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German Pages XVI, 251 [268] Year 2020
Kathrin Pfeifle
PMI und die Frage nach dem Erfolg Eine schematheoretische Perspektive
Schriften zur Unternehmensentwicklung Reihe herausgegeben von Max J. Ringlstetter, Ingolstadt, Deutschland
In dieser Schriftenreihe werden aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Unternehmensentwicklung präsentiert. Die einzelnen Beiträge orientieren sich an Problemen der Führungs- bzw. Managementpraxis. Im Mittelpunkt stehen dabei die Themenfelder Strategie, Organisation und Humanressourcen-Management. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Max J. Ringlstetter Kathol. Universität Eichstätt-Ingolstadt
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12214
Kathrin Pfeifle
PMI und die Frage nach dem Erfolg Eine schematheoretische Perspektive Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Max Ringlstetter
Kathrin Pfeifle Hamburg, Deutschland Dissertation Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, 2020
ISSN 2628-7382 ISSN 2628-7404 (electronic) Schriften zur Unternehmensentwicklung ISBN 978-3-658-31815-4 (eBook) ISBN 978-3-658-31814-7 https://doi.org/10.1007/978-3-658-31815-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Geleitwort
V
GELEITWORT Mergers & Acquisitions (M&A) gelten in der heutigen Wirtschaftswelt als zentrales Instrument der strategischen Unternehmensführung, mit dem signifikant auf die Entwicklung einer Organisation Einfluss genommen werden kann. Doch so groß das Potential ist, hohe positive Effekte zu realisieren, so ernüchternd zeigt die hohe Zahl an gescheiterten Unternehmenstransaktionen, welch enorme Risiken mit M&A verknüpft sind. Dies betrifft in erster Line die komplexe, unsichere und dynamische Phase der Post-Merger Integration. Frau Pfeifle beschäftigt sich daher mit einer Problematik, die ebenso strategisch entscheidend wie alt bekannt ist. Strategisch entscheidend, da der Erfolg einer Akquisition ganz maßgeblich davon abhängt, wie die zu den entsprechenden Akquisitionszielen passenden Post-Merger Integrationsbemühungen performant sind. Altbekannt deshalb, da bereits seit Jahrzehnten zahllose Arbeiten rund um diese Thematik und Problematik angefertigt wurden. Nichtsdestotrotz gelingt es Frau Pfeifle in der vorliegenden Arbeit, die Thematik in innovativer Form anzugehen. Zunächst erlangt die Verfasserin Zugang zu einer Einzelfallstudie, in welcher der weltweit führende Technologiekonzern, ZF Friedrichshafen AG, als Antwort auf das anspruchsvolle, globale Umfeld und seine zukünftigen Herausforderungen das US-Unternehmen TRW Automotive übernommen hat. Mit einem Volumen von 12,4 Milliarden US-Dollar handelt es sich um eines der größten Übernahmegeschäfte im Jahr 2014. Durch die komplementäre Aufstellung der Produktportfolios galt es, den Erfolg über Marktsynergien zu erzielen, klassische Kosten-Synergien konnten nicht entscheidend sein. Entscheidend aber für die Innovation dieser Arbeit ist die Herangehensweise, den Erfolg des Integrationsprozesses nicht an unternehmensübergreifenden Kennzahlen festzumachen. Vielmehr versucht Frau Pfeifle, unter Zugrundelegung einer schematheoretischen Perspektive, den Erfolg der einzelnen definierten Integrationsprozesse selbst als Maßstab für den Erfolg der
VI
Geleitwort
Gesamtintegration zu nehmen. Hierdurch gewinnt sie die Möglichkeit, in einer theoretisch anspruchsvollen Ebene die schematheoretische Perspektive im Integrationsprozess zu durchleuchten. Dabei gelingt es ihr, einen Zusammenhang zwischen Integrationsprozess und Integrationsmaßstab herzustellen. Die von Frau Pfeifle gewählte Vorgehensweise einer „schematheoretischen Perspektive“ ist nicht nur innovativ, sondern im vorliegenden Zusammenhang ausgesprochen fruchtbar. So liefert die Arbeit wertvolle Hilfe nicht nur für die Theorie, sondern auch für die Praxis der Integration akquirierter Unternehmen.
Prof. Dr. Max J. Ringlstetter
Danksagung
VII
DANKSAGUNG An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich während der Promotion maßgeblich begleitet und auf vielfältige Art und Weise unterstützt haben. Allen voran danke ich meinem Doktorvater Professor Dr. Max J. Ringlstetter für die Möglichkeit, diesem Dissertationsprojekt in Kooperation mit der ZF Friedrichshafen AG nachgehen zu können. Insbesondere möchte ich mich ganz herzlich für das mir entgegengebrachte Vertrauen während meiner Zeit bei der ZF als auch am Lehrstuhl bedanken, ebenso wie für die gestalterische Freiheit, die es möglich machte, diese spannende Thematik so umfassend bearbeiten zu können. Ein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Günter Müller-Stewens für die Übernahme des Korreferats meiner Arbeit, für sein Interesse an diesem Projekt, für seine wertvolle fachliche Begleitung und Unterstützung während des gesamten Forschungsprojektes und sein großes Engagement. Meinem Co-Forscher, Dr. Henning Düsterhoff, danke ich für die hervorragende Zusammenarbeit im Rahmen des Forschungsprojektes und die zahlreichen fachspezifischen Dialoge, wovon diese Forschungsarbeit erheblich profitiert hat. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei allen unterstützenden Gesprächspartnern der Firma ZF Friedrichshafen AG für ihre Zeit und Bereitschaft wertvolle Einblicke in die Integrationsprozesse zu gewähren. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Herrn Jürgen Holeksa für die Ermöglichung dieses Projektes und die tatkräftige Unterstützung. In diesem Zuge gilt mein Dank auch Martin Scherzinger und seinem Team HTCO für die herzliche Aufnahme und das mir entgegengebrachte Vertrauen während meiner Zeit bei der ZF Friedrichshafen AG. Es war mir eine große Ehre, Teil des Integration Change Teams zu sein und im Rahmen des TURBO Projektes so vielfältig unterstützen zu dürfen. Mein weiterer Dank gilt allen Kollegen und Freunden, die mich auf dem Weg der Dissertation begleitend unterstützt haben. Ganz herzlich sei an dieser Stelle Kerstin
Danksagung
VIII
Törpe und Martina Kahn für ihre Mühe bei der Durchsicht des Rohmanuskripts gedankt. Bedanken möchte ich mich außerdem bei dem gesamten LSR-Team für eine lehrreiche und inspirierende Zeit. Ein besonderer Dank kommt zudem Walburga Mosburger zu für ihre hilfsbereite Art und die Unterstützung in allen organisatorischen und administrativen Fragen. Abschließend gilt mein größter Dank meinen Eltern, Elke und Martin und meinen beiden Schwestern, Christine und Stefanie für ihren Rückhalt und ihre immerwährende und verständnisvolle Unterstützung, ihre Großzügigkeit und ihren positiven Zuspruch. Danke für allen Beistand, Ermutigung und Gebet. Kathrin Pfeifle
Inhaltsverzeichnis
IX
INHALTSVERZEICHNIS Geleitwort ..................................................................................................................................V Danksagung ............................................................................................................................VII Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................ XII Tabellenverzeichnis ............................................................................................................... XIII Abkürzungsverzeichnis ...........................................................................................................XV
Einführung.......... ...................................................................................................................... 1 (a) Problemstellung und Relevanz der Thematik ..................................................................... 1 (b) Positionierung und Zielsetzung der Arbeit ......................................................................... 5 (c) Herangehensweise und Aufbau der Arbeit.......................................................................... 8
TEIL I: Theoretische Grundlagen ...................................................................................... 11 I.1. Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschung im Kontext des Erfolgs ........... 13 I.1.1 Begriffliche und thematische Grundlagen der PMI ............................ 15 I.1.1.1 Konzeptionelle Entwicklung des PMI Begriffs ..................... 15 I.1.1.2 Terminologische Spezifizierung des PMI Begriffs ................ 19 I.1.1.3 Typologisierungsansätze ........................................................ 21 I.1.1.4 Umfang des Integrationsprozesses ........................................ 24 I.1.2 Erfolg im Kontext von M&A................................................................ 25 I.1.2.1Forschungsströme der M&A Erfolgsforschung..................... 26 (a) Finance Economics School ............................................. 27 (b) Strategic Management School ........................................ 28 (c) Organizational Behavior School ..................................... 29 (d) Process School ................................................................ 30 I.1.2.2Konzeptionalisierungsansätze des Akquisitionserfolgs ......... 31 (a) Erfolgsmodell von Zollo und Meier (2008) .................... 32 (b) Erfolgsmodell von Birkinshaw et al. (2000) ................... 33 (c) Erfolgsmodell von Stahl und Voigt (2008) ...................... 35 I.1.2.3Konzepte und Arten von Erfolgskenngrößen ........................ 37 (a) Jahresabschlussbasierte Erfolgskenngrößen .................... 38 (b) Kapitalmarktorientierte Erfolgskenngrößen .................... 42 (c) Subjektive Einschätzungen des Erfolgs ........................... 45
Inhaltsverzeichnis
X
I.1.3 Grundlegende Erkenntnisse bisheriger Forschungsbemühungen ........ 47 I.1.3.1 Strukturierung der Reviewergebnisse .................................... 49 I.1.3.2 Zentrale Themenfelder der PMI ............................................ 50 (a) Kontext ............................................................................. 50 (b) Sozio-kulturelle Integration ............................................. 54 (c) Strukturelle Integration .................................................... 58 (d) Kognitive Prozesse ........................................................... 61 I.1.4 Zwischenfazit I ..................................................................................... 63 I.2 Ein schematheoretischer Ansatz zur Untersuchung des Post-Merger Integrationsprozesses ..................................................................................... 66 I.2.1 Schematheoretische Grundlagen........................................................... 69 I.2.1.1 Begriff und Charakteristika von Schemata ............................... 70 I.2.1.2 Kategorisierungstypologien von Schemata .............................. 73 I.2.1.3 Funktionen und Funktionsweise kognitiver Schemata ............. 74 I.2.1.4 Veränderung kognitiver Schemata ............................................ 77 I.2.2 Kollektive Schemata ............................................................................. 79 I.2.2.1 Grundlagen kollektiver Schemata ............................................ 79 I.2.2.2 Bedeutung von “kollektiv“ ....................................................... 81 I.2.2.3 Inhalte kollektiver Schemata .................................................... 84 I.2.2.4 Einfluss kollektiver Schemata auf das Outcome ...................... 87 I.2.2.5 Die Entwicklung kollektiver Schemata .................................... 88 I.2.3 Angrenzende Forschungsfelder ............................................................ 89 I.2.3.1 Mentale Modelle ....................................................................... 90 I.2.3.2 Organisationale Routinen ......................................................... 92 I.2.3.3 Organisationales Lernen/Wissen .............................................. 94 I.2.3.4 Organisationale Identität........................................................... 95 I.2.4 Zwischenfazit II .................................................................................... 97
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG .......................................................... 99 II.1
Research Setting ........................................................................................... 100 II.1.1 Kurzportrait der Transaktionspartner................................................. 102 II.1.2 Dealspezifika und zentrale Herausforderungen ................................. 105 II.1.3 Kontext der Transaktion .................................................................... 106
Inhaltsverzeichnis
II.2
XI
Untersuchungsdesign und Methodik ............................................................ 109 II.2.1 Empirisches Forschungsdesign.......................................................... 110 II.2.2 Methodische Aspekte der empirischen Untersuchung....................... 113 (a) Datenerhebung............................................................................. 113 (b) Datenanalyse ............................................................................... 122 (c) Gütekriterien qualitativer Forschung........................................... 134
II.3
Ergebnisse der empirischen Erhebung ......................................................... 138 II.3.1 Prozessverlauf der Integration ........................................................... 139 (a) Kontextuelle Einflussfaktoren ..................................................... 141 (b) Zentrale Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten...................... 143 (c) Kommunikation im Prozessverlauf ............................................. 159 (d) Emotionale Entwicklungen im Prozessverlauf ........................... 160 II.3.2Kollektive Schemata im Kontext der M&A Integration .................... 161 II.3.3Die Entwicklung kollektiver Schemata – ein Prozessmodell ............ 173 (a) Die Entwicklung kollektiver Schemata auf lokaler Ebene .......... 175 (b) Die Interaktion und Rolle kollektiver Schemata ......................... 179 (c) Negative Dynamiken des Prozessmodells ................................... 184 II.3.4Der Einfluss kollektiver Schemata auf den Integrationserfolg .......... 187
II.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse .............................................. 192 II.4.1 Theoretische Implikationen ............................................................... 193 (a) Implikationen zur PMI Literatur ................................................. 193 (b) Implikationen zur Schema Literatur............................................ 195 (c) Fallstudienuntersuchung .............................................................. 202 II.4.2 Management Implikationen ............................................................... 203
Schlussbetrachtung .............................................................................................................. 209 (a) (b) (c)
Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse ................................................................ 209 Limitationen.................................................................................................................. 212 Ausblick und Anknüpfungspunkte an weitere Forschungsbemühungen ...................... 216
Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 221
Abbildungsverzeichnis
XII
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. E-1:
Aufbau der Arbeit .............................................................................................. 8
Abb. I-1:
Aufbau der PMI Grundlagen ........................................................................... 12
Abb. I-2:
Integrationstypologien ..................................................................................... 23
Abb. I-3:
Erfolg nach Zollo und Meier (2008) ................................................................ 32
Abb. I-4:
Erfolg nach Birkinshaw et al. (2000) ............................................................... 33
Abb. I-5:
Task und Human Integration............................................................................ 35
Abb. I-6:
Erfolgsmodell nach Stahl und Voigt (2008) .................................................... 36
Abb. I-7:
Bezugspunkte und gemessene Effekte von Ereignisstudien ............................ 43
Abb. I-8:
Strukturierung der PMI Erfolgsforschung ....................................................... 49
Abb. I-9:
Aufbau der schematheoretischen Grundlagen ................................................. 68
Abb. I-10:
Der Wahrnehmungszyklus nach Neisser ......................................................... 76
Abb. II-1:
Aufbau der Forschungsfallstudie ................................................................... 100
Abb. II-2:
Basisdesigns in der Fallstudienforschung ...................................................... 113
Abb. II-3:
Zeitleiste der empirischen Erhebung ............................................................. 114
Abb. II-4:
Vorgehensweise Datenanalyse ....................................................................... 123
Abb. II-5:
Narrative Strategy am Beispiel Aftermarket.................................................. 129
Abb. II-6:
Visual Mapping & Temporal Bracketing Strategy ........................................ 131
Abb. II-7:
Phasen im Integrationsprozess der ZF TRW ................................................. 140
Abb. II-8:
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 1 ................................ 144
Abb. II-9:
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 2 ................................ 149
Abb. II-10:
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 3 ................................ 154
Abb. II-11:
Zielveränderung und Second-Order Change ................................................. 159
Abb. II-12:
Der Entwicklungsprozess kollektiver Schemata ........................................... 174
Abb. II-13:
Die Entwicklung kollektiver Schemata auf lokaler Ebene ............................ 175
Abb. S-1:
Aufbau der Schlussbetrachtung ..................................................................... 209
Tabellenverzeichnis
XIII
TABELLENVERZEICHNIS Tab. I-1:
Ausgewählte Definitionen der Integration....................................................... 17
Tab. I-2:
Systematisierung der M&A Forschung ........................................................... 27
Tab. I-3:
Klassifikation jahresabschlussbasierter Kennzahlen ....................................... 40
Tab. I-4:
Definitionen von Schemata.............................................................................. 71
Tab. I-5:
Kollektive Schemata in Anlehnung an Busch/Lorenz (2008) ......................... 86
Tab. I-6:
Der Einfluss kollektiver Schemata auf die Performance ................................. 87
Tab. I-7: Gegenüberstellung mentaler Modelle und Schemata ...................................... 91 Tab. II-1:
ZF und TRW in der Übersicht ....................................................................... 104
Tab. II-2:
Globale Megatrends in der Automobilindustrie ............................................ 108
Tab. II-3:
Szenarien der Marktdisruption ...................................................................... 109
Tab. II-4:
Interviewteilnehmer in der Übersicht ............................................................ 119
Tab. II-5:
Interviews nach Firma, Hierarchielevel und Erhebungszeitraum.................. 120
Tab. II-6:
Eventchronologie am Beispiel Aftermarket................................................... 125
Tab. II-7:
Gütekriterien qualitativer Forschung ............................................................. 137
Tab. II-8:
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 1 ..................................... 148
Tab. II-9:
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 2 ..................................... 152
Tab. II-10:
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 2 (Fort.).......................... 153
Tab. II-11:
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 3 ..................................... 158
Tab. II-12:
Kollektive Schemata – Workstream Aftermarket .......................................... 164
Tab. II-13:
Kollektive Schemata – Workstream IT .......................................................... 165
Tab. II-14:
Kollektive Schemata – Workstream Operations ............................................ 166
Tab. II-15:
Kollektive Schemata – Workstream R&D und Governance.......................... 167
Tab. II-16:
Kollektive Schemata – Workstream Sales/Market ........................................ 168
Tab. II-17:
Kollektive Schemata – SteerCo ..................................................................... 169
Tab. II-18:
Strukturierung der kollektiven Schemata ...................................................... 172
Tab. II-19:
Beispielhafte Zitate der Standortbestimmung und des Big Pictures ............. 177
Tabellenverzeichnis
XIV
Tab. II-20:
Beispielhafte Zitate der Konfrontation und Synthese .................................... 179
Tab. II-21:
Repräsentative Interviewaussagen – Task Integration ................................... 187
Tab. II-22:
Repräsentative Interviewaussagen – Human Integration .............................. 189
Tab. II-23:
Evaluierung des Workstream-Erfolgs ............................................................ 190
Tab. II-24:
Performance Evaluation der Workstreams..................................................... 191
Abkürzungsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb.
Abbildung
Abs.
Absatz
ALM
Application Lifecycle Management
Aufl.
Auflage
AWM
All Workstream Meeting
bspw.
beispielsweise
BoB
Best of Both
BU
Business Unit
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CEO
Chief Executive Officer
CIMO
Chief Integration Management Officer
CIO
Chief Information Officer
CIS
Continuous Improvement System
d.h.
das heißt
DIV
Division
ebd.
ebenda
EMG
Executive Meeting
etc.
et cetera
et.al.
et alteri/ et alii
EU
Europäische Union
evtl.
eventuell
f.
folgende
ff.
fortfolgende
FMS
Financial Management System
F&E
Forschung & Entwicklung
GDF
Global Domain Function
ggfs.
gegebenenfalls
XV
Abkürzungsverzeichnis
HR
Human Resources
Hrsg.
Herausgeber
ICM
Integration Change Management
IFRS
International Financial Reporting Standards
IMO
Integration Management Office
i.d.R.
in der Regel
i.S.
im Sinne
KAM
Key Account Management
M&A
Mergers and Acquisitions
NAFTA
North American Free Trade Agreement
NMS
New Management System
OEM
Original Equipment Manufacturer
OHI
Organizational Health Index
PLM
Product Lifecycle Management
PMA
Production Management Assessment
PMI
Post-Merger Integration
R&D
Research & Development
S.
Seite
sog.
sogenannte
Sp.
Spalte
SteerCo
Steering Commitee
Tab.
Tabelle
u.a.
unter anderem
US-GAAP
Generally Accepted Accounting Principles
vgl.
vergleiche
vs.
versus
WS
Workstream
z.B.
zum Beispiel
z.T.
zum Teil
zw.
zwischen
XVI
Einführung
1
EINFÜHRUNG „As the social world under any aspect whatsoever remains a very complicated cosmos of human activities, we can always go back to the „forgotten man“ of the social sciences, to the actor in the social world whose doing and feeling lies at the bottom of the whole system.“ (Schutz 1964, S. 6f.)
(a) Problemstellung und Relevanz der Thematik Mergers & Acquisitions1 als zentrales Instrument strategischer Neuausrichtung und organisatorischer Erneuerung ist längst in der Mitte organisationalen Handelns angekommen.2 Doch entgegen der hohen Popularität und strategischen Bedeutsamkeit von M&A in der Managementpraxis zeichnen empirische Erhebungen für gewöhnlich ein negatives Bild von M&A.3 Bestenfalls scheinen Unternehmenszusammenschlüsse gemischte Ergebnisse für die jeweiligen Interessensvertreter hervorzubringen. So realisieren die Aktionäre der akquirierten Organisation zwar häufig positive kurzfristige Wertzuwächse,4 demgegenüber muss die akquirierende Organisation jedoch bei Bekanntgabe des Zusammenschlusses ebenso wie in deren Folge vielfach sinkende Aktienkurse hinnehmen.5
1
Das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Begriffspaar Mergers & Acquisitions (M&A) hat sich bereits seit geraumer Zeit fest in den deutschen Sprachraum verankert. Ein Umstand, welcher nicht zuletzt darauf zurückgeführt werden kann, dass sich für dieses Begriffspaar bis dato kein deutsches Äquivalent konstituiert hat (vgl. Picot 2005, S. 20), noch eine allgemeingültige Definition vorliegt. Obgleich zwischen den beiden Konzepten erhebliche Unterschiede bestehen, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit der gängigen Praxis gefolgt werden, indem die Begriffe „Mergers“ und „Acquisitions“ synonyme Verwendung finden. 2 Vgl. Meynerts-Stiller/Rohloff (2015), S. 3. 3 Im Sinne eines Merger Misserfolgs mit Prozentsätzen deutlich jenseits der 50%. Vgl. bspw. die Meta-Studie von King et al. (2004). 4 Vgl. Seth (1990) 5 Vgl. Hopfmüller/Schimmer (2010), S. 176 mit Verweis auf Leeth/Borg (2000).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. Pfeifle, PMI und die Frage nach dem Erfolg, Schriften zur Unternehmensentwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31815-4_1
Einführung
2
Immer mehr Belege dafür, dass Akquisitionen nicht zuverlässig zu den gewünschten Ergebnissen führen, legen nahe, dass die kapital- und rechnungslegungsbasierte Perspektive lediglich eine unvollständige Sichtweise auf Akquisitionsprozesse und ergebnisse zu bieten vermag.6 So rücken, nicht zuletzt durch den von Jemison und Sitkin 1986 in einer Ausgabe der Academy of Management Review veröffentlichte Artikel „Corporate Acquisitions: A Process Perspective“, verstärkt Elemente der organisatorischen Verzahnung der Unternehmen in den Fokus der Betrachtung.7;8 Mit wachsender Erkenntnis, „that all value creation takes place after the acquisition“ (Haspeslagh/Jemison 1991, S. 29), wird die Gestaltung der Post-Merger Integration nach rechtsgültigem Abschluss schließlich vielfach als die für das Gelingen von Transaktionen „wichtigste“ Phase im gesamten Transaktionsprozess betrachtet.9 Diese Erkenntnis geht mit einer steigenden Zahl wissenschaftlich wie praxisbezogener Erhebungen einher.10 Jedoch kann das stets wachsende (Forschungs-)Interesse nicht lediglich auf die allgemeine Akzeptanz und strategische Bedeutsamkeit der PostMerger Integration zurückgeführt werden, sondern ebenfalls auf die mit dem Integrationsprozess unmittelbar einhergehenden Herausforderungen, welche das bisherige Verständnis über die Art und Weise, „how to achieve desired benefits from their acquisition strategies“ (Jemison/Sitkon 1986, S. 162) den Autoren zufolge maßgeblich zu beeinflussen in der Lage ist. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Integration als komplexer, dynamischer Prozess nicht nur der kontextualen Einbettung von Unsicherheit und Ambiguität unterliegt, sondern vielmehr selbst Wurzel dieser Einflussfaktoren impliziert.11
6
Vgl. Jemison/Sitkin (1986), S. 145. Vgl. Schewe/Gerds (2001), S. 76. 8 In ihrem Beitrag ergänzen die Autoren die traditionelle Perspektive mit einer Prozessperspektive, indem sie nach dem „wie“ der Wahl und Integration des Zielunternehmens und weniger nach dem den Bedingungen des Kaufs eines Zielunternehmens fragten. Vgl. Jemison/Sitikin (1986), S. 145f. 9 Vgl. Larrson/Finkelstein (1999), S. 1. 10 Vgl. bspw. Birkinshaw et al. (2000); Buono/Bowditch (1989); Haspeslagh/Jemison (1991); Nahavandi/Malekzadeh (1988) oder Pablo (1994). 11 Vgl. Jemison/Sitkin (1986), S. 162. 7
Einführung
3
Doch obgleich sich eine steigende Zahl wissenschaftlicher Forschungsbemühungen der Untersuchung der post-akquisitionalen Herausforderungen angenommen hat, besteht ein anhaltender Diskurs über die Diskrepanz einer hohen Übereinstimmung über die Bedeutung der PMI für den Erfolg einer M&A Transaktion einerseits und der nach wie vor ungelösten Frage nach dem Erfolg des PMI Prozesses andererseits. Als Ergänzung der mehrheitlich rationalen Untersuchungen der Post-Merger Integration,12 hat in letzter Zeit eine zunehmend wachsende Bewegung die kognitiven Dynamiken organisationaler Prozesse in den Mittelpunkt gerückt.13 Obwohl diese Perspektive in zunehmendem Maße an Bedeutung gewinnt, besteht einer Reihe von Autoren zufolge ein hoher Forschungsbedarf in diesem Gebiet, welcher eine Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld rechtfertigt. Wie zu zeigen sein, wird konzentrieren sich die bisherigen Veröffentlichungen weitgehend auf Verhaltensänderungen im Kontext akquisitionalen Wandels, jedoch ohne speziell darauf einzugehen wie Mitglieder einer Organisation sich selbst und ihre Organisation verstehen.14 Dabei weisen die Kognitionswissenschaften schon früh darauf hin, dass: „The world as it is experienced does not consist of events that are meaningful in themselves. Rather, cognitions, interpretations, or ways of understanding events are guided by organizing frameworks – or schemata.“ (Bartunek/ Moch 1987, S. 484) Entgegen der im Rahmen der rational-analytischen Organisationstheorie vorherrschenden Überzeugung homogener Wahrnehmungs- und Denkmechanismen unterliegt die kognitive Management- und Strategieforschung somit der Annahme, dass jeder Handlungsträger bzw. jede Organisation infolge heterogener Interpretationsmechanismen verschiedene „Bilder“ der organisationalen Realität generiert.15 Eine Tatsache,
12
Vgl. Vaara (2003), S. 859. Vgl. Isabella (1990), S. 7 und die dort angegebene Literatur. 14 Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 484. 15 Vgl. Hodgkinson/Sparrow (2002), S. 8ff. 13
Einführung
4
die insbesondere im Kontext von M&A mit besonderen Herausforderungen einherzugehen vermag. So rufen Unternehmenszusammenschlüsse nicht nur eine Vielzahl an Diskussionen und Spekulationen über organisatorische Veränderungen in der PostMerger Phase hervor,16 vielmehr implizieren bisherige organisationale und kulturelle Hintergründe sowie deren Rollen in der neuen Organisation unterschiedliche Plattformen für die Interpretation von Integrationsthemen:17 „A merger represents a context in which organizations have to resolve their differences or contradictions and have to adapt to each others routines and knowledge bases.“ (Leroy/Ramanantsoa 1997, S. 872) So gilt es im Rahmen der Post-Merger Integration i.d.R. vollkommen voneinander unabhängige Schemata zusammen zu führen.18 Doch obgleich bereits eine Vielzahl von Autoren auf die Bedeutung dieser kognitiven Perspektive im Rahmen des Integrationsprozesses verweist und deren Relevanz zur Erklärung strategischer Prozesse betont,19 handelt es sich dabei um eine bislang weitestgehend vernachlässigte Forschungsperspektive: „Despite evidence that cognition constitutes a central element of the strategy process (...), there is relatively little research on the cognitive dynamics involved in mergers (...).“ (Clark et al. 2010, S. 401)20 In Anbetracht dessen wird in jüngster Vergangenheit verstärkt für die Einnahme einer kognitiven Perspektive im Rahmen der Untersuchung post-akquisitionaler Veränderungsprozesse plädiert. 16
Vgl. Vaara (2003), S. 863. Neben einer Reihe weiterer Wissenschaftler, betonen auch Chreim und Tafaghod (2012, S. 21), dass „integration implies that many issues have to be negotiated“. 17 Vgl. Vaara (2003), S. 863. 18 Ringlstetter et al. (2006, S. 885) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Zusammenführung zu einem ‚Neuen Ganzen’.“ Die Zusammenführung ist dabei abhängig von der angestrebten Tiefe der Integration. Vgl. Kapitel I.1.4. 19 Vgl. Clark et al. (2010), S. 401; Chreim/Tafaghod (2012), S. 6; Siehe auch Schwenk (1988); Huff (1990); Gioia/Thomas (1996). 20 Siehe auch Schwenk (1988); Huff (1990); Gioia/Thomas (1996).
Einführung
5
(b) Positionierung und Zielsetzung der Arbeit Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit für die Untersuchung der PMI unter Verwendung einer schematheoretischen Perspektive eine bislang weitestgehend unberücksichtigte Forschungsperspektive eingenommen werden. Von übergeordneter Bedeutung ist dabei das Bestreben, ein umfassenderes Verständnis für die einer Post-Merger Integration zugrundeliegenden Prozesse zu entwickeln. So wird diese Arbeit innerhalb der Prozessforschung positioniert. Eine organisationale Prozessperspektive untersucht, wie und warum „things emerge, develop, grow, or terminate over time.“ (Langley et al. 2013, S. 1). Eine solche Perspektive ist insbesondere für das Verständnis organisationaler Phänomene relevant, die Komplexität, Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit und Ambiguität beinhalten – Charakteristiken, die allesamt für eine Post-Merger Integration typisch sind. So betonen bspw. Haspeslagh und Jemison (1991) die für den Erfolg eines Unternehmenszusammenschlusses hohe Wichtigkeit der Prozessperspektive, indem „key differences between acquisition success and failure lie in understanding and better managing the processes by which acquisition decisions are made and by which they are integrated.“ (Haspeslagh/Jemison 1991, S. 3)
Basierend auf der – im Rahmen der empirischen Sozialforschung häufig Mohr (1982) zugeschriebenen – Differenzierung von varianz- und prozessorientierten Forschungsansätzen des strategischen Managements,21 lassen sich in Anlehnung an Van de Ven und Poole (1995) grundsätzlich folgende drei Sichtweisen unterscheiden:
21
Varianz- und prozessorientierte Ansätze liegen verschiedenen ontologischen Grundverständnissen zugrunde. Wird (organisationale) Wirklichkeit in varianzorientierten Ansätzen in Form von Dingen erfasst („closed world ontology“), verstehen prozessorientierte Ansätze Wirklichkeiten hingegen in Form von Prozessen („open world ontology“). Vgl. Van de Ven/Poole (2005), S. 1378f.
Einführung
(i)
6
Prozess als Erklärung von Kausalzusammenhängen22
(ii) Prozess als Kategorie von Konstrukten23 (iii) Prozess als Sequenz von Ereignissen24 Laut Van de Ven und Poole (1995) handelt es sich bei der dritten, sequentiellen Sichtweise von Prozess, um das in geringstem Maße verstandene strategische Prozessverständnis – bisweilen jedoch auch das einzige, welches die „black box“ zwischen Inund Output zu öffnen vermag und eine unmittelbare Beobachtung von Veränderungen über die Zeit ermöglicht.25 Vor diesem Hintergrund fokussiert die vorliegende Arbeit auf die in der PMI-Phase vorherrschenden Integrationsprozesse26 unter Zugrundelegung des dritten Prozessverständnisses.27 Aufbauend auf den vorangehenden Ausführungen werden im Rahmen dieser Arbeit verschiedene Ziele verfolgt. So besteht ein übergeordnetes Ziel der Arbeit darin, durch die Verwendung einer schematheoretischen Perspektive zur Untersuchung postakquisitionaler Prozesse einen Beitrag zu der in der Literatur anhaltenden Debatte um PMI und die Frage nach dem Erfolg zu leisten. So soll ausgehend von einem eingehenden Überblick über den Stand der Forschung zum Thema M&A Integration zu einem besseren (managerialen) Verständnis des Integrationsprozesses beigetragen und
22
Diesem Verständnis zufolge wird der Strategieprozess als Erklärung für die Einflussnahme einer Variable durch eine andere herangezogen (Vgl. Van de Ven/Poole 2005, S. 1382f.), und stellt damit in erster Linie auf die inhaltliche, varianzbasierte Änderung einer Untersuchungseinheit ab (Vgl. Bamberger/Cappallo 2003, S. 95). 23 Dieser Ansatz zielt nicht darauf ab zu erheben wie Veränderungen zustande kommen, sondern lediglich, ob im Verlauf einer definierten Zeitperiode eine diskrete Veränderung prozessimmanenter Variablen erfolgt. Vgl. Lechner/Müller-Stewens (2000), S. 1871. 24 Im Fokus des Interesses stehen hier die auf den strategischen Prozess wirkenden entwicklungsdynamischen Kräfte sowie die Ereignissequenzen, welche er durchläuft. Vgl. Lechner/MüllerStewens (2000), S. 1871. 25 Vgl. Poole et al. (2000), S. 19. 26 Aus didaktischen Gründen werden Verbindungen und Abhängigkeiten oder Verknüpfungen zwischen den Phasen des Akquisitionsprozesses vernachlässigt, da sie ein für sich interessantes und relevantes Forschungsfeld darstellen. Wo immer nötig jedoch, berücksichtigt diese Studie den Akquisitionsprozess als Ganzes. 27 Vgl. Poole et al. (2000), S. 19.
Einführung
7
mögliche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der PMI Performance abgeleitet werden. Die Verknüpfung der beiden Forschungsströme weist insgesamt auf mehrere potentielle Schnittstellen hin, die in dieser Arbeit adressiert werden sollen. So steht insbesondere die Untersuchung der Rolle kollektiver Schemata zwischen Käufer- und Zielorganisation während der Post-Merger Integration im Fokus des Interesses, um ein Verständnis für die Auswirkungen einer gemeinsamen Übereinkunft auf das Outcome der Integration zu erhalten. Ein besonderes Augenmerk wird zudem darauf gelegt, die Rollen verschiedener Akteure zu reflektieren, die über unterschiedliche Ebenen der Organisation hinweg am Integrationsprozess beteiligt sind. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie kollektive Schemata im Verlauf des Integrationsprozesses auf unterschiedlichen organisationalen Ebenen entwickelt werden und wie diese miteinander in Beziehung stehen. Es wird an dieser Stelle als notwendig erachtet darauf zu verweisen, dass die vorliegende Arbeit nicht darauf abzielt, Erfolg zu „messen“. Vielmehr dient der in der Arbeit herangezogene qualitative, auf den Erfahrungen des Managements basierende Ansatz der Hervorhebung einer Perspektive, welche in der Literatur zu M&A Performance bis dato keine bzw. nur unmerklich Berücksichtigung gefunden hat, die jedoch einen maßgeblichen Einfluss auf die akquisitionale Performance zu verüben vermag. So ist es ferner ein übergeordnetes Ziel dieser Arbeit, ein Beispiel dafür zu geben wie weitgehend voneinander unabhängige Forschungsströme miteinander verbunden werden können, um in einem gegebenen Kontext Fortschritte zu erzielen. Die übergreifende Forschungsfrage, welche in der vorliegenden Arbeit Beantwortung finden soll, lässt sich demnach wie folgt formulieren:
Welche Rolle spielen kollektive Schemata zwischen Käufer- und Zielorganisation im Kontext des PMI Erfolgs?
Einführung
8
Die Beantwortung der Forschungsfrage soll mithilfe zweier Teilfragen konkretisiert werden. Die erste Teilfrage bezieht sich dabei auf den Entwicklungsprozess kollektiver Schemata und deren Interaktion, während Teilfrage zwei sodann auf den Einfluss Bezug nimmt, welchen kollektive Schemata auf den PMI Erfolg verüben: [1] Wie bilden sich neue kollektive Schemata im Kontext eines PostMerger Integrationsprozesses? Und wie stehen diese miteinander in Beziehung? [2] Welchen Einfluss hat die Entwicklung kollektiver Schemata auf den Erfolg einer Post-Merger Integration?
(c) Herangehensweise und Aufbau der Arbeit Der Relevanz und Zielsetzung folgend gliedert sich die vorliegende Arbeit in zwei Teile, eingerahmt von Einleitung und Schlussbetrachtung (vgl. Abb. E-1). Während Teil I die theoretische Grundlage für die zwei der vorliegenden Arbeit relevanten Forschungsfelder, PMI und Schemata, legt, bildet Teil II die empirische Untersuchung am Beispiel der Übernahme von TRW Automotive durch die ZF Friedrichshafen AG ab.
Problemstellung
Positionierung & Ziele
Aufbau der Arbeit
Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschungsliteratur
Eine schematheoretische Perspektive zur Untersuchung des PMI Erfolgs
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
I.1.1 Status Quo PMI
I.2.1 Grundlagen
II.1 Research Setting
I.1.2 PMI Erfolg
I.2.2 Shared Schemata
II.2 Design/Methodik
I.1.3 Literatur Review
I.2.3 Abgrenzung
II.3 Ergebnisse
I.1.4 Zwischenfazit
I.2.4 Zwischenfazit
II.4 Diskussion
Zentrale Ergebnisse Abb. E-1:
Limitationen
Aufbau der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung.
Ausblick
Einführung Teil I Theoretische Grundlagen Teil II Empirische Erhebung
Schluss
Einführung
9
So wird im Rahmen von Kapitel I.1 zunächst die historische Entwicklung der PMI Forschung aufgezeigt und konzeptionelle Grundlagen gelegt, welche den Weg für einen prozessualen Blick auf die Integration ebnen, bevor ein Überblick über den „State of the Art“ der PMI Erfolgsforschung gegeben wird, indem grundlegende Erkenntnisse bisheriger Forschungsbemühungen skizziert werden. Darauf basierend wird sodann das bereits im Rahmen der Einführung aufgezeigte Forschungsdefizit vor dem Hintergrund der bisherigen Forschungsbemühungen verdeutlicht. Im weiteren Verlauf des Kapitels erfolgt ein Überblick über den aktuellen Stand der schematheoretischen Perspektive, als zweiter theoretischer Baustein dieser Arbeit. Im Zuge dessen wird zunächst ein Fundament gelegt, indem definitorische Grundlagen geschaffen und zentrale Eigenschaften und Charakteristika des Schema Konzepts dargelegt werden. Vor dem Hintergrund des dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstandes als interorganisationales bzw. interindividuelles Phänomen zwischen Käufer- und Zielorganisation erfolgt sodann eine Erweiterung der bis dahin primär individuellen Kognitionsebene um die Dimension der kollektiven Kognition. Wie zu zeigen sein wird, erweist sich hierfür aus Sicht des Verfassers insbesondere das ursprünglich aus der Soziologie wie Psychologie stammende „Shared Schema“ Konstrukt als geeigneter theoretischer Bezugsrahmen. Im Hinblick auf die empirische Erhebung wird diese Perspektive folglich einer eingehenden Untersuchung unterzogen, bevor der dritte Abschnitt dieses Kapitels schließlich den Überblick in das Thema des Schema Konstruktes abschließt, indem das Forschungsfeld von benachbarten Themenfeldern abgegrenzt wird. Aufbauend auf den in Teil I theoriebasiert gewonnenen Erkenntnissen beinhaltet Teil II sodann eine empirische Untersuchung post-akquisitionaler Prozesse am Beispiel des Übernahmeprozesses der ZF Friedrichshafen AG. Dabei steht die Untersuchung der Rolle kollektiver Schemata zwischen Käufer- und Zielorganisation im Fokus des Interesses. Darüber hinaus wird auf den Entwicklungsprozess kollektiver Schemata über unterschiedliche Ebenen der Organisation hinweg Bezug genommen und untersucht,
Einführung
10
wie diese miteinander in Beziehung stehen. Der empirischen Untersuchung wird ein eingebettes Fallstudiendesign nach Yin (2009) zugrunde gelegt. Die Analyse der erhobenen Daten stützt sich auf in der Wissenschaft gängige Methoden, um die jeweiligen Ebenen, Aktivitäten und Abhängigkeiten der Prozesse berücksichtigen und herausarbeiten zu können. Die Schlussbetrachtung beginnt mit einer kurzen Rekapitulation der zentralen Ergebnisse, bevor limitierende Aspekte der Arbeit dargelegt und mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsbemühungen aufgezeigt werden.
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
11
TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN Seit Anfang der siebziger Jahre hat sich die M&A Forschung zu einem festen Bestandteil in der strategischen Managementforschung entwickelt und verzeichnet seitdem zunehmendes Interesse aus unterschiedlichen Fachbereichen, welche die finanziellen, strategischen, operationalen wie sozio-kulturellen Perspektiven von M&A beleuchten. Obgleich sich zwar zunehmend mehr Disziplinen mit dem Phänomen M&A auseinandersetzen, ist die Entwicklung der M&A Integrationsforschung nach wie vor stark disziplinarisch geprägt. Erst in jüngster Vergangenheit kann eine Zunahme der Forschung zu interdisziplinären Aspekten der M&A Integration festgestellt werden, die zugleich neue vielversprechende Fragestellungen in Bezug auf PMI und die Frage nach dem Erfolg eröffnen. So kann, als Ergänzung der überwiegend rationalen Untersuchungen der PMI, in letzter Zeit eine wachsende Bewegung kognitiver Dynamiken im Rahmen organisationaler Prozesse beobachtet werden. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Forschung sozialer Kognition, konnte für die vorliegende Arbeit die Schema Theorie als zugleich nützlichste und am weitesten verbreitete Perspektive für die Untersuchung sozialer Kognitionsprozesse identifiziert werden.28 Es handelt sich dabei um ein ursprünglich aus der klinischen Neurologie entlehntes Konstrukt, welches Wissensstrukturen bezeichnet, die in erster Linie aus Erfahrungen hervorgehen.29 Während sich die Beiträge des ersten Abschnitts verstärkt auf die intraindividuelle Kognitionsebene konzentrieren, erfolgt im darauffolgenden Abschnitt eine Erweiterung um die Dimension der interorganisationalen Kognition anhand des „Shared Schema“ Konstruktes. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die mit Aktivitäten der PMI verbundene Vielzahl an Entscheidungen und Herausforderungen im post-akquisitionalen Kontext
28 29
Vgl. Harris (1994), S. 310. Vgl. Wrona (2008), S. 48.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. Pfeifle, PMI und die Frage nach dem Erfolg, Schriften zur Unternehmensentwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31815-4_2
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
12
geradezu zwangsläufig erhebliches Potential für konfliktäre Interpretationen birgt,30 welche es im Rahmen von Verhandlungen, Kompromissen und kollektivem Sensemaking miteinander zu vereinen gilt.31 Aus dieser Sicht kann der Integrationsprozess als eine soziale Konstruktion beschrieben werden, dessen Ergebnis davon abhängt, wie gut es den beteiligten Stakeholdern gelingt, zu einer gemeinsamen Überzeugung zu gelangen. Es handelt sich dabei um eine Perspektive, welche, einer Reihe von Autoren zufolge, hohes Forschungspotential birgt. Kapitel I.1 dient daher zunächst einmal dazu, dem Leser einen kurzen Überblick über das Forschungsfeld der PMI im Kontext des Erfolgs zu geben. Die soziokognitive Forschung ist sodann der zweite theoretische Baustein, welcher in Kapitel I.2 näher ausgeführt wird.
Problemstellung
Positionierung & Ziele
Aufbau der Arbeit
Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschungsliteratur
Eine schematheoretische Perspektive zur Untersuchung des PMI Erfolgs
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
I.1.1 Status Quo PMI
I.2.2 Shared Schemata
II.2 Design/Methodik
I.1.3 Literatur Review
I.2.3 Abgrenzung
II.3 Ergebnisse
I.1.4 Zwischenfazit
I.2.4 Zwischenfazit
II.4 Diskussion
Abb. I-1:
31
II.1 Research Setting
I.1.2 PMI Erfolg
Zentrale Ergebnisse
30
I.2.1 Grundlagen
Limitationen
Aufbau der PMI Grundlagen Quelle: Eigene Darstellung.
Vgl. bspw. Grunberg (1981); Olie (1994); Vaara (2001). Vgl. Steigenberger (2017), S. 419f.
Ausblick
Einführung Teil I Theoretische Grundlagen Teil II Empirische Erhebung
Schluss
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
13
I.1. Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschung im Kontext des Erfolgs Eine in der Literatur weit verbreitete Art, den „State of the Art“ jener wissenschaftlicher Bemühungen zu skizzieren, die sich mit PMI und der Frage nach dem Erfolg beschäftigen, besteht in der Hervorhebung der inkohärenten Forschungsergebnisse.32 Um diese Inkohärenz zu adressieren, greifen Wissenschaftler auf eine Vielzahl unterschiedlicher Erläuterungen zurück:33
So erklärt Lubatkin (1987, S. 40) die Einzigartigkeit eines Transaktionsprozesses und die damit einhergehende mangelnde Vergleichbarkeit der Ergebnisse als ausschlaggebend für die Inkonsistenz der Forschungsergebnisse.34
Cording et al. (2010, S. 12) verweisen hingegen auf ein in der Wissenschaft zu geringes Bestreben, die Validität des Erfolgskonstruktes sicherzustellen, was den Autoren zufolge eine erhebliche Beeinträchtigung hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Ergebnisse mit sich führt.
Lubatkin und Shrieves (1986, S. 497f.) sowie Zollo und Meier (2008, S. 56) betonen ferner, dass die in der Literatur verwendeten Ansätze zur Messung des Erfolgs der Komplexität des M&A Phänomens nicht annähernd gewachsen sind.
King et al. (2004, S. 188) postulieren wiederum, dass bestehende empirische Untersuchungen nicht jene Variablen in eindeutigem und wiederholtem Maße identifiziert haben, welche den Erfolg eines Unternehmens letztendlich tatsächlich zu beeinflussen vermögen.
Und Meglio und Risberg (2011, S. 418) kommen zu dem Schluss: „M&A performance is something out there to capture; scholars only need to find better ways to do so.“
32 33 34
Vgl. Risberg et al. (2015), S. 1. Vgl. bspw. Das/Kapil (2012), S. 284 oder Meglio/Risberg (2011), S. 418. Siehe auch Bower (2001), welcher denselben Standpunkt vertritt.
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
14
Unter Berücksichtigung dieser Inkohärenzen postulieren Bower (2004) und Javidan et al. (2004), dass Wissenschaftler in dem Versuch, den M&A Erfolg anhand einer universalen und allgemeingültigen Erfolgsmessgröße zu erklären, gescheitert sind.35 Vielmehr sieht man sich nach wie vor einer kaum überschaubaren Anzahl unterschiedlichster Erfolgsgrößen gegenüber.36 Astley (1985) zufolge liegt es jedoch in der Sache der Natur, dass Wissenschaftler für die Beschreibung ihres Untersuchungsgegenstandes mehrdeutige oder gar unterschiedliche „Sprachen“ verwenden, da diese auch an unterschiedlichen (Welt-)Anschauungen festhalten.37 So führt er die Unmenge der divergierenden Sichtweisen auf interpretative Unterschiede zurück,38 und verweist darauf, dass ambigue Konstrukte keineswegs als ein Problem in der Forschung betrachtet werden sollte. Vielmehr, „ambiguous constructs expand the variety of operationalizations that may be included within the theory`s encompassing frame of reference and so increase the number of research studies that can be constructed as tests of the theory.“ (Astley/Zammuto 1992, S. 446) So ist die große Anzahl an empirischen Studien, die sich mit dem M&A Erfolg beschäftigen, durch die Ambiguität des Konstruktes gerechtfertigt,39 und die Ambiguität somit nicht das eigentliche Problem. Vielmehr beginnt die Problematik erst dann, „when one starts to treat M&A performance as a unitary construct, aiming to generalize research results.“ (Meglio/Risberg 2011, S. 420). Kapitel I.1.1 dient zunächst einmal dazu, begriffliche und thematische Grundlagen der Post-Merger Integration zu legen, bevor sich Kapitel I.1.2 sodann dem Erfolg im Kontext der M&A Forschung annimmt. Neben einem Überblick über die unterschiedlichen theoretischen Forschungsströmungen, wird dabei u.a. eine Verständnisgrundlage für
35
Vgl. Meglio/Risberg (2011), S. 419. Siehe auch Hirsch/Levin (1999) und Meyer (1994). Vgl. King et al. (2004), S. 187; Zollo/Meier (2008), S. 1233. 37 Vgl. Astley (1985), S. 497. 38 Ebenda. 39 Vgl. Meglio/Risberg (2011), S. 419f. 36
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
15
das Erfolgskonstrukt geschaffen. In Kapitel I.1.3 erfolgt schließlich eine kritische Analyse der bisherigen Forschungsbemühungen. Dabei ist es das Ziel, jene zentralen Themen zu identifizieren, die einen Einfluss auf das Integrationsergebnis auszuüben vermögen. Gleichzeitig soll ein besseres Verständnis für die mit der PMI verbundenen Herausforderungen erlangt werden. Im abschließenden Zwischenfazit (Kapitel I.1.4) werden die wesentlichen Aspekte der bisherigen Forschungsarbeiten noch einmal konkretisiert sowie das im Rahmen des Literaturüberblicks identifizierte Forschungsdefizit herausgestellt.
I.1.1 Begriffliche und thematische Grundlagen der PMI Dieses Kapitel beinhaltet die theoretischen Fundamente, welche die Grundlage für die nachfolgenden Kapitel der Arbeit darstellen. Für ein klares Verständnis auf begrifflicher Ebene erfolgt zunächst eine konzeptionelle (I.1.1.1) wie terminologische Spezifizierung des PMI Begriffs (I.1.1.2), bevor schließlich auf zentrale Typologisierungsansätze fokussiert (I.1.1.3) und der Umfang des PMI Prozesses diskutiert wird (I.1.1.4).
I.1.1.1 Konzeptionelle Entwicklung des PMI Begriffs Diese Vielfalt an theoretischen Perspektiven und Untersuchungsschwerpunkten hat unweigerlich zur Folge, dass ein und derselbe Begriff auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird40 und die M&A-Literatur in Folge dessen nicht nur in Bezug auf Terminologie, sondern ebenfalls in konzeptioneller Hinsicht nicht im Entferntesten von Kohärenz geprägt ist.41 Unterschiede im Verständnis des Integrationsbegriffs lassen sich dabei wie folgt identifizieren:
40 41
Vgl. Graebner et al. (2017), S. 2. Vgl. Faulkner et al. (2012); Haspeslagh/Jemison (1991); Stahl/Mendenhall (2005).
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
(i)
Integration als ein „Set of Actions“42
(ii)
Integration als ein „Process“43
(iii)
Integration als ein „Outcome“ oder „End state“44
16
So definiert bspw. Pablo (1994) vor dem Hintergrund einer aktivitätsorientierten Perspektive, PMI als „The making of changes in the functional activity arrangements, organizational structures and systems, and cultures of combining organizations to facilitate their consolidation into a functioning whole.“ (Pablo 1994, S. 806) Ähnlich definieren auch die Autoren Cording, Christmann und King (2008, S. 744) den Begriff der Integration als „the managerial actions taken to combine two previously separate firms.“ Im Sinne einer prozessualen Betrachtungsweise liegt der Fokus hingegen allgemein auf der Verschmelzung von Organisationen bzw. organisationalen Einheiten: „...the concept of the integration refers to the process through which changes in various systems in the acquired subsidary are undertaken.“ (Lindgren 1982, S. 61) Bzw. auf den, primär über Interaktionen der Mitarbeiter beider Organisationen hervorgehenden prozessualen Transfer strategischer Fähigkeiten und Kompetenzen:
„Integration is an interactive and gradual process in which individuals from two organizations learn to work and cooperate in the transfers of strategic capabilities.“ (Haspeslagh/Jemison 1991, S. 106)
42 43 44
Vgl. bspw. Pablo (1994), S. 806 und Cording et al. (2008), S. 744. Vgl. bspw. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 106. Siehe auch Nahavandi/Malekzedah (1988). Vgl. bspw. Vaara et al. (2012), S. 7.
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
17
Aus einer mehr statischen Perspektive wiederum, wird der Integrationsbegriff zur Charakterisierung eines Zustandes nach Zusammenführung der jeweiligen Organisationen bzw. organisationalen Einheiten herangezogen („PMI as an outcome or end state“).45 Diesem Verständnis folgend definiert Integration einen gewissen Einheits- bzw. Standardisierungsgrad als ein im Rahmen des Integrationsprozesses erzielten Zustand, welcher unter Zugrundelegung bestimmter Faktoren ermittelt werden kann. Eine an dieser Stelle beispielhaft angeführte statische Definition des Begriffs der Integration findet sich bei Chakrabarti (1990):
„Integration is defined as the quality of the state of collaboration between the organizational units.“ (Chakrabarti 1990, S. 263) Tabelle I-1 liefert einen Überblick über ausgewählte Definitionen des Integrationsbegriffs. Autor
Definition
PMI ALS EIN „SET OF ACTIONS“ Pablo (1994), „The making of changes in the functional activity arrangements, orgaS. 806 nizational structures and systems, and cultures of combining organizations to facilitate their consolidation into a functioning whole“ Cording et al. (2008), „the managerial actions taken to combine two previously separate S. 744 firms.“ PMI ALS PROZESS Haspeslagh/ Jemison „Integration is an interactive and gradual process in which individuals (1991), S. 106 from two organizations learn to work and cooperate in the transfers of strategic capabilities.“ Lindgren (1982), „...the concept of the integration refers to the process through which S. 61 changes in various systems in the acquired subsidary are undertaken.“ Gerpott (1993), „[Integration ist] der hauptsächlich vom erworbenen Unternehmen [...] S. 115 vorangetriebene evolutionäre Prozess [...].“ Gerds (2000), „Integrationen [werden] dynamisch als Prozesse (...) definiert, die in S. 17 Folge von Fusionen bzw. Akquisitionen nach dem Vertragsabschluss zwischen den beteiligten Unternehmen durchgeführt werden.“ Tab. I-1:
45
Ausgewählte Definitionen der Integration Quelle: Eigene Darstellung (Hervorhebungen durch den Autor)
Graebner et al. (2017), S. 2.
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
18
Autor
Definition
PMI ALS „OUTCOME“ ODER „END STATE“ Chakrabarti (1990), „Integration is defined as the quality of state of collaboration between S. 263 the organizational units.“ Vaara et al. (2012), „the extent to which the acquirer standardizes work procedures and S. 7 systems, and removes overlapping operations.“ Heimeriks et al. „the extent to which the separate functions and activities of the acqui(2012), S. 714 rer and the target were physically consolidated into one.“ Larrson/Finkelstein „[...] defined as the degree of integration and coordination between the (1999), S. 6 two firms involved in a merger or acquisition [...].“ Tab. I-1:
Ausgewählte Definitionen der Integration (Fort.) Quelle: Eigene Darstellung (Hervorhebungen durch den Autor)
In Anbetracht der konzeptionellen (Verständnis-)Vielfalt und der heterogenen Nomenklatur, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Definition von Graebner et al. (2017) gefolgt werden, welche Post-Merger Integration als „the multifaceted, dynamic process through which the acquirer and acquired firm or their components are combined to form a new organization.“ (Graebner et al. 2017, S. 2) beschreibt. Diese Definition hebt insbesondere zwei Aspekte hervor, welche für den zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstand als relevant empfunden werden: (1) Die Integration umfasst eine Reihe von Sub-Prozessen, welche, neben der strategischen Integration wertgenerierender Aktivitäten und Ressourcen, soziale wie auch kulturelle Aspekte beinhalten. Eine erfolgreiche Integration erfordert dabei nicht nur das Managen eines jeden einzelnen Subprozesses, sondern ebenfalls die Adressierung
der
mit
der
Interaktion
der
Subprozesse
einhergehenden
Herausforderungen und Paradoxien. (2) Der Integrationsprozess ist von Natur aus dynamisch und von Komplexität, Ambiguität und Widerspruch geprägt. Auch wenn eine Integration aus einer Planung heraus resultiert, wird diese unweigerlich mit auftretenden Phänomenen konfron-
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
19
tiert, welche Graebner (2004, S. 2) zufolge neben unerwarteten Chancen („serendipitous
opportunities“)46
Herausforderungen
47
häufig
auch
unvorhergesehene
Probleme
und
mit sich führt, wodurch grundlegende Veränderungen im
Rahmen des Integrationsprozesses hervorgebracht werden. I.1.1.2
Terminologische Spezifizierung des PMI Begriffs
Eng verbunden mit den konzeptionellen Herausforderungen ist die terminologische Spezifizierung des PMI Begriffs, welche einer Auseinandersetzung mit dem aus dem angloamerikanischen Raum stammende Begriffspaar „Mergers and Acquisitions“, oder kurz „M&A“, bedarf.48 Die Tatsache, dass der Großteil der Forschung zu „postmerger“ und „post-acquisition“ i.d.R. keine Differenzierung von „mergers (of equals)“ und „acquisitions“ vornimmt,49 sondern die Begriffe vielmehr synonyme Verwendung finden, kann den Autoren Teerikangas et al. (2011) zufolge die Wurzel für die ambigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen in der M&A Literatur implizieren.50 So weisen auch Stahl und Voigt (2008) darauf hin, dass M&A Forscher Gefahr laufen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen51 - verbirgt die vielfach synonyme Verwendung der Begriffe „mergers“ und „acquisitions“ die Tatsache, dass ein Merger sowohl in seiner Form als auch Substanz von einer Akquisition zu unterscheiden ist - mehr noch, beide Formen: transaktionale Struktur und organisationales Zusammentreffen, in vielerlei Hinsicht unterschieden werden können.52 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die Vermittlung eines Grundverständnisses der Begriffe „Mergers“ und „Acquisitions“ und deren Bedeutung für den Prozess der Post Merger Integration vorgenommen werden:
46
Vgl. Graebner (2004). Vgl. Vaara (2003). Siehe bspw. Haleblian et al. (2009) oder Stahl/Voigt (2008). 49 Vgl. Steigenberger (2017), S. 408. 50 Vgl. Teerikangas et al. (2011), S. 672f. 51 Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 161. 52 Vgl. Teerikangas et al. (2011), S. 672f. 47 48
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
20
Der Terminus „Mergers“ bezeichnet den Zusammenschluss von Unternehmen, die Vereinigung bzw. Verschmelzung im Sinne einer Fusion.53 Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss zweier oder mehrerer rechtlich selbstständiger Unternehmen, wobei mindestens eines der beteiligten Unternehmen seine rechtliche Selbstständigkeit verliert.
Der Begriff „Acquisitions“ beschreibt indes den Erwerb von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen eines rechtlich selbstständigen Unternehmens durch mindestens ein anderes Unternehmen. Entgegen der Fusion bleibt die rechtliche Selbstständigkeit jedoch – zumindest vorläufig – bestehen. Es handelt sich lediglich um eine wirtschaftliche Vereinigung.54
Vor diesem Hintergrund erfordert eine Akquisition nicht zwangsläufig eine Integration. So werden bspw. im Rahmen eines Rechtskaufs („share deals“) nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht die entsprechenden Vermögenswerte und Schulden, sondern lediglich die Rechte daran erlangt.55 Das Käuferunternehmen selbst bleibt dabei vollkommen unbeeinflusst. Im Falle eines Mergers hingegen impliziert die Zusammenführung der beteiligten Organisationen den entscheidenden Faktor.56 Die vorliegende Arbeit versucht diesen terminologischen Herausforderungen in einem angemessenen Rahmen zu begegnen. Dabei wird es jedoch als wesentlich erachtet, dem Trade-off hinsichtlich der Anküpfungsfähigkeit an die Literatur ebenfalls Rech-
53
Vgl. Jansen/Petersen (2000), S. 35ff. Vgl. Glaum et al. (2006), S. 290. Neben der Abwicklung einer Akquisition durch Übertragung von Gesellschaftsanteilen (sog. „share deal“), kann diese auch durch Übertragung vollständiger bzw. definierter Wirtschaftsgüter und Verbindlichkeiten eines Unternehmens bzw. Unternehmensteils (sog. „asset deal“) realisiert werden. Handelt es sich beim „asset deal“ i.S. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB um einen Sachkauf, bei welchem neben dem gesamten Besitz, ebenfalls das vollständige Eigentum an Vermögenswerten und Schulden des Verkäuferunternehmens erworben wird, liegt beim „share deal“ entsprechend § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Rechtskauf vor. So werden hier nicht die entsprechenden Vermögenswerte und Schulden selbst, als vielmehr die Rechte daran erlangt. 56 Siehe nachfolgendes Kapitel I.1.1.3: „Typologisierungsansätze“. 54 55
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
21
nung zu tragen. Vor diesem Hintergrund findet im Rahmen der vorliegenden Untersuchung der Begriff „Integration“ wie auch der etwas neutralere Begriff „M&A integration“ Verwendung, womit dem Vorgehen aktueller Arbeiten wie bspw. dem von Schweiger und Goulet (2000) oder Steigenberger (2017) gefolgt wird. Darüber hinaus wird die Abkürzung „PMI“ verwendet, sofern dies für Lesbarkeit, Verständnis und Kontext von Relevanz ist. I.1.1.3
Typologisierungsansätze
Der Unterscheidung zwischen „merger (of equals)“ und „acquisitions“ unterliegt die Tatsache, dass es unterschiedliche Wege gibt, Wirtschaftsgüter und Personen im Rahmen einer Transaktion miteinander zu vereinen.57 Der Vielzahl unterschiedlicher Typologien zufolge, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf drei ausgewählte Ansätze fokussiert werden. Neben dem als „the most prominent and enduring“ (Angwin/ Meadows 2015, S. 236) identifizierten Integrationsansatz von Haspeslagh und Jemison (1991), sollen die Ansätze von Marks und Mirvis (1998) sowie Nahavandi und Malekzadeh (1988) näher beleuchtet werden. Basierend auf dem „concept of capability transfer“58 unterscheiden Haspeslagh und Jemison (1991) in ihrer Arbeit zwei Einflussgrößen, die mit „Bedarf nach strategischer Interdependenz“ und „Bedarf nach organisatorischer Autonomie“ beschrieben werden.59 Strategische Interdependenz bezeichnet dabei das mit Unternehmensübernahmen einhergehende (primäre) Bestreben, Wertsteigerungspotentiale zu realisieren. Organisatorische Autonomie hingegen charakterisiert den Tatbestand, dass zur Wahrung personeller Fähigkeiten und Kompetenzen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit der transferierten Einheit(en) erforderlich ist.60 Die beiden Einflussgrößen eröffnen hiermit einen Raum für die folgenden vier idealtypischen Integrationsansätze: „Preser-
57
Vgl. Schweiger/Goulet (2000), S. 63. Schweiger/Goulet (2000), S. 63. 59 Vgl. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 145. 60 Vgl. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 142f. 58
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
22
vation“, „Holding“, „Symbiotic“ und „Absorption“, welche die Autoren zu einer VierFelder-Matrix vereinen. Marks und Mirvis (1998, S. 68) nehmen ebenfalls eine multidimensionale Sichtweise auf die Integration ein, „...ranging from full consolidation to near separation of the companies [...].“ Dabei verwenden sie ebenso das in Käufer-, Ziel- oder gar beiden Organisationen erzielte Ausmaß der Veränderung („degree of change“) als Grundlage für ihr Klassifikationschema - basierend auf der Argumentation, dass kulturelle Umbrüche im Zusammenhang mit dem Integrationsgrad das Ausmaß post-akquisitionalen Wandels bestimmen.61 Ähnlich wie Haspeslagh und Jemison (1991) identifizieren sie fünf sich voneinander unterscheidende Integrationstypologien: „Absorption“, „Preservation“, „Best of Both“, „Transformation“ und „Reverse merger“.62 Unter Verwendung einer kulturellen Perspektive stellt die Arbeit von Nahavandi und Malekzadeh (1988) hingegen vier verschiedene Arten kultureller Anpassung heraus: „Integration“, „Assimilation“, „Separation“ und „Deculturation“ beruhend auf den zwei übergeordneten Dimensionen:63 „degree of relatedness between the two firms“ und „degree of tolerance for multiculturalism by the acquiring firm“.64 Die Autoren argumentieren, dass die verschmelzenden Organisationen über unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich des „mode of acculturation“ verfügen können:
„the degree of agreement (congruence) regarding each one`s preference for a mode of acculturation will be a central factor in the successful implementation of the acquisition.“ (Nahavandi/Malekzadeh 1988, S. 84)
61
Vgl. Angwin (2012), S. 55. Vgl. Schweiger/Goulet (2000), S. 63. 63 Die übergeordneten Dimensionen beziehen sich auf die Perspektive des Käuferunternehmens. 64 Vgl. Nahavandi/Malekzadeh (1988), S. 82ff. 62
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23
Demzufolge ist es die präferenzielle Kongruenz beider Organisationen, die das akkulturative Stresslevel und die Reibungslosigkeit der Integration („smoothness of integration“) bestimmt.65 Auch wenn Nahavandi und Malekzadeh (1988) eine kulturelle Perspektive einnehmen und Marks und Mirvis (1998) das Ausmaß an Veränderung sowohl akquisitionsobjektals auch -subjektbezogen untersuchen, so sind die daraus resultierenden Integrationsansätze dem von Haspeslagh und Jemison (1991) hinsichtlich des Umfangs und der Art und Weise, wie Unternehmen nach einer Transaktion neu konfiguriert werden, sehr ähnlich. Abb. I-2 veranschaulicht die in den drei Kernarbeiten identifizierte Überlap-
Bedarf nach organisatorischer Autonomie Toleranz für Multi-Kulturalismus
pung der Integrationsansätze graphisch.
Abb. I-2:
65 66
Transformation HOCH
GERING
Preservation (Separation) Preservation
Symbiotic (Integration) Best of Both
Holding (Deculturation)
Absorption (Assimilation) Absorption
GERING
HOCH
Bedarf nach strategischer Interdependenz Grad der Verwandtschaft Integrationstypologien66 Quelle: Ellis/Lamont (2004), S. 84
Vgl. Angwin (2012), S. 54. Die Integrationsansätze in gewöhnlicher Druckschrift kennzeichnet die Klassifizierung von Haspeslagh und Jemison (1991), während die identifizierten Ansätze in Klammern auf den Kategorien von Nahavandi und Malekzadeh (1988) basieren und die Ansätze in fett-gedruckter Schrift die Ergebnisse von Marks und Mirvis (1998) widerspiegeln.
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Summa summarum nehmen diese Typologien im Rahmen der M&A Forschung großen Raum ein. So weist die M&A Literatur eine große Bandbreite an Typologien auf von reinen Klassifikationsschemata über Taxonomien bis hin zu theoretisch abgeleiteten Idealtypen.67 Diese Differenzierungen sind jedoch selten eindeutig und es bestehen signifikante Abweichungen in der Genauigkeit der Entstehung sowie dem Ausmaß empirischer Verifizierung.68 I.1.1.4
Umfang des Integrationsprozesses
Ein weiterer wesentlicher Aspekt betrifft den Umfang des Integrationsprozesses, insbesondere die Frage nach dem Beginn des Integrationsprozesses. Den Autoren Schweiger und Goulet (2000) zufolge findet diese Frage, mit einigen Ausnahmen,69 in der PMI Literatur jedoch keine ausdrückliche Berücksichtigung. So wird Integration häufig als „beginning after closing“70 beschrieben. Eine Reihe von Autoren ist jedoch der Überzeugung, dass der Integrationsprozess bereits mit der Auswahl des Zielunternehmens beginnt und sich mit der Due Diligence, den Verhandlungen, Closing und post-closing fortsetzt. Schweiger (1999) bezeichnet diese Phasen als „transaction, transition and integration.“71 Marks and Mirvis (1998) hingegen definieren diese als „precombination, combination and post-combination“. Die Wichtigkeit dieser Differenzierung liegt nach Schweiger und Goulet (2000) insbesondere darin begründet, dass der Prozess der Integration und der Aktivitäten, welche den Erfolg der Integration beeinflussen, weit vor dem Closing beginnt, nämlich zu dem Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Transaktionspartner.72
67
Für einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Typologisierungsansätze siehe Angwin (2012). Vgl. Angwin (2012), S. 66. 69 Siehe Haspeslagh/Jemison (1991); Marks/Mirvis (1998). 70 Schweiger/Goulet (2000), S. 65. 71 Siehe Schweiger/Goulet (2000), S. 65. 72 Ebenda. 68
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In der zugrundeliegenden Arbeit wird dem Verständnis gefolgt, dass ein vollumfängliches Verständnis des Integrationserfolges einer Berücksichtigung kontextualer Faktoren sowie der Verflechtung anderer Phasen des M&A Prozesses bedarf. Dieses Verständnis steht ebenfalls im Einklang mit der strategischen Prozessforschung, welche den Prozess entlang der Stufen „formulation and implementation“ beschreibt. Darüber hinaus wird Rekurs genommen auf den Erfolg einer Integration als Funktion aus „antecedents, strategy process and outcome“,73 wodurch die Wichtigkeit kontextueller Faktoren im Rahmen der Integration einer M&A-Transaktion noch einmal mehr hervorgehoben wird. Zudem verweisen ebenfalls eine Reihe von Wissenschaftler und Praktiker – u.a. im Rahmen der dieser Arbeit zugrundeliegenden Studie – auf die, für den Erfolg einer Transaktion, hohe Wichtigkeit einer umfassenden PMI Planung in einem bereits frühen Stadium der Transaktion. I.1.2 Erfolg im Kontext von M&A Nachdem begriffliche und thematische Grundlagen von PMI gelegt wurden, soll im Folgenden auf den Erfolg eingegangen werden. Die Auseinandersetzung mit dem Erfolg der Post-Merger Integration ist in der M&A Literatur keineswegs neu. Nichtsdestotrotz besteht den Autoren Zollo und Singh (2004) zufolge, sowohl konzeptionell als auch im Hinblick auf ihre Beurteilung nach wie vor große Heterogenität. So konstatiert Corvellec bereits im Jahr 1997, dass es keine eindeutige Definition von Erfolg im Kontext von M&A gebe. Vielmehr impliziert die Literatur eine ganze Reihe unterschiedlicher Definitionen von Erfolg, die Seite an Seite in völliger Unkenntnis ihrer Divergenz und Widersprüchlichkeiten bestehen.74 Dieser Tatbestand kann Larssen und Finkelstein (1999) zufolge mitunter (auch) darauf zurückgeführt werden, dass M&A in den vergangenen Jahren aus verschiedenen theoretischen Blickrichtungen heraus ana-
73 74
Siehe Hutzschenreuter/Kleindienst (2006). Vgl. Corvellec (1997), S. 27.
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lysiert wurde,75 die sich zwar gegenseitig nicht ausschließen, jedoch größtenteils isoliert betrachtet wurden.76 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden zunächst ein Überblick über die verschiedenen Forschungsströme des M&A Phänomens gegeben werden (I.1.2.1), bevor daran anknüpfend ausgewählte Konzeptionalisierungsansätze des Erfolgs vorgestellt und vor dem Hintergrund dieser Arbeit diskutiert werden (I.1.2.2). Daran anschließend wird auf in der Forschungsliteratur maßgebliche Arten von Erfolgskenngrößen Bezug genommen und zentrale Ansätze der PMI Erfolgsmessung skizziert (I.1.2.3). I.1.2.1
Forschungsströme der M&A Erfolgsforschung
Seit den 1970er Jahren wurde das Phänomen M&A aus verschiedenen theoretischen Blickrichtungen und Aspekten heraus analysiert.77 Neben finanzökonomischen Studien, die die Literatur zu M&A nach wie vor dominieren, haben sich weitere Forschungsströmungen herausgebildet,78 welche sich, um die Komplexität des Forschungsgebietes zu reduzieren, in Anlehnung an Haspeslagh und Jemison (1991) in vier Denkschulen kategorisieren lassen:79 „Financial Economics School“, „Strategic Management School,“ „Organizational Behaviour School“ sowie die „Process Perspective School“.80 Diese „Schools of Thought“ heben sich insbesondere in Bezug auf ihre Zielfunktion, theoretische Fundierung sowie zentralen Hypothesen voneinander ab.81 Tab. I-2 verschafft einen Überblick und führt diese Kategorisierung weiter aus.
75
Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 365; Haspeslagh/Jemison (1991), S. 292. Vgl. Larssen/Finkelstein (1999), S. 2. 77 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 365; Haspeslagh/Jemison (1991), S. 292. 78 Vgl. Cartwright/Schoenberg (2006), S. 2; Bauer/Anslinger (2012), S. 210. 79 Vgl. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 292ff. 80 Neben den von Haspeslagh/Jemison (1991) identifizierten Denkschulen differenzieren bspw. Larsson/Finkelstein (1999) und Schmidt et al. (2005) fünf bzw. sechs Denkschulen. Inhaltlich stimmen diese jedoch mit den hier dargelegten Denkschulen überein. 81 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 396. 76
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Denkschule Financial – Economics School Strategic Management School
27
Zielfunktion Theoret. Grundlage SYSTEMATISIERUNG DER M&A FORSCHUNG Profitsteigerung für Markt f. UnternehmensShareholder und Gekontrolle; freier Cashsamtwirtschaft flow; Agency Theorie; Effizienzmarkthypothese (Jensen, 1987) Performance des KäuIndustrieökonomie fer- bzw. Zielunterneh(Lubatkin 1983; Schemens rer/Ross 1990)
Ressourcenbasierte Perspektive (Barney 1988) Organizational Behaviour School
Einfluss von Transaktionen auf Individuen und die Unternehmenskultur
Akkulturationstheorie (Berry 1980; Nahavandi/ Malekzadeh 1988)
Process Perspective School
Wertsteigerung nach Abschluss der Transaktion
Organisationale Verhaltenstheorie (Cyert/ March 1963; Jemison/ Sitkin 1986)
Tab. I-2:
Zentrale Annahmen Transaktionen erhöhen die Effizienz im Markt für Unternehmenskäufe, dies führt zu steigendem Profit für Shareholder Synergien (economies of scale, scope, market power etc.) führen zu steigender Performance des Käufers Einzigartige Synergien (Ziel- und Käuferunternehmen) führen zu steigender Performance des Käufers Kompatibilität der Kulturen der beteiligten Unternehmen führt zu steigender Mitarbeiterzufriedenheit und effektiver Integration Managemententscheidungen u. Prozesse bestimmen das Ausmaß zu welchem die Benefits der Akquisition realisiert werden
Systematisierung der M&A Forschung Quelle: in Anlehnung an Birkinshaw et al. (2000), S. 397.
(a) Finance Economics School Die „Financial Economics School“ oder auch „Capital Market School“, als die in der M&A Forschung dominierende Forschungsrichtung,82 analysiert primär die finanzökonomischen Auswirkungen von M&A auf den Marktwert der beteiligten Organisationen. Dabei steht die Frage nach der Reaktion des Kapitalmarktes auf eine M&ATransaktion im Fokus der Betrachtung.83 In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, ob und in welchem Umfang Mehrwert realisiert werden kann und wie
82 83
Vgl. Cartwright/Cooper (2001); Stahl/Voigt (2008). Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 397.
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sich dieser auf die akquirierende und akquirierte Organisation verteilt.84 Die Untersuchung dieser Entwicklungen erfolgt dabei mittels sog. Ereignisstudien, deren Bezugsfeld sich vom Zeitpunkt der öffentlichen Ankündigung bis in die Phase der PostMerger Integration erstreckt.85 Trotz langjährig intensiver Forschung, gehen aus den bisherigen Forschungsbemühungen der Financial Economics School jedoch nach wie vor lediglich ambivalente Befunde hervor. So werden neben positiven Kapitalerträgen ebenfalls negative Entwicklungsverläufe dokumentiert.86 Verstärkt zeichnet sich jedoch ab, dass weniger die Shareholder der akquirierenden, als vielmehr die Inhaber der akquirierten Organisation in deutlich höherem Maße von dem Zusammenschluss profitieren.87 Darüber hinaus liegt eine weitere signifikante Schwachstelle in der Tatsache begründet, dass zwar eine Untersuchung der Auswirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen auf den Kapitalmarkt erfolgt, zugrundeliegende Erfolgsfaktoren sowie auf die Kursentwicklung Einfluss übende Mechanismen wiederum außer Acht gelassen werden.88;89 (b) Strategic Management School Analog der Financial Economics School befasst sich die „Strategic Management School“ ebenfalls mit Wertsteigerungen in Verbindung mit Unternehmenszusammenschlüssen.90 Entgegen der Financial Economics School steht jedoch weniger eine gesamtwirtschaftliche Wertsteigerung im Untersuchungsfokus. Es erfolgt vielmehr eine Untersuchung auf Ebene des einzelnen Unternehmens hinsichtlich der Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile bzw. des Erfolgspotentials unterschiedlicher Arten des Zusammenschlusses.91 Der strategische Erfolg wird dabei nicht in einmaligen
84
Vgl. Schmidt et al. (2005), S. 301. Vgl. Becker (2005), S. 81; Aktas et al. (2007), S. 132. 86 Vgl. bspw. Jakobsen/Voetmann (2003). 87 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 397; Fuller et al. (2002), S. 1763. 88 Vgl. Chatterjee (2009), S. 137; Buono/Bowditch (2003), S. 10. 89 Für weitere Kritikpunkte der Financial Economics School siehe bspw. Becker (2005). 90 Vgl. Bauer/Matzler (2014), S. 46; Birkinshaw et al. (2000), S. 397. 91 Vgl. Kim/Finkelstein (2009), S. 617. 85
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transaktionsbedingten Erlösen erkennbar, sondern vielmehr in einer gesamthaften Verbesserung der Wettbewerbssituation.92 Neben Faktoren wie Marktanteil, relative Größe, Erfahrung und Zeit werden insbesondere der Verwandschaftsgrad, der „strategic Fit“ bzw. die strategische Komplementarität als zentrale Einflussgrößen im Hinblick auf den Erfolg eines Unternehmenszusammenschlusses in Untersuchungen der strategischen Management Literatur herangezogen.93 Den Autoren Haspeslagh und Jemison (1991) zufolge implizieren die Faktoren Verwandschaftsgrad, Strategic Fit und Komplementarität jedoch in erster Linie Indikatoren für etwaige Potentiale, ohne das gesamte Ausmaß und die Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Potentials im Voraus bestimmen zu können.94 (c) Organizational Behavior School Auch wenn sowohl finanzökonomische als auch strategische Überlegungen einen erheblichen Einfluss auf den Entwicklungsverlauf einer Transaktion verüben, so ist der Erklärungsbeitrag zum (Miss-)Erfolg eines Zusammenschlusses in Anlehnung an Cartwright und Cooper (2001) dennoch als lediglich beschränkt zu beurteilen.95 Insbesondere die mit Unternehmenszusammenschlüssen einhergehenden negativen Folgen für Mitarbeiter, aber auch die Gesellschaft waren Auslöser für einen Bedeutungszuwachs der Untersuchung des Einflusses der Mitarbeiter auf den Erfolg des Zusammenschlusses sowie deren Auswirkungen auf die Organisation in der empirischen M&A Literatur.96 Themen wie „culture clash“, Widerstand der Organisationsmitglieder sowie hohe Fluktuationsquoten verweisen auf den Effekt, welchen Individuen in Bezug auf Unternehmenszusammenschlüsse (und vice versa) verüben.97 So rückt im Rahmen
92
Vgl. Schmidt et al. (2005), S. 306. Vgl. bspw. Larsson/Finkelstein (1999), S. 2; Cartwright (2005), S. 7; Chatterjee (2009), S. 138. Vgl. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 302. 95 Vgl. Cartwright/Cooper (2001), S. 5. 96 Vgl. Cartwright (2005), S. 2. 97 Vgl. Capasso/Meglio (2005), S. 202; Cartwright/Cooper (2001), S. 33. 93 94
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der Organizational Behaviour School das Individuum in den Betrachtungsfokus.98 Der Weitläufigkeit dieser Denkschule zufolge lassen sich in Anlehnung an die Autoren Schewe et al. (2007) vor allem drei Schwerpunkte unterscheiden: „people focus“, „crisis focus“ und „cultural focus“.99;100 Die Fülle der untersuchten Faktoren liefert zwar die Grundlage für ein weitreichendes, grundlegendes Verständnis verhaltensbezogener Prozesse, führt zugleich jedoch zu einer Beeinträchtigung der Komparabilität der Untersuchungsergebnisse.101 (d) Process School Als vierte und jüngste Denkschule hat sich seit den 1980er Jahren eine Forschungsrichtung herausgebildet, welche den Prozess der Transaktion in den Mittelpunkt rückt.102 Als eher derivativ aus der Strategic Management und der Organizational Behavior School erwachsene Forschungsrichtung, knüpft sie an die Erkenntnisse der beiden Schulen an und ergänzt sie.103 Besondere Berücksichtigung erfährt dabei der Entscheidungs- und Integrationsprozess als für das Ergebnis der Transaktion maßgebende Determinante.104 Zurückzuführen ist dies auf die Vielzahl an Entscheidungen im Rahmen einer Integration mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf die Mitarbeiter, die Organisation sowie die zugrundeliegenden Strukturen und Prozesse.105 So beschäftigt sich die Process School vor allem mit operativen Aspekten des Integrationsmanagements.106 Große Beachtung haben darüber hinaus jedoch auch Einflussgrößen wie die
98
Vgl. Haspeslagh/Jemison (1991), S. 303; Capasso/Meglio (2005), S. 202. Die Systematisierung von Schewe et al. (2007) deckt sich im Wesentlichen mit der von Haspeslagh/ Jemison (1991) vorgenommenen Untergliederung in (a) Humanressourcen, (b) Organisationaler/ Kultureller Fit und (c) Integration und Akkulturation. 100 Für eine nähere Ausführung dieser Schwerpunkte siehe Schewe et al. (2007), S. 254 oder auch Appelbaum/Gandell (2003); Larsson/Finkelstein (1999); Schweizer (2005). 101 Vgl. Schmidt et al. (2005), S. 305. Siehe auch Larsson/Finkelstein (1999); Vaara (2003). 102 Vgl. Jemison/Sitkin (1986), S. 147; Haspeslagh/Jemison (1991), S. 307; Birkinshaw et al. (2000), S. 398. 103 Vgl. Schewe et al. (2007), S. 255. 104 Ebenda. 105 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 399; Bijlsma-Frankema (2004), S. 259ff. 106 Vgl. Bauer/Anslinger (2012), S. 210f. 99
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Zeit bzw. die Integrationsgeschwindigkeit, als Teil des Post-Merger Prozesses, erfahren.107 Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mit einer hohen Geschwindigkeit nicht nur eine schnellere Ressourcen- und Synergienutzung einhergeht, sondern gleichzeitig auch eine hohe Geschwindigkeit einen schnellen organisationalen Wandel impliziert.108 So groß das gegenwärtige Einvernehmen im Hinblick auf die Relevanz der Post-Merger Integration in der Wissenschaft auch ist, so konträr und divergent gestalten sich die Meinungen bzgl. eines wirksamen und wirtschaftlichen Management des Integrationsprozesses. Eine in hohem Maße ausgeprägte Divergenz liegt dabei insbesondere der Adäquanz und dem Ideal der Integrationsgeschwindigkeit zugrunde. 109 I.1.2.2
Konzeptionalisierungsansätze des Akquisitionserfolgs
Diesen Forschungsströmungen liegt jeweils ein unterschiedliches Verständnis von M&A Erfolg zugrunde.110 Obgleich sich die verschiedenen Denkschulen zwar nicht gegenseitig ausschließen, stehen sie doch hauptsächlich jeweils für sich.111 So existiert in der Literatur kein einheitliches Verständnis des akquisitionalen Erfolgsbegriffs. Vielmehr werden unterschiedliche Ansätze im Hinblick auf die Untergliederung von Erfolg diskutiert. Vor diesem Hintergrund soll in den nachfolgenden Abschnitten der Forderung einer Reihe von Wissenschaftlern112 nachgekommen werden, die unterschiedlichen Arten von Erfolg im Kontext von M&A voneinander abzugrenzen. Im Folgenden werden ausgewählte Ansätze aufgezeigt und im Kontext der vorliegenden Arbeit diskutiert.
107
Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 399; Schewe et al. (2007), S. 255. Vgl. Angwin (2004), S. 418; Homburg/Brucerius (2006), S. 348. Vgl. Bauer/Anslinger (2012), S. 211. 110 Vgl. Müller-Stewens (2010), S. 200. 111 Vgl. Larsson/Finkelstein (1999), S. 2. 112 Vgl. bspw. Tuch/O`Sullivan (2007). 108 109
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(a) Erfolgsmodell von Zollo und Meier (2008) Zunächst soll dabei auf die multidimensionale Konzeptionalisierung von Zollo und Meier (2008) Bezug genommen werden, welche Akquisitionserfolg in die drei Dimensionen: „Task Integration“, „Akquisitionserfolg“ und „Firmenerfolg“ untergliedern.113 (siehe Abb. I-3): (i) Task Integration: Die Ebene des Task Levels umfasst den Erfolg des Integrationsprozesses mit seinen verschiedenen Komponenten, wie bspw. die Harmonisierung von Kontrollsystemen, welche erforderlich sind, um das gewünschte Maß an Integration zwischen den beiden Organisationen zu erreichen. (ii) Akquisitionserfolg: Die zweite Dimension bildet den Erfolg auf Ebene der Transaktion ab und beinhaltet die gesamte, durch den Akquisitionsprozess generierte Wertschöpfung – vom Abschluss der Verhandlungen bis hin zur Ausführung der Integrationsstrategie. Der (Miss-)Erfolg bezieht sich somit nicht mehr ausschließlich auf die Integration, sondern konzentriert sich vielmehr auf die Realisierung der zum Zeitpunkt der Transaktion definierten Wertschöpfungsziele. (iii) Firmenerfolg: Als das umfassendste der drei Konstrukte beschreibt die Ebene der Unternehmensperformance die Auswirkungen der Transaktion auf den Erfolg sämtlicher, während des betrachteten Zeitraums parallel verlaufender innerbetrieblicher Geschäftsprozesse.
Task Integration
Abb. I-3:
113
Akquisitionserfolg
Erfolg nach Zollo und Meier (2008) Quelle: Zollo/Meier (2008), S. 60
Vgl. Zollo/Meier (2008), S. 56ff.
Firmenerfolg
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Im Hinblick auf die dimensionale Verknüpfung betonen Zollo und Meier (2008) die kausale, in eine Richtung verlaufende, logische Verlaufsrichtung der drei Ebenen: „the three levels of analysis (taks, transaction, and firm level) are linked by causal, unidirectional, logical chain.“ (Zollo/Meier 2008, S. 59) Sie beziehen sich dabei auf die Autoren Haspeslagh und Jemison (1992). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass jedes Level zwar eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für den Erfolg des jeweils nachfolgenden Levels impliziert. (b) Erfolgsmodell von Birkinshaw et al. (2000) Die Autoren Birkinshaw et al. (2000) verzichten indes auf die Differenzierung von Transaktions- und Unternehmensperformance. Vielmehr definieren die Autoren, mit Bezug auf die strategische Managementliteratur, akquisitionalen Erfolg als eine Funktion zweier paralleler Prozesse der Task und Human Integration (siehe Abb. I-4).114;115
Prozess der Task Integration Identifikation und Realisierung operationaler Synergien Postakquisitionale Integrationsstrategie
Akquisitionserfolg Prozess der Human Integration Schaffung positiver Haltung organisationaler Mitarbeiter gegenüber der Integration
Abb. I-4:
114 115
Erfolg nach Birkinshaw et al. (2000) Quelle: Birkinshaw et al. (2000), S. 400
Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 398. Den Autoren Birkinshaw et al. (2000) zufolge handelt es sich, mit Bezug auf Blake und Mouton (1985, S. 399), um zwei konzeptionell divergente Prozesse, welche demzufolge ebenfalls im Rahmen der Erfolgsmessung einer separaten Beurteilung unterliegen sollten.
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Für eine Erläuterung dieses Konzeptionalisierungsansatzes, muss auf die in Teilkapitel I.1.2.1 ausgeführten vier Schools of thought verwiesen werden, welche das Phänomen M&A aus verschiedenen theoretischen Blickrichtungen und mit einem jeweils voneinander abweichenden Erfolgsverständnis analysieren.116 So kommen die Autoren zu dem Schluss, dass neben der Financial-Economics School ebenfalls die Strategic Management School einen außerordentlich starken Bezug zur Ebene des Erfolgs auf Transaktions- bzw. Unternehmensebene aufweist. Während bei Ersterem vor allem der Unternehmenswert im Zentrum des Interesses steht, spielt bei der Strategic Management School hingegen vielmehr die Realisierung strategischer Ziele wie bspw. die Generierung von Synergieeffekten eine zentrale Rolle.117 Demgegenüber nehmen bei der Organizational Behaviour und Process Perspective School Zielfunktionen mit unmittelbarem Bezug zum Post-Merger Prozess eine zentrale Rolle ein. Die beiden Schulen unterscheiden sich somit erheblich in ihrer Zielfunktion: Während Befürworter der Process Perspective School der Überzeugung sind, dass die Realisierung der transaktionalen Ziele ausschließlich in einem erfolgreichen Post-Merger Integrationsmanagement liegt und sich der Erfolg in der Performance der Task Integration widerspiegelt,118 liegt der Fokus der Organizational Behavior School indes auf dem Prozess der Human Integration.119 Wie der Ausdruck bereits andeutet, befasst sich dieser mit dem Faktor „Mensch“ und konzentriert sich somit auf Faktoren wie Zufriedenheit,120 Vertrauen121 oder organisationale Identität.122 Es handelt sich dabei um zentrale Vorsteuergrößen für den transaktionalen Erfolg und demzufolge auch für die Realisierung der definierten Transaktionsziele.
116
Vgl. Müller-Stewens (2010), S. 200. Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 397. Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 398. 119 Vgl. Buono/Bowditch (1989), S. 5f. 120 Vgl. bspw. Schweiger/Denisi (1991), S. 120. 121 Vgl. bspw. Stahl et al. (2004), S. 586. 122 Vgl. bspw. Stahl/Voigt (2008), S. 161f. 117 118
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Auf Basis dieser Differenzierung führen die Autoren die Interdependenz von Transaktionserfolg und Task bzw. Human Integration zurück (vgl. Abb. I-5).
Hoch
Gemischter Erfolg: Zufriedene Mitarbeiter; keine operationalen Synergien
Erfolgreiche Akquisition
Gescheiterte Akquisition
Gemischter Erfolg: Operationale Synergien zulasten der Mitarbeiter
Realisierungsgradd der Human Integration on
Gering
Gering Hoch Realisierungsgrad R li i d der d Task T k IIntegration t ti Abb. I-5:
Task und Human Integration Quelle: Birkinshaw et al. (2000), S. 399
Folglich resultiert der Transaktionserfolg aus dem Erfolg beider Prozesse - einer erfolgreichen Human Integration und einer erfolgreichen Task Integration. An dieser Stelle vermag jedoch darauf verwiesen sein, dass die zwei Prozesse trotz ihrer Individualität nicht losgelöst voneinander erfolgen können.123 (c) Erfolgsmodell von Stahl und Voigt (2008) Neben den Konzeptionalisierungsansätzen von Zollo und Meier (2008) sowie Birkinshaw et al. (2000) soll schließlich auf das Erfolgsmodell von Stahl und Voigt (2008) Bezug genommen werden. Die Autoren knüpfen an das Erfolgsmodell der Autoren Birkinshaw et al. (2000) an. In ihrer Arbeit „Do Cultural Differences Matter in Mergers and Acquisitions? A Tentative Model and Examination“ verweisen sie jedoch auf die Tatsache, dass der akquisitionale Erfolg im Sinne von Birkinshaw et al. (2000) 123
Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 399.
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nicht den Integrations-, sondern vielmehr den Transaktionserfolg widerspiegelt.124 Analog der Auffassung von Birkinshaw et al. (2000) gehen sie davon aus, dass
„Overall effective integration is an interactive process, requiring both sociocultural and task integration efforts.“ (Stahl/Voigt 2008, S. 162; Hervorhebung durch den Autor).125 Während Birkinshaw et al. (2000) den Begriff der Task Integration jedoch als Synonym für die Erzielung von Synergieeffekten verwenden und den Erfolg bereits in der Realisierung von Skalen- oder Verbundeffekten sehen, beschreibt er im Modell von Stahl und Voigt (2008) lediglich die Ergebnisse der Task Integration als sog. „antecedents“. So bestehen die Ziele der Task Integration bspw. in der Teilung von Ressourcen oder dem Transfer von Wissen und demzufolge in Steuergrößen, welche letztlich „nur“ eine (Vor-)bedingung für die Realisierung von Synergieeffekten beschreiben.126 Die Synergierealisierung an sich unterliegt letztendlich der Dimension der Transaktionsperformance (vgl. Abb. I-6).
Soziokulturelle Integration Gemeinsame Identität Positive Einstellungen Vertrauen
Abb. I-6:
124
Integrationsprozess Bestehend aus
Task Integration Wissenstransfer Ressourcenteilung Lernen
Erfolgsmodell nach Stahl und Voigt (2008) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Stahl/Voigt (2008), S. 161
Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 162. „Sociocultural integration“ entspricht dem von Birkinshaw et al. (2000) verwendeten Begriff der „Human Integration“. 126 Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 162. 125
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Analog der Autoren Thanos und Papadakis (2012) soll der, an das Modell von Birkinshaw et al. (2000) anknüpfende Konzeptionalisierungsansatz von Stahl und Voigt (2008) herangezogen werden.127 Für die vorliegende Arbeit erweist sich dieser Ansatz als besonders geeignet, indem nicht der Transaktionserfolg, sondern explizit der Erfolg des Integrationsprozesses im Zentrum des Forschungsinteresses steht.128 Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Relevanz der für die Realisierung von Synergieeffekten identifizierten Vorsteuergrößen von den in Kapitel I.1.1.3 skizzierten Integrationsansätzen (Holding, Absorption, Preservation und Symbiose) abhängt.129 So erfordert ein Unternehmenszusammenschluss, im Rahmen dessen das akquirierte Unternehmen in Form einer Holding geführt werden soll, nicht unbedingt einen Integrationsprozess, wodurch gleichzeitig die Vorsteuergrößen an Relevanz verlieren. Der Erfolg kann hier vielmehr unmittelbar auf der transaktionalen Ebene erhoben werden. In Zusammenschlüssen, die dem Ansatz der Absorption oder der Symbiose unterliegen, sind die Vorsteuergrößen der Human und Task Integration hingegen i.d.R. von großer Relevanz wie bspw. im Rahmen der in Teil II der Arbeit dargestellten Forschungsfallstudie. I.1.2.3
Konzepte und Arten von Erfolgskenngrößen
Bevor im nachfolgenden Kapitel eine Bestandsaufnahme jener zentralen Themen bzw. Vorsteuergrößen erfolgt, die einen Einfluss auf das Integrationsergebnis auszuüben vermögen, soll im Folgenden zunächst auf die verschiedenen Arten und Konzepte von Erfolgskenngrößen Bezug genommen werden. Neben jahresabschlussorientierten Untersuchungen über Daten aus Bilanz-, Gewinn- und Verlustrechnungen (a) werden kapitalmarkt- und ereignisbezogene Verfahren (b) sowie subjektive Einschätzungen des Managements für die Messung herangezogen (c). Obgleich die mit der Financial Eco-
127
Vgl. Thanos/Papadakis (2012), S. 123f. Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 161f. 129 Vgl. Kapitel I.1.1.3 und die dort erläuterte Darstellung von Ellis und Lamont (2004). Die Autoren unterscheiden unterschiedliche Ansätze der Integration und die damit verbundene Integrationstiefe. 128
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nomics School verbundenen objektiven Kriterien für den weiteren Verlauf dieser Arbeit lediglich eine untergeordnete Rolle spielen, sollen diese ebenfalls berücksichtigt werden. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei diesen um die drei in der Literatur massgeblich Beachtung findenden Arten von Erfolgsgrößen handelt. Neben der Erläuterung des Grundgedankens des jeweiligen Konzeptes, werden die Vorund Nachteile der Erfolgsgrößenarten diskutiert. (a) Jahresabschlussbasierte Erfolgskenngrößen Im Rahmen der empirischen Erfolgsforschung nehmen Jahresabschlussbasierte Erfolgsgrößen bereits seit geraumer Zeit einen bedeutenden Raum ein. Wie der Name bereits andeutet, erfolgt hier eine Beurteilung des Erfolgs mittels rechnungslegungsbasierter Kennzahlen.130 Standen zu Beginn ausschließlich finanzwirtschaftliche Kennzahlen zur Beurteilung des unternehmerischen Risikos im Fokus, wurden diese mit der Zeit um weitere Kennzahlen sowie um innerbetriebliche Vergleichsgrößen ergänzt, sodass die Kennzahlen des Rechnungswesens heute sowohl bilanzielle als auch rein innerbetriebliche Kenngrößen umfassen. Bilanzielle Kenngrößen schließen dabei sämtliche, den Geschäftsverlauf betreffende Daten ein, welche über eine Analyse der Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung ebenfalls Externen zur Verfügung stehen. Demgegenüber werden bei der innerbetrieblichen Kennzahlenrechnung (noch) weitere, über bilanzielle Größen hinausgehende Kennzahlen erhoben.131 Zur Messung des Zusammenschlusserfolgs kann dabei grundsätzlich zwischen zwei Vorgehensweisen differenziert werden:132
130
Es handelt sich dabei um hochverdichtete Maßgrößen, welche in absoluter oder relativer Form über einen quantitativ erfassbaren Untersuchungsgegenstand Auskunft geben. 131 Vgl. Näther (1993), S. 25. 132 Kirchner (1991), S. 92f. zufolge könnte darüber hinaus ein „Soll-Ist-Vergleich“ als weitere Vorgehensweise zur Untersuchung jahresabschlussbasierter Kennzahlen herangezogen werden. Diese Vorgehensweise erfordert jedoch die Existenz und Publikation sog. definierter „Soll-Normen“. Eine allgemeine Verpflichtung, diese Daten zu veröffentlichen, sind aus dem Wortlaut des jeweiligen Gesetzes jedoch nicht abzuleiten. Vor diesem Hintergrund ist ein Soll-Ist-Vergleich lediglich im
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(i) Ex ante/ex post Transaktionsvergleich: Auf Basis der publizierten Daten kann über einen Vorher-Nachher-Vergleich eine Bewertung ausgewählter Kennzahlen vorgenommen werden.133 Dabei wird die organisationale Entwicklung vor dem Zusammenschluss der Transaktionspartner als Referenzwert herangezogen und einem ex-post Vergleich unterzogen, woraus eine positive bzw. negative (wirtschaftliche) Entwicklung resultiert.134 (ii) Komparative Objektanalyse: Im Rahmen der komparativen Objektanalyse hingegen erfolgt ein Vergleich der (Unternehmens-)Performance mittels einer bzw. mehrerer Kontrollgruppen,135 welche i.d.R. unterschiedlichen Industriezweigen oder Unternehmen aus ein und derselben Branche entstammen.136 Darüber hinaus werden aber auch Branchen- und Durchschnittswerte der Gesamtwirtschaft als Vergleichsmaßstäbe herangezogen.
Bei dem ex ante/ex post Vergleich und der komparativen Objektanalyse handelt es sich um komplementäre Ansätze, welche in kombinierter Form durchaus bessere Resultate erwarten lassen. Der damit einhergehende Mehraufwand führt jedoch dazu, dass für die Identifikation des akquisitionalen Erfolgs von einem gemeinsamen Einsatz lediglich sporadisch Gebrauch gemacht wird. Die Vielzahl der über Daten aus Bilanz-, Gewinn- und Verlustrechnungen zur Verfügung stehenden Kennzahlen lassen sich grundsätzlich in Größen-, Rentabilitäts- und Börsenmaße kategorisieren. Sie finden häufig in kombinierter Form Verwendung (siehe Tab. I-3).137
Einzelfall realisierbar und kommt in der jahresabschlussbasierten M&A-Erfolgsmessung so gut wie nie zur Anwendung. 133 Vgl. Glaum et al. (2006), S. 299. 134 Vgl. Cording et al. (2010), S. 16. 135 Vgl. Kirchner (1991), S. 92f. 136 Häufig erfolgt jedoch eine Verwendung zugleich mehrerer Kontrollgruppen, um eine adäquate Vergleichsgruppe für die organisationalen Anforderungen ausfindig zu machen. In der Management Praxis werden diese häufig mit dem Begriff „Peer-Groups“ in Verbindung gebracht. 137 Vgl. bspw. Baetge et al. (2004), S. 147ff. und Bamberger (1994), S. 115f.
TEIL I:
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KLASSIFIKATION JAHRESABSCHLUSSBASIERTER KENNZAHLEN Größenmaße
Tab. I-3:
Rentabilitätsmaße
Umsatz Mitarbeiter Vermögen ...
Umsatz Eigenkapitalrendite Gesamtkapitalrendite ...
Börsenmaße
Börsenkurs Gewinn je Aktie Kurs-Gewinn-Verhältnis ...
Klassifikation jahresabschlussbasierter Kennzahlen Quelle: Eigene Darstellung.
Unter Größenmaße werden dabei absolute Kenngrößen subsumiert, wie z.B. Umsatz, Mitarbeiter und Vermögen. Daneben stellen Rentabilitätsmaße sog. Verhältnisgrößen dar, welche bspw. die Eigenkapital- oder Gesamtkapitalrentabilität umfassen. Börsenmaße wiederum können bspw. mit Verschuldungsgrad, Börsenkurs, Gewinn je Aktie (Earnings per Share) oder Kurs-Gewinn-Verhältnis (Price-Earnings-Ratio) in Verbindung gebracht werden.138 Die Beurteilung kennzahlenbasierter Erfolgsgrößen ist in der Literatur durch eine hohe Ambivalenz gekennzeichnet. Ihre Akzeptanz ist in erster Linie auf ihre hohe praktische Bedeutung zurückzuführen, vereinfachen die i.d.R. auf breiter Basis öffentlich zugänglichen Daten den Prozess der Datenerhebung und die Generierung einer umfangreicheren Stichprobengröße.139 Neben ihrer großen praktischen Bedeutung, haben jahresabschlussbasierte Erfolgskenngrößen zudem eine hohe strategische Bedeutung inne, indem diese vielfach als Grundlage strategischer Entscheidungsfindung herangezogen werden.140 Stahl und Voigt (2008) heben darüber hinaus den Vorteil hervor, dass Kenngrößen der Rechnungslegung in ihrer Berechnung Markterwartungen außer Acht ließen und sich stattdessen vielmehr auf den durch den Unternehmenszusammenschluss generierten wirtschaftlichen Nutzen bezögen.141
138
Vgl. Glaum et al. (2006), S. 299. Vgl. Kirchner (1991), S. 91. 140 Vgl. Bromiley (1986), S. 127ff.; Krishnan et al. (1997), S. 368. 141 Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 167. 139
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Theoretische Grundlagen
41
Diesen Vorteilen stehen jedoch auch eine Reihe Nachteile gegenüber. So liefert insbesondere die Flexibilität im Zuge der Bestimmung der jahresabschlussbezogenen Kenngrößen grundlegende Kritik, welche der Organisation, unabhängig gesetzlich determinierter Einschränkungen einen gewissen Ermessensspielraum einräumt.142 Demzufolge unterliegt der Jahresabschluss zumindest teilweise dem subjektiven Einfluss des Managements,143 wodurch Aussagekraft und Komparabilität der Ergebnisse bedeutend geschmälert wird.144 Als erhebliches Defizit wird darüber hinaus die strikte Vergangenheitsorientierung ebenso wie die unzureichende intertemporale Vergleichbarkeit des Datensatzes hervorgehoben. So liegen rechnungslegungsbasierte Kennzahlen, wie z.B. die Gesamtkapitalrendite, nach wie vor nicht nur dem transaktionalen Bewertungs-, sondern ebenfalls dem Finanzierungsansatz zugrunde. Den Autoren Healy et al. (1992) zufolge, kann ein temporaler Vergleich über unterschiedliche Unternehmen hinweg folglich nur über eine Reihe datenbezogener Anpassungsschleifen vorgenommen werden,145 was gleichzeitig wiederum zu einer Erhöhung des potentiellen Verzerrungsgrades der (Erfolgs-)Messgrößen führt.146 Darüber hinaus erfordert der Einsatz rechnungslegungsbezogener Daten die Berücksichtigung der Unmöglichkeit einer vollständigen Isolation akquisitionaler Einflüsse. Folglich sind Veränderungen in den Kennzahlen durch außer-akquisitionale Einflussfaktoren nicht auszuschließen.147
142
Grundlegende Kritik an der rechnungslegungsbasierten Erfolgsmessung üben bspw. Seth (1990), S. 99 und Rappaport (1999), S. 15ff. Eine Reihe von Wissenschaftler greift in diesem Zusammenhang sogar auf den Begriff der Manipulation zurück. Siehe bspw. Bamberger (1994), S. 113 oder auch Perin (1996), S. 53. 144 Vgl. Chatterjee et al. (1992), S. 325; Wirtz (2003), S. 396f. 145 Vgl. Healy et al. (1992), S. 139. 146 Vor diesem Hintergrund greift eine nicht minder große Anzahl an Forschungsarbeiten hautpsächlich auf Kenngrößen des Kapitalflusses zurück. Zum einen weisen diese eine geringere Fehlerquote auf, zum anderen werden Wertentwicklungen besser wiedergegeben. Vgl. Ravenscraft/Scherer (1987), S. 147. 147 Vgl. Cording et al. (2002), S. 36; Datta (1991), S. 288; Haleblian et al. (2009), S. 493. 143
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(b) Kapitalmarktorientierte Erfolgskenngrößen Häufig bevorzugt wird in der Literatur jedoch die Verwendung sog. kapitalmarktorientierter Erfolgskenngrößen, um die Entwicklung des Unternehmenswertes im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen zu ermitteln. Maßstab für den (Miss)Erfolg eines Zusammenschlusses impliziert dabei die Veränderung des Aktienkurses der am Zusammenschluss beteiligten Organisationen über eine bestimmte Zeitspanne hinweg, den sog. Ereigniszeitraum (oder auch „Event window“). Mit zunehmender Länge des Ereignisfensters ist eine vollumfänglichere Betrachtung des Ereignisgegenstandes möglich. Jedoch besteht bei der Wahl eines zu langen Zeitfensters die Gefahr der Verwässerung nicht ereignisbezogener Effekte. Die Messung der Wertveränderung kann dabei über Kursgewinne oder -verluste der Aktionäre anhand sog. abnormaler Renditen (AR) ermittelt werden. Die abnormalen Renditen als positive bzw. negative Abweichungen von der im Zuge einer Transaktionsankündigung erwarteten Aktienrendite sind erforderlich, um nicht mit der Akquisitionsankündigung in Beziehung stehende Kursbewegungen zu bereinigen.148 Definiert als Differenz zwischen der tatsächlich erhobenen und der theoretisch erwarteten Rendite, berechnet sich die abnormale Rendite ARit der Aktie i zum Zeitpunkt t somit durch Subtraktion der erwarteten Rendite E (Rit) von der tatsächlichen beobachteten Aktienrendite Rit:149
ARit = Rit – E(Rit) mit ARit
=
abnormale Rendite der Aktie i im Zeitraum t,
Rit
=
tatsächliche Rendite der Aktie i im Zeitraum t,
E(Rit)
=
erwartete Rendite der Aktie i für den Zeitraum t.
148 149
Diese können z.B. durch reine Marktbewegungen herbeigeführt werden. Vgl. Weston et al. (1998), S. 93ff.
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Der Erwartungswert stellt dabei den Wert der Rendite dar, welchen die Aktie ohne die Transaktion zu erwarten hätte. Für die Berechnung der erwarteten Rendite kann auf unterschiedliche Modelle zurückgegriffen werden, welche in folgende drei (Modell-) Varianten klassifiziert werden können: Marktmodelle CAPM (Capital Asset Pricing Model) Bereinigte Modelle An dieser Stelle soll auf Bühner (1990) und Eckhardt (1999) für eine ausführliche Beschreibung der jeweiligen Modellvarianten verwiesen werden.150 Abb. I-7 veranschau-
Zeitpunkt
licht das Grundmodell kapitalmarktbezogener Ereignisstudien noch einmal graphisch.
Evtl. Informationen über strategische Vorentscheidungen, Zusammenschlussprogramme
Akquisitionsankündigung/ erste Information des Kapitalmarktes
Kaufpreisangebot an Aktionäre (Tender Offer)
Vertragsabschluss oder Widerruf des Akquisitionsvorhabens
Evtl. späterer Wiederverkauf
Gemessene Effektee
Prozessphase
t
Abb. I-7:
150
Realisationsphase
Verhandlungsphase
Angebotsphase
Verhandlungseffekte Antizipationseffekte Ankündigungseffekte
Angebotseffekte
Realisationsns- Effekte effekte analog zur Akquisition
Bezugspunkte und gemessene Effekte von Ereignisstudien Quelle: Kirchner (1991), S. 95.
Siehe Bühner (1990), S. 9ff. und Eckhardt (1999), S. 78ff.
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Theoretische Grundlagen
44
Die kapitalmarktorientierte Erfolgsmessung findet bei einer Vielzahl von Wissenschaftlern die höchste theoretische Akzeptanz. Dies geht damit einher, dass durch die Antizipation der Erwartungshaltung der Marktteilnehmer eine tatsächliche ex-anteBetrachtung von Transaktionen vorgenommen wird. Durch die Verwendung des Börsenkursindikators zeichnet sich der Ansatz zudem durch seine enge Verbindung zum weit verbreiteten Shareholder-Value-Ansatz aus, indem ein Unternehmenszusammenschluss lediglich im Falle einer Nutzenmaximierung der Anteilseigner einer erfolgreichen Beurteilung unterliegt.151 So führt seinen Fürsprechern zufolge ausschließlich der kapitalmarktorientierte Ansatz eine adäquate Ermittlung des Akquisitionserfolges durch, da dieser (geradezu) zwangsläufig, unter Berücksichtigung unterschiedlichster wirtschaftlicher Effekte, einen klar interpretierbaren Index auf Gesamterfolgsebene zur Folge hat, zentrale Einflüsse des Marktes nivelliert, den Erfolg nicht lediglich für eine scheinbar willkürliche Definition des zu untersuchenden Ereignisfensters reflektiert, und eine manageriale Beeinflussung des (Transaktions-)Erfolgs ohne realwirtschaftlichen Bezug nicht zulässt.152 Doch ungeachtet der angeführten Vorteile unterliegen kapitalmarktorientierte Ereignisstudien ebenfalls massiver Kritik.153 So ist zu bezweifeln, dass der Aktienkurs rein akquisitionale Einflüsse, ohne weitere auf die Über- bzw. Unterrendite einflussnehmende Faktoren, berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass Kursbewegungen an der Börse nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf Effizienzsteigerungen oder sonstige transaktionsbe-
151
Hier messbar gemacht als Marktwert des Eigenkapitals der beteiligten Organisationen. Vgl. Gerpott (1993), S. 202f. 153 Kritiker gehen z.T. sogar so weit, einen grundsätzlichen Richtungswechsel im Kontext der wissenschaftlichen M&A Erfolgsforschung einzufordern. So bspw. Porter (1987), S. 44f.; Trautwein (1990), S. 293. 152
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dingte Entwicklungen erlauben.154 Den Autoren Healy et al. (1992) wie auch Datta (1991) zufolge ermöglicht ein ereignisstudienbasierter Ansatz zudem keine, über eine universale, erfolgskritische Äußerung hinausgehende Identifikation der tatsächlichen Quellen der Wertschöpfung.155 Vielmehr spiegelt die Reaktion des Kapitalmarktes auf eine Transaktionsankündigung lediglich die Erwartungen des Kapitalmarktes wider, nicht aber den Erfolg, welcher aus dem gesamthaften Übernahme- bzw. Post-MergerIntegrationsprozess hervorgeht.156 Darüber hinaus umfasst die Ereignisstudie ein verhältnismäßig kurzes, i.d.R. nur wenige Tage umfassendes Zeitfenster.157 Vor dem Hintergrund der Tatsache jedoch, dass der Erfolg eines Unternehmenszusammenschlusses nicht unmittelbar nach dem Zusammenschluss eintritt und erfolgskritische Beurteilungen erst nach Ablauf einer bestimmten Zeitperiode vorgenommen werden können,158 kann die Kürze des betrachteten Ereignisfensters im Rahmen einer kapitalmarktbasierten Vorgehensweise für eine holistische Erfolgsbeurteilung lediglich unter Vorbehalt als zweckmäßig beurteilt werden.159 (c) Subjektive Einschätzungen des Erfolgs Neben jahresabschlussbasierten und kapitalmarktorientierten Erfolgskenngrößen, bedient sich eine zunehmende Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen den subjektiven Einschätzungen des Managements – vorrangig, um eine Erfolgsbeurteilung über ein längerfristiges Zeitfenster zu erhalten.160 Zu einer Einschätzung des akquisitionalen Erfolgs über persönliche Interviews oder (teil)standardisierte Fragebögen können neben internen Managern ebenfalls Mitarbeiter sowie externe Berater herangezogen werden.161 Für die Untersuchung kann dabei sowohl auf ein als auch auf beide Erhe-
154
Vgl. Ravenscraft/Scherer (1987), S. 7ff. Vgl. bspw. Datta (1991), S. 282; Healy et al. (1992), S. 136. 156 Vgl. Datta (1991), S. 288; Haleblian et al. (2009), S. 493. 157 Vgl. Fowler/Schmidt (1989), S. 342. 158 Vgl. Cartwright/Cooper (1990), S. 73. 159 Vgl. Magenheim/Müller (1988), S. 190. 160 Vgl. bspw. Capron (1999), S. 998f.; Homburg/Bucerius (2006), S. 354f.; Hunt (1990), S. 70. 161 Vgl. Schäfer (2001), S. 100. 155
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bungsinstrumente zurückgegriffen werden. Neben rein finanziellen Messgrößen umfasst der Ansatz hauptsächlich qualitative Einschätzungen und verfügt damit - entgegen der beiden vorangegangenen Konzepte - über den bedeutenden Vorteil, die Messung des akquisitionalen Erfolgs unmittelbar an den mit einer Transaktion verbundenen Motiven und Zielsetzungen vornehmen zu können. Darüber hinaus spricht die uneingeschränkte Applikabilität des Ansatzes für eine Messung des Erfolgs durch subjektive Einschätzungen,162 da systematische, zielgerichtete Fragestellungen die Erhebung eines jeden Tatbestandes ermöglicht. Zudem unterliegen Befragungen einer ausgesprochen hohen Flexibilität hinsichtlich ihrer Gestalt- und Anwendbarkeit durch divers einsetzbare Erfolgsindikatoren, Frageformulierungen und Antwortskalen, wodurch eine sehr differenzierte Betrachtung des Akquisitionserfolges möglich ist. Neben qualitativen oder „weichen“ Faktoren lassen sich ebenfalls Erfolgskenngrößen herausbilden, welche auf rechnungslegungs- oder kapitalmarktbasierten Daten beruhen. Entgegen der zuvor diskutierten objektiv charakterisierten Forschungsansätze kann der Zielerreichungsgrad im Rahmen des vorliegenden Konzeptes sogar gänzlich ohne Approximation der ursächlichen Erfolgswirkung und des akquisitionalen Zielerreichungsgrades mittels eines Vorher-Nachher Vergleichs bzw. eines Vergleichs mit ähnlichen Unternehmen ermittelt werden. Wissenschaftliche Erhebungen konnten überdies die Aussagefähigkeit subjektiver Erfolgsmessgrößen sowie deren Korrelation mit den jeweiligen objektiven Kenngrößen empirisch belegen.163 Es handelt sich dabei um einen Nachweis, welcher in erster Linie für jene Fälle von Bedeutung ist, im Rahmen derer keine Informationen über Kennzahlen des Rechnungswesens oder des Kapitalmarktes verfügbar sind. Trotz der genannten Vorteile ist der subjektive Ansatz zur Erfolgsmessung nicht ohne Kritik. So können subjektive Erfolgseinschätzungen aufgrund eines defizitären Erinne-
162 163
Vgl. Dess/Robinson (1984), S. 268. Vgl. Zollo/Meier (2008), S. 69. Siehe bspw. auch Dess/Robinson (1984) oder Papadakis/ Thanos (2010).
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rungsvermögens, defektiver Selbstwahrnehmung oder eines sog. „social desirability bias“ einer erheblichen Verzerrung unterliegen.164 Durch den Einsatz multipler Kenngrößen mit hohem Detaillierungsgrad, kann dieser jedoch entsprechend vorgebeugt werden.165 Wie bereits angedeutet spielen die mit der Financial Economics School verbundenen objektiven Kriterien wie jahresabschlussbasierte und kapitalmarktorientierte Erfolgsgrößen im weiteren Verlauf dieser Arbeit lediglich eine untergeordnete Rolle. Vielmehr wird die Untersuchung der PMI unter Verwendung einer schematheoretischen Perspektive über persönliche Interviews und damit auf Basis subjektiver Einschätzungen vorgenommen. I.1.3 Grundlegende Erkenntnisse bisheriger Forschungsbemühungen In Anbetracht des Mangels an konsistenten Ergebnissen forderte eine Reihe von Wissenschaftler eine stärkere Konzentration auf die sich nach der Transaktion abspielenden Ereignisse.166 Diese Forderungen haben zu einem umfangreichen und wachsenden Strom an Arbeiten zur Post-Merger Integration geführt. Jedoch waren diese Beiträge hauptsächlich darauf gerichtet, eine gemeinsame Basis zu finden, wodurch tiefer gehende Einblicke in die verschiedenen Teilbereiche, wie bspw. detailliertere Konzepte der Prozessperspektive von PMI, größtenteils unberücksichtigt blieben. Erst in jüngster Vergangenheit kann eine Zunahme der Forschung zu prozessualen Aspekten der M&A Integration festgestellt werden, die zugleich neue vielversprechende Fragestellungen in Bezug auf PMI und die Frage nach dem Erfolg eröffnen. Im Folgenden sollen grundlegende Erkenntnisse bisheriger Forschungsbemühungen aufgezeigt werden. Von den vorherigen Beiträgen, welche eine Rekapitulation des gesamten Forschungsfeldes vornahmen, ist die vorliegende Arbeit insofern zu unter-
164 165 166
Vgl. Cording et al. (2002), S. 36; Datta/Grant (1990), S. 36. Vgl. Zollo/Meier (2008), S. 72. Vgl. bspw. Haleblian et al. (2009) oder Steigenberger (2017).
TEIL I:
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scheiden, als dass sich die Untersuchung der PMI Forschungsliteratur insbesondere auf die zwischen den Akteuren stattfindenden Prozesse und Interaktionen und deren Einfluss auf den Erfolg konzentriert. Im Hinblick auf die Darlegung der Ergebnisse orientiert sich die vorliegende Arbeit dabei an dem, über eine Vielzahl veröffentlichter Forschungsbeiträge hinweg verwendeten Strukturrahmen. Zur Identifikation der relevanten Artikel wurde neben den Datenbanken EBSCO Business Source Complete, WISO und Emerald Insight, der Onlinekatalog OPAC (Bayerischer Verbundkatalog) in die Literaturrecherche einbezogen. Dabei wurden verschiedene Schlüsselwörter wie „post-merger integration“, „post-acquisition integration“, „PMI“ oder „M&A Integration“ in Kombination mit Begriffen wie „performance“, oder „measures“ zur Suche herangezogen. Analog anderer PMI Reviews wurde dabei die Arbeit von Jemison und Sitkin (1986) als Ausgangspunkt für die Untersuchung zugrunde gelegt.167 Neben den über die Suchbegriffe identifizierten Arbeiten, wurden ebenfalls Beiträge berücksichtigt, deren Relevanz erst im Zuge weiterer Untersuchungen hervorging. Begründet wird dies über die Tatsache, dass sich zwar eine Vielzahl wissenschaftlicher Beiträge mit dem Erfolg im Kontext der PMI auseinandersetzen, diese jedoch vielfach nicht der Kern der Analyse darstellt und demzufolge keine Berücksichtigung in den Schlüsselwörtern findet. Das Kapitel gliedert sich in zwei Teilabschnitte, im Rahmen derer zunächst auf die Strukturierung der Review Ergebnisse Bezug genommen wird (I.1.3.1), bevor sodann die identifizierten Kernfelder vor dem Hintergrund der zwischen den Akteuren stattfindenen Prozesse und Interaktionen aufgezeigt werden (I.1.3.2).
167
Vgl. bspw. Steigenberger (2017).
TEIL I:
I.1.3.1
Theoretische Grundlagen
49
Strukturierung der Reviewergebnisse
Der Literatur Review basiert auf drei Kernbereichen der PMI Forschung. Es handelt sich dabei um die Bereiche: „Kontext“, „sozio-kulturelle Integration“ und „strukturelle Integration“. Durch die Definition von PMI als ein dynamischer Prozess,168 nehmen diese nicht nur jeweils unabhängig voneinander, sondern vielmehr wechselseitig Einfluss auf den Erfolg der Post-Merger Integration (vgl. Abb. I-8).
Sozio-kulturelle Integration v
Kontext
soziale Prozesse der Interaktion iv
iii
vii i
Erfolg der Integration
vi ii
Strukturelle Integration
Abb. I-8:
Strukturierung der PMI Erfolgsforschung Quelle: Eigene Darstellung.
So bezieht sich der Kontext einer Post-Merger Integration auf zentrale, bereits vor Beginn der Transaktion vorherrschende Rahmenbedingungen, die einen unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg des Integrationsprozesses auszuüben vermögen (i).169 Daneben haben die Prozesse der strukturellen (ii) und sozio-kulturellen Integration (iii) häufig eine direkte Auswirkung auf den PMI Erfolg. Während bei der strukturellen Integration die Zusammenführung von Strukturen, Prozessen und Systemen im Vordergrund steht, befasst sich die sozio-kulturelle Integration hingegen mit dem Faktor „Mensch“. Das im Rahmen dieser Bestandsaufnahme gelegte Augenmerk auf die zwischen den
168 169
Vgl. Kapitel I.1.1.1. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf eine technologische oder marktbezogene Verbundenheit verwiesen.
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
50
Akteuren stattfindenden Prozesse und Interaktionen impliziert, dass die Interaktionen von Mitarbeitern auf die Handlungen des Managements Einfluss nehmen können, während strukturelle und führungsbasierte Interventionen wiederum die Interaktionsprozesse beeinflussen können. Anders formuliert können Interventionen der strukturellen und sozio-kulturellen Integration Auslöser für soziale Prozesse der Interaktion implizieren (v + iv), gleichzeitig können jedoch auch Aktivitäten der Manager und anderer Organisationsmitglieder als Impulsgeber für Veränderungsprozesse der strukturellen und sozio-kulturellen Integration fungieren (vii+ vi).170
I.1.3.2
Zentrale Themenfelder der PMI
Im Folgenden soll jedes der drei Kernfelder vor dem Hintergrund der Interaktivität erläutert werden. Dabei soll zunächst auf den Kontext eingegangen werden (a). Sodann werden die Themenfelder der sozio-kulturellen (b) und strukturellen Integration (c) skizziert. Abschnitt (d) führt sodann die den strukturellen und sozio-kulturellen Interaktionen zugrundeliegenden Prozesse sozialer Kognition aus. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass vor dem Hintergrund des eher „statischen“ Charakters des Kontextes, Interaktionsprozesse in diesem Kernfeld nicht im Vordergrund stehen. Nichtsdestotrotz soll auf die für den Erfolg in der Literatur identifizierten zentralen Aspekte Bezug genommen werden, da der Kontext einer Post-Merger Integration ein wesentlicher Bestandteil des PMI Bezugsrahmens darstellt. (a) Kontext Der Kontext einer Post-Merger Integration bezieht sich auf die Rahmenbedingungen und damit auf zentrale, interne wie externe Eigenschaften und Merkmale der Transaktionspartner, die den Integrationsprozess beeinflussen können. Neben der Branchen-
170
Vgl. die Forschungsarbeiten von Gioia/Chittipeddi (1991) oder Gioia et al. (1994).
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
51
Verwandtschaft171 und der Marktstruktur172 als externe Faktoren, können die Integrationsstrategie oder die Art bzw. der Ansatz der Integration173 als interne Faktoren identifiziert werden. Im Folgenden soll auf die Aspekte post-akquisitionale Erfahrung, nationale wie kulturelle Unterschiede sowie die Komplementariät von Fähigkeiten und Ressourcen Bezug genommen werden, wurden diese im Rahmen der vorgenommenen Analyse über eine Vielzahl von Forschungsarbeiten hinweg als signifikant identifiziert. Obgleich man intuitiv davon auszugehen vermag, dass Unternehmen mit PMI Erfahrung gegenüber Unternehmen ohne PMI Erfahrung im Vorteil sind, sind die Ergebnisse trotz einer Vielzahl an Studien nicht eindeutig.174 So wird die intuitive Annahme einer positiven Beziehung zwischen Erfahrung und Performance zwar durch einige Forschungsergebnisse gestützt,175 jedoch verweisen zahlreiche Studien ferner auf negative, unbedeutende, U-förmige bis hin zu umgekehrt U-förmigen Beziehungen.176 Grundsätzlich jedoch gilt, dass vorherrschende PMI Erfahrungen für Transaktionen mit hoher Integrationstiefe i.d.R. wichtiger sind als für Integrationen mit einem geringen Integrationslevel.177 So untersuchen bspw. Ellis et al. (2011) die Integrationserfahrung vor dem Hintergrund organisationaler Eigenschaften. Dabei liefern die Autoren einen Nachweis dafür, dass Lernen aus vorherigen Erfahrungen lediglich zwischen Integrationen mit vergleichbaren Eigenschaften wie Größe, geografische Ausrichtung oder Produktportfolio erfolgt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Autoren Hèrbert et al. (2005), welche darauf verweisen, dass eine geringe bzw. ausbleibende PMI Erfahrung in einem regionalen Markt das post-akquisitionale Überleben aufgrund kulturell unerfahrener Expatriates verringert.
171
Vgl. bspw. Kang/Kim (2010). Vgl. bspw. Mtar (2010). 173 Vgl. bspw. Angwin/Meadows (2015). 174 Vgl. Barkema/Schijven (2008). 175 Vgl. Al-Laham et al. (2010); Barkema/Schijven (2008); Ellis et al. (2009); Haleblian/Finkelstein (1999); Zollo (2009). 176 Vgl. Graebner et al. (2017), S. 16 und die dort angegebene Literatur. 177 Vgl. Colombo et al. (2007); Puranam/Srikanth (2007). 172
TEIL I:
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Große Aufmerksamkeit wurde zudem der Einflussnahme kultureller Unterschiede auf den Erfolg eines PMI Prozesses geschenkt.178 Dabei kann zwischen Unterschieden im nationalen wie organisationalen Kontext differenziert werden. So geht aus einer Reihe von Studien hervor, dass kulturelle Unterschiede zwischen der akquirierenden und der akquirierten Organisation häufig, jedoch nicht immer, die Performance reduzieren. Datta (1991) bspw. kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass unterschiedliche Führungsstile einen negativen Effekt auf den Erfolg einer Integration verüben.179 Er führt dies auf die Tatsache zurück, dass unterschiedliche Führungsstile Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit verursachen und die Realisierung von Synergien komplexer werden lassen.180 Bauer et al. (2014) sowie Slangen (2006) betonen dabei, dass die negativen Effekte kultureller Unterschiede besonders bei Ansätzen mit einer hohen Integrationstiefe ausgeprägt seien. Demgegenüber betonen Chatterjee et al. (1992) wiederum eine stark inverse Beziehung zwischen der Wahrnehmung kultureller Unterschiede und der M&A Performance. 181 Während die überwiegende Anzahl an Forschungsarbeiten im Kontext organisationaler Kulturunterschiede auf eine Beeinträchtigung post-akquisitionaler Performance verweist,182 können Unterschiede in der nationalen Kultur die Integration sowohl positiv als auch negativ beeinflussen.183 So weisen Lee et al. (2015) bspw. darauf hin, dass unterschiedliche nationale Kulturen in den frühen Phasen einer Integration zwar häufig zu Spannungen führen, in Folge eines guten Managements jedoch durchaus auch Lernmöglichkeiten schaffen.184 Und auch Morosini et al. (1998) kommen in ihrer Analyse grenzüberschreitender Akquisitionen zu dem Ergebnis, dass die nationale kulturelle Distanz einen positiven Einfluss auf den M&A Erfolg hat. Dabei verweisen sie auf 178
Vgl. bspw. Chatterjee et al. (1992); Sarala et al. (2016); Stahl/Voigt (2008). Vgl. Datta (1991), S. 283f. 180 Vgl. Datta (1991). Siehe auch Larssen/Finkelstein (1999) oder Bauer/Matzler (2014). 181 Vgl. Chatterjee et al. (1992), S. 326ff. Die Autoren untersuchen, wie die Wahrnehmung kultureller Unterschiede durch die Führungspersönlichkeiten die Aktionärsrenditen beeinflusst. 182 Vgl. Vaara (2000); Vaara et al. (2012). 183 Vgl. bspw. Bauer et al. (2016); Buono et al. (1985); Datta (1991); Vaara (2003). 184 Siehe auch Ellis et al. (2011). 179
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
53
die unterschiedlichen Routinen und Fähigkeiten der Transaktionspartner, die als „komplementäre Wissensaktien“ betrachtet werden können. Neben Erfahrungswerten und kulturellen Unterschieden gilt der „strategische Fit“ zweier Transaktionspartner, also die Komplementarität von Ressourcen, Produkten oder Prozessen, als wichtige Einflussgröße für den Erfolg eines Post-Merger Prozesses.185 Dabei weist die überwiegende Mehrheit der Forschungsarbeiten in der M&ALiteratur darauf hin, dass ein guter strategischer Fit der beiden Transaktionspartner Wertschöpfungspotentiale sicherstellt.186 Die Analyse der Einflussgröße auf den Erfolg der PMI wurde dabei vor dem Hintergrund unterschiedlicher Dimensionen vorgenommen. So ermöglicht eine geschäftliche Beziehung bspw. eine gemeinsame Konzeptualisierung der Erfolgsanforderungen in einem akquirierten Unternehmen.187 Ebenso bietet die funktionale Verbundenheit (im Sinne einer funktionalen Überlappung) Potential für Kostensynergien. Autoren wie Larsson und Finkelstein (1999) weisen an dieser Stelle jedoch darauf hin, dass die Realisierung dieser Synergien gleichzeitig den Widerstand der Mitarbeiter zu erhöhen vermag, da Kostensynergien dieser Art i.d.R. mit einem Stellenabbau verbunden sind. Ferner impliziert die Vertrautheit mit dem Markt der akquirierten Organisation eine wichtige Kenngröße für eine erfolgreiche Integration,188 ebenso wie für F&E-bezogene Akquisitionen die Vertrautheit mit den Wissensbeständen der integrierenden Unternehmen von Bedeutung ist,189 wobei eine zu starke Überlappung wenig Gelegenheit zum Lernen bietet. Zu wenig Überlappung wiederum kann bedeuten, dass den Organisationen die erforderliche Kapazität für die adäquate Verwendung des Wissens des jeweils anderen Unternehmens fehlt.
185
Vgl. King et al. (2004), S. 189. Siehe auch Bauer/Matzler (2014); Kim/Finkelstein (2009); Very et al. (1997). Vgl. bspw. Kusewitt (1985). 187 Vgl. Prahalad/Bettis (1986). 188 Vgl. Ellis et al. (2009). 189 Vgl. Makri et al. (2010). 186
TEIL I:
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(b) Sozio-kulturelle Integration Unter der Kategorie „sozio-kulturelle Integration“ werden im Folgenden Aspekte beleuchtet, die vom Management im Rahmen der Integrationsphase adressiert werden müssen. In diesem Zusammenhang konnten sechs Forschungsfelder identifiziert werden, die sich mit den Themen Kommunikation, Leadership und Akkulturation sowie Management von Einstellungen und Emotionen organisationaler Mitglieder im Kontext des Erfolgs befassen. Die für den Erfolg der Post-Merger Integration zentrale Rolle der Kommunikation wird von einer Vielzahl von Autoren hervorgehoben. So betonen bspw. Epstein (2004, S. 183), Hubbard (2001, S. 93f.) aber auch Haspeslagh und Jemison (1992, S. 162f.) sowie Reus und Lamont (2009, S. 1306) die Wichtigkeit der Kommunikation für den (erfolgreichen) Prozess der Integration.190;191 Eine zunehmende Reihe von Forschungsarbeiten konzentriert sich dabei insbesondere auf die Beziehung zwischen Interaktion und aquisitionaler Performance. So ging aus der Analyse hervor, dass ein größeres Maß an Interaktion zwischen den fusionierenden Unternehmen zu einer besseren Koordination führt und eine bessere Performance erzeugt.192 So messen Birkinshaw et al. (2000) bspw. die Quantität und Effektivität des innerhalb der F&E Abteilungen stattfindenden Informationsaustauschs im Verlauf des Integrationsprozesses auf Basis einer Mitarbeiterbefragung.193 Dabei stehen die Häufigkeit des Kontakts mit der F&E Abteilung der jeweils anderen Organisation sowie das verwendete Kontaktmittel im Vordergrund der Erhebung.194 Ebenso untersuchen auch Schweiger und Goulet (2005)
190
Siehe auch Inkpen et al. (2000); Marks/Mirvis (1998); Schweiger/Denisi (1991); Weber/Tarba (2010). Obgleich sich die M&A Literatur zwar grundsätzlich über die Notwendigkeit guter Kommunikation im Prozess der Integration einig ist, weisen jedoch auch einige Studien auf den Aspekt einer Überkommunikation hin, welcher vermieden werden sollte. Demnach sollten Manager eine gewisse Uneindeutigkeit aufrecht erhalten, um, im Falle unerwarteter Ereignisse, flexibel reagieren zu können. Vgl. Eisenberg/Witten (1987); Weber et al. (2012); Weber/Tarba (2010). 192 Vgl. bspw. Larsson/Finkelstein (1999). 193 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 404. 194 Ebenda. 191
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die Kommunikation zwischen den Transaktionspartnern auf Basis von Mitarbeiterbefragungen.195 Reus und Lamont (2009) hingegen ziehen das Top Management heran, um diese über die Intensität der Kommunikation zwischen den Mitarbeitern zu befragen.196 Neben der Häufigkeit des Kontakts und dem verwendeten Kontaktmittel kann die Wirksamkeit der Kommunikation den Autoren Angwin (2000), sowie Weber und Tarba (2010) zufolge jedoch insbesondere mit der Interaktivität im Sinne wechselseitiger Kommunikation in Zusammenhang gebracht werden.197 Ein wesentliches Themenfeld der sozio-kulturellen Integration impliziert ferner das Management und damit verbunden der Führungsstil eines Unternehmens. So führt einer Reihe von Autoren zufolge Unentschlossenheit bei der Festlegung einer Unternehmensausrichtung und der Bewältigung der notwendigen Veränderungen während des Integrationsprozesses unweigerlich zum Scheitern.198 Beispielhaft soll an dieser Stelle auf Cannella und Hambrick (1993) verwiesen werden, welche die Bedeutung der „Kontinuität der Führung“ als Komponente organisationaler Stabilität hervorheben.199 Und auch Birkinshaw et al. (2000) betonen die „Sichtbarkeit und Kontinuität der Führung“ als ein wichtiges Instrument für den Erfolg. Die beiden Studien nehmen dabei auf die Arbeit von Buono und Bowditch Bezug, welche bereits im Jahre 1989 auf die positiven Effekte einer kontinuierlichen und sichtbaren Führung im Kontext des PMI Erfolgs aufmerksam gemacht haben.200 Entgegen ursprünglicher Annahmen, deuten jüngste Forschungsentwicklungen zunehmend darauf hin, dass eine erfolgreiche Integration weniger ein universelles Set an Führungseigenschaften erfordert, sondern vielmehr in Abhängigkeit von Hintergrund, sozialen Beziehungen,201 und Persön-
195
Vgl. Schweiger/Goulet (2005), S. 1489. Vgl. Reus/Lamont (2009), S. 1306. Vgl. Gomes et al. (2013), S. 25. 198 Vgl. Gomes et al. (2013), S. 23. Siehe auch Angwin/Meadows (2009); Sitkin/Pablo (2005). 199 Vgl. Cannella/Hambrick (1993), S. 149. 200 Vgl. Birkinshaw et al. (2000), S. 404. 201 Vgl. Angwin/Meadows (2009). 196 197
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lichkeitsmerkmalen202 unterschiedliche Führungsansätze für unterschiedliche Integrationsstile existieren können.203 Für den Erfolg von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Erwartungen der Mitarbeiter durch offene Kommunikation und die Schaffung einer Wahrnehmung von Fairness gesteuert werden. So liegt es in der Verantwortung des Managements, negative Reaktionen der Mitarbeiter im Hinblick auf postakquisitionale Veränderungsprozesse zu vermindern.204 Neben Kommunikation und Führungsstil, konnte die Kultur und insbesondere die Frage nach dem kulturellen Anpassungsprozess als ein in der M&A Literatur vielseitig und kontrovers diskutiertes Forschungsfeld identifiziert werden. Dabei stehen die Messbarkeit von Kultur im Allgemeinen sowie die Vorzüge der verschiedenen Ansätze im Zentrum der Debatten.205 Während kulturelle Unterschiede grundsätzlich als erfolgskritisch identifiziert werden,206 ist jedoch nicht klar, ob und wie diese in einer erfolgsfördernden Weise gehandhabt werden können.207 So zeigen einige Studien, dass sie (durchaus) eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen darstellen können, andere argumentieren wiederum, dass ein zu großer Unterschied das gegenseitige Verständnis und die Integration ernsthaft beeinträchtigen kann.208 Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Zusammenführung heterogener Kulturen eine Veränderung organisationaler Werte, Überzeugungen und Einstellungen der jeweiligen Mitarbeiter erfordert, was mit Stress, Herausforderungen in der Kommunikation, oder Widerstand einherzugehen vermag.209 Larrson und Lubatkin (2001) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass u.a. die Förderung der Sozialisation unter den Mitarbeitern helfen könne.
202
Vgl. Waldman/Javidan (2009). Vgl. bspw. Vasilaki (2011). Vgl. bspw. Graebner (2004). 205 Vgl. Denison (1996). 206 Die meisten Forscher wie auch Praktiker des strategischen Managements weisen darauf hin, dass insbesondere im Falle internationaler M&A kulturelle Unterschiede und Integrationsbemühungen während der PMI für den Erfolg entscheidend seien. Vgl. bspw. Cording et al. (2008); Ellis et al. (2009); Graebner (2004); Reus/Lamont (2009); Weber et al. 2011. 207 Vgl. Gomes et al (2013), S. 26. 208 Vgl. Vermeulen/Barkema (2001). 209 Vgl. bspw. Larsson/Lubatkin (2001) oder Nahavandi/Malekzadeh (1988). 203 204
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Ferner betonen Schweiger und Goulet (2005), dass Mitarbeiter im Umgang mit kulturellen Themen geschult werden können. So kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass interkulturelles Training eine Zunahme der Kommunikation, des wechselseitig kulturellen Verständnisses und der Zusammenarbeit führt. Ein zunehmender Forschungsstrom beschäftigt sich ferner mit dem Management von Einstellungen und Emotionen organisationaler Mitglieder. So besteht nach Bekanntgabe der Transaktion Shirley (1973) zufolge eine der ersten Überlegungen organisationaler Mitarbeiter darin, wie diese auf die persönliche Situation Einfluss nehmen wird. Gemeinsam mit einer großen Anzahl an Fallstudien,210 hebt sie dabei die Wichtigkeit von Vertrauen in das Top Management als eine Determinante der akquisitionalen Reaktion von Mitarbeitern hervor. So kann diese, in der positiven Erwartung an die Absichten oder das Verhalten eines anderen, in vielerlei Hinsicht Einfluss auf den Erfolg einer Post-Merger Integration nehmen, indem es nicht nur das Engagement der Mitarbeiter oder die Qualität der Arbeitsleistung der Mitarbeiter zu erhöhen, sondern ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Problemlösung und Kommunikation zu verüben vermag.211 Darüber hinaus spiegelt jedoch auch der Faktor Widerstand,212 ebenso wie Commitment213 und Kooperationsbereitschaft214 die Haltung der Mitarbeiter im Kontext der PMI wider215 und die im Kontext des PMI Erfolgs eines adäquaten Managements bedürfen. So nehmen bspw. Schweiger und Goulet (2005) eine Messung der wahrgenommenen Kooperation anhand zweier Messpunkte vor. Die Befragung konzentriert sich dabei auf Aspekte wie „Effektivität der Zusammenarbeit“ sowie „Kolle-
210
Vgl. Buono et al. (1985); Olie (1994). Die hohe Wichtigkeit geht mit den im Rahmen des Integrationsprozesses verbundenen zahlreichen Risikoquellen und Formen der Risikobereitschaft für die Mitglieder beider Organisationen einher. 212 Vgl. Larsson/Finkelstein (1999), S. 12. Den Autoren zufolge zeigen sich Widerstände im Kontext von M&A insbesondere bei einer unterschiedlich starken Ausprägung der Führungsstile der Transaktionspartner. 213 Vgl. bspw. Schweiger/Denisi (1991); Weber et al. (1996) oder auch Schweiger/Goulet (2005). 214 Vgl bspw. Schweiger/Goulet (2005) oder Weber et al. (1996). 215 Es ist jedoch darauf zu verweisen, dass sowohl der Kontext als auch die Art der Übernahme eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung der Mitarbeiterhaltung spielen. Vgl. Kapitel I.1.1.3 für eine Erläuterung der unterschiedlichen Integrationsansätze. 211
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gialität“.216 Während die Befragung auf Mitarbeiterebene stattfand, zielte die Studie von Weber et al. (1996) hingegen auf die Einschätzung des Managements ab. Dabei wurden primär Aspekte wie „Informationsaustausch“ sowie „Zusammenarbeit“ im Kontext der Kooperation untersucht.217 (c) Strukturelle Integration Unter der Kategorie „strukturelle Integration“ werden im Folgenden strukturelle Aspekte und deren Relevanz für die Integrationsperformance beleuchtet. Diese Gruppe von Studien befasst sich dabei verstärkt mit Aktivitäten der Angleichung und Standardisierung der Organisationen. In diesem Zusammenhang konnten insbesondere die drei Themenfelder: Integrationstiefe, operative Abstimmung sowie Ressourcentransfer in der Literatur als maßgeblich für den Erfolg der Integration identifiziert werden. Die Tiefe der Integration als zentrale strategische Entscheidung in Integrationsprozessen impliziert ein in der M&A Literatur vielseitig und kontrovers diskutiertes Forschungsfeld. Eng damit verbunden ist ebenfalls die Frage nach dem Grad der Autonomie. Obgleich sich eine Vielzahl an Forschungsarbeiten mit der Frage beschäftigt, ob der Integrationsgrad eine wesentliche Rolle spielt, um durch M&A Wertschöpfung zu erzielen,218 liefern sie bis dato keine eindeutige Antwort darauf, ob ein hohes Integrationsniveau als Erfolgsfaktor von M&A oder vielmehr als Barrierefaktor gesehen werden kann.219 So ist einerseits ein höheres Integrationsniveau mit einer höheren Synergierealisierung, und demzufolge mit einer höheren Performance verbunden.220 Zollo und Singh (2004) bspw. argumentieren, dass ein höherer Integrationsgrad den Erfolg durch höhere Wissenskodifikation fördert. Dies ermöglicht den Zugriff auf wertvolles
216
Siehe Schweiger/Goulet (2005), S. 1489 für eine detaillierte Ausführung der Auswahlmöglichkeiten. Vgl. Weber et al. (1996), S. 1219. 218 Vgl. Dauber (2012), S. 380f. 219 Ebenda. 220 Diese Studien folgen häufig einer ressourcenorientierten Perspektive und in der Integration eine Chance der Symbiose. Vgl. Dauber (2012), S. 380. 217
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Know-how, was insbesondere bei technologiegetriebenen M&As von Bedeutung ist. Auf der anderen Seite betonen einige Wissenschaftler wiederum, dass ein hohes Maß an Integration zu mehr Beeinträchtigungen führt. Demzufolge wird ein hohes Integrationsniveau als Quelle des Scheiterns wahrgenommen.221 Insbesondere wenn die Unterschiede zwischen den Organisationen hoch sind, geht die Integration mit geringem Erfolg einher. Ein interessantes Ergebnis liefert auch die Studie von Weber et al. (1996), welche das Level der Autonomie mit der akquisitionalen Performance in Verbindung bringen und auf Interaktionsaktivitäten zurückführen. So geht hervor, dass bei nationalen Akquisitionen ein höheres Level an Autonomie mit einer geringeren Kooperation einherging. Und auch im internationalen Kontext ist ein höheres Level an Autonomie mit negativem Einfluss auf die Performance verbunden, indem dieses zu durchweg schlechteren Einstellungen und Verhaltensergebnissen führt. Neben dem Level der Integration wird in der Literatur ferner die operative Abstimmung als für den PMI Erfolg wesentlicher Aspekt diskutiert. Das Hauptziel besteht dabei in einer effektiveren Nutzung vorhandener Fähigkeiten und Ressourcen. So können fusionierende Unternehmen bspw. die Stückkosten in der Produktion, Lagerhaltung, Marketing und Vertrieb senken, indem sie ähnliche Abteilungen und Funktionen zusammenführen.222 Die Notwendigkeit einer operativen Abstimmung im Kontext der PMI ist in erster Linie jedoch durch ihre Ziele begrenzt.223 So werden operative Unterschiede in Transaktionen mit einem geringen Integrationsgrad einen wesentlich geringeren Einfluss auf den PMI Erfolg verüben als umgekehrt.224 Zwei der wichtigsten und (mitunter) zugleich am häufigsten differierende Systeme, die der Abstimmung bedürfen, sieht Datta (1991) in den Vergütungs- und Bewertungssystemen der Organisationen. Die große Differenz ergibt sich, dem Autor weiter folgend, u.a. auf der Grundlage von Markt- oder Brancheneigenschaften sowie der vom Unternehmen gewählten Stra-
221
Vgl. bspw. Slangen/Hennart (2008); Vestring et al. (2004). Vgl. Howell (1970); Rappaport (1987) 223 Vgl. Datta (1991), S. 283. 224 Vgl. Datta (1991), S. 286. 222
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tegie.225 Analog zu den Ergebnissen von Datta (1991) zeigen Untersuchungen von Govindarajan und Gupta (1985), wie wichtig eine Abstimmung zwischen Strategie- und Kontrollsystemen für die Erzielung einer überdurchschnittlichen Performance ist. Und auch Zollo und Meier (2008, S. 64) sehen mit Bezug auf Datta (1991) in ihrer Studie den Parameter „alignment of the operations and systems“ als einen von insgesamt vier zentralen Komponenten zur Messung des Integrationserfolgs.226 Mit der operativen Abstimmung stark verbunden ist der Wissens- bzw. Ressourcentransfer, also der Erwerb und die Nutzung wissensbasierter Ressourcen.227 Das Verständnis darüber, wann und wie Wissenstransfer zum Erfolg einer Transaktion und insbesondere einer (grenz)überschreitenden Transaktion führt, ist jedoch nach wie vor begrenzt.228 Doch obgleich Wissen sehr wertvoll ist und der fokalen Organisation in der Erzielung eines Wettbewerbsvorteils zu helfen vermag, stellt der Wissensgewinn durch grenzüberschreitenden Erwerb eine herausfordernde Aufgabe dar. Folglich kann der Prozess ebenso viele Herausforderungen wie Vorteile mit sich führen.229 Eine interessante Erkenntnis darüber, wie die Interaktion zwischen Käufer- und Zielorganisation den Wissenstransfer fördert, liefert bspw. die Arbeit von Bresman et al. (1999). Unter Verwendung eines Methodenmix haben die Autoren untersucht, wie sich der Wissenstransfer während der PMI entwickelt hat. Sie unterschieden dabei zwischen einem impliziten und einem artikulierten Wissenstransfer. Dabei ging hervor, dass der Transfer von stillschweigendem Wissen durch eine regelmäßige Kommunikation unterstützt wurde. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Kogut und Zander (1992), die darauf verweisen, dass Wissenstransfer eine „soziale Gemeinschaft“ erfordert, welche einem gegenseitigen Vertrauen und einer gemeinsamen Identität zugrundeliegt.
225
Siehe in diesem Zusammenhang auch Jemison und Sitkin (1986). Vgl. Zollo/Meier (2008), S. 64f. 227 Vgl. Junni (2011). 228 Vgl. Ahammad et al. (2016), S. 66. 229 Vgl. Junni et al. (2013); Lakshman (2011); Ranft (2006). 226
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(d) Kognitive Prozesse Jüngste Forschungsbeiträge der Literatur weisen vermehrt darauf hin, dass die im Rahmen sozio-kultureller und struktureller Integration identifizierten Aktivitäten dem Einfluss kognitiver Prozesse unterliegen. Zurückgeführt werden kann dies u.a. auf die mit der PMI verbundenenen Vielzahl an Entscheidungen, wodurch im postakquisitionalen Kontext, geradezu zwangsläufig, ein bemerkenswertes Potential für konfliktäre Interpretationen230 verborgen liegt,231 welchen sich das Management gegenüber sieht. So wurden in jüngster Vergangenheit zunehmend (kollektive) Sensemaking und Sensegiving-Prozesse232 als grundlegend für die Erklärung und den Erfolg post-akquisitionaler Prozesse identifiziert.233 Die Rolle, die der Sensemaking und Sensegiving Perspektive im Hinblick auf den Erfolg dabei zukommt, kann vor allem durch deren Einfluss auf die Interpretation und Wahrnehmung intendierter Veränderungsinitiativen erklärt werden. „Sensemaking is paramount for the emergent process of change because such processes influence the way people interpret, understand and act upon change initiatives. As such sensemaking is powerful because it can alter people’s mindsets and actions connected to organizational change.“ (Iveroth/Hallencreutz 2016, S. 49) Somit hat die Art und Weise des „Zueigenmachens“ post-akquisitionaler Veränderung einen Einfluss darauf, ob das Ergebnis der Integration in Übereinstimmung mit dem antizipierten Ergebnis oder vielmehr im Konflikt mit diesem steht.234 Maitlis und
230
Brown et al. (2008) sprechen in diesem Zusammenhang von „discrepant sensemaking“. Vgl. bspw. Grunberg (1981); Olie (1994); Vaara (2001). 232 Gioia und seine Kollegen (vgl. Gioia/Thomas 1996; Thomas et al. 1993) sprechen in diesem Zusammenhang von sensemaking und sensegiving als „two complementary and reciprocal processes“, während Rouleau (2005, S. 1415) von zwei Seiten einer Medaille spricht. Obgleich die beiden Prozesse zunächst konzeptionell unterschiedlich zu sein scheinen, kann das eine ohne das andere nicht bestehen. Vgl. Rouleau (2005), S. 1415. 233 Vgl. Steigenberger (2017), S.419f.; Balogun/Johnson (2005), S. 3; Gioia/Chittipeddi (1991), S. 446. 234 Vgl. Maitlis/Christianson (2014), S. 90; Stensaker et al. (2008). 231
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Christianson (2014, S. 90) vertreten sogar die Ansicht, dass „when sensemaking or sensegiving fail, so too may a change inititative.“ Arbeiten wie die von Hope (2010), Maitlis und Lawrence (2007) sowie Peirano-Vejo und Stablein (2009) beschreiben den in kollektiven Prozessen der Sinnstiftung innewohnenden Machtkampf um die Einflussnahme organisationaler Überzeugungen, den Akzeptanzgewinn präferierter Sichtweisen oder der Untergrabung des Status quo über unterschiedliche Parteien hinweg.235 So warnt Vaara (2003) explizit vor einer Unterschätzung (vorsätzlich) politischer Aktivitäten - bieten die mit einer PMI einhergehenden Veränderungen eine geradezu prädestinierte Plattform für politische Machenschaften - auf organisationaler, kollektiver, ebenso wie auf individueller Ebene.236 Dabei vermögen derartige politische Auseinandersetzungen sowohl „organizational and national level confrontation“,237 „corporate management versus local unit juxtaposition“,238„conflicts between top decision-makers“239 als auch „political actions to promote one`s own career“240 mit einzuschließen. Darüber hinaus kann ebenfalls angenommen werden, dass bestimmte Sachverhalte in Folge verschärfter Konfrontation zwischen einzelnen Parteien politisiert werden.241
235
Neben einer Reihe von Arbeiten, die eine explizite Verknüpfung von sensemaking, power und politics vornehmen, verweist Brown et al. (2015, S. 269) darauf, dass in einer Reihe von Forschungsarbeiten (sozio-)politische Aspekte nach wie vor lediglich implizit erfasst und diese somit häufig in „unexpected places“ zum Vorschein kommen. Siehe bspw. Weber/Glynn (2006) S. 1641 oder Vlaar et al. (2006) S. 1629. 236 Vgl. Vaara (2003), S. 865. 237 Siehe bspw. Olie (1994). 238 Siehe bspw. Grunberg (1981). 239 Vgl. Vaara (2001). 240 Vgl. Hambrick/Cannella (1993). 241 Vgl. Vaara (2003), S. 866.
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I.1.4 Zwischenfazit I Der vorangehende Literatur-Review macht deutlich, dass sich in den letzten 30 Jahren ein umfangreicher Forschungsbestand zur M&A Integration entwickelt hat. Nichtsdestotrotz scheint die tatsächliche Umsetzung der Integrationsstrategie durch den Prozess der Planung vor und der Integration nach dem Zusammenschluss am wenigsten verstanden zu sein.242 So ist der derzeitige Wissensstand zwar in einigen Bereichen sehr umfangreich, wie bspw. in Bezug auf Themen, welche in einem PMI Prozess verwaltet werden müssen (Kommunikation, Akkulturation oder Wissens- und Ressourcentransfer etc,), relativ wenig Wissen ist jedoch bspw. darüber vorhanden, wie soziale Prozesse der Interaktion den Integrationsprozess beeinflussen. Unbestritten ist jedoch, dass Interaktionen erforderlich sind, um Synergien zwischen Käufer- und Zielorganisation zu realisieren.243 Während sich eine Reihe von Forschungsbeiträgen auf kommunikationsbezogene Aktivitäten konzentriert, welche die Koordination zwischen den beiden Unternehmen ermöglicht, beschäftigt sich eine weitere Reihe von Forschungsbeiträgen wiederum mit Aktivitäten, welche die Zusammenführung bzw. die Standardisierung der beiden Organisationen betreffen. Puranam et al. (2009) zufolge führt diese Abstimmung von Strukturen, Aufgaben und Systemen der beteiligten Organisationen zu gemeinsamen Zielen, Vorgehensweisen und Autoritäten mit dem höchsten Grad an Synergieeffekten, wenn der Grad der Interaktion und Koordination am höchsten ist.244 So weist die aus der Bestandsaufnahme hervorgehende Erkenntnis, dass ein größeres Maß an Interaktion zwischen den fusionierenden Unternehmen eine bessere Performance erzeugt,245 darauf hin, dass mehr Forschung erforderlich ist, um über rein organisationale Merkmale und Vorsteuergrößen hinauszugehen und zu verstehen, wie ein-
242
Vgl. Epstein (2004), S. 174. Vgl. bspw. Larrson/Finkelstein (1999). 244 Vgl. Dao et al. (2016), S. 2506 mit Verweis auf Larrson/Finkelstein (1999). 245 Ebenda. 243
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zelne Akteure und deren Interaktionen die Entscheidungsprozesse und den Integrationsprozess zu beeinflussen vermögen.246 In jüngster Vergangenheit wurde in diesem Zusammenhang vermehrt darauf hingewiesen, dass die im Rahmen sozio-kultureller und struktureller Integration identifizierten Aktivitäten dem Einfluss kognitiver Prozesse zugrunde liegen. Begründet wird die der (sozialen) Kognition zugesprochenen Rolle im Kontext des post-akquisitionalen Erfolgs insbesondere durch den Einfluss, welchen diese auf die Art und Weise, wie Veränderungsiniitiativen interpretiert, verstanden und aufgenommen werden, verüben. Gerade im post-akquisitionalen Kontext und der damit verbundenenen Vielzahl an Entscheidungen und Herausforderungen, liegt geradezu zwangsläufig, erhebliches Potential für konfliktäre Interpretationen247 verborgen,248 welche es im Rahmen der Integration zu vereinen gilt. Die mit diesem Prozess einhergehende Komplexität lässt u.a. Steigenberger (2017) darauf verweisen, dass M&A Transaktionen das Ergebnis (konfliktärer) Verhandlungen, Kompromisse und kollektivem Sensemaking zwischen Verhandlungsführern, Entscheidungsträgern und Empfängern sein könne:
„Managers are subject to pressure from external and internal stakeholders, resulting in the need to engage in micro-politics (Rees and Edwards 2009). Many integrations also involve struggles among key employees and high turnover rates of leadership personnel (Angwin 2004). The capacity of managers to focus attention is limited, implying that managers concentrate on some topics while neglecting others, hampering the ability to control complex processes such as M&A integrations (Yu et al. 2005). Mergers and Acquisitions might therefore be the result of negotiations, compromise and collective sensemaking instead of strategic managerial decision-making.“ (Steigenberger 2017, S. 419)
246 247 248
Vgl. Graebner et al. (2017), S. 22. Brown et al. (2008) sprechen in diesem Zusammenhang von „discrepant sensemaking“. Vgl. bspw. Grunberg (1981); Olie (1994); Vaara (2001).
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Aus dieser Sicht ist der Integrationsprozess eine soziale Konstruktion, deren Ergebnis davon abhängt, wie erfolgreich es den beteiligten Stakeholdern gelingt, zu einer gemeinsamen Überzeugung zu gelangen. Es handelt sich dabei um eine Perspektive, welche, neben Steigenberger (2017), einer Reihe weiterer Autoren zufolge hohes Forschungspotential birgt.249 Vor diesem Hintergrund zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, auf Basis einer prozessorientierten Betrachtung post-akquisitionaler Prozesse einen Beitrag zu der bis dato lediglich in Ansätzen existenten kognitiven Forschung im Kontext von M&A zu leisten. Angesichts der umfangreichen Forschung sozialer Kognition, wird der Fokus dabei auf jenes Konstrukt gelegt, welches als am weitesten verbreitete und zugleich nützlichstes Konstrukt für die Untersuchung sozialer Kognitionsprozesse identifiziert wurde – die Schema Theorie.250
249 250
Vgl. Steigenberger (2017), S. 419. Vgl. Harris (1994), S. 310.
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I.2
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Ein schematheoretischer Ansatz zur Untersuchung des Post-Merger Integrationsprozesses
Kognitionen sind eine Forschungsströmung, die in der Strategie- und Managementforschung in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat.251 Eine Tatsache, welche sich insbesondere auf zwei Aspekte zurückführen lässt: Zum Einen wird angenommen, prozessuale und inhaltliche Phänomene insbesondere über Wahrnehmungsund Erkenntnisverläufe zu erfassen. Zum Anderen wird von einer Verknüpfung zwischen Kognitionen und Entscheidungen bzw. Aktivitäten ausgegangen.252 Ausgangspunkt hierbei bildet die Annahme, dass das Verhalten eines Individuums durch Prozesse der Informationsverarbeitung determiniert wird. So folgt auf die über die Umwelt aufgenommenen Informationen keine unmittelbare Reaktion, vielmehr wird das Verhalten eines Individuums durch die kognitiven Repräsentationen dieser Reize beeinflusst.253 Wesentliches Merkmal der kognitiven Forschungsströmung ist demzufolge, dass organisationale bzw. strategische Prozesse als kognitive Prozesse verstanden werden, welche durch kognitive Aktivitäten wie das Denken, die Wahrnehmung, die Bildung von Erwartungshaltungen, die Entwicklung und Beurteilung von Problemlösungsansätzen oder das Lernen charakterisiert werden können.254 Um das Verhalten von Organisationen, deren Interpretation und Reaktionen auf ihre Umwelt nachvollziehen zu können, ist daher ein Verständnis für die kognitiven Strukturen derjenigen Handlungsträger zu entwickeln, welche diese Umwelten letztendlich erfassen und verstehen müssen.255 In der Literatur existiert eine Vielzahl unterschiedlicher, mehr oder weniger lose nebeneinander her verwendeter Begriffe, um sich dem
251
Vgl. bspw. Hodgkinson (2001); Porac/Thomas (2002); Huff (2005). Vgl. Lechner/Müller-Stewens (2000), S. 1886f. Vgl. bspw. Dill (1958). 254 Vgl. Wrona (2008), S. 49. 255 Kognitive Strukturen werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Walsh (1995, S. 286) als „[...] a mental template consisting of organized knowledge about an information environment that enables interpretation and action in that environment“ verstanden. 252 253
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67
Konstrukt kognitiver Strukturen konzeptionell zu nähern.256 So wird u.a. von „beliefs“,257 „paradigms“,258 „frames“,259 „skripts“,260 „theory-in-use“261 oder auch „cognitive maps“262 gesprochen, wobei kognitive Schemata für den Großteil dieser Begriffe das Fundament konstituieren.263;264 Diese herausragende Funktion kognitiver Schemata kann dabei insbesondere auf ihre bedeutende Rolle innerhalb der Psychologie zurückgeführt werden innerhalb derer sie verwurzelt ist.265 So verweisen auch die Ergebnisse von Markus und Zajonc (1985) darauf hin, dass die Schema Theorie sogleich die nützlichste als auch weit verbreitetste Perspektive für die Untersuchung sozialer Kognitionsprozesse darstellt.266 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden eine vertiefende Betrachtung des Konstrukts kognitiver Schemata vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit vorgenommen werden. Hierzu gliedert sich der vorliegende Teil in mehrere Teilschritte (Vgl. Abb. I-9). So wird in Kapitel I.2.1 zunächst ein Fundament gelegt, in dem schematheoretische Grundlagen skizziert werden. Kapitel I.2.2 ergänzt sodann die bis dahin vorrangig individuelle Kognitionsebene um die Dimension der interorganisationalen Kognition. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei der Untersuchung eines postakquisitionalen Prozesses um ein in erster Linie interorganisationales bzw. interindividuelles Phänomen zwischen Käufer- und Zielorganisation handelt. Die Berücksichtigung der interindividuellen Kognitionsebene erfolgt dabei auf Basis des Shared Sche256
Vgl. bspw. Hodgkinson/Sparrow (2002), S. 22f.; Porac/Thomas (2002), S. 178; Walsh (1995), S. 284f. Vgl. Nisbett/Ross (1980), S. 7; Weber (1991), S. 42ff. 258 Vgl. Kuhn (1970). Siehe auch Sheldon (1980) und Pfeffer (1981). 259 Vgl. Goffman (1974); Minsky (1975), S. 212. 260 Vgl. bspw. Bower et al. (1979), S. 177; siehe auch Schank/Abelson (1977). 261 Vgl. Argyris/Schön (1978). 262 Vgl. Bougon et al. (1977). 263 Vgl. Rogers-Wynands (2002), S. 28. 264 Rogers-Wynands (2002), S. 31ff. verweist an dieser Stelle ebenfalls auf die Bedeutung des Konstrukts der „mental models“ und die häufig synonyme Verwendung der Konstrukte „mental maps“ und „schemata“ innerhalb der strategischen Kognitionsforschung. In Kapitel I.2.3 erfolgt daher eine detaillierte Auseinandersetzung und Gegenüberstellung dieser beiden Konstrukte. 265 Vgl. Ritter/Lord (2004), S. 1384. 266 Vgl. Harris (1994), S. 310. 257
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ma Konstrukts. Damit wird nicht lediglich dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungskonstrukt Rechnung getragen, sondern ebenso der Aufforderung von Walsh (1995) gefolgt, welcher vor dem Hintergrund der organisationalen Komplexität dazu aufruft, neben der individuellen ebenso die kollektive Kognitionsebene zu berücksichtigen.267 Der dritte Abschnitt dieses Kapitels (I.2.3) schließt sodann die Einführung in das Thema des Schema Konstruktes ab, in dem das Forschungsfeld von benachbarten Themenfeldern abgegrenzt wird. Analog zu Kapitel I.1 schließt auch dieser Teil mit einem kurzen Zwischenfazit (Kapitel I.2.4).
Problemstellung
Positionierung & Ziele
Aufbau der Arbeit
Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschungsliteratur
Eine schematheoretische Perspektive zur Untersuchung des PMI Erfolgs
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
I.1.1 Status Quo PMI
I.2.1 Grundlagen
I.1.2 PMI Erfolg
I.2.2 Shared Schemata
II.2 Design/Methodik
I.1.3 Literatur Review
I.2.3 Abgrenzung
II.3 Ergebnisse
I.1.4 Zwischenfazit
I.2.4 Zwischenfazit
II.4 Diskussion
Zentrale Ergebnisse Abb. I-9:
267
II.1 Research Setting
Limitationen
Ausblick
Aufbau der schematheoretischen Grundlagen Quelle: Eigene Darstellung.
Vgl. Johnson (2009), S. 36.
Einführung Teil I Theoretische Grundlagen Teil II Empirische Erhebung
Schluss
TEIL I:
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I.2.1 Schematheoretische Grundlagen Während die Untersuchung von Kognition und Kognitionswissenschaft im Bereich der Psychologie keineswegs neu ist,268 kann die Bedeutung von Kognitionen für die Management- bzw. Strategieforschung, mit ihren „zaghaften“ Anfängen in den 1970er Jahren, indes als verhältnismäßig „neu“ bezeichnet werden.269 Huffs (1990) methodologisches Meisterwerk, „Mapping Strategic Thought“ sowie Walshs (1995) Review „Managerial and Organizational Cognition: Notes from a Trip Down Memory Lane“ legten dabei die ersten wissenschaftlichen Grundlagen.270 In die Managementpraxis hingegen fand Kognition über diverse Publikationen wie „The Mind of the Strategist“ von Ohmae (1991) Eingang. Seitdem verzeichnet sie eine kontinuierlich steigende Relevanz271 und gilt im strategischen Management zunehmend als ein für die Theoriebildung und empirische Forschung rechtmäßig anerkannter Bereich.272 In den nachfolgenden Abschnitten sollen definitorische Grundlagen geschaffen und zentrale Eigenschaften und Charakteristika des Schema-Konzepts skizziert werden (I.2.1.1), bevor sodann verschiedene Arten und Kategorisierungstypologien von Schemata aufgezeigt (I.2.1.2) und schematische Funktionalitäten und Funktionsweisen erläutert werden (I.2.1.3). Teilkapitel I.2.1.4 beschäftigt sich schließlich mit der Tiefe und dem Prozess der Veränderung kognitiver Schemata.
268
Vgl. Hunt (1982); Reed (1982); Kahneman et al. (1982). Vgl. bspw. Kirsch (1976); Weick (1979); Kiesler/Sproull (1982). Vgl. Narayanan et al. (2011), S. 306. 271 Mit der Bildung einer Sparte für die Management- und Organisationskognition in der „Academy of Management“ sowie einer Reihe einflussreicher Artikel (wie bspw. in „Journal of Management Studies“ oder „Organizational Science“), hat der kognitive Ansatz im Kontext des Strategieprozesses noch weiter Aufmerksamkeit erhalten. Vgl. Porac/Thomas (2002), S. 165. Siehe auch Hodgkinson (2001) und Huff (2005). 272 Vgl. Narayanan et al. (2011), S. 306. In dem Literatur Review von Hutzschenreuter und Kleindienst (2006) wurde die kognitive Perspektive sogar als einer der zentralen Forschungsströme der Strategischen Prozessforschung identifiziert. 269 270
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I.2.1.1 Begriff und Charakteristika von Schemata Das ursprünglich aus der klinischen Neurologie273 entlehnte Schema-Konstrukt bezeichnet Wissensstrukturen, welche in erster Linie aus Erfahrungen hervorgehen.274 Obgleich der Begriff erstmals von Jean Piaget im Jahre 1926 verwendet wurde, lässt sich seine Bedeutung im Kontext der kognitiven Forschung jedoch auf die experimentellen Arbeiten von F. C. Bartlett (1932) zurückführen. Seine Überlegungen stellen das Fundament für eine Reihe schemabasierter Theorien dar, auf Basis derer sich kognitiven Repräsentationen gewidmet wurde. Zu den einflussreichsten zählen u.a. die von Neisser (1976), Schank und Abelson (1977), Rumelhart (1980), Brewer und Nakamura (1984) sowie Anderson und Pearson (1984).275 Als „Vater“ der Schematheorie definiert Bartlett (1932) Schemata als „an active organization of past reactions, or of past experiences, which must always be supposed to be operating in a well-adapted organic response.“ (Bartlett 1932, S. 201) Er begreift Schemata damit als aktiv organisierte Wissensstrukturen, in denen Wissen und Erfahrung in wechselseitiger Beziehung stehen.276 Doch obgleich (zwischenzeitlich) eine Vielzahl ähnlicher Beschreibungen vorherrscht, existiert nach wie vor keine allgemeingültige Definition des Schemata-Konstrukts. Vgl. Tab. I-4 für einen Überblick verschiedener Schema-Definitionen.
273
Vgl. Walsh (1995), S. 281 mit Verweis auf Head (1920). Vgl. Wrona (2008), S. 48. 275 Vgl. McNamara (1994), S. 107. 276 Vgl. Bartlett (1932), S. 201. Siehe auch Brewer/Nakamura (1984), S. 120f. 274
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Autor Weick (1979), S. 50 Taylor/Crocker (1981), S. 91
Mandler (1982), S. 3; 6 Brewer et al. (1984), S. 4 Wilson/Rutherford (1989), S. 623 Fiske/Taylor (1991), S. 98 Strauss (1992), S. 3 Harris (1994), S. 310 Strauss/Quinn (1997), S. 6 Labianca et al. (2000), S. 237 Jones et al. (2011), S. 3 Tab. I-4:
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Ausgewählte Definitionen „an abridged, generalized, corrigible organization of experience that serves as an initial frame of reference for action and perception.“ „A schema is a cognitive structure that consists in part of the representation of some defined stimulus domain. The schema contains general knowledge about that domain, including a specification of the relationships among its attributes, as well as specific examples or instances of the stimulus domain.“ „representations of experience that guide action, perception, and thought“ „a category of mental structures that organize past experience“ „higher order cognitive structures knowledge that have been hypthesized to underlie many aspects of human knowledge and skill.“ „pieces of organized current knowledge that are used to interpret present events and predict future events.“ „a cognitive structure that represents knowledge about a concept or type of stimulus and the relations among those attributes.“ „learned, internalized patterns of thought-feeling that mediate both the interpretation of on-going experience and the reconstruction of memories.“ „dynamic, cognitive knowledge structures regarding specific concepts, entities, and events used by individuals to encode and represent incoming information efficiently.“ „networks of strongly connected cognitive elements that represent the generic concepts stored in memory.“ „Schemas are generalized cognitive frameworks that give form and meaning to experience, and contain general knowledge about a domain. They are a collection of related ideas and specific examples about the domain.“ „long-term knowledge structures which people use to interpret and make predictions about the world around them.“
Definitionen von Schemata Quelle: Eigene Darstellung.
Die Autoren Markus und Zajonc (1985) warnen jedoch vor einer stärker definitorischen Verfeinerung, vermag diese die konzeptionelle Vielfalt des Konzeptes zu reduzieren. Mit Verweis auf Thorngate (1976) ist es den Autoren zufolge nicht möglich, das Schema-Konstrukt in einer Art und Weise zu definieren, welche zugleich genau, einfach und allgemein ist.277 Für die vorliegende Arbeit soll eine Definition von Fiske und Taylor (1984) herangezogen werden, welche nicht nur eine Vielzahl der in verschiedenen Konzeptualisierungen eingebetteten Bedeutungen impliziert, vielmehr
277
Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 484 mit Verweis auf Thorngate (1976).
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handelt es sich auch um eine Definition, die in einer Reihe von Schemaforschungen Verwendung findet.278
„[A schema is] a cognitive structure that represents organized knowledge about a given concept or type of stimulus. A schema contains both the attributes of the concept and the relationships among the attributes.“ (Fiske/ Taylor 1984, S. 140).
Damit verweist die Definition auf zwei zentrale Aspekte eines Schemas: den Inhalt und die Struktur. Während Ersteres somit auf die Identifikation von Inhalten zielt, steht bei der Struktur indes die Identifikation von Verknüpfungen zwischen den inhaltlichen Elementen im Vordergrund des Interesses.279 Vor dem Hintergrund des Ziels dieser Arbeit, die Ereignisse eines Zusammenschlusses so zu verstehen und zu erfahren, wie sie aus der Perspektive der Organisationsmitglieder heraus entstanden sind, liegt das Interesse der Arbeit nicht in der Untersuchung struktureller Verknüpfungen von Schemata, sondern vielmehr in der Analyse inhaltlicher Veränderungen. Es handelt sich dabei um eine wichtige Abgrenzung mit einer nicht unerheblichen Relevanz für die Wahl der Forschungsmethode.280
278
Vgl. Lord (1985); Taylor/Crocker (1981). Vgl. bspw. Walsh (1995), S. 285ff. 280 Den Autoren Labianca et a. (2000, S. 242) folgend, variiert je nach Untersuchungsgegenstand – Struktur oder Inhalt – das methodische Vorgehen. Besteht das Ziel einer Untersuchung bspw. darin, den „Platz“ eines Schemas in den Schemata organisationaler Handlungsträger zu untersuchen, d.h. eine Untersuchung der schematischen Struktur vorzunehmen, erfordert dies eine stärker fokussierte Technik wie z.B. das repertory grid (vgl. Reger 1990), als wenn das Untersuchungsinteresse rein inhaltlicher Natur ist und das übergeordnete Ziel rein darin besteht, Ereignisse eines Zusammenschlusses oder sonstiger strategischer Veränderungsmaßnahmen so zu verstehen und zu erfahren, wie sie aus der Perspektive der Organisationsmitglieder heraus entstanden sind. Neben Labianca et al. (2000) kann an dieser Stelle ebenfalls auf die Studie von Poole et al. (1989) verwiesen werden, welche der Argumentation von Labianca hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise folgen. 279
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I.2.1.2 Kategorisierungstypologien von Schemata Ein weiteres Merkmal kognitiver Schemata ist deren modularer Charakter. Dieser impliziert, dass für verschiedene Wissensgebiete unterschiedliche Formen kognitiver Schemata existieren können. Lord und Foti (1986) verweisen dabei auf eine vierstufige Kategorisierung in [1] Selbstschema, [2] Personenschema, [3] Ereignisschema und [4] Personen-in-Situationen-Schema:281 [1] Selbstschema: Selbstschemata282 betreffen die konzeptionellen Strukturen, die Personen von sich selbst haben. Sie umfassen Informationen über das eigene Naturell, welche als besonders bedeutend oder markant betrachtet werden.283 Dahinter verbirgt sich somit die Antwort auf die Frage: „Wie würde ich mich selbst beschreiben?“ [2] Personenschema: In vergleichbarer Weise können ebenso Personenbilder oder Stereotypen als kognitive Schemata vorherrschen, im Rahmen derer sich unterschiedliche personenbezogene Merkmale konzentrieren, wie bspw. Erwartungen im Hinblick auf Verhaltensweisen, äußeres Erscheinungsbild, Rollen- wie Charaktervorstellungen.284 [3] Ereignisschema: Ereignisschemata wiederum beschreiben charakteristische Sequenzen von Ereignissen in bestimmten Situationen. Sie spiegeln demnach gewöhnliche Ablaufmuster von Handlungen, Interaktionen oder Prozessen auf Grundlage von Erfahrungen wider.285 Dabei stand über lange Zeit das Skript im Zentrum des Forschungsinteresses.286 Zunehmend wird jedoch auf den zu geringen Flexibilitätsgrad
281
Vgl. Lord/Foti (1986), S. 23ff. Mummendey (1990, S. 77ff.) spricht an dieser Stelle von „Selbstbilder“ oder „Selbstkonzepte(n)“. In der Kategorisierung der Schema-Typen von Harris (1994, S. 312) wird hingegen der Begriff „Self-in-organization-schemas“ verwendet. 283 Vgl. Lord/Foti (1986), S. 24ff. 284 Vgl. Nisbett/Ross (1980), S. 35; Weber (1991), S. 66f. 285 Beispielhaft wird an dieser Stelle häufig auf den Besuch eines Restaurants verwiesen: So weiß der Gast i.d.R., welche Verhaltensweisen und Ereignisse in welcher Abfolge zu erwarten sind. Vgl. Abelson (1981), S. 715f. 286 Vgl. bspw. Schank/Abelson (1977). 282
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dieser, für eine umfassende Beschreibung der Handlungen organisationaler Mitglieder verwiesen.287 [4] Personen-in-Situationen Schema: Die vierte Kategorie der „Personen-in Situationen-Schema“ verbindet letztendlich das Personenschema mit dem Ereignisschema, indem Erwartungen hinsichtlich bestimmter Personen und deren Verhaltensweisen mit spezifischen Situationen verknüpft werden. Eine vergleichbare Kategorisierung nehmen auch Elsbach et al. (2005) vor. Dabei bezeichnen sie jedoch die von Lord und Foti (1986) identifizierte Kategorie, der „Personen-in-Situationen Schema“ als „Rollenschema“ und erweitern mit dem „Regelschema“ die Differenzierung um eine fünfte Kategorie, die Vorstellungen hinsichtlich bestimmter Handlungen und Ereignisse und deren Verknüpfung zum Inhalt hat.288 I.2.1.3 Funktionen und Funktionsweise kognitiver Schemata Für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist ferner die Rolle, die ihr im Rahmen kognitiver Aktivitäten zukommt. Ganz allgemein kann die funktionale Reichweite organisationaler Schemata dabei wie folgt beschrieben werden: „What schemas do is enable the perceiver to identify stimuli quickly, “chunk“ an appropriate unit, fill in information missing from the stimulus configuration, and select a strategy for obtaining further information, solving a problem, or reaching a goal.“ (Taylor/Crocker 1981, S. 93f.) Für eine stärker differenzierte Ausführung soll im Folgenden jedoch der Kategorisierung von Taylor und Crocker (1981) gefolgt werden, welche schematische Funktionen auf Basis zweier Kategorien untergliedern: (i) „Kodierung und Repräsentation“ und (ii) „Interpretative und schlussfolgernde Funktionen“.
287 288
Vgl. bspw. Fiol/Huff (1992), S. 279. Siehe auch die Kategorisierung von Harris (1994), S.312f. oder Taylor/Crocker (1981), S. 91.
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(i) Kodierung und Repräsentation: Die Kategorie der Kodierung und Darstellung, umfasst die Art und Weise, wie Schemata Individuen in der Identifikation und Aufnahme von Impulsen beeinflussen.289 Als eine Art mentale Landkarte befähigen sie Individuen, sich in ihrem „Experimentierfeld“ zu bewegen,290 um Informationen und Sachverhalte in einen Gesamtzusammenhang bringen zu können,291 zu determinieren, welche Informationen kodiert oder abgerufen werden und um Einfluss darauf zu nehmen, mit welcher Geschwindigkeit Informationen verarbeitet werden. Bartunek und Moch (1987) zufolge fungieren sie somit als Instrument der Datenreduktion, welches Individuen einer selektiven Erfassung befähigt, während sie andernfalls einem überwältigendem Strom von Empfindungen ausgesetzt wären.292 (ii) Interpretative und schlussfolgernde Funktionen: Obgleich Schemata Individuen i.d.R. nicht für bestimmte Handlungsabläufe empfänglich machen, sind diese dennoch zu einem gewissen Maße richtungsweisend,293 indem sie u.a. auf mögliche Auswirkungen organisationaler Handlungen verweisen und Ereignissen kontextuelle Bedeutung zuweisen. Darüber hinaus bilden sie ein Fundament, um Informationslücken zu schließen, Erfahrungen zu reflektieren, Ziele zu setzen und Verhaltensroutinen zu entwickeln.294 Zur Erläuterung der Funktionsweise kognitiver Schemata greift Weick (1979a) auf den Wahrnehmungszyklus von Neisser (1979) zurück (Vgl. Abb. I-10). Dieser unterliegt der Annahme, dass kognitive Strukturen im Prozess der Wahrnehmung („Erkundung“) eine Antizipationsfunktion inne haben, welche den Handlungsträger für bestimmte Informationen sensibilisieren.295 Sie bilden quasi einen Bezugsrahmen für die Annäherung und Auseinandersetzung mit der Umwelt bzw. den durch sie erzeugten Reiz. So 289
Vgl. Taylor/Crocker (1981), S. 93f. Vgl. Harris (1994), S. 310. Siehe auch Louis (1983) oder Weick (1979a). Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 485. 292 Ebenda. 293 Vgl. Harris (1994), S. 310. 294 Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 486. 295 Vgl. Neisser (1979), S. 26ff. 290 291
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sind es (letztendlich) die kognitiven Schemata, die determinieren, was an Informationen registriert, weiterverarbeitet und eingeordnet wird.296
Kognitive „Landkarte“
leitet
Mögliche Erkundung Verhaltensweisen
verändert
Schema
Objekt
Verfügbare Information
wählt aus
Abb. I-10:
Der Wahrnehmungszyklus nach Neisser Quelle: In Anlehnung an Neisser (1979), S. 27
Fokussiert Neisser (1976) auf das Individuum, sind die schematischen Prozesse im Rahmen des vorliegenden Beitrags jedoch auf kollektiver Ebene zu betrachten.297 Ferner handelt es sich bei „Objekten“ weniger um haptische Gegenstände als vielmehr um Narrative, Metaphern, Interpretationen und Handlungen.
296 297
Vgl. Lüer (1998), S. 107. Siehe Kapitel I.2.2.
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I.2.1.4 Veränderung kognitiver Schemata Sind Schemata einmal etabliert, bestehen sie und sind veränderungsresistent.298 Jedoch können sie sich im Zeitverlauf verändern - insbesondere wenn sich die Umwelt maßgeblich ändert.299 Watzlawick et al. (1974) unterscheidet dabei zwischen einem firstund einem second-order change.300; 301 Beinhaltet ein first-order change in erster Linie inkrementelle Modifikationen in dem gegenwärtigen Interpretationsschemata,302 impliziert Veränderung im Sinne eines „second-order change“ demgegenüber einen radikalen diskontinuierlichen Shift in den Interpretationsschemata selbst, indem Paradigmen reframed und Normen verändert werden,303 - oder, in den Worten von Poole et al. (1989, S. 273), „through a „phase-in, phase-out“ process involving particular schemas.“304 Die Literatur verweist in diesem Zusammenhang auf eine Reihe unterschiedlicher Ansätze, die den Veränderungsprozess kognitiver Schemata näher charakterisieren. So geht bspw. Bartunek (1984) davon aus, dass wesentliche Veränderungen in Interpretationsschemata über dialektische Prozesse vonstatten gehen, in welchen alte und neue Auffassungen interagieren und in einer Synthese resultieren (sog. „conflict model“).305 Diese Sichtweise teilen auch eine Reihe weiterer Autoren. So beschreiben Borman, Ilgen und Klimoski (2003) den Vorgang der Veränderung in Interpretationsschemata bspw. wie folgt:
298
Vgl. Labianca et al. (2000), S. 237; siehe auch Bartunek/Moch (1987), S. 584. Vgl. Isenberg (1987). 300 Bartunek und Moch (1987) unterscheiden in diesem Zusammenhang drei Stufen der Veränderung organisationaler Schemata: (1) First-order change, (2) Second-order change und (3) Third-order change. Bei Letztgenanntem handelt es sich um „the training of organizational members to be aware of their present schemata and thereby more able to change these schemata as they see fit.“ (Bartunek/Moch 1987, S. 486). 301 In der Literatur finden neben den Begriffen „First-order“ und „Second-Order“ auch folgende Termini Verwendung: „“single-loop“ oder „alpha“ change bzw. „double-loop“ oder „gramma“ change. Vgl. bspw. Argyris/Schön (1978) oder Watzlawick/ Weakland/Fisch (1974). 302 Vgl. Bartunek (1984), S. 356. 303 Vgl. Argyris/Schön (1978); Sheldon (1980), Hedberg (1981); Tushman/Romanelli (1985). 304 Siehe auch Bartunek/Moch (1987), S. 487. 305 Vgl. Bartunek (1984), S. 355ff. 299
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„Change in schemas typically occurs through a dialectic process triggered by the misalignment of a schema in use with the context.“ (Borman/Ilgen/Klimoski 2003, S. 314)306 Neben dem „Konflikt-Modell“ von Bartunek (1984) werden in der Literatur drei weitere Modelle vorgeschlagen, um den Prozess zu erklären, durch den sich kognitive Schemata verändern: „Conversion Model“, „Bookkeeping Model“ und „Subtyping Model“. Im Rahmen des „Conversion Model“ kann eine Veränderung des Interpretationsschematas als gravierende und plötzliche Reaktion auf eine einschneidende Situation erfolgen die von vorherigen Erfahrungen abweicht. Diesem Ansatz folgend, handelt es sich um eine „immediate, all-or-none“ Veränderung.307 Die Autoren Weber und Crocker (1983) hingegen fanden in ihren Forschungsarbeiten mehr empirische Belege für das sog. „Bookkeeping Model“ sowie das „Subtyping Model“. Der Bookkeeping Ansatz kennzeichnet sich durch ein inkrementelles „fine-tuning“ des Schemas entlang einer neuen abweichenden Information. Eine Veränderung des Interpretationsschemas unterliegt somit einem sukzessiven Prozess. Im Rahmen des Subtyping Ansatzes hingegen entwickeln sich innerhalb eines übergeordneten Schemas Unterkategorien, die als Reaktion auf abweichende Informationen zu einer Differenzierung führen, welche durch schrittweise Anpassung des bereits existierenden Schemas nicht weiter verarbeitet werden können.308 Die aus der Literatur hervorgehenden unterschiedlichen Ansätze eines kognitiven Schema-Wandels können auf unterschiedliche Veränderungskontexte zurückgeführt werden. Die Autoren Balogun und Johnson (2004) verweisen dabei auf die Möglichkeit einer Koexistenz unterschiedlicher Modelle.309
306
Siehe bspw. auch Labianca et al. (2000). Dialektische Spannungen sind implizit jedoch auch in einer Reihe weiterer Artikel zu finden. Vgl. bspw. Langley (2009), S. 418. 307 Vgl. Rothbart (1981); Weber/Crocker (1983). 308 Vgl. Weber/Crocker (1983). 309 Vgl. Balogun/Johnson (2004), S. 544.
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I.2.2 Kollektive Schemata Nachdem sich die bisherigen Ausführungen (Abschnitt 1.2.1.1 bis 1.2.1.4) ausschließlich auf die intraindividuelle Kognitionsebene konzentrierten, zielt das folgende Kapitel darauf ab, das Schema Konstrukt im organisationalen Kontext zu beleuchten. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei der Untersuchung eines Unternehmenszusammenschlusses und insbesondere eines post-akquisitionalen Prozesses um ein in erster Linie interorganisationales bzw. interindividuelles Phänomen zwischen Käufer- und Zielorganisation handelt. Vor diesem Hintergrund wird es als wesentlich erachtet, der Ebene der kollektiven Dimension von Kognitionen verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken. Damit wird nicht lediglich dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungskonstrukt Rechnung getragen, sondern ebenso der Aufforderung von Walsh (1995) gefolgt, sich, vor dem Hintergrund organisationaler Komplexität, neben der individuellen, ebenfalls der kollektiven Kognition zu widmen.310 Das Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung in die historische Entwicklung und (theoretische) Konzeptionalisierung (I.2.2.1), bevor sodann eine Skizzierung der Kernaspekte des Konstrukts kollektiver Schemata erfolgt (I.2.2.2- I.2.2.5). I.2.2.1 Grundlagen kollektiver Schemata Das Konzept kollektiver Schemata geht auf vor (weit) über hundert Jahren in der Soziologie wie Psychologie angestellte Überlegungen zurück, welche die Existenz individueller wie interorganisationaler Strukturen und Prozesse der Kognition belegen.311 Auf dieser Basis hat sich eine multidisziplinäre Forschungsströmung herausgebildet,312 welche sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Begrifflichkeiten wie Konzeptionalisierungen konfrontiert sieht.313 So haben sich über den Begriff „shared cognition“ hinaus zahlreiche weitere Bezeichnungen herausgebildet wie „group cognition“, „cogniti310
Vgl. Johnson (2009), S. 36. Vgl. Klimoski/Mohammed (1994), S. 406. 312 Vgl. Salas et al. (2012), S. 3. 313 Vgl. Mohammed et al. (2010), S. 882ff. 311
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ve congruence“ oder „team cognition“.314 Ein fehlendes, allgmeingültiges (Gesamt-) Verständnis hinsichtlich des Konzepts der kollektiven Kognition kann als primäre Ursache hierfür identifiziert werden. So wird das Konzept, Fiore und Salas (2004) folgend, sowohl für die Erläuterung von Prozessverläufen als auch –ergebnissen herangezogen.315 Für die zugrundeliegende Arbeit soll der Begriff der kollektiven Kognition als übergeordnetes Konstrukt interorganisationaler Kognitionen Verwendung finden. Das mit dem übergeordneten Konzept der kollektiven Kognition einhergehende vielseitige Interesse hat (wiederum) zur Folge, dass sich zahlreiche Konstrukte mit ähnlichem aber nicht identischem Bedeutungsinhalt entwickelt haben. Die Literatur verweist dabei auf Begrifflichkeiten wie „cognitive congruence“, „collective cognition“, „collective mind“, „collective cognitive map“, „team mental model“, „shared mental model“ oder „shared schema“.316 Für die Bearbeitung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsfalls erweist sich dabei das „Shared Schema“ Konstrukt als das zweckmäßigste, da es sich, in Anlehnung an Mohammed et al. (2010), um das Konstrukt mit der konzeptionell höchsten Reichweite handelt. Durch die Berücksichtigung aufgabenbezogener wie auch kooperationsbezogener Aspekte,317; 318 kann dem in Kapitel I.2.2. definierten Erfolgsverständnis von PMI Rechnung getragen werden. Die Begriffe „Shared Schemata“ und „kollektive Schemata“ finden dabei, in Anlehnung an Walsh (1995), synonyme Verwendung. Das Herzstück des Shared Schema Konstrukts bildet der Kollektivitätsgedanke. Es wird also angenommen, dass der Erfolg innerhalb eines Teams davon beeinflusst wird, in welchem Maße Angehörige eines Teams gemeinsame Schemata bzgl. zentraler Faktoren entwickelt haben.319 Analog individueller Schemata leiten kollektive Schemata Mitglieder der Organisation bei der Interpretation ihrer Umgebung, wählen Wertpriori314
Vgl. bspw. Walsh (1995), S. 291f. Vgl. Fiore/Salas (2004), S. 235. Siehe auch Kozlowski/Chao (2012), S. 20. Vgl. Cannon-Bowers/Salas (2001), S. 197f.; Walsh (1995), S. 291f. 317 Vgl. Mohammed et al. (2010), S. 881. 318 Vgl. Kapitel I.2.2.3. 319 Vgl. Busch/Lorenz (2010), S. 284. 315 316
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täten und weisen Ressourcen zu.320 Sie leiten somit den Prozess, durch den organisationale Mitglieder den Ereignissen Bedeutung geben. Den Autoren Bartunek und Moch (1987) zufolge, sind sie von besonderer Bedeutung, indem sie eine gemeinsame Orientierung für Informationen und Ereignisse bieten.321 Darüber hinaus wird, wie auch auf intraindividueller Betrachtungsebene, der Annahme gefolgt, dass sich kollektive Schemata im Zeitverlauf verändern können - insbesondere wenn sich die Umwelt maßgeblich ändert oder eine neue Vision für die Organisation artikuliert wird.322 Die bis dahin stark generische Beschreibung des kollektiven Schema-Konstrukts soll nun mit einer detaillierten Skizzierung der Kernaspekte noch einmal konkretisiert werden, um Ableitungen für die empirische Erhebung der Arbeit vornehmen zu können. So wird zunächst auf die Bedeutung von „shared“ bzw. „kollektiv“ Bezug genommen (I.2.2.2), bevor sodann der inhaltliche Gegenstandsbereich (I.2.2.3), der Einfluss kollektiver Schemata auf das organisationale Outcome (I.2.2.4), sowie die Entwicklung kollektiver Schemata erläutert wird. (I.2.2.5). I.2.2.2 Bedeutung von “kollektiv“ Eine zentrale Frage, die sich im Rahmen der Erörterung kollektiver Schemata stellt ist die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „shared“ bzw. „kollektiv“. So impliziert der Begriff nicht nur rein sprachlich eine Fülle an Bedeutungen, sondern ebenso im Hinblick auf das Konzept der geteilten Kognition. Cooke et al. (2000) bringen diese Bedeutungsvielfalt wie folgt zum Ausdruck:
„Share can mean to have in common (as in share the equipment or share the belief) or it can mean to divide (e.g., share the workload or share the dessert). Likewise, shared knowledge may refer to either knowledge that is similar within a team (i.e., homogeneous with respect to team members) or
320 321 322
Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 486. Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 485. Siehe auch Lau et al. (2003), S. 230. Vgl. Kapitel I.2.1.4.
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knowledge that is distributed among team members (i.e., heterogeneous).“ (Cooke et al. 2000, S. 11) Basierend auf der Auswertung zahlreicher Ansätze,323 fassen Cannon-Bowers und Salas (2001) die unterschiedlichen Bedeutungen des Konzepts der kollektiven Kognition in ingesamt vier Kategorien zusammen: (1) Geteilt oder Überlappend, (2) Ähnlich oder Identisch, (3) Kompatibel oder Komplementär sowie (4) Verteilt. Im Folgenden soll jede dieser Kategorien näher ausgeführt werden, um sodann Rückschlüsse für die empirische Erhebung in Teil II der Arbeit ziehen zu können.
(1)
Geteilt oder Überlappend: Zwei oder mehrere Personen verfügen im Hinblick auf eine spezifische Disziplin über gemeinsames Wissen. Ein vollständig redundantes Wissen wird dabei jedoch nicht benötigt. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf einen Projektleiter und einen Projektmitarbeiter verwiesen, die Teile ihrer Wissensdatenbanken teilen müssen. Es kann allerdings nicht erwartet werden, dass sie identisches Wissen haben.
(2)
Ähnlich oder Identisch: Mitglieder eines Teams müssen über ähnliche, wenn nicht gar identische Kenntnisse verfügen, um die Entwicklung gemeinsamer Interpretationen zu erzielen. So kann es bspw. der Fall sein, dass eine ähnliche Einstellung der Teammitglieder über den Wert von Feedback im Kontext der Teamentwicklung, Auswirkung auf die Akzeptanz und die Aktivität der Feedbackkultur hat und demzufolge mit einer höheren Effektivität einhergeht. Werden derartige Einstellungen indes nicht geteilt, kann dies zu Verwirrung und unerfüllten Erwartungen mit offensichtlich negativem Einfluss auf die Performance führen.
323
Vgl. bspw. Cannon-Bowers/Salas (2001), S. 198f.; Klimoski/Mohammed (1994), S. 421; Mohammed et al. (2010), S. 880.
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(3)
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Kompatibel oder Komplementär: Die Kollaboration zwischen zwei oder mehreren Personen erfordert nicht obligatorisch überlappendes oder gar identisches Know-How. Nichtsdestotrotz muss das Wissen so kompatibel sein, dass vergleichbare Erwartungshaltungen z.B. hinsichtlich einer spezifischen Aufgabe oder Verhaltensweise, definiert werden können. In Teams interdisziplinären Charakters bspw. erfolgt die Problemlösung durch komplementären Austausch von Know-How.
(4)
Verteilt: Die Komplexität bestimmter Situationen erfordert mitunter eine Aufsplittung des Wissens auf mehrere Personen, da die Vielschichtigkeit der Situation es für eine Person unmöglich macht als alleiniger Wissensträger zu fungieren. In einer Organisation wird man demzufolge Fachexperten u.a. für Personal, Einkauf oder Logistik mit einem jeweils spezifischen Wissensschatz begegnen.
Die Beschreibung der vier Verständnisse zeigt, dass die Bedeutung kollektiver Kognition („shared“) nicht über eine allgemeingültige Definition verfügt. Cannon-Bowers und Salas (2001) zufolge kann dies (mitunter) darauf zurückgeführt werden, dass eine Kollaboration mit zwei oder mehreren Personen gleich mehrere kognitive Repräsentationen erfordert.324 Dies geht Hand in Hand mit der Aussage von Fiore und Schooler (2004), die darauf verweisen, dass die Definition letztendlich von der Domain der Forschungsfrage abhängt.325 In Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „shared schema“ als geteilte Überzeugungen im Sinne von „ähnlich oder identisch“ verstanden. Den Autoren Cannon-Bowers und Salas (2001) zufolge, gilt diese Kategorie am unmittelbarsten für gemeinsame Einstellungen und Überzeugungen. Das heißt, Teammitglieder müssen über ähnliche Einstellungen und Überzeugungen vefügen, um gemeinsame Interpreta-
324 325
Vgl. Cannon-Bowers/Salas (2001), S. 199. Vgl. Fiore/Schooler (2004), S. 138.
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tionen entwickeln zu können.326 Diese Kategorie weist einen hohen Verwandschaftsgrad mit der Kategorie „gemeinsam und überlappend“ auf, mit einem jedoch geringfügigen Unterscheidungsmerkmal. So impliziert die Kategorie „gemeinsam und überlappend“, dass der Aufgabe eine Wissensbasis zugeordnet ist, welche (im Großen und Ganzen) von den Mitgliedern geteilt werden muss. Die Kategorie „ähnlich oder identisch“ hingegen nimmt an, dass bestimmte Einstellungen und/oder Überzeugungen der Teammitglieder einander ähnlich sein müssen, um eine effektive Performance zu erzielen. Die Vorstellung, dass das, was geteilt wird, die Teilmenge einer größeren Wissensbasis impliziert, ist hier nicht der Fall.327 I.2.2.3 Inhalte kollektiver Schemata Mit der Frage nach der Bedeutung von „shared“ geht ebenso die Frage nach dem Inhalt kollektiver Schemata einher. Das heißt, auf was beziehen sich kollektive Schemata? Es handelt sich dabei um eine bereits vielfach aufgeworfene Frage, die jedoch nie endgültig beantwortet wurde. So verweisen bspw. die Autoren Cannon-Bowers et al. (1993) auf Basis eines umfassenden Literatur-Reviews auf in erster Linie vier Themenbereiche:
„Our review of this question leads us to suggest that `what is shared` falls into one of four broad categories: task specific knowlege, task-related knowlede, knowledge of teammates and attitudes/beliefs.“ (CannonBowers/Salas 2001, S. 196)328 Die Kategorie des aufgabenspezifischen Wissens („task model“) umfasst demnach spezifische Kenntnisse hinsichtlich bestimmter Verfahren, Prozesse oder Strategien, die zur Bewältigung einer Aufgabe erforderlich sind. Weniger spezifisch hingegen ist
326
Vgl. Cannon/Bowers/Salas (2001), S. 198. Ebenda. 328 In ihrem Beitrag aus dem Jahr 1993 verweisen Cannon-Bowers et al. ebenfalls auf eine viergliedrige Kategorisierung, mit jedoch geringfügiger begrifflicher Veränderung: „equipment model“, „task model“, „team interaction model“ und „team model“. (Vgl. Cannon-Bowers et al. 1993, S. 232). 327
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das Wissen in der Kategorie „task-related knowledge“. Zwar sind auch hier Kenntnisse hinsichtlich aufgabenbezogener Prozesse erforderlich, jedoch nicht zwingend für einzelne Aufgaben. Es handelt sich vielmehr um aufgabenbezogene, zur Funktionsfähigkeit des Teams beitragende Kenntnisse. Die dritte Kategorie „knowledge of teammates“ impliziert sodann ein Verständnis der Teammitglieder untereinander, während „shared attitudes/beliefs“ als vierte und letzte Kategorie auf gemeinsame Überzeugungen und kognitiver Übereinstimmung abstellt. Es handelt sich dabei um die umfassendste der vier Kategorien, indem gemeinsame Einstellungen und Überzeugungen nicht aufgabenspezifisch oder aufgabenbezogen, sondern vielmehr allgemeiner Natur sind. Die Autoren Busch und Lorenz (2010) stützen sich auf diese vier Kategorien, nehmen mit „Teamdesign“, „Teamprozess“ und „Teamkultur“ jedoch lediglich eine dreigliedrige Kategorisierung vor.329 Während die Kategorie „Teamdesign“ vor allem die Entwicklung einer gemeinsamen Zielvorstellung mit dem Wissen um die innerhalb des Teams geltende Rollen- und Verantwortungskultur verknüpft, betreffen Teamprozesse die Gesamtheit aller Aktivitäten eines Teams, welche unmittelbar oder mittelbar zur Realisierung des Ziels beitragen. Kollektive Schemata haben dabei eine insbesondere verhaltenslenkende und berechenbarkeitschaffende Wirkung, die im Endeffekt teamspezifische Gewohnheiten bzw. Handlungsroutinen mit sich bringen. Die Teamkultur wiederum kann als übergreifendes Wertesystem verstanden werden. Durch die Entwicklung eines „Wir-Gefühls“ im Sinne von Gruppenzusammenhalt bzw. Kohäsion wird die Identifikation mit dem eigenen Team gefördert, ebenso wie der gemeinsame Glaube an den Erfolg. Tab. I-5 fasst die Komponenten dieser drei Kategorien noch einmal zusammen.
329
Vgl. Busch/Lorenz (2010), S. 285.
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KOMPONENTEN KOLLEKTIVER SCHEMATA Teamdesign Teamziel Ressourcenausstattung Rollen- und Verantwortungsstruktur Transaktives Wissen
Tab. I-5:
Teamprozesse Informationsverarbeitung Kommunikation und Koordination Feedbackmechanismen Problem- und Konfliktlösung Entscheidungsfindung
Teamkultur Identifikation und Identität Kohäsion und Erfolgsglaube Arbeitsnormen und Werte
Kollektive Schemata in Anlehnung an Busch/Lorenz (2008) Quelle: Busch/Lorenz (2010), S. 285
Eine Reduktion auf nur zwei Kategorien findet sich wiederum bei Mohammed et al. (2010), welche in ihrem Paper „Metaphor No More“ darauf verweisen, dass die Differenzierung zwischen „teamwork“ und „taskwork“, in der Praxis den wohl größten Zuspruch bei Forschern finde.330 Während aufgabenbezogene Schemata den Autoren zufolge Arbeitsziele und Leistungsanforderungen beinhalten, umfassen teamorientierte Schemata wiederum die Anforderungen und Fähigkeiten der anderen Teammitglieder im Hinblick auf zwischenmenschliche Interaktion. Vor dem Hintergrund des im Rahmen von Kapitel I.2.2 definierten Erfolgsverständnisses von PMI, welches sich in Anlehnung an Stahl und Voigt (2008) aus einer erfolgreichen Human Integration und einer erfolgreichen Task Integration zusammensetzt,331 erweist sich für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit insbesondere die Kategorisierung von Mohammed et al. (2010) als geeignet. Dabei wird angenommen, dass die „teamwork“ Komponente Aspekte wie Ziele der Zusammenarbeit, Interaktion, Aufstellung und Durchsetzung von Regeln, Kommunikation, Haltungen/Einstellungen und Verantwortlichkeiten im Rahmen der Zusammenarbeit mit einschließt, während die Komponente „taskwork“ Aspekte wie Entwicklung und Überwachung von Ziel(bildern), Performance Anforderungen, task environment sowie Kenntnisse von Handlungsabläufen und zentralen Prozessen umfasst. 330 331
Vgl. Mohammed et al. (2010), S. 880 mit Verweis auf Cooke et al. (2001). Vgl. Stahl/Voigt (2008), S. 162.
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I.2.2.4 Einfluss kollektiver Schemata auf das Outcome Grundsätzlich können drei unterschiedliche Trends in der Literatur ausgemacht werden, welche sich mit dem Einfluss kollektiver Schemata auf das organisationale Outcome beschäftigen.332 So wird zunächst angenommen, dass geteilte Überzeugungen zu einer besseren „task performance“ und folglich einer besseren organisationalen Performance führen. Es handelt sich dabei bspw. um Aspekte wie Präzision, Effizienz, Ergebnisqualität oder Termintreue. Darüber hinaus verweist ein weiterer Forschungstrend darauf, dass gemeinsame Überzeugungen zu einer Optimierung von „TeamProzessen“ und diese wiederum zu einer besseren Task performance führen können.333 Die Auswirkungen umfassen dabei eine effizientere Kommunikation, präzisere Erwartungen und Prognosen, Konsens, ähnliche Interpretationen sowie eine Optimierung in der Koordination. Eine letzte, eher generische Kategorie bezieht sich auf motivationsbezogene Outcomes, wie z.B. Zusammenhalt, Vertrauen, Moral oder kollektiver Leistungswille. Auch wenn diese Ergebnisse eine eher lose Verbindung zur Task Performance aufweisen wird angenommen, dass diese der allgemeinen Verbesserung dienen.334 Vgl. Tabelle. I-6 für eine Übersicht kognitionsbedingter Outcomes.
DER EINFLUSS KOLLEKTIVER SCHEMATA AUF DIE PERFORMANCE Task Performance
Präzision Effizienz Ergebnisqualität Volumen Termintreue
Tab. I-6:
332 333 334
Team Performance Effizientere Kommunikation Präzisere Erwartungen Konsens Ähnliche Interpretationen Optimierte Koordination
Motivational Outcomes
Zusammenhalt Vertrauen Moral Kollektiver Leistungwille Zufriedenheit mit dem Team
Der Einfluss kollektiver Schemata auf die Performance Quelle: in Anlehnung an Cannon-Bowers/Salas (2001), S. 200
Dabei wird den Autoren Cannon-Bowers und Salas (2001) gefolgt. Vgl. bspw. Klimoski/Mohammed (1994); Rentsch/Hall (1994); Rentsch/Klimoski (2001). Vgl. Cannon-Bowers/Salas (2001), S. 195.
TEIL I:
I.2.2.5
Theoretische Grundlagen
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Die Entwicklung kollektiver Schemata
Während empirische Studien eine Vielzahl von Bewertungsverfahren heranziehen, um die Existenz,335 und die Bedeutung kollektiver Schemata im Kontext organisationaler Veränderungsprozesse zu untersuchen, liefern jedoch nur wenige ein tiefes Verständnis darüber, wie kollektive Schemata zustande kommen.336 Die (sozial-)psychologische Forschung bietet zwar einen Einblick in die Entstehung von Schemata, jedoch liefern diese Studien vor allem ein Verständnis für den Wert eines „analogen Transfers“337 in Organisationen. Nicht aber befassen sie sich damit, wie diese die Entwicklung von Schemata beeinflussen. Es kann jedoch vermutet werden, dass die Entwicklung kollektiver Schemata in Organisationen um ein vielfaches komplexer und dynamischer ist, als es die Psychologie vermutet. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich psychologische Studien, die sich mit der Entstehung von Schemata im Allgemeinen auf Laborstudien konzentrieren, in denen Individuen mit klaren, prägnanten und konkreten Analogien konfrontiert werden, sich direkt auf Zielprobleme beziehen.338 Manager in Unternehmen sehen sich jedoch selten derart klaren Situationen und Lösungen gegenüber. Die Untersuchung von Kahl und Bingham (2013) adressiert diese Lücke, indem sie sich explizit mit der Thematik der Entstehung kollektiver Schemata auseinandersetzt.339 Dabei kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Entstehung
335
So untersuchen bspw. Johnson und Hoopes (2003), „ob intra-industrielle Konkurrenten ein gemeinsames Muster von Überzeugungen (oder Schemata) haben“. Ähnlich stellen auch Hargadon und Fanelli (2002, S. 294) fest, dass langjährige Mitglieder einer Organisation, indem sie (ihre Schemata) durch den umgebenden sozialen Kontext beeinflusst werden, häufig das gleiche Schema teilen. Und auch Lau et al. (2003, S. 244) demonstrieren die Kollektivität von Schemata. 336 Vgl. Kahl/Bingham (2013), S. 5. 337 „Analogical transfer is defined as the transfer of knowledge from one situation or concept to another by a process of mapping- the construction of correspondences (often incomplete) between elements of a source anlog and those of a target.“ (Kahl/Bingham 2013, S. 5). 338 Vgl. Gick/Holyoak (1983). 339 So untersuchen die Autoren im Rahmen einer inhaltlichen Analyse empirisch, wie Lebensversicherte von 1945 bis 1975 ein neues Schema für den Geschäftscomputer entwickelt haben. Die kommerzielle Einführung des Geschäftscomputers im Jahr 1954 war eine bedeutende Technologie und schuf die Möglichkeit für potentielle Verbraucher ein Schema zu entwickeln. Vgl. Kahl/Bingham (2013).
TEIL I:
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von Schemata drei Schlüsselprozesse beinhaltet: (1) Assimilation eines existierenden Schemas (2) Dekonstruktion des existierenden Schemas und (3) Einheitlichkeit des neuen Schemas in eine einzelne kognitive Einheit. Auch wenn diese Ergebnisse über die psychologischen Grundlagen von Strategie und Organisation hinaus wichtige Implikationen für den Veränderungsprozess und die Management-Kognition aufgezeigt haben, so weisen die Autoren jedoch darauf hin, dass weitere Forschung erforderlich ist, „to [...] explain the processes associated with schema emergence“ (Kahl/Bingham 2013, S. 41). I.2.3 Angrenzende Forschungsfelder Der dritte Abschnitt dieses Kapitels schließt die Einführung in das Thema des Schema Konstruktes ab, in dem das Forschungsfeld von benachbarten Themenfeldern abgegrenzt wird. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Schema Konstrukt ein vergleichsweise neues Konzept darstellt und daher Gegenstand einer anhaltenden Debatte ist,340 kann das Ziehen von Grenzen lediglich als eine Art Bestandsaufnahme verstanden werden. Obwohl es eine Vielzahl von Interaktionen gibt, soll im Rahmen dieses Kapitels eine Beschränkung auf die am häufigsten in der Literatur genannten Themen vorgenommen werden. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die Auseinandersetzung mit den Konstrukten Schemata und Mentale Modelle (I.2.3.1), deren Differenzierung vielfach von widersprüchlichen Aussagen in der Literatur geprägt ist.341 Darüber hinaus werden organisationale Routinen als eine weitere, eng mit dem Schema-Konstrukt verbundene Thematik untersucht (I.2.3.2). Ferner implizieren organisationales Lernen (I.2.3.3) sowie die organisationale Identität (I.2.3.4) zwei an das Forschungsfeld organisationaler Schemata angrenzende zentrale Forschungsbereiche, die im Verlauf dieses Kapitels näher ausgeführt werden.
340 341
Vgl. Wrona (2008), S. 58. Vgl. bspw. Rogers-Wynands (2002), S. 31.
TEIL I:
I.2.3.1
Theoretische Grundlagen
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Mentale Modelle
Eine in der Literatur häufig aufkommende Diskussion beschäftigt sich mit der Interaktion organisationaler Schemata und mentaler Modelle.342 Die Tatsache, dass mentale Modelle als „long-term knowledge structures that `support` reasoning and understanding“ (Jones et al. 2011, S. 3)343 verstanden werden, hat die Frage aufgeworfen, ob die Konstrukte Schemata und mentale Modelle miteinander verwandt oder völlig verschieden sind.344 Anfang der 1980er Jahre verwies Johnson-Laird (1983) darauf, dass der Unterschied zwischen Schemata und mentalen Modellen noch zu lösen sei. Und auch Schwenk (1988) kommt ein paar Jahre später zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen den beiden Konstrukten nicht eindeutig sei.345 Mit Bezug auf Weick (1979, S. 48ff.) definiert er mentale Modelle als „a particular type of schema or a part of a broader schema“. Andere hingegen scheinen der Frage nach der Interaktion der Konstrukte im Verlauf der Zeit ein bisschen näher gekommen zu sein (Tab. I-7). So scheint es den Autoren Wilson und Rutherford (1989) zufolge ein Kontinuum zwischen den Konstrukten Schemata und Mental Maps zu geben und weniger einen klaren „cut-off point“. Dabei verweisen die Autoren auf Rumelhart (1984), welcher ein mentales Modell als „the total set of schemata instantiated at the time“ beschreibt. Zu demselben Schluss kommen auch Johnson-Laird (1983) sowie Mankelow und Jones (1987), welche die Entwicklung mentaler Modelle als „arising from schemata“ beschreiben. Brewer (1987) hingegen identifiziert den Faktor Zeit, in welcher bestimmte Repräsentationen generiert werden, als Differenzierungsmerkmal. Werden mentale Modelle als „Schöpfung des Augenblicks“ verstanden gelten Schemas hingegen als im Langzeitgedächtnis gespeicherte Datenstrukturen. In diesem Zusammenhang heben die Autoren Wilson und Rutherford (1989) den dynamischen bzw. statischen Charakter der Konstrukte hervor. 342
Vgl. Wilson/Rutherford (1989), S. 622f. mit Bezug zu Nersessian (2002). 344 Vgl. Wilson/Rutherford (1989), S. 623. 345 Vgl. Schwenk (1988), S. 46. 343
TEIL I:
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So kann den Autoren zufolge der größte Unterschied darin gesehen werden, dass es sich bei Schemata um gespeicherte Datenstrukturen handelt, die aktiviert werden können, während mentale Modelle als „the utilization of such information in a computationally dynamic manner“ (Wilson/Rutherford 1989, S. 624) betrachtet werden.346 Dieses Unterscheidungsmerkmal führt gleichzeitig mit sich, dass mentale Modelle mit einer vergleichsweise höheren Flexibilität charakterisiert sind.347
Autor Rutherford/ Wilson (2004), S. 312
Differenzierungsbasis Statische vs. dynamische Struktur
Schemata „...Eine prozessuale Datenstruktur im Gedächtnis“
Holland et al. (1986), S. 13
Flexibilität
Brewer (1987), S. 189
Generisches vs. spezifisches Wissen
Unflexible, im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissensstrukturen liefern „prädiktives Wissen für regelmäßige und routinierte Situationen“ „...Precompiled generic knowledge structures“
Tab. I-7:
Mentale Modelle Verwendung prozessualer Daten „in a computationally dynamic manner“ Flexible Wissensstruktur, die mehrere Schemata kombiniert, um eine ungewohnte Situation abzubilden oder zu simulieren „Spezifische Wissenstrukturen, die konstruiert werden, um eine neue Situation abzubilden, indem generisches Wissen über Raum, Zeit, Kausalität und menschliche Intentionalität verwendet wird.“
Gegenüberstellung mentaler Modelle und Schemata Quelle: Jones et al. (2011), S. 4.
Nichtsdestotrotz sei an dieser Stelle auf einen stärker formalen Aspekt von JohnsonLaird (1983) verwiesen, welcher betont, dass die Frage nach der Differenzierung zwischen mentalen Modellen und Schemata nicht genau beantwortet werden kann, da aus einer rein theoretischen Perspektive heraus die Menge aller potentiell möglichen Schemata und aller potentiell möglichen mentalen Modelle nicht spezifiziert werden
346 347
Vgl. Rutherford/Wilson (2004), S. 312. Vgl. Holland et al. (1986), S. 13.
TEIL I:
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kann.348 Die Schwierigkeit der Abgrenzung der beiden Konzepte kann zudem auf die Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsbereiche und Interpretationen des Konstruktes zurückgeführt werden. So beinhaltet die Literatur zwar eine Vielzahl an Hinweisen darüber, was mentale Modelle sein könnten, es existieren jedoch nur wenige formale oder explizite Definitionen.349 I.2.3.2
Organisationale Routinen
Eine weitere, eng mit dem Kontrukt organisationaler Schemata verbundene Thematik sind organisationale Routinen. Die Bedeutung organisationaler Routinen als zentrales organisationales Merkmal und erklärender Mechanismus ist in einer Vielzahl wissenschaftlicher Theorien weit anerkannt.350 Seit der Implementierung des Konzepts im Jahre 1940 durch Stene gelten organisationale Routinen als primäres Instrument zur Bewerkstelligung organisationaler Tätigkeiten. Die weite Verbreitung organisationaler Routinen verleitet zu der Annahme, dass ein klares Verständnis über die Bedeutung des Phänomens vorherrschend ist.351 Doch obgleich organisationale Routinen allgegenwärtig sind, können sie nur schwer konzeptionalisiert werden.352 So betont eine Vielzahl von Definitionen häufig spezifische, fixe Sequenzen des Konstrukts: „A prescribed, detailed course of action to be followed regularly; a standard procedure“ (The American Heritage® Dictionary of the English Language, 2000). Darüber hinaus werden die hohe Anzahl an Individuen sowie die Interdependenz ihrer Handlungen hervorgehoben, um die für Routinen charakteristische, organisationale Dimension zu erfassen.353 Im Folgenden soll der Definition der Autoren Feldman und Pentland (2003) gefolgt werden, welche im Rahmen ihres Literatur Reviews zu einer „Kernde-
348
Vgl. Wilson/Rutherford (1989), S. 624f. Vgl. Wilson/Rutherford (1989), S. 618. Vgl. Feldman/Pentland (2003), S. 94. Siehe auch Brauer/Laamanen (2014) und Eisenhardt/ Martin (2000). 351 Vgl. Feldman/Pentland (2003), S. 96. 352 Vgl. Cohen et al. (1996), S. 655f. 353 Vgl. bspw. March/Simon (1958) oder Feldman/Rafaeli (2002). 349 350
TEIL I:
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93
finition“ kommen. So kann das Phänomen organisationaler Routinen definiert werden als „a repetitive, recognizable pattern of interdependent actions, carried out by multiple actors.“ (Feldman/Pentland 2003, S. 95) Den Autoren zufolge handelt es sich dabei um eine minimalistische Beschreibung der Charakteristiken, welche für ein als organisationale Routinen bezeichnetes Konstrukt vorhanden sein müssen.354 Eine Reihe empirischer Arbeiten hat auf die Beziehung zwischen organisationale Routinen und Schemata verwiesen.355 Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen erfolgte die Forschung zu den beiden Konstrukten jedoch weitgehend unabhängig voneinander.356 Lag der Fokus bei den Arbeiten, welche eine Verknüpfung der beiden Konstrukte vorgenommen haben, primär auf der Untersuchung des Einflusses, welche organisationale Schemata auf organisationale Routinen verüben,357 konnten die Autoren Rerup und Feldmann (2011) jedoch die zwischen den beiden Konstrukten bestehende koevolutionäre Komplexität stärker theoretisch untermauern. In ihrer Arbeit identifizierten die Autoren heterogene Lernprozesse im Sinne von „trial-and-error“ als Bindeglied zwischen den beiden Forschungsströmen, wodurch nicht nur der Einfluss organisationaler Schemata auf Routinen bestätigt werden konnte, sondern ebenfalls der Einfluss, welchen Routinen auf organisationale Schemata verüben.358
354
Vgl. Feldman/Pentland (2003), S. 96. Die Autoren verwenden in diesem Zusammenhang den Ausdruck einer „surface-level description“. Vgl. bspw. Feldmann (2003); Howard-Grenville (2005); Tucker/Edmondson (2003). 356 Vgl. Rerup/Feldman (2011), S. 606. 357 Vgl. bspw. Balogun/Johnson (2005); Feldman (2003); Howard-Grenville (2005). 358 Vgl. Rerup/Feldman (2011), S. 578. 355
TEIL I:
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I.2.3.3 Organisationales Lernen/Wissen Die Schnittstellen organisationaler Schemata mit organisationalem Lernen und Wissen sollen vor dem Hintergrund der Vielzahl an Forschungsarbeiten, welche sich mit organisationalen Schemata und organisationalem Lernen beschäftigen, näher ausgeführt werden. Der Beitrag organisationaler Schemata zu den Bereichen des organisationalen Lernens in der Literatur ist (gleich) zweifach: Eine erste Reihe von Studien beschäftigt sich damit, dass Organisationen von ihren Handlungen lernen und dass diese Handlungen die Veränderung organisationaler Schemata beeinflusst (Inhalt). So kann, vereinfacht gesprochen, Wissen vor dem Hintergrund dieser Arbeit als Lerninhalt und die sich aus dem Lernprozess ergebende Struktur dieses Inhalts verstanden werden. In diesem Zusammenhang spielt die Erfahrung eine wesentliche Rolle, in dem sich die auf vergangenen Erfahrungen basierenden organisationalen Schemata in den Handlungen der Organisationsmitglieder ausdrücken und die aus den Handlungen resultierenden Learnings wiederum zu einer Veränderung der bislang praktizierten organisationalen Schematas beitragen.359 Eine zweite Gruppe wissenschaftlicher Arbeiten beschäftigt sich vielmehr damit, wie der Prozess des Schemawandels über Lernprozesse vonstatten geht (Prozess). So hat Hedberg (1981) festgestellt, dass Wissen in turbulenten Umwelten obsolet wird und erneuert werden muss. Er hat diese Aktivität der Erneuerung von Wissen als „unlearning“360 definiert und hervorgehoben, dass die nicht vorhandene Fähigkeit des „Neulernens“ eine erhebliche Schwäche in einer Vielzahl von Organisationen darstellt und für den langfristigen organisationalen Fortbestand und die Wettbewerbsfähigkeit von we-
359 360
Vgl. Bartunek (1984), S. 365. „Organizational Unlearning“ stellt ein weit verbreitetes Thema in der Managementpraxis als auch in der Wissenschaft dar. Für eine detaillierte Beschreibung des Konstrukts sei an dieser Stelle auf Akgün et al. (2007) verwiesen.
TEIL I:
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sentlicher Bedeutung ist.361;362 So weist bspw. auch Bartunek (1984) in einer seiner Studien darauf hin, dass im Falle einer Veränderung „zweiter Ordnung“, „The original interpretive schemes have to be unlearned so new ones can come into existence.“ (Bartunek 1984, S. 367; Hervorhebungen durch den Autor)363 „Organizational unlearning“ wird dabei als Veränderung in Überzeugungen und Routinen definiert. So erfolgt organisationaler Wandel und Lernen durch die Revision kognitiver Schemata, welche Verhaltensweisen und Routinen festsetzt oder Anleitungen für bestimmte Verhaltensweisen, die Überzeugungen beinhalten. Im Kern stellt (Un)Learning dabei einen Katalysator für den Veränderungsprozess dar. Die Veränderung des Schemas an sich ist letztendlich das Ergebnis.364 I.2.3.4
Organisationale Identität
Die Forschung zur organisationalen Identität ist in den zwei Jahrzehnten stark gewachsen seit Albert und Whetten (1985) das Konzept als Attribute definierten „which members believe to be central, enduring, and distinctive about their organization“ (Albert/Whetten 1985, S. 265).365 Neuere Forschungen haben das ursprüngliche Konzept organisationaler Identität in viele Richtungen ausgeweitet, so dass nun eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven darüber vorherrschend ist, wie Identität am besten zu konzeptualisieren ist. Für die vorliegende Arbeit ist dabei vor allem ein Aspekt beson361
Hamel und Prahalad (1994, S. 71) haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass „companies are going to have to unlearn a lot of their past – and also to forget it! The future will not be an extrapolation of the past.“ 362 Vgl. Akgün et al. (2007), S. 795. Siehe auch Nystrom/Starbuck (1984). 363 Siehe auch Schein (1980) und Hedberg (1981). 364 Akgün et al. (2007) verweist an dieser Stelle beispielhaft auf das Veränderungsmodell von Lewin (1951). Dabei verweist die zweite Phase des dreistufigen Modells (unfreezing, transition, refreezing) auf das Phänomen des Unlearnings hin. Vgl. Akgün et al. (2007) S. 801. 365 Das Verständnis organisationaler Identität als zentral und andauernd, ist nicht unumstritten. So verweisen bspw. die Autoren Gioia et al. (2000) in diesem Kontext auf das Veränderungspotential organisationaler Identität im Verlauf der Zeit, wodurch diese als wesentlich instabiler zu charakterisieren sind als zunächst angenommen. Vgl. Gioia et al. (2000), S. 63.
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ders relevant: ihre enge Verbindung zu organisationaler, managerialer Kognition366 und organisationalem Sensemaking.367 Aus dieser Sicht kann organisationale Identität als ein interpretatives System oder als kollektive Kognitionen betrachtet werden, welche innerhalb des allgemeinen Konzepts organisationaler Identität als „cognitive frame“368 oder „perceptual lens“,369 die das Sensemaking eines Individuums steuern, beherbergt sind. Brickson und Lemmon (2009) sprechen in diesem Zusammenhang von „a collectively shared self-reflexive cognitive schema that members draw on to answer the question, ‚Who are we as an organization?’“ (Brickson/ Lemmon 2009, S. 412) Mit anderen Worten wird organisationale Identität als Selbstdefinition oder kognitive Selbstrepräsentation gesehen, die von Mitgliedern der Organisation angenommen wird und die „in tief verwurzelte und verborgene Annahmen eingebettet ist“ (Fiol/Huff 1992, S. 278).370
366
Vgl. bspw. Schwenk (1988) und Walsh (1995). Vgl. Weick (1995). 368 Vgl. Brickson (2005); Dutton/Dukerich (1991); Scott/Lane (2000). 369 Vgl. bspw. Gioia et al. (2000); Gioia/Thomas (1996); Labianca et al. (2000). 370 Vgl. Cornelissen et al. (2007), S. S6. 367
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I.2.4 Zwischenfazit II Grundlegendes Merkmal einer schematheoretischen Perspektive ist die Annahme, dass das Verhalten eines Individuums durch Prozesse der Informationsverarbeitung determiniert wird.371 So folgt auf die über die Umwelt aufgenommenen Informationen keine unmittelbare Reaktion, vielmehr wird das Verhalten eines Individuums durch die kognitiven Repräsentationen dieser Reize beeinflusst.372 Über die Betonung, dass jeder Handlungsträger bzw. jede Organisation infolge heterogener Interpretationsmechanismen verschiedene „Bilder“ der organisationalen Realität generiert, wenden sich Vertreter dieser Perspektive bewusst gegen die im Rahmen der rational-analytischen Organisationstheorie vorherschenden Überzeugung homogener Wahrnehmungs- und Denkmechanismen.373 Ein zentrales Konstrukt, um sich kognitiven Strukturen konzeptionell anzunähern ist das Schema-Konstrukt. In Anlehnung an Fiske und Taylor (1984) werden Schemata als kognitive Strukturen verstanden, die organisiertes Wissen über ein bestimmtes Konzept oder eine bestimmte Art von Stimulus repräsentieren. Ein Schema enthält dabei sowohl die Attribute eines Konzeptes als auch die Beziehungen zwischen den Attributen.374 Entsprechend der zu Beginn der Arbeit dargestellten Problemstellung sind für die vorliegende Arbeit dabei insbesondere die Inhalte der Wissensstruktur von Belang. Aufbauend auf einem Überblick über den aktuellen Stand der Forschungsbemühungen der intraindividuellen Kognition, wurde vor dem Hintergrund des dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstandes eine Perspektivenerweiterung vorgenommen. Durch die Ergänzung der intraindividuellen Kognition um die interindividuelle Kognition wurde nicht lediglich dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersu-
371
Vgl. Wrona (2008), S. 47f. Vgl. bspw. Dill (1958). 373 Vgl. Hodgkinson/Sparrow (2002), S. 8ff. 374 Vgl. Fiske/Taylor (1984), S. 140. 372
TEIL I:
Theoretische Grundlagen
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chungskonstrukt Rechnung getragen, sondern ebenso der Aufforderung von Walsh (1995) gefolgt, sich, vor dem Hintergrund organisationaler Komplexität, nicht lediglich der individuellen, sondern ebenfalls der kollektiven Kognition zu widmen.375 Wie gezeigt werden konnte, ist die interorganisationale Kognition in der Literatur von einer Fülle an Konzepten geprägt. Für die Bearbeitung des dieser Arbeit zugrundeliegenden Forschungsfalls erwies sich dabei das „Shared Schema“ Konstrukt als das zweckmäßigste, da es sich, in Anlehnung an Mohammed et al. (2010), um das Konstrukt mit der konzeptionell höchsten Reichweite handelt. So kann durch die Berücksichtigung aufgabenbezogener wie kooperationsbezogener Aspekte376 dem definierten Erfolgsverständnis von PMI Rechnung getragen werden, welches sich aus einer erfolgreichen Human Integration und einer erfolgreichen Task Integration zusammensetzt. Auf der Grundlage der Auseinandersetzungen mit dem Untersuchungsobjekt kollektiver Schemata wurde für den Kontext dieser Ausarbeitung abgeleitet, dass für eine erfolgreiche Zusammenführung zweier Organisationen ein kollektives Schema erforderlich ist, das aus geteilten kooperationsspezifischen sowie aus geteilten aufgabenspezifischen Überzeugungen besteht. Geteilt wird dabei im Sinne von ähnlich oder identisch verstanden. Den Autoren Cannon-Bowers und Salas (2001) zufolge gilt diese Kategorie am unmittelbarsten für gemeinsame Einstellungen und Überzeugungen, welche die Grundlage für die Entwicklung gemeinsamer Interpretationen implizieren.377
375 376 377
Vgl. Johnson (2009), S. 36. Vgl. Mohammed et al. (2010), S. 881. Vgl. Cannon/Bowers/Salas (2001), S. 198.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
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TEIL II: DIE FALLSTUDIE DER ZF FRIEDRICHSHAFEN AG Aufbauend auf den theoriebasiert gewonnenen Erkenntnissen der Kapitel I.1 und I.2 beinhaltet Teil II eine Untersuchung post-akquisitionaler Prozesse am Beispiel des Übernahmeprozesses der ZF Friedrichshafen AG. Mit einem Volumen von 12,4 Milliarden US-Dollar handelt es sich um eines der größten Übernahmegeschäfte im Jahr 2014. Zur Erforschung der Post Merger Integration einer internationalen, grenzüberschreitenden Akquisition wurde der Arbeit ein eingebettetes Fallstudiendesign zugrunde gelegt. Zentrales Ziel war es dabei, die Rolle kollektiver Schemata zwischen Käufer- und Zielorganisation im Kontext des PMI Erfolgs zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden über einen Zeitraum von 16 Monaten 39 Interviews mit dem Top- und mittleren Management des Käufers sowie des Zielunternehmens geführt. Darüber hinaus wurden interne wie externe Dokumente sowie Archivmaterial analysiert. Die Analyse der erhobenen Daten stützte sich auf in der Wissenschaft gängige Methoden, um die jeweiligen Ebenen, Aktivitäten und Abhängigkeiten der Prozesse berücksichtigen und herausarbeiten zu können. Darüber hinaus wurden zentrale Gütekriterien berücksichtigt, um die Qualität des Forschungsprozesses sicherzustellen. Den Ausgangspunkt hierzu bildet die Vorstellung des Research Settings, indem die Fallstudie näher beleuchtet und ein Überblick über den Kontext des Untersuchungsfalls gegeben wird (II.1). Im Anschluss daran wird das Forschungsdesign dargestellt und die methodische Vorgehensweise erläutert (II.2). Nach einer systematischen Aufbereitung der Forschungsergebnisse (II.3), schließt sich, hierauf aufbauend, die Interpretation und Diskussion der Untersuchungsergebnisse an im Rahmen derer eine Verknüpfung der zentralen Ergebnisse bisheriger Forschungsbemühungen mit den im Rahmen der vorliegenden empirischen Studie gewonnenen Erkenntnissen vorgenommen wird (II.4). Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31815-4_3) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. Pfeifle, PMI und die Frage nach dem Erfolg, Schriften zur Unternehmensentwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31815-4_3
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
100
Problemstellung
Positionierung & Ziele
Aufbau der Arbeit
Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschungsliteratur
Eine schematheoretische Perspektive zur Untersuchung des PMI Erfolgs
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
I.1.1 Status Quo PMI
I.2.1 Grundlagen
II.1 Research Setting
I.1.2 PMI Erfolg
I.2.2 Shared Schemata
II.2 Design/Methodik
I.1.3 Literatur Review
I.2.3 Abgrenzung
II.3 Ergebnisse
I.1.4 Zwischenfazit
I.2.4 Zwischenfazit
II.4 Diskussion
Zentrale Ergebnisse Abb. II-1:
II.1
Limitationen
Ausblick
Einführung Teil I Theoretische Grundlagen Teil II Empirische Erhebung
Schluss
Aufbau der Forschungsfallstudie Quelle: Eigene Darstellung.
Research Setting
Für die zugrundeliegende Forschungsfallstudie konnte der in der Antriebs- und Fahrwerktechnik weltweit führende Technologiekonzern, ZF Friedrichshafen AG, gewonnen werden, welcher als Antwort auf das anspruchsvolle, globale Umfeld und seine zukünftigen Herausforderungen das US-Unternehmen TRW Automotive übernommen hat. Mit einem Volumen von 12,4 Milliarden US-Dollar handelt es sich um eines der größten Übernahmegeschäfte im Jahr 2014. Aus der Akquisition resultierte ein Konzern, welcher mit einem addierten Gesamtumsatz von über 30 Millarden Euro und 138.000 Mitarbeitern an ca. 230 Standorten in die Gruppe der drei global führenden Automobilzulieferer vordringt.378 Dieses Setting bildet einen nach Yin (1984) formulierten sog. „extreme case“, welcher für das zugrundeliegende Forschungsvorhaben im Hinblick auf eine Reihe unterschiedlicher Aspekte wie Unternehmenszugang, Zeitpunkt, Rolle des Forschers, Treiber des Deals und Art der Übernahme als einzigartig zu bezeichnen ist:
378
Vgl. ZF Drive (2015), S. 40.
TEIL II:
(1)
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
101
Unternehmenszugang: Über die Kontaktstelle zu einem Vorstandsmitglied der ZF Friedrichshafen AG wurde dem Forschungsteam Zugang zur Top- und mittleren Management-Ebene, dem Integration Change Team (ICM) sowie zu weiteren für die Erhebung wesentlichen strategischen Abteilungen gewährt.
(2)
Zeitpunkt: Der Start des Forschungsprojektes war direkt im Anschluss an den Vollzug des Signing datiert. Dies ermöglichte eine Begleitung der Aktivitäten im Integrationsprozess direkt von Beginn an.
(3)
Rolle: Eine weitere Besonderheit dieser Untersuchung unterlag der Rolle des Forschers. So war dieser im Rahmen der Forschungskooperation mit der ZF Friedrichshafen AG nicht nur in den Phasen der Datenerhebung, sondern über einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren aktiv in zentrale Integrationsprozesse der ZF TRW eingebunden und als Teil des ICM Teams mit unterstützenden Aufgaben des ICM Teams betraut.379
(4)
Treiber des Deals: Die Entscheidung der Transaktion als auch die des Integrationsprozesses wurde insbesondere von den transformatorischen Entwicklungen in der Automobilindustrie beeinflusst. Den gegebenen Marktbedingungen zugrunde liegend war es fraglich, ob diese, jeweils unabhängig voneinander, den Veränderungen in angemessenem Umfang begegnen konnten. So resultierte die Übernahme aus der von ZF bereits 2012 entwickelten „Strategie 2025“, deren Ziele u.a. in einer ausbalancierten Marktdurchdringung, einer Innovations- und Kostenführerschaft sowie eines breiteren Produktportfolios liegen, um künftig sowohl schneller als auch flexibler der Volatilität des Marktes begegnen zu können.
379
Die Forschungskooperation zwischen der ZF Friedrichshafen AG, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie der Universität St. Gallen begann im Juni 2015. Neben einer wissenschaftlichen Beitragsleistung im Rahmen der ZF TRW Integration beinhaltete diese ebenfalls eine praktische Unterstützungsleistung innerhalb der Organisation.
TEIL II:
(5)
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102
Art der Übernahme: In Anlehnung an den in der Literatur vorherrschenden Integrationsansatz von Haspeslagh und Jemison (1991) impliziert diese Übernahme eine Art symbiotische Verschmelzung, die im Allgemeinen durch ein hohes Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und gesellschaftspolitischen Themen gekennzeichnet ist.380 Obwohl beide Unternehmen bereits einschlägige M&A Erfahrung gemacht hatten, handelte es sich im Hinblick auf Umfang und Auswirkung jedoch um eine Transaktion noch nie da gewesener Größenordnung.
Neben einem Kurzportrait der beiden Transaktionspartner (II.1.1), erfolgt in Teilkapitel II.1.2 ein kurzer Überblick über zentrale Spezifika des Deals sowie mit der Transaktion verbundene Herausforderungen, bevor schließlich die Branchen- und Marktentwicklung der globalen Automobilzulieferindustrie aufgezeigt wird (II.1.3). II.1.1 Kurzportrait der Transaktionspartner ZF Friedrichshafen AG: ZF ist ein weltweit führender Technologiekonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik. Mit 122 Produktionsgesellschaften ist das Unternehmen, mit Sitz in Friedrichshafen, in 26 Ländern vertreten und beschäftigt rund 72.600 Mitarbeiter.381 Gegründet wurde das Unternehmen im Jahre 1915 zur Entwicklung und Fertigung von Getrieben für Luftschiffe und Fahrzeuge. In einer wechselvollen Historie hat der Zulieferer merkantile Möglichkeiten genutzt und sich von seinen Wurzeln als Spezialanbieter der Aeronautik-Industrie zu einem weltweit operierenden Konzern der Mobilitätstechnik fortentwickelt. So gehören heute Antriebs- und Fahrwerktechnik mit Fahrwerkkomponenten und kompletten Achssystemen und –modulen sowie Lenkungen zum Produktprogramm des Technologiekonzerns. Um seinen langjährigen, mittels innovativer Erzeugnisse erzielten Erfolg auch zukünftig sicherzustellen, investiert der Konzern jährlich fünf Prozent seines Umsatzes in F&E. Bei einem im Jahr
380 381
Vgl. Teilkapitel I.1.1.3. Vgl. ZF Friedrichshafen AG (2018).
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
103
2013 erwirtschafteten Umsatz von 16,8 Milliarden Euro (23,2 Milliarden USDollar382) belief sich der Forschungs- und Entwicklungsaufwand demnach auf 836 Millionen Euro.383 Anteilseigner des Technologiekonzerns sind mit 93,8 Prozent die Zeppelin-Stiftung sowie mit 6,2 Prozent die Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung, Lemförde.384
TRW Automotive Holdings Corp.: Mit einem 2013 erwirtschafteten Gesamtumsatz von 12,6 Milliarden Euro (17,4 Milliarden US-Dollar) gehört TRW Automotive zu den weltweit führenden Zulieferern der Automobilindustrie.385 Der amerikanische Technologiekonzern mit Sitz in Livonia, Michigan, ist mit seinen Konzerntöchtern in 24 Ländern präsent und beschäftigt weltweit ca. 65.000 Mitarbeiter an mehr als 185 Standorten.386 Als Zulieferer mit dem umfangreichsten Produktportfolio an aktiven und passiven Sicherheitstechnologien, fertigt das Unternehmen aktive Brems-, Lenkungs- und Radaufhängungssysteme sowie leistungsfähige Insassenschutzsysteme und Fahrzeugelektronik. Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1901 kann der Technologiekonzern auf einen überaus erfolgreichen Entwicklungsverlauf fortschrittlicher Technologieentwicklung und Implementierung blicken. Das heutige Zulieferunternehmen ist aus einer Reihe unternehmensbezogener Verschmelzungen hervorgegangen, welche umfassende Expertise wie progressives Produkt Know-How mit sich brachten.387 Tabelle II-1 fasst einige Key Facts zu den Transaktionspartnern überblickartig zusammen.
382
Zugrunde liegender Wechselkurs per 31.12.2013 (Euro/US-Dollar = 1,3810). Vgl. ZF Friedrichshafen AG (2014b). ZF Friedrichshafen AG (2016). 385 Vgl. ZF TRW (2016). 386 Vgl. Presseinformation ZF (2014). 387 Vgl. ZF TRW (2016). 383 384
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Name Rechtsform Eigentümer Gründung Industrie Hauptsitz Standorte Marktabdeckung Divisionen
Mitarbeiter CEO Umsatz
EBIT ZF/ Betriebliche Erträge TRW R&D Investitionen Gesamtvermögen Gesamtkapital Tab. II-1:
388 389
ZF Friedrichshafen AG Aktiengesellschaft (AG) Zeppelin Stiftung (93, 8%); Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung (6,2%) 1915 Automobil, Schienenverkehr, Schiffsmaschinenbau, Luftverkehr Friedrichshafen, Baden-Württemberg, Deutschland 121 Standorte in 27 Ländern Weltweit PKW Antriebstechnik PKW Fahrwerktechnik Nutzfahrzeugtechnik Industrietechnik 72.463 Dr. Stefan Sommer388 EUR 18.415m (2014) EUR 16.8 m (2013) EUR 15.5 m (2012) EUR 1.098m (2014) EUR 807m (2013) EUR 643m (2012) EUR 891m (2014) EUR 836m (2013) EUR 770m (2012) EUR 826m (2011) -
104
TRW Automotive, Inc. Public, NYSE: TRW Free float 1904 Automobil Livonia, Michigan, USA 185 Standorte in 24 Ländern Weltweit Automobilteile Fahrwerksysteme Elektronik Insassenschutzsysteme 66.100 Johnt Plant USD 17,539m (FY 2014) USD 17,435m (FY 2013) USD 16,444m (FY2012) USD 501m (FY 2014) USD 1,227m (FY 2013) USD 1,085m (FY2012) USD 694m (FY 2014) USD 735m (FY 2013) USD 623m (FY2012) USD 10.9bn (FY 2012) USD 7.3bn (FY 2012)
ZF und TRW in der Übersicht389 Quelle: ZF Friedrichshafen AG
Seit 1. Februar 2018 ist Wolf-Henning Scheider Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG. Bis zum Abschluss der Übernahme-Transaktion waren ZF und TRW rechtlich selbständige Unternehmen mit jeweils separaten Abschlüssen. So berichtete ZF nach den Richtlinien der IFRS, während TRW bis zum Closing des Deals nach US-GAAP Finanzbericht erstattete.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
105
II.1.2 Dealspezifika und zentrale Herausforderungen Nach dem Einverständnis der Kartellbehörden hat die ZF Friedrichshafen AG mit dem „Closing“ am 15. Mai 2015 die Übernahme der TRW Automotive Holdings Corp. vollzogen.390 Gemäß der Übereinkunft hat ZF das Unternehmen im Wege der BarÜbernahme zum Wert von ca. 12,4 Milliarden US Dollar auf Basis des Equity Value erworben.391 Neben dem günstigen Niedrigzinsumfeld des Finanzierungsmarktes profitierte das schwäbische Stiftungsunternehmen ebenfalls von der Governance-Struktur des amerikanischen Automobilzulieferers, welche nach dem äußerst liberalen Delaware-Gesellschaftsrecht mit lediglich 50,01 Prozent des Aktienanteils sowohl die Beibehaltung der Kontrollmehrheit als auch die Veranlassung der verbleibenden Anteilseigner zu einer Andienung (Squeeze-out) ermöglicht. Ein Spezifika, mit welcher es der Organisation möglich war, den, gemessen an Umsatz und Mitarbeiteranzahl, verhältnismäßig größengleichen US-Konzern zu übernehmen. Es wird deutlich, dass die mit der Transaktion einer solchen Größenordnung verbundenen Risiken und Herausforderungen von nicht unerheblichem Maße sind. So galt es, nicht nur externe Einflüsse wie bspw. die zinsbedingte Finanzierungsstabilität und anderweitige marktbedingte Schwankungen zu erwägen und ggfs. entgegenzuwirken, sondern insbesondere auch übernahmebedingte Herausforderungen wie die sich ausschließlich auf Fremdkapital gründende Finanzierung der Übernahme zu berücksichtigen. Eine weitere Herausforderung unterliegt dem Tatbestand, dass es sich bei der Übernahme, mit Kauf eines amerikanischen Unternehmens, um einen sog. CrossBorder-Deal handelt. Dies impliziert eine enorme Komplexität, welche angesichts der strukturalen Disparität der involvierten Länder eines besonderen Managements bedarf. Zudem wirken die unterschiedlichen kulturellen Wesensmerkmale eines schwäbischen Stiftungsunternehmens entgegen eines an der New York Stock Exchange gelisteten amerikanischen Technologiekonzerns. 390 391
Vgl. ZF Friedrichshafen AG (2016a). Vgl. ZF Friedrichshafen AG (2016b).
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Obgleich ZF in seiner Historie auf eine Reihe erfolgreicher Transaktionen zurückblicken kann, ist die Transaktion des amerikanischen Zulieferers TRW in ihrer Größe und Komplexität durchweg einzigartig. Von Risiko geprägt war zudem die Tatsache, dass der vorteilhafte Zeitpunkt der Transaktion jederzeit durch Marktveränderungen wie anderweitigen Kaufinteressenten geschmälert werden konnte. So galt dem konsensorientierten Stiftungsunternehmen eine weitere Herausforderung: sich in Schnelligkeit und Agilität zu beweisen. II.1.3 Kontext der Transaktion392 Nach Angaben der von Roland Berger und der Investment Bank Lazard (2014) gemeinsam vorgelegten „Global Automotive Supplier Study 2014“, erzielte die globale Automobilzuliefererindustrie (allein) im Jahr 2014 einen Umsatz in Höhe von 620 Mrd. US-Dollar und realisierte damit im Vergleich zum Jahr 2010 ein Wachstum von 20 Prozent. Mit einer EBIT-Marge von 7,5 Prozent geht, einem herausragenden Vorjahr folgend, damit auch das Jahr 2014 als Rekordjahr in die Branchengeschichte ein. So wird der seit der Hochzeit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 andauernde Wachstumskurs des globalen Zuliefermarktes fortgesetzt. Neben einem steigenden Produktionsvolumen, impliziert insbesondere auch die hohe Auslastung der Kapazität der Zulieferer einen zentralen Treiber für diesen Entwicklungsverlauf.393 Doch unabhängig der positiven, wirtschaftlichen Entwicklung variiert die Performance der Unternehmen in Abhängigkeit von Region (i), Unternehmensgröße (ii), Produktschwerpunkt (iii) und Geschäftsmodell (iv):
392
393
Dieses Unterkapitel enthält Inhalte aus einer im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojektes resultierenden Fallstudie. Die Veröffentlichung dieser erfolgte im Frühling 2017. Vgl. Roland Berger/Lazard (2014).
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(i) Region: So weisen Automobilzulieferer aus den Ländern des Wirtschaftsverbands nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) im Vergleich zu ihren europäischen Mitstreitern aktuell eine um ca. einen Prozentpunkt höhere Profitabilität auf. (ii) Unternehmensgröße: Bedeutende, weltweit operierende Zulieferer der Automobilindustrie mit einem Umsatz von mehr als 10 Mrd. EUR realisieren mit ca. acht Prozent besonders hohe EBIT-Margen, welche Unternehmen von geringerer Größe nicht annähernd zu erreichen in der Lage sind. (iii) Produktschwerpunkt: Erhebliche Abweichungen werden nach Angaben von Roland Berger und der Investment Bank Lazard (2014) zudem zwischen den Produktbereichen sichtbar. Dies, indem in den Segmenten Antriebsstrang und Reifen derzeit die höchste Profitabilität von mitunter über acht Prozent erzielt wird, während das Geschäft im Bereich Interieur, einer EBIT-Marge von lediglich fünf bis sechs Prozent zufolge, erheblich zurückfällt. (iv) Geschäftsmodell: Besondere Bedeutung wird ferner der Innovation entlang sämtlicher Produktbereiche zugesprochen. So können Zulieferer innovativer Produkte im Vergleich zu prozessfokussierten Lieferanten eine im Durchschnitt zwei Prozentpunkte höher liegende Marge erzielen. Darüber hinaus ist es einer Vielzahl von Unternehmen gelungen, eine erhebliche Verbesserung in Bezug auf Liquidität und Finanzwesen herbeizuführen und sind damit – im Vergleich zum Jahr 2007 – durchaus solider gerüstet.394 Nichtsdestotrotz sieht sich die globale Automobilindustrie einem Wandel gegenüber. So orientiert sich die KfzNachfrage verstärkt in Richtung Asien, während die OEMs ihre Entwicklungszentren
394
Vgl. Roland Berger Strategy Consultants (2014).
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immer häufiger nach China und ihre Produktionsstandorte in neue Märkte jenseits der BRIC-Staaten verlegen. Zudem erfolgen zunehmend M&A Aktivitäten von EUAutomobilzulieferern durch Investoren aus den Schwellenländern. Darüber hinaus kommt es zu neuartigen Technologieentwicklungen insbesondere im Bereich Antrieb, Fahrerassistenz sowie Konnektivität. Die Summe dieser Entwicklungen führt nicht nur zu Veränderungen innerhalb der Wettbewerbsstrukturen, sondern hat ferner eine Neuverteilung der Gewinnanteile unter den Zulieferern zur Folge. Diese weitreichenden Entwicklungen erfordern von ZF als einem weltweit führenden Technologiekonzern sowohl die wirtschaftliche Stärke als auch die technologische Fähigkeit, diesen Wandel maßgeblich mitzugestalten. So konzentriert sich die Organisation produktseitig insbesondere auf die drei Megatrends: Kraftstoffeffizienz, Sicherheit und autonomes Fahren, um den zukünftigen Mobilitätsanforderungen Rechnung tragen zu können.395 Tabelle II-2 beinhaltet weitere Details zu den globalen Megatrends in der Automobilbranche. GLOBALE MEGATRENDS IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE KRAFTSTOFFEFFIZIENZ Emissionsreduktion wird durch Gesetzgebung vorangetrieben
SICHERHEIT Sowohl Autohersteller als auch Kunden erwarten höheres Sicherheitsniveau
AUTONOMES FAHREN Basis für autonomes Fahren ist mit Fahrerassistenzsystemen bereits gelegt
Weiterhin steigende Nachfrage nach Leichtbauwerkstoffen
Strengere gesetzliche Vorschriften und Sicherheitsstandards
Für das Segment der Fahrerassistenzsysteme wird bis zum Ende diesen Jahrzehnts ein Wachstum auf das Sechsfache erwartet
Tab. II-2:
Globale Megatrends in der Automobilindustrie Quelle: in Anlehnung an ZF Friedrichshafen AG (2014)
Den Forschungsergebnissen von McKinsey & Company (2016) zufolge gibt es jedoch, trotz der Tatsache, dass es bereits eine Reihe verschiedenartiger Szenarien gibt, noch keine integrierte Perspektive, wie sich die Automobilindustrie in zehn bis fünfzehn
395
Vgl. Holeksa/Müller-Stewens (2015).
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Jahren entwickeln wird. Tabelle II-3 stellt die verschiedenen Szenarien der Marktdisruption entlang der globalen Trends im Rahmen einer Gegenüberstellung von hoch vs. gering zueinander in Beziehung.396
SZENARIEN HOHER VS. GERINGER MARKTDISRUPTION Mobilität Kommun. Richtlinien, die Privatfahrzeugen entgegenwirken Neue „On-Demand Geschäftsmodelle“ Verschiebung von privatem Autobesitz zu geteilter Mobilität Autonomes Fahren Überwindung rechtlicher Hürden Entwicklung sicherer & zuverlässiger technischer Lösungen Verbraucherakzeptanz und Zahlungsbereitschaft Elektrifizierung Zunehmender Rückgang von Batterien Rechtliche Emissionsbeschränkungen Verbrauchernachfrage nach elektrischen Antriebssträngen Vernetzung Weltweite Fahrzeugvernetzung Regelmäßige Verwendung kostenpflichtiger Inhalte Tab. II-3:
II.2
Hoch
Gering
Verstärkt Verbreitet Signifikant
Stetig Limitiert Beschränkt
Schnell Umfassend Enthusiastisch
Sukzessive Unvollständig Gering
Rapide Verstärkt Verbreitet
Geschützt Sukzessive Zurückhaltend
Große Mehrheit Etabiliert
Partiell Gering
Szenarien der Marktdisruption Quelle: McKinsey & Company (2016), S. 4
Untersuchungsdesign und Methodik
Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Erhebung besteht darin, die Ereignisse des Unternehmenszusammenschlusses so zu verstehen und zu erfahren, wie sie aus der Perspektive der Organisationsmitglieder heraus entstanden sind. Vor diesem Hintergrund wurde in Anlehnung an Arbeiten wie die von Labianca et al. (2000) oder auch Poole et al. (1989) eine Methodik gewählt, die über rein organisatorische Aktivitäten hinausgeht und die es ermöglicht organisationale Schemata sowohl auf Ebene des Top Mana-
396
Vgl. McKinsey & Company (2016), S. 4.
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110
gements als auch des mittleren Managements397 aufzudecken. Der diesen Studien zugrunde liegende ethnographische Charakter ist ebenfalls in der hier vorliegenden Arbeit gegeben. Neben der Begründung des Forschungsdesigns (II.2.1), sollen die methodischen Aspekte der Untersuchung dargelegt werden, indem der Prozess der Datenerhebung sowie die Vorgehensweise der Datenanalyse eingehend beschrieben werden (II.2.2). II.2.1
Empirisches Forschungsdesign
Die empirische Sozialforschung zielt auf die „systematische Erfassung von Zusammenhängen“ (Kromey 2006, S. 52) ab. Grundsätzlich kann dabei zwischen qualitativer und quantitativer Forschung differenziert werden.398 Während qualitative Forschungsmethodik die Variabilität der Attribute eines Untersuchungsgegenstandes mittels verbaler, interpretativer Deskription verzeichnet, erfolgt die Erfassung der Merkmalsvariabilität im Rahmen quantitativer Forschung über die Allokation von Zahlenwerten.399 Der Auffassung von Poole et al. (2000) folgend, impliziert die quantitative Forschung400 ein hervorragendes Methodenspektrum zur Erhebung ursächlicher Zusammenhänge ebenso wie zur Analyse diverser Gruppendifferenzen. Zur prozessualen Untersuchung verlaufstheoretischer Aspekte ist es hingegen erforderlich, sich auf Verfahren zu stützen, welche die Dynamik wie Charakteristika des fokalen Bezugsrahmens zu erfassen in der Lage sind:401 „Analysis of process data requires methods that: (1) can identify and test temporal linkages between events and also an overall temporal pattern (Poole et al. 2000), (2) can cope with multiple time scales that often occur in processes (Langley 1999).“ (Van de Ven/Poole 2005, S. 1384)
397
Die Untersuchung des mittleren Managements erfolgt auf Basis der vom Integrationsmanagement gegründeten sog. „Workstreams“ (Arbeitsgruppen). Die Methodologie qualitativer und quantitativer Forschung wird heutzutage nicht mehr als unvereinbar aufgefasst. Siehe bspw. Kelle/Erzberger (2005), S. 299. 399 Vgl. Albers et al. (2009), S. 6f. 400 Es handelt sich dabei primär um varianzanalytische Methoden. Vgl. Poole et al. (2000) S. 35f. 401 Vgl. Van de Ven/Poole (2005), S. 1384); siehe auch Langley (1999). 398
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111
Demzufolge elaboriert in erster Linie die Forschungsfallstudie eine adäquate Methode zur Analyse der vorliegenden Untersuchungsthematik, welche nach Yin (2009) folgender Definition unterliegt:402 „A case study is an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomen in depth and within its real-life context, especially when the boundaries between phenomen and context are not clearly evident.“ (Yin 2009, S. 18) Entgegen einer schriftlichen Erhebung mit großer Stichprobe ermöglicht die Fallstudienmethode das Zusammentragen umfangreichen Datenmaterials für eine limitierte Fallzahl und gewährt so profunde Erkenntnisse zentraler Phänomene.403 Die qualitativen Daten machen chronologische Abläufe sichtbar und verbinden Ereignisse mit Konsequenzen. Auf diese Weise können nützliche Erkenntnisse über Prozessdynamiken erworben und Erklärungen für gegenseitige Abhängigkeiten und Wirkungszusammenhänge abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund ist die Methode der Fallstudienforschung „als Instrument der Erkenntnisgewinnung“ (Santos/Specht/Bingemer 2003, S. 4) gegenüber alternativen Erhebungsverfahren,404 insbesondere dann zu optieren, „when little is known about a phenomen and current perspectives seem inadequate since they have little empirical substantiation.“ (Eisenhardt 1989) Angesichts dessen wird für die Erhebung des Untersuchungsgegenstandes ein fallstudienbasierter, qualitativer Forschungsansatz gewählt. Es handelt sich dabei um ein in der empirischen Sozialforschung prävalentes Verfahren,405 welches sich in einer Reihe
402
Vgl. Cameron/Quinn (1988), S. 15; Langley (2009). Vgl. Eisenhardt (1989); Yin (2009). 404 Wie zum Beispiel Experimente oder schriftliche Erhebungen mit großer Stichprobe. 405 Die Fallstudienmethode hat in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten international zunehmende Akzeptanz erfahren. Vgl. Sutton (1997), S. 98f. 403
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wissenschaftlicher Erhebungen vergleichender Fragestellungen bereits als geeignet erwiesen hat.406 Im Hinblick auf die Fallauswahl differenziert Yin (2009) zwei Arten von Fallstudien: die singuläre (single-case design) und die vergleichende Fallstudie (multiple-case design).407 Während Erstere die Merkmale und Attribute eines Einzelfalls herausstellt, liegt der multiplen Forschungsfallstudie eine Reihe von Fällen zugrunde. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal führt Yin (2009) die Analyseeinheit (unit of analysis) ein. Er differenziert dabei zwischen einer holistischen (holistic) und einer eingebetteten (embedded) Betrachtung. Im Rahmen einer eingebetteten Betrachtung werden innerhalb einer Fallstudie unterschiedliche Analyseeinheiten definiert.408 Abb. II-2 fasst die aus den Überlegungen hervorgehenden vier Basisdesigns für Forschungsfallstudien in einer 2x2-Matrix zusammen. Der vorliegenden Untersuchung soll ein eingebettetes Fallstudiendesign zugrunde gelegt werden. Die Integration der TRW in die ZF Friedrichshafen AG bildet hierbei den Einzelfall und die im Rahmen der Integrationsarchitektur entstandenen Arbeitsgruppen (Gremien) die einzelnen „embedded units of analysis“. Begründet wird die Wahl des integrierten Fallstudiendesigns über den Gegenstand des dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsinteresses als komplexes organisationsübergreifendes Phänomen, bei welchem die Verwendung des „single-case design“ in der Forschungspraxis überwiegt.409 Darüber hinaus charakterisieren Unternehmenszusammenschlüsse eine radikale, extreme Form des organisatorischen Wandels.410
406
Vgl. Folkerts/Hausschildt (2002). Vgl. Yin (2009), S. 39 ff. Vgl. Yin (2009), S. 50ff. 409 Vgl. Seuring (2008), S. 132f. 410 So führt Yin (2009) an, dass ein „single-case design“ als adäquat angesehen wird, wenn es sich um ein „critical case, extreme or unique case, representative or typical case, revelatory case or longitudinal case“ handelt. Vgl. Yin (2009), S. 47ff. 407 408
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Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Einzelfallstudie
Eingebettet (mehrere Analyseeinheiten)
Holistisch (eine Analyseeinheit)
Kontext
Abb. II-2:
II.2.2
113
Multiple Fallstudie Kontext
Kontext
Fall
Fall
Kontext
Kontext
Fall
Fall
Fall
Kontext
Kontext Fall Analyseeinheit 1
Fall
Analyseeinheit 2
Kontext Fall Analyseeinheit 1 Analyseeinheit 2
Analyseeinheit 1
Kontext Fall
Analyseeinheit 2
Analyseeinheit 1 Analyseeinheit 2
Kontext Fall Analyseeinheit 1 Analyseeinheit 2
Basisdesigns in der Fallstudienforschung Quelle: Yin (2009), S. 46
Methodische Aspekte der empirischen Untersuchung
Das folgende Kapitel umfasst eine Beschreibung des Datenerhebungsprozesses (a) sowie eine detaillierte Erläuterung der Vorgehensweise der Datenanalyse (b). Daneben erfolgt eine Skizzierung der allgemeingültigen Gütekriterien qualitativer Forschungsbemühungen, welche den Forschungsprozess in bedeutendem Maße leiteten (c). (a) Datenerhebung Die Phase der Datenerhebung erstreckte sich über einen Zeitraum von 16 Monaten und implizierte neben der Durchführung qualitativ leitfadengestützter Interviews als Primärdatenquelle (1), die teilnehmende Beobachtung (2) sowie das Sammeln von Ar-
TEIL II:
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114
chivmaterial (3). Darüber hinaus wurden im Verlauf des Forschungsprozesses allgemeine Beobachtungen in Form von Feldnotizen erfasst.411 Eisenhardt (1989), Pettigrew (1973) sowie einer Reihe weiterer Autoren folgend, handelt es sich damit um ein bei singulären Forschungsfallstudien bewährtes Vorgehen,412 da die Qualität einer Einzelfallstudie, ihre Erfassung und Interpretation in bedeutendem Maße von einer soliden, umfassenden Datenerhebung abhängt.413 Abb. II-3 bildet den Erhebungsprozess noch einmal überblickartig ab.
RETROSPEKTIVE UNTERSUCHUNG ZF TRW
ZF LEGACY
PRE-MERGER
MERGER
POST MERGER INTEGRATION
ZUSÄTZLICHE PROJEKT-BASIERTE ZUSAMMENARBEIT DIVISION
2014
2015
Sept
09-15-2014 Signing
Jan
Mai
05-15-2015 Closing
01-14-2015 Pre-Close Integrationsprozess
Abb. II-3:
411
STRUKTURELLE INTEGRATION
2016 Okt
Feb
VORSTUDIE AKQUISITION [Σ8]
Apr Mai
2017 Okt
Jan
PILOT HAUPTSTUDIE INTERVIEWS PMI WS S [Σ3]
[Σ28]
ERHEBUNGSZEITRAUM
Zeitleiste der empirischen Erhebung Quelle: Eigene Darstellung.414
Feldnotizen, definiert als „a running commentary to oneself and/or a research team [...]“ (Eisenhardt 1989, S. 538) kommen insbesondere im Hinblick auf die Überlappung von Datenanalyse und –auswertung im Rahmen der Theoriebildung entscheidende Bedeutung zu. Laut Van Maanen (1988), handelt es sich dabei um „[...] an ongoing stream-of-consciousness commentary about what is happening in the research, involving both observation and analysis – preferable separated from one another.“ (Eisenhardt 1989, S. 539). 412 Vgl. Eisenhardt (1989); Pettigrew (1973); Rüegg-Stürm (2002); Jäger (2008). 413 Vgl. Langley (1999), S. 692. 414 Nach Übernahme der TRW Automotive durch die ZF Friedrichshafen AG wurde der amerikanische Automobilkonzern mit „TRW Legacy“ oder „ZF TRW“ bezeichnet. Diese Bezeichnung hatte jedoch nur im Rahmen des Integrationsprozesses Gültigkeit.
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115
Mittels Triangulation der drei Untersuchungsmethoden kann eine Verbesserung der Qualität des empirischen Forschungprozesses erzielt werden.415 Nach Aussage der Autoren Santos, Specht und Bingemer (2003) spielt die Triangulation sämtlicher zur Verfügung stehender Datenquellen insbesondere bei singulären Fallstudienbetrachtungen eine wesentliche Rolle. Die Methodenkombination trägt neben der Komplettierung des Gesamtbildes zu einer Verdichtung der Organisationswirklichkeit bei. Nach Mayring (2002) besteht die Intention einer Triangulation dabei keineswegs in der Deckungsgleichheit der gesammelten Daten, sondern vielmehr in der Zusammenführung wechselseitig komplementärer Sichtweisen, analog eines „kaleidoskopartigen Bildes“.416 (1) Qualitative leitfadengestützte Interviews Primäre Datenquelle der vorliegenden Untersuchung bilden qualitative leitfadengestützte Interviews.417 Gläser und Laudel (2010) folgend, empfiehlt sich diese Form des Interviews insbesondere dann, (i)
wenn im Rahmen eines Interviews die Erhebung mehrerer unterschiedlicher Untersuchungsschwerpunkte angestrebt wird, die dem Ziel des Forschungsvorhabens und nicht den Antworten des Interviewpartners unterliegen, und
(ii)
wenn im Rahmen eines Interviews einzelne detailspezifische Informationen von Bedeutung sind.418
415
Vgl. Yin (2003), S. 97ff.; Mayring (2002), S. 147. Vgl. Mayring (2002), S. 148. 417 Vgl. Flick (2009), S. 215. Die Art des Interviews unterliegt nach Gläser/Laudel (2010) dem Grad der Standardisierung. Gläser/Laudel (2010) differenzieren zwischen standardisierten, halbstandardisierten und nichtstandardisierten Interviews. Leitfadengestützte Interviews sind dabei der Gruppe „nichtstandardisierter Interviews“ zuzuordnen. 418 Vgl. Gläser/Laudel (2010), S. 111. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde die Quelle der leitfadengestützten Interviews synergetischen Gründen zufolge zur Erhebung zweier (voneinander unabhängiger) komplementärer Untersuchungen genutzt. 416
TEIL II:
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116
Darüber hinaus impliziert die Analyse von Interviewdaten eine gängige Praxis zur Untersuchung organisationaler Veränderungen.419 Labianca et al. (2000) weisen zudem darauf hin, dass insbesondere semistrukturierte Interviews bei der Erzeugung von beschreibenden Informationen über kognitive Schemata und den Inhalt dieser Schemata hilfreich seien.420 An dieser Stelle ist jedoch darauf zu verweisen, dass, sofern diese Untersuchung mit der expliziten Absicht begonnen worden wäre, den Platz des Schemas in den Schemata der organisationalen Handlungsträger zu untersuchen, eine stärker fokussierte Technik, wie z.B. das repertory grid
421
erforderlich gewesen wäre.422 Da der Fokus der Unter-
suchung jedoch rein inhaltlicher Natur ist, kann in Anlehnung an die Vorgehensweise von Labianca et al. (2000) sowie Poole et al. (1989) auf eine Anwendung der Repetory grid Methode oder vergleichbare Techniken verzichtet werden.423 So wurde bereits vor Untersuchungsbeginn, in Abstimmung mit der ZF Friedrichshafen AG, ein semistrukturierter, individuell auf den Interviewpartner zugeschnittener Leitfaden entwickelt, welcher im Verlauf des Forschungsprozesses kontinuierlich überarbeitet und angepasst wurde.424 Die Entwicklung des Leitfadens orientierte sich an dem sog. „courtroom procedure“ von Eisenhardt (1989).425 Es handelt sich dabei um eine Kombination aus erzählungsgenerierenden Fragen und vertiefenden Nachfragen, wodurch es möglich war, Kenntnisse über bisherige und sich entwickelnde Schemata der Transaktionspartner zu erlangen.426 So wurden die Teilnehmer im Rahmen der leitfadengestützten Interviews gebeten, den Entwicklungsverlauf der Integration,
419
Vgl. bspw. Bartunek (1984); Eisenhardt (1989). Vgl. Labianca et al. (2000), S. 241f. mit Verweis auf Rafaeli et al. (1997). Vgl. Bspw. Reger (1990). 422 Vgl. Labianca et al. (2000), S. 242. 423 Vgl. Labianca et al. (2000), S. 242f.; Poole et al. (1989), S. 275ff. 424 Vgl. Mayring (2002), S. 68. 425 Vgl. Bingham/Eisenhardt (2011), S. 1443. 426 Beispielhaft sei an dieser Stelle auf vertiefende Nachfragen verwiesen, wie „Warum haben Sie die Entscheidung getroffen?“, „Wie wurde es bisher gemacht?“ oder „Konnten Sie von dem Wissen der anderen profitieren?“. Ein für die Erhebung der bisherigen Schemata wesentliches Tool implizierte zudem die in Abschnitt (III.2.2 (a)(3)) diskutierte Dokumentenanalyse. 420 421
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
117
spezifische Verhaltensweisen, Ereignisse und Aktivitäten (rückblickend) zu rekonstruieren.427 Im Zentrum standen dabei Fragen zu den folgenden sieben Kernbereichen: (1) Hintergrundinformation bzgl. Firmenzugehörigkeit, Funktion und PMI Erfahrung; (2) zeitlicher Verlauf der Integration auf Corporate und (3) Workstream Ebene; (4) zentrale Ereignisse im Kontext der Integration; (5) wahrgenommener Erfolg sowie (6) Reflexion und (7) integrationsbedingte Lernprozesse und Lernerfahrungen.428 In Anlehnung an das „courtroom“ Verfahren wurden im Rahmen der Ereignischronologie (primär) offene Fragen gewählt, die auf Veränderungs- und Entscheidungsprozesse abzielten, um generische, nicht in bestimmten Aktivitäten gegründete Aussagen zu vermeiden,429 während Fragen zur Lernerfahrung hingegen der direkten Fragestellung unterlagen. Folgt man Bingham und Eisenhardt (2011), so impliziert die Technik der direkten und indirekten Fragestellung eine stärkere Fundierung („grounding“) theoretischer Erkenntnisse und minimiert Verzerrungen in den Ergebnissen: „The technique of asking different questions (i.e., nondirective and directive) provides stronger grounding of theoretical insights and mitigates bias.“ (Bingham/Eisenhardt 2011, S. 1443).430 Im Hinblick auf die Durchführung der Interviews wurde der Empfehlung von Pettigrew (1988) gefolgt, die qualitative Erhebung teambasiert zu gestalten.431 Dies ermöglicht die Analyse des zugrunde liegenden Falls aus verschiedenen Blickwinkeln. Darüber hinaus erhöht sich die Chance auf eine divergierende Fallbetrachtung durch eine klare Rollenverteilung im Rahmen der Gesprächsführung.432 Ebenso verweist auch Eisenhardt (1989, S. 538) auf die Vorteile einer teambasierten Datenerhebung,
427
Vgl. Huber (1985); Miller et al. (1997). Vgl. Anhang 1- Anhang 4. Vgl. Bingham/Eisenhardt (2011), S. 1443. 430 Vgl. Eisenhardt (1989); Bingham et al. (2007). 431 Vgl. Pettigrew (1988). 432 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 538. 428 429
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
118
schafft die Beteiligung mehrerer Forscher „confidence in the findings and increases likelihood of surprising findings.“ Vor diesem Hintergrund wurden die Interviews in der vorliegenden Untersuchung jeweils in Tandems durchgeführt.433 Während einer der Forscher die Gesprächsleitung übernahm, war der andere mit Beobachtung und vertiefenden Nachfragen betraut.434 So unterlag dem Interviewer verstärkt die persönliche Interaktion mit dem Interviewteilnehmer, während der Beobachter einen distanzierteren Blick auf das Interviewgeschehen behielt.435 Insgesamt wurden 39 Interviews durchgeführt, diese dauerten zwischen 60 und 120 Minuten (vgl. Tabelle II-4). Befragt wurden Mitglieder des IMO Turbo Steuerkreises, des Integration Management Office (IMO) sowie die Leiter der integrationsbedingt initiierten Arbeitsgruppen (Workstreams).436 Die Verteilung der Interviews ist in Tabelle II-5 noch einmal in der Übersicht zusammengefasst.
433
Die Durchführung der Interviews erfolgte in Zusammenarbeit mit Henning Düsterhoff, Doktorand am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität St. Gallen. Vgl. Eisenhardt/Bougeois (1988). 435 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 538. Die Rollen im Rahmen der Gesprächsführung wurden über die Interviewserie hinweg jeweils im Wechsel neu definiert. 436 Die Auswahl der Interviewpartner orientierte sich an dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstand und erfolgte in Abstimmung mit der ZF Friedrichshafen AG. Auf Empfehlung des Chief Integration Management Officer wurde, neben aktiv in den Integrationsprozess involvierten Organisationsmitgliedern, ebenfalls eine Führungskraft interviewt, die nicht unmittelbar am Integrationsprozess beteiligt war. 434
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Nr.
Position
Datum
Dauer
A. #1 #2 #3 #4 #5 #6 #7 #8
VORSTUDIE – HINTERGRUND ZF TRW AKQUISITION Top Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Top Management ZF Friedrichshafen AG Top Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Top Management ZF Friedrichshafen AG
07.10.2015 20.10.2015 04.11.2015 04.11.2015 06.11.2015 12.11.2015 12.11.2015 10.02.2016
55 Min. 60 Min. 55 Min. 25 Min. 50 Min. 40 Min. 40 Min. 75 Min.
B. #9 #10 #11
PILOTINTERVIEWS – POST MERGER INTEGRATION Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG
21.04.2016 26.04.2016 18.05.2016
90 Min. 60 Min. 90 Min.
C. #12 #13 #14 #15 #16 #17 #18 #19 #20 #21 #22 #23 #24 #25 #26 #27 #28 #29 #30 #31 #32 #33 #34 #35 #36 #37 #38 #39
HAUPTSTUDIE – POST MERGER INTEGRATION Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Top Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Top Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Top Management ZF Friedrichshafen AG Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Mittleres Management TRW Automotive Holdings Corp. Top Management TRW Automotive Holdings Corp.
17.10.2016 20.10.2016 20.10.2016 24.10.2016 24.10.2016 25.10.2016 10.11.2016 17.11.2016 22.11.2016 30.11.2016 30.11.2016 08.12.2016 09.12.2016 12.12.2016 12.12.2016 13.12.2016 13.12.2016 13.12.2016 14.12.2016 14.12.2016 15.12.2016 15.12.2016 16.12.2016 16.12.2016 19.12.2016 16.01.2017 16.01.2017 24.03.2017
85 Min. 70 Min. 85 Min. 75 Min. 100 Min. 80 Min. 65 Min. 90 Min. 110 Min. 85 Min. 65 Min. 60 Min. 95 Min. 65 Min. 65 Min. 50 Min. 60 Min. 80 Min. 75 Min. 60 Min. 80 Min. 60 Min. 80 Min. 60 Min. 110 Min. 55 Min. 25 Min. 45 Min.
Tab. II-4:
437
Firma
119
Interviewteilnehmer in der Übersicht Quelle: Eigene Darstellung.437
Um die Anonymität der Interviewpartner zu wahren, wurden die Teilnehmer des Integration Management Office der Position des Top Managements zugeordnet.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
120
Vor dem Hintergrund ihrer Funktion und ihres Aufgabenbereichs lassen sich die Befragten als „knowledgable agents“ (Bagozzi/Phillips 1982) bezeichnen:
„these individuals are knowledgable about the issues being researched and able and willing to communicate about them.“ (Kumar et al. 1993, S. 1634) Sämtliche Interviews wurden digital aufgezeichnet und wörtlich transkribiert.438 Die Transkription folgt dabei den Regeln sog. „einfacher Transkripte“.439 Ferner erfolgte im Rahmen der Gesprächsführung eine schriftliche stichwortartige Aufzeichnung des Gesprächs440 sowie eine Nachbereitung des Interviews in protokollarischer Form und dem Versand von „Follow-up E-Mails“ im Anschluss an das jeweilige Interview. 441 ZF (n = 28)
TRW (n = 11)
Hierarchielevel Periode 1 Periode 2 Periode 1 Periode 2 BREAKDOWN OF INTERVIEWS BY COMPANY, HIERARCHICAL LEVEL & PERIOD Workstreams 2 10 0 7 IMO 1 5 0 1 SteerCo/Corporate 5 5 0 3 Total 8 20 0 11 Tab. II-5:
(2)
Interviews nach Firma, Hierarchielevel und Erhebungszeitraum Quelle: Eigene Darstellung.442
Teilnehmende Beobachtung
Die Methode der teilnehmenden Beobachtung ermöglicht eine „Echtzeit“Beobachtung interaktiver Prozesse der aktiv am Integrationsprozess Beteiligten. Darüber hinaus können Dialog- und Sensemaking Prozesse real im Beobachtungsfeld er-
438
Die Transkripte der Vorstudie wurden aufgrund der Sensibilität der Daten nicht dem Anhang beigefügt. Vgl. Kowall/O`Connell (2004) für einen Überblick über unterschiedliche Transkriptionsarten. 440 Vgl. Flick (2009), S. 296; Silverman (2010), S. 157. 441 Vgl. Harris/Sutton 1986. 442 Periode 1 umfasst die Interviews der Vorstudie, Periode 2 beinhaltet die Interviews der Hauptstudie (inklusive Pilotinterviews). 439
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
121
fahren werden. Pettigrew (1990) verweist an dieser Stelle auf die Möglichkeit, eines unmittelbaren Vergleichs von Worten und Taten der Interviewteilnehmer.443 Nach Yin (2003) lassen sich zwei Formen teilnehmender Beobachtung unterscheiden: Die teilnehmende und die nicht teilnehmende Beobachtung.444 Ist der Forscher bei der teilnehmenden Beobachtung unmittelbar in den Sachverhalt involviert, kommt ihm im Rahmen der nicht teilnehmenden Beobachtung eine eher hintergründige Rolle zu.445 In der vorliegenden Untersuchung entsprach die Rolle des Forschers der eines aktiven wie passiven Beobachters. So war er als Teil des ICM-Teams aktiv in zentrale Integrationsprozesse der ZF TRW eingebunden, im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen wie bspw. Townhall Meetings und organisationsinterne Workshopveranstaltungen hatte er hingegen eine passive Beobachtungsrolle inne. (3)
Dokumentenanalyse
Als drittes Erhebungsinstrument wird im Rahmen der empirischen Untersuchung die Dokumentenanalyse
herangezogen.
Dokumente
implizieren
dabei
„nieder-
geschriebene Informationen aus dem mittelbaren und unmittelbaren Umfeld“ (Santos et al. 2003, S. 13) der zugrunde liegenden Fallstudie und können sowohl organisationsinterner wie –externer Natur sein.446 Im Rahmen des vorliegenden Falls ermöglichte die Analyse von Dokumenten und Archivmaterial eine Fortentwicklung des erworbenen kontextbasierten Know-hows über den Integrationsprozess der TRW in die ZF Organisation. Auf inhaltlicher Ebene konnte, damit einhergehend, eine Präzisierung der Daten aus den teilstrukturierten Interviews sowie der teilnehmenden Beobachtung vorgenommen werden. Neben organisationsinternen Publikationen wie Konzernnews, IMO Newsletter „we>move“, „we>blog“ sowie Projekt Reports, Strategiepapiere und Sitzungsprotokolle, wurden
443
Vgl. Pettigrew (1990), S. 277. Vgl. Yin (2003), S. 92ff. 445 Vgl. Santos/Specht/Bingemer (2003), S. 11. 446 Vgl. Santos/Specht/Bingemer (2003), S. 13. 444
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
122
diverse externe Publikationen analysiert und ausgewertet. Diese reichen von ZF Presseinformationen über „drive“ - das ZF Magazin, bis hin zu Medien- und PresseClippings. Als besonders relevant wurde die unmittelbar nach der Übernahme von TRW mithilfe externer Berater durchgeführte OHI-Kulturstudie identifiziert, indem die Ergebnisse der im Rahmen dieser durchgeführten Interviews und Fragebögen Hinweise auf die ursprünglichen Schemata der organisationalen Handlungsträger gaben. Neben kulturellen Grundlagen (Was sind unsere Gemeinsamkeiten? Wo können wir voneinander lernen? Worauf sollten wir fokussieren?), wurden u.a. Führungsstandards (zu welchen Standards committen wir uns? Was sind zentrale Denk- und Verhaltensweisen?), Ziele (Was sind unsere Ziele für die Zukunft?) und angestrebte Interventionen (Wie sieht unser Maßnahmen- bzw. Handlungsportfolio aus?) analysiert. (b) Datenanalyse „Analyzing data is the heart of building theory from case studies, but it is both the most difficult and the least codified part of the process.“ (Eisenhardt 1989, S. 539). Prozessdaten besitzen darüber hinaus spezifische Eigenschaften, die die Datenanalyse in ihrer Komplexität und ihrem Schwierigkeitsgrad zusätzlich beeinflussen. Diese tangieren insbesondere die Aspekte: Ereignisbezug, Abgrenzbarkeit, Vergangenheitsbezug sowie Komplexität.447 Um den prozessualen Anforderungen sowie der Fülle an Daten gerecht zu werden, wurde den Anregungen von Miles und Hubermann (1984) gefolgt, die gesammelten Daten aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu analysieren. Vor diesem Hintergrund unterlag die Datenanalyse der vorliegenden Arbeit folgenden Analyseschritten: (1) „Building Case History“, (2) „Within-Case Analyse“ und (3) „CrossCase Analyse“ (Vgl. Abb. II-4).
447
Vgl. Langley (1999), S. 691ff.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
[1]
Building individual case history
[2]
WithinCase Analysis
[3]
Abb. II-4:
123
Sales/ Market
Aftermarket
Cross div. R&D
Operations
IT
Governance
Sales/ Market
Aftermarket
Cross div. R&D
Operations
IT
Governance
Cross-Case Analysis
Vorgehensweise Datenanalyse Quelle: Eigene Darstellung.
1. Schritt: „Building case history“ Gemäß induktiver Forschungstradition erfolgte im Rahmen eines ersten Analyseschrittes eine Vertrautmachung mit dem zugrundeliegenden Fall.448 In diesem Zusammenhang erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit Hintergrundaspekten der Transaktion wie Motivation, Übernahmeprozess (Signing/Closing), Deal Rational, Integrationsstrategie, Integrationsarchitektur etc. Das gewonnene Hintergrundwissen wurde als Basis für die nachfolgende „within-“ und „cross-case“ Analyse genutzt. 2. Schritt: „Within-Case Analysis“ Ein zweiter bedeutender Schritt im Rahmen der Datenanalyse impliziert die Einzelfallanalyse („within-case analysis“, Eisenhardt 1989, S. 539). Deren Bedeutung resultiert dabei aus dem außerordentlich hohen Datenvolumen („staggering volume of data“ Eisenhardt 1989, S. 540), welches auf die realen Gegebenheiten des zugrundeliegenden 448
Vgl. bspw. Bingham/Eisenhardt (2011), S. 1443.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
124
Falls zurückgeführt werden kann.449 Pettigrew (1991) spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Gefahr einer potentiellen Überforderung, mit dem Resultat: „death by data asphyxiation“ (Pettigrew 1990, S. 281). Einzelfallanalysen unterstützen den Forscher somit bereits in einem frühen Stadium der Datenanalyse in der Bewältigung der Datenflut.450 Allerdings kann dabei nicht auf einen generischen Standardprozess zurückgegriffen werden, vielmehr existiert eine Unmenge unterschiedlicher Ansätze.451 Die grundlegende Idee besteht jedoch darin, sich noch stärker mit der Fallstudie vertraut zu machen. So wurde im Rahmen der vorliegenden Einzelfallanalyse zunächst jedes Interview im Sinne eines „Open Coding“-Verfahrens kodiert. Auf diese Weise konnte ein erstes Verständnis für den Inhalt des Datensatzes generiert werden. Hierfür wurden sämtliche Transkripte, einschließlich Sekundärmaterial und Feldnotizen in voller Länge wiederholt gelesen und zugleich wiederkehrende Gegenstände und Aspekte im Datensatz identifiziert. Besondere Bedeutung unterlag dabei den sog. „In-Vivo“-Codes. Es handelt sich dabei um charakteristische Begrifflichkeiten der Interviewten, welche als wörtliche Zitate aus dem Datensatz übernommen werden,452 wodurch in einer frühen Phase der Datenauswertung ein umfassendes Verständnis aus der Perspektive der Interviewpartner generiert werden kann.453 Darüber hinaus wurde vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden Prozessperspektive für jede der untersuchten Arbeitsgruppen der Entwicklungsverlauf der Integration anhand zentraler Entscheidungen und Ereignisse in Form einer Event-Chronologie nachgezeichnet. Vgl. Tabelle II-6 für eine beispielhafte Ereignischronologie des Workstreams Aftermarket.
449
Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540. Ebenda. 451 Eisenhardt (1989), S. 540. 452 Vgl. Birks/Mills (2011), S. 93. 453 Vgl. Saldana (2013), S. 91. 450
ZENTRALE EREIGNISSE IM AFTERMARKET WORKSTREAM ZEITRAUM NR EREIGNIS Januar 2015 (Pre Closing) E1: Information Exchange (Clean Room) Januar 2015 (Pre Closing) E2: Restriktive Nachbesetzung von Fluktuation zur Freisetzung von Kapazitäten Mai 2015 – Juli 2015 E3: Entwicklung eines gemeinsamen Big Pictures Juli/August 2015 E4: CEO Meeting: Vorschlag an Dr. Sommer bzgl. Timing der Zusammenführung der Organisationen Oktober 2015 E5: Definition des Leitsatzes „Best of Both“ September – Oktober 2015 E6: Beginn konkreter Überlegungen bzgl. künftiger Zusammenarbeit Oktober 2015 E7: Auslotung der Stimmung Oktober 2015 E8: Festlegung Timing der Zusammenführung Oktober 2015 E9: Genehmigung der Integrationsplanung im Turbo SteerCo; Einverständnis für externe Beratung Ende Oktober 2015 E10: Beauty Contest mit externen Consultants Seit Oktober 2015 E11: Decision to start own Aftermarket SteerCo Mitte November 2015 E12: Approval durch externe Consultants Dezember 2015 E13: Kick off Meeting mit externen Consultants Start Dezember 2015 E14: Analyse bzgl. künftiger Aftermarket Struktur (Workshop Serie) Nov. 2015 – Dez 2015 E15: Abstimmung mit den Hauptfunktionen des Unternehmens bzgl. Zukunftsbild Nov. 2015 – Dez 2015 E16: Integration der Zukunftsbilder von HR & Finance mit in das Zukunftsbild von Aftermarket Ende Dezember 2015 E17: Fertigstellung der Grundstruktur und Timeline der Zusammenführung Ende Dezember 2015 E18: Interne und Externe Stärken- & Schwächen-Abfrage der neuen Grundstruktur (Kunden & Mitarbeiter) Ende Dezember 2015 E19: Vorstellung im Aftermarket und Turbo SteerCo Ende Dezember 2015 E20: Benennung Head of Aftermarket Ende Dez 2015 – Jan 2016 E21: Befüllung der Strukturen (Benennung der Verantwortlichkeiten) Januar 2016 E22: Agreement on principles and announcement for February Kick off Meeting Ende Februar 2016 E23: Vorstellung der Aftermarket Struktur und des Zeitplans in der Öffentlichkeit März 2016 E24: Fertigstellung der Aftermarket Strukturen Ende März 2016 E25: Beendigung der Zusammenarbeit mit den externen Consultants März 2016 – Oktober 2016 E26: Erweiterung des Aftermarket Teams um zwei Personen März 2016 – Oktober 2016 E27: Letzte Abstimmung bzgl. Rollenbilder und Kundenkanäle Oktober 2016 E28: „Leben“ in der neuen Struktur Oktober 2016 bis Lifeschaltung E29: Abstimmung mit Betriebsrat Januar 2017 E30: Lifeschaltung der neuen Struktur und Etablierung Aftermarket als DIV Tab. II-6: Eventchronologie am Beispiel Aftermarket Quelle: Eigene Darstellung.
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 125
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
126
Zu Validierungszwecken wurde die chronologische Strukturierung der Events dabei zeitgleich von einer zweiten Person vorgenommen. Die unabhängig voneinander erarbeiteten Event Chronologien der einzelnen Arbeitsgruppen wurden im Anschluss einander gegenübergestellt und situativ adaptiert. 3. Schritt: „Cross-Case Analysis“ Im weiteren Verlauf der Datenanalyse wurde aufbauend auf den Ergebnissen der Einzelfallanalyse nach übergreifenden Mustern gesucht („cross-case analysis“).454 Dabei besteht die Gefahr, „that investigators reach premature and even false conclusions as a result of information-processing biases.“ (Eisenhardt 1989, S. 540) Eisenhardt (1989) folgend, liegt der Schlüssel einer gelungenen Cross-Case Analyse in dem Entgegenwirken derartiger Neigungen, indem die Daten aus unterschiedlichen Perspektiven und methodischen Zugängen heraus einer Analyse unterzogen werden. Für die Analyse qualitativer Prozessdaten verweist Langley (1999) auf eine Reihe von Strategien, welche sich für eine prozessbasierte Fallstudienforschung besonders empfehlen und derer sich im Rahmen der vorliegenden Datenanalyse (selektiv) bedient wurde.455 Im Folgenden soll auf die vier herangezogenen Strategien: (1) „Narrative Strategy“, (2) „Visual Mapping Strategy“, (3) „Temporal Bracketing Strategy“ und (4) „Grounded Theory Strategy“ Bezug genommen und ihre Bedeutung für die vorliegende Fallstudie dargelegt werden.
454 455
Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540. Vgl. Langley (1999), S. 694ff.
TEIL II:
(1)
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
127
„Narrative Strategy“
Die Strategie der narrativen Fallbeschreibung umfasst die Entwicklung einer detaillierten Beschreibung der zugrundeliegenden Fallstudie auf Basis des gesammelten Rohmaterials.456 Es handelt sich dabei um eine Strategie, auf die in nahezu jeder Prozessforschung Rekurs genommen wird. So findet sie nicht nur im Bereich des strategischen Managements,457 sondern ebenfalls in Strategiearbeiten wie die von Pettigrew (1985), aber auch Dawson (1994) und Johnson (1987) Verwendung.458 Darüber hinaus stellen deskriptive Fallbeschreibungen ein klassisches Instrument von Ethnographen dar459 und sind nicht selten häufig zentraler Bestandteil in Studien kulturellen Wandels.460 In Abhängigkeit des Forschungsziels unterliegen narrative Fallbeschreibungen jedoch unterschiedlichen Zielen: In ihrer geringsten Form kann die Strategie der Narrative als intermediärer Schritt zur Datenanalyse herangezogen werden, im Rahmen derer sie lediglich auf eine chronologische Strukturierung der Daten für nachfolgende Analyseschritte abzielt.461 Eine weitaus wesentlichere Rolle spielt die narrative Fallbeschreibung hingegen insbesondere für Kontextualisten, die diese als analytisches Element in ihren Forschungsprozess integrieren, „[...] to get on the top of the data, to clarify sequences across levels of analysis, suggest causal linkages between levels, and establish early analytical themes.“ (Pettigrew 1990, S. 280)
456
Vgl. Langley (1999), S. 695. Vgl. bspw. Chandler (1964) als klassisches Beispiel narrativer Fallbeschreibung. Vgl. Pettigrew (1985, 1990); Pettigrew/Whipp (1991). 459 Vgl. Van Maanen (1988). 460 Vgl. Bartunek (1984). 461 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 695. 457 458
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
128
Schließlich kann die narrative Fallbeschreibung sogar als Kernprodukt empirischer Forschung hervorgehen, insbesondere vor dem Hintergrund einer konstruktivistischen oder naturalistischen Prozessperspektive.462 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist es das Ziel, über eine reine Beschreibung chronologischer Ereignisse hinauszukommen. Angestrebt wird vielmehr eine Erklärung von Sequenzen in ihrem Zusammenspiel.463 Eine solche Vorgehensweise erweist sich insbesondere im Hinblick auf die Unterbindung radikaler Datenreduktion sowie in der Berücksichtigung organisationaler Phänomene durch eine nach Geertz (1973) „dichten Beschreibung“ als vorteilhaft.464 Ein gelungenes Narrativ verbleibt dabei nicht auf rein deskriptiver Ebene, sondern mündet vielmehr in eine Interpretation: „[...] the most interesting and compelling narratives are not so purely descriptive. They know where they are going. [...] they have embedded „plots“ and „themes“ that serve as sensemaking devices.“ (Langley 1999, S. 697) Die Verfassung der narrativen Fallbeschreibungen erfolgte unter Bezugnahme auf den im Vorfeld chronologisch strukturierten Datensatz aus leitfadengestützten Interviews, teilnehmender Beobachtung und Archivmaterial. Vgl. Abb. II-5 für eine exemplarische narrative Fallbeschreibung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung.
462 463 464
Vgl. Dyer/Wilkins (1991); Guba/Lincoln (1994). Vgl. Pettigrew (1985; 1990), S. 280; siehe auch Pettigrew/Whipp (1991). Vgl. Langley (1999), S. 695.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
129
NARRATIVE – AFTERMARKET Die Integration des Aftermarket Workstreams wurde nach Aussage der Interviewten von zwei Faktoren begünstigt: Das Kennenlernen der beiden Workstream Leads erfolgte im Rahmen früherer Geschäftstätigkeit bereits vor der Integration auf „neutralem Boden“. Ein weiterer Vorteil ergab sich aus der geringen Produktüberlappung der beiden Aftermarket Organisationen (lediglich 1520% Überlappung im Bereich Steering & Suspension), womit für beide Seiten eine gewisse Grundsicherheit einherging. Die Entwicklung des „Big Pictures“ erfolgte sodann in Q3 2015 im Rahmen einer gemeinsamen zielgerichteten Übereinkunft: „Wir wollen das Beste beider Welten“ sowie der Vereinbarung Commitmentbedingter Prinzipien als Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Nach Auslotung der Stimmung im Rahmen individueller Mitarbeitergespräche und der Einverständniserklärung des Turbo SteerCos im Oktober 2015, fiel die Entscheidung für eine schnelle Zusammenführung der beiden Organisationen. Auslöser für eine derart hohe Geschwindigkeit des Integrationsprozesses implizierte insbesondere die lediglich alle zwei Jahre stattfindende Automechanika im September 2016. Mithilfe externer Consultants kamen die beiden Organisationen schließlich überein, die neue Organisationsstruktur an der Kundenstruktur auszurichten. Um die hohe Komplexität zu umgehen sah das Konzept Abb. II-5:
vor, die Organisation in die Kundenstruktur für (1) Independent Aftermarket Business, (2) OES Business, (3) Service Business und (4) Eigene Operations zu zerlegen. Als nächster Schritt erfolgte sodann eine Abstimmung mit den Hauptfunktionen HR und Finance bzgl. derer Zukunftsbilder, welche im Anschluss in das Zukunftsbild von Aftermarket Berücksichtigung fanden. Im Dezember 2015 erfolgte eine kaskadierte/ TopDown Besetzung der Positionen. Die Freigabe durch das SteerCo erfolgte Ende Dezember 2015. Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die neue Struktur erstmals im Rahmen der Kick-Off Veranstaltung Ende Januar 2016 mit CEO Dr. Stefan Sommer und der Unterstützung des externen Consultants als neutralem Moderator. Im weiteren Verlauf der Strukturentwicklung folgte eine Trennung von den Beratern. Im Gegenzug hat man das Team intern um zwei Personen erweitert. Das „Leben in der neuen Struktur“ erfolgt nun seit der Automechanika im September 2016 und führte nach Aussage der Interviewten dahin, dass ZF im Vergleich zur ZF Legacy nun ein Stück weit operativer und schneller unterwegs ist, da sie nun etwas näher an den Kunden heranrücken. Darüber hinaus wird gegenüber der TRW Legacy ein stärkeres „Durchhaltevermögen“ hinsichtlich Konsequenz am Markt wahrgenommen. Die „Lifeschaltung“ der Struktur wurde zum 01.01.2017 initiiert.
Narrative Strategy am Beispiel Aftermarket ftermarket Quelle: Eigene Darstellung.
TEIL II:
(2)
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
130
Visual Mapping Strategy
Die Visual Mapping Strategie ermöglicht es, eine umfangreiche Datenmenge in erheblichem Maße zu verdichten. Sie unterliegt vor diesem Hintergrund der besonderen Eignung, übergreifende Muster zu identifizieren sowie auf Basis gesammelter Rohdaten zu einer Konzeptionalisierung höheren Abstraktionsniveaus und einem grundlegenden Verständnis zu gelangen.465 Im Rahmen der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fallstudie konnten analog des „Visual Mapping“ Ansatzes die zentralen Aktivitäten, Entscheidungen und Ereignisse in Form eines „Flowcharts“ visualisiert werden (vgl. Abb. II-6).466 Dies ermöglichte es, einen Überblick über Beschlüsse und Handlungsverläufe zu gewinnen und ein Verständnis bzgl. ihrer Zusammehänge und Wechselwirkungen zu generieren. In Anlehnung an Langley und Truax (1994) wurde dabei folgendem Aufbau gefolgt: Während die horizontale Achse den Verlauf der Zeit rekonstruiert, gibt die vertikale Achse unterschiedliche Beobachtungsdimensionen wieder, um die umfassende Datenmenge einer sinnvollen Strukturierung unterziehen zu können. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die im Rahmen der Integrationsarchitektur initiierten Workstreams, welche für den Verlauf der Integration erheblichen Einfluss üben.467
465
Vgl. Langley (1999), S. 702. Vgl. Langley (1999), S. 701; Langley/Truax (1994), S. 626. 467 Coding analog der Studie von Langley und Truax (1994): Die Form der Boxen beschreibt, ob es sich bei dem Event um eine Entscheidung (abgerundetes Rechteck), eine Aktivität (spitzes Rechteck), oder ein Ereignis (ovales Element) handelt. Die Positionierung der Boxen innerhalb einer der fünf horizontalen Beobachtungsdimensionen gibt den Bereich an, im Rahmen derer das Event erfolgt. Werden mehrere Dimensionen gekreuzt, impliziert dies den integrativen Charakter des Events. Die von einem Event zu der entsprechenden Beobachtungsdimension verlaufenden Pfeile verweisen auf den Effekt, den dieses Event im Rahmen des Integrationsprozesses auf das IMO/SteerCo-Level ausübt: positiver Effekt [+], negativer Effekt [-], überstürzter Effekt [++] und Reorientierungseffekt []. Die horizontale Zeitleiste repräsentiert zu guter Letzt die Anordnung der Events im Zeitverlauf und erlaubt einen groben Anhaltspunkt hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer. 466
Abb. II-6:
Q4 2014
)
Feb 2015
Herbst 2015 Phase 2: Ernüchterung, Unsicherheit; Talsohle in Gesamtstimmung
Mai 2015
Visual Mapping & Temporal Bracketing Strategy Quelle: Eigene Erstellung
Phase 1: „Hochphase“ Kennenlernen, Euphorie
(+)
Entscheidung: „Wir wollen das Beste beider Welten“ Definition Best of
Global Press Event
Entwicklung Aftermarket Big Picture
Quick wins; Demo cars to support deal rational
1. Welle Abgänge
AWM/EMG Meeting Berlin Spannungen bzgl. VerantÜberhöhung wortlichkeiten TRW Ernüchterun ( ) (++) g Technik; Durchführung different way Refokus Max Kulturanalyse of working ¾ Jahr bis (OHI) mit externen Leadership Consultants Nomination
Entwicklung Big Picture; Identifcation of business opportunities
Refokus 5 Top Themen pro WS
(
1st SteerCo Friedrichshafen
Informationsaustausch über Clean Rooms
Entwicklung der 3 core principles: (1) Build on strength (2) Stay focussed (3) Set the right pace
(+)
Bennenung Workstream Leads; Beginn der Zusammenarbeit
Positive Gesamtstimmung
Euphorie
Teambuidling; Getto-know 2. Welle Abgänge
)
(++)
IT
AFTERMARKET
R&D
IMO/ STEERCO
Einführung New Managemen t System
CORPORATE
Phase 3: Strategische Positionierung; gemeinsames Zielbild; positive Gesamtstimmung
Sommer 2016
Benennung Leader GDF
Refokus Eingrenzung administrative r Aufwand
(
Entwicklung der 4 Pillars
EMG Meeting Boston
Overload IMO Templates
Frühjahr 2016
AWM/EMG Meeting Düsseldorf - Nüchterne Bestandsaufnahme; StärkenSchwächen Analyse - Motivierende Rede CEO
Formulierung von Kommunikationsregeln im WS
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 131
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
132
(3) Temporal Bracketing Strategy Unter Zuhilfenahme der „temporal bracketing strategy“ konnte auf Ebene der Aktivitäten und Entscheidungen eine Untergliederung der betrachteten Gesamtprozessentwicklung in sich sukzessive aneinander anschließende Perioden vorgenommen werden (Vgl. Abb. II-6).468 Dies ging aus vorherigen Analyseschritten wie bspw. der Visual Mapping Strategie hervor. Diese haben jedoch keinerlei theoretische Bedeutung, handelt es sich dabei nicht um prognostizierbare aufeinander folgende Phasen im Sinne linearer Kausalität, sondern vielmehr um eine Möglichkeit der Ereignisstrukturierung.469 Im Rahmen einer jeden Periode kann ein gewisses Maß an Kontinuität wahrgenommen werden. Demgegenüber markieren die Grenzverläufe zwischen den Perioden jeweils Umbruch und Veränderung.470 Die Temporal Bracketing Strategie hat bereits in einer Reihe von Prozessforschungsarbeiten Anwendung gefunden wie bspw. Barley (1986); Denis et al (1996), Doz (1996) sowie Dutton und Dukerich (1991). Die Bezeichnung „Temporal Bracketing“ entstand bezugnehmend auf Giddens Strukturationstheorie (1984), im Rahmen derer Gidden die Wechselbeziehung von Handlung und Struktur thematisiert.471 Um sowohl soziales Handeln als auch Struktur jeweils individuell analysieren zu können, bedient sich Giddens des Instruments der zeitweiligen Einklammerung („methodological bracketing“, Giddens 1979, S. 81). Die periodiale Aufsplittung der untersuchten Gesamtprozessentwicklung kann nicht nur ein besseres Verständnis der jeweiligen Periode, sondern gleichzeitig ein tieferes Verständnis des Gesamtprozesses bedingen, indem sie eine ereignisbasierte Identifikation der Einflussfaktoren kontextualer Veränderung ermöglicht, welche wiederum die Handlungen nachfolgender Perioden zu beeinflussen in der Lage ist:
468
Vgl. Langley (1999), S. 703. Ebenda. 470 Vgl. Langley/Truax (1994). 471 Unter der Bezeichnung „Dualität von (Handlung und) Struktur“ rückt Giddens (1997) die Wechselbeziehung von Handlung und Struktur ins Zentrum seines bisherigen Hauptwerkes. 469
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
133
„The decomposition of data into successive adjacent periods enables the explicit examination of how actions of onw period lead to changes in the context that will affect action in subsequent periods.“ (Langley 1999, S. 703) (4) Grounded Theory Strategy Grounded Theory472 bezeichnet eine qualitative Untersuchungsstrategie zur Entwicklung gegenstandsbegründeter Theorien.473 Zahlreichen Meta-Analytikern der qualitativen Forschung zufolge, handelt es sich bei „The Discovery of Grounded Theory“ von Glaser und Strauss um einen der meist zitierten Methodentexte.474 Der Ansatz der Grounded Theory wie er zuletzt von Strauß und Corbin geschildert wurde, beinhaltet eine Reihe strukturierter (Prozess)Schritte. Dabei geht es um den systematischen Vergleich kleiner Dateneinheiten (sog. „Incidents“) sowie die stufenweise Entwicklung eines Systems von „Kategorien“, welche die wahrgenommenen Phänomene beschreiben. Die Kategorien können dabei über mehrere „Unterkategorien“ und „Eigenschaften“ verfügen, die sukzessiv aus- und überarbeitet werden. Bei der Kategorisierung begibt sich der Forscher bewusst auf die Suche nach Daten, mithilfe derer die Eigenschaften neu entstehender Kategoriesysteme überprüft werden können. Die Analyse zielt schließlich auf die Identifizierung einer kleinen Anzahl von „Kernkategorien“ ab, um alle identifizierten Konzepte in ein zusammenhängendes Ganzes zu integrieren. In bestehenden Forschungsartikeln finden sich jedoch häufig nur begrenzt Belege für die systematischen Methoden zur Theoriebildung. Langley zufolge beschreibt der Begriff „Grounded Theory“ primär ein generisches Synonym für jede Art induktiven
472
Im deutschsprachigen Raum unterlag die Übersetzung von „Grounded Theory“ einer Reihe unterschiedlicher Versuche wie „gegenstandsbegründet“, „gegenstandsnah“, „datenbasiert“ oder „empirisch fundiert“. Inzwischen wird der Versuch einer Übersetzung jedoch kaum noch unternommen, vielmehr wird der englische Ausdruck beibehalten. Vgl. Mey/Mruck (2011), S. 12. 473 Vgl. Strauss/Corbin (1990), S. 24. 474 Nach Titscher et al. (2000, S.74) handelt es sich bei der Grounded Theory Strategie unter Zugrundelegung einer bibliometrischen Analyse um „the most prominent among the so-called qualitative approaches to data-analysis.“
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
134
Theoretisierens.475 Und Eisenhardt und Graebner (2007) haben sich angesichts der differierenden Auffassungen und Varianten sogar für eine vollständige Vermeidung des Begriffs ausgesprochen, es sei denn, man folgt dem „ursprünglichen“ Ansatz einer fundierten Theoriestrategie. Nichtsdestotrotz waren insbesondere zwei Aspekte für die Verwendung des Begriffs der Grounded Theory in der vorliegenden Untersuchung ausschlaggebend. So konnte, trotz undifferenzierter Terminologie, kein anderer Ausdruck gefunden werden, der den Prozess der Datenverarbeitung im Rahmen dieser Arbeit in adäquater Weise beschreibt. Wie bereits angeklungen wird dabei auf den mehr oder weniger starren Prozessverlauf des ursprünglichen Ansatzes verzichtet. Vielmehr wird der Fokus auf die Verwendung ausgewählter Schritte gelegt, wie bspw. den Kodierungsbaum und das in Kombination mit anderen Ansätzen zur Theoriebildung Anwendung findende Theorisierungssystem. Darüber hinaus ermöglicht der Begriff der Grounded Theory mit Blick auf die Klassifizierung von Langley (1999) die Abgrenzung der im Rahmen der Datenanalyse vorgenommenen Aktivitäten von anderen Schritten. (c) Gütekriterien qualitativer Forschung Ein wesentliches Element wissenschaftlichen Arbeitens ist die Berücksichtigung zentraler Gütekriterien. Gütekriterien, als Maßstab empirischer Untersuchungen, dienen der Sicherstellung und Dokumentation der qualitativen Fundiertheit eines Forschungsvorhabens.476 Entgegen quantitativer Untersuchungen, welche höher standardisierten und vielmehr eindeutig definierten Güteregeln unterliegen, sind qualitative Untersuchungen angesichts ihres verstärkt subjektiven, interpretativen Charakters häufig erheblich schwieriger in ihrer Güte zu erfassen.477 Zu den bedeutendsten Gütekriterien qualitativer Forschung zählen Reliabilität (i), Konstruktvalidität (ii) sowie interne (iii)
475 476 477
Langley (1999), S. 699. Vgl. Mayring (2002), S. 140. Vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr (2010), S. 35f.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
135
und externe Validität (iv).478 Diese Kriterien wurden von Yin (1994) und anderen Forschern wie Campbell (1963) und Eisenhardt (1989) für die Fallstudienverwendung adaptiert und sollen im Folgenden näher erläutert werden.
(i) Reliabilität: Das Kriterium der Reliabilität fordert eine transparente Ausgestaltung des Forschungsprozesses, und zwar dergestalt, dass eine nochmalige Studiendurchführung zu ein und demselben Ergebnis führen würde.479 So besteht die Möglichkeit der Replizierbarkeitssteigerung zur Sicherstellung eines hinreichenden Reliabilitätsmaßes. Dem zugrunde liegenden Fall wurde dabei insbesondere mit einer umfangreichen Datensammlung Rechnung getragen. Darüber hinaus ermöglichte ein enger Austausch zwischen den Forschern die Gewährleistung von Transparenz und damit eine Erhöhung von Reliabilität.
(ii) Konstruktvalidität: Im Rahmen der Konstruktvalidität steht die Operationalisierung der analysierten Konstrukte im Vordergrund der Güteevaluation. Analog der Reliabilität ist sie dabei insbesondere im Rahmen der Datenerhebung zu berücksichtigen.480 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass qualitative Forschungsbemühungen nicht selten infolge ihres inhärenten subjektiven und interpretativen Charakters dem Risiko einer Ergebnisverzerrung unterliegen, wird der Konstruktvalidität eine hohe Bedeutung beigemessen.481 Neben der Verwendung einer Reihe verschiedenartiger Informationsquellen,482 ist diese im Hinblick auf eine fallstudienbasierte Forschungsmethodik auch mittels einer Ergebnisdiskussion mit den Interviewpartnern zu bewerkstelligen. Darüber hinaus wird auf die Verwendung einer eindeutigen „chain of evidence“ (Yin 2009, S. 122f.) verwiesen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dienten die verschiedenen Datenquellen sowie der Austausch der Fallstudienanalyse mit zentralen Schlüs478
Vgl. Yin (2009), S. 24; Yin (2009), S. 98ff. Vgl. Yin (2009), S. 40. Siehe auch Flick (2009), S. 385ff.; Silverman (2010), S. 220. 480 Vgl. Gibbert et al. (2008), S. 1466; Yin (2014), S. 45. 481 Vgl. Yin (2014), S. 47. 482 Vgl. Yin (2009), S. 114f.; siehe auch Denzin/Lincoln (1994). 479
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
136
selpersonen der Organisation dazu, ein ausreichendes Maß an Konstruktvalidität zu gewährleisten. So wurden mehrere Meetings initiiert, im Rahmen derer eine Vorstellung des Fortschritts vorgenommen wurde. Darüber hinaus erfolgte ein Versand der narrativen Fallbeschreibungen sowie der Event Chronologien zu Überprüfungszwecke an die jeweiligen Interviewpartner.
(iii) Interne Validität: Das Kriterium der internen Validität, mitunter auch als „logische Validität“ bezeichnet,483 bezieht sich Yin (2009) zufolge auf den Aufbau von Kausalbeziehungen, demzufolge bestimmte Bedingungen Auslöser für andere Bedingungen implizieren, ohne dass diese Effekte auf Störfaktoren zurückzuführen sind.484 Dem Autor folgend kann das Gütekriterium insbesondere auf Basis dreier Kriterien sichergestellt werden: „clear research framework“, „pattern matching“ und „theory triangulation“.485 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird den Merkmalen dieses Gütekriteriums in verschiedenen Abschnitten Rechnung getragen.
(iv) Externe Validität: Unter der externen Validität wird schließlich der Bereich der Ergebnisgeneralisierung auf Wirkungskreise verstanden. Die Generalisierbarkeit von Fallstudienergebnissen beschränkt sich jedoch auf die Fundierung theoretischer Aussagen. Dies impliziert die wesentliche Zielsetzung empirischer Fallstudienforschung in der Erweiterung theoretischer Aussagen bzw. der Leistung eines Unterstützungsbeitrages hinsichtlich der Übertragung.486 In der zugrundeliegenden Einzelfallstudie wurde dabei auf sämtliche von Yin (1994) vorgeschlagene Messgrößen zurückgegriffen. Die Gütekriterien sind dabei nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Ohne eine klare theoretische und kausuale Logik (interne Validität), und ohne einen Zusammenhang zwischen theoretischer Hypothese und empirischer Beobachtung (Konstruktvali-
483
Vgl. Gibbert et al. (2008), S. 1466. Vgl. Yin (2009), S. 42. 485 Vgl. Yin (2014), S. 47. 486 Vgl. Yin (2009), S. 44. Siehe auch Silverman (2010), S. 210ff. 484
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
137
dität), ist externe Validität nicht möglich. Vor diesem Hintergrund besteht eine hierarchische Beziehung zwischen den Gütekriterien, indem Konstrukt- und interne Validität als eine „conditio sine qua non“ (Gibbert et al. 2008, S. 1468) für externe Validität agiert (eine Bedingung, ohne die etwas nicht eintreten kann).487 Tabelle II-7, in Anlehnung an die Autoren Gibbert et al. (2008) und Yin (1994), fasst die Gütekriterien qualitativer Forschung noch einmal zusammen. Kursiv hervorgehobene Merkmale markieren dabei die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit verwendeten Strategien.
Kriterium
Messgröße
Erhebungsphase
UNTERSUCHUNGSRAHMEN DER METHODE Interne Validität
(Cook and Campbell, 1979)
Konstruktvalidität
Externe Validität
Reliabilität
Tab. II-7:
487
Klarer Forschungsrahmen Identifikation von Mustern Theoretische Triangulation Daten-Triangulation - Archivmaterial - Interviewdaten - Daten aus teilnehmender Beobachtung Überprüfung der Transkripte und Konzepte durch Forschungskollegen Überprüfung der Transkripte und Konzepte durch organisationale Schlüsselpersonen Klare Beweiskette Kontextbeschreibung der Datenerhebung Überprüfung der Situation der Datenerhebung vs. Durchführung Cross-case Analyse - Multiple Fallstudie - Eingebetteter Ansatz Begründung der Wahl der Fallstudie Details zum Kontext der Fallstudie Protokoll der Fallstudie Datensammlung Organization`s actual name given (Yin, 1994)
Datenanalyse Datenanalyse Datenanalyse Datenerhebung
Komposition Komposition Datenerhebung Datenerhebung Datenerhebung Forschungsdesign
Forschungsdesign Forschungsdesign Datenerhebung Datenerhebung Datenerhebung
Gütekriterien qualitativer Forschung Quelle: in Anlehnung an Gibbert et al. (2008), S. 1467 und Yin (1994), S. 41
Vgl. Gibbert et al. (2008), S. 1468.
TEIL II:
II.3
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
138
Ergebnisse der empirischen Erhebung
Die Analyse der Daten ergab wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Bedeutung kollektiver Schemata im Kontext der Post-Merger Integration. Neben dem Nachweis, dass kollektive Schemata in der Integrationsphase eine wichtige Rolle spielen, wird in diesem Kapitel ein Phasenmodell vorgestellt, das PMI als einen dynamischen und komplexen Prozess charakterisiert. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung interindividueller Prozesse hervorgehoben, im Rahmen derer ein gemeinsames Verständnis für die Integrationsziele und -maßnahmen generiert wird und welches als Grundlage für die organisationale Weiterentwicklung dient. Ein besonderes Augenmerk wurde insbesondere darauf gelegt, inwiefern ein kollektives Schema über unterschiedliche Ebenen hinweg den Integrationsprozess beeinflusst. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine erfolgreiche Integration ein gemeinsames Verständnis über alle Ebenen der am Integrationsprozess Beteiligten hinweg erfordert. Mehr noch, die Datenanalyse verweist darauf, dass das kollektive Schema einer Ebene eine Voraussetzung für die positive Entwicklung der jeweils nachfolgenden Ebene darstellt, wobei sich die Schemata in ihrer strategischen Ausrichtung und ihrer Rolle hinsichtlich der Beeinflussung des Outcomes der Integration unterscheiden. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend eine erfolgreiche Integration impliziert. Vielmehr geht aus einer Reihe von Interviewaussagen hervor, dass eine effektive Task und Human Integration das aktive Involvement des Managements erfordert. Zur nachvollziehbaren Darstellung und Veranschaulichung der Ergebnisse erfolgt zunächst eine detaillierte Beschreibung des Prozessverlaufs der Integration (II.3.1), bevor sodann auf die daraus hervorgehenden Konzepte und Analysen, die Ergebnisse „zweiter Ordnung“, Bezug genommen wird (II.3.2). Während die Beschreibung der Integration aus Sicht der Forschungsteilnehmer erfolgt, können die Ergebnisse zweiter Ord-
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
139
nung hingegen der Domäne des Forschers zugeordnet werden.488 Es handelt sich dabei um ein in der Forschungspraxis etabliertes Vorgehen, welches sich an den Vorstellungen von van Maanen (1979) orientiert. Kapitel II.3.3 verknüpft schließlich die beiden vorhergehenden Kapitel innerhalb eines Prozessmodells. II.3.1 Prozessverlauf der Integration Auf Basis der verfügbaren Dokumentations- und Interviewmaterialien konnten im Verlauf der Integration verschiedene Phasen und Elemente identifiziert werden. Abb. II-7 bildet den Integrationsprozess als fortlaufenden Strom ineinandergreifender Ereignisse und Maßnahmen ab. Die Darstellung umfasst den Zeitrahmen von 2012 bis zur Vollendung der empirischen Datenerhebung Anfang 2017.489 Dabei wird die Entstehung und Entwicklung relevanter Sachverhalte sowie die Reaktion des Managements im Sinne von Ursache-Wirkung unter Zugrundelegung interner wie externer Kontextfaktoren aufgezeigt.490 Im Folgenden sollen nun die einzelnen Elemente und Entwicklungen der Integration näher beleuchtet werden. Hierzu werden zunächst die kontextuellen Einflussfaktoren dargelegt (a) und zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Integration ausgeführt (b), bevor schließlich auf Entwicklungen in der Kommunikation (c) sowie auf emotionale Veränderungen (d) eingegangen wird. Die nachfolgenden Erläuterungen werden mit entsprechenden Zitaten der Interviewpartner unterfüttert.
488
Vgl. van Maanen (1979), S. 540f. Die Untersuchung des Integrationsprozesses vor Beginn der empirischen Datenerhebung erfolgte aus einem retrospektiven Blickwinkel heraus. 490 Die Abbildung umfasst lediglich das Corporate sowie das IMO Level. An dieser Stelle ist jedoch darauf zu verweisen, dass ferner der Ebene der Workstreams eine maßgebliche Rolle im Rahmen des Integrationsprozesses zukommt. Die Relevanz und Einflussnahme dieser wird im Verlauf der nachfolgenden zwei Teilkapitel detailliert dargelegt. 489
Corporate Level
Abb. II-7:
IMO Level
Relative Marktdynamik
Phasen im Integrationsprozess der ZF TRW Quelle: Eigene Darstellung.
Extern
2014
OHI
Q2 `15
Definition 4 pillars
Neues Managementsystem
Kaum neg. Empfindungen
Strateg. Einführung ZF PositionNMS Initiativen ierung
Definition Zukunftsrichtun
Anforderungen Markt?
Abnahme neg. Empfindungen
Best of Both Q3 15
gering
hoch
Speed, Simplicity, Target Focus
Increasing emphasis on From doing business as usual to bringig the two organizations together what`s best for the business
Best of Both
Kulturdiagnose
Doing business as usual
TRW als 5. Division
HR-
Überhöhung TRW
Ernüchterung Technik
Zunahme neg. Empfindungen
Kultur/Mensch?
„Hochzeit“ Begeisterung : Vorwiegend positiv
Kauf TRW
White Spots
The Power of Square
Strategie 2025 Str
Zukunftsfähig? Zukunftsf
Quellen der Unsicherheit: 2012 Technik Intern Mensch Prozesse
Kommunikation
Phasen
Integrationsmaßnahmen & Aktivitäten
Stabilität
Unsicherheit
Einflussfaktoren:
Emotion/Stimmung
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 140
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
141
(a) Kontextuelle Einflussfaktoren Die externe Umwelt und deren Einflussnahme dienen als gute Ausgangsbasis, um den Entwicklungsprozess der Integration näher zu beschreiben. So können die weitreichenden Entwicklungen in der Automobilindustrie,491 deren Mitgestaltung sowohl wirtschaftliche Stärke als auch technologische Fähigkeit voraussetzt, als wesentliche Einflussfaktoren für die Entscheidung des Zukaufs von TRW Automotive gesehen werden. Zwei der Interviewpartner formulieren die Situation wie folgt: „Da sind unglaubliche Innovationsschübe zu erwarten in den nächsten Jahren und da werden die Märkte neu verteilt. Und deswegen muss man das Business, was man heute macht, vorbereiten auf das, was morgen in den Märkten gefordert ist.“ (Interview #13, Abs. 184) „Da passieren einfach Dinge, die sind so disruptiv, dass wir darauf reagieren müssen. Ja? Und von daher war es im Wesentlichen durch den Markt getrieben." (Interview #25, Abs. 60) Der Übernahme voraus ging dabei die bereits 2012 entwickelte „Strategie 2025“, welche eine Diskrepanz zwischen den identifizierten Zukunftstrends und dem bestehenden Produktprogramm der ZF aufzeigte. „Wir haben unser Portfolio analysiert über viele Jahre und haben das an den Megatrends gespiegelt. Und zunehmend festgestellt, dass die Megatrends, die in Zukunft auf das Automobil zukommen, mit unserem bestehenden Programm nicht abgedeckt werden können.“ (Interview #8, 40) Neben dem Einfluss der Marktentwicklungen auf den Zukauf von Technologie-Knowhow und Kompetenz war der Verlauf der Integration zudem geprägt durch interne Einflüsse, welche insbesondere auf technologische, prozessuale sowie menschliche Fakto491
Diese Entwicklungen schließen ebenfalls die zunehmende Eindringung branchenfremder Wettbewerber in den Markt der Automobilindustrie mit ein wie bspw. Google oder Apple, welche durch ihre Struktur und Arbeitsweise deutlich mehr Geschwindgkeit in der F&E erzielen.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
142
ren zurückgeführt werden können. So musste zu Beginn der Integration bspw. festgestellt werden, dass die technische Reife der TRW Produkte z.T. weit hinter den Erwartungen und dem Status Quo der Wettbewerber zurückblieb und eine Fortentwicklung dieser mit unerwartet hohem Aufwand verbunden war: „Wenn es dann aber darum geht, zu sagen, welche Komponenten brauchen wir um bspw. autonomes Fahren darzustellen?, haben wir festgestellt, dass die Produkte, die die TRW im Portfolio hat, dass die nicht den technischen Reifegrad haben, wie der Wettbewerb, und dass wir da massiv nachinvestieren müssen.“ (Interview #2, Abs. 44) Ferner hat sich im Laufe der Integration herauskristallisiert, dass es nicht nur einer Erweiterung des Produktportfolios bedarf, sondern ebenfalls einer Veränderung organisationaler Prozesse. So wurde die Integration genutzt, nicht nur, um die „white spots“ im technologischen Bereich der Organisation zu schließen, sondern vielmehr, um eine ganzheitliche Transformation herbeizuführen: „Ja, ich glaube, wir haben die Integration genutzt, um eine Transformation herbei zu führen. (...) Weil sich beide Unternehmen an der Ecke verändert haben. Massiv verändert haben. Und beide auch, angesichts des sehr dynamisch sich verändernden Umfelds auch den Druck verspüren, sich weiter zu verändern. Also wir managen nicht nur eine Integration, sondern wir managen eigentlich eine Fragestellung: Wie verändern wir uns in diesem dynamischen Umfeld als Unternehmen? Und das wirkt dann auf jeden Einzelnen.“ (Interview #25, Abs. 35) Die Entscheidung, neben der Technologie ebenfalls von der Qualität der organisationalen Prozesse des akquirierten Unternehmens zu profitieren, führt jedoch gleichzeitig mit sich, dass die Organisationsmitglieder von den Auswirkungen der Integration erheblich stärker betroffen sind. So war der Prozessverlauf der Integration, mitunter
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
143
durch die in der Phase des Kennenlernens hervorgehenden kulturellen Unterschiede,492 immer wieder von Unverständnis und Widerstand gegenüber Veränderung geprägt: „Und das ist halt vielleicht dem einen oder anderen Mitarbeiter, der etwas weiter von der Thematik weg ist, nicht so ganz klar, warum dann plötzlich viele Prozesse, die er Jahrzehnte lang anders gekannt hat, plötzlich anders werden, verändert werden.“ (Interview #7, Abs. 109) Im Folgenden soll näher ausgeführt werden, wie diese kontextuellen Einflüsse auf die Gestaltung der Integration Einfluss genommen haben und welche Maßnahmen und Aktivitäten vom IMO initiiert wurden.493 (b) Zentrale Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten War die Organisation zu Beginn der Integration im Hinblick auf die Entwicklung der Organisation und ihrer Ziele stark nach innen konzentriert,494 konnte im Verlauf der Integration eine zunehmende Orientierung zum Markt hin wahrgenommen werden. Aus dieser Beobachtung heraus konnten drei Perioden identifiziert werden, welche im Folgenden den Rahmen für die Aufbereitung der Integrationsmaßnahmen und Aktivitäten spannen (Vgl. Abb. II-8): [P1]
„Doing business as usual“
[P2]
„From doing business as usual to bringing the two organizations together“
[P3] „Increasing emphasis on what’s best for the business“495
492
Vgl. bspw. Interview #2, Abs. 34: „Und man hat gemerkt, dass diese Menschen anders konditioniert sind, und auch sozialisiert sind.“ Die Identifikation der zentralen Maßnahmen und Aktivitäten erfolgte dabei nach folgenden Kriterien: (a) vom IMO/ Top Management sowie einem Großteil der Workstream Leads als für den Entwicklungsprozess der Integration von hoher Wichtigkeit empfunden, (b) repräsentativ für die Entwicklungen im Rahmen der PMI und (c) hilfreich in der Illustration wesentlicher Muster. Für ähnliche Kriterien siehe Maitlis/Lawrence (2007) und Monin et al. (2013), S. 262. 494 Vgl. Interview #21, Abs. 49. 495 Für die Bezeichnung der drei Phasen der Integration wurde auf wörtliche Aussagen der Interviewpartner zurückgegriffen. 493
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
144
[P1] „Doing Business as usual“ Jahr 1 TRW als 5. Division
Jahr 3
OHI
„Doing Business as usual“
Abb. II-8:
Best of Both
Definition 4 pillars
Strateg. ZF Position- Einführung NMS Initiativen ierung
„From doing Business as usual to bringing the two organizations together“
MaßMaßnahmen & Aktivitäten Aktivitäten
„Increasing emphasis on what`s best for the business“
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 1 Quelle: Eigene Darstellung.
Um den Megatrends496 entsprechend begegnen und damit die Chancen des Branchenwandels adäquat nutzen zu können, lag der Wert des Zukaufs in erster Linie in dem Profit von Kapazitäten und Fähigkeiten des akquirierten Unternehmens: „TRW was a successful organization, and the idea is to build on the capacity of the company that has been acquired; the people, the products, the processes etc.“ (Interview #6, Abs. 12) Denn die ZF erkannte vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Veränderung in der TRW ein erfolgreiches, wirtschaftlich funktionierendes Unternehmen mit für die Organisation sehr wertvollen Prozessen: „So, when Legacy took over TRW, there were a lot of characteristics of what TRW was that Legacy liked about, because they felt that they needed to make some changes that were necessary on the Legacy (...).“ (Interview #6, Abs. 56) Demgegenüber standen jedoch soziopolitische Bedenken, durch Überhastung einen Marktschaden zu induzieren bzw. durch eine zu starke Konzentration auf die Integrati496
Eine Beschreibung der Entwicklungen und Trends in der Automobilzulieferindustrie erfolgt in der Dissertation im Rahmen des Kapitels „Akquisition der ZF Friedrichshafen AG: Setting“
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
145
on das erfolgreiche Geschäftsmodell zu zerstören und in Folge dessen den Verschuldungsgrad nicht adäquat begleichen zu können: „Wo wir gesagt haben (...) um den finanziellen Zielen nachzukommen, müssen wir aufpassen, dass wir nicht den Business Momentum verlieren, dass wir tatsächlich auch, insbesondere ZF TRW, dass die Zahlen, die das Combined Case versprochen haben, dass die auch tatsächlich realisiert werden.“ (Interview #3, Abs. 41) So deuten die Interviewergebnisse darauf hin, dass dieses Spannungsfeld: „Build on the capacity of the acquired company“ vs. „Gefahr der Zerstörung des erfolgreichen Geschäftsmodells“ das IMO/Top Management dazu bewog, TRW zunächst als eigenständige Division innerhalb der ZF Gruppe zu führen. Neben der Wahrung des Business Momentums lag dabei besondere Priorität auf der Wertschätzung und dem Schutz der Stärken der beiden Unternehmen: „So the approach there is quite different, it's not sort of made everything naturally folds into the other, this one is really more about integrating two companies that are already both doing well, and so you know they are kind of major priority have to be not to destroy any of us, and it's also about merging two companies where there is a lot of strength from both sides so we want to make sure we don't lose any of those strengths (...).“ (Interview #28, Abs. 24) [1] TRW als 5. Division: Die Strategie der eigenständigen Division implizierte dabei eine Lösung, den soziopolitischen Bedenken, wie sie im vorherigen Abschnitt ausgeführt wurden, entsprechend begegnen zu können. Durch den Beschluss über die Zeitleiste zu agieren, bestand ausreichend Zeit für die Entwicklung eines Grundverständnisses und des sich Vertrautmachens mit den inneren Abläufen und Prozessen der Organisation, um sodann in einem nachfolgenden Schritt die Zusammenführung der Organisationen wohlüberlegt angehen zu können. Voraussetzung für die Entscheidung des Agierens über die Zeitleiste war dabei die Tatsache, dass kein (akuter) Restruktu-
TEIL II:
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146
rierungsbedarf vorlag und keine Themen der unmittelbaren Zusammenführung bedurften: „Wir haben glücklicherweise auch keinen Restrukturierungsbedarf. Wir haben keine Themen, die wir unmittelbar, weil sie so überlappend sind, zusammenführen müssen. Und deswegen nehmen wir uns die Zeit. Weil wir sagen wir müssen uns erst verstehen. Wir müssen uns näher kennenlernen.“ (Interview #VS5, Abs. 9) [2] OHI Kulturstudie: In dem Bestreben, die Stärken beider Organisationen zu wahren, fokussierte das IMO direkt zu Beginn der Integration auf die kulturellen Unterschiede des vereinten Unternehmens. Der Firmenhistorie der beiden Unternehmen geschuldet, sind in der neuen ZF eine Vielzahl unterschiedlicher Subkulturen vorherrschend, welche es im Rahmen der Integration miteinander zu vereinen gilt: „(...) auch bei uns in Summe, in allen Unternehmensteilen und bei uns spreche ich jetzt von ZF und TRW zusammen, die neue ZF, gibt es sehr viele Subkulturen. Da müssen Sie irgendwo nach Norddeutschland fahren und sehen eine ganz andere als in Friedrichshafen. Und dann gehen Sie nach Shanghai und nach Sorocaba und dann sehen Sie wieder andere in sich. Und das ist gar nicht nur landesspezifisch, sondern es ist einfach eine Art, wie man arbeitet und erfolgreich ist. Es muss nur zum Schluss alles unter ein Dach passen.“ (Interview #VS5, Abs. 13) Vielfach wurden Bedenken hinsichtlich der Gefahr des Scheiterns der Integration an die Organisation herangetragen. Grundlage dieser Bedenken bildeten in erster Linie gescheiterte (landesübergreifende) Übernahmen ähnlichen Umfangs wie bspw. die Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler im Jahre 1998.497 „Daimler war ein Weltkonzern, der konnte das, aber auch der ist gescheitert. Und wenn der gescheitert ist, müsst ihr erst recht scheitern, weil die Kultur wird euch alles kaputt machen.“ (Interview #VS8, Abs. 8)
497
Vgl. Daimler AG (2017): https://www.daimler.com/konzern/tradition/geschichte/1995-2007.html.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
147
Weniger aufgrund der von außen aufgenötigten Kulturdiskussionen als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass eine Beschreibung der ZF Kultur in detaillierter Form nicht vorlag, veranlasste das IMO/Top Management auf das Verstehen der kulturellen Unterschiede innerhalb der beiden Organisationen zu fokussieren. „Deswegen wollte ich, dass wir die Kultur zunächst mal verstehen auf beiden Seiten, weil diese Beschreibung der Kultur bei ZF, die gab es auch nicht, also im Sinne von (...) was meinen wir, wenn wir über Kultur sprechen? Und wenn wir wissen, was es ist, wie ist es denn beschrieben? Wie ist es denn dimensioniert?“ (Interview #V8, Abs. 8) Dabei wurde auf professionelle Unterstützung eines externen Beraterteams zurückgegriffen, um die Akzeptanz sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation sicherzustellen. So diente die mithilfe externer Berater iniitierte Kulturdiagnose nicht nur der Entschärfung der insbesondere von außen immer wieder angestoßenen Kulturdiskussionen, sondern ermöglichte vielmehr eine proaktive Kommunikation der kulturellen Unterschiede.498 Darüber hinaus lieferte sie eine bessere Grundlage, die Verhaltensweise der jeweiligen Organisationen zu verstehen und entsprechend darauf reagieren zu können: „Und diese Kulturdiagnose hilft uns besser zu verstehen, wann wird der andere nervös? Und darauf kann man dann reagieren. Hätten wir das nicht gemacht, hätten wir einen Blind Spot und man würde trotzdem merken, der wird nervös. Aber man könnte vielleicht nicht so genau zu sortieren, warum jetzt eigentlich?“ (Interview #VS5, Abs. 13) Tabelle II-8 fasst die Motive des IMO/Top Managements für die Initiierung der Maßnahmen [1] TRW als 5. Division und [2] OHI in Form repräsentativer Aussagen noch einmal zusammen.
498
Vgl. bspw. Interview VS8, Abs. 78.
Nr.
Tab. II-8:
Die vielen Subkulturen der neuen ZF müssen alle unter ein Dach passen
Problematisierung: „Wenn man zu schnell sich nur auf die Integration konzentriert und die ratzfatz durchzieht, läuft man Gefahr, dass man Geschäfte und den Kunden verliert und das wollten wir nicht und dann sind Sie ganz schnell bei dem Thema Stay Focused und Business Momentum zählt." (Interview #22, Abs. 71) Problematisierung: „Wo wir gesagt haben (...) um den finanziellen Zielen nachzukommen, müssen wir aufpassen, dass wir nicht den Business Momentum verlieren, (...) dass die Zahlen, die das Combined Case versprochen haben, dass die auch tatsächlich realisiert werden.“ (Interview #3, Abs. 41) Grundgedanke: „(...) this one is really more about integrating two companies that are already both doing well, and so you know they are kind of major priority have to be not to destroy any of us, and it's also about merging two companies where there is a lot of strength from both sides so we want to make sure we don't lose any of those strengths (...).“ (Interview #28, Abs. 24) Grundgedanke: „Und das konnten wir uns natürlich auch erlauben. Weil wir nicht die letzten zehn Prozent der Synergien aus irgendwelchen Overhead Bereichen holen mussten. Und weil wir ein wachsendes Unternehmen sind. Wo wir eh wissen, dass, wenn wir unsere Pläne so erfüllen wie wir uns das vorstellen, die Möglichkeit haben die Effizienzen sozusagen raus zuwachsen.“ (Interview #25, Abs. 25) Symbolisierung: „Mit Start des vereinten Unternehmens ist TRW als 5. Division in den ZF-Konzern eingegliedert. Optisch ist das am neuen Doppellogo zu erkennen: ZF und TRW nebeneinander.“ (ZF Intranet) 2.3
2.2
2.1
Nr.
Top 2.4 Management erläutert Vorgehensweise der Kulturdiagnose 2.5
OHI
Beispielhafte Zitate
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 1 Quelle: Eigene Darstellung.
1.5
1.3 IMO und Top Management spezifizieren die Entscheidung der 5. Div. zur Entwicklung eines Grundver1.4 ständnisses
IMO und Top 1.1 Management begründen die Führung von TRW als 5. Div. vor dem Hintergrund der 1.2 Gefahr der Zerstörung des erfolgreichen Geschäftsmodells
5. Division
[1] TRW als 5. Division und [2] OHI Beispielhafte Zitate Problematisierung: „Daimler war ein Weltkonzern, der konnte das, aber auch der ist gescheitert. Und wenn der gescheitert ist, müsst ihr erst recht scheitern, weil die Kultur wird euch alles kaputt machen.“ (Interview #VS8, Abs. 78) Problematisierung: „Also es ist nicht, dass wir das Thema nicht ernst genommen haben im Sinne von wir machen es nicht während der Due Diligence, sondern mit der Einsicht, es muss ein Thema sein, das wir managen können.“ (Interview #VS5, Abs. 11) Anpassung: „Hätten wir das nicht gemacht, hätten wir einen Blind Spot und man würde trotzdem merken, der wird nervös. Aber man könnte vielleicht nicht so genau zu sortieren, warum jetzt eigentlich? Und uns ist glaube ich klar, warum Reaktionen ausgelöst werden. Nur jetzt müssen wir damit auch umgehen. Und da wird es auch da an der Ecke Themen geben, wo man sagt, es entwickelt sich jetzt zusammen und da wird es Leute geben, die mit der neuen Kultur nicht zurechtkommen.“ (Interview #VS5, Abs. 13) Grundgedanke: „(...) we talked to various groups of people either through an online survey or focus meetings or interviews to really understand what’s the culture of their company today and what do they want to be in the future.“ (Interview #24, Abs. 68) Beispiel: „Und diese Kulturdiagnose hilft uns besser zu verstehen, wann wird der andere nervös? Und darauf kann man dann reagieren.“ (Interview #VS5, Abs. 13)
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 148
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
149
[2] „From doing business as usual to bringing the two organizations together“ Jahr 3
Jahr 1 TRW als 5. Division
OHI
„Doing Business as usual“
Abb. II-9:
Best of Both
Definition 4 pillars
Strateg. EinfühZF Position- rung NMS Initiativen ierung
„From doing Business as usual to bringing the two organizations together“
MaßMaßnahmen hmen & na Aktivitäten
„Increasing emphasis on what`s best for the business“
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 2 Quelle: Eigene Darstellung.
Ein zunehmendes Bewusstsein für Veränderungen im Markt und den damit einhergehenden Performance-Anforderungen, verbunden mit der Erkenntnis, dass „the merged company is much better equipped to be successful in the market“ (Interview #6, Abs. 140), hat in eine neue Phase der Integration geführt. Ein Manager hat es wie folgt formuliert: „The organisation is moving away from doing 'business as usual', and 'nothing is changing', 'life is good’ to 'Okay, the environment is changing, bringing the two organisations together, and create some new opportunities.“ (Interview #6, Abs. 24) Neben dem vom Markt her kommenden externen Druck ist die Organisation jedoch auch enormem Druck innerhalb der Organisation ausgeliefert. So führte die bewusste Entscheidung der eigenständigen Division und Bildung von Workstream-Tandems zu Unruhen durch Unklarheit über zukünftige Führungspositionen einhergehend mit der Gefahr des Mitarbeiterverlustes:
„Es gibt aber irgendwann mal einen Umkehrpunkt, wo dann die Keyplayer sagen; ich weiß ja, dass integriert wird und ihr lasst mich jetzt so lange im Unklaren. Es ist offensichtlich, also die Evidenz, dass man zusammenfahren wird, ist groß, und ihr haltet es jetzt künstlich zurück, das dauert mir zu
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
150
lange, ich habe keine Perspektive, wo es hingeht. Und sobald ich dann eine Opportunity habe, die mir tragfähiger erscheint, nehme ich die wahr. (...)“ (Interview #13, Abs. 126) Dies führte das IMO/Top Management dazu, die Zusammenführung der beiden Organisationen voranzutreiben und damit von „doing business as usual“ in die nächste Phase der Integration überzugehen. [3] Best of Both: Nach wie vor jedoch auf die Wahrung des erfolgreichen Geschäftsmodells und damit verbunden, den Stärken einer jeden Organisation bedacht, wurde zunächst auf eine projektbasierte Zusammenarbeit unter dem Prinzip des „Best of Both“ fokussiert: „Und die machen die Dinge gut, weil, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und dann liegt es eigentlich auf der Hand, dass man sagt, der Übernehmende stülpt nicht die Prozesse über. Weil er dann sagt, na ja, wenn ihr das macht, dann zerstöre ich ja das Businessmodell, was erfolgreich ist. Das war relativ schnell klar, dass wir das nicht machen, weil wir gesehen haben, TRW hat gute Prozesse. Und wo wir auch gesagt haben, ja, die sind eigentlich besser wie unsere, ohne dass man in die Tiefe gegangen ist. Und bevor man jetzt da irgend so eine Entscheidung fällen, (...) haben wir gesagt, das wird nicht funktionieren. Und dann kommt man relativ schnell auf das Best of Both.“ (Interview #11, Abs. 82) Dies erfordert jedoch nicht lediglich eine Anerkennung der erfolgreichen Prozesse des akquirierten Unternehmens, sondern impliziert vielmehr eine Veränderungsbereitschaft auf Seiten der ZF. „Aber man wäre dumm, wenn man diese Assets, was die Leute haben, wie sie eine Company managen, wenn man dieses Know-how nicht (...) nutzen würde. Aber nutzen heißt, wir sagen, das, was TRW gemacht hat, halten wir für besser, müssen wir natürlich unsere Prozesse bei ZF Legacy ändern. Das funktioniert ja nicht, dass man sagt, okay, euer Prozess ist gut, macht das weiter. Und bei Legacy sagen wir, okay, wir machen es hier anders.“ (Interview #11, Abs. 92)
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
151
[4] Definition der neuen Zielkultur: In dem Vorhaben, die beiden Organisationen zu integrieren, stellte ferner die Definition einer gemeinsamen zukünftigen Kultur ein wesentlicher Meilenstein im Rahmen des Integrationsprozesses von ZF TRW dar. Das Management gründete die Entscheidung auf die Ergebnisse der mithilfe externer Unterstützung durchgeführten Kulturdiagnose:499 „Und da gab es ja vorab eine Kulturanalyse, (...) die da ja entsprechend auch beschrieben ist. (...) Aber diese Kulturanalyse hat ja, ich sag mal, herausgebracht, dass beide Unternehmenseinheiten eine sehr hohe gute Ausprägung haben, aber unterschiedliche Inhalte.“ (Interview #19, Abs. 107) Wissend um die Vielzahl der in der neuen ZF vorherrschenden Subkulturen, zielt das Management, den zugrunde liegenden Interviewdaten folgend, dabei nicht auf einen grundsätzlichen Wechsel der Subkulturen ab, sondern fokussiert lediglich auf ein „gemeinsames Dach“ für die zukünftige Zusammenarbeit: „Wenn Sie wollen haben wir auch irgendwo angefangen mit der Kultur, haben die Kultur diagnostiziert, haben uns hingesetzt und gesagt „what do we value?“ Wohlwissend, dass wir keinen grundsätzlichen Wechsel der Subkulturen wollen. Das wäre ein aberwitziges Unterfangen. Sondern wir wollen nur ein gemeinsames Dach schaffen unter dem man gut zusammenarbeiten und gut zusammenwachsen kann.“ (Interview #VS5, Abs. 19) [5] Strategische Positionierung: Die Definition der strategischen Positionierung implizierte eine weitere wichtige Weichenstellung im Rahmen der Zusammenführung der beiden Organisationen. So formulierte ein Interviewpartner die Relevanz der Entscheidung wie folgt: „It’s been a great exercise, because it really defines the fundaments for the business for the future of the Company.“ (Interview #6, Abs. 14)
499
Siehe OHI Kulturstudie (Periode 1).
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
152
Denn es wurde erkannt, dass das aktuelle Produktportfolio nicht ausreicht, um erfolgreich auf künftige Veränderungen im Markt reagieren zu können. „We talked about the strategic position (...), that showed the necessary development of our product portfolio to be able to cope with the future expectation of the automotive industry.“ (Interview #6, Abs. 24) In Folge dessen wurde eine Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Entscheidungen hinsichtlich des Investments organisationaler Ressourcen oder der Geschwindigkeit der Produktentwicklung als unvermeidbar hervorgehoben. „(...) in order to make that happen, we are going to have to make decisions and make choices, in terms of: Where are we going to invest our resources and to be able to get out the products that we need.“ (Interv. #6, Abs. 24) Tabelle II-9 und II-10 fasst repräsentative Aussagen der Interviewpartner noch einmal zusammen, welche die Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 2 begründen. [3] Best of Both Best of Both
Nr.
Top Mgt erkennt 3.1 die Chancen des Know Hows von TRW und verweist auf Notwendigkeit der Änderung bisheriger ZF-Prozesse 3.2
Top Mgt erklärt BoB-Strategie: Benchmarking und BoB baselining
Tab. II-9:
3.3
Beispielhafte Zitate Problematisierung: „Und die machen die Dinge gut, weil, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und dann liegt es eigentlich auf der Hand, dass man sagt, der Übernehmende stülpt nicht die Prozesse über. Weil er dann sagt, na ja, wenn ihr das macht, dann zerstöre ich ja das Businessmodell, was erfolgreich ist. Das war relativ schnell klar, dass wir das nicht machen, weil wir gesehen haben, TRW hat gute Prozesse. Und wo wir auch gesagt haben, ja, die sind eigentlich besser wie unsere, ohne dass man in die Tiefe gegangen ist. Und bevor man jetzt da irgend so eine Entscheidung fällen, (...) ich roll meine Prozesse aus und stülpe die über. Haben wir gesagt, das wird nicht funktionieren.“ (Interview #11, Abs. 82) Anpassung: „Aber man wäre dumm, wenn man diese Assets, was die Leute haben, wie sie eine Company managen, wenn man dieses Know-how nicht (...) nutzen würde. Aber nutzen heißt, wir sagen, das, was TRW gemacht hat, halten wir für besser, müssen wir natürlich unsere Prozesse bei ZF Legacy ändern. Das funktioniert ja nicht, dass man sagt, okay, euer Prozess ist gut, macht das weiter. Und bei Legacy sagen wir, okay, wir machen es hier anders.“ (Interview #11, Abs. 92) Grundgedanke: „Also entweder nehmen wir eine Lösung, die da ist und sich bewährt hat. (...) egal, wer sie gemacht hat. Oder wir entwickeln eine neue Lösung gemeinsam. Oder wir nehmen irgendeinen Benchmark, der schon vorhanden ist. Also eigentlich unbeeinflusst von dem Thema, wer hat wen übernommen, wer hat wen gekauft, das lassen wir alles vor.“ (Interview #5, Abs. 31)
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 2 Quelle: Eigene Darstellung.
[4] Definition der neuen Zielkultur (4 pillars) und [5] Strategische Positionierung
4 pillars
Tab. II-10:
Die strategische 5.4 Positionierung 5.5 definiert das Fundament für eine 5.6 erfolgreiche Performance
Das bestehende 5.1 Produktportfolio ist nicht ausreichend, um auf künftige 5.2 Entwicklungen adäquat reagieren zu 5.3 können
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 2 (Forts.) Quelle: Eigene Darstellung.
4.1 Problematisierung: „Und da gab es ja vorab eine Die Ergebnisse Kulturanalyse (...), die da ja entsprechend auch der Kulturanalyse beschrieben ist. (...) Aber diese Kulturanalyse hat ja, verweisen auf ich sag mal, herausgebracht, dass beide Unterhohe nehmenseinheiten eine sehr hohe gute Ausprägung Ausprägung, haben, aber unterschiedliche Inhalte.“ (Interview #19, aber zentrale Abs. 107) inhaltliche Unterschiede 4.2 Anpassung: „Wir brauchen gemeinsame Grundprinzipien, die sowohl für das Unternehmen als Ganzes als auch für jeden Mitarbeiter gelten, und die gleichzeitig die bestehenden Werte von ZF Legacy und ZF TRW wiederspiegeln.“ (ZF Intranet 2016) Top Management 4.3 Grundgedanke: „Wenn Sie wollen haben wir auch irgendwo angefangen mit der Kultur, haben die Kultur erläutert für die diagnostiziert, haben uns hingesetzt und gesagt „what Definition der do we value?“ Wohlwissend, dass wir keinen gemeinsamen grundsätzlichen Wechsel der Subkulturen wollen. Das Kultur relevante wäre ein aber-witziges Unterfangen. Sondern wir Fragestellungen wollen nur ein gemeinsames Dach schaffen unter dem man gut zusammenarbeiten und gut zusammenwachsen kann.“ (Interview #VS5, Abs. 19) 4.4 Beispiel: „Result Orientation. Wie setzen wir eigentlich in Zukunft Ziele? Auf welcher Ebene? Wie messen wir Zielerreichung? Und, wie reagieren wir, wenn die Ziele nicht erreicht werden?“ (Interview #25, Abs. 29) 4.5 Beispiel: „Was ist Customer Focus? (...) was wird honoriert, was wird sanktioniert im Umgang mit Kunden? Und was heißt für uns Kundenorientierung?“ (Interview #25, Abs. 25)
Problematisierung: „We talked about the strategic position (...), that showed the necessary development of our product portfolio to be able to cope with the future expectation of the automotive industry.“ (Interview #6, Abs. 24) Anpassung: „Now we need to perform differently, as an organisation, in order to make that happen.“ (Interview #6, Abs. 24) Anpassung: „(...) in order to make that happen, we are going to have to make decisions and make choices, in terms of: Where are we going to invest our resources and to be able to get out the products that we need.“ (Interview #6, Abs. 24) Grundgedanke: „It’s preparing the company to be successful in the future.“ (Interview #6, Abs. 24) Grundgedanke: „it really defines the fundaments for the business for the future of the Company." (Interview #6, Abs. 14) Beispiel: „If we want to be a player in the e-mobility side, maybe we're going to have to stop, or to invest less, into the traditional transmission and traditional power train, where we are, and put more money on the e-mobility side.' Or, if you want, to be a key player into the Autonomous driving side, we’re going to, maybe, have to invest less into chassis components and put more money into electronic components.“ (Interview #6, Abs. 24)
Positionierung Nr. Beispielhafte Zitate
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Nr. Beispielhafte Zitate
TEIL II: 153
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
154
Periode 3: Increasing emphasis on „what`s best for the business“ Jahr 3
Jahr 1 TRW als 5. Division
OHI
„Doing Business as usual“
Abb. II-10:
Best of Both
Definition 4 pillars
Strateg. EinfühZF Position- rung NMS Initiativen ierung
„From doing Business as usual to bringing the two organizations together“
MaßMaßnahmen & Aktivitäten
„Increasing emphasis on what`s best for the business“
Integrationsmaßnahmen und -aktivitäten der Periode 3 Quelle: Eigene Erstellung.
Der Übergang zu Periode drei ist sodann charakterisiert durch einen erheblichen Druck durch die Wettbewerber und deren Konzentration auf die Megatrends der Automobilindustrie, während das Unternehmen selbst den Blick weiterhin in die Organisation gerichtet hält. „(...) wir sehen einfach (...) wie Wettbewerber investieren. Was für eine Dynamik im Markt mit M&A entstanden ist. Wer sich da alles gerade rüstet. Da haben wir mit Sicherheit geglaubt, dass wir da mehr Zeit haben. Also diese drei bis fünf Jahre zu dem Zeitpunkt 2014 haben gepasst. Und die passen dann auf einmal nicht mehr. Ja, weil Sie sehen, wenn Sie nicht den Markt jetzt besetzen, dann sind da andere, ja?“ (Interview #25, Abs. 65) Insbesondere der starke Fokus auf die Zusammenführung der beiden Organisationen, während der Wettbewerb sich den Anforderungen des Marktes annimmt, impliziert ein Spannungsfeld, welches eine Neuausrichtung des Unternehmens erfordert: „When I think about that and then look at the competition and look at how fast they are moving, inside the company, we are right now so focused on the integration of the two companies and our competition are more focused on product leadership and autonomous or efficiency or other areas. So, I think we need to figure out how to balance this integration and also create a sense of urgency in executing on some of our decisions.“ (Interview #16, Abs. 65)
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
155
So wurden die soziopolitischen Bedenken zu Beginn der Integration, die sich auf die Beziehung zwischen den Transaktionspartnern bezog, aber vor allem auf die Wahrung der Stärken beider Unternehmen im Sinne von Best of Both vor dem Hintergrund der enormen Dynamik im Markt weniger zentral und führte vielmehr zu einem zunehmenden Fokus auf „What’s best for the Business“ „and over time, the best of both really became what`s most efficient or what`s the best for the business.“ (Interview #24, Abs. 32) Ein anderer Interviewpartner formuliert die Situation wie folgt: „In reality, we could work to put the TRW process in as best of both but even the TRW process we had two years ago isn’t what we need today and certainly not tomorrow. So, I think we just need to be careful if we spend too much energy and time focusing on best of both and trying to keep everybody happy, so to speak, that your process is respected, we might miss what we really need to be doing going forward in looking at both of them and saying, “They’re both inadequate. We really need to be doing something else or something completely different or better”.“ (Interview #14, Abs. 32) Und weiter argumentiert er: „(...) it really needs to be about what`s best for the business“ (Interview #14, Abs. 30). In Folge des Perspektivwechsels, von einer verstärkten Konzentration in die Organisation hin zu einer marktseitigen Orientierung im Sinne von „What`s best for the business?“, erfolgt [6] die Einführung eines neuen Managementsystems (NMS) sowie [7] die Implementierung diverser ZF interner Initiativen.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
156
[6] Einführung des New Management Systems: Mit der Strategie 2025 hat ZF es sich zum Ziel gesetzt zu einem führenden Technologie- und Systemanbieter für die automobilen Megatrends - Effizienz, autonomes Fahren und Sicherheit - zu werden. Vor dem Hintergrund einer (zu) hohen Komplexität in der Arbeitsweise des Konzerns, „An vielen Stellen im Konzern sind wir heute zu kompliziert, so dass etwa neue Ideen nicht schnell genug an die richtigen Stellen gelangen, um umgesetzt zu werden.“ (ZF Intranet 2016) formuliert das IMO die Situation wie folgt: „wir werden in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn wir schneller werden, wenn wir Herausforderungen – und seien es noch so kleine – pragmatisch angehen. Wir müssen Komplexität besser handhaben, kontinuierlich als Organisation lernen und unser Denkmodell anpassen.“ (ZF Intranet 2016) Und weiter verdeutlicht das Integrationsmanagement: „Wir brauchen das ZF MS, um diese Ziele zu erreichen.“ (ZF Intranet 2016) So dient das neue Managementsystem nicht nur der Harmonisierung der beiden Managementsysteme, sondern ebenfalls der Orientierung und konkreten Anleitung im Hinblick auf die Marktentwicklung: „Mit dem ZF MS harmonisieren wir nicht nur die bestehenden Managementsysteme von ZF Legacy und ZF TRW – wir richten sie gleichzeitig so aus, dass wir Chancen besser ergreifen können, die sich aktuell und in Zukunft in unseren Märkten ergeben.“ (ZF Intranet 2016) [7] ZF interne Initiativen: Um die Strukturen und Prozesse entsprechend des neuen Management Systems auszurichten, hat ZF eine Reihe von ZF-internen Initiativen aufgesetzt. Das IMO begründet die Implementierung dieser wie folgt:
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
157
„Sie überführen das ZF MS in die Praxis und gestalten die Veränderung aus der Mitte des Unternehmens heraus.“ (ZF Intranet 2016) Dabei erfüllen sie den Anspruch einer schnelleren, einfacheren und zielorientierteren Zusammenarbeit und kommen den im Rahmen der Integration gemeinsam entwickelten Zielkultur (4 pillars) nach: „Alle Initiativen erfüllen den Anspruch nach Speed, Simplicity und Target Focus und folgen den Grundprinzipien der ZF Charta.“ (ZF Intranet 2016) Damit ebnen sie den Weg für eine effizientere Organisation und dynamisches Wachstum. Zu den ersten Initiativen gehören bspw. das Financial Management System (FMS) oder die Global Domain Functions (GDF). Einen Überblick über die Hintergründe für die Implementierung des neuen Management Systems sowie der Initiierung der Initiativen liefert Tabelle II-11.
Tab. II-11:
Zentrale Maßnahmen und Aktivitäten der Periode 3 Quelle: Eigene Darstellung.
Verdeutlichung 7.4 des Vorhabens anhand von Beispielen
7.3
7.1 Top Management erläutert Notwendigkeit für Zusammenlegung der Konzernfunktionen vor dem Hintergrund der Synergie7.2 potentiale
Top Management 6.1 Problematisierung: „Wir sehen einfach, dass der verweist auf die Markt sehr sehr schnell sich bewegt. Und dass wir es Notwendigkeit uns nicht erlauben können, so wie gehabt, weiterder Verhaltenszuarbeiten.“ (Interview #25, Abs. 60) änderung in 6.2 Korrektur: „Wir müssen unser Verhalten jetzt ändern, Folge hoher sonst erreichen wir unsere Ziele nicht.“ (ZF Intranet Markt2016) geschwindigkeit 6.3 Korrektur: „It's not really cultural is it, but its the kind of management system of the company that you need to harmonise so that people are clear what they can and can’t do. There are some quite significant differences in that.“ (Interview #9, Abs. 36) Top Management 6.4 Quantifizierung: „Wir sind noch nicht mal auf dem Industriedurchschnitt. Also das heißt, wenn Sie jetzt hebt das zum Beispiel eine Kennzahl herausgreifen würden, Potential von ZF den sog. Return an Sales, also quasi Umsatzrendite, da hervor und sind wir auf der ZF-Ebene irgendwo um die sechs begründet damit Prozent. Wenn Sie jetzt ein vergleichbares Unterdie Notwendignehmen heranziehen würden, natürlich sind die keit des NMS inhaltlich nicht immer so klar vergleichbar, (...) dann würden Sie sehen, dass zum Beispiel Bosch irgendwo bei acht Prozent liegt und Conti vielleicht über acht Prozent und Schäffler vielleicht sogar irgendwo in Richtung zweistellig und wir sind Unterdurchschnitt, muss man einfach festhalten. Und das heißt, wir haben noch Potenzial. Es gibt auch keinen Grund, warum die ZF sich nicht an einem Durchschnitt oder über einen Durchschnitt messen lassen sollte und da liegen wir eben drunter. Und das ist der Grund, warum so etwas erforderlich ist.“ (Interview #20, Abs. 49)
Problematisierung: „Und jetzt in der letzten Phase geht es wirklich in die organisatorische Zusammenlegung, dass wir diese GDFs geben, wo man sagt, die Konzernfunktionen werden dann zusammengelegt werden und das macht man nicht einfach mit eins und eins ist dann mindestens mal zwei, vielleicht sogar noch mehr, sondern das muss weniger sein, sonst macht es ja keinen Sinn.“ (Interview #22, Abs. 67) Problematisierung: „Und dann haben wir gesagt: Das Nächste, was wir uns jetzt anschauen, sind die GDFs. Das sind die klassischen G+A-Bereiche plus Sales, plus R&D. (...) Da ist natürlich unmittelbar wieder das Deal Rationale: Wie stellen wir jetzt unsere zentrale Forschung und Entwicklung auf? Wie führen wir Themen zusammen? Weil wir gesagt haben, wir brauchen eine kritische Größe.“ (Int. #25, Abs. 29) Grundgedanke:„The Global Domain Function. Where the Board started to get together, in terms of defining: How we’re going to run this Company, in terms of function, centralise/decentralise; What decisions to be made where, etc. And then the team took that on eventually, and tried to build some organisation and some processes that reflects this general direction given by the Board.“ (Interview #6, Abs. 60) Beispiel: „Also alle GDFs bekommen ein FinancialZiel, also eine Guideline wo wir sagen: Okay, das wäre in einer Größe jetzt mit 130.000 Mitarbeitern im Konzern ein vernünftiges Maß an einem Bereich. Wie groß sollte ein HR-Bereich sein, ein Finance-Bereich sein? Ein Quality-Bereich?“ (Int. #19, Abs. 180)
Nr. Beispielhafte Zitate
ZF Initiativen
Einführung NMS Nr. Beispielhafte Zitate
[6] Einführung des Neuen Management Systems und [7] ZF interne Initiativen
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 158
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
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Zusammenfassend hat sich also, der Spezifität des betrachteten Falls zufolge, das definierte Ziel der Organisation gewandelt. Zielte die Transaktion zu Beginn primär auf einen Technologiezugewinn, um die in der ZF Strategie 2025 identifizierten sog. „white spots“ zu schließen, hat sich im Laufe der Integration die Notwendigkeit der Einführung eines neuen Managementsystems und damit verbunden einer neuen Wertekultur herauskristallisiert. Während aus der Perspektive der akquirierenden Organisation somit zunächst lediglich eine inkrementelle Veränderung ihres Schemas im Vordergrund stand („first-order change“), führte jedoch die Erkenntnis der Notwendigkeit eines neuen Managementsystems schließlich zu einer radikalen Veränderung des Schemas im Sinne eines second-order change (Vgl. Abb. II-11).
Technologiezugewinn zur Schließung der „White Spots“
ZU BEGINN
Entwicklung eines neuen gemeinsamen Zielbildes bedarf der Änderung von:
Managementsystem Wertesystem Organisationsstruktur Technologie, etc.
Ganzheitlicher Wandel im Sinne einer Transformation
INTEGRATIONSVERLAUF
„First-order change“:
„Second-order change“:
Inkrementelle Veränderung des Schemas
Radikale Veränderung des Schematas durch Veränderung organisationler Paradigmen, Werte und Normen
Abb. II-11:
Zielveränderung und Second-Order Change Quelle: Eigene Darstellung.
(c) Kommunikation im Prozessverlauf Mit dem Perspektivwechsel, von einer verstärkten Konzentration in die Organisation hin zu einer marktseitigen Orientierung im Sinne von „What`s best for the business?“, konnte ebenfalls eine Veränderung in der Kommunikation der Organisation wahrgenommen werden. Stand anfänglich „The power of square“ im Vordergrund, wurde dieser im Verlauf der Integration durch „Best of Both“ und zu einem späteren Zeitpunkt
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
160
wiederum durch „Speed, Simplicity, Target Focus“ ersetzt. Handelt es sich bei „The power of square“ um einen Claim statischen Charakters, zeigt sich mit „Speed, Simplicity, Target Focus“ (bereits) die dynamische Entwicklungsrichtung der neuen gemeinsamen Organisation. „Also dieses see think act zu dem wir jetzt gekommen sind, das strahlt eine ganz andere, wie der Claim auch schon mitgibt, eine ganz andere Offenheit aus, nach dem Motto, ich nehme wahr, ich verarbeite das und setze das in meine Taten um. Das ist eine ganz andere Geschichte, (...) Das sind eher statische Begriffe auch. Also wenn Sie mal zurückgehen, eine ZF vor anderthalb zwei Jahren und gucken auf die Claims der ZF, das waren statische Claims, hier sind wir, wir beherrschen dieses, wir beherrschen jenes. Das war ist ein statischer Auftritt. Und wenn Sie jetzt hingehen und betrachten sich see think act, das ist ein dynamischer Auftritt. Das heißt, wir nehmen wahr, wir analysieren und wir tun, wir setzen um, wir bauen das ins eigene um. Der ganze Auftritt ist ein anderer. Und das, sage ich mal, zeigt sich auch im Unternehmen.“ (Interview #17, Abs. 86) (d) Emotionale Entwicklungen im Prozessverlauf Und schließlich konnten im Verlauf des Integrationsprozesses unterschiedliche Phasen emotionaler Empfindungen identifiziert werden. Ging mit dem Transaktionsbeginn zunächst eine gewisse Euphorie einher, musste jedoch ca. ein halbes Jahr später eine Eintrübung der Gesamtstimmung wahrgenommen werden. Ein Interviewpartner formulierte diese Entwicklung wie folgt: „Also ich glaube, dass wir mit dem Closing zunächst einmal eine gewisse Euphorie hatten. Dass wirklich alle so in diesen Flitterwochen wirklich total glücklich waren und insbesondere auch von der ZF Legacy Seite eine Bereitschaft bestand, völlig offen über Erfolge und Misserfolge, über Faktoren, die beides bedingen, zu sprechen. Im Sinne von einem voneinander lernen, ja? Ich glaube, dass von der Tendenz her, diese Bereitschaft bei ZF TRW nicht von Anfang an so gegeben war und dass das dazu geführt hat, dass es dann, sage einmal, so ungefähr sechs Monate nach Vollzug des Closings wir so eine kleine Talsohle durchschreiten mussten, was so die Gesamtstimmung betraf.“ (Interview #1, Abs. 16)
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
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Erst in einem Prozess gegenseitiger Zugeständnisse und der Erkenntnis beiderseitiger Stärken und Schwächen konnte die Gesamtstimmung letztendlich wieder ins Positive verkehrt werden: „Und ich glaube als einmal diese Schwelle überschritten war, dass man sich nicht mehr durch Window Dressing schön machen musste für den anderen, sondern dann Ehrlichkeit eingezogen ist beidseitig in die Diskussion, da lief es dann wieder besser und im Moment habe ich das Gefühl, dass wir sehr konstruktiv miteinander umgehen.“ (Interview #1, Abs. 16) Darüber hinaus wurden Emotionen ferner durch Unsicherheiten der Job-Situation sichtbar wie auch durch allgemeine Unzufriedenheit hinsichtlich der Entwicklung des Integrationsverlaufs. II.3.2 Kollektive Schemata im Kontext der M&A Integration Die Beschreibung des Entwicklungsverlaufes zeigt, dass der Prozess der Integration nicht nur unsicher und mehrdeutig, sondern ebenfalls durch die Vielzahl unterschiedlicher Einflussfaktoren von hoher Komplexität geprägt ist. Im Hinblick auf das erfolgreiche Managen dieses Prozesses hat eine Reihe der Interviewpartner darauf verwiesen, dass vor allem dem Faktor Mensch eine entscheidende Rolle zukommt: „Also wirklich gucken Sie auf den Menschen. Das ist immer so der SoftFaktor. Für mich ist das der entscheidende Faktor. Die Prozesse von so einem PMI-Prozess, das ist jetzt super hier aufgelegt, auch kommuniziert und so weiter, es ist nur ein Vehikel, eine Plattform, um Menschen zum gemeinsamen Arbeiten zu bringen. Und wenn die nicht wollen, oder können - schwierig.“ (Interview #2, Abs. 134) „At the end of the day, one of the most important things is the people“ (Interview #24, Abs. 12) In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung interpersoneller Prozesse hervorgehoben, im Rahmen derer ein gemeinsames Verständnis für die vom (Top) Management
TEIL II:
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entwickelten Integrationsziele und -maßnahmen generiert wird und welches als Grundlage für die organisationale Weiterentwicklung dient: „Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass man einfach ein gemeinsames Verständnis braucht innerhalb der betreffenden Kollegen, damit man einfach auch gemeinsam zielführend zusammenarbeitet. Das ist, denke ich, ganz wichtig.“ (Interview #Pl3, Abs. 66, Hervorhebungen durch den Autor) Ein anderer Interviewpartner formuliert dies wie folgt: „Eine der größten Herausforderungen für mich persönlich im Moment ist das Management-Team zusammenzubringen, dass wir ein gemeinsames Verständnis haben: Was ist wichtig? Wie geht man miteinander um? Wie ist eine Fehlerkultur? Was ist eigentlich unser Berufsethos? - ist das eine, aber das andere ist, wie wollen wir das für uns interpretieren? Haben wir da ein gemeinsames Verständnis dazu? Wie treten wir auf? Wie berichten wir?“ (Interview #4, Abs. 63, Hervorhebungen durch den Autor) Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um eine Top-Down Entscheidung des Top Managements, sondern vielmehr um einen iterativ entwickelten Prozess, wie nachstehende Zitate verdeutlichen: „(...) ich sehe das eher als Transformationsreise, dass man sich dann halt iterativ gemeinsam dem neuen Zielbild nähert.“ (Interview #13, Abs. 53) „Wir haben nicht gesagt, das ist die neue Struktur, und da findest du dich, sondern wir haben es gemeinsam entwickelt. Das war, glaube ich, da das asset.“ (Interview #21, Abs. 132) So deutet die Analyse darauf hin, dass die Prozesse im Rahmen der Entwicklung eines gemeinsamen Zielbildes einen maßgeblichen Einfluss auf den akquisitionalen Erfolg verüben. Diese Wahrnehmung stimmt ebenfalls mit der Literatur zum Management
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
163
strategischer Veränderungen überein.500 So beeinflusst die Art und Weise, wie organisationale Mitglieder Ereignisse verstehen und interpretieren und in ein gemeinsames Zielbild überführen sowohl deren (individuelle) Reaktion als auch die organisationale Funktionsfähigkeit.501 Ein Prozess, welcher in der Literatur in eine „shared cognition“ oder ein „shared schema“ mündet. Vor diesem Hintergrund hat sich die vorliegende Arbeit der näheren Untersuchung dieses Phänomens angenommen. Als Ergebnis konnten eine Reihe „neuer“ kollektiver Schemata identifiziert werden. Diese neuen kollektiven Schemata ähneln dem was Isabella (1990) als ein „in-progress frame of reference“ bezeichnet und von Labianca et al. (2000) wie folgt verstanden wird:502 „an assembly of tenuously connected pieces that a person draws on in novel situations when behavior is unscripted.“ (Labianca et al. 2000, S. 238) Wird im Folgenden also von „kollektiven Schemata“ gesprochen, handelt es sich somit um erwartete, sich in Bearbeitung befindliche Schemata, die das Verhalten steuern. So haben Mitarbeiter bspw. sich in Bearbeitung befindende kollektive Schemata, die sich auf die künftige Bedeutung des Kostenbewusstseins oder des Risikoverhaltens beziehen. Die Identifikation erfolgt über eine Gegenüberstellung der jeweils zu Beginn der Transaktion bestehenden Schemata und den im Verlauf des Integrationsprozesses neu entwickelten Schemata entlang jeder der untersuchten Analyseeinheiten. Die Tabellen II-12 bis II-17 liefern eine Übersicht der Ergebnisse dieses Analyseschrittes.503
500
Siehe bspw. Iveroth/Hallencreutz (2016), S. 49. Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 484. Vgl. Isabella (1990), S. 17. 503 Die identifizierten Schemata werden jeweils mit zentralen Aussagen der Interviewpartner unterfüttert. Für eine kurze prägnante Übersicht wurden dabei lediglich Auszüge aus den jeweiligen Interviewaussagen verwendet. 501 502
ALTES SCHEMA ZF
Tab. II-12:
[1.4] Struktur
[1.3] Management Philosophie
ALTES SCHEMA TRW „TRW is aggressive, quick to respond“ (Interview #9, Abs. 32) „TRW attitude is much more aggressive. We were trying to resolve a conflict over pricing where he wants a much lower pricing.“ (ebd.)
Kollektive Schemata - Workstream Aftermarket Quelle: Eigene Darstellung.
„We don’t really have a domestic market, we are global company“ (Int. #9, Abs. 36) „We treat them equally“ (ebd) „Our forecast is the plan“ “The forecast is an accurate (Interview #9, Abs. 18) reflection of what you will „Whats best for you achieve this year“ (Interview personally“ (Interview #9, #9, Abs. 18) Abs. 22) „TRW guys only try to think whats best for the business“ (Interview #9, Abs. 22) “Beide Bereiche waren so strukturiert, dass sie eine regionale Struktur hatten“ (Interview #17, Abs. 44) „TRW and ZF Services, we were really reporting and organised much more on a regional basis“ (Interview #9, Abs. 38)
„ZF is slow, doesn’t [1.1] respond to the market“ Reaktions(Interview #9, Abs. 32) geschwindig „we [customers] have had keit to push ZF to do things we want them to do“ (ebd.) „It is a pretty slow process (...). You might be talking about two or three years within ZF from saying we want this product to actually being able to sell it." (ebd) [1.2] „ZF Services is very much MarktGermany and export, thats abdeckung their mind-set“ (Interview #9, Abs. 36)
[1] Workstream Aftermarket KOLLEKTIVES SCHEMA
“Was wir brauchen ist Independent Aftermarket Strukt-uren, die weltweit gelten.“ (Interv. #17, Abs. 44) „We need to focus on each customer individually and there is no regional focus in manufacturing“ (Interv. #9, Abs. 38)
“We need to safeguard today in order to be successful tomorrow.” (Interview #9, Abs. 18) „We need to be a bit more questioning“ (Interview #9, Abs. 22)
„We try to create a structure where we can have much quicker decision making that was the case in ZF and where we keep the focus on the different types of business so we facilitate that decision making“ (Interview #9, Abs. 36) „Und wenn sie da nicht extrem agil und ich sage jetzt mal (...) mit einer gewissen Dynamik unterwegs sind, verlieren Sie." (Interview #17, Abs. 34) „We need to develop our business across all of those markets to be successful in the future.“ (Interview #9, Abs. 36)
VERÄNDERUNG
„The company is moving more towards a financially driven type of management philosophy (Int. #9, Abs. 18) „Wir sind etwas, sagen wir mal nachhaltiger unterwegs.“ (Interview #17, Abs. 50) “We have kind of moved from a regional focus to a business focus“ (Interview #9, Abs. 38)
„Die ZF guckt mehr nach außen“ (Interv. #17, Abs. 84) „Die ZF ist viel bewusster für das, was an Veränderungen im Markt passiert“ (ebd)
„Wir sind auch ein bisschen schneller in der Umsetzung“ (Interview #17, Abs. 50) „Wir werden ein bisschen operativer, das heißt wir rutschen ein Stück näher an den Kunden ran“ “Wir haben zusätzlich Kunden geöffnet” (Interview #17, Abs. 54)
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 164
Tab. II-13:
[2.1] CloudAffinität/ Services
ALTES SCHEMA ZF
„We don’t have to always look for 100% perfection. An 80/20 solution is good enough. You don’t want to make a great enemy of good, right.” (Interview #16, Abs. 65)
„Die amerikanischen Kollegen sind da wesentlich risikofreudiger. Dort akzeptiert aber auch das Business das Thema Risikofreude. Also lieber eine nicht ganz ausgereifte Funktion dem Business zur Verfügung stellen und dann nachbessern wenn es nicht so tut.“ (Interv. #PL3, Abs. 39)
„Also die Veränderungsbereitschaft wird größer.” (Interview #13, Abs. 29) „Akzeptanz für das Thema Risikofreude“ (Interview PL3, Abs. 39)
„Wir werden ein klares Key Account Management und Business Relationship Management machen für den Gesamtkonzern“ (Interview #13, Abs. 71) Produkt- und Prozessoptimierung
„Es muss ein Businessnutzen hinter den IT-Aktivitäten sein, die wir tun“ (Interview #PL3, Abs. 22) „We should deliver more value to the business“ (Interview #16, Abs. 101)
„Bei ZF TRW-Seite erlebe ich dieses Thema Governance aus der IT nicht sehr ausgeprägt. Dort ist es eher so, dass das Business sagt, ich will das tun. Und die IT führt es dann ein.“ (#PL3, Abs. 54) „Die haben auch nur den Umsetzungsteil im Prinzip“ (ebd)
VERÄNDERUNG „We chose to keep ZF on the premise“ (Interv. #16, Abs. 65) „We implemented a solution for 150K“ (Interview #16, Abs. 65)
KOLLEKTIVES SCHEMA „Wir wollen so viel wie möglich an Komponenten aus der Cloud einbauen. Und eigentlich nur noch so wenig wie nötig zu diesem Communication- und Collaboration-Functions intern machen“ (Interv #PL3, Abs. 64)
ALTES SCHEMA TRW „Die ZF TRW [hat] sehr offensiv Cloud Services verwendet, schon länger, schon längere Zeit“ (Interview #PL3, Abs. 64) „Very cost-sensitive culture so we use cloud-based email from Microsoft“ (Interview #16, Abs. 65)
Kollektive Schemata - Workstream IT Quelle: Eigene Darstellung.
„Nicht so sehr cloud-affin.“ (Interview #PL3, Abs. 64) „Wir wollen eigentlich Dinge eher selber inhouse machen und nicht so sehr in Cloud Services gehen“ (ebd.) „ZF Legacy is a very inhouse culture in IT and they use an on premise“ (Interview #16, Abs. 65) [2.2] “Auf ZF-Legacy-Seite Governancehaben wir einen ganz Anteil in ausgeprägten Governanceder IT Anteil in der IT“ (Interv. #PL3, Abs. 54) „Auf der ZF-Legacy-IT ist auch der ganze Konzeptionsteil noch mit eingelastet“ (ebd) „deshalb erscheint die ZFLegacy IT auch langsamer“ „Auf ZF-Legacy-Seite [ist] [2.3] es eher so, dass der Kunde Risikoauch diesen 100-Prozentfreude Perfektionsanspruch hat. Und die IT natürlich sich darauf ausrichtet." (Interview #PL3, Abs. 39)
[2] Workstream IT
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 165
Tab. II-14:
Perfektionsanspruch
[3.3]
Performance Tracking
[3.2]
[3.1]
ALTES SCHEMA ZF
„Link zur finanziellen Bewertung“ (Interv. #5, Abs. 41) „Wir haben jetzt (...) ein entsprechendes Software-Tool und damit verbunden auch einen Prozess (…), Continuous Improvement System nennen sie es“ (Interview #5, Abs. 39) „The drive for daily performance is going to come from us over into there“ (ebd, Abs. 57) „It’s progressing“ (Interview #14, Abs. 91)
„Letztlich war das Einsehen dann größer, dass es Sinn macht, das zentral zu lassen.“ (Interview #5, Abs. 124) „Dann müssen wir das zentral entwickeln, dieses KnowHow.“ (ebd.) „Damit auch ein anderes Kostenbewusstsein entwickelt werden kann und auch muss.“ (Interview #5, Abs. 66) „We need to be able to move a little more quickly and not be so worried about checking every little box for every single person that should be consulted“ (Interview #14, Abs. 77)
„Das wiederum ist bei ZF TRW völlig dezentral organisiert, da gibt es auch noch nicht mal einen Überblick zentral“
„We’re more like get it 80% of the way there and go and try it, and even if you have to run your metrics in Excel while you test it out and try it or whatever, fine, and then once it’s refined then go and put it in some fancy system.“ (Interview #14, Abs. 77)
VERÄNDERUNG „Wir haben unser Produktionssystem aufgefrischt um den Performanceaspekt” (Interview #5, Abs. 39) „Einbeziehung jetzt des Shopfloors in die Aktivitäten“ (ebd)
KOLLEKTIVES SCHEMA „Wenn ich Lean betreibe, da muss ich natürlich immer gucken, was kommt unten bei raus“ (Interview #5, Abs. 39)
ALTES SCHEMA TRW „In der TRW Organisation [lag] der Fokus auf dem Thema Performance. Also auch die zentrale Produktionsorganisation dort ist rein fokussiert auf das Thema „Produktionssysteme, Produktionsperformance“ (Interview #5, Abs. 103)
Kollektive Schemata - Workstream Operations Quelle: Eigene Darstellung.
„We work and work and work to make it as perfect as possible and then we only go forward once it’s perfect and once they’ve already built the system to support it and once they’ve already done all this stuff“ (Interview #14, Abs. 77)
„Wo wir da mehr zentral aufgestellt sind“ (Interview #5, Abs. 105) „Auch das Thema, wir nennen es Advanced Industrial Engineering, da sind wir etwas zentraler unterwegs; über die zentral tracken wir so das Projektgeschehen.“ (Interview #5, Abs. 103)
„Der Performanceaspekt in unserem Produktionssystem Produktions[ist] nicht im Vordergrund“ performance (Interview #5, Abs. 39)
[3] Workstream Operations
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 166
ALTES SCHEMA ZF
„Choose ideas, in the past, purely based on the personal opinions of the decisionmakers (...) and not from a commercial thinking approach.“ (#15, Abs. 48) „Have a workshop to create ideas, but then prioritise those ideas based on the people in the workshop voting for them.” (ebd, Abs. 50) „There is no separate system engineering group in ZF, and no separate budget in ZF to pay for this development“
KOLLEKTIVES SCHEMA
„Dass wir in der Gesamtorganisation Compliance und Recht uns als wesentlicher Businesspartner verstehen“ (#1, Abs. 63) „Dass man sich am Gechäftserfolg messen muss u. zum Geschäftserfolg beitragen muss“
„(...) dass wir eben nicht dazu da sind, Risikovermeider zu sein, sondern Risikomanager.“ (Interview #1, Abs. 28)
Kollektive Schemata – Workstream R&D und Governance; Quelle: Eigene Darstellung.
„Wir versichern wirklich nur sozusagen den existentiellen Schaden und alles andere, was so an Problemen aufkommt auf unserem Weg, das lösen wir dann irgendwie so.“ (Interview #1, Abs. 22) „TRW Complicance (...) was actually part of the legal group“ (Interview #27, Abs. 12)
ALTES SCHEMA TRW
„We need to have a separate systems engineering group that’s independent that can work on this“ (Int. #15, Abs. 112) „We need to have a separate budget so that we can pay the divisions to work on this“ (ebd.)
„Separate System engineering group”
KOLLEKTIVES SCHEMA „We have to look at market trends and new regulations, the things driving the market and our customers, understand what our customers’ future needs will be, and then develop the technology they need in time that they can buy them from us when they need them and we make money for the Company.” (Interview #15, Abs. 10)
ALTES SCHEMA TRW „This is something which is quite strong in TRW - which is to pick, even from the beginning, the projects which will be most profitable.” (Interview 15, Abs. 48) „The TRW approach is to evaluate all the ideas commercially at the very first step and choose only the most attractive one“ (#15, Abs. 54)
VERÄNDERUNG
„Haben unsere Position noch besser verteidigbar gemacht“ (Interview #1, Abs. 45)
„Also wir sind ein Schritt risikofreudiger geworden.“ (Interview #1, Abs. 45) „Wir sind einen Schritt mutiger geworden“ (ebd.)
VERÄNDERUNG
„We`re trying to find better ways to do this at the moment“ (Interview #15, Abs. 114)
„Previously, the R&D department could develop and run a complete project without having a real business evaluation from an independent group, but now this happens from the beginning of the process." (Interview #15, Abs. 62)
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Tab. II-15:
„Isoliert von den Entscheidungsprozessen im Business. Der Austausch zwischen Business und Rechtsabteilung hat relativ wenig stattgefunden” (Interview #1, Abs. 67)
[5.2] Positionierung der Rechtsabteilung
ALTES SCHEMA ZF
„ZF Legacy-like immer mit einer Vollkaskoversicherung unterwegs (...).“ (Interview #1, Abs. 22)
[5.1] Risk Appetite
[5] Workstream Legal/Governance
[4.2] System engineering
[4.1] Business Evaluation of R&D ideas
[4] Workstream R&D
TEIL II: 167
ALTES SCHEMA ZF
„Wenn wir die stärker zentral haben, dann brauchen wir auch mehr zentrale Datentransparenz“ (Interview #8, Abs. 54) „Da wollen wir deutlich mehr Commitment reinbringen. Auch mit einem Target Setting. Dass man da sagt: Wir gehen über eine Kundenstrategie bis hin zu einer Business Unit und machen mit der Business Unit dann nachher auch ein Target Setting.“ (ebd., Abs. 76) „Und das setzt sich gerade so ein bisschen im Denken durch, dass es [der Sales Forecast] Sinn macht. Aber wir sind noch nicht so weit.“ (Interview #8, Abs. 91) „Und da ist ein Potential da.“ (Interview #8, Abs. 91)
„Volle Transparenz, nicht in irgendwelchen Silos im Konzernangebot draußen haben, sondern volle Transparenz über den ganzen Vertrieb.“ (Interview #2, Abs. 18)
„Unser Sales Forecast ist eigentlich, da wird die Planung auf der Komponentenebene eingegeben und das ist verknüpft mit der Logistik, auf einem Kurz-fristbereich.“ (Interview #8, Abs. 91)
Kollektive Schemata – Workstream Sales/Market Quelle: Eigene Darstellung.
Tab. II-16:
„nach vorne gerichtet für strategische Überlegungen” “Battle Planung” “mit welchem Kunden und in welche Plattformen wollen wir reingehen, mit welchem Marktanteil?“ (Interview #8, Abs. 91)
KOLLEKTIVES SCHEMA „Also müssen wir jetzt auch eine ganz andere Logik in der ZF Welt, in der neuen ZF finden.“ (Interv. #8, Abs. 76) „Es ist keine Option, zu bleiben wie man ist“ (Interview #2, Abs. 108) „Wir haben zwei Planungsphilosophien und zwei Sales Philosophien. Und die haben wir noch nicht übereinander gekriegt.“ (Interv. #8, Abs. 50)
ALTES SCHEMA TRW „A Division - alles zentral.“ (Interview #8, Abs. 46)
[6.3] Forecast
[6.1] Prozesslandschaft
„Die Legacy [hat] eine völlig dezentrale Organisationsstruktur. Das ganze operative Geschäft wird in den BUs gemacht.“ (Interview #8, Abs. 46) „Die Marktfunktion [hat] so eine übergreifende koordinierende Rolle.“ (ebd) „Wir haben zwar die Prozesse und die Systeme entwickelt. Aber Planung ist in der BU entstanden.“ (ebd) [6.2] „Wir haben wenig Wert Transparenz drauf gelegt auf übergreifende Datentransparenz. Wir haben das immer so ein bisschen hemdsärmelig gemacht, haben mal abgefragt. Und dann Projektlisten zusammengestellt.“ (Interview #8, Abs. 76)
[6] Workstream Sales/Market VERÄNDERUNG
N/A [noch kein Outcome zum Zeitpunkt der Erhebung]
„Da ist dieser direkte Zusammenhang zwischen Entscheidung und Tracking, den hatten wir in der alten Logik nicht. Und den führen wir jetzt aber ein.“ (Interview #8, Abs. 76) „Wir werden schneller an vielen Elementen, und vor allem werden wir transparenter.“ (Interview #2, Abs. 74)
N/A [noch kein Outcome zum Zeitpunkt der Erhebung]
TEIL II: Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG 168
ALTES SCHEMA ZF
„TRW was very formally managed in the business processes, by a document called the 'Master Calendar'” (Interview #15, Abs. 96) „TRW was extremely dependant on these reviews, with a very extensive content” (Interview #6, Abs. 96) „TRW is top-down driven. Leadership is closely involved in operational decisionmaking, setting the targets and direction with authoritative and challenging leadership, which leads to speed but can also cause friction“ (ZF 2015)
Kollektive Schemata – SteerCo Quelle: Eigene Darstellung
„highly consensual. Leaders are supportive and consultative, engaging their employ-ees in the decisionmaking process which leads to strong buy-in, but may also cause many alignment meetings and longer lead times to get things done“ (ZF 15)
ALTES SCHEMA TRW „TRW [ist] total zentralistisch aufgestellt. Zugeschnitten auf einige wenige oder auf einen Entscheidungsträger“ (#1, Abs. 20) „Die Managementphilsophie bei TRW [ist] stärker zentral“ „Customer focus in TRW does not always mean “customer friendly” and can even mean being tough with customers to achieve TRW’s near-term performance objectives“ (ZF 2015)
KOLLEKTIVES SCHEMA
„Wir wollen schneller werden, wir wollen einfacher arbeiten, wir wollen zielorientiert sein.“ (#18, Abs. 38) „wir werden in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn wir schneller werden, wenn wir Herausforderungen pragmatisch angehen“ (ZF Intranet 2016)
Wir müssen Komplexität besser handhaben, kontinuierlich als Organisation lernen und unser Denkmodell anpassen.“ (ZF Intranet 2016) „Die ersten Schritte haben wir gemacht durch eine Zentralisierung.“ „Das Neue ist eine partnerschaftliche Beziehung, die wir anstreben mit unseren Kunden. Echt als Partner, vertrauensvoll, preferred.” „Für den Value, den wir beim Kunden kreieren, wollen wir bezahlt werden.” (#25,29) „There is a new joint Master Calendar where the timing has been adjusted, and so on, that really drives the business with more focus on commercial performance” (Interview #15, Abs. 96)
VERÄNDERUNG
„This brings the activities of both TRW and Legacy to be more harmonized and to use the same frequency of business reviews and so on, in all parts of the Company”(#15, Abs.96) „bessere Transparenz, bessere Entscheidungsgrundlage“ (Interview #2, Abs. 80) „Es wird nicht mehr akzeptiert, dass Dinge sieben Jahre dauern.“ (Interv. #2, Abs. 76) „Ich stelle es fest bei Entscheidungen. Wie bereiten wir Entscheidungen vor? Wie schnell kommen wir zu Entscheidungen? Werden wir schneller.“ (ebd.)
„Das führt sie weg im Pricing von Cost Plus. Ja? Also es wird sehr sehr tangibel” (Interview #25, Abs. 29)
„Purchasing has been centralised, and we are working on the centralisation of all the functions: Treasury, Tax and maybe Sales - Sales is not clear yet“ (Interview #6, Abs. 38)
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Tab. II-17:
[7.4] Leadership/ Decisionmaking style
[7.1] Dezentrale ManagementManagement philosophie Philosophie/ „extrem föderalistisch Führungsaufgestellt mit großen modell Kompetenzen und Unabhängigkeiten in den einzelnen Geschäftsbereichen“ (#1, Abs. 20) [7.2] „Customer focus in ZF Customer means building long-term Focus relationships and going to great lengths to deliver the highest quality solutions for ZF’s customers, putting customers' needs first“ (ZF 2015) [7.3] “the Legacy way had very, Performance very little systematic Reviews/ approach to review” (#6, KostenAbs. 128) orientierung
[7] IMO/SteerCo
TEIL II: 169
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
170
Die Ergebnisse dieses Analyseschrittes (Tab. II-12 bis II-17) liefern eine Reihe interessanter Erkenntnisse. Neben der Differenzierung kollektiver Schemata in aufgabenbezogene und teambezogene Schemata, besteht eine weitere wesentliche Erkenntnis darin, dass die kollektiven Schemata auf verschiedene strategische Fragestellungen ausgerichtet sind. Diese reichen von der Gesamtintegrationsstrategie auf Top Management Ebene bis hin zur Lösung der optimalen Zusammenarbeit innerhalb der Workstreams. So spielen auf Top Management Ebene im Hinblick auf die Task Integration bspw. Fragestellungen bzgl. der zentralen vs. dezentralen Struktur ebenso wie der strategischen Positionierung nach Bereich und Produkt eine bedeutende Rolle:
„The Board started to get together, in terms of defining: How we’re going to run this company, in terms of function, centralise/decentralise; What decisions to be made where, etc.“ (Interview #6, Abs. 60) „Was ist zentral, was ist dezentral? (...) Was sind die führenden Elemente der Organisation? Ist es die Business-Unit, ist es die Division, ist es der Konzern? Und wie spielt das dann zusammen?“ (Interview #2, Abs. 68) „(...) forces of both the TRW world and ZF world came together and defined what all the expectations from the automotive industry, based on biggest trends, that you can observe in terms of efficiency, safety etc. What are the products that you want to refer to the market? And what do we need to do to get to a market leadership position?“ (Interview #6, Abs. 14)
Kollektive Schemata auf Ebene der Human Integration wiederum beziehen sich auf Werte, welche das Unternehmen künftig verfolgen möchte, um eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Nachstehendes Zitat liefert ein Beispiel für eine Aussage, in welcher die Beschäftigung mit der neuen Wertekultur auf Top Management Ebene zum Ausdruck kommt:
„Der Vorstand hat sich hier tageweise, auch damals noch mit [Name der Person], und dem Gesamtvorstand beider Unternehmen zusammengesetzt und gesagt: "What do we value?" Was sind eigentlich die Werte, die für
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
171
uns in der Zukunft im Prinzip die Foundation werden für das, wie wir das Unternehmen hier aufstellen wollen? Und da kamen diese vier Werte heraus: Customer Focus, Innovation Focus, Result-Orientation, PeopleOrientation. Ja? Und die sind wichtig, die sind extrem wichtig. (...) Also, dieser Schritt, etwas zu definieren, wo wir sagen: Das schätzen wir und dann das ausgestalten, damit es über Projekt und dann auch fühlbaren Impact die Art und Weise verändert, wie Menschen miteinander arbeiten." (Interview #25, Abs. 25) Wesentlich operativer hingegen sind die Inhalte kollektiver Schemata auf Workstream Ebene. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse umfassen aufgabenbezogene Schemata auf Workstream Ebene nicht nur technologische und equipmentbezogene, sondern auch tätigkeitsbezogene Aspekte. So beschreibt und organisiert eine gemeinsame Auffassung über die Ausführung des Jobs Wissen darüber, wie die Aufgabe in Bezug auf Verfahren und Aufgabenstrategien erfüllt wird. Für technologie- und equipmentbezogene Aspekte soll an dieser Stelle beispielhaft auf das Software-Tracking Tool im Workstream Operations (Interview #5, Abs. 39), die Cloud-Services in der IT (Interview #PL3, Abs. 64) oder die Notwendigkeit eines separaten Budgets für die Systemanalyse im R&D Workstream (Interview #15, Abs. 112) verwiesen werden. Tätigkeitsbezogene Aspekte umfassen im Rahmen der vorliegenden Fallstudie bspw. die Durchführung einer strukturierten Evaluierung neuer R&D Ideen (Interview #15, Abs. 62), eine größere Marktabdeckung für den Workstream Aftermarket (Interview #9, Abs. 36), ebenso wie das gemeinsame Verständnis von Compliance und Recht als wesentlicher Businesspartner (Interview #1, Abs. 63). Im Rahmen teambezogener Veränderungen auf Workstream Ebene kann unter Zugrundelegung der Interviewergebnisse ebenfalls differenziert werden. So ist es einerseits von besonderer Relevanz, dass Mitglieder eines Workstreams eine gemeinsame Vorstellung davon haben wie das Team interagiert, bspw. im Hinblick auf Perfektion und Risikobewusstsein:
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
172
„We don’t have to always look for 100% perfection. An 80/20 solution is good enough. You don’t want to make a great enemy of good, right.“ (Interview #16, Abs. 65) „We need to be able to move a little more quickly and not be so worried about checking every little box for every single person that should be consulted“ (Interview #14, Abs. 77) Andererseits können aber auch reine Teamaspekte differenziert werden, also Informationen, die für die Mitglieder des Workstreams individuell spezifisch sind, wie z.B. die persönliche Akzeptanz für das Thema Risikofreude (Interview #PL3, Abs. 39) oder die Identifikation mit der (neuen) Managementphilosophie (Interview #9, Abs. 18; Interview #17, Abs. 50) und damit Aspekte, die ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, Einstellungen, Vorlieben, Schwächen etc. betreffen.504 Eine Übersicht kollektiver Schemata auf Workstream Ebene ist Tabelle II-18 zu entnehmen. ART Aufgabenbezogene Schemata
BEREICH Technologie Equipment Job/ Tätigkeit
Teambezogene Schemata
Team Interaktion
Teammitgliedbezogene Aspekte
Tab. II-18:
504
WORKSTREAM Operations IT R&D Aftermarket IT Sales/Market Operations Aftermarket Aftermarket R&D R&D Governance
Performance Tracking Software Cloud-Services Separates Budget der Systemanalyse Reaktionsgeschwindigkeit Governance Anteil in der IT Transparenz Performance Tracking Management Philosophie Marktabdeckung Evaluierung neuer R&D Ideen Separate Gruppe für Systemanalyse Positionierung Rechtsabteilung
INHALTE NEUER SCHEMATA
Sales/Market Sales/Market Sales/Market Operations R&D IT Operations Governance
Transparenz Reaktionsgeschwindigkeit Marktabdeckung Perfektionsanspruch Evaluierung neuer R&D Ideen Risikofreude Perfektionsanspruch „Risk appetite“
Strukturierung der kollektiven Schemata Quelle: Eigene Darstellung.
Es ist darauf zu verweisen, dass die Aspekte der Teaminteraktion und individuellen Teammitglieder nicht überschneidungsfrei sind.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
173
Diese Beispiele verdeutlichen, dass kollektive Schemata auf unterschiedlichen organisationalen Ebenen existieren und sich inhaltlich sowohl hinsichtlich der Tiefe als auch der Reichweite voneinander unterscheiden. Im Folgenden gilt es nun zu untersuchen, wie kollektive Schemata über organisationale Ebenen hinweg miteinander in Beziehung stehen und welche Rolle diesen jeweils im Hinblick auf das Outcome der Integration zukommt. Die Darstellung dieser Prozesse und Beziehungen erfolgt anhand eines Prozessmodells. II.3.3 Die Entwicklung kollektiver Schemata – ein Prozessmodell Das Modell wie es in Abb. II-12 dargestellt ist, operiert auf drei Ebenen: Top Management, Workstream-Lead505 und Workstream-Member Ebene. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine erfolgreiche Integration ein gemeinsames Verständnis über alle Ebenen der am Integrationsprozess Beteiligten hinweg erfordert. Im Hinblick auf die Entwicklung dieses gemeinsamen Verständnisses weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Akteure einem einheitlichen Prozess aus „verstehen“ und „übereinkommen“ folgen. Mit Blick auf die Gesamtintegration wird zudem deutlich, dass der Entwicklungsprozess einer Ebene mit der jeweils nachfolgenden Ebene verknüpft ist. So impliziert die Entwicklung des kollektiven Schematas einer Ebene eine Voraussetzung für die positive Entwicklung der jeweils nachfolgenden Ebene. Demzufolge schafft ein gemeinsames Verständnis auf Top Management Ebene die Grundlage für die Entwicklung eines kollektiven Schemas auf Ebene der Workstream Leads. Ein gemeinsames Verständnis der Workstream Leads wiederum schafft Potenzial für die Entwicklung eines kollektiven Schemas innerhalb des Teams. Die Rolle, die das gemeinsame Verständnis dabei im Hinblick auf das Outcome der Integration spielt, variiert entlang der verschiedenen Ebenen. 505
Obgleich kollektive Schemata für das gesamte Team gelten, d.h. sowohl für die Teammitglieder als auch die Teamleitung, wird im Rahmen der vorliegenden Studie eine Trennung der Workstreamleiter und den Mitgliedern des Workstreams vorgenommen. Begründet wird dies mit der Sonderrolle, welchen Workstreamleitern an dieser Stelle zukommt. So werden sie nicht nur von kollektiven Schemata beeinflusst, sondern können auch selbst gestaltend auf diese einwirken.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
174
Kollektives Schema Top Management beeinflusst Richtung
schafft Voraussetzung
Controlling
Kollektives Schema Workstream Leads schafft Voraussetzung
treibt
HUMAN
INTEGRATION OUTCOME
TASK
Kollektives Schema Workstream gestaltet
Legende: Abb. II-12:
Standortbestimmung
Big Picture
Synthese
Der Entwicklungsprozess kollektiver Schemata Quelle: Eigene Darstellung.
Im Folgenden soll zunächst auf den auf lokaler Ebene stattfindenden Entwicklungsprozess kollektiver Schemata aus „Standortbestimmung“, „Big Picture“ und „Synthese“ eingegangen werden (a). Es handelt sich dabei um einen Prozess, der auf allen Ebenen der Organisation beobachtet werden kann. In einem darauffolgenden Schritt wird sodann untersucht, wie dieser Prozess über die organisationalen Ebenen hinweg miteinander in Beziehung steht und welche Rolle diesem jeweils im Hinblick auf das Outcome der Integration zukommt (b). Für die Erläuterung dieser Interaktion wird ein zweistufiger Ansatz verfolgt. So werden in einem ersten Schritt ausschließlich Beispiele verwendet, welche die positiven Dynamiken des Modells beschreiben, bevor in einem zweiten Schritt sodann negative Dynamiken aufgezeigt werden, die mit einem Mangel an Alignment in Verbindung gebracht werden können (c). Diese Vorgehensweise gründet auf der Überzeugung, dass das Aufzeigen und Gegenüberstellen eines positiven wie negativen Beispiels zu einer Stärkung des zugrundeliegenden Konstrukts führt.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
175
(a) Die Entwicklung kollektiver Schemata auf lokaler Ebene Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Schema konnten insbesondere zwei zentrale Prozesse identifiziert werden: (i) „verstehen“ und (ii) „übereinkommen“, die aus den Konstrukten „Standortbestimmung“, „Big Picture“ und „Synthese“ hervorgehen (vgl. Abb. II-13). Mit Bezug auf die Ergebnisse des vorangehenden Kapitels (II.3.2) differieren die den Prozessen zugrundeliegenden strategischen Fragestellungen dabei je nach Ebene der Organisation im Hinblick auf Tiefe und Reichweite. An dieser Stelle ist ebenso darauf zu verweisen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Konstrukten, insbesondere auf Ebene des Top Managements, fließenden Charakter aufweisen.
Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis
STANDORTBESTIMMUNG
Abb. II-13:
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Übereinkunft
BIG PICTURE
SYNTHESE
Die Entwicklung kollektiver Schemata auf lokaler Ebene Quelle: Eigene Darstellung.
(i) Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten darauf hin, dass der erste Schritt in dem Prozess der Entwicklung eines kollektiven Schemas mit einer „Standortbestimmung“, also einer Gegenüberstellung der Arbeits- und Vorgehensweisen beider Trans-
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
176
aktionspartner beginnt.506 In der Beantwortung der Frage: „Wer hat denn wo was?“ (Interview #5, Abs. 60), werden im Rahmen dieses Lernprozesses zunächst einmal „alle Zahlen, Daten, und Fakten“ offen gelegt.507 Es erfolgt ein Austausch über jeweils geplante Aufwendungen und inhaltliche Planungen (vgl. Zitat 1.3 in Tab. III-12), um über eine Analyse und einen Vergleich die Unterschiede in den jeweiligen Vorgehensund Arbeitsweisen zu erfassen und zu verstehen (vgl. Zitat 1.4). Die Fortentwicklung dieses ersten Schritts der „Standortbestimmung“ in Richtung eines gemeinsamen Erarbeitens eines zukünftigen Zielbildes („Big Pictures“) geht aus zahlreichen Interviewaussagen hervor, welche sich, in der Beantwortung der Frage: „Wo wollen wir hin?“, insbesondere auf folgende Fragestellungen zurückführen lassen:
Wie arbeitet man zusammen? (#23, Abs. 112)
Wo gibt es Bedarf, Notwendigkeit, Potentiale? (#23, Abs. 50)
Mit welchen Themen wollen wir uns wann beschäftigen? (#5, Abs. 97)
So werden, auf Basis der vorgelagerten Standortbestimmung, gemeinsam neue Ideen generiert (vgl. Zitat 1.7 in Tab. II-19), Chancen und Risiken identifiziert (vgl. Zitat 1.6) und Synergiepotentiale erhoben, um diese schließlich in Richtung eines gemeinsamen Zielbildes zu führen und zeitlich zu fixieren (vgl. Zitat 1.9). Tabelle II-19 fasst repräsentative Aussagen der Interviewpartner überblickartig zusammen.
506
Das Konzept der Standortbestimmung wurde aus der Zusammenführung zweier First-OrderConcepts abgeleitet: (1) Identifikation organisationaler Praktiken, Methoden und Tools und (2) Analyse und Vergleich. 507 Vgl. Interview #23, Abs. 61.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Konzept Standortbestimmung
Nr. 1.1 1.2
1.3
1.4
Big Picture
1.5
1.6
1.7 1.8
1.9
Tab. II-19:
177
Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis – beispielhafte Zitate „Und dann hat man geguckt, wer hat denn wo was?“ (#5, Abs. 60) „Und dann hat man sich direkt danach getroffen, zum ersten Mal und hat sich erstmal die Themen hingelegt und hat gesagt, "das machen wir, das macht ihr, so, welche Kunden haben wir?“ (#17, Abs. 30) „Da sind erst mal alle Zahlen, Daten, Fakten auch auf den Tisch gelegt worden: Wo stehen wir, wie weit ist der Prozess, welche Aufwendungen sind auf beiden Seiten geplant, was ist inhaltlich geplant?“ (#23, Abs. 61) „Sondern wir müssen verstehen, wie managt TRW das Business und wie managt ZF Legacy, wenn man so will, das Business. Und dann kann man es ganz konkret machen, dass man sagt, wie sehen die Planungsprozesse aus.“ (#11, Abs. 84) „Um dann halt auch zu schauen, wo gibt es eigentlich Bedarf, Notwendigkeit, Potentiale, (...) wo sind auf der prozessualen und organisatorischen Seite Notwendigkeiten, was zu verändern?“ (#23, Abs. 50) „Trying to work out where our common customers were, thinking about the risks that we might have from those customers because of the merger and how we should deal with that on day one; and other opportunities we might have for quick wins or synergy as a result of the merger.“ (#9, Abs. 26) „Going through this process, we were brainstorming and creating ideas jointly.“ (#15, Abs. 48) „Und dann kam, sage ich mal, noch als weiterer Punkt zu schauen, okay, wie arbeitet man zusammen, das ist dann unter dem Stichwort „big picture“ zusammengefasst worden (...).“ (#23, Abs. 112) „Wir haben ja in den ersten Wochen, Monaten unserer Arbeit in dem Workstream, haben wir ja eine entsprechende, ich sage mal, Grobplanung gemacht, mit welchen Themen wollen wir uns auf der Zeitschiene wann beschäftigen?“ (#5, Abs. 97)
Beispielhafte Zitate der Standortbestimmung und des Big Pictures Quelle: Eigene Darstellung. (Hervorhebungen durch den Autor)
Der Rückschluss auf die Konzepte „Standortbestimmung“, „Big Picture“ und „Synthese“ erfolgt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Entwicklung eines gemeinsamen Schemas nicht lediglich ein gemeinsames Verständnis für die Prozesse und Handlungsweisen des jeweiligen anderen voraussetzt, sondern vielmehr Akzeptanz und gegenseitige Übereinkunft erfordert. So erfolgt die Entwicklung eines gemeinsamen Schemas, den Ergebnissen zufolge, nicht durch einfache Akkumulation, vielmehr muss über die vorgeschlagene Lösung Einigkeit erzielt werden. Hierbei spielen, vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Perspektiven, Spannungen und kontroverse Diskussionen eine zentrale Rolle, welche im nachfolgenden Abschnitt näher ausgeführt werden sollen.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
178
(ii) Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Übereinkunft: Die Tatsache, dass sich die Akteure auf Basis ihres urprünglichen Schemata in ihren Ansichten unterscheiden und die Situation aus einer anderen Perspektive heraus betrachten, ruft, einer Reihe von Interviewaussagen folgend, nicht selten Konfrontation (vgl. Zitat 1.3 in Tab. II-20) und mangelnde Kompromissbereitschaft (vgl. Zitat 1.7) hervor. Dies kann zu einem offenen Streit zwischen den Koalitionen führen, indem die beiden Parteien ihre Systeme und Methoden zu verteidigen versuchen (vgl. Zitat 1.4): „Also das sind Diskussionen und dann werden Statements ausgetauscht, jeder hat natürlich, denke ich mal, weil er lange an seinem Bild gearbeitet hat, die Überzeugung, dass das etwas ist, was sich zu verteidigen lohnt. Das muss natürlich dann erstmal postuliert werden.“ (Interview #17, Abs. 20) Ferner kann dies aber auch in Form eines politischen Machtkampfes vonstattengehen, im Rahmen derer unterschiedliche Verhandlungstaktiken herangezogen werden um den Prozess der gemeinsamen Zielbildung zu verhindern (vgl. Zitat 1.6): „People try to make it a bit more mysterious and that you can’t touch this because it has to work in a certain way“ (Interview #9, Abs. 20) So kann der Schritt „zu einer gemeinsamen Übereinkunft“ als Spannungs- oder Konfrontationsprozess verstanden werden, welcher aus einer gemeinsamen Interaktion heraus in eine „Synthese“ mündet. Dies geht aus einer Vielzahl an Interviewaussagen hervor.508 Dem konfrontativen Prozesscharakter zufolge sind die jeweiligen Perspektiven sowie die Gruppen, die diese unterschiedlichen Perspektiven vertreten, konfliktbehaftet. Die Bewerkstelligung dieses Prozesses beruht dabei nicht unmerklich auf der Macht der unterschiedlichen Gruppen, ihre jeweilige Perspektive zu vertreten. Tabelle II-20 fasst zentrale Aussagen der Interviewpartner noch einmal zusammen.
508
Vgl. bspw. Interview #5, Abs. 54; Interview #7, Abs. 60; Interview #1, Abs. 71.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
Konzept Konfrontation
Nr. 1.1 1.2
1.3
1.4
1.6 1.7
Synthese
1.6
1.7 1.8
Tab. II-20:
179
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Übereinkunft - Beispielhafte Zitate „Also da gab es schon kontroverse Diskussionen, klar, weil man auch einfach unterschiedliche Erlebniswelten zusammengebracht hat.“ (Interview #1, Abs. 53) „(...) a kind of a competition between the Legacy people and the TRW people to try to impose their standards, and impose their views of doing stuff.“ (Interview #6, Abs. 126) „Der eine sagt: „Es muss zentral laufen, sonst kriege ich es nicht gesteuert“. Der andere sagt: „Wenn ich es nicht dezentral mache, habe ich den Bias von den Divisionen nicht und kriege es auch nicht gesteuert“.“ (Interview #3, Abs. 166) „Also das sind Diskussionen und dann werden Statements ausgetauscht, jeder hat natürlich, denke ich mal, weil er lange an seinem Bild gearbeitet hat, die Überzeugung, dass das etwas ist, was sich zu verteidigen lohnt. Das muss natürlich dann erstmal postuliert werden.“ (#17, Abs. 20) „People try to make it a bit more mysterious and that you can’t touch this because it has to work in a certain way“ (#9, Abs. 20) „(...) mein System ist das Bessere, darum will ich mich jetzt nicht zu einem Kompromiss committen. Und dann werden wir über den Contest-of-System schon herausfinden, wer das bessere ist.“ (#2, Abs. 28) „Also angefangen von der Farbgebung von bestimmten Themen, von bestimmten Dingen, Bodenmarkierungen oder was auch immer, wo ZF TRW keinen wirklichen Standard hatte und wir auch nicht, den haben wir dann gemeinsam entwickelt und verabschiedet.“ (Interview #5, Abs. 54) „(...) und dann eine gemeinsame Meinung zu den offenen Fragepunkten entwickelt.“ (Interview #7, Abs. 60) „am Ende des Tages haben [Person X] als mein Counterpart bei ZF TRW und ich zum gemeinsamen Ergebnis gefunden und zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass das der richtige Ansatz ist. Und ich glaube, bei solchen Entscheidungen in so einer Phase eines Integrationsprojektes, zumindest wenn Sie in die Integration unter den Vorzeichen betrieben wird, wie wir es hier gemacht haben, ja, dann können Sie so etwas nur gemeinsam lösen.“ (Interview #1, Abs. 71)
Beispielhafte Zitate der Konfrontation und Synthese Quelle: Eigene Darstellung.
Nachdem der Prozess der Entwicklung kollektiver Schemata auf lokaler Ebene herausgearbeitet wurde, gilt es nun zu untersuchen, wie diese Prozesse über organisationale Ebenen hinweg miteinander in Beziehung stehen und welche Rolle diesen jeweils im Hinblick auf das Outcome der Integration zukommt. (b) Die Interaktion und Rolle kollektiver Schemata Einem Top-Down Prozess folgend wird dabei zunächst auf die Beziehung zwischen Top Management und Workstream Lead eingegangen (i), bevor auf die Beziehung zwischen Workstream Lead (ii) und Workstream Member (iii) Bezug genommen wird.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
180
Neben der Identifikation der Interaktion wird dabei ferner die Rolle, welche kollektive Schemata im Hinblick auf das Outcome der Integration einnehmen, herausgearbeitet.
(i) Die Interaktion zwischen Top Management und Workstream Lead: Die Interviewergebnisse deuten darauf hin, dass ein gemeinsames Verständnis des Top Managements die Grundlage für eine erfolgreiche Fortentwicklung der Integration impliziert: „Der Erfolgsfaktor ist, dass das erworbene Unternehmen, die Leitung des erworbenen Unternehmens und des kaufenden Unternehmens Zielkongruenz haben, wie denn der Zustand nach der Integration aussehen soll.“ (Interview #2, Abs. 6) „Hier gilt, von Anfang an Alignment, und das ist ganz entscheidend, dass das Top-Team, das so einen Laden führt, sich auch im Detail einig ist.“ (Interview #2, Abs. 28)
Aus Sicht des Verfassers liefert dieses gemeinsame Verständnis des Top Managements auf Task und Human Ebene die Grundlage für die Entwicklung eines kollektiven Verständnisses der Workstream Leads, indem es Orientierung und Richtungsweisung für die nachfolgenden Prozesse gibt. Der Rückschluss auf diese Abhängigkeit geht aus zahlreichen Interviewaussagen hervor:509 „Und da kommt es natürlich ganz extrem darauf an, was Sie für ein Signal aus dem Vorstand bekommen, ja. Und welche Signale da gesendet werden. Die Signale waren klar, wir wollen uns in vielen Bereichen hinterfragen. Wir wollen besser werden, wir wollen schneller werden, wir wollen profitabler werden und wenn Sie so ein Signal bekommen, dann, wie gesagt, hinterfragen Sie die Prozesse wie die geändert werden können, damit Sie in diese Richtung besser steuern können, ja.“ (Interview #1, Abs. 53)
509
Die Hervorhebungen in den Zitaten erfolgten durch den Autor.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
181
„Beim Aftermarket gab es eine klare Vorstandsentscheidung und dann einen Auftrag. Und dadurch war das Diskutieren beendet und damit waren die Rahmenbedingungen gesetzt und damit haben alle in die gleiche Richtung gearbeitet.“ (Interview #7, Abs. 123) „Also muss man sich ein bisschen leiten lassen von dem, was das Management will. Und da haben wir ja ein paar, vier Pillars gesetzt. Und die haben wir auch ein bisschen ausgestaltet. Und an denen kann man sich dann schon entlanghangeln.“ (Interview #11, Abs. 111) „Beispielsweise Result Orientation und so weiter. Und wenn man sich dann die Prozesse anguckt und sagt, okay, welcher Prozess passt denn jetzt besser in diese Logik rein, dann kriegt man eine Orientierung.“ (Interview #11, Abs. 109) „The Board started to get together, in terms of defining: How we’re going to run this company, in terms of function, centralise/decentralise; What decisions to be made where, etc. And then the team took that on eventually, and tried to build some organisation and some processes that reflects this general direction given by the Board.“ (Interview #6, Abs. 60) So liefern bspw. Entscheidungen über die strategische Positionierung, Prozesse und Strukturen eine Orientierung für die Task Integration der Workstream Leads. Analog dazu impliziert eine gemeinsame Übereinkunft hinsichtlich der kulturellen Entwicklung der Organisation eine Orientierung für die Ausgestaltung der Human Integration. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Rolle, welcher der Entwicklung kollektiver Schemata auf Top Management Ebene im Hinblick auf das Outcome der Integration zukommt als richtungsweisend identifizieren. Der Rückschluss auf die richtungsweisende Rolle des Top Managements kann zudem über das Amt des „Controlling“ begründet werden, im Rahmen dessen die auf Workstream Lead und Team Ebene erarbeiteten Zielbilder und Konzepte über inhaltliche Prüfung, Abstimmung und Beschlussfassung durch das Top Management freigegeben werden müssen.510 So hat das Top Management der Organisation Einfluss darauf, ob
510
Vgl. bspw. Interview #24, Abs. 56.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
182
und welche Veränderungen und Maßnahmen in den Schemata zum Ausdruck kommen und begründet damit letztendlich die Fortentwicklung der Integration.511 (ii) Die Interaktion zwischen Workstream Lead und Workstream Members: Analog zu der Beziehung zwischen Top Management und Workstream Lead, bildet auch hier ein gemeinsames Verständnis der Führungskräfte die Grundlage für eine erfolgreiche Fortentwicklung der Integration: „wenn die Integration unter den Vorzeichen betrieben wird, wie wir es hier gemacht haben, ja, dann können Sie so etwas nur gemeinsam lösen. Da ist es dann ganz gut, wenn man jemanden hat, der dort, ich sage einmal, die grundsätzlich gleichen Koordinaten hat in der Überzeugung wie man seine Arbeit organisiert, was man rechtlich tun kann oder nicht tun kann.“ (Interview #1, Abs. 71) „Was ein Riesenvorteil war, mein Counterpart ist die [Name der Person] gewesen in diesem Sub-Workstream, die habe ich sehr schätzen gelernt, als jemand, die auch sich die Sachen gut anhört und wirklich an einer gemeinsamen Lösung interessiert ist, und wo ich auch den Eindruck hatte, viel stärker sach-, faktenorientiert geguckt, was braucht das Unternehmen. Und von der Seite sehr geholfen hat, dass es dann weitergegangen ist, dass wir dann Lösungen mit gefunden haben. (...) Und damit eigentlich auch den Weg bereiten konnten, dass es dann im Endeffekt als gemeinsames Projekt läuft und auch so entschieden wurde.“ (Interview #23, Abs. 74 + 76) „Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass man einfach ein gemeinsames Verständnis braucht innerhalb der betreffenden Kollegen, damit man einfach auch gemeinsam zielführend zusammenarbeitet.“ (Interview #P3, Abs. 66) Entsprechend der Beziehung zwischen Top Management und Workstream Lead geht auch hier aus einer Reihe von Zitaten hervor, dass das kollektive Schema der Workstream Leads eine Basis für die nachfolgenden Prozesse auf Team Ebene liefert, indem
511
Vgl. bspw. Interview #5, Abs. 52; Interview #11, Abs. 70; Interview #22, Abs. 88; Interview #24, Abs. 56.
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ein gewisser Rahmen („guardrails“) für die Ausgestaltung der Prozesse und Strukturen sowie der Zusammenarbeit geschaffen wird:
„Guardrails. Wenn die stehen, dann kann ich ja auch ein Team daransetzen, und sagen, arbeitet das mal aus. Setzt mal die Jobs-Specifications dahinter, wie arbeiten die verschiedenen Bereiche zusammen? Das ist dann sehr handwerkliches Tun.“ (Interview #2, Abs. 104) „Da müssen Sie sagen, das sieht so aus, und ihr könnt jetzt noch die Schattierung bestimmen. Es ist blau, und ihr könnt jetzt noch bestimmen, wie blau es ist.“ (Interview #2, Abs. 104) „The way we tried to do it is we said okay, this is our top-level blueprint of the organisation. [Name der Person] and I could have quite easily gone into a room and sat down and drawn out some pieces of paper with an organisation structure and come out and said there you are and thats it but we didn’t do that. What we wanted to do was to identify the Head of Independent Aftermarket and asked them how they wanted to structure it and then if you have four zones, lets deside who the head of the zones are and then we need to ask them to come up with a zone structure to manage the business we would be expecting them to manage. It is a good way to do it in the sense you get involvement from the team.“ (Interview #9, Abs. 62) So kommt im Hinblick auf das Outcome der Integration dem gemeinsamen Verständnis des mittleren Managements eine lenkende bzw. orientierungsgebene Rolle für die Integrationsaktivitäten innerhalb der Workstreams zu. Indem die Workstreams mit der Auseinandersetzung konkreter Lösungsansätze für spezifische Aufgaben betraut sind, unterliegt dem Workstream Team demgegenüber eine vielmehr gestaltende Rolle (innerhalb der definierten Leitplanken). Diese umfasst die Ausgestaltung der Task Integration im Hinblick auf die Definition spezifischer Prozessverläufe, Tool- und Softwareentscheidungen, als auch der Human Integration im Hinblick auf Teaminteraktivitäten, welche u.a. die Ziele der Zusammenarbeit, die Interaktion oder das Commitment betreffen. Eine ausführliche Darstellung dieser Ausgestaltung erfolgte bereits in Kapitel II.3.2.
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(c) Negative Dynamiken des Prozessmodells Dem positiven Prozessverlauf soll nun ein negatives Beispiel gegenübergestellt werden. Die Intention dieser Vorgehensweise besteht darin, durch die Gegenüberstellung gegensätzlicher Prozessverläufe das Verständnis für das zugrundeliegende Konstrukt zu stärken. Bei dem Fallbeispiel handelt es sich um die Integration des Workstreams „Sales/Market“, im Rahmen derer die Auswirkungen einer fehlenden Verständnisbasis beobachtet werden konnte. So belegt nachstehendes Zitat, dass fehlendes Alignment auf Top Management Ebene im Hinblick auf die Frage: „zentrale vs. dezentrale Vertriebsstruktur?“ im Workstream Sales/Market dazu geführt hat, dass keine Entscheidung getroffen, sondern vielmehr zwei Vertriebssysteme parallel geführt wurden: „Auf der Seite Vertrieb, da lassen wir es mal offen, lassen zwei Systeme parallel laufen. Ich als zuständiger [Funktion der Person] bin schon mal überzeugt, mein System ist das Bessere, darum will ich mich jetzt nicht zu einem Kompromiss committen. Und dann werden wir über den Contest-ofSystem schon herausfinden, wer das bessere ist.“ (Interview #2, Abs. 16)
Anstelle von kultureller und struktureller Annäherung findet sich vielmehr eine Reihe von Interviewaussagen, die darauf hindeuten, dass sich die beiden Positionen im Verlauf des Integrationsprozesses verfahren haben und ein „sich gegenseitig die Türen aufmachen“ nicht erfolgt ist.
„Es wurde ja auch [...] sehr bewusst gesagt, wir kommen nicht zusammen, es gibt keine Treffen, weil er wollte beweisen, dass sein System besser funktioniert als das ZF-System. Und das ist richtig in die Hose gegangen.“ (Interview #2, Abs. 66)
Diese Konfliktsituation auf Ebene des Top Managements hatte sowohl im Hinblick auf die Task als auch die Human Integration Auswirkungen auf die Arbeit der Workstream Leiter. So hat das Ausbleiben einer einheitlichen und konsequenten Richtungsweisung (task) dazu geführt, dass die Workstream Leads ebenfalls nicht zu einem gemeinsamen
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Verständnis gekommen sind. Anstelle der Entwicklung eines gemeinsamen Konzeptes wurden zwei jeweils voneinander unabhängige Konzepte für die Integration des Vertriebs erarbeitet: „Da gibt es ein Konzept, welches [Funktion der Person] von TRW in der Schublade hat, das ist sein Modell. Und dann gibt es das ZF-Modell, was deutlich dezentraler ist. Und der Herr [Name der Person] sagt, es gibt nur mein Modell. Und die ZF sagt, das macht aber bei uns keinen Sinn. Und er sagt, das mag schon sein, ich bin seit 40 Jahren in dem Geschäft, ich habe alles gesehen, fragt mich. Nur dieses Modell ist aus meiner Berufserfahrung erfolgreich. Und ich mache jetzt auch keine Kompromisse, [...]. Und die ZF sagt, das wird aber nicht fliegen.“ (Interview #2, Abs. 66)
Gleichzeitig konnte, den Analysen des Forschers zufolge, auch zwischenmenschlich keine Annäherung erzielt werden. Anstelle von Zusammenarbeit und Vertrauen sind infolge von „Alleingängen“ vielmehr Konflikte und interne Rivalität entstanden, wie nachstehendes Zitat verdeutlicht: „Es gibt einen, der ist für den [Accountbezeichnung] zuständig. Der versucht dann bei der ZF, über seinen ihm bekannten Durchgriff, den er in seinem Haus hat, hier Geschäft zu steuern. Der läuft natürlich in den größten Konflikt, den man sich vorstellen kann. Weil die Business-Unit-Leiter erklären ihm, dass er nichts zu sagen hat.“ (Interview #2, Abs. 24) Die Spannungen zwischen dem Top Management sowie den Workstream Leitern hat sich ebenfalls auf die Mitglieder des Workstreams übertragen. Dies wurde insbesondere dadurch verstärkt, dass innerhalb des Leadership Teams keine einheitliche Führung erfolgte. So haben die Mitglieder des Workstreams anstelle einer einheitlichen Richtungsweisung vielmehr divergierende Anweisungen erhalten und unterlagen regelrecht Beeinflussungsversuchen durch ihre Vorgesetzten: „Die sind ja gebrieft von ihren Chefs, und denen wird ja dann auch versprochen, wenn du mir hilfst, das durchzukriegen, dann kriegst du auch den Job. Dann bist du der hier führt.“ (Interview #2, Abs. 70)
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Dies führte, den Interviewaussagen folgend, nicht nur zu einer Verstärkung der kulturellen Konflikte (us vs. them) und damit einhergehend zu einer Behinderung der Zusammenarbeit, sondern vielmehr zu fehlender Sachlichkeit und Neutralität in Dialogen und Diskussionen, wie nachstehendes Zitat belegt: „Also es menschelt sehr in diesem Prozess. Da redet man nicht mehr über Produkte, sondern da redet man dann um Grades, um Power. Und das kann ich nur von oben steuern. Die Diskussion muss ich sofort rausnehmen, und sagen, es gibt einen Weg.“ (Interview #2, Abs. 70)
Die Folge des fehlenden Alignments von Top Management und Workstream Leads führte schlussendlich zu Widerstand und Abwehr und damit zu Stagnation in der Entwicklung der Integration: „Und dann haben wir die Situation, dass Dinge eben über Wochen nicht gelöst werden. Die fangen an zu blockieren. Und dann haben wir Blocking und Tackling. Wie beim Rugby auf dem Platz und das bringt uns keinen Euro mehr Umsatz. Hätten wir von Anfang an gesagt, das eine oder andere Modell, dann wäre das relativ klar gewesen. Wären wir auch schneller.“ (Interview #2, Abs. 24) Die Ergebnisse zeigen, dass zur Steuerung eines komplexen und dynamischen Prozesses wie der einer Post Merger Integration ein gemeinsames Verständnis über alle Ebenen der am Integrationsprozess Beteiligten hinweg von grundlegender Bedeutung ist. Ein kollektives Schema an sich impliziert jedoch noch keine erfolgreiche Integration. Vielmehr bedarf eine effektive Human und Task Integration aktives Involvement durch das Management (siehe nachfolgendes Kapitel II.3.4).
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
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II.3.4 Der Einfluss kollektiver Schemata auf den Integrationserfolg Im Hinblick auf den Erfolg der Integration weisen zahlreiche Interviewaussagen darauf hin, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend auch eine erfolgreiche Integration impliziert. Vielmehr geht aus einer Reihe von Interviewaussagen hervor, dass eine effektive Task und Human Integration die Unterstützung des Managements erfordert. So wird deutlich, dass die Workstreamleiter in einem kontinuierlichen Prozess des Überzeugens, Herausforderns und Zurückdrängens insbesondere auf die Haltungen und Einstellungen der Teammitglieder Einfluss nehmen mussten, um erfolgreiche Entscheidungen sowie eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Hinblick auf die Integration zu ermöglichen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass vorherrschende Einstellungen und Haltungen der Mitglieder eines Workstreams im Kontext von Unsicherheit und Ambiguität (vgl. Kapitel II.3.1 (a) + (d)) nicht selten einer neutralen und sachlichen Perspektive im Wege stand. So kommt dem Management aus der Sicht des Verfassers nicht lediglich eine orientierungsgebende, sondern vielmehr auch eine treibende Rolle zu. Abb. II-21 fasst repräsentative Aussagen im Kontext der Task Integration zusammen. Konzept Berücksichtigung sämtlicher Optionen
Best for Business
Nr. 1.1
1.2 1.3 1.4 1.5
Veränderungsbereitschaft
Tab. II-21:
1.6 1.7 1.8
Leadership – TASK INTEGRATION „constantly you had to challenge the team to say, “Do you think that’s the only option? What are all the options that we have? Forget about who is making the decision and let’s list all of the options and let’s list the pros and cons of each of the options and the cost of each of the options”“ (#16, Abs. 65) „we had to really force the team to look at all the options.“ (#16, Abs. 65) „you had to really take the team through a very structured thinking process.“ (ebd) „when challenged, even the technical teams can come up with an optimal solution for the company.“ (#16, Abs. 65) „that was also an important message to the organisation in the first place that we really do mean the best of both and look for the best out of both organisations (...).“ (#9, Abs. 60) „Sie müssen die Leute überzeugen von ausgetretenen Pfaden abzuweichen.“ (#1, 22) „da gibt es eben dann ganz andere Überzeugungsarbeit zu leisten auch“ (#1, 90) „Sie müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die daran arbeiten, in der Lage sind, so dieses mein, dein und haben wir schon immer so gemacht und hat noch nie funktioniert und das haben wir doch schon vor fünf Jahren so gemacht, dass man das mal außen vorlässt und sich wirklich sachlich um die Themen kümmert, gemeinsam, und akzeptiert, dass der Andere auch nicht dumm ist (...).“ (#5, Abs. 109) Repräsentative Interviewaussagen – Task Integration Quelle: Eigene Darstellung.
TEIL II:
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188
Aus den Interviewaussagen geht hervor, dass ein strukturiertes Leiten der Denkprozesse durch die Workstream Leiter zu einer positiven Beeinflussung der Denk- und Handlungsweisen der Team Mitglieder geführt hat. Zitat 1.1 und Zitat 1.2 (Tab. II-21) veranschaulichen bspw. die Aufforderung der Workstream Leads bei einer Entscheidungsfindung sämtliche Optionen zu berücksichtigen. Ebenso liefern Zitate 1.4 und 1.5 einen Nachweis dafür, dass die Qualität der Ergebnisse durch die Einflussnahme des Managements einer potentiellen Verbesserung unterliegt, in dem „Best for Business“ anstelle von „my way“ die Entscheidungsgrundlage impliziert. Darüber hinaus ermöglicht die aktive Beteiligung des Managements eine sachliche und neutrale Bearbeitung der Themen wie Zitat 1.8 verdeutlicht. Diese treibende Rolle der Workstream Leads wird auch im Hinblick auf eine erfolgreiche Human Integration in zahlreichen Interviewaussagen deutlich (vgl. Abb. II-22). So konnten im Rahmen der Datenanalyse insbesondere drei Anstrengungen durch die Workstream Leads identifiziert werden, die einen positiven Einfluss auf die Ergebnisse der Human Integration verüben: Problemerkennung und –lösung In Beziehungsebene bringen Kommunikationsplattformen schaffen So zeigen bspw. Zitat 1.1 und Zitat 1.3 (Tab. II-22), sowie eine Reihe weitere Interviewaussagen (vgl. Zitat 1.2, 1.4), dass eine aktive Problemerkennung und –lösung internen Konflikten vorbeugt und den Grundstein für eine gute Zusammenarbeit legt. Darüber hinaus deutet Zitat 1.7 darauf hin, dass die Aktivität der Workstream Leads, die Menschen in eine persönliche Beziehungsebene zu bringen, für das gegenseitige Kennenlernen und gegenseitige Verständnis von essentieller Wichtigkeit ist. Ebenso bereitet die Schaffung von Kommunikationsplattformen eine Basis für die Entwicklung eines starken Vertrauensverhältnisses zwischen den einzelnen Teammitgliedern
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
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und beeinflusst dadurch bspw. die Haltungen im Hinblick auf den Informationsaustausch.
Konzept Problemerkennung & -lösung
Nr. 1.1
1.2 1.3 1.4 BeziehungsEbene
1.5
1.6 1.7
Schaffen von Kommunikationsplattformen
1.9
2.0 2.1
Tab. II-22:
Leadership – HUMAN INTEGRATION „wirklich auch die, die dann eine Führungsrolle übernehmen in der Organisation, wirklich stetig ein Ohr an ihrer Mannschaft haben und gucken, wo Probleme aufkommen oder wo Unverständnisse sind oder einfach Nichtwissen vorhanden ist und das versuchen, zu korrigieren.“ (#7, Abs. 131) „es liegt an uns dann also als Führungskräfte, dass man bestimmte Steine schnell aus dem Weg räumt, bevor sich die Organisation zerfleischt.“ (#11, Abs. 132) „Wann immer wir gemerkt haben, dass dann Kritisches hochkam, haben wir versucht, uns damit auseinander zu setzen (#13, Abs. 65) „wir haben unsere Zusammenarbeit über die Monate seit dem Closing organisiert, haben darauf geachtet, dass eben keine Friktionen entstehen (...).“ (#1, Abs. 59) „die beiden Leadership teams haben wir dann mal, im Sommer letzten Jahres schon mal, in eine gemeinsame Video- und Telefonkonferenz gebracht. Wo sich jeder vorgestellt hat.“ (#13, Abs. 65) „wir haben dann schon, sagen wir mal, die Menschen versucht, mal in eine persönliche Beziehungsebene zu bringen.“ (#13, Abs. 65) „Für unseren Workstream waren diese Reisen wichtig, um auch das Verständnis für die Art und Weise, wie in der Produktion geführt wird, (...) kennenzulernen und den anderen zu verstehen. Auch zu verstehen, dass wir gar nicht so weit entfernt voneinander sind, mit dem, was wir wollen.“ (#5, Abs. 52) „Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass Leute sich artikulieren dürfen, dass ich Raum gebe, dass ich frage, dass ich zuhöre, dass ich eher mit Fragen komme, gerade in dieser Integrationsphase, als mit Antworten zu kommen.“ (#4, Abs. 18) „You really do have to devote a huge amount of time and energy to communication.“ (#9, Abs. 44) „Treating employees well and having respect for them is communicating with them openly and having the courage to give them the bad news or take a hard position when you need to do that. Not to be much more fluffy (...).“ (#9, Abs. 64)
Repräsentative Interviewaussagen – Human Integration Quelle: Eigene Darstellung.
Die Argumentation, dass eine effektive Task und Human Integration die Unterstützung des Managements erfordert, geht ebenfalls aus der skalenbasierten Beurteilung der Interviewpartner hervor. So wurden die Interviewpartner gebeten, den Erfolg ihres Workstreams auf einer Skala von eins bis zehn mit „1 = nicht erfolgreich“ und „10 = sehr erfolgreich“ zu beurteilen. Tab. II-23 liefert einen Überblick über die Evaluierungsergebnisse der untersuchten Workstreams. Vor dem Hintergrund der Integrati-
TEIL II:
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190
onsstrategie gebildeten Workstream Tandems liegen der Untersuchung Evaluierungsergebnisse jeweils beider Workstream Leiter vor (EV1 und EV2).
EV1 EV2 EV Ø Tab. II-23:
Aftermarket 8 7 7,5
IT 8 N/A 8
Legal 8 8 8
Operations 5-6 6-7 6
R&D 7-8 6 6,75
Sales/Market 5 4 4,5
Evaluierung des Workstream-Erfolgs Quelle: Eigene Darstellung.
Eine Untersuchung des Prozessverlaufs der Integration entlang einer jeden Analyseeinheit hat gezeigt, dass Workstreamleiter mit positiven, (weitgehend) konfliktfreien Prozesselementen wie bspw. IT und Legal ihren Workstream erfolgreicher beurteilen im Vergleich zu Workstreamleitern, die auf (ungelöste) Reibung, Widerstand oder geringe Kompromissbereitschaft im Rahmen der Zuammenführung verweisen. So liegen bspw. Sales und Market mit einer Erfolgsbeurteilung von durchschnittlich 4,5 weit hinter den Beurteilungen der anderen untersuchten Analyseeinheiten zurück. Ebenso verweist auch Operations mit einer Beurteilung von 6 auf Schwierigkeiten im Rahmen der Zusammenführung bisheriger Schemata, einhergehend mit mangelnder Bereitschaft der Veränderung, Transparenz und Verwurzelung. Untersucht man die Aktivität des Managements in den jeweiligen Prozessverläufen, geht hervor, dass ausbleibende bzw. geringe Konflikte mitunter auf das Involvement des Managements zurückgeführt werden können. Tabelle II-24 veranschaulicht beispielhaft zentrale Elemente des Prozessverlaufs der einzelnen Workstreams und stellt diese dem Involvement des Managements gegenüber.
Tab. II-24:
Performance Evaluation der Workstreams Quelle: Eigene Darstellung.
Workstream Elemente des Prozessverlaufs Aftermarket „There was a meeting of minds and we were pretty much agreed“ (#9, Abs. 28) „People agree and understand and are ready to work” (#9, 60) „die Workstream members waren dabei und haben mitgestaltet” (#17, Abs. 58) IT „Very structured thinking process” (#16, Abs. 65) „Es gelingt, [eine] Synthese herbeizuführen“ (#13, Abs. 145) „Wir konnten bisher alles leisten, was notwendig war und darüber hinaus auch Innovationspotenziale erschließen, Kostensenkungspotenziale adressieren“ (ebd) „Es gab dann schon immer auch schon Krisen, also wo man dann wieder erst mal schauen muss, was passiert.“ (#13, Abs. 65) Legal „[wir haben] zum gemeinsamen Ergebnis gefunden und [sind| zu der gemeinsamen Auffassung gelangt” (#1, Abs. 71) „im Legal-Bereich sind wir sehr weit mit einem sehr guten Grundverständnis” (#1, Abs. 88) Operations „a lot less willingness to do things different” (#14, Abs. 91) „a harder evolution of sharing ideas” (ebd.) „a little more entrenchment” (ebd.) „we talked but we didn`t really understand each other”(#14, 45) R&D „brainstorming and creating ideas jointly” (#15, 48) „we have struggled to find ways move foreward” (#15, 100) „good co-operation between the engineering teams from ZFTRW and ZF Legacy“ (#15, Abs. 20) „a lot of interest to see each other's technologies“ (ebd) Sales/ „Blocking und Tackling” (#2, Abs. 24) Market „Die Komplexität, die explodiert uns” (#8, Abs. 76) „es menschelt sehr in diesem Prozess“ (#2, Abs. 70)
EV Ø
„we agreed on some principles at the beginning, (...) particularly 7,5 about honouring commitments“ (#9, Abs. 46) „between [name] and myself [we had] a pretty open discussion“ „resolve disagreements by talking about them“ (#9, Abs. 48) „Abstimmung mit Hauptfunktionen“ (Int. #17, Abs. 30) „wir haben Kommunikationsregeln für die Zusammenarbeit 8 gemacht, die haben wir auch kommuniziert.“ (#13, Abs. 63) „dieses meins ist aber besser als deins (...) haben wir versucht, eher zurück zu drängen.“ (#13, Abs. 65) „wir haben dann schon, sagen wir mal, die Menschen versucht, mal in eine persönliche Beziehungsebene zu bringen“ (ebd) „Wann immer wir gemerkt haben, dass dann Kritisches hochkam, haben wir versucht, uns damit auseinander zu setzen“ (ebd) „haben darauf geachtet, dass keine Friktionen entstehen“ (#1, 59) 8 „monitoring the employees in the Legal Group to ensure they’re supportive and understanding of where the direction is that's coming to them and the parts they’re involved in.“ (#27, Abs. 20) „[haben] die Mitarbeiter zu Beteiligten gemacht.“ (#5, Abs. 95) 6 „Wenn es aber keine Einigung gibt, dann eskaliert es zu mir und meinem Pendant auf der ZF TRW Seite und wir finden dann schon eine Lösung.“ (#5, Abs. 74) „dass man wirklich auch hervorgehoben hat, dass das Prinzip 6,75 „Best of both“ verfolgt wird“ (#23, Abs. 91f.) „really getting the groups to collaborate“ (#15, Abs. 136) „it was important to build the personal relationships quickly”(ebd) „bilateralen Kontakt zu halten” (#23, Abs. 91) „das Verständnis ist auch nicht richtig da. Das versuchen wir 4,5 auch ein zu massieren.“ (#8, Abs. 85)
Elemente des Management Involvements
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So kann auf Basis der vorangehenden Ausführungen geschlossen werden, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend eine erfolgreiche Integration bedeutet. Vielmehr wird deutlich, dass eine erfolgreiche Task Integration und eine erfolgreiche Human Integration die aktive Unterstützung des Managements erfordert. Bleibt diese aus, sind häufig Widerstand und Abwehr und damit Stagnation in der Entwicklung der Integration die Folge. II.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse Die vorliegende Fallstudie untersucht die PMI und die Frage nach dem Erfolg unter Zugrundelegung einer schematheoretischen Perspektive. Dadurch erweitert sie unser Verständnis über kollektive Schemata sowie die M&A Integration. Durch eine detaillierte Fallstudie vertieft diese Arbeit das Verständnis von Management- und Prozessentwicklungen in der Phase der Post-Merger Integration und bietet Einblicke in zugrundeliegende Mikroprozesse. Darüber hinaus hebt sie die Relevanz kollektiver Schemata über alle Ebenen der am Integrationsprozess beteiligten Ebenen für eine erfolgreiche Integration hervor und beschreibt deren wechselseitige Abhängigkeit im Rahmen des Entwicklungsprozesses. Neben Implikationen für die Wissenschaft bietet diese Studie zudem eine Reihe von Implikationen für Manager, die Integrationsprozesse verantworten, unterstützen oder anderweitig am Prozess der Integration beteiligt sind. Diese umfassen u.a. die elementare Rolle des Managements in Prozessen der Human wie auch der Task Integration sowie das Bewusstsein für die Existenz und Rolle kollektiver Schemata innerhalb eines Prozesses. Dieses Kapitel führt die Ergebnisse und den Beitrag der Untersuchung aus. So werden zunächst theoretische Implikationen aufgezeigt (II.4.1). Dabei werden Verknüpfungen, Überschneidungen und Unterschiede zwischen den Ergebnissen dieser Studie und denen aus der Literatur diskutiert. Sodann werden Managementimplikationen für die M&A Integration aus einer schematheoretischen Perspektive dargelegt (II.4.2).
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II.4.1 Theoretische Implikationen Die folgenden drei Abschnitte diskutieren die theoretische Beitragsleistung der vorliegenden Arbeit. Dabei soll der Struktur der Arbeit gefolgt werden, indem zunächst theoretische Implikationen in Bezug auf die PMI Literatur dargelegt werden (a), bevor sodann die Beitragsleistung zur Literatur kognitiver Schemata ausgeführt wird (b). Zu guter Letzt soll auf die Fallstudienuntersuchung Bezug genommen werden, welche als Beitrag für sich verstanden wird (c). (a) Implikationen zur PMI Literatur Ein erster wesentlicher Beitrag dieser Arbeit kann in der Emergenz des Phasenmodells gesehen werden. Obgleich die vorliegende Fallstudie vergleichsweise einzigartige Merkmale aufweist,512 zeigt sie drei Phasen des Post-Merger Prozesses auf, die vor allem symbiotische Unternehmenszusammenschlüsse513 zu charakterisieren vermögen: Eine erste Phase, in welcher der Schwerpunkt auf dem gegenseitigen Kennenlernen liegt, um die Stärken beider Organisationen zu wahren. Eine zweite Phase, in der sich der Fokus auf die Zusammenführung der beiden Organisationen verlagert und schließlich eine dritte Phase, in der die Aufmerksamkeit vollständig auf das Business gerichtet wird. Aus der Analyse ging hervor, dass die Beteiligten mit unterschiedlichen Herausforderungen im Verlauf des Integrationsprozesses konfrontiert waren, welche durch weitreichende Entwicklungen des Marktes heraus entstanden sind. So sind, anders als bei den meisten Beiträgen in der Literatur, die Phasen des im Rahmen der vorliegenden Studie emergierten Phasenmodells aus äußeren Einflüssen und Veränderungen heraus entstanden. Indem der Fokus nicht nur auf die Identifikation und Analyse post-akquisitionaler Maßnahmen und Aktivitäten gelegt wurde, sondern auch temporale Dynamiken im Verlauf der Post-Merger Integration berücksichtigt wurden, fügt die vorliegende Studie 512 513
Siehe Kapitel II.1. Siehe Kapitel I.1.1.3 für eine ausführliche Erläuterung der unterschiedlichen Integrationsansätze.
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der PMI Forschung eine explizit prozessuale Erklärung hinzu, womit dem Ruf einer verstärkten Forschung prozessualer Dynamiken im Kontext der PMI gefolgt wurde.514 Nach Jemison und Sitkin (1986) handelt es sich dabei um eine im Rahmen der Integrationsforschung bis dato mehr oder weniger unberücksichtigt gebliebene Determinante.515 Denn obgleich die strategische Prozessforschung auf eine Unmenge an Forschungsarbeiten verweisen kann,516 sind Prozessstudien in führenden Management Journals bis dato unterrepräsentiert und lassen ausreichend Raum für inhaltliche und methodische Entwicklungen:517 „Doing process research does, however, have its challenges, and there is sample room for substantive, methodological, and theoretical development.“ (Langley et al. 2013, S. 10) Der wohl wichtigste Beitrag im Hinblick auf PMI besteht jedoch darin, mögliche Ansatzpunkte für die Verbesserung der PMI Performance aufzuzeigen. Angesichts der Bedeutung post-akquisitionaler Aktivitäten und zwischenmenschlicher Herausforderungen im Integrationsprozess bieten insbesondere kognitive Schemata eine wichtige Perspektive für die Untersuchung post-akquisitionaler Prozesse. Begründet wird die der kognitiven Perspektive zugesprochene zentrale Rolle im Kontext des PMI Erfolgs dabei insbesondere durch den Einfluss, welchen diese auf die Art und Weise, wie Veränderungsinitiativen interpretiert, verstanden und aufgenommen werden, verüben. So kann aus Sicht des Verfassers ein gemeinsames Verständnis im Rahmen der PostMerger Integration von Vorteil sein, indem eine Haltung der Akzeptanz entwickelt wird, die aus einem Verständnis für die Situation und die Identität einer jeden organi-
514
Vgl. u.a. Graebner et al. (2017); Steigenberger (2017); Cartwright/Schoenberg (2006). „The acquisition process has not been recognized previously as a key determinant of acquisition outcomes [...].“ Jemison/Sitkin (1986), S. 146. Ein Tatbestand, welcher mitunter darauf zurückgeführt werden kann, dass akquisitional bedingte (Erfolgs-)Hindernisse innerhalb des Prozesses selbst verankert sind. 516 Vgl. Bamberger/Cappallo (2003), S. 94. 517 Vgl. Langley et al. (2013), S. 1 und 10. 515
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sationalen Einheit hervorgeht.518 Darüber hinaus kann angenommen werden, dass die Mitarbeiter beider Organisationen bei Vorhandensein eines kollektiven Schemas in der Lage sind, Bedeutungen nicht nur in einen Kontext zu stellen sondern diese auch zu verstehen. Dies kann insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass mit der Integration einhergehende Umbrüche durch eine veränderte Wahrnehmung des Transaktionspartners als weniger störend oder bedrohlich wahrgenommen werden.519 Vielmehr werden durch die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses engere Beziehungen sowie Vertrauen geschaffen, welche als Grundlage für die organisationale Weiterentwicklung dienen. Diese Erkenntnis findet sich ebenfalls in der Literatur wieder. So kommen bspw. Dao et al. (2017) zu dem Schluss, dass die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses nicht nur zur einer Verbesserung des Fähigkeitstransfers zwischen den beiden Organisationen führt, sondern ebenfalls mit einer Reduktion mitarbeiterbezogener Störungen einher zu gehen vermag.520 (b) Implikationen zur Schema Literatur Indem die vorliegende Arbeit die Phase der Post Merger Integration unter Zugrundelegung einer schematheoretischen Perspektive untersuchte, konnte die Relevanz kollektiver Schemata im Kontext des PMI Erfolgs herausgestellt werden. Somit besteht ein erster Beitrag dieser Arbeit in der Untermauerung der Ergebnisse und Unterstreichung der Argumente bestehender Studien, die hervorheben, dass kollektive Schemata ein zentrales Konstrukt innerhalb des Strategiekontextes impliziert und sowohl Manager als auch organisationale Mitglieder kollektive Schemata entwickeln und anwenden.521 Darüber hinaus trägt diese Arbeit zur Stärkung des Konzepts kollektiver Schemata bei, indem der Forschungskontext in gleich zwei Richtungen erweitert wird: Konzentrierten sich bestehende Arbeiten insbesondere auf allgemeine strategische Veränderungs-
518
Vgl. Keppesto (2005). Vgl. Jöns et al. (2007). 520 Vgl. Dao et al. (2017), S. 196 mit Verweis auf Björkman et al. (2007) und Paruchuri et al. (2006). 521 Vgl. bspw. Johnson/Hoopes (2003); Hargadon/Fanelli (2002); Lau et al. (2003). 519
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kontexte,522 erweitert die vorliegende Studie diese Ergebnisse mit ihrem Fokus auf die Post Merger Integration. Zweitens untersucht diese Studie das Konzept kollektiver Schemata im Kontext zweier global führender Technologiekonzerne. Gegenüber bisheriger, häufig auf kleine bis mittelständische Unternehmen oder unternehmerische Zusammenhänge begrenzte Studien,523 erweitert die vorliegende Arbeit den Betrachtungshorizont der Forschung. Die Organisationsgröße sowie der Schwerpunkt dieser Studie ermöglichten ferner die Berücksichtigung mehrerer Organisationsebenen. Denn es sind, Wrona (2008) zufolge, vor allem die großen Organisationen, die (im Rahmen eines strategischen Prozesses) einen mehrstufigen Charakter aufweisen und die unterschiedlichen Aktoren(-Gruppen) auf unterschiedliche Art und Weise einbinden.524 So wurden in der vorliegenden Arbeit die drei Ebenen: Top Management, mittleres Management (Workstream Leads) und Workstream Members untersucht und zueinander in Beziehung gesetzt. Damit wurde nicht nur der Forderung von Dao et al. (2016) Rechnung getragen, den organisationalen Kontext im Rahmen künftiger Forschungsarbeiten zu erweitern,525 sondern ebenso dem von Wrona (2008) identifizierten „ebenenübergreifenden Forschungsdefizit“.526 Während empirische Studien eine Vielzahl von Bewertungsverfahren heranziehen, um die Existenz und die Bedeutung kollektiver Schemata im Kontext organisationaler Veränderungsprozesse zu untersuchen, liefern jedoch nur wenige ein Verständnis darüber, wie kollektive Schemata zustande kommen.527 Die Autoren Kahl und Bingham (2013) verweisen darauf, dass weitere Forschung erforderlich ist, um die mit der Entwicklung kognitiver Schemata verbundenen Prozesse zu erklären.528 Die vorliegende Arbeit hat sich der Untersuchung dieser Entwicklungsprozesse in gleich zwei Richtun-
522
Vgl. bspw. Porac et al. (1989), (1994), Labianca et al. (2000) oder Isabella (1990). Vgl. bspw. Labianca et al. (2000) oder Isabella (1990). Vgl. Wrona (2008), S. 59. 525 Vgl. Dao et al. (2016), S. 2521. 526 Vgl. Wrona (2008), S. 69. 527 Vgl. Kahl/Bingham (2013), S. 5. 528 Vgl. Kahl/Bingham (2013), S. 41. 523 524
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gen angenommen, indem sie den Entwicklungsprozesses nicht nur auf lokaler Ebene, sondern ebenso über unterschiedliche organisationale Ebenen hinweg untersuchte. Im Hinblick auf den lokalen Entwicklungsprozess konnten insbesondere zwei zentrale Prozesse identifiziert werden: „verstehen“ und „übereinkommen“, die aus den Konstrukten „Standortbestimmung“, „Big Picture“ und „Synthese“ heraus resultierten. Die Ergebnisse der Analyse deuten darauf hin, dass der Prozess der Entwicklung kollektiver Schemata (letztendlich) über konfrontative Spannungsprozesse erfolgt, welche aus einer gemeinsamen Interaktion heraus in einer Synthese münden. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei den von Van de Ven und Poole (1995) entwickelten prozesstheoretischen Ansätzen der Dialektik.529 So beschreibt die dialektische Theorieperspektive Veränderungen als einen kontinuierlichen Widerstreit divergierender Kräfte.530 Ein kollektives Merkmal dieser Theorieperspektive liegt somit in der Annahme, dass Phänomene der organisationalen Wirklichkeit durch Kontrarietät charakterisiert sind, unter denen sich ein Spannungsverhältnis entwickelt. Eine weitere wesentliche Erkenntnis dieser Arbeit kann ferner in der Untersuchung der Interaktion kollektiver Schemata über unterschiedliche Ebenen der Organisation hinweg gewonnen werden. So deutet das in der Arbeit entwickelte Modell darauf hin, dass das kollektive Schema einer Ebene eine Voraussetzung für die positive Entwicklung der jeweils nachfolgenden Ebene impliziert. Für die Interaktion kollektiver Schemata entlang unterschiedlicher organisationaler Ebenen konnte ebenfalls Unterstützung in der Literatur gefunden werden. So weist das „Change Model for Organizational Decision-Making Schema“ von Labianca et al. (2000) auf eine Beziehung unterschiedlicher hierarchischer Ebenen hin, in dem es aufzeigt, wie das „decision-making schema“ des Managements und das „decision making schema“ der Mitarbeiter in ei529
Auf Basis eines umfassenden interdisziplinären Literaturreviews entwickelten Van de Ven und Poole (1995) insgesamt vier prozesstheoretische Ansätze. Der Aussage von Bamberger und Cappallo (2003) folgend, sind dabei insbesondere die teleologischen und dialektischen Theorieperspektiven charakerisierend für die in der vorliegenden Arbeit verfolgte sog. handlungsorientierte, strategische Prozessperspektive. Vgl. Bamberger/Cappallo (2003), S. 104. 530 Vgl. Bamberger/Cappallo (2003), S. 103.
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nem Prozess des gegenseitigen Vergleichens übereinkommt.531 Darüber hinaus konnte Unterstützung bei Busch und Lorenz (2010) gefunden werden, die das Konstrukt geteilter mentaler Modelle für die Erklärung von Kooperationskompetenz in Netzwerken heranziehen. Die Autoren verweisen dabei auf die Interaktion zwischen der Entwicklung geteilter mentaler Modelle auf Ebene der Teamleitung und den Mitgliedern des Teams. Hierbei argumentieren Busch und Lorenz (2010), dass der Leiter des Teams durch sein Verhalten und seine Maßnahmen Sinn erzeugt und in Folge dessen eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Entwicklung mentaler Modelle innerhalb des Teams einnimmt:532
„Sei es bei der Entwicklung und Überwachung von Zielen, der Klärung von Verantwortlichkeiten, der Auftstellung und Durchsetzung von Regeln oder der Stärkung des Wir-Gefühls und des gemeinsamen Glaubens an den Erfolg – stets kommt der Teamführung eine besondere Rolle zu, indem sie maßgeblich an der Verhaltens- und Interpretationslenkung beteiligt ist.“ (Busch/Lorenz 2010, S. 286; Hervorhebungen durch den Autor) Ein weiterer zentraler Beitrag dieser Arbeit besteht darin, die Rolle bzw. Einflussnahme kollektiver Schemata auf das Outcome der Integration aufzuzeigen. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die Erkenntnis, dass sich die kollektiven Schemata über die organisationalen Ebenen hinweg in ihren Rollen unterscheiden. Eine Tatsache, die über den Entwicklungsprozess kollektiver Schemata und dessen Interaktion mit der jeweils nachfolgenden Ebene und den damit verbundenen unterschiedlichen Inhalten kollektiver Schemata zurückgeführt werden kann. So konnte festgestellt werden, dass sich die kollektiven Schemata entlang jeder der drei untersuchten Organisationsebenen im Hinblick auf Tiefe und Reichweite voneinander unterscheiden. Während das gemeinsame Verständnis auf Top Managementebene mit Blick auf die Gesamtintegration strategisch komplexe Fragestellungen adressiert, umfasst das Verständnis der Workstream
531 532
Vgl. Labianca et al. (2000), S. 238ff. Vgl. Busch/Lorenz (2010), S. 285.
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Members verstärkt operative Themen, die speziell auf den Workstream hin ausgerichtet sind. Die Erkenntnis, dass sich die Schemata über organisationale Ebenen hinweg unterscheiden, steht dabei im Einklang mit Moch und Bartunek (1990), die in ihrer Studie zu dem Ergebnis kommen, dass Management Schemas im Kontext von Veränderung nicht mit den Schemata der Mitarbeiter übereinstimmen.533 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt darüber hinaus auch Smith (1982), der herausstellt, dass Menschen in unterschiedlichen Gruppen, Funktionsbereichen oder hierarchischen Ebenen häufig ein und dasselbe Ereignis unterschiedlich interpretieren. Mit der Erkenntnis, dass dem kollektiven Schema auf Top Management Ebene eine richtungsweisende Rolle zukommt, während die Workstream Leads eine treibende und die Workstream Members eine vielmehr gestaltende Rolle innehaben, unterstützen die Ergebnisse die Aussagen bisheriger Forschungensarbeiten, die belegen, dass die Änderung eines Schemas bzw. die Entwicklung eines geteilten Schemas durch das Management angestoßen wird. So findet die richtungsweisende Rolle des Managements nicht nur bei Burgelman (1983),534 sondern ebenfalls bei einer Reihe weiterer Wissenschaftler Unterstützung. Tushman und Romanelli (1985) bspw. beantworten die Frage, was die Rolle von Leadership in dem Prozess des Schemawandels ist und welche Organisationsmitglieder den größten Einfluss auf den Prozess verüben. Ausschließlich das (Top) Management „can make the decisions necessarry to implement second-order change in interpretive schemes“ (Bartunek 1984, S.369). Und auch Poole et al. (1989) kommen zu dem Schluss:
„Basically, with this process organizational schemas are changed in the direction management chooses, rather than being reinforced or changed as the members see fit.“ (Poole et al. 1989, S. 273)
533 534
Vgl. Labianca et al. (2000), S. 237. Siehe auch Burgelman (1996).
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Die Aussage von Ranson et al. (1980) hingegen, dass es einflussreiche Organisationsmitglieder sind, die interpretative Schemas bestimmen, ist ähnlich, jedoch keineswegs identisch.535 So deuten die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit und die Aussagen der bestehenden Literatur darauf hin, dass das Top Management in erster Linie Einfluss darauf hat, ob und welche alternativen Interpretationsschemata, Maßnahmen und strukturellen Veränderungen zum Ausdruck kommen. Indem sie bestimmte Perspektiven legitimieren und andere wiederum nicht, prägen sie die Möglichkeit und den Verlauf der Veränderung zweiter Ordnung.536 Von wesentlicher Relevanz ist ferner das Ergebnis auf die Frage nach dem Einfluss kollektiver Schemata auf den Erfolg der Post-Merger Integration. Zahlreiche Interviewaussagen weisen darauf hin, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend auch eine erfolgreiche Integration impliziert. Vielmehr wird deutlich, dass eine erfolgreiche Task Integration und eine erfolgreiche Human Integration die aktive Unterstützung des Managements erfordert. In diesem Zusammenhang wurden u.a. klare Anweisungen wie strukturiertes Leiten der Denkprozesse ebenso wie Kommunikation und Transparenz als für den Erfolg der Zusammenführung von wesentlicher Bedeutung identifiziert. In der Literatur kann für diese Feststellung valide Unterstützung gefunden werden. So haben bspw. Hackman et al. (1976) herausgefunden, dass es für Gruppen ohne Instruktionen eher unwahrscheinlich ist, Strategien und Strukturen erfolgreich zu diskutieren. Diese Erkenntnis steht ebenfalls im Einklang mit Untersuchungen wie bspw. der von Epstein (2004), die darauf hindeutet, dass kontinuierliche Kommunikation ein wichtiger Erfolgsfaktor ist.537 Den Autoren Zollo (2009) und Cording et al. (2008) zufolge liegt ein wesentlicher Grund für diesen Tatbestand im Integrationsprozess selbst, welcher von Natur aus als komplex mit unklaren Entscheidungszusammenhängen charakterisiert werden kann.538
535
Vgl. Bartunek (1984), S. 369. Vgl. bspw. Bartunek (1984). 537 Vgl. Epstein (2004), S. 177f. 538 Vgl. Cording et al. (2008); Zollo (2009). 536
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Darüber hinaus lassen sich in der Literatur Forschungsergebnisse finden, die belegen, dass Transparenz in Fällen hoher Komplexität eine abschwächende Wirkung auf negative Effekte verübt.539 Während der vorliegende Fall die Notwendigkeit der managerialen Unterstützung sowohl im Hinblick auf eine effektive Task als auch eine effektive Human Integration hervorhebt, kommen die Autoren Dao et al. (2016) hingegen zu einem anderen Ergebnis. So weisen die Autoren darauf hin, dass die Unterstützung durch das Management insbesondere im Hinblick auf eine effektive Human Integration erforderlich sei. Im Hinblick auf die Task Integration hingegen kommen sie zu folgendem Schluss:
„Common ground among acquirer and target enables employees to selfcoordinate post-acquisition implementation in terms of task integration.“ (Dao et al. 2016, S. 2516) Allerdings ist darauf zu verweisen, dass die Autoren die Einflussnahme eines gemeinsamen Verständnisses im Rahmen einer bereits existierenden Verständnisbasis untersucht haben, während im Rahmen der vorliegenden Studie diese Basis erst noch geschaffen werden musste. Im Hinblick auf die Entwicklung kollektiver Schemata empfiehlt sich zuguterletzt ein Blick auf die Lernperspektive. So ist das Forschungsfeld des organisationalen Lernens in dem zugrundeliegenden Kontext von wesentlicher Bedeutung, indem es eine Schnittstelle zwischen der Integration und der Schema Literatur darstellt.540 Eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten verweist auf die Tatsache, dass (kollektive) Schemata ein Resultat von Erfahrungen und organisationalem Lernen sind.541 Die vorliegende Arbeit unterstützt diese Aussage, indem sie zeigt, dass die Entwicklung eines kollektiven Schemas nicht lediglich auf vergangenen Erfahrungen beruht, sondern ebenfalls durch
539 540 541
Vgl. Kavanagh/Ashkanasy (2006). Vgl. Kapitel I.2.3.3. Vgl. Lau et al. (2003), S. 232; Siehe auch Poole et al. (1989) und Walsh/Charalambides (1990).
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Lernprozesse über externe Berater, Wissenschaftler, Wettbewerber oder Führungskräfte aus der eigenen Organisation gefördert wird, wie nachstehendes Zitat verdeutlicht: „Wir haben uns circa zehn Firmen eingeladen, um einen Benchmark zu machen. Wir haben uns Berater eingeladen, die einen Kurzvortrag gehalten haben. Oder Professoren, die gesagt haben, was ist Stand in der Wirtschaft, was ist Up to date? Was machen andere Firmen zu dem Thema Incentivierung? Und über den Weg haben wir quasi über eine Analyse, über eine Best of Both-Analyse, auf den Markt (ge)schaut, und wir haben Interviews geführt mit Führungskräften. Das heißt, wir haben gesagt, okay, auf beiden Seiten: Was habt ihr als Betroffene gut empfunden oder auch schlecht empfunden? Und haben, ja, so, ich sag mal, aus diesen verschiedenen Analysen heraus versucht, unser neues Incentivierungssystem zu finden.“ (Interview #19, Abs. 90)
(c) Fallstudienuntersuchung In Anbetracht der bereits existierenden Studien zur PMI wird die der Arbeit zugrundeliegende Fallstudie als Beitrag für sich verstanden. Diese Ansicht bezieht sich insbesondere auf die Forschungsmethoden, die herangezogen werden können, um Prozesse zu untersuchen oder zu erforschen wie bspw. der Integrationsprozess im Rahmen der vorliegenden Fallstudie. Die Fallstudie kann von anderen Methoden insbesondere durch ihre Tiefe und Einzigartigkeit unterschieden werden. Das Eintauchen in eine Einzelfallstudie impliziert den Vorteil einer hoher Datendichte und –diversität. Vor diesem Hintergrund hat die Fallstudie, mehreren Autoren zufolge, das Forschungsfeld des strategischen Managements mit wesentlichen Erkenntnissen bereichert und wird als eine der am interessantesten zu lesenden Untersuchungen betrachtet.542 Der Autor stimmt mit dieser Aussage überein – ermöglicht diese Methode Erkenntnisse und Beiträge, die auf anderen Wegen nur schwer zu generieren sind. Mehr noch, obgleich es insbesondere Einzelfallstudien an Generalisierbarkeit mangelt, kann der Mehrwert einer solchen „in-depth single case study“ als unterstützend für ein bestimmtes For-
542
Vgl. Eisenhardt/Graebner (2007); Gibbert et al. (2008).
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schungsfeld bezeichnet werden. Vor allem wenn bereits eine Reihe von Fallstudien in diesem Forschungsfeld bestehen. Eine Beitragsleistung zu diesem „Pool“ kann künftigen Forschern dazu verhelfen, Meta-Fallstudien zu initiieren, welche nicht nur interessante, sondern durchaus auch generalisierbare Erkenntnisse ermöglichen. Neben Implikationen für die Wissenschaft bietet diese Studie zudem eine Reihe von Implikationen für die Managementpraxis. Diese sollen im nachfolgenden Abschnitt ausgeführt werden. II.4.2 Management Implikationen Immer mehr Belege dafür, dass Akquisitionen nicht zuverlässig zu den gewünschten Ergebnissen führen, legen nahe, dass die kapital- und rechnungslegungsbasierte Perspektive lediglich eine unvollständige Sichtweise auf Akquisitionsprozesse und ergebnisse zu bieten vermag.543 Wie die oben beschriebene Fallstudie verdeutlicht, besteht das Erleben der organisationalen Welt nicht aus Ereignissen, die für sich allein bedeutungsvoll sind. Vielmehr werden Kognitionen, Interpretationen oder die Art und Weise, Ereignisse zu verstehen, durch organisationale Schemata geleitet.544 Somit erfolgt auf die über die Umwelt aufgenommenen Informationen keine unmittelbare Reaktion. Vielmehr wird das Verhalten eines Individuums durch die kognitiven Repräsentationen dieser Reize beeinflusst.545 Jedoch deuten sowohl die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung als auch die bereits existierenden Forschungsbemühungen darauf hin, dass das Management nach wie vor einen verstärkt rationalen Fokus legt. Und obgleich das (Integrations-) Management zwar häufig über kulturelle Veränderungen besorgt ist, konzentrieren sich die Diskussionen weitgehend auf Verhaltensänderungen ohne speziell darauf einzugehen,
543 544 545
Vgl. Jemison/Sitkin (1986), S. 145. Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 484. Vgl. bspw. Dill (1958).
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wie Mitglieder einer Organisation sich selbst und ihre Organisation verstehen.546 Damit einhergehend besteht die Erwartung häufig darin, dass Veränderungsinitiativen die Organisation beeinflussen. Durch interpretative Reaktionen eines jeden Einzelnen beeinflusst die Organisation jedoch ebenfalls die Veränderungsinitiativen.547 Um das Verhalten von Organisationen, deren Interpretation und Reaktionen auf ihre Umwelt nachvollziehen zu können, ist daher ein Verständnis für die kognitiven Strukturen derjenigen Handlungsträger zu entwickeln, welche diese Umwelten letztendlich erfassen und verstehen müssen. Da es sich bei einem Unternehmenszusammenschluss und insbesondere einem postakquisitionalen Prozess um ein in erster Linie interorganisationales bzw. interindividuelles Phänomen zwischen Käufer- und Zielorganisation handelt, ist es unabdingbar, dass das Management nicht nur der intraindividuellen, sondern ebenfalls der kollektiven Dimension von Kognition Aufmerksamkeit schenkt. So rufen Unternehmenszusammenschlüsse nicht nur eine Vielzahl von Diskussionen und Spekulationen über organisationale Veränderungen in der Post-Merger Phase hervor, vielmehr implizieren bisherige organisationale und kulturelle Hintergründe sowie deren Rollen in der neuen Organisation unterschiedliche Plattformen für die Interpretation von Integrationsthemen.548 Demzufolge ist die Verknüpfung zweier Unternehmen mit unterschiedlichen Systemen und Kontexten ein komplexer Prozess, der mit Unsicherheit und Ambigität verbunden ist, da bewährte Vorgehensweisen und Denkweisen eliminiert, geändert oder angepasst werden müssen.549 Dabei kommt nicht zuletzt dem Top Management eine zentrale Rolle zu. Diese besteht in der Identifikation organisationaler Schemata, welche das Management in eine bessere Lage versetzt, die von organisationalen Mitgliedern getragene Haltung gegenüber Veränderung zu verstehen, um das jeweilige Level der Bereitschaft für Veränderung in 546
Vgl. Bartunek/Moch (1987), S. 484. Vgl. Stensaker (2007). 548 Vgl. Vaara (2003), S. 863 oder auch Chreim/Tafaghod (2012), S. 21. 549 Vgl. Dao et al. (2017), S. 196 mit Verweis auf Cording et al. (2008) und Stahl/Voigt (2008). 547
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unterschiedlichen organisationalen Gruppen zu bestimmen.550 Darüber hinaus prägen sie aber auch die Richtung und den Umfang der Veränderungen organisationaler Schemata durch die Legitimation bestimmter Perspektiven.551 So hat das Top Management der Organisation Einfluss darauf, ob und welche Veränderungen und Maßnahmen in den Schemata zum Ausdruck kommen und begründet damit letztendlich die Fortentwicklung der Integration. Da Veränderung nicht selten Angst und Widerstand innerhalb der Organisation hervorruft, sollte das Management hier möglichst schnell Transparenz schaffen - durch klare Kommunikation und faire Integrationsmaßnahmen. Eine Reihe von Forschungsbeiträgen belegen, dass Transparenz in Fällen hoher Komplexität eine abschwächende Wirkung auf negative Effekte verübt.552 Die Tatsache jedoch, dass organisationale Schemata in Routinen, Betriebsgepflogenheiten und Konventionen, Kompetenzen und Fähigkeiten, Marktpositionen und Beziehungen zu Lieferanten, Kunden und Konkurrenten eingebettet sind,553 verleihen Schemata einen veränderungsresistenten Charakter.554 Nichtsdestotrotz können Schemata verändert werden, insbesondere in einem stark veränderungsgetriebenen organisationalen Umfeld wie dies im Rahmen einer Post-Merger Integration der Fall ist. Ein solcher Wandel erfordert mitunter jedoch den Prozess des „Ver- bzw. Neulernens“ („Unlearning“) der in bisherigen Schemas eingebettenen Routinen und Überzeugungen,555 und damit einhergehend nicht selten eine Überwindung von Veränderungsbarrieren. Die Fähigkeit des „Neulernens“ ist Hedberg (1981) zufolge jedoch in einer Vielzahl von Organisationen nicht oder lediglich gering ausgeprägt vorhanden. Der Aussage des Autors weiter folgend, handelt es sich dabei um eine erhebliche, nicht zu unter-
550
Vgl. Lau et al. (2003). Vgl. bspw. Bartunek (1984). Siehe auch Dao et al. (2016), S. 2521. Vgl. Ashkenas et al. (2014); Kavanagh/Ashkanasy (2006). 553 Vgl. Mezias et al. (2001), S. 75. 554 Vgl. Labianca et al. (2000), S. 237; siehe auch Bartunek/Moch (1987), S. 584. 555 Vgl. Bartunek (1984, S. 367): „The original interpretive schemes have to be unlearned so new ones can come into existence“ 551 552
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schätzende organisationale Schwäche. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Fähigkeit des „Neulernens“ sowohl für den langfristigen organisationalen Fortbestand als auch die Wettbewerbsfähigkeit von wesentlicher Bedeutung ist.556 Demzufolge ist an dieser Stelle auf die hohe Bedeutung von Offenheit und Veränderungsbereitschaft der Organisation und die eines jeden einzelnen Mitglieds der Organisation im Hinblick auf eine erfolgreiche Entwicklung der PMI zu verweisen. Die Autoren Mohammed et al. (2010) weisen in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass sich viele Manager und Organisationsmitglieder ihrer kognitiven Schemata häufig gar nicht bewusst sind.557 Cannon-Bowers (2007) verweist an dieser Stelle auf die vorteilhafte Rolle von Training. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, welche nicht nur dazu beiträgt, die jeweiligen organisationalen Schemata wahrzunehmen, sondern gleichzeitig die Mitglieder dazu ermutigt, den Prozess der Zusammenführung bewusst zu steuern und zu kontrollieren.558 Analog zu Cannon-Bowers (2007) argumentieren auch Mezias et al. (2001): „We believe that effectively facilitated strategic Change workshops that focus on changing collective cognition are a potent contribution to creation of adaptive, effectively responsive, organizations. Such qualities will become even more important as the rate of change continues to accelerate in this 21st century.“ (Mezias et al. 2001, S. 91) So kann die Implementierung von Trainings und Workshops die Entwicklung und den Wandel eines kollektiven Schemas vorantreiben, indem sich die Mitglieder einer Organisation nicht nur ihrer gegenwärtigen Schemata bewusst(er) werden, sondern (sogar) besser in der Lage sind, diese Schemata in Richtung des neuen, gemeinsamen Zielbildes zu bewegen. Darüber hinaus kann eine regelmäßige Kontrolle der organisationalen Schemata vorgenommen werden und damit eine Neubewertung von Organisa-
556 557 558
Vgl. Akgün et al. (2007), S. 795. Siehe auch Nystrom/Starbuck (1984). Vgl. Rentsch et al. (2009). Vgl. auch Mohammed et al. (2010), S. 904.
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
207
tionskompetenzen, des organisationalen Umfelds, potentiellen Bedrohungen, Möglichkeiten, Strategien und damit verbundenen Wegen zum Erfolg. Derartige Workshops sind insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache zu betrachten, dass Wissen in turbulenten Umwelten wie die einer Post-Merger Integration, obsolet wird. Im Hinblick auf den Erfolg der Integration weisen zahlreiche Interviewaussagen darauf hin, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend auch eine erfolgreiche Integration impliziert. Indem die Ergebnisse der Untersuchung darauf verweisen, dass Workstreams mit einer positiven Erfolgsbeurteilung dem Aufkommen potentieller Störfaktoren aktiv entgegengewirkt haben, kann dem Management eine nicht unerhebliche Rolle im erfolgreichen Prozess der Zusammenführung zweier Schemata zugesprochen werden. So argumentieren auch Hackman et al. (1976), dass es für Gruppen ohne Instruktion eher unwahrscheinlich ist, Strategien und Strukturen erfolgreich zu diskutieren.559 Im Hinblick auf das aktive Involvement des Managements können eine Reihe unterschiedlicher Aktivitäten als empfehlenswert identifiziert werden, welche nachstehend mit repräsentativen Interviewaussagen unterfüttert werden sollen:
Aktive Zurückdrängung vergleichender und ablehnender Haltung über die Definition und kontinuierliche Kommunikation sog. “ground rules”: „Me and my counterpart initially in one of the very first meetings came up with ground rules for the IT team.“ (Interview #16, Abs. 71) „Wir haben das eigentlich in allen unseren Managementtalks an verschiedensten Gelegenheiten überall immer wieder gebetsmühlenhaft kommuniziert.” (Interview #13, Abs. 109) „Also wir haben versucht, dieses meins ist aber besser als deins (...), haben wir versucht zurück zu drängen. Obwohl es zwangsläufig, es ist unvermeidbar, dass es zu diesen Themen kommt, haben wir versucht es zurück zu drängen.” (Interview #13, Abs. 65)
559
Vgl. Hackman et al. (1976).
TEIL II:
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
“Virtual cup of tea” - der aktive Versuch das Team in eine persönliche Beziehungsebene zu bringen: „(...) die beiden Leadership teams haben wir dann schon mal (...) in eine gemeinsame Video- und Telefonkonferenz gebracht. Wo sich jeder vorgestellt hat. Da hatten wir dann einen Foliensatz entwickelt, wo jeder sich persönlich vorstellen konnte. Und da waren einfach so Fragestellungen, also: Was siehst du als deinen größten Erfolg an, den du bisher im Leben hattest? Und was gibt dir das? (...) Also es konnte jeder über sich so die drei, vier wichtigsten Punkte, die er gerne den anderen mitteilen will, [sagen].“ (Interview #13, Abs. 65)
Anstoß strukturierter Denkprozesse für eine Berücksichtigung sämtlicher Optionen im Sinne von “Best for Business”: „So, when the two teams came together to resolve this issue, I think it was kind of a beautiful experience to see the teams go through it because originally they said „No, no“. (...) and so constantly you had to challenge the team to say, „Do you think that`s the only option? What are all the options that we have? Forget about who is making the decision and let`s list all of the options and let`s list the pros and cons of each of the options and the cost of each of the options“; So you had to really take them through a very structured thinking process and challenge them (...) we had to really force them to look at all the options.“ (Interview #16, Abs. 65)
208
Schlussbetrachtung
209
SCHLUSSBETRACHTUNG Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit noch einmal rekapituliert und auf die zugrundeliegenden Forschungsfragen und Zielsetzungen Bezug genommen (a). Daran anschließend werden die Limitationen der Arbeit strukturiert aufbereitet und einer kritischen methodischen und empirischen Reflexion unterzogen (b). Die Arbeit schließt mit einem Ausblick und Anknüpfungspunkten für weitere Forschungsbemühungen (c).
Problemstellung
Positionierung & Ziele
Aufbau der Arbeit
Eine Bestandsaufnahme der PMI Forschungsliteratur
Eine schematheoretische Perspektive zur Untersuchung des PMI Erfolgs
Die Fallstudie der ZF Friedrichshafen AG
I.1.1 Status Quo PMI
I.2.1 Grundlagen
II.1 Research Setting
I.1.2 PMI Erfolg
I.2.2 Shared Schemata
II.2 Design/Methodik
I.1.3 Literatur Review
I.2.3 Abgrenzung
II.3 Ergebnisse
I.1.4 Zwischenfazit
I.2.4 Zwischenfazit
II.4 Diskussion
Zentrale Ergebnisse Abb. S-1:
(a)
Limitationen
Ausblick
Einführung Teil I Theoretische Grundlagen Teil II Empirische Erhebung
Schluss
Aufbau der Schlussbetrachtung Quelle: Eigene Darstellung.
Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
Ausgangspunkt dieser Arbeit war der anhaltende Diskurs über die Diskrepanz der einerseits hohen Übereinstimmung über die Bedeutung der PMI für den Erfolg einer M&A Transaktion und der andererseits nach wie vor ungelösten Frage nach dem Erfolg des PMI Prozesses. Auf der Suche nach einer Lösung unterstützte die vorliegende Arbeit dabei gleich zweifach: Zum einen hob sie die Relevanz, PMI als dynamischen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K. Pfeifle, PMI und die Frage nach dem Erfolg, Schriften zur Unternehmensentwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31815-4_4
Schlussbetrachtung
210
und komplexen Prozess zu verstehen hervor, zum anderen trug sie zu einem tieferen Verständnis sowohl des Managements eines Integrationsprozesses als auch organisationaler Schemata bei, indem sie die Rolle kollektiver Schemata im Kontext des PostMerger Integrationsprozesses über unterschiedliche Ebenen der Organisation hinweg untersuchte. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Diskurses wurden in einem ersten Schritt jene zentralen Themen und Vorsteuergrößen identifiziert, die einen Einfluss auf das Integrationsergebnis auszuüben vermögen. Insgesamt diente das erste Kapitel des theoretischen Teils dieser Arbeit jedoch nicht lediglich dazu, dem Leser einen möglichst umfassenden Überblick über die Vielzahl und Ambiguität relevanter Vorsteuergrößen zu vermitteln. Vielmehr war es das Ziel, ein besseres Verständnis des PMI Prozesses und den damit verbundenen Herausforderungen zu erlangen, indem eine explizit prozessuale Perspektive eingenommen wurde. Dabei wurde die starke Einflussnahme kognitiver Dynamiken im Hinblick auf den Erfolg des Integrationsprozesses identifiziert. Zwar wird von einer Vielzahl von Autoren auf die Bedeutung einer kognitiven Perspektive im Rahmen des Integrationsprozesses verwiesen und deren Relevanz zur Erklärung strategischer Prozesse betont, allerdings wurden bis dato nur sehr wenige Beiträge, die einen kognitiven Ansatz als theoretischen Hintergrund wählen, veröffentlicht. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Schemata als zugleich nützlichste und am weitesten verbreitete Perspektive der sozialen Kognition identifiziert wurde, wurde diese für die Untersuchung der post-akquisitionalen Prozesse herangezogen. Vor dem Hintergrund des dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstandes als interorganisationales bzw. interindividuelles Phänomen erfolgte im Verlauf der Arbeit sodann eine Erweiterung der individuellen Kognitionsebene um die Dimension der kollektiven Kognition anhand des „Shared Schema“ Konstrukts. Damit wurde nicht lediglich dem Untersuchungskonstrukt dieser Arbeit Rechnung getragen, sondern
Schlussbetrachtung
211
ebenso der Aufforderung von Walsh (1995) gefolgt, sich, vor dem Hintergrund organisationaler Komplexität, neben der individuellen, ebenfalls der kollektiven Kognition zu widmen.560 So war es zentrale Zielsetzung der empirischen Studie zu eruieren, inwieweit das Konzept kollektiver Schemata einen erkenntniserweiternden Blickwinkel hinsichtlich der Untersuchung des Erfolgs post-akquisitionaler Prozesse zu eröffnen vermag. Im Unterschied zu einem Großteil der bereits existierenden Forschungsbeiträge wurden die kollektiven Schemata über unterschiedliche Ebenen der Organisation hinweg untersucht und die hieraus resultierenden Konsequenzen für das Outcome der Integration beleuchtet. Dabei ging hervor, dass eine erfolgreiche Integration ein gemeinsames Verständnis über alle Ebenen der am Integrationsprozess Beteiligten hinweg erfordert. Mit Blick auf die Gesamtintegration wurde zudem deutlich, dass der Entwicklungsprozess einer Ebene mit der jeweils nachfolgenden Ebene verknüpft ist. So impliziert die Entwicklung des kollektiven Schematas einer Ebene eine Voraussetzung für die positive Entwicklung der jeweils nachfolgenden Ebene. Die Rolle, die das gemeinsame Verständnis dabei im Hinblick auf das Outcome der Integration spielt variiert entlang der verschiedenen Ebenen, ebenso wie die jeweiligen strategischen Fragestellungen. So kommt dem gemeinsamen Verständnis des Top und mittleren Managements eine richtungsweisende bzw. treibende Rolle zu während der Workstream eine vielmehr gestaltende Rolle einnimmt. Die strategischen Fragestellungen reichen dabei von der Gesamtintegrationsstrategie auf Top Management Ebene bis hin zur Lösung der optimalen Zusammenarbeit innerhalb der Workstreams. Im Hinblick auf den Erfolg der Integration ging hervor, dass die Existenz eines kollektiven Schemas und die damit definierten Leitplanken nicht zwingend eine erfolgreiche Integration impliziert. Vielmehr wird deutlich, dass eine erfolgreiche Task Integration und eine erfolgreiche Human Integration die aktive Unterstützung des Manage-
560
Vgl. Johnson (2009), S. 36.
Schlussbetrachtung
212
ments erfordert. Bleibt diese aus, sind häufig Widerstand und Abwehr und damit Stagnation in der Entwicklung der Integration die Folge. Obgleich die Konzepte, PMI und Schemata, jeweils auf eine lange Historie zurückblicken können, bilden sie dennoch zwei Forschungsfelder, welche als vergleichsweise „neu“ zu bezeichnen sind. Demzufolge sind ihre Grenzen noch nicht eindeutig, was eine endgültige Bewertung dieses Vorhabens erschwert. Nichtdestotrotz war es ein übergeordnetes Ziel dieser Arbeit, ein Beispiel zu geben, wie unterschiedliche Forschungsströme miteinander verbunden werden können, um in einem gegebenen Kontext Fortschritte zu erzielen. So eröffnet die Arbeit, basierend auf der Integration der beiden Strömungen, aus Sicht des Verfassers einen interessanten Blickwinkel für die Relevanz eines solchen Ansatzes. (b)
Limitationen
Obgleich die Limitationen bereits mehr oder weniger explizit im Verlauf der Arbeit thematisiert wurden, ist es Ziel des folgenden Abschnittes, diese in einer nunmehr komprimierten und strukturierten Art und Weise aufzubereiten. In diesem Zusammenhang soll dabei lediglich auf allgemeine, die Untersuchung als Ganzes tangierende Limitationen fokussiert werden. Neben methodischen Aspekten sind dabei auch diverse empirische Aspekte zu berücksichtigen. Mit Bezug auf die Methode lassen sich die Limitationen vor allem auf (i) das gewählte Fallstudiendesign sowie (ii) den Prozessforschungscharakter zurückführen:
(i) Fallstudienforschung: Auch wenn die Fallstudienforschung in den vergangenen dreißig Jahren zunehmend häufiger Verwendung gefunden hat,561 wird die Vorteilhaftigkeit dieses Forschungsansatzes (noch) längst nicht überall anerkannt.562 So wird nicht selten die Validität als auch die Transferierbarkeit der Fallstudienergebnisse in
561 562
Vgl. Yin (2014), S. xix. Die Kritik reicht dabei von anderen Forschungstraditionen bis hin zur eigenen. Vgl. Yin (2014).
Schlussbetrachtung
213
Frage gestellt. Die meiste Kritik bezieht sich jedoch auf die Verwendung des Fallstudienansatzes an sich, kann diese bislang nur verhältnismäßig wenige Anwendungsfälle verzeichnen. Um dieser Kritik in angemessenem Rahmen zu begegnen, wurden die bedeutendsten Gütekrierien qualitativer Forschung: Konstruktvalidität, interne und externe Validität sowie Reliabilität zugrunde gelegt, um die Qualität der Fallstudie sicherzustellen (Vgl. Kapitel II.2.2). Darüber hinaus wurde einer Reihe von Autoren gefolgt,563 indem eine detaillierte Darstellung des Research Settings angefertigt wurde, um eine bessere Einschätzung bzgl. der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf ein anderes Setting gewährleisten zu können. (ii) Prozessforschung: Die Prozessforschung ermöglicht es, prozessbezogene Aspekte zu berücksichtigen - in einer Form wie es einer varianzbasierten Forschung nicht möglich ist. Jedoch gehen mit der Prozessforschung ganz eigene Limitationen einher. So ist die Durchführung von Prozessstudien sehr arbeitsintensiv und beinhaltet i.d.R. ein außerordentlich hohes Datenvolumen,564 welches auf die realen Gegebenheiten des zugrundeliegenden Falls zurückgeführt werden kann.565 Pettigrew (1991) spricht in diesem Zusammenhang von der Gefahr einer potentiellen Überforderung, mit dem Resultat: „death by data asphyxiation“ (Pettigrew 1990, S. 281). So führt die Datentiefe sowie die Komplexität der Prozesse zu einer Einschränkung der Anzahl der Fälle, die untersucht werden können, wodurch gleichzeitig wiederum eine Einschränkung im Hinblick auf die Generalisierbarkeit der Ergebnisse prozessbasierter Forschung einhergeht.566 Um den prozessualen Anforderungen sowie der Fülle an Daten gerecht zu werden, wurde den Anregungen von Miles und Hubermann (1984) sowie Pettigrew (1992) gefolgt, indem die Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen analysiert (SteerCo, IMO, Workstreams), vorausgehende wie auch zukünftige Prozesse einer Untersuchung
563
Vgl. bspw. Balogun/Johnson (2004); Lincoln/Guba (1985) oder Labianca et al. (2000). Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540: „staggering volume of data“ 565 Ebenda. 566 Vgl. Van de Ven (2005), S. 1385. 564
Schlussbetrachtung
214
unterzogen (z.B. Strategie 2025, Einführung des NMS) sowie ferner auf die Rolle von Kontext und Handlung Bezug genommen wurde, um weniger eine lineare als vielmehr eine holistische Betrachtung zu ermöglichen. Aus einer empirischen Perspektive heraus sind insbesondere drei limitierende Aspekte hervorzuheben, welche sich auf (i) den Betrachtungszeitraum der Untersuchung, (ii) das Sample sowie (iii) die Form der Interviewführung zurückführen lassen: (i) Betrachtungszeitraum: Das Forschungsprojekt startete nur wenige Wochen nach Closing des Deals (Juni 2015) und erstreckte sich über einen Zeitraum von insgesamt 16 Monaten. Durch den Strategieansatz, TRW zunächst als eigenständige Division weiterzuführen und primär jene Bereiche zusammenzuführen, die unabdingbar waren bzw. das höchste Potential versprachen, unterlagen die Workstreams einer zeitversetzten Integration. Vor diesem Hintergrund waren zur Zeit der Untersuchung große Teile der Organisation von der Zusammenführung der Organisationen noch (gar) nicht betroffen und die einzelnen Workstreams zum Zeitpunkt der Befragung unterschiedlich weit im Integrationsprozess vorangeschritten. Ein Tatbestand, welcher für die Fallstudienerhebung an sich jedoch als durchaus positiv beurteilt werden kann, konnten über den Zeitverlauf hinweg einige wiederkehrende Muster in den Workstreams identifiziert werden. (ii) Sample: Darüber hinaus unterliegt die Arbeit dem Fokus des Top bzw. mittleren Managements.567 Der Literatur wie auch Schlüsselinformanten folgend, kommt jedoch insbesondere dem unteren Management wie auch der Arbeitsebene eine wesentliche Rolle im Rahmen des Integrationsprozesses zu.568 So besteht trotz der Vorteilhaftigkeit, welches das durchaus als einzigartig zu bezeichnende, „hochkarätige“ Forschungssample für die strategische Literatur offeriert, eine Limitation im Hinblick auf
567
568
Es handelt sich dabei um eine Anforderung/Entscheidung des Top Managements an das Forschungsdesign der Studie. Vgl. bspw. Monin et al. (2013).
Schlussbetrachtung
215
die operationale (Forschungs-)Ebene, da angenommen werden kann, dass die Veränderungswahrnehmung gegenüber dem Management mitunter erheblich differiert. Vor dem Hintergrund der Tatsache jedoch, dass sich die vorliegende Arbeit primär mit dem Management strategischer Prozesse beschäftigt und diese wiederum i.d.R. der Ebene des (Top) Managements zugesprochen wird, kann diese Limitation zu einem gewissen Grad als unwesentlich eingestuft werden. (iii) Form der Interviewführung: Einer ZF- und TRW-seitig (ausgeglichenen) Befragung zufolge wurden neben face-to-face Interviews auch Gespräche per Telefon oder Skype durchgeführt. Im Laufe des Erhebungsprozesses konnte jedoch festgestellt werden, dass die per Telefon bzw. Skype geführten Interviews i.d.R. kürzer und mitunter weniger inhaltsreich waren. Dies hatte zur Folge, dass im Rahmen der Analyse und Rekonstruktion des Prozessverlaufes verstärkt auf Daten aus den persönlich geführten Interviews zurückgegriffen wurde. Dabei handelte es sich vor allem um Mitglieder des kaufenden Unternehmens. Graebner (2004) zufolge, ist diese, auf unterschiedlichen Ursachen beruhende unterdurchschnittliche Berücksichtigung des gekauften Unternehmens – neben einigen Ausnahmen – in der PMI Literatur jedoch keineswegs ein Ausnahmefall. Pablo (1994) betont in diesem Zusammenhang sogar die Vorteilhaftigkeit einer Prozessanalyse von Seiten der akquirierenden Organisation, erfolgen dort i.d.R. die meisten Prozessentscheidungen.569
569
Vgl. Pablo (1994), S. 806.
Schlussbetrachtung
(c)
216
Ausblick und Anknüpfungspunkte an weitere Forschungsbemühungen
Das hier dargestellte Konzept kollektiver Schemata im Kontext des PMI Erfolgs stellt freilich kein vollendetes Gesamtkonzept dar. Vielmehr soll es als Grundlage für eine weiterführende Diskussion verstanden werden. Folglich lassen sich vielfältige Ansatzpunkte für weitere Forschungsbemühungen identifizieren: Abgrenzung kollektiver Schemata von angrenzenden Konzepten: In theoretischer Hinsicht scheint vor allem eine konzeptionelle Verfeinerung erforderlich, um feste Grenzen zwischen kollektiven Schemata und anderen Formen der Team-Kognition zu schaffen. Denn es besteht, wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit dargelegt, nach wie vor eine gewisse konzeptionelle Verwirrung darüber, wie sich das Konstrukt von angrenzenden kognitiven Formen unterscheidet. Dabei scheint es sich anzubieten, von der rein theoretisch, abstrakten Referenzierung Abstand zu nehmen und vielmehr den Inhalt und die Eigenschaften näher zu spezifizieren. Konvergenzgrad und -inhalte kollektiver Schemata: Ferner stand es bislang nicht im Fokus näher zu spezifizieren, welche schematischen Inhalte letztendlich konvergent sein sollten und in welchem Ausmaß. So unterlag die Schema Literatur bislang der (stark generischen) Annahme: je größer die schematische Überschneidung desto besser. Es scheint jedoch angemessen, diese relativ simple Vorstellung neu zu überdenken. So sollte bspw. die (fast) naive Annahme, dass alle Mitglieder eines Teams auf ähnliche Weise über Aufgaben und Arbeitsinhalte denken sollten durch ein detailliertes Verständnis der Rollenstruktur und der Teamaufgabe nuanciert werden. Dies vor dem Hintergrund der Überlegung, dass bestimmte Rollen innerhalb eines Teams mitunter eine größere schematische Konvergenz erfordern können als andere, die vielmehr durch komplementäre oder gar abweichende Schemata besser bedient wären. In ihrer Arbeit zu teambasierten kognitiven Modellen verweisen die Autoren Mohammed et al. (2010) zudem darauf, dass eine zu hohe schematische Überlappung zu Redundanzen und Inef-
Schlussbetrachtung
217
fizienzen führen könne, welche sich in einem suboptimalen Einsatz der Teamressourcen widerspiegelt. Obwohl es also durchaus bestimmte Aspekte gibt, welche über das Team bzw. die Organisation hinweg kollektiv geteilt werden müssen, kann den Autoren zufolge ebenfalls „gesplittetes“ Wissen von Vorteil sein.570 Und auch Cannon-Bowers et al. (1993) haben schon früh darauf verwiesen, dass eine zu große schematische Überschneidung zu einem Phänomen führen kann, das dem Gruppendenken entspricht, infolge dessen falsche Ansichten übereinstimmend validiert und nicht verworfen werden. Aus dieser Beobachtung heraus emergiert die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich Wissen und Erwartungshaltung der Teammitglieder so stark überschneiden, dass die Einzigartigkeit ihrer individuellen Beiträge verloren geht. Obgleich im Rahmen der Arbeit ausschließlich die positive schematische Funktionalität hervorgehoben wurde, können kollektive Schemata jedoch auch eine „dunkle Seite“ haben. An dieser Stelle können zukünftige Forschungsarbeiten ansetzen, indem sie untersuchen, wann kollektive Schemata zu einer Dysfunktion führen können. Integration temporaler Dynamiken: Obwohl ein Verständnis des „Was“ und des „Wer“ zweifelsohne für die Funktionalität einer Organisation oder einzelnen Abteilungen entscheidend ist, kann ein Versäumnis des „Wann“, die Performance Ergebnisse erheblich beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund wird es als notwendig erachtet, zu einer Verbesserung der kollektiven Schemaforschung beizutragen, indem in künftigen Forschungsarbeiten bspw. gemeinsame Wahrnehmungen hinsichtlich zeitlich gesetzter Meilensteine und die Geschwindigkeit von Handlungen berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf zu verweisen, dass die Kognitionsleistung im Hinblick auf das Erkennen zeitlicher Abläufe mit Beschränkungen einherzugehen vermag. So sind Raum und Zeit die zentralen „Ordnungsprinzipien“, welche die Er-
570
Vgl. Mohammed et al. (2010), S. 903.
Schlussbetrachtung
218
kenntnis letztendlich erst möglich machen. Glasersfeld (1991) schreibt in diesem Zusammenhang:
„Wenn Raum und Zeit Koordinaten oder Ordnungsprinzipien unseres Erlebens sind, dann können wir uns Dinge jenseits der Erlebenswelt überhaupt nicht vorstellen, denn Form, Struktur, Ablauf von Vorgängen und Anordnungen irgendwelcher Art sind ohne dieses Koordinatensystem im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar.“ (Glasersfeld 1991, S. 23) Nichtsdestotrotz sind sie als „Koordinaten“ für die Kognition von unterschiedlicher Qualität. Während Objekte im Raum i.d.R. ohne Weiteres als Ganzes wahrgenommen werden und so die Voraussetzung für die Konstruktion eines konsistenten Bildes schaffen, kann bei Zeitabläufen hingegen lediglich ein Bruchteil des Ganzen erfasst werden. Einfluss der Sprach- und Lebensformen im Kontext kollektiver Schemata: Geht man davon aus, dass die Entwicklung eines organisationalen Schemas kommunikativ begleitet wird, oder gar selbst ein kommunikativer Vorgang ist, dann gewinnt die Sprache, insbesondere in mehrdeutigen Situationen wie die einer Post-Merger Integration, zunehmend an Bedeutung. Werner Kirsch (1995) spricht in diesem Zusammenhang von originären und derivativen Lebens- und Sprachwelten. Erstere wird dabei von den alltäglichen Lebens- und Sprachformen geprägt, welche in der privaten Welt erhalten und ausgebaut werden. Derivative Lebens- und Sprachformen hingegen umfassen die Lebensformen im organisationalen Kontext.571 So verfügt bspw. das Management einer Organisation über einen (gemeinsamen) Kontext aus charakteristischen fachspezifischen Ausdrücken, Überzeugungen oder Kriterien, die der Entscheidungsfindung zugrunde liegen. Diese müssen jedoch nicht zwangsläufig mit den originären Lebensformen im Einklang stehen. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft führt mit sich, dass Menschen zunehmend nicht mehr nur einer, sondern vielmehr einer ganzen Reihe unterschiedlicher Lebens571
Vgl. Kirsch (1995), S. 100f.
Schlussbetrachtung
219
welten angehören. Demzufolge sieht sich jede Organisation vor der komplexen Aufgabe, diese verschiedenartigen Lebenswelten übereinander zu bringen:
„Man wird nur dann ein kompetenter Teilnehmer einer Führungspraxis, wenn man sich die Regeln der jeweiligen Lebens- und Sprachform angeeignet hat und in deren Kontext problematische Situationen definieren, Bewertungen vornehmen und Probleme bewältigen kann.“ (Kirsch 1995, S. 102) Diese Aneignung der jeweiligen Lebens- und Sprachformen ist gerade im postakquisitionalen Kontext, als pluralistisches Feld aus unterschiedlichen Interessensgruppen und Koalitionen, eine zentrale Herausforderung mit erheblichem Potential für künftige Forschungsbemühungen. So erscheint es besonders interessant, die Rolle der sprachlichen Aneignung im Hinblick auf die Entwicklung kollektiver Schemata und deren Differenzierung über unterschiedliche organisationale Ebenen hinweg zu untersuchen. Darüber hinaus liefern organisationale, nationale wie internationale Zusammenhänge spannende Aspekte, welche in künftigen Forschungsbeiträgen adressiert werden könnten. Kontext: Die Bedeutung sprachlicher Kommunikation kann häufig erst in ihrem Kontext erfasst werden. Kirsch (1998) zufolge impliziert der Kontext die theoretische Analyse wie Individuen bzw. Organisationen Probleme definieren und bewerkstelligen. So wird ein und dieselbe Situation in unterschiedlichen Kontexten verschiedenartig wahrgenommen, interpretiert und als kontextspezifisches Problem formuliert:
„Aus der Betrachtung des individuellen Problemlösungsverhaltens wissen wir, dass Individuen Aufgaben dadurch als Probleme erfassen, dass sie die Aufgabe in einem bestimmten Kontext als Problem definieren. Ein und dieselbe Aufgabe [...] kann unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert, d.h. in unterschiedlichen Kontexten als Problem erfasst werden.“ (Kirsch 1998, S. 63).
Schlussbetrachtung
220
Mit steigender Komplexität des Problems verfügt jedoch keines der Kontexte über ausreichend Raum für eine angemessene Problemerfassung. Darüber hinaus steigt mit zunehmender Komplexität ebenfalls die Menge an Informationen, um Zusammenhänge zu erläutern, bis ein komplexer Zusammenhang nicht mehr innerhalb eines geschlossenen Zusammenhangs dargelegt werden kann. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die potentiellen Erläuterungen zwar in einem jeweils spezifischen Kontext erfolgen, das Problem jedoch lediglich einer partiellen Definition unterliegt. Wird das Wissen um das Problem indes gemeinschaftlich erarbeitet, bleiben derartige interpersonelle Differenzen der kontextabhängigen Problemerfassung aus. Allerdings besteht das Risiko, dass mit der Entwicklung eines kollektiven Kontextes die Reduktion der Komplexität des Problems vorab so hoch ist, dass diese einer erfolgreichen Steuerung entgegensteht.572 Mit Blick auf die einer Post-Merger Integration zugrundeliegenden hohen Komplexität bieten sich aus Sicht des Verfassers vor allem in diesem Bereich vielzählige Ansatzpunkte für eine eingehende Auseinandersetzung. Die Relevanz, welche der Berücksichtigung des Kontextes im Rahmen der Post-Merger Integration zukommt, wird zwar von einer Reihe von Autoren anerkannt, jedoch besteht nach wie vor erheblicher Bedarf an Forschungsbeiträgen, welche sich explizit mit kontextspezifischen Fragestellungen und deren Einfluss auf den Erfolg auseinandersetzen.573
572 573
Vgl. Büssow (2003), S. 89f. Vgl. bspw. Steigenberger (2017), S. 423; Graebner et al. (2016), S. 26.
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