebene angesiedelten Diskurse zu „Integration“ in der alltäglichen Praxis der kleinen Vereine des Aktionsprogramms, welche diese „Integrationsarbeit“ leisten sollen seltsam substanzlos erscheinen. Meine Beobachtungen veranschaulichen, dass die Loslösung von integrationspolitischen Konzeptpapieren in der Praxis der Vereine einen pragmatischen Umgang mit der Diversität und Widersprüchlichkeit des Projektalltags ermöglicht. Im Projektalltag äußern die Projektleiter/innen bei der Verwendung des Begriffes „Integration“ häufig ein gewisses Unbehagen. Der politisch mit unterschiedlichen Konzeptionen überfrachtete Begriff taugt offensichtlich nicht dazu, die konkrete Arbeit der Sozialarbeiter/innen in den „Integrations“-Projekten in all ihren Dimensionen adäquat zu beschreiben. Die Koordinatorin eines Projektes im Berliner Bezirk Wedding veranschaulicht die Entkoppelung zwischen integrationspolitischen Konzeptpapieren und der Praxis der Sozialarbeiter „vor Ort“, wenn sie sagt: „der Begriff Integration funktioniert nicht! Ich verwende ihn immer nur im Antragsdeutsch, in meiner Arbeit spielt er keine Rolle.“

Das Unbehagen der Mitarbeiter/innen in den Projekten im Umgang mit dem Konzept der „Integration“ beruht darauf, dass ihre Arbeit über die Verwendung des Begriffes in einen Diskurs zu „Integration“ eingebunden wird, welcher eine ganz eigene Wirkmächtigkeit hat. In diesem Integrations-Diskurs werden häufig Zuschreibungen und gesellschaftliche Ordnungsprinzipien fortgeschrieben, welche die Projektmitarbeiter/innen durch ihre alltägliche Arbeit zu durchbrechen versuchen. Das erklärt einerseits die Distanzierung von diesem Begriff. Andererseits wird die Anbindung und Rückkoppelung an den offiziellen politischen Diskurs zu „Integration“ von allen Akteur/innen immer wieder gesucht, da nur über die Bezugnahme auf den Schlüsselbegriff der „Integration“ finanzielle Ressourcen und mediale Aufmerksamkeit generiert werden können. An einer positiven Darstellung integrationspolitischer Konzepte, sowie ihrer „erfolgreichen“ Umsetzung sind daher auch in dem hier diskutierten Integrationsprogramm alle beteiligten Akteur/innen interessiert: Sei es, um Anerkennung für die geleistete Arbeit zu bekommen, einen Anteil an der Repräsentation von „Integration“ in dem diskursiv heftig umkämpften Bereich der Integrationspolitik zu haben oder auch, um neue Gelder für die eigene Projektarbeit zu akquirieren (siehe Kapitel 10).

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Darüber hinaus zeigt sich, dass das soziale Leben der integrationspolitischen Projekte in hohem Maße von einer Repräsentationslogik geprägt ist, bei der „Integration“ als erfolgreiches politisches Projekt dargestellt werden soll. Wird eine integrationspolitische Idee nicht, oder nur schwer in der Praxis umgesetzt, so besteht die Gefahr, dass im öffentlichen Diskurs sehr schnell das Narrativ von einem „Scheitern der Integration“ bemüht wird. Die Entwickler des Berliner Integrationskonzeptes sehen daher eine wichtige Aufgabe von Integrationspolitik darin, sich von einem „defizitorientierten Wahrnehmungsschemata zu befreien“ und die Potentiale einer Einwanderungsgesellschaft herauszuheben, um dadurch ein Gegenbild zu einem Narrativ des Scheiterns aufzubauen (Abgeordnetenhaus 2007a: 47f). Mein Interesse richtet sich vor diesem Hintergrund auf den scheinbaren Widerspruch und die von mir wahrgenommene Entkoppelung von gelebter Praxis und gepflegter Rhetorik. Ich analysiere diese Prozesse des Dis-Assembling und frage nach den Prozessen des Assembling, durch welche die disparaten Welten wiederum zusammengehalten werden. Die Art und Weise wie integrationspolitische theoretische Überlegungen und das soziale Leben dieser Konzepte in der Alltagswelt zusammenhängen wird daher im Fokus der Untersuchung stehen. Anhand dieser gegenläufigen Beobachtungen stelle ich die These auf, dass in dem hier zur Diskussion stehenden integrationspolitischen Sonderprogramm erst durch die scheinbare Entkopplung von politischem Konzept und Praxis das Weiterbestehen eines Diskursraumes ermöglicht wird, der verschiedene Übersetzungen oder Auslegungen zulässt. Das Sprechen über und die Aushandlungen zu „Integration“ zeichnen sich durch eine inhärente Widersprüchlichkeit und Bedeutungsoffenheit aus, die verschiedene Übersetzungen oder Auslegungen zulässt. Nur dadurch kann die Beteiligung der unterschiedlichsten Akteur/innen an diesem Diskurs gewährleistet werden. Damit übernehme ich grundsätzliche Überlegungen von Rottenburg, welcher anhand von Organisationsprozessen in der Entwicklungszusammenarbeit von einer sogenannten „losen Kopplung“ spricht, welche er zwischen der offiziellen Repräsentation und der Umsetzung einer Repräsentation in Organisationspraktiken ausmacht (Rottenburg 2002:97). Damit unterstreicht Rottenburg, dass das „irreführende Idealbild“, nach dem eine Organisation dann am besten funktioniert, wenn sie genau das umsetzt, was ihrer offiziellen Darstellung entspricht, in den Repräsentationspraktiken von Organisationen vielmehr durch diese lose Kopplung ersetzt wird. Erst eine lose Kopplung, so Rottenburg, sei

62 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „die Voraussetzung dafür, dass trotz widersprüchlicher Zwecke die Dinge praktisch am Laufen gehalten und zu einem einigermaßen akzeptablen Ergebnis gebracht werden können.“ (Rottenburg 2002:98)

Eine definitive Entkopplung von Repräsentationen und Praktiken wird laut Rottenburg dadurch vermieden, dass dem Element der losen Kopplung eine „zeremonielle Außendarstellung“ zur Seite gestellt wird. Eine lose Kopplung nach innen und die gleichzeitige geglättete Repräsentation nach außen sind demnach keine Hinweise auf das „Versagen“ oder „Scheitern“ einer politischen Intervention, sondern können vielmehr, im Sinne Rottenburgs, als „unverzichtbare Mittel der Erfolgsabsicherung“ (Rottenburg 2002: 98) betrachtet werden. Aus diesem Blickwinkel bildet die von mir im integrationspolitischen Feld beobachtete Entkopplung von integrationspolitischen Konzepten und der gelebten Praxis ein geradezu wesentliches Moment von Integrationspolitik ab. Der Bedeutung, die der Repräsentation der integrationspolitischen Praxis zukommt, wird in Kapitel 10 ausführlicher nachgegangen. Erst durch die Betrachtung des Aktionsprogramms als Assemblage ist es möglich, die diversen hier ablaufenden Prozesse und die daran beteiligten Komponenten in ihrer Gesamtheit zu erfassen und darzustellen. Der Frage nach den Aushandlungen und Prozessen, die im „Zwischenraum“ von politischer Rhetorik und integrationspolitischer Praxis innerhalb der Assemblage stattfinden, möchte ich mich annähern, indem ich mein Interesse dem Akt des Übersetzens selber zuwende.

3.3 Ü BERSETZUNGEN , R EPRÄSENTATIONSPRAKTIKEN „No act of translation leaves either of the partners intact. Both emerge from their encounter changed, different at the end of the act from what they were at its beginning. “ ZYGMUNT BAUMANN 1999:XLVIII

Übersetzung (translation) wird verstärkt als Konzept betrachtet, das sich jenseits der rein linguistischen Anwendung explizit dazu eignet, Vermittlungsprozesse und Wissenstransfers zu erfassen. Die Analyse der Übermittlungen kann Differenzen aufzuzeigen und bestehende Machthierarchien herausarbeiten. Übersetzung dient damit in der ethnologischen Forschung und darüber hinaus zuneh-

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mend als analytisches Konzept. Die Kulturwissenschaftlerin Doris BachmannMedick geht so weit, von einem „translational turn“ und einer Migration des Konzeptes aus den „translation studies“ in andere diskursive Felder der Geistesund Sozialwissenschaften zu sprechen (Bachmann-Medick 2009:3).23 Vor dem Hintergrund einer postkolonialen Auseinandersetzung mit Übersetzungsvorgängen wird deutlich, dass Übersetzung nicht reduziert werden kann auf eine simple binäre Übertragung, sondern immer weitaus mehr umfasst. Stuart Hall versteht dementsprechend Übersetzung als „a continuous process of rearticulation and re-contextualization without any notions of a primary origin“ (Hall/ Chen 1996:393) und überträgt diese Forderung auch auf die Übersetzbarkeit der Disziplin der Kulturwissenschaften/ cultural studies per se. Mit dem zunehmenden Interesse an Übersetzung verbindet sich damit auch ein spezifisches Interesse an denjenigen Prozessen, die sich in den Zwischenräumen (interstices), und an den Grenzen oder den Bruchstellen (fractures) abspielen. Gerade dieser Blick auf die Zwischenräume ermöglicht neue, gewinnbringende Einblicke in die Übersetzungsdynamik. „Translation is more than just a bridge between two unrelated poles, more than a one-way transfer process; instead, the concept is a complex sociological, relational one, which opens up translation to reciprocity and mutual transformation.“ (Bachmann-Medick 2009:7)

Durch diese mit dem translational turn verbundene Erweiterung des Übersetzungsbegriffes, wird das transformative Element einer Übersetzung betont. Es wird davon ausgegangen, dass es im Prozess der Übersetzung immer zu einer Verschiebung zwischen dem ursprünglichen „Text“ und dem übersetzten „Text“ kommt. Auch in der durch die Writing Culture Debatte angestoßene Auseinandersetzung mit Ethnografie als Text und der Rolle des Ethnologen in der (Re-)Produktion von Kultur als Text spielen solche Überlegungen eine nicht unwesentliche 23 Auf die Bedeutung des Konzeptes für die Akteur-Netzwerk-Theorie möchte ich an dieser Stelle explizit hinweisen. Dabei zeichnet sich die ANT durch eine Erweiterung des Übersetzungsbegriffes aus, der auch unbelebten Objekten im Prozess der Übersetzung eine Bedeutung zuweist. Wichtige Vertreter dieser Sichtweise sind Bruno Latour sowie Michel Callon. Dessen Artikel „Some elements of a sociology of translation: domestication of the scallops and the fishermen of St Brieuc Bay“ (Callon 1986) kann als ein Ausgangspunkt einer „Soziologie der Übersetzung“ gesehen werden, welche den Übersetzungsgedanken auf sozialwissenschaftliche und sozialanthropologische Fragestellungen ausweitet.

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Rolle. So wird nicht mehr davon ausgegangen, dass es eine unidirektorale Übersetzung zwischen Text und Wirklichkeit und dementsprechend auch keine direkte Übersetzung der Wirklichkeit in den ethnografischen Text geben kann. Vielmehr rücken das Verhältnis zwischen verschiedenen „Texten“ und die sich darin abzeichnenden Verschiebungen in das Zentrum des Forschungsinteresses (Rottenburg 2002:9). Übersetzung sollte demnach als eine Art Schöpfungsakt analysiert werden, der zu einer „Verdoppelung“ der Wirklichkeit einen entscheidenden Beitrag leistet (Kaschuba 2006:247), denn: „Bei jedem Übersetzungsakt wird (performativ) unvermeidlich etwas weggelassen und etwas anderes hinzugefügt.“ (Rottenburg 2002:15) Legt man diesen erweiterten Übersetzungsbegriff zugrunde, findet Übersetzung grundsätzlich immer dann statt, wenn „eine Idee oder Sache aus einem in ein anderes Idiom, aus einer in eine andere Kultur über-tragen wird; eine Idee oder eine Sache durch eine andere er-setzt wird, […] eine Idee sich in einer Praxis oder einer Sache materialisiert und umgekehrt“ (Rottenburg 2002:15) Rottenburg erweitert in seiner Analyse der Übersetzungsvorgänge in der Entwicklungszusammenarbeit die Vorstellung von Übersetzung um einen weiteren Gedanken: Dass durch eine Übersetzung „eine Idee oder eine Sache mit einer anderen so verbunden wird, dass sie dadurch weiter reicht oder stärker wird (wie es beispielsweise beim Flaschenzug oder der Fahrradkette der Fall ist).“ (Rottenburg 2002:15) Das Bild des Flaschenzuges, bei dem durch physikalische Übersetzung die eingesetzten Kräfte multipliziert werden können, hebt einerseits die Transformation der Kräfte hervor und veranschaulicht gleichzeitig, dass im Verlauf der Übersetzung auch Reibungsverluste auftreten können.24 Überträgt man dieses Bild auf den hier untersuchten Bereich der Übersetzung integrationspolitischer Konzepte und fragt nach den Mechanismen dieser spezifischen Übersetzung wird deutlich, dass die im Prozess der Übersetzung unweigerlich auftretenden Reibungen einen konstitutiven Bestandteil bilden. In Anlehnung an die Arbeiten Foucaults sollte darüber hinaus bedacht werden, dass Übersetzungen nie in einem machtleeren Raum stattfinden. Vielmehr ist der Vorgang des Übersetzens in hohem Maße mit der Frage der Macht verbunden, denn der oder die Übersetzer/in verfügt immer über eine große Deutungsmacht. Schließlich eröffnet Übersetzung auch Möglichkeiten der Manipulation. Die Übersetzungs- bzw. Deutungsmacht der Akteur/innen ist daher ein Bereich, der in der ethnologischen Analyse besondere Berücksichtigung finden 24 Als Übersetzung oder Transmission wird in der Technik ein Vorgang bezeichnet, bei dem Kräfte mit Hilfe einer Maschine übersetzt werden. Diese Übersetzung geht dabei – anders als bei einer 1:1 Übertragung – in der Praxis immer mit Reibungsverlusten einher.

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sollte. Wie ich anhand dieser Studie aufzeigen werde, nehmen Aushandlungen über eine Deutungsmacht auch bei der Übersetzung integrationspolitischer Konzepte eine bedeutende Rolle ein. Die Frage nach der Deutungsmacht des Ethnologen bzw. der Ethnologin als Wissenschaftler/in und dem Machtgefälle zwischen den Beobachteten und den Beobachter/innen innerhalb ethnologischer Repräsentationen vom „Fremden“ stand im Zentrum der ethnologischen Debatte der 1980er Jahre, welche als „Krise der Repräsentation“ in die Fachgeschichte einging. Der Vorwurf der Alterisierung, welcher ethnologischer Forschung hierin gemacht wurde und welchen Rottenburg etwas provokativ als „Gründungsfehler“ bzw. als „Sünde der Ethnologie“ bezeichnet (Rottenburg 2008:402f), führte in den Folgejahren zu einer zunehmenden Reflexion der Wissensproduktion. So werden vermehrt die Bedingungen des Erforschens offengelegt und die Entstehung von Wissen diskutiert. Mit Bezug auf diese Debatten plädiert Rabinow dafür, Repräsentationen nicht „zu verteufeln“, sondern vielmehr als soziale Tatbestände anzuerkennen (Rabinow 1993:197).25 Als sozialer Tatbestand stellen Repräsentationen damit nicht nur einen zu beachtenden Nebeneffekt, sondern einen zentralen Forschungsgegenstand dar. In Anlehnung an Foucault versteht Johannes Fabian im Zuge der gleichen Debatte Repräsentationen nicht mehr als reine Darstellung, sondern in erster Linie als Praxis. Diese Sichtweise führt in seinen Augen zu zwei Konsequenzen: „(1) Das größte Problem hinsichtlich der Repräsentation ist dann nicht mehr primär die richtige Wiedergabe von Wirklichkeiten, sondern – wie sollen wir es nennen? – Wiederholung, Wieder-Darstellung. (2) Repräsentationen (im Plural) werden dann als Handlungen oder Sequenzen von Handlungen betrachtet, kurz: als Performances. Performances benötigen Akteur/innen und Publikum, Autor/innen und Leser/innen. Darum sollten Repräsentationen ihre Autorität in erster Linie aus Kommunikation, Rhetorik und Überzeugungskraft gewinnen und zweitrangig aus Kongruenz und logischer Beweisführung.“ (Fa26

bian 1993:339)

25 Das englische Original dieses Artikels erschien im Band „Writing Culture. The poetics and politics of Ethnography“ im Jahr 1986 unter dem Titel: „Representations are social Facts. Modernity and Post-Modernity in Anthropology“. 26 Auch Fabians Ausführungen gehen zurück auf die Writing Culture Debatte und das Jahr 1986. Ursprünglich wurden sie publiziert als ein Beitrag zu dem Panel „Othering: Representations and Realities“ im Rahmen des 85. Jahrestreffen der American Anthropological Association.

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An diese Überlegungen schließt meine Analyse der Repräsentationspraktiken im Rahmen des Berliner Aktionsprogramms an. Ich möchte der Frage nachgehen, wie Repräsentationen entstehen und wer und in welcher Form an der Herstellung und Darstellung von wirkmächtigen Repräsentationen beteiligt ist. Übersetzung(en) als Mittel der Kommunikation kommt dabei entscheidende Bedeutung zu, da jeder Repräsentation Übersetzungsprozesse zugrunde liegen. Beschreibt das Konzept des Übersetzens eine Übertragung von Texten oder „Wirklichkeiten“ in eine andere Sprache bzw. einen anderen (kulturellen) Kontext, so wird in der Repräsentation eine unmittelbar abwesende Wirklichkeit durch einen Fürsprecher vertreten (Rottenburg 2002:14). Der Fürsprecher greift in seiner Darstellung auf Repräsentationspraktiken zurück. Mit Hilfe dieser Repräsentationspraktiken übersetzt er eine Wirklichkeit in dem von Fabian angesprochenen „performativen Akt“ in eine andere Wirklichkeit. Im Kontext des hier analysierten integrationspolitischen Programms möchte ich zunächst einige Repräsentationsstränge herausheben, welche sich im Zwischenraum zwischen integrationspolitischem Konzept und der alltäglichen Praxis des Aktionsprogramms fassen lassen. Sie alle zeichnen sich durch ihre Performativität gegenüber einem „Publikum“ im Sinne Fabians aus: Einerseits repräsentieren die verantwortlichen Projektleiter/innen die Praxis ihrer Projekte gegenüber der Behörde. Sie übersetzen die häufig ungeordnete, widersprüchliche Praxis der alltäglichen Jugendarbeit nach dem Skript eines eingangs gestellten Projektantrages in eine Darstellung, die in der Wirklichkeit der Behördenmitarbeiter/innen Relevanz hat. Andererseits repräsentieren diese Behördenmitarbeiter/innen ihrerseits gegenüber einer allgemeinen Öffentlichkeit (und damit auch gegenüber mir als Ethnographin und Vertreterin einer Universität) die partizipative Integrationspolitik des Berliner Senats und überdecken in dieser Darstellung die Reibungen und Widersprüchlichkeiten, die auch innerhalb des Mitarbeiterstabes des Integrationsbeauftragten bestehen. Ausschließlich in internen Darstellungen differenzieren sie zwischen einer „Meinung des Hauses“ und ihrer persönlichen Ansicht. Über die bewussten Repräsentationspraktiken hinaus werden die über die partizipative Integrationspolitik des Berliner Senats explizit in das Integrationsprogramm einbezogenen Migrantenorganisationen unweigerlich als Repräsentanten „der“ Migrantencommunities wahrgenommen und/ oder sehen sich selber in dieser Rolle. Ebenso werden die in den Projekten aktiven männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr häufig als Repräsentanten aller männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund angesehen, was wiederholt in einer Konfrontation mit pauschalisierenden Bildern des „kriminellen Jugendlichen“ mündet. Als teilnehmende Beobachterin kann ich einerseits die verschiedenen Repräsentationslogiken herausarbeiten. Andererseits ist mir bewusst,

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dass auch ich in das Geschehen involviert war und somit unweigerlich zum Subjekt der Pläne anderer wurde. Anhand der für die Formation der Berliner Integrationspolitik zentralen Konzepte sowie ausgewählter ethnografischer Beispiele des von mir erforschten Aktionsprogramms werde ich in dieser Studie aufzeigen, wie innerhalb einer „Policy“ Akteur/innen, Institutionen, Regierungstechniken und Diskurse zueinander in Beziehung gesetzt werden. Diesen Interaktionen werde ich weiter nachgehen, indem ich den Übersetzungen folge, die zwischen den integrationspolitischen Zielsetzungen und der integrationspolitischen Praxis aktiviert werden. Auf die Transformation der Konzepte von einem Handlungsrahmen zum nächsten soll dabei ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Durch die Analyse der Übersetzungen und der damit einhergehenden Verschiebungen, die an diesen Zwischenräumen zu fassen sind, lässt ich ein tieferes Verständnis für den Zusammenhang der einzelnen Akteur/innen und Komponenten der Assemblage Aktionsprogramm erzielen. Über die Analyse der Übersetzungsvorgänge in der Verwaltung (Kapitel 6), im Prozess der „interkulturellen Öffnung“ (Kapitel 7), bei Aushandlungen zu „Respekt“ (Kapitel 8) und auch im Umgang der männlichen Jugendlichen mit Praktiken des Ausschlusses (Kapitel 9) soll das soziale Leben einer Politik in seiner ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit abgebildet werden. Wissenschaftliche und politische Diskurse, die sich mit dem Themenfeld Migration, Assimilation oder Integration befassen und dieses in der öffentlichen Wahrnehmung prägen, bilden einen der Hintergrundtexte, auf die sich solche Übersetzungen implizit beziehen. Bevor ich das konkrete integrationspolitische Aktionsprogramm des Berliner Senats analysieren werde, ist ein Blick auf die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Themenbereich von „Migration und Integration“ daher unabdingbar. Ich werde daher in den folgenden zwei Kapiteln diverse Diskurspositionen aufzeigen und dabei darlegen, wie sich wissenschaftliche und politische Positionen gegenseitig bedingen. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick zu den Wandlungen des Konzeptes von „Integration“ (Kapitel 4) werde ich in Kapitel 5 explizit auf die spezifische Berliner Übersetzung dieser politischen Konzepte näher eingehen.

4. „Integration“ – Wandlungen eines Konzeptes „Wo ist also Anfang und Ende der Integration? Das Wort kommt mir vor wie eine Seife, die immer wegrutscht.“ NECO CELIK, QUANTARA.DE

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat der Integrationsbegriff in der öffentlichen Debatte Hochkonjunktur. Die vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten dieses Begriffes machen ihn zu einem beliebten Schlagwort in unzähligen Diskussionen, in denen jedoch sehr unterschiedliche politische Positionen vertreten werden. „Integration“ wird so zu einem Passpartoutbegriff, unter den sich nahezu jegliche Politik in Bezug auf Migrant/innen fassen lässt (Lanz 2009:105). Wie sich anhand der Forschungsgeschichte illustrieren lässt, können politisch und wissenschaftlich motivierte Debatten dabei nur schlecht auseinanderdividiert werden. Vielmehr werden die Verschränkungen von politischem und wissenschaftlichem Diskurs bzw. die Wechselwirkungen zwischen Politik und Wissenschaft offensichtlich. Im Folgenden geht es daher nicht ausschließlich um eine Darlegung der Forschungsgeschichte. Vielmehr wird „Integration“ an sich als Forschungsgegenstand angesehen und die Wandlung und die Effekte des Begriffes als Teil der Assemblage Integrationspolitik betrachtet. Die diversen wissenschaftlichen Konzepte zum Themenfeld Einwanderung, welche seit der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration in der US-amerikanischen Stadtsoziologie Anfang der 1920er Jahre entstanden, zeigen eine wechselvolle Geschichte. Um ein kritisches Verständnis des Integrationsbegriffes zu ermöglichen, werden zunächst die gegenseitigen Abgrenzungen und Wiederaufnahmen von Konzepten zu „Assimilation“, „Integration“, „Inkorporation“ und „Inklusion“ beleuchtet. Dabei soll aufgezeigt werden, wie sich die Problematisierungen im Verlauf der

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Forschung verschieben. Die wissenschaftliche Kritik an einem klassischen Assimilationsparadigma bildet in Anlehnung an die Arbeit von Gunilla Fincke (2008) dabei den Ausgangspunkt meiner Argumentation. Die verschiedenen, in einem interdisziplinären Kontext verorteten Überlegungen, die aus dieser Kritik resultieren, sollen im Folgenden diskutiert werden. Darüber hinaus sollen die häufig als singulär wahrgenommenen Denkmodelle zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Mannigfaltigkeit der hier dargestellten Sichtweisen bedingt sich einerseits dadurch, dass verschiedene Konzepte an den Forschungsgegenstand herangetragen werden. Andererseits lassen sich unterschiedliche Forschungsinteressen feststellen, was zu einer weiteren Inkompatibilität der einzelnen Argumentationsstränge führt und die Notwendigkeit mit sich bringt, die jeweilige Argumentationsperspektive zu beachten.

4.1 K LASSISCHE A SSIMILATIONSTHEORIEN Anfang der 1920er Jahre befassen sich die Forschungen der Chicago School unter Robert E. Park mit den Auswirkungen von Einwanderung auf die städtische Gesellschaft. In dem von Park entwickelten race-relation-circle wird ein Kreislauf beschrieben, von dem angenommen wird, dass ihn alle Migrant/innen nach ihrer Einwanderung durchlaufen und der in der Assimilation aller Migrant/innen in die US-amerikanische Gesellschaft mündet. Nach einer Phase des allgemeinen Wettkampfes um Ressourcen kommt es laut Park zu einer Phase des Konfliktes, in der es um Statusgewinn geht. In einer dritten Phase der Akkommodation passen die Eingewanderten bewusst ihre sozialen Beziehungen den neuen Gegebenheiten an, bevor dann in Form eines eher unbewussten Prozesses das Stadium der Assimilation erreicht wird. Park bezeichnet Assimilation als „final perfect outcome“ und irreversibles Ergebnis dieses Prozesses (Park 1950:150, Park/ Burgess 1921 (2nd ed.1924):736). Assimilation versteht Park als Prozess der Verschmelzung, in dem Personen und Gruppen die Erinnerungen, Gefühle und Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft verinnerlichen und sich in ein gemeinsames kulturelles Leben einbringen (Park/ Burgess 1921:735). Park geht demzufolge davon aus, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft eine homogene „Kultur“ teilen. Die gemeinsame Kultur und nicht soziale Inklusionsprozesse werden als wesentlich für das Stadium der Assimilation gewertet. Der ebenfalls von Park beobachtete Marginal Man, welcher Bezüge zu zwei Kulturen aufweist, ist in seinen Augen dagegen als „man on the margin of two cultures and two societies“ ein gesellschaftlicher Außenseiter (Park 1928:892). Er bleibt dem Stadium der Marginalität verhaftet, verfügt jedoch aufgrund dessen über eine besondere

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Empfindsamkeit und Einfühlungsfähigkeit. So weist Rolf Lindner zu Recht darauf hin, dass ein Leben im Schwebezustand der soziokulturellen Entfremdung auch Chancen mit sich bringen kann (Lindner 2007 [1990]:203) und Marginalität nicht ausschließlich als Sackgasse interpretiert werden muss. Die von der Chicago School geprägte Sichtweise auf Assimilation als Endzustand eines einseitigen Anpassungsprozesses der Einwanderer an eine kulturell homogene Mehrheitsgesellschaft war lange Zeit das führende Paradigma der USamerikanischen Migrationsforschung. Ausgehend von diesen Grundannahmen beschreibt das von Milton Gordon in den 1960er Jahren weiterentwickelte differenziertere Assimilationskonzept sieben unterschiedliche Aspekte der Assimilation (Gordon 1964). Neben der strukturellen Assimilation, welche Gordon als bedeutendste Form der Assimilation hervorhebt, betrachtet er kulturelle Assimilation, Assimilation durch Heirat, identifikatorische Assimilation, die Übernahme der Einstellungen, des Verhaltens und die staatsbürgerliche Assimilation. Gordon nimmt dabei Abstand von einer zwangsläufigen Linearität der einzelnen Aspekte, geht jedoch weiterhin von einer Assimilation der Minderheitsgruppe in eine kulturell homogene Mehrheitsgesellschaft aus (ausführlicher dazu Fincke 2008:22). In der deutschen Migrationssoziologie übernimmt Hartmut Esser Anfang der 1980er Jahre in seiner Habilitationsschrift „Aspekte der Wanderungssoziologie“ diese Grundannahmen der klassischen Assimilationstheorie (Esser 1980). Auch er geht davon aus, dass sich im Verlauf eines Assimilationsprozesses die ethnische Minderheit an die aufnehmende Gesellschaft anpasst (Esser 2001:22). In Anlehnung an Gordon unterscheidet Esser dabei zwischen einer kulturellen, strukturellen, sozialen und identifikatorischen Assimilation. Das politische Ziel eines solchen in verschiedenen Bereichen zu vollziehenden Anpassungsprozesses ist in seinen Augen eine ethnische Homogenität (Esser 2001:18). Ausgehend von der Prämisse, dass Herkunfts- und Ankunftsgesellschaft als zwei vollkommen voneinander getrennte und in sich geschlossene nationale Einheiten betrachtet werden müssen, definiert Esser vier aus einer Einwanderung resultierende Typen von Sozialintegration: Unter Assimilation fasst er dabei diejenigen Migrant/innen, die nicht mehr in ihre Herkunftsgesellschaft, sondern ausschließlich in die Ankunftsgesellschaft „integriert“ sind. Segmentation stellt den umgekehrten Fall von Migrant/innen dar die, obwohl sie in einer neuen Gesellschaft leben, ausschließlich in die Herkunftsgesellschaft „integriert“ sind. Mit Marginalität und Mehrfachintegration benennt Esser zwei Zustände, in denen entweder in keine Gesellschaft eine „Integration“ festgestellt werden kann oder sowohl in der Herkunfts- als auch in der Aufnahmegesellschaft von „Integration“ gesprochen werden kann. Zwar stellt Esser damit eine mögliche „Mehrfachintegration“ nicht

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mehr komplett in Frage. Sie sei jedoch „ein zwar oft gewünschter, theoretisch jedoch kaum realistischer und auch empirisch sehr seltener Fall“, und stünde daher nur „Diplomatenkindern und Akademikern“ offen (Esser 2001:20). Marginalität bedeutet für Esser einen sehr seltenen Zustand des (zumeist selbstverschuldeten) Ausgegrenzt Seins aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen (Esser 2001:20). Das in Parks Konzept des Marginal Man noch mitschwingende Potential eines Grenzgängertums wird bei Esser überlagert durch seine ausschließlich negative Sichtweise eines marginalen Zustandes. „Der marginale Akteur ist ein ausgestoßener, einsamer und heimatloser Fremder, wohin auch immer er geht.“ (Esser 2001:20) Für Esser ergibt sich daher in der Alltagspraxis nur die Frage zwischen einer Assimilation in das System der Aufnahmegesellschaft oder einer Segmentation, bei der die gesellschaftliche „Integration“ in die Herkunftsgesellschaft erhalten bleibt und die Menschen in der Ankunftsgesellschaft in einer ethnischer Enklave leben, ohne sich „zu integrieren“ (Esser 2001:29). Alle Vertreter der klassischen Assimilationstheorie gehen davon aus, dass am Ende eines sich über mehrere Generationen hinstreckenden Prozesses eine Assimilation der „migrantischen“ Minderheit in eine kulturell größtenteils homogene Mehrheitsgesellschaft erfolgt. Ethnizität und Kultur werden in dieser Wissenschaftstradition als feste, quasi naturgegebene Kategorien angesehen, die die Einwanderer vollständig übernehmen müssen, um anerkannter Teil einer Gesellschaft zu werden. Die Existenz multipler Verortungen und Identifikationen werden negiert bzw. als Ausnahmeerscheinung oder Kennzeichen eines marginalen Status behandelt. Dem klassischen Assimilationsparadigma liegt zudem unausgesprochen ein Konzept zugrunde, das die Nation zum Ausgangspunkt aller Überlegungen macht. Dieser methodologische Nationalismus geht in Analogie mit dem hier kritisierten essentialistischen Verständnis von Ethnizität und Kultur davon aus, dass der Nationalstaat und seine Grenzen gegeben und nicht gemacht sind (Levitt/ Glick Schiller 2004:1007). Die Naturalisierung der nationalstaatlichen Grenzen und die damit einhergehende Begrenzung der Forschung auf den Nationalstaat führt dazu, dass eine Verwurzelung und Inkorporation in den Nationalstaat als Norm angesehen wird und alles was diese Grenzen überschreitet als außergewöhnlich, marginal oder fremd angesprochen wird. Des Weiteren wird in der klassischen Assimilationstheorie davon ausgegangen, dass nur über eine gelungene Anpassung auch sozialer Aufstieg möglich sei. Dass Assimilation jedoch nicht zwingend mit sozialem Aufstieg gleichzusetzen ist zeigen die minderheitszentrierten Forschungen von Portes und Zhou.

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Auch sie gehen dabei von der Prämisse der Angleichung aus, sehen jedoch nicht mehr die Mehrheitsgesellschaft als alleinige Bezugsgröße. So ergaben ihre empirischen Arbeiten bei Jugendlichen der zweiten Generation in US-amerikanischen Großstädten, dass eine Angleichung an die Normen und Werte der Bevölkerung der Nachbarschaft auch sozialen Abstieg bedeuten kann. Dieses Phänomen bezeichnen sie als segmentierte Assimilation. In dem von ihnen beobachteten Fall von jugendlichen Haitianern und Mexikanern ging mit deren Anpassung an ihr Wohnumfeld und die dort dominierende afroamerikanischen Bevölkerung eine sozial abwärts gerichtete Assimilation einher (Portes/ Zhou 1993). Versteht man „Integration“ im Sinne der Assimilationstheorien als eine Form der Angleichung, so ist diese Angleichung immer in Bezug auf etwas, an das man sich angleicht, zu verstehen. Die staatliche Integrationspolitik Deutschlands wurde über lange Jahre durch ein Assimilationsparadigma geprägt, dessen Ziel es war „ähnlich zu machen“ und die Forderung an Migrant/innen richtete, sich an eine sogenannte „deutsche Leitkultur“ anzupassen. Hierbei wird auf „Wertvorstellungen“ und das „kulturelle Selbstverständnis“ der Mehrheitsgesellschaft Bezug genommen, welche zumeist als ein in sich homogenes und national geprägtes „Wir“ dargestellt wird.27 Nur selten wird in der Debatte jedoch hinterfragt, was dieses „Wir“ beinhaltet. Es bleibt ein diffuses Gefühl der Zugehörigkeit, die auch bei näherer Befragung nur schwer zu fassen ist, wie eine Studie des Ethnologen Jens Schneider zum „Deutsch Sein“ herausarbeiten konnte (Schneider 2001). Terkessides verweist auf die Komplexität des Themas, wenn er konstatiert: „Wenn selbst Einheimische ihre Erfahrungen im Begriff des ‚Deutschseins‘ nicht unterbringen können, also Probleme haben, sich ‚zu integrieren‘, wie sollte das eine Person mit Migrationshintergrund können?“ (Terkessides 2010:59).

4.2 R ETURN TO A SSIMILATION Eine durchaus kritische Rehabilitation und Wandlung des klassischen Assimilationsbegriffes wurde seit Anfang der 1990er Jahre durch die Arbeiten von Richard Alba und Victor Nee sowie Rogers Brubaker angestoßen (Alba/ Nee 2003, Brubaker 2001). Brubaker spricht von einem „return of assimilation“

27 Hartwig Pautz bietet einen guten Überblick über die Chronologie und die Hintergründe dieser sogenannten „Leitkulturdebatte“ (Pautz 2005)

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(Brubaker 2001), betont jedoch, dass es sich bei diesem Neo-Assimilationismus (Aumüller 2009) nicht um eine simple Wiederaufnahme des klassischen Assimilationsparadigmas handelt, sondern sich unter dem alten Begriff ein weitaus komplexeres Verständnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen verbirgt. So bedeutet ein „return of assimilation“ nach Brubaker nicht die Rückkehr zu einem in der klassischen Assimilationstheorie vorherrschenden normativen Verständnis einer homogenen Mehrheitsgesellschaft. Er propagiert vielmehr die Rückkehr zu einem abstrakten und intransitiven Verständnis von Assimilation als „increasing similarity or likeness“ und betont dabei nicht das Endprodukt, sondern den Prozess „of becoming similar“. Dieser Prozess wird von den Akteur/innen selber getragen, sie sind keine formbaren Objekte mehr, sondern werden als aktive Subjekte verstanden (Brubaker 2001:533 und 542). Im Gegensatz dazu lehnt er den klassischen transitiven Assimilationsbegriff ab, welcher unter Verwendung der organischen Metapher der Inkorporation den Leitfaden für eine staatliche Politik legt, deren Ziel es ist, zwangsweise „ähnlich zu machen“ („to make similar“) (Brubaker 2001:534f). Brubaker und andere Vertreter des Neo-Assimilationismus betrachten den Nationalstaat zwar noch implizit als Bezugsgröße, wenden sich jedoch ab von einem verkürzten Verständnis einer homogenen, nationalstaatlichen Gesellschaft. „It is no longer true that assimilation […] is ‚inevitably‘ conceptualized as occurring into one, single, indivisible (national) ‘state’, and one, simple, unitary (national) ‚society‘“ (Brubaker 2001:540).

Das so verstandene neue Assimilationsparadigma geht damit nicht mehr davon aus, dass es eine „Kernkultur“ gibt, in die hinein eine unidirektorale und lineare Assimilation erfolgt, sondern spricht von „multiplen Bezugsbevölkerungen“ oder einer „composite culture“ (Alba/ Nee 2003:10), an die sich Migrant/innen im Verlauf von mehreren Generationen angleichen. Der Angleichungsprozess per se wird in diesen Konzepten jedoch nicht in Frage gestellt. In integrationspolitischen Konzepten schlagen sich solche Überlegungen nieder, indem eine Perspektive der strukturellen Angleichung eingenommen wird. Jutta Aumüller verweist darauf, dass sich neo-assimilationistische Komponenten auch in der Erstellung sogenannter „Integrationsindikatoren“ wiederfinden (Aumüller 2009:104). Das auf solchen Indikatoren aufbauende Integrationsmonitoring wird von der staatlichen Verwaltung zunehmend als „strategisches Steuerungsinstrument“ einer modernen Integrationspolitik angesehen und findet sich beispielsweise auch in der aktuellen Integrationspolitik des Berliner

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Senats wieder, auch wenn diese sich in anderen Bereichen explizit von einem Assimilationsparadigma abwendet (Abgeordnetenhaus 2007a:96ff.).

4.3 K ULTUR , E THNIZITÄT UND D IFFERENZPARADIGMA

DAS

Im Folgenden werde ich die in der gegenwärtigen ethnologischen Forschung als problematisch wahrgenommenen Grundannahmen der klassischen Assimilationstheorie und die an diese Kritik sich anschließenden Überlegungen zu Kultur, Ethnizität und Nation und einer damit implizierten gesellschaftlichen Homogenität aufgreifen. Kultur wird im klassischen Assimilationsparadigma als ein festes Set von Normen und Werten verstanden, welches durch Sozialisation und Enkulturation erworben wird und das Migrant/innen aus ihrer Herkunftsgesellschaft in eine Ankunftsgesellschaft importieren. Dieses Set gilt als kaum veränderbar und wird daher im politischen Zusammenhang bei einer von der Politik angestrebten Assimilation als problematisch wahrgenommen (Sökefeld 2004:17). In der Logik der Assimilationstheoretiker muss daher das Set von Normen und Werten in der Phase der Akkulturation bzw. der kulturellen und identifikatorischen Assimilation gegen ein neues Set von Normen und Werten ausgetauscht werden. Im Gegensatz zu einem essentialistischen Kulturverständnis entwickelte sich schon in den 1960er Jahren in den anglo-marxistischen Cultural Studies ein deutlich weiterer Kulturbegriff, welcher Kultur nicht als statisches Set, sondern als Prozess begreift und somit ein essentialistisches Verständnis ablehnt (Kaschuba 1995:13). Bis heute dauern die Diskussionen über das Konzept von Kultur und ihre Dekonstruktion in der Ethnologie an. Vor dem Hintergrund dieser Debatten wird Kultur als von den Akteur/innen in der sozialen Praxis geschaffen und sich in einem permanenten Wandel befindend verstanden. Sie ist niemals homogen, auch wenn dies in Repräsentationen von Kultur behauptet wird. Kultur an sich erklärt in diesem Verständnis nichts, sondern muss selber mit Bezug auf den jeweiligen Bedeutungskontext erklärt werden (Sökefeld 2004:16). Unterschiedliche Überlegungen versuchen dem prozessualen Charakter von Kultur gerecht zu werden. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Konzepte von kultureller Hybridität (Bhaba 1996) und Kreolisierung (Steward 2007; Hall 2003) greifen jedoch in den Augen von Ayse Ça÷lar ebenfalls noch auf einen essentialistischen Kulturbegriff zurück. Sie fordert daher eine neue Methodologie, um das fließende Verständnis von Kultur besser erfassen zu können (Ça÷lar

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1997:170) und greift Lila Abu-Lughod's Forderung nach einem „writing against culture“ auf. Die von Abu-Lughod aufgezeigte Strategie der „ethnographies of the particular“ plädiert für eine Abkehr von Generalisierungen wie „Kultur“ und wendet sich einer Individualisierung zu. „By focusing closely on particular individuals and their changing relationships, one would necessarily subvert the most problematic connotations of culture: homogeneity, coherence, and timelessness.“ (Abu-Lughod 1991:158)

Abu-Lughod's Überlegungen liegt dabei zugrunde, dass Ethnolog/innen durch ihr Schreiben „Andere“ repräsentieren und somit auch beeinflussen können, wie kulturelle Differenzen konstruiert und wie stark sie zum Ausgangspunkt einer Argumentation gemacht werden. Es zeigt sich jedoch auch, dass das in der wissenschaftlichen Debatte kritisierte essentialistische Kulturverständnis politisch über eine große Wirkmächtigkeit verfügt und es bislang nur schwer möglich ist, ein komplexes Kulturkonzept in den politischen Diskurs einzubringen. So besteht weiterhin die Tendenz, dass Kultur außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses als „Zwangsjacke“ (Ça÷lar 1990) verwendet wird. Kultur als Erklärungsmuster entwickelt außerhalb seiner wissenschaftlichen Heimat ein zunehmendes Eigenleben und dient mit Hinblick auf den Einwanderungsdiskurs als Interpretationsansatz für eine sogenannte „Problematik“ der Ausländer/innen bzw. die „kulturelle Fremdheit“ und den unüberbrückbaren „kulturellen Abstand“ der Neuzuwanderer/innen zu einer vermeintlich kulturell homogenen Mehrheitsgesellschaft. So setzt sich in der Politik seit den 1970er Jahren Kultur als Erklärungsmodell für eine „Ausländerproblematik“ durch. Gebrochene Identitäten und Orientierungslosigkeit werden – insbesondere mit Blick auf die zweite Generation – aus diesem Kulturkonflikt heraus postuliert und ein defizitärer Blick auf Migrant/innen gefestigt. „Kultur“ nimmt hiermit auch eine Entlastungsfunktion für die Mehrheitsgesellschaft ein, da auftretende Schwierigkeiten kulturell und nicht sozial und strukturell gedeutet werden (Sökefeld 2004:23). Mit seinen kritischen Überlegungen zu Kulturalismus verweist Wolfgang Kaschuba in der Folge auf die Gefahr, dass ein ursprünglich aus der Wissenschaft stammender essentialisierender Kulturbegriff in Bezug auf Migrant/innen als politisch-instrumentelle Strategie zunehmend missbraucht wird, um vermeintliche „kulturelle Unvereinbarkeiten“ festzustellen (Kaschuba 1995). Kaschuba konsta-

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tiert in diesem Zusammenhang ein „Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs“ und betont, dass „in Teilen der wissenschaftlichen wie der öffentlichen Diskussion das Reden über Geschichte, Gesellschaft und Politik oft nurmehr in ‚terms of culture‘ stattfindet“ (Kaschuba 1995:14). Eine politische Kulturalisierungsstrategie betrachtet Kaschuba als gefährlich und sieht es als zentrale Aufgabe der ethnologischen Forschung an, auf den politischen Gebrauch solcher Kulturalismen aufmerksam zu machen. Wenn aufgrund zugeschriebener kultureller Differenzen von einer „Unvereinbarkeit von Kulturen“ gesprochen wird, so handelt es sich hier um eine Form des kulturellen Rassismus, die gesellschaftliche Ausgrenzung als selbstverschuldete Folge der Nichtanpassung an „kulturelle Werte und Normen“ bzw. eine „Leitkultur“ erklären will (Kaschuba 1995:22). Auch Martin Sökefeld verweist in seinen Überlegungen zu einem ethnologischen Paradigma „jenseits kultureller Differenz“ auf den Gebrauch von Kultur als Mechanismus der Ausgrenzung im öffentlichen Diskurs. Er stellt die These auf, dass „die ‚Integration‘ von Einwanderern in Deutschland schon an der Zuschreibung von Fremdheit scheitert und dass diese Zuschreibung vor allem mit dem Konzept Kultur arbeitet.“ (Sökefeld 2004:10). Berlins ehemalige Ausländerbeauftragte Barbara John verweist ebenfalls auf dieses Problem, wenn sie wiederholt Medienberichte kritisiert, durch die Migrant/innen in ein „kulturelles Gefängnis gesperrt“ werden (John 2002:XIV). In Übereinstimmung mit Sökefeld betrachtet John es kritisch, dass ausgehend von einem essentialistischen und homogenisierenden Kulturbegriff in vielen Debatten ein Kulturkonflikt als logische Konsequenz aus Migration angesehen wird.28 Eng verknüpft mit einer essentialistischen Kulturdefinition, die in der Logik der klassischen Assimilationstheorien vorherrscht, ist ein primordiales Verständnis von Ethnizität. Das Bestehen sogenannter ethnischer Gruppen wird als naturgegeben angesehen und nicht als ein Ergebnis eines (Selbst-)Zuschreibungsprozesses interpretiert. In der ethnologischen Forschung ist diese Sichtweise auf Ethnizität jedoch schon seit den Arbeiten von Fredrik Barth (1969) widerlegt. Barths Analyse von Ethnizität als dehnbare, kontextabhängige Aushandlung von ethnischen Markern und Gruppengrenzen bildet seitdem den Ausgangspunkt für die Annahme innerhalb der ethnologischen Migrationsforschung, dass wenn sich

28 Dass sich diese verengte Verwendung des Kulturbegriffes keineswegs allein auf politische Debatten bezieht, sondern in enger Wechselwirkung zu wissenschaftlichen Konzepten steht, zeigen u.a. die Arbeiten von Samuel Huntington, in denen er einen „clash of civilizations“ prognostiziert (siehe Huntington:1993).

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der Kontext ändert auch Ethnizität einem Wandel unterliegt und nicht als feste Kategorie bestehen bleibt (Vertovec 2007a:963). In ihrer kritischen Analyse zur Soziogenese ethnischer Minderheiten verweisen Wolf-Dietrich Bukow und Roberto Llaryora auf die politische Instrumentalisierung des hier diskutierten essentialistischen Ethnizitätsbegriffs in der Einwanderungsgesellschaft und veranschaulichen einen politischen „Prozess der Ethnisierung“ von Migrant/innen (Bukow/ Llaryora 1993[1988]:8f). Das Kernproblem sehen sie dabei in einer gegenüber Migrant/innen eingenommenen Haltung, die grundlegende Differenzen unterstellt. Sie beschreiben, wie Kultur und Ethnizität als zentrale Ausgrenzungsmechanismen eingesetzt werden. So werden im Integrationsdiskurs „erhebliche und vielfältige ethnisch bedingte und kulturell ausbuchstabierte Differenzen zwischen Migranten und der aufnehmenden Gesellschaft“ postuliert. (Bukow/ Llaryora 1993:19). Auch Ça÷lar verweist einige Jahre später in ihrer Analyse des deutschen Integrationsdiskurses auf solche „kulturell ausbuchstabierten Differenzen“ und beschreibt das deutsche Integrationsparadigma der 1990er Jahre als eines, bei dem kulturelle Assimilation und staatliche Loyalität zwangsläufig Hand in Hand gehen müssen. „The crucial point, then, is the intertwined relationship between solidarity (loyality) and cultural difference […] Once the maintenance of cultural difference is interpreted as a sign of non-solidarity and non-loyality, the project of integration takes the form of a taming of cultural difference“. (Ça÷lar 2001:604)

Die der hier kritisierten politischen Argumentation zugrundeliegende Logik geht von einer Kulturdifferenzhypothese aus, die besagt, dass Probleme der Migrant/innen aus dem Unterschied zwischen der Kultur des Herkunfts- und Ankunftslandes herrühren. Folgt man dieser Logik, so können diese Probleme nur durch eine Resozialisation bzw. Akkulturation der Migrant/innen behoben werden, die das „Zähmen kultureller Differenzen“ und damit das Erlernen der „neuen“ Kultur umfasst (siehe Esser 1980). Eine Unterscheidung der verschiedenen „Ethnien“ in Bezug auf eine mögliche Assimilationsbereitschaft wird in dieser Denkweise auf die entsprechenden mehr oder weniger stark ausfallenden Kulturdifferenzen zurückgeführt. Bukow und Llaryora kommen in ihren Arbeiten jedoch zu dem umgekehrten Schluss, dass die Postulierung kultureller Differenzen einen Aspekt in das Zentrum der politischen Aufmerksamkeit rückt, der in ihren Augen vernachlässigt werden kann. „Entscheidend sind nicht differierende kulturelle Eigenschaften des Neuankömmlings, sondern die Vorstellungen, die die Interaktionspartner virtuell entgegenbringen.“ (Bukow/ Llaryora 1993:22) Wie auch Sökefeld weisen

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sie darauf hin, dass Differenzhypothesen ein Distanztheorem implizieren, welches die Sicht auf Migrant/innen entweder auf einen Kulturkonflikt reduziert oder sie mit einem Defizit behaftet erscheinen lässt (Bukow/ Llaryora 1993:26). Migrant/innen werden so erst zu „Anderen“ gemacht, und können in der Folge dann auch als „anders“ behandelt werden (Sökefeld 2004:24). Als ein Resultat durchaus auch selbstkritischer Reflexionen zur Rolle der ethnologischen Wissenschaften in diesen Alterisierungsprozessen kommt es insbesondere seit den 1990er Jahren in der ethnologischen Forschung zunehmend zu einer Ablehnung von essentialistischen Interpretationen. Steven Vertovec verweist auf einen „anti-essentialist shift in methodology“ der zu mehr Forschungen „beyond bounded and fixed understandings of groups and cultures“ führt (Vertovec 2007a:965). In dieser Tradition verortet sich auch Ça÷lar, wenn sie Forschungen „beyond the ethnic lens“ fordert (Glick Schiller/ Ça÷lar/ Guldbrandsen 2006). Sie kritisiert, dass mittels einer Sicht durch eine „ethnic lens“ sich beabsichtigt oder unbeabsichtigt Vorstellungen verfestigen, die Ethnizität als quasi natürliche Kategorie ansprechen. Der Gebrauch von Ethnizität als Analyseschema hebt immer die Opposition zwischen einem „Self“ und einem „Other“ hervor. Abu-Lughod weist jedoch zu Recht darauf hin, dass sobald ein „Self“ in Opposition zu einem „Other“ konstruiert wird, andere dazu quer verlaufende Differenzen wie Geschlecht oder Schichtzugehörigkeit negiert werden (Abu-Lughod 1991:140). Behält man nun den Blick durch die „ethnic lens“ bei, so verschleiert dies die Sicht auf die Vielzahl anderer räumlicher und sozialer Beziehungen, die Migrant/innen unterhalten. Glick Schiller, Ça÷lar und Guldbrandsen fordern daher eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den sozialen Beziehungen der Akteur/innen, die sich jenseits von ethnischen Gruppen in sozialen Feldern manifestieren (Glick Schiller/ Ça÷lar/ Guldbrandsen 2006:613ff).

4.4 H OMOGENITÄT

VERSUS

D IVERSITÄT

Parallel zu diesen Überlegungen bilden die in den 1970er Jahren aufkommenden politischen Bestrebungen des Multikulturalismus einen Gegendiskurs zu der im klassischen Assimilationsparadigma geforderten kulturellen Homogenität einer Gesellschaft. Im Grundansatz plädieren sie für eine grundsätzliche Akzeptanz kultureller Verschiedenheit und betrachten diese als positive Ressource einer Gesellschaft. Erstmals in die Debatte eingeführt wurde die Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft von Nathan Glazer und Daniel Moynihan mit ihrem Buch „Beyond the meltingpot“, mit der sie 1963 das Ende des klassischen Assimilati-

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onsparadigmas in der US-amerikanischen Forschungstradition einleiteten. (Glazer/ Moynihan 1963) Die von Brubaker (2001) als „differentialist turn“ angesprochene Wende in der Beschäftigung mit Fragen der Einwanderung wendet sich damit ab vom Mythos des homogenen und monokulturellen Nationalstaates und betont die Normalität des Heterogenen und der kulturellen Vielfalt. Anstelle eines Abbaus kultureller Differenzen wird Toleranz gegenüber den „kulturell Anderen“ eingefordert und das Recht auf kulturelle Andersartigkeit verbunden mit Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Schutz vor Diskriminierung (Rauer 2008:61f; Vertovec 2001:1). Die grundsätzliche Anerkennung des Wertes der unterschiedlichen Kulturen bildet damit einen deutlichen Gegenpol zu der in den Assimilationstheorien impliziten hierarchischen Wertung unterschiedlicher Kulturen und einer damit verbundenen Hierarchie der Anpassung (Taylor 1997). Die unter dem Begriff Multikulturalismus subsummierten Ideologien umfassen jedoch sowohl diverse philosophische Überlegungen, als auch politische Programme, so dass es zunehmend erschwert wird, Multikulturalismus als geschlossenes Konzept zu begreifen. So konstatiert Hall im Jahr 2001: „Over the years the term ‚multiculturalism‘ has come to reference a diffuse, indeed maddeningly spongy and imprecise, discursive field: a train of false trails and misleading universals. Its reference are a wild variety of political strategies“ (Hall 2001:3)

Steven Vertovec und Susanne Wessendorf unterscheiden zwischen mindestens acht verschiedenen Ausprägungen von Multikulturalismus (Vertovec/Wessendorf 2009:7). Darüber hinaus betont Gisela Welz, dass sich die amerikanische Tradition des Multikulturalismus von den Ausprägungen des Multikulturalismus wie er sich in Deutschland Anfang der 1980er Jahre zeigte unterscheidet. Während in der US-Gesellschaft das Verhältnis von weißer angelsächsischer Mehrheit und schon länger ansässigen ethnischen Minderheiten neu verhandelt wurde und dies zur Entstehung eines polarisierenden Konfliktfeldes führte, „handelte es sich in Deutschland um einen Stellvertreterdiskurs, in dem sich Angehörige der Mehrheitsgesellschaft zu Advokaten der Migranten machten und damit durchaus auch deren Unmut auf sich zogen.“ (Welz 2007:223f) Ab den 1990er Jahren kommt es zu einer zunehmenden wissenschaftlichen Kritik des innerhalb des Multikulturalismus vorherrschenden essentialistischen Kulturverständnisses. „In this set of understandings, ‚culture‘ is: a kind of package (often talked of as migrants ‚cultural baggage‘) of collective behavioral-moral-aesthetic traits and ‚customs‘, rather mysteriously transmitted between generations, best suited to particular geographical loca-

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tions yet largely unaffected by history of a change of context, which instills a discrete quality into the feelings, values, practices, social relationships, predirections and intrinsic nature of all who ‚belong to (a particular) it‘“. (Vertovec 1996:51)

Neben der Kritik des hier verwendeten essentialistischen Kulturbegriffes (s.o. Kaschuba) wird die im Multikulturalismus geförderte Abgrenzung ethnischer Gruppen und die damit verbundene „Ritualisierung von Ethnizität“ kritisiert. Es zeigt sich auch, dass, obgleich multikulturelle Konzepte Heterogenität zur gesellschaftlichen Grundlage erklären, sie teilweise in Übereinstimmung mit den klassischen Assimilations- und Neo-Assimilationstheorien von einem ContainerModell eines geschlossenen Nationalstaates ausgehen und damit der Logik eines methodologischen Nationalismus folgen. Unabhängig von einer wissenschaftlichen Kritik an bestimmten Prämissen des Multikulturalismus diagnostizieren Vertovec und Wessendorf seit dem Jahr 2000 eine zunehmende öffentliche Kritik an einem politischen Ideal des Multikulturalismus, sowohl aus dem rechten als zunehmend auch aus dem linken politischen Spektrum. In diesem „backlash of multiculturalism“ wird Multikulturalismus im Gegensatz zur oben angesprochenen Inhomogenität jedoch als einheitliche Doktrin dargestellt und als solche dann abgelehnt (Vertovec/ Wessendorf 2009:13). In Deutschland fand die politische Ablehnung des multikulturellen Ansatzes einen Höhepunkt im Oktober 2010 in den Aussagen aus den Reihen der Union und der Bundeskanzlerin, in denen „der Ansatz für Multikulti“ als „absolut gescheitert!“ erklärt wurde.29 Vertovec und Wessendorf postulieren jedoch, dass zwar der Begriff Multikulturalismus in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend tabuisiert wird und sprechen von einem „killing of the M-word“ (Vertovec/ Wessendorf 2009:34), sie verweisen auch darauf, dass die dahinterstehenden politischen Konzepte in der aktuellen politischen Landschaft keineswegs abgelehnt werden. Dies äußert sich in ihren Augen in einem großen öffentlichen Interesse an Themen der Diversity, welche allerdings – im Gegensatz zu multikulturellen Gesellschaftsmodellen – häufig einem individuellen Verständnis von Inklusion den Vorrang geben, und damit auf die ethnologische Kritik am Kulturverständnis des Multikulturalismus eingehen.

29 So die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am 16.10.2010. Spiegel online, 16.10.2010. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/integration-merkel-erklaert-multikulti-fuer-gescheitert-a-723532.html. Zuletzt aufgerufen am 27.10.2012.

82 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Behind many emergent ‚diversity‘ policies there is the idea that, rather than treating members of ethnic minorities as ever-representatives of bounded collectives, institutions should recognize cultural difference as an individual trait.“ (Vertovec/ Wessendorf 2009:27)

Die Abwendung von Ethnizität als Ausgangspunkt politischer Konzepte ermöglicht es auch, Diversity jenseits eines rein ethnischen Blickwinkels zu definieren und die Komplexität der sich wandelnden sozialen und demographischen Muster besser zu erfassen. Der durch Vertovec geprägte Begriff der Super-Diversity umfasst neben einer ethnischen Komponente daher auch den unterschiedlichen Aufenthaltsstatus 30 und den damit verbundenen diversen Zugang zu Rechten von Migrant/innen, die Erfahrungen am Arbeitsmarkt sowie Geschlecht und Alter der Beteiligten als wesentliche Faktoren, die miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen (Vertovec 2007b:1025). Diese wissenschaftliche Neukonzeptualisierung von Diversity strebt an, die Überlappungen und Verschränkungen der verschiedenen Komponenten heraus zu stellen und gegen eindimensionale Vorstellungen von parallelen (ethnischen) Welten vorzugehen. Die komplexe, situativ bedingte Interaktion von Individuen und nicht die Annahme homogener ethnischer bzw. kultureller Gruppen bildet den Ausgangspunkt dieses im Austausch zwischen Wissenschaft und Politik momentan am stärksten diskutierten Ansatzes.

4.5 D ER

TRANSNATIONAL TURN

Da das Paradigma der klassischen Assimilationstheorien den Nationalstaat als zentrale Analyse- und Bezugseinheit betrachtet, wurden die Beziehungen, welche Migrant/innen jenseits des nationalen Kontextes unterhalten, in der Migrationsforschung lange Zeit ausgeblendet. Erst der transnational turn führte – angeregt durch die ethnologischen Studien von Nina Glick Schiller, Linda Basch und Christine Blanc Szanton – ab den 1990er Jahren zu einer Perspektivenverschiebung innerhalb der Migrationsforschung. Glick Schiller, Basch und Blanc Szanton belegen anhand ihres ethnografischen Materials, dass eine Beschränkung der Akteur/innen auf den Nationalstaat nicht den empirischen Beobachtungen ent-

30 Allein in Deutschland gibt es 58 verschiedene Variationen eines rechtmäßigen Aufenthaltsstatus. Ich danke an dieser Stelle Dorothee Frings, Hochschule Niederrhein, für Ihre diesbezüglichen Ausführungen im „Labor Migration“ am Institut für Europäische Ethnologie am 11.02.2011.

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spricht (Glick Schiller/ Basch/ Blanc Szanton 1992). Ausgehend von diesen Beobachtungen entwickelte sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung das Forschungsparadigma des Transnationalismus, welches es sich zum Ziel setzt, durch Migration entstandene und/ oder trotz Migration erhaltene soziale Netzwerke jenseits von nationalstaatlichen Begrenzungen zum Ausgangspunkt weiterer Analysen von Gesellschaft zu machen. Innerhalb dieses Paradigmas werden Nationalstaaten und ihre Grenzen nicht mehr als gegeben, sondern als sozial konstituiert betrachtet. Der transnationale Ansatz steht damit im Gegensatz zu einem methodologischen Nationalismus, in dem die Verwurzelung und Inkorporation in den Nationalstaat als Norm angesehen und alles was nationale Grenzen überschreitet als außergewöhnlich markiert wird (Levitt/ Glick Schiller 2004: 1003). An dieser Stelle möchte ich die Perspektivverschiebungen herausarbeiten, die sich mit Bezug auf die Migrationsforschung und hier insbesondere für die Forschung zu Konzepten von „Assimilation“, „Inkorporation“ oder „Integration“ aus dieser Perspektive des Transnationalismus ergeben. Die Ablehnung eines methodologischen Nationalismus führt einerseits zu neuen Blickwinkeln, die es ermöglichen, das bis dato vorherrschende nationale Containermodell zu verlassen. Mit der Anerkennung von jenseits einer Binarität von Herkunfts- und Ankunftsgesellschaft liegenden sozialen transnationalen Feldern durchbricht der Transnationalismus-Ansatz die Prämissen des methodologischen Nationalismus. Dies bedeutet andererseits jedoch nicht, dass ‚Nation‘ als Analyseeinheit hinfällig wird. Sie wird vielmehr nun als eine unter vielen relevanten Einheiten betrachtet, in der und mit der Migrant/innen agieren. Die Perspektive des Transnationalismus folgt den Wanderungen, Kommunikationswegen, sozialen Netzwerken und materiellen Transaktionen der Migrant/innen und rückt so deren multiple, individuelle Perspektiven in den Fokus der Forschung. Anstelle eines Entweder/ Oder wird die Simultanität sozialer Beziehungen und Verortungen betont. Levitt und Glick Schiller sehen in der simultanen Inklusion von Individuen in Nationalstaaten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der transnationalen Bezüge keinen Widerspruch und plädieren für ein neues Verständnis von „simultaneity“, welches ein Leben mit sich bringt „that incorporates daily activities, routines, and institutions located both in a destination country and transnationally.“ (Levitt/ Glick Schiller 2004:1003) Auch innerhalb einer Gesellschaft werden festgefügte Gruppenzuschreibungen als obsolet angesehen. Um die gesellschaftliche Komplexität in transnationalen sozialen Feldern erfassen zu können, rücken nunmehr individuelle Handlungen und Entscheidungen der Akteure und Akteurinnen in das Zentrum der Betrachtung. Ihre situativen Aushandlungen von ways of being können einen Zu-

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gang zur Erfassung einer komplexen, superdiversen gesellschaftlichen Wirklichkeit bieten. Unter ways ob being verstehen Levitt und Glick Schiller dabei „actual social relations and practices that individuals engange in.“ (Levitt/ Glick Schiller 2004:1008) Gleichzeitig negieren die Autorinnen nicht die Bedeutung von Gruppenzugehörigkeiten, die über ways of belonging hergestellt werden. Im transnationalen sozialen Feld kombinieren die Akteur/innen individuelle Beziehungen und Gruppenzugehörigkeiten abhängig vom jeweiligen Kontext ganz unterschiedlich, wobei auch Widersprüchlichkeiten zwischen ways of being und ways of belonging zutage treten können. Auf den ersten Blick erscheint die im Transnationalismus-Ansatz inhärente Ablehnung des methodologischen Nationalismus nicht vereinbar mit einer Erforschung von „Assimilation“, „Inkorporation“ oder „Integration“. Gleichzeitig wird von den meisten Autor/innen nicht in Frage gestellt, dass es zu Prozessen der Auflösung von ethnischer und sozialer Differenz kommen kann. Ausgehend von diesem Dilemma zwischen Transnationalismus und Integrationsansatz plädiert Boris Nieswand für einen methodologischen Transnationalismus, welcher „Integration oder Inklusion nicht als linearen und ausschließlichen Prozess der Inkorporation oder Assimilation in eine nationalstaatliche Gesellschaft [versteht]“, sondern basierend auf einem veränderten ‚transnationalen‘ Gesellschaftskonzept situative ‚Pfade‘ simultaner Inklusion von Migrant/innen in lokale, nationale und transnationale Kontexte zum methodologischen Ausgangspunkt der empirischen Beobachtung macht (Nieswand 2008:38). Im Rahmen dieses methodologischen Transnationalismus können laut Nieswand Akte praktischer Teilhabe an Institutionen sowie soziale Beziehungen mit unterschiedlicher sozialräumlicher Ausdehnung als Formen gesellschaftlicher „Inklusion“ untersucht werden, ohne die Nation als alleinigen Referenzrahmen zu bemühen. Dem von Glick Schiller, Levitt, Ça÷lar, sowie Nieswand vertretenen Konzept der simultanen Inklusion/simultaneous incorporation31 liegt, anders als in der klassischen Migrationsforschung, damit ein vollkommen transformiertes Gesellschaftskonzept zugrunde, das die gewandelten Prämissen bezüglich Ethnizität, Kultur und Nation aufgreift. 31 Nieswand übernimmt das Konzept der „simultaneous incorporation“ aus der usamerikanischen cultural anthropology von Levitt und Glick Schiller (2004). Den Begriff der Inkorporation überträgt er im deutschen als Inklusion, da bei der Verwendung von „Inkorporation“ im deutschen Sprachgebrauch biologistische und eine Machthierarchie implizierende Bedeutungen mitschwingen, die dieser Begriff im Englischen nicht hat. Hieran zeigt sich die Problematik von Übersetzungen, die eine Beachtung des jeweiligen Gebrauchskontextes von Begrifflichkeiten teilweise notwendig machen.

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Die Grundannahme des Konzeptes der simultanen Inklusion besteht darin, dass die Referenzstruktur der Akteur/innen durch Inklusion und Exklusion selbst erzeugt und nicht per se durch die Norm einer nationalen Mehrheitsgesellschaft vorgegeben wird. Nieswand spricht in diesem Zusammenhang von einer „Herstellung von sozialräumlicher Inklusion durch die beteiligten Akteure und Institutionen“ (Nieswand 2008:46). Inklusion betrachtet er dabei nicht als einen permanenten Zustand, sondern als situativ. Sie muss immer wieder neu hergestellt werden. Diese Argumentation, die die Akteur/innen und ihre Handlungen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht, begreift Pfade der Inklusion/ Inkorporation als Strategien, die eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Mechanismen der Exklusion finden zwar Erwähnung, sie stehen jedoch nicht im Zentrum der Argumentation.

4.6 K RITISCHE M IGRATIONSFORSCHUNG Diese situative und auf die individuellen Handlungsstrategien der Akteur/innen konzentrierte Sichtweise wird hingegen in der kritischen Migrationsforschung nicht zum Ausgangspunkt genommen. Bei der Auseinandersetzung mit Fragen der gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration steht in der kritischen Migrationsforschung vielmehr die Kritik an den bestehenden Argumentationsmustern des Integrationsdiskurses im Vordergrund. In der Tradition der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule strebt die kritische Migrationsforschung die Aufdeckung gesellschaftlicher Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen an. Sie positioniert sich gegen das „Paradigma der rein akademischen, ‚neutralen‘ Wissensproduktion an Universitäten“ (Höppner 2012:9) und fordert eine Dekonstruktion von immer noch existierenden ethnisierenden bzw. kulturalistischen Denkmustern ein. So kritisieren Hess, Binder und Moser die in der Integrationspolitik weiterhin vorherrschende Logik des Defizitansatzes (vgl. Bukow/ Llaryora 1993), welche von Migrant/innen „kulturelle Integration“ als Sonderleistung einfordert, um somit bestehende „Defizite“ zu beheben (Hess/ Moser 2009:12f, siehe auch Lanz 2007). An der gegenwärtigen Hochkonjunktur des Integrationsparadigmas kritisieren sie ein Revival eines essentialistischen Kulturbegriffes (Hess/ Binder/ Moser 2009:12), welcher Zuschreibungen von „Wir“ und die „Anderen“ eher fördert als durchkreuzt und somit in seinen Auswirkungen einen desintegrierenden Effekt hat. Im Rahmen der Kritischen Migrationsforschung soll daher „Integration“ als ein politisches Herrschaftsinstrument dekonstruiert werden. Die Forderung nach „Integration“ impliziert in der Argumentation der Kritischen Migrationsfor-

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schung eine strukturelle Asymmetrie, welche sich dadurch auszeichnet, dass immer ‚in etwas‘ integriert wird und deren Ziel es ist, bestehende nationale Werte und Normen durchzusetzen. Bojadžijev und Karakayal gehen davon aus, dass ein „Imperativ der Integration“ der „symbolischen wie auch der materiellen Wiederherstellung der herrschenden Ordnung“ dient (Karakayal/ Bojadžijev 2010a). Der Begriff „Integration“ wird daher als ordnungspolitisch ausgerichtetes Instrument angesehen (Karakayal/ Bojadžijev 2010b). Die Kritische Migrationsforschung verweist darauf, dass es entgegen der offiziellen Rhetorik in der politischen Praxis nicht angestrebt wird, eine Gegenseitigkeit herzustellen, sondern vielmehr Ausgrenzungstendenzen weiter verstärkt und befördert werden. Staatliche Integrationspolitik wird daher als potentieller Exklusionsmechanismus angesehen. Der politischen Forderung nach einer „besseren Integration“ der Minderheiten stellen die Vertreter der Kritischen Migrationsforschung daher die Forderung nach „mehr Demokratie“ entgegen und begeben sich damit bewusst in den Bereich des politischen Aktivismus: „Wenn wir über die Verhältnisse und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft sprechen wollen, dann müssen wir aufhören, von Integration zu reden. Integration heißt, dass man Menschen, die in diesem Land arbeiten, Kinder bekommen, alt werden und sterben, einen Verhaltenscodex aufnötigt, bevor sie gleichberechtigt dazugehören […] Die Rede von der Integration ist eine Feindin der Demokratie.“32

Damit verortet sich die Kritische Migrationsforschung in der Tradition der französischen und italienischen Linken, die seit Mitte der 1990er Jahren unter dem Schlagwort „Autonomie der Migration“ die Subjektivität und das Handeln von Migrant/innen in den Mittelpunkt der Analyse stellt und damit der (Kontroll-) Macht des Staates entgegen tritt (Muy 2009:6). Die Vertreter der kritischen Migrationsforschung gehen dabei grundsätzlich ebenso wie Glick Schiller, Nieswand, Ça÷lar et al. von den Prämissen einer neuen „transnationalen Grundordnung“ aus. Die von ihnen eingenommene „Perspektive der Migration“ (Hess/ Moser 2009:18ff) betont die Fragmentiertheit und Prozesshaftigkeit eines im Zuge von Globalisierung und transnationaler Migration ausgelösten gesellschaftlichen Wandlungsprozesses und stimmt damit in den Grundannahmen mit den Überlegungen eines methodologischen Transnationalismus überein. Die Frage nach den individuellen Handlungsstrategien der 32 Dieses Zitat entnehme ich dem öffentlichen Aufruf „Demokratie statt Integration“, welcher in der taz als Reaktion auf die Thesen Sarrazins durch das Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung veröffentlich wurde. Siehe http://www.demo kratie-statt-integration.kritnet.org/ zuletzt aufgerufen am 29.10.2012

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Akteure und Akteurinnen wird jedoch erweitert um die Kritik an den hinter den politischen Forderungen nach „Integration“ stehenden Herrschaftsinteressen und -mechanismen und der Frage nach den sich gegen diese Interessen formierenden Widerständen. Durch die im Rahmen des Forschungsprojekts TRANSIT MIGRATION (Bojadžijev/ Karakayal 2007) weiterentwickelte Perspektive einer „Autonomie der Migration“ rücken politische Kämpfe der Migration (Bojadžijev 2008) sowie gesellschaftliche Exklusionsmechanismen wie Diskriminierung und Rassismus in das Zentrum der Forschung. Die Rechte der Migrant/innen werden zum Ausgangspunkt einer Argumentation, die sich gegen eine defizitäre Verortung der Migrant/innen als „Opfer“ richtet und ein emanzipatorisches Sprachrohr sein will, um Bürgerrechte jenseits einer als ‚neoliberal‘ bezeichneten Logik des „Fordern und Förderns“ einzuklagen (Lanz 2009).

4.7 J ENSEITS

VON

„I NTEGRATION “?

Die Ablehnung eines methodologischen Nationalismus sowie eines essentialistischen Verständnisses von Kultur und Ethnizität findet sich sowohl in der Kritischen Migrationsforschung als auch im Verständnis der simultanen Inklusion. Trotz dieser ähnlichen Ausgangsposition zeigt sich jedoch ein recht unterschiedlicher Umgang mit der Thematik. Stehen situativ geprägte und immer wieder neu ausgehandelte Inklusionsstrategien der Akteur/innen im Zentrum der Argumentationsweise einer simultanen Inklusion, so liegt der Fokus der Kritischen Migrationsforschung auf den (staatlichen) Exklusionsmechanismen und den damit verbundenen politischen Kämpfen der Migrant/innen. Die Kritische Migrationsforschung nimmt in diesem Vergleich einen durchaus radikaleren Standpunkt ein, welcher es sich zum Ziel gesetzt hat, aus einer interdisziplinären Kritik am Integrationsparadigma ein anderes Vokabular „jenseits der Integration“ zu entwickeln (Hess/ Moser 2009:22). Gegenwärtige Überlegungen zu einer Entmigrantisierung oder einer Migrantisierung der Forschungsperspektive greifen diese Zielsetzung auf. Dabei soll mit der Forschungsperspektive der Entmigrantisierung danach gefragt werden, was es bedeutet „nicht mehr Migration, sondern die Institutionen und Techniken ihrer Beherrschung zum Thema zu machen“ (Labor Migration 2010). Hintergrund dieser Überlegungen ist, ob eine bewusste Entmigrantisierung der Forschung dazu beitragen kann, dass nicht mehr in exklusiver Weise von Migration bzw. Migrant/innen gesprochen wird, wenn es eigentlich um allgemeine Fragen beispielsweise der sozialen Ungleichheit geht. Die ebenfalls diskutierte dazu gegenläufige Strategie der Migrantisierung hingegen verfolgt das Ziel, Themen und Forschungsfelder zu „migrantisieren“, um die

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„über den eng gefassten Raum der migrantischen Netzwerke oder der migrantischen Communities hinausgehenden Wirkungen von Migration stärker zur Geltung zu bringen“ (Labor Migration 2010). Die in diesem Kapitel aufgezeigten wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen mit den Begriffen der „Migration“ und der „Integration“ bilden eine von mehreren Komponenten der hier im Zentrum der Analyse stehenden „Assemblage Integrationspolitik“. Aus dem in diesem Kapitel skizzierten Pool von Ideen und Debatten schöpfen die Akteur/innen der praktischen Integrationspolitik. Sie positionieren oder widersetzen sich, übernehmen spezifische Diskurse und erschaffen neue „pragmatische“ Lösungsansätze für die Fragen der alltäglichen politischen Praxis. Im folgenden Kapitel werde ich den besonderen „Berliner Weg“ herausarbeiten, wie er sich im Berliner Integrationskonzept und anderen integrationspolitischen Schriften der Berliner Senatsverwaltung unter dem dritten Senat Wowereit zwischen 2006 und 2011 darstellt.33 Diese landes- bzw. stadtpolitische Interpretation von Integrationspolitik bildet den Rahmen für die Umsetzung des ethnographisch untersuchten Aktionsprogramms.

33 Der dritte Senat Wowereit bestand aus einer Koalition zwischen der SPD und der LINKEN. Geprägt wurden die hier verabschiedeten integrationspolitischen Richtlinien insbesondere durch die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Dr. Heidi Knake-Werner, welche von Januar 2002 bis Oktober 2009 das Amt der Senatorin innehatte.

5. Facetten Berliner Integrationspolitik

In der Berliner Landespolitik wurde der Beschäftigung mit sogenannter „Ausländerpolitik“ schon früh eine hohe Priorität eingeräumt. Als erstes Bundesland richtete Berlin 1981 die Institution einer „Ausländerbeauftragten“ ein, welche bis 2003 durch Barbara John geleitet wurde. Im Jahr 2003 erfolgte eine strategische Neuausrichtung der Berliner Integrationspolitik. Diese Neuausrichtung ging einher mit einer politischen Neuorientierung unter einem rot-roten Senat und wurde flankiert von einem personellen Wechsel an der Spitze der Institution der „Ausländerbeauftragten“ sowie einer damit verbundenen Umbenennung des Amtes in „Beauftragte(r) für Integration und Migration“.34 Durch das 2005 erstellte und 2007 verabschiedete Berliner Integrationskonzept sollten neue Akzente gesetzt und „erstmals die Grundsätze einer umfassenden und strategisch ausgerichteten Integrationspolitik“ formuliert werden.35 Die Neuausrichtung der Berliner Integrationspolitik nimmt für sich eine pluralistische Position in Anspruch. Berlin beansprucht mit einem partizipativen integrationspolitischen Ansatz eine Vorreiterrolle innerhalb der deutschen Integrationspolitik für sich. Die Entwicklung eines neuen Integrationskonzeptes unter der rot-rote Landesregierung sowie die Konzeption und Verabschiedung des Berliner Partizipations- und

34 Die erste Ausländerbeauftragte Berlins, Barbara John (CDU) hatte von 1981 bis 2003 das Amt der Ausländerbeauftragten inne. Nach ihrer Versetzung in den Ruhestand folgte ihr 2003 Günther Piening (GRÜNE) an der Spitze des Amtes. Er leitete das Amt in der Phase des Rot-Roten Senats von 2003 bis 2012. Nach der Beendigung der Rot-Roten Koalition und der Neuausrichtung der Berliner Politik unter einer RotSchwarzen Koalition Ende 2011 erklärte Piening seinen baldigen Rückzug aus dem Amt und begründete dies auch mit politischen Dissonanzen mit der neuen politischen Ausrichtung des Senats. Seit dem 1. November 2012 ist die neue Berliner Integrationsbeauftragte Frau Dr. Monika Lüke im Amt. 35 So ein Ausstellungstext zum 30jährigen Bestehen des „Amtes“ im Jahr 2011

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Integrationsgesetzes im Dezember 2010 veranschaulichen dies.36 Der partizipative Charakter der Berliner Integrationspolitik wird darüber hinaus durch die Schaffung und starke Einbindung eines Integrationsbeirates als politikberatendes Gremium unterstrichen. Dieser Berliner Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen konstituierte sich im Jahr 2003. Er tagt unter dem Vorsitz der Senatorin für Integration. Mitglieder im Landesbeirat sind Vertreter von Migranten- und Aussiedlerorganisationen, Staatssekretäre, der Beauftragte für Integration und Migration, sowie Vertreter der Berliner Bezirke. Durch den Integrationsbeirat werden neue Aspekte, wie die kritische Betrachtung von Partizipationsmöglichkeiten, in die Gestaltung von Integrationspolitik eingebracht und schlagen sich in den politischen Papieren und Leitlinien nieder. Um ein besseres Verständnis der im Aktionsprogramm erfolgten Übersetzungen zu ermöglichen, werde ich in diesem Kapitel die allgemeinen integrationspolitischen Verortungen der Berliner Politik herausarbeiten und auf die für das Berliner Integrationskonzept relevanten Positionierungen hinweisen. Dennoch möchte ich betonen, dass in der hier vorliegenden Studie das ethnografische Material im Zentrum der Analyse steht. Eine Diskursanalyse von politischen Schlüsseltexten und Expert/inneninterviews aus dem Umkreis der Berliner Integrationspolitik, wie sie in umfassender Weise durch Stephan Lanz (Lanz 2007) vorgelegt wurde, bildet nur eine von mehreren Zugangsmöglichkeiten, sich der Assemblage Integrationspolitik zu nähern. Die beobachtete Praxis im Alltag einzelner Berliner „Integrationsprojekte“, welche im Anschluss an dieses Kapitel dargestellt wird, ermöglicht einen anders gearteten, umfassenderen Blick auf die Thematik. Informelles Wissen muss jedoch eingebettet werden in die bestehenden formalen Sicht- und Sprechweisen über Integrationspolitik in Berlin, welche sich aus der Analyse von entsprechenden Regierungspublikationen und der dort verwendeten Diskursbausteine ergeben. Zunächst soll anhand der für das Aktionsprogramm relevanten Publikationen des Berliner Senats die offizielle Lesart und die in diesen Publikationen angelegten Anschlüsse an die „Integrations“-Debatte aufgezeigt werden. Neben dem zentralen Dokument des Berliner Integrationskonzeptes 2007 (Abgeordnetenhaus 2007a), bildet dabei die durch die Senatsverwaltung im Jahr 2009 veröffentlichte Broschüre: das ABC der Berliner Integrationspolitik (IntMig 2009b) einen 36 Das Berliner Integrationskonzept mit dem Titel „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ wurde 2007 verabschiedet; in einer ersten Vorfassung lag es bereits 2005 vor. In diesem Zeitraum wurde auch das Vorhaben eines Partizipations- und Integrationsgesetzes vorangetrieben. Berlin verfügt als erstes Bundesland über ein entsprechendes Gesetz.

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Schlüsseltext. In dieser Broschüre soll „über Herausforderungen, Gestaltungsansätze und Ergebnisse der Berliner Integrationspolitik“ berichtet werden. „Sie gibt einen Überblick über die Berliner Integrationspolitik und wie das Integrationskonzept auf seine Alltagstauglichkeit überprüft wird.“ (Pressemeldung vom 29.12.2009) Teilhabe und Partizipation sind für die Umsetzung der integrationspolitischen Konzepte in Berlin zentrale Stichworte. Sie werden inhaltlich erweitert durch den Begriff der Chancengleichheit, der Aktivierung und des Empowerment und ergänzt durch die Forderung nach Interkulturalität. Allen hier diskutierten Begriffen ist zunächst gemein, dass sie sich – ähnlich wie der Begriff „Integration“ – durch eine große Bedeutungsoffenheit auszeichnen. Die häufige Verwendung dieser Begriffe in politischen Konzepten zu „Integration“ und die ihnen innewohnende große Bandbreite an möglichen Übersetzungen und Lesarten verdeutlicht die dem Integrationsdiskurs innewohnende Vielgestaltigkeit und betont gleichzeitig die offensichtliche Notwendigkeit eines gemeinsamen „Fach“-Vokabulars. Um die Spannweite und die versteckten Implikationen der verwendeten Begriffe zu erfassen, soll zunächst ausgehend von den vorliegenden Grundsatztexten zur Berliner Integrationspolitik aufgezeigt werden, welchen Deutungsspielraum diese bieten.

5.1 T EILHABE Abhängig davon, auf welche Ausprägung des integrationspolitischen Diskurses Bezug genommen wird, kann mit dem Überbegriff Teilhabe von Migrant/innen entweder eine aktive Rolle in der Interaktion zwischen Staat und Bürger als „Pflicht“ eingefordert, oder Migrant/innen als gleichberechtigten Akteur/innen die Möglichkeit der Teilhabe als legitimes (Bürger-)„Recht“ zugesprochen werden. In diesem Spektrum nimmt die Berliner Integrationspolitik grundsätzlich eine pluralistische Position ein, welche sich zum Ziel setzt, ohne kulturalistische und essentialisierende Zuschreibungen auszukommen und den Migrant/innen eine aktive Rolle in der Gesellschaft zuspricht. Migrant/innen werden als Akteur/innen angesprochen, welche die Chancen nutzen können und sollen, die sich ihnen bieten. „Integration“ bedeutet in diesem Sinne: „[…] neben der Förderung kultureller Vielfalt vor allem, dass Einzelpersonen oder ganze Gruppen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben

92 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT und zur Artikulation ihrer Interessen erhalten und vor individueller und kollektiver Ausgrenzung geschützt werden.“ (Abgeordnetenhaus 2007a:3)

Wenn die gleichberechtigte Teilhabe aller Akteur/innen zur Grundlage einer erfolgreichen Berliner Integrationspolitik erklärt wird, wird Teilhabe zur Vorbedingung von „Integration“. Das Ziel der Berliner Integrationspolitik ist es demnach, zunächst die Chancen für Teilhabe zu erhöhen und die Hindernisse für Teilhabe zu erkennen und abzubauen, um in einem weiteren Schritt „Integration“ zu ermöglichen. Dies bedeutet auch, dass Teilhabe von der Berliner Politik nicht als Pflicht ausdekliniert, sondern vielmehr als ein fundamentales Recht verstanden wird, welches von den Betroffenen eingefordert werden kann und für dessen Ermöglichung der Staat zunächst einen Beitrag zu leisten hat, indem er die Rahmenbedingungen dementsprechend gestaltet. Diese Ausdeutung von „Integration“ steht dem von Bojadžijev in ihrer Dissertation beschriebenen mainstreamVerständnis von „Integration“ diametral entgegen (Bojadžijev 2008:228) und setzt somit die Berliner Integrationspolitik vom vorherrschenden Diskurs ab. Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft kann in somit auch als eine Forderung nach einem grundsätzlichen Menschenrecht verstanden werden, welches unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Klasse, Alter oder Geschlecht jedem Menschen zusteht (IntMig 2009b:59). Die Berliner politischen Leitlinien verknüpfen den Aspekt der Teilhabe als Menschenrecht mit einem modernen Diversitätsverständnis, indem sie klarstellen, dass die Diversität einer städtischen Gesellschaft nicht dazu führen darf, dass Zugänge zu Teilhabe abhängig gemacht werden von Sprache, Religion oder Herkunftskultur: „In einer kulturell so vielfältigen Stadt wie Berlin muss allen klar sein, es ist in Ordnung, wenn Deutsche auch eine andere Muttersprache sprechen als Deutsch oder unterschiedliche religiöse und kulturelle Hintergründe haben.“ (IntMig 2009b:74)

Unter der Überschrift „gegen Ausgrenzung – für Menschenrechte“ wird im ABC der Berliner Integrationspolitik kritisiert, dass das Recht auf Teilhabe und „Integration“ in der Bundesrepublik Deutschland vom Aufenthaltstitel abhängig gemacht wird. Das Ziel der „gleichberechtigten Teilhabe aller am ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellem Leben“ (IntMig 2009b:7) verdeutlich damit, dass sich Integrationspolitik in Berlin im Sinne eines DiversityAnsatzes nicht mehr ausschließlich an Migrant/innen richtet, sondern ebenso andere Gruppen, die in bestimmten Bereichen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind, damit erfasst werden. Ziel dieser Integrationspolitik soll es sein, ein neues Verständnis von „Wir“ zu schaffen (IntMig 2009b:74).

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5.2 P OLITISCHE P ARTIZIPATION Wenn im Berliner integrationspolitischen Diskurs das Recht auf Teilhabe in das Zentrum gestellt wird, verdeutlicht dies, dass Migrant/innen als gleichwertige und rechtlich gleichgestellte Bürger/innen einer Einbürgerungsstadt Berlin wahrgenommen werden sollen. Dies umfasst explizit die Anerkennung von politischen Rechten als Mitbürger einer Stadt und damit die Förderung einer politischen Partizipation: „Wer Migranten und ihre Nachkommen integrieren will, muss sie mit Bürgerrechten versehen und ihnen Plattformen bieten, sich als solche zu engagieren. Um sich als Berliner identifizieren zu können, sollten Einwanderer/-innen ein Mitspracherecht bei Themen haben, die sie betreffen. Und sie sollten als Akteure auftreten können. Dabei gibt es in Deutschland noch rechtliche Hürden. Berlin setzt sich dafür ein, diese Hürden abzubauen. Die Möglichkeiten, die es für politische und gesellschaftliche Teilhabe jetzt schon gibt, werden gefördert und unterstützt.“ (IntMig 2009b:68).

Um den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu stärken, wird im Rahmen der Berliner Integrationspolitik eine „bessere Partizipation von Migranten/-innen an politischen Entscheidungsprozessen“ (Abgeordnetenhaus 2007a:69) angestrebt. Die Möglichkeit politischer Einflussnahme von Migrant/innen soll durch diese neu ausgerichtete Integrationspolitik gestärkt werden. Dazu zählen, neben einem Engagement für das kommunale Wahlrecht von Nicht-EU-Bürgern (IntMig 2009b:71) und den Bemühungen um mehr Einbürgerungen auch eine Stärkung der politischen Vertretung von Migrantenorganisationen, die über das politische Instrument des Integrationsbeirates erfolgen soll. Ziel ist eine „beteiligungsorientierte Integrationspolitik“ (Abgeordnetenhaus 2007a:71) in der mit, anstatt über Migrant/innen geredet wird. Der Berliner Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen wird als ein bewährtes und effektives Gremium angesehen, um die politische Partizipation von Migrant/innen in Berlin zu gewährleisten. In seiner Argumentationslinie verweist das Berliner Integrationskonzept auf die gesellschaftliche Notwendigkeit der politischen Partizipation von Migrant/innen: In bestimmten Bereichen der Innenstadt ist nach der gegenwärtigen Gesetzgebung die dort wohnende Mehrheit der Bevölkerung nicht zur politischen Partizipation berechtigt. Dies gefährdet auf lange Sicht die Legitimation politischer Prozesse.

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Anhand der hier angeführten Diskurspositionen lässt sich aufzeigen, auf welche Art und Weise das aktuelle Integrationskonzept des Berliner Senats den Anspruch vertritt, mit dem Berliner Weg eine Neuausrichtung von Integrationspolitik vorzuzeichnen. Diese Integrationspolitik erschöpft sich nicht in Krisenmanagement oder der ausschließlichen Behebung von Defiziten, sondern nimmt einen alternativen, potentialorientierten Ansatz ein, in dem die Pluralität der Gesellschaft zu einer selbstverständlichen Ausgangsbasis alles weiteren Handelns gemacht wird. Damit setzt sie sich von einem Problemdiskurs oder Defizitansatz ab, welcher für die bundesdeutsche Diskussion um Migration, Einwanderung und „Integration“ zumeist als prägend angesehen wird (Hess/ Moser 2009:12) und auf einem Verständnis von „Integration“ beruht, das Anpassung, Einordnung oder Angleichung an eine vermeintlich homogene deutsche Gesellschaft vorsieht (Esser 2001). Ziel der partizipativen Integrationspolitik des Berliner Senats ist es vielmehr, Migrant/ innen als aktiv handelnde Individuen zu begreifen, die sich und ihre Potentiale in die Gesellschaft einbringen. Die Politik sieht ihre Aufgabe darin, strukturelle Hemmnisse, die einer aktiven Partizipation im Weg stehen, weiter abzubauen und so das Recht auf Teilhabe umzusetzen. Diese Ausrichtung des Berliner Integrationskonzeptes erklärt Lanz unter anderem aus der intensiven Einbindung des Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen bei der Konzeptualisierung der politischen Leitlinien (Lanz 2009:115).

5.3 E RGÄNZUNGEN : A KTIVIERUNG I NTERKULTURELLE Ö FFNUNG

UND

Der bei der Argumentation des Integrationskonzeptes im Vordergrund stehende Aspekt der politischen Partizipation wird in den Berliner integrationspolitischen Schriften durch die Komponente der Aktivierung und der Interkulturalität bzw. der interkulturellen Öffnung ergänzt: „Integration erfordert die umfassende Teilhabe der Migrantenbevölkerung: durch ihre Aktivierung und Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen, durch die Erleichterung und Förderung von Einbürgerungen und durch die interkulturelle Öffnung der Institutionen im Bildungssektor, im Gesundheitsbereich und auf dem Feld der öffentlichen Verwaltungen.“ (Abgeordnetenhaus 2007a:3)

Teilhabe setzt sich demnach aus vier Komponenten zusammen: der Beteiligung / Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen (1) und einer nicht näher spezifizierten Aktivierung der migrantischen Bevölkerung (2) der Förderung von

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Einbürgerungen (3) sowie der interkulturellen Öffnung staatlicher Institutionen (4). Aktivierung erscheint in den Berliner integrationspolitischen Schriften sehr häufig in einer Doppelung als „Aktivierung und […] “. Im Berliner Integrationskonzept wird beispielsweise von „(politischer) Aktivierung und Beteiligung“, „Aktivierung und Teilhabe“, „Aktivierung und Stärkung von Nachbarschaft“ und „Aktivierung und Stärkung von Migrant/-innen“ (Abgeordnetenhaus 2007a: 69; 6; 51; 53) gesprochen. Fragt man nach der tieferen Konnotation dieses Begriffes so zeigt sich, dass Aktivierung als eine Art „Platzhalter“ formiert, an welchem situativ und abhängig vom jeweiligen politischen Kontext, verschiedene, sich auch widersprechende Diskurse aktiviert werden können. Dass der Begriff der „Aktivierung“ Anknüpfungen an zwei gegensätzliche Diskurspositionen, das Gesellschaftsmodell eines aktivierenden Sozialstaates und das Modell des Empowerment bietet, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Aktivierung I: der aktivierende Sozialstaat Als Reaktion auf die Krise des Sozialstaates am Ende des 20. Jahrhunderts wurden durch die politischen Konzepte von Bill Clinton und Tony Blair sowie die theoretischen Ausführungen des britischen Soziologen Anthony Giddens die Grundlagen für das Modell des aktivierenden Sozialstaates als sogenannter „dritter Weg“ einer modernen, sozialdemokratischen Politik gelegt. In Deutschland machte die SPD das Modell des aktivierenden Sozialstaates im Rahmen der Agenda 2010 zum zentralen Bestandteil ihres Regierungsprogramms. Der für dieses Staatsmodel zentrale Grundsatz der Eigenverantwortung stieß grundsätzlich auch jenseits der SPD auf einen breiten politischen Konsens. Andererseits führte im politisch linken Spektrum die Umsetzung der Konzepte des aktivierenden Sozialstaates in der Folge zu der bekannten Abspaltung der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) von der SPD und auf längere Sicht zum Zusammenschluss von PDS und WASG zur Partei die LINKE in ihrer heutigen Form. Die Umsetzung der politischen Konzepte des aktivierenden Sozialstaates brachte eine Umpolung vom bisherigen Wohlfahrtsstaat (welfare) zu einer verstärkten Förderung der Arbeitsfähigkeit des Einzelnen (workfare) mit sich und stellt die Praxis der Aktivierung in das Zentrum der Überlegungen. Die Grundwertekommission der SPD formulierte dies 1999 folgendermaßen:

96 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Der Staat schafft die Rahmenbedingungen, deren faire Chancen dann die Bürger in individueller Verantwortung wahrnehmen sollen. Danach gilt für die Verteilung das (meritokratische) Prinzip des Marktes.“ (Grundwertekommission der SPD 1999:11)

Der aktivierende Sozialstaat wird somit als ein Staat verstanden, „der zwar an einer umfassenden öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben festhält, jedoch nicht alle Leistungen selbst erbringen muss. Seine Aufgabe ist vielmehr, die Gesellschaft einschließlich der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu aktivieren, zu fordern und zu fördern, sich selbst als Problemlöser zu engagieren.“ (von Bandemer/ Hilbert 1998)

Mit Bezug auf den integrationspolitischen Diskurs verweist Lanz in seiner Diskursanalyse auf die Auswirkungen, die diese Umpolung der politischen Konzepte von welfare auf workfare hat (Lanz 2009). Integrationspolitik orientiert sich laut Lanz damit nicht mehr ausschließlich an einer sozialpolitischen Perspektive, sondern kann als „Intervention in das unternehmerische Subjekt ‚Einwanderer‘ verstanden werden.“ (Lanz 2009:106). Die Stichworte des neuen Staatsmodelles: Aktivierung, Bürgergesellschaft und Fordern und Fördern zeigen eine damit einhergehende Neujustierung des Verhältnisses von Staat und Bürger an. Insbesondere das im integrationspolitischen Diskurs häufig verwendete Begriffspaar von „Fordern und Fördern“ betont die Pflicht der Subjekte, zu einem Gemeinwohl beizutragen. Kritiker dieser Position sehen in diesem Verständnis von Aktivierung daher „ein neues Sozialmodell, das das eigenverantwortliche Engagement der Bevölkerung zu erzwingen sucht“ (Kocyba 2004:20). Auffällig ist, dass das im Modell des aktivierenden Sozialstaates zentrale Begriffspaar von Fordern und Fördern im Berliner Integrationskonzept weitgehend ausgeklammert oder explizit abgelehnt wird. So heißt es dazu in den Berliner Leitlinien: „Ist von Integration die Rede, taucht oft die Formel ‚fördern und fordern‘ auf. Das Fordern ist bereits stark im bundesweiten Zuwanderungs- und Staatsbürgerschaftsrecht geregelt, wo eindeutige Voraussetzungen für eine Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung gestellt werden. Vor Ort muss Integrationspolitik jedoch gestaltet werden. Hier kommt es darauf an, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen sich in die Gesellschaft einbringen wollen und können“. (IntMig 2009b:78)

Im Berliner Integrationskonzept wird Teilhabe in Verbindung mit Aktivierung als partizipatives Element ohne an die Migrant/innen gerichteten Forderungscha-

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rakter angeführt. Das Berliner Integrationskonzept geht darüber hinaus sogar so weit, die Formel von Fordern und Fördern umzukehren und die Forderungen für eine gelingende „Integration“ nicht an die Migrant/innen und ihre Organisationen zu richten, sondern den Staat und die Institutionen der Mehrheitsgesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Aktivierung II: Empowerment In der Berliner Integrationspolitik wird damit eine durchaus gegensätzliche Position zum Modell des aktivierenden Sozialstaates vertreten: indem Aktivierung als Empowerment ausgelegt wird. Das von der amerikanischen Bürger- und Frauenrechtsbewegung inspirierte Konzept des Empowerment beruht auf einer machtkritischen Position. Mit Hilfe von Empowerment-Ansätzen sollen Wege aus einer Machtunterworfenheit aufgezeigt und die betroffenen Akteur/innen zu einem eigenverantwortlichen Handeln befähigt werden. „Empowerment zielt auf die Stärkung und Erweiterung der Selbstverfügungskräfte des Subjektes, es geht um die (Wieder-)Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags.“ (Herringer 1997:15)

Die Aktivierung zu einer freiwilligen, eigenverantwortlichen Übernahme von gesellschaftlichen Aufgaben ist der zentrale Gedanke des EmpowermentAnsatzes. Anders als im Aktivierungs-Postulat des aktivierenden Sozialstaates stehen die kritische Betrachtung von Machtstrukturen und insbesondere der Wandel dieser Strukturen durch die sich aktivierenden Akteur/innen selber im Vordergrund. Es geht hier nicht um eine Pflicht, aktiv zum Gemeinwohl beizutragen, sondern um das Potential der Akteur/innen, sich einbringen zu können. Dem Empowerment-Ansatz liegt jedoch ebenfalls eine gewisse Bedeutungsoffenheit zugrunde. Er kann sowohl zur Thematisierung von strukturell ungleich verteilter politischer Einflussnahme, als auch auf die Mikropolitik des Alltags angewandt werden (Herringer 1997:15f). Lanz verweist im Berliner Kontext auf Empowerment als zentrales Stichwort des Programms der „Sozialen Stadt“ und der damit einhergehenden Quartiersmanagementstrategien (Lanz 2007:178). Bezogen auf integrationspolitische Konzepte kann Teilhabe im Sinne eines Empowerment-Ansatzes als ein emanzipiertes Vorgehen von Migrant/innen verstanden werden, die es den Einwanderern ermöglicht, sich aus einem Paternalismus der auf reine Fürsorge ausgerichteten Integrationspolitik zu befreien, beziehungsweise der Logik des Fordern und Fördern eigenes Engagement entgegen zu setzen.

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Im Berliner Integrationskonzept bildet ein Doppel aus Aktivierung und Teilhabe die sechste der insgesamt acht Handlungsstrategien, in der es heißt: „Aktivierung und Teilhabe: Erfolgreiche Integrationspolitik bekämpft Diskriminierung, ist partizipativ und stärkt die Zivilgesellschaft“. (Abgeordnetenhaus 2007a:6)

Wie allerdings die Aktivierung von Migrant/innen vonstattengehen soll, bleibt dabei ebenso offen, wie die Frage danach, ob Migrant/innen erst dazu aktiviert werden müssen, einen Beitrag zu leisten, oder ob sie durch Teilhabehindernisse bislang in den von ihnen angestrebten Aktivitäten beschränkt werden. Die Handlungsstrategie des Senats lässt somit beide hier diskutierte Lesarten von Aktivierung zu. Interkulturalität Als Bestandteil von Teilhabe ist Interkulturalität ein weiteres, zentrales Konzept in der Berliner Formation von Integrationspolitik: „Die Integration der Migranten/-innen in diese Gesellschaft kann letztlich nur gelingen, wenn ihnen die Gesellschaft ihrerseits entgegenkommt, sich ihnen ‚interkulturell öffnet‘. Dies betrifft vorrangig die Organisationen und Institutionen der Gesellschaft und unter diesen wiederum vor allem das politisch-administrative System, auch wegen seiner Vorbildfunktion für die anderen gesellschaftlichen Bereiche.“ (Abgeordnetenhaus 2007a:58).

Allerdings zeichnet sich auch das Konzept der Interkulturalität, auf welche sich die Politik der interkulturellen Öffnung bezieht, dadurch aus, dass es in entscheidenden Punkten konträre Positionierungen zulässt. Ich verweise hier auf die diskursanalytische Arbeit von Lanz, welcher anhand seines Interviewmaterials und der integrationspolitischen Papiere des Berliner Senats sowohl eine mögliche ethno-kulturalistische als auch eine kritisch-pluralistische Auslegung von Interkulturalität herausarbeitet (Lanz 2009:116). In einem ethno-kulturalistischen Konzept von Interkulturalität spielt ein traditionell an Ethnie gekoppelter Kulturbegriff eine zentrale Rolle. Das Einheimische gilt hier als das Normale. Für den Umgang mit dem Fremden bedarf es einer speziellen „interkulturellen“ Kompetenz. Im ethno-kulturalistischen Konzept geht es dabei im Kern um die wiederholte „Konstruktion eines deutschen Wir und eines natio-ethno-kulturell Anderen“ (Lanz 2009:116). Das in die Berliner Politik neu eingeführte kritisch-pluralistischen Konzept von Interkulturalität erklärt hingegen zum Ziel, „stereotype Bilder vom ‚Frem-

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den‘ und die Macht- und Dominanzstrukturen in dieser Gesellschaft zu reflektieren, um im Ergebnis die tatsächlichen Unterschiede in den Lebenslagen zu erkennen und darauf fachlich kompetent und kultursensibel zu reagieren.“ (Landesbeirat 2005:29) Diese Sichtweise auf Interkulturalität findet durch Anregung des Landesbeirates für Integrations- und Migrationsfragen Eingang in der Berliner Integrationspolitik. Bei Interkulturalität handelt es sich nach diesem Verständnis um eine Verschiebung des politischen Fokus auf gesellschaftliche Dominanzverhältnisse (Lanz 2009:117). Interkulturalität soll so zu einem Strukturelement werden, mit dem institutionelle Veränderungen erreicht werden können. Als politische Maßnahme, die zu einer verstärkten Reflexion und Anerkennung von Interkulturalität beitragen soll, wird in diesem Sinne die „interkulturellen Öffnung“ von Institutionen der Mehrheitsgesellschaft angemahnt. Wie in Kapitel 7 noch aufgezeigt werden wird, spielen in der integrationspolitischen Praxis jedoch sowohl die vom Berliner Senat bevorzugte kritischpluralistische als auch eine ethno-kulturalistische Auslegung von Interkulturalität eine Rolle und prägen die Aushandlungen zwischen den einzelnen Interaktionspartner/innen.

5.4 „N EUE W EGE “ Das Berliner Integrationskonzept versteht sich als Instrument einer „modernen städtischen Integrationspolitik“ (Abgeordnetenhaus 2007a:3), welche Vielfalt zur Grundlage der Metropole Berlin erklärt. Neben der Förderung von Vielfalt findet auch die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes Eingang in das Motto der Berliner Integrationspolitik „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“. Der Beauftragte für Integration und Migration versteht dieses Motto als eine Art Brückenbauer, welches in einer verhärteten Debatte von Integrationspositionen vermitteln soll: „Um diese so verkarstete Debatte aufzubrechen, haben wir ganz bewusst dieses Label gewählt, dass wir gesagt haben: Integrationspolitik ist eben beides. Auf der einen Seite ist eine Stadt sehr divers, pluralisiert sich, auch ethnisch, auch durch Einwanderung und das macht die Stärke der Stadt aus, die wir auch stärken müssen, erkennbar machen diese Vielfalt. Auf der anderen Seite bringt diese Vielfalt, diese Pluralisierung auch nicht nur ethnische Vielfalt auch Friktionen mit sich sowie Ausgrenzungen, Ausschlüsse, Konflikte. Und deswegen geht es auch vor allem um eine inklusive Politik. Also Zusammenhalt stärken meinen wir nicht nur sozial, sondern auch das Wertefundament, alles zusammen. Und

100 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT beides ist für manche dann eben eine gewisse Provokation.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Mit dem gleichzeitigen Bezug auf Diversität und auf das Wertefundament einer Gesellschaft macht der Berliner Integrationsbeauftragte deutlich, dass er eine vereinfachende Verortung in eine der bestehenden integrationspolitischen Positionen ablehnt und in der integrationspolitischen Arbeit einen anderen, neuen Weg einschlagen will. Als Basis für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt bezieht er sich dabei auf Werte wie Säkularität, Liberalität, Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit: „[…] ‚Zusammenhalt stärken‘ stößt auch auf gewissen Widerstände, weil dann natürlich auch über Probleme der Einwanderungsgesellschaft diskutiert werden muss, bis hin zu patriarchalischen Strukturen und der Frage: Gibt es Konflikte, die sich in bestimmten Einwanderercommunities häufiger finden? Wie hängen Soziales und Herkunft zusammen? Dieser Spruch war damals von mir ganz bewusst so gewählt, um die Öffnung der Debatte auch darzustellen, dass wir auf der einen Seite uns Öffnen für Vielfalt, auf der anderen Seite aber auch eine sehr robuste Debatte führen über die tatsächliche Situation auch in den Communities.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Ziel ist es, eine „Öffnung der Debatte“ jenseits eines politischen Lagerdenkens anzustoßen. Darüber hinaus zeichnet sich das Integrationskonzept des Berliner Senats dadurch aus, dass es Vielfalt als Grundlage der Gesellschaft ansieht, das Potential von Einwanderung in der Vordergrund stellt und nicht nur die Einwanderer sondern insbesondere auch die Mehrheitsgesellschaft auffordert, ihren Beitrag zu „Integration“ zu leisten. Gefragt nach der Spezifik der Berliner Integrationspolitik bekräftigt der Berliner Beauftragte für Integration und Migration das Recht auf Teilhabe und grenzt sich damit insbesondere zur Politik der Bundesbeauftragten für Integration und des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab: „Ja das glaube ich schon, dass wir (wenn man das vergleicht z.B. mit der Bundesregierung die ja einen anderen Weg gehen) wir kämpfen sehr stark für rechtliche Gleichstellung. Das ist so ein Aspekt der in der öffentlichen Debatte so ein bisschen hinten rüber gefallen ist. Wir sagen: Integration ist mehr als Deutsch lernen. Und deswegen haben wir glaube ich schon – für uns ist Integrationspolitik also vor allem die Herstellung von Chancengleichheit. Also weniger, weniger Adaption.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

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Allerdings bieten sich für eine (Stadt-)Verwaltung nur eingeschränkte Möglichkeiten um eine neue politische Ausrichtung, wie ich sie hier mit Bezug auf die Berliner Integrationspolitik und das Berliner Integrationskonzept skizziert habe, auch schnell und öffentlichkeitswirksam umzusetzen. So bestehen bei der Vergabe der Fördermittel in der Regel Verträge mit längerfristigen Laufzeiten, die nicht so leicht aufgekündigt werden können. Auch andere strukturelle Bedingungen, wie der feste Stab der Verwaltungsmitarbeiter/innen, unterliegen einem nur langsamen Wandel. Neue politische Konzepte drohen damit an der Beschränkung der Umsetzungsmöglichkeiten häufig zu scheitern oder sich zumindest in einem beträchtlichen Maße zu verlangsamen.37 Mit der Einrichtung eines „Berliner Aktionsprogramms“ wurde daher von den politisch Verantwortlichen ein integrationspolitisches Instrument geschaffen, welches als eine Art Experimentierfeld die Möglichkeit bot, die neu entwickelten politischen Konzepte schnell umzusetzen, zu testen und der Öffentlichkeit als Beispiele einer innovativen Integrationspolitik der „neuen Wege“ zu präsentieren. „Die Abgeordneten waren der Meinung – und da haben sie bei uns ganz offene Ohren gefunden – dass man aber nicht warten sollte, bis man so ein umfassendes Konzept für das ganze Land Berlin entwickelt, sondern man sollte schon vorab versuchen, besonders innovative Verfahren einfach mal auszuprobieren. Sie haben uns dafür diese 1Mio. Euro für zwei Jahre zur Verfügung gestellt. Das ist der politische Hintergrund, wie es zu diesem Aktionsprogramm kam.“ (Interview Herr Müller, Behördenmitarbeiter)

37 Ein Beispiel hierfür ist die von der Berliner Regierung geforderte Anhebung des Migrantenanteils in der öffentlichen Verwaltung. So gibt es ein spezielles Programm „Berlin braucht dich!“ das jungen Menschen Mut machen soll, sich für eine Laufbahn innerhalb der Berliner Verwaltung zu entscheiden. Mit Hilfe dieses Programms ist es gelungen, den Anteil der neu eingestellten Auszubildenden mit Migrationshintergrund von 8,6 % im Jahr 2006 auf 19,5 % im Jahr 2009 mehr als zu verdoppeln (siehe Abgeordnetenhaus 2008). Dies wird als erster Erfolg verbucht. Die Problematik liegt bei genauerer Betrachtung jedoch darin, dass derzeit ein Einstellungsstopp in der Berliner Verwaltung existiert und somit keine neuen Angestellten in den Verwaltungsapparat aufgenommen werden können (Abgeordnetenhaus 2010b). Dies verlangsamt in der Praxis die Umsetzung des politischen Willens den Anteil an Verwaltungsangestellten mit Migrationshintergrund dem Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung anzugleichen ganz wesentlich.

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Das Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ muss folglich als ein spezifisches Spielfeld in der Umsetzung des gesamten Berliner Integrationskonzeptes verstanden werden, bei der es darauf ankam, neue Instrumente der Integrationspolitik zu testen und diese als solche einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. „[…] Die Grundlage des Aktionsprogramms ist es, die Träger zu ermuntern: ‚Versucht neue Wege zu gehen‘, zu schauen, welche Wege funktionieren und welche nicht. Dieses aber nicht ganz offen zu lassen, sondern gewisse eingeschlagene Pflöcke zu geben. Also zu sagen: Wir haben männliche Jugendliche, den Tandemcharakter und dann probiert mal aus, was so funktioniert.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Ein zentrales Element des „neuen Weges“ ist die bessere Einbindung und Anerkennung der Kompetenzen von Migrantenorganisationen durch die Etablierung sogenannter „Tandempartnerschaften“. Die politische Idee der Tandempartnerschaften kann durch die Umsetzung im Aktionsprogramm vergleichsweise kurzfristig im politischen Feld Integrationspolitik eingeführt werden und als „Berliner Konzept“ markiert werden (IntMig 2009a). Die Übernahme dieses politischen Konzeptes durch andere, „konkurrierende“ Institutionen im politischen Feld wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)38 wurde von den Berliner Konzeptentwicklern als Erfolg bewertet – die Urheberschaft dieses „neuen Weges“ und die damit einhergehende Positionierung der Berliner Integrationspolitik als Vorreiter innerhalb eines politischen Feldes unterstrichen. Ein weiteres Element dieses „neuen Weges“ spiegelt sich im inhaltlichen Schwerpunkt des Aktionsprogramms wieder: Männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen erfolgreicher in die integrationspolitischen Bemühungen des Senates eingebunden werden. Über die Kooperation mit Migrantenorganisationen sollen neue Wege des Zugangs zu diesen Jugendlichen geschaffen werden. „Die Konzeption war ja, neue Methoden der Jugendarbeit zu versuchen, neue Wege zu finden des Zugangs zu Jugendlichen, die zwar noch nicht in den Brunnen gefallen sind, aber um den Brunnen bereits herum kreisen.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter) 38 Siehe die im Auftrag des BAMF angefertigte Studie: „Kooperationen mit Migrantenorganisationen“ von Hunger/Metzger im März 2011. Siehe auch http://www.bamf.de /SharedDocs/Meldungen/DE/2011/20111222-verstaerkte-partizipation-von-migranten organisationen.html. Zuletzt aufgerufen am 30.10.2012.

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In der bisherigen Integrationspolitik werden insbesondere männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund als problembehaftet und mit dem bislang genutzten Instrumentarium der klassischen Jugendhilfe als nur „schwer erreichbar“ wahrgenommen. Der für die Entwicklung des Berliner Aktionsprogramms zuständige Mitarbeiter des Integrationsbeauftragten reflektiert einerseits die Problematik, die in dieser Repräsentation von „männlichen Jugendlichen + Migranten = Problem“ liegt. Eine negative Wahrnehmung soll durch eine potentialorientierte Ausrichtung der Berliner Integrationspolitik eigentlich durchbrochen werden. Andererseits passt sich der Konzeptentwickler bei der Einwerbung der Gelder in seiner Argumentation an eine vorherrschenden Logik an, in der nur Maßnahmen gegen Jugendkriminalität, nicht aber die Förderung der Potentiale der Jugendlichen finanziell unterstützt werden. Selbstkritisch kommentiert er dies im Interview: „[…] gegenüber dem Abgeordnetenhaus konnte ich das auch nur verkaufen als: Wir wollen neue Wege in der Bekämpfung von Jugendkriminalität mal ausprobieren. Wenn ich denen jetzt sage: ‚Ne, wir wollen das ganz anders machen‘, dann hätten sie mir dafür kein Geld gegeben.“ (Interview Herr Müller, Behördenmitarbeiter)

Deutlich wird hier eine immanente Spannung zwischen den integrationspolitischen Zielen, die die Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten mit ihren Konzepten verfolgen, und der Art und Weise, wie sie diese Ziele innerhalb des politischen Feldes übersetzen, oder in den Worten des Mitarbeiters „verkaufen“ müssen, um die notwendigen finanziellen Ressourcen bewilligt zu bekommen. Nach der erfolgten Bewilligung der Gelder durch den Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses kann die Reduzierung der geförderten Jugendsozialarbeit als „Kriminalitätsprävention“ wieder aufgehoben werden. Im Verlauf des Aktionsprogramms wird die Arbeit in den einzelnen Projekten zunehmend „als emanzipativer Prozess für die Jugendlichen begriffen“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter). In ihrer abschließenden öffentlichen Stellungnahme erklärt die Senatorin für Integration, Arbeit, berufliche Bildung und Soziales dem Abgeordnetenhaus, das erklärte Ziel der Senatsverwaltung sei es gewesen, anhand dieser ausgewählten Zielgruppe Wahrnehmungen zu verändern, die öffentliche Identifikation von jugendlichen männlichen Migranten und Gewaltbereitschaft zu durchbrechen und ihren Ideen, Stärken, ihrer Kreativität mehr Raum zu geben.39 Deutlich wird: Es geht hier, neben der praktischen Arbeit mit 39 Stellungnahme der Senatorin in der 95. Sitzung des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 01. 12. 2010 / TOP 8: Evaluationsergebnisse zum Berliner Aktionsprogramm „Zusammenhalt stärken – Vielfalt fördern“.

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männlichen Jugendlichen, auch um das Monopol auf die Produktion von politisch wirksamen und legitimen Interventionsmöglichkeiten. Die Berliner Senatsverwaltung formuliert damit den Anspruch, die Wahrnehmungsformen auf männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund zu verschieben. Auffällig ist, dass die verantwortlichen Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten wiederholt betonen, dass das Aktionsprogramm in seiner Form als „Sonderprogramm“ nicht in vollem Umfang den integrationspolitischen Zielen eines „neuen Weges“ entspricht. „Das Aktionsprogramm ist also nur ein ganz kleines Element. Aber für uns durchaus ein interessantes und wichtiges Puzzlestück von dem, was wir eigentlich, was wir eigentlich wollen.“ (Interview Herr Müller, Behördenmitarbeiter)

Das Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ bildet in den Augen der verantwortlichen Mitarbeiter/innen nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Berliner Integrationspolitik ab. Allerdings stellt sich hier die Frage, warum überhaupt diese spezifische Form der Regierungsintervention gewählt wurde. Sie widerspricht aufgrund ihrer zeitlichen Befristung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Förderlogik und läuft Gefahr, männliche Jugendliche per se zu problematisieren und Zuschreibungen zwischen einer Mehrheitsgesellschaft (den institutionalisierten Vereinen) und einer Minderheitsgesellschaft (den Migrantenorganisationen) zu verfestigen. All dies sollte durch eine Politik der „neuen Wege“ im Grunde aufgehoben werden. Im Verlauf der Feldforschung wird immer wieder deutlich, dass die Verantwortungsträger im Haus des Integrationsbeauftragten von der Art und Weise, wie dieses Programm umgesetzt wird nicht überzeugt sind. Der grundsätzliche Widerspruch, ein zeitlich befristetes „Aktions“-Programm als Mittel der integrationspolitischen Intervention zu wählen und gleichzeitig die Bedeutung dieses Programmes zu relativieren, durchzieht das gesamte Aktionsprogramm. Auch von der politischen Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus aus CDU, Grünen und FDP wird die zeitliche Befristung der Projekte sowie der „Aktionscharakter“ des Programms scharf kritisiert.40 In meinen Augen macht allerdings gerade die Tatsache, dass trotz der genannten Widersprüche diese spezifische Form der Regierungsintervention weiter verfolgt wird, das Aktionsprogramm zu einem aufschlussreichen Forschungsfeld. Auch 40 Ich beziehe mich an dieser Stelle auf die Debatte am 07.03.2007 im Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Siehe: Abgeordnetenhaus 2007c.

F ACETTEN B ERLINER I NTEGRATIONSPOLITIK

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wenn das Berliner Aktionsprogramm nur ein „kleines Puzzlestück“ dessen ist, was durch die „neuen Wege“ einer Integrationspolitik angestoßen werden soll, zeigen sich an diesem Programm die diversen Interessenlagen, die an ein solches integrationspolitisches Programm herangetragen werden. Da diese Studie das Berliner Aktionsprogramm im Sinne Rabinows als „sich ereignende Form“ analysiert, bieten gerade diese Widersprüchlichkeiten einen Anknüpfungspunkt für die weitere Analyse. Dadurch, dass die diversen Akteur/innen das Aktionsprogramm zu einem konfliktreichen Aushandlungsort machen, treten die unterschiedlichen Positionierungen und Zuschreibungen, die in der Integrationspolitik eine wichtige Rolle spielen deutlicher hervor, als dies bei einer „erfolgreichen“, harmonischen Zusammenarbeit der Fall gewesen wäre. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle Berliner Landespolitik zwar den Anspruch vertritt, die Richtung für eine Integrationspolitik vorzuzeichnen, die sich nicht in Krisenmanagement oder der ausschließlichen Behebung von Defiziten erschöpft und damit einen „neuen Weg“ einschlägt. Andererseits zeigt sich, dass auch die Facetten der Berliner Integrationspolitik unterschiedliche Formen der Auslegung zulassen. Im Rahmen des Berliner Aktionsprogramms werden Handlungsanweisungen gegeben, die von den einzelnen Akteur/innen sehr unterschiedlich interpretiert und ausgeführt werden können. Durch diesen Deutungsspielraum wird einerseits eine Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Akteur/innen im Rahmen des Aktionsprogramms ermöglicht. Andererseits führt dies zu einer dem Programm immanenten Spannung. Der Umsetzung der in diesem Kapitel diskutierten politischen Leitideen und den dabei durch die einzelnen Akteur/innen vorgenommenen Übersetzungen in der integrationspolitischen Praxis werde ich in den folgenden Kapiteln ausführlich nachgehen.

6. Übersetzung I: Die Verwaltung

Feldtagebuch, April 2008 Im Büro, welches sich mehrere Mitarbeiter/innen teilen, ist die Unzufriedenheit greifbar. Hektisch werden Papiere sortiert, Aktenstapel geräumt. Es handelt sich um die Projektanträge des Aktionsprogramms „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“, welches mein Forschungsfeld werden soll. Keine der Mitarbeiter/innen des Berliner Beauftragten für Integration und Migration hat Zeit, sich nach dem Grund meiner Anwesenheit zu erkundigen. Da der zuständige Gruppenleiter, mit dem ich ein Gespräch vereinbart hatte, in einer Besprechung ist, bietet sich mir die Gelegenheit, einen ersten Einblick in das Innenleben einer Behörde zu gewinnen, welche die Gestaltung und Verwaltung von Integrationspolitik zur Aufgabe hat. Ohne dass ich es gleich bemerke kehrt mein Gesprächspartner aus seiner Besprechung zurück. „Sie haben Besuch Herr N.“ – „Ich habe keine Zeit“ ist das einzige, was ich von ihm höre und schon ist er wieder verschwunden. Freundlich erkundigt sich nun eine weitere Mitarbeiterin nach meinem Anliegen und gibt mir so die Möglichkeit, mich vorzustellen. Mit einem leisen Zwinkern in den Augen scheint sie das Auftreten ihres Vorgesetzten ausgleichen zu wollen. Wie sich im Gespräch herausstellt, hat erst gestern die Sitzung der Jury stattgefunden, in der über die Bewilligung der Projektförderung des Aktionsprogramms entschieden wurde. Nun muss die Entscheidung der Jury so schnell als möglich umgesetzt werden. Die Projekte, welche Teil des Aktionsprogramms werden sollen, warten schon lange auf eine Zusage. Viele Absagen müssen erteilt werden. Aber Zeitnot kann in meinen Augen nicht die offensichtliche Unzufriedenheit, die ich hier bei den Mitarbeiter/innen der Behörde am ersten Schritt der Umsetzung eines integrationspolitischen Förderprogramms in die Praxis beobachten kann erklären.

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Um das soziale Leben der hier im Fokus stehenden integrationspolitischen Intervention zu erfassen, ist es unerlässlich, die Interaktionen innerhalb der Verwaltung sowie die Interaktionen zwischen „externen“ Akteur/innen und der zuständigen Behörde zu analysieren. Dabei verfestigt sich im Lauf der Forschung ein widersprüchliches Bild: Einerseits erlebe ich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Berliner Beauftragten für Migration und Integration offen für mein Forschungsinteresse und überaus engagiert für die Entwicklung und Umsetzung integrationspolitischer Zielvorstellungen. Andererseits ist mit Bezug auf das konkrete Aktionsprogramm durchgehend eine große Unzufriedenheit zu spüren: Eine deutliche Enttäuschung über die Art und Weise der Umsetzung des integrationspolitischen Vorhabens ist bei den Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten feststellbar. Diese im Verlauf des Aktionsprogramms immer wieder beobachtbare Unzufriedenheit verweist darauf, dass die bei der Umsetzung der integrationspolitischen Konzepte vorgenommenen Übersetzungen in die integrationspolitische Praxis nicht der ursprünglichen Intention der Konzeptentwickler entsprechen. Unzufriedenheit kann damit als ein Indikator für Verschiebungen in der Übersetzung dieser integrationspolitischen Konzepte angesehen werden; Verschiebungen, welche allerdings das soziale Leben dieser Politik in hohem Maße prägen. Als Beobachterin habe ich mir zum Ziel gesetzt, nach der Übersetzung von politischen Konzepten (in diesem Fall von Teilaspekten des Berliner Integrationskonzeptes) in die Praxis und der (Rück-)Übersetzung dieser Praxis zu den Repräsentant/innen des politischen Feldes zu fragen. Mit der folgenden Analyse der Interaktionen der Verwaltungsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen im Berliner Aktionsprogramm werde ich verdeutlichen, welche Rolle die jeweiligen Bearbeiter/innen in der Behörde einnehmen und wie sie die Praxis der Integrationspolitik gestalten. Ich frage danach, welche Übersetzungsprozesse sich innerhalb des Mitarbeiterstabes der Verwaltung nachvollziehen lassen, wer bei der Umsetzung der integrationspolitischen Maßnahmen welche Entscheidungsmacht hat und warum dies so ist. Im Zentrum meines Interesses steht dabei die Frage, wo sich Verschiebungen innerhalb des Übersetzungsvorganges ausmachen lassen und welche Konsequenzen aus diesen Verschiebungen erwachsen. Ich übernehme hiermit die von Bachmann-Medick angeregte Sichtweise auf Prozesse, die in den Zwischenräumen und an den Bruchstellen stattfinden, um im Aktionsprogramm vorhandene Übersetzungsvorgänge besser zu erfassen (Bachmann-Medick 2009:7).

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6.1 V ERWALTUNG ODER G ESTALTUNG „I NTEGRATION “

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VON

Die Institution des Beauftragten für Integration und Migration betrachte ich als eine Art Schnittstelle: sie steht mit fast allen Akteursgruppen des Aktionsprogramms in direkter Interaktion und spielt eine zentrale Rolle als Vermittlungsinstanz der unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen. Die Behörde nimmt somit einerseits eine Übersetzungsfunktion zwischen politischen Diskursen und Alltagspraktiken wahr: Sie verwaltet und kontrolliert bestimmte politische Vorgaben und begleitet die Umsetzung des integrationspolitischen Sonderprogramms. Andererseits sieht sie sich, insbesondere unter der Leitung des bis Juni 2012 amtierenden Integrationsbeauftragten Günther Piening, selbst gleichzeitig auch als Ideengeberin und damit als politische Gestalterin einer Integrationspolitik. So beschreibt der Beauftragte für Integration und Migration von Berlin seine Position folgendermaßen: „Auf der einen Seite ist es schon eine klassische Leitstellenfunktion, die natürlich verankert ist in der Administration: Es müssen die Veränderungen implementiert werden. Auf der anderen Seite – und das ist das spannende an dieser Stelle, an dieser Institution – […], man bewegt sich in einem Viereck zwischen Migrantenorganisationen, Verwaltung, Politik und öffentlichem Diskurs.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Dass diese Selbstverortung des Beauftragten für Integration und Migration als Gestalter im politischen Feld jedoch nicht unumstritten ist zeigt sich an der Aussage einer seiner Mitarbeiter: „Herr Piening empfindet diese Dienststelle und auch seine eigenen Aufgaben in allererster Linie als eine politische. Was ich so für mich überhaupt nicht sehe. Und ich sehe auch seine Aufgaben nicht so […] Nein, er ist doch ein Angestellter des Landes Berlins! Und hat diese Interessen zu vertreten und nicht irgendwelche politischen Gesinnungen, Ansichten oder was auch immer in die Verwaltung hineinzutragen.“

Dies verdeutlicht, dass je nach Position innerhalb der Verwaltung ein unterschiedliches Selbstverständnis der Zuständigkeit der Administration gepflegt werden kann. Dies zeigt sich auch an Unterschieden in der öffentlichen Repräsentation der Verwaltungsmitarbeiter/innen. So verstehen sich die Sachbearbeiterinnen und Gruppenleiter ausschließlich als Teil der Administration. Ihre Verantwortung sehen sie in einer verwaltungskonformen Implementierung der von oben vorgegebenen politischen Konzepte. Der für die Konzeptentwicklung zu-

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ständige Referatsleiter sowie der Integrationsbeauftragte selber verstehen sich hingegen weniger als Verwalter, sondern vielmehr als Mitgestalter eines politischen Feldes. „Das heißt, Integrationspolitik in Berlin ist von einer Beauftragtenpolitik zu einer Senatspolitik geworden. Jeder Senator hat dieses ganz oben auf der Agenda und der Integrationsbeauftragte ist die Einrichtung, die die Konzepte entwickelt, die die unterschiedlichen Konzepte im Senat aufeinander bezieht.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Anders als zu den Anfangszeiten der Berliner Ausländerbeauftragten unter Barbara John versteht Günther Piening seine Stelle nicht in erster Linie als Ombudsstelle, die als Fürsprecherin der Migrantenorganisationen fungiert und verweist auf den Wandel des Amtsverständnisses seit seinem Amtsantritt: „Die Funktion des Integrationsbeauftragten hat in der letzten Zeit einen ganz eindeutigen Wandel durchlaufen. Die Integrationsbeauftragten der ersten Zeit waren klassische Ombudsmenschen, die ein bisschen für die Migranten und Migrantinnen sprachen, die ihre Interessen vertraten. Hintergrund war eben, dass man sagte: Hier sind Leute mit schwachem sozialen Kapital und deswegen brauchen sie einen Unterstützer. Die zweite Stufe war ein bisschen – als es um Konflikte ging – eine Moderatorenrolle. Das heißt, es wurden Aushandlungsprozesse zwischen Mehrheiten und Minderheiten organisiert. […] beide Funktionen spielen hier noch eine Rolle, aber die zentrale Funktion ist eine andere geworden: Eine Art Leitstelle für Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft im weitesten Sinne.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Dass dieser Freiraum als Gestalter und nicht als reiner Verwalter von (Integrations-)Politik keine Selbstverständlichkeit ist, wird an den mehrere Monate nach dem Ende meiner Feldforschung vorgenommenen Umstrukturierungen in der Berliner Senatsverwaltung deutlich: Bis zum Ende der rot-roten Koalition im Herbst 2011 war der Berliner Integrationsbeauftragte als Stabsstelle direkt der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales zugeordnet und damit eine relativ unabhängige Instanz. Mit dem Neuzuschnitt und der Neubesetzung der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen unter einer Großen Koalition wird die bisherige Stabsstelle in die Abteilung III der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen eingegliedert. Der Beauftragte für Integration und Migration wird durch diese Umstrukturierung der Kontrolle eines Staatssekretärs für Integration untergeordnet.

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Abbildung 1: Visualisierung der unterschiedlichen Selbstverortung des Beauftragten für Integration und Migration des Berliner Senats (links) und der Mitarbeiter/innen der unteren Verwaltungsebene (rechts) im Juli 2009.

Quelle: eigene Grafik

Der integrationspolitische Sprecher der Berliner Piratenfraktion hebt in einer kritischen Stellungnahme diese Verschiebung von Gestaltung zu Verwaltung hervor: „Mit der Schaffung der Abteilung III bekommt die Stelle des Integrationsbeauftragten einen verwaltenden Charakter und verliert ihre politische Bedeutung. Damit wurde eine Situation geschaffen, in der die Stelle, die eigentlich zur Kontrolle der Arbeit des Senats geschaffen wurde, ihre Unabhängigkeit einbüßt. Der Integrationsbeauftragte ist künftig in das enge Korsett der Integrationsleitlinien des Senats eingebunden. Kritische Reflexion ist so nicht mehr möglich.“ (Fabio Reinhardt, 24.02.2012)

Der daraufhin im Februar 2012 verkündete Rücktritt des Integrationsbeauftragten Günther Piening zum 30. Juni 2012 erscheint insofern konsequent, wenn man sein hier dargelegtes Stellenverständnis als Gestalter von Politik berücksichtigt. Im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel sagt Piening dazu: „Für mich bietet diese Koalition nicht den Resonanzboden, den ich brauche. Ich bin kein Typ für Rot-Schwarz“ (Tagesspiegel vom 21.05.2012).

Die Verschiebung von politischer Gestaltungsfreiheit hin zu einer Verwaltung integrationspolitischer Vorhaben thematisiert er in diesem Interview zwar nicht. Es erscheint in diesem Zusammenhang jedoch naheliegend, dass diese Umstrukturierung hier eine Rolle gespielt hat.

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6.2 „B ÖSE O NKEL “ UND „ GUTE S EELEN “ IN DER V ERWALTUNG Die hier geschilderte Doppelfunktion des Integrationsbeauftragten als Verwalter und Gestalter von Integrationspolitik kann nur durch eine starke personelle Trennung zwischen einer Verwaltungs- und einer Gestaltungsebene innerhalb der Behörde aufrechterhalten werden. Dies schlägt sich in einer Trennung zwischen den übergeordneten Referenten sowie dem Integrationsbeauftragten selbst einerseits und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im „Kundenkontakt“ andererseits nieder. Die auf den ersten Blick wichtigsten Rollen im sozialen Leben des Aktionsprogramms werden von der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, von ihrer Staatssekretärin, dem Beauftragten für Integration und Migration und dessen Referatsleiter eingenommen. Im Vertretungsfall umfasst diese Hierarchie der Repräsentanten noch einen Gruppenleiter, welcher als einziger der genannten Akteur/innen einen konkreteren Bezug zu den Projekten hat. Für die Projektkoordinator/innen in den Vereinen stellen sich hingegen die für das Aktionsprogramm verantwortlichen Sachbearbeiterinnen als erste Repräsentantinnen der Verwaltung dar. Diese Sachbearbeiterinnen sind die wichtigsten Ansprechpartnerinnen bei allen Fragen und Problemen, die bei der Umsetzung der integrationspolitischen Leitideen auftreten. In der öffentlichen Repräsentation des Aktionsprogramms kommt den Sachbearbeiterinnen hingegen keinerlei Bedeutung zu. Es scheint fast so, als existieren sie nicht. Aufgrund dieser in sich widersprüchlichen Zuschreibungen einerseits als Hauptansprechpartnerinnen der Projekte und andererseits als „kleines Rad im Getriebe“, wird mein Interesse an der Rolle der Sachbearbeiterinnen geweckt. An ihrer Rolle lässt sich in meinen Augen exemplarisch die zentrale Interaktion zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur/innen und staatlicher Institution veranschaulichen. Ich betrachte daher die Interaktionen zwischen den Sachbearbeiterinnen und den an den einzelnen Projekten beteiligten Akteur/innen als eine wichtige Facette der hier analysierten Politik. Gerade diese auf der untersten Ebene der Bürokratie angesiedelten Interaktionen stellen im Verständnis von Shore und Wright eine gute Möglichkeit dar, das soziale Leben einer Politik zu erfassen. Shore und Wright verweisen in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten des amerikanischen Politologen Michael Lipsky zu Bürokratie und unterstreichen, dass nicht nur politische Konzepte, Regierungspapiere und die institutionellen Mechanismen der politischen Entscheidungsfindung zu einem Studium einer Policy gehören, sondern auch diejenigen Facetten, die veranschaulichen „whatever people experience in their interactions with street-level bureaucrats“

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(Shore/ Wright 1997b:5). Lipsky legt in seiner in den 1980er Jahren durchgeführten Studie dar, dass die Interaktion auf der Ebene der „street-level bureaucrats“ in seinen Augen sogar den besten Ansatzpunkt bietet, um Policy zu erfassen. „[…] public policy is not best understood as made in legislatures or top-floor suites of high ranking administrators, because in important ways it is actually made in the overcrowded offices and daily encounters of street-level workers.“ (Lipsky 2003 [1980]:503)

Er verweist auf den schon ausgeführten Widerspruch zwischen niedrigem behördlichem Status und der bedeutenden Stellung, die diese Sachbearbeiter/innen in der Praxis ihrer „Klient/innen“41 spielen. „Although they are normally regarded as low-level employees, the actions of most public service workers actually constitutes the service ‚delivered‘ by government“ (Lipsky 2003:504).

Street-level bureaucrats bzw. die Sachbearbeiterinnen haben eine über den ihnen innerhalb der Behörde zugewiesenen Status weit hinausreichende Bedeutung bei der Umsetzung und der Übersetzung staatlicher Angebote. Das Aufeinandertreffen der in der beobachteten Praxis disparat erscheinenden Welten von „Verwaltung“ bzw. „Bürokratie“ einerseits und den „Projektwirklichkeiten“ andererseits wird in hohem Maß durch die Rolle dieser Sachbearbeiterinnen geprägt. In persönlichen Gesprächen, Telefonaten und Aktenvermerken leisten sie eine ganz wesentliche Übersetzungsarbeit. In einem der ersten Gespräche, die ich mit den für das Aktionsprogramm verantwortlichen Mitarbeitern im Haus des Beauftragten für Integration und Migration führe, wird eine dieser Sachbearbeiterinnen, die ich im Folgenden „Frau Friedrich“ nennen möchte, als „gute Seele des Programms“ charakterisiert. Sie ist diejenige, die die jeweiligen Projektverantwortlichen zu „Kennenlerngesprächen“ in die Behörde einlädt und ihnen die Vorstellungen des Beauftragten für Integration und Migration erläutert. Im weiteren Verlauf des Programms ist Frau Friedrich eine der Hauptansprechpartnerinnen für Fragen und Probleme der Projekte, welche sich zumeist mit der Bewilligung und der Umwidmung von Geldern, seltener auch mit inhaltlichen Fragen befassen. 41 Lipsky verwendet in seiner Studie den Begriff der „Klient/innen“ um die Beziehung zwischen Angestellten der Verwaltung und den Antragstellern zu verdeutlichen. Ich ziehe es jedoch vor, im Folgenden von Akteur/innen zu sprechen und den potentiellen Handlungsspielraum dieser Akteur/innen stärker in Betracht zu ziehen.

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Der im Widerspruch zu dieser verantwortungsvollen Tätigkeit stehende relativ niedrige Status der Sachbearbeiterinnen zeigt sich im Fall von Frau Friedrich in ihrer auf die Laufzeit des Aktionsprogramms befristeten Anstellung. Sie gehört nicht zum festen Stamm der Mitarbeiter/innen, sondern ist exklusiv für die im Aktionsprogramm anfallenden Arbeiten aus dem Stellenpool der Stadt Berlin eingestellt und eingelernt worden. Sie rechnet nicht damit, nach der Beendigung des Programms von der Behörde übernommen zu werden.42 Dieser fragile Status innerhalb der Behörde wird darüber hinaus noch durch die Aussagen des zuständigen Abteilungsleiters unterstrichen: Er macht zu Beginn meiner Feldforschung deutlich, dass ich den Aussagen der Sachbearbeiterinnen nicht zu viel Gewicht geben und ihnen nicht eine Entscheidungskompetenz zugestehen solle, die sie nicht haben (Feldtagebuch, April 2008). Kommt es im Projektablauf zu Schwierigkeiten in der Interaktion mit den Projekten, so schalten die Sachbearbeiterinnen häufig ihren nächsten Vorgesetzten ein und delegieren das Problem an diesen weiter. Sie verfolgen damit eine Strategie, auf die auch Lipsky in seiner Studie über „street-level bureaucracy“ verweist: „The problem is kicked upstairs, not to seek expertise but to manage dissent or noncompliance. Thus street-level bureaucracies introduce the ‚pressure specialist‘ to hear and decide on clients who pursue their cases vigorously“ (Lipsky 2003:512).

Die Rolle des „pressure specialist“ im Aktionsprogramms nimmt der direkte Vorgesetzte der Sachbearbeiterinnen ein. Er bezeichnet sich selber mehrfach als „bad guy“, „böser Onkel“ oder „Kontrollinstanz des Ganzen“. Die Einschaltung dieser höheren Kontrollinstanz in schwierigen Fällen erleichtert den Sachbearbeiterinnen das Fortleben einer guten Arbeitsbeziehung zu den Akteur/innen aus den einzelnen Projekten, da sie selber dann nur als Überbringerinnen der „von oben“ angeordneten schlechten Nachrichten fungieren.

42 Im Stellenpool der Stadt Berlin werden sogenannte „Personalüberhangkräfte“ der Berliner Verwaltung gesammelt um dann entsprechend ihrer bisherigen statusrechtlichen Ämter oder ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen an andere offene Arbeitsstellen vermittelt zu werden.

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6.3 K ENNENLERNEN Der erste Kontakt zwischen den für eine Förderung ausgewählten Projekten und der Behörde findet in den Räumlichkeiten des Beauftragten für Integration und Migration statt. Durch eine Einladung aller am Projekt beteiligten Partner/innen zu „Kennenlerngesprächen“ sollen den Projektbeteiligten die verantwortlichen Mitarbeiter/innen des Hauses und „das Haus“ an sich vorgestellt werden (Feldtagebuch, Mai 2008). In diesen Gesprächen stellt Frau Friedrich das Haus des Beauftragten für Integration und Migration als eine an den Alltagsproblemen der Projektumsetzung interessierte und lernbereite Behörde dar und betont mehrfach, dass es sich bei den geförderten Projekten um ein Experimentierfeld handelt und dass jederzeit Abänderungen des ursprünglich eingeschlagenen und beantragten Weges möglich sind. „Das Schöne an diesem Programm ist – wir [die Behörde] und sie [der Projektträger] können experimentieren! Da sind wir frei, [zu fragen] wo ist der Knackpunkt? Man kann nachjustieren, wenn etwas anders läuft als erwartet. Das legen wir dann in Ihre erfahrenen Hände.“ (Frau Friedrich im Kennenlerngespräch)

Die Sachbearbeiterin weist damit den Projekten Kompetenz zu und macht deutlich, dass die Behörde dieses Aktionsprogramm als Lernfeld betrachtet – auch für die eigene behördliche Arbeit. Den Projekten wird im Rahmen dieses Gesprächs die Möglichkeit zur ausführlichen Darstellung ihres Vereins und des von ihnen geplanten Projekts gegeben. Viele der eher kleinen Vereine sehen dies als eine Chance, ihre Vereinsarbeit an einer für die Verteilung von Fördergeldern entscheidenden Stelle vorstellen zu können. Zu Beginn der Förderphase wird somit die Wertschätzung der Vereinsarbeit durch die Behörde, welche explizit auch die Arbeit der Migrantenorganisationen mit einbezieht, zum Ausdruck gebracht. Es wird signalisiert, dass man sich Zeit nimmt für das persönliche Gespräch zwischen Projektverantwortlichen und Behördenmitarbeiter/innen. Als wohltuend positiv wird von den Projekten auch wahrgenommen, dass es innerhalb der Behörde für alle Nachfragen feste Ansprechpartnerinnen gibt, und damit „kurze Wege“ in den bürokratischen Abläufen angestrebt werden.

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6.4 K ONTROLLE

UND

E MPATHIE

Frau Friedrichs Handlungsweisen sind einerseits geprägt durch eine ihr übertragene staatliche Kontrollfunktion, andererseits empfindet sie große Empathie für die von ihr betreuten Projekte und identifiziert sich emotional mit ihnen. Diese Ambivalenz zwischen dem Wunsch zu helfen und der gleichzeitigen Notwendigkeit der Kontrolle bildet ein zentrales Element der Arbeit aller Sachbearbeiterinnen. Sie sind diejenigen Akteurinnen, denen die Aufgabe zufällt das komplexe, widersprüchliche und häufig fragmentarische Wissen, welches die Mitarbeiter/innen der Projekte an sie als Vertreterinnen der Behörde weiterreichen, in Form einer Akte anzulegen und zu formalisieren. Als Sachbearbeiterinnen sind sie darüber hinaus verpflichtet, die korrekte Vergabe und Abrechnung der finanziellen Zuwendungen zu überprüfen. Diese einwandfreie Führung der Akte jedes Projekts beschreibt Frau Friedrich als einen zentralen Vorgang, in welchen sie viel Zeit investiert. Die Kontrolle der Projekte und der damit verbundenen finanziellen Aufwendungen ist eine derjenigen Aufgaben, die für ihre Arbeit höchste Priorität genießen und den größten Teil ihrer Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Von den Projekten fordert sie als Vertreterin der geldgebenden Senatsverwaltung eine sehr zeitintensive Abrechnungs- und Nachweispraxis ein, welche sich an der Verwaltungsrichtlinie des sogenannten Zuwendungsrechts orientiert. Der bürokratische Ablauf sieht eine Überprüfung der Akte auf mehreren Ebenen vor. Dabei wird die Arbeit der jeweiligen Sachbearbeiterin von der sogenannten Rechnungsprüfstelle ebenfalls überprüft. Erst wenn diese Überprüfung ohne Beanstandung abgeschlossen ist, wird die verantwortliche Sachbearbeiterin entlastet. „Ich mach eine Vorprüfung, ob die [Vereine] das richtig berechnet haben, ob die alle Unterlagen richtig gemacht haben und gucke mir bestimmte Teile an. Und wenn ich sehe, da ist ein Fehler drin […] müssen sie das neu machen, eine neue Aufstellung. Und dann hab' ich innerhalb der verschiedenen Verwendungsnachweise auch noch Sachen gefunden, die grob falsch waren, also wo ich gesehen habe, dass da grobe Fehler drin sind! Dann hab ich mit denen gesprochen, gesagt: ‚Das müssten Sie noch mal machen‘. Bis zu dreimal, bis das dann so weit war, dass man das [zur Prüfstelle] weggeben konnte. […] Es gibt kaum eine Akte die ordentlich durchläuft, wo [bei der Prüfstelle] nichts gefunden wird. Aber es gibt natürlich auch Akten, die durchlaufen, also wo nichts gefunden wird, da ist man dann stolz, wenn die dann den Abschluss machen.“ (Interview Frau Friedrich, Sachbearbeiterin)

Da die Prüfstelle als übergeordnetes Kontrollorgan keine Rücksicht auf die „menschlichen“ Faktoren, die die tagtäglichen Entscheidungen in der Arbeit der

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Sachbearbeiterinnen prägen, nehmen kann, besteht die Aufgabe der Sachbearbeiterinnen darin, die an sie übermittelten „Projektwirklichkeiten“ in eine dem Duktus dieser „Akte“ gemäße Sprache zu übersetzen. Jenseits dieser Kontroll- und Übersetzungsfunktion möchte Frau Friedrich den Projekten jedoch einen möglichst reibungslosen und praxistauglichen Ablauf des Projekts ermöglichen. Um auf die komplexe Projektpraxis angemessen reagieren zu können, muss sie daher bestehende Verwaltungsrichtlinien flexibel auslegen. Das in ihrer Position wahrgenommene Aufeinanderprallen von bürokratischen Vorgaben und dem sozialen Leben der Projekte im Aktionsprogramm beschreibt Frau Friedrich, wenn sie meint: „[…]man arbeitet ja mit lebenden Menschen. Und die machen ja nicht wie die Bürokratie will, sondern wie das Projekt läuft.“ (Interview Frau Friedrich, Sachbearbeiterin)

Aufgrund der in dieser Position notwendigen „Kreativität“ im Umgang mit Vorgaben und Richtlinien beklagt eine Sachbearbeiterin, sie tue dauernd Dinge mit denen sie „mit einem Bein im Gefängnis steht“. Einerseits bemüht sie sich demnach auf die Bedürfnisse der Vereinsmitarbeiter/innen so weit als möglich einzugehen, andererseits achtet sie gleichzeitig auf das „Sauberhalten der Akte“ um der Prüfstelle keinen Anlass für Nachprüfungen zu geben. Diese mehrfachen von ihr vorgenommenen Übersetzungsvorgänge, bei denen zwischen einer internen „praxistauglichen“ und einer offiziellen „aktentauglichen“ Version unterschieden werden muss, stellen sich in meinen Augen als ein zentraler Handlungsbereich der Sachbearbeiterinnen dar. Über die sachliche Überprüfung der Unterlagen aus den einzelnen Projekten hinaus entwickelt eine der Sachbearbeiterinnen eine emotionale Beziehung zu den von ihr „betreuten“ Projekten. Für sie ist es ein persönliches Anliegen, die Projekte „vor Ort“ kennen zu lernen, um das dadurch erworbene Wissen in ihrer Schreibtischarbeit einsetzen zu können, auch wenn dies üblicherweise außerhalb der regulären Dienstzeit „zu ungemütlichen Zeiten“ stattfinden muss und ihre Büro-Kollegen und Kolleginnen da normalerweise „nur abwinken“. „Und ich hab ja jedes Projekt auch besucht, nicht nur einmal, manche Projekte hab ich viermal besucht. Das war unterschiedlich. Manchmal um einfach die Ergebnisse kennen zu lernen, manchmal im Prozess. Ja. Und einfach um A) zu sehen und zu hören wie die Veranstaltungen ablaufen und B) um zu reden mit den konkreten Leuten: ‚Haben Sie vor Ort Probleme?‘“.

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Dabei nimmt sie für sich in Anspruch, dass ihr Engagement weit über die Grenzen „des Üblichen“ in der Behörde hinausgeht. Auch ihr direkter Vorgesetzter bescheinigt ihr eine besondere Empathie für die Projekte. Eine Vereinsmitarbeiterin bezeichnet sie sogar als eigentliche „Heldin des Programms“: „Also ich finde – es begeistert mich so sehr wie stark Frau […] sich einsetzt. Also Manuela […] ist wirklich die Heldin des Programms meiner Meinung nach. Wirklich, weil die einfach eine total neugierige Person ist und das gefällt mir sehr. Ich finde das ganz toll, die hat einfach Bock, sich das alles anzugucken und sie müsste das verflixt nicht tun! Die hat Lust darauf zu ‫ތ‬nem Fest zu kommen, auf die Tagung zu kommen, macht sich das jetzt frei. So wie ich das sehe, ist sie so Ҳne Verwaltungsfrau, die eigentlich gar nichts damit zu tun hat, wenn sie nicht wollte. Aber die macht eigentlich genau das, was ich mir – also die hat halt diese – die ist halt neugierig und fragt und fragt und fragt. Die hört halt zu und lässt sich gerne was erklären. Und die freut sich darüber und das ist, was mir gefällt. Anstatt immer zu kommen und zu sage: ‚Ah…‘ – Schon aufzutreten, als wenn man die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte und so zu tun, als wenn man jeden Tag so ein Projekt machen würde.“ (Interview Susanne, Projektkoordinatorin)

Durch ihre emotionale Verbundenheit mit den Menschen, die sich in diesen Projekten engagieren, wird diese Sachbearbeiterin als „untypische“ Verwaltungsfrau wahrgenommen. Sie macht damit etwas, womit bei einer Behörde nicht gerechnet wird: Sie interessiert sich für die Arbeit der Projekte und verwaltet sie nicht ausschließlich. Für einen anderen Informanten ist diese Sachbearbeiterin daher die ideale Besetzung für diesen Beruf: „Frau […] war so die erste sozusagen, der erste Ansprechpartner als wir dann ne E-Mail bekommen haben, dass wir ins Programm aufgenommen worden sind. Da hab ich Frau […] kennen gelernt. Und sie als Mensch hat auch ein großes Herz, sag ich mal. Sie passt exakt in den Beruf, sag ich mal. Mehr kenn‫ ތ‬ich sie auch nicht. Aber wenn von unserer Seite Verständnisprobleme da waren, weil das ja auch ein bisschen neu alles ist, sie hat uns immer geholfen, auch per Telefon, per E-Mail, hat auch ein offenes Ohr gehabt. So ein bisschen.“ (Interview Metin, Projektleiter)

Empathie und gleichzeitige Kontrolle bilden somit das Grundmuster in den alltäglichen Interaktionen zwischen den Sachbearbeiterinnen des Aktionsprogramms und den Akteur/innen in den verschiedenen Berliner Vereinen. Um den Widerspruch, der sich aus diesen zwei Handlungsmustern ergibt, zu überbrücken, nimmt Frau Friedrich beispielsweise die Rolle einer strengen, aber gleich-

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zeitig auch liebevollen, empathischen Mutter gegenüber den Projekten ein und beschreibt sich in dieser Rolle folgendermaßen: „Ich war mehr oder minder die große Mutti für alle. Weil Projekte sich doch da – ich sag mal, wie die Arbeit gerade lief. Ich sag dann: ‚Ihr könnt doch nicht einfach so drauf los arbeiten! Ihr müsst doch auch ein paar Dinge einhalten! Das sind Steuergelder und das geht dann – nicht nur hier wird geprüft, da findet eine Vorprüfung statt, sondern die Akten gehen dann noch zur Prüfstelle. Und dann nachher kann es sein, dass der Rechnungshof kommt!‘ Ja, und wir wollen natürlich alle ordentlich arbeiten. Dass keine Beanstandungen sind. Denn Regress gemacht wird der einzelnen Mitarbeiter. Also ich.“ (Interview Frau Friedrich, Sachbearbeiterin)

Wie an dieser Aussage deutlich wird, ist das emotionale Engagement der Sachbearbeiterin, die sich „kümmert“ eng verknüpft mit der Sorge vor Beanstandungen ihrer eigenen Arbeit. Je besser sie die Projekte in das Regelwerk des Zuwendungsrechts einweist und je enger sie mit den Verwaltungsrichtlinien konform geht, desto besser wird ihre eigene Arbeit als Sachbearbeiterin bewertet. Die grundsätzliche Verpflichtung, verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen, versucht sie daher den Projekten immer wieder nahe zu bringen. Ihre Rolle als „Mutti für alle“ führt aber auch dazu, dass man es ihr von Projektseite aus „Recht machen will“. Es kann daher auch als eine Strategie der Vereinsmitarbeiter/innen angesehen werden, den Anweisungen der Sachbearbeiterin zu folgen, damit sie zufrieden ist, ohne unbedingt auch inhaltlich mit ihr überein zu stimmen. Selbstironisch nimmt sie selber diese Tendenzen wahr und kommentiert sie im Gespräch: „Deswegen hab‫ ތ‬ich auch immer gesagt: ‚Ich mach‫ ތ‬das und ich mach‫ ތ‬das für die Leute‘. Und die waren da auch immer sehr dankbar, muss ich sagen. Und die haben dann nachher zum Schluss schon immer ‚ja Mutti‘ gesagt. [lacht schallend] Und manchmal hab ich auch geschimpft! ‚Ja Mutti…‘ [sie imitiert einen genervten Tonfall] Na ja, das war dann aber Spaß, da haben wir beide gelacht. Ich bin da ja nicht so übelnehmerisch. Das war wie im Kindergarten.“ (Interview Frau Friedrich, Sachbearbeiterin)

Frau Friedrich fällt als neugierige, emotional beteiligte und über die Bürozeiten hinaus engagierte Sachbearbeiterin „aus der Rolle“ und stellt sich quer zu den „üblichen“ Verfahrensabläufen. Ihre Sonderrolle in der Behörde gibt ihr den dafür notwendigen Spielraum. Durch ihre Emotionalität und Empathie übernimmt die Sachbearbeiterin unbewusst in gewisser Weise die durch den Integrationsbeauftragten in seiner Selbstpositionierung zurückgewiesene Rolle eines Ombuds-

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mannes bzw. einer Ombudsfrau, die sich um „ihre“ Projekte kümmert, ohne allerdings in der Position zu sein auch für „ihre“ Projekte eintreten zu können. Dies wird von einigen Programmteilnehmer/innen geschätzt und manifestiert sich darin, dass sie als „Heldin des Programms“ charakterisiert wird. Andere Programmteilnehmer/innen kritisieren hingegen die in ihren Augen damit verbundene „Unprofessionalität“ und lehnen die emotionale Herangehensweise der Sachbearbeiterin ab.

6.5 D ER E RMESSENSSPIELRAUM Die Sachbearbeiterinnen des Berliner Aktionsprogramms müssen häufig ad-hoc Entscheidungen treffen, die für die von ihrer Entscheidung abhängigen Akteur/innen in den Projekten von großer Bedeutung sein können. Häufig geht es hierbei um die Bewilligung von Geldern, die für die persönliche Lebenssituation der Beteiligten folgenschwer sind. Typisch ist, dass dabei nicht immer eine einfache Übereinstimmung der staatlichen Richtlinien mit der komplexen Lebensrealität hergestellt werden kann. Ein hierfür notwendiger Ermessensspielraum ist daher charakteristisch für viele Stellen des öffentlichen Dienstes, da deren Aufgabe überwiegend in der menschlichen Interaktion besteht und ein flexibles Instrument bei der Auslegung der starren Verwaltungsrichtlinien benötigt wird (Lipsky 2003:507). Im Folgenden soll an einem im Verlauf des Aktionsprogramms immer wieder auftretenden Konflikt der „Bewirtung“ der Ermessensspielraum und die diesbezüglichen Interaktionen zwischen den Sachbearbeiterinnen und den Projektleiter/innen dargelegt werden. Dabei geht es vordergründig um die Bewilligung von Geldern. Als zentrales Problem stellt sich für die Sachbearbeiterinnen und allen am Programm beteiligten Projekte dar, dass, laut Zuwendungsrecht, eine „Bewirtung“ innerhalb des Projekts nicht aus Fördermitteln des Integrationsbeauftragten bezahlt werden darf. Gleichzeitig ist eine irgendwie geartete „Bewirtung“, sei es das Angebot von Getränken, die Finanzierung eines Büffets zu einer Vernissage, das Bereitstellen von Obst in der Pause des Männerkurses oder das Gespräch über einer Tasse Tee, „Projektnormalität“. Die Erleichterung von Kommunikation über das Medium des Essens bildet einen nicht unbedeutenden Anteil innerhalb des angestrebten niedrigschwelligen Zugangs der Projekte und ist ein wichtiges Element zur Förderung des sozialen Miteinanders. Aufgrund der bestehenden und auch immer wieder durch die Sachbearbeiterinnen angeführten Verwaltungsrichtlinien, nach denen eine Bewirtung „nicht abrechnungsfähig“ sei, ergibt sich ein permanenter Konflikt um dieses Thema. Da-

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bei lehnt eine Sachbearbeiterin zunächst pauschal die Notwendigkeit einer Bewirtung für den Erfolg der Projekte ab. In einem Einzelfall zeigt sich jedoch, dass sie sehr wohl über einen Ermessensspielraum verfügt. „Bewirtung ist ein im Zuwendungsrecht nicht zulässiger Punkt. Denn es ist nicht dringend notwendig für ein Projekt, dass eine Bewirtung der Jugendlichen stattfindet. Im normalen Leben muss sich auch jeder seinen Kaffee und sein Stück Kuchen selber kaufen, oder ‫ތ‬nen Keks, oder was er will. Also von daher ist die Bewirtung in diesen Projekten nicht zwingend notwendig und deswegen ist sie auch nicht zuwendungsfähig und da gab‫ތ‬s eigentlich immer ein Hin und Her. Also da musste ich darauf hinweisen, wenn mir das aufgefallen ist. Oder wir haben dann mit dem Projekt gesprochen, weil die gesagt haben: ‚Es ist ganz dringend‘. Dann haben die einen schriftlichen Antrag gestellt und geschrieben: ‚Das ist ganz dringend‘. Warum? Um z.B. Zugang zu Jugendlichen zu bekommen. Wenn die dann mal einen Burger essen gegangen sind, hab ich gefragt, ob es denn unbedingt ein Burger sein muss. Ja, da waren die [Jugendlichen] dann in dem Projekt ganz stolz da drauf, dass sie mit ihrem Coach ‫ތ‬nen Burger essen waren und konnten das dann in ihrer Runde erzählen. Und während des Essens öffneten sie sich dann auch bestimmten Problemen und haben dann auch mal von sich und der Familie erzählt, wo es denn eigentlich ein stückweit hapert. Denn das waren ja Jugendliche, die schwer zugänglich und auch verhaltensauffällig waren. Und die setzen sich nicht an einen Tisch und erzählen. Da muss man den Zugang finden. Und in diesem Fall hab‫ ތ‬ich dann im Nachhinein die Bewirtung genehmigt. Das sind Ermessensfragen des Sachbearbeiters. Nicht nachträglich das Recht zu beugen, sondern im Verlauf des Programms anstehende Fragen so zu regeln, dass sie dem Projekt dann gemäß werden. So.“

Die Argumentation dieser Sachbearbeiterin bezieht sich dabei zunächst auf das Regelwerk des Zuwendungsrechts. Dieses Regelwerk begründet sie mit den im „normalen Leben“ vorherrschenden Regeln, die im „Projektleben“ ebenso ihre Gültigkeit haben müssen. Grundsätzlich betrachtet sie damit „Bewirtung“ als nicht zwingend notwendig für das Projekt. Erst wenn die jeweilige Projektleitung einen schriftlichen Antrag stellt, indem sie die Notwendigkeit einer Bewirtung für die Sachbearbeiterin und alle weiteren Kontrollinstanzen nachvollziehbar begründet, ist sie in der Lage, ihren Ermessensspielraum auszunutzen und eine Bewirtung zu genehmigen. Diese formale Anfrage ermöglicht der Sachbearbeiterin die Übersetzung des nicht im Regelwerk des Zuwendungsrechts vorgesehenen Vorganges in die Sprache der Verwaltung. Bezeichnenderweise wird jedoch nicht jedes Projekt, das mit diesem Problem kämpft, darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit besteht einen schriftlichen Antrag mit Begründung der „Sonderausgaben“ zu stellen. Wem die Sachbearbei-

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terin diesen Hinweis gibt und wem nicht liegt in ihrer freien Entscheidung, denn nicht immer ist sie bereit, diesen Ermessensspielraum offen zu legen. „Zum Beispiel, da waren auch diese unverbesserlichen Frauen hier vom Verein XXY. Ich hab denen das 10mal gesagt: ‚Ihr könnt keine Bewirtung da bei eurem Fachtag machen‘. Dann ham se‫ތ‬s doch gemacht. Ham se‫ތ‬s mit in den Verwendungsnachweis genommen. Dann ich: ‚Frauen, ihr habt das nicht beantragt, wir haben 10mal drüber gesprochen‘. Während der Veranstaltung hab ich das gesagt: ‚Ihr müsstet Geld einsammeln, wenigstens ‫ތ‬ne kleine Spende‘. Ham se nicht gemacht. Ich musste ihnen das raus streichen! Sie hatten es nicht beantragt, ich hatte es nicht genehmigt und einfach dann am Schluss zu sagen: ‚Da ist die Rechnung‘ – Das geht ja nicht! Da war dann großes Gejaule. Hab‫ ތ‬ich gesagt: ‚Das müsst ihr jetzt aus der Vereinskasse nehmen, weil da ham‫ ތ‬wir ja nun zig-mal drüber gesprochen‘. Da war‫ތ‬n se dann bockig. Ich kann‫ތ‬s dann aber auch nicht ändern. Gut.“

Mit ihrer Aussage „ich kannҲs dann aber auch nicht ändern“ unterstreicht die Sachbearbeiterin hier, dass sie Verwaltungsrichtlinien folgt und keine Abweichung von diesen Regeln möglich ist. Ihre persönliche Einstellung gegenüber den „unverbesserlichen Frauen“ macht deutlich, dass sie in diesem Fall nicht bereit ist, ihren Ermessensspielraum offen zu legen. Der Ermessensspielraum ermöglicht es somit den Sachbearbeiterinnen, ihre persönlichen Sichtweisen einzuführen, was, wie am obigen Fall aufgezeigt, zu einem parteiischen Verhalten führen kann. Persönliche Sympathien und Antipathien können das Miteinander zwischen Sachbearbeiter/in und Projektleiter/innen prägen und schlagen sich in der Anwendung des Ermessensspielraumes nieder (Lipsky 2003:510). Eine Sachbearbeiterin spricht offen davon, dass sie bestimmte Projekte besonders förderungswürdig findet und diesen daher besonders „unter die Arme greift“. Dies erklärt sie – neben inhaltlichen Begründungen – auch mit persönlichen Sympathien. „Jetzt kommt mein Liebling. Ich sag‫ ތ‬mal so – der hat den Knigge von vorne bis hinten auswendig gelernt, das ist ein junger Mann und sooo höflich! […] Ich werde da meine Hand draufhalten“ (Feldtagebuch, Vorstellungsgespräch in der Behörde, Juni 2008)

Der Spielraum den die Sachbearbeiterinnen bei der Auslegung des Zuwendungsrechts haben ermöglicht es ihnen, enge bürokratische Vorgaben in die vielgestaltige Praxis zu übersetzen. Dabei tritt eine bestehende Machtasymmetrie zwischen ihnen als Vertreterinnen der Behörde und den empfangenden Projekten deutlich zu Tage. Als Sachbearbeiterin können sie die jeweiligen Interaktionssituationen nach ihrem Willen definieren und darüber bestimmen, wann sie bereit

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sind, ihren Ermessensspielraum zu aktivieren. Auch liegt es in ihrer Macht, die mit ihrem Verständnis nicht konformen Handlungen und Argumentationsweisen der Projektleiter/innen zu sanktionieren, indem sie beispielsweise der Umwidmung von Geldern nicht zustimmen. Im Gegensatz zu den Projektleiter/innen, welche Ihre Anliegen ausführlich begründen müssen, stehen die Sachbearbeiterinnen als Vertreterinnen der Behörde bei diesen Entscheidungen nicht unter Rechtfertigungsdruck. Auch wenn die Akteur/innen aus den Projekten sich ihre Ansprechpartner/innen in der Behörde nicht aussuchen können, entwickeln sie im Verlauf der „Arbeitsbeziehung“ eine persönliche Beziehung zu „ihrer Sachbearbeiterin“, die bestimmte Handlungsstrategien umfasst und es ihnen mit mehr oder weniger Erfolg ermöglicht, ihre Interessen durchzusetzen. So lassen sich am Beispiel der „Bewirtung“ verschiedene Strategien beobachten, durch die die zivilgesellschaftlichen Akteure und Akteurinnen entweder versuchen, den Ermessensspielraum der Sachbearbeiterin zu aktivieren oder die Regularien des Zuwendungsrechts kreativ für ihre eigenen Interessen auszulegen. Eine Möglichkeit besteht darin, direkte Überzeugungsarbeit zu leisten. In persönlichen Treffen oder wiederholten Telefonaten wird der zuständigen Sachbearbeiterin der Fall dargelegt und mit überzeugenden Argumenten darum gerungen, dass die Übernahme der „Bewirtungskosten“ zum genuinen Ziel des Projekts beiträgt. Dies ist allerdings nur erfolgreich, wenn die persönliche Sympathie der Sachbearbeiterin erworben werden kann. Die Strategie, offensiv das Recht einzufordern, Bewirtung als essentiellen Teil des Projekts anerkannt zu bekommen hat hingegen weitaus weniger Erfolg. Eine weitere von mir beobachtete Strategie beruht auf dem Umgehen der Problematik. Auch hier wird grundsätzlich die Notwendigkeit einer Bewirtung im Rahmen der Arbeit gesehen, der Projektleiter entscheidet sich jedoch in einem konkreten Fall gegen eine direkte Beantragung der Übernahme der Kosten, da ihm die damit verbundenen Aushandlungen zu anstrengend erscheinen. Stattdessen wird die Bewirtung über auf anderen Wegen gewonnene Mittel beglichen, mir gegenüber jedoch auf die Absurdität dieses „Bewirtungsverbotes“ und die sich darin manifestierende Realitätsferne der Behörde verwiesen. Die widersprüchliche Argumentation der Sachbearbeiterinnen in Bezug auf „Bewirtung“ in den Projekten wird dadurch verdeutlicht, dass zu den offiziellen Programmtreffen, die von der Behörde ausgerichtet werden, Kaffee und Gebäck als selbstverständlicher Bestandteil angeboten werden. Die hier gepflegten Normen der „Kaffeepause“, die die Aufgabe hat informelle Kontaktaufnahmen und Aussprachen zu erleichtern, werden dabei nicht in Frage gestellt. Es scheint so, als wenn die Treffen in der Behörde und die Treffen in den Projekten in unter-

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schiedlichen Wirklichkeiten verortet und in der Folge unterschiedlichen Regularien unterworfen werden.

6.6 K OMMUNIKATIONSLÜCKEN Im deutlichen Widerspruch zu dem persönlichem Engagement der Sachbearbeiterinnen steht die Art und Weise, in der auf den Netzwerktreffen von behördlicher Seite aus mit den Projekten kommuniziert wird. Im praktischen Umgang mit den geförderten Projekten zeigen die Behördenmitarbeiter/innen hier häufig eine große Ungeduld und eine gewisse Unnahbarkeit. Irritiert stelle ich fest, dass auf den Netzwerktreffen des Aktionsprogramms oftmals eine an den Inhalten der Projektarbeit desinteressierte Einstellung zu überwiegen scheint. Projektmitarbeiter/innen werden auf den Treffen häufig in ihren Ausführungen unterbrochen, oder kommen, mit Verweis auf die Zeit, nur eingeschränkt zu Wort (siehe Kapitel 2.5) Diese Einstellung wird von einigen Vereinsmitarbeiter/innen als herablassend wahrgenommen. Wie sich an diesen Veranstaltungen deutlich zeigt, lassen sich die „chaotische Praxis“ und der vielstimmige Chor der Projektverantwortlichen nicht ohne Probleme mit den Vorstellungen der „Macher“ dieses Programms in Einklang bringen. Auffällig ist, dass die im Projektalltag hauptverantwortliche Ansprechpartnerinnen der Projekte, die Sachbearbeiterinnen, an diesen Veranstaltungen keinerlei Rederecht haben, sondern dieses ausschließlich dem diensthöchsten Vertreter der Behörde und – in den Fällen ihrer Anwesenheit – der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, sowie der Evaluatorin des Programms zukommt. Die Anerkennung der durch die Vereine geleisteten Arbeit, welche in den Kennenlerngesprächen und den Reden der Verantwortlichen hervorgehoben wird, kommt auf diesen Veranstaltungen nicht überzeugend zum Ausdruck. Deutlich wird: das inhaltliche Interesse an der auf diesen Veranstaltungen vorgestellten konkreten Vereinsarbeit ist sehr beschränkt. Auffallend ist, dass der Beauftragte für Integration und Migration an keiner der Veranstaltungen für die gesamte Dauer des Programms anwesend ist, sondern in der Regel nach seiner einleitenden Rede die Veranstaltungen verlässt. Für die Projekte ergibt sich somit keine Möglichkeit, den Integrationsbeauftragten im informellen Gespräch „bei einer Tasse Kaffee“ direkt anzusprechen. Der Integrationsbeauftragte vermeidet es durch sein Verhalten, in die Rolle eines Ombudsmannes oder eines Fürsprechers für die Belange der Projekte gedrängt zu werden. Auf Seiten der Projekte löst dies allerdings beträchtliche Irritationen aus. Die hieran deutlich werdende Kommunikationslücke zwischen dem Berliner Integrationsbeauftragten und den

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Akteur/innen aus der integrationspolitischen Praxis wird auch in anderen Zusammenhängen kritisch hervorgehoben. So fasst Sabine Beikler im Berliner Tagesspiegel die Kritik an der fehlenden Präsenz Pienings anlässlich der fünfjährigen Amtszeit des Berliner Integrationsbeauftragten zusammen (Tagesspiegel vom 01.06.2008). Sie stellt dabei heraus, dass Piening aus dem Umfeld der Berliner Integrationspolitik mehr als Verwalter denn als Gestalter wahrgenommen wird. Dies widerspricht der weiter oben ausgeführten Selbstpositionierung des Integrationsbeauftragten als Gestalter von Integrationspolitik. Auch aufgrund des in der Wahrnehmung vieler Akteur/innen fehlenden „direkten Drahtes“ kommt der Rolle der Sachbearbeiterinnen des Aktionsprogramms eine relativ große Bedeutung zu. Durch ihre Empathie, aber auch dadurch, dass sie Unsicherheiten und Fehler gegenüber den Projekten offen eingesteht stellt beispielsweise Frau Friedrich für viele Akteur/innen das „menschliche“ Gesicht der Behörde dar. „Die ist persönlich absolut in Ordnung, gibt auch mal durch, sie versteht das nicht, was von oben kommt und das ist auch nicht zu verstehen.“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator)

Durch das Eingeständnis der Sachbearbeiterin, die von ihr gemachten Vorgaben selber nicht immer nachvollziehen zu können, stellt sie sich auf eine Ebene mit den, durch die bürokratischen Vorgaben häufig überforderten Projekte. Dieses menschliche Eingeständnis der Sachbearbeiterin führt in der Folge jedoch auch dazu, dass die Autorität der Behörde in gewisser Weise untergraben wird und die Autonomie der Akteur/innen in den Vereinen zunimmt. In den Projekten wird teilweise deutliche Kritik an dem bürokratischen Aufwand für die Projektförderung geäußert: „Das sind unfassbare Bürokraten, die nicht akzeptieren wollen, dass das aus ihrer Sicht sicherlich nachvollziehbare Ansinnen [für die Projekte] zu einem Aufwand führt, der einfach unrealistisch ist. Man schreibt dann halt irgendwas. Und im Nachhinein muss man sich dann was ausdenken, warum das nicht so war. Das entspricht einfach nicht der Realität, was da zum Teil gefordert wird.“

An der Interaktion der Sachbearbeiterinnen mit den Projekten des Aktionsprogramms lässt sich veranschaulichen, welche Übersetzungsmechanismen sowohl von den Sachbearbeiterinnen, als auch von den Projektmitarbeiter/innen aktiviert werden, um die unterschiedlichen an dieser Schnittstelle aufeinandertreffenden „Wirklichkeiten“ aufeinander abzustimmen und das Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ am Laufen zu halten. Anhand meiner Ausfüh-

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rungen zur Rolle der Sachbearbeiterinnen lässt sich aufzeigen, dass weder die Sachbearbeiterinnen 1:1 Übermittlerinnen der behördlichen Vorgaben sind, noch dass diejenigen, die im Rahmen dieses Programms gefördert werden, passive Rezipienten einer staatlichen Förderpolitik sind. Vielmehr stellen die Aushandlungspraktiken, welche die offiziellen Politiken unterwandern und verändern einen ganz entscheidenden Mechanismus dar. Im Sinne einer anthropology of policy lässt sich gerade anhand solcher Praktiken erfassen, wie Politiken ausgestaltet werden. Betrachtet man das soziale Leben der hier im Zentrum stehenden Politik aus der Perspektive der Verwaltung, treten die latenten Spannungen, die sich aus der Doppelfunktion des Integrationsbeauftragten als politischer Gestalter und gleichzeitig mit der Umsetzung betrauter Verwalter ergeben, deutlich hervor. Da die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses vergleichsweise schnelle Erfolge vorweisen müssen und die „neuen Wege“ der Berliner Integrationspolitik im politischen Feld installiert sehen wollen, sind sie in erster Linie an einer zügigen Implementierung des Aktionsprogramms interessiert. Der Integrationsbeauftragte und seine Referenten wiederrum verfolgen eine andere Zielsetzung. Ihnen geht es vielmehr um eine grundsätzliche Wandlung der Vorstellungen, die hinter dem „Integrations“-Begriff stehen. Die verantwortlichen Konzeptentwickler machen deutlich, dass die Idee eines befristeten Aktionsprogramms durch das Abgeordnetenhaus an sie herangetragen wurde. Sie kamen dazu „wie die Jungfrau zum Kinde“, wie ein Mitarbeiter ironisch feststellt. Vor diesem Hintergrund betonen die Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten mir gegenüber, dass sie das Aktionsprogramm nicht als höchste Priorität in ihrer Arbeit betrachten, sondern es vielmehr als notwendiges Übel eines politischen Betriebs ansehen, dem sie sich als Verwaltung unterordnen müssen. Die Mitarbeiter/innen der Verwaltung fungieren demnach als Befehlsempfänger/innen aus dem politischen Feld und sind damit ebenfalls in Hierarchien eingebunden. Grundsätzlich ist der Freiraum, den sie bei der Entwicklung spezifischer politischer Konzepte haben ist in hohen Maße abhängig von der personellen und parteipolitischen Besetzung der jeweiligen (Senatoren- bzw. Minister-)Posten im politischen Feld. Darüber hinaus spielt jedoch auch die Geschicklichkeit der Akteur/innen und ein hohes strategisches Wissen über den Ablauf politischer Prozesse eine Rolle, ob und wann ein spezifisches Wissen in diese Prozesse eingebracht werden kann oder nicht. Im Fall des hier untersuchten Aktionsprogramms erhalten die Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten aus dem Haus der Senatorin den Auftrag, dieses Integrationsprogramm zu entwerfen. Damit ergibt sich eine der eher seltenen Chancen, eigene integrationspo-

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litische Ideen in das politische Feld hineinzutragen und auch umsetzen zu können. Die Realisierung dieser integrationspolitischen Ideen ist dann jedoch wiederum eingebunden in die Logik des politischen Feldes. Daraus ergibt sich ein Widerspruch in der Interessenslage der Mitarbeiter/innen. Dieser Widerspruch in der Interessenlage bietet eine Erklärung für die Unzufriedenheit der Verwaltungsmitarbeiter/innen mit dem Aktionsprogramm an sich. Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Erstens gefährdet eine mangelhafte praktische Umsetzung des von ihnen entwickelten Programmes die grundsätzliche Idee des „neuen Weges“ in der Integrationspolitik und macht diese angreifbar durch die politische Opposition im Abgeordnetenhaus. Daher appelliert der zuständige Referatsleiter auf einem Netzwerktreffen in eindringlichen Worten an die Projekte, die Ihnen gebotene „Chance“ im Rahmen des Aktionsprogramms auch zu nutzen (siehe Kapitel 2). Zweitens ist den Behördenmitarbeiter/innen durchaus bewusst, dass sich die von ihnen angestrebten Veränderungsprozesse nur schwer in einem auf kurzfristige Erfolge ausgerichteten „Aktions“-Programm verwirklichen lassen, sondern mehr Zeit benötigen. Im Grunde widerspricht die Umsetzung eines solchen zeitlich befristeten Programms der durch den Integrationsbeauftragten vertretenen Auffassung einer nachhaltigen Integrationspolitik. Bei der Umsetzung der integrationspolitischen Ideen des „neuen Weges“ im Rahmen eines sowohl finanziell, als auch zeitlich befristeten Aktionsprogramms zeigt sich bald, wie zwiespältig und konfliktbeladen der Prozess der Umsetzung sein kann. Es besteht die Gefahr, dass durch die Komplexität und Widersprüchlichkeiten des Projektalltages die innovativen integrationspolitischen Ziele überdeckt werden. Den Repräsentationsstrategien, die dazu dienen, das Aktionsprogramm gegenüber Politik und Öffentlichkeit in das richtige Licht zu rücken und die eigentlichen Ziele der integrationspolitischen Intervention herauszuarbeiten kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Statt den Verschiebungen in der Übersetzung der integrationspolitischen Zielvorgaben nachzugehen und die Schwierigkeiten in der Programmumsetzung öffentlich zu thematisieren wird von den Behördenmitarbeitern in meinen Augen zunehmend die Strategie verfolgt, möglichst wenig öffentliche Aufmerksamkeit auf das Programm zu lenken und Gras über die Sache wachsen zu lassen. Zwar wird die Evaluationsschrift des Aktionsprogramms unter der Rubrik „Publikationen“ auf der Homepage des Integrationsbeauftragten geführt. Anders als alle anderen Berichte ist der Evaluationsbericht des Aktionsprogramms 2008/09 jedoch nicht als pdf-download verfügbar und entzieht sich damit dem direkten Zugriff eines interessierten Lesers. 43 Im 43 Siehe http://www.berlin.de/lb/intmig/publikationen/dokus/index.html (Zuletzt aufgerufen am 05.11.2012). An dieser Stelle sollte ich darauf hinweisen, dass der Evaluati-

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Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wird dieser Evaluationsbericht am 1.12.2010 nach kurzer Debatte „zur Kenntnis genommen“. Der inhaltlich dafür zuständige Fachausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales vertagt hingegen die Aussprache über das Aktionsprogramm über mehrere Sitzungen bis nach der Wahl einer neuen Landesregierung im September 2011. Aufgrund der unter der neuen rot-schwarzen Koalition gesetzten Schwerpunkte in der neuen Wahlperiode gerät die noch ausstehende Aussprache in Vergessenheit.44 Auffällig ist, dass in Günther Pienings Rückblick auf 9 Jahre Amtszeit als Berliner Integrationsbeauftragter das Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ mit keinem Wort erwähnt wird (IntMig 2012). Soweit ich das aus meiner Warte als Beobachterin beurteilen kann, wird darüber hinaus auch innerhalb der Behörde kein aktiver Diskussionsprozess angestoßen. Die Mitarbeiter/innen scheinen eher froh zu sein, „dass es vorbei ist“, anstatt auf einen diskussionsfreudigen Wissenstransfer zu setzen und die Umsetzungsprobleme zum Anlass zu nehmen, die eigene Arbeit und Strukturen zu hinterfragen. Dabei zeigt sich auch, dass die interne Hierarchie diesem Wissenstransfer gegenüber hinderlich ist. Diese Distanz zwischen den mit der Umsetzung des Programms befassten Verwaltungsmitarbeiter/innen und den inhaltlich für dieses Programm verantwortlichen Referenten sowie dem Beauftragten für Integration wird von einer Sachbearbeiterin dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie von den „Herren da oben“ oder den „älteren Herren“ spricht, wenn sie sich auf die Konzeptentwickler bezieht.

onsbericht des ersten, als „erfolgreich“ bezeichneten Aktionsprogramms mit dem gleichen Namen sehr wohl als Dokument öffentlich zugänglich ist. Da hier konkrete Jahresangaben fehlen kann es jedoch leicht zu Verwechslungen zwischen diesen zwei inhaltlich unterschiedlich ausgerichteten und unterschiedlich bewerteten Programmen kommen. 44 Der Evaluationsbericht des Aktionsprogramms wird als Vorgang 1130A in der Sitzung des Hauptausschusses am 1.12.2010 vorrangig unter finanziellen Gesichtspunkten debattiert. Im für die inhaltlichen Punkte zuständigen Fachausschuss wird sowohl der Vorgang 0356: Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs „Ergebnisse der Evaluation der Integrationsprojekte und des zweiten Aktionsprogramms“ (auf Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion) (Abgeordnetenhaus 2009b) als auch Vorgang Nr. 0348: Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs „Integrationserfolge durch Tandemprojekte? – Ergebnisse der Evaluation“ (auf Antrag der Fraktion der CDU) (Abgeordnetenhaus 2009a) „aus Zeitgründen ohne Aussprache vertagt“.

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Feldtagebuch, Januar 2010 „Frau […] hat nicht das Gefühl, dass die ‚Herren da oben‘ sich für ihre Arbeit interessieren. Die hätten eh ihre festgefahrene Meinung und würden sich ihre eigene Meinung und ihre Erfahrung aus den Projekten gar nicht anhören wollen. Es sei auch kein Interesse daran zu spüren, dass sie ihre praktischen Erfahrungen mit der Tandemzusammenarbeit in der Behörde weitergeben würde“. (Diskussions-)Raum und Zeit für einen Wissenstransfer zwischen den einzelnen Akteur/innen innerhalb der Behörde ist offensichtlich nicht vorgesehen, ein Zustand, den auch die externe Evaluatorin des Programmes im Interview mir gegenüber kritisiert. Auch wenn es offensichtlich ist, dass es innerhalb der Übersetzung integrationspolitischer Konzepte mehrfach zu Verschiebungen kommt und solche Verschiebungen zu einer Unzufriedenheit bei den Konzeptentwicklern führen, findet eine nähere Beschäftigung mit diesen Verschiebungen nicht ausreichend statt. Auf die Frage, warum innerhalb der Behörde und innerhalb des politischen Feldes dem Wissenstransfer zwischen den einzelnen Bereichen eine so geringe Bedeutung beigemessen wird, wird im Zusammenhang mit Fragen der Repräsentation noch weiter diskutiert werden. Zunächst werde ich am Beispiel des für das Aktionsprogramm zentralen Konzeptes der „interkulturellen Öffnung“ im kommenden Kapitel weitere Übersetzungsleistungen der hieran beteiligten Akteur/innen herausarbeiten.

7. Übersetzung II: Interkulturelle Öffnung

Mit der Konzeption des Berliner Aktionsprogramms wird das politische Ziel verfolgt, eine Verschiebung der Macht- und Dominanzstrukturen im Bereich der Sozialen (Jugend-)arbeit Berlins anzuregen und Migrantenorganisationen verstärkt als Expert/innen in diese Strukturen einzubinden. Einer kritisch-pluralistischen Ausdeutung von Interkulturalität kommt somit in der Praxis des Aktionsprogramms eine zentrale Funktion zu. Anhand des Konzeptes der „Interkulturalität“ lassen sich die Bestrebungen verdeutlichen, verschiedene Positionen, Interessen, Diskurse und Akteur/innen innerhalb der politischen Assemblage miteinander zu verbinden. Den Prozessen des „Assembling“, bzw. der Frage, wie sich die verschiedenen Komponenten zusammenfügen, werde ich in diesem Kapitel am Beispiel der „Interkulturellen Öffnung“ innerhalb des Berliner Aktionsprogramms weiter nachgehen. Auffällig ist dabei zunächst, dass das Ziel der Verschiebung von Machtstrukturen in der Programmausschreibung nicht öffentlich genannt wird. Zu groß scheinen die Befürchtungen zu sein, dadurch die Unterstützung der etablierten Träger für diesen Prozess zu verlieren. Die Deutungsoffenheit des Begriffes Interkulturalität eröffnet hier jedoch die Möglichkeit, politische Praktiken durchzusetzen, ohne sie explizit beim Namen nennen zu müssen.

7.1 D AS „T ANDEM “

ALS

R EGIERUNGSTECHNIK

Diejenigen Mitarbeiter/innen der Behörde, die das Konzept des Aktionsprogramms verantworten, verweisen zu Beginn meiner Forschung auf eine generelle Unzufriedenheit der Behörde mit der bestehenden Situation in der sozialen Jugendarbeit in Berlin. Die Problematik der schwierigen Zusammenarbeit zwischen institutionalisierten Trägern der Berliner Jugendhilfe und Migranten(selbst)organisationen stellen sie in das Zentrum ihrer Überlegungen bei der

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Konzeptentwicklung des 2. Berliner Aktionsprogramms. Um der Problematik eines hier diagnostizierten Gegen- bzw. Nebeneinanders entgegen zu wirken entwickeln sie das politische Instrument der Tandempartnerschaft und sehen dieses als adäquates politisches Mittel, um interkulturelle Öffnung anzustoßen, bestehende Strukturen aufzubrechen und neu zu mischen. Durch die politische Verordnung einer Tandempartnerschaft „von oben“ soll ein Wandlungsprozess bei den Trägern eingeleitet werden. Insbesondere die Einstellung der großen institutionalisierten Träger wird kritisiert: Sie werden in verschiedenen Interviews als „Walfisch“, „Ozeanriesen“ oder „schwere Dampfer“ charakterisiert, denen allein durch ihre Größe eine gewisse Unbeweglichkeit im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen innewohnt. Durch das Aktionsprogramm sollen daher die notwendigen Anpassungen dieser Institutionen an veränderte gesellschaftliche Gegebenheiten angeregt werden. „Das will ich doch gerade, dass wir Institutionen lernen. Die, wie ich finde, trägen Jugendhilfeorganisationen können nur über praktische Kooperationen, die teilweise auch offensiv verlaufen, institutionell lernen. Das ist ja gerade gewollt gewesen. Das ist ein träger Tanker, den muss man in Fahrt bringen.“ (Interview Herr Müller, Behördenmitarbeiter)

Die politische Maßnahme der Tandem-Partnerschaften greift damit das durch den Berliner Landesbeirat für Migration angeregte kritisch-pluralistische Verständnis von Interkulturalität als Strukturelement auf, um institutionelle Veränderungen in der Einwanderungsgesellschaft zu erreichen und bestehende Machthierarchien zu reflektieren (siehe Kapitel 5.3). Mit der Politik des Berliner Senats sollen, um Inklusion zu bewirken, also zunächst die Mechanismen der Exklusion ausgehebelt werden. Mit Hilfe des politischen Instrumentes der interkulturellen Öffnung wird angestrebt, Mechanismen der Exklusion, die eine Partizipation der Migranten(selbst)organisationen an der Förderpolitik und damit deren Teilhabe an der Gesellschaft bislang grundlegend einschränken, aufzuheben. Der Appell einer Anpassung an bestehende gesellschaftliche Umstände wendet sich in diesem Fall nicht in erster Linie an die Migrantenorganisationen, sondern an diejenigen Einrichtungen und Institutionen der Mehrheitsgesellschaft, die „sich schwer tun, sich allen Gruppen zu öffnen“ (IntMig 2010a:13). „Das wichtigste für mich war natürlich, dass die bewährten Institutionen in der Jugendarbeit nicht mehr nur im eigenen Saft schmoren, sondern dass die sich auch mit Vertretungen der ethnischen Communities in Berlin auseinanderzusetzen haben und nicht nur in Form von: ‚Das sind unsere Klienten‘ sondern: ‚Das sind Bürgerinnen und Bürger von Berlin, die ihre Interessen vertreten und die genauso wie die Verwaltung und andere

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Wohlfahrtsverbände und staatliche Repräsentationen, die in diesem Bereich tätig sind, auch Expertise haben und gemeinsame Interessen‘. […] Es gibt inzwischen Migrantenorganisationen, die ernst zu nehmende Expertise haben. Es gibt Institutionen, wo es auch sinnvoll ist das Jugendhilfeorganisationen – und das ist ja auch eines der Ziele was ich mit dem Programm verbinde – dass sie auch in Zukunft die Expertise von solchen [migrantischen] Organisationen einkaufen.“ (Interview Herr Müller, Behördenmitarbeiter)

Über die strukturelle Öffnung der institutionalisierten Träger der Jugendhilfe hinaus soll innerhalb der Tandempartnerschaften ein Wissensaustausch angeregt werden und so beide Partner besser befähigt werden, im integrationspolitischen Bereich tätig zu sein. Um das Ziel zu erreichen, wird jedoch zunächst von Strukturen des Nebeneinanders ausgegangen, in welchen Migrantenorganisationen einen anderen Stellenwert haben. Dieser andere Stellenwert der Migrantenorganisationen innerhalb der Förderlandschaft liegt in den Augen des Berliner Integrationsbeauftragten allerdings nicht in den fehlenden Kompetenzen oder der nicht vorhandenen Expertise der Migrantenorganisationen begründet, sondern hat vielmehr strukturelle Ursachen, die mit politischen Mitteln verändert werden können. „Heute haben Migrantenorganisationen eine andere Funktion: Als Scharniere zwischen communities und Mehrheitsgesellschaft, auch wenn es die ja nicht mehr gibt. Also die Scharnierfunktion wird sehr stark gesehen. Man sieht eben, dass Migrantenselbstorganisationen Kompetenzen haben in der Ansprache, in der Entwicklung von Konzepten, die die Institutionen, die Regeldienste nicht haben. Migrantenorganisationen übernehmen jetzt zunehmend auch Funktionen von Regeldiensten, ohne dafür entsprechend honoriert zu werden. Dass muss eben auch erkannt werden. Also das – sie sind so Lückenbüßer in vielen Bereichen. Und auf der anderen Seite haben wir die großen Verbände, Institutionen, die häufig Zugriff auf die Mittel haben. […] Und deswegen war eben die Grundidee: Wir binden einen klassischen Träger und eine Migrantenselbstorganisation zusammen, um auch gegenseitige Lernprozesse zu organisieren. Auf der einen Seite zur interkultureller Öffnung dieses Trägers beizutragen, auf der anderen Seite die Migrantenorganisationen an den Ressourcen auch teilhaben zu lassen und ihnen gleichzeitig auch Kompetenzen zu geben, was sie dann in Fördermitteln stabilisieren.“ (Interview Herr Piening, Integrationsbeauftragter)

Damit wird deutlich, dass die Verantwortungsträger in der Leitungsebene des Beauftragten für Integration und Migration sich des Problems einer differentiellen Integrationsposition durchaus bewusst sind. In der integrationspolitischen Praxis wird jedoch die Trennung in „Regeldienste“ und „Migrantenorganisatio-

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nen“ weiterhin aufrecht erhalten, um so eine Grundlage für eine spezifische Förderpolitik mit dem politischen Instrument der interkulturellen Öffnung durch Tandempartnerschaften zu schaffen. Integrationspolitik bewegt sich hier auf einem schmalen Grat zwischen der Verfestigung alter und der Schaffung neuer Strukturen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass, entgegen der politisch verfochtenen Idee einer kritisch-pluralistischen Interkulturalität in diesem Zusammenhang auch ethno-kulturalistische Ausdeutungen von Interkulturalität aktiviert werden. Die Senatsverwaltung geht im Grunde von einer normativen Rollenverteilung aus, in der „Regeldienste“ über Wissen zur Verwaltung von Geldern, zu Förderstrukturen, und über professionelles Wissen der Jugendsozialarbeit verfügen. Den Migranten(selbst)organisationen wird dagegen per se Wissen über den Zugang zu der als problematisch wahrgenommenen Zielgruppe der männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Teil „ihrer“ Community zugeschrieben. An diesem Beispiel lässt sich ein zentraler Widerspruch innerhalb der Assemblage „Aktionsprogramm“ aufzeigen: Einerseits propagiert die Senatsverwaltung von Berlin in ihren Schriften ein kritisch-pluralistisches Verständnis von Interkulturalität. Andererseits wird in der Umsetzung der Projekte ein ethnokulturalistisches Verständnis der interkulturellen Kompetenzen weiter fortgeschrieben. Hier wird offensichtlich, dass das theoretische Konzept der Interkulturalität und die daraus abgeleiteten politischen Maßnahmen der interkulturellen Öffnung im Verlauf der Umsetzung in die Praxis mehrfach gebrochen, übersetzt und von den beteiligten staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur/innen ihren jeweiligen Interessen angepasst werden.

7.2 T ANDEMPARTNERSCHAFTEN

IM

A KTIONSPROGRAMM

„Ein Tandem ist, wenn vorne einer sitzt und hinten einer sitzt und beide treten. Dann fährt es. Das Gute bei einem Tandem ist, dass man einen Freund mitnehmen kann; das Schlechte, das man aber auch einen Freund haben muss. Einen der obendrein lange Beine hat, die bis zu den Pedalen reichen. Und der muss Lust haben zum Tandemfahren[…]“ (Janosch [1990]: Schnuddel)

Diese Episode aus einem Kinderbuch illustriert sehr anschaulich die Machthierarchien, die bei der Implementierung des Tandemgedankens im Aktionsprogramm offensichtlich werden. So beginnt auch die Umsetzung der Tandemidee für die am Berliner Aktionsprogramm beteiligten Vereine mit der Suche nach ei-

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nem „Freund“ mit den richtigen Qualifikationen, einem Tandempartner, der interessiert und bereit ist, sich auf eine Kooperation für die kommenden 18 Monate einzulassen. Verfolgt man die Geschichte aus Janoschs Kinderbuch weiter, so lernt man, dass es nicht so einfach ist, den richtigen Freund zu finden. Entweder haben sie zu kurze Beine und können so nichts zum Tandemfahren beitragen, oder sie stellen zu viele Ansprüche. Schnuddel findet dann schließlich den „dummen Hasen Rudi“, der eifrig in die Pedale tritt, während Schnuddel hinten die Beine hochlegt

Abbildung 2: Schnuddel und die Arbeitsteilung auf dem Tandem

Quelle: Janosch (1990): Schnuddel. Hasenmotor kostet nix, Titelblatt.

Bereits diese Parabel zeigt, dass eine Tandempartnerschaft nicht per se in einer gleichberechtigten Partnerschaft auf Augenhöhe münden muss, wie es das Ideal des Tandembildes zu suggerieren scheint. Ganz im Gegenteil, an den konfliktreichen Interaktionen zwischen den Tandempartnern des Aktionsprogramms lassen sich viele grundlegende Schwierigkeiten aufzeigen, wenn es darum geht institutionalisierte Rollenverteilungen aufzubrechen, Machtstrukturen zu verändern und neue Zugänge zu schaffen. In diesem Zusammenhang lassen sich Tandempartnerschaften als ein Schauplatz der Auseinandersetzungen sensu Newman / Clarke (2009:68) betrachten, anhand derer Interessenkonflikte aufgezeigt wer-

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den können und in denen widersprüchliche Vorstellungen von „Integration“, „Teilhabe“ und „Interkulturalität“ aufeinanderprallen. Anhand dieser Auseinandersetzungen lässt sich das komplexe Gefüge der unterschiedlichen Logiken und Praktiken herausarbeiten. Diese lassen sich als einzelne, hier wirkmächtige Komponenten einer Assemblage analysieren, welche den Aushandlungsprozess einer „Integrations“-Politik abbildet. Bei der Umsetzung der Tandempartnerschaften in der Praxis des Aktionsprogramms legt die Berliner Verwaltung entgegen ihrer zunächst kritischen, die bestehenden Dominanzverhältnisse berücksichtigenden Position, ein idealisiertes Tandembild zugrunde. So geht sie grundsätzlich von einer Gleichberechtigung beider Partner im Tandem aus, und betont das Ideal der Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe. Die gleichberechtigte Tandempartnerschaft erweist sich in der Praxis der Projekte jedoch als Illusion, welche in vielen Fällen nur zu Repräsentationszwecken aufrechterhalten wird. Von grundsätzlicher Bedeutung bei der Analyse der mit dem Instrument der Tandempartnerschaften angestrebten interkulturellen Öffnung erscheint jedoch, dass die Kooperation der jeweiligen Träger nicht freiwillig erfolgt, sondern „von oben“ verordnet wird. Interkulturelle Öffnung und gleichberechtigte Teilhabe werden innerhalb dieses Programms dadurch erzwungen, dass die Förderungswürdigkeit und damit der Geldabfluss von Mitteln an diese Kooperationsbedingung geknüpft sind. Ohne eine solche Vorbedingung zur Kooperation wäre es in vermutlich weitaus weniger Fällen zu einer interkulturellen Öffnung der großen Institutionen der Jugendhilfe und auch zu weniger Interesse an einer Kooperation von Seiten der Migrantenorganisationen gekommen. Denn: Eine Kooperation zwischen Vereinen bedeutet immer einen Mehraufwand an Zeit, die für inhaltliche Klärungen und organisatorische Absprachen notwendig werden. Kooperationen bergen grundsätzlich die Gefahr von Konflikten. In der Praxis des Aktionsprogramms II des Berliner Integrationsbeauftragten zeigt sich, dass interkulturelle Öffnung ein komplexer, häufig sehr langsamer Prozess ist, der nur schwer durch verordnete Vorgaben angestoßen werden kann. Darauf verweist auch die Leiterin des Evaluationsbüros, wenn sie in der abschließenden Bilanz kritisch anmerkt: „Erfolgreiches Zusammenwirken von etablierten Trägern und Migrantenorganisationen in einer Tandempartnerschaft auf Augenhöhe lässt sich in einem Aktionsprogramm erfahren, zum Teil erlernen, trainieren und unterstützen – in keinem Fall aber erzwingen.“ (IntMig 2010a:41)

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An der Umsetzung des Konzeptes der interkulturellen Öffnung und dem dafür ausgewählten Instrument der Tandempartnerschaften im Berliner Aktionsprogramm lässt sich somit ein zentraler Widerspruch der Berliner Integrationspolitik illustrieren. Die hier umgesetzte Idee der interkulturellen Öffnung geht in der Theorie von einem Konzept des Empowerment aus: Migrantenorganisationen sollen durch die Aufhebung von Machtasymmetrien in die Position gebracht werden, ihre Kompetenzen und Potentiale einzubringen und aus der von ihnen bislang eingenommenen gesellschaftlichen Nische heraustreten. Allerdings wird im Rahmen des Aktionsprogramms versucht, die dafür notwendige Kooperationsbereitschaft per Verordnung von oben durchzusetzen. Die erzwungene Aktivierung – in diesem Fall zu mehr interkultureller Öffnung – macht jedoch den entscheidenden Unterschied in den Konzeptionen von „Aktivierung“ im Modell des aktivierenden Sozialstaates und des Empowerment aus. Das politische Instrument der Tandempartnerschaft soll eine verstärkte Teilhabe von Migrantenorganisationen auf dem umkämpften Markt der Förderpraxis ermöglichen. Ziel des Aktionsprogramms ist eine „Stärkung der Migrantenvereine in ihrer Rolle als Mitgestalter einer internationalen Stadtgesellschaft“ (IntMig 2010a:29) Ihre Expertise soll von den übrigen Trägern ernst genommen und zukünftig „eingekauft“ werden. Diese Art der Teilhabe an der Förderpraxis und den damit verbundenen Ressourcen erweist sich im Alltag der Projekte als einer der essentiellen Punkte, an dem das Verständnis von gleichberechtigter Teilhabe verhandelt und festgemacht wird. Um die Praxis der interkulturellen Öffnung zu veranschaulichen bemüht die Evaluatorin des Programms in ihrer Abschlussbilanz das Bild der Brücke. Sie bezeichnet Migrantenorganisationen als „Brückenbauer für Integration und Teilhabe“ (IntMig 2010a:29). Aufgrund ihrer Erfahrungen seien sie dazu prädestiniert „zu Mittlern und Brückenbauern zwischen Communities und Stadtgesellschaft“ zu werden (IntMig 2010a:29). Sie geht dabei von Migrantenorganisationen als aktiven Akteur/innen aus, die die Initiative für eine Überbrückung der bestehenden Differenzen ergreifen. Darüber hinaus betont die Evaluatorin, dass Migrantenorganisationen zu einer internen interkulturellen Öffnung jenseits ihrer „Community“ angeregt werden sollen. „Mit der eigenen interkulturellen Öffnung und mit Weiterqualifizierung können sie verstärkt an der Förderpraxis teilhaben und auch zu professionellen Trägern sozialer Infrastruktur in den Quartieren heranwachsen.“ (IntMig 2010a:29)

Diese Interpretation von interkultureller Öffnung verschiebt den Hauptfokus. Anders als die Entwickler des Aktionsprogramms geht sie dabei nicht von den

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großen Institutionen aus, sondern sieht die Verantwortung für den „Bau der Brücke“ bei den Migrantenorganisationen. Erst wenn die Brücke gebaut ist, kann sie von „beiden Seiten“ genutzt werden. „Brücken für Integration sind von zwei Seiten zu beschreiten – auch von den Stadtteileinrichtungen und den Angeboten der Jugendarbeit.“ (IntMig 2010a:29)

Eine interkulturelle Öffnung der etablierten Einrichtungen bezeichnet die Evaluatorin als „neue Partizipationsformen“ bzw. als „strategischen Brückenschlag“. Das hier verwendete Bild der Brücke verweist darüber hinaus abermals auf die von einzelnen Akteur/innen wahrgenommenen (un-)überbrückbaren Differenzen zwischen Institutionen einer „Mehrheitsgesellschaft“ und einer „Minderheitsgesellschaft“ und geht somit weiterhin von zwei Lagern aus. Diese Metapher schreibt damit die in einem differentiellen Integrationsdiskurs angelegte Zuschreibung zwischen WIR und DIE ANDEREN weiter fort. Unter den von mir begleiteten vier Projekten des Berliner Aktionsprogramms kommt es zu sehr unterschiedlichen Umsetzungen der Tandemidee. In drei der vier Projekte wird im Verlauf der Forschung deutlich, dass im Projektalltag der Kooperation im Tandem keinerlei Bedeutung zukommt. So zeichnet sich bei einem Projekt schon bei meiner ersten Begegnung mit den Akteur/innen ab, dass es sich bei der Tandempartnerschaft um einen reinen „Papiertiger“ handelt, und die an der Tandempartnerschaft beteiligten Vereine in inhaltlicher Opposition zueinander verharren. Zwei weitere Projekte führen eine weitgehend konfliktfreie Partnerschaft zu Repräsentationszwecken, ohne dass ein inhaltlicher oder organisatorischer Mehrwert aus dieser Konstellation gezogen wird. Die Projekte hätten auch ohne eine Kooperation mit dem politisch eingeforderten Tandempartner einen vergleichbaren Verlauf genommen. „Neue Wege“ wie sie durch das Aktionsprogramm angeregt werden sollen, werden hier nicht eingeschlagen. Im vierten Projekt, welchem ich hier den Namen „Chance“ gebe, prägen die aus der Tandempartnerschaft resultierenden Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Akteur/innen das Projekt hingegen sehr stark. Anhand dieses Projektes lassen sich exemplarisch die Widersprüchlichkeiten und die Konflikthaftigkeit, die den Prozess der interkulturellen Öffnung ausmachen, aufzeigen. Im Verlauf des Projekts zeigt sich, dass die einzelnen Akteur/innen auf grundlegend unterschiedliche Übersetzungen der politischen Konzepte von Teilhabe und interkultureller Öffnung zurückgreifen und daher zu keiner Einigung kommen können. Das Projekt wird zu einem „Schauplatz der Auseinandersetzungen“, die hier interagierenden Akteur/innen reden aneinander vorbei, ohne den Grund für die

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Konflikte zu erkennen. Mit Hinblick auf die an diesen Auseinandersetzungen greifbaren Komponenten der Assemblage Aktionsprogramm werde ich die sehr zeitintensiven und emotional alle Mitarbeiter/innen des Projekts stark belastenden Konflikte darlegen und analysieren. Mein Ziel ist es, die in diesem Zusammenhang wirkmächtigen, häufig widersprüchlichen Logiken und Handlungsweisen der Akteur/innen aufzuzeigen und die verschiedenen Normvorstellungen in Bezug auf die Rollenverteilung der einzelnen Akteur/innen und deren Zugriff auf bestimmte Ressourcen herauszuarbeiten. Schauplatz der Auseinandersetzungen: das Projekt Chance Das Projekt Chance hat sich zum Ziel gesetzt, deutsche Jugendliche und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu „aktivieren, qualifizieren und motivieren, sich auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu bewegen“ (Interessenbekundung des Projekts). In einem nachbarschaftlichen Umfeld sollen sogenannte „Einsatzmöglichkeiten“, von Rasenmähen über alltägliche soziale Unterstützung bis hin zu Umzugshilfe, akquiriert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, kooperieren ein etablierter Träger der Sozialarbeit vom Typ „schwerer Dampfer“ (Gruppe 1, siehe oben), eine Selbsthilfeorganisation für Spätaussiedler, sowie eine kleine Migrantenselbstorganisation (beide Gruppe 2), die verschiedene afrikanische Gruppen in Berlin vertritt. Sie bilden für die Förderdauer des Aktionsprogramms eine sogenannte Tandempartnerschaft. Die an der Kooperation beteiligten Akteur/innen in den Vereinen gehen anfangs mit viel Begeisterung in das von der Senatsverwaltung bewilligte gemeinsame Projekt. Ausgehend von einer Konzeptidee der Selbsthilfeorganisation formulieren die Tandempartner zunächst einen gemeinsamen Projektantrag. Diese konzeptuelle Zusammenarbeit wird auch im Nachhinein von allen Beteiligten als dem Ideal einer „gleichberechtigten Tandempartnerschaft“ entsprechend beschrieben: „Es hat mir so viel Freude gemacht, bei der Entwicklung des Konzeptes. Und seine [des Referenten des etablierten Trägers] Art, so freundlich und so lustig, das war wirklich ganz toll!“ (Interview Frau Jung, Leiterin einer Migrantenselbstorganisation)

Formuliertes Ziel der in dieser Phase erfolgten Zusammenarbeit ist es, das bestehende Konzept der Migrantenselbstorganisation so zu überarbeiten, dass eine größere Chance auf eine Förderung besteht. Dabei bringt der etablierte Träger sein Wissen im Umgang mit der Senatsverwaltung in die Zusammenarbeit ein:

140 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Ich hab das dann nochmal ‚auf Linie gebracht‘, was jetzt Senatssprache ist, oder was die einfach hören möchten“. (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator eines etablierten Trägers)

Das ursprüngliche Konzept erfährt durch die Überarbeitung des Referenten des etablierten Trägers eine Professionalisierung und Übersetzung. Dieser verfügt über Kenntnisse zu den in solchen Förderanträgen gängigen „Codes“, das Konzept wird so den politischen Vorgaben und Argumentationsweisen angepasst. Damit erscheint zu Beginn der Kooperation die Zusammenarbeit zwischen Migrantenorganisation und etabliertem Träger von einem gegenseitigen Geben und Nehmen geprägt zu sein. Beide Vereine bringen etwas (inhaltliches Konzept bzw. Wissen über die notwendigen Codes) ein. Das Projekt zeigt damit zunächst das Bild einer harmonisch erscheinenden Zusammenarbeit. Als Strategie, um die Chancen auf Förderung durch eine zusätzliche „innovative Komponente“ noch zu erhöhen, schlägt die Vertreterin des Vereins der Aussiedler die Zusammenarbeit mit einer weiteren Migrantenorganisation vor. Der Vorschlag wird aufgenommen und der etablierte Träger stellt einen Kontakt zu der ihm bekannten afrikanischen Migrantenselbstorganisation her. Diese wird als dritter Partner in das schon fertig entwickelte Konzept „integriert“. Zu Beginn der konkreten Projektumsetzung kommt es jedoch zwischen den Tandempartnern zu einem Eklat, bei dem die widersprüchlichen Grundeinstellungen und Interessen der beteiligten Vereine offen zu Tage treten. Es geht dabei um den Ort, an dem die Jugendarbeit des Projekts stattfinden soll. Der etablierte Träger möchte das Projekt an einer Freizeiteinrichtung für Jugendliche ansiedeln. Da die beiden beteiligten Migrantenselbstorganisationen in dem für das Projekt vorgesehenen Stadtbezirk keine Jugendfreizeiteinrichtungen unterhalten, erscheint es in der Logik des etablierten Trägers naheliegend, eine „eigene“ Jugendfreizeiteinrichtung als Ort der Projektumsetzung ins Auge zu fassen. „Wir wollen das auch in unseren Einrichtungen machen, und die dadurch stärken […] wir haben ja auch ein Eigeninteresse“. (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator eines etablierten Trägers)

Die Migrantenselbstorganisationen werden über diese Umsetzungsidee informiert, indem ein Treffen in der avisierten Jugendeinrichtung vereinbart wird. Ohne eine weitere inhaltliche Diskussion lehnt die Vertreterin der einen Migrantenselbstorganisation jedoch den Vorschlag ab und begründet dies im Interview folgendermaßen:

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„Ich konnte damit nicht einverstanden sein! […] Die andere Seite wollte auch nicht akzeptieren, dass wir damit nicht einverstanden sein können. Wieso? Nach dem Motto ‚die blöden Migranten, haben sie was zu sagen – oder was?‘ Und das fand ich einfach inkompetent und deswegen habe ich das Interesse [an dem Projekt] verloren.“ (Interview Frau Jung, Leiterin einer Migrantenselbstorganisation)

Auch aus der Perspektive des Referenten des großen Trägers wird diese Situation als entscheidender Punkt für die spätere konflikthafte Zusammenarbeit gedeutet: „Im Prinzip wurde es als Affront aufgefasst, dass wir versuchen dieses Projekt in einer Einrichtung unseres Trägers zu installieren. Und das ist dann gescheitert sozusagen, wir konnten das nicht durchsetzen.“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator eines etablierten Trägers)

Aus dem hier geschilderten Konflikt ergeben sich mehrere Fragen. Warum lehnt die Vertreterin der Migrantenselbstorganisation den vorgeschlagenen Veranstaltungsort so vehement ab? Welche Interessen verbindet der etablierte Träger mit der Wahl des Ortes? Wie werden hier die Rollen innerhalb der Tandempartnerschaft, welche nach politischem Willen die Partizipation der Migranten(selbst)organisationen stärken soll, in der Praxis ausgestaltet und inwiefern spielen Machtansprüche, normative Zuweisungen und der Zugang zu Ressourcen dabei eine Rolle? Allein aus der Interaktion der beteiligten Personen kann der Konflikt, der dieses Projekt prägt, nicht erklärt werden. Die menschliche Zusammenarbeit lief zunächst erfolgreich, die Beteiligten kannten sich größtenteils aus früheren Kooperationen. Zieht man jedoch die verschiedenen in der Assemblage des Aktionsprogramms wirksamen Komponenten in Betracht, wird deutlich, dass hier normative Vorstellungen und Ausgrenzungserfahrungen aus anderen Kontexten bedeutsam werden. Die Vertreterin der Migrantenselbstorganisation empfindet die Vorgehensweise des etablierten Trägers mit Beginn der praktischen Umsetzung des Projekts als ausgrenzend. Da sie sich nicht als ebenbürtige Partnerin anerkannt fühlt, lehnt sie aus Prinzip die Vorschläge des Trägers ab. „Ohne uns zu fragen, ohne sich mit uns zu besprechen“ wollte ihrer Ansicht nach der etablierte Träger eine Entscheidung durchsetzen. „Ich hab natürlich protestiert, so wie ich bin, weil sonst ist das Ganze ja umsonst.“ (Interview Frau Jung, Leiterin der Migrantenselbstorganisation)

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Mit ihrer kämpferischen Grundhaltung fordert die Leiterin der Migrantenselbstorganisation die Anerkennung ihrer Organisation als Gleiche unter Gleichen ein und unterstreicht damit ihr Verständnis von Teilhabe. Ihre Haltung ist dabei absolut. Ein mögliches Missverständnis in der Kommunikation zwischen den Partnern wird nicht in Betracht gezogen. Vielmehr wirft die Leiterin der Migrantenselbstorganisation dem etablierten Partner im Projekt Unterdrückung und bewusste Ausgrenzungsstrategien vor. Mit Blick auf ihre eigene Vereinsgeschichte unterstreicht sie ihre Einstellung, wenn sie betont: „Es ist nicht einfach, uns zu unterdrücken“. Für den Mitarbeiter des großen Trägers ist ihre Haltung nach der anfänglich guten Zusammenarbeit nur schwer nachzuvollziehen. Für ihn taucht der Vorwurf der ausgrenzenden Behandlung wie „aus dem Nichts“ auf: „Für mich kam das auch alles sehr überraschend. Ich bin ja durchaus in der Lage, so Probleme auch im Vorfeld zu erkennen. Aber mit unseren bisherigen Erfahrungen und diesem positiven Gefühl, das wir da hatten gegenüber dem Verein, war halt nicht im Ansatz ein Konflikt zu erkennen. Aber die Reaktion von Frau Jung an diesem Tag kam aus dem Nichts. Das kam aus dem Nichts. Und dann war die Grundproblematik schon zu erkennen: ‚Ihr übervorteilt uns. Ihr zieht euch da jetzt das Ding an Land in eurer Einrichtung‘ – wobei es uns jetzt nicht darum ging.“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator des etablierten Trägers)

Auch als der große Träger seinen Umsetzungsvorschlag daraufhin zurückzieht und die Treffen mit den jugendlichen Teilnehmer/innen in den Büroräumen der Migrantenselbstorganisation stattfinden, spitzt sich der zu Beginn zu Tage getretene Konflikt im Verlauf des Projekts weiter zu. Es kommt zu weiteren persönlichen Auseinandersetzungen, die im Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ und der völligen Absprache von „interkulturellen Kompetenzen“ seitens der Migrantenselbstorganisation gipfeln. Die Vertreterin der Migrantenselbstorganisation greift hier, in dem sie dem Referenten des etablierten Trägers vorwirft, sie als „blöde Migranten, die nichts zu sagen haben“ zu behandeln, auf einen Diskurs zurück, in dem Migrant/innen bzw. Migranten(selbst)organisationen als nicht stimmberechtigter Teil der Gesellschaft klassifiziert und ausgegrenzt werden. Dass sie diese Vorwürfe in einem Projekt erhebt, das sich insbesondere durch die Partizipation von Migranten(selbst)organisationen auszeichnen soll, unterstreicht die politische Dimension ihrer Entrüstung. Der vor ihr geäußerte Diskriminierungsvorwurf führt jedoch auch dazu, dass sämtliche Kommunikation ins Stocken gerät und inhaltliche Differenzen nicht weiter geklärt werden können, sondern durch zwischenmenschliche Schwierigkeiten blockiert werden.

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7.3 Z USCHREIBUNGEN Am Beispiel des Projekts Chance lässt sich aufzeigen, dass die verschiedenen Akteur/innen sehr diverse, sich häufig widersprechende Vorstellungen von einer Zusammenarbeit im Tandem haben und unterschiedliche Ziele verfolgen. Alle beteiligten Akteur/innen sehen zu Beginn des Projekts keinen Bedarf, über eine Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Projektpartnern zu sprechen, „da sich das automatisch aus den Kompetenzen ergibt“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator des etablierten Trägers). Diese Kompetenzen werden von vorne herein als feststehend und offensichtlich angenommen, in der Praxis allerdings von jedem Verein unterschiedlich ausgelegt. Der etablierte Träger sieht demzufolge seine Kompetenzen in der finanziellen Verwaltung sowie in der professionellen Herangehensweise. Geht die Migrantenselbstorganisation mit der Annahme der grundsätzlichen Gleichberechtigung in die Gespräche über eine Kooperation, nimmt der große Träger schon zu Beginn die Rolle des erfahrenen, professionellen und damit auch in der Hierarchie über den „kleinen Vereinen“ angesiedelten Institution ein, in dem er herausstellt, dass sie es als Teil ihrer professionellen Aufgabe im Bezirk ansehen, kleinere Migrantenorganisationen zu fördern. „Das [diese Tandemkooperation] ist von Nutzen und vor allem ist es auch unser Interesse, den kleineren Vereinen in unserem Umfeld als größerer Träger da Unterstützung zu bieten und die stärker zu machen durch so was“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator des etablierten Trägers).

Aus dieser Rollenverteilung ergibt sich, dass der für dieses Projekt anzustellende Mitarbeiter zwar in einem gemeinsamen Vorstellungsgespräch ausgewählt wird. Die Anstellung selber erfolgt jedoch durch den etablierten Träger. „Wir [der etablierte Träger] stellen diesen Mitarbeiter ein. Und das ist ein guter Mitarbeiter und der hat das Projektkonzept vorliegen und dann macht er das und holt sich von den Vereinen [den Migrantenorganisationen] das, was er braucht“. (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator des etablierten Trägers)

Auch der Projektleiter nimmt eine ähnliche Einteilung der Rollenverteilung innerhalb des Tandemprojekts vor und bezieht sich dabei auf Aussagen der Senatsverwaltung:

144 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Die Vertreter des Senats formulieren das ja ganz klar und deutlich, worum es ihnen geht: eben auch noch mal die unterschiedliche Rollenverteilung der Tandempartner. Dass das auch von vorne herein so gedacht war, das eben ein etablierter großer Träger zur Seite steht auch für die Verwaltungsgeschichten – da bin ich dann ja auch direkt angestellt – und dass eben die Migrationsvereine sozusagen für die Zielgruppe zuständig sind.“ (Interview Simon Meisner, Projektleiter)

Der Projektleiter verweist im Interview darauf, dass die Migrantenselbstorganisationen hingegen davon ausgegangen seien, dass ihnen andere Kompetenzen innerhalb des Tandemverbundes zustehen. „Zusammen mit dem Geschäftsführer gab es auch mal ein Treffen zusammen mit den Tandempartnern. Und da wurde ziemlich deutlich, dass das Verständnis bei den Tandempartnern war: ‚Wir haben hier ein Projekt beantragt. Wir sind jeder gleichberechtigter Träger dieses Projekts. Wir stellen jemanden als Projektleiter ein und wir sind weisungsbefugt. Und wir möchten, dass er unsere Wünsche, die wir haben, verwirklicht.‘ Also nicht [und hier folgt die Sichtweise des etablierten Trägers]: Sie sind die ehrenamtlich arbeitenden Vereine, die die Zielgruppen schon haben in ihren Projekten und wir bauen jetzt ein Projekt drum herum, um das irgendwie noch sinnvoller ausschöpfen zu können und auch Angebote gezielt machen zu können. Sondern eben eher diese Erwartung: ‚Es kommen jetzt Jugendliche in die Einrichtung, weil es dieses Projekt Chance da jetzt geben wird.‘“ (Interview Simon Meisner, Projektleiter)

Bestärkt durch die zuvor dargestellte Autorisierung „von oben“ stellt der Projektleiter dabei die Sichtweise der Migrantenselbstorganisationen als Missverständnis dar. Die Leiterin der Migrantenselbstorganisation hingegen lehnt die Vorstellung ab, dass sie als Migrantenselbstorganisation für die „Beschaffung“ der Zielgruppe zuständig seien. Dies sieht sie als eindeutige Aufgabe des extra dafür eingestellten Projektleiters. In einem der Tandemtreffen kritisiert sie den Projektleiter dafür, dass er bislang nur so wenige Jugendliche eingeworben hat und dreht damit die durch den etablierten Träger vorgenommene Rollenzuschreibung um. „Herr Meisner, die einzigen Jugendlichen die bislang mitmachen, sind auf meine Vermittlung hin gekommen – was haben denn Sie bislang gemacht?“ (Feldtagebuch, September 2008)

Ursprünglich ging die Leiterin der Migrantenselbstorganisation dagegen von einer Rollenzuschreibung aus, bei der der etablierte Träger zwar die Verwaltung,

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die Migrantenselbstorganisationen aber eigenständig die inhaltliche Projektausgestaltung und Projektumsetzung übernehmen. „Ich hab auch gedacht, das wird laufen, wie bei unserem ersten Kooperationsprojekt: Wir haben die praktische Umsetzung des Projekts übernommen und Verwaltung, Abrechnungen, Verwendungsnachweise, das geht über den Verein X [den etablierten Träger]“. (Interview Frau Jung, Leiterin der Migrantenselbstorganisation)

Nach den anfänglichen Konflikten zieht sich die Leiterin der Migrantenselbstorganisation komplett aus der Umsetzung des Projekts heraus, da sie nicht weiter bereit ist, die ihr zugewiesene Rolle als „Migrantenverein“ einzunehmen. Die ursprünglich gute und gleichberechtigte inhaltliche Zusammenarbeit stellt sie zunehmend in Frage. „Ich habe nie den Willen oder die Bereitschaft gesehen, verstanden zu werden. Ich hatte immer das Gefühl: Immer versucht wieder jemand das anders zu machen, als du das vorschlägst. […] Ich habe festgestellt: Wir sind im Grund fremd geblieben für Herrn Wissmann. Der Projektleiter, das war sein Mitarbeiter. Und wir waren fremd. Und mit diesem Gefühl fremd zu bleiben, sind wir weggegangen und das war‫ތ‬s.“ (Interview Frau Jung, Leiterin der Migrantenselbstorganisation)

Auch die zweite am Projekt beteiligte Migrantenselbstorganisation lehnt es ab, für die „Zielgruppe“ der männlichen Jugendlichen zuständig zu sein. „Das war nicht unsere Aufgabe! Wir wollten dem Projektleiter am Anfang helfen, es war aber eigentlich nicht unsere Arbeit, Jugendliche zu suchen. Unsere Aufgabe ist es, mit den Eltern zu reden.“ (Interview Herr Susa, Mitarbeiter der Migrantenselbstorganisation)

Die durch den etablierten Träger zu Beginn des Projekts antizipierte Rollenzuschreibung, welche den Migrantenselbstorganisationen die Zuständigkeit für die Zielgruppe zuweist, wird von diesen damit abgelehnt. Das Verhalten, sich gegen die an sie herangetragenen durch normative Vorstellungen geprägten Rollenzuschreibungen aufzulehnen, oder ihnen zumindest mit Unverständnis zu begegnen, kennzeichnet nicht nur in diesem exemplarischen Fall die Zusammenarbeit im Tandem. Vielmehr lässt es sich als allgemeines Muster auch in anderen Tandemkonstellationen aufzeigen, was ein gewandeltes Selbstbewusstsein und Selbstverständnis der Migranten(selbst)organisationen verdeutlicht. Migranten(selbst)organisationen fordern zunehmend ein, als gleichwertige Partner und nicht nur als „Zulieferer“ für spezifische „Ziel-

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gruppen“ oder besonderes „kulturelles Wissen“ wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Der etablierte Träger in diesem empirischen Beispiel interpretiert dagegen Teilhabe in der Logik einer sozialgemeinschaftlichen Position sensu Lanz (2007: 270ff). Der etablierte Träger betrachtet es als seine professionelle Aufgabe, sich für die Migranten(selbst)organisationen einzusetzen, ihnen bei administrativen Aufgaben zu helfen und nimmt dabei die den großen Wohlfahrtsorganisationen in den 1970er Jahren zugewiesene Rolle ein, die Migrant/innen als bedürftige Klient/innen behandelt, denen man dabei helfen muss, ihre Defizite zu beheben (Terkessides 2010:47). In diesem Bild wird auch nicht die Annahme in Frage gestellt, dass die Migrantenorganisationen selbstverständlich über Jugendliche „verfügen“. Verfolgt man die Übersetzung des Tandemgedankens weiter, so lässt sich aufzeigen, dass eine Verschiebung bzw. (Neu-)Übersetzung des ursprünglich egalitären Tandemgedankens nicht nur in Praxis der einzelnen Projekte, sondern auch im behördeninternen Wortgebrauch anzutreffen ist. So wird in der Projektübersicht der Behörde zwischen sogenannten „Antragstellern“ und sogenannten “Tandempartnern“ unterschieden, wobei in den meisten Fällen die etablierten Vereine als „Regelinstitutionen“ bei den Antragstellern und die Migrantenorganisationen bei den Tandempartnern zu finden sind (Abgeordnetenhaus 2008). Im behördeninternen Sprachgebrauch fällt auf, dass häufig „Tandempartner“ synonym für „Migrantenorganisationen“ verwendet wird und nicht beide Kooperationspartner umfasst. Hieran wird deutlich, dass die an der Tandemkonstellation des Projekts Chance aufgezeigten Vorstellungen ergänzt und teilweise beeinflusst werden durch die Zuschreibungen der Behörde. Die Idee, ein „Tandemprojekt“ auszuschreiben, impliziert bestimmte, dem Integrationsdiskurs innewohnende, normative Vorstellungen von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft. Im Sprachgebrauch der Behörde werden hierbei zwei Lager angesprochen – das der Regelinstitutionen und das der Migranten(selbst)organisationen. Diese zwei Lager sollen durch staatliche Interventionen dazu animiert werden, eine imaginäre Grenze zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheitsgesellschaft zu überschreiten. Der Widerspruch der Berliner Integrationspolitik besteht hier darin, dass zwar einerseits durch die Festlegung von Tandempartnerschaften differentielle Integrationspositionen beibehalten werden, die das Narrativ von WIR und DIE ANDEREN fortschreiben, gleichzeitig aber auf eine Veränderung dieser verhärteten Strukturen hingearbeitet und somit ein gewandeltes Integrationsverständnis angestrebt wird. In der Praxis der Projekte zeigt sich, dass sich viele Vereine gegen eine Verortung in einem der beiden Lager verwahren. Dennoch

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werden den einzelnen Lagern durch das Konstrukt der Tandempartnerschaft gewisse Kompetenzen und Ressourcen zugewiesen, bzw. ihr Vorhandensein a priori vorausgesetzt. Für die Art und Weise, wie das politische Instrument der Tandempartnerschaft umgesetzt wird, spielt in meinen Augen das erste Treffen zwischen den Vereinen und der Behörde eine bedeutende Rolle. In den „Kennenlerntreffen“ (siehe Kapitel 5.2) mit der Sachbearbeiterin des Aktionsprogramms findet eine Übersetzung des abstrakten politischen Konzepts auf die Ebene der Vereinsarbeit statt. Ich selber ging mit der Erwartung in die Kennenlerngespräche, dass bei diesen Treffen durch die Sachbearbeiterin in erster Linie klargestellt wird, was die Behörde unter einem Tandem versteht und das Ideal der gleichberechtigten Partnerschaft hervorhebt. Es zeigt sich jedoch, dass die Umsetzung der Tandempartnerschaft kein zentrales Thema dieser Gespräche darstellt. Zwar thematisiert die jeweilige Sachbearbeiterin in Einzelfällen die Anwesenheit bzw. Abwesenheit der Tandempartner und stellt das Interesse der Behörde an einer Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ heraus. Auf die zentrale Bedeutung, die der Kooperation der Tandempartner im politischen Konzept zugeschrieben wird, wird im ersten Gespräch zwischen Verwaltung und den Akteur/innen der Vereinsebene jedoch nicht ausdrücklich hingewiesen. Mögliche Rollenverteilungen werden nicht thematisiert. In einem Gespräch schildert mir eine Sachbearbeiterin ihre persönliche Vorstellung einer Tandempartnerschaft folgendermaßen: ihr zufolge soll dies ein deutscher Verein sein, der den Antrag und die Formalitäten übernimmt (und darin Erfahrung hat) und ein Migrantenverein, der den Zugang zur Zielgruppe sicherstellen kann. Deutscher Verein und Migrantenverein sollen dann in einem Tandem zusammengeführt werden. Bereits hier zeigt sich ein erster Bruch bei der Übersetzung der oben dargelegten politischen Konzepte in die Praxis. Die Sachbearbeiterin nimmt eine explizite Rollenzuschreibung vor und kommuniziert diese direkt oder indirekt an die Projekte. Diese beinhaltet zunächst eine klare Einteilung in „Migrant/innen“ und „Deutsche“ und schreibt ihnen darüber hinaus spezifische Kompetenzen (administratives Wissen versus Zugang zur Zielgruppen) fest zu. Sie verfestigt damit Rollenzuschreibungen von Migrantenorganisationen. Der oben diskutierte schmale Grat zwischen der Verfestigung von bestehenden machtvollen Strukturen und der Hinterfragung gerade dieser Strukturen wird hieran abermals verdeutlicht. Durchaus selbstkritisch kommt ein Mitarbeiter der Verwaltung in einem abschließenden Resümee zu dem Schluss, dass die in den Projekten vorherrschende Rollenverteilung dem Anspruch der Verwaltung nicht genügt. Er konstatiert:

148 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „In dem Moment wo ein erfahrener, etablierter, in der Regel auch großer deutscher Träger der Regelinstitution den Hut auf hat werden diese Migrantenselbstorganisationen ziemlich untergebuttert, was dann wiederrum zu Konflikten führt, weil die natürlich bei dieser Ressourcenverteilung, um die es ja letztendlich auch geht immer hinten an bleiben und sich zurückgesetzt fühlen. Ob das dann tatsächlich so ist oder nicht ist nicht die Kernfrage. Die Kernfrage ist, oder das Problem ist, dass dieses Gefühl da ist. Und in dem Moment wo dieses Gefühl da ist, haben wir unseren eigenen Anspruch den wir in diesem Aktionsprogramm formuliert haben, nämlich Aktivierung und Partizipation, nicht erfüllt. Weil dieses Gefühl einfach nicht da ist. Und die empfinden sich dann, wie das in der Vergangenheit so häufig war, als Beschaffer der Klientel und damit ist ihre Rolle erschöpft.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Dieses Zitat unterstreicht die Ohnmacht der Behörde, die Fortschreibung der Rollenzuschreibungen in der politischen Praxis in ihrem Sinne nachhaltig zu beeinflussen. Es zeigt aber auch, dass die Bedeutung die die Behörde selber bei der Fortschreibung dieser Zuschreibungen innehat, nicht ausreichend reflektiert wird.

7.4 R ESSOURCEN Neben den Zuschreibungen innerhalb der Tandempartnerschaft, die unterschiedliche normative Verständnisse wiederspiegeln, spielt der Zugang zu Ressourcen eine wesentliche Rolle in der Interaktion der verschiedenen Akteur/innen. Dabei kann zwischen vier verschiedenen Formen von Ressourcen unterschieden werden. Erstens spielt der Zugang zu bzw. die Zuweisung von finanziellen Mitteln eine zentrale Rolle für die beteiligten Projekte. Darüber hinaus kommt dem spezifischen Wissen über administrative Vorgänge (2), dem Wissen über den Zugang zur Zielgruppe der migrantischen Jugendlichen (3) sowie der interkulturellen Kompetenz (4) als fach- bzw. „kultur-“spezifischem Wissen eine wichtige Bedeutung als Ressource zu. Finanzielle Ressourcen Neben diskursiven Auseinandersetzungen und normativen Zuschreibungen spielt der Kampf um knappe finanzielle Ressourcen eine wesentliche Rolle in der dynamischen Ausgestaltung der Assemblage Aktionsprogramm. Die Verteilung der durch das Abgeordnetenhaus bewilligten finanziellen Mittel erfolgt durch die Stelle des Integrationsbeauftragten. Diese Institution ist für die Anweisung der

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Gelder zuständig und gleichzeitig mit der Kontrolle der Ausgaben betraut. Die Machtposition der Verwaltung ist dabei offensichtlich, da das theoretische Anrecht auf die Zuweisung der finanziellen Ressourcen abhängig gemacht wird von der Performance der auf diese finanziellen Mittel angewiesenen Akteur/innen. Die Regulierung des Geldflusses durch die Behörde führt in der Praxis nicht zu einer gleichmäßigen Distribution finanzieller Mittel an alle beteiligten Vereine. Die Lenkung und Kontrolle der Geldflüsse in Form von „Zuwendungsbescheiden“ und „Verwendungsnachweisen“ stellt für die Sachbearbeiterinnen der Verwaltung einen zentralen Bereich ihrer alltäglichen Arbeit dar. Sie benötigen für ihre Arbeit einen festen Ansprechpartner für Finanzen. Dabei greifen die Sachbearbeiterinnen zumeist auf schon vorhandene professionelle Strukturen der Finanzbuchhaltung bei den etablierten Trägern zurück. Dies bringt eine ungleiche Kontrolle über die finanziellen Mittel zu Ungunsten der Migrantenselbstorganisationen mit sich und führt in der Folge häufig zu einer Aufrechterhaltung einer machtvollen Hierarchie innerhalb der Tandempartnerschaften. Wenig erstaunlich ist, dass sich in der abschließenden Evaluierung des Programms herausstellt, dass in den meisten Fällen die etablierten Vereine die Kontrolle über die Finanzen innehatten. Da die Verwaltung der Finanzen in einem hohen Maß mit Vertrauenswürdigkeit verbunden wird führt dies zu einer weiteren Asymmetrie innerhalb der Tandempartnerschaften. Die alleinige Kontrolle der finanziellen Mittel durch den etablierten Träger wird von Akteur/innen aus den beteiligten Migrantenorganisationen als Ausdruck des Misstrauens ausgelegt: „Wir haben uns nie mit dem Verein X getroffen über diese Führungsgeschichte. Nur einen Termin gab es – war Katastrophe. Das war eine Katastrophe, die wollten bestimmen. Die haben gesagt: ‚Geld kommt und wir verteilen es‘. Aber das ist keine Tandemführung. Wir haben gedacht wir müssen zwischen uns Vertrauen haben. Aber das gab es nicht. Wir dachten wir müssen zusammen führen, aber am Ende haben wir gesehen, das Geld ist da, aber wir sind nicht mehr an der Reihe zu führen. Er [der Vertreter des etablierten Trägers] diktiert uns, was zu machen ist. Das war der Konflikt. Es hatte keinen Sinn, dass wir Tandem sind, auch wenn auf dem Papier Tandem steht.“ (Interview Migrantenselbstorganisation)

Auf der anderen Seite hat in diesem konkreten Fall der etablierte Träger den Eindruck, den Vertreter/innen der Migrantenorganisation ginge es ausschließlich um die Auszahlung der Honorare, ohne dass sie dafür eine Gegenleistung bieten können. Auch von dieser Seite bestimmt somit Misstrauen das Verhalten, führt

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zu einer verstärkten Kontrolle der Geldflüsse und zu einer damit verbundenen Machthierarchie entsprechend einem Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. „Es gab Konflikte wegen Geld mit der Migrantenorganisation, da ging es um die Honorare. Aber da bin ich zum einen in der Verantwortung als derjenige im Rechnerischen und der den Sachbericht abliefern muss am Ende des Projekts. Und natürlich, wenn ich jemanden mit einem Honorarvertrag anstelle, dann möchte ich auch wissen was der tut. Und wenn ich keine Information also auch nicht über die Tätigkeit erhalte, was anfangs so war, dann stell‫ ތ‬ich die Zahlungen ein. Dann überweis‫ ތ‬ich denen doch nicht das Geld. Und das hat zu massiven Konflikten geführt.“ (Interview etablierter Träger)

Aufgrund der auftretenden praktischen Schwierigkeiten bei der Auszahlung und Abrechnung der Gelder mit der Migrantenorganisation stellt der Vertreter des etablierten Trägers die Vermutung an, dass eine verbesserte Kontrolle der Geldflüsse ein wesentlicher Grund der Senatsverwaltung für die Einbeziehung der etablierten Träger bei der Entwicklung der Tandemidee gewesen sei: „Also, das genau ist ja der Hintergrund dieses Aktionsprogramms, also glaube ich. Dass die Senatsverwaltung nicht irgendwelchen Migrantenorganisationen sag ich jetzt mal hier 20-30.000 € geben will, wo sie genau wissen, dass am Ende des Jahres die Abrechnung nicht funktioniert. Gleichzeitig wollen sie die aber fördern. Was ja sehr gut ist. […] Und deswegen find ich die Vergabe von Mitteln zur Förderung der Integration von solchen Gruppen an die Zusammenarbeit mit einem etablierten Träger zu koppeln sehr gut. Weil sonst verbleibt das in – ja sonst verbleibt das in so einem Kreis, wo die Mittel zum Selbstzweck verwendet werden und nicht der Integration dienen.“ (Interview etablierter Träger)

Folgt man der hier dargestellten Logik so wird das politische Instrument der Tandempartnerschaft als Mechanismus begriffen, der es ermöglicht, über die Einbindung etablierter Träger eine bessere Kontrolle der Finanzflüsse in der integrationspolitischen Förderlandschaft zu gewährleisten. Dabei wird von einer Norm ausgegangen, in der etablierte Träger per se verantwortungsvoll mit Geldern umgehen. Gleichzeitig wird unterstellt, dass Migrantenorganisationen per se Schwierigkeiten bei der Abrechnung von Fördermitteln haben. Der hier zitierte Referent des etablierten Trägers setzt dabei diese Logik ein, um das eigene Verhalten und die dadurch entstandene Machthierarchie innerhalb des Projekts zu legitimieren. Zwar sind sich einzelne Mitarbeiter/innen der Verwaltung durchaus der Problematik bewusst, die sich aus der ungleichen Verteilung und Kontrolle der finanziellen Mittel innerhalb der Projekte ergibt. In behördeninternen Gesprä-

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chen wird dieser Fehler in der Übersetzung der integrationspolitischen Ziele in die Praxis des Programms durchaus selbstkritisch anerkannt. „Wer trägt die Verantwortung? Wer verwaltet die Mittel? Es geht immer wieder auf diese gleichen, zutiefst menschlichen Instinkte zurück. Das darf man nicht vernachlässigen. Das darf man eben nicht vergessen und muss es berücksichtigen, dass so was auch eine Rolle spielt. Und dazu müssen wir den letzten Punkt auch noch mehr bedenken, zumal wir ja auch uns selber den Anstrich geben, dass wir Partizipation fördern wollen und wir können nicht auf der einen Seite Partizipation fördern und uns dann damit zufrieden geben, dass eben Migrantenselbstorganisationen eigentlich nur eine Nebenrolle zugestanden wird.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Bei der konkreten Umsetzung des Programms wird dennoch auf die bewährten Handlungsabläufe zurückgegriffen, bei der zumeist den etablierten Trägern als „Antragstellern“ die finanzielle Verantwortung über die Projekte zugewiesen wird. Abermals zeigt sich an diesem Beispiel eine Entkoppelung zwischen Zielen, wie sie in politischen Papieren niedergelegt wurden und der gelebten, häufig in sich widersprüchlichen integrationspolitischen Praxis. Zwischen dem integrationspolitischen Ziel der gleichberechtigten Partizipation der Migrantenorganisationen und der Umsetzung einer gleichberechtigten Partizipation in die Förderpraxis lässt sich eine Verschiebung der Ziele fassen: Die Übersetzung folgt vollkommen anderen Logiken, wie beispielweise dem reduzierten Zeitaufwand der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Kontrolle der Mittelvergabe. Die dann aufgetretenen Konflikte zwischen den Tandempartnern zeigen jedoch, dass genau diese Verschiebungen in der Übersetzung der integrationspolitischen Ziele von Seiten der Migrantenorganisationen nicht geduldet werden und diese ihr Recht auf die Verwaltung der finanziellen Mittel und die damit einhergehende Verantwortung einfordern. Administratives Wissen als Ressource Ein weiteres politisches Anliegen der staatlichen Akteur/innen des Aktionsprogramms bezieht sich auf einen Wissensaustausch zwischen „Regelinstitutionen“ und „Migrantenorganisationen“. So soll innerhalb der Tandempartnerschaften das Wissen um administrative Vorgänge, welches den „institutionalisierten Trägern“ zugeschrieben wird gegen das Wissen über den Zugang zu Migrant/innen getauscht werden. Bei der Entwicklung des ursprünglichen integrationspolitischen Konzeptes wird dabei von dem Ideal ausgegangen, dass der Wissenstausch

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der Tandempartner auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit basiert und beide Partner gleichermaßen davon profitieren. Die Annahme dass „deutsche“ Vereine per se über administratives Wissen verfügen und darüber hinaus auch bereit sind ihr Wissen an ihre Kooperationspartner weiterzugeben, erweist sich in der integrationspolitischen Praxis als nicht richtig. So stellt es sich als sehr schwierig heraus „administratives Wissen“ und „Zugangswissen“ gegeneinander aufzuwiegen. Ein kleinerer deutscher Verein weist explizit die Aufforderung der Verwaltung von sich, administratives Wissen an den migrantischen Kooperationspartner weiterzugeben. Er begründet dies damit, dass die Vermittlung dieses Wissens nicht Aufgabe der Vereine, sondern Aufgabe der Verwaltung sei: „Das ist doch total idiotisch. Du hast einen Verein. Der hat sowieso zu wenig Geld und dann soll dieser Verein zu einem migrantischen Verein gehen und sagen: ‚Hört mal zu. Wir schaffen es selber fast nicht, wir können unsere Leute nicht ernähren, aber wir wollen euch gerne supporten‘. Das ist doch Schwachsinn! […] Also, die Verwaltung, die hat irgendwie ‫ޏ‬ne ganz große Freude daran, den Vereinen immer mehr Verantwortung zuzutragen, zuzuspielen, die eigentlich bei Ihnen liegt. Also diese Verantwortung, Vereine fit zu machen in Verwaltungsarbeit, die liegt ja nicht irgendwie bei den Nachbarvereinen, die liegt ja bei der Verwaltung! Wenn wir das machen sollen, dann muss das gut finanziert sein, weil: Das ist Arbeitszeit, die ich von wo anders nehmen muss. Von mir aus kann man da die AWO anfragen und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die AWO ständig die größten Stücke vom Kuchen kriegt, weil: Die können halt Verwaltung super. Wir lernen Verwaltung, der Migrantenverein lernt Verwaltung, wir lernen vielleicht ein bisschen schneller, wir könnten uns natürlich darüber austauschen. Aber dann muss man ja auch gucken: Wann kann ich das tun, mit welcher Zeit mach‫ ތ‬ich das und wie krieg ich meine Essen sonst noch zusammen. So. Verstehst du das?“ (Interview Susanne, Projektkoordinatorin)

Der durch die Verwaltung angeregte Wissenstausch wird hier als einseitig wahrgenommen und daher abgelehnt. Zudem trifft die Zuschreibung, dass sie als „deutsche“ Träger automatisch „Verwaltung können“ ebenfalls nicht immer zu. Somit muss sowohl bei der Weitergabe administrativen Wissens als auch beim Zugang zu Jugendlichen die bestehende Konkurrenzsituation der unterschiedlichen Bewerber auf dem „Markt“ der Sozialarbeit beachtet werden. Insbesondere die am Aktionsprogramm beteiligten kleinen Vereine arbeiten in einem Klima, das von einer permanenten Konkurrenz um Ressourcen geprägt ist und keine balancierte Reziprozität ermöglicht. Wissensvorsprünge und damit verbundene Machtaspekte in einem Kampf um generell knappe Ressourcen spie-

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len dabei eine bedeutende Rolle. Die Kontrolle über zentrale Ressourcen, seien es finanzielle Mittel, den Zugang zu Jugendlichen oder administratives Wissen, spielt in den Interaktionen zwischen den einzelnen Akteur/innen des Aktionsprogramms eine entscheidende Rolle. Alles dreht sich immer wieder um die Fragen: „Wie komme ich an die finanziellen Mittel, das notwendige administrative Wissen oder die Jugendlichen heran?“ Das Spannungsverhältnis in den Interaktionen ist daher von einem Konkurrenzkampf um knappe Ressourcen bestimmt, die aufgrund staatlicher Auflagen nur durch eine formale Bereitschaft zur Kooperation mit neuen Partnern nutzbar gemacht werden können. Daraus erklärt sich auch das widersprüchliche Verhalten der Akteur/innen, welche die Idee der Tandempartnerschaft einerseits begrüßen, sie jedoch andererseits in ihren eigenen Handlungen nicht oder nur in Ansätzen umsetzen. Deutlich wird an diesem Beispiel auch, dass die Behörde zwar über die finanziellen Ressourcen bestimmt und damit einerseits eine große Macht innehat, der Zugang und die Distribution der anderen Ressourcen jedoch nicht durch sie kontrolliert werden kann. Diese werden durch die Interaktionen der anderen Akteur/innen untereinander bestimmt. Anhand der Aushandlungen über die Distribution und Redistribution der hier angeführten Ressourcen lassen sich sehr gut die komplexen Prozesse des Assembling (beispielsweise der Entschluss zur Tandemkooperation), des Disassembling (Kämpfe um die Deutungshoheit) und des Re-assembling (in diversen Repräsentationsstrategien) innerhalb der Assemblage Aktionsprogramm fassen. Der Grad der Teilhabe der verschiedenen Akteur/innen an den Tandempartnerschaften und die dadurch bedingte Teilhabe an Förderstrukturen und Wissensformationen ist dabei stark situativ geprägt. In jedem Projekt wird der Zugriff auf diese Ressourcen neu ausgehandelt, eingefordert oder negiert. Knappe Ressourcen minimieren dabei mögliche Interaktionen. Ebenso produzieren die unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen häufig Misstrauen unter den Partnern. Der auf dem Markt der sozialen Arbeit bestehende Konkurrenzdruck steht dabei in vielen Bereichen der politischen Idee von Teilhabe entgegen. Jugendliche als Ressource Das Wissen um den Zugang zu männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird von den Entwicklern des integrationspolitischen Konzeptes hingegen automatisch den Vertreter/innen der Einwanderer/innen als Kompetenz zugeschrieben. Dies bedeutet den Rückzug auf ein ethno-kulturalistisches Konzept (siehe auch Lanz 2007:116) Dabei ergeben sich folgende Probleme: Anders als

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bei der Verwaltung der finanziellen Mittel lässt sich die Akquise der Jugendlichen, die überwiegend den Migrantenorganisationen zugeschrieben wird, nur schlecht planen und ist von vielen Fehlversuchen und Rückschlägen geprägt. Die Anwerbung von Jugendlichen und deren Eltern für die Projekte benötigt in allen Projekten weit mehr Zeit, als in den Finanzplänen dafür vorgesehen ist. Die Verwaltung hingegen hat keinen Einblick in diese Bereiche der Teilnehmerakquise. Sie geht davon aus, dass die Jugendlichen „einfach da sind“. Viele der beteiligten Migrantenorganisationen empfinden daher den durch staatliche Intervention eingeforderten Tausch „administratives Wissen“ gegen „Zugang zur Zielgruppe“ ausdrücklich nicht als balanciert, sondern sehen vielmehr eine für sie negative Reziprozität. Sie sind daher nicht bereit, sich aktiv an diesem Tausch zu beteiligen. Wie schon bei der Diskussion der Rollenzuschreibungen deutlich wurde, trifft die von der Behörde vorgenommene Zuschreibung, dass Migrantenorganisationen über Jugendliche „verfügen“ nicht immer zu. Teilweise sind diese Vereine selber an den Projekten interessiert, da sie auf der Suche nach neuen Jugendlichen für ihre Vereinsarbeit sind. Andere Vereine sind nicht (mehr) bereit der Aufforderung nachzukommen „ihre“ Jugendlichen einfach „abzugeben“. So berichtete ein kleiner Verein davon, dass sie in der Vergangenheit mehrfach Jugendliche aus ihrem Umfeld für Veranstaltungen aktiviert hätten, dieses Engagement zwar rhetorisch, aber nie in Form finanzieller Unterstützung honoriert worden sei. Aufgrund ihrer Erfahrungen fühlen sie sich zunehmend als „Aushängeschild“ der Integrationspolitik ausgenutzt und nicht als gleichwertige Partner anerkannt: „Ich weiß nicht, was alles mit Rang und Namen schon bei uns war und sozusagen für ein Foto für die Integration notwendig war, mal mit den Kanaken kurz abgelichtet zu werden, um für ihr Weiterkommen mal ‫ތ‬nen Bild abzulichten und das war‫ތ‬s dann auch gewesen.“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Als Konsequenz aus ihren Erfahrungen hat dieser Verein von einer ernsthaften Kooperation mit einem „deutschen“ Verein daher Abstand genommen. Auf der Seite der „deutschen“ Vereine besteht dagegen häufig Unverständnis oder Verärgerung über dieses Verhalten, da sich bei der Akquise der jugendlichen Teilnehmer/innen in der Projektpraxis häufig große Probleme ergeben. „Ihr habt ‫ތ‬ne große Jugendgruppe im Bezirk X. Und zu der Gruppe können wir (der etablierte Träger) meistens so keinen Zugang bekommen. So. Da wurde dicht gemacht! Da wurde gesagt, ne. Ich will das nicht, ich will neue Jugendliche. Ich will nicht Jugendliche, die ihr mir dann woanders abzieht.“ (Interview etablierter Träger)

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An diesen Aussagen wird deutlich: Jugendliche werden im Feld der Berliner Sozialarbeit als eine umkämpfte „Ressource, die im Prinzip Geld bringt“ angesehen. Die Senatsverwaltung geht hingegen mit der Haltung an das Programm heran, dass es „genug Klientel“ gibt und mit Konkurrenzdruck aus dieser Richtung daher nicht gerechnet werden muss. „Das kann mir doch keiner erzählen, dass es in Berlin nicht genug Jugendliche für alle gibt sozusagen [muss sehr lachen] das ist doch albern. […] Klientel gibt‫ތ‬s genug!“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Diese Einstellung unterstreicht abermals die Betrachtung von Jugendlichen als eine Art passiver Ressource, die einfach „abgeschöpft“ werden kann. An den Auseinandersetzungen, die um jugendliche männliche Teilnehmer zwischen den Projektbeteiligten geführt werden, zeigt sich auch eine weitere Problematik, die das ganze Aktionsprogramm durchzieht. Aufgrund der zeitlichen Befristung der Projekte und dem gleichzeitigen Anspruch, neue Träger in die Jugendsozialarbeit einzubinden, müssen in relativ kurzer Zeit jugendliche Teilnehmer neu akquiriert werden. Jugendsozialarbeit ist jedoch in hohem Maß Beziehungsarbeit. Dies bedeutet, dass Angebote die Jugendlichen interessant erscheinen häufig einen langen Vorlauf haben, bis sie angenommen werden. Dies verdeutlicht: Jugendliche sind keine Ressource, über die verfügt werden kann, sondern eigenwillige Akteur/innen, welche sich nicht so einfach für die Logik eines „Aktions“-Programms instrumentalisieren lassen. Interkulturelle Kompetenz als Ressource In allen von mir beobachteten Projekten des Aktionsprogramms wird deutlich, dass dem von der Senatsverwaltung verfolgten Ziel der interkulturellen Öffnung von Institutionen der Jugendsozialarbeit bei der praktischen Umsetzung der Projekte keine große Bedeutung beigemessen wird. Aufschlussreich erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass in mehreren Projekten die Sorge geäußert wird, dass über die nicht einkalkulierten, oftmals aber konfliktreichen und damit auch zeitaufwendigen Interaktionen zwischen den Tandempartnern die „eigentliche Arbeit“, die Förderung von Jugendlichen zu kurz kommt: „In der Anfangsphase hab ich dieses Tandem so ein bisschen verflucht und gedacht: Ich bin doch hier als Projektleiter angestellt, ich will Jugendsozialarbeit machen, ich will mit den Eltern arbeiten. Aber ich will nicht immer wieder von vorne die Befindlichkeiten zwi-

156 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT schen den Tandempartnern diskutieren, die ja erklärtermaßen auf Augenhöhe zusammen arbeiten sollen – was aber, wie diese Konflikte gezeigt haben, ja eigentlich nicht der Fall ist“. (Interview Simon Meisner, Projektleiter)

In diesen Prozess der interkulturellen Öffnung wird interkulturelle Kompetenz als eine spezifische Form von Wissen in die Aushandlungen um Macht zwischen den Interaktionspartnern eingebracht. Dass es sich bei interkultureller Kompetenz, die in der Konzeption der Tandempartnerschaft quasi automatisch den Migrantenorganisationen zugeschrieben wird, um eine umkämpfte Wissensressource handelt, möchte ich an einer Debatte verdeutlichen, die sich auf der Zwischenbilanzveranstaltung des Aktionsprogramms zwischen einzelnen Vertreter/innen der anwesenden Vereine entzündet. Es geht dabei darum, worin dieses Wissen besteht, und wer für sich in Anspruch nehmen darf, Wissen über den Zugang zu „den“ Jugendlichen zu haben. Dabei treten Differenzen zwischen Vertreter/innen der Migrantenorganisationen bzw. Sozialarbeiter/innen mit Migrationshintergrund und Vertreter/innen der „deutschen“ Vereine und Sozialarbeiter/innen ohne Migrationshintergrund offen zu Tage. Einige der anwesenden Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund sprechen ihren „deutschen“ Kollegen das Wissen ab, diese Jugendlichen wirklich erreichen zu können. „Von Leuten mit Unilaufbahn werden diese Jugendlichen nicht für voll genommen! Wir [dagegen] sind Vorbilder auf Augenhöhe, die sie unmittelbar akzeptieren. Der Direktkontakt auf den Straßen ist das Beste. Wir sind das Sprachrohr von der Straße.“ (Metin, Zwischenbilanztreffen, 18.11.2008) „Ich bin so sozialisiert wie diese Jugendlichen. Ich sehe mich in der Funktion als staatlich bezahlter ‚großer Bruder‘. Ich will die Herzen erobern und gleichzeitig streng sein.“ (Onur, Zwischenbilanztreffen, 18.11.2008)

Onur spricht dabei von einer „ehrlichen Strenge“. Es gehe darum, eine „wahre Person“ zu sein, die „nichts Aufgesetztes“ und „nichts Angelerntes“ hat. Damit spricht er indirekt allen „angelernten“ Sozialarbeiter ohne Migrationshintergrund im gewissen Sinn ihre Qualifikation im Umgang mit den Jugendlichen ab. Die Reaktion eines deutschen Sozialarbeiters verdeutlicht, dass hier professionell erworbenes Wissen im Umgang mit „diesen“ Jugendlichen gegen Wissen ausgespielt wird, das durch Sozialisation erlangt und von ethno-kulturell kodierten Praktiken wie der Bedeutung des „großen/ älteren Bruder/ abi“ geprägt ist. Dieser deutsche Sozialarbeiter kritisiert seinen Kollegen, indem er fragt:

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„Wo brichst du die Bilder? Es geht doch um Jugendgewalt, Machismo. Sie sollen sich doch selbst reflektieren!“ (Stefan, Zwischenbilanztreffen, 18.11.2008)

Dieser Sozialarbeiter verwendet dabei eine vollkommen andere Sprache. Durch die Verwendung von Fachtermini wie „Brechen der Bilder“ und der Forderung nach „Reflexion“ unterstreicht er dabei seinen „professionellen“ Ansatz, der auf andere Wissensformen zurückgreift. Deutlich wird, dass hier ein Streit um den besseren Zugang zu den Jugendlichen ausgefochten wird, der Wissen als eine zentrale Ressource begreift. Andere Projektmitarbeiter/innen äußerten im Anschluss an diese Treffen Enttäuschung darüber, dass es noch immer zu Diskussionen kommt, die eine Unterscheidung zwischen Sozialarbeitern mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund vornehmen (Feldtagebuch, Zwischenbilanztreffen, 18.11.2008). Im Projekt Chance wird die Bedeutung von interkultureller Kompetenz ebenfalls durch die Migrantenselbstorganisation in die Debatte eingebracht. Im Konflikt mit dem etablierten Träger spricht die Vertreterin der Migrantenselbstorganisation dem dortigen Referenten jegliche „interkulturelle Kompetenz“ ab. Der betroffene Referent erinnert sich dabei insbesondere an folgende Aussage seiner Tandempartnerin: „Ihre interkulturellen Kompetenzen sind nicht ausreichend, ich möchte mit Ihrem Geschäftsführer sprechen! Wenn wir eine deutsche Organisation wären, würden Sie nicht so mit mir sprechen.“

Die Leiterin dieser Migrantenorganisation vertritt hierbei ein kritisch-pluralistisches Verständnis von Interkulturalität und fordert damit eine Reflexion der Machtstrukturen durch den etablierten Träger ein. Interkulturalität bietet der Migrantenselbstorganisation damit eine Argumentationshilfe, sich gegen ein als paternalistisch wahrgenommenes Verhalten des etablierten Träger zur Wehr zu setzen und stellt gleichzeitig die grundsätzliche Kompetenz des betroffenen Mitarbeiters in Frage. Dieser versteht jedoch im Gegenzug unter interkultureller Kompetenz inhaltliches, und damit auch professionell angeeignetes Wissen und eine grundsätzliche Offenheit im Umgang mit Migrant/innen. Daher sieht er sich durch die Aussagen der Vertreterin der Migrantenselbstorganisation in seiner „Berufsehre“ und auch persönlich angegriffen.

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7.5 M ACHT , E RMÄCHTIGUNG

UND

H ERRSCHAFTSWISSEN

Abermals am Beispiel des Projekts Chance möchte ich die Bedeutung, die dem Kampf um Ressourcen, Wissen und damit Macht innerhalb der Projekte zukommt, exemplarisch ausführen. Wie ich aufzeigen konnte, haben die in dieses Projekt involvierten Migrantenorganisationen einen Empowerment-Ansatz verinnerlicht, der sie gegenüber gefühlter oder tatsächlicher Bevormundung kritisch werden lässt. Das Projekt Chance wird so zu einem Ort der Auseinandersetzung, an dem Fragen der Macht eine wesentliche Rolle spielen. Fragen wie: Wer entscheidet über die Einstellung des Projektleiters? Wer ist weisungsbefugt gegenüber dem Projektleiter? Wo finden die wöchentlichen Treffen der Jugendlichen statt? Wer trägt was zum Gelingen des Projekts bei? werden zu zentralen Aushandlungsarenen der einzelnen Akteur/innen. Dabei kommt den Vertreter/innen der Migrantenorganisationen mit dem Instrument der Tandemkooperation eine für den etablierten Träger ungewohnte Machtposition zu. Diese unterschiedlichen Verständnisse von Macht werden insbesondere an der Person des für das Projekt Chance eingestellten Projektleiters deutlich, auf den alle am Projekt Beteiligten versuchen einzuwirken. Der Akt der Einstellung des Projektleiters wird zu einem unerwarteten Machtkampf, was durch den Referenten des etablierten Trägers mit Erstaunen wahrgenommen und kommentiert wird: „Ich hatte das Gefühl: Plötzlich haben diese Organisationen eine Macht, die sie sonst nicht haben.“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator eines etablierten Trägers)

Der Machtkampf um die Deutungshoheit im Projekt zeigt sich auch in den Kämpfen um die Weisungsbefugnis über diesen Mitarbeiter. Diesen Kampf entscheidet letztlich der etablierte Träger für sich, indem er eine klare Machthierarchie festlegt und zu keinen weiteren Diskussionen bereit ist. „Es kam zu Situationen, wo wir dann aus unserer Situation heraus gesagt hatten: ‚Das geht so nicht. Punkt‘ und auch die Macht hatten, weil wir der Träger dieses Projekts sind und die anderen die Tandempartner.“ (Interview Herr Wissmann, Projektkoordinator des etablierten Trägers)

Frustriert kommen die Migrantenorganisationen zu der Erkenntnis, dass Hierarchien und unterschiedliche Zugänge zu Ressourcen auch in der Zusammenarbeit im Tandem weiter existieren.

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„Das hat nicht mit Tandem zu tun, das hat mit Macht zu tun, einer führt und die anderen [laufen hinterher] – Gewinn muss da sein! Aber nicht Gewinnverlust. Was wir jetzt erlebt haben, ist ein Gewinnverlust“. (Interview Herr Susa, Projektmitarbeiter der Migrantenselbstorganisation)

Das Bild des Tandems, welches von der ursprünglichen Idee her alle Partner als gleichwertig versteht, wird hier übersetzt in eine Machthierarchie von WIR und DIE, in welcher sich normative Rollenverteilungen manifestieren. Obwohl das durch das Instrument der Tandempartnerschaft angestrebte Empowerment der Migrantenorganisationen und die Aufhebung der bestehenden Machthierarchien in der Praxis des Projekts nicht verwirklicht wird, gehen die teilnehmenden Migrantenorganisationen aus dieser Tandempartnerschaft mit mehr Wissen insbesondere über den Umgang mit Machthierarchien heraus. In der äußeren Darstellung des Programms werden Machtaspekte allerdings nicht als zentrales Strukturierungsmerkmal der Zusammenarbeit kenntlich gemacht. Meine Beobachtungen stimmen hier mit den Erkenntnissen von Lanz überein, der in seiner Analyse des Berliner Integrationskonzeptes betont, dass gesellschaftliche Macht- und Dominanzverhältnisse bei der Analyse von Interkulturalität häufig nicht in den Blick genommen werden (Lanz 2007:118). Dass die an diesem empirischen Beispiel dargelegten Machthierarchien kein Sonderfall sind, zeigt das Statement eines Mitarbeiters der Behörde, welcher diese machtvolle Strukturierung folgendermaßen kommentiert: „Das ist das größte Desaster, das ich in diesem Aktionsprogramm sehe. Der Kampf um die Ressourcen und die Meinungshoheit. Wobei der Kampf um die Ressourcen nicht so schlimm ist, das ist nachvollziehbar. Aber diese Meinungshoheit, da spiegelt sich wieder, was in der breiten Öffentlichkeit und der Presse kolportiert und dadurch natürlich auch angeheizt wird. Diese Meinung, dass es darum geht, um den Kampf der Kulturen und wer hat Recht. Und das hat sich da auch gezeigt.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Dieser Kommentar zeigt, dass Machtasymmetrien in den internen Diskussionen und den Reflexionen der Mitarbeiter/innen der Verwaltung sehr wohl thematisiert werden. Dieser Mitarbeiter der Behörde entwickelt aus der diesbezüglichen Erkenntnis die Vision eines „wohlwollenden Mentors“, um die in der Tandempartnerschaft bestehenden Machthierarchien auszuhebeln. „Ein Mentor. Dass man das Wort Partner eher durch Mentor ersetzt. Der der Sache, für die der kleinere Partner oder das kleinere Projekt steht, wohlwollend gegenübersteht und auch

160 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT bereit ist, ja auch da von seinem Herrschaftswissen etwas abzugeben. Weil wieder, das alte Thema: Es geht um die Fleischtöpfe, und die Fleischtöpfe sind nicht so prall gefüllt, das muss man immer wieder sehen in der gesamten Arbeit. Das ist im Kleinen nicht anders als im Großen. Natürlich geht‫ތ‬s darum das Geld zu bekommen.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Die Abwendung des Mitarbeiters von der Idee der Partnerschaft auf Augenhöhe und der Rekurs auf eine Fürsorgelogik, in der ein „wohlwollender Mentor“ die Interessen der Migranten (und nicht seine eigenen Ansprüche) vertritt, offenbart, wie komplex sich der Prozess der Umsetzung neuer integrationspolitischer Konzepte gestalten kann. Noch vielschichtiger wird das Bild dadurch, dass auch nicht in allen Vereinen das Interesse daran besteht, sich administratives „Herrschafts“-Wissen anzueignen oder sich mit administrativem Wissen zu belasten. Auf dem Treffen der Migrantenorganisationen zeigt sich, dass oftmals auch davon ausgegangen wird, dass man bei diesbezüglichen Fragen dann doch auf einen erfahrenen Träger zurückgreifen kann. Eingefahrene Muster einer sozialgemeinschaftlichen Integrationspolitik werden somit oftmals bei Bedarf reaktiviert. Anhand der in diesem Kapitel geschilderten Beispiele wird deutlich: Die Assemblage Aktionsprogramm stellt sich als ein durch unterschiedliche Komponenten beeinflusster Prozess dar, in dem unter anderem diverse Übersetzungen der politischen Konzeptes der Interkulturalität ausgehandelt werden. Dem Tandem kommt als politischem Instrument der interkulturellen Öffnung dabei einerseits eine zentrale Bedeutung zu. Andererseits spielt die gruppenspezifische Zuweisung, Beanspruchung oder Absprache von interkultureller Kompetenz als spezifischem Fachwissen bzw. als ethno-kulturelles Zugangswissen in den Interaktionen der Akteur/innen eine wichtige Rolle in den Aushandlungen um Deutungshoheit. Die auftretenden Reibungen bei den hier zu fassenden Übersetzungsvorgängen sind Teil der Assemblage. Dies entspricht Rottenburgs Vorstellung von Übersetzung, bei der zwar einerseits Kräfte übertragen und sogar potenziert werden können, andererseits jedoch auch immer Reibungsverluste einkalkuliert werden müssen (siehe Kapitel 3.3). Die für die Entwicklung und Umsetzung der Tandemidee Verantwortlichen in der Verwaltung gehen nicht davon aus, dass die mit dem Instrument der Tandempartnerschaft angestoßenen Prozesse der interkulturellen Öffnung konfliktfrei verlaufen werden. „Interkulturelle Öffnung ist ja auch kein Zuckerschlecken“, so der Berliner Integrationsbeauftragte Günther Piening im Interview. Ein

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Mitarbeiter des Integrationsbeauftragten geht sogar so weit, diese Konflikte als Wegbereiter der neuen integrationspolitischen Ausrichtung zu betrachten. „Die Aufgabe eines solchen Aktionsprogramms ist es genau, Konflikte auch teilweise zu produzieren, um eben daraus ‫ތ‬ne kreative, konstruktive Diskussion heraus zu bekommen. Wenn ich das einfach konfliktfrei durchziehe nach ‚Schema F‘ was hab ich dann gekonnt? Die Aufgabe eines solchen Aktionsprogramms ist es ja genau neue Wege zu suchen. Und neue Wege provozieren natürlich auch Nachfragen – von welcher Seite auch immer.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Konflikte sind demnach vorhergesehen und werden intern auch in gewisser Weise begrüßt. Von Bedeutung erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass die Zentralität und Konflikthaftigkeit, die diese Aushandlungen in der Praxis der Projekte einnehmen, bei der Konzeptualisierung der einzelnen Projekte größtenteils dennoch nicht mitbedacht werden. Die für das integrationspolitische Konzept zentrale Idee der interkulturellen Öffnung wird bei der Konzeption der Projekte von den konkreten Projektverantwortlichen lediglich als formal zu erfüllende, politische Vorgabe angesehen. Zeitliche und personelle Ressourcen, die den komplexen, zeitaufwendigen Prozess der interkulturellen Öffnung in der Praxis ermöglichen würden, werden in der Finanz- und Zeitplanung der Projekte nur in den wenigsten Fällen berücksichtigt. Vor dem Hintergrund normativer Vorstellungen wird entweder davon ausgegangen, dass sich die Rollenverteilung innerhalb des Tandems „von selber ergibt“ und daher keine weiteren Absprachen zu diesem Thema notwendig sind. Andere Vereine streben in der Praxis aufgrund der zu erwartenden Komplikationen erst gar keine Tandemkooperation an und nehmen einen Tandempartner nur pro forma in das Konzept mit auf. Die ethnologische Analyse verdeutlicht, dass in der Übersetzung des integrationspolitischen Programms in die Praxis der Projekte das politische Instrument des Tandems von den Akteur/innen nur selten als Chance und Bereicherung, sondern überwiegend als unnötige und belastende zusätzliche Bürde empfunden wird. Unweigerlich hat die Auseinandersetzung mit der politischen Forderung, sich interkulturell zu öffnen, jedoch Denkprozesse bei allen Beteiligten in Gang gesetzt. Bei der Umsetzung der staatliche Intervention lassen sich Verschiebungen, Auflösungen oder Neuinterpretationen der Tandemidee nachvollziehen. Aufschlussreich für das Selbstverständnis der Berliner Senatsverwaltung erscheint mir, dass die Rolle, die der Senatsverwaltung mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesem Prozess der interkulturellen Öffnung zukommt, weitestgehend ignoriert wird. So werden Konflikte der interkulturellen Öffnung nur

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auf der Seite der auszuführenden Projekte erwartet. Das Haus des Integrationsbeauftragten selbst erscheint über diese Probleme erhaben. Dennoch wird auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses an normativen Zuschreibungen festgehalten oder bestehende Kommunikationsprobleme ignoriert. Eine Reflexion darüber, welche Fragen und Probleme an die Behörde herangetragen werden und welche im Zuge einer Repräsentationslogik „unter den Tisch“ fallen, findet, soweit ich dies im Rahmen meiner Forschung erfassen konnte, nicht statt. In meiner Forschung zeigt sich, dass Zuschreibungen häufig unbedacht von Mitarbeiter/innen der Verwaltung fortgeschrieben und Kategorisierungen vorgenommen werden, deren Durchkreuzung oder Aufhebung in den politischen Papieren der gleichen Behörde angestrebt wird.

8. Übersetzung III: Respekt „Respekt ist ja so ‫ތ‬ne Vielfalt an Wort. Es gibt ja einen vielfältigen Respekt. Gegenüber einer Frau gibt‫ތ‬s Respekt, gegenüber einem Mann gibt‫ތ‬s Respekt, gegenüber Beamten gibt‫ތ‬s Respekt, gegenüber Sozialarbeitern gibt‫ތ‬s Respekt […]“ CEM, 30.10.2009

In der von mir beobachteten integrationspolitischen Praxis nimmt das Thema Respekt einen großen Raum ein. Daher arbeite in diesem Kapitel heraus, wie Aushandlungen zu Respekt soziale Ordnungen produzieren und reproduzieren, in dem bestimmten Akteur/innen und Gruppierungen Respekt gewährt oder verwehrt wird. In den Aushandlungen der Assemblage Aktionsprogramm erweist sich Respekt als Orientierungsbegriff, an dem das Verhalten und die Handlungen der diversen Akteur/innen bewertet werden. Dadurch erklärt sich, warum Respekt als Thema im Rahmen der integrationspolitischen Aushandlungen eine zentrale Bedeutung zukommt: Respekt kann als eine wichtige Komponente in einem durch den Berliner Integrationsbeauftragten eingeforderten gemeinsamen Wertefundament identifiziert werden.45 Dieses Wertefundament bildet in der integrationspolitischen Argumentation neben einer Anerkennung von Diversität die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Anhand der diversen Handlungs- und Deutungsmuster, die mit Respekt in Verbindung gebracht werden, wird jedoch auch deutlich, dass die zentrale Bedeutung, die Respekt innerhalb der Assemblage des Aktionsprogramms zukommt, sich auch aus der Deutungsoffenheit des Begriffes erklären lässt. Wie ich aufzeigen werde, werden hier unter dem Sammelbegriff „Respekt“ verschiedene, teilweise widersprüchliche Werteordnungen subsummiert. Eine moralische

45 Ich verweise hier auf die Ausführungen des Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening im Jahr 2009.

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Komponente, die den Vorstellungen von Respekt in all ihren Ausführungen zugrunde liegt, fördert zudem die Wirkmächtigkeit des Begriffes. Respekt unterstützt somit einerseits das Narrativ des Zusammenhalts, spiegelt andererseits aber auch die Vielfalt der in der Assemblage wirkmächtigen Meinungen und Perspektiven wieder und spielt damit eine wichtige Rolle in der Repräsentation integrationspolitischer Prozesse. Besonders aufschlussreich für die Analyse der diversen sozialen Ordnungen und der dahinterstehenden Wissensproduktionen in der Assemblage Aktionsprogramm erscheinen dabei diejenigen Interaktionen, an denen verschiedene Vorstellungen von Respekt aufeinandertreffen. Eine dieser Interaktionen, anhand der dieses Aufeinanderprallen besonders deutlich aufgezeigt werden kann, stelle ich meiner ausführlichen Analyse der verschiedenen Deutungsmuster voran. Es handelt sich dabei um eine Sendung der Talkshow „Anne Will“ vom 05. April 2009, welche zur Laufzeit des Aktionsprogramms ausgestrahlt wurde.46 Es ist Sonntagabend, 21:45h. Anne Will begrüßt in der ARD zur aktuellen Sendung „die Kindergangster – harte Hand statt sanfter Worte“. Als Diskussionspartner geladen sind die damalige Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU), Claudia Roth (Grüne), der Berliner Kabarettist Murat Topal sowie der aus dem RTL-Magazin „die Ausreißer“ bekannte Sozialarbeiter Thomas Sonnenburg. Auf dem „Betroffenensofa“ nehmen ein Polizist und Dursun Platz. Dursun kenne ich aus dem Projekt Neustart, er engagiert sich dort als Rapper und leitet Workshops für Berliner Schüler. Er ist einer derjenigen jungen Männer, die nach Beendigung ihrer Jugendhaft an diesem Projekt teilgenommen haben. Durch das Projekt sollen Ihnen neue Wege der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aufgezeigt werden. Jetzt ist er mitten drin – bei Anne Will. Als die ARD beim Projektträger anfragte, ob sie „einen Jugendlichen hätten“, hatte Dursun Interesse. Im Vorgespräch berichtete er bei der ARD von seiner Arbeit im Projekt, seinem Engagement für andere Schüler. Später erzählt er mir, sie hätten dort viel Zeit damit verbracht, darüber zu reden, was er denn jetzt, nach der Haft machen würde. Er hatte den Eindruck, ihm und seinem sozialen Engagement würde Interesse entgegen gebracht. In der Sendung kam dann jedoch alles anders. Jetzt wollten sie von ihm nur wissen, wie es dazu kommt, dass man gewalttätig wird. Er war enttäuscht davon, wieder nur auf seine kriminelle Vergangenheit reduziert zu werden, wobei doch das, was jetzt passiere viel bedeutsamer sei. Gegen Ende der Sendung kommt es zu einer Diskussion über Schulschwänzer und den möglichen Umgang damit. Jugendrichterin Heisig verweist auf die Elternpflichten und be-

46 Ich bedanke mich an dieser Stelle für die Übersendung des Mitschnittes dieser Sendung durch die Will Media GmbH aus dem ich im Folgenden wörtlich zitieren werde.

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ruft sich auf „geltendes Recht“ des Berliner Schulgesetztes, welches Bußgeld bis zu 2.500 € vorsieht, wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Kirsten Heisig: „Bei Harz IV ist das natürlich abwegig – da kann man 150-200 € verhängen, ersatzweise sechs Wochen Haft. Dann zucken natürlich alle zusammen: ‚Was, die armen Eltern, die müssen auch noch in Haft‘. Die Idee, die dahinter steht, ist in meinen Augen jedoch richtig. Dass man sagt: Das ist keine Spaßveranstaltung, es ist eine Pflicht. Und wenn eine Pflicht nicht befolgt wird, muss darauf etwas folgen.“ Kirsten Heisig berichtet dann von ‚den arabischen Großfamilien in Neukölln‘, die sie und das Schulamt nur schwer erreicht. Es kommt zu einer Diskussion auf dem Podium. Anne Will unterbricht mit einer Frage an Dursun diese Diskussion. Anne Will: „Ich möchte gerne Dursun etwas fragen: Hätte es bei Ihnen etwas verändert, wenn ihre Eltern unter Druck gesetzt worden wären?“ Dursun: „Ich glaub nicht, nein. Also wenn ich nicht zur Schule gehe und meine Eltern dann dafür Geld bezahlen müssen – ok. Es kann sein, dass ich dadurch öfter zur Schule gehe, ja. Und wenn ich dann zuhause aber mit meiner Mutter Streit habe und meiner Mutter eine auswischen will und nicht [zur Schule] gehe – dann geht meine Mutter in den Knast, oder wie?“ (er schmunzelt, im Hintergrund schmunzeln einige der Zuschauer) Anne Will muss lachen, ist kurz sprachlos. An Frau Heisig gewandt sagt sie: „Ist das der Plan Frau Heisig? Das ist ja eine beeindruckende Logik!“ Kirsten Heisig muss ebenfalls lachen, das Publikum klatscht. Herr Bouffier ergreift jetzt erregt das Wort: Volker Bouffier: „Also das kann doch nicht wahr sein! Es kann doch nicht wahr sein, dass einer sagt: ‚pass mal auf, wenn das mir nicht passt, geht meine Mutter in den Knast‘ (er zeigt mit dem Finger auf Dursun und spricht zu ihm, die Kamera zeigt, wie Dursun aufmerksam zu ihm blickt) Genau das ist das Problem! Respekt vor der Mutter, Respekt vor den Eltern. Das hätte es früher so nicht gegeben! Und das würdest Du (!) beim Vater auch nicht machen (Dursun will etwas fragen, aber sein Mikrophon ist ausgeschaltet) Bei der Mutter schon eher. Und das hat mit einigen Dingen zu tun. Ich glaub….“ Stimmengewirr. Auf dem Podium bricht jetzt eine heftige Diskussion aus, Frau Roth und Anne Will sprechen gleichzeitig, es herrscht größere Erregung unter den Diskussionspartnern. Dursun auf seiner abgerückten Couch muss lachen. Herr Bouffier ergreift wieder das Wort. Volker Bouffier: „Wir müssen doch denen helfen, die wollen und nicht können. Denjenigen, die können, aber nicht wollen, auf diejenigen müssen wir deutlich reagieren. Bei denen, die alles andere ignorieren, da bleibt als einziges übrig, eine klare, fühl-

166 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT bare Maßnahme.“ (Während er dies sagt, schwenkt die Kamera mit einer Nahaufnahme auf Dursun) Anne Will: „Eines wüsste ich jetzt aber gerne noch von Dursun: Herr Bouffier hat Ihnen jetzt unterstellt, Sie hätten keinen Respekt vor ihrer Mutter – ist das so?“ Dursun (lacht): „Ne – im Gegenteil. Ich hab sehr großen Respekt vor meiner Mutter, vor meinem Vater.“ Volker Bouffier: „Dann werden Sie (!) aber auch nicht einverstanden sein, wenn sie in den Knast gehen.“ Dursun: „Natürlich nicht. Aber man hat auch mal Streit mit der Mutter, mit dem Vater, ok? Der Vater hat die härtere Hand, sagt man immer. Bei mir ist das umgekehrt: Meine Mutter hat die härtere Hand (Lachen und Klatschen im Publikum). Deswegen hab ich gerade meine Mutter angesprochen. Und es wär jetzt – egal ob es jetzt um meinen Vater oder um meine Mutter geht. Irgendwann hat man Streit mit den Eltern, man ist jünger, man will immer im Recht sein – so ist es. Dann kann ich doch nicht sagen: Dann wird meine Mutter dafür bestraft, weil ich keinen Bock habe, zur Schule zu gehen. Also man müsste das dann schon so machen, dass wenn man mit mir arbeitet, dass ich Lust kriege, zur Schule zu gehen.“ Volker Bouffier: „Was muss man denn tun, damit so einer Lust kriegt, zur Schule zu gehen? Muss ich ihn jeden Tag mit dem Taxi abholen?“ Dursun (bleibt höflich, lächelt): „Natürlich nicht. Der Unterricht muss einfach so gestaltet werden, dass ich mich da – wenn ich mich melde und eine Frage habe, möchte ich etwas erklärt bekommen und nicht ‫ތ‬nen: ‚hab ick dir doch grad‫ ތ‬gesagt‘. So. Und dann hat man irgendwann keine Lust mehr, es ist leider so. Und das ist auch so: Ich bin auf ‫ތ‬ner Hauptschule gewesen, mein Kumpel ist auf dem Gymnasium gewesen. Und wenn ich ihn von der Schule abgeholt habe, dann sagen sie: ‚Was macht denn der hier?‘ Wenn der mich abholt dann sagen sie: ‚Ach guck mal, der, der hat‫ތ‬s geschafft!‘ Auch Hauptschüler können es schaffen! Das ist – wir werden eingeteilt. Das ist das Problem.“ (Applaus aus dem Publikum)

Anhand der in dieser Talkshow gefallenen Aussagen von Volker Bouffier lässt sich deutlich aufzeigen, wie die Gewährung und Verweigerung von Respekt soziale Ordnungen produziert. Aufgrund seines ironischen Einwandes ist Dursun für den CDU-Politiker ein eindeutiges Beispiel eines respektlosen jungen Mannes. Wegen seines türkischen Namens geht Herr Bouffier darüber hinaus pauschalisierend davon aus, dass Dursun seiner Mutter weniger Respekt entgegenbringt als seinem Vater und verweist damit auf Vorurteile gegenüber einer patriarchal geprägten „türkischen Community“.

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Er selber missachtet in dieser rhetorischen Auseinandersetzung sämtliche Regeln der Höflichkeit und behandelt Dursun respektlos, indem er ihn duzt und ins Wort fällt (ein Verhalten, welches dieser keineswegs erwidert). Herr Bouffiers Verständnis von Respekt hat viel mit der Anerkennung von staatlichen bzw. elterlichen Autoritäten und der Erfüllung von Pflichten zu tun. Dursun hingegen versteht unter Respekt „nicht schlecht über jemanden zu reden, zu antworten, wenn man gefragt wird, freundlich gegenüber seinen Mitmenschen zu sein“. Respekt vor seiner Mutter hat in seinen Augen nichts damit zu tun, ob er in die Schule geht oder nicht. Das sind für ihn zwei verschiedene Dinge (Feldtagebuch, Gespräch mit Dursun am 8.4.2009). Mit seinen Einwänden zeigt Dursun in der Talkshow die Absurdität der Debatte auf und verweist auf die von ihm selbst erlebten – und durch das Verhalten von Volker Bouffier abermals demonstrierten – Ausgrenzungserfahrungen, die er durch die Verweigerung von Respekt erlebt hat. Er lässt sich damit nicht reduzieren auf die ihm in der Choreografie der Talkshow zugeschrieben Rolle als Experte für Jugendgewalt und Respektlosigkeit, sondern durchkreuzt die vorherrschenden Bilder. Mit seinen Einwänden lenkt er die Diskussion in eine neue Richtung. Ein Kommentator dieser Sendung sieht daher in Dursun den eigentlichen Akteur der Sendung, der den „selbstgefälligen Welt- und Daseinsauslegern einen derart geschickten rhetorischen Hieb verpasste, dass diese bedrohlich ins Schlingern kamen“ (FAZ.NET vom 06.04.2009)47 Den in diesem Beispiel angerissenen unterschiedlichen Vorstellungen von Respekt gehe ich in diesem Kapitel weiter nach, indem ich fünf verschiedene Deutungsmuster von Respekt im Kontext des Berliner Aktionsprogramms näher analysiere. Zunächst wende ich mich Respekt als Aspekt eines politischen Programms zu, bei dem der Umgang auf „gleicher Augenhöhe“ eine zentrale Bedeutung zugewiesen wird. Danach befasse ich mich mit Respekt als kulturalisiertem Verhaltenskodex unter Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund. Eng damit verbunden ist das Verständnis von Respekt und Respektabilität, welchem bei der Anrufung von Vorbildern insbesondere in der Jugendarbeit eine wichtige Rolle zukommt. „Respect!“ als Motto in der Jugendkultur des Hip Hop sowie Respekt und Würde und die Bedeutung von Respekt als Bestandteil gesellschaftlicher Etikette sind weitere Deutungsmuster, auf die ich abschließend eingehen werde. Hier geht es einerseits darum, die diesen Deutungsmustern zugrunde liegenden sozialen Ordnungen und Distinktionsmechanismen herauszuarbeiten und sie 47 Der zitierte Artikel von Oliver Jungen erschien in der FAZ.NET-Frühkritik mit dem Titel: „…und dann geht meine Mutter in den Knast?“

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mit den dahinter stehenden Wissensordnungen zu verbinden. Andererseits werde ich die Anknüpfungspunkte der einzelnen Deutungsmuster näher betrachten und auch in diesem Zusammenhang nach den Verschiebungen fragen, die sich durch die Interaktion dieser verschiedenen Ausdeutungen innerhalb der Assemblage des Aktionsprogramms zwangsläufig ergeben. In den (wenigen) empirisch angelegten Forschungsarbeiten zu Respekt wird die Vieldeutigkeit und inhärente Widersprüchlichkeit des Begriffes thematisiert und gleichzeitig auf die große Bedeutung von Respekt für das gesellschaftliche Miteinander verwiesen (Ewing 2008, Schiffauer 1987, 2006). Richard Sennett geht in seiner Studie „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“ (2002) von einer grundlegenden Bedeutung von Respekt für das Zusammenleben und das Erleben der sozialen Beziehungen aus und auch der Leiter der Hamburger Respect Research Group Niels van Quaquebeke beschreibt Respekt als „[…] das gesellschaftliche Schmiermittel, ohne das ständig Reibung entstehen würde“ (Sennett 2002: 67, van Quaquebeke 2008). Der Begriff Respekt leitet sich aus dem Lateinischen von respectus ab, was so viel bedeutet wie Zurückblicken, Rücksicht nehmen oder Berücksichtigung (Duden 2001:671). Die Berücksichtigung des jeweils Anderen schließt dabei mit ein, dass dieser Andere auch wahrgenommen wird. Das Sichtbarmachen bestimmter Gruppen in der öffentlichen Wahrnehmung bzw. die Forderung dieser Gruppen, wahrgenommen zu werden, ist daher ein weiterer, wesentlicher Aspekt von Respekt. Wie ich durch meine ethnografische Herangehensweise aufzeigen werde, können allerdings auch aufgrund der unterschiedlichen Ausdeutungen von Respekt Reibungen entstehen. Die Definition von Respekt ausschließlich als ein zentrales Element von gesellschaftlichem Zusammenhalt und Inklusion greift daher in meinen Augen zu kurz. Respekt umfasst sowohl den Aspekt der Anerkennung und das Prinzip der Gegenseitigkeit als auch Distinktionsmechanismen, indem nur einer bestimmten Gruppe Respekt erwiesen wird. Respekt wird kulturell generiert und kann sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen und Vorschriften niederschlagen. Immer bezieht sich Respekt jedoch auf ein Gegenüber und wird durch Interaktionen erhalten und erteilt. Respekt beschreibt damit eine Beziehung zwischen demjenigen, der Respekt zeigt oder empfindet, und demjenigen, der respektiert wird: „[…] an attitude of respect is […] a relation between a subject and an object in which the subject responds to the object from a certain perspective in some appropriate way“. (Dillon 2010) Wie diese Beziehung ausgestaltet ist, ob sie sich durch Symmetrie oder Asymmetrie auszeichnet und von

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Wohlwollen, Wertschätzung, Rücksicht oder auch Angst und Gehorsam geprägt ist, bleibt damit zunächst offen. In den von mir erfassten Interaktionen zeigt sich, dass Respekt situativ sehr variabel eingesetzt und angeeignet wird und in seiner Vielfalt und inhärenten Widersprüchlichkeit eine wichtige Komponente in der Assemblage des Berliner Aktionsprogramms darstellt.

8.1 „G LEICHE A UGENHÖHE “: R ESPEKT ALS POLITISCHES P ROGRAMM In der Eröffnungsrede des integrationspolitischen Aktionsprogramms „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ nennt die damalige Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Heidi Knake-Werner die „Integration auf Augenhöhe“ ein Kernanliegen der Berliner Integrationspolitik. Auch der Berliner Integrationsbeauftragte und die Leiterin des Evaluationsbüros appellieren an die anwesenden Vertreter/innen der Vereine, dass im Tandem „auf gleicher Augenhöhe miteinander umgegangen“ werden soll (Feldtagebuch, Juni 2008). In einer als Politik der Anerkennung verstandenen Integrationspolitik fungiert respektvoller Umgang als ein Schlüsselbegriff und schließt die Forderung nach Gleichwertigkeit, gegenseitiger Rücksicht und eine Interaktion auf gleicher Augenhöhe ein. Die Einforderung von Respekt und das Versprechen der gleichen Augenhöhe im Aktionsprogramm des Berliner Senats verdeutlicht eine spezifische Umsetzung von Teilhabe. Der fest in einem kritisch-pluralistischen Integrationsdiskurs verankerte Begriff der „gleichen Augenhöhe“ nimmt eine zentrale Stellung in der offiziellen Argumentation des Aktionsprogramms ein. Hierbei werden Vertrauen, Offenheit und Wertschätzung als Grundelemente eines solchen Tandems auf gleicher Augenhöhe angesehen (IntMig 2010a:41). Auf dem „Weg zu gleicher Augenhöhe“ bedarf es der „gegenseitigen Wertschätzung und des Respekts“, welche nur durch einen längeren gemeinsamen Prozess und nicht von Heute auf Morgen entstehen können (IntMig 2010a:36; 41). Darüber hinaus wird das Ziel verfolgt, Migrantenorganisationen durch diese Kooperationen „sichtbar“ zu machen (Abgeordnetenhaus 2010c). Diese Sichtbarmachung umfasst die Repräsentation der Migrantenorganisationen als Experten sowohl in der Welt der Sozialen Arbeit als auch gegenüber der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung. Die Berücksichtigung von Migrantenorganisationen als gleichwertige Expert/innen im Bereich der sozialen Jugendarbeit ist Ziel dieser Politik der Anerkennung. Bestimmte Facetten eines symmetrischen und horizontalen Respektbegriffes spielen demzufolge in den politischen Leitideen des Aktionsprogramms eine

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wichtige Rolle. Mit dem Ideal der „gleichen Augenhöhe“ wird ein Umgang angestrebt, welcher die Partner/innen als gleichberechtigt und gleichwertig anerkennt oder respektiert und welcher auf Gegenseitigkeit beruht. Tandempartnerschaften „auf Augenhöhe“ dienen dabei als politisches Instrument, um diesen Prozess der gesellschaftlichen Inklusion anzustoßen. Analog zum Begriff der Interkulturalität zeigt sich auch anhand von Respekt, wie hier die Logik der sozialen Inklusion in der politischen Landschaft gestärkt werden soll. In der integrationspolitischen Praxis der Projekte durchläuft das Ideal der „gleichen Augenhöhe“ jedoch mehrere Übersetzungsvorgänge, welche zu Verschiebungen der ursprünglichen Bedeutung führen. So können bei den in der Praxis ablaufenden Interaktionen die Strategien zur Einforderung von (verweigertem) Respekt und Anerkennung nachvollzogen werden. Wie ich am Beispiel des Projekts Chance aufzeigen konnte, werden existierende Machthierarchien anhand der Forderungen dieser Politik der Anerkennung erst deutlich. Diese Machthierarchien behindern häufig den respektvollen Umgang der Partner, wenn bei projektinternen Aushandlungen nicht alle Interessen offengelegt werden oder die Partner nicht als adäquate Experten anerkannt werden. Eine Vertreterin einer Migrantenorganisation beschreibt diesen Mangel an Respekt so: „Es geht mir um Respekt zueinander – und es ist respektlos, wenn jemand jemandem etwas verheimlicht, oder nicht sagt, oder nicht offen sagt.“ (Interview Frau Jung, Leiterin einer Migrantenselbstorganisation)

Sennett thematisiert diese durch den Mangel an Respekt ausgelösten Exklusionsmechanismen, wenn er schreibt: „Mangel an Respekt mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein. Man wird nicht beleidigt, aber man wird auch nicht beachtet; man wird nicht als ein Mensch angesehen, dessen Anwesenheit etwas zählt.“ (Sennett 2002:15)

Das integrationspolitische Schlagwort der „gleichen Augenhöhe“ innerhalb des Instruments der Tandempartnerschaft soll genau diese Problematik aufgreifen. Jenseits der durch die Politik gewählten Strategie, „gleiche Augenhöhe“ zwischen den einzelnen Projektpartnern anzumahnen, spielt der respektvolle Umgang miteinander – und somit auch die Bedeutung von Respekt als ethischem Verhaltenscode – in der sozialen Jugendarbeit eine zentrale Rolle, der ich im Folgenden anhand von empirischen Beispielen weiter nachgehen werde.

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8.2 R ESPEKT ALS KULTURALISIERTER V ERHALTENSKODEX Respekt wird als ein möglicher Verhaltens- und Wertekodex von männlichen Jugendlichen mit türkischen bzw. arabischem Migrationshintergrund in den Projekten des Aktionsprogramms mehrfach thematisiert. Im Rahmen des – sich ja explizit an männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund richtenden – integrationspolitischen Programms lassen sich dabei spezifische Konstruktionen von migrantischer Männlichkeit aufzeigen. Diese werden von diversen Akteur/innen aktiviert, verteidigt oder hinterfragt. Im Zentrum dieser Aushandlungen stehen Bilder eines „türkisch-muslimischen Mannes“, welcher sich auf den Wertekanon der ländlichen türkisch-muslimischen Gesellschaft bezieht und diesen unverändert beibehält. Der „türkisch-muslimische Mann“ wird dabei häufig „als geleitet von Kultur, Tradition und Religion dargestellt und als Träger hypermaskuliner, archaischer, gewalttätiger Männlichkeit problematisiert“ (Scheibelhofer 2011: 150). Im wissenschaftlichen Feld der Männlichkeitsforschung vertritt u.a. der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak diese stark kulturalistisch geprägte Sichtweise (Toprak 2005). Scheibelhofers kritische Herangehensweise der Männlichkeitsforschung fordert hingegen eine gesellschaftskritische Kontextualisierung von Männlichkeitsbildern insbesondere im Zusammenhang von Migration und Männlichkeiten ein. Das integrationspolitische Aktionsprogramm des Berliner Senats wirft mit seiner expliziten Ausrichtung auf männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund die Frage nach den Bildern von Männlichkeit auf, die hier eine Rolle spielen. Wenn männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund zur Zielgruppe eines integrationspolitischen Programms erklärt werden, besteht die Gefahr, die Reproduktion vorgefasster zumeist problematisierender Positionen zu migrantischer Männlichkeit weiter fortzuschreiben. Auf diese Problematik verweist auch die Evaluatorin des Programms. Ein Fachtag, zu dem alle Projekte eingeladen werden, soll daher als Diskussionsplattform unterschiedlicher „Expertenmeinungen“ zum Thema Männlichkeit gestaltet werden. Ziel des externen Evaluationsbüros ist es, Reflexionen zu diesem Thema bei allen beteiligten Parteien – also sowohl den Mitarbeiter/innen der Senatsverwaltung als auch den Sozialarbeiter/innen – anstoßen. „Notwendig erscheinen aus Sicht der begleitenden Evaluierung vor allem differenzierte, kritische und Stärken einbeziehende Blicke: auf die Zielgruppe, die öffentlich dominanten

172 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Männlichkeitsbilder, Lebensverhältnisse und Vorstellungen“ (Infobrief 2, Zwischenbilanz)

Auf diesem Fachtag sollen folglich Experten zum Thema „Arbeit mit männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ Stellung beziehen und eine Diskussion anregen. Folgende Fragen werden dabei durch die Organisator/innen als zentral für die Diskussion angesehen: „Welche Männlichkeitsbilder von jungen Migranten dominieren in der Stadtgesellschaft? Warum ist das so? Welche Selbstbilder gibt es bei den jungen Männern und Vätern? Wie gelingt der ‚differenzierte Blick‘ in den Projekten?“ (Einladung zum Fachtag, 2009)

Der bereits genannte Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak ist einer der hierzu eingeladenen Experten. Ebenso geladen ist der Berliner Erziehungswissenschaftler und Leiter einer Kreuzberger Jugendeinrichtung Hakan Aslan. Während Toprak in seinem Vortrag „das Männlichkeitsbild türkischer und arabischer Jugendlicher“ entwirft und dabei wie erwartet auf eine stark kulturalistisch gefärbte Argumentationslogik zurückgreift, kann der Vortrag von Hakan Aslan als differenzierte Erwiderung auf Topraks Thesen verstanden werden. Das deutet bereits der Titel seines Vortrags an: „Junge Migranten: sexistisch, gewaltbereit, respektlos? – Sind die noch zu retten?“ Im Rahmen dieses integrationspolitischen Fachtages wird damit einerseits der kulturalistischen Argumentationslinie Topraks eine Plattform geboten – diese jedoch durch Reaktionen aus dem Publikum und durch den darauf folgenden Vortrag von Aslan gebrochen und hinterfragt. Respekt wird dabei durch beide Redner als wichtiger ethischer Code in ihrer Arbeit mit männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund dargestellt. Toprak verfolgt in seinem Vortrag dabei das Ziel, „patriarchale und traditionelle Denkstrukturen der in der traditionellen Familie verankerten Männlichkeitskonzepte“ darzustellen und diese in Frage zu stellen. Zu Beginn seines Vortrags wendet sich Toprak an das Publikum und fragt nach Assoziationen zu „Männlichkeit“. Hierauf entwickelt sich eine interessante Dynamik bei den Zuhörern: Immer wenn ein negativer Begriff oder Klischee bedient wird (aggressiv, Macho, traditionell, frech, laut) ruft jemand aus der Runde der anwesenden Jugendlichen und Sozialarbeiter/innen ein positives Klischee dagegen (hilfsbereit, höflich, respektvoll). Dies führt zu deutlichen Irritationen im Publikum und beim Redner. Offensichtlich wird, dass unter den anwesenden Sozialarbeiter/innen zwei unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Männlichkeit miteinander

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konkurrieren und durch die Einwürfe ein Gegenbild zu vorherrschenden Klischees von Männlichkeit geschaffen werden soll. In seinen eigentlichen Ausführungen greift Toprak dann im Folgenden auf „türkische“ Wertevorstellungen wie die Kategorien von ùeref und Namus zurück, welche er als „Ansehen in der Öffentlichkeit“ und als „Ehre des Mannes“ übersetzt. Toprak bezieht sich dabei explizit auf einen durch die Arbeiten des Ethnologen Werner Schiffauer diskutierten traditionellen Wertekanon der (ost)anatolischen ländlichen Gesellschaft (Schiffauer 1987). Schiffauer zeichnet in seinen frühen Arbeiten ein differenziertes und in den jeweiligen Kontext eingebettetes Bild gesellschaftlicher Normen und Werte in der ländlichen Gesellschaft des Dorfes Subay und zeigt hieran die Bedeutung von der Konzepte Sayg, Sevg, ùeref und Namus für den sozialen Zusammenhalt und das Funktionieren der dörflichen Gemeinschaft auf.48 48 Schiffauer beschreibt in seiner Ethnografie „Die Bauern von Subay“ (1987) eine dörfliche Gemeinschaft, deren soziales Leben durch Prinzipien der Gegenseitigkeit, des Tauschens und Teilens geordnet ist. Ausprägungen von „Respekt“ können in diesem traditionellen ländlichen türkischen Kontext in vier ethischen Kategorien gefasst werden: Sayg (Respekt bzw. Achtung gegenüber den Älteren), Sevg (Liebe und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder), ùeref (Ansehen, Würde) und Namus (Familien-) Ehre). Die nicht hinterfragbare Achtung der Kinder gegenüber den Eltern (Sayg) wird laut Schiffauer dadurch begründet, dass das Kind seinen Eltern das Leben verdankt und von Ihnen in seiner Kindheit umsorgt wurde. „Diese einseitige und prinzipiell nicht wiedergutzumachende Gabe der Eltern begründet auf der Seite des Kindes die Pflicht zur Achtung (Sayg); wobei im Türkischen mit Achtung weniger ein Gefühl gemeint ist als eine umfassende Verpflichtung die neben Gehorsam und Respekt auch die Verpflichtung der Unterstützung im Alter umfasst.“ (Schiffauer 1987:27) Sie wird übertragen auf alle älteren Personen und umfasst bestimmte Handlungsvorschriften. So darf in Gegenwart des Vaters (oder einer anderen älteren Person) nicht geraucht werden oder der Meinung des Älteren widersprochen werden. Bei dieser Form des Respekts handelt es sich demzufolge um eine asymmetrische Ausprägung. Achtung beschreibt hier nicht ein individuelles Gefühl, sondern ist eine Norm, sie muss „gezeigt“ werden. Diese Form der Achtung äußert sich durch Regeln der Höflichkeit gegenüber einer ganz bestimmten Bezugsgruppe – der der Älteren. Unter ùeref wird dagegen eine andere Facette von Respekt verstanden. ùeref kann mit Ansehen oder Würde übersetzt werden und bezieht sich auf das Ansehen des Familienvorstandes, bzw. des ganzen Haushaltes gegenüber der (dörflichen) Gemeinschaft. ùeref kann durch großzügiges Verhalten und Engagement erworben werden. „Dieser Wert verlangt Großzügigkeit, ja Verschwendung. Es gilt darauf zu achten auf jede Gabe eine Gegengabe folgen zu lassen die möglichst größer und reichhaltiger sein sollte als das

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In seinen späteren Arbeiten verweist Schiffauer jedoch auf die Prozesshaftigkeit von Kultur und betont das komplexe Ineinander und Gegeneinander von wertetransformierenden und wertestabilisierenden Prozessen im Kontext von Migration (Schiffauer 2003:42). Toprak hingegen reproduziert in seinen Ausführungen auf dem Fachtag ein eingeengtes und negativ konnotiertes Verständnis dieser Wertvorstellungen und assoziiert diese mit einer an sich rückständigen und damit als Leitidee für heutige Jugendliche problematischen Kultur. Einer der anwesenden Sozialarbeiter – welcher selber einen türkischen Migrationshintergrund hat – zeigt sich im Anschluss an den Vortrag sehr verärgert über diese „einseitige Darstellung“. Im Interview verweist er darauf, dass die Vorstellung von Respekt und Höflichkeit doch auch als ein positives Element wahrgenommen werden kann: „Der Toprak hat sich das genommen und eigentlich den Aspekt, der einzig möglicherweise ein gutes Licht wirft auf die Jugendlichen, den hat er weggelassen. Nämlich Respekt vor Älteren / Sayg. In der Umkehr heißt das Liebe der Älteren zu den Jüngeren / Sevg. Weil die könn‫ ތ‬ja nicht Respekt beweisen, also sind sie durch Liebe gebunden. […] Weil Ehre [Namus] an sich ist alles verkackt…, wenn von Ehre gesprochen wird sagen alle: ‚oh Gott!‘ Und dieser dritte Aspekt hätte ja ein gutes Licht möglicherweise auf die Jugendlichen geworfen und ihnen was Positives auch zugeschrieben.“ (Interview Nasir Kurt, Projektleiter)

Nasir verweist im weiteren Gespräch darauf, dass diese Begrifflichkeiten etwas in den Köpfen der Jugendlichen konstruieren. Häufig bemerkt er in seiner Arbeit, dass Jugendliche die Begrifflichkeiten „durcheinanderbringen“ und anstelle sich auf Respekt (Sayg) auf den Begriff der Ehre (Namus) beziehen (beispielsweise bei der Tabuisierung des Rauchens in Anwesenheit der Eltern). Nasir Kurt verweist somit auf den teilweise sinnentleerten bzw. gewandelten Gebrauch der traditionellen Werte unter den Jugendlichen und auf die damit einhergehende „Entfernung“ von einem kulturell geprägten Wissen ihrer Eltern und Großeltern. Empfangene“ (Schiffauer 1987:30). ùeref hat damit viel mit dem Erwerb und Erhalt von Prestige zu tun, einer Verhaltensweise die sich in nahezu allen Gesellschaftsformen wiederfindet. Als eine weitere ethische Kategorie spielt die Ehre (Namus) im Wertekanon der traditionell-islamischen Gesellschaften eine bedeutsame Rolle. „Die Zuschreibung von Ehre (Namus) ist notwendig um sich im Dorf behaupten zu können. Eine Familie, deren Ehre in Frage gestellt wird, deren Integrität zweifelhaft erscheint, die als zerstritten und schwach gilt, wird im Dorf nicht mehr respektiert werden“(Schiffauer 1987:46). Dabei muss Ehre nicht nur gelebt, „sie muss vor allem demonstriert werden“ (Schiffauer 1987:49).

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Auf dem integrationspolitischen Fachtag geht Aslan in seinem Vortrag auf die durch Toprak aufgeworfenen Männlichkeitskonstruktionen und die Bedeutung von Respekt im Umgang mit und zwischen männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein. Er nimmt dabei eine gesellschaftskritische Perspektive ein und verweist auf diese Werte als eine mögliche Ressource für Jugendliche, welche von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden. Respekt, Achtung und Ehre können Jugendlichen in dieser Situation zur positiven Identifikation dienen. Aslan wendet sich damit gegen die von Toprak eingenommene rein negative Beurteilung der traditionellen Wertvorstellungen und fordert stattdessen eine vorsichtige, schrittweise Kulturdekonstruktion: „Im Türkischen gibt es die Begriffe Namus – Ehre, ùeref – Stolz, Sayg – Achtung, die ohne weiter zu differenzieren alle drei von Jungen oft mit der Bezeichnung Ehre gleichgesetzt werden. Ein starres Verständnis des Ehrbegriffs stellt einen Schutzmechanismus dar und es ist erfahrungsgemäß nicht hilfreich, die Jungen durch Belehrungen zu demütigen und zu entblößen. Eine schrittweise Kulturdekonstruktion führt zu einer größeren Öffnung, als das Herunterreißen ihrer Schutzschilder. In diesem Zusammenhang geht es darum, Stärken zu definieren und Kultur gegebenenfalls neu zu konstruieren. ‚Delikanl‘ – ‚Wildblüter‘ ist z.B. ein Begriff für heranwachsende junge Männer, der durchaus auch positive Konnotationen hat: Ehrlichkeit, respektvoller Umgang mit anderen Menschen etc. Den Jungen kann ein neues Selbstwertgefühl vermittelt werden, indem eine Identität gestärkt wird, die ihrer Realität entspricht, nämlich die Identität als ‚Hybride‘ mit den Vorteilen von Bilingualität, Bikulturalität und Flexibilität.“ (Feldtagebuch, Vortrag Hakan Aslan, Fachtag März 2009)

Aslan beschreibt diesen (Rück-)Bezug auf traditionelle „türkische-muslimische“ Werte als Schutzmechanismus. Die Jugendlichen, die sich in ihren Strategien der Zugehörigkeit auf diese Werte und Normen beziehen, gleichen diese jedoch in seinen Augen an ihre aktuellen Lebenswelten und Wahrnehmungen an und unterziehen sie dadurch einem Wandel. Aslan fordert die Anerkennung dieses kreativen Prozesses und der dabei wichtigen kulturellen Versatzstücke wie „Respekt“ in einer neuen, hybriden (Jugend)Kultur anstatt ihre pauschale Ablehnung als „patriarchal“ und „traditionell“. In der Praxis des Aktionsprogramms zeigt sich, wie der von Toprak aufgegriffene Diskurs um „türkischen“ Respekt, Achtung und Ehre von Sozialarbeitern und den Jugendlichen prozesshaft selber mit- und umgestaltet wird. Die ursprünglich aus einem ländlichen, traditionellen türkischen bzw. kurdischen Kontext stammenden Wertevorstellungen dienen heute, in einem von Globalisierung, Transnationalismus und Hybridität geprägten städtischen Kontext unter den ju-

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gendlichen Nachfahren türkischer Migrant/innen als eine mögliche Identifikationsfolie (Scheibelhofer 2011:163). Vorstellungen von Respekt und Ehre werden von ihnen selbst und von den mit ihnen arbeitenden Sozialarbeiter/innen als Erklärung für ihre Verhaltensweisen herangezogen. Sie werden in der Praxis der Jugendlichen zu einem „Code“, der zur Identifikation dienen kann, aber auch strategisch als Distinktionsmittel eingesetzt wird. Schiffauer verweist in diesem Zusammenhang auf eine kulturalistische Bewegung unter Migrant/innen der 3. Generation, die dazu führt, dass unter Rückbezug auf kulturelle Elemente das ethnische Anderssein betont wird (Schiffauer 2005). Ausgehend von den auf dem Fachtag des Aktionsprogramms geführten Diskussionen, welche sich sowohl auf ethnisch-kulturelle Wissensordnungen von Respekt aus dem türkisch/ kurdischen Kontext als auch auf Wissensordnungen der Sozialen Arbeit beziehen, gehe ich der Bedeutung, die dieses Wissen für die Jugendlichen selber hat weiter nach. Erol, ein junger Mann mit kurdischem Migrationshintergrund, schildert mir sein Verständnis von Respekt folgendermaßen: B. K-D: „Was heißt das für dich Respekt zu haben, Respekt zu zeigen?“ Erol: „Also Respekt hat auch was mit Ehre zu tun. Wenn ich respektlos zu einem Menschen bin, dann bin ich auch stolzlos, ehrlos, das ist sehr wichtig.“ B. K-D: „SagҲ mal die türkischen Wörter für Respekt – Ehre.“ E: „Ich bin gerade so auf Deutsch gepolt, dass ich gerade kurz überlegen muss, ganz kurz….: sayg. Sayg ist Respekt und úeref. Sayg ist Respekt und úeref ist Ehre.49 Aber die Wörter haben mehr Bedeutungen als nur Ehre und Respekt. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen. ….. Sayg, das ist [er überlegt] auch: ‚Stillgestanden!‘ Ich kann‫ތ‬s nicht leicht erklären. Stillgestanden, wenn der Sheriff kommt. Das ist Respekt, sayg. Aber Respekt, das Wort erklärt es nicht ganz. Achtung, Hochachtung – du respektierst die Menschen, die es verdient haben, auch die Menschen die es nicht verdient haben. Es gibt ja Menschen, die kaum Respekt verdient haben. Vor Dir hab ich auch Achtung. Vor ‫ތ‬ner Frau, sehr viel Achtung hab ich da. Ich darf vor Dir Sachen nicht machen, die ich vor anderen machen würde. Es gibt verschiedene Arten von Respekt. Respekt vor ‫ތ‬ner Frau ist anders wie Respekt vor dem Mann. Ich würd mit ‫ތ‬nem Mann mich ganz anders unterhalten wie eben mit einer Frau oder einem Kind. Das ist sehr wichtig, das hat man im Unterbewusstsein – weißt Du, was ich meine?“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

49 Erol übersetzt hier ùeref mit Ehre und verwendet nicht den Begriff Namus. Dies kann an seinen mangelhaften Türkischkenntnissen liegen, zeigt aber auch die gewisse „Beliebigkeit“, mit der diese Begrifflichkeiten in die heutige Alltagswelt der Jugendlichen übersetzt werden und bestätigt die Beobachtungen von Hakan Aslan und Nasir Kurt.

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Ein Widerspruch, der dabei in vielen Diskussionen auffällt, ist einerseits die Betonung von Respekt gegenüber Älteren (Sayg) und andererseits der Vorwurf der Respektlosigkeit, mit dem diese Jugendlichen häufig konfrontiert werden. Dieser Widerspruch zeigt, dass Respekt von den Jugendlichen situativ eine unterschiedliche Bedeutung zugewiesen wird. Einerseits wird er als universeller Wert angesprochen, der eine symmetrische Form der Achtung oder der Wertschätzung beschreibt: „Respekt ist sehr wichtig. Man muss jeden Menschen respektieren egal ob er Ausl….[unterbricht sich selbst] egal wie er aussieht, egal ob er Mann oder Frau ist. Jeden Menschen gleich.“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

Andererseits gilt Respekt als „kultureller Wert“ in Form einer asymmetrischen Beziehung. Er wird als ethnisierter Code in bestimmten Situationen nur gegenüber oder innerhalb der „eigenen Gruppe“ aktiviert. Respekt kann in diesem Zusammenhang als Distinktionsmuster gedeutet werden, da der asymmetrische, „traditionelle“ Respekt gegenüber älteren Autoritätspersonen nicht selbstverständlich auf andere „Respektspersonen“, beispielsweise den Lehrer oder die Lehrerin übertragen wird, so lange diese(r) als Repräsentant/in der „anderen Gruppe“ wahrgenommen wird. Erol: „Der Lehrer ist ja das Bild von den Deutschen, was wir ham. Und wenn ich gegen den Lehrer bin, dann bin ich auch gegen alle anderen Deutschen. Schon als Kind hatte ich Probleme in dem Sinne mit Respekt. Das waren meine Gegner immer, die waren immer gegen mich, schon als Kind. Das ist so gewesen…“ […] B. K-D. „Ein Punkt, den ich nicht verstehe, ist, wenn du jetzt sagst, als Kind hattest du gegenüber deinen Lehrern keinen Respekt. Widerspricht das nicht dem, was du mir zu Respekt erklärt hast?“ E: „Wie soll ich das erklären? Als Kind lernt man diese Tugenden auch. Als Kind ist es wirklich so – da trennst Du: meine Leute – die Leute. Weil, bei mir war das so: Ich hab sehr früh erfahren müssen, dass es – an meiner eigenen Haut sehr viel erfahren müssen….“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

Erol erklärt die hier durch den Gebrauch von Respekt deutlich werdenden Distinktionsmuster mit Ausgrenzungserfahrungen in seiner Kindheit: Erol: „Ich war neun, vielleicht ein bisschen älter oder jünger. Ich hab damals auch viel Scheiße gebaut. … Und ähm das war 1998/ 96/ 97, die haben mich mitgenommen aufs Polizeirevier und die waren ganz eklig zu mir, ganz eklig, so eklig das würdest du mir gar

178 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT nicht glauben, wenn ich dir das jetzt erzähle. So: ‚Jetzt kriegs‫ތ‬te eine auf die Fresse von mir‘ und weiß was ich und hin und her. Dann hatten die mein Handy: ‚gib mein Handy wieder, gib mein Handy wieder‘ – und dann hab ich mein Handy in drei Stücken wiedergekriegt. Meines neues Handy in drei Stücken wiedergekriegt – kein Spaß – ein neunjähriges Kind. Da hab ich zum ersten Mal verstanden, was Rassismus ist. Weil ich es an meiner eigenen Haut erlebt hab. Seitdem hab ich dieses… Mein Lehrer war auch immer so zu mir. Ich war immer der größte, der Stärkste, ich war immer der Buh-Mann, die ham mich immer in die Schublade gesteckt, wo ich nicht sein wollte. Die ham mich immer als den bösen Starken, Großen der immer alle schlagen muss, der immer geklaut hat gesehen. Ich war immer der Buh-Mann. Immer wenn was geklaut wurde, wurde immer erst zu mir gekommen und gesagt – zeig mal deine Taschen… Auf jeden Fall hat dann irgendwann die Rolle auch Spaß gemacht, man hat das dann angenommen. Weil der Lehrer, wenn immer alle sagen, dass du nichts kannst, hast du kein Selbstwertgefühl. Dann ist auch alles scheißegal.“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

Erol bezieht sich in seinen Ausführungen auf ein Narrativ, welches auch Spindler und Scheibelhofer in ihren Arbeiten herausheben: dass rassistische Zuschreibungen und Platzzuweisungen in der frühen Kindheit zu einer Ethnisierung von Männlichkeitskonstruktionen führen können. (Spindler 2006, Scheibelhofer 2011:165) Dieses Narrativ ist fest in der Sprache der Jugendsozialarbeiter/innen sowie den Wissensordnungen verankert, auf welche sich die meisten Jugendsozialarbeiter/innen beziehen. Dies führt dazu, dass die Jugendlichen in den Projekten häufig diese Sprache übernehmen, um ihre persönlichen Ausgrenzungserfahrungen zu schildern. Sie reden, so eine Bemerkung der Evaluatorin nach einem Projektbesuch, häufig selber „wie kleine Sozialarbeiter“. Dass Respekt nur gegenüber der eigenen Gruppe gezeigt und somit als ausschließlicher Distinktionsmechanismus aktiviert wird, lässt sich jedoch nicht sagen. Als junger Erwachsener aktiviert Erol situativ das in der Kindheit erlernte respektvolle, höfliche Verhalten gegenüber Autoritäten. Er verabschiedet sich respektvoll, als er eine öffentliche Veranstaltung des Integrationsbeauftragten früher verlassen muss. Sein Projektleiter weist mich im Interview auf dieses Verhalten hin: „Der Erol – ich kenn ihn jetzt ein bisschen mehr als ein Jahr. Das ist ‫ތ‬nen schwieriger Typ, vor zwei Tagen saß er wieder im Knast, was weiß ich, wieder mit Dope erwischt, er is ‫ތ‬nen Kiffer vorm Herrn, geht nicht arbeiten und macht dies und jenes nicht. ABER, der schafft es in so ‫ތ‬ner Veranstaltung, wo 50 Leute sind, sich höflich zu verabschieden, ja? Sagt: ‘Entschuldigung, ich muss los‘. Er schafft es, sich zu verabschieden. Der hat ja nach

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der Pause das Mikrophon weggelegt und ohne Anlage gerappt, der kann ja auch auftreten und das ist ja auch ‫ތ‬ne Stärke! Der ist ja nicht nur dick, kahlgeschoren und doof, oder Unterschicht,50 sondern er meint‫ތ‬s ernst mit dem was er gesagt hat, er will teilhaben!“ (Interview Nasir Kurt, Projektleiter)

An den Aussagen und dem Verhalten von Erol wird deutlich, dass er sich sowohl auf spezifische kulturelle Wissensordnungen von Respekt und Autorität bezieht, als auch auf Wissensordnungen, zu denen er durch seine (Mit-)Arbeit in Projekten der Sozialen Jugendarbeit Zugang erhält und die in seiner Ausgrenzungserzählung münden. Wem Respekt erwiesen wird und welche Auslegung von Respekt dem Verhalten in der jeweiligen Situation zugrunde gelegt wird, ist dabei äußerst variabel. Der ethische Code des Respekts kann somit situativ sowohl als positive, kulturelle Ressource, als ethnifizierter Distinktionsmechanismus oder als Grundlage sozialer Jugendarbeit herangezogen werden.

8.3 V ORBILDER – R ESPEKTSPERSONEN Respekt gegenüber einem Vorbild und die Respectability derjenigen, die diese Rolle einnehmen, spielt im Rahmen des Aktionsprogramms eine besondere Rolle. Der Integrationsbeauftragte verweist in seiner Bilanzrede auf die große Bedeutung, die dem „Bereich Vorbilder schaffen“ in der integrationspolitischen Praxis zukommt und verknüpft gesellschaftliche Anerkennung mit dieser Vorbildfunktion: „Es geht hier nicht um Vorbilder wie ‚der große Fußballer‘. Das sind auch Vorbilder, aber es geht auch um Leute, die andere Vorbilder sind. Wir haben ein Projekt, in dem ehemalige Strafgefangene Vorbilder sind und in Schulen gehen. Ich glaube, das ist der richtige Weg, wo auch Jugendliche mit Migrationshintergrund ihren Weg zeigen und sagen: ‚Auch Du kannst es schaffen – und dann wird dies und Du auch anerkannt‘.“ (Herr Piening auf der Bilanzveranstaltung 08.12.2009)

Vorbildhaftes, soziales Engagement wird hier als ein Weg beschrieben, um Respekt und gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Dieses Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung ist gepaart mit dem häufig geäußerten Wunsch,

50 Mit dem Bezug auf „Unterschicht“ verweist der Sozialarbeiter in diesem Zusammenhang auf einen von Erol gerappten Track „Unterschicht“, der im Rahmen des Projekts entstand.

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etwas von dem, was die Gesellschaft für einen selber getan hat, an diese zurück zu geben. Biografische Bezüge spielen dabei eine besondere Rolle für die Untermauerung des erworbenen Ansehens und der sich daraus ergebenden sozialen Verpflichtungen. Respekt kann demnach entweder durch spezifische Normen zugeschrieben oder durch bestimmte Leistungen, Fähigkeiten oder ein bestimmtes Verhalten erworben werden. Der Philosoph Darwall grenzt diese Form des appraisal respect von dem allgemeingültigen recognition respect ab (Darwall 1977:37). Appraisal respect beschränkt sich exklusiv auf bestimmte Personen, welche sich durch besonderes Ansehen auszeichnen. Dieses besondere Ansehen wird häufig verbunden mit einem hervorzuhebenden Charakter der Person, der dieser Respekt entgegengebracht wird. Diese Person nimmt dann die Rolle eines Vorbildes ein. Im englischen Sprachgebrauch findet sich diese Form des asymmetrischen Respekts in Form der Respectability wieder, welche gesellschaftliche Anerkennung, aber auch Achtbarkeit, Solidität und Ehrbarkeit zum Ausdruck bringt. Um exemplarisch die Bedeutung der Vorbildfunktion innerhalb der integrationspolitischen Assemblage herauszuarbeiten, greife ich auf das biografische Narrativ eines Projektleiters mit Migrationshintergrund zurück und erläutere anhand dieses Narrativs mögliche Ausdeutungen von Respekt, Respectability und gesellschaftlicher Anerkennung. Für den hier vorgestellten Projektleiter Mahmut hat die Vorbildrolle, die er in seinem Kiez gegenüber Jugendlichen einnimmt zentrale Bedeutung und stellt einen wesentlichen Bestandteil der Legitimation seiner Arbeit im Verein dar. Mahmut ist nicht ein reiner Angestellter des Vereins, sondern hat diesen selbst mitgegründet – der Verein ist „sein Kind“. Er verfügt selber jedoch über keine formale Qualifikation als Sozialarbeiter. Das durch die Senatsverwaltung finanzierte Projekt ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Vereinsarbeit und ein Schritt des Vereins hin zu einer erhofften Institutionalisierung und Professionalisierung. In seiner Selbstdarstellung bezieht er sich auf die persönlichen Erfahrungen, die er als Sohn der ersten Generation von türkischen Gastarbeiter/innen in Berlin gemacht hat. Er wurde in Berlin geboren und wuchs unter schwierigen sozialen Verhältnissen in dem Kiez auf, in dem er bis heute tätig ist. Als Kind besuchte er eine „Ausländerregelklasse“.51 Die damit verbunde51 Die sogenannten Ausländerregelklassen wurden ab den 1980er Jahren in Berliner Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern der neu hinzugezogenen Gastarbeiter/innen eingerichtet. In diesen Klassen wurden Kinder mit türkischer Muttersprache getrennt von Kindern mit deutscher Muttersprache in einem bilingualen Unterricht unterrichtet. Damit sollte eine bessere Alphabetisierung der Kinder erreicht werden. Dieser getrennten Unterrichtsform lag jedoch die Annahme zugrunde, dass die Eltern dieser Kinder als Gastarbeiter nur eine begrenzte Zeit in Deutschland bleiben werden, ei-

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nen Ausgrenzungserfahrungen betont er, wenn er seine spätere sportliche Karriere darstellt. In seiner Lebenserzählung unterstreicht er, dass er es trotz oder gerade aufgrund einer schwierigen Kindheit geschafft hat, aus eigener Kraft erfolgreich zu sein, sich neue Perspektiven jenseits des problematischen Kiezalltages zu erschließen und sich aus diesen Erfahrungen heraus für seine Mitmenschen zu engagieren. Mahmut beschreibt dies folgendermaßen: „Das kann man nicht Erlernen. Diese soziale Energie, meinen Mitmenschen zu helfen, hat sich schon bei mir manifestiert durch meine komische Kindheit. Und der Drang – also die Situationen, was wir so erlitten haben –dieser Leidensweg was ich erlebt habe, dass das die anderen Menschen nicht erleben sollen, das ist mein Antrieb sozusagen. Aus dieser Motivation heraus arbeite ich mit voll vielen Menschen gerne zusammen. Das hat sich im Laufe der Jahre wirklich so Stück für Stück entwickelt. Dann hat man sozusagen angefangen einer Person zu helfen und dann hat man gesehen: ‘Ej, was dieser Mensch da anpackt und anfasst funktioniert und bringt einen weiter‘ und dann kam der nächste Klient, sach ich mal so grob ausgedrückt usw. usw. usw. So. Und natürlich ist die Vorbildfunktion im sportlichen Bereich eine ganz, ganz große Stütze dabei, so dass die Leute sagen: ‚Oh, der macht ja dies, der hat ja den Grad,52 der macht ja schon dies und das‘. Und dann sehen die Jugendlichen einen natürlich von einem ganz, ganz anderen Blickwinkel. Die schau‫ތ‬n dann auf einen auf, und ich mach dann dieses Instrument meines Status, sag ich mal, für mich nutzbar. Und initiiere dementsprechend, was die Leute dann an Hilfestellung brauchen. […]“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Als der älteste Sohn der Familie übernimmt Mahmut früh Verantwortung, da der Vater nach einem Unfall in die Türkei zurückgekehrt ist und die Mutter neben ihrer Schichtarbeit bei Siemens die alleinige Erziehungsverantwortung für vier Kinder hat. Mahmut beginnt daher ohne eine Ausbildung zu absolvieren direkt nach dem Schulabschluss am Berliner Schlachthof zu arbeiten. Diese harte, abstoßende Arbeit bringt Geld und unterstützt damit die Familie, führt aber auch zu einer zunehmenden Abstumpfung: „Und da hab‫ ތ‬ich dann über drei Jahre gearbeitet und hab‫ ތ‬angefangen mit den Augen von den Tieren zu spielen und hab‫ ތ‬dann selber gemerkt, als ich angefangen habe mit den Äuglein da zu spielen, dass ich sozusagen immun geworden bin gegen den Mist da, was ne vollständige „Integration“ der Kinder in das Regelsystem der Schule schien damit nicht erstrebenswert. 52 Mahmut betreibt Kampfsport. Hier bezieht er sich auf die verschiedenen Gürtelgrade im Jiu-Jutsu.

182 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT da war und hab mir gesagt: ich muss da jetzt einen cut geben, für mich selber. Und hab‫ތ‬ dann da gekündigt und bin dann da auch rausgegangen. Und dann geht‫ތ‬s natürlich bei mir weiter, dann hab ich angefangen intensiv mit Sport.“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

In der intensiven Beschäftigung mit (Kampf-)Sport findet Mahmut zu einem neuen Selbstwertgefühl. Über körperliche und mentale Stärke und Geschicklichkeit erreicht er in seiner Sportart des Jiu-Jutsu viel und nimmt auch außerhalb von Berlin und im Ausland an Trainings und Wettkämpfen teil. An dieser japanischen Kampfsportart fasziniert ihn jedoch nicht allein die sportliche, sondern darüber hinaus auch die philosophische Komponente. Er ist davon überzeugt, dass er durch die Fähigkeiten, die er sich hier aneignet, auch sozial etwas ändern kann. „Also immer im Vordergrund ist da der Mensch, und das Gute im Menschen zu erkennen und zu sehen und auch Menschen, die so geistig abwesend sind, halt auch zurechtzurücken und zu sagen – hey das funktioniert für dich besser, wenn du das so machen würdest. […] Wir bezeichnen uns ja auch als Hinterhofsamurais, weil wir ja hier sind und ähm teilweise auch in einem Ghetto auch leben, das brauchen wir ja nicht zu verschweigen, und dann ist es halt so. Ich bezeichne mich selber so als türkischer Japaner, weil ich die ganze Philosophie und die ganze Tradition so in mich aufgenommen habe, dass sich mit dem ganzen Türkengetue gar nicht mehr so viel am Hut habe.“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Neben dieser zunächst vorrangig ehrenamtlich betriebenen sportlichen Betätigung durchläuft Mahmut unterschiedliche sogenannte Qualifizierungsmaßnahmen – durch die er zur sozialen Arbeit des Quartiersmanagement kommt. Er erkennt seine Fähigkeiten als „Vorbild“ sowie seine Kompetenz, in Konflikten zu vermitteln und stärkt diese durch ein Training zum Konfliktmediator. Die Gründung des Vereins, in dem er (Kampf-)Sport und soziale Jugendarbeit kombinieren will, ist sein erster Schritt in die Selbstständigkeit. Mahmut sieht sein Kapital dabei in der Vorbildfunktion, die er innerhalb des Kiezes aufgrund seiner sportlichen Erfolge und seines sozialen Einsatzes als Konfliktmediator einnimmt. Er hat sich einen Status als „Kiezgröße“ erarbeitet und ist bei Jugendlichen und Eltern anerkannt. Dieses Ansehen erklärt er damit, dass er es selber „von der Straße aus“ zu etwas gebracht hat. Legitimiert durch seine eigene Biografie möchte er den Jugendlichen bestimmte Werte und Verhaltensweisen nahe bringen. In seiner Selbstdarstellung verknüpft er dabei Vorstellungen von Respectability mit einem kulturell geprägten Rollenverständnis des „älteren Bruders“ (türk. abi), in dem auch dem selbstverständlichen Respekt gegenüber dem Älteren abermals eine Bedeutung zu-

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kommt. Das hohe soziale Ansehen insbesondere unter den türkischen Migrant/innen im Kiez ist für Mahmut einer der wesentlichen Gründe, die er für den Erfolg seiner Jugendarbeit anführt. Zentraler Bestandteil des hier ausgeführten Narrativs ist es, dass Mahmut es durch sein eigenes Engagement und Können geschafft hat, erfolgreich zu werden, die Welt zu sehen und auch jenseits von Familie oder Wohnumfeld anerkannt zu sein. Darüber hinaus betont er die moralische Verpflichtung, die sich aus diesem Vorbildstatus ergibt. Respectability bedeutet für ihn mehr als ein rein materiell oder biografisch begründetes „Ansehen“. Er erachtet in diesem Zusammenhang moralische Werte und Normen für besonders wichtig und sieht seine Vorbildrolle auch darin, diese ethischen Standards zu vermitteln. Mahmut und sein ebenfalls im Verein engagierter Bruder Metin unterstreichen in Gesprächen mehrfach eine aus dieser Vorbildrolle resultierende moralische Verpflichtung: „Bei mir war das so, dass ich das, was ich so von den Menschen an Schönheit bekommen hatte, so ein Gefühl, noch weitergeben wollte. […] Man kann ja so als Mensch nicht so – wenn man wirklich so menschlich fühlt, dann muss man ja versuchen im Guten für bedürftige Menschen da zu sein. Das ist auch meine Einstellung. Deshalb haben wir dieses Ziel weiter verfolgt.“ (Interview Metin, Projektleiter)

Ihre Argumentation, welche die Wahl eines jeden Menschen einen „guten“ oder einen „schlechten Weg“ einzuschlagen unterstreicht, bezieht sich zwar nicht explizit auf den Islam, es wird aber deutlich, dass religiöse Bezüge eine Bedeutung haben. Gutes zu tun und andere davon abzuhalten einen schlechten Weg einzuschlagen, sehen sie auch deswegen als ihre moralische Aufgabe an, weil es „das Einzige ist, was wir den Menschen hinterlassen können“ (Metin). Die mit Bezug auf Respekt festgestellte Verbindung von sozialer Anerkennung mit einem Engagement für die soziale Welt beschreibt auch Greg Noble in seiner Studie zur zweiten Generation arabisch-muslimischer junger Männer in Australien als eine „ethic of care“ (Noble 2007:336). Diese „ethic of care“ wird von den durch Noble befragten jungen Männern als zentrales Erklärungsmuster für ihr soziales Engagement herangezogen und dient gleichzeitig zur Abgrenzung von der „fremden Kultur“ des Einwanderungslandes. Mahmut und Metin streben durch ihre soziale Arbeit nach Respectability als Form der sozialen Anerkennung im Kiez und über den Kiez hinaus. Einerseits setzen sie ihr alltägliches Engagement dafür ein, unter den Jugendlichen des Kiezes und den Mitgliedern der eigenen „Community“ anerkannt zu bleiben. Sie

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treten für eine Vermittlung traditioneller muslimisch-türkischer Werte und Normen wie Respekt gegenüber den Älteren ein und fordern generell, Achtung gegenüber allen Mitmenschen zu haben. Andererseits streben sie mit ihrem Verein auch nach gesellschaftlicher Anerkennung jenseits der engen sozialräumlichen Grenzen der Nachbarschaft. Die Vereinsgründung ist ein erster Schritt in ihrer Strategie der sozialen Inklusion auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Die Beteiligung am Aktionsprogramm des Berliner Senats werten sie als einen ersten Erfolg in diese Richtung. Die Verleihung des Berliner „Hauptstadtpreises für Integration und Toleranz“, welcher im Jahr 2009 unabhängig vom Aktionsprogramm durch die Staatsministerin für Integration Maria Böhmer an den Verein von Mahmut und Metin vergeben wird, bestärkt die beiden darin, diesen Weg weiter zu verfolgen. Nominiert werden sie dafür in meinen Augen aufgrund der durch ihre Personen verkörperten Narrative als Vorbilder. So stehen sie exemplarisch für das Narrativ des männlichen Migranten mit schwieriger Kindheit im Berliner „Problemkiez“, der sich durch eigenes Engagement im Bereich Sport oder der Subkultur des Hip-Hop (Rap, Breakdance oder DJing) auf der gesellschaftlichen Leiter heraufarbeiten konnte und sich nun durch soziales Engagement für benachteiligte Jugendliche einsetzt. Diese „Karriere“ als gesellschaftliche Vorbilder, die dem Narrativ des sozialen Aufstiegs und damit dem klassischen Bild von „Integration“ durch gesellschaftlichen Aufstieg entspricht, wird mit dem „Integrationspreis“ ausgezeichnet – nicht in erster Linie ihre alltägliche Arbeit als Kampfsporttrainer oder Ansprechpartner bei Problemen. Verschwiegen werden in diesem „Narrativ des Vorbildes“ die alltäglichen Frustrationserlebnisse der Akteur/innen, wenn keine Jugendlichen zum Sporttraining erscheinen, wenn das Inventar des aus Spenden aufgebauten Vereinsraumes mutwillig zerstört wird oder wenn sich für die Vereinsmitglieder trotz ihres Engagements immer noch keine längerfristige berufliche Perspektive abzeichnet, da sie nicht über die notwendigen formalen Qualifikationen verfügen. Die persönliche Enttäuschung darüber, dass sich damals wie heute Politiker mit ihren Biografien als „Vorbild“ schmücken, ohne dass sich dadurch etwas an der konkreten schwierigen Situation der Jugendlichen und an ihrer eigenen wirtschaftlich prekären Lage ändert wird allerdings nur in persönlichen Gesprächen geäußert. Alle Mitarbeiter des Vereins sind seit längerem arbeitslos. Keiner von ihnen verfügt über eine reguläre berufliche Ausbildung, da sie anstelle einer beruflichen Qualifikation im künstlerischen (Breakdance) oder sportlichen Bereich (Kampfsport, Ringen) Karriere gemacht haben. Von diesen Tätigkeiten können sie jedoch nicht ihren Lebensunterhalt verdienen und sind daher auf staatliche Transferleistungen und Jobs in der Sicherheitsbranche angewiesen. In ihrer Vereinsarbeit sind sie in hohem Maße von der finanziellen Förderung durch die Se-

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natsverwaltung abhängig. Die von ihnen dargestellte Respectability und das ihnen aus ihrem Umfeld zugeschriebene Charisma sind demzufolge äußerst prekär. Mahmut schildert die Anstrengungen, die damit verbunden sind, das Bild des Vorbildes trotz persönlicher Enttäuschungen aufrecht zu erhalten und die daraus resultierende innere Ermüdung: „Seit fünfeinhalb Jahren war ich Idealist, ich bin immer noch Idealist, und hab sozusagen schon vielen Menschen versucht zu helfen – oder auch geholfen sach ich mal, ‫ތ‬nen Job zu finden, von Drogen wegzukommen, ‫ތ‬nen besserer Mensch zu werden, ‫ތ‬nen besserer Vater zu werden oder die Frauen nicht als so herabwürdigend zu sehen – diese ganze Gleichberechtigung etc. Aber ich hab immer wieder festgestellt: Wie die Leute mich sehen, das interessiert mich eigentlich gar nicht. Wichtiger für mich ist: Wie sehe ich mich selber. Und ich sehe mich immer als einen Ritter, der sich selber geschlagen hat zum Ritter. Als selbst ernannter Helfer für Menschen, die halt fehlgeleitet sind oder bewusst meine Hilfe in Anspruch nehmen. Also ich will dafür keine Gegenleistung, erwarte dafür auch gar nichts aber äh – nee das ist ‫ތ‬nen bisschen falsch, ich erwarte nur eins eigentlich: Dass man die Fehler, die man begeht, bitte nicht noch einmal macht. Und das Ding ist, was ich schon festgestellt habe: Die Hilfe wird gerne angenommen, aber es wird als eine Selbstverständlichkeit gesehen. Das ist eigentlich gar nicht selbstverständlich, dass sich Menschen für andere Mitmenschen engagieren und wirklich eine enorme Energie für Personen verschwenden, die eigentlich das gar nicht wert sind. Das muss man auch mal so sehen. Weil von vorneherein sieht man: Dieser Mensch wird wieder alles verbocken. Das heißt man kriegt nach ‫ތ‬ner Weile selber Kopfschmerzen und ist dermaßen verheizt – ja – von diesen Mitmenschen, dass man gar nicht mehr in klaren Strukturen denken kann. Also langsam ist der Fall eingetreten, dass ich mich missbraucht fühle und etwas verheizt.“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Die mir gegenüber geäußerte Enttäuschung und Ermüdung steht im Widerspruch zu den nach außen hin präsentierten Bildern des starken, selbstbewussten und anerkannten Vorbildes, welche im Zusammenhang integrationspolitischer Diskussionen in den Vordergrund gerückt wird. Deutlich wird: die in der Repräsentation nach außen hin eingenommene Vorbildrolle bringt zwar einerseits soziale Anerkennung, andererseits kann sie auch zu einem großen psychischem Druck führen, da die einmal eingenommene Rolle in der sozialen Ordnung auch ausgefüllt werden muss.

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8.4 „R ESPEKT ZEIGEN “ DES H IP H OP

ALS ZENTRALER

W ERT

„If you treat people with respect, you get treated with respect“. Diesem Verständnis von Respekt, welches der Ethnologe Philippe Bourgois als eine der Grundregeln der von ihm erforschten Gemeinschaft in East Harlem beschreibt (Bourgois 1995) liegt eine Gleichwertigkeit der potentiellen Interaktionspartner zugrunde. Die Anerkennung bzw. Respektierung des Gegenübers hängt eng mit Anerkennung durch genau dieses Gegenüber zusammen. Nur wenn diese Anerkennung versagt wird entstehen Abgrenzungstendenzen oder eine Selbstpositionierung als Opfer oder Mitglied einer marginalisierten Gruppe. Diese Grundregel des gegenseitigen Respektes lässt sich auch als ein zentrales Merkmal der Hip Hop Kultur herausstellen und ist einer der Gründe, warum Hip Hop zu einem zentralen Bestandteil einer städtischen Jugendsozialarbeit geworden ist. Hip Hop wurde als Mittel der sozialen Jugendarbeit in der Mitte der 1990er Jahren in Berlin populär und u.a. auch durch die Institution der Ausländerbeauftragten als ein Beitrag zur Diversität der Stadt gefördert (Ça÷lar 1998:250). Auch nach dem Abflauen dieser „Hip Hop Episode“ (Soysal 2004:69) nutzen viele Institutionen der Jugendarbeit weiterhin Hip Hop als ein Medium, um Jugendliche zu erreichen und ihnen im Rahmen einer Empowermentstrategie „eine Stimme zu geben“. Hip Hop als Subkultur einer marginalisierten Jugend wird so auf das engste verknüpft mit Strategien der Jugendsozialarbeit und rückt, wie Ça÷lar aufzeigen konnte und wie sich in meiner Forschung bestätigen lässt, zunehmend in das Zentrum staatlicher Repräsentationen: es kommt zu einer „institutional incorporation“ (Ça÷lar 1998). Auch im Projekt Neustart des Aktionsprogramms bildet Hip Hop eine Plattform, um mit den Jugendlichen in Interaktion zu treten. Vermittelt durch die Jugendsozialarbeiter soll der hier begonnene Dialog zu einem Austausch zwischen den marginalisierten Jugendlichen und der Gesellschaft führen. Im Projekt geht es zunächst darum, mit männlichen Jugendlichen, die gerade aus der Jugendhaft entlassen wurden, über Themen zu sprechen, über die sie normalerweise nie reden würden: über Gefühle, Ängste und ihre Träume. Gleichzeitig will das Projekt diese Jugendlichen für die ursprünglichen Werte und sozialkritischen Ziele der Hip Hop Bewegung interessieren und sie als Multiplikatoren und Vorbilder für diese Ideen gewinnen. Respekt gilt dabei als ein zentraler Wert und wird als ein Zeichen der Anerkennung und Gleichwertigkeit gelebt. Diese Gleichwertigkeit wird dadurch unterstrichen „dass man Respekt hat vor denen, die Respekt geben und auch Respekt verdienen sozusagen“ (Interview Witness, Projektmitarbeiter). Witness, selber Rapper und Mitarbeiter im Projekt unterstreicht dabei,

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dass im Gegenzug jedoch auch all denjenigen, die keinen Respekt zeigen, dieser ebenso versagt werden kann und beschreibt dies als eine Art „kompromisslosen Respekt“. Hieran zeigt sich, dass Respekt sowohl als Inklusions- als auch als Ausgrenzungs- oder Abgrenzungsstrategie genutzt werden kann: Spezifische soziale Ordnungen werden durch die Gewährung oder Verweigerung von Respekt geprägt. Die Zusammenarbeit in diesem spezifischen Projekt lebt davon, dass die Teilnehmer weder nach ihrer Vergangenheit befragt, noch nach dieser beurteilt werden. Biografische Geschehnisse oder ihre „Akte“, Herkunft oder Schichtzugehörigkeit haben für das Miteinander in der Gruppe und für ihre Qualifikation als Vorbilder und Dozenten in den Workshops keinerlei Bedeutung. Wer ernsthaft daran interessiert ist, an den Rapworkshops teilzunehmen, wird in die Gruppe aufgenommen und respektiert. Die Sozialarbeiter/innen machen sich damit das Ethos des Hip Hop zu Eigen. Dieser unterstützt die Bestrebungen der Sozialarbeiter/innen, allen Teilnehmer/innen gesellschaftliche Anerkennung auch jenseits der „Hip Hop-Community“ erfahrbar zu machen. Die Erfahrungen der jungen Männer ein positives Vorbild sein zu können und für ihre Fähigkeiten als Rapper, Texter und Dozent Anerkennung zu erfahren, ergänzt diese im Projekt gepflegte Kultur des Respekts. Yusuf, Dursun, Erol, Can, Richi und Raschid sind alle Anfang 20. Auf ihrem bisherigen Lebensweg haben sie häufig die Schule gewechselt, waren in kriminelle Handlungen verwickelt und wurden schließlich zu einer mehrjährigen Jugendhaft verurteilt. Über ihre Vergangenheit möchten sie nicht sprechen, diese soll den Blick auf sie als Persönlichkeiten nicht verstellen. Gerne sprechen sie jedoch über ihre Musik, die Projekte, die sie in Zukunft vorhaben und über ihre augenblickliche Aufgabe. Diese besteht darin mit Berliner Schülern im Rahmen von Workshops zu rappen, ihnen die sozialkritische Geschichte und Werte des Hip Hop nahezubringen und aufzuzeigen, dass Rap nicht nur Gangsterrap sein muss, selbst dann nicht, wenn er von ehemaligen Strafgefangenen geschrieben wird. Diese von der Gesellschaft als schwierig wahrgenommenen und in vielerlei Hinsicht ausgegrenzten jugendlichen Intensivtäter verstehen sich heute, gerade auch aufgrund ihrer Biografie, als positive Vorbilder. Das Medium des Hip Hop stellt dabei die kommunikative Brücke dar, um ihre eigenen Erfahrungen an die Schüler weiterzugeben und für ein respektvolles, engagiertes Miteinander einzutreten. Sie selber erklären ihre Mitarbeit in dem Projekt aus der damit verbundenen Vorbildfunktion gegenüber jüngeren Schülern:

188 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Der Hintergedanke daran, warum ich so generell bei solchen Projekten mitmache, ist – ich möchte ein Vorbild sein für meine Gemeinde – die Ausländer, für die Leute wie mich. Weil ich das Gefühl habe, die lassen sich in ‫ތ‬ne Schublade schieben von Deutschen – bitte nicht falsch verstehen – und von der Gesellschaft und die kommen nicht wieder raus aus den Schubladen, die nehmen das dann an. Das ist was, was ich damit sagen will: Man kann selber sein, leben, was er sein möchte und nicht, was die Gesellschaft einem vorgibt. Weil die Gesellschaft gibt einem ja – also mir hat die ja vorgegeben, dass ich nichts kann. Meine Lehrer ham immer gesagt: ‚Du kannst nichts, du wirst niemals was werden‘ und das hab ich irgendwann auch selber geglaubt, teilweise.“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

Erol greift hier auf ein Ausgrenzungsnarrativ zurück und erklärt sein Engagement damit, dass er damit auch ein Korrektiv einer von ihm selbst erlebten Ausgrenzung sein möchte. Ein anderer Teilnehmer beschreibt, wie ihm dadurch, dass er seine eigenen Erfahrungen weiter gibt, eine neue, sozial anerkannte Rolle in der Gesellschaft zuerkannt wird. Darüber hinaus betont Can den Nutzen, den die Gesellschaft aus diesem Engagement ziehen kann: „Ich sag immer nur ein Wort zu mir: Ich war doch ein sehr schlechter Junge gewesen, ein ganz böser und ich hab auch viele kriminelle Scheiße gemacht. Aber dafür bin ich heute ein ganz gutes Beispiel geworden. Für die Leute – ein Vorbild, dass sie diesen Weg gehen können und denen auch klar sein muss, dass denen auch so was passieren kann, was mir passiert ist. Das muss denen einfach klar sein. Und leider, traurig das zu sagen, gibt‫ތ‬s sehr wenige Leute, die dazu stehen, dass sie im Knast waren. Die so was machen würden wie ich, weil sie halt sagen: ‚Nee, ich will meine Privatsphäre nicht preisgeben‘. Schade find‫ތ‬ ich das. Weil, wenn ich meine Erfahrungen an jemanden weitergeben kann, hat das schon einen Nutzen.“ (Interview Can, Projektteilnehmer)

Durch ihr Engagement erhalten die jungen Männer gesellschaftliche Anerkennung von Lehrer/innen und Schüler/innen. Sie erleben im Unterricht, dass sie als Respektpersonen anerkannt werden und erfahren, dass ihr eigenes Können die Grundlage dafür bildet. Andererseits wird an den hier zitierten Interviewpassagen deutlich, dass die Vorbildrolle häufig gegenüber einer spezifischen Gruppe eingenommen wird, in dem ersten hier zitierten Beispiel für „meine Gemeinde, die Ausländer“ (Interview Erol, Projektteilnehmer). Vorbild sein hängt damit auch eng mit einer Selbstverortung in einer sozialen Ordnung zusammen und kann bestimmte Zuschreibungen weiter befördern. Auch hier geht es wieder um die Frage: Wer gehört dazu? Erol beispielsweise erklärt seine Rolle als Vorbild

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kulturell und verweist, indem er die Rolle des „großen Bruder“ anführt, auf spezifische ethnisch-kulturell kodierte Wissensordnungen: „In unserer Kultur ist das so. Man nennt sich auch großer Bruder – wir sagen Abi, Erol Abi, das heißt Erol großer Bruder. Das ist auch bei unserer Gesellschaft so. Und ähm, ich will einfach ein Vorbild sein, dass sie sehen: Na klar, der da ist auch Ausländer, schwarzhaarig wie ich, kommt in meine Schule und gibt mir hier Workshops offiziell über unsere Lehrer. Also – weißt du, wie ich meine? Die sehen das, ja die können so was, dann kann ich das auch. Dann kann ich mich auch integrieren. Guck mal, man kann sich integrieren, man muss es nur wollen. Und man muss es richtig anstellen.“ (Interview Erol, Projektteilnehmer)

Zusätzlich zu dieser Anerkennung als Workshopleiter führt das Engagement der Projektteilnehmer auch über die Grenzen des Aktionsprogramms hinaus zu einer neuen „Sichtbarkeit“. Als Rapper sind Yusuf, Dursun Abi, Erol und Witness mit ihren sozialkritischen Texten häufig geladene Gäste in den Medien. Auf Veranstaltungen des politischen Berlin, wie beispielsweise dem Metropolenkongress der SPD, werden sie gerne als musikalische Rahmenbegleitung gebucht, die der Veranstaltung gleichzeitig eine gewisse Authentizität verleihen soll. Das hohe Interesse der Medien und der Politik an diesen Projektteilnehmern stellt ein wesentliches Element der Projektarbeit dar. So werden sie nicht nur von den Schülern als Experten in Hip Hop wahrgenommen, sondern auch von den Medien in ihrer Rolle als Vorbild angesprochen. In der von der „Aktion Mensch“ herausgegebenen Zeitschrift “Menschen“ wird ein Artikel über einen der Projektteilnehmer mit folgendem Satz eingeleitet: „Letzter Ausweg Rap. Alle Bandmitglieder von ‚GS‘ aus Berlin sind verurteilte junge Straftäter. Das Rap-Projekt ist für sie die vielleicht letzte Aussicht auf ein Leben ohne Gewalt und Kriminalität. Es verschafft Respekt und Anerkennung – und macht sie zu Vorbildern.“ (Menschen. Das Magazin 2008)

Wie ich durch das empirische Material aufgezeigt habe, wird man zu einem Vorbild aufgrund eines sozialen Engagements, einer besonderen biografischen Erfahrung oder besonderer Fähigkeiten. Vorbild sein bringt gesellschaftliche Anerkennung und Respekt mit sich. Für etwas Vorbild zu sein schließt jedoch gleichzeitig die Repräsentation bestimmter Bilder und Narrative mit ein und ist damit unweigerlich verknüpft mit spezifischen Repräsentationsstrategien. Die Repräsentation integrationspolitischer Vorbilder umfasst dabei immer nur eine

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geglättete, von Widersprüchen befreite Sicht auf die Handlungen der einzelnen Akteur/innen.

8.5 R ESPEKT

AUS EINER GESCHLECHTERDEMOKRATISCHEN

P ERSPEKTIVE

Das im Folgenden beschriebene Projekt ist stark geprägt von einer gesellschaftskritischen Grundhaltung der Mitarbeiterinnen des Trägervereines. Ihnen geht es um eine Veränderung der existierenden sozialen Ordnung, und es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass auch in ihrem Projektentwurf und in ihrer praktischen Arbeit dem Thema Respekt eine zentrale Bedeutung zukommt. In diesem Projekt werden verschiedene Trainings angeboten, in denen „Männer auf ihrer Suche nach neuer Selbstsicherheit und würdevoller Selbstwahrnehmung beraten und begleitet werden sollen“ (Projektantrag). In diesen „Respekt und Freundlichkeits-Trainings“ wollen die ausschließlich weiblichen Projektleiterinnen Männer aus ihrem Kiez dazu auffordern, sich mit den Grundlagen von Respekt und den Normen der Höflichkeit auseinanderzusetzen und darüber hinaus bei den männlichen Teilnehmern ein grundsätzliches Nachdenken über Vaterschaft, Kinder, Familie, Autorität und innerfamiliäre Arbeitsteilung anregen. In einer kritischen Grundhaltung verweisen sie auf gesellschaftliche Ausschlussprozesse, die insbesondere Migrant/innen in prekären sozialen Lebenslagen betreffen. Sie wenden sich gegen eine soziale Ordnung, welche nur denjenigen Respekt entgegenbringt, die im bestehenden sozialen System integriert und erfolgreich sind. So kritisieren sie, dass der Verlust der Arbeit in ihren Augen häufig gleichzeitig zu einem Verlust von gesellschaftlicher Anerkennung und in der Folge zu einem Verlust der Würde führt. Staatliche Behörden wie das Jobcenter kritisieren sie dafür, dass dort die Würde der Menschen nicht gewahrt und nicht respektvoll mit diesen Menschen umgegangen wird. Die Achtung der Würde, als ein wesentlicher Bestandteil von Anerkennung und Respekt, wird von einer Kursleiterin besonders hervorgehoben. Sie unterstreicht, dass die Anerkennung der Würde des Menschen unabhängig von persönlicher Leistung, Fähigkeiten, sozialem Status oder Alter, die Grundlage für die Gleichwertigkeit der Menschen ist. Mit dieser grundsätzlichen Achtung bzw. einem tiefwurzelnden Respekt gegenüber anderen Personen und gegenüber sich Selbst legt die Kursleiterin ihren Handlungen und Gedanken ein humanistisches Menschenbild zugrunde. Die Anerkennung der Würde des Menschen als Kernideal eines modernen Humanismus steht im Zentrum von Kants Moraltheorie (Dillon 2010). Sie findet sich wieder im ersten Artikel der allgemeinen Erklä-

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rung der Menschenrechte in dem es heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ (UNO 1948). In Ausführungen zu ihrer Arbeit bezieht sich die Kursleiterin Martina direkt auf die Deklaration der Menschenrechte als Leitfaden ihres Handelns. Für Martina ist: „[…] die Basis von Respekt das, was in den Menschenrechten drin steht.[…] Ich will respektvoll sein mit jedem Atemzug meines Lebens. Ich will niemals respektlos Menschen gegenüber sein, und ich möchte, dass die Menschen mir gegenüber respektvoll sind. Mir geht es darum, dass sie meine Würde wahren und es mir immer gelingt, die Würde des Anderen zu wahren. Ganz ursprünglich ist es vielleicht auch darum gegangen, den Kids zu sagen: ‚Ey Leute, ihr müsst schon ein bisschen respektvoller sein‘. Nur so vermittelt sich das nicht, das ist schon ein bisschen komplizierter. Das ist leichter zu erreichen, indem man ihnen sagt: ‚Auf dem Arbeitsamt, im Jobcenter, da geht man nicht respektvoll mit dir um‘. Deren Würde wird dort nicht gewahrt! Das ist der Punkt. Dass das auch mit dem eigenen Verhalten zu tun hat, das muss dann mit dem nächsten Schritt kommen.“ (Interview Martina, Projektmitarbeiterin)

Neben ihrer Kritik an einer sozialen Ordnung, welche Menschen in prekären Lagen Respekt abspricht und sie damit von einer in Martinas Augen universell gültigen Werteordnung ausschließt, wenden sich die Mitarbeiterinnen des Vereins aus einer geschlechterdemokratischen, feministische Perspektive jedoch auch gegen eine weitere, als patriarchal kritisierte soziale Ordnung, in der Männer weiterhin die gesellschaftlichen Normen prägen.53 Die in diesem Projekt aufeinandertreffenden verschiedenen sozialen Ordnungen, die durch die weiblichen, feministischen Projektmitarbeiterinnen einerseits und die männlichen, migrantischen Projektteilnehmer andererseits verinnerlicht werden, äußern sich auch in Aushandlungen um die Bedeutung und Ausdeutung von Respekt. Ausgehend von der im Folgenden zitierten Gegebenheit werde ich herausarbeiten, wie die hinter den geäußerten Aspekten von Respekt 53 Dabei beziehen sie sich auf Überlegungen zu einer Geschlechterdemokratie, welche auf die Berliner Soziologin und Feministin Halina Bendkowski zurückgeht, welche sich selber als „Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie“ bezeichnet. Halina Bendkowski ermutigt in einem Geleitwort zu einem durch das Projekt ausgerichteten Fachgespräch die Initiatorinnen des Projekts „diese [gesellschaftliche] Tristesse nicht weiter hinzunehmen“ und unterstützt sie in ihrem Wunsch nach „Traumvätern, die die Geschlechterdemokratie nach den Bedürfnissen der Wunschkinder formen wollen.“ (Geleitwort zu einem Fachtag des Projekts, 2009). Zur weiteren Diskussion des Begriffes „Geschlechterdemokratie“ verweise ich auf Wedl/Bieringer (2002).

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stehenden Wertordnungen und Menschenbilder in der von mir beobachteten Praxis aufeinander treffen und in Beziehung treten. Feldtagebuch, Wedding, Mai 2009 In einem kleinen Kiezladen nehmen acht Parkläufer 54 an einem mehrtägigen Training für „Respekt und Freundlichkeit“ teil. Die Kursleiterin Martina, eine Frau Anfang 60, fordert die teilnehmenden Männer auf, Ideen zum Thema Respekt zu sammeln. Sie verwendet dabei ein sogenanntes „Kreuzwort“, bei dem alle Buchstaben des Wortes mit weiteren, mit dem Begriff Respekt in Beziehung stehenden Begriffen besetzt werden sollen. Die männlichen Kursteilnehmer und die Kursleiterin steuern folgende Begriffe bei: Um Ve Aufmerk O Würd Höflich

R E S P E K T

zeihung bitten insicht amkeit timistisch eit oleranz

Ali, der mit 30 Jahren jüngste Teilnehmer, und der einzige mit einem türkischen Migrationshintergrund in der Gruppe, interessiert sich erstmals im Verlauf des Seminars für die besprochenen Themen. Er regt eine Ergänzung an und sagt: ‚Zu Respekt gehört es doch auch, älteren Leuten den Platz anzubieten.‘ Die Kursleiterin reagiert mit einem schroffen ‚Nein!‘ auf diese Anregung und erwidert: ‚Nein, das ist nicht Respekt! Respekt hat doch nicht nur was mit älteren Leuten zu tun. Diese Vorstellung kommt aus einer patriarchalen Gesellschaft.‘ Ali sagt daraufhin nichts mehr und zieht sich zurück. Er wird sich im Verlauf des weiteren Workshops nicht mehr zu Wort melden. Später sagt er zu mir: ‚Ich lauf lieber jeden Tag acht Stunden im Park als Parkläufer herum, als hierher zu kommen.‘ Deutlich wird: in diesem Dialog prallen unterschiedliche Wissensordnungen aufeinander. Entscheidend dabei ist, dass die daraus resultierenden unterschied54 Die Teilnehmer dieses Kurses arbeiten alle als sogenannte „Parkläufer“, einer durch das Job-Center vermittelten Maßnahme für langzeitarbeitslose Menschen, welche u.a. die Aufgabe zugewiesen bekommen in den Parkanlagen des Berliner Bezirks Mitte für mehr Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

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lichen Vorstellungen von Respekt von der Kursleiterin in verschiedene Wertigkeiten eingeordnet werden. Ausgehend von dieser Gegebenheit lässt sich abermals herausarbeiten, wie die hinter den hier geäußerten Aspekten von Respekt stehenden Werteordnungen und Menschenbilder in der von mir beobachteten Praxis aufeinander treffen und in Beziehung treten. Die brüske Ablehnung des Vorschlages von Ali begründet die Kursleiterin damit, dass seine Vorstellung von Respekt auf „patriarchalen Grundsätzen“ beruht. Respekt als Richtlinie einer sozialen Ordnung, welche durch traditionell türkisch-muslimische Werte von Sayg, ùeref und Namus strukturiert wird und auf welche Ali in seinem Einwurf Bezug nimmt, sieht die Kursleiterin als höchst problematisch an. Im Interview macht sie deutlich, dass sie sich insbesondere gegen die Auslegung von Respekt als Aspekt der türkischen Kultur und dessen Übertragung auf den Lebensalltag in Deutschland wehrt: „[…] Natürlich, das kenn ich von meinen türkischen Freunden, egal welchen Alters. Die sagen dann immer (sie imitiert einen von ihr erfundenen Dialog): (‚türkischer Freund‘) ‚Das ist ja euer Leben. Bei uns, bei uns, bei uns, WIR wissen was Respekt ist!‘ (Martina) ‚Aha – und wo ist ‚bei euch?‘‘ (‚türkischer Freund‘) ‚Bei uns Ausländern‘, sagen sie dann. (Martina)‚Ausländer: Ihr wisst ALLE was Respekt ist?‘ (‚türkischer Freund‘) ‚Nein, nein, ich meine natürlich uns Türken. Bei uns ist das anders und die Familie ist anders!‘ (Martina) ‚Wo sind Sie denn geboren?‘ (‚türkischer Freund‘) ‚In Berlin, im Wedding.‘“ (Ende des Dialogs) Und dann geht‫ތ‬s eben um die Türkei, wo sie so komplett fremd sind. Diese Fremdheit in beiden Welten. Und in beiden Welten wird ihnen der Respekt versagt. Das ist ja ganz furchtbar! Dass das ‚bei uns‘ kein Ort ist, auf den sie sich wirklich verlassen können, weil: Das gibt es nicht. Weil – das wissen sie gar nicht, wo das stattfindet. Es könnte die Familie sein und dann soll angeblich die Familie anders sein, als die deutsche Familie….“ (Interview Martina, Projektmitarbeiterin)

Einerseits stellt sie mit ihren Aussagen in Frage, dass „die Türken“ wissen, was Respekt ist. Andererseits empfindet sie eine große Empathie gegenüber den Männern, denen in ihren Augen in beiden Welten der Respekt versagt wird. Sie interpretiert den Verweis des (von ihr imaginierten) ‚türkischen Freundes‘ auf ‚bei uns‘ als bedauernswerte Orientierungslosigkeit der türkischen oder arabi-

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schen Männer angesichts von neu zu denkenden Anforderungen als Männer und Väter im Rahmen der Familie. Um die Aussagen der Projektleiterin besser einzuordnen, ist es wichtig den biografischen und politischen Hintergrund der Mitarbeiterinnen des Vereins zu verstehen, vor dem diese ihre Respekt und Freundlichkeitstrainings entwickelt haben. Die für die Kurse verantwortliche Kursleiterin und ihre Kolleginnen sind seit vielen Jahren in der Frauenbewegung aktiv.55 Neben ihrer Projektarbeit mit den Männern bietet die Kursleiterin in einer Frauensprachschule Sprachkurse für Migrantinnen an, ist in Kontakt mit Kiezmüttern56 und bietet Unterstützung bei Behördengängen und Ähnlichem. Die Konzeption der „Respekt und Freundlichkeitstrainings“ für Männer, welche sie in ihrem Projekt anbietet, geht auf sie selber zurück. Die geschlechterdemokratische Neuordnung der Gesellschaft, die von den im Verein engagierten Frauen angestrebt wird, beruht auf einer humanistischen Wertordnung, welche Würde, gegenseitigen Respekt und die gleichberechtigte, unterschiedslose Anerkennung aller Menschen zur Grundlage hat. Mit ihrer Vereinsarbeit verfolgen sie damit ein geschlechterdemokratisches Gesellschaftsmodell, welches eine vermeintliche Vorherrschaft des Mannes in jeder Form hinterfragt. In ihrer Arbeit in der Frauensprachschule und der Koordinationsstelle der „Kiezmütter“ beziehen sie sich hierbei insbesondere auf die kulturellen Vorstellungen türkischer und arabischer Männer, welche sie wiederholt pauschal als „patriarchal“ bezeichnen. Darüber hinaus kritisieren sie in ihrer politisch geprägten Arbeit die bestehende staatliche Ordnung eines neoliberalen, aktivierenden Sozialstaates. Ihre Arbeit im Weddinger Kiez begreifen sie als inhärent politisch. Aus einer feministischen Perspektive heraus möchten sie sich für die in prekären wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen lebenden migrantischen Männer stark machen. In ihrem Projektantrag nehmen die Projektinitiatorinnen den Standpunkt ein, dass insbesondere männliche Migranten durch Arbeitslosigkeit und eine langfris55 Martina bezeichnet ihr politisches Engagement in der Frauenbewegung der 80er Jahre als prägend für ihr weiteres Leben und Denken. Sie sagt von sich „ich bin und war Feministin“. 56 Das Konzept der Kiezmütter/Stadtteilmütter sieht vor, dass Frauen aus dem Kiez, welche häufig selber einen Migrationshintergrund haben, Kontakt zu Familien aufnehmen, die sich sonst nur wenig in gesellschaftliches Leben einbringen. Durch das Engagement der Kiezmütter soll bspw. die frühkindliche Entwicklung der Kinder sinnvoll unterstützt, und somit bessere Bildungschancen eröffnet werden. Das Konzept wurde in mehreren Berliner Bezirken und anderen deutschen Städten bislang erfolgreich umgesetzt.

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tige Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen die ihnen traditionell zugeschriebene Rolle als Familienoberhaupt und Ernährer der Familie nicht mehr ausfüllen können. Durch ihr Projekt möchten sie den Männern aufzeigen, wie sie ihre verlorene Würde zurückgewinnen und sich neue Kompetenzfelder und eine neue Vorbildfunktion aneignen können. Insbesondere Väter sollen durch das Projekt zu einer „positiven, aufgeklärten Verantwortungsübernahme in ihren Familien und in der Gesellschaft“ motiviert werden (Sachbericht des Projekts). Dabei diagnostizieren die Projektleiterinnen migrantischen Männern und insbesondere Vätern einen Vorbildverlust. Sie gehen davon aus, dass diese Väter wegen ihrer (langjährigen) Erwerbslosigkeit ihrer Ernährerrolle beraubt wurden und damit einhergehend einen Anerkennungsverlust zu verarbeiten haben – und zwar in Familie und Gesellschaft. Die von ihnen in ihrer Arbeit festgestellte Abwesenheit von Männern in den Familien erklären sie mit dem Verlust einer patriarchal geprägten männlichen Vorbildrolle. Ziel ihres Projekts ist es daher, Männern ein neues Rollenverständnis innerhalb der Familie zu vermitteln, und ihnen damit erneut zu Anerkennung und Respekt zu verhelfen. Das von ihnen verfolgte Ideal einer geschlechterdemokratischen Neuordnung der Gesellschaft steht in den Interaktionen mit männlichen Kursteilnehmern allerdings nicht im Vordergrund. Der Kursleiterin ist bewusst, dass sie in dem Umfeld, in dem sie die Kurse anbietet mit theoretischen, geschlechterdemokratischen Ideen auf kein Verständnis stoßen wird. Vielmehr verfolgt die Kursleiterin die Strategie, über die Vermittlung von gesellschaftlichen Normen der Höflichkeit, die Männer für einen respektvollen Umgang im Miteinander zu sensibilisieren und darüber dann Reflexionen zum Umgang in der Familie und mit ihren Frauen und Kindern anzuregen. Sie geht dabei davon aus, dass durch das Wissen über spezifische Regeln des Zusammenlebens ein respektvolles Verhalten erlernt werden kann. Respekt wird als gesellschaftlicher Verhaltenskodex gesehen, für den Normen von Höflichkeit, Anstand und gutem Benehmen erlernt und im Rahmen von Kursen vermittelt werden können. Dieser Verhaltenskodex soll in „Männerkursen“ als Instrument eingesetzt werden, um auf lange Sicht einen Prozess des Umdenkens anzuregen. Damit begibt sich die Kursleiterin in einen nicht auflösbaren Widerspruch. Einerseits greift sie als Instrument ihres Kurses Normen und Regeln des guten Benehmens und der Höflichkeit auf und referiert in ihren Kursen über Normen der Höflichkeit des Mannes gegenüber (s)einer Frau. Gleichzeitig lehnt sie jedoch aus anderen kulturellen Zusammenhängen stammende Normen mit Bezug auf Respekt explizit ab und bezeichnet diese pauschalisierend als „patriarchal“. Auch ihr eigenes Verhalten im Umgang mit den teilnehmenden Männern ist ge-

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prägt von einer großen Ambivalenz. Diese Männer betrachtet sie einerseits als Vertreter einer patriarchal organisierten Gesellschaftsgruppe, welche sie aus ihrer innersten Überzeugung heraus kritisiert und ablehnt. Andererseits sieht sie die Männer als doppelte Opfer: einer staatlichen Exklusionsstrategie und der Vertreibung aus der Familie durch ihre eigenen Ehefrauen. Als Trainerin habe ich Martina in einigen Situationen als sehr „respektlos“ und unhöflich wahrgenommen. Diese Wahrnehmung wird auch von anderen Kursteilnehmern, insbesondere von Männern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund bestätigt. Sie unterbricht andere Redner, toleriert keine anderen Darstellungen oder pauschalisiert in ihren Aussagen. Sie selber erklärt dieses Verhalten aus dem Dilemma heraus, die Männer durch eine Konfrontation mit ihrer eigenen Respektlosigkeit zu einem Nachdenken bewegen zu wollen. „Sie denken oft, dass ich mich ja selber nicht Benehmen könnte, wie ich dann auf die Idee kommen könnte, Benehmen beizubringen. Ich wäre oft nicht respektvoll, wie ich mir anmaßen könnte, Respekt beizubringen. Das hat etwas mit der Methode des Konfrontierens zu tun. Dass ich z.B. dreckige Ausdrücke wiederhole.“ (Interview Martina, Projektmitarbeiterin)

Martina ist bewusst, dass es sich dabei um eine „totale Gratwanderung“ handelt, allerdings sieht sie für sich keine andere Möglichkeit, als die der Provokation oder Irritation, die sie durch die von ihr angewandte konfrontative Pädagogik57 auslöst, da sie sonst befürchtet, mit ihren Impulsen „auf der Strecke“ zu bleiben. Martina und ihre Kolleginnen beziehen sich in ihrer Arbeit offensiv auf den Begriff der Geschlechterdemokratie. Mit dieser Bezugnahme machen sie ein wesentliches Anliegen ihrer Arbeit deutlich: Es geht ihnen um eine grundsätzliche Neuorganisation der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Dies umfasst sowohl die Ablösung von Männlichkeit als dominanter gesellschaftlicher Norm, als auch eine Veränderung von Männern auf einer individuellen Ebene. Durch ihr Engagement wollen sie dazu beitragen, dass Männer mehr Verantwortung in der Familie und in der Gesellschaft übernehmen. Ein feministisch inspiriertes Empowerment von Männern ist die Triebfeder, die sie bei ihrer Arbeit antreibt. 57 Martina bezieht sich hier auf die konfrontative Pädagogik, welche in den vergangenen Jahren als eine neue Form im Umgang mit Jugendlichen einer verständnisvollen, verstehenden Pädagogik gegenübergestellt wird. So plädiert beispielsweise Ahmet Toprak in seinen Werken für eine stärkere Anwendung der konfrontativen Pädagogik für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ich verweise an dieser Stelle auch auf die Dissertation von Stefan Wellgraf, in der er die Anwendung der konfrontativen Pädagogik an Berliner Hauptschulen analysiert (Wellgraf 2012:246ff).

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Respekt vor anderen Lebensweisen und die grundsätzliche Achtung einer Menschenwürde bilden dabei die Grundlage. Deutlich wird aber auch, dass sie neben der von ihnen angestrebten sozialen Ordnung einer geschlechterdemokratischen Gesellschaft keine alternativen sozialen Ordnungen und damit auch keine abweichenden Interpretationen von Respekt zu akzeptieren bereit sind.

8.6 R ESPEKT ALS „ GESELLSCHAFTLICHES S CHMIERMITTEL “? Eingangs zitierte ich den Leiter der Hamburger Respect Research Group Niels van Quaquebeke, welcher Respekt als „das gesellschaftliche Schmiermittel, ohne das ständig Reibung entstehen würde“ bezeichnet (van Quaquebeke 2008). Er bezieht sich mit dieser Aussage auf Respekt als eine Art Wertefundament, das den Zusammenhalt der Gesellschaft unterstützt und geht dabei implizit davon aus, dass es sich dabei um eine einzige, dem sozialen Zusammenhalt zugrundeliegende soziale Ordnung handelt. Wie ich in diesem Kapitel anhand der Aushandlungen zu Respekt in der Assemblage des Aktionsprogramms aufzeigen konnte, lässt sich solch ein uniformes Verständnis nicht mit der gelebten Praxis in Einklang bringen. Die hier aufgezeigten unterschiedlichen Ausdeutungen und Funktionalitäten von Respekt lassen vielmehr den Schluss zu, dass hier gleichzeitig Bezug auf unterschiedliche soziale Ordnungen genommen wird, die alle durch den Begriff des Respekt markiert werden. Anders als von van Quaquebeke postuliert, dient Respekt dabei nicht zwingend als Schmiermittel, das Reibungen vermeidet, sondern es kann durch die unterschiedlichen Übersetzungen und Ausdeutungen von Respekt auch zu Kämpfen um die Deutungshoheit von Respekt kommen. Verschiedene Ausdeutungen von Respekt werden insbesondere dann als unvereinbar wahrgenommen, wenn kulturelle Werte, die sich auf Respekt beziehen, als unveränderlich dargestellt werden. Kultur ist jedoch keine statische Angelegenheit sondern ein Prozess, der einem permanenten Wandel unterliegt und durch die Akteur/innen kontextabhängig umgestaltet wird. An den hier diskutierten Interaktionen lässt sich die Prozesshaftigkeit von Kultur am Beispiel des gesellschaftlichen Wertes von Respekt gut nachvollziehen. Auch scheinbar feste „ethno-kulturelle“ Vorstellungen von Respekt sind einem Wandel unterworfen, wie man dies an den Übersetzungen und Aktivierungen von Seref und Namus durch Berliner Jugendliche erkennen kann. Betrachtet man mit einem prozesshaften Verständnis von Kultur Respekt in den verschiedenen in diesem Kapitel erörterten Ausprägungen, so lassen sich

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multiple soziale Ordnungen herausarbeiten, welche gleichzeitig zueinander bestehen können und auf die situativ Bezug genommen wird. Diese Simultanität multipler sozialer Ordnungen mit den ihnen inhärenten Reibungen bildet die Praxis menschlicher Handlungsabläufe weitaus besser ab, als das Ideal eines reibungslosen, respektvollen Miteinanders, welches auf eine monolithische soziale Ordnung Bezug nimmt. Die Problematik des Integrationsbegriffes wird immer wieder dann offensichtlich, wenn bei „Integration“ von einer einzelnen, monolithischen sozialen Ordnung ausgegangen wird, der andere Ordnungen und Vorstellungen untergeordnet werden sollen. Ein Integrationsbegriff hingegen der, wie das von Glick Schiller und Levitt 2004 angeregte Denkmodell von „Simultaneity“, der sozialen Realität multipler, zeitgleich zueinander bestehender sozialer Ordnungen Rechnung trägt, ist vielleicht etwas schwerer vorstellbar, bildet jedoch die Praxis der Akteure und Akteurinnen weitaus besser ab (Levitt/ Glick Schiller 2004, siehe Kapitel 4.5). Den Aushandlungen darüber, wem Respekt und Anerkennung gewährt wird und wem nicht, sowie der Art und Weise, wie mit diese Praktiken des Ausschlusses im Berliner Aktionsprogramm umgegangen wird, gehe ich im folgenden Kapitel weiter nach.

9. Übersetzung IV: Praktiken des Ausschlusses

Die Herstellung von Chancengleichheit durch Praktiken der Teilhabe und der Anerkennung dominiert die offizielle Rhetorik des integrationspolitischen Aktionsprogramms. Diese Praktiken zielen alle auf die Überwindung von Exklusionsmechanismen, von denen ganze Gruppen, aber auch einzelne Individuen betroffen sein können. Explizit richtet sich das Berliner Aktionsprogramm an zwei von gesellschaftlichen Exklusionsmechanismen betroffene Gruppen: an Migranten(selbst)organisationen und an männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund. Auf die politischen Instrumente, die eine Partizipation von Migrantenorganisationen im Feld der Sozialen Arbeit ermöglichen sollen bin ich unter der Thematik der interkulturellen Öffnung bereits eingegangen. Der Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe von männlichen Jugendlichen durch die innerhalb des Aktionsprogramms geförderten Projekte werde ich in diesem Kapitel nachgehen. Die individuellen Strategien der männlichen jugendlichen Projektteilnehmer sowie ihrer Projektleiter und Projektleiterinnen im Umgang mit Exklusionsmechanismen stehen dabei im Zentrum der Analyse. Mir geht es hierbei darum, die situativ unterschiedlichen Praktiken der Inklusion sowie der Exklusion aufzuzeigen und in ihren jeweiligen Übersetzungen in der Logik des Berliner integrationspolitischen Aktionsprogramms zu verorten. In ihrem Alltag werden die jugendlichen Teilnehmer regelmäßig mit Ausschlussmechanismen konfrontiert. Ihre diffuse, jedoch selten explizit geäußerte Befürchtung, (auch) zukünftig von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu bleiben, ist ein Grund, sich an den Projekten zu beteiligen. Die Projektinitiator/innen verweisen in ihren Projektanträgen auf diese bestehenden Ausschlussmechanismen und nehmen sie zum Ausgangspunkt ihrer Jugendsozialarbeit. Sie verfolgen damit bewusst oder unbewusst ein idealtypisches Skript, in dem integrationspolitische Projekte ihre Arbeit an einem Punkt beginnen, an dem Exklusionsmechanismen dominieren. Ziel der Projekte soll es sein, einen Prozess der

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zunehmenden gesellschaftlichen Teilhabe anzustoßen und Exklusionsmechanismen schrittweise auszuhebeln. Dieses unilineare Entwicklungsskript spiegelt sich erwartungsgemäß nicht in idealtypischer Weise in der Praxis wieder. Es zeigt sich vielmehr, dass vielschichtige Praktiken von Inklusion und Exklusion innerhalb des Aktionsprogramms mehrfach übersetzt und miteinander verwoben werden.

9.1 „V OM K NAST AUF DEN C ATWALK “: D AS P ROJEKT N EUSTART „Vom Knast auf den Catwalk“ lautet der Titel eines im Berliner Tagesspiegel erschienenen Artikels anlässlich der Teilnahme von Rashid und anderen Teilnehmern des Projekts Neustart an der Berliner Fashionweek. Mit diesem Titel verweist die Journalistin auf den Ur-Mythos des sozialen Aufstieges „vom Tellerwäscher zum Millionär“ und übernimmt die Logik des eingangs skizzierten Entwicklungsskriptes, welches der integrationspolitischen Konzeption mit Bezug auf die jungen Männer zugrunde liegt (Tagesspiegel 24.06.2009).58 Junge, arbeitslose Männer mit Migrationshintergrund, Rapper mit Hafterfahrungen – diese häufig klischeehaft und pauschalisierend als „verlorene Generation“ dargestellte Gruppe von Jugendlichen bildet die Zielgruppe des von mir begleiteten Projekts. Teilhabe, soziale Anerkennung und gesellschaftliches und gesellschaftskritisches Engagement dieser marginalisierten Jugendlichen sollen durch das Projekt erreicht werden. Mit der Ausrichtung auf männliche, jugendliche ehemalige Strafgefangene mit Migrationshintergrund richtet sich das Projekt an mindestens in zweifacher Hinsicht von Exklusionsmechanismen betroffene Akteure: junge männliche Migranten und Häftlinge. Ziel des Projekts ist es, den jungen Männern nach der Jugendhaft eine „Brücke“ zurück in die Gesellschaft zu bauen. Das Projekt soll eine Art „Drehscheibe“ sein, an der die jungen, aus der Haft entlassenen Männer ankommen können und dann „durch viele Türen wieder weitergehen können“ – so die Darstellung des Projektleiters auf einer Pressekonferenz der Senatorin. Im Rahmen des Projekts geben die Sozialarbeiter/innen Hilfestellungen bei der Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche, der Suche nach einer neuen Wohnung oder der Klärung von aufenthaltsrechtlichen Fragen

58 Die Berliner Zeitung verwendet ebenfalls dieses Skript, wenn sie einen Bericht über die Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms übertitelt mit: „Vom Straßengangster zum Talkshowgast“ und sich dabei auf das gleiche Projekt bezieht (Berliner Zeitung vom 09.12.2009).

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und bieten über regelmäßige Treffen Halt, Zuversicht und Orientierung. Ein zentrales Anliegen des Projekts ist es jedoch auch, die teilnehmenden jungen Männer nicht ausschließlich als hilfsbedürftig und/ oder defizitär darzustellen, sondern vielmehr ihre Potentiale zu entdecken und bekannt zu machen. Durch ihr Engagement in diesem Projekt sollen sie bewusst aus der doppelten Marginalisierung als „kriminelle Jugendliche mit Migrationshintergrund“ herausgeführt und in Kontakt mit Repräsentant/innen der Gesellschaft gebracht werden. In Ihrem Projektantrag formulieren die Konzeptentwickler des Trägers das folgendermaßen: „Die inhaltliche Zusammenarbeit mit Prominenten aus Wirtschaft und Politik bei der Herstellung eines Musikvideos wird die jungen Menschen in der Begegnung mit diesen Menschen zu Bürgern 1. Klasse machen und ihr Selbstwertgefühl stärken. Außerdem dient der Kontakt über die Begegnung und Zusammenarbeit hinaus dem Kennen lernen und Erkennen von Stärken und Potentialen, sowie dem Aufbau eines Netzwerkes für diese jungen Menschen insbesondere durch Vertreter der Wirtschaft.“

Das Projekt arbeitet auf zwei verschiedenen Ebenen. Einerseits übernimmt es die klassische Aufgabe der Sozialarbeit, indem es sich um die Belange der Jugendlichen kümmert und bei auftretenden Alltagsproblemen Hilfestellungen gibt. Andererseits strebt es auf der Ebene der Repräsentation ein Empowerment der marginalisierten Jugendlichen mit Hafterfahrung an, in dem es Kontakte und Repräsentationsforen schafft, die eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen sollen. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Brechung vorgefertigter Bilder, mit denen die Jugendlichen immer wieder konfrontiert werden. Die Ausgangslage – totale Exklusion Die an diesem Projekt teilnehmenden Jugendlichen haben fast alle eine Jugendstrafe verbüßt. Ihre Inhaftierung in der Berliner Jugendhaftanstalt Plötzensee bedeutete für die jungen Männer eine in den meisten Fällen über mehrere Jahre andauernde Trennung von ihrem bisherigen sozialen Umfeld und ihrer Familie. Alle erlebten diese Zeit als eine sehr einschneidende Erfahrung und beschreiben die Haft als Phase der vollkommenen Entkoppelung von ihrem bisherigen Lebensalltag. In ihren eher zurückhaltenden retrospektiven Berichten aus der Haftzeit spielt der Freiheitsentzug und die Erfahrung, nicht mehr selbstständig über das eigene Leben entscheiden zu können, eine zentrale Rolle. Dursun fasst dies in folgende Worte:

202 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT „Du bist eingesperrt. Du sitzt im Knast halt. Du hast nur Wände um dich, keine frische Luft. Du kannst nicht telefonieren, wann du willst. Auch nicht dann, wenn du gerade einen Brief bekommen hast, den dir der Meister59 gegeben hat, du ihn durchliest und dir Deine Familie zum Beispiel schreibt, dass dein Vater ins Krankenhaus gekommen ist und dort liegt, schwer krank ist. Du kannst nicht raus vor die Tür gehen, einfach mal so kurz spazieren oder so, mal frische Luft schnappen. Hm. Oft hast du gar keinen Aufschluss. Also das heißt, du bist 23 Stunden lang nur eingesperrt. Die Tür ist nur zu. Die eine Stunde, die du dann hast, die verbringst du entweder auf dem Innenhof und gehst kurz danach Duschen, oder du machst dir ‫ތ‬nen kleines Frühstück. Vielleicht mit einem Ei und einem Stück Toastbrot.“ (Dursun, Text für eine Ausstellung, November 2009)

Die jungen Männer erleben die Jugendhaftanstalt als Ort der totalen Exklusion. Nach der Entlassung erscheint diese Lebensphase als eine Leerstelle in ihrer Biografie. In der Erfahrungswelt der Jugendlichen selbstverständliche Handlungen, wie der permanente telefonische Austausch mit Freunden oder die Nutzung des Internets, sind ebenso wenig möglich, wie der Erwerb des Führerscheins mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs. Diese Erfahrung der Exklusion, die die Jugendlichen in dieser Zeit machen, wird von Can übersetzt in eine Unterscheidung zwischen einem „Drinnen“ und einem „Draußen“, die das Leben körperlich wahrnehmbar unterteilt. „Drinnen. Also Draußen hört dich keiner Drinnen schreien. Also du kannst wirklich HILFE rufen, aber da kommt keiner rein von Draußen und hilft dir. Weil man da auch manchmal Hilfe braucht. Weil, es ist wirklich so, diese Essenszeiten und die Besucherzeiten und dieses ganze Drum rum. […] Wichtig wurde mir Drinnen auf jeden Fall mein ganzes Leben. Es kommt einfach: du änderst dich drin. Ob du es willst oder nicht, du änderst dich Drinnen. Ich hab meinen Geburtstag dreimal Drinnen gefeiert, drei Silvester Drinnen gefeiert – was kann noch schlimmer kommen? Was kann ‫ތ‬ne schlimmere Strafe sein, als diese Sachen: die Eltern nicht dabei zu haben am Jahreswechsel, am Millennium 2000 Drinnen zu sein. Das war für mich einfach die Katastrophe gewesen. Man hat Zeit bekommen Drinnen. Man hat wirklich Zeit gehabt, da intensiv an sich zu arbeiten und auch wirklich rum zu experimentieren. Was deine Stärken waren oder was nicht deine Talente waren. Und da kamen ein paar Sachen raus, die ich nie gedacht hätte. Meine Ausbildung hab ich gemacht, die Schule fertig gemacht Drinnen – ich war Anstaltssprecher gewesen. 59 Der Gefängnisaufseher wird als ‚Meister‘ bezeichnet. Er ist eines der institutionalisierten Bindeglieder zur Außenwelt, dem „Draußen“.

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Nach zwei Jahren bist du Draußen – die stell‫ތ‬n dich vor die Tür. Ob du ‫ތ‬ne Wohnung hast, ob du irgendwas hast, ist denen völlig egal. Und Gott sei Dank hab ich nie meine Wohnung verloren. Ich sag‫ ތ‬ganz ehrlich, das war so ‫ތ‬ne soziale Stärke für mich gewesen, raus zu kommen und alles so zu haben wie früher. Aber da gibt‫ތ‬s Leute, die haben nichts mehr. Die hatten wirklich ein schönes Leben: ‫ތ‬ne Wohnung, ‫ތ‬nen Auto, ‫ތ‬ne Freundin, ‫ތ‬nen Job. Wenn die Leute dann irgendwann Draußen sind – dann kommt so ein Überfluss. Du hast erst mal dieses Eingeengte, keinen Freiraum, nichts wird Dir gelassen und plötzlich ist die Zeit vorbei. Es war unglaublich, ich bin raus gekommen und – das kann man gar nicht erklären. Ich bin hier in Berlin geboren und aufgewachsen. Aber dieses Gefühl hab ich noch nicht gehabt so. Dass ich mir kurz völlig fremd vorkam. Bin ich in Berlin jetzt oder wo anders?“ (Interview Can, Projektteilnehmer)

In vielen Fällen zerbrechen in dieser Zeit der Exklusion bestehende Freundschaften, da die sozialen Netzwerke nicht mehr gepflegt werden können. Die Familie wird von allen Jugendlichen hingegen als wichtiger – und in den meisten Fällen alleiniger – Bezugspunkt zum „Draußen“ dargestellt. Neben dem „Herausgerissen Sein“ aus dem bisherigen Leben wird die Zeit der Haft jedoch auch als eine Phase der nicht ausschließlich negativ besetzten „Verantwortungs-Losigkeit“ beschrieben. So werden die Handlungen der jungen Erwachsenen weitgehend durch die Gefängnisordnung bestimmt, ein rigides Zeitmanagement gibt den Tagesablauf vor. Aufgrund der stark eingeschränkten Handlungsfreiheit können bzw. müssen sie dementsprechend weniger Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen. Yusuf und Dursun erlebten diese totale Kontrolle der Interaktionsmöglichkeiten und die damit einhergehende Entmündigung auch als eine Art Entlastung. „Und zwar ist das allerbeste da Drinnen, dass man nicht diesen Stress mit Ämtern, Anträgen oder sonstigem bürokratischen Scheiß hat. Ansonsten ist meiner Meinung nach die Arbeitspflicht sehr positiv. Denn wenn man nicht arbeiten geht, bekommt man seine Quittung in Form eines Disziplinarverfahrens.“ (Yusuf, Text für eine Ausstellung, November 2009) „Ich hab mich danach gesehnt, in vielen Situationen, einfach wieder zurück [in der Haft] zu sein. Keine Pflichten zu haben. Der ganze Tag ist geplant. Man weiß, wann man aufsteht, essen geht, wann man Zeit zum Duschen hat, wann man seinen Sport macht. Das ist halt Disziplin.“ (Dursun60) 60 Dursun in einem Fernsehbeitrag für das wöchentliche Magazin Polylux im Spätprogramm der ARD, Frühjahr 2008.

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Dursun berichtet mir, dass er für diese Aussage viel Kritik von seinen Freunden erhalten habe. Er unterstreicht mir Gegenüber, dass er damit nicht seine Zeit im „Knast“ romantisieren wollte. Dennoch empfindet er es als angenehm, dass innerhalb des Systems der Jugendstrafanstalt die Verhaltensweisen, die eine gewisse Form der Teilhabe am Gefängnisalltag (Schulausbildung, Arbeit, Freizeitangebote) ermöglichen, klar vorgeschrieben sind. Pflichten und die Konsequenzen, die aus Pflichtverstößen resultieren sind klar nachvollziehbar. Die Zeit der Haft bedeutet einerseits eine als bewusste Strafe konzipierte nahezu totale Exklusion aus der Gesellschaft, welche weit über die Zeit der Jugendhaft hinaus Auswirkungen mit sich bringt und die Jugendlichen marginalisiert. Andererseits beschreiben die im Projekt aktiven jungen Männer auch einen durch die Hafterfahrung ausgelösten Wandlungsprozess. Ihr Engagement für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wurde gerade durch diese tiefreichende Erfahrung des Ausgeschlossen-Seins angeregt. Nach der Entlassung aus der Jugendhaft wird die Welt und das Leben in der Freiheit häufig als eine Form der Überforderung, oder, wie Can sagte, als „so ein Überfluss“ wahrgenommen. Die Möglichkeit der neuerlichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verlangt Entscheidungen ab. Der eigenverantwortliche Umgang mit der Zeit muss neu erlernt werden, Termine müssen vereinbart und eingehalten werden. Bei den Projektteilnehmern häufen sich in der Zeit nach der Haftentlassung unterschiedliche Probleme, welche neuerliche Teilhabehindernisse aufbauen. Die Suche nach einer Arbeitsstelle, bei welcher der Eintrag im Führungszeugnis kein Hinderungsgrund ist, erweist sich in den meisten Fällen als fast aussichtslos. Ebenso schwierig gestaltet sich die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung in einem neuen Umfeld. Behördendschungel Neben diesen sozialen Exklusionsmechanismen können aufenthaltsrechtliche Exklusionsmechanismen eine neue, existenzbedrohende Dimension erhalten, die ich am Beispiel eines Projektteilnehmers verdeutlichen möchte. Rashid kam als kleines Kind mit seinen Eltern nach Berlin. Seine Familie stammt aus Palästina und erhielt aufgrund ihres Flüchtlingsstatus ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, welches jedoch alle 3 Jahre erneuert werden muss. Abgesehen von regelmäßigen Behördengängen erlebt Rashid seinen fragilen Aufenthaltsstatus bis zu seiner Inhaftierung jedoch nicht als in irgendeiner Form einschränkend.

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„Aufenthaltserlaubnis hatte ich von drei Jahren – jede drei Jahre musste ich da abstempeln gehen. Aber dann durfte ich im Endeffekt alles damit machen. Ich durfte damit fliegen, ich durfte damit – da hat mir keiner was gesagt. Ich durfte arbeiten. Ich durfte alles machen einfach.“ (Interview Rashid, Projektteilnehmer)

Erst nach der Haft werden die Konsequenzen dieses besonderen Aufenthaltsstatus für ihn relevant. Sein Pass wird im entzogen. Ab jetzt wird er in Deutschland nur noch geduldet. Er spürt nun den Unterschied, der zwischen ihm und „anderen Menschen“ gemacht wird. Der zwar vor der Haft auch vorhandene, aber in seiner alltäglichen Wahrnehmung unwesentliche rechtliche Statusunterschied prägt nun seine alltäglichen Handlungen. „Also, das Schwierigste ist immer noch für mich, jetzt immer noch, dass ich eine Duldung habe. Ich komm‫ ތ‬damit einfach nicht klar. Ich kann mir das einfach nicht mehr vorstellen, dass die mir irgendwann wieder mein‫ ތ‬Pass geben, oder so. Ich will mal wieder aus Berlin raus, ich will nicht hier bleiben. Ich will mal Urlaub machen, so wie andere Menschen. Ich will arbeiten gehen, Nebenjob suchen. Andere Leute können sich irgend ‫ތ‬nen Nebenjobs suchen, die können neben der Schule noch arbeiten und verdienen sich auch eigene Kohle, Zusatzgeld. Ja?! Ich darf das nicht! Das ist so – ich bin gehandicapt. So. Ja und das ist erschreckend natürlich alles.“ (Interview Rashid, Projektteilnehmer)

Nach der Logik der deutschen Behörden hat Rashid durch die Schwere seiner Straftaten und die daraus folgende Dauer seiner Haftstrafe seinen aufenthaltsrechtlichen Status „verwirkt“ und ist nach seiner Haftentlassung akut von Ausweisung bedroht. Jugendliche, die zu einer Jugendhaftstrafe von mehr als 3 Jahren verurteilt werden und keinen deutschen Pass haben können nach Vollzug ihrer Haftstrafe aus Deutschland ausgewiesen werden, auch wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind (Aufenthaltsgesetz § 53 Nr. 1 und Nr. 2). Bei einer Ausweisung des Betroffenen darf dieser auch später nie mehr in die Bundesrepublik einreisen. Aufgrund Rashids Herkunft als „palästinensischer Libanese“ sind die Bedingungen für eine eventuelle Abschiebung jedoch umstritten, seine Abschiebung wird damit vorerst ausgesetzt. Auch nach der Entlassung aus der Haft ist Rashid in seiner Freiheit weiterhin stark eingeschränkt. Aufgrund der zusätzlichen Schwierigkeiten sieht Rashid sich zu diesem Zeitpunkt mit einem für ihn undurchschaubaren „Behördendschungel“ konfrontiert. Die erneut zu überwindenden Teilhabehindernisse erlebt er als eine sehr unklare, von endlosem Warten und einer existenziellen Unsicherheit geprägte Lebensphase. Er steht zu dieser Zeit in fast täglicher Interakti-

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on mit staatlichen Institutionen, welche ihm immer wieder seinen marginalen Status verdeutlichen. Abbildung 3: Display „Behördendschungel“ aus für die Beantragung eines Aufenthaltstitels relevanten Papieren, Abschlussausstellung eines Projekts.

Quelle: eigenes Bild

Dies schildert er auf einer öffentlichen Veranstaltung des Projekts: „Ich zähle euch ein paar Gänge auf, die ich so nach meiner Entlassung machen musste. Das ist kaum zu glauben. Das war so mein erster Gang: das war so, also Ausländerländerbehörde mit zwei Wochen Duldung. Nach zwei Wochen musste ich mich wieder da melden und fünf Stunden Wartezeit. So. Gang zwei: ich musste mich arbeitslos melden. Also Jobcenter. Aber Neukölln hat drei Jobcenter und eine Arbeitsagentur. Ich wurde überall hingeschickt und stand jedes mal 3-5 Stunden in der Warteschlange. Keiner konnte mir eine konkrete Antwort geben. Danach – Gang drei: Sozialamt. Antrag auf Lebensunter-

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halt. Klar war, ich muss wieder kommen. Weil ich ja nur zwei Wochen Aufenthalt hatte. Aber immerhin bekam ich einen Vorschuss von 50 €. Zwischendurch war ich noch bei meiner Krankenkasse, BVG, wo ich überall auch lange Wartezeiten hatte. Danach ging es wieder zur Ausländerbehörde, weil mein Aufenthalt verlängert werden sollte. Was nur der Passbeschaffer konnte. Kennt jemand so was – Passbeschaffer? Ich auch nicht vorher. Immerhin hat er mir sechs Monate Duldung gegeben. Und ich musste so ein komisches Formular ausfüllen. Wo ich auch meine Fingerabdrücke abgeben musste. Komisch. Na ja. Auch dann musste ich wieder zum Sozialamt. Auch da musste ich wieder etliche Papiere abgeben von meiner Familie und weitere Papiere von mir, weitere Warteschlangen, Wartezeit und so weiter und so fort. Da meine Mutter und meine Geschwister in einer kleinen Wohnung wohnen und es keinen Platz gibt, hat mir das Sozialamt eine Wohnung zugesichert. Doch ich suche noch, es will mich keiner haben. Wegen meiner Geschichte und meiner Abschiebung.“ (Rashid, auf der Vernissage der Abschlussausstellung des Projekts, November 2009)

Auf seinen Gängen zu den verschiedenen mit seinem „Fall“ befassten Behörden und Dienststellen wird er durch die Sozialarbeiterin des Projekts begleitet. Diese beschreibt eine deutliche Diskrepanz der Behördenmitarbeiter/innen im Umgang mit „ausländischen“ Jugendlichen und „deutschen“ Jugendlichen, sowie eine sehr einseitige Einstellung der Behördenmitarbeiter/innen mit Bezug auf eine eingeforderte „Anpassung“ ihrer „Klient/innen“: „Das ist ja aber auch immer so ein bisschen einseitig. So die ‚Schwarzkopffamilien‘ sollen sich integrieren aber wo kommt man ihnen entgegen und sagt: ‚hier, ich verstehe deinen Hintergrund und da, lass uns mal gucken‘. – Ich kann‫ތ‬s gar nicht ausdrücken. Die klassischen Behördengänge. Ich geh ja auch manchmal mit deutschen Jugendlichen, blond, blauäugig auf die Behörden. Der wird anders behandelt als der Schwarzkopf. Und da müssen sich auch mehr die Ämter drauf einrichten, die Bereitschaft auch haben. Und nicht immer nur diese Anpassung letztendlich abfordern. Integration ist ja immer aus Sicht der anderen. So kann‫ތ‬s ja nicht laufen!“ (Interview Maria, Sozialarbeiterin)

Bei ihren Behördengängen mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund begegnet Maria einem Verständnis von „Integration“, welches sie als rassifizierend und ausgrenzend beschreibt. Anstatt nach individuellen Lösungen zu suchen wird hier in ihren Augen pauschal und einseitig Anpassung eingefordert. „Integration“ wird so zu einem Integrationsimperativ, dem der Jugendliche unterworfen wird. Durch die Machthierarchie in der Interaktion zwischen dem Jugendlichen als Bittsteller und der Behörde tritt der Integrationsimperativ an die-

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ser Stelle besonders deutlich hervor und reproduziert Ausschlussmechanismen, anstatt Inklusion zu ermöglichen. Die durch seine Situation als vorbestrafter junger Mann ohne deutschen Pass wirksamen staatlichen Exklusionsmechanismen übersetzt Rashid in seiner Geschichte im Wesentlichen in Wartezeit, die sich auch in einer fundamentalen Unsicherheit über die weitere Gestaltung seiner Zukunft niederschlägt. Anstatt nach der Haftentlassung neue Aktivitäten zu entfalten und die Gestaltung des eigene Lebens mit einer Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz aktiv in die Hand nehmen zu können, befindet sich Rashid in einer durch aufenthaltsrechtliche Regularien bedingten Warteschleife, die ihn erneut – wie auch schon in der Zeit der Haft – zu Passivität verdammt. Dies stellt einen unauflösbaren Widerspruch zu der Forderung eines Integrationsdiskurses dar, welcher Engagement einfordert. Dennoch versucht es Rashid. Er strebt als einzige ihm offenstehende Option den Erwerb des erweiterten Realschulabschlusses an. Später will er versuchen trotz seines labilen Aufenthaltsstatus einen Ausbildungsplatz zu finden. Ein weiterer Widerspruch zeigt sich auch darin, dass es Rashid im wörtlichen Sinn bis auf den Catwalk geschafft hat. Auf der Fashionweek 2009 ist er Teil einer von der Streetware Marke Eastpack durchgeführten Modeschau im Zentrum Berlins. Diese „Karriere“ wird jedoch nicht trotz, sondern gerade aufgrund seiner Biografie und der damit verbundenen Marginalisierung ermöglicht. Die Marke Eastpack erhält erst über das Sozialprojekt Zugriff auf Jugendliche, welche die gewünschte Authentizität für die Repräsentation von Strassenmode mitbringen. Zwar vermittelt Rashid dieser temporäre Erfolg als Model Selbstbewusstsein und verhilft zu einem „aufrechten Gang“ (Interview mit der Projektleitung). Aufgrund der Repräsentation als „Model“ in der Presse wird allerdings in der Folge die Referentin für Öffentlichkeit der Berliner Jugendvollzugsanstalt bei dem Verantwortlichen des Projekts vorstellig, um ihrer Missbilligung über diese Darstellung der aus einer Haftstrafe resultierenden „Modelkarriere“ Ausdruck zu verleihen (Feldtagebuch, Juni 2009). Diese Intervention verdeutlicht abermals die bestehenden Grenzen und zeigt die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn gesellschaftliche Marginalisierung durchbrochen werden soll.

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9.2 R AP : Ü BER A USGRENZUNG

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SPRECHEN

Feldtagebuch, Oktober 2009 „Ich schreibe dies während ich auf Erol warte. Wir hatten uns zum Interview verabredet, aber der obligatorische Telefonanruf (‚es ist vielleicht besser, wenn du mich vorher nochmal anrufst‘) zeigt keinerlei Wirkung. Nun sitze ich hier und warte. Die Schwierigkeit, sich für ein Interview mit mir zu treffen und die Leichtigkeit, mit der Interviews im Fernsehen zugesagt werden ist ein Punkt, der mich nachdenklich stimmt. ‚Die Frau vom Fernsehen, die da war um Interviews zu machen‘ scheint in eine andere Kategorie zu gehören als ich.“ Schweigend sitzen wir im Projekt beisammen. Sie reden nicht viel, die jungen Männer und wenn, dann geht es um ihre Musik, ihre nächste Aufnahme oder das Fotoshooting für das Cover ihrer neuen CD. In der Zigarettenpause werden Witze gemacht oder konkrete Alltagsprobleme mit den Sozialarbeiter/innen geklärt. Über das eigene Leben, ihre Erfahrungen vor oder in der Haft will keiner von ihnen sprechen. Zumindest nicht mit mir. Ich bin Teil des Projekts und hier wird die Vergangenheit nicht thematisiert. Interviewtermine mit mir werden zwar höflich vereinbart, aber nur selten eingehalten. Das liegt nicht daran, dass sie nicht gerne Interviews geben. Das Sprechen über ihre Hafterfahrung, über Ausgrenzung und ihre Biografie ist vielmehr für die Medienvertreter reserviert. Es geht den Jugendlichen um Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, eine Aufmerksamkeit, die ich als Wissenschaftlerin in ihren Augen nicht bieten kann. Die Erlebnisse aus der Haft spielen hingegen eine wichtige Rolle in ihren Raptexten und der damit verknüpften Repräsentation. Das Thematisieren von alltäglichen Diskriminierungen und die damit verbundene Gesellschaftskritik sind zentrales Thema in der von Yusuf und Dursun (mit)gegründeten Rap Crew GS und bei den anderen am Projekt beteiligten jungen Rappern. Über das Medium des Rap haben sie eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden, die es ihnen ermöglicht, mit ihren Aussagen öffentlich wahrgenommen zu werden. Bei ihren Auftritten und in ihren Texten und Filmen verwenden sie bewusst die Symbolik des Gefängnisses und nutzen diese als symbolisches Kapital, um mit ihren gesellschaftskritischen Aussagen mehr Gehör zu finden. Andererseits erhöht der Verweis auf die reale Erfahrung der totalen Exklusion in der Haftanstalt ihre Authentizität und trägt somit zu ihrer Street Credibility bei.

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Abbildung 4: Selbstdarstellung der Rap Crew unter ihrem Logo. Das Foto wurde noch in der Zeit der Jugendhaft in der Jugendhaftanstalt Plötzensee aufgenommen.

Quelle: Foto: Leon Kahane, Logo: J. & M. Tong Um Street Credibility zu erlangen ist es notwendig, glaubhaft zu machen, dass man zur Szene gehört. Für die Mitglieder von GS ist es daher ein sehr wichtiges Anliegen, nach ihrer Haftentlassung in der Berliner Hip Hop Szene bekannt zu werden. Anders als es das von ihnen gewählte Logo suggeriert bedeutet Rap für sie allerdings weitaus mehr, als die unreflektierte Fortschreibung eines „Gangsta-Images“. „Rap. Das ist meine Art, meine Gefühle zu zeigen. Meine Wut oder Trauer in etwas Positives zu stecken, um selbst damit fertig zu werden. Außerdem gibt‫ތ‬s meiner Meinung nach zu viele Möchtegern-Gangsta und Opfer, die zu viele Lügen erzählen und damit einen Erfolg haben, den sie nicht verdienen. Von dem schlechten Einfluss, den sie auf junge Kids

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damit haben, braucht man gar nicht erst zu reden. Uns geht es hauptsächlich darum, nicht dieses Gangsta-Image zu tragen und jedem zu erzählen, was wir für schlimme Jungs sind.“ (GS, Interview auf ihrer Homepage 2008)

Ihre Musik und Selbstdarstellung lebt mit und von dem Widerspruch, den die Exklusion durch die (Jugend-)Haft in ihrer Erzählung einnimmt. Der „Ruhm“ (Fame), den sie bei ihren Fans durch die Haftzeit erlangen ist nicht unwesentlich für ihre Rezeption als Hip Hop Künstler. Unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status haben alle Teilnehmer des Projekts Ausgrenzungserfahrungen in der Schule oder mit anderen staatlichen Institutionen erlebt und erklären diese sehr häufig mit ihrem „Migrationshintergrund“. Ausgrenzungserfahrungen führen in vielen Fällen zu einer Übernahme der Fremdzuschreibung als „nicht dazugehörig“. Die jungen Männer übernehmen in ihrer Selbstpositionierung die Unterscheidung zwischen „Ausländern“ und „Deutschen“, zwischen einem „Wir“ und „Die“. Can beschreibt dies so: „Weil ich sag, ganz ehrlich, es tut mir wirklich leid, dass ich immer noch sage –‚ich als Ausländer‘, aber so werd‫ ތ‬ich doch hier gesehen! Ich bin kein Berliner, ich bin kein Deutscher. Ich bin nicht der Peter, ich bin der Can. Und der Can bleib ich auch für immer, weil dieses Aussehen nun halt der Can ist. Damit hab ich immer zu kämpfen. Die Leute gucken mich manchmal so an, so böse an, und wenn ich meinen Mund aufmache – ‚der kann ja Deutsch, aha‘, Mensch, so, anfassen halt. Das ist für mich wie ‚E.T. – der Außerirdische‘.“ (Interview Can, Projektteilnehmer)

Die Wahrnehmung, die Can, Erol und die anderen jungen Männer des Projekts in ihren Erzählungen zum Ausdruck bringen ist: Egal was sie machen, sie werden unweigerlich der Kategorie der „Ausländer“ zugewiesen. Das führt in der Folge dazu, dass sie alle erlebten Ausgrenzungserfahrungen generell mit ihrem Status als „Ausländer“ erklären und andere, in der konkreten Situation liegende mögliche Gründe nicht mehr in Betracht gezogen werden. Der Psychologe Martin E.P. Seligmann beschreibt diese Haltung, die aus andauernden Ausgrenzungserfahrungen resultieren kann, als „erlernte Hilflosigkeit“ (Abramson/ Seligmann/ Teasdale 1978). Menschen, die häufig die Erfahrung gemacht haben, an ihrer Lage nichts ändern zu können, gehen mit der Einstellung, eh nichts ändern zu können in neue Situationen hinein und interpretieren ihre Lage aufgrund dieser Annahme als ausweglos. Die Übernahme der durch ursprünglich strukturelle Benachteiligungen ausgelösten Selbstbilder als „Opfer“ wird von den ju-

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gendlichen Teilnehmern der Projekte in eine Viktimisierungserzählung eingebracht. Viktimisierungserzählungen verstehe ich als Strategie der Jugendlichen, um über Ausgrenzung zu sprechen. Dies möchte ich anhand einer Situation in einem der Hip Hop Workshops des Projekts veranschaulichen und damit beispielhaft aufzeigen, wie sich alltägliche Erfahrungen von Ausgrenzung zu einer solchen spezifischen Ausgrenzungs- bzw. Diskriminierungserzählung verdichten können, bzw. von den Teilnehmern des Projekts in eine solche übersetzt werden. Feldtagebuch, April 2009 In einem Jugendzentrum des bürgerlich-alternativ geprägten Stadtteil Kreuzberg 61 leitet Yusuf einen mehrtägigen Rapworkshop. Die Teilnehmer/innen sind 1215-jährige Jungen und Mädchen aus der Nachbarschaft des Jugendzentrums. Sie gehören zur „Stammbelegschaft“ des Jugendzentrums und alle an diesem Workshop teilnehmenden Jugendlichen stammen aus Einwandererfamilien. Nach einer kurzen Einführung durch Yusuf sollen sie eigene Rap-Texte erstellen – und einigen sich darauf, die positiven und negativen Seiten von Berlin als Thema zu wählen. Eines der Mädchen möchte darüber schreiben, dass sie in der Schule keiner mag. Diese Ausgrenzung erklärt sie sich damit, dass sie Türkin ist. Ihr fällt es allerdings schwer, daraus einen Text zu machen. Yusuf nimmt ihr Blatt und schreibt aus ihrer Erzählung folgenden Rap-Text: „Es gibt sehr viele Leute, die was gegen mich haben, und das nur, weil ich ‫ތ‬ne Türkin bin mit schwarzen Haaren. Sie versteh‫ތ‬n meine Religion nicht, das find ich voll idiotisch, Diskriminierung in Berlin ist nicht komisch.“

Das Mädchen reagiert daraufhin irritiert und meint: „Ich habҲ doch gar nicht schwarze Haare, sondern braune!“ Yusuf versucht, ihr die von ihm vorgenommene Zuspitzung zu erklären: „Aber das ist doch so, dass sagen DIE doch, dass du schwarze Haare hast, deswegen grenzen sie dich doch aus.“ Die Schülerin selber erkennt sich jedoch in dieser Form der Zuspitzung zunächst nicht wieder. Ebenso bleibt „Diskriminierung“ für sie ein schwierig auszusprechendes Fremdwort, mit dem sie nicht so richtig etwas verbinden kann. In der Pause fragt sie daher eine der anwesenden Sozialarbeiterinnen, was denn damit gemeint sei. Im endgültigen Text ersetzt sie diese beiden rhetorischen Zuspitzungen und rappt:

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„Es gibt sehr viele Leute, die was gegen mich haben, und das nur, weil ich ‫ތ‬ne Türkin bin, mit braunen Haaren. Sie versteh‫ތ‬n meine Religion nicht, das find ich voll idiotisch, Gewalt gegen Menschen, egal wo, ist nicht komisch.“

Die Erfahrung der Ausgrenzung durch die Klassenkamerad/innen der Schülerin wird in diesem Track durch Yusuf darauf verkürzt, dass sie Muslima und „Türkin“ sei und „schwarze Haare“ habe. „Schwarze Haare“ werden demnach von Yusuf als Sinnbild für einen rassifizierenden, diskriminierenden Ausgrenzungsmechanismus, in dem „Ausländer“ verallgemeinernd als „Schwarzköpfe“ bezeichnet werden, in den Text aufgenommen. Dabei spielen auch Yusufs eigenen biografischen Erfahrungen als „Schwarzer im Osten“ eine wichtige Rolle. Yusuf nutzt in dieser Situation das Narrativ der Viktimisierung als Strategie, um über Ausgrenzung zu sprechen. Entscheidend dabei ist, dass er hierbei eine komplexe Situation in der Klassengemeinschaft des Mädchens auf einige in dieses Viktimisierungsnarrativ passende Faktoren reduziert und diese dadurch an das herrschende Ausgrenzungsnarrativ der „Schwarzköpfe“ anschlussfähig gemacht werden. Dass sich Yusuf der Problematik, die dieser Vereinfachung zugrunde liegt, sehr wohl bewusst ist, wird in anderen Situationen deutlich, auf die ich später eingehen werde. Das Sprechen über Diskriminierung steht auch in einem weiteren Vorhaben des Projekts im Mittelpunkt. Die durch den verantwortlichen Sozialarbeiter erstellte Konzeption des Projekts sieht vor, einen Film/ Trailer zu drehen und diesen mit eigenen Raptexten zu gestalten. Über das den jungen Männern vertraute Medium des Films sollen die Teilnehmer für sie wichtige Themen ansprechen und über diese mit Verantwortungsträgern aus Politik und Wirtschaft in Form von Interviews in Austausch treten. Die Jugendlichen selber entscheiden: Thema des Films sollen Diskriminierung, Chauvinismus und Rassismus sein. Bei der Diskussion der möglichen Inhalte auf den wöchentlichen Projekttreffen wird deutlich, dass Yusuf, Dursun, Olaf und Witness dabei keine einfache Weiterführung des Diskriminierungsthemas anstreben, bei dem sich jugendliche Rapper als „Opfer“ einer gesellschaftlichen Marginalisierung stilisieren. Vielmehr wollen sie mit ihren Texten durch Irritationen zum Nachdenken anregen. Sie wollen mit diesem Track sowohl ihre Anhänger aus der Hip Hop Community ansprechen, als auch ein Zeichen für die breitere Öffentlichkeit setzen, was für ihr großes Sendungsbewusstsein spricht. Als roter Faden des Filmskriptes wird ein Track geschrieben und aufgenommen, von dem ich den ersten, ebenfalls von Yusuf verfassten Teil, zitiere:

214 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Es geht um Diskriminierung. Lass uns den Mist umbiegen und nicht erst übertreiben bis zum Siedepunkt. Egal ob schwarz, weiß, gelb oder pink jeder Mensch ist gleich auf der Welt, nehmt es hin! Auch wenn du der Schönste bist, kannst du Rücksicht zeigen, nicht nur Krösus will grenzenlos und glücklich sein. Du kannst auch bei deiner Aufmerksamkeit tüchtig bleiben. Doch zeig Respekt, man, und setz‫ ތ‬dein‫ ތ‬Kopf mal richtig ein! Es ist unglaublich, entsetzlich und traurig und leider ist auch nicht Besserung in Aussicht. Keiner ist aufrichtig und immer wieder passiert es, dass Feinde sich gegenseitig aufschlitzen. Mobbingopfer fangen an, sich Narben in die Haut zu ritzen. Dicke Menschen werden ausgelacht, weil sie laufend schwitzen. Eltern werden fertig gemacht, weil‫ތ‬s zu viele faule Kids gibt. Warum wird denn immer noch ‚scheiß Nigger‘ in den Raum geschmissen? Straffälligen Jugendlichen wird einfach der Traum entrissen. In Erscheinung getretene Migranten werden rausgeschmissen.61 Frauen werden auf der Straße respektlos aufgerissen. Wann geht uns der Menschen fremdes Leid endlich aufs Gewissen? (Yusuf, 2009)

Yusuf fordert seine Zuhörer mit diesem Text dazu auf, respektvoller miteinander umzugehen und veranschaulicht seine Sicht auf das Thema Diskriminierung. In einem moralischen Appell an das Gewissen aller Zuhörer fordert er Empathie für Mobbingopfer, straffällig gewordene Jugendliche und überforderte Eltern und zeichnet einen idealistischen Gegenentwurf zu einer durch Ausgrenzungserfahrungen gekennzeichneten Alltagspraxis: Es geht dabei darum, Rücksicht zu zeigen, die Gleichheit der Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe zu achten und aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen Anderer zu sein. In seinem Gegenentwurf bezieht er sich auf die Werte der Hip Hop Community, bei denen Respekt und bedingungslose gegenseitige Anerkennung eine zentrale Rolle spielen. Hip Hop bietet das methodische Mittel, über das Sprachrohr des Rap Ausgrenzungserfahrungen anzuprangern und sich selber aktiv dazu zu äußern. Darüber hinaus

61 Mit „In Erscheinung treten“ ist hier „mit kriminellen Straftaten in Erscheinung treten“ gemeint. Ich verweise hier auf die Biografie Rashids.

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stellen die Werte, die über die ursprünglichen Ideen des Hip Hop vermittelt werden ein Ordnungsmuster dar, an dem diese Jugendlichen sich (neu) orientieren. In der ihm eigenen spöttischen Sicht auf die Welt relativiert Yusuf allerdings bei einem der Projekttreffen seine eigene, ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema. Im Zusammenhang mit einer Diskussion unter den jungen Männern, wer alles zum Thema Diskriminierung interviewt werden könnte werden ‚Migranten‘, ‚Frauen mit Kopftuch‘ und ‚Schwule‘ als mögliche, von Diskriminierungserfahrungen betroffene Gruppen genannt. Yusuf wirft daraufhin ironisch ein: „Wir könnten ja auch Katzen interviewen: ‚Werdet ihr von den Hunden diskriminiert?‘“ (Feldtagebuch, 21.03.2009)

An diesem Einwurf wird einerseits deutlich, dass die Diskriminierung von Migrant/innen, kopftuchtragenden Muslima und Homosexuellen in der Gesellschaft in Yusufs Augen ebenso offensichtlich ist, wie die Ablehnung, die Hunde gegenüber Katzen empfinden. Gleichzeitig nimmt er der Diskussion mit dieser Bemerkung die Betroffenheit, indem er sie zu einem Witz verkehrt und damit aus einer Sphäre der Passivität und des (Be-)Klagens herausbricht. Auf eine ironische Art und Weise macht er so deutlich, dass das Klagen darüber, diskriminiert zu werden, auch zu einer Fortschreibung von Andersartigkeit und entsprechend zu einer selbstverordneten gesellschaftlichen Passivität führen kann, aus der er heraustreten möchte. Die (Selbst-)Ironie als ein von den jugendlichen Rappern verwendetes Stilmittel, um die Komplexität ihrer Aussagen zu unterstreichen und mit den verschiedenen Deutungsebenen von Inklusion und Exklusion und den darin angesprochenen Werten zu spielen, kann anhand dieser Aussage verdeutlich werden. Wie sich durch die geschilderten Situationen aufzeigen lässt, können Viktimisierungserzählungen als Strategie genutzt werden, um eigene Passivität zu entschuldigen, über Ausgrenzung zu sprechen und um Ausgrenzung sichtbar zu machen. Gleichzeitig werden sie, ironisch verfremdet, als Strategie der Selbstausgrenzung entschlüsselt.

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9.3 A KTIVIERUNG

VERSUS

(S ELBST -)V IKTIMISIERUNG

Vorstellungen von Passivität und Aktivierung spielen in der Diskussion um den Umgang mit Diskriminierung eine zentrale Rolle. Wie ich herausgearbeitet habe stellt das Empowerment von Migrant/innen und ihren Vereinigungen in der Berliner integrationspolitischen Ausrichtung einen wesentlichen Aspekt der integrationspolitischen Neuausrichtung dar (Abgeordnetenhaus 2007a:68). Akteur/innen sollen im Rahmen von integrationspolitischen Maßnahmen dazu befähigt werden, ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen. Bei der Übersetzung dieser politischen Leitideen in das spezifische Aktionsprogramm fällt jedoch auf, dass das Postulat der Aktivierung zwar auf der Ebene der Vereinskooperationen strukturelle Veränderungen durch interkulturelle Öffnung anstrebt, sich auf der Ebene der jugendlichen Projektteilnehmer jedoch ausschließlich auf die Aktivierung der Individuen richtet und strukturelle Teilhabehindernisse in Schule und Ausbildung oder beim Zugang zum regulären Arbeitsmarkt im Rahmen dieses Aktionsprogramms eine untergeordnete Rolle spielen. Die durch die sozialpädagogische Arbeit zu behebende Problematik wird demnach bei der individuellen Passivität der Jugendlichen und nicht bei strukturellen Exklusionsmechanismen ausgemacht. Die vermeintliche Verweigerung vieler Jugendlichen, selber aktiv zu werden, kritisiert ein Mitarbeiter der Verwaltung mit folgenden Worten: „Meine Hoffnung war, [in diesem Aktionsprogramm] auch ein stückweit klarzumachen, dass uns diese permanente Jammerattitüde – ich werde diskriminiert weil bla bla bla bla, nicht weiterhilft. Sondern es geht darum, Leuten Selbstbewusstsein zu geben, weil sie sind, wer sie sind! Ungeachtet irgendwelcher äußerlicher Merkmale. Sondern sie sind da und müssen dann mit den Umständen, wie sie vorzufinden sind, umgehen können. Weil – es ist natürlich völlig utopisch, dass wir die Gesellschaft ändern, oder Diskriminierungen, ob es die nun tatsächlich gibt oder sie nur gefühlt sind. Die werden wir nicht abschaffen, sondern wir müssen die Leute, die davon tatsächlich oder vermeintlich betroffen sind, in die Lage versetzen, damit umzugehen. Das ist mein Ziel. Jeder hat die Möglichkeit, seinen Platz zu finden in der Gesellschaft und es hat niemand gesagt, dass gleiche Chancen zu haben auch bedeutet, das Gleiche zu erreichen. Das liegt an ihm selber. Und es hat auch niemand gesagt, dass es für jemanden, der vielleicht von seiner Situation her, tatsächlich oder gefühlt, schwieriger hat, nicht mehr tun muss, um an das gleiche Ziel zu kommen, wie jemand, der vielleicht vom Schicksal begünstigt ist, weil er gut aussieht, weil er blaue Augen hat, weil, weil, weil. Einer, der der Norm entspricht, um es auf den Punkt zu bringen – natürlich hat der es einfacher, da müssen wir uns doch nichts vormachen! Ja, ich hab zwei Möglichkeiten: Das zu akzeptieren, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, weil ich bin, der ich bin. Ich nenn mal auch ein vielzitiertes Schlagwort: ‚Potential‘. Po-

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tentiale kann ich aber nur nutzen, wenn derjenige, der sie hat, sie auch nutzen will. […] Und das möchte ich den Leuten vermitteln. Dem Einzelnen klarzumachen, du hast was, du bist was wert, du kannst was. Und insofern sind solche Programme wichtig, unabhängig davon, ob die einzelnen Projekte in dem Programm es ausreichend nutzen.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Herr Nowak verdeutlicht, dass er „Diskriminierung“ nicht als Entschuldigung für geringes Engagement und Passivität der Jugendlichen gelten lassen möchte. Er unterstreicht mit diesen Aussagen, dass ein aktives individuelles Handeln für ihn das wesentliche Mittel ist, um gegen Diskriminierung vorzugehen und Mechanismen des Ausschlusses zu überwinden. Er fordert von den Jugendlichen, das eigene Schicksal eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen. Dabei geht er davon aus – und legitimiert dies mit einem Verweis auf eigene biografische Erfahrungen – dass im Grunde jeder, der will, eine Chance hat, an der Gesellschaft teilzuhaben. Entsprechend lehnt er eine Argumentationsweise, die institutionelle Diskriminierung innerhalb der deutschen Gesellschaft als eine der wesentlichen Einflussfaktoren für die biografische Entwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund ansieht ab und hält sie für grundsätzlich falsch (contra Gomolla/ Radtke 2007). „Das wird nicht gerne gehört, ich halte dieses Gerede über rassistische Diskriminierung [sucht nach Worten] für dummes Zeug insgesamt, wohlgemerkt. Einzelfälle ja, das wär ja dumm, die in Abrede zu stellen. Aber es gibt in Deutschland keine institutionelle Diskriminierung, es gibt keine gesetzhafte Diskriminierung. Ich erzähl‫ ތ‬immer das Beispiel: Wenn ich mir jetzt (im Sommer) auf‫ތ‬m Alexanderplatz 300 Leute willkürlich raussuche, die in eine Reihe stelle und dann einen nach dem anderen frage: ‚Fühlst du dich diskriminiert? ‘ Dann krieg ich von 290 die Antwort ‚Ja‘. Der eine weil er dick ist, der andere weil er alt ist, weil er behindert ist, der dritte weil er weiß der Kuckuck was ist usw. usw. Das heißt, Herabsetzungen, ich vermeide mal das Wort Diskriminierung, persönliche Herabsetzungen sind unser Alltag. Die begegnen uns jeden Tag. Und warum? Weil Menschen so sind. Das ist unser Alltag, das geht Ihnen so, das geht mir so. [… ] Das hat nichts damit zu tun, dass Leute schwarze Haare haben und ‫ތ‬ne dunklere Hautfarbe. Es ist der alltägliche Kampf, seinen Platz in einem kleineren oder größeren Organisationsraum zu finden. Und [diesen Kampf] haben wir alle. Und deswegen finde ich das Gerede von Diskriminierung ziemlich kontraproduktiv. Nochmal, um klar zu sein: Natürlich gibt es Einzelfälle, wo Menschen misshandelt werden, diskriminiert werden, geschlagen werden, aufgrund der Tatsache, weil sie schwarz sind, Türke sind oder behindert sind, auch da gibt es die unterschiedlichsten Ausprägungen. Aber von einer institutionalisierten Diskriminierung oder

218 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT von Diskriminierung als einem Selbstläufer zu reden, halte ich für falsch.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Herr Nowaks Aussagen lassen sich einerseits in Beziehung setzen zum Postulat des aktivierenden Sozialstaates, welches einen Forderungscharakter hat. Andererseits veranschaulichen sie einen von Gomolla und Radtke angesprochenen „Abwehreflex“: „Institutionelle Diskriminierung hat in Deutschland, anders als im anglo-amerikanischen Raum, keine Tradition. Das hat politische und methodologische Gründe. Die bloße Verwendung des Begriffes wird in den Organisationen des Sozialstaates, die mit Distributionsaufgaben betraut sind, als Vorwurf aufgefasst und reflexhaft abgewehrt“. (Gomolla/ Radtke 2007:13)

Eine Ablehnung des Vorkommens von institutioneller Diskriminierung beschreiben Gomolla und Radtke als häufig anzutreffenden Schutzmechanismus der einzelnen Behördenmitarbeiter/innen, da institutionelle Diskriminierung primär anonym funktioniert und nicht als böswillige Handlung einzelner Individuen interpretiert werden kann (Gomolla/ Radtke 2007:43). In seinen Aussagen unterstreicht Herr Nowak, dass diese Äußerungen seine private Meinung darstellen, welche nicht mit der offiziellen Lesart von Diskriminierung im Büro des Integrationsbeauftragten konform geht. Der Schutz vor Diskriminierung und Ausgrenzung wird durch den Integrationsbeauftragten als „zentrales Aufgabenfeld der Integrationspolitik“ verstanden (IntMig 2010b). Dadurch wird abermals deutlich, dass auch innerhalb des Mitarbeiterstabs des Integrationsbeauftragten Meinungsverschiedenheiten bestehen gegenüber der Art und Weise, wie Integrationspolitik gestaltet werden sollte und auf welchen Prämissen sie beruht. Die in Herrn Nowaks Aussage deutlich zutage tretende Ablehnung einer Selbstviktimisierung und einer damit verbundenen Passivität der von Diskriminierung betroffenen Migrant/innen sowie die Annahme von Elementen eines neoliberalen Aktivierungspostulats findet sich auch in einzelnen Projektkontexten des Aktionsprogramms. Metin und Mahmut, die jungen Vereinsgründer aus dem Wedding, bedauern eine bei ihren Mitbürgern häufig beobachtete „Passivität“. Sie kritisieren ebenso wie Herr Nowak, wenn Ausgrenzungserfahrungen als Entschuldigung für ein geringes Engagement herangezogen werden.

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„Natürlich ist Heimat immer da, wo man sich wohlfühlt. Sozusagen wir fühlen uns hier am wohlsten und dementsprechend ist das auch unsere Heimat. Viele sagen aber auch so: ‚wir sind hier Ausländer. Und wenn wir in unsere eigene Heimat gehen äh, ist man auch Ausländer‘. Das ist meines Erachtens absoluter Quatsch. Zum Beispiel mit einer gewissen Leistung, mit einer gewissen Energie, so zum Beispiel wenn man am Ball bleibt, oder auch die Leute von sich selber überzeugt, dann entfällt das, dieses ‚Ausländer sein oder nicht Ausländer sein‘. Weil, es zählt überall letztendlich nur das Leistungsprinzip. Und wenn man eine gewisse Leistung erbringt, dann kriegt man auch seine Anerkennung und wird sozusagen nicht mehr so dezimiert auf Ausländer. Und das haben ja sozusagen viele Mitmenschen von uns nicht kapiert und geben sich von Anfang an gleich die rote Karte. Sagen zum Beispiel: ‚Ich hab ja sowieso keine Chance, ich bin ja Ausländer‘. ‚Ich wohne hier sozusagen im Wedding oder im Ghetto. Es lohnt sich gar nicht für mich, zu bewerben, oder mich zu engagieren oder etc.‘ Die sind da sozusagen äh die Menschen, die von gar keinem Menschen gesehen werden usw. usw. Das heißt unsere Leute sind dermaßen in sich zurückgekehrt, dass sie gar nicht den Versuch wagen wollen, aus sich herauszubrechen und aus ihrem Leben was Besseres zu machen. Also ich sag dazu eigentlich – diese Menschen sind faul. Also: bewusst initiierte Faulheit“. (Interview Mahmut, Projektleiter)

Herr Nowaks und Mahmuts Kritik an einem Rückzug ihrer Mitmenschen in die Passivität nehmen damit eine gegensätzliche Haltung zu der eingangs geschilderten These der erlernten Hilflosigkeit ein. Sie sind der Meinung: „Wenn man eine gewisse Leitung bringt, kriegt man auch seine Anerkennung“. Mahmuts eigenen Erfahrungen haben ihm gezeigt, dass man es durch sportliche Leistungen und bürgerschaftliches Engagement „zu etwas bringen kann“ und dann nicht mehr auf die Rolle des „Ausländer“ reduziert wird. Auffällig ist jedoch, dass Murat diese Aussage auf die eigene, individuelle Leistung bezieht, strukturelle Exklusionsmechanismen jedoch sehr wohl als Teilhabehemmnis betrachtet. Im Verlauf des gleichen Interviews betont er, dass er und seine Kollegen im Verein immer wieder – trotz ihres persönlichen Einsatzes – als „Kanakenverein“ wahrgenommen und ausgegrenzt werden. „Also ganz ehrlich, ich bin so ‫ތ‬nen bisschen angearscht von allen Behörden sei‫ތ‬s jetzt – wir haben ja Gott und die ganze Welt kennengelernt. Wir ham‫ ތ‬ja so viel Furore gemacht, mit unseren ganzen Projekten. Dass es eigentlich als Erfolgsmodus übergreifend für alle Bezirke sozusagen mit übernommen werden kann oder teilweise auch schon mit übernommen wurde. So. Das einzige Problem, was wir haben, ist, dass wir – was heißt einziges Problem[…] Wir bekommen keine Regelfinanzierung, obwohl wir auch eine Lücke hier schließen – eine Versorgungslücke auf jeden Fall – und dementsprechend fehlt uns das Personal, was wirklich professionell geschult ist, die langfristig hier mit den Jugendli-

220 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT chen arbeiten können. Also immer mal spontane Geschichten – die Leute sind sozusagen immer auf Abruf – und die fallen nach ‫ތ‬ner Weile alle weg. Unser Verein ist vom Aussterben bedroht. Ganz klare Sache.“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Allgemein tritt auch bei seinem Kollegen Metin eine deutliche Frustration über die alltägliche Vereinsarbeit zu Tage. Immer wieder verweisen sie in Gesprächen darauf, dass ihr Verein keine lang anhaltenden Fördermittel erhält. Sie haben das Gefühl, dass die Arbeit, die sie mit ihrem Verein leisten, nicht anerkannt und durch eine finanzielle Förderung entsprechend gewürdigt wird. Sie gehen sogar so weit, von einer „sozialen Mafia“ zu sprechen, welche die Ressourcen auf dem Markt der sozialen Arbeit „unter sich“ aufteilt. Metin ist für den Verein in mehreren Quartiersräten62 aktiv und von der dortigen Vergabepolitik frustriert. Er hat das Gefühl, er findet kein Gehör – auch oder gerade weil er „von der Straße kommt“. Im Gremium des Quartiersrates fühlt er sich weder akzeptiert noch als „Experte“ respektiert. Als Verein sehen sich sowohl Metin als auch Mahmut daher in einer Opferrolle. Dies führt dazu, dass sie mögliche inhaltliche Gründe wie ihre Herangehensweise oder Projektkonzeption für diese Ausschlusserfahrungen nicht weiter hinterfragen Die hier aufgezeigten Widersprüche zwischen der kritischen Beurteilung einer scheinbar von vielen (jugendlichen) Migranten eingenommenen passiven Opferrolle einerseits und der Selbstdarstellung von Migrantenselbstorganisationen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als „Opfer“ von strukturellen Exklusionsmechanismen, wie in diesem Fall der „Sozialen Mafia“ andererseits, prägen die von mir beobachtete Praxis des Aktionsprogramms.

9.4 M ÄNNER

ALS

O PFER

Diesen Beobachtungen zur Selbstwahrnehmung als „Opfer“ von Diskriminierung – und der daran geäußerten Kritik möchte ich abschließend Beobachtungen zur Seite stellen, die eine andere, in mehrfacher Hinsicht gewendete Perspektive aufzeigen. Hierbei handelt es sich um Ausschnitte aus meinen Beobachtungen aus dem Projekt der schon erwähnten Fraueninitiative. Aus ihrer politisch linken,

62 Quartiersräte sind eine Institution des Quartiersmanagement (QM), welche im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ in sozial benachteiligten Gebieten Berlins eingerichtet wurde. In den Quartiersrat können sich engagierte Einzelpersonen oder Vertreter von Vereinen aus dem Quartiersmanagementgebiet wählen lassen. Sie bestimmen dann dort u.a. über die Vergabe von Geldern aus dem Fond des QM.

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feministisch orientierten Perspektive heraus betrachten die Mitarbeiterinnen dieses Projekts ihre Zielgruppe – migrantische Väter und deren Söhne aus dem Weddinger Kiez – gleich als mehrfache Opfer. In ihrer Projektdokumentation beschreiben sie ihre Zielgruppe folgendermaßen: „Gedacht war also an Väter […] die lange oder länger in Berlin leben; die lange arbeitslos sind und mit sich und ihrer Zeit außerhalb ihrer Männer-Orte nicht viel anzufangen wissen. Männer für die – auch bei Arbeitslosigkeit – kein Platz in der Familie(nwohnung) jenseits von Nachtruhe und Mahlzeiten vorgesehen ist.“ (Projektdokumentation, Projekt Kiezväter 2009)

Einerseits sehen demnach die Projektmitarbeiterinnen in diesen Männern Opfer eines strukturellen Exklusionsmechanismus, welcher sie zunehmend vom Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt ausschließt. Sie werden in der Dokumentation des Projekts als „bildungsfrustriert und widerspenstig“ und als „mürbe gemacht durch die Maßnahmen der Jobcenter“ beschrieben. Andererseits betrachten die Projektmitarbeiterinnen diese Männer als Opfer eines kulturell geprägten patriarchalen Gesellschaftsverständnisses, in dem der Mann als Führungsfigur und als Ernährer der Familie eine zentrale Rolle einnimmt. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und den damit verbundenen Einnahmen verliert in den Augen der Projektmitarbeiterinnen der Mann seine, in diesem patriarchalen Familienbild eingenommene Rolle als Familienvorstand und somit auch den damit verbundenen Status. In der Domäne des Hauses stehen die Männer den Frauen im Weg und ziehen sich daher – so die Interpretation der Projektmitarbeiterinnen – in „Cafés“ und Klubs in eine Art Parallelwelt zurück. In ihrer Rede auf der zweiten Zwischenbilanz des Aktionsprogramms fordern die Initiatorinnen des Projekts daher „Anerkennung und öffentliche Würde für die offenbar Überflüssigen“ – und unterstreichen mit ihrer Argumentation das Bild eines in mehrfacher Hinsicht marginalisierten migrantischen Mannes. Die Projektmitarbeiterinnen weisen den Männern eine extrem passive Rolle innerhalb der Gesellschaft zu, ohne die von ihnen aufgestellten pauschalisierenden, sowie immanent ausgrenzenden Bilder zu hinterfragen. Susanne Spindler verweist in ihrer Dissertation auf diese hier zu Tage tretende feministische Allianz mit potentiell rassistischen Einstellungen, wenn sie schreibt: „Heute finden solche Bilder ihre Fortsetzung in der Vereinheitlichung und Festlegung von Männern aus südlichen Ländern auf den Typ ‚Macho‘, den gerade deutsche Feministinnen als neue Feinde der Emanzipation entdeckt haben“ (Spindler 2006:73).

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Ebenso wie die anderen Projekte verfolgen auch die Mitarbeiterinnen dieses Vereins mit ihrer Projektarbeit das positiv zu bewertende Ziel, den Männern ein neues Selbstbewusstsein zu vermitteln. Ihr spezifisches Anliegen ist es dabei, die in ihren Augen passiven und durch äußere (Beschäftigungsmaßnahmen des Jobcenters) sowie kulturelle Gründe (patriarchale Vorstellungen) zu „Opfern“ gewordenen Männer für ein Engagement in der Gesellschaft und in ihrer Familie zu aktivieren. Die Rolle als Opfer staatlicher Beschäftigungsmaßnahmen wird den Männern dabei in den Kursen des Projekts durch die Projektmitarbeiterinnen nahegelegt. Anders als in den bislang diskutierten Viktimisierungsnarrativen, sehen sich die hier angesprochenen Männer selber jedoch nicht unbedingt als „Opfer“. Entsprechend zeigen die von den Projektleiterinnen als Zielgruppe anvisierten Männer in der Mehrzahl kein ausgesprochenes Interesse, sich von den Mitarbeiterinnen des Projekts für ihre gesellschaftspolitischen Ideale „aktivieren“ zu lassen. Die Leiterinnen dieses Projekts reproduzieren unbewusst durch ihre Äußerungen Bilder des Ausschlusses, auch wenn sie mit ihrer Vereinsarbeit Praktiken des Einschlusses, insbesondere der Männer in ihre Familien und die Fürsorgepflicht, anstoßen wollen. Dabei wird deutlich, dass sie zu stark in dem von ihnen favoritisierten Denkmodell verhaftet sind um andere Denk- bzw. Gesellschaftsmodelle wahrzunehmen. Gleichzeitig zeichnen sie sich durch eine sehr große emotionale Empathie gegenüber den Projektteilnehmern aus.

9.5 Z WEI S EITEN

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G HETTOBILDES

Das Bild des Ghettos symbolisiert innerhalb des Mainstream-Integrationsdiskurses die sozialräumliche Dimension einer unkontrollierten und potentiell gefährlichen „Parallelgesellschaft“. Gleichzeitig wird es vorwiegend von jungen Männern der zweiten Generation als Ort der Zugehörigkeit und der positiven Identifikation mit ihrem Stadtteil oder Kiez genutzt. Die sich daraus ergebenden Widersprüche und die damit verbundenen Aushandlungen von Anerkennung lassen sich anhand der Thematisierung der Ghetto-Metapher in der Assemblage Aktionsprogramm gut verdeutlichen. Nach Ronneberger und Tsianos ist in der öffentlichen Wahrnehmung die Figur des explosiven Raumes zentral für den Ghetto-Diskurs. Das Ghetto wird als Raum wahrgenommen, in welchem sich (sozialer) Sprengstoff ansammelt und irgendwann entlädt (Ronneberger/ Tsianos 2009:145). Bei der Verwendung der Metapher des Ghettos spielt es dabei eine untergeordnete Rolle, ob es in deutschen Metropolen überhaupt sogenannte Ghettos gibt. Folgt man der Argumentation des Soziologen Loïc Wacquant, so existieren im heutigen Europa, anders

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als in den US-amerikanischen Metropolen, keine eindeutig als Ghetto zu definierenden Stadtgebiete.63 Vielmehr spricht Wacquant mit Bezug auf Stadtbezirke wie Duisburg-Marxlohe oder Berlin Neukölln von sogenannten „neighboorhoods of relegation“ (Nachbarschaften der Verbannung), welche sich durch eine moderat ausgeprägte räumliche Segregation, hohe kulturelle Heterogenität, eine schwache Organisationsstruktur und keinen institutionellen Parallelismus, wie er ihn in den Schwarzen-Ghettos Nordamerika beobachtet, auszeichnen (Wacquant 2004:4). Sie sind, anders als das „ummauerte“ Ghetto, institutionell und personell mit der Stadt verflochten, bzw. durch viele „Brücken“ mit ihr verbunden.64 Der auf Partizipation und Chancengleichheit ausgerichtete Integrationsdiskurs des Berliner Senats vermeidet das in einem defizitorientierten Integrationsdis63 Die vier konstitutiven Elemente des Ghetto sind nach Wacquant ein mit dem Wohnort verbundenes Stigma, der Zwang dort zu leben, die klare räumliche Abgrenzung und eine institutionelle Struktur, die den Bewohnern des Ghetto vorbehalten ist und parallel zu Institutionen der Mehrheitsgesellschaft existiert, welche er als „institutional encasement“ bezeichnet. Des Weiteren verweist er – in Abgrenzung zu den französischen banlieues – auf die Bedeutung der ethnische Komponente. Das US-amerikanische Ghetto (und anderen Ghettos wie beispielsweise das jüdische Ghetto im historischen Vergleich) zeichnet sich durch eine hohe ethnische Homogenität aus. Diese sieht Wacquant im europäischen Kontext nicht als gegeben an. Hier konstatiert er eher eine auf Klassenunterschieden beruhende Segregation (Wacquant 2004:2ff). Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Ablehnung des Ghetto-Begriffes für deutsche Metropolen nicht zu einer Gleichsetzung von französischen banlieues mit den sogenannten sozialen Brennpunkt in deutschen Metropolen führen sollte, auch wenn dieser Vergleich, insbesondere seit den sozialen Unruhen in den Pariser banlieues, von den Medien immer wieder gerne konstruiert und auch in der Politik diskutiert wird. Ich verweise hierzu auf die Dokumentation einer Konferenz, welche von der Böll-Stiftung anlässlich dieses Themas durchgeführt wurde. Sabine Drewes bezeichnete Deutschland hier als „spiegelbildliches Pendant zu Frankreich“ (siehe Heinrich-Böll-Stiftung [2007]:19). 64 Wacquant selber verwendet das Bild der „Mauer“ und der „Brücke“ um die gegensätzlichen Charakteristiken dieser Quartiere zu verdeutlichen. Wacquant geht so weit, diese neighboorhoods of relegation als Anti-Ghettos zu bezeichnen, da hier eben nicht ethnische Unterschiede im Vordergrund der Abgrenzung stehen. „The demand of their residents are fundamentally social, having not to do with the difference or diversity […] but equality in treatment by or access to the police, the school system, housing, health care and, above all, employment. They pertain to the sphere of citizenship and not that of ethnicity“. (Wacquant 2004:4)

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kurs dominante Bild des Ghettos. Eine Übertragung des Ghetto-Bildes auf die Berliner Situation wird bewusst unterlassen, soziale Aspekte werden hingegen in das Zentrum der stadtplanerischen und integrationspolitischen Aufmerksamkeit gerückt. Im Berliner Integrationskonzept wird damit hinsichtlich einer häufig unterstellten sozialräumlichen Verortung einer „Parallelgesellschaft“ eine Kehrtwende vollzogen. So heißt es dazu: „Eine sozialräumlich ausgerichtete Integrationspolitik tut gut daran, Stadtteile mit besonderen gesellschaftlichen Aufgaben nicht nur vor dem Hintergrund der Defizite zu betrachten. Um die vorhandenen Ressourcen zu erkennen, die diese Stadtteile bieten, muss sie sich zumindest partiell von einem defizitfixierten Wahrnehmungsschema befreien.“ (Abgeordnetenhaus 2007a:47f)

Auch wenn die Berliner Integrationspolitik einen Ansatz verfolgt, der explizit einen defizitär ausgerichteten Blick auf bestimmte Stadtviertel zu vermeiden versucht, kommt dem „Ghetto“ als übermächtiger Metapher eine Bedeutung im Kontext des integrationspolitischen Aktionsprogramms zu. Vor dem Hintergrund der Berliner potentialorientierten integrationspolitischen Ausrichtung wirkt die immer wiederkehrende Thematisierung des Ghetto durch männliche Teilnehmer in der Praxis des Aktionsprogramms wie ein unerwünschtes „Störgeräusch“ der offiziellen politischen Verlautbarungen. Die häufige Bezugnahme auf das Bild des Ghetto durch die Projektteilnehmer des Projekts Neustart sowie durch die Projektleiter des Projekts Kiezpower sorgte daher im Stab des Integrationsbeauftragten für erhebliche Irritationen. Das „defizitfixierte Wahrnehmungsschema“ des Ghetto, welches durch die integrationspolitischen Leitlinie des Berliner Senats überwunden werden soll, wird hier aus der Praxis der Projekte erneut in die Öffentlichkeit, und damit auch an die Politik herangetragen. Die Medien übernehmen bei dieser Reaktivierung der Ghetto-Metapher eine zentrale Rolle, indem sie Darstellungen mit Ghettoelementen bevorzugt aufnehmen und verbreiten, wie das folgende Beispiel zeigt. Spiegel TV, 28.11.2008. Es geht um Berlin, ‚die Hauptstadt der Gegensätze‘.65 Neben einer Modedesignerin und einer Schönheitschirurgin kommen auch Metin und Mahmut aus dem Weddinger Projekt zu Wort. Es ist klar, auf welcher Seite der Gegensätze sie angesiedelt werden. Metin spricht in einem kurzen eingeblendeten Dialog von Aggressionen,

65 Die Aussendung dieses Fernsehbeitrages erfolgte im Förderzeitraum des Projekts. Spiegel TV Thema. Gesichter Berlins – Geschichten aus der Hauptstadt. Autoren Dreschler/Hartung. Sendetermin 28.11.2008.

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Frust und dem täglichen Konkurrenzkampf der Jugendlichen im Kiez. ‚Wir haben zwar kein Ghetto hier, aber schon so ghettoähnliche Zustände.‘ Das Erlernen von Kampfkunst stellt Mahmut wenig später als wichtiges Mittel dar, um sich in einem ‚Dschungel der Unbarmherzigkeit‘ zurechtzufinden. Im Film betont er, dass ‚der alltägliche Überlebenskampf‘ grausamer sei, ‚als jede Art von Kampfkunst, die wir erlernen können.‘

Mit der Ausstrahlung dieses Fernsehbeitrages werden Bilder des Berliner Bezirk Wedding als ein „unbarmherziges Ghetto“ gefestigt, in dem Aggressionen und Perspektivlosigkeit das alltägliche Leben der Jugendlichen bestimmen. Männliche Jugendliche werden als Problem dargestellt, mit Kampfkunst und Rap als ihrer einzigen Freizeitbeschäftigung, die sie von Schlimmerem abhalten. Dieses hier transportierte Bild widerspricht fundamental dem potentialorientierten Bild von männlichen Jugendlichen, welches durch die Politik des Integrationsbeauftragten transportiert werden soll. Die Selbstdarstellung des Weddinger Projekts prallt hier auf die Selbstdarstellung des Aktionsprogramms in der Öffentlichkeit. Die Sorge um das durch diesen Fernsehbeitrag gezeichnete negative Bild von jugendlichen männlichen Migranten schwingt in der Aussage des Behördenmitarbeiters mit, wenn er sagt: „Und es gab Leute, die ich im Laufe des Programms auch immer wieder skeptisch betrachtet habe und ich mich gefragt habe: ‚Ist es das, was wir wollen?‘ Bei denen war ich echt skeptisch. Schon nach der Auftaktveranstaltung, wo ich dachte: ‚Mein Gott, was sind denn das für Prolls.‘ Ganz unabhängig von der Herkunft. Das waren für mich, wie sie sich da präsentiert haben, einfach Prolls, Wichtigtuer. Im ersten Moment.66 Und dann gab‫ތ‬s ja auch witzigerweise sehr viele Presseberichte über die. Wahrscheinlich, weil sie ja so plakativ war‫ތ‬n und sich eben auch gut verkaufen lassen. Und so waren die [Presseberichte] dann auch. Wo ich dachte: ‚Um Gottes willen, wenn das der Eindruck ist, der nach außen vermittelt wird!‘ Und das war nicht irgend so ein unwichtiges Lokalblatt, das war Spiegel TV!“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Es stellt sich die Frage, warum Metin und Mahmut in der Selbstdarstellung ihres Vereins auf den Code des Ghetto-Diskurses zurückgreifen. Metin und Mahmut nutzen durch ihre Selbstinszenierung das Bild des Ghettos als Dramatisierungsszenarium, um mediale Öffentlichkeit zu erzeugen und auf die Dringlichkeit ihrer eigenen Sozialarbeit und die dafür benötigte Förderung hinzuweisen. Sie ver66 Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass Herr Nowak hier seinen ersten Eindruck der Vereinsmitarbeiter schildert. Im weiteren Verlauf des Aktionsprogramms gewinnt er eine deutlich differenzierte Einstellung gegenüber dem Verein und unterstützt dessen Arbeit ausdrücklich.

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folgen damit jedoch eine in mehrfacher Hinsicht problematische Strategie, die durch die Skandalisierung der räumlichen Spaltung und die Darstellung des Wedding als Ghetto zwar einerseits Aufmerksamkeit generiert, andererseits jedoch die Stigmatisierung des Quartiers und der dort lebenden Bevölkerungsgruppen verfestigt (siehe dazu: Ronneberger/ Tsianos 2009:146). Darüber hinaus geht ihre Strategie, über die Skandalisierung der Zustände eine finanzielle Absicherung ihrer eigenen sozialen Arbeit zu erreichen, nicht auf. Vielmehr führt ihre Darstellung zu starken Irritationen und Abwehrreaktionen bei der sie fördernden Behörde. Auch andere Verantwortungsträger aus dem Quartier lehnen ihre Herangehensweise ab und halten sie für grundsätzlich falsch. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass Metin und Mahmut ihre Selbstdarstellung (noch) nicht dem gegenwärtigen potentialorientierten Diskurs der Berliner Integrationspolitik angepasst haben. Neben der Strategie, die Skandalisierungskraft des Ghettobildes strategisch für eigene Interessen zu nutzen, kommt dem Ghettobild jedoch auch eine Bedeutung als positiver Ort der Zugehörigkeit und der lokalen Identifikation für männliche junge Erwachsene zu. Wacquant beschreibt diese Funktion des Ghettos als „Identitätsmaschine“. Das Ghetto wirkt in dieser Hinsicht als „Motor“, welcher einerseits den kollektiven Stolz der Bewohner antreibt und andererseits das Stigma, welches mit dem Ghetto verbunden wird, weiter verfestigt (Wacquant 2004:5). Diese in sich widersprüchliche Qualität des Ghettodiskurses lässt sich auch an der diskursiven (Wieder)aufnahme des Ghettobildes durch männliche Jugendliche und junge Männer in den Projekten des Aktionsprogramms veranschaulichen. Insbesondere in den Jugendprojekten, in denen Hip Hop als sozialpädagogisches Mittel genutzt wird, kommt dem Bild des Ghettos als positivem Ort der Identifikation und als Abgrenzungsmetapher der Jugendlichen eine wichtige Rolle zu. Unabhängig davon, ob sie in einem eher sozial- und strukturschwachen sogenannten Brennpunktgebiet oder in einer eher bürgerlichen Nachbarschaft leben, bezeichnen männliche Jugendliche aus den Projekten ihr Kiez als „Ghetto“.67 Insbesondere die Bezeichnung des überwiegend eher bürgerlich-alternativen Kreuzberger „Bergmannkiez“ als „Ghetto“ verdeutlicht, dass es sich hierbei nicht um die Bezeichnung einer, durch ethnische oder soziale Segregation geprägten Lebensrealität handelt, sondern vielmehr das Bild des Ghetto als positive Projektionsfläche genutzt wird. Hierin drückt sich auch eine Art und Weise aus, sich als Jugendlicher den Kiez durch bestimmte Bilder anzueignen. Diese An67 Ich beziehe mich hier auf Äußerungen im Rahmen von Rap-Workshops, die in den Berliner Bezirken Wedding, Neukölln und im eher bürgerlich geprägten Bergmannkiez in Kreuzberg stattfanden.

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eignung trägt zu einer lokalen Identität der Jugendlichen bei. Moritz Ege spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ästhetisierung der Territorialität“ (vgl. Ege 2010:50). Metin und Mahmut greifen diese Identifizierung mit dem Kiez und seinen Symbolen auf, wenn sie „Kreativ-Workshops“ anbieten, in denen Jugendliche selber ihre T-Shirts mit dem entsprechenden lokalen Code („Wedding 65“) gestalten können. Der von ihnen gegründete „sixty-five-store“, in dem sie diese T-Shirts auch verkaufen, dient gleichzeitig als eine wirtschaftliche Überlebensstrategie der beiden Weddinger Akteure, da sie die Hoffnung haben, über den Verkauf der T-Shirts das Geschäftsmodell anderer lokaler Modelabel kopieren zu können und sich neben ihrer sozialen Arbeit ein zweites wirtschaftliches Standbein aufzubauen. Sie versuchen auf diese Weise die äußerst erfolgreiche Marketingstrategie des Berliner Streetware-Modelabels PICALDI zu imitieren. (Ich verweise hierzu auf die Arbeit von Moritz Ege zu Erfolg und Rezeption von PICALDI unter Berliner Jugendlichen [Ege 2010]). Abbildung 5: Sixty-five-store, Wedding, November 2008

Quelle: Eigenes Bild

Neben dieser positiven Umdeutung potentiell negativer Zuschreibungen und der damit verbundenen aktiven Aneignung ihres Kiezes durch die jungen Männer

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kommt dem Einsatz von Ironie eine wichtige Bedeutung im Umgang mit der Metapher des Ghettos zu. Ironie wird in diesem Zusammenhang zu einer zentralen Diskursstrategie, da mit Hilfe von Ironie die mehrschichtige Bedeutung eines Diskussionsgegenstandes mit einfachen sprachlichen Mitteln verdeutlich werden kann (Kotthoff 2007:2). Die Verwendung von Ironie im Zusammenhang mit der Metapher des Ghetto verweist darauf, dass die jungen Akteure eine Kluft wahrnehmen zwischen dem, wie sie selbst ihr Umfeld erleben, und dem, wie es „von außen“ dargestellt wird. Die Ironisierung der Ghetto-Metapher kann daher als ein Versuch interpretiert werden, das in den Medien verbreiteten Bild von „Ghettos“, „no-go-areas“ und „gefährlichen Jugendlichen“ zu durchbrechen und durch ein Bild von „ganz normalen Menschen“ zu ersetzen. „Es wird immer davon gesprochen, dass es in manchen Gegenden auf der Straße so gefährlich sei. Aber wenn man dann da hin geht, ist das gar nicht so – da sind auch nur Menschen“. (Dursun, Projektteilnehmer)

Im Projekt Neustart setzen die Rapper von GS das Stilmittel der Ironie ein, um damit indirekt die Wertungen, die mit „dem Ghetto“ verbunden sind, zu thematisieren und verfolgen dabei das Ziel, diese Wertungen in der Folge zu korrigieren. Dursun spielt mit dem Bild des Ghettos und den damit verbundenen negativ behafteten Symbolen von Kriminalität, Gewalt und Unterschicht, wenn er auf der unter jungen Musikern beliebten Internetplattform ‚my space‘ ein Bild von sich postet, auf dem er zusammen mit dem Haustier seiner Freundin – einem Kaninchen – zu sehen ist und dieses mit der Überschrift versieht: „scheiß auf eure Kampfhunde…“ (siehe Abbildung 6) Mit dieser ironischen Distanzierung von der Ghettosymbolik zeigt Dursun einerseits die Problematik von sich immer wieder wiederholenden Zuschreibungen auf, mit welchen er aufgrund seiner Biografie konfrontiert wird. Andererseits macht es deutlich, dass „das Ghetto“ dennoch – und zwar in einem positiven Sinn – eine Identifikationsmöglichkeit für ihn darstellt.

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Abbildung 6: Rapper Dursun bei my space

Quelle: www.myspace.com

Auch die Projektleiter des Projekts Kiezpower nutzen die Ghettosymbolik als Mittel, um männliche Jugendliche anzusprechen und für ihre Arbeit zu interessieren. Sie übernehmen dabei allerdings die Sprache des Gangster-Rap und nutzen sie für ihre eigenen Ziele. Auf ihrer Homepage lässt sich ein Videoclip herunterladen, in dem klischeehaft die Symbolik des „Ghetto“ mit dickem Auto, Zuhälter, Kampfhund, Drogen, aggressiven bzw. korrupten Polizisten und starken, muskelbepackten Männern aufgegriffen wird.

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Abbildung 7: Standbild aus dem Video ‚Gurkentrack‘ des Vereines Kiezpower, Wedding 2009

Quelle: Homepage des Vereins

Diesen durch den Verein Kiezpower produzierten und auf den ersten Blick klischeehaften „Ghetto-Trailer“ interpretiere ich ebenso als bewusst angelegte Persiflage, welche mit Überzeichnung und Übertreibung der bekannten Symbolik arbeitet. Das Video, welches den Titel ‚Gurkentrack‘ trägt, ist unterlegt mit einem Raptext, der aus einer Phantasiesprache besteht und demzufolge vollkommen sinnfrei ist. In diesem Video imitiert der Vereinsmitarbeiter Mahmut bewusst die Bilderwelt des Gangster-Rap, welche u.a. von Rappern wie Massiv und dem Label Aggro Berlin verbreitet werden. In dem durch den GangsterRapper Massiv produzierten Trailer „Ghettolied“, wird der Berliner Stadtteil Wedding als Ghetto darstellt. Massiv rappt: „Ihr wollt ‫ތ‬nen Ghettolied, auf einen Ghetto Beat, kommt‫ ތ‬nach Wedding, dann wisst ihr, wo das Ghetto liegt[…]“

Es ist davon auszugehen, dass diejenigen Jugendlichen, die den Videoclip des Vereins Kiezpower herunterladen, diesen vor dem Hintergrund der ihnen bekannten Videoproduktionen der Gangster-Rap Szene betrachten und auch den Clip des Rappers Massiv kennen. Die rein körperliche Ähnlichkeit zwischen dem Berliner Rapper Massiv und dem Vereinsmitarbeiter Mahmut, welcher in

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Video-Track des Vereins den Rapper mimt, verdeutlicht diesen Bezug zum sogenannten Gangster-Rap. Abbildung 8: Standbild aus dem Video ‚Ghettolied‘ des Aggro-Rapper ‚Massiv‘, Berlin 2008

Quelle: http:.myvideo.de/watch/3180740/Massiv_Ghettolied

Mit der Übernahme der Ghetto-Symbolik begeben sich die Mitarbeiter des Vereins dennoch auf eine Gratwanderung. Mit der offensichtlichen Sinnlosigkeit des Raptextes verdeutlichen sie zwar ihre kritische Position zu Inhalten des Gangster-Rap, geraten aber gleichzeitig in Gefahr, dass diese ironische Brechung nicht rezipiert wird. Dass die Übersetzung der ironischen Äußerungen nicht immer glückt und sie insbesondere in der Presse häufig nicht als Ironie oder Persiflage wahrgenommen werden, zeigt die Übermächtigkeit des defizitorientierten Ghettobildes bei der Rezeption dieses Vereines in den Medien auf (s.o.). Es wird deutlich, dass das ironisch gebrochene Bild des Ghettos, welches den Witz, die Agilität und Selbstreflexivität der männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufzeigt, nicht in das Bild passt, welches gemeinhin von diesen ‚marginalisierten Akteuren‘ gezeichnet wird. Es wird ihnen in vielen Fällen schlicht nicht zugetraut, eine eigene, kritische Meinung in diesem Diskurs zu beanspruchen. Die Anhand der medialen Rezeption und der Selbstpositionierung innerhalb des Ghettodiskurses aufgezeigte Komplexität und Widersprüchlichkeit durchzieht

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die in der Assemblage des Aktionsprogramms wirkmächtigen Praktiken im Umgang mit Ausschlussmechanismen. Aktivität und Passivität, Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen lassen sich nicht voneinander trennen, sondern wechseln sich situativ bedingt in den Handlungen der Akteur/innen ab. Sie bilden ein manchmal verwirrendes Gewirr miteinander verwobener und ineinander verknoteter Argumentationslogiken und Handlungen, welche die Praxis dieses Aktionsprogramms ausmacht.

9.6 Z UGEHÖRIGKEITEN Abschließend möchte ich nochmals die Frage danach aufgreifen, welche Komponenten in der Assemblage Aktionsprogramm bei den Aushandlungen von Inklusion und Exklusion, von Praktiken der Teilhabe und des Ausschlusses wirkmächtig sind. Deutlich wird, dass in diesem Zusammenhang Prozesse der Marginalisierung nicht als unilineares Modell verstanden werden können. Vielmehr handelt es sich dabei um situativ ausgehandelte und höchst widersprüchlich angewandte Ausdeutungen, Zuweisungen und Selbstpositionierungen. Prozesse des Ausschlusses oder der Marginalisierung, wie sie im Aktionsprogramm des Berliner Senats thematisiert werden, entsprechen bei weitem nicht einem eindimensionalen Erklärungsmodell. Die hier wirksamen Exklusionsmechanismen sind damit auch nicht mit einem eindimensionalen Entwicklungsskript, wie dies eingangs demonstriert wurde, aufzuheben. Wie sich im Berliner Aktionsprogramm zeigt, gehen die Bestrebungen, Teilhabe durch die Ermächtigung der Akteur/innen zu erreichen implizit davon aus, dass Einigkeit darüber besteht, was es bedeutet „ermächtigt“ zu sein. In der Praxis können sie jedoch auch darin münden, dass von den ermächtigten Akteur/innen Bilder und Argumentationslogiken wieder in die Debatte eingebracht werden, welche aus der Perspektive der Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten als negatives Klischee angesehen und abgelehnt werden. Die aus den in diesem Kapitel geschilderten diametralen Übersetzungen des Ghetto-Begriffes entstehenden Reibungen manifestieren sich in der Verärgerung, mit der die Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten auf die Repräsentation einer Ghettosymbolik im Zusammenhang mit dem Aktionsprogramm reagieren. Dass der Ghettodiskurs darüber hinaus auch zu einer Vermarkung von Marginalisierung genutzt werden kann, zeigt das Beispiel der von Eastpack anlässlich der Berliner Fashion Week initiierten Modeschau, in der unter dem Motto „built to resist“ die jugendlichen Akteur/innen als Prototypen der „Strasse“ ausgewählt werden, um Streetware vorzuführen. Die Jugendlichen nehmen dabei aktiv teil

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an einer Veranstaltung des Establishments. Auch an anderen Interaktionen zeigt sich, dass eine einfache Trennung zwischen Marginalität und Zentralität nicht aufrecht zu erhalten ist. So werden subkulturelle Strömungen wie der Hip Hop zunehmend durch staatliche Jugendzentren institutionalisiert (siehe hierzu Ça÷lar 1998). Wie ich an den bisher diskutierten empirischen Beispielen verdeutlichen kann, stellt das Engagement für, bzw. die aktive Beteiligung an der Gesellschaft eine der spezifischen Bedingungen dar, welche im Integrationsdiskurs als Voraussetzung für eine Zugehörigkeit genannt werden. Dabei stellt sich die Frage: Gehört nur derjenige dazu, der sich aktiv einbringt? Werden hier die gleichen Maßstäbe für Mitglieder der Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft angelegt? Wer bestimmt, wie aktive Teilhabe auszusehen hat und wie sie sich äußert? Die einem Diskurs von Inklusion und Exklusion zugrundeliegenden Zuschreibungen beinhalten somit immer auch Vorstellungen zu Aktivität und Passivität einer bestimmten Gruppe. Anhand der in der Assemblage Aktionsprogramm zu Wort kommenden Selbst- und Fremdzuschreibungen lässt sich jedoch aufzeigen, wie die Positionierung bestimmter Gruppen – wie die der „männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ oder der „migrantischen Väter“ – in der zentralen Frage nach der Aktivierung voneinander abweichen kann. So wird in Fremdzuschreibungen ein defizitärer Blick auf „die Opfer von Diskriminierung“ oder „das Ghetto“ eingenommen, und diese somit in die Passivität am Rande der Gesellschaft verbannt. Jugendliche werden dabei als unmotiviert, perspektiv- oder antriebslos gezeichnet; arbeitslose migrantische Männer als (bildungs-)frustriert und widerspenstig beschrieben. Ihnen wird – wie hier im Rahmen des Kiezväterprojekts – per se eine passive Rolle zugeschrieben, welche sie an den Rand der Gesellschaft, oder sogar in sogenannte parallele „Männerorte“ wie Cafés und Kulturclubs verweist. Die Erklärungen für die hier wahrgenommene Passivität reichen von dem psychologischen Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit“ (siehe oben: Abramson/ Seligmann/ Teasdale 1978), welche dieses passive Verhalten als Resultat von andauernden Ausgrenzungstendenzen der Mehrheitsgesellschaft interpretiert und somit als strukturelles Problem ansieht, bis zu einer auf der individuellen Ebene ansetzenden Kritik, die den Akteur/innen „bewusst initiierte Faulheit“ (Mahmut) oder eine „Jammerattitüde“ (Herr Nowak) attestiert. Es wäre allerdings zu einfach, Aktivität beziehungsweise Passivität als einschließende bzw. ausschließende Bedingungen von Zugehörigkeit zu verstehen. Anstatt Zugehörigkeit als stabile Kategorie zu betrachten, für die bestimmte Bedingungen erfüllt werden müssen, zeigt sich anhand der hier dargestellten Praktiken, dass es sich vielmehr um einen vielschichtigen und teilweise in sich höchst

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widersprüchlichen Prozess handelt, in dem multiple Zugehörigkeiten permanent neu ausgehandelt werden. Das Berliner Aktionsprogramm verfolgt das Anliegen: „die öffentliche Identifikation von jugendlichen Migranten und Gewaltbereitschaft zu durchbrechen“ (siehe Kapitel 5.4). Dieser auf die Änderung der öffentlichen Wahrnehmung der Jugendlichen zielende Ansatz wird mit Projekten gefördert, die auf der individuellen Ebene die Überwindung von Exklusionsmechanismen anstreben und die Potentiale von Jugendlichen fördern sollen. Strukturelle Exklusionsmechanismen werden in diesem Aktionsprogramm hingegen kaum thematisiert. Das Problem einer grundlegenden Marginalisierung dieser Jugendlichen in Schule und Ausbildung lässt sich ja offensichtlich auch nicht im Rahmen eines zeitlich befristeten „Aktionsprogramms“ beheben. Gomolla und Radtke beschreiben die Rolle des „Ausländerbeauftragten“ als eine zur Überwindung von gesellschaftlichen Exklusionsmechanismen innerhalb der Verwaltung eingerichtete Beobachtungsinstanz (Gomolla/ Radtke 2007:13). Sie verweisen dabei zu Recht auf die Beschränkungen, denen diese Institution als Teil des Verwaltungsapparates unterliegt. Gomolla und Radtke stellen dabei die These auf, dass anders als die klassischen Beobachtungsinstanzen wie Kirchen oder soziale Bewegungen die Ausländer- bzw. Integrationsbeauftragten in ihren Augen nicht über eine ausreichende Mobilisierungs- und Skandalisierungskraft verfügen, um auf Diskriminierungen innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme hinzuweisen, da sie in das bestehende Verwaltungssystem eingebunden sind.68 An den Bestrebungen des Aktionsprogramms wird deutlich, dass der Berliner Integrationsbeauftragte in dem ihm zu Verfügung stehenden Zeitraum und den begrenzten finanziellen Ressourcen mit diesem integrationspolitischen Son68 Gomolla und Radtke sprechen in ihrer Analyse die Institution des „Ausländerbeauftragten“ zwar als Beobachtungsinstanz an, grenzen sie jedoch von den klassischen Beobachtungsinstanzen ab (Gomolla/Radtke 2007:11ff). Kirchen oder religiöse Gemeinschaften sowie Protestbewegungen hingegen können in ihren Augen diese Rolle übernehmen. Ebenso kommt der kritischen Theorie mit ihrer Verbindung von wissenschaftlicher Beobachtung und moralischem Protest hier eine bedeutende Rolle zu. Die kritische Theorie verfolgt in der Tradition der Frankfurter Schule den Anspruch, der Gesellschaft ihre eigenen, uneingelösten Versprechen vorzuhalten. Wie ich in Kapitel 4.6 diskutiert habe stehen die Vertreter/innen der kritischen Migrationsforschung in dieser Wissenschaftstradition, wenn sie staatliche Integrationspolitik als potentiellen Exklusionsmechanismus kritisieren und eben nicht als Inklusionsmechanismus ansehen (Hess/Binder/Moser 2009).

Ü BERSETZUNG IV: PRAKTIKEN

DES

A USSCHLUSSES

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derprogramms in erster Linie das Ziel verfolgt, die gesellschaftliche Wahrnehmung auf marginalisierte Gruppen zu verändern und Denkprozesse anzustoßen. Der Repräsentation von interkultureller Öffnung und von Jugendlichen als Trägern von Potentialen kommt in der Arbeit des Aktionsprogramms daher naheliegender Weise eine große Bedeutung zu.

10. Repräsentationspraktiken

10.1 R EPRÄSENTATION

ALS SOZIALER

T ATBESTAND

Repräsentationen stellen einen unabdingbaren Teil menschlichen Handelns dar. Sie sind „Organisationsformen des Wissens, Muster der sinnhaften Verarbeitung von Lebensverhältnissen und kollektiven Erfahrungen, die Menschen ermächtigen, sich in der historischen, sozialen oder politischen Realität zurechtzufinden.“ (Baberowski 2008:9) Repräsentationen kommt immer eine doppelte Rolle zu: einerseits ermächtigen sie die Akteur/innen, sich in den jeweiligen Realitäten zurecht zu finden. Andererseits ist spätesten seit der Writing Culture Debatte offensichtlich, dass Repräsentationen auch Wirklichkeiten erschaffen. Alexa Färber betrachtet vor diesem Hintergrund Repräsentation als Modus der Darstellung von Wirklichkeit, die „gleichzeitig behauptet und produziert“ (Färber 2006:18). Die Reflexion beziehungsweise die Anerkennung einer permanenten Wiederholung, Wieder-Darstellung oder Performance von Wirklichkeiten (Fabian 1993:339) stellt heute einen wesentlichen kulturanthropologischen Forschungsgegenstand dar. Repräsentationen sollten daher – so die Forderung von Rabinow – als soziale Tatbestände anerkannt und erforscht werden (Rabinow 1993:197). In Anlehnung an Durkheims fait social werden Repräsentationen in diesem Sinne zum Gegenstand empirischer Sozialforschung. Als sozialer Tatbestand kann dabei „[…] jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt“ gefasst werden. (Durkheim 1980:114) Rabinow argumentiert, dass auch wenn Repräsentationen von Akteur/innen hergestellt werden, sie dennoch ein gewisses Eigenleben führen. Auch Beate Binder verweist darauf, dass zwischen der Repräsentationsarbeit der Akteur/innen und den daraus resultierenden Repräsentationen (sowie deren Eigenleben) zu unterscheiden ist (Binder 2009:79).

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Eine ethnologische Herangehensweise ermöglicht es, insbesondere die Praxis der Repräsentationsarbeit in den Blick zu nehmen. Diese Repräsentationsarbeit findet in Form von Übersetzungen von situativ unterschiedlich wahrgenommenen Wirklichkeiten fortwährend statt. Diese permanenten Übersetzungen sind selbstverständlicher Teil unseres Lebens. Offensichtlich werden Übersetzungsleistungen jedoch insbesondere dann, wenn es sich um Repräsentationen handelt, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten. Diese Repräsentationen können somit als Produkte bzw. Effekte der Repräsentationspraktiken angesehen werden. Anhand von zwei Situationen, in denen die öffentliche Repräsentation der Berliner Integrationspolitik im Vordergrund steht, werde ich in diesem Kapitel verschiedene Übersetzungsvorgänge und die in diese Repräsentationen mündenden Repräsentationspraktiken ausführlich darlegen. Mittels dieser empirischen Beispiele lässt sich aufzeigen, wie in der Praxis soziale Ordnungen ausgehandelt, bestehende Bilder bestätigt oder hinterfragt und Interessen der einzelnen Akteur/innen mit Hilfe von Repräsentationspraktiken durchgesetzt werden können. Es wird aber auch deutlich, dass die von den unterschiedlichen Akteur/innen verfolgten Praktiken der Repräsentation und die daraus resultierende Repräsentation nicht zwingend der gleichen Logik unterliegen. Der Besuch der Senatorin Feldtagebuch, Wedding, Juli 2008 Das abendliche Training fällt diesmal aus. Stattdessen rotieren die Projektleiter, um alles für den bevorstehenden Besuch der Senatorin fertig zu machen. Intern haben sie einen kleinen Ablaufplan für eine Führung durch ihre Vereinsräume vorbereitet, wollen ihre Vereinsgeschichte in Bildern darstellen und planen dann eine Vorführung ihrer Trainingseinlagen zu Kampfsport und Anti-Aggressionstraining. Im Hof des Vereins werden Tische und Bänke aufgestellt, um nach der Vorführung noch zum weiteren Verweilen und Gespräch einzuladen. Die „Bühne“ für den Auftritt der Senatorin ist somit bereitet. Im Vorgespräch mit mir zeigt sich: Für den Verein ist der Besuch der Senatorin von großer Bedeutung. Sie haben alles daran gesetzt, diesen Besuch zu ermöglichen und der Senatorin bei Terminwünschen entgegen zu kommen. Nun ist ihre größte Sorge, dass auch genug Jugendliche anwesend sein werden. Denn: Es ist Ferienzeit, einige Jugendliche sind im Urlaub und um in den von der Senatorin vorgegebenen Terminplan zu passen findet die Veranstaltung viel zeitiger statt als üblich. Eigentlich ist es für die Jugendlichen einfach noch viel zu früh.

R EPRÄSENTATIONSPRAKTIKEN

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Anhand dieser Beobachtungen im Vorfeld des Besuches der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in einem Projekt des Berliner Aktionsprogramms wird deutlich, dass sich den prominenten Besuchern kein einfaches Abbild des Projektalltages zeigen wird, sondern dass es sich bei diesem Projektbesuch um eine bewusste Inszenierung für die anwesenden Zuschauer handelt. Der Projektbesuch der Senatorin bietet allen Beteiligten eine Bühne, auf der sie ihre jeweiligen Ziele und Ideen darstellen können. Doch zunächst zurück ins Feld: Feldtagebuch, Wedding, Juli 2008 Am Tag des Besuchs sind schon vor 14h etliche Journalisten anwesend und versammeln sich im Hof vor den Sporträumen des Vereins. Ein Kamerateam baut unterdessen sein Equipment auf, zwei Journalisten von Radio Multikulti interviewen einen der anwesenden Jugendlichen. Als vier weitere „Weddinger Jungs“ den Hof betreten stürmen alle Journalisten vor. Ich bin irritiert, wie routiniert und bereitwillig die Jugendlichen vor den Kameras posieren. Abbildung 9: Interviewsituation mit einem Teilnehmer des Projekts anlässlich des Besuchs der Senatorin.

Quelle: eigenes Bild

Nach der Ankunft der Senatorin, die von ihrer Pressesprecherin und dem Berliner Beauftragten für Integration und Migration begleitet wird, versucht der Projektleiter des Vereins eine Führung durch die Räumlichkeiten des Vereins anzubieten. Es ist wegen des großen Ansturms recht beengt. Ich höre, wie einige

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Journalisten sich untereinander fragen: ‚Wir sollten doch eigentlich Kampfsport sehen – was ist denn das hier jetzt?‘ Der Integrationsbeauftragte übernimmt zu diesem Zeitpunkt die Rolle des Organisators und leitet über zur improvisierten ‚Pressekonferenz‘ im Hof des Vereins. Vor der Presse erläutert die Senatorin zunächst die Einbindung des Projekts in das Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“. Auch der Leiter des Projekts hält eine kleine Rede: Er verweist darauf, dass bei ‚den Jungs das Gefühl besteht, minderwertig zu sein. Sie fühlen sich aber als ‚neue deutsche Generation‘ und brauchen auf ihrem Weg eine individuelle Unterstützung bei ihren Problemen‘. Als Projektleiter bedankt er sich an dieser Stelle für die Aufnahme des Projekts in die Förderung des Aktionsprogramms. Abschließend betont er die großen Probleme im Kiez und unterstreicht die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen: ‚Die haben null Chancen im Berufsalltag. Unser Verein gibt ihnen Halt und Dynamik. Wir [als Verein] wollen das Gute sein und den Jugendlichen das auf den Weg geben.‘ Das abschließende Wort hat dann der Integrationsbeauftragte. Auf Nachfrage der Pressevertreter/innen erläutert er die Höhe der Finanzierung, wobei er – offensichtlich ohne die konkrete Fördersituation des Projekts griffbereit zu haben – eine durchschnittliche Fördersumme von 30.000 € angibt. Danach drängt er darauf, sich doch anzuschauen, was im Projekt denn „eigentlich“ gemacht wird. Die Gruppe der Journalisten strömt daraufhin in den Sportraum des Vereins, wo durch die anwesenden Trainer vor einem Publikum aus Politiker/innen, Pressevertretern und männlichen Jugendlichen eine Vorführung der im Projekt gelehrten Kampfsporttechniken gezeigt wird. Am kommenden Tag erscheinen in mehreren Berliner Zeitungen Artikel, die den Besuch der Senatorin „im Wedding“ thematisieren. Im Vordergrund steht dabei der Einsatz von Kampfkunst als präventives Mittel gegen die „Aggressivität im Kiez“. Ein Artikel des Berliner Kurier titelt reißerisch: „Kampfsport soll die kleinen Kiez-Rambos zähmen. Senatsverwaltung lässt dafür 30.000 Euro springen.“ (Berliner Kurier vom 29.07.2008) und bezieht sich damit auf einem Diskurs, in dem Probleme mit männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, welche als „kleine Kiez-Rambos“ bezeichnet werden, durch finanzielle Unterstützung des Senats gelöst, beziehungsweise eingedämmt werden sollen. Aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang auch die Metapher der „Zähmung“, welche den Jugendlichen einen animalischen, unberechenbaren Charakter zuschreibt, welcher erst durch die Einbindung in ein Integrationsprojekt überwunden werden kann.

R EPRÄSENTATIONSPRAKTIKEN

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PRÄVENTIONSARBEIT

Kampfkunst gegen Aggressivität im Kiez Sozialsenatorin Knake-Werner will künftig Zertifikate an Kampfsportschulen vergeben. So soll vermieden werden, dass aggressive Jugendliche zu gefährlichen Schlägern ausgebildet werden. Doch die Anti-Gewalt-Initiative ist umstritten. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) befürwortet einen Vorschlag der FDP-Fraktion, Zertifikate für Kampfsportschulen einzuführen, die sich in besonderem Maße sozial engagieren. „Ich habe nichts dagegen, solche Zertifikate an Boxund Kampfsportschulen zu verleihen, die bestimmte Kriterien erfüllen“, sagte die Senatorin dieser Zeitung. Allerdings müsse der Ansatz, über den Sport und gerade den Kampfsport an die Jugendlichen in sozial schwierigen Gebieten heranzukommen, übergreifender gesehen werden. „Die Angebote müssen so niedrigschwellig wie möglich sein, damit man die Jugendlichen auf der Straße ansprechen kann. Da ist gerade die Zusammenarbeit mit Migrantenvereinen im Kiez sehr wichtig“, sagte Knake-Werner am Montag bei einem Besuch eines solchen Anti-Gewalt-Projekts in Wedding. Dort wird die Aktion „ […] “ mit 30.000 Euro aus dem Haushalt der Sozialsenatorin gefördert. […] (Berliner Morgenpost, 29.07.2008)

Betrachtet man diesen Besuch der Senatorin als Bühne und geht den verschiedenen, mit dem Berliner Aktionsprogramm in Zusammenhang stehenden und auf dieser Bühne inszenierten Repräsentationen nach, so stellt sich zunächst die Frage, wer sich hier gegenüber wem darstellt und was dabei jeweils repräsentiert wird. Aus der Perspektive der Senatorin bietet sich durch den Projektbesuch „im Kiez“ die Möglichkeit, mediale Aufmerksamkeit auf ihre („Integrations“-)Politik zu lenken. Als Vertreterin des Berliner Senats verweist sie auf die besonderen politischen Anliegen des Senats, betont den notwendigen niedrigschwelligen Zugang und unterstreicht die Bedeutung von Migranten(selbst)organisationen im Kiez. Zudem erlaubt es diese Gelegenheit der Senatorin, sich der Öffentlichkeit und damit auch den potentiellen Wählerinnen und Wählern als engagierte, praxisnahe Politikerin zu zeigen. In der Bilanz des Programms wird der Senatorin

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später aufgrund dieser Besuche ein „interessierter Draht zur Praxis“ attestiert.69 Neben ihrer Botschaft an die allgemeine Öffentlichkeit richtet die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales aber auch eine Botschaft an die migrantische Community in Berlin. Mit ihrem Besuch zeigt sie Interesse an der Arbeit einer kleinen, in hohem Maße ehrenamtlich arbeitenden Migrantenorganisation und an den männlichen Jugendlichen im Kiez. In einer betont informell gehaltenen Gesprächsrunde nach der „Vorführung“ nimmt sie sich ungewöhnlich viel Zeit, so dass ihr die Sorgen und Bedürfnisse der Vereinsmitglieder persönlich vorgetragen werden können. Mit Hinblick auf die prekäre wirtschaftliche Situation der freischaffenden Trainer des Vereins verspricht sie, nach einer Lösung zu suchen. Dieses Versprechen wird sie noch in den kommenden Wochen in die Tat umsetzen, als mehrere Mitarbeiter des Vereins die Möglichkeit erhalten sich auf Stellen im öffentlich geförderten dritten Sektor (ÖBS) zu bewerben und diese auch erhalten. Aus der Perspektive der Mitglieder des Weddinger Vereins bietet der Besuch der Senatorin die Gelegenheit, ihren Verein und das eigene Engagement in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Vorrang vor der Pressearbeit hat dabei die Repräsentation des Projekts und der gesamten Vereinsarbeit gegenüber der Senatorin als Vertreterin des Berliner Senats und als aktuelle und potentiell zukünftige Geldgeberin. Es geht einerseits darum, eine ideele Anerkennung für die geleistete Arbeit zu erhalten. Andererseits ist die Notwendigkeit, neue Gelder für die eigene Projektarbeit zu akquirieren von zentraler Bedeutung für den Verein. Die Projektarbeit muss in diesem Kontext daher als möglichst erfolgreich dargestellt werden. Die Notwendigkeit der Vereinsarbeit mit den Jugendlichen im Kiez wird durch den Projektleiter dadurch unterstrichen, dass er die Situation im Kiez dramatisiert und von der „Perspektivlosigkeit der Jugendlichen“ spricht. Hiermit greift er den in der öffentlichen Wahrnehmung dominanten Diskurs der potentiell gewaltbereiten Jugendlichen auf und macht in sich für seine eigenen Ziele zu Nutze. Auffällig erscheint, dass die anwesenden Jugendlichen überwiegend die Rolle von Statisten einnehmen. Zwar führt einer der Jugendlichen einen selbstgedichteten Rap auf. Ansonsten sind sie ausschließlich Zuschauer der Kampfsportvorführung. Als Repräsentanten einer „Weddinger Jugend“ werden sie von der Presse fotografiert und geben der Veranstaltung durch ihre Anwesenheit die notwendige Authentizität.

69 So die Evaluatorin des Programms in ihrer Rede auf der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms im Dezember 2009.

R EPRÄSENTATIONSPRAKTIKEN

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Abbildung 10: Weddinger Jugendliche als Zuschauer. Vorführung der Kampfsporttechniken anlässlich des Besuchs der Senatorin.

Quelle: eigenes Bild

Diese diversen Repräsentationspraktiken werden durch die Vertreter/innen der Presse in eine mediale Repräsentation „des Projekts“ übersetzt. Hierbei findet zum überwiegenden Teil eine Reproduktion vorgefertigter Bilder statt. Kampfsport und die (potentielle) Aggressivität von männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund stehen damit im Zentrum der Darstellung in der Presse und werden als Problem dargestellt. Ebenso nimmt die Höhe der Fördersumme von 30.000 Euro einen wichtigen Platz in der Berichterstattung ein. Diese Erwähnung einer Fördersumme in Höhe von 30.000 € wird von den Mitarbeitern des betroffenen Vereins mit Bedauern und Enttäuschung aufgenommen. Tatsache ist, dass sie zum damaligen Zeitpunkt keine Förderung in dieser Höhe erhalten bzw. in Aussicht haben, sondern ihr Projekt mit ca. der Hälfte der angegebenen Summe auskommen muss. Gegenüber ihren Vereinsnachbarn im Kiez erscheinen sie nun als unglaubwürdig, da sie sich ja bisher scheinbar ohne Grund über eine zu geringe finanzielle Förderung beklagten. „Hier, als die Senatorin da war, da stand ja am nächsten Tag in der Zeitung: ‚Die Senatorin hat uns 30.000 € gestiftet.‘ So, und jetzt musst Du dir vorstellen, unsere Kooperationspartner sehen diese Artikel und sagen: ‚Jetzt habt ihr ja von der Senatorin 30.000 € bekommen, jetzt könnt ihr uns mal am Arsch lecken.‘ So und jetzt versuch mal, den ganzen

244 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Jugendlichen oder anderen Leute das zu erklären. Das glaubt dir kein Mensch!“ (Interview Mahmut, Projektleiter)

Diese Fehlübersetzung, bzw. Verschiebung in der Übersetzung und das Eigenleben, das die Repräsentation in diesem Zusammenhang zeigt, führt in der Praxis des Projekts zu beträchtlicher Unruhe und einem gewissen Vertrauensverlust der Projektverantwortlichen, ohne dass dies jemals an den „Verursacher“ dieser Fehlinformation, den Integrationsbeauftragen herangetragen wird. Aus der Perspektive des Integrationsbeauftragten war die Nennung der Fördersumme von 30.000 € nicht per se eine falsche Aussage, er bezog sich dabei vielmehr auf die durchschnittliche jährliche Fördersumme eines Projekts im Aktionsprogramm ohne näher auf die spezifischen Förderumstände des einzelnen Projektes einzugehen. 70 Die Ohnmacht der eigenen Repräsentationspraktiken gegenüber der machtvollen Repräsentation in den Medien wird in dieser Aussage des Projektmitarbeiters offensichtlich. Anhand der Situation dieses „Projektbesuches“ lässt sich aufzeigen, wie in mehrfacher Hinsicht Verschiebungen in der Übersetzung aus einer Wirklichkeit (beispielsweise der Realität der Behörde) in eine andere (die Realität des Projekts) entstehen. Dabei ist es bezeichnend, dass diese Übersetzungsleistung nicht ausschließlich in eine Richtung erfolgt. Vielmehr führt der Projektbesuch der Senatorin, welcher zum Ziel hatte die Praxis besser zu erfassen, zu einer Gegenüberstellung unterschiedlicher Repräsentationspraktiken aller Akteur/innen. Zusätzlich zu den multiplen, anhand dieser Situation fassbaren Repräsentationspraktiken stelle ich bei der Teilnehmenden Beobachtung des Projekts eine starke Diskrepanz zwischen der von mir in der Alltagspraxis beobachteten Repräsentationspraktiken und der Repräsentation des Projekts, welche zum Anlass des Besuchs der Senatorin erfolgt, fest. Projektrealität – die im Grunde auch wieder eine Repräsentation in sich darstellt – und Projektrepräsentation gegenüber der Behörde erlebe ich als nahezu voneinander entkoppelte Wirklichkeiten. Zumindest treten hier beträchtliche Verschiebungen auf. Diese werden von den einzelnen Akteur/innen – zumindest in Teilen – als zwangsläufige Bestandteile einer von allen Beteiligten gepflegten Repräsentationslogik akzeptiert. Es scheint naheliegend, dass man bei so einem „hochrangigen“ Besuch und in Anwesenheit der Journalist/innen nicht über die schwierigen oder auch nur widersprüchlichen und höchst komplexen Seiten der Projektumsetzung spricht.

70 Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle ergänzen, dass dieses Projekt zu einem späteren Zeitpunkt durch in anderen Projekten „freigewordene“ Gelder eine Verlängerung seiner finanziellen Förderung erhielt.

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Der Senatsverwaltung ist durchaus bewusst, dass sie bei einem Besuch „vor Ort“ nur einen von einer auf Erfolg ausgerichteten Repräsentationslogik überformten Einblick in das Projektleben erhalten kann: „[…]da müssen wir uns nichts vormachen. Das ist in diesem Bereich nicht anders als in vielen anderen Bereichen, sprich – es geht natürlich auch um die eigene Existenz. Und die eigene Existenz sichert man sich dadurch, dass man betont, wie wichtig die Arbeit ist, die da gemacht wird. Und wenn man das sagt, dann muss man natürlich auch ‫ތ‬ne Arbeit machen.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Dass hier kein spezifisches, sondern vielmehr ein universelles Muster, dass solchen Repräsentationen zugrunde liegt, erfasst werden kann, zeigen vergleichbare Arbeiten. So beschreibt Färber in ihrer Arbeit zu Repräsentationen auf der EXPO 2000 das Missverhältnis zwischen Erlebtem und darüber Berichteten und kommt zu dem Schluss, dass sich Wirklichkeitsausschnitte und ihre Repräsentation nicht immer decken (Färber 2006:15). Auch Rottenburg schildert in seiner ‚Parabel der Entwicklungshilfe‘ ein ähnliches Phänomen. Er beschreibt die Situation von Experten der Entwicklungszusammenarbeit welche, um die ihnen zugestellten Berichte besser beurteilen zu können, ab und zu einen Besuch „vor Ort“ vornehmen. Ziel dieser Projektbesuche ist es, die „Papierwirklichkeit der Berichte mit der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit der Projekte zu konfrontieren“ (Rottenburg 2002: 127). Rottenburg verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass bei diesen Projektbesuchen, anders als von den meisten Experten angenommen, wiederum eine spezifische Repräsentation des Projektes im Zentrum steht und eine Übersetzung vorgenommen wird: „Das frisch gestrichene Holzhäuschen zum Schutz der Brunnenanlage soll Wartungsdisziplin demonstrieren, doch die Disziplin selbst wird man nicht sehen können. Und der Anblick eines neuen Computers in der Abteilung für Rechnungswesen gibt keine Auskunft über die Hebeeffizienz des Projektträgers. Statt der ersehnten Gegenüberstellung von Repräsentationen und Realität kommt es zu einer Gegenüberstellung verschiedener Repräsentationen: abstraktere, allgemeinere, weitreichendere Repräsentationen werden in Bezug gesetzt zu kleineren, weniger abstrakten Repräsentationen.“ (Rottenburg 2002:127)

Auch die Berliner Senatsverwaltung hat ein großes Interesse daran hat zu erfahren, wie es „wirklich“ in den Projekten aussieht. Dies zeigt sich, neben den Projektbesuchen der Senatorin, an den Instrumenten, die im Rahmen des Aktionsprogramms eingesetzt werden, um diese Wissenslücke bewusst zu überbrücken. Die mit qualitativen Methoden arbeitende „begleitende Evaluierung“ soll bei-

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spielsweise den Projekten bei Problemen vor Ort beratend zur Seite stehen. Die Rolle der Evaluatorin Frau Scheel ist dabei ambivalent. Einerseits wird sie durch die Senatsverwaltung als Übermittlerin der „Projektrealität“ eingesetzt und wird daher von den Projektmitarbeiter/innen in erster Linie als „Kontrollinstanz“ wahrgenommen. Andererseits genießt sie jedoch auch eine gewisse Autonomie. In internen Gesprächen scheut sie nicht davor zurück, auch an Vorgehensweisen der Verwaltung Kritik zu üben. Sie beschreibt ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Projekten und Verwaltung, hat jedoch darüber hinaus auch den Anspruch, Denkanstöße zu geben und Diskussionsstoff in die Verwaltung hineinzubringen. In der offiziellen Repräsentation wiederum zeigt sie sich jedoch gegenüber ihrem Auftraggeber weitgehend loyal und akzeptiert größtenteils die hier vorherrschende Repräsentationslogik. „Ich hab jetzt nicht so viel Interesse daran, in einem Projekt da ‫ތ‬nen Finger in die Wunde zu legen sondern, halt einfach ein bisschen zu vermitteln.[…] Ich sehe [den Evaluationsbericht] als Weiterdenken und Vermitteln der Ergebnisse, die ich daraus ziehe. Jetzt nicht so ‚Plus und Minus Liste‘. Das glaube ich ist jetzt, wo das Programm zu Ende ist, auch gar nicht so der Witz. Also da kann man nur sagen: Hier gab‫ތ‬s die Probleme. Aber wo‫ތ‬s die gab und warum‫ތ‬s die gab ist auch nicht so wichtig.“ (Interview Frau Scheel, Evaluatorin)

Auffällig ist, dass die durch die diversen Repräsentationspraktiken erfolgte Übersetzungsleistung und die bei diesen Übersetzungen stattfindenden Auslassungen, Verschiebungen und Glättungen sowohl im Zusammenhang mit dem Besuch der Senatorin als auch im abschließenden Evaluationsbericht in gewisser Weise ausgeblendet werden. Diese Entkoppelung von den Projektrealitäten ist dabei allen beteiligten Akteur/innen bekannt, sie wird jedoch nicht weiter thematisiert, sondern als genuiner Teil der Repräsentation hingenommen. Wie ich anhand des Besuchs der Senatorin aufzeigen kann, besteht der Vorgang, sich „ein Bild von der Wirklichkeit zu machen“ immer darin, verschiedene Repräsentationen zusammen zu fügen. Aus dieser Perspektive lässt sich eine Repräsentation immer als eine Folge von Re-Re-Repräsentationen fassen (Rottenburg 2002:17). Um diese besser zu beschreiben übernehme ich das im Kontext der Wissenschaftsforschung entwickelte Konzept der „Übersetzungsketten“ (Rottenburg 2002, Latour 1986; 1987 und 1996). Rottenburg spricht von Übersetzungsketten, „weil die Praktik des Repräsentierens am besten als Übersetzung verstanden wird“ (Rottenburg 2002:17). Diese Ketten von Übersetzungen ethnografiere ich in den Praktiken des von mir analysierten Aktionsprogramms und richte dabei den Blick insbesondere auf den Zwischenraum der Übersetzungsketten. Die Glieder einer potentiellen Übersetzungskette, die ich anhand meiner Be-

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obachtungen im Aktionsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ erfassen kann, lassen sich in einer schematisierten Grafik wie folgt darstellen: Abbildung 11: Glieder einer Übersetzungskette im Rahmen des Aktionsprogramms.

Quelle: eigene Grafik

Die Sortierung der in der Grafik erfassten einzelnen Schritte folgt dabei einem chronologischen Raster. Dies schließt jedoch keineswegs die Möglichkeit aus, dass es zwischen den einzelnen „Einheiten“ zu weiteren Interaktionen und damit zu grafisch hier nicht darstellbaren Übersetzungsleistungen kommt. Anhand dieser Grafik lässt sich die große Zahl der Übersetzungsvorgänge und der damit verbundenen Repräsentationen nachvollziehen, welche sich innerhalb des Aktionsprogramms erkennen lassen. Die in das Berliner Integrationsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ übersetzen Konzepte von Integration als Teilhabe können als Ausgangspunkt dieser Übersetzungskette genommen werden. Aspekte aus diesem politischen Papier werden wiederum übersetzt in das Konzept eines Aktionsprogramms, um als „neue Wege“ in der integrationspolitischen Praxis getestet zu werden. Das dafür eingesetzte Interessenbekundungsverfahren wurde durch die Verwaltung gewählt, um möglichst viele bislang unbeteiligte Akteure anzusprechen und einen großen Pool von Ideen und damit auch potentiellen Übersetzungen der integrationspolitischen „neuen Wege“ abschöpfen zu können. Bei der Erstellung der Projektbewerbungen für die Förderung im Aktionsprogramm werden in den Vereinen Übersetzungen an schon vorhandenen oder geplanten

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Vorhaben vorgenommen, um sie möglichst gut an die gewünschten Förderbedingungen der Politik anzupassen. Teilweise erfolgt dabei eine bewusste Übersetzung der Projektentwürfe an eine „Senatssprache“, in dem spezifische Wörter wie „Nachbarschaftliches Engagement“ bewusst eingesetzt werden oder nach besonders innovativ erscheinenden Tandemkonstellationen gesucht wird, wie ich in Kapitel 7 aufzeigen konnte. Die Übersetzungen, die zwischen den einzelnen Ebenen des Hauses des Integrationsbeauftragten zum Tragen kommen, thematisiere ich in Kapitel 6. Anderen Übersetzungsvorgängen, wie der Niederlegung der einzelnen Projekte in der Akte und der Übermittlung dieser Akte an die Prüfstelle konnte ich hingegen nicht umfassend nachgehen. Auch die Übersetzung der „Projektwirklichkeiten“ in den abschließenden Evaluationsbericht, und die hier zwischengeschalteten Übersetzungen in den Besuchen der Evaluatorin und den erstellen Projektsteckbriefen findet keinen Eingang in diese Studie. Auf die erfolgten Übersetzungen im Kontext der Projektbesuche der Senatorin bin ich schon ausführlich eingegangen. Abschließend soll anhand der Übersetzungspraktiken auf der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms dargestellt werden, wie die jeweiligen Repräsentationspraktiken in die öffentliche Repräsentation des Aktionsprogramms eingehen und welche Repräsentationslogiken auf dieser Bühne nachvollzogen werden können. Die Bilanzveranstaltung Die Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms steht unter dem Motto „Jung, männlich, Migrationshintergrund. Beispielhafte Wege aus der Defizitfalle“(siehe Abbildung 12). Sie findet gegen Ende der Projektförderung in der Werkstatt Kulturen statt. Eingeladen dazu sind alle Projektleiter/innen, alle an der Umsetzung der Projekte beteiligten Tandempartner/innen sowie die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses und Vertreter/innen der Presse. Im Einladungstext wird auf das mit dem Aktionsprogramm verfolgte Ziel verwiesen, „den eingeschlagenen Weg einer aktivierenden Integrationspolitik auf Projektebene zu verankern.“ In ihren Begrüßungsreden bekräftigen die Staatssekretärin für Integration und Arbeit und der Integrationsbeauftragte die innovative Herangehensweise dieses Aktionsprogramms. Während die Staatssekretärin auf die politischen Erfolge des von ihrer rot-roten Landesregierung entwickelten Integrationskonzeptes verweist, noch einmal auf die Bedeutung des Mottos „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ eingeht und dabei das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe Aller unterstreicht, legt der Integrationsbeauftrage den Schwerpunkt seiner Rede auf die Erfolge des aktuellen Aktionsprogramms. Die hauptsächlichen Er-

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folge liegen dabei in seinen Augen bei der Entwicklung der Idee einer Tandempartnerschaft: „Die Tandemprojekte sind ja inzwischen ein Berliner Exportartikel. Überall wo ich hinkomme höre ich in der Integrationspolitik: Tandem, Tandem, Tandem. Das ist sehr schön. Dieser Impuls ist von Berlin ausgegangen mit dem ersten Tandemprojekt.“ (Herr Piening auf der Bilanzveranstaltung, 09.12.2009)

Der Beauftragte für Integration und Migration hebt im Zusammenhang mit der Tandem-Idee abermals die Bedeutung einer Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ hervor und mahnt eine vermehrte Übernahme von Verantwortung für Fördermittel durch die Migranten(selbst)organisationen an. Schwierigkeiten, die es mit Bezug auf die Umsetzung der Tandempartnerschaften im konkreten Aktionsprogramm gab, werden von ihm zwar thematisiert: Man könne „um das eine oder andere Problem nicht herumreden“ und es habe „Stolpersteine“ gegeben. Allerdings relativiert er diese Schwierigkeiten wieder, in dem er auf die dennoch erzielten „schönen Erfolge“ und die generelle Stärkung der Tandem-Idee verweist. Wichtig ist es für ihn, gleich zu Beginn seiner Rede den „Modellcharakter“ und den – verglichen mit dem Regelsystem der Förderung – „relativ kleinen Bereich“ des Aktionsprogramms hervorzuheben. Der Integrationsbeauftragte verfolgt dabei eine Repräsentationsstrategie, mit der er die Bedeutung des Aktionsprogramms insgesamt abschwächt. Dies entspricht den zu Beginn des Programms gemachten Aussagen des Referatsleiters, dass es sich bei diesem Aktionsprogramm ja nur um ein „ganz kleines Puzzlestück“ der „eigentlichen“ Arbeit des Integrationsbeauftragten handeln würde (siehe Kapitel 5.4). In diesen Repräsentationen des Aktionsprogramms lässt sich eine „Logik des Erfolgs“ nachvollziehen: In der offiziellen Repräsentation spielen die durch die Förderung erzielten Erfolge eine wesentliche Rolle. Bestehende Schwierigkeiten werden entweder ganz ausgeblendet oder relativiert. Dass die Bedeutung des Aktionsprogramms insgesamt abgeschwächt wird heißt auch, dass die Schwierigkeiten, die in diesem Modellprogramm auftreten, in der gesamten Diskussion um Integrationspolitik nicht überbewertet werden oder auf diese übertragen werden sollen. Dass diese Schwierigkeiten jedoch einen zentralen Punkt der integrationspolitischen Bestrebungen betreffen – nämlich das Ziel, verkrustete Strukturen sowohl in der Kooperation zwischen Vereinen als auch in der Kooperation von Landesebene und kommunaler Ebene zu beheben – wird in der die Bilanzveran-

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staltung abschließenden Rede des zuständigen Referatsleiters deutlich.71 Anders als die Integrationsstaatssekretärin oder der Integrationsbeauftragte spricht er davon, „dass da Vieles im Argen liegt“. In ungewöhnlich direkten Worten bringt er seine Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Aktionsprogramms und hier insbesondere mit der Ausgestaltung der Tandem-Idee zum Ausdruck: „Ich will Ihnen damit sagen, dass ich eigentlich unzufrieden bin, weil das, was wir mit dem Projekt vorhatten jedenfalls nicht tatsächlich gelungen ist. […] Was die Jugendarbeit angeht, die von den Bezirken und der Jugendverwaltung gemacht wird, da finde ich, dass es viel zu wenige Verknüpfungen und Verbindungen gibt innerhalb dieser zwei Jahre. Da hätte ich mir viel mehr gewünscht!“

Dass der Referatsleiter mit diesen kritischen Aussagen ungeschriebene „Spielregeln“ der öffentlichen Repräsentation bricht, wird in einem Interview, welches ich anschließend mit einem anderen Mitarbeiter der Verwaltung führe, deutlich. Dieser verteidigt die in den Reden der Bilanzveranstaltung gepflegte „Logik des Erfolgs“, verweist aber auch auf die Ambivalenz im Umgang mit „Schwierigkeiten“: „Ja, die Bilanzveranstaltung war natürlich eine Bilanzveranstaltung. Das muss man berücksichtigen in dem Sinn, dass natürlich weder der Initiator noch der Veranstalter noch die beteiligten Projekte sich bei einer mehr oder weniger öffentlichen oder halböffentlichen Veranstaltung hinstellen und sagen: ‚War nicht ok.‘ […] Ich habe den Anspruch, dass man Leute, die zwei Jahre an so etwas gearbeitet haben nicht angreift. Das macht man einfach nicht. Man honoriert die Arbeit, die gemacht wurde, dass es versucht wurde. Dass es nicht in allen Einzelfällen zu unserer vollsten Zufriedenheit verlaufen ist, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber die Arbeit als solche, die Bereitschaft aktivierend und partizipativ zu arbeiten, alleine das ist es wert, dass man es honoriert. Über die Ecken und Kanten, über die Hindernisse, die Schwierigkeiten redet man intern. Das ist grundsätzlich mein Credo.“

Die Existenz und Anerkennung ungeschriebener „Spielregeln“ wie etwas repräsentiert wird, beziehungsweise was Teil der öffentlichen Repräsentation sein kann und was nicht, ist dabei keine Besonderheit des Berliner Aktionsprogramms. Vielmehr ist die Kenntnis der impliziten Regeln des politischen Spiels laut Bourdieu die grundlegende Voraussetzung, um sich im politischen Feld erfolgreich behaupten zu können. Ein erfahrener Politiker oder eine erfahrene Poli71 Der Beauftragte für Integration, die Staatssekretärin sowie etliche Journalist/innen haben zu diesem Zeitpunkt schon die Veranstaltung verlassen.

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tikerin hat einen „Sinn für das politische Spiel“, dessen größter Imperativ die Einwilligung in das Spiel selbst ist (Bourdieu 2001:78). Dieses unbewusst abgestimmte Zusammenspiel der politischen Akteur/innen, welches Bourdieu als „originäre Kollusion“ bezeichnet, wird von allen Mitspieler/innen akzeptiert. Regelverletzungen von Spielverderber/innen führen zu öffentlicher Erregung. Bei der oben zitierten offenen Kritik an der Umsetzung der integrationspolitischen Ziele im Rahmen des Aktionsprogramms handelt es sich um solch eine „Regelverletzung“. Unklar bleibt allerdings, ob diese Regelverletzung als bewusste Repräsentationsstrategie gewählt oder eher unreflektiert vorgenommen wurde. Der Referent, der diese Regelverletzung verantwortet ist jedoch – anders als die „Spieler“ in Bourdieus politischem Feld – nicht in der Position eines gewählten Politikers, sondern hat als Beamter des Landes Berlin einen anderen Status und ist ungebundener in seinen Äußerungen. Die Schwierigkeit der öffentlichen Repräsentation des Berliner Aktionsprogramms liegt offenkundig darin, dass es keine einfachen Botschaften aussendet. So kann zwar das Konzept der Tandempartnerschaft an sich als abstrakter Erfolg gefeiert werden, die Umsetzung in den einzelnen Projekten war jedoch überwiegend durch komplexe Aushandlungen gekennzeichnet. Die im Verlauf des Aktionsprogramms auftretenden Konflikte lassen sich offensichtlich in der öffentlichen Repräsentation nur schwer als Wissenszuwachs und damit auch nicht als „Erfolg“ darstellen. Die Zurückhaltung von Seiten der Presse und das geringe Interesse der Abgeordneten an der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms erklärt ein Mitarbeiter der Verwaltung auch mit dieser dem Programm innewohnenden Komplexität: „Da findet sich das wieder, was eben auch tatsächlich dieses Aktionsprogramm ausgemacht hat: Es war zähflüssig. Es war schwierig, es war nicht sehr überzeugend, also überzeugend im Sinne von schlagkräftig. Ich hab ja schon mehrfach versucht darzulegen, dass es überzeugend für mich war in vielerlei Hinsicht. Aber es war nicht durchschlagskräftig im Sinne der öffentlichen Meinung.“ (Interview Herr Nowak, Behördenmitarbeiter)

Diese Aussage verdeutlicht, dass auch der Übersetzung von Projekterfolgen Grenzen gesetzt sind. Die durch die Übersetzung vorgenommenen Verschiebungen gehen in diesem Fall offensichtlich nicht so weit, dass das Interesse der Presse und der Abgeordneten auf Dauer geweckt werden kann. Mit der bislang erfolgten Analyse der Redebeiträge wird nur ein Bereich der Repräsentationspraktiken erfasst, die auf dieser Bilanzveranstaltung eine Rolle

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spielen. Im Folgenden wende ich mich daher einem weiteren Aspekt zu, welcher einen wichtigen Anteil in der gesamten Inszenierung einnimmt: dem künstlerischen Rahmenprogramm der Bilanzveranstaltung. Durch dieses Rahmenprogramm werden die Redebeiträge eingebettet und durch die hier verfolgten Repräsentationspraktiken mit machtvollen Bildern verknüpft. Für die Rahmengestaltung der Bilanzveranstaltung greift die Senatsverwaltung nicht auf externe Künstler zurück, sondern beauftragt damit die aus den vorangegangenen Kapiteln dieser Studie schon bekannte Rap Crew des Projekts „Neustart“. Dass die Auswahl auf diese jungen Männer fällt zeigt, dass sie in den Augen der für die Organisation der Veranstaltung zuständigen Evaluatorin das Bild der jungen, männlichen Migranten verkörpern, die den Weg „aus der Defizitfalle“ gefunden haben. Sie repräsentieren damit in hohem Maße die erfolgreiche Seite des Integrationsprogramms. Dass die Übersetzung dieser Botschaft in die mediale Öffentlichkeit gelingt, zeigt ein Zitat der Berliner Zeitung aus der Berichterstattung des folgenden Tages.72

SENAT UNTERSTÜTZT 17 PROJEKTE FÜR JUNGE MIGRANTEN

Vom Straßengangster zum Talkshowgast „[…]Längst führen die jungen Männer ein geordnetes Leben, holen ihre Schulabschlüsse nach, gehen arbeiten und reimen Rap-Texte, in denen es heißt: ‚Auf Wiedersehen, Kriminalität!‘ und ‚Die stärkste Waffe des Menschen ist seine Stimme!‘ […] Sie haben vor Schulklassen gestanden und über ihren Lebenswandel erzählt, Workshops organisiert für Rap, Graffiti und Film. Dieses Projekt und 16 weitere hat der Senat im Rahmen seines Aktionsprogramms ‚Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken‘ in den vergangenen zwei Jahren mit insgesamt einer Million Euro gefördert. […] E. und seine Freunde waren eingeladen, um zu zeigen, dass aus gewaltbereiten Machos friedliche und nachdenkliche Männer geworden sind, die jegliche Gewalt ablehnen.“ (Berliner Zeitung 09.12.2009)

An der Repräsentation, zu der diese jungen Männer im Rahmen der Bilanzveranstaltung aktiv beitragen, lassen sich mehrere Übersetzungsleistungen veran72 Auch in diesem Zeitungsartikel wird abermals auf das Erfolgsskript „vom Tellerwäscher zum Millionär“ angespielt, auf welches ich unter 10.1. schon verwiesen habe.

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schaulichen. Der von Yusuf und Dursun für diese Veranstaltung ausgewählte und im Folgenden zitierte Track stellt in ihrem internen Rap-Repertoire dabei eine „light Version“ dar. Wie sie mir mitteilen, bevorzugen sie für die Rahmengestaltung von Veranstaltungen des politischen Feldes bewusst „etwas Softes“, um die gängigen Vorurteile gegenüber Rap in diesem Feld nicht zu bedienen.73 Im Gegenteil: Mit ihrer Repräsentationsstrategie vor Vertreter/innen von Politik und Verwaltung streben sie an, die vorherrschenden Bilder zu brechen. Mit ihrem Auftritt auf der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms bilden die jungen Männer einerseits eine Projektionsfläche für die Repräsentation „der“ männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, andererseits übernehmen sie die Verantwortung für die erfolgreiche Repräsentation des Projekts nach außen. In ihrem Track schildern sie die Rolle, die das Sozialprojekt in ihrem Leben nach der Haftentlassung gespielt hat und werben gleichzeitig dafür: Yusuf

Tausendfünfundneunzig Tage sind vorbei Seit Juli 2008 bin ich frei Will jetzt mein Leben auf die Reihe kriegen Keine Lügen, einfach alles besser machen Rappen, anstatt Rapper klatschen Sozusagen legal leben auf jeden Deshalb muss ich meine alte Gegend aufgeben Denn ich bin nur mit einem Bein aus der Haft Schon die kleinste Scheiße bringt mich wieder rein, in den Knast Ahh – auf Wiederseh‫ތ‬n Kriminalität Ich tausch Dich aus gegen meine Genialität Und steck‫ ތ‬sie in meine Musik: Hier ist das Endprodukt Mir ist längst bewusst, dass ich mich ändern muss.

Y&D

Ich weiß, ich handle my life Bin frei und will es auch bleiben Einigkeit und Recht und Freiheit Ich rap‫ ތ‬meine Zeil‫ތ‬n und back, scheiß auf crime!

73 Ihr Auftritt auf der Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms reiht sich ein in eine Abfolge von Auftritten innerhalb des politischen Feldes. Sie nehmen an Veranstaltungen der Friedrich-Ebert Stiftung teil, rappen im Zusammenhang mit dem Jubiläum des Mauerfalls, auf einer Kulturveranstaltung des Kunst- und Kulturzentrum „Brotfabrik“ in Weißensee oder auf dem Metropolenkongress der SPD.

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Legal leben, le legal leben, legal leben, le legal leben, legal leben, le legal leben, wir woll‫ތ‬n legal leben!

Dursun

Du hast die Schnauze voll, zuhause läuft nicht alles toll Die Noten sind nicht die besten, doch du bist ein kluger Kopf Brauchst du Unterstützung – egal in welcher Situation „Neustart“ heißt dich herzlich willkomm‫ތ‬n! Du bist bestimmt talentiert, möchtest was präsentier‫ތ‬n Graffiti-Breakdance-Hip Hop Workshops gibt es hier Du hast gute Ideen, hast du was zu erzähl‫?ތ‬ Wir hörn‫ ތ‬dir zu, auch wir wollen dich versteh‫ތ‬n Über jeder Art Probleme, die du hast, können wir reden Egal was es auch ist, wir versuchen es zu regeln Willst du Ärger aus dem Weg gehen Nie wieder Zellen seh‫ތ‬n Mamas Tränen tun Dir weh – komm wir könn‫ ތ‬das alles regeln Du willst dein Leben legal leben, legal Wege gehen Komm zu uns, hier kannst du legal deine Pläne schmieden […]

Y&D

Wir schreiben jetzt alles in Zeilen und Wenn ich schrei‫ތ‬n will, schrei ich ins Mic Wir blieben weg, weg von der Kriminalität Und wenn wir was machen, hat es sicher Qualität

Yusuf

Ok – vielleicht hab ich damals schwer versagt Doch dafür weiß ich jetzt auf einmal wer mich mag Kann beurteil‫ތ‬n wer auch damals zu mir ehrlich war Leute sagen heute bin ich noch gefährlicher Doch das ist Schwachsinn! Ich trink nicht mehr Wodka, kein Whisky und kein Absinth Bin jetzt erwachsen und keineswegs mehr aggressiv Macht einer Faxen lach ich drüber – wie bei Ali-G.74 Es ist mein Leben, doch zudem auch ein Sozialprojekt „Neustart“ gibt dir Pläne wie ein Architekt

74 Ali-G ist die Figur eines „Möchtegern Gangsta-Rapper“ des britischen Komödianten Sacha Baron Cohen (2003).

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Das ist keine Liebe, ist kein battle75 und auch kein Partytrack Ich wurde wachgerüttelt mit ‫ތ‬nem kleinen Bodycheck

Die hier auftretenden jungen Männer verkörpern damit das in Kapitel 9 geschilderte ideale Entwicklungsskript eines „Integrationsprojekts“, welches die zunächst aufgrund ihrer Hafterfahrung aus der Gesellschaft ausgeschlossenen jungen Männer aktiviert, sie „weg von der Kriminalität“ führt, und ihnen neue Perspektiven innerhalb der Gesellschaft aufzeigt. Das Potential der jungen Männer, ihre Genialität als Musiker und Performer steht dabei im Zentrum. Neben der in diesem Text erzählten persönlichen Geschichte, die einen Wendepunkt im Leben der Rapper markiert, erheben die durch die Jugendhaft gesellschaftlich marginalisierten jungen Männer mit dieser Repräsentationspraktik auch Anspruch auf einen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ machen sie drei zentrale Werte der deutschen Nationalhymne zu ihrer ganz persönlichen Forderung und sagen: „Einigkeit und Recht und Freiheit ist alles, was wir brauchen.“ (Interview Yusuf, Projektteilnehmer) Die Verwendung der Nationalhymne in seinem Track möchte Yusuf nicht als Nationalismus verstanden wissen, sondern er verweist damit auf sein Recht, sich ebenso auf diese Werte zu beziehen, wie „jeder Andere“ und fordert gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe ein. Diese jungen Männer werden zum Aushängeschild und damit zu einer wichtigen Komponente in der Repräsentation des Programms, da sie genau das verkörpern, was durch das Aktionsprogramm gezeigt werden soll: Auch in sogenannten „schwierigen Jungs“ (der Problemgruppe) stecken Potentiale, die durch eine Mitarbeit in einem Integrationsprojekt „entdeckt“ werden und zu einem positiven Wandel führen können (Lösung des Problems durch staatliche Intervention). Auch hier zeigt sich jedoch das oben schon aufgezeigte Phänomen: Die weitaus komplexere, widersprüchliche Alltagsrealität, die sich hinter der im Track erzählten „Erfolgsgeschichte“ abspielt, findet wiederum keinen Eingang in die Repräsentation auf der Bühne des Aktionsprogramms. Für die öffentliche Repräsentation des Aktionsprogramms ergibt sich die zentrale Bedeutung dieses Projekts unter anderem dadurch, dass gesellschaftlicher Ausschluss und die aus der Stigmatisierung als „krimineller Jugendlicher“ oder „jugendlicher Intensivtäter“ folgende Marginalisierungen offensichtlich auch für eine kritische Öffentlichkeit gut nachvollziehbar darzustellen sind. 75 Ein Rap-Duell zwischen zwei Gegnern wird im Hip-Hop Jargon als „battle“ bezeichnet. Der Begriff verweist damit zurück auf die Anfangszeit des Hip Hop in den USA, in dem Rededuelle durch Rap eine Alternative zu den bislang vorherrschenden „echten“ Kämpfen zwischen verfeindeten Gruppen darstellten.

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Abbildung 12: Mitglieder des Projekts „Neustart“ bei ihrer Performance. Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms.

Quelle: eigenes Bild

In der Logik eines auf Erfolg ausgerichteten integrationspolitischen Skriptes muss die Senatsverwaltung zur Legitimierung einer Projektförderung zunächst Ausgrenzungsmechanismen aufzeigen, die dann mit Hilfe einer Förderung überwunden werden können. Die Praxis zeigt, dass es häufig äußerst schwierig ist, diese Ausgrenzungsmechanismen als solche nachzuweisen (Gomolla/ Radtke 2007) und folglich auch konkret – im Rahmen eines zeitlich und finanziell befristeten Programms – zu „beheben“. Das Projekt Neustart hingegen kann – auch aufgrund der von offensichtlicher Exklusion bestimmten Ausgangssituation der teilnehmenden Akteure – einen für die Öffentlichkeit gut nachvollziehbaren Erfolg bei der „Re-Integration“ der beteiligten jugendlichen Akteure vorweisen. Es ist – und hier zitiere ich abermals den Mitarbeiter der Verwaltung – ein „schlagkräftiges“ Beispiel. An der hier zum Ausgangspunkt der Analyse genommenen Bilanzveranstaltung wird jedoch auch deutlich, wie nah Inklusion und Exklusion, vermeintliche Zentralität und Marginalität beieinander liegen können und wie labil sich Teilhabe für die hier als „gutes Beispiel“ repräsentierten Jugendlichen darstellt. Die erfolgreiche Teilhabe in der Welt der Integrationsprojekte zieht nicht zwangsläufig eine ungehinderte Teilhabe an der Welt jenseits dieser Projekte nach sich, wie ein Vorfall zu Beginn der Bilanzveranstaltung deutlich macht:

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Feldtagebuch, Dezember 2009 Kurz vor Beginn der Bilanzveranstaltung erreicht den Projektleiter des Projekts „Neustart“ ein Anruf seiner Mitarbeiterin. Sie meldet sich, um mitzuteilen, dass mit einer Verspätung der Teilnehmer des Projekts zu rechnen sei. Sie sind am UBahnhof Herrmannplatz in eine Polizeikontrolle geraten. Als Gruppe junger, männlicher Migranten erscheinen sie als potentiell „verdächtig“ und ihre Personalien werden überprüft. Das braucht Zeit. Um die Absurdität der Situation zu unterstreichen schlägt der Projektleiter am Telefon ironisch vor: ‚SagҲ doch den Polizisten, die Jungs haben einen Termin bei der Senatorin!‘ Doch auch die Argumentation der Sozialarbeiterin, dass die Jugendlichen gerade auf dem Weg zu einer Veranstaltung des Integrationsbeauftragten sind, um dort das musikalische Rahmenprogramm zu gestalten, ändert nichts am Vorgehen der Polizei. Die Gruppe erreicht die Veranstaltung verspätet. In den Veranstaltungsräumen der Werkstatt der Kulturen wird die Nachricht, dass genau diejenigen Jugendlichen, die als vorbildhafte „Wege aus der Defizitfalle“ auftreten sollen, aufgrund ihres Aussehens und dem Ort ihres Aufenthaltes76 als „verdächtig“ markiert werden, mit Heiterkeit, aber auch mit einer gewissen Nachdenklichkeit aufgenommen. Der Integrationsbeauftragte hebt in seiner Rede daraufhin hervor, dass die inhaltliche Ausrichtung des Aktionsprogramms auf „männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund“ gerade deshalb gewählt wurde, weil diese Jugendlichen in der öffentlichen Darstellung überwiegend als problematisch wahrgenommen werden. „Wir haben die Erfahrung gemacht, oder diese Jugendlichen, die hier gerade zu spät gekommen sind, haben die Erfahrung gemacht, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Stadt gesehen werden. Ich finde, stimmiger konnte diese Veranstaltung nicht beginnen. Sie sind als Problemgruppe wahrgenommen. Als wir das Programm begonnen haben, war das ein relativ offener Prozess. Wir haben gesagt: Wir wollen neue Zugänge zu diesen Jugendlichen haben und in der Tat sind über dieses Programm neue Zugänge und neue Sichtweisen entstanden. ‚Wege aus der Defizitfalle‘ war ja keine Unterüberschrift, die das Aktionsprogramm von vorneherein hatte, sondern die ist erst im Verlauf ihrer Arbeit entstanden. Indem nochmal deutlich geworden ist, wie starr und wie einschränkend dieser negative Blick auf diese Jugendlichen die ganze 76 Der Herrmannplatz, die dem Veranstaltungsort am nächsten gelegene U-Bahnstation, gilt zum Zeitpunkt dieses Vorfalles im Dezember 2009 als „gefährlicher Ort“ und Treffpunkt der Neuköllner Alkoholiker- und Drogenszene, was mit einer massiven Polizeipräsenz geändert werden sollte. Siehe „Der Hermannplatz“ von Daniela Martens (Tagesspiegel vom 31.05.2012).

258 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Arbeit und die Sichtweise auf diese Jugendlichen prägt. Also sind in dieser Arbeit ganz wichtige Fragen entstanden: einen neuen Blick, ein neues Grundverständnis über diese Arbeit hinbekommen. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit mit Jugendlichen ist, dass wir ein neues Wir und ein neues Zugehörigkeitsgefühl entwickeln.“ (Günther Piening, Rede auf der Bilanzveranstaltung, Dezember 2009)

Durch das Aktionsprogramm soll bei den Entscheidungsträgern in den verschiedenen Bereichen der Verwaltung und in den Vereinen eine Neuausrichtung sozialer Ordnungen angestoßen werden. Diese neuen Ordnungen sollen auch in (zukünftige) Repräsentationen der Berliner Stadtgesellschaft einfließen.

10.2 A PORIEN

DER

B EMÄCHTIGUNG

Wie ich bei der Analyse der Facetten der Berliner Integrationspolitik aufzeigen konnte, spielt bei der hier angestrebten interkulturellen Öffnung das Konzept des Empowerment eine wesentliche Rolle (siehe Kapitel 5.3). Insbesondere die sogenannten Migranten(selbst)organisationen sollen durch das Instrument der Tandempartnerschaft bemächtigt (empowered) werden. Darauf, wie diese Tandempartnerschaften in der Praxis der Projekte gestaltet werden, bin ich an anderer Stelle dieser Studie schon eingegangen. An dieser Stelle möchte ich einen weiteren Aspekt aufgreifen, welcher das politische Ziel eines Empowerment und die Wirkmächtigkeit von Repräsentationspraktiken für die soziale Ordnung bzw. die Konstitution einer solchen Ordnung verdeutlicht. Mit Bezug auf das Konzept des Empowerment spricht der Soziologe Ulrich Bröckling von „Aporien der Bemächtigung“ (Bröckling 2003:340) und beschreibt damit sehr gut einen auch im Rahmen des Aktionsprogramms auftretenden Widerspruch. Der Begriff Aporie leitet sich aus dem griechischen Begriffen a (nicht) und poros (Weg, Brücke) ab, und kann als „Ratlosigkeit“ oder „Ausweglosigkeit“ übersetzt werden. Unter einer Aporie wird die „Unmöglichkeit der Lösung eines Problems, die entweder in der Sache selbst oder in den verwendeten Begriffen begründet ist“ verstanden (Rehfus 2003). Bröckling bezeichnet Empowerment als „‚unmögliches‘ Unterfangen“, da hier, um Ohnmachtsgefühle abzubauen, diese als gegeben unterstellt werden müssen. Denn: „Wem man Bemächtigung verordnet, der wird sie nötig haben.“ (Bröckling 2003:340) Auch der im Aktionsprogramm als innovatives politisches Instrument gefeierten Tandempartnerschaft liegt eine solche Aporie der Bemächtigung zugrunde. Mit dem Ziel vorhandene institutionelle Verhärtungen aufzulösen und interkulturelle Öffnung anzuregen werden hier gleichzeitig Zuschreibungen der beteiligten

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Vereine als zu bemächtigende „Migrantenorganisation“ oder als „institutionalisierter Träger“ fortgeschrieben. Wie in Kapitel 7 aufgezeigt, baut die in der Repräsentation des Aktionsprogramms zentrale Komponente der Tandempartnerschaft auf einer sozialen Ordnung auf, die eine Trennung zwischen WIR und DIE aufrechterhält, obgleich sie diese im Grunde überwinden will. Zusätzlich zu der dem Gedanken der Tandempartnerschaft zugrundeliegenden Aporie der Bemächtigung wird die Tandempartnerschaft durch einen weiteren Widerspruch geprägt. Aufgrund der in den meisten Partnerschaften vorhandenen Machtasymmetrie finden Schwierigkeiten innerhalb der Tandempartnerschaft nur in Ausnahmefällen Eingang in die offizielle Repräsentation. Weitaus häufiger werden bestehende Konflikte in den Übersetzungsvorgängen gegenüber der Behörde ausgeblendet. Allein die Annahme, dass die Behörde bei Konflikten die Projektförderung beenden könnte, veranlasst die Projektverantwortlichen Konflikte innerhalb des Tandems gegenüber der Verwaltung offiziell nicht oder nur eingeschränkt einzugestehen. Dies führt zu ganz spezifischen, für jedes Projekt anders gelagerten Auslassungsvorgängen bei der Repräsentation des Projekts. Das Ausmaß der bestehenden Probleme wird der Behörde so verschleiert. Herr Susa aus einer kleinen Migrantenselbstorganisation schildert mir diese schwierige Situation mit folgenden Worten: „Sowieso ist das Projekt am Ende. Weil, Frau Friedrich [die Vertreterin der Behörde] wusste genau, wir sind ein Tandemprojekt. Wenn sie die Finanzunterlagen zu dem großen Verein schickt, müssen wir das doch auch sehen können. Haben wir aber nicht. Wir wollten [doch] nichts kopieren! Aber, wenn wir die Unterlagen gehabt hätten und wenn wir gesagt hätten, wir wollen das genau wissen, dann wäre dieses Projekt beendet worden.“ B. K-D.: „Sie hatten Sorge, dass wenn Sie sich direkt an die Verwaltung wenden, die dann sagen: ‚Dann lassen wir das Ganze‘. Sie wollten das intern klären?“ „Wir haben uns gesagt: Wenn wir das machen, hat der Projektleiter keinen Job mehr. Das Projekt ist dann fertig.“ (Interview Herr Susa, Mitarbeiter einer Migrantenselbstorganisation)

Mit ihrem Verhalten „schützen“ die Vertreter/innen dieser Migrantenselbstorganisation die Position des Projektleiters. Sie verhalten sich damit nach einer von ihnen verinnerlichten „Logik des Erfolgs“, in der Misserfolg den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen kann. Aus menschlicher Solidarität mit dem Projektleiter (der nicht Mitglied ihres Vereines ist) entscheiden sie sich dazu, gegenüber der Behörde über die projektinternen Missstände zu schweigen. Eine

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kritische Auseinandersetzung mit den im Projekt auftretenden Konflikten findet daher nur eingeschränkt statt. Durch die Strategie des „Stillhaltens“ begibt sich diese Migrantenselbstorganisation einerseits wieder in eine passive und untergeordnete Rolle. Andererseits werden auf diese Weise auch Schwierigkeiten, die diese Migrantenorganisation selber bei der Umsetzung der ihr betrauten Aufgaben hatte ebenfalls verschleiert. Grundsätzlich tut sich zwischen der komplizierten Alltagspraxis und der „nach außen“ hin repräsentierten Kooperation eine deutliche Kluft auf. Aufgrund dieser Auslassungen erfahren die Mitarbeiter/innen der Verwaltung nur eingeschränkt von bestehenden Schwierigkeiten. Sie können folglich nur mutmaßen, ob eine Tandemkooperation auch in der Praxis „auf gleicher Augenhöhe“ verläuft oder nicht. Konflikte, die zumindest ein Mitarbeiter der Verwaltung als „lehrreich“ und durchaus „gewollt“ bezeichnet, werden an die Verwaltung nur gefiltert herangetragen. Das in Kapitel 5 thematisierte Ziel des Aktionsprogrammes, neue Wege einzuschlagen und anhand der auftretenden Konflikte in eine „kreative, konstruktive Diskussion“ einzutreten, wird durch das Repräsentationsverhalten der teilnehmenden Projekte untergraben. Die Evaluatorin des Programms erkennt diese Problematik und schlägt ein direkt bei der Behörde angesiedeltes Treffen der Migrantenorganisationen vor, in dem die Zusammenarbeit in der Tandemkonstellation thematisiert werden soll. Dieses Treffen hat auch das Ziel, den Druck, der auf den weniger institutionalisierten Vereinen ruht abzubauen und die Migranten(selbst)organisationen weiter zu bemächtigen. An diesem Treffen nehmen von Seiten der Verwaltung nur die Sachbearbeiterin und die Evaluatorin teil. Dies soll einen offenen Austausch über bestehende Teilhabehemmnisse erleichtern. Dass für diesen Austausch ein geschützter Raum geboten wird, ohne die „institutionalisierten“ Tandempartner und ohne die Verantwortungsträger aus der Behörde, zeigt, wie stark auf den sonst üblichen „Bühnen“, die von Machtbeziehungen geprägten sozialen Ordnungen die Art und Weise der Repräsentation prägen. Bezeichnend ist aber auch, dass selbst an diesem als „intern“ markierten Treffen trotz mehrfacher, auch persönlicher Einladung durch die Evaluatorin nur eine geringe Zahl der Migranten(selbst)organisationen teilnimmt.77 Lediglich aus zwei Projekten werden in diesem Rahmen bestehende Schwierigkeiten thematisiert. Die Angst vor einer Thematisierung von Konflikten aus einer Position der Schwäche heraus lässt sich offensichtlich nicht leicht überwinden. Bedeutsam erscheint in meinen Augen, dass trotz der teilweise sehr konflikthaften Aushandlungen innerhalb der Tandempartnerschaften nur in einem Fall 77 Das Treffen der Migranten(selbst)organisationen wird von fünf der 20 am Aktionsprogramm beteiligten Migranten(selbst)organisationen wahrgenommen.

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offiziell die Auflösung einer Partnerschaft verkündet wird. Häufiger kommt es zu einer stillen Beendigung der Kooperation, bei der alle beteiligten Partner einvernehmlich beschließen, das Projekt nicht offiziell „sterben“ zu lassen, die Tandempartner jedoch keinen aktiven Austausch mehr pflegen. Einen wesentlichen Grund dafür sehe ich – neben der teilweise sehr wichtigen finanziellen Unterstützung – in der Abhängigkeit der Vereine (und hier insbesondere der Migranten[selbst]organisationen) von einer positiven, „erfolgreichen“ Repräsentation der Projekte gegenüber der Verwaltung als Vertreterin des Landes Berlin. Die Tatsache, dass auch der Behörde bekannte Auflösungen von Tandempartnerschaften nicht sanktioniert werden, lässt sich hingegen mit dem Rechtfertigungsdruck der Behörde gegenüber dem politischen Feld erklären. Auch die Mitarbeiter/innen der Behörde tragen mit ihrer Entscheidung, Projekte ohne eine gelebte Tandempartnerschaft im Programm zu behalten und damit weiter zu fördern einen Teil dazu bei, das Aktionsprogramm in einem „guten Licht“ erscheinen zu lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich Überlegungen zu Macht und Repräsentation(en) weiter nachgehen. Paul Mecheril und Anne Broden verweisen darauf, dass im Kontext einer Migrationsgesellschaft Aushandlungen um Macht und Repräsentation eine besondere Bedeutung zukommt, da durch Migration normative Zugehörigkeitsverhältnisse, welche häufig auf spezifischen ethno- natio- oder kulturellen Vorstellungen beruhen, in Frage gestellt werden. Dabei kommen sie zu dem Schluß, dass „Repräsentationen […] hierbei ein wichtiger Bestandteil der Stärkung und Problematisierung von Zugehörigkeitsgrenzen“ sind. (Broden/ Mecheril 2007:8) Kritisch merken Broden und Mecheril an, dass Schemata, die zwischen „Migrant/innen“ und „Nicht-Migrant/innen“ unterscheiden, dabei zu den „grundlegenden gesellschaftlichen Repräsentationsschemata gehören, die Ordnung schaffen“. (Broden/ Mecheril 2007:9) Mit Blick auf das Berliner Aktionsprogramm lässt sich herausarbeiten, wie stark diese Repräsentationsschemata in integrationspolitische Bemühungen hineinwirken, auch wenn es sich diese explizit zum Ziel gesetzt haben, neue soziale Ordnungen zu ermöglichen, indem sich institutionalisierte Träger interkulturell öffnen. Die diesen Repräsentationsschemata innewohnende Machtasymmetrie wird beispielsweise deutlich, wenn auf der Ebene der Sachbearbeiterin selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass den institutionalisierten Vereinen die Trägerschaft eines Projekts und damit einhergehend auch die Kontrolle über die finanziellen Ressourcen übertragen wird, während die Migranten(selbst)organisationen als „Juniorpartner“ fungieren. Der ursprünglich als Sinnbild von Gleichwertigkeit eingeführte Begriff „Tandempartner“ wird automatisch gleichgesetzt mit „Migran-

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tenorganisationen“ und bekommt damit eine neue Bedeutung als untergeordnete Co-Partner. Auch innerhalb des Berliner Aktionsprogramms, welches sich explizit ein Empowerment der Migrantenorganisationen zum Ziel setzt, zeigt sich, dass diese Machtasymmetrien gegenwärtig weiter bestehen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass Machtasymmetrien von allen Akteur/innen durch ihre Repräsentatonspraktiken gleichzeitig auch fortgeschrieben werden. Broden und Mecheril bezeichnen dieses Phänomen als „System repräsentionaler Ungleichheit“. Dieses stellt sich als gesicherter und relativ stabiler Zusammenhang dar, „da es um bedeutsame Selbstverständnisse und Privilegien, symbolische und faktische Positionen geht, die man verlieren könnte“ (Broden/ Mecheril 2007:15). Die Handlungslogik der kleinen Vereine, existierende Konflikte nicht offen anzusprechen, ist eine Facette dieses Systems repräsentionaler Ungleichheit. Andere empirische Beispiele zeigen, dass es auch im Interesse einiger Migrantenorganisationen liegen kann, den Status als Migrant/innen zu unterstreichen, da sie dadurch spezifische Fördergelder beantragen können. Um den Förderrichtlinien des Aktionsprogramms zu genügen, ist zu beobachten, dass bewusst Bezug genommen wird auf eine Zuschreibung als migrantischer Verein oder die besonderen interkulturellen Kompetenzen geltend gemacht werden. Dies verstehe ich als „Strategie der Migrantisierung“. Dazu gehört es auch, auf die „Authentizität“ der eigenen Stimme zu verweisen, wie ich dies an der Diskussion um „interkulturelle Kompetenz“ in Kapitel 7.4 deutlich machen konnte. Diese Strategie der Migrantisierung birgt jedoch die Gefahr, dass das Sprechen über „die eigene“ Kultur und die Betonung von Wissen qua Geburt die Idee einer statischen Kultur als Container festigt und so zu einer weiteren Stabilisierung von Machtasymmetrien beiträgt (siehe auch Castro Varela/ Dhawan 2007:39). Deutlich wird an den in der Assemblage Aktionsprogramm beobachteten Interaktionen, dass trotz der Bedeutung, die den hier zugrundeliegenden Machtasymmetrien zukommt, nicht immer klar binäre Positionen herausgearbeitet werden können zwischen denjenigen ohne Macht und denjenigen mit Macht.

10.3 D AS P ARADOX

DER

Ü BERSETZUNG

Bei unserem abschließenden Gespräch betont die Evaluatorin des Programms mir gegenüber eine in ihren Augen problematische Divergenz in den Zielen, die die jeweiligen Akteursgruppen mit dem Aktionsprogramm verbinden.

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„Also ich glaube die größte Herausforderung war glaube ich so dieses Auseinanderdriften von: was will das Programm und was wollen die Projekte.“ (Interview Frau Scheel, Evaluatorin)

Diesem Phänomen der scheinbaren Entkopplung zwischen integrationspolitischen Praktiken und den im Aktionsprogramm angelegten integrationspolitischen Konzepten soll im Folgenden nochmals nachgegangen werden. Dabei stellt sich die Frage: Was ist es, das dieses Aktionsprogramm als Assemblage trotz der wahrnehmbaren Zwischenräume und der sich häufig widersprechenden Auslegungen einzelner Positionen zusammenhält? Warum führen die unterschiedlichen Interpretationen, Machtansprüche und die damit verbundenen Reibungen nicht zu einer Aufhebung der Kooperationen oder zu einer vorzeitigen Beendigung des Aktionsprogramms? Bei der Untersuchung des Berliner Aktionsprogramms wurde schnell deutlich, dass den von den Akteur/innen ausgeübten Repräsentationspraktiken und den daraus resultierenden Repräsentationen eine wesentliche Bedeutung zukommt. Die Frage nach den sozialen Ordnungen, die in den jeweiligen Repräsentationen dargestellt und mit ihnen reproduziert werden, erscheint mir insbesondere im integrationspolitischen Kontext des Aktionsprogramms von großer Wichtigkeit. Lautet doch die Kernfrage der Integrationsdebatte immer noch und immer wieder „wer darf dazu gehören?“78 Bei den im Rahmen dieser Studie erfassten Prozessen geht es im Grunde genommen immer um die Aushandlung, Herstellung oder Zuweisung von sozialen Ordnungen. Der Begriff „Integration“ kann dabei an sich schon als ein Ordnungsverfahren verstanden werden. Ein Ordnungsverfahren durch das, abhängig von dem Diskurs auf den dabei Bezug genommen wird, spezifische soziale Ordnungen angelegt werden. Innerhalb des Aktionsprogramms als konkretem „Integrationsprojekt“ lassen sich Aushandlungen und Neuausrichtungen sozialer Ordnung insbesondere im Bereich der interkulturellen Öffnung nachvollziehen. Jedoch auch den anderen im Rahmen dieser Studie diskutierten Aushandlungen zu „Respekt“ und in den in Kapitel 9 dargelegten Narrativen zu Exklusion liegen spezifische Vorstellungen sozialer Ordnung zugrunde, die im Rahmen des Aktionsprogramms in Interaktion treten. Am Beispiel der Aushandlungen zu „Respekt“ und den mit Vorstellungen von Respekt verknüpften Wissensordnungen kann aufgezeigt werden, dass nicht eine dominierende Ordnung, sondern vielmehr die Simultanität multipler sozialer Ordnungen der hier analysierten Assemblage bestimmend ist. Diese Simultanität multipler sozialer Ordnungen ist aufgrund ihrer Komplexität jedoch nur 78 So bringt es einer meiner Interaktionspartner in einem Interview mit der taz auf den Punkt. (taz vom 30.11.2009)

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schwer vor- und darstellbar. Sie lässt sich daher nicht unbedingt mit einer auf der Reduktion komplexer Vorgänge beruhenden Repräsentation in Einklang bringen. Es kommt in der Folge zu einem Darstellungsproblem. Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang, dass die bei jedem Übersetzungsvorgang auftretenden Zweideutigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Reibungen bei der Repräsentation zumeist überdeckt werden. Auch wenn allen beteiligten Akteur/innen bewusst ist, dass hier mehrfache Übersetzungsvorgänge vorgenommen werden und diese Übersetzungen auch zu Verschiebungen und Umwandlungen des „Urtextes“ führen, wird bei der Repräsentation eines Projekts oder des gesamten Programms gleichzeitig großer Wert darauf gelegt, genau diese Übersetzungsvorgänge weg zu deuten. Rottenburg beschreibt dieses Phänomen als „paradox of translation“ (Rottenburg 2003:33) und spricht davon, dass mit Hilfe der Repräsentationspraktiken die Lücke der Unabwägbarkeiten, welche die Praxis bestimmen, übertüncht wird („the gap of indeterminacy is glossed over“) (Rottenburg 2003:33). Durch dieses Paradox der Übersetzung werden Konflikte und Reibungen, die bei diesen Übersetzungsvorgängen auftreten, in den Hintergrund der Aufmerksamkeit gedrängt. Es kommt zu den im Anschluss diskutierten „Leerstellen der Repräsentation“. Darüber hinaus wird mit Hilfe der Repräsentationspraktiken suggeriert, dass die übermittelte Botschaft nicht transformiert, sondern lediglich transferiert wird (Rottenburg 2003:33). Auch andere Studien, die sich mit der Durchsetzung politischer Vorhaben befassen, kommen zu dem Schluss, dass der Umgang mit Fehlschlägen und das Glätten der vorhandenen Widersprüche als ein zentrales Element jeder Assemblage angesehen werden kann. Es ist Teil der permanent ablaufenden Prozesse des „assembling“. Li identifiziert eine Strategie des „managing failures and contradictions“. Ziel dieser Strategie ist es, disparate Elemente zusammen zu führen (Li 2007:265). “Presenting failure as the outcome of rectifiable deficiencies; smoothing out contradictions so that they seem superficial rather than fundamental; devising compromises“ – so benennt Li den diesen Anstrengungen zugrundeliegenden Sinn (Li 2007:265). Mit Hilfe von Repräsentationspraktiken werden vereinfachte Narrative von Lösungen und Problemen in den Vordergrund gestellt, welche Spannungen übertünchen und die Assemblage damit weitaus kohärenter erscheinen lassen, als sie im Grunde ist (Li 2007:270). Auch Birgit Müller kommt in ihrer Studie über Strategien der UNO-Organisation FAO zu dem Schluss, dass die von ihr beobachteten Repräsentationspraktiken dazu dienen, Kontroversen zwischen den einzelnen Akteur/innen aufzuheben und einen Mantel der Harmonie („gloss of harmony“) über bestehende, konträre Sichtweisen zu legen (Müller 2011:283).

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Am Beispiel der Metropolenpolitik Berlins zeigt Färber allerdings auf, dass auch Misserfolge in eine Repräsentationsstrategie integriert werden können, um zu einem positiven Bild der Stadt Berlin beizutragen (Färber 2011). Die von ihr angeführten Beispiele machen jedoch auch deutlich, dass ein ironischer Umgang mit dem „Scheitern“, wie er sich beispielsweise in dem bekannten Ausspruch des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit manifestiert, wenn dieser die Stadt Berlin als „arm aber sexy“ beschreibt, nur aus einer gewissen Position der Stärke heraus möglich ist. Man muss es sich leisten können, dieses ironische Spiel mit dem Scheitern treiben zu können. Wie sich anhand des Berliner Aktionsprogramms „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ aufzeigen lässt, scheint das Thema der „Integration“ und die sich damit befassende Integrationspolitik kein Bereich, in dem dieser ironische Umgang mit Fehlschlägen produktiv zu sein scheint. Zwar nutzen auf der Ebene der Selbstrepräsentation unterschiedliche Akteur/innen Ironie als Bestandteil ihrer Aushandlungen. In der offiziellen Repräsentation des Integrationsprogrammes wird einem ironischen Umgang mit verschiedenen „Misserfolgen“ hingegen kein Raum zugestanden, sondern mögliches Scheitern oder Versagen ausgeblendet oder umgedeutet. Die ausgehend vom Berliner Aktionsprogramm erfasste „Politik der Integration“ zeichnet sich in hohem Maße dadurch aus, dass in der Rückübersetzung der Integrationspraktiken großer Wert darauf gelegt wird, die ursprünglich intendierten politischen Ziele zu erreichen. Abbildung 13: Übersetzungs- und Repräsentationsleistungen in der Assemblage Aktionsprogramm

Quelle: eigene Grafik

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Die in dieser Studie beschriebene augenscheinliche Entkoppelung zwischen Theorie und Praxis wird auch im Fall des Berliner Aktionsprogramms durch vielfältige Prozesse des assembling verhindert. Diese Prozesse des assembling lassen sich als andauernde Übersetzungsvorgänge oder als Übersetzungskette fassen, welche in multiplen Transformationen des „Ur-Textes“ resultiert. Anders als dies aufgrund der Übersetzungsleistungen zu erwarten wäre, führt die Verwischung der Übersetzungsvorgänge durch das Paradox der Übersetzung jedoch letztendlich zu einer hohen Übereinstimmung der Projekt-Re-Präsentationen mit dem ursprünglichen Konzept. Damit ist jedoch zunächst nicht die Frage beantwortet, warum diese Repräsentationspraktiken von allen beteiligten Akteur/innen verfolgt, bzw. mitgetragen werden. Um dieser Frage weiter nachzugehen betrachte ich das Berliner Aktionsprogramm als eine Art Spiel, an dessen Teilnahme und Fortbestand die einzelnen Akteur/innen ein jeweils eigenes Interesse haben. Um überhaupt an diesem Spiel teilnehmen zu können, müssen die jeweiligen Akteur/innen einen allen verständlichen Code bedienen. Wie sich zeigt, verfügen die Akteur/innen unterschiedlich gut über die Fertigkeit, an diesem Paradox der Übersetzung mitzuwirken. Die Verwendung des Codes bedeutet dabei nicht, dass es unbedingt zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den verwendeten Schlagwörtern (Aktivierung, Interkulturalität, gleiche Augenhöhe, Potential, Vielfalt etc.) kommt. Vielmehr ist hier die Verwendung von Schlagwörtern kennzeichnend, die sich durch eine inhaltliche Unbestimmtheit auszeichnen. Die daraus resultierende Flexibilität der Schlagwörter ermöglicht es, die jeweils eigene Praxis darunter zu subsummieren. Darüber hinaus unterliegt dieser Code einer einseitig auf Erfolg ausgerichteten Logik in der öffentlichen Repräsentation. Die kleinen, häufig migrantischen Vereine sind in doppelter Weise auf diese Repräsentationslogik angewiesen. Sie stehen aufgrund ihrer überwiegend geringen Professionalisierung in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu den größeren Trägern und der Senatsverwaltung. Dies bringt es mit sich, dass sie einerseits besonders stark den internen Kämpfen um Deutungsmacht und Ressourcen ausgesetzt sind. Andererseits ist es ihnen aufgrund ihrer Abhängigkeit nicht möglich, diese Konflikte offen anzusprechen, da ihr institutionelles Überleben in hohem Maße von der erfolgreichen Darstellung ihrer (Mit-)Arbeit abhängig ist. Auf dem Arbeitstreffen eines Projekts erlebe ich diese unterschiedlichen Interpretationen von „Erfolg“. Das Projekt „funktioniert“ nicht wie ursprünglich erwartet und die beteiligten Partner treffen sich daher zu einer Art Lagebesprechung, an der ich teilnehmen darf. Dabei kann es sich der große, institutionalisierte Träger des Projekts leisten, auf den Modellcharakter des Aktionspro-

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gramms zu verweisen und die Erwartungen, die in das Projekt gesetzt werden, herunter zu schrauben. Die am Projekt beteiligte Migrantenselbstorganisation kritisiert hingegen den schleppenden Verlauf des Projekts scharf und sieht diesen als existenzielle Bedrohung an. Sie empfindet einen weitaus stärkeren Druck, sich mit diesem Projekt zu profilieren und einem imaginären Erfolgsskript zu folgen. Angesprochen auf diese Beobachtung resümiert dies der Referent des etablierten Trägers im Rückblick folgendermaßen: „Das ist eine hochinteressante Erfahrung für mich aus diesem Tandem, dass es wohl so zu sein scheint, dass man Erfolg unterschiedlich interpretiert. Also es gibt auch bei uns immer Projekte, die auf der Kippe sind, das ist ganz klar. Aber es besteht nicht die Gefahr, dass wir keine Miete zahlen können. Aber bei unserem Tandempartner steht das auf der Kippe, ob sie ihre tollen Räume behalten können. Und meine Beobachtung in diesem Aktionsprogramm ist: Da wird Geld verstreut, damit man als Verwaltung herausfindet, was gut funktioniert. Das kann ich verstehen und ich kann das Bedürfnis nachvollziehen, dass man Dinge ausprobieren muss, um zu verstehen, was in der Praxis funktioniert. Gleichzeitig bedeutet das für die Projekte, dass es ganz wenig Zeit gibt, sich zu profilieren. Und ich kann mir meine kritische Betrachtungsweise leisten. Andere können auch ‫ތ‬ne kritische Betrachtungsweise haben, sie dürfen die aber nicht so äußern wie ich, weil sie ein kleiner Verein sind, weil sie immer abhängig sind vom Wohlwollen einzelner Politiker und Verwaltungsmitarbeiter. Und deswegen natürlich einen immens höheren Druck haben. Ich kann auch in meinen Sachbericht schreiben: ‚Hat nicht funktioniert‘. So, ich kann das schriftlich begründen. Und da kann ich auch dahinter stehen. Das können die auch, aber trauen sie sich vielleicht nicht, oder wollen sie nicht. Was ich absolut verstehen kann. […] Der Erfolgsdruck wird ganz unterschiedlich erlebt, er lastet auch ganz unterschiedlich – ich hab ja keinen Erfolgsdruck. Für mich ist das ein Modellprojekt, da steht auch ganz dick MODELL drüber.“ (Interview mit dem Projektkoordinator eines etablierten Trägers)

Dass ein etablierter Träger es sich „leisten kann“ nicht „erfolgreich“ sein zu müssen, die kleinen Vereine hingegen unter einem sehr hohen Erfolgsdruck stehen, wirft abermals Licht auf die Machtasymmetrie, welche das Aktionsprogramm durchzieht. Nur aus der Position der Stärke heraus, können „Misserfolge“ thematisiert und als Potential für zukünftige Verbesserungen angesehen werden. Alle anderen Akteur/innen orientieren sich hingegen an einer geglätteten Darstellung der integrationspolitischen Aushandlungen. Der im Aktionsprogramm verankerte Projektcharakter und die damit verbundene Notwendigkeit, innerhalb relativ kurzer Zeit einen schnellen Erfolg zu präsentieren, um die finanzielle Förderung des Projekts zu legitimieren, verstärkt die Tendenz, beste-

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hende Reibungspunkte und Verschiebungen zu überdecken und fördert eine einseitig auf „Erfolg“ ausgerichtete Repräsentationslogik. Die anhand des Berliner Aktionsprogramms aufgezeigte Simultanität multipler sozialer Ordnungen ergibt ein facettenreiches Bild, das ich mithilfe des Assemblagekonzepts verdeutlichen möchte. Widersprüchlichkeiten, Reibungen sowie unterschiedliche Übersetzungen stellen dabei einen konstitutiven Teil des Ganzen dar. Diese hier analysierten Praktiken der Repräsentation stehen dabei nicht in einem machtleeren Raum. Die Möglichkeiten, sich zu repräsentieren, sind in der Gesellschaft ungleich verteilt. So lassen sich Machtasymmetrien ausmachen, die spezifischen Ordnungssystemen innerhalb dieser multiplen Ordnungen eine Vorrangstellung zusichern. Dies bedeutet nicht nur, dass einigen gesellschaftlichen Gruppen die Bemächtigung fehlt, für sich selbst zu sprechen, sondern diese auch nicht das Bild beeinflussen können, wie über sie gesprochen wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass privilegierte Akteur/innen sowohl Kontrolle über die eigene Repräsentation als auch über die Repräsentation der Anderen für sich beanspruchen können. Im Kontext des Aktionsprogramms konnte ich aufzeigen, dass Repräsentation immer beinhaltet, bestimmte Aspekte heraus zu streichen und Vereinfachungen vorzunehmen. Repräsentationen tragen damit immer ein machtvolles Moment in sich, indem bestimmte Dinge sichtbar gemacht werden, während andere aus der Repräsentation ausgeschlossen werden. Daran zeigt sich die Unmöglichkeit, eine „adäquate“ Repräsentation vorzunehmen (Castro Varela/ Dhawan 2007:31). Im Rahmen des Aktionsprogramms lassen sich verschiedene Bühnen oder Übersetzungsarenen verorten, auf denen Repräsentationen stattfinden, die sich durch jeweils eigene Logiken und Repräsentationspraktiken auszeichnen. Auf der ersten in diesem Kapitel thematisierten „Bühne“, dem Besuch der Senatorin in einem der geförderten Projekte, geht es in erster Linie darum, politisches Engagement zu demonstrieren und die Integrationspolitik des Senates als bürger- und praxisnah, sowie als umsetzungsfähig darzustellen. Auf der Bühne der Bilanzveranstaltung hingegen sollen der Öffentlichkeit beispielhafte „Wege aus der Defizitfalle“ aufgezeigt werden. Dabei spielt die Präsentation eines neuen, potentialorientierten Integrationsansatzes sowie das Instrument der Tandempartnerschaft eine wichtige Rolle. Der Erfolg bzw. die Praxisrelevanz dieser Herangehensweise wird durch eine Präsentation der „best practice Projekte“ auf dieser Veranstaltung demonstriert. Dem Vorwurf der „akademischen Abgehobenheit“ des propagierten potential- und partizipationsorientierten Ansatzes wird durch

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die Einbindung der jugendlichen Teilnehmer eines Projekts begegnet. Diese männlichen Jugendlichen geben der Veranstaltung die notwendige Authentizität. Alle an diesem Aktionsprogramm beteiligten Akteur/innen beherrschen dabei die Kunst, kontextabhängig die jeweilige Logik und die damit verbundenen Repräsentationspraktiken zu aktivieren. Dass ein permanentes Wechseln zwischen den einzelnen Übersetzungsarenen möglich ist, offenbart, dass die Akteur/innen sich sehr wohl darüber im Klaren sind, mit welchen Praktiken sich das Paradox der Übersetzung aufrechterhalten lässt.

10.4 P ROZESSE DES D IS -A SSEMBLING R E -A SSEMBLING

UND

Die Wahl des Berliner Aktionsprogramms als „Aussichtspunkt“ beziehungsweise als „Fenster“ auf eine integrationspolitische Intervention ermöglicht einen überaus spannenden Einblick in das soziale Leben dieser spezifischen Politik. Betrachtet man darüber hinaus („Integrations“-)Politiken mit dem konzeptuellen Werkzeug der Assemblage, so ermöglicht dies eine Sichtweise, durch welche die diese Assemblage durchziehenden Logiken und (Macht)Kräfte aufgezeigt werden können (vgl. Schwertl 2013:108). Die Verwendung dieses Forschungsansatzes lenkt überdies die Aufmerksamkeit auf alle an dieser Policy beteiligten Akteur/innen und verortet hier aktivierte Diskurse, Ressourcen und Machthierarchien in ihren jeweiligen Kontexten. Hier verbinden sich integrationspolitische Konzepte und Diskurse, unterschiedliche räumliche und soziale Verortungen sowie diverse Akteur/innen miteinander. Sie alle stehen in Interaktion mit den beschriebenen Verwaltungsvorgängen und werden dadurch Teil einer politischen Intervention, welche interkulturelle Öffnung vorantreiben will. Durch die Erfassung des Aufeinandertreffens bzw. der Interaktion (encounter) der verschiedenen in dieser Assemblage aktiven Komponenten kann veranschaulicht werden, wie eine Policy als Regierungsinstrument wirkt und wie diese konkrete Policy durch die verschiedenen Akteur/innen in ihrer jeweiligen Situiertheit verstanden wird. Die Analyse dieses Wirkungskomplexes als Assemblage mit all ihren Bestandteilen macht es erst möglich, die Effekte von politischen Interventionen in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen, ohne die Komplexität und Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen Praktiken negieren zu müssen. Deutlich wird dabei: Politik sollte nicht nur als Regierungswerkzeug, sondern als lebendiger, weitaus komplexerer, sich immerzu wandelnder Prozess verstanden werden (Shore/ Wright 2011:20). Die multiperspektivische Analyse, die in dieser

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Studie eingenommen wird, ermöglicht es, den Fokus auf die Zwischenräume zu richten, die für die Aushandlung von „Integrationspolitik“ so wesentlich sind. Staatlichen Interventionen liegen immer eine oder mehrere Problematisierungen zugrunde, die mit Hilfe einer Intervention aufgehoben werden sollen. Im Fall des Berliner Aktionsprogramms soll das Instrument der interkulturellen Öffnung als eine Art „Verbindungsinstrument“ disparate Institutionen und Ebenen sowie verschiedene Räume miteinander verknüpfen. So ist es ein erklärtes Ziel der Senatsverwaltung, die bestehenden verkrusteten Strukturen zwischen des Ebene einer Landespolitik und der Politik der Bezirke einerseits und in der Struktur der Förderinstitutionen andererseits zu überwinden und mittels dieses überbezirklichen Aktionsprogramms institutionalisierte Träger zu einer Zusammenarbeit mit Migranten(selbst)organisationen zu bewegen. Weiterhin kristallisiert sich im Verlauf des Programms immer stärker heraus, dass das überwiegend negativ besetzte Bild der männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit Hilfe dieser politischen Intervention gewendet werden soll. Bei der Übersetzung dieser Ziele in das soziale Leben des Aktionsprogramms kommt es einerseits zu Interaktionen zwischen den einzelnen Akteur/innen, andererseits spielen auch Aushandlungsprozesse eine Rolle, in denen sich nicht menschliche Komponenten wie finanzielle Ressourcen, kulturelle oder verwaltungstechnische Wissensbestände, das professionelle Wissen der Sozialarbeit etc. zu immer wieder wandelbaren Einheiten neu verbinden. Anhand der Aushandlungen, die durch diese politische Intervention angestoßen werden, lässt sich aufzeigen, dass hier weitaus mehr Komponenten zusammenspielen, als dies zunächst den Anschein hat. Während ich den Interaktionen im Rahmen der „interkulturellen Öffnung“ in Kapitel 7 näher nachgegangen bin konnte ich in Kapitel 8 und 9 aufzeigen, wie durch unterschiedliche Komponenten, verschiedene Wissensformen und Zugänge die Aushandlungen zu „Respekt“ und „Ausschluss“ als zentrale Kriterien für die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft geprägt werden. Wie ich in dieser Studie aufgezeigt habe laufen die Prozesse des Assembling keineswegs unilinear und nur selten konfliktfrei ab. Vielmehr sind sie gekennzeichnet durch ein Auseinanderdriften (dis-assembling) sowie durch immer wieder neue Aneinanderfügungen (re-assembling). Rabinows Idee der Assemblage als sich zusammensetzendes Gefüge bzw. als „sich ereignende Form“ hilft dabei, das soziale Leben dieser Politik besser zu verstehen. Widersprüchlichkeiten sowie die Polyphonie der in der Assemblage auftretenden Stimmen können dadurch als konstitutives Element wahr- und ernstgenommen werden. Deutlich wird auch: durch diese Prozesse des Assembling wird eine Entkoppelung von politischer Idee und praktischer Umsetzung verhindert. Die im Rahmen des Aktionsprogramms erfassten Repräsentationspraktiken dienen als eine

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Strategie, auf den ersten Blick disparat erscheinende Welten zusammen zu halten, beziehungsweise diese miteinander zu verbinden. Sie sind damit ein wichtiger Teil eines Assembling-Prozesses, welcher die Assemblage lebendig erhält. Prozesse des Assembling sollten bei der Analyse dieser politischen Intervention daher nicht als Nebenschauplatz, sondern vielmehr als zentraler Bestandteil betrachtet werden. Da diese Praktiken des Zusammenfügens (assembling) auch unterschiedliche Räume und institutionelle Ebenen erfassen, führt dies unweigerlich zu einer Perspektivenerweiterung – ein Effekt, der durchaus als weiteres Ziel der politischen Intervention des Aktionsprogramms verstanden werden kann. So werden nicht nur zwischen den verschiedenen Vereinen, sondern auch zwischen Landes- und Bezirksebene und zwischen den einzelnen Berliner Bezirken neue Kommunikationskanäle angebahnt. Dadurch dass die angestrebten Kooperationen nicht reibungslos ablaufen, sowie große Differenzen bei der Aushandlung von zentralen Konzepten wie Respekt zu Tage treten, kann die Komplexität und die Widersprüchlichkeit dieser Assemblage besonders gut herausgearbeitet werden.

10.5 L EERSTELLEN

DER

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Beobachtet man die Praxis der Umsetzung von Integrationspolitiken wird deutlich, dass die hier aktivierten Repräsentationen in ihrer Darstellung der Wirklichkeit zwangsläufig vereinfachen. Darüber hinaus zeichnet sich eine Tendenz dazu ab, die Polyphonie der Stimmen in der Repräsentationsarbeit zu glätten. Als Konsequenz daraus zeigen sich bestimmte Leerstellen der Repräsentation. Diese Leerstellen betreffen größtenteils Schwierigkeiten, die im Programmverlauf auftreten. Meist sind dies Widersprüchlichkeiten, welche die alltägliche Praxis durchziehen, aber im Rahmen einer Repräsentation nicht in ihrer Komplexität aufgezeigt werden können. Die innerhalb einer Assemblage selbstverständlichen Prozesse des Hin und Her lassen sich offensichtlich nur schwer in eine Repräsentationslogik überführen, welche auf eindeutige, „schlagkräftige“ Botschaften abzielt. Da ich in dieser Studie nicht darauf angewiesen bin, einer auf Erfolg ausgerichteten Repräsentationslogik zu folgen, möchte ich im folgenden Abschnitt abschließend den Blick auf diejenigen Leerstellen der Repräsentation richten, welche in der ethnografischen Begleitung des Programms als durchaus bedeutsam wahrgenommen werden können. Der Eindruck, dass es sich bei diesem Aktionsprogramm in den Augen der Verwaltung um ein „schwieriges“ Programm handelt, das nicht zur größten Zufriedenheit der Verwaltungsmitarbeiter/innen durchgeführt wird, begleitet mich

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auf meiner gesamten Feldforschung. Die generelle Unzufriedenheit in der Behörde resultiert in meinen Augen aus einer Unvereinbarkeit der als innovativ angesehenen integrationspolitischen Ziele mit einer Praxis, in der die jeweiligen Projekte ihre gewohnte Arbeit fortsetzen. „Also jeder macht eigentlich ein bisschen das, was er sowieso macht. Aber wenig mit der vermittelten Zielsetzung, auf die es halt ankommt im Aktionsprogramm. Und das ist auch ein bisschen kompliziert, natürlich.“ (Interview Frau Scheel, Evaluatorin)

Den Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten ist schon zu Beginn des Aktionsprogramms durchaus bewusst, dass aufgrund der zeitlichen Befristung des Programmes keine grundlegenden Neuerungen erwartet werden können, da eine integrationspolitische Neuausrichtung einen längeren Atem benötigt. Dennoch erhalten sie durch die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales sowie den Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses den Auftrag, dieses Aktionsprogramm zu konzipieren und durchzuführen. Sie folgen damit dem politischen Zwang „etwas zu tun“ und fügen sich ein in die Logik der Repräsentation, welche die durch die rot-rote Koalition angestoßenen integrationspolitischen „neuen Wege“ in das Zentrum stellt (siehe Kapitel 5.4). Allein der grundlegende Widerspruch zwischen dem Wissen, dass integrationspolitische Neuerungen nur langsam eingeführt werden können und der Notwendigkeit, schnell politische Erfolge zeigen zu müssen führt zwangsläufig zu einem Konflikt, wenn die Besonderheiten des Aktionsprogramms von den Behördenmitarbeiter/innen oder der Evaluatorin nach außen hin vertreten werden sollen. Jedoch auch innerhalb dessen, was die Projekte „sowieso machen“ kommt es bei der Repräsentation zu bestimmten Auslassungen und Verschiebungen. Ein zentrales Kriterium, an dem der Erfolg des gesamten Programms, aber auch der Erfolg der einzelnen Projekte, bemessen wird, ist die Anzahl der erreichten Personen. In der Evaluationsbroschüre wird darauf verwiesen, dass „[…]insgesamt nahezu 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unmittelbar in ihren Projekten, etwa 2.000 Personen im Umfeld (durch Workshops an Schulen, Klassenbesuche etc.) und etwa 4.400 Gäste durch projektbezogene Feste und Ausstellungen erreicht [wurden]. Mehr als 16.000 Menschen konnten damit vom Aktionsprogramm profitierten.“ (IntMig 2010a:25)

Die Teilnehmerzahlen spielen in der Logik des Evaluationsberichtes eine übergeordnete Rolle, da sie den „Erfolg“ des Programms quantifizieren. Hierbei geht es in erster Linie um eine Legitimation der bewilligten Gelder.

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Diese Gleichsetzung des Erfolgs eines Projekts mit der Höhe der Teilnehmerzahlen wird in allen von mir begleiteten Projekten verinnerlicht. Dass, zumindest zu Beginn der Projektlaufzeiten, häufig nur wenige Projektteilnehmer und -teilnehmerinnen gewonnen werden können, führt daher zu einem „Spiel mit den Zahlen“. So weist mich ein Projektleiter vor einer Pressekonferenz darauf hin, dass er nachher ein wenig mit Zahlen jonglieren müsse: „nur dass Du Dich nicht wunderst. Das ist halt so, dass wir das machen müssen“. Potentielle zukünftige Teilnehmer(innen), eventuell interessierte Jugendliche oder Freunde werden in der Teilnehmerstatistik hinzugerechnet oder trotz einmaliger oder sporadischer Besuche eine regelmäßige Teilnahme vorweggenommen, um die Teilnehmerzahlen des Projekts nach oben zu korrigieren. Gleichzeitig verdeutlichen die Projektleiter/innen mir gegenüber immer wieder, dass sich der Erfolg eines Projekts eben gerade nicht an der Zahl der Teilnehmer/innen ablesen lässt, sondern damit zusammenhängt, was der oder die Einzelne aus diesen Treffen für sich gelernt oder mitgenommen hat. Projektintern wird somit deutlich gegen die Logik eines schnell vorzeigbaren und leicht zu quantifizierenden Erfolgs argumentiert. „Als das Programm losging, gab‫ތ‬s ja nicht ‫ތ‬nen Katalog: ‚Wenn sie das und das erreichen, dann sind sie erfolgreich‘, oder: ‚wenn sie das und das nicht erreichen, dann sind sie nicht erfolgreich‘. Insofern ist Erfolg zum einen nicht definiert unter den ganzen Akteuren, auf der anderen Seite halte ich ihn auch für schwierig. Und Erfolg würden die Institutionen entsprechend unterschiedlich definieren. Also, für die Senatsverwaltung ist Erfolg möglicherweise etwas anderes, als wie für uns, die im Projekt mit den jungen Menschen arbeiten. Insofern kann ich sagen, also Erfolg ist für mich schon an dem Punkt gegeben, wo die Jugendlichen oder die Heranwachsenden eine Verbindlichkeit aufgebracht haben, zu den Treffen zu kommen. Das ist für mich schon mal Erfolg. Es gab viele andere Erfolgserfahrungen in dem Projekt: einen Workshop zu planen, durchzuführen und im Nachgang dann bei den Treffen möglicherweise zu sagen: ‚Haben wir gut gemacht, hat uns Spaß gemacht, auch wir haben etwas gelernt‘. Schon allein diese Aussagen haben für mich etwas mit Erfolg zu tun, nicht mein persönlicher, sondern möglicherweise der für die Teilnehmer, wo sie auch nochmal für sich Erfolg empfinden. Und ich kann sagen, ja für das Projekt ist das genauso.“ (Interview Nasir Kurt, Projektleiter)

Da in der öffentlichen Repräsentation des Projekts notgedrungen eine Reduktion des häufig chaotischen, widersprüchlichen Alltags vorgenommen werden muss, sind die Projektverantwortlichen naheliegender Weise bestrebt, die positiven Tendenzen ihrer Projektarbeit herauszustreichen und Fehlschläge oder komplizierte Zickzack-Kurse zu verschleiern. Beispielsweise wird in der Repräsentation

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eines Projektes darauf verwiesen, dass ein Projektteilnehmer eine schulische Weiterbildung macht und sich damit den Weg für seine berufliche Zukunft ebnet; nicht thematisiert wird hingegen, dass er nur unregelmäßig am Unterricht teilnimmt und daher Gefahr läuft, vom weiteren Unterrichtsbesuch suspendiert zu werden. Auch wenn sich die Projektleiter/innen der Vielschichtigkeit des Konzeptes „Erfolg“ durchaus bewusst sind, wird für die öffentliche Repräsentation der Projekte bewusst ausgeblendet, dass Jugendliche häufig nicht zu den vereinbarten Treffen erscheinen und manchmal andere, nicht projektrelevante Prioritäten setzen. Im Alltag der Jugendlichen ist es mitunter wichtiger, zum Fotoshooting für ihre neue CD zu gehen, als einen Projekttermin wahrzunehmen, auf dem der nächste Workshop vorbereitet werden soll. In einem weiteren Projekt sind die jugendlichen Teilnehmer über weite Strecken hinweg zwar anwesend, nehmen aber bevorzugt die Rolle von passiven Beobachtern und Kommentatoren aus dem Hintergrund ein, während die Diskussionen und Planungen von den anwesenden Sozialarbeiter/innen übernommen werden. Dennoch wäre es zu einseitig, diese Jugendlichen als „unbeteiligt“ oder „desinteressiert“ darzustellen. Die Komplexität eines Projektalltages kann nicht in der Repräsentation eines Projekts abgebildet werden, ohne dass gewisse Verschiebungen vorgenommen werden. Ob ein Projekt zu einem in der öffentlichen Wahrnehmung „schlagkräftigen“ best-practice-Beispiel werden kann, liegt daher zu einem großen Teil an den gewählten Repräsentationspraktiken, der damit erzielten Übersetzungsleistung und den dabei gewählten Akzenten durch die Mitarbeiter/innen eines Projekts. Nur zu einem weitaus geringeren Teil kommt es in der Repräsentation des Projektes auf die im Projekt abgelaufenen Aktivitäten an. Für die allgemeine Wahrnehmung ausschlaggebend ist vielmehr die Übersetzungsleistung, durch die dieses Projekt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Schwierigkeiten, die eine Vielzahl der Projekte mit den Abrechnungsformalitäten der Verwaltung hat, werden in der Repräsentation des Aktionsprogramms ebenso kaum thematisiert. Diese Schwierigkeiten sind so gravierend, dass die Auseinandersetzung mit bürokratischen Vorgaben einen großen Anteil der den Projektmitarbeiter/innen zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch nimmt. Ein Projektleiter gibt an, die Hälfte seiner Arbeitszeit mit „Schreibtischarbeit“ zu verbringen, so dass ihm viel zu wenig Zeit für die Arbeit mit den Jugendlichen bleibt. Auch in weiteren Projekten wird über die Unübersichtlichkeit und den damit verbundenen Aufwand der bürokratischen Abläufe geklagt. „Was wollen ‚die‘ [gemeint ist die Verwaltung] denn?“ war eine auch mir gegenüber häufig geäußerte Frage. Auf Seiten der Verwaltung führt diese Überforderung bei bürokratischen Abläufen zu größerer Verwunderung. Die Mitarbeiter/innen der Ver-

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waltung setzen einfach voraus, dass sich die bürokratischen Formalitäten „von selbst erklären“ und von ihrer Seite aus keine Zeit in weitere Erläuterungen investiert werden muss. Damit unterliegen sie jedoch einer generellen Fehleinschätzung. Sie erkennen nicht, dass das gegenseitige Unverständnis zwischen Verwaltung und Projektleiter/innen in Bezug auf die bürokratischen Formalitäten die Umsetzung des Programms ganz wesentlich prägt. Die Evaluatorin Frau Scheel verweist im Interview auf diese grundlegenden Verständnisschwierigkeiten bei der Verwaltung, wenn sie sagt: „Die Mitarbeiter der Verwaltung denken auch manchmal, dass das ‚einfach geht‘, ‚einfach funktioniert‘. Aber bei diesen Finanzgeschichten, da blickt man da nicht durch und hier nicht durch. Alle hatten da die Probleme! Also, da müsste man schon am Anfang die Leute extra einladen, damit sie sehen, wie man ein Projekt entwickelt. Alleine dieses Kuddelmuddel von Schriftunterlagen zu verstehen, das kann man abrechnen und das kann man nicht abrechnen. Also, das muss auch klar gegliedert und überschaubar sein. Also nicht soo kompliziert. Das ist für jemanden, der mit Projekten schon zu tun hat, schon kompliziert genug. Und dann für jemanden, der da neu anfängt ist das eigentlich unnachvollziehbar. Da geht viel Arbeitszeit drauf, da denkt die Verwaltung gar nicht dran.“ B. K-D.: „Und das konnten Sie auch nicht an die Verwaltung rückvermitteln?“ „Nein, also die sehen das halt nicht so, die denken: ‚Warum, das ist doch ganz einfach, die anderen haben‫ތ‬s doch immer verstanden, oder so‘. […] Für den Einen ist das das alltägliche Brot, der macht ja nichts anderes und der Andere muss halt viel mehr dafür aufwenden.“ (Interview Frau Scheel, Evaluatorin)

Dass die Kommunikationsschwierigkeiten, die für alle Beteiligten zu äußerst zeitintensiven Nachfragen führen und damit die praktische Umsetzung in den Projekten ganz wesentlich beeinflussen, auf der öffentlichen Bühne keine Rolle spielen, ist naheliegend. Das Unverständnis der Verwaltung für die auftretenden Probleme zeigt jedoch, dass dem grundsätzlichen Problem der verschiedenen Denk- und Sprechweisen keine große Bedeutung zugeschrieben wird. Da diese Übersetzungsschwierigkeiten in der Repräsentation des Programms ausgeblendet werden, bilden sie auch keinen Ansatzpunkt, um nach Lösungen für diese Schwierigkeiten zu suchen. Die Berliner Verwaltung wird in diesem Zusammenhang von der Evaluatorin als zu „selbstzufrieden“ kritisiert. „Die [Mitarbeiter/innen der Verwaltung] müssten mehr diskutieren. Und das hat ja auch so was Selbstzufriedenes, finde ich jetzt. So Zufriedenheit: ‚Wir haben das jetzt ja mit den

276 | V IELFALT PLUS Z USAMMENHALT Tandems‘. Das ist ja in Berlin so. Die Berliner Verwaltung ist sehr selbstzufrieden. Na ja, das finde ich so. Von daher sind sicher solche Programme auch eine Chance, weil die dann halt nachdenken, oder halt auch mal so eine Veranstaltung besuchen oder so.“ (Interview Frau Scheel, Evaluatorin)

Die durch das Aktionsprogramm angestoßenen Lernprozesse werden von der externen Evaluatorin auch als Chance für eine Weiterentwicklung der Behörde selber verstanden. Mehrere Mitarbeiter/innen der Behörde berichten resigniert, dass oftmals keine Zeit und kein Interesse daran besteht, das in den konkreten Interaktionen mit den Vereinen gewonnene Wissen weiterzugeben oder anzuwenden. Bei der Neuauflage des Aktionsprogramms wird zwar eine Besprechung anberaumt. Der zuständige Mitarbeiter äußert jedoch die Befürchtung, dass das aus den aufgetretenen Konflikten gewonnene Wissen nicht in die Umsetzung dieses Programms einfließen wird: „Die wollen ihr Programm durchziehen, am liebsten mit so wenig Konflikten als möglich, so wenig Nachfragen aus dem parlamentarischen Raum als möglich, und am Ende einfach ‚gut dastehen‘.“ (Interview Herr Nowak, Mitarbeiter der Behörde)

Die in den Repräsentationspraktiken eingeschlossene Strategie, gewisse Ausblendungen vorzunehmen, ermöglicht einerseits eine nachvollziehbare, schlüssige Darstellung. Darüber hinaus macht die Verwendung einer von allen beteiligten Akteur/innen verständlichen Sprache oder eines Meta-Codes die Repräsentation dieses Aktionsprogramms erst möglich. Die Bedeutungsoffenheit der Begriffe „Integration“ „Interkulturalität“ oder „Respekt“ ermöglicht dieses gemeinsame Sprechen. Andererseits existieren, wenn man die weitaus komplexere Zusammensetzung der gesamten Assemblage in den Blick nimmt, in der Praxis unterschiedliche Sprechweisen, Strategien und Praktiken. Die Ausblendung dieser „Sub-Codes“ erscheint zwar notwendig, um das Auseinanderbrechen der Assemblage Aktionsprogramm zu verhindern. Allerdings führt diese Ausblendung auch dazu, dass die Gründe für bestehende Schwierigkeiten nicht erkannt werden können und ein möglicher Lernprozess so erst gar nicht in Gang gesetzt werden kann.

11. Ausblick: Lernstellen statt Leerstellen der Repräsentation

In ihren abschließenden Empfehlungen fordert die Evaluatorin des Berliner Aktionsprogramms „Mut zur konstruktiven Streitkultur“ (IntMig 2010a:41). Sie bezieht diese Forderung jedoch nur auf die Zusammenarbeit zwischen den Tandempartnern und damit auf die Ebene der Vereine. Ich möchte diese Überlegung aufgreifen und auf alle im Feld der Integrationspolitik interagierenden Akteur/innen ausweiten. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass die im Feld der Integrationspolitik wirkmächtigen Übersetzungsvorgänge als solche erkannt und ernst genommen werden. Wie ich in dieser Studie aufzeigen konnte, finden diese Übersetzungsvorgänge nicht nur auf der Ebene der Vereine statt, wenn diese politische Vorgaben in ihren Vereinsalltag integrieren. Auch innerhalb der Verwaltung lassen sich Übersetzungen und die daraus resultierenden Verschiebungen nachvollziehen. Am Beispiel der street level bureaucracy (Kapitel 6) wurde deutlich, dass es dabei oftmals an Stellen zu Übersetzungen kommt, an denen diese gar nicht als solche wahr- und ernstgenommen werden. So wird beispielsweise den Sachbearbeiterinnen der Integrationsverwaltung aufgrund ihres geringen behördlichen Status keinerlei Übersetzungsmacht zugesprochen, auch wenn sie diese de facto ausüben und damit auch den Umsetzungsprozess der integrationspolitischen Intervention beeinflussen. Die Bedeutung, die in diesem Zusammenhang vorgefertigten Bildern und Zuschreibungen zukommt, sollte nicht vernachlässigt werden. Dass es an der Schnittstelle von Verwaltung und Praxis zu Übersetzungen des ursprünglichen politischen Konzeptes kommt, ist nicht weiter verwunderlich. Problematisch wird dies erst, wenn bei der Diskussion der integrationspolitischen Vorhaben ein Teil der Übersetzungskette ausgeblendet wird. Wenn die daraus entstehenden Verschiebungen ausschließlich den Akteur/innen am Ende der Übersetzungskette angelastet werden und beispielsweise den Vereinen eine

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schlechte Umsetzung und die vertane Chance des Programms vorgehalten wird, verzerrt dies den Blick. Grundsätzlich deutlich wird, dass der Weitergabe von (Erfahrungs-)Wissen in dieser Assemblage besondere Bedeutung zukommt. Als Ressource spielt Wissen in der Interaktion der Vereine untereinander eine wichtige Rolle. Sei es das Wissen um den Zugang zu einer Zielgruppe, Wissen über Verwaltungsabläufe, Wissen um Förderpraktiken: Wissen ist in diesem Feld eine Ressource, die nur unter bestimmten Umständen mit anderen geteilt wird. Tandemkooperationen sollen zwar explizit einem besseren Wissensaustausch „auf Augenhöhe“ dienen. Dass dieser Wissensaustausch jedoch in den Tandempartnerschaften durch existierende Machtasymmetrien geprägt ist, habe ich in Kapitel 7 aufgezeigt. Hierarchien behindern auch die Übermittlung von Wissen zur Umsetzung des integrationspolitischen Instrumentes der „Tandempartnerschaften“ innerhalb der Verwaltung. Deutlich wird, dass der Weitergabe von Erfahrungswissen über die Ungereimtheiten in der Umsetzung dieser Politik keine sehr hohe Priorität eingeräumt wird. Zwar soll durch die begleitende Evaluation eine offensichtliche Wissenslücke zwischen Praxis und Verwaltung überbrückt werden. Berücksichtigt wird dabei jedoch nicht, dass auch die Evaluatorin gerade durch ihre Rolle als „Bewerterin“ nicht dazu prädestiniert ist, eine Logik des Erfolgs zu durchbrechen. Zudem richtet sich der Evaluationsauftrag ausschließlich auf die Arbeit der Projekte und kann damit nicht das gesamte Zusammenspiel aller Akteur/innen erfassen. Die Weitergabe von Erfahrungswissen aus den Projekten an die Verwaltung unterliegt damit einem Selektionsprozess. Dieser Vorgang ist den Akteur/innen aus der Verwaltung nicht unbekannt und die Mitarbeiter/innen des Integrationsbeauftragten sind bemüht, diese Lücke durch persönliches Engagement auszufüllen. Allerdings führt dies nicht unbedingt dazu, dass innerhalb der Verwaltung Wissen ungehindert weitergereicht wird. Vielmehr verbleibt das aus den Kontakten mit der Ebene der Vereine erworbene Wissen häufig auf der jeweiligen Ebene. Da nicht davon ausgegangen wird, dass es auch innerhalb der Verwaltung zu Übersetzungsvorgängen kommt, scheint ein verwaltungsinterner Wissensaustausch nicht vorgesehen zu sein. Vielmehr führen die Zwänge und Logiken des politischen Feldes und bestehende Hierarchien in der Verwaltung zu einer Verstärkung dieser Wissenshierarchien. Wissen über die Interaktionen in der Praxis des Aktionsprogramms wird also nicht automatisch von unten nach oben weitergereicht, sondern durch diverse Prozesse gefiltert. Wird die Weitergabe von Wissen durch bestehende Hierarchien (beispielsweise in der Verwaltung) oder die Konkurrenz um Ressourcen (auf der Ebene der Vereine) verhindert, wird auf bewährte Repräsentationsmuster des Erfolgs zurückgegriffen. Eine wirkliche

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Änderung in der Zusammenarbeit kann so nicht erreicht werden. Vielmehr scheint es unausgesprochenes Übereinkommen zwischen allen beteiligten Akteur/innen zu geben, dass die in der Regel konflikthaften Auseinandersetzungen oder das weiterhin Nebeneinander-Hin-Werkeln in den einzelnen Tandemprojekten in der Öffentlichkeit nicht weiter thematisiert wird. Die alle Bereiche des Aktionsprogrammes durchziehende „Logik des Erfolgs“ lässt sich als entscheidende Handlungsrichtlinie für alle Akteur/innen aufzeigen: Insbesondere kleinere Vereine haben die Befürchtung, durch Kritik und Offenlegen der Probleme ihre finanzielle Förderung zu verlieren. Migranten(selbst)organisationen sehen in der Möglichkeit der Kooperation mit „etablierten“ Partnern ihre Chance auf Ressourcen zuzugreifen, die ihnen in der normalen Praxis nicht zugänglich sind. Sie wollen an der Ausschüttung von Fördermitteln teilheben, wollen „auch ein Stück vom Kuchen“. Aus diesem Grund sehen diese Akteur/innen davon ab, die Art und Weise, wie Tandemkooperationen ausgestaltet werden, zu kritisieren. Etablierte Träger hingegen sind an einer erfolgreichen Darstellung interessiert, da sie über diese Förderkonstellation den Zugang zu einer für sie nur schwer erreichbare Zielgruppe vermeintlich sicherstellen können. Der Integrationsbeauftragte wiederum hat Interesse daran, einen „Neuen Weg“ in der Integrationspolitik zu etablieren und die Vorreiterrolle Berlins in einer partizipativen Integrationspolitik zu unterstreichen. Alle Akteurinnen tragen so auf ihre Weise zu einer von einer „Logik des Erfolgs“ geprägten, geglätteten Repräsentation bei. Es ist in meinen Augen charakteristisch für das Feld der Integrationspolitik, dass ein Erkenntnisprozess dadurch erschwert wird, dass alle beteiligten Akteur/innen sich dieser auf Erfolg ausgerichteten Repräsentationslogik verpflichtet sehen. Diese Repräsentationslogik verwischt bestehende Differenzen, glättet Widersprüche und Konflikte und bestätigt im Grunde eher schon bestehende Einsichten („Tandems sind wichtig“) als zu wirklich neuen Erkenntnissen zu führen. Diesem Glättungsprozess, der beobachtete Widersprüchlichkeiten ausspart, werden auch die Aussagen von Wissenschaftlern unterzogen, sobald sie in der Politik Gehör finden wollen. Der Ethnologe und Migrationsforscher Werner Schiffauer beschreibt dieses Dilemma von Ethnologie und Politik, indem er hervorhebt, dass er zwar als Wissenschaftler die Komplexität und Widersprüchlichkeit seines Untersuchungsgegenstandes herausarbeiten kann. Wenn er jedoch in der politischen Öffentlichkeit eine Expertise abgibt, wird er unweigerlich eine Glättung dieser Widersprüchlichkeiten vornehmen, um nicht falsch verstanden zu werden (Schiffauer/ Rottenburg 2005:3). Auch in meiner Forschung wird deutlich, dass es nicht produktiv zu sein scheint, die Komplexitäten und Schwierigkeiten von Projekten zu thematisieren oder ironisch mit Fehlschlägen umzu-

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gehen. Durch eine Thematisierung und Diskussion von Widersprüchlichkeiten befürchtet man, potentiellen politischen Gegnern Argumente gegen eine partizipative integrationspolitische Ausrichtung zu liefern. Trotz des Wissens um die Widersprüchlichkeit der Praxis ist ein strategisches Abwägen, WIE man eine Botschaft vermittelt, zentral. Insbesondere im Zusammenhang mit Integrationspolitik lässt sich deutlich aufzeigen, dass der Art und Weise einer Repräsentation eine besondere Bedeutung zukommt, da Repräsentationen in diesem Politikfeld ein hohes Eigenleben entwickeln. Das Eigenleben der Repräsentation der Tandem-Partnerschaften hat daher ein weitaus größeres Gewicht, als ich dies zunächst angenommen hatte. Die erfolgreiche Darstellung dieser politischen Idee als „Berliner Erfolgsstory“ (siehe Kapitel 10) zeigt, dass die Idee der Tandempartnerschaft quasi losgelöst von ihrer praktischen Umsetzung als erfolgreiches Modell in der Integrationspolitik Einzug gehalten hat und auch in anderen Bundesländern wie Nord-RheinWestfalen in den integrationspolitischen Konzept-Kanon aufgenommen wird. Auch das dem Bundesinnenministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge befasst sich mit der Idee der Tandem-Kooperationen in zwei Studien (Beer/ Ernst 2012, Hunger/ Metzger 2011, Hunger/ Metzger 2013) Dabei stellt sich abschließend die Frage, worauf es bei der Entwicklung eines integrationspolitischen Konzeptes ankommt. Steht die erfolgreiche Umsetzung in der Praxis im Vordergrund oder kann ein Konzept allein als erfolgreiche Idee das integrationspolitische Feld verändern? Führt allein schon die Auseinandersetzung mit der Idee der Tandem-Partnerschaft zu einer gewandelten Herangehensweisen der Akteur/innen? Im Berliner Aktionsprogramm kam es aufgrund der Ausschreibungskriterien zu einer teilweisen gedanklichen Neuorientierung der Projektträger, da diese sich in der Folge mit der Idee einer interkulturellen Öffnung und der Praxis der Tandempartnerschaft befassen mussten. Der politische Druck, sich als Tandemprojekt zu präsentieren, führt auch bei etablierten Trägern zu einer Auseinandersetzung mit neuen Themen. Sie müssen sich im Projektverlauf Fragen der Deutungshoheit, der gerechten Ressourcenverteilung und des Empowerment stellen. Das Eigenleben einer Repräsentation ist daher nicht zu unterschätzen. Allein dadurch, dass Tandempartnerschaften im Feld der Integrationspolitik als Berliner Erfolgsgeschichte etabliert wurden bewegt sich etwas in der allgemeinen Wahrnehmung zu Partizipation von Migrantenorganisationen. Die in dieser „Politik der Integration“ aufgezeigten Widersprüchlichkeiten, Reibungen und unterschiedlichen Übersetzungsleistungen sollten dabei als wichtiger Aspekt betrachtet und nicht ausgeblendet werden. Wie sich im Verlauf meiner Forschung gezeigt hat sind den darin involvierten Akteurinnen diese Wi-

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dersprüchlichkeiten und Komplexitäten durchaus bewusst. Ich erkläre mir das Mitteilungsbedürfnis und die Offenheit meiner Interaktionspartner mir gegenüber auch damit, dass sie in der wissenschaftlichen Aufarbeitung einer solchen politischen Intervention die Chance sahen, dass diese Widersprüchlichkeiten und Repräsentationslogiken offengelegt werden und mir als Wissenschaftlerin damit die Rolle zuweisen, eben diese Widersprüchlichkeiten zu thematisieren. Die Weitergabe von Wissen und das kritische Bewusstsein für allgegenwärtige Repräsentationspraktiken und die ihnen innewohnenden Machtasymmetrien können den Verlauf und die Ausgestaltung von Integrationsprojekten grundlegend beeinflussen. Ein Erkenntnisgewinn einer ethnologischen Herangehensweise an diese Thematik liegt in meinen Augen darin, den Blick auf diese „unterbelichteten“ Zwischenräume und Übersetzungsvorgänge in der Umsetzung integrationspolitischer Vorhaben zu lenken. Integrationspolitische Interventionen brauchen also Mut zur Streitkultur, damit aus Leerstellen der Repräsentation Lernstellen für ein zukünftiges Zusammenwirken werden können.

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V ERÖFFENTLICHUNGEN

DES

B ERLINER S ENATS

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Abgeordnetenhaus (2008): Drucksache 16/11840. Kleine Anfrage der Abgeordneten Monika Thamm (CDU) zum Aktionsprogramm zur Stärkung der Vielfalt in den Kiezen. 28.02.2008 und Antwort vom 05.03.2008. Zugänglich unter: http://www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/16/KlAnfr/ ka16-11840.pdf, zuletzt aufgerufen am 02.11.2012 Abgeordnetenhaus (2009a): Vorgang 0348: „Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Integrationserfolge durch Tandemprojekte? - Ergebnisse der Evaluation (auf Antrag der Fraktion der CDU)“. Zugänglich unter: http://www. parlament-berlin.de/ados/16/IntArbBSoz /vorgang/ias16-0348-v.pdf, zuletzt aufgerufen am 02.11.2012 Abgeordnetenhaus (2009b): Vorgang 0356: „Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Ergebnisse der Evaluation der Integrationsprojekte und des zweiten Aktionsprogramms (auf Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion)“ Zugänglich unter:http://www.parlament-berlin.de/archiv16/Ausschuss _IntArbBSoz.nsf/VGEX/C125793B0037372C12576EB003012B9?OpenDoc ument, zuletzt aufgerufen am 02.11.2012 Abgeordnetenhaus (2010a): Inhaltsprotokoll der 95. Sitzung des Hauptausschusses, Haupt 16/95 vom 01.12.2010. Zugänglich unter: http://www.parlamentberlin.de/ados/16/Haupt/protokoll/h16-095-ip.pdf, zuletzt aufgerufen am 02. 11.2012 Abgeordnetenhaus (2010b): Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Andreas Köhler (SPD) vom 03. Mai 2010: „Auszubildende mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst“. Drucksache 16 / 14 386 16. Wahlperiode (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Mai 2010) und Antwort. Zugänglich unter: http://www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/16/KlAnfr/ka1614386.pdf, zuletzt aufgerufen am 02.11.2012 Abgeordnetenhaus (2010c) Vorlage der Evaluationsergebnisse zum Berliner Aktionsprogramm „Zusammenhalt stärken – Vielfalt fördern“. Berliner Abgeordnetenhaus, Rote Nummer 1130A vom 12.10.2010. Zugänglich unter: http://www.parlament-berlin.de/ados/16/Haupt/vorgang/h16-1130.A-v.pdf, zuletzt aufgerufen am 02.11.2012 Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (2009a): „Das bürgerschaftliche Engagement der Einwanderer nicht brachliegen lassen!“ Pressemitteilung vom 01.09.2009 Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (2009b): Arbeit, Bildung, Chancengleichheit. Das ABC der Berliner Integrationspolitik. Berlin.

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Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (2010a): Bilanz des Aktionsprogramms „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ 2008/ 2009 – eine Handreichung für Praktikerinnen und Praktiker. Berlin. Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (2010b): „OSZE-Toleranzbeauftragte in Berlin / Integrationsbeauftragter Piening: Schutz vor Diskriminierung und Ausgrenzung - zentrales Aufgabenfeld der Integrationspolitik“. Pressemitteilung vom 21.07.2010. Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (2012): Integrationspolitik in Berlin 2003-2012 – ein Rückblick. Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen (2005): Integration und Migration in Berlin. Empfehlungen zu den Handlungsfeldern Arbeit und Erwerbstätigkeit, Bildung und Interkulturelle Öffnung. Berlin. Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 30.04.2008: Start des zweiten Aktionsprogramms zum Integrationskonzept – Presseeinladung: „Vielfalt und Zusammenhalt in den Kiezen stärken“. Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 08.01.2008: Neues Aktionsprogramm zum Berliner Integrationskonzept aufgelegt: „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“. Pressemitteilung des Berliner Beauftragten für Migration und Integration vom 29.12.2009: „Arbeit, Bildung, Chancengleichheit ist das ABC der Berliner Integrationspolitik“.

P RESSEARTIKEL ARD (2009) Anne Will: „Die Kindergangster“, Sendung vom 05.04.2009 Berliner Kurier (2008): „Projekt Kampfsport soll die kleinen Kiez-Rambos zähmen. Senatsverwaltung lässt dafür 30 000 Euro springen“. Artikel vom 29. 07.2008 von Sascha Langenbach. Berliner Morgenpost (2008): „Präventionsarbeit. Kampfkunst gegen Aggressivität im Kiez“. Artikel vom 28. Juli 2008 von Gilbert Schomaker. Berliner Morgenpost (2009): „Eastpack schickt Problem-Kids über den Laufsteg“. Artikel vom 02.07.2009 von Maria Charlotte Exner. Berliner Zeitung (2009): „Vom Straßengangster zum Talkshowgast“. Artikel vom 09.12.2009 von Stefan Strauss. Der Tagesspiegel (2008): „Mehr Verwalter als Gestalter“. Artikel vom 01.06. 2008 von Sabine Beikler. Der Tagesspiegel (2008): „Mit neuer Schlagkraft gegen Gewalt“. Artikel vom 07.07.2008 von Tanja Buntrock.

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Der Tagesspiegel (2009): „Legal Leben – Ex-Häftlinge arbeiten als Dozenten.“ Artikel vom 17.02.2009 von Ferda Ataman. Der Tagesspiegel (2009): „Vom Knast auf den Catwalk“. Artikel vom 24. 06.2009 von Lea Hampel. Der Tagesspiegel (2009): „Ex Häftlinge: Legal Leben ist cool“. Artikel vom 30. 11.2009 von Ferda Ataman. Der Tagesspiegel (2012): „Ich bin kein Typ für Rot-Schwarz“. Interview mit dem scheidenden Integrationsbeauftragten Günther Piening vom 21.05.2012 von Sabine Beikler und Lars von Törne. Der Tagesspiegel (2012): „Der Hermannplatz“. Artikel vom 31.05.2012 von Daniela Martens. Die Tageszeitung (taz) (2009): „Lehren aus dem Knast.“ Artikel vom 28.10.2009 von Alke Wierth. Die Tageszeitung (taz) (2009): „Montagsinterview: ‚Es geht um die Frage, wer dazugehören darf‘“ vom 30.11.2009. FAZ.NET-Frühkritik (2009): „…und dann geht meine Mutter in den Knast?“ Artikel vom 06.04.2009. von Oliver Jungen. Menschen. Das Magazin. (2008): „Letzter Ausweg Rap. Wie ein Musikprojekt Hoffnung auf ein bürgerliches Leben macht.“ Artikel von Ulrich Kreikebaum, Aktion Mensch e.V.: Bonn. Neues Deutschland (2008): „Japanische Kampfkunst gegen Aggression“. Artikel vom 29.07.2008 von Stefan Otto WDR (2009): „Jugendknast oder Kuschelpädagogik“, west.art am Sonntag, Sendung vom 09.10.2009. Welt online (2008): „Kampfkunst gegen Aggressivität“. Artikel vom 29.07.2008 von Gilbert Schomaker.

13. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Visualisierung der unterschiedlichen Selbstverortung des Beauftragten für Integration und Migration des Berliner Senats und der Mitarbeiter/innen der unteren Verwaltungsebene im Juli 2009. Quelle: eigene Grafik. Abbildung 2: Schnuddel und die Arbeitsteilung auf dem Tandem. Quelle: Janosch (1990): Schnuddel. Hasenmotor kostet nix. Hamburg: Cecilie Dressler Verlag, Titelblatt. Abbildung 3: Display „Behördendschungel“ mit für die Beantragung eines Aufenthaltstitels relevanten Papieren. Ausstellung eines Projekts, November 2009. Quelle: eigenes Bild. Abbildung 4: Selbstdarstellung der Rap Crew unter ihrem Logo. Quelle: Fotografie: Leon Kahane; Logo: J&M Tong. Abbildung 5: Sixty-five-store, Wedding, November 2008. Quelle: eigenes Bild. Abbildung 6: Rapper Dursun bei my space: Quelle: www.myspace.com, 2009. Abbildung 7: Standbild aus dem Video ‚Gurkentrack‘ des Vereins Kiezpower, Wedding 2009. Quelle: Homepage des Vereins Abbildung 8: Standbild aus dem Video ‚Ghettolied‘ des Aggro-Rapper ‚Massiv‘, Berlin 2008. Quelle: http://www.myvideo.de/watch/3180740/Massiv_Ghetto lied Abbildung 9: Interviewsituation mit einem Teilnehmer des Projekts anlässlich des Besuchs der Senatorin, Juli 2008. Quelle: eigenes Bild. Abbildung 10: Weddinger Jugendliche als Zuschauer. Vorführung der Kampfsporttechniken anlässlich des Besuchs der Senatorin, Juli 2008. Quelle: eigenes Bild. Abbildung 11: Glieder einer Übersetzungskette im Rahmen des Aktionsprogramms. Quelle: eigene Grafik. Abbildung 12: Mitglieder des Projekts Neustart bei ihrer Performance. Bilanzveranstaltung des Aktionsprogramms, Dezember 2009. Quelle: eigenes Bild.

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Abbildung 13: Übersetzungs- und Repräsentationsleistungen in der Assemblage Aktionsprogramm. Quelle: eigene Grafik.

Kultur und soziale Praxis Jens Adam, Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen Anthropologie politischer Felder Dezember 2013, ca. 400 Seiten, kart., ca. 34,90 €, ISBN 978-3-8376-2263-8

Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 Februar 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2364-2

Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.) Kämpfe um Migrationspolitik Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung Januar 2014, ca. 250 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2402-1

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Kultur und soziale Praxis Heidrun Friese Grenzen der Gastfreundschaft Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage Januar 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2447-2

Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Urbane Jugendbewegungen Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt März 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2130-3

Anett Schmitz Transnational leben Bildungserfolgreiche (Spät-)Aussiedler zwischen Deutschland und Russland Oktober 2013, 294 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2328-4

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Kultur und soziale Praxis Andrea Baier »Wie soll man gesund sein, wenn man keine Arbeit hat?« Gesundheit und soziale Ungleichheit. Erfahrungen einer Frauengruppe mit einem Gesundheitsprojekt Juni 2013, 144 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-8376-2490-8

Sonja Buckel »Welcome to Europe« – Die Grenzen des europäischen Migrationsrechts Juridische Auseinandersetzungen um das »Staatsprojekt Europa« September 2013, 372 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2486-1

Ayla Güler Saied Rap in Deutschland Musik als Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerkennungskämpfen Januar 2013, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2251-5

Susann Huschke Kranksein in der Illegalität Undokumentierte Lateinamerikaner/innen in Berlin. Eine medizinethnologische Studie Mai 2013, 416 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-2393-2

Alfred Nordheim, Klaus Antoni (Hg.) Grenzüberschreitungen Der Mensch im Spannungsfeld von Biologie, Kultur und Technik

Ewa Palenga-Möllenbeck Pendelmigration aus Oberschlesien Lebensgeschichten in einer transnationalen Region Europas Januar 2014, ca. 390 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2133-4

Simon Reitmeier Warum wir mögen, was wir essen Eine Studie zur Sozialisation der Ernährung Mai 2013, 392 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-2335-2

Hannes Schammann Ethnomarketing und Integration Eine kulturwirtschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien April 2013, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2428-1

Caroline Schmitt, Asta Vonderau (Hg.) Transnationalität und Öffentlichkeit Interdisziplinäre Perspektiven April 2014, ca. 270 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2154-9

Burkhard Schnepel, Felix Girke, Eva-Maria Knoll (Hg.) Kultur all inclusive Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus August 2013, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2089-4

Juli 2013, 248 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2260-7

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